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T'
ANKÜNDIGUNG.
Bei der Bearbeitung dieses Handbuches hat sich der Verfasser die
Aufgabe gestellt, das gesammte Gebiet der mechanischen Wärmetheorie,
das experimentelle sowohl als das theoretische, und die Anwendungen
derselben in den übrigen exacten Naturwissenschaften zu umfassen.
Die technischen Anwendungen sind ausgeschlossen, da diese in den
Werken Zeuner's und Grashof' s bereits eine treffliche Behandlung
gefunden haben.
Das Buch soll dem lehrenden und forschenden Fachmanne als
Handbuch, den Studirenden der exacten Naturwissenschaften als Lehr-
buch dienen.
Durch Berücksichtigung möglichst aller wichtigen Arbeiten des
In- und Auslandes ist eine thunlichste Vollständigkeit angestrebt
worden; das Buch soll jedoch das Studium der Originalarbeiten nicht
überflüssig machen, es zeigt vielmehr deren Stellung im Gesammt-
organismus der Wissenschaft und giebt ihre Resultate in systematischer
Anordnung. Durch eine möglichst umfängliche Anführung der Quellen
hofl't der Verfasser seinen Fachgenossen, zumal bei .einschläglichen
experimentellen und theoretischen Untersuchungen und bei Vorbereitung
der Collegien behülflich sein zu können. .
Die Darstellung ist so gewählt, dass auch weniger Geübte, wenn
dieselben nur einen Cursus der Differential- und Integralrechnung und
die Einleitung in die höhere Mechanik, sowie Experimental -Physik
und -Chemie gehört haben, den Auseinandersetzungen zu folgen im
Stande sein werden.
Mit Beginn des zweiten Bandes hat sich der Verfasser von dem
V erdet' sehen Buche: „Theorie m6canique de la chaleur", dessen Bear-
beitung in der ersten Lieferung des ersten Bandes angestrebt worden
war, vollständig emancipirt. Die Fülle des zumal im zweiten Bande
zu berücksichtigenden Materiales rührt vorzugsweise aus der aller-
neuesten Zeit her; seit dem Erscheinen des V erdet 'sehen Werkes sind
in diesen Gebieten die Gesichtspunkte daher so wesentlich verschoben
worden, dass es unmöglich erschien, sich noch femer in irgend welcher
Weise an diese sonst so treffliche Arbeit anzulehnen. — Die vorliegende
Lieferung enthält die kinetische Gastheorie und den grösseren Theil
der Thermochemie. Die zweite Lieferung des zweiten Bandes (und
vorletzte des ganzen Werkes) bringt den Abschluss der Thermochemie
nebst einem Anhang Über Explosivkörper und deren Anwendung in
den Gaskraftmaschinen und Feuerwaflfen, hierauf die Anwendung der
mechanischen Wärmetheorie in der Elektricitätslehre.
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HANDBUCH
DRB
MECHANISCHEN
• •
WARMETHEORIE.
ANKÜNDIGUNG.
Bei der Bearbeitung dieses Handbuches hat sich der Verfasser die
Aufgabe gestellt, das gesainmte Gebiet der mechanischen Wärnietheorie,
das experimentelle sowohl als das theoretische, und die Anwendungen
derselben in den übrigen exacten Naturwissenschaften zu umfassen«
Die technischen Anwendungen sind ausgeschlossen, da diese in den
Werken Zeuner's und Grashof' s bereits eine treffliche Behandlung
gefunden haben.
Das Buch soll dem lehrenden und forschenden Fachmanne als
Handbuch, den Studirenden der exacten Naturwissenschaften als Lehr-
buch dienen.
Durch Berücksichtigung möglichst aller wichtigen Arbeiten des
In- und Auslandes ist eine thuulichste Vollständigkeit angestrebt
worden; das Buch soll jedoch das Studium der Origiualarbeiten nicht
überflüssig machen, es zeigt yielmehr deren Stellung im Gesammt-
organismus der Wissenschaft und gicbt ihre Resultate in systematischer
Anordnung. Durch eine möglichst umfängliche Anführung der Quellen
hoff't der Verfasser seinen Fachgenossen, zumal bei einschläglichen
experimentellen und theoretischen Untersuchungen und bei Vorbereitung
der Collegien behülflich sein zu können. .
Die Darstellung ist so gewählt, dass auch weniger Geübte, wenn
dieselben nur einen Cursus der Diö'ercntial - und Integralrechnung und
die Einleitung in die höhere Mechanik, sowie Experimental -Physik
und -Chemie gehört haben, den Auseinandersetzungen zu folgen im
Stande sein werden.
Mit Beginn des zweiten Bandes hat sich der Verfasser von dem
Verdet'schen Buche: „Theorie mecanique de la chaleur", dessen Bear-
beitung in der ersten Lieferung des ersten Bandes angestrebt worden
war, vollständig eraancipirt. Die Fülle des zumal im zweiten Bande
zu berücksichtigenden Materialea rührt vorzugsweise aus der aller-
neuesten Zeit her; seit dem Erscheinen des Verd et' sehen Werkes sind
in diesen Gebieten die Gesichtspunkte daher so wesentlich verschoben
worden, dass es unmöglich erschien, sich noch ferner in irgend welcher
Weise an diese sonst so treffliche iVrbeit anzulehnen. — Die vorliegende
Lieferung enthält die kinetische Gastheorie und den grösseren Theil
der Thermochemie. Die zweite Lieferung des zweiten Bandes (und
vorletzte des ganzen Werkes) bringt den Abschluss der Thermochemie
nebst einem Anhang über Explosivkörper und deren Anwendung in
den Gaskraftmaschinen und Feuerwafi'en, hierauf die Anwendung der
mechanischen Wärmetheorie in der Elektricitätslchre.
HANDBUCH
DEB
ME OHANI 8 C H E N
• •
WARMETHEORIE.
Holzstiche
auB dem xylographisohen Atelier
von Friedrich Vieweg und Sohn
in Braanechweig.
Papier
aus der meohanischen Papier-Fabrik
der Gebrüder Yieweg zu Wendhausen
bei Brannschweig.
©
HANDBUCH
DER
ME CHANIS CHEN
WARMETHEORIE.
VON
De. RICHARD EÜHLMANN,
Professor am Königl. Gymnasium zu Chemnitz.
ZWEITER BAND.
MIT 68 EINGRDBCCKTEN HOLZSTICHEN.
BRAUNSCHWEIG,
DKÜCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
18 8 5.
e^7-T
, Th4<i Iit3?7^'^
/ ,
Alle Rechte vorbehalten.
VORREDE ZUM ZWEITEN BANDE.
Im ersten Bande dieses Werkes sind die Grundlagen der mechani-
schen Wärmetheorie im engeren Sinne erledigt worden. Es wurden
dort diejenigen theoretischen Betrachtungen und experimentellen
Untersuchungen zusammengestellt^ welche sich auf die beiden Haupt-
sätze und die aus denselben hervorgehenden Gleichungen, sowie auf
die Anwendungen derselben in der eigentlichen Wärmelehre be-
ziehen. Der zweite Band ist hauptsächlich den Anwendungen der
Thermodynamik auf andere Theile der Physik, sowie verwandte
Disdpliuen gewidmet Vorher wird jedoch derjenige Theil unserer
Wissenschaft behandelt, welchen wir heute unter dem Namen
kinetische Atomistik zusammenfassen.
Während die Betrachtungen des ersten Bandes ganz unab-
hängig davon sind, welche* besonderen Vorstellungen man sich von
dem Wesen der Wärme macht, und nur auf der Thatsache beruhen,
dass die Wärme eine Form der Energie ist, so beschäftigt sich die
kinetische Atomistik mit den Folgerungen, auf welche die besondere
Annahme führt, dass die Körper eine moleculare Zusammensetzung
besitzen, und dass das Wesen der Wärme in eigen thümlichen
Bewegungszuständen der kleinsten Theile der Materie zu suchen
seL Ein längerer Abschnitt beschäftigt sich alsdann mit den An-
wendungen der eigenthümlichen Betrachtungsweise, durch welche
die mechanische Wärmetheorie charakterisirt wird, auf die Chemie.
Unter dem Namen Thermochemie sind die Ergebnisse aller wesent-
Kchen hierauf bezüglichen Untersuchungen zusammengestellt. Im
VI Vorrede zum zweiten Bande.
Anschluss hieran findet die Betrachtung der Explosivkörper, sowie
die theoretische Behandlung der Vorgänge in den Feuerwaffen ihre
Erledigung. Einem weiteren Abschnitte ist die Aufgabe zugewiesen,
die Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie in den ver-
schiedenen Theilen der Electricitätslehre zusammenzufassen, da
auch hier die Einfuhrung der neuen Betrachtungsweise wesenÜich
neue Aufschlüsse gegebeft' hat und zur Zusammenfassung scheinbar
weit auseinanderliegender Untersuchungen unter einheitliche Ge-
sichtspunkte Veranlassung geworden ist
"Auch auf dem Gebiete der Meteorologie und Astronomie hat
die Anwendung des ersten und zweiten Hauptsatzes der mechani-
schen Wärmetheorie ganz neue Zusammenhänge zwischen ver-
schiedenen Erscheinungen aufgedeckt und zu weittragenden theo-
retischen Speculationen Veranlassung gegeben. Diese Betrachtungen
werden, insoweit sie auf wohlbegründetem physikalischem Boden
stehen, im vorletzten Abschnitte besprochen.
Der letzte Abschnitt ist der Geschichte der mechanischen
Wärmetheorie von ihren ersten Anfängen bis auf unsere Zeit ge-
widmet. Die Besprechung der neuesten Leistungen auf diesem
Gebiete und ihrer Bedeutung für die historische Entwicklung der
ganzen Disciplin hat Gelegenheit gegeben auf manche Ergänzungen
hinzuweisen, welche sich durch neuere Arbeiten zu einzelnen Capiteln
der früher erschienenen Abschnitte nothwendig gemacht haben.
Der Verfasser ist bemüht gewesen, sowohl die experimentellen
Grundlagen, als auch das theoretische Material der mechanischen
Wärmetheorie mit thunlichster Vollständigkeit zu sammeln, kritisch
zu sichten und nach einheitlichen Gesichtspunkten zusammenzu-
fassen. Obgleich eine absolute Vollständigkeit bei einem ersten
derartigen Versuche, für welchen zumeist wenig oder gar keine
Vorarbeiten vorhanden waren, nicht zu erreichen gewesen ist, so
haben sich aus der Zusammenstellung des Materials doch vielfach
neue Gesichtspunkte und dadurch Anregungen zu weiteren Be-
trachtungen ergeben, welche dem sachkundigen Leser nicht ent-
gehen werden. Es war die Aufgabe dieser bescheidenen Arbeit,
den derzeitigen Standpunkt der mechanischen Wärmetheorie in
einer Form darzustellen, welche es möghch macht, der weiteren
Entwickelung dieser Wissenschaft mit Verständniss zu folgen. Für
Vorrede zum zweiten Bande. Vil
solche, welche sich mit eingehenden Specialuntersuchungen beschäf-
tigen wollen, finden sich in den zahlreichen Gitaten die Nachweise
der Quellen, aus welchen der Verfasser geschöpft hat. Auf die
mathematische Theorie wurde nur da ins Einzelne eingegangen,
wo dieselbe mit der mechanischen Wärmetheorie als rein physika-
lische Disciplin im Zusammenhange war, dagegen wurden solche
Betrachtungen, welche fast ausschliesslich der reinen Mechanik
oder den rein mathematischen Theilen der Electricitätslehre an-
gehören, nicht aufgenommen, auch wenn sie durch Betrachtungen
veranlasst worden waren, welche innerhalb des von uns behandel-
ten Ideenkreises liegen.
Besondere Schwierigkeiten bot die Darstellung der Geschichte
der mechanischen Wärmetheorie, weil es galt, nicht nur die Zeit-
punkte festzustellen, zu welchen ein neuer Gedanke zuerst richtig
ausgesprochen oder eine physikalische Thatsache aufgefunden wor-
den war, sondern weil es für eine historische Darstellung von viel
grösserer Wichtigkeit erschien, nachzuweisen, von wann an und in
welcher Weise das Neue auf die Weiterentwickelung der Gesammt-
wissenschaft wirklich Einfluss gewonnen hatte. Der Verfasser ist
gewissenhaft bemüht gewesen, strenge Objectivität zu bewahren, zu-
mal auch jede nationale Empfindlichkeit darüber zu unterdrücken,
dass man im Auslande hier und da versucht hat, Entdeckungen
zu reclamiren, welche zweifellos auf deutschen^ Boden ihren Ur-
sprung haben. Eine sorgsame Prüfung des Sachverhaltes hat gezeigt,
dass der Antheil unseres Volkes* an der Schöpfung und Ausbildung
der mechanischen Wärmetheorie so gross ist, dass wir nicht noth-
wendig haben, mit Anderen neidisch um Kleinigkeiten zu rechten.
Möge es der nunmehr vollendeten bescheidenen Arbeit gelin-
gen, zu zeigen, welchen maassgebenden Einfluss die eigenthümliche
Methode, die in dem ersten und zweiten Hauptsatze der mechani-
schen Wärmetheorie enthalten ist, auf die Betrachtungsweise aller
exacten Naturwissenschaften bereits gewonnen hat.
Freundliche Leser unji nachsichtige Beurtheiler des anspruchs-
losen Werkes wollen die lange Verzögerung des Abschlusses der
Arbeit damit gütigst entschuldigen, dass nicht nur das Sammeln
und Sichten des Materials nicht leicht und vielfach mit langen
Aufenthalten verknüpft war, sondern dass die Arbeitskraft des Ver-
Yiii Vorrede zum zweiten Bande.
fassers nicht nur durch eine anstrengende Berufsthätigkeit, sondern
auch durch einige andere inzwischen erfolgte Publicationen, zu
welchen ihn Pflichten der Pietät nöthigten, vielfach anderweit ür
Anspruch genommen war.
Wenn ich zum Schluss um freundliche Aufnahme der Arbeit
bitte, ist es mir gleichzeitig herzliches Bedürfniss, allen denjenigen
Dank zu sagen, welche mich durch gütige Zusendung ihrer Ab-
handlungen und durch freundliche Auskünfte und mit ihrem Rathe
unterstützt haben.
Insbesondere fühle ich mich auch meinen verehrten CoUegen,
den Herren Gymnasialoberlehrem H. Hübschmann und Dr. Estel,
zu grossem Danke verpflichtet, welche mir unermüdlich bei den
zeitraubenden Gorrecturen beistanden.
Chemnitz, im September 1885.
Richard Rtthlmann.
INHALTS VERZEICHNISS
DES
ZWEITEN BANDES.
I. Die Moleoulartheorie der Wärme.
A. Allgemeines über die Molecularconstitution der Körper.
Seite
1. Die Grundformeln der mechaniBchen Wärmetheorie sind anabhängig
von den Hypothesen über die Molecularconstitution 1
2. Die Fundamentalannahmen der Moleculartheorie 2
3. lieber die Molecularbewegungen 3
4. Die mittlere Gruppirung der Holecüle; Bisgregation; Entropie .... 5
5. Die wahre specifische Wärme ; die absolute Temperatur ist proportional
der inneren kinetischen Energie 9
6. Der absolute KuUpunkt kann durch keinen endlichen Process erreicht
werden 11
B. Oeschichtliches über die Moleculartheorie, im Besonderen
über die der Gase.
1. Die ersten Anfange einer Moleculartheorie der Gase 12
2- Die neueren Vorläufer der Gtastheorie 17
3. Die Gastheorie von Krön ig 19
4. lieber den Mechanismus der Umsetzung von Arbeit in Wärme und um-
gekehrt bei einem vollkommenen Gase ^ 25
5. Erklärung des Druckes der Atmosphäre und des Eigengewichtes eines
Gases aus der Moleculartheorie 26
6. Was die Theorie über die Abweichungen von den einfachen Gesetzen
ergiebt 29
C. Die moderne Gastheorie in den Auffassungen von Clausius
und Maxwell.
1. Die Hypothesen der Clausius'schen Moleculartheorie der Gase ... 31
2. Ableitung der Consequenzen der Hypothesen 33
3. Die mittleren Geschwindigkeiten der Molecüle 37
4. Die Anwendung der Fundamente der Clausius* sehen Moleculartheorie
auf die übrigen Aggregatzustände 39
X Inhaltsverzeichniss des zweiten Bandes.
Seite
5. Einwände» welche gegen die Clausius'sche Theorie der molecularen .
StÖBBe erhoben worden sind 43
6. Besprechung des ersten und zweiten Einwurfes von Bujs-Ballot;
Bestimmung der mittleren Weglänge der Molecüle *. . 46
7. Zweite Clausius'sche Methode zur Berechnung der mittleren Weg-
länge 58
8. Ueher die Umsetzung von calorischer in äussere kinetische Energie
bei Gasen 62
9. Das Max wel lösche Gesetz über die Yertheilung der Geschwindig-
keiten unter die Moleonle - . . . 63
10. Formeln für ein Gemisch, welches aus zwei Arten von Molecülen
besteht 70
11. Ableitung der mittleren Weglänge aus dem Maxwell* sehen Gesetze 73
12. Ableitung des Gasdruckes auf eine Fläche aus MaxwelTs Gesetz . 77
■
D. Innere Beibung der Gase.
1. Ueber die Bestimmung der mittleren Weglänge nach absolutem Maasse.
Maxwell's Formeln für die innere Beibung der Gase .... 79
2. Andere Ableitung der Formeln für die innere |teibung der Gase . . 83
3. Die Bestimmung des Coef&cienten der inneren Beibung aus Pendel-
beobachtungen 87
4. 0. E. M e y e r ' s Versuche zur Bestimmung der inneren Beibung der
Gase 92
5. Maxwell* s Experimente über die innere Beibung ^ . . 97
6. Versuche von Kundt und Warburg mit verdünnten Gasen. Der
Gleitungscoefücient v 106
7. Die Ableitung der Beibungscoefficienten aus Transspirationsversuchen 111
8. Ueber die Abhängigkeit der inneren Beibung der Gase von der Tem-
peratur 118
9. Theoretische Consequenzen . . . .• 127
E. Die kinetische Theorie der Diffusion der Gase.
1. Ableitung der Grundformeln 130
2. Loschmidt's Experimentaluntersuchungen über Diffusion .... 137
F. Die Wärmeleitung in Gasen.
1. Vorläufige Bemerkungen über die Wärmeleitungsfahigkeit der Gase . 142
2. Die älteren Versuche über die Wärmeleitung in Gasen 144
3. Neuere Versuche über die Wärmeleitung in Gasen 149
4. Versuche über die Abhängigkeit der Wärmeleitungsfähigkeit von der
Gasdichte und der Temperatur 161
5. Die Clausius'sche Theorie der Wärmeleitung in Gasen 168
6. Ueber den Zustand der von einer unendlich dünnen Schicht aus-
gesendeten Molecüle 177
7. Der Zustand der gleichzeitig in einer unendlich dünnen Schicht ent-
haltenen Molecüle 181
8. Berechnung der Grösse des Wärmestromes, welcher in der Bichtung
der X-Axe fliesst 185
Inhaltsyerzeichiiiss des zweiten Bandes. xi
Seite
9. Bestinuuiing der Grösse a 188
10. Bestimmung von M.dx^ d. h. der Anzahl Molecüle, welche in der
Schicht zusammenstossen 193
11. Schlttssfolgerungen 195
12. Einige Bemerkungen über Maxweirs Theorie der Wärmeleitung in
Gasen 199
13. Ueber die Wärmeleitung in Gasgemengen 208
G. Die Fortpflanzung des Schalles.
1. Die zu' Grunde liegenden Hypothesen 209
2. Die Ableitung der Grundgleichungen für die Fortpflanzung des
SchaUes 211
3. Einige weitere Gonsequenzen 218
4. Die Berechnung der Intensität 220
5. Schlussbemerkungen 223
H. üeber die Natur der Molecüle.
1. Querschnitte der Molecüle 226
2. Verhältnisse der Volumina und Durchmesser der Molecüle 231
3. Untersuchungen über die absoluten Grössen der Molecüle 237
4. Die Verwerthung der genaueren Formeln für die mittlere Weglänge
von Clausius und van der Waals 239
5. Neue Bestinuoung des Querschnittes, des Volumens, der Anzahl, der
gegenseitigen Entfernung und des Gewichtes der Molecüle . . • 245
6. Ueber die Wirkungsweise der Molecüle und Atome 248
7. Bchlussbemerkungen '•. • • • ^^^
n. Thermoolieniie.
A. Atomgewicht und specifische Wärme.
1. Vorbemerkungen 254
2. Die Atomgewichte und die Atomigkeit 255
3. Die Beziehung zwischen Atomgewichten und speciflschen Wärmen
der Elemente im starren Zustande 258
4. Die physikalische Begründung der Avogadro' sehen Hypothese für
Gase mit mehratomigen Molecülen 263
5. Die specifische Wärme des Quecksilbergases 267
6. Die physikalische Begründung des Dulong-Petit' sehen Gesetzes • 269
7. Die Wärmecapacität der Verbindungen 272
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit.
1. Mechanische Bedeutung der bei chemischen Vorgängen entwickelten
Wärme 274
2. Die Heihoden zur Bestimmung der experimenteUen Fundamente der
Thermochemie 279
xn Inhaltsverzeichniss des zweiten Bandes.
Seite
3. Ueber den Einfluss der Temperatur und des Aggregatzustandes auf
die Bedeutung der empirisch gefundenen Zahlen 284
4. Einige der wichtigsten Yerhindungswärmen 289
a) Verbindungen der Metalloide unter einander 290
b) Verbindung einiger HetaUe mit Metalloiden 296
c) Neutralisation von Säuren und Basen > 30t
d) Lösungen in Wasser 309
e) Wärmeentwickelung bei einigen einfachen und doppelten Zer-
setzimgen 319
a) Einfache Zersetzungen 320
ß) Doppelte Zersetzungen . . • .323
f) Die Wärmetönung bei Bildung einiger organischer Verbin-
dungen 326
ft) t>ie Bildungswärmen einiger organischer Verbin-
dungen aus ihren Elementen 326
ß) Die Bildung der Aether und Alkohole in ihrem
wirklichen Zustande aus den Kohlenwasserstoffen 329
y) Bildung der Aether aus den Alkoholen 332
d) Bildung der Aldehyde und der organischen Säuren
durch Oxydation (nach Berthelot) 333
s) Bildung verschiedener organischer Verbindungen
(nach Berthelot) 334
g) Die latenten Schmelz- und Verdampfungswärmen einiger
Substanzen 335
a) Schmelzwärmen 336
ß) Verdampfungswärmen einiger Substanzen ..... 336
5. Ueber die Ableitung der nicht direct beobachteten Zahlen 338
6. Die Affinität nach Multiplen gemeinsamer Oonstanten 341
a) Bildung gasförmiger Froducte aus gasförmigen Bestand-
theilen 343
ß) Oasföimige Moleciüe in wässeriger Lösung 343
y) Oxydationen in wässerigen Lösungen 344
(f) Beactionen von Chlor oder Wasserstoff auf wässerige Lösungen 345
e) Substitutionen 345
C) Substitution eines Metalles durch ein anderes 347
ti) Einige anderweite Beactionen 349
^) Lösungswärmen 349
7. Einige andere Consequenzen der mitgetheilten Zahlwerthe 351
G. Die DisBOciationserscheinungen.
1. Die Theorie der Dissociation 365
2. Versuche über Dissociation gasförmiger Substanzen 370
3. Dissociation flüssiger und fester Körper 376
4. Die Pfaundler 'sehe Theorie der partiellen Wechselzersetzimgen . 389
5. Die Horstmann 'sehe Theorie der partiellen Wechselzersetzungen 395
6. Ueber die Beschaffenheit der Lösungen 406
7. Die Dissociationserscheinungen in den Flammen 415
8. Horstmann's Versuche über die relative Verwandtschaft des Sauer-
stoffs zu Wasserstoff und Kohlenoxyd 429
9. Ueber die Wirkung durch Gase schlagender electrischer Funken . . 435
Inhaltsverzeichniss des zweiten Bandes. ^n
Seite
10. Einwirkung des electrischen Funkens auf einzelne Kohlenwasserstoflf-
und Stickstoffverbindungen 442
11. Ueber die Wirkung schwacher electriacher Entiadungen. auf Gtase . . 446
D. Die ExplosivkÖrper.
1. Allgemeines über explosive Substanzen 451
2. üeber die Bestandtheile und die Zersetzung des Schiesspulvers . . . 455
3. Die Theorie des Schiesspulvers nach Bunsen und Schischkoff. . 463
4. Baint-Bobert's Theorie der Wirkung des Schiesspulvers in den
I -Oeschützrohren 468
I 5. Noble' 8 und Abel 's Theorie der Bewegung der Geschosse in den
Kanonenrohren 477
6. Die Yersuche über die Thätigkeit des Pulvers in den Geschütz-
rohren 482
7. Vergleich der Yersuchsresultate mit den theoretischen Formeln . . . 490
i 8. Schiesspulver mit abweichenden Zusammensetzungen 494
I 9. Die explosiven Gasgemische 496
: 10. Chlor- und Jodstickstoff 497
I 11. Nitroglycerin 499
I 12. Schiessbaumwolle 508
: 13. Die Pikrinsäure und die Pikrate 509
I 14. Die Fulminate 511
15. Einfluss der Art der Entzündung auf Zersetzungsweise und Wirkung
I der Explosivkörper 513
16. Zusammenstellung der auf die wichtigsten Explosivstoffe bezüglichen
Zahlwerthe 523
£. Die Anwendung explosiver Gasgemische zum Betriebe von
Wärmemaschinen. (Physikalische Theorie der Gasmaschinen.)
1. Allgemeines 524
2. Die direct wirkenden Gasmaschinen älterer Gonstruction 529
3. Die Anwendung von Leuchtgas in der älteren Gaskrafbmaschine
von Otto und Langen 533
4. Der gerauschlose Otto-Gasmotor 541
Anhang.
F. Ueber die Verwendung des Dampfes zur Fortschleuderung
von Geschossen.
1. Ableitung der allgemeinen Formeln 547
2. Durchrechnung eines speciellen Falles und numerischen Beispieles . 55 L
xiv Inhaltsverzeichiiiss des zweiten Bandes.
III. Anwendungen der meohanischen Wärmetlieorie auf die
eleotriflchen Erscheinungen.
A. Einleitung.
Seite
1. Allgemeines und Historisches 555
2. Die Potentialfunction • • • ^57
3. Das Potential 559
4. Sätze über die Potentialfunction und das Potential 560
5. Die Summe der Wirkungen, welche eine Aenderung des electrischen «
Zustandes herbeifuhrt, ist gleich der Aenderung des Potentials
der Electricität in Bezug auf sich selbst 564
6. Die Potentialfunction ist proportional der electrischen Ladung . . . 565
B. Bestätigungen im Gebiete der Keibungselectricität.
1. Anwendungen auf die Leydener Flasche 567
2. Die Potentialfunction und das Potential kugelförmig gestalteter Ley-
dener Flaschen 569
3. Anwendbarkeit der gefundenen Formeln auf gewöhnliche Leydener
Flaschen 572
4. Bestätigung der Besultate durch die Biess' sehen Versuche .... 574
5. Die Bestätigung der Formeln durch Y il 1 a r i ' s Messungen der Wärme-
wirkung der Entladungsfunken 581
6. Unvollständige Entladung einer Batterie 583
7. Die Biess 'sehen und Yillar loschen Versuche über die Wärme-
wirkungen unvollständiger Entladungen 585
8. Die Wärmewirkungen der Gascadenbatterie und die Versuche von
Dove und Biess 588
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom.
1. Allgemeines über den galvanischen Strom 590
2. Ausdruck für den stationären Strom, Ohm'sches Gesetz 595
3. Untersuchung des Specialfalles, dass der Leiter ein äusserst dünner
Cylinder ist 597
4. Die Arbeit der Kräfte, unter deren Einfluss sich die Electricität im
Leiter bewegt; das Gesetz von Joule 599
5. Experimentelle Bestätigungen des Joule 'sehen Gesetzes 605
6. Einige weitere Consequenzen des Joule 'sehen Gesetzes 611
7. Die Erklärung des Grove' sehen Versuches durch Clausius . . . 612
8. Die Bestimmung der Stromintensität und des Widerstandes in ab-
soluten Einheiten 614
9. Die Bestimmung der Constanten des Joule 'sehen Gesetzes durch
V. Quintus Icilius und Joule 620
Inhaltsverzeichniss des zweiten Bandes. XV
D. Induction.
Seite
1. Beziehungen zwischen der erzeugten Wärmemenge und den Kräften,
welche den electrischen Strom hervorbringen (Induction) .... 622
2- Ueber die Anwendungen der Neumann' sehen Formel 625
3. Joule 's Versuche über die Aequivalenz der durch einen Inductions-
strom erzeugten Wärme und der -zu seiner Hervorbringung auf-
gewandten Arbeit 627
4. Die Versuche von Poucault 630
5. Die Gesetze der Induction 631
6. Die electromagnetischen und electrodynamischen Maschinen .... 635
7. Die Gesammtenergie und der äusserlich nutzbare Theil derselben . . 638
8. Die zur Messung dienenden Einheiten 639
9. Der Verwandlungscoefficient electrischer Maschinen mit permanenten
Magneten 641
10. Der Verwandlungscoefficient electrischer Maschinen, welche als Mo-
toren gebraucht werden 645
11. Andere Ableitung des Verwandlungscoefficienten 648
12. üeber die Wirthschaftlichkeit der mit Batterien betriebenen electro-
magnetischen Maschinen 65o
13. Die electrischen Maschinen als Electricitätsquellen 655
14. Die Kraftübertragung durch Verbindung zweier electrischer Maschinen 662
15. Bechnungsbeispiel für die Kraftübertragung in grössere Entfernungen 665
E. Die mechanische Theorie der electrochemischen
Erscheinungen.
1. Die Aequivalenz zwischen der vom Strome entwickelten Wärme und
Arbeit und der Arbeit der chemischen Kräfte im Elemente . . . 668
2. Theoretische Consequenzen der Favre' sehen Versuche 672
3. Die electromotorische Kraft ist proportional der im Elemente produ-
cirten chemischen Wärme 673
4. Joule 's Methode, die bei chemischen Zersetzungen absorbirten
Wärmemengen zu messen 674
5. Mit einem D a n 1 e 1 1 ' sehen Element kann Wasser nicht zersetzt werden 677
6. Ueber den Einfluss des Amalgamirens des Zinks in den Elementen • 678
7. Jul. Thomsen's Messung der gesammt^n im Stromkreise des
D a nie 11' sehen Elementes entwickelten Wärmemenge . . . • . . 679
8. Indirecte Messung der in einem D a n i e 1 1' sehen Elemente entwickel-
ten Wärmemenge 683
9. Die Bestimmung der Grösse K durch Bosscha 687
10. Die electrolytische Zersetzung des Wassers . • 688
11. Aeltere Anschauung über die Natur der Polarisation 692
12. Das Gesetz der Wärmeentwickelung in Electrolyten durch den Strom 693
13. Exner's Untersuchungen über Polarisation 696
14. Die electrolytische Conveetion und die condensatorischen Eigen-
schaften der Zersetzungs^ellen 701
15. Exner's Ansichten über die Ursachen der Electricitätsentwickelung 703
16. Exner's Theorie der galvanischen Elemente 705
17. Die Erklärung der Beobachtungsthatsachen aus der Contacttheorie . 708
XYi Inhaltsverzeichniss des zweiten Bandes.
Seite
18. y. Helmholtz's Theorie der electrolytischen Aussclieidang der Ionen 710
19. Die electrolytische Convection 711
20. Die Wasserstoffocclusion des Platins und Palladiams 712
21. Einwendungen gegen Exner's VerBuohsresultate 713
22. Einwendungen gegen die Aequivalenz von WärmetÖnung und electro-
motoriBcher Kraft 716
23. SchluBsbetrachtungen über die Beziehung zwischen Arbeit und electro-
motorischer Kraft 721
F. Thermoelectricität.
1. Allgemeines und Historisches 724
2. Der experimentelle Nachweis des Peltier'schen Phänomens .... 726
3. Die Versuche von Quintus Icilius 729
4. Die ältere Thomson'sche Theorie 731
5. Widerspruch mit der Erfahrung, Cumming' scher Versuch .... 735
6. Die zweite Thomson' sehe Theorie der thermoelectrischen Vorgänge 737
7. Die Bec querer sehen Versuche über die thermoelectrische Wirkung
von Knoten in Drähten 739
8. Die Versuche, welche die Fortführung von Wärme durch den electri-
schen Strom beweisen 740
9. Die Temperaturvertheilung in einem erwärmten Stromleiter mit
Brücksicht auf das Thomson' sehe Phänomen 749
10. Die Olausius'sche Theorie der thermoelectrischen Erscheinungen . 754
11. Anwendung des ersten Hauptsatzes auf die Gl ausius' sehe Hypothese 755
12. Anwendung des zweiten Hauptsatzes auf die Clausius'sche Hypo-
these 756
13. Die Budde'sche Erweiterung der Claus ins' sehen Theorie .... 759
14. Die empirische Formel von Avenarius 765
15. Das thermoelectrische Diagramm 769
16. Experimentelle Bestätigungen der erweiterten Theorie 772
17. Erklärung des Thomson' sehen Phänomens 775
rv. Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie auf
Probleme der Meteorologie und Astronomie.
A. Der indifferente Gleichgewichtszustand der Atmosphäre.
1. Der indifferente Gleichgewichtszustand einer Atmosphäre, die aus
trockener Luft besteht 777
2. Folgerungen, die sich aus den Formeln für den indifferenten Gleich-
gewichtszustand ergeben 781
8. Gleichgewichtszustand, wenn die Luft nicht mit Wasserdampf ge-
sättigt ist 782
4. Gleichgewichtszustand einer mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre 785
5. Die Formeln von Guldberg und Mohn für den indifferenten Zu-
stand der mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre 789
Inhaltsverzeichniss des zweiten Bandes. XVil
Seite
6. Consequenzen der vorstehenden Formeln 793
7. Auf- uhd absteigende Strömungen in der Atmosphäre 794
8. Die Ursache der Barometermaximä 797
9. Die barometrischen Minima, Cyklonen, Wirbelstürme , Tornados etc. 799
10. Die aufsteigende Bewegung der Luft als Ursache von wässerigen
Niederschlägen - 803
11. Der Föhn und vei-wandte Luftströmungen 805
B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
1. Die Bedeutung der Sonne für die Erde 810
2. Die Energiemenge, welche die Sonne der Erde zusendet 812
3. Die von der Sonne überhaupt ausgesendete Energiemenge 815
4. Ist eine Abnahme der Sonnen wärme nachweisbar? 817
5. Die Hypothese von Newton, Buffon, Mayer und Waterston . . 819
6. Die Theorie von W. Thomson 822
7. Die Helmholtz'sche Contractionstheorie 824
8. Die Hypothese von William Siemens ^ 825
9. Ist der Weltraum mit verdünnten Gasen erfüllt? 829
10. Werden hoch verdünnte Gase durch Sonnenstrahlen dissociirt? .... 832
11. Die Temperatur der Sonnenoberfläche 833
12. Einwendungen aus der himmlischen Mechanik gegen die Siemens'-
sehe Hypothese 836
13. Electrische Vorgänge, welche für die Siemens* sehe Hypothese
sprechen 840
14. Schlussbetrachtung über die Siemens* sehe Hypothese 842
15. Die Untersuchungen von Bitter 843
16. Das Yerhältniss der inneren Wärme zur Gravitationsarbeit 845
17. Adiabatischer Gleichgewichtszustand gasförmiger Weltkörper .... 847
18. Folgerungen aus dem gefundenen Ausdrucke 8.50
19. Die von der Sonne nach aussen abgegebene Wärmemenge 851
20. Weitere Schlüsse über den derzeitigen Zustand der Sonne 853
21. Bitter's Betrachtungen über veränderliche Sterne und Nebelflecken 855
22. Die Zulässigkeit der Grundlagen der Bitter' sehen Hypothese . . . 856
23. Schlussbetrachtung über die Erhaltung der Sonnenenergie 857
Anhang.
24. üeber die Atmosphären fester Weltkörper 860
V. Die Gesohiolite der mechanischen WSrmetheorie.
A. Die Vorgeschichte.
1. Der Zusammenhang der mechanischen Wärmetheorie mit den Vor-
stellungen vom Wesen der Wärme 863
2. Die Vorstellungen der Alten von der Wärme 864
3. Die Scholastik und die Benaissance 867
4. Cartesius, Hobbes, Locke, Spinoza, Toland 868
xvm Inhaltsverzeichniss des zweiten Bandes.
SeiU
5. Die Vorstellungen von der Wärme im Zeitalter Newton's . . . . 872
6. Leibnizeus Stellung zur mechanisclien Wärmetheorie 876
7. Die Bernoulli*8 87«
8. Die herrschenden Meinungen zu Ende des vorigen Jahrhunderts . . 881
B. Von Rumford bis zu R. Mayer.
i. Rumford 886
2. Das Ende der Lehre von der Wärmesubstanz 894
3. Die Prioritätsansprüche Fr. Mohr's 897
4. Robert Mayer, der Entdecker des ersten Hauptsatzes 900
5. Leben und Werke Robert Mayer's 901
6. Sadi Carnot 910
7. Clapeyrou 916
8. S^guin, Colding, Holtzmann 919
0. Die moderne Periode der mechanischen Wärmetheorie.
1. James Prescott Joule .' 922
2. Die Entdeckung des zweiten HaupUatzes durch Clausius und die
Prioritätsansprüche von Rank ine und W. Thomson .... 925
3. Macquorne Rankine 930
4. William Thomson 931
5. Rudolph Olausius 936
6. Hermann von Helmholtz 941
D. Die neuere Geschichte der Theorie der Gase.
1. Die Vorstellungen über die zwischen den Molekeln thätigen Kräfte 947
2. Die Begründung der kinetischen Gastheorie durch Clausius und
Maxwell und die neueren Kinetiker 950
8. Die Zustandsgieichung wirklicher Gase 952
4. Gasreibung, Diffusion und Wärmeleitung der Gase 955
5. Die Untersuchungen über die Eigenschaften der Molekeln 957
£. Geschichte der technischen Anwendungen der Thermodynamik.
1. Die ersten Anwendungen auf die Dampfmaschinentheorie 960
2. Gustav Adolph Hirn 962
3. Der Werth des mechanischen Wäimeäquivalentes nach Hirn und
Anderen 966
4. Gustav Zeuner 968;
5. Grashof, G. Schmidt und Weyrauch 97S|
I
(
i
I
HANDBUCH
DER
MECHANISCHEN
• •
WARMETHEORIE.
Holzstiche
ans dem zylographiaohen Atelier
von Friedricli Yieweg und Sohn
in Braonschweig.
Papier
aus der mechanischen Papier - Fabrik
der Gebrüder Vieweg zn Wendbausen
bei BraonMhweig.
HANDBUCH
0
DKB
MECHANISCHEN
• •
WARMETHEORIE.
BEARBEITET
VON
De. RIOHARD^HLMANN,
Professor am Königlichen Gymnasiam zn Chemnits.
MIT IN DBN TEXT EINGEDBUCKTEN HOLZSTIGHEN.
ZWEITES BAND.
"^ BRAUNSCHWEIG,
DRÜCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN.
187 8.
Alle Bechte vorbehalten.
I.
DIE MOLECULARTHEORIE DER WÄRME.
A. Allgemeines über die Moleeular Constitution
der Körper.
l Die Orundformeln der mechanischen Wärmetheorie
sind unabhängig von den Hypothesen über die
Molecnlarconstitution.
Alle Formeln, anf welchen die gesammte mechanische Wtirmetheorie
beruht, sind entwickelt worden, ohne dass wir an irgend einer Stelle
genötbigt waren, besondere Voraussetzungen über den Bau der Körper
oder über das Wesen der Bewegung, welche wir Wärme nennen, zu
Grande zu legen. Die sämmtlichen Formeln würden ebensowohl gültig
Bein, wenn wir eine continuirliche Raumerfüllung durch die Materie an-
genommen hätten, als dieselben gültig sein würden, wenn wir das Wesen
der Wärme in Bewegungserscheinungen der aus discreten Atomen auf-
gebauten Körperwelt suchen. Es soll jedoch nicht geleugnet werden,
dass die Annahme räumlich getrennter Molecüle, abgesehen davon, dass
die Chemie eine solche Anschauung gar nicht entbehren kann, yiel besser
dazo geeignet erscheint, die mathematischen Formeln der Theorie in un-
gezwungener Weise physikalisch zu interpretiren, als dies im anderen
Falle möglich sein würde.
Dieser Thatsache ist es auch zuzuschreiben, dass wir bereits au
mebreren Stellen einen atomistischen Aufbau der Körper in Betracht
gezogen haben, wenn es sich darum handelte den Mechanismus eines
physikalischen Vorganges oder den Inhalt eines mathematischen Aub-
drockea dem Yerständnisse näher zu fähren.
Verdet-ROhlmaun, Mechan. W&raieihoorie. Bd. 2. 1
2 I. Moleculartheorie der Wärme.
Der gesammte erste bis jetzt von uns behandelte Theil der mecha-
nischen Wärmetheorie beruht auf den Principien der Constanz der Energie
und der damit zusammenhängenden Aequivalenz der Energieformen
(Aequi Valenz von Arbeit und Wärme) und dem Gl ausius' sehen Grund-
satze, dass Wärme nie von selbst von einer Wärmequelle niederer Tem-
peratur zu einer Wärmequelle höherer Temperatur übergehen könne.
Insoweit diese Sätze ohne Bedenken als richtig zugegeben werden
können, besitzt daher der vorhergehende Theil einen erheblichen Grad
von Sicherheit, den man dem nun folgenden Theile, der Moleculartheorie,
nicht in gleicher Weise zugestehen kann, weil diese Theorie auf einer
Anzahl zum Theil völlig hypothetischer Voraussetzungen beruht.
Bezüglich der Grundlagen der Moleculartheorie sind auch verschie-
dene Schriftsteller von wesentlich verschiedenen Anschauungen ausge-
gangen.
Die grössere oder geringere Wahrscheinlichkeit der zu Grunde ge-
legten Annahme kann lediglich darnach beurtheilt werden, inwieweit die
aus diesen Hypothesen entwickelte Theorie im Stande ist, die Einzelheiten
der Erscheinungen in genügender Weise zu erklären. Da nun aber die
Ausbildung einer Theorie so wesentlich von der mathematischen Geschick-
lichkeit derer abhängt, die sich mit ihrer Verfolgung beschäftigen, so ist
man zur Zeit noch kaum im Stande, über den Werth oder Unwerth der
verschiedenen atomistischen Hypothesen ein einigermaassen zuverlässiges
Ürtheil abzugeben.
Eine besondere Schwierigkeit ist der physikalischen Atomistik da-
durch erwachsen, dass man sich genöthigt gesehen hat, um die Erschei-
nungen der strahlenden Energie, besonders des Lichtes und der strah-
lenden Wärme zu erklären, die Existenz eines besonderen imponderabelen
Mediums, des Aethers, anzunehmen.
Die Betrachtungen, auf die man in der Moleculartheorie der Wärme
geführt worden ist, haben bisher keine besondere Rücksichtnahme auf
diese räthselhafte Substanz unbedingt gefordert, wir wollen daher den
Aether bis auf Weiteres ganz ausser Betracht lassen und uns nicht ent-
scheiden, ob wir, wenn von Atomen die Rede ist, darunter kleinste, auf
keine Weise weiter zerlegbare Körpertheilchen allein oder diese sammt
den sie umgebenden Hüllen von Aetheratomen (Dynamiden) meinen.
Molecüle aber wollen wir immer Systeme nennen , welche aus mehr als
einem Atome bestehen.
2. Die Fundamentalannahmen der Moleoulartheorie.
....Gunz abgesehen von den Wärmeerscheinungen haben die Chemie, und
ebenso die allgemeinen physikalischen Eigenschaften der Körper darauf
gefuhrt, anzunehmen, dass die Materie den von ihr eingenommenen Raum
nicht continuirlich erfälle, sondern dass vielmehr jeder Körper als ein
A. Allgemeines über die Molecularconstitution. 3
Aggregat von sehr vielen ausserordentlich kleinen, materiellen Theilchen
anxnsehen sei, welche sich im Allgemeinen gar nicht oder höchstens in
aosserordentlich wenigen Punkten berühren, und welche verschiedene La-
gen gegen einander annehmen können.
Man muss femer voraussetzen, dass ausser der gegenseitigen An-
ziehung der Theüchen nach dem allgemeinen Gravitationsgesetze noch
andere besondere Kräfte zwischen den kleinsten Körpertheilchen wirksam
sind, welche zwar ebenfalls dem Producte der Masse proportional, aber
nach einer anderen noch unbekannten Function vom Abstände der klein-
sten Theilchen abhängig sind.
Wenn auch diese Wirkungsgesetze der Molecularkrafte noch unbe-
kannt sind und vielleicht überhaupt nie vollkommen bekannt werden, so
hat man in der Wärmelehre doch bis jetzt keine Veranlassung gehabt,
Yon der Gmndannahme abzugehen, dass:
Jeder Körper als ein Newton'sches System angesehen wer-
den könne (man sehe Bd. 1, Abschn. I, B, 9, S. 152), d. h., dass die
zwischen den kleinsten Theilen wirksamen Kräfte lediglich Functionen
des Abstandes derselben sind.
Die chemischen Vorgänge nöthigen zu der weiteren Annahme, dass
die Körper zunächst aus Molecülen und diese wiederum aus grösseren
oder geringeren Zahlen von nicht weiter theilbaren Atomen bestehen.
Am häufigsten kommt übrigens der Fall vor, dass dieMolecüle wie-
derum zu mehrfachen Molecülen zusammentreten, so dass diese mehr-
fachen Molecüle zwar in gewissem Sinne als Einheiten auftreten, dass
aber die Atome jedes einfacheren oder Partialmolecüles einen innigeren
Znsammenhang unter einander als mit den Atomen der übrigen Partial-
molecüle besitzen.
Manche Erscheinungen, insbesondere die verschiedenen Zustände,
in welchen dieselben einfachen oder zusammengesetzten Substanzen unter
verschiedenen Umständen auftreten können (AUotropie, Dimorphismus,
Isomerie und Aehnliches), deutet ferner darauf hin, dass auch die unter
sich gleichartigen Molecüle in verschiedenen Zahlenverhältnissen und
in verschiedenen relativen Lagen zu zusammengesetzten Molecülen sich
gmppiren können. Auch die verschiedenen Aggregatformen desselben
Körpers lassen sich durch ähnliche Vorstellungen erklären.
3. üeber die Moleoularbewegungen.
Die Wärmeerscheinungen werden jetzt fast allgemein als Aeusse-
mngen der Bewegungen der Molecüle angesehen, aus denen die Körper
bestehen ^).
') Einzelne hervorragende Gelehrte haben zwar das Wesen der Wärme in Bewe-
gtinijien der Atome des in den Körpern enthaltenen Aethers gesucht, da aber aus an-
1*
4 I. Moleculartheorie der Wärme.
Es können fortschreitende, rotirende oder oscillirende Bewegungen
der Molecüle als Ganzes oder mehrere dieser Formen gleichzeitig vor-
handen sein ; ebensowohl können dann aber auch relative (dann aber nur
periodische) Lagenänderungen der einzelnen Atome oder Atomgruppen
in den Molecülen stattfinden. Beide Arten von Bewegungen wollen wir
unter dem Namen innere Bewegungen zusammenfassen, im Gegensalze
zu den Bewegungen, welche die Körper als Ganze oder merklich end-
liche Körpertheile vollziehen können. Man wird daher auch in diesem
Sinne die Energie der inneren und äusseren Bewegung oder innere und
äussere kinetische Energie zu unterscheiden haben.
Alle diese Bewegungen werden, wenn es sich um einen bestimmt
definirten Zustand und nicht um stürmische Uebergänge aus einem Zu-
stande in einen anderen handelt, nach der von Glausius eingeführten
Bezeichnungs weise als stationäre Bewegungen anzusehen sein. Stationär
ist der Bewegungszustand der Molecüle eines Körpers aber dann, wenn
1. die einzelnen Punkte nicht sich immer weiter von ihren Anfangsstel-
Inngen entfernen und 2. die Geschwindigkeiten nicht fortwährend in dem-
selben Sinne wachsen. Die Molecüle bewegen sich in diesem Falle viel-
mehr innerhalb eines gewissen Raumes und die Geschwindigkeiten schwan-
ken nur zwischen gewissen Grenzen.
Alsdann nennt man die Summe der Mittelwerthe der lebendigen
Kraft der Molecüle eines Körpers die innere kinetische Energie desselben
in dem gegebenen Zustande. Da voraussichtlich nach dem Gesetze der
grossen Zahlen bei einer über alle Begriffe grossen Anzahl von Molecülen,
wie wir dieselben in jedem Körper annehmen müssen, vorausgesetzt wer-
den kann, dass, bis auf unmessbare Di£Perenzen, alle Geschwindigkeita-
quadrate, welche innerhalb der Grenze vorkommen können, auftreten, so
kann man sich all diese Geschwindigkeiten nach ihrer Grösse in Gruppen
getheilt denken und kann dann annehmen, dass die Anzahlen der in
einer Gruppe enthaltenen Geschwindigkeiten den Zeiten proportional sind,
während welcher durchschnittlich die Geschwindigkeit eines einzelnen
Molecüls sich bei constantem Wärmezustande innerhalb derselben Grössen-
grenzen wie in der Gruppe befindet.
Mit Rücksicht auf diese allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit durch-
aus entsprechende Annahme wird man auch sagen können:
deren Gründen die Masse des Aethers im Vergleich zur Masse der Körperatome als ver-
schwindend klein angesehen werden muss, so ist es schwer verständlich, puf welche
Weise dann die anter Umständen ausserordentlich bedeutenden Quantitäten lebendiger
Kraft bei einer so geringen Masse erklärt werden solle. Auch empfiehlt es sich, in
Anbetracht der vielen Bedenken, welche sich auch sonst bei genauerer Verfolgung der
Aetherhypothese überhaupt aufdrängen, wenn irgend möglich von diesem räthselhaften
Erkläningshülfsmittel abzusehen. Wir werden im Nachstehenden der vorzugsweise von
Clausius vertretenen Anschauung folgen, dass die Wärme in der lebendigen Krafl der
K'drperatome zu suchen sei.
A, Allgemeines über die Molecularcoustitution. 5
Die innere kinetische Energie eines Körpers ist in jedem
Augenblicke gleich der Summe der lebendigen Kräfte der
stationären Bewegungen seiner Molecüle.
Die gesammte kinetische Energie eines Korpers ist nach den Be-
trachtungen, welche früher (Bd. I, I, B, 23 bis 28, S. 161 bis 165) an-
gestellt worden sind, gleich der Summe aus seiner äusseren und inneren
kinetischen Energie.
4. Die mittlere Oruppirung der Moleoüle ; Dlsgregation ;
Entropie.
Bei allen stationären Bewegungen wird auch, so lange die Bewegungs-
art der Molecüle und ihr Bestand ungeändert bleiben, die mittlere Orup-
pirung aller Molecüle dieselbe bleiben. Zwar werden in einen gegebenen
Kaum fortwährend Molecüle eintreten, welche unmittelbar yorher ausser-
ludb desselben gelegen waren, dafür aber werden in dem nämlichen Zeit-
abschnitte immer so nahezu gleichviel Moleciüe auch wieder austreten,
dass die hierdurch etwa entstehenden Differenzen der in dem Räume
Yorbandenen Anzahl vonMolecülen und ebenso ihr mittlerer Abstand
immer als ungeändert angesehen werden kann.
Bei Aenderungen des Aggregatzustandes, welche doch meist bei
constanter Temperatur erfolgen, ändert sich wahrscheinlich die Bewegungs-
ari der Molecüle oder der Bestand der zusammengesetzten Molecüle, mit
der eine Aenderung der mittleren lebendigen Kraft nicht nothwendig
verknüpft zu sein braucht.
Die hierbei aufgewendete Energie geht alsdann in potentielle innere
Energie über.
Es kann jedoch auch durch eine blosse Aenderung der Anordnung
der Molecüle der mittlere Bewegungszustand derselben geändert werden,
alsdann geht innere potentielle Energie in innere kinetische Energie über.
Jedenfalls geht aus dem soeben Gesagten, was sich noch nach vielen
Richtungen hin weiter ausführen Hesse, hervor, dass die mittlere Grup-
piruDg der Molecüle und der Atome in denMolecülen einen wesentlichen
Theil der inneren potentiellen Energie der Körper ausmacht, und so lange
man die Beziehung des Körpers zu anderen Körpern nicht ändert, nur
am eine Constante von derselben verschieden sein wird.
Die Energiemenge, welche aufgewendet werden muss, um eine mitt-
lere innere Anordnung der Molecüle in eine bestimmte andere überzu-
führen, ist der Zuwachs der inneren potentiellen Energie, beim lieber-
gange aus dem einen in den anderen Zustand.
Die Summe aus der inneren kinetischen und der inneren potentiellen
Energie eines Körpers nennen wir, übereinstimmend mit Clausius, die
„mnere Energie **, oder vollständiger: „gesammte innere Energie*"
derselben. Kirchhoff nennt diese Grösse „Wirkungsfunction^ ,
6 I. Moleculartheorie der Wärme.
Thomson gebraucht dafür den Ausdruck: „mechanioal energy",
Zeuner bezeichnet dieselbe mit dem Namen: „innere Arbeit".
Die gesammte innere Energie eines Körpers ist schon früher yon
uns mit U bezeichnet worden, dieselbe ist nach dem eben Erwähnten:
17 = 3, + 3:,, 1)
wenn man untet 3< ^^^ innere potentielle und unter %i die innere ki-
netische Energie eines Körpers versteht.
Betrachten wir eine umkehrbare Zustandsänderung eines Körpers,
so wird zwar während dieses Processes die Anordnung der Molecüle und
auch ihr mittlerer Bewegungszustand sich fortwährend ändern, trotzdem
aber schliesst der Begriff der Umkehrbarkeit die Voraussetzung in sich
ein, dass in jedem betrachteten Moment der Bewegungszustand der Mole-
cüle als stationär angesehen werden kann. Die zu dieser Zustands-
änderung aufgewendete Wärme bezeichnen wir mit Q, alsdann ist (man
sehe Bd. 1, II, C, 25, S. 216):
J , Q=zU ^' S 2)
wobei S die Aenderung der äusseren Energie bezeichnet.
Setzt man hierin den Werth von ü" ein, so ergiebt sich:
^- e = 3i + 3;< + s 3)
Die potentielle innere Energie eines chemisch bestimmten Körpen
wird ein Maximum erreichen, wenn die Molecüle desselben so weit aus
einander gerückt worden sind, dass ihre gegenseitigen Wirkungen als
verschwindend angesehen werden können ; wir wissen , dass dieser Fall
eintritt, wenn eine Substanz soweit verdünnt worden ist, dass dieselbe ein
Gas geworden ist, welches sich nicht mehr merklich von einem vollkom-
menen Gase unterscheidet.
Den negativen Werth der Quantität, um welchen sich die augen-
blickliche innere potentielle Energie von diesem Maximalwerthe unter-
scheidet, wollen wir alsMaass für die innere potentielle Energie benutzen.
Diese Grösse kann uns gleichzeitig als Maass für die innere potentielle
Energie einer gegebenen Gruppirung der Molecüle dienen und damit als
mathematisch ausdrückbarer Werth für eine Gruppirung der Molecüle
selbst.
Den Grad der Zertheilung des Körpers nennt Clausius^) Disgrega-
tion und wir wollen diese Bezeichnungs weise far das Folgende annehmen.
Da durch die Wärme das Volumen der Körper im Allgemeinen vergrössert
wird, die Molecüle bei zunehmender Temperatur also aus einander rücken^
durch weiterQ Zuführung von Wärme allmälig alle Körper in den flüssi-
gen, respective in den gasigen Zustand übergehen, die mehrfachen Mole-
cüle also wahrscheinlich in gleichartige einfachere Molecüle zerfallt wer-
den, so kann man auch sagen: in fast allen Fällen wird durch Zu-
^) Abhandlnngen Bd. 1, S. 248.
A. Allgemeines über die Molecularconstitution. 7
fdhrang von Warme zu einem Körper desBen Disgregation
rermehrt.
Zu einem mathematischen Ausdrucke für die Grösse der Disgregation
gelangte Glansius dadurch, dass er von dem Beispiele eines vollkom-
menen Gases ausging. Bei einem Gase ist bei gegebenem Volumen der
Zertbeilungsgrad so gross als möglich und kann sich weiter nur noch
mit dem Volumen ändern. Bezeichnen nun, wie üblich, p, v und T Druck,
specifisches Volumen und absolute Temperatur, so ist bei einem Gase:
p . v = B . T.
Bei einem Gase aber ist d^i = 0 und:
dS = p .dv = R' — ' T
V
oder:
dS = T .d{R , logmt v) . . 4)
Bei einem Gase aber wächst die Zertheilung in demselben Verhält-
nisse, wie das Volumen, man wird also in diesem Falle die Grösse
E . lognat v bei einem Gase als Maass der Zertheilung oder als die Dis-
gregation ansehen können.
Analog hierzu definirt nunmehr Glausius die Disgregation Z eines
Körpers durch die Gleichung:
d(8-\- Sd=T.dZ 5)
Dieselbesagtuns: Für irgend einen Körper ist die Aendorung
der gesammten potentiellen Energie (die Aendernng der inne-
ren nnd äusseren Arbeit) proportional der absoluten Tempe-
ratar und der gleichzeitig stattfindenden Disgrcgationsände-
rung 1).
Wenn man auf d Z reducirt und alsdann integrirt ergiebt sich :
z = ^+/l(« + 3J ,,
worin Zq die Disgregation in dem Zustande bedeutet, auf den sich die
untere, Z in dem Zustande, auf den sich die obere Integrationsgrenze
bezieht.
Nach dem vorher Bemerkten ist übrigens ohne Weiteres klar, dass
durch die mittlere Gruppirung der Molecüle zwar die Grösse Z, nicht
aber umgekehrt durch den bekannten Werth der Disgregation auch die
mittlere Gruppirung der Molecüle gegeben ist.
^) Schon fräber : Bd. 1, IV, D, 7, S. 446, haben wir an der Hand einer Clausius*-
Khen Abhandlung gezeigt, dass diese Formel, welche dort die Gestalt:
^L = C . h . dz
fc«t, eine tiefere Bedeutung hat, als dies nach obigem etwas äusserlich erscheinenden
AuüogieschJQMe der Fall zu sein scheint.
8 I. Molecülartheorie der Wanne.
Bei einem Kreieprocesse ist bekanntlich nach dem zweiten Haupt-
sätze :
n->
und ebenso ist, da Anfangs- und Endzustand und auch die Disgregation
bei Beginn und am Schlüsse des Processes dieselbe ist:
Z = Zo ;
folglich ergiebt sich, wenn man auf Gleichung 3) :
j-.dö = d(3, + s) + d%,
Rücksicht nimmt und beachtet, dass danach:
-/T«=^-^+r
^ 7)
T
ist:
f
y = 0 8)
Der Quotient -^ ist demnach das vollständige Differential einer Func-
tion von Veränderlichen, welche den Wärmezustand bestimmen. Hieraas
lassen sich noch einige weitere Schlüsse ableiten. Nimmt man z. B. an,
der Wärmezustand sei durch die unabhängigen Variabein T und x voll-
ständig bestimmt, so ist:
Wenn aber -~ ein vollständiges Differential sein soll, so muss:
. /l öSA o /l dZ\
dx , dT
sein.
Differentiirt man aus, so ergiebt sich mit Rücksicht darauf, dass T
und X nach Voraussetzung zwei unabhängige Variabele sein sollen:
g=« •■•■■»)
Dies ergiebt das Resultat, dass Xi von x unabhängig und mithin
nur eine Function von T ist, und wir gelangen damit zu dem Satze :
Die innere kinetische Energie eines Körpers ist eine
Function der absoluten Temperatur allein und ist durch die-
selbe volständig bestimmt; die innere kinetische Energie ist
demnach von der Anordnung der Molecüle vollkommen unab-
hängig.
A. Allgemeines über die Molecularconstitution. 9
Setzt man:
80 ist:
/d%
-Y lö)
wenn man unter Yq den speciellen Werth versteht, den Y an der unteren
Integrationsgrenze annimmt.
Substitoirt man diese Bezeichnungsweise nochmals in 7), so er-
giebt sich:
J./^ = (r + Z) - (Fo + Zo).
Die Summe Y -{- Z nennt Glausius den Verwandlungsinhalt oder
die Entropie^) eines Körpers. Man kann also den zweiten Hauptsatz:
■r-i = »
mit Benutzung dieses Ausdruckes auch in der Form aussprechen :
In einem umkehrbaren Ereisprocesse ist die Aenderung
der Entropie gleich NulL
5. Die walire speolflsche Wärme ; die absolute Temperatur
ist proportional der inneren kinetischen Energie.
Bekanntlich ist die specifische Wärme eines Körpers für eine be-
stimmte gesetzmässige umkehrbare Aenderung des Zustandes eines Kör-
pers definirt durch die Gleichung:
"^ - dT'
wobei dQ die unendlich kleine Wärmemenge bedeutet, welche einem
Kilogramme der betreffenden Substanz zugefögt werden muss, damit die
Temperatur T desselben sich längs der stetigen Curve, welche die gesetz-
mässige Zustandsänderung graphisch darstellt, um d T zunehme.
Nun ist aber nach 7):
J .dQ=T ,dZ -\- d%r,
folghch, wenn man beiderseitig mit -^^^^7^, multiplicirt :
*) Von fix^onri^ die Verwandlung. Man sehe auch Bd. 1, S. 144. Die Engländer
Dennen Entropie einer Substanz den noch verwandelbaren Theil seiner inneren kinetischen
Energie. Man sehe Tait, Sketch of Thermodynamics S. 100.
10 I. Moleculartheorie der Wärme.
dT J dT~^ J ' dT'
Geschieht nun aber die Zustandsänderang ohne Disgregationsände-
rung, so ist:
dZ = 0,
und demnach:
Diese specifische Wärme 0, welche die Unveränderlichkeit der Dia-
gregation voraussetzt, wird nach Rankine ^) die wahre specifische
Wärme genannt.
Die dem Körper anter diesen Verhältnissen mitgetheilte Wärme
wird nämlich lediglich zur Aenderung der inneren kinetischen Energie,
mithin lediglich zur Aenderung der absoluten Temperatur verwandt, kein
Theil der mitgetheilten calorischen Energie geht in äussere Arbeit oder
in innere potentielle Energie über, und es ist der Name daher ein ganz
glücklich gewählter.
Die Grösse Xi ist, wie wir vorhin gefunden haben, unabhängig von
der Gi*uppirung der Molecüle im Körper und ist lediglich eine Function
der Temperatur.
Führen wir aber einen Körper bei verschiedenen Temperaturen
durch geeignete Volumen- und Druckänderungen in den absoluten Gas-
zustand über und lassen hiernach bei einer unendlich kleinen Temperatur-
änderung das Volumen constant, so nimmt, da in diesem Falle dv = 0
ist, d Z den Werth Null und somit C den Werth c„ an. c„, die specifische
Wärme bei constantem Volumen, ist aber bei einem vollkommenen Gase
eine Constante und wir finden somit den Satz:
Die wahre specifische Wärme einer Substanz ist eine
lediglich von der Art des betreffenden Stoffes abhäng^ige
Constante, sie ist der Grenzwerth, dem sich die specifische
Wärme des Dampfes der Substanz bei constantem Volumen
bei fortschreitender Ueberhitzung nähert.
Aus der Gleichung 11):
^ = j"df
ergiebt sich:
dXi =/. C ,dT,
und durch Integration:
%,z=J,C.T.+ Const 12)
Nimmt man ausserdem die Annahme hinzu, dass beim absoluten
^) Rankine, On tbe mechanical action of heat, especially in gases and vapoo».
Phil. Trans. (1850) Bd. 20, S. 153.
A. Allgemeines über die Molecularconstitution. 11
Xnllpiuikt (d. h. für T = 0) die Molecöle eines Körpers sich in Ruhe
befinden, d. h. dass:
2^'(r - 0) = ^
ist, 80 ergiebt sich :
K/f ^^ c/«O.JL 1 0)
d. h.: Die absolute Temperatur eines Körpers ist der inneren
kinetischen Energie seiner Molecüle direct proportional.
6. Der absolute Nullpunkt kann durch keinen endUohen
Prooess erreicht werden.
Durch die Gleichung 10):
r=ro+/f
hüben wir eine Grösse IT definirt, welche mit der Disgregation Z zu-
sammen die Entropie eines Körpers ausmacht. Substituirt man in diese
Formel den in 13) für Xi gefundenen Werth, so findet man :
oder:
Y — Yo=J. G . lognat ^ -
Nimmt man nun Znstandsänderungen eines Körpers vor, bei denen
die Entropie ungeändert bleibt, so ist:
Z'-Zo = Yo— Y=J.G. lognat y .... 14)
Hieraus folgt, dass wenn T gleich Null werden soll, hierzu eine un-
endlich grosse Disgregationsvermehrung erforderlich sein würde; da dies
aber nicht st-atthaft ist, so kann man hieraus schliessen, dass es unmög-
lich sein wird, den absoluten Nullpunkt durch endliche Znstandsän-
demngen je zu erreichen.
12 I, Moleculartheorie der Wärme,
B, Greschichtliches über die Moleculartheorie,
im Besonderen über die der Gase,
1. Die ersten Anfänge einer Moleonlartheorie der Gase.
Von fast allen Gedanken, welche für die Entwickelung einer Wissen-
schaft von hervorragender Bedentang sind, lassen sich bei sorgsamer Re-
vision älterer Arbeiten bereits ziemlich frühe Spuren nachweisen. Jeden-
falls sind aber erst diejenigen Gelehrten als die eigentlichen Begründer
einer Theorie anzusehen, durch welche ein solcher Gedanke nicht nur
selbstständig von Neuem gefunden, sondern auch zum ersten Male mit vollem
Bewusstsein als Ausgangspunkt von Untersuchungen verwerthet worden
ist, welche einen wesentlichen Fortschritt der Wissenschaft repräsentiren.
Von diesem Gesichtspunkte aus halten wir es zwar für geschicht-
lich interessant, wenn man uns zeigt, dass schon bei Philosophen und
Schriftstellern des classischen Alterthums Ideen zu finden sind, welche
mit den Grundlagen unserer heutigen Moleculartheorie verwandt sind,
wir halten es aber für vollkommen unberechtigt, wenn man auf Grund
solcher historischer Funde die Prioritätsrechte verdienter Forscher zu
bestreiten versucht.
Schon Lucrez ^j| wird unter denjenigen angeführt, welche den mo-
dernen Anschauungen verwandte Vorstellungen • gehegt haben. Die
meisten Nachfolgenden, welche sich mit dem Wesen der Wärme beschäf-
tigten, blieben dabei stehen, dass es besondere, von den Körperatomen
verschiedene, Atome seien, durch deren Bewegungen die Wirkungen der
Wärme hervorgebracht werden; dazu gehören z. B. Euler, Voltaire,
Boscovich, Marat. Weniger klar in dieser Beziehung äussern sich
Newton und Kant.
Anklänge, welche zum Theil wirklich überraschen durch ihre Aehn-
lichkeit mit Sätzen, auf denen die heutige Wissenschaft ruht, finden sich
dagegen schon bei Gassendi und Descartes^).
Zum ersten Male findet sich eine den heutigen Auffassungen sehr
nahestehende Moleculartheorie der Gase bei Daniel Bernoulli. Der-
selbe hat diese Theorie in dem 10. Abschnitte seiner Hydrodynamik ')
') Lucretius, De rerum natura libri sex. Herausgegeben von J. Bernavs,
Leipzig 1871. S. 36.
2) Genaueres hierüber findet man in der äusserst lesenswerthen Schrift von
G. Bert hold: Rumtbrd und die mechanische Wärmetheorie. Heidelberg 1875,
S. 11 u. s. f.
^) Hydrodynamica. Strassborg 1738, sect. decim. §. 1, S. 200.
I
B. Geschichtliches über die Moleculartheorie. 13
niedergelegt. Allerdings sind seine Anscbannngen von seinen Zeitge-
nossen nicht gewürdigt wurden und er selbst scheint sich der Tragweite
seiner Anseinandersetznngen kaum bewasst gewesen zu sein.
Er sagt am angegebenen Orte:
Indern^) wir jetzt die elastischen Flüssigkeiten betrach-
ten wollen, steht es uns frei, ihnen eine solche Beschaffenheit
beizulegen, welche sich inUebereinstimmung mit allen bisher
bekannten Eigenschaften befindet, dass auf dieseWeise sogar
ein Einblick in die übrigen bisher noch nicht erforschten
Eigenschaften gewonnen wird. Die hauptsächlichsten
Eigenschaften der elastischen Flüssigkeiten beruhen auf
Folgendem: 1) sie haben Schwere, 2) sie breiten sich nach
allen Richtungen hin aus, wenn sie nicht eingeschlossen
sind, und 3) sie lassen sich anhaltend mehr und mehr zu-
sammenpressen, je mehr die zusammendrückenden Kräfte
wachsen. So ist die Luft beschaffen, auf welche haupt-
sächlich unsere jetzigen Betrachtungen sich erstrecken.
Man denke sich also ein cylindrisches, vertical stehen-
des Gefäss mit einem beweglichen Deckel darauf, auf wel-
chem einGewicht ruht*, dasGefäss enthalte sehr kleine Mo-
lecüle, welche sich mit der grössten Geschwindigkeit nach
allen Richtungen bewegen: auf diese Weise bilden die Mo-
lecüle, indem sie gegen den Deckel stossen und letzteren
durch ihre beständig wiederholten Stösse tragen, ein
elastisches Fluidum, welches sich ausdehnt, wenn das
Gewicht entfernt oder verringert S^ird, welches bei Ver-
mehrung des Gewichtes verdichtet wird, und welches ge-
gen den horizontalen Boden des Gefässes nicht anders
gravitirt, als wenn es keine elastische Kraft hätte; mögen
nämlich die Molecüle ruhen oder sich bewegen, so verän-
dern sie nicht die Schwere, so dass der Boden sowohl das
Gewicht als auch die Elasticität des Fluidums trägt. Ein
solches Fluidum also, welches mit den hauptsächlichsten
Eigenschaften der elastischen Flüssigkeiten überein-
stimmt, wollen wir der Luft substituiren, und auf diese
Weise einige Eigenschaften, welche bereits an der Luft
entdeckt sind, erklären, und andere noch nicht genug
untersuchte erläutern.
Wird das Gewicht des Deckels vermehrt und das Gas
comprimirt, so erleidet der Deckel von Seiten des Flui-
dnms auf zweifache Weise einen Widerstand, einmal weil
die Zahl der. Molecüle im Verhältnisse zu dem Räume, in
^) Wir geben dieses Citat nach: Bert hold, Rnniford und die mechanische
Wiimetheorie S. 14.
14 I. Moleculartheorie der Wärme.
welchem sie eingeschlossen sind, jetzt eine grössere ist
und zweitens weil jedes Molecül jetzt öfters den Stose
wiederholt, der Stoss muss nämlich um so häufiger erfol-
gen, je näher einander die Molecüle gebracht sind«
Wäre z. B. das Volumen des Gases im Verhältnisse von 1 : 8 ver-
mehrt worden, so ist dann in einem gegebenen Räume eine im Verhält-
nisse 1 : s geringere Anzahl von Molecülen vorhanden, als Vorher. Der
mittlere Abstand der Molecüle hat dann im Verhältniss von 1 : yg zuge-
nommen. Hiervon ausgehend betrachten wir die Anzahl Molecüle, welche
in einem bestimmten Zeitabschnitte den Deckel treffen. Die Anzahl der
Molecüle, welche in einer gegebenen Fläche enthalten sind, ist umgekehrt
proportional dem Quadrate ihres mittleren Abstandes. Die Anzahl der
Molecüle, welche gleichzeitig den Deckel treffen, kann also durch ^^-^
oder durch — ^ dargestellt werden, wenn man die Anzahl Molecüle,
welche im ursprünglichen Zustande den Deckel gleichzeitig treffen, mit
1 bezeichnet.
Diese Molecüle , welche die Fläche des Deckels treffen , werden zu-
rückgeworfen und werden unmittelbar nachher durch andere Molecüle
ersetzt, welche ebenfalls zurückgeworfen werden. Der gesammte An-
trieb, welcher dem Deckel mitgetheilt wird, ist aber nicht nur propor-
tional der Anzahl Molecüle, welche gleichzeitig den Deckel treffen, son-
dern auch proportional der Anzahl von StÖssen, welche in der Zeiteinheit
erfolgen. Diese letzte Anzahl aber ist dem mittleren Abstände der Mo-
cüle umgekehrt proportional, mag man nun annehmen, dass alle Mole-
cüle, welche in einer sehr dünnen Schicht enthalten sind, nachdem sie
an dem Deckel reflectirt worden sind, sich entfernen, um von den Mole-
cülen der folgenden Schicht ersetzt zu werden, wobei alsdann die Zwischen-
zeit zwischen zwei Stössen proportional dem Zwischenräume zwischen
zwei auf einander folgenden Schichten ist, oder mag man annehmen, dass
gewisse Molecüle, nachdem sie an dem Deckel abgeprallt sind, an Mole-
cüle der folgenden Schicht antreffen und von diesen nach dem Deckel
zurückgeschleudert werden; denn in diesem letzten Falle werden sich
zwei Molecüle nicht eher treffen, als bis jedes den halben Zwischenraum
zwischen zwei auf einander folgenden Schichten durchlaufen hat, das erste
Molecül wird den Deckel erst genau nach der Zeit wieder treffen, welche
die Molecüle der zweiten Schicht gebraucht halsen würde, um den Deckel
zu erreichen. Die Anzahl der Stösse, welche an einer Stelle in der Zeit-
einheit erfolgen und also dem mittleren Abstände der Molecüle umge-
1 . .
kehrt proportional sein, d. h. der Grösse -fp= proportional sein. Der Ge-
V s
sammtantrieb wird demnach der Grösse:
B. Geschichtliches über die Moleculartheorie. 15
*
J_ J- — 1
proportional sein.
Bezeichnet man nun die Belastung des beweglichen Deckels, als das
Volomen des Gases gleich 1 war, mit P, und die neue Belastung, als das
Volumen s betrug, mit P', so hat man:
P : P' = 1 : -
s
oder:
" = ^'
and das ist das Mario tte'sche oder 6 oyl ersehe Gesetz.
Weiterhin im §. 6 ^) fährt Daniel Bernoulli fort:
Die Elasticität der Luft wird indessen nicht nur durch
dieCondensation vermehrt, sondern auch durch vermehrte
Wärme; und da es feststeht, dass die Wärme überall ver-
mehrt wird, wenn die innere Bewegung der Molecüle
wächst, so folgt,, dass die Yergrösserung der Elasticität
der Luft bei constantem Volumen eine heftigere Bewegung
in den Molecülen der Luft beweist, was mit unserer Hypo-
these vollkommen ühereinstimmt; es ist nämlich äugen-
Bcheinlich, dass ein um so grösseres Gewicht erforderlich
ist, um die Luft im Oylinder in ihrer Lage zu erhalten, je
grösser die Geschwindigkeit ist, mit welcher die Luft-
molecüle sich bewegen, ja es ist nicht schwer zu begreifen,
dass das Gewicht sich wie das Quadrat jener Geschwindig-
keit verhalten wird, da durch die Yergrösserung der Ge-
schwindigkeit sowohl die Zahl als auch die Intensität der
Stösse gleichmässig wächst, heide aber für sich dem Ge-
wichte proportional sind.
An einer anderen Stelle') fährt Bernoulli folgendermaassen fort:
Ein Punkt ist nicht zu vernachlässigen, in welchem
sich die elastischen Fluida von den nicht elastischen
anterscheiden, nämlich darin, dass ein elastisches Flui-
dum auch im ruhenden Zustande lebendige Kraft besitzt,
nicht insofern es gleich anderen bewegten Körpern sich
bis zu einer gewissen Höhe erheben kann — eine Orts-
bewegung in demselben ziehen wir hier nicht in Betracht — ,
sondern insofern es durch seine Spannkraft in anderen
Körpern, welche Gewicht besitzen, ein solchesAufsteigen
^) Am angefahrten Orte S. 202. Bertbold, Ramford and die mechanische
Wärmetheorie S. 15.
^) Am angegebenen Orte §. 39, S. 228. Berthold, Rumford etc. S. 15.
16 I. Moleculartheorie der Wärme.
bewirken kann. Hoffentlich wird es gestattet sein, im
Folgenden den Ausdruck: lebendige Kraft, welche einem
comprimirten elastischen Körper eingepflanzt ist, zu ge-
brauchen, wenn man nichts anderes darunter versteht, als
den potentiellen Auftrieb, welchen ein elastischer Kör-
per anderen Körpern mittheilen kann, so lange noch nicht
seine gesammte elastische Kraft erschöpft ist.
Wenn man selbst glaubt, auf diese geniale Voraussicht der Wahr-
heit keinen zu grossen Werth legen zu sollen, da nicht immer anzunehmen
ist, dass mit den gebrauchten Bezeichnungen auch ganz klare Vorstel-
lungen verknüpft gewesen sind, so wird man doch durch einige Folge-
rungen dieses Abschnittes der Bernoulli' sehen Hydrodynamik ausser-
ordentlich überrascht, weil dieselben fast wörtlich mit Folgerungen un-
serer heutigen mechanischen Wärmetheorie übereinstimmen, trotzdem,
dass zur Zeit von Daniel Bernoulli (geb. 1700, gest. 1782, Hydro-
dynamica datirt vom Jahre 1738) die Unterscheidung zwischen 4en
Worten „Wärme" und „Temperatur" noch nicht klargestellt war und
man von den calorimetrischen Messungen von Black und Wilcke (1760)
damals noch keine Ahnung hatte. Jedenfalls war Bernoulli mit seinen
Ideen nicht nur seiner Zeit, sondern selbst allen den Bestrebungen weit
voraus, welche auf dem Gebiete der Erklärung der Wärmeerscheinungen
vor der definitiven Feststellung des Princips der Aequivalenz von Wärme
und Arbeit durch Rumford (1805) zu verzeichnen sind.
Wenn auch für einen besonderen Fall, so ist es doch der klar aus-
gesprochene Grundsatz von der Aequivalenz zwischen kinetischer und
potentieller Energie, wenn Bernoulli z. B. sagt^):
„Jedesmal wenn das Gleichgewicht der Gasmasse ge-
stört wird, ist eine gewisse Menge lebendiger Kraft ver-
fügbar und kann dazu dienen, eine mechanische Leistung
hervorzubringen."
Dem Ausspruche dieses Satzes fügt er viele Beispiele bei, welche
deutlich zeigen, dass er die Tragweite desselben begriffen hatte. Um
zu zeigen, wie richtig er hierbei den Begriff lebendige Kraft gefasst
hatte, genügt es, eine weitere Bemerkung aus seinem Buche anzuführen.
Er sagt nämlich in fast prophetischen Worten ^) :
„Ich hege die Ueberzeugung, dass, wenn alle lebendige
Kraft, welche in einem Cubikfuss Kohle verborgen ist, auf
vortheilhafte Weise zur Bewegung einer Maschine ver-
wandt wird, mehr damit erreicht werden kann, als durch
die tägliche Arbeit von acht oder zehn Menschen."
Solche Gedanken waren dem gesammten Stande naturwissenschaft-
licher Erkenntniss jener Zeit zu weit voraus, keiner seiner Zeitgenossen
1) A. a. 0. S. 233.
^) Die Krfincluns: der Daniptmaschinc kann wohl kaum ror Watt (1769) datirt werden.
B. Geschichtliches über die Moleculartheorie. 17
erluste ihre Tragweite nnd sie blieben daher für die Entwickelnng der
Wissenschaft unfrachtbar nnd mnssten, nm nutzbar zu werden, zu einer
viel späteren Epoche , in der sie längst vergessen waren , vollkommen
neu entdeckt werden.
2. Die neueren Vorläufer der Oastheorie.
Zu verschiedenen Zeiten wurden Physiker und Chemiker durch ihre
Untersuchungen dazu geführt, ähnliche Anschauungen über die Be-
schaffenheit der elastisch -flüssigen Substanzen aufzustellen, wie die,
welche seiner Zeit Daniel BernouUi entwickelt hatte; jedoch ist erst
in neuester Zeit durch Joule, Krönig und Clausius die Klarheit der
Anschauungen Bernoulli's wieder erreicht und durch die Letzteren
flbertroffen worden.
Zunächst ist Le Sage ^) zu nennen, welcher sich im Jahre 1759
über die Constitution der Gase ungefähr folgendermaassen ausge-
sprochen hat :
^DieMolecüle eines elastischenFluidums sind fest und
nicht elastisch; die mittlere wechselseitige Entfernung
der einander nächsten ist bedeutend grösser als ihr Durch-
messer; jedes derMolecüle bewegt sich sehr rasch mit fort-
schreitender Bewegung, deren Richtungen so mannig-
faltig sind, dass sie nach allen Seiten erfolgen. Wenn
diese Bewegung durch den Gegenstoss gegen ein anderes
Molecül vernichtet oder geschwächt wird, oder durch den
Stoss gegen einen groben Körper, so wird sie in demselben
Grade erneuert; die Ursache dieser Erneuerung beruht in
der Ungleichheit des Stosses der ultramundanen Molecüle
auf die gegenüberliegenden Seiten eines und desselben
Molecüls. — Wenn diese Molecüle grösser sind als irgend
eine der Poren eines ihren StÖssen ausgesetzten Körpers*
80 wird die Summe dieser Stösse auf eine gegebene Fläche
während einer gegebenen Zeit, wenn die Geschwindigkeit
der Molecüle sich nicht ändert, sich verhalten wie das
Dreifache ihrer mittleren wechselseitigen Entfernung*
d.h. es wird im geraden Verhältniss zur Dichtigkeit des
Fluidums stehen.
Nun giebt aber die Kleinheit jedes Stosses, jeder Di-
stanz der gleichzeitigen Stösse, jedes Zeitintervalles
') Pierre Prevost, Deux trtiiUs de physique m^caniqae. Paris 1818, Buch III,
Cap. 1, §. 89, S. 124. Man sehe: Berthold, Ramibrd und die mechanische Wärme-
theorie S. 17.
Verdet-BühlmftDD, Mechan. WiLnneihoorie. Bd. 2. 2
18 . Moleculartheorie der Wärme.
zwischen den aufeinander folgenden Stössen, ihrerSamme
das Ansehen eines continuirlichen Druckes.
So erhält man ein ezpansibles und coerciblesFluidum,
dessen Druck der Dichtigkeit proportional sein wird; mit
einem Wort: die Luft ist ein elastisches Fluidum, fähig in
ges chlo 8 senenGefässen gehalten zu wer den, undmuss, wenn
es den Experimenten des Druckes unterworfen wird, sieb
dem Mariotte'schen Gesetze gemäss verhalten.*'
An diese Auseinandersetzungen, welche nicht immer g&rrz klar sind
(ultramundane Molecüle), schliesst Prevost eigene Bemerkungen an,
welche zeigen, dass er die Tragweite einer Moleculartheorie der Gase
wohl erfasst hatte. Er sagt ^) :
„Von dieser einfachen Constitution leitet man regel-
recht das Boyle'sche oder Mariotte'sche Gesetz ab, wel-
ches sich auf das Verhältniss zwischen der Elasticität
und der Dichtigkeit eines Gases bezieht** und weiterhin^):
„Das Gewicht eines in einem geschlossenen Gefässe ent-
haltenen elastischen Fluidums kann nach unserer Theorie
nichts sein als die Differenz der Stösse gegen den Boden
und gegen den Deckel.**
Auch Humphrey Davy (1812) hat sich, worauf in neuerer Zeit
F. Mohr aufmerksam gemacht hat, ähnliche Vorstellungen gebildet,
wenn er dieselben auch nicht in ihre Consequenzen verfolgt. Er sagt ^) :
,Es scheint möglich, alle Phänomene der Wärme zu
erklären, wenn man annimmt, dass bei festen Körpern die
Theilchen sich in einem beständigen Zustande der Vibra-
tion befinden, dass die Theilchen der heissesten Körper
sich mit der grösstenGeschwindigkeit und durch die gröss-
ten Räume bewegen, dass bei Flüssigkeiten und Gasen
neben der vibratorischen Bewegung, welche bei den Gasen
als am grössten angenommen werden muss, die Theilchen
auch eine Bewegung um ihre Aze haben, welche bei den
Gasen ebenfalls als am grössten angenommen werden muss,
und dass sie den Baum in geraden Linien durchdringen.**
In etwas weniger klarer Form hat späterhin (1821) auch ein eng-
lischer Chemiker, Herapath^), die Grundzüge der Gastheorie aufge-
stellt.
Eingehender und mit der ihm eigenthümlichen Schärfe hat sich
auch Joule ^) (1846) mit demselben Gegenstande beschäftigt, später-
M A. a. 0. sccond trait6, Buch I, §. 3, S. 191.
2) A. a. 0. §. 7, S. 197,
') El^ements of chemical philosophy S. 95.
*) Mathematical physics, 1847.
^) Joule, Some remarks on heat and the Constitution of elastic fluid», 1848,
3. Oct.; dieselbe Abhandlung ist späterhin in: Phil. Mag. Bd. XIV (1857), S. 211 noch
einmal abgedruckt worden.
B. Geschichtliches über die Moleculartheorie. 19
hin jedoch, als er seine classischen experimentellen Arbeiten in AngrifiP
nahm, hat er diese theoretischen Betrachtangen fallen gelassen und die-
selben blieben, wie auch die Arbeiten seiner zahlreichen Vorgänger, un-
beachtet und ohne Einfluss auf die Entwickelung der Wissenschaft.
3. Die Gastheorie von Krön ig.
Die eigentliche Einführung der Moleculartheorie der Gase in die
moderne Wissenschaft ist von den beiden Arbeiten an zu zählen, welche
ohne Kenntniss ihrer Vorläufer von zwei deutschen Gelehrten kurz nach
einander YeröfiPentlicht worden sind, es ist dies die Abhandlung Erö-
nig's (1856), „Grundzüge einer Theorie der Gase*' ^) und die für die noch
heute gültigen Anschauungen grundlegende Arbeit von Clausius (1857):
„üeber die Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen'' ^).
Da die Grundlagen der Theorie Krönig 's heute nicht mehr als
genügend anerkannt werden können, so verweisen wir das Referat über
dieselbe noch in dieses historische Capitel. Wir werden jedoch umfäng-
licher über diese, für die Entwickelung der Wissenschaft immerhin hoch-
bedeutsame Arbeit berichten, weil ein Theil der hier zu erörternden
Fragen geeignet ist, in diese Anschauungen einzuführen, und andererseits
dazu dienen wird, den Unterschied dieser Theorie von der von Clausius
klar zu stellen, welche vielfach irrthümlicher Weise als vollkommen
identisch mit der von Krön ig angesehen wird.
Krönig geht von derselben Hauptannahme aus, wie Daniel Ber-
noulli, d, h<^ er setzt voraus, dass dieMolecüle der Gase durch Zwischen-
räume getrennt seien, welche im Vergleich zu deren Grösse und zu der
Entfernung, in welchen dieselben noch merklich auf einander wirken, sehr
gross seien, und dass die Molecüle mit fortschreitenden Bewegungen von sehr
beträchtlicher Geschwindigkeit begabt seien, welche alle möglichen Richtun-
gen besitzen können. Zunächst stellte er sich die Aufgabe, das Gewicht P
zu bestimmen, welches nöthig ist, um den Kolben eines mit Gas gefüllten
Gylinders im Gleichgewichte zu halten. Er bestimmte jedoch die numerische
Beziehung för diesen Druck, indem er von einer ziemlich willkürlichen
Hypothese über die Art der Bewegung der Molecüle ausging.
Krönig bemerkte zunächst, dass, wenn man die Geschwindigkeiten
der Molecüle eines in einem Gefasse eingeschlossenen Gases zwar als
ganz unregelmässig, aber selbst in kleinen Theilen des Raumes als im
Mittel gleichartig betrachten könne, es nach den Grundsätzen der Wahr-
icheinlicbkeitsrechnung zulässig sei, die unregelmässigen Bewegungen
doreh eine regelmässige Anordnung derselben zu ersetzen, welche keiner
Bicbtong einen bestimmten Vorzug gewähren.
^) P^g* Ann. Bd. 99, S. 315 bis 322.
') Pagg. Ann. (1857) Bd. 100, S. 353 und Abhandlangen Bd. II, S. 229 bis 259.
2*
^ I
20 I. Moleculartheorie der Wärme.
Wenn eine Gasmasse in ein würfelförmiges GefUss eingeschlossen
sei, so könne man sich die sämmtlichen Molecüle z. B. in drei Gruppen
eingetheilt denken, deren Bewegungen parallel den drei Kanten des Wür-
fels gerichtet seien.
Es sei V das Volumen des Würfels , n die Anzahl der in demselben
enthaltenen Molecüle. Dann wäre die auf die Wände ausgeübte Wirkung
dieselbe, als wenn das Gefass drei Gruppen von je ~ Molecüle enthielte,
von denen die Molecüle jeder Gruppe sich geradlinig parallel zu einer
Kante bewegten und sich untereinander nie träfen.
Die Bewegung jedes Molecüls würde dann eine parallel einer Kanle
hin- und hergehende sein.
Die Erfahrung zeigt nun, dass die mechanischen Eigenschaften der
Gase von ihrer Qualität unabhängig sind. Die Experimente Joule^s
zeigen ausserdem, dass die innere Energie eines Gases sich nicht ändert,
wenn sich das Volumen und somit auch die Abstände der Molecüle än-
dern. Die potentielle Energie eines Gases ist demnach unabhängig von
der Grösse dieser Abstände, Ü. h. die inneren Kräfte scheinen unabhängig
von der gegenseitigen Entfernung der Molecüle zu sein, man muss dem-
nach voraussetzen, dass diese Abstände im Vergleich mit den Dimensio-
nen der Molecüle sehr gross seien. Damit aber diese unzusamraenhän-
gende Masse zerstreuter Molecüle im Stande sei, auf sich selbst und anf
äussere Körper zu wirken, muss man nothwendiger Weise den Molecülen
Geschwindigkeiten zuschreiben, so dass die verschiedenen Theile des Sy-
stems durch gegenseitige Stösse oder dadurch mit einander in Verbindung
gesetzt werden, dass die Molecüle sich derart einander nähern, dass ihre
gegenseitigen Wirkungen vorübergehend merklich werden. Diese Mole-
cüle bilden alsdann ein System, dessen verschiedene Theile zu einander
in Beziehung stehen, und welches auch auf äussere Körper, z. B. auf die
Wände, wirken kann, von welchen dieselben eingeschlossen sind. Man
wird demnach dazu genöthigt, den Molecülen eines Gases Geschwindig-
keiten zuzuschreiben, von denen man annehmen kann, dass dieselben in
einer gleichförmigen Masse einen unveränderlichen Mittelwerth besitzen.
Die gesammte Masse befindet sich demnach in einem mittleren Zustande,
dessen Grundzüge sich leicht übersehen lassen«
Wegen der Grösse der gegenseitigen Abstände müssen sich beinahe
alle Molecüle in einem gegebenen Augenblicke so bewegen, als wären
dieselben keinerlei Kraft unterworfen, d. h. ihre Bewegung muss eine
geradlinige und gleichförmige sein. Molecüle, welche sich in denselben
Geraden bewegen und einander treffen, tauschen im Stosse nur ihre Ge-
schwindigkeiten, da die Massen der Molecüle, der Hypothese nach, unter
einander gleich sind; der Erfolg ist demnach derselbe, als ob die Mole-
cüle, ohne sich zu treffen, an einander vorübergegangen wären. Bei seit-
lichen Stössen werden, wenn die Geschwindigkeiten ebensowohl wie die
Massen einander gleich sind, lediglich die Richtungen, nicht aber die
B. Geschichtliches über die Moleculartheorie.
21
Grossen der Geschwindigkeiten geändert. Diejenigen Molecüle, welche sich
einander so nahe kommen, dass sie zwar auf einander wirken, nicht aber
einander treffen, erleiden eine vorübergehende Veränderung, Aenderungen
der Bewegung, welche jedoch nur sehr kurze Zeit dauern, so dass die
mittleren Bedingungen des Sjstemes immer dieselben bleiben. Man er-
kennt hieraus, dass man, um die Wirkung zu finden, welche das System
auf die Wandungen des begrenzenden Gefasses ausübt, für den
wirklichen Zustand einen gedachten setzen kann, in welchem sieb alle
Molecüle unaufhörlich, ohne sich zu treffeii, in gerader Linie bewegen
und nach Richtungen, welche man ihrer Unregelmässigkeit wegen durch
die drei Richtungen der Würfelkanten ersetzen kann, wenn man keiner
dieser Richtungen ein Uebergewicht über die anderen gestattet.
Wir setzen nun zunächst mit Krön ig voraus, dass eine der Wan-
dungen des Würfels beweglich sei, und suchen die Grösse der bewegenden
Kraft, welche man auf die Wand wirken lassen muss, um sie im Gleich-
gewichte zu halten.
Jedes der Molecüle, deren Geschwindigkeiten senkrecht zur Wand
AB CD sind, trifPb dieselbe in einem bestimmten Augenblicke und wird
Fig. 1.
/'■
Y
/
B
*
mit einer gleichen Geschwindigkeit
von entgegengesetztem Vorzeichen re-
flectirt. Die Grösse dieser Geschwin-
digkeit möge u sein. Die Kraft P,
welche die Wand in ihrer Stellung
erhält, muss demnach im Stande sein,
das Vorzeichen der Geschwindigkeit
jedes der Molecüle umzukehren, welche
in der Zeiteinheit auf die Wand tref-
n fen, oder, was auf dasselbe hinaus-
kommt, diese Kraft P muss gross ge-
lang sein, den Molecülen eine Ge-
schwindigkeit — 2i« zu ertheilen,
d. h. jedem eine Bewegungsgrösse
— 2mM mitzutheilen , wenn man mit m die Masse jedes Molecüls be-
zeichnet. Das negative Vorzeichen deutet an, dass die mitgetheilte Ge-
schwindigkeit der ursprünglichen entgegengesetzt gerichtet ist. Nach
der Reflexion an der Wand AB CD durchläuft das Molecül die ganze
Länge l derjenigen Würfelseite, die seiner Bewegung parallel ist, reflec-
tirt an der gegenüberstehenden Wand und stösst die Wand AB CD nach
einer Zeit d = — abermals.
u
An der Oberfläche AB CD wird das betrachtete Molecül in der
Zeiteinheit :
L — —
U ' 21
E
22 I. Moleculartheorie der Wärme.
Mal reflectirt. Der Dmck P, den man auf AB CD ausüben masB, um in
u
der Zeiteinheit — Mal die Bewegungsgrösse — 2mu an eine Anzahl
äi l *
von — Molecülen zu ertheilen, ist mithin:
«5
_ u ' n n m .u^
P = — • 2 wu • — = — • •
21 S 3 l
Auf die Flächeneinheit bezogen, ist dieser Druck:
n m . u^
3" V '
wenn man mit v = P das Volumen des Würfels bezeichnet.
Der specifische Druck, d. h. der Druck, den man auf die Flächen-
einheit ausüben muss, mithin der Druck |7 des Gases selbst, ist demnach:
oder:
Es ist leicht einzusehen, dass diese Betrachtungen sich ohne Schwierig-
keit auf Gefasse von beliebiger Form übertragen lassen.
Nimmt man an, dass die Constanz der Temperatur die Unveränder-
lichkeit der mittleren Geschwindigkeit bedingt, so ist ^ , v bei constanter
Temperatur constant, und die eben gefundene Formel ist das Ma-
riotte'sche Gesetz.
Nehmen wir aber nunmehr an , wir hätten in einem beliebigen Cy-
linder, in dem ein Kolben ohne Keibung beweglich ist, zwei Gase, und
diese beiden Gase übten beiderseitig den nämlichen Druck aus; alle
Grössen, die sich auf das eine Gas beziehen, mögen mit n\ fn\ u' t/,
die auf das andere Gas bezüglichen mit n", m'\ u", v" bezeichnet sein.
Alsdann ist, da $f = i>" ist:
fi .nJ . u'^ _ n'' . m'' . u''^
2)
Stellen wir uns hierauf vor, der Kolben sei weggenommen und dies
bedinge keine andere Aenderung, als eine fortschreitende Diffusion, da-
gegen zeige weder das Thermometer, noch das Manometer irgend einen
Einfluss dieses Vorganges an, so kann man sagen, dass beide Gase gleiche
Temperatur besessen haben. Damit aber eine derartige allmälige Mi-
schung ohne irgend welche Störung vor sich gehen kann, ist erforderlich,
dass die lebendige Kraft der Molecüle in jedem Systeme die nämliche sei.
Man sieht auch ohne Weiteres ein, in welcher Weise sich die Mi-
schung zweier Gase vollziehen wird, und gerade diese Theorie erklärt
den Vorgang der Diffusion am einfachsten. Die zunächst durch den
B. GeschichtHches über die Moleculaxtheorie. 23
Kolben abgeschloBsenen und in Bewegung begriffenen Molecüle des
einen Gases dringen in das andere Gas ein, sobald man den Kolben
entfernt, nnd dringen soweit vor, bis sie Molecüle des anderen Gases
treffen.
Wenn die Elasticitat der Molecüle vollkommen ist, so dass die Ge-
schwindigkeiten durch den Stoss nicht geändert werden, so genügt es
dazu, dass der Zustand eines Gases vor und nach der Diffusion der näm-
liehe bleibt, dass die lebendige Kraft jedes Molecüls in beiden Gasen die
nämliche Grösse besitzt. Diese Bedingung besagt demnach, dass:
m" . tt"« = w' . w'2 3)
sein muss; die Temperatur zweier Gasmassen ist demnach gleich, wenn
die lebendigen Kräfte der einzelnen Molecüle dieselben sind.
Jede Function der lebendigen Kräfte der Molecüle kann demnach
als Definition der Temperatur eines Gases dienen; das Einfachste ist es
selbstverständlich, die lebendige Kraft selbst zu diesem Zwecke zu ver-
wenden. Der Ausgangspunkt der Thermometerscala wird alsdann jener
ideale Zustand sein, in dem die lebendige Kraft der Molecüle Null ist
and von dem man entsprechend annimmt, dass in ihm ein Gas keine
Wärme mehr enthält. Bezeichnet man die auf diese Weise definirte
Temperatur mit T, so nimmt die vorher aufgestellte Formel die Ge-
stalt an:
p . V = - . T, 4)
wobei n die Anzahl Molecüle bedeutet, welche im Yolamen v enthalten
ist. Aus dieser Formel folgt unmittelbar, dass, wenn das Volumen con-
stant bleibt, der Druck sich proportional der Temperatur ändert und
ebenso, dass, wenn der Druck constant ist, das Volumen proportional der
Temperatur geändert wird. Die Ausdehnungscoefficienten bei constantem
Volumen und bei constantem Drucke sind demnach für ein und dasselbe
Gas einander gleich. Ja, man kann sagen, sie sind für alle Gase gleich,
denn bei gleicher Temperatur T und unter sonst gleichen Verhältnissen
enthalten gleiche Volumina verschiedener Gase gleichviel Molecüle, wie
sich leicht zeigen lässt.
Greifen wir nämlich zurück auf die für Gase bei gleichem Drucke
gültige Beziehung 2):
n^ W . u'^ _ n" . m" . u''^
und setzen voraus, dass beide Gase zwar gleiches Volumen und gleiche
Temperatur besitzen, aber von verschiedener Substanz sind, so ist:
und:
m' . t*'» = m" . ü"3
t;' = v".
24 I. Moleculartheorie der Wärme.
Wenn man dies einsetzt ergiebt sieb sofort:
Wir gelangen auf diese Weise zur Bestätigung der Avogrado'-
scben Hypotbese, welcbe man sonst nur sebr scbwierig begründen kann
und welcbe docb das Fundament ist, auf dem die Tbeorie von den Atom-
gewicbten berubt.
Man kann ausserdem nocb ergänzend binzufügen, dass die gesammte
Energie eines Gases lediglicb dessen kinetiscbe Energie ist, da in Folge
der Grösse der Zwiscbenräume der Molecüle die potentielle Energie Null
ist. Die kinetiscbe Energie der Molecüle einer rubenden Gasmasse ist
aber durcb die Temperatur definirt. Haben wir also ein gegebenes Ge-
wicbt eines beliebigen Gases, so ist die kinetiscbe Energie seiner Mole-
cüle lediglicb &ine Function der Temperatur und zwar ist sie unmittelbar
der absoluten Temperatur proportional.
Demnacb sind aber aucb die Wärmemengen, welcbe nötbig sincL
um gleicbe Volumina der Gase um gleicb viel zu erwärmen, d. h., die
auf gleicbes Volumen bezogenen specifiscben Wärmen einander gleicb;
denn gleicbe Volumina yerscbiedener Qase entbalten bei gleicber Tem-
peratur und gleicbem Drucke gleicbviel Atome, und da die mittleren le-
bendigen Kräfte der Atome dieselben sind, so kann man die beiden Aus
, .. , n .m . u^ . n . ni , u'^ , . . . _ ,
drucke und m den einzigen n • T zusammen-
fassen, welcber für jedes Gas proportional der in einem gegebenen Vo-
luinen entbaltenen Gesammtenergie ist. Die Aenderungen der Gesammt^
energie sind für jedes Gas proportional den Aenderungen von T, sind
demnacb für alle Gase gleicb, wenn sie auf Quantitäten bezogen werden,
welcbe bei gleicbem Drucke und gleicber Temperatur aucb gleicbes Vo-
lumen besitzen. Man erkennt somit, dass gleicbe Wärmemengen nötbig
sind, um gleicbe Volumina yerscbiedener Gase bei gleicbem Drucke und
gleicber Temperatur um eine gleicbe Anzabl von Graden zu erwärmeB.
Alle cbarakteristiscben fundamentalen Gesetze, welcbe wir für voU-
kommene Gase als gültig annebmen, ergeben sieb somit in einfachster
und naturgemässester Weise als Folgerungen dieser Hypotbese über die
Constitution der Gase. Aucb erkennt man gleicbzeitig, dass diese tbeo-
retiscben Gesetze auf kein Gas , wie es in der Natur vorkommt , streng
anwendbaf* sein können. Es ist in der Tbat möglieb, dass die Dauer der
Zeit, in welcber dui'cb die gegenseitige Wirkung der Molecüle Störungen
der Bewegungen bedingt werden , nicbt vemacblässigt werden darf im
Vergleich mit der Dauer der Zeit, in welcber die Bewegung gleicbformig
vor sieb gebt. Wenn aber das Verbältniss dieser beiden Zeitabschnitte,
selbst wenn es nocb immer sebr klein bleibt, anfängt merklieb zu wer-
den, so können alle die Betraebtungen, welcbe wir im Vorbergebenden
angestellt baben, nicbt in aller Strenge wiederbolt werden und ibre Fol-
gerungen können nicbt mebr streng die Eigensebaften des Systemes
B. Geschichtliches über die Moleculartheorie. 25
wiedergeboD, sondem dieselben werden lediglich nur mehr oder weniger
angenfthert von den wirklichen Eigenschaften des Gases erfüllt werden.
Es ist aach leicht einzusehen, dass diese theoretischen Betrachtangen um
,30 mehr auf wirklich in der Natur vorkommende Gase anwendbar sein
werden, je mehr dieselben verdünnt sind. Der Zustand der yollkomme-
nen Gase ist demnach auch auf dem Boden dieser Betrachtungen lediglich
ein idealer Zustand, dem man sich mit wachsender Verdünnung beliebig
nahem kann, ohne dass man im Stande wäre, denselben je zu erreichen.
4. Ueber den Mechanismus der Umsetzung von Arbeit in
Wärme und umgekehrt bei einem vollkommenen Oase.
Man kann sich leicht darüber Rechenschaft geben, auf welche Weise
sich Wärme in Arbeit umsetzt, wenn ein Gas, während es sich ausdehnt,
ein Gewicht hebt, oder umgekehrt darüber, auf welche Weise sich Arbeit
in Wärme umsetzt, wenn man ein Gas zusammendrückt. Man kann
ebenso leicht einsehen, warum weder eine Absorption noch eine Erzeu-
gung von Wärme stattfinden kann, wenn es^sich nur um eine Ausdeh-
nung des Gases handelt, welche mit keiner äusseren Arbeitsleistung ver-
knüpft ist.
Wir denken uns wiederum ein Gas in einem Cylinder eingeschlossen,
in welchem sich ein ohne Reibung beweglicher, luftdicht schliessender
Kolben befindet. Ist die Kraft, welche aiif den Kolben wirkt, im Stande,
jedem Molecül, welches auf die fläche des Kolbens trifft, eine Geschwin-
digkeit zu ertheilen, welche doppelt so gross und von entgegengesetztem
Vorzeichen wie die ursprüngliche ist, so befindet sich der Kolben im
Gleichgewichte. Ist die Kraft grösser, so geht der Kolben dahin, wohin
die Kraft ihn treibt; der Kolben presst alsdann das Gas zusammen und
treibt die Molecüle vor sich her. Die Molecüle, welche die Kolbenfläche
treffen, werden mit einer Geschwindigkeit zurückgeschleudert, welche der
ursprünglichen entgegengesetzt gerichtet ist; der absolute Werth dieser
Geschwindigkeit ist dieses Mal jedoch grösser als vor der Reflexion. Das
Gas erwärmt sich alsdann und die Arbeit des Druckes hat eine Zunahme
der Summe der lebendigen Kräfte als Aequivalent, d. h., es ist derselben
eine gewisse Wärmemenge, welche erzeugt worden ist, äquivalent. Der
entgegengesetzte Vorgang findet bei einer Ausdehnung eines Gases statt.
Setzen wir nämlich voraus, die auf den Kolben wirkende Kraft sei ge-
ringer als die, welche dazu nöthig wäre, um das Vorzeichen aller Ge-
schwindigkeiten der Molecüle umzukehren, von der die Kolbenfläche ge-
troffen wird, so dehnt sich das Gas aus und jedes Molecül wird mit
einer Geschwindigkeit zurückgeschleudert, welche geringer als die ur-
sprüngliche vor der Reflexion ist. Die Molecüle des Gases theilen dem-
nach dem Kolben nach den Gesetzen des Stosses einen Theil ihrer leben-
26 I. Moleculartheorie der Wärme.
digen Erafb mit. Die kinetische Energie der Molecüle nimmt demnach
ab, nnd dies entspricht einer Abnahme der Temperatur; die yerschwan-
dene Quantität von kinetischer Energie findet sich jedoch vollständig in der
Arbeit wieder, die bei der Bewegung des Kolbens geleistet worden ist.
In gleicher Weise lassen sich die Ergebnisse der grundlegenden
Joule' sehen Versuche mit einem luftleeren und dem damit verbundenen
lufthaltigen Gefässe ohne jede Schwierigkeit erklären. Bekanntlich ergab
sich keine Temperaturänderung, als er den Hahn öffnete, durch den das
Innere beider Gefässe mit einander communiciren konnte. Diejenigen
Gasmoleküle, welche sich vor der Oeffnung befinden und deren Geschwin-
digkeiten nach dem leeren Gefässe gerichtet sind, werden in diesen Re-
cipienten hineinfliegen; sie werden bald durch andere ersetzt, welche
ihre Geschwindigkeiten ebenso beibehalten, wie die zuerst eingedrun-
genen, und man wird auf diese Weise zu einem Druckgleichgewicht
in beiden Gefassen kommen, ohne dass deshalb die mittlere Geschwindig-
keit der Molecüle geändert worden wäre, da keine Ursache zu einer sol-
chen Aenderung vorhanden war.
Der Hauptversuch Joule's ist auf diese Weise ohne Schwierigkeit
erklärt. Nicht ganz so leicht ist es, den zweiten Versuch begreiflich za
machen, welcher zeigt, dass in dem vorher luftleeren Gefässe genaa
ebenso viel Wärme entwickelt werden muss, als im anderen luftgefuUten
verschwunden war. Wenn man sich auch leicht vorstellen kann, dass
zunächst vor allem diejenigen Molecüle, welche sich am raschesten be-
wegen, in das leere GefUss hineingelangen, so ist dadurch wohl erklärt,
warum das Einströmungsgefass erwärmt, das Ausströmungsgefass abge-
kühlt wird. Weniger leicht aber ist es, die numerische Relation anfzo-
steUen, welche zwischen beiden Wärmemengen stattfinden muss.
5. Erklärung des Druckes der Atmosphäre und des Eigen-
gewichtes eines Oases aus der Moleculartheorie.
Um die Entwickelungen, welche sich aus der Krön ig' sehen Theorie
ergeben, zu vervollständigen, wollen wir noch zeigen, dass auch der
Atmosphärendruck auf das Barometer und das Gewicht eines in einem
Gefässe eingeschlossenen Gases sich als einfache Consequenzen aus der-
selben ergeben.
Es erscheint zunächst etwas fremdartig, dass der Druck der Atmo-
sphäre auf das Gefass eines Barometers gleich dem Gewichte der Luft-
säule sein soll, deren Basis die Quecksilberoberfläche ist, wenn dieser
Druck davon herrührt, dass die Luftmolecüle gegen die Oberfläche stossen,
zumal könnte es fraglich erscheinen, ob alsdann dieser Druck nicht von
der Temperatur abhängen müsse.
Wir betrachten ein Molecül m, welches gegen die Quecksilberober-
B. Geschichtliches üher die Moleculartheorie. 27
flache stosst und dessen yerticale Geschwindigkeitscomponente w sein
mag. Dieses Molecül wird nach den gewöhnlichen Gesetzen des Stosses
reflectiit, die Componente, welche parallel der Qnecksilheroherflache ge-
richtet war, hehält ihr Vorzeichen und ihre Grösse hei, die yerticale
Componente hehält zwar ihren ahsoiuten Werth, ändert aher ihr Vor-
zeichen. Das Molecül empfangt hei diesem Stosse eine normale Beschlen-
nigong, welche gleich dem Doppelten der anfönglichen yerticalen Ge-
schwindigkeitscomponente war, nnd welche entgegengesetztes Vorzeichen,
wie diese besitzt. Hieraus folgt, dass, um die freie Quecksilheroberfläche
im Gleichgewichte zu halten, eine Kraft nöthig ist, welche genügt, um
allen Massen m, welche in der Zeiteinheit die Oberfläche treflen, die Be-
schleunigung 2w za ertheilen. Die Kraft , das ist das Gewicht der im
Barometer gehobenen Quecksilbersäule, muss demnach gleich 2 mw sein,
mxQtipliciTt mit der Anzahl von Stössen, welche in der Zeiteinheit statt-
finden. Die Anzahl dieser in der Zeiteinheit stattfindenden Stosse lässt
sich aber leicht bestimmen. Das Molecül wird mit einer verticalen Ge-
schwindigkeitscomponente f(7 reflectirt und erhebt sich bis zu einer Höhe A,
welche der Formel to^ = 2gh entspricht. Auf diese Höhe gelangt es
aber in der Zeit, in welcher seine yerticale Geschwindigkeitscomponente
Null geworden ist. Nach t Secunden ist aber die yerticale Geschwindig-
keit w — g ' t^ demnach erlangt das Molecül seinen höchsten Punkt,
wenn w — g . t gleich Null geworden, d. h. wenn t den Werth:
w
9
erreicht hat. Alsdann fallt dasselbe zurück und durchläuft abermals alle
Gesobwindigkeiten , welche es während der aufsteigenden Periode be-
sessen hat, und stösst hierauf die Oberfläche abermals mit der Geschwin.
diirkeit w nach der Zeit 2 — •
9
Die Anzahl der Stosse dieses Molecüls in der Zeiteinheit ist dem-
nach — - Ein einzelnes Molecül empfanirt demnach in der Zeiteinheit
■^ Mal die Beschleunigung 2 tv. Die Kraft aber, welche ihm diese Be-
Bchleunigung zu ertheilen im Stande ist, muss für jedes Molecül gleich :
2w'-^ = g
2 w
sein.
Um allen Molecülen diese Beschleunigung zu ertheilen, muss man
denselben demnach eine Beschleunigung ertheilen, welche gleich dem
Gewichte sämmtlicher Molecüle ist, die sich yertical über der Quecksilber-
flache befinden. Die Höhe des Quecksilberbarometers ist demnach gleich
dem Gewichte der Luftsäule, welche über dem Quecksilbergefässe steht.
28 I. Moleculartheorie der Wärme.
Auch angenäherte Schätzungen über die Höhe der Atmosphäre
Hessen sich ableiten, wenn die Geschwindigkeit w bekannt wäre ^).
Durch eine ganze gleiche Betrachtungsweise kann man zeigen, dass
das Gewicht eines mit Gas gefüllten Gefasses, welches an dem Wage-
balken einer Wage hängt, gleich der Summe aus dem Gewichte des 6e-
fösses und dem Gewichte der Gasmasse ist. Es ist allerdings a priori
klar, dass das Gewicht eines Systemes nicht durch die Bewegungen ge-
ändert werden kann, die man spiuen einzelnen Theilen zuschreibt. Viel-
leicht ist es aber nicht uninteressant, den Vorgang etwas näher kennen
zu lernen, durch den dieses Resultat erzielt wird, um so mehr als dieselbe
Betrachtungsweise auch bei allen anderen Fundamenten der Gastheorie
vollständig anwendbar bleibt.
Der Einfachheit wegen setzen wir voraus, dass das Gas in einem ver-
ticalen, cylindrischen Gefasse enthalten sei, welches zwei horizontale End-
flächen besitzt, und wir suchen den Druck zu bestimmen, welcher durch den
Stoss der Molecüle auf beide Endflächen, auf die obere und die untere, aus-
geübt wird. Wir setzen weiter voraus, dass die Bewegungen aller Mole-
cüle parallel der Axe des Cy linders, also vertical seien. Betrachten wir
ein Molecül M und nehmen wir an, dass seine Bewegung vertical sei
und sich vollziehe, ohne von den übrigen Molecülen beeinflusst zu wer-
den. Das Molecül besitze in dem Augenblicke, in welchem es die Grund-
fläche trifft, die verticale Geschwindigkeit il^. Es wird mit einer gleichen
Geschwindigkeit von entgegengesetztem Vorzeichen zurückgeschleudert,
es empfängt somit von der Grundfläche eine Beschleunigung — 2w,
Der Stoss dieses Molecüls fordert somit eine Kraft gleich — 2 m . w
auf die Bodenfläche AB, Die Geschwindigkeit to, welche das Molecül
bei der Reflexion erhalten hat, ist nun entweder ungenügend oder ge-
nügend, um bis zur Deckfläche GD aufzusteigen. Im 'ersten Falle
kann man einfach die vorhin angestellten Betrachtungen wiederholen
und findet, dass der durch den Stoss des Molecüls ausgeübte Druck
gerade gleich dessen Gewicht ist. Im anderen Falle trifil das Molecül
die Deckfläche nach einer leicht zu bestimmenden Zeit und übt einen
Druck von unten nach oben aus. Das Molecül stösst alsdann abwechselnd
die beiden Endflächen des Gylinders und veranlasst somit zwei entgegen-
gesetzte Drücke, deren Diflerenz als die Gewichtszunahme merklich ist,
welche von der Anwesenheit des Gases im Cylinder herrührt. Man findet
durch eine sehr einfache Rechnung, dass die Zwischenzeit zwischen
zwei auf einander folgenden Stössen auf dieselbe Grundfläche gleich:
2.(tg — Vig» — 2gh)
9
1) Nimmt man für Luil, wie dies nach den Rechnungen von Clausius und von
0. E. Meyer statthaft ist, den Werth to = 485 m an, so würde sich hieraus (fürO^)
eine Hohe der Atmosphäre von ungefähr 12 000 Metern ergeben. Dieser Werth ist
wohl unzweifelhaft zu gering.
B, Geschichtliches über die Moleculartheorie. 29
ist, and dass die Geschvrindigkeit, mit der die obere Endfläche getroffen
wird, Vw^ — 2gh ist.
Hieraus ergiebt sich, dass die Zahl der Stösse eines Molectds ai}f
die Grundfläche in der Zeiteinheit — 7 , / v beträgt,
2\w — Vtt?» — 2gh)
and dass es bei jedem Stosse die Beschlennigang 2mw erhält, der Druck,
den ein Molecül anf die untere Grundfläche ausübt, ist demnach :
2 ,m , g , w
2.(w — ]/u)^ — 2gh)
Die Zahl der Stösse auf die obere Deckfläche ist eben so gross wie
die, welche die Grundfläche erfährt, die Geschwindigkeit an der oberen
Endfläche ist aber bloss V«?* — 2gh^ und hieraus folgt, dass der Druck
eines Molecüls auf dieselbe gleich :
2 mg . Vw^ — 2gh
2 . (w — Vw«— 2^ä)
ist
Die Differenz beider Drucke ist mg^ das Gewicht des Molecüls.
Das Gewicht des Systemes wird demnach durch die Bewegungen seiner
Bestandtheile nicht geändert und ist unabhängig von der Temperatur.
6. Was die Theorie über die Abweichungen von den
einfachen Gesetzen ergiebt.
Schon vorher machten wir darauf aufknerksam, dass die Abweichun-
gen von den einfachen Gesetzen, welche nur für vollkommene Gase gelten,
sich dadurch voraus sehen Hessen, dass die Zeiträume, in denen die Be-
wegung eine geänderte ist, nicht vollkommen gegen die Zeit vernach-
lässigt werden können, in der die Bewegung eine geradlinige und gleich-
formige ist. Aus diesen Störungen können zwei verschiedene Wirkungen
sich ergeben, es kann die Bewegung in dem Zeitabschnitte der Störung
langsamer vor sich gehen als in der gleichförmigen Bewegung, oder sie
binn im Gegentheil verhältnissmässig rascher sein.
Wir wollen zunächst den Fall untersuchen, dass die Molecüle sich
in der 2^it, in welcher je zwei merklich auf einander einwirken , etwas
langsamer bewegen, als sonst angenommen wird. Die Zwischenzeit
zwischen zwei auf einander folgenden Stössen wird dadurch etwas ver-
grössert und der vom Gase ausgeübte Druck wird alsdann etwas geringer
sein, als der vorher von uns gefundene. Das Product p . v wird alsdann,
anstatt sich proportional der kinetischen Energie der Molecüle zu ändern,
etwas langsamer als diese wachsen. Der Druck wird also etwas lang-
samer als die durch ein vollkommenes Gasthermometer gemessene Tem-
peratur zunehmen.
30 I. Moleculartheorie der Wärme.
Nehmen wir hingegen an, dass in Folge der Störungen die Zahl der
Stösse eines Molecüls gegen die Wand wächst, so wird der Druck anter
sonst gleichen Umständen grösser ausfallen, als bei einem idealen Grase. Der
erste Fall würde dem entsprechen, was bei den meisten Gasen beobachtet
worden ist, während der letzte auf das abweichende Verhalten des Wasser-
stoffes anwendbar sein würde.
Wir finden also in der Hauptsache alle wesentlichen uns bis jetzt
bekannten Eigenschaften der Gase wieder, wenn wir uns einen mit Gas
erfüllten Raum als in der Hauptsache leer, aber doch mit ungemein vie-
len ausserordentlich kleinen Gasmolecülen bevölkert vorstellen, welche
nach allen denkbaren Richtungen hin fortschreitende Bewegungen be-
sitzen, welche die Eigenschaften vollkommen elastischer Körper zeigen
und nach dem Stosse keinen Theil ihrer lebendigen Kraft als kinetische
Energie schwingender Bewegungen zurück behalten.
Es ist jedoch hierzu zu bemerken, dass die Annahme, dass die Mo-
lecüle vollkommen elastisch seien, eigentlich nur eine Zurückverlegung
der an den Gasen beobachteten Eigenschaften in die Molecüle involvirt,
und dass es mit den sonst von uns an festen Körpern beobachteten That-
Sachen vollkommen unvereinbar ist, anzunehmen, dass nach dem Stosse
nicht ein Theil der kinetischen Energie als lebendige Kraft schwingender
Bewegungen zurück bleiben sollte. Ebenso unmöglich ist es, anzuneh-
men, dass die Molecüle nicht Rotationsbewegungen besitzen sollten, da
die Stösse der Molecüle doch im Allgemeinen nicht central und unter
verschiedener Bewegungsrichtung erfolgen werden, so dass man es
also im Allgemeinen nicht mit einem geraden Stosse zu thun haben
wird.
Man muss femer annehmen, dass das Medium, durch welches die
Uebertragung der Lichtschwingungen geschieht, nicht ohne Einfluss auf
die Bewegungen der Gasmolecüle bleiben kann. Man wird somit ge*
nöthigt, bei Aufstellung einer Moleculartheorie der Gase auf viel ver-
wickeitere Bedingungen Rücksicht zu nehmen, als die sind, welche den
vorherigen Betrachtungen zu Grunde liegen.
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell 31
G. Die moderne Gastheorie in den Auifassnngen von
Clansins und Maxwell.
1. Die Hypotliesen der Clausius' sehen Moleculartlieorie
der 08ise.
Clansins hat eine vollständigere Theorie knrz nach Erönig's
Yeröffentlichnng gegeben und aus derselben Resultate abgeleitet, welche
sich noch bedeutend enger an die durch die Erfahrung gegebenen That-
Sachen anschliessen. Auch Clausius geht zum Theil von denselben
Fandamen talannahmen aus, welche der Gastheorie Krönig's zu Grunde
lagen.
Dieselben lassen sich kurz in folgende Worte zusammenfassen:
1) Jedes Gas ist ein Newton'sches System, d. h. es besteht
aus einzelnen Molecülen, und die Kräfte, welche diese auf
einander ausüben, sind lediglich Functionen der Entfer-
nungen.
2) Die Temperatur eines Gases hängt lediglich ab von der
inneren kinetischen Energie der Molecularbewegungen und
umgekehrt.
3) Die Molecüle sind im Mittel so weit von einander ent-
fernt, dass man in jedem gegebenen Augenblicke die gegen-
seitigen Einwirkungen der meisten vernachlässigen kann,
BD dass die Zahl der Molecüle, welche zufällig einander so
nahe sind, dass sie auf einander merklich wirken, jederzeit
vernachlässigt werden kann.
Diese Annahmen führen sofort dazu, dass die Bewegungen der Mo-
lecüle während des grössten Theiles der Zeit geradlinig und gleichförmig
Bein müssen, sie schliessen dagegen nicht die Krönig 'sehe Voraussetzung
in sich ein, dass diese fortschreitende Bewegung die einzige sei, welche
die Molecüle besitzen. Es ist vielmehr ohne Weiteres klar, dass die
meisten Stösse nicht gerade und central sein werden, und deshalb werden
alle Molecüle rotatorische Bewegungen um Axen besitzen, welche so
lange ungeändert bleiben, als der Schwerpunkt der betreffenden Mole-
cüle sich geradlinig und gleichförmig bewegt.
Betrachten wir ausserdem die Molecüle nicht als unausgedehnte,
durchaus einheitliche Atome im metaphysischen Sinne, sondern als Kör-
per, deren Ausdehnungen zwar ausserordentlich klein, aber doch
nicht unendlich klein sind, so kann man sogar noch annehmen, dass
32 I. Moleculartheorie der Wärme.
die Atome, aQs denen die Molecüle bestehen, relative Bewegungen, z. B.
OsciUationen in Bezng auf ihren Schwerpunkt besitzen.
Da auch der Lichtäther an den Bewegungen der Atome, respectiye
an denen der Molecüle theilnehmen muss, so werden wir möglicherweise
im Folgenden auf vier Arten von kinetischer Energie Rücksicht zu neh-
men haben, nämlich :
1) die kinetische Ekiergie der fortschreitenden Bewegung,
2) die kinetische Energie der rotirenden Bewegung,
3) kinetische Energie der Schwingungen der Atome um ihre rela-
tiven Stellungen im Molecül,
4) auf die kinetische Energie der Bewegungen des Aethers.
Die weitere Fundaraentalannahme , auf welcher die Clausin s' sehe
Moleculartheorie beruht, ist die, dass, wenn die fortschreitende Bewegung
der Molecüle gegeben ist, hierdurch die lebendigen Kräfte der übrigen
Bewegungen mit bestimmt seien.
Wir wenden uns nun zu einer näheren Betrachtung der Clansius'-
schen Moleculartheorie. Die zweite Hypothese (S. 31, Z. 16 v. c), auf
der dieselbe beruht, schliesst in sich die stillschweigende Voraussetzung
mit ein, dass die gegenseitigen Abstände der Molecüle verhältnissmässig
sehr gross sind im Vergleich mit den Entfernungen, in welchen die
Molecularkräfte noch wirksam sind. Ausserdem schliesst dieselbe weiter
in sich ein, dass jederzeit nur eine sehr geringe Anzahl von Molecülen
wirklich auf einander und ebenso nur eine äusserst geringe Anzahl von
Molecülen gleichzeitig auf die Wandungen des einschliessenden Gefasses
wirken.
Es ist gleichbedeutend, ob man von diesen Voraussetzungen ausgeht,
oder davon, dass jedes Molecül sich verhältnissmässig nur sehr kurze
Zeit in der Nähe eines anderen Molecüls oder einer Wand befindet im
Vergleich mit der Zeit, während der es sich ausserhalb der Wirkungs-
sphäre eines Molecüls oder einer Wand im Beharrtgigszustande bewegt
Auch hier werden wir zur Erleichterung der Rechnung einige Ver-
einfachungen eintreten lassen, jedoch werden wir dieselben nicht so weit
treiben, wie bei der Krön ig' sehen Theorie. Wir nehmen an, dass die
fortschreitende Bewegung bei verschiedenen Molecülen mit ausserordent-
licher Mannichfaltigkeit nach Grösse und Richtung vor sich gehe, dass
aber schon in Räumen, welche zwar im Vergleiche zur Distanz der Mo-
lecüle sehr gross, aber an sich noch klein sind, ein vollkommener Aus-
gleich stattfinde, so dass die Bewegungszustände in denselben als im
Durchschnitt gleich angesehen werden können. Wir können dann, ohne
die Summe der kinetischen Energie der Molecüle eines solchen Raumes
zu ändern, alle Molecüle mit derselben Geschwindigkeit der fortschreitenden
Bewegung begabt ansehen ^). Wir nehmen also der Einfachheit wegen
^) In dieser Annahme beruht besonders der Unterschied zwischen der Cl auslas''
sehen und der später von uns zu behandelnden Maxwell' sehen Theorie der Gase,
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 33
auf dass alle Geschwindigkeiten der fortschreitenden Bewegungen gleich
seien, Lassen aber die grösste Mannichfaltigkeit in Bezug auf Richtung
zu und substituiren nicht, wie Krön ig, drei Flauptbewegungsrichtungen.
2. Ableitmig der Consequenzen der Hypothesen 0-
Die Anzahl der im GefiLsse enthaltenen Molecüle sei n, m die Masse
jedes einzelnen und u die Geschwindigkeit der fortschreitenden Bewe-
gung, alsdann ist die kinetische Energie der fortschreitenden Bewegung Xfi
^f= 2 ^^
Die gesammte kinetische Energie aller vier Bewegungsarten be-
zeichnen wir mit %. Es sei nun to ein Element der das Gas umschliessen-
den Gefasswand, und wir bestimmen die Beschleunigung p . w, welche
das Wandungselement fr den Gasmolecülen in der Zeiteinheit ertheilen
muss, wenn p, wie üblich, den specifischen Druck, d. h. den Druck auf die
Flächeneinheit bezeichnet. Um irgend einen Punkt des Flächenelementes
denken wir uns eine Hülfskngeliläche mit dem Radius gleich 1 beschrie-
ben. Zur Bestimmung der Lage von Orten auf der Kugeloberfläche be-
dienen wir uns der Poldistanz d" und der geographischen Breite (p. Den
Pol soll deijenige Punkt bilden, in welchem die im Mittelpunkte ddr
Kugel auf to nach innen errichte Normale die Kugeloberfläche triflt.
In einer beliebigen Richtung lassen wir einen unendlich dünnen
Strahlenkegel nach dem Kugelcentrum gehen, derselbe schneidet aus der
Kngeloberfläche das Flächenstück dö. Da alle Bewegungsnchtungen
unserer Annahme nach gleich stark vertreten sind , so wird die Anzahl
der Molecüle, welche sich in einer der Richtungen bewegt, die in dem
Elementarkegel um d C liegen, der Oeffnung, d. h. dem Flächeninhalte
von d6 proportional sein. ;Bezeichnet man die Proportionalitätsconstante
mit a, so bewegen sich demnach in den im Elementarkegel um d6 ent-
haltenen Richtungen a , dö Molecüle. In allen möglichen Richtungen,
denen ein Kegel von der Oeffnung 4 n entspricht, bewegen sich :
a . 4 . Ä = n
Molecüle. Demnach ist:
a = -p 2)
4«
und die Anzahl der Molecüle, die sich in den von d6 umschlossenen
Richtungen bewegen, ist:
^ In diesem Capitel ist mehrfach von: C. Neumann, Vorlesungen über die me-
thaoische Theorie der Wärme, Leipzig 1875, S. 232 etc. Gebrauch gemacht.
Verdet-Bahlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. 3. 3
34
I. Moleculaxtheorie der Wärme.
n
4 n
. da.
Wir bestimmen nun zunächst, welche Beschleunigungen den Mole-!
cülen, welche sich in den vom Kegel mit der Oeffnung d 6 umschlossenen
Richtungen bewegen, von w in der Zeiteinheit ertheilt werden müseeiul
Betrachten wir, von der Spitze aus gerechnet, eine Länge u des Kegd8,|
so enthält derselbe alle Molecüle^ welche in der Zeiteinheit in den gegf
benen Richtungen nach seiner Spitze gelangen , da u die Geschwindig-
keit jedes Molecüls bedeutet. Wenn wir diesen Kegel sich selbst p»*
rallel verschieben lassen, so dass seine Spitze alle Punkte des £le-|
mentes w durchläuft, so wird der auf diese Weise erzeugte Cylindvl
alle Elemente enthalten, welche Überhaupt in dieser Richtung nach«
gelangen. Die Grundfläche dieses Gylinders ist w^ seine Höhe u . co&,^y
wenn %' die Poldistanz des Elementes d6 bezeichnet. Die Anzahl Mole-'
cüle, welche sich in diesem Cylinder in den angegebenen Richtungen be-
wegen, verhält sich zur Anzahl Molecüle, welche überhaupt im ganze]
Gas Volumen diese Richtung besitzen , wie das Volumen des Gylinders zv '
dem des Gases. Die Anzahl der Molecüle, welche sich in dem Cylinder
parallel zu den va.d6 eingeschlossenen Richtungen bewegen, ist demnach:
n . d0 w . u , COS. d'
4 . n
V
Jedes dieser Molecüle trifft in der Zeiteinheit das Element fo unter
dem Winkel ^ mit der Geschwindigkeit u. Um jedes derselben wie
einen elastischen Körper zu reflectiren, muss' die Wand jedem Molecdk
eine Beschleunigung von der Grösse:
— 2 . m . M cos, d'
ertheilen, da die zum Elemente to normale Geschwindigkeitscomponente
das entgegengesetzte Vorzeichen erhalten muss.
Die allen Molecülen, welche sich in den mehrfach bezeichneten
Richtungen bewegen, von w mitgetheilte Beschleunigung ist demnach :
2 . m . n . da . w , u^ . cos,^ d"
Wir erhalten die ganze Kraft p . w^ wenn wir alle ähnlichen Aus-
drücke für alle Elemente d(^ der inneren Hohlkugel summiren, indem
wir dann alle Richtungen erschöpfen, in der Molecüle nach w gelangen
können. Denken wir uns das Element von zwei Parallelkreisen, welche
die Poldistanzen %" und ^ ■\- d^ und von den beiden Meridianen, welche
die Längen (p und tp -\- d(p besitzen, begrenzt, so ist bekanntlich:
d6 =^ sm ^ , d%' . dip.
Die Integration muss in Bezug auf ^ von 0 bis 90^ und in Bezog
auf q> von 0 bis 360^ ausgedehnt werden, und wir finden demnach:
C. Die Gastheorie von Glausius und Maxwell. 35
s in
0 0
Dies hier siehende Doppelintegral ist, wie man sofort findet, gleich
2x
— und es ergiebt sich, wenn man w beiderseitig weghebt:
sd somit:
1 n . m . u^
p . V = - n . m u^^) .2)
Die Grösse n • — '- — ist aber die lebendige Kraft der fortschreitenden
bwegnng nnd wir finden somit, da wir diese mit %j bezeichnet haben :
2 •
1> . ^^ = 3 • Sy 3)
Nach dem Ansdehnnngsgesetze vollkommener Gase ist aber:
lobei bekanntlich (Bd. I, III, A, Gl. 20, S. 253) It den Werth :
Ä = J . c„ . (x — 1)
Mitzt
Hierans folgt, dass:
2, = I . / . c, . (X - 1) . T 4)
it, (Lh.die kinetische Energie der fortschreitenden Bewegung
ler Molecule eines Gases ist proportional der absoluten Tem-
teratur.
Wir haben früher (1. Bd., III, A, 7, S. 252, 61. 17) bereits gefun-
len, dass:
ü=J.c,,T 5)
it, wenn U die gesammte innere Energie eines Gases bezeichnet; es er-
gebt sich somit, dass :
I, = |.(x-I). ü 6)
It Setzen wir für Luft nach Röntgen's Versuchen (1. Bd., III, B,
12, S. 278):
X = 1,405,
^) Diese Formel findet sich bei Clausius, Abhandlungen Bd. II, S. 251, Gl. 6).
3*
36 L Moleculartheorie der Wärme.
so ist:
Zj = 0,608 . ü.
Die kinetische Energie der fortschreitenden Bewegung ist demnad;
nnr ein Theil der gesammten inneren Energie und zwar bei allen ei»^
fachen Gasen ungefähr ^5 derselben. Ungeföhr % der Energie sinl
also den übrigen drei, früher (S* 32) von uns erwähnten Bewegangend
der rotirenden der Molecüle, der oscillirenden der Atome im Molecold
und den Aetherbewegungen, zuzuschreiben.
Es ergiebt sich weiter hieraus, dass:
£ 2
SE, ~" 3 . (x — 1)
oder:
^-% _ 5~3x 1
%f 3 . (X — 1) '
ist.
Wir werden also genöthigt zuzugeben, dass die kinetische Energia
der übrigen Bewegungen bei allen Temperaturen zur kinetischen Eneipä
der fortschreitenden Bewegung in einem constanten YerhaltniBse steht
Es fällt allerdings nicht leicht, die Richtigkeit dieser Beziehung»
ohne Weiteres zuzugeben, aber man kann sich wohl vorstellen, wie aue^
Glausius^) ausgeführt hat, dass erst dann ein stationärer Zustand ilj
einem Gase eintreten kann, wenn alle Bewegungen, welche überhaufl
entstehen können, im Mittel ein gewisses, lediglich von der Bescbaffeii
heit der Molecüle abhängiges Yerhältniss zu einander angenommen habet
Es müssten alsdann alle vier Quantitäten kinetischer Energ^ie be*
stimmt sein, wenn es eine derselben wäre, und die vollständige Ünregel*
mässigkeit der Bewegungen müsste in^merhin in allen, selbst idein<
Bäumen einen mittleren Zustand herbeiführen. Die wahrscheinlich!
Hypothese bleibt immerhin die, dass das Yerhältniss zwischen der
sammten kinetischen Energie und der Energie der fortschreitenden
wegung lediglich von der Natur des Gases, nicht aber von der
der kinetischen Energie selbst und der mittleren Entfernung der Mo
cüle abhänge. Alsdann müssten die beiden specifischen Wärmen di
Gases unabhängig von der Temperatur und vom Drucke sein; denn
specifische Wärme bei constantem Yolumen ist in der That g^leich
Zunahme der gesammten lebendigen Kraft, und die Zunahme der kine
sehen Energie der fortschreitenden Bewegung ist darin eine constani
Grösse. Besteht nun ein constantes Yerhältniss zwischen der Summe d
kinetischen Energien der fortschreitenden Bewegungen und der Sum:
aller lebendigen Kräfte, so wird, wenn die kinetische Energie der fo
schreitenden Bewegung in einem gewissen Maasse zunimmt, auch
gesammte Summe der lebendigen Kräfte in demselben Maasse zune
1) Claus i US, Abhandlungen Bd. II, S. 2.13.
C. Die Gastheorie von Glausius und Maxwell. 37
mässen. Die specifische Wärme bei constantem Volumen muss demnach
eine onYeräaderliche Grösse sein. Die specifische Wärme bei constantem
Dnicke unterscheidet sich aber von der bei constantem Volumen ledig-
lich durch das Wärmeäquivalent der Arbeit, welche daa Gas leistet, wenn
es sich frei unter constantem Drucke ausdehnt. Diese Arbeit aber ist
immer die nämliche; die specifische Wärme bei constantem Drucke, be-
logen auf die Gewichtseinheit, ist demnach ebenfalls unabhängig von
Dmck und Temperatur. Die Oonstanz der specifischen Wärme ist aber
durch Regnault's treffliche Experimentaluntersuchungen ^) innerhalb
sehr weiter Grenzen nachgewiesen worden und man kann daher darin
rückwärts eine Bestätigung der Gl aus ins' sehen Annahme erkennen, dass
das Verhältniss der kinetischen Energien ein constantes und nur von der
Qualität der Molecüle abhängiges sei.
3., Die mittleren Oeschwindigkelten der Molecüle.
Man kann auch sehr leicht die Grösse der Geschwindigkeit u der
fortschreitenden Bewegung berechnen, welche nöthig ist, damit der
BÜttelwerth der lebendigen Kraft herauskommt, den wir annehmen müs-
sen, um den Druck auf die Gefösswandungen erklären zu können. Wir
gehen zu dem Zwecke von der Gleichung 2):
aus. Dieselbe kann leicht dazu dienen, die Grösse u zu bestimmen, da
man im Stande ist, alle anderen Stücke, welche sonst in der Formel vor-
kommen, numerisch auszudrücken. Man kennt zwar weder die Grösse n,
die Anzahl der Atome, noch die Masse m jedes einzelnen derselben, man
weiss aber, dass m . n die Masse des Gases, also gleich seinem Gewichte,
dividirt durch die Acceleration der Schwere ist. Es ergiebt sich somit:
V . 8
W . W =
g
wenn man mit 8 das Gewicht der Yolumeneinheit Gas bezeichnet, und
es ergiebt sich für u der Ausdruck :
u = 1/^ .p . g ^v _ \/dTp~g
8)
Ehe wir aber an die Einsetzung der numerischen Werthe gehen, ist
es nöthig zu zeigen, dass die oberste Gleichung aach homogen ist.
p . f ist eine Arbeitsgrösse d. h. das Product aus einem Gewichte
^ einer Länge; die Grösse m , n ist gleich dem Gewichte dividirt
^) M6moires de l'Acad^mie des Sciences Bd. XXVI.
38
I. Moleculartheorie der Wärme.
durch eine Länge, und demnach ist auch die erste Seite, da m . »
dem Quadrate einer Strecke multiplicirt ist, das Product auB einem G**
wichte und einer Länge, die Homogenität ist demnach vorhanden.
Bezeichnet man nun das specifische Gewicht eines Gases bei 0®
Centesimalscala oder 274^ der absoluten Scala mit Sq und bezeicbnet
das specifische Gewicht bei t^ der hunderttheiligen, oder T der absolvtai
Scala, so ist:
So . 274
8 =
T
und demnach:
y 214.. So
Setzt man hierin
p = 10333 Kg.
g = 9,81 m .
So = 1,293 . Qo,
worin ^o die Dichte des Gases bei Null Grad, die der Luft gleich 1 g»>
setzt, bezeidbnet, so ist:
w = 485 . |/;
9»
274 . Qo
Setzt man nach Regnault:
far Wasserstoff ^o = 0,06926
„ Stickstoff ^0 = 0,9714
„ Sauerstoff ^o = 1,1056
„ Kohlensäure ^o *= 1,529,
so findet man folgende
"Tabelle für die Moleculargeschwindigkeiten ^) u einiger GasCi
== t ■ =
r=0-f 274
Wasserstoff
Stickstoff .
Sauerstoff >
Kohlensäure
m
1843
492
461
392
r= 100-1-274
m
2153
575
539
458
r=200+274
m
2424
647
607
516
Es ist vielleicht nicht überflüssig, nochmals daran zu erinnern, dass
dies die mittleren Geschwindigkeiten der fortschreitenden Bewegung
^) Auf Grund der Max well 'sehen Gastheorie werden wir späterhin etwas aadeie
mittlere Geschwindigkeiten berechnen, welche sich von diesen nur durch einen con-
stauten Factor unterscheiden.
C Die Gastheori^ von ClausiuB und Maxwell. 39
nnd, and dass die Geschwindigkeiten der einselnen Molecüle bald be-
liebige grösser, bald beliebig kleiner als diese Zahlen sind.
Diese Zahlen sind unabhängig yom Drucke und ungefähr von der
Ordnung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles«
4. Die Anwendung der Fundamente der Olauslus'schen
Moleculartlieorie auf die übrigen Aggregatzustände.
Während alle Vorgänger, welche versucht haben die Eigenschaften
der Gase aus den Bewegungen der Molecüle zu erklären, sich lediglich
auf den elastisch flüssigen Zustand beschränkt haben, ist Glausius
insofern wesentlich weiter gegangen, als er die Betrachtungsweise auch
auf die übrigen Aggregatzustände und die Vorgänge der Schmelzung
und der Verdampfung mit Erfolg ausgedehnt hat ^). Bewegungen der
Molecüle werden von ihm in allen drei Aggregatzuständen angenommen.
Im festen Zustande ist die Bewegung derart, dass sich die Molecüle
um gewisse Gleichgewichtslagen bewegen, ohne diese, so lange nicht
fremde Kräfte auf sie einwirken, ganz zu verlassen. Die Molecular-
bewegungen bei festen Körpern würde man daher als oscillatorische
bezeichnen können. Auch diese können übrigens in mehrfacher Beziehung
oomplicirt sein; die Bestandtheile der Molecüle (einzelne Atome, Atom-
gmppen, Aether) können nämlich um ihre Mittellagen im Molecüle hin-
nnd herschwingen und ausserdem können die Molecüle als Ganzes um die
Mittellage ihres Schwerpunktes schwingen und Drehschwingungen um den
ruhend gedachten Schwerpunkt vollziehen.
In solchen Fällen, in welchen äussere Kräfte auf den Körper wirken,
können auch dauernde Lagenänderungen der Molecüle bei Deformationen
und elastisohen Nachwirkungen (Viscosität) eintreten.
Im flüssigen Zustande haben die Molecüle keine bestimmten Gleich-
gewichtslagen mehr, sie können sich um ihren Schwerpunkt ganz herum-
drehen, und auch der Schwerpunkt kann, selbst ohne ]^nwirkung äusserer
Kräfte, seine Lage dauernd ändern. Die centrifugale Wirkung der Mole-
cüle ist aber im Verhältniss zu ihrer gegenseitigen Anziehung nicht stark
genug, um die Molecüle vollständig von einander zu trennen. Die Mole-
cüle haften also nicht mehr an bestimmten Nachbarmolecülen , aber sie
verlassen diese doch nicht von selbst, sondern unter Mitwirkung von
Kräften , welche sie von anderen Molecülen erleiden. Es gelangen hier-
durch die Molecüle zu anderen in ähnliche Lagen, wie die waren, in denen
ne sich vorher in Bezug auf ihre Nachbarmolecüle befunden haben. Es
findet dann in den Flüssigkeiten eine schwingende, wälzende und fort-
Bchreitende Bewegung der Molecüle statt, aber so, dass die Molecüle da-
1) Clausius, Abhandlungen Bd. II, Abhandlungen XIV: „Ueber die Art der Be-
wegongen, welche wir WSrme nennen^, S. 236 bis 273.
40 I. Moleculartheorie der Wärme.
durch nicht aus einander getrieben werden, sondern sich auch ohne äasserai
Druck innerhalb eines gewissen Volumens halten.
Be8ondei*s der Vorgang der Verdampfung ist von GlausiiiB
weiterhin einer eingehenderen Erörterung unterzogen worden und wir
haben schon früher, bei Besprechung der Verdampfangserscheinongen,
gelegentlich von derselben Gebrauch machen müssen, um uns eine an-
schauliche Vorstellung von demselben bilden zu können.
Es wurde schon vorhin bemerkt, das in Flüssigkeiten ein Molecül
bei seiner Bewegung in den Anziehungssphären seiner Nachbarmolecüle
bleibe oder dass es diese nur verlassen würde, um dafür zu andereo
Nachbarmolecülen in entsprechende Lagen zu kommen. Wir erinnern
daran, dass nur die Mittel werthe der Bewegungen einzelner Molecuk
oder der mittlere Bewegungszustand einer grossen Anzahl vonMolecfilen
bei einem stationären Wärmezustande constant bleibt, die Geschwindig-
keiten der Molecüle an sich aber ausserordentlich verschieden sein und
nach beiden Seiten hin von diesem Mittel werthe weit abweichen können.
An der freien Oberfläche einer Flüssigkeit wird aber sehr häufige der
Fall eintreten, dass ein Molecül durch ein günstiges Zusammentreffen
der fortschreitenden, schwingenden und Drehbewegung mit solcher Heftig-
keit von seinen Nachbarmolecülen fortgeschleudert wird, dass es, bevor
es durch die zurückziehende Kraft derselben seine Geschwindigkeit ganx
verloren hat, schon aus der Wirkungssphäre der in der Nähe gelegenen
Molecüle der Flüssigkeitsoberfläche hinaus gelangt ist und nnn in
dem über der Flüssigkeit befindlichen Räume weiter fliegt. Ist der über
der Flüssigkeit befindliche Raum leer, so werden die zuerst von der
Flüssigkeit ausgestossenen Molecüle sich bis zur Berührung mit der (je-
fässwand, welche Flüssigkeit und Vacuum umschliesst, fortbewegen und
werden nun theils von der Wand al)prallen, theils von derselben als eine
sich successive ansammelnde, condensirte Flüssigkeitsschicht zurückgehal-
ten werden. Nachfolgende Molecüle werden in zunehmendem Maasse
immer häufiger von ihrer geradlinigen Bahn abgelenkt werden, da sie
von Zeit zu Zeit in die Wirkungsräume von Dampfmolecülen gelangen,
welche sich bereits in dem Gefassraume über der Flüssigkeit befinden.
Diese Molecüle verhalten sich in dem Räume ganz wie die Molecüle eines
Gases, sie stossen gegen die Wände des Gefasses und üben auf dieselben
einen mit ihrer Anzahl zunehmenden Druck aus. Eine dieser Wände
des Raumes, in dem sich die von der Wirkung der Flüssigkeitsmolecüle
befreiten Molecüle bewegen, wird aber von der Flüssigkeit selbst gebildet
und diese wird, wenn die Molecüle gegen sie stossen, dieselben meist
nicht abprallen lassen, sondern festhalten und in sich aufnehmen. Dieser
Vorgang, dass die Molecüle die Flüssigkeitsoberfläche treffen und dieser
wieder einverleibt werden, muss um so häufiger stattfinden, je mehr Mole-
cüle sich im Dampfraume angesammelt haben. Die Dichte des Dampfes
wird sich in Folge hiervon mit abnehmender Schnelligkeit einer Grenze
nähern, welche erreicht wird, wenn in derselben Zeit gleichviele Molecüle
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 41
Too der Oberfläche ausgesendet, als von derselben wieder aufgenommen
und Zurückgehalten werden. In diesem Grenzzustande ist der obere
Geiassraam mit Dampf gesattigt, letzterer selbst ist, wie man sich aus-
drückt, gesättigter Dampf.
Die Dichtigkeit des Dampfes, welche dazu nöthig ist, damit sich
Anssendung und Aufnahme von Molecülen durch die Flüssigkeitsschicht
fortwährend compensiren, muss um so grösser sein, je grösser die Geschwin-
digkeit der Flüssigkeitsmolecüle , d. h. je grösser die innere kinetische
Energie, d. i. die Temperatur derselben ist.
Wäre der atomistische Bau der Molecüle und wären die mittleren
Bewegungazustände der Molecüle bekannt, so müsste man im Stande sein,
«af theoretischem Wege die Beziehung abzuleiten, welche zwischen Dampf-
drack und Temperatur besteht. Bis jetzt ist dies allerdings noch nicht
möglich gewesen.
Es bedarf übrigens wohl kaum noch besonderer Erwähnung, dass
das, was Tom Verhalten der Flüssigkeitsoberfläche gegen den darüber
befindlichen Dampf gesagt ist, in ganz ähnlicher Weise auch von den
übrigen Wänden gilt, welche den mit Dampf erfällten Raum begrenzen.
£b schlägt sich etwas Dampf an denselben nieder, dieser wird zum Theil
immer wieder verdampfen und zuletzt vrird auch hier ein Zustand ein-
treten, in welchem Verdampfung und Niederschlag einander gleich sind.
Die Menge des auf der Oberfläche der Wand condensirten Dampfes,
welche zur Herstellung dieses stationären Zustandes nöthig ist, hängt ab
Ton der Dichtigkeit des Dampfes im umschlossenen Räume, von der
Temperatur des Dampfes und der Wand, und von der Kraft, mit welcher
die Dampfmolecüle von der Wand angezogen werden.
Das Maximum, welches eintreten kann, ist die voUständige Benetzung
der Wand durch niedergeschlagene Flüssigkeit; nachdem dies geschehen
ist, verhält sich die Wand genau so, wie die freie Flüssigkeitsoberfläche.
Gesättigter Dampf in Berührung mit gleichartiger Flüssigkeit ist
nach der soeben entwickelten Auflassung nicht eine individuell bestimmte
Materie, sondern es findet ein beständiger Austausch von Molecülen zwi-
schen ihm und der Flüssigkeit statt. Wenn beide Theile, Flüssigkeit
und gesättigter Dampf, gleiche Temperatur haben, so ist auch im Mittel
die kinetische Energie der Flüssigkeitsmolecüle und der Dampfmolecüle
dieselbe. Ebenso wird sehr nahezu die kinetische Energie der von der
Flüssigkeit ausgesandten und der von ihrer Oberfläche aufgenommenen
Bampfinolecüle gleich gross sein. Die mittlere lebendige Kraft der von
der Flüssigkeit und dem Dampfe ausgetauschten Molecüle ist aber durch-
schnittlich grösser als die mittlere kinetische Energie eines Molecüls der
ganzen Masse, was vorzugsweise diejenigen Bestandtheile der Flüssig-
keit veranlassen muss, in den Dampfraum einzutreten, deren kinetische
Energie am grössten ist. So lange der Dampfraum noch nicht vollstän-
dig gesättigt ist, verliert die Flüssigkeit mehr Molecüle als sie aufnimmt,
und diese Molecüle sind gerade diejenigen, welche am meisten zur Ge-
42 I. Moleculartheorie der Wärme.
sammtenergie der Flüseigkeit beitragen; dies bedingt, dass die MüBsig-
keit mehr lebendige Ki'afb verliert, als der Zahl verlorener Molecok
durchschnittlich entsprechen würde, und dies bedingt eine Abkühlnng
der Flüssigkeit, die Verdunstungskälte.
Die hier entwickelte Betrachtungsweise lässt femer leicht erkennen,
dass die Anwesenheit eines Grases in dem Baume über der Flüssigkeit die
Verdampfung nicht hindern kann, wohl aber verzögern muss. Der Ein-
tritt des Gleichgewichtszustandes, d. h. der Sättigung, wird yerzögert
werden, denn die von der Flüssigkeit entsendeten Molecüle werden schon
durch die Molecüle des vorhandenen Gases von ihrer Richtung abgelenkt
und zur Flüssigkeit zurückgetrieben. Ebenso können die Molecüle, welche
sich im Dampfraume befinden , nicht so leicht zur Flüssigkeitsoberflache
zurückgelangen, da sie durch die Gasmolecüle abgelenkt und möglidier-
weise sogar in den Dampfraum zurückgeworfen werden. Da der von
den Gasmolecülen wirklich absorbirte Raum ausserordentlich klein ist, so
wird die auf die Raumeinheit erforderliche Anzahl von Dampfmolecülen
dieselbe wie vorher sein müssen, damit durchschnittlich von der Flüssig-
keit ebenso viele ausgesendet als von derselben aufgenommen werden.
Alle bisher geführten Betrachtungen beziehen sich aber nur auf eine Ver-
dampfung von der freien Oberfläche und sind nicht ohne Weiteres anf
den Vorgang übertragbar, den wir als eine Dampfentwickelung aus der
gesammten Masse, als Kochen, bezeichnen. Die Möglichkeit einer solchen
Verdunstung, wie wir dieselbe soeben beschrieben, ist selbst für feste
Körper denkbar, obgleich wohl nur selten einmal die Geschwindigkeit
eines Molecüls der Oberfläche sich soweit über den Mittelwerth erheben
wird, dass dasselbe, wenn gleichzeitig die Bewegungsrichtung eine gün-
stige ist, aus der Wirkungssphäre seiner Nachbarmoleoüle hinausgelangen
kann.
Jedenfalls aber wird jede solche Verdunstung, bei welchem Aggregat-
zustande dieselbe auch stattfindet, zwar mit der Temperatur zunehmen,
nicht aber an eine gewisse Minimaltemperatur gebunden sein.
Bei Flüssigkeiten können, zumal wenn denselben von unten und
seitlich Wärme zugeführt wird, die an den Wandungen des Gefösses oder an
vorhandenen Gasblasen anliegenden Molecüle sich unter Umständen mit
so grossen Geschwindigkeiten aus einander bewegen, dass der Zusammen-
hang der Masse vorübergehend unterbrochen wird, d. h. dass sich unter
Umständen Gruppen von Nachbarmolecülen aus den Wirkungssphären
von Gruppen von Nachbarmolecülen hinausbewegen können. Eine solche
Gruppe aus den Wirkungssphären ihrer Nachbarmoleoüle herausgerissener
Molecüle bewegt sich nun in dem entstandenen oder vorhandenen leeren
Räume wie die Molecüle eines Gases; ist die kinetische Energie, mit der
sie sich bewegen, stark genug und treten in gleicher Zeit mindestens
ebenso viel neue Molecüle in den Raum ein, als von der Flüssigkeit wie-
der aufgenommen werden, so sind ihre Stösse im Stande, die getrennten
Wandungen der Flüssigkeit getrennt zu erhalten, respective noch weiter
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 43
TOD einander za entfernen. Dies wird dann eintreten, wenn zwischen
Dmck und Temperatur an der hetreffenden Stelle die Beziehung statt-
findet, durch welche der Druck gesättigten Dampfes mit der Temperatur
yerknüpft ist und welche als Grenzwerth schon heim Verdunsten erreicht
werden konnte. Diese Dampf blase wird wachsen, bis der ihrem Volumen
proportional wachsende Auftrieb den ihrem Querschnitte proportional
wachsenden Bewegung^widerstand, respectiye die Adhäsion an der Gef&ss*
wand überwindet und die Dampfblase in der Flüssigkeit aufsteigt. Auf
solche Weise entsteht die Erscheinung des Kochens, deren Eintritt an
eine bestinimte dem Drucke entsprechende Minimaltemperatur gebun-
den ist ^).
Auch die Wärmeabsorption bei der Verdampfung oder Verflüssigung,
sowie die Wärmeerzeugung bei der Verflüssigung oder Erstarrung, also
die Thatsache der latenten Wärme findet durch die ausgeführte Betrach-
tongsweise ihre einfache und naturgemässe Erklärung.
Wenn die Molecüle eines Körpers ihre Lage in einer Richtang
ändern, welche den zwischen den Molecülen wirkenden Kräften entgegen-
gesetzt ist, so wird die kinetische Energie der Molecüle in Spannkraft oder
potentielle Energie umgesetzt, die Wärmemenge muss folglich abnehmen.
Beim Uebergange aus dem festen in den flüssigen Zustand entfernen
sich die Molecüle zwar nicht vollständig aus ihren gegenseitigen An-
ziehungssphären, aber sie gehen aus bestimmten, den Molecularkräften an-
gemessenen Lagen in andere Lagen über, wobei die Kräfte, welche sie
m jener Lage zu erhalten suchen, überwunden werden müssen. 'Beim
Uebergange in den Dampfzustand werden einzelne Molecüle der ver-
dampfenden Flüssigkeit vollständig aus der Anziehungssphäre der Flüssig-
keitsmolecüle entfernt und, um dies zu bewirken, muss eine gewisse
Menge Arbeit oder kinetische Energie aufgewandt werden.
Ebenso leicht kann man sich vorstellen, dass beim Uebergange aus
dem dampfförmigen in den flüssigen, oder aus dem flüssigen in den festen
Zustand kinetische Energie (das ist Wärme) oder Arbeit gewonnen wer-
den kann.
5. Einwände, welche gegen die Olausias'sohe Theorie
der molecnlaren Stösse erhoben worden sind.
Gegen die Clausius 'sehe Theorie sind von verschiedenen Seiten
Einwendungen erhoben worden, deren Erörterung dazu beitragen wird,
die Wahrscheinlichkeit der dieser Theorie zu Grunde liegenden Annahmen
weiter zu unterstützen.
') Eine etwas abweichende Erklärung des Verdampfiings- und Condensationsprocesscs
isi von A. Handl gegeben worden: Ueber die Constitution der Flüssigkeiten. Sitzungs-
berichte der math.-naturw. Classe der k. k. Akademie zu Wien Bd. 55, II. Abthl.
(1872), S. 377 bis 388.
44 L Moleculartheorie der Wärme.
Bei weiterem Verfolg der im Vorhergehenden entwickelten An-
schauungen stellen sich in der That einige Schwierigkeiten entgegen.
Der eine Theil derselben besteht in Wirklichkeit und kann nur dadurch
beseitigt werden, dass man weitere Hypothesen zu Hülfe nimmt, durch
welche die Grundannahmen unterstützt werden; ein anderer Theil der
erhobenen £in wände ist jedoch nur scheinbar und beruht nur auf einer
unvollkommenen mathematischen Verfolgung oder einem Missverstandnisse
der ursprünglichen Voraussetzungen.
Kurze Zeit nach der Publication der mehrfach citirten C lau siu Bü-
schen Arbeit erhob der treffliche holländische Physiker und Meteorolog
Bujs-Ballot ^) folgende Einwände:
1) Es scheint schwierig einzusehen, auf welche Weise die von beweg-
ten Molecülen gebildete Atmosphäre begrenzt bleiben kann und warum
sich dieselbe nicht allmälig in den leeren, unendlichen Weltraum auf-
lösen muss.
2) Es ist nicht begreiflich, wie ein derartig zusammengesetztes Cras
Wärme strahlen, d. h. den umgebenden Aether in Schwingungen ver-
setzen kann.
3) Man sollte glauben, dass sich die Mischung zweier Gase fast
augenblicklich vollziehen müsse« Da der absolute Werth der fortschrei-
tenden Bewegungen der Molecüle einfacher Gase zwischen 400 und 1900
Meter liegt, sollte man vermuthen, dass wenn einem Gase der Zutritt zn
einem anderweiten begrenzten Räume gestattet würde, sp müssten sich
die Molecüle infolge der enormen Geschwindigkeiten fast unmittelbar in
diesen Raum verbreiten. Die Erfahrung zeigt aber, dass dem nicht so
ist und ergiebt , dass die Diffusion der Gase nahezu nach denselben Gre-
setzen und beinahe ebenso langsam vor sich geht, wie bei den Flüssig-
keiten.
Weiterhin hat besonders Jochmann in seinen „Beiträgen zur Theorie
der Gase" ^) folgende weitere Bedenken gegen die Moleculartheorie er^
hoben :
4) Jene Theorie sei den Nachweis schuldig geblieben, warum die
Bedingung des Wärmegleichgewichtes zwischen zwei heterogenen Körpern
darin besteht, dass die mittlere lebendige Kraft der Molecüle in beiden
Körpern gleich gross sei.
5) Die Gl ausiu Busche Theorie sei nicht im Stande über die Fort-
pflanz ang des Schalles in gasförmigen Medien und die hydrodynamischen
Eigenschafben der Gase genügende Rechenschaft zu geben. Er sagt
darüber ungefähr Folgendes:
„Die bisher der Aeromechanik zu Grunde gelegte Vorstellung
vom Drucke der Gase beruht wesentlich auf der Annahme einer
1) Bujs-Ballot, Ueber die Art der Bewegung, welche wir Wärme und Elektrici-
tät nennen. Pogg. Ann. Bd. 103, S. 240 bis S. 253.
3) Pogg. Ann. Bd. 108, S. 159 bis 162.
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 45
gegenseitigen Abstossung der Gasmolecüle. Da die Erönig-Glan-
sias'scbe Hypothese diese Basis umstösst, so ist es ihre Sache, die
auf derselben begründeten Gesetze der Aerodynamik, z. B. für das Aos-
strömen der Gase, von Nenem herzuleiten. Hat man bisher in der Aerostatik
das Mari otte' sehe Gesetz als eine Erfahrungsthatsaehe hinnehmen müs-
sen, die nicht weiter erklärt, d. h. auf noch einfachere Grundvorstellungen
zurückgeführt werden konnte, so befindet sich die neue Hypothese den
aerodynamischen Problemen gegenüber in einer noch viel schlimmeren
Lage.*' Und femer: „So ist klar, dass die bisherige Ableitung den
Gleiehungren der Schallbewegung nicht nur nicht zulässig bleibt, sondern
überhaupt keinen Sinn mehr hat. Beschränken wir uns auf den einfach-
sten Fall der linearen Sehallbewegung, so ist zur Ableitung dieser
Gresetze vor Allem die hydrodynamische Grundgleichung:
du 1 dp
dt Q dx
erforderlich, welche in Verbindung mit der Continuitätsgleichung und
der bekannten Relation zwischen Druck und Dichtigkeit, unter Voraus-
setzung kleiner Condensationen die bekannte Differentialgleichung liefert.
In dieser Gleichung bezeichnet t die Zeit, u die Geschwindigkeit parallel
der o^Achse, q die Dichtigkeit und p den Druck. Der Sinn der Gleichung
ist, dass das Product der Masse und Beschleunigung eines zwischen zwei
unendlich nahen parallelen Ebenen enthaltenen Gastheilchens gleich ist
der Summe der bewegenden Kräfte, welche dasselbe von beiden Seiten
erleidet, nämlich gleich der Summe der Kräfte p cd und ( — p •\- — •dxya,
wo a den Querschnitt des die Gasmasse begrenzenden Cylinders bezeichnet.^
Er fahrt dann (S. 160) fort: „Dass diese ganze Schlussweise bei Annahme
derKrönig-Clausius' sehen Theorie ihren Halt verliert, ist ohne We iter es
einleuchtend. Denn diese Theorie giebt zwar Rechenschaft über den Druck
des Gases gegen eine äussere Wand, nicht aber über den Druck der Gas-
theOchen gegen einander. Dieser letztere, der sogenannte innere Druck
wird bei Annahme der Krönig -Clausius^ sehen Theorie in einem voll-
kommenen Gase gar nicht existiren imd andererseits in einem wirk-
lichen Gase eine im Vergleich zum äusseren Drucke sehr kleine Grösse
sein, von derselben Ordnung wie die Abweichungen vom Mariotte-Gay-
Lnssac'schen Gesetze."
6) Es ist endlich noch bemerkt worden, dass die Wärmebewegung
von der fortschreitenden Bewegung des Gases als Ganzes überhaupt nicht
zn imterscheiden sei und deshalb auf Widersprüche mit der Erfahrimg
ftüiren müsste, wenn man die Consequenzen der Theorie in dem Falle
des Ausströmens eines Gases in einen luffcverdünnten Raum untersuchte.
Die ersten von Bujs-Ballot geltend gemachten Widersprüche sind
darch Clausius in der Abhandlung „Ueber die mittlere Länge der
Wege, welche bei der Molecularbewegung gasförmiger Körper
46 I. Moleculartheorie der Wärme.
Yon den einzelnen Molec&len zurückgelegt werden" ^)and „Ueber
die Wärmeleitnng gasförmiger Körper" ^) entscheidend zurückgewie-
sen worden. Es hat sich gezeigt, dass die Theorie za Folgerungen führt,
welche mit den Erfahrangsthatsachen im vollständigen Einklänge stehen.
Ebenso haben die Untersuchungen MaxwelTs in der Abhandlung „Od
the dynamical theory of gases^ ^) das Irrige der Joch man naschen
Auffassung dargethan. Was jedoch den vierten Einwand betrifft, so ist
dieser allerdings lediglich durch Zuhülfenahme weiterer Hypothesen za
erledigen.
Wir werden uns im Folgenden mit einer genaueren Erörterung der
einzelnen Einwoidungen beschäftigen. /
6. Besprechung des ersten und zweiten Einwurfes von
Bujs -Bailot; Bestimmung der mittleren Weglänge der
Molecüle.
Wir entlehnen die nächst folgende Betrachtung der bereits citirten
Clausius'schen Abhandlung^).
P^ möge die Wahrscheinlichkeit bezeichnen, welche vorhanden ist,
dass ein Molecül den Weg % geradlinig und mit gleichförmiger Geschwin-
digkeit durchlaufe, ohne in die Wirkungssphäre eines der anderen Molecüle
zu gelangen. Die Grösse P, bezeichnet alsdann, wenn man eine sehr grosse
Zahl von Molecülen betrachtet, das Verhaltniss der Anzahl dieser Molecüle,
welche den Weg x ohne Störung durchlaufen, zur Gesammtzahl der
betrachteten Molecüle.
Beobachtet man ein Molecül recht lange Zeit hindurch , so ist P«
auch das Verhaltniss der Anzahl Male , welche das Molecül den Weg %
oder einen längeren durchlaufen hat, ohne die Wirkungssphäre eines
anderen Molecüles zu durchschneiden zu der Anzahl Male, in dem die
Bewegungsrichtung oder Geschwindigkeit überhaupt in der ganzen Zeit
geändert worden ist.
Unter Wirkungssphäre eines Molecüles versteht man hierbei immer
eine Kugelfläche, welche um den Schwerpunkt des Molecüles constrnirt
werden kann, bis zu welcher sich der Schwerpunkt eines anderen Mole-
cüles nähern kann, ohne dass ein Abprallen eintritt.
Betrachtet man nun eine sehr grosse Anzahl "N von Molecülen, so
80 wird N ,P, derjenige Bruchtheil dieser Molecüle sein, welche einen
Weg X ohne Störung durchlaufen. Die Anzahl Molecüle hingegen, welche
eine Strecke x -\- dx ohne Störung durchlaufen, JV.Px + dxi wird:
^) Clausius, Abhandlungen Bd II, S. 260 bis 276.
^) Clausius, Abhandlungen Bd. II, S. 277 bis 326.
^) Maxwell, Phil. mag. 4. Serie, Bd. 19, S. 19 u. Bd. 20, S. 21.
G. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 47
N . P^ + ^, = N . (P, -{- ^ ■ dx'j
Die Differenz N . Px — N' , Px + dx wird die Anzahl der Molecüle
ergeben, welche anf der Strecke dx eine Stömng erleiden. Demnach ist
die Anzahl anter den N Molecülen, welche den Weg x und keinen grösse-
ren dnrchlanfen , ohne in die Wirkungssphären anderer Molecüle zu
gerathen, gleich:
— N'^'dx.
^ ox
Hat man nun unter den N Molecülen JTq, welche einen Weg Xq, Ni
Molecüle, welche einen Weg x^ Nq Molecüle, welche einen Weg X2 durch-
laufen n. B. f., so ist der Quotient:
Nq . Xq -\- Ni . «1 4" -^2 • ^3 4" • • • • -^0 . a?o + -Ni . Xi + ^3 . Xji -f~ —
die mittlere Weglänge eines Molecüles.
dP,
Demnach wird, da — N * -ir— ^ • dx die Anzahl Molecüle bezeichnet,
ox
welche die Strecke x, und auch gerade nur diese, ohne Störung durch-
läuft, die mittlere Weglänge A im vorliegenden Falle:
dP,
oder:
dP.
=-!'
dx 10)
dx
sem.
Auch die Grenzen, zwischen denen man das Integral zu nehmen hat,
um die mittlere Weglänge zu finden, sind leicht zu finden; man muss
nämlich alle Werthe von x in Rechnung ziehen, welche überhaupt vor-
kommen können, also sowohl den unendlich kleinen Weg n; = 0, welcher
dem sofortigen Zusammenstosse mit einem unendlich benachbarten Mo-
lecüle entspricht, als auch den grössten Werth der Distanz, die ein Molecül
dmx:hlaufen kann, ohne eine Störung durch ein anderes zu erfahren,
und das ist unzweifelhaft ein wenigstens im Vergleich zur mittleren
Distanz zweier Molecüle unendlich grosser Weg. Den mittleren Ab-
stand der Molecüle wählt man bei diesen Untersuchungen zweckmässiger-
weise zur £Iinheit.
Demnach ist die mittlere Weglänge A, welche im Mittel von einem
Molecüle zwischen zwei Zusammenstössen zurückgelegt wird:
OD
•/*■
H— »)
48 I. Moleculartheorie der Wärme.
und zwar liegt dieser Formel keine andere Voranssetzong zu Grande, als
die, dass der Wärmezastand stationär und die Masse des Gases homogen sei
Um diese mittlere Weglänge A, welche ein Molecül zwischen zwei
Znsammenstössen geradlinig und gleichförmig durchläuft, numerisch zb
bestimmen, hat man demnach nur nöthig, die Grösse P, zu bestimmen.
Wir betrachten ein beliebiges Molecul, welches sich nach irgend
einer Richtung bewegt, und theilen die Gasmasse durch parallele Ebenen,
Welche auf dieser Richtung normal sind, in gleich dicke Schichten. Die
Wahrscheinlichkeit, dass das Molecül die erste dieser Schichten durch-
läufb, ohne dabei in die Wirkungssphäre eines anderen Molecül s zu ge-
rathen, möge mit a bezeichnet werden. Die Dicke aller Schichten möge
von vornherein gleich der Einheit, d. h. in diesem Falle gleich der mitt-
leren Distanz zweier Molecüle gesetzt werden. An der hinteren Be-
grenzungsebene der ersten Schicht angekommen, ist die Wahrscheinlich-
keit, die zweite Schicht ohne Störung zu passiren, ebenfalls a. Die
Wahrscheinlichkeit beide Schichten geradlinig und mit ungeänderter
Geschwindigkeit zu durchlaufen ist demnach a*. Setzt man diese Be-
trachtung weiter fort, so ergiebt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass
das gegebene Molecül die Strecke von der Länge x ohne Störung durdi-
läuft, gleich a' ist.
Es ist demnach:
P, = a'
die Wahrscheinlichkeit, dass ein Molecül die Länge x ohne Stönmg
durchläuft.
Da a seiner Bedeutung nach, als eine Wahrscheinlichkeit, ein echter
Bruch sein muss, so kann man auch:
a = e~ "
setzen, wo e die Basis der natürlichen Logarithmen und:
— a = lognat a
ist.
Demnach ist:
P, = c"~"-^ 12)
X W ^ W W W w w ^
Führt man dies ein, so ergiebt sich aus Gl. 11 (S. 47):
1-- r 8(6- " • ') ,
A — — / rc . ^ .- ^ • dx.
"bx
Es ist nun aber:
8(e-"')
cx
Wenn man theilweise integrirt, findet man:
C. Die Gastheorie von Clausitts und Maxwell. 49
fa.x.e-'''.dx=:a.x.\-j-e-"'\-a.f{-^.e-"'ydx
= _a, . e-"' + fe-"' dz
a . X f 1 \
Demnach ist:
00
= /.-"... (_._!).
Nun ist aber:
ar sa OD
(f-«') =0
X ■■ OD
und demnach:
A= i 13)
a
Gelingt es also die Grösse a za bestimmen, so ist deren reciproker
Werth die gesachte mittlere Wegiänge.
Da wir weder die Radien der Wirkungssphären der Molecüle , noch
die Grösse des Abstandes der Molecüle kennen, so kann es sich zunächst
nicht um eine Bestimmung der Grösse A in absolutem Maasse, z. B. in
Metern, handeln , sondern lediglich um eine Bestimmung der Grössen-
ordnung ^). Mit Rücksicht darauf kann man das Problem der Ermitte-
lung des Werthes von a im wirklich vorliegenden allgemeinen Falle zu-
nächst auf ein einfacheres zurückfuhren, sofern nur dadurch die Grössen-
ordnung des Werthes von a nicht geändert wird.
Ein einzelnes Molecül, welches wir betrachten, bewegt sich bei einem
Gase zwischen lauter Molecülen, welche sich ebenfalls bewegen. Anstatt
diesen verwickelten Fall gleich von Anfang an zu betrachten, denken wir
uns, dass nur ein Molecül sich bewege, während alle übrigen in gleichem
Abstände ihrer mittleren Entfernung festgehalten würden. Die Lösung
dieser Aufgabe ist jedenfalls wesentlich einfacher, als die Behandlung
des wirklichen ; es lässt sich jedoch leicht übersehen, dass der Werth, den
man unter dieser Voraussetzung für et findet, von derselben Grössen-
Ordnung sein muss, wie der, welcher im Allgemeinen für den Fall gilt,
der den wirklichen Verhältnissen entspricht.
Es kann dadurch, dass man die sich sonst stationär bewegenden Molecüle
der homogenen Gasiuasse in ihren Mittellagen fixirt denkt, zwar die An-
') Eine Bestimmung des absoluten Werthes der mittleren Weglänge wird später-
hin mit Hülfe der Constanten der inneren Reibung der Gase vorgenommen werden. ^
Verdet-BQfalmann, Mechau. Warmethoorie. Bd. 2. ^
50 L Moleculartheorie der Wärme.
zahl der Zusammenstösse eines betrachteten bewegten Molecüls mit den
übrigen, nicht aber die Grössenordnung dieser Anzahl geändert werden.
Man kann das Molecül mit einem Projectile vergleichen, welches gegen
eine Scheibe geschossen wird, in welcher sich eine OefiPnung befindet; in
dem einen Falle ist diese Oeffnang fest, im anderen Falle in darchans
nnregelmässiger Weise bewegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Pro-
jectil durch die Oeifniing hindurchgeht, ist (wie wir später sehen werden)
im zweiten Falle grösser als im ersten. Wir finden also zunächst eine
grössere Zahl als die gesuchte; die auf diese Weise bestimmte mittlere
Weglänge, während der sich ein Molecül ohne Störung bewegt, wird zwar
grösser, aber von derselben Grössenordnung als die in Wirklichkeit yor-
handene sein.
Wir nehmen also jetzt an ,, dass alle Molecüle mit Ausnahme des
einen betrachteten in ihrer mittleren Lage fixirt sind und demnach ein
allseitig gleichartiges räumliches Netz gleich weit von einander abstehen-
der Molecüle bilden. Der Einfachheit wegen nehmen wir an, die Anord-
nung der Molecüle sei derart, dass die Nachbarmolecüle in deu Ecken
von Würfeln liegen , deren Seiten unter sich gleich und zwar gleich dem
mittleren Molecularabstande 8 sind.
Zunächst bestimmen wir die Grösse der Wahrscheinlichkeit P^, dass
das bewegte Molecül eine Schicht von der Dicke d durchlaufe, ohne hier-
bei in die Wirkungssphäre eines Molecüls der Schicht zu gerathen.
Es ist nach der allgemeinen Formel 12) (S. 48):
i>rf = ß- «» • ^ ,
wobei an Stelle von a diesmal ein Buchstabe cci gewählt ist, weil sich
diese Rechnung auf den Fall bezieht , dass die Molecüle fest stehen.
Da voraussichtlich nach unserer Annahme über die Constitution
der Gase P^ sehr gross sein muss, so wird S sehr klein sein und wir
können uns bei der Reihenentwickelung der Ezponentialgrösse mit den
beiden ersten Gliedern begnügen, so dass man hat:
ZV = 1 — «1 *•
P^ kann aber noch unmittelbar durch folgende Betrachtung be-
stimmt werden.
Wir ziehen uns in gleichen Abständen gleich ö lauter parallele zur
Bewegungsrichtung des Molecüls senkrechte Ebenen. Alsdann ist P^ die
Wahrscheinlichkeit, dass das Molecül die erste dieser Schichten ohne Störung
passirt. Betrachtet man nun ein beliebig grosses, irgendwo begrenztes
Stück S einer solchen Ebene, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass das be-
wegte Molecül diese Schicht mit der Basis S ungehindert durchläuft, leicht
zu finden.
Bezeichnen wir die Radien der Wirkungssphären der Molecüle mit
p, so kommt die zu beantwortende Frage darauf hinaus, wie gross ist
die Wahrscheinlichkeit, dass das bewegte Molecül ausserhalb des Ab-
G. Die GaBtheorie von Clausius und Maxwell. 51
itandes g an den festen Molecülen der Schiebt vorüber gebt? Ist nun M
lie Anzahl der in der Schicht von der Gnindfläche £land der Dicke d ent-
haltenen Molecüle, so können wir uns die Molecüle sammt ihren Wirkungs-
sphären sämmtlicb auf die Vorderfläche S normal projicirt denken. Die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Molecül ungehindert durch die Schiebt
bindurchgebt , ist dann gleich der Wahrscheinlichkeit, dass das Molecül
b der Vorderfläche nicht einen der Kreise trifft, welche die Projeetion
der Wirkungssphären der Molecüle bilden. Die von diesen Kreisen be-
ieckte Fläche ht M . X . qK Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, beim
Dnr^lanfen der Fläche S einen dieser Kreise au treffen, gleich dem
(Terhältniss des von den Kreisen bedeckten Flächeninhaltes zurGesammt-
Bäche, d.h. gleich '-—^ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Molecül
S
angehindert durch die Schiebt passirt, ist demnach:
p,^,_E^ U)
Die ganze Aufgabe kommt demnach nunmehr darauf hinaus, das
"mg-
Terhältniss -5- der in der Schicht mit der Basis S und der Höhe 8 vorhan-
o
denen Anzahl Molecüle M zum Flächeninhalt zu bestimmen.
Man kann sich die in dem cubischen Netze gruppirten Molecüle auf
unter sieh äquidistanten parallelen geraden Linien in gleichen Abständen
angeordnet denken, so dass sowohl die Parallelen unter sich, als zwei
Nachbarmolecüle auf derselben Geraden immer um d von einander ab-
stehen. Fig. 2 (a. f. S.) zeigt einen Querschnitt eines solchen Netzes. Betrach-
tet man eine Strecke L auf einer dieser parallelen Geraden, so liegen auf der-
selben -^ Molecüle. Hierbei können wir, wenn L im Vergleich zu S sehr
gross ist, -IT als eine ganze Zahl ansehen, da alsdann der bei der Division
etwa bleibende Bruch gegen die ganze Zahl vernachlässigt werden kann.
Die Oberfläche S wird nun aber von einer sehr grossen Anzahl solcher
parallelen Geraden getroffen, diese Anzahl möge H sein, und zwar schnei-
det die Schicht von der Dicke S aus jeder solchen Geraden die Länge
ab, wenn Q> der Neigungswinkel der Schaar von Parallelen gegen
cos ffi 00
die Ebene 8 ist. Es kann behauptet werden, dass alsdann
H .0 H
d , cos (p cos (f
die Anzahl Molecüle darstellt, welche innerhalb der Schicht liegen, deren
Basis S und deren Höhe d ist. Es lässt sich nämlich zeigen, dass die
Anzahl der in der Schicht enthaltenen Molecüle ebenso gross ist, als die
62
I. Moleculartheorie der Wärme.
Anzahl Molecüle, welche auf einer Geraden liegt, deinen Länge gleick
der Summe aller abgeschnittenen, in der Schicht enthaltenen Stucke der
Parallelen ist. Um dies anschaulich zu machen, genügt es, einen Ko^
Fig. 2.
malschnitt zur Ebene S zu betrachten, in dem die einzelnen Molecole
quadratisch angeordnet sind. SS und 5'S' mögen die Spuren der Ebene
S und ihrer Parallelebene sein ; der Winkel, unter dem ihre Normale gegen
die parallelen Geraden geneigt ist, muss demnach tp, der Abstand der-
selben d sein. Ausserdem denke ich mir in gleichen Abständen d eine
Anzahl Hülfsgerade parallel zu S und ff durch J^, B'\ B" etc. gezogen
und behaupte, dass man unter der grossen Zahl der zwischen SSff Sf liegen-
den Theile der Parallelen immer einen finden wird, welcher bezüglich der
Stellung desMolecüles zu den Begrenzungspunkten genau gleich J?J? ist,
dann auch einen, welcher genau gleich JffB^' ist u. s. f. Man kann also
sagen, die Anzahl der zwischen SSf auf den abgeschnittenen ParaDel-
stücken liegenden Molecüle ist gleich der Anzahl Molecüle, welche auf
einer Strecke einer solchen Parallelen liegen, welche gleich der Summe der
einzelnen abgeschnittenen Strecken ist. Demnach ist, wie wir schon sagten,
■— die Anzahl der in Sff ff S enthaltenen Molecüle.
cos q>
Nunmehr ist nur noch H, die Anzahl der parallelen Geraden, zu bestim-
men, welche S treffen. Denken wir uns über 8 einen Gylinder construirt,
dessen Axe den parallelen Geraden parallel ist, so müssen in diesem Gy-
linder soviele solcher parallelen Geraden enthalten sein, als derNormalschniit
des Gylinders Quadrate von der Seite ö enthält. Die Neigung der parallelen
Geraden gegen die Normale auf SS war q>, demnach ist der Flächeninhalt
des Normalschnittes = S , cos <p und demnach:
H =
8 . cos q>
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 53
Demnach ist*
cos q>
und die Anzahl der in SSfS^S enthaltenen Molecflie:
^ = äi-
Seist man dies in Formel 14) ein, so ergiebt sich endlich:
Vergleicht man dies mit der Formel:
P<f = 1 — «1 . Ä,
80 ergiebt sich anmittelbar, dass Ai = — , die mittlere Weglänge, im
Falle, dass die Molecüle alle in ihren Mittellagen feststehen,
1 — ^^
«1 n . Q^
Nun ist aber, wenn N die Anzahl der in der Yolameneinheit enthal-
tenen Molecüle und Ö den mittleren Molecnlarabstand bezeichnet:
Die mittlere Weglänge ^i eines Molecüls in einem Netze gleich weit
abstehender, nnbeweglicher Molecüle ist demnach:
'•=77^ 1^)
Wenn wir auch im Vorhergehenden schon darauf aufmerksam ge-
Biacht haben, dass die mittlere Weglänge in dem von uns untersuchten
Falle nicht von anderer Grössenordnung sein kann, als in der Wirklich-
keit, in der wir es mit durchaas unregelmässig bewegten MolecÜlen zu
thnn haben , so ist es doch von Interesse zu untersuchen , in welcher
Groesenbeziehnng die mittleren Weglängen A^ und A in beiden FäUen
zu einander stehen ^).
Bezeichnet man die Wahrscheinlichkeit, dass das bewegte Molecül
auf dem Wege dx eine Störung durch andere Molecüle erleidet, mit a . dx
and ist di die Zeit, welche nöthig ist, um dx zu durchlaufen, so ist ß, dt
die Wahrscheinlichkeit, dass eine Störung in der Zeit dt stattfindet. Hier-
aas folgt, dA a . dx und ß . dt zwei verschiedene Ausdrücke für dieselbe
Wahrscheinlichkeit sind, dass:
a . dx := ß • dtj
^ Wir folgen aach hier Claus ins: Abhandlungen, Bd. II, Anmerkung zu S. 265.
54
I. Moleculartheorie der Wärme.
somit:
dx
Tt
ist, wenn u die Geschwindigkeit des bewegten Molecüles bedeutet.
Bezeichnet nun ßi den speciellen Werth von /J, welcher dem Werthe
«1, d. h. der Annahme entspricht, dass das bewegte Molecül zwiscnea
ruhenden hindurchlaufe, so ist:
ßi =z tti . V =^ n , Q^ . N . V.
Wir stellen uns zunächst vor, es sei den vorher ruhenden Molecflkii
des Systemes eine gleichförmig fortschreitende Bewegung nach einer
Richtung ertheilt worden, welche mit der Bewegungsrichtung des betrach»
teten Molecüls einen Winkel (p einschliesst Die Geschwindigkeit der Be-
wegung möge V sein.
Man kann diesen Fall ohne Weiteres auf den vorhin betrachteten
zurückführen, wenn man das bewegte Molecülsystem als ruhend annimmt, und
dafür dem einzelnen betrachteten Molecül gleichzeitig die Geschwindigkeit
u und die Geschwindigkeit — v beilegt , welche einen Winkel <p mit «
einschliesst. Alsdann ist die Wahrscheinlichkeit /J, dass das betrachtete
Molecül in der Zeit dt in die Wirkungssphäre eines anderen gerathe,
gleich :
ß = n , Q^ .N ,]/ ü^ -\- v^ + 2u . V . C08 fp . - . Iß)
Wir nehmen nun weiter an, dass die Geschwindigkeiten nicht alle
parallel gerichtet seien, sondern alle möglichen Richtungen besitzen andi
auch bezüglich ihrer Grösse innerhalb ziemlich weitabstehender Grenaen
nach beiden Seiten von dem Mittel werthe abweichen. Alsdann wird die
Wahrscheinlichkeit B . dt, dass das betrachtete bewegte Molecül in der
Zeit dt eine Bewegungsänderung erfahre, der Mittelwerth der Wahr-
scheinlichkeit ß . dt sein, den man erhält, wenn man für t; und q> die ver-
schiedenen Werthe einsetzt, welche in Wirklichkeit vorkommen.
Anstatt aber für v wirklich verschiedene Werthe einzuführen, kann man
sich damit begnügen, für v den Mittelwerth v einzusetzen *). Dieser Mittel-
werth V repräsentirt alsdann aber auch die mittlere Geschwindigkeit des
betrachteten Molecüles, es ist also auch u — F.
Wir finden demnach:
ß = jt , Q^ , N
V 2 1;2 . (1 + costp) = 2n . Q^ .N.v,cos^'
B mag der Mittelwerth dieses Ausdruckes sein, den man erhalt, wenn
man für g> alle möglichen Werthe einsetzt
^ Schon früher haben wir festgestellt, dass wir den Mittelwerth einer Grosse t
mit X bezeichnen woUen.^Wir werden später zeigen , dass ^ und V nicht einander
gleich und ebenso, dass t; und die mittlere relative Geschwindigkeit verschieden «ni
Auf die hierdurch nöthig werdenden Correctionen wollen wir bei Beaprechung der
Maxwell' sehen Arbeiten ausführlich zurückkommen.
C. Die Grastheörie Yon Clausius und Maxwell.
55
Dieser Mittelwerth l&set sich leicht auf folgende Weise bestimmen :
IHe Anzahl Molecülo, deren Bewegangsrichtungen mit der Bewe-
Fig. 3.
gungsrichtung des betrachteten Mo-
lecüls Winkel bilden, welche zwi-
schen (p und g> -}- d(p liegen, ver-
halten sich zur Anzahl aller yor-
handenen Molecüle wie die Fl&che
einer Kugelzone mit dem Polar-
winkel q> und einer Breite d(p sich
zur ganzen Kugeloberfläche yer-
hält. Die Höhe einer solchen Kugel-
zone aber ist (man sehe Fig. 3)
r . sin q> ,d<p , folglich ihr Flächen-
inhalt gleich 2 n , r^ , sin (p , dtp.
Demnach ist das gesuchte Yerhält-
niss gleich:
1 • ^
2 3rr* .«m ip\,d(p 2
4;rra
l
Man findet demnach den Mittelwerth, wenn man den Torigen Aus-
druck mit ~ sin fp . dtp multiplicirt und dann von 0 bis n integrirt.
Nun ist aber:
TT n
/sin (p . C08 ^ d(p f ^
r^-J
n
= -3/««' 2 =3-
Demnach ist:
B ^=1 -^ ' % , Q^ . N , V 17)
8
Unter den Verhältnissen, welche wirklich in einem Gase vorkommen,
ist demnach die Wahrscheinlichkeit B .dt, dass ein Molecül in der Zeit
di in die Wirkungssphäre eines anderen Molecüls gelangt, gleich:
4 —
B . dt ^= - ' n . Q^ . N .V . dt
o
Dies ist aber auch die Wahrscheinlichkeit a . dx, dass ein Molecül
auf dem Wege dx eine Bewegungsänderung erfahre, wenn dx den in der
Zeit dt zurückgelegten Weg bezeichnet, demnach ist:
56 I. Moleculartheorie der Wärme.
a . dx ^= B . dt
und somit:
B
V
Demnach ist mit Rücksicht auf den in 17) für B gefundenen Werth:
4
u = - - X . Q^ .N.
o
Nunmehr ist das Prohlem vollkommen gelöst.
Man erinnere sich daran, dass a, a^ Coefficienten sind, derart, dasi
e— « ^ etc. die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass ein Moleciil eine Schicht
von der Dicke 8 ohne Bewegungsänderung durchlaufe und dass demnach
die reoiproken Werthe dieser Coefficienten die mittleren Weglängen
sind, welche unter den vorausgesetzten Verhältnissen von einem Molecül
durchlaufen werden.
Demnach ist die mittlere Weglänge A, welche ein Gasmolecül durch*
läuft:
A=- ?^— ^ 18)
Hierin bedeutet Q den Radius der Wirkungssphäre eines Moleculea
und N die Anzahl der in der Yolumeneinheit enthaltenen Molecüle.
Um über die numerischen Beziehungen einigermaassen ins Klare zu
kommen, ersetzen wir wiederum N durch rr und bilden den Quotienten — •
Es ist:
^ «i_ 19)
4
Nun ist aber -^ ' Q^ • ^ das Volumen der Wirkungssphäre eine«
o
Molecüls und d^ das Volumen, in welchem im Mittel gerade nur ein Mo-
lecül enthalten ist. Multiplicirt man Zähler und Nenner des Verhält-
nisses mit iV, der Anzahl der in der Volumeneinheit enthaltenen Molecüle,
so ist:
X _ N. d»
JV • — • Q^ , TL
und diese Gleichung lässt sich in dem von Giausius gefundenen Satze
aussprechen :
Die mittlere Weglänge eines Molecüls verhält sich zum
Radius der Wirkungssphäre, wie der von dem Gase eingenom-
mene Raum zu dem Theile des Raumes, welcher von den Wir-
kungssphären der Molecüle ausgefüllt wird.
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 57
Die Zahl ^ müssen wir als sehr heträchtlich ansehen, da aber Q
sehr klein ist, so wird immerhin l noch eine sehr kleine Grösse sein;
ja man kann sogar sagen, dieselbe wird für unsere Sinne verschwindend
klein sein.
Weiter kann man die numerische Rechnung nicht führen, da weder
Q noch d selbst für irgend ein Gas bekannt sind; aber schon dieser von
Clausiaa entwickelte Satz zeigt, wie unbegründet die Einwände gewesen
sind, die man gegen die Gastheorie erhoben hat.
Die Theorie, welche den Druck des Gases gegen die Gefässwände
durch Stösse geradlinig bewegter Molecüle erklärt, führt nicht zu dem
Schlosse, dass zwei aneinander grenzende Gasmassen sich schnell nnd
stärmisch mischen müssen, sondern dass nur eine verhältnissmässig kleine
Anzahl von Molecülen schnell in grössere Entfernung gelangen kann,
während die Hauptmassen sich nur allmälig an den Grenzflächen mischen
können. Die von Buys-Ballot gezogene Consequenz, dass die Gastheil-
chen den Kaum eines Zimmers in einer Secunde einige hundert Mal
durchlaufen müssten, ist der Theorie durchaus fremd.
Für die Erörterung vieler Probleme hat es sich als eine genügende
Annäherung der Wahrheit herausgestellt, wenn man annimmt, die Mole-
cüle wirkten nicht merklich in den Entfernungen auf einander, sondern
sie verhielten sich wie elastische Kugeln ^ ).
Stellt man sich die Molecüle als elastische oder heftig rotirende und
daher scheinbar elastische Kugeln vor, welche keine merklichen Kräfte
auf einander ausüben, so können die In dieser Weise vorgestellten Molecüle
einander nicht näher kommen als bis zur Berührung ihrer Oberflächen.
Bann können sich also die Mittelpunkte dieser Kugeln nur bis auf eine Ent-
fernung nähern, welche gleich dera doppelten Radius der Kugeln ist. Dem-
nach muss man dann den Radius r=^, gleich dem halben Radius der Wir-
kangssphäre setzen, da wir früher den Radius Q der Wirkungssphäre als
df>n Halbmesser derjenigen um den Schwerpunkt des Molecüls construir-
ten Kngelfläche definirt haben, bis zu deren Oberfläche der Schwerpunkt
eines anderen Molecüles sich ihm nähern kann, bevor ein Abprallen eintritt.
Daraus folgt, dass das Volumen der elastischen Molecüle gleich einem
Achtel des Volumens der Wirkungssphäre ist und man kann den vorhin
aufgestellten Satz in folgender Form aussprechen:
Die mittlere Weglänge eines Molecüles verhält sich zu
einem Achtel seines Halbmessers, wie der vom Gase im
Ganzen eingenommene Raum zu dem Theile des Raumes, wel-
cher von den Molecülen wirklich ausgefüllt wird.
') Stefan zeigte z. B., dass diese Annahme für Ableitung der Diffasionsgesetze
au der Gastheorie genügt. Wiener Ber., Bd. 65, S. 336.
58 I. Moleculartheorie der Wärme.
7. Zweite Clausius'sche Methode zur Berecliniuig der
mittleren Weglänge.
In einer späteren Abhandlung^) hat Clansias noch auf weseni
anderem Wege Formeln für die mittleren Weglängen der Molecüle
geleitet, welche sogar eine etwas grössere Strenge besitzen, als die, wel
im vorhergehenden Paragraphen gewonnen worden sind; för den pi
sehen Gebranch liefern dieselben jedoch die nämlichen numerischen W«
welche schon früher von uns erhalten worden sind.
In einem Räume , welcher von einer beliebigen , unregelmässig
stalteten Oberfläche begrenzt sein mag, befinde sich an einem beliebij
Orte ein beweglicher Punkt, so dass für alle gleich grossen Theile
Raumes die Wahrscheinlichkeit, den Punkt zu enthalten, gleich gross i
Dieser Punkt mache nach irgend einer Richtung eine unendlich klfx
Bewegung derart, dass eine Bewegung nach jeder Richtung hin gleii
wahrscheinlich ist. Unter dieser Annahme soll die Grösse der WabH
scheinlichkeit bestimmt werden, dass der Punkt bei seiner unendMj
kleinen Bewegung die Oberfläche treffe. Zunächst bestimmen wir dii|
Wahrscheinlichkeit, dass der Punkt ein Flächenelement ds trifft«
Wenn dl der unendlich kleine Weg ist, welchen der Punkt zurücb
legt , so kann man sich auch den Punkt ruhend und statt dessen daij
Flächen element ds nach der entgegengesetzten Sei^e um die Strecke H]
bewegt denken. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Punkt bei seiner Be-I
wegung alsdann das Flächenelement trifft, ist dann ebenso gross als die
Wahrscheinlichkeit, dass der Punkt innerhalb des vom Flächenelement dtl
bei seiner Bewegung beschriebenen prismatischen Raumes liegt.
In allen Fällen, in welchen die gedachte Bewegung des Flächesr
dementes von dem begrenzten Räume nach aussen geht, derart, dass du
vom Flächenelemente ds beschriebene Yolumeneleraent ausserhalb dei
gegebenen Raumes liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Puokt mefc
in diesem kleinen Räume befinde , gleich Null. Für solche FSlle da-
gegen, in denen die gedachte Bewegung des Flächenelementes nachinoeD
geht , so dass der erzeugte kleine prismatische Raum innerhalb der Be-
grenzungsfläche liegt, wird die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Piul^
gerade innerhalb des Volumenelementes befindet, dargestellt durch einen
Bruch, dessen Zähler dieser Theil des Raumes und dessen Nenner der
ganze von der Oberfläche eingeschlossene Raum ist.
Wenn -9" den Winkel bezeichnet, welchen die Bewegnngsrichtung des
Elementes ds mit der auf dem Elemente nach innen errichteten Normalen
^) Clausius: Ueber den Satz vom mittleren Ergal und seine Anwendung auf ^^
Molecularbewegungen der Gase. Sitzungsberichte der Niederrheinischen Gresellschaft Taf
Natur- und Heilkunde f. d. Jahr 1874 (vorgetragen am 9. Nov. 1874), S. 1 bi» 49.
Die hier fast wörtlich aufgenommene Untersuchung jBndet sich S. 23 bis 28.
•
C. Die Gastbeorie von Clausius und Maxwell 59
faüdet, so ist der Inhalt des durch die Bewegung erzeugten prismatischen
Ttdomenelementes gleich:
l . ds . C03 d'.
Bezeichnen wir den gesammten von der Oberfläche eingeschlossenen
BAam mit TF, so können wir in Bezug auf die zu bestimmende Wahr-
Vebeinlichkeit sagen : für solche Bewegungsrichtungen, bei denen der vor-
btehende Ausdruck negativ wird , ist die Wahrscheinlichkeit gleich Null,
Mnd Air solche Bewegungen, bei denen der Ausdruck positiv wird, ist die
Wahrscheinlichkeit gleich :
cos d' . ds . dl
W '
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Winkel, den die Bewegungsrich-
tong mit der Normalen bildet, zwischen seinem gegebenen Werthe d"
^d dem benachbarten Werthe d" -}- dd" liegt, wird dargestellt durch
du Yerhältniss des Flächeninhaltes einer Kugelzone mit dem Polarwinkel
%' und der Breite dd" zur ganzen Kugelfläche, also durch den Bruch:
2x . sin^ . dd" 1 . o. ^o.
: = — sin -ö" . dv".
I
Mit diesem Bruche ist der obige Werth zu multipliciren und dann
7t
ftr alle Werthe von d", für welche cos d" positiv ist , also von 0 bis —
sa integriren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass der Punkt bei einer beliebig gerichte-
ten Bewegung um den Weg dl das Flächenelement ds trifft, wird dem-
nach dargestellt durch:
- 2.
3 2
rds .dl .008 ^ . sind^ . dd" ds . dl PI , , . „ ^^ ds . dl
J 2W = -2W- J 2 ^ (*'"' *> = -TW-
Für jedes andere Plächenelement ausser ds gilt dieselbe Wahr-
scheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Punkt ein Flächenele-
ment der Oberfläche S überhaupt trefi'e, wird demnach dargestellt durch:
dl . £ ds
oder, da 2J ds die Fläche S selbst ist, durch :
dl. — .
Das Flächenelement dl können wir aber durch v . dt ersetzen, wenn
wir anter v die mittlere Geschwindigkeit des Punktes verstehen , und
wir erhalten für die Wahrscheinlichkeit , dass der Punkt in der S^eit dt,
wäurend der dZ zurückgelegt wird, die Oberfläche S treffe, den Ausdruck:
4 . W
60 I. Moleculartheorie der Wärme.
Daraus ergiebt sich für die durohschnittlicli während der Zeiteinheil
stattfindende Anzahl von Stössen, wenn der Punkt bei jedem Stossc tw
der Oberfläche S reflectirt wird, wenn wir diese Anzahl von Stösseii mit P
bezeichnen :
^ = irw '^
Den mittleren Weg A^, welchen der Punkt zwischen zwei ReflezioDca
an der Oberfläche S zurücklegt, erhalten wir, yrerm wir die mittlere Gfr
seh windigkeit v, d. i. den in der Zeiteinheit durchschnittlich zurück-
gelegten Weg, durch die Anzahl der Stösse P' dividiren, welche in der
Zeiteinheit erfolgen; es ist demnach:
4 W
Ai = tjJL 21)
Zunächst stellen wir uns nun vor, die in dem Räume vorbandenei
Molecüle besitzen gleiche Abstände und zwischen diesen Molecülen be-
wege sich ein einzelnes Molecül, welches bald gegen das eine bald gegen
das andere Molecül stösst und von diesem abprallt. Alsdann bilden die
Wirkungssphären der zunächst ruhend gedachten Molecüle einen Thdl
der Oberfläche S, welche den für die Bewegung des Punktes freien Raum
begrenzt.
Die Anzahl der in einem Volumen V enthaltenen Molecüle sei N,
alsdann ist der für die Bewegung des beweglichen Molecüls freie Raum
4
gleich V — -^ • "^ • Q^^y wenn man mit Q den Radius der Wirkung»-
o
Sphäre eines Molecüles bezeichnet. Die Oberflächen der Wirkungssphären
bilden zusammen eine Fläche von der Grösse N . 4 , x , q^. Ist die
Oberfläche der Begrenzung des Volumens V gleich s, so ist die gesammte
Oberfläche, gegen welche das bewegte Moleci|.l stossen kann, gleick
4: , 7t . N . Q^ -^ s, und der freie Raum, in dem sich dasselbe bewegea
4
kann, ist V — --^^•'*;r. Die Anzahl -P' der Stösse, welche das Molecül
o
erfährt, ist nach den vorhergegangenen Entwickelungen gleich:
pi ^ (4 . gg . p« ,N+s).v 22)
und die mittlere Weglänge, welche durchschnittlich zwischen zwei solchen
Stössen zurückgelegt wird, ist*):
4(v— N'^ ' Q^ .n\
^' - 4..N.7C.Q^ + s ^^^
^) Diese Gleichungen sind in der Clan eins' sehen Abhandlung (a. a. 0.) mit 72)
und 73) bezeichnet und finden sich auf Seite 27.
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 61
Um diese hier gefundenen Aasdrücke mit den früher von uns ge-
bmdenen (S. 53, GL 15) vergleichen ssu können, berücksichtigen wir,
dass unseren Annahmen gemäss, der von der Wirkungssphäre der Mole-
efile eingenommene Raum im Vergleich zu dem Gesammtraume, welchen
4
das Gas einnimmt, sehr klein ist, dass wir also — • N . n . q^ im Yer-
o
gleich KU V vernachlässigen können. Ebenso wird bei Gasen, die nicht
itark verdünnt sind, die Fläche s gegen N .A . n , Q^ bo klein tiein, dass
S ohne wesentlichen Fehler gegen die Summe der Oberflächen der Wir-
kungssphären vernachlässigt werden kann. Alsdann geben die Formeln
in die einfachen über:
4.F ~" V
und:
. 4 . F V
Berücksichtigt man ferner, dass:
^ wenn 8 die mittlere Distanz zweier Molecüle bezeichnet, so erhält man
und:
n . p2
Dieser Ausdruck stimmt vollkommen mit dem überein, welchen wir
för die mittlere Weglänge in dem Falle gefunden haben, dass sich ein
einzelnes Molecül zwischen den feststehenden übrigen bewege. Die jetzt
fon uns abgeleiteten Ausdrücke sind erheblich genauer, zumal die Be-
räcksichtignug des Werthes s halten wir für eine wesentliche Vervoll-
ständigung der betreffenden Formeln, da sehr wohl Fälle denkbar sind,
in denen 8 gegen 4 . N * n , q^ nicht vernachlässigt werden darf.
In Wirklichkeit ist nun aber nicht bloss ein Molecül beweglich und
die übrigen fest, wie wir das bisher vorausgesetzt haben , sondern es be-
wegen sich alle Molecüle. Es muss daher nunmehr auch dieser Fall er-
örtert werden.
Die soeben gefundenen Formeln 22) und 23) (S. 60) können beibe-
halten werden, jedoch muss bei der Bestimmung von P, der Anzahl der
in der Zeiteinheit erfolgenden Stösse eines Molecüles, unterschieden wer-
den zwischen den Stössen gegen andere Molecüle und denen gegen die
ruhende Wandung des Gefasses, welches das Gas einschliesst.
Bezüglich der Stösse der Molecüle gegen einander ist an Stelle von
V die mittlere relative Geschwindigkeit zweier Molecüle zu setzen, wir
wollen dieselbe mit r bezeichnen. In Bezug auf die feste Wand des
62
I. Moleculartheorie der Wärme.
Gefässes ist die mittlere relative Geschwindigkeit einfach gleich se
mittleren absoluten Geschwindigkeit v. Folglich findet man in äiesad
Falle die mittlere Anzahl P der Stösse, welche ein Molecül in einer Se^j
cunde erleidet:
P =
4 . (f— |. i\r. jr . p3\
24)i
Will man hieraus die mittlere Weglänge erhalten , so muss man
mittlere absolute Geschwindigkeit v des Molecüles durch die soeben
fundene Zahl P dividiren und es ergiebt sich:
A==
4 . ^F— - • ^. Ä . gn. V
25)
Diese Formeln werden vermöge ihrer grösseren Strenge auch nicht
bloss für vollkommene Gase, sondern auch für sehr verdünnte und far
Gase gelten, wie dieselben in der Natur wirklich vorkommen ^).
8. üeber die Umsetzung von calorisoher in äussere
kinetische Energie bei Oaaen.
Anknüpfend an die im Vorhergehenden geführten Betrachtungeff
lässt sich zeigen, auf welche Weise beim Ausströmen eines Gases ein
Fig. 4.
D
C
m
n
B
Theil der Wärme desselben in lebendige Kraft
der fortschreitenden Bewegung der ganzen Gas-
masse umgesetzt werden kann, d. h. wie es mög-
lich ist, dass durch einen verschieden starken
Druck auf die Fläche eines kleinen aus Gas be-
stehenden Parallelepipedes dieses als Ganzes in
Bewegung gesetzt werden kann.
Wir betrachten als Beispiel ein in einem
Gefasse AB CD (man sehe Fig. 4) enthaltenes
Gas, welches durch eine enge Oeffnung mn mit •
dem umgebenden Räume communicirt, in dem der
Druck geringer, die Temperatur a^ber, der Ein-
fachheit halber, als gleich vorausgesetzt werden
mag. Alsdann ist die lebendige Kraft der Mole-
cüle innerhalb und ausserhalb des Gefasses die-
^) Ein etwas abweichender Weg zur Ableitung der Formeln für die Zahl der
Zusammenstösse und für die mittlere Wegl&nge mit einer Erweiterung auch auf den Fall,
dasB man es mit Gasgemischen zu thun hat, ist von Stefan gegeben worden, lieber
die dynamische Theorie der Diffusion der Gase. Sitzungsber. d. Wien. Akad. , Bd. 65,
Abth. II, S. 344 etc.
C. Die Gastheorie von Glausius und Maxwell. 6S
selbe, jedoch ist die Anzahl Molecüle, welche in einer gegebenen Zeit
auf ein Flächenstück stossen, innen grosser als aussen. Betrachtet man
nan in diesem Gefösse ein Prisma mnpq, welches zur Basis mn und zur
Höhe mp die mittlere Weglänge besitzt. Während durch die Basis mn
ie& Prismas eine gewisse Anzahl Molecüle austritt, dringt demnach gleich-
zeitig eine geringere Anzahl Molecüle mit durchschnittlich gleicher aber
entgegengesetzt gerichteter Geschwindigkeit in das Innere ein. Die bei-
den entgegengesetzten Strömungen von Molecülen compensiren sich nicht.
Auf der entgegengesetzten Seite des Prismas findet jedoch ein vollstän-
diger Ausgleich statt; das innerhalb befindliche Gas hat durch diesen
Querschnitt nach aussen in der Richtung pm hin eine genau ebenso
grosse Anzahl von Molecülen gesendet, als die ist, welche von aussen
oacb innen eingedrungen ist.
Fassen wir nun das, was auf beiden Grundflächen des Prismas ge-
schehen ist, ansammen, so sehen wir, dass innerhalb des Prismas kein
Ausgleich zwischen den entgegengesetzten Geschwindigkeiten stattfindet
und dass die Geschwindigkeiten, welche nach aussen gerichtet sind, ein
Uebergewicht erlangen. Man kann demnach die Verhältnisse betrachten,
als sei das Prisma ans Molecülen zusammengesetzt, welche einen Ueberschuss
Ton Geschwindigkeit ergeben , die die gemeinschaftliche Geschwindigkeit
ihrer fortschreitenden Bewegung ist. Dieser Geschwindigkeitsüberschuss
kann aber nicht als Wärme angesehen werden, denn die kinetische Energie
der Wärme hängt lediglich von den relativen Einzelbewegungen der
Molecüle ab. Der Theil lebendiger Kraft, welcher im Innern des Ge-
fasses vorhanden ist und auf das Thermometer wirken kann, wird ver-
mindert, das Thermometer muss sinken.
Schon diese Betrachtung zeigt, dass der Einwand Jochmann's
(S. 44) unbegründet sein muss.
9. Das Maxwell'solie Gesetz über die Vertheilung der
Gesohwindigkeiten unter die Moleoüle ^).
Maxwell stellte sich die Aufgabe, in einem in stationärer Wärme-
bewegung begriffenen Gase die mittlere Anzahl von Molecülen zu finden,
deren Geschwindigkeiten nach einer grossen Zahl von Znsammenstössen
zwischen gegebenen Grenzen liegen.
Es möge N die Gesammtzahl der vorhandenen Molecüle sein; o/, y'
imd / sollen die drei Geschwindigkeitscomponenten eines Molecüls in
Bezug auf drei zu einander rechtwinklige Axen sein. Alsdann möge:
n, = N.f(af).dx' 26)
') J. C. Maxwell, Hlustrations of the dynamical theorie of giises. Part I. Ob
iW BOtioas and collisions of perfectly elatticspheres. Phil. Mag. Ser. 4, Bd. XIX, S. 22.
64
L Moleculartheorie der Wärmö.
die Anzahl Molecüle sein , deren der X-Axe parallele Geschwindigkai
componenten zwischen den Grenzen oi und o/ + doi liegen'). Hiei
ist/(a;') eine Function der Geschwindigkeit, deren Gestalt wir zu ei
teln suchen müssen. Da das System stationär und nach allen Richtunf
hin gleichartig beschaffen ist , so wird die Anzahl n, der Molecüle, dei
Geschwindigkeitscomponenten längs der Y-Axe zwischen \f und y' + i\
liegen, in ganz gleicher Weise durch iV^ • /(^O • ^V* und die Anzahl n,
Molecüle, deren der Z-AKe parallele Geschwindigkeitscomponenten zi
z' und js' + de' liegen, mit N .f{e') . de* bezeichnet werden, wobd
in allen drei Fällen dieselbe Function bedeuten wird. Da die betracl
ten, auf einander senkrechten Geschwindigkeiten a/, y\ jer' gar nicht
einander abhängig sind, so kann man sagen, die Anzahl n der Mok
deren Geschwindigkeitscomponenten nach der X-Axe zwischen a! und
+ da?', nach der Y-Axe zwischen y* und f/ •\- d^ und nach der Z-J
gleichzeitig zwischen sf und / + df^ liegen, ist:
n = JY ./(«') ./(yO ./(;?') . drc' . dy' . de'
Denken wir uns, dass alle JV Theilchen mit ihren Geschwindigkeit
gleichzeitig vom Goordinatenanfange ausgegangen wären, so befanc
sich im betrachteten Augenblicke zwischen zwei Ebenen, welche um
und x' -{- d^ Yon der ihnen parallelen Ebene YZ abstehen:
Xi, = N . f(x') . ds!
Molecüle. Zwischen zwei der ZX-Ebene parallelen Ebenen, welche am
und um if -|- djf von derselben abstehen, liegt dann eine Anzahl, welel
gleich:
ist. Zwischen zwei der XT-Ebene parallelen, von dieser um d und
e' + de' abstehenden Ebenen liegen dann:
u, = iy ./(^') 'äe.
Das von diesen sechs Ebenen begrenzte rechtwinklige Parallelepi]
dessen Kanten gleich dx'^ dy' und de' sind, enthält demnach:
n — iV^ ,f(7!) ,f{if') ./(/) . dx' . dy' . de'
Molecüle. Eine Yolumeneinheit würde demnach an dieser Stelle:
N .f{^) .fitf") .f{e') . da/ . dy' . de' ^
dx' . dy' . de'
Molecüle enthalten.
Da aber die Richtungen der Axen vollkommen willkürlich gewi
sind, so kann diese Anzahl von Molecülen doch nur vom Abstände tos]
Ausgangspunkte der Molecüle, also lediglich vom Radius vector r:
N.fic^)./(i/).m
^) Es ist dies lediglich der Ausdruck des Gedankens, dass bei einem statioDira
Zustande die Anzahl der sich mit gewissen Geschwindigkeiten bewegenden Molecäk
von der Grösse der Geschwindigkeit abhängig sein müsse.
G. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 6S>
r = Va?'« + ä/« + ^*
abhängen.
Es mu88 demnach:
■ein, wobei 9) irgend eine Fanction des Qaadrates des Radias bedeutet.
Dieser Functionalgleichung genügt am Besten eine Exponential-
groese, da das Product der Functionen f(x') »f(j/) »f{^) gleich einer
Fanction tp sein soll, in der die Summe der Quadrate von o/, y, / als
Argument auftritt.
Maxwell setzt:
f{x^) r= C.c^** 28)
woraus sich sofort ergieht:
Wählt man f&r A einen positiven Werth , so nimmt die Anzahl der
Molecüle mit der Grösse der Geschwindigkeit zu und würde für unendlich
grosse Geschwindigkeiten unendlich gross sein. Demnach würde die An-
zahl N unendlich gross sein müssen, was unseren Voraussetzungen nicht
entspricht. Wir wählen daher für A eine negative Grosse und setzen:
^ = -\
imd erhalten dann für die Anzahl Molecüle n,, deren Geschwindigkeit
zwischen af und x' -\- dx' liegt, den Werth:
n, = N . G . e '''' .dx 29)
Integrirt man zwischen — oo und -|~ <30 « so muss man alle möglichen
Fälle erschöpft haben und demnach N selbst erhalten. Es wird dem-
nach C durch die Gleichung bestimmt:
+ •
dx = N 30)
00
Die Ebrmittelung des Integrales:
L= I e '^ .da/
00
..könnte weniger Geübten vielleicht Schwierigkeiten bereiten; dasselbe
I kommt aber bei diesen Betrachtungen , wie in der Wahrscheinlichkeits-
rechnung überhaupt, häufig vor, deshalb wollen wir den Werth desselben
hier umständlich und möglichst elementar entwickeln.
Setzt man zunächst:
fl = -, « . dri=dx\
cc
Verdet-Btthlmann, Mechan. W&nnethoorie. Bd. 9. 5
66 I. Moleciüartheorie der Wärme.
so geht, da diese Substitation keinen Einfluss aui' die Grenze hat, du
Integral in das einfachere über:
+ «
Zunächst kann man aber, wenn man das bestimmte Integral bei
Null theilt, dafür auch schreiben:
00 0
L = a A fe-^ . dri + /"c- '»* . dA
0 OD
vertauscht man im zweiten aber die Grenzen und setzt für ij den Weith
— ri ein und integrirt demgemass zwischen 0 und -{- oo , so findet man:
00
L = 2 .a . ie^"^. dt^.
0
Das Integral lässt sich aber leicht auf eine Gammafonction zurftek-
führen.
Subfltituirt man nämlich:
und demgemass:
d'n = -B ^ .de,
so erhält man:
00
Nach der Definition der Gammafunctionen (Schlömilch, Compendinm
der höheren Analysis, Bd. II, 1. Aufl., S. 242) ist aber:
r(^) = jef" -^ . e'' .dz
0
und demnach:
i = a . r(i).
Bekanntlich ist aber (Schlömilch, Compend., Bd. II, S. 245):
r(|) = i/i.
Man erhält somit schliesslich:
+ «
e «".da/ = a.V^ 31)
— 00
Der Werth von r(|) kann aber auch ohne Eenntniss der Sätze von
den Gammafunctionen ermittelt werden. Man geht zu dem Zwecke von
dem Doppelintegrale:
G. Die Grastheorie yon Clausius und Maxwell. 67
//
0 0
Dasselbe kann ohne Weiteres in das Prodnct zweier Integrale ver-
wandelt werden, nämlich in:
Je- ".dx .fe- »• . dy = i r(i) . i r(i) = i {r(i))».
0 0
Snbstitnirt man aber in das Doppelintegral Polarcoordinaten
X r^ r . cos 0 p ^= r , sin 0
und demnach:
dx , dp = r * dd . dr,
so wird:
TT
OB <B_ S OD
r Je" ^"^ ^^.dx.dp= r r^ "* .r .dr .de.
0 0 0 0
Nnn ist aber:
/> 00 00
0 0 0 -
ond hieraus folgt:
0 0 0
Demnach ist:
i . {r(i))« = f ,
folglich, was wir nachzuweisen suchten:
r(i) = y^.
Hieranii folgt:
N. C .a . V7C = N
und dies ergiebt für C den Werth:
C = — V 82)
Demnach ist:
/<') = «ri^ • ''" ^ 3^>
Die Zahl der Theilchen, deren Geschwindigkeitscomponenten nach
einer bestimmten Richtung zwischen den Grenzen x' und x^ + dxf lie-
gen, ist demnach:
6*
68
I. Moleculartheorie der Wärme.
1
n, = N.
34)
Daraus folgt sofort, dass die Anzahl der Molecüle t/, deren wiik-
liohe (Sreschwindigkeiten zwischen v und v + dv liegen , gleich ist der-
jenigen Anzahl Molecüle, welche zwischen zwei Kugelfiächen liegen, deren
Radien v und v + dv sind, wenn die Anzahl n der Molecüle , welche in
dem Parallelepiped liegen, dessen Kanten dx^ , dy\ df/ sind und dessen
Ecke vom Coordinatenanfang um a?', y', ^ ahsteht, gleich:
-^ • C «« . dJ, d^, dl!
ist Demnach ist die Anzahl v der Molecüle, deren (reschwindigkeiteo
zwischen v und v -^ dv liegen, gleich:
i;= :^— = C f Ce"^ .dt/! .d^ .dl/.
a^ .sc .yx J J J
9 V 9
Führt manjedochPolarcoordinaten ein, so fällt die Integration nach
V weg und man erhält für v das Doppelintegral:
in n
V = -^ / f €^ ^ . v^ . sin 6 . dO . d(p.
- a* . « . V7tJ J
0 0
Die Integration nach 9 von 0 his 2 sr liefert den Factor 2 jc und
jene nach 6 von 0 bis ^ giebt:
71 n
I sin Q . dfl = — /cos 9 = 2.
0 0
Demnach ist die Anzahl v der Molecüle, deren Geschwindigkeiten
zwischen v und v -\- dv liegen, gleich:
^ - ~- - 35J
v = 2V.
t?«.c
dt?
Dieser Ausdruck repräsentirt das wichtige Maxwell' sehe Gesetz
über die Yertheilung der Geschwindigkeiten^). Die Geschwindigkeiten
sind alsdann unter den Molecülen ähnlich vertheilt, wie die Grösse der
Fehler einer Beobachtung in der Theorie der Methode der kleinsten
Quadrate. Alle Geschwindigkeiten sind möglich; aber die Anzahl der
^) Maxwell hat auch versucht nachzuweisen, dass dieses Gesetz das einzige sei,
welches die Eigenschaft besitzt, dass, wenn die Geschwindigkeitsvertheilung nach dem-
selben einmal hergestellt ist, dieselbe durch die Zusammenstösse überhaupt nicht mehr
geändert wird. Dieser Beweis ist jedoch anfechtbar und Boltzmann hat in seiner Ab*
handlung: Weitere Studien über das WSrmegleiohgewicht unter Gasmolecülen , gezeigt,
dass sich dieser Beweis nicht führen lässt, dass aber die Maxwell 'sehe Losung inso-
fern die einzige brauchbare ist , als sie allein lauter positive Wahrscheinlichkeiten giebt.
(Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 66).
C. Die Gastheorie Ton Clausins und Maxwell. 69
Holecüle, welche dieselben besitzen, wird um so kleiner, je weiter die be-
treffende Geschwindigkeit sich vom Mittelwerthe entfernt.
Um die mittlere Geschwindigkeit v zu finden , mnss man jede Ge-
schwindigkeit zwischen den Grenzen 0 und oo mit der Anzahl derMole-
eüle, welche dieselbe Geschwindigkeit besitzen, multipliciren, diese Pro-
dade addiren nnd die erhaltene Summe durch die Gesammtzahl N der
Molecflle diyidiren. Es ist demnach:
— 1 /*" 4 — i ^
0
Dieses Integral kann leicht ermittelt werden, setzt man zun&chst
- = « so ist:
a *
dri.
0
Wenn man im Integrale:
/"i2».e'~'»*. dri
den Werth:
— 71^ = e
und somit:
— 2 ly . <lij = dir, 71^ , dri =: - e . dz
mibstituirt, geht dasselbe in eine Form über, welche durch partielle In-
tegration leicht ausgerechnet werden kann:
^ r ^1 1 1 ^ X
- y ^ . ej* . £f ^ = - . ^ . C — - c- = - (^ - .1) . e*.
Sabstituirt man rückwärts B -=■ — ij^, so ergiebt sich:
0» 00
0 0
Somit ist:
ir= :r7- • a 36)
y« _
Den Mittelwerth des Quadrates der Geschwindigkeit v^ findet man
in Ihnlicher Weise; es ist:
f;* = — • I v^ . V , dv
und somit:
- 1 /• 4 ^t,
t;» = — I V^ . N- 77* • «' . e a» . dv.
70
I. Moleculartheorie der Wärme.
Setzt man:
80 ergiebt sich:
V
« = ''-
. e
-^* .dn.
Nun ist aber, wie man durch theilweise Integration leicht findet:
00
' = -/f «-'4 /!•«-'• + l/.-'--^^-
0 0 0
Die beiden ersten zwischen den Substitationsseichen stehenden Ans-
drücke verschwinden sowohl für 1} = 0 als auch für 17 = 00 , sie fallen,
daher weg, dagegen ist der Integralwerth wiederum gleich — • r(\). Folg-
lich ist:
a
f
fi^ . € ^ . di^ = - V«
und demnach:
2
37)
Man erkennt also, dass v^ in ditoem Falle etwas grösser ist, als das
Quadrat der mittleren Geschwindigkeit v. Es findet zwischen beiden die
Relation statt:
ir _a 1 —
38)
Ä -« 1 -,
8 3
10, Formeln für ein Oemisoh, welohes aus zwei Arten
von Molecülen besteht.
Wir betrachten ein Gemisch von N* Molecülen der einen und W
Molecülen einer anderen Art, welche sich beide in demselben Baume in
einem stationären Bewegungszustande befinden.
Zunächst soll die Anzahl von Theilchen der ersten Art gesucht wer-
den, deren relative Geschwindigkeiten gegen Theilchen der zweiten Art
innerhalb gewisser Grenzen liegen. Alsdann ist JV' . N** die Anzahl
aller Paare, deren relative Geschwindigkeiten überhaupt in Betracht ge-
zogen werden können« Nach den im vorigen Paragraphen (GL 34, S. 68)
entwickelten Sätzen ist die Anzahl n«/ Molecüle, deren nach irgend einer
C- Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 71
Richtung genommene Geschwindigkeitscomponenten zwischen t! und
o/ 4" ^^ liegen, gleich:
1 _ *?
tl^ = 2^' r7= • e «« . (!»'.
Die Zahl von MolectQen der zweiten Art, deren nach derselben Rich-
tung genommene Geschwindigkeit zwischen ol ■\- d' und o/ -f* ^' H~ ^^'
liegt, ist nach denselben Formehi gleich:
p. yfn
wenn /3 im zweiten Systeme dieselbe Rolle wie oe im ersten spielt.
Die Anzahl von Molecülpaaren , welche die beiden Bedingungen er-
füllen, dasB die nach bestimmter Richtung genommenen Gomponenten der
relativen Geschwindigkeiten zwischen o/' und o/' -\- dx*' liegen, wenn
die Molecfile der ersten Art Geschwindigkeiten haben, welche zwischen
den Grenzen x' und J •\- dx! liegen, ist gleich:
IT .IT' ' — 5 — • 6"" ^^ + — ^— ) . dx! . da/'.
Um die Anzahl aller Molecülpaare zu finden, deren auf die angenom-
mene Richtung bezüglichen Gomponenten der relativen Geschwindigkeit
zwischen a/' und o/' -|- dxf' liegen, muss man xf alle möglichen Werthe
zwischen 4~ ® ^u^d — oo geben, d. h. man muss den obigen Ausdruck
nach af von — oo bis + oo integriren. Diese Anzahl ist also:
^5 ' e ß^ . dxf' / e t«« + ßi / . dx^.
a . ß .n '^ J
— 00
Das Integral kann leicht auf /^(^reducirt werden. Es ist nämlich:
Es ist aber (nach S. 66, Gl. 31):
+ »
V«» + /s« '* V«» + /J»
72
I. Moleculartheorie der Wanne.
und demnach finden wir für die gesuchte Anzahl von MolecülpaareD,
deren relative Geschwindigkeitscomponenten nach irgend einer Bichtung
zwischen af' und a?" + doi* liegen, den Werth:
cc. ß . 7C Vaa + /J«
= iV' . iV" .
«3 + /j2 . v^
Dieser Ausdruck ist von ganz derselben Form, wie der, den wir för
die Gomponenten der absoluten Geschwindigkeiten gefunden haben.
Man könnte demnach in ganz derselben Weise wie vorher die Anzahl
der Molecüle bestimmen, deren relative Geschwindigkeiten selbst (nicht
bloss deren Gomponenten) zwischen zwei unendlich benachbarten Grenzen
liegen, und ebenso den Mittelwerth der sämmtlichen relativen Geschwin-
digkeiten.
Diese Werthe braucht man nur in die früher von Clausius ent-
wickelten Formeln einzusetzen, um neue Ausdrücke für die mittleren Weg-
längen zu finden.
Es lässt sich femer zeigen, dass, wenn sich zwei Systeme von
Molecülen in dem nämlichen Gefässe bewegen, die mittlere lebendige
Fig. 5.
Kraft jedes Theilchens in beiden Sy-
stemen denselben Werth annimmt
Es mögen m' und m" die Massen der
Theilchen im ersten und zweiten Mo-
lecülsysteme, p' und p" die mittleren
Geschwindigkeiten vor und pi\ f"
die mittleren Geschwindigkeiten nach
einem Stosse sein. Es möge nun in
beistehender Figur 5 OA'=p' und
OB = p" und der Winkel AOB
= 90^ sein, so ist AB die mittlere
relative Geschwindigkeit. 0 G möge
die mittlere Geschwindigkeit des
Schwerpunktes sein. Zieht man nun
die Linie aGb unter einem rechten Winkel zu 0 G und macht aG'=^ÄG
und hG = BG, so istOa die mittlere Geschwindigkeit Pi' der Masse
m' nach dem Stosse und analog Oh die von m". Dieselben entstehen
durch Zusammensetzung von OG mit Oa resp. mit Oh.
Demnach ist:
AB = Vp'» -h p"», AG =
tn
II
r, ■ Vp'» + p"«
m' + f»f"
C. Die Gastheorie von Glausius und Maxwell. 73
Demnach ist:
m •+- w
UO — Pi = , ,f
fW -f- Wl
und endlich:
« .J»!»-« -ih»- («' + «,")«
Diese Formel zeigt, dass die Differenz der kinetischen Energie
wl . pi^ — m" . Pi"^, wenn eine solche anfanglich bestand, mit jedem
Stoflse in demselben Verhältnisse vermindert wird. Bezeichnet man die
Geschwindigkeiten der Massen m' und m" nach n Stossen mit j?'. und
p'*„ so wird, wenn n in beiden F&Uen eine sehr grosse Zahl bedeutet:
m' . pj* = m" . !>."«
sein.
Die mittlere lebendige Kraft ist nun aber [man sehe Gl. 37) und 38)]:
m . p ^ = "^ ' f>^ . ft = -r- • I» . p
2 o
för die Masse t»', und analog gleich:
3ä /, -772
— • I»" . p^
för*".
Es ist ersichtlich, dass diese Grössen einander gleich sind, wenn:
wi . p = fw . p
ist.
Haben irgend welche Anzahlen von yerschiedenartigen Molecülen
die Massen «•', tit", »*'" etc. und resp. die Geschwindigkeiten p\p'\p'" eic,
und bewegen sich dieselben in demselben Gefässe, so ist nach vielen
Stossen:
m . p = wi . p = I» . p = etc.
IL Ableitung der mittleren Weglänge aus dem
Maxwell'solien Gesetze 0 *
Befinden sich in der Yolnmeneinheit v Molecüle, deren Geschwindigkeit
V ist und bewegt sich zwischen diesen ein Molecül, dessen Geschwindig-
keit « ist, so wird die Anzahl von ZusammenstÖssen , welche dieses eine
*) Die Ableitung dieser Formeln findet sich bei O.E. Meyer: De gasomm theoria.
baogimldiMertationy 1866, Breslau. Die von Maxwelli Phil. Hag., Bd. 19 gegebene
ist nicht streng richtig«
74
I. Moleculartheorie der Wärme.
Molecül mit den n anderen in der Zeiteinheit erfährt, bekanntlich m
GlausiuB gleich:
r . « . 9* . n,
wenn man mit r die relative Geschwindigkeit und mit Q den Radius
Wirkungssphäre bezeichnet (man sehe Bd. 2, C, I, 8. 51).
Nun ist nach den Rechnungen, welche wir früher (S. 54, GL li
angestellt haben, die mittlere Geschwindigkeit:
n
= - / Vu* + v^ — - 2u . V .008 ^ . sin ^ .
({<&
und dies ergiebt:
r
Hieraus folgt, dass:
= r • ktt« + v« + 2w . i;)« — (m« +• v« — 2a . t7>J .
r =r . — :: , wenn \ u<if>
3u
, wenn: «*>- t?
und
ist.
r = -.t..
wenn: u
V
Mithin ist die in der Zeiteinheit erfolgende Anzahl von Zusamm«
stössen des u Molecüls mit den n Molecülen, deren Geschwindigkeit v ü
gleich:
it . n . Q^ ' ^ , wenn «<«'»
X . n . Q
a .
3u
, wenn w>t?,
— • « . n . p' . V, wenn u = v
o
ist.
Nun haben wir aber an der Hand der M ax well' sehen üntersuchunj
gefunden, dass die Anzahl der in der Volumeneinheit befindlichen Mol
cüle, deren irgendwie gerichtete absolute Geschwindigkeiten zwisch
den Grenzen v und v -\- dv liegen, gleich ist (man sehe. Gl. 35, S. 68
4jy
V
«5 . Vx
e «• . v^ . dv
41
wenn N die Gesammtzahl der in der Volumeneinheit enthaltenen Mole-
cüle bezeichnet.
Hieraus folgt, dass die Anzahl B der in der Zeiteinheit erfolgenden
Zusammenstösse, welche das Molecül überhaupt erfahrt, welches eich mit
C. Die Gastheorie von Clausius und Maxwell. 75
ler Geschwindigkeit u zwischen den Molecülen bewegt^ deren Gesohwin-
ligkeiten nach dem MazwelPschen Gesetze vertheilt sind, folgenden
IMTerth hat:
00
e a* , V . dv
Dies ergiebt, wenn man die Integrale zerlegt und dieselben Rech-
nungen anstellt, welche wir schon im yorigen Paragraphen ausföhrlich
mitgetheilt haben (man sehe S. 65 bis 70):
u
B=yi .N.Q^ Aa.e- a* + ^ — / e^^ .dt) . 42)
0
Mit Geschwindigkeiten, welche zwischen u und u -{- du liegen, be-
wegen sich aber in der Yolumeneinheit nach dem Maxweir sehen Ge-
setze eine Anzahl dn Molecüle, welche gleich:
^ N - ül!
ist.
Demnach ist die mittlere Anzahl C von Zusammenstössen , welche
flberhanpt zwischen den N in der Yolumeneinheit enthaltenen Molecülen
stattfindet, gleich:
0
oder gleich:
C= ' J ^ . \a I f^^.u^.du + I e" a* . (2u^ + «^ . w)
a
. A" ^\dl, du\
0
Das erste Integral ist schon mehrfach von uns berechnet worden,
das zweite Integral kann durch eine Reihenentwickelung leicht gefunden
werden.
Das erste Glied in der Klammer:
e a^ . u^ . du
0
ergiebt, wenn man:
76 L Moleculartheorie der Wärme.
setzt:
0 "^
mithin:
00
«.y.
2u« „4
«« , u* , du = — 77=8- . yyt.
4 . V2
Der zweite Ausdmck wird gefunddn, indem man:
ti
0
in eine Reihe entwickelt und hierauf mit dem in Klammern geschlos-
senen Factor multiplicirt. Alsdann findet man eine Reihe von Integralen,
welche sich als /^(f), -Td) etc. sofort hinschreiben lassen, und findet
schliesslich durch Summirung der neuentstandenen Reihe, dass der Aus-
druck :
Je «• . d{2u^ + a^ .u) . fe ^\ d^ . du = ^ - )/| - a*
0 0
ist.
Hieraus ergiebt sich: _
C = ^--^ N .Q^ .n ,a 43)
für die Anzahl der in der Zeiteinheit unter den N Molecülen stattfinden-
den Zusammenstösse.
Die mittlere zwischen zwei Zusammenstössen zurückgelegte Weg-
länge ergiebt sich, wenn man den durchschnittlich in der Zeiteinheit you
einem Molecül überhaupt zurückgelegten Weg, d. i. die mittlere Ge-
schwindigkeit v^ durch die mittlere Zahl der Zusammenstösse dividiii
Man findet somit:
G 2 . ]/2. Vä • V» . iV. 9«.«
Die mittlere Weglänge A findet sich aus dem Maxwell' sehen Ge-
setze über die Yertheilung der Geschwindigkeiten, somit gleich:
A = r7= ^ 44)
Oder führt man den mittleren Abstand 8 zweier Moleoüle ein, d. h.
die Grösse:
C. Die Oastheorie von Clausiua und Maxwell. 77
loergiebt Bich^):
1 Ä'
A = -4. . -^ 45)
während Glaasius (S. 56) aus der Annahme, dass sich alle Molecüle mit
der gleichen, nämlich der mittleren Geschwindigkeit v bewegen, fand, dass:
l—i. **
4 Jt . Q^
12. Ableitung des Gasdruckes auf eine Fläohe aus
Mazwell's Gesetz.
Der Druck, den man auf die Flächeneinheit ausüben muss, um die
Holecüle mit der nämlichen Geschwindigkeit zu reflectiren, mit der sie
Auftreffen, ist gleich dem Doppelten der zur Fläche senkrechten Compo-
aente ihrer lebendigen Erafb.
Bekanntlich sind nun nach Maxwell's Geschwindigkeitsgesetze
(GL 35, S. 68) in dem Volumenelemente dXj dy, de eine Anzahl v Mo-
lecüle enthalten, deren Geschwindigkeiten zwischen u und u -{- du lie-
gen, und zwar ist:
4 . JV - ^
V = —7= . e a* . u^ , du . dx , dy . de . . . 46)
Nach dem vorhin von uns Entwickelten stösst jedes der v Molecäle
B mal an andere Molecüle an. Gleichzeitig ist dies die Anzahl der
einzelnen Wege, welche ein solches Theilchen in der Zeiteinheit zurück-
legt Die Zahl der Theilchen, welche in der Zeiteinheit aus dem Yo-
Inmenelemente dx^ dy, de mit der Geschwindigkeit u austreten^), ist
demnach:
4 . iV - h!
' B . e a^ . ü* . du . dx . dy . de.
a* . Vi
Von diesen Molecülen legt (man sehe Bd. 2, G, 5, S. 48, Gl. 12) nur
deijenige Theil einen Weg grösser als r zurück, welcher sich zur ge-
Bammten Anzahl verhält wie:
e-f : 1,
wenn l die mittlere Weglänge deijenigen Molecüle bedeutet , deren Ge-
Bchwindigkeit u ist. Nun ist aber:
') Auch Maxwell gelangt, wenn auch aaf nicht zayerlKssigem Wege, zu derselben
Formel, llan sehe Phil. Mag. 4. Serie, Bd. XIX, S. 22.
*) Man sehe, um die Richtigkeit dieser Behauptung Tollkominen einzusehen, die
Katwiekelnng im nächsten Abschnitte D, 2, S. 83.
78
folglich :
I. Moleculartheorie dev Wärme.
k . B = u,
r B . r
e- j = e ;r.
Unter einem Winkel ^ stösst gegen ein Element df der
grenzenden Wand bekanntlich (man sehe S. 52 u. s. f.) nur derTheil
Molecüle, der sich zur Gresammtzahl verhält wie:
df . cos d
: 1.
4 . Ä . r'
Die zur Ebene normale Componente der Geschwindigkeit u ist:
u . cos d".
Demnach ist die bewegende Kraft, welche durch den Stoas der
dem Volumenelemente dx, dy^ dz mit einer Geschwindigkeit u austreten-
den Molecüle, die das Flächenelement dfm der Zeiteinheit treffen, am-l
geübt wird, gleich:
'■-r=- • -: • c «• • ^ «« . w^ . rftt . ä/ . oos' ^ . dx . dy , de.
Hierin bezeichnet wiederum m die Masse jedes Molecüles.
Den gesammten, auf der Flächeneinheit ausgeübten Druck findet]
man, wenn man in Bezug auf/yon 0 bis 1, in Bezug auf u von Obis o)
und nach Einführung räumlicher Polarcoordinaten mit den Substitationea:
X = r . cos &•
y = r . sin d" . cos q>
z = r . sin d" , sin g>,
in Bezug auf q) von 0 bis 2;r, in Bezug auf d" von 0 bis n und m
r von 0 bis oo integrirt hat.
Die umständliche aber nicht schwierige Rechnung ergiebt:
^ 2
m\
Führt man für a den früher von uns bestimmten Werth der mitt-
leren Geschwindigkeit (man sehe Bd. II, I, C, 9, S. 69, Gl. 36)
- 2. a
V =
ein, so ergiebt sich ^) •'
Vn:
8
48)
Unter der Annahme, dass die Geschwindigkeit aller Molecüle gleicb,
nämlich die mittlere v sei, fanden wir (man sehe Bd. II , I, C, 2 , S. 35X
Gl. 2):
^) Dieses Resultat rührt von 0. E. Meyer her; man sehe: De gasorum tbeoria.
Inaug. diss. Breslau 1866, S. 14,
D. Innere Reibung der Gase. 79
p = — • N .m . t; 1)
o
Hieraus kann man, ganz in derBelben Weise, wie dies schon früher
TOD uns geschehen ist, v die mittlere Geschwindigkeit der MolecÜle be-
rechnen.
Es erg^ebt sich:
^=Vlf^
! «>
venn 8 die Gasdichte beim Drucke p und der herrschenden Temperatur
heaeichnet. Man findet für die Temperatur des schmelzenden Eises auf
diese Weise:
Mittlere Moleculargeschwindigkeiten nach Meyer's Formel
für 0».
Luft 447 m
Sauerstoff • . . 425 m
Stickstoff ... 463 m
Wasserstoff. . . 1693 m
D. Innere ßeibnng der Gase.
L üeber die Bestimmung der mittleren Weglänge nach
absolutem Maasse. Maxweirs^) Formeln für die innere
Reibung der Oase.
Man kann die mittlere Weglänge der Molecüle Ührigens auch ihrem
absoluten Werthe nach aus zwei Arten von Erscheinungen ableiten,
nämlich aus der inneren Beibung der Oase und aus den Diffusionsvor-
gangen. Wir betrachten zunächst die erstere.
Wenn zwei Gasschichten mit Tersohiedenen Geschwindigkeiten an
einander hingleiten, so üben dieselben eine Art von Tangentialkraft auf
^blander aus, welche strebt, dieses Gleiten zu verhindern und daher eine
grosse Aehnlichkeit mit der Wirkung des Reibungswiderstandes hat, der
n<^ geltend macht, wenn die Oberflächen zweier fester Körper sich mit
irgend einer Geschwindigkeit an einander hinbewegen.
Biese EIrscheinung kann aus unseren Annahmen über den Molecular-
nstand der Gase leicht erklärt werden. Besitzen nämlich ausser der
Holeeolarbewegung, welche dem Gase in Folge seiner Temperatur und
9sme» Volumens zukommt , benachbarte Gasschiohten noch verschiedene
^) A' bedeutet hier die AnzAhl Molecüle in der Volumeneinheit.
^ Maiwell, PhiK Hag. Bd. 19, S. 37 bis 40.
80
I. Moleculartheorie der Warme.
Geschwindigkeiten fortecbreitender Bewegungen nach irgend einer
tang, BD gelangen Molecüle ans der rascher bewegten Schicht mit
Geschwindigkeit in die langsamer bewegte und umgekehrt. Hierbei
fen dieselben gegen die Theilchen der anderen Schicht und üben somit
die langsamer bewegte Schicht eine Beschleunigung und auf die
bewegte eine Verzögerung aus. Die tangentiale Kraft, welche schein
hieraus resultirt, ist die innere Reibung des Gases. Die gesammte
bung zwischen zwei durch eine ebene Fläche getrennte Gasmassen
hervorgerufen durch die gesammte Wirkung aller auf der einen Seite
Ebene gelegenen Schichten auf alle auf der anderen Seite gel
Schichten.
Es soll nun unsere nächste Aufgabe sein, die Formeln fü.r die G
dieser inneren Reibung aufzustellen.
Wir denken uns zu dem Zwecke in einem mit bewegten Gasm
cülen erfüllten Räume ein rechtwinkliges Coordinatenkreuz co:
und theilen die gesammte Masse durch ausserordentlich benachbarte,
X F-Ebene parallele Ebenen in Schichten. Jede solche Schicht möge
der Richtung der X-Axe mit einer Geschwindigkeit u begabt sein,
doch mö^e u von Schicht zu Schicht einen anderen Werth besitzen,
art, dass:
u z=z A + B . a 11
ist, wobei Ä und B Zahlen sind, deren physikalische Bedeutung lei
erkannt werden kann. Wir betrachten die gegenseitige Wirkung z
sehen den Schichten, welche auf der positiven und negativen Seite d
X7-Ebene liegen.
Wir betrachten zunächst die gegenseitige Wirkung zwischen z
Schichten, deren Dicke de und de' ist, und welche sich in den Abst&nd
g und — t^ auf entgegengesetzten Seiten von der X F-Ebene befinden,
setzen dabei voraus, dass jede Schicht eine Grundfläche vom Inhalt gleich
der Einheit besitzt. Die Zahl 92 der Molecüle, welche in der Zeitein*
heit aus der Schicht mit der Dicke de austreten und einen Abstand zm-
sehen n . k und (n -|- dn) . A erreichen, ohne ein anderes zu treffen, iai
wenn A die mittlere Weglänge bedeutet, gleich:
V
SR^N.j
— II
ds . dn
i)
Nachfolgende Betrachtung wird die Richtigkeit dieser Behauptimg,
darthun :
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Theilchen ein anderes treffe, wäh-
rend es den Weg dx zurücklegt, sei a . dx. Wenn demnach iV'Theilcli^
einen Abstand rc erreichten, so würden N . a . dx von denselben auf den
Wege dx mit anderen zusammentreffen. Demnach ist:
dN
dx
= — N . a
D. Innere Reibung der Gase. 81
vnd wenn man dies integrirt:
r— a . X
N= C .e
Setzt man N =i 1 f&r a; = 0, so ist e"" " ' ' die Washrsoheinlichkeit,
dass ein Theilchen kein anderes Tfaeilchen trifft, ehe es die Entfernung x
sarückgelegt hat.
Die mittlere Distanz, welche jedes Theilchen zurücklegt, ehe es ein
anderes trifft, ist (man sehe Bd. 2, I, C, 8, S. 49, Gl. 13):
a
Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Theilchen eine Strecke
V . k zurücklegt, ohne mit anderen zusammenzutreffen, gleich:
Ist nun N die Anzahl Molecüle in der Yolumeneinheit , so ist die
Anzahl Theilchen , welche in einer Schicht vorkommen, deren Basis den
Flächeninhalt 1 besitzt, und deren Dicke de ist, gleich: N • d^er.
Die Summe der Wege, welche alle diese Molecüle in der Zeiteinheit
zurücklegen, ist :
N .dz .v^
wenn v die mittlere Geschwindigkeit ist. Demnach ist :
N.dz'j
die Anzahl der Zusammenstösse dieser Theilchen, wenn man mit A die
Weglänge bezeichnet , welche jedes dieser Theilchen durchschnittlich
swischen zwei Zusammenstössen zurücklegt. Demnach ist die Anzahl 9t
der Theilchen , welche nach einem Zusammenstösse einen Weg zwischen
n . A nnd (n -f- dn) . X zurücklegen, gleich:
3i = N' j' dz .dn .e""",
was bewiesen werden sollte.
Die Anzahl n solcher Molecüle, welche in einer Schicht liegen, deren
Dicke d£^ ist, verhalten sich zur Anzahl 9i, wie der Flächeninhalt der
Mantelfläche einer Kugelzone, deren Hohe d/ ist, zur Oberfläche der
Kugel, deren Radius = nA ist, d. h. es findet die Proportion statt:
ni^l = 2n .nk . dz' : 47t{nky.
Demnach ist:
n = ^ • XTZ ' dz' , dz . dn . e" ^ -
2 A« . w
Die mittlere Geschwindigkeit der Molecüle in der Richtung der 2-
Axe ist in der Schicht von der Dicke dz gleich A -f* -^^i i^^ ^^^ ande-
ren von uns betrachteten Schicht, deren Dicke dz' ist, besitzt dieselbe
einen Werth gleich Ä -\' B . z'. Jedes der von dz nach dz' gelangenden
Verdet-Bahlmann, Meohan. Wärmetheorie. Bd. 2. Q
82
L Moleculartheorie der Wärme.
Molecüle giebt daher, wenn m die Masse jedes derselben ist, die Bewe-
gungsgrösse :
m . B . (jer — £r')
ab.
Die sämmtlichen aus de nacb d$' gelangenden Molecüle geben dem-
nach die Bewegungsgrösse :
N ,m . B
V
2 . n . A'«
e"" (ß-^z") .dz . ds! ,dn
ab.
Man muBS nnn zunächst in Bezug auf/ von z' ■= z — n A bis j?' =0
integriren, um die Wirkung aller unter derXZ-Ebene gelegenen Schicih|
ten auf die Schicht dz zu erhalten, dies ergiebt:
\ ' N .m .B ' — %-, . (n2 . A« — j?«) . e""" . d^ . d«.
2 2n.A2
Hierauf integrirt man nach z von z -= 0 h\s z = nX und erhält:
1
6
m,N.B,k,v,n^.e . dn.
Nach n muss schliesslich noch von n = 0 bis n = oo integrir
werden. Nach dem aber, was früher von uns (Bd. 2, S. 66) gefandi
worden ist, war ^):
/
c" . n« . (In = r(3) = 2.
Man findet demnach die gesammte Reibung F zwischen der Flächei
einheit oberhalb und unterhalb der Ebene:
F = -m.N.k.v.B.
Nun ist aber:
gleich der Dichte des Gases und es ist, der Definition nach:
-. du
B = ^'
dz
Wir finden demnach:
F = - - 0 . X . V ' rr-
3 dz
du
Die Grösse, mit der — multiplicirt ist, bezeichnet man mit dem
(tz
Namen Goefficienten der inneren Reibung; wir wollen für densel-
ben künftig den Buchstaben tj gebrauchen. Diese Reibungsconstante i]
wird demnach durch die Gleichung:
ij = — 'Ä.A.t; 3)
o
1) Man sehe: Schlömilch, Compendium 1. Auflagre, Bd. II, S. 242.
D. Innere Reibung der Gase. 83
definirt. Hierin bezeichnet d die Dichte des Gases, A die mittlere Weg-
länge nnd V die mittlere Geschwindigkeit. Ersichtlich ist der Coefficient
1} die innere Reibung, welche an der Flächeneinheit stattfindet, wenn
die Geschwindigkeit sich, in zur Fläche normaler Richtung auf einem
Wege gleich der Längeneinheit um die Einheit der Geschwindigkeit
ändert. •
Da dieser Coefficient der inneren Reibung der Gase, die Grösse i^,
auf experimentellem Wege bestimmt werden kann , so ist , da in Gl. 3)
sonst alle Grössen bekannt sind, die Möglichkeit gegeben, die Grösse X
der mittleren Weglänge ihrem absoluten Werthe nach zu ermitteln. Es
findet sich:
A = O • IT ' ZZ 4)
oder wenn man für v seinen vorhin gefundenen Werth (Bd. 2, I, C, 12
Gl. 49, S. 79):
^=Vlf
p
ä
einsetzt:
^ = 2' Vr'^'Vö' Vv ''''*''* ^^
2. Andere Ableitung der Formeln für die innere Rei-
bung der Oase 0-
Wir wählen wieder, wie vorhin, die XY-Ebene als Fläche, auf welche
die gesuchte Reibung ausgeübt wird. Die F-Axe sei der Bewegangs-
richtung des Gases parallel. Zunächst bestimmen wir nun die Anzahl
Theilchen, welche durch ein unendlich kleines am Coordinatenanfang lie-
gendes Rechteck dx . dy hindurch gehen und ermitteln die Bewegungs-
grössen Qi und ^2* die nach beiden Richtungen durch dx • dy hindurch
geführt werden.
Ausserdem wählen wir im Gase einen Punkt, dessen Goordinaten
^ii Vu ^1 sii^d ui^d betrachten denselben als die eine Ecke des Yolumen-
elementes dx^ . dy^^ . dzi.
Sind N Molecüle in der Yolumeneinheit enthalten , so sind im Yo-
Inmenelemente N . dxi . dyi , dg^ Molecüle vorhanden. Ist femer %
die Zeit, welche im Mittel zwischen zwei auf einander folgenden Zusam-
menstössen eines Theilchens mit anderen verfliesst, so ist ^ die Anzahl
der von einem Theilchen in der Zeiteinheit begonnenen einzelnen Bahnen.
^) Die«;e Ableitung rührt von 0. E. Meyer her; man sehe dessen Abhandlnog:
Ueber die innere Reibung der Gase. Pogg. Ann. Bd. 125, S. 589 bis 598.
6*
84 I. Moleculartheorie der Wärme.
Jv Theilchen beginnen also in der Zeiteinheit ^ Bahnen und die im Yo-
lamenelemente enthaltenen Theilchen beginnen:
Bahnen. Dies ist also die Anzahl Theilchen, welche in der Zeiteinheit
aus dem Yolamenelemente austreten.
Die Zahl der Theilchen, welche den Weg r ohne Zusammenstoss mit
anderen zurücklegen, ist aber nur der
e^ Ite
Theil derselben; wenn A die mittlere Weglänge bezeichnet (man sehe
Bd. 2, 1, C, 6, Gl. 13, S. 49). Bezeichnet nun r den Abstand des Punkteg
^1« ^it ^1 '^<>™ Elemente dx dy^ so ist:
r = {«1» + y.« + ei^\\
und dann ist:
N _ n
■cp ' e X , dxi . dyi . dei
die Anzahl Molecule, welche aus dem Volumenelemente dxy . dyi . dsi
austritt und eine Eugelfläche durchdringt, deren Radius r ist. Von die-
sen Molecülen geht nur der Theil durch das kleine Rechteck d x • dy hin*
durch, der sich zu allen Molecülen verhält, wie die Projection von dx.df
auf die Eugelfläche zur gesammten Kugelfläche. Ist 0* der Winkel, dee
r mit der Z-Axe macht, so ist die Orthogonalprojection Yon dx . dy auf
die Kugelfläche gleich:
dx . dy . cos ^
und ed gehen demnach von den aus dxi . dyi . dzi heraustretenden Mo-
lecülen nur:
z — • 7?" • "5 - COS d" . dx . dy . dxi . dyi . d^i
Alt X r^
durch das Flächenelement dx . dy hindurch. Bei der Bestimmung des
Betrages der übergeführten Bewegungsgrösse kann nun ohne Weiteret
der auf Wärme bezügliche Theil der Molecularbewegung unberücksichtigt
gelassen werden , da wir bei allen derartigen Untersuchungen annehmen,
der Wärmezustand sei im ganzen Räume an allen Stellen derselbe. Nur
auf der Uebertragung der fortschreitenden Bewegung der Scfaichten
beruht die innere Reibung, daher braucht auch nur diese in Rechnung
gezogen zu werden.
Ist die Geschwindigkeit der fortschreitenden Bewegung in der Richtung
der F-Axe im Volumenelemente dxi . dyi . dzi gleich i/'i, so ist die mit
den durch dx . dy hindurchtretenden Molecülen übertragene Bewegungs-
grösse dQ gleich:
D. Innere Reibung der Gase. 85
r
Nfn 1 c ~~ T
dQ = - — ' TP ' ^1 ' -^ ' cos d" . dx , dy , dxi . di/i , dzi,
wenn m die Masse eines jeden Molecules ist.
Integrirt man nach Xy, yiy ßi über eine Hälfte des ganzen nnendlich
aasgedehnt gedachten Mediums, so erhalt man die gesammte von dieser
Seite auf die andere Seite durch dx . dy hindurch gehende Bewegungs-
quantität.
In der Richtung der abnehmenden ;? tritt alsdann durch dx dy hin-
durch:
OD 00 00
qx=dx . dy ' -j^ . ^ / I ; t'i • — ^ '. co8^. dxi . dyi . dsii.
— 00—00 0
In der entgegengesetzten Richtung aber wird eine Bewegungsgrösse :
00 00 0
Qi = dx . dy ' -j^ '^ j j f Vi • ^^ ' cos & . dxi . dyi , dsi
00 ^— 00 ^— 00
übergeführt.
Die Differenz ^i — ft ist die von der Seite der grösseren e auf
die andere Seite ausgeübte innere Reibung F,
Setzen wir, wie schon früher:
V = Ä + B .JB,
80 ist:
Vi = Ä -}- B . Zi-
Die Rechnung wird ohne Schwierigkeit ausfuhrbar, wenn man Polar-
coordinaten einführt. Die elementare Rechnung übergehen wir, dieselbe
ergiebt:
F=dx .dy^^' "^^ ' k^,B 6)
Der Coefficient der inneren Reibung i^ wird aber, wie vorhin, defi-
nirt durch die Gleichung:
F = rj , B . dx . dy
und es ergiebt sich somit ^):
Wenn aber die mittlere Geschwindigkeit der Molecüle v ist, so ist:
- A
Setzt man dies ein, so gelangt man zu derselben Gleichung, die wir
6cEbn vorhin gefunden hatten, nämlich zu:
^) Stefan findet, Wiener Sitzungsber. Bd. 65, Abth. II, Aprilheft, in der Abhand-
n
8
lang „Ueber die dynamische Theorie der Diffaston' der Gase" die Formel ij = — cf . » . A.
86 I. Moleculartheorie der Wärme.
ri = — fn,N.v,l=---'ö.v . k 7)
Setzt man, wie dies für einen ungefähren Ueberschlag nach den
nahezu übereinstimmenden Versuchen von Maxwell, Meyer, Palnj,
und Eundt und Warburg wohl zulassig ist, bei 15^0. für Luft^):
rj = 0,00019 Gramm Centimeter-Secunde,
v = 45910 cm für 15»C. nach Meyer:
d = 0,001226 bei 15»,
so ergiebt sich aus der Formel 7) resp. 5):
k = -4r = 0,0000101 cm.
Die mittlere Weglänge beträgt demnach unter den angeführten um-
ständen ungefähr ein Zehntausendtel Millimeter, und die Zeit % wird:
^ k 0,00001013 ^^^^^^^^^^«« r.
I = — = ' ,,^,^ = 0,00000000022 See.
t; 45910 *
Jedes Molecül erfährt demnach in jeder Secunde durchsah nittlicb
4600 Millionen Zusammenstösse mit anderen Theilchen.
Aus der Ordnung der Grösse k erkennt man sofort, dass der Ein-
wurf, den man gegen die kinetische Gastheorie daraus erheben zu kön-
nen meint, dass man glaubt, aus ihr folgern zu dürfen, zwei in Berüh-
rung tretende Gase müssen sich sofort vollkommen mengen, der
Theorie fremd ist. —
Führt man für die mittlere Weglänge k den früher von Gl aus ins
angegebenen Näherungswerth ein (Bd. 2, I, C, 6, S. 56):
A — - **
4 Ä . p3'
worin d den mittleren Molecularabstand bedeutet, und Q den Radius der
Wirkungssphäre bezeichnet, so ergiebt sich, da:
ist:
1 m .V ..
'''=i^rV' '^
Diese Form lässt erkennen, worauf zuerst Maxwell aufmerksam
gemacht hat^ dass der Coefficient der inneren Reibung der Gase von der
Dichtigkeit des Gases unabhängig ist, da der Molecularabstand i
nicht mehr in dem Ausdrucke für fj vorkommt. 17 ist aber proportional
der mittleren Geschwindigkeit v, und demnach wie diese der Quadrat-
wurzel aus der absoluten Temperatur T des Gases proportional. Wir
^) Hierbei wird unberücksichtigt gelassen, dass Luft ein Gasgemisch ist und nicht
aus gleichartigen Molecülen besteht.
D. Innere Beibung der Gase. 87
werden im Weiteren sehen, ob diese theoretischen Folgerangen durch
die experimentellen Resultate bestätigt werden.
3. Die Bestimmuiig des CoefQcienten der inneren
Reibung aus Pendelbeobaohtungen.
Zur Bestimmung der inneren Reibung können einestheils Versuche
dieneo, welche den Reibungscoefficienten in absolutem Maasse ergeben,
anderen Theils kann man durch Versuche, in welchen Gase durch sehr enge
Röhren fliessen (Transpirationsversuche), Zahlen erhalten, welche gestat-
ten, den Quotienten der Reibungscoefficienten zweier Gase oder desselben
Gases unter verschiedenen Umständen zu ermitteln. Wir wenden uns
zunächst zur Besprechung der ersten Art von Versuchen.
Zum ersten Mal hat wohl Stokes^) Werthe für den Coefficienten
der inneren Reibung gegeben und zwar ermittelte er diesen Werth aus
Baily^s Pendelbeobachtungen. Die Voraussetzungen , auf denen seine Be-
rechnung der Reibungsconstante beruht, sind jedoch in mehr als einer
Beziehung anfechtbar. Stokes benutzte nämlich den Correctionsfactor
für seine Rechnungen, den Baily abgeleitet hatte, um die Schwingungen
eines Pendels auf den luftleeren Raum zu reduciren. Aller Wahrschein-
lichkeit nach stellen diese Zahlen jenen Factor aber gar nicht dar. Baily
Hess nämlich, um diesen Correctionsfactor zu ermitteln, eine grosse An-
zahl von Pendeln im lufterfüllten und im möglichst luftleeren Räume
schwingen und verglich die Schwingungszeiten. Er berechnete die Gor-
rection, indem er den Raum, der nur sehr verdünnte Luft enthielt, als
ein vollkommenes Vacuum betrachtete. Da aber nach Versuchen
0. E. Meyer's und neueren Arbeiten von Kundt und Warburg auf
experimentellem Wege dargethan worden ist, dass auch sehr verdünnte
Luft noch eine sehr merkliche Reibung zeigt, zumal, wenn die Wandun-
gen des umgebenden Gefasses dem schwingenden Pendel sehr nahe sind,
80 folgt daraus von selbst, dass Stokes bei der Berechnung des Coeffi-
cienten der inneren Reibung ans Baily 's Pendel versuchen einen zu klei-
nen, nicht brauchbaren Werth erhalten musste.
Schon Bessel hat bei seinen berühmten Pendel versuchen eine Cor-
rection berechnet, mit der das Quadrat der beobachteten Schwingungs-
zeit multiplicirt werden muss , um dasselbe auf den luftleeren Raum zu
reduciren. Er stellt diesen Reductionsfactor durch einen Ausdruck von
der Form:
m
I 7 ^
m
^) stokes, On the theories of the internal friction of flaids in motion. Cambridge
Pbil. Trans. Bd. 8, Theil 3, S. 287. 1847.
88 I. Moleculartheorie der Wärme.
dar, worin wi die Masse des Pendels, m' die der verdrängten Luft und
h eine von der Gestalt des Pendels abhängige Zahl darsteUt^). Er be-
stimmte diese Zahl Ic für seinen Pendelapparat dadurch, dass er mehrere
Beobachtungen, bei denen diese Correction verschiedene Grössen besass,
mit einander combinirte.
Aus Bessel's Versuchen lässt sich ein Werth für die Reibung der
Luft berechneu, der mit den neueren Messungen leidlich übereinstimmt. —
Bessel benutzte die Beobachtung der Schwingungszeiten von vier
Pendeln, die er erhielt, indem er zwei Kugeln von gleicher Grösse, aber
verschiedenem Gewicht an zwei Fäden verschiedener Länge aufhing.
Diese Versuche ergaben für die Zahl k den Mittelwerth ') :
h = 0,956.
0. £. Meyer 3) berechnet hieraus für den ReibungscoefQcienten ij
der Luft den Werth:
71 = 0,000275
und glaubt, dass derselbe ungefähr für 12^0. richtig sei.
Aber nicht nur aus der Veränderung der Schwingungszeit, sondern
auch aus der allmäligen Abnahme der Schwingungsweite kann die
innere Reibung abgeleitet werden. Stokes hat hierfür eine Gleichung
abgeleitet, welche sich auf den Fall einer pendelnden Kugel bezieht.
Nach ihm ist nämlich das logarithmische Decrement B gleich :
_% h'm'
2 ' m + h.m"
und zwar ist m hierin wiederum die Masse der pendelnden Kugel, fi/
die der von ihr verdrängten Luft^und h und h! haben die Werthe:
, 1 . 9V212 .r
Ä = 77 +
2 ' 4.a VöT^'
4:a . yö z \ a.yS.yt
wobei a den Radius der Kugel, d die Dichte der Luft und r die Schwin-
gungsdauer bezeichnet.
Unter Benutzung dieser Formeln kann man aus einer grossen An-
zahl von Beobachtungen, welche Girault in Caen über das logarith-
mische Decrement einer schwingenden HolzkugeH) angestellt hat, einen
für mittlere Temperaturen gültigen Werth von rj berechnen. 0. E. Meyer
fand auf diese Weise aus Girault^s Beobachtungen:
^) Diese Notizen sind zum grössten Theil der Abhandlung 0. E. Meyer's ent-
nommen: lieber die innere Reibung der Gase. Pogg. Ann., Bd. 125, S. 177 bis 202
(1863).
2) Bessel, Versuche über die Kraft der Erde. Astronomische Nachrichten, Bd. 10,
S. 105. (1832.)
3) 0. E. Meyer, Pogg. Ann., Bd. 125, S. 195.
*) M6m. de PAcad. imp. des sciences, arts et belies lettres de Caen. 1860.
D. Innere Reibnng der Gase. 89
ti = 0,0003842.
In neaerer Zeit hat 0. £• Meyer selbst die Theorie^) der Pendel-
lehwingungen einer Kugel f&r den FaU untersnclit, dass der Einfloss der
inneren Reibnng des Mediums, insoweit derselbe von der Kugel herrührt,
beiöcksichtigt wird, dass hingegen die Reibung des Pendelfadens ver-
Dachlässigt werden kann und hat diese Theorie hierauf mit eigenen Yer-
nichen') verglichen.
Für die Schwingungsdauer t und das logarithmische Decrement s
der Amplituden ergaben sich folgende Formeln:
(m + Ä . m') . J
r* = «
2
B =
(m — mf) . g
2
Hierin ist:
"• + 1 • (* + ^) • •"
24.i/.a Ava \ v . a 2«/
m, m' und a haben dieselbe Bedeutung wie vorhin, l ist die Pendellänge,
g die Acceleration der Schwere.
V hängt mit dem Reibungscoef&cienten 1} durch die Formel:
v^ = J^-l1^ 10)
zmammen, wenn i die Dichte der Luft bedeutet.
Für die wirkliche Berechnung bediente sich O.E. Meyer jedoch der
«bgekürzten, aber genügend genauen Formeln:
« = f.V.^ 11)
2 m
A' =
-•(l+-^>
a \ V . aj
Um Schwingungen mit möglichst kleinen Geschwindigkeiten beob-
achten zu können, musste mit sehr langen Pendeln experimentirt werden.
Er hing zu dem Zwecke eine Holzkugel von circa 20 cm Durchmesser
an sehr dünnen Kupferdrähten auf, die bei den verschiedenen Yersuchs-
Teihen die Längen l = 14,5528 m, = 9,4890 m und = 4,4868 m besassen.
Die Schwingungsamplituden wurden durch ein hcuizontal gerichtetes
Femrohr an einem Ocularmikrometer gemessen. Die Schwingungszeit
wurde nach der Bord a' sehen Methode') durch Coincidenzbeobachtungen
^) 0. E. Meyer, Ueber die pendelnde Bewegung einer Kugel unter dem Einflüsse
(ter iDoeren Reibnng der Gase. Crelle's Journal. Bd. 75, S. 31 bis 38.
*) Pendelbeobachtungen, Pogg. Ann. Bd. 142, S. 481 bi« 524.
') M^cbain und Delambre, Base du Systeme metrique decimal. Bd. S, S.337 (l810)«
90 I. Moleculartheorie der Wärme.
bestimmt. Ausserdem warde Temperatur, Druck und Feuchtigkeitsgehalt
der Luft sorgfältig ermittelt.
Zur Berechnung der Schwingungszeiten verfuhr 0. E. Meyer nach
dem von BesseP) angegebenen Verfahren. Für die Reduction auf uo-
endlich kleine Schwingungen ist die Kenntniss der absoluten Schw}ih
gungswinkel nöthig; diese erhält man aus der Ablesung am Ocularmikro-
meter und der Dimension des Apparates nach Elimination der Drehung,
welche die Schwingungsebene durch die Erdrotation während einer
Beobachtungsreihe erlitten hat.
Es ergab sich die Schwingungszeit r
für das lange Pendel r = 3,84497 See. mittlere Zeit,
„ „ mittlere „ r = 3,11224 „
„ „ kurze „ r = 2,15312 „
Etwas umständlicher müssen wir über die Ermittelung des Gesetzes
der Schwingungsbogen referiren ^). Bei Vernachlässigung des Quadrates
der sehr kleinen Geschwindigkeit des Pendels und der umgebenden Lull
gegen diese Geschwindigkeit selbst erhält man bekanntlich das Gesetz,
dass die Schwingungsbogen in geometrischen Progressionen abnehmen.
Bezeichnet daher q) den Schwingungswinkel, — 8(p seine negative Zu-
nahme und £ eine Constante, so ist:
— oq) = s . (p.
Da jedoch diese Formel die aufeinander folgenden Amplituden nicht
streng darstellt, so setzt man in einer weiteren Annäherung:
— dy = fi . y . (1 -\- ß , (p\
worin ß eine neue Constante bedeutet. Nehmen, wie dies hier der Fall
ist, die Amplituden sehr langsam ab, so kann man:
8(p ä(p
setzen. Wenn man hierin den Werth von 8 q> einsetzt , so erhält man
eine Differentialgleichung, welche Gronau') über die Zeit von p Schwin-
gungen integrirt hat. Das Integral lautet:
lognaii^ 1+1-:^)=^./ 12)
wenn 9)0 die Amplitude am Anfang, 9)^ nach Ablauf von p Schwingungen
bedeutet.
Dieses Gesetz benutzte 0. E. Meyer in der auf Brigg s'sche Loga-
rithmen reducirten Form:
^) Untersuchungen, Abhandl. der Berl. Akad. (1826), S. 15 und 28.
2) Man sehe 0. K. Meyer's Originnlabhandl. Pogg. Ann. Bd. 142, S. 513. ff.
^) Gronau, Ueber die Bewegung schwingender Körper im widerstehenden Mittel.
Programm der Johannisschule in Danzig. 1850.
I
D. Innere Reibung der Gase. 91
jog L±J_!?-- =C+n,X,
Hierin ist n die Stellenzahl einer einfachen Beobachtung und hängt
mit p daher durch die Gleichung :
p = n . q
nuammen, worin q die Anzahl der in jedem Intervalle zwischen zwei
A.ble6ungen vollzogenen Schwingungen bedeutet.
Wie ßj so sind auch C und A von t abhängige, aber von n unab-
liäDgige Const-anten.
X bestimmt sich aus:
k = q . t . log, e,
CauB der Formel:
C = log. l±±:-^ . '
fi wird auf folgende Weise berechnet:
Es ist:
und ebenso:
log. gs^ ■ / +/ • y-» =n.A.
9m l + p - <Ptn-n
Hieraus folgt:
11 11
• -T-
'^ ■" 1 . 1 1
9^0 9m (Pn 9m ~ n
Man kann also ß aus je vier Beobachtungen ermitteln. Unter Be-
rücksichtigung aller Kunstgriffe, welche zur thunlichsten Elimination zu-
falliger Beobachtungsfehler dienen konnten, ergab sich dann das durch
Gleichung 12) definirte S:
für das lange Pendel s = 0,000578
„ „ mittlere Pendel b = 0,000515
„ „ kurze Pendel £ = 0,000375
Femer ergaben die übrigen Messungen:
a = 21,02 cm, m = 2471,3 g, w' = 5,77 g.
Mit den angegebenen Zahlendaten findet man für eine mittlere Tem-
peratur von 18^0. aus Beobachtungen
des langen Pendels rj = 0,000232 cm-Sec.
„ mittleren „ ri = 0,000233
„ kurzen „ rj = 0,000184
im Mittel: i^ = 0,000216 cm-Sec. bei 180O.
92 L Moleculartheorie der Wärme.
Dieser Werth zeigt, wie wir sehen werden, mit den anf andere Weiee
gefundenen eine befriedigende Uebereinstimmnng.
Um ein Urtheil über die Reibung in Flüssigkeiten zu erbalten, hatte
schon früher Coulomb^) kreisrunde, planparallele Scheiben in ihrem
Schwerpunkte an einem Faden horizontal aufgehängt, und dieselben in
ihrer Ebene um den verticalen Faden als Axe in den betreffenden Flu-
sigkeiten drehende Schwingungen machen lassen. In Folge der Reibung
der Flüssigkeit werden die Schwingungsweiten allmälig kleiner, und zwar
nehmen dieselben mit fast absoluter Genauigkeit nach einer geometri-
schen Reihe ab. Die logarithmischen Decreniente können unmittelbar
zur Bestimmung des Reibungscoefficienten dienen.
4. O. E. Meyer 's Versuche zur Bestimmung der
inneren Reibung der Qase.
Diese Methode ist in neuerer Zeit vriederholt zur Messung der inne-
ren Reibung auch in Gasen benutzt worden und zwar haben nach einan-
der 0. E. Meyer, Maxwell, Kundt und "Warburg und Puluj sich
dieses Verfahrens bedient.
Bei allen Versuchen, bei denen sich ein Körper in einer Flüssigkeit
bewegt, setzt er auch diese mit in Bewegung, und seine eigene Geschwin-
digkeit nimmt in dem Maasse ab, als er der Flüssigkeit lebendige Kraft
mittheilt. Der auftretende Widerstand hat zweierlei Ursachen, einnul
muss der sich bewegende Körper Flüssigkeit verdrängen, dann aber auch
ist die Reibung der Flüssigkeit an der Oberfläche des festen Körpers und
der bewegten Flüssigkeitsschichten an einander zu überwinden.
Nur um den letzten dieser Theile, um die Bestimmung der inneren
Reibung handelt es sich bei den meisten Versuchen; die Existenz eines
Gleitungscoefficienten, eines Coefficienten der äusseren Reibung, ist erst
in neuerer Zeit durch die sehr sorgfaltigen Untersuchungen von Kundt
und Warburg ^) mit Sicherheit nachgewiesen worden. Früher nahm
man an, dass die Gase an der Oberfläche der untersuchten Substamen
so fest haften, dass ein Gleiten der Gase an der Oberfläche nicht statt-
finde. Wäre diese Annahme richtig, so könnte von einer äusseren Rei-
bung nicht die Rede sein und es träte z. B. bei Versuchen mit Kreis-
scheiben, welche um eine zu ihrer Ebene im Mittelpunkte senkrechte
Axe schwingen, nur die innere Reibung auf; dann wäre die Theorie der
Versuche verhältnissmässig einfach.
Wir unterziehen die wichtigsten Versuchsreihen der Reihe nach
einer kurzen Besprechung sowohl bezüglich der Methoden, als auch mit
Rücksicht auf die gefundenen Resultate.
M M£m de PInst. national. Bd. 3, S. 246.
3) Pogg. Ann., Bd. 155, S. 339.
D. Innere Reibung der Gase. 93
Wir besprechen vorerst diejenigen M eye r' sehen Versacbe'), welche
nach der Gonlomb'schen Methode angestellt worden sind.
Der zn den Yeranchen dienende Apparat besteht (wie Fig. 6 zeigt)
in der Hauptsache ana einem Gefässe ee, ia welchem an zwei Fäden it
Fig. 8.
(hifilar) drei congmente, nm ihre genieinHchaitlicheverticaleAze drehbare,
horizontale, planparallele Kreisscheiben aiiigehtingt sind. Von diesen drei
Scheiben sind die beiden äaaseren derart beweglich , dass sie der dritten
beliebig genähert werden können, ohne dass dadarch der Parallelismns
der drei Scheiben and ihre normale Stellung znr Dnrchgangsaxe geän-
dert wird. Drückt mau die drei Scheiben fest zusammen, so bilden die-
selben eine einzige, nnd die Reibang muBB dann, abgesehen Ton stö-
I) 0. E. Mcjcr, Ueber die innere Reibung des Gnie«. Pogg. Ann., Bd. 12&,
94 I. Moleculartheorie der Wärme.
renden Vorgängen am RiEinde der Scheiben, nur den dritten Theil Ton
der Keibung betragen, welche stt^ttfindet, wenn man secns reibende Flä-
chen hat. Die Einrichtung des Apparates gestattet die Bestimmung dei
Reibnngscoefiicienten der Lnft und anderer Gase bei jedem beliebigen
Drucke, welcher kleiner als der der Atmosphäre ist.
Der Theil des logarithmischen Decremen tes des schwingenden Sy-
stems, der von der durch die Scheiben bewirkten inneren Reibung hei^
rührt, muss drei Mal so gross sein, wenn die drei Scheiben s' s" s'" ädk
in angemessenen Entfernungen befinden , als wenn die drei Scheiben za
einer einzigen vereinigt sind.
Die Figur erläutert die Einrichtung des ganzen Apparates zur Ge-
nüge. Auf eine verkehrt aufgestellte grössere Luftpumpenglocke ist luft-
dicht ein Deckel dd befestigt, welcher die Röhre rr trägt. Am oberea
Ende der letzteren befindet sich ein ebenfalls luftdicht eingelassener Torsions-
kreis p. An diesem Torsi onsapparate war durch bifilare Aufhängung die
verticale Aze befestigt, welche ausser den drei Scheiben auch noch des
kleinen Spiegel n trug. Durch zwei Hähne h und H, welche ausserdem
noch an diesem Deckel angebracht waren, konnte das Innere des Appa-
rates einerseits mit einer Luftpumpe, andererseits mit einem Manometer
communiciren, um sowohl im Inneren des Apparates verschiedene Drücke
herstellen, als auch dieselben messen zu können.
Die Schwingungen des Apparates wurden durch den Spiegel ii
beobachtet, der das Bild einer horizontal aufgestellten Scala in ein Fern-
rohr reflectirte. Die Schwingungen der in dem abgeschlossenen Räume
hängenden Scheiben s' s" s'" wurden durch Drehung des Torsionskreisesj»
eingeleitet. Bei den Beobachtungen wurde gleichzeitig die Schwingunga-
dauer des Apparates und das logarithmische Decrement bestimmt. Die
Temperatur im Apparat wurde an einem durch eine Stopfbüchse einge-
führten Thermometer gemessen.
Zur Berechnung der Beobachtungen diente eine Formel, welche von
0. E. Meyer schon früher ^) für Beobachtungen mit einer Scheibe ab-
geleitet worden war. Wir verweisen bezüglich deren Ableitung auf die
Originalabhandlung.
Mit Vernachlässigung von Grössen, welche von der Ordnung des
Quadrates des logarithmischen Decrementes sind, kann man denjenigen
Theil des logarithmischen Decrementes einer pendelnden Scheibe, welcher
der Reibung der Luft seine Entstehung verdankt, durch folgende Formel
ausdrücken :
*=^^\/2-''-*-* ")
Hierin ist R der Radius der Scheibe, M das Trägheitsmoment des
1) Pogg. Ann., Bd. 123, S. 402.
D. Innere Reibung der Gase.
95
schwingenden Apparates, t dessen Scbwingungszeit, rj der ReibangscoefH-
cient and ö die Dichtigkeit der Luft. Das Trägheitsmoment M des Ap-
parates wurde anf die bekannte yon Gauss ^) angegebene Weise experi-
mentell bestimmt.
Sind die drei Scheiben nicht zu einer vereinigt, sondern befinden
sich dieselben in angemessenen Entfernungen , so übt die Luft auf jede
der drei Scheiben denselben Einfluss aus und es wird in diesem Falle das
logarithmiscbe Decrement fc' den dreifachen Werth, wie im ersten Falle
besitzen, es ist alsdann:
€'=3
2M
• Vf • ^ •
ö . t.
Da bei den beiden Beobachtungen mit getrennten und mit unge-
trennten Scbeiben die Scbwingungszeit t und das Trägheitsmoment M
Dicht merklich verschieden sind, so kann man die Differenz «' — s ohne
Weiteres zur Bestimmung des Reibungscoefficienten ri verwenden.
Es empfiehlt sich, die Differenz s' — s und nicht s oder fi' selbst
znr Berechnung von rj zu verwenden, da die Steifheit der Auf hängungs-
drähte, der Luftwiderstand anderer Theüe des Apparates, z. B. des
Spiegels, Kräfte liefern, deren Einflass bei der Differenz der Decre-
mente aus der Rechnung fällt, deren Ermittelung sonst aber fast unüber-
steigliche Hindemisse darbieten würde. Zunächst stellte Meyer eine
Anzahl Beobacbtungen an, um die Abhängigkeit des Reibungscoefficienten
vom Drucke zu ermitteln.
Es war bei diesen Versuchen, zu welchen drei Messingscheiben dienten :
Jf = 55 500,
wobei das Gramm als Massen- und das Centimeter als Längeneinheit
diente. JR der Radius der Scheibe betrug:
B = 9,99 cm,
die Schwingungszeit t:
t = 14,1975 Secunde,
die Temperatur 22,4^ C. Es ergab sich 2):
Druck
Differenz der
ReibungHcon-
P
log. Decrem.
stante
mm
fi' — B
n
757,5
0,001676
0,000332
500,6
0,001311
0,000307
251,1
0,000813
0,000236
^) Qaass, Intensitas Ws magneticae terrestris. S. 36.
2) Pogg. Ann., Bd. 125, S. 578.
96 I. Moleculartheorie der Wärme.
Bei einer anderen ähnlichen Versnchsreihe i) ergab sich bei ein«
Temperatur von 21,4® C:
Dnick
mm
Di£fereiiz der
log. Decrem.
c' — €
Reibongs-
coefficient
747,2
494,9
239,7
0,001619
0,001268
0,000740
m
0,000313
0,000336
0,000204
Bei einer anderen Yersnchsreihe') mit gläsernen Scheiben, für welche:
M = 6850, H = 7,5657 cm, t = 8,895 See,
die Temperatur gleich 20,4^0. war, ergab sich:
Druck
mm
Differenz der
log. Decrem.
Reibungs-
coefficient
749,1
499,7
250,5
0,00342
0,00323
0,00208
0,000388
0,000385
0,000318
Die Versuche ergeben somit, soweit die Genauigkeit der Zahlen
überhaupt ein Urtheil gestattet, das Resultat, dass der Reibungscoefficient
der Luft mit abnehmender Dichte weit langsamer abnimmt als diese.
Demnach ist das Maxwell' sehe Gesetz, nach welchem die Reibungsconstante
(man sehe Gl. 8, S. 86) eines Gases unabhängig von der Dichte sein
sollte, wahrscheinlich wenigstens angenähert richtig. Dass dasselbe nur
innerhalb gewisser Grenzen und auch da nur angenähert gültig sein könne,
ergiebt sich auch schon daraus, dass die Annahme einer beliebigen Gül-
tigkeit desselben zu der absurden Consequenz führen würde, dass eb
Gas von der Dichtigkeit 0 eine ebenso grosse Reibung besitzen müsse,
wie unter normalem Drucke, oder dass im Yacuum dieselbe Reibung Tor-
handen sein müsse, wie im lufterfullten Räume. —
Weitere Consequenzen lassen sich wegen der geringen Zuverlässig-
keit der beobachteten Werthe von ^ zunächst wohl kaum aus obigen
Zahlen ziehen.
1) A. a. 0., S. 581.
2) A. a. O., S. 583.
D. Innere Reibung der Gase.
97
InD erhalb Bahr enger Grenzen hat auch 0. E. Meyer versucht, das
[weite Gesetz, welches sich aus der Max well' sehen Theorie ergab, einer
ixperimentellen Prüfung zu unterziehen. Die Theorie verlangt nämlich
(man sehe Gl. 8, S. 86), dass die Reibnngsconstante ij eines Gases der
(^nadratTviirzel aus der absoluten Temperatur proportional sein müsse.
Die Beobachtungen nach der hier gewählten Methode liefern aber
Dicht direct die Reibungsconstante ^, sondern zunächst die Grösse:
das geometrische Mittel aus ij und der Dichtigkeit der Luft. Dieser Werth
aber ändert sich proportional der Grösse y — • Eine Temperatarerhö-
hung des Gases um 10^0. würde demnach die Grösse Vrj . S und
die ihr proportionale Grösse fc' — b nur um 1 Procent ändern und das
ist eine Aenderung, welche ganz und gar innerhalb der unvermeidlichen
Fersncbsfebler liegt. Der Theorie nach müsste somit die Differenz der
log^rithmischen Decremente von der Temperatur nahezu unabhängig ge-
hinden werden. Meyer fand bei einem constanten Drucke von nahezu
750 mm dnrch Versuche mit gläsernen Scheiben :
Tempera-
tur
'Druck
P
Differenz der
log. Decrem.
Reibungs-
coefficient *)
8,3
21,5
34,4
745,6
756,6
751,5
0,00375
0,00364
0,00377
0,000533
0,000323
• 0,000316
Diese Resultate scheinen demnach der Maxwell' sehen Theorie nicht
sa widersprechen , wenn wir auch nicht wagen , dieselbe als eine Bestä-
tigung des Gesetzes in Anspruch zu nehmen.
5. Maxwell's Experimente über die innere Reibung.
Auch Maxwell^) bediente sich für die Messung der inneren Reibung
des Coulomb' sehen Verfahrens; seine Yersuchsmethode ist nur insofern
von der Meyer's verschieden, als er jede der drei mit einander verbun-
denen Scheiben zwischen zwei festen Scheiben schwingen Hess, so dass
1) A. a. 0., S. 585 und 586.
^ Oh tbe viscosity and internal friction ofairand othergases. Phil. Transact. ofthe
Roy. Soc. of London. Bd. 156 (1866), S. 249 bis 268.
Verdet-Kahlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. 2.
%
98 I. Moleculartheorie der Wärme.
die innere Reibung in sechs getrennten Laftschichten wirkte. Im Uebri-
gen ähnelte die yon ihm getroffene Einrichtnng und das angewendete;
Verfahren dem Meyer 's auch sonst in vielen Stücken. Die beweglichen
Scheiben hingen bei Maxwell jedoch an einem einzigen Stahldraht. Die-
ses Verfahren vermeidet den nicht unwesentlichen Uebelstand, dass der
Schwerpunkt des schwingenden Systemes bei jeder Oscillation gehoben and
gesenkt wird.
Um den Apparat ohne Erschütterungen in drehende Schwingungen
versetzen zu können, war an das untere Ende der Scheibenaxe ein Magneti
befestigt, der von aussen durch andere Magnete aus seiner Richtung ab«]
gelenkt werden und dadurch das ganze System in Bewegung setzen konnte. I
Maxwell hing seinen schwingenden Apparat an nur einem hart
gezogenen Stahldrahte auf, dessen Torsionselasticität genau bestimmt
worden war. Die elastische Nachwirkung wurde als constant angenom-
men, da der Draht schon Monate lang vorher aufgehangen mit gleicher
Belastung sehr viele Male bei verschiedenen Temperaturen in Torsion»*-
Schwingungen von denselben Anfangslagen aus, welche später bei den Ver*
suchen benutzt wurden, versetzt worden war. Spätere Versuche, welche
0. E. Meyer ^) auf dieselbe Weise mit bifilar aufgehangenen Scheiben ao-'
gestellt hat, zeigten eine solche Uebereinstimmung mit MaxwelTs Resd«
taten, dass man wohl annehmen kann, dass die elastische Nachwirkung
eines derartig behandelten Drahtes bei constanter Temperatur wirklich
schliesslich einen nahe con stauten Werth annimmt.
Unter der Annahme, dass die Luft an den Oberflächen der Scheiben
fest hafte und somit keine merkliche äussere Reibung vorhanden sei, und
unter der weiteren Voraussetzung, dass jede unendlich dünne Luftschicht
für sich als Ganzes oscillire, wurde die Theorie der Versuche aufgestellt^
Dem Einflüsse der Luftbewegungen am Scheibenrande suchte Maxwell
dadurch Rechnung zu tragen, dass er annahm, dieselben wirkten gerade
so, als ob die Scheiben etwas grösser wären.
Wir wollen uns auf eine Reproduction dieser Theorie nicht einlas»
sen. Wir halten besonders das Verfahren, durch welches dem Einflnsse
des Randes Rechnung getragen worden ist, für sehr angreifbar; da je*<
doch diese ganze Gorrection von sehr geringfügigem Betrage ist, so mag
immerhin eine solche angenäherte Rechnung für zulässig gelten.
Einen wesentlichen Vortheil besitzt jedoch die Max weil' sehe Ein-
richtung vor der Meyer's, nämlich den, dass durch die Einführung der
festen Scheiben die Formel , durch welche aus den Beobachtungen diej
Werthe des Reibungscoefficienten rj gefunden werden, unmittelbar diesen |
Werth ri selbst ergiebt. Meyer 's Formel, welche für nur bewegliche
Scheiben gilt, ergiebt zunächst (man sehe S. 94 u. 95) die Quadratwurzel
aus V}, und dadurch werden die Beobachtungsfehler mit doppeltem Ge-
*) 0. E. Meyer: Ueber die innere Reibung der Gase. Dritte Abhandlung. Pogg.
Ann. Bd. 143, S. 14 bis 26.
D. Innere Beibung der Gase. 99
^icbt anf das EndresnHat einwirken, als bei Anwendung von MaxweH's
Tormel.
Die Formel Maxweirs, welche znr Berechnung von 17 dient, lautet^):
4 . M . a , (£ — Ä;)
V = / A \ .... 10)
1 + ^ J . (1 + -ö")
in derselben ist M das Trägheitsmoment des Apparates, a der Abstand
der Innenfläche der festen und der beweglichen Scheiben , N die Anzahl
der der Lnflreibung ausgesetzten 'Scheibenflächen, R der Radius der
Scheiben. Femer ist:
a = lognat 10 . [log 2 + m + hg sin - — ^^^H
n [ 26 j
eine Gorrection wegen des Randes, wobei 2 b der Abstand der Innenfläche
zweier fester Scheiben, h — a die Dicke der reibenden Luftschicht ist.
S ist die Schwingungszeit , 6 das auf die Basis e bezügliche beobachtete
logarithmische Decrement, k der Theil dieses logarithmischen Decrementes,
welcher nicht von der inneren Luftreibung, sondern von anderen Widerstän-
den abhängt. -Ö" ist eine Reihe, deren Werth von der Dichte der Luft ab-
hängt, und welche um so mehr convergirt, je grösser die Schwingungs-
daaer I, je kleiner der Scheibenabstand a, je kleiner die Dichte und je
grösser der Reibungscoefficient ist.
Maxwell findet aus seinen Versuchen für 0^0. den Reibungscoeffl-
cnenten 17 der trockenen Luft:
12 = 0,0001878
und i^lanbt, was nicht wahrscheinlich ist, dass dieses Resultat bis auf Ya
Prooent richtig seL
Ausserdem glaubt Maxwell aus seinen Versuchen das Resultat ab-
leiten zu können, dass der Reibungscoefficient 17 nicht, wie es die Theo-
rie (GL 8, S. 86) fordert, der Quadratwurzel, sondern der absoluten Tempe-
ratur selbst proportional sei. Er fand nämlich, dass, wenn er die abso-
hiie Temperatur des Gases im Verhältniss von
1 : 1,2605
wachsen Hess, die innere Reibung im Verhältniss von
1 : 1,2624
wuchs^). Das Temperaturintervall betrug hierbei 134^ F. oder unge-
fehr 750 C.
Denselben Weg, den vor ihm schon Maxwell betreten hatte, schlug
Spaterhin auch 0. E. Meyer 3) ein, auch er brachte zwischen die drei
1) Maxwell, Phil. Trans., Bd. 156, S. 263, Gl. 24.
') Maxwell, a. a. 0., S. 256.
») O. E. Meyer: lieber die innere Reibung der Gase. Dritte Abhandlung. Pogg.
Aan. Bd. 143, S. 14 big 26.
7*
100 I. Moleculartheorie der Wärme.
beweglichen Scheiben seines Apparates und oberhalb und unterhalb der-
selben feste Scheiben an. Er bediente sich jedoch, wie schon früher, der
bifilaren Aufhängung, damit nicht die veränderliche Torsion, sondern
die constante Schwerkraft die Ursache der Schwingungen würde, und da-
mit die elastische Nachwirkung der Aufhängungsdrähte nur yerschwin*
dend wenig auf die Abnahme der Amplitude einwirken konnte.
Bei Betrachtung der gemessenen Amplituden zeigte sich, dass die
Rogelmässigkeit der horizontalen Oscillationen der Scheiben , welche bei
Ableitung der Theorie vorausgesetzt waren, durch die periodischen He-
bungen und Senkungen des bifilar aufgehängten Apparates gestört wor-
den waren; das logarithmische Decrement wuchs mit den Amplituden.
Durch einen Behr geschickten Kuust griff hat Meyer jedoch diese Schwie-
rigkeit erfolgreich überwunden. Die Reibung bei der horizontalen Be-
wegung bewirkt nämlich eine Abnahme der Amplitude, welche der Ge.
seh windigkeit proportional ist, also eine Abnahme nach einer geometrischen
Reihe. Die vom Quadrate der Geschwindigkeit abhängige Störungs-
bewegung fügt eine Vermehrung der Abnahme hinzu, welche dem Quadrate
der Geschwindigkeit proportional ist. Hierdurch wird man genöthigt,
für die Abnahme der Amplituden ein Gesetz ^) anzunehmen, welches eine
geometrische Reihe als speciellen Fall in sich schliesst. Dieses Gesetz
lautet:
'''""^ iv ttjtI) = ^ • ' ''^
Hierin ist O die anfangliche Grösse der Amplitude, tp die Amplitude
nach p Schwingungen, ß ist eine constante Zahl, £ das logarithmische De-
crement. Durch Division zweier Gleichungen von der Form von 15)
kann ß leicht ermittelt und damit dann £ bestimmt werden.
Meyer*) theilt folgende Versuchsreihe mit:
^) 0. E. Meyer, Pogg. Ann. Bd. 143, S. 20 und Crelle»s Journal (ur Mathe-
matik. Bd. 39, S. 241. Man sehe auch diesen %and S. 90.
2) A. a. 0. Pogg. Ann. Bd. 145, S. 23.
D. Innere Reibung der Gase.
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Ä
102 I. Mo)eculartheorie der Wärme,
Ans den VerBuclieD 1, 2, 4, 5 fand Meyer;
1) = 0,000197, X = 0,00029 für 180C.,
aus den Venachen 6 und 7;
j] = 0,000190, X = 0,00036 für 25«C.,
nud dies sind Zahlen, welche sowohl nnter sich, als auch mit den Msi-^
vell'schen Resultaten, welche;
tj = 0,000200 für ISf'C.
ergebeo, sehr gut aberein stimmen
Noch neuere Versuche von 0. E. Meyer') nach derselben Methoda,
welche dazu dienen sollten, die Abhängigkeit des ßeibungscoei^cienteo
von der Temperatur zu ermitteln, ergaben :
t} = 0,000196 für 19" C.
Eine sehr umfassende Experi mental untersachong, welche sich gleii^-
f^^ j zeitig aof mehrere hier-
hergehfirige Gebiet«
(Reibung uod Wärme] ei-
tungsfahigkeit sehr ver-
dünnter Gase) erstreckt,
ist in der Abhnndlung
yon Kundt und War-
burg mitgetheilt;
„Ueber Reibung nnd
W&rmeleitung verdänn-
ter Gase" *),
Der Apparat, dessen
sich dieselben za ihres
Ver Sachen bedienten, ist
in Fig. 7 abgebildet. Eb
wurde nur eine hori-
zontal schwingende
Scheibe benutzt, welcher
durch drei Schrauben
eine feste Scheibe von
unten und durch andere
Schrauben eine an die-
sen letzteren hängende
feste Soheihe von oben
beliebig genähert werde n
konnte. DerHauptnnter-
Bchied zwischen dieser
') O. K. Meyer: UcUer .lic innere Reibung der Ga-^e. Fünfte Abhandlung. P<kk-
Ann. Bd. 148, S. 222 b« '•'H ^ ^*^
*) Pogg. Ann. Bd. 155, 5,337 bis 365; S. 525 bis 550 ni
. 15S, S. 1
D. Innere Reibung der Gase. 103
Einnchtang und der von den früheren Beobachtern gewählten Anordnun-
gen bestand jedoch darin, dass die störenden dämpfenden Momente (in Max-
welFs Formel 14 ist das davon herrührende Decrement mit k bezeich-
net) gegen das dämpfende Moment der Gasreibung an der Scheibe so klein
war, dass wegen der ersteren keine merkliche Gorrection anzubringen war.
Aach Kundt und War bürg wählen eine bifilare Aufhängung an einem
losserst dünnen Süberdrahte (Durchmesser 0,06 mm), jedoch machten
eie diese Drähte so lang (0,3 m) und brachten dieselben einander so
nahe (Abstand 3 mm), dass die Störungen durch das Heben und
Senken der Scheiben bei den Schwingungen ebenfalls unmerklich
worden. (Das grösste Auf- und Niedersteigen der Scheiben betrug
0,00006 mm.)
Bei to befindet sich (man sehe Fig. 7 a. t. S.) in einer Messingfassung
ein planparalleles Glas, durch welches in dem an der Axe des Apparates
befestigten Spiegel eine Scala beobachtet werden konnte. Die mit dem
Hahn { versehene Glasröhre führte zu einer Quecksilberluftpumpe, dem
Gasentwickelungsapparate, Manometer etc. Der ganze Apparat steht auf
einem Teller pq^ auf den eine Glocke o'o" luftdicht aufgesetzt ist. Die
ganze Aufhängungsvorrichtung steht ebenfalls mit unter einem oben ge-
schlossenen Röhrenaufsatze o, welcher bei n in die Glasglocke o'o" ein-
gekittet ist.
Die Untersuchung wurde auf Luft, Wasserstoff und Kohlensäure aus-
gedehnt. Die Versuche lieferten für alle drei Gase eine glänzende Be-
«tätignng des ersten MaxwelTschen Gesetzes, dass 1} von der Dichte
und somit vom Drucke des Gases unabhängig sei, denn von 750 mm
I Quecksilberdruck bis zu 20 mm blieb das logarithmische Decrement bis
aof weniger als 1 Procent des Werthes con staut. Bei noch geringerem
' Drucke zeigte sich dagegen eine merkliche Abnahme des logarithmischen
Decrementes, die sich jedoch, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird,
anderweit erklärt Zur Bestimmung des absoluten Reibungscoefficienten
Bind aber nur die bei 750 mm und 380 mm Druck beobachteten Werthe
angewendet worden.
Zar Berechnung diente die MaxwelTsche Formel, welche wir be-
reits als Gleichung 14) reproducirt haben.
Da der Reibungscoefficient r^ von der Grösse e des logarithmischen
Decrementes abhängt, so garantirt die Un Veränderlichkeit von s gleich-
zeitig die von 17.
Wir reproduciren , um zu zeigen, dass f} nahezu unabhängig vom
Drucke ist, so lange der Druck nicht unter 20 mm sinkt , drei auf Luft,
Kohlensäure und Wasserstoff bezügliche Beobachtungsreihen. Die Co-
lumne e enthält für jedes Gas die auf 15^ G. bezüglichen logarithmisohen
Decremente, welche unter der Annahme aus den beobachteten abgeleitet
Bbd, dass, wie es aus Maxwell's Versuchen hervorzugehen scheint, 1} und
104
I. Moleculartheorie der Wärme.
somit auch das logarithmische Decrement e der ersten Potenz der abeo-
luten Temperatur proportional sei^).
Der Abstand der beweglichen Scheiben von den beiden festen Schei>
ben betrag:
a = 0,1967 mm,
das Trägheitsmoment des schwingenden Apparates M =. 1960 g ein,
die Schwingangsdauer % = 42,28 Secunde.
Luft. '
Logarithmiscbes Decrement
Druck
Temperatur
mm
OC.
beobachtet
auf 15^ reduc.
•
6
C
750
18,8
0,0587
0,0580
380
18,5
0,0593
0,0586
20,5
17,2
0,0586
0,0582
2,4
16,6
0,0570
0,0567
1,53
16,4
0,0558
0,0555
0,63
17,2
0,0530
0,0526
Wasserstoff,
750
380
20
18,9
19,8
22,1
0,0287
0,0287
0,0287
0,0283
0,0283
0,0281
Kohlensäure.
750
380
20,5
2,4
1,54
0,65
18,3
20,0
17,3
18,7
19,1
19,7
0,0474
0,0468
0,0477
0,0469
0,0470
0,0466
0,0466
0,0461
0,0459
0,0453
0,0441
0,0434
^) Der Fehler , welcher durch Anwendung dieses nicht richtigen Gesetzes sich in
die reducirten Werthe einschleicht, ist hier ganz unerheblich, da die Temperaturdiffe-
renzen sehr gering sind.
D. Innere Reibung der Gase.
105
Auch hier erkennt man, dass die innere Reibnng der Gase bei ab-
nehmender Dichte allerdings, wenn auch erstaunlich langsam, abnimmt,
und dass diese Abnahme bei allen Gasen nahezu in gleichem Maasse
stattfindet.
Für jedes Gas sind drei Versuchsreihen angestellt worden und zwar
für alle Gase bei der:
1. Versuchs-
reihe
2. Versuchs-
reihe
3. Versuchs-
reihe
Scheibenabstand
Trägheitsmoment
SchwiDgungfidaaer
Badins der Scheiben
Conrection
Im Besonderen war für:
a ■
M
G
R
a
0,1104 cm
1550
40,25 See.
8,0
0,07622
= 0,1967
= 1960
= 42,28
= 7,95
= 0,1022
Luft.
= 0,2802
= 1960
= 42,20
= 7,95
= 0,1422
1. Versuchs-
reihe
2. Versuchs-
reihe
3. Versuchs-
reihe
Auf 15® reduc. J)ecrement . . .
ReibnngscoefHcient bei 15^0. . •
C = 0,1318
}} = 0,000193
0,05828
0,000186
Anf 15^ reduc. Decrem. . . .
ReibungscoefFicient bei 15® • .
Auf 15® reduc. Decreme'nt . .
Beibungscoefßcient bei 15® . •
Mittel n = 0,000189.
Wasserstoff.
e = 0,6517
ri = 0,0000953
Mittel 1? = 0,0000923.
Kohlensäure.
e = 0,1069
ri = 0,000156
Mittel 1? = 0,000152.
Wasserdampf.
= 0,028275
= 0,0000900
0,0469
0,000149
Auf 15® reduc. Decrement . • •
BeibungBCoeflicient bei 15® • . .
e
0,03063
0,0000975
0,04248
0,000189
0,020545
0,0000916
0,0341
0,000152
106 I. Moleculartheorie der Wärme.
Man erkennt, dass der ReibungscoefÜcient der Loft am grossten, der
des Wasserstoffs nahezu nur halb so gross und der des Wasserdampfes
wenig grösser, als der des reinen Wasserstoffes ist. Hieraus ergiebtsich
die mittlere Weglänge bei 15® und 760 mm Druck fur^):
Luft A = 0,0000084 cm,
Kohlensäure X = 0,0000055 cm,
Wasserstoff X = 0,0000156 cm,
Wasserdampf A = 0,0000056 cm.
Auch einige Versuche, welche von Puluj angestellt worden sind,
mögen an dieser Stelle mit Platz finden , wenngleich wir später bei Be-
sprechung der Abhängigkeit des Reibungscoefficieuten von der Tempe-
ratur Veranlassung haben werden, ausführlicher auf diese Arbeiten zu-
rückzukommen. Derselbe fand mit einem Apparate, welcher dem too
Kundt und Warburg fast vollkommen glich, für:
Luft 1^ = 0,0001916 bei 20» C,
Wasserstoff rj = 0,00009285 bei 15,9^
Kohlensäure if = 0,000153 bei 19,9».
6. Versuche von Kundt und Warbupg mit verdünnten
Gasen. Der Oleitungscoefficient v.
Auch durch rein theoretische Betrachtungen kann man sich dayon
überzeugen, dass die Annahme, welche den meisten bisherigen Rechniin-
gen zu Grunde lag, nach der ein Gleiten des Gases an den festen Wan-
dungen nicht stattfinden soll, nicht richtig sein kann.
Wir denken zu diesem Zwecke ^) das Gas auf der einen Seite durch
eine ruhende ebene Wand begrenzt, deren dem Gase zugekehrte Fläche
die XY-Ebene sein möge. Der Bewegungszuatand im Gase soU. als sta-
tionär vorausgesetzt werden und in jedem Punkte soll eine der X-Axe
parallel gerichtete fortschreitende Bewegung vorhanden sein. In irgend
einem Punkte, welcher um g von der XY-Ebene absteht, soll die Grosse
der fortschreitenden Bewegung gleich:
u = Ä -^ B . e
sein. Betrachtet man ein Flächenelement Ö der Wand, so hat die mitt-
lere Translationsgeschwindigkeit der dieses Element treffenden Gasmole-
cüle einen endlichen positiven Werth , derselbe mag / sein. Wäre die
Wand absolut glatt, so würde die der Wand parallele Componente der
1) Hierbei ist die Stefan 'sehe Formel:
17 = —■ • <f . i> . A
' 8
benutzt worden. Man sehe Anmerkung zu S. 86.
*) Wir folgen im Nachstehenden der Entwickelung, welche Kundt und WarborK
in ihrer Abhandlung: Ueber die Reibung und Wärmeleitung verdünnter Gase , Pogg.
Ann. Bd. 155, S. 345 ff., gegeben haben.
D. Innere Reibung der Gase.
107
Geschwindigkeit der Molecale durch den Anstoss an die Wand nicht ge-
ändert werden.
Die Thatsache, dass Reibung des Gases an der Wand stattfindet,
beweist, dass die Molecüle der Wand einen Theil der der Wand paralle-
len CompoDente ihrer BeweguDgsgrösse abgeben. Welche Vorstellung
man sich auch von dem jedenfalls höchst complicirten Vorgänge machen
will, dem die Molecüle an der Wand unterworfen werden, so wird man
doch immer zugeben müssen, dass die mittlere mit x parallele Transla-
tionsgeschwindigkeit der von der Wand abfliegenden Molecüle zwischen
0 und /liegt. Hieraus folgt aber, dass die mittlere Geschwindigkeit Uq
der der Wand anliegenden Gasmolecüle einen endlichen positiven Werth
hat. Yon diesem haben aber die auf die Wand zufliegenden Molecüle
die mittlere Translationsgeschwindigkeit /, die von der Wand abfliegen-
den eine zwischen 0 und / liegende Geschwindigkeit der fortschreitenden
Bewegung; hieraus folgt, dass:
Wo > 0
ist, d. h. es findet Gleitong an der Wand statt.
um Aufschluss darüber zu erhalten, in welcher Weise der Gleitungs-
coefficient mit den übrigen Eigenschafben des Gases zusammenhängt;
machen Eundt und Warbnrg eine sehr specielle Annahme und setzen
an die Stelle des jedenfalls sehr complicirten Vorganges an der Wand
einen einfacheren. Sie nehmen nämlich an, dass die Curve, welche die
Geschwindigkeit in ihrer Abhängigkeit von der Wand darstellt, in der
Nähe der Wand aus vier geradlinigen Stücken AB, BC, CD, DE be-
Fig. 8.
1
X
steht (man sehe Fig. 8),
welche sich bei ^ =.A,
schneiden, wenn A die
mittlere Weglänge be-
zeichnet. Die Gerade
A B entspricht der For-
mel u =: A -Y B , e.
Die drei anderen wurden
der Voraussetzung des
stationären Zustandes
gemäss dadurch be-
stimmt, dass durch ^ = 0,
nämliche Bewegungsgrösse hindurchgeht. Bezüglich der Details der
hierher gehörigen Rechnung verweisen wir auf die Origiualabhandlung ^).
Bezeichnet Uq die Geschwindigkeit der Gasschicht, welche der ruhen-
^) A. a. 0. Pogg. Ann. Bd. 155, S. 354 bis 358.
108 I. Moleculartheorie der Wärme.
den Wand anliegt, 5', b'\ h"' Rieht ungsconstanten der Geraden B C, CD,
DE in Bezug aaf die X-Axen, so ergiebt eich :
6' = 1,1640 . 5; b" = 0,8679 . J?; 5'" = 1,3750 . B;
Wo = 0,57660 A . B.
In der bisher immer angenommenen Theorie war die Geschwindig-
keitscurve bis an die Wand hinan eine stetig fortlaufende Gerade. In
der von Kundt und War bürg adoptirten Annahme weicht die Cunre in
der Nähe der Wand von der Geraden ab; doch sind die Abweichungen
beschränkt auf die Entfernungen < A von derselben, wenn A die mitt-
lere Weglänge bezeichnet. Wenn die Geschwindigkeit von D aus nach
der Wand nach dem Gesetze der Geraden ÄB^ d. h. nach:
u = Ä -{■ B . is
abnähme, so würde u = 0, d. h. gleich der Geschwindigkeit der festen
Wand werden, in einem Abstände v hinter derselben. Zur Besiimmiing
dieser Grösse r, welche der Gleitungscoefficient genannt wird, erhält
man die Gleichung:
^ 1 A . (b^ + h*' + h''^ + Uq
3 A + V
Setzt man die angegebenen Werthe ein, so ergiebt sich:
V = 0,7122 . A,
oder :
v =0,7122 . Ao • ,
P
wenn Aq die mittlere Weglänge des Gases für 760 mm Druck and p den
DiMick des Gases in mm Quecksilber bezeichnet.
Setzt man für A seinen Werth für Luft bei p = 760 mm ein, so
ergiebt sich:
V = 0,000059 mm.
Man findet also allgemein:
V = K . X 16)
wo K ein Proportionalitätsfactor ist.
In dieser Gleichung liegen folgende Gesetze für den Gleitungscoeffi«
cienten, welche einer experimentellen Controle fähig sind:
1. Da A der Dichte umgekehrt proportional ist, so ist der Gleitungs-
coefficient V eines Gases der Dichte ebenfalls umgekehrt proportional.
2. Für verschiedene Gase von gleichem Drucke verhalten sich die
Gleitungscoefficienten wie die mittleren Weglängen, da der Proportionali-
tätsfactor Ä, wie schon O.E. Meyer ^) vermuthete und Kundt und War-
burg bestätigt haben, für alle Gase nahe denselben Werth hat.
Betrachten wir nun wiederum den Fall, der bei den Versuchen vor-
liegt, dass die Gasmasse zwischen zwei ebenen, der XF- Ebene parallelen
^J 0. E. Meyer: üeber die innere Reibung der Gase, II. Abhandlang. Pogg. Ann.
Bd. 127, S. 377.
D. Innere Reibung der Gase. 109
Wänden ein geschlossen ist, von welchen die eine ruht, die andere mit der
Geschwindigkeit vi parallel der X-Axe verschoben wird. Dann ist die
Translationsgeschwindigkeit u = A -\- Be des Gases in einem Abstände
e von der festen Wand gleich:
M = - • tt' 4; j - Z 17)
wenn a die Dicke der zwischen den Wänden eingeschlossenen Gasschicht
and V den vorhin definirten Gleitnngscoefficienten bezeichnet. Alsdann
ist die auf die Flächeneinheit der bewegten Ebene ausgeübte Reibung 92
merklich gleich:
»^ = " • «-+Tr/> ^«)
so lange
a > 14 A
ist. Wobei nach Gleichung 16:
V = K . k.
Aus MazwelTs Theorie hatte sich nun aber früher zur Berechnung
der Versuche die Formel ergeben (man sehe Gl. 10, S. 99, bei Kundt
und Warburg ist A'= 2, x = 0):
2 Jf . g . £
^ ~ Ä . (JB + «)* .(1 + ») .%'
Genauer würde man hierin für a also nunmehr:
a + 2v
zu setzen haben.
Aendert man nun lediglich die Dichte des Gases, während alles
Uebrige constant bleibt, so ändert sich allein v. Nennt man nun Sq das
logarithmisohe Decrement für eine sehr grosse Dichte des Gases, so ist:
s a
.0 1 ^ 2v
* a
Bei sehr grosser Dichte aber ist A, die mittlere Weglänge, sehr klein
und daher wird man, ohne wesentlichen Fehler, vernachlässigen kön-
nen und erhält:
«0
a
19)
wobei V = K , X,
Dies Resultat lässt sich auch in der Form darstellen:
') Genaueres hieräber sehe man bei Kundt und Warburg a. a. O. Pogg. Ann.
Bd. 155, S. 3 50.
110
I. Moleculartheorie der Wärme.
B =
fo
worin :
Ö =
P
JST.Ae . 760
a
20)
Hierin inuss demnach 6 vom Drucke unabhängig, filr verschiedene
Gase proportional der mittleren Weglänge und ausserdem umgekehrt
proportional der Dicke a der reibenden Gasschicht sein. Dies bestätigte
sich bei den Versuchen von Kundt und Warburg mit kleinen Drücken
von 20 bis 0,60 mm Quecksilber vollständig. Für jede der auf S. 104
mitgeth eilten Versuchsreihen wurde ö bestimmt und damit rückwärts
die Grösse des logarithmischen Decrementes bestimmt.
Es ergab sich:
für Luft,
wenn: a -—
0,1104,
f 0 =
0,132,
Ö — 0,149:
Druck p
mm
s
beobachtet
£ berechnet
20
0,131
0,131
7,6
0,129
0,129
2,4
0,125
0,124
1,63
0,120
0,120
für Wasserstoff,
wenn: a = 0,1104, Iq = 0,0653, i 6 = 0,0256
Druck p
mm 6 beobachtet 6 berechnet
20 0,0638 0,0645
8,8 0,0629 0,0635
2,4 0,0601 0,0590
für Kohlensäure,
wenn: a —
0,1967,
£o — 0,0469,
ö — 0,0505
Druck p
mm
£
beobachtet
£ berechnet
20,5
0,0467
0,0468
2,4
0,0461
0;0459
1,54
0,0453
0,0454
0,65
0,0435
0,0435
Es zeigt sich also, dass v innerhalb der Versachsgrenzen dem Dmeke
umgekehrt proportional ist.
D. Innere Reibung der Gase. 111
Auch dass 6 umgekehrt proportional dem Scheibenabstande a nnd
för Terschiedene Gase bei gleichem Drucke der mittleren Weglänge X
proportional ist, kann innerhalb der Versuchsgi'enzen als bewiesen ange-
sehen werden. Wenn man somit durch die Versuche die Theorie der
Gleitung als bewiesen ansieht, so ist damit gleichzeitig dargethan , dass
die Voraussetzung der Theorie richtig ist, nämlich, dass der Reibungs-
coefficient der Gase vom Drucke innerhalb der Drucke von
750 bis 1 mm unabhängig ist.
Dies aber ist eine glänzende Bestätigung der früher von uns ent-
wickelten Theorie der inneren Reibung und sonfit der Moleculartheorie
der Gase überhaupt.
Die von allen Experimentatoren beobachtete Abnahme desReibungs-
coefficienten 7} mit abnehmendem Drucke kann zwischen 750 und 1 mm
somit dadurch erklärt werden, dass man bisher immer den Gleitungscoef-
ficienten in Formel 14) gleich Null annahm, während derselbe einen
zwar kleinen aber merklichen Werth besitzt, der sich dem Drucke um-
gekehrt proportional ändert.
In den besten luftleeren Räumen, welche man überhaupt mit Queck-
silberpnmpen herzustellen im Stande war, behielt die innere Reibung
noch immer den dritten Theil des Werthes, den sie bei Atmosphären-
druck besessen hatte.
Es sind diese Versuche von Kundt und Warburg besonders des-
halb höchst interessant, weil sie zeigen, dass fast verschwindende Spuren
gasiger Materie im Stande sind, verhältnissmässig sehr grosse Mengen
von Bewegungsgrösse in der Zeiteinheit zu transportiren. Schon diese
Versuche allein würden genügen, um bei Erklärung der Vorgänge an
den Radiometern oder Lichtmühlen dabei stehen zu bleiben, dass die
lebendige Kraft durch die letzten Spuren von Gas, welche sich auch in
dem besten Vacnum befinden, übertragen werden.
7. Die Ableitung der ReibungscoefBoienten aus Trans-
spirationsversuolien.
Von grosser Bedeutung für die Bestimmung des Reibungscoefficien-
ten i| sind femer die Versuche über die Strömung der Gase durch Ca-
pillarröhren, die Transspirationsversuche. Derartige Versuche sind nicht
nur mit Flüssigkeiten, sondern auch mit Gasen in grosser Zahl angestellt
worden. Von den älteren hierhergehörigen Beobachtungsreihen sind be-
sonders die von Graham ^) mitgetheilten durch ihre Vollständigkeit und
die Sorgfalt ihrer Ausführung ausgezeichnet.
Wenn man von der Annahme ausgeht, deren Richtigkeit bereits von
^) Graham, On the motion of gases. Phil. Trans, of the roy. soc. of London.
Jahrgang 1846, S. 513 und Jahrgang 1849, S. 390.
112 I. Moleculartheorie der Wärme.
uns erkannt worden ist, dass der Rcibungscoefficient tj in sehr weites
Grenzen vom Drucke und somit von der Dichte des Gases unabhängig
ist, so lässt sich die Theorie der Strömung eines Gases durch eine Capil-
larröhre ohne Schwierigkeit durchführen.
Man findet auch für Gase dasselbe Gesetz, welches Poiseuille*)
und 11 a g e n ^) schon früher für tropfbare Flüssigkeiten auf experimen-
tellem Wege ermittelt haben, und welches erst später durch Stokes^
und andere für diesen Fall auch auf Rechnungswege abgeleitet worden ist
Dieses Gesetz, welches man gewöhnlich das Poiseuille'sche nennt,
giebt die Flüssigkeitsmenge an , welche während einer bestimmten Zeit
durch die Röhre geflossen ist, als Function der Dimensionen der Röhre,
der Stärke des treibenden Druckes und des inneren Reibungscoefficienten.
Da man die ausgeflossene Menge, die Dimensionen der Röhre and den
Druck leicht findet, so können solche Versuche demnach zur Bestimmung
des Reibungscoefficienten i^ dienen. Für Gase, welche sich von den Flüs-
sigkeiten durch die Veränderlichkeit ihrer Dichte mit dem Drucke UDte^
scheiden, ist die Theorie zuerst von 0. E. Meyer*) durchgeführt wor*
den. Derselbe ging aus von den bekannten Differentialgleichungen der
Bewegung, welche von Stokes^) und auch von Stefan^) für Flüssigkei-
ten unter Berücksichtigung der inneren Reibung aufgestellt worden sind.
0. E. Meyer findet für die Geschwindigkeit u der Strömung eines
um r von der Aze der Röhre abstehenden Flüssigkeitsth eilchens die Formel:
w = t'r^'\ -[R'-r' + ^v.B] . . , .-21)
Hierin bedeutet pi den Druck am Anfang, p^ am Ende des Capillar-
rohres, l die Länge und R den Radius des Capillarrohres , p den Druck
in dem Querschnitte, in welchem u gemessen wird, 17 den Coefficienten
der inneren Reibung und v den Gleitungscoefficienten:
V
v=—
s
wenn s den Coefficienten der äusseren Reibung an den RöhrenwanduD*
gen bezeichnet. Vorausgesetzt bei der Entwickelung ist: 1) dass t} tm-
abhängig von der Dichte ist , 2) dass l sehr gross ist im Verhältniss zam
^) Poiseuille, Recherches exper. sur le moavement des liquides. Anu. d. chim>
et de phys. 3. Serie. Bd. 7, S. 50 (1843).
2) Hagen, Sitzungsber. d. Berl. Akad., 1854, S. 17.
8) Stokes, Cnmb. Trans. Bd. 8 (1849), Theil 3 (1847), S. 304, §. 9; G. Wieae-
mann, Pogg. Ann. Bd. 99, S. 218. F. Keuroann in H. Jacobson's Arch. f. Anat
und rhys. 1860, S. 80. 1861, S. 304, Bericht der Naturforscherversamnilung in Kö-
nigsberg 1860, S. 142; Hagenbach, Pogg. Ann. Bd. 409, S. 385; Helmholtz,
Wiener Sitzungsber. Bd. 40, S. 107; Stefan, Wiener Sitzungsber. Bd. 46, il. AbUd.,
S. 495.
*) 0. E. Meyer, Ueber die Reibung der Gase. U. Abhandl. Pogg. Ann. Bd. 127.
S. 263 bis 271. |
ö) Stokes, Cambridge Phil, trana. Bd. 8. I
6) Stefan, Wiener Sitzungsber. Bd. 46, Abtbl. II, S. 8. j
D. Innere Reibung der Gase. 113
Böhrenradiiu Jl and 3) dass die treibende Druckdifferenz pt — jPs sehr
klein ist; 4) ist voransgesetzt , dass auch der Gleitnngscoef&cient v vom
Droeke unabhängig sei, dieses aber ist, wie wir aus Eundt und War-
bnrg^s Versuchen wissen, nicht ganz zulässig.
Für die Verwendung der Formel zur Berechnung der Versuche ist
es bequemer, die Ausflusszeit oder Transspiratiönszeit t und das Ausfluss-
Tolomen in Rechnung zu ziehen. Das während der Zeit t durch einen
Querschnitt ausgeflossene Volumen V ist:
F= 2n . t . I u . r . dr
und dies ergiebt , wenn man den Werth Yon u einsetzt und die einfache
Integration ausfuhrt:
Beim Eintritt in das Rohr (bei p = Pi) gemessen beträgt das Volu-
men demnach:
ivnd nach dem Austritte (unter p = p^) gemessen:
Das bekannte Poiseuille^ sehe Gesetz erhält man unmittelbar, wenn
man das Volumen unter dem mittleren Drucke:
Imisit und, was für tropfbare Flüssigkeiten, welche die Wand benetzen,
nltoig ist,
V = 0
Betit Eis wird dann:
7o = » . < . (pi — i?3) . — - — ..... 25)
o . 1] • f
und das ist das Poiseuille^sche Gesetz.
Diese Formeln, welche eine constante Strömungsgeschwindigkeit
^Toraossetzen , dürfen nur dann zur Berechnung der Beobachtungen be-
i nutzt werden, wenn Anfangs- und Enddruck während des ganzen Ver-
ncbs UDgeändert bleiben.
Für gewöhnlich kann diese Formel immer nur für eine unendlich
Ueine Zeit d^ gelten. Das während des Zeitelementes di unter dem
Drucke pi in die Capillare eintretende GasYolumen dV\ ist:
oder wenn man dasselbe nach dem Ausflusse unter dem Ausströmungs-
^nmke p^ misst:
T«rd«t-BahlmaBn,Meoliaiu Wllrmetheoiie. Bd. 9. 8
114 I. Moleculartheorie der Wärme.
' 8 .71 .1 \ Rj 2p^
Durch diesen Vorgang sinkt pi nm dpi^ und p^ nimmt am dp^ a
Der Betrag von dpi und dp^ ergiebt sich aas dem Mariotte'* sehen G^
setze, wenn man die Volumina Wi und W^ der Gasbehälter and deret
Temperatur als constant betrachtet Es ist dann:
TT,
Setzt man für d Vi und d Fj die soeben berechneten Werthe dij
and führt die Abkürzung:
ein, 80 ergiebt sich:
TT, . dj», = + I • ^ . (Pi» - p,») . dt. \
Durch Addition findet sich sofort:
Fi . (fpi + Wi . dp2 ■= 0
and durch hierauf folgende Integration :
C= Wi.pi + Wi .pa
Ist zu Anfang des Versuches bei ^ = 0: p^ = P^ und p^
bestimmt sich der Werth dieser Gonstanten 0 zu:
C=Wi.Pi + Wi.Pt
Femer findet sich:
• 2 Wi . dpi 2.Wi.dpi
Multiplicirt man diese Gleichung mit der zweitvorhergehenden,
erhält man:
C.K.dt=.^2Wi.W,' P^'^P^-P^'^P\
Pi^ — Pt^
oder auch:
C.K.dt= Wi . W2 .d logncU ?L-±-£«.
Pi — Pt
Durch Integration ergiebt sich hieraus:
C . K .t^Wi . W^. llognat ?L+-^ _ jognat ^' "^ f '
= -P^J
l Pi—Pi Pi — Pt\
and hiermit ist, zusammengenommen mit
Cf = TTi . pi + TT, . p, = Wi . Pi + TTj . P„. . . 21
pi und |>3 als Function Yon t durch die anfänglich gegebenen Gi
ausgedrückt.
D. Innere Reibung der Gase. 115
Die Ol. 28) kann dazn dienen , zu jeder Zeit zn prüfen , ob der Ap.
parat Inftdicht geblieben ist. Die letzte Gleichung wird, wenn pi und p^
an den Manometern abgelesen ist, dazn benutzt, um die Grösse K zu be-
rechnen und, wenn Versuche mit mehreren Capillaren vorliegen, aus die-
sen die Reibungsconstanten i} und v zu finden.
Berechnet man aus den in gleichen Zeiten t aufeinander folgenden
Manometerablesungen die Grösse iC, so erkennt man aus der Constanz
dieser Grösse die Gültigkeit des Poiseuille'schen Gesetzes.
Die aufgestellten Formeln bedürfen eigentlich noch kleiner Correc-
tionen« Die beiden Volumina Wi und W3 der Gasbehälter sind nämlich
nicht ganz constant, sondern werden dadurch etwas veränderlich, dass
das Quecksilber in den mit ihnen verbundenen Manometern schwankt.
0. E. Meyer hat eine vollständigere Formel^) entwickelt, welche auch
auf diesen Umstand Rücksicht nimmt, doch ist die Correction meist so
klein, dass sie unbedenklich vernachlässigt werden kann. Von ebenso
untergeordneter Bedeutung ist eine Verbesserung der Formel, welche da-
durch nöthig wird, dass in einem Gefässe, aus dem Gas ausströmt, die
Temperatur sinkt und dass im Einströmungsgefösse eine Erwärmung ein-
tritt Das strömende Gras ist weder mit einer für Wärme vollkommen
undurchlässigen Hülle umgeben, noch besitzen andererseits Röhren und
Geftsse eine' so grosse Leitungsfähigkeit, dass sich die Temperatur gar
nicht änderte. Eine vollständige analytische Behandlung der Wärme-
correction igt daher sehr schwierig, wenn nicht fast unmöglich; jedoch
ist es von Bedeutung, dass O.E.Meyer durch Untersuchung der beiden
Grenzfalle einer Strömung bei constanter Temperatur und einer Strömung
ohne jede Wärmezufuhr von aussen gezeigt hat, dass die Transspirations-
versuche etwas zu kleine Resultate liefern müssen. Dies ist um so wich-
tiger, als die Sohwingungsbeobachtungen wahrscheinlich etwas zu grosse
Werthe liefern. Die fast vollkommene Uebereinstimmung der nach bei-
den Methoden erhaltenen Werthe garantirt die Zuverlässigkeit der erhal-
tenen Grössen und zeigt, dass die den Methoden anhaftenden Fehler un-
bedenklich vernachlässigt werden können.
Der zu solchen Versuchen dienende Apparat ist in Fig9 dargestellt
und zwar ist dies die Einrichtung, deren sich 0. E. Meyer bei seinen
neuesten Versuchen bediente.
Zwei kupferne Ballons Ä und B sind durch eine luftdicht eingekit-
tete Gapillarröhre CC mit einander verbunden. Den Druck des Gases
in Ä kann man am Manometer 1), den in £ am Manometer E ablesen.
Am oberen Ende besitzt jedes der Gefässe Ä und B eine Röhre mit Hahn-
▼enchloBa, durch welche das Innere des Ballons mit zwei Luftpumpen in
Verbindung gesetzt werden kann. Die Ablesung beider Manometer ge-
schieht meist alle Minuten gleichzeitig durch zwei Beobachter. Die Tem-
^) O. E. Mejer: üeber die innere Reibung der Gase, 4. Abhandlung, §. 3. Pogg.
Ann. Bd. 148, S. 10 bis 13.
8*
D. Innere Reibung der Gase.
117
1. Versuch.
Qaeraelmitt der Gapillare E^jc = 0,001114 qcm, Länge l = 155,3 cm.
tntor
r
Druck in
Pi
B
Druck in A
C=:«JiPi + W2;>2
W^^
142,51 —
Pl
7,84 = Pa
372000
lüt
132,20
18,30
0,0362
0600
fk
123,45
26,78
359
0900
p
116,08
34,53
364
0100
m
109,73
41,41
371
0800
m
104,43
46,36
367
369600
99,83
51,06
369
8700
95,92
54,76
368
9300
96,67
58,18
371
9300
fiiMe
—
—
0,0368
370100
2? = 0,590.
E* nnterscbeidet sich von f dadurch, dass K' auf Briggs' sehe und
Jlaaf natürliche Logarithmen bezogen ist, denn es ist E^ nach der For-
Jid 29) berechnet:
C
md demnach, weil C durch die Grösse p ausgedrückt ist:
2,3026 Wi . Wi . s
^-T~g C •
WO p die Dichte des Quecksilbers für mittlere Temperaturen, p = 13,55
ondi/die Accelerationder Schwere am Beobachtungsorte ^= 981,2 cm ist.
Nmi ist aber (man sehe GL 26, S. 114):
8 . 1? . Z 1 ^ jR\
Demnach ergiebt sich für die Beobachtungstemperatur:
14,6 1,' = ij : (l + 4 ^) = 0,000187.
Aus zwei anderen Beobachtungsreihen ergab sich für:
» . « = 0,000812 qcm, l — 156,2 cm, i = Ufi^C, 6 = 0,0201,
C = 154,6, S! = 0,316,
118 L Moleculartheorie der Wanne.
14,6 V = 1? : (l + 4 -^ = 0,000186.
Die beiden Wertbe stimmen, trotzdem dass B wesentlich
dene Werthe besitzt, so gut mit einander überein, dass man schon dar>|
aas erkennen kann, dass v, der Gleitungscoefficient, einen fast verschvia-l
denden Werth besitzen muss. Für Berechnung der Versuche habet'
daher alle Beobachter, welche sich der Transspirationsmethode bedientes,;
einfach v = 0 gesetzt und 17' mit 17 verwechselt.
Es braucht wohl kaum hinzugefügt zu werden, dass solche Appante^j
wie der oben beschriebene und in Fig. 9 abgebildete durch ihre Einfadi-|
heit besonders geeignet erscheinen, um 1) die Reibungscoefficienteii
verschiedener Gase und 2) die Reibungscoefficienten der Gase bei ve^
schiedenen Temperaturen zu ermitteln.
Die besonderen Einrichtungen, welche sich für Versuche letzter Ait
nöthig machen, theilen wir nicht mit , Bondern verweisen deshalb auf die:
Beschreibung, welche z. B* v. Obermayer^) von dem von ihm benutzien^
Apparate gegeben hat.
Auch bezüglich einer etwas abweicheu den Methode, welche v. Lang')
und nach ihm Puluj ') bei Transspirationsversuchen angewendet habai,
verweisen wir auf die Originalabhandlungen.
8.S üeber die Abhängigkeit der inneren Reibung der
Oase von der Temperatur.
Bekanntlich fordert die Max well 'sehe Theorie der inneren Keibiug]
der Gase , dass der Reibungscoefficient 17 vom Drucke unabhängig mA I
der Wurzel aus der absoluten Temperatur proportional sein müsse. (Man;
sehe Bd. 2, I, D, 2, S. 86, Gl. 8.)
Während das erste der MazwelP sehen Gesetze durch zahlreich«
Versuche und ganz besonders durch die vortreffliche Arbeit von Kundt
und War bürg durch Berücksichtigung der Gleitung iu sehr weitet
Grenzen für richtig erkannt worden ist , führten die Versuche über die
Abhängigkeit des Reibungscoefficienten von der Temperatur zu ziernüd
abweichenden Resultaten, welche der Theorie fast alle zu widersprecben
scheinen.
Ma|[well glaubte aus seinen Schwingungsversuchen das Resultat
ableiten zu müssen, dass der Coefficient der inneren Reibung den
^) y. Obermayer: Ueber die Abhängigkeit des Reibongscoefficienten der atoo-
sphärischen Luft von der Temperatur in: Carl's Repertorium der ExperimentalphTsik.
Bd. 12, S. 13 bis 38.
^ T. Lang, Sitzongsber. d. Wiener Akad. 11. Abth., Bd. 66, Jahrg. 1871, ApriJhdL
^J Palnj, üeber die Reibongsconstante der Luft als Function der Tempentnr.
Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. 69, Jahrg. 1874, II. Abth. Februarheft und Bd. 70,
1874, Juliheft.
D. Innere Reibung der Gase. 119
^nft der absoluten Temperatur selbst proportional sei. Dieses Ergeb-
wnrde sogar die Veranlassung, dass MaxwelP) die Fundamente der
kmmten Gastheorie glaubte abändern zu müssen. Die Theorie zeigt
imlich, dass die Function, nach welcher der Reibungscoefficient von der
^mperatur abhängt, durch die Annahme bestimmt wird, welche man über
Vorgänge während des Zusammenstosses zweier Molecüle macht. Statt
ler abstossenden Kraft, welche zwei sich begegnende Gasmolecüle, ähnlich
te zwei zusammenstossende elastische Kugeln nur bei unmittelbarer Beruh-
ig oder wenigstens in unmessbar kleiner Entfernung auf einander aus-
)n, nahm er neuerdings eine der fünften Potenz der Entfernung um-
»kehrt proportionale abstossende Kraft an. Da wir jedoch in Ueber-'
[Stimmung mit Stefan^) und 0. E. Meyer') der Ansicht sind, dass
Annahme sich mit den früher von uns (Bd. 1, Abth. III, B, 8 bis 10,
254 bis 270) besprochenen Versuchen von Joule und Thomson in
Iderspmcb befindet, so sehen wir von einer ausführlichen Besprechung
wr Arbeit ab. Nach Joule's und Thomson's Messungen der Tem-
^ratnränderungen, welche bei Druckänderungen der Gase eintreten, sind
|ir nämlich genöthigt, zwischen Gasmolecülen anziehende und
cht abstossende Fernewirkungen anzunehmen^). Gegen die An-
ime einer abstossenden Femewirkung zwischen den Grasmolecülen
iricht auch noch der Umstand, dass ein Gas zu einer Flüssigkeit und
sogar zu schneeartigen Massen sich verdichten lässt.
O.E. Meyer wiederholte deshalb die Versuche nach der Mazwell*-
schen Methode und fand. fQr die Abhängigkeit der Lnflreibung von der
Temperatur, dass sich 17 weder mit der ^ ten noch mit der 1 ten Potenz
der absoluten Temperatur, sondern dass sich 17 mit einem zwischen bei-
den Werthen liegenden Exponenten der absoluten Temperatur ändere.
Dieses Resultat wird durch zahlreiche Transspirationsyersuche , die wir
im Folgenden besprechen werden, vollkommen bestätigt. Den Grund der
ÜDgenauigkeit der MaxwelTschen Versuche sucht O.E. Meyer, wie wir
glauben, mit vollem Rechte in der ungenauen Bestimmung d^r Temperatur
der reibenden Luftschicht; Streintz^) sucht sie in einer Zunahme der
durch die elastische Nachwirkung des Aufhängungsdrahtes bewirkten
Dämpfung mit der Temperatur. 0. E. Meyer ^) fand aus Transspirations-
versuchen mit einem Gapillarrohre von 79,75 cm Länge und 0,0161 cm
Baditts:
^) Maxwell, Phil. Mag. 4. Serie, Bd. 35, S. 211.
^ Stefan: Ueber die dTnamische Theorie der Diffasion der Gase. Sitzungttber.
der Wiener Akad. Bd. 65, Abth. 2.
*) O. E. Meyer; Ueber die innere Reibong der Gase, 5. Abhandl. Pogg. Ann.
Bd. 14S, S. 239.
*) Herr Prof. Boltzmann in Wien hatte die Gfitedem Verf. brieflich mitzutheilen,
diM er gefunden habe, die Joule-Thomson 'sehen Versnche widersprächen der Max^
well'schen Theorie nicht.
^ Streintz, Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 69, IL Abth. S. 837.
^ 0. B. Meyer. Pogg. Ann. Bd. 148, S. 203 bis 228.
120 I. Moleculaxtheorie der Wänae.
71 = 0,000171 . (1 4- 0,0024 . 0 von i = 20^ hb 99öC. .
ri — 0,000170 . (1 + 0,0028 . t) von t = 21» bis 100«C.
and nach einer anderen Methode mit einer Capillare von 86,5 cm Länge
und 0,00691 Radius:
71 = 0,000174 . (1 + 0,0030 . t).
Drei Yersuchsreihen von Pulnj ^), welche ebenfalls nach derTra»
Bpirationsmethode angestellt waren, ergaben im Mittel:
71 — 0,000180 . (1 +- 0,0022 . t) zwischen ^ = 1« und 93o.
V. Obermayer') fand aus Strömangsversachen mit drei Gapillani
als Mittel aus acht Bestimmungen:
7i = 0,000167 . (1 4- 0,0027 . t) zwischen t = — 21,50 und 92,5«C.
Da alle diese Versuche eine recht befriedigende Uebereinstimmniig
noch immer vermissen Hessen, nahm in neuester Zeit Puluj ') mit den
Hundt und Warburg' sehen Apparate (Fig. 7) neue Versuche tot,
welche mit grösster Sorgfalt und Umsicht durchgeführt sind.
Wie aus der Max well' sehen Formel 14) (angewendet auf dei
Kundt und Warburg'schen Apparat, für den x = 0, ^ = 0, ^=2 ist)
2 . M . a . €
n=
Z.n.B^
•O + i")
sich ergiebt, ist die Reibungsconstante 7j des Gases dem logarithmiscbei:
Decremente 6 der schwingenden Scheibe direct proportional und dah«
lässt sich in der Formel:
iy = ijo . (1 + 5 . 0 30)
die Grösse h direct aus den Decrementen berechnen. Es ist nämlich:
s = eo .{l +h .t) 31)
üeber die Resultate seiner Versuche giebt Puluj folgende Ueb6^
sieht:
^) Palnj: üeber die Reibun^constante der Luft als Function der Tempento.
Sitzunpber. der Wiener Akad. Bd. 69, II. Abih. und Bd. 70, II. Abth.
*) Y» Obermayer: Ueber die Abhängigkeit des Reibungscoefiicienten der ttmo-
sphärischen Luft von der Temperatur. Carl's Repertorium Bd. 12, 8. 13 bis 38.
^ Puluj, Ueber die Abhängigkeit der Reibung der Gase von der Temperäiat>
Sitznngsber. der Wiener Akad. Bd. 73, Abth. II, S. 589 bis 628.
D. Innere Reibimg der Gase.
1114^-
122
I. Moleculaxtheorie der Wärme.
Hieraus ergiebt sich:
für Luft . . . 1^ = 1^0 . (1 + 0,00265 . 0
fftr Kohlensaure ri = r^o . (1 + 0,003378 . t)
für Wasserstoff iy = i^o • (1 + 0,002535 . t),
oder, wenn man 1} als Function der absoluten Temperatur darstellt:
für Luft . . . 91 = fio . T«»7«|
für Kohlensaure rj = rjo , T^M 32)
für WasserstoflF ly = ijo . T^'H
Max wein) hatte früher angenommen, es sei:
0. E. Meyer«):
und Puluj^) nach früheren Versuchen:
Innerhalb sehr weiter Temperaturgrenzen hat in allemeuester Zeit
auch Y. Obermayer ^) die Coefficienten der inneren Reibung und ihre Ab-
hängigkeit von der Temperatur ermittelt, derselbe findet in trefflicher
Uebereinstimmung mit den vorhin mitgetheilten Resultaten tod
0. E. Meyer und Puluj:
Substanz Reibungscoefficient fi
Luft n = 0,0001678 . (1 4- 0,003665 0*^'"
Wasserstoff .
Sauerstoff .
Kohlenoxyd
Aethylen
Stickstoff .
Stickoxydul
Kohlensäure
Aethylchlorid
0861 . (1 + 0,003665 «)«''«
1878 . ^ + 0,003665 0**^
1625 . (1 + 0,003665 0*^^'*
0922 . (1 + 0,003665 tf^"^
1559 . (1 -i- 0,003655 tf^'^^
1353 . (1 + 0,003719 tf^
1383 . (1 + 0,003701 if^^
0889 . (1 + 0,003900 t)^^'^]
33)
Der Reibungscoefficient der permanenten Gase ist nach diesen Ver-
suchen nahezu der Potenz ^4, jener der coercibeln Gase nahe der Po-
tenz 1 der absoluten Temperatur proportional.
Für Temperaturen zwischen 150^0. und 300<^C. ergab Luft diesel-
ben Wertke des Exponenten, wie zwischen den niederen Temperatnreo
1^ Maxwell, Phil. Trans, of the roy. soc. of London. Bd. 156, S. 249 bis 268.
^) 0. E. Meyer, Ueber die innere Reibang der Gase. 5. Abhandl. Pogg. Abo.
Bd. 148, S. 226.
') Pulnj, Ueber die Reibongsconstante der Luft als Function der Temperatur.
Sitzungsber. der Wiener Akad. 69, Abtb. II, Febroaxheft und Bd. 70, Abth. II, JaUheft
des J^res 1874.
^) y. Obermayer, Ueber die Abhängigkeit des Coefficienten der inneren Beibug
der Gase von der Temperatur. Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 73, S. 433 Ms 475.
I
D. Innere Reibung der Gase. 123
— 31,5^ C. nnd 53,5i>C.; fflr KohlensAiire wurde eine langsame Abnahme
des Exponenten mit der Temperatnr aus den Veranohen gefolgert.
Jedenfalls erkennt man, dass die Abhängigkeit Ton der absolnten
Tcmperator fflr verschiedene Gase nicht daroh denaelben Werth des Ex-
ponenten dargeatellt wird.
JH« T. Obermajer'acben Zahlen für den ReibangscoefScienten sind
&>t darcbg&ngig etwaa kleiner, als die von den Übrigen Beobachtern
angegebenen; ein Grund für diese eigenthfimliche Abweichung Ifisst sich
Biu der Originalabhandlnng nicht erkennen ').
Für Bestimmung der Function, nach welcher der CoefBcient der
inneren Reibung von der Temperatur abb&ngt, bat in allemeueater Zeit
8. W. Holman*) eine weitere Vereinfachung der Transspirationsmethode
angegeben, welche, obgleich sehr einfach in der Anwendung, nicht un-
geeignet erscheint, siemlich genaue Reaultate xa erzielen.
Zwei Capillarröhren AB and CD (man sehe die beistehende Fig. 10)
liegen nebeneinander in zwei Zinktrögen. Diese Tröge sind dazu be-
Flg. 10.
stimmt Bfider aufzunehmen, durch welche die Capillarröhren auf oon-
ttanter Temperatnr erbalten werden. Die Röhre G commnnioirt mit dem
Uanometerf und führt zur Capillare DC, Diebeiden CapiUaren sind bei
C und £ durch ein weiteres T-förmiges RohrstQck mit einander und mit
') Schon O. G. liejtr h&t dannf hingewiesen, dui TruuiplntianiTeraacbe über-
hinpt etvM ta kleine Werthe für die ReibnngiiGaeliicienlen liefern miuaen. Die durch
CampTCHion oder Ausdehanng dei CSuti entwickelte Wurme wird von den Windangen
dei CipilUrrohrei nur nnToilkommen ihgeführt und dsher iit die Tempenlor dei Geses
nicht ToUitlndig conatant, wUirand doch die Theorie die« Tonnuetit. Umn >che Pogg.
Ann. Bd. 148, S. 14.
*) 8. W. Bolmin, A new method of atndying the reUtion between the vincosity
ud Umpenton of guM. PhUo*. llng. Sehe 5, Bd. 3 (Febrnuheft 1877), S. 81 Ini 8S.
124
I. Moleculartheorie der Wärme.
einem Manometer E verbunden. Die Capillare BÄ endlich oommiinicül
durch die Chlorcalciumröhren J und H mit der atmosphärisohen Luft.
Der Querschnitt der Zuleitungsröhren, welche zu den £nden tob
AB und CD führten, war klein genug, um voraussetzen zu können, dass
die transspirirende Luft die Temperatur des Bades angenommen habe.
Das Rohr G mündete luftdicht in ein grösseres Gefass, aus welchem
durch eine Wasser] uftpumpe fortwährend die Luft ausgepumpt wurde.
Nach einiger Zeit stellte sich ein stationärer Zustand her. Bei Ä
tritt die Luft unter Atmosphärendruck ein, geht durch AB^ zwizchen
beiden Capillaren fand ein mittlerer Druck statt , der durch E gemessen
wurde, alsdann strömte die Luft durch CD und nach £r. Bei Q- herrschte
der niedrigste Druck, welcher durch die Thätigkeit der Wasserluftpnmpe
cönstant erhalten und durch das Manometer F gemessen wurde.
Ist der Apparat vollkommen dichte so muss durch AB und CD die
nämliche Luftmenge hindurchgehen. Nennen wir nun Fi das in einer
bestimmten Zeit ^ durch AB transspirirte Gasvolumen, bezeichnen ferner
J?i, li Badius und Länge dieser Capillare, i^i den Reibungscoefißcienten bei
der in AB herrschenden Temperatur ^i und bezeichnet F2, B^j 2,, i;,,
^2 die entsprechenden Grössen in der zweiten Capillare CD, und sind
Piy l'2i fs die Gasdrücke bei A, BE G und 2), so kann man folgende Glei-
chungen aufstellen (man sehe S. 113, Gl. 23):
Fi =
8 . i?i . ?i
2p
8
P3
3
2p
t
L
8 . 1^2 . ?2
Sind beide Bäder, die in den Capillaren liegen, auf gleiche Tempe-
ratur gebracht, so ist:
Fl = Fj, %i — -^2 und ij, = 1/3,
und man erhält bei Division der Gleichungen:
•Ri' » h ^ Vi" — Pi^
Im Allgemeinen ist aber:
F, V,
1 + a . ^1 ~ 1 + « . «"2 ^^^
wenn ^ixaidd'^ die Transspirationstemperaturen in AB und in CD sind
und folglich ist:
fli _ Bi^ . k Pi» — Pi^ 1 + « . ^f .
Man bestimmt die Grösse
Bi^.h
zunächst durch Ablesung der drei
Barometerstände Pi, Ps, ps bei gleicher Temperatur in allen beiden Ca-
pillaren und kann hierauf lediglich durch Ablesung dreier Quecksilber-
D. Innere Reibung der Gase. 125
Säulen das Verbältniss der Reibnngscoef&cienten 171 : 179 für irgend zwei
beliebige Temperaturen ^i und ^9 erhalten. Nimmt man Rücksicht auf
die Aendemngen der Länge nnd des Querschnittes der Capülare durch
die Temperatur nnd bezeichnet den linearen Ausdehnungscoefficienten
des Glases mit A {Ä = 0,0000075), so geht die Formel in die etwas
complicirtere über:
Tji ^Sj^.Q. 4- Ä. »,)» . Z, . (j),« - j),«) . (1 + « . »i)
71, R,* . {1 -\- Ä . »^y . h . iPi* - p,^) . {1 + a . »y
Bei den Versuchen war:
h = 1272,3 mm, JBi =0,1098 mm; h = 1274,1 mm, H^ = 0,1115 mm.
Wir theilen eine Beobachtnugsreihe mit Luft sammt ihren Resul-
taten mit:
TransspiratioDB-
Pi
ra
PS
*1
*2
ff,« . j,
Vi
ricfatnng
««* • '1
r
mm
mm
mm
1 — 2
759,9
525,2
16,3
17,0
17,0
0,912
—
—
1 — 2
759,9
.549,3
17,1
17,0
47,5
0,912
1,083
0,799
1—2
759,8
525,6
18,0
15,1
15,1
0,916
—
—
1 — 2
759,8
534,4
18,9
15,1
15,1
0,921
—
—
1 — 2
765,7
550,9
18,6
17,8
17,8
0,934
—
—
2 — 1
765,7
490,7
17,7
17,5
99,0
—
1,212
0,776
2 — 1
765,7
491,2
17,6
17,5
99,5
—
1,206
0,755
2 — 1
765,7
490,0
17,3
17,5
99,8
—
1,215
0,780
2 — 1
755,2
467,8
20,4
0,0
100,0
—
1,272
0,771
2 — 1
755,2
468,4
19,4
0,0
100,0
—
1,267
0,767
2 — 1
755,2
467,9
19,6
0,0
100,0
—
1,271
0,768
2 — 1
755,2
467,7
19,3
0,0
100,0
—
1,273
0,773
2 — 1
755,2
544,2
20,7
0,0
0,0
0,927
—
—
1—2
756,7
525,3
23,4
0,0
0,0
0,928
—
—
1—2
756,7
594,8
21,5
0,0
100,0
—
1,277
0,782
1—2
761,4
529,1
16,1
100,0
10(T,0
0,933
—
—
1—2
762,0
530,2
16,7
100,0
100,0
0,937
—
—
1—2
763,1
452,2
18,5
100,0
0,0
—
1,259
0,738
Abstrahirt man vom zweiten und vom letzten Versuche, so zeigt
sich eine recht gute Uebereinstimmung. Hierin ist x der Exponent, den
nachstehende Formel definirt:
£b ergiebt sich im Mittel:
126
I. Moleculartheorie der Wärme.
X = 0,77,
nnd dies stimmt mit den Werthen von Pulaj und y. Obermayer trefflicli
überein.
Den Quotienten ans dem Reibungscoefficienten eines Oaaes und dem
Reibungscoefficienten des Sauerstoffs nennt man nach Graham den
Transspirationscoefficienten der Substanz. Wir geben im Nachstehenden
diese Transspirationscoefficienten , wie sich dieselben aus den t. Ober-
mayer'sehen Zahlen und aus den von 0. E. Meyer ^) berechneten Yer-
suchen Graham's ergeben haben.
Tabelle der Transspirationscoefficienten.
Graham
für mittlere Temp.
V. Obermayer
bei 0^
Sauerstoff . . . . •
Lufl
Stickoxyd
Stickstoff
Kohlenoxyd • • . •
Kohlensäure . . . .
Stickoxydul • . . .
Chlorwasserstoff . .
Chlor
Schweflige Säure . .
Schwefelwasserstoff .
Sumpfgas
Methylchlorid . . .
Aethylen
Ammoniak . . . .
Cyan
Aethylchlorid . . .
Methyläther . . . .
Wasserstoff ....
1,000
0,899
0,878
0,873
0,870
0,755
0,752
0,736
0,687
0,654
0,616
0,555
0,547
0,516
0,511
0,506
0,499
0,483
0,439
1,000
0,896
0,885
0,868
0,738
0,723
0,492
0,475
0,459
Setzt man den Reibungscoefficienten für Luft = 1, so fanden einige
andere Beobachter folgende Werthe;
^) 0. E. Meyer, Ueber die innere Reibung der Gase. Sechste Abhandl. Pogg.
Ann. Bd. 148 S. 549.
D. Innere Reibung der Oase.
127
Tabelle einiger Reibangscoefficienten nnd Quotienten der
ReibnngBCoefficienten.
Keibungscoefficient der Luft i;
' bei 0®
Quotienten der Reibungs-
coef&cienten
nacbMaxwelPs
Methode
•
durch Transspira-
tionsYersncbe
Luft
0
H
COa
Grabam . . ; .
Maxwell . . • •
0,000188
0,000184
0,000182
0,000182
0,000172
0,0001675? '
0,000180
1,113
1,095
1,116
0,486
0,516
0,601
0,513
0,488
0,489
0,807
0.859
0. E. Meyer . .
T. Lang . • .
T. Obermayer
Knndt and Warbi
Pnlni . . . . c
arg
0,851
0,830
0,824
0,806
0,798
"«••»•j •••»t-
WfthrBcheinl. Wertl
le:
0,00(
0182
1
1,108
0,516
0,825
9. Theoretische Gonsequenzen.
Uebereinstimmend wird, wie wir gesehen haben, dnrch die Versuche
Gonstatirt, dass der Exponent, mit dem die absolute Temperatur poten-
zirt werden muss, um die Abhängigkeit des Reibungscoefficienten von
der Temperatur darzustellen, grösser als der Werth — ist , der durch die
Gastbeorie (man sehe S. 86) gefordert wird.
Schon früher haben wir angedeutet, dass wir mit dem MaxwelP-
Bchen Erklärungsversuche nicht einverstanden sind, welcher, um eine Ab-
hängigkeit Yon der ersten Potenz der absoluten Temperatur theoretisch
zu begründen , annahm , es beätehe eine abstossende Wirkung zwischen
den Gasmolecülen , welche der fünften Potenz der Entfernung proportio-
nal sei.
Wollte man den Exponenten 0,75 erklären, den Meyer und y. Ober-
mayer aus ihren Versuchen gefunden haben, so müsste man eine ab-
stossende Kraft annehmen, welche nach der neunten Potenz der Entfer-
Bimg abnähme, und man würde sich genöthigt sehen, für verschiedene
Gase verschiedene Abstossungsgesetze zwischen den Molecülen anzuneh-
men, was wohl Niemand für statthaft halten wird.
128 L Molecolartheorie der Wärme.
Das auf experimentellem Wege constatirte Gesetz, dass der Coeffi-
cient der inneren Reibang unabhängig vom Bracke ist, bleibt übrigens be-
stehen, von welcher Annahme über das Wirknngsgesetz der zwischen den
Molecülen thätigen Kräfte man auch ausgehen mag.
Stefan^} und späterhin O.E.Meyer^) haben übrigens gezeigt, daas
man, ohne den Boden unserer jetzt üblichen Vorstellungen von der mole-
cularen Constitution der Gase zu verlassen, im Stande ist, den Zusammen-
hang zwischen Reibungscoefficienten und Temperatur zu erklären.
Wir gelangten dadurch zu dem Schlüsse, dass der Reibungscoeffieient
eines Gases der — ten Potenz der absoluten Temperatur proportional sei,
dass wir von folgenden drei Formeln ausgingen :
1) = - • Ä .1? 36)
o
(Man sehe Gl. 48, S. 78, und Anmerkung S. 85) :
jjp
rj = ■- ' d . V . X 37)
o
und endlich Formel 45, S. 77:
1 d»
A = -7 ^ 38)
Wenn man aus diesen Formeln schliesst, dass der Reibungscoeffieient
f) der Quadratwurzel aus der absoluten Temperatur proportional sei, so
liegt dem stillschweigend die Annahme zu Grunde, dass sich fj nur inso-
fern mit der Temperatur ändere, als die mittlere Geschwindigkeit v der
Molecüle sich mit derselben ändert. Dagegen aber haben wir immer
bisher angenommen, dass die mittlere Weglänge A und der Radius der
Wirkungssphäre eines Molecüles Q von der Temperatur unabhängig seien.
Um nun aber zu erklären, dass rj rascher mit der Temperatur zu-
nimmt als die mittlere Geschwindigkeit t^, muss man gemäss der Formel 37):
annehmen, dass X mit wachsender Temperatur zunimmt und dies fuhrt
durch die Formel 38):
A— — ^^
zu der Folgerung, dass Q mit wachsender Temperatur abnimmt.
Der Radius Q der Wirkungssphäre eines Molecüles ist der kleinste
^) Stefan: Ueber die dynamische Theorie der Diffusion der Gase. Sitznngsber.
der Wiener Akad., Bd. 65, Abth. U, Aprilheft 1872.
^) 0. £. Meyer: Ueber die innere Reibung der Gase. Fünfte Abhandl. Pogg. Ann«
Bd. 148, S. 202 bis 836.
D. Innere Reibung der Gase. 129
Abstand der Mittelpunkte zweier Molecüle bei einem ZosammenstoBse,
alao nahezu gleich dem Durchmesser der Molecüle.
0. £. Meyer ^) hat nun einen Versuch gemacht, diese Abnahme von
p mit wachsender Temperatur auf einfache Weise zu erklären, der uns
seiner Einfachheit wegen sehr annehmbar erscheint.
Die Molecüle der Gase bestehen jedenfalls, wie wir schon früher
m. wiederholten Malen anführten , aus einzelnen Atomen. Diese Atome
bewegen sich höchst wahrscheinlich im Molecüle ähnlich wie die Glieder
eines Planetensystems um einander. Das Molecül als Ganzes besitzt die
unregelmässig hin- und hergehenden geradlinigen Bewegungen, von denen
wir in den yorhergehenden Abschnitten so ausführlich gehandelt haben.
Steigert sich nun durch Wärmezufuhr von aussen die Geschwindigkeit
dieser fortschreitenden Bewegungen, so nimmt die lebendige Kraft der
intrunolecularen und der rotatorischen Bewegungen des ganzen Molecüles
um eine seiner Axen nach den Schlussfolgerungen von Glausius'),
welche wir auf S. 36, Z. 19 v. ,o. reproducirt haben, in dem nämlichen
Verhältnisse zu, in dem die der fortschreitenden Bewegungen der Mole-
cüle wächst. Bei einer Zunahme der Geschwindigkeit der rotatorischen
and intramolecularen Bewegungen mnss aber i{i Folge der vermehrten
Gentrifugalkraft und der Yergrössemng der Bahnen der Atome der Durch-
messer^ der Molecüle wachsen. Wir gelangen also zu dem Schlüsse, dass
mit zunehmender Temperatur der Durchmesser der Molecüle zunehmen
und somit die Dichtigkeit des Molecüles abnehmen muss.
Ist aber der Zusammenhang der Bestandtheile des Molecüles ge-
lockert, so ist auch yerständlich , dass zwei Molecüle bei einem heftigen
AnstoBse tiefer in einander eindringen können, als vorhin, wo der Ajq-
stoss weniger heftig und jedes Molecül dichter war. Die Entfernung der
Mittelpunkte zweier zusammenstossender Molecüle, der Radius der Wir-
kungssphäre Q, wird demnach bei höherer Temperatur geringer sein, als
bei niedrigeren Wärmegraden. Wir gelangen also ohne Zuhülfenahme
neuer Hypothesen zu dem Schlüsse, dass die Radien der Wirkungs-
sphären der Gasmolecüle mit wachsender Temperatur abnehmen müssen.
Diese £rklärungsweise erscheint noch mehr naturgemäss, als die* An-
nahme von Stefan^). Letztere stützt sich zwar sonst in der Haupt-
sache auf ganz die nämlichen Betrachtungen, wie die 0. £. Meyer^s;
aber sie setzt ein grösseres oder geringeres gegenseitiges Durchdringen
der Aetherhüllen voraus, von der seiner Ansicht nach die Molecüle um-
geben sind.
Jedenfalls ist man durch die nicht vollständige Uebereinstimmung
der Erfahrung mit den Folgerungen der einfachsten Theorie noch nicht
^) 0. E. Meyer: lieber die innere Reibung der Gase. Fünfte Abhandl. Pogg. Ann.
Bd. 148, S. 228.
2 CUusins, Abbandlangen, Bd. 2, S. 232.
^ Stefan: Ueber die dynamische Theorie der Diffusion der Gase (1872). Sitzungs-
ber. der Wiener Akad. Bd. 65, Abth. II, Aprilheft. 0. E. Meyer publicirte seine Ab-
baodliuig erst im Jahre 1873.
V«rdet-&flhlinann, Meohan. Wftrmetheori«. Bd. 2. 9
130 * I. Moleculartheorie der Wärme.
genöthigt, der geBammten kinetischen Gastheorie ein ganz anderes Fqb*
dament zu geben, wie dies Maxwell gethan hat.
E. Die kinetische Theorie der Diffusion der &ase.
1. Ableitung der Grundformeln.
Werden zwei mit verschiedenen Grasen gefüllte GefUsse durch eint
Röhre mit einander in Verbindung gesetzt, so vermischen sich allmähU
beide Gasarten zu einem gleichförmigen Gemenge. Durch die Röhre geha
also gleichzeitig zwei entgegengesetzt gerichtete Strömungen beider Ga«^
und diese Erscheinung föhrt den Namen Diffusion. Auch die Erschei-
nungen der DiflPusion lassen sich , wie schon früher erwähnt wurde, au
den Grundlagen der kinetischen Gastheorie vollständig erklären.
Bekanntlich werden die Gleichungen des Gleichgewichtes für die einzd-i
nen Bestandtheile eines Gasgemisches durch das Dalt o n'sche Princip gefit*
fert, welches aussagt: dass in einem Gemenge sich jeder Bestand«^
theil so ins Gleichgewicht stellt, als wäre er allein in dem tos
Gemenge erfüllten Räume vorhanden. Durch vielseitige Er&b-i
rungen ist jedoch erwiesen, dass sich ein einzelnes Gas in einem Gremengi
nicht so bewegt, als wären die übrigen Bestandtheile des Gemenges nictti
vorhanden. Man kann demnach nicht auf dem gewöhnlichen Wege init|
Hülfe des D'Alembert'schenPrincipes die Gleichungen der Bewegnnga;
aus denen des Gleichgewichtes ableiten.
J. Stefan hat nun in einer ersten Abhandlung ^} über diesen Geget*;
stand gezeigt, dass man zu Gleichungen gelangen kann, welche mit derj
Erfahrung vollkommen im Einklänge stehen, wenn man zu dem Dalton*<4
sehen Principe noch folgende Ergänzung hinzufügt: In einem Gas'
gemenge erfährt jedes einzelne Theilchen eines Gases, wenn ei
sich bewegt, von jedem anderen Gase einen Widerstand, weH
eher derDichte dieses Gasesund der relativenGeschwindigkeifi'
beider Gase proportional ist.
Auf alle in der Einheit des Volumens befindlichen Theilchen kommt
also ein dem Producte der Dichte beider Gase und ihrer relativen 6^,
schwindigkeit proportionaler Widerstand in Rechnung. Dieser WiderstaDd:
wurde in der genannten Abhandlung') durch den Ausdruck:
W = Ai2 . bi . ba . («j — Wj) 1)
dargestellt, worin b und u die Dichten und Geschwindigkeiten der Gase
1 und 2 vorstellen und Äi^ eine von der Natur beider Gase und von der
Temperatur abhängige Constante ist. Bei der Aufstellung dieser Glei-
^) J. Stefan: Ueber das Gleichgewicht und die Bewegung, insbesondere die Diffo*
ilon von GasgcmengeU; Sitznngsber. der Wiener Akad. Bd. 63, Abth. II, Januarheft.
^) A. a. 0., S. 12 des 6eparatabdnickes.
E. Kinetische Theorie der Diffusion. 131
ehnng ist selbstverständlich yoransgesetzt, dass die BewegnngsrichtuDgen
lieider Gase in dieselbe Linie fallen, so dass dann Ui — u^ ihre relative
Geschwindigkeit bedeutet.
Die Gleichungen, welche man mit Hülfe dieser Annahme über den
Widerstand der Bewegung zweier Gase durcheinander gewinnt, sind die
nämlichen, auf welche Maxwell auf Grund seiner zweiten Gastheorie ^)
gelangt, in welcher er annimmt, dass die einzelnen Gasmolecüle in fort-
schreitender Bewegung begriffen sind und mit abstossenden Kräften auf
^sinander wirken, die der fünften Potenz des Abstandes umgekehrt pro-*
lorticnud sind. . . . *
' Auch aus seiner ersten Gastheorie, die wir nach ihren Begrün-
dern die von Clausius und Maxwell genannt haben, hat Maxwell
Formeln för die Diffusion') entwickelt, doch hat er dieselben späterhin
selbst mit Recht für falsch erklärt.
Handelt es sich um die entgegengesetzte Bewegung zweier Gase in
0iiier durchaus gleich weiten cylindrischen Röhre, so werden die Partial-
dräcke pi und p% der beiden Gase als Functionen der Zeit und der Ab-
KÖBse des Querschnittes, für den sie gelten, durch folgende Gleichungen
Ibestimmt'):
dt ~ dx^
^P^ _ ^ ^^P^
i
2)
dt dx^
Pi misst in dem betrachteten Querschnitte gewissermaassen die Gon-
Kntration des ersten Gases in dem Gemenge, und die Gleichungen sagen
Isher nichts Anderes aus, als dass die durch die Einheit des Querschnittes
ipfohrte Grasmenge der Concentrationsdifferenz proportional sei
Die Grrösse X;, welche hierin vorkommt, ist der Diffusionscoefficient
ler Cbiscombination genannt worden« Dieser Diffusionscoefficient k hängt
fent dem vorhin erwähnten Widerstandscoef&cienten W durch folgende
ffleichung zusammmen:
1 i>o» T» 1 .
^-Är,"drrd,-T7^-p ^^
worin Po den Normaldruck bezeichnet, unter welchem die beiden Gase
bei der absoluten Temperatur To die Dichten e^ und d^ haben undp und T
Druck und Temperatur des Gasgemenges während des Versuches bedeuten.
Die Diffusionsconstante Je besitzt nämlich folgende physikalische Be-
deutung: Denkt man sich ein prismatisches Gefäss, dessen Querschnitt
sin Quadratfeentimeter, dessen Länge ein Centimeter ist, an dessen vor-
derer Seite der Druck des einen Gases constant gleich po , auf der ande-
^) Maxwell, Phil. Mag. Serie 4, Bd. 34, S. 129.
2 Pbil. Mag: Serie 4, Bd. 20, S. 21.
*) Bezuglich der Ableitung dieser Gleichungen verweisen wir auf Stefanos Ab-
haadlung. Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 63, II. Abtli., S. 17 u. ff.
9*
132
L Moleculartheorie der Wärme.
ren Seite consiant gleich Null gehalten wird, so ist Ä; das in einer!
durch dieses Gefass gehende Volumeu des einen Gases. Ein gleiches?«
lumen geht vom zweiten Gase in der entgegengesetzten Richtang
für dieses zweite Gas ist der Druck constant gleich Null am Anfang
gleich Po am Ende des Rohres.
Die Grösse Äi^, der Widerstand, den ein Gas bei der Bewc
durch ein anderes erfährt, wenn die Dichte beider Gase und die Gescb
digkeitsdi£ferenz gleich 1 ist, kann nichts anderes sein, als die Bewej
grosse, welche von den Molecülen des einen Gases auf die des ande
in der Zeiteinheit Übertragen wird.
Diese Bewegungsgrösse aber kann aus der kinetischen Gastkc
hergeleitet werden.
Der Widerstand, den ein Molecül bei seiner Bewegung dnrdi
zweites Gas erfährt , ist abhängig von den Radien der Wirkungsspl
d. h. von den Durchmessern der Molecüle der beiden Gase. Da yon
ser Grösse aber auch die Reibungsconstante abhängt (man sehe Gl
S. 86), so enthält der Ausdruck fär den Widerstand demnach keiae ne
der Gascombination eigenthümliche constante Grössen, sondern nur solc
welche uns schon aus den Versuchen über die innere Reibung in
beiden einfachen Gasen bekannt sind. Man kann somit aus den
bungscoefficienten zweier einfachen Gase ihre DifiEusionscoefficienten
rechnen. Die Grösse W xmd somit auch Ä^ lässt sich nämlich aosi
kinetischen Gastheorie berechnen, und Stefan hat dies zuerst
führt. Bezeichnet man, wie wir dies schon früher wiederholt gc
haben (man sehe Bd. 2, I, C, 9, S. 65), die zur 2-Axe, d. h. der
des Diffusionsrohres parallele Geschwindigkeitscomponente eines
molecüls der ersten Gasart mit ^i, so sind, gleichviel, ob das Gas mhti
sich bewegt, alle Werthe zwischen + oo und — oo für Xi mögliclL
Wahrscheinlichkeit jedoch, dass ein Molecül diese Geschwindigkeit osi
ist in beiden Fällen verschieden. Setzt sich nämlich die Geschwindigl
componente Xi aus einer der X-Axe parallelen Componente |x der Moleci
bewegung und der der X-Axe parallelen Translationsgesohwindigkeit !
men, welche allen in demselben Querschnitt enthaltenen Molecülen gemd^
sam ist, so haben im bewegten Gase ebensoviele Molecüle die Geschwii
digkeit x^, als im ruhenden die Geschwindigkeit {i besitzen. Die Am
Molecüle des bewegten Gases, deren der X-Axe parallele Geschwbc
keitscomponenten zwischen Xi und Xi -f dxi liegen , ist demnach (i
sehe Bd. 2, 1, C, 9, S. 68, Gl. 34)
« «1« ^* -^ ^
«1 . yn
äL =
e
«1»
dxi
1*1 + •»!«
^ • 0
«l'
a
dxi
wo Ni die Anzahl und «, die bekannte Grösse für das erste Gas sind.
E. Kinetische Theorie der Diffusion. 133
Da Ui bei DiffusioDsversuchen eine sehr kleine Geschwindigkeit ist,
nnd ai yod der Grössenordnung der mittleren Moleculargescbwindigkeit
V (man sehe S. 69, Gl. 36) ist, so moss -^ eine sehr kleine Zahl sein und
man kann ohne merklichen Fehler:
e «i« = 1 H ~-^
setzen. Demnach ist die oben erwähnte Anzahl von Molecülen gleich:
Die Anzahl n\ Molecüle erster Art, deren Geschwindigkeitscompo-
nenten parallel der 2-, Y-und Z-Axe awischen o^i, ^i, Zi und Xi -f~ ^^i
jfi 4* ifyi, i^i ■{- di^i liegen, ist aber:
s
«i* . ^1 + ^3 J . ^«1 . c?yi .c?^i 5)
Auf ganz gleiche Weise findet man, dass von den Molecülen zweiter
Art, welche sich mit der Geschwindigkeit m^ l&ngs der 2-Axe der vori-
gen entgegen bewegen, eine Anzahl n'j Geschwindigkeitscomponenten
parallel der X, F, Z-Axe besitzen, welche zwischen X2, y^ und z^ und x^
4" ^^fi j^ '~h ^^3» ^3 ~l~ ^^3 liegen, und zwar ist n-^ ganz analog gleich:
«', f= — ^^^ • e " «i« * . Tl H ^^ 'g*^M . (iara . Jya» . dz<i 6)
er,* . «2 *
Die Anzahl der zwischen diesen zwei Gruppen in der Zeiteinheit
erfolgenden Zusammenstösse wird:
x.Q^ ,n\. n'a , V(«i - ^3)' + (yi - ^3)* + (^1 — ^^3)* • 7)
Hierin ist Q der Radius der Wirkungssphäre zwischen den Mole-
cülen der ersten und zweiten Art. Nehmen wir also au, die Molecüle
der Gase verhielten sich einfach wie elastische Bälle, so wäre:
9 = ri + r2
gleich der Summe der Molecülradien.
Moltiplicirt man diesen Ausdruck noch mit:
.^^ (^^-X.) 8)
der Bewegungsgrösse , welche bei einem Zusammenstösse eines Mole-
eöles erster Art mit einem Molecüle zweiter Art von dem ersteren an
dis letztere abgegeben wird ^) , so erhält man die bei den sämmtlichen
^) Die Ableitung diese« Aasdrackea iiehe man bei Stefan in der Abhandlung:
ü«ber die dynamische Theorie der Dififasion der Gas«. Siizungsber. der Wiener Akad.
Bd. 65, II. Abth. Aprilheft, in dem Abschnitt II: Die Geschwindigkeiten nach dem Stosse.
134 L Moleculartheorie der Wärme.
ZuBammenstöBsen von den Molec&len erster Art abgegebene Bewegung^
grosse.
Die Summe aller dieser Grössen ist TF, man erhält dieselbe, wenn man
sowohl für das eine als für das andere Gas über den ganzen Raum inte-
grirt. Diese Integration kann wirklich ausgeführt werden und ergiebt:
Berücksichtigt man, dass:
Ni , mi z= bi
und
JVj . iw, = bj
die Dichten des Gases sind, so findet man in der That für W die (auf
S. 130, Gl. 1) von Stefan angenommene Form durch die Molecular-
theorie der Gase bestätigt, und es ist: '
Führt man aber für «j und «g die früher (Bd. 2, I, C, 9, S. 69, GL 36)
entwickelten Formeln:
v^ _ ^ v^ _
«1 = -— • Vi und «2 = —T- • t?2
ein, so ergiebt sich:
^12 = 5 • ^ , ^ 10)
o tWi -f- WI2
Man erkennt, dass A12 unabhängig vom Drucke ist, nach Formel 3)
ist demnachderDiffusionscoefficient A; dem^Drucke verkehrt
proportional und das stimmt, wie wir später sehen werden, mit den
Erfahrungsresultaten überein. Bekanntlich ist die absolute Temperatur
der inneren kinetischen Energie und somit dem Quadrate der mittleren
Moleculargeschwindigkeit v proportional. Obige Formel also ergiebt»
dass auch j1i2 der Quadratwurzel aus der absoluten Temperatur propor-
tional seinmuss, der Diffusionscoefficient A; würde sich somit der
3
— Potenz der absoluten Temperatur proportional ändern, und
das stimmt mit den Kesultaten der Beobachtungen in analoger Weise
nicht überein, wie die theoretisch geforderte und empirisch gefundene
Abhängigkeit des Reibungscoefficienten von der Temperatur. Stefan^)
untersucht nun weiterhin die Abhängigkeit des Diffusionscoef&cienten
von der Natur der beiden Gase.
Er bezieht dazu Temperatur und Druck auf die Normalwerthe
^) J. Stefan, Ueber die dynamische Theorie der Diffusion der Gase. Sitzongsber.
der Wiener Akad. Bd. 65, Abtb. 11, Aprilheft.
E. Kinetische Theorie der Diffusion. 135
pSO mm und 0^ C). Dann geht die Gleichung 3) für X; in die ein-
pchere Form üher:
j --. 1^0 __. £ Po ' i^i + Wa) j,N
Ist Nq die für alle Gase gleiche Anzahl von Molecfllen in der Yolu-
ineneinheit bei normalem Drucke und normaler Temperatur, so ist ferner
noch (nach Bd. 2, I, C, 12, S. 78, GL 48):
and
dl = No . nii und d^ = No . m^
und wenn man für Wasserstoffgas ab Normalgas die Masse eines Mole-
coles gleich m und die mittlere Geschwindigkeit bei O^G. gleich v setzt,
80 ist bei der Temperatur des schmelzenden Eises:
«
Setzt man alles dies in die Formel für Je ein, so ergiebt sich:
r IMi .
, 3 «.vü^ \/i^r+^
10 = 1—- • Ä
32 Nq . % . Q^ r f»! . wj
Nimmt mau Wasserstoff als Normalgas an, so ist für 0^ G. (man sehe
Bd. 2, C, S. 79):
v=:^ 169 300 cm;
fär m, IN|, fff) sind aber dann die Atomgewichte der Gase einzusetzen, da
lieh bekanntlich die Massen, der Molecüle in verschiedenen Gasen wie
die Atomgewichte yerhalten. Ist Xi die mittlere Wegl&nge des ersten
Gases im Normalzustande (0^0. und 760 mm), so ist (man sehe S. 76,
GL 44):
und ebenso:
k =__J—
^ Nq .n . Q^^ . Yl"
▼0 pi und ^s die Radien der Wirkungssphäre im ersten und zweiten
Gase sind. Nun ist aber Q der Radius der Wirkungssphäre zwischen
beiden Gasen:
Pi + Pa
wenn wir annehmen, dass sich die Molecüle wie eliCstische Kugeln yer-
balten. Demnach ist:
136
I. Moleculartheorie der Wanne.
und die Formel f&r k kann, wenn man dies einsetst, endlich foljfende
Gestalt erhalten
8
121)
Hierin kommen aber nunmehr bloss bekannte Grossen vor, mit deren
Hülfe es möglich ist, die Difinsionsconstanten auf theoretischem Wege
zu berechnen. Nimmt man, wie dies Stefan gethan hat, den Reibun^pB-
ooefficienten 17 der Luft bei O^C. gleich:
1^0 = 0,000188
an, so ergiebt sich aus der bekannten Formel :
o p
und dem auf S. 79 fftr v angegebenen Werthe:
X = 0,0000083 cm.
Benutzt man den von y. Obermayer gefundenen Werth:
1^0 = 0,000168,
so ergiebt sich:
X = 0,0000074 cm.
Hiermit lassen sich aus demGraham' sehen Transspirationscoefficien«
ten die mittleren Weglängen X für Terschiedene Gase ableiten, und es
ergiebt sich folgende Tabelle der mittleren Weglänge:
Luft X = 0,0000083 X = 0,00000741
Wasserstoff . .
Sauerstoff . . .
Kohlensäure . .
Eohlenoxyd . .
Schweflige Säure
Sumpfgas . . .
Stickoxydul . .
153
87
56
81
40
70
56
144
79
49
73
36
63
48
\
13)
Mit Hülfe dieser Werthe kann man die Diffusionscoefficienten der
einzelnen Gasgemenge leicht bestimmen.
^) Es ist dies Fonnel 7) iu J. Stefan 's Abhandlung: Ueber die dynamische Theo-
rie der DiflPusion der Gase. Sitrangsber. der Wiener Akad. Bd. 65, II. Abth. April-
heft, 1872. Im Seperatabdrucke, S. 10.
E. Kinetische Theorie der Diffusion.
137
Tabelle der DiffuBionBcoefficienten ib.
Berechnet
Beobachtet
von
Gascombioation
aus der ersten
aus der zwei-
Reihe der
ten Reihe der
Loschmidt
-
Weglängen
Weglängen
Wuwntoff — Sauerstoff . .
h = 0,826
0,738
0,722
Wauentoff — Kohlensaure .
0,630
0,562
0,556
Waaaentoff — Kohlenoxyd
0,796
0,711
0,642
Kohlenoxyd — Sauerstoff . •
0,218
0,159
0,180
Kohlenoxyd -^ KohlensSore .
0,162
0,145
0,160
Saottstoff — Kohlensäure . .
0,161
0,144
0,161
Snnipfgas — Kohlensäure . .
0.183
0,163
0,159
Stkkozydul — Kohlensäure .
j
0,120
0,108
0,089
w
Laft — Kohlensaure ....
0,162
0,145
0,142
l . 14)
Die DifFasionscoefficienteu beziehen sich auf den Quadratcentimeter als
Flachen- and Seconde als Zeiteinheit. Die Uebereinstimmang zwischen
fieobachtnng und Rechnung ist zumal bei der aus v. Obermayer's
Zahlen berechneten zweiten Reihe befriedigend, wenn sie auch, was im
YoraoB zu erwarten war, durchaus keine vollkommene ist.
Selbstverständlich kann man , nach der Formel 12), aus den für k
gefundenen Werthen rückwärts die mittlere Weglänge des einen Gases
bestimmen, wenn die des anderen als bekannt vorausgesetzt wird; auch
diese Rechnung hat Stefan^) ausgeführt, doch wollen wir auf die von
ihm gefundenen Werthe nicht näher eingehen, da die auf diese Weise
bestimmten Grössen der mittleren Weglängen doch nur eine verhältniss-
fflässig geringe Zuverlässigkeit besitzen können.
2. Losolimidt's Ezperimentaluntersuoliungen über
Diffkision.
Es können hier nur derartige Versuche über Diffusion in Frage
kommen, welche ohne poröse Scheidewände angestellt worden sind. Wir
haben uns daher in der Hauptsache auch nur mit den Arbeiten Lo-
^) A. a. O. Sitznngsher. der Wiener Akad. Bd. 65, Ahth. II, Aprilheft,
ntabdmcke, S. 15.
Im Sepa-
138
I. Mokculartheorie der Wärme.
scbmidt's^) zu befassen, da dieselben viel exacter sind, als einige älm-
liebe Versnobe von Grab am'). Der angewendete Ap{>arat bestand am
einem ziemlicb einen Meter langen Glasrobre, dessen beide Enden durch
Spiegelplatten mit eingelassenen G ei ssler 'scben Glasbabnen gescblossen
waren. In der Mitte war das Robr dnrcbscbnitten und beide offeae
Enden waren in Spiegelglasplatten eingekittet, welcbe dnrcb Metallplatten
verstärkt waren. Darob eine dünne Stablplatte, welobe sieb zwisdioi
Oeffnangen in diesen Platten versobieben Hess, konnte das Innere der
beiden Röbren nacb Belieben mit einander in Verbindung gesetzt oder
getrennt werden. Zunäcbst füllte man beide Röbrenbälften mit Queck-
silber und Hess dieses dann dnrob das Gas, mit dem die eine oder andere
Hälfte gefülUt werden sollte, verdrängen. Nachdem bieranf in beiden
Gefassen genau gleicber Druck bergestellt war, sebob man die trennende
Stablplatte zurück und Hess das Innere beider Robrbälften Vs ^
1 Stunde lang mit einander communiciren. ScbliessHcb wurde das in
jeder Robrbälfte befindlicbe Gasgemiscb genau analysirt. Die Versuchs-
temperaturen lagen zwiscben — 21® C. und + 21® C; aucb wurden die
Versnobe bei sebr versobiedenen Druckverbältnissen wiederbolt.
Wir baben im vorbergebenden Abscbnitte die beiden Stefan'scben
Differentialgleiobungen gegeben, durcb welobe die DiffusionserscheiDan-
gen dargestellt werden, dieselben lauteten (man sebe S. 129, GL 2):
dt
dpi
= Je
= k
dx^
d^p.
dt " dx^ '
worin pi der Partialdruck des ersten Gases in dem Querscbnitte ist,
welcber um x vom Anfange der Röbre abstobt und entsprecbend p^ der
Druck des zweiten Gases in dem nämlicben Querscbnitte. t ist die Zeü,
welcbe seit Beginn der Diffusion verstrioben ist.
Alsdann sind die Grenzbedingungen für die Lpscbmidt'scben Ver-
snobe, wenn a die Länge des ganzen Diffusionsrobres bedeutet:
für * = 0 pi z= p von OJ = 0 bis a? = —
Pi =: p von X
— bis a? = a.
Nacb Ablauf einer so grossen Zeit, dass sieb ein vollständiges gleich-
artiges Gasgemisch im ganzen Rohre bergesteUt bat, ist:
dpx
-- — = 0 für jedes x und jedes grössere t.
^) Loschmidt, ExperimeDtal-Uniersucbangen über die DifTusion von Gasen ohne
poröse Scheidewände. Sitzungsber. der Wiener Akad. Abth. 2, Bd. 61, S. 367 bis 380
und Bd. 62, S. 468 bis 478.
3) Graham, PhU. Mag. Bd. 26, S. 433 (1863).
E. Kinetische Theorie der Diffusion. 139
Diesen Bedingnpgen entspricht nach Stefan^) folgendes Integral
der fär pi gegebenen Differentialgleichung:
ri , 2 _ nULJ n . X 2 _ 971^. k.t
Iß ^ a oTC
. €08 « • • ^
Die nach der Zeit t in der ersten Hälfte des Rohres befindliche
Menge Mi des ersten Gases ist, wenn mit Q der Querschnitt der Röhre
beaeichnet wird:
a
i"
Jtfi = Q ' J Pi .dx= Q .p ,a .\j + ^
\ 2 971*. k.t 1
+ 9^^'' ^ + • . . J,
and die in die zweite Rohrhälfte eingedrungene Menge üfi des ersten
Gases ist:
e o»
^\ = Q JPi 'dx = Q ' P ' ^, [j — —i
'^"~ • • * I *
n* . k . t
e a>
a
i"
2 _ 9 71* . k , t
. e a«
9ä«
Die Differenz dieser beiden Grössen ist:
Ml -3^1 = \/ [e -« +g^e a« + • • J'
and die Summe beider Gleichungen ergiebt:
Ml +- JMi =
Durch Division beider Gleichungen ergiebt sich:
■Rf TM' Q r 71« . * . < 1 9 71* . k , t n
and diese Gleichung kann zur Bestimmung von Je dienen, da die Grössen
Jfi, M'it t und a durch die Messungen, welche bei den Versuchen ange-
stellt worden, bekannt sind.
Da bei den von Loschmidt angestellten Experimenten übrigens t
meist ziemlich gross ist, so kann man in der in der Klammer stehenden
Beihenentwickelung ohne wesentlichen Fehler bei dem ersten Gliede stehen
bleiben und erhält:
^) Stefan, Ueber das Gleichgewicht ' nnd die Bewegung, insbeBondere die Dififu-
aoa ron Gasgemengen. Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 63 , Abth. II, Separat-
abdrack, S. 19.
140
L Moleculartheorie der Wärme.
k = ^ llogruU {Mi'-jU!^)^lognai (üf, + JTf,) + lognai^
Auf diese Weise sind die im vorigen Paragraphen mitgeiheilten
Diffusionscoefficienten von Loschmidt ans seinen Yersnchen berechnet
worden. — Die von Loschmidt selbst in seinen Abhandlungen mitge-
theilten Diffnsionscoefficienten lanten etwas anders , weil sich dieselben
auf den Quadratmeter und die Stunde als Einheit beziehen.
Es ergab sich ans L ose hmidt's Yersnchen, welche er mit einigen
Gascombinationen bei verschiedenem Drucke und Temperaturen anstellte:
1) Dass die Diffusionsconstante k dem Gesammtdrucke der beiden
diffundirenden Gase indirect^roportional ist und das wird, wie die Formel 3):
Ali dl . da ' 2o' p
zeigt, auch durch die Theorie in genau derselben Weise gefordert;
2) dass die Diffusionsconstante k dem Quadrat der absoluten Tem-
peratur angenähert proportional sei, und dieses Resultat wird durch die
Gestalt der für A; gefundenen Gleichung nur annähernd bestätigt, wie dies
nachstehende der Loschmidt' sehen Arbeit entnommene Zahlen zeigen:
Diffundirende
Substanzen
Diffusionscoeff.
Stunde
Diffusions-
constante
T
0)
(fj
©■
•
Kohlensäure —
<
Laft ....
Eohlens&ore —
Wassentoff .
Wawerstoff —
Sauerstoff . . *
0,059512
0,059278
0,058257
0,059816
0,050335
0,043618
0,221134
0,200250
0,296608
0,285149
0,282698
0,254930
0,226876
290,8
290,3
289,6
289,5
273,0
252,0
286,2
273,0
286,0
284,3
283,0
273,0
252,0
1,36439
3,35903
1,33562
1,37136
1,15400
1,
1,104
1,
1,30736
1,25685
1,24605
1,12365
1,
1,14941
1,14743
1,14466
1,14427
1,07905
1,
1,04835
1,
1,13043
1,12372
1,11857
1,07905
1,
1,32114
1,31660
1,31026
1,30935
1,16435
1,
1,09904
1,
1,27788
1,26274
1,25121
1,16435
1,
3) Wir habän ferner gesehen, dass Ai^ eine symmetrische Function der
Grossen ist, durch welche die chemischen Eigenschaften der beiden Gase be-
stimmt werden. Der Ausdruck Äi^ aber ist der reciproke Werth des Pro-
R Kinetische Theorie der Diffusion. 141
dnctes ans einer Dichte and einer Zeitgrösse. Da Dun aber ^13 yon den
Dichten der beiden Gase in^gleicher Weide abhängen mnss, so ist Äu ein
Bmchf dessen Nenner eine Function der beiden Dichten di nnd d^ und
iwar eine Function ersten Grades ist , die einfachste Function dieser Art
ist Vdi d). Hieraus folgt aber, dass auch % der Quadratwurzel aus dem
Ph)ducte der Dichten verkehrt proportional ist. Nachstehende kleine
Tabelle seigt, dass die auf 0^ reducirten Diffusionsconstanten bei Diffu-
sion eines Gases Ä und B und bei Diffusion von Ä in C sich wie die
redproken Werthe der Wurzeln aus den Dichten der Gase B und C zu
einander Yerhalten,^und darin liegt die experimentelle Bestätigung des
theoretisch gefundenen Gesetses, dass die Diffusionsconstante dem geo-
metrischen Mittel aus den Dichten beider Gase umgekehrt proportional
ist LoBchmidt fand:
Vd,:Vd;
k fiir Kohlensäure — Wasserstoff .2i??2. — 3 oß Wasserstoff
k för Kohlensäure — Luft ~ 0,0506 ~ ' Luft
k ftr Luft — Wasserstoff 0,266 ^ ^^ Wasserstoff , „
k für Luft — Kohlensäure 0,0505 ' Kohlensäure '
k ftr Luft — Wasserstoff 0,255 Luft
k flkr Kohlensäure — Wasserstoff ~~ 0,200 ~ ' Kohlensäure '
Auch die Diffusion eines Gemenges Ton drei Gasen ist von Stefan
auf theoretischem und yon Wretsohko^) auf experimentellem Wege
untersucht worden. Auch hier hat sich eine durchaus beledigende
Uebereinstimmung ergeben. Dieser Fall war von um so grösserem Interesse,
als man die hierauf bezüglichen Gleichungen nicht einfach aus der An-
schauung ableiten konnte, dass die durch die Einheit des Querschnittes
in der Zeiteinheit hindurchdiffundirenden Gasmengen der Concentrations-
differens zu beiden Seiten des Querschnittes proportional sein müssen.
Man musste demnach in diesem Falle auf die ursprünglichen Beweg^ngs-
gleichungen zurückgehen. ,
Die Versuche wurden in der Weise angestellt, dass den in beiden
Rohrhälften- anfänglich befindlichen Gasen ein drittes zu gleichen Theilen
beigemengt wurde. Theorie und Erfahrung ergaben übereinstimmend,
dass die anfänglich im ganzen Rohre gleichmässige Dichte dieses dritten
Gases durch die Diffusion gestört wurde und sich erst ganz allmählich
nach langer Zeit wieder herstellte. Auch die Ergebnisse der Versuche
Ton Benigar*) über die Diffusion eines Gasgemisches in ein drittes von
den ersten beiden verschiedenes Gas sind von Stefan aus der von ihm
aufgestellten Theorie vollständig befriedigend erklärt worden.
^) Wretschko, Experimentalnnteniachangen über die Diffusion von Gasgemengen
SitKongsber. der Wiener Akad. Bd. 62, S. 575 bis 589.
*) Benigar, Sitzangsber. der Wiener Akad. Bd. 82:
142 I. Moleculaxtheorie der Wärme.
Endlich sind auch die schönen Versache yon Graham und Banaeii
üher die Diffasion einfacher Gase and die Diffusion yon Gasgemengen
durch poröse Scheidewände auf demselben Wege mit der Theorie in Ein-
klang gefunden, worden. Es zeigt sich merkirürdiger Weise, dasB die
Widerstände, welche verhältnissmäBBig dichte poröse Substanzen den
Durchgange der Gase entgegensetzen, von gleicher Grössenordnung sind,
wie die Widerstände, welche sich Gase bei ihrer gegenseitigen Durch-
dringung entgegensetzen. Es ist dies ein auffälliges Resultat, welchn
nur durch die ungemein feine Zertheilung der Materie im gasförmigen
Aggregatzustande begreiflich wird^).
F. Die Wärmeleitung in Gasen.
1. Vorläufige Bemerkungen über die Wärmeleitungs-
fälligkeit der Oase.
Wiederholt ist von den Gegnern der kinetischen Gastheorie, so
z. B. von Hoppe, Jochmann, Puschl, gegen diese Theorie der Einwarf
geltend gemacht worden, dass nach derselben ein localer Temperator-
unterschied in einem Gase fast augenblicklich verschwinden müsse. Diese
Folgerung hat man geglaubt aus- der Betrachtung des sehr einfachen
Falles ziehen zu können, dass es sich am die Fortpflanztmg der leb^i-
digen Erafb in einer Reihe gleich grosser, elastischer Kugeln handele.
Jede elastische Kugel tauschet nämlich beim centralen Zusammenstoese
mit dieser die Geschwindigkeit aus, und der Geschwindigkeitsüberschusi
pflanzt sich durch die ganze Reihe mit derselben Geschwindigkeit fcMii
mit welcher diese Kugel sich bewegt. Da die Rechnung für die Moie-
culargeschwindigkeiten in den Gasen nun sehr grosse Werthe geliefert
hat (man sehe Bd. 2, I, C, 12, S. 79), so glaubte man, müsste auch die
Fortpflanzung der Wärme in einem Gase durch Leitung mit derselben
Geschwindigkeit vor sich gehen, und schloss fälschlich hieraus, der
Wärmeleitungscoefflcient in einem Gase müsse eine sehr grosse Zahl sein.
Dies aber würde mit allen Erfahrungsresultaten nicht im Einklänge sein.
Gegen diesen Einwurf hat zunächst Clausius in seiner Theorie der
Wärmeleitung in Gasen ^) geantwortet. Seine auf die dynamische Gas-
^) üeber die Diffasion der Gase durch absorbirende Substanzen bat S. v. Wrob-
lewski, Strassburg 1876, eine interessante Abhandlung als Habilitationsschrift rtr-
öffentlicht. Die von ihm gefundenen Gesetzmässigkeiten sind jedoch noch nicht in Be-
zug auf ihre Uebereinstimmung mit der kinetii^chen Theorie der Diffusion geprüft worden.
^) ClausiuS) Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper, Abhandlungen, Bd. 2,
S. 277 bis 326.
F. Wärmeleitung der Gase. 143
theorie basirte Rechnung lieferte für das Wärmeleitungsvermögen der
Gase einen sehr kleinen Werth.
Zuerst hatte Maxwell in seiner berühmten mehrfach von uns citir-
ien ersten Abhandlung^) eine Theorie der Wärmeleitung aus den Gmnd-
principen der Moleculartheorie der Gase abgeleitet. Gegen die Richtig-
keit der dort gegebenen Entwickelung sind jedoch von Glausius sehr
triftige Einwendungen erhoben worden, so dass Maxwell diese erste
Theorie späterhin selbst verworfen hat und auf Grund der Hypothesen, welche
der sweiten Abhandlung zu Grunde liegen, nämlich der, dass die Gas-
molecüle sich umgekehrt der . f£Uiften Potenz ihres Abstandes abstossen,
das Problem von Neuem behandelt. Da wir bereits mehrfach erklärt
haben, dass wir uns mit dieser Grundannahme nicht einverstanden
erklären können, so bleibt uns zunächst nur die Glausius 'sehe Abband-
long als Grundlage über. Ehe wir uns jedoch zu dieser wenden, woUen
wir kurz über die bis jetzt vorliegenden experimentellen Bestimmungen
des Wärmeleitungscoefficienten der Gase berichten.
Zunächst jedoch müssen wir den f&r alle Aggregatzustände gelten-
den Begriff des Wärmeleitungscoef&cienten feststellen und dies geschieht
in folgender Weise.
Man denkt sich einen unendlich ausgedehnten, durchaus gleicharti-
gen Körper und theilt denselben durch ein System von sehr nahe anein-
ander liegenden parallelen Ebenen in sehr dünne Schichten. Die yfäxme
wird in demselben so vertheilt angenommen , dass alle Punkte einer sol-
chen dünnen Schicht dieselbe Temperatur besitzen, letztere also nur von
Schicht zu Schicht sich ändert und zwar gleichförmig in der Weise, dass
je zwei um eine Längeneinheit von einander abstehende Schichten in
ihrer Temperatur um einen Grad der hunderttheiligen Scala differiren.
In diesem Falle findet ein constanter Wärmestrom von der wärmeren
gegen die kältere Seite statt; in jeder Schicht des Körpers tritt in einer
gegebenen Zeit ebenso viel Wärme ein, als in derselben Zeit aus ihr hin-
austritt, es bleibt also auch die Temperatur jeder Schicht, wenn dieser
stationäre Zustand hergestellt ist, immer dieselbe. Unter Wärmelei-
tungsvermögen eines Körpers versteht man alsdann die Wär-
memenge, welche in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit
einer der Parallelebenen hindurchgeht. Unter Wärmeleitung ist
nur die Wärmebewegung zu verstehen, welche einerseits nicht von Strö-
mungen endlicher Gasmassen als Ganzes herrührt und andererseits auch
nicht durch Strahlung übertragen wird. Da wir nämlich die Gase nicht
von der Einwirkung der Schwerkraft befreien können, so streben die
wirmsten, also specifisch leichtesten Gasmassen immer möglichst hoch zu
steigen, und in Folge dieses Umstandes tritt eine Strömung ein, welche
') Phil. Mag. Bd. 20, S. 19.
144 L Moleculartheorie der Wärme.
ebenfalls eine Uebertragung von Wärme zur Folge hat. Diese Uel
tragung von Wärme hat mit der Leitung nichts zu thnn and vird
dem Namen Wärmeconvection yon dieser unterschieden. Um
dieser Erscheinung anabhängig zn sein, denken wir ans das betracl
Gas, wie die Körper bei allen üntersachangen in der mechai
Wärmetheorie, von der Einwirkung der Schwere befreit. Für die meii
Zwecke genügt es übrigens, sich zu denken, dass die Schichten, in ve
wir uns das Gas getheilt denken, horizontal liegen, und dass die
sten Schichten am höchsten liegen. In diesem Falle kann* von
Strömung ebenfalls keine Rede sein.
Yon der Uebertragung von Wärme von einem Molecül zum an(
durch Strahlung sehen wir bei der folgenden Betrachtung ebenfalls
da zunächst noch gar nicht abzusehen ist, in welcher Weise dieser ü(
tragungsweise von Bewegungsgrösse Rechnung getragen werden
Zum Glück ist durch mannichfache Versuche, so z. B. durch die n
Stefan^), dargethan worden, dass die durch Strahlung von Schiebt
Schicht übertragene Wärmemenge jedenfalls im Vergleich sa der di
Leitung fortbewegten Wärmemenge sehr gering ist. .
2. Die älteren Versuolie über die WärnLeleitimgr in
Zuerst zeigte Fielet'), dass es eine Wärmeleitung in Gasen ül
haupt gäbe, und seine Versuche führten ihn auf das Resultat, dass
Wärmeleitungsvermögen der Luft ebenso gross sei, als das der
gen Substanzen, welche man meistentheils verwendet, um Körper ve
Wärmeverlusten zu schützen. Der Versuch P6clet's ist äusserst einfte
Er bediente sich eines doppel wandigen Gefässes, dessen Anssenseite d
warmes Wasser tauchte und dessen innerster Raum mit kaltem Wt
gefüllt war. Den zwischen beiden Hüllen befindlichen Hohlraum folli
er mit Baumwolle oder ähnlichen faserigen Stoffen aus.
Nach einiger Zeit gab die Temperaturerhöhung des im Innc
befindlichen Wassers unmittelbar die Wärmemenge an, welche durch
Schicht hindurchgegangen war. Nach den bekannten Fourier^schen^
Formeln konnte man hieraus den Wärmeleitungscoeificienten des gani
zusammengesetzten Systems ermitteln. Es zeigte sich nun das mt
würdige Resultat, dass, wie viele Fasern man auch in den zwischen dai|
Doppelwänden befindlichen Raum brachte, sich doch die Leitungsfftbi|
keit des gesammten Systems nicht so merklich änderte , dass die etwiij
. ^) J. Stefan, Untersuchung über die Wärmeleitung in Gasen. I. AbhaodlaBg.
Sitzungsber. der Wiener Akad. Abth. II, Bd. 65. Februarhefl.
3) Fielet, Tratte de la chaleur, 3. Aufl. 1861, Bd. 3, S. 418.
*) Fourier, Theorie analytique de la chaleur, 1828.
F. Wärmeleitung der Gase. 145
rehe Versachsmethode eiueo Uoterschied hätte erkennen lassen. Hier-
MS folgt sofort, daes die Lnft eine eigene von der WärmeconTection nn-
■lihängige Wärmeleitnngefähigkeit besitzen mOfse, denn hier konnte von
iiueren StrömDDgen dea Gases nicht die Rede sein, and auch die Fasern
bmDteD nicht die TOrzugaweise wärmeleitende Substanz sein, da die An-
nhl derwlben ohne Einflnea war.
Erheblich genanere Versnobe sind in nenerer Zeit Ton Magnus')
■ogettellt worden. Derselbe bediente eich bei seinen Versacben eines
Apparates, von dem Fig. 11 eine Onrchschnittszeichnung giebt.
Zwei Glasgefaeee, AB und C, sind derart aneinander geschmolzen
diu der Deckel Ton AB als Boden von C dient. Das Geßtss AB he-
^- 21. "'^^^ nnten bei A und seitlich
einen Röhrenansatz, durch wel-
chen Pfropfen mit Röhren etc.
eingeführt werden können.
Durch den Pfropfen, der den
unteren Tnbnlns scbliesst,
sind zwei Glasröhren mit
Hahnverschlnsa luftdicht ein-
geführt, durch welche Gase
in das Gefass A B gebracht
und ans demselben entfernt
werden können. Durch den
seitlichen Tubulus ist eiu Ther-
I mometor/sr eingeführt, dessen
Kugel g sich in der Axe des
Gefässes befindet. Durch einen
Schirm o, der entweder aus
, Kork oder aus zwei Eupfer-
y blechen bestand, wurde die
Thermomcterkagel vor direc-
. - ter War meatrah hing von oben
geschützt. Der ganze Appa-
rat befand sich in einem Ge-
ßwe EE, dessen Wandungen durch ein Wasserbad auf der constanten
Tamperalur von ll^C. erhalten wurden. Das obere Gefass C war offen
Mil anthielt heisses Wasser, welches durch überhitzten Dampf, der durch
4« Rohr p eiutrat, im Kochen erhalten wurde. Die Wärme wird nun
•nf mehrerlei Weise nach der Thermometerkugel g hingeführt. Ein
Theil der Wärme, welche das kochende Wasser liefert, wird durch Lei-
tung darch das Glas auf die Thermometerröhre und von da nach g über-
Ingen, ein anderer Theil Wärme wird von der durch Leitung erwärmten
'I HigDUs, Uituag der Wäraie durch dk Gase. Pogg. Anp. Bd. Ua, S. 351
mi 197.
Vi[ilit.KahlD*Dn,H«hu. WUmMbeori«. Bd. 1. 10
146 L Moleculartheorie der Wärme.
Wand des Gefösses Ä B aasgestrahlt , und endlich leitet das Oas selbst
einen Theil der Wärme fort and um die Bestimmung dieses letzten Thei-
les handelt es sich bei diesen Versuchen. Die Fortbewegung der Wärme
durch das Gas kann, wie aus der Anordnung des Apparates heryorgebt,
nicht durch Strömungen der Lnfb , also nicht auf dem Wege der ConY6^
tion bewirkt werden, da die Erwärmung des Gases von oben geschieht
und sich deshalb jede Gasschicht fortwährend in stabilem Gleichgewichte
befindet. Das Gas wirkt durch seine Absorptionsfähigkeit für Wärme-
strahlen vermindernd auf die Erwärmung des Schirms und der Wände
durch Strahlung und vermehrt durch seine eigene Leitungrsföhigkeit die
Wärmemenge, welche der Thermometerkugel zugeführt wird. Wemi
man den Druck des Gases bis auf 15 mm Qnecksilbersäule^iverminderte,
war die eigenthümliche Leitungsfähigkeit des Gases nicht mehr merklich,
die eintretende Temperaturerhöhung zeigte sich dann sehr nahe unib-
hängig von der Gasart, mit der das Gefass AB gefüllt war und n]lte^
schied sich nicht mehr merklich von der, welche in einem möglichst loiU
verdünnten Räume, also in einem sogenannten Yacuum beobachtet wurde. ,
Wir lassen zunächst einige der Magnus' sehen Zahlen hier folgen i
Das Thermometer zeigte im Maximum und blieb auf seinem Stande sta-
tionär, wenn das Gefäss gefüllt war mit:
(Tabelle siehe folgende Seite.)
Die bei den grössten Verdünnungen erhaltenen Zahlen stimmen Z¥V
nicht vollständig mit einander überein, weil jedenfalls auch geringe Gai-
mengen noch einen bemerkbaren Einfluss ausüben. Magnus nahm jedoch
an, dasB man keinen wesentlichen Fehler begehe, wenn man die höchste
beobachtete Temperatur 11, 7<^ -l~ 1^^ Als diejenige annähme, welche du
Thermometer im leeren Räume gehabt haben würde. Setzt man diei
gleich 100 und vergleicht damit die Temperaturen, bei welchen der Ther-
mometerstand in den Gasen unter 760 mm Druck stationär wurde, so
erhält man folgende Reihe:
Leerer Raum . ,
100
Wasserstoff . . .
. 111,1
Atm. Luft . . ,
82,0
Sauerstoff . . . ,
82,0
Kohlenoxydgas . .
81,2
Grubengas . . .
80.3
Qelbildendes Gas ,
. 76,9
Stickoxydul . . .
75,2
Cyan
75,2
Kohlen säare . . <
. 70,0
Ammoniak . .
69,2
Schweflige Säure ,
66,6
F. Wärmeleitung der Gase.
147
Lut\ .
Sauerstoff
Wasserstoff
KohleDsäure
Stickoxydul
Ammoniak
Kohlenoxyd
Cyangas .
Schweflige Säure
Druck desselben
mm
759,4
373,0
194,7
11,6
771,2
10,0
760,0
517,7
195,4
11,7
9,6
765,3
16,4
760,0
12,0
770,3
15,4
760,0
11,0
760,0
14,0
763,3
301,1
11,4
Temperatur
15» + 0 C.
9,6
10,0
11,0
11,7
9,6
11,6
13,0
12,5
12,1
11,8
11,6
8,2
11,3
8,8
11,5
8,1
»
11,0
9,5
11,6
8,8
11,4
8,0
9,1
11,0
Nur das mit Wasserstoffgas erhaltene Resultat ist ganz unzweideutig;
es beweist, dass dieses Gas die Wärme thatsächlich leitet; denn die Tem-
peratur, welche das Thermometer in diesem Gase annimmt, ist höher als
in dem leeren Räume und um so höher, je grösser die Dichtigkeit des
Gasee ist^).
Bei allen anderen Gasen ist die stationäre Temperatur des Thermo-
meters niedriger als im leeren Räume und. zwar um so niedriger, je
dichter das Gas ist. Es würde jedoch voreilig sein, daraus schliessen zu
wollen« dass diese Gase die Wärme überhaupt nicht leiteten. Die Er-
^) Schon Dulong und Petit haben bei ihren Untersuchungen über die Gesetze
der Abkühlung geirinden , dass die Abkühlung eines Thermometers in Wasserstoff 3,5
mal so raach yor sich geht, als in Luft.
10*
148
I. Moleculartheorie der Wärme.
wärmang des Thermometers rührt nämlich, wie wir schon oben sagten,
vorzugsweise von drei Ursachen her, von der Wärme, welche das 6u
demselben zuleitet, von der Wärme, welche der durch Strahlung erwärmte
Schirm demselben zustrahlt, und von der Strahlung einiger Theile der
Wände. Die Strahlung ist nun zweifelsohne im leeren Räume am grö»
ten. Wenn aber die Gase von den Strahlen, welche sie durchdringeii,
mehr in sich aufnehmen, als die Wärmemenge beträgt, die sie leiteo, eo
muss in den Gasen das Thermometer niedriger stehen, als im leerai
Räume. Magnus hat nun aber auch ausserdem die Diathermanität de^
selben Gase einer Untersuchung unterworfen. W^ir stellen im Folgenden
die Resultate mit den Thermometerständen zusammen, welche bei An-
wendung eines Korkschirms bei den soeben mitgetheilten Wärmeleitongi-
versuchen erhalten wurden.
Namen der Gaue
Temperatur des
Thermometers
Durchgelassene Wirme-
strahlen von 100*
Sehr verdünnte Lufl (sogen. Vacuum) •
Wasserstoff
Atmosphärische Luft
Sauerstoff
Kohlenoxydgas
Grubengas
Oelbildendes Gas
Stickoxydul •
Cyan
Kohlensäure
Ammoniak .
100
111,1
82,0
82,0
81,2
80,3
76,9
75,2
7bfi
70,0
69,2
100
85,8
88,9
88,9
79,0
72,2
46,3
74,1
72,2
80,2
38,9
Man erkennt sofort, dass die Durchstrahlbarkeit der Gase für Wann
von 100 Grad sich in einer ganz anderen Weise gruppirt, at& die Tem*|
peraturen des Thermometers, und dass die Unterschiede der Diathermanitit |
viel bedeutender sind. Wir schliessen hieraus mit Magnus, dass aack
für andere Gase als Wasserstoff der Beweis für die Existenz einer
Wärmeleitungsfahigkeit durch die Magnus^ sehen Versuchsreihen e^
bracht ist ^).
^) Versuche, welche H.B uff in neuester Zeitmit einem vollkommeneren, dem Mag*
nus^ sehen nachgebildeten Apparate angestellt hat, beziehen sich zumeist auf die Di&ther>
manität der Gase und gestatten keine direeten Schlüsse auf das WärmeleitangsTenaÖfica.
Man sehe: Ueber die Fähigkeit der Lutt und des Wasserstoffs die Wärme zu leitM
und deren Strahlen durchzulassen. Pogg. Ann. Bd. 158, S. 177 bis 213.
F. Wärmeteittmg der Oase. 149
8. Neuere Versuche über die Wärmeleltung in Oasen.
Eine wesentlicb gröswre Genauigkeit ist den Versuchen znzn-
icbreiben, welche Narr>) über das VerhSltniss der Wärmeleitungsver-
mägGD der Gaee angestellt hat. Er bat die Äbküblungageschwiadigkeit
eia» mit Leinöl gefüllten Gef&Bseg in sehr lull verdünntem Räume mit
jener in verechiedenen Gasen bei 90 mm Spannang verglichen. Mit Gasen,
die eich nnter höherem Dmcke befanden, kannte nicht experimentirt wer-
den, da bei dichteren Gasen die Strömiuigen störend einwirkten. Der
Angewendet« Apparat bestand ans einem Cylinder von dünnem Messing'
Mecl] (Darcbmesser 9 cm, Höhe 13 cm), der in Hchmelzendes Eis einge-
eetzt wnrde. In diesem Cylinder schwebte, nur von oben darch einen
Kork festgehalten , das erwärmte Gefass. Durch Vermittlung des zwi-
schen dem erwärmten Gefasse und der Cylinderwand befindlichen Gases
Pj_ IT gab das erstere seine Warme allniäb-
lich an letztere ab. Die Geschwin-
digkeit , mit der diese Abküblung er-
folgte, diente als Maass der Wärme-
leitnngsfAbigkeit des Gases. Das
innere, erwärmte Gefäss hatte ebenfalls
eine cylindrische Gestalt nnd war ans
Glas hergestellt. Fig. 12 zeigt eine
Abbildung desselben. In der Mitte
des inneren Hohlraumes aa befand «ich
das Gefäss b eines sehr genauen nnd
empfindlichen Thermometers. Die
beiden seitlichen Röbren trngen an
aufgetriebenen Stellen zwei Ktipfer-
sfäbcben dd. Legt man an diese die
Enden einer galvanischen Batterie, so
wird der Platiijdrabt n, welcher sich
durch den inneren mitLeinöl gefüllten Hohlraum erstreckt, erhitzt nnddamit
das ganze Gel^ss erwärmt. Die Wärme des mit Leinöl gefüllten Gläa-
chans wurde nun durch das Gas nach dem änsseren mit Eis umgebenen
Gel^e übergeleitet. Die Erkaltungsgeschwindigkeit wurde an dem
Thennometar b beobachtet. Narr nahm an, dasa die Wärmeübertra-
gung nur durch die vom Gase geleitete Wärme bewirkt würde. Wäre
diee der Fall, so würde das Verhältniss der Krkaltuiigsgesch windigkeiten
•och das der Wärmelei tun gs vermögen sein. Wegen der Wärmeableitung
') N»rr, Ueber die Erkaltung und WSnn*l»itun|; von Gasen. Pung. Ann. Bd. 142,
8. 123 bis 158. Aehnüche Versuche »lud in un^follkommener Wewe früher schon von
DdIdük und Petit, De IsPre
•lätec (1872) auch von Jamin
150 I. Moleculartheorie der Wärme.
durch die featen Bestandtheile des Apparates, wegen der Strahlung, wegen
der Strömangen, welche im Gase entstehen und wegen der langsamen
Wärmeyer breit ung im Oele kann dies freilich nicht streng richtig sein.
Subtrahirt man aber von der Erkaltungsgeschwindigkeit in einem
Gase die in einem möglichst guten Yacuum beobachtete Erkaltungs-
geschwindigkeit des Thermometers, so wird die Di£Perenz sehr nahe d»
lediglich von der Wärmeleitung des Gases herrührende Erkaltongs-
gesch windigkeit darstellen.
Setzt man die Erkaltungsgeschwindigkeit, welche yon Luft bewirkt
wird, gleich 1, ao ergeben die Versuche Ton Narr folgende Verhältnim
der Erkaltungsgeschwindigkeiten, welche angenähert also auch als die
Verhältnisse der Wärmeleitungsföhigkeit angesehen werden können:
Wasserstoff . . 5,5, Stickstoff .... 0,98
Luft 1,0, Kohlensäure . . . 0^1
Nach einer wenigstens principiell mit dem yon Narr angewendeten
Verfahren yerwandten Methode experimentirte Stefan ^): er bestimmte
jedoch den Wärmeinhalt des sich abkühlenden Körpers mit und lieferte
somit die ersten Versuche, welche wenigstens annäherungsweise eine
Bestimmung des absoluten Wärmeleitungsyermögens der Gase zulaseeo.
Bei den ersten derartigen Versuchen wurde eine abgeschlossene Lnft-
menge yon allen Seiten gleichmässig erwärmt oder abgekühlt und die
Mitteltemperatur des Gases wurde für yerschiedene Zeitpunkte manom^
trisch bestimmt. Genaue Resultate lieferten jedoch erst Apparate, bei
denen doppelwandige Luftthermometer aus Kupfer- oder Messingblech
angewendet wurden, derart, dass das auf sein Leitungsyermögen zu ulte^
suchende Gas den Raum zwischen den beiden MetallhüUen ausfüllte.
Direct beobachtet wurden die Druckzunahmen der eingeschlossenen
Luftsäule und die dazu erforderlichen Zeiten. Wird die Temperatur der
Luft yor dem Versuche gleich 1 gesetzt, und ist der dann im Apparate
herrschende Druck po , so muss , wenn die mittlere Temperatur um Ü
Grade gestiegen ist, der dann herrschende Druck p mit po durch die
Gleichung yerbunden sein:
P=Pq .(l + a . ü).
Die Druckzunahme p — i>o ist dann :
P - Po _ ^ rr
Po
Um das Wärmeleitungsyermögen der Lufb aus der Grösse ü bestin*
men zu können, wurde angenommen, dass sich die Fundamentalgleichung
der Wärmeleitung:
du , d^u ,v
1) Stefan, Untersuchungen über die Wärmeleitung in 9<^f^^i^' Erste Abhandlaog-
Silzungsber. der Wiener Akad. Bd. 65, Abth. II, Februarheft, 1872.
F. Wärmeleitung der Gase. 151
•ach auf die Yerbreitimg der Wärme in einem mit Gas erfüllten Cylin-
der anwenden lasse.
In dieser Gleichung bedeutet u die Temperatur in dem Querschnitte,
welcher um x tou der Wärmequelle absteht zur Zeit ^; ^ ist der Quotient
ans dem früher (S. 143) von uns definirten Wärmeleitungscoefficienten K
und der specifischen Wärme bei constantem Drucke der Yolumeneinheit
der leitenden Substanz (welche, wenn Cp die specifisohe Wärme bei con-
stantem Drucke und s das specifische Gewicht der Substanz , auf Wasser
als Einheit bezogen, bedeutet, durch c^.s ausgedrückt wird). Demnach ist
Ä = -^ 2)
Bei Aufstellung dieser Gleichung ist femer vorausgesetzt, dass kein
Wärmeaustausch zwischen dem Gase und den Wandungen des dasselbe
begrenzenden Gelasses stattfinde.
Hat die Luftsäule ursprünglich überall die Temperatur Null, und
wird bei f = 0 plötzlich der oberste Querschnitt auf die Temperatur a
«gebracht, und yon nun an auf dieser Temperatur erhalten, so ergiebt
sich, wenn l die Länge des Cylinders so gross ist, dass die während der
Zeit i durch die untere Endfläche entwichene Wärme vernachlässigt wer-
den darf,, als Integral der Differentialgleichung ^) :
„=i».y^'.
Ist jedoch { nicht genügend gross , wird aber die untere Endfläche
auf 0^ erhalten, so ergiebt sich das Integral:
worin abkürzungsweise m für — j^ — gesetzt worden ist.
Die Zunahme' des Druckes ist also im ersten Falle durch die Formel:
p — ffo /2 . g . g A/h . t
Po
bestimmt und somit wird JT unter diesen Verhältnissen durch den Ausdruck :
4 . a» . a« . r \ Po }
dargestellt.
Die Voraussetzung, dass durch die Wände weder ein Zufluss noch
ein Abfluss von Wärme stattfindet, ist nicht statthaft, das aus solchen
Versuchen erhaltene Resultat daher auch nicht unmittelbar brauchbar.
Wählt man jedoch das eine Mal eine Substanz für die Wandungen des
^) Man sehe: Stefan, a. a. 0., im Separatabdmcke, S. 6.
152 I. MolecuUrtheorie der Wärme. _
GefitsBes, dasB siah in der Wand die Temperatur über die dea danebeo-
liegenden Gasqaerschnittes erhebt, BOwird von den Wandungen dem Gut
Wärme zngefübrt und wir finden p — po und damit S zu gross. Fe^
tigen wir dagegen daa Gefäes aus einer derartigen Substaae, das* jede
Wandstelle durch die Wärmequelle weniger erhitzt wird, als der daneba
liegende Gasquergchnitt, so finden wir K zu klein, weil das Gas einei
Theil seiner geleiteten Wärme nach aussen abgiebt.
£b zeigte sich nun, dass in einem Glasgefässe daa Gas aicfa dank
Leitung stärker erwärmte, als die umgebende Wand; in einem Zinkgeßw
war dagegen die Temperatur der Wand immer höher, als die der danebcB
liegenden Gasschichtcii , bei Versachen erster Art fand Stefan für Lnfl:
Als unteren Grenzwerth: K ^= 0,00002,
als oberen Grenzwerth: K= 0,000065.
E- 1'^- Für spatere Versuche bediente eich Stefan
eines etwas anderen Apparates, den wir im Folgen-
den beschreiben wollen {Fig. 13 zeigt eine Bcbei»
tische Abbildung desselben). In den Kupfercylindfr
AB CD ist ein offenes Eupferschüsselchen abcd
geschliffen. In dieses SchQsselchen ist ein Kork b«-
festigt, der das Rohr Jlf mit Hahnverachluss dorel
sich hindurch lässt und an dem Röhrchen Ji einn
inneren Kupfercy linder GÄ^/H trägt, der ab Lnft-
tbermometer dient.
Die Dimensionen dieses inneren Cylinders dni
derart gewählt, dass der Abstand der Mantelfläcbei
des inneren nnd äusseren Geiasees dnrchaus gleicb
ist. Die Röhre B ist von oben umgebogen, trägt
ihrem abwärts gehenden Schenkel eine Scala S und
taucht in ein mit Quecksilber gefülltes Probirgli
cheu. Dieses ProfairröhrcheD ist an K darcb ein
luftdicht schlieseenden Kork befestigt, darch d
noch ein zweites Röhrchen r geht. Dieses Röhrchen
r dient dazu , um vor Iteginn jedes Versuches d«ii
Quecksilber in R einen passenden Stand gehen eo
können, indem mau Luft aas HIKG- heraustaagt
nnd dafür Quecksilber in B aufsteigen lässt.
Die Versuche , welche zur Bestimmung
Wä rmelei tu ngBvermög CDS dienten, bestanden nun
fach darin, dass man , nachdem der ganze Apparst
eine durchaus gleichförmige Temperatur angenommen
hatte , denselben plötzUch in ein mit Schnee und
Eis gefülltes Gefass tauchte und die Abkübloag
dea inneren Luftthermometers durch die Ableaungen
F. Wärmeleitang der Gase. 153
des im Lnftthermometer herrschenden Druckes an der Scala des Röhrchens
B TOD Zeit zu Zeit hestimmte.
Vom inneren gegen den äusseren Cy linder findet eine continuirliche
Wärmeströmung statt und die Menge der in einer bestimmten Zeit über-
gefahrten Wärme hängt ab: von der Temperaturdifierenz des inneren und
ftusBoren Mantels, von der Grösse der Oberflächen, von dem Abstände
beider und von dem Leitungsvermögen der den Zwischenraum ausfällen-
den Substanz.
Stefan setzt nun, in Uebereinstimmung mit den bekannten Grund-
lagen der Wärmeleitung, voraus, dass die in einem Zeitelemente dt vom
inneren zum äusseren Cylinder durch Leitung übergehende Wärmemenge
der Temperaturdifferenz und dem arithmetischen Mittel ihrer Oberflächen
direct, dem Abstände der beiden Oberflächen verkehrt proportional sei,
also ansgedrnckt werden könne durch:
K.F.e .dt
Hierin bedeutet K das Wärmeleitungsvermögen der den Zwischen-
raam ausfüllenden Substanzen, 6 die Temperaturdifferenz des inneren
und äusseren Cylinders; F das arithmetische Mittel ihrer Oberflächen,
J ihren Abstand.
*IHe in der Zeit dt dem inneren Cylinder entführte Wärmemenge
llsst sich ausdrücken durch:
— P . Cp . de,
veno — dd die in der Zeit dt erfolgte Temperaturabnahme, Cp die spe-
cifische Wärme, ^P das Gewicht des inneren Cylinders bezeichnet. Die
Wärmemenge, welche die im inneren Cylinder enthaltene Luft verliert,
kann vernachlässigt werden, ebenso auch die Störung, welche das Glas-
ißhrchen veranlasst.
Wir erhalten demnach die Gleichung:
Die Integration derselben ergiebt sofort:
ß = da . e P.c.
.t
Wenn man zur Abküi*zung:
K .F _
setzt:
ß 3)
0 = 00.6 ^' 4)
Bezeichnet nun jpo don Druck zu Beginn der Zeit, p denselben zur
Zeit t, und pi am Ende des Versuches, zu welchem der ganze Apparat
die Temperatur 0^ angenommen hat, so gelten folgende Gleichungen:
154
I. Moleculartheorie der Wärme.
l'o = (1 + « . öo) .Pi.
i>i = (1 + a . Ö) . p.
Aus diesen folgt sofort:
Po — P\
P — Pi
nnd liieraas durch Logarithmiren :
6
ß*
V
5«
= 2,089
= 6,88
z/ == 0,2346
P == 59,66
C\ = 0,0935
g
Bei einem Yersuche mit Luft war beispielsweise:
Der innere Radios des äusseren Cylinders
die Höhe des inneren Cylinders ....
der Abstand der beiden Mantelflächen .
das Gewicht des inneren Cylinders . .
die specifische Wärme des Kupfers ist .
das arithmetische Mittel der Flächen wurde aus obigen Daten bei
z\x F = 112,85 qcm.
Es wurden nun nachstehende Quecksilberhöhen h am
zu den Zeiten t abgelesen und hieraus die Grösse ß . log e berechnet
h
5
10
15
20
25
30
41,8
Benutzt man das Mittel:
ß .log e = 0,00206,
so erhält man aus den mitgetheilten Zahlen:
K = 0,0000561.
Als Mittel ans acht Versuchen findet Stefan für Luft:
K = 0,0000558
und damit:
h = 0,256.
Auch mit einer grösseren Zahl anderer Gase hat Stefan experimen*:
tirt^) und mit demselben Apparate nachstehende Werthe von fi , l4>§$
gefunden; aus diesen ergiebt sich dann die daneben befindliche Reibt
yon relativen Wärmeleitungscoefficienten , den der Luft gleich 1 gesetxt:;
t
ß . log. e
27
0,00204
58
0,00205
94
0,00205
137
0,00206
192
0,00206
263
0,00209
00
^) Stefan, Relative Bestimmungen des WärmeleitungsvennÖgens
Gase. Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 72. Janiheft.
verscbiedeB«'
• F. Wärmeleitung der Gase. 155
ß .log e S!
Luft 0,001026 1,000
Kohlensaure 0,000658 ' 0,642
Stickoxydul 0,000682 0,665
- Oelbildendes Gas . . . 0,000772 0,752
Kohlenoxyd 0,001007 0,981 '
Sauerstoffe. ..... 0,001045 1,018
Sumpfgas 0,001408 1,372
Wasserstoff 0,006893 6,718
Mit dem Stefan 'sehen Apparate fand Plank^) aus neueren Ver-
lachen fiär das relative WärmeleitungsvermÖgen einiger Gase bei mitt-
leren Temperaturen folgende Zahlwerthe (Luft =1):
Wasserstoff. . . . 6,68
Kohlensäure . . . 0,65
Sauerstoff .... 1,02
Einige Messungen über das relative Wärmeleitungsvermögen von
Gasgemischen ergaben nachstehende Resultate:
3H + 0 4,24
2H 4- O 3,70
H + 0 2,77
H + 20 2,08
H + 30 1,78
0,616 H 4- 0,384 CO2 2,83
0,493 H + 0,507 COj, 1,93
0,319 H -I- 0,681 CO2 1,54
0,689 0 -f 6,302 CO3 0,929
0,5610 + 0,439 CO2 . 0,857
Die Versuche zeigten, dass das Wärmeleitungsvermogen von 6as-
gemengen mit grosser Annäherung nach dem Gesetze der arithmetischen
Mittel ans dem der Bestandtheile berechnet werden kann, wenn das Wärme-
lei tongsvermögen der beiden Bestandtheile nicht sehr von einander ver-
Kliieden ist.
Dieses letzte Gesetz verwendete Plan k 3), um bei einer zweiten Arbeit
das Wärmeleitungsvermögen des Stickoxydes zu berechnen, da es sich
heraasstellte , dass die zur Entwickelung dieses Gases dienende Methode
(Einwirkung von Kupfer auf verdünnte Salpetersäure bei massiger Wärme)
stets nicht unerhebliche Mengen von Stickoxydul und Stickstoff (?) mit
lieferte. Unter sorgfaltiger Berücksichtigung der hierdurch erwachsen-
den Veränderungen des Wärm eleitungs Vermögens ergab sich für reines:
^) J. Plank, Versuche über das Wärmeleitangsvermögen von Gasgemengen.
Sitzungsber. der Wiener Akad. II. Abth-, Bd. 32, Juliheft 1875.
1 J. Plank, üeher das Wärmeleitungsvermögen von Stickstoff, Stickozyd, Ammo-
niak nnd Leuchtgas. Sitzungsber. der Wiener Akad. Bd. 74 (1870), S. 215 bis 235.
156 I. Moleculartheorie der Wärme/
Relatives Wärme-
leitangBvermögen
Stickoxyd . . , . 0,95
Stickstoff .... 0,99
Ammoniak .... 0,92
Eine Bestimmung des WärmeleitungsYermögens des LenchtgiMg,
welche bei dieser Gelegenheit mit aasgeführt wurde, ist zwar ohne wit»
senschaftliche Bedeutung, dürfte aber für gelegentliche Demonstration!»
versuche im Auditorium nicht ohne Interesse sein. Plank fand f&r:
Leuchtgas : 2,67.
Mit verschiedenen Apparaten, welche in der Hauptsache mit dea
von Stefan construirten übereinstimmten, experimentirle Winkel*
mann^), und es gelang ihm, durch Benutzung mehrerer Apparate nnt
verschiedenen Dimensionen, den Einfluss der Strahlung zu eliminiren,
der bei Stefanos Versuchen zwar sehr klein war, aber doch noch nicht
vernachlässigt werden konnte. Die Grösse der Strahlung lässt sich nia-
lich dadurch ermitteln und ihr Einfluss aus den Endresnltaten beseiti*
gen, dass man den Satz zu Hülfe nimmt, dass die Grösse der Strahlung
nur von dem strahlenden Körper abhängt und nicht von der Entfer*
nung der ihn umgebenden Hülle. Beobachtet man daher die Abkühlnng
desselben cylindrischen Luftthermometers in zwei verschiedenen äussera
Cylindern, so lässt sich die Grösse der Strahlung durch Gombination !)«•
der BeobachtuDgen ermitteln und aus der Rechnung schaffen.
Nennt man den Radius des inneren Cylinders r, jenen des äaeseren E,
die Höhe des inneren h und die des äusseren H, so ist der übenÜ
gleiche Abstand beider Cylinderflächen ^/:
J = R — r
und somit:
H = h i- 2 .(R — r).
Nimmt man zunächst an, der innere Cylinder habe die oonstantt
Temperatur r^, und der äussere Cylinder, welcher bei den Yersnchen ii
ein Gemisch von Eis und Wasser getaucht wird, die constante Tempen*
tur 0®, so ist die Wärmemenge tr, welche während der Zeiteinheit dnrd
eine den beiden Cylinderflächen ähnliche und von der inneren übenD;
gleichweit abstehende isothermische Cylinderfläche hindurchgeht, gleich:'
M^=— K . {[h + 2 .(q — r)].2QJC + 2q^x] - -— ,
I* *
wenn Q den Radius dieses Cylinders und somit [h + 2(p — r)] sein«
Höhe und d" die constante Temperatur in dieser isothermischen Fläclie
bedeutet.
Integrirt man diese Gleichung und setzt für Q als Grenzen r und B
und dem entsprechend für d" dieWerthe d^ und 0® ein, so ergiebt sich:
, ^)Wiiikelinaan, Ueber die Wärmeleitung der Gase. Pogg. Ann. Bd. 156, S. 497
bis 531.
i€ = K .
F. Wärmeleitung der Gase.
2 Ä . (Ä — 2 r) . (9
157
lognat
R(r + h)
r(3E + h — 2r
Durch StrahluDg wird aber in der Zeiteinheit von dem innneren auf
Jen finBseren Cy linder eine Wärmemenge 3 übertragen, welche proportio-
nal der Temperaturdifferenz 6 beider Cylinder ist, also:
8 = c . e 6)
venn c eine von den Dimensionen und der Beschaffenheit des inneren
Cylinders abhangige Constante ist. Die vom inneren Cylinder in dem
Zeitelemente dt abgegebene Wärmemenge ist (man sehe S. 153), sofern
MQ unendlich kleine Grössen höherer Ordnung vernachlässigt, F.C^,d^^
%6im man in der Zeit dt die Temperatur des inneren Cylinders als con-
itant, gleich 0 ansieht. Diese Wärmemenge aber ist gleich:
{w -\- s) . dt,
snd man erhält somit die Gleichung:
2 ff (Ä — 2 r)
-P.C,.dO =
K
Joffnat
R (r + h)
+ c
0 .dt.
r(3Ä + Ä — 2r)
Wenn man annimmt, dass zu Beginn des Versuches also f&r ^ = 0
die Temperatur des inneren Cylinders den Werth Oo und zur Zeit t den
Werth 0 besitzt, so ergiebt sich durch Integration:
P . a loffnat 00 — lognat 0 ^ ä — 2r
2n
lognat
R.(r -hh)
r . (3 Ä + Ä — 2 r)
+
2n
7)
Bezeichnet man die Abkählungsgeschwindigkeit mit v:
lognat Qq — lognat 0
t
8)
•0 wird man, wenn man den inneren Cylinder in zwei ähnlichen äusseren
Cylindem abkühlen lässt, eine Abkühlungsgeschwindigkeit Vi finden, wenn
der Radius des äusseren Cylinders Ri und eine Abkühlungsgeschwindig-
keit r^, wenn der Radius des äusseren Cylinders R^ ist. Man kann dann
iwei der obigen Gl. 7) analoge aufstellen und aus diesen durch Sub-
traction c eliroiniren.
Man findet dann fär K den Werth:
y _, -P ' Q. - (^^1 — t^i)
2 ff . (Ä — 2 r) '
\lognat
Ri'ir + h)
r .{3Ri + h — 2r)
1
7/i/iiti/y/
B,.(r
+ h)
tuynui
.(3iJ, +
h —
2r)j
9)
158 I. Moleculartheorie der Wärme.
Winkelmann ezperimentirte im Ganzen mit fünf Apparaten
fand das Wärmeleitungsvermögen der Luft durch Gombination von Y(
suchen, die mit den ersten beiden Apparaten angestellt waren,
K = 0,0000532
und durch Versuche mit einem dritten und vierten Apparate:
K = 0,0000528.
Nach Anbringung einer Correction , welche sich wegen des zu
Samen Ganges der Uhr nöthig machte, ergab sich schliesslich:
K = 0,0000525,
wobei Gramm, Secunde und Centimeter als Einheiten dienen.
Auch stellte Winkelmann noch mit einer Reihe anderer Gase?«
suche an und erhielt folgende, für Temperaturen von 7® bis 8^ C.
tige Werthe:
Wärmeleitungscoefficienten (bei 7^ bis 8^0.).
K
Relative Warme
leitungscoeffic.
0,0000525
1
3324
6,33
647
1,23
563
1,07
524
1,00
510
0,97
460
0,88
414
0,79
363
0,69
317
Oi60
Luft . . .
WaÄserstoff
Sumpfj^ .
Sauerstoff .
Stickstoff .
Kohlenoxyd
Stickoxyd .
Aethylen .
Stickoxydul
Kohlensäure
AeuBserst sorgfältige Untersuchungen über die Wärmeleitung
Gasen sind, in Anschluss an die schon oben (S. 102 bis 111) bespi
nen Reibungsversuche, von Kundt und War bürg ^) angestellt wordei
Sie bedienten sich bei ihren Versuchen theils kugelförmiger ^ tb<
cylindrischer Glasgefässe, in welche Thermometer luftdicht einges«
werden konnten. Fig. 14 zeigt einen derartigen Apparat der ei
Art. a ist die kugelförmige Hülle, an diese ist ein cylindrisches R<
^) Kundt und Warburg, Ueber Reibung und Wärmeleitung verdünnter Gssc.
Pogg. Ann. Bd. 156, S. 177 bis 211.
F. Wärmeleitung der Gase.
159
Fig. 14.
ageblasen, und in dieses Bohr ist bei d ein Thermometer sehr sorgföltig
ingeschliffen. Der cylindrische Theil hat oben neben h einen seitlichen
Ansatz mit einem Glashahn, durch welchen der Apparat
mit einer Qaecksilberlnftpnmpe in Verbindung gesetzt
werden kann.
Bei den Versuchen wurde der Apparat zunächst
mit dem gut getrockneten Gase bis zum Drucke gefüllt,
bei dem die Messung stattfinden soUte, und hierauf
wurde die Verbindung mit der Luftpumpe durch den
Hahn g abgesperrt. Alsdann wurde der Apparat in
kochendes Wasser getaucht. Nachdem derselbe die
constante Siedetemperatur angenommen hatte, wurde
das ganze Geföss mit schmelzendem Eise umgeben, und
nun beobachtete man die Abkühlungszeit, des Thermo-
meters zwischen 60® und 20<*C. von 5 zu 5^^ nach einer
genau gehenden Secundenuhr.
Es zeigte sich, dass die Versuche genügend durck
das empirische Abkühlnngsgesetz:
dt= — d& .(a .t + ß .t^) . . . 10)
dargestellt werden konnten, wenn t die Temperatur, d"
die seit Beginn der Abkühlung verflossene Zeit, a und
ß Constante bedeuteten.
Hieraus folgt:
^ = . log
a .log e
1
a
1 + ^*,
11)
wenn für ^ = 0 die Temperatur t = t^ ist:
Es zeigte sich auch hier, wie bei allen früher angeführten Versuchs-
^en der übrigen Experimentatoren, dass der Einfluss der Luftstrd-
mnngen unmerklich wurde, so wie der Druck weniger als — des At-
mospfaärendrackes betrug.
Setzt man den Wasserwerth der Thermometerkugel gleich S und
die der Flächeneinheit in der Zeiteinheit durch Leitung entnommene
Wärmemenge gleich:
A, . ^ + Aa . <«
«nd die in der Zeit 1 von der Fläche 1 durch Strahlung abgegebene
Wärmemenge .gleich:
10 besteht, wenn Strömungen ausgeschlossen sind, für die im Zeitelemente
d^ beobachtete Abkühlung dt die Gleichung :
< + 02 . t^.
160
und hieraus:
1. Moleculartheorie der Wanne.
dt=:— d»- ^^:.^^* . [(«1 + ki)t + P.t*] . . . 12)
vergleicht man dies mit der Formel 10), so ergiebt sich sofort:
«
(öl + ^i)
13)
Hierin ist, so lange das Gesetz besteht, dass die Wärmeleitang na-
abhängig vom Drucke ist:
Ai — Kq
r^
(fa — ri) . ri
Man erhält demnach für Kq die Formel:
{^ ~ ^^ • iJi) . e . (r, — n)
14)
Ko =
. . . . 15)
Nimmt man nun an, dass für das beste Vacuum, welches von Kandtj
and W arbarg erreicht worden ist, Xi gleich Nall gesetzt werden dju({
so könnte aus dem in diesem Falle beobachteten Werthe yon cc und dem|
bekannten Radios rx die Strahlungsconstante 0i bestimmt werden.
Bei dem besten Yacuum ergab sich:
a = 0,00159;
femer ist bei diesem Versuche der Wasser werth (S des Thermometers:
e = 0,15663 g,
und ri der Radius der Thermometerkugel:
ri = 0,4609 cm.
Wenn man annimmt, dass Aj = 0 ist, so ergiebt sich:
(Ji = —^ = 0,00093.
4»ri*
Das Wärmeleitungsvermögen der Luft lässt sich aus folgenden Ter»]
suchen ableiten. Es ergab sich für Luft bei einem
Drucke von « =
0,00366
376
368
363
19,5 mm
9,0
4,0
0,5
Mittel: 0,00368
und hiermit, wenn man sich des vorher gefundenen Werthes von tfj be*
dient,
Kq = 0,000048,
F. Wärmeleitung der Gase. 161
Stefan fand bekanntlich £;> =*0,0000Ö5,
Winkelmann 0,000053.
Da bei den Versncben von Knndt and Warbnrg der Wasserwerth
S des Thermometers nur sehr angenähert bestimmt war, so ist auf diese
Differenz kein grosser Werth zu legen.
Bezeichnen wir durch a' den Werth von a für ein bestimmtes Gas,
durch a" fär ein anderes und durch Uq den für das beste Vacuum
beobachteten Werth von a, so verhält sich, wie man durch Aufstellung
zweier Formeln von der Form 15) und Division erhält:
Ko « — Uq
16)
Die Beobachtungen ergaben:
fiir das beste Vacuum ao = 0,00159,
für Kohlensaure bei 7,7 mm Druck a = 0,002841 . „... , ^ aaoqq
1 fi AAAOQof ^^ Mittel: 0,00283,
„ 1,6 mm , « = 0,00282J
för Luft (siehe vorige Seite) im Mittel: 0,00368,
far Wasserstoff bei 15,4 mm Druck a = 0,0167) . «... , rx^cK
„ sie mm , a = coiear*" "'**^*= ^•°'^^-
Hieraus findet man die relativen Wärmeleitungscoefficienten K' für
E!
Luft = 1
Wasserstoff 1) = 6,53
Kohlensäure = 0,59
Wir wollen nicht verschweigen, dass wir in Uebereinstimmung mit
Kundt und Warbnrg nur den relativen Werthen einen Werth beilegen,
nicht nur, weil die Grösse 6 ungenau bestimmt war, sondern weil höchst
wahrscheinlich auch im besten Vacuum noch ein nicht verschwindender
Theil der Uebertragung von Wärme auf Rechnung von Leitung durch
die letzten Spuren von Gas resp. durch Quecksilberdampf zu setzen ist.
Wenn man aber somit höchst wahrscheinlich in Oq zu viel abzieht, so
wird dadurch vielmehr der absolute Werth als das Verhältniss zweier
absolaten Werthe alterirt, zumal wenn die letzteren nicht sehr verschie-
den sind.
4« Versuche über die Abhängigkeit der Wärmeleitungs-
fahigkeit von der Gasdichte und der Temperatur.
Von allen Beobachtern ist übereinstimmend wahrgenommen worden,
dasB der Wärmeleitungscoef6cient K so lange unabhängig vom Drucke
^) Nach Anbringung einer Correction, auf deren Nothwendigkeit zuerst Winkel-
mnn, Pogg. Ann« Bd. 157, S. 554, aufmerksam gemacht hat.
Verdet-Bfthlmann, Meoban. Wftrmatlieorie. Bd. S. n
162
I. Moleculartheorie der Wärme.
ist , als die mittlere Weglänge der Molecüle eine Terschwindend kleine
Grösse ist im Vergleich zu den Dimensionen der Yersachsapparate. la
Anfange freilich tritt diese Constanz nicht deutlich zu Tage, da bei
den meisten der in neuerer Zeit angewendeten Yersuchsmethodeii der
Einfluss der Strömungen erst verschwindet, wenn die Gasdichte wesentUdi
vermindert ist.
Am übersichtlichsten zur Beurtheilung dieser Frage sind einige Yer.
suche von Winkelmann^. Bezeichnet v die Abkuhlungsgeschvindig-
keit , welche bekanntlich bei dqn nämlichen Apparaten , nach Formel 4),
dem Wärmeleitnngcoefficienten proportional ist , so fand sich z. B. bei
Versuchen mit Luft:
Druck
74 mm
43
13
1
m
V . log e
0,000277
0,000260
0,000260
0,000259
Im Anfange wird durch die Strömungen noch eine erhebliche Wlrme-
menge mehr übergeführt. Bei abnehmendem Drucke verschwindet aber
dieser Einfluss ganz und der Werth v . log e wird constant. Auch die
übrigen Gase zeigen ein gleiches Verhalten, und damit ist überzeagend
dargethan, dass bis zum Drucke von 1 mm die Wärmeleitung deri
Gase vom Drucke unabhängig ist. Bei sehr niedrigem DrQcb|
nimmt die Wärmelei tungsfUhigkeit der Gase merklich ab, besonders habeal
Kundt und War bürg bei ihren erstgenannten Untersuchungen ') die«
Frage ausführlich erörtert. In nachfolgender Tabelle ist ^ die Zeitii
Secunden, welche ein Thermometer in einer kugelförmigen Hülle brafuMj
um von ßO^ auf 20» G. abzukühlen.
1) Man »ehe a. a. O. Pogg. Ann. Bd. 156, S. 512,
2) Kundt und Warburg, Pogg. Ann. Bd. U6, S. 203.
F. Wärmeleitung der Gase.
163
Druck
^
Lua
Kohlensäure
mm
See.
9,3
363
—
4,0 .
369
—
1,2
364
—
Drei weitere ETacuiningen :
•
Vacuum 1
444
—
Fünf weitere Evacuirungen :
Vacunm 2
555
—
Sehr lange gepampt:
Vacanm 3
602
—
Bis 200® erUtzt and wiederholt gepumpt:
Vacunm 4
712
708
Um nachzuweisen, dass bei diesen besten Yacuis es fast allein die
Strahlnng sei, dnrch welche Wärme übertragen wird, setzten Eundt und
Warbnrg das nämliche Thermometer in eine cylindrische und eine ku-
gelförmige Hülle. Alsdann ergab sich bei Versuchen mit:
Wasserstoff.
Thermometer in
TbermometiBr in
Druck
kugelförmiger
Hülle
eylindrischer Hülle
*
^
*
mm
See.
occ«
760
60
25
154
66
25
8,8
68
30
hestes Vacuum 4
586
578
Luft.
760
171
148
234
9,5
270
0,5
280
bestes Vacuum 4
576
Kohl
ensäure.
bestes Vacuum 4
588
114
114
116
154
576
578
11
164
I. Moleculartheorie der Wärme.
Die AbkühlnngBzeit ^, welche für mittlere Drücke beim Eugelappa-
rate über doppelt so gross ist, als beim Cylinderapparat, anterscheidet
sich bei den besten Yacuis nicht mehr merklich , mit welchem Gase der
Apparat auch gefüllt war. Man kann daraus allerdings schliessen, d»»
in diesen Vacois dem Thermometer die Wärme znm weitaus grössten
Theile durch Strahlung entzogen worden ist; denn der Verlust dnreb
Strahlung ist ja bekanntlich lediglich abhängig von der Beschaffenheit und
Grösse des strahlenden Körpers, was bei der Leitung nicht der Fall ist
Es zeigt sich gleichzeitig, dass die Abkühlungsgeschwindigkeit eines
Thermometers, es ist dies eine Grösse, welche mit grosser Schärfe ge-
messen werden kann , ein vorzügliches Reagens auf die Güte eines Ya-
cuums ist^).
Die Abhängigkeit des Wärmeleitungs Vermögens von der Temperatur
hat in ausgedehnterer Weise nur Winkelmann') untersucht, und auch
seine Yerfahrungsweise ist nicht ganz einwurfisfrei.
Seiner Untersuchungsmethode liegt nämlich die Voraussetzung zu
Grunde, dass das Wärmeleitungsvermögen zweier verschiedener Gase in
gleicher Weise sich mit der Temperatur ändere. Jedenfalls wird nach
allen Erfahrungen, die man über Gase gesammelt hat, der Änalogieschluss
für statthaft erscheinen, dass diese Annahme zwar angenähert, aber nidit
vollständig richtig ist.
Bei dieser Versuchsreihe verwendete Winkelmann, ähnlich wie
vor ihm schon Run dt und Warburg, Glasapparate. Die Abkühlungs-
constante, welche sich bei der Temperatur t ergiebt, möge für den Fall,
dass der Apparat mit Lufb gefüllt ist , mit Vi^ t bezeichnet werden , und
wenn derselbe Apparat Wasserstoff enthält, mit Fj«,, /. Nennt man nun den
Theil der Abkühlung, welcher im ersten Falle von der Leitung der Luft
herrührt, If, beim Wasserstoff analog t^^r« und den Theil, der von der Strah-
lung hervorgebracht wird, 6t^ so gelten die beiden Gleichungen:
V^, t = Wt + <J<.
Ist nun bei einer anderen Temperatur r die Leitungsgrosse für Luft
A . 2|, so ist sie bei Wasserstoff unserer Annahme gemäss A . f^i, und es
gelten die beiden weiteren Gleichungen:
V„^j = A .ict + Ör,
und aus diesen vier Formeln ergiebt sich sofort:
A =
F. , - F,.
17)
') Geschickten Mechanikern wird es vielleicht gelingen , unter Benutzung dieses
Principet endlich ein Mittel zu finden, durch das man mit Sicherheit die Ünveriuider»
lichkeit des Vacuums der Normalbarometer prüfen kann.
^) Ueber die Wärmeleitung der Gase, zweiter Theil. Pogg. Ann. Bd. 157, S. 497
bis 555.
F. Wärmeleitung der Qade. 165
Auf diesem einfachen Wege kann man also das Yerhaltniss der Lei*
tungBcoDstaute för zwei Temperaturen t und v bestimmen.
Die Beobachtungen wurden in folgender Weise angestellt:
Der mit dem betreffendem Gase gefüllte Apparat wurde in Eis gesenkt,
und die Abkuhlungszeit Yon 18 bis 8^ von Grad zu Grad beobachtet.
Hierauf wurde derselbe Apparat in ein Luftbad eingesenkt, bis zu einer
Temperatur von 125^ erwärmt, alsdann in ein Gefäss mit siedendem
Waeser eingetaucht, und die Abkühlungszeit von 118 bis 108^ ebenso
wie früher von Grad zu Grad abgelesen.
Die Abkühlungsconstante v wurde auch hier nach der Formel:
berechnet, in welcher b die constante Temperatur der Hülle, Tq die An-
gabe des Thermometers zur Zeit 0 und r^ die Temperatur zur Zeit S)
bezeichnet.
Da in jeder Beobachtungsreihe etwa zehn Ablesungen der Tempe-
ratur und der zu diesen gehörigen Zeiten vorliegen, so erhält man eben-
soviele Werthe von v. Durch ein besonderes Verfahren, welches man in
der Originalarbeit ^) nachsehen möge, ist die Temperatur ermittelt, auf
welche sich der Mittelwerth von v bezieht. Für uns genügt es, dass die
beiden Werthe fast genau um 100^ auseinander liegen.
Es ergaben sich nachstehende Werthe von v . log €:
Temperatur 7,50 Temperatur 109,0^
V .log e V ,log e
für Kohlensäure 0,0003186 0,0006312
„ Luft 0,0004328 0,0007541
„ Wasserstoff 0,001934 0,002749
Gombinirt man die Resultate fär Luft und Wasserstoff nach For-
mel 17), so ergiebt sich:
A = 1,3289,
und wenn man die Zahlen für Fvon Kohlensäure und Wasserstoff
zusammennimmt :
Ä = 1,3104.
Diese Zahlen bedürfen aber noch zweier nicht ganz unerheblicher
Correctionen. Einmal nämlich enthält die sich abkühlende Thermometer-
kugel bei hölieren Temperaturen nicht mehr das gleiche Quecksilber-
gewicht, wie bei niedrigen Temperaturen, weil bei höheren Wärmegraden
ein Theil des Quecksilbers in die Thermometerröhre aufgestiegen ist, und
dann entspricht der Abkühlung um einen Grad nicht bei allen Tempera-
turen dieselbe Wärmemenge, da die specifische Wärme des Quecksilbers
bekanntlich mit steigender Temperatur zunimmt. Bringt man diese Cor-
^) Pogg. Ann. Bd. 157, S. 514.
166
I. Moleculartheorie der Wärme.
rectionen an, so ergiebt sich als Mittel aus zahlreichen Yersachen mit drei
verschiedenen Apparaten:
^ = 1,36 für Luft nnd Wasserstoff zwischen 7,5 und 109^
Ä = 1,33 für Kohlensäure und Wasserstoff zwischen 7,5 und 109^
Stellt man die Abhängigkeit der Wärmeleitung von der Temperator
durch die Formel:
l, = 7, . (1 + /J . r)
dar, so ist:
1 — A. » t
Hieraus ergiebt sich, dass für Luft und Wasserstoff:
ß = 0,00365.
Da man nicht annehmen konnte, dass auch die Kohlensäure den-
selben Aenderungscoefficienten des Leitungsvermögens besitze, den man
für Wasserstoff und Luft angenommen hatte, auch die Yersucharesul-
tate unmittelbar dagegen sprachen, so musste hier ein anderer Weg zur
Berechnung von ß eingeschlagen werden.
Bezeichnet man mit V^^ t resp. Vk, % die Abkühlungsgesch windigkeit
des Thermometers in Kohlensäure und mit h^ resp. hx den von der Lei-
tung herrührenden Theil derselben bei der Temperatur t resp. % und den
für Kohlensäure gültigen Aenderungscoefficienten mit C, so kann man
von folgenden vier Gleichungen ausgehen (man sehe S. 164, Z. 8 ▼. u.):
^•r, t = Wt -\r 8t, r«,, t = il . W| + Sr
n, , = ht + 8t, F*, r = C • Ä, + 8^:
Hieraus kann G bestimmt werden , da das Yerhältniss -;- = m, d. L
der relative Leitungscoefficient des Wasserstofib im Vergleich zu KoUen-
säure, bekannt ist.
Durch Subtraction der unter einander stehenden Gleichungen and
Division der Resultate findet man:
A .Wt — G . kt^
und hieraus, ergiebt sich:
C= Ä . m
Vw, T ^*, T
(m - 1)
19)
Aus den oben mitgetheilten Zahlen und dem von Winkelmann für
fw gefundenen Werthe:
991 = 10,485
ergiebt sich im Mittel:
G = 1,58 zwischen 7,5» und 108».
Damit aber findet man ffSa Kohlensäure:
F. Wärmeleitung der Gase. 167
ß = 0,0059,
ftlso einen Werth, der wesentlich grösser ist , als der für Wasserstoff und
Luft ermittelte. ^
Dem auf diese Weise gefdndenen Werthe des Temperatnrcoefficienten
haftete aber noch ein Fehler an, welcher davon herrührte, dass die Abhän-
gigkeit der specifischen Wärme des Quecksilbers von der Temperatur
nicht genau bekannt war.
Auf Gmnd einer besonderen Untersuchung, welohe Winkelmann
behufs Messung dieser Grösse anstellte^), zeigte sich, dass man auf er-
beblich kleinere Werthe für den Temperaturcoefficienten ß gef&brt wurde,
wenn man richtige Werthe für die specifisohe Wärme der Quecksilbers
einführte.
Nach den neueren Messungen von Winkelmann ^), welche sich auf
eine grössere Zahl von Gasen und Dämpfen erstrecken , ergeben sich für
die Temperaturcoefficienten der Wärmeleitung schliesslich folgende Werthe:
ß
für Luft = 0,00277
„ Wasserstoff . . . . = 0,00277
„ Stickoxydul ....== 0,00115
„ Wasserdampf . . . . = 0,00439
„ Kohlensäure . . . . = 0,00497
„ Schwefelkohlenstoffdampf = 0,00572
„ Ammoniak = 0,00613
„ Aethylen = 0,00575
, Alkoholdampf. . . . = 0,00615
„ Aetherdampf . . . . = 0,00701
Die Unsicherheit der Zahlen taxirt Winkel mann auf ungefiähr
7 Procent des Endresultates.
Es ergiebt sich das übeiTaschende Resultat, dass bei den permanen-
ten Gasen Reibung und Wärmeleitung sehr nahe in gleicher Weise von
der Temperatur abhängig sind. v. Obermayer erhielt z. B. für den
Temperaturänderungscoefficienten der inneren Reibung (man sehe Bd. 2,
1»1), 8, S. 120) bei:
Luft = 0,00278
Wasserstoff . . . . = 0,00257
Stickoxydul . . . . = 0,00346
Kohlensäure . . . . = 0,00481
Aethylen = 0,00352
') Winkelmann, Ueber die Abhängigkeit der specifischen Wärme des Queck-
silbers von der Temperatur. Pogg. Ann. Bd. 159, S. 152 bis 165. Er fand:
Cj, = 0,03336 — 0,0000069 . /.
^ Winkelmann, Ueber die Wärmeleitung von Gasen and Dämpfen und die Ab-
bingigkeii der specUischen Wärme derselben von der Temperatur. Pogg. Ann. Bd. 159,
S. 177 bis 197.
168 L Moleculartheprie der Wärme.
Nur Aethylen (C3H4), ein Gas, dessen Molecül aus vielen Atomen
besteht, zeigt eine erhebliche Abweichung.
Diese Thatsache hat übrigens ihren inneren Grund darin, dass man,
wie wir später zeigen wercien, berechtigt ist, den Wänneleitangacoeffi-
cienten £'(man sehe Gl. 61, S. 198):
K = a , rj . c^
zu setzen, worin a eine für alle Gase gleiche Constante, 1} der Goefficieat
der inneren Reibung und c, die specifiache Wärme des Gases bei con-
stantem Volumen ist.
Insoweit also die specififlche Wärme bei constantem Volumen einei
Gases als unabhängig von der Temperatur angesehen werden kann,
müssen die Coefficienten der Wärmeleitung und inneren Reibung sich ii
gleicher Weise mit der Temperatur ändern.
Durch eine Untersuchung von £. Wiedemann^) ist es höchst waht^.
scheinlich gemacht worden, dass die specifische Wärme der zweiatomigen
Gase sehr nahe von der Temperatur unabhängig ist, und dieses Resultat
findet insofern eine Bestätigung, als für die zweiatomigen Gase Luft und
Wasserstoff die Temperaturänderungscoefficienten der inneren Reibung
und der Wärmeleitung fast absolut gleich sind.
Bei anderen Gasen muss sich noth wendiger Weise der • Aendemngs-
coefficient von K aus dem von 17 und c„ zusammensetzen, und auch
dies könnte man durch die zur Verfügung stehenden Zahlen als bewiesen
ansehen ; da jedoch die Bestimmung von c, mit sehr grossen Ungenauig-
keiten behaftet ist, so kann auf eine solche Uebereinstimmung kein Ge-
wicht gelegt werden.
6. Die Olausius'sohe Theorie der Wärmeleitimgr in
Oasen.
Während man bekanntlich in der Lage war, aus der kinetischen
Gastheorie die Erscheinungen der inneren Reibung der Gase fast toU-
ständig abzuleiten, ist dies mit der Wärmeleitung durchaus nicht in glei-
cherweise der Fall. Den ersten Versuch derart hat MaxwelP) gemacht,
doch hat er selbst späterhin diese seine ersten Entwickelungen wieder
als fehlerhaft zurückgezogen. Ihm folgte Clausius'), welcher angeregt
durch den früher erwähnten Einwurf, dass sich Wärmeunterschiede in
Gasen fast momentan vollständig ausgleichen müssten, wenn die kineti-
sche Gastheorie richtig wäre, zeigte, dass sich aus der dynamischen Gas-
theorie vielmehr för die WärmeleitungscoefQcienten Grössen ergebeo.
1) Pogg. Ann. Bd. 157, S. 1 bis 42.
^) Maxwell, Phil. Mag. 4. Serie. Bd. 19, S. 19 und Bd. XX, S. 21 (1860).
^) Claasius, Üeber die Wärmeleitung gasförmiger Körper (1862). Abhandlongea.
Bd. 2, S. 277 bis 326.
F. Wäxmeleitung der Gase. 169
welche nicht wesentlich , wenigstens nicht hinsichtlich ihrer Grossenörd-
Dong Ton den experimentell gefandenen Werthen abweichen.
Noch später hat Maxwell^) auf Grand seiner zweiten Gastheorie,
dass sich die Molecüle umgekehrt proportional der fünften Potenz ihrer
Entfernung abstiessen, eine sehr yollstandige Theorie der Wärmeleitung
entwickelt, welche späterhin durch die inzwischen angestellten Versuche
in überraschender Weise bestätigt zu werden schien. Diese Ueberein»
Stimmung wurde jedoch hinfällig, als bald darauf durch Boltzmann^)
geaeigt wurde, dass die Maxwell' sehen Resultate durch einen Rechen«
3
fehler um — zu klein ausgefallen waren. Das Yerhältniss der Warme-
leitungscoefficienten aber wird sowohl nach der Clausius' sehen als nach
der Maxw einsehen Theorie für eine Anzahl von Gasen in guter Ueber-
eiDstimmung mit den Yersnchsergebnissen gefunden. Der Hauptunter-
Bchied beider Theorien bestehtauch bei dieser Erscheinungsgruppe wieder
darin, dass Clausius findet, die Wärmeleitung nähme mit der — Potenz
der absoluten Temperatur zu, während sich bei Maxwell eine der ersten
Potenz proportionale Zunahme ergiebt. Inzwischen hat endlich Boltz-
mann') darauf aufmerksam gemacht, dass man die Wärmeleitungscon-
stante der Gase überhaupt auf theoretischem Wege ihrem absoluten
Werthe nach nicht bestimmen kann, da man aus der Gastheorie ohne
nähere Kenntniss der inneren Beschaffenheit der Moleoüle nicht ermit-
teln kann, in welcher Weise sich die intramolecularen Bewegungen von
Molecül zu Molecül fortpflanzen.
Es möge daher zunächst genügen, die einfachere Clausius 'sehe
Theorie der Wärmeleitung an dieser Stelle zu reproduciren« Wir wollen
zuerst durch Betrachtung eines sehr einfachen Falles versuchen , eine
Vorstellung von dem Mechanismus zu geben, durch welchen in Gasen die
Debertragung der Wärme von Schicht zu Schicht stattfindet. Wir be-
trschten zu diesem Zwecke eine dem Einflüsse der Schwerkraft nicht
Y\2^, 15. unterworfene Gasmasse, welche
* . I zwischen zwei unendlich grossen
"^T" 5 ' T — parallelen Ebenen AA und BB
4^ eingeschlossen ist, die auf ver-
schiedener Temperatur erhalten
[ I werden (man sehe Fig. 1 5). Nach
BT ▼ B einiger Zeit wird sich alsdann
in der Gasmasse ein stationärer
Zustand hergestellt haben, derart, dass die in jedem beliebigen Punkte M
2 Maxwell, Phil. Mag. 4. Serie. Bd. 35, S. 216 (1868).
Boltzmann, Weitere Stadien über da« Wärmegleichgewicht anter GasmolecUleiL
Bericht der Wiener Akademie. Bd. 56, S. 390 (1872).
^ Boltzmann, Bemerknngen über die Wärmeleitung der Gase. Pogg. Ann. Bd. 157,
S. 457 bis 469 (1876).
170 I. Moleculartheorie der Wärme.
staitfindende constante Temperatur lediglich eine Fanction des Abstandess
von der wärmeren der beiden Ebenen, von ÄÄ ist. Alsdann wird
Temperatur der Schichten mit wachsendem x abnehmen. Auch woUi
wir in unserer Betrachtung von innerer Strahlung von Molecül sa
cül absehen und nur den Theil der Fortpflanzung der Wärme in Bei
ziehen, welcher von den Bewegungen der Molecflle der Gasmasse h»
rührt. Wir nehmeif also an, dass die Erwärmung der Gasschichten
von herrührt, dass die Molecüle der wärmeren Schichten zum Theil in
der kälteren eindringen und durch Znsammenstösse mit den dort befindli«
Molecülen die Wärme in die kälteren Schichten übertragen. Die Mol
der wärmeren festen Wand AÄ befinden sich in einem Schwingung»-!
zustande, derart, dass die Gasmolecüle, welche an dieselbe stosaen, mit G^
seh windigkeiten reflectirt werden, deren Mittelwerth der Temperatur di<
Wand entpricht. Diese Molecüle begegnen nun ihrerseits anderen
cülen, deren Geschwindigkeit im Mittel geringer ist, und übertragen
Theil ihrer Geschwindigkeit auf diese. Diese Molecüle übertragen n
wiederum einen Theil ihrer Geschwindigkeit in die nachfolg
Schicht u. B. f., bis schliesslich zu denjenigen Molecülen, welche sidii
unmittelbarer Nähe der kälteren Wand BB befinden und dort d
einen Vorgang auf der constanten Temperatur der kälteren Wand erl
ten werden, welcher dem ganz gleich ist, der an der heissen Wand s^
fand.
Wenn ein stationärer Zustand in der Gasschioht eingetreten ist, m
dieser Zustand folgenden Bedingungen entsprechen:
Wenn wir uns in einer zu beiden Wänden AÄ und BB parallel
Ebene eine Flächeneinheit durch irgend eine geschlossene Carve ab{
grenzt denken, so ist es nöthig, dass gleichviel Molecüle nach der
der positiven X hin als in entgegengesetzter Richtung durch dieses
ohenstück hindurchgehen. Es darf demnach an keiner Stelle des Rau
eine Strömung des Gases stattfinden.
Es ist ferner für den stationären Zustand nöthig, dass der auf
Flächeneinheit ausgeübte Druck des Gases an jeder Stelle des RaaoMl
der nämliche sei.
Die nach der einen Seite des Raumes durch das betrachtete Flächea*
stück hindurchgehende Anzahl von Molecülen ist zwar gleich derjenige]^
welche nach dem anderen Theile des Raumes hin durch das Flächenstäck
gelangt, aber die lebendigen Kräfte dieser Molecüle sind nicht glei^
die Summe der lebendigen Kräfte der Molecüle, welche sich in den Tbe2
des Raumes begeben, nach welchem hin die x wachsen, wird großer seis,
als die in entgegengesetzter Richtung transportirten. Im stationären Zt-
stande aber muss in allen zvl AA und BB parallelen Ebenen dieser
Ueberschuss ein constante Zahl sein. Wäre dies nicht der Fall, so ward»
die kinetische Energie, welche in einem Cylinder vorhanden wäre, dessea
Endfläche AA und BB parallel wäre, nicht constant sein können, dsni
F. Wärmeleitung der Gase.
171
aber würde aach der Zustand des Gases mit der Zeit veränderlich, also
nicht stationär sein.
In kurzen Worten kann man diese drei Grandbedingungen des sta-
tionären Zufitandes folgendermaassen zusammenfassen:
1) Die Massen der MolecÜle, welche in einer gegebenen Zeit durch
eine in einer beliebigen Parallelebene zu. ÄÄ gelegenen Flächeneinheit
in die za beiden Seiten der Ebene gelegenen Raumtheile hindurchgehen,
eompensiren sich vollständig.
2) Der Druck auf alle solche Flächen ist in allen Schichten derselbe.
3) Der durch diese Flächen hindurchfliessende Wärmestrom ist
überall gleich, oder der Ueberschuss der lebendigen Kräfte, welche nach
entgegengesetzten Richtungen durch eine solche Flächeneinheit hindurch-
gehen, ist ebenfalls in allen Schichten gleich.
Man kann nunmehr diesen drei Bedingungen auch sehr leicht einen
analytischen Ausdruck geben.
Um dies mit der ersten Bedingung vorzunehmen, betrachten wir
einen Cylinder, dessen Grundfläche parallel der Basis ÄÄ und gleich der
Flächeneinheit und dessen unendlich kleine Höhe äx ist. Das Volumen
dieses Gylinders ist alsdann dx. Bezeichnet nun N die Anzahl der in
der Yolumeneinheit vorhandenen Gasmolecüle, so ist N. dx die Zahl der
in dem betrachteten Cylinder eingeschlossenen Molecüle. Diese Molectile
besitzen, wie wir dies schon oft angenommen haben, die verschiedensten
Geschwindigkeiten. Als Yertheilungsgesetz der Geschwindigkeiten wird
man am besten das Maxwell' sehe (man sehe S. 68) als gültig voraus-
setzen. Denkt man sich nun durch einen Punkt 0 des Raumes Parallele
zu allen Richtungen gezogen, welche die
Geschwindigkeiten der Molecüle in einem
gegebenen Augenblicke besitzen und be-
trachtet diejenigen, welche mit der auf
der Grundfläche unseres Gylinders nor-
malen Geraden ON (man sehe Fig. 16)
Winkel einschli essen, welche zwischen ß
und ß -}- dß liegen, so verhält sich die
Anzahl der sich in diesen Richtungen
bewegenden Molecüle zur Gesammt-
zahl, wie die Oberfläche der Kugelzone,
welche zwischen den Oefifnungswinkeln
ß und ß -}r dß liegt, zur gesammten
Kugeloberfläche. Dieses Verhältniss
aber ist (wie wir schon früher Öfter , so z. B. S. 54 und 55 , gezeigt
baben):
1
-jr-wn /J . dß.
172 I. Moleculaxtheorie der Wärme.
Kommen wir nim aber überein, den Winkel ß dorch seinen negpj
tiyen Cosinus ff za definiren, bezeichnen wir also: {
— cos ß =^ fi, .
so ist:
> 1 1
— sin ß * dß = — • ef/i.
Demnach ist — • d(ik der Bruchtheil der Anzahl aller Molecüle, d<
Geschwindigkeit mit den Normalen Oif Winkel bilden, deren CoBiii
zwischen der Grenze — fi und — (f* + ^f*) enthalten sind.
Die Anzahl Molecüle, welche im unendlich kleinen Cy linder G^
schwindigkeiten besitzen, deren Bichtung gegen die X-Axe durch p> de-
finirt ist, beträgt demnach:
— N » äx , rfft.
In Wirklichkeit ist aber die Vertheilung der Geschwindigkeitci
keine durchaus unregelmässige. Die Anzahl Molecüle, deren Richtuii
1 i
durch [i definirt wird, kann demnach nicht unmittelbar selbst •^N.dx.i{
sein, sondern wir werden diesen Werth mit einer Function A von fc mi
tipliciren müssen , welcher je nach dem Abstände der unendlich di
Schicht, die wir betrachten, verschiedene Grössen haben wird. Die Am
der Molecüle, welche die durch fi charakterisirte Richtung besitzen,
demnach:
— * A ."N . dx , dyi
sein und die Bestimmung der Function A gehört zu den wichtigsten Pank*
ten, auf denen die Lösung des Problems beruht.
Setzt man voraus, alle Molecüle besässen die gleiche Geschwindi^.
keit F, so ist der Weg, den die Molecüle, deren Richtung der CrröBseM
entspricht, im Inneren des Gy linders zurücklegen, gleich — , unddieZdu
dx
welche zur Zurücklegung dieses Weges nöthig ist, beträgt =:• B^
trachten wir nun die sämmtlichen, im unendlich dünnen Cylinder ent^
haltenen Molecüle zur Zeit ^, so findet sich zu einem Zeitpunkte i -{ ^
von den f( Molec ölen 0 nicht ein einziges mehr in dem Cylinder. Da der
Zustand stationär ist, so muss eine gleiche Anzahl der fi Molecüle ii
^) Anstatt den etwas "weitschweifigen Ausdruck zu gebrauchen : „die Molecüle, der«
Geschwindigkeit durch /u charakterisirt ist** , werden wir der Kurze wegen hiafig J»
(A Molecüle^ schreiben.
^F. Wärmeleitung der Gase. 173
den Cylinder wieder eiBgetreten sein. In einem Zeitpunkte f + n =
werden die im Cylinder enthaltenen fi Molecüle n mal erneuert worden
sein.
Betrachten wir einen 2^itraum 0, so werden während des Ablaufes
desselben die fi Molecüle
e
dx
mal im Cylinder erneuert werden. Die Zahl der Erneuerungen multi-
plicirt mit der Anzahl der gleichzeitig im Cylinder enthaltenen ^Molecüle
gieht die Anzahl ft Molecüle, welche in der Zeit 0 durch die Grundfläche
des Cylinders hindurchgehen. In der Zeiteinheit ist diese Zahl der Er-
neuerungen im Cylinder:
1
dx '
ft . V
mithin ist die Anzahl der f» Molecüle, welche durch die Einheit der Grund-
fläche in der Zeiteinheit austreten, gleich:
■-'A.N. V . li .dfi,
sofern wir voraussetzen, dass alle Molecüle die gleiche Geschwindigkeit V
besitzen.
Da aber in Wirklichkeit, wie wir wissen, nicht alle Molecüle eine
gleiche Geschwindigkeit F besitzen, sondern im Gegentheil sehr ver-
sduedene Geschwindigkeiten vorkommen können, so wird V durch die
mittlere Geschwindigkeit, die wir mit V bezeichnen wollen, zu ersetzen
sein.
Multiplicirt man nun aber diese Anzahl mit m, mit der Masse jedes
Molecüls, so repräsentirt das Prodnct:
— m . Ä .N . V . n . d^
\ die Masse der Molecüle, welche in der durch ft definirten Richtung in
der Zeiteinheit durch ein fläohenelement, welches den beiden begrenzen-
den Wänden parallel ist, hindurchgehen. Bildet man nunmehr die Summe
über alle Richtungsunterschiede, welche zwischen den Geschwindigkeiten
der Molecüle und der Richtung der wachsenden x vorkommen können,
so nmss, da unserer ersten Annahme gemäss im stationären Zustande
der Austausch der Molecüle durch jede Ebene sich compensirt, diese
Samme gleich Null sein, und wir erhalten die Gleichung:
+ 1
- m . JV . JA .V.ii.dii = 0 20)
— 1
174 I. Moleculariheorie der Wärme.
Die Integration ist zwischen den Grenzen -\- 1 bis — 1 suBgefob^
weil dann der Cosinus ft für alle Richtongsonterschiede zwischen 0 vi|
180^ gebildet worden ist, d. h. ftLr alle Winkel, die überhaupt YorkonuMi
können. Die Grösse N ist vor das Integrationszeichen gesetzt woriil
da N unabhängig von fi und lediglich eine Function yon x uL \k
Grössen Ä dagegen und V sind gleichzeitig Function Ton 9 und von flu
Wir wenden uns nun zur zweiten Bedingung, welche erfüllt ni
muss, damit der Zustand des Gases ein stationärer ist, nämlich du^
dasB der Druck des Gases auf jede beiden Begrenzungsebenei
parallele Flächeneinheit gleich sein muss, welchen Werth^
auch an der betreffenden Stelle besitzen mag. £ine nutU
matische Form für den Druck auf die Flächeneinheit findet man, wM
man die auf die betrachtete Flächeneinheit normalen Ge8chwindigkal|
componenten der Molecüle bildet und die hierauf bezüglichen Beweguaf^
grossen verdoppelt.
Die Anzahl Molecüle, welche die Flächeneinheit in der ZeiteinUl
parallel der durch fi und fi -f* ^f^ definirten Richtungen treffen, ist:
- N . Ä . V . u . da. )
2 ^ '^ i
Die Dewegungsgrösse, welche jedem Molecüle ertheilt werden mi
um es mit entgegengesetzter normaler Geschwindigkeitscomponente
reflectiren, erhält man, wenn man für jedes Molecül die Grösse 2. F.«.
bildet. Setzt man der Einfachheit wegen voraus, alle Molecfile
die gleiche Geschwindigkeit, so ergiebt sich für den Druck, den
li Molecüle ausüben, die Grösse:
- N . Ä , V , II . d(i . 2 . m . F. /li,
und dies ist gleich:
Setzt man die Geschwindigkeiten nicht als gleich voraus, so würi
man den Ausdruck: I
m .N . Ä . F» . fi» • df*
erhalten.
Die Bedingung , dass der Gesaramtdruck aller Molecüle auf ^
Flächeneinheit constant sei, wird alsdann ausgedrückt durch die Gleichnnlj
0 i
m .N. Ca . F^ . fi« . dfi = const 211
— 1
Die Grenzen für fi beziehen sich nur auf einen BichtungsunterBchiei
von 0 bis 90® zwischen den Geschwindigkeiten und der Richtung der wach^
senden x , weil man , um von einem Drucke reden zu könen , sich doA
immer die betrachtete Flächeneinheit als Begrenzung der Gasmasse den*
F. Wärmeleitung' der Oase. 175
ken mnsB, mithio bloss die yon einer Seite kommenden Molecüle berück-
uebtigen darf.
Schliesslich bleibt es uns noch übrig, die dritte Bedingung des sta-
fcbnären Zastandes in eine mathematische Form zu bringen, dass der
Deberschuss der Wärmemenge, welche in Richtung der wach-
landen x durch eine Flächeneinheit hindurchgeht, über die
Wärmemenge, welche in entgegengesetzter Richtung hin-
dnrcbfliesst, in jeder zu den Bewegungsebenen parallelenFlä-
eheneinheit constant und unabhängig von x ist.
Die Wärmemenge, welche in einem bestimmten Sinne durch eine Fläche
kindurcbgeht , ist gleich der lebendigen Kraft der Molecüle, welche in
liesem Sinne der Bewegungsrichtnngen die Fläche durchdringen. Nimmt
»an zonäohst an , alle Molecüle besässen die gleiche Gresohwindigkeit F,
10 ist die Anzahl der ft Molecüle, welche in der Zeiteinheit durch diä
Fläcbeneinheit hindurchgehen :
- ' N . A . V . fi . dfi.
Die lebendige Kraft der fortschreitenden Bewegung ist:
Wir haben nun aber schon früher gesehen, dass die lebendige Kraft
fortschreitenden Bewegung die kinetische Energie der Molecüle nicht
lein ausmacht, sondern dass auch die kinetische Energie der Rotations-
iwegungen der Molecüle, der intramoleeularen Bewegungen und der
Bewegung des Aethers mit in Betracht zu ziehen ist« Die auf die fort-
ichreitende Bewegung eines Molecüles bezügliche Quantität kinetischer
Energie:
Itnn daher nicht durch eine Fläche hindurchgehen , ohne dass nicht
gleichzeitig auch eine gewisse Quantität kinetischer Energie der übrigen
oben genannten Bewegungen mit hindurchgefährt würde. Nun nimmt
•ber bekanntlich Glausius an (man sehe dieses Buch Bd. 2, S. 36),
-ilMs aUe diese Grössen zur ersten in einem für jedes Gas constanten Ver-
liältnisse stehen. Man kann demnach die Gesammtmenge kinetischer
Energie, oder die entsprechende Wärmemenge, welche durch ein Molecül
dnrcb die Fläche hindurchgeführt wird, mit:
bezeichnen. Alle Molecüle, welche in den durch fi und /i -|- d^ defi-
nirten Richtungen durch die Flächeneinheit hindurchgehen, vermitteln
demnach die Ueberführung einer Wärmemenge, welche (in Arbeitsmaass
zugedrückt) gleich:
176
L Molecnlartheorie der Wärme.
4
ist.
Sieht man ab von der lediglich der Uebersichtlichkeit wegen ange*
nommenen Yoranssetznng, daers die Geschwindigkeiten aller Molecäle gleich
seien, so hat man den Ausdruck -^ N . Ä , F . ft . df( mit der übertragenei
kinetischen Energie Je ' -^ m , F^ zu multipliciren und erhält:
j • k . m , N . A . F. F* .ft. dfi.
Da der im -Sinne der wachsenden x übertragene Ueberschuss m
kinetischer Energie berechnet werden soll, so müssen alle Richtongea fi
berücksichtigt werden, welche vorkommen können, d. h. man mnss über
alle Winkel von 0 bis 180** integriren, oder nach fi von + 1 bis — 1.
Hiernach gestaltet sich die Gleichung für die dritte Bedingung des sti-
tionären Zustandes folgendermaassen :
+ 1
jk .m .N . JA . F . F» • ^ . d^ =
— 1
Setzt man von nun an abkürzungsweise:
eonst.
22)
+ 1
E
= - m . N . I A . F.fi.rffi
— 1
0
F=^m . N . Ta. F* . fi2 .
dfi
— 1
+ 1
Gz=jk.m.N.rA. V^ .V.
fi . (2fi
— 1
23)
so nehmen die drei Bedingungsgleichungen des stationären Zostandci
die Form an:
E= 0 I
F = const, \
Q = const,]
24)
Die Aufgabe, um deren Lösung es sich nunmehr handelt, ist
die: A als Function von ft zu bestimmen, und ebenso F und 7^, die
uns schon von früher her bekannt sind, durch die gegebene Grösse aaa-
zudrücken.
F. Wänneleitung der Gase. 177
6. üeber den Zustand der von einer unendlicli dünnen
ScMoht ausgesendeten Molecüle.
Wir bestimmen nnnmehr den Zustand derjenigen Molecüle, welche
von einer unendlich dünnen Schicht ausgesendet werden.
Diese Schicht möge yon zwei den Begrenzungsebenen parallelen Ebe-
nen eingeschlossen sein , welche um x und x '\- dx von , der wärmeren
Wand abstehen. Die Temperatur, welche in der Richtung der wachsen-
den X abnimmt, soll sich durchaus stetig mit x ändern. Wir betrachten
einestheils den Zustand der in dieser Schicht befindlichen Molecüle und
aaderentheils die Aenderungen, welche die Geschwindigkeit und Richtung
eines Molecüles bei dem Durchgange durch diese Schicht erfahren kann.
Wir betrachten zunächst nur diejenigen wenigen Molecüle, welche mit
tnderen zusammentreffen und nennen sie „die von der Schicht aus-
gesendeten", da sie durch diese hindurchgegangen sein würden, wenn
der Zusammenstoss nicht erfolgt wäre.
Bei einem Zusammenstosse zweier Molecüle können mehrere Fälle
eintreten. Besitzen beide Molecüle gleiche und entgegengesetzt gerich-
tete Geschwindigkeiten und ist ausserdem derStoss ein centraler, so tau-
schen die Molecüle bekanntlich lediglich ihre Geschwindigkeiten. Dies
ist jedoch ein ausserordentlich seltener Fall; die Wahrscheinlichkeit für
einen exoentrischen Stoss ist unvergleichlich grösser. Man kann zeigen,
dsss zwar auch dann die Geschwindigkeiten vor und nach dem Stosse
noch dieselben sind, diese behalten aber in diesen Fällen ihre ursprüng-
liche Richtung nicht mehr bei, sondern bilden mit dieser Winkel, welche
▼on der Art und Weise abhängen, in welcher der Stoss erfolgt ist. Der
Winkel, den die Bewegungsrichtungen nach dem Stosse einschliessen, ist
eine Function des Abstandes der beiden parallelen Geschwindigkeiten
der Gentra. Bei einem Systeme, wie es in Wirklichkeit vorkommt, sind
die Geschwindigkeiten nach dem Stosse allen möglichen Richtungen pa-
nülel. Im thatsächlich vorkommenden Falle ist ja auch der excentrische
Stofis mit gleichen und entgegengesetzt gerichteten Geschwindigkeiten
nur ein äusserst selten vorkommender specieller, aber man kann den all-
gemeinen Fall auf diesen zurückführen.
Es mögen 2;, y, z und a/, y\ e^ Functionen der Zeit sein, welche die
Goordinaten der Gentra zweier Molecüle darstellen. Man kann nun die
Abscisse des Centrums des ersten Molecüles durch:
ag + g^ X — a/
2 "^ 2
und die des anderen durch:
X •\- X* X — a/
2 "" \ 2
Verdet -Rnhlm an n, Meofaan. Wärmetheorie. Bd. 2. 12
178
L Moleculartheorie der Wärme.
ersetzen und analog die übrigen Coordinaten, d. h. eigentlich niditi
anderes , als : wir stellen die Coordinaten beider Molecule dar durcb £t
Coordinaten ihres Schwerpunktes, vermehrt um gleiche aber entgegen*
gesetzte Coordinaten. Di£Ferentiirt man, so ergiebt sich fär die GeschwiB-
digkeiten unmittelbar das Nämliche , was wir von den Coordinaten be-
merkt haben. Nach einem bekannten Satze der Mechanik kann aber die
Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung des Schwerpunktes zweier Kör-
per durch deren Zusammenstoss nicht geändert werden. Man braucht alMg
um die Wirkung des Stosses zu erhalten, die Bewegung des Schwer-
punktes, welche durch den Stoss nicht geändert wird, nur mit der des excen-
trischen Stosses mit gleichen aber entgegengesetzten Geschwindigkeitei
zusammenzusetzen. Treffen sich in ähnlicher Weise sehr viele Molecük,
so erhält man ein neues System , in welchem die Geschwindigkeiten vie
im ursprünglichen Zustande alle möglichen Bewegungsrichtungen besitzen.
Im Allgemeinen kommen nun in dem von uns betrachteten Falle iwei
Molecule, welche sich mit beliebig gerichteten Geschwindigkeiten treffen,
von den beiden verschiedenen Seiten der Schicht her; die Molecule, welche
von der heisseren Seite herkommen, besitzen im Allgemeinen eine groe>
sere mittlere Geschwindigkeit als die, welche von der kälteren kommen.
Man hat demnach in der unendlich dünnen Schicht eine grosse Anzahl
solcher Molecule, derart, dass die, welche von der einen Seite kommen,
eine etwas grössere Geschwindigkeit besitzen , als die , welche von dcrl
anderen kommen. Das System der von der Schicht ausgesendeten Mole-I
cüle besitzt demnach Geschwindigkeiten, welche man dadurch darstellenl
kann, dass man zu den nach allen möglichen Seiten hin gerichteten gleichenj
Geschwindigkeiten der Molecule den Mittelwerth der Geschwindigkeit di
Schwerpunktes hinzufügt. Diese letzte Geschwindigkeit ist zur Schiel
normal und ihrem absoluten Werthe nach sehr klein. Man kann dei
nach an Stelle des wirklich vorhandenen Systems ein System betrachte]
in welchem alle Molecule gleiche, aber nach allen möglichen Seiten
gerichtete Geschwindigkeiten besitzen und diesem ganzen fingirten Systei
eine kleine zur Wand normale, also der positiven X-Axe parallele
schwindigkeit ertheilen.
Es möge % den absoluten Werth der bei allen Molecülen gleichen G(
schwindigkeit bezeichnen; A sei der negative Cosinus des Winkels, d(
die Bewegungsrichtung eines gegebenen Molecüles mit der positiven X-j
einscbliesst. Dann bezeichnet bekanntlich (man sehe die Entwickelonj
auf Seite 171, letzte Zeile) — ' dl das Yerhältniss der AnzahF Mol<
deren Bewegungsrichtnng durch A definirt ist, zur gesammten Mol<
zahl. Bezeichnet ferner 27 die Geschwindigkeit eines Molecüles in dem wirkj
lieh vorhandenen, nicht im fingirten Systeme und definirt fi analog
vorher A dessen Bewegungsrichtung, so entsteht ü durch ZoBammen'
Setzung der nach der Richtung A gehenden Geschwindigkeit % mit eine
kleinen Geschwindigkeit, welche parallel der positiven X-Axe ist.
F. Wärmeleitung der Gase. 179
M and JT mögen zwei Molecüle sein , welche sich im Inneren der
Schicht in einem Pnnkte P treffen. Diese heiden Molecüle wandern nn-
gestört bis zu dem Augenblicke des Stosses und durchlaufen Wege, welche
Ton der Grössenordnung der mittleren Weglänge sind, und das ist, wie
wir yon früher her wissen , eine sehr kleine Grösse. Es sind M und M'
demnach zwei Molecüle, welche von zwei Schichten ausgegangen sind,
die der yon uns betrachteten sehr nahe benachbart sind. Die Geschwin-
digkeit des Schwerpunktes beider Molecüle ist von derselben Grössen-
ordnung, wie die Differenz der mittleren Geschwindigkeiten beider Mole-
cüle, d. fa. yon derselben Grössenordnung, wie die mittlere Weglänge,
Bezeichnen wir nun mit p eine endliche Grösse, welche Function der
Temperatur ist, und mit s die mittlere Weglänge eines Molecüles zwi-
schen zwei auf einander folgenden Zusammenstössen in einem bestimmten
Zustande des Gases ^ so können wir mit p . 6 die kleine Geschwindig-
keit des Schwerpunktes parallel der x-Axe bezeichnen. Mit der Bestim-
mung yon p werden wir uns noch weiterhin zu beschäftigen haben. Es
ist s eigentlich die mittlere Weglänge im wirklich yorhandenen Zustande
des Gases, wir wollen jedoch im Folgenden immer unter S die mittlere
Weglänge des Gases im Normalzustande des Gases (0^, 760 mm Druck)
ventehen, weil diese Vereinfachung keinen wesentlichen Fehler herbeiführt.
Die Geschwindigkeit ü, deren Richtung (i ist, kann als Resultante
der Geschwindigkeit 9, deren Richtung durch X definirt ist, und der klei-
nen Geschwindigkeit p . 6 angesehen werden, welche der X-Axe parallel ist.
Alsdann bestehen zwei Gleichungen:
ü . n=p , B + "& , X 25)
nnd:
17« = a« + 2 « . i? . £ . A + 1?« . £> 26)
Durch diese beiden Gleichungen werden die Geschwindigkeiten der
Ton der Schicht ausgesendeten Molecüle für jedes beliebige fi bestimmt,
wenn man A willkürlich annimmt und die Grössen fL und p bekannt sind;
die zweite Gleichung giebt den absoluten Werth der GeschMrindigkeit der
in einer Richtung fi ausgesendeten Molecüle, während die erste Gleichung
diese Richtung ft bestimmt.
Setzt man für % . X den aus der Gleichung 25) folgenden Werth in
26) ein, so erhält man für den absoluten Werth der Geschwindigkeit U
die Gleichung:
ü^ = %i —p^ . e^ + 2p . B . ü. (i , . . . . 27)
II Zunächst betrachten wir den Fall, dass ft = 0 ist, d. h. wir betrach-
ten die Molecüle, welche sich nach dem Stosse normal zur X-Axe, mit-
hin parallel den Begrenzungsebenen der Schicht bewegen. Die Geschwin-
digkeit derselben wollen wir mit u bezeichnen, also:
U^ ^o = u
setzen. Alsdann ist:
tt« = «2 — p2 . £2 28)
12*
180 I. Moleculartheorie der Wärme.
und demnach, wenn wir von diesem Werthe in 27) Gebraucli machen:
lP = u^ + 2.p.€.U,fi.
Löst man diese Gleichung zweiten Grades nach Ü auf and entwickelt
die rechtsstehende Wurzel nach aufsteigenden Potenzen von £, so e^
giebt sich:
17 — u + 1? . f* . « + i ^' . ^» . £2 4. 29)
Von weiteren Gliedern, als den hierstehenden, kann man absehen, da
£ eine so kleine Grösse ist, dass man Producte, welche höhere Potenzeo
von B enthalten, vernachlässigen darf.
Es genügt jedoch nicht die Grösse U der Geschwindigkeit eines in
der Richtung ft entsendeten Molecüles zu kennen, man muss vielmehr
auch die Anzahl der in bestimmter Richtung ft entsendeten Molecfile,
also die Vertheilung der Molecüle auf die verschiedenen Richtungen,
kennen.
In dem Systeme, mit dem wir es in Wirklichkeit zu ihun haben,
kann man die Anzahl der ausgesendeten Molecüle, die sich vwischen den
durch (i und fi -^ dii definirten Richtungen bewegen, mtkt durch - dtt
darstellen, da die Vertheilung der Molecüle auf verschiedene Bewegnngs-
richtnngen keine ganz allseitig gleichartige ist; man kann jedoch dieie
Anzahl durch -- A . dfi darstellen , wenn Ä eine Function von fi ist Da
aber durch Hinzufügung der Geschwindigkeit' j? . e die Richtung A in die
durch fi definirte und ebenso die durch A -f- dk in die durch fi -|- d(i
definirte Richtung übergeht, so kann gesetzt werden:
oder:
- . dA = - . ^ . dfi,
Ä— —
dfi
Die Gleichung 25) giebt aber durch Differentiation nach ft:
a (17 . ft) ^ dl
— = a • j-,
dX . , dX
und da man ^ ohne Weiteres mit — verwechseln darf, so ergiebt sidi:
_1 8 (g . ft)
und wenn man fflr U seinen Werth ans 29) einsetzt und aasrechnet:
F. Wärmeleitung der Gase. 181
Aus der Gleichung 28) erkennt man leicht , dass der Factor ^ von
der Einheit höchstens um eine Grösse differirt , welche von der Ordnung
€» ist.
7. Der Zustand der gleichzeitig in einer unendlich
dünnen Schicht enthaltenen Molecüle.
Die Gleichung 29) hestimmt die mittlere Geschwindigkeit der zwi-
schen der Richtung ft und fi -}- df' ausgesendeten Molecüle und die
Okichung 30) gieht die Anzahl der sich in diesen Richtungen hewegen-
den Molecüle an. •
Biese Gleichungen für die von einer Schicht entsendeten Molecüle
mossten zunächst aufgestellt werden , damit wir nunmehr auch den Zu-
stand der in der Schicht hefindlichen Molecüle angehen können. Irgend
ein heliehiges und jetzt der Schicht angehöriges Molecül wurde ja un-
mittelbar Yorher von einer anderen benachbarten Schicht ausgesendet,
deren mittlere Distanz bestimmt werden kann.
Es sei nan V die Geschwindigkeit eines in einem gegebenen Augen-
blicke in der Schicht befindlichen Molecüles und f( der negative Cosinus
des Winkels» den seine Geschwindigkeit mit der positiven X-Axe ein-
Bshliesst. Diese Geschwindigkeit V aber besitzt dieses Molecül seit seinen!
Zusammenstosse mit einem benachbarten. Ist nun s der seit dem letzten
Stosse zurückgelegte Weg, so ist der normale Abstand des Punktes, in
dem der Zusammenstoss stattfand, von der Schicht gleich — (i . s. Die
Geschwindigkeit V des Molecüles ist demnach einfach die Geschwindig-
keit CT, welche zu einer Abscisse x — ^i . s gehört. Man kann demnach
setzen:
F = [7 - —ii.s + - _ . ^» . s» - + . . .
Jedoch ist in Wirklichkeit dieser Werth von Molecül zu Molecül ver-
schieden; denn die in einer Schicht enthaltenen Molecüle haben ihren letz-
ten Zusammenstoss in verschiedenen Entfernungen von der Schicht erfah-
ren. Deshalb wird, selbst wenn wir für V einen Mittel werth wählen,
der Werth, den wir für V hieraus ableiten , ein von Molecül zu Molecül
verschiedener sein. Man erhält demnach den Mittelwerth von F, wenn
man für U, s und s^ die Mittelwerthe dieser Grössen U, 8 und s^ einführt
V ist abo durch die Formel :
dx ^ ^ 2 dx^ ^
bestimmt.
mgß
182 I. Moleciüartheorie der Wäxme.
Wir haben nun bereits früher gefanden (man sehe Bd. 2, G, 6
S. 49), dass die mittlere Weglänge s
00
— «
/-
e
' ' , a . ds = —
ist und analog, dass:
00
s« = Aä . e" " • ' . a . rfs = |;
2
0
Diese Formeln beziehen sich aber, wie man sioh entsinnen wird, auf
ein Gas von allseitig gleicher Dichte und gleicher Temperatur. Beide
Voraussetzungen werden jedoch im vorliegenden Falle nicht erfüllt sein
und die Werthe 8 und 8^ werden nicht als unabhängig von (i angesehen
werden können.
Es giebt jedoch eine bevorzugfte Richtung, d. i. diejenige, welche
senkrecht zur X- Axe oder parallel den Begrenzungsebenen der Schicht ist,
in dieser trifft das bewegliche Molecül nur mit Gasmengen zusammen,
in welchen die Dichte überall gleich ist. Für diese Bewegungsrichtung
1 2 - —
kann man demnach ohne Weiteres — und — „ für 8 und s^ setzen. Es
a «2
ist also:
und:
—
1
Sf
=*
0
a
2
^u
-
0
a»
Wir können 8^ . o als eine Grösse ansehen, welche von gleicher Ord-
nung wie B ist, d. h. wir können:
5/4 ^ 0 ■"— C • B I
und: I Sl)
sä^ ^ 0 = 2 c» . a«l
setzen. Diese Werthe dürfen allerdings nicht in die Reihenentwickelimg
für V eingesetzt werden, aber man kann mit Hülfe derselben die Gestalt
der Grössen s und s^ darstellen. Man kann nämlich 8 in einer Reihe nach
aufsteigenden Potenzen von B entwickeln. Jedenfalls ist einleuchtend,
dass 8 von derselben Grössenordnung wie 8u, ^^ ist und damit auch von
derselben Grössenordnung wie £ , nur ist der auf die Richtung fi bezüg-
liche Coefficient nicht gleich c. Dieser CoefHcient, der sich auf die Rich-
tung ^1» bezieht, kann in einer Reihe nach fi . B entwickelt werden, der-
art, dass:
7 == « . (c + C . ft . £ + C . fi« . £2 + . . .)
F. Wärmeleitung der Gase. 183
ist Ebenso wird mau s^ in einer Reihe entwickeln können:
s^ = 2 «2 . (c« + 2 2> . ft . a + . . .).
Setzt man dies in den früher von uns für V angegebenen Ausdruck
em, 80 ergiebt sich:
F = w + g . ft . 5 + r . ^2 . £2 4- 32)
worin abkürzungsweise gesetzt worden ist:
«=^-''•81^ 33)
und:
Id ähnlicher Weise erhält mau :
F« = w» + 2t* . g . fi . « + (2t*r + Si«) . ft« . £2 + . . . 35)
wobei qi mit den vorhergehenden Grössen durch die Gleichung:
,., = a' + c» . (g^) .36)
nsammenhängt.
Bildet man noch die Grösse V^ » F, so findet man:
F . F« = tt» + 3 . «*a . g . f* . £ -f- (3 t*2r 4- uqi^ + 2 uq^)
.H^.6^+ 37)
Die Grössen F, F* und F . F* könnte man nun sofort in die Glei-
chimgen 23) eintragen; es kommt aber ausserdem noch die Grösse^ darin
Tor, welche sich auf die YertheilUng der Molecüle auf die yerschiedenen f*
Bichtongen beziehte Mit Rücksicht auf die Reihenentwickelungen, die
wir uns aber sonst überall gestattet haben, kann man für A auch folgende
Beihe einführen:
A = i{l + q' , (i . s + f^ , (i^ . 6^ + ) . . . 38)
in welcher t, q' und / von [i unabhängige Grössen sind.
Der Werth von • kann durch folgende Betrachtung bestimmt wer-
den. Es muss nämlich:
T
/
+ 1
- ' Ä.dfl =1
— 1
sein (man sehe die Definition von il-auf S. 173, Gl. 20), und hieraus
folgt sofort:
* . (l + ^ r' .£« + ...) = 1,
oder angenähert, mit der von uns bis jetzt festgehaltenen Genauigkeit:
184 I. Moleculartheorie der Wärme.
»• = 1 — I r' . f» + . . .
und bierans:
.1 = (l - i r' . fi«) . (1 + g' . ^ . fi + r' . /i« . «« + . ..) 39)
Es bleibt nun nocb übrig, die so gefundenen Wertbe von A^ V und
F' in das System 23) einzusetzen; fubi*t man die angedeuteten Integra-
tionen aus, was nicbt die mindeste Schwierigkeit darbietet, so findet man:
1
o
F = i w . i^ . w» 4- Xj . ««,
3
ff = - . Ä; . m . iV . t*» . (3g + w . ö') . 6 + X3 . £^
wenn man unter Xi, X^, X3 die mit £^ multiplicirten Ausdrücke zubsib-
menfasst. Wenn man nun die £^ enthaltenden Glieder ohne Weiteres
weglässt, so erhält man die drei Bedingungen 24) des stationären Za-
Standes in der Gestalt:
■
- ' m . N . (q -\- u , q*) , € = 0
ö
— m . N . u^ = const,
0
- ' k . m . N . u^ . (Sq -\- u , q') . e = const.
o
... 40)
und diese Gleichungen enthalten von den sämmtlichen von uns eilige*
führten Coefficienten unmittelbar nur noch g und q', während alle übri*
gen von selbst aus der Rechnung gefallen sind.
Aus der ersten Gleichung dieses Systems ergiebt sich sofort, da
weder m noch N noch e Null sein können, dass:
g 4" ** • 3' = 0
sein muss und daraus folgt:
«■=-.^ «)
Hiermit aber ist die Zahl der zu bestimmenden Goefficienten auf
einen reducirt. Setzt man dies in die Gleichung 39) für A ein, so erhält
man :
^ = 1 - J . ,t . £ + r' . (p» - 1) . «» . . . . 42)
Die zweite Gleichung des Systems ergiebt:
F. Wärmeleitung der Gase. 185
m . N . u^ = ernst 43)
u' unterscheidet sich von F^ nur um Grössen von der Ordnung B
wie Gl. 35) lehrt. — - — ist daher sehr nahe die mittlere lebendige Kraft
der fortschreitenden Bewegung an irgend einer SteUe der Gasmasse;
N ist die Anzahl Molecüle , welche die Yolumeneinheit enthalten würde,
wenn das Gas in seiner Gesammtheit sich in demselben Zustande befände,
wie in dem betreffenden Punkte. N.m , u^ = consL bedeutet also ledig-
lich, dass der diesem Producte proportionale Druck (man sehe Gl. 2,
S. 35 und GL 48, S. 78) in der ganzen Masse constant ist. Die dritte
Gleichung G == const. reducirt sich, wenn man auf die Gleichung 43)
Rödaicht nimmt, auf:
3 g + « . g' = canst.,
oder da nach 41):
q + u . q' = 0
ist, auf:
2q = const.
Die Bedingung dafür, dass ein stationärer Wärmestrom durch jede
dea Bewegungsebenen parallele Flächeneinheit hindurchgeht, ist demnach:
q z=. const 44)
8. Bereclinang der Grösse des Wärmestromes, welcher
in der Richtung der X-Axe fliesst.
Es erübrigt also jetzt nur noch die Grösse von q zu ermitteln und
die Schlüsse zu ziehen, die sich aus 44) ergeben.
Der Wärmestrom, welcher in der Richtung der zunehmenden x in
der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit hindurchgeht, ist:
3 *
Hierbei ist X; ein numerischer von der Natur des Gases abhängiger
Goefficient, durch welchen das Yerhältniss der gesammten im Gase ent-
haltenen lebendigen Kraft zur lebendigen Kraft der fortschreitenden Be-
wegong dargestellt wird; m ist die gleiche Masse jedes Molecüles, N die
Anzahl Molecüle, welche die Yolumeneinheit enthalten würde, wenn der
gesammte Zustand des Gases der nämliche wäre, als in der Schicht, welche
durch die Abscisse x definirt ist. u^ ist das Quadrat der Geschwindig-
keit der Molecüle, die sich nur in derselben Schicht bewegen , e ist die
mittlere Weglänge eines Molecüles zwischen zwei aufeinanderfolgenden
Züsammeustössen, und q ist der noch zu bestimmende Goefficient.
q ist zuerst in der Gleichung 32):
186 L Moleculartheorie der Wärme.
aufgetreten und definirt durch die Gleichung 33):
du
* dx
Die physikalische Bedeutung von p ist durch die Gleichung 25) und
die von c durch 31) hestimmt.
Ausserdem ist q durch die Gleichung 41):
q -\- u , q* = 0
mit einem Coefficienten q* verknüpft, welcher wesentlich die Grösse i
hestimmt, wenn man mit jr - Ä . dfi den Bruchtheil der sämmtlichen in
der Schicht dx enthaltenen Moleciile hezeichnet, welcher sich parallel den
zwischen fi und (i -f~ .^f^ liegenden Richtungen bewegt. Und Ä war
gleich :
Ä = i . (l + q' , (i , s -\- . . .),
Die Entwickelung des Werthes von q geschieht mit llülfe der Glei-
chung 33):
du
^ = p-<^'rx'
p ist hierin eine solche Grösse, dass p . £ der Mittelwerth dei
Ueberschusses der der X-Axe parallelen Geschwindigkeitscomponente
eines Molecüles, welches in die betrachtete Schicht eindringt, über die
entsprechende Geschwindigkeitscomponente eines anderen in der Schickt
befindlichen Molecüles ist, mit dem es znsammenstösst; hierbei hat man
sich vorzustellen, dass das erste Molecül von der Seite kommt, auf der
die Temperatur höher, das zweite von der Seite, auf der die Temperatur
niedriger ist. p , B war die positive, parallel der X-Axe gerichtete
Geschwindigkeit, die man einem System gleicher und g&mz beliebig ge-
richteter Geschwindigkeiten hinzufügen musste, um das wirkliche System
zu erhalten. Diese Geschwindigkeit war dadurch in den Kreis der Be-
trachtungen gezogen worden, dass der Schwerpunkt jeder Gruppe von
zwei Molecülen im Allgemeinen eine parallel der positiven X-Axe gerieb-
tete Geschwindigkeit besitzt, die auch nach dem Zusammenstosse beider
Molecüle noch vorhanden ist. Nennt man nun M » dx die Anzahl der
in der Zeiteinheit von der Schicht ausgesendeten Molecüle, so besitsen
diese Molecüle 1) eine Geschwindigkeit 81, deren Richtung ganz regellos
von Molecül zu Molecül sich ändert, 2) eine Geschwindigkeit — p . i^
welche der positiven X-Axe parallel und allen Molecülen gemeinsam ist
Durch die Geschwindigkeit 31 wird die Lage des Schwerpunktes des
Systemes nicht geändert. Die Geschwindigkeit der VerschiebuDg des
Schwerpunktes rührt einzig von der allen Molecülen geroeinsameDt
gleichgerichteten Geschwindigkeit p . £ her und ist dieser glüich. Molti-
F. Wärmeleitung der Gase. 187
plicirt man diese Grösse mit der Masse eines Molecüles and mit der An-
laU M der in der Zeiteinheit von der betrachteten Schicht ausgesendeten
Molecüle, so stellt das Product
— M , dx . m . p . 6
die der X-Axe parallele Bewegnngsgrösse des Schwerpunktes und somit
des ganzen Systemes dar.
Für dieselbe Grösse kann aber auch noch auf andere Weise ein Aus-
druck abgeleitet werden. Wir betrachten nämlich jede sich in der durch
dss zugehörige ft bestimmten Richtung bewegende Gmppe von Molecülen für
lieh, suchen dann die der X-Axe parallelen Geschwindigkeitscomponenten
und bilden die algebraische Summe derselben über alle Gruppen; dann
ist diese Summe die der X-Axe parallele Geschwindigkeit des Schwer-
punktes des Systemes. Wir bilden ferner für alle Molecüle, welche in der
Zeiteinheit innerhalb der Schicht mit anderen zusammentreffen, die Pro-
dacte aus ihren Massen und den der X-Axe parallelen Geschwindigkeits-
eomponenten und summiren alle diese Producte algebraisch. Hätte z. B*
fin MolecQl eine Geschwindigkeit V in einer Richtung, deren negativer
Cosinus gleich fi wäre, so wäre die der X-Axe parallele Gomponente der
Bewegungsgrösse dieses Molecüles gleich:
Es stellt nun aber N . dx die Anzahl Molecüle dar, die in einem
gegebenen Augenblicke in einem unendlich* kleinen Gylinder enthalten
sind, dessen den Begrenzungsebenen parallele Endfläche gleich der
Flacheneinheit und dessen Höhe gleich dx ist, und -^ A . N .dx . dpi \sX,
der Bruchtheil dieser Anzahl Molecüle , welche sich gleichzeitig in Rich-
tungen bewegen, die zwischen fi und \k-\- d^ enthalten sind. Von dieser
letzten Anzahl Molecüle wird aber wiederum nur ein Bruchtheil, nämlich:
-^ Ä . N . dx . dfi . a . dt,
in der unendlich kleinen Zeit dt mit anderen Molecülen ZusammenstÖsse
erfahren. Hierin ist a eine solche Zahl, dass a , dt für ein Molecül die
Wahrscheinlichkeit darstellt, in der Zeit dt einen Zusammenstoss mit
anderen in der Schicht befindlichen Molecülen zu erfahren.
Integrirt man diese Anzahl nach der Zeit i von 0 bis 1, so erhält man :
- A , 1^ , a ,dx . d\i
för die Anzahl Molecüle, deren Geschwindigkeit parallel den ft Richtun-
gen ist, und welche in der Zeiteinheit innerhalb der Schicht einen Zu-
sammenstoss erfahren.
Besässen, was allerdings, wie wir wissen, nicht zutreffend ist, alle
188 L Moleculartheorie der Wärme.
ft Molecüle die gleiche Geschwindigkeit F, so wäre die der 2-A»
parallele C!omponente der Bewegungsgrösse dieser Molecüle gleich:
— — Ä . N , a . dx . dfi , V , m . fi.
In dem wirklich vorhandenen Gase sind nun aber die Greschwindig-
keiten V der Gase nicht gleich und ebenso nicht die Grösse a, die Gro«
V . a ändert sich demnach von MolecQl zu MolecüL Wir müssen dea-
nach, um uns auf den Boden der Thatsaohen zu stellen, die Grösse F . f
durch ihren Mittelwerth V . a ersetzen. Demnach ist in dem wirUid
vorhandenen Systeme:
— — ' dx , m . Ä . N , V . a . (i . dfi
Ja
die der X-Axe parallele Componente der Bewegungsgrösse für alle dii
Molecüle, deren Geschwindigkeiten parallel den zwischen fi und (i -\- df
liegenden Richtungen sind..
Integrirt man nunmehr diesen Ausdruck nach fi von — 1 bis -|- 1,
so erhält man die auf die X-Axe bezogene Componente der Bewegoni^
grosse für alle Molecüle, die sich in der Schicht in der Zeiteinheit gegen-
seitig treffen; es ergiebt sich demnach die Gleichung:
fn,M.dx.p,8^=z--in.N.dxlÄ.V.a.fi.dii. .45)
— 1
9. Bestimmung der Grösse a.
Da wir für Ä bereits den Werth abgeleitet haben, so kommt es nur
noch darauf an, V , a zu ermitteln und das Integral auszureclmeo.
a wurde nun durch Betrachtungen bestimmt, welche denen ganz äbnlick
sind, die wir^schon früher (Bd. 2, G, 6 , S. 48) angestellt haben , um die
Wahrscheinlichkeit des Zusammenstossses eines Molecüles mit einem ftD*
deren in einem Gase zu ermitteln, welches allseitig gleiche Temperstor
und Dichte besitzt.
Stellen wir uns ein ruhendes System von Molecülen vor, in dem neb
ein einziges bewegt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Moleeül aif
einem unendlich kleinen Wege ds mit einem anderen zusammenstoestf
bekanntlich (man sehe Bd. 2, C, 19, 6, S. 53) a . ds und hierin:
wenn Q den Radius der Wirkungssphäre eines Molecüles und Ö den
mittleren Abstand zweier Nachbarmolecüle bezeichnet.
Führt man statt S die Anzahl der Molecüle ein, so hat man» da:
. F. Wärmeleitung der Gase. 189
a z=: Q^ , n . N.
Dieser Ausdruck von a lässt sich leicht so umändern , dass er auch
Ükr einen Fall gilt, in dem die übrigen Molecüle nicht in Ruhe sind, son-
lern sich ebenfalls bewegen.
Bezeichnet man die Wahrscheinlichkeit, dass das Molecül in der
Zeit dt ein anderes trifft, mit a . dty so ist:
a . dt = a . ds,
is
nnd wenn man für 3- die Grösse f, die Geschwindigkeit des Molecüles
dt
einsetzt, so ergiebt sich:
a = a . v,
uid daraus folgt, dass:
a ^= X , Q^ . N , V
ist
Denkt man sich nun, dass alle übrigen Molecüle statt zu ruhen sich
mit einer gemeinschaftlichen Geschwindigkeit V nach einer Richtung
bewegen, die mit v den Winkel 9 einschliesst , so wird die Wahrschein-
fiebkeit, dass in der Zeit dt ein Zusammenstoss des betrachteten Mole-
c&les mit den übrigen erfolgt, durch dieselbe Formel wie vorhin ausge-
drückt, sofern man nur v durch die relative Geschwindigkeit des Mole-
eüks und des Systemes durch :
R = Vm + v« — 2 F . v . cös 9?
enetzt.
Berücksichtigen wir aber, dass in dem von uns betrachteten Systeme
sich erstens nicht alle Molecüle nach derselben Richtung, sondern nach
Tenchiedenen Richtungen bewegen, dass femer die Geschwindigkeiten
nicht nnter sich gleich sind , so muss man in die Gleichung einen nach
beiden Möglichkeiten der Unterschiede der Molecüle genommenen Mittel-
wertb der relativen Geschwindigkeit der Molecüle in die Formel ein-
setzen, den wir mit i2 bezeichnen wollen. Es ist dann:
a = n . Q^ . N ,R 46)
and:
« = Ä . (>« . JV • ~ 47)
Es kommt nun zunächst darauf ah, für ein gegebenes Molecül, wel-
ches sich in der von uns betrachteten unendlich dünnen Schicht bewegt,
die mittlere relative Geschwindigkeit R zu allen gleichzeitig in der
ochicht befindlichen Molecülen zu bestimmen.
190 I. Moleculartheorie der Wärme.
Schon die Molecüle, die sich anter demselben Winkel fp gegen die
Geschwindigkeit des betrachteten Molecüles bewegen, besitzen TeraeUe-
dene Geschwindigkeiten , wir wollen daher für jede bestimmte Bichtuig
eine mittlere relative Geschwindigkeit B einföhren.
Die verschiedenen möglichen Richtungen, in denen sich die Molecöle
bewegen können , stellen wir wiederum als Punkte auf einer Kngelober-
iläche vom Radius 1 anschaulich dar. Dann würde,, wenn die Molecöle
sich nach allen Richtungen ganz gleichartig bewegten, die Anzahl Mole-
cüle, welche sich in Richtungen bewegten, die innerhalb eines Elementes d«
der Eugeloberfläche fallen, sich zur Gesammtzahl verhalten, wie dti:4r.
In dem von uns jetzt behandelten Falle der Wärmeleitung bewegen sieb
die Molecüle aber nicht nach allen Richtungen in ganz gleicher Weide,
die Anzahl der Molecüle, welche sich in den Richtungen du bewegen, ist:
. du
A • -—•
Ist nun R die mittlere relative Geschwindigkeit des von uns betrach-
teten Molecüles zu den Molecülen, deren Bewegungsrichtungen in das Ele-
ment du fallen, so ist 22:
^-m
' Ä , R,
und die Integratit>n muss auf die ganze Eugelfläche ausgedehnt werden.
Für den (S. 189, Z. 16 v. u.) aufgestellten Werth von jB kann man
auch schreiben:
B = \^. VVTv . Vi _ c«s <p + ^4f-?-
N
Die Grössen Fund v werden von der Geschwindigkeit u der Molecüle,
welche sich parallel den Begrenzungsebenen bewegen, im Mittel hÖchsteDt
um Grössen verschieden sein können , welche von der Ordnung £ sind,
bei einer Mittelwerthsberechnung, um die es sich hier handelt, wird maa
(7 __ t,)2
daher das Glied -tt^t unberücksichtigt lassen können. Man schreibt
2V.V
demnach zunächst angenähert:
72 = V2 . Vv . V . Vi — cos (p.
Wir haben aber nun früher gefunden (S. 181), dass:
dU
öx
ist, setzt man dies ein und entwickelt nach s bis auf Glieder erster Ord-
nung, so ergiebt sich:
•iJ = 1/2 . Vi - cos <p . VÜTT' .(\ - i . i . I? . p . sY
\ 2 U öx /
F. Wärmeleitung der Gase. 191
Setzt man nunmehr hierin fdr 8 seinen Mittelwerth s , so erhält man
statt R den Mittelwerth i2. Demnach ist:
R
= Vi" . Vi — cos q> . VüTv • (l — I • ^ • 8^ • ^ • «)•
Setzt man nun für ü und 8 die früher von uns gefundenen Werthe
ein, welche (man sehe 61. 29, S. 180 und S. 182) his auf die erste Potenz
Ton B genan lauten :
CT = t^ -f p . ff . £
s = c , «
und fuhrt für v einen Ausdruck:
ein, worin b irgend eine Grösse von der Ordnung £ bedeuten soll , so er-
giebt sich:
Ä = V2 . Vi - cos q> . [u + ^ b + i (i) - c . |J) . fi . *].
Nach GL 33) ist aber:
du
Setzt man dies ein, bildet das Product A . R und rechnet die
Klammem ans, indem man immer alle Glieder, welche Potenzen von £
eDthaltcn, die höher als die erste sind, vernachlässigt, so ergiebt sich:
A.R = V2. Vi — cos (p . (u + 2^ ~ 2 ^ ' ^ ' ^J'
Zunächst muss man noch die Beziehung aufsuchen, welche zwischen
cos fp und fi besteht» und die Grösse du näher bestimmen. Bekanntlich
ist n der negative Cosinus des Winkels, den die Bewegungsrichtung irgend
eines Molecüles mit der X-Axe einschliesst, <p ist der Winkel zwischen
der Bewegung^richtuDg dieses und des betrachteten Molecüles. Ist femer
noch 1} der Winkel zwischen der Bewegungsrichtung des betrachteten
Molecüles and der X-Axe und ^ der Winkel zwischen der Ebene des
Winkels <p und der Ebene des Winkels ij, so ist bekanntlich:
II == cos ri . cos g) -^^ sin i] . sin (p . cos if
und femer ist:
du = sin q> . dq> . d^.
Führt man dies in die Formel für R ein, so erhalt man:
R = . / I dw , dtif , sin w Vi — cos w .\u -\- - h
2V2 .n J J L 2
— 9 5 • (^^* ri . cos q> -^^ sin ri . sin q> , cos i>) . e L
192 L Moleculartheorie der Wanne.
worin die Integration nach if von 0 bis 2 n und die nach q) von 0 bis ar
auszuführen ist.
Clausius^) hat diese Integration ausgeführt und gefunden, wenn
er nur Glieder von der Ordnung der e beibehält, dagegen die mit höhe-
ren Potenzen von £ multiplicirten vernachlässigt, dass:
;R = - . f tt + - b + — • gf . cos 1? . « j . . . .48)
Mit Hülfe dieses Werthes von B findet man nun sofort aus der
GL 46):
a=-'X.Q^.N.(u+-h + — 'q.co8i^.€\ .49)
und, wenn man zugleich für v seinen Werth u •\' h einsetzt, und sick
mit der oben angegebenen Genauigkeitsgrenze begnügt, aus 47):
a = i n.Q^.N . [l - II + ^- q . CO, n ' ^) • • «>)
Aus diesem Ausdrucke kann man noch die Grösse q eliminiren, wenn
man auf die Gleichung Rücksicht nimmt, durch welche die mittlere Weg-
länge eines Molecüles im Noimalzustande des Gases (0^ und 760 mm)
dargestellt wird. Nach der Clauaius' sehen Formel ist, wenn ^o die in
Normalzustande des Gases in der Volumeneinheit enthaltene AnaU
von Molecülen bezeichnet:
4 n , Q^ . Nq
Allerdings setzt diese Formel voraus, dass sich alle Molecüle im
Normalzustande mit der gleichen Geschwindigkeit u bewegen. Aus die-
ser Formel kann man q^ ermitteln und in die Gleichungen für a und a
einsetzen, dann ergiebt sich:
und:
l N_ / b_ 0,1 q .cos ij . t\
51)
52}
Man sieht, dass a und a von der Geschwindigkeit und Bewegungs-
richtung des Molecüles abhängen und* dass ferner, da ^und u von Schicht
zu Schicht zu verschieden sind, a und a auch fi^inctionen des Abstandes f
der betrachteten Schicht von der wärmeren Grenz wand ung ist.
^) Abhandlungen, 1. Aufl., Bd. 2, S. 310.
F. Wärmeleitung der Gase. 193
10. Bestimmtingr von M . dx^ d. h. der Anzahl Molecüle,
welolie in der Sohiolit znsammenstossen.
Die Anzahl Molecüle, welche sich in der Schicht gleichzeitig zwi-
schen den durch ft and {/l '\' d^i^ definirten Richtungen bewegen, ist:
— ' N . A .d^i , dx,
um den Bmchtheil derselben zn erhalten, welche in dem Zeitele-
mente äi mit einander zusammenstossen , mnss man die vorige Anzahl
mit a . dt mnltipliciren , wobei der Mittelwerth a von a zn nehmen ist,
da der Werth a nicht fßr alle Molecüle gleich ist. Integrirt man diesen
Aosdnick nach ft von -\- 1 bis — 1, so erhält man die Anzahl M.dx.di
Molecüle, welche in der betrachteten Schicht im Zeitelemente dt zn-
sammenstossen, und es ergiebt sich demnach, d& dx nnd dt für die Inte-
gration nach §1 constant sind nnd beiderseitig wegdividirt werden kön-
nen, Ar die Bestimmung von M die Gleichung:
+ 1
M
= — ' N , I A , a . dfi.
— 1
Nun ist (man sehe 61. 42, S. 184) ii, genau bis auf Grösse von der
Ordnung B, gleich:
-4 = 1 — ^ • fi . «.
u
Um a ans a zu erhalten, müssen wir in der für a gefundenen Glei-
ehnng für cos ri die Grösse \i und für b müssen wir V — u setzen. . Es
ist aber mit demselben Genauigkeitsgrade, auf den wir uns immer be-
schränkt haben (GL 32, S. 183):
and demnach:
b = $ . fi . £.
Berücksichtigt man alles dies, so ist:
^=^4 '(" + !«•'*•*) ^^^
Führt man dies oben ein, so erhält man für M den Werth:
— 1
Integrirt man ans, so ergiebt sich:
Vflrdet-Bflhlmftnn, Meohaa. Warmathoorie. Bd. S. \^
194 I. Moleculartheorie der Wärme.
^=J^-F ")
Nnnmehr kann man auch die der X-Axe parallele Bewegnngsgröne
aller der in der Schicht in der Zeiteinheit zusammenstossenden Mok-
cüle bestimmen.
Diese Bewegnngsgrösse der sich unter der Richtung (i bewegenden
Molecüle würde, wenn die Geschwindigkeit aller Molecüle gleich wftre,
einfach :
m , (i , V . a
sein; da aber F und a von Molecül zuMolecül verschieden ist, bo rana
man V . a durch seinen Mittelwerth V . a ersetzen. Die gesammte der
X'Axe parallele ßewegungsgrösse aller in der Zeiteinheit in der Schiebt
zusammenstossenden Molecüle ist demnach:
+ 1
- ' dx . m . N . I Ä . V . a . ft . d^.
Setzt man hierin für A und V . a die Werthe ein, welche sich au
den Gl. 42), 32) und 51) ergeben, so findet man:
+ 1
1 HP 1 /*/ 3 \
Das bestimmte Integral des ersten Theiles wird Null, das zweite
1
Glied in der Klammer ist das vollständige Differential von r- «* . ff . ft' . f.
o
und man erhält somit:
1 ^ N^
— ' dx , m ' — ' u , q.
Führt man aus 54) den Werth:
M = -r- • —
ein, so erhält man einfacher:
— * dx . m , M, q . s.
5
Für dieselbe Bewegungsgrösse hatten wir Gl. 45):
M . dx . m , p . 6
gefunden. Wenn man nun diese beiden Grössen einander gleich seist,
so findet man:
1
und mit Rücksicht auf die schon mehrfach benutzte Gleichung 33) :
F. Wärmeleitung der Oase. 195
du
q = p — c • 77-
ox
ndlich:
Nach der früher yon uns (S. 182) gegebenen Definition war c . s
ter mittlere Weg, den die Molecüle zwischen zwei Zosammenstössen zu*
tcklegen, welche sich zur X-Aze normal bewegen, wenn die mittlere
kichwindigkeit gleich u ist. £& war nach Gl. 31) (S. 182):
nithin:
1
— = c . c,
CtQ
robei «% denjenigen Speoialwerth von a bedeutet, den a f&r diejenigen
iolecflle annimmt, die sich senkrecht zur AT-Axe bewegen. Alsdann is^
108 1} oder fi = 0 und b = 0 und demnach nach Gl. 52):
N 1
Hieraus ergiöbt sich unmittelbar:
c = f 56)
Wenn man diesen Werth von c in die Gleichung für q einführt, so
irhält man:
^ = -I-N'd^ ^^
Damit aber nimmt endlich die Gleichung, durch welche der Wärme-
lrom regnlirt wird, die Gestalt an:
5 du
G = — -irr ' h . m . Nq . u^ - ^- - s 58)
12 ox
11. Schlussfolgerungen.
Wir haben festgestellt, dass es für den stationären Zustand genügt,
renn:
Q- = eonst,
■t Die übrigen Factoren in 58) sind ohnehin von x unabhängig und
du
ledifflich u'' und ;?— ändern sich von Schicht zu Schicht. Demnach kann
ox
Bian die obige Bedingung durch die einfachere ersetzen:
du
li» • -r- = canst.
dx
13 •
196 I. Moleculartheorie der Wärme.
In dieser ist u die znr X-Axe normale GescHwindigkeit derlfdeeSl«
in einem Punkte, der nm x von der heisseren Begrenzangsebene abstdit
Die Grösse u' ist aber der absoluten Temperatur T proportional tud
wir können daher für u setzen:
u = Const. Vt.
Fährt man dies ein , so geht die Bedingungsgleichung in die Fom
über:
VT ~ = consL 59)
ax
Man erkennt somit, da:
dx ax
gesetzt werden kann und nach der Fourier 'sehen Theorie der W&rme»
leitung der Wärmestrom in einer Wand gleich :
dT
dx
ist, dass sich der Coefficient ^) der inneren Wärmeleitung K proportional
mit VT ändert. Ausserdem enthält obige Gleichung insofern eine wi^
tige Folgerung, als man nach derselben nicht berechtigt ist anzunehmen,
dass sich in einer Gasmasse die Temperatur yon einer Wand zur andern
proportional mit dem Abstände x ändere. Die Versuche haben über
diese Frage noch keine bestimmte Aufklärung gegeben.
Das Gesetz, durch welches die Temperatur in einer den beiden Be*
grenzungswänden parallelen von der heisseren um x abstehenden Schidit
dargestellt wird, ergiebt sich, wenn man Gl. 59) integrirt. Man findet
alsdann:
T .Yt = C.x + Gl.
Die beidefi Constanten G und Gi ermittelt man einfach dadnnki
dass man zunächst für a; = 0 T = Ti und hierauf für o; = e, glei<i
der Dicke der Wand, T = T3 gleich der Temperatur an der kühleiei
Begrenzungsebene setzt. Damit findet man die beiden Gleichungen:
Ti . Vt^ = G,
und:
Benutzt man für G und (7| die Werthe, die sich hieraas ergeben,
so erhält man für T die Gleichung:
8 8
8 8 mz ^ 7^ •
IT = Ti« - ^-^ ^ . « 60)
^) Eb braucht wohl kaum besonders erwähnt zu werden, dass hier K in Win«-
maass ausgedrückt ist.
F. Warmeleitung der Gase. . 197
Dieses Geseta ist minder einfach als eine arithmetische Progression
nnd hängt yon der Beziehung ab, durch welche der Wärmeleitungscoeffi-
dent mit der Temperatur im Zusammenhange steht.
Wir wollen nun auf die Bestimmung dieses Goeffioienten näher ein-
gshen.
Die Gleichung 58), durch welche der Wärmestrom bestimmt wurde,
lautete (man sehe S. 195):
12 dx
Bezeichnen wir mit Uo die Geschwindigkeit der fortschreitenden Be-
wegung der Molecüle bei der Temperatur T = T^^ so wissen wir, dass:
-Hl —1.
%» ~ To
oder:
T
ist, und hieraus ergiebt sich:
and:
dT
du dx
dx ^ 2VT.T0'
80 dass man durch Einsetzung erhält:
24 yj dx
Der mit cT* = 425 multiplicirte, auf den Nullpunkt der Celsiusscala
bezogene Fourier'sche Goefßcient der Wärmeleitung Kq (wir haben es
auf der rechten Seite doch lediglich mit mechanischen Einheiten zu thun)
ist demnach:
„ - 5 k . m . Nq , Uü^ . 6
^0 • «^ = - 24 To
Der auf die Temperatur 0 der hunderttheiligen Scala bezogene Wärme-
leitongBcoeffioient ü^, fOr den die absolute Temperatur T= Tq = 274®
beträgt, hängt mit K^,, dem bei der absoluten Temperatur T gültigen
Wärmeleitangscoefficienten, durch die Gleichung zusammen: ^^
Vt -^
Die numerische Berechnung des oben mitgetheilten Ausdruckes
ist aber möglich. Die Grösse — % . m . ^0 • %' ist die in der Volumen-
198 I. Moleculartheorie der Wärme.
einheit eines Oases bei Null Grad enthaltene gesammte innere kinetiidie
Energie. Ist aber, wie wir dies für die meisten einfachen Gase aniieb*
men dürfen, die specifische Wärme bei constantem Volumen onabliängig
von der Temperatur, und bezeichnet y diese specifische Wärme bezog«
auf die Yolumeneinheit, so ist y . T^s die Wärmemenge, welche nötfaif
ist, um die Volumeneinheit eines Gases vom absoluten Nullpunkte an lai
zum Nullpunkte der Celsius' sehen Scala zu erwärmen, c/* . y . T»ü
demnach die innere Energie eines Gases bei O^C. Setzt man dies öd,
so erhält man:
5
J^o = Y2 ' y • ^0 • *•
Vom negativen Vorzeichen kann man absehen, da es sich hier ledigli^
um die Berechnung eines absoluten Werthes handelt. «0 ist die mittlen
Geschwindigkeit der fortschreitenden Bewegung, also ebenfalls eine Gröese^
die uns von früher her bekannt ist, und auch e, die mittlere Weglingi
der Molecüle zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zusammenstossen, iai
von früher her bekannt. Führt man nach der bekannten Meyer* scbei
Formll (man sehe Gl. 37, S. 128):
8 1? I
den Beibungscoefficienten 17 ein, so nimmt die Formel für K^ die ein-
fachere Gestalt:
_ 10 y .ri
y
an; da aber ^ wiederum c„ ist, erhält man:
JTo = 1,061 . c, . 1^0,
oder weil K von K^ in derselben Weise abhängt, wie 17 von i^q, so ergiefat
sich schliesslich:
K = 1,061 . c„ . 1? 61)
Glausius^) selbst findet:
1) Abhandlungen, Bd. 2, S. 322.
F. Wärmeleitung der Gase.
199
Sabstitaireii wir nun für die verschiedenen Gase folgende für O^G.
goliige Werthe:
Luft . . .
Saaeretofi .
Stickstoff .
Wasientoff
Sohlenoijd
Koklensaare
0,2375
1,405
0,2175
1,405
0,2435
1,405
3,4090
1,385
0,2450
1,409
0,1911*)
1,305
cm X See.
0,169
0,000182
0,154
0,000202
0,173
0,000176
2,461
0,0000939
0,174
0,000176
0,146
0,000150
Bo findet man für den Wärmeleibangscoefficienten :
absolut
relativ
für Luft Ko
— 0,0000326,
— 1,00
Sauerstoff
— 0,0000332,
— 1,02
Stickstoff
— 0,0000324,
— 0,99
Wasserstoff
— 0,0002451,
— 7,51
Kohlenoxyd
— 0,0000325,
— 1,00
Kohlensäure
= 0,0000233,
— 0,71
Vergleichen wir hiermit die in Paragraph 3, S. 155 mitgetheilten
Zahlen, so erkennen wir, dass die absoluten Werthe nicht in Ueberein-
stimmung sind, dass aber, wenigstens für diejenigen unter den vorbin
genannten Gasen, deren Molecüle zweiatomig sind, die Verhältnisse der
Wärmeleitungscoefficienten in befriedigender Weise mit den Beobachtungs-
resoltaten im Einklänge stehen.
12. Einige Bemerkungren über Maxwell's Theorie der
Wärmeleitung in Gasen.
Ausgehend von seiner bekannten zweiten Theorie, nach welcher sich
die Molecüle eines Gases umgekehrt proportional der fünften Potenz des
Abstandes abstossen, hat neuerlich auch Maxwell eine sehr vollstän-
*) Di« iRt der Mittel wprth aus der Re gn ault' sehen Angabe Cp = 0,1870 und
der Ton E. Wiedemann Cp = 0,1952.
200 I. Moleculartheorie der Wärme.
dige Theorie der Wärmeleitung in Gasen entwickelt. Wir wollen diese
£ntwickelungen, welche zum Theil äuBserst complicirt und, wenn num
nicht eine Controle der Rechnungen durch Auslassungen über Gebühr
erschweren will, sehr umfangreich sein würden, an dieser Stelle nicht re-
produciren. Die Formeln, auf welche die Maxwell'schen Recbnungen
geführt haben, geben, selbst wenn man den von Boltzmann^) aufge-
deckten Fehler corrigirt, noch immer absolute numerische Werthe, weldie
mit den experimentell gefundenen Daten ebenso wenig ÜbereinstimiDeD,
als die aus den Ol ausius' sehen Formeln entwickelten Zahlen. Die re-
lativen Wärmeleitungscoefficienten findet man dagegen nach beiden Fof^
mein übereinstimmend, da sich beide Formeln nur durch constante Zahlea-
factoren unterscheiden. Auch führen beide Formeln in gleicher Wdae sa
dem Resultate, dass das Wärmeleitungsvermögen vom Drucke
unabhängig ist, so weit dies vom ReibungscoefBcienten und von der
specifischen Wärme des Gases behauptet werden kann.
Ein wesentlicher Unterschied der beiden Theorien liegt aber darin,
dass während nach Clausius sich das Wärmeleitungs vermögen propor-
tional der Wurzel aus der absoluten Temperatur ändert, nach Maxweiri
Theorie der Wärmeleitungscoefficient der absoluten Temperatur selbst
proportional ist. Wir haben in den vorhergehenden Abschnitten gezeigl^
dass die neueren Versuche von Winkelmann weder zu Gunsten dxst
einen noch der anderen Theorie entschieden haben« Aehnlich wie schoD
früher bei der inneren Reibung, stehen die auf experimentellem Wege
gefundenen Gesetze nahezu in der Mitte zwischen den theoretischen Re-
sultaten. Was den Haupteinwand betrifft, den wir bisher immer gegea
die Maxwell' sehe Grundlage der Gastheorie vorgebracht haben, dass näm-
lich die AbstoBsung der Molecüle umgekehrt der fünften Potenz ihres Ab-
standes nicht mit den Joule-Thomson' sehen AusstrÖmungsversucbeii
übereinstimme, so wollen wir nicht verschweigen, dass Herr Prof. Boltz-
mann freundlicher Weise dem Verfasser dieses Buches brieflich mitge-
theilt hat, dass er auf Rechnungswegen sich überzeugt habe, dass die
Max well 'sehe Theorie diesen eben genannten Versuchen nicht wide^
spreche.
£s ist uns jedoch nicht gelungen, zu demselben Resultate zu gelan-
gen. Auch scheint uns der von O.E. Meyer urgirte innere Widersprach
der neueren Maxwell'schen Theorie beachtenswerth, welcher darin liegt,
' dass das Gesetz über die Vertheilung der Geschwindigkeiten fordert, dss
sich zwischen zwei ZusammenstÖssen die Molecüle mit constanter Ge-
schwindigkeit und geradlinig , also unabhängig von der Einwirkung tod
Kräften bewegen, während das Gesetz über die Wirksamkeit der Kräfte,
nach welchen sich die Molecüle umgekehrt proportional der fünften Po-
tenz der Entfernung abstossen, bedingt, dass die Molecüle sich nie gsiu
^) Boltzmann, Weitere Stadien über das Wärmegleichgewicht aoter Gasmolecfiks.
Separatabdruck aus dem Wiener Sitzungsber. Bd. 66, Abth. 11 (Oetober 1872), S. 58.
F. Wärmeleitong der Gase. 201
frei bewegen, da die abstossenden Kräfte in endlicher Entfernung zwar
sehr klein, aber doch nicht unendlich klein werden.
Die Formel, auf welche die neuere Mazwell'sche^) Untersuchung
gefahrt hat, lautet, wenn man die nach Boltzmann nothwendige Correc-
tion anbringt:
0 4 • (X _ 1) . Po . To ' s '
Hierin ist die Wärmeleitungsf&higkeit Kq in Arbeitsmaass gemessen,
T bedeutet wie gewöhnlich die absolute Temperatur , x das Yerhältniss
der specifischen Wärme bei constantem Drucke und constantem Volumen«
pe die auf die Masseneinheit bezogene Dichtigkeit , 8 das specifische Ge-
wicht des Grases , bezogen auf das der Luft = 1 und po der Druck in
Gewichtseinheiten , welcher auf die Flächeneinheit ausgeübt wird, ß ist
ein Coefficient, der für Gase, deren Molecüle zweiatomig sind, gleich 2
SU setzen ist.
Führt man auch hier den Werth des Reibungscoefficienten und der
specifischen Wärme ein, so vereinfacht sich die Formel zu:
Jr=|l.c. 62)
Wir geben in nachfolgender Tabelle eine Zusammenstellung der
nach den verschiedenen Formeln und der auf experimentellem Wege ge-
fundenen Werthe der Wärmeleitungsfähigkeit. Es zeigt sich, dass die
Clansius'schen absoluten Zahlen durchaus zu klein sind, und die aus
Maxwell's Formel folgenden erheblich in entgegengesetzter Richtung
abweichen.
1) Maxwell, Phil. Mag. 4. Serie. Bd. 35, S. 216 (1868).
I. Moleculartheorie der Wärme.
F. Wärmeleitimg der Gase. 203
Für die übrigen Gase ausser Lnft, Eohlenoxyd, Sauerstoff, Stickstoff,
Wasserstoff, die nicht von zweiatomigen Molecülen gebildet werden,
gtimmen, sofern man die Wärmeleitungsconstante der Lnft gleich 1 setzt,
aach nicht einmal die theoretisch erhaltenen Relativzahlen mit den auf
experimentellem Wege ermittelten überein. Es stimmen zwar die Ver-
hältnisse der Coefficienten dreiatomiger Gase unter sich wieder überein,
wemi man z. B. Kohlensäure gleich 1 setzt, doch ist es nicht räthlich,
hierauf grosses Gewicht zu legen, da die theoretische Berechnung dieser
Zahlen wegen der Veränderlichkeit der specifischen Wärme mit derTem*
peratur überhaupt auf unsicherer Grundlage ruht.
Winkelmann hat aus den Coefficienten , welche die Abhängigkeit
der Wärmeleitung in Gasen von der Temperatur bestimmen , sogar die
Aenderung der specifischen Wärme einiger Gase und Dämpfe mit der
Temperatur rückwärts zu ermitteln gesucht^).
Boltzmann hat in einer höchst interessanten Abhandlung : Weitere
Studien über das Wärmegleichgewicht unter Gasmolecülen ^) darauf auf-
mei^sam gemacht, dass die Wärmeleitungsconstante der Gase auf theo-
retischem Wege überhaupt nicht mit Sicherheit numerisch berechnet wer-
den kann, da man aus der Gastheorie ohne nähere Eenntniss der inneren
Beschaffenheit der Molecüle nicht bestimmen kann, in welcher Weise sich
die intramolecularen Bewegungen von Molecül zu Molecül fortpflanzen.
Maxwell und auchClausius setzen bei ihren Entwickelungen wenigstens
stülschweigend voraus, dass sich die kinetische Energie der intramolecu-
laren Bewegung verhältnissmässig ebenso rasch von Molecül zu Molecül
übertrage, wie die lebendige Kraft der fortschreitenden Bewegung der
Molecäle. £s ist jedoch durchaus kein zwingender Grund vorhanden,
welcher dazu nöthigte, anzunehmen, dass die Geschwindigkeiten, mit der
die kinetische Energie der progressiven und der intramolecularen Bewe-
gung geleitet wird, einander gleich seien.
Die aus Maxwell*s Formeln berechneten Wärmeleitungsconstanten
der Gase sind durchaus zu gross und daraus schloss auch schon Stefan,
dass sich die intramoleculare Bewegung nur in geringerem Maasse an der
Wärmeleitung betheilige, als dies von Maxwell vorausgesetzt wurde.
Boltzmann') hat nun gefunden, dass, wenn die intramoleculare
Bewegung gar nicht zur Wärmeleitung beitrüge, wenn sich die Molecüle
also bei der Wärmeleitung ¥rie einfache materielle Punkte verhielten, so
müsste die Wärmeleitungsconstante eines Gases einen Werth haben, der,
in Wärmemaass gemessen, durch folgende Formel dargestellt würde:
^) Winkelmann, Ueber die Wärmeleitang von Gasen und Dämpfen und die Ab-
hängigkeit der specifiBchen Wärmen derselben von der Temperatur. Pogg. Ann. Bd. 159;
S. 177 bis 198.
^ Sitzungsber. der Wiener Akademie. Bd. 66, S. 59.
*) Boltzmann, Weitere Stadien über das Wärmegleirhgewicht unter GasmoleciHen.
Spparatabdruck aus dem 66. Bd. der Wiener Sitzungwber. (Ortober 1872), S. o8.
204 L Moleculariheorie der Wäxme.
• K = ^'^'(''-^)-0"n 63)
prog. 4 '
Hierin ist K die unter den oben mitgetheilten Annahmen gfiltige
prog.
C
Wärmeleitungsconstante, x = -^ das Yerhältniss der specifischen Wärme
Cp bei constantem Dmcke zu c, der bei constantem Yolnmen , fi der Rei*
bnngscoefficient des Gases.
Ans der Max weil' sehen Hypothese ergiebt sich unter Annalime,
dass die intramoleculare Bewegung sich in gleicher Weise wie die fort-
schreitende fortpflanze:
■^toUI = I • «. • 'J «♦)
Für. Luft ergiebt sich, wenn man für c„, x und f^ die besten ZaMea
von Röntgen und Kundt und Warburg benutzt:
K = 0,000048 und JiT. . , = 0,000080,
prog* *oȀi
während Stefan durch seine Versuche:
K = 0,000055
fand.
Boltzmann zeigte nun, dass in Wirklichkeit:
±K -1-12 jr
13 -""toUl •" 13 prog.»
3
was er mit K — bezeichnet, Werthe liefert, welche Yon den experimen-
13
teil gefundenen nicht wesentlich abweichen.
Boltzmann^) fügt übrigens ausdrücklich hinzu, dass es nicht üi
seiner Absicht gelegen hat, zu behaupten, dass das Yerhältniss des Be-
trags, den die intramoleculare Bewegung zur Wärmeleitung wirklich lie-
fert, zu dem, was sie nach M ax well' s Hypothese liefern müsste, f&r aUe
Gase genau denselben Werth haben müsse*
Möglicherweise kann ja dieses Yerhältniss von Gas zu Gas verschie-
den sein. Jedenfalls aber ist zu constatiren, dass die bis jetzt über die
Wärmeleitung von Gasen bekannten, auf experimentellem Wege bestimm-
ten Zahlen genügend dargestellt werden können, wenn man:
^=13 ^ioUd + 13 -^prog. «^)
setzt.
Ausgehend von den Maxweir sehen Yertheilnngsgesetzen der Ge-
schwindigkeiten und der Annahme, dass die Molecüle sich beim Znsam-
^) BoitzmanD, Bemerkangen über die Wärmeleitung der Gase. Pogg. Abb.
Bd. 157, S. 463.
F. Wärmeleitung der Gase. 205
menBtoflB wie elastische B&lle verhielten, hat 0. E. Meyer ^) die Wärme-
leitnng der Gase untersucht. Er macht zunächst darauf aufmerksam,
dasB die Vorgänge bei der inneren Reibung der Gase und bei der Wärme-
leitung derselben sehr nahe verwandt sind. Die Reibung besteht in einer
üebertragung fortschreitender Bewegung der Molecüle von Schicht zu
Schicht; W&rmeleitung dagegen ist die Üebertragung innerer kinetischer
Energie von Schicht zu Schicht. Das Problem der Wärmeleitung kann
daher ganz analog durchgeführt werden, wie das der Reibung. Der ein-
zige Unterschied besteht darin, dass man an Stelle der durch das Ein-
dringen von Molecülen der einen Schicht in die andere Schicht übertra-
genen Bewegungsgrosse die gesammte innere kinetische Energie in Rech-
nung zu ziehen hat, welche die aus heisseren Schichten in benachbarte
Schichten eintretenden Molecüle überführen.
Meyer hat hierbei von der Atombewegung abgesehen und nur die
Molecolarbewegung in Rechnung gezogen. Seine Rechnung ist also nur
dann richtig, wenn nachgewiesen werden sollte, dass die Energie der
iotramolecularen Bewegungen sich ebenso rasch im Räume fortpflanzte,
als die Energie der fortschreitenden Bewegung der Molecüle.
Im üebrigen schliesst sich der Gang der Entwickelung bei Meyer
an den von Glausius eingeschlagenen Weg an, nur wird nirgends mit
mittleren Geschwindigkeiten gerechnet, sondern es wird das MaxwelP-
flche Gesetz benutzt und überall wird die Summe und das Mittel erst am
Schlosse der Rechnung gezogen, nicht von Schritt zu Schritt, wie wir
dies vorhin mehrfach gethan haben. Dann ergiebt sich für den Wärme-
leitongsooefficienten K das Integral'):
00
9y« J \ 4ay
wenn:
a = —
^ m ."?
und V die nach Meyer berechnete mittlere Geschwindigkeit ist (mansche
die Werthe von "», Bd. 2, I, C, Gl. 49, S. 79).
Den Werth des Integrales hat Meyer durch mechanische Quadratur
ermittelt und schliesslich:
*) Da« Meyer'scbe Werk: Die kinetische Theorie der Gase, Breslau 1877, welches
10 auBserordentlicher Klarheit und Strenge die einschlagenden Fragen behandelt, eiachien
^t, nachdem der Druck und die Correctur dieses Abschnittes nahezu beendet waren. Es
koimteii daher nur noch an ganz wenigen Stellen die Resultate dieser Arbeit beräck-
uchtigt werden. Ich bedaure dies um so mehr, als unsere beiderseitige Stellung zur
tweiten Maxwell' eben Theorie genau die nämliche ist, und Meyer als der Erste« angesehen
werden muss, der die altere Maxwell 'sehe Theorie consequent durchgeführt und ge-
'vjgt hat, daas die Folgerungen derselben den. experimentell gefundenen Thatsachen
Biadestens nicht widersprechen.
^ Man sehe 0. E. Meyer, Die kinetische Theorie der Gase, S. 337.
206 I. Moleculartheorie der Wärme.
K = 1,53 . 1? . 0, 66)
bestimmt.
Für Molecüle, bei denen die Atomenergie sieb mit einer Gesckwm-
digkeit fortpflanzt, welche von der Fortpflanznngsgescbwindigkeit der
Energie der Translationsbewegnng der Molecüle verschieden ist, benntzt
Meyer ^) eine Formel, welche ausgerechnet die Gestalt:
1,59 X + 0,41
K = 2^^ • ^ • ^« ^^^
annimmt. Hierin bezeichnet x den bekannten Quotienten der specifiscbeD
Wärmen.
Die vorhin erwähnte Boltzmann'sche Formel 65) in ähnlicher
Weise ausgerechnet lautet:
^ 75 . X — 60
^ = 26 ^'"^^ ^^^
Die Uebereinstimmung der nach diesen Formeln berechneten abso-
luten und relativen Wärmeleitungscoefflcienten mit den Beobachtungs-
resultaten zeigt nachstehende Tabelle.
Auf die zum Theil erheblichen Abweichungen kann kein grosses
Gewicht gelegt werden , da in die Bestimmung von K die drei Werthe
Op, X und 17 eingehen, deren experimentell gefundenen Werthe sammtlicli
nicht sehr zuverlässig sind.
Einen erheblichen Werth legen wir keiner von den beiden Formeln
67) und 68) bei, da sie beide ziemlich willkürlich gebildet sind.
0. E. Meyer sucht die Berechtigung seiner Formel durch Betrach-
tungen zu unterstützen, welche auf der Ee knietschen Ansicht bemheiii
dass die Molecüle chemischer Verbindungen nicht mit einem kugelförmig
zusammengeballten Knäuel von Atomen, sondern vielmehr einer Kette
vergleichbar seien.
^) Man sehe O. E. Meyer^ Die kinetische Theorie der Gase, S. 198.
F. Wärmeleitung der Gase.
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208 L Moleculartheorie der Wanne.
13. üeber die Wärmeleitung in QssgemengesL.
Da bei Versachen über Wärmeleitung in Gasen die Berfickrachtiguog
des Fehlers eine grosse Rolle spielt, welcher dadurch entsteht^ dass fremde
Gase dem zu untersuchenden beigemengt sind, so ist es nicht uninteressant
auch die experimentellen Arbeiten hierüber und die thtoretiscBen Ye^
suche kennen zu lernen, welche über die Wärmeleitungs&higkeit tob
Gasgemischen angestellt worden sind. Stefan hat aus den Grondlagai,
auf denen die Maxwell' sehe zweite Gastheorie beruht, eine Formel fiir
das Wärmeleitungsvermögen eines Gemisches von Wasserstoff and Saaer«
Stoff aufgestellt. Die Ableitung der Formel ist bis jetzt noch nicht mit*
getheilt worden. Bezeichnet G eine Gonstante, ^i die Anzahl der Wa88e^
stoffmolecüle, N^ die der Sauerstoffmolecüle, welche sich in der Volnmen-
einheit des Gemisches finden, so ist das Wärmeleitungsvermögen:
L= C 7,38 Ni^ + 11,56 Ni .Nj + 2J1 N^^
~ ' 10,11 Ni^ -h 33,07 Ni .ir^ + 26.03 JVj« '
Diese Formel ist jedoch durch eine Reihe yon Versuchen , welche
Plank^) unter Stefaji's Leitung und mit dessen Apparaten angestellt
hat, nicht l^estätigt worden.
Flank fand nämlich, das Wärmeleitungsvermögen der Luft gleich 1
gesetzt, wenn m Volumen H mit n Volumen 0 bei gleichem Drucke und
gleicher Temperatur gemengt worden nnd, für:
3 H + 1 0 4,24
2H + 10 3,70
1 H + 1 0 2,77
H + 20 2,08
H + 30 1,76
Eine andere Formel, welche unter Annahmen entwickelt ist, wdche
von dem Verfasser nicht mitgetbeilt worden sind, lautet (Luft = 1):
0,326 Ni^ + 0,453 Ni . N^ + 0,119 N^^
~ ' 0,264 Ni* + 0,894 JVi . iV, + 0,666 JV,« '
Diese giebt leidlich übereinstimmende Zahlwerthe, nämlich für obige
Mischungsverhältnisse in derselben Reihenfolge:
4,39, 3,79, 2,81, 2,06, 1,76.
Einige andere Versuche Plank's über die Wärmeleitung eines G«*
misches von Kohlensäure und Sauerstoff, also zweier Gase, deren Leitongs-
vermögen nicht zu sehr verschieden ist, ergeben das Resultat, dass rau
das Leitungsvermögen des Gemisches mit grösser Annäherung nach dem
Principe des arithmetischen Mittels aus den Wärmeleitungscoefficieoteo
der Bestandtheile berechnen kann.
^) J. P 1 a n k , Versuche über das Wärroeleiiangsvermögen von Gasgemengen. Sitzmigi-
bericht der Wiener Akad. Bd. 72 (Juliheft 1875). H
ür. Die Fortpflanzung des Schalles. 209
Gt. Die Fortpflanzung des SchaUes.
1. Die zu Orunde liegenden Hypothesen.
Wir haben in einem der vorhergehenden Abschnitte (man sehe Bd. 2,
I, G, S. 44) schon erwähnt, dass Jochmann nnd mit ihm Andere
als ein weiteres Argument gegen die kinetische Gastheorie vorgebracht
haben, dass die hydrodynamischen Gmndgleichnngen , auf denen die
mathematische Theorie des Schalles beruht, in der neuen Gastheorie nicht
mehr gültig seien , und dass daher die Fortpflanzung des Schalles eine
Erklärung aus dieser Theorie gar nicht finden könne. Wir werden im
Folgenden nachweisen , dass dem nicht so ist. Zunächst müssen wir je-
doch in Betracht ziehen , ob denn die bis jetzt als gültig allgemein an-
erkannte Ableitung durchaus frei von Hypothesen gewesen ist, oder ob
nicht auch diese auf gewissen Annahmen beruhe , denen man analoge in
der Gastheorie gegenüberstellen könne.
Die beiden Fundamentalgleichungen für die Fortpflanziing des
Schalles sind bekanntlich die folgenden:
dt« ~ \dx* ^ dy^ ^ de^J • ■ •• ■ ■ ^)
■nd:
^ = -vi-I 2)
and dieselben sind mit Hülfe des leitenden Gedankens entwickelt worden,
daas die Gasmassen aus ruhenden Theilchen bestehen , denen vom tönen-
den Körper periodisch sehr kleine Geschwindigkeiten mitgetheilt werden.
Nach der neueren Gastheorie aber denken wir uns, dass die Gase
nnd Dämpfe von Molecülen gebildet werden, welche sich mit sehr grossen
Geschwindigkeiten nach allen möglichen Richtungen hin bewegen und
gegen einander und gegen die Gefasswände fortwährend anstossen. Auf
nn solches System von Molecülen ist allerdings die frühere Betrachtungs-
weise nicht mehr anwendbar, und die oben erwähnten Differentialglei-
diimgen verlieren somit ihre Grundlage.
Da nun aber die alte Theorie des Schalles zu wichtigen Resultaten
gefuhrt hat, welche nahezu allseitig von der Erfahrung bestätigt sind,
Bo könnte man, da man sich schwer entschliessen wird, eine so viel-
seitig erprobte Theorie fallen zu lassen, leicht geneigt sein, die neuere
Gastheorie zu verwerfen. Denkt man sich nämlich ein Gas aus Molecülen
bestehend, welche silsh mit grossen Geschwindigkeiten durcheinander
V«rdet-Bflhlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. 2. 24
210 I. Moleculartheorie der Wärme.
bewegen, and deren Geschwindigkeiten nur dorcli gegenseitige Stöase^
oder dorch Stösse gegen feste Körper geändert werden, so erscheint es
unzulässig, anzunehmen, dass diese Molecüle in der Nähe eines schwin-
genden Körpers selbst in Schwingungen gerathen.
Nimmti man nun an, dass die Zeit, welche zu einem Stosse zweier
Molecüle oder eines Molecüles mit dem tönenden Körper erforderlich ütt
Null sei, so würde der schwingende Körper keinen wesentlichen Einflu
auf die bewegten Molecüle hervorbringen können, gleichviel ob derselbe
tönte, oder ob derselbe in Ruhe wäre. Es scheint demnach nicht nur, sh
ob in der neueren Gastheorie für fortschreitende Schallwellen keine Möglicb»
keit vorläge, sondern als ob sogar die Schwingungen eines tönenden Kö^'
pers keinen merklichen Einfluss ausüben könnten. Wäre aber ausserd«»
die fortschreitende Bewegung der Molecüle eines Gases die Ursache der
Fortpflanzung des Schalles , so müsste die Fortpflanzungsgeschwindigke^
des Schalles gleich der Geschwindigkeit sein, mit der die Molecüle selbii
fortschreiten.
Für die Geschwindigkeit des Schalles in einem Gase hat man aber
die Formel gefunden:
*'=«^''-V^
9l
und für die mittlere Geschwindigkeit der fortschreitenden Bewegung dv
Molecüle nach Glausius (man sehe S. 38, Gl. 9):
u = 485 . 1/ -^ — 4
r 274 . d ^
wenn T die absolute Temperatur des Gases und d dessen Dichte, die deC
Luft gleich 1 gesetzt, bezeichnet.
Beide Formeln, obgleich sie nicht identisch sind, zeigen eine
formelle Verwandtschaft.
Wesentlich anders gestalten sich ähnliche Betrachtungen, wenn
annimmt, dass die Zeit, welche zu einem Stosse nöthig ist, nicht, wie
sich häufig vorstellt, wirklich Null sei, sondern wenn man annimmt,
zu jedem Stosse eine, wenn auch äusserst kleine, so doch immeiliin \»
stimmte Zeit nöthig ist ^).
Zunächst erkennt man sofort, dass wenn jeder der ungemein
Anzahl von Stössen, welche in jeder kleinen Zeit zwischen den Mokefr
len erfolgen, eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, die Gesch windig
mit der sich der Schall fortpflanzt, geringer sein muss, als der Mil
werth der Geschwindigkeit, mit der sich die Molecüle fortschreitend
wegen. Der Unterschied zwischen den Werthen f> und u erklärt
hieraus sofort. Auch kann man dann nicht mehr annehmen , dass sifll
- _ I
^) Denkt man sich, dass irgend welche Kräfte zwischen den Moleciilen thfitig sial,^
so versteht es sich von selbst, dass die 2^it, während der sich zwei Molecüle in tei
gegenseitigen Wirkungssphäre bewegen, nicht vollkommen gleich Null sein kann.
G. Die Fortpflanzung des Schalles. 211
die Theile des tönenden Korpers in Beziehung zu den anstossenden Mo-
lecülen wie die eines mhenden Körpers verhielten, sondern man kann
behaupten, dass die Geschwindigkeiten, welche verschiedene Theile he-
sitzen, auf die Geschwindigkeit der anstossenden Molecüle einen Einfloss
oosaben werden. Die Geschwindigkeiten der reflectirten Molecüle werden
nämlich bald etwas grösser, bald etwas kleiner, als vor dem Stosse sein,
je nach dem der angestossene Theil des tönenden Körpers sich mit den
anstossenden Molecülen in entgegengesetzter oder in gleicher Richtung
bewegt Hieraus ergeben sich periodische Druckänderungen , welche auf
das Trommelfell übertragen werden und dort die Schallempfindung ver-
mitteln.
Selbstverständlich folgen sich diese Druckänderungen in denselben
ZdtintervaUen wie die Schwingungen des tönenden Körpers, und daher
rfihrt der unterschied zwischen hohen und tiefen Tönen. Die Geschwin-
digkeiten, mit denen sich die schwingenden Theile des tönenden Körpers
bewegen, hängen von der Amplitude dieser Schwingungen ab. Das
Gleiche wird auch mit den Druckänderungen auf dem Trommelfelle statt-
finden; dadurch erklären sich die Unterschiede, die wir als Intensitäts-
verscbiedenbeiten der Töne auffassen. Auch die mehr oder minder com-
plicirte Weise, in der jede einzelne Schwingung erfolgt, wird eine ganz
entepreohende Aenderung der Geschwindigkeiten der Molecüle und damit
iMich des Druckes auf das Trommelfell nach sich ziehen, und somit erklä-
ren sich auch in einfacher Weise die Unterschiede der Klangfarbe.
Man erkennt schon aus diesen vorläufigen Andeutungen, dass die
Fortpflanzung des Schalles kein Problem ist, dessen Erklärung aus der
äastheorie prinoipielle Schwierigkeiten entgegensteh^i.
2. Die Ableitung der anmdgleiohungeii für die Fort-
pflaaznng des Sohalles 0«
Der hier einzuschlagende Weg ähnelt dem ungemein, den zuerst
Clausius betreten hat, um die Wärmeleitung in einer zwischen zwei
parallelen Wänden eingeschlossenen Gasschicht zu untersuchen. Durch
die Ungleichheit der Temperatur bleibt die vorhin allseitig gleichartige
Yertiieilung der grösseren nnd kleineren Geschwindigkeiten auf die ver-
schiedenen Bewegungsrichtungen nicht mehr bestehen, sondern die von
der wärmeren Wand kommenden und sich nach der kälteren Wand hin
bewegenden Molecüle besitzen durchschnittlich eine etwas grössere Ge-
Bchwindigkeit, als die sich in entgegengesetzter Richtung bewegenden
Holecüle. Setzt man also die Bewegungen aller in fortwährenden gegen-
^ Wir folgen kier in der Hauptsache einer sehr interessanten Abhandlung von
J. L Hoorweg, Sur?la propagation du son apres la nouvelle th^orie des gaz. Archive
NMandaise«. Bd. U*^ S. 131 bis 177.
14*
212 I. Moleculartheorie der Wärme.
seiti^en Anstössen sich durchkreazenden Molecüle zusammen, so würde
noch eine kleine Geschwindigkeit übrighleiben, welche von der heisMren
nach der kälteren Wand hin gerichtet ist* Clausius hat gezeigt, auf
welche Weise, wenn man sich damit begnügt, för jede Richtung die mitt-
lere Geschwindigkeit zn bestimmen, man den Bewegnngszostand in einer
zwischen beiden Begrenznngsebenen liegenden Parallelschicht leicht er-
mitteln kann.
Der Einfachheit der Betrachtung wegen denkt man sich zunächst,
dass sich die Molecüle nach allen denkbaren Bichtungen mit gleicher
Geschwindigkeit bewegen. Wir wissen ja von früher her, dass diese
Vorstellung nicht ganz streng ist; wir fanden aber überall, dass sich die
auf Grund der Voraussetzung gleicher Moleculargesch windigkeit entwickel-
ten Formeln höchstens durch von der Einheit wenig verschiedene con-
stajite Factoren von den Ergebnissen unterscheiden, welche sich ergebeot
wenn man das der Wahrheit näher kommende MaxwelPsche Gesetx
über die Vertheilung der Geschwindigkeiten zu Grunde legt.
Dieser allseitig gleichen Geschwindigkeit fügt man eine für alle
Molecüle gleiche und gleichgerichtete Geschwindigkeitscomponente hinn,
die von der wärmeren nach der kälteren Wand hingeht Hierauf be-
stimmt man nach Clausius zunächst den Zustand der Molecüle, welche
eine bestimmte Schicht aussendet, hierauf den der in der Schicht enthal'
tenen Molecüle und endlich mit Hülfe dieser beiden Grundlagen die
lebendige Kraft der Molecüle, welche in der Zeiteinheit durch eine belie-
bige Ebene hindurchgehen. In ihren wesentlichen Zügen lässt sich dieee
Betrachtungsweise auch auf den hier zu untersuchenden Fall anwenden.
AehnUch wie die Geschwindigkeit der Molecüle eines Gases duth
die heissere Wand beeinüusst wird, wirkt auch die Oberfläche des tönen-
den Körpers. Um den Bewegungszustand der Gasmolecüle in der Nähe
eines tönenden Körpers zu finden, fügen wir der anfanglich gleichen nach
allen möglichen Seiten hin gerichteten Geschwindigkeit eine kleine sof
der tönenden Fläche normale Geschwindigkeitscomponente hinzu, welche
für alle in der nämlichen Schicht befindlichen Molecüle gleich ist, und
ihren Ursprung den Schwingungen des tönenden Körpers verdankt.
Wir denken uns der Bequemlichkeit der Rechnung wegen diesen
tönenden Körper als eine sehr kleine Kugeloberfläche, deren Mittelpunkt
wir zum Ursprünge eines rechtwinkligen Coordinatensystemes wählen.
Wir nennen die ursprüngliche, für alle Molecüle gleich angenommene
Geschwindigkeit der fortschreitenden Bewegung u und die Gomponente
dw
derselben nach den drei Coordinatenaxen jp, 5 und w. Die Grossen -j^,
dw dw
-r-^, -r^ mögen die Componenten der durch die Schallbewegung hinin-
tretenden Geschwindigkeit sein. Die Resultante dieser sammtlichen Ge-
G. Die Fortpflanzung des Schalles. 213
Bchwindigkeiten bezeichnen wir mit TJ and die Componenten derselben
mit P, 8 und W. Es ergeben sich somit die Gleichungen:
aas denen man ableitet:
^=!»- + (S)'+0' + (S)"
dx dy
dg)! 2
+ 2«'- dl} «)
Dies ist der Ausdruck für die Geschwindigkeit der durch die Schwin-
gungen der Schallquelle geänderten Bewegung der Molecüle.
Bezeichnet man femer mit A den Cosinus des Winkels, den die Be-
wegongsrichtnng eines Molecüles mit der X-Axe einschliesst, ehe die
Schallquelle wirkt, und init fft den Werth, den dieser Cosinus annimmt,
wenn die Bewegungen der Molecüle durch gleichzeitig stattfindende
Schwingungen der SchallqueUe geändert werden, so gilt noch die Glei-
chung:
^.^ = „.A+1| 7)
Um zu ermitteln , auf welche Weise die Molecüle auf die verschie-
denen Bewegungsrichtungen vertheilt sind, denken wir uns eine Kngel-
oherfläche mit dem Radius 1 gezogen. Analog mit dem schon früher
Ton Clausias eingeschlagenen Verfahren würde dann die Anzahl Mole-
cüle, die sich in Richtungen zur X-Axe bewegen, deren Cosinus zwischen
1 und k'\- dX liegt, von der Gesammtzahl der Bruch — c?A sein, so lange
die Schallquelle nicht mit wirkt. Denken wir uns aber, dass der tönende
Körper schwingt und seine Bewegungen die der Molecüle beeinflussen, so
steht die Anzahl Molecüle, deren Cosinus zwischen /t und ^ *f ^fi* liegt,
zur Gesammtzahl in demselben Verhältnisse, in welchem:
zur Einheit steht.
(Im diese Grösse H zu finden, hat man bekanntlich nur zu beachten,
dass der Cosinus A durch die Hinzufiigung der Geschwindigkeit — in
den Cosinus fi übergeht, so dass dieselbe Anzahl Molecüle, deren Bewe-
gungsrichtung vorher zwischen der Grenze X und k -\- dX lag, nunmehr
zwischen der Grenze ^ und fi -|~ ^^ enthalten ist. Hieraus folgt, dass:
214 I. Moleculartheorie der Wärme,
oder:
-=s "
ist.
Nach der vorhin erwähnten Gleichung 7) ist aber:
A= ^
u
und somit:
ü u du
H=- + ^ '^ 9)
Wir betrachten nun eine irgendwie begrenzte Flächeneinheit, welche
in einer zur X-Axe im Abstände x gezogenen Normalebene gelegen ist
und construiren ausserdem eine durch eine parallele, um dx von der vori-
gen abstehende Flächeneinheit begrenzte Schicht. Dann ist dx das
Volumen dieser Schicht und N.dx die Anzahl der in derselben enthalte-
nen Molecüle, wenn N die Anzahl Molecüle bezeichnet, die in eber
Yolumeneinheit an dem betrachteten Orte enthalten sein würde. Voi
diesen N . dx Molecülen bewegen sich aber:
— ' N . H . dx . dfi
9
unter Winkeln zur X-Axe, deren Cosinus zwischen f( und fi-}- dii liegei.
Um zu ermitteln , wie viele Molecüle in der Zeiteinheit durch die
zuerst genannte Flächeneinheit hindurchgehen, muss man die iSeit ii
Betracht ziehen, welche jedes Molecül braucht, um durch die Schicht hin-
dx
durch zu gehen. Diese Zeit ist =l- Die Anzahl Molecüle, welche sid
** (i . ü
in einem gegebenen Augenblicke in der Schicht befinden, verhält sich n
der, welche in der Zeiteinheit durch diese Schicht hindurchgehen, wie die
vorhin genannte kleine Zeit zur Zeiteinheit. Man muss den Ausdruck
r- ' H . N . dx . du demnach durch =. dividiren, um die Anzahl Mo-
2 ^ yk . U
lecüle zu erhalten, welche in der fi Richtung in einer Secunde durch die
gedachte Flächeneinheit hindurch gehen.
Man findet somit für die Gesammtzahl Molecüle, welche in alleo
möglichen Richtungen durch die Schicht hindurchgehen:
+ 1 +1
N . H . dx . d(l ^ , xTTTrr J
^ — = - . / N . H . ü . II . dfi.
f* • ^
— 1
Nach den Gleichungen 7) und 8) ist diese Anzahl gleich:
6. die Fortpflanzung des Schalles. 215
— 1
das8, wenn man die Gasdichte im hetrachteten Punkte mit Q hezeich-
tet, die Masse der Molecüle, welche in einer Secnnde durch diese Flächen-
linheit hindurchgehen, durch den Ausdruck:
dtp
Hargestellt wird.
I In gleicher Weise findet man, dass die Massen der Molecüle, welche
■D der Zeiteinheit durch eine im Ahstande y zur Y-Axe normale Flächen-
einheit hindurchgehen, gleich:
ist
Für eine im Abstände xr normale Flächeneinheit beträgt diese Masse:
Wir constmiren nun femer in einem Punkte, der durch die Coor*
dinaten x, y, e bestimmt ist, ein Parallelepiped, von dem drei in diesem
Paukte zusammenstossende Kanten gleich da?, dy, de sind. Durch die
eine zur YZ-Ebene parallele Begrenzungsebene dieses Parallelepipeds
greht demnach in der Zeit dt eine Anzahl Molecüle, deren Masse:
g - ^ , dy , dz .dt
betragt Durch die zweite geht:
('■!!)■
p • TT^ + — ^ ^ ^'^^ ' dx\ . dy . de , dt.
^ dx ox '
Der Ueberschuss der ersten Masse über die zweite ist:
^-^ ' dx . dy . de . dt.
dx
Auf gleiche Weise findet man den Ueberschuss der Massen der Mo«
lecüle, welcher durch eine der 2F-£bene parallele Ebene mehr hin-*
durchgeht, als durch die andere, gleich:
(-Ü)
dx , dy . de . dt
de
Endlich erhält man für den Ueberschuss, der durch die eine dei|
216
L Moleculartheorie der Wärme.
Ebenen, die der XZ-Ebene parallel sind, mehr an Molecülmassen bin-
durchgeht, als durch die andere:
HI)
dx , dy . djs . dt
Die Summe dieser drei Ausdrücke, diyidirt durch das Volumen des
Parallelepipeds, giebt die Dichtenänderung in dem Punkte, dessen Coat'
dinaten X, y, s sind; dieser Quotient ist demnach der partielle Differential-
quotient der Dichte nach der Zeit, so dass man die Gleichung aufstellen
kann
8e
dt
ZU-
+
('■l!),Kvlf)/
(-1?)
dx
dy
dz
= 0 . 10)
Die Dichtenänderungen werden naturgemäss nur sehr klein seiiil
können, und demnach wird man:
Q = Q,.(l+Y) 11)1
setzen können, wobei y die sehr kleine Verdichtung bezeichnet. Aberj
dw
auoh die Werthe tt^ etc. werden sehr kleine Grössen sein , so dass man
dx
ohne wesentlichen Fehler Ausdrücke von der Form y - tt^ u. b. f. wiidl
»irernachlässigen können. Berücksichtigt man die?, so nimmt unsere Glei«
chung die Form an:
dy 8«qp 8«y 8«y _ ^
dt
dx^
(^y
3
8^»
1!
d(p
Untersuchen wir nun zunächst, was die Ausdrücke -^ u. s. £ b6-|
ox
deuten. Dieselben rühren her von der Schallquelle und sind nichts An-
deres, als die Geschwindigkeiten der schwingenden Theile des tonendes 1
Körpers, modificirt durch den Umstand, dass die von der kleinen schwin-
genden Fläche ausgesendete lebendige Kraft sich allmählich über immer
grössere und grössere Bäume ausbreitet. Diese Grössen lAüssen dem-
nach goniometrische Functionen von It — - j sein, dividirt durch irgend
eine Potenz der Distanz, so dass man für (p z. B. eine Form ähnlich
der folgenden vermuthen könnte:
V='
"-{¥•(' -91
f»
oder vielmehr, da wir vorausgesetzt haben, dass die Schwingungen von
einer kleinen Körperfläche ausgehen, deren Badius d ist, von der Form:
G. Die Fortpflanzung des Schalles. 217
«P = Ljil_l; L_^ 13)
Hieraus folgt, wenn l die Wellenlänge bezeichnet:
und da dieser Ausdruck für r = ö die Geschwindigkeit V der schwin-
genden Kugelfiäche gehen muss, so erhält man:
^, 1 l2nC . 27tt nC 2nt\ ,^.
K = — • {-^ • 8in -7= ' €08 —=-\ ... 15)
Für die auf der Oberfläche vertheilte lebendige Kraft ergiebt sich
der Werth:
2nm . l,-^ ■:;— . . stn» -t;^ + — :;^ . cos» _ - ^ ^,^_,
f 4 «a . C« . _ 2 Ä< , n« ,
. 2 9r< 2ni
stn —=- • cos
Will man vermeiden, dass nach Ablauf der Zeit — T die kinetische
4
Energie wegen der Kleinheit von 6 auf der Oberfläche unendlich gross
werde, so muss man:
2n — 2 = 0
oder:
n = 1
setzen.
Daraus folgt:
r
vorin jP irgend eine periodische Function ist. Alsdann ist:
8*9 8»9 8»q5 ^y~y .
8«» "^ 8y» "^ 8«» r . «;» • • • • • U
so dass:
8y_ J?"
9) = --^ .16)
oder:
^,— , 18)
dt r , v^
y = -l.|? 19)
^ v^ dt '
^d somit:
218 I. Moleculartheorie der Wärme.
ii=-ca+0+s) ^
wird.
Wir gelangen somit auf dieselben Fondamentalformeln 1) und 2)
(S. 209) zurück , welche immer als Ausgang für die Entwickelong der
Theorie des Schalles gedient haben.
Die Function fp hat jedoch jetzt eine etwas andere Bedeutongfik
vorher. Die Differentialquotienten nach x^ y^ e sind jetzt nicht mdir
die Componenten der wirklichen Geschwindigkeiten der Molecüleder
Luft, sondern es sind die Componenten der Aeuderungen, welche die wirk-
lichen Geschwindigkeiten durch die Einwirkung der SchallschwingiuigeD
erleiden.
3. Einige weitere Consequenzen.
Aus den Ausdrücken, welche wir für die Massen der Molecüle erbal- 1
ten haben, die in einer Secunde durch eine einer GoordinatenebeiM ]
parallele Flächeneinheit hindurchgehen , und aus der Natur der FQD^j
tion 9 folgt, dass, wenn man sich um die Schallquelle eine concentriflclie i
Kugelfläche mit dem Radius r construirt denkt, die Masse der MolecöKj
welche in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit dieser Kugelfläche 1ub>
durchgeht, durch:
^ or
ausgedrückt werden kann.
Daraus ergiebt sich der Vorgang, welcher stattfindet, ganz von selbst
Während unter gewöhnlichen Umständen in jedem Augenblicke ebeuM
viele Molecül.e in positiver als in negativer Richtung durch jede solcl»
Flächeneinheit hindurchgehen , ist dies nicht mehr der Fall , sobald die
Schallquelle tönt. Alsdann gehen durch jede, um diese Schallquelle cor
struirte Eugelfläche verschiedene Molecülmassen , deren Bistrag von der
dw
periodischen Function -^ abhängt.
In dieser etwas veränderten Auffassung wird man nach wie vor,
auch in der neuen Theorie, von kugelförmigen Wellen und schwingenda
Bewegungen reden können.
Die Verdichtung ist:
y = - .-IT-
1 dq) 1
v^ dt v^ .r
80 dass, wenn man beispielsweise:
q>= C .sin -^'(t — ^
^ {' - ;)•
6. Die Fortpflanzung des Schalles. 219
letst:
^ = -VT77t-''''-tV--v)
wird.
Daraus folgt, dass an jedem Orte eine Verdichtung kurz darauf in
eine Verdünnung ühergeht, und dass die Punkte, welche gleichzeitig den-
selben Verdichtungszustand zeigen, solche Punkte sind, deren Abstand
Tom Centmm n ^ v . T beträgt. Es besteht demnach eine regelmässige
Abwechslung Ton Verdichtungen, gerade so, wie man das schon immer
angenommen hat.
Ein Punkt bedarf noch der Erläuterung. Wir haben angedeutet,
dass dadurch, dass die Stösse eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, die
Holecalargeschwindigkeit u bei der Fortpflanzung des Schalles durch die
Geschwindigkeit r, die kleiner als u ist, zu ersetzen sei. Wir müssen
ans auch no<^ davon überzeugen, ob diese Annahme, dass jeder Stoss
eine gewisse Dauer besitze, nicht zu Widersprüchen führen könne.
Ist € der von einem Molecüle durchschnittlich zwischen zwei StÖssen
darcblaufene Weg, so ist die mittlere Anzahl von Stössen, welche ein
u
Holecül in der Zeiteinheit erfahrt, gleich — * Dauert nun jeder einzelne
Sioas die sehr kleine Zeit t, so wird in jeder Secunde durch die Stösse
die Zeit — • r in Anspruch genommen. Von diesem Zeitverluste aber
röhrt der Unterschied zwischen u und v her; demnach erhält man für
|ede Distanz r die Gleichung:
'- + '-
u u
u . t r
e V
U — V
oder:
«/ — «1
21)
u , V
Setzt man nun selbst die grösste für 0^ C. berechnete Zahl für u ein,
nämlich nach Clausius:
u = 485 m
und femer :
V = 332 m,
a = 0,00000007 m,
10 ergiebt sich:
r = 7 . 10 Secunden.
Die durchschnittlich zwischen zwei Zusammenstössen liegende Zeit d"
^ = 4= ^ '}^^ = 160 . 10" " Secunden.
Hiervon würde r beinahe — sein, was nicht sehr wahrscheinlich ist.
220 L Moleculartheorie der Wärme.
4. Die Bereolmung der Intensität
Vorstehende Betrachtaiigen sind fOr unseren Zweck infiofem eigoit*
lieh vollständig ausreichend, als sie zu den bekannten Formeln zurück-
geführt haben , auf welchen von Airy, Helmholtz und Anderen die
mathematische Theorie des SchaUes aufgebaut worden ist. Einige Punkte
•bedürfen jedoch ebenfalls noch einer etwas eingehenderen Untersuchuig»
Zunächst betrifft dies die Druckänderungen, welche auf dem Ttcrd-
melfelle durch die Schwingungen der Schallquelle hervorgerufen werdet.
Um die Anzahl Molecüle zu finden , welche in der Zeit dt auf du
Trommelfell treffen, betrachten wir zunächst wieder diejenigen, dem
Bewegungsrichtungen mit der Normalen auf die Membran Winkel eor
schliessen, deren Cosinus zwischen A und k -}- dA, liegen. Die aof das
Trommelfell normale Geschwindigkeitscomponente ist u . A. Znnädttt
stellen wir uns einmal vor, die Molecüle ständen ruhig, und das Trommel-
fell bewege sich in einer der Bewegungsrichtung der Molecüle entgegen*
gesetzten Richtung mit derselben Geschwindigkeit u . A. Dann durdh
liefe die Membran in der Zeit dt den Weg u . l . dt Wäre N die An-
zahl der in der Volumeneinheit enthaltenen Molecüle , so wäre die ZaU
der in der Zeit d t vom Trommelfelle getroffenen Molecüle gleich N.u,lAl
Der Stoss jedes A Molecüles übt einen Druck muk aus; der Druck p. (21»
den sämmtliche A Molecüle in der Zeit dt ausüben, ist demnach:
p .dt = N .m .u^ ,X^ * dt
Die Zahl n sämmtlicher A-Molecüle, d. h. der Molecüle, deren Cosiniii
zwischen A und k -\- dk liegt, verhält sich bekanntlich zur GesammtzahlÜJ^
wie -T dk : \, Demnach erhält man für den Gesammtdruck, der dmti|
i
den Stoss aller Molecüle, die in beliebiger Richtung in der ZeiteinbeÜj
auf das Trommelfell auftreffen, ausgeübt wird, die Formel:
2 J 6
0
Ist jedoch gleichzeitig ein tönender Körper vorhanden, so geht:
u in U, k in ft, dX in H . d(A und P in JP'
über und es wird:
P =
' jlP . [i^ , H . d(i.
2
0
Setzt man femer für Unnd ^ ihre Werthe aus Gl. 7) und Gl. 8) ein:
öx
G. Die Fortpflanzung des Schalles. 221
und:
m ergiebt eich:
P = N .m-
lr' + -lF + Q'l ->
Demnach ist die Druckänderung ^, welche durch die Schallschwin-
gnngen hervorgebracht wird, wenn man berücksichtigt, dass:
N . m z= Q
ilt, gleich:
Da man seiner Kleinheit wegen im Allgemeinen den Werth ( -^ 1
remachlassigen können wird, so ist angenähert:
^/ = n . w . I? 25)
or
Um einen allgemeinen Ausdruck für die Intensität zu erhalten, be-
gtimmen wir, ähnlich, wie dies schon von Grinwis^) geschehen ist, die-
wlbe nach der Formel:
t + T
J=\'f^ .dt
und:
i
Hierin führt man für z/ seinen Werth ein, nämlich:
Beachtet man, dass:
p = ^0 + Po . y
— _ 1 ^
it, 80 ergiebt sich zunächst:
z/=Po-j«-gf + (g|) --.^-^^ ... 26)
Nimmt man nun, wie dies schon vorher einmal geschehen ist, für fp
len speciellen Werth an:
9 =
c.«»jV(.-Di
^) Grinwis, Sur la propap^tion libre du son; Archives n^erlandaise». Bd. 10.
222 I. Moleculartheorie der Wärme.
so ist im Besonderen:
dw 2nC {2n / r\\ C . f2« / r\]
8? = -rT7-^^Mi^'v''i;))""^'^Mi^'V"^)l
und:
dw 2itC \2n / r\\
Hieraus folgt nach zahlreichen zum Theil umständlichen Ausredh
nungen, auf die wir nicht weiter eingehen wollen:
Nach dieser Formel hängt die Intensität des SchaUes von der Wd-
lenlänge {=&. Tab und nimmt rascher ab, als der reciproke Werth da
Quadrates der Entfernung, da auch noch das Glied:
2r*
vorkommt.
Hoorweg hat auch den Einfluss untersucht, den die Wirkung der
Schwere auf die Fortpflanzung des Schalles ausübt, wenn der Gosm«
des Winkels, den die Fortpflanzungsrichtung des SchaUes mit der YeHk
calen einschliesst, x ist. Er findet, wir wollen hierauf nur beiläufig to^
weisen^), in diesem Falle:
Po . C«
r = J Ar
n 1_^|
P — 2r»j
wenn:
4 3r2C» . C«
X
die Intensität in dem Falle bezeichnet, dass man auf den Einfluss
Schwere auf die Bewegungen der Molecüle des Gasee keine Ru
nimmt.
Man erkennt leicht, auch wenn man auf die Details dieser Foi
nicht näher eingeht, dass in diesem Ausdrucke der Thatsache Becfani
getragen ist, dass sich der Schall mit grösserer Intensität von unten
oben als in entgegengesetzter Richtung fortpflanzt.
Auch die Fortpflanzung des Schalles lässt sich demnach in einer
den Thatsachen vollständig entsprechenden Weise aus den Grundlagen dff
dynamischen Gastheorie erklären, und auch der letzte Einwurf gegen die«
Theorie ist somit erledigt.
^) Man sehe Archives n^erlandaises. Bd. XI, S. 169 bis 177.
G. Die Fortpflanzung des Schalles. 223
4. Sohlussbemerktingeii.
£iQ nicht unerhebliches Bedenken gegen den physikalischen Aus-
gang der Hoorweg' sehen Theorie der Verbreitung des Schalles in gas-
förmigen Medien scheint darin begründet zu sein, dass nach derselben
eine Abhängigkeit der Grosse der Fortpflanzungsgeschwindigkeit Sl von
der Gasdichte stattfinden müsste, welche doch thatsachlich nicht vor-
banden ist.
Erfahrungsgemäss ist:
a = c .V,
wenn v die mittlere Translationsgeschwindigkeit des Molecüles des Gases
bedeutet, und C eine für alle Gase nahezu gleiche Constante ist.
Es ist nämlich bekanntlich (Bd. 1, B, 12, S. 279):
mid (nach Bd. 2, C, 12, S. 79, Gl. 49):
•=VH
und demnach:
\ Sl = v.y^x 29)
Hieraus folgt, dass fCbr Luft, Sauersto£F, Stickstoff etc., für welche
nach Röntgen:
. * = 7 = 1.405,
r C„
Ä = 0,743 . V
ist
Die Hoorweg'sche Theorie stützt sich bekanntlich darauf, dass zu
jedem Stosse eine gewisse, wenn auch sehr kleine Zeit t nöthig sei Es
ist nim an sich nicht wahrscheinlich , dass diese Zeit t in irgend einer
Weise yon der Anzahl N der Molecüle abhängig sei, welche in der Vo-
lomeneinheit vorhanden sind. Bei grosserer Gasdichte geschieht aber
die Uebertragung des Geschwindigkeitsüberschusses , welcher von der
schwingenden Fläche den Gasmolecülen ertheilt wird, durch den Zusam-
menstoss einer grosseren Anzahl von Molecülen, als wenn die Gasdichte
geringer ist. Hiemach müsste auch, da die Anzahl der Zusammenstösse
wächst, die zur Uebertragung nöthige Zeit zunehmen, was den thatsäch-
liehen Verhaltnissen nicht entspricht.
Mit Ausnahme der Formel 21) wird übrigens der mathematische
Theil der Hoorweg'schen Entwickelungen durch diesen Umstand gar
i
224 I. Moleculartheorie der Wärme.
nicht berührt, da diese Theorie nur erklärt, dass anch in der kinetisclia
Grastheorie Schallwellen, in dem Sinne von periodisch sich folgenden Y«^
dichtungen und Verdünnungen, möglich sind, und dass man zu diesem
Zwecke nicht genöthigt ist, den so vagen Begriff der Elasticität des Gasei
9U Hülfe zu nehmen.
Für den Mechanismus der Verbreitung des Schalles giebt ToWer
Preston^) eine viel anschaulichere Vorstellung, deren mathematische
Consequenzen von Maxwell gezogen und im Wesentlichen mit der &
fahrung übereinstimmend gefunden worden sind.
Denken wir uns eine in einem Gase befindliche Ebene in Sdull-
schwingungen begriffen und betrachten die Verbreitung des Schalles in
der zur Ebene normalen Richtung, so wird dies zur Feststellung der
mechanischen Vorgänge, auf denen die Fortpflanzung der SchallwelleB
beruht, genügen.
Bei der Schwingungsbewegung der Ebene aus der Ruhelage in d«
Gas hinein, ertheilt die Ebene den an dieselbe anstossenden Gasmolecälei
grössere zur Ebene normale Geschwindigkeitscomponenten, als dieselbe
vor dem Stosse besass. Diese Molecüle bewegen sich also bis zu ifaren
nächsten Zusammenstosse mit anderen Gasmolecülen mit durchschnittM
grösserer Geschwindigkeit von der Ebene weg und kehren im Allgemein
neu nach dem Stosse mit normaler mittlerer Geschwindigkeit zurück
Die nach der Wand sich hinbewegenden Molecüle treffen ausserdem die>
selbe nach einem kürzeren Wege, weil letztere sich ihnen entgegenbewegl
hat. Dadurch entsteht eine Verdichtung, welche sich in den Gasmolecälei>
fortbewegt,' da für immer weiter von der Wand entfernte Schichten die
mittlere Weglänge in der Bewegungsrichtung von der Wand weg grosser
ist, als in entgegengesetztem Sinne.
In dem darauf folgenden Zeitabschnitte, welcher gleich der HilAi
der Schwingungsdauer der schwingenden Platte ist, muss im GegentheO
die mittlere Weglänge der Molecüle der der Wand zunächst befindliches
Schichten nach der Wand hin grösser sein, als in entgegengesetzter
Richtung, und es muss eine Verdünnung erfolgen, welche sich nun eben-
falls von Schicht zu Schicht durch das Gas verbreitet, da jede Schicht,
um einen rohen Vergleich zu gebrauchen , sich gegen die Molecüle der
weiter von der Wand abstehenden Schichten ähnlich verhält, wie die
Wand selbst gegen die benachbarten Schichten.
Maxwell hat, wie in einer der oben citirten Abhandlung beigefilgfen
Anmerkung mitgetheilt wird, diesen Gedanken mathematisch weiter Te^
folgt und findet, dass für einatomige Molecüle:
£i. = y^'V 30)
^) Toi V er Preston, Mode of the propagation of soünd and the physical conditio!
deteraiining its velocity on the basis of the kinetic theory of gases. Phil. Mag. 5. Serie.
Bd. 3, S. 441 bis 453 (1877).
G. Die Fortpflanzung des Schalles. 225
d. h.:
Ä='0,74.tr
Bein müsse.
Nach den Versachen von Enndt nnd Warburg^) über die Fort-
pflanznngsgeschwindigkeit des Schalles in dem einatomigen Quecksilber-
gase ist aber för diese Substanz x = 1,67, und hiernach findet man
nach Gl. 29):
ß = 0,81 . t7,
80 dass nur eine angenäherte Uebereinstimmupg constatirt werden kann.
Die Yerdichtungen und Verdünnungen würden sich in einem Gase
mit derselben Geschwindigkeit fortpflanzen, mit der im Mittel die fort-
schreitende Bewegung der Molecüle erfolgt, wenn sich sSmmtliche Mole-
cüle genau in der Richtung bewegten, in der die Wellenbewegung im
Gase sich fortpflanzt. Da sich die Molecüle aber nach allen möglichen
Richtungen hinbewegen, so kommt im Allgemeinen nur eine nach der
Fortpflanzungsrichtung des Schalles genommene mittlere Componente der
Molecularbewegung zur Geltung, und daher muss nothwendiger Weise
die Schallgeschwindigkeit geringer sein , als die mittlere Molecular-
geschwindigkeit. An einer zuverlässigen theoretischen Ableitung der
zwischen beiden bestehenden Beziehung aus den Grundlagen der kineti-
schen Gastheorie fehlt es jedoch bis jetzt ^).
Immerhin zeigen sämmtliche vorstehenden Betrachtungen, dass die
Einwürfe, welche von verschiedenen Seiten gegen die dynamische Gas-
theorie erhoben worden sind, unberechtigt waren, und dass man schon
jetst imstande ist, nahezu alle auf Gase bezügliche Erfahrungsthatsachen
ans dieser Theorie in befriedigender Weise zu erklären.
Wenn es bisher nicht überall gelungen ist, eine absolute Ueberein-
stimmung zwischen Theorie und Erfahrung herzustellen (Temperatur-
gesetze, Wärmeleitung), so liegt dies vorzugsweise daran, dass wir noch
nicht im Stande gewesen sind, eine ganz beledigende Annahme über
die Wirkung aufzustellen, welche zwei einander sehr nahe gebrachte Mo-
lecüle auf einander ausüben, und dass es noch nicht gelungen ist, auf
Rechnungswege auch die intramolecularen Bewegungen in genügender
Weise zu berücksichtigen.
Dass wir auf äussere Kräfte, die auf die Gase wirken, bisher gar
keine Rücksicht genommen haben, rechtfertigt sich wohl dadurch, dass
man sich anfangs überhaupt mit dem Einfachen begnügen muss; ausser-
dem aber steht zu erwarten, dass die Berücksichtigung solcher äusseren
Kräfte keine wesentlichen Aenderungen in unseren Schlussfolgerungen
herbeiführen wird. Boltzmann hat in einer werthvollen Abhandlung,
^) Poss- ^^' Bd« 1^7, S. 368.
^) Die beiden Abhandlangen von: Brussoti, Riflessi salla transmissione dei suoni
e soft correlaxione colla velociti molecolari dei corpi. Ann. scientif. del R. Ist. Teenico
<ti Paria 1874/^5, S. 171, und Ton Roiti, La velociti teorica del suono e la velocitA
molecolare d^ gas. Nnovo cimento, 2. Serie, Bd. 16, sind mir nicht zngünglich gewesen.
Verdet-Bühlmannf Mechao. Wftrmeiheorie. Bd. 3. ]^5
226 I. Molecidartheorie der Wärme.
betitelt: „lieber das Wärmegleicbgewicht von Gasen, auf welcbe äussere
Kräfte wirken" ^), gezeigt, daes dnrcb die Einwirkung äasserer Kräfte,
z. B. der Schwere, weder die Wahrscheinlichkeit der yerschiedenen Bicb-
tangen noch der yerschiedenen Grössen der Geschwindigkeiten, sondern
lediglich die Dichtigkeit in den yerschiedenen Yolqmenelementen be^n-
flusst wird. Wir müssen nns an dieser Stelle damit begnügen, auf diese
interessante Abhandlang aufmerksam gemacht zu haben.
H. Ueber die Natur der Molecüle.
1. Quersohnitte der Molecüle.
Die früher (Bd. 2, I, C, 11, Gl. 45, S. 77) für die mittlere WegUnge
eines Molecüles gefundene Formel:
1 A3
W^^^* *'
gestattet uns , eine wichtige Dimension der Molecüle zu berechnen, iiäm-
lich deren Querschnitt und damit zum ersten Male eine Grösse zu fioden,
welche über die absoluten Maassyerhältnisse dieser kleinsten Bestand*
theile der Gase Aufklärung giebt.
In dieser Formel bezeichnet k die mittlere Weglänge, d den mifi'
leren Abstand zweier Molecüle, Q den Radius der Wirkungssphäre. Mid'
tiplicirl man auf der rechten Seite in der Gleichung 1) Zähler und Nen-
ner mit N, der Anzahl der in der Yolumeneinheit enthaltenen Molecüüt,-
und beachtet, dass:
sein muss, so findet man:
Da nun aber der Radius der Wirkungssphäre der nächste Abstsni
der Schwerpunkte zweier Molecüle bei ihrem Zusammenstosse ist, s»
wird, wenn man die Molecüle als Kugeln ansieht, welche sich beim Stossl
mit ihren Oberflächen berühren , der Radius eines Molecüles die Hälftig
yom Radius der Wirkungssphäre sein müssen.
Allerdings wird man im Allgemeinen nicht berechtigt sein, die Mo-
lecüle als Kugeln anzusehen, und streng, genommen würde es nur daim
zulässig sein, den Radius eines Molecüles gleich der Hälfte des EAdios
^) Separaiabdruck aus dem 72. Bande der Sttsungsber. der Wiener Akad. U. Ai^
(October 1875), 20 Seiten.
H. üeber die Natur der Molecüle.
227
der Wirkungssphäre zu setzen; aber immerhin wird man sehr nahe ver-
gleiehbare Zahlen erhalten, wenn man von einer derartigen Annahme
aasgeht) weil man selbst bei nicht sphärischer Gestalt — als den mittle-
ren Badins ansehen kann.
Die Grösse — ^ . ;r . 9' repräsentirt die Summe der Querschnitte
Bämmtlicher in der Yolumeneinheit enthaltenen Molecüle.
Nachstehende Tabelle enthält fElr einige Gase diese Grösse in Qua-
drstcentimetem , bezogen auf die im Cnbikcentimeter enthaltenen Gas-
molecüle.
-
Chemiscbe
■ Fonnel
Dichte
d . 773,3
Molecnlarge-»
scbwindigkeit 0
bei 0® in met.
Reibongs-
coefficient
bei Oo
Mittlere Weg-
länge V) bei
1 Atmospb.
in cm
Summe der
Molecular-
qoerscbnitte
in qcm
flKTStoff . . .
Ha
0,0693
1698
0,000094
0,0000194
9100
Nntoff . . . .
0»
1,106
425
0,000202
0,0000104
16900
1
—
1,000
447
0,000182
0,0000099
—
ibtoff . . . .
Na
0,971
453
0,000178
0,0000098
18000
iiiiozyd . . .
CO
0,968
454
0,000176
0,0000097
18200
ivzyd • . • .
NO
1,039
438
0,000177
0,0000094
18800
^fpA . . . ,
CH4
0,555
600
0,000112
0,0000082
21600
Boolak . . .
H3N
0,597
579
0,000103
0,0000072
24600
«wusentoff .
HCl
1,247
400
0,000149
0,0000073
1
24200
ifinsftore . • •
COa
1,529
361
0,000150
0,0000066
26700
ioxydul . . .
NaO
1,520
362
0,000149
0,0000066
26800
acrdampf . .
HaO
0,623
566
0,000097
0,0000067
26400
irefelvassentoi
r HjS
1,191
409
0,000124
0,0000062
28500
Ivlen . . . .
C2H4
0,975
453
0,000102
0,0000056
31600
«effige SXare .
SO9
2,247
298
0,000132
0,0000048
36700
ir
Cla
2,450
286
0,000139
0,0000048
36700
«nnethjl . .
CHga
1,763
337
0,000110
0,0000045
39300
%
Ca Na
1,806
833
0,000102
0,0000041
43100
nithyl . .
. CaHßCl
2,219
300
0,000098
0,0000036
49100
^) Hierbei ist die mittlere Weglänge X nicht nach S. 85, sondern nach der strengeren Formel :
A =
1? . n
gerechnet. Daher rührt der Unterschied zwischen diesen und den auf S. 136 mitgc-
tkdlten Werthen.
15*
228 L Moleculartheorie der Wärme.
Da wir wissen (man sehe Bd. 2, C, 6, S. 56), dass die Dimensionen
der Molecüle im Vergleich zur mittleren Weglänge ansserordentlich kleine
Grössen sind, so können wir aus der yerhältnissmässig grossen Fläche,
welche die Summe der Querschnitte der in einem Cubikcentimeter ent-
haltenen Molecüle einnimmt, auf die über alle Begriffe grosse Anzahl
von Molecülen schliessen, welche in dem Räume eines tausendstel Liter
enthalten sein müssen.
Der Vergleich der vorigen nach ihrer Grösse geordneten Summen
der Molecularquerschnitte zeigt gewisse auffallige Beziehungen, auf die
wir aufmerksam machen wollen, ohne denselben jedoch erhebliches Ge-
wicht beizulegen.
Zur Beurtheilung der Zuverlässigkeit der gefundenen Ziffern mag
auf die Zusammenstellung der von verschiedenen Beobachtern für die
Beibungscoefficienten gefundenen Werthe (Bd. 2, S. 126 u. S. 127] hin-
gewiesen werden. Die von den besten Beobachtern für Lufb gegebenes
Werthe schwanken zwischen 188. 10"^ (Maxwell) und 167 . 10"*; <ii^ !
selben differiren also um ungefähr 11 Proo. ihres Werthes; die durch
Transspirationsversuche gefundenen Verhältnisse der Reibung^constanten
zeigen (zwischen Graham und v. Obermayer) Abweichungen bis zn
6 Proc, so dass, von den möglichen Fehlern in der Dichtenbestimmimg
ganz abgesehen, wohl Unsicherheiten bis zu 16 Proc. oder Ve des Be-
trages der Zahlen möglich sind und im Durchschnitt ungefähr 8 Proc. ,
betragen mögen.
Nach dem Avogadro'schen Gesetze enthalten gleiche Volumina ?e^
schiedener Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gleich vid
Molecüle. Für verschiedene Gase ist demnach die Zahl jY dieselbe and
die Verhältnisse der Querschnittssummen sind daher ohne Weiteres die
Verhältnisse der Querschnitte der Molecüle selbst.
Mit Rücksicht hierauf wird man die für Sauerstoff, Stickstoff, Kohlen-
oxyd und Stickoxyd, also die für zweiatomige Molecüle mit Ausnahme
des Chlors, Wasserstoffs und Chlorwasserstoffs gefundenen Zahlen alt
unter sich gleich und die für Wasserstoff gefundene Querschnittssumme
für halb und die für Chlor gefundene als doppelt so gross, als die eni*
genannten, anzusehen berechtigt sein.
Die dreiatomigen Molecüle der Kohlensäure , des Stickoxydais , dei
Wasserdampfes und des Schwefelwasserstoffs besitzen wiederum unter ein-
ander merklich gleiche Molecularquerschnitte und die Querschnitte derselben
verhalten sich zu denjenigen der Mehrzahl der zweiatomigen Crase wie
3 : 2. Eine Ausnahme hiervon macht jedoch die schweflige Säure, deren
Molecularquerschnitt gleich dem des Chlors ist.
In dieser Beziehung, welche zwischen den Molecularquerschnitten
der meisten dreiatomigen und der meisten zweiatomigen Gase stattfindest,
kann man vielleicht eine Andeutung dafür erblicken, dass in diesen Mole-
cülen die Atome einfach neben einander liegen, wie zwei, respective drei
sich berührende Engel d.
H. Ueber die Natur der Molecüle.
229
Eine besondere Stellung nehmen Ammoniak und Chlorwasserstoff
ein, ihnen schliesst sich vielleicht Sumpfgas an, denn das Mittel dieser
drei Zahlen verhalt sich zum Molecularquerschnitt der zweiatomigen Mole-
cüle ungefähr wie 4 : 3.
Ebenso ist man versucht, die Molecularquerschnitte des Aethylen,
der schwefligen Säure, des Chlors und des Chlormethyls wiederum als
gleich anzunehmen und für das Doppelte von denen der zweiatomigen
Molecüle • anzusehen.
Cyan scheint eine ganz isolirte Stellung einzunehmen, während man
den überaus grossen Molecularquerschnitt des sechsatomigen Chloräthyls
iür das angenähert Sechsfache vom Molecularquerschnitte des Wasserstoffs
zu halten versucht wird.
Der Uebersicht wegen stellen wir die aus den mittleren Weglängen
gefundenen Molecularquerschnitte zusammen mit den Zahlen, die sich als
Mnltipla des Molecularquerschnittes des Wasserstoffs ergeben:
Wasserstoff
H2 9100
statt
9000
= 1 X
9000
/Sauerstoff
Oa 16900
n
180001
zweiatomig
Stickstoff
Kohlettoxyd
Stickoxyd
Nj 18000
CO 18200
NO 18700
n
n
n
18000
18000
18000i
= 2 X
9000
Sumpfgas (?)
Ammoniak
CH4 21600
H3N 24600
n
24000
24000
= 5X
9000
Chlorwasserstoff
HCl 24200
n
24000
0
3
Kohlensäure
CO« 26700
n
27000
dreiatomig
Stickoxydul NaO 26800
Wasserdampf H^O 26400
Schwefelwasserstoff H2 S 28600
n
n
n
27000
27000
27OO0J
= 3 X
9000
Einen anderen Weg zur physikalischen Interpretation der gefundenen
Zahlen hat 0. £. Meyer ^) eingeschlagen. Er berechnet nämlich aus
den Querschnitten der Molecüle die der Atome und verwendet die so ge-
fundenen Zahlen, um daraus die Molecularquerschnitte einiger Yerbin-
dangen zu berechnen. Biese Rechnung würde nach den von uns ge-
fundenen Zahlen folgende Resultate ergeben:
9100 findet man den Atomquerschn. d. H = 4550
Aas d. Molecularquerschn. v.
H,=
1U
a.
a.
9 n
„ Oa= 16900
„ Na = 18000
» Cla = 36700
„ „ CO = 18200|
g Atomquerschnitte „ 0 = 8450)
„ Molecularquerschn. „ Hg S = 28600 1
„ Atomquerschnittte „ 2H= 9100J
jj Molecularquerschn. „80^=: 36700
„ „ 0^=16900
n
n
n
n
n
n
n
n
n
n
0= 8450
N= 9000
Cl = 18350
C= 9750
S = 19500
8 = 19800
Auch hier fällt es auf, dass die. Atomquerschnitte der drei Gruppen:
Wasserstoff einerseits, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff andererseits und
endlich Chlor und Schwefel sehr nahe zu einander im Yerhältuiss von
1:2:4 stehen. Es geht dies ans den vorher von uns angeführten Be-
*) 0. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase. Breslau 1877, S. 209.
230
I. Moleculartheorie der Wärme.
Ziehungen zwischen den Molecalarquersohnitten übrigens yon sellwt
hervor.
Aas den Atomquerschnitien kann man durch einfache Addition die
Molecularquerschnitte der Verbindungen berechnen und mit den direct
gefundenen vergleichen. Auf diese Weise erh< man:
Molecularquerschnitt
Substanz
direct
aus d. Atom-
gefunden
quencbn. her.
NO
18700
17450
CH4
21600
27950
HCl
24300
22900
COa
26700
26650
NaO
26800
26450
NH3
24600
22650
H2O
26400
17550
CH3CI
39300
41750
C2H4
31600
37700
Ca Na
43100
37500
CaHßCl
49100
60600
Man erkennt, dass bei den drei- und zweiatomigen Molecfilen, wie
nach dem früher Erwähnten zu erwarten war, im Allgemeinen eine leid-
liche Uebereinstimmung stattfindet (ausgenommen Wasser), dass jedod
bei den Uebrigen kaum von einem Einklänge beider Zahlenreihen di«
Rede sein kann.
Wir wollen übrigens nicht versäumen, darauf aufmerksam zu macheDf
dass man aus der Thatsache , dass die Molecularquerschnitte der zwei-
atomigen Molecüle sich zu denen der dreiatomigen Molecüle wie 2 : 3 t^
halten, schliessen muss, dass sich die Molecüle bei ihren translatoriscbeD
Bewegungen vorzugsweise in der Richtung bewegen , welche auf der
Verbindungslinie resp. Yerbindungsebene der Mittelpunkte der zum Ho-
lecül verketteten Atome senkrecht ist. Nur in diesen Richtungen findet
diese Querschnittsbeziehung statt, wenn man sich die Molecüle als aoi
neben einander gelagerten Atomen entstanden vorstellt. Die nicht voll-
ständige Uebereinstimmung der auf solche Wdise gerechneten Atomq1le^
Schnittsverhältnisse kann man sich auch dadurch erklären , dass man di«
Abweichungen dem Umstände zuschreibt, dass sich die Molecüle nidit
immer mit ihren grössten Dimensionen gegenseitig treffen, sondern dass
nicht selten auch Molecüle in den Richtungen anstossen, in welchen die
constituirenden Atome zusammenhängen, in welchen der Molecularq1Ie^
schnitt daher kleiner erscheint.
H. lieber die Natur der Molecüle. 231
Nor andeuten wollen wir, dass man über die Entfernungen der
Atome im Molecüle von einander und über die gleichzeitige Anwesenheit
vollständiger und zertrümmerter (dissociirter) Molecüle in einem Gase
noch mancherlei Schlüsse aus obigen Zahlen ziehen könnte. Mit Rück-
sicht auf die Yon uns mehrfach erwähnte geringe Zuverlässigkeit dersel-
ben wollen wir uns jedoch hier mit einem blossen Hinweise begnügen.
Z. Verhältnisse der Volumina und Durchmesser der
Moleoüle.
*
Id ähnlicher Weise kann man unter der Voraussetzung, dass es zu-
lässig ist, die Molecüle als Kugeln anzusehen, aus der Summe der Mole-
colarquerschnitte das Yerhältniss der Volumina und der Durchmesser der
Molec&le und schliesslich auch der Atome berechnen. Dabei sind wir
nns aber wohl bewusst, dass alle Bechnungen, bei denen man von den
Molecülen auf die Atome und wieder umgekehrt schliesst, gewisse innere
Widersprüche in sich bergen; diese sind darin begründet, dass man ein-
mal als Gestalt der Molecüle Kugelform und dann wieder aneinander-
gereihte Atome als Formen der Molecüle annimmt.
Interessant sind in dieser Beziehung die Resultate neuer Unter-
Buchmigen von Boltzmann^). Derselbe theilt mit, dass er gefunden
hat, der Quotient x der specifischen Wärmen eines Gases müsse l^s (wie
z. B. beim einatomigen Quecksilber) sein, sobald die Gasmolecüle als starre
Kageln anzusehen sind. Das Verhältniss x wird gleich 1,4, wenn die
Molecüle die Form von starren Botationskörpern haben, die aber keine
Ka|[eln sind, und x ist gleich iVa« wenn die Molecüle beliebig anders
gestaltete starre Körper sind.
Da nach dem bereits mehrfach genannten Ayogadro'schen Gesetze
unter sonst gleichen Verhältnissen gleiche Volumina Gas eine gleiche An-
zahl Yon MoleciQen enthalten, so ist die Zahl N der in einer Volumen-
einheit enthaltenen Molecüle für alle Gase dieselbe, und das Verhältniss
der gefundenen Molecülquerschnittssummen kann, wie schon im vorigen
Paragraphen bemerkt wurde, direct als das Verhältniss der Molecülquer-
Bchnitte selbst angesehen werden. Aus den Verhältnissen der Quer-
schnitte der Molecüle kann aber leicht das Verhältniss der Molecular-
durchmesser und Molecularyolumina gefunden werden. Die früher von
nns gefundenen Summen der Molecularquerschnitte zweier Gase, die wir
durch die Indices 1 und 2 unterscheiden wollen, sind:
jy . pi^ , Ä und N , Q2^ ' «.
^) Boltzmann, Ueber die Natur der Gasmolecüle. Pogg. Ann. Bd. 160, S. 175
bis 176.
232 * L Moleculartheorie der Wärme.
Ans dem Verhältnisse:
kann man, indem man die dreihalbte Potenz dieses Yerh&lbiisseB bildet:
N- ^ • Jt . Q»*
4
das Yerhältniss der Summen der Volumina der Molecüle oder der Vola
mina der Molecüle selbst berechnen.
In gleicher Weise kann man auch die Grösse :
99
der Verhältnisse der Moleculardurchmesser selbst bestimmen:
Setzt man in der einen Reihe das Volumen, in der anderen des
Durchmesser des Wasserstoffmolecüles gleich der Einheit, so erhält
nachstehende Zahlenreihe:
Chemische
Formel
Wasserstoff
Sauerstoff
Stickstoff
Kohlenoxyd
Stickozyd
Sumpfgas
Ammoniak
Chlorwasserstoff
Kohlensäure
Stickoxydul
Wasserdampf
Schwefelwasserstoff . . . .
Aethylen
Schweflige Stture
Chlor
Chlormethyl
Cyan
Chloräthyl
Ha
N
a
CO
NO
CH4
HgN
HCl
COa
NaO
H2O
HaS
C2H4
SOa
Clj
CHgCl
CaNa
Ca H5 Cl
Verhaltnisse der
Molecularvolumina
Moleculardorcl
1
2,5
2,8
2,8
2,9
3,7
4,3
4,4
5,0
5,1
5,0
5,6
6,5
8,1
8,1
9,0
10,2
12,2
1
1,4
1,4
1,4
1,4
1,5
1,6
1,6
1,7
1,7
1,7
1,8
1,9
2,0
2,0
2,1
2,2
2,3
H. üeber die Natur der Molecüle.
233
Mit Hülfe dieser Zahlen berechnen sich die:
Atomyolnmina Atomdurchmesser
0,5 0,5
1,25 0,7
1,4 0,7
4,06 1,0
1,55 0,7
4,6 0,8
Berechnet man hiernach durch einfache Addition die Molecular-
Tolninina nnd Moleculardurchmesser der Verbindungen und vergleicht
dieselben mit den direct gefundenen, so ergeben sich folgende Zahlen-
reihen:
f ür H =
n 0 =
N =
Cl =
C =
n
Chemische
Molecalarvolumen
MoleculardurchmesBer
Fonnel
direct
aus d. AtomTolumen
direct
aus d. Atomdurchm.
NO
2,9
2,65
1,4
1,4
HCl
4,4
4,55
1,6
1,5
HsN
2,4
2,9
1,6
2,2
COj
5,0
3,05
1,7
2,1
NaO
5,1
4,05
1,7
2,1
HsS
5,6
—
1,8
1,6 ■
SOa
8,1
7,1
2,0
—
HgO
5,0
2,25
1,7
1,7
CH4
3,7
3,55
1,5
2,7
CjNj
10,2
5,9
2,2
2,8
C3H4
6,4
5,1
],9
3,4
CH3CI
8,4
7,1
2,1
3,2
CjHßCl
12,2
9,65
2,3
4,9
Wie zu erwarten, ist in beiden Fällen für die zweiatomigen Mole-
cfde die Uebereinstimmung zwischen den aus den Atomzahlen berechne-
ten und den direct gefundenen Zahlen eine sehr befriedigende, so dass
man aus der gesammten Betrachtung wohl zu dem Schlüsse berechtigt
wird, dass viele zweiatomige Molecüle durch einfache Nebeneinander-
lagerong der Atome gebildet werden, denn nur dann sind Querschnitte,
Volumina und Durchmesser der Molecüle gleich der Summe der entspre-
ehenden Grösse der Atome.
Für alle übrigen Substanzen scheint eine Beziehung nicht wohl auf'«
^) Aus HgS und H2 berechnet.
234 L Moleculartheorie der Wärme.
stellbar; höchstens könnte man darauf einiges Gewicht legen, da» die
Moleculardorchmesser des Wassers nnd des ganz analog gebildetes
Schwefelwasserstoffs gleich der Samme der Atomdarchmesser sind. Hai
könnte hieraus auf eine Anordnung der Atomdurchmesser im Moleeök
in einer geraden Linie schliessen, wenn nicht die Beziehung zwischei
d^n Molecularquerschnitten beim Wasser dem widerspräche.
Beachtenswerth ist vielleicht noch die Thatsache, dass das Molecnlu^
Volumen des Grubengases sehr nahe gleich der Summe der Yolumina
seiner Atome ist.
Wir glauben daher kaum, dass man, wie dies 0. £. Meyer Zu-
nimmt, in diesen Zahlwerthen eine Bestätigung der Eekul ersehen Ar
schauuug erblicken darf, dass die Molecüle durch eine kettenartige Ver-
knüpfung der Atome gebildet werden.
Aehnliche Rechnungen zur Bestimmung des Molecularvolumens joi
Atomvolumens stellte früher schon Lothar Meyer') an. Er ging dabd
direct von der Formel für die Reibungsconstante 17 (Bd. 2 , I, D, 2,
S. 86, Gl. 8):
l m , V
^ ~" i" nTg^
aus, deren Coefßcient 0. £. Meyer') neuerdings genauer bestimmt hi^
so dass dieselbe lautet:
l m . V .
Hieraus folgt für zwei Gase, die wir durch Indicies 1 and 2 Imtc^
scheiden:
92^ f», . v^ Vi
Da nun aber bei gleicher Temperatur bei allen Gasen:
nti . Vi = m^ . v^
ist, so folgt hieraus, dass auch:
3
Führt man dies ein imd erhebt die Gleichung auf die ^te Potenz, so
ergiebt sich:
s
£1! _ MV . /5iY 4)
^) 0. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase. S. 215.
^) Lothar Meyer, Ann. der Chem. und Pharm. Supplementbd. 5, S. 129.
') O. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase, mathematische Zos&tze §. lA
S. 320.
H. Ueber die Natur der Molecüle.
235
Das Yerbältniss ^—i ist aber das Yerhältniss der Molecularyolumina,
imd dieses kann somit nach der vorbergebepden Formel 4) aus dem
Yerhältnisse der Massen der Molecüle, also aus dem Verhältnisse der
Holecalargewichte — und dem Quotienten der Reibungscoefficienten, also
•08 dem Transspirationscoefficienten — bestimmt werden.
Um einen directen Vergleich mit den von Kopp ^) für den flüssigen
Aggregatzustand erhaltenen Zahlen der Molecularyolumina der Elemente
«nd der Verbindungen zu erhalten, kann man mit Lothar Meyer für
das Molecularvolumen der schwefligen Saure den von Kopp gegebenen
Werth 42,6 einsetzen. Man erhält alsdann nachstehende Werthe für die
Molecolarrolumina :
Substanz
1. Wassejrstofi* . . .
' 2. Sumpfgas ....
3. Ammoniak . « .
4. Wasserdampf . .
5. Kohlenozyd • • •
6. Aethylen ....
7. SUckstofT ....
8. Stickozyd ....
9. Sauerstoff ....
10. Schwefelwasserstoff
11. Chlorwasserstoff
12. Kohlensäure . • .
13. Stickoxjdul . • .
U. Chlormethjl . . .
15. Cyan
16. Schweflige Säure .
17. Chloräthyl ....
18. Chlor
Chemische
Formel
Ha
CH4
H3N
HgO
CO
C2H4
Na
NO
Oa
HjS
HCl
COa
NjO
CHjCl
Ca Na
SOa
CaHja
Cla
Molecular-
gewicht
m
2
16
17
18
28
28
28
30
32
34
36,4
44
44
50,4
52
64
64,4
70,8
Reibungs-
coefficient
Molecularvolumen
nach Gl. 4)
nach Kopp
0,000094
5,3
0,000112
19,3
•
0,000103
13,1
0,000097
26,1
0,000176
14,9
0,000102
33,7
0,000178
14,6
0,000177
15,5
0,000202
13,4
0,000124
29,1
0,000149
23,3
0,000150
26,6
0,000149
26,8
0,000110
46,8
0,000102
53,7
0,000132
—
0,000098
66,9
0,000139
42,5
11
33
18,8
18,8
23,2
44
4,6
14,5
15,6
33,6
28,3
31,0
16,8
50,3
5C,0
42,6
72,3
45,6
1) Kopp, Ann. d. Chem. und Pharm. Bd. 96 (1855), S. 153 u. 303 und Bd. 100
(1856), S. 19.
236 L Moleculartheorie der Wärme.
Die Kop p' sehen Werthe der Molecalaryolnmina sind durch Addiü«
der Atomyolumina der Bestandtheile gefunden, und zwar nimmt denelb^
an, dass das Atomvolumen des
S = 22,6
C = 11,0
N = 2,3
Cl = 22,8
H = 5,5
CN = 28,0
0 = 7,8 (in HjO und Oj) = 12,2 (in CO, NO, N,0)
Oa = 20,0 (in CO» und SOj)
sei. Auf den Kopp 'sehen ähnliehe Zahleni*eihen, welche von L. Hey er
und Loschmidt herrühren und zum Theil auf anderen Annahmen ab«
die Werthe der Atomyolumina in flüssigen Yerhindungen beruhen, woUai
wir hier nicht weiter eingehen ^).
Die Uebereinstimmung der Molecularyolumina, welche sich aus dn
Kopp' sehen Untersuchungen des flüssigen Aggregatzustandes ergebet
haben und der aus den Reibungsy ersuchen abgeleiteten Zahlen ist nur ii
wenigen Fällen eine befriedigende. Bei einigen Substanzen scheinen j»>
doch die neben einander stehenden Zahlen auf ein einfaches Yerhältos
derselben hinzudeuten. Beim Wasserstoff ist es im gasförmigen ZusUoii
sichtlieh halb so gross, als im flüssigen. Beim Sumpfgas, Ammoniak ual
Eohlenoxyd scheinen die Volumina der Molecüle im gasformigen und m
flüssigen Zustande im Verhältniss yon 2:3 zu stehen. Bei Wasserdunil
und Stickoxydul scheint dagegen das reciproke Verhältniss stattzufindoL
Man braucht es auch kaum auffällig zu flnden , dass weder die as-
genäherten Gleichheiten, noch die Verhältnisse der in beiden Golonnei
stehenden Zahlen sonderliche Uebereinstimmung zeigen; es ist meiner
Ansicht nach mit yoUem Rechte zumal yon L. Meyer darauf hingewie-
sen worden, dass die yon Kopp für den flüssigen Aggregatzustand be-
stimmten Zahlen nicht wirklich die Volumina der Molecüle selbst, senden
diejenigen mittleren Volumina sind, in welchen jedesmal beim Siedepn&kl
der Substanz durchschnittlich ein Molecül enthalten ist.
Der Molecularbewegungen halber , auf denen die Temperatur der
Flüssigkeiten beruht, muss dieses Volumen stets grösser als das Volnma
des Molecüles selbst sein und kann auch in yerschiedenen Substanzes
höchstens ^ann streng yergleichbar sein, wenn dieselben zufällig gleiche
Siedetemperatur besitzen.
Auch die Grössen -■ brauchen nicht die Durchmesser der Molecöle
selbst zu sein, da es ja sehr leicht möglich wäre, dass die Molecüle schoi
^) Man sehe darüber die Originalabhandlungen von L. Meyer, Ann. d. Chem. aii4
Pharm. 5. Supplemtb. (1867), S. 129, and Loschmidt, Wiener SiUnngaber. Bd. 5S
(1865), Abth. 2, S. 395, und 0. £. Meyer, Kinetische Theorie der Gase, S. 219.
H. Ueber die Natur der Molecüle. 237
in einiger Entfernung einander abstossen, noch ehe sie sich wirklich be-
rfihrt haben.
Immerhin gestatten die mitgetheilten Zahlen, zu erkennen, dass der
TOD L. Meyer aufgestellte Satz: „Die AtomYolumina vieler Ele-
mente in ihren flüssigen Verbindungen sind den Räumen pro-
portionaly welche ihre Atome im Gaszustande erfüllen" wahr-
acheinlich der Wahrheit ziemlich nahe kommt.
3. üntersuohmigeii über die absoluten Orössen der
Molecüle.
Es sind sogar in neuerer Zeit mehrfach Rechnungen angestellt wor-
den, welche in der That geeignet erscheinen, über die Grösse der Mole-
eüle in absolutem Maasse einigen Aufschluss zu geben. Dieselben benihen
auf einem Vergleiche der Dichte im gasförmigen und im flüssigen Zu-
stande. Wir sind, wie wir schon einmal andeuteten, zwar nicht berechtigt
anzonehmen, dflss die Molecüle in einer Flüssigkeit so dicht zusammen
li^en, dass das Volumen der Flüssigkeit einfach gleich der Summe der
Tolamina der Molecüle selbst ist, sondern wir müssen jedenfalls voraus-
ietzen, dass das Volumen der Flüssigkeit nicht unerheblich grösser als
diese Summe ist. Nach allen Anschauungen, die wir uns über die Con-
stitation einer Flüssigkeit bilden können, so z. B. auch nach der von
Claasius gegebenen Vorstellung, welche wohl der Wahrheit am näch-
iten kommen dürfte (man sehe Bd. 2, I, C, 4, S. 39), müssen wir an-
nehmen, dass sich die Molecüle der Flüssigkeiten in lebhaften Bewegungen
liefinden und dass somit zwischen den Molecülen noch Zwischenräume
Torhanden sind, in denen diese Bewegungen stattfinden.
Wir werden also nur eine obere Grenze für das Molecularvolumen
finden, wenn man voraussetzt, bei einer Flüssigkeit im Zustande ihrer
groflsten Dichte sei das Volumen der Flüssigkeit gleich der Summe der
Tohmina der dieselben bildenden Molecüle. Bekanntlich fanden wir im
ersten Paragraphen dieses Capitels (S. 226) die Formel 2):
Hiernach folgt sofort:
Q = V2 N .n . Q^ .1.
Da nun aber -r- Q^ das Volumen ist, welches ein Molecül einnimmt,
6
10 igt:
i^.f P«
238
I. Moleculartheorie der Wärme.
das Volamen in der Yolumeneinbeit, welches Yon den Molecülen wirkÜek
eingenommen wird. Das Yerhältniss dieser Zahl zur Einheit beaeichidi
Loschmidt mit dem Namen Yerdichtnngscoefficient. Wir wollen fb
denselben den Buchstaben D gebrauchen; wir setzen also:
sr
N .jQ^=t>
5)
Alsdann ist:
Q = 6 . V2 .r) . X 6)
Für den Gondensationscoefficienten t) setzt man nun das Yerhaltaisl
der Gewichte der in gleichem Yolnmen enthaltenen Massen derselbei;
Substanz als Flüssigkeit im Zustande grösster Dichte und im 6ttit*|
stände bei normalem Drucke und normaler Temperatur (760 mm nid
0^ G.) ein. Es ist dies also das Yerhältniss der Gasdichte d\ einer
Substanz zur grössten Dichte D derselben Substanz als Flüssigkeit; beide'
Grössen auf dieselbe Einheit bezogen. Es ist dies : i
^ 7)1
t) ==
D
Für die condensirbaren Gase wird hierdurch die Bestimmung einer
oberen Grenze der Moleculardurchmesser möglich, wenn wir diese jeden-
falls etwas zu grossen Werthe von D einsetzen.
Die zur Rechnung dienenden Zahlen und das Ergebniss der For-
mel 6) zeigt nachstehende Tabelle ^):
Substanz
Formel
Dichtigkeit
gasförmig
d . 773,3
flüssig
im Max. d.
Dichte D
Conden-
sationscoef-
ficient
d
Mittlere
Weglänge
DnrduiM^
ser desMr'
lecniei
Wasser ....
Ammoniak . . .
Schweflige Säure
Schwefelwasserstoff
Cyan . . .
Chloräthyl .
Chlor . r .
Kohlensäure
Stickoxydul
Ha
H3N
SO2
HgS
C2N2
CaHßCl
CI2
CO2
NaO
0,623
0,597
2,247
1,191
1,806
2,219
2,450
1,529
1,520
1
0,650
1,49
0,9
0,87
0,92
1,33
1,00
0,96
0,00081
119
195
171
268
312
238
198
205
0,0000067 cm
0,0000072
0,0000048
0,0000062
0,0000041
0,0000036
0,0000048
0,0000066
0,0000066
10"' X
46 em
73
79
90
H
91
97
111
115
^) Die Maximaldichten der Flüssigkeiten sind der Zusammenstellung 0. £. üejcr^f
Kinetische Theorie der Gase, S. 226, entnommen.
H. üeber die Natur der Molecüle.
239
Hieraus findet man ferner folgende obere Grenzwerthe der Quer-
chnitte und der Volumina der Molecüle:
Querschnitt eines
MolecUles in qcm
Volumen eines
Molecules in cbcm
Molecnlargewicht
Ha = 2
f acser
üomoniak . . • .
^weaige Säure .
idiwefelwasserstoff
/jBn •
wUorathyl • . . .
3iIor
[bhlensanre . . •
i^koi^dal . . •
16 X 10
41
49
64
68
71
74
96
103
— 16
50 X W
200
263
332
426
453
478
711
788
— 24
18
17
64
34
52
64,3
70,7
44
44
Die in der yorhergehenden Tabelle zuletzt angeführten Molecular-
{ewichte lassen keine einfache Beziehung zu dieser oberen Grenze der
iolecalarvolumina erkennen ^).
i Die Verwerthung der genaueren Formeln für die mitt-
lere Weglänge von Olausius und van der Waals.
Bekanntlich hat Olausius eine strengere Formel für die mittlere
RTeglänge abgeleitet (man sehe Bd. 2, I, C, 8, Gl. 25, S. 62), und diese
lautet:
A = 4
(v-'jN.n.Q^^.v
Hierin ist v die mittlere Moleculargeschwindigkeit, r die mittlere
rehtiYe Geschwindigkeit zweier Molecüle, Q der Radius der Wirkungs-
sphäre eines Molecules , V das Volumen , s die Oberfläche des Gefasses,
in dem das Gas rieh befindet, und N die Anzahl der in der Volumen-
onlieit enthaltenen Molecüle. «.
' In dieser Formel ist in Rechnung g^ogen , dass die Molecüle sich
nicht in dem ganzen Räume frei bewegen können, sondern nur in
^, welcher von den Molecülen freigelassen ist, und darauf, dass die
SiioBse nicht bloss gegen andere Molecüle, sondern auch gegen die Wand
erfolgen.
^) 0. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase, S. 227, glauht ein gleichzeitiges
Wacbsthum in beiden Colon nen constatiren zu können.
240 L Moleculartheorie der Wärme.
4
Für eine Bereclmung der Grösse — N . ^ » Q^ ist aber dieser Am-
3
druck nicht unmittelbar brauchbar.
Mit Rücksicht auf die von uns gefundenen sehr grossen Werthe Ytm
j N . Q^ , n: (als Minimum für -ET 9100 qcm für 1 cbcm Gas) wird man,
da r und v von gleicher Grössenordnung sind, sich far berechtigt
halten dürfen, das zweite Glied des Nenners (s = 6 qcm) gegen das
erste zu vernachlässigen. Setzt man ausserdem (nach Bd. 2, I, G, 11,
Gl. 40, S. 74);
4 -
was sich im Mittel wohl nicht zu weit von der Wahrheit entfernen winl,
so erhält man, wenn man ausdividirt, für den corrigirten Werth der mitt-
leren Weglänge
A' =
^N .7t , Q^ ^ N.3C , Q^
3 ' ^ 3
oder mit Rücksicht auf den ursprünglich gefundenen Glaasius^schen j
uncorrigirten Werth der mittleren Weglänge (Bd. 2, 1, C, 6, S. 56, GL 18):^
1 =
4,7C,q\N'
wenn F = 1 ist:
k' = k — Q 8)
Denselben Gedanken hat auch van der Waals ^) verfolg^ und ist
dabei zu Formeln gelangt, welche mit Rücksicht auf anderweite Betrack*
tungen eine neue Berechnung der Molecnlarvolumina gestatten.
Der für die mittlere Weglänge gefundene uncorrigirte Werth*) A ist
deshalb etwas zu gross, weil bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeit i
des Zusammenstosses zweier Molecüle so verfahren worden ist, ab ob dar '
von der Wirkungssphäre eines Molecüles bei der Durchlaufnng^ des mitt*!
leren Weges beanspruchte Raum ein Cylinder wäre, dessen Basis der Qa^^
schnitt der Wirkungssphäre, dessen Höhe die mittlere Weglänge l vt
Streng genommen ist jedoch zu beachten, dass dieser Raum an den £ndei \
kugelförmig begrenzt ist.
^) Die Originalarbeit von Van der Waals, Over de continuiteit van den gta-a
vloeifttoftoestand. Academisch proefschrift. Leiden 1873, ist mir leider nicht znginglitk
gewesen. Ich mass mich daher mit den Auszügen begnügen, welche sich in den Bei*
blättern zu PoggendorfTs Annalen Bd. 1, S. 10 bis 21, und bei 0. E. Meyer, Kioe- ^
tische Theorie der Gase, S. 67 bis 76, S. 297 bis 231 und S. 297 bis 298 vorßndoi.
2) Wir folgen hier: 0. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase, S. 297.
H. üeber die Natur der Molecüle. 241
Erfolgten alle Zusammen stösse genau central, so würde von dem
früher berechneten Werthe der mittleren Weglänge genau der Halbmesser
einer Wirkungssphäre abzuziehen sein, wie dies von Clausius geschehen
ist. Da aber die ZusammenstÖsse im Allgemeinen nicht central statt-
finden, so ist die abzuziehende Grösse kleiner.
Beträgt der Winkel, unter dem zwei Molecüle zusammenstossen, 9,
80 beträgt die Correction q . cos g>. Die Wahrscheinlichkeit eines zwi-
schen <p und <p -{-dtp liegenden Stosswinkels ist das Yerhältniss der Pro-
jection des ringförmigen Elementes 2 n sin (p . d fp der Eugelfläche auf
die Qnerscbnittsebene zum ganzen Querschnitte selbst. Die Wahrschein-
lichkeit ist also:
2 sin q> . cos <p . d (p.
Der Mittelwerth der Correction ist demnach:
1
r 2
= 2 Q . I cos^ q) . sin (p . d <p = — Q,
0
Yan der Waals selbst hatte dieselbe zu -r angenommen.
Die genaue Formel für die mittlere Weglänge lautet demnach:
X'=,K-^{f 9)
3
oder:
2
p8
^'=W STT^ ''^
Diese Formel bringt nun van der Waals mit anderen bekannten
Grossen durch folgende Betrachtung in Zusammenhang:
Die Abweichungen der Gase, wie sie in der Natur vorkommen, vom
Aosdehnungsgesetze vollkommener Gase erklärt er dadurch, dass nicht
nur die in nächster Nähe wirksame gegenseitige Anziehung der Molecüle
die Gültigkeit dieses Gesetzes beeinträchtige (die Kraft der Gohäsion),
sondern dass auch- die räumliche Ausdehnung der Molecüle von stören-
dem Einflüsse sei.
Die Glausius'sche Formel:
1
o
worin u der aus der mittleren lebendigen Bj'aft der fortschreitenden Be-
wegung der Molecüle berechnete Mittelwerth der Geschwindigkeit ist
(man sehe Bd. 2, I, C, 2, S. 35, GL 2), kann man auch in folgender Form
darstellen:
V«rdet-Bahlmann, HechAn. W&rmethoorie. Bd. 2. ^^
242
L Moleciüartheorie der Wärme.
-.p.v = -^n
m . n^
11)
In dieser Gestalt stellt auf der rechten Seite der Gleichung die fräier
mit %^ bezeichnete kinetische Energie der fortschreitenden Bewegung der
Molecüle. Auf der linken Seite steht eine Arbeit.
In dieser Arbeit ist aber noch nicht berücksichtigt: in |> die Rnfi
der zwischen den Molecülen thätigen Cohäsionskräfte, deshalb miiss ;
um diese Kraft , wir wollen sie mit (S bezeichnen , vergrossert werdA
Das Volumen v aber muss um eine Grösse h verkleinert werden, da die
im Yolumen v enthaltenen n Gasmolecüle nicht im ganzen Räume 9 ad
bewegen können, sondern nur in dem, welcher von den sich bewegenda
Molecülen frei gelassen wird.
Deshalb giebt van der Waals dem Ausdehnungsgesetze ToUkoB-
mener Gase die etwas veränderte Form:
1 3
- n . wi . tt» = - (jp + S) . (ü — 6).
Die Grösse S, der aus den Cohäsionskräfken resultirende Druck,
sich nach einem von Laplace in seiner Capillaritatstheorie gegebei
Verfahren bestimmen. Für uns genügt es darauf hinzuweisen, dus
weil es aus der Wechselwirkung der anziehenden und angezogenen
eben besteht, dem Quadrate der Anzahl der vorhandenen Theilchen,
dem Quadrate der Dichtigkeit proportional sein muss.
Da in unserer Formel die bei der Ausdehnung des Gases verind
liehen Grössen aber nicht auf die Dichte, sondern auf das dieser
proke specifische Volumen f bezogen sind, so muss S demnach als
dem Quadrate von v umgekehrt proportionale Ghrösse:
6= —
in die Rechnung eingeführt werden.
Führt man dies ein und berücksichtigt gleichzeitig, dass (man
Bd. 2, S. 35)
- w . w . w» = 9t . T,
1 SR
- ». w . tt» =-.(1 +a.O,
so erhält man schliesslich, wenn man statt — einen Buchstaben 2! sei
a
für das Ansdehnungsgesetz der Gase, wie sie in der Natur vorkoi
die Form:
(i>+ J). (*-&) = Ä.(l +a.O,
H. Ueber die Natur der Molecüle. 243
oder aoBgerechnet, für f = 0:
p,v+-^-h.p-^^^ = B .... 12)
Bekanntlich hat nnn Regnaalt die von ihm beobachteten Abwei-
ehnngen der Gase vom Boyle-Mariotte'schen Gesetze darch eine For-
mel von folgender Gestalt (man sehe Bd. 1, III, B, 9, 61. 22, S. 264)
dargestellt:
JL:l- = i - A . C-^ - i) + B.C± - l)\ . . 13)
Setzt man hierin Vq = 1 ^nd po = 1 m Quecksilberdruck und
rechnet aus, so kann man dieser Gleichung folgende Gestalt geben:
, A-\- 2B B , , , . ^
P ^f>^ — r = 1 + ^ + ^ ... 14)
Dieser Ausdruck stimmt mit dem von van derWaals gegebenen
sofort vollständig überein , wenn man in dem kleinen Correctionsgliede
b . |) die Grosse p nach dem sehr angenähert richtigen Boyle-Ma-
riotte'schen Gesetze,
_ Vq . j?o _ 1
^--^--^^
durch — ersetzt.
V
Dann Jiimmt das Ausdehnungsgesetz der Gase die Gestalt an :
a — h a , h
und der Vergleich mit der Regnaul tischen Formel ergiebt folgende zur
Bestimmung der Grössen a, h und R ausreichende Gleichungen:
a — b = A + 2,B\
a .1 = B \ 16)
JJ= 1 -f ^ + 5 )
Hiernach hat 0. E. Meyer aus Regnault's Interpolationsformeln,
yan der Waals aus denselben Ausdrücken auf etwas anderem Wege
und aus Beobachtungen von Cailletet Werthe für a und h gefunden,
die in nachstehender Tabelle enthalten sind.
Ausserdem hat van der Waals die Grössen a und h für Kohlensäure
und Schwefelkohlenstoff auch noch aus den Beobachtungen von Andrews
und Caignard Latour über die kritischen Temperaturen (man sehe
hierüber Bd. 1, 11, B, 1, S. 560 etc.) dieser Substanzen bestimmt. Er ist
hierbei von dem richtigen Gedanken ausgegangen, dass in diesem Grenz-
znstande die Gohosionskräfte der kinetischen Energie der Translations-
bewegung der Molecüle das Gleichgewicht halten ^).
p.« + 5f___ • =B 15)
^) Man sehe hierüber: Beiblätter zu PoggendorfiPs Annalen, Bd. 1, S. 27.
16*
244 L Moleculartheorie der Wärme.
Es hat sich för a und h ergeben :
Meyer aas
Re gna ul t 's
Zahlen . . .
V. d. Waals
a. Regnault's
Zahlen . . .
V. d. Waals
a. Cailletet's
Versuchen . •
V. d. Waals
aus Andrew's
etc. Yersnchen
Gültig für p = Im Quecksilbersäule:
Luft
N
H
CO,
0,00501
0,0037
0,00387
0,00303
0,0026
0,0037
0,0015
0,00232
0,00265
0,00318
0,00065
0,00933
0,0004
0,0115
0,00078
0,0115
0,0030
0,0023
Mittel :
0,0043
0,0028
0,0030
0,0023
0,0009
0,0014 I 0,0107 1 0,0016
Die physikaliscbe Bedeutung der Grösse b kann leicbt gefunda
werden. Moltipliciren wir nämlich in der früher von 0. E. Meyer ab-
geleiteten Yollständigen Formel 10) für die mittlere Weglänge A' Zähler
nnd Nenner mit N, so erhalten wir:
A' =
(iV . «« — V2 . 2V ■ I . « . pA.
Setzt man hierin N , d^ = v und beachtet, dass das Correcüoi»
glied, welches von v subtrahirt wird, hier dieselbe Bedeutung hat, vis
in der van der Waals' sehen Formel die Gorrection 6, so ergieht a^
sofort, dass:
1. 2 V2 ,, , ,,,
0 = — - — ' N . X . Q^ 17)
o
ist.
Nun ist aber mit grosser Annäherung die früher yon uns bestimmte
mittlere Weglänge A:
A- ^
wenn man dies in Ol. 17) einführt, erhält man:
H. üeber die Natur der Molecüle.
245
Damit ist aber eine neue Formel gewonnen, aas der man mit Leich-
tigkeit den Badius der Wirkungssphäre q bestimmen kann;* wenn die
Grosse b der van der Waals'schen Formel und die mittlere Weglänge A
bekannt ist.
0. £. Meyer ^) macht darauf aufmerksam, dass, weil h und A beide
Tom Drucke abhängig sind und die früher gefundenen Werthe von A sich
auf Atmosphärendmck beziehen , die Grösse h mit dem Drucke p multi-
plicirt werden mässe. Die Formel nimmt deshalb die Gestalt:
2-^
h . X
18)
ftD, wobei j> die Quecksilberhöhe in Metern bezeichnet, auf die sich der
Werth von b bezieht.
Fuhren wir die Rechnung mit obengenannte^i Mittelwerthen von b
BUS, so findet man:
Grösse 6
Mittlere Weglänge
A in cm
Durchmesser eines Mole-
cüles ^ in cm
Stickstoff . .
Ki^ensäure .
Wasserstoff .
Luft ... .
0,0023
0,0016
0,0014
0,0028
0,0000098
0,0000066
0,0000194
0,0000098
34 . 10
— 9
16 . 10
41 . 10
41.10
— 9
— 9
— 9
Auch die von van der Waals und von 0. E. Meyer gegebenen
Werthe bewegen sich in derselben Grössenordnung.
Früher (S. 238) erhielten wir fiir Kohlensäure als obere Grenze:
9 = 111 X 10~*cm, und dieser Werth stimmt mit dem hier ge-
fandenen sehr befriedigend überein.
6. Neue Bestiininiuig des Quersobnittes, des Volumens, der
AnzaU, der gegenseitigen Entfernung und des Gewichtes
der Holeoüle.
Benutzt man für den Durchmesser eines Eohlensäuremolecüles
den Werth:
p = 16 . 10-» cm,
ao ergiebt sich für den Querschnitt desselben:
1 -17
- «9» = 20 X 10 qcm,
^) 0. E. Meyer, Kineüeche Theorie der Gase, S. 230.
246 I. Müleculartheorie der Wärme,
und für das Volumen:
- 3r^3 = 21 X lO^^cbcm.
Durfte man diesen Zahlen eine grössere Zuverlässigkeit zaschreiben,
so könnte man aus dem Molecnlarvolumen der Kohlensäure and den früher
(auf S. 235) aus den Reibungsconstanten und Moleculargewicbten be-
stimmten Verhältnissen der Molecularvolumina verschiedener Substanzen
leicht auch für andere Grase und Dämpfe die absolute Grösse des Mole-
cularvolumens ableiten.
Da wir früher für Kohlensäure die Summe sämmtlicher Molecular-
querschnitte (S. 227) gleich: 26700 qcm und jetzt den Querschnitt eines
Molecüles = 20 X 10""" qcm gefunden haben, so ergiebt sich für die
Anzahl der im Cubikcentimeter enthaltenen Molecüle N:
26700
_ ^uivv Trillionen.
20.10-" xii^viiüu
0. E. Meyer findet für Luft:
iV^ = 21 TrilHonen.
Wenigstens der Grössenordnung nach stimmen diese Zahlen überein;
eigentlich sollte man nach der Avogadro' sehen Kegel für alle Gase
dasselbe N finden.
Bei der geringen Zuverlässigkeit der zu Grunde liegenden Zahlen
muss man jedoch mit der gefundenen Uebereinstimmung zufrieden sein.
Die von uns gefundene Zahl N gilt übrigens für einen Druck von
1 m Quecksilbersäule; für den Druck von 1 Atmosphäre müsste dieselbe
noch mit 0,76 muttiplicirt , also auf circa 100 Trillionen Molecüle im
Cubikcentimeter reducirt werden.
Da
ist, wenn d den mittleren Abstand zweier Molecüle bezeichnet, so ist die
Grösse Ö:
ö = -5= = — 0,22 . 10-« cm.
VN ]?^100. 10-18
Der mittlere Abstand 8 zweier Molecüle beträgt also ungefllhr 2 IGl-
liontel Millimeter.
Es ist also, da für Kohlensäure die mittlere Weglänge A:
^ = 66 . 10-^
ungefähr :
A = 30 . Ä.
Nach Clausius aber yerhält sich (Bd. 2, I, C, 6, S. 57) der von
den Molecülen selbst ausgefüllte Raum v zum ganzen Räume V wie ein
Achtel des Halbmessers eines Molecüles zur mittleren Weglänge, also:
"
fl = ^A in-18 = 15 . 10 23 g
H. üeber die Natur der Molecüle. 247
..F=£..
Mer:
f = o = «•««^-
Die Molecüle nehmen also bei Atmospharendruck and 0^ nur ungefähr
30008ten Theil des Raumes ein , den das Gas überhaupt erfüllt ^).
Nimmt man die Anzahl der im Cubikcentimeter enthaltenen Mole-
e im Mittel (arithmetisches Mittel aus 100 Trillionen und 20 Trillionen)
leich 60 Trillionen an, so wird, da ein Cubikcentimeter Wasserstoff:
0,001293 X 0,0693 g = 0,0000896 g
iegi, das Gewicht g eines Wasserstoffmolecüles gleich:
0,0000896
60.10
gefunden.
Nahmen wir das Volumen eines Wasserstoffmolecüles (man sehe S. 235)
5 3
S^^^^ nß ß ^^^ Volumens eines Kohlensäuremolecüles und dieses letztere
^0,0
= 21 . 10~** cbcm an, so findet man das specifische Gewicht Ö
eineB Wasserstoffmolecüles gleich :
_ 15 . 10-« . 26,6 _
*- 21. 10-«. 5,3 -^^^-
Mit der im Vorstehenden für die absoluten Dimensionen der Mole-
efilc gefundenen Grossenordnung stimmen auch die Resultate der auf
anderem Wege angestellten Betrachtungen über die Grosse der Molecüle
und Atome überein.
Faraday hat Goldhäutchen hergestellt, deren Dicke er gleich dem
lOOsten Theile einer Lichtwelle schätzt. Da ein solches Häutchen doch
ans mindestens einer Schicht von Molecülen bestehen muss, so würde
sich damit der Durchmesser eines Goldatomes kleiner als 5 Milliontel-
millimeter ergeben. Wir fanden den Durchmesser eines Gasmolecüles
gleich 0,3 Milliontelmillimeter.
W. Thomson schliesst aus Plateau 's bekannten Versuchen, dass
in einem Wasserhäutchen, welches eine geringere Dicke als 0,05 Mil-
Hontehnülimeter besässe, höchstenB eine Schicht Molecüle enthalten sein
könne.
Aus der Spannung eines galvanischen Zink -Kupfer -Elementes und
der zur Elektrolyse des Wassers nöthigen Energie schliesst Lorenz,
^) Clansius schätzte mit sehr sicherem Blicke schon zu einer Zeit, als man die
y
nur Berechnung nöthigen experimentellen Daten noch nicht kannte (1857), -rz = 0,001.
Man sehe Ahhandlungen Bd. 2, 1. Aufl., S. 273.
248 I. Moleculartheorie der Wärme.
dasB der mittlere Abstand zweier Wassermolecüle geringer als 0,1 Mü-
liontelmillimeter sein müsste.
Thomson kommt aof Grund seiner Messungen der Kraft, mit wel«
eher sich zwei durch Yol tausche Elektricität geladene Platten anziehen,
zu dem Schlüsse, dass der Durchmesser der Molecüle des Zinkes und des
Kupfers grösser als 0,03 Milliontelmillimeter sein müsste.
Da bei Grenzbestimmungen, die auf so yerschiedenartigen Betrach-
tungen beruhen, eine vollkommenere Uebereinstimmung der Resaltate
gar nicht erwartet werden kann, so dürfen wir die von uns gefundenen
Dimensionen der Molecüle wohl als der Wahrheit ziemlich nahe kos-
mende Zahlenwerthe ansehen.
6. üeber die Wirkungsweise der Molecüle und Atome.
Durch die bisher besprochenen Untersuchungen müsste die Frag«
noch unentschieden bleiben, welcher Natur die Kräfte sind, die zwischen
den Molecülen und besonders zwischen den ein Molecül bildenden Atomea
thätig sind.
Aus den Thomson -Joul ersehen Versuchen über die Abkühlung
von Gasen bei Ausdehnung ohne Arbeitsleistung wissen wir, dass die
Gasmolecüle in ihren mittleren Entfernungen d eine Anziehung von ge-
ringer Grösse auf einander ausüben.
lieber die Natur der Kräfte, durch welche zwei zusammenstosaende '
Molecüle nach dem Stosse wieder auseinander geschleudert werden, giebl
die kinetische Gastheorie keinen Aufschluss. Die wesentlichsten Resul-
tate dieser Theorie sind sogar von der Vorstellung, die man sich über
die Natur dieser Kräfte machen könnte, vollkommen unabhängig.
L. Boltzmann^) ist in neuerer Zeit auf Grund seiner Untersttchia-
gen dadurch zu Resultaten gekommen, welche mit der Erfahrung sehr
gut übereinstimmen, dass er annahm, die Stoss Wirkung fände so statt, all
ob die zu einem Molecüle zusammentretenden Atome ein starres Aggregat
bildeten. Auch 0. E. Meyer ^) ist der Ansicht, dass bei dem Zusammen-
prallen zweier absolut harter Molecüle aus der Unmöglichkeit, dieselben
zusammenzudrücken, im Momente des Stosses plötzlich eine znrück-
stossende Kraft entsteht.
Ich glaube, dass die Gasmolecüle bei ihrem Zusammenstosse allerdisgi
als starre Gebilde anzusehen sind ^), dass aber zur Erklärung ihrer scheio-
baren Elasticität beim Zusammenstosse die Rotationsbewegungen der Mo-
^) L. Boltzmann, lieber die Natur der Gasmolecüle. Poggend. Ann. Bd. 160,
S. 175 u. 176.
2) O. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase, S. 239.
3) Za dem Resnltate, dass die Molecüle eines vollkommenen Gases absolat sUn
sein müssten, sind wir schon im 1. Bande, S. 462, Z. 6 v. u. gelangt.
H. lieber die Natur der Molecüle. 249
lecüle als Ganzes um ihren Schwerpunkt vollständig genügen. Infolge der
im Allgemeinen nicht centralen Zusammenstösse werden alle Molecüle mehr
oder minder heftige Rotationsbewegungen um Axen besitzen, welche durch
den Schwerpunkt hindurch gehen. Beim Zusammenstösse rotirender Rota-
tionskörper aber gelten 1) der Satz yon der Erhaltung der Energie, 2) der
Satz von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung, und 3) für eine
grosse Zahl von sich bewegenden Molecülen im Mittel der Satz von der
Erhaltung der Bewegung des gemeinsamen Schwerpunktes.
Nach den Untersuchungen von 0. £. Meyer und G. Lübeck ^)
genügen diese di*ei Sätze, um eine Aenderung der Geschwindigkeit
beim Zusammenstösse der Molecüle nach dem * Gesetze des elastischen
Stosses daraus herzuleiten, ohne dass man deshalb genöthigt ist, den
Molecülen selbst Elasticität zuzuschreiben.
Wenn man somit jedenfalls auch nicht im Stande ist, die Natur der
zwischen den Molecülen thätigen Kräfte zu erkennen, und wir für die zwi-
schen den Atomen eines Molecüles wirkenden Kräfte Ton fast unendlicher
Grosse erhalten, da die Molecüle absolut starr oder sehr nahe absolut starr
sein sollen, so ist es doch möglich, die Grössenordnung der Energie der Kräfte
angenähert zu schätzen, welche zwischen den Gasmolecülen thätig sind.
Boltzmann') hat eine hierauf bezügliche Rechnung angestellt, die
vir in Kürze mittheilen wollen.
Der mittlere Abstand zweier Molecüle möge beim flüssigen Wasser
mit £ bezeichnet werden , alsdann ist die JSnergie, welche nöthig ist , um
den mittleren Abstand i um xt zn verringern, gleich:
10334 . g^ . a?
0,000016
Durch die Druckzunahme um eine Atmosphäre, d. h. um 10334 Kg
per Quadratmeter wird das Volumen des Wassers um 0,000048, der Ab-
stand i also um: 0,000016 g yerringert. Eine Atmosphäre aber übt auf
den einem Molecüle entsprechenden Flächeninhalt ^^ einen Druck aus von :
10334 . £2.
Da durch diese Kraft der Abstand S um 0,000016 5 verringert wird,
5 . X
80 gehört zu einer Verminderung von £ um x . S eiue ' — ^ mal
0,000016 . f
grössere Kraft, also die oben angegebene Kraft, wenn es statthaft ist, das
Gesetz, welches durch Versuche für geringe Gompressionen gefunden
worden ist, auch auf grössere Gompressionen zu übertragen.
Die bei dieser Distanzverminderung geleistete Arbeit findet man,
x.t
wenn man die Kraft mit der halben Distanzverminderung -^ multiplicirt.
») Lübeck, Schlömilch's Zeitschrift für Math. u. Physik. 1877, Bd. 22, S. 126.
*) Boltzmann: lieber das Wirkungsgesetz der Molecularkräfbe. Wiener Sitzungs-
bericht. Bd. 66 (1872), 2. Abth., S. 213 bis 220.
250 L Moleculai-theorie der Wärme.
Diese Arbeit 2 ist demnach:
g _ 10334 . £s . 0?» .
~ 0,000032
Diese Arbeit 2 vergleicht Boltzmann mit der Energie der Mole-
cnlarbewegung. Die Masse m eines Wassermolecules ist, wenn Kilogramm
und Meter neben einander als Einheiten fongiren:
1000 . p3
m = ^: — •
9
Die Summe der kinetischen Energie der beiden zusammenstossendeDD
Molecüle ist:
2 . -~ a» = m . tt«.
Die Grösse u aber ist, nach der Clausius'schen Formel (Bd. 1, 1,
C, 3, S. 38, Gl. 9) berechnet, bei 0» gleich:
u = 614 Meter.
Setzen wir den so gefundenen Werth der Energie gleich der Arbeit
?, so ergiebt sich für x die Gleichung:
1000 . 614^ . g3 _ 10334 . g^ . x^
9 ~ 0,000032
und hieraus findet man angenähert :
1
8
Bei einer Temperatur von 0^ nahem sich daher die Centra zweier]
Wasserdampfmolecüle , wenn sie central auf einander zufliegen , bis »of
2 2
eine Distanz von — S. Wenn aber ^ auf — ^ reducirt wird, so nimmt du
o o
19
Volumen V um — r V ab.
27
Um das Volumen F um 0,000048 V zu vermindern, war eine Atmo*
19
Sphäre nöthig, um dasselbe jedoch um — F zu comprimiren, sind dem-
nach:
19
— : 0,000048 = 14700 Atmosphären
nöthig.
Die Kraft, mit der die Molecüle auseinander getrieben würden, weim
2
dieselben sich einander auf — der Entfernung genähert hätten , welche
o
sie im Zustande grösster Dichte besitzen, wäre demnach circa 15O00
Atmosphären.
H. üeber die Natur der Molecüle. 251
Mit Rücksicht auf die Anschanungen, auf welchen die Berechnung
des Condensationscoefficienten D beruhte (man sehe Bd. 2, S. 237) und
dem vorhin Ton uns Bemerkten ist selbstverständlich diesem Rechnungs-
resultate nur eine ausserordentlich geringe Bedeutung beizulegen.
7. ScUussbemerkungen.
Wir können diesen Abschnitt nicht abschliessen, ohne unsere lieber-
Zeugung dahin auszusprechen, dass das Resultat unserer Untersuchungen,
nach welchem der Durchmesser eines Molecüles* ungefähr der zehnte Theil
eines Milliontelmillimeters ist, eigentlich die Bestätigung dafür bnngt,
was man schon vielfach vermuthet hat, dass wir es in unserer Annahme
von discreten tintheilbaren Atomen, nicht mit einer die wahre Beschaffen-
heit der Materie enthüllenden Wahrheit zu thun haben, sondern dass
diese Annahme lediglich eine jener Hypothesen ist, welche zu einer mög-
lichst eingehenden Construction und mathematischen Discussion der Er-
fahrungsresultate trefflich geeignet war, ohne auf Realität Anspruch zu
erheben.
Die Annahme untheilbarer Atome, welche nur ungefähr einige Tau-
sendmal kleiner sind als die kleinsten sichtbaren Grössen ^) , enthält für
einen philosophischen Abschluss der Atomistik einen unlösbaren Wider-
sprach.
Auch die Erscheinungen der Spectralanalyse, nach welchen die Be-
wegungen der einatomigen Quecksilber- und Gadmium molecüle ein so
reich gegliedertes Spectrum scharf definirbarer Linien giebt, deuten dar-
auf hin, dass man nicht berechtigt ist, die Atome als untheUbare Mona-
den aufzufassen.
Die Schwierigkeit einen consequenten logischen Abschluss einer
physikalischen Atomistik zu gewinnen, hat schon seiner Zeit Daniel
Bernoulli veranlasst, sich der Cartesius'schen Lehre von den Wirbeln
zazuneigen, und bestimmte Rankine und neuerdings W. Thomson^),
die lange yergessene Lehre des Cartesius wieder aufzunehmen.
Die nicht immer ganz klaren Vorstellungen Rankine^s, aus welchen
dieser die beiden Hauptsätze der mechanischen Wärmetheorie entwickelte,
haben durch Thomson eine sehr präcise Formulirung erhalten, dadurch,
dass der Letztere an die berühmte Untersuchung von Helmholtz') über
die Wirbelbewegungen einer sich ohne Reibung bewegenden Flüssigkeit
aidmüpfte. In dieser Abhandlung definirt Helmholtz unter dem Namen
^) Helmholtz hat hekanntlich Poggeud. Annalen Jubelband, S. 557 dargethan,
<Uss die Grenze der Sichtbarkeit kleiner Gegenstände im Mikroskop wegen der Diffrac-
tion des Lichtes ungefähr beim 4000Bten Theile eines Millimeters liegt.
2) W. Thomson, On vortex atoms. Phil. Mag. 4. Serie. Bd. 34, S. 15 bis 25 (1867).
^ Helmholtz, Crelle's Journal. Bd. 55 (1858), S. 25.
252 I. Moleculartheorie der Wärme.
Wirbellinien krumme Linien, welche sich in der Flüssigkeit derart ziebei
lassen, dass sie in ihrem ganzen Verlauf überall gegen die Ricbtnngder
Rotationsbewegung des Wirbels senkrecht stehen , so dass sie der Boti^
tionsaxe parallel verlaufen ; unter Wirbelfaden versteht er dünne Flfisag-
keitsfäden, deren Axe von einer Wirbellinie gebildet und welche äiUBO^
lieh durch eine Bchaar von Wirbellinien begrenzt wird ^). Helxnholti
hat nun gezeigt, dass bei gewissen in der Natur erfüllten Yorausaetm^
gen über das Wirkungsgesetz der von aussen auf die Flüssigkeit 9»
geübten Kräfte alle Bewegungen so stattfinden müssen, dass jedeWiiM*
linie fortwährend aus denselben Flüssigkeitstheilchen zusammengesetil
bleibt. Da die Wirbellinien im Allgemeinen in sich zurücklaufende Ca^
ven sind, so enthält jeder Wirbelfaden eine endliche, stets unve^ande^
liehe Menge von Flüssigkeit, welche ihre ringförmige Gestalt und ihra
Ort verändern, ihre Verbindung aber nicht lösen kann.
Diesen Satz , dass die Erzeugung neuer Wirbel und neuer Wirbel*
faden ein Act der Schöpfung sein würde und dass die einmal Torban-
denen nicht ohne Einwirkung einer ausserhalb stehenden ELraft vemichtd
werden können, hat W. Thomson zum Ausgang seiner neuen Atomutik
gemacht.
Er nimmt an, dass die Atome Wirbelfaden seien und wählt zu ihrer
Veranschaulichung ein Bild, er vergleicht sie mit den vom Tabacksraacheri
geblasenen Rauchringen.
Man kann sich gemäss dieser Anschauung die Materie als eine
Raum stetig erfüllende Substanz vorstellen und muss dann annehmi
dass die continuirliche Masse sich in kleine ringartig oder auch &dea*!
förmig gestaltete Theilchen sondert, welche durch keine innerhalb der
Welt wirkende Kraft weiter getheilt werden, vermehrt oder vermindeti
werden können.
Die Undurchdringlichkeit und die Wirbelbewegung verleiht da
Wirbelatomen Eigenschaften, welche denen der Elasticität sehr ähnM:
sind, so dass die Abstossungen zweier zusammenstossender WirbelatoiM
dadurch erklärt werden können. — Auch eine Wirkung solcher Wirbelatonw
in die Ferne wäre vollkommen verständlich, da Thomson und Tait'j^
Kirchhoff 3) und auch Boltzmann^) gezeigt haben, dass Ringe and
andere Körper, welche sich in einer bewegten Flüssigkeit befinden. Beheb-
bar eine der elektrodynamischen, vergleichbare Anziehung auf einander
ausüben. Die zwischen den Wirbelatomen befindliche, nicht bewegte Mi-
terie könnte also eine Uebertragung dieser Kraft vermitteln.
^) Wir folgen hier der Darstellung 0. E. Meyer's, Kinetische Theorie der G«,
S. 244.
^) Theoretische Physik, deutsche Ausgabe von Helmholtz und W e r t h e i m , Bnvi*
schweig, Friedr. Vieweg u. Sohn. Bd. 1, S. 297.
3) Grelle»» Journal Bd. 71 (1870), S. 287 u. S. 263.
*) Crelle's Journal Bd. 73, S. 111.
H. Ueber die Natur der Molecüle. 253
Wir glaubten diesen Abschnitt nicht abschliessen zu dürfen, ohne
reoigsteDs anf diese vielTersprechende Thomson' sehe Wirbeltheorie hin-
^wiesen zu haben. Dieselbe berechtigt zu der Hoffnung, dass sie die
ümabme eines von der übrigen Materie wesentlich verschiedenen Aethers
B der Optik entbehrlich machen, und dass sie die elektrischen Erschei-
rangen eng mit den optischen nnd calorischen Vorgängen zu verknüpfen
gestatten wird; ausserdem besitzt sie den grossen Vorzug, dass ihr nicht
Beselben philosophischen Bedenken entgegenstehen, wie der bisherigen
Atomistik.
THERMOCHEMIE.
A. Atomgewicht und specifische Wanne.
1. Vorbemerkungen.
*
Während in ihren ersten Anfiängen Physik and Chemie so eng
einander verknüpft waren, dasses kaum möglich ist, die Unterschiede
selben zn erkennen, trat im weiteren Verlaufe der Entwickelnng eine
die Förderung der Erkenntnisse sehr dienliche Axbeitstheilong ein, wi
vor Kurzem in einer noch weiteren Durchführung derselben insofern
zu Missständen zu fuhren drohte, als keine dieser Wissenschaften die
fahrungsthatsachen der anderen genügend berücksichtigte. In ne
Zeit ist nun immer fühlbarer das Bedürfniss hervorgetreten , gerade
gemeinsamen Gebiete vorzugsweise anzubauen , da man immer mdir «
kannte, dass der Kernpunkt zu einer möglichst einfachen und voDstäuS
gen Erklärung, nicht bloss Beschreibung, der physikalischen vk
chemischen Vorgänge in einer Mechanik der Atome zu suchen sei
lieber die Eigenschaften der Atome haben aber einerseits physib*
lische und andererseits chemische Erfahrungsthatsachen gewisse Amu^
men nöthig gemacht, und erst aus der Zusammenfassung beider enH
wickelt sich allmählich ein immer klareres Bild über die Kräfte, welc^
als zwischen den Atomen wirksam vorausgesetzt werden müssen, nol
über die Grössenbeziehungen , welche wir zwischen den klemsten 6r
standtheilen der Körper als vorhanden anzunehmen genöthigt sind. |
Aus diesem allgemein als richtig anerkannten leitenden Gedanka|
ergab sich ganz von selbst das Bedürfiiiss,, das der Chemie und PbyA
gemeinsame Gebiet gesondert zu bearbeiten, und es ist dadurch eine neu
Disciplin entstanden, welche von einer Anzahl hervorragender Geldrtei
mit Vorliebe gepflegt wird, es ist dies die „Physikalische Chemie^
A. Atomgewicht und specifische Wärme. . 255
Obgleich sich nan diese Disciplin auch anf viele Gebiete erstreckt,
welche mit der mechanischen Wärmetheorie in keinem directen Zusammen-
hange stehen (Spectralanalyse, optische Constanten, Elektrolyse, magnetische
Eigenschaften), so ist doch einer der hauptsächlichsten Theile der physi-
kalischen Chemie derjenige, welcher die Beziehungen behandelt, welche
zwischen Wärmeerscheinungen und chemischen Vorgängen bestehen, und
dieser Theil wird gewöhnlich mit dem Namen Thermochemie bezeichnet.
Wenn es uns im Folgenden auch nicht möglich sein wird, ein voll-
ständiges Lehrgebäude der Thermochemie aufzustellen, so wollen wir
doch versuchen, die hauptsächlichsten Sätze derselben und die wichtig-
sten empirischen Grundlagen, auf welchen diese ruhen, zusammenzu-
siellen.
2. Die Atomgewlclite und die Atomigkelt.
Die Chemie ist durch ihre Zerlegungsmittel bis jetzt bei ungefähr
63 bis 65 Stoffen angelangt, welche wesentlich voneinander abweichende
chemische und physikalische Eigenschaften zeigen, und die sie zur Zeit
noch nicht vermochte in noch weitere ungleichartige Bestandtheile zu
' iremien. Die Erfahrung hat gelehrt, dass die elementaren Bestandtheile
I einer Verbindung aus dieser stets wieder in denselben Mengen und
' mit denselben Eigenschaften gewonnen werden können, mit welchen
sie in die Verbindung eingetreten waren.
Femer hat man allgemein wahrgenommen, dass auch die kleinsten
Theile chemischer Verbindungen, welche man auf mechanischem Wege her-
' zustellen vermochte, unter sich gleichartig waren und Eigenschaften be-
I
! Sassen, welche von denen der kleinsten Theile der Bestandtheile abwichen.
Aus dieser Erfiahrungsthatsache hat man geschlossen, dass die Ele-
mente mit ihren Eigenschaften in den Verbindungen fortbestehen, und
dass die Molecüle zusammengesetzter Körper aus den Atomen oder Atom-
complexen der Elemente bestehen, und dass die Eigenschaften der so ge-
bildeten Molecüle von denen der Atome der Bestandtheile wesentlich ver-
schieden sind.
Es hat sich femer gezeigt, dass in den zusammengesetzten Körpern,
sofern sie den Namen einer chemischen Verbindung im engeren Sinne ver-
dienen, die Elemente immer in bestimmten Gewichts Verhältnissen ent-
halten sind. Zerlegt man z. B. Zinnober, so finden sich in demselben
200 Gewichtstheile Quecksilber und 32 Gewichtstheile Schwefel; zerlegt
man das schwarze Schwefel quecksilber, so findet man 200 Gewichtstheile
Qaecksilber und 16 Gewichtstheile Schwefel. Ferner verbinden sich
16 Gewichtstheile Sauerstoff mit 400 Gewichtstheilen Quecksilber zu Queck-
silberoxydul und mit 200 Gewichtstheilen Quecksilber za Quecksilber-
oxyd.
256 IL Thermochemie.
Man erkennt sofort, dass, wenn man annimmt, jedes MolecQl dei
schwarzen Schwefelqnecksilbers bestehe aus gleichviel Atomen Qaecksilber
und gleichviel Atomen Schwefel , jedes Molecül Zinnober ans doppelt so-
viel Atomen Schwefel als Atomen Quecksilber besteht etc., nnd das Ge-
wicht jedes Atoms des Schwefels sich zu dem Gewichte jedes QaecksiIbe^
atoms wie 16 zu 200 verhält i).
Die Gewichte der Atome selbst kann man auf solche Weise selbst-
verständlich nicht bestimmen (man sehe Bd. 2, I, H, S. 247), wohl aber
kann das Verhältniss der Atomgewichte durch derartige Betrachtongen
bis auf zwei einfache Zahlenfactoren genau bestimmt werden. Gerade dk
Lösung der Aufgabe, wie viele Atome jedes Elementes in ein Moleefil
der Verbindung eingetreten sind, ist häufig sehr schwierig.
In vielen Fällen kommt da das Avogadro'sche Gesetz zu Hälfe,
welches sich, wie wir gesehen haben, aus der kinetischen Theorie der
Gase ganz von selbst ergiebt^).
Wir fanden schon im ersten Abschnitte dieses Bandes, S. 24, den
Satz, dass bei gleicher Temperatur und Druck in gleichen Volumen voll-
kommener Gase gleichviel Molecüle enthalten sein müssen. Für Gase
ergiebt sich hieraus ein einfacher Anhalt, die Verhältnisse der Moleefil-
gewichte, wenn auch nicht der Atomgewichte zu bestimmen. Denn da
die Anzahl der in gleichen Räumen unter sonst gleichen umstanden vo^
handenen Molecüle gleich gross ist, so müssen sich die Gewichte glei-
cher Volumina, also die auf gleiche Verhältnisse bezogenen specifiscbeii
Gewichte unmittelbar wie die Gewichte der Molecüle verhalten.
Für solche Gase, deren Molecüle aus nur einem Atom bestehen, wü^
den demnach die so erhaltenen Zahlen unmittelbar die Atomgewichte sein.
Für zusammengesetzte Substanzen bezeichnen mehrfach Atom und
Molecül dieselbe relative Gewichtsmenge, doch giebt es auch eine Anzabl
von Verbindungen, deren Molecüle als aus zwei Atomen oder als tu
zwei oder mehr Atomcomplexen im engeren Sinne zusammengesetzt an-
genommen werden müssen. Zur ersten Glasse gehört die Salzsäure, zor
zweiten das Aethyl, dessen Molecül aus zwei Atomen Aethyl zusammen-
gesetzt ist. Für die Elemente ist in den meisten Fällen das Molecultr-
gewicht das Doppelte des Atomgewichts, jedoch giebt es auch Elemente,
in welchen das elementare Atom zugleich das Molecül darstellt, z. B.
beim Quecksilber; bei anderen Elementen ist man genöthigt, anzunehmen,
dass deren Molecüle aus drei (Ozon) und vier (Phosphor, Arsen) gleich*
artigen elementaren Atomen zusammengesetzt seien.
Die Chemiker 3) verstehen, etwas abweichend vom physikaliscbo)
Sprachgebrauch, unter Molecül die kleinste Menge einer Substanz, welche
^) Eine grosse Zahl schöner hierhergehöriger Beispiele findet man z. B. in Ram-
melsberg's Gnindriss der Chemie gemäss den neueren Anschauungen , 4. Auflage,
1874, S. 7.
3) Man sehe z. B. Bd. 2, I, B, 3, S. 24.
^ A.Naumann, Thermochemie (Braunschweig, Friedr.Viewegu. Sohn 1869), S. 6.
A. Atomgewicht und specifische Wärme. 257
im freien (niiYerbimdeiiezi) Zustande besteht, unter Atom hingegen die-
jenige kleinste Menge der Substanz , welche in einem Molecüle vor-
kommt
Zur Entscheidung über die Anzahl der in einem Molecüle vorhan-
denen Atome haben zwei Erfahrungen geführt, welche durch folgende
Beispiele erl&utert werden mögen. Bei Verbindungen, respective Zerlegung
hat sich gezeigt, dass, wenn sich die Elemente und ebenso die Verbindun-
gen anter gleichem Drucke und gleicher Temperatur in Oasform befinden,
1 Vol. H + 1 Vol. Cl = 2 Vol. HCl
1
n
H + 1
n
Br — 2
ff
HBr
1
n
H + 1
w
J —2
ff
HJ
2
n
H+ 1
ff
0 —2
ff
H,0
2
n
H+ 1
n
S — 2
ff
H,S
3
T»
H+ 1
4
ff
N — 2
ff
HaN
3
rt
H + l
ff
P — 2
ff
HgP
3
n
H + l
ff
Ab — 2
«
ff
U}A
ist
Es findet bei der chemiscben Verbindung verschiedener elementarer
Oase also entweder eine einfache Addition der Volumina oder eine Ver-
dicktmig in der Weise statt, dass das Volumen der Verbindung immer
doppelt so gross als dasjenige ist, welches bei gleichem' Druck und Tem-
peratur als ein Raumtheil Wasserstoff bezeichnet wird.
Legten sich die n Molecüle Wasserstoff und die n Molecüle Chlor,
welche im ersten Falle in jeder Volumeneinheit enthalten sind, einfach
sosammen, so müssten n Molecüle HCl entstehen, und diese bei uuge-
indertem Drucke und gleicher Temperatur genau ebensoviel Raum be-
anspruchen, als vorher einer von beiden Bestandtheilen. Da nun aber
der gebildete Chlorwasserstoff erfahrungsgemäss unter gleichen Um-
standen ebensoviel Raum beansprucht, als vor der Verbindung beide
Bestandtheile mit ihren zusammen 2n Molecülen, so ist man genöthigt,
anzunehmen, dass nicht n, sondern 2*^1 Molecüle HCl gebildet worden
sind. IKes kann man sich aber nur so erklären , dass jedes Molecül des
vnyerbundenen Wasserstoffs und Chlors aus mindestens zwei Atomen
bestanden hat, welche bei der Verbindung auseinandergefalien sind. An
sich kann man eigentlich nur schliessen, dass jedes Molecül aus einer
geraden Anzahl Atomen bestanden habe, der Einfachheit wegen drückt
man dies dadurch aus, dass man sagt, das Molecül des H, des Cl etc. ist
zweiatomig. Das Nämliche schliessen wir vomBr, J, 0, SundN« Eine
Ausnahme jedoch machen unter den obengenannten die vier Elemente P,
As, Hg und Cd. Wir sind aus ähnlichen Gründen genöthigt, anzuneh-
men, dass zum Molecüle des P und As nicht 2, sondern 4 Atome gehören,
imd dass beim Hg und Cd schon ein einziges Atom das Molecül bildet
VeTdet-Bahlmanli, Mecban. W&pnetheorie. Bd. S. ][7
258
n. Thermochemie.
Diese Elemente sind demzafolge gleichzeitig dieselben, welche An-
nahmen von dem Volumengesetze repräsentiren , dass das Gewicht der
Volameneinheit Gas des betreffenden Elementes, H = 2 gesetzt, gleidi
dem doppelten Atomgewicht ist ^). Es sind nämlich die Dampfdiclitei
(d. h. die Gewichte der Volameneinheit unter sonst gleichen Umständen)
bezogen anf das Gewicht der Volameneinheit Wasserstoff als Einheit:
Namen der Elemente
Dampfdichte bezogen auf
Wasserstoff als Einheit
Gegenwartig angenommoKi
Atomgewicht
Wasserstoff
Chlor .
Brom
Jod • .
Sauerstoff
Schwefel
Stickstoff
Phosphor
Arsen .
Cadmium
Quecksilber
1
35,5
80
127
16
32
14
63,8
153
56,9
100,7
1
35,5
80
127
16
32
14
31
75
112
200
Die Atomgewichte des Phosphors and Arsens, za deren Aniuüuu
man aas chemischen GrtLnden and nachher za erwähnenden physikaliscbfli
Rücksichten genöthigt ist, müssten eigentlich nach dem Volamengesetn
doppelt so gross and die des Cadmiams and Qaecksilbers halbtf
gross sein.
3. Die Beziehung zwischen Atomgewichten und sped-
fischen Wärmen der Elemente im starren Zustande.
Wollte man die Dampfdichten ohne Weiteres als Atomgewicbte be
natzen, so würden daraas gewisse Unznträglichkeiten entstehen, die ma \
aas anderen Analogien nicht für statthaft halten kann.
Setzte man z. B. das Gewicht eines Phosphoratoms gleich 62, so moste j
man die Formel des Phosphorwasserstoffs Hg P schreiben, and das istnicUl
^) Eb bedarf wohl kaum der Erwähnong, dass dieses Volamengesetz auch nur «ba
streng richtig sein kann, wenn das Gas oder der Dampf des betreffenden Elemeot«* ib
ein Tollkommenes Gas angesehen werden kann , welches durchaus aus gleichartiges
Moleciilen besteht.
A. Atomgewicht und specifische Wärme. 259
zulässig, weil dann die Analogie mit H3N verloren ginge, die sonst in
jeder anderen Beziehung su erkennen ist. Man ist ähnlichen Uehelständen
dadurch hegegnet, dass man angenommen hat, das Molecül des Phosphors
and Arsens bestehe aus vier, das des Quecksilbers undCadmiums aus nur
einem Atome. Auf das Detail der chemischen Gründe, welche hier maass-
gebend gewesen sind, können wir hier nicht wohl eingehen, sondern ver-
weisen deswegen auf die neueren Lehr- und Handbücher der Chemie ^).
Auf einen Grund jedoch wollen wir noch mit einigen Worten ein-
geben.
Ea hat sich nämlich gezeigt, dass die specifische Wärme der meisten
in gleichem Aggregatzustande befindlichen Elemente in umgekehrtem
Terhältnisse zum Atomgewichte steht. Zuerst machten Du long und
Petit ^) auf diese merkwürdige Beziehung aufinerksam, späterhin ist von
F. Neumann') der Satz dahin erweitert worden, dass bei allen chemisch
ihnUch zusammengesetzten Körpern sich die specifische Wärme ebenfalls
amgekehrt verhalte, wie die Atomgewichte.
Man kann diesen Satz auch dahin aussprechen, dieAtomechemisch
ähnlicher Körper bedürfen zu gleicher Temperaturerhöhung
gleicher Wärmemengen.
Für die Elemente, welche im starren Zustande vorkommen, belegt
diesen Satz nachstehende Tabelle^).
^) Besonders aasfiihrliche AiueinaodersetSTing Bndet man z. B. in: L. Meyer,
IKe modernen Theorien der Chemie. 3. Aufl. Breslau, 1876.
^ Dulong und Petit, Recherches sur quelques points importants de la th^orie
M ia chalenr. Ann. de chim. et de phys. 1. Serie, Bd. 106, S. 395 bis 413.
') F. Neumann, Untersuchung über die .specifische Wärme der Mineralien.
Pojrg. Ann. Bd. 23, S. 1 und Beobachtungen über die specifische Wärme verschiedener,
«uneailich zusammengesetzter Körper. Pogg. Ann. Bd. 126, S. 123.
*) Ausführlichere Belege findet man in: L. Meyer, Die modernen Theorien der
Chemie, 3. Aufl. 1876, S. 93 etc.
17'
260
n. Thermochemie.
Tabelle der Atomwärmen der Elemente.
Namen der Elemente
a
Specifigche
Wärme
C
Beobachter
Atom-
gewicht
K
AtOD-
JT. C
Alaminiam
Antimon
Arsen, krjst.
b) Graphit
Kapfer
Lithiatti
Magnesiam
Mangan •
Arsen, amorph . .
Blei
Bor, kryst
Bor, desgl
Brom
Cadmium
Calcium
Chrom
Eisen
Goia
Indium
Jod
Iridium
Kalium
Kobalt
Kohlenstoff
a) Diamant ....
»C.
60
?
55
81
45
55
45
56
55
233
600
— 51
55
50
86
58
55
50
59
60
— 34
55
985
978
55
58
35
64
60
34
55
0,2143
0,0507
0,0508
0,0523
0,0758
0,0814
0,0830
0,0822
0,0314
0,366
0,5?
0,0843
0,0567
0,170
0,100
0,1138
0,0324
0,0570
0,0541
0,0326
0,1655
0,1067
0,459
0,467
0,0935
0,0952
0,0930
0,9408
0,2499
0,2450
0,1217
Regnault
Dulong u. Petit
Regnault
Kopp
Wüllner
Regnault
Wüllner
Neumann
Regnault
)
1
F. Weber
Regnault
»
Bunsen
Kopp
Regnault
»
Bunsen
Regnault
P. Weber
Regnault
n
Kopp
Regnault
Kopp
Regnault
1
27,3
122
75
206,4
11,0
80
112
39,9
52,4
56
196,2
113,4
126,5
198
39,1
58,6
12
63,3
7
24
55
5,8
«,2
6,2
6,4
«,l
6,2
6,5
(5,5?)
6,7
6,3
6,8
5,2
6,4
6,4
6p
6,8
6,4
6,5
6,3
5,5
5,6
5,9
6,0
.5,9
6,6
6,0
5,9
6,7
A. Atomgewicht und specifiache Wärme.
261
Tabelle der Atomwärmen der Elemente.
Namen der Elemente
Molybdän
Natrium •
Nkkel
Oimitim
Palladiom
Phoiphor, gelb ....
ji n ....
jy roth • . .' •
PUtin
Qaeckfiilber, fest . . .
9 flüssig . .
Rhodium
Schwefel, rhombisch . .
9 geschmolzen
Ratheninm
oelett) amorph • . . •
» I) ....
II kryst.
» j»
De»g1
Silber
SUiciam, kryst. ....
Tellur
Thalliom
Wismnth
Wolfram
Zink
Zinn I
Zitkoniom
3
a
Specifische
Warme
C
55
— 14
55
60
55
— 34
19
67
55
— 59
50
55
67
56
50
— 9
— 5
59
42
61
55
232
55
58
55
55
55
55
34
50
0,0722
0,2934
0,1082
0,0311
0,0593
0,174
0,189
0,170
0,0324
0,0319
0,0332
0,0580
0,178
6,203
0,0611
0,0746
0,0953
0,0762
0,0840
0,0860
0,0570
0,203
0,0474
0,0335
0,0308
0,0334
0,0955
0,0562
0,0548
0,0662
Beobachter
Regnaalt
n
n
»
n
n
n
n
n
n
n
»
n
Bansen
Regnaalt
Wttllner
Regnaalt
Wüllner
Neamann
Regnaalt
F. Weber
Regnaalt
»
n
»
n
Kopp
Dana
Atom-
gewicht
K
1
1
96
23
58,6
198,6
106,6
31
196,7
200
200
104,4
32
103,5
» 78,0
108
28
128
203,6
210
184
64,9
118
90
Atom-
warme
K . C
I
I
6,9
6,7
6,3
6,2
6,3
5,4
5,9
15,3
6,4
6,4
6,6
6,1
5,7
6,5
6,3
5,8
7,6
5,9
6,6
e!^
6,2
5,7
6,1
6,8
6,5
6,1
6,1
6,6
6,5
6,0
Wenn die aufgeführten Zahlen auch idcht absolut gleich sind, so
-IDU88 man die grosse Uebereinstimmung derselben doch als einen Beweis
262 IL Thermochemie.
dafür ansehen, dass die Atomwärmen, d« h. die Prodacte ans der spedfi-
Bchen Wärme und dem Atomgewichte, sehr nahe constant sind.
Wollte man nun dem Qnecksilher nndCadminm, dem Phosphor und
Arsen die dnrch die Dampfdichte geforderten Atomgewichte znBchrexbeD,
so würden deren Atom wärmen nur halh resp. doppelt so gross sein, ih
die der uhrigen Elemente. Es gieht zwar auch hier grössere Abwei-
chungen^), jedoch sind das besonders drei Substanzen, nämlich Kobleo-
stofiP, Bor und Silicium, welche wieder unter sich verwandt sind, und mit
den oben genannten in keiner Beziehung stehen, so dass man diese nickt
wohl als Analogie zu Hülfe nehmen kann, auch gehen diese Differauen
nicht bis zur Hälfte oder bis zum Doppelten des Mittelwerthes 6,1.
Nachdem somit wenigstens an einigen Beispielen gezeigt worden is^
auf welche Weise man sich einigen Aufsohluss über die Anzahl derAtone
verschaffen kann, die zur Constitution eines Molecüles der betreffend»
Substanz gehören, wollen wir noch kurz andeuten, auf welche Wei«
wenigstens in vielen Fällen die Atomgewichte bestimmt werden könnoL
Mit Hülfe des Yolumengesetzes , dass unter sonst gleichen Unutli-
den gleich grosse Volumina gleiche Anzahlen von Molecülen enthaltea,
ist es nun leicht, aus einer Dampfdichtenbestimmung das Atomgewidit
auch solcher Elemente abzuleiten, welche nicht in Dampfform gebracht
werden können und z. B. auch dem Dulong-Petit'schen oder Nei-
m an n 'sehen Gesetze nicht gehorchen.
Sind nämlich M oder Mx die Gewichte der Molecüle, und D und Di .
die Dampfdichten zweier Gase, so verhält sich nach dem Avogadro'schea
Gesetze:
Jlf : Jtfi = D : A.
Hieraus folgt:
,= f.7>.
Nun ist das Moleculargewicht Mx des Wasserstoffs üf] = 2 (1 Atoa
H == 1 gesetzt) und die Dampfdichte (d. i. das speciBsche Gewicht desH,
Luft gleich 1 gesetzt) Di = 0,0693, mithin ist:
Jtf = 28,88 . D 1)
Es ist nun beispielsweise die Gasdichte des Eohlenoxydes D = 0,9698
und die der Kohlensäure D = 1,524. Multiplicirt man diese Zahlen mit
28,88 , so findet man das Moleculargewicht des Eohlenoxydes gleich 28
^) F. Weber hält es für wahrscheinlich, dass die Atomwägrmen nahe constant g^
fanden werden, wenn man für die specifischen Wärmen die Werthe nimmt, welche
für jede Substanz innerhalb des Intervalles gelten, innerhalb dessen die spedfischt
Wärme am meisten eine Constante ist, d. h. am wenigsten mit steigender Temperakv
wächst. Schon Regnault glaubte, dass man bei Bestimmung der specifischen .TVame
dem Schmelzpunkt der Substanz nicht nahe sein dürfe.
Die physikalischen Bedingungen der Gültigkeit des Gesetzes haben wir nach Boltx-
mann's Untersuchungen in einem der folgenden Paragraphen, dem sechsten dies» Ai^-
Schnittes, auseinandergesetzt.
A. Atomgewicht und specifische Wärme. 263
und das der Eoblensäm'e gleich 44. Da nun die procentische Analyse
ergehen hat, dass in der Eohlensänte mit 32 Oewichtstheilen Sauerstoff
12 Gewichtstheile Kohlenstoff und in dem Kohlenozyd mit 16 Oewichts-
theilen Sanerstoff 12 Gewichtstheile Kohlenstoff verhnnden sind, so ist
es sofort ersichtlich , dass für das Molecül der Kohlensänre nur die For-
mel GOs, fär das Molecül des Kohlenoxydes die Formel GO und für das
Atomgewicht des Kohlenstoffis nur 12 zulässig ist.
In denjenigen Fällen, in welchen die vorgenannten Hülfsmittel zu-
mal hei Yerhindungen nicht zum 2iiele fuhren, müssen die krystallogra-
phischen Beziehungen, hesonders der Isomorphismus und alle sonstigen
physikalischen und chemischen Eigenthümlichkeiten (Suhstitution,Wer-
thigkeit) mit in Rechnung gezogen werden. Isomorphismus, Dampf-
dichte, specifische Wärme, Yertretungswerth streiten gegenseitig
um den Hang, und da es schliesslich dem wohlerwogenen Ermessen üher-
lassen hleibt, auf welchen dieser Umstände man zumal hei Verbindungen
im Zweifelfall ein grösseres Gewicht zu legen hat, so erklärt es sich,
dass die theoretischen Grundlagen in der Chemie so schwankend und so
häufig Aenderungen unterworfen sind^).
4. Die physikalisolie Begründung der Avogadro' sehen
Hypothese für Gase mit mehratomigen Molecülen,
Bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die Bewegungszustände
Ton Molecülsystemen , in welchen die Geschwindigkeiten nach dem Max-
well^ sehen Gesetze yertheilt sind, wurde Boltzmann auf eine Gleichung
gefuhrt, welche die Richtigkeit der Ayogadro'schen Hypothese auch
für den Fall mit Sicherheit aus theoretischen Gründen erkennen lässt,
dass die Molecüle jene unregelmässigen sich durch Stdsse fortwährend
ändernden Bewegungen besitzen, welche Maxwell in seiner kinetischen
Gastheorie voraussetzt.
Boltzmann zeigt nämlich in seiner Abhandlung: „Ueber das Wärme-
gleichgewicht zwischen mehratomigen Gasmolecülen^ ^), dass, wenn zu
einer Zeit t die Anzahl der in der Yolumeneinheit eines Gasgemisches
befindlichen Molecüle eines bestimmten Gases, dessen Molecüle aus r Ato-
men bestehen , ^ ist , die Anzahl dN dieser Molecüle , deren Zustand
zwischen solchen Grenzen eingeschlossen ist, dass die Coordinaten des
ersten Atoms zwischen:
li und gl +- d|i, fii und % + dtii, ti und fi + dtu
die Coordinaten des zweiten Atomes zwischen:
I2 und & -f- VI2, ija und 1^2 + di]^, ti und f , + dfa,
?
Arendt, Lehrbuch der anorganischen Chemie. 2. Aufl., S. 537.
Separata1)dnick aus dem 63. Bande der Sitzungsber. der Wiener Akad«, S. 18 etc.,
Gl. 24).
264
IL ThermochejDQie.
die des rten Atoms zwischen:
I, und I, + d^r, % und iy, + diy^ f , und g, + df^
und dass allgemein die Geschwindigkeitscomponenien des iten dieser
r Atome zwischen den Grenzen:
Ui und Ui + dUi^ Vi und t;< -}- dt;<, ip, und ir, -f- dw,
liegen, durch folgende Formel^) dargestellt wird:
dN = Ä .e"^'^ . dli . . . dir^i ' dui . dvi . . . dw^ . , 2)
die Zustandsvertheilung unter den Molecülen weder durch die Bewe-
gung der Atome in den Molecülen, noch durch die Zusammenstösse mit
anderen Molecülen geändert wird, wenn auch die Zustandsyertheilung miter
den übrigen Molecülen anderer in derselben Yolumeneinheit beigemeng-
ter Gasarten durch eine der Gl. 2) analoge Formel bestimmt wird.
Hierin ist q) die Summe aus der Eraftfunction der auf die Atom»
wirksamen Kräfte und der gesammten lebendigen Kraft des Molecülen
h ist eine für alle Gasarten der im Wärinegleichgewicbt stehenden Giw
gemeinschaftliche Constante, welche die Temperatur des Gemisches be-
stimmt'). Ä aber ist eine für die verschiedenen Gasarten verschiede]
Constante.
Aus dieser Formel lassen sich nun einige wichtige Gonsequen
ziehen. Bezeichnet X die Kräftefunction der Kräfte, welche zwischen d
Atomen des Molecüls thätig sind, so lange das betrachtete Molecül m
gerade im Zusammenstösse mit einem anderen Molecüle begriffen ist,
sind die Massen der Atome mi, m^ , . , m^ und ihre Gesohwindigkeii
Ci, Cj . . . Cr, so ist:
9 = X +
l»l . Ci'
+
Wi . C^'
2 ' 2
und daher nach der vorigen Gleichung 2):
+ ... +
m, . Cr«
. 3)
dN
= ^.e-*(
jr +
mi
mt . et«
mr
^.
d|i . diii
. . . dtPr 4)
Dieser Ausdruck zeigt zunächst die wichtige Thatsache , dass ön
Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Zustände eines Molecüls gta nie
von der Natur der übrigen Molecüle abhängig ist, mit welchen dasadl
zusammenstösst, sondern bloss von der die Temperatur bestimmende
Constanten A, und diese muss, wie wir schon oben erwähnten, für a!l4
in Wechselwirkung stehenden Molecüle im Falle des Wärmegleich^
gewichtes denselben Werth haben.
^) Die Coordinaien des rien Atoms kommen nicht in Frage, weil die Lage
letzten Atoms durch die der übrigen und des Schwerpunktes bestimmt ist.
9) Es ist:
2* ^-
A. Atomgewicht und specifische Wärme. 265
Für die mittlere lebendige Kraft eines der r Atome z. B. des iten
findet man^):
fnj.'c? 1 rmt_^ 3 ^.
-2-=]fV-2-'^^=2Ä ^^
d. L die mittlere lebendige Kraft ist also für alle Atome der in Wechsel-
wirkung stehenden Moleoüle gleich. Da die mittlere lebendige Kraft
jedes Atomes gleich ist, so kann dieselbe anoh (wie wir das an vielen
Stellen angenommen haben) als Maass der Temperatur benutzt werden.
Die in der Boltzmann'schen Gleichung vorkommende Ekponential-
groflse ist, wie man sieht, unabhängig von der Richtung der Geschwin-
digkeiten; darausfolgt, dass, wenn die Stellung der Atome und die Grösse
der Geschwindigkeiten für irgend einen Zeitpunkt gegeben sind, fcbr jedes
Atom jede Geschwindigkeitsrichtung im Baume gleich wahrscheinlich ist.
Bezeichnet* man nun die Gomponenten der Geschwindigkeit des
Schwerpunktes eines Molecüles nach den drei Coordinatenaxen mit t«, r,
w ohne Index, so ist:
fHi , Ui -|- Mm . t^ -f" . . . -f- tW, . t*^
U= j j j ;
ähnliche Gleichungen lassen sich für v und to aufstellen. Die kinetische
£nergie der fortschreitenden Bewegung eines Molecüles ist nun aber die
Gesammtmasse fiii --|- ^ 4' • • • ~f~ ^r des Molecüles, mültiplicirt mit
dem halben Quadrate der Geschwindigkeit des Schwerpunktes des Mole-
cüles. Die kinetische Energie der fortschreitenden Bewegung eines Mo-
lecüles ist also:
(mi 4- »4 + • • • + «»r) • 2
2 . (Wi + l»3 + . . .)
Berechnen wir den Mittelwerth dieser Grösse, so erhalten wir lauter
Glieder von der Form:
:^ A • "' •
dN
imd ähnliche für v und w. Wegen der gleichen Wahrscheinlichkeit jeder
Bewegungsrichtung eines Atoms sind diese Integrale gleich 0, wenn p
und q verschieden sind, und sie besitzen den Werth -~, wenn pz=q=i
o
ist. Infolge dieses Umstandes ist die mittlere kinetische Energie der
fortschreitenden Bewegung eines Molecüles:
^) Da die za integrirende, mit dN multiplicirte Grosse nur die Qescilwindigkeii a
cnthilt, so ßllt X ganz ans der Rechnung. Die Integration mos« über alle in dN auf-
tretenden Variabein erstreckt werden und ist nach den Grossen «, v, w von -f- oo bis
— OD anazudehnen. Man sehe Boltzmann, Separatabdruck aus Wiener Ber., Bd. 63,
8. 20.
266 IL Thermochemie.
hß
(mj + »i2 + . . . 4- m,) . ^ ^ — ' dN=^'Ci^
— T • ^ «)
Die mittlere lebendige Kraft der fortschreitenden Bewegang da
Molecüles ist also gleich der mittleren lebendigen Kraft jedes Atoms ^).
Eine Conseqnenz dieses Satzes findet in der Erfahrung ihre BestätigoDg.
Das Product ans der mittleren lebendigen Kraft der fortschreitea-
den Bewegang und der Anzahl Molecüle in der Yolumeneinheit bestiinDt
den Druck ^), da die mittlere lebendige Kraft eines Atoms aber als Maas
der Temperatur dient, so müssen bei gleichem Druck und bei gleidur
Temperatur in der Yolumeneinheit für alle Gase gleichviel Molecüle ent-
halten sein.
Damit aber ist die Avogadro'sche Hypothese in voller AUgemdih
heit auch für Gase wissenschaftlich begründet, deren Molecüle ratomig
sind, und das ist wichtig, da die früher von uns (S. 24) gegebene Ab-
leitung stillschweigend auf der Yoraussetzxmg beruhte, dass die Gas-
molecüle sich wie materielle Punkte verhielten, also selbstredend einatomig
wären, und sich ziemlich regelmässig bewegten.
Eine andere Conseqnenz der Formel 5) wird durch die Yereaehi
nicht bestätigt Bezeichnet nämlich ü die totale Energie des Gases ml
%f die kinetische Energie der fortschreitenden Bewegung seiner Molecoki
so ist nach Satz 6), wenn r Atome im Molecüle voshanden sind:
U=r .Zj 7)
Nun hat aber bekanntlich Clausius (man sehe Bd. 2, S. 36) nack-
gewiesen, dass für ein Gas, bei dem man von innerer Arbeit abaehfla
kann:
|:=i.^_ 8)j
% 3x— 1 "
c
ist, worin x = -^ das Yerhältniss der specifischen Wärmen bedeutet
Hieraus folgt, dass z. B. für vollkommene Gase, deren Molecüle zwö-
c
atomig sind, x ^ — folgenden Werth haben müsste:
X = 1 + I- ....»)
3r
Sauersto£P, Wasserstoff, Chlor etc. sind, wie wir gesehen haben, m-
atomig, demnach ergäbe sich auf theoretischem Wege:
X = 1,333,
während durch Yersuche für Luft, die doch ebenfalls ein Gemisch zwei-
atomiger Molecüle ist, von Röntgen:
I
j
^) 0. E. Meyer halt diese Interpretation des Resultates und somit ancli di« Ua<' j
auf basirenden Schlüsse nicht für richtig. Man sehe : Kinetische Theorie der Gsse, S. ^ |
'} Man sehe z. B. Bd. 2, S. 37. |
A. Atomgewicht und specifische Wärme. 267
X = 1,405
gefunden worden ist.
Die Annahme, dass r >» 2 sei, würde auf noch kleinere Werthe
Ton X fuhren.
6. Die speoiflfiohe Wärme des Queoksilbergases.
Eine andere, man musB geradezu sagen üherraschende Ueber-
einstimmung der Formel 9) mit der Erfahrung ist jedoch neuer-
dings Ton Eundt und Warburg ^) geliefert worden. Diese beiden
Physiker bestimmten n&mlioh den Quotienten der specifischen Wftrmen
X för Quecksilbergas, d. h. fiir eines von denjenigen Gasen, deren Mole*
cfile man aus chemisohen und physikalischen Gründen als einatomig an-
sQsehen berechtigt ist, und sie fanden in yollkommener Uebereinstimmung
mit der Formel 9) für r = 1:
X = 1,67.
Damit ist nachgewiesen, was von grosser Bedeutung ist, dass in
chemischer und mechanischer Beziehung sich das Molecül des Queck-
nlbergases wie ein materieller Punkt verhält.
Dass dies in anderer, z. B. in optischer Beziehung nicht der Fall
ist, können wir aus dem reichen Linienspectrum des Lichtes erkennen,
welches glühendes Quecksilbergas aussendet.
Wir wollen kurz beschreiben, auf welche Weise Eundt und War-
bnrg verfahren sind.
Die gesuchte Grosse wurde aus dem Verhältniss der Wellenlängen
eines und desselben Tones in Luft und in Quecksilbergas von bekannten
Temperaturen nach dem schon früher von uns andeutungsweise beschrie-
benen Verfahren von Eundt') ermittelt.
Bezeichnet V den Abstand zweier zu einem bestimmten Tone gehö-
riger benachbarter Staubfiguren in Luft, deren absolute Temperatur T'
und deren Dichte unter Normalverh<nissen q! ist, und nennen wir V
den entsprechenden Abstand zweier benachbarter Staubfiguren für den-
selhen Ton in Quecksilbergas, dessen Temperatur T" und Normaldichte
p' ist; dann gilt, wenn %* resp. x'' die Quotienten der specifischen Wär-
men in beiden Gasen sind, die Gleichung:
Denn bekanntlich ist der Abstand 2 zweier Eundt' scher Staubfiguren
gleich der halben Wellenlänge und somit:
^) Ueber die specifische WSrme des Qaecksilbergases. Pogg. Ann. Bd. 154, S. 353
bis 369.
^ Man sehe darüber: Kundt, Pogg. Ann. Bd. 127, S. 497, Bd. 135, S. 337.
n
268 IL Thermocheinie.
2nl — Sl
gleich der FortpflanzungsgeBchwindigkeit des Schalles.
Um l" resp. {' für das n&mliclie n bestimmen zu können, wurde k
ein Glasrohr A eine abgewogene Menge Quecksilber gebracht mid du
Rohr möglichst InfUeer gepumpt. Ausserdem enthielt dieses Glasrolv
etwas Kieselsäure, die zur Erzeugung der Staubfiguren diente. An dit»
ses Glasrohr Ä war ein Glasstab B angeschmolzen, so dass die Axen im
Ä und ^ in die gegenseitige Verlängerung fielen. A wurde nun a
einem einfachen Kasten von Eisenblech , der ausserdem noch ein Luft»
thermometer enthielt, auf Temperaturen erhitzt, deren Betrag durch du
Luftthermometer ermittelt werden konnte. Das aus dem Kasten henm
stehende Ende des Stabes B ragte in ein mit Luft gefülltes, am andent
Elnde geschlossenes Bohr C, das zur Messung der Entfernung zweier b»
nachbarter Stanbfiguren in Luft etwas Lykopodium enthielt und auf d«
Constanten Temperatur des Beobachtungsraumes erhalten wurde.
Der Stallt B wurde auf seinen dritten Longidutinalton angeriebflu
Hierdurch entstanden im Bohre A die Staubfiguren im Quecksilbergase ui
in C die Staubfiguren fär den Ton des Stabes B in der LufL Der Ah
stand derselben sowie die Temperatur in A und C wurde sorgftltig gl
messen *).
Es ergab sich z. B. bei einem Versuche:
T' = 22,9'> + 274«, T" = 316,3« + 274«, t = 35,23 mm,
V = 21,16mm,
und hieraus , wenn man x' nach Böntgen = 1,405 f%Lr Luft
-7- = 6,978 nach Dumas setzt:
9
x" = 1,67.
, Da der Hohlraum des Bohres A bei einer Temperatur von 281« C.
das eingebrachte Quecksilber gerade mit Dampf gesättigt wurde, so
man wohl auch annehmen, dass bei der Temperatur der Messung
Quecksilbergas sich nahezu wie ein yoUkommenee Gas verhalten
wird.
Aus 16 sehr vorzüglich übereinstimmenden Versuchen, welche
sehr verschiedenen Temperaturen und Sättigungsgraden angesteUt
den, ergab sich in überraschender Uebereinstimmung mit der Theorie:
x" = 1,667.
Hieraus folgt die specifische Wärme des Quecksilbers bei constani
Volumen:
^) Genaueres über die Construction des Apparates sehe man in Knndt and Wt£
bürg, Ueber die specifische Wärme des Quecksilbergases. Pogg. Ann. Bd. 157, S.
bis 369.
1
A. Atomgewicht und specifische Wärme. 269
c, = 0,1027,
und das ist der kleinste derartige Werth, der nns bis jetzt bekannt ist ^).
Es kann zur Zeit nicht angegeben werden, warum für die zwei- und
mehratomigen Molecüle die Theorie nicht Resultate ergiebt, die mit den
Yersachen übereinstimmen.
6. Die physikalisohe Begründung des Dulong-Petit'-
soben Gesetzes.
Da wir gerade über die Molecularbewegungen, auf denen die Wärme-
encheinungen der festen Körper beruhen, ungemein wenig wissen, so
rnnss es in hohem Grade überraschen , dass sich für die specifischen Wär-
men der Elemente in diesem Aggregatzustande so überraschende Gesetz-
mässigkeiten ergeben, die, wenn sie auch nicht streng erfüllt sind, doch
schon ans dem Grade der Annäherung, mit dem sie bestehen, eine tiefere
physikalische Ursache vermuthen lassen.
Diese Ursache ist auch neuerdings vonBoltzmann gefunden worden.
In einer interessanten Abhandlung ^), betitelt : „ Analytischer Beweis des
sweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie aus den Sätzen
aber das Gleichgewicht der lebendigen Kraft*' , betrachtet er nämlich
einen beliebigen Körper, der aus r Atomen besteht, und bezeichnet die
Coordinaten des iten dieser Atome mit a;<, ^., 0i und die Geschwindigkeits-
eomponenten dieses Atoms nach den drei rechtwinkligen Goordinatenaxen
mit Ui^ Vfy Wfj die Geschwindigkeit des Atoms selbst aber mit Ci. Die
^bäftefimction der auf die Atome wirksamen Kräfte bezeichnet er mit 2*
£r zeigt nun, dass die bei einer Zustandsänderung zugeführte Wärme-
menge 8Q:
dQ=8^^-^dx-Ii 11)
vnd dass -^ ein vollständiges Differential ist.
Die für ÖQ gegebene Formel 11) zeigt, dass die zngeführte Wärme
sn drei verschiedenen Zwecken verwendet wird. Der erste Theil
i 2^r ^®^* *^"^ Erhöhung der lebendigen Kraft der Atome, d. h. zur
Temperaturerhöhung, der zweite Theil -|~ 8x, wird auf innere Arbeits-
leistung verwendet , und — Ifx ist die für äussere Arbeitsleistung
^) A. Nenmann hatte schon im Jahre 1867 die Vermnthung ausgesprochen, dass
c, für Qaecksflber den kleinsten möglichen Werth besitzen möge. Man sehe: Ann. d.
Chem. a. Fhmrm. Bd. 142, S. 282.
*) Separatabdmck aus den Sitzungsberichten der Wiener Akad. Bd. 63, Abth. U,
8. 16 etc.
270 IL Thermochemie.
verbrauchte .Wärmemenge. Der Quotient der zur Temperaturerhöhmg
der Gewichtseinheit verwendeten Wärmemenge und der hervorgebrachten
Temperaturerhöhung ist die Grösse , welche wir Bd. 2 , S. 10 mit den
Namen wahre specifische Wärme eines Eöi*per8 belegt haben.
Nun ist aber, wie wir schon früher zeigten (S. 265, Gl. 5 u. GL 7):
--^2 2h
.2
d. h. die Grösse >. --— ist das rfache der Grösse ^77, das rfache der mitt-
-^^ 2 • 2Ä'
leren lebendigen Kraft eines Atoms. Da nun die Temperatur der miti'
leren lebendigen Kraft eines Atoms proportional ist, so ist die wahre
specifische Wärme gleich einer Constanten multiplicirt
mit der Anzahl Atome in der Gewichtseinheit. Die wahre
specifische Wärme eines Körpers ist also constant und
verkehrt proportional dem Atomgewichte (d. h. dem dnrek
die Anzahl der Atome im Molecüle dividirten Molecular-
gewichte).
Für feste Körper ist es, wie wir aus den ezperimenteUen Gnmd-
lagen der Elasticitätslehre schliessen, wahrscheinlich, dass die Kraft,
welche auf irgend ein Atom wirkt, angenähert proportional der Entfo»
nung des Atoms von seiner Ruhelage ist. Demnach muss die Krftfte-
function, deren Differentiale nach den Coordinaten die Kraffccomponeniei
nach dieser Richtung geben, angenähert die Form haben:
+ JTy + I^ . . .) 12)1
Berechnet man unter dieser Annahme den Mittelwerth % von j^
wozu Boltzmann am angegebenen Orte die Anleitung giebt^ so findet
man für diese Annahme:
x = S^ ")
Für feste Körper kann man also in erster roher Annäherung:
»
setzen, da man — ^^t <^^ &^ äussere Arbeit verwendete Wärmemenge
bei festen Körpern ohne wesentlichen Fehler vernachlässigen kann« Dieie
Formel in Verbindung mit Gl. 11, S. 269 aber sagt aus: Bei festei
Körpern ist sehr nahe die auf innere Arbeitsleistung ver-
wendete Wärme ebenso gross, als die für Temperaturerhö-
hung verbrauchte. Die gesammte zugeführte Wärme ist
aber sehr nahe doppelt so gross, als die auf Temperatur-
erhöhung verwendete. Die von uns experimentell he-
A. Atomgewicht und specifische Wärme.
271
stimmte specifische Wärme fester Körper ist daher sehr
nahe doppelt so gross, als die wahre Wärmecapacität des-
selben; danun die letztere dem Atomgewicht verkehrtpro-
portional ist, so muss es auch die letztere sein, and das ist
das Dalong-Petit'sche resp. F. Neumann'sche Gesetz.
Dieser Boltz mann 'sehe Satz findet in einigen Fällen eine über-
raschende Bestätigung, wenn man anf später anzudeutende Weise ans
den specifischen Wärmen yon Verbindungen die specifischen Wärmen
derjenigen Elemente im starren Zustande berechnet, deren Wärmecapa-
citäten im gasförmigen Zustande experimentell gefunden worden sind.
Wir bemerkten schon fr&her (S. 10), dass die specifische Wärme bei con-
stantem Volumen fär yollkommene Gase die wahre specifische Wärme-
sein müsse. Es fand sich nun für:
Stickstoff .
Chlor . .
Brom . .
Quecksilber
Specifische Wärme
0,36
0,18
0,084
0,032
0,173
0,093
0,042
0,015
Die specifische Wärme einer Substanz im starren Zustande steht zur
wahren Wärmecapacität fast genau im Verhältnisse von 2:1 ^).
Allerdings wollen wir nicht verschweigen, dass Sauerstoff und Was-
serstoff zur Zeit noch als Ausnahmen erscheinen. Es ist:
specifische Wärme
Wasserstoff •
Sauerstoff .
starr
2,3
0,25
gasförmig
2,41
0,156
Verhältniss
1 : 1
1,3 : 2
Da wir in der That die Producte aus specifischer Wärme und Atom-
gewicht, d. h. die Atomwärme der Elemente so nahe constant finden (man
sehe die Tabelle auf S. 260), so können wir hieraus rückwärts schHessen,
dass auch unsere Voraussetzung ziemlich richtig gewesen ist, d. h. dass die
auf die Atome fester Körper wirksamen Kräfte in roher Annäherung pro-
portional den Entfernungen der Atome von ihrer Mittellage sind.
Man könnte rückwärts hieraus schUessen, dass bei dei^jenigen Sub-
^) Damit diirfte aach die Vermttthung L. Hey er 's in: Die modernen Theorien der
Chemie, 3. Aa£. (1876), S. 110, ihre Erledigung finden, welche in Bezug auf obige
Zahlen lautet: „Ist auch der Grund dieser RegelmSssigkeit zur Zeit noch nicht erricht-
Hch, so dürfte sie doch schwerlich einem Spiele des Zufalles entsprungen sein.
272 IL Thermochemie.
stanzen: Kohlenstoff, Bor, Silicinm, welche erst in höherer Tempe-
rator dem Da long- Petit' sehen (jesetze sich angenähert nnterordneo,
das Kraftgesetz, welches die Molecäle in ihre Gleichgewichtshige sarwk'
führt, ein anderes sei, dass diese Sahstanzen somit hei gewöhnlidiei
Temperataren aach den sonst gültigen Elasticitatsgesetzen nidit folgen.
Yersache liegen hierüher, soTiel mir hekannt, zor Zeit nocb nicht vor,
jedoch dürfte es, wenn aach ziemlich schwierig, doch nicht anmöglich leb,
experimentelle Untenrachangen hierüher anzostellen.
7. Die Wärmecapacität der Verbindungen.
Die Wärmecapacitäten der Atome scheinen sich nicht wesenÜicii a
ändern, wenn dieselhen in Verhindongen eintreten, so dass man deniol-
genden Satz jetzt als naheza erfahrangsmässig begründet ansehen kaio:
Dem Molecalargewichte jeder Yerbindang entspricht iz
festen Aggregatzastande eine specifische Wärme, welebt
angenähert gleich der Snmme der specifischen Wärmei
der im Molecüle enthaltenen Atome ist^).
Die specifische Wärme des Jodhleies ist nach Regnaalt =0,0427,
and die des Brombleies = 0,0533. Mnltiplicirt man diese Zahlen nA
den Molecalargewichten PbJj = 459,4 and PhBr^ = 365,9, so erhill
man die Molecalarwärmen (analog den Atomwärmen) 19,6 and 19,5. Dil
Sammen der Atomwärmen der in diesen Verhindangen enthaltenen Atoot
ergehen sich aher nach der Tahelle S. 260 za:
für Ph J, = 6,5 + 2 X 6,8 = 20,1
„ PhBr, = 6,5 + 2 X 6,7 = 19,9
Man erkennt leicht, aaf welche Weise man darch derartige Betndt-
tnngen im Stande ist, die specifische Wärme im starren Zustande solelief
Elemente za berechnen, welche ans isolirt nar im gasförmigen Zndaak
bekannt sind.
Die specifische Wärme des Ghlorhleies, PbClg, warde von Keg-
naalt z. B. gleich 0,0664 gefanden. Das Atomgewicht des Chlor
hl ei es aber ist 277,1. Man findet hiemach die Molecalarwfirmi
des PbCla = 277,1 X 0,0664 = 18,4. Wenn man hiervon die Aton-
wärme des Bleies 6,5 subtrahirt, so bleibt 11,59 = 2 X 5,95 für 70,5 G^
wichtstheile Chlor im starren Zastande. Daraas folgt, wenn man 53$
darch 35,37, das Atomgewicht des Chlors, dividirt, dass die specifiscb
Wärme des Chlors im starren Zastande = 0,17 ist.
^) Wir entnebmen diesen Satz und seine Erläaterong dem bereits mebrfacb dtätti
trefflieben Werke L. Meyer 's: Die modernen Theorien der Chemie. 3. Aufl., S. lOl
Dort ist gleichzeitig dAraaf anlinerksam gemaeht, dass Kopp in den Ann. der Chea.
und Pharm. 3. Snpplementbd. S. 1 ff. auseinandergesetzt hat, welchen AntheU difC F<^
scher: Regnault, de la Rive und Marcet, H. Schröder, Woestyn, Gariicfs
Bancalari und Cannizzaro an der Au&tellung und Begründung dieses Satzes hataa
A. Atomgewicht und specifische Wärme. 273
Für eine AnEahl von starren Substanzen ist anf diese Weise die
gpedfijsche Wärme zuerst auf Rechnnngswege gefunden worden und erst
später worden diese Zahlen durch experimentelle Untersuchungen bestätigt.
Schon ziemlich früh (1864) hatte Glausius auf die Gültigkeit des
oben angeführten Satzes für die wahren specifischen Wärmen hin-
gewiesen; da wir nun jetzt durch Boltzmann wissen, dass die speci-
fische Wärme einer Substanz im stari'en Zustande zur wahren specifischen
Wärme in einem so einfachen Verhältnisse steht, dass die erstere an-
genähert das Doppelte der letzteren ist, so findet nunmehr auch dieser
Satz seine einfache rationelle Begründung. Gleichzeitig ist aus dem
vorstehenden Paragraphen zur Genüge ersichtlich, dass es sich hier
eben nur um ziemlich rohe Annäherung und durchaus nicht um absolute
Gleichheiten handeln kann. Insofern dieser Glausius' sehe Satz zum
^rständniss des am Eingang dieses Paragraphen mitgetheilten Erfah-
nmgsgesetzes dienen kann, wollen wir denselben in der gewählten Modi-
fication an dieser Stelle kurz reproduciren 0*
Derselbe lautet in der im einleitenden Abschnitte dieses Bandes (Bd. 2,
I, A, 4, S. 8, Gl. 8 und 9) mitgetheilten Form: die innere kinetische
Energie, d.h. derWärmeinhalt eines Körpers, ist lediglich
eine Function der Temperatur und unabhängig von der
Anordnung der Moleoüle.
Nach dem inzwischen mitgetheilten Boltzman n' sehen Satze (S. 266,
6L 6) könnten wir in dem Schlüsse dieses Satzes hinzufügen: und un-
abhängig von der Anordnung der Atome in den Molecülen.
Wir glauben, dass damit auch die neueren Erfahrungssätze über die
specifischen Wärmen chemischer Verbindungen ausreichend theoretisch
begründet erscheinen.
Dass sich Glausius über die Tragweite seines Satzes vollkommen
klar gewesen ist, erhellt aus den Schlussfolgerungen, welche er aus den-
lelben zieht.
Er sagt in §. 9 der citirten Abhandlung ^): „Ich glaube sogar, die An-
wendung jenes Gesetzes , wenn es richtig ist , noch weiter ausdehnen zu
müssen, nämlich auf chemische Verbindungen und Zersetzungen** und
weiterhin'): „Daraus folgt, dass die wahre Wärmecapacität jeder Ver-
bindung sich anf einfache Weise aus den wahren Wärmecapacitäten der
einfachen Stoffe berechnen lassen muss. Berücksichtigt man dazu die
bekannte Beziehung zwischen den specifischen Wärmen der einfachen
Stoffe und ihren Atomgewichten, welche, wie ich glaube, für die wahren
Wärmecapacitäten nicht bloss angenähert, sondern genau richtig ist, so
sieht man, welche durchgreifende Vereinfachungen das aufgestellte Ge-
setz, wenn es richtig ist, in die Wärmelehre bringen kann.**
1) Man sehe Glausius (1862) in dem Aufsatze: lieber die Anweodung des Satzes yon der
Aeqoivalenz der Verwandlungen auf die innere Arbeit. Abhandlungen. Bd. I, S. 264 u. s. f.
^ A. a. 0., S. 269.
») A. a. 0., S. 270.
Yerdet-Bfthlmann, Meohan. Wftnnetbeorieb Bd. 2. X8
274 IL Thermochemie.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer
Arbeit.
1. Meohanisclie Bedeutimg der bei chemisclien Vorgängen
entwickelten Wärme.
Wir bemerken fast ausnahmslos, dass bei chemischen Vorgängen
Wärmeprocesse mit nebenher gehen, und in neuerer Zeit hat eine Anzahl
hervorragender Chemiker sich vorzugsweise mit dem Studium der hier
in Frage kommenden Wärmemengen beschäftigt. Diese Wärmeerscheinun-
gen haben ihren Grund darin ^), dass die Molecüle sich chemisch ver-
bindender Substanzen auf einander losstürzen und, indem sie einer zwi-
schen den Molecülen bestehenden Anziehungskraft Folge leisten, kineti-
sche Energie gewinnen. Umgekehrt wird für die Trennung von Atomen
oder Molecülen eine gewisse Arbeits- oder Wärmemenge aufgewendet
werden müssen, deren Betrag durch die bei der Vereinigung gewonnene
lebendige Kraft bedingt wird.
Die bei einer chemischen Reaction auftretenden Wärmemengen kön-
nen daher als ein Maass der Arbeit angesehen werden, welche von der
chemischen Affinität, d. h. von den zwischen den Atomen und Mole-
cülen thätigen Kräften geleistet worden ist, sofern während des Vorgan-
ges keine äussere Arbeit an andere Körper abgegeben wurde.
Lediglich als eine natargemässe Gonsequenz dieser Anschauungen
ergiebt sich, da die zwischen den Atomen oder Molecülen wirksamen
Kräfte lediglich innere Kräfte sind, der Satz: Wenn ein System
einfacher oder zusammengesetzter Substanzen in be-
stimmten Zuständen (bedingt durch Druck, Volumen, Dis-
gregation, Temperatur) gegeben ist, und dieses System er-
fährt physikalische oder chemische Aenderungen, welche
dtks System in einen neuen Zustand überführen, ohne dass
gleichzeitig äussere mechanische Wirkungen hervorge-
bracht werden, so hängt die bei dieser Aenderung ent-
wickelte Wärmemenge lediglich von dem Anfangs- und
Endzustande des Systems, nicht aber von den Zwischen-
zuständen ab, welche durchlaufen wurden.
Dies ist derselbe Satz '), welcher schon früher von uns, zumal bei
der Behandlung der Lösungserscheinungen, vielfach angewendet worden ist
Aus diesem Fundamentalsatze fliessen eine Reihe von anderen Sätzen;
die für die Behandlung der folgenden Aufgaben wichtigsten derselben
wollen wir kurz anführen.
^) A. Naamann, Thermochemie 1869, S. 54 (Braannchweig, Friedr. Vieweg a. Sohn).
«) Bd. 1, VI, B, 1, S. 751.
B. Aequiyalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 275
Die bei der Zersetznng eines Körpers absorbirte
W&rmemenge ist gleich der bei der Bildung derselben ent-
wickelten Wärmemenge, sofern Anfangs- und Endznstand
dieselben sind.
Vollzieht sich ein chemischer Vorgang mit Warme-
entwickelung, und bedingt dieser Vorgang das Stattfinden
eines anderen, so ist der zweite nur möglich, wenn er zu
seiner Vollbringung eine geringere Wärmemenge in An-
sprach nimmt, als die Wärmemenge ist, welche bei dem
ersten Vorgange entwickelt wird.
Ans diesem Satze ist es z. B. ohne Weiteres verständlich, warum es
nieht möglich ist, mit einem einzigen D an i eil 'sehen Elemente eine
Wasserzersetzung einzuleiten (man sehe Bd. 1, Anmerk. 25 zu den Vor*
lesnngen, S. 121).
Berthelot ^) hat diesem Satze eine etwas allgemeinere Form ge-
geben, welche folgendermaassen lautet:
Die bei einer Anzahl zugleich stattfindender physi-
kalischer und chemischer Umwandlungen auftretende
(positive oder negative) Wärmeentwickelung ist die alge-
braische Summe der einzelnen bei jeder Umwandlung für
sich stattfindenden Wärmeentwickelungen.
Selbstverständlich müssen hierbei die verglichenen Umwandlungen
aller Körper immer unter den entsprechenden Anfangs- und Endzuständen
vorgenommen werden.
Femer ergiebt sich ohne Weiteres, dass wenn man zwei Reihen von
Znstandsänderungen von zwei verschiedenen Anfangszuständen aus an-
fingt, die KU demselben Endresultate fuhren, der Unterschied zwischen
den in beiden Fällen stattfindenden Wärmeentwickelungen gleich dem
Beirage der Wärmeentwickelung ist, welche bei der Ueberf&hrung des
eben Anfangszustandes in den anderen auftritt. Stimmen hingegen die
Aniaogszustände überein und sind die Endzustände verschieden, so ist
der Unterschied der bei beiden Processen entwickelten Wärmemenge
gleich der Wärmemenge, die aufkritt, wenn man von dem einen Endzustand
m dem anderen übergeht.
Wenn ') ein Körper Ä (z. B. 0) bei^der Vereinigung mit einem an
deren Körper B (z. B. einem Metall) Wärme entwickelt, und wenn hier-
auf der Körper AB (das Metallozyd) den Körper Ä an eine dritte Sub-
atanz C (ein anderes Metall) abgiebt unter Bildung einer neuen Verbin-
dung (Oxydes des anderen Metalles), so ist die bei dem letzten Vorgange
entwickelte Wärmemenge um den Betrag der. bei der Herstellung der Ver-
bindung AB entwickelten Wärmemenge geringer, als die bei der directen
Verbindung von A mit C freigewordene Wärmemenge.
^) Berthelot, Ann. d. chim. et d. phys., Serie 4, Bd. 6, S. 294.
^ A. Naumann, Thermochemie, S. 55.
18*
276 II. Thermochemie.
Diese Sätze sind so an sich einleachtend, dass wir dayon abeeben
wollen, dieselben durch Beispiele zu erl&uiern.
Bei allen Anwendungen dieser Sätze ist übrigens wohl zu beaditen,
dass erstens die Aggregatzustände und femer sogar die AtonÜAgemng in
den Molecülen der sich yerbindenden Substanzen und der Verbindungen
sehr wesentliche Unterschiede bedingen kann , und dass man daher em-
pirisch gefundene Zahlwerthe sehr sorgfaltig in dieser Richtung za piü-
fen hat, ehe man sie für Berechnung anderer scheinbar analoger Vor-
gänge benutzen kann.
Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass die Chemiker zwei Arten
Yon Verbindungen unterscheiden ^) , nändioh Atomyerbindungen und Mo-
lecülyerbindungen (besser yielleicht Verknüpfungen). Die AtomTer-
bindungen umfassen die eigentlichen chemischen Verbindungen, d.L
diejenigen zusammengesetzten Substanzen, deren Molecüle aus den ele
mentaren Atomen yermöge der zwischen ihnen bestehenden chemischen
Anziehung nach festen durch die Werthigkeit der Atome bedingten Y»-
hältnissen entstanden sind. Hierbei ist nicht ausgeschlossen, dass an
Stelle yon Atomen auch Molecüle eintreten , welche noch mehrere freie
Verwandtschaftseinheiten besitzen.
Die Molecülyerbindungen sind solche, welche durch die zwisdien
den Molecülen yorhandenen Anziehungskräfte zusammengehalten werdea
Es können Molecülyerbindungen nach festen Verhältnissen
stattfinden , indem eine gewisse Zahl yon Molecülen sich zu einem n-
sammengesetzten Molecüle yereinigen, z. B. die Molecüle eines Salzes aut
mehreren Molecülen Erystallwasser. Es können aber als Molecül Ver-
bindung nach yeränderlichen Verhältnissen solche Substansen
bezeichnet werden, bei denen sich unter Mitwirkung der Molecnltf*
anziehung yerschiedene Molecüle gleiohmässig unter einander yertheiks,
wie dies z. B. bei vielen Legirungen, Lösungen und Flüssigkeitsgemiscba
der Fall ist. Von vielen werden allerdings Substanzen der letztgenannten Ait
yon den vorigen vollständig geschieden, und die obengenannten Molecül-
yerbindungen nach festem Verhältnisse den Atom Verbindungen im weiteroi
Sinne mit zugerechnet, und somit die Vereinigung von Atomen oder Mole*
cülen nach festen Verhältnissen als Unterscheidungsgrund festgehalteiL
Diesen Principien ist in neuerer Zeit ^) ein weiteres zugefügt worden,
welches von seinem Entdecker, Berthelot, das Princip der Maximal"
arbeit genannt wird, streng genommen jedoch nichts Anderes ist, als eise
Gonsequenz des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheona
Dasselbe lautet:
^) A.- Naumann a. a. 0., S. 53.
^) Berthelot, Le^ons sur les m^thodes g£n4ra1es de sjnth^se en chimie orgaacqn^i
S. 399 etc. (1864, Gauthier-Villars); auch sehe man desselben Verfassers Abhand-
lungen: Nouvelles recherches de thermochimie. Ann. d. Chim. et d. Phjs. 4. Snky
Bd. 18, S. 103, und: Principes g^n^raux de la thermochimie. Ann. d. Chim. ei d. Phyv
5. Serie, Bd. 4, S. 52 etc.
B. Aequivalenz zwischen Wanne und chemischer Arbeit. 277
Jede obemisohe Zustandsanderung, welche ohne Mitwir-
kung äusserer Energie vor sich geht, führt zur Bildung der-
jenigen Substanzen, bei derenHerstellung die grösste Wärme-
qnantität entwickelt wird.
Man kann diesen Satz ebenfalls als einen an sich richtigen aner-
kennen, da ein System, weiches so viel Wärme entwickelt hat, als möglich
war, nicht mehr die nothige unwandelbare Energie besitzt, um eine wei-
tere Znstandsänderung einzugehen. Jede weitere Zustandsanderung würde
eine weitere Arbeitsleistung voraussetzen, diese aber ist nunmehr nicht
ohne Mitwirkung einer von aussen zugeföhrten Menge von Energie möglich.
Em System von Substanzen hingegen, welches föhig ist, durch eine wei-
tere Aenderung der moleeularen Lagerungen noch mehr Wärme zu ent-
wickeln, besitzt noch umwandelbare Energie, mit deren Hülfe ohneMit-
wiikung äusserer Energie weitere Zustandsänderungen eintreten können.
Man könnte diesen Satz ungefähr mit dem mechanischen Satze ver-
gleichen, dass ein System von schweren Körpern derjenigen Anordnung
zostrebt, in welcher der Schwerpunkt des ganzen Systemes möglichst
tief zu liegen kommt. Einige Beispiele werden den Inhalt und die Be-
deutung dieses Satzes noch vollends klar machen.-
Bei der Verbindung von 2 Kg Wasserstoff mit 16 Kg Sauerstoff
werden ungefähr 68 000 Galorien entwickelt, dagegen bei der Vereinigung
von 2 Kg Wasserstoff mit 32 Kg Sauerstoff zu Wasserstoffsuperoxyd nur
45 000 Calorien ^). Bei directer gegenseitiger Einwirkung beider Elemente
wird sich daher Wasser bilden, während, in Uebereinstimmung mit der
Theorie, Wasserstoffsuperoxyd bekanntlich das Streben zeigt, sich unter
Entwickelang von 23 000 Calorien in Wasser und freien Sauerstoff zu
zersetzen. Um Wasserstoffsuperoxyd aus Wasser und Sauerstoff herzu-
stellen, bedarf es der Mitwirkung einer äusseren Energie, welche z. B.
durch einen gleichzeitig stattfindenden anderweiten chemischen Process
gdiefert werden kann.
Wenn aus einem Molecül Zinn und einem Moleoül Sauerstoff Zinn-
oxydul gebildet wird: Sn + 0 = SnO,
80 entwickeln sich gleichzeitig 34Ö00 Wärmeeinheiten. Bei der Bildung
von Zinnoxyd dagegen: Sn 4* O2 = SnO),
werden 72 700 Calorien abgegeben. Die Erfahrung lehrt auch, dass bei
Einwirkung von Sauerstoff auf metallisches Zinn sich vorzugsweise Zinn-
cxyd bildet, und dass Zinnoxydul unter Anwesenheit von freiem Sauer-
stoff von selbst in Zinnoxyd übergeht.
Es stehen mit diesen Grrundregeln femer folgende Thatsachen im
innigen Znsammenhange und können zum Theil zur Erläuterung und
Bestätigung derselben dienen. Man bemerkt nämlich, dass alle Verbin-
dungen, bei deren unmittelbarer Entstehung aus ihren Elementen Wärme
entwickelt wird, sich nicht von selbst zersetzen können, sondern dass die
1) Man sehe Bd. 2, II, B, S. 290.
278 n. Thermochemie.
Einwirkung einer äosseren Energie nöthig ist, um die vereinten Elemente
wieder von einander au trennen. Es gehört dazu entweder calorbdie
Energie, die man durch Erhitzen der Verbindung zuführt, oder es ge-
schieht die Zerlegung durch die Energie eines durch die Verbindung ge-
leiteten galvanischen Stromes oder durch eine Reihe elektrischer Fonken;
am häufigsten aber werden die zur Zersetzung einer Verbindung ndthi-
gen Energiemengen durch gleichzeitig stattfindende anderweite chemiKke
Processe geliefert. Man kann, um zum letzten Falle ein Beispiel ann-
führen, die Alkalimetalle aus den Verbindungen derselben mit Kohlen-
säure gewinnen, wenn man die letzteren mit Kohle erhitzt.
Unter Umständen kann sogar die Energie, welche durch die Bisgregir
tion einer Verbindung beim Auflösungsprocess mitgetiieilt ?m:d, ausreichend
sein, um die Zerlegung herbeizuführen ; derartige Vorgänge sind z. 6. beim
Auflösen von Salzen sehr schwacher Säuren mehrfach beobachtet worden.
Die Zerlegung einer Verbindung kann im Gegentheil von selbst vor
sich geben, wenn bei der Bildung des zusammengesetzten Körpers niclit
Wärme abgegeben , sondern aufgenommen wird. Dies ist z. B. der FiH
bei den Oxyden des Chlors, bei der Chlorsäure und unterchlorigen
Säure, welche sich bei dem geringfügigsten Anlasse unter Explosieo
zersetzen. Bei Bildung der wässerigen Lösung des Chlorsäurehydrates
findet auch eine Wärmeaufnahme statt, welche für ein Molecül des Hy-
drates (ClHOs) ungefähr 23 940 Cal. beträgt i). Das Gleiche gilt Tom
Chlorstickstoff, Nitroglycerin, salpetrigsaurem Ammoniak nnd
ähnlichen Verbindungen, welche sich schon von selbst bei gewöhnhcken
Temperaturen zersetzen.
Besitzen aber solche unter Wärmeaufnahme gebildete Substanzen,
welche bei ihrer Zersetzung Wärme entwickeln, auch nicht immer die
Eigenschaft sich freiwillig zu zersetzen, so zeigen dieselben doch eine
^osse Neigung Verbindungen einzugehen und neue chemische Zustande*
änderungen zu erleiden; bald bilden sich polymere Condensationeu, bald
zerfllUt der Körper in einfachere Molecülgruppen , jedenfalls ist immer
die Tendenz bemerkbar, Veränderungen einzugehen, welche unter Wänne-
entwickelung stattfinden. Beweise hierfür liefert das Studium des chemi-
schen Verhaltens des Acetylens, des Cyans und ähnlicher Substanzen.
'^.; Alle derartigen Stoffe, welche unter Wärmeaufnahme gebildet sind,
wie Wasserstoffsuperoxyd und Chlorstickstoff, sind auch äusserst em-
pfindlich gegen jene Wirkungen, welche man Contactwirkungen nennt.
Diese Contactwirkungen werden von Substanzen hervorgebracht, welche
nicht eine neue besondere Energie in dem Verlaufe eines Processes sor
Wirkung bringen, sondern welche lediglich eine schon vorher im System
vorhandene potentielle Energie auslösen, welche vorher in Folge irgend
welches nebensächlichen Umstandes nicht zur Entfaltung kommen konnte.
^) Man sehe J. Thomsen, Ber. d. D. ehem. Ges., Bd. 6, S. 430, und dieses Bock,
Bd. 2, n, B, S. 290.
B. Aequivalenz zwischen Wanne und chemischer Arbeit. 279
2. Die Methoden zur Bestimmnng der experimentellen
Fundamente der Thermochemie.
Um mit den im Vorbergeh enden mitgetheilten Fundameotalsätzen
der Thermochemie Schlüese über chemieche Vorgänge ziehen zn können,
müssen wir die hauptsächlichen
y^ MeBsnngen mittheilen , welche
Über die bei Bildnng chemischer
Verbindungen oder deren Zer-
setzung entwickelten oder absor-
birten Wärmemengen angestellt
worden sind. Zur Benrtbeilung
der Zuverlässigkeit der bis jetzt
ermittelten Zahlen wird es nöthig
sein , eine kurze Beschreibung
der Apparate vorauszuschicken,
welche den hervorragendsten
Experimentatoren auf diesem Ge-
biet« zu ihren Versuchen gedient
haben.
Wir beschreiben zunächst
das Quecksilbercalorimeter von
^. Favre und Silbermann.
", Dasselbe ist ein grosses Ther-
£ mometer') (man sehe Fig. 17),
dessen Kugel A ein oder mehrere
Liter Quecksilber enthält. In das
Innere dieser grossen Thermo-
meterkngel ragt ein aas dünnem
Eisen- oder Platinblecb herge-
stelltes, unten gescblossenes Rohr
m hinein, welches zur Äufnabme
derjenigen Substanzen dient,
welche Wärme entwickeln. Ein
Stäbclien s verhindert, dase das
GefdssmdurchdasQuecksilberin
die Höhe gehoben wird. In einen
Fortsatz der Thermometerkngel
A ist ein Thermometerrohr ((
eingesetzt, welches an einer Scala
gestattet, den Stand des Queck-
silbers abzulesen. VorBeginndes
*) Du genauere Detail sehe dud in
der Originalabhandluag : Ann. d. cbim.
et d. phys-, 3. Serie, Bd. 3S, S. 33.
280 n. Thermochemie. ~
Versaches kann man durch ELinein- oder Heransschraahen der am ober-
sten Ende des Apparates flässigkeitsdicht eingesetzten Stahlschraube die
Quecksilbersäule an jeden beliebigen Punkt der Scala, also auch an den
Nullpunkt derselben bringen. Die Röhre tt muss selbstverständlich sorg-
fältig calibrirt sein.
Entwickelt oder entzieht man im Rohre mm Wärme, so yertheilt
sich diese Wärme allerdings nicht gleichmässig in der ganzen Qneck-
silbermasse. Ein kleines Gewichtstheilchen dm nimmt z. B. eine Wänne-
menge f . dm auf und erfährt dadurch, wenn C die specifische Wanne
von dm ist, eine Temperaturerhöhung, welche gleich:
f.dm^f
C . dm C
ist. Hierdurch geht das Volumen von dm, welches dV sein möge, in:
dV. (1 -|-«a . T^j über, wenn a den Ausdehnungscoefficienien des
Quecksilbers bezeichnet. Das jetzige Gesammtvolumen V* der Qneck-
silbermasse wird demnach:
F'=ydF.(l + a.L^ = VJr f^-dV.
Nennt man Q die Dichte des Quecksilbers bei Null Grad, so ist:
dm = ^ , d F.
Wenn Q die überhaupt an das Quecksilber abgegebene Wärmemenge
bezeichnet, so ist die von dm absorbirte Wärmemenge dQi
dQ z=f. dm =/..9 . dV
und demnach:
Q = Q.ff.d7.
Ist aber a der Ausdehnungscoefficient und C die specifische Wärme
des Quecksilbers constant, so kann man für die Zunahme des Gresammt-
Volumens V* — 7 =i dVi
dV =-' I f ' dV
oder :
=f^-
schreiben.
Die entwickelte Wärmemenge Q ist also, trotz der ungleichmäasigeD
Yertheilung der Wärme in der zur Füllung des Calorimeters dienenden
Substanz, der Yolumenzunahme der Flüssigkeit proportional, wenn man
berechtigt ist, den Ausdehnungscoefficienten a und die specifische Wärme
C der calorimetrischen Substanz innerhalb der Grenzen der im Apparat
auftretenden Temperaturunterschiede als constant anzusehen. Da die
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 281
Yoraussetzangen a = eonst. und C=con^.^ wie wir wissen, vom Qaeck-
silber sehr nahe erfilllt werden , so lässt sich daraus die Anwendbarkeit
des Favre- und Silber mann 'sehen Quecksilbercalerimeters för der-
artige Messungen erkennen.
Der BaUon Ä steht auf einem schlechtleitenden Fusse in einem
Kasten, der Einrichtungen enthält, um den Apparat thunlichst gegen
Wänneverluste durch Leitung und Strahlung zu schützen.
Im Metallrohre m befindet sich (wie Fig. 18 genauer zeigt) ein
ganz dünnwandiges Gla^rohr, welches durch einen Stopfen in m fest-
gehalteo wird. Um die Ueberführung der Wärme von diesem Glasrohr,
der Mischungskammer, zum Quecksilber des Calorimeters leichter zu
vermitteln, ist der Zwischen-
raum zwischen dem gläsernen
Mischungsgefasse und dem dünn-
wandigen Glasrohre durch eine
geringe Menge Quecksilber aus-
gefüllt.
Die Graduirung des Calori-
meters erfolgte auf rein empiri-
Bchem Wege, um dadurch möglichst jede Correction des Endresultates
umdthig zu machen. In der Kugel einer eigenthümlich geformten Pi-
pette (man sehe Fig. 17) wurde eine abgewogene Quantität Wasser auf
eine bestimmte Temperatur erhitzt und dann in das Mischungsgefäss des
Calorimeters gebracht. Nach einiger Zeit maass man die Temperatur
des eingebrachten Wassers wieder und konnte aus dem Gewichte, den
Temperatardiiferenzen und der specifischen Wärme des Wassers leicht
die Anzahl der Wärmeeinheiten bestimmen , die an das Calorimeter ab-
gegeben worden waren. Aus der Verschiebung des Quecksilbers im Bohre
U und der Anzahl von Wärmeeinheiten, durch welche dieselbe hervor-
gebracht worden war, konnte man leicht ermitteln , wie viel Wärmeein-
heiten nöthig waren, um den Quecksilberfaden um eine Einheit der Scala
zu verschieben.
Bei chemischen Reaotionen, welche in der Miscbungskammer m statt-
fanden, konnte man alsdann aus der Yerscfaiebung des Quecksilberfadens
init auf die beim Processe entwickelte Wärmemenge schliessen.
Gegen die Brauchbarkeit der von Favre und Silbermann, von
Haatefeuille und Anderen mit solchen Quecksilbercalorimetem erhal-
tenen Resultate sind mehrfach von Thomson^) und Andrews*) sehr
ernste Bedenken erhoben worden. Man kann auch nicht leugnen, dass
Wärmeverluste durch Leitung und Strahlung bei verschiedenen Versuchen
▼erscbieden stark wirken können und dass dadurch die Zuverlässigkeit
^) Thomsen, Pogg. Ann. Bd. 143, S. 528 u. s. f. 6er. d. Beatsch. ehem. Ges.,
Bd. 4, S. 591.
^ AndrewB, Pogg. Ann. Bd. 143, S. 101. Die gegen diese Vorwürfe von Favre
ondTOB St. Ciaire Deville vorgebrachten Einwendungen sind nemlich bedeutungftlos.
282 IL Thermocbemie.
d«r erhAlieafln Zahlen aehr beeiaträchtigt werden lunn. Anch sind d(^
artige Apparate für TerbrennaDgaversaclie und aberhanpt für Eipoi-
meote mit nicht tropfbar flOBsigen Chemikalien eehr wenig geeignet
Für VerfarennungaverBDohe nnd Ähnliche Bestimmungen bedienUi
flieh Favre nnd Silbermann*) einea etwas anders consbuirten Appt-
rates. Derselbe war der Dalong'scben Einrichtong nachgebildet rai
bestand ans ewei Theilen : der Verbrennnngskammer nnd dem eigentlichn
Calorimeter. Die Terbrennongskammer A (man sehe Fig. 19)
ans dünnem Kupferblech und ist innen staric vergoldet. Zur £inföbm|
Kig. 19. des SanerstofCes dient du i
o. Gelegentlich dient aneb
schr&g in das Innere eintreUndi
Rohr \> mit HahnverechlDK
diesem Zwecke. Meist aberdini
h dazu, um die Gase, weichet
bräunt werden soUteu, ia
Verbrennnngskammer eiiuifi
ren. Die gasförmigen Terbr
nungsproducte entweichen du
dasSchlangenrohr s. Dnrcb <
Deckel der Yerbrennangsksini
geht noch ein weiteres, oben i
einer dicken Glasplatte
senes Rohr aa in die
nnngskammer hinein. Dw
hat den Zweck, nm dorcfa
oben darüber befindlichen Spieg
c den Verlauf des Yerbremm^
prooesaes im Innern desGefia
beobachten bu können.
Die yerbreDunngskamner I
-i- findet sich im Innern desWua
des Calorimetere, nnddiesHitd
ummöglicliBtTOrWärmeTerlial
ilnrch Strahlung und Leitung geschützt an sein, aof vier Eorkfü«n
einem Kasten B, dessen innere Wand mit Schwanenfeil derart übenop
ist, dasfi die Daunen dem Calorimeter zugekehrt sind, ohne die Wtf
desselben zu berühren. Dieser Schatzkasten befindet sich wieder in
Wassergefässe, dessen Flüssigkeit auf gleicher Temperatnr erhalten
99 ist eine RührrorriobtuDg, welche dazu dient, etwa vorhandene Ta
peratnmnterBchiede im Calorimeter auszugleichen. Bei s liegt eine
Kammer, von welcher im Sohlangenrohre etwa condensirte Verbrensiuif
producta aufgenommen werden können. >
') F*Tre und Silbermsun, Ann. d. chim. et d. phrs., 3. Serie, Bd. 34.
R ÄeqoiTalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit S83
BetQgliob ireit«reT Details des Apparates nud besonderer läiirich-
tuDgen f3r emeeloe Tersnche Terweisen wir auf die Originalabhandlong ^).
Ffli VerBnohe, bei weloben die Sabstansen als Flüssigkeiteu auf ein-
■iidar in wirken bestimmt sind, ist besonders die calorimetriBahe Ein-
ricbtnng geeignet, deren sich J. Tbomsen*) bei Tielen. seiner Versuche
bedient hat. Sein Apparat mius eigentlich ein Doppelcalorimeter ge-
Banot werden. Beistebende BobematiBcbe Fignr giebt eine VoreteUang
TOD den wesentlicbsten Theilen desselben. (Man sehe beistehende Fig. 20.)
A nnd £ sind zwei sUbeme, stark vergoldet« Gefäsie, von denen das
Fj 2D_ erste ungefShr 500 cbcäi, das
letztere nahe 1000 cbcm faast.
Jedes dieser Gefösse ist durch
concentrisohe Cylinder Ciind2>
m&gliohst gegen Wärmever-
Inste geschatet. In beiden Ca-
lorimetem sind RühirTorrich-
tnngen ik respective ät ange-
bracht, die durch eine kleine
elektromagnetinche Maschine
automatisch bewegt werden.
In beide Calorimeter ragen
Thermometer t' nnd i" zur
Messung der Tempei-atur des
Wassers hinein.
Bei den Versuchen selbst
werden die Flüssigkeiten,
welche aof einander reagiren
sollen, als ganz verdünnte Lö-
sungen in den Calorimetem A,
respective 'S abgewogen nnd
auf die Temperatur der um-
gebenden Luft, gebracht; ihre
Temperatnren werden durch
die Thermometer (' und i"
gemessen. Alsdann öffnet man
das Ventil g, so dass die in A
befindliche Flüasigkeit durch das Rohr f in B einfliesst und sich mit der
dort befindlichen Flüssigkeit mischt. Die hierbei entwickelte Wärme-
menge bestimmt man auf gewöhnlichem Wege aus den Temperatnren
der Lösung und dem Wasserwerthe der Apparattheile. -
Das von Tbomsen eingeschlagene Verfahren beruht auf der An-
nahme, dasB man berechtigt sei, den calorimetrischen Werth solcher stark
284 II. Thermochemie.
yerdüüBten Loenngen gleich dem caloiimetrischen Werthe der in denel-
ben enthaltenen Wassermenge zu setzen. Es lasst sich leicht zeign,
dass der Fehler, den diese Annahme in die Endresultate bringt, nur die
Zehntelprocente alterirt. Da man bei thermochemischen YerBachen mit
1 Proc. Genauigkeit aber sehr zufrieden sein muss, so kann man dieflen
Fehler als unerheblich yernachlässigen.
Dass man bei allen derartigen Versuchen selbstverständlich nach der
Rumford' sehen Gompensationsmethode ^) arbeitet und etwaige Wirme-
Verluste durch Strahlung und Leitung durch geeignete Correctionen be-
rücksichtigt, braucht wohl kaum erwähnt zu werden.
Für einzelne besondere Versuche, so z. B. die Einwirkung von Chlor
auf Wasserstoff oder die Verbrennung von Wasserstoff durch Sauerstoff
und ähnliche Vorgänge, benutzte Thomson einen, dem Dulon gesehen
ebenfaUs nachgebildeten, aber ungemein vervollständigten und verbesseiteD
Apparat , auf dessen Beschreibung wir jedoch hier verzichten müssen *).
8. üeber den Einflnss der Temperatur und des Agrgrr^gat-
znstandes auf die Bedeutung der empiriscli gefundenen
Zahlen.
Schon im ersten Bande') haben wir darauf aufmerksam gemacht,
dass die Temperatur, bei der ein chemischer Vorgang stattfindet, im
Allgemeinen nicht ohne Einfluss auf die bei derselben entwickelte oder
absorbirte Wärmemenge ist. Die hierauf bezügliche Formel ist zuerst
von Eirchhoff entwickelt worden. Wir wollen hier nochmals die Ab-
leitung folgen lassen, welche von Berthelot ^) gegeben worden ist, der
am häufigsten von derselben Gebrauch gemacht hat.
Es möge Qr die Wärmemenge bezeichnen, welche durch eine be-
stimmte chemische Reaction bei einer Temperatur T entwickelt wird,
wenn eine bestimmte Gewichtsmenge, z. B. ein Aequivalent einer 7er-
bindung gebildet oder zersetzt wird. Bei einer anderen Temperatur möge
derselbe Vorgang eine andere Wärmemenge Qt hervorbringen.
Hätte man nun das anfänglich vorhandene System, ohne eine
chemische Aenderung vorzunehmen, von der Temperatur t auf die Tem-
peratur T gebracht, so wäre dazu eine gewisse Wärmemenge ü aufzu-
wenden gewesen. Hätten wir hierauf bei T Grad den chemischen Vor-
gang vollzogen, ohne eine dauernde Temperaturerhöhung zu gestatten, so
wären hierbei Qj. Wärmeeinheiten entwickelt. Fuhrt man alsdann das
^) Man sehe hierüber: Wüllner, Experimentalphysik Bd. 3, III. Aufl. S. 694.
^) Man sehe Genaueres über denselben in: J. Thomsen, Thermochemische Untex^
snchungen. Pogg. Ann. Bd. 142, S. 338 etc., und dazu gehörige Figur, a. a. 0. Taf. VII, Fig. 5.
») Bd. 1, VI, C, 2, S. 772.
*) Berthelot, Recherches de thermochimie. Ann. d. chim. et d. phys*, 4. Serie,
Bd. 6. S. 303 u. 8. f.
B. Aeqnivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 285
chemisch geänderte System auf die Ansgangstemperatiir t zurück, so
wird hierbei eine Wärmemenge V entwickelt werden.
Die nunmehr im Ganzen entwickelte Wärmemenge muss, da Anfangs-
nnd Endzustand übereinstimmen, gleich der Wärmemenge Q^ sein, welche
entwickelt wird, wenn wir den chemischen Vorgang bei t^ yor sich gehen
lassen; denn es ist beide Male bei der Temperatur t anfanglich das un-
geänderte System und schliesslich das chemisch geänderte System vor-
handen. Hieraus ergiebt sich, da sonst keine Energie mitwirken soll, die
Gieichong:
q.= Qt+ v-u 1)
Hieraus folgt, weil
ist, dass U — V die Aenderung der Verbindnngswärme durch die Tem-
peratur zwischen T^ und ^ repräsentirt.
Die Grössen U und V kann man nun in einzelne Bestandtheile auf-
lösen. In U und V sind nämlich enthalten: 1) Wärmemengen, welche
vom System absorbirt oder abgegeben worden sind durch Temperatur-
inderungen ohne Aenderung des Aggregatzustandes. 2) Wärmemengen,
welche von den Bestandtheilen des Systemes vor und nach dem chemischen
Processe aufgenommen, oder durch Aggregatszustandsänderungen an Kör-
per, welche nicht zum Systeme gehören, bei constanter Temperatur mit-
getheilt worden sind.
Da wir angenommen haben, dass wir nur mit äquivalenten Mengen
der Substanzen operiren, so stecken also in U und F, die mit den Atom-
gewichtszahlen multiplicirten specifischen Wärmen, latenten Schmelz-
wärmen und Yerdampfungs wärmen für den als ungeändert vorausgesetzten
Druck des Versuches. Es sind also ü und V die mit Temperaturdifferenzen
multiplicirten Atomwärmen, und die Molecularschmelzwärmen und mole-
enlaren Verdampfungswärmen von Bestandtheilen des Systemes vor und
nach dem chemischen Processe.
Eiin einfaches Beispiel wird die Anwendbarkeit dieser Formel darthun.
Nach Thomsen werden, wenn sich 2 Kg Wasserstoff mit 16 Kg
Sauerstoff bei ungefähr 20^0. zu 18 Kg flüssigem Wasser von gleicher
Temperatur verbinden, 68 360 Calorien entwickelt. Hieraus lässt sich
bestimmen, wie gross die Wärmemenge ist, welche eine Verbindung glei-
cher Quantitäten zu flüssigem Wasser bei 100® hervorbringen würde.
Es wäre also:
Die Wärmemenge ü wäre die Wärme, welche nöthig wäre, um 2 Kg
Wasserstoff und 16 Kg Sauerstoff bei constantem Drucke (wir wollen
760 mm annehmen) von 20® bis 100 also um 80® zu erwärmen; die-
selbe wäre:
ü = {2 . 3,30 + 16 . 0,24) . 80 = 10,44 . 80 = 836 Calorien.
286 IL Thermochemie.
Um 18 Kg Wasser von 100^ auf 20^ abzukühlen, müssen sehr nahe
18 . 80 Cal. abgeführt werden; demnach ist:
F = 1440 Calorien,
und demnach ist für die Bildung flüssigen Wassers ans Wasserstoff- und
Sauerstoflgas bei 100® die Yerbindungswärme:
Cioo = 68 360 + 835 — 1440 = 67 755 Cal.
Wollte man bestimmen, welche Wärmemenge entwickelt würde,
wenn sich aus Sauerstoff und Wasserstoff Wasserdampf von 100® ent-
wickelte, so wäre: ^
ü= (2 . 3,30 + 16 . 0,24) . 80 = + 835 Cal.
F= 18 . 80 + 18 . 536 = 1440 + 9648 = 11088 CaL
V würde vergrössert um die molecnlare Verdampfungswärme bei 100^
Die bei Büdung von 18 Kg Wasserdampf von 100® entwickelte
Wärmenienge beträgt demnach nur noch 58107 Cal.
Der Vollständigkeit wegen wollen wir auch noch die Wärmemenge
Q__30 bestimmen, welche entwickelt werden müsste, wenn sich bei — 80* .
aus Wasserstoffgas und Sauerstoffgas festes Wasser bildete.
Um die Gase von -f" 20 bis — 80 abzukühlen, müssen:
(2 . 3,30 + 16 . 0,24) . 100 = 1044 Cal.
abgeführt werden. Dies ist ü.
Um 1 8 Kg Eis von — 80® bis 0 zu erwärmen, müssen 18 . 80 . 0,49 =
706 Cal. zugeführt werden^); um 18 Kg Eis von 0® in Wasser von 0^ za
verwandeln,' sind 18. 80 = 1440 Cal. erforderlich, und, um endlich 18 Kg
Wasser von 0^ auf + 20<> zu erwärmen, müssen weitere 18 .20 = 360
Wärmeeinheiten mitgetheilt werden. Hieraus folgt:
ö_80 = 68 360 — 1040 + 706 + 1440 + 360 = 69 466 CaL
Man erkennt damit sofort, dass die auf experimentellem Wege ge-
fundenen Verbindungswärmen eben nur für die bestimmte Temperatur
und die Aggregatzustände der BestandtheUe des Systemes gelten, fnr
welche dieselben bestimmt worden sind. Es ist daher mit aller Vorsicht
zu verfahren, wenn man z. B. die Verbindungswärme bei Bildang von
Salzsäuregas aus Chlorgas und Wasserstoffgas mit der Verbindungswärme
vergleichen will, welche bei Bildung von Brom wasserstoffgas ans Wasser-
stoffgas und flüssigem Brom entsteht und mit der Wärme, welche bei Bil-
dung von einem Molecül Jodwasserstoffgas aus festem Jod und Wasser*
stoffgas entwickelt wird.
Hierin liegt eine der grössten Schwierigkeiten für die Entwicke-
Inng der Thermochemie.
Will man die zwischen den verschiedenartigen Atomen thätigea
^) Die specißsche Wärme des Eises ist hierbei angenähert gleich 0,49 gesetzt.
B. Aequivalenz zwischen Warme und chemischer Arbeit. 287
Kräfte kennen lernen, bo mnes man die lediglich dnrch AffinitfitBwirknn-
gen hervorgebrachten Wärmemengen für sich zn bestimmen suchen, oder
da dies meist ungemein schwierig ist, so bleibt nichts übrig, als die Sub-
stanzen nnter gleichen Yerhältnissen auf einander wirken zu lassen, ent-
weder beide in Gasform , oder beide in sehr yerdünnten Lösungen , oder
beide in flüssigem Zustande. Nnr Zahlen, welche auf solche Weise erhal-
ten worden sind, können für vergleichbar angesehen werden.
Hätte man zwei Bestandtheile sowohl, als die Verbindung derselben
in vollkommenem Gaszustande, so würde die Atomwärme der Verbindung
gleich der Summe der Atomwärme der Componenten sein, und da man
alsdann auch die speciflsche Wärme als constante Grösse ansehen kann,
80 würde dann, sofern nicht besondere Wirkungen anderer Art eintreten,
ü = V und somit auch Qt = Qt sein , wenn T und auch t beide ober-
halb der Temperaturgrenzen liegen. Über welche hinaus man die Dämpfe
der Substanzen als vollkommene Gase ansehen kann. Diese constante,
von der Temperatur unabhängige Vorhin dungs wärme zweier Substanzen
nannte Berthelot: la chaleur atomique de combinaison ^).
Leider ist es uns bis jetzt nur in ganz wenigen Fällen möglich,
calorimetrische Messungen bei solchen Temperaturen anzustellen, bei
welchen die Bestandtheile des Systemes vor und nach dem chemischen
Vorgänge den Bedingungen des vollkommenen Gaszustandes genügen.
Es giebt jedoch auch viele Fälle , in denen V — U mit steigender
Temperatur fortwährend wachsen würde, wenn es gestattet wäre, die
Aenderungsgesetze der specifischen Wärme auch weit über die Grenzen
als gültig anzusehen , innerhalb deren dieselben bestimmt sind. Dann
liegt es nahe zu vermuthen, dass man schliesslich eine Temperatur errei-
chen würde, bei welcher in der Formel:
u-r=— Q,
und somit
wurde. Dann würde also der Fall eintreten, dass die Vereinigung oder
Trennung der Verbindung keine Arbeit erzeugen oder in Anspruch neh-
men würde, dann also zerfiele die Verbindung von selbst, es träte das
ein, was wir Dissociation nennen.
Hierfür Hesse sich vielleicht ein Beispiel beibringen. Nehmen wir
z. B. an, dass Kohlensäure aus Kohlenoxyd und Sauerstoff gebildet würde
and dass man berechtigt sei, die speci fische Wärme des Kohlenoxydgäses
ond des Sauerstoffes als constant ^), die der Kohlensäure als veränderlich
anzusehen.
^) Man gehe darüber unter Anderem auch: Schröder von der Kolk, Pogg. Ann.
Bd. 131, S. 282 in der Abhandlung: Ueber die mechanische Energie der chemischen
Wirkungen, zweiter Artikel.
^ Für zweiatomige Gaiie würde dies ziemlich zulässig sein.
288 II. Thermochemie.
Es wäre nun ü die Samme der Atomwärme des Kohlenozydes imi
des Sauerstofis, maltiplicirt mit der Temperatardifferenz, also:
U = [6,86 + 3,47] . (T -^ 0 = 10,3 . {T — t).
Die Atom wärme der Kohlensäure ist nun nach Regnaalt:
bei — 300 ^^ _ 8,2
bei 100« c^ = 9,4
bei 2000 c, = 10,5
Entwickelt man unter der Annahme eines durchgängig gleichartigci
Wachsthums von c, eine Interpolationsformel für c,,, so ergiebt sich, dafl
man über 200^ für die Atomwärme A . c, der Kohlensäure, also bei einc^
Temperatur 0 -\- 200, setzen könnte :
A .c^ = 10,5 + 0,011 . r. I
^ ^ i
Demnach würde die von 200 bis r -|- 200 vom Moleeül absorhirii
Wärmemenge :
T + aoo
(10,5 + 0,011 . t) . d« = 10,5 t + 0,0055 t«
aoo,
betragen.
Von 2000 ausgehend, erhielte man also:
er — F == 10,3 . r — 10,5 . t — 0,0055 r«,
wofür man angenähert:
17 — F = — 0,0055 T«
setzen könnte.
i
Nimmt man nun mit Berthelot ^) beispielsweise an, die Verbindanfi!
wärme des Kohlenoxydgases und des Sauerstoffs betrüge bei 200^:
g,oo = 69 000, I
so würde Q^ + 200 ^^ ^ werden, wenn: !
T
/
= 1/H«« = 3700..
Y 0,0055
Man fände also, dass: 1
Ö3700 = 0 1
wäre.
I
1
Versuche von Sainte Ciaire Deville deuten allerdings darauf hiii
dass ungefähr bei einer derartigen Temperatur die Dissociation der Eo^
lensäure in Kohlenoxyd und Sauerstoff beendet sein würde. |
Wir haben diese Rechnung hier angeführt, nicht weil wir deraelbei
an sich irgend welchen Werth beilegen, sondern weil wir ein Beispil
damit geben wollten, für welches wir sonst hätten Zahlen werth erfinde!
müssen. Die Yoraussetzungen obiger Rechnung dürften mit Rücksiciilt
^) Nach Themse n ist diese VerbiDdungsw^ärme bei 200 gleich 66 800. Man s^
Bd. 2, S. 294.
B. Aequiyaleiiz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 289
aof die übrigen bekannten physikalischen Thatsachen kaum als zulässig
anmsehen sein.
Aber nicht nar Aggregatzostand und Temperatur können auf die
bei Verbindung zweier Substanzen entwickelte Wärmemenge von Einfluss
sein; auch verschiedene Modificaüonen desselben Körpers besitzen Energie-
differenzen, die unter Umständen sogar sehr wesentlich für das Endresultat
sein können. Bekanntlich wird, wie schon £. Mitscherlich^ beobachtet
hat, bei dem Uebergang von monoklinischem in rhombischen Schwefel
Wärme frei In Uebereinstimmung hienhit ist auch bei Verbrennung
von monoklinischem Schwefel stets eine höhere Wärmemenge gefunden
worden, als die war, welche man bei Bildung derselben Verbindungen
aus rhombischem Schwefel erhielt.
Aehnliche Erfahrungen hat man mit gewöhnlichem und amorphem
Phosphor und anderen polymorphen Substanzen gemacht.
4. Einige der wichtigsten Verbindungswärmen 0*
Die Formeln werden ausgedrückt durch:
Q = (A^, Ä, C„ . . .)
imd zwar bezeichnet Q die Wärmemenge, welche entwickelt wird, wenn
A^ B^ (7,, . . . m, n, 2 Molecüle der Körper A, £, C . . . sind, welche
aof einander reagiren. Aq. bedeutet, dass die übrigen Körper in einem
grossen Ueberschuss von Wasser gelöst sind oder gelöst werden. Die
meisten Zahlen gelten für 18^ C.
') Pogg. Ann. Bd. 88, S. 328.
^) Wir entnehmen die nachstehenden Affinitätstafeln vorzagsweise den Thermo •-
chemischen Untersuchungen von J. Thomson, weil dieser Experimentator nicht
nur die meisten, sondern, wie es scheint, auch die relativ sichersten Zahlen gegeben
hat. Die absoluten Werthe seiner Zahlen sind vielleicht etwas zu klein, doch ist es,
wie schon Andrews bemerkt hat, äusserst schwierig, genaue absolute Zahlen zu er-
halten. Die von Favre und Silbermann mit dem Quecksilbercalorimeter angestellten
Zahlen sind mit so grossen Fehlem behaftet, dass wir dieselben nur an ganz wenigen
Stellen vergleichsweise zugefügt haben. Wenn hinter einer Zahl Th. steht oder kein
Autor bezeichnet ist, so rührt dieselbe von Thomsen her; F. imd S. bedeutet Favre
und Silbermann, B. Berthelot; A. deutet an, dass die Bestimmung von Andrews
herrührt. Die Quellen für die Tabelle a) sind :
J. Thomsen, Ber. d. Deutsch. Chem. Gesellschaft, Bd. 6, S. 1583, und Pogg.
Ann. Bd. 148, S. 177 und S. 308.
Favre und Silbermann, Ann. de chim. et de phys., 3. Serie, Bd. 34, S. 857,
Bd. 37, S. 406.
Andrews, Pogg. Ann. Bd. 75, S. 25 und S. 244.
Berthelot, Comptes rendus Bd. 69, S. 626.
Den Berechnungen sind überall die neuen Atomgewiehtszahlen zu Grunde gelegt.
Yerdet-Btthlmann, Mechan. W&rmethoorie. Bd. 2. 19
290
IL Thermochemie.
a. Verhindangen der Metalloide anter einander.
Substanz
Reaction
WärmetönaDg
Bemerkungen
1. WasBerstoffi).
WaBser
Waaserstoff-
Buperoxyd
(Ha,0)
Moleculare Verdam-
pf ungsw. bei 100^
Moleculare Schmelz-
wärme
(Ha, Oa, Aq)
(Ha 0,0)
68360
68924
167616
9660
1440
45290
— 23070
2. Chlor.
Bildung von fluarigem
Waaser.
Regnault.
Bunsen.
Th.
Th.
(Cla,0)
— 18040
Gaaf öimige Säure. Th.
UntercWorige
Säure
(QaO.Aq)
(Cla,0,Aq)
(Cl,0,H,Aq)
+ 9440
— 8600
+ 29880
Absorption d. Gases durch Wasser. 1^
Th.
Th.
(C10HAq,K0HAq)
+ 9980
Th.
(CljjOjjAq)
— 20480
Th.
(Cl,08,H,Aq)
+ 23940
Th.
(a08,HAq,E0HAq)
4- 13760
Th.
Chlorsäure <
(Cl08,K,Aq)
— 10040
Th.
(KCl,Os)
— 9760
Th.
(HClAqjOg)
— 15380
Th.
(KClAq,08)
— 15370
Th.
[4- 22000
Th.
(Cl,H)
23783
l 24010
F. u. S.
Abria
Gasformige SSnre.
Chlor-
wasserstoff- .
säure
(ClH,Aq)
17320
16411
17480
ll7430
Th. ]
Absorption derselben.
F. u. S.J *^
F.
B.
(Cl,H,Aq)
39320
(aHAq,KHOAq)
13750
k
1
1) Für die Bildung von Ozon (OA giebt Berthelot Compt. rend. Bd. 82, S. 1283
die Wärmetonung : — 29600.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 291
Substanz
m
Reaction
WärmetÖnung
Bemerkungen
3. Brom.
[
(Bra, O5, Aq)
— 43520
Th.
Bromsäure J
(Br,08,H,Aq)
+ 12420
Th.
l
(BrOßHAqjTCHOAq)
13750
Th.
►
(Br2,Aq)
1080
Lösungs wärme in Wasser.
(BrHAq,08)
— 15960
-f 8440
Th. gasförmige Süure.
(Br, H)
9320
F. u. S.
Brom-
<
Wasserstoff
10590
F.
19940
Th. Lösung derselben in Wasser.
(BrH,Aq)
19080
F. u. S.
21150
B.
(Br,H,Aq)
23380
Th.
(Br H Aq, K 0 H Aq)
13750
Th.
4. Jod.
(J2,06)
44960
Th. Anhydrid.
(J2 0ß,Aq)
— 1900
Ditte
(J2,0ß,Aq)
43060
Th.
(J,03,H)
57880
Th. kryst. Hydrat.
Jodsäure *
(J08H,Aq)
— 2170
Th.
(J,08,H,Aq)
55710
Th.
(JHAq,08)
42540
Th.
(J08HAq,KH0Aq)
13810
Th.
(J,0fl,H5)
185780
Th. kryst. Hydrat.
(JOeHB,Aq)
— 1380
Th.
(J,04,H,Aq)
47680
Th.
Uebeijodsäure '
(JHAq,04)
34510
Th.
(J2,07,Aq) 27000
Th.
(J0flH6Aq,KH0Aq)
5150
26590
Man sehe Ber. d. Deutsch, chein
(J06H6Aq,2KHOAq)
Ges. Bd. 6, S. 2.
'
j— 6040
Th. -gasförmige Säure.
(H,J)
1— 387^
F. u. S.
l— 4590
F.
/19210
Th.
Jodwasserstoff«
18910
F. u. S. Absorption in Wasser.
1
(HJ,Aq)
18900
K.
119570
B.
(HJA4,KH0Aq)
13080
Th.
19*
292
n. Thermochemie.
Substanz
Reaction
Wärmetonung
Bemerkungen
5.
Schwefel.
Schweflige
Säure i
(S,03)
(SOa, Aq)
f71070
173820
7700
F. u. S.l
gasförmig.
A. J
Th. gasförmige Säure.
^#V9«AA **
(SOa, Aq)
1500
Th. condensirte Säure.
\
(S0aAq,2NaH0Aq)
28970
Th.
/
(S02,0,Aq)
71330
Th.
(SOaAq,0)
63630
Th.
(S0a,02,Ha)
121840
Th.
(SOs.HaO)
21320
Th. (SO4H2 wird flüssiges Hydrat)
Schwefelsäure <
(S04H2,Aq)
17850
Th.
(S O3, Aq)
39170
Th.
(S,08)
103230
Th. 1 vorausgesetzt, dass:
(S,0„H2)
192910
Th.) (8,02)= 71070
(S08Aq,2NaHOAq)
31380
(2S0a,0,Aq)
68950
Th.
(2S0aAq,0)
53550
Th.
Ünterschwefel-
(SOgAqjSOaAq)
—10080
Th. wenn sich SaOsAq bildet
säure
(S2, Oß, Aq)
(Sai Og, H3, Aq)
211090
279450
|wenn (S.Oa) — 71070.
(S206Aq,2NaOHAq)
27070
Th.
(SOa,S,Aq)
— 1570
Th.
ünterschwef-
lige Säure
(S02,Aq,S)
(S2 02Aq,04)
— 9270
215300
Th.
Th.
(Sa,Oa,Aq)
(Sa,08,H2,Aq)
69500
137860
Wenn (8,02) = 71070.
(2S02,0,S2,Aq)
62820
Th.
Tetrathion-
<
(2S02Aq,0,S2)
47420
Th.
säure
(S4, Oß, Aq)
L (S4,Oa,H2,Aq)
204960
273320
Wenn (8,02) — 7 1070.
'
^4510
Th. gasförmig.
Schwefel-
<
Wasserstoff
(H2,S)
(H2S,Aq)
48201)
15480
4750
bei Bildung aus octaedriscbem S.
F. u. S.
> (HaSAqjNaHOAq)
7740
8. Pogg. Ann. Bd. 140, S. 5Ä
1) Hautefeuille, Comptes rendus, Bd. 68, S. 1554. Diejenigen Zahlen, für
welche der ^utor nicht näher bezeichnet ist, rühren von J. Thomsen her. Man «ke
Ber. d. Deutsch, ehem. Gesellsch., Bd. 6, S. 1533.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 293
Sabstanz
Reaction
WärmetÖnung
Bemerkungen
6. Selen.
(Se, Oa)
57710
kryst. Anhydrit.
Selenige Saure ,
(SeOa,Aq)
(Se,Oa,Aq)
— 920
56790
(SeOaAq,2NaOHAq)
27020
(Se,O^Aq)
77240
Selensäure .
(SeOa,0,Aq)
(SeOaAq,0)
19530
20450
(Se08Aq,2NaHOAq)
30390
Selen- |
Wasserstoff 1
(H2,Se)
— 5400^)
— 4280^
7. Tellur.
aus metallischem Se.
aus rothem Se.
Tellurige Säure
(Te,02,H2 0)
81190
Tellursäure ■
(TeOaAq^O)
(Te, Os, Aq)
25850
107040
8,
. Stickstoff.
r
(H8,N)
26710
Ammoniakgas.
(HjN.Aq)
8440
(H8NAq,HClAq)
12270
(HsNAq,HaSAq)
6190
(H4,N,Cl,Aq)
86740
^H4,N,Br,Aq)
75800
Ammoniak \
(H4,N,J,Aq)
(H5,N,S,Aq)
60580
50600
(H4,N,C1)
90620
(H4,N,Br)
(H4,N,J)
(HsNjHCl)
80180
64130
41910
krystallisirte Salze aus den gasför-
migen Bestandtheilen gebildet.
(H8N,HBr)
45030
i
(HsN.HJ) .
43460
Sückoxydul
(N2,0j
— 18320
Th. gasföimig.
Stickoxyd
(N,0)
— 4403a
B. gasförmig.
Salpetrige 1
(N2,03)
— 66060
B. gasförmig.
Säure l
(NgOajAq)
14260
B. Absorption des Gases.
1) u. ^ Haute feuille, Comptes rendus, Bd. 68, S. 1554. Diejenigen Zahlen, für
welche der Autor nicht näher bezeichnet ist, rühren von J. Thomsen her. Man sehe
Ber. d. Deutsch, ehem. Gesellsch., Bd. 6, S. 1533.
294
II. Thermochemie.
Substanz
Reaction
Wärmetonung
Bemerkungen
üntersal peter-
saure
Salpetersäure ..
(N0,0)
(N Oa, Aq)
(^2,05)
(N,Os,H)
(Na,06,Aq)
(2N0aAq,0)
(NaOa,03,Aq)
(N02,0,H,Aq)
(NaOß)
(NO3H)
(NOgH)
19570
7750
— 32120
45200
-f 18980
+ 12400
— 15400
18300
72940
51080
— 4840
— 600
+ 7180
Th.
Th.
B. ^) kry5t. Anhydrit.
B. gasförmiges Anhydrit.
6. flüssiges Hydrat.
B. gasförmiges Hydrat.
B. wässerige Losung.
Th.
Th.
Th.
B. Molec. Verdampfung»
B. Molec. Schmelzwärme.
B. Molec. Verdampfungsw
9. Kohlenstoff.
(C0,0)
66810
Th.
(CO„A<0
5880
Th.
Kohlenozyd u.
Kohlensäure
(CO.O.Aq)
(0,0,)
72690
96960
93600
Th.
F. u. S. aus Holzkühlen.
Th. Graphit.
93240
Th. Diamant.
(C,0)
30150
wenn (C, Oj) = 96960.
26800
Th., wenn (C, ^j) = 93240
Ameisensäure
(C,Hj„Oj)
93000
B.
(H4,C,0J
4. 52480
Th.
Grubengas,
Aethylen,
Acetylen ^)
(H4C2,Og)
(Hg €2,05)
(H«,C)
(Hi,Cj)
6. 55800
5. 62110
23760
— 4160
Th.
Th.
Th.
Th.
wenn (€,02) = 96961
(Hj, Cjj)
— 48270
Th.
m
^) Man sehe über die SauerstoÜverbindungen des Stickstoffes noch Berthelot'f
Arbeiten in: Comptes rendus Bd. 78, S. 105, S. 167 u. S. 205, und auch Chem. Ce«-
tralblatt, 3. Folge, Bd. 8, S. 591.
^) Sehr abweichende Zahlen giebt Berthelot, Comptes rendus Bd. 82, S. 29.
Auch sehe man a. a. 0. S. 119 u. 122«
B. AequWalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 295
Sabttanx
Reaction
Winnetonnng
Bemerkungen
10. Phosphor, Arsen, Antimon.
Phosphor- f
nareanhydrit
(Pj^Oß)
4- 412200
A.
Phosphorige
Saure
(P08Ha,Aq)
0
Th.
Phosphor-
chlorar (
(P,CIa)
62700
F. u. S. 1)
Phosphor-
chlorid
{P,CÜ
137500
F. u. S. 1)
Anenchlornr
(As,Cla)
18900
F. u. S. 1)
Antimon- i
chloriir (
(Sb.Cls)
27300
F. u. S. 1)
11. Bor.
Borsäure- r
anhydrit
(B2,0s)
158600
Troost und Hautefeuille. •
Chlorbor
1
(B,Cl8)
(Ba.Aq)
»
104000
79209
Comptes rendus Bd. 70, S. 185.
li
l. Siliciam.
Silicium
•
Kieselsättre
Chlonilidam
Uebergang v. amorph.
Siliciam in krystall.
(Si,02)
(Si,CU)
(SiCl4,Aq)
8120
219240
157640
r81620
(46200
Si = 28 gesetzt.
aus amorphem Si.
desgl.
Th. Pogg. Ann. 1
Troost und
Hautefeuille
C. rend. Bd. 70,
S. 252.
U. 139, S. 205.
13. Cyan.
Cjran
(Ca. Na)
— 82000
gasförmig.
^m
(C,N,H)
— 14100
gasiorm. Product.
Cyan-
wasserstoff 1
(C,N,H)
(C,N,H,Aq)
— 8400
— 8000
condens.Flnssigk.
verdannt. Lösung.
Berthclot,
»Comptes rendus
Cyankaliam
(C,N,K)
-|- 41500
krystall. Salz.
Bd. 78, S. 1092.
Cyan-
ammoniam
(C,Na,
+ 32500
festes Sali.
*) Favre und Silbermann, Journale de pharmacie, 8. Serie, Bd. 24i 3t 828.
296
n. Thermochemie.
Sabstanz
Reaction
Wärmetönung
Bemerklugen
Cyan-
quecksUber
(C,N,Hg)
•
— 13700
<
festes Salz.
Ferrocyan-
kalium
(Cy3,Fe,Ka)
+ 232100
Berthelot
Cjansaares
KaU
(C,N,K,0)
4- 114600
festes Salz.
>
&. a. 0.
Chlorcyan
(Cy,Cl)
+ 17900
gasförmiges Prodact.
Jodcyan
(Cy,J)
+ 17700
festes Salz.
b. Verbindung einiger Metalle mit Metalloiden.
Die nachstehende Uebersicht giebt einige hierhergehörige Zahlen tob
Favre und Silbermann ^); dieselben beziehen sich auf ein Molecülj
der Verbindung und auf die Darstellung der trockenen Verbindung. Für
Eisen bezieht sich die Zahl auf die Bildung von Eisenozydol.
Metalle
Atom-
gewichte
Oxyde
Chloride
Bromide
Jodide
Sulfide«;)
Kalium
39
—
100960
90188
77268
45638 -
Natrium
23
—
94847
—
—
Zink
65
84900
100600
—
«
41880
Eisen
56
73656
99300
—
—
3550Ö
Kupfer«) .....
64
43770
59050
—
—
18270
Blei
207
55350
89460
65600
46420
1912Ö
Silber
108
12230
34800
25618
18651
5524
Da die Molecularconstitution der einzelnen Verbindungen nicht ül
einstimmt, so sind obige Zahlen nicht unmittelbar vergleichbar. B(
ist dies möglich bei den Zahlen , die sich auf die Bildungswärme in tc
dünnten Lösungen beziehen.
^) Favre u. Silbermann, Ann. de chim. et de phys., 3. Serie, Bd. 37, S. 485 u.4d<
^) Berthelot giebt ohne Mittheilung der Quellen, Comptes rendus Bd. 71, S.
KS = -f- 45300; ZnS = -[- 15200; FeS = -j- 16700; CuS = -f- 30800; Pbi]
= -f 20400; AgS = + 28700.
^ Für (Cu,0) fanden: Andrews 38304, Dulong 36528, für (Cu,Cl) fand Raovll
(Comptes Bendus Bd, 59, S, 46) 59000,
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 297
Metalle
Oxyde
Chloride
Bromide
Jodide
Sulfide
Kallam ..••.•
Katrinm
Zink
Eisen .-
Kupfer
152480
147020
97091
94326
113140
106700
69000
85678
82616
72479
69143
50906
48340
Eine grössere Zuverlässigkeit dürfte wohl den nachstehenden, fast
auBBchliesslich von J:ThomBen ^) herrührenden Zahlen zuzuschreiben sein:
Kaliumgruppe.
R =
Lithium
Natrium
Kalium
Li — 7,0
Na = 23
Ka = 39
Festes Hydrat (R,0,H)
—
102 030
104 000
Gelostes Hydrat (R,0,H, Aq) . . .
117 440
111 810
116 460
Gelostes Siüfhydrat (R,S,H,Aq) .
—
60 450
65100
Gelostes Oxyd (Ra,0,Aq) ....
166 520
155 260
164 560
Gelöstes Chlorid (R,Cl,Aq) . . .
102 250
96 510
101 170
Gelöstes Bromid (R,Br,Aq) . . .
—
85 580
90 230
Gelöstes Jodid (R,J|Aq)
—
70 300
75 020
Krystallisirtes Chlorid (R,C1) . . .
93 810
97 690
105 610
Krystallisirtes Bromid (R,Br) . . .
—
85 730
95 310
Krystallisirtes Jodid (R,J) . . . .
—
69 080
80 130
Mit diesen für die wichtigsten Alkalimetalle gültigen Zahlen kann
man die für Ammonium von Thomson^) mitgetheilten Werthe in Pa-
rallele stellen. Er fand für:
Ammoniakgas (NfHg)
Ammoniakwasser (N,H3,Aq)
Hydrat (N,H4,0,H,Aq)
Sulfhydrat (N, H4, S, H, Aq)
Chlorid (N,H4,Cl,Aq)
Bromid (N,H4,Br,Aq)
Jodid (N,H|,J,Aq)
26710
35150
103 510
50600
86 740
75 800
60580'
, verdünnte wässerige Losungen.
1) J. Thomsen, Thermochemische Untersuchungen. Ueber Lithium, Natrium, Ka-
lium, Magnesium und Aluminium. Journal f. praktische Chemie. Neue Folge. Bd. 11,
S. 233 u. 8. f.
«) A. a. 0. S. 243.
298
II. Thermochemie.
= 538501
= 90620
= 80180
= 64130
krystallisirte Salze.
Sulf Hydrat (N,H4,S,U)
Chlorid (N,H4,C1)
Bromid (N,H4,Br)
Jodid (N,H4,J)
Wir lassen hierauf die Mei»Ue Magnesium und Aluminium folgen,
von denen jedes für sich eine gewisse Sonderstellung einnimmt:
Magnesium (Mg = 24) Aluminium (AI = 27,5)
(Mg, 0, Hj 0)= 148 960 (AI3, O3, 3 H, 0) = 388 800 Oxydhydrai
(Mg,02,H8) =217 320 (Al,Os, H3) = 296 940 Hydwt
(Mg,Cl8) =151010 (Alj.Clß)
T - /(MgClt,Aq) = 35920 (Al^Cle.Aq)
'^' |(Mg,Cl8,Aq) = 186930 (Alj.Clg.Aq)
l(Mg,0) = 73 100 Di.»).
Für die Calciumgruppe sind dem Verfasser keine Messungen be*
kannt.
Eisengruppe.
Feste
Körper
gen
= 321870 Chlorid
= 475 560Lö8g8w&me.
= 451 770 Chlorid
R =
Eisen ^
Fe = 56
Zink»)
Zn = 65,5
Mangan^)
Mn = 55
Kobalt B)
Co = 58,8
Kickel^
Ni =58,8
Bildung d. festen^
Chloride aus den\^ * *'
Elementen H^a^^'e)
Sesqoichlorid
a. Protochlorid
(2RCla,Cy
Bildung der
Chloride aus
wSss. Lösung
Bildung der
fest. Hydrate
aus Metall,
Sauerstoff u.
Wasser
(R,0l2,Aq)
(Ra, Cle, Aq)
H2RClaAq,Cla)
(R,0,HaO)
(Ra,08,3H2 0)
r82 050Th.
99300F.U.S.
192 060
27 960
99 950 Th.
102 060 A.
255 420 Th.
257 150 A.
55 520
68 280
191 130
97 210
111 900
76 480
74 530
112 840 Th.
112 520 A.
128 000
82 680
94 770
94 820
93 700
63 400
149 300
60 840
120 380
^) Bitte, Comptes Rendus Bd. 72, S. 765, und Bd. 73, S. 108.
2) Thomsen, Journ. f. prakt. Chemie. 2. Folge, Bd. 11, S. 429. — «) Ebend. W.1U
— *) Ebend. Bd. 11, S. 408. — ^) u. «) Ebend. Bd. 14, S. 428. — ') Ebend. Bd. 11, S
A. bedeutet Andrews, Pogg. Ann. 75, S. 244. F. u. S. bedeutet Farre und Silbti
D. bedeutet Pulong, Pogg. Ann. Bd. 45, S. 461. Di. bedeutet Ditte.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 299
R =
Eisen
Fe = 56
Zink
Zn = 65,5
Mangan
Mn = 55
Kobalt
Co = 58,8
Nickel
Ni = 58,8
Cadmiam
Cd = 112
^Oiyd(R,0)
Super- j
86 670 Di.
85 430 Th.
85 860 A.
85 790F.U.S.
84 800 D.
(B,Oa,HaO)
116 280
Zinngmppe.
Zinn») Sn = 118
. Bildung d. wasser-
freien festen Chlo-
ride
(Sn,Cla)
(Sn, CIJ
Bildg. d. Hydrate/,
7, ^ (Sn.OjHaO)
«u Metall, Sauer-!, ' ' ^ \
^ ' (Sn,Oo,2HaO)
itoflF und Wasser l^ *' * '
Krystall. Zinn-
cUororhjdrat
Ki78tall. Kaliam-
zinnchlorid
(Wässerige Lösun-
ftn d. Chloride ans I (Sn Cl^, Aq)
Uetall, Chlor und] (Sn CI4, Aq)
Wasser
l(SnCla,2H2 0)
|(SnCl4,2KCl)
80 790
127 240
68 090
133 490
5720
24 160
350
29 920
Gold«) Au = 196
Bildungswärme der
wasserfreien Haloid-
Verbindungen
(Au, eis)
(Au,Br3)
(An, Cl)
(Au, Br)
(Au, J)
Qoldoxydhydrat (Ao^, Os« H^ 0)
Bildung der ge-
lösten neutralen
(Au, eis, Aq)
(Au, Brg, Aq)
Haloidverbdgn.
Bildung d.ge-/
lösten sauren j (Au, Cls, H Cl Aq)
Haloidrerbin- 1 (Au, Br, H Br Aq)
düngen V
22 820
8850
5810
80
- 5520
-13 190
27 270
5090
31 800
12 790
^) Thomsen, Journ. f. prakt. Chemie. 2. Folge, Bd. 14, S. 438.
^ Thomsen, Journ. f. prakt. Chemie. 2. Folge. Bd. 13, S. 369.
300
IL Thermochemie.
Bleignippe.
R =
©
^^ ©
5 II
Quecksilber *)
Hg = 200,0
Silber»)
Ag= 108,0
§- II
•2 1
,Oxyd (R, 0)
50 300
30 660
—
37 160
—
Oxydul (Ra,0)
—
42 200
5900
40 810
i2m
Chlorid (RjCla)
82 770
63 160
—
51 630
—
Chlorür (R2,Cl2)
—
82 550
*-
65 750
—
Bromid (R,Br2)
64 450
50 550
—
—
Feste
<
Anhydrite
Bromür (R2,Br2)
Jodid (R,J2)
39 670
68 290
34 310
^—
49 970
-—
Jodür (R2,Ja)
—
48 440
—
32 520
—
Chlorid (R, Cl)
—
29 380
—
48 5«
Bromid (R,Br)
—
22 700
—
41211
Ijodid (R,J)
—
—
13 800
30 m
Bildung der Haloid-
salze in wässeriger
Lösung
(R,Cl2,Aq)
(R, Bra, Aq)
(R, Ja, Aq)
75 970
54 410
59 860
|62 710Th.
I59 000 R.
f40 830Th.
Uo 230 R.
ri0 410Th.
I15OOOR.
Oxydul als wä8ser.f(R,0,H Aq)
—
—
—
—
637»
•
Lösung [(Ra,0,Aq)
—
—
—
—
39110
[(R,Cl,Aq)
Bildung der Haloide (r^ CI3, Aq)
"—
"~^
— -
—
38480
89000
in Wässer. Lösung (r^ ßr^^ ^q)
—
—
—
—
56180
(R,J3,Aq)
—
—
—
—
10550
Oxydulhydrat (R2,0,H2 0)
—
—
—
45470
Sesquioxydhydrat (R2,03,3HaO)
—
—
—
—
86010
Oxydhydrat (R,OH)
—
—
—
—
5691S
Hydratbildung
(RaO
,H2 0)
—
—
—
SS3t
^ Thomsen, Joum. f. prakt. Chemie. 2. Folge, Bd. 12, S. 97.
2) Thomsen, Journ. f. prakt. Chemie. 2. Folge, Bd. 11, S. 283.
3) Thomsen, Joum. f. prakt. Chemie. 2. Folge, Bd. 12, S. 293-
*) Thomsen, Journ. f. prakt. Chemie. 2. Folge, Bd. 12, S. 285.
^) Thomsen, Joum. f. prakt. Chemie. 2. Folge, Bd. 12, S. 121.
Anmerkung. Die mit R. bezeichneten Zahlen rühren Ton Raoult her. C«mpt^
rendus Bd. 59, S. 45,
B Chlorid o.
(Pt,Br4,2KBr)
59360
Bi]dg.d.Dop|.el-
chlortde, des Jo-
(Pd,Clj,2KCl)
52670
■«rfreiE Salze
(Pt,Cl„2Naa)
73720
dürs Q. der Hy-
(Pd,Jj,HaO)
18180
(Pt,Br4,2NaBr)
46790
(Pd,0i„2Hi,0)
30430
drate der Oiyde
Merb. Platin,
(Pd,O,Ha0)
22710
triamcblorid
(Pt,Cl4,2N.CI,6HiO)
92890
Bildg. d. Chlor-/
(Pd,Cl,,2HClAq)
72940 (?)
td -Bromid
(Pt.Br„2N«Br,8H,0)
B5330
pdladiumw«»-
{Pd,CI„2HaA(,)
47920
mCUorör u.
(Pt,CI^2KCl)
45170
(Pd,0»,6HClAq)
52380 (?)
Dinfir eQtiT>r.
{Ft,Clj,2AmCl)
42550
wiÜBer. Lösung'
(Pd,0,4HClAq)
37640
SaUe
{Pt,Brj,2KBr)
32310
LBsmig der Hy-
{Pd04H„6HClAq)
21950 (?)
dioMn Resc-
(Pt,CV2RaAq)
84020
drate ia Chlor-
(PdOjHij,4HaAq)
14930
an 2R
(Pt,Bt4,2RBrAq)
57160
[doreh
(Pt,Clj,2RClAq)
41830
2H«N,
(Pt,Br„3RBrA<|)
31840
cohoe
(Pt,0i,8HClAq)
64000
Bg d«
(Pt,Oi,,aHBrAq)
80360
ng.rer.
(P^0,4HClAq)
31550
rerden.
(Pt,0,4HBrAq)
43440
Fflr die Schwefelverbindnogen der Metalle hat der VerfaBaer Zahlen
liebt fiDden kdoneu.
c. Neatraliaation ron Sänren and Basen.
Die als Nentraligfktiouswärme angegebene Anzahl von Wärmeeinheiten
leziebt sich anf 1 Molecül Schwefelsänrehydrat oder ein diesem MolecDl
iquiTOlentes Gewicht der anderen Säuren oder der Basen, so dasa in den
Formeln ein Molecül der zweibaaiacben, aber zwei Molecüle der einbosi-
ichen Säoren auftreten. Die NeatraliBationsphänomene beziehen sich alle
Inf verdünnte w&saerige Lösungen nnd die normale Concentration ist
diejenige, dasa jedem MolecQl Schwefelsfiurehydrat oder ihrem AeqniTslent
einer anderen Sänre oder Baals 400 Molecül Wasaer als Löaungsmittel
302
IL Thermochemie,
entsprechen, so dass für jedes Molecül gebildetes Salz, welches x. B.
Kaliumsalphat äquivalent ist, 800 Molecül Wasser in Reaction
Nur in einzelnen Fällen, so z. B. beim Strontian- nnd Kalkwaaaer« lil
wegen der Schwerlöslichkeit dieser Oxyde die angewendete Waaer^
menge grösser. |
Die nachfolgende Tafel enthält mimittelbar die sich bei der Nentn^
lisation bildende Wärmemenge; bildet sich ein unlösliches Salz, so iä
also die Wärmemenge die Summe aus der Nentralisationswärme und dm
jenigen Wärme, die dnrch das Festwerden des Niederschlages frei wird»!
Basis
Schwefelsäure
Chlorwassersioff-
säure
Salpetersäure
EsaigriEnic
R
(R,HaS04Aq)
(R, 2 H Cl Aq)
(R,2HN0sAq)
(R,2CjH40,i^
2LiH0Aq . . .
81290
27700
—
31380
27490
27360
26370
2NaH0Aq . . .
33160 A.
1
29490 A.
•
28860 A.
H
28000 A.
31620 F. u. S.
1 30260 F. U.S.
30570 F.U.S,
2720O F. 11.1
/31290
27500
f27540
1 26430
2KaH0Aq . . .
33400 A.
1
29880 A.
29600 A.
27600 A.
132160 F.U.S..
31330 F. u. S.
I3102O F.U.S.
279&0 F. 1.1
2TlH0Aq . . .
31130
44340*1)
—
—
2NAe4HOAq«)
31010
—
—
■»•.
BaHjO^Aq . • •
36900*1)
27780
28260
26906
SrH2 02Aq . . •
30710
27630
—
CaHjOaAq . . .
31140
27900
—
1
MgHjO^Aq • . .
31220
27690
27520
264O0
/28150
24540
24640
r23500
2 N H3 Aq • . • .
29420 A.
1
23830 A.
25370 A.
{24630 A.
29380 F. n. S.
27170 F. U.S.
[27350 F. u. S.
25300 P.ilI
J
1) In den mit * bezeichneten Fällen ist auf dieser und der folgenden Seite «bs ||
bildete Salz schwer- oder unlöslich, und es ist daher die hier stehende Zahl i^ckk i
Neutralisationswibrme plus einem Theil oder der ganzen Präcipitationswarme.
^) Ae bedeutet Aethyl = C4H5.
Anmerkung. F. u. S. bedeutet Favre u. SilbermanUi Ann. dechim-ctl
phys. , 3. Serie. Bd. 37, S. 419. A. bezeichnet die neueren Bestimmungen von id
drews, letzterer theilt Pogg. Ann. Bd. 143, S. 101 bis 113 auch noch Zahl^i mit dl
Kali Ammoniak
Oxalsäure: 30250 26080
Weinsäure: 27020 23490.
Sämmtliche Zahlen, die nicht mit besonderen Buchstaben versehen sind , rnkren fi
J. Thomsen her und sind der Zusammenstellung in Ber. der Deutschen ehem. Gm
Bd. 4, S. 588 entlehnt. Weitere Zahlwerthe von Thomsen über diese VerhSKai«
findet man noch unter dem Titel: Thermochemische Untersuchungen in: Pofl
Ann. Bd. 138, S. 65, 201 u. 497, Bd. 139, S. 193, Bd. 140, S. 88 n. 497, UJ. HB
S. 354, S. 497.
B. AeqniYalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 303
Basifl
Sehwefelsäure
Chlorwasserstoff-
säure
Salpetersäure
Essigsäure
R
(RjHaSO^Aq)
(R, 2 H Cl Aq)
(R,2HN0aAq)
(R,2C2H402Aq)
2NAesAq . . .
28340
25040
-_
—
MoHgOa . .
26480
22950
—
•
NiHaOft .
26110
22580
—
C0H2O2 .
24670
21140
—
—
FeHjOs .
24920
21390
—
CdHaOs .
33820
20290
20320
—
ZnHj|Os .
23410
19880
19830*
18030
CaH^Os ,
18440
14910
14890
12820
PbHsOs •
21060 *
14360*
15340
13120
CaO . . .
18800
15270
15270
13180
HgO. .
—
19420.
—
—
PbO . .
28500 *
16790*
17770
15460
AgaO .
14490
42380*
10880
—
%A1H,03
20990
18640
—
—
%BeHa08
16100
13640
—
—
%CrH,Os
16440
13730
,
—
%AaH,Og
—
13680
—
—
%FeH3 0j
; '
11250
11150
11200
7990
!
Unterschwefel-
Aetherschwefel-
Unierphosphorige
Schwefcl-
säure
säure
Chlorsäure
Säure
wasserstoffsäure
R
(R,HjSaOeAq)
(R,2HCaH5.S04Aq)
(R,2HC103Aq)
(R,2H.PHi02Aq)
(R,2SH,Aq)
ItHOAq
27070
26930
27520
30320
15480
IH^Aq . .
—
—
—
—
12390
iH^OsAq .
27760
27560
28050
30920
15750
kBjOa . .
27540
27650*
—
—
—
^HjO, . .
21200*
21120
—
IH,0, . .
20360
15250*
—
—
—
»H,0, . .
14970 *
14840
15550
—
iFeHgOa .
—
—
11750
—
—
Anmerkung. Berthelot giebt in der Abhandlung: Etudes et exp^riences sur les sulfures
MBftcs rendos Bd. 78, S. 1176 und S. 1252 mehrere hierher ^hörige Zahlwerthe; die wichtigsten
304
IL Thermochemie.
Auch nachfolgende Tabelle der Nentralisations wärmen der nor-
malen Natronsalze gilt für sehr verdünnte Lösungen beider Bestand-
theile.
Namen der Säuren
Formel
Verbindungswärme
(2NaH0Aq,QAq)
Fluorwasserstoffsäure
2H.F1
•
32540
Schwefelsäure . . .
Ha.S04
31380 1)
•
Selensäure ....
U^ • oe i/^
30390
Unterphosphorige S.
2H.PH2O2
30329
Schweflige Säure . .
IIa • 0 Od
28970 -j
Metaphosphorsäure .
2H.P08
28750
Phosphorige Säure .
Ha.PHOs
28370
1
28280
Oxalsäure
H2.C2O4
■
30060 A.
31500 F. u.sJ
theilen wir im Nachstehenden mit. Dieselben zeigen mit den Thomsen 'sehen vei
befriedigende Uebereinstimmung.
Basis
Schwefelsäure
Chlorwasserstoff-
säure
Salpetersäure
Essigsäure
SchwrfJ
R
(R, H2 S O4 Aq)
(R, 2 H Cl Aq)
(R,2HN08Aq)
(R,2C52H4 02Aq)
(R,2Bi
2NaH0Aq
31700
27400
27400
26600
15«
2NH8Aq
29000
24900
25000
24000
l?li
BaHjOsAq
36800 *
27700
27800
27000
i3d
Mn Hq O2 •
t
27000
23600
—
22000
2(J
FeHaOa .
t
25000
21400
—
19800
29 Ji
Zn Hq O2 .
t
23400
19600
19600
15700
ssJ
PbO. . .
t
21400*
15400
15400
13200
hSSt
Cu 0 . . .
t
18400 *
15000
15000
12400
^
HgO . . .
t
—
18900
—
—
7$44i
AgjO. . .
t
— —
—
10400
—
um;
i
Die mit dem Zeichen f versehenen Basen wurden als Niederschläge verwendet.
^) Bestimmungen von Andrews, Favre und Silbermann für diese GroR^sen sehe naij
vorhergehenden Tabelle. I
B, AeqttivaleDZ zwischen Warme und chemischer Arbeit. 3Ö5
Namen der Säuren
Formel
Verbindungswärme
(2NaH0Aq,QAq)
Chlorwasserätoffsäure
2H.C1
27480 1) ^
27500
Bromwassentoffsiare
*
2H.Br
Jodwasserstoffsäare .
2H.J
27350
ChloTsaare . . • .
2H.C108
27520
SalpetenSure . • .
2H.N08
273601)
UnterschwefelsSnre .
Hg . Sg Oß
27070
Selenige Säure . • .
Hs.SeOg
27020
Chlorplatinsäure . .
Ha.PdCl«
27220
Flaorsilicium^äure .
Ha . Si Flß
26620
Aetherschwefelsäure
2H.CaH5S04
26930
>
Ameisensäure . . .
2H.CH0a
26400
Essigsäure . • . •
2H.CaH809
26310
Propionsäure^) . . .
2C8He03
26800
Buttersäure 8) . . .
aC^HgOg
|28600 L.
i 27320 B.
Isobuttersäure') . •
2CH(CsH)aC0aH
28600
Valeriansäure ') . •
»CftHioOa
28900
Paraphosphorsäure .
VaH^.PaO^
26370
Orthophosphorsäure .
H2.PHO4
27080
f
Orthoarsensäure • .
Ha.AsH04
27580
Citronensäure . . .
% Hg . Cg H5 O7
25470
25310
Weinsäure ....
Ha . C4 H4 Og
1
26800 A.
,27300 F. U.S.
1
Bemsteinsäure . • •
Ha • C4 H4 O4
94160
Chromsäure . . • •
H2.Cr04
24720
Kohlensäure . . . •
Ha • 0 O3
20180
Borsäure
Ha . Ba O4
20010
►
Cnterchlorige Säure
2H.C10
19370 ^
Schwefelwasserstoffs.
2H.SH
15480
CyanwasserstofTsäure
2H.Cy
5530
Zinnsäure
Va H4 . Sn O4
4780
Kieselsäure ....
yaH4.Si04
2710
J) Bertimmungen von Andrews, Favre und Silbermann für diese Grössen
ebe man auf S. 302.
Ä) Man sehe Berthelot, Comptes rendus Bd. 80, S. 592.
») Man sehe Louguinine, Comptes rendus Bd. 80, S. 568.
V«Tdet-Btthlmanii, Mecban. Wizmetheorie. Bd. 2. 20
306 IL Thermochemie.
Nor an ganz wenigen Stellen haben wir die von Favre and Silber*
mann bestimmten Nentralisationswärmen mit daneben gestellt, da die
Zahlen oft um 10 und mehr Procent difiPeriren und meist za hoch mL
Nicht blos Thomsen, sondern auch Andrews haben wiederholt danirf
aufmerksam gemacht, dass die Zahlen dieser französischen Fonclier,^
zumal aber diejenigen, welche mit dem Quecksilbercalorimeter erluJftes
worden sind, nur mit grosser Vorsicht benutzt werden dürfen. Die BiA-
renzen zwischen den von Thomsen gegebenen Werthen und den ge
legentlich beigestellten Zahlen von Andrews dürften yielleicht als Miaa
der Zuverlässigkeit der absoluten Werthe derartiger Beobachtungen an-
gesehen werden.
Neuere Zahlen, welche von Favre ^) gegeben worden sind, stimmet
mit denjenigen von Thomsen fast vollkommen überein.
Um den Charakter einer Säure festzustellen , sind wenigstens dra
Bestimmungen nothwendig, nämlich die Beaction bei äquivalenten Men-
gen und diejenigen bei einem Ueberschuss der Säuren und bei üeber
schuss von Basis. Eine sehr vollständige derartige Untersuchung Aber
die Neutralisation wässeriger Säurelösungen mit einer wässerigen Lösniii
von Natronhydrat ist von J. Thomsen über ungefähr 30 Säuren
Ghrund von nahezu 1000 calorischen Versuchen angestellt worden. Wi
theilen im Folgenden eine Uebersicht mit, welche Thomsen') selbst g^
geben hat. Die Concentration der Natronlösungen und der Säuren ii
für die Mehrzahl der Bestimmungen 200 Molecüle Wasser f&r jedai
Molecül Basis und Säure, z. B.:
NO3H + 200 H,0 und NaOH + 200 H3O, oder SO4H, + 400 B,a
Die Reaction der Säure auf die Basis wird durch die beiden Fopi
mein:
(aNaOHAQAq) und (NaOHAq, ocQAq)
ausgedrückt, je nachdem es sich um die Reaction eines Moleoölea dff
Säure Q auf a Molecüle Basis, oder im zweiten Falle um die Einwirkt
eines Molecüles Basis auf cc Molecüle der Säure Q handelte.
Die letzten beiden Zahlen der Wärmemenge sind weggelassen,
dass die mitgetheilten Grössen Hunderte von Calorien bedeuten.
Nachstehende Tabelle zeigt die Resultate:
^) Favre, Recherches thermiques sur les m^langes. Comptes rendtu Bd. S^
S. 1150; Bd. 51, S. 316; Bd. 59, S. 780; Bd. 64, S. 1231; und besonders: Bi 7V
S. 717.
^) Ber. der Deutsch, ehem. Qesellsch. Bd. 3, S. 187 bis 192 (1870).
B. Aeqmvalenz zwischen Wanne und chemischer Arbeit. 307
(«NaOHAq, QAq.)
Q = 1 Molecül
a
oder die Anzahl Molecüle
'
!fatronhydrat
Va
1
2
3
4
6
68,5
137
137
^^_^
68,5
137
137
—
—
—
68
137
137
—
—
—
39
77
78
—
—
—
80
163
163
—
—
—
14
28
27
—
—
i— .
68
137
137
—
—
-.
77
152
153
—
—
__
71
144
«)
—
—
—
—
132
—
—
—
—
66
132
132
—
—
...
138
266
—
«)
—
71
146
310
—
310
—
—
148
304
—
304
-*
—
159
290
—
293
—
148
270
—
275
—
—
—
271
—
—
—
—
131
247
—
252
—
74
148
284
289
—
—
—
110
202
^^^^
206
—
64
111
200
205
—
206
32
43
52
—
54
—
—
—
—
—
96
—
69
138
283
—
285
.-
—
124
242
—
244
-r-
—
124
253
258
—
—
—
124
250
382
—
416
73
148
271
340
—
353
74
150
276
359
—
374
—
144
286
—
527
545
Einbasische
Säuren
Chlorwasserstoff .••.«.
Bromwasserstoff
Jodwasserstoff •
Schwefelwasserstoff^) . . . <
Fluorwasserstoff
Cyanwasserstoff •
Salpetersäure ....*..
Unterphosphorige Säure . . .
Hetaphosphorsänre . . . . .
Ameisensäure .
^Essigsäure
Fluorsilicium-Wasserstoffsäure
Schwefelsäure ,
Selensäure ,
Schweflige Säure
Selenige Säure ,
Unterschwefelsäure
Chromsäure •
Phosphorige Säure
Kohlensäure^)
Borsäure
Kieselsäure
Zumsäure ••.••.••«
Oxalsäure
Bernsteinsäure
Weinsäure
J>reibaaiache fCitronensäure 6)
^nren ] Ortho-Phosphorsäure •) . . .
lArsensäure - •
Vierbasische jpara-Phosphorsäure
Z^r eibasische
SSixren
1) Die Zahlen gelten für die Reaction der Schwefel wasserst off säure in wäs-
Mr Losung ebenso wie bei anderen Säuren.
^ Diese Zahl entfernt sich nicht sehr von 144, aber lässt sich nicht genau bestimmen
we^en der leichten Zersetzbarkeit der Metaphosphorsäure (s. die Originalabh. in Pogg. Ann.).
9) Diese Zahl lässt sich nicht benutzen, weil die Säure durch den Ueberschuss des
Alkalis zersetzt wird.
^) Die Zahlen gelten für Kohlensäure wasser (siehe die Originalabhandlung, Pogg.
Axm. Bd. 140, S. 513).
6) Ueber Citronensäure sehe man die ausfuhrliche Arbeit von Berthelot und
Loueninine, Comptes rendus Bd. 81, S. 908.
^} Man sehe auch Berthelot u. Louguinine, Compt. rend. Bd. 81,S. 1011 u. 1073.
20*
308
IL Thermocheniia
(NsOHAq, aQAq)
Q = 1 Holecil Siarehjdni
« oder di« AuaU der Siut-
molecile
Vt
%
Vi
Einbasische
Säuren
ChlanrMsentoff . . .
Bromwasser8t4>ff . \ .
JodwaMentoff ....
Schwefelwasserstoff^) .
Flnorwasserstoff . .
Cjanwasserstoff . . .
Salpetersiore ....
Unterphosphorige Sinre
Metaphosphorsiore • .
Ameisensiare ....
Essigsinre
Zweibasische
Sänren
"'Flaorsiliciam-Wassentoffsinre
Schwefelsinre <
Selensanre
Schweflige SSore
Selenige SHore
Unterschwefelsaare
Chromsänre . . •
Phosphorige Sanre • . • . .
KohlensSare^)
Borsäure
Kieselsänre
Zinnsäure •
Oxalsäure
Bemsteinsäure
Weinsäure
137
137
136
77
150
28
136
154
142
132
142
Dreibasische
Säuren
Vierbasische
Säure
(Citronensäure . . .
Orthö-Phosphorsäure
Arsensänre • . . .
{ Para-Phosphorsäure
149
129
65
138
147
147
137
137
137
77
163
28
137
152
144
132
132
133
146
148
159
148
131
148
110
111
43
138
124
124
124
148
150
144
68^
68^
68,5
39
82
14
68
76
«)
66
133
155
152
145
135
135
124
142
101
100
26
141
121
127
125
135
138
143
96
68
86
127
113
120
_
78
76
73
69
63
51
13^
24
71
61
132
U
91
^) Oültig für die Säuren in wässeriger Losung.
') Lässt sich nicht mit Genauigkeit bestimmen, siehe die Notiz zur ▼orheirekeatei
Tabelle. * '
') Die Säure wird durch den Ueberschuss der Basis zersetzt.
*) Qnltig für die Säure in wässeriger Losung.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 309
cL Lösungen in Wasser.
Auch über die Auflösung yerschiedener Substanzen bat J. Thomsen
eine grosse Zahl von Messungen angestellt Diese Resultate beziehen
sich ebenfalls, wie alle vorb ergehenden, auf eine Temperatur von 18^0.
and auf die Auflösung eines Molecflles des betreffenden Stoffes in der
nebenbei angegebenen Anzahl von Molecülen Wasser i).
Stoff
Wassermenge
in Molecülen
WännetÖnang
pro MoleciU
des Stoffes
1. Eryst. Chlor-, Broifl- und Jod Verbindungen.
CUorlitbium
Chlomaftriam
Chloilcaliiun .
Chlorammoninm ....
""CUormagnesiDm . . . .
ÄlnminhuDchlorid • . .
Quecksilberchlorid . . .
Chlorblei
; Thalliamchlonlr ....
Kapferchlorid .....
Zinnchlornr
ZittBcblorid
Krystallisirtes Zinnchlorid
ChlorbarynxD
Sromnatrintn • . • • .
Bromkalinm
Bromammoniom ....
Bromblei
Jodnatrimn
Jodkalinm
Jodunmoniani
Ooldchlorid
Goldbromid
'Wasserstoffgoldbromid . •
EisencUorfir
LiCI
600
NaCl
200
Ka
200
100
AmCl
200
MgCla
800
Ala Cl«
800
HgCla
5400
PbCla
64 000
TlCl
50 000
CuCIa
10 000
SnClg
800
SnCl4
?
SnCla-f 2HjO
900
Bada -t- 2HaO
400
NaBr
200
KBr
200
AmBr
200
PbBra
10 000
NaJ
200
KJ
200
AmJ
200
AuCIs
150 000
AuBrg
36 000
AuBr4H-f 5HjO
18 000
FeClg
8000
+
+
+
+
+
+
+
+
8440c
1180
4440
4410.
3880
35 920
153 690
53000
6796
10100
11080
350
29 920
5370
4930
150
5080
4380
10 040
1220 ^
5110
3550
4450
3760
1140
17 900
^) Die Znsammenstellnng ist yorzngsweise entnommen t/em Aufsätze J. Thomsen's:
Cntemchong über die Wärmetönnng beim Auflösen verschiedener fester, flüssiger und
hiftförmiger Körper in Wasser. Ber. der Deutsch, ehem. Gesellsch., Bd. 6, S. 710 bis 717.
Andere ^blen sind ans neueren Arbeiten desselben Verfassers ergftnzungsweise zugeftigt.
310
IL Thermochemie.
2. Flüssige Chlorverbindungen und Brom.
Zinnchlorid • .
Titanchlorid . .
Siliciumchlorid .
Phosphorchlorür
Brom • . . .
SnCl4
300
TiCl4
1600
SiCl4
3000
PCI3
1000
Bra
600
+ 29920c
+ 57870
+ 69260
+ 65140
4- 1080
3. Salpetersaare Salze.
Salpeters. Natron
Kali .
n
n
n
n
n
Ammonium
Silberoxyd
Baryt . .
Strontian
Bleioxyd .
Thalliamoxyd
NaNOg
200
—
5060c
KNOs
200
—
8520
AmNOs
1
200
100
—
6320
6160
Ag N Oa
200
—
5440
BaNjOfi
400
—
9400
SrNaOe
400
—
4620
PbNaOe
400
—
7600
TlNOg
300
—
9970
Stoff
Formel
Wassermenge
in Molecülen
WärmetoDimg
pro Molecül
des Stoffs
Eisenchlorid ^ •
FeaClß
30000
-f 63360
Zinkchlorid
ZnCla
5500
+ 15630
Cadminmchlorid • . • . .
CdCia
7200
+ 3010
Cobaltchlorär
CoCla
10000
+ 18340
NickelcUorfir
Ni Cla
10000
+ 19170
Manganchlonir
MnClg
8000
+ 16010
Kalium-Zinnchlorid ....
Sn C\ß Kn
800
— 3380
Kaliumquecksilberbromid
HgBr^Kj
12000
— 9750
Kaliumplatinchlonir . . .
FtCl^Kj
650
— 12220
Kaliomplatinchlorid ....
PtCl^Ka
100000
— 13760
Kaliumplatinbromür . . .
PtBr^Ka
750
— 10630
Kaliumplatinbromid ....
PtBrflKa
150
— 12260
AmmoniumplatinchlorUr . •
PtCl^Ama
600
— 8480
Natriumplatinchlorid . .
PtClßNaa
PtCleNaa + 6HaO
900
600
+ 8540
— 16630
Natrinmplatinbromid . .
PtBrgNaa
PtBr^Naa + 6H2O
600
600
4- 9960
— 8550
Kaliumpalladiumchlortir . .
Pd CI4 Ka
600
— 13630
Kaliumpalladiumcblorid . .
PdClßKa
?
— 15000?
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 311
Stoff
Wassenneiige
in Molecnlen
Wärmetönung
pro Molecül
des Stoffes
4. Schwefelsaure Salze«
-
'
600
400
— 18810c
— 18760
ifels. Natron ....
NaaSO^.-l- lOHgO
200
100
— 18550
— 18130
1
50
— 17460
Natron ....
NaaS04
400
— 60
Kali
KaSO«
400
— 6380
Ammoniak . . •
Am2S04
400
200
— 2370
— 2330
ThaUiumozyd • •
Baxyt • • . . •
TI2SO4
BaSO«
900
— 8600
— 5580|
vgl- Pogg.
Ann.
Strontian . . .
Magnesia . . .
SrSO^
MgS04 4- 7HaO
400
0 t
— 3910
Bd. 143,
S. 399.
Zinkoxyd . . .
ZnSO^ 4- 7H2O
400
— 4240
Eisenoxydul . •
FeS04 + 7HaO
400
— 4510 '
Manganoxydol .
MnSO« + 5HaO
MnS04 + 4HaO
400
400
+ 40
4- 1770
Knpferozyd . .
CUSO4 + 5HaO
CUSO4 + HjO
400
400
-- 2750
-|- 8720
SUberoxjd . . .
AgS04
?
— 4480
Nickeloxjd . . .
NiS04 -1- 7HaO
800
— 4250
6a\uMo%jd . . .
C0SO4 + 7HaO
800
— 3570
Cadminmoxyd •
CdS04V8H20
400
4- 2540
Yttererde . . .
YSO4 + %HaO
400
+ 3560
Lanthanoxyd . .
USO4 + 3HaO
400
+ 1500c
approxim.
Beiyllerde . . .
BeS04 + 4H2O
400
+ 1100
Thonerde-Kali .
K2S04+Al2SsO,a + 24HaO
2400
— 20240
Chromoxyd-Kali .
K2S04 + CraSgOia+ 24HaO
1600
— 22300
xfatron
Bar>t .
Bleioxyd
5. Essigsaure Salze.
NaCaHjOj 4- 3HaO
Ba(C2HgOa)a + 3HaO
Pb(CaH8 0a)a 4- SHaO
400
— 4810c
800
— 1070
800
— 6140
II. Thermochemie.
r
KHO
aeo
Chlorkülium
KCl
2W
Broml»li<»n
KBr
200
Jodkalimn
KJ
200
ChlorMurt. Kuli
KCIOj
400
SilpeleruuT« Kuli ....
KNOj
800
ünternchwefelsaure» K«li .
KjSjOb
500
Schwerelsanres Kali . . .
KjSOj
400
Chromum«. Kall ....
KjCrjO,
800
KjMnsOg
1200
KaCjO, + HjO
800
Eohlflua. Ktli, kTTit. . . .
K.CO, + IV,
HjO
180
7. Ndtronsalze
KstrinmhjdrMjd
K»HO
150
ChlomitTium
KaCI
200
Bromnatrium
NaBr
200
Jodnatrium
NaJ
200
KaNOg
200
Schwefelwure» , . . {
^falSO^ + 10
NajSOi
H^O
400
400
N«sSjO, + 5
HjO
400
NaaCjO, -f lOHjO
800
NbjHPO, + 12HaO
800
Phosphors. Ammoo .-Natron .
NaAmHPOi +
4HgO
800
Nii,PjO, + lOHjO
1600
N-«jB^O, + 1
HjO
2500
NaC,H.O, +
SHjO
400
ButtOTsaure« „ ....
KaC.H,0, -1-
H)0
5,
— 5110
— 10040
— 8520
— 12990
— 8380
— 17030
— leiBO
— 7410
— 122 !
-\- 1220
— 5080
— 18760
— 60
■ — 11370
— 16490
— 22920
— 10750
— 12060
— 25860
— 4810
+- 3440
s dt mecan<qaeiao1^nlaire. Oar*-
S. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 313
Stoff
Formel
Wassermenge
in Molecülen
Wärmetönnng
pr. Molecül
des Stoffes
ymnoxyd
yinnhydrozyd
^. mit 9 Krystallwasser
orbaryuin . . .
^etersAurer Baryt
ioTBaarer Baryt
kerscbiirefels. Baryt
ikcTscbwefels. „
^gsanrer Baryt • . .
knrpliospl&origs. Baryt .
• • •
8. Barytsalze.
BaO
?
+
27780c
B. Bildanf
conc. Los.
1»
?
+
28120
B. Bildanj
verd. Lös.
BaHgOs
?
4-
10260
B. Bildunf
conc. Lös.
BaHaOa + 9H2O
?
—
14060 '
B. Bildunf
conc. Xiös.
BaCIa + 2H2O
400
—
4930
BaNaOe
400
—
9400
BaClaOe -f- HgO
600
—
11240
BaSgOg + 2HaO
400
—
6930
Ba(CaH5 . S04)a + 2HaO
800
—
4970
Ba(CaH3 0a)a -|- SHaO
800
—
1070
Ba(PH2 0a)a + HgO
800
+
290
9. Andere alkalische Erden.
ämnoxyd •
ciambydroxyd
mtiiimozyd •
ontiomhydroxyd
k1. mit 9 Krystallwasser
CaO
CaHaOa
SrO
SrHaOa
SrHaOa + 9HaO
?
?
?
?
?
?
?
+
18100c
+
19000
+
3000 {
+
26800
+
26800
+
9640 1
—
15080
B. Bildon]
conc. Lös.
B. Bildunj
verd. Lös.
B. Bildunj
conc. Lös.
B. Bildunj
conc. Lös.
B. Bildunj
verd. Lös.
B. Bildunj
conc. Lös.
B. Bildunj
conc. Lös,
Anmerkung. Die von Berthelot herrührenden Zahlen sind der Abhandlung ent-
lehnt : Sur la chaleur d^gag6e dans la r^action entre l'eau, Pammoniaque et les tcrres
adcalines etc. Compt. rend. Bd. 76, S. 1106 und Ann. de chim- et de phys. 5. Serie.
Bd. 4, S. 445.
314
II. Thermochemie,
Stoff
Fonnel
Wassermenge
in Molecülen
W&nneioDiiiig
pr. Molecnl
des Stoffes
Selenige Saure
JodttSare
Uebeijodsäure
Phosphorige Säure ....
Bors&ure
Oxalsäure
BernsteinBäure ......
Weinsäure
Citronensäare
Schweflige Säure (condens.)
Schwefelsäure, Anhydrid
„ 1. Hydrat
n
2.
» ^* » •
SO4H9 -|- HaO
„ mit 100 Hj 0
S04Ha + 99HaO
Salpetersäurehydrat ....
NOsH
'
NOgH + HaO
Wasserhalt. Baipetersäure .
NOgH -t 2HaO
NOsH + 3 HaO
f
CIH + H2O
Chlorwasserstoffsäure . . <
Cl H + 3 Ha 0
CIH 4- 50K2O
Essigsäurehydrat
Ca H4 Og
Buttersäure
C4 Hg O2
10. Krystallisirte Säuren.
SeOs
JO3H
JOeHg
POjHa
BjOg + 3HaO
CaHa04 + 2 HaO
C4HeOß
C4 Hg H5
^HgOy + HaO
11. Flüssige Säuren.
SO2
SOg
Va (SaO^Hi)
SO4H2
I
1
400
— 920c
200
— 2170
240
— 1386
400
0
800
— 10780
500
— 8560
400
— 6680
400
— 3600
400
— 6430
300
+
1500 c
1600
+
39170
1600
+
26900
+
17850
1600
+
15600
H«
<
+
17600
F.
1600
+
11580
1600
+
1000
20
+
7510
520
+
7580
320
+
4280
320
+
2740
320
+
1830
100
+
11680
kfT*
100
+
3820
100
+
115
100
+
150
53
+
440
B.«)
200
+
510
B-l
^) Berthelot und Louguinine, Recherches thermochimiqae« sar les corps Umok
par double d^composition, Compt. rend. Bd. 69} S 628.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 315
Stoff
Formel
Wärmemenge
in Molecülen
WärmetÖDung
pr. Molecöl
des Stoffes
12. Gasformige Körper.
•r') ....
wefelwasserstoff
knsiuiie . . .
ireflige Säore .
lenalpetersäure
Boniak
Inrwuserstoff
nwassentoff
kisserstofT
CI2
HgS
CO2
SOg
NO2
H3N
HCl
HBr
HJ
1000
900
1500
250
300
200
300
400
500
+
+
+
+
+
+
+
+
-f 17310
+ 17430
-|- 19940
+ 21150
+ 19210
+ 19570
4870 c
4750
5880
7690
7750
8435
8820
8740
B.
F. und S.
B.a)
B.2)
B.2)
Für viele Sabstanzen hat J. Thomsen auch Versuche mit Lösung
in yerschiedeneu Wassermengen angestellt. Wir lassen die wichtigsten
Resaltate auch hier folgen:
Bei Mischung einer Lösung, welche aus einem Molecül schwefel-
sanres Natrium auf 50 Molecüle Wasser bestand, mit a Molecülen
Wasser ergab sich:
^) Berthelot findet in seiner Abhandlung: Recherches sur le chlore et sur ses
compös^s. Compt. rend. Bd. 76, S. 1514, dass das Chlor bei seiner Lösung in Wasser
xwei Losangswärmen besitzen könne, nämlich für Cl^ sowohl 3580 Cal., als auch 6820,
nnd schliesst daraus, dass es bei thermochemischen Arbeiten überhaupt unzulftssig sei,
mit Chlorwasser zu operiren, da häufig das Wasser vom Chlor bei chemischen Processen
' ingegriffen werde. Einige Versuche über die Einwirkung von Chlor auf Metallchlorür
Kheinen dies zu bestätigen. Die Ursache soll in der Bildung von SauerstofTsäuren des
' Chlors zu suchen sein.
^ Berthelot und Louguinine, Recherches thermochimiques sur les corps
fenn^ par double d^composition. Compt. rend. Bd. 69, S. 628.
316
II. Thermochemie.
a
NagSO« . 50HsO, aH^O
50
— 670
100
— 1090
350
— 1300
550
— 1350
Für die Aufiösang von einem Molecül Schwefelsäarehydrat in
a Molecülen Wasser fand Thomson neuerdings 0:
^w
(SO4H2, aHjO)
CS
Formel
Versuch
Differenz
1
6288c
6272 c
— 16c
2
9320
9364
+ 44
3
11104
11108
+ 4
5
13112
13082
— 30
9
14910
14940
+ 30
19
16388 '
16248
— 140
49
17336
16676
— 660
99
17662
16850
— 812
199
17828
17056
— 772
399
17912
17304
— 608
799
17956
17632
— 324
1599
17980
17848
— 132
00
17994
—
—
Die Formel, welche aus den Versuchen abgeleitet worden ist und die
Resultate bis zu einer Mischung mit 10 Molecülen Wasser ziemlich gut
darstellt, lautet:
1) J. Thomsen, Ueber die Wärmeentwickel ung bei der (Anflösung von) Schvefid*
säure in Wasser. Ber. der Deutsch, ehem. Gesellschaft. Bd. 3, S. 496 bis 501. Ge-
naue Messungen hierüber hat auch Pfaundler angestellt. Man sehe] Ber. der Deutadu
ehem. Ges. Bd. 3, S. 798, und auch Fayre und Quaillard^ Compt. rend. Bd. 50
S. 1150,
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 317
Analog giebt Thomsen för Salpetersänrehydrat eine Formel,
welche die Anzahl Galorien zu berechnen gestattet, wenn ein Molecül N 0$ H
mit a Molecfilen H^ 0 gemischt wird. Die Formel gilt von 0 bis 6 Molecülen
und Bchliesst sich den Beobachtungen trefflich an. Die Formel lautet:
V« „
a
9070
+ 1,745 -- ^^
Die Yersuohey in denen es sich um eine Lösung in mehr als 6 Mole-
eülen H^O handelt, giebt die Formel nicht wieder. Die Versuche und
die Uebereinstimmung mit der Formel zeigt nachstehende Tabelle:
(NOsH,
aHgO)
o
Venach
Formel
0,5
2019c
2020 c
1,0
3303
3304
1,5
4185
4193
2,0
—
4844
2,5
5331
5341
8
5757
5735
4
—
6316
5
6719
6723
10
7372
—
20
7511
—
40
7497
—
80
7482
—
100
7477
—
160
7511
—
320
7585
—
Berthelot ^) hat Formeln gegeben, durch welche die Wärmetönung
flargestellt wird, welche eintritt, wenn NO^H -|- nH^Omit so viel Wasser
gemengt ¥rird, dass die schliessliche Wassermenge der Lösung ftLr 1 Mo-
lecfll Salpetersäureanhydrat (NO3H) gerade 200 Molecüle H^O beträgt.
Eb ist:
^
^) Berthelot. Etüde thermique des ph^nom^nes de la dissolution; r^action de
.a nur l'acide azotique. Compt. rend. Bd. 78, S. 769.
318 IL Thermochemie.
Q = ^^33^^^ ^ - 2040 von n = 0 bis n = 5.
4400
Q = 530 von n = 5 bis n = 15,
n
Q _ _ ?£22 von » = 15 bis « = 200.
lieber die Lösung von Salzsäure in Wasser hat sowohl Berthelot ^
als auch Thomsen^) umfassende Versuche angestellt. Beide gelangCD
übereinstimmend zu dem Resultate, dass die Wärmemenge Q, welche ent-
wickelt wird, wenn eine Lösung von wässeriger Chlorwasserstoffinni«,
welche n Molecüle Wasser enthält, mit einer unendlich grossen W
menge verdünnt wird, durch eine Formel von der Gestalt:
0 = ^ 8)
dargestellt werden kann.
Hierin besitzt 0 den Werth:
C = 11620 nach Berthelot,
C = 11800 nach Thomson.
Unzweifelhaft verdient die von Thomson gegebene Zahl das gr5t>
sere Vertrauen.
Für Bromwasserstoffsäure giebt Berthelot (a.a.O.) die Formd
12060
Q = — 200,
n
welche bis n = 40 gültig sein soll; für n >> 60 genüge es, das negativ
Glied zu vernachlässigen, n hat hier, wie auch im nächsten Falle, die-
selbe Bedeutung wie in der Formel für Chlorwasserstoflfaure.
Für n ^ 20 soll für Jodwasserstoffsäure:
« = ilZ12_500
n
und für n >> 20 die Gleichung:
_ 19570
^ ~ lOn
die entsprechende Wärmetönung darstellen.
Für die Mischung einer Lösung, welche 1 Molecül Kaliumhf
droxyd, EHO, inn Molecülen Wasser enthält, mit unendlich viel '^
hat Berthelot ^) eine Wärmetönung Q gefunden, welche durch die Gl«f
chung:
1) Sur la chalear d6gag6e dans la reaction entre les hjdracides ei l'ean. Bali M
la 80C. chimiqae. Bd. 19, S. 351 und: Sur la constitotion des hydracidea dissous. M
de la 80C. chimiqae. Bd. 19, S. 385.
^) Tbomsen, Henry Berthelot 's Untersuchung über die Chlorwasaerstoffsaarp. Bd(
der Deutsch, ehem. Gesellschaft. Bd. 6, S. 717 bis 719.
^) Berthelot, Sur la chaleur d^ag6edans la reaction entre les alcalis et l'eaS
pottisse et soude. Compt. rend. Bd. 76. S. 1041 und 1106 und Ann. de chim. et de pkfl
5. Serie. Bd. 4, S. 445 etc.
B. Aequivalenz zwischen Warme und chemischer Arbeit. 319
23000
Q =
n»
dargestellt werden kann, so lange n ^ 11 ist. Zwischen n = 11 und
» = 32 gilt die Formel:
23000 _ 23000
^~ n« lOn
und för n >» 32 endlich:
_ _ 23000
^ ~ lOw *
Festes Ealiumhydroxyd giebt bei seiner Auflösung in 260 Molecülen
Wasser eine positive Wärmetönung von 12460 Gal.
Für Natriumhydroxyd, NaHO, haben sich die Formeln ergeben:
23000
6,6 < n < 18 Q = —5 600,
n > 18 Q =
23000 23000
n« 2n
Festes Natriumhydroxyd gab bei Auflösung in 150 Molecülen Wasser
sine W&rmetönung von + 9780 Gal.
Für Ammoniak gilt die Formel:
n
e. Wärmeentwickelung bei einigen einfachen und doppelten
Zersetzungen.
Die nachstehenden Zahlen haben zum Theil mit zur Ableitung, zum
Aeil zur Gontrole der in c. mitgetheilten Resultate gedient; es dürfte
•ber vielleicht nicht ohne Interesse sein, auch einige Beobachtungen über
linfache und Doppelzersetzungen zuzufügen^). Die Goncentration der
Igen war in der Regel 800 MolecÜle auf 1 Molecül der Salze, die
zweiatomiges Metall enthalten. Nur in einzelnen FäUen beim Kalk,
mtian, Thallinmoxyd war die Goncentration geringer.
[ ') J. Thom8en,Thermochemi8che Untenuchungen. X. Ueber die bei der Neu-
Untion toh Basen sich entwickelnde Wärmemenge. Pogg. Ann. Bd. 143, S. 354
396 und S. 497 bis 534.
320
IL Thennochemie.
a. Einfache Zersetzungen.
Baryt und Schwefels&are.
R
(RAq, HaSO^Aq)
R
(RAq, HaS04Aq)
BaCIg
BaN^Oe
BaSjOe
BaClaOfi
9152
8560
9136
8840
Ba[PHaO]a
Ba[CaHßSOJa
Ba [Ca Hg OaJa
5965
9336
9992
Schwefelsaure Salze and Baryt oder Kali.
R
RS04Aq,BaHaOa
RS04Aq, 2KHOAq
2 Na
5492
^_
2K
5632
—
2T1
5728
—
2NH4 •
8792
—
Mg
5840
— 88
Mn
10304
-f 4912
Ni
10628
5333
Co
12224
• 5888
Fe
12005
6340
Cd
13076
7066
Zn
13429
7936
Cu
18456
12376
2Aq
—
16800
%Be
—
15192
' /sFe
—
19984
Vj (Fea Ka S4 O16 Aq, 6K0HAq) = 20040
V« (Cr, Ka S4 O16 Aq, 6K0HAq) = 14848
1/3 (AlaKaS4 0jeAq, 6K0HAq) = 10176
Vs (Ma KaS40i6Aq, SBaOaHaAq) = 16000
Inhalts üb erstellt
der •
ersten Lieferung des zweiten Bandes.
Seite
I. Die Moleculartheorie der "VVänne.
A. Allgemeines über die Molecularconstitution der Körper 1
B. Geschichtliches über die Moleculartheorie, im Besonderen über die
der Gase • 12
C. Die moderne Gastheorie in den Auffassungen von Clausius \ind
Maxwell . . . , 31
D. Die innere Reibung der Gase 79
E. Die kinetische Theorie der Diffusion der Gase 130
F. Die Wärmeleitung in Gasen 142
G. Die Fortpflanzung des Schalles 209
H. Ueber die Natur der Molecüle 226
IL Thermochemie.
A. Atomgewicht und specifische Wärme 254
B. Aequivalenz z^vi8chen Wärme und chemischer Arbeit 274
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
Müller-Pouillet's
Lehrbuch der Physik und Meteorologie.
Achte umgearbeitete und vermehrte Auflage
bearbeitet von
Dp. Leop. Pfaundler,
Profcflsor der Phyaik an der Universität Innebrnck.
In drei Bünden.
Mit gegen 2000 in den Text ein ged nickten Holzstichen, Tafeln, zum Theil
in Farbendruck, und einer Photographie.
Srster Band.
gr. 8. Fein Velinpap. geh. Erste Abtheilung. Preis 4 Mark.
Zweite Abtheilung. Preis 3 Mark 60 Pf.
Die Wärme
betrachtet als eine Art der Bewegung
von
John Tyndall,
Professor der Physik an der Boyal Institution zu London.
Autorisirte deutsche Ausgabe, herausgegeben durch
H. Helmholtz und G. Wiedemann
uacb. der fiinften Auflag^e des Originals.
jyrttte vermehrte Aufitige,
Mit zahlreichen in den Text eingedruckten Holzstichen und einer Tafel.
8, Pein Velinpapier, geh. Preis 9 Mark.
ANKÜNDIGUNG.
:^
Bei der Ausarbeitung dieses Handbuches hat sich der Verfasser die
Aufgabe gestellt, das gesammte Gebiet der mechanischen Wärmetheorie,
das experimentelle sowohl als das theoretische, und die Anwendungen
derselben in den übrigen exacten Naturwissenschaften zu umfassen.
Die technischen Einwendungen sind ausgeschlossen, da diese in den
Werken Zeuner's und Grashof' s bereits eine treffliche Behandliing
gefunden haben.
Das Buch soll dem lehrenden und forschenden Fachmanne als
Handbuch, den Studirenden der exacten Naturwissenschaften als Lehr-
buch dienen.
Durch Berücksichtigung möglichst aller wichtigen Arbeiten des
In- und Auslandes ist eine thunlichste Vollständigkeit angeetrebt
worden; das Buch soll jedoch das Studium der Originalarbeiten nicht
übei-flüssig machen, es zeigt vielmehr deren Stellung im Gesammt-
organismus der Wissenschaft und giebt ihre Resultate in systematischer
Anordnung. Durch eine möglichst umfängliche Anführung der Quellen
hofft der Verfasser seinen Fachgenossen, zumal bei einschläg liehen
experimentellen und theoretischen Untersuchungen und bei Vorbereitung
der Collegien behülflich sein zu können.
Die Darstellung ist so gewählt, dass auch weniger Geübte, wenn
dieselben nur einen Cursus der Differential- und Integralrechnung und
die Einleitung in die höhere Mechanik, sowie Experimental- Physik
und -Chemie gehört haben, den Auseinandersetzungen zu folgen im
Stande sein werden.
Mit Beginn des zweiten Bandes hat sich der Verfasser von dem
V erdet' sehen Buche: „Theorie mecanique de la chaleur", dessen Bear-
beitung in der ersten Lieferung des ersten Bandes angestrebt w^orden
war, vollständig emancipirt. Die Fülle des zumal im zweiten Bande
zu berücksichtigenden Materiales rührt vorzugsweise aus der aller-
neuesten Zeit her; seit dem Erscheinen des V erdet' sehen Werkes sind
in diesen Gebieten die Gesichtspunkte mehrfach so wesentlich verscho-
ben worden, dass es unmöglich erschien, sich noch femer an diese
sonst so treffliche Arbeit anzulehnen.
Die vorliegende Lieferung, es ist die vorletzte des ganzen Buches,
enthält zunächst den Schluss der Thermochemie. Besonders eingehend
werden darin die Dissociationserscheinungen und die Anwendungen
der thermochemischen Gesetze auf die Explosivstoffe behandelt. Im
Anschluss hieran wird die Verwendung der Explosivstoffe in den Feuer-
wafi'en und die Theorie der Gaskraftmaschinen vom physikalischen
Standpunkte aus betrachtet. Ein Anhang an dieses Capitel beschäftigt
sich mit der Theorie der Dampfgeschütze. Der letzte Theil der Liefe-
rung enthält nach einer kurzen mathematischen Einleitung die An-
wendung der mechanischen Wärraetheorie auf die Electricitätslehre
und erstreckt sich bis zu den Wärme Wirkungen des galvanischen
Stromes (Joule'sches Gesetz).
Die letzte Lieferung soll bald folgen und wird den Absohluss
dieses letzterwähnten Capitels und die Anwendung der früher ge-
wonnenen Gesichtspunkte in der Astronomie, Meteorologie und Physio-
logie bringen. Den Schluss des Buches soll eine kurzgefasste kritiBche
Geschichte der mechanischen Wärmetheorie und eine Literaturübersicht
bilden. — Durch Nachträge wird ausserdem der allemeuesten Literatur
Bcchiiung werden, welche seit der Veröffentlichung der früheren Liefe-
rungen erschienen ist.
fi. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 321
B6i^S04Aq,
wHKOAq)
n
Cal.
Vs
6300
1
8928
Vs
11142
2
15192
' ADmerkang. Nach Schluss der ersten Lieferung des zweiten Bandes dieses Baches
Mingten wir in den Besitz der neuesten Portsetzung der Tho ms en 'sehen Arbeit:
iennochemische Untersuchungen; über Magnesium, Calcium, Strontium und Barium,
^om. L prakt Chemie. Neue Folge. Bd. 16, S. 97 bis 124. Um eine thunlichste Voll-
Hgkeit zu erzielen und um die Zahlen nicht zu weit räumlich von denjenigen zu tren-
ZQ denen sie ihrer Natur nach gehören, theilen wir dieselben an dieser Stelle mit,
sie erst als Zusatz am Schlosse des Abschnittes oder des ganzen Buches hinzuzufügen.
Gruppe der alkalischen Erden.
P" =
Magnesium
Calcium
Strontium
Barium
Reaction
R=Mg,Mg=:24
R=Ca,Ca=40
B=Sr,Sr=87,6
R=Ba,Ba=137
(R,0)
145860 Cal.
131360 Cal.
130980 Cal.
130380 Cal.
(RO,Aq)
3100 B.
15100 B.
26800 B.
27880 B.
(ROjHa,Aq)
—
3000 B.
9600 B.
10260 B.
(R,0,HaO)
148960
146460
148180
148000
(R,0„S08)
232310
248790
259820
266490
(R,0j,NaOJ
—
207210
223830
229720
(R,Cla)
151010
170230
184550
194250
ö<,BrJ
—
141250
157700
169460
(R,J8)
—
107650
^
—
^ftaj,6HjO)
183980
191980
203190
—
|feBr^6H,0)
—
166850
181010
—
l|fcCl„2H,0)
—
—
—
201250
(hBrfc2H,0)
]
Losangsw&rmen.
"""*
178570
(iRCl^Aq)
35920
17410
11140
2070
(RBra,Aii)
—
24510
16110
4980
(RJa,Aq)
—
27690
—
—
ICl^-f 6HaO
2950
— 4340
— 7500
— .
EGj-l-SHaO
—
—
—
— 4930
EBrj-f 6HjO
—
— 1090 t
— 7200
—
fcBra+2HaO
—
—
—
— 4130
iH^Oe+eHaO
— 4220
— •
—
—
—
— 7250
— 12290
—
R: Oe
—
3950
— 4620
— 9400
ISO4 THjO
— 3910
—
—
—
tSO« 2H,0
—
— 600*
—
—
R ),
—
+ 2960 Hess
0
— 5580
Vei 9t-Bfth]
mann, Mechan. "^
Sr&rmefheorie. Bd.
a.
21
322
II. Thermochemie.
Oxyde und Hydroxyde durch GhlorwasserstoffiB&iire ^).
(CaO, HClAq)
(BaO, HClAq)
(SrO, HClAq)
+ 46060
+ 55580
+ 54800
(CaH,0„ HaAq)
(BaH,03, HGlAq)
(SrHjOj, HClAq)
(CaHgOaAq, HClAq)
(BaHjOjAq, HClAq)
(SrHjOaAq, HClAq)
+ 37960
+ 37680
+ 2796Ö
+ 27701)!
+ 28046
Chlorverbindungen und Kali oder Natron.
fl
(FeaCl«
Aq, fiNaHOAq)
(Aus Cle Hj CI2 Aq, »NaH 0 Aq)
2
17040
26640 Oal.
3
25308
—
4
33408
44640
6
49008
57168
8
—
68040
10
—
68472
HgQjAq, 2KH0Aq = 8088 Cal.
Einige Blei-, Silber- und Eupfersalze.
(PbNjOsAq, nNaHOAq)
n Cal.
V« 6396
1 12678
2 11952
4 11064
(PbNaOeAq, 2KH0Aq) —
12280 Cal
(Pb Na Ofi Aq, Hg S O4 Aq) —
6448 „
(PbC4H604Aq, HjSO^Aq) —
7666 „
(2 Ag N O3 Aq, Ha Ba Oa Aq) —
17380 „
(AgNOsAq, HClAq)
15750 „
(CuC4H604Aq, HaBaOaAq) —
14072 „
Partielle Zersetzungen.
(KaS04Aq, 2HN05Aq) = — 2968 Cal.
(2KN03Aq, HaS04Aq) = +- 709 „
Diejenigen Werthe für Barium, in ^eichen das Metall als solches reagirt, sad 1
Benutzung der Berthelo tischen Zahl (Ba,0,HaO) =: 148000 berechnet and siid
halb yielleicht nicht ganz zuverlässig. Die letzte Zahl obiger Tabelle gilt fSr £« B^
düng eines Niederschlages, ist also die Summe aus BildungswSrme und der Uiup
wärme des Niederschlages.
Die Losungswärmen beziehen sich, sofern nicht Anderes bemeri[t wird, ui ^^
lösung in 400 Molecülen Wasser.
t gilt für Auflösung in 450 Molec. HgO.
^) Berthelot, Compt. rend. Bd. 76, S. 1109.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 323
9
0
N
o
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9
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9
o
I I I
cp
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I I
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CD CD O w
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IS
5« 'S
^ a
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« o
«n «
•-• «
21*
324
II. Thermochemie.
Einige weitere Doppelzersetzungen sind hinsichtlich ihres thenno-
chemischen Werthes von Berthelot und Louguinine') untenucbt
worden. Da diese Messungen nach einem dem Thomsen'schen sehr
ähnlichen Mischungs verfahren angestellt sind, kann man denselhen yiel-j
leicht eine etwas grössere Zuverlässigkeit zuschreiben , als manchen frü-
heren Angaben Berthelot's ').
Zersetzung von
Formel der Reaction
WSrme-
tönung
Bern«
Acetylchlorid •
Acetylbromid .
Acetyljodid • .
Batyrylbromür .
Essigsäureanhydrid
Phosphorchlorür
Desgl
Phospborbromür
Desgl
Phosphorchlorid
Desgl
Phosphoroxychlorid
Desgl
Wasser
Wasser
Wasser
Wasser
Wasser
Wasser
Kali
Wasser
Kali
Wasser
Kali
Wasser
Kali
Aq
(Ca H, CIO, HgO) = C8H40a -f HCl
(CaHjBrO, HaO) = CgH^Oa + HBr
(CaHgJO, HgO) = CaH4 02 + HJ
(C^H^BrO, HaO) = C^HgOa + HBr
(C^H^Og, HaO = 2CaH4 0a)
(PClg, Aq)
(PCI3, «KHOAq)
(PBrs, Aq)
(PBj, «KHOAq)
(PClß, Aq)
(PClß, «KHOAq)
(P CI3 0, Aq)
(PCljO, xKHOAq)
+ 5500
-(- 1800
+• 1800
+ 4650
+ 12800
-\- 63600
4- 68800
+ 64100
+ 130600
+ 118900
+ 220100
+ 74700
+ 148700
Sämmtli
stanien
in ihm
liehen
ZI
aaden
Der Ve
Rc
scheint!
ziemlidL
drtnl
Rückbildung der Anhydride und WasserstoflEsäuren, berechnet for
1 Atom Chlor.
Reaction
Wärmetöuong bei
Einwirkung tob
flüssigem Wasser
Waasergas
(CaHs Cl 0, Ha 0) = Va (C4 Hg Og
VaKPClj, 5HaO) = VaPaOß
V8[(ABCl8,3HaO)= VaAsaOs
VsKSbCls, 3HaO) VaSbaOg
+ 2 H Cl)
+ 5 H Cl]
4- 3HC1]
+ 3 HCl]
nicht bemerkbar
4- 7000
— 9000
— 8400
4- 5000
+ 12000
— 4000
— 3400
^) Recherches thermochimiqaes sor les corps fonnes par double dßcompoeition.
rend. Bd. 69 , S. 626 und Bd. 75 , S. 100. Man sehe auch einige auf Fetts&ORB
zügliche iZahlen von Louguinine, Compt. rend. Bd. 80, S. 667.
^ Man sehe z. B. die kritischen Bemerkungen von Thomsen, Ber. der
ehem. Geaellsch. Bd. 5, S. 181, 508 und 957.
B. Äequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 325
Büdiing der Chloride^) bei Ueberschoss von Wasser (für 1 Atom Gl
berechnet).
Formel
Ca Hg CIO
Vs P Gl«
VöPClß
VsAsClg
VsSbClj
Wännetönung
-|- 23300
+ 20900
4- 27500
+ 6300
4- 9100
Wir sehen von einer ausführlichen Mittheilung der Zahlen von Ber-
thelot über die Bildung und Beactionen organischer Verbindungen ab,
da ims dies nöthigen würde, tief in die Erörterung der Details der orga-
nischen Chemie einzugehen; wir begnügen uns damit, auf die Original-
abhandlungen zu yerweisen und im Nachstehenden eine kurze Uebersicht
der wichtigsten Resultate anzuführen ').
^) Nor zum Vergleiche beigestellt. Der Vergleich zeigt, dass die drei Chloride
des As, Sb, Sn, je nach der Menge des angewandten HjO, die inverse Reaction ein-
gehen können. Ueberschüssiges HgO zersetzt die Chloride, gasförmige oder sehr con-
centrirte HCl lost die entsprechenden Säuren unter Bildung der Chloride.
*) Nourelles recherches thermiques sur la formation des compos6s organiques : acety-
line. Compt. rend. Bd. 82, S. 24.
Recherches thermiques sur la formation des alcools et sur P^th^rification. A. a. 0.,
S. 293. Man sehe auch Ann. de chim. et de phys. 5. Serie, Bd. 9, S. 289.
Sur la formation des ethers. A. a. 0., S. 356.
Sur les Äthers des hydracides. A. a. 0., S. 397.
Sur la formation des amides. A. a. 0., S. 399.
Recherches sur l'aldehyde. A. a. 0., S. 119.
Action de l'acide suliurique fnmant sur les carbures d'hydrog^ne. A. a. 0., S. 185.
Union des carbures d'hydrogine avec les hydracides et les corpa halog^nes. A. a. 0.,
S. 122.
Sur la formation thermique des deuz ald^hydes propyliques isomeres. Compt. rend.
Bd. 83, S. 413 und Ann. de chim. et de phys. 5. Serie, Bd. 10, S. 389.
Sur la chaleur de combustion des acides formique et oxalique. Ann, de chim. et
de phys. 5. Serie. Bd. 5, S. 289.
Recherches sur les acides gras et leurs sels alcalines. Compt. rend. Bd. 80, S. 592.
Stabilit^ des acides gras en pr^sence de Peau, et deplacement reciproques de ces acides.
Compt. rend. Bd. 80, S. 700.
Tableauz des principales donn^es num^riques relatives k la thermochimie im: An-
Doaire pour l'an 1878 publik par le bureau des longitudes. S. 505.
Man sehe auch:
Louguinine, Etüde des quantitös de chaleur degag6es dans la formation des sels
de potasse de quelques acides de la s^rie grasse. Compt. rend. Bd. 80, S. 568.
Sur les quantit^s de chaleur degag^es dans la d^composition des chlorures de quel-
ques acides de la s^rie grasse. Compt. rend. Bd. 80, S. 667.
Etudes de quantit^s de chaleur degag^es dans la d^composition par Peau des bro-
mores de quelques acides de la s^rie grasse. Compt. rend. Bd. 80, S. 973.
326 IL Thermochemie.
f. Die Wärmetönung bei Bildung einiger organischer Yer-
bindnngen.
Es würde uns allerdings zu weit fuhren, wenn wir alle im Yorlle^
gehenden nicht mit enthaltenen Beobachtungen und Untersuchungen,
welche über die bei Bildung organischer Verbindungen auftretende
Wärmeerscheinungen angestellt worden sind, hier mit aufiiehmen woUteiL
Insbesondere ersparen wir es uns, die seiner Zeit von Favre und Sil-
bermann publioirten Messungen der Yerbrennungswärmen organischer
Verbindungen zu reproduciren, da denselben aus den mehrfeush erwähnten
Gründen nur ein geringer Genauigkeitsgrad beigelegt werden kann^).
£s ist jedoch auch sehr leicht, aus den im Nachstehenden unters
mitgetheilten Zahlen die Verbrennungsw&rme einer der Verbindungen
rückwärts zu berechnen. Man bildet zu dem Zwecke die Summe der
Wärmemengen, welche entständen, wenn der in die Verbindung ein-
gehende Wasserstoflf zu Wasser und der Kohlenstoff zu Kohlensäure ver-
brannt würde, und subtrahirt davon die in der Tabelle a mitgetheilte
Zahl. Der gefundene Rest ist die gesuchte Verbrennungswärme.
Da auch vielen unter den im Nachstehenden mitgetheilten Zahlen
kein grosses Vertrauen entgegengebracht werden darf, so ist deren An-
zahl auf ein thunlichstes Minimum beschränkt worden.
ee. Die Bildungswärmen einiger organischer Verbindungen
aus ihren Elementen.
Man ist allerdings fast nie in der Lage, die Wärmetönung bei Bildns;
einer organischen Verbindung aus ihren Elementen direct zu messen, diesen»
lässt sich jedoch leicht aus den Principien der Thermochemie und einigen
anderweiten Beobachtungen, zumal aus den Verbrennungswärmen berechnen.
Die bei Bildung einer organischen Verbindung entwickelte Wärme-
menge ist nämlich der Unterschied zwischen der Summe der VerbrennungB-
wärmen seiner Elemente und der Verbrennungswärme der Verbindung
sobald in beiden Fällen die nämlichen Verbrennungsproducte in genu
gleichen Mengen gebildet werden. Nach diesem Satze hat Berthelot nadi-
stehende Zahlen berechnet '). Leider beruht allerdings beinahe der diitti
Theil der mitgetheilten Zahlen noeh auf den von Favre und Silber mann
mit Hülfe des Quecksilbercalorimeters gemessenen Verbrennungswärmen,
deshalb dürfte die Genauigkeit vieler Zahlen nur eine sehr geringe sein.
Für Kohlenstoff ist die Verbrennungswärme des Diamantee, in
Uebrigen die Verbrennungswärme der Elemente als Gase mit gasfö^
migem Sauerstoff zu Grunde gelegt.
^) Eine übersichtliche Zusammenstellung dieser Zahlen findet man: DictioiuMire ib
chimie 1870, Bd. I, 2, S. 825 bis 827, und in: A. Naumann, AUgemeine and phr
sikalische Chemie 1877, S. 661 bis 663.
^) Man sehe Berthelot's Abhandlung: Tableauz des principales donnto nim^
riques relatives i la thermochimie im Annuaire ponr Pan 1878, publik par le Box««
des Longitudes. Die Zahlen finden sich auch in den Beiblättern zu den Annales to
Physik und Chemie, Bd. I, S. 671.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 327
l^ame der gebildeten Ver-
bindung
Bestandtheile, aas wel-
chen dieselbe gebildet
wird
Molecolar-
ge wicht
Bildongswärme
Cyangas
{gasf.
flttss.
Chlorcyan
Jodcyan
Ameisensanres Kalium
Essigsaures Kalium .
Ozalsaures Kalium . •
(gasf.
flüss.
• fest
. fest
. fest
. fest
Bildung eines flüssig. Homologs
Verwandlung amorphen Kohlen-
stoffs in Diamant
Kohlenoxydgas
Kohlensäure
Acetylen
Aethylen
Methyl
Sumpfgas
Amylen
\flÜS8.
Diamylen flüss.
Aethalen (Ceten) . . . flüss.
Gtronenol flfiss.
Terpentinöl (Camphenen) . . .
Tereben
Benzol
fgasf.
\üÜBB,
Methylalkohol
Aethylalkohol
Isoipropyl- u. Propylalkohol
Amylalkohol
^Cetylalkoho) .... fest
)
1
(CN,)
(CfcN,)
(C.N.H)
(C,N,C1)
(C,N,J)
(C,H,K.Os)
(X,C,Hi^
(C)
(C,0)
(C,Oj)
2(C,H)
2(C,H,)
2(C,H,)
(C,H«)
2(C6,Hio)
(Cie> Haa)
(CiQjHie)
(C6>He)
(C,H4,0)
(C9,He,0)
(C8,H8,0)
(C6,Hia,0)
(C|e,Hg4,0)
)
52
27
61,5
153
84
98
166
X-\-14
12
28
44
2X13
2XU
2X15
16
70
2X70
224
136
136
136
78
32
46
60
88
242
— 82000 Cal.
I
14100
8400
21500
13200
— 23100
-f 155100
+ 174200
-|- 323600
-f- 6000
+ 3000
+ 258001)
4- 94000 1)
— 64000 1)
— 8000 1)
+ 28000
-|- 22000 1)
4- 5400
-I- 10600
+ 11800
-|- 118000
4- 2000
+ 17000
4- 42000
12000
5000
4- 62000
+■ 74000
4- 82000
-h 96000
4- 112000
|:
1) Man Tergleiche die wesentlich abweichenden Zahlen Thomsen's S. 294 unter:
Kohlenstoff, um daraus die geringe Zuverlässigkeit der hier gegebenen Werthe beur-
Uieilen zu können.
328
IL Thermochemie.
Name der gebildeten Ver-
bindung
BestandtbeUe, aus wel-
cben dieselbe gebildet
wird
Molecnlar-
gewicht
Bildungsvimf
Phenol .^. .'•••>••
Glycose (Traubenzucker) . . •
Aethyläther flüu.
Amylätbylätber
I flüss.
Aceton
Orthopropylaldehyd -
gasf.
Ameieensäure
Aldehyd
CO
Essigsäure
(gasf.
flüss.
l
Buttersäure .
Valeriansäure
Margarins&ure
flüss.
flüss.
flüss.
Oxalsäure fest
Ole'm . .
Chloräthyl
{
gasf.
flüss.
{gasf. (J = gasf.)
flüss. (J = fest)
Chloramyl flüss.
Bromamyl . flüss. (Br = flüss.)
Jod&myl . . . flüss. (J=:fest)
Salpetersäureäther . . . flüss«
Acetylchlorür flüss.
Acetylbromür flüss.
Acetyljodür • flüss.
Oxamid -. fest
I
(C«,H«,0)
(Ce,Hi2)0f)
(Ci,Hio,0)
(C7,Hie,0)
(Ca,H4,0)
(C8,He,0)
(C«,He,0)
(C,H2,0a)
(C2»H4»0a)
(C4,He,08)
(C41 Hg, Oj)
(C5, HiQ, O2)
(Cje, H32, Oj)
(Cj, Hj, O4)
(C57, Hjoi» Oß)
(Cj|,H6,Cl)
(Cg,H5, J)
(C5,Hn,Cl)
(C5,Hu,Br)
(^81 ^11» J)
(Ca,H5,N,08)
(Ca.H8,Cl,0)
(Ca,Hs,Br,0)
(Ca,H8,J,0)
(Cj, H4, Nj, Og)
94
180
74
116
44
58
58
46
60
102
88
102
256
90
884
64,5
156
106,5
151
198
91
78,5
12s
170
88
-f 34000CiL
+ 265000
+ 169000
Die Bildongswärmen der verschiedenen Aeiher der organisohen Ste*
ren, z. B. des Ameisensäure -Methyläthers, lassen sich nach Bertheloi
leicht ans vorstehenden Zahlen herechnen; dieselhen sind gleich der Bil*
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 329
dnngBw&rme der S&nre (z.B. der Ameisensänre [C,H2,0s] = 93000) Ter-
mehrfc um die Bildnngswärme des Alkohols (hier des Methylalkohols
[CfHgtO] = 62000), yermindert nm die Bildnngsw&rme des Wassers
minus 2000 för jedes Aeqaiyalent Alkohol. Also ist:
98000 + 62000 — 68400 — 2000 = + 85600
die BQdnngsw&rme des Ameisensäore-Methyläthers.
ß. Die Bildung der Aether und Alkohole in ihrem wirklichen
Zustande aus den Kohlenwasserstoffen^).
Die gebildeten Verbindungen entstehen entweder durch Zusammen-
tritt Ton Kohlenwasserstoff plus Wasser, sofern es sich um die Bildung
eines Alkohols handelt, oder durch Vereinigung des Kohlenwasserstoffs
f^jnit der Säure, wenn ein Aether gebildet werden solL (Siehe Tabelle
auf S. 330 u. 331.)
^ Auch diese Tabelle rührt you Berthelot her und ist entnommen dem Annasire
ponr Pan 1878 publik par le Bureau des Longitudes, S. 554 u. 555.
330
IL Thermochemie.
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9
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B. Äeqnivalenz zwiBcheu Wärme und chemlBcher Arbeit. 331
I I I I I I
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1 1
"' f S f S" f f ? f ? °' f "- - 5
J i K' K' ^ ^ 5 5 5 H »• J
i . s
332
II. Thermochemie.
y, Bildung der Aether aas den Alkoholen.
Anoh diese nnd die weiterhin folgenden Tabellen sind der beni
mehrfach citirten Zusammenstellung Berthelot's 0 entnommen. DieV«
bindungswärmen gelten fttr den Fall, dass sich sowohl die Bestandthol^
als die gebildete Verbindung in dem Aggregatsustande befinden, den b|
bei gewöhnlicher Temperatur besitzen.
Die Bildung der Verbindung ist nach der Formel:
Alkohol -(~ Säure = Aether -)- Wasser
oder:
Alkohol + Alkohol = Aether + Wasser
angenommen.
Name der Verbindung
Entwickelte Winnemage 1
l^nrtnpl HnnipllMkn
Bildung der
reinen Kor-
1
in Was» 0
per
losten K«H
CaH4.Ha
+
3400
C,H4.HJ
+
6000
—
Cg H5 . C j Hg O2
—
2000
— i8oa
(CgH5)aCa04
—
3800
— 3501
Cj H4 • Cg O4 Hq
—
— 360«
(CH3)>Cj04
+
1600
— 24M
CaHjNOs
+
6200
fkXAAi
— mW
CsHjCNOs).
+
14100
— 87W
CbHsCNOs)»
4-
23400
— 15O0I
Cj|H5(C,H50)
—
300
+ ^
CHs(S04H)
+
13800 •)
— 51M
CaH5(S04H)
+
14700 «)
— 47»
CaHeO.SOs
+
16000")
> 3M
CJH7SO4H
4- 15900«)
— 400*
C8H7.SO4H
4- 17100 •)
— 830»
C4H»S04H
+ 17600«)
— «Ol
C5H11SO4H
+
19500 «)
— vk
C8H7 0a(S04H)
+
15200 «)
— 3»!
Chlor&thyl (flüasig)
JodKthyl
EssigsäorelUher
OxalsänreXther
Bemsteins&ore (in Losung)
Oxalsäureäthyläther
Salpeter8&ureiU;lier
Nitroglycerin (unlöslich) . . .
Nitromannit (unlöslich) . . •
Aethyllther
Methylschwefelsäure • . . •
Aethylschwefels&ure ....
Isithionsäure
Propylschwefelsaure . . . •
Isopropylschwefelsäure . . .
Isobutylschwefels&ure ....
Amylschwefelsäure
Glycerinschwefels&ure ....
^) Annuaire pour Pan 1878, S. 556.
^) Alkohole und Säuren rein genommen, die Aethersäuren in Terdünnter
Lösung.
') Bezieht sich auf die Bestandtheile und die Verbindungen.
B. Aeqnivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 333
d, Bildung der Aldehyde und der organischen Säuren durch
Oxydation^) (nach Berthelot).
Name der gebildeten
Verbindung
Formel der Be-
Btandtheile
Formel der Ver-
bindung
Entwickelte
Wärmemenge
AggregatzuBt.
d. Verbindung
aus Kohlenwasserstoffen:
Aethylaldebyd . • »
Orthopropylaldehyd
Essigsliire . . .
Oxalsäure • . • .
Essigsäure
Ameisensäure . .
(C,H4,0)
(CsH„0)
(C|H4,0a)
(CjH^Oj
(C,Ha,0,H,0)
(CH4,0,)
CsH^O
CsH^O
C2H4O2
CH2O9-I-H9O
(
'+ 46800
gasf5rmig
+ 54000
flfissig
-f 72500
»
+ 116500
gasförmig
4- 124000
flfissig
4- 121500
fest
+ 261000
J9
+ 111000
flüssig
4- 113500
fest
4- 140000
flüssig
+ 137600
fest
Essigsäure
Propionsäure . •
aus den Aldehyden:
(C,H40,0)
(Ca H. 0,0)
GgH^ Oj
PsHeO»
68800
+ 70100
+ 74000
alle Körper gas-
förmig
wirklicher Zu-
stand
aus den Alkoholen:
Ameisensäure (flüssig)
Essigs&ure (flüssig) .
Valerianslure (flüssig)
Margarinsäure (fest)
Oxalsäure (fest) . .
(CH^OjOj)
CH,02,H,0
+ 100000
n
(Ca He 0,0»)
C9H4 0£,H2 0
+ 111000
»
(CftHiaOjOj
C5 HjQ O3, Hg 0
+ 131000
n
(Ci6Hs4 0,Oa)
CigH8aOa,HaO
+ 180000
n
f(CaHeO,05)
Ca04Ha,2H20
+ 261000
n
UCjH^O^Oa)
C9 04Hs,HaO
+ 150000
n
^) Annuaire pour l'an 1878, S. 558 u. 559.
334
IL Thermochemie.
£. Bildung TerschiedeBer organischer Yerbindnngen >) (naek
Berthelot).
Name der gebildeten
Verbindung
Formel der Bestandtheile
Formel der gebil-
deten Verinndnng
Bildung der Amide ans den Ammoniaksabsen:
Ameisens&ureamid .
AmeiBenBÜarenitril .
CjanwasserstofisSiire
Ozamid
I
(CH0,,NH4,«|)
(CH0^NH4,«q)
(Cs(>4Ha, 2NHs kiyst.)
CHsNC.aq
CHN..aq
CjH^NjOj fest
— 1000
— 1O400
— 2400
Bildung polymerer Yerbindongen:
Diamylen
Benzol
Cbloral (nnlSelicb) . • .
(«CsH,,!
flSnig \
gasformig/
(3 Ca Ha)
»(CaHa,0)
tflncäg
C^H« gasfomig
»CaHCltO flfissig
+ 11800
4- 22300
-|- 190000
+ •.8900
Bildung der Säorechlorüre organischer Sauren.
Reine Säure -f- HCl gasförmig = S&urechlorar flfissig -f H^O flan|.
AoetjlcUorfir •
Acetylbromür .
Acetyljodfbr •
Batyrylcblorfir
BntyrylbromfLr
Valerylcblorfir
Valeiylbromür
Ueber Nitrimng organischer Verbindungen liegen einige YenuAi
▼on Berthelot') und einige Ton Troost und Hautefeuille*) Tor. K>
letasteren sind mit dem Quecksübercalorimeter erhalten; fiir die entent
sind genauere Details nicht mitgetheilt.
CsHsClO
—
6500
C,HsBrO
—
2900
CjHjJO
—
1900
C4H7CIO
—
3^)0
C4H7BrO
—
1900
C5H9CIO
—
2500
CsHgBrO
—
1700
11 Annoaire ponr l'an 1878, S. 560 o. 561.
^ Berthelot, Sor la formation des compos^ organiques qni d^rirent de Pküc
axotione. Compt. rend. Bd. 60, S. 260.
^) Troost und Hantefeaille, Note sur les pb^nom^es calorißqaes qni seeoa-
pagnent la transformation de Pacide bypoazotiqne en acide axotiqne, et PintrüdnctiM de
ces deoz coips dans les compos^ organiques. Compt. rend. Bd. 73, S. 381.
B. Aeqnivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 835
Kitrirttxigen
Berthelot
TrooBt und
Hantefeuille
■lot . . •
(CeHe, NO,H)
= CeHftNOj + HgO
4- 36200
4- 88400
beoiol . .
(CeHe, 2N08H)
= CeH4(NO,), + 2HaO
+ 72260
4- 76800
ibobeiizol
(CeHja, NOsH)
= CeH4(N0j)
4- 36000
—
Mioes&iire
(C^H^Og, NOgH)
== C7H5(NOj)08 + HgO
+ 36000
—
IqoI . • .
(C^Hs, NOjH)
= C^Rj^O^ + HjO
—
+ 38000
tolnol . .
(C^Hg, 2K08H)
= C57He(NOjj+. 2H80
—
4- 76000
iphtalin •
(CioHs, NO3H)
= CioH,(NO,) + HgO
—
4- 36500
Mphtalin
(CioHs, 2N0sH)
= CioHe(N02)j + 2HaO
—
4-73000
lither . .
(CjHeO, NOjH)
= C4H4(N0,H) + HgO
+ 5000
—
fceriB . .
(CjHßOj, SNOaH)
= C5H,(N0aH)g + SHaO
4- 18000
4- 19000
MUÜt . .
(C.Hi4 0e, 6N0,H)
= CiHj(NOaH)e + 6H,0
+ 21200
+ 24500
bum wolle
(C,aHgopio,5NOsH:
)=Ci.HioOio(NO|H)5 + 5Hj|0
+ 55000
+ 52000
B • • • •
(CeH,o05, NOaH)
= CeH804(NOaH) + HaO
4- 12000
—
Mehrere dieser Körper sind besonders deshalb von Interesse, weil wir
dieselben bei der eingehenderen Besprechung der Ezplosiykörper mehr-
fach in erwähnen haben werden.
g. Die latenten Schmelz- und Verdampfungswärmen einiger
Substanzen.
Da man nicht selten bei Berechnung des Wärmeerfolges chemischer
Vorginge Aenderungen des Aggregatzustandes berücksichtigen mnss, zu-
mal, wenn es sich darftm handelt, mit Hülfe thermochemischer Zahlen
las Besoltat einer Reaction nach dem Princip der Mazimalarbeit der
Affinität voraus zu berechneni so theilen wir im Nachstehenden eine Zu-
lammenstellung der wichtigsten hier in Betracht kommenden Werthe mit.
(Hese Zahlen sind insofern von derselben Bedeutung, wie die Wärme-
tSnongen, durch welche die Affinitätsunterschiede gemessen werden, weil
Iber das Zustandekommen einer Reaction die entwickelte Oesammt-
irirme^) entscheidet; ohne Unterschied ob dieselbe aus Affinitäten oder
ins Aggregatsänderungen oder aus sonst einer Ursache stammt.
^) Streng genommeii entfleheidet über den Gang einer Reaction der Eintritt des
Huimoms der Entropie. (Man aehe den Begriff der Entropie Bd. 2, I, A, S. 5.)
336
IL Thermochemie,
a. Schmelzwärmen.
Name der Substanz
Formel
Atom-
gewicht
SchmeIxwZrme
Beobackter
Brom
Jod
Schwefel
Phosphor
Quecksilber
Blei
Wismuth
Zinn
Cadminm • . •
Silber
Platin
Wasser . •
Salpetersäureanhydrid . . .
Schwefelsäure (Monohydrat)
Schwefelsäure (Bihydrat) .
Unterphosphorigesäurehydrat
Phosphorigesäurehydrat • .
Phosphorsäurehydrat • . .
Naphtalin
Ameisensäure
Essigsäure
Salpetersaures Kalium . .
Salpetersaures Natrium • .
Br
J
S
P
Hg
Pb
Bi
Sn
Cd
Ag
Pt
HaO
NaOft
SO4H2
SOaHsjH^O
P^O^SHsO
P,0a,3H,0
PjOj,3HaO
CjoHg
CHaOa
Cj H^ O^
NOjK
NO^Na
80
127
32
31
200
207
210
118
112
108
98,6
18
108
98
116
132
164
196
128
46
60
101
85
130 CaL
1490
300
150
560
1600
2600
1680
1300
230
2680
1430
8280
860
3680
400Ö
6200
5000
4600
2430
2500
4800
5300
R(egntalt)
R.
P(ers«i)
P.
P.
P.
P.
P.
P.
P.
Violle
Desaiai
B(erthel»t)
B.
B.
T(homiei)
T.
T.
Allnard
B.
B.
F.
P.
ß. YerdampfangBW&rme einiger, Sahstansen,
gültig für die Bildmig von 22,82 Liter Dampf hei 760 mm DnicL
Name der Substanz
Formel
•
Molecularge wicht
(giebt 22,32 1. Dampf)
Ver-
dampfongS'
wänne
Beobaeyer
Brom (flfissig) . . .
Brs
160
7200
R(efBaiilt|
Jod (flüssig) . . .
h
254
6000
F(aTr«)
Schwefel (flüssig) .
Sa
64
4600
F.
Quecksilber . .
Hg
200
15400
F.
Wasser ....
HgO
18
9650
R.
Ammoniak . .
HgN
17
4400
Stickoxydul • .
N,0
44
4400
F.
Untersalpetersäure
NOa
46
4300
B.
Salpetersäureanhydri
d
(flüssig) . .
■
NjOft
108
4800
B.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 337
Name der Substanz
Formel
Moleculargewicht
(giebt 22,32 1 Dampf)
Ver-
dampfungs-
wärme
Beobachter
Schweflige SSnre . .
SO2
64
6200
F.
Zinnchlorür . . . .
SnClg
260
7600
R.
Phosphorchlorür . .
PCI3
137,5
6900
R.
Arsenchlorür . • .
A&Clg
181,5
8400
R.
Koblens&are (fest) .
CO2
44
6100
F.
Schwefelkohlenstoff .
CSg
76
6400
R.
Cyanwasaentoffsäure
CNH
27
5700
B.
Cblorcyan . r - - -
CNCl
61,5
70
8300
B.
Amvlen . <
V^K n.A
5250
B.
Benzol . . •
^5 *'10
Cß Hg
78
136
• 7200
9400
R.
Terpentinöl .
R.
Citren • . .
Cio Hie
136
9500
R.
Chlorätbyl
C H3 • C H2 Cl
64,5-
6450
R.
JoHütbvl •
k \^ Ha a V^ xIa aJ
156
7500
R.
Methylalkohol
l . .
CHg.OH
32
8450
R.
Aethylalkoho]
i . . .
C H3 . C H2 • 0 H
46
9800
R.
Amylalkohol . .
. CH8.4CHa.OH
88
10700
R.
Cetylalkohol . . .
Cje H33 . 0 H
242
14100
fF(avre) u.
lS(ilberm.)
Aldebvd . • . •
Ca H- 0
44
6000
B.
Aceton . . ■ . .
CgHeO
CHaOa
58
46
7500
5600
R.
A»WV K^rfta ■ B • • •
Ameisensaare . .
F. u. S.
Essigsäure . . .
CaH402
60
7250
B.
Bnttersäure • • .
C4 Hg O2
88
10100
F. u. S.
Valeriansäure . .
C5H10O2
102
10600
F. u. S.
Ameisensäure-Methyl
-
»
ather ....
. C Ha . C H2 Oa
60
7000
A(ndrews)
Es8ig8.-Methyläther
• C Ha . ^a H4 Oa
74
7900
A.
Butter8.-Methyläthei
C Ha • C4 Hg Oa
102
8900
F. u. S.
Ameisen«.- Aethy läthc
}r Ca H4 . C Ha Oa
74
7800
A.
Essigs. -Aethyläther
1 Ca H4 Ca H4 Oa
88
10900
R.
Oxalsäure-Aethyläthe
T 2CaH4.C2H4 04
146
10600
A.
Aetbylitber . . •
> Ca H4 . Ca Hß 0
74
6700
R.
Chloralhydrat . .
.' CaHClgO.HaO
165,5
21900
B.
Chloral . .
• . •
CaHClgO
147,5
8000
B.
Yerdot-Büblmann, Mcchan. WUmoibeorie. Bd. 2.
22
338 IL Thermochemie.
7. Ueber die Ableitung der nicht direct beobaohteten
Zahlen.
Ein ziemlich grosser Theil der im vorhergehenden Paragraphen
mitgetheilten Zahlen ergieht sich nnmittelhar aus den calorimetriBcben
Messungen, andere müssen aus anderen Beobachtungen nach dem Sat»
abgeleitet werden: Kommt keine äussere Energie ins Spiel, so
ist die bei irgend einem Processe erzeugte oder absorbirte
Wärmemenge einzig und allein vom Anfangs- und Endsa-
Btande abhängig und bleibt dieselbe, welches auch die Art und
die Folge der Zwischenzustände sein mag.
Ein sehr instructives und durch seine Gomplication interessantes
Beispiel aus der Gruppe a. giebt die Ermittelung der Wärmemenge,
welche entwickelt wird , wenn sich zwei Molecüle Wasserstoff mit einem
Molecül Schwefel zu einem Molecül Schwefelwasserstoff yereinigen.
Zu diesem Zwecke wurde die Reaction von mit Wasserdampf gesättigtem
Schwefelwasserstoffgase auf eine Lösung von Jod in stark Yerdünnter
Jodwasserstoffsäure untersucht. Die Reaction geht glatt vor sich, und
der Schwefel wird im gelben, elastischen Zustande ausgeschieden. Dnreh
einen besonderen Yorversuch überzeugte sich Thomsen, dass bei Lö-
sung Ton festem Jod in Jodwasserstoffsäure kein Wärmephänomen statt-
fand. Die bei obigem Versuche entwickelte Wärme würde also ebenso
gross gewesen sein , als wenn man Schwefelwasserstoff hätte auf Jod
wirken lassen, das in Wasser gelöst gewesen wäre. Es ergab sich:
(Ja, Aq, SHs) = 21830.
Es bildet sich hierbei 2 JHAq und S, letzterer fallt aus.
Demnach i ist die bei obigem Processe entwickelte Wärmemenge
gleich der, die bei Bildung von 2 JHAq aus 2 ( J, H, Aq) entsteht, ▼e^
mindert um die Wärmemenge, welche zur Zersetzung des H^S in H|
und S aufgewendet worden ist.
Thomsen drückt dies durch die Formel aus:
(Ja, Aq, SHa) = 2 (H, J, Aq) - (Hj, S) 8)
Es gilt also nunmehr, die Wärmemenge kennen zu lernen, die bei
Herstellung einer wässerigen Jodwasserstoffsäui'elösung aus den drei Be-
standtheilen H, J und Aq frei wird. Zu diesem Zwecke wurde zunächst
die Reaction von Chlor auf eine verdünnte Jodkaliumlös\^ng bestimmt;
bekanntlich entsteht hierbei eine verdünnte Ghlorkaliumlösung , in der
das Jod nur zum Theil gelöst bleibt. Die Anzahl Calorien, welche frei
wird, besteht aus den Verbindungswärmen von Kalium mit Chlor ver-
mindert um die Yerbindungswärme von Kalium und Jod. Es ist also: ^
(KJAq, Cl) = (K, Aq, Cl) - (K, Aq, J) 9
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 339
Da diese Reactionen wiederum nicht unmittelbar auf ihren calori-
Beben Effect untersucht waren, so musste man den Werth derselben eben-
falls berechnen. Dies kann geschehen , da man weiss , dass die Wärme-
entwickelung bei Neutralisation einer verdünnten Kalilösung mit einer
yerdünnten Chlor- oder Jodwasserstoff lösung aus der Differenz der
Warmequantitäten besteht, welche zur Bildung einer wässerigen Chlor-
resp. Jodkaliumlosung und zur Bildung der Chlor- resp. Jodwasserstoffsäure
nötkigsind, und der Wärmemenge, die bei der Entstehung einer wässerigen
EaUlÖBung frei wird.
Es ist also:
(KHOAq, HClAq) = (K, Cl, Aq) — (H, Cl, Aq) — (K, H, 0, Aq)
und:
(KHOAq, HJAq) = (K, J, Aq) — (H, J, Aq) — (K, H, OAq)
und demnach ist:
(KJAq, Cl) = (KHOAq, HClAq) + (Cl, H, Aq)
— (KHOAq, HJAq) — (J, H, Aq) 10)
Die Neutralisationswärmen (K H O2 Aq, H Cl Aq) und (K HOj Aq, HJAq)
und ebenso (K J Aq, Cl) sind unmittelbar bestimmt. Die Grösse (H, Cl, Aq)
ist hervorgegangen aus der Wärmemenge, welche bei Bildung von trock-
nem, gasformigem HCl aus trocknem, gasförmigem H und Cl entsteht
und aus der Absorptionswärme dieses Gases in Wasser. Es fand sich:
(H, Cl) = 22000,
(HCl, Aq) = 17314.
Daraus folgt:
(H, Cl, Aq) = (H, Cl) + (HCl, Aq) = 39300.
Demnach ist:
p,H,Aq)=(KHOAq,HClAq) — (KHOAq,HJAq) +(Cl,H,Aq)— (KJAq,Cl)
,H,Aq)= 13750 — 13675 + 39300 — 26210
ÄAq)= 13170
Der Versuch hatte nun ferner ergeben:
(Ja, Aq, SHg) = 21830.
Demnach ist endlich:
H,S = 2 . 13170 — 21830 = 4510 Cal.
Diese Zahl bezieht sich auf die Bildung von Schwefelwasserstoffgas
aus weichem, amorphem Schwefel und Wasserstoffgas.
Auf ähnliche, wenn auch nicht immer so complicirte Weise sind
auch andere nicht beobachtete Zahlen und Beobachtungen abgeleitet.
Die Thomsen^schen Zahlen gestatten auch mehrfach gegenseitige
22*
340
II. Thermochemie.
Controlen; dies wird folgendes Beispiel zeigen. Die Nentralisation eil
Molecüles Schwefelsäure durch Baryt gieht^):
(BaOjHjAq, HaSOiAq) = 36895 Cal.
Analog gieht die Neutralisation eines Molecüles Schwefelsäure dvrel
R (RjOaHjAq, HS04Aq)
Natron . . . . 31378
Kali 31288
Thalliumoxyd . . 31095
Ammoniak . . . 28152
Analog kann die hei Zersetzung der schwefelsauren Salze di
Baryt stattfindende Wärmemenge calorimetrisch ermittelt werden.
Nun ist aher die so gefundene Wärmetönung gleich der Diffe
der Wärmetönung hei Bildung des Baryumsulphates und der übi
Sulphate, also muss:
(R,S04Aq, BaOjHjAq) = (BaOaHjAq, H2S04Aq)
— O^OaHjAq, H2S04Aq) II
sein. Nachstehende Tahelle zeigt, wie trefflich die Versuchsergel
Thomsen's diese Relation hestätigen.
R
(R2S04Aq, BaOaHjAq)
(Ba^OaHjiAq, HsSO^Aq)
— (RgOgHaAq, H2S04Aq)
Differeu
•
Na
5492 Cal.
5518 Cal.
-j- 26
K
5632
5608
— 24
Tl
5728
5801
+ 73
Am
8792
8744
- «
•
Die schöne Uehereinstimmung, welche fast alle Thomsen'sel
Zahlen unter einander zeigen, lässt erkennen, dass wir es jedenfalls
destens mit relativ sehr genauen Werthen zu thun hahen. Wahrscl
lieh kommen aher auch Thomsen^s Angahen dem ahsolut Richtigen
nächsten* Bezüglich der Details verweisen wir auf die Originalabl
lungen ^).
') Pogg. Ann. Bd. 143, S. 358.
*) Nach einer von Herrn J. Thomson dem Verf. in höchst liehenswürdiger V«
übermittelten Zusammenstellung lassen wir hier eine Uebersicht über die wicbtif
Arbeiten dieses verdienstvollen Forschers auf dem Gebiete der Thermochemie
Liegen über denselben Gegenstand auch neuere Arbeiten von Berthelot oder Loocaj
nine vor, so haben wir die Ortsangaben für dieselben unter der Chiifre: B.(ertW«
oder L.(ouguinine), C.(omptes) r.(endus), B.(and) x, S.(eite) y beigefügt:
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 341
& Die Affinität nach Multiplen gemeinsamer Oonstanten.
Bei der Durchsicht obiger Zahlenreihen erscheint es besonders anf-
ällig, dass in vielen Fällen die Wärmeentwickelungen der chemischen
Processe als einfache Multiplen gemeinschaftlicher Constanten auftreten.
Gnuldzüge eines thermocbemischen Systems. Pogg. Ann. Bd. 88, S. 349, Bd. 90,
S. 26t, Bd. 91, S. 83. Experimentelle Untersuchungen über das Verhalten der
Alkalien und Säuren gegen Wasser und über die Neutralisation.
Ueber die Affinität mit besonderer Rücksicht auf die chemischen Zersetzungen.
Pogg. Ann. Bd. 92, S. 34. (ß. Ann. de chim. et de phys. 5. Serie, Bd. 4, S. 5
und 141.)
I. Ueber die Berthollet'sche Affinitätstheorie. Pogg. Ann. Bd. 138, S. 65.
n. Ueber die Wasserstofifsäuren des Chlors, Broms, Jods, Fluors und Cyans. Pogg.
Ann. Bd. 138, 201. (B. C. r. B. 78. S. 1085, 1092.)
111. Ueber die Säuren des Schwefels und Selens. Pogg. Ann. Bd. 138, S. 497. (B.
C. r. B. 78, S. 1175, 1247.)
lY. Ueber die Säuren des Bors , SiDciums , Titans , Zinns und Platins und die ent-
sprechenden Fluor- und Chlorverbindungen. Pogg. Ann. Bd. 139, S. 193.
y. Ueber die Säuren des Stickstoffs , Phosphors und Arsens. Pogg. Ann. Bd. 140,
S. 85. (B. C. r. B. 78, S. 99, 162 und 205; Bd. 71, S. 677.)
VI. Ueber die Ameisensäure, Essigsäure, Oxalsäure, Bemsteinsäure, Weinsäure, Citro-
nensäure. Pogg. Ann. Bd. 140, S. 497. (B. C. r. B. 81, S. 809 und 1011.)
Vn. Ueber die Chromsäure, Kohlensäure und Schwefelwasserstoffsäure. Pogg. Ann.
Bd. 140, S. 513.
Diese vorstehend genannten Abhandlungen enthalten die calorimetrischen Messun-
gen über die Neutralisation der Säuren. Die Resultate sind zusammengestellt unter
km Kamen :
Vni. Zusammenstellung der Resultate bezüglich der Neutralisation und Basicität der
Säuren. Pogg. Ann. Bd. 140, S. 530.
IX. Ueber die specifische Wärme der Salzlösungen. Pogg. Ann. Bd. 142 , S. 357.
Dies ist eine Vorarbeit für die Untersuchung:
X. Ueber die bei der Neutralisation der Basen sich entwickelnde Wärme. Pogg. Ann.
Bd. 143, S. 354 und 497.
A. Li, Na, K, Tl, Ba, Sr, Ca, NHg, S. 356.
B. Mg, Mn, Ni, Co, Fe, Cd, Zn, Cu, S. 377.
C. Br, AI, Cr, Fe, S. 497.
D. Pb, Hg, Ag, Au, S. 508.
E. Organische Basen, S. 521.
F. Zusammenstellung der Resultate, S. 523. (B. C. r. B. 78, S. 1177.)
An diese Reihe von Untersuchungen über das Neutralisationsphänomen schliessen
■dl noch einige andere, deren Resultate zwar publicirt worden sind, deren Detail aber
Kit spater folgen soll. Es sind dies die Notizen:
Ueber die Constitution der Kieselsäure und Flusssäure in wässeriger Losung.
Ber. der Deutsch, ehem. Ges. Bd, 3, S. 593.
Ueber die Basicität und Constitution der Ueberjodsäure. Ber. der Deutsch, ehem.
Ges. Bd. 6, S. 2,
Untersuchung über die Wärmetönung beim Auflösen verschiedener fester , flüssiger
und luflförmiger Körper in Wasser. Ber. der Deutsch, ehem. Ges. Bd. 6, S. 710.
(B. Ann. de chim. et de phys. 5. Serie, Bd. 4, S. 445.)
Die Neutralisationsphänomene der Oxyde des La, Ce, Di, Y und Er. Ber. der
Deutsch, ehem. Ges. Bd. 7, S. 31.
Ueber die Basicität und Constitution der Jodsäure. Ber. der Deutsch, ehem.
Ges. Bd. 7, S. 112.
Ueber die Neutralisation. Journal für prakt. Chemie. 2. Folge. Bd. 13, S. 241.
^
342 U. Thermochemie.
Schon ziemlich früh (1854) wurde Thomsen^) bei seineB Unt»
suchnngen auf dieses eigenthümliche Phänomen aufmerksam. Er seigii
nämlich damals, dass die Werthe (R, 0, SO3, Aq) als Multiple einer oi
derselben Grösse auftreten, es ist nämlich:
für R —
(R, 0, SOjAq)
Zn
6 . 1145
Fe
5 . 1129
Pb
4 . 1120
Cu
3 . 1120
Ag
1 . 1126
und fügt hinzu:
„Die nämliche Zahl tritt ak Grundzahl hervor in den thermodm
mischen Aequivalenten der Metalle, worauf ich später einmal zurück
kommen werde. ^
Setzt man 0 = 16, so ist die Constante im Mittel 16. 1 130 = 18
Dieselbe Zahl und ähnliche treten nun, wie wir sehen werden,
vielen Stellen ebenfalls deutlich hervor.
Wir führen nach Thomsen^) einige der auffalligsten Thal
der Art hier an, welche deutlich erkennen lassen, dass wir es hier
An diese obengenannten Abhandlungen schliessen sich die Untersnchong» iber
Affinität der Metalloide, und zwar:
XL Ueber die Affinität des Wasserstoffs zu den Metalloiden : Chlor, Brom, Jod,
Stoff, Schwefel, Stickstoff und Kohlenstoff. Pogg. Ann. Bd. 148, S. 177 \l
XU. Oxydations- und Reductionsmittel. Pogg. Ann. Bd. 150, S. 31.
XIII. Fortgesetzte Untersuchungen über einige Oxydations- und Redactionsmittel. P(
Ann. Bd. 151, S. 194.
Ueber die Constitution der Chlorwasserstoffsäure. Pogg. Ann. Jubelband, S.1I
XIV. Die Sauerstoffverbindungen des Chlors, Broms und Jods. Journ. f^rprakt
2. Folge. Bd. 11, S. 133.
XV. Die Säuren des Phosphors und Arsens. Journ. f. prakt. Chem. 2. Folge. Bd. 11, & 1
Hieran schliessen sich endlich die Untersuchungen über die Affinität der Hi
für Sauerstoff, Chlor, Jod u. s. f., nämlich:
XVI. Lithium, Kalium, Natrium, Magnesium, Aluminium. Journ. für prakt.
2. Folge. Bd. 11, S. 233.
XVII. Quecksilber. Bd. 11, S. 261.
XVIII. Mangan, Zink, Cadmium, Eisen, l. c. Bd. 11, S. 402.
XIX. Blei, Thallium. 1. c. Bd. 12, S. 85.
XX. Kupfer, Silber. 1. c. Bd. 12, S. 271.
XXI. Gold. 1. c. Bd. 13, S. 337.
XXII. Nickel, Kobalt, l. c. Bd. 14, S. 413.
XXIII. Zinn. 1. c. Bd. 14, S. 429.
XXIV. PUtin und Palladium. 1. c. Bd. 15, S. 435.
XXV. ''Magnesium, Calcium, Strontium, Barium 1. c. Bd. 16, S. 97 bis 124.
XXVI. Die Lösungswärme der Chlor-, Brom- und Jodyerbindungen. Ber. der DesuA
chem. Ges. Bd. X, S. 117 bis 1023.
^) P<>gS* ■^^^* ^^« ^^} ^' ^ W^ Bezeichnung, 0=1 gesetzt).
^) Thomsen: Das Phänomen der Affinität nach Multiplen gemeinschaftlidier 0
stauten. Ber. der Deutsch, chem. Ges. Bd. 5, S. 170 bis 181. Ueber die
schaftliche Affinitätsconstante. Ber. der Deutsch, chem. Ges. Bd. 6 , S. 239 Mi i
Ueber die Multiplen in den chemischen Wärmetönungen. Ber. der Deutsch. cheiB.
Bd. 7, S. 452 bis 461.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 343
einer Gesetzmässigkeit zu thnn haben, deren häufige Erfollang kein Zu-
fall sein kann.
a. Bildung gasförmiger Producte aus gasförmigen
Bestandtheilen.
Stickoxydul und unterchlorige Säure entsprechen beide
derselben Formel und bilden sich beide unter Wärmeabsorption und
zwar ist:
(Nj, 0) = — 18320
(Cla, 0) = — 18040.
Femer geschieht die Bildung folgender gasförmiger Producte aus
gasförmigen Bestandtheilen mit folgenden Wärmevorgängen:
Chlorwasserstoffsäure (H, Cl) = + 1 . 22000
Stickoiyd (N, 0) = — 2 . 22015
Salpetrige Säure (N», Oj) == — 3 . 22020
Acetylen (aus Aetylen und WasserstoflF) ♦ (Ha, CsHa) = + 2 . 22065
Kohlensäure (aus Eohlenoxydgas und
Sauerstoff) (C0,0) = + 3.22266
Die Bildung von Untersalpetersäure und von Wasserdampf
durch Oxydation von Stickoxyd resp. Wasserstoff durch Hinzutritt
von einem Atom 0 giebt:
Untersalpetersäure . . (NO, 0) = 1 . 19568
Wasserdampf .... (H«, 0) = 3 . 19310
ß. Gasförmige Molecüle in wässeriger Lösung.
Folgende Reactionen lassen sich in ihren Resultaten aus den Formeln
leicht übersehen :
(NH3, HjS, Aq) = 1 . 19375
(NH3, HCl, Aq) = 2 . 19015
(NH3, HJ, Aq) = 2 . 19955
(NH3, HBr, Aq) = 2 . 20325
(Ha, CI2, Aq) = 4 . 19660
Die weiter angeführten Fälle sind nur Lösungs- oder Absorptions-
wärmen, aber auch diese zeigen ein ähnliches Verhalten:
(HG, HCl, Aq) = 2 . 17320
(HJ, HJ, Aq) = 2 . 19210
(HBr, HBr, Aq) = 2 . 19940
(H2S, H,S, Aq) = Vs . 19000 f^ ^ ^ - . X
(11,0, B,0, a'S = 1 . W320 t*;h"E":|t™?
(Cl2 0,Cl20, Aq) = 1 . 18880 ^ r^«g"»ui
344 II. Thermochemie.
Etwas kleinere Zahlen fär die Constante findet man , wenn man die
Wärmetönnngen bei der Oxydation von schwefliger Säure, Eohlen-
oxyd, Stickoxyd zu verdünnten wässerigen Lösungen von Schwefel-
säure, Kohlensäure, Salpetersäure und Salpetriger Säure
mit einander vergleicht. Es ist:
(SO2, 0, Aq) =4.17833
(CO, 0, Aq) = 4 . 18172
(N2O2, Os, Aq) = 4 . 18235
(Na 03,09, Aq) = 3 . 18218
(NjO^O, Aq) = 2 . 18170
Auch die Wärmetönungen bei Absorption der gasförmigen Oxyde
des Schwefels und des Stickstoffs durch Wasser lassen sich als Multiplen
einer gemeinsamen Constante auffassen:
(S3O4, Aq) = 1 . 15400
(N3O4, Aq) = 1 . 15500
(N2O3, Aq) = 1 . 142601 Berthelot
(N2O5, Aq) = 2 . 149001 ^«^**^«^^*
/XT n TT r\\ 1 AÄ Q AA (Coudens. von 1 Mol. gasf. Salpeter-
(N,05, H,0) = 1 . 14800 ( 3äureanhydrid durch 1 MoL H,0
(N,OeH„Aq)= 1 . 15000 ^""^"^^ Zi ^^^^^
y, Oxydationen in wässerigen Lösungen.
Wenn man eine wässerige Lösung von salpetriger Säure durch fireien
Sauerstoff oxydirt, so ist hierbei die Wärmetönung die Differenz zwisdten
der Wärmemenge, welche bei Bildung einer verdünnten SalpeterBäun
und der salpetrigen Säure entsteht. Für diese und einige analoge Pro-
cesse ist nun:
(NaOsAq, O2) = (Na, O5, Aq) — (Ng, O3, Aq) = 2 . 18200
(N3 04Aq, 0) = (N9, O5, Aq) — (N3O4, Aq) = 1 . 18300
(CljHaAq, Oj) == (CI2, O2, Hj, Aq) — (Clj, H2, Aq) = — 1 . 18860
(SaOsAq, 0) = (S,, Oß, Aq) — (83, O5, Aq) = 4.18427
(P O3 H3 Aq, 0) = (P, O4, H3 Aq) - (P, O3, H3, Aq) = 4 . 18425
Auch die Wärmetönungen bei einigen Oxydationen fester Oxyde, wie I
Chromoxydhydrat zu Chromsäure, Manganhyperoxyd za
Uebermangansäure und Eisenoxydulhydrat zu Eisenoxydhydrat
erscheinen als Multiplen der nämlichen Constante. Es ist z. ß.:
(2 CrOsHg, O3, Aq) = (Cra, Oß, Aq) - (Cr», O3, H«) = 1 . 18868
(2Mn02H2, O3, Aq) = (Muj, O7, Aq) — (Mua, O4, H^) = — 3 . 18587
(2FeH3 0j, 0) = (Fea, O3, H^) — (Fe^, O3, H,) = + 3 . 18193
B. Aequivalenz zwischen Wärme 'und chemischer Arbeit. 345
5. Beactionen von Chlor oder Wasserstoff auf wässerige
Lösangen.
Die WärmetÖDung bei Einwirkung von Chlor auf salzsäurehaltige
* Löanngen von Eisen- oder Zinnchlorür, sowie auf Quecksilberchlorür uod
schweflige Säure, und ebenso die Reactionen von Wasserstoff auf wässerige
Lösungen von Chlor, Brom oder Wasserstoffsuperoxyd erscheinen als
Vielfache derselben Constanten. Es ist:
(2Fea9 . CUH^Aq.Cla)
— 3
. 18507
(SnCl, . Cl4HaAq, Ci^)
— 4 .
19005
(Hg,Cl„ Aq. a,)
— 2 .
18537
(SO,Aq..Cl,)
— 4 .
18478
(Br^Aq, Ha)
— 3 .
. 18551
(Cl,Aq, H,)
— 4 .
. 18419
(H^OaAq, Ha)
= Ö .
. 18286
\t.
€. Substitutionen.
Molecüle, welche nach analogen Formeln zusammengesetzt sind, wie
8.B. N9O5 und JsOs, NO3H und J08H,H3S und H3O, femer CS, nnd
CO3, kann man als durch Substitution aus einander hervorgegangen an-
sehen. Die Wärmetönung, welche einer solchen Substitution entspricht,
ist gleich der Differenz der Bildungswärme zweier solcher Molecüle.
Die Substitution des einen Schwefelatoms im Schwefelwasserstoffgas H3S
durch ein Atom Sauerstoff würde H2O, Wasserdampf geben, und die
Wärmetönung, von welcher diese Substitution begleitet wäre, müsste
gleich der Differenz der Bildungswärme des Schwefelwasserstoffs und des
Wasserdampfes aus ihren Elementen, also gleich (H3, S) — (H3, 0) sein.
Es ist fÜr^):
Kryst Anhydrid (Ja, O5) — (Nj, O5) = 44960 — (— 32120)*
= 4 . 19270,
Hydrat .... (J, Os, H) — (N, O3, H) = 57880 — 18980*
= 3 . 19293 — 1 . 18980 = 2 . 19450,
Wässerige Lösung (J,, O5, Aq) — (Nj, O5, Aq) = 43060 — (— 15400)*
= 3 . 19487,
Kaliumsalz . . (J«, Og, K3, Aq) — (N,, 0«, K3, Aq) = 3 . 19513.
Während hier ein Unterschied zwischen wässeriger Lösung einer-
seits und Anhydrid oder Hydrat andererseits henrortritt, ist dies bei
Substitution Yon Schwefel an die Stelle des Stickstoffs bei Uebergang
Ton Untersalpetersäure in schweflige Säure nicht der Fall. Jede Yer-
^) Die mit einem Sternchen bezeichneten Zahlen sind von Berthelot, die mit
zwei Sternchen von Favre, die übrigen von Thomsen bestimmt.
346 IL Thermochemie.
taretang eines Atoms N darch ein 'Atom S ist von einer Wärmetöna
begleitet, welche gleich dem Fünffachen der wiederholt gefundenen Goi
stauten ist. Es ist:
Gasförmige SÄure (S, 0,) — (N, 0») = 71070** — (— 24630)»
= 6 . 19140.
Condensirte 8&mre (8, 0,) — (N, O,) = 77270 — (— 20300)
= ö . 19514,
Wässerige Lösungen (S, 0„ Aq) — (N, 0„ Aq) = 78770 — (— 16881
= 6 . 19130.
Analog zeigt sich bei einigen Stickstoff- und Kohlenstoffverbindoiifi
dass die Wärmetönung für jedes durch 2 Wasserstoffatome TerdFäB^
Sauerstoffatom gleich dem Zweifachen der nämlichen Constanien 1
Es ist:
Gase (N„ H«) — (N„ O3.) =3.2. 19913
Wässerige f(Na, H«, Aq) — (N„ O3, Aq) =3.2. 20350
Lösungen |(N, H5, 0, Aq) — (N, O3, H, Aq) = 2 . 2 . 19258
(C, H4) — (C, Oj) = — 2.2. 18300
(Ca, H4, Oji) — (C,, O4) = — 2 . 2 . 19926.
Auch ist die bei Bildung von Wasserdampf entstehende ¥iq
(H„0) = 3 . 19310.
Aehnlich ist:
Gasförmig (H3, 0) — (Clj, 0) = 2 . 2 . 18
Wässerige Lösungen (H, 0, H, Aq) — ^, 0, Ol, Aq) = 1 . 2 . 19
Die Substitution von einem Atom Chlor durch ein Atom Wi
entspricht also hier einer negativen Wärmetönung, deren Betrag
dem Zweifachen der Constanten ist. Auch ist es bemerkenswerth,
die Bildungswärme der wässerigen Chlorwasserstoffsäure:
(Cl, H, Aq) = 2 . 19660
gleich der nämlichen Grösse ist.
Thomson^) macht femer noch darauf aufinerksam, dass, weil:
Flüssiges Anhydrid (N^, O5) = — 40360 (nach Berthelot),
Flüssiges Wasser (Hg, 0) = -f 68360 (Thomson)
ist, der Substitution von 10 Wasserstoffatomen durch 2 StickstoflkioiDe:
(Hio, O5) — (Na, O5) = 10 . 2 . 19108.
entspricht.
Femer ist:
(N, Os, H) = 1 . 18980 (Berthelot),
(NOjH, 2H80) = 4840 (Thomson).
^) Ber. der DeutBcb. QeB. Bd. 7, S. 458.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 347
Demnach ergiebt sich, da:
(N, O5, Hj) = (NO3H, 2H,0) + (N, 0,. H) + (^.0,)
(N, O5, H5) — (N„ O5) = 5 . 2 . 20090.
Aehnlich findet er:
(N, Oe, H7).— (Nj, Oß, Hj) = 6 . 2 . 19183
(H«, O3) ■— (Na, Os) =6.2. 19986
(Ha, 0) — (Na, 0) =2.2. 19061.
Diese ZusammensteUnng scheint dafär za sprechen, dass, wenn Stick-
stoff durch Wasserstoff ersetzt wird, jedem eintretenden Wasserstoffatome
eineWärmeentwickelung entspricht, welche das Zweifache der Constanten
ißt, mag das Atom N durch 1 , durch 3 oder durch 5 Atome Wasserstoff
ersetzt werden ^).
i, Substitution eines Metalles durch ein anderes.
Besonders deutlich zeigt sich die Erscheinung der W&rmetönung
nach midtiplen Constanten , wenn man die Bildung analoger Salze der
Metalle, also die Substitution eines Metalles durch ein anderes, mit ein-
ander vergleicht. Besonders macht Thomsen auf die Wärmetonung
bei Bildung folgender Sulphate aufmerksam'):
(Cu, 0,80« Aq) = 3 . 18740
(Pb*, O, SOsAq) = 4 . 18888
(Fe, 0, SOa Aq) = 5 . 18772
(Cd, 0, SOaAq) = 3 . 18094
(Zn, 0, SOsAq) = 6 . 18077
(Mg, 0, SO3 Aq) = 10 . 18092
Der Stern bezeichnet, dass das gebildete Bleisulphat als wässerige
LöBong gedacht wird.
Werden die Metalle z. B. durch Magnesium aus ihren Lösungen ver-
drängt, so ist die Wärmeentwickelung bei Einsetzung von:
Mg für Zn = 4 . 18115
Mg „ Fe = 5 . 17412
Mg „ Pb = 6 . 17562
Mg „ Cu = 7 . 17814
Mg „ Cd = 7 . 18090
Nahezu dieselben Zahlen gelten auch f&r die Ersetzung der Metallä
durch einander in anderen Salzen, als in den Sulphaten.
Das Princip der Wärmetönung nach Multiplen derselben Constanten
ist auch -bei einigen Haloidverbindungen der Metalle zu erkennen.
?
A. a. 0., S. 459.
Genaueres über die Ableitnng dieser Zahlen sehe man: Das Phänomen der
AfBoitat nach Multiplen gemeinschaftlicher Constanten. Ber. der Deutsch, ehem. Ges.
Bd. 5, S. 376 u. s. f. Man sehe auch die im nächsten Capitel bei Besprechung des
Favre 'sehen Satzes mitgetheilten Zahlwerthe.
348
IL Thermochemie.
Es ist z. B.:
(Sn,Cla) = 80790 = 9 . 8976^
(Fe,Cl9) = 82050 = 9 . 91171 9
(Hg„Cl,) = 82250 = 9 . 9140J "^ J * ^^^^ *)
(Pb,Cl,) = 82770 = 9 . 9199)
Fea.Cle = 192060 = 3.7. 9146 ^ ^ • 18200
Sn,«l4 = 127240 = 2.7. 9089 7t 7 . 18200
Hg, da = 63160 = 7 . 9023 ^ ^ • 18200
Während in obigen Zahlen die Verbindung mit einer gleichen Chk^
menge immer die nämliche Wärmemenge entbindet, ist bei der Ent-
stehung der drei weiterhin angegebenen Chloride die Wärmetonimg der
Anzahl der aufgenommeneu Chlormolecüle proportional. Femer scheinea
hierher auch diejenigen Wärmeersoheinungen zu rechnen zu sein, weldia
auftreten, wenn bei Gold, Palladium, Platin und Quecksilber das nieden
Haloidsalz durch weitere Aufnahme von 1 Molecül Chlor, Brom oder Jod
in die höhere Verbindungsstufe übergeht. Nachstehende Tabelle leigt
die Grössen der hierbei entwickelten Wärmemengen.
Wärmetönung beim Uebergange der niederen in die höherei
Haloidsalze.
Chlor
Brom
Jod
Quecksilber .
6 . 8858
4 . 8822
3 . 8798
Platin . . .
5 . 8866
3 . 8983
—
Palladium . .
3 . 8797
—
—
Gold ....
2 . 8505
1 . 8930
—
Die Constante, die hier auftritt,- ist im Mittel 8850 oder sehr ntk
18200
2
£s ist fem er:
(Cu,0) = 2 . 18700
(Pb,0) = 3 . 18070
(Zn,0) = 5 . 17000
(Ba,0) = 7 . 18600
(Sr,0) = 7 . 18700
(Ca,0) = 7 . 18800
(Mg,0) = 8 . 18200
^) Das Zeichen ^ bedeutet: angenähert gleich.
r
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 349
1}. Einige anderweite Reactionen.
Aach zeig^ sich, dass angenähert:
(2MnOH80, Aq) = 2 . 18000
(2MnOHaO, O4, Aq)= 0
(2 MnOHjO, O5, Aq) = — 18000
Ebenso ist:
(S, O3. Aq) = 8 . 17803.
Intereflsant ist femer die NebeneiDanderstellong der Reaction des
WasBerBtoffsnperozyds aof Üebermangansäure unter Gegenwart Ton
SehwefelBäure oder Ghlorwasserstofbäure:
(MnjOrAq, ÖHjOgAq, 2S03Aq) = 10 . 18924
(MnsOyAq, ÖHsO^Aq, 2Cl3HsAq) = 10 . 18218
Es entwickeln sich hier in beiden Fällen 5 MolecÜle Sauerstoff,
indem die Körper sich unter Bildung von Wasser, Mangansnlphat oder
Manganchlorür zersetzen.
^. Lösungswärmen.
Auch in den Differenzen der LösungBwärme mehrerer ähnlich oon-
ftiinirier Haloidsalze läast sich deutlich eine gemeinsame Gonstante nach-
weisen ^).
Es ist z. B.
Differenz der Lösungswärmen:
LijCl, — NajCl, = 19240 = 6 . 3207
NsjCl, — K3CI2 = 6520 = 2. 3260
Na, Br, — K, Br, = 9780 = 3 . 8260
Na,J, — KjJj = 12660 = 4 . 3165
PbCl, — AggCla = 24900 = 4 . 6225
PbBr» — Ag«Br, = 30160 = 5 . 6032
PbJ, — AgJ, = 36400 = 6 . 6067
DsCls . 6H2O — SrClj . 6HaO = 3160 = 1 . 3160
CsBr, . 6H,0 — SrBr, . 6H0 = 6110 = 2. 3055
MgCl, — CaCls = 18510 = 6 . 3085
CaCl, — SrCl, = 6270 = 2 . 3135
SrCl, — BaCl, = 9070 = 3 . 3023
AljCl« — FeaClß =90330 = 5.18066 = 30.3011
FejCle — AnjCl« = 54460 = 3 . 18153 = 18 . 3026
^) Herr Prof. J. Thomsen hatte die besondere Freundlichkeit, den Verfasser
vieflich auf diese Eigenthümlichkeit aufmerksam zu machen.
350 IL Thermochemie.
Die Beispiele würden sich noch vermehren lassen. Unzweifelbaft
ist hier eine Constante ungefähr von der Grosse 3100 zu erkennen, lud
es ist jedenfalls nicht Eufallig, dass dieselbe fast genan der sechste Theü
von der Zahl 18700 ist, welche auf den vorhergehenden Seiten so hiofig
als Constante hei Wärmetönungen ähnlicher chemischer Vorgänge nach-
gewiesen worden ist.
Thomson resumirt schliesslich alle diese von ihm zusammengestell-
ten Facta ungefähr mit folgenden Worten i):
„Zahlreiche Beispiele aus den verschiedenen Theilen der Thermo-
chemie haben dargelegt, dass analoge chemische Processe von Wärme-
erscheinungen begleitet sind, die entweder selbst Multiplen gemeinacbaft'*
lieber Constanten sind , oder deren Differenzen sioh als solche Moltiplea
herausstellen. Bei der Verbindung der Körper ändert sich oft der phydkft*
lische Zustand derselben, diese Aenderung muss nothwendig dasResnli
beeinflussen; wenn jedoch derartige Aenderungen sich compensiren,
die totale Wärmetönung als ein Multiplum der Constanten erwartet vi
den. Am häufigsten wird eine solche Compensation z. B. bei Sahstii
tionen eines Elementes für ein anderes eintreten, deshalb zeigen di
gerade die Wärmetönungen der Substitutionen als Multiplen gtmm
schaftlicher Constanten."
Vielleicht ist man auch berechtigt, die directe Verbindung nre
Körper als eine Substitutionserscheinung zu betrachten, z. B. dieWi
bildung als:
(Ha, 0) — (H„ H,),
wobei H) durch 0 ersetzt worden wäre. Es zeigt sich auch oft, dass
Verbindungswärme zweier Körper ein Multiplum der nämlichen Com
ten ist , welche sonst her der Substitution beider Substanzen beobsch
wird, zumal wenn die Bestandtheile und das Product sich in gleich
physikalischen Zuständen befinden.
Nicht selten aber vermissen wir auch solche Beziehungen bei Vei
bindungen und Elementen, welche sonst in ihrem chemischen Verh
und in ihren physikalischen Eigenschaften grosse Aehnlichkeit zeigen
Auch ist es jedenfalls kein Zufall, dass das Mittel jenes gern
Bchaftlichen Factors für verschiedene Processe so wenig abweichen
Resultate ergiebt und ungefähr um 18500 herum schwankt. Es sehet
darin eine Andeutung zu liegen, dass es sich um Vorgänge handel
welche als Multiplen positiver oder negativer Arbeitsleistungen anzosehei
sind , dass also die chemische Anziehungskraft nicht eine regeUose X:
ist, sondern als ganzes Vielfaches eines gemeinschaftlichen Grundm
wirkt.
Es stimmen zwar die Werthe der Constanten durchaus nicht fal
ständig überein, darüber aber darf man sich nicht wundem, da nur
^) Thomsen, Ueber die Multiplen in den chemischen Warmetönangen. Ber.
DeotBch. ehem. Ges. Bd. 7, S. 460.
B. Aeqnivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 351
selten die Umstände, unter denen die Vorgänge wirklich vergleichbar
sind, wirklich auch ganz entsprechende sind, und nur ganz selten werden
wir im Stande sein, die Energiedifferenzen in Rechnuug zu ziehen, welche
diesen Verschiedenheiten entsprechen.
I • Auf einige andere Gonsequenzen, die sich aus den mitgetheilten Zah-
len der Wärmetönungen ergeben, wollen wir im folgenden Paragraphen
aufmerksam machen.
9. Sinlge andere Oonsequenzen der mitgetheilten Zahl-
werthe.
Schon ziemlich früh wurden aus den ersten, zum Theil wenig ge-
nauen thermochemischen Untersuchungen von Andrews, Hess, Favre
und Silbermann eine Reihe von Sätzen abgeleitet; einige wurden be-
stätigt, von anderen zeigte sich, dass sie nur eine angenäherte und be-
schränkte Gültigkeit besitzen.
Unter anderen gehört hierher der Satz, der sich aus den Arbeiten
von Favre und Silbermann ^) zu ergeben schien: Die Wärmetönung,
welche die Bildung einer in Wasser gelösten Chlorverbindung
begleitet, ist stets um eine bestimmte Zahl grösser, als die bei
der Entstehung der entsprechenden Jod- oder Bromverbin-
dung entwickelte Wärmemenge.
An der Hand der neueren Bestimmungen lässt sich leicht zeigen,
dass dieser Satz einerseits einer Beschränkung bedarf, andererseits aber
einer wesentlichen Erweiterung fähig ist, welche denselben in nahe Ver-
bindung mit dem Principe der Wärmetönung nach Multiplen derselben
Constanten bringt').
T^ M^ *
R — a
R = Br
B = J
SabBtitation von
Beaction
Br durch Cl
J durch Cl
(H,R,aq)8) .
(K.R,aq) . .
(Na,R,iiq). .
(H,.N,R,aq) .
(Mg,2B,a<,) .
39320
101170
96510
86740
186930
28380
90230
85580
75800
165050
13170
75020
70300
60580
134630
10940
10940
10930
10940
21880
26150
26150
26210
26160
52300
1) Ann. d. chim. et d. phys. 3. Serie, Bd. 37, S. 489.
*) Man sehe: R. Ruh 1 mann, Die AflGnitätsunterschiede des Chlors, Broms und
Jods als Vielfache derselben Constanien. Ann. d. Phys. u. Chem. N. F. Bd. 3, S. 461 bis 464.
>) Es sei mir gestattet, an dieser Stelle auf zwei störende Druckfehler in den
thermochemischen Tabellen aufinerksam zu maehen. Es muss heissen: Bd. 2 p. 291 Z. 14
Ton oben: 28380 statt 23380; p. 298 Z. 11 von oben: (AlaCl«,Aq) = 153690, und
dann: (Alj, Cl«, Aq) = 475560 und (AlajOg, SSO» Aq) = 451770,
352
n. Thermochemie.
Renction
R = Cl
R = Br
R = J
Sul>6titation roa
Br durch Cl
J dardi 0
(Ca,2R,aq) .
(Sr,2R,aq) .
(Ba,2R,aq) .
(Pb,2R,aq) .
(Ctt,2R,aq) .
(Tl,3R,aq) .
(Aa,3R,aq) .
187640
195690
196320
75970
62710
89000
27270
165760
173810
174440
54410
40830
56180
5090
135340
143390
144020
10410
10550
21880
21880
21880
21560
21880
32820
22180
52300*
52300
52300
52300
78450
Alle Zahlen, mit AuBnahme der auf Gold bezüglichen, zeigen,
bei Sabstitation eines Atomes Brom durch ein Atom Chlor 10940,
bei Vertretung von 1 Atom Jod durch 1 Atom Chlor 26150 Caloiil
entwickelt werden. Werden hingegen beim Goldbromid die drei Atoi
Brom durch drei Atome Chlor ersetzt, so entwickeln sich nur 2211
statt, wie man erwarten sollte, 32100 Calorien.
Es ist deutlich ersichtlich, dass die bei Vertretung von Brom
Jod durch Chlor in wässerigen Lösungen der Haloidsalze und Hj^
säuren auftretenden Af&nitätsdifferenzen genaue Vielfache ein und
selben Zahl, der Zahl 5350 sind.
Es ist nämlich:
10940 sehr nahe gleich 2 X
21880 „ ,
32 820 „ „
26 150 . «
n
5350
4 X 5350
6 X 5350
52 300
78450
5 X 5350
10 X 5350
15 X 5350
Der Affinitätsunterschied zwischen Chlor und Brom t
hält sich zu dem zwischen Chlor und Jod wie 2 : 5.
Auch bei manchen anderen Reactionen in verdünnten Lösungen, dil
sich nur dadurch unterscheiden, dass an Stelle von Brom oder Jod, C%]ar
eintritt und selbst einige Verbindungen, deren Verschiedenheit nur diiiii
besteht, dass statt 4 nur 2 Atome Chlor in die Reaction eintreten, kiu
die Differenz der die Verbindung begleitenden Wärmemengen häufig ib
ein Multiplum der Zahl 5350 angesehen werden. Die Uebereinstimmang
ist jedoch in diesen Fällen meist nicht sehr gross.
Vielleicht verdient es einige Beachtung, dass die hier auilreteBde
Constante 5350 auch zu den beiden anderen Zahlen, welche so hioiig
bei dem Phänomen der Affinität nach Vielfachen derselben ConstaDtei
eine Rolle spielen, in sehr einfachem rationalen Verhältnisse steht
und
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 353
Es ist nämlich:
53Ö0 . -^ = 18725
5350 . - = 13375.
Aach beim IJebergange von einem Metalle zum anderen sind in der
Tontehenden Tabelle constante Differenzen wahrnehmbar. So zeigt sich
8. B., dass wenn man in den Hydrosauren und Haloidsalzen ersetzt:
1
so ändert sich die
Bildun^wSrme
des Chlorides um
«
des Bromides um
des Jodides um.
d. Haloidsalzes
im Mitte] um
11 K. .
61850 Cal.
61850 Cal.
61850CaI.
61850 Cal.
IHduchllNa .
57190
57200
57190
57190
ll(H4,N)
47420
47420
47410
47420
IMg .
108290
108290
108290
108290
iCa .
109000
109000
109000
109000
SHdnrch
iSr .
IBa .
117050
117680
117050
117680
117^50
117660
117050
117680
IPb .
— 2870
— 2650
—
— 2660
ncu .
— 15930
— 15930
— 15930
— 15930
3H durch
Tl . .
Au») .
— 28960
— 90690
— 28960
— 80050
— 28960
— 28960
Schon Favre und Silbermann haben an oben mitgetheiltem Orte
auf diese Eigenthümlichkeit aufmerksam gemacht und die hier auftreten-
den Zahlen die Moduli der Metalle genannt.
Tom Standpunkte der Chemie aus erscheint es weder besonders
nerkwürdig, dass jedesmal, wenn ein Jod- oder Bromatom daroh ein
Chloratom ersetzt wird, eine gleiche Wärmemenge entwickelt wird, noch
dass dies der Fall ist, wenn eine Hydrosäure dadurch in ein Haloidsalz
Übergeht, dass man das Wasserstoffatom durch Metallatome ersetzt. Es
sind dies beides nur neue Beweise für die längst bekannte Thatsache,
dass diese sich yertretenden Elemente in den Haloidsalzen und Hydro-
läoren immer genau dieselbe Stelle in der Verbindong ausfällen.
*) Wäre (Au,Br3,Aq) nicht -f" 5090, sondern —• 5090, so würden sowohl die in
4er ersten Tabelle, als die hier mitgetheilten Zahlen gut übereinstimmen, tind Gold
w&rde keine Ausnahmestell mig unter den Metallen einnehmen.
Yerdet-Bahlmann, Heohan. Warmetheorie. Bd. 8. 28
3 54 IL Thermochemie.
Die hier gefundenen Vertretungszahlen der Metalle gelten zam Thal
auch über das Gebiet der Haloidyerbindnngen hinaus.
Es ist z. B.:
(K,Cl,Aq) — (Na,Cl,Aq) = + 4660 Cal.
(K,0,H,Aq) — (Na,0,H,Aq)= + 4650 CaL
(Ca,0,Aq) — (Mg,0,Aq) = — 2500 CaL (Ca, Cl„ Aq) — (Mg,Cl„Aq)
= — 2290 Cal.
(Sr,0, Aq) — (Mg,0,Aq) = -f 8820 Cal. (Sr, Q,, Aq) — (Mg,Cl„Aq)
= + 8760 Cal.
(Ba,0, Aq) — (Mg,0,Aq) = + 9300 Cal. (Ba, Cl,, Aq) — (Mg,CljhAq)
= + 9390 Cal.
Berücksichtigt man, dass die Zahlen (Mg,0,Aq), (Sr,0,Aq) u. s. w.
durch Addition einer von Thomsen und einer von Berthelot gefim-
denen Zahl gebildet sind, und dass letztere nicht vollständig zuverlässig
sind, so muss man die Uebereinstimmung für eine befriedigende ut-
sehen.
Im Allgemeinen können keine ähnliche Beziehungen für die Bü-
dungswärmen der Substanzen im festen Zustande nachgewiesen werden.
Also ist nicht der feste Zustand als maassgebend f&r thermochemisdie
Betrachtungen anzusehen, wie dies Berthelot darzuthun sucht.
Wir stimmen vielmehr Thomsen bei, welcher von Anfang an be-
hauptet hat , dass die Affinitätsdifferenzen am besten im Zustande ver-
dünnter Lösungen verglichen werden. Berthelot stützte sich bei Beiner
Behauptung darauf, dass die Aenderung der specifischen Wärme bei
festen Körpern gering, bei Flüssigkeiten hingegen sehr bedeutend sei,
dass daher die Wärmetönungen bei Bildung fester Yerbindungen eher
als von der Temperatur unabhängige Constante angesehen werden könn*
ten, als dies bei Bildung gelöster Verbindungen der Fall sei, deren
Wärmetönung:en sich stark mit der Temperatur ändern. Auch fährt er
an, dass nur bei festen Verbindungen die specifische Wärme des Mole-
cüles nahe gleich der Summe der specifischen Wärmen der Atome ist,
welche das Molecül bilden (man sehe Bd. 2, S. 272).
Erfahrungsmässig handelt es sich aber bei den Verbindangswanneo
meist um so grosse Wärmemengen, dass im Vergleich dazu die Aende-
rung, welche diese Grössen durch die Abhängigkeit der specifisclien
Wärme von der Temperatur erleiden, in den meisten Fällen ganz oder
nahezu in die Grenzen der unvermeidlichen Beobachtungsfehler faUen.
Im Zustande vollkommener Gase, der sonst wohl der geeignetste
wäre, können die Affinitäten der wenigsten Substanzen verglichen wer-
den; auch wird, da dieser Zustand meist erst bei sehr hohen Tempert- ,
turen erreicht wird, in vielen Fällen bereits durch den später zu be-
sprechenden Vorgang der Dissociation der Verbindungen das Besnliit
wiederum getrübt.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 855
Aach ist es wohl za beachten, dass nar elastisch oder tropfbar
flflssige Sabstanzen auf einander reagiren können, also auch nur die
auf diese Aggregatznstände bezüglichen Zahlen als Maass der Affinitäten
angesehen werden können ^)*
Ein anderer Satz, den man früher glanbte ausnahmslos als gültig
ansehen zu können, lautet: Wenn eine Säure eine andere aus
neutralen Verbindungen scheidet, so ist die Wärmetönung
stets dieselbe und unabhängig von den Basen, wenn nur die
Säuren dieselben sind und keine unlösliche Verbindung entsteht.
Zum Beweise dieses Satzes ist es leicht eine grössere Zahl von Bei-
spielen aus dem Vorhergehenden zu geben. Es ist z. B* die Neutra-
lisationswärme der in Wasser löslichen Basen der Formel ROH und
II
ROsH} für zwei Aequivalente der wässerigen Lösung bei 18^^):
Käme der Basis
Schwefels&nre
Chlorwasserstoffs&are
Salpetersäure
Lithionhydrat
Natronliydnit
KalihTdrat ....••.••
31290 Cal.
31380
31290
31130
30710
31140
31010
30700
30840
27700 Cal.
27490
27500
27520
27780
27630
27900
27500
27440
27290
— Cal.
27360
27540
Thalliamozydhydrat
BarYthrdrat
27380
28260
Strontianhydrat
Tetramethylammoniambydrat . .
Triathylsalfinhydrat
Platodiaiiuiihydrat
.^
Die erhaltenen Werthe sind unter der Voraussetzung gültig, dass
Säure und Basis beide in einem solchen Ueberschuss Yon Wasser gelöst
i sind, dass auch das bei der Neutralisation gebildete Salz im Wasser ge-
löst bleibt.
Vorausgesetzt, dass diese Annahme erfüllt ist, lässt sich obiger Satz
sogar etwas erweitem ; eine ganze Reihe von Säuren, nämlich die Wasser-
stoff- und Sauerstofifsäuren des Chlors, Jods, Broms, die Salpetersäure, die
^) Man yergleiche die Motivinmg einer abweichenden Ansicht in A. Naumann,
Allgemeine und physikalische Chemie (Winter, Heidelberg 1877), S. 667.
^ Diese Tabelle ist entnommen: Thomsen, Ueber die Neutralisation. Joum. f.
II
pnkt. Chemie, 2. Folge, Bd. 18, S. 241 bis 270. R ist das Symbol der zweibasischen
lUdicale.
23*
356
II. Thermochemie.
Unterschwefelsänre, die Ghlorplatin- und Ghlorzinnsaare, die Aeihe^
schwefelsauren, die Fluorsiliciumsäure, die Orthophosphor- und die Ortlift'
arsenBäure, die Ameieensäure, Essigsäure und viele andere besitxen eine
fast vollständig übereinstimmende Neutralisationswärme von ungefähr
27000 bis 27500 Galerien bei Bildung neutraler Salze.
Abweichungen hiervon zeigt: die Schwefel wasserstoffisäure (Nentn-
lisationswärme 15500), die unterchlorige Säure, die Borsäure, dieKohiea*
säure und die salpetrige Säure, deren Neutralisationswärme im MitU
20000 ist. Hingegen zeigen Oxalsäure, phosphorige Säure, Metaphosphor*^
säure, schweflige Säure, unterphosphorige Säure, Selensäure, SchweM*
säure, Fluorwasserstoffsäure Neutralisationswärmen, die grosser als 2700(1
sind und zwischen 28300 (Oxalsäure) und 32500 (FluorwasserstoffsioFe)
liegen.
Es kommen jedoch, wie ein Blick auf die Tabellen auf Seite
303 etc. lehrt, auch nicht unerhebliche Abweichungen von obigem
vor, welche einen Einfluss der Natur der Basis auf die Grösse der N
tralisationswärme deutlich zu zeigen scheinen. So ist z. B.:
Basis
SchwefelsSore
SalzsSore
Salpetersäure
Essigsäare
CfalonSBif
2KH0Aq .
CUH2O2 . .
31300
18400
27500
14900
27500
14900
26400
12800
27500
15500
Differenz
12900
12600
12600
13600
12000
Diese Unterschiede sind aber leicht dadurch erklärlich, düsa
Basen der Alkalien und alkalischen Erden mit der Neutralisationsw;
31200 respective 27500 sämmtlich als Lösungen, hingegen die ü
(hier z. B. GnH2 02) als Niederschläge verwendet worden sind. Der
terschied (hier im Mittel 12500) in der Wärmetönung bei Neutrali
der in Wasser unlöslichen Basis entspricht derjenigen Wärme, wel
aufgewendet werden muss, um die unlösliche Basis zuvor in den fl
Zustand überzuführen. Wir kommen später bei Besprechung der K(
tralisationswärme des Barythydrats nochmals ausführlicher auf die
baren Abweichungen von diesem Satze zurück.
Alle derartigen Sätze sind immer nur unter der selbstverständli
Voraussetzung gültig, dass die einzelnen Gomponenten und Resultan
sich bei den verglichenen Processen in demselben Zustande befinden.
Ebenso finden die folgenden Sätze innerhalb der Grenzen der el
angegebenen Voraussetzung auch durch die neueren Untersuchungen
Bestätigung:
Die Wärmetönnng, welche entsteht, wenn eine Basis di<
andere aus neutraler Verbindung scheidet, ist stets diesell
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 357
und unabhängig yon der Säure, wenn nur die Basen dieselben
sind (Andrews^), und hierunter dürfte dann auch folgender Satz mit zu
subsummiren sein, welcher ebenfalls von Andrews herrührt: Wenn ein
Metall ein anderes aus neutraler Lösung scheidet, so ist die
Wärmetönung stets dieselbe und unabhängig vom Lösungs-
mittel, sofern nur die Metalle dieselben sind^).
Als eine Folge aus dem Vorhergehenden kann man dann weiter auf
einen Satz schliessen, der gewöhnlich nach seinem Entdecker der Hess 'sehe
Satz von der Thermoneutralität genannt wird. Derselbe lautet:
Wenn sich zwei neutrale Salze in wässeriger Lösung zer-
setzen, so findet keine Wärmetönung statt, wenn alle Verbin-
dungen gelöst bleiben')*
Hieraus schliesst Thomsen^) mit Recht weiter: Wenn bei doppelten
Zersetzungen dieser Art ein Niederschlag entsteht, so ist die Wärme-
tönung numerisch gleich, aber entgegengesetzt der Lösungswärme
der gebildeten unlöslichen Verbindung.
Alle diese Sätze zusammen machen die Annahme sehr wahrschein-
lich, durch welche Thomsen schon im Jahre 1853 alle bis dahin be-
kannten thermochemischen Erfahrungen in einfacher Weise mit einander
in Zusammenhang brachte; dieselbe lautet in unserer heutigen Ausdrucks-
weise: Bei Bildung der neutralen Salze der meisten Säuren, der
Chlorverbindungen u. s. w. in wässeriger Lösung wird in jeder
Classe für sich eine gleich grosse moleculare Energie ent-
wickelt. Thomsen nannte solche Verbindungen isodyname. Er ging
bei Formulirung dieses Satzes von dem Fundamentalsatze der Thermo-
chemie aus: Die durch einen chemischen Vorgang erzeugte
Wärmemenge ist, sofern keine äussere Arbeit geleistet oder
aufgenommen wird, ein Maass für die verwandelte potentielle
Energie der Affinität tmd nennt die gesammto, in einem Aequivalente
einer Substanz enthaltene potentielle Energie der Af&nität in Wärme-
maass ausgedrückt „das thermodynamische Aequivalent''. Also
Bind isodyname Substanzen solche, deren thermodynamische Aequi-
valente gleich sind.
Mit Rücksicht auf diesen mit klarem Bewusstsein von dem Satze von
der Constanz der Energie gewählten Ausgang und Bezeichnung ergaben
sich eine Reihe von Sätzen, welche Berthelot und andere französische
Chemiker viel später als wichtige, neue, eigene Entdeckungen procla-
mirten*).
^) PhiloB. Trans, of the Boy. Soc of London f. 1844, S. 21, und Poggend. Ann.
Bd. 66, S. 21.
*) Poggend. Ann. Bd. 78, S. 73.
^) Abweichungen von diesem Satze sehe man im Capitel 7 des folgenden Ab-
schnittes C, welches überschrieben ist: (Jeher die Beschaffenheit der Losungen.
^) Poggend. Ann. Bd. 88, S. 361.
^) Man sehe J. Thomsen, Eine Prioritätsfrage bezüglich einiger Grundsätze der
Thermochemie. Ber. d. Deutsch, ehem. Gesellschaft. Bd. 6, S. 423 bis 428.
358 IL Thermochemie.
Hieraus ergiebt sich sofort: Die WärmetÖDung bei Bildung
einer Verbindung ist gleich der Differenz der thermodyna-
mischenAequivalente der Bestandtheile und dem thermodyna-
mischen Aequivalente der Verbindung.
Dies drückt man aus durch die Formel:
wenn ^» ^3, ^ . . . die thermodynamischen Aequivalente der Be-
standtheile und r das thermodynamische Aequivalent der Verbindung ist
Hieraus folgt sofort weiter:
— Ö = r — (a?i + «, + a?» + . . .)»
und dies enthält in Zusammenstellung mit der vorhergehenden Gleichooi^
den an sich klaren, aber immerhin erwähnenswerthen Satz:
Die Wärmetönung bei der Zersetzung einer Verbindung
ist gleich gross, aber entgegengesetzt derjenigen, welche bei
der Bildung derselben stattfindet.
Damit erklärt sich nun auch in einfacher Weise die von Thomsen
gewählte Bezeichnungsweise, wenn wir dieselbe auch nicht für vollkommen
Übereinstimmend mit den heutigen Begriffen der Energie halten können.
Es bezeichnet nämlich:
(Pb) (HCl) etc.
das thermodynamische Aequivalent des Bleies, des Ghlorwasserstoff-
gases etc., so dass die Thomson' sehe Reactionsformel (X^, Y^, Z^ , »)
die Bedeutung hat:
(z., r„ Ze ....) = «. W + ö . (^ + c . (Z) + .. .
^-(z.r, z, ...) 12)
Es wird demnach mit (Z«, F^, Z« • . .) die bei Reaction Yon
a Moleculen des Stoffes X, h Molecülen des Stoffes F, c Molecülen des
Stoffes Z etc. auf einander entstehende Wärmetönung bezeichnet ; dieselbe
ist gleich der Summe der thermodynamischen Aequivalente der reagiren-
den Bestandtheile, vermindert um das thermodynamische Aequivalent der
Verbindung. Ist der Minuend grösser als der Subtrahend, so findet bei
der angedeuteten Beaction eine Wärmeentwickelung, im entgegengesetzten
Falle eine Wärmeabsorption statt.
Es können hier also zwei Fälle eintrei^n, entweder die Verbindung
besitzt mehr potentielle Energie der AfEnität, als ihre Componenten, oder
das Ebitgegengesetzte findet statt.
Im ersten Falle wird bei Bildung der Verbindung Wärme oder eine
derselben äquivalente Energieform erzeugt, im zweiten Falle tritt eine
Wärmeabsorption ein^).
^) Genau denselben von J. Thomsen schon in seiner ersten Abhandlang (1B54)
klar ausgesprochenen Gedanken wählte später (1864) Schröder van der Kolk ^
Ausgangspunkt seiner interessanten Arbeit: Ueber die mechanische Energie der chemi-
schen Wirkungen. Fogg. Ann. Bd. 122, S. 439.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 359
Schröder van der Kolk hat später mit Hinblick auf die
Si Claire-Deyille' sehen Arbeiten über Dissociation hieraus den Schluss
gezogen :
Verbindungen, welche durch Erwärmung dissociirt
werden, können sich bei nachfolgender Abkühlung nur
dann wieder von selbst auf'sNeue bilden, wenn dieEnergie
(Summe der thermodjnamischen Aequiyalente) der Com-
ponenten grösser ist, als die der Verbindung derselben.
Es braucht wohl kaum besonders erwähnt zu werden, dass aber
selbst dann, wenn die Rückbildung bei nachfolgender Abkühlung möglich
wäre, dieselbe nicht nothwendigerweise eintreten muss, da sehr häufig
die getrennten Bestandtheile in einen Zustand übergehen, in welchem
sie sich nicht mehr vereinigen können.
Es lassen sich für diese Sätze eine Menge von beweisenden Bei-
spielen anführen.
1) Stickstoffozydul besitzt eine negative Yerbindungswärme {(N2,0)
= — 18320}. Im freien Stickstoff und Sauerstoff findet sich also we-
niger Energie als im Stickstoffoxydul. Durch Wärme dissociirt vereinigt
sich Stickstoff und Sauerstoff nicht wieder bei nachfolgender Abkühlung.
2) Wasserstoffsiiperoxyd entwickelt Wärme bei der Zerlegung in
Wasser und Sauerstoff {(Hj 0,0) = —23070}. Durch Wärme zerlegt,
bildet es sich bei der Abkühlung nicht wieder.
Dieser Satz, für dessen Bichtigkeit sich durch Betrachtung der
Sanerstoffverbindungen des Chlors, der Chlor-, Jod-, Schwefel Verbindun-
gen des Stickstoffes, der Sauerstoffverbindungen mancher Edelmetalle und
aller sonstigen Verbindungen mit negativen Verbindungs wärmen noch
zahlreiche Beispiele beibringen Hessen, gilt sogar für die Zustandsände-
rangen di- und polymorpher Körper^). Arragonit geht beim Erwärmen
nnter Wärmeabgabe in Ealkspath über; Arragonit besitzt also mehr
potentielle Energie als die Ealkspathmodification des kohlensauren Kalkes.
Beim Abkühlen findet der entgegengesetzte Process nicht statt. Das
Gleiche lässt sich bei den allotropen Modificationen des Schwefels und
Phosphors nachweisen.
Die Umkehmng des vorhin mitgetheilten Satzes würde lauten : Ver-
bindungen mit positiver Verbindungswärme können sich, wenn sie
durch Erhitzen dissociirt worden sind, bei nachfolgender Abkühlung
wieder von selbst verbinden. Dass dies nicht immer stattfinden muss,
versteht sich von selbst.
Kohlensaurer Kalk absorbirt nach Favre und Silbermann bei
seiner Dissociation Wärme; er besitzt also ein kleineres thermodyna-
misches Aequivalent, als seine Componenten. In der That beobachtet
man, dass wenn kohlensaurer Kalk durch Wärme zerlegt worden ist, sich
*) Hierauf hat zuerst Schröder van der K.olk, Pogg. Ann. Bd. 122, S. 442,
aufmerksam gemacht.
1
360 U. Thermochemie.
derselbe aas Calcinmoxyd imd Kohlensäure bei nachfolgender Abkdhiiiiig
von selbst wieder bildet.
Sind zwei ganz analog gebildete Yerbindongen: X'« F» Z« . . .
und X"s Yi Ze, welche sich nur dadm*ch von einander nnterschäden,
dass der Körper X' im zweiten Falle durch X" ersetzt ist, iBodynam,
d. h. besitzen dieselben gleiche potentielle Energie der Affinität, ist also: <
(X a li Z« . . .) = (-^ a y» ^e • • •)
nach Thomsen's Bezeichnung, so können f&r die Bildung derselben
zwei der Gleichung 12) analoge aufgestellt werden. Es ist dann:
(Z'., r„ Z, ...) = a (X!) + h (Y) + c (Z)+ . . . — (X'. Y, Z....)
(Z"., r„ Z. ...) = a (Z") + 6 (D + c (Z) + - (X!'.Y, Z....) |
und hieraus folgt durch Subtraction:
(X'„ r„ Z....)- (X"., T„Z....) = a. [(XO - (X*)] 13)1
Die Unterschiede der Wärmetönungen bei Bildung zweier isodyiiA-
mer Körper ist gleich der mit der Anzahl der substituirten Molecöla
multiplicirten Differenz äet thermodynamischen Aequivalente der öek
yertretenden Stoffe.
Hat man zwei isodyname Salze von der Form:
R2'S04undB,"S04,
so ist nach 13):
(R2',H,S04Aq)-(R,",H,S04Aq) = 2.[(R')-(R")].
und hierin liegt der Andrews' sehe Satz, den wir vorhin erwähnten.
Aehnlich ergiebt sich der Favre' sehe Satz, wenn wir z. B.:
(R'C1) = (R"C1)
setzen. Es ist dann nach 13):
(R',a) — (R", Cl) = (RO — (R").
Wenn zwei Körper: A'B' und A"B" sich gegenseitig zu A'B"
A"B' zersetzen, so ist die hierbei entstehende Wärmetönung Q =
Q = (A'B") + (A"B') - (A'BO — (A"B");
sind nun aber A'B' und A"B" und ebenso: A"B' und A'B" paarwei
isodynam, d. h. ist:
(A'B') = (A"B')
und (A'B") = (A"B"),
so ergiebt sich durch Subtraction der unteren von den oberen Gleich
gen und Reduction auf Null:
(A'B") + (A"B') — (A'B') — (A"B") = 0
und somit Q = 0.
Die letzte Gleichung aber enthält den Hessischen Satz von der
Thermoneutralität und wird später von uns verwendet werden, tun die
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit 361
Doppelzereetzangen Ton Salzen, welche bei Mischang wässeriger Löson-
gen stattfinden, zu nntersuchen.
Wir haben somit aus der einen Onmdvoraussetzung eine grosse
Zahl Ton Sätzen auf theoretischem Wege abgeleitet, welche schon früher
auf empirischem Wege gefunden, bis zu Thomsen's Arbeit znsammen-
hangslos neben einander standen.
Freilich würde es ein Trugschluss sein, wenn man daraus, dass diese
Conseqnenzen der Voraussetzung durch die Erfahrung bestätigt worden
sind, rückwärts auf die Richtigkeit der Annahme schliessen wollte : dass
wirklich analog zusammengesetzte Körper auch isodynam sein müssten;
es wird dies durch die Uebereinstimmung mit der Erfahrung zwar wahr«
scheinlioh gemacht, aber nicht bewiesen.
Da es sich bei allen diesen Formeln nur immer um Differenzen von
potentieller Energie handelt, kann man aus der G-leichheit der Differenzen
noch nicht daraof schliessen, dass anch die beiden Subtrahenden und die
beiden Minnenden derselben einander gleich sind. Jedenfalls aber ist
ein Gesichtspunkt, von dem aus sich mehrere Reihen scheinbar getrennter
Erscheinungen einheitlich zusammenfassen lassen, bemerkenswerth, und
deshalb haben wir hier die Consequenzen der Annahme der Isodynamie
analoger Yerbindungen mitgetheilt.
Das Phänomen der Affinitätsdifferenzen nach Vielfachen derselben
GoQstanten macht es wahrscheinlich, dass die thermodynamischen
Aequiyalente der Elemente in gleichen Aggregatszuständen
ganze Vielfache einer einzigen oder weniger Constanten sind.
Auf die grosse Zahl einzelner wichtiger Conseqnenzen, welche sich
sonst noch aus den Messungen der Verbindungswärmen ergeben haben,
wollen wir nicht weiter eingehen, da dieselbe zu sehr in das Detail der
Chemie eingreifen würde. Wir beschränken uns darauf, noch einige
allgemein interessante Resultate der mitgetheilten Zahlenreihen zuzu-
f)lgen.
Deutlich zeigt sich, wie erwähnt, aus den Thomson' sehen Arbeiten,
dass man in der That berechtigt ist, den Zustand der Yordünnten wässe-
rigen Lösungen als einen solchen anzusehen, in welchem thermochemische
Beziehungen nahezu mit demselben Erfolge verglichen werden können,
als dies bezüglich vieler anderer Eigenschaften mit dem gasformigen
Zustande der Fall ist. Man kann daher mit Thomson^) annehmen,
dass sich verschiedene Körper in wässeriger Lösung in einem analogen
Zustande befinden.
Während bei Auflösung der Anhydride der Basen in Säuren die
Wärmetönung ausserordentlich verschieden ist und ebenso bei Auflösung
der Hydrate noch sehr grosse Differenzen auftreten, zeigt sich eine grosse
Einfachheit, wenn man Basis und Säure in verdünnten wässerigen Lö-
^) Thomsen: Ueber die Neutralisation. Journ. f. prakt. Chemie, 2. Folge, Bd. 16,
S. 246.
362 IL Thermochemie.
sangen mit einander verbindet Lithion, Natron, Thalliomhydimti Baiyt.
Strontian und Kalk zeigen alle in wässeriger Lösnng dieselbe Nentni
lisationsw&rme, ohne dass das höchst verschiedene Molecnlargewicht vn
14 (Li) bis 408 (Th) oder die höchst verschiedene Bildnngswänne dm
Basen {(T1,0,H) = 10400 bis (K,0,H) = 57000} einen Einflnss ad
die Neutralisationswärme auszuüben scheint.
Auch die zur Magnesiagruppe gehörenden Basen: Magnesia, Hin-
ganoj^ydul, Nickeloxydul , Cobaltoxydul, Eisenoxydul (Cadmiamoxyd)^
Zinkoxyd und Eupferoxyd zeigen in ihrem Verhalten eine sehr gnMn
Uebereinstipmung. Ihre wichtigsten Salze sind isomorph, die Bm«
unlöslich in Wasser, löslich in Ammoniaksalzen etc.
Zwar geben diese Basen mit derselben Säure eine ungleich grom
Wärmetönung, aber die Neutralisationsphänomene dieser sieben Basci
zeigen ebenfaUs eine völlige Uebereinstimmung. Die Differenzen zwiacka
der Wärmeentwickelung, welche dieselbe Basis mit verschiedenen Säont
giebt, ist für alle Glieder so genau dieselbe, dass es hinreichend ist, die
Neutralisationswärme einer Säure zu kennen, um dann diejenigen der
anderen Säuren berechnen zu können. Die Neutralisationswärmen der
Hydrate der Magnesiareihe für Schwefelsäure sind:
für Mg = 31220
„ Mn = 26480
„ Ni = 26110
„ Co = 24670
„ Fe = 24920
^ Od = 23820
„ Zn = 23410
„ Cu = 18440
und die Neutralisationswärmen sind, wie wir dies schon bei den
beobachtet haben, für Ghlorwasserstoffsäure, Salpetersäure, Untersch
säure, Aetherschwefelsäure unter sich' gleich und um dnrchachni
3560 Gal. geringer, als die der Schwefelsäure. Die Neutralisatio]
der Essigsäure ist auch hier um 5500 CaL niedriger, als diejenige
Schwefelsäure.
Es liegt daher sehr nahe anzunehmen, dass auch die Neotralisatioii
wärme der Basen der Magneeiareihe vollständig mit der der Alkaiid
übereinstimmt und dass der Unterschied der scheinbaren, beobaditeM
Neutralisationswärme aus einer verschiedenen Lösungswärme dieser H
sich unlöslichen Basen in Wasser entspringt.
Thomson hat noch eine grosse Anzahl Thateaohen namhaft gv
macht ^X welche alle diese Annahmen als ungemein wahrscheinlich ersdie»
^) A. a. 0. Journ. f. prakt. Chemie, 2. Folge, Bd. 16, S. 257 etc.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 363
nea lassen. Unter dieser Annahme schliessen sieh dann auch diese Basen
den obengenannten vollständig an.
Ganz analog sohliesst Thomson, dass auch die angleiche Neutra-
lisationBwärme , welche für die drei Wassersto&äaren des Chlors, Jods,
Broms bei Bildung onlöslicher Verbindungen gefunden wird, sich einfach
ans einer angleichen LdsungswSrme der in Wasser unlöslichen Haloid-
rerbindungen erklären lässt.
Dass man auf diese Weise somit in der Lage ist, auch die Lösungs-
wärmen einiger in Wasser unlöslicher Verbindungen rückwärts zu berech-
nen, bedarf wohl kaum der Erwähnimg.
£in wesentlich abweichendes Verhalten im Vergleich mit der Neu-
tralisationswärme der Gruppe der Hydrate der Basen zeigt die Neutra-
lisations wärme der nur als Anhydride bekannten Basen. Als Typus dieser
zweiten Gruppe kann das Ammoniak aufgeführt werden. Bei löslichen
Basen dieser Gruppe enthält die Lösung das Anhydrid und kein Hydrat.
Die Neutralisationswärme ist (bei 18<^) um ungefähr 3000 Gal. kleiner,
als bei den Hydraten. Auf den Einfluss der Substitution anderer Radi-
cale in das Molecül der Basis wollen wir hier nicht näher eingeben ^).
Ein allgemeines, für alle Säuren gültiges Gesetz hat sich bei der
Nentralisation noch ergeben, dasselbe lautet^): wenn ein Molecül
eines basischen Hydrates (Natronhydrat) in wässeriger
Losung auf eine Säure reagirt, dann ist die Wärmeent-
wickelung sehr nahe proportional der Säuremenge, bis
diese 1, Vs» Va oder Y4 Molecül beträgt, je nachdem die
Säure eine ein-, zwei-, drei- oder yierbasische ist.
Dies dürfte vielleicht das sicherste. Mittel sein, um die Basicität
einer Säure zu bestimmen, wenn deren Moleculargewicht bereits durch
andere Versuche bekannt ist.
Auf diese Weise schloss Thomson z.B., dass Wasser, H^O, und der
ganz analog zusammengesetzte Schwefelwasserstoff, H3S, als einbasische
Säuren anzusehen sind. Berücksichtigt man diese AufiPassung des Cha-
rakters des Wassers, so werden dadurch die partiellen Zersetzungen der
Salze schwachsaurer Säuren und schwach alkalischer Basen durch Wasser-
zofohr leicht yerständlich.
Ebenso lassen sich bei mehrbasischen Säuren über den gleichen oder
angleichen Charakter der durch Metalle oder andere Molecüle vertret-
baren Atome aus den thermochemischen Neutralisationsversuchen häufig
Schlüsse ziehen, welche geeignet sind, für oder wider eine rationelle
Formel in Betracht gezogen zu werden.
^) Genaueres sehe man a. a. 0. Joarn. f. prakt. Chemie, 2. Folge, Bd. 16,
S. 248 etc.
*) Thomsen: Thermochemische Untersuchungen über die Neutralisationsphänomene
und Basicität der Säuren. Ber. der Deutsch, ehem. Gesellsch., Bd. 3, S. 187 bis 193
(1870).
364 IL Thermochemie.
So denkt man sich s. B. die einbasischen Säuren folgendemmnMen
geschrieben :
Cl . H Br .H HO . H HS . H,
in welchen H das durch Metalle vertretbare Atom ist.
Für die zweibasischen Wasserstofibäuren, s. B. FinorsilicinmwaaBer-
stoffsänre und Chlorplatinwasserstoffsänre, wird hingegen, da die beiden
yertretbaren Wasserstoffatome jedes fär seine Substitution durch ein
Metallatom eine gleiche Wärmetönung ergiebt, die Formel:
SiFlß.g ^PtCl«.^
wahrscheinlich sein.
Andere zweibasische Säuren dagegen, wie z. B. schweflige Säure,
selenige Säure, Kohlensäui^e, Chromsäure etc., deren vertretbare Wasser-
stoffatome nicht unter gleicher Wärmetönung durch dasselbe Metall er-
setzt werden können, stellt man sich vielleicht besser in folgenden ratio-
nellen Formeln vor:
Q^ OH Q f\ OH /^,^ OH
D U3 • TT Oe U3 • TT ^ v/3 • TT 9
in welchen die durch Metalle vertretbaren Wasserstoffatome einen ver-
schiedenen Charakter zeigen.
Die zweibasische Schwefel-, Selen- und Oxalsäure dagegen st^t sich
Thomson unter der rationellen Formel:
an OH Q ^ OH ^ ^ OH .
* * 0 H ^ ^ * 0 H ^ ^ ' 0 H ®
vor, weil hier die vertretbaren Wasserstoffatome gleichwerthig sind.
Die dreibasisohe Gitronensäure erhielt dann aus ähnlichen Grfinden
die Formel:
OH
C6H5O4 .OH,
OH
dagegen die drei Modiflcationen der Phosphorsäure die Gestalt:
HPOs . ^^ 2HP0s . ^^ und HPO,,
wodurch der thermische Unterschied zwischen den Säuren des Phosphon
und Arsens einerseits und der Gitronensäure andererseits genfigend und
in Uebereinstimmung mit anderen chemischen Thatsachen erklärt seia
würde i).
Dass man für die Kieselsäure eine bestimmte Basicität nicht nach-
zuweisen im Stande war, hat jedenfalls seinen Grund darin, dasa ihre
^) Genaueres sehe man: J. Thomsen, Pogg. Ann. Bd. 140, S. 536 etc.^
B. Aequivalenz zwischen Wärme und chemischer Arbeit. 365
Neigang sich mit der Basis zn verbinden nicht viel grösser ist, als die
desWassers, nnd dass somit beim Verdünnen der Salzlösungen mit Wasser
theilweise Zersetzungen eintreten.
Die eigenthümlichen Wärmeerscheinungen, welche beim Verdünnen
der SahdöBungen schwacher Säuren oder schwach alkalischer Basen durch
Wasser eintreten, sind zum Theil ebenfalls als partielle Zersetzungen
anzusehen, anderentheils gehören dieselben in den nachfolgenden Ab-
schnitt, der von den Dissociationserscheinungen handelt. Das Gleiche
gilt von den analogen Wärmeerscheinungen, welche bei Zufügung über-
sehüBsiger Säure oder überschüssiger Basis zu Lösungen unzersetzlicher
Salze eintreten. Wir werden die schönen hierher gehörigen Unter-
sachongen der französischen Thermochemiker in einem besonderen Ca-
pitel (C, 7) mittheilen und besprechen.
Anderweite Schlüsse von allgemeiner Bedeutung sind zur Zeit aus
dem vorliegenden Materiale nicht gezogen worden, auch haben die
Themse naschen Arbeiten über die Neutralisation recht deutlich gezeigt,
wie schwierig es ist zu allgemeinen Resultaten zu gelangen , ■wenn man
nicht den Boden der Thatsachen verlassen und sich nicht zu weit in das
unsichere Gebiet der Hypothese verlieren will ^).
C. Die Dissociationserscheinungen,
1. Die Theorie der Dlssooiation.
Wir haben schon früher wiederholt darauf aufmerksam gemacht,
(lass mit wachsender Temperatur auch die Disgregation eines Körpers
zunimmt. Zunächst gehen bei fortschreitender Erwärmung die Sub-
stanzen in den Aggregatzustand der Gase über. Wenn man einem Gase
weiter Wärme zuführt, so nimmt die lebendige Kraft der Molecüle und
wahrscheinlich nahezu in gleichem Verhältnisse die kinetische Energie
der fortschreitenden Bewegung und die kinetische Energie der intra-
molecularen und der rotatorischen Bewegungen der ganzen Molecüle zu
(man sehe Bd. 2, S. 36).
Wenn die kinetische Energie der intramolecularen Bewegungen ge-
nügend anwächst, kann das Molecül zerfallen, weil durch die lebhaften
Bewegungen die gegenseitige Anziehungskraft der Atome oder Atom-
gmppen im Molecüle überwunden wird.
^) Die französischen Thennochemiker, zumal Berthelot, obwohl denselben grosse
Verdienste nicht abzusprechen sind, haben sich häufig in bedenklicher Weise auf das
Gebiet der bodenlosen Speculation verirrt.
366 IL Thermochemie.
Da nun bekanntlich die Geschwindigkeiten der Molecüle eines Gaaei
nicht alle einander gleich, Bondem vielmehr nach dem Maxweirwhen
Gesetze (Bd. 2, I, C, 9, S. 68), ähnlich wie die Beobachtongsfehler, in den
weitesten Grenzen vertheilt sind, so wird, da das Mittel der Geschwindig-
keit der Molecnlarbewegungen mit zunehmender Temperatur lonimmt,
auch bei einer immer grösseren Zahl von Molecülen die intramolecnlm
Geschwindigkeit so weit anwachsen , dass dadurch die gegenseitige An-
ziehung der Bestandtheile des Molecüles überwunden wird. Bei zuneb-
mender Temperatur werden also immer mehr Molecüle zerfallen.
Ist nun die Temperatur so weit gestiegen, dass die mittlere Ge-
schwindigkeit der fortschreitenden und die ihr proportionale miUlen
Geschwindigkeit der Bewegungen der Bestandtheile des Molecüles vn
den ruhend gedachten Schwerpunkt, also die Centrifugalkraft der rotato*
rischen Bewegungen der ganzen Molecüle und der Oscillationen der Atome
oder Atomgruppen im Moleoül, dei^'enigen Werth erreicht hat, för den
der Zerfall des Molecüles eintritt, so wird nach dem Maxweirseheo
Yertheilungsgesetze der Geschwindigkeiten die Hälfte Molecüle bereüi
grössere Geschwindigkeiten erreicht haben und mnss daher bereits se^
fallen sein, und die andere Hälfte der Molecüle wird, weil die Geschwin*
digkeit geringer als dieser Mittelwerth ist, noch unverändert sich erhalten
haben.
Man wird demnach mit Rücksicht auf diese Betrachtung den Nno*
mann'sohen Satz^) zugeben können, daes die Zersetzungstempe-
ratur eines Gases die Temperatur ist, bei welcher die
Hälfte der Molecüle bereits zersetzt, die andere Hälfte
noch unzersetzt ist.
Es ist ferner klar , dass diese Zersetzung durch Wärmezufiihr nicht
ein Vorgang ist, der bei einer bestimmten Temperatur vollständig toi
statten geht, ähnlich den Aenderungen des Aggregatzustandes beia
Sieden oder Schmelzen, sondern wir haben es in demselben vielmehr mit
einem Vorgänge zu thun, der dem Verdunsten einer Flüssigkeit nnter^
halb ihres Siedepunktes vergleichbar ist^). Schon bei TemperstoreD,
welche weit unter der Zersetzungstemperatur liegen, werden einzelne
Molecüle, deren Geschwindigkeiten bis über jene durch die mittlere Ge-
schwindigkeit der Zersetzungstemperatur charakterisirte Grenze hinanf*
reichen , bereits zerfallen. Die Zahl der zerfallenen Molecüle wird mit
steigender Temperatur wachsen ; bei der Zersetzungstemperatur wird die
Hälfte aller Molecüle zerlegt sein und die Zersetzung wird erst bei eber
1) Man sehe Ä. Naumann, Ann. d. Chem. und Pharm. 1867. Sappl. V, 3^.
und: Grundriss der Thermochemie (Braunschweig, Fr. Vieweg n. Sohn), S. 56.
2) Deville hatte den Vergleich des Verdampfangs- und DissociatioBsproc««««
(Le9ons sor la dissociation. Soci6t6 chimique de Paris 1864 bis 1865) unzweifelhaft m vett
getrieben, wogegen Schröder van der Kolk in seiner Abhandlung: Ueber die De
Tille 'sehe Dissociaiionstheorie. Poggend. Ann. Bd. 129, S. 481 bis 505, mit Recht fir
testirt hat.
C. Die DissociationserscheinuDgen. 367
•
80 hohen Temperatur als yollendet angesehen werden können , dass nur
die Geschwindigkeit einer verschwindend kleinen Anzahl von Molecülen
unter die mittlere Geschwindigkeit der Zersetzungstemperatur herabgeht.
Dieser Vorgang der theilweisen, mit steigender Temperatur zuneh-
menden Zersetzung der Körper f!Lhrt nach Deville^) den Namen: Dis-
Bociation.
Sehr ausführlich hat Pfaundler diese Vorgänge besprochen; er
geht zunächst von der Annahme aus, dass es fQr jede Temperatur und
jeden Körper ein Dissociationsgleichgewicht gäbe. Dieses Gleichgewicht
besteht darin, dass wenn die Zersetzung einmal eingeleitet, die Tempe-
ratur aber constant erhalten und die Dissociationsproducte am Entweichen
gehindert werden, in jedem Zeiträume eine ebenso grosse Anzahl von
Molecülen sich spaltet, als sich durch Begegnung wieder vereinigt. Hier-
Ton ausgehend sagt er'): „So lange die Verbindung noch gar nicht zer-
setzt ist, haben alle Molecüle die Zusammensetzung AB. Sie bewegen
sich geradlinig fort. Ausserdem bewegen sich die Bestandtheile dieser
Molecüle gegeneinander. Die Bewegung der Bestandtheile ist aber (so
wenig wie die geradlinige) nicht bei allen Molecülen gleich gross. Nur
die mittlere lebendige Kraft dieser Bewegung bleibt bei ungeänderter
Temperatur gleich gross und im bestimmten Verhältnisse zur lebendigen
Kraft der geradlinigen Bewegung der Molecüle. In den einzelnen Mole-
cülen muss sie aber bald grösser, bald kleiner sein.
Wird nun die Temperatur erhöht, so steigt die lebendige Kraft bei-
der Bewegrnngen. Es kann daher kommen, dass die Steigerung der
inneren Bewegung bei jenen Molecülen, bei denen sie im Moment schon
sehr gross ist, so gross wird, dass sie zu einer vollständigen Trennung
der Bestandtheile A und B führt. Diese Trennung kann unmöglich alle
Molecüle zugleich ergreifen, sondern muss bei jenen zuerst eintreten, bei
denen die innere Bewegung grösser ist, als bei den übrigen. Diese ge«
trennten Bestandtheile, welche nun selbst freie Molecüle geworden sind,
folgen von nun an ebenfalls der geradlinigen Bewegung. Inzwischen
hat eine neue Anzahl bisher unzersetzter Molecüle jenes Minimum innerer
Bewegung erreicht, in Folge deren sie zerfallen. Dies wird in gleichen
Zeiten eine gleiche Anzahl treffen und die Menge der gespaltenen Mole-
cüle fortwährend vermehren. Diese aber werden sich zum Theil wieder
begegnen. Nicht alle sich begegnenden gespaltenen Molecüle können
sich wieder vereinigen, sondern nur solche, deren Bewegungszustände
derartig sind, dass aus diesen bei der Vereinigung zur ursprünglichen
Terbindung keine grössere Bewegung der Bestandtheile resultirt, als jene
ist, bei der sie sich trennen mussten. Bei einer bestimmten constanten
Temperatur muss folglich die Vermehrung der freien Theilmolecüle so
lange fortschreiten, bis die Zahl der sich binnen eines Zeitraumes wieder
M Comptes rendns Bd. 45 (1867), S. 857.
*) L. Pfaundler, Beitrag zur chemischen Statik. Pogg. Ann. Bd. 131, S. 60.
368 IL Thermochemie.
yeremigendeh Molecüle so gross geworden isi, als die Zahl der b de^
selben Zeit durch Spaltang entstandenen. Von diesem Zeitpimkte la
herrscht dann Gleichgewicht zwischen den Zersetznngen und Yerbiii-
dungen, so lange die Temperatur sich nicht ändert Steigt diese aber,
so muss die Anzahl der sich spaltenden Molecüle grösser, zugleich die
der sich wieder yereinigenden Molecüle zun&chst kleiner werden. Du
Gleichgewicht kann erst dann wieder hergestellt sein , wenn die AuiU
der im freien Zustande befindlichen Molecüle Ä und B so gross geworda
ist, dass sich wiederum ebenso viele verbinden, als sich zersetzen. Steigt
die Temperatur immer höher, so muss endlich ein Zeitpunkt kommen, vo
alle Molecüle sich zeraetzen, ohne sich wieder verbinden zu können. Im
diesem Momente endet die Periode der Dissociation mit dem Eintntte
der vollständigen Zersetzung.
Wird während der Dissociationsperiode in die Wand des Gel«
eine Oefifnung gemacht, oder sind die Wände porös, so werden sich d
diese hindurch sowohl unzersetzte als zersetzte Molecüle geradlinig fi
bewegen, da aber ihre Geschwindigkeiten sich verkehrt verhalten,
die Quadratwurzeln aus ihrer Masse (man sehe I, E, 2, S. 141), so wi
die gespaltenen Molecüle schneller difEundiren, als die ungespaltenen,
unter den ersteren die leichteren schneller, als die schwereren."
Hierdurch wird es erklärlich, dass man im Stande ist, selbst
einer Temperatur, die erheblich unter der Zersetzungstemperstur liegt^
Dissociation einer Verbindung zu Ende zu führen, wenn man den
ciationsproducten zu entweichen gestattet und somit die Bildung
Molecüle durch Zusammentritt der Spaltungsproducte unmöglich macl
Schon bei massiger Temperatur kann z. B. kohlensaurer Kalk,
durch die Hitze in Kalk und Kohlensäure dissociirt wird, fast vo
seiner Kohlensäure beraubt werden, wenn man durch den erhitzten
einen Luftstrom hindurchstreichen lässt, der die etwa losgerissenen K
lensänremolecüle mit sich fortführt. In einem abgeschlossenen
dagegen nimmt der Kalk bei allmählicher Abkühlung alle Kohlensäi
wieder auf, welche er bei der vorhergehenden Erhitzung ausgestossen
Es ist femer als eine wesentliche Bestätigung der angeful
P f a u n d 1 e r' sehen Theorie der Dissociation anzusehen, dass bei Mi
von Dampfdichten nach der Gay-Lussac' sehen Methode, bei der
Entweichen der Dissociationsproducte durch Diffusion nicht möglich i
auch in solchen Fällen, in denen eine partielle Zersetzung, also Disacd»
tion aus den mit der Theorie nicht übereinstimmenden Werthen dtf
Dampfdichte geschlossen werden kann, bei sehr lange fortgesetztem Cot*
stanterhalten der Temperatur ebenfalls constante Zahlen f&r die Danft
dichte erhalten werden ^); es ist dann eben ein Dissociationsgleichgewidl
eingetreten. * '
^) Hierdurch fällt besonders der Einwand, den SchrÖdervanderKolk in «einer »ekr
beachtenswerthen Abhandlung : Ueber die Deville'sche Dissociationstheorie. Pogg.Att«
C. Die Dissociationserscheinungen. 869
Hieraus erklären sich auch sehr einfach die Versuche von PehaH)
und Deyille, nach denen es durch DifiPasion möglich ist, auch bei unter'
der Zersetzungstemperatur gelegenen Hitzegraden die Dissociation auf
die gesammte im Gefasse zurückbleibende Masse auszudehnen, wenn man
die Wiedervereinigung der Dissociationsproducte unmöglich macht.
Auf andere hierhergehörige Thatsachen hat schon vor längerer Zeit
Berthollet aufmerksam gemacht, indem er darauf hinwies, dass bei
chemischen Processen vorherrschend jene Reactionen stattfinden, welche
mit Bildung eines Niederschlages oder Austreibung eines Gases verbun-
den sind, d. h. solche Reactionen, in welchen ein Product sich der Ein-
wirkung der übrigen Molecüle entzieht^).
Aus all dem vorher Angeführten geht hervor, dass das YerhältniBS
der durch Dissociation getrennten Molecüle zur Gesammtzahl der ur-
sprünglich vorhandenen Molecüle bei irgend einer Temperatur genau
gleich dem Verhältnisse sein muss, welches angiebt, welcher Bruchtheil
der Anzahl sämmtlicher Molecüle grössere Geschwindigkeiten besitzt,
als die der Zersetzungstemperatur entsprechende mittlere Molecularge-
schwindigkeit. Streng genommen kann man daher, da nach dem Max-
well'schen Geschwindigkeitsgesetze bei jeder Temperatur alle Geschwin-
digkeiten möglich sind, von einer Temperatur des Beginnens der Zer-
setzung und der Vollendung derselben gar nicht reden, wohl aber wird
dies wohl insofern zulässig sein, als die Anzahl Molecüle, welche eine
bestimmte Geschwindigkeit besitzen, äusserst rasch abnimmt, sobald als
sich diese Geschwindigkeit wesentlich von der mittleren Geschwindigkeit
entfernt, welche der herrschenden Temperatur entspricht.
Bezeichnet man z. B. die Zersetzungstemperatur vom absoluten Null-
punkte aus gemessen mit T und die denselben entsprechende mittlere
Moleculargeschwindigkeit mit F, so ist bekanntlich:
wenn T die absolute Temperatur des Gases und Q die Dichte, die der
Luft unter gleichen Verhältnissen gleich 1 gesetzt, bedeutet.
Nach dem Maxwell 'sehen Gesetze (Bd. 2, I, G, 9, S. 68) ist nun die
Anzahl der Molecüle, deren Geschwindigkeit zwischen v und dv liegt, gleich :
N . 77= , v^ . e "* . dv^
Bd. 129, S. 481 bis 508 gegen die Dissociationstheorie erhoben hat; er sagt nämlich
(S. 505 Z. 15 v.u.): ,,Zwar meint der Verfasser (Deville), die Zerlegung sei in diesem
Falle nur partiell; wenn sie aber partiell stattfindet, muss sie auch total sein können,
'sobtild die Zersetzung, wie bei Deville der Fall ist, nur als Function der Temperatur
betrachtet wird."
*) Ann. d. Chim. u. Pharm. 1862. Bd. 123, S. 199.
^) Man sehe L. Pfaundler^s geistvolle Abhandlung: Der „Kampf um's Dasein**
unter den Molecülcn; ein weiterer Beitrag zur chemischen Statik. Pogg. Ann. Jubel"
band, S. 182 bis 198.
Yerdet-Bahlmann, Mechan. Wftrmetheorie. Bd. 2. ^*
370 II. Thennochemie.
wenn N die Anzahl Molecüle in der Volameneinfaeit and
ist, wobei T' die Temperatur des Gases und p' seine auf Luft als Ein-
heit bezogene Dichte, also seine Dampfdichte ist.
Von N Molecülen eines Gases sind daher bei einer Temperatur T
eine Anzahl von:
00
-7=— ' l v^ . e ' . dv
1)
Molecülen bereits dissociirt, wenn V die der Zersetzungstemperatur T
entsprechende Geschwindigkeit der fortschreitenden Molecularbewegung ist
Diese Integration lässt sich leicht ausführen ^) ; wir wollen jedo<^
von einer weiteren Verfolgung der Theorie absehen und nur anführen,
dass dieselbe zu dem Resultate führt, dass die Anzahl der für eine Tem-
peraturznnahme von einem Grad zersetzten Molecüle bis zur Temperatur
der halbvollendeten Zersetzung fortwährend zu und von da ab bei wö-
terer Temperatursteigerung wieder abnimmt. Jedoch ist selbstverstäDd^
lieh hierbei vorausgesetzt, dass die Temperatur so langsam sich äDdei^
dass fortwährend das Dissociationsgleichgewicht eintreten kann, und 6m
dürfte, wie die nachfolgenden Beobachtungsresultate zumTheil zu zeig«
scheinen, unter Umständen vielleicht eine ziemlich lange Zeit in Ansprnek
nehmen.
Auf eine Mittheilung und Besprechung der von A. Horstmann
aufgestellten Theorie der Dissociationserscheinungen (II, C, 7) wei
wir erst eingehen, wenn über die wichtigsten Beobachtungsresuliate fi
Dissooiation referirt worden ist und wir die L. Pfaundler 'sehe Th«
der Wechselzersetzungen (II, C, 6) berichtet haben. Die bis jetzt m
getheilte Auffassung des Dissociationsproblemes im Sinne der kinetiscl
Moleculartheorie wird zum Verständniss der weitaus meisten hierher
hörigen Erscheinungen vorläufig ausreichen.
2. Versuche über Dissociation grasförmiger Substanzen.
Zerfallt eine Verbindung in n Molecüle, so wird, da im AUgemeiaa
gleichviel Molecüle unter gleichen Verhältnissen gleiche Volumina eui-
nehmen, eine Verbindung in dem Maasse, als sie sich zersetzt, ihr Vola-
men vermehren. Die Dampfdichte einer sich zersetzenden Verbindnig
nimmt demnach mit fortschreitender Dissociation ab.
r2
^) Die Aufgabe lässt sich durch die Substitution — ^ = | auf die Bestimmung «mtI
unvollständigen Gammatunction zurückführen, deren Werth man nach Schlömilck,
Compendium Bd. 2 (1. Auflage), S. 266 ermitteln kann.
^) A. Horstmann, Theorie der Dissociation, Liebig's Annalen Bd. 170, S. 192bis210»
C. Die Dissociationserscheinungen. 371
Wäre D die Dampfdichte der ursprünglichen Verbindung , so ist,
wenn ein Molecül bei der Dissociation in n Molecüle zerfällt, die Dampf-
dichte nach beendeter Zersetzung gleich ^- Sind aber vor Beginn der
ti
Dissociation N unzersetzte Molecüle vorhanden gewesen und sind x der-
selben bei der Temperatur T' zersetzt, so sind nunmehr im Ganzen:
N — X ^ n . X oder N -{- (n — 1) . a? Molecüle vorhanden. In dem-
selben Verhältnisse, als' die Molecülzahl zugenommen, ist das Volumen
unter sonst gleichen Umständen gewachsen, und im umgekehrten Ver-
hältnisse hat die Dichte demnach abgenommen.
Bezeichnet man die Dampfdichte, welche beobachtet wird, wenn
X Molecüle zersetzt sind, mit d, so gilt die Proportion:
D : d= {N -}- (n— 1) .x] : N,
und aus dieser folgt:
{D-d).N
(n-l).d'
Die Anzahl p der zersetzten Molecüle in Procenten ergiebt sich hiei^
ans, wenn mAn JV = 100 und x = p setzt, und dies giebt:
(D-^d). 100
^ (n — 1) . (f ^
A. Naumann hat diese Formel benutzt, um bei einigen Verbindun-
gen, über welche Di ssociations versuche vorliegen, den Dissociationsgrad
zu berechnen, und hat damit die Richtigkeit der oben entwickelten theo-
retischen Auseinandersetzungen über Dissociation darzuthun versucht.
Die Chemiker meinen Grund zu haben annehmen zu dürfen, dass
Untersalpetersäuregas bei niedrigen Temperaturen nach der Formel Ng O4
zusammengesetzt sei, dass dieselbe aber schon bei massigen Hitzegraden
in zwei Molecüle dissociirt werde, ^). Hiernach wäre für die Dissociation
der N2O4 in NO2 + NO^:
2.14 + 4.16^ ^^^
28,87
Nach einer Untersuchung von De vi He und Troost^) liegen für d
folgende Beobachtungen vor:
^) Auf eine genauere Untersuchung dieser etwas schwierigen Frage brauchen wir
uns hier um so weniger einzulassen, als es für den vorliegenden Zweck gar nicht auf
die Conntitution , sondern lediglich auf die unzweifelhailte Thatsache ankommt, dass bei
der Dissociation jedes Molecül in zwei gespalten wird. Man sehe auch Naumann:
Thermochemie, Braunschweig, Fr. Vieweff u. Sohn 1869, S. 63.
''') Comptes rendus Bd. 64, S. 237,
24*
372
IL Thermochemie.
Dissociation der Na04 in NOj + NO^
Temperatur
Beobachtete Dampf-
dichte
d
'
Anzahl p d. zersetzten
Molecüle in Pro-
centen*), berechnet
nach 2)
Zuwachs d. Zersetzu;
für 1® Tempentnr-
erhohung in Procenta
dp
dt
26,7
35,4
39,8
49,6
60,2
70,0
80,6
90,0
100,1
111,3
121,5
135,0
154,0
183,2
2,65
2,53
2,46
2,27
2,08
1,92
1,80
1,72
1,68
1,65
1,62
1,60
1,58
1,57
20,0
25,7
29,2
40,0
52,8
65,6
76,6
84,8
89,2
92,7
96,2
98,7
0,7
0,8
1,1
1,2
1,3
1,0
0,9
0,4
0,3
0,3
0,2
Die Zersetzungstemperatur, d. h. die Temperatur der halbvoUendeUi
Zersetzung liegt demnach ungefähr bei 58^, während die BeobachtoBgci
darauf hinweisen, dass die Dissociation bei — 10^ merklich beginnt ool
bei 150^ in der Hauptsache beendet ist.
dp
Man erkennt sofort, dass sowohl p als auch — ganz in der Weisl
verläuft, wie wir dies gemäss den im vorigen Capitel dargelegten tbei'
retischen Anschauungen von der Dissociation erwarten mussten. Jm
kleinen Abweichungen sind ans den unvermeidlichen BeobachtungsfehkiV
erklärlich, da die Dampfdichtebestimmungen nach der Dumas^sckfl*
Methode angestellt worden sind, also nach einer Methode, welche selM
in der Hand des geschicktesten Experimentators nicht ganz einwuifrj
frei ist. I
Nicht ganz so regelmässig verlaufen die Zahlen, welche Würtz^
für die Dissociation des Bromwasserstoffamylens erhalten hat. DerDinfl
^) Die Zahlen sind von Naumann, Thermochemie S. 63, entlehnt.
^) Die hier mitgetheilten Zahlen sind A.Naumann, Thermochemie S. 65, eDtlehxL
Die Originalbeobachtung findet sich: Coraptes i*endu8 Bd. 62, S. 1182.
G. Die Dissociationserscheinungen.
373
dieser Flüssigkeit zerfallt, wenn er erheblich über seinen Siedepunkt er-
hitzt wird, in Amylen und Brom Wasserstoff. Die theoretische Dampf-
dichte der Substanz ist, entsprechend der Formel C5H10 . H6r, gleich
5,22, die Dampfdichte nach beendeter Dissociation , da jedes Molecül in
zwei gespalten wird, also n = 2 ist, gleich 2,61.
Dissociation des Bromwasserstoffamylens.
Beobachtete Dampf-
Anzahl der zersetzten
Temperatur
dichte
Molecüle in Procenten
d
P
152,0'» C.
5,37
155,8
5,18
160,5
5,32
165,0
5,14
1,6
171,2
5,16
173,1
5,18
183,3
5,15
1,4
186,5
5,12
2,0
193,2
4,84
7,9
195,5
4,66
12,0
205,2
4,39
18}9
215,0
4,12
26,7
225,0
1
4,69)
3,68^'^«
•
236,5
3,83'
36,3
248,0
3,30
58,2
262,5
3,09
68,9
272,0
3,11
295,0
3,19
305,3
3,19
314,0
2,98
75,1
319,2
2,88
81,2
360,0
2,61
100,0
Die Zersetzungstemperatur scheint bei 244® zu liegen, bei 160<>
merklich zu beginnen und bei 360^ beendet zu sein. Besonders anstössig
erscheint die Doppelbeobachtung bei 225^.
Mit besonderer Sorgfalt hat L. Carius ^) die Dissociation der Sal-
^) L. Carius, üebcr die Zersetzung der Salpetersäure in der Wärme. Liebig'a
Annalen Bd. 169, S. 273 bis 344.
374
IL Thermochemie.
petersäure untersucht. Die Versuche waren hesonders schwierig and die
Dampfdichten mussten nach einer ganz besonderen, im Original nachzu-
sehenden Methode gemessen werden, weil in diesem Falle Quecksilber
nicht als Sperrflüssigkeit verwendet werden konnte. Die Versuche ergaben
folgende Resultate:
Beobachtete Dampf-
Anzahl der zersetzten
Temperatur
dichte
Molecüle in Procenten
d
P
86« C.
2,05
9,5
100
2,02
11,8
130
. 1,92
18,8
160
1,79
29,0
190
1,59
49,3
220
1,42
72,1
250
1,29
93,0
260
1,25
100,0
312
1,25
100,0
Die Anzahl der zersetzten Molecüle in Procenten ist unter der Af
nähme berechnet, dass die Zersetzung nach der Formel:
2NHO3 = N2O4 + H2O + 0
von statten gehe. Hierbei ist natürlich auf die weitere Dissociation dtt^
Molecüle N2O4 unter Benutzung der Na u man naschen Zahlen Rücksicht
genommen. Die Zersetzuugstemperatur der Salpetersäure scheint die^o
Versuchen nach ungefähr bei 195^ zu liegen.
Ausserdem liegen Dissociationsversuche über eine grössere Zahl Ton
Verbindungen in Dampfform vor, auf die wir hier nicht näher eingeben
wollen 1).
Auch zeigen noch eine grössere Zahl von Substanzen Dampfdichteo,
welche nicht mit den theoretisch berechneten übereinstimmen, und welche
sich durch vollständige oder theil weise Dissociation durch Hitze erkläret
lassen. Es gehört hierher : N H4 Cl, N H4 J, N H4 Br und N H4 Cy , welclie
in N H3 und H Cl rosp. II J, II Br, H Cy dissociirt werden. Ebenso zerfllH
PH4Br und PH4CI in PH3 und HBr respective in PHs und Ha
Schwefelammonium, 2NH4 . S, zerfällt in 2NH3 und H^S, Ammoninm-
sulf hydrat, N H5 S, zerfällt in N H3 und Hg S, Carbamat des Ammoniun»,
CN2H6O2, in 2NH3 und CO2. Antimonchlorid, SbCls, wird, wie schoii
1) A. Naumann theilt noch Zahlen mit f ür Jodwasscrstoffamylen, PhosphorcUorid,
Schwefelßäurehydrat. Thermochemie S. 64 etc.
C. Die Dissociationserscheiuungen. 375
lange bekannt ist, in SbCl^ und CLj dissociirt, Phosphorbromid analog
in PbBr nnd Br^. Bromsäure dissociirt beim Erwärmen in Brom und
Sauerstoff^).
Bei sehr hohen Temperaturen ist eine Dissociation noch fiir einige
sehr stabile Verbindungen nachgewiesen worden. Deville hat z. B.
beobachtet, dass Kohlensäure bei sehr hohen Hitzegraden in Eohlenoxyd
und Sauerstoff gespalten werden kann. Ferner gehört hierher wahrschein-
lich der bekannte Versuch von Grove, welcher nachgewiesen hat, dass
durch Einbringung weissglühenden, resp. geschmolzenen Platins in Wasser
immer etwas Wasser in Knallgas zerlegt wird. Umfassende Versuche
von Deville haben späterhin die Richtigkeit dieser Beobachtung und
den Umfang der Zersetzung constatirt. Wir kennen demnach eine ge-
wisse Zahl von Substanzen, welche ganz in Uebereinstimmung damit,
dass die mechanische Wärmetheorie eine mit zunehmender Temperatur
steigende Disgregation fordert, bei fortschreitender Erwärmung ein Zer-
fallen in die Elemente oder in einfachere Molecülgruppen zeigen. Sieht
man aber einmal als erwiesen an, dass mit höheren Hitzegraden die nor-
malen Molecüle in einfachere zerfallen, so liegt es auch nahe, rückwärts
manche der zu grossen Dampfdichten, welche in nur schwach überhitzten
Dampfen beobachtet werden, dadurch zu erklären zu versuchen, dass
einzelne der normalen Molecüle mit mehreren gleichartigen zusammen-
gesetzte Molecülcomplexe bilden. Auch hier wird es für jede längere Zeit
hindurch constant erhaltene Temperatur ein gewisses Dissociationsgleich-
gewicht geben, d. h. es wird für jede bestimmte Temperatur eine be-
itimmte Verhältnisszahl p der zusammengesetzten und normalen Molecüle
geben; ist dieses Verhältniss 2> erreicht, so wird die Zahl der sich aufs
Neue zusammensetzenden und der zerfallenden Molecülgruppen in jedem
Zeiträume gleich gross sein.
Welche Erklärung der abnormen oder mit der Theorie nur ange-
nähert übereinstimmenden Dampfdichten vorzuziehen ist, die hier gegebene,
oder die früher mitgetheilte, dass die mittlere Moleculardistanz in Folge noch
wirksamer Anziehungskräfte kleiner sei, als sie bei einem vollkommenen
Gase unter sonst gleichen Verhältnissen sein würde, wird nur in manchen
Fällen durch Versuche entschieden werden können.
Schwefel, Phosphor, Arsen zeigen im dampfibrmigen Zustande grössere
Dichten, als man theoretisch erwarten sollte ^). Schwefeldampf z. B. zeigt
in der Nähe des Siedepunktes eine dreimal so grosse Dampfdichte, als
man theoretisch zu erwarten hat, wenn man sein Moleculargewicht durch
28,87 dividirt. Bei steigender Temperatur nimmt die Dampfdichte ab
und erreicht zwischen 900^ und 1000^ den normalen Werth. Hier dürfte
*) In seiDem Lehrbuche: Allgemeine und physikalische Chemie (Heidelberg 1877)
S. 235 u. 236 luhrt A. Naumann noch mehrere in Dampfform sich zersetzende Ver-
bindnngen an.
^) In diesen Abschnitten ist vorzugsweise A. Naumann, Thermochemie, benutzt
worden.
376
II. Thermochemie.
es also wohl kaam zweifelhaft sein, dass hei niedrigen Temperaturen das
Molecül des Sohwefeldampfes aus drei normalen Molecülen besteht und
dass mit steigender Temperatur eine Bissociation dieser complicirten Mo-
lecüle stattfindet. Aus ähnlichen Gründen schliesst man auch, dass die
Molecüle des Phosphor- und Arsendampfes selbst bei hohen Temperaturen
aus Tier Atomen bestehen.
8. Dissociation flüssiger und fester Körper.
Obgleich wir uns im Vorhergehenden vorzugsweise darauf beschränkt
haben , die Dissociation gasförmiger Körper zu eröi-tem , so haben wir
Substanzen, welche sich in anderen Aggregatzuständen befinden, nicbi
principiell ausgeschlossen. Es ist auch ohne Weiteres ersichtlich, dioB
dem Gebrauche der beim gasförmigen Znstande angewendeten Betncli-
tungsweise auch bei anderen Aggregatzuständeo kein Hinderniss im Wege
steht.
Schon früher (Bd. 2, I, C, 4, S. 39) haben wir darauf aufmerksui
gemacht, dass wir auch bei festen und flüssigen Körpern die Existeoi
von Molecularbewegungen anzunehmen genöthigt sind, deren mittlf
kinetische Energie gleich der Temperatur derselben ist. Auch bei solch«]
Substanzen, deren Molecularbewegungen wesentlich von den in den Gasoi
und Dämpfen angenommenen verschieden sein müssen, sind wir ge*
nöthigt anzunehmen, dass die Geschwindigkeit der Bewegung bei vo-
schiedenen Molecülen äusserst verschieden sein kann. Es liegt nahe, aodi i
hier eine Vertheilung der Geschwindigkeiten nach dem Maxwreirschei
Gesetze vorauszusetzen, da dieses Gesetz von der Art der Bewegung
unabhängig ist und bei den Gasen so vortreffliche Uebereinatimmimg
mit den Erfahrungsresultaten ergeben hat. Auch bei festen Körpern ondj
Flüssigkeiten wird, abgesehen von ihrem Bestreben, bei zunehmendffi
Temperatur in einen Aggregatzustand mit grösserer Disgregaüon über-,
zugehen, eine Neigung bei höheren Wärmegraden, also bei zunehmender
Molecularbewegung, zu dissociiren, im Voraus sehr wahrscheinlich erscb»*;
nen. Die wenigen Beobachtungsthatsachen , welche in dieser Beziehung
vorliegen, sprechen in der That unzweifelhaft für die Richtigkeit dieses
Analogieschlusses.
Jedoch braucht es nicht aufzufallen, dass hier die Zahl der Beispida
geringer ist, da möglicher und wahrscheinlicher Weise die Moleeular*
bewegungen im festen und flüssigen Aggregatzustande derart beschaffen
sind, dass selten grosse und rasche Geschwindigkeitsänderungen vor^
kommen, wie dieselben bei den so häufigen Zusammenstössen der aick
geradlinig fortbewegenden Molecüle der Gase nothwendig anftretai
müssen.
Aus Gründen, ähnlich denen, welche Gl ausius bestimmten, bei Gasen
anzunehmen, dass die kinetische Energie der fortschreitenden Bewegung
C. Die Dissociationserscheinungen. 377
nnd die kinStische Energie der relativen Bewegungen der Molecüle nm
ihren Schwerpunkt und die intramolecularen Bewegungen bei jeder Tem-
peratur in constantem Verhältnisse stehen, werden wir auch bei flüssigen
und selbst bei festen Körpern ein ähnliches constantes Yerhältniss der
Theile der innered kinetischen Energie für jede Temperatur anzunehmen
berechtigt sein. Diese Annahme schliesst jedoch auch hier nicht aus, dass,
wenn die Mittel werthe der Geschwindigkeiten der einzelnen Bewegungs-
arten auf diese Weise für jede Temperatur bestimmt sind, die Geschwin-
digkeiten der einzelnen Molecüle zwischen sehr weiten Grenzen verschie-
den sein können. Unzweifelhaft wird es dann auch für jede dissociations-
f^hige Flüssigkeit oder jeden festen Körper, der dissociirbar ist, eine ge-
wisse untere Temperatur grenze geben, oberhalb welcher eine merkliche
Anzahl von Molecülen individuelle Geschwindigkeiten besitzt, bei denen
diese Molecüle nicht mehr bestehen bleiben, sondern in Theile zerfallen
müssen.
Ein Unterschied zwischen der Dissociation gasförmiger Substanzen in
gasförmige Bestandtheile und der Dissociation fester und flüssiger Körper
wird jedocb dann im Voraus erwartet werden müssen, wenn die Producte
der Zersetzung unter sich oder im Vergleich mit dem zersetzten Körper
verschiedene Aggregatzubtände annehmen. Die Zahl der gegenseitigen
Zusammenstösse zersetzter Molecüle unter den zur Rückbildung geeig-
neten Umständen kann dadurch so wesentlich vermindert werden, dass
ein Dissociation Sgieichgewicht nur erst nach äusserst langer Zeit oder
auch gar nicht zu Stande kommt. Auch kann ein Theil des aus der
chemischen Verbindung dissociirten Gases noch durch Molecularanziehung
von der Flüssigkeit oder dem festen Körper absorbirt werden und da-
durch der regelmässige Verlauf der Dissociation beeinträchtigt werden.
Für den tropfbaren Aggregatzustand führt A. Naumann^) die
flüssige Untersalpetersäure als Beispiel an. Allerdings ist es nach den
Versuchsergebnissen über die gasförmige Untersalpetersäure von der For-
mel N) O4 sehr wahrscheinlich , dass in sogenanntem Untersalpetersäure-
gaa schon bei massigen Temperaturen eine nicht unerhebliche Anzahl von
Molecülen von der Gestalt NOs vorhanden ist. Bekanntlich ist das Gas
N9O4 farblos, dagegen NO3 gefärbt. Während nun in der Nähe des Siede-
punktes bei Atmosphärendruck, d. i. ungefähr bei 27^, die Flüssigkeit
merklich gefärbt ist, so nimmt in dem Maasse, als nach Analogie mit
der Dissociation des Gases, mit Abnahme der Temperatur die Möglichkeit
f&r das Bestehen der Molecüle NO3 vermindert wird, auch die Färbung
der Flüssigkeit ab. Die Flüssigkeit wird zuletzt farblos und erstarrt
schliesslich zu farblosen Kry stallen, während andererseits beim Erwärmen
der in Glasgefässen eingeschlossenen Flüssigkeit die gelbe Farbe mit
wachsender Temperatur in Braun und schliesslich in Schwarz Übergeht,
') Nanmann, Thermochemie^ S. 76.
378
II. Thermochemie.
Es scheint, also, als ob auch in der Flüssigkeit mit abnehmender Tem-
peratur die Zahl der dissociirten Molecüle geringer wurde.
Von A.Michaelis^) ist femer die fortschreitende Zersetzung einiger
Chloride des Schwefels mit zunehmender Temperatur untersucht worden.
Auf — 22<^ abgekühlter Chlorschwefel Sj Cl^ absorbirt so viel trockenei
Chlorgas, dass eine Flüssigkeit entsteht, welche nach der Formel SC1|
zusammengesetzt ist. Beim Erwärmen dieser Yerbinduug entwickelt
sich grosse Mengen von Chlor und die zurückbleibende Flüssigkeit Eeigl
alle Eigenthümlichkeiten der Dissociationserscheinungen.
Dissociation des Yierfach-Chlorschwefels.
Gehalt
der Flüssigkeit an
Temperatur
SCI4
■
SOj
— 22» C.
100,0
%
0,0 %
— 15
42,0
58,0
— 10
27,6
72,4
— 7
22,0
78,0
— 2
11,9
88,1
+ 0,7
8,9
91,1
+ 6,2
^^4
97,6
Nicht ganz so regelmässig verläuft die Zersetzung des Zwei!
Chlorschwefels SCI2, welche nach der Formel:
" 2SI2 rrrSjClj + 2 Cl
vor sich geht. Die Zersetzung scheint bei 10^ zu beginnen and zwisc]
85*^ und 90^ halbvollendet zu sein. Bei der' Zersetzungstemperat ar Z4
jedoch die Dissociationscurve einen Sprung, dessen Ursache noch ni<
aufgeklärt ist. Bei 130<^ ist die Zersetzung beendet.
1) Michaelis, Ueher die Chloride und Oxvchloride des Schwefels, LielofV
Annalen Bd. 170, S. 1 bis 42.
C. Die Dissociationserscheinungen.
DisBOciatioD des Zweifacb-Cfalorschwefels.
379
Gehalt an
Temperatur
SCI2
S2CI2
+ 20
+ 30
+ 50
-f 65
-1- 85
+ 90
+ 100
+ 110
-h 120
+ 130
93,5
87,2
75,4
66,8
54,1
26,8
19,5
12,4
5,4
0,0
6,6
12,8
24,6
33,2
45,9
73,5
80,5
87,6
94,6
100,0
Ferner macht Thomsen^) darauf anfmerksam, dass die sehr geringe
Affinität des Broms zum Sauerstoff {(Br3,05,Aq) = — 43525) zur Folge
tut, dass man Bromsäare nicht im Wasserbade concentriren könne, ohne
sine Dissociation derselben einzuleiten, während dies bei Chlorsäure
j(Cl2,0ä,Aq) = — 20480} nicht stattfindet.
Es lassen sich jedoch leicht noch eine grössere Zahl anderer Bei-
qiiele anführen. Die Thatsache, dass eine Anzahl leicht zersetzbarer
Hfissigkeiten dadurch zersetzt werden können, dass man mit Hülfe eines
Undurch geleiteten indifferenten Gases ein gasförmiges Zcrsetzungspro-
Inct mechanisch entfernt, spricht dafür, dass auch in vielen Flüssigkeiten
bei Temperaturen, welche noch ziemlich erheblich von der Zersetzungs-
bmperatur entfernt sind, bereits einzelne Molecüle zersetzt sind. Besteht
bei einer jgewissen Temperatur ein Dissociationsgleichge wicht, d. h. ist
kei dieser Temperatur jederzeit der wte Theil der Molecüle zersetzt und
man entfernt die eine Art der getrennten Molecüle, so wird damit das
Dissociation Sgieichgewicht gestört. Es können sich nicht mehr in der-
lelben Zeit ebenso viele Molecüle neu bilden, als zersetzt werden, und es
«rerden ans der Anzahl der unzersetzten Molecüle so lange neue gespalten,
bis dieser Bruchtheil wieder hergestellt ist. Dies zeigt sich sehr deut-
fich, wenn man z. B. durch eine Lösung von sauren kohlensauren Salzen
des Calciums und Bariums ein indifferentes Gas strömen lässt'). Dieses
nimmt die Kohlensäure bereits dissociirter Molecüle mit fort und die
Beutralen Salze werden aus der Lösung ausgefallt und damit noch mehr
M Thomsen, Jonrn. f. prakt. Chemie. Neue Folge. Bd. 11, S. 147.
^ Gernez, Compt. rend. (1867), Bd. 64, S. 606.
880
II. Thermochemie.
die Einwirkung etwa in der Flüssigkeit noch aufgelöster Kohlensäure-
molecüle entzogen. Ebenso giebt eine Lösung von sauren kohlenBaureD
Salzen des Kaliums oder I^atriums beim Durchleiten eines Luft-, Saaer
Stoff-, Stickstoff- oder Wasserstoffstromes Kohlensäure ab und es bleibt
einfach kohlensaures Salz in der Lösung zurück, wie dies schon Gustay
Magnus 1) und später Marchand ^) zeigten.
In gleicher Weise wird man auch die Thatsache auslegen dürfeu,
dass die Sulfhydrate der Alkalien unter dem Einflüsse eines Stromes eines
indifferenten Gases Schwefelwasserstoff abgeben, sowie dass geschmol-
zenes salpetersaures Magnesium bei gleicher Behandlung einen Thal
seiner Salpetersäure abgiebt.
Ein gleiches Verhalten ist ferner von Dibbits ') an wässerigen Lö-
sungen von Chlorammonium, salpetersaurem Ammonium, schwefelsaurem
Ammonium, oxalsaurem Ammonium, essigsaurem Ammonium beobachtet
worden. Wurden durch möglichst neutral hergestellte, ziemlich coneea-
trirte Lösungen dieser Salze Luft oder Wasserstoff geleitet und d«
durchgeleitete Gas in einer Vorlage aufgefangen, so zeigte sich echoii
nach verhältnissmässig kurzer Zeit die Anwesenheit von Ammoniak in dem
durchgeleiteten Gase an einer merklichen Bläuung eines Streifens ro'
Lackmuspapieres. Besonders interessant ist es, die Annahme, dass auch
eine Dissociation vorliege, dadurch bestätigt zu finden, dass die Mengen
fortgeführten Ammoniaks mit wachsender Temperatur rasch zunehmen.
Es zeigt dies sofort folgende Tabelle:
Zeitdauer bis zum Anfange der Verfärbung des Lackmuspapieres in di
Vorlage.
Temperatur
Chlor-
1 —
Salpetersaures
Schwefelsaures
Oxal saures
Essigsaure!
der Lösung
ammonium
Ammonium
Ammonium
Ammonium
AnunooisB
oo
20 Min.
15 Mio.
15 Min.
10 Min.
10 Min.
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sofort.
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y G. Magnus (1837), Pogg. Ann. Bd. 40, S. 590.
^ R. F. Marchand, Joum. f. prakt. Chemie, Bd. 35, S. 389 (1845).
^) Ueber die Dissociation der Ammoniumsalze in wtUseriger Losung. Pogg. Abb.
Bd. 150, S. 260.
C. Die Dissociationserscheinungen. 381
Also schon bei 0^' befinden sich alle diese Ammoniumsalze im Zn-
stande theil weiser Zersetzung.
All die vorgenannten Lösungen zersetzen sich übrigens in derselben
Weise auch durch blosses Stehenlassen an der Luft in unbedeckten Ge-
lassen, jedoch geht hier die Zerlegung viel langsamer vor sich, weil die
flüchtigen Dissociationsproducte nur von der Oberfläche durch Difiusion
in die Atmosphäre fortgeführt werden.
Dibbits hat auch sehr geschickt den Dissociationsgrad dieser Lö-
sungen bei 100^ bestimmt. Das Verfahren möge man in der Original-
arbeit nachsehen ^). Es ergab sich, dass die von der Concentration
unabhängige Anzahl der zersetzten Molecüle bei 100^ mindestens sein
müsste för:
Chlorammonium .... 0,06 Procent
Salpetersaures Ammonium 0,07 „
Schwefelsaures Ammonium 1,1 „
Oxalsaures Ammonium . . 6,7 „
Essigsaures Ammonium . 7,3 „
Ein anderes schönes Beispiel von Dissociation einer Flüssigkeit beim
Erwärmen und von Wiedervereinigung der gespaltenen Moleküle beim
Abkühlen bietet eine schwachsaure Cyaninlösung ^) dar. Die Flüssigkeit
ist bei Zimmertemperatur vollkommen farblos, beim Erhitzen jedoch wird
dieselbe durch Zerfall in Säure und Cyanin prachtvoll blau. Beim Er-
kalten nimmt jedoch die Intensität der Färbung wieder ab und die Flüs-
sigkeit vnrd wieder farblos.
Wahrscheinlicher Weise kann die Verdunstung fester und flüssiger
Körper ebenfalls als eine Dissociation complicirterer Molecülgruppen in
einfachere angesehen werden.
Festes carbaminsaures Ammonium zerfällt nach A. Naumann's Ver-
suchen beim Erhitzen im Vacuum in zwei gasförmige Bestandtheile, in zwei
Molecüle, H3 N, und ein Molecül, 0 O3 '). Unzersetzt scheint diese Substanz
gar nicht flüchtig zu sein. Den Zersetzungsproducten des Ammonium-
carbamates kommt eine für jede Temperatur constante, wenn auch mei-
sientheils erst nach langer Zeit erreichte Dissociationsspannung zu. Ist
dieses Dissociationsgleichge wicht hergestellt, so werden in jedem Zeit-
abschnitte immer ebenso viele Molecüle des carbaminsauren Ammoniums
zerlegt, als sich aus den Zersetzungsproducten zurückbilden. Die Disso-
ciationsspannungen dieser Substanzen zeigen übrigens, als Function der
1) Pogg. Ann. Bd. 150, S. 284 bis 294.
^) Schönbein, Ber. d. Deutsch, ehem. Gesellsch. 1873, Jahrg. 6. S. 1520. Andere
Beispiele von Dissociation von Flüssigkeiten theilt A. Naumann, Allgemeine and phy-
sikalische Chemie 1877, S. 545 etc. mit; dieselben scheinen uns jedoch nicht charak-
teristisch genug, um hier Aufnahme finden zu können.
^) Die Dampfdichtenbestimmungen entsprechen immer genau der Formel 2 Hs N -|- C O^.
Man sehe: Ann. der Chemie u. Pharmacie, Bd. 160, S. 1 bis 29, und A. Naumann,
Allgemeine und physikalische Chemie (1877), S. 384 u. s. f.
382 II. Thermochemie.
Temperatur dargestellt, einen äusserst regelmässigen Verlauf. Beim Ab-
kühlen tritt eine vollständige Wiedervereinigung der getrennten Bestand-
theile ein , jedoch hedarf es meist einer ungemein langen Zeit (oft meh-
rerer Tage), his dieselbe durchaus vollzogen war. Wahrscheinlich bat
dies seinen Grund darin, dass das Zusammentreffen von zwei Molecäko
H3 N und einem Molecüle G O2 unter so günstigen Umständen , dass dit
Zusammenlagerung dieser drei Molecüle zur Bildung eines Molecüles der
ursprünglichen Substanz eintreten kann, nur selten stattfindet.
Es entspricht der Erklärung der Dissociationserscheinnngen aus der
kinetischen Molecnlartheorie vollkommen, dass der Znstand des GemiEchei
sich um so langsamer dem Dissociationsgleichgewichte nähert, je weniger
er noch von demselben verschieden ist und dass dieser Ausgleich ba
höheren Temperaturen (bei rascheren Molecularbewegungen) etwas rascber
geschieht, als bei niederen.
Auch bei einer Anzahl fester Körper , welche ein flilchtiges und a£
festes Zersetzungsproduct ergeben , sind den soeben beschriebenen gni
ähnliche Dissociationserscheinungen beobachtet worden. Am bekanntest^
dürfte die Dissociation des kohlensauren Kalkes sein.
Debray ') erhitzte kohlensauren Kalk in einem Yacunm, und
zeigte sich, dass eine Spaltung der Kalkspathmolecüle eintrat, welche
860^ C. so lange fortging, bis die Spannung der Kohlensäure unge
einer Quecksilbersäule von 85 mm das Gleichgewicht hielt. Wurde
Kohlensäure entfernt oder das Volumen vergrössert, so trat eine n
Versetzung ein, bis der Druck der Kohlensäure wiederum 85 mm errei
hatte. Bei 1040^ trat erst Dissociationsgleichgewicht ein, wenn
Druck der Kohlensäure 510 bis 520 mm betrug. Liess man die
langsam wieder abkühlen, so wurde die gesammte Kohlensäure wieder
absorbirt.
Es zeigte sich also auch hier, dass bei wachsender Temperatur dil|
Zersetzung eine immer grössere Zahl von Molecülen ergriff, und es erkläHl
sich dies aus der Theorie der Dissociation leicht dadurch, dass bei znn^
mender Temperatur eine immer grössere Anzahl von Molecülen Geschwia*
digkeiten annimmt, welche grösser sind, als die der Zersetzungstempe»
ratur entsprechende mittlere Geschwindigkeit.
Das Dissociationsgleichgewicht tritt ein, wenn der Druck so hock
gestiegen ist, dass in gleicher Zeit so viele Kohlensäuremolecüle du
Calciumoxyd treffen und von diesem festgehalten werden, als neue Mole»
cüle kohlensauren Kalkes zerlegt werden.
Entfernte man die entwickelte Kohlensäure durch Auspumpen, wib>
rend man die Temperatur ungeändert liess, so wurden so lange immer
neue Pjirtien kohlensaurer Kalk zersetzt, bis die der herrschenden Ten*
peratur entsprechende Dissociationsspannung wieder nahezu berge*
stellt war.
^) Recherche« Rur la dissoc'ujtion. Comptes rendus Bd. 46 (1867), S. 603 bU «H-'T.
C. Die Dissociationserscheinungen. 383
Schon bei masBigen Temperaturen kann übrigens die Kohlensäure
fast vollständig aas kohlensaurem Kalk ausgetrieben werden, wenn man
einen Luftstrom durch den erhitzten Kalk hindurchstreichen lässt. Dass
die letzten Antheile Kohlensäure sehr schwer zu entfernen sind, ja dass,
wie Erdmann und Marchand gefunden haben, selbst in der Weiss-
glöhhitze noch etwas Kohlensäure zurückbleibt, ist kein Widerspruch,
sondern lässt sich vielmehr sehr leicht aus der kinetischen Molecular-
theorie der Wärme erklären.
Selbst bei Wärmegraden, welche erheblich über der 2iersetzung8tem-
peratur liegen; wird es immer noch eine Anzahl Molecüle geben, deren
Geschwindigkeiten erheblich unter der der Zersetzungstemperatur ent-
sprechenden mittleren Geschwindigkeiten liegen. Theoretisch genommen
braucht es sogar keine erreichbare Temperaturgrenze zu geben, bei der
die Existenz solcher Moleculargeschwindigkeiten vollkommen ausgeschlos-
sen wäre. Aber abgesehen selbst von solchen letzten Resten noch un-
zersetzter Molecüle, so würden auch die letzten Antheile des Zersetzungs-
productee am schwersten zu entfernen sein, weil dieselben auf ihrem
Wege durch die Masse des schon zersetzten Rückstandes nunmehr mit
einer relativ ungleich viel grösseren Anzahl Molecüle zusammentreffen,
mit denen sie von Neuem den der Dissociation unterworfenen Körper
bilden können.
Auf diese Weise erklärt sich auch einfach der früher so schwer ver-
ständliche Einflttss, den die Masse der Substanzen bei Dissociationserschei-
nungen and verwandten chemischen Vorgängen sichtlich spielt.
Pfaundler^) hat auf eine ganze Reihe von Erfahrungsthatsachen
hingewiesen, welche diese Auffassung in jeder Beziehung bestätigen.
Ein sehr hübsches Beispiel bietet die Reaction zwischen Kupfer,
Wasserdampf und Wasserstoff. Leitet man Wasserdampf über glühendes
Kupfer, so bUdet sich Wasserstoff und Kupferoxyd. Führt man bei der-
selben Temperatur einen Wasserstoffstrom über Kupferoxyd, so entsteht
Wasserdampf und Kupfer. Es finden also zwei gerade entgegengesetzte,
also reciproke Reactionen statt, je nachdem Wasserdampf oder je nach-
dem Wasserstoffgas in einem Gemisch von beiden in erheblichem Ueber-
schusse ist, mit einem Gemische von Kupfer und Kupferoxyd in Berüh-
rung ist und die flüchtigen Zersetzungsproducte mit fortgeführt werden.
Ist Wasserdampf in Ueberschuss vorhanden, so ist eben mehr Ge-
legenheit vorhanden, Kupferoxyd zu bilden, da die Anzahl der zur Re-
duction von Kupferoxyd und Bildung von Wasser nöthigen Wasserstoff-
molecüle fortwährend abnimmt. Im anderen Falle werden die Sauerstoff-
molecüle, welche bei der theil weisen Dissociation des Kupferoxyds etwa
frei werden, sehr oft mit Wasserstoffmolecülen zusammenstossen und sehr
bald auch eines finden, bei dem die Geschwindigkeitsgrössen und Ge-
schwindigkeitsrichtungen derart sind, dass von dem Momente des Zusam-
^) Pfaundler, Beiträge zur cheminch«n Statik, Pogg. Ann. Bd. 131, S. 55 bis 85«
384 IL Thermochemie.
mentreifenB an heide Molecüle vereint weiter wandern and nimmebr, vem
sie nicht durch nene Anstösae nochmals zerlegt werden, ans dem Bereiche
des Knpfers schliesslich fortgeführt werden.
Erhitzt man aher eine heschränkte Menge Wasserdampf mit einer
beschränkten Menge Kupfer in einer geschlossenen Röhre, so ^rd sdv
bald ein gewisses Gleichgewicht eintreten, ein Theil des Wassers wiri
zersetzt und ein Theil des Kupfers wird oxydirt werden. Der Gleidi-
gewichtszustand beruht darauf, dass, so lange die Temperatur nngeändeit
bleibt und keine Substanz entweichen kann, in jedem Zeiträume ebenso;
viele Molecüle jedes Stoffes zersetzt, als von Neuem gebildet werden;
für jede Substanz wird unter den gegebenen Verhältnissen die ABXiki{
der Molecüle, deren Geschwindigkeiten über der Zersetzungstempersti
liegen, so lange ungeändert bleiben, als es die Temperatur selbst ist
Aehnlich vorhalten sich auch Eisen, Zink, Zinn, Kobalt, Nickel, ümj
und Cadmium gegen Wasserdampf und Wasserstoff.
Leitet man Chlorwasserstoffgas über glühendes Silber, so en\
Ohlorsilber und Wasserstoff, umgekehrt kann bei derselben Tempent
Chlorsilber durch einen darüber geführten Wasserstoffstrom redi
werden.
Aehnlich verhält sich femer Zink, Zinn, Eisen gegen Kohl
und Kohlenoxydgas.
Hierher gehören femer die Wahrnehmungen, dass sich viele Idi
zersetzliche Verbindungen, also Substanzen, welche schon bei gewj
liehen Zimmertemperaturen sich im Zustande der Dissociation befinden,
in einer Umgebung des flüssigen oder gasformigen Zersetzungsprodi
auf die Dauer unverändert erhalten werden können. Chlorschwefel
z. B. nur in einer Atmosphäre von Chlorgas aufbewahrt werden.
Pfaundler^) erinnert femer noch daran, dass die Einwirkung
Brom auf organische Substanzen wesentlich geiordei-t wird, wenn
den gebildeten Bromwasserstoff entweichen lässt.
Die Zahl der Beispiele Hesse sich sogar leicht noch erheblich
mehren.
Unter die Beispiele, welche man für eine Dissociation fester Köi
halten kann, gehören auch die Abgaben von Krystallwasser, welche
bei Erwärmung von Krystallen vieler Salze beobachtet.
Eine hierauf bezügliche Beobachtung von E. Mitscherlich') (18U)
ist sogar vielleicht die älteste exacte Messung einer Dissociationsi
nung.
Zu den Erscheinungen, welche bei Gelegenheit der Besprechung <kri
Dissociation wasserhaltiger Salze in Betracht kommen können, gtked
auch das Verwittern wasserhaltiger Salze in atmosphärischer LofL lieber-
trifft bei der herrschenden Temperatur die Dissociationsspannung eise»
1) Pfaundler, Pogg. Ann. Bd. 131, S. 71.
^) E. Mitsc herlich, Lehrbuch der Chemie, 4. Aufl., S. 565.
C. Die Dissociationserscheinungeii. 385
wasflerhaltigen Salzes die Spannung des Wasserdampfes der umgebenden
Atmosphäre, so g^ebt das Salz Wasser an die Luft ab und verwittert.
Ist jedoch die Dissociationsspannung des Salzes gleich oder geringer,
als die des Wasserdampfes der Atmosphäre, so bleibt entweder das Salz
nnrerändert, oder es zieht Wasser aus der Atmosphäre an.
Eine eingehendere Untersuchung über das Verhalten einiger kry-
siallwasserhaltiger schwefelsaurer Salze im Yacuum des Barometers bei
yerschiedenen Temperaturen hat G. Wiedemann^) angestellt. Beson-
dere Schwierigkeiten boten diese Versuche dadurch, dass es zur Erlan-
gung zuverlässiger Resultate durchaus nöthig war, die Ery stalle frei von
anhängendem oder eingeschlossenem Wasser und ohne gleichzeitige Ein-
fahrung von Luft in das Vacuum des Barometers zu bringen.
Bezüglich der Eunstgri£fe, welche angewendet werden mussten, um
diese Schwierigkeiten zu überwinden, verweisen wir auf die Original-
abhandlang. Die Barometerröhren, in deren luftleerem Räume sich trockene
Krjstalle befanden, wurden dann in einem Apparate erhitzt, der dem
ziemlich ähnlich war, dessen sich Wüllner^) zur Messung der Spann-
kräfte der Dämpfe von Salzlösungen bediente.
Die Differenz des Standes des Quecksilbers in den die Ejrystalle ent-
haltenden Röhren und in dem Rohre eines mit erhitzten Barometers giebt
die Spannkraft p des aus den Krystallen dissociirten Wassers.
^) 6. Wiedemann, Ueber die Dissociation der wasserhaltigen Salze. Pogg. Ann.
Jobelband, S. 474 bis 491.
^ Wüllner, Pogg. Ann. Bd. 103, S. 535.
Verdet-Bfihlmann, Mechan. Wftrmetheorie. Bd. 9. 26
386
n. Thermochemie.
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G. Die Dissociationserscheinungen. 387
Die Meaningen ergeben das Resultat, dass die Spannkräfte p des
KiystallwasserB niedriger sind, als die Spannkräfte ip des gesättigten
Vasserdampfes von gleicher Temperatur, and dass der Quotient — beider
Grossen mit steigender Temperatur langsam abnimmt, und femer zeigte
Bicli, dass innerhalb der Yersuchsgrenzen die Spannkraft des dissociirten
Wasserdampfes von der Gesammtmenge des verwendeten Salzes und des
den Dämpfen dargebotenen Raumes unabhängig sind.
Man erkennt, dass die hier erhaltenen Resultate den von Debray
am kohlensauren Kalke beobachteten Erscheinungen sehr ähnlich sind.
Zwischen 55^ und 60^ findet eine ziemlich grosse Unregelmässigkeit
zwischen den in verschiedenen Röhren gleichzeitig beobachteten Spann-
kräften statt, die sich aber bei noch weiter steigender Temperaturerhöhung
wieder ausgleicht. Biese Unregelmässigkeit dOrfte vielleicht darauf hin-
deuten, dass die verschiedenen Molecüle des Erystallwassers eine nicht
ganz gleiche Affinität zum Salze besitzen, denn diese Unterschiede treten
noch stärker hervor, wenn man so kleine Mengen Salz verwendet, dass
sie den gebotenen Raum nicht vollständig mit Dampf zu sättigen ver-
mögen.
Ganz ähnliche Resultate fand G.Wiedemann auch, als er schwefel-
Aore Salze des Zinks, Cobalts, Nickels und Eisens untersuchte. Auch
lind bei gleichen Temperaturen die Quotienten — für die verschiedenen
«ntersnchten Salze nicht sehr erheblich von einander verschieden.
Nicht leicht dürfte es sein, den Grund anzugeben, warum die Quo-
tienten ^ von 1 verschieden sind. Die übliche Erklärungsweise, dass
die Waaserdampfmolecüle von den Erystallen mit einer geringeren mitt-
leren Geschwindigkeit fortgeschleudert werden, als von einer Wasser-
oberfläche, weil die dissociirten festen Salze eine gewisse Anziehung auf
die abgespaltenen Wasserdampfmolecüle ausüben, ist vom Standpunkte
der mechanischen Wärmetheorie aus nicht einwurfsfrei.
Jedenfalls kommt man der Wahrheit näher, wenn man annimmt, dass
ein mit wachsender Temperatur abnehmender Theil der Wassermolecüle
von den Salzmolecülen zurückgehalten wird und dass daher in gleichen
Zeiten die Wandungen des Raumes von wenigen Molecülen getroffen
werden, als dies der Fall sein würde, wenn freies Wasser vorhanden
p
wäre. Diese Auffassunff würde sowohl erklärlich machen, dass — <^ 1
ist, als auch, dass =- mit wachsender Temperatur abnimmt.
25*
388
n. Theimochemie.
Zn wesentlich anderen Resultaten über die Dissociation waswilial-
tiger Salze ist A. Naumann ^) durch seine Versuche mit Kupferrhrifll
geführt worden. Den Unterschied in den Ergebnissen sucht er dAiin,'
dass Wiedemann die Krystalle nicht lange genug auf den Tempera-
turen der Versuche erhalten habe und dass daher das Torausgesstileil
Dissociationsgleichgewicht bei dessen Versuchen noch nicht eingeketes.
gewesen sei. Naumann geht sogar soweit su behaupten, dass sidi
constant bleibende Spannung eines wasserhaltigen Salaes für eine bfr*|
stimmte Temperatur überhaupt nicht beobachten lasse. Seine Ver8iieha{
am Kupfervitriol scheinen dies allerdings zu bestätigen; die durchi
gleiche und gleichbleibende Beschaffenheit, welche fOr Herstellung eii
Gleichgewichtszustandes nothwendig ist, scheint beim Kupfervitriol
bei tagelangem Erhalten auf gleicher Temperatur nicht einzutreten.
Der sehr regelmässige Verlauf der von Wiedemann erhall
Spannungscurven und die gute Uebereinstimmung der einzelnen mit t(
schiedenen Quantitäten derselben Substanz angestellten Beobacht
reihen unter einander scheint mir dafür zu sprechen, dass das Vei
des Kupfervitrioles ein abnormes ist, nach dem man nicht ohne Weii
das der übrigen wasserhaltigen Salze beurtheilen darf und daas
Wiedemann 'sehen Zahlen einem Dissociationsgleichgewicht entsprecl
Aus Versuchen von A. Naumann, K. Kraut'), A« Weinhol
scheint hervorzugehen, dass bei Dissociation fester Körper die Masse
festen Körpers nicht ohne Einfluss auf den Grad der Zersetzung ist
dass bei festen Körpern ein eigentliches Dissociationsgleichgewicht nie
erreicht werde. Die Versuche von H. Debray*), A. Lamy ^), F. Isai
bert^), G. Wiedemann, A. Horstmann ^) hingegen widerspceel
diesen Erfahrungen. Diesen scheinbaren Widerspruch hat L. Pfaundj
1er ^) dadurch aufzuklären gesucht, dass er darauf aufioierksam
dass bei einem festen Körper, sofern er nicht äusserst porös und k
ist, nur die an der Oberfläche gelegenen Molecüle des festen Körpers
den Stössen der abgeschiedenen gasförmigen Molecüle getroffen i
und dass daher nur diese einen unmittelbaren Einfluss auf den
des darüber befindlichen Gases haben können. Allerdings werden
die im Innern gelegenen Molecüle des festen Körpers mit der Zeit ni
ohne Einfluss bleiben, der Einfluss der Masse wird jedoch durch
Einfluss der den Einwirkungen ausgesetzten* Oberfläche beim festen
^) Man sehe: Ber. d. Deutsch, ehem. Oes. 1874, S. 1573, and A. Nanmaai
Allgemeine und physikalische Chemie, S. 390.
^ A. Kaumann, Allgemeine und physikalische Chemie, S. 394.
^ A. Weinhold, Programm der höheren Gewerheschule zu Chemnitz 1873, &
und Pogg. Ann. Bd. 149, S. 217.
^) Dehray, Comptes rendus Bd. 64, S. 603 his 606.
^) Lamy, Comptes rendus Bd. 70, S. 393 his 396.
^) Isamhert, Comptes rendus, Bd. 66, S. 1259, u. Bd. 70, S. 456 his 457.
^ A. Horstmann, Ber. d. Deutsch, ehem. Qes. Bd. 9, S. 750t
^) L. Pfaundler, Ber. d. Deutsch, ehem. Oes. Bd. 9, S. 1152.
G. Die Dissociationserscheinungen. 389
per ereetst werden. Wird z. B. dnrch EinreisBen eines Spmnges in den
festen Körper die Oberfläche wesentlich geändert, so ändert sich damit
auch das Yerhältniss der Anzahl der auf einander wirkenden Molecüle,
and es kann die Dissociationsspannüng erheblich geändert werden. Die
Cohäsionsonterschiede der untersuchten Substanzen und der aus denselben
durch Zersetzung gebildeten festen Körper reichen daher yielleicht voll-
kommen aus, um die yerschiedenen Resultate, welche über die Dissocia-
tion fester Körper erhalten worden sind, zu erklären.
Ton dem Einflüsse der Masse handeln wir noch einmal ausführlicher
im Anschlüsse an A. Horstmann's Dissociationstheorie, die wir im Über-
n&ohsten Paragraphen besprechen.
6. Die Pfaundler'sohe Theorie der partiellen Wechsel-
zersetzungen.
Da man unter dem Namen Dissociation gewöhnlich nur theilweise
Zersetzungen einer einzigen Molecülgattung in einfachere Bestandtheile
durch Wärme versteht, so giebt es eine ganze Gruppe von Erscheinun-
gen, welche man am Besten unter dem Namen partielle Wechselzersetzuu-
gen zusammenfassen kann, welche nicht in den Begriff der Dissociation
mit eingeschlossen sein würden; diese letztere ist vielmehr als ein spe-
cieller Fall dieser allgemeinen Erscheinungsgruppe aufzufassen.
Schon manche der vorhin mitgetheilten Erfahrungsthatsachen wür-
den richtiger unter diese allgemeinere Rubrik gestellt werden.
Pfaundler 1) hat in seinen „Beiträgen zur chemischen Statik** und
in der Abhandlung: „Der ,Kampf ums Dasein* unter den Molecülen; ein
weiterer Beitrag zur chemischen Statik** ^) eine sehr übersichtliche und
klare Auseinandersetzung der hier in Frage kommenden Verhältnisse
gegeben, welche wir dem Hauptinhalte nach reproduciren wollen.
Wir nehmen an, es seien Molecüle ^\ und j.\ gleichzeitig in einem
geschlossenen Räume vorhanden. Diese Molecüle, jedes als Ganzes, be-
wegen sich in diesem Räume (äussere Molecularbewegung).
Ausserdem bewegen sich die Bestandtheile des Molecüles um den
Schwerpunkt des Molecüles und auch gegen einander (intramoleculare
Bewegung). So lange die Temperatur ungeändert erhalten bleibt, wird
sowohl die Gesammtsumme der kinetischen Energien beider Bev^gungs-
arten für alle Molecüle, als auch das Yerhältniss der kinetischen Ener-
gien beider Bewegungsarten constant bleiben, da die Auseinandersetzun-
gen von Glausius es höchst wahrscheinlich gemacht haben, dass bei
stationären Bewegungen die kinetische Energie jeder Bewegungsart
zur Summe beider in einem constanten Yerhältnisse stehen muss. Hin-
1) Pogg. Ann. Bd. 131, S. 78. — >) Pogg. Ann. Jnbelbd. S. 182 bis 198.
390 II. Thermochemie.
gegen wird mit Rücksicht auf das höchst wahrscheinlich aUgeman glü-
tigeMaxweir sehe Gesetz der Gesch windigkeitsyertheilimg die Grescliwiii-
digkeit sowohl der äusseren, als die der intramolncalaren Bewegung auf
die einzelnen Molecüle sehr yerschieden vertheilt sein.
Es sind nun folgende vier Grenzfälle denkhar, welche seihst gewisB
äasserst selten auftreten, zwischen denen aher alle thatsächlich Tor-
kommenden Verhältnisse eingeschlossen sind.
1) Molecüle im Minimum |lnsserer und im Maximum intramoleciilarer
Bewegung.
2) Molecüle im Minimum äusserer und im Minimum intramoleeolanr
Bewegung.
3) Molecüle im Maximum äusserer und im Maximum intramolecalver
Bewegung.
4) Molecüle im Maximum äusserer und im Minimum intramoleevlarer
Bewegung.
Beim Zusammenstoss zweier Molecüle kann die äussere Bewegung
auf Kosten der intramolecularen , oder die letztere durch Yerminderofig
der ersten vermehrt werden; dass heide Grössen durch den Stoss nickt
geändert werden, ist nur ein seltener GrenzfalL Aus den zahlreicha
Möglichkeiten, welche heim Zusammenstosse der Molecüle eintreten köih
neu, heht Pfaundler^) folgende Fälle heraus:
1) Es trifft ein Molecül -n| mit einem Molecül jA zusammen, bd
welchen die Geschwindigkeit der äusseren und die der inneren Bewegong
sehr gross ist; die kinetische Energie der äusseren Bewegung wurde
zum grössten Theil zur Vermehrung der inneren Bewegung verwendet
Diese Bewegungsgrösse wächst dadurch so erhehlich, dass heide Molecük
zerfallen und die vier Theile A, B, G, D getrennt werden und sich nm
jeder für sich weiter bewegen.
2) Es treffen sich zwei Molecüle p| und jA, deren innere und dem
intramoleculare Energie sehr klein ist. Dann ist es möglich , dass die
resultirende innere Bewegung nicht allein zu klein ist, die beiden zosia-
menstossenden Molecüle zu spalten, sondern auch die bleibende Vereini-
gung beider zu hindern. Es resultirt dann ein zusammengesetztes Molecä
3) Es treffen sich zwei Molecüle unter solcben Verhältnissen, da«
die resultirende innere Bewegung zu klein ist, um die Molecüle zu spal-
ten, aber gross genug, die bleibende Vereinigung beider Molecüle n
hindern. Dann werden beide Molecüle ^| und ^| in ihrem Bestände w-
geändert nach dem Stosse weitergehen.
1) Pogg. Ann. Jubelbd. S. 182 bis 198.
C. Die Dissociationserscheinangen. 391
4) Aaeh können zwei verschiedene Molecüle unter solchen Bedin-
gungen gegen einander stossen, dass eine Spaltung des zunächst ent-
standenen Doppelmolecüles InjA nach einer anderen Richtung veranlasst
wird. Es kommt nun auf die Affinitat zwischen den Molecülen A, B,
C und D und zugleich auf die Grösse der zuvor schon vorhandenen
inneren Bewegung der Bestandtheile jA und jA und auf die durch den
Stoes herbeigeführte Vermehrung derselben an, ob die Spaltung in der
A
C , . , AC
Richtung -n ry oder in der Richtung :^= erfolgt.
Auf diese Weise kann man sofort einsehen, dass die Art der Zer-
setzung ausser von den Affinitäten auch noch von einer anderen Ursache,
dem Bewegungszustande, abhängig sein muss, und dass deshalb unter Um-
ständen auch solche Reactionen eintreten können, welche den Affinitäten
entgegengesetzt zu sein scheinen. (Reciproke Reactionen.)
Von der Beschaffenheit der Molecüle, zumal von der Affinität ihrer
Bestandtheile und von der Grösse der inneren Bewegung wird es ab-
hängen, ob alle oder nur einzelne der vorher aufgeführten Fälle ein-
treten.
£s braucht auch wohl kaum hinzugef> zu werden, dass durch Zu-
sammenfitösse gleichartiger Molecüle unter geeigneten Bedingungen auch
Bildung der Atomcomplexe a K r»}» pi» t>i ^^^ Rückbildungen der ur-
aprfinglichen Molecüle denkbar sind.
Obwohl das Zusammentreffen der Molecüle ein zufalliges ist, muss
noh nach den Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung bei einer
ausserordentlich grossen Anzahl von Zusammenstössen eine Regelmässig-
keit ergeben, so dass die Anzahl der Stösse, in Folge deren ein bestimm-
ter von den vorher genannten Möglichkeiten eintritt, unter gleichen Um-
ständen stets denselben Bruchtheil der Anzahl der Stösse überhaupt aus-
macht. Es werden also neben Molecülen, die sich zersetzen, immer solche
vorkommen, die ohne Zersetzung sich abstossen, oder die sich aus zer-
setzten neu bilden.
Es werden also neben zersetzten auch gleichzeitig unze^setzte Mole-
cüle vorhanden sein, und es kann sich unter geeigneten Umständen ein
vollkommener Gleichgewichtszustand zwischen den verschiedenen Möglich-
keiten herstellen.
Wird durch Entfernung einer Molecülgruppe das Gleichgewicht ge-
stört, so kann auch eine solche Reaction in dem einen oder anderen Sinne
vollkommen zu Ende geführt werden.
Ein recht hübsches Beispiel bietet ^) in dieser Beziehung der Process
der Aetherbildung.
^) Man sehe Pfaundler, Beiträge zur chemischen Statik, Pogg. Ann. Bd. 131, S. 82.
392
IL Thermochemie.
Der Vorgang zerfallt in zwei Abtheilungen, welche durch folgende
Schemata dargestellt werden:
-|- Schwefelsäure = Aetherschwefelsäure -\- Wasser
und:
C3H5
Alkohol
0, +
?l»
H, G'i H5
SO2
'Aetherschwefelsäure -|-
Alkohol = SchwefeUäore -|- Aether
Beide Reactionen, welche hier dargestellt sind, tragen die Merkmale
einer theilweisen Zersetzung an sich, beide bleiben unvollständig, wenn
man die Producte nicht entfernt, und beide können rückgängig gemacht
werden.
Da nun fortwährend Wasser und Aether durch Destillation entfenit
werden und dafür Alkohol neu zugeführt wird, so verlaufen beide Pro-
cesse immer in der Richtung von links nach rechts.
Dass auch hier die Zerlegungsprocesse erst dann merklich beginnen,
wenn die mittlere Geschwindigkeit der Molecularbewegungen eine ge-
wisse Grösse erlangt hat, erkennt man daran , dass nicht bei jeder belie-
bigen Temperatur Aether und Wasser gebildet wird; bei einer Erwär-
mung bis zu 126^ destiUirt nur Alkohol ab und erst bei circa 140® gebt
der Process normal vor sich, das Destillat enthält dann fast alleiii Aether
und Wasser.
Während wir nun bis jetzt bei unseren Betrachtungen auf die ge*
genseitige Affinität der vier Elemente A, B^ G, D nur wenig Rücksichi
genommen haben, wollen wir nun einmal weiter annehmen, dass bei Bil-
dung der Molecülgruppe AD die grösste, und bei Bildung von AB die
geringste Wärmeentwickelung stattfinde. Ueberhaupt wollen wir eine
derartige Stellung der vier Elemente in der Spannungsreihe annehmen,
wie dieselbe durch das Schema:
A...B C,..D
repräsentirt wird.
Ist dies der Fall, so würde man im Allgemeinen annehmen können,
dass, wenn man eine beschränkte Anzahl Molecüle rk? mit einer beschränk-
Gl
ten Anzahl Molecüle ^| zusammenbringt, vorzugsweise eine Wechselzer-
setzung in der Art stattfände, dass sich Molecüle jv[ und p| bildeten, weü
dann zumeist dem Streben der Affinität Rechnung getragen wäre.
Bekanntlich haben ja die thermochemischen Untersuchungen in der
Hauptsache die Thatsache constatirt, dass diejenigen Elemente, welche
in der Spannungsreihe am weitesten von einander abstehen, am leiehteBten
C. Die Dissociationserscheinungen. 393
zur Bildung gesättigter Yerbindung Anläse geben , und dass hierbei die
grosste Wärmetönung stattfindet Pfaundler weist mit Recht darauf
hin, dass dies ein deutlicher Fingerzeig dahin ist, dass auch die Yerbin-
dungsTorgänge unter das allgemeine Gesetz fallen, welches wir mit dem
Namen des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie be-
zeichnen.
Ans diesem Satze folgt, dass am leichtesten, unter Umständen sogar
von selbst, ohne Compensation durch äquivalente Verwandlungen, nur
positive Verwandlungen vor sich gehen können ; zu diesen aber gehören
besonders auch die Wärmeentwickelungen bei Verbindungen.
Insoweit als nun die Berzelius'sche Spannungsreihe ein Ausdruck
dieses Fundamentalgesetzes ist, hat sie noch heute ihre Bedeutung. Bei
allen Erscheinungen, welche scheinbar Ausnahmen von der Spannungs-
reihe repräsentiren, lassen sich leicht äquivalente positive Verwandlungen
nachweisen, durch welche solche negative Verwandlungen reichlich com-
pensirt werden. Lassen wir z. B. auf das Gemisch der Molecüle
d) ""•* c)
von einem wärmeren Körper Wärme übergehen, so kann dieser Ueber^
gang, welcher bekanntlich eine positive Verwandlung ist, von einer klei-
neren oder höchstens als Grenzfall von einer gleich grossen negativen Ver-
wandlung begleitet sein; es kann also eine Rückbildung in die Molecüle
b) ""•* d}
oder überhaupt eine solche Reaction eintreten , durch welche Wärme in
Spannkrftft verwandelt wird; es kann also unter solchen Umständen eine
Aenderung der Anordnung der Molecüle eintreten, welche sich mit der
chemischen Spannungsreihe im Widerspruch befindet.
Sind nun in einem geschlossenen Räume, dem weder Wärme zuge-
führt noch enizogen wird, eine beschränkte Anzahl von Molecülen von
folgender Anordnung neben einander vorhanden:
\y DJ' DJ
so kann im Allgemeinen durch den Zusammenstoss folgende Reihe an-
derer Molecüle aus diesen hervorgehen:
bI dI» D ^"^^ B
BBl
'DD
A Ti r n M Bl M Bl Cl Dl AC\ ADl AAl AAl BB
A, B, U, LF, ^|, j^j, ^j, g|, ^|, j^|, gjjj, ß(.|, gßj, ^^|, ^^
Einige von diesen fordern bei ihrer Entstehung aus anderen eine
Wärmebindung, d. h. einen Verbrauch von kinetischer Energie der Mo-
lecnlarbewegung , bei der Entstehung anderer wird Spannkraft in kine-
tische Energie verwandelt.
Die grosste Consumption kinetischer Energie würde eintreten müssen
bei Isolirung der Elemente A, B, C, D, und diese wird daher nur selten
möglich sein.
394
II. Thermochemie.
Die Bildung der Molecülgruppen aL r»} ®^- kann mit einem Yer
brauch von kinetischer Energie verknüpft sein , es kann aber aadi im
Gegen theil der Fall sein. Bei Bildung der höheren Yerbindung ^^^1
oder der isomeren ^jA wird dagegen in der Regel Wärme frei werdet.
Unentschieden, ob dieser oder der entgegengesetzte Fall eintritt, ist et.
dagegen wiederum bei der Bildung der condensirten oder polymerenYe^|
BB)
CC
etc.
bindung gg
Jedenfalls müssen, wenn dem Räume, welcher die Molecüle entküli
weder Wärme zugeführt noch entzogen wird, die gleichzeitigen posüiT«
und negativen Verwandlungen sich entweder compensiren, oder ee köiii«
höchstens die positiven überwiegen.
Gleichgewicht wird dann eintreten, wenn bei den möglichen Reacti»-!
nen der Ueberschuss der positiven Verwandlungen über die nej
den höchsten erreichbaren Betrag erlangt hat, wenn die Entropie
Systemes ein Maximum erreicht^).
Kommen nun aber zu dem soeben von uns betrachteten ideal
fachen Falle andere Umstände hinzu, welche die Büdung der einen
anderen Molecülarart besonders begünstigen, so kann auch leicht derFj
eintreten, dass dann der gesammte Process in diesem begünstigten Si
bis zu Ende verläuft.
Bringt man z. B. schwefelsaures Kalium mit einer Lösung
Chlorbaryum zusammen, so wird, trotzdem dass die Affinitat des Ci
zu Baryum und Kalium und die der Schwefelsäure zu beiden Basen
gleich gross ist, doch die Umsetzung zu schwefelsaurem BarynmBalz
Ghlorkalium zu Ende gefuhrt, weil der schwefelsaure Baryt unlöslich
und die Bildung des festen Niederschlages mit Wärmeentwickelnng (
5500 Cal.) verknüpft ist, somit eine positive Verwandlung repriseDi
und die einmal zu festem schwefelsaurem Barytsalze verwendeten Molec
Baryum und Schwefelsäure nicht oder nur selten wieder durch neue
stösse getrennt werden können.
Die schwächere Phosphorsänre treibt die stärkere Schwefelsäure
vielen Verbindungen aus, weil aus dem Gemische einer Loenng
schwefelsauren Salzes und einer Phosphorsäurelösung die freigewordea^
flüchtige Schwefelsäure verdampft, wenn durch Anstoss eines Pho^hc^
saurem olecüles und eines Molecüles des schwefelsauren Salzes einmal ea
Molecül phosphorsauren Salzes gebildet und Schwefelsäure entwickei
') Man sehe den Begriff: „Entropie^ Bd. 2, I, A, 4, S. 29. In der znleixi
gesprochenen Ausdrucksweise ist die Bedingung des Gleichgewichtes partieller
Zersetzungen zuerst von A. Horstmann gegehen worden. Man sehe dessen:
der Dissociation'', Liebig's Annalen Bd. 170, S. 192 bis 210.
G. Die Dissociationserscheinungen. 395
worden ist. Dadurch treffen bei Wärmezufuhr, um den durch die Yer-
dampfdng und die Bildung des phosphorsauren Salzes aus dem schwefel-
sauren Salze entstandenen Verlust an kinetischer Energie zu decken,
künftig^ die gebildeten Molecüle phosphorsauren Salzes seltener mit Schwe-
felsäaremolecülen zusammen, und die Rückbildung zu schwefelsaurem
Salz anter Abspaltung von Pbosphorsäure kann nur selten und immer
seltener eintreten, bis schliesslich, wenn alle Schwefelsäuremolecüle ent-
wichen sind, der Process beendet ist.
Schon Berthollet hat die mit den neueren Anschauungen voUstän-
dig übereinstimmende Ansicht ausgesprochen, dass in allen den Fällen,
in denen Reactionen stattfinden, welche der Afßnität entgegenwirken, im
ersten Momente stets nur partielle Reactionen eintreten, dass dieselbeii
aber dadurch zu totalen werden können, dass die gefällten oder gasförmig
gewordenen Verbindungen der Einwirkung der gelöst gebliebenen ent-
zogen werden.
Es braucht zum Schlüsse wohl kaum darauf hingewiesen zu werden,
dass alle Betrachtungen, welche wir im Vorhergehenden für Molecülpaare
Ton der Form:
A
B
) "''^ d)
angestellt haben, auch vollständig für Molecülpaare von der Form:
B '^•^B
I
liestehen bleiben, und dass wir es dann wieder mit den Vorgängen zu
jHiiui haben, die wir im engeren Sinne mit dem Namen: „Dissociations-
itaracheinangen" bezeichnen.
7. Die Hör St mann' sollet Theorie der partiellen
Weohselzersetziingen.
Irgend eine chemische Reaction wird solange in einem Sinne fort-
schreiten, bis die Entropie des Systemes so gross geworden ist, als dies
durch die in Betracht kommenden Veränderungen möglich ist. Wird
dieses Maximum erreicht, noch ehe die Reaction zu Ende geführt ist, so
bleibt dieselbe unvollständig; häufig jedoch wird dieses Maximum erst
dann eintreten, wenn die Umsetzung sich auf alle oder wenigstens fast
«
alle Molecüle erstreckt hat.
Nach den schon früher gegebenen Auseinandersetzungen wird die
Entropie durch alle positiven Verwandlungen vermehrt, durch alle nega-
tiven vermindert.
*) A. Horstmann, Theorie der Dissociation, Liebig's Annalen Bd. 170, S. 192
Mt 210.
396 IL Thermochemie.
Wir zählen zanächst die yorzngBweise bei chemischen Prooeseen in
Betracht kommenden Verwandlungen auf:
1) Die Verwandlung von potentieller Energie der Affinität in
Wärme ist eine positive Verwandlung; durch die Umsetzung von Wanne
in chemische Arbeit, welche vorzugsweise bei der Dissociation und par-
tiellen Wechselzersetzung in Frage kommt, wird hingegen die Entropie
vermindert
2) Der Uebergang von Wärme von heissen Körpern auf kältere iä
eine positive Verwandlung, also wird durch Erwärmung die Entropie des
Systemes vermehrt, durch Abkühlung vermindert.
3) JedOjVormehrung der Disgregation, welche dadurch herbeigefiüiit
wird, dass man die Abstände der Atome vergrössert, sei dies dadurck,
dass sich einzelne Molecülarten als Gase ganz entfernen, oder dass mu
dem System ein grösseres Volumen anweist, repräsentirt eine positire
Verwandlung. — Wird hingegen durch Vermehrung der Zahl der Mole-
cüle, welche in einem gegebenen Räume vorhanden sind, der Abstand d«
Molecüle vermindert, so wird hierdurch die Entropie verkleinert.
4) Durch Umsetzung von Arbeit in Wärme wird bei dem fraglicken
chemischen Processe ebenfalls die Entropie vermehrt, während sie bin*
gegen abnimmt, sowie Wärme in irgend welcher Form in Arbeit Ter-
wandelt wird.
Wir wollen dies an einer der einfachsten Dissociationserscheinungei,
an der Zersetzung eines Gases in gasförmige Bestandtheile durch Ervär
men bei constantem Volumen näher erläutern.
Die Entropie wird in diesem Falle am grössten sein, wenn mogiidifl
viele Molecüle zersetzt, aber möglichst wenig Wärme verbraucht wordei
ist und wenn ausserdem die Molecüle jedes der drei Gase möglichst weä
auseinander gdrückt sind. Diesen Bedingungen wird im Allgemeine«
nicht gleichzeitig bei vollständiger Zersetzung genügt werden können,
deshalb wird nur ein mit wachsender Temperatur zunehmender Tbdl
zersetzt werden.
Wir wissen, dass nach dem zweiten Hauptsätze der mechanischen
Wärmetheorie die Aenderung der Entropie eines isolirten Systemes ntf
positiv sein kann. Es drückt dies die Fundamentalgleichung des zweiten
Hauptsatzes:
f
T -»
aus.
In einem selbstständigen, von anderen Körpern unabhängigen Sj*
steme kann eine chemische Reaction nur dann beginnen and sich fort*
setzen, wenn die jgesammte Zunahme, welche die Entropie durch die eio-
zelnen Vorgänge erleidet, die gleichzeitige gesammte Abnahme überwiegt
Die Reaction muss aufhören, sowie die Abnahme die Zunahme zu über*
G. Die Dissodationserscheinungen. 397
wiegen im BegrifiP ist, d. h. es wird Gleichgewicht eintreten, sowie die
£&tropie ein Maximum erreicht hat.
Wir haben nun früher (Bd. 2, I, A, 4, S. 9) fär die Entropie die
Form Y ■]- Z angenommen, worin Z die Disgregation des Systemes, und
T der Yon der Anordnung der Molecüle unabhängige Theil der Entropie
ist. Die Bedingung für den Eintritt des Gleichgewichtes bei einer Reac-
tion wird sich demnach durch die Gleichung:
« (r + Z) = 0 1)
ausdrücken lassen.
Bezeichnet man mit x die relative Menge eines Körpers, in Mole-
culargewichten ausgedrückt, der sich bei der Reaction zerlegt i), so kann
X auch als Maass für den Grad der Vollendung der chemischen Reaction
benutzt werden. Man kann dann x als unabhängige Variable benutzen
and behaupten: die Gleichung 1) wird erfüllt sein, die Reaction, um
die es sich handelt, wird einen Gleichgewichtszustand erreicht haben,
wenn:
^f +^=0 2)
ox
ist.
Bezeichnet nun Q diejenige Menge calorischer Energie, welche auf-
gewendet werden muss, um unter den gegebenen Umständen ein Mole-
colargewicht des Körpers, auf den sich x bezieht, vollständig zu zer-
setzen, dann ist zur Vollendung der Reaction noch eine Energiemenge
Q • X nöthig.
Man kann demnach für die Grösse Y, welche ausser der Disgrega-
üon den Betrag der Entropie des Systemes bestimmt, setzen:
Demnach findet Gleichgewicht statt, wenn:
ist.
Von dieser Gleichung soll nun in einem speciellen Falle Anwendung
gemacht werden. Nehmen wir an, von einem Moleculargewichte eines
festen Körpers, der beim Erhitzen in zwei Bestandtheile, einen festen
und einen gasförmigen zerföUt (z. B. kohlensaurer Kalk in Aetzkalk und
Kohlensäure), sei im gegebenen Momente noch ein Bruchtheil x unzer-
setzt. Aus jedem Molecül des ursprünglichen Körpers mögen sich r Mo-
lecüle des einen und s Molecüle des anderen Zersetzungsproductes bilden,
^) Wir folgen hier in der Hauptsache den Ansfiihrangen der A. Horstmann 'sehen
Originalabhandlung, Lieb ig' s Annalen Bd. 170, S. 198.
398
IL Thermochemie.
und von dem ersten der beiden mögen m Molecolargewichte im üeW
schuss vorhanden sein. Alsdann ist die Disgregation des Sysiemes Z
gleich :
Z= X .Zi + {r . (1 — «) + w} . Z, + s . (1 — a?) . ^ . . 4)
wenn Z^, Zg, ^ die Disgregationen je eines Molecolargewichtes der ur-
sprünglichen Substanz, des einen und des anderen Zersetzungsprodacies
sind. Sind nun der sich zersetzende Körper und das Zersetzungsprodnct»
von dem r -\- m Moleculargewichte vorhanden sind, feste Körper, sonal
Zi und Z2 von x unabhängig, hingegen hängt Z^ von dem Baume a^
welcher dem Gase zur Verfügung steht. Ist u das Volumen eines Hol^
culargewichtes des gasförmigen Zersetzungsproductes beim Drucke p vai
der absoluten Temperatur T, so ist bekanntlich (Bd. 2, I, A, 4, S. 7,
Gleichung 4):
Z, = Z,' +j ' B
u
lognaJt — S)
Wo
wenn Z^* die Disgregation eines Moleculargewichts des Gases ist, wen
dasselbe das Normalvolumen Uq besitzt, und 12 ist die (konstante (
dehnungsgesetzes vollkommener Gase, bezogen auf ein MolecuiargeinfU
des betreffenden Gases.
Die Wärmemenge Q besteht aus zwei Theüen, aus der eigeni
Zersetzungswärme q und der auf Ueberwindung des Druckes j9
Entwickelung des Gasvolumens u verwendeten in Arbeit unngesel
Wärmemenge :
1
bekanntlich ist aber:
J- ^
1 1 ^
«/ e/
T,
und demnach gilt die Gleichung:
« = « + /
R . T
Führt man für Q und Z die in den Gleichungen 3) und 4) gefoB-j
denen Werthe ein, so nimmt die Gleichung 3) folgende Gestalt an:
1 / . i2
T ^- X
dq
dx
+ X
R
J
d
dx
£>
+ {r (1 - aj) + m)
dZ^
'dx
— r . Z2 + s . (1 — x)
+- X
dZy
' dx
dx
+ 4.
— s.^=eL
Differenzirt man aus und beachtet, dass 9, T, ti, Zj, Z^ von x na*
abhängig sind, so findet man:
I + f + ^1 - r 2a - « . -^s' - s • j
Uanat ~ =0.
«0
C. Die DissociationserBcheinungen. 399
Setzt man die Grösse:
^-r.j^ — s.^' = C 7)
so nimmt die Oleichung die Form an:
^ + j . (l - s . lognat ^) + C = 0 ... 8)
Diese Grösse C ist die Aenderung, welche die Disgregation erleiden
würde, wenn das entwickelte Gas das Molecnlaryolumen Uq hätte; C ist
demnach y ebenso wie q, nur noch von T abhängig, dagegen unabhängig
Ton X.
Die Gleichung enthält daher nur noch eine Grösse, nämlich ii,
welche sich mit x ändert Es wird daher, sofern T bestimmt ist, nur
einen bestimmten Werth des specifischen Volumens, oder da:
R . T
^ = -^
ist, des Druckes geben, bei dem Gleichgewicht stattfindet.
Die Dissociationsspannung hängt also lediglich von der Temperatur
ab, ist dagegen unabhängig von dem Verhältnisse, in welchem dem sich
zersetzenden festen Körper das feste Dissociationsproduct beigemischt
ist, so lange sich die Disgregation des festen Körpers nicht wesentlich
ändert —
Hiermit stimmen bekanntlich die Resultate der Arbeiten von D e br a j ^)
über die Dissociation des kohlensauren Kalkes, die von Lamy^) über die
Verbindung von Ammoniak mit Ghlorcalcium, die von Isambert') über
die Ammoniakverbindungen der Ohlorüre, die von G. Wiedemann^)
aber die Dissociation wasserhaltiger Salze und die Beobachtungen von
A. Horstmann ^) an der Verbindung von Chlorsilber und Ammoniak
ftberein; die Versuche von A. Weinhold^) über Ghlorcalciumammoniak
und Calciumcarbonat und die Beobachtungen von A. Naumann^) üher
das Verhalten des Kupfervitriols in der Wärme, scheinen hingegen den
Gonsequenzen der Horst man naschen Theorie zu widersprechen.
Die Dissociationsspannungen können bei der nämlichen Temperatur
nor dann verschieden sein, wenn C und q bei derselben Temperatur ver-
schiedene Werthe besitzen.
Bei allotropen Modificationen derselben Substanz ändert sich einer-
seits bekanntlich q beim Uebergange von einem Zustande in den anderen,
und andererseits ist meist auch die Dichte und somit die Disgregation
1) Compt. read. Bd. 64, S. 603.
^ Compt. rend. Bd. 70, S. 393.
') Compt. rend. Bd. 66, S. 1295, u. Bd. 70, S. 456.
*) Pog?' Ann. Jubelband, S. 474.
*) Ber. d. Deutsch, ehem. Ges. Bd. 9, S. 750.
*) Programm d. Chemnitzer höh. Qewerbeschale, Ostern 1873, S. 34.
^ A. Naumann, Allgemeine und physikalische Chemie (Heidelberg 1877), S. 392.
400 IL Thermochemie.
verschiedener Modificationen derselben Substanz bei gleichen Tempen-
turen nicht dieselbe.
Ganz in Uebereinstimmong hiermit fanden Troost und Haute-
feuille ^) die Dampftension über rothem Phosphor beträchtlich klebei^
als über gewöhnlichem Phosphor, und schon früher hatten sie Aehnlidm
beim Uebergang der Cyansänre in Cyanursänre beobachtet. —
Wir wenden uns nun zur Anwendung der Horstmann'schen Gld<
chung auf den einfachen Specialfall, dass sich ein gasförmiger Körper ii
zwei gasförmige Bestandtheile zersetzt. Alsdann besitzen alle Diegregi*
tionen Zi, Z^, Z^ die Form der Gleichung 5) (S. 398):
Z = Z' + -=r • lognai — .
Die Gleichung 2) nimmt in diesem Falle die Form:
1 + 7-0+ 2-x^m-^''i • (l-..+l)(l-x)) + ^=" "
an. Hierin bedeutet diesmal C die Aenderung der Disgregation bei da
Zersetzung eines Moleculargewichtes, wenn vor und nach der Ze
die Gase das Molecularvolumen Uq haben. Alsdann ist, wenn alle
Gase als vollkommene angesehen werden können, 0 von T unabhängig.
Ist m = 0, so gilt die Formel für die bekannten im Vorherge!
den mitgetheilten Versuche über Dissociation gasformiger Bestand
In der That ist, wie dies die Formel verlangt, der Grad der Di
lediglich von der Temperatur T abhängig und nimmt mit dieser
Sogar die Form der Function, in weicher Horstmann die Abhän
des Druckes von der Temperatur aus der Theorie erhält, stimmt mit
bekannten Dissociationsversuchen gasförmiger Substanzen, die wir Bd.
B, 2, S. 370 mittheilten, recht gut überein.
Ist m nicht gleich Null , d. h. ist eines der Zersetzungsprodiicte i
Ueberschusse vorhanden, so ergiebt sich bei gleicher Temperatur
grösseres x^ als man erhält, wenn m = 0 ist. Der Grad der
wird bei Gasen durch Massen Wirkung vermindert, jedoch ist dieser
flusB um so geringer, je weiter die Zersetzung schon fortgeschritteo
Die erste dieser Consequenzen hat Horstmann durch umfangE
Versuche über die Dissociation von carbaminsaurem Ammoniak in
Atmosphäre von Kohlensäure und von Ammoniak bestätigt. Wir enft»;
nehmen nachstehende Tabellen der Horstmann'schen Arbeit:
>) Coroptes rendus Bd. 76, S. 76 bis 80, S. 219 bis 222. Aach yergleiche ■»
den von St. Ciaire Deville in Qemeinschaft mit Damas und Cahonr« rer£tfstti
Bericht: Rapport snr un memoire de M. M. Troost et Hautefenille sar kt
iransformations isom^riques et allotropiques. Comptes rendus Bd. 76, S. 1175 bi« 11^
G. Die Dissociationserscheinungen.
401
Dissociation des carbaminsauren Ammoniaks in einer Kohlensäure-
atmoBphäre.
Gesammt-
Partialdnick
Partialdmck
Druck reinen
Temperatur
druck des Gas-
gemisches
der Kohlen-
säure
d. carbamins.
Ammoniaks
Dampfes des
carbamins.
Ammoniaks
P
£1
P
n
P
P\
P
20,40 C.
78,9 mm
33,5 mm
45,4 mm
66,2 mm
0,52
0,71
21,8
105,8
69,9
35,9
71,0
0,98
0,51
18,3
112,4
87,4
25,0
55,0
1,59
0,45
18,3
145,4
122,3
23,1
55,0
2,22
0,42
17,9
■ 167,9
148,9
19,0
53,3
2,79
0,36
18,6
203,4
185,5
17,9
56,3
3,28
0,32
17,9
193,3
175,7
17,6
53,3
3,30
0,33
17,8
225,3
208,4
16,9
53,0
3,93
0,32
17,6
243,6
228,5
15,1
52,3
4,37
0,29
18,6
302,9
288,3
14,6
56,5
5,10
0,26
17,7
297,5
285,6
12,9
52,6
5,43
0,24
17,7
328,8
315,8
13,0
52,6
5,99
0,25
18,4
353,7
340,7
13,0
55,5
6,14
0,23
18,4
1
426,4
416,8
9,6
55,4
7,52
0,18
BiBSOciation des carbaminsauren Ammoniaks in einer Ammoniak-
atmosphäre.
i
Gesammt-
Partialdruck
Partialdruck
Druck reinen
Tempentnr
druck des Ge*
misches
der Kohlen-
säure
d. carbamins.
Ammoniaks
Dampfes des
carbamins.
Ammoniaks
P
P
£1
P
n
P
P\
P
21,8» C.
69,5 mm
24,4 mm
45,1 mm
70,9 mm
0,36
0,67
20,6
75,2
35,4
39,8
65,3
0,54
0,61
20,8
86,9
57,1
29,8
66,2
0,86
0,45
17,7
68,9
48,6
20,3
52,6
0,92
0,39
20,8
88,5
66,1
22,4
66,2
1,00
0,34
22,0
103,5
89,1
14,4 «
72,1
1,24
0,20
20,8
108,1
93,4
14,7
66,2
1,41
0,22
20,4
111,8
92,6
19,2
64,3
1,44
0,30
▼ erdet-Btthlmann, Mechan. Wirmeibeorie. Bd. 2.
26
402
n. Thermochemie.
Temperatur
Gesammt-
druck des Ge-
misches
Partialdnick
der Kohlen-
säure
Partialdruck
d. carbamins.
Ammoniaks
Druck reinen
Dampfes des
carbamins.
Ammoniaks
P
P
n
P
P\
P
17,30 c.*
99,7 mm
86,0 mm
13,7 mm
51,2 mm
1,68
o,r
21,7
132,1
125,2
6,9
70,4
1,78
0,10
20,7
154,5
141,6
12,9
65,8
2,15
0,30
17,3
128,0
119,0
9,0
51,2
2,33
0,17
21,7
168,1
165,8
2,3
70,4
2,36
0,03
17,4
155,5
146,4
9,1
51,5
2,84
0,18
21,6
203,3
201,2
2,1 .
69,9
2,88
0,W
21,7
235,0
232,9
2,1
70,4
3,31
0,03
17,1
180,3
173,3
7,0
50,5
3,43
0,14
20,6
231,1
226,4
4,7
65,3
3,47
0,07
21,8
293,6
292,0
1,6
70,9
4,15
0,02
20,8
295,6
289,2
6,4
66,2
4,43
0,1»
21,6
325,9
324,8
1,1
69,9
4,61
0,08
21,9
374,5
372,2
2,3
71,5
5,24
0,03
20,5
417,4
416,2
1,2
64,8
6,42
0.02
17,8
359,8
355,3
4,5
53,0
6,71
0,08
Es wurde der Gesammtdruck 7C des Gemisches direct aus der
pression der Quecksilbersäule eines Barometers ermittelt. Den Druck
des zugeführten überschüssigen Gases bestimmte man aas der zugi
Menge und seinem derzeitigen Volumen. Die Differenz a — jP =
dieser beiden Drucke ist der Partialdruck des carbaminsauren Ammo;
in der Atmosphäre des überschüssigen Gases, hingegen ist p die
A. Naumann's umfänglichen Beobachtungen durch Interpolation
rechnete Dissociationsspannung des carbaminsauren Ammoniaks im Tj
cuum bei der Temperatur der Ablesung.
Die obigen Tabellen zeigen sofort, dass die Dissociationsspann
bei Anwesenheit von Ammoniak oder Kohlensäure kleiner ist, ab i
leeren Räume, und zwar nimmt dieselbe um so mehr ab, je grosser d«
Ueberschuss des betreffenden Gases ist.
Aus den Principien der kinetischen Gastheorie lässt sich dies lei
erklären. Die Zahl der zersetzten Molecüle hängt haaptsachli
von der Temperatur ab, ist aber jedenfalls nahezu unabhängig
der Zusammensetzung des Gasgemisches. Bei Üeberschiiss
Gases müssen aber die Molecüle des nicht überschüssigen Gases
mit den anderen Molecülen unter geeigneten Umständen zusammen
und es werden sich daher in gleichen Zeiten mehr Molecüle der T
C. Die DissociationserBcheinungen.
403
dang bilden, als wenn der Ueberschuss des einen Bestandtheiles nicht
vorhanden wäre. Die Dissociationsspannang der Yerbindong muss dem-
nach abnehmen, wie dies die Versuche auch zeigen.
Auch kann leicht erkannt werden, dass die Dissociationsspannung
des carbaminsauren Ammoniaks bei gleichem Partialdrucke des über-
schüssigen Gases stets mehr durch Ammoniak herabgedrückt wird, als
durch Kohlensäure. Es rührt dies selbstverständlich davon her, dass bei
Anwesenheit eines gleich grossen procentalen Ueberschusses von Am*
moniakmolecülen stets mehr Molecüle carbaminsauren Ammoniaks in
einer bestimmten Zeit gebildet werden, als bei Anwesenheit von Kohlen-
säure. Zwei Ammoniakmolecüle bedürfen nur je eines Kohlensäuremole-
cälee, um ein Molecül carbaminsaures Ammoniak zu bilden, während
jedes Kohlensäuremolecül zu demselben Zwecke mit zwei Ammoniakmole-
cülen unter den geeigneten Bedingungen zusammentreffen muss.
Aach hat Horstmann noch besonders bewiesen, dass die Spann-
kraftsverminderung eine specifische Wirkung der Zersetzungsproducte
des carbaminsauren Ammoniaks ist; denn bei Versuchen mit einem in-
differenten Gase (atmosphärischer Luft) zeigte die Substanz in der Gas-
atmosphäre fast genau dieselbe Dissociationsspannung, wie im leeren
Baume. Man erkennt dies leicht aus nachstehender Tabelle:
Dissociationsspannung des carbaminsauren Ammoniaks in einem indiffe-
renten Gase.
Temp«ntar
Gesammtdruck
de» Gemisches
n
Partialdrnck des
indiffereDt. Gases
P
Partialdruck des
carbamins. Am-
moniaks im Ge*
>
mische f»2
Dissociationsspan-
nung d. carbamins.
Ammoniaks im
Vacuum
17,9
18,0
18,0
17,7
177,6 mm
240,8
446,6
443,8
121,8 mm
185,6
390,1
388,7
55,8 mm
55,2
56,5
55,1
53,3
53,7
53,7
52,6
Die etwas höhere Dissociationsspannung im indifferenten Gase ist
jedenfalls dem Umstände zuzuschreiben, dass in Folge der Anwesenheit
der fremdartigen Molecüle die Bestandtheile des carbaminsauren Ammo-
niaks sich seltener unter den zur Neubildung der Verbindung geeigneten
Umständen treffen können, als wenn fremde Molecüle nicht vorhanden
sind 9 während die fast allein von der Temperatur abhängige Anzahl der
in gleichen Zeiten zersetzten Molecüle nahezu ungeändert bleibt. Bei
solchen gasförmigen Substanzen, die aus gleichen Volumen der Bestand-
26*
404
n. Thermochemie.
theile zusammengesetzt sind (wie z. B. Salmiak ans gleichen Yoli
NH3 und HCl), muss ein gleich grosser üeherschoss von jedem der
standtheile die gleiche Wirkang hervorhringen ^).
Auch die partiellen Wechselzersetznngen im eigentlichen Sinne
Wortes lassen sich mit Hülfe des zweiten Hauptsatzes der mc
Wärmetheorie in durchaus hefriedigender Weise behandeln. Nc
wir zunächst an, es handele sich um die Reaction bei Einwirkimg
Wasserdampf auf Eisen. Alsdann haben die Disgregationen Zi und Z|
Wasserdampf und Wasserstoff die für Gase gegebene Form (GleichoDgl
2j^ und Z4 hingegen beziehen sich auf Eisenoxydul und Eisen, alw
feste Körper, und sind deshalb vom Grade der Dissociation unabhäof
Die äussere Arbeit ist Null, da für jedes Terschwindende Yoh
H3O ein gleich grosses Volumen H3 entsteht. Es ist demnach Q
und die Beding^g des Gleichgewichtes in einem begrenzten
wird:
| + j-(l-%»a<|j)+C = 0
Hierin ist C wiederum die Disgregations&nderung für den Fall,
die Gase auf ein Normalvolumen gebracht worden sind; pi und p%
die Partialdrucke der beiden Gase. Man erkennt leicht, dass bei
stanter Temperatur das Yerhältniss — constant sein muss.
Behandelt man die partielle Wechselzersetznng zweier löslicher
z.B. Na^ SO4 und NaNOs, bei Ueberschuss beider Säuren, so kommt
relative Menge jeder Substanz bei der Dissociation in Frage, da sie
Disgregation jedes der gelösten Bestandtheile mit fortschreitender
Setzung ändert. Nimmt man an, dass in verdünnten Lösungen die
gregation eines Salzes in ähnlicher Weise von der Entfernung
Molecüle abhängt, wie bei einem permanenten Gase, so findet man,
Gleichgewicht stattfindet, wenn:
a . p . q^= p' . gf
wenn p, q, p\ q' die relativen Mengen der reagirenden Sa
Schwefelsaures Natrium, Salpetersaures Ammonium, Schwefelsäiire
Salpetersäure und a eine Gonstante bezeichnet.
Dies ist aber dieselbe Formel, welche Guldberg') f^ die
Wirkungen aus anderen Gesichtspunkten ableitete und welche J. Th
sen') experimentell bestätigt hat
^) Man vergleiche die Beobachtungen von Friedet mit C3 Hq 0 . H Cl. Coinpt.i
Bd. 81, S. 152.
^) C. M. Guidberg und P. Waage, itudes aar les af&nit^s chimiques,
nia, (JniverBitätsprogramm 1867t
^) J. Thomsen, Ueber die Berthollet'sche Affinit&tstheorie; Pogg. Anfi.Bi
S. 94, Gl. 10.
C. Die Dissociationserscheinungen.
405
Endlich fährt Hör st mann noch als Beleg für die Richtigkeit seiner
Theorie die partielle Wechselzersetzung zwischen Lösungen von kohlen-
saurem Kali und von schwefelsanrem Baryt an. In diesem Falle bleihen
nur zwei Körper, nämlich KjSO« und K^COs, ^ Lösung, während die
beiden anderen in Betracht kommenden Substanzen, BaSO« und BaCOs,
fest sind. Ganz in Uebereinstimmung mit der Theorie, nacli welcher
feste Körper keinen Einfluss auf den Grad der partiellen Wechselzer-
setzung haben sollen, fanden Guldberg und Waage ^) durch Versuche,
dasB eine Vermehrung der Massen der festen Körper die gegenseitige
Wirkung der Substanzen nur äusserst wenig beeinflusse. Nach der
Theorie muss, wenn unsere Annahme, dass Salze in verdünnten Lö-
sungen sich ähnlich wie Gase verhalten, richtig ist, das Verhältniss
EsSO^ : E9CO3 wesentlich nur eine Function der Temperatur und fär
dieselbe Temperatur also K^SOi ' K^COs nahezu constant und fast un-
abhängig vom Verhältniss BaS04 : BaCGj sein. Die Zahlen der nach-
stehenden, der Arbeit der beiden schwedischen Gelehrten entnommenen
Tabelle bestätigen diese Folgerungen der Theorie vollkommen.
Partielle Wechselzersetzung zwischen:
BaS04, K^OOg, BaCOa, KaS04»).
Temperatur
Endzusttmd
ADfangBznstand
KaS04:KaC08
Ba S O4 : Ba C 0^
(iBa 804,1/4X3003) . . . .
100<» C.
0,17
26,8
(JBaS04,%KaC08) .
100
0,19
11,5
(IBaSO«, iK^COs) .
100
0,25
4,0
(iBaCOj, lKaS04) . .
100
0,21
4,7
(lBaS04, 2KaC08) .
100
0,22
1,4
(lBaS04, SKjCOg) .
100
0,23
0,75
(lBaS04, iK^COa) . ,
100
0,24
0,17
(IBaSO«, SKgCOs) .
100
0,24
0,03
(lBaS04, SKaCOg) . .
15
0,04
4,3
Hör st mann hat auch noch darauf aufmerksam gemacht, dass unter
umständen der Grad der partiellen Wechselzersetzung nur in sehr ge-
ringem Maasse von der Temperatur beeinflusst werden kann, nämlich
M C. M. Qnldberg und P. Waage a. a. 0. S. 59.
^ Die Lösungen enthalten 1 MolectU Salz auf 500 Molecüle Wasser.
406
II. Thermochemie.
dann, wenn -^ in Gleiohang 6) sehr klein ist und auch die Gröfise Zsid
nur wenig mit der Temperatur ändert:
Wir sehen also, dass die Horstmann' sehe Theorie fast alleroiil
durch die ^Erfahrung bestätigt wird ^) und dass der von Pfaundler eb
geschlagene Weg, den Mechanismus der Vorgänge aus der IdnetiflciKi
Gastheorie zu erklären, in allen Fällen ein zutreffendes BUd von dei|
Verlaufe der Erscheinung zu entwerfen gestattet.
8. üeber die Bescliaffldiilieit der LösungeiL
Mit den soeben besprochenen Erscheinungen der partiellen W(
Zersetzung in engstem Zusammenhange steht die Thateache, dsss
Salze schwacher Basen und schwacher Säuren im gelösten Zustande
in einem mit wachsender Verdünnung zunehmenden Zustande der
Setzung befinden.
Die in Wasser gelösten starken Säuren und starken Basen
den bei Vereinigung in gehöriger Aequivalentzahl neutrale und dnrc
beständige Salze. Die bei der Bildung von einem Aequivalente Salz
wickelte Wärmemenge wird durch ZufÜgung neuer Wassermeogen
neuer Mengen der Säure oder neuer Mengen derselben oder einer vai
Basis nicht erheblich geändert. Die geringfügigen Wärmeerscheinonj
welche etwa wahrgenommen werden, können durch die weitere Verdi
nung der Salzlösungen vollkommen erklärt werden. In diese Kategc
der beständigen Salze gehören die Chloride, Nitrate und die neni
Sulfate der fixen Alkalien.
Es zeigen dies z. B. die nachstehenden Versuche von BertlieU
und Saint Martin^):
1 Aequiv. Salz und 1 Aequiv. Säure in je 2 Liter Wasser gelöst:
(KClAq, nClAq) = — 30 CaL
(NaaAq, HClAq) = — 30 „
(Am Cl Aq, H Cl Aq) = — 40 „
(NOjKAq, NOsHAq) = + 10 „
(NOsNaAq, NOjHAq) = — 40 „
(NOaAmAq, N03HAq)= + 20 „
Die beobachteten Wärmemengen sind äusserst gering, übersteij
kaum die unvermeidlichen Beobachtungsfehler und sind höchstens
der Ordnung der durch weitere Verdünnung der Lösungen hervorgebi
ten Wärmeerscheinungen.
1) Pfaundler hat (Ber. der ehem. Gesellsch. Bd. 9, S. 1152 bis 1157)
da88 die Hör st mann' sehe and die Ton ihm selbst aofgestellte Theorie im
nicht verschieden sind.
^) Comptes rendns Bd. 69, S. 464.
C. Die DissöciaitionserBcheinungen. 407
Gleichzeitig beweisen diese Zahlen, dass im gelösten Zustande
saare Salze der einbasischen Säuren nicht bestehen.
Die schwachen Säuren hingegen bilden selbst mit den starken
Basen Salze, welche durch Wasser zersetzbar sind. Diese Zersetzung
nimmt mit wachsenden Wassermengen zu und nimmt ab, wenn die Säure
oder Basis im Ueberschusse vorhanden ist.
Es bedarf wohl kaum des besonderen Hinweises, dass diese letzte
Thatsache durch die im vorhergehenden Capitel gegebenen Mittheilungen
über den Einfluss der Quantitäten der Substanzen bei chemischen Reac-
tionen ihre zureichende Erklärung findet.
Ebenso werden die Salze der schwachen Basen und der Metalloxyde ^)
selbst mit starken Säuren, noch mehr aber die Salze dieser Basen mit
schwachen Säuren durch Verdünnung mit Säuren merklich zersetzt.
Die Borate, Garbonate, Cyanide, Sulfide, Phenate der
Alkalien und selbst die Acetate, Butyrate, Valerianate, welche
letztere den üebergang von den Salzen der starken Säuren zu denjenigen
der achwachen Säuren bilden, zeigen bei zunehmendem Wasserzusatze
«ine Zersetzung, welche bis zu einer gewissen Grenze fortschreitet.
Sie Alkoholate') der Alkalien, die sich vom Aethylalkohol, dem
-Ifannit, dem Glycerin u. s. f. ableiten, werden hingegen schon durch
:den ersteu Wasserzusatz fast vollkommen zersetzt; die absorbirte Wärme-
menge ist nämlich schon bei der ersten Zufahrung von Wasser fast eben
flo gross, als die Wärmemenge, welche bei der Bildung des neutralen
Salzes entwickelt wurde.
, Die Salze des Ammoniaks zeigeu, selbst wenn die Säuren zu den
lilarken gehören, deutliche Spuren von Zersetzung durch Wasser (man
sehe z. B. Bd. 2, II, G, 3, S. 380).
Bei den Salzen, welche das Ammoniak mit schwachen Säuren bildet,
ist die Zersetzung durch Wasser noch viel auffälliger. Das neutrale Gar-
bonat und Phenat des Ammoniaks wird z. B. durch Wasser viel stärker
zersetzt, als die Garbonate und Phenate der festen Alkalien.
Gelöste Salze reagiren derart auf einander, dass sich die starken
Säuren der starken Basen bemächtigen und die schwache Säure sich mit
der schwachen Basis verbindet. Kaliumcarbonat z. B. zersetzt sich mit
einer äquivalenten Menge von gelöstem Ammoniumsulfat und führt zur
Bildnng von Ealiumsulfat und Ammoniumcarbonat. Es wird dieser
Vorgang durch eine Entwickelung von 3200 Galorien angedeutet ^).
Ebenso zersetzen sich die Borate, Gyanide, Phenate der Alkalien in Ge-
genwart von Chlorammonium oder Ammoniumsulfat, und bilden Chloride
^) Berthelot, Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 29, S. 458, 467, 474,
tt. Bd. 30, S, 145. — *) Berthelot, Ann. d. chim. et d. phys. 4. Serie. Bd. 29, S. 291
>nd 461, zumal S. 634. Auch sehe man die Zusammenstellung der Berthelo fachen
Arbeiten über die Constitution der Lösungen in Naumann, Allgemeine und physikalische
Cbemie, S. 627 u. s. f., welche wir mehrfach benutzt haben. — ^ Man sehe Berthelot,
Comptes rendus Bd. 73, S. 1051.
408
II. Thermochemie.
und Sulfate der Alkalien. Ebenso zersetzt sich Natriumacetat durcli die
Sulfate, Chloride, Nitrate des Eisens, des Zinks, des Kupfers unter Bil-
dung der Sulfate, Chloride, Nitrate des Natriums^). Auch diese Vorginge
sind durch das thermische Verhalten leicht zu erkennen. Ist das one,
oder sind beide Salze in der Lösung im Zustande theilweiser Zersetsang,
so bilden sich immer (die Ausnahmen werden wir im Folgenden mitüiei-
len) diejenigen Salze, bei deren Entstehung die grösstmögliche Wärme-
menge entwickelt wird.
Bei Einwirkung von Wasser auf die sauren Salze der zweibaaiselien
Säuren stellt sich ein von den relativen Mengen der Componenten ab-
hängiges Gleichgewicht zwischen Wasser, dem sauren Salxe, der S&aie
und dem neutralen Salze her. Alle yier Körper bestehen, ganz entspR-
chend der im vorigen Capitel entwickelten Theorie, gleichzeitig nebea
einander. — Welche Wirkung das Wasser eigentlich hierbei spielt, ist
selbstverständlich nur äusserst schwierig zu erkennen. Das Wasser burn
nämlich in sofern chemisch im engeren Sinne wirken , als die Säure irnii
auch die Basis mit Wasser verschiedene Hydrate, die Salzmoleeule mit
Wassermolecülen zusammengesetzte Moleoüle bilden können, ähnlich dn
Molectilgruppen, aus welchen die krystallisirten Salze bestehen; a]lder6^
seits aber kann das Wasser auch lediglich dadurch zersetzend auf die
Salze wirken, dass die Bestandtheile der durch Zusammenstösse zenpal-
tenen Molecüle in grösseren Wassermengen immer seltener mit den an"
deren zur Bildung des Salzes gehörigen Molecülen zusammentreffen kön-
nen 3). Zumal der letztgenannte Umstand würde eine stete Zunahme dff j
Zersetzung der Salze mit wachsender Wassermenge unter WärmeahBorp^
tion vollständig erklären. Höchst wahrscheinlich aber sind in den mar\
sten Fällen beide angeführten Momente auf den Verlauf der Elrscheinimg
gemeinsam von Einfluss.
Die nachstehend mitgetheilten von Berthelot') herrfihrendenBeob-
achtungswerthe bestätigen diese Ansicht vollständig 9 wenn man berflok«
sichtigt, dass die Bildung des Disulfates des Kaliums aus dem neatraleft
Kaliumsulfat und aus freier Schwefelsäure von einer Wärmeabsorption
von ungefähr 2000 Calorien pro Aequivalent begleitet ist.
1) Behandlung von neutralem Kaliumsulfat mit Schwefel-
säure.
V2 SO4 K2 (87g in 1 1) + V« SOiHs (49g in 1 1) = — 1230 CaL
+ 1 SO4H2 „ =— 1590 „
+ VaS04H2 „ =- 1840 ,
+ Ö SO4H3 „ = — 1900 „
Die absorbirte Wärmemenge nimmt, wie es scheint, zu, bis das
1 Aequiv. neutrales Sulfat vollständig in Disulfat verwandelt worden iit
n
n
7i
^) A. a, 0. S. 1474 u. Compt. reiid. Bd. 74, S. 122. — «) Vermehrung dw D»-
gregation des Salzes. — ^) Compt. rend. Bd. 75, S. 207 u. 263.
C. Die Dissociationserscheinungen. 409
Annälienid dasselbe Resultat ergiebt sich, wenn die Schwefelsäure
durch einen wachsenden Zusatz von neutralem Sulfat vollständig in sau-
res schwefelsaures Kali verwandelt wird.
2) Behandlung von Schwefelsäure mit neutralem Kalium-
sulfat.
Va SO4 Ha (49g in 1 1) + Va SO4K2 (87 g in 1 1) = — 1260 Cal.
+ 1 SO4K2 „ =- 1700 „
+ V2SO4K, „ =- 1990 „
+ 5SO4K, „ =- 2200 „
Die zunehmende Zersetzung des Disulfates durch wachsende Wasser-
mengen erkennt man aus folgenden Zahlen:
V2S04K,(1 Aeq. in 11) + V2 SO4H2 (1 Aeq. in 1 1) = — 1230
„ (1 Aeq. in 2 1) + „ (1 Aeq. in 21) = — 1040
„ (1 Aeq. in 4 1) -f „ (1 Aeq. in 41) = — 980
„ (1 Aeq. in 101) + „ (1 Aeq. in 101) = — 800 (ca.)
Die Menge des gebildeten DisuKates ist demnach um so geringer, je
grosser die angewendete Wassermenge ist. In Folge dieser Zersetzung
entbindet eine Lösung von Kaliumdisulfat Wärme, wenn die Lösung
weiter mit Wasser verdünnt wird, während die Verdünnung von Lösun-
gen beständiger Salze stets von einer Wärmeabsorption begleitet wird.
Eine Lösung von 40 g des Salzes in 1 Liter Wasser entwickelt z. B. bei
Verdünnung mit einem gleichen Volumen Wasser 4" 330 Cal., während
die gleiche Verdünnung äquivalenter Lösungen des neutralen Kalium-
Bülfates und der Schwefelsäure, getrennt ausgeführt, zusammen nur eine
Wärmemenge von + 60 Cal. entwickeln.
Ein ganz analoges Verhalten zeigt z. B. auch die zweibasische Oxal-
säure. —
Von demselben Gesichtspunkte aus, von dem der Einfluss wachsender
Wassermengen auf nicht sehr stabile Salze vollkommen klar erschien,
kann man auch erkennen, dass es. sich bei Vertheilung einer Base
zwischen mehreren Säuren^) und einer Säure zwischen meh-
reren Basen um Vorgänge handelt, welche mit den früher entwickelten
Principien der Moleculartheorie durchaus im Einklänge sind. —
Wir müssen hierbei nur daran festhalten, dass die Bestandtheile der
Molecüle solcher Salze, welche in Lösungen nicht zersetzt werden, so fest
an einander haften, dass dieselben bei Zusammenstössen unter einander
oder mit anderen Molecülen entweder gar nicht, oder nur in äusserst
seltenen und daher im Erfolg nicht bemerkbaren Fällen zerspalten werden.
So wird z. B., wenn man essigsaure und kohlensaure Salze mit äqui-
valenten Mengen einer stärkeren Säure behandelt, die schwächere Säure
vollständig oder wenigstens fast vollständig verdrängt. Man erkennt
^) Mansche auch die hierauf bezügliche Thomsen'sche Gleichung 11) auf Seite 404
im vorhergehenden Paragraphen.
410 II. Thermochemie.
dies daraus, dass die bei der Mischung eintretende Wärmeentwickehmg
fast genau gleioh der Differenz der Neutralisationswännen beider Säuren
ist. Die gebildeten Molecüle der Chloride, Nitrate sind so stabil, da»
sie, wenn einmal gebildet, nicht wieder zerspalten werden, deshalb nimmt
ihre Anzahl fortwährend bis zur vollständigen Umsetzung zu.
Dies zeigen z. B. nachstehende Versuche Berthelot^s^):
CjHsNaOa (1 Aeq. in 2 1) + NO3H (1 Aeq. in 2 1) = + 450CiL
Differenz der Neutralisationswärmen: 13700 — 13300 = 400 ,
NOaNa (1 Aeq. in 2 1) + C,H4 0a (1 Aeq. in 2 1) = — 60 ,
CaHjNaO, „ + HCl „ + 460,
Differenz der Neutralisationswärmen: 13700 — 13300 = 400 .
NaCl (1 Aeq. in 2 1) + CgH^Oa (1 Aeq. in 2 1) = 0 ,
V2 CO3 Naj (1 Aeq. in 13 1) + NO3 H (1 Aeq. in 2 1) = 3410 ,
Differenz der Neutralisations wärmen : 13700 ~ 10200 = 3500 ,
Vs COsNa, (1 Aeq. in 18 1) + C8H4O2 (1 Aeq. in 2 1) = 3140 ,
Differenz der Neutralisations wärmen : 13300 — 10200 = 3100 ,
V« COaNaaCl Aeq.inlSl) + V2SO4H, (1 Aeq. in 2 1) = + 5520 .
Differenz der Neutralisationswärmen: 15870 — 10200 = 5670 ,
COsNaH (1 Aeq. in 181) + V2C4H6O6 (1 Aeq. in 2 1) = + 1610 ,
Differenz der Neutralisationswärmen: 13300 — 11600 + 1700 ,
CaHjNaOa (1 Aeq. in 2 1) + V2SO4H8 (1 Aeq. in 2 1) = + 2380 ,
Differenz der Neutralisationswärmen: 15870 -- 13300 == 2570 .
C2H4O3 (1 Aeq. in 2 1) + 1/2 S04Naj(l Aeq. in 2 1) = — 120 ,
Die Behauptung Berthelot's, dass in Lösungen die chemisehfli
Vorgänge immer in dem Sinne verliefen , in welchem dieselben bei Ab-
wesenheit von Wasser vor sich gehen, ist jedenfalls für alle die Falk
richtig, in welchen das verdünnende Wasser lediglich die Disgregatioi
der gelösten Substanzen vergrössert, sie wird dagegen falsch sein, wem
das Wasser mit einem der gelösten oder durch partielle Wechselzersetzuig
entstehenden Körper Molecularverbindungen bildet und die hierbei est-
wickelte Wärmetönung grösser ist als die , welche bei irgend einer ai-
deren Art der Vereinigung der dissociirten Molecüle gebildet werden würde.
Als Beispiel für seine Behauptung führt Berthelot an, dass Essig-
säure durch die zweibasische Weinsäure, die zweibasische Oxalsäure voll*
ständig durch die einbasische Salpeter- und Salzsäure verdrängt werden,
obgleich alle diese Processe mit einer Wärmeabsorption vor sich geli«B,
welche der Differenz der Neutralisationswärnien fast genau gleich sini
Die Differenz der Neutralisationswärmen ist negativ, hingegen ist
der Unterschied der bei Bildung der festen Salze frei werdenden Wime*
menge positiv im Sinne der eintretenden Reaction.
^) Comptes rendus, Bd. 75, S. 435, 480, 538 u. 583 , und Ann. de dum. rt ^
phys., 4. Serie, Bd. 30, S. 456 bis 539.
C. Die Dissociationserscheinangen. 411
Nachstehende Beobachtongszahlen Berthelot' b beweisen dies:
C, Ha Na Oa (1 Aeq. in 2 1) + Va C4 Hg Oß (1 Aeq. in 4 1) = — ÖOOCal.
Differenz der Nentraüsationswärmen: 12660 — 13300 = — 640 „
C8H4 0a (lAeq.in21) + V2C4H4Na2 06 (1 Aeq.in41) = + 140 ^
3NO3H (lAeq.in21) + V«C2Na,04 (33,5 g in 1 1) = — 730 „
Differenz der Neutralisationswännen: 13720 — 14340 = — 620 „
INOaH (lAeq.in21) + V2C2Naj04 (33,5ginll) = — 600 „
INOsH « + V3C2Na«04 „ = — 890 „
3Ha „ + V3C2Na804 „ = — 740 „
Differenz der Nentraliäationswärmen: 13690 — 14340 = — 650 „
IHCl (1 Aeq. in 21) + ^^€^^€^04 (33,5ginll) = — 700 „
IHCl „ + V«0aNa204 „ =-1070„
Die Einwirkung von Chlornatriam oder Natriumsulfat auf Oxalsäure
giebt keine merkliche Wirkung. Bei Ueberschuss von neutralem Oxalate
tritt ausserdem noch die Abkühlung von — 400 durch Bildung des
Dioxalates hinzu.
Die gänzliche Yerdrängnng entspricht in der That derjenigen Reac-
tion zwischen den wasserfreien Körpern, welche am meisten Wärme ent-
bindet, denn es ist:
(2 N Oj H, Ca Naa O4) = + 2 1000 Calorien bei Bildung von : 2 N O3 Na
+ CaH304
(2NO3H, CaNaa04) == + 12400 Calorien bei Bildung von: NOsNa
+ CsHNa04 4- NO3H
(NQsH, CaRNa04) = + 8600 Calorien bei Bildung von: NOsNa
+ CaH,04
Oxalsäure und Essigsäure theilen sich bei gemeinsamer An-
wesenheit in eine vorhandene Basis, obschon die Reaction der wasser-
freien Körper eine solche keineswegs voraussetzen lässt. Giebt bei dem
gleichzeitigen Einwirken einer zweibasischen und einer einbasischen Säure
auf eine Basis die Bildung des sauren Salzes im ungelösten Zustande die
grösste Wärmeentwickelung, so wird sich dieses Salz zunächst bilden und
bei Abwesenheit von Wasser findet eine genaue Theilung der Basis zwi-
schen den beiden in äquivalenten Mengen angewendeten Säuren statt.
Schwefelsäure und Salpetersäure ergeben z. B. im wasserfreien Zu-
stande nachstehende Wärm eent Wickelungen bei beistehenden Reactionen:
S04Ha + 2NO3K = SO4KH -f NO3K + NO3H = 5900 Cal.
804Ka + 2N08H = 8O4KH + NO3K + NO3H = 10100 „
In wässerigen Lösungen wird das Disulfat zum Theil wieder zer-
setzt; die hierdurch frei werdende Schwefelsäure wirkt wieder zersetzend
auf das Nitrat und strebt von Neuem Disulfat zu bilden. Es entsteht
412 IL Thermochemie.
daher ein ziemlich complicirtes Gleichgewicht zwischen neatralem Sulfit,
Dbulfat, freier Schwefelsaure, verdünnter Salpetersäure und* Nitrat
Bei den hier mitgetheilten Yersuohszahlen äherwiegt die Wänne-
ahsorption hei Bildung des Disulfates in wässeriger Lösung, dieselbe
nimmt jedoch um so mehr ah, je weniger saures Salz infolge wachsender
Verdünnung gebildet werden kann:
V2SO4K3 (1 Aeq. in 1 1) + NO3H (1 Aeq. in 1 1) = — 1810 C»L
Differenz der Neutralisationswärmen 1880 „
NOsK (1 Aeq. in 1 1) + V2SO4H2 (1 Aeq. in 11) = — 70 ,
V2 SO4K3 (1 Aeq. in 2 1) + NO3H (1 Aeq. in 2 1) ' = — 1780 ,
NOsK „ + V2SO4H, „ = + 190
V2S04Ka (1 Aeq. in 4 1) + NO3H (1 Aeq. in 4 1) = — 1600
NOsK „ + V2SO4H3 „ = + 240 .
V2SO4K3 (1 Aeq. in 101) + NO3H (1 Aeq. in 101) = — 1500 ,
NO3K „ + V2SO4H2 „ = + 150 ,
Ganz ähnliche Resultate ergehen sich, wenn man Kalium durch eise
andere starke Basis und Salpetersäure durch Salzsäure ersetzt.
Die Alkalisalze der Säuren der Fettreihe stehen in ihrem Yerhalten
zu Wasser nahe in der Mitte zwischen den Salzen der starken und des
der schwachen Säuren. Sie nähern sich um so mehr den Letzteren, je
höher ihr Atomgewicht steigt. Die Formiate sind nahezu so stabil wie
die Salze starker Säuren ; die Valeriate gehen schon leicht in saure Salxe
über, die stearinsauren und margarinsauren Salze zerfallen mit Wasaer
schon in der Kälte in Doppelsalae und freie Basis ^).
Je nach ihrer Stärke verdrängen sich auch die Fettsäuren theilweiie
aus ihren Salzen.
Auch die Yertheilung einer beliebigen Säure zwischen meh-
reren Basen ^) geht in ähnlicher Weise vor sich, wie die VertheiliiBg
einer Basis zwischen mehreren Säuren. Die stärkere Basis verdrängt die
schwächere aus den Verbindungen, z. B. wird Ammoniak in gelösten
Salzen vollständig durch Natron oder Kali ersetzt; selbst Kalk verdringt
das Ammoniak aus einer GhlorammoniumlÖsung.
Bekanntlich besitzt das Natron eine um ungefähr 1120 Cal. höhere
Neutralisationswärme mit Salzsäure, als Ammoniak. Nach Berthelot*«
Versuchen ist:
NH4CI (1 Aeq. in 2 1) +- 1/2 Na^O (1 Aeq. in 2 1) = + 1070 CaL
NHs „ +NaCl „ = - 50 ,
Ein Ueberschuss eines der vier in Frage kommenden Körper ändert
nichts am Resultat , so dass für diesen Fall die einfache Ersetzung des
Ammoniums durch Natrium für bewiesen erachtet werden kann.
^) Man sehe: Berthelot, Ann. de chim. et de phjB. 5. Serie, Bd. 6, S. 331»
Comptes rendus Bd. 80, S. 700.
>) Berthelot, Comptes rendus Bd. 80, S. 1564 bis 1568.
C. Die DisBOciationBerscheinungen. 413
Gewölinlicher Alkohol, Olycerin, Mannit, Gummi zeigen das
eigenihümliobe Yerhalten, dass sie sich in conoentrirten Lösungen (Alko-
hol nur in unverdünntem Zustande) wie Säuren unter Wärmeentwicke-
long mit den Basen verbinden; diese Verbindungen sind jedoch aus-
nahmslos so locker, dass meist ein geringer, höchstens ein fünffacher
Wasserzusats genügt, um das gebildete Salz vollständig zu zerstören.
Die beim Verdünnen beobachtete Absorption von Wärme ist nämlich fast
genau gleich der vorher bei Bildung des Salzes entwickelten Wärme-
menge.
Berthelot beobachtete z. B. folgende Wärmeerscheinungen beim
Glycerin :
(CaHgOs + lOOHjrO) + (VsNsO + 100 H2O) = + 372 Cal.
Beim Verdünnen mit dem fünffachen Vol. H9 0= — 363 „
Phenol und Pikrinsäure verbindet sich mit gelösten festen Al-
kalien wie eine wahre Säure, ohne dass eine basische oder saure Verbin-
dung gebildet würde; die entstandenen Salze werden durch Wasserzusatz
nicht merklich zersetzt. Hingegen wird Ammoniumphenat, wie die mei-
sten Ammoniumsalze durch Verdünnung theilweise zerstört.
Eigenartige Erscheinungen treten bei Bildung der Salze des Alde-
hyds, der Salicylsäure, Milchsäure, der Weinsäure und bei ihrer
Behandlung mit Wasser auf. Aldehyd bindet zunächst beim Mischen
mit Wasser eine ziemlich bedeutende Wärmemenge, vielleicht indem es
ein dem Ghloralhydi*at ähnliches Hydrat bildet. Mischt man diese Lö-
sung mit verdünnter Natronlauge, so tritt eine neue Wärmeentwickelung
ein, ein Theil derselben wird sofort merklich, ein anderer Theil entsteht
erst aUmälig, vielleicht in Folge einer allmäligen Sauersto£faufnahme
ans der Atmosphäre« Verdünnt man diese Mischung mit viel Wasser, so
wird die gebildete Verbindung unter Wärmeabsorption zum Theil wieder
zerstört Die Salicyl-, Milch- und Weinsäure verhalten sich in verdünn-
ten Lösungen wie gewöhnliche Säuren, indem sie neutrale Salze bilden,
die durch weiteren Wasserzusatz nicht erheblich zersetzt werden. In
sehr conoentrirten Lösungen verhalten sie sich hingegen ähnlich wie die
voriiin erwähnten Alkohole. Vielleicht wird im conoentrirten Zustande
mehr als ein Atom Wasserstoff durch das Metall ersetzt und die so ge-
bildete Verbindung schon durch geringen Wasserzusatz zersetzt^).
Durch eine besondere Untersuchung hat Berthelot übrigens auch
dargethan, dass die Sätze, welche für die Theilung einer Basis zwischen
zwei Säuren imd die Bildung löslicher Salze innerhalb einer Lösung gel-
ten, auch für in Wasser unlösliche Salze gelten. Häufig geschieht auch
hier die Verdrängung einer schwächeren Säure durch eine stärkere unter
Wärmeabsorption ,- also eigentlich. entgegen dem Gesetze von der ohemi«
^) Genaxieres sehe man: Berthelot, Comptes rendos Bd. 73, S. 668 bis 681«
414 II. Thermochemie.
sehen MaximaJarheit. Die negative Warmeentbindong hat aber ihre
Ursache dann darin, dass erst ein festes Salz yorhanden war, nnd sdüieBa-
lich eine gelöste Verbindung entstanden ist, die Differeni der Neatnii-
sationswärmen, also durch die Wärmeabsorption bei der Lösung über-
troffen wird.
Die Metallsalze zeigen in gelöstem Zustande deutliche Symptome
der partiellen Zersetzung. Es ist dies daran kenntlich, dass die bei Bil-
dung eines MetaUsalzes oder Mischung mehrerer Salze entstehende Wärme-
menge mit zunehmender Verdünnung der Lösungen erheblich abnimmt
Bei Mischung mehrerer Salzlösungen tritt meist ein Dissociationsgleich-
gewicht ein, bei welchem sich in überwiegender Menge das beständigste
Salz bildet, d. h. dasjenige, in dem die stärkste Säure mit der stärksten
Basis verbunden ist.
Mengt man z. B. Kupfer- oder Zinksulfat, Kupferchlorür oder Kupf^-
nitrat mit Natriumacetat, so bildet sich vorzugsweise NatriumsulÜBit n-s.!,
und Kupfer- oder Zinkacetat. Einzelne MetaUsalze können durch stsrkei
Erhitzen und durch starkes Verdünnen ihrer Lösungen in MetaUoxyd nnd
Säure dissocürt werden; besonders ist dies merklich bei den Metallsalien
der schwachen Säuren. Die Sulfette und Nitrate der Metalle ^igen hin-
gegen grössere Beständigkeit.
Als Gesammtresultat seiner sämmtlichen auf die Constitution der
Lösungen bezüglichen Untersuchungen stdlt Berthelot ^) sehlieaalieh
den Satz auf: Vorzugsweise bildet sich diejenige Verbindung, bei deren
Entstehung die grösste Wärmemenge entwickelt wird. Ist diese Ver-
bindung in Gegenwart von Wasser beständig, so ist die Bildung eine
vollständige (Einwirkung von Salzsäure, Salpetersäure etc. auf die Qu*
bonate, Acetate etc.). Erleidet diese Verbindung jedoch durch die Ein-
wirkung des Wassers eine partielle Zersetzung, so wird die Bildung der
Verbindung mit der geringsten potentiellen Energie durch die theilweiee
Zersetzung derselben begrenzt und daher nicht zu Ende gefuhrt (diei
zeigt z. B. die nur theilweise Zersetzung der neutralen Sol£GLte doidi
Salzsäure und Salpetersäure, da das gebildete Disulfat durch Wasser dis-
socürt wird).
Diese Untersuchungen zeigen einerseits, dass die thermochemischen
Methoden geeignet sind, in Fällen, in welchen die Analyse nicht anwend-
bar ist, wie dies bei der Frage nach der Constitution der Lösung statt-
findet, Aufschluss zu geben, und andererseits werden wir dadurch anf-
merksam gemacht, dass die Lösungswärme ') der Substanzen meist nicht
nur als ein Aequivalent einer Disgregation der betre£Penden Körper durch
eine indifferente Masse dazwischen tretender Molecüle anzusehen ist, son-
dern dass dieselbe vielmehr häufig als eine algebraische Summe Ter-
schiedener zum Theil entgegengesetzter Wärmeerscheinungen betrachtet
^) Sur la statique des dissolutions salines, Comptes rendns Bd. 74, 8. 94 bis 9&
^) Man vergleiche auch diesen Band S. 365, Zeile 4 v. o.
C. Die Dissociationserscheinimgen. 415
werden moBS, welche in yerschiedenartigen extramolecnlaren (rftamliche
Trennnng der Molecüle der gelösten Substanz) and intramolecularen Vor-
gängen (Zerfall der Molecüle der gelösten Substanz, Bildung neuer Molecül-
gruppen unter Hinzutritt von Wassermolecülen) ihren Ursprung haben ^).
0. Die Dissooiationsersoheinungen in den Flammen.
Wenn irgend eine Substanz in einer Atmosphäre einer anderen, mit
der sie sich unter Wärmeentwickelung verbindet, verbrennt, so ist man
im Stande, ein Temperaturmaidmum zu berechnen, welches die Tempe-
ratur des Gemisches höchstens erreichen könnte, das aber in Wirklich-
keit nie erreicht werden wird, da durch Leitung und Strahlung und
ausserdem auch durch die negative Verwandlung von kinetischer Energie
in potentielle Energie bei der Dissociation der gebildeten Verbindung
stets eine grosse Menge Wärme wiederum consumirt wird.
Sieht man aber von allen diesen Umständeji ab, durch welche in
Wirklichkeit, zumal bei Flammen, sehr erhebliche Wärmeverluste herbei-
geführt werden, so könnte man ein solches theoretisches Maximum der
Flammentemperatur auf folgende Weise berechnen:
Verbinden sich äquivalente Gewichtsmengen a und h zweier Sub-
stanzen (z.B. 2H, mit 16 Gewichtstheilen 0) zu einem Aequivalente oder
a '\- h Gewichtstheilen einer Verbindung (z. B. HgO) bei ^®, so werden
hierbei, wenn weder äussere Arbeit geleistet, noch sonstige Aenderungen,
z. B. des Aggregatzustandes eintreten, n Wärmeeinheiten entbunden,
welche die Wärmetönung des Processes repräsentiren.
In dem angenommenen Beispiele ist bei Bildung von Wassergas von
180 die Wärmetönung n = 57 668'). Hierdurch könnten, wenn diese
Wärme nur auf Temperaturerhöhung der entstandenen Verbindung ver-
wendet würde, die entstandenen a + b Gewichtstheile der Verbindung
auf eine Temperatur
t = 2 12)
erhitzt werden, wenn c^ die specifische Wärme der Verbindung wäre.
In dem von uns gewählten Beispiele ist:
n = 57668, a + 5 = 18, c^ = 0,4805,
^) Einen wichtigen Schritt vorwiirts zur Zerlegung der Summe: „AuHösungswärme**
in ihren einzelnen Summanden haben P. A. Favre und C. A. VaUon in ihren Unter-
suchungen über die krystallinische Dissociation gethan. Ein eingehendes Referat über
diese umfänglichen Arbeiten würde uns zu weit führen. Man sehe die Abhandlungen
in: Comptes rendus Bd. 73, S. 1144 bis 1152, S. 1376 bis 1379; Bd. 75, S. 330, 385,
1066: Bd. 77, S. 577 u. 803.
^ Man hat von der von Thomsen gefundenen Zahl 68 360, welche für die Bil-
dung von flüssigem Wasser von 18^ gilt, die mit der Anzahl der gebildeten Gewichts-
einheiten 18 multiplicirte Dampfw&rme, also 18 X 594 = 10692 Cal. zu subtrahiren.
4] 6 n. Thermochemie.
mithin ergieht sich eine theoreÜBche Flammentemperatar von:
t = 6667« C.
für die Flamme des Enallgasgehläses.
Deville ist nun der Ansicht, dass, ahgesehen von allen W&rm^
yerlnsten durch Leitung und Strahlung, die Temperatur einer Flamme
nie ein ähnliches Maximum erreichen könne, weil die Dissociataonstaii-
peraturen der zu hildenden Yerhindungen viel tiefer liegen, als dicM
Temperaturen. Das theoretische Temperaturmaximum wäre hiemach die
Zersetzungstemperatur der hei der Verhrennung gehildeten Yerhindmi^
Die Folge davon wäre, dass sich in den Flammen keine vollständige,
dern nur eine theilweise Verhrennung vollzöge.
Auch für diesen Fall wftrde sich leicht eine Formel ao&tellen li
welche zur Berechnung der Temperatur dienen könnte, welche hei
Verhrennung des Gasgemisches in einer vollkommen adiathennanen HllUi
hervorgehracht würdie, sofern gleichzeitig der Brachtheil des 6a^
gemisches bekannt wäre, welcher nnverbrannt geblieben ist
Nimmt man an, dass von den a-^-h Gewichtstheilen des GrasgemischeB <
X;te Theil unverbrannt bleibt, so werden sich bei dem Verbremmngsp]
(a + h) . ll — - j Gewichtstheile verbinden und eine Wärmemenge
n . ( 1 — jr) GaL hervorbringen, wenn n die Wärmetönong des Pri
ist. Diese Wärmemenge dient dazu, um a . r* Gewichtstheile der
b . — Gewichtstheile der zweiten, und (a + ^) • ( 1 — r ) Gewicht
der Verbindung (alle gasförmig gedacht) von 0 auf ^^ zu
besteht daher die Gleichung:
(a . c' + b . O . i •« + (« + l») • (l - iy,t=n. (l—\]
oder:
, n.(k-l)
' ~ ia . c; + h . e;') + (a + b) . c, . ik-l) • ' • '
wenn ej die specifische Wärme des einen, c^" die des anderen der beides^
sieh verbindenden Sto£fe und c^ die der Verbindung ist.
Eine vollkommene Verbindung zweier Stoffe, deren theoretische ssckj
Formel 12) berechnete Flammentemperatur höher liegt als deren Ztf*
setzung^mperatur, ist demnach nur dann möglich, wenn während dei
Vereinigungsvorganges in ausreichender Weise fortwährend W&rme eot^
zogen wird.
G. Die Dissociationserscheinungeü. 417
Deyille hat nch nun bemüht, experimentell nachzuweisen, dass die
Zersetzong^temperatnr im Aligemeinen eine niedrigere sei, als die nach
12) berechnete.
Er erinnert zu diesem Zwecke an den bekannten Gro versehen Ver-
such, dass durch Einbringung glühenden oder geschmolzenen Platins in
Wasser eine kleine Quantit&t Knallgas gebildet wird. Da ein Theil Wasser
zerlegt worden ist, so meint Deyille, müsse die Zersetzungstemperatur
niedriger sein, als die Temperatur des eingebrachten Platins.
Die Temperatur des eingebrachten Platins suchte er zu bestimmen
und fand dieselbe nach einer allerdings sehr unzuverlässigen Methode
gleich 2500^ Deyille ^) erhitzte nämlich das Platin in einem Kalkofen
mit der Knallgasflamme und warf das geschmolzene Platin in Wasser,
beobachtete die Temperaturerhöhung desselben und berechnete hieraus
nach der Mischungsmethode die Temperatur des Platins. Die bedeutende
Wärmebindung, welche hierbei durch die Zersetzung einer kleinen Wasser-
menge heryorgebracht wird, wurde gar nicht berücksichtigt.
Selbst angenommen, dass der durch die Unyollkommenheit der Me-
thode herbeigeführte Fehler nicht unbedeutend sei, ist jedenfalls consta-
tirt, dass die Temperatur der Flamme und zumal die des Platins wesent-
lich niedriger gewesen ist, als die nach Formel 12) zu ungefähr 6700^0.
berechnete. Eine andere Frage dürfte es sein, ob damit schon erwiesen
ist, dass die Zersetznngstemperatur des Wassers ebenso tief liegt. Ich
glaube, dass dieser Nachweis nicht genügend ist, weil wir gesehen haben,
daas schon bei Temperaturen, welche wesentlich unter der Zersetzungs-
temperatur liegen, theilweise Zersetzungen eintreten können und dass
diese zumal dann ziemlich weit gehen können, wenn den Zersetzungs-
produoten, wie dies hier wegen der Abkühlung durch das umgebende
Wasser und wegen des Entweichens der gebildeten Gase der Fall ist, die
Möglichkeit genommen wird, sich wieder zu yereinigen.
Da jedoch die Temperaturen, bei welchen merkliche Quantitäten
einer Substanz durch Wärme zerlegt werden, meist nicht sehr weit von
der eigentlichen Zersetzungstemperatur entfernt zu sein pflegen, so kann
man es nach den Devill ersehen Versuchen immerhin für sehr wahr-
scheinlich halten, dass die Zersetzungstemperatur des Wassers wesentlich
niedriger liegt als' die nach 12) berechnete Flammentemperatur des 'Knall-
gases.
Femer hat Deyille noch Beobachtungen an einer Flamme yon
Kohlenoxyd und Sauerstoff angestellt. Er Hess aus einer 5 qmm weiten
Oeffnung Kohlenozyd und Sauerstoff bei massigem Drucke in solchen
Mengenverhältnissen ausströmen, dass die ausfliessenden Gasmengen ge-
rade zur Bildung yon Kohlensäure ausreichten, und zündete den Gas-
Btrom an. Die Flamme bildete einen doppelten Kegel, einen inneren und
^) Le^ons sur la dissociation. Bulletin de la soci^te chimique de Paris, 1 864 u. 1865,
S. 281.
y erdet -BflhI mann, Meehan. Wftrmotlieorie. Bd. 2. ^^^
418 II. Thermochemie.
einen äasseren. Es wurde Temperatar und chemische Znsammeiuetsiuii
der Gase an den verschiedenen Stellen der Flamme nntersncht.
In der Nähe des Ausflussrohres hefand sich ein nicht leachtender
Kegel; in diesem waren noch keine merklichen Mengen heider (hm
mit einander yerhonden , die Temperatur war aher an dieser Stelle aa
höchsten. Von der Spitze his zur Oeffhung nimmt der Gehalt derFlamiN
an Eohlenoxyd ah und ist an der Spitze Null , und in derselben Weia
nimmt auch die Temperatur von der Oefihung hie zur Spitze ab, li
man aus dem Glühzustande eines eingetauchten Platindrahtes leicht •
kennen konnte.
De Tille meint nun, dass am Rande des dunklen Kegels die T«j
bindung zwischen Eohlenoxyd und Sauerstoff zu Kohlensäure stattfind^
dass dieselbe aber nur eine unvollständige sei, weil die
Flammentemperatur sich an dieser Stelle der Zersetzungstempenitiir
erheblich genähert habe.
Deville zeigte späterhin auch direct, dass beim Erhitzen von Ki
lensäure in Porcellanrdhren bis und über 1000® um so grössere M<
Kohlensäure in Kohlenoxyd und Sauerstoff zerfallen, je höher die Ti
ratur ist.
Auch die Flamme, welche durch Verbrennung von Wasserstoff
Chlor zu Chlorwasserstoffgas entsteht, und mehrere ähnliche FäUe
stets gezeigt, dass die Zersetzungstemperatur merklich unter der Ti
peratur liegt, welche das Gemisch bei seiner voUständigen Verl
annehmen müsste, wenn eine Wärmeabgabe nach aussen vollständig
geschlossen wäre.
Undenkbar wäre es zunächst aber nicht, dass es auch Verhindiiif
gäbe, deren Zersetzungstemperatur höher läge, als dieses theoi
Temperaturmaximum.
Es ergab sich, dass die heisseste Stelle der Kohlenozydknal]|
flamme die Spitze des inneren Kegels ist; ein dünner Platindraht
hier mit Funkensprühen geschmolzen. Aus den chemischen Ansl]
der Gasgemenge, welche verschiedenen Tbeilen der Flamme entooi
wurden, ergab sich, dass von der Mantelfläche des inneren Kegels bis
Spitze der sichtbaren Flamme der Kohlensäuregehalt beständig
Im inneren Kegel findet noch keine chemische Verbindung
weil die Geschwindigkeit des ausströmenden Gasstromes dort noch
ist, als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Entzündung. Am
des inneren Kegels geht nur eine theilweise Verbrennung des Kc
oxydgases zu Kohlensäure vor sich, weil die Temperatur des verl
liehen Gases so hoch steigt, dass eine mit weiterer Wärmeentwickdi
stattfindende Verbindung durch die Dissociation einer gleich
Menge Kohlensäure compensirt wird.
Nach den schon vorhin erwähnten Versuchen tritt eine schon m^
liehe Dissociation der Kohlensäure in Kohlenoxydgas und Sauerstoff m
lOOQo C. ein. i
G. Die Dissociationserscheinangen. 419
DasB eine Flamme mit erheblicher Aasdehnimg entsteht, wenn Koh-
lenoxyd oder Wasserstoff in atmosphärischer Luft yerbrennt, ist von vorn-
herein einleuchtend, da die im Innern des ansfliessenden Gasstromes be-
findlichen Molecüle des verbrennlichen Gases erst in einiger Entfernung
von der Ausströmungsöffnang mit dem zur Verbrennung nöthigen Sauer-
stoff in Berührung kommen. Wenn aber ein aus äquivalenten Mengen
von Wasserstoff und Sauerstoff bestehendes Gasgemisch, oder ein zur
Bildung von reiner Kohlensäure gerade ausreichendes Gemisch aus einer
Oeffoung ausfliesst, so könnte man fragen, warum nicht schon an der
Oefinung sich die ganze Gasmasse verbindet und warum nicht nur eine
sehr kurze Flamme gebildet wird.
Diese Frage ist von Bunsen entschieden worden, welcher zeigte, dass
die Geschwindigkeit, mit der eine eingeleitete Verbrennung in einem solchen
Gase sich fortpflanzt, eine ganz bestimmte und leicht messbare Grösse ist.
Bunsen^) Hess zu dem Zwecke die explosiven Gasgemenge aus einer
in dünner Platte befindlichen feinen Oefinung von bekanntem Querschnitte
ausströmen und zündete den Gasstrom an. Hierauf verkleinerte er die
Ausströmungsgeschwindigkeit durch Verminderung des Druckes im Re-
servoir so lange, bis die Flamme durch die Oeffnung zurückschlug und
das hinter derselben befindliche Gas entzündete. Das Zurückschlagen
der Flamme muss eintreten, sowie die Geschwindigkeit, mit der das
Gasgemisch die AusflussÖfihung durchströmt, um eine unendlich kleine
Grösse geringer geworden ist, als die Geschwindigkeit, mit der sich
die Entzündung von den äusseren brennenden Gasschichten nach den
inneren noch nicht brennenden hin fortpfianzt. Die Geschwindigkeit, mit
der das Gas aus der Oefihung ausströmte, als gerade der Rückschlag er-
folgte, wird also sehr nahe gleich der Geschwindigkeit sein, mit der sich
die Entzündung fortpfianzt. Wahrscheinlich wird die gesuchte Grösse
etwas grösser sein, da der äussere Theil des Gasstrahles durch die Be-
rührung mit der Wand immer etwas abgekühlt wird und Abkühlung
des Gases die Entzündungsgeschwindigkeit verringert, resp. den Eintritt
der Entzündung ganz verhindert.
Nennt man die Geschwindigkeit, mit der sich die Entzündung fort-
pflanzt, 07 , d den Durchmesser der Ausflussöffnung , V das Gasvolnmen,
welches bei der Ausflussgeschwindigkeit in t Secunden ausfliesst , u den
Contractionscoefficienten des Strahles, so ist:
4 V
€^= 1 , 14)
Bunsen fand hieraus die Entzündungsgeschwindigkeit cd für Knall-
gas ans äquivalenten Mengen von:
Sauerstoff und Wasserstoff = 34 m,
Kohlenoxyd und Sauerstoff = 1 m.
*) Bunsen, Ueber die Temperatur der Flammen des KoWenoxydes und Wasser-
stoffs. Pogff. Ann. Bd. 131, S. 165.
27*
420
n. Thermochemie.
Es sind dies überraschend kleine Zahlen, da man eigentlich genagt
wäre, zu vermuthen , dass sich die Entzündung ungefähr mit der Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit des Schalles in den Gasen verbreiten mänte.
Einen entscheidenden Beweis daf&r, dass die FlanunentemperatBr
wirklich wesentlich niedriger liegt, als die auf theoretischem Wege er-
mittelte Ziffer, so dass man nicht bloss die Abkühlung durch Leitimg^
Strahlung und Fortführung der Wärme als zureichende ErklärungsgrüBd»
für diese jDifferenzen ansehen kann, bat Bunsen ^) beigebracht.
Der Bestimmung der mittleren Flammentemperatur liegen folgendt
Formeln zu Grunde. Nimmt man an, es seien h Gewichtstheile WaaMr-
Stoff, 0 Gewichtstheile Sauerstoff, n Gewichtstheile eines indiffereniaa
Gases vorhanden, die specifische Wärme bei constantem Yolumen
Wasserdampfes sei tf„, die des Wasserstoffs Ö,,, des Sauerstoffii 6^ dee i
dififerenten Gases <5«, so ist, wenn der xte Theil des vorhandenen W
Stoffs in einem allseitig geschlossenen Räume bei der Explosion dch
dem Sfacben Gewichte Sauerstoff verbindet, die resultirende Tem
erhöhung 2i — T, sofern weder Wärme zu- noch abgeführt wird,
dann:
Ti — T =
Q .X .h
9x .h . <S„ + {o — Bh.x) . öo + (l — x) . h.ö^ +«.0.
wenn Q die Wärmetönung bei Bildung von Wasserdampf ans den
menten bei der Temperatur ti bezeichnet. Setzt man in dieser F(
h(96„ --8<J„ — 0,)= C
und:
so ist:
und demnach:
Ä . dfc + 0 . <J„ + » . <y, = D,
^'~^- Cx + D
h.Q— C.(Ti — T)
Statt mit .Hülfe dieser Formel ist Ti — T durch eine analoge
chung zu bestimmen, wenn es sich um Eohlenoxyd anstatt um Wi
Stoff oder um irgend ein anderes explosives Gasgemisch handelt,
ausser den beiden verbrennlichen nur noch ein indifferentes Gas ml
Mit Hülfe des Ausdehnungsgesetzes vollkommener Oase, wi
man bei der Temperatur Ti auch für das Yerbrennungsprodact
und GOs) als gültig ansehen kann, und mit Hülfe des bekannten
^) Bansen, Ueber die Temperatur der Flammen des Kohlenoxydes und desWi
Rtoffs. Pügg. Ann. Bd. 131, S. 161 bis 189.
C. Die DissooiatdonBerscheinuiigen. 421
dass der Druck eines Gasgemisches gleich der Summe der Partialdrüoke
der Beetandtheile ist, kann man noch eine Beziehung zwischen x und 2i
an&tellen.
MitV^A, Soi ^1 S^ wollen wir die specifischen Gewichte des Wasserstoffs,
des Sauerstoffs, des indifferenten Gases und des Wassergases bezeichnen.
Die Gewichtsmenge ^j^ Wasserstoff übt bei To(= 274 -f 0^), wenn
es das Volumen 1 erfüllt, den Drucik von 1 Atmosphäre aus; demnach
übt die Gewichtsmenge h^ wenn dieselbe das Volumen V erfüllt, bei
Ti Grad einen Druck aus, welcher gleich:
ist.
Analog sind die Drücke, welche o Gewiohtstheile Sauerstoff und die
n Gewichtstheile des indifferenten Gases^ausüben:
0 . Ti ^ n . Ti
und
Aus diesen drei Drücken besteht vor der Explosion bei der Tem-
peratur T der Druck P, es gilt demnach die Gleichung:
T
P =
To. V
Wenn bei der Explosion nur der o^te Theil des Wasserstoffs sich mit
Sauerstoff zu Wasser verbunden hat, so sind alsdann:
9x . h Gewichtstheile Wasser,
(1 — x) . h „ Wasserstoff,
0 "^ 8 .X . h „ Sauerstoff,
n „ des indifferenten Gases,
vorhanden. Der unmittelbar nach der Explosion bei einer Temperatur Ti
stattfindende Druck Fi setzt sich demnach aus den Partialdrücken dieser
vier Gasmengen zusammen und es muss aus denselben Gründen wie vor-
her die Gleichung bestehen:
_ Ti /9xh (l — x) ,h 0 — Sxh n\
' "" To . F A s« "^ s, "•■ s, ^ sJ
Da bei den Bunsen 'sehen Versuchen das Gasvolumen vor und nach
der Explosion unverändert bleibt, so besitzt V in beiden Gleichungen
denselben Werth und kann durch Division aus denselben eliminirt wer-
den. Auf diese Weise entsteht eine neue Beziehung zwischen Ti und a;;
dieselbe lautet:
^•^^- ^ 17)
Pi . T Äx + B
worin abkärzungsweise:
h 0 . n
B s- + T + T
<*» «. ö»
422 II- Thermocliemie.
gesetzt worden iat.
Eliminirt man ans diesen beiden Gleichungen x, eo erhält man filr
T| eine quadratische Gleichung, von der jedoch nnr eineWnrzel branch*
bar ist, während die andere auf ein unmögliches Resultat fOhrt Somit
iat hier ein Weg gefanden, am dieFlammentemperatnr T] ans Teranohen
zn ermittebi.
Bunsen verfuhr nan anf folgende Weiae: In ein Endiometer (tnan
Bebe Fig. 21), welches obendnrch eine auegeschlifiene Platte j) geschlossen
werden konnte, brachte er das explosible Gasgemisch.
IKe Deckplatte p bestand aus einer dicken Scheibe von Spiegelglas
und war auf eine zweite eiserne Platte gekittet, von der, um einen lo-
dnctionsfunken dnrch den Apparat schlagen lassen en können, ein eiser-
ner Stift bis unter die untere Fläche der durchbohrten Glasplatte heraua*
ragte.
Von nuten ist durch das Glas des Eudiometera ein Platindraht ge>
schmolzen, welcher mit seinem äusseres Ende auf einen Stanniol streifen c
aufgesetzt wird. Nachdem das explosible GasgemiHch unter Quecksilber
in das Endiometer gefüllt worden war, wurde die etwas gefettete Glas-
platte auf das Eudiometer aufgesetzt und der obere Theil des letzteren
mit einem anf einer Kantschnkwulst aufsitzenden Glasrande g versehea-
Das auf diese Weise über dem Deckel entstehende Näpfchen wurde mit
Wasser gefüllt. Zur Drackmessnng selbst diente die Hebel Vorrichtung,
welche aus der Zeichnung leicht verständlich ist. Das Gegengewicht a
diente zur Balancirung des Hebelarmes, auf dessen Eintheilang das Lauf-
Fij-. 21.
gewicht Ii verschiebbar ist, um den auf dem Verschluss des Explosions-
gefässes lastenden Druck beliebig variiren zu können. Die Eisenplatte,
welche auf den Glasdeckel des Eudiometera aufgekittet ist, besitzt in der
G. Die PissodatioDBerscheinangen. 423
Mitte eine kleine Vertiefung, um die oonische Spitze des Fortsatzes d
stets genau concentrisch an derselben Stelle aufsetzen zu können. Soll
das im Gef&sse befindliche Gas entzündet werden, so verbindet man d
und den Stanniolstreifen e mit den Polen eines kräftigen Inductions-
apparates und lässt einen Funken durch das Gemisch hindurchschlagen.
Wenn der durch die Entzündung des Gases hervorgebrachte Druck
geringer ist, als der auf dieVerschlussplatte ausgeübte Druck, so verläuft
die Explosion ohne Geräusch und ohne das Absperrwasser im Glasauf-
satze g in Bewegung zu setzen. Ist dagegen der durch die Entzündung
erzeugte Druck der grössere, so wird der Deckel gehoben und das Ab-
sperrwasser mit heftigem Geräusche in die Höhe geschleudert.
Nach wenigen Versuchen konnte man leicht die Druckgrenzen, bei
denen die eine oder die andere von beiden Möglichkeiten eintrat, einander
so nahe rücken, dass man das Mittel aus beiden sich am nächsten liegen-
den Drücken ohne erheblichen Fehler als den Druck ansehen konnte, den
das Gasgemisch bei der Explosion ausübte 0*
Selbstvei'ständlich wurde auch der Druck, unter dem sich das Gas
vor der Explosion befand, und die Kraft, welche zum Abreissen des ad-
härirenden Deckels von dem Eudiometerrande nöthig war, mit berück-
sichtigt«
Da die Entzündung längs der ganzen Axe^ des Eudiometers erfolgte,
welches einen Durchmesser von 1,7 cm hatte, so musste, wenn man
die obengenannten Fortpflanzungsgeschwindigkeiten der Entzündung zu
Grunde legte, die Einleitung der Verbindung in dem ganzen Räume in
einer so kurzen Zeit erfolgt sein, dass man ohne wesentlichen Fehler an-
nehmen kann, es sei von der während der Dauer der Explosion ent-
wickelten Wärmemenge bis zur Messung des Druckes keine sehr erheb-
liche Menge durch Leitung und Strahlung verloren gegangen. Nach-
stehende Tabelle giebt eine Uebersicht über die Resultate der Versuche.
Zur Berechnung sind die specifischen Wärmen bei constantem Vo-
lumen benutzt, da ja bei jedem Versuche das Volumen ungeändert bleibt.
Als Verbrennungswärme des Kohlenoxydgases ist 2403 (C = 6,
0 = 8) und als die des Wasserstofi's 29 629 (H = 1, 0 = 8) benutzt.
Die geringen Ungenauigkeiten, die in diesen vonBunsen benutzten
Zahlen begründet sind, beeinflussen, wie man sich leicht überzeugen
kann'), das Endresultat so wenig, dass wir unmittelbar die Ziffern der
Originalarbeit mittheilen.
^) Man sehe die belegenden Versuche in der Banse naschen Originalabhandlung.
Pogg. Ann. Bd. 131, S. 168.
^ Vicaire, Memoire snr la temp^ratare des flammes et la dissociation. Ann. de
chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 19, S. 145, findet Unterschiede für T^ — 7, welche
kaam 100^ übersteigen.
424
II. Thermochemie.
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G. Die DissociationserscheinuDgen. 425
Aus diesen VerBuchen ergiebt sich, dass die Temperatur bei Yer-
brennung von in richtigem Yerhältnisse gemischten Wasserstoff-Sauer-
stoff-Knallgase ungefähr gleich 2840^ C. ist, wenn der erreichte Druck
nahezu 10 Atmosphären betragt. Die Verbindung hat sich dabei auf
ungefähr ^/a des disponiblen Knallgases erstreckt, während ^/g dissociirt
bleiben.
Da Deville bei Atmosphärendruck die Temperatur der Knallgas-
flamme auf 2500^ C. schätzt, so kann man in diesen Zahlen eine Bestäti-
gung der Deville' sehen Versuche und auch der Vermuthung erkennen,
dasB die wirkliche Flammentemperatur beim Knallgas wesentlich tiefer
liegt, als die nach Gl. 12) theoretisch bestimmte.
Das im richtigen Verhältnisse gemischte Knallgas, welches aus Koh-
lenoxyd und Sauerstoff besteht, erreicht bei einem Drucke von durch-
schnittlich 10,4 Atmosphären in einem geschlossenen Gefasse eine Tem-
peratur von 3030« C.
Merkwtbrdigerweise ist auch in diesem Falle der Theil des verbin-
dungsfahigen Gemisches, welcher sich wirklich zu Kohlensäure verbindet,
fast genau der dritte Theil, während Vs tinverbmnden bleiben.
Bei beiden explosiblen Gemischen nimmt, wenn ein Volumen des-
selben successive mit 0,7 bis 3,2 Volumina nicht mitverbrennenden Gases
verdünnt wird, die Flammentemperatur bis beinahe 1000® merklich ab-
Alsdann ist die Menge des zur Verbrennung gelangenden Gasgemisches
fast genau die Hälfte desjenigen, welches überhaupt eine Verbindung ein-
zugehen fähig war.
Bunsen fasst das Resultat dieser Versuche in folgenden Worten
zusammen^):
„Wird Kohlenoxydgas entzündet und seine Temperatur dadurch von
O^' auf 3033® C. gesteigert, so enthält es Vs des vorhandenen Kohlenoxyd-
gases in unverbranntem und un verbrenn liebem Zustande, die Temperatur
3033® G. erniedrigt sich jetzt durch Strahlung und Leitung auf 2558® G.,
ohne dass von diesen Vs Kohlenoxydgas etwas verbrennen kann; sinkt die
Temperatur noch etwas weiter herab, so beginnt von Neuem eine Ver-
brennung, welche den weiteren durch Strahlung und Leitung bedingten
Wärmeverlust ersetzt und die Temperatur von 2558® C. wieder herstellt«
ohne eine Erhitzung über diese Temperatur bewirken zu können; daher
folgt auf die von 3033® G. stetig abnehmende Temperatur abermals eine
so lange constant bleibende von 2558® G., bis gerade die Hälfte des Koh-
lenoxydgases verbrannt ist; es tritt jetzt eine dritte Phase ein, bei der
bis zur Abkühlung des entflammten Gemisches bis auf mindestens 1146®
wiederum gar keine Verbrennung erfolgt. Da das Gasgemisch nach dem
Erkalten ganz aus Kohlensäure besteht, so müssen sich diese Phasen
constanter und abnehmender Temperaturen auch noch unterhalb 1146^G.
wiederholen, bis der letzte Antheil des Gases verbrannt ist." Hieraus
^) Bansen, Pogg. Ann. Bd. 131, S. 175.
426 EL Thermochemie.
würde folgen, dasB die Dissociation der Kohlens&iire und analog des Was-
serdampfes bei wachsendem Drucke und wachsender Temperatur nicht
in stetiger Weise, sondern sprungweise erfolgte.
Bunsen setzt dies mit einem anderen Gesetze in Verbindung und
meint, dass sich dasselbe mit den Resultaten obiger UntersnchuDg wecb-
selsweise bestätige. Er fand nämlich ^), dass, wenn man ein Gemisch tod
Wasserstoff, Eohlenoxyd und Sauerstoff entzündet, so wird durch den Sauer-
stoff sowohl Wasserstoff als Kohlenoxyd verbrannt. Der Versuch zeigt
aber das eigenthümliche Resultat, dass die Mengen, welche sich der Sauer-
stoff von den beiden überschüssig vorhandenen Gasen zur Verbrennung
auswählt, in einem einfachen atomistischen Verhältnisse zu einander ste-
hen, und dass diese mit dem Sauerstoffe sich verbindenden Gasmengen
bei allmählicher Vermehrung eines der Gemengtheile nicht stetig wach-
sen oder abnehmen, sondern in Intervallen plötzlich von einem einfachen
Atomverhältnisse auf ein anderes einfaches überspringen. Der Sauerstoff
theilt sich dabei in das überschüssig dargebotene Wasserstoffgas und
Kohlenoxydgas in Verhältnissen, die folgenden Atomzahlen der gebildeten
Verbren nungsproducte entsprechen:
2CO3 ICO, ICO2 ICO, ICO, ICO,
1H,0 1H,0 2HaO SHaO 4H,0 5H,0
Wäre die von Bunsen aus seinen Versuchen geschlossene Thatsache
richtig, 80 müsste auch die Dissociation sich in ähnlicher Weise sprung-
weise mit der Temperatur ändern, das aber stimmt weder mit uneerai
sonstigen Erfahrungen noch mit den bisher von uns entwickelten theo-
retischen Anschauungen Überein.
Allerdings sind die Versuche nicht zahlreich genug und erstrecke!
sich nicht auf ausreichend verschiedene Anfangsdrücke und Anfangstem-
peraturen, um schon definitiv genöthigt zu sein, Unstetigkeiten oder sehr
plötzliche Richtungsänderungen in der Dissociationscurve annehmen za
müssen. Auch sind die unvermeidlichen Fehler der Versuche nicht so
gering, dass man die von Bunsen erhaltenen sehr einfachen Mittel werthe
für X = 0,332 und x = 0,502 nicht noch als zum Theil zufallig mit ^ s
und V2 zusammenfallende ansehen könnte. Die Entzündung schreitet,
zumal beim Kohlenoxydgas, doch nicht momentan von der Mitte bis zur
Wandung fort und zumal bei so hohen Temperaturen wird die selbst in
einer so kurzen Zeit durch die Wandungen abgeführte Warme nicht
zu vernachlässigen sein ').
Beide Umstände wirken aber darauf hin, dass die von Bunsen be-
obachteten Drücke und Temperaturen zu klein gefunden werden mussten.
Besonders merklich muss dieser Fehler aber bei den explosiblen Gemi-
^) Bansen, Gasometrische Methoden. S. 273.
^) Das vollkommen momentane Aufleuchten und Verschwinden des Funkens ia
einer G eis sie r 'sehen Röhre deutet auf eine sehr rasche Ahkühlung hocherhitzter Gase
Man sollte solche Versuche einmal mit Eudiometem wiederholen, die aus sehr $vt
wärmeleitenden Suhstanzen z. B. aus Metallen hergestellt wären.
C. Die Dissociationserscheinuiigen. 427
sehen aeiD, welche neben Eohlenoxydgas ond der äquivalenten Menge
Sauerstoff noch erhebliche QoantitAten nicht yerbrennHcher Gase ent-
halten; denn Bansen selbst bemerkt, dass die Fortpflanzungsgeschwin-
digkeit der Entzündung bei zunehmender Beimengung indifferenter Gase
80 rasch abnimmt, dass man z. B. bei Kohlenoxydgas in der Lage sei,
das Fortschreiten der Verbrennung mit dem Auge zu verfolgen.
Nun wird aber x aus der Formel:
(Ti— T) . D D
X
},.Q-(T^^T),C h. Q _ ^
bestimmt. Findet man aber für Ti — T wesentlich zu kleine Zahlen,
so wird dadurch der Nenner vergrössert und somit x zu klein gefunden.
Eine solche Abnahme der Werthe von x mit sinkender Temperatur,
d. h. bei zunehmender Beimischung fremder Gase, ist aber beim Kohlen-
oxydgas nicht zu bemerken; man könnte eher das Gegentheil erkennen,
da man bei einer Mitteltemperatur von ungefähr 2300^ den Werth von x
gleich 0,486 und bei einer Mitteltemperatur von ungefähr 1500® fürd; die
Grösse 0,507 erhält.
Auch hat Horstmann gezeigt, dass zumal die zuletzt von Bunsen
angezogenen Versuche dadurch zu kleine Zahlen ergeben haben, dass
dieser mit feuchten Gasen experimentirte.
Wir sind zumal mit Hinblick auf die im nachstehenden Paragraphen
mitgetheilten Versuche von E. v. Meyer und von Horstmann der An-
sicht, dass die Bunsen' sehen Zahlen uns jetzt noch nicht nöthigen, die
bisherigen Anschauungen über Dissociation vollständig zu ändern.
Jedenfalls ist aber schon durch die mitgetheilten Versuche constatirt,
dass selbst bei hohem' Drucke die Dissociationstemperatur wesentlich nie-
driger liegt, als die theoretische nach Formel 12) berechnete Flammen-
temperatur, und dass somit die Dissociationserscheinungen auch bei den
Flammen eine wichtige Rolle spielen ^).
Wir sind nunmehr auch im Stande, uns ein leidlich anschauliches
Bild von den Vorgängen zu machen, welche im Inneren einer Flamme
stattfinden.
Stellen wir uns die Flamme eines Knallgasgebläses vor, so beginnt
die Verbrennung nicht an der Ausflussöffnung des Gasgemisches, sondern
dieselbe beginnt auf der Oberfläche desjenigen Kegels, auf welchem die
mit der Entfernung von der Mündung abnehmende Geschwindigkeit des
ausströmenden Gases gleich der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Ent-
zündung geworden ist. Eine kleine Gasmenge, welche diese Fläche über-
schreitet, ist schon bei der Annäherung an diese Grenzfläche durch Strah-
lung und Leitung erhitzt worden, nunmehr wird dieselbe entzündet und
^) Beach tens werth , wenn auch yielfach anf zu hypothetischem Boden stehend,
•cfaeint die Arbeit von Vicaire, Memoire sur 1a temp^atur des flammes et la disso^«
cUtion. Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 19, S. 118 bis 158,
428 II. Thermochemie.
wird durch die YerbrennaDg eines Theiles seiner Bestandtheile erhitzt Ee
sei V die Wärmemenge , welche die Gasmasse aufgenommen hat, die sie
zur Verbrennung gelangt, und die sie durch den eingeleiteten chemiacheo
Process während der Zeit erhält, die nöthig ist, um das durch die Disso-
ciation begrenzte Temperaturmaximum zu erreichen. In demselben Zeit-
räume giebt die Gasmasse auch eine Wärmemenge Vi ab, ein Theil de^
selben wird verwendet, um die durch die Ausdehnung des Gases gelei-
stete äussere Arbeit hervorzubringen , ein anderer Theil dient dazu, be-
nachbarte Gasmengen zu erwärmen. Die Zeit, welche die Gasmaae
braucht , um diese ausserordentlich bedeutende Temperaturändenmg n
erfahren, ist eine ungemein kleine Grösse. Zuerst empfängt das Gia
unzweifelhaft mehr Wärme, als es abgiebt; in den ersten überans klo-
nen Zeitabschnitten ist daher v > i^i. Sehr bald wird v = Vi werd^
und die Verbrennung wird in der Hauptsache bei constanter Temperatur
vor sich gehen. Der Raum, innerhalb dessen sich dieser Vorgang toII-
zieht, wird der eigentliche Flammenkörper sein. Allmählich aber ge-
langt eine solche Gasmasse in eine Umgebung, in der sie mehr Wärme
durch Fortführung, Leitung und Strahlung abgiebt, als durch die letatea
Reste verbrennenden Gases 'geliefert werden kann, die Temperatur sinkt
und die vorher durch Dissociation noch unverbrennlich gebliebenen Gai-
theile gehen nun ebenfalls in die zu bildende Verbindung über. Dk
Temperatur des sichtbaren äusseren Randes der Flamme wird daher jeden-
falls die sein, bei der eine merkliche Dissociation des verbrennenden Ge-
misches nicht mehr stattfindet.
Man erkennt, dass die Dissociation demnach eine sehr wichtige Rolb
bei der Erscheinung der Flamme spielt; dieselbe vermindert die Tempe*
ratur in der unmittelbaren Nähe des inneren Kegels, während sie weite^
hin einen vollommenen und in noch grösserer Entfernung von der Mös-
dung nahe am äusseren Rande der Flamme einen theilweisen Ersatz
durch den nachträglichen Eintritt der Verbindung der noch unverbrann-
ten Theile für den Wärmeverlust giebt. Ohne das Eintreten der Di^o-
ciation würden wir nur äusserst kurze Flammen mit enorm hohen Tem-
peraturen erhalten*
Die Erfahrung steht mit diesen auf theoretischem Wege erhalteneB
Folgerungen im besten Einklänge.
Man braucht nicht nur auf die Messungen von St. Claire Devillc
an der Kohlen oxydgasflamme aufmerksam zu machen. Es ist z. E er-
sichtlich , dass die Temperaturerniedrigung und die Vollendung der Bil-
dung des Verbrennungsproductes um so mehr in der Nähe des inneres
Kegels stattfinden wird, je grösser die Wärmeentziehung auf dem Weg«
einer kleinen Gasmenge ist. Das Volumen einer Flamme wird demnach
um so grösser sein müssen, je höher die Temperatur der Körper iet^
welche sich in unmittelbarer Nähe der Flamme befinden. In der Tltft
ist auch die in freier Atmosphäre so kurze und spitze Flamme desKoall-
gasgebläses von erstaunlich grosser Dimension in den Gasöfen von Schlö-
C. Die Dissociationsetscheinungen. 429
sing, Perrot und Anderen, deren Wandungen ans weissgluhendem Kalk
oder Thonmassen bestehen. Die Flammen können in solchen Apparaten
ihre Wärme nicht abgeben, und die Dissociation erstreckt sich daher aaf
einen viel grösseren Weg des ausströmenden und verbrennenden Gases,
als Yofher.
10. Horstmann's Versuche über die relative Verwandt-
sohaft des Sauerstoffe zu Wasserstoff und KoUeuozyd.
Bei den Untersuchungen von B u n s e n wurde ein Gremisch von
Wasserstoff und Kohlenoxyd mit einer zur vollständigen Verbrennung
beider Gase unzureichenden Menge von Sauerstoff zur Explosion ge-
bracht. Die Resultate, der Experimente schienen anzudeuten, dass das
Yerhältniss der Volumina der Yerbrennungsproducte (COg : H9O) sich
stets durch kleine ganze Zahlen ausdrücken lasse, und dass mit stetig
zunehmendem Wasserstoffgehalte der ursprünglichen Mischung jenes Yer-
hältniss sich sprungweise ändere.
Die Zahl ier Versuche reichte jedoch zur Begründung eines so
wichtigen Gesetzes nicht aus. In neuerer Zeit schienen jedoch die Bun-
gen'sehen Resultate eine Bestätigung durch die Untersuchungen von
£. Y. Meyer ^) „über die unvollkommene Verbrennung von Gasgemischen^
m erhalten. Auch diese Arbeit enthält jedoch keine genügend zusam-
menhängende Reihe von Versuchen, so dass es nicht möglich ist die
Constanz des fraglichen Volumenverhältnisses nach der Explosion für
Terschiedene Zusammensetzungen des Gemisches vor der Explosion oder
einen Sprung desselben für zwei naheliegende Mischungsverhältnisse der
anfanglich vorhandenen Gase deutlich zu erkennen ^).
Diese Unsicherheit über einen Vorgang, der die bisher übliche Vor-
stellung von der Dissociation vollständig umzustossen drohte, indem er
Bunsen's auffallige, im vorigen Paragraphen mitgetheilten Resultate zu
bestätigen schien, bestimmte Horstmann ^) die Frage nach der Gültig-
keit des von Bunsen vermutheten Gesetzes, durch eine planmässige Un-
tersuchung zur Entscheidung zu bringen. Er mischte zunächst, wie
Bansen, Kohlenoxyd mit Knallgas in wachsendem Verhältnisse und Hess
die Gemische in gewöhnlichen Eudiometem explodiren. Die Gase wurden
vollkommen rein und trocken verwendet und die Zusammensetzung des
Gemisches vor und nach der Explosion genau bestimmt.
M Journal f. praktische Chemie 2. Folge, Bd. 10, S. 273 u. s. f.
^) Auch spätere Versuche von E. r. Meyer über die langsame theil weise Ver-
brennung von Wasserstoffkohlenozydgemischen bei Gegenwart von Platinschwamm (Journ.
für prakt. Chemie 2. Folge, Bd. 13, S. 125; auch sehe man a. a. 0. Bd. 14, S. 125
Anmerk.) sind nicht geeignet, das von Bunsen vermuthete Gesetz zu beweisen, da
die onvermeidHcben Fehler zu gross sind und der Einfluss der für die verschiedenen Gase
und Terschiedenen Temperaturen sehr ungleichen Absorptionsfähigkeit des Platinschwamms
nicht untersucht und berücksichtigt ist.
^ Liebig's Annaien der Chemie Bd. 190, S. 228 bis 256.
430
II. Thermochemie.
Nachstehende Tahelle enthält die Resultate der Versuche. Der Brack
der Gase vor der Explosion war in den meisten Fällen naheza gleich,
der Maximaldmck während der Explosion ist nicht gemessen worden.
Die genaueren Details der Versuche möge man in der Originalarb^t
nachsah en.
Versuche mit Gemischen von trockenem Kohlenoxyd und
Knallgas.
Verhältniss des
ver-
Wasserstoffgehalt vor
^7
brannten Wasserstoff-
der Explosion in Pro-
Druck des Gemisches
E
und Kohlenoxyd-
centen der brennbaren
9
▼or der Explosion
Gase
Yolumens (H2 0 :
z
CO3)
r
19,5
0,73
462,3 mm
24,1
1,03
468,6
25,5
1,15
462,3
26,0
1,15
374,0
27,2
1,22
463,0
28,6
1,30
463,2
30,0
1,45
461,0
30,4
1,44
461,4
31,1
1,51
478,6
33,2
1,57
371,9
35,8
1,76
359,2
35,9
1,87
457,8
37,5
1,83
473,1
38,5
1,91
364,8
39,7
1,97
461,8
45,1
2,35
459,4
49,7
2,61
445,5
64,2
3,90
449,7
67,9
4,39
452,5
Diese Versuche zeigen keine Spar eines Sprunges des Verhaltniues
HgO : GO2, sie ergeben vielmehr eine ganz stetige Aenderung des Ve^
hältnisses z der Verbrennungsproducte mit einer Zunahme des Wasse^
stoffgehaltes im Gemische vor der Explosion. Die Bansen' sehen Zahlen,
welche eine solche sprungweise Aenderung des Verhältnisses beweisen
sollten, sind durchgehends geringer, als die von Horstmann gefundenen
Werthe.
G. Die DissociationserBcheiniingeii.
431
Um die ürsaclie dieses Unterschiedes aofztifinden, stellte Horst-
mann aach eine grössere Zahl von Versuchen mit fenchten Gasen an und
68 zeigte sich, dass die anf diese Weise gefundenen Yerhältnisszahlen
ß von H9O : GO3 wesentlich klein waren, als wenn man trockene Gase ver-
wendet hatte. Aber auch in diesem Falle zeigrte sich nirgends eine sprung-
weise Aenderang oder eine Bevorzugung ganzzahliger Verhältnisse.
Bnnsen theilt nun mit, dass er bei Füllung des Eudiometers nach
seiner bekannten Methode gearbeitet habe und schreibt an anderer Stelle
Tor: „wenn es die Umstände erlauben," die Gase vor der Messung mit
Wasserdampf zu sättigen. Es liegt also in der That nahe zu vermuthen,
d&88 in dem Umstände, dass Bunsen mit feuchten, Horstmann jedoch
mit trockenen Gasen gearbeitet hat, eine wesentliche Ursache des Unter-
schiedes zu suchen ist.
Wenn man die Bunsen'schen Zahlen mit den von Horstmann für
feuchte Gsae erhaltenen zusammenstellt, so zeigen sie wesentlich bessere
Üehereinstimmang. Bunsen's Versuche sind nun aber bei sehr ver-
schiedenen Temperaturen angestellt (2,^3 bis 22,^6) und deshalb mussten
die Gase, wenn ihr Druck und Volumen im feuchten Zustande gemessen
waren, sehr verschiedene Mengen von Wasserdampf enthalten.
In nachstehender Tabelle sind die Bunsen 'sehen Versuche zusam-
mengestellt, die wahrscheinlichen Wasserdampfmengen der verwendeten
Oase, angenähert ermittelt aus den Versuchsbedingungen, und die nach
Horstmann's Versuchen berechneten Verhältnisssahlen H3O : CO3 an-
gegeben, die Bunsen erhalten haben würde, wenn er trockene Gase ver-
wendet hätte.
Bunsen's Versuche.
XniD-
mer
des
Ver-
Wasaerstoff-
gehalt vor der
Explosion in
Procenten der
brennbaren
Gase
Verhältnisa d. verbrannten Wasserstoff-
nnd Kohlenoxydvolnmens
Differenz
Wahrschein-
licher Wasser-
von Bansen
für feuchte Gase
nach Horst-
mann für
trockene Gase
berechnet
dampfgehalt
der von Bunsen
verwendeten
suchs
beobachtet
angenähert
Gase
'W....
1
20,1
0,49
%
0,81
— 32
0,80
2
25,8
1,02
1
1,14
— 12
0,40
3
30,8
1,05
1
1,46
— 41
0,80
4
40,4
1,98
2
2,03
— 5
0,55
5
53,4
3,00
3
2,92
+ 8
1,00
6
62,6
3,13
3
3,72
— 59
0,60
7
71,3
4,15
4
4,80
— 65
0,60
9
72,8
5,08
5
5,02
+ 6
0,70
432
IL Thermochemie.
Man hemerkt, dass die kleineren Differenzen bei Versncb 2 und 4
auch zn kleinem Wasserdampfgebalte der Gase geboren, 5 und 9 sind
wahrscheinlich mit trockenen Gasen angestellt, während bei Yersnch 1, 3,
6 und 7 sowohl die Differenz, als auch der WasBerdampfgebalt gross ist
Der Schein einer sprangweisen Aendemng des Verhältnisses z der
Verbrennangsprodncte ist somit wabrscbeinlicb dadurch hervorgebracht,
dass derselbe bei 1 und 3 durch grössere Wasserdampfmengen mehr
berabgedrückt worden ist, als bei 2 und 4. Dadurch kommen sich die
Wertbe für 2 und 3 sehr nahe und stehen für 1 und 2, sowie für 3 und 4
weiter von einander ab, als nach der Zusammensetzung des Gemiacbes
zu erwarten war. Aebnliches gilt für die letzten Yersuche, docb sind
dieselben an sich von geringerer Bedeutung, weil mit den gröeserai
Zahlen die unvermeidlichen Beobachtungsfehler unverhältnissmässig wacb-
sen. — Die scheinbare Unstetigkeit der Aendemng des Verhältnisses tod
HsO und GO3 ist demnach durch neuere Versuche nicht bestätigt worden.
In einem Gemische von Koblenoxyd und KnaUgas nimmt vielmehr,
Horstmann gezeigt hat, die Menge des bei der Verbrennung gebild
Wassers stetig mit der Menge des anfanglich vorhandenen Wassersitoffes
Die Thatsache, dass bei Anwesenheit von Wasserdampf weniger
Wasserstoff verbrannt wird, findet übrigens sein vollkommenes Analoj
darin, dass wenn man den Gasen vor der Explosion Kohlensäure beim<
weniger Koblenoxyd verbrennt. Nachstehende Tabelle zeigt dies eelf
deutlich ^).
Vor der Explosi
OD enthielt das
Von 100 Vol. CO verbrannten,
Oemisch aaf 1 Vol. CO
wenn anfänglich
Ha
CO2
keine CO^
vorhanden war
wenn CO2
vorhanden war
1,46
0,32
33,3
26,5
1,49
0,49
33,5
22,0
1,51
0,77
38,7
18,3
1,47
0,87
33,3
17,5
1,52
0,92
33,8
18,5
2,03
5,70
38,5
15,3
0,53
0,87
19,7
13,6
Die Tabelle zeigt ausserdem, dass um so weniger Kohlenoxyd ro^j
brennt, je mehr vod Anfang an Koblensäure beigemengt w&r. Pi^sej
Massenwirkung der Yerbrennungsproducte zeigt recbt deutlich den nahen
Zusammenhang dieser Vorgänge mit den anderen von uns betrachtetes
Di ssociationserscheinungen.
^} Man sehe: Horstmanri, Liebisc's Annalen Bd. 190, S. 235.
C. Die Dissociationserscheinungen. 433
Weiterhin hat Horstmann verschiedene Gemische yon Kohlenoxyd
und Wasserstoff (nicht Knallgas) mit wachsenden Sanerstoffmengen explo-
diren lassen, so dass zwischen 20 und 60 Proc. des Volumens der brenn-
baren Gase zur Verbrennung gelangten. Auch bei diesen Versuchen
findet sich nirgends eine Andeutung einer sprungweisen Aenderung des
Verhältnisses der Verbrennungsproducte , noch einer Bevorzugung ganz-
zahliger Werthe desselben.
Allgemein zeigt sich, dass der Sauerstoff grössere Verwandtschaft
zum Wasserstoff, als zum Kohlenoxyd hat, d. h. es verbrennt stets relativ
mehr Wasserstoff als Kohlenoxyd. Man erkennt, dass das Volumenver-
hältniss e der Verbrennungsproducte (HjO : CO^) dem Volumenverhält-
niss ß' der unverbrannten Gase (H : CO) proportional ist, so dass auch
hier die Gleichung gilt:
welche nach J. Thomsen's Untersuchungen, die Vertheilung einer
Basis zwischen zwei Säuren bestimmt, und welche in neuester Zeit^) von
J. vant' Hoff auch auf die Aetherbildung angewendet worden ist.
Der Proportionalitätsfactor y (von E. v. Meyer und Horstmann
auch AfBnitätscoefficient genaont) ist im Allgemeinen kein constanter
Werth. £r ändert sich mit dem Procentsatze a, welcher von dem Ge-
mische brennbarer Gase verbrennt und besitzt fär verschiedene Mengen
der beigemengten nicht verbrennenden Gase verschiedene Werthe, die
Qualität der zugemischten Gase scheint hierbei von untergeordneter Be-
deutung zu sein. Nach einer vorläufigen Mittheilung Horstmann's
scheint diese Aenderung des AffinitätscoefQcienten y mit der Verschieden-
heit der Verbrennungstemperatur zusammenzuhängen, welche durch Bei-
mengungen nicht mit verbrennender Gase bedingt wird. Da diese Un-
tersuchungen jedoch noch nicht vollkommen abgeschlossen sind, so ver-
weisen wir bezüglich der Details auf die Originalabhandlung ^).
In nahem Zusammenhange mit den vorstehend angeführten That-
sachen steht die Einwirkung von glühender Holzkohlis auf Wasserdampf.
Bunsen^) glaubte auch hier beobachtet zu haben, dass das bei einem
solchen Versuche resultirende Gasgemisch Kohlenoxyd und Kohlensäure
in Volumverhältnissen enthalte, welche sich durch kleine ganze Zahlen
ausdrücken Hessen. Langlois^) und G m e 1 i n ^) konnten einfache Ver-
hältnisse zwischen den Volumina dieser Gase nicht auffinden. In neuerer
Zeit hat J. H. Long^) hierüber Versuche angestellt. Dieser leitete nach
Austreibung der Luft über glühend gemachte, in einer Porcellanröhre be-
findliche reine Holzkohle Wasserdampf und fing die entweichenden Gase
1) Berichte der Deutsch, ehem. Gesellsch. Bd. 11, S. 669 (1877).
*) Liebig's Annalen Bd. 190, S. 247 bis 256.
'j Pogg. Ann. Bd. 46, S. 207.
*) Ann. d. chim. et d. phys., 3. Serie. Bd. 51, S. 322.
^) Gmelin-Eraut's Handbuch, Bd. 1, 2. Abth., S. 71.
*) Liebig's Annalen Bd. 192, S. 288.
YerdAt-RablmanD, Meohan. W&rmetheorie. Bd. '2. 28
434
IL Thermochemie.
üher Qaecksilber auf. Die in sieben einander folgenden Zeitabschnittes
aufgesammelten Gase worden analysirt
Nachstehende Tabelle zeigt die Volomyerhältnisse des Gasgemisckei:
Ha
COa
CO
Nj
1. halbe Stapde
52,9
19,9
26,9
0,3
2- „
53,7
24,4
21,5
0,4
3. J» ff
60,0
26,8
13,2
—
*• „
63,5
30,2
6,1
0,2
5- 1» »
64,2
30,3
5,1
0,4
Ö« » »
64,2
30,7
4,8
0,3
7. n
64,9
31,0
4,0
0,2
Die Reactionen, welche in dem Räume stattfinden, gehen nach
genden Formeln yor sich:
2HaO + C = 2H2 + CO,
CO2 + C = 2C0
CO + H2O = COj + Ha
und zwar finden wahrscheinlich alle drei Reactionen fortwährend glc
zeitig beben einander statt.
Fänden blos die ersten Reactionen statt, so müssten for jedes Voll
Kohlensäure zwei Volumina Wasserstoff und fär jedes Volumen Kol
ozyd ein Volumen Wasserstoff vorhanden sein. Long hat nun
dass im Anfange, wo dies Verhältniss nicht einmal angenähert erfüllt
in der Kohle absorbirte Kohlensäure oder solche Kohlensäure mit
wichen ist, die durch von der Kohle absorbirten Sauerstoff gebildet
den war. Leitet man nämlich über Holzkohle Wasserstoff, so findet
in dem entweichenden Gasgemische stets Kohlensäure. Gegen Ende
Versuches nimmt in dem Maasse, als der Kohlenstoff bereits oxydirt
die Massenwirkung des Kohlenstoffs ab und es wird die gebildete Kol
säure nicht mehr reducirt, oder die Massen wirkung des Wasserdai
hat nach der dritten Reactionsformel das Uebergewicht gewonnen.
In Wirklichkeit ist der Vorgang jedenfalls ein sehr complicirter,
nicht nur die relativen Affinitäten des Wasserstoffs und Kohlenstoffs
disponiblen Sauerstoff des Wasserdampfes, sondern auch die Massesi
kungen beider Substanzen und die theilweise Dissociation der gebüdc
Verbindungen gleichzeitig in Betracht kommen. Jedenfalls ist aber si
hier kein einfaches Volumenverbältniss der bei dem Versuche enl
den Gase nachweisbar.
Alle die von Bunsen erwähnten Resultate, welche ähnliche m\
Beziehungen ergeben sollten, wie die im zweitvorhergehenden Pi
C. Die Dissociations^rscheinoiigeii. 435
phen mitgetheilten Versuche, sind demnach durch neuere Beohachtungen
nicht bestätigt worden. Man wird sich also auch nicht fär gebunden zu
halten brauchen, die bisherigen Anschauungen über Dissociation auf-
zugeben.
11. XTeber die Wirkung durch Qase schlagender elek-
trischer Funken.
Ebenso wie eine Erklärung der aus den eben mitgetheilten Ver-
suchen fliessenden Resultate vom Standpunkte der Moleculartheorie nicht
mehr schwierig erscheint, so stellen sich auch dem Verständniss einer
anderen Gruppe von Erscheinungen, welche mit dem Vorhergehenden
in engem Zusammenhange stehen, keine wesentlichen Hindernisse in
den Weg.
Hierher gehört zumal die Einwirkung des elektrischen Funkens auf
Gasgemische. Vorzugsweise ist jedenfalls, wie auch schon Plücker bei
seiner Untersuchung über die Spectra der Gase annahm, die Wirkung
eine thermische; denn die Temperatur, auf welche die auf der Funken-
bahn liegenden Gasmolecüle erhitzt werden, muss äusserst beträchtlich
sein. Einestheils wird dies schon durch das Leuchten des Gases Consta- '
tirt, anderentheils aber kann man dies auch daraus schliessen, dass in
fast unmerklich kurzer Zeit erhebliche Wärmemengen übertragen werden.
Bei einer Untersuchung, welche ich gemeinschaftlich mit Herrn G. Wie-
demann über den Durchgang der Elektricität durch Gase^) anstellte,
zeigte sich, dass die zwischen zwei Elektroden stattfindende Entladung
einer Holtz' sehen Maschine aus einer sehr grossen Anzahl getrennter
Entladungen besteht, welche sich bei sonst gleich bleibenden Verhält-
nissen in gleichen, sehr kleinen Zeitintervallen folgten. Die einzelnen
Entladungen behielten aber, auch wenn man dieselben in einem äusserst
rasch rotirenden Spiegel betrachtete, immer ihre Gestalt bei; dies deutet
darauf hin , dass die Zeitdauer der eigentlichen Entladung eine fast ver-
schwindende ist. Die in fast verschwindender Zeit mitgetheilte Wärme
besitzt aber eine merkliche Grösse, denn die Temperatursteigerung der
Umgebung lässt sich leicht durch jede zur Temperaturmessung geeignete
Vorrichtung constatiren. Die Temperatur, weiche die in der Funken-
bahn gelegenen Gasmolecüle annehmen, muss daher eine ausserordentlich
hohe gewesen sein.
Jedenfalls ist die Wirkung des elektrischen Funkens auf Gasgemische
aber nicht bloss eine thermische, sondern auch die Ladung der Molecule
^) G. Wiedetnann und R. Rüblmann, Ueber den Durchgang der Elektiicität
dnrch Gase. Pogg. Ann. Bd. 145, S. 235 and 364.
28*
436 n. Thermochemie.
mit Elektricität , also die Mittheilung elektrischer Eaergie, wird nick
ohne EinflasB auf das Endresultat sein ^).
Die thermische Wirkung besteht höchst wahrscheinlich darin, dai
alle auf der Funkenbahn liegenden Molecüle so vollständig als mögliek
dissociirt werden. Hierfür spricht der Umstand, dass man fast immer
in den Spectren des elektrischen Funkens in Gasen, deren Molecüle n
den Atomen mehrerer Elemente bestehen, die Spectren der Elemenii
wieder erkennen kann. Die Reichhaltigkeit, welche das durch den ekb
trischen Funken erzeugte Spectrum vieler Elemente erkennen lässt, de»
tet ebenfalls darauf hin , dass die Molecüle in ausserordentÜch leb!
und complicirte Schwingungen versetzt werden , vielleicht sogar in s
einfachere Atomgruppen zerlegt werden , als wir bisher aus den ¥<
düngen als einfachste abzuscheiden im Stande gewesen sind.
Ehe wir nun die chemischen Wirkungen des elektrischen F
aus der kinetischen Gastheorie zu erklären suchen, wollen wir di
kurz beschreiben. Bekanntlich hat schon Plücker') bemerkt,
wenn Wasserdampf, Ammoniak, Stickoxydul, Stickozyd und sal
Säure in Geissler'sche Röhren gebracht werden, dieselben zum
in ihre Bestandtheile zerfallen, umgekehrt wird bekanntlich auch
Wasserstoff und Sauerstoff mit Hülfe des Inductionsfunkens Wasser
bildet; Wasserstoff giebt, wenn man die Funken zwischen Eohlenel
den überschlagen lässt, Acetylen; Stickstoff und Sauerstod giebt
petrige Saure; Stickstoff und Wasserstoff liefert Ammoniak; schvi
Säure und Sauerstoff geben Schwefelsäure; aus Kohlenwasserstoffen
Stickstoff erhält man Blausäure u. s. f.
In neuerer Zeit hat Berthelot ^) umfänglichere, wenn auch
immer nicht entscheidende Versuche in dieser Richtung angestellt
constatirte zunächst, dass Wasser vom elektrischen Funken sowohl
flüssigen als im gasförmigen Zustande zersetzt werde. Um aber
elektrischen Funken auf ein homogenes Gas wirken zu lassen, ste
seine Untersuchungen mit überhitztem Wasserdampf an , dessen X
ratui* nahe 100^, und dessen Druck gleich 0,60 bis 0,65 m Qne
Säule war. Wenn der Funkenstrom längere Zeit durch das Wi
gegangen war, Hess er das Wasser sich condensiren, maass und
suchte das durch den Funken gebildete nicht condensirte Gas. Es
sich, dass die Wasserzersetzung keiner bestimmten Grenze zustrebte
nicht sehr weit getrieben werden konnte. Er beobachtete, dasi
100 Raumtheilen Wassergas unter den angeführten Umständen zej
worden waren:
^) Wahrscheinlich ist die Erhitzung des Gases in der Fonkenbahn ul
nichts Anderes , als eine Beschleunigung der Molecnlargesch windigkeiten io Foli
elektrischen Anziehung und Abstossung der geladenen Molecüle untereinander dbJ
die Elektroden.
2) Pogg. Ann. Bd. 105, S. 81.
^) Ann. d. chim. et d. phys. 4. Serie. Bd. 18, S. 184.
C. Die Dissociationserscheinuugen. 437
durch starke
durch kurze und
Funken
schwache Funken
nach 10 Min.
1,9 Vol.
i,5 Vol.
nach 25 Min.
1,1 Vol.
0,5 Vol.
Es zeigt sich also, dass, nachdem ein Xheil des Wasserdampfes zer-
setzt worden ist, schliesslich auch durch denselhen elektrischen Funken
eine theilweise (oder vollständige) Rückhildung desselhen aus den ge-
trennten Elementen herheigefiihrt wird.
Man- kann aus diesem Versuche auch erkennen, dass die Anwesen-
heit eines erhehlichen üeberschusses von Wasserdampf in ahnlicher Weise
den Eintritt einer Explosion des Knallgases hindert, wie dies nach den
Versuchen von Dalton durch einen Ueberschuss von Wasserstoff oder
Sauerstoff geschieht.
Die Verbindungsfahigkeit des Knallgases hört jedoch nicht auf, wenn
keine Explosion mehr stattfinden kann. Durch eine lange Reihe von
elektrischen Funken konnte z. B., selbst wenn die vorhandene Menge des
einen Gases sehr gering war, dasselbe doch zu einer Verbindung mit
dem anderen Gase veranlasst werden.
Berthelot fand z. B., dass Gemenge, welche aus:
95,8 Volumen Wasserstoff, 2,4 Volumen Sauerstoff
und:
4,2 Volumen Wasserstoff, 97,6 Volumen Sauerstoff
bestanden, nach einigen Minuten keine merklichen Quantitäten Knallgas
mehr enthielten.
Ein ganz ähnliches Verhalten beobachtet man bei Zersetzung der
Kohlensäure und ihrer Entstehung aus Kohlenoxyd und Sauerstoff.
Wenn man durch Kohlensäure eine Reihe Inductionsfunken schlagen
lässt, zersetzt sich dieselbe rasch, die Zerlegung erreicht einen gewissen
Grad, alsdann tritt Rückbildung ein; dieser folgt eine neue Zersetzung
^ und abermalige Verbindung zu Kohlensäure, ohne jemals eine feste Grenze
zu erreichen. Es waren aus 200 cbcm Kohlensäure in den nachstehend
angeführten Zeiten die nebenbemerkte Anzahl von Cubikcentimetern nicht
von Kalilauge absorbirbares Gas gebildet worden^).
Nachdem der Funken eines sehr grossen Ruh mkorf fischen Appa-
rates (mit sechs Elementen) durchgegangen war:
nach 5 Minuten 13,0 cbcm CO und 0
. 12 „ .10,0
„ 14 „ 9,5
n 24 „ 7,5
» 54 „ 10,0
„ 69 „ 12,8
1) Berthelot, Ann. d. chim. et d. phys. 4. Serie. Bd. 18, S. 178.
438 II. Thermochemie.
nach 84 Minuten
12,5 cbcm
CO und 0
„ 110
n
6,0
n
« 128
r
6,0
n
„ 143
n
5,0
n
« 153
n
7,0
n
„ 163
10,0
n
Auch die Grenzen , zwischen denen der Grad der Zersetzung hin*
und herschwankt, sind durchaus nicht constant, sie hängen sichtlidi tob
der Länge und der Stärke der Funken ab, wie dies nachstehende auf die-
selben Verhältnisse, welche auch bei der soeben erwähnten Yersuchareilie
stattfanden, bezogenen Zahlwerthe deutlich zeigen.
Es waren von 200 cbcm Kohlensäure zersetzt:
durch kurze durch sehr kurze und
Funken sehr schwache Funken
nach 10 Minuten 14,0 Volumina 14,0 Volumina
„ 15 „ 14,0 „ 6,0 i
n 25 „ 18,0 ^ 6,0
„ 35 „ 19,0 ^ 13,5
„ 60 „ 1,5 „ 29,0
. 82 „ 24,0 „ 2,0
Buff und Hofmann^) wollen sogar bei dem Eintritte der Wiedcf
Vereinigung eine Explosion wahrgenommen haben, Berthelot hat
eine Explosion beobachtet, deutet aber an, dass man mit noch schw
ren Funken die Zersetzung vielleicht so weit zu treiben im Stande
dass ein explosives Gemisch entstehe.
Bekanntlich hört ein Gemisch von zwei Volumina Kohlenoxjd
ein Volumen Sauerstoff auf, explosiv am sein, wenn die Heimen
eines indifferenten dritten Gases mehr als ^0 oder 65 Hunderttheile
Gesammt Volumens beträgt.
Auch Berthelot fand die Angaben Dalton's bestätigt, dass
Gemisch von Kohlenoxyd und Sauerstoff aufhört, explosiv zu sein, w^
dasselbe weniger als Vs ^^^ mehr als i*/i5 Kohlenoxyd enthält Di
Grenzen ändern sich etwas je nach der Stärke des Funkens. Jens
dieser Grenzen ist, wie sich dies schon nach obigen Versuchen cnrj
lässt, die Verbindung bald vollständig, bald mehr oder weniger on
ständig.
Ein einzelner Funken bringt in einem Gemische von 13,0 Vol
Kohlenoxydgas auf 87,0 Sauerstoff noch keine merkliche Verbindung
vor. Nachdem eine Minute lang ein Strom von Funken hindorchgegan
war, hatten sich 6,5 Volumina Kohlensäure und nach 5 Minuten 13 T<
lumina gebildet.
^) Quarterly Journal of the chemical society. Bd. 12, S. 283.
C. Die Dissociationserschemungeii. 439
Aehniiche Restdtate erhielt man auch mit anderen Mischungen,
welche 8,0 und 5,0 Volumen -Procent Kohlenoxyd, oder welche einige
Procent Sauerstoff bei einem merklichen Ueberschusse von Kohlenozydgas
enthielten. Alle derartigen Gemische gehen durch immer weiter fort-
schreitende Verbindung schliesslich in ein Gemenge über, welches keine
Yerbindungsföhigen Bestandtheile mehr enthält.
Auch der entgegengesetzte Versuch fiel ganz unzweideutig aus;
Gemische von
16,6 Kohlensäure und 83,4 Vol. Sauerstoff
und
13,Ö Kohlensäure und 87,0 Vol. Kohlenoxyd
blieben auch bei mehrstündiger Behandlung mit starken elektrischen
Fanken yoUständig unzersetzt. Die Anwesenheit eines genügenden Ueber-
schusses von Sauerstoff oder Kohleifoxyd verhindert demnach eine Zer-
legung durch den elektrischen Funken vollständig.
Wenn jedoch sehr geringe Mengen von Kohlenoxyd oder Sauerstoff
in grösseren Quantitäten von Kohlensäure enthalten sind, schützt deren
Anwesenheit die Kohlensäure nicht vor einer theilweisen Zersetzung. Ein
Gemisch von
96,5 Kohlensäure
und
3,5 Kohlenoxyd
zeigte z. B., nachdem die Funken eine Viertelstunde lang gewirkt hatten,
eine Vermehrung des Kohlenoxydgehaltes um 3,4 und eine Bildung von
1,7 Volumina Sauerstoff.
Diese Vorgänge dürften sich vielleicht auf folgende Weise mit der
kinetischen Gastheorie in Einklang bringen lassen.
Der elektrische Funken zerlegt höchst wahrscheinlich die im Ver-
gleich zur Gesammtanzahl äusserst geringe Anzahl Molecüle , die zusam-
mengesetzten sowohl als auch, wenn die Molecüle mehr als einatomig
sind, die Molecüle einfacher Gase (02,H2Cl2 u. s. w.), welche auf der
Fankenbahn liegen, in ihre Bestandtheile, und vermehrt durch die
Abstossung gleichelektrisirter Theilchen und durch die Anziehung ent-
gegengesetzt elektrisch geladener deren Moleculargeschwindigkeiten sehr
erheblich. Auf diese Weise ist es erklärlich, warum die explosibeln
Gemische durch den Funken entzündet werden. Während die zweiato-
migen Sauerstoff- und Wasserstoffatome bei gewöhnlicher Temperatur
indifferent neben einander sich bewegen, und sich gegenseitig anstossen
können, ohne sich zu H2O zu verbinden, so werden die sich ungemein
rasch bewegenden und mit grösseren Affinitäten begabten einatomigen
Sauerstoff- und Wasserstoffatome bei ihrem Zusammenstosse in der Lage
sein, sich zu Wasserdampf zu vereinigen. Hierdurch wird, wenn sich die
lebendige Kraft der erzeugten calorischen Energie nicht auf zu viele
Molecüle vertheilt, ein immer grösserer Theil von Doppelatomen beim
440 IL Thermochemie.
Zusammen stosse auseinander gerissen und die gesammte yerbindbäre (ras-
masse kann sich nnter Eintritt einer Explosion vereinigen.
Sind dagegen viele Molecüle beigemengt, welche nicht fähig sind,
nnter einander oder mit anderen eine Verbindung einzugehen, so werden
nur die gerade mit den grössten Geschwindigkeiten sich bewegendeo
Hl Ol Ol .
Molecüle tj[ tmd ^[ oder CO und ^ im Stande sein, aus dem Doppel-
atom rA eines abzuspalten und zurückzuhalten. Es wird alsdann eine '
öftere Wiederholung der elektrischen Ladung von Molecülen in der Fim-
kenbahn und der Fortschleuderung derselben in den übrigen Raum be-
dürfen, ehe Bämmtliche verbindungsfahigen Molecüle vereinigt worden ;
sind. Möglicherweise begünstigt auch die ungleichartige Elektrisiraiig !
und die hieraus sich ergebende Anziehung verschiedener Molecüle dift
Bildung zusammengesetzter Molecüle. Man kann sich auf solche Wei»
leicht erklären, wie der elektrische Funke gleichzeitig die zwei entgegei-
gesetzten Reactionen, Zerlegung und Verbindung, hervorzubringen
Stande ist.
Wahrscheinlich beruht auf der Steigerung der Molecnlargeschwin*
digkeit auch die Thatsache, dass z. B. ein Gemisch von 2 H3 und O3 sieh
ungefähr bei 600^0. zu Wasser verbindet, dass also bei dieser Tempe*
ratur die Entzündung des Wasserstoff-Sauerstoffknallgases stattfindet
Bei dieser Temperatur erreichen wahrscheinlich die Molecüle soldMi
Geschwindigkeiten, dass beim Zusammenstosse zweier ungleichartiger odm
beim Zusammenstosse zweier gleichartiger Molecüle die letzteren in zwa
active Atome zerschlagen werden und nunmehr die Verbindung möglid
ist, während bei niedrigeren Temperaturen die Moleculargesch windig
keiten noch nicht die Grösse erreichen, welche nöthig ist, am beim Iv
sammenstosse unter günstigen Verhältnissen den Zusammenhalt der Dop
pelatome aufzuheben.
Wirkt der Funkenstrom dagegen auf ein Gas, dessen Molecüle zei^
setzbar sind, z. B. auf Wasser- oder KohlensäuremolecOle, so tritt höcfarf
wahrscheinlich eine Zersetzung derselben ein, und nicht alle zersetztet
Molecüle treffen zufällig auf ihrem Wege wieder mit solchen zoBamioeOi
mit denen sie die zersetzte Verbindung von Neuem bilden können; a
wird sich daher ein kleiner Theil zerlegter Molecüle unter den Molecükt
der Verbindung finden , dieser Theil braucht jedoch nicht sehr gross n
sein, weil die Rückbildung der Verbindung zum grössten Theilescboi
in nächster Nähe der Funkenbahn selbst stattfindet, und eine Zerlegoof
nur in dem Bruchtheile des Gesammtraumes stattfindet, den die Fmikea*
bahn einnimmt. Solche Verbindungen, bei deren Entstehung mt
grosse Wärmemenge entwickelt wird, werden auch bei ihrer Zerlegiug
erhebliche Energiemengen consumiren, so dass die Zersetzangsprodncfo
solcher Verbindungen verhältnissmässig nur mit geringen Geschwindig-
keiten in und aus der P'unkenbahn heraus bewegt werden können. ^
C. Die DissociationserscheinuDgen. 441
kann dadurch leicht verstehen, warum dnrch den elektrischen Funken
um so geringere Mengen eines Gases zersetzt werden, je grösser die Affi-
nität seiner Bestandtheile ist ^).
Dass aber die Zersetzung z. B. bei Wasserdampf und Kohlensäure
keiner bestimmten Grenze zustrebt, sondern bald fortschreitet, bald durch
eine überwiegende Rückbildung ersetzt wird, kann man sich ebenfalls
erklären. Zunächst schreitet nämlich die Zersetzung eine Zeit lang fort;
dann, wenn sich in einem der Funkenbahn nicht zu fernen Räume eine
grossere Menge verbindbarer Molecüle angesammelt hat, tritt eine locale
Entzündung ein und diese kann unter Umständen fast sämmtliche oder
weitaus die meisten der verbindbaren Molecüle ergreifen und aufs Neue
vereinigen. Dass solche Entzündungen und Rückbildungen nicht fort-
während, sondern meist, ähnlich wie die Rückschwingungen einer vom
Bogen ergriffenen Saite, erst geschehen, wenn sich eine gewisse Menge
potentieller Energie angehäuft hat, ist dadurch erklärlich, dass die Funken
erstens nicht immer genau in derselben Linie Überspringen, sondern ihren
Ort wechseln, und dann dadurch, dass auch die Funken, zumal wenn die-
selben vom Inductionsapparate herrühren, nicht immer gleiche Mengen elek-
trischer Energie übertragen, sondern je nach der Art der Stromunterbre-
chang des primären Stromes oft sehr verschiedene Beschaffenheit zeigen,
wie man leicht bei längerer, aufmerksamer Beobachtung des Funken-
stromes eines Inductoriums erKcnnt. Auch kann vielleicht der Umstand
mitwirken, dass sich die Zersetzungsproducte vorzugsweise an bestimmten
Stellen des Raumes, z. B. oben in Folge ihrer Erwärmung oder ihres ge-
ringen specifischen Gewichts, oder in der Nähe einer Elektrode anhäufen,
und erst wenn ein gewisses Volumen angesammelt ist, das explosible Ge-
misch vom Funken getroffen wird.
Befinden sich dagegen kleine Mengen des einen der beiden gasfor-
migen Bestandtheile in einem Ueberschusse des anderen, so wird zwar
die Yertheilung der durch Elektrisirung und Erhitzung hervorgebrachten
lebendigen Kraft einzelner Molecüle auf so viele andere kein Fortschrei-
ten der Verbrennung aus der nächsten Nähe der Funkenbahn hinaus
möglich machen, aber die in der Funkenbahn gespaltenen und daher in
activem Zustande fortgeschleuderten Molecüle werden bald mit anderen
yerbindungsfähigen Molecülen zusammenstossen und die Verbindung
herbeiführen. Jedenfalls werden immer einzelne Wasser- oder Kohlen-
säuremolecüle wieder zersetzt werden, da deren Zahl aber sehr gering
ist, und viele zersetzte Molecüle unmittelbar nachher wieder Gelegenheit
finden, sich zu vereinigen, so wird die Quantität der Zersetzungsproducte
nicht bemerkbar werden.
^) Nach Versuchen von Perrot (Comptes rendus Bd. 67, S. 351) und von Grove
(Poggend. Ann. Bd. 93, S. 417 u. 582) ist es sehr wahrscheinlich, dass auch elektro-
lytische Vorgänge in Gasen stattfinden, dass also die Zersetzun^producte eines Gases
unter sonst gleichen Verhältnissen von den Elektroden mit verschiedenen Geschwindig-
keiten fortgeschleudert werden.
442 IL Thermochemie,
12. Einwirkung des elektrisohen Funkens auf einzelne
KohlenwasserstofiT- und StickstofiVerbindungen.
Es ist schon längere Zeit hekannt^), d&ss, wenn man einen Funken-
ström durch einen Dampf eines Kohlenwasserstoffs, zumal durch Smnpf-
gas leitet, eine Bildung von Acetylen auf Kosten dieses Gases vor sich geht
Sendet man einen Strom sehr starker Funken durch reines Sumpf-
gas, so scheidet sich Kohlenstoff ah , und das Volumen des Gases nimst
rasch zu. Aher erst nach einiger Zeit ist alles Sumpfgas zerstört, mdst
gehört dazu ein Zeitraum von mehreren Stunden.
Man könnte annehmen, es hilde sich aus einem Molecül Sumpfg»
ein Molecül Kohlenstoff und zwei Molecüle Wasserstoff:
CH4 = C + 2 Hj.
Man müsste demnach erwarten, dass das Volumen verdoppelt würd%
da sich der Kohlenstoff niederschlägt, und zwei Molecüle Wasserstoff im
zweimal so grosse Volumen einnehmen, als ein Molecül Sumpfgas. Uebo^
einstimmende Versuche hahen jedoch gezeigt, dass 100 Volumina Sumpf'
gas nach der Zerlegung nur 181 Volumina einnehmen').
Es zeigt sich jedoch, dass erhehliche Mengen von Acetylen gebit
det werden (13 Proc), und eine genaue Analyse des gehildeten Gaset
deutet an , dass der Vorgang ungefähr nach folgender Formel vor oA
geht:
2 C H4 = C2 H2 "|~ 3 Hg)
d. h., dass die Hälfte des Sumpfgases durch den Funken in Acetylen t<
wandelt worden ist. Lässt man nach einiger Zeit das gehildete Acetyld
ahsorhiren und lässt den Funken ahermals wirken, so kann man dieZtf*
Setzung noch weiter treihen und üherhaupt 39 Volumina Acetylen hildd^
so dass schliesslich V5 ^^s ursprünglich vorhandenen Sumpfgas^ in io^
tylen verwandelt worden sind.
Die unvollständige Uehereinstimmung der beohachteten Zahlen mit dflt
berechneten erklärt sich leicht daraus, dass das Acetylen geneigt ii^
polymere Verbindungen von der Form (C2H2)» zu bilden. Berthelot
behauptet, dass wenn man sehr lange auf Sumpfgas elektrische Fankfi'
einwirken lasse , so sei die Hälfte des Gases in Acetylen , drei Achtel i
condensirte Kohlenwasserstoffe (Triacetylen , Benzol) übergegangen joi
ein Achtel nur werde in Kohlenstoff und Wasserstoff zerlegt.
^) Berthelot, Ann. de chim. et de phys. 3. Serie. Bd. 67, S. 52 md »^
4. Serie, Bd. 19, S. 156.
^) Berthelot. Add de chim. et de * phys. 4. Serie. Bd. 18, S. 157 uä
Buff a. Hofman, Qaarterly Journal of the chemical society. Bd. 12, S. 283.
C. Die Dissociationserscheinungen. 443
Aehnliche Resultate erhält man übrigens aach, wenn man Sampfgas
l&ngere Zeit in einem geschlossenen Rohre erhitzt ^). ,
Mengt man Acetylen mit mehr als dem Siebenfachen seines Volums
Wasserstoff, so übt der Funken keine merkliche Wirkung auf das Ge-
misch aus. Setzt man dem Funkenstrome ein Hinderniss in den Weg,
nöthigt man denselben z. B., um eine Glaswand herum zu gehen, so
scheiden sich geringe, aber merkliche Mengen Kohlenstoff aus. Wahr-
scheinlich rührt dies davon her, dass an solchen Stellen der im Funken-
strome vorhandene Kohlenstoff sehr rasch abgekühlt wird, so dass er
dann nicht mehr im Stande ist, sich wieder mit dem Wasserstoffe zu ver-
binden.
Selbst der sonst so indifferente Stickstoff erlangt unter dem Ein-
flüsse des elektrischen Funkens die Fähigkeit, Verbindungen einzu-
gehen. Mit Sauerstoff geht unter Einwirkung des Funkenstromes der
Stickstoff in salpetrige Säure über , bei Anwesenheit von Wasserstoff bil-
den sich Spuren von Ammoniak, und in neuester Zeit zeigte Berthelot,
dass freier Stickstoff im Stande sei, sich mit Acetylen zu Cyan wasser-
stoffsäure zu verbinden.
Das Acetylen zeichnet sich überhaupt durch eine hohe chemische
Activität aus, die sich im Besonderen auch durch sein Verhalten zum
Stickstoff im Funkonstrome manifestirt. Lässt man durch ein Gemenge
beider Gase eine Anzahl kräftiger Funken eines Ruh mkorfr sehen Appa-
rates schlagen, so wird unmittelbar der charakteristische Geruch der Blau-
säure wahrnehmbar.
Auch hier stockt die Bildung der Blausäure aber bald, wenn man
nicht die Säure durch Alkalien absorbiren lässt und aus der Funkenbahn
beseitigt. Der Vorgang ähnelt überhaupt dem bei Bildung des Acetylen
in sehr vielen Beziehungen.
Die meisten Kohlenwasserstoffe geben unter Einwirkung des Fun-
kens Veranlassung zur Entstehung von Acetylen, ein Gemisch irgend
eines Kohlenwasserstoffs mit Stickstoff liefert daher Blausäure.
Da nun aber nachweislich zur Bildung der Blausäure aus ihren
Elementen Wärme erforderlich ist, so geht daraus hervor, dass der elek-
trische Funke im Stande ist, die Energiemengen zu liefern, welche nöthig
sind, um Verbindungen herzustellen, bei deren Bildung Wärme ab-
sorbirt wird.
Auch bei diesen Vorgängen zeigt sich deutlich, dass das Verhalten
der Gase gegenüber dem elektrischen Funken zum Theil in einer Zer-
legung, zumTheil in einer Neubildung ^n Verbindungen besteht, welche
auf eine Dissociation der Bestandtheile zurückzuführen ist , und sich ohne
Schwierigkeit aus den früher von uns mitgetheilten Pfaundler^schen
Betrachtungen erklären lässt.
') Man sehe Berthelot, Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 18, S. 159.
444 II. Thermochemie.
Molecüle, welche entweder hei ihrem gegenseitigen ZasamiiieDflioBse
oder durch elektrische Ladung und gegenseitige Ahstossung der Molecfil-
hestandtheile zerlegt werden, liefern einfachere Molecüle oder Atome,
welche sich nunmehr im Räume bewegen und entweder unter geeigneten
Umständen sich mit anderen vereinigen können, oder wenn ,die dazu ge-
eigneten Umstände nicht eintreten, auch isolirt bleiben können, Dazu
kommt bei der Einwirkung des elektrischen Funkens der Umstand, dus
die Mittheilung von erheblicher Menge von Energie nur immer an eine
beschränkte Anzahl von Molecülen und in einem eng begrenzten Räume
in gewissen Intervallen geschieht. Wir haben es hier in Folge dessen
bei diesen Vorgängen mit Erscheinungen zu thun, welche weder zeitlich
noch räumlich homogen sind. Es wird daher erst dann eine neue Art ,
von Gleichgewicht zwischen den Bestandtheilen des GaBgemisches ein- |
treten, wenn das Gemisch einen solchen Zustand erreicht hat, dass in I
gleichen Zeiten gleich grosse Mengen der Bestandtheile des Gasgemisches
verbunden und von Verbindungen in die Bestandtheile wieder zerlegt
wird, und der Eintritt eines vollständigen Gleichgewichtszustandes wird
unter diesen Umständen meist erst nach ziemlich langer Bauer der Ein-
wirkung eintreten können und von der Temperatur und von den Energie
mengen abhängig sein, welche bei jeder Entladung übertragen werden.
Dass die chemische Affinität der Belätandtheile eine wesentliche Rolle
spielt, wenn es sich darum handelt, anzugeben, wie sich ein Gras gegen-
über dem elektrischen Funken verhalten wird, und 'dass die Erscheinun-
gen denen bei der Dissociation durch blosse Erwärmung sehr ähnlich
sind, kann leicht erkannt werden. Ammoniak, dessen Bestandtheile eine
grosse Affinität zu einander besitzen, wird nur langsam und bei Anwesen-
heit der Zersetzungsproducte nie vollständig vom Funkenstrome zersetzt;
N2O4 wird langsam, N2O9 dagegen rasch zerlegt. »Cyan wird von einem
starken Funkenstrome hingegen vollständig in Kohlenstoff und Stickstoff
zerlegt ^); der Kohlenstoff scheidet sich als fester Körper aus. Eine
Rückbildung von Cyan aus den Zersetzungsproducten früherer Funken
ist daher unmöglich, weil die Kohlen stoffmolecüle sich aus dem Bereiche
der Einwirkung des Funkenstromes und auch der Gasmolecüle sich fast
vollständig entfernen; deshalb muss hier, ähnlich wie wir dies schon bei
d^n Dissociationserscheinungen durch Wärmezufuhr beobachtet haben,
wenn ein Zersetzungsproduct der Einwirkung der übrigen Molecüle ent-
zogen wird, die Zerlegung vollständig zu Ende geführt werden.
Auch die Anzahl Molecüle, auf welche die durch den elektrischeB
Funken übertragene Energie vertheilt wird, muss von Einfluss sein,
wie wir dies schon bei Betrachtung des Verhaltens der Gasgemenge in
Funkenstrome wiederholt bemerkt haben.
Leider liegen genaue Messungen über die durch Entladung über
tragenen Elektricitätsmengen nur für wenig Gase vor und zwar unter
^) Die Angaben von Berthelot und von Buff stimmen hier nicht volUtandig nbemo.
C. Die Dissociationserscheinungeti.
445
Anwendung der Funken der Holtz'schen Influenzelektrisirmaschine in
der Untersuchung über den Durchgang der Elektricitst durch yerdünnte
Gase, welche ich ^) gemeinsam mit Herrn G.Wiedemann angestellt habe.
Die Kohlensäure und atmosphärische Luft, mit welchen wir experimentirt
hatten, sind aber von uns nicht auf ihre chemische Beschaffenheit nach
dem Durchgange des Funkens untersucht worden.
Nimmt man an, dass bei Benutzung der Funken eines Inductoriums
bei jeder Entladung gleiche Energiemengen übertragen werden, gleich-
viel, ob das Gas mehr oder weniger verdünnt ist, ob die Funkenbahn
lang oder kurz ist, so würde sich dieselbe Energiemenge je nach Um-
standen auf sehr ungleiche Anzahlen von Molecülen yertheilen und könnte
möglicher Weise sehr verschiedene Wirkungen hervorbringen.
Unsere Versuche deuten darauf hin, dass bei einer Elektricitätsquelle,
wie die Holtz' sehe Maschine, sehr nahe immer die gleiche Energiemenge
auf eine gleiche Anzahl von Molecülen vertheilt wird; die Anzahl der in
einer Secunde erfolgenden Funken ist nämlich innerhalb ziemlich weiter
Grenzen dem Drucke umgekehrt proportional.
Einen sehr eigenthümlichen Einfluss der Anzahl der dem Funken
ausgesetzten Molecüle hat Berthelot beobachtet. Leider fehlen aber
die näheren Details über die Art der Anstellung der Versuche, so dass
man, meiner Ansicht nach, nicht in der Lage ist, weitergehende Schlüsse
aas den merkwürdigen Resultaten zu ziehen.
Er beobachtete nämlich, dass die Quantität reinen Acetylens, welche
dnrch die langdauernde Einwirkung starker elektrischer Funken zersetzt
wird, vom Drucke abhängig sei. Schon vorher bemerkten wir, dass,
während etwas Kohlenstoff sich ausscheidet, bald ein Mischungsverhält-
niss zwischen Acetylen und Wasserstoff sich herstellt, welches weiterhin
'nicht mehr vom Funken geändert wird.
Dieses Mischungsverhältniss war nun bei verschiedenem Drucke ver-
schieden, wie nachstehende Tabelle zeigt.
Druck in m
Volumen Acetylen in
Qaecksilbersäule
100
Vol.
des Gemisches
3,46
11,9
0,76
12,2
0,42
11,9
0,41
12,0
0,31
6,5
0,23
3,5
0,18
3,1
0,10
3,1
^) Pogg. Ann. Bd. 145, S. 235 und 364.
U6
IL Thermochemie.
£s Scheint hieraas hervorzugehen , dass das Gleichgewicht zwischen
Kohlenstoff, Wasserstoff und Acetylen un geändert bleiht, während der
Druck (yon 3,46 bis 0,41) sich anf den achten Theil redacirt, dass dann
nur die Hälfte und schliesslich, bei sehr niedrigen Drücken, nur der
vierte Theil der ursprünglichen Menge zui* Herstellung des Gleichgewichte
nöthig ist.
Berthelot ^) glaubt hierin eine Bestätigung der B u n s e n ^ sehen Er-
scheinungen beim Entzünden von Gemischen von Wasserstoff oder Kofa-
lenoxyd mit Sauerstoff erkennen zu müssen. Eine stetige Aendemng dei
Druckes scheint in der That eine sprungweise oder mindestens sehr HD-
gleiche plötzliche Aenderungen des Gleichgewichtes zwischen Acetylen,
Kohlenstoff und Wasserstoff zur Folge zu haben.
Wenn derartige Beobachtungen durch anderweite Versuche bestätigt
werden sollten, würde man in denselben allerdings sehr beachtenswert)»
Abweichungen von den gewöhnlichen Vorgängen der Dissodation erkennen
müssen.
Ich habe zunächst noch nicht versucht, diese Gruppe von Erschei*
nungen mit den Fundamenten der Gastheorie, welche sonst so gute Dienste
bei Erklärung chemischer Vorgäng6 leisteten, in Einklang zu bringen;
man muss umfänglichere experimentelle Studien auf diesem Gebiete ab-
warten, ehe man daran denken kann, eine Behandlung von allgemeioen
Gesichtspunkten aus in Angriff zu nehmen.
13. Ueber die Wirkung schwacher elektrischer
Entladungen auf Gteise.
Auch über die chemische Wirksamkeit der wenig leuchtenden elek-j
trischen Entladungen liegen einige Versuche von Thenard vor, uni]
zwar beziehen sich dieselben auf die Zerlegung der Kohlensäure und
auf das Verhalten von Gemischen von Sauerstoff mit Kohlenoxyd uid
Wasserstoff.
Berthelot ^) stellte ähnliche Versuche mit einem Houzeau'scfaeo
Apparate an, der zur Erzeugung von Ozon bestimmt war. Auch schwä-
chere, sehr wenig leuchtende Funken erzeugten Acetylen, wenn aach sehr
kleine Quantitäten.
Höchst wahrscheinlich ist in den hellen leuchtenden Funken die
Temperatur und jedenfalls ist bei denselben die durch jede Entladung
übertragene Menge elektrischer Energie grösser. Wahrscheinlich bildet
sich aber aus Kohlenwasserstoffen um so mehr Acetylen, mit je gröaseroi
Geschwindigkeiten die Molecüle sich bewegen und zusammen stossen. In
neuerer Zeit hat Berthelot derartige Versuche wiederholt. Er expcri-
mentirte mit wenig leuchtenden Entladungen eines Ruhmkorffsdien
M Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 18, S. 201.
2) Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 30, S. 431.
G. Die Dissociationaerschemuiigetl. 44?
Ippantee durch Ozonröhren und mit Entladangeo der Holtz'schen
iBdieDEelektrisiriiiaaclkiDe. In einer anderen Gmppe von Versuchen
kUobs er eine dünne Schicht Gas zwischen zwei concentrieche dünn-
wiadige Glaacylinder ein; die dem Gase abgewendeten Glaaw&nde wur-
dan mit Elektricitatsleitem überzogen (Platin, Zinnfolie, Schwefelsiure)
und entgegengesetzt elettrisch geladen. Die entgegengesetzten Ladungen
wnrdeD ertheilt: entweder durch die Elektroden eines Rnhmkorff'schen
Apparates, die mit den Belegen verbunden waren, die Elektroden einer
Eoltz'scfaen Maschine, zwischen deren Conductoren Funken überspraa-
gen, oder die beiden Pole einer galvanischen Batterie von mehreren Ele-
Dienten, oder endlich durch die Differenzen der Luftelektricität in zwei
Terschiedenen hohen Schichten der Atmosphäre.
Beistehende Figur 21 giebt eine VorsteUnng von einem derartigen
Bertbelot' sehen Apparate').
Daseigenthüm lieh gestaltete Gl aa-
^' ' röhr, welches die Abbildung zeigt,
besteht aus zwei in einander ge-
schmolzenen dünnwandigen Probir-
gl&sern , von denen das Aeussere
mit zwei angeschmolzenen Glas-
röhren versehen ist, die zur Ein-
fahrong und Entfernung der zn
untersuchenden Gase dienen. Das
innere oben offene Röhrcfaen wird
mitSchwefelsfiure gefüllt und ebenso
der Apparat in Schwefelsäure ein-
geat^llt. Die beiden von einander
isolirten Schwefel säure mengen wer-
den alsdann mit dem positiven und
negativen Pole irgend einer Elek-
tricitätsquelle leitend verbunden
und bilden somit gewisser maassen
eine Leydener Flasche, deren iso-
tirende Schicht aus den beiden Glas-
wänden und dem zwischen beiden
befindlichen Gase besteht. Sind
die Potential differenzen dies- und
jenseits der Gasschicht bedeutend
und der Gasdruck gering, so sieht
man im Dunkeln einzelne, je nach
der GrSsse dieser Differenz rascher oder minder rasch sieb folgende,
schwach leuchtende elektrische Entladungen im Gase sich vollziehen.
'I GeimuereB über die HHOdhHbuag dieser einfachen
linigcT abweichend conatraiiien Apparate, welche besonder
Ann. de chim. et de phys, 5. Serie, Bd. 12, S. ■153 l.iä
448 n. Thermochemie.
Bei geringeren Potentialdifferenzen , ako z. B. bei Ladungen durch eine
Holtz*sche Maschine, Lnftelektricität oder eine galvanische Battene,
sind solche Entladungen nicht sichtbar.
Durch diese Art der Einwirkung der Elektricität auf Gase zeig»
sich nun chemische Wirkungen, welche zum Theil von denjenigen, welche
durch Funken hervorgebracht werden, die durch das Gas hindurch-
Bch]agen, nicht unwesentlich verschieden sind.
Befindet sich in einer solchen Röhre, wir wollen sie kurz Ozonröbrt
nennen, Sauerstoff, so wird ein Theil desselben ozonisirt. Die Ozonisiruag
erreicht nach einiger Zeit eine Grenze und es bildet sich ein Gleieb-
gewichtszustand. Die Ozonisirung ist um so schwächer, die Grenze liegt
um so tiefer, je geringer die angewendeten Potentialdifferenzen aod.
Wird jedoch die Potentialdifferenz so gross, dass man hellleucktende
Funken von hoher Temperatur erhält, so wird das gebildete Ozon um
Theil wieder zerstört.
Nach Houzeau's^) Angaben soll die Ozonbildung an der negatiren
Elektrode bedeutend stärker sein, als an der positiven. Berthelot gUaht
dieser Behauptung auf Grund seiner neueren Versuche widersprechen n
müssen.
Mit Hülfe der gewöhnlichen Ozonröhren konnte diese Frage alle^
dings nicht entschieden werden. Berthelot') construirte zu demZwecb
einen besonderen Apparat. Er versah nämlich zwei Glasröhren inneir
und aussen mit Platinbelegungen und verschloss die Röhren, nachdea
sie mit Sauerstoff gefüllt worden waren. Die inneren Belege verband
er mit den beiden Conductoren einer Holtz'schen Infiuenzelektria^
maschine und Hess zwischen den Conductorkugeln selbst fortw&hratfl
Funken überschlagen. Die äusseren. Belege der beiden so construiites
Gondensatoren leitete er zur Erde ab. Nach einiger Zeit fand säch k
beiden Röhren nahezu gleichviel Ozon (8 bis 8,5 Proc. des vorhandenen
Sauerstoffes), auch wurde selbst bei langandauemder Einwirkung dieiff
Grenzwerth nicht überschritten, wenn das gebildete Ozon nicht dnrcl
absorbirende Mittel (arsenige Säure) entfernt wurde ').
Auch hier zeigte sich also eine Art von Dissociationsgleichgewicbt
dem der Process zustrebt, solange die Dissociationsproducte nicht der
Einwirkung der übrigen Molecüle entzogen werden , welches darauf hio*
deutet, dass beide entgegengesetzte Processe, Ozonisirung und Desosoni-
sirung, gleichzeitig stattfinden.
Darf man sich der Ansicht anschliessen , dass die Ozonmolecnle ani
drei Sauerstoffatomen bestehen, so würde der Vorgang der Ozonisiran;
sich dahin erklären , dass durch die Steigerung der Intensität der Zo-
^) Comptes rendus Bd. 70, S. 128d.
^) Berthelot, Ann. de chim. et de phys. 5. Serie. Bd. 12, S. 447.
^) Damit dürfte gleichzeitig die Ansicht widerlegt sein, dass Ozon mit aegat^<f
Elektricität geladener Sauerstoff sei, welche unserer Erklärung der elektrisch-cbemiichn
Erscheinungen in Gasen ans der kinetischen Gastheorie widersprechen würde.
G. Die Dissociationserscheinungen. 449
BammenstoBse beim filektvisiren des Sauerstoffs die inactiven Molecüle Og
in oiiuelne Atome 0 gespalten werden. Die einzelnen Atome vereinigen
nch zum weitaus grössten Tbeil sofort wieder mit anderen einzelnen
Atomen zu O2, ein Tbeil derselben jedocb vereinigt sieb mit nngespal-
tenen Sauerstoffmolecülen zu einem Molecül yon der Form Oj). Diese
Molecüle besitzen jedocb geringere Stabilität, als die Molecüle von der
Form O3, die Ozohmolecüle geben daber leicbter das eine Atom 0 wieder
ab und zeigen daber eine grössere Fäbigkeit oxydirend zu wirken, als
gewdhnlicber Sauerstoff. — Dieser Auffassung des Ozonisirungsvorganges,
welche sieb unmittelbar aus den Grundlagen der kinetiscben Oastbeorie
ergiebt, widerspricbt keine der bekannten Eigenscbaften des Ozons, bin-
gegen scbeinen mebrere verwandte Procesde dieselbe zu bestätigen.
Die Tbatsacbe, dass bei böberen Temperaturen die Grenze der Ozo-
nisirang durcb gleicb grosse elektriscbe Potentialdifferenzen berabsinkt,
und dass Erwärmung auf ozonisirten Sauerstoff desozonisirend einwirkt,
erklärt sieb leicbt dadnrcb, dass wenn die Moleculargescbwindigkeit
Bämmtlicber Molecüle, nicbt nur der in der Nabe der Elektroden befind-
lichen zunimmt, die vorbandenen oder gebildeten Molecüle von der Form
O3 nicht besteben können, sondern bei den meisten Znsammenstössen
lerfallen und zur Neubildung von Molecülen von der Form 0^ Anlass
geben.
Dafür, dass in der Tbat in einem elektrisirten Gase einzelne Atome
ak gespaltene Molecüle isolirt vorkommen, spricht der Umstand, dass
selbst sonst sehr indifferente Gase , wie Wasserstoff nnd Stickstoff, unter
der Einwirkung elektriscber Ladungen die Fäbigkeit erlangen Yerbin-
dongen einzugeben, welche sie sonst nur im status nascens haben ^).
Nacb den Beobachtungen Cbabrier's ^) soll z. B. das in Ozonröbren
behandelte Wasserstoffgas die Eigenscbafk besitzen, friscbes und feucbtes
Silberoxyd zu reduciren.
Bertbelot') bat femer eine Reibe vonVersucben angestellt, welcbe
dentlicb beweisen, dass elektrisirter Wasserstoff und Stickstoff von orga-
nischen Substanzen absorbirt werden.
Ein Gramm Benzol ist z. B. im Stande, 4 bis 5 cbcm Stickstoff zu
abeorbiren, mit dem es in eine solche Ozonröbre eingescblossen und der
Einwirkung elektriscber (scbwachleuchtender) Entladung ausgesetzt war.
Hierbei entstebt eine barzartige Verbindung, welcbe beim Erhitzen Am-
moniak liefert. Aebnl^icbe Producte erbält man, wenn man Terpentinöl,
Sumpfgas, Acetylen der Einwirkung elektrisirten Stickstoffs in gleicber
^) Jedenfalls rührt die grosse chemische Energie, welche SubsUnzen im statas'
nascens haben, ebenfalls davon her, dass in diesem Zustande Atome und nicht aus
■olcheo Atomen zusammengesetzte Molecüle austreten.
^ Chabrier, Comptes rendus Bd. 75, S. 484.
^ Berthelot, Ann. d. chim. et d. phys. 5. Serie. Bd. 10, S. 51. Berthelot
hat auch darauf aufmerksam gemacht, dass auf Grundlage dieser Beobachtungen die
atmosphärische Elektricität eine Bedeutung für Agriculturchemie und Pflanzenphysiologie
erlangt, die eine genaue Untersuchung ihres Einflusses sehr lohnend erscheinen lässt.
B&hlmann, Mechan. Wftrmeiheoric. Bd. 2. 29
\
450
II. Thermochemie.
Weise aussetzt; selbst feachtes Filtrirpapier, Dextrinlösimgen erlangen
unter diesen Umständen die Fähigkeit Stickstoff zu binden.
Der EinfluBS der hohen Temperatur fehlt bei diesen Versuchen mit
geringeren Potentialdifferenzen, deshalb sind die chemischen Wirkungen
hier auch schwächer. Sehr deutlich zeigt dies z. B. das Verhalten des
Acetylens, welches unter dem Einflüsse der Funkenentladungen mit Stick-
stoff Cyanwasserstoff liefert. Ebenso bilden sich auf diese Weise au«
Stickstoff und Wasserstoff kaum Spuren von Ammoniak, welches bekannt*
lieh in merklichen Quantitäten unter dem Einflüsse elektrischer Funket
gebildet wird, ebenso entsteht durch dunkle Entladungen keine Salpeter-
säure oder salpetrige Säure. Kohle mit Wasserstoff giebt bei Anwendung
geringer Potentialdifferenzen keine Spur eines Kohlenwasserstoffii.
Unter dem Einflüsse solcher dunklen Entladungen absorbirt ferner
Benzol bis zum 250fachen seines Volumens Wasserstoff (1,9 Aequivalente)
und bildet condensirte Verbindungen von der Form (CgHs)«. Elrhebli^
geringere Mengen Wasserstoff werden von Terpentinöl (2,5 VoL) und
Acetylen (^/s Vol.) absorbirt Kohlenoxyd und Wasserstoff geben, wenn
sie in Ozonröhren elektrisirt werden, wie schon P. und A. Thenard juä
fast gleichzeitig Brodie gezeigt haben, eine feste Verbindung, welcbe
eine Zusammensetzung nach der Pormel (G4 H« O3)« vermuthen lässt.
Berthelot hat auch die chemischen Veränderungen ontersueiiU
welche eine Anzahl binärer Verbindungen bei ihrer Behandlung in Osm-
röhren erfahren. Stickoxydul zersetzt sich in Stickstoff und Sauersiof;
Stickoxyd giebt Stickoxydul, Stickstoff und Sauerstoff; SchwefelwassenAoff^
zerfiel nach der Formel:
4 Ha S = 7 H -f HS, + (4 — x) S;
ähnlich verhält sich Selenwasserstoff. Phosphorwasserstoff veränderte acibj
nach dem Schema:
2 PH» = 5 H + P,H.
Verwendet man schwefelige Säure, so zerfallt ein Zehntel der Sob-
stanz in Sauerstoff und Schwefel, und gleichzeitig bildet sich Ueb^
Schwefelsäureanhydrid (S2O7); Cyan giebt Paracy an; Kohlenoxyd giebt
das von Brodie entdeckte Kohlensuboxyd und Kohlensäure. Die meisten
Kohlenwasserstoffe liefern Wasserstoff imd Acetylen u. s. f. ^).
Man bemerkt sofort, dass die hier angefahrten Vorgänge, weldie
stets eine doppelte chemische Wirkung der Elektrisirung erkennen lassen,
nämlich eine zersetzende und eine verbindende , sich leicht auf dieselbe
Weise aus den Grundlagen der kinetischen Gastheorie verstehen lasseoii
welche uns schon bei der Erklärung des Ozonisirungsprocesses gute
Dienste geleistet hat. Es soll dies blos an einem der hier angefuhrtoi
Beispiele gezeigt werden; wir wollen das Verhalten des Stickoxydet
^) Genaueres sehe man: Ann. d. chim. et d. phys. 5. Serie. Bd. X, S. 71 bis 75,
und Compt. rend. Bd. 86, S. 277 bis 279.
D. Die Explosivkörper. 451
wählen. Erhalten Stiokoxydmolecüle nnter Einwirkung entgegengesetzter
elektrischer Ladungen höhere Moleculargesch windigkeiten , so zerfallen
diese beim Zusammenstosse entweder in die stabileren 8tickoxydulmole-
cüle und Sauerstoffatome oder auch sofort in Stickstoffatome und Saucr-
stoffatome; durch Zusammenstosse dieser entsteht unter geeigneten Um-
ständen aus denselben: zum Theil Stickoxyd (NO) aufs Neue, zum Theil
Stickozydul (NjO), ferner bilden sich Stickstofimolecüle (N^) und Sauer-
stoffmolecüle (0)), wohl auch Ozonmolecüle (O3). Es wird sich schliess*
lieh sswischen diesen Substanzen in der Ozonröhre ein yon der Tempe-
ratur und der wirksamen elektrischen Potentialdifferenz abhängiges
Dissociationsgleichgewicht herstellen; der Eintritt eines solchen kine-
tischen Gleichgewichtszustandes kann unter Umständen ziemlich lange
Zeit in Anspruch nehmen. Dies aber stimmt mit den beobachteten That-
Sachen vollkommen überein.
Mit abnehmender Potentialdifferenz vermindert sich vorzugsweise
die Quantität der Zersetzungsproducte, jedoch ist nicht ausgeschlossen,
dass auch die Qualität sich ändert, da es nur bei heftigen Anstössen ge-
lingen wird, gewisse sehr stabile Molecüle zu zertrümmern, und ande-
rerseits wird es nur bei sehr starker elektrischer Anziehung möglich
sein, n^anche entgegengesetzt geladenen Molecüle, welche geringe Affini-
täten haben, zu einer dauernden Vereinigung zu veranlassen; diese ener-
gischen Wirkungen werden aber nur dann mit solcher Häufigkeit ein-
treten können, dass ihr Einfluss merklich wird, wenn die Substanzen
grösseren Potentialdifferenzen ausgesetzt worden sind.
Berthelot hat Spuren der Bildung von Ozon, der Absorption von
Stickstoff und Wasserstoff durch organische Substanzen noch nachweisen
können, als er die Belegungen einer solchen Ozonröhre mit den beiden
Polen einer Batterie von fünf Leclanche'schen Elementen verband.
Phosphorwasserstoff, Cyan, Acetylen, Aether wurden jedoch bei Anwen-
dung so geringer Potentialdifferenzen nicht verändert
\
D. Die Explosivkorper 0.
1. Allgemeines über explosive Substanzen.
Mit dem Namen Explosivkorper bezeichnet man alle solche Sub-
stanzen oder Gemische, welche verhältnissmässig grosse Mengen poten-
tieller Energie der Affinität, die leicht ausgelöst und in calorische Ener-
gie verwandelt werden können, in sich schli essen.
^) Die Behandlung der Elektrolyse könnte aach an dieser Stelle im Anschluss an
die Dissociationserscheinungen sehr gut eingereiht werden, da jedoch der Zusaipmen-
hang dieses Gebietes mit dem der Elektricitätslehre ein noch innigerer ist, so ziehen
wir Tor, dieses Capitel an den Schluss des letztgenannten Abschnittes zu stellen.
29*
452
IL Thermochemie.
Um die Wirksamkeit einer solchen Sahstanz henrtheiien zu können,
mnss man folgende Daten für dieselbe ermitteln:
1. die chenlische Zusammensetzung und den Zustand des Explosiv-
körpers;
2. die chemische Zusammensetzung und den Zustand der durch die
Explosion gebildeten Producte;
3. die bei dem Uebergang aus dem ersten in den zweiten Zostand
freiwerdende Wärmemenge.
Die Wirkung wird um so grösser sein , je mehr Wärme bei den
chemischen Processe, welcher sich bei der Explosion vollzieht, entwidcdt
wird, und je grösser das Volumen der gebildeten Producte im Vergleiek
mit dem Räume ist, welchen die Substanz vor der Explosion einnirani
Berthelot benutzt daher das Product aus der durch ein Kilogramm So^
stanz entwickelten Wärmemenge und dem Volumen der bei der flxpl
gebildeten Gase als Maassstab für die Vergleichung yerschiedener
stanzen.
Von Einfluss ist auch die Zeit, während welcher sich die che
Reaction vollzieht; solche Materialien, bei welchen derProcess sehr
verläuft, zeichnen sich gewöhnlich besonders dadurch aus, dass sie
gemein heftige zerstörende Wirkungen in ihrer nächsten Umgebung
üben, sie werden von den Artilleristen und Technikern „brisante*
plosivkörper genannt.
Wäre man im Stande, in allen Fällen die chemische Formel g
anzugeben, nach der die Reaction während der Explosion verläuft,
würde man auch genau die entwickelte Wärmemenge bestimmen köni
Meist ist dies jedoch nur angenähert möglich, weil wir die Producte
Reaction erst zu einer Zeit zu untersuchen im Stande sind, zu w^i
die explosive Wirkung längst beendet ist. — Noch schwieriger ist
meistentheils , die Temperatur des gebildeten Gases und das Gesetz
bestimmen, welches Temperatur und Druck mit einander verhin
Wäre diese Beziehung bekannt, so könnte man den Druck der
sionsproducte in einem geschlossenen Räume und die Druckändenug
einem Gefasse mit variabelem Volumen berechnen, wie dies s. B.
einem Geschütze, bei einer Handfeuerwaffe oder bei der Thätigkeii
Explosivkörpers in einer Mine der Fall ist.
Die Rechnung wäre leicht auszuführen, wenn man ohne Wei^
annehmen dürfte, dass die Gase auch bei den enormen Drucken und Ti
peraturen, denen sie in einem Geschütze ausgesetzt sind, dem Mariottt'
sehen und Gay -Lussa ersehen Gesetze Folge leisteten, und wenn man
rechtigt wäre vorauszusetzen, dass die specifische Wärme constant bli
Wären diese Annahmen zulässig, so brauchte man nur die
wickelte Wärmemenge durch die mittlere specifische Wärme der
sionsproducte zu dividiren und erhielte sofort die Temperatur d
aus Temperatur und Volumen könnte man dann sofort den Druck
mitteln.
D. Die Explosivkörper. 453
Man ist jedoch nicht berechtigt anzunehmen, dass die Gase bei
Dracken yon vielen tausend Atmosphären, wie solche in Geschützrohren
und Sprenglöchern häufig vorkommen/ auch nur angenähert dem Aus-
dehnungsgesetze vollkommener Gase folgen. Es sind nicht die mindesten
Erfahrungen bekannt, welche uns zu solch einer Voraussetzung berech-
tigten, viele Thatsachen jedoch, welche uns auf das Gegentheil hin-
weisen. Auch die specifischen Wärmen der besonders hier in Frage kom-
menden Gase und festen Körper zeigen schon innerhalb der Grenzen,
innerhalb deren wir geordnete messende Versuche anzustellen im Stande
sind, erhebliche Abhängigkeit von Druck und Temperatur. •— Die Ar-
tilleristen haben in der That auch Drucke in den Geschützen gemessen,,
welche beinahe das Doppelte von den Drucken sind, die man auf dem
Wege der Rechnung erhält, wenn man die Gesetze und Constanten als
gültig annimmt, von welchen- die Zustandsänderung der Gase unter den
gewöhnlichen Verhältnissen abhängt.
Eine weitere Complication, welche unzweifelhaft die Uebersichtlich-
keit des Vorganges und zumal die Möglichkeit, die Wirkung eines Ex-
plosivkörpers vorauszusehen, sehr erschwert, liegt in den Dissociations-
erscheinungen , welche jedenfalls bei den hohen Temperaturen auftreten,
um die es sich während der Explosionen handelt. — Die bei den Reac-
tionen entwickelten Producte messen und untersuchen wir später bei
Zimmertemperatur und Atmosphärendruck , höchst wahrscheinlich sind
jedoch im Momente der Entzündung und während der Thätigkeit der
explosiblen Substanz diese Producte durchaus nicht alle vorhanden, da
Wahrscheinlich ein sehr grosser Theil derselben bei der hohen Tempera-
tur in einfachere Körper zerfallt. In Folge dieses Umstandes wird die
während der Explosion thätige Wärmemenge geringer sein a;ls die, welche
man theoretisch aus den Bildungswärmen des Anfangszustandes und dem
der Endproducte der Reaction bestimmt. Die Rolle, welche der Dis-
sociation in dem Verlaufe des Processes zugewiesen ist, wird eine ganz
ähnliche sein wie die, welche die Dissociation schon in den Flammen ge-
spielt hat 1). — Anfänglich wird Temperatur und Druck, wegen des theil-'
weisen Zerfallens der Verbindungen in einfachere Substanzen, nicht ganz
so hoch steigen, als dies der Fall sein würde, wenn derartige Vorginge
nicht stattfanden ; während der Abkühlung und Expansion der gebildeten
Producte wird jedoch der in den zerfallenen Verbindungen aufgespeicherte
Vorrath von potentieller Energie der Affinität allmälig consumirt und
dadurch einige Zeit hindurch Druck und Temperatur angenähert auf dem
anfanglich erreichten Maximum erhalten bleiben. Einen ganz gleichen
Einfluss würde man auch bemerken, wenn anfanglich die Producte der Ex-
plosion, welche späterhin fest oder flüssig werden, im gasförmigen oder
flüssigen Zustande vorhanden wären und allmälig in Folge der Ab-
1) Man vergleiche Bd. 2. IL C. 9. S. 415.
454 II. Thermochemie.
kühlang ihre Wärme ahgehen, während sie in den stahileren Aggregai-
zostand ühergehen ^).
Die Einwirkung der Dissociation wird ührigens möglicher Wösa
nicht BO sehr hedeutend sein, weil hei den Vorgängen, um die es sich in
vorliegenden Falle handelt, nicht nnr die Temperatur, sondern aach der
Druck ungemein hohe Werthe annimmt; diese beiden Grossen wiikea
aber in entgegengesetztem Sinne ein , die zunehmende Temperatur be-
fördert die Dissociation, der steigende Druck vermindert dieselbe. Yiub
Vergrösserung der Temperatur bewirkt aber auch eine Steigerung des
Druckes. Die beiden Einflüsse werden sich daher ganz oder zum TbcA
gegenseitig compensiren ').
Könnte man die Beschaffenheit der gebildeten Producte unmitteH»
nach Vollendung der beabsichtigten Wirkung des ExplosivkÖrpers (z. K
unmittelbar nachdem das Geschoss die Mündung des Rohres verlasset
hat) bestimmen, so brauchte man, um den geleisteten Effect zu besü»
men, auf eine etwa vorhanden gewesene theilweise Dissociation znnul
der Kohlensäure in Kohlenoxyd und Sauerstoff keine Rücksicht zu neh-
men, da die mitgeth eilte Energie nur vom Anfangs- und Endzustand^
nicht aber von den Zwischen zuständen abhängt.
Leider sind wir jedoch kaum im Stande, die Producte des ProceaM
in diesem Zustande zu untersuchen , sondern es kann dies stets erst ge-
schehen, nachdem sie ihre lebendige Krafb verloren und Temperatur und
Druck der Umgebung angenommen haben.
Da man, wie aus dem Vorhergehenden zur Genüge hervorgeht, nv^
im Stande ist, den Verlauf von Temperatur und Druck während der Zei^
welche die Explosion zu ihrer Vollendung beansprucht, auf theoretischoi
Wege aus gewissen einzelnen Daten abzuleiten, die auf experimentelles
Wege gefunden worden sind, so ist man genöthigt, die Grössen, die eic
irgendwie dazu eignen, zu messen und die gegenseitigen Beziehungen d«
einzelnen Grössen durch empirische Formeln zur Darstellung za briogeii
und man muss versuchen, alsdann mit deren Hülfe die Frage in jedes
einzelnen Falle, den die Praxis bietet, zu beantworten.
Immerhin werden die Grundsätze der mechanischen Wärmetheans
auch hier die nöthige Anleitung geben, da man es bei allen hier in Fragt
kommenden Problemen mit Umsetzung potentieller Energie cbemiselKr
^) Man vergleiche z. B. die Experimente Ton Noble und Abel, beschrieben ii:
Researches on Explosives. — Fired Gunpowder, Phil. Tranaact. Bd. 165 (167^
S. 93. — Bunsen glaubt, dass die festen Producte der Pulververbrennnng bei 3000 Gni
selbst bei Atmosphärendruck noch flüssig sind.
^) Ueber die Bedeutung des Einflusses der Dissociation auf Druck und TempenW
und über die Aenderung beider Grössen .während der Thätigkeit des Explosiv]
sind zumal Berthelot (Ann. d. chim. et d. phys. 4. Serie, S. 227 u. 5. Serie, S.is4
und Noble und Abel (Phil. Transact. Bd. 165 [1875] S. 94) wesentlich renchM^aa
Ansicht. Ersterer vertritt im Wesentlichen die oben vertretene Meinung, die LetxicRt
glauben, dass wenn wirklich Dissociation einträte, dieselbe in ihrer ^Wirkung
merklich sein könne.
D. Die Explosivkörper. 455
Affinität in Wärme and mit Verwandlnng von Wärme in* kinetische
£nergie und Deformationsarbeit zu thnn hat.
Zonächst behandeln wir den wichtigsten von allen Explosivkörpern,
das Schiesspnlver, nnd gehen dann erst später kurz aof die Nitrokörper
ein, welche explosive Eigenschaften zeigen.
2. üeber die Bestandtlieile und die Zersetzung des
Sohiesspulvers.
Die als normal betrachtete Zosammensetznng der meisten Schiess-
palver entspricht nach R. Bunsen und L. Schischkoff ^) sehr nahe einem
Gemenge von : 2 Atomen Salpeter, 1 Atom Schwefel und 3 Atomen Kohle.
Dies würde folgende procentische Verhältnisse der Bestandtheile ergeben:
K N O3 = 74,8 Proc.
S = 11,8 „
C = 13,3 „
In Wirklichkeit sind die Zusammensetzungen zum Theil etwas ab-
weichend, wie nachstehende Tabelle zeigt ^):
^ •
Cylindri-
Grobkör-
Oesterrei-
Oesterrei-
.
Jagdpnlver
sches
niges
Spanisches
chisches
chisches
•
nach Bun-
(Pebble)
Büchsen-
sphärisches
Geschütz-
Gewehr-
sen und
Pulver aus
pulver aus
(Pebble)
pulver
pulver
Schischkoff
Waltham-
Waltham-
Pulver
nach
nach
Abbey
Abbey
KArolyi
Kirolyi
KNOj
80,0
74,7
75,0
75,3
73,8
77,1
S
9,8
10,1
10,3
12,4
12,8
8,6
( ^
7,71
12,11
10,9\
8,7\
10,9^
11,8^
H
Kohle
0
0,4
3,lJ
11,2
0,4
1,5
14,2
0,4
2,0
13,5
0,4
>11,4
1,7
0,4
1,8
13,4
0,4
1,8
14,3
Asche
Spuren
0,2)
0,2)
0,6/
0,3]
0,3)
HaO
—
-
1,0
1,1
0,7
—
-
-
Die obige Zusammensetzung, welche Bunsen und Schischköff
angenommen haben, entspricht einer Reaction während der Explosion
nach der Formel:
C3 + S + 2KNO3 = 3CO2 + N2 + KjS;
doch wird dieser Verlauf durch die Ergebnisse der Analyse der Explo-
sionsproducte nur sehr unvollkommen bestätigt.
1) Bansen und Schischkoff, Chemische Theorie des Schiesspulvers. Pogg. Ann.
Bd. 92, S. 321.
^ Untergeordnete zufällige Beimeogangen sind unberücksichtigt gelassen worden.
456
IL Thermochemie.
Dieser Verlauf würde folgenden entwickelten WärmemeDgen und
nebenstehend entwickelten Gasmengen (bezogen auf 0^ und 760 mm) ent-
sprechen:
270 kg Pulver würden liefern: 199 200 CalorienO,
also 1 kg Pulver „ „ 738 Calorien,
und die, entwickelten Gase würden ein Volumen von 331 Liter ausfülleB.
Berthelot hat geglaubt, die Zusammensetzung und den in Wirk-
lichkeit stattfindenden Zersetzungsprocess bei der Explosion des Pulven
durch folgendes Schema zur Darstellung bringen zu können:
16KN03 + 6S-f 13C = 5KaSO4 + 2K3CO3 + K2S + 16N + llC0^
Nach dieser Formel würde
1 kg Pulver 981 Calorien
entwickeln, und gleichzeitig würden diese Pulvermengen 225 Liter (W
zogen auf 0^ und 760 mm) Gas liefern.
Dies entspricht folgendem procentischen Zusammensetzungsverhah-
niss der durch Entzündung des Pulvers gebildeten Producte:
Berechnet
Berechnet
Gefunden Yon
•
nach Bnnsen
nach Berthelot
Abel a. Noble
K2S04
--i
45
10
KaCOg
—
7
32
KaS
40,7
10
10
N
10,4
12
11
CO2
48,9
26
27
CO
—
—
6
Ka&jO,
—
—
4
100
100
100
Die Berthelo tischen Zahlen entsprechen, wie ein Vergleich mit
den im Nachstehenden mitgetheilten Zififern zeigt, den thatsächlich beob*
achteten Verhältnissen zwar wesentlich besser als die B unse naschen, je-
^) Hierbei sind nach Berthelot folgende Zahlwerthe für die Wärmetönongo
benatzt:
(N, Ca, K) = 97 000 Cal.
(S,04,K2) = 350 000 „
(Kg, S) = 102 200 „
(0,0) = 28 000 (wenn C = HokkoWe)
(0, O2) = 97 000 desgl.
(C,03,Ka) = 280 800 Cal.
Ann. d. chim. et d. phys. 5. Serie. Bd. 9, S. 149.
D. Die Explosivkörper. 457
doch sind auch in diesem Falle die Differenzen noch gross genug, um er-
kennen zu lassen, dass die Vorgänge bei der Explosion des Schiesspnl'»
yers viel zu complicirte sind, als dass sich dieselben durch eine so einfache
Formel zum Ausdruck bringen Hessen.
Besonders beachtlich aber ist der Umstand, dass sich die Zersetzungs-
producte eines und desselben Pulvers wesentlich ändern, je nach dem
Drucke und somit auch nach der Temperatur,' welche durch die Ex-
plosion erzeugt wird. Aus den Beobachtungen, welche man erhält, wenn
Pulver frei bei Atmosphärendruck verbrennt, kann man somit nicht
mit Sicherheit auf die Yerbrennungsproducte schliessen, welche gebildet
werden, wenn die Explosion des Pulvers in einem vollkommen abgeschlos-
senen und abgeschlossen bleibenden Räume, oder wenn sie in einem
durch die Bewegung des Geschosses veränderlichen Räume stattfindet
und gleichzeitig ein Theil der erzeugten Wärme dazu dient, die Reibung
des Geschosses an den Geschützwandungen zu überwinden und demselben
eine erhebliche lebendige Kraft zu ertheilen ^). Wahrscheinlich ist jedoch
der Unterschied zwischen dem Falle, dass eine Explosion in einem voll-
kommen geschlossenen Räume geschieht, und zwischen dem, dass dieselbe
im Laufe eines Geschützes geschieht, nicht sehr gross, da die Versuche
des Committee on Explosive SübstanceSf welche besonders von Boxer und
Noble') angestellt worden sind und neuere Untersuchungen von Noble
und AbeH) gezeigt haben, dass der grösste Theil der Reaction sich
bereits vollzogen hat, ehe das^Geschoss einen erheblichen Theil des
Weges im Geschützrohre zurückgelegt hat.
Es scheint die Geschwindigkeit, mit der sich die Reaction vollzieht,
das ausschlaggebende Moment zu sein, welches den Verlauf der Zer-
setzung des Pulvers vorzugsweise beeinflusst; diese hängt aber, wie man
weiss, minder von den geringen Differenzen in der Zusammensetzung,
als vielmehr vom Drucke und von der physikalischen Beschaffenheit:
Grösse der Pulverkömer, Dichte, Härte und Gestalt derselben ab *).
Die definitive Lösung des Problemes, den VerlcCuf des chemischen
Vorganges bei der Explosion von Pulver theoretisch darzustellen, scheint
noch nicht sehr nahe bevorzustehen , da bei der Gefährlichkeit der Ex-
perimente, welche für eine solche Theorie die Grundlage zu liefern hätten,
sich sorgfältigen Messungen fast unübersteigliche Hindernisse in den
Weg stellen.
Wir lassen im Nachstehenden eine kurze Ueber sieht über die Pro-
ducta der Verbrennung des Pulvers folgen, welche von verschiedenen
Beobachtern unter verschiedenen Umständen gefunden worden sind.
*) Dies beweisen besonders Versuche von Vignotti, De l'analyse des produits de
la Gombustion de la poadre, Paris 1861; von Craig, Dingler'p Journal Bd. 161, S. 462;
von Fedorow, Zeitschrift für Chemie Bd. 12, S. 12. — ^ Noble, Procecdings of
Royal Institution Bd. 6, S. 262; Dingler's Journal B. 202, S. 344. -— ^) Noble und
Abel, Philosophical Transactions Bd. 165 (1875), S. 49 bis 155. — *) Man sehe z. B.
Noble und Abel in der hier mehrfach benutzten Abhandlung: Researches on Explosives.
— Fired Ganpowder in: Philosophical Transactions Bd. 165 (1875) S. 85.
458
IL Tliermocheniie.
Name der Expeiimentatoren
Bansen und Schisch
koff
Fedorow
a
:3
m
a
B
i
-TS 'S
KNOg
S
Kohle { H
lo
HaO
Name des Pulvers
Art der Entzündung
na
I
in
4)
'S a
^ Oh
es
5
«
'Gesammtgewicht
d. festen Bestand-
theile
K'aCOg
KaSOg
KaS04
KaS
KCNS
KNOg
(NH4)aG08
\
G esammtvolumen
0,790
0,098
0,077
0,004
0,031
0,742
0,099
0,108
0,004
0,034
0,012
Jagdpnlver
Russisches MilitSrgei
Unter AunoRphSrendruck
0,672 kg
0,126 „
0,033 „
0,423 „
0,021 „
0,003 „
0,037 „
0,029 „
Blindgeladenes
Geschütz
^,943 kg
0,234 „
0,165 ,
0,482 „
0,001 „
0,005 „
0,058 „
0,313 kg
0,201 „
0,009 „
0,002 „
101,7 l
7,5 „
1,2 n
0,0002 „ = 2,3 „
0,001 r, = 1,0 „
0,100 „ = 79,4 „
193 l -
KtDO
mit 3 Pfd.
JZ
^
o
2
&
d
OD
»4
•
t«
5
a
9
•*
fi
o
V
0,908 i
0,370 ;
0,008
0,150]
0,382
0,003i
e M
D. Die Explosivkörper.
459
Noble und Abel
0,747
0,101
0,121
0,004
0,015
0,010
Cylindrisches (Pebble) Pulver aus Waltham-Abbey für Marinegeschütze
b^loeion in einem geschlossenen Gefässe, die Ladung fällte Procent des Hohlraumes:
«0%
207o
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
i561kg
0,560 kg
0,557 kg
0,570 kg
0,552 kg
0,564kg
«
0,573 kg
0,570 kg
0,573 kg
m„
0,322 „
0,331 „
0,315 „
0,310 „
0,325 „
0,288 „
0,335 „
0,368 „
416,
0,021 „
0.024 „
0,082 „
0,034 „
0,056 „
0,185 „
0,118 „
0,076 „
(084,
0,077 „
0,070 „
0,075 „
0,066 „
0,076 „
0,073 „
0,059 „
0,052 „
m.
0,101 „
0,092 „
0,055 „
0,106 „
0,065 „
0,013 „
0,022 „
0,022 „
(Ml,
0,003 „
0,001 „
0,001 „
0,001 „
0,002 „
0,002 „
0,003 „
0,003 „
/HO,
—
0,001 „
0,001 „
0,002 „
0,001 „
0,002 „
0,002 „
.001 ,
0,001 „
0,001 „
0,001 „
^^^
^■MB
0,001 „
0,001 „
,439 kg
0,440 kg
0,443 kg
0,430 kg
0,448 kg
0,436 kg
0,427 kg
0,430 kg
0,427 kg
.258,
0,252 „
0,262 „
0,265 „
0,277 „
0,268 „
0,263 „
0,272 „
0,271 „
.052,
0,058 „
0,055 „
0,048 „
0,047 „
0,047 „
0,042 „
0,040 „
0,036 „
'.013 „
0,018 „
0,013 „
0,007 „
0,008 „
0,009 „
0,013 „
0,008 „
0,009 „
—
—
—
0,001 „
0,001 „
0,001 „
0,001 „
0,001 „
0,001 „
»,001 ,
0,001 „
0,001 „
0,001 „
0,001 „
0,001 „
0,001 „
— •
W15„
0412 „
0,112 „
0,110 „
0,114 „
0,110 „
0,108 „
0,109 „
0,109 ,
881/
285/
283/
*
279/
282/
275/
268/
269/
266/
460 II. Thermochemie.
Besonders die Versuche von Fedorow zeigen die Unterschiede i«cht
dentlich, freilich konnten sich dessen Resultate naturgemäss lediglidi aenf
den festen Rückstand erstrecken.
Man bemerkt in den festen Yerbrennnngsprodacten zunächst eine
Zunahme des Rückstandes an kohlensaurem Kalium und eine Abnahme
des Gehaltes an Schwefelkalium bei zunehmender Temperatur und Druck
im Explosionsraume, eine Beobachtung, die auch durch die Yenniche tc»
Noble und Abel bestätigt worden sind, die sich vorzugsweise auf ver-
schiedenen Druck, hingegen wahrscheinlich auf geringere Temperatur-
differenzen beziehen. Die bedeutende Abnahme des Gehaltes des festen
Rückstandes an schwefelsaurem Kalium, welche Fedorow beobachtet
hat, sind durch die englischen Untersuchungen nicht bestätigt worden.
Die letztgenannte Versuchsreihe deutet jedoch auf eine erheblidie
Zunahme des Kohlensanregehaltes bei wachsendem Drucke während äa
Explosion und eine gleichzeitige Abnahme des Kohlenoxydgehaltes hin,
woraus man auf eine vollkommenere Verbrennung schliessen kann, wenn
der Druck und vielleicht auch die Temperatur zunehmen. Auch der Ge-
halt an Schwefelwasserstoff und das Gesammtgasvolumen, welches gebildet
worden ist, lassen eine geringe Abnahme bei zunehmendem Drucke er-
kennen, während die Menge des entwickelten Stickstoffes, wie zu erwar-
ten war, fast ungeändert bleibt ^).
Dass bei den Versuchen von Bunsen so wesentlich verschiedene
Resultate erhalten worden sind, dürfte ausser in der etwas Terschiedenea
Beschaffenheit des verwendeten Pulvers, darin seine Ursache haben, das
bei Bunsen 's Methode das Pulver in Gegenwart von Sauerstoff der
Luft verbrannte. Zumal der auffallig geringe Gehalt der Verbrennung»-
producto an Kohlenoxyd gas dürfte darin seine ausreichende Erklämog
finden.
Sämmtliche Analysen der Producte, welche das nämliche oder gani
ähnlich zusammengesetzte Pulver geliefert haben, lassen ganz ausser
ordentliche Unterschiede in den wesentlichen Producten: Kohlenssnna
Kalium, Schwefelsaures Kalium, Schwefelkalium, Unterschwefelsanres Sip
lium, Kohlensäure und Kohlenoxyd erkennen; auch die mehr acceesorischei
Beimengungen: Schwefelcyanür, Kohlensaures Ammoniak, Sumpfgassei-
gen grosse Differenzen. Dies beweist die Complication und Unferti^eit
der sich vollziehenden Reactionen; aus der Kürze der Z^it ist dieser
Mangel an Homogenität vollständig erklärlich.
Es muss übrigens nochmals erwähnt werden, dass man 'kaum be-
rechtigt sein dürfte, aus der chemischen Beschaffenheit der Verbrennung
producte nach vollendeter Erkaltung einen zutreffenden Schluss auf die
^) Beobachtungen über die Beschaffenheit der Pulvergase in verschiedenen Stdh*
des Geschützrohres bei Bewegung des Geschosses liegen, soviel mir bekannt i^, nkht
vor, obgleich es nicht undenkbar wäre, dass man in genügend dickwandigen Ge9dlit^
röhren durch eingebohrte überaus feine Capillarrohre an verschiedenen Stellen des Uafo
Gasproben ausströmen lassen könnte.
D. Die Explosivkörper, 461
chenuBche Constdtation der Explosioneproducte im Momeate der IDntzQn-
Atmg nnd während ihrer Arbeitle istong im Geschützrohre za ziehen, da
die DiBBOciatioD, die bei der hohen Temperatur und ^em gleichzeitig ent-
gegengesetzt wirkenden Dracke stattfindet, bei verBchiedenen Substanzen
sehr verschiedene Wirkungen herrorbringen kann. Höchst wahrschein*
lieh befinden sich aber in diesem kurzen Zeiträume sehr viele Zersetzungs-
producte dee FolverB in jenem eigenthümlichen Zustande, den alle Plüs-
sigkeiteo jenseits ihrer kritischen Temperatur annehmen.
Kurze Zeit nach der Explosion befinden sich Qbrigens, wenn die
Wärme nicht sehr rasch darch Uebergang in kinetiache Energie und
Expansion conaumirt wird, die späterhin festen Bestandtheile der Ve»
brennnngsprodacte in flüssigem Zustande; dies zeigten besonders die
Versuche von Noble and Abel, die wir jetzt knrs beschreiben wollen.
Bezüglich aller Details bei Anstellung dieser Versuche, sowie bei denen
von Bunsen und Sohischkoff und denen von Fedorow verweisen wir
■nf die OriginalabbandluDgen.
In einem Gefasse, welches ans weichem, aber äusserst zähem Stahle
hergestellt war, befand sich ein Hohlraum zur Aufnahme der Ladung,
der ungefähr 1 Kilogramm Pulver {bei einem anderen Apparate nur
V] Kilogramm) aufzunehmen im Stande war.
Beistehende Figur 23 zeigt die Gestalt und Einrichtung des Appa-
rates. Die Hanptöfinnng ist durch einen konischen Schraubenbolzen 0
Fig. 23.
verschlossen. Durch diesen Bolzen hindurch geht in der Mitte ein durch
eine dünne Hartgummischicht isolirter Konus W, welcher seine breitere
Seite nach innen kehrt nnd einen Leitaagedraht enthält, der innen in
462 IL Thermochemie.
einen kleinen Drahtträger L endet. Ausserdem tr> der Bolzen C
aasserhalh des durch Hartgummi isolirten Theilea W desselben nodi
einen Drahtträger L\ Zwischen diese Träger wird , ehe man C iA den
Apparat einsetzt, ein Platindraht gespannt. Ist der Hohlraum B mit der
Ladung gefüllt und das Explosionsgefäss vollkommen geschlossen, m
entzündet man die Ladung dadurch, dass man den zwischen LL' ge-
spannten Draht durch einen kräftigen galvanischen Strom ins Glükes
bringt. Bei E findet sich eine Vorrichtung, um die bei der Yerbrennong
des Pulvers entwickelten Gase entweichen lassen zu können. Die Oeff-
nung F wird durch einen sehr gut eingepassten Gylinder, der oben in
ein kegelförmiges Ansatzstück Q- endet, dicht geschlossen. Wird die
Schraube JE7 gelüftet, so können die bei der Explosion entstandenen Gase
durch das eingesetzte Böhrchen H entweichen und werden durch einen
Gummischlauch in einen Gasometer geleitet, welcher mit Einrichtongen
versehen ist, die es gestatten, das Volumen des Gases genau zu bestim-
men. Bei K befindet sich eine Art Manometer, dessen Einrichtang wir
später beschreiben werden; dasselbe 4ient dazu, den Maximaldruck n
finden, der im Explosionsgefasse vorhanden gewesen ist.
Um bei dem hohen Drucke, der nach der Explosion in dem Appa-
rate herrscht, die Verschlüsse überhaupt wieder öffnen zu können, mnai-
ten die Schrauben sämmtlich konisch geschnitten werden , wie dies anck
unsere Figur erkennen lässt.
Eine sorgfaltige Untersuchung des Inhaltes des Explosionsge&BMi
nach dessen Oeffnung zeigte zunächst bei den einzelnen Versuchen ein ob*
gemein verschiedenartiges Aeussere. Verschiedene Beobachtungen Ueafli
deutlich erkennen, dass kurze Zeit nach der Entzündung aUe Theile d«
festen Rückstandes sich in flüssigem Zustande befanden. Bei einem der
Versuche von Nobl^ und Abel, in welchem ihr Explosionsgefass on-
gefähr zu ^/s mit Pulver gefüllt war, wurde 30 Secunden nach der Ent-
zündung das Gefass so gestellt, dass seine Axe (in der Zeichnung dnrck
eine gestrichelte Linie S8 angedeutet) einen Winkel von 45® mit der
Horizontalen einschloss. Zwei Minuten später wurde diese Axe wiefo
horizontal gestellt. Bei späterhin folgender Untersuchung ergab «di,
dass der Rückstand unter einem Winkel von 45^ fest geworden war; die
Kanten zeigten sich vollständig scharf ausgebildet.
Bei einem anderen Experimente war der Hohlraum zu Y« ^^"^
die Ladung erfüllt. Eine Minute naoh der Entzündung wurde die Ase
rasch um 45^ geneigt und 45 Secunden später wieder in die nrsprünf'
liehe Lage gebracht Beim Oeffnen sah man, dass zu der Zeit, n der
man begonnen hatte das Gefass zu neigen, also eine Minute nach der
Explosion, der Rückstand bereits angefangen hatte fest zu werden; ei
hatte sich zu jener Zeit auf der Oberfläche bereits eine dünne gehaiteia
Kruste gebildet gehabt, die jedoch bei der Neigung von der damntar
befindlichen Flüssigkeit zerbrochen worden war. Der Rückstand Itg
nämlich mit ebener Oberfläche unter einem Winkel von 45^ gegen die
D. Die Explosivkörper. 463
Axd, und die Kruste, durch welche die Flüssigkeit hindurchgeflossen war,
stand in horizontaler Lage wie ein dünnes Eishlatt, unter dem das Wasser
abgeflossen ist.
Bei einem dritten Versuche endlich war das Gefass vollständig mit
Pulver gefüllt gewesen. Eine Minute nach der Explosion wurde das
Gefass um 45^ geneigt und hierauf alle 15 Secunden die Stellung des
Gylinders geändert. Es zeigte sich, dass nach Verlauf von 60 bis 75 Se-
cunden nach der Entzündung der Rückstand noch vollständig flüssig war.
Jede Stellung des Gylinders von da an konnte durch eine Welle an der
Gberfläche des Rückstandes nachträglich erkannt werden. Nach 90 Se-
cunden war der Rückstand zähflüssig und 105 Secunden nach der Ent-
zündung fest.
. 3. Die Theorie des ScliiesspiQvers nach Bunsen und
Schisohkoff i).
Wenn nach dem, was im Vorhergehenden mitgetheilt worden ist,
auch selbst die experimentellen Grundlagen der Theorie von Bunsen
und Schischkoff nicht als zutreffend für den eigentlich in den Ge-
schützen sich vollziehenden Vorgang angesehen werden können, so ist
immerhin diese Theorie die erste gewesen, welche, gestützt auf wissen-
schaftliche Grundlagen, der Lösung der Frage näher zu treten versucht
hat. Die Auseinandersetzung und Kritik dieser einfachen Theorie kann
ausserdem als eine geeignete Vorbereitung auf die complicirteren Be-
trachtungen angesehen werden, welche später von St. Robert und von
Noble und Abel gegeben worden sind.
Bezeichnet man mit w die bei Verbrennung von 1 kg Pulver er-
zengte Wärmemenge, mit G die speciflsche Wärme der gesammten Ver-
brennungsproducte, so würde r^ die Temperaturerhöhung der Substanz
durch die Verbrennung sein, und wenn die Anfangstemperatur gleich Null
war, so bedeutet -r^ unmittelbar die Flammentemperatur des Pulvers selbst.
■
Bunsen maass nun die bei Verbrennung einer abgewogenen Pulver-
menge entwickelte Wärmemenge direct. Er entzündete zu dem Zwecke
das Pulver in einem weiten, hermetisch geschlossenen Glasrohre durch
einen galvanisch glühend gemachten Draht. Dieses Glasrohr war in ein
Calorimeter eingesetzt und aus der Temperaturerhöhung der Flüssigkeit,
des Calorimetergefasses und sämmtlicher im Calorimeter befindlicher Ge-
genstände '), sowie aus dem Wasserwerthe der gesammten erwärmten
^) Bansen u. Schischkoff, Chemische Theorie des Schiesspulvers. Pogg. Ann.
Bd. 102, S. 321 bis 353. (1857.)
2) Bezüglich der Details des Versuches verweisen wir auf die Originalabhandlung :
Pogg. Ann. Bd. 102, S. 344.
464
IL Thermochemie.
Theile konnte man auf die Anzahl der vom Pulver entwickelten Wärme-
einheiten schliessen. Die gefundene Ziffer hetmg:
644 Galorien pro 1 Kilogramm Pulver.
«
Dieselben bedui*ften noch einer kleinen Correction, da durch den SaQe^
Stoff der im weiten Rohre, in dem die Entzündung vor sich ging, Tor-
handenen Luft ein Theil der verbrennlichen Producte der Entzündung I
(CO, H, H2S) noch weiter verbrannt waren. Die deshalb in Abzug so 1
bringende Gorrection betrug 24 Galorien, so dass man schliesslich furvl
den Werth erhielt:
ti7 = 620 Galorien.
um die mittlere specifische Wärme der gesammten YerbrenniiDgs-
producte zu erhalten, multiplicirten Bunsen und Schischkoff (&
einzelnen von einem Kilogramm erhaltenen Yerbrennungsproducte bb(|
der specifischen Wärme.
Erfolgt die Entzündung und Erwärmung bei constantem ThwkA
einer Atmosphäre, so wurden bei dieser Multiplication die specifiscin|
Wärmen bei constantem Drucke verwandt; soll die Erwärmung in
geschlossenen Räume, also bei constantem Volumen erfolgen, so sind
speciiischen Wärmen der einzelnen Substanzen bei constantem Yolai
zu verwenden. Bunsen findet im ersten Falle die mittlere speeü
Wärme :
Cp = 0,206,
im zweiten Falle:
c, = 0,185.
Daraus berechnet er die Flammentemperatur des in freier Luft tc
brennenden Pulvers zu:
30000 G.;
hingegen ermittelt er die Flammentemperatur für den Fall, dass die
in einem geschlossenen Räume entstehen und sich nicht frei ai
können, zu
33000 G.
Selbstverständlich sind auch diese Flammenteroperatnren ledii
Näherungswerthe, welche thatsäcblich nie erreicht werden, da durch AI
leitung von Wärme durch die Gefasswände und durch Strahlung
jedem gegebenen Falle eine erhebliche Anzahl von Galorien verlor
gehen wird.
Gegen die ganze Art der Rechnung ist aber, abgesehen von
Temperaturerniedrigung durch die Dissociationserscheinungen , wek
auch hier nicht ausbleiben werden, der viel erheblichere Einwand
worden, dass man aus den bei Atmosphärendruck und sehr niedn^
Temperaturen gemessenen specifischen Wärmen nicht auf die Wärmectpft^
cität der Substanzen in dem Zustande schliessen dürfe, in dem se
während und unmittelbar nach der Explosion befinden. — Im Allgemeii
D. Die Explosivkörper. 465
wächst die specifiBche W&rme bekanntlich mit der Temperatur, man wird
also in obiger Rechnong die Nenner zu klein gewählt haben und anch
aus diesem Grunde in Wirklichkeit niedrigere Temperaturen erwarten
müssen, als oben durch die B^hnung gefunden worden sind.
Bei der Ermittelung dea Druckmaximums, welches das Pulver zu er-
sengen im Stande ist, wenn es in einem geschlossenen Räume verbrennt,
glaubt Bnnsen auf die Tension der Dämpfe des festen Rückstandes ver-
zichten zu können, weil eine an einem Platindraht in die Flamme eines
Wasserstoffluftgebläses gebrachte Perle des Pulverrückstandes zwar
schmilzt und auch verdampft, aber nicht siedet. Er glaubt aus dieser
Beobachtung schliessen zu dürfen, dass der Druck der Dämpfe dieser
geschmolzenen Substanzen bei circa BOOO^ noch nicht eine Atmosphäre
erreicht haben könne.
Um den entstehenden Druck selbst bestimmen zu können, setzt
die Theorie von Bunsen und Schischkoff weiter voraus, dass die ent-
wickelten Gase unter den w&hrend einer Pulverexplosion in einem ge-
schlossenen Baume stattfindenden Temperatur- und Druckverhältnissen
dem Ausdehnungsgesetze vollkommener Gase noch angenähert Folge lei-
sten. — Gegen die Zulässigkeit dieser Annahme sind bekanntlich in
neuester JZeit von Berthelot ernstliche Bedenken geltend gemacht wor-
den, und auch wir glauben ,n dass diese Voraussetzung von allen Hypo-
thesen, auf denen die Bunsen-Schischkofr sehe Theorie beruht, die*
jeuige ist, welche am wenigsten zulässig erscheint.
Unter Voraussetzung der Giltigkeit des Mariotte'schen und Gay-
LuBsac'schen Gesetzes findet man den Druck durch folgende Betrachtung.
Nimmt man an, nach erfolgter Explosion erfüllen die Verbrennungs-
producte gerade den Raum, den vorher die Ladung beanspruchte, so
nimmt 1 Kilogramm unverbranntes Pulver den Raum von -^ Liter ein,
o
wenn 8 das Gewicht von 1 Liter bezeichnet (die Grösse 8 nennen die
Artilleristen die gravimetrische Dichte). Ist nun bei der Explosions-
temperatur T = 273 -f' ^ das specifische Gewicht der festen Bestand-
theile des Rückstandes gleich <y<, und liefert 1 kg Pulver Q Kilogramme
festen Rückstand, so ist der von dem entwickelten 1 — GF kg Gas bei der
absoluten Temperatur T eingenommene Raum gleich -5- — ---.
Die 1 — Q Kilogramme entwickeltes Pulvergas besitzen nun bei
0^ und dem Drucke von 1 Atmosphäre ein Volumen F. Demnach muss
nach dem Ausdehnungsgesetze vollkommener Gase für den gesuchten
Druck z die Gleichung gelten:
•(iS J
«.. _ . ^^y
T 273
BablmanD, Xechan. WlnMthMria. Bd. t, 80
466 II. Thermochemie.
Hieraas findet man:
X = ■ ■ ■ 1)
Führt man hierin ein:
Volumen der gebildeten Gase . . . . « F==tl93l,
Grayimetrische Dichte des Pulyers . . . ' . . . . . S =0,96k(
Gewicht der festen Explosion ßproducte ; Gr= 0,68kg,
Das specifische Gewicht 1) des festen Rückstandes bei 3300^ ^^ = 1,50,
Temperatur, wenn die Ezplos. im geachloss. Räume stattfindet T = 3500*,
so ecgiebt sichi-
X = 4200 Atmosphären.
Setzte man für- das specifische Gewicht des Pulverrückstanda bei
3300^ das specifische Gewicht bei 0^ ein Oq = 2,35, so fände man für x
nur 3300 Atmosphären. Ungefähr 1000 Atmosphären des Druckes ruka
also von der Ausdehnung der festen Bestandtheile des EIxplosioDsrück-
standes her.
Wir wollen übrigens nicht unterlassen darauf hinzuweisen, danii
dieser Rechnung noch andere Umstände nicht berücksichtigt sind, wel^
^veranlassen würden , dass durch unsere Rechnung zu grosse Weitk
für X gefunden werden. Erstens nämlich wird die Zunahme des qpeö-
fischen Gewichtes des festen Rückstandes in Folge der bei so hohes
Drucke sehr erheblichen Comprefision eine wesentliche Abnahme vonf
bedingen, zweitens wird die bei so hohem Drucke unbedingt eintretenji
ISr Weiterung des Volumens des Explosionsgefösses und drittens wird &
Wärmeentziehung, Welche die Pulverflamme erfährt, ebenMls erniedrigeofl
auf den herv(»>zubringenden Druck einwirken.
Mit Hülfe der jetzt gewonnenen Resultate ist man nunmehr auch in
Stande, eine ganz oberflächliche Annäherungsrechhung über die Gesammt-
energie anzustellen, die in 1 Kilogramm Pulver enthalten ist Die«
Grösse wurde eigentlich das einzige wissenschaftlich berechtigte Maas
für die Leistungsfähigkeit eines Explosivkörpers sein. Die Grundkges
dieser Rechnung .sind jedoch leider ausserordentlich unsicher, so das
man ihren Reeultaten kaum den Werth einer angenäherten Schätmf
beilegen kann.
Sieht man ganz ab von der in den festen Rückständen anfgespo*
cherten Energiemenge, so besitzen die Gase, die aus einem Kilograma
. 1 ff .
Pulver entwickelt werden, ein Volumen f, = ~ — — Liter und ein«
S o,
Druck von x Atmosphären. Die grösstmögliche Arbeit würde geleätei
* •
^) Von Bunsen nach seiner bekannten Methode experimentell bestimmt.
D. Die ExplosivkÖrper. 467
werden» wenn sich die Palvergase ohne Wärmeverlust so lange ezpan-
dirten, bis ihr Volumen gleich F geworden wäre. Man erhielte somit:
F
Maximalarbeit = / i> . de?,
wenn p und v Druck und Volumen in irgend einem der Zwiscfaenzustände
bezeichnen.
Erfolgt die Expansion, wie vorausgesetzt, ohne dass Wärme zu-
oder abgeführt wird, also längs einer adiabatischen Curve, so ist:
'=••(?)
c '
wo X das VerhältnisB -^ der specifischen Wärmen bedeutet.
Setzt man dies ein und führt die Integration aus, so erhält man für
die Maximalarbeit die Gleichung:
Maximalarbeit = — - — *- • 1 1 — (l^) I * ' '
2)
Beachtet man, dass im gegebenen Falle Vf = 0,58 1, F = 193 1
und X =T -^ = 1,39 ist und sämmtliohe (jl^rundlagen der Rechnungen
äusserst unzuverlässig sind, so kann man das zweite Glied in der obigen
Klammer vernachlässigen und erhält die von Bunsen gegebene Formel:
Maximalarbeit = — - — - 3)
X — 1
Diese liefert, wenn man einsetzt:
X = 4000 Atmosphären = 4000 X 103,33 kg pro qdm,
V, = 0,6 1,
X — 1 =: 0,39,
den Werth:
Maximalarbeit =64 000 Kilogrammmeter.
Wollte man auf gleichen Grundlagen die Arbeitsleistung schätzen,
welche das Pulver einem Geschoss auf dessen Weg bis zum Ende des
fieschützrohres zu ertheilen im Stande wäre, so müsste man in der For-
inel 2) für F das Volumen des Geschützrohres einsetzen. Wir werden
weiterhin sehen, dass die Resultate dieser Theorie mit den Erfahrungen
nicht vollständig im Einklänge sind.
ÖD*
468 n. Thermochemie.
4. Saint-Robert's Theorie der Wirkung des Sohie»-
pulvers in den ßeseliützroliren ^).
Diese Theorie geht von einer hekanaten Fandamentalgleicbiuig tos,
die ein einfacher Ansdruck des ersten Hauptsatzes der mechanisckei
Wärmetheorie ist; sie betrachtet das Problem der Bewegung eines Ge-
schosses im Laufe eines Geschützes von ähnlichen Gesichtspunkten aas,
wie dies seiner Zeit Zeuner böi seiner Behandlung des Ausflusses Tn
Gasen und Dämpfen gethan hat.
Erleidet ein System von Körpern eine Zustandsänderung, ohne dm
Energie abgegeben oder aufgenommen wird, so wird einestheils die
innere Energie geändert, die Aenderung mag f du heissen, anderai-
theils wird äussere Arbeit erzengt, die Grösse derselben sei / dX, ood
endlich wird noch eine gewisse Menge kinetischer Energie produeiiii
wenn vorher alle Theile des Systems in Ruhe waren; dieser Theil nD
mit f dV bezeichnet werden. Alsdann ist nach dem ersten Hauptaata
der mechanischen Wärmetheorie:
fdü+ fdL+ rdr=0
Diese Gleichung kann auf die Bewegung eines Geschosses in deK
Laufe eines Geschützes angewendet werden. Als Anfangszustand seit«
wir den Beginn der Explosion, als Endzustand den Zustand an, in vd-
chem sich das System in dem Momente befindet, in welchem das Geschos
die Mündung des Rohres verlässt.
Die Aenderung der inneren Energie besteht aus der Erwännmf
des Geschützrohres und Geschosses, diese Wärmemenge mag q gensnifc
werden, und aus der Temperaturänderung der Producte der Explosk
während der Zeit, während welcher sich das Geschoss im Rohre bevre^
Letztere Grösse besteht vorzugsweise aus der Differenz der Wärmemei-
gen, welche die Zersetzungsproduote des Pulvers zu den beiden angege-
benen Zeitpunkten enthalten.
Bezeichnet man mit n das Gewicht des verbrannten Theiles d9
Ladung, mit to die auf das Kilogramm bezogene Umsetzungswin^
mit C die mittlere specifische Wärme der Explosionsproducte, mit fi
die absolute Temperatur im Momente unmittelbar nach der ExploM
^) Man sehe: Saint-Robert, Priacipes de Thermodynamiqtte 2. Audace (187i>\
>. 251 bis 278.
D. Die Explosivtörper. 469
and mit T^ die in dem Momente, in welchem das GeschoBs die Mündung
Terlasst, so ist:
/"d 17 == J. fg + Ä . («; — 0 • Ta)] = J . [fl + « . C. (Ti — T^)\.
Gegen diese Grösse glanbt Saint Robert die sonstigen Aenderon-
gen der inneren Energie in einer ersten Annäherung, um die es sich
bei allen derartigen Rechnungen doch nur handeln kann, vernachlässigen
zu dürfen. Ueber die Zulässigkeit dieser Annahme lässt sich äusserst
schwer ein TJrtheil abgeben, da uns die physikalischen Eigenschaften so
hoch erhitzter und so stark comprimirter Körper zur Zeit noch gänzlich
unbekannt sind.
Jedenfalls erkennt man leicht, dass J d U unabhängig davon ist,
ob das Pulver fast momentan, oder erst allmälig während des Fortrückens
des Geschosses verbrennt, sofern nur die im Ganzen dadurch entwickelte
Wärmemenge nicht geändert wird.
Die geleistete äussere Arbeit: / dX ist äusserst gering, sie besteht
nur in der Zurückschiebung des Drucks der Atmosphäre um den Raum:
1^ — f^x, wenn ,v^ den gesammten Hohlraum des Geschützrohres und V\
das Volumen der Ladung bedeutet. Bezeichnet man den Druck der Atmo-
sphäre mit|>, so ist also:
/
dW = p .{V2 — Vi\
und diesen Betrag wird man künftighin ohne Weiteres vernachlässigen
können.
/
Die meisten Schwierigkeiten setzen sich der Bestimmung der Grösse
d V entgegen.
Es wird nämlich kinetische Energie mitgetheilt: 1) dem Geschosse,
2) dem Geschütze, welches letztere sich als Rückstoss geltend macht,
3) den Verbrennungsproducten des Pulvers und 4) der Luftmenge, welche
sich vor der Ladung im Geschützrohre befunden hat. Bezeichnen nun:
m die Masse des Geschosses, m' die des Geschützes, Lafette, oder was
dem entspricht, mit eingeschlossen, und u und uf die Geschwindigkeiten
dieser Massen in dem Mon^ente, in dem das Geschoss den Lauf verlässt;
bezeichnet femer fi die Masse der Ladung, v die veränderliche Geschwin-
digkeit, welche den Pulverrückständen ertheilt worden ist in irgend einem
Momente der Bewegung des Projectües im Laufe, und ist endlich B der
Luftwiderstand, der sich der Bewegung des Geschosses entgegensetzt,
wenn dasselbe um 8 seine ursprüngliche Lage verlassen hat, so ist:
Jd7 = -^-\-—^^^Jv^.d^-\-jB.
ds.
470 II. Tbennocheinie.
Hierbei muss nun das Integral / v^ . d ^ auf die Gesammtmasse
der Rückstände erstreckt werden, wenn dieselben das ganze Gescliützrobr
ansfüllen ; das Integral t B . d 8 muss ausgedehnt werden von der An-
fangsstellang des Geschosses bis zu dem Momente, wo es aofhört du
Rohr za berühren. Man erhält demnach folgende Ausgangsgleichong;
I . m . tt» + i^ . m' . m'» + ^ /"v« . d (i + Cb . d s
= J..«.G.(Ti — Ti) + J.q—p.{vi^Vi) . . 4)
Die Geschwindigkeiten fi, u' und v hängen übrigens noch dprch eine
Gleichung zusammen. Es muss nämlich der Schwerpunkt des gansen
Systemes, der Yor der Entzündung in Ruhe war, auch nach der Entzün-
dung in Ruhe bleiben. Die Bewegungsgrösse des Geschosses und der
Pulyergase muss gleich sein der Bewegungsgrösse des Geschützes, die
Lafette etc. mit einbegriffen. Nach diesem Satze gilt die Gleichung:
m .u -{-
I V , d II ^= m' . u' 5)
Die beiden Gleichungen 4) und 5) enthalten die Lösung der ge-
eammten Aufgabe: die Geschwindigkeiten zu bestimmen, welche dordi
die Entzündung des Pulvers dem Geschosse, dem Geschütze und der Gaa-
menge ertheilt werden. .
Die beiden Integrale
I v^ . d (i und I V , d yi
sind die Ausdrücke für kinetische Energie und Bewegungsgrösse der
Pulvergase; sie hängen von der Art und Weise ab, in welcher die GaM
im Innern des Rohres vertheilt sind, ferner von der Geschwindigkeit
ihrer Molecüle in dem Augenblicke, in welchem das Geschoss den Laaf
verlässt.
St. Robert macht nun folgende Annahmen: 1) Die Dichte ist in
dem ganzen Räume, den das Gas im Augenblicke einnimmt, in dem das
Geschoss das Rohr verlässt, constant, und 2) die Geschwindigkeiten, mit
denen die einzelnen Theile der Gasmasse sich nach der Mündung hin
bewegen, wachsen gleichförmig vom Boden des Geschützrohres bis lor
Mündung.
Die unmittelbar hinter dem Geschosse befindlichen Gasmengen be-
sitzen die nämliche Geschwindigkeit, wie das Geschoss selbst; die am
geschlossenen Ende des Rohres gelegenen Gasmengen bewegen sich mit
der nämlichen Geschwindigkeit rückwärts» wie das Rohr; da diese Ge-
schwindigkeiten entgegengesetztes Yorzeiphen haben, so muss es önsn
D. Die Explosivkörper. 471
mittleren Querschnitt in der GasmaBse geben, in welchem die in dem-
selben befindlichen Gastheilchen in Buhe sind.
Nach der zweiten Voraussetzung müssen die Geschwindigkeiten des
Gases in verschiedenen Querschnitten proportional den Abständen dieser
Querschnitte von dem ruhenden Querschnitte sein.
Bezeichnet man die Länge des Geschützrohres mit />, so steht der
rahende Querschnitt von der Mündung ab um :
u + tt'
and Tom Boden des Bohres um:
u' . L ' '
u + u''
Für einen Querschnitt, welcher von diesem ruhenden Querschnitte
nach der Mündung zu um x absteht, bestimmt, sich al&dann die Geschwin-
digkeit durch die Proportion:
woraus folgt:
V = = . X,
Auf gleiche Weise findet man die Geschwindigkeit v* in einem Quer-
Bohnitte, welcher um y vom ruhenden Querschnitte nach dem geschlosse-
nen Ende des Geschützrohres zu absteht. Es ist:
Hieraus ergiebt sich die Bewegungsgrösse der Gasmasse,' welche sich
nach der Mündung zu bewegt. Dieselbe ist:
x.d^:=. — 2 — tr+^-
0
Die Bewegungsgrösse des ganzen Theiles der Gasmasse, welche sich
in demselben Sinne bewegt, wie das Geschütz, findet man gleich:
» + I.'
Sl . d . [^ T "^ ) • / y'äy= —'
n
3 w + «*
0
wenn Sl den inneren Querschnitt des Geschützrohres und 8 die cpn-
stante Dichte der Pulvergase in demselben in dem Momente bezeichnet,
in dem das Geschoss die Mündung verlässt.
/
472 n. Thennocheniie.
Die Differenz dieser beiden Grössen ist:
g (V — ttO.
Das Productß • 9 . Xr ist aber die Masse der gesammten gebildeten
Polyergase. Bezeichnen wir diese mit fft, so vereinfacht sich der Aos-
druck f&r die Bewegungsgrösse der Pulvergase zu folgender Form:
V .A\^ = \{ik-^) 6)
In gleicherweise findet man für die kinetische Energie der zwischen
dem ruhenden Querschnitt und der Mündung liegenden Gasmasse den
Werth:
/tt . L
0
und fEbr die kinetische Energie der zwischen dem ruhenden Querschnitte
und dem geschlossenen Ende des Geschützrohres liegenden Gasmasse:
» + tt'
, ^ 8 .a .L u'»
Bildet man die Summe der Beträge der kinetischen Energrie und
führt wiederum die oben erwähnte Grösse ft ein, so findet man schliesslich:
f^ . d ^ = ^ . (u« + u'» - u . u') . . . . 7)
Grössere Schwierigkeiten bieten sich dar, wenn man das Integral
B . ds zvl bestimmen Tersucht, welches die lebendige Erafb darstellti
die das Geschoss während seiner Bewegung im Geschützrohre den Tor
ihm liegenden Theilen der atmosphärischen Luft mittheilt. SL Robert
nimmt an, dass B proportional der Masse m des Projectiles, proportional
dem Quadrate seiner Geschwindigkeit und umgekehrt proportional einem
Goefficienten Je sei, welcher von der Gestalt des Geschosses und von seiner
Dichte im Vergleich mit derjenigen der Luft abhängt
Um die Integration wirklich ausfähren zu können, muss man die
Abhängigkeit der Geschwindigkeit von dem Wege 8 kennen, den das
Geschoss bereits im Geschützrohre zurückgelegt hat. Der Einfachheit
wegen nimmt St. Robert an, dass diese Geschwindigkeit gleichförmig
von Null bis zu der Geschwindigkeit u wachse, mit der das Projectil
schliesslich die Mündung verlässt. Alsdann ist:
« »I.W*
*=SlMi''
/
D. Die Explosivkörper. 473
und demnach:
^'^' = —6ir- »)
0
wobei l die Entfemang zwischen der Anfangs- und Endlage des 6e-
BchoBses im Rohre bezeichnet.
Setzt man diese Grössen in 4) and 5) ein, so erhält man zur Be-
stimmung der Geschwindigkeit u des Geschosses und u' des Geschützes,
wenn man gleichzeitig nach Potenzen dieser Grössen ordnet, die beiden
Gleichungen: '
(-+?+?fiO-"+("'+f)""-i-«''
= 2 J . jr . C . (ri — Ta) + 2 . «7" . fl — 2 p . (f?, — Vi) . 9)
uid:
(m +'0 .u=(m' + f^ ' u' 10)
Die Oiltigkeit dieser Gleichungen beruht auf folgenden Voraussetzun-
gen: 1) Die Dichte der Pulyergase ist im ganzen Rohre constant, wenn
sich das Projectil an der Mündung befindet. 2) In demselben Zeitpunkte
wachsen die Geschwindigkeiten der Gasmasse gleichförmig und sind in
jedem Theile desselben Querschnittes gleich gross.
Die Annahmen über B sind von untergeordneter Bedeutung, da die
Grosse der hiervon abhängenden Glieder im Vergleich mit der Grösse der
übrigen nahezu vernachlässigt werden kann.
Es ist wohl kaum zweifelhaft;, dass diese beiden Hauptannahmen
häufig nicht erfiült sein können; in den meisten in der Praxis auftreten-
den Fällen wird denselben jedoch wahrscheinlich wenigstens angenähert
genügt werden.
Die Temperatur, welche die Gase an der Mündung besitzen, leitet
SL Robert mit Hülfe der Annahme ab, dass die Pulvergase dem Aus-
dehnungsgesetze vollkommener Gase folgen, und dass die Ausdehnung der
Gase längs einer adiabatischen Curve, d. h. in der Weise erfolge, dass
weder Wärme zu- noch abgeführt wird.
Alsdann würden die Temperaturen der Pulvergase bei Beginn und
am Schlüsse der Bewegung des Projectiles, es sind dies Ti und T^, durch
die bekannte Poisson'sche Gleichung zusammenhängen (man sehe
Bd. I. m, B, 11, S. 272):
wenn x das Verhaltniss der beiden specifischen Wärmen der Pulvergase
474 IL Thermochemie.
Alsdann wäre:
r, - .. = r. . r. - (^)-]
Bezeichnet man mit pi den Anfangsdmck im Geschützrohre, so ist
hekanntlich (man sehe Bd. I, III, B, 11):
J . (V . (« — 1)'
and man erhält:
Ueher den ]Grrad der Zulässigkeit der Voraussetzungen, auf welchen
die Berechnung der Temperatur heruht, ist hereits im Yorhergehendeii
das Nöthige gesagt worden. Unter Berücksichtigung der ausserordentlich
geringen Zuverlässigkeit, welche jeder derartigen Rechnung üherhaopt
zukommt, sind einige weitere Vereinfachungen der Formeln 9) und 10)
statthaft. Die Geschwindigkeit t/i ^ mit der sich heim Ahfeuem das Ge-
schütz, zurückbewegt, ist so gering, dass dieselbe gegen die aoaserordent-
lioh grosse Geschwindigkeit des Projecüles vernachlässigt werden kann.
Ausserdem kann man die lebendige Kraft unberücksichtigt lasam,
welche vom Geschosse der vor ihm im Laufe befindlichen Luft mitgetheiU
wird, und ebenso die Arbeit, welche das Geschoss leistet, indem es dem
Drucke der Luft entgegen im Rohre sieh um die Strecke s fortbewegt
Die hier angefCQirten Grössen sind sämmtlich ganz unerhebliefa gegen
anderweite Verluste an Energie der Pulvergase, die man nicht im Stande
ist auf dem Wege der Rechnung voraus zu bestimmen. Führt man diese
wesentlichen Vereinfachungen ein, so erhält man:
(w + I) . w« = 2 . cT- . ;c . C . (T, — Tj) + 2 J- . 3 . . 12)
Vernachlässigt man ausserdem noch die von den Pulvergasen dem
Geschütze mitgetheilte Wärme, so nimmt die Gleichung die noch en-
fächere Form an:
(« + I) . tt* = 2 . Jr , ar . C . r, . (l •- ^) ^^^
Durch Elimination der Temperaturen mit Hülfe der Poisson^schen
Gleichung erhält man schliesslich, da St. Robert C = c^ setzt:
(-+i)-=^4i?f^-['-(?y""]--
14)
und von der vorhergehenden und dieser Formel ist St. Robert bei der
Discussion praktischer Versuche ausgegangen.
D. Die Explosivkörper.
- 475
Durch besondere Yersaolie hat derselbe Gelehrte übrigens gezeigt,
dass man nicht berechtigt ist, die dem Geschützrohre mitgetheilte Wärme
zu vernachlässigen. Derselbe glanbt aus diesen Untersuchungen schliessen
zu dürfen, dass die vom Metalle der Geschützwände absorbirte Wärme*
menge bei gezogenen Gewehren mehr als ein Drittel der überhaupt vom
Pulver bei dessen Entzündung entwickelten Wärme betrage. Bei Kano-
nen ist dieser Verlust jedenfalls um so geringer, je grösser das Kaliber
ist, da die Oberflächen der Geschosse in geringerem Verhältnisse wachsen,
als die Volumina derselben.
Diese Behauptung St. Robert' s stützt sich auf Versuche mit einem
gezogenen Militärgewehr, welches ein Langblei von 33 g Gewicht schoss
und mit 4,5 g Pulver geladen wurde. Bei diesen Versuchen ergab sich
auch mit unzweifelhafter Sicherheit das eigenthümliche Resultat, dass die
Rohrwände die geringste Erwärmung zeigten, wenn das Geschoss un-
mittelbar auf dem Pulver aufsass, die stärkste, wenn das Geschoss sich
anfänglich in einer Entfernung von 0,02 m von dem Pulver befand, und
eine zwischen beiden Fällen liegende Temperaturerhöhung wurde beob-
achtet, wenn gar kein Geschoss in den Lauf gebracht, die Pulverladung
also blind abgefeuert wurde.
Wir wählen aus den Versuchen St. Robertos nur folgende aus:
Geschoss auf dem
Pulver aufsitzend
Geschoss in 0,02 ro
Entfernung vom Pulver
Blinder Schass
Den Rohrwänden wurde
mitgetbeilt bei jedem
Schasse
0,99 Cal.
1,10 Cal.
1,00 Cal.
Lebendige Kraft des
Geschosses
158 kgm
51 kgm
—
Nach den im Vorhergehenden von uns mitgetheilten Untersuchungen
entwickelt aber 1 kg Pulver im Durchschnitt bei seiner Entzündung un-
g'eiahr rund 600 Calorien und somit 0,0045 kg nur 2,7 Cal. Es wird
somit mehr als ein Drittel der Wärme auf Erwärmung des Rohres ver-
wendet, und es ist demnach durchaus unzulässig, ^ = 0 zu setzen und
die Formeln 13) oder 14) an Stelle der Formel 12) in Anwendung zu
bringen.
Ein Versuch die Formel 12) zur Berechnung eines praktischen Bei-
spieles zu verwenden, fahrt zu ganz ungünstigen Resultaten. Die Ur-
sache liegt zum Theil in der Unzulänglichkeit der dieser Gleichung zu
Grande liegenden Voraussetzungen, zum weitaus grösseren Theile jedoch
476
II. Thermochemie.
in anderen Umständen, die nur schwierig in Rechnung gezogen werden
können, nämlich darin, dass jederzeit ein Theil des Polyers anverhrannt
bleibt und ein nicht zu unterschätzender Theil der Pulverg^ase durcb
den Spielraum zwischen Oeschoss und Rohr und durch das Zfindloch
entweicht.
Von dem Einflüsse dieses störenden Umstandes kann man sich leicht
überzeugen, wenn man die mit Hülfe eines ballistischen Pendels gemesse-
nen Anfangsgeschwindigkeiten vergleicht, welche bei wachsender Pulver-
ladung genau gleichen Geschossen ertheilt worden sind, die aus einem
bestimmten Geschütze geschleudert wurden i). Das Geschoss wog 6,07 kg.
Gewicht der Pulverladung
Anfangsgeschwindigkeit
des Geschosses
Arbeit, welche 1 kg
Pulver geleistet hat
0,5 kg ^
259 m
53 854 kgm
0,875 „
400 „
56 579 Q
1,0 n
423 „
55 364 „
2,0 „
526 „
42 804 „
3,0 „
566 „-
33 041 „
Allerdings wird durch eine Vermehrung der Ladung das Yerhältniss
des Volumens der Pulvergase am Anfange und am Ende der Bew^gang
des Geschosses im Röhre geändert, diese Aenderung ist jedoch bei weitem
nicht gross genug, um die Abnahme der am Geschosse entwickelten Ener
giemenge zu erklären.
Es ist Übrigens bekannt, dass man bei sehr starken Ladungen nicht
unerhebliche Pulvermengen unverbrannt in geringer Entfernung Tor der
Mündung des Rohres wiederfindet.
Aus einer Büchse geschossen erlangte durch eine Pulyermenge too
0,008 kg eine Kugel von 0,0252 kg Gewicht, welche im Rohre einoi
Spielraum von 0,0012 m hatte, eine kinetische Energie, welche, auf dtf
Kilogramm Pulver umgerechnet, kaum 29000 kgm beträgt. Hit einer
Ladung von 0,0045 kg Pulver erlangte ein Langblei geschoss tod
0,110 kg Gewicht, Welches den Lauf fast ganz dicht abschloss, eine aif
das Kilogramm Pulver bezogene lebendige Kraft von 55 700 kgm.
Diese Erörterungen zeigen deutlich, welche Umstände vorzugsweise
die Veranlassung sind, dass so grosse Differenzen zwischen den Ergeb*
nissen der Formeln und den Versuchsresultaten auftreten, und dass mao
mit Rücksicht hierauf vollständig berechtigt ist, die Gorrectionsglieder
zu vernachlässigen, durch welche sich die strengere Formel 9) von der
Gleichung 12) unterscheidet.
^) Aide-memoire i l'nsage des ofBciers d'artillerie. AoBgabe von 1856, S. 922.
D. Die Explosivkörper. 477
5. Noble's und Abel's Theorie der Bewegimg der
Oescliosse in den Kanonenrohren.
Die Theorie von Noble und Abel geht von der einfachen Gl aus ins'-
sehen Gleichung (Bd. I, Abschn. IV, G, 9, S. 416):
/
dO
T
ans, welche nur die eine YoraaBsetznng hat, dass der ProcesB, um den
es sich handelt, ein umkehrbarer sei. Für die Expansion der Gase im
Geschützrohre wird die Znlässigkeit der Bedingung der Umkehrbarkeit
des Processes angenommen. Mit Kücksicht auf die unvermeidlichen Gas-
verluste, die durch das Ausströmen der Pulvergase durch das Zündloch
and durch den Zwischenraum zwischen Geschoss und Rohr herbeigeführt
werden, kann man nicht behaupten, dass diese Voraussetzung streng
erfallt sei. Um jedoch für den Bau empirischer Formeln einen Anhalt
zu gewinnen, kann man auf dieser Grundlage Gleichungen entwickeln.
Wir bezeichnen das Gewicht der gasförmigen Yerbrennungsproducte
mit a und das der nicht gasförmigen mit h, ihr Yerhältniss — mit /), die
specifische Wärme dieser nicht gasförmigen Bestandtheile mit A, die spe-
cifischen Wärmen der gasformigen Bestandtheile mit Cp und c«. Die Tem-
peratur im Geschützrohre vor Beginn der Bewegung des Geschosses sei
Ji, das Volumen der'gasigen Bestandtheile zur gleichen Zeit sei Vi. Im
Momente, in dem das Geschoss die Mündung verlässt, sei die Temperatur
Tg, das Volumen der Pulvergase v^\
Die Wärmemenge d Q^ welche in einer unendlichen kurzen Zeit mit-
getheilt wird, besteht aus mehreren Theilen: aus der Wärme, welche zur
Erwärmung der h Gewichtseinheiten nicht gasförmiger Explosionsproducte
um d T dient, die Grösse dieser Wärmemenge ist : h . A . d T, ferner aus
der Wärme, die dazu dient, die gasförmigen Explosionsproducte um d T zu
erwärmen, das ist: a.c^.d T, und endlich aus der zu Arbeitsleistung ver-
wendeten Wärme — - — =? •
Führt man dies in die Glausius^sche Gleichung des zweiten Haupt-
satzes ein, so erhält man:
478 II. Thermochemie.
Bividirt man die ganze Gleichung mit a nnd führt die Bezeichnung
ein, herücksichtigt femer, dass nach dem Aasdehnungsgesetze Tollkom-
mener Gase die auf einen willkürlichen Zwischenzostand hezüglichen
Grössen: p, v und T durch die Gleichung
p^ R
T V
zusammenhängen und trennt die heiden Glieder, so erhält man:
-(ß.l + c.).J -Y = jJ -JT-
Ti Vif
Führt man die Integration aus, so ergiebt sich:
-(ß.X + c). lognat (^) = | lognat (^)
oder wenn man etwas anders schreibt:
lognat
m
= lognat
m
• • . .
15)
Geht man von der Gleichheit der auf gleiche Basen bezüglichen
Logarithmen zur Gleichheit der Logarithmanden iy>er und berücksichtigt
die bekannte Relation (Bd. I, III, A, 7, S. 253, Gl. 20):
R
j — Cp -^ Cp
16)
eo erhält man
iJ.A +
Hieraus ergiebt sich sofort:
'\*p — «*»
Cp— C|
t;,'\/J.X + e,
17)
Nun ist aber:
Pi v^ T,
und demzufolge:
18)
D. Die Explosivkörper. 4T9
Beseichnet nun ferner a das Verh<niM des Yolomens der nicbt
gasförmigen Explosionsproducte zu dem Yolomen der Pal Verladung, Vi
das Voliimen der Ijadnng and v^ das Yolamen des Gesohützrokres, so ist,
wenn man die Yolamver&nderangen der nicbt gasformigen Bestandtheile
Temachlässigt:
t;/ = ri (1 — a) 19)
und
r,' = t?j -— a . t?i 20)
Fährt man dies ein, so erh< man die Gleichang:
Pi
Vi (1 — a)]c, + X.ß
Vi — a.vij
21)
nnd diese giebt die Besiebang zwischen p^ und «2^ wenn sieb die gas-
förmigen Explosionsprodacte im Grescbützrobre ausdehnen, während sie
gleichzeitig Arbeit leisten and den festen Explosionsproducten Wärme
entziehen.
Auf Grund ihrer Yersuche über die Explosion von Pulver in ge-
sehloseenen GefiLssen setzen Abel und Noble ^) in dieser Gleichung:
c^ = 0,235
c„ = 0,178
Pq = 6300 Atmosphären
A = 0,41
ß = 1,31,
und die Resultate der Formel stimmen mit den Ergebnissen von Mes-
sungen, welche in England bei Schiessyersuchen mit Marinegeschützen
angestellt worden sind, ziemlich gut überein.
Da jedoch bei Ableitung der Formeln weder auf die Erwärmung des
Geschützrohres, noch auf den Yerlust an Energie durch das Entweichen
ton Gasmassen Rücksicht genommen ist, so dürfte die Uebereinstintmung
mehr eine zuHlllige sein, und der Gleichung kann kein grösserer YiTerth
beigelegt werden, als der Werth einer empirischen Formel.
Die Temperatur bestimmt sich aus der Formel (man sehe Gl. 17);
Cp-^e,
Tt= Tl. K 0 —«))«. + /»•* . , . . . 22)
»1 — a . Vi
•Diese Gleichungen gelten unter der Yoraüssetzung, dass die Ladung
bereits verbrannt ist, ehe das Geschoss bereits merklich begonnen hat im
Rohre seine Anfangslage zu verlassen.
Auch die vom Pulver geleistete Arbeit, wenn sich das Yolamen der
Explosionsproducte von Vi auf ein beliebiges Yolnm v^ expandirt, kann
leicht gefunden werden.
^) PhiUM. Trassact. Bd. 165 (1875), On fired gunrpowder, p. 129«
480 IL Thermochemie.
Diese Arbeit L ist n&mlich gleich dem bestimmten Integrale:
24)
Führt man die einfache Integration ans, so ergiebt sich:
Die in diese Formel eingehenden Gonstanten sind schon im yorhe^
gehenden mitgetheilt worden. Es empfiehlt sich jedoch auch in diesem
Falle die von einem Kilogramm Pulver geleistete Arbeit za bestimmen,
und man setzt deshalb:
^^ = 6320 Atmosphären = 6532 kg pro qcm.
Die grayimetrische Dichte des Pulvers wird auch hier der Ein&dh
heit wegen gleich der Einheit d. h.:
gesetzt.
Will man die dem Geschosse mitgetheilte Anfangsgeschwindigkeit
ermitteln, so bedient man sich zu diesem Zwecke der Gleichung:
worin c die Geschwindigkeit des Geschosses, m seine Masse und Xdie
vorhin bestimmte Arbeitsgrösse bezeichnet.
Hieraus ergiebt sich, wenn G das Gewicht der Geschosse, g die Be-
schleunigung der Schwere ist, für die Bestimmung der Geschwindigkeit«
die Formel:
25)
In derselben ist K das Gewicht des zur Ladung verwendeten Polven.
In dieser Formel hat man lediglich das Yolumenverhältniss — eia-
zufahren, welches angiebt, wie viel mal grösser das Volumen des Geschdti-
rohres, als das der Ladung bei den betreffenden Feuerwaffen ist, und du
Verhältniss -7; der Gewichte der Ladung und des Geschosses, um mit
Hülfe derselben sofort die Anfangsgeschwindigkeit c bestimmen zu kör
nen, mit welcher das Geschoss die Mündung verlässt.
Allerdings gelten die oben mitgetheilten Constanten für cylindrisckes
Pebblepulver , und diese werden für andere Pulversorten nicht streng
brauchbar sein. Höchst wahrscheinlich wird es aber genügen, das kier
gefundene c noch mit einem Correctionsfactor y zu multipliciren, um die
D. Die Explosivkörper. 481
Formel anmittelbar für alle Fälle brauchbar zn machen. Der Werth
von y scheint nicht unter 0,75 zu sinken; er yariirt jedoch je nach der
Qualit&t des verwendeten Pulvers, nach dem Gewichte der Ladung, dem
Gewichte des Geschosses und nach der Lange des Rohres, in dem sich
das Geschoss bewegt.
Dieser Correctionsfactor ist um so kleiner, je mehr die Rohrlänge
zunimmt, weil mit der Lange des Weges, den das Geschoss im Rohre
zurücklegt, auch die auf Erwärmung des Geschützrohres verwendete
Wärmemenge und die Quantität des verloren gehenden Gases an Grösse
zunimmt; diese Wärmemenge aber wird dem in Arbeit verwandelbaren
Energiewerthe der Explosionsproducte entzogen.
Nicht ohne Interesse ist es auch die Maximftlarbeit zu bestimmen,
welche das Pulver zu leisten im Stande wäre, wenn die Yerbrennungs-
producte auf ein unendlich grosses Volumen expandirt werden könnten.
In diesem Falle müsste man in Gleichung 23) von v^ bis oo integriren.
Es ist aber:
00
L max. =
c„ + ^ . A
«>
dv
»1 v\
Pi . Vi . (1 — a) . (c, + /J . A)
26)
Wendet man die von Noble und Abel gegebenen Zahlwerthe an,
80 findet man auf diese Weise:
L max. = 332000 Kilogrammeter
für Pebblepulver.
Dieser Werth ist allerdings beträchtlich grösser als die von Bunsen
und Schischkoff für Jagdpulver gefundene Zahl: 67 000 Kilogrammeter.
Der Unterschied dürfte aber wesentlich darin zu suchen sein, dass diese
beiden letztgenannten Forscher den ungemein wichtigen Einfluss nicht
genügend beachtet haben, den die nicht gasförmigen Explosionsrück-
stände des Pulvers durch ihre Wärmeabgabe während der Expansion der
Oase ausüben, und dass bei ihren Versuchen, welche die Grundlage für
diese 2^hl lieferten, die Explosion nur bei Atmosphären druck stattfand.
Ein Kilogramm reine Kohle würde bei seiner Verbrennung zu Kohlen-
säure bekanntlich ungefähr 97000 Calorien erzeugen, und diese würden,
wenn es möglich wäre dieselben vollständig in Arbeit umzuwandeln, un-
gefähr 3 400 000 Kilogrammeter hervorbringen. Während aber die Kohle
den zu ihrer Verbrennung nöthigen Sauerstoff der Luft entzieht, enthält
das Pulver den zur Oxydation des Kohlenstoffs nöthigen Sauerstoff in
ziemlich kostspieliger Form, als Salpeter. Es erscheint daher vom wirth-
ichaftlichen Gesichtspunkte aus nicht vortheilhaft zu versuchen, für andere
als ganz besondere Zwecke Maschinen zu construiren, welchen ihre bewe*
gende Kraft durch die Entzündung von Schiesspulver mitgetheilt^ wird,
Btthlmftnn, Meohim. Wftnn«th«ori«. Bd. a. 81
482 IL Thermochemie.
6. Die Versuche über die Thätigkeit des Pulvers in den
Gesohützrohren.
Die wichtigsten Yersnche, welchen wir unsere Aufmerksamkeit zu-
nächst zuzuwenden hahen, sind die Messungen des Maximaldruckes, den
die Explosionsproducte des Pulvers in einem geschlossenen Gefasse her-
vorzubringen vermögen.
Der Apparat, dessen man sich für Anstellung solcher Versuche be-
diente, ist schon vorher von uns beschrieben und in Fig. 23 (Bd. II, S. 461)
abgebildet worden. Die Messung des Druckes bot selbstverständlich er-
hebliche Schwierigkeiten dar, da die sonst üblichen Druckmessvorrich-
tungen für Drucke von mehreren tausend Atmosphären nicht mehr an-
wendbar sind.
Als einziges leidlich zuverlässiges Hülfsmittel, um so grosse Drucke
noch messen zu können, hat sich die Grösse der Deformation bewährt,
welch» weiche Metalle erfahren, wenn sie erheblichen Drucken aas-
gesetzt werden.
Rodmann ^) Hess von dem Drucke der Pulvergase einen Stahlmeissel
in eine Eupferplatte treiben und bestimmte hinterher mit der hydrau-
lischen Presse, welcher Druck erforderlich war, um eine gleich grosse
Wirkung hervorzubringen.
Noble ^) construirte einen Druckmesser („crusher gauge^ genannt),
welcher auf der Zusammendrückung und Deformation eines weichen Eupfe^
cylinders beruhte. Zur Beurtheilung des ausgeübten Druckes wurden
ähnliche Kupfercylinder einer Reihe von Versuchen unterworfen, bei wel-
chen man dieselben mit einer Quetschmaschine verschieden stark zosam-
menpresste und gleichzeitig neben der Grösse der bleibenden Zosam-
menpressang direct die Grösse des dazu erforderlichen Druckes maass.
Die erhaltenen Resultate stellte er aber in einer Tabelle zusammen und
ermittelte aus der beobachteten Zusammendrückung den stattgefundenen
Druck durch Interpolation.
De Montluisant und de Reffye ') Hessen durch den Druck der
Explosionsproducte des Pulvers einen Bleicylinder in eine konische Röhre
hineinpressen und bestimmten dur^h Vergleich der Länge des bei einem
Versuche erzielten Bleiconus mit der Länge solcher Bleikegel, welche
durch bekannte Drucke hergestellt worden waren, den Betrag des aus-
geübten Druckes.
Die umfänglichsten Versuchsreihen sind mit dem von Noble con-
struirten Apparate von diesem selbst und dem englischen Committee on
') Rodmann, Dingler*s Journal Bd. 107, S. 21.
2) Noble, Philos. Transact. Bd. 165 (1875), S. 62.
3) De Montluisant und de Reffye, Comptes rendus Bd. 74, S. 834.
D. Die Explosivkorper. 483
ExploBiTea angestellt worden. Wir bcBchränken nna daher dsraaf, diese
Vorrichtung hier Rbznbilden nnd kurz zu beBchreiben. Dieselbe bestehf,
wie Fig. 24 und 25 zeigt, ans einem hohlen Btählemen Schrauben bolzen,
In dessen Hohlraum Cylinder aus weichem Kupfer oder Blei eingesetzt
Fig. 24. Fig. 25. werden können. Den Zugang zu
diesem Hohlräume verachlieRSt ein
beweglicher Stempel CC. Der Zu-
tritt von Gasen wird verbindert
dnrch eine Dichtungsscheibe. Die
eine Fläcbe des zusammen zu pres-
senden Kupfercylinders B ruht
auf dem Ambos A, welcher den
Hohlraum des Schrauben bolzen s
abschliesst. Im Ambos selbst belin-
den sieb bei A' und B' vier Durch-
bohrungen , welche während der
Compression des Kupfercylinders
der neben demselben befindlichen
Luft in den weiten Hohlraum H
zu entweichen gestatten;/,/ sind,
wie dies noch besser Fig. 26
im Graudriss zeigt, Stahlfedern,
welche den Cylinder B in der Kam-
mer centriren. In Fig. 23, S. 461
P'g- 2«- sieht man, auf welche Weise ein
O,. solcher Druckmesser im Explosions-
gefasse befestigt ist Er liegt dort
eingebett&t in die grosse conische
Schraube K.
Mit Hülfe solcher Apparate haben nun Noble und Abel eine um-
&igUche Untersnchung über die Grösse des Dmckes angestellt, den die
Explosion sproducte des Pulvers hervorbringen, wenn das Pulver das Ex-
plosion sgefaas anfangs vollständig oder nur theilweise ausgefüllt hatte.
Nimmt man die mittlere gravimetrische Dichte des Pulvers gleich 1 an,
so' ist demnach die Dichte der Explosionsproducte gleich 1 , wenn der
geaammte Hohlranm des Explosionsgefasses anfönglicb vollständig mit
Pulver erfüUt war; die Dichte ist gleich — , wenn die zur Entzündung
gelangende Pulvermenge nur den nten Tbeil dieses Raumes ans füllt.
Nachstehende Tabelle giebt die von zufälligen Beobachtnngsfehlem
bereite befreiten Resultat« dieser Messungen:
484
n. Thermocfaemie.
Maximaldrncke der Explosionsproducte des Palvers in
geschlossenen Gefässen nach Noble und Abel.
Druck für Anwendung
von
Mittlere Dichte der Explo-
sionsproducte im Gefiüse
Pebblepulver u. grobkörnigem
Gewehrpulver aus Waltham
AbbeyJ)
feinkörnigem Pulver aiu
Waltham Abbey^
0,05
107 Atmosph.
107Atmotph.
0,10
224
»
224
n
0,15
355
n
355
!f
0,20
496
n
497
n
0,25
649
r>
650
n
0,30
812
n
812
1»
0,35
988
»
988
»
0,40
1180
n
1179
ff
0,45
1392
1)
1387
ff
0,50
1628
n
1614
ff
0,55
1893
n
1863
ff
0,60
2191
n
2136
ff
0,65
2528
rt
2445
ff
0,70
2907
n
2790 *
ff
0,75
3333
n
3179
ff
0,80
3812
n
3613
ff
0,85
4346
n
4096
ff
0,90
4943
»
4632
n
0,95
5608
»
5190
V
1,00
6350
n
5870
ff
Da nach Yersachen, welche in England das Committee on Exploairefl
angestellt hat, die Zeit, welche in einem geschlossenen Ranme befiod-
liches Pulver zu seiner vollständigen Verbrennung braucht, sehr ku« ist
(bei grobkörnigem Gewehrpulver 0,00128 Secunden, bei PebblepulTer
0,0052 Secunden), so wird die Verminderung des Druckes durch Abgabe
von Wärme an die GefösBwände nicht sehr erheblich sein. Ware dieser
Einfluss sehr merklich, so müssten bei den beiden letztgenannten Pnlrer-
arten, deren Entzündungsgeschwindigkeiten sehr verschieden gross sind,
grössere Unterschiede auftreten, und es würden in der ganzen Versoeb-
reihe die indicirten Drucke nicht vollständig übereinstimmend gefooden
worden sein.
M Noble und Abel, Fired gunpowder. Philos. TransacU Bd. 165 (1875), & 104.
^) A. a. 0. S. 97.
.J
D. Die Explosivkörper. 485
Nur die kleinsten Drucke bei den sohwächsten Ladungen sind höchst
wahrscheinlich zu niedrig gemessen worden; einmal weil dort die ab-
kQhlende Oberfläche im Yerhältniss zur Ladung grösser ist, und dann
weil bei geringen Drucken die Verbrennung erfahrungsmässig viel lang-
samer vor sich geht, als bei hohen Drucken.
Die soeben mitgetheilten Yersuchsresultate stimmen mit den Beob-
achtungen überein, welche das Committee on Explosives unter dem Vor-
sitze des Oberst Jounghusband über die in Kanonenrohren auftreten-
den Drucke angesteUt hat. Diese höchst interessanten Untersuchungen
sind nach zwei wesentlich verschiedenen Methoden angestellt worden.
Es wurde nämlich der Druck des Gases unmittelbar an verschiedenen
Stellen der Geschützläufe während der Bewegung des Geschosses im
Rohre bestimmt. Ausserdem beobachtete man aber auch die Zeit, zu
welcher das Geschoss bestimmte Stellen des Laufes passirte und ermittelte
hieraus die Geschwindigkeitsänderung des Geschosses von seiner Anfangs*
läge an bis zur Mündung. Durch Rechnung konnte man hieraus die
Drucke bestimmen, welche hinter dem Geschosse herrschen mussten, um
die beobachteten Geschwindigkeitsänderungen hervorzubringen.
Zur Bestimmung der Drucke diente der soeben von uns beschriebene
und abgebildete Apparat (crusher gauge) von Noble. Zur Ermittelung
der Geschwindigkeit diente ein für diesen Zweck besonders con6truii*te8
Chronoskop.
Die Fig. 29 giebt eine Vorstellung von diesem eigenthümlichen
Apparate und dessen Verbindung mit den am Geschützrohre angebrach-
ten Einrichtiugen.
Der Haupttheil des Chrouoskopes besteht aus einer Anzahl dünner
Scheiben, welche auf einer Axe befestigt sind und durch ein Uhrwerk in
ausserordentlich rasche und möglichst gleichförmige Umdrehung versetzt
werden. Ein in geeigneter Weise mit diesen Scheiben verbundenes Zähl-
werk gestattet genau die Zahl der Umdrehungen und damit die Ge-
schwindigkeiten zu bestimmen, mit der sich die Umfange der Scheiben
bewegen.
Die Peripherie der Metallscheiben sind mit präparirtem Papier über-
zogen und stehen mit der Inductionsrolle eines Ruhmkorf fischen Appa-
rates in Verbindung ^) , während das andere Ende des Drahtes der In-
ductionsspirale zu einem kleinen Metallstifte führt, welcher dicht vor
dem Umfange der Metallscheibe liegt. Der Draht der inducirenden Rolle
steht einerseits mit einer Batterie von genügender Stärke und anderer-
seits mit einer Vorrichtung in Verbindung, die von der Seite her an der
Stelle in das Geschützrohr eingeschraubt wird, an welcher die Zeit des
Vorüberganges des Geschosses bemerkt werden soll.
Im Moment, in dem das Geschoss den Ort berührt, an dem ein^ sol-
cher Cylinder in das Geschützrohr eingeschraubt ist, wird der Strom in
^} Genaueres sehe man: Dingler's Journal Bd. 195, S. 52, und Bd. 202, S. 338.
486 n. ThermocLemie.
der indaclrenden Spirale dadurch uoterbrochen, dass der Draht zer-
schnitten wird. Fig. 27 nnd 28 erklärt den Mechauiarnns dieser Vor-
richtung. Im Axenschnitte Fig. 27 iet ji du in der Richtnng des Pfeilea
Fig. 27.
sich hevegende GeschoSB, B die Wand des GeschOtzes. Der in Fig. 27
vom GescbosBe noch nicht berührte Cylinder seigt die AnfangBstelluDg dn
KUppe, welche das Abecheeren des Drahtes bewirkt. Fig. 28 stellt einen
Fig, 28. ^^' Kobraxe senkrecht stehenden Verticsl-
durchschnitt durch einen solchen Apptnt
Im Momente, in dem daa Geschoss die in
a drehbara El&ppe 2> niederdrückt, wird
der primäre Strom des RuhmkorffBehen
Apparates unterbrochen und swischen der
Peripherie der rotireuden Scheibe S and
dem vor derselben befindlichen Stifte T
springt ein Inductionsfonken über, wel-
cher anf dem den Umfang der Scheibe
umkleidenden Papiere eine sichtbare Spnr
znrücklässt.
Erreicht das Geschoss einen x<reit«D
solchen Cjlinder, so geschieht dssaelbe,
und auf der benachbarten Scheibe aeichnet
sich ein zweiter Punkt ab u. s. f.
Jede Scheibe steht mit einem besoade-
ren Cylinder in Verbindung und besitzt einen eigenen Ruhmkorff Kbeo
Apparat nebet Batterie.
D. Die Explosivkörper. 487
Hat das Geschoss die Mündung Yerlassen, so arretirt man das Uhr-
werk, welches die Scheibenaxe des Chronoskopes bewegt, und sucht die
Fankenstellen auf der Peripherie auf. Aus der Stellung dieser Punkte
auf den yerschiedenen Scheiben zu einander lässt sich dann mit Hülfe
der bekannten Umdrehungsgeschwindigkeit der Scheibe die Zeit bestim-
men, welche das Geschoss zur Zurücklegung des Weges yon einem Cy-
linder zum anderen in dem Geschützrohre gebraucht hat.
Die grössten Differenzen , welche auf diese Weise bei zwei ganz
gleichen Ladungen gemacht worden sind, betrugen 6 Procent. Dies be-
dingt aber für derartige Versuche jedenfalls eine vollkommen genügende
Genauigkeit.
Fig. 29 (a. f. S.) giebt eine Vorstellung von der Anordnung des
Apparates. Von dem als Ghronoskop dienenden Rotationsspparat 3) ist
allerdings nur die Welle MM mit den Scheiben Si Sa . . . Sio gezeichnet,
hingegen ist der die gleichförmige Rotation bewirkende Mechanismus,
sowie das Zählwerk nicht mit abgezeichnet^).
9 ist ein Längsschnitt durch das Geschützrohr, hierin iist B die
Geschützwand, P die Pulverladung, G das Geschoss, bei a, 5, c sind Druck-
messapparate (crusher gauges) eingesetzt. In die in die Laufwandung
eingebohrten Löcher 1, 2, 3 ... bis 18 können je nach Bedüifniss Chro-
noskopcylinder oder ebenfalls Druckmessapparate (crusher gauges) ein-
gesetzt werden. Der Chronoskopcylinder 6 z. B. ist mit dem zu ihm
gehörigen Ruhmkorf fischen Apparate 93 und mit der Batterie @, das
Inductoiium 93 mit dem vor der Scheibe Sj stehenden Stifte T^ ver-
banden.
Die Resultate, die man aus den Angaben der Druckmesser und von
den Ablesungen am Chronoskope herleitet, stimmen zwar leidlich aber
nicht vollkommen überein. Dies rührt jedenfalls davon her, dass die
Entzündung des Pulvers doch immerhin eine gewisse Zeit zu ihrer Voll-
endung braucht und nicht ganz gleichmässig nach den verschiedenen
Richtungen hin fortschreitet. Es entsteht eine Wellenbewegung nach
vor- und rückwärts in den Explosionsproducten, welche so lange dauert,
als das Gepchoss sich überhaupt im Geschützrohre bewegt. Zumal bei
sehr rasch verbrennendem (brisantem) Pulver, in geringerem Maasse bei
den langsamer sich entzündenden Pulverarten, erkennt man aus den An-
gaben der Chronoskope, und auch aus den Ablesungen an den Druck-
mesavorrichtungen , dass die Geschwindigkeitsänderung des Geschosses
derartig erfolgt, als erhielte das Projectil eine Anzahl einzelner Stösse,
nicht aber derartig, als würde das Geschoss von einem wie hochgespannter
Dampf sich gleichförmig expandirenden Gase fortgeschoben.
^) Die Abbildung ist der Abhandlung Ton Koble und Abel entnommen: Ou Hred
gunpowder. Philos. Transact. Bd. 165 (1875), Tafel 18.
IL Tbermocbemie.
D. Die Exploaivkörper.
489
Die Einwirkung solcher einzelnen Stösse von ungemein geringer Dauer
zeigt sioh deutlich in den Differensen, welche zwischen den Ablesungen
an den in den Geschützlauf eingeschraubten Druckmessapparaten und
den ans den Angaben des Chronoskopes berechneten Drucken bestehen.
Die Druckmessapparate gestatten nfimlich die Maxima abzulesen,
welche aufgetreten sind, und die am Ghronoskope abgelesenen Geschwin-
digkeiten sind gewissermaassen die Integrale über die einzelnen dem
Projectile mitgetheilten Stösse.
Bei langsam yerbrennenden Pulverarten ist eine derartige Entste-
hung von Wellenbewegungen in den Explosionsproducten in geringerem
Grade beobachtet worden, dann stimmen nämlich (ausgenommen den
FaU, dass aussergewöhnlich schwere Geschosse angewendet wurden) die
Angaben des Drnckmessapparates und des Chronoskopes bis auf 5 bis 7 Proc.
mit einander überein.
Nachstehende Tabelle enthält die Beobachtungsresultate , die sich
bei einem derartigen Versuche aus den Ablesungen am Ghronoskope er-
geben haben.
Versuch mit einem 10 Zoll (18 Tonnen) Geschütz.
Gewicht des Pulvers (Pebble) 31,75 Kg. Gewicht des Geschosses 1 3 6,05 Kg.
Geschwindigkeit, mit der das Projectil die Mündung verlässt, 465,4 m.
Vom Projectil im
Rohre zarückgelegter
Weg
Zeit, welche das Ge-
schoss z. Zurücklegen
dieses Weges brauchte
Mittlere Geschwindig-
keit zwischen den
Beobachtungsstellen
Druck in Atmosphären
an der Beobachtungs-
stelle
0,000 m
0,018
0,079
0,140
0,201
0,262
0,323
0,445
0,567
0,689
0,811
1,055
1,298
1,542
2,030
2,518
0,0000 See.
0,0027
0,0038
0,0043
0,0046
0,0050
0,0052
0,0057
0,0062
0,0066
0,0069
0,0076
0,0083
0,0089
0,0101
0,0112
6,7 m
55,8
118,3
171,3
199,9
221,0
249,9
281,6
304,8
324,6
346,9
370,3
388,0
409,0
482,2
928 Atmosph.
2442
2734
2575
2240
1994
1725
1503
1326
1178
975
836
723
565
455
49Q II. Thermochemie.
Man ersieht ans diesen Versuchen sehr dentlich, dass die Yerhren-
nong des Pulyers noch nicht Yollständig beendet ist, ehe das ProjecÜl
merklich seine Anfangslage verlassen hat, sondern dass erst, nachdem
das Oeschoss einen Weg yon ungefähr 0,15 m im Laufe zurückgelegt hat,
der Maximaldruck erreicht wird«
Könnte man die Abhängigkeit zwischen dem vom Geschosse zurück-
gelegten Wege 8 und der seit dem Beginn der Bewegung verflossenen
Zeit t in der Form:
s=/(0
darstellen, so würde:
- = Tt =-^'<'> 27)
die Geschwindigkeit des Geschosses im Abstände s von seiner Anfangs-
lage und
. ^ = 7- 1^ = 7 •^"« ^"
den Druck an dieser Stelle darstellen, wenn to das Gewicht des Pro-
jectiles und g die Beschleunigung der Schwere bedeutet. Es ist jedoch
Noble und Abel nicht gelungen den ganzen Verlauf der Beobachtungen
durch eine einzige empirische Formel auszudrücken ^).
Für andere Pulverarten und andere Geschütze sind von dem eng-
lischen Gommittee on Explosives ebenfalls ähnliche Versuchsreihen an-
gestellt worden, wie die vorher beschriebenen mit Pebblepulver; dieselbeD
haben in der Hauptsache gleichartige Ergebnisse geliefert, bezüglich
deren wir jedoch auf die Originalabhandlungen verweisen müssen, da
uns lediglich die physikalische und chemische Seite dieser Fragen in-
teressirt *).
7. Vergleioli der Versuohsresultate mit den fheoretisclien
Formeln.
Im Nachstehenden wollen wir die wesentlichen Theile der Theorie
von Buusen und Schischkoff, von St. Robert und von Abel und
Noble mit den Versuchsresultaten vergleichen.
Der Grundgedanke der Theorie von Bunsen und Schischkoff üher
die Thätigkeit des Schiesspulvers in den Feuerwaffen, obgleich sie diesen
^) Für das erste Viertel des Weges , auf dem das Dnickmaximum liegt, ist es ge-
langen durch einen Ausdruck von der Form:
, = «.«« + /»•' + >'•'•.
3) Man sehe Noble u.Abel, On fired gunpowder. Philos. Transact. Bd. 165 (1875),
S. 117 u. B. f.
D. Die Explosiykörper. 491
Gegenstand nur nebenbei berührt haben, liegt darin« dasB sie auf Grund
ihrer Versuche annehmen, nur ein Theil der Explosionsproducte des
Pulvers befinde sich im gasförmigen Zustande, und die dem Geschosse
mitgetheilte kinetische Energie rühre lediglich von der Expansion des
gasförmigen. Theiles der bei der Entzündung des Pulvers entstehenden
Producta her; sie setzen femer in einer ersten Annäherung voraus, dass
diese Ausdehnung der Pulvergase längs einer adiabatischen Curve, also
ohne Aufnahme oder Abgabe von Wärme stattfinde.
Bezeichnet man nun, wie bisher mit t/ das Volumen der Pulvergase
im Geschützrohre in irgend einem Augenblicke und mit v^ das Anfangs-
volumen der Pulvergase, ist femer j> der Druck in dem Momente, in dem
das Gasvolum v* ist und pi der Anfangsdruck, so würde nach dieser
Theorie p durch die Poisson'sche Formel:
dargestellt werden.
Bezeichnet nun a das Verhältniss der gasförmigen Explosionsproducte
zu den nicht gasförmigen in dem Momente, in dem das Geschoss sich zu
bewegen beginnt, und nimmt man an, was allerdings mit den thatsäch-
lichen Verhältnissen nicht voUkommen übereinstimmt, dass das Pulver in
diesem Moment bereits vollständig verbrannt sei, so ist:
^i' = ^1 . (1 — «) v' =^ V — a . Vi,
Hierin ist t^i = 1 der von der Pulverladung eingenommene Raum und v
das hinter dem Geschosse befindliche Volumen des Rohres.
Alsdann erhält man:
^P
p = p^ . p- (^ - «)p 29)
^ [v — a . i^iJ
/ .
Setzt man hierin Pi gleich 6320 Atmosphären, gleich dem Druck,
den Noble und Abel bei Verbrennung des Pulvers bei constantem
Volumen, also in einem vollständig mit Pulver ausgefüllten geschlossenen
Räume gefunden haben, und nimmt man ferner an, was sich ebenfalls
aus den Experimenten der eben Genannten ergeben hat, dass
a = 0,6
ist; hält man es ferner für statthaft, sich bei einer derartigen Rechnung
der für gewöhnliche Druck- und Volumen Verhältnisse gefundenen mitt-
leren specifischen Wärme zu bedienen, so ist:
c, = 0,235 c, = 0,178.
Dies giebt in die Gleichung 29) eingesetzt:
/ 0 4 \^'^^
p = 6320 . ( J^Qr,) Atmosphären .... 30)
492 IL Thermochemie.
St. Robert setzt in einer ganz* rohen Annäherang, deren Unzu-
länglichkeit er selbst beweist, Yoraos, dass die sämmtlichen Ezplosions-
producte gasformig seien, und dass bei so hoher Temperatur, wie die
sind, welche in Geschützen die Polyergase voranssichtlich annehmen, die
Gase genaa das Gay-Lussac'sche and Mariotte'sche Gesetz erföUen,
und dass der Quotient ihrer specifischen Wärmen gleich dem bei einem
vollkommenen Gase also ~ = 1,41 sei.
Alsdann wäre
1^ 31)
= - ■ (?)
wenn man von der Wärmeentziehnng durch die Geschützwand, welche
während der Expansion stattfindet, absieht. Setzt man hierin die yon
uns gewählten Constanten ein, so findet man:
1> = 6320 . (iY'*' 32)
«
In der von Abel und Noble entwickelten Theorie ist bekanntlich
darauf Rücksicht genommen,, dass während der Expansion der Gase den
festen Explosionsproducten Wärme entzogen wird; hingegen ist die
Wärmeentziehung durch die Geschützwand und der Verlust an Eneiigie
durch Gasausströmungen etc. unbeachtet gelassen. Ausserdem ist audi
in dieser Theorie vorausgesetzt, dass die Gase auch unter den in Ge-
schützrohren herrschenden Verhältnissen den bei mittleren Drucken und
Temperaturen gültigen Gesetzen Folge leisten.
Die unter diesen Annahmen entwickelte Formel lautete:
(1 — "^nzm 33)
^ ^} \v — a .Vi l
oder nach Einsetzung der auf Seite 480 mitgetheilten Gonstanten:
0,4
p = 6320
V — 0,6
1,08
Atmosphären • • • • 34)
Die Uebereinstimmung der aus diesen Formeln abgeleiteten Drache
mit den Ergebnissen der Beobachtungen zeigt nachstehende Tabelle.
Man erkennt hieraus, dass die aus Bunsen^s und Schischkoffs
Anschauungen hergeleitete Formel anfanglich weitaus am besten mit den
Erfahrungsresultaten in Uebereinstimmung ist; in grösseren Entfemongen
von den Anfangslagen des Geschosses jedoch schliesst sich die von Noble
und Abel gegebene Formel den Versuchen am besten an. Diese letzteren
dürften daher überall da, wo es sich um Rechpungen bei nicht sehr
kurzläufigen Feuerwaffen handelt, also für die meisten Fälle der Praxis,
die besten Dienste leisten.
D. D
e Explosivkörper.
493
HiUlitre Dichte
der Eiplwioni-
proJucte
Beobachtet«
Drucke in eioem
18 Tonn. GeschiiU
Bere
nach Bunsen ond
Schiuhkoff
Gl. 30
chcete Druck
nach St. Robert
Gl. 32
p«ch Abel and
Noble
Gl. 34
1,0
„
6320Attno.ph.
6320 Atmosph.
aseo Atmosph.
0,9
3099 Atmosph.
4592
5448
4848
0,8
2590
3330
4593
3740
0,7
2I3B
2416
3822
2877
0,6
1725
1771
3078
2190
0,5
1351
1209
2378
1632
0,4
1013
80B
1736
1174
0,3
711
500
1156
793
0.2
44S
267
653
474
0.1
-
98
246
209
NachBteheodes Diagramm, Fig. 30, gestattet die beobocliteteD nad
die berechneteD Werthe beqaem mit einander zu vergleichen.
Die rcTticalen Ordinaten tind Drucke in Atmoaphären , die h
Dichten der ErplosioDiproducte. Die oberste Curve reprSnen
xwischen Druck und Dicht« nach Gleichung 32 (St. Robert)
chung 34 (Nobte D. Abel). Die punhtirte Linie stellt die;
cbung SO (Bnnien) and die gestrichelte Cnrre die in eiof
beobachteten Werthe dar.
494 n. Thermochemie.
8. Schiesspulver mit abweichenden Zusammensetzungen.
/
Da wir uns im Vorhergehenden nnr mit denjenigen explosiven Ge-
mischen heschäftigt haben, welche für gewöhnlich - nnier dem Namen
Schiesspulyer für Militärzwecke, für industrielle Arbeiten in Erde und
Stein bei Sprengungen vorzugsweise Anwendung finden, so ist noch eine
Anzahl sehr ähnlicher Gemische übrig geblieben, deren Zusammensetznng
zwar eine abweichende, deren Wirkung aber auf Vorgängen beruht, welche
den bei gewöhnlichem Pulver besprochenen ausserordentlich ähnlich sind.
Zunächst hat man den Kalisalpeter durch den billigeren Natron-
salpeter ersetzt, im Uebrigen aber die Mischungsverhältnisse beibehalten^
so dass zur Verbrennung des Schwefels und Kohlenstoffs die gleiche
Sauerstoffmenge zur Verfügung stand ^). Bei gleichen Aequivalenten
muss, da die Wärmetönungen für die Kali- und Natronsalze nicht merk-
lich verschieden sind, die gleiche Wärmemenge bei der Entzündung
erzeugt werden, und ebenso wird, da man wohl berechtigt ist eine gleiche
Zersetzungsweise dieses Pulvers unter sonst gleichen Verhältnissen vor-
auszusetzen , die pro Aequivalent entwickelte Gasmenge die gleiche sein.
Bezieht man jedoch diese beiden maassgebenden Zahlen auf gleiche Ge-
wichte, so stellen sich für Natronpulver die Verhältnisse wesentlich gün-
stiger, da das Atomgewicht des Natriums erheblich kleiner, als das des
Kaliums ist *^).
Hatte man die EIrsetzung des Kalisalpeters im Schiesspulver durch
Natronsalpeter wohl wesentlich aus Gründen der Wohlfeilheit in^s Ange
gefasst, so hatte die Ersetzung der salpetersauren Salze durch chlorsaure
und überchlorsaure Salze vorzugsweise den Zweck Pulversorten hem-
stellen, welche leichter entzündlich waren, und welche durch raschere
Abbrennung heftigere Wirkungen hervorbringen. Aus dem Vergleich
der Atomgewichte ergiebt sich leicht, dass die Ghlorate auf gleiche Ge-
wichtsmengen zwar weniger Sauerstoff enthalten als die Nitrate, bekannt-
lich geben aber die ersteren ihren Sauerstoff viel leichter ab, als die leti-
teren. — Die unter Zumischung von Chloraten hergestellten Palversorten
zeichnen sich daher durch sehr brisante Wirkungen aus.
Berthelot ^) nimmt für ein Ghloratpnlver folgende Zosammensetsang
nach Gewichtstheilen an:
^) Zumal bei den Arbeiten am Saezcanal ist mit einer wesentlichen Kostenerspanifl
Natronpulver mit Erfolg verwendet worden. Leider stellt sich einer ausgedehntere»
Verwendung die grosse Hygroskopicität dieses Pulvers entgegen.
^) Genaueres über die in der Praxis verwendeten Misch ungsverbUtnisse und fiher
die Ersetzung des Kalisalpeters durch Barytsalpeter sehe man: E. v. Meyer, Die Ei'
plosivkörper (Handbuch der chemischen Technologie von Bolley-Birnbanm, Bd. 6,
dritte Gruppe, Abtheil. 2), Braunschweig, Vieweg u. Sohn 1874, S. 5 bis 8.
^) Berthelot, Memoire sur la force de la poudre et des matiires explosites.
Ann. d. chim. et d. phys. 4. Serie. Bd. 23, S. 242.
D. Die Explosivkörper. 495
Ealiamchlorat .... 75,0
Schwefel 12,5
Kohle 12,5
und glauht, dass dieses Gemisch und seine Zersetzung sich durch folgende
Formel ausdrücken lasse:
3 (KCIO,) + 2 S + 5 C = 3 KCl + 2 SOa + 5 CO.
Gewiss ist mindestens die Formel für die Yerhrennungsproducte
äasserst hypothetisch, da, soviel uns bekannt, Analysen der Explosions-
prodncte für eine Verbrennung bei constantem Volumen nicht vorliegen.
— Unter Annahme der Richtigkeit obiger Formel und bei Zugrunde-
legung der Berthelot'schen Zahlen für die Wärmetönungen berechnet
man eine Wärmeentwickelung von 972 Calorien pro Kilogramm und bei
0® und 760 mm Druck ein Gasquantum von 318 1. Diesen Zahlen nach
würde sich allerdings eine wesentliche Ueberlegenheit der Chloratpulver
über die Nitratpulver ergeben.
Diese Pulver sind viel leichter entzündlich als die Nitratpulver, schon
ein darauf geführter Schlag mit dem Hammer genügt, um die Explosion
herbeizuführen, deshalb pflanzt sich die eingeleitete Verbrennung auch
sehr rasch auf benachbarte Partien des Pulvers fort. Die Zersetzungs-
prodncte sind ferner wahrscheinlich alle einfacher und stabiler, als die des
gewöhnlichen Pulvers; KCl, SO3 und CO sind unzweifelhaft beständigere
Verbindungen, als K3SO4, KsC03 und COs; die Dissociationserschei-
nungen werden daher bei gleicher Temperatur und gleichen Druck-
verhältnissen geringer sein, als bei deu'Explosionsproducten des Schiess-
pulvers. In Folge der rascheren Entzündung, der höheren Temperatur
und grösseren entwickelten Gaamassen wird der Anfangsdruck beim
Chloratpulver verhältnissmässig höher, und wegen der geringeren Wir-
kung der Dissociation wird das Ansteigen und die Abnahme des Druckes
rapider sein, als beim Nitratpulver; dies erklärt aber vollkommen die so
erheblich brisantere Wirkung dieser Pulversorten. — Für den praktischen
Gebrauch ist dies nicht immer ein Vortheil, in Feuerwaffen sind z. B.
sehr brisante Explosivkörper nicht zu gebrauchen, weil sie, statt das
Geschoss zu bewegen, die Läufe zertrümmern; ausserdem ist die Her*
Stellung, der Transport und die Handhabung solcher leicht entzündlichen
Palversorten zu gefährlich, um eine umfangreichere Verwendung in der
Technik zu gestatten ^).
') Genaueres über die Pulver mit Kaliumchlorat sehe man: E. v. Meyer, Die
Exploftiykorper (Bolley-Birnbanm, Handbuch der Technologie Bd. 6, dritte Gruppe,
Abtheil. 2), Braunschweig, Vieweg u. Sohn 1874, S. 8.
496
II. Thennochemie.
9. Die explosiven Oasgemlsolie.
Den bisher besprochenen explosiven Gremischen fester Körper sind
in gewissem Sinne ähnlich die explosibeln Gasgemische. Auch bei
.diesen wird bei Einleitung der Verbindung durch Entzündung eine er-
hebliche Wärmemenge entwickelt, jedoch ist in diesen Fällen bei gleichem
Drucke und gleicher Temperatur das Volumen der Explosionsproducte
von dem der ursprünglichen Substanzen meist nicht sehr erheblich ver-
schieden, in manchen Fällen sogar kleiner, als das des ursprünglichen
Gemisches. Die entwickelten Wärmemengen sind in fast idlen Fällen
ausserordentlich hoch, wie dies die im Folgenden mitgetheilte Tabelle
deutlich zeigt; die mechanische Wirkung hingegen, welche diese explo-
siven Gemische hervorbringen können, sind verhältniasmässig gering,
einestheils weil ihr Volumen an sich sehr gross ist, und anderentheik
weil keine erhebliche Volumenvergrösserung , welche die Wirkung der
Wärme vergrössern würde, stattfindet, und endlich weil, wie dies Buna es
überzeugend dargethan hat, bei Bildung complicirterer Producta aus ein*
fächeren Bestandtheilen der Eintritt einer energischen Dissociation dem
Ansteigen der Temperatur und des Druckes sich bald hindernd in den
Weg steUt.
Wir entnehmen nachstehende Tabelle einer Abhandlung Ber-
thelot's*).
Zusammensetzung des explosiven
Von 1 kg entbundene
Wärmemenge
Gasvolumen bei 0^ n. 760 mm,
welches 1 kg einnimmt:
Gemisches
Vor der Ex-
plosion
Nach der Ei-
plosioD
Ha +02)
CO + 0
CH4 +40
C9O4 +60
CjHa + 50 \
CaHe +70
C^Hg +70
C4H10O+ 12 0 (Aetherdampf)
Cß H« +15 0 (Benzindampf)
C2N2 +40
3 280 Cal.
1570
2 375
2 530
2 800
2 300
2 450
2 400
2 300
2 300
1,86 cbm
0,75
0,84
0,72
0,74
0,70
0,63
0,59
0,60
0,58
1,24 cbm
0,50
0,84
0,72
0,63
0,78
0,72
0,75
0,63
0,58
^) Berthelot, Sur la force des m^langes gaseax d^tonants. Ann. de chim. <<
de phys. 4. Serie. Bd. 22, S. 130. Da es sich iin vorliegenden Falle nur um no»
angenäherten Vergleich handelt, sehen wir davo« ab, die genaueren Zahlen Thomsea's
in den von diesen untersuchten Fällen einzuführen.
^) Die Wärmetonung bei Bildung gastörmigen Wassers ist hier zu 59000 Cakvieo
angenommen.
D. Die Explosivkörper. 497
Man bemerkt zunäcIiBt, dass die entwickelten Wärmemengen keine
grossen Differenzen zeigen und fär die meisten Kohlenwasserstoffe nnd
das Cyangas naheza gleich gross sind. Die grösste Zahl, das ist die fiir
Wasserstoff- Sauerstoff gefundene , ist ungefähr f&nf Mal so gross als die
für Schiesspnlver (620 Cal.), und mehr ids das Zweifache der bei Explo«
sion des gleichen Gewichtes Nitroglycerin frei werdenden Wärme (1300 Cal.).
Die herrorgerufenen Druckmaxima sind bekanntlich, wie Bunsen direct
gemessen hat ^), ausserordentlich gering, denn sie betragen bei Verbren-
nung von Wasserstoff- Sauerstoff bei constantem Volumen nur 9,7 Atmo-
sphären und beim Eohlenoxyd-Sauerstoff Knallgas nur 10,3 Atmosphären.
Mischt man den explosiven Gasgemischen indifferente Gase bei, so sinken
die Drucke noch tiefer, weil die Temperatur nicht so hoch steigen kann,
wie in reinen Knallgasen; das zugemischte Gas muss alsdann durch die
gleiche Wärmemenge mit erwärmt werden. Auch ist bekanntlich, wie
ebenfalls die Untersuchungen Bunsen's überzeugend dargethan haben, die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Entzündung bei diesen Gasgemischen
eine äusserst geringe (Wasserstoffknallgas bei Atmosphärendruck 34 m
pro Secunde, Kohlenoxyd-Sauerstoff 1 m) im Vergleich zu der Geschwin-
digkeit, mit welcher sich die Entzündung in anderen Explosivsubstanzen
verbreitet (5000 bis 6000 m pro Secunde bei comprimirter Schiessbaum -
wolle und Nitroglycerin).
Die Gasgemische bleiben hinsichtlich ihrer mechanischen Wirkung
daher weitaus hinter den festen und flüssigen Explosivkörpern zurück.
Wollte man dieselben angenähert gleich wirkungsfähig machen, so müsste
man dieselben, ehe sie zur Verwendung kommen, sehr stark compri-
miren; einem solchen Verfahren dürften sich jedoch wiederum erhebliche
praktische Schwierigkeiten hindernd in den Weg stellen.
Die Betrachtung der explosiven Gasgemische zeigt deutlich, dass
die Fähigkeit in sehr kurzer Zeit eine grosse Wärmemenge zu entbinden,
allein nicht genügt, um einer Substanz die Eigenschaften eines kräftigen
Ezplosivkörpers ^u verleihen; es gehört ausserdem dazu, dass das
Yolomen der Explosionsproducte beträchtlich grösser ist, als das der
ursprünglichen Substanz. — Soll der betreffende Körper sich durch
besonders brisante Wirkung auszeichnen, so muss die Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der Entzündung sehr gross und die entstehenden Körper
müssen sehr einfach und beständig sein, so dass das rapide Ansteigen
and Abfallen des Druckes nicht merklich durch eintretende Dissociations-
erecheinungen gemildert werden kann.
10. Ohlor- und Jodstiokstofit
Der wichtigste Unterschied zwischen den bisher von uns besproche-
nen Explosivkörpem und den im Nachstehenden vom Standpunkte der
^) Man sehe die Bansen' sehen Versuchsresultate, dieses Buch Bd. 2, II, C, 9, S. 424.
Rtthlmann, Mechan. Wftrmetheone. Bd. S. 32
498 n. Thermochemie.
mechanischen Wärmetheorie aus zu behandelnden bemht darin, dass,
während es sich vorher am Gemische verschiedener Substanzen handelte,
die grosse Mengen chemischer Affinität in einer Form besassen, welche
leicht auslösbar in sehr kurzer Zeit in Wärme umgesetzt werden kann,
nunmehr einheitliche chemische Verbindungen zu betrachten sind, welche
ein äusserst labiles chemisches Gleichgewicht besitzen, bei ihrer Zer-
setzung in einfachere Verbindungen unter sonst gleichen Verhältnissen
ein beträchtlich grösseres Volumen beanspruchen und gleichzeitig bedeu-
tende Wärmemengen entwickeln.
Die beiden Verbindungen Ghlorstickstoff und Jodstickstoff zeichnen
sich vor anderen Explosivkörpem besonders dadurch aus, dass ihre Zer-
setzungsproducte Elemente sind, welche einer Dissociation nicht föhig
sind. Trotz der im Vergleich zu anderen Explosivkörpern verhältniBS-
mässig nicht sehr grossen Wärmemenge und nicht ungewöhnlichen Yo-
lumenvergrösserung gehören daher diese beiden Substanzen doch zu den
brisantesten, welche überhaupt bekannt sind.
Ghlorstickstoff und ebenso der Jodstickstoff detoniren bekanntlich,
indem sie nach den Formeln:
NCl3=N + 3Cl
respective
NJs =N + 3J
in ihre Elemente zerfallen ^).
Die im ersten Falle entwickelte Wärmemenge ist von Deville und
Haute feuille zu 316 Galerien pro Kilogramm bestimmt worden. Ausser-
dem entwickelt ein Kilogramm 370 Liter Gas (bei 0® und 760 mm), die
Volumenvergrösserung beträgt daher, da die Dichte des Ghlorstickstoffii
ungefähr gleich 1,66 ist, nahe das 620fache.
Beim Pulver betragen die entsprechenden Zahlen 620 Galorien und
215 Liter; die Gesammtenergie des Pulvers ist jedenfalls nicht wesent-
lich geringer, als die des Ghlorstickstoffs; in Folge der leichten Entzünd-
lichkeit (bei circa 100^) und der hiermit zusammenhängenden äusserst
raschen Fortpflanzung der Zersetzung durch die ganze Masse und w^gen des
äusserst raschen Ansteigens des Druckes und der ausserordentlich raschen
Abnahme desselben, welche durch keine Dissociationserscheinungen ver-
zögert wird, sind die auftretenden Druckdifferenzen und damit die ze^
störenden Wirkungen auf die nächste Umgebung unvergleichlich viel
grösser, als bei den meisten anderen Explosivkörpern. — Bei sehr plöti*
liehen Volumen vergrösserun gen genügt die Trägheit der geringsten Masse,
welche der Entwickelung der Gase sich entgegenstellt, um enorme Drack-
steigerungen zu veranlassen. Daher ist es erklärlich, dass die Bedeckong
von Ghlorstickstoff mit einer ganz dünnen Schicht Wasser, die Einhüllnng
^) Nach seinem Verhalten gegen Chlorwassentoffsäure , mit dem der Jodutickstoff
Chlorjod und Chlorammonium giebt, glaubt man für Jodstickstoff die Formel JjN.HjK
annehmen zu müssen.
D. Die Explosivkörper. 499
in ein dünnes Metallblech genügt, am die verheerendsten Wirkungen bei
der Explosion zn veranlassen. Selbst die Einleitung der Explosion un-
terhalb der Oberfläche genügt schon zu diesem Zwecke, da alsdann die
Trägheit der oberen Schichten genügenden Widerstand darbietet, um
eine Zersetzung mit furchtbarer Detonation herbeizuführen.
Wenn der Druck so enorm rasch steigt, dass die umgebenden Körper
nicht Zeit haben sich merklich in Bewegung zu setzen, so bieten sie^ auch
wenn diese Hindernisse durch Flüssigkeiten oder selbst Gase gebildet
werden, ähnliche Widerstände dar, wie feste Körper.
lieber die explosiven Eigenschaften des Jodstickstofifs ist wenig be-
kannt, da sich diese Substanz in trockenem Zustande fast gar nicht ver-
wenden lässt, ohne bei der leisesten Berührung zu detoniren. — Auch
über die bei seiner Zersetzung frei werdende Wärme- und Gasmenge
sind Zahlwerthe bis jetzt nicht publicirt. Die geringste Erschütterung
der Luft in der Nähe von trockenem JodstickstofF, der bekanntlich ein
fester Körper ist, z. B. das Zuschlagen einer Thür im Aufbewahrungs-
räume genügt, um das Detoniren dieses äusserst empfindlichen Explosiv-
körpers herbeizuführen. Seine Wirkung scheint der des Chlorstickstofis
sehr nahe zu stehen, vielleicht sogar noch etwas rapider zu verlaufen
als bei jenem; die Gesammtenergie ist jedoch vermuthlich eher ge-
ringer 1).
11. Nitroglycerin.
Dieser nach dem Pulver für die Technik wichtigste Explosivkörper
entsteht durch Einwirkung sehr concentrirter Salpetersäure (man mischt,
nm die letzten Theile Wasser zu entziehen, der Salpetersäure conoen-
trirte Schwefelsäure zu) auf Glycerin. Die Bildung geschieht nach der
Formel:
CsHaOs + 3HN08 =3H30 + CgHiNsO»-
Der Name Nitroglycerin ist, obgleich in der Praxis vollkommen ein-
gebürgert, falsch, da man diese Substanz nicht als einen Nitrokörper,
sondern vielmehr als einen neutralen Salpetersäureäther des dreiatomigen
Alkohols Glycerin anzusehen hat. Die rationelle Formel wird daher:
C3H5(NO,)3
zu schreiben sein ^).
^) Außgedehntere Versuche mit Jodstickstoff hat, soviel mir bekannt geworden, nur
Abel ansgefährt. Man sehe: Kouvelles Stades sur les propriet^s des cozps explosibles.
Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 21, S. 129.
^ Genaueres hierüber sehe man: Journ. f. prakt. Chem. Bd. 105, S. 254. üeber
die Barstellung, Transport, Anwendung des Nitroglycerins findet man ausführliche Mit-
theilongen und.zahlreiche Quellenangaben in: E. v. Meyer, Die Explosivkörper (B o 1 1 e y -
Birnbaum, Handbuch d. chem. Techn. Bd. 6, Gruppe 3, Abtheil. 2), Braunschweig,
Vieweg u. Sohn, 1874, S. 51 bis 82.
32*
500 . IL Thermochemie.
Die 2jersetzang des Nitroglycerins ist noch nicht genan bekannt; die
von Berthelot gegebene Formel:
2C3H5(N03)3 = 12C0, + 5H,0 + 6N + O
ist nur eine hypothetische.
Hiernach berechnet Berthelot die bei Zersetzung von 1 Kilogramm
frei werdende Wärme zu 1786 Calorien, während Ronx und Sarran
ans Versachen mit Dynamit in guter üebereinstimmnng mit obiger An-
gabe 1720 Calorien gefanden haben '). Ein Kilogramm würde nach der
Berthelot' sehen Zersetznngsformel 710 Liter Gas (bei 0^ nnd 760 mm)
entwickeln. Die Yolnmenvergrösserang würde das 1140fache betragen,
da die Dichte des Nitroglycerins ziemlich hoch ist, nämlich 1,6. Das
Product des GasYolnmens und der Wärmemenge ist demnach das weitaus
grösste, was bei irgend einer explosiven Substanz vorkommt. In der
That ist dieser Körper wohl auch unter allen Ezplosivkörpem der ener-
gischste. Durch Anwendung desselben hat man im eigentlichen Sinne
des Wortes Berge versetzt, die stärksten Eisenmassen zertrümmert und
ungeheure Gewichte weithin fortgeschleudert.
Auch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Entzündung ist eine
ziemlich hohe, sie beträgt nämlich nach den Untersuchungen Abers*),
die er imter Anwendung des früher von uns (S. 486) beschriebenen Ghro-
noskopes angestellt hat, für reines Nitroglycerin ungefähr 1700 m pro
Secunde; die Entzündungsgesch windigkeit des Dynamits, d. i. einer
Mischung von Nitroglycerin mit Infusorienerde wurde noch grösser ge-
funden, dieselbe erreichte die enorme Zahl von 6000 bis 6500 m pro
Secunde.
Obgleich in Folge dieser angeführten Eigenschaften *das Nitrogly-
cerin ein brisanter Explosivkörper ist, ähnlich wie Ghlorstickstoff, so seigt
er andererseits wenn auch in wesentlich grösserem Maassstabe EigenthüBi-
lichkeiten, welche den vom Pulver hervorgebrachten sehr ähnlich sind.
Zumal bei Verwendung von Nitroglycerin in Sprenglöchern bricht und
verschiebt es zwar sehr erhebliche Gesteinsmassen, aber es zertrümmert
und zerstäubt dieselben nicht, auch bewirkt es häufig gewaltige Fortschlea-
derungen, während die vorzugsweise brisanten Sprengmittel bei der De-
tonatiod ihre ganze Umgebung in Staub verwandeln, ohne hingegen
grössere Stücke weithin fortzuschleudern.
Auch diese durch zahlreiche Erfahrungen hinreichend sicher ge-
stellte Thatsache kann von den bisher festgehaltenen Gesichtspunkten
aus leicht erklärt werden. In den Explosion sproducten des Nitroglycerins
sind vorzugsweise Kohlensäure und Wasser, gelegentlich auch Stickoxydal
nachgewiesen worden^). Dies sind Verbindungen, welche fähig sind, bei
^) Man sehe Ann. de chim. et de phjs. 5. Serie. Bd. 9, S. 163.
^) Abel| Etudes sur les corps explosibles. Ann. de chim. et de phjs. 5. Serie.
Bd. 2. S. 190.
') Man sehe die Analyse vonL'Hotein: Dingler's Polytechn. Journ. Bd. 178,
S. 349.
D. Die Explosivkörper. 501
hohen Temperaturen dissociirt zn werden, und man kann daher vermnthen,
dass ein sehr rapides Ansteigen des Druckes und selbst vielleicht das
Eintreten der theoretisch möglichen Maximaldrucke und ebenso eine sehr
rasche Abnahme des erreichten Druckes durch stattfindende Dissociations-
erscheinungen verhindert wird.
Der Umstand, dass der Transport und die Anwendung des flüssigen
Sprengöles mit vielen Gefahren und sonstigen Unzuträglichkeiten ver-
knüpft war, machte es dringend wünschenswerth , demselben irgend eine
feste Form zu geben. Dies erreichte (1866) Noble dadurch, dass er das
Sprengöl mit einer sehr leichten, mehlartigen Infusorienerde zusammen-
kneten liess. Die auf diese Weise entstehenden teigartigen Massen,
welche ungefähr 77 bis 75 Proc. Nitroglycerin und 23 bis 25 Proc. Kie-
selguhr enthalten, werden jetzt fast ausschliesslich in der Praxis ver-
wendet und führen den Namen Dynamit. Diese Substanz verbrennt,
wie das reine Nitroglycerin, durch eine Flamme an der Oberfläche ent-
zündet, nur langsam ab. Um Zersetzung mit Detonation herbeizuführen,
mxLBB beim reinen Präparate und beim Dynamit die Entzündung durch
die Explosion eines kräftigen Zündhütchens (Patentzünder) bewirkt
werden.
Durch Stoss und Schlag wird reines flüssiges Sprengöl sehr leicht
entzündet, Dynamit hingegen ist gegen Erschütterungen ziemlich un-
empfindlich, und selbst die heftigsten Hammerschläge veranlassen nur die
Explosion der unmittelbar getroffenen Theile, während die benachbarten
nnentzündet fortgeschleudert werden i). Die Möglichkeit, die teigartige
Masse in fertige Patronen verdichtet zur Anwendung bringen zu können,
erleichtert den Gebrauch dieses Explosivpräparates ausserordentlich ^).
Abel hat durch besondere umfängliche experimentelle Untersuchun-
gen den Einfluss festzustellen gesucht, den die Beimengung indifferenter
Stoffe zu einem Explosivkörper auf die Wirksamkeit und Entzündlichkeit
desselben im Allgemeinen ausübt und sich in diesem Sinne auch beson-
ders eingehend mit dem Dynamit beschäftigt. Zunächst stellte sich hin-
sichtlich dieses Einflusses ein erheblicher Unterschied heraus, je nachdem
der Explosivkörper fest oder flüssig war und die indifferente Beimengung
den einen oder den anderen dieser Aggregatzustände besass. Mengt man,
wie beim Dynamit, einem flüssigen Präparate feste Körper in Pulverform
bei, so wird dadurch die Gontinuität der explodirenden Substanz nicht auf-
gehoben, die eingeleiteten Detonationen können sich daher, da sich immer
Berührungspunkte genug darbieten, in einem derartigen Gemische ebenso
gut fortpflanzen, wie im reinen Präparate.
^) Umfängliche Yenuche verschiedener Physiker, Chemiker und Ingenieare üher
die Ungefährlichkeit des Dynamits findet man zusammengestellt in der Schrift von
J. Trauzl: Ueber explosive Nitrilverbindungen, insbesondere Dynamit. Paris, 1871.
^) Die verschiedenen Methoden der Anwendung des Dynamits in der Technik findet
man übersichtlich geordnet mitgetheilt in: E. v. Meyer, Die Explosivkörper (Bolley-
Birnbaum, Handb. d. ehem. Technol. Bd. 6, Gruppe 3, Abtheil. 2), Braunschweig,
Vieweg u, Sohn 1874, S. 66 bis 75.
502 II. Thermochemie.
Hätte man hingegen nmgekehrt eine feste indifferente Sabsians
einem explosiblen Präparate beigemischt, welches selbst fest ist, so wür-
den zumeist die Theilchen des letzteren dadurch vollständig von einander
getrennt werden. Die eingeleitete Entzündung würde daher an ihrer
Verbreitung wesentlich gehindert werden, theils durch die Verminderung
der Berührimgspunkte des entzündlichen Körpers, theils durch den Wider-
stand, welchen die indifferenten Körner der Fortpflanzung der Detonation
durch Abkühlung entgegenstellen.
Faserige oder pulverförmige Explosivpräparate erhalten durch Ein-
tritt von Flüssigkeit in die klemsten capillaren Zwischenräume eine
grössere Stetigkeit; die Theile des festen Körpers können daher einem
Stosse weniger leicht ausweichen, und Erschütterungen werden in dem
angefeuchteten Präparate leichter fortgepflanzt, als im trockenen.
Die Beimengung von Kieseiguhr (auch Thonerde, Zucker etc. sind
verwendet worden) würde die Wirkungsfähigkeit des flüssigen Explosiv-
körpers nicht beeinträchtigen, sobald nur die Masse der zugemischten
Substanz nicht so gross wird, dass dadurch die Temperatur, bis zu wel-
cher die ganze Masse erhitzt wird, wegen der Miterwärmung der Beimen-
gung so tief sinkt, dass die Entzündung sich nicht mehr fortpflanzen
kann, oder so gross, dass durch Aufhebung der Stetigkeit der flüssigen
Verbindung der raschen Ausbreitung der Detonation Hindemisso in den
Weg gelegt werden.
Die entwickelte Gesammtenergie kann durch indifferente ßeimen-
gungen nicht vermindert werden, sicher wird jedoch die Temperatur
erniedrigt, da die Anzahl entbundener Wärmeeinheiten beim Dynamit
auch die indifferente Substanz mit erwärmen muss. Kieselgnhr besitzt
nahezu dieselbe speciflsche Wärme, wie die gasformigen Ezplosionspro-
ducte des Sprengöles bei constantem Volumen ; Temperatur und Maximal-
druck werden daher bei Explosion von Dynamit ungefähr um Y4 geringer
sein, als wenn man die im Dynamit enthaltene Menge reinen Nitro-
glycenns in einem gleich grossen Räume allein entzündet hätte. In Folge
davon ist die Wirkung des Dynamits geringer, als die des reinen Spreng-
öles. Wegen der Miterwärmung der indifferenten Beimengung müssen
zur Entzündung des Dynamits auch stärker geladene Zündhütchen verwen-
det werden, als zur Einleitung der Explosion beim reinen Nitroglycerin.
Bei der Expansion der Explosionsgase giebt aber die feste Kiesel-
säure in ähnlicher Weise ihre Wärme ab, wie die festen Rückstände
beim Pulver.
Sehr auffallig ist es, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der
Entzündung in nebeneinander gelegten Dynamitpatronen ungemein viel
beträchtlicher, nämlich gleich 5900 bis 6500 m gefunden worden ist, als
in flüssigem Nitroglycerin, worin sie unter genau denselben Verhältnissen
nur ungefähr 1700 m beträgt. — Die Entzündung geschah in beiden
Fällen durch die Explosion eines mit reinem Knallquecksilber gefüllten
Zündhütchens.
D. Die Explosivkörper. 503
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird dieser charakteristische Unter-
schied durch den verschiedenen Aggregatznstand heider Sahstanzen her-
vorgerufen. Dynamit ist eine dick hreiartige, kaum knethare Masse,
welche sich angenähert wie ein fester Körper verhält. Die sich ent-
wickelnden gasförmigen Ezplosionsprodncte finden daher hei ihrer Ent-
stehung erhehliche Widerstände, wenn sie nicht gerade zufallig an der
Oberfläche gebildet werden. Bei dem flüssigen Nitroglycerin können
die benachbarten Theilchen in Folge ihrer grösseren Beweglichkeit und
Elasticität leichter sich der Einwirkung der heissen gasförmigen Explo-
sionsproducte entziehen, wenn die Umhüllung der Flüssigkeit nicht eine
sehr feste ist. — Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in
fest eingeschlossenen Massen heider Explosivkörper liegen nicht vor.
Höchst wahrscheinlich wäre der Unterschied geringer ausgefallen und
man hätte die Fortpflanzungsgeschwindigkeit überhaupt grösser gefunden,
wenn man die Explosionsproducte am Entweichen in die freie Atmo-
sphäre gehindert und gezwungen hätte, das ursprüngliche Volumen des
Explosivkörpers beizubehalten ^).
Im Anschluss an Dynamit könnten wir noch einige Gemische von
Nitroglycerin mit anderen Substanzen behandeln, welche unter dem
Namen Lithofracteur , Dualin, Fulminatin etc. in der Technik im Ge«
brauch sind. Bei allen diesen Präparaten handelt es sich um Beimen-
gangen von Kohle, Schiesspulver, Salpeter, Sägespänen zu Nitroglyce-
rin etc. — Allerdings wird durch die Zumischung von Substanzen,
welche selbst chemische Veränderungen bei der Entzündung zu erleiden
im Stande sind, sowohl die überhaupt entwickelte Wärmemenge, als auch
die producirte Gasmenge, deren Zusammensetzung und Eigenschaften,
also der ganze Verlauf des Explosionsprocesses geändert, immerhin dürften
jedoch diese Gemische vom theoretischen Standpunkte aus kaum zu
wesentlich neuen Betrachtungen Anlass gehen ^).
12. SohiessbaumwoUe.
Wenn man Holzfaser (Cellulose) längere Zeit hindurch mit einem
Gemische von sehr concentrirter Salpetersäure und ebenso concentrirter
Schwefelsäure behandelt, so tritt aus dem Atomcomplex Wasser aus und
dafür ein Salpetersäurerest ein. Es wird auf diese Weise ein kräftiger
^) Genaueres über den Einfluss der Art der Entzündung und der Art der üm-
hüllong der explosiven Körper auf den Verlauf der Zersetzung sehe man in Cap. 15,
S. 513.
^ Genaueres über diese Substanzen sehe man in: E. v. Meyer, Die Explosivkorper
(Bolley- Birnbaum, Handb. der ehem. Technologie Bd. 6, Gruppe 3, Abth^Uung 2),
Braunschweig, Vieweg u. Sohn 1874, S. 77.
504
n. Thermochemie.
Exploeivkörper, das Pyroxylin (TrinitrocelluloBe, Schiessbaomwolle), wie
man jetzt allgemein annimmt, nach folgender Formel gebildet:
CßHioOs + SHNOa = 3 HjO + CßHyNsOu
Cellulose Salpetersäure Wasser Pyroxylin
Ans dem Verhalten dieser Substanz gegen concentrirte Schwefel-
säure, verdünnte Kalilauge, Eisenchlorür etc. glaubt Bechamp schli essen
zu dürfen, dass man es mit einem Aether der Salpetersäure zu thun habe.
Die Analysen stimmen mit den nach obiger Formel theoretisch ge-
forderten Mengen der einzelnen Elemente gut überein.
Zusammensetzung der Schiessbaumwolle in Gewichts-
procenten.
Bestandtheile
Nach der
Formel
Schönbein
Fehling
Cmm
C
24,2
27,4
25,9
24,7
H
2,4
3,5
3,7
2.5
N
14,1
14,3
10,0
13,8
0
59,3
54,8
60,4
59,0
Die Zersetzungsproducte fallen, wie bei den meisten ExplosiYkorpem
verschieden aus, je nach der Art der Zersetzung. Bei einer Verbrennung im
Vacuum oder in freier Luft findet eine langsamere und unvollkommenere
Zersetzung statt, als bei einer Detonation in einem geschlossenen Baume.
Zumal die Versuche von Karolyi ^) haben dies überzeugend dargethan.
Zersetzungsproducte der Schiesswolle in Volumenprocenten.
Explosionsproducte
Kohlenoxyd
Kohlensäure
Gmbengas
Stickozyd
Wasserdampf
Wasserstoff
Stickstoff
ünverbrannter Rückstand
(Kohle)
Im Vacuum verbrannt
28,6
19,1
11,2
8,8
21,9
8,6
1,8
In einem geschlossenen
GefSsse explodirt
29,0
20,8
7,2
25,3
3,2
12,7
' 1,8
1) Dingler's Polytechn. Journal Bd. 169, S. 428.
D. Die Explosivkörper.
505
2 Ci« Hi& 0
18 **15 v/io
Die Zersetzung der Schiessbaiunwolle hat nur Berthelot and zwar
auf überaus hypothetisclier Grundlage durch nachstehende Formel theore-
tisch darzustellen gesucht ^) :
_ |7 COa + 12 CO 4- 2 CH4 + H + 3 CNH
^ "" 1+ 9 Ha 0 + 5 NO + 2 N.
Hiemach berechnet er die von einem Kilogramm entwickelte Wärme-
menge zu ungefähr 630 Calorien und das Volumen der Explosionsproducte
bei 0® und 760 mm (Wasser gasförmig) zu 800 Liter. Erheblicher Werth
dürfte diesen Zahlen kaum beizulegen sein.
Karolyi erhielt aus einem Kilogramm bei constantem Volumen
explodirter Schiesswolle 755 Liter Gas. Die entwickelte Wärmemenge
ist experimentell bis jetzt noch nicht bestimmt worden. — Nimmt man
nach Berthelot die Bildungswärme von 1 kg Schiessbaumwolle aus den
Elementen zti 920 Calorien an und benutzt die Karolyi 'sehe Analyse
als Grundlage für die Bildung der Explosionsproducte aus ihren Elemen-
ten, so findet man für die Entstehung dieser Explosionsproducte aus den
Elementen eine Wärmeentwickelung von 1470 Calorien; die Differenz
= 550 Calorien würde hiemach die bei der Explosion von 1 Kilogramm
Schiesswolle freiwerdende Wärmemenge sein^).
• ^) Berthelot, Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 23, S. 264.
^ Die Berechnung der bei der Zersetzung der Schiessbaumwolle frei-
werdenden Wärmemenge theilen wir im Nachstehenden ziemlich ausfuhrlich mit
einestheils, um die Grundlage dieser Rechnung zu geben, und anderentheils, um damit
an einem Beispiele zu zeigen, auf welche Weise die in Bd. 2, II, B, 4, S. 289 u. s. f.
zusammengestellten Wärmetönungen zur Bearbeitung praktischer Aufgaben verwendet
werden können.
Nach Karolyi entwickelt 1 kg bei constantem Volumen explodirte Schiessbaum-
wolle 0,75 cbm Gas. Diese bestehen nach der vorhin mitgetheilten Analyse aus:
9
entwickelte
Gasmenge
Gewicht
von 1 cbm
w
Wärmetönung
bei Bildg. von
1 Aeq. aus den
Elementen
a
Aequivalent-
gewicht
r . <f . w
Bestandtheil
a
Kohlenoxyd CO .
Kohlensäure CO2 .
Grubengas CH4 .
Stickstoff Na . • .
Wasserdampf H2O
Wasserstoff H2 . .
Amorphe Kohle C
0,216 cbm
0,157 „
0,054 „
0,095 „
0,190 „
0,024 „
0,014 „
1.254 kg
1,975 „
0,716 „
1.255 „
0,806 „
0,0896 „
25 800 Cal.
94 000 „
22 000 „
59 000 „
28
44
16
18
249 Cal.
662 „
53 „
502 „
Summa:
0,750 cbm
—
—
—
1466 Cal,
Es besitzen aber v cbm eines dieser Gase ein Gewicht von v . d kg. Bei Bildung
von 1 Aequivalent dieses Gases werden w Cal. frei , bei Bildung von 1 kg demnach
506 n. Thermochemie.
Far Schiesspnlyer waren die entsprechenden Zahlen: 270 I Gas und
620 Gal. Aus einem Vergleich der Zahlenwerthe kann man BchliesBen,
dasB die Gesammienergie der Schiesswolle hedentend grösser ist, als die
eines gleichen Gewichtes Pulyer. Da in den E^plosionsproducten ziem-
lich complicirte Yerhindongen auftreten, wird unzweifelhaft anch bei der
Schiesswolle der Anfangsdruck nicht so bedeutend sein, als man hiernach
vermuthen könnte; die Dissociationserscheinungen werden die Intensität
des Druckmaximums möglicherweise yermindem, sicher aber den Eintritt
desselben und noch mehr den Abfall des Druckes verlangsamen. Auch
die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Entzündung ist gross, dieselbe ist
jedoch ausserordentlich abhängig Yon der Dichtigkeit der Substanz und
Ton dem Widerstände, den die Umgebung der Entwickelung der gas-
formigen Explosionsproducte entgegensetzt.
Stellt man unter dem Drucke einer hydraulischen Presse Scheiben
von Schiessbaum wolle her und setzt aus diesen einen langen Cylinder za-
sammen, so betragt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 5300 bis 6100 m.
Lässt man die einzelnen Scheiben sich nicht gegenseitig berühren, son-
dem bleiben zwischen denselben Zwischenräume, so sinkt die Fortpflan-
zungsgeschwindigkeit der Entzündung. Comprimirte Schiesswolle, welche
15 Procent Feuchtigkeit enthält, bedarf zu ihrer Entzündung zwar stär-
kerer Zündhütchen als trockene, ist die Einleitung der Explosion aber
erst geglückt, so verbreitet sich diese in feuchter Schiesswolle rascher,
als in trockener. Bei der Schiessbaumwolle, in welcher in comprimirtem,
trockenem Zustande die Fortpflanzungsgeschwindigkeit gleich 5300 m
gewesen war, stieg sie nach Aufiiahme von 15 Proc. Wasser auf 6100 m. —
Der Grund dieses eigenthümlichen Umstandes dürfte derselbe sein, den
wir schon bei Besprechung des verschiedenen Verhaltens von Nitrogly-
cerin und Dynamit geltend gemacht haben. — Die in die Schiesswolle
eingedrungene Feuchtigkeit macht nämlich die Substanz compacter; sie
hindert die einzelnen Theilchen derselben sich dadurch der Entzündung
zu entziehen, dass sie in vorhandene Zwischenräume eindringen; denn
diese capillaren Zwischenräume sind es vorzugsweise, welche durch die
aufgesaugte Flüssigkeit ausgefüllt werden.
Der ausserordentliche Unterschied, den die Dichte des Explofiör«
körpers und vielleicht noch mehr seine Starrheit auf den Yerlanf der
Zersetzung ausübt, zeigt sich an der Schiesswolle besonders deutlich, weä
diese einestheils als ganz leichte Flocken, dann als Göspinnst und Gewebe
— Cal. Bei Entstehung von v cbm des betreffenden Gases ans seinen Elementen wird
demnach eine Wärmemenge von Cal. entbanden. Znr Bildnng der ans 1 kg
a
Schiessbaum wolle entstehenden Gase gehören demnach 1466 Cal. Zur Bildung von 1 k$
SchiessbanmwoUe aus den Elementen gehört nach Berthelot eine Wfirmenieng« tob
920 Cal. Demnach werden bei Explosion yon 1 kg Schiesswolle entwickelt : 1470 — d^
K= 550 Calorien.
D. Die Explosivkörper. 507
und endlich, nachdem sie dorch enorme Dracke comprimirt worden ist,
als holz-, beinahe homartige Masse zur Verwendung kommt. Nähert
man einem Ballen flockiger SchiessbaamwoUe eine Wärmequelle von
mindestens 135^ C, so verbrennt sie sehr rasch, fast momentan, und
ein sehr matter dumpfer Knall begleitet die Zersetzung. Verfahrt man
in gleicher Weise mit Gespinnsten oder Geweben, so geht an freier Luft
die Verbrennung um so langsamer vor sich, je dichter die Fasern im
Fabrikate zusammengelagert sind. Comprimirte Schiessbaum wolle ver-
brennt noch langsamer; durch geeignete Wahl der Temperatur der Wärme-
quelle, welche zur Entzündung dient, und der Dichte und Dimensionen
des Materiales kann man es dahin bringen, dass die Zersetzung zwar
eingeleitet wird, die entwickelte Wärme aber nicht genügt, um die Zer-
setzungsproducte zu entzünden, so dass die Schiesswolle verzehrt wird,
ohne eine eigentliche Flamme zu bilden ^). — Aller Wahrscheinlichkeit
nach sind bei einer derartigen Zersetzung die entstehenden Produote
wesentlich andere, als im Falle einer mit Detonation verbundenen Ex-
plosion der ganzen Masse, welche mit den oben mitgetheilten Geschwin-
digkeiten sich durch die Substanz verbreitet. Man kann daher aus den
bei derartigen Versuchen, oder bei Verbrennung in einem luftverdünnten
Räume erhaltenen Zersetzungsproducten durchaus keinen zuverlässigen
Schluss auf den Verlauf des chemischen Processes ziehen, der im Falle
einer eigentlichen EIxplosion stattfindet. Diese wesentlich andere Art
der Zersetzung tritt ein: entweder bei Berührung mit einem sehr hoch
erhitzten Körper, oder bei Entzündung dui'ch ein kräftiges Zündhütchen,
jedoch nur in seltenen Fällen durch die Einwirkung sehr kräftiger me-
chanischer Erschütterungen, wie heftige Hammerschläge mit einem Stahl-
hammer auf harter Unterlage etc.
Als man mit einem Garabiner auf Distanzen von 36 bia 91 m nach
Scheiben von comprimirter Schiesswolle schoss, wurden diese anfönglich
ohne Entzündung vom Geschosse durchschlagen, bei grösseren Entfernungen
gelegentlich auch in Flammen gesetzt, manchmal explodirten dieselben
auch theilweise, in seltenen Fällen vollständig; jedoch kam es fast nie zu
einer eigentlichen Detonation, wie man dieselbe durch die Einwirkung
eines kräftigen mit Knallquecksilber gefällten Metallzündhütchens erhielt.
Die Schiessbaumwolle im comprimirten Zustande ist ein sehr ge-
schätzter Ezplosivkörper geworden und hat vielfach dem noch heftiger
wirkenden Dynamit (reines Nitroglycerin wird seiner flüssigen Form
wegen in der Praxis fast gar nicht mehr verwendet) Goncurrenz gemacht.
Sind auch die Wirkungen des Pyroxylins nicht so beträchtlich, als die
des Dynamits, so sind dieselben doch bei Einleitung der Entzündung
durch Detonationszünder immerhin das Vielfache von derjenigen , welche
^) Abel hat diesen Versuch z. B. im Jahre 1864 vor der Royal Society, angestellt.
Man sehe: Abel, Nouvelles Stades sor les propri^t^s des corps explosibles. Ann. de
chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 21, S. 98.
508 n. Thermochemie.
die gleiche Menge Pnlyer hervorhringt ; dabei ist die SchiessbanmwoUe,
wenigBtens wenn sie nach dem von Abel verbesserten Lenk' sehen ^) Yei^
fahren aus ganz reiner Holzfaser hergestellt nnd das Präparat sorgfältig
entfettet nnd entsäuert worden ist, in der comprimirten Form fast ganz
ungefährlich zu handhaben. Aach kann sie beim Gomprimiren leicht in
jede beliebige Gestalt gebracht werden. Ihre Wirkung ist nicht so bri-
sant, dass ihre Yerwendnng in Fenerwaffen ausgeschlossen ist; jedoch f&r
diese Zwecke ist noch keines der neueren Explosiypräparate im Stande
gewesen, das Pulver in merklicher Weise zu verdrängen.
Jedenfalls bieten auch die bei der Schiessbaumwolle beobachteten
Vorgänge nichts dar, was sich nicht vom Standpunkte der mechanischen
Wärmetheorie und der Thermochemie aus vollständig aus der physika-
lischen und chemischen Bescha£Penheit dieser Substanz erklären liesse.
Zum Schlüsse wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass man auch
andere ähnlich wie Cellulose zusammengesetzte Kohlenhydrate durch
Behandeln mit sehr concentrirter Salpetersäure in Ezplosivkörper ver-
wandelt hat. Auf diese Weise entsteht die Nitrostärke (Xyloidin), der
Knallzucker, CiaHi8 07(N03)4, Nitromilchzucker und Nitrömannit, letztere
mit der Zusammensetzung O^Hs (N03)6- Nitrostärke ist zusammengesetit
wie Schiessbaum wolle ; von den beiden von den Zuckerarten hergeleiteten
Präparaten ist die Zusammensetzung nicht sicher bekannt.
Alle diese Körper ähneln bezüglich ihrer Explosivität sehr dem
Pyrozylin, sie sind jedoch in Aether und Alkohol löslich, in Wasser oo-
löslich und sind daher besonders als Ueberzüge über andere Explosiv-
Präparate empfohlen worden, die durch Wasser verändert werden würden.
Selbstständig haben sie in der Praxis keine erhebliche Bedeutung erlangt,
auch sind dieselben nicht so genau untersucht, dass man umfänglichere
theoretische Betrachtungen an ihr Verhalten anknüpfen könnte.
Da die Schiessbaumwolle und die ihr verwandten Präparate nicht
genügenden Sauerstoff in sich schliessen, um eine vollkommene Verbren-
nung der oxydirbaren Elemente zu gestatten, so hat man auch vielfach
daran gedacht, durch Mengung derselben mit Mitteln, welche im Stande
sind freien Sauerstoff abzugeben, z. B. durch Zumischung von Nitraten
oder Ghloraten, eine grössere explosive Wirkung zu erzielen. Hierher
gehört z. B. das weisse Schiesspulver des Hauptmanns E. Schnitze,
Lannoy's Lithofracteur. Berthelot ^) hat gezeigt, dass der hierdurch
^) Gensaeres über Hentellang, Bearbeitung, Transport nnd Anwendung der Sdilew
banmwoUe in der Technik sehe man in dem bereits mehrfach dtirten Schrifichen too
E. T. Meyer, Die Explosivkörper S. 16 bis 41. Speciell über Anwendung in Fenei^
Waffen S. 34 u. 35 daselbst.
^) Berthelot giebt am Schlosse seiner Abhandlang: „Snr la chalenr de formatioi
des compos^s oxyg6n6s de l'azote^ eine interessante tabellarische Zusammenstellong fiber
die Bildangswärme der wichtigsten unter Mitwirkung der Salpetersäure gebildeten £x-
plosiykorper aus ihren Elementen, über die Yerbrennungßwärme derselben durch reinen
Sauerstoff* und über die Abzüge , die von dieser Verbrennungswärme zu machen sind,
wenn nicht freier Sauerstoff angewendet wird, sondern der Sauerstoff tou anderen Oxy-
dationsmitteln abgegeben wird. Gegen die Richtigkeit dieser Zahlwexthe sind jedoch
D. Die Explosivkörper. 609
erzielte Yortheil kaum sehr erheblich ist» Die entwickelte Wärmemenge
wird zwar yergrössert, das Gasvolumen nimmt jedoch meist nur aner-
heblich zu, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Entzündung nimmt
jedoch ab, sie beträgt bei mit Salpeter gemengter, getrockneter compri-
mirter Schiessbaumwolle nur circa 4800 m, gegen 5300 m bei reiner,
comprimirter Schiesswolle. Da ausserdem die entstehenden Verbren-
nongsproducte der Dissociation fähig sind, so wird das Präparat dadurch
minder brisant, als dies reines Pyroxylin ist. Umfänglichere Versuche
vom wissenschaftlichen Standpunkte aus sind auch mit diesen Präparaten
nicht angestellt worden.
13. Die Pikrinsäure und die Pikrate.
Durch Behandlung des Phenols (Carbolsäure) mit überschüssiger
cöncentrirter Salpetersäure entsteht die Pikrinsäure (Trinitrophenol,
C^HsIl^OslsCOH]), welche theils selbst, theils in ihren Salzen in neuerer
Zeit eine nicht unwesentliche Rolle als Explosivpräparat spielt.
Die Pikrinsäure selbst zerfallt, wenn sie bis SlO^C. erhitzt oder durch
einen Hammerschlag entzündet wird, wahrscheinlich nach der Formel:
2C6H2(N02)s(OH) = C03 + 900 + SHjO + 20 + 6N.
von J. Thomsen nicht unweseDtliche und, wie es scheint, nicht unbegründete Einwände
erhoben worden.
Warmetönung bei Bildung der
Substanzen aus ihren Elementen.
Bildungswärme pro 1 kg Substanz
Nitroglycerin .... llOCal.
Pyroxylin 920 „
Pikrinsäure .... — 66 „
Kaliumpikrat . • . . IdO „
Salpetersäure (Monohyd.) 320 „
Ealiumnitrat 930 .
Verbreunungswärme w
in reinem Sauerstoff
pro 1 kg Substanz
1790 Cal.
1570 „
2920 „
2470 „
Von den Verbrennungswärmen w in reinem Sauerstoff sind abzuziehen, wenn man
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KapferoxydnCuO:to — 18,6n, SUberozydnAgO: to — 3», Silbemitrat "rNOjAq:«;— 1,1 n,
Kalinmnitrat - NOaKiw — 1,9», Kaliumchlorat - ClOaK: w-f-2,5n-
3 3
Man sehe Berthelot, Ann. de chim. et de phys. 5. Serie. Bd. 9, S. 164.
510 IL Thermochemie.
Nach diesem Zersetzrmgsschema , welches von Berthelot herrührt
nnd, soviel mir hekannt, durch genaue Analysen noch nicht controliit
ist, würden die Explosionsproducte pro 1 Kilogramm eine Wärmemeng«
Ton 1093 Galorien hei ihrer Entstehung aus den Elementen entwickeln;
nimmt man nach den Angaben des eben genannten Chemikers die bei
Bildung von 1 kg Pikrinsäure entwickelte Wärmemenge zu — 66 GaL
an, so würde die bei der Explosion von 1 kg Pikrinsäure freiwerdende
Wärmemenge die Zahl von 1160 Cal. erreichen. Die von 1 kg bei der
Explosion entwickelte Gasmenge würde, wenn obige Formel richtig wäre
(Wasser gasförmig angenommen), bei 0^ und 760 mm 7801 betragen.
Hiemach wäre die Pikrinsäure einer der energischst wirkenden Explosiv-
körper, welcher selbst Nitroglycerin an Energie überträfe. Da jedoch so
überaus heftige Wirkungen bei der Explosion der Pikrinsäure nicht be-
kannt sind , so ist entweder die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Ent-
zündung eine sehr geringe, oder die Zersetzung findet in anderer far die
Production von Wärme und Yolumenvergrösserung minder günstigeo
Weise statt ^).
Genaue Versuche mit reiner Pikrinsäure scheinen wenig oder gar
nicht angestellt worden zu sein.
Da auch bei dieser Substanz die Menge des ursprünglich Torhan-
denen Sauerstoffs nicht zur vollständigen Verbrennung der BestandtheÜe
ausreicht, so liegt der Gedanke nahe, durch Beimengung von Snbstansen,
welche im Stande sind Sauerstoff abzugeben, die Verbrennung zu einer
vollkommeneren zu machen. Am geeignetsten würde dazu z. B. Kaliom-
chlorat sein. Es würde sich in diesem Falle nach der Ansicht Berthe-
lot's^) ergeben:
2C6H3(NO03(OH) + ^ClO8K=^KCl+12CO3 + 3H,O+6N.
o o
Bei Bildung der Explosionsproducte, welche von 1 kg des GenÜBches
herrühren, wird eine Wärmemenge von 1780 Cal. entbunden. Bei Ent-
stehung von 1 kg des Gemisches werden 1522 Cal. frei, demnach ent-
spricht der Zustandsänderung, welche bei der Explosion stattfindet, eine
Wärmemenge von 260 Cal. Das von 1 kg des Gemisches herrührende
Gasquantum nimmt ein Volumen von 405 1 ein. Die disponible (jesamnit-
energie des Gemisches ist daher sehr viel geringer, als die des gleichen
Gewichtes reiner Pikrinsäure. Damit dürfte vielleicht die Thatsache zu-
sammenhängen, dass die Gemische von Pikrinsäure und Substanzen,
welche geeignet sind Sauerstoff abzugeben, durchaus nicht den Erwartun-
gen entsprochen haben, die man glaubte von denselben hegen zu dürfen.
^) Letzteres ist jedoch höchst unwahrscheinlich, da unter allen möglichen Beacdoim
stets diejenige stattfindet, bei welcher die grösste Wärmemenge entwickelt wird.
^) Man sehe Berthelot, Ann. de chira. et de phys. 4. Serie. Bd. 23, S. 267.
Die an dieser Stelle gegebenen Zahlen sind späterhin von Berthelot selbst rervorftB
worden, deshalb sind in diesem Buche Wärmemengen und Gasvolumina nach deo gc*
wonnenen Daten neu berechnet.
D. Die Explosivkörper. 511
In der Technik ist h&nfiger, als die Pikrinsfture, das Kalinmpikrat
Terwendet worden. Für dessen Zersetzung nimmt Berthelot die
Formel an :
2[C6Hj(N02)8 0K] = 6N + 9C0 + 20 + K^COs + 2H2O.
Bei Bildung von 1 kg dieses Salzes aus den Elementen werden nach
den Versuchen desselben Chemikers 186 Oal. entwickelt. Bei Entstehung
von 1 kg der Explosionsproducte aus den Elementen werden 1118 Cal.
frei Die Differenz von 930 Cal. giebt die bei Explosion von 1 kg der
Substanz entfaltete Wärmemenge. Das Volumen der Gase, welche von
1 kg bei der Zersetzung entwickelt werden, beträgt, sofern man obige
hypothetische Formel als richtig annimmt, 585 Cal. Das Ealiumpikrat
charakterisirt sich hiernach in der That als ein sehr kräftig wiikender
Ezplosivkörper, als welcher es auch in der Praxis geschätzt wird.
Die Entzündungstemperatur liegt verhältnissmässig hoch, nämlich
bei 31 0^; ein kräftiger Hammerschlag genügt jedoch auch die Zersetzung
desselben unter hefdger Detonation herbeizuführen.
Auch das Ammoniumpikrat ist vielfach, theils allein, theils als Bei-
mengung zu gewöhnlichem Pulver, verwendet worden ^).
Die Entzündungsgeschwindigkeit, die ausgeübten Drucke bei Ex-
plosion in geschlossenen Räumen und die chemische Beschaffenheit der
Zersetzungsproducte scheint jedoch noch nicht auf experimentellem Wege
gemessen worden zu sein.
Die theoretischen Zahlwerthe lassen wenigstens erkennen, dass die
Verwendung der Pikrinsäure und ihrer Salze viel heftiger wirkende Prä-
parate giebt, als beispielsweise Schiesspulver, und dies ist in der That
durch die Erfahrungen, welche in der Technik gemacht worden sind,
durchaus bestätigt worden.
14, Die Fulminate.
Die meisten Salze der Enallsäure zeichnen sich durch ihre hohe
Explosibilität aus, weshalb diese Substanzen, welche ihrer Kostbarkeit
und der Gefährlichkeit ihrer Behandlung wegen sich nicht dazu eignen,
selbstständig in grösseren Massen in der Technik verwendet zu werden,
besonders zur Fabrikation von Detonationszündem, Zündhütchen etc. ver-
wendet werden.
Die Hauptrolle in der Praxis spielt in dieser Beziehung das Enall-
qnecksilber; von untergeordneter Bedeutung hingegen ist das Enall-
Bilber. Nach den Untersuchungen Kekul^'s sind diese Präparate nach
den Formeln:
C(NOa)(CN)Hg und C(NOa)(CN)Agj
^) Nähere Details über die in der Technik verwendeten Gemische sehe man in:
E. T. Meyer, Die Explosivkörper, S. 49*
512 IL Thermochemie.
zusammengesetzt. Ueber ihre Bildungswärmen und die bei der Explo-
sion frei werdenden Wärmemengen , sowie über die Mengen der bei der
Zersetzung gebildeten Producte liegen bis jetzt weder Hyxwthesen , noch
experimentelle Erfahrungen vor. Als Zersetzungsproducte sind jedenät
Stickstoff, Eohlenoxyd und Quecksilberdampf respective Silber wah^
genommen worden. Die verhältnissmässig grosse Einfachheit der Explo-
sionsproducte schliesst eine merkliche Wirkung der Dissociation fast toD-
ständig aus und macht die ausserordentlich brisanten Eigenschaften dieser
Substanzen verständlich. Das chemische Gleichgewicht dieser Yerbiii-
dungen scheint ein sehr labiles zu sein, denn eine Erwärmung des Knall-
quecksilbers auf 150® C. (nach Anderen auf 200®) und des Knallsilben
auf 130® genügt, um die Zersetzung unter heftiger Detonation herbdxü-
ftihren. Eine massige Reibung, ein gelinder Schlag, wenn Hammer und
Ambos von harten Substanzen (Stahl) hergestellt sind, genügt zur Ein-
leitung der Zersetzung. Enallsilber entzündet sich schon bei der leich-
testen Beibung und kann daher kaum zu Zündern (Zündhütchen), son-
dern höchstens zu Spielereien (Knallbonbons, Knallerbsen) verwende
werden. Zündet man Knallquecksilber an der Oberfläche an, so yerpidft
es mit massigem Knalle. Knallsilber zersetzt sich nur mit heftiger De-
tonation, ausser in einem luftyerdünnten Räume, in dem selbst diese
ausserordentlich empfindlichen Präparate nur schwierig zn entzünden
sind und dann einen langsam fortschreitenden Zersetzungeprocess a-
leiden.
Die ausserordentlich brisante und verhältnissmässig geringe balli-
stische Wirkung des Knallquecksilbers hat unter Anderem ein Yersneli
von AbeP) dargethan. Er füllte ein Hohlgesohoss mit nur 6,5 g KnaD-
quecksilber, verschloss dasselbe und entzündete die Ladung durch eines
^ektrisch glühend gemachten Draht. Das eiserne Greschoss wurde dureb
die Explosion fast zu Staub zersprengt, die Sprengstücke lagen jedoch
sämmtHch unweit des Explosionscentrums. Als man hierauf eine gus
gleichbeschaffene Bombe in derselben Weise durch eine Ladung von 50 g
Schiesspulyer zersprengte, wurde die Eisenmasse in wenige grosse Stu<^e
zerrissen, diese jedoch wurden weithin fortgeschleudert.
Es deuten diese Versuche, sowie alle Erfahrungen, welche man mü
Knallquecksilber gemacht hat, darauf hin, dass die Geschwindigkeit, mit
der eine eingeleitete Detonation fortschreitet, eine sehr grosse ist, und
dass deshalb ein hohes Maximum des Druckes äusserst rasch erreicht
wird, dass aber der Druck nach diesem plötzlichen Ansteigen auch äussent
rasch wieder sinkt, und dass diese grossen Druckdifferenzen verhältniss-
mässig nur local auftreten.
Um diese fast momentane Zersetzung etwas zu verlangsamen nsd
namentlich um das Volumen der Verbrennungsgase zu vergrössem, mengt
man dem Knallquecksilber häufig andere Substanzen, z. B. chlorsanrei
^) Abel, Chemical News 1862, S. 270.
D. Die Explosivkörper. 513
Kalinm, Salpeter, SchieBspolver oder Schwefel bei. Die Gesammtenergien
solcher Gemenge, auf gleiches Gewicht bezogen, sind selbstverständlich
stets geringer, als die des reinen, anvermischten Präparates.
Ib. Einfluss der Art der Entzündung auf Zersetzungsweise
und Wirkung der Explosivkörper.
Schon Papacino d' Antonio bemerkt im Jahre 1765 in seinem:
Examen de la poudre ^) , dass Palver nm so schwerer entzündet werden
könne, je verdünnter die Atmosphäre sei, in der sich dasselbe befinde; im
Jahre 1817 beobachtete Mnnke^), dass im Yacuum das Schiesspolver
durch schnelles Erhitzen nicht explodire. Bald darauf machte Hearder
die Beobachtung, welche später durch Bianchi') vollständig bestätigt
wurde, dass es im Yacuum nicht möglich sei, Schiesspulver durch einen
galvanisch glühenden Draht zur Explosion zu bringen; meist zeigte sich
nur eine Snblimation des Schwefels; wurde die Erhitzung jedoch noch
weiter getrieben, wurden grössere Partien gleichzeitig rasch von unten er-
wärmt, so trat schliesslich ein langsames Abbrennen, durchaus aber keine
Verpuffung ein. Heeren ^) hat späterhin diese Versuche wiederholt und
gefunden, dass alle Explosivkörper sich ähnlich verhalten, d. h. dass
alle diese Substanzen im Yacuum eine langsame Zersetzung ohne Explo-
sion erfahren. Selbst diejenigen hierhergehörigen Stoffe, welche das
labilste chemische Gleichgewicht zeigen, wie z. B. KnaUquecksilber, ver-
brennen, wie schon erwähnt, im luftleeren Räume nur äusserst langsam,
und die eingeleitete Entzündung überträgt sich nur äusserst schwierig
auf benachbarte Theile.
Auf die wesentliche Ursache dieses eigenthümlichen Yerhaltens hat
schon Heeren hingewiesen; sie dürfte darin zu suchen sein, dass sich im
Yacuum die durch die Zersetzung gebildeten Gase sehr rasch expandiren
und bei dieser beträchtlichen Yolumenvergrösserung sich sehr stark ab-
kühlen. Die bei der eingeleiteten Entzündung entwickelte Wärme wird
dadurch zum grossen Theile absorbirt, und der Rest genügt nicht, um
benachbarte Theile bis zur Entzündungstemperatur zu erhitzen, oder
wenn selbst die übriggebliebene Wärmemenge ausreichen sollte, die aller-
nächsten Partien des Explosivkörpers genügend hoch zu erhitzen, so
wird dies mit etwas weiter entfernt liegenden Theilchen doch nicht der
Fall sein, und in Folge davon wird die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der Entzündung sehr vermindert werden.
Nach Erfahrungen, welche man gemacht hat, indem man eine explo-
sive Substanz langsam abbrennen Hess und dann eine Probe desselben
1) Paris 1765, S. 208.
*i Gehlert's Phys. V^örterb. Bd. 8, S. 526.
^ Compte« rendiu Bd. 55, S. 97.
^ Dingler's Polyt. Journ. Bd. 180, S. 287.
Rftblmaiin, Heohan. Wftnnetbeorie. Bd. 8. 38
514
n. Thermochemie.
Körpers mit heftiger Detonation sich zu zersetzen veranlasste, darf man ah
ziemlich sicher annehmen, dass die Explosionsprodncte in dem einen ond
dem anderen Falle wesentlich verschieden ausfallen. Allem Anschein nscli
ist die Reaction eine um so vollkommenere, nnd wird um so mehr Wanne
producirt, bei je höherer Temperatur die Zastandsändernng stattfindet
Ein recht deutliches Beispiel hierfür ist die schon früher von uns mit-
getheilte Zersetzung der Schiessbaum wolle im Yacuum und in einem ge-
schlossenen Räume. Karolyi ^) liess dieselbe Sorte Schiesswolle anf
beide Weisen sich zersetzen und erhielt nachstehend verzeichnete Pro-
ducte in den angeführten Mengen. Das Volumen der entwickelten Gtse
ist nur im letzten Falle ermittelt.
Zersetzangsproducte des Pjroxylins
Kohlenoxyd • . . .
Kohlensäure . . . .
Grubengas . . . .
Stickoxyd
Wasserdampf . . .
Wasserstoff . . . .
Stickstoff
Unverbrannte Kohle
im Vacunm verbrannt
28,5
19,1
11,2
21,9
8,6
1,8
bei constantem Vo-
lumen explodirt
29,0
20,8
7,2
25,3
3,2
12,7
1,8
Versuche von Berthelot und von Abel ') haben sogar gezeigt, daa
mehrere Explosivpräparate, z. B. Nitroglycerin, wenn sie allmalig nur bis
in die Nähe ihrer Entzündungstemperatur erhitzt und bei dieser Tempe-
ratur erhalten werden, sich in wesentlich anderer Weise zersetzen könnea,
als beim eigentlichen Verbrennen, so dass bei dieser Zustandsändening,
während welcher die Substanz ihre Fähigkeit zu ezplodiren verliert,
wenig oder gar keine Wärme entwickelt wird. — Geschieht die Erhitioflg
rasch, so dass die Zersetzungsproducte sich nicht aus dem Wirkaogs-
bereiche der übrigen Molecüle entfernen können, so wird durch dieee
Einwirkung der Wärme das chemische Gleichgewicht bereits stark er-
schüttert, und es genügt dann eine sehr geringfügige Ursache, um eine
vollständige und explosive Zersetzung der ganzen Masse herbeizuführen*
Sind diese Präparate bereits bis in die Nähe ihrer Entzündnngs-
temperatur vorgewärmt, so tritt fast ausnahmslos, wenn die Entsündong
1) Pogg. Ann. Bd. 118, S. 544 und Dingler»» Polyt. Journ. Bd. 169, S. 428.
') Abel, Nouvelles recherches sur Ics corps explogives. Ann. de chtm. et de fhp.
Bd. 21, S. 188.
D. Die Explosivkörper. 515
eingeleitet wird, eine rapide Zersetzong mit heftiger Detonation ein,
selbst unter Umstanden, unter welchen sonst ein langsames Abbrennen
der ganzen Masse stattfinden würde. Ist z. B. Nitroglycerin im Yacnnm
Torher erhitzt worden, und bringt man dasselbe dann plötzlich mit einem
glühenden Platindraht oder einem anderen hocherhitzten Körper in Be-
rührang, so tritt eine heftige Explosion ein, während bei gewöhnlicher
Temperatur im Yacuum bekanntlich höchstens ein langsames Abbrennen
erzielt werden kann«
Ganz ähnliche Vorgänge hat Abel vielfach sowohl mit Nitroglycerin,
als aach mit Schiesswolle beobachtet ^). Er entzündete z. B. Flocken von
Schiessbaumwolle in Glasgefässen bei gewöhnlicher Temperatur und
nachdem er dieselben vorher erwärmt hatte; die Explosion fiel um so
heftiger aus, auf je höhere Temperatur das Präparat zuvor gebracht
worden war. Im Laufe seiner Studien über die Explosion verschiedener
Präparate wurde Abel dazu geführt, überhaupt zwei Hauptarten des
Verlaufs des chemischen Processes zu unterscheiden. Die eine, welche
er schlechthin als Explosion bezeichnet, ist charakterisirt durch einen
langsamen Verlauf, massige mechanische Wirkungen und nicht sehr hef-
tigen Knall; diese Vorgänge erstrecken sich häufig nur auf einzelne
Partien des entzündeten Körpers, andere Theile desselben werden in
onyerändertem Zustande dabei fortgeschleudert. Die andere Art der
Znstandsänderung bezeichnet er ausschliesslich mit dem Namen Detona-
tion, weil sie stets von einem heftigen Knall begleitet ist und die
energischsten mechanischen Wirkungen hervorbringt, deren die Substanz
flhig ist. — Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass eine unendliche Anzahl
▼on Zwischenzuständen existirt, welche begrenzt wird einerseits durch
das langsame Abbrennen, dessen Fortschreiten man häufig mit dem Auge
verfolgen kann, andererseits durch die fast momentan durch die ganze
Masse sich verbreitende Zersetzung, bei welcher enorme Drucke auftreten,
so dass selbst die gewaltigsten mechanischen ELindemisse durch dieselben
überwunden werden. Die Explosionsproducte werden aller Wahrschein-
lichkeit nach sowohl hinsichtlich ihrer relativen Menge, als auch hin-
sichtlich ihrer chemischen Beschaffenheit je nach den Druck- und Tem-
peraturverhältnissen, welche während der Reaction herrschen, verschieden
ausfallen. Es existirt ein Zersetzungscoefficient k, ähnlich dem von
Guldberg und Waage für Massenwirkungen gefundenen 3) , für jeden
üxplosivkörper, von dem die Geschwindigkeit der Reaction abhängig ist,
welcher je nach der Temperatur und dem Drucke sich ändert. — Der
Charakter der Explosivität hängt wahrscheinlich sogar ausschliesslich
▼on der Grösse dieses Coefficienten der Geschwindigkeit der Reaction ab,
da eine Menge von chemischen Processen bekannt ist, bei welchen die
entwickelte Wärmemenge mindestens ebenso gross ist, als bei Vorgängen,
*) Man sehe Philosophical Tranwctions Bd. 157, S. 223, und Ann. de chim. et
de phy». 4. Serie. Bd. 21, Anmerk. auf S. 109 etc.
>) Man sehe: Journal für praktische Chemie, Neue Folge Bd. 19 (1879), S. 69.
33*
516 n. Thermoclieinie.
welche einen explosiven Charakter an sich tragen, and welche trotzdem
dnrchauB ruhig verlaufen, lediglich deshalb, weil die Greschwindigkeit,
mit der sich die Reaction vollzieht, eine geringe ist. Ein Beispiel hier-
für ist unter anderen das Zerfallen des Cyangases in Kohlenstoff imd
Stickstoff; bei Bildung dieses Stoffes aus seinen Elementen werden
82 000 Cal. absorbirt, bei Zerlegung von 1 kg Cyangas in Kohlenstoff
und Stickstoff werden demnach 1580 Cal. frei. Trotzdem vollzieht siek
diese Zersetzung unter Einwirkung des elektrischen Funkens ohne jed-
wede Explosion. Ein Kilogramm Kohlenoxyd - Sauerstoff - Knallgas ent-
bindet bei seiner Entzündung bekanntlich die gleiche Wärmemenge, (arca
1570 Cal., unter Hervorbringung heftiger Explosionserscheinungen; der
Unterschied kann nur in der Grösse des Coefficienten der Geschwindig'
keit der Reaction begründet sein.
Aus den vorliegenden Versuchen muss man schliessen, dass der Ge*
schwindigkeitscoefficient mit wachsender Temperatur und zunehmendea
Drucke grösser wird. Es ist jedoch an der Hand des bis jetzt pabli*
cirten Materials schwierig zu entscheiden, ob vorzugsweise der Dmck
oder hauptsächlich die Temperatur den maassgebenden EinfluBs ausoK
da bei allen derartigen Experimenten das Wachsthum der einen Grö«
auch das der anderen bedingt. Versuche ähnlich denen, welche Bunsei
und späterhin Horstmann über die Verbindung von Wa8ser8toff-SaIle^
Stoff und Kohlenoxydgas-Sauerstoff angestellt haben, wiederholt bei Ter
schiedenen Anfangsdrucken und Anfangstemperaturen des Gemisches TOf
der Explosion, dürften am ersten geeignet sein, diese Frage ihrer Beant-
wortung näher zu führen.
Alle Vorgänge, welche geeignet sind, Druck und Temperatur der
Explosionsproducte zu erhöhen, wirken ausnahmslos dahin, daas die
Reaction rascher verläuft, und dass der chemische Process mehr und mekr
den Charakter einer Detonation annimmt. In diesem Sinne wirkt daliflr
ausser der vorhergehenden Temperaturerhöhung des Präparates die üb-
hüllung des zur Entzündung gebrachten Explosivstoffes mit Sabstansei,
welche eine rasche Expansion der Explosionsproducte verhindern osd
eine rasche Abkühlung derselben unmöglich machen. — Diese Thatsacb
hat zumal Abel durch eine grosse Zahl vielfach abgeänderter Versnd»
überzeugend dargethan. Die meisten Explosivstoffe bewirken, wenn nsi
auf die nämliche Weise die Reaction einleitet, um so heftigere Wirkoa-
gen, je grösser der Widerstand ist, den die Umgebung der ExpansioB
der Gase entgegenstellt. Zur Einleitung einer Explosion in compiimirter
Schiessbaumwolle genügt z. B. schon eine in dünnes Metallblech gehfiDtt
Menge von 0,32 g Knallquecksilber, während, um den nämlichen ErMf
zu erzielen, 1 bis 2 g derselben Substanz nöthig sind, wenn dasselbe u
freier Luft ohne Umhüllung auf die gleiche Weise zur Explosion veran*
lasst wird. — Lockere Schiessbaum wolle liefert nie, selbst wenn mai
gleiche Gewichtsmengen verwendet, auch nur angenähert gleiche Wi^
kungen, wie Scheiben dieser Substanz in comprimirtem Zustande; jedes-
D. Die Explosivkörper. 517
falls ans dem Grande, weil die entwickelten Ezplosionsprodncte sich in
die Zwischenräume expandiren nnd dadurch eine erhebliche Temperatur-
emiedrigung erfahren«
Ebenso hat das mehr oder minder langsame Abbrennen sämmtlicher
explosiver Körper und die äusserst geringfügige Wirkung, welche die-
selben auf ihre Unterlagen ausüben, wenn sie an freier Luft und an ihrer
Oberfläche entzündet werden, seinen Grund darin, dass die gebildeten
gasformigen Explosionsproduct« sich unmittelbar bei ihrer Bildung un-
gehindert in die Atmosphäre expandiren können und sich dadurch wesent-
lich abkühlen. Der Druck bleibt in Folge davon sehr niedrig und die
gebildete Wärmemenge wird zum grossen Theile durch die Expansions-
arbeit der Gase absorbirt. Der ReactionscoefQcient behält unter diesen
Umständen einen kleinen Werth, der ganze Process verläuft verhältniss-
mässig langsam.
Diese Umstände wirken in noch hervorragenderer Weise, wenn Ex-
plosivkörper unter niedrigerem als unter Atmosphärendrucke ^ur Ver-
brennung gelangen; die Reaction kann bekanntlich dadurch so ver-
langsamt werden, dass dieselbe, selbst wenn sie bereits eingeleitet ist,
sich nicht fortzusetzen im Stande ist, dass also der Geschwindigkeits-
coefficient den Werth Null erreicht. Die Reaction geht dann nur vor
sich, wenn von aussen Energie zugeführt wird.
Schon dünne Hüllen, mit welchen die Substanzen umgeben werden,
können dem Entweichen der Explosionsproducte erhebliche Schwierig-
keiten in den Weg legen. Dadurch wird an den Stellen, an welchen
man die Reaction eingeleitet hat, Druck und Temperatur in geradezu
ftberraschender Weise erhöht. Die Explosion yoll zieht sich dann mit viel
grösserer Heftigkeit, der Knall ist kürzer und heftiger, die Einwirkung
auf die Umgebung energischer geworden, ein Zeichen, dass der Ge-
8chwindigkeitscoe£ficient einen grösseren Werth angenommen hat. Es
ist vielfach nicht einmal nöthig eine eigentliche Umhüllung anzubringen.
Entzündet man einen Haufen oder einen Tropfen der Substanz, statt an
der Oberfläche, an der Auflagerungsstätte auf seiner Unterlage, so wirkt
das Gewicht der Substanz, respective die Trägheit der über der Entzün-
dongsstelle liegenden Masse ähnlich wie eine Umhüllung. Die Explosion
ist dann jederzeit viel heftiger, als beim Abbrennen in freier Luft, wenn
die Entzündung von der Oberfläche aus stattfand. Abel ^) hat dies
dorch Versuche mit Pulver, Chlorstickstofi^, Knallquecksilber, Nitro-
glycerin etc. vielfach bestätigt.
Als Umhüllung der Explosivpräparate sind die verschiedenartigsten
Körper verwendet worden ; den geringsten Widerstand boten Papierhülsen
dar, einen grösseren, wie zu erwarten, dünne Metallbleche. Auf flüssigem
^) Abel, NouTelles ^tudes sur les propri^t^s des corps explosibles. Ann. de chim.
•i de phjTB. 4. Serie. Bd. 21, S.- 100 u. s. f.
518 IL Thermochemie.
Nitroglycerin oder Chlorstickstoff erwies sich auch eine Bedeckung mit
einer dünnen Schicht Wasser als äusserst wirksam.
Eine Detonation kann, seihst wenn sich die Körper in freier Luft
befinden, hei fast allen derartigen Substanzen dadurch herbeigeführt
werden, dass man deren Entzündung durch eine anderweite Detonation
veranlasst. Am besten geschieht dies dadurch, dass man die Explosion
eines kräftigen Zündhütchens auf den betreffenden Körper einwirken
lässt. — Auf diese Weise können in freier Luft befindliche Scheiben
von comprimirter Schiessbaumwolle, Nitroglycerin, Dynamitpatronen etc^
welche sonst an freier Luft langsam abbrennen, zu den heftigsten Detoiu-
tionen gebracht werden. Die mechanischen Wirkungen auf die Umgebung
sind dann sogar wesentlich energischer gefunden worden, als in denjenigea
Fällen, in welchen man die gleichen Quantitäten des Explosivkörpers
durch Einwirkung hocherhitzter Körper (galvanisch glühender Dr&hte,
elektrischer Funken, gewöhnlicher Zünder etc.) in äusserst widerstands-
fähigen Hüllen (in Sprenglöchern) zur Explosion gebracht hatte.
Diese eigenthümliche Beobachtung machte zuerst Brown, ein Che-
miker im Abel' sehen Laboratorium; hierauf wurde diese Thatsache
durch umfängliche Versuchsreihen, welche Abel selbst anstellte, unzvei-
felhaft sichergestellt und unter den verschiedensten Modificationen wie-
derholt. Die vollständige Erklärung dieser Erscheinung wird sich erst
geben lassen , wenn wir ausser der Entzündung der Explosivstoffe dareh
rasche Temperaturerhöhung auch die Einleitung der Explosion durch
mechanische Wirkungen : Reibung und Stoss, erörtert haben, denn aUeo
Anscheine nach wirken bei dem Herbeiführen der Reaction durch Deto-
nationszünder beide Momente: Erhitzung und Stoss, gleichzeitig.
Die meisten, obgleich nicht alle explosiven Präparate können durch
heftige Stösse, zumal durch kräftige Hammerschläge, unter geeigneten
Umständen entzündet werden; nur diejenigen Stoffe, deren chemiBches
Gleichgewicht ein äusserst labiles ist, kann man auch durch Reibung ent-
zünden.
In den weitaus meisten Fällen dürfte lediglich die durch die be-
treffende mechanische Wirkung entwickelte Wärme die Ursache der Ent^
Zündung sein.
Bei der Reibung ist die in Wärme verwandelte Arbeit verhältnissmässig
gering, deshalb können nur die leichtentzündlichsten Stoffe^ wie Jodstick-
stoff, Chlorstickstoff, Knallquecksilber, Knallsilber, die Chloratpalver auf
diese Weise zur Explosion gebracht werden. Nitroglycerin, Schiessbanm-
wolle, Pikrinsäure und die Pikrate können durch Reibung so gut wie gar
nicht entzündet werden; bei diesen Substanzen und zumal beim Dynamit
gelingt die Entzündung nur durch heftige, rasch wiederholte Hammerschläge,
welche mit sehr grosser Geschwindigkeit gegen harte Unterlagen geführt
werden. Zumeist werden nur die unmittelbar von der mechanischen Ein-
Wirkung getroffenen Partien entzündet, diese explodiren jedoch hemgi
weil sie sich im Momente des Stosses unter sehr hohem Drucke befinden
D. Die Explosivkörper. 519
und der Hammer nnd die als Unterlage dienende Snbstanz der Expansion
der Explosionsproducte einen grossen Widerstand entgegenstellen. Die
nicht unmittelbar vom Schlage getroffenen Theile werden, wenn sie sich
in freier Lnft befinden, nur dann mit entzündet, wenn das chemische
Gleichgewicht des Explosivkörpers überhaupt ein sehr labiles ist; gehört
die Substanz jedoch zu den stabileren, so werden nur die allernächsten
nicht mit getroffenen Partien mit entzündet, und die zwischen Hammer
nnd Ambos und von den nächstliegenden Theilen entwickelten gasför-
migen Explosionsproducte schleudern den nicht getroffenen Rest der Sub-
stanz unentzündet fort.
Befindet sich unter dem Hammer zu viel von dem zu entzündenden
Körper, oder besteht Hammer oder Ambos aus einer weichen Substanz,
oder ist endlich die auf die Einheit der Substanz zur Wirkung kom-
mende kinetische Energie zu gering, so wird dieselbe nur zur Compres-
sion, also zur Deformationsarbeit verwendet, ohne dass die Temperatur
sich bis zur Entzündung steigert. Der ausgeübte Stoss wird eine um
so grössere Temperaturerhöhung hervorbringen, die Explosion wird um
so heftiger sein, je momentaner der Stoss wirkt, je weniger also die Um-
gebung Zeit hat durch ihre Elasticität auszuweichen und die entwickelte
Wärmemenge abzuleiten, je besser die getroffenen Theile isolirt sind, und
je grösseren Widerstand die Molecüle des Explosivkörpers einer Verschie-
bung durch ihre Starrheit oder Incompressibilität und die ihrer Um-
gebung entgegenstellen.
Die Yersttche Abel's haben diese vom theoretischen Gesichtspunkte
aus vollkommen verständlichen Einflüsse festgestellt; die für die eiuzel-
nen Präparate experimentell gefundenen Zahlwerthe über Grösse der fal-
lenden Gewichte und deren Endgeschwindigkeit sind jedoch nicht zahlreich
und vollständig genug, um aus denselben über die Eigenschaften der ein-
zelnen Explosivstoffe Vergleiche anstellen und wichtige Consequenzen
ableiten zu können ^).
Der Stoss, den die Compressionswelle einer in unmittelbarer Nähe
stattfindenden Detonation ausübt, ist jedenfalls ungemein viel stärker, als
die Stösse, welche man durch Hammerschläge hervorzubringen im Stande
ist; dazu kommt, dass der Strahl ungemein hoch erhitzter und stark com-
primirter Gase, welche dem Detonationszünder (zumeist sind es Zünd-
hütchen) entströmt, eine gleichzeitige und sehr plötzliche Entzündung
grösserer Massen des Explosivkörpers veranlasst. Beide Wirkungen ver-
stärken sich also in hohem Grade, und daraus dürften die günstigen Re-
sultate, welche man selbst bei Anwendung von schwach geladenen Zünd-
hütchen erhalten hat, ihre zureichende Erklärung finden. — Dazu kommt,
dass bei gleichzeitiger Entzündung grösserer und nicht an der Oberfläche
gelegener Massen des Explosivkörpers die Temperatur und der Druck
^) Man sehe die betreffenden Versuche A b e 1 ' s in : Oontributions to the history
of expiosire agents. PhUos. Transact. £d. 164 (1874), S. 359.
520 n. Thermochemie.
enorm steigen. Dadurch erlangt der Geschwind] gkeitscoefficient der
Reaction einen hohen Werth, und indem immer grössere Massen in die
Zersetzung hineingezogen werden, entwickeln sich plötzlich so enorme
Gasmassen, dass selbst die umgebende Luft und die noch nicht entzikn-
deten Theile durch ihre Trägheit den Widerstand darbieten, der för den
Eintritt der eigentlichen Detonation erforderlich ist.
Immerhin sind jedoch bei der Anwendung kleiner Detonationen lor
Herbeiführung von Explosionen grösserer Massen explosiver Substanzen
Erscheinungen beobachtet worden, welche Abel, der weitaus die meisten
Erfahrungen auf diesem Gebiete gesammelt hat, bestimmt haben, noek
einen besonderen Vorgang zu ihrer Erklärung herbeizuziehen.
So ist es z. B. auffällig, dass Nitroglycerin schon durch schwächer
geladene Zündhütchen zur Explosion gebracht werden kann, als Schiee»-
bäum wolle, obgleich der erstgenannte Körper sich erst bei 190® C, der
letztere hingegen sich schon bei 150® G. entzündet. Die Zündhütchen,
welche unter sonst gleichen Verhältnissen Nitroglycerin sicher entsün-
den, können fünfmal weniger Knallquecksilber enthalten, als diejenigen,
welche bei Schiessbaumwolle zuverlässig eine Detonation herbeifilhren.
In Uebereinstimraung hiermit findet man, dass Nitroglycerin durch Stöne
und Hammerschläge leichter entzündet werden'kann, als Schiessbaumwolle.
Als einen weiteren Beweis dafür , dass es nicht ausschliesslich die
Wirkung der Wärme ist, welche die Detonation selbst an freier Luft
befindlicher unbedeckter Explosivstoffe veranlasst, kann man den Umstand •
betrachten, dass man nicht einmal nöthig hat, die Zündhütchen in unmittel-
barer Nähe des Präparates explodiren zu lassen. Allerdings sind bei Wir-
kung aus grösserer Entfernung stärker geladene Zündhütchen erforderlich;
während bei unmittelbarer Berührung z. B. ein mit 0,35 g Knallqueck-
silber geladenes Zündhütchen genügt, um comprimirte Schiessbaumwolle
sicher zur Detonation zu bringen, mnss, wenn das Hütchen sich in einem
Abstände von 13 mm befindet, eine Quantität von 1,3 g verwendet werden,
um mit gleicher Sicherheit den nämlichen Erfolg zu erzielen. Auch nnter
Wasser gelang es, durch kräftige Detonationszünder mit Nitroglycerin
getränkte Schiessbaumwolle zur momentanen Zersetzung der ganxen
Masse zu veranlassen, selbst wenn der Zünder vom Explosivpräparate
13 mm (1 Zoll engl.) entfernt war. Sogar als man zwischen ein mit 2,6 g
Knallquecksilber gefülltes Zündhütchen und die Patrone ausser einer
Wasserschicht auch noch einen aus dünnem Metallblech gebildeten Schirm
brachte, gelang die Entzündung in jedem Falle, sofern die Dicke der
Wasserschicht zwischen Zündhütchen und Schirm nicht mehr als 8 mm
und die der Schicht zwischen Schirm und Patrone nur 3 mm betrug.
Ausserdem wurde durch zahlreiche Versuche constatirt, dass gerade
die Fulminate, in festen metallischen Hüllen verwendet, die geeignetsten
Mittel seien, um durch ihre Detonation die momentane Explosion grosser
Massen von comprimirter Schiessbaumwolle herbeizuführen; die an aidi
viel heftiger wirkenden Präparate, wie Ghlorstickstoff, Jodatickstoff, Nitro-
D. Die Explosivkörper. 521
glycerin waren viel weniger branchbar. Man musste nnvergleichlicb viel
grössere Mengen dieser Substanz anwenden, um den gleichen Erfolg zu
erzielen. Es schien hiernach weniger die Wärmewirkung, nicht die ent-
wickelte Gesammtenergie , nicht die Plötzlichkeit der Verbrennung des
Zünders zu sein, welche vorzugsweise den Eintritt dieser eigenthümlichen
Zersetznngsweise , die wir als Detonation im engeren Sinne bezeichnet
haben, herbeiführt, sondern es scheint gleichzeitig noch ein eigenartiger
physikalischer Process dabei mit im Spiele zu sein.
Aus diesen und mehreren ähnlichen Versuchen ^) glaubte Abel
folgenden Schluss ziehen zu müssen ^): „Die heftige Explosion der
Schiessbaumwolle und des Nitroglycerins durch die Einwirkung eines
Detonationszünders muss theils der mechanischen Wirkung der Detona-
tion zugeschrieben werden, d. h. der Störung des molecularen Gleich-
gewichtes, welche in den dem Herde des Stosses oder der Erschütterung
nächst gelegenen Theilen hervorgerufen wird, theils der Störung des
chemischen Gleichgewichtes, welche entweder von der Plötzlichkeit ge-
wisser Erschütterungen oder von Schwingungen herrührt, welche durch
die Detonation veranlasst werden.^ Und weiterhin stellt er die Frage '):
„Scheinen diese Thatsachen nicht zu zeigen, dass ein tief begründeter
Unterschied zwischen den Erschütterungen, oder, wenn man will, zwischen
den Schwingungen besteht, welche durch die Explosion von zwei ver-
schiedenen Substanzen veranlasst werden ?**
„Hierin scheint mir,'' sagt Abel, „die befriedigendste Erklärung
der ausserordentlichen Differenzen zu liegen, welche man in dem Ver-
halten verschiedener Explosivpräparate (in Bezug auf die Herbeiführung
von Detonationen anderer Substanzen) bemerkt. Eine jede Explosion
ist von Schwingungen begleitet; besteht Synchronismus zwischen
diesen Schwingungen und denjenigen, welche sie hervorrufen würden,
wenn sie die Detonation eines in der Nähe befindlichen Körpers von sehr
labilem chemischen Gleichgewicht (dans un haut 6tat de tension chimique)
veranlasste, so resultirt aus dieser Beziehung, dass die Schwingungen
eine natnrgemässe Tendenz haben, sich in jenen Körper hinein fort-
zupflanzen. Dies ist die Veranlassung, welche den Eintritt der Explosion
bewirkt, oder auch, welche in einem gewissen Maasse die erregende
und plötzliche Wirkung der mechanischen Kraft erleichtert. Haben hin-
gegen, die Schwingungen einen verschiedenartigen Charakter, so findet
die von der Explosion des ersten Körpers herrührende mechanische Kraft
im zweiten nur eine schwache und träge Unterstützung ; man muss daher,
nm die Explosion dieses letzteren hervorzurufen, viel grössere Mengen
des ersten anwenden etc.''
^) Man sehe deren Beschreibung in Abel: Nonvelles ^tudes sur les propri^Us des
Corps explosibles. Ann. de chim. et de phys. 4. Serie. Bd. 21, S. 118 a. s. f.
') A. a. 0. S. 120.
') A. a. 0. S. 139.
522 II. Thermochemie.
Auoh macht Ahel weiterhin darauf anfmerksam, dass diese Hypo-
theee der Uehertragnng der detonirenden ZerBetznng von einem Körper
auf den anderen durch synohrone Schwingungen auch damit in Ueber-
einstimihung sein würde, dass sehr häufig Explosionen eines Theiles einer
explosiven Substanz in fast unerklärlicher Weise auf andere in grösserer
Entfernung befindliche Partien desselben oder anderer ähnlich sich Ter-
haltender Körper übertragen worden sind.
Diese Hypothese Abel's von den synchronen Schwingungen hat
sich rasch vielfach Anerkennung verschafft, und dieselbe hat durch ihre
zahlreichen Analogien mit anderen physikalischen Vorgängen auch etwas
sehr Bestechendes. Trotzalledem lassen sich meiner Ansicht nach alle in
jener Abhandlung mitgetheilten Versuche auch vollständig befriedigend
erklären, ohne dass man genöthigt wäre, zu einer derartigen neuen
Hypothese seine Zuflucht zu nehmen. — Wir wollen nur auf einige der
wichtigsten hier hindeuten. Der eigenthümliche Unterschied, der zwischen
Nitroglycerin und Schiessbaumwolle darin liegt, dass das erst bei höherer
Temperatur (193^ C.) entzündliche Nitroglycerin leichter durch Stösse
und Schläge und durch schwächer geladene Zündhütchen zur Detonation
gebracht werden kann, als die schon bei 150^ sich explosiv zersetzende
Schiessbaum wolle , könnte ebenso gut darin begründet sein, dass die
flüssige Form, in welcher das Nitroglycerin ausschliesslich bei diesen
Versuchen verwendet worden ist, unvergleichlich viel geringere Gom-
pressibilität besitzt, als die SchiessbaumwoUe. In Folge dieses Umstandes
wird bei Stössen, welche die Flüssigkeit treffen, mögen dieselben von
Hammerschlägen, oder von Gasströmen eines Zündhütchens, oder endlich
von heiligen Compressions wellen einer anderen Explosion herrühren, eine
grössere Menge kinetischer Energie in Wärme umgesetzt, und diese bleibt
auf geringere Quantitäten von Masse concentrirt, als bei der Schiess-
baumwoUe, deren Theile selbst in comprimirtem Zustande leichter
compressibel und minder träge gegen plötzliche Verschiebungen sind;
hierdurch kann möglicher Weise die bestehende Differenz in der Ent-
zündlichkeit mehr als überreich aufgewogen werden.
Auch der Umstand, dass selbst die Einschaltung von Schirmen und
dünnen Wasserschichten zwischen das Zündhütchen und den zur Deto-
nation zu bringenden Explosivkörper die üebertragung der Explosion
nicht gehindert haben, ist kein Beweis für die Richtigkeit der Aberachoi
Hypothese; derartige Versuche zeigen nur, dass es nicht vorzugsweise
die Wärme des vom Zünder entwickelten Gasstromes ist, welche die
Detonation veranlasst, sondern dass vorzugsweise die Stosswirkung maaas-
gebend ist. Dünne Wasserschichten und Metallschirme sind zwar im
Stande diese Stosswirkung erheblich abzuschwächen, nicht aber dieselbe
aufzuheben.
In Uebereinstimmung hiermit fand auch Abel, dass bedeutend
grössere Mengen des als Zünder dienenden Präparates erforderlich sind, um
im letztgenannten Falle mit Sicherheit die Detonation herbeizuführen.
D. Die Explosivkörper. 523
Am meisten zu Gunsten der Hypothese von den synchronen Schwin-
gungen scheint der Umstand zu sprechen, dass gerade bestimmte Prä-
parate (die Fulminate), and auch diese nur, wenn sie in bestimmter
Weise verwendet werden (als Zündhütchen), leicht die Detonation von
Schiessbaum wolle und Nitroglycerin bewirken, während selbst grosse
Mengen anderer nicht minder heftig wirkender Stoffe nicht den gleichen
Erfolg herbeifuhren. — Da jedoch die Form und Amplitude der Com-
pressionswellen, welche die einzelnen Explosivstoffe veranlassen, je nach-
dem sie auf die eine oder andere Weise verwendet werden, zur Zeit noch
nicht im Mindesten bekannt sind, so kann man über die Plötzlichkeit und
Intensität der dadurch herbeigeführten Stösse auch keine Schlüsse ziehen,
and es ist wohl möglich, dass der auf die nämliche Menge von Masse
aasgeübte Stoss selbst bei gprossen Mengen des einen Explosivkörpers
nicht die gleiche Heftigkeit besitzt und nicht so grosse Temperatur-
erhöhungen bewirkt, als der, welchen eine kleine Quantität der Ful-
minate veranlasst.
Ich glaube nicht, dass mit diesen Einwendungen die AbeTsche
Hypothese von den synchronen Schwingungen endgiltig widerlegt ist, wohl
aber dürften dieselben darthun, dass die Zahl und Beschaffenheit der vor-
liegenden EIrfahrungen nicht derart ist, dass man unbedingt genöthigt
wird, zu ihrer Erkläitmg neue Annahmen zur Anwendung zu bringen.
Für die Technik ist die Entdeckung des Umstandes, dass man im
Stande ist, durch Anwendung genügend kräftiger Detonationszünder die
nahezu momentane Entzündung beliebig grosser Massen der gebräuch-
lichsten Explojsivpräparate herbeizuführen, von ungemein hoher Bedeu-
tung. Man ist nämlich im Stande alle gewünschten Wirkungen, nahezu
das Maximum des mechanischen Effectes, welches diese Substanzen her-
vorzubringen fähig sind, zu erzielen, ohne dass man durch Versetzen
mit Lehm in Sprenglöchern thunlichst geschlossene Räume herzustellen
nöthig hat. Das Zustopfen des über dem Explosivstoffe in Sprenglöchern
verbleibenden Hohlraumes mit geeigneten Materialien und das Entfernen
nicht entzündeter Massen war aber der gefahrlichste Theil der Arbeit,
bei welchem sich am häufigsten Unglücksfalle ereigneten.
16. Zusammenstelliing der auf die wiohtigsten Explosiv-
stofib bezügliolieii Zahlwerthe.
Um einen Vergleich der verschiedenen Präparate zu erleichtern,
geben vrir im Nachstehenden die wichtigsten für die Beurtheilung der
Wirksamkeit dieser Stoffe bedeutungsvollen Zahlen.
In erster Linie wichtig ist die von einem Kilogramm des Explosiv-
stoffes bei seiner Entzündung entwickelte Wärmemenge; in zweiter Linie
hängt, wie wir gesehen haben, die Energie ab von der Quantität der
524 IL Thermochemie.
entbundenen gasförmigen Explosionsproducte oder eigentlich vielmehr
von der durch dieselben bewirkten Volumenvergrössernng. Weiterfain
ist von Bedeutung der Druck, der erzeugt wird, wenn das Präparat hm
constantem Volumen abbrennt; leider ist derselbe bei nur ganz wenigen
Stoffen auch nur angenähert bestimmt, und die gefundenen Werthe sind
deshalb von nicht sehr hervorragender Bedeutung, weil dieselben wesent-
lich von der Geschwindigkeit abhängen, mit der sich die Reaction voll-
zieht. — Die Wirkung eines Präparates ist femer abhängig von der
Geschwindigkeit, mit der die eingeleitete Entzündung in der Masse selbst
fortschreitet und von der Temperatur, bei welcher die SelbstentzCindnng
des Stoffes stattfindet.
Die mit einem Sternchen {*) auf nebenstehender Tabelle ausgezeich-
neten Ziffern sind entweder unmittelbar experimenteU gefunden oder auf
unanfechtbare Weise aus direct beobachteten Zahlen berechnet. Die
übrigen Zahlen sind sämmtlich auf Grund mehr oder minder wahrschein-
licher Annahmen auf theoretischem Wege gefunden.
Die zahlreichen Lücken in betr. Tabelle zeigen, wie viele experimen-
telle Untersuchungen im Gebiete der Explosivpräparate noch anzustellen
sind, ehe vom Standpunkte der Wissenschaft aus umfänglichere Yerglei-
chungen zwischen diesen interessanten Substanzen vorgenommen werden
können.
E. Die Anwendung explosiyer Gasgemische zum
Betriebe von Wännemaschinen. (Physikalische
Theorie der Gasmaschinen.)
1. Allgemeines.
Der Gedanke, die bei den Explosionserscheinungen frei werdende
Wärmemenge und auftretende Volum envergrösserung zum Betriebe von
Maschinen zu verwenden, liegt so nahe, dass man auf mannigfache
Weise versucht hat, denselben für die Technik nützlich zu machen« Da
jedoch die zur Verwendung gelangenden motorisch wirkenden Substanzen
im Allgemeinen beträchtlich kostspieliger sind, als die zum Heizen der
Dampfmaschinen erforderlichen Kohlen, so hat man vorzugsweise Maschi-
nen für besondere Zwecke, besonders för die Bedürfnisse des Kleingewerbes,
also Maschinen von geringer Pferdestärke und Maschinen, welche nicht
unausgesetzt gebraucht werden, nach diesem Principe construirt.
Die älteren derartigen Maschinen, welche von Lenoir und von
Hugon herrühren, sind nach Art von Dampfmaschinen gebaute, dop-
pelt wirkende Maschinen.
D. Die Explosirkörper.
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626 n. Thermochemie.
Das durch einen Inductionsfanken oder dnrch ein Flämmchen en^
zündete Gasgemisch, welches sich nach der Explosion auszudehnen strebt»
vertritt genau die Stelle des einströmenden und sich expandirenden
Dampfes und wirkt abwechselnd auf beiden Seiten des Kolbens.
Die Gasmaschine von Otto und Langen ist eine einfach wirkende
atmosphärische Maschine. Ein Gemenge von Gas und atmosphärischer
Luft wird stets auf derselben Seite des Kolbens zugeführt und durch ein
Flämmchen entzündet. Die Explosion des Gases schleudert den Kolben in
die Höhe, und die Expansion wird so weit getrieben, dass im Gylinder ein
luftverdünnter Raum entsteht. Während dieser Yorwärtsschleuderun^ des
Kolbens wirkt eine mit dem Kolben fest verbundene Zahnstange nicht
auf die Schwungrad welle, sondern fuhrt ein durch ein besonderes Schalt*
werk mit dieser Welle verbundenes Zahnrad lose über dieselbe hin.
Beginnt der Atmopharendruck hierauf den Kolben zurückzutreiben, so
legt sich das vorher lose Zahnrad fest an die Welle an, und die Arbeits-
leistung des Atmosphärendruckes wird auf die Schwungradwelle über-
tragen. Hierauf füllt sich der unter dem Kolben befindliche Raum des
Cylinders aufs Neue mit dem explosiven Gasgemische, dieses wird ent-
zündet, und der Process beginnt von Neuem ^).
Der wesentliche Unterschied der Maschine von Otto und Langen
und der von Lenoir und der von Hugon construirten beruht darauf
dass die Letztgenannten die bei der Explosion entstehende Spannung^
direct als motorische Kraft benutzten, während die Ersteren die durch
die Verbrennung des explosiven Gasgemisches frei werdende Wärme erst
zu Arbeit werden lassen, indem sie der Ausdehnung der Explosions-
producte nur sehr kleine Widerstände entgegensetzen und als motorische
Krafb die Compression derselben durch den Atmosphärendruck benutzen.
Die von Otto und Langen construirte Maschine ist den älteren
Systemen in sofern wesentlich überlegen, als man es in dem Atmosphären*
drucke mit einer stetig wirkenden Kraft zu thun hat, während hingegen die
nach einer Explosion auftretende Expansion einen heftigen Stoss bewirkt
Durch einen solchen Stoss werden einestheils die Maschinentheile heftig
erschüttert, anderentheils wird, weil sich der Expansion die Trägheit der
Maschinentheile und der zu überwindende Widerstand der Arbeitsmaschi-
nen entgegenstellt, ein grosser Theil der durch die Explosion entwickelten
Wärme des Gases in die Gylinderwände übergehen; diese Wärme geht
nicht nur verloren, sondern sie wirkt insofern schädlich, als die Gylinder-
wände und die Liderung des Kolbens dadurch hoch erhitzt und rasch
abgenutzt werden.
Lenoir und auch Otto und Langen kühlen die Gylinderwände
durch Wasser, welches sie von aussen um dieselben circüliren lassen. In
der von Hugon construirten Maschine wird die Erhitzung des Gas-
^) Das Detail der Construction dieser Maschinen sehe man: Dingler 's Journal
Bd. 186, S. 98, und Röntgen, Die Grandlehren der mechanischen Wirmetheorie, Jena,
Costenoble, 1871, S. 255.
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen.
527
gemenges und daher auch die Wärmeahgahe an die Cylinderwftnde
geringer, weil in den Cylinder hinein kaltes Wasser eingespritzt wird.
Die Grundlagen der Theorie der Gasmaschinen sind wesentlich an-
dere, als die der Dampf- nnd Heisslnftmaschinen, welche wir im ersten
Bande dieses Buches (III, G, S. 716 his 733) besprochen haben, weil es
sich im vorliegenden Falle nicht wie früher um geschlossene Kreisprocesse
handelt. Die Sahstanzen, welche motorisch wirken, befinden sich, wenn
sie aus der Maschine ausgestossen werden, in einem wesentlich anderen
Zustande, als beim Eintritte; unter gleichem Drucke und bei gleicher
Temperatur, wie am Anfange des Processes, ist schliesslich die chemische
Beschaffenheit und das Volumen des Gemisches geändert.
Beistehendes Diagramm, Fig. 31, giebt einen ungefähren Ueber-
blick über die Zustandsänderungen, welche ein solches Gasgemisch
Fig. 31.
beispielsweise in einer
Leu oir' sehen Gasma-
schine erfahrt. In den
Cylinder tritt ein Gas-
Yolumen OÄ ein, welches
einer Explosion fähig ist,
der Druck, unter dem
dasselbe anfänglich steht,
wird angenähert Atmo-
sphärendruck sein, die
Temperatur desselben
wird durchschnittlich et-
was höher, als die der
Umgebung sein , weil
das Gas während seines
Eintrittes sich an den
Cylinderwandungen erwärmt. Durch die Entzündung steigt plötzlich,
während das Volumen sehr nahe constant bleibt, der Druck sehr be-
trächtlich, der Zustand des Gases ändert sich längs der verticalen Linie
AN. Von da an fallt der Druck während der Expansion stetig, bis
er schliesslich auf den Anfangswerth zurückgekommen ist. Der Ein-
fachheit wegen setzen wir zunächst einmal voraus, diese Expansion ge-
schehe, während weder Wärme von aussen zugeführt noch abgegeben
werde. In Wirklichkeit ist das gewiss nicht der Fall, da das hocherhitzte
Gas im Anfang bedeutende, im weiteren Verlaufe abnehmende Wärme-
mengen an die Cylinderwände abgiebt. Hierauf werden die Explosions-
producte bei dem Drucke PB, welcher nicht wesentlich vom Atmophären-
drucke abweicht und bei der Temperatur, welche sie im Cylinder besassen,
wieder ausgestossen. Bei diesem dritten Abschnitte findet also weder
eine wesentliche Druck- noch eine namhafte Temperaturänderung statt.
Es ist klar, dass alsdann das Flächenstück MNP die Arbeit reprä-
sentirt, welche in der Maschine zur Verfügung steht. — Um den Wir-
J
528 II. Thermochemie.
kungsgrad dieser Maschine zu finden, musste man diese Arbeitgr«
mit dem Wärmeaofwande vergleichen.
Bei Bestimmang des Wärmeaufwandes liegen jedoch bei den Gas-
maschinen ebenfalls wesentlich andere Verhältnisse vor, als bei allen
anderen Wärmemaschinen. Bei den Dampf- und Heissluftmaschinen ist
nämlich die Wärmemenge, welche die motorische Substanz, sei dies nnn
Wasser oder Luft, der Feuerstätte entnimmt, nur ein kleiner Brachtheil
der überhaupt dort entwickelten Anzahl von Galerien. Bei Bestimmung
des Wirkungsgrades zieht man nur die von der motorischen Sabstans
wirklich aufgenommene Wärmemenge in Betracht, und für jede Maschine
gestalten sich die Verhältnisse ungleich ungünstiger, wenn man die innere
halb einer bestimmten Zeit vom consumirten Brennmateriale erzengte
Anzahl von Galerien mit den in nützliche Arbeit verwandelten verbleichte
Die Bestimmung des Wirkungsgrades giebt daher nur einen Anhalt f^
den Vergleich von Maschinen gleicher Art, es können jedoch auf diese
Weise nicht die Dampf- und Heissluftmaschinen mit den Gasmaschinen
hinsichtlich ihrer Vortheilhaftigkeit verglichen werden. — Darin liegt
ein wesentlicher Vorzug der Gasmaschinen, dass bei ihnen die gesammte
überhaupt erzeugte Wärme in der Maschine selbst zur Wirknngr ge-
langt. — Wenn daher auch in den Gasmaschinen die zu Arbeitsleistung
verbrauchte Wärme sehr viel theurer zu stehen kommt, als die unmittelbar
bei Verbrennung von Steinkohlen erzeugte, so gestalten sich die wirih-
schaftlichen Verhältnisse bei diesen Maschinen doch nicht so ungrünstig,
weil jene enormen Wärmeverluste in Wegfall kommen, welche bei allen
unseren Kesselfeuerungen unvermeidlich sind.
Als anderweite Vorzüge der Gasmaschinen und besonders der Ton
Otto und Langen construirten führt man an, dass dieselben sehr-
leicht in Gang gesetzt werden können und nur äusserst geringe Bedie-
nung für dieselbe erforderlich ist. Zum Anlassen derselben bedarf es
nur der Oeffnung des Gaszuströmungshahnes , der Entzündung des klei-
nen Flämmchens, welches den Eintritt der Explosionen im Cylinder be-
wirkt und einer ersten Drehung des Schwungrades. Ausserdem sind
diese Maschinen vollkommen gefahrlos, und es bedarf zu ihrer Aufirf;ellung
deshalb keiner besonderen obrigkeitlichen Genehmigung.
In neuerer Zeit ist noch eine weitere Verbesserung angebracht
worden, welche bewirkt, dass jederzeit nur so viel Gas consumirt wird,
als zur Erhaltung eines gleichförmigen Ganges der Maschine erforderlich
ist. In den Pausen , in welchen die Maschine nicht zu arbeiten nöthig
hat, wird die Zahl der Explosionen erheblich vermindert, und die Kosten
des Betriebes werden dadurch ausserordentlich verringert.
Für gewöhnlich verwendet man in diesen Maschinen als explosives
Gemenge eine Mischung von Leuchtgas und Luft (mit circa 10 Procent
Leuchtgasgehalt), es kann jedoch auch Luft, gemischt mit Eohlenoxydgas»
Wasserstoffgas, Grubengas oder den Dämpfen leichtflüchtiger Kohlen-
wasserstoffe benutzt werden.
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen. 529
Die Anwendung der Entzündung anderer ExplosiystofiFe , z. B. des
Polyers, in den Cylindern derartiger Maschinen hat in der Praxis keinen
Cingang finden können, theils weil die entwickelten Drucke zu gross
waren und die Cylinderwände rasch zerstört wurden, theils weil die nicht
^gasförmigen Explosionsrückstände den Eolhen hald verschmierten ^).
2. Die direot wirkenden Gasmaschinen älterer Con-
struotion.
Um die Theorie der Gasmaschinen älterer Construction zu erläutern,
genügt es ein einfaches Beispiel zu wählen. Wir hetrachten nämlich eine
Maschine, welche mit einem Gemische von Eohlenoxydgas und Luft gespeist
livird. Allerdings sind solche Motoren in der Technik nicht wirklich in
Gebrauch; die Theorie gestaltet sich jedoch in diesem Falle wesentlich
einfacher, weil die durch die Explosion gebildete Kohlensäure bei ge-
^v'ölinlichen Temperaturen einer Gondensation nicht fähig ist.
Nehmen wir zunächst an, es werde in die Maschine die Gewichts-
einlieit Eohlenoxydgas, gemischt mit der zur Verbrennung erforderlichen
Menge Luft, in den Cylinder eingeführt, und es betrage beim Eintritte
des Gases der Druck 1 Atmosphäre, die Temperatur 0^ Das Volumen Ui
des verwendeten Gases beträgt alsdann:
1
wenn man mit <5 das specifische Gewicht des Gases bezeichnet. — Zur
yoUständigen Verbrennung gehört nunmehr die Hälfte des Volumens, also
rr U\ Sauerstoff. In der Volumeneinheit Luft befinden sich 20,8 Volumen-
2
procente Sauerstoff, demnach muss die Gewichtseinheit Eohlenoxydgas mit
1 1000
2 ' ^^ * 208
Yolnmeneinheiten oder mit tt • «*i • ^^^ . « Gewichtseinheiten Luft ge-
2 20o
mischt werden, damit alles Eohlenoxydgas zu Eohlensäure verbrennen
kann, wenn nämlich s das specifische Gewicht der Luft bezeichnet. Das
AnfiangsYolumen w des in der Maschine zur Verwendung gelangenden
Gasgemischee würde demnach:
betragen.
^) Einer der ältesten Motoren dieser Art war die Scbiesspulvermaschine von Pap in
IMeselbe bemhte auf dem Principe der indirecten Wirkung, welches späterhin Otto
und Langen ihrer atmosphärischen Gaskraflmaschine zu Grunde legten. Farey^
Treaüse on steam engine, p. 96.
&fihlmann, Meohao. Wirmeiheoria. Bd. 9. 84
530 II. Thermochemie.
Entzündet man dieses Gemisch im Gy linder der Maschine, bo erfolgt
eine momentane Steigerung des Druckes und der Temperatur bei con«
stantem Volumen.
Gewöhnlich hat man den im Momente der Explosion erzeugten
Druck und die gleichzeitig verursachte Druck- und Temperaturerhöhung
unter der Voraussetzung berechnet, dass die gesammte entwickelte
Wärmemenge sofort in oalorische Energie verwandelt, also ausschliesslich
zur Temperaturerhöhung bei constantem Volumen verwendet werde. Be-
zeichnet man mit q die Wärmetönung bei Entstehung von Kohlensaure
aus Kohlenozydgas und Sauerstoff, so ist: — Cal. die bei der Verbren-
nuDg von einer Gewichtseinheit Kohlenoxydgas zu Kohlensäure erzengt«
Anzahl von Wärmeeinheiten. Diese Wärmemenge dient nach den alteren
Anschauungen dazu, die aus einer Gewichtseinheit Kohlenoxydgas ent-
Iß 11
stehende Kohlensäure d. i. 1 -^ ^ = — Gewichtseinheiten Kohlensäure,
1 6 77
und die der Luft beigemengten — • — Gewichtseinheiten Stickstoff um
T — 2o zu erwärmen. Bezeichnen c„ und cj die specifischen Warmen bei
constantem Volumen für Kohlensäure und Stickstoff, so wäre hiemach:
|^(,_„.(»., + 15.II.,.).
Damit berechnet man die Temperaturerhöhung T — Tq und findet:
^ 28 \7 "^28 23 V
Den Druck bestimmte man nun auf folgende Weise: — Gewichts-
einheiten Kohlensäure nehmen bei der absoluten Temperatur 274^
und einem Drucke gleich 1 Atmosphäre einen Raum ein von — «-p^
Volumeneinheiten, wenn &' das specifische Ge?richt dieses Gases bei den
16 77
angegebenen Druck- und Temperaturverhältnissen bezeichnet. '^ ' -^
28 23
Gewichtseinheiten Stickstoff erfüllen unter gleichen Umständen einen
16 77 1
Baum von tj^ • ;7^ • -;7 Volumeneinheiten, wenn ö' das specifische 6e-
wicht (bei 0^ und 760 mm) des Stickstoffs ist.
Bei der absoluten Temperatur 274^ und Atmosphärendruck ist dem«
nach das Volumen der Explosionsproducte tc^i :
11 1 , 16 77 1 ^,
«'i - y ^, + 28 ' 23 • 7 ^^
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen. 531
Aendert sich die Temperatur von Tq auf T, so wird, da das Volumen
das nrsprtingliche bleibt, also iTi ist, der Druck pi durch die Gleichung
bestimmt:
jPi . «Ol l.Wi
T
To
Benutzt man die bekannten Zahlwerthe für c„ und cj, <5, & und 0",
so findet man auf diese Weise für pi die Zahl 14,55 Atmosphären und
für T — To ungefähr 4400^ C. Diese Resultate sind jedoch ganas
unbrauchbar, da nach den bekannten Versuchen von Bunsen (man sehe
Bd. II, C, 9, S. 424) im vorliegenden Falle der Druck pi nur ungefähr
den Werth von 7,25 Atmosphären erreicht.
Unter Berücksichtigung der von Bunsen beobachteten Thatsachen
folget femer, dass es, selbst abgesehen von dem Wärmeaustausche, welcher
duixh die Wandungen des Cylinders während der Expansion des Ge-
misches stattfindet, absolut unzulässig ist, anzunehmen, die Expansion
finde längs einer adiabatischen Curve statt. Bei sinkender Temperatur
und abnehmendem Drucke wird vielmehr durch die verschwindende Dis*
sociation diejenige Wärmemenge nachträglich dem Gase noch zugeführt,
welche vorher, unmittelbar nach der Entzündung nicht entwickelt wurde.
Die Gestalt der Druckcurve in dem von uns gezeichneten Diagramm
Fig. 32 wird daher wesentlich anders aussehen , als sie dort auf Grund
Fig. 32.
der alten Auffassungen
gezeichnet worden war,
sie wird im vorliegenden
Beispiele nur ungefähr
beim halben Drucke be-
ginnen und viel lang-
samer abfallen, als ur-
sprünglich angenommen
wurde.
Der Charakter der
Expansionscurve wird
überhaupt nur äusserst
schwierig theoretisch
festgestellt werden kön-
V nen, da während der
Expansion ein Theil der
durch den stattfindenden chemischen Process entwickelten Wärme zu-
geführt und anderntheils ein erheblicher Theil der Wärme durch die
Cy linderwände entzogen wird, und es vollständig unbekannt ist, nach
welchen Gesetzen diese Zuführung und diese Ableitung der Wärme statt-
findet. Besonders schwierig wird diese Aufgabe dadurch, dass diese
Wärmeabgabe gleichzeitig von der Geschwindigkeit abhängt, mit welcher
sich der Kolben im Cylinder bewegt.
84*
A
B
532 II. Thermochemie.
Auch experimentell dürfte es nicht leicht sein, die richtige Gestalt
der Expansionscurve NP za bestimmen. Ist aber diese Ginre nicht
gegeben, so kann auch die Fläche MNP, welche die in der Maschine
gewonnene Arbeit repräsentirt, nicht gefanden werden; damit aber wird
es überhaupt unmöglich, wenn man nicht ganz willkürliche Annahmen
machen will, eine zuverlässige Theorie dieser Maschinen aufzustellen.
Auch die neueren Autoren haben fast ausnahmslos angenommen,
dass die Expansion längs einer Gurve stattfinde, deren Gestalt durch die
Gleichung:
j) . e;™ =r const.
ausgedrückt werden kann.
Nimmt man nun an, dass der wirklich erreichte Maximaldmck P
nur ein Bruchtheil 17 von dem sei, der sich ergeben haben würde, wenn
keine Einwirkung der Dissociation stattgefunden hätte, so ist also der
Maximaldruck P 1= rj , pi. Nimmt man ferner an, dass dieser Druck
erreicht werde, ehe der Kolben merklich seinen Platz verlassen hat, so
ist das Anfangsvolumen ic^i, und die Constante auf der linken Seite der
Gleichung beträgt: P , Wi^, da der Anfangszustand nach der Explosion
auch ein Punkt der Expansionscurve ist. Es würden auf dieser Corre
p und V alsdann durch die Gleichung:
p , v^ = ri , Pi . Wx^ 4)
zusammenhängen.
Nimmt man an, dass die Expansion fortgesetzt wird, bis p wieder
bis auf den Atmosphärendruck po gleich 1 gesunken ist, so findet man das
End Volumen v^, bis zu welchem die Expansion des Gemisches getriebte
wird, durch die Gleichung:
1^
Po '^2 = ^1 '(V ' Pi)"^ 5)
Die absolute Temperatur T2, welche stattfindet, wenn das Maximon
der Expansion erreicht ist, findet sich dann aus der Gleichung (man sehe
Bd. I, III, D, 13, S. 346, Gl. 39):
m — 1
6)
f = (S)'
Die von der Maschine geleistete nützliche Arbeit L wird repräsen«
tirt durch die Fläche MNP des Diagramms. Es ist aber:
Fläche MNP = Fläche ANPB — Fläche AMPB.
Demnach:
I p . dv — Po . (v^ — «7i).
Wl
E. Physikalische
Theorie der Gasmaschinen.
Nun ist aber:
demnach:
V —
n 'Pi
■ (?)'■
L —
1? . Pi . «^r / 1
— — r\ — »A . rt?Q —
533
Diese Grösse mnss noch dnrch das mechanische Aeqaivalent der
Wärme, 425 kgm, dividirt werden, um die Quantität der in Arbeit
verwandelten Wärmemenge zu bestimmen. Diese ist, wenn man mit
V * Pi • ^\^ ^ ^i® Klammer multiplicirt:
^ — j' Um — 1) (^ • ^1 • ^i "" ^0 • *'») ~ ^0 . (^2 -- «'i)] .
Ein Kilogramm Kohlenoxyd aber entwickelte — Wärmeeinheiten,
demnach ist der Yerwandlungscoefficient ^) einer solchen Maschine :
w ^^ /t? . Pi . tgj — j?o . v^ , A
3. Die Anwendung von Leuolxtgas in der älteren
Gaskraftmascliine von Otto und Langen.
Nach den zuverlässigsten Analysen nehmen wir die volumetrische
Zusammensetzung gereinigten Steinkohlengases im Mittel folgender-
maassen an:
1 cbm Leuchtgas enthält:
Sumpfgas (OH4) 0,42 cbm 0,3007 kg
Aethylen (C2H4)0,08 „ 0,1003 „
Wasserstoff (H^) 0,40 „ 0,0358 „
Kohlenoxyd (CO) 0,07 „ 0,0878 „
Stickstoff (N2) 0,03 „ 0,0377 „
1,00 cbm wiegt 0,5623 kg (bei 0» und 760 mm Druck).
Die Dichte ^ eines derartig zusammengesetzten Leuchtgases beträgt
demnach:
*) Man sehe über diese Bezeichnung: die Vorrede zum ersten Bande dieses Werkes
Seite 10.
534 II. Thermochemie.
Nimmt man an, die V erb rennungs wärme sei für:
1 kg Sumpfgas = 13 100 Cal.
1 „ Aethylen = 1 1 900 „
1 „ Wasserstoff = 29 350 „
1 „ Kohlenoxyd = 2 390 „
BO erhält man für die bei Verbrennung von 1 cbm oder 0,562 kg Leocht-
gas erzeugte Wärmemenge 6390 Calorien, und für die von 1 kg proda-
cirte Wärmemenge *):
K= 11360 Cal 10)
Verwendet man in der Gasmaschine ein Gemenge von a cbm Luft
mit 1 cbm Leuchtgas, so wiegt 1 cbm des Gemisches (bei 0^ und Atmo-
sphärendruck) :
a + 0,435 , ^^^ , ,,,
<S= ,\ ' 1,293 kg 11)
a -j- 1
Die Dichte d dieses Gemisches ist:
^_a+_M35 12)
a + 1
Wenn bei der Explosion eine vollständige .Verbrennung stattfindet,
80 entsteht ein Gemenge von Kohlensäure , Wasserdampf, Stickstoff und
Sauerstoff in nachstehendem Mischungsverhältnisse :
Volumen bei 0^ und 760 mm
Sauerstoff = 0,298 a — 1,8842 kg
Stickstoff = 0,995 a + 0,0377 „
Kohlensäure = 1,2793 „
Wasserdampf = 1,1295 „
0,2081 a — 1,3176 cbm
0,7919 a 4- 0,0300 „
+ 0,6470 „
+ 1,4013 .
Gesammtgewicht = 1,293 a + 0,562 kg | a + 0,7607 cbm
. Da vor der Entzündung das Volumen dieser Gevnohtsmenge Gas
unter sonst gleichen Umständen a -\- 1 cbm betragen hatte und nun-
mebr a -f- 0,7607 cbm ausmacht, so hat eine geringe Verdichtung statt-
gefunden.
Die Dichte der Explosionsproducte beträgt:
a + M35
a + 0,761 ^
Die specifischen Wärmen des Gemenges nach der Explosion betragen
nach den Rechnungen von Grashof ^):
_ 0,2375 a + 0,343 __ 0,1684 a + 0,286
""'- a + 0,83 ''^•- a + 0,83 ' ' ^*^
^) Grashof (Anhang zu Redtenbacher's Resultaten, 6. Aufl., Baasermann, Heidelberg
1875, S. 538) nimmt die Verbrennnngswärme des Leuchtgases pro 1 kg zu 10 430GaL;
G. Schmidt (Zeitschrift d. Oesterr. Ingenieurvereins Bd. 13, S. 90) zn 11 400 Cal. an.
^ Grashof, Resultate ans der mechan. Wärmetheorie. Anhang zur 6. AuA. von
Bedtenbacher, Resultate für d. Maschinenbau. Heidelberg, Bassermann, 1875, S. 539.
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen. 535
Nehmen wir an, dass anfanglich nnr der aie Theil der Wärmemenge K
zar Wirknng im Gasgemische k&me, welche ein Kilogramm Leuchtgas hei
vollkommener Verbrennung zu erzeugen im Stande wäre. — Wir lassen
hierbei unentschieden, oh der Rest der Wärmemenge K durch Wärme-
abgabe an die Wände des Cylinders oder durch Dissociationsvorgänge
gehindert wird, unmittelbar nach der Entzündung bei der Druck- und
Temperaturerhöhung des Gases zur Geltung zu kommen ^).
Die a -\- l cbm der ursprünglichen Mischung wiegen 6 .(a-]- l)kg.
Es werden nun 0,562 kg Leuchtgas verbrannt, also a ,K » 0,562 Calorien
für Erhöhung des Druckes und der Temperatur verwendbar.
Zunächst erfolgt bei der Explosion die nahezu momentane Mitthei-
lang der Wärme bei constantem Volumen an die <5 . (a -f- 1) kg des
Gemenges. Es ist demnach, wenn die absolute Temperatur vor der Ent-
zündung mit To und unmittelbar nach der Explosion mit Ti bezeich-
net wird:
(Ti — To) .c,.0 .{a + l) = u . K . 0,562.
Dies giebt die Temperaturerhöhung:
6 .(a + l) .€,
Bezeichnet man den Druck bei Tq mit po und bei Ti Grad mit pi
und berücksichtigt man, dass sich das Gas bei der Explosion im Ver-
hältniss von d : D verdichtet hat, das Volumen jedoch constant gleich Fq
bleibt, 80 findet man: ^
ä Ti , ^v
Während der Expansion möge sich der Zustand des Gases nach
dem Gesetze:
p . V* = const.
ändern.
Ist nun Fo das Anfangsvolumen und V\ das Endvolumen, so ist die
bei der Expansion vom Gase geleistete Arbeit:
n
L= * I p . dv,
oder, wenn man ausrechnet (die Details der Rechnung sehe man Bd« 1,
in, D, 13, S. 346):
.=_j_.,.....r._(^)-]
^) Man sehe die Versuche von Bunsen, dieses Bach Bd. 2, II, C, 9, S. 424.
536 II. Thermochemie.
Bezeichnet nun F den' Querschnitt des Gylinders, 8 den Abstand der
unteren Kolhenfläche vom Boden des Cylinders im Momente der grössteB
Expansion und €i , s im Augenhlicke der Explosion, so ist:
Vq = ei . 8 . F und Fi = s . F,
mithin :
Fl - "1-
Führt man die Werthe von Vq und Vi in die Formel für L ein, so
erhält man:
L =
F . pi . 8 ' ei
n — 1
(' - "-') ■■ ■■
II)
Diese Arbeit dient einestheils dazu, den Luftdruck um den Weg
8 — Ci . 8 = 8 . (l — Ci) zurückzuschieben. Die dazu erforderliche ki-
beit Xt] besitzt die Grösse:
Li = F . 8 . Pq . {l — ei).
Ausserdem sind Eolbenreibung und sonstige Widerstände des Mecfai-
nismus zu überwinden; bezeichnet man diesen Widerstand auf der Weg-
einheit mit Bj so ist die hierdurch consumirte Arbeit L^i
ia = JJ . s . (1 — ei).
Dem Beispiele GrashoTs folgend kann man:
B = Q .F .po
setzen, und findet, dass die nach der Expansion disponible Arbeit gleich:
Jj — I/i — i/j
ist.
Bei der Otto- Lange n'schen Maschine älterer Constmction IM
man nun die Expansion so weit fortschreiten, bis:
X — ii — i;, = 0 18)
wird. Bei den übrigen Gaskraftmaschinen wird der positive Ueberschosii
den obige Differenz lässt, unmittelbar auf die Arbeitsmaschinen über
tragen.
Setzt man in Gl. 18) die Werthe ein, welche man im Vorhergehen-
den für die Arbeiten L, Li und L^ gefunden hatte , so erhält man die
Gleichung :
oder:
ex .pi.a-e."-') _ ( + 1) , (1 -ei) = 0 . . 19)
welche zur Bestimmung von n dienen kann.
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen.
537
Bei den erstgenannten Maschinen wird die nützliche Arbeit beim
Zurückgehen des Kolbens durch den Luftdruck, respective, wenn der
Gylinder nicht horizontal liegt, durch das niedersinkende Gewicht des
Kolbens geleistet.
Während des Rückganges des Kolbens wird Wärme an die Gylinder-
wandungen und von diesen an das diese umfliessende Kühlwasser ab-
gegeben, möglicherweise wird aber auch ein Theil der wegen eingetrete-
ner Dissooiation vorher nicht zur Wirkung gelangten Wärme nunmehr
bei abnehmender Temperatur nachträglich noch entwickelt. Da man
nicht bestimmen kann, in welchem Stadium der Zustandsänderung der
Theil der Wärme noch gebildet wird, welcher anfänglich nach den
Bnnsen' sehen Erfahrnngsresultaten nicht zur Entwickelung gelangte,
so ist es geradezu unmöglich, eine vollständige Theorie der Gaskraft-
maschinen aufzustellen.
Wir nehmen an, dass während des Rückganges des Kolbens die
Zustandsänderung des Gases längs einer Curve erfolge, welche durch die
Gleichung :
p , v^ = const 20)
' definirt wird.
Diese Curve (man sehe Fig. 33) beginnt nun mit einem Zustande, in
Fig. 33.
welchem der Druck des Gases p^ und
das Gesammtvolumen Vi ist und
endet, wenn die Spannung des
Gases gleich dem Drucke einer
Atmosphäre geworden ist; denn bei
Atmosphärendruck werden dieVer-
brennungsproducte ausgestossen.
Wird das Gas mit der absoluten
Temperatur Tg aus dem Gylinder
berausgestossen und war Ti die
Temperatur der Yerbrennungs-
producte unmittelbar nach der
Explosion, so kann man das Vo-
lumen des Gases im Momente sei-
nes Austrittes aus dem Gylinder
bestimmen. Die Gleichung der
vollkommenen Gase giebt nämlich,
wenn man das Volumen Fj beim
Austritt:
Fa = F . s . es
21)
setzt:
Pi . F . ei , s Po .F . ßj . 8
Ti ~ T,
538 II. Thermochemie.
und hieraus findet man den Abstand e^ . s der unteren Fl&che des Kol-
bens vom CylinderbodeU) bei welchem der Abflosscanal des Gases geöfifnct
werden muss:
^^^p. e,.jr... 22)
Mit Hülfe des soeben geiiindenen e^ bestimmt sich hierauf der Ex-
ponent m des Aenderungsgesetzes beim Niedergange des Kolbens aus der
Gleichung:
p^ , {F . 8^"= Po . (F , e^ .sy^ 23)
in welcher alle Grössen ausser m bekannt sind.
Für Compression der Verbrennungsproducte von Fi auf V2 w^ird die
Arbeit l verbraucht:
l
= — — — , Po . F ,6^ . s . (l — «2"* M . . . 24)
Gleichzeitig muss die Kolbenreibung und müssen sonstige Wider-
stände überwunden werden; diese Widerstände mögen, auf die Wegeinheit
des Kolbens bezogen, r betragen. Alsdann ist dieser Widerstand J^ auf
dem ganzen Kolben wege:
?3 = r . (1 -- e^) . 8.
Setzt man auch hier:
r = q' . F .po,
so erhält man:
l^ = q' . F . Pq . s . (l — C3).
Ferner schiebt beim Rückgange des Kolbens der Luftdruck po seine
Angriffsfläche um den Weg s — 8 . e^ vorwärts, die hierdurch geleistete
Arbeit 2i besitzt die Grösse:
li = F , 8 . Po . (l "- 62).
Die nützliche Arbeit X ist demnach:
oder, wenn man die gefundenen Werthe einsetzt:
X = F .8 .po .(l —62) — ^ ^ _ ^ [l — e, j
— q' , F , Po . 8 . (l — Ca) 25)
Hebt man F . s . Po aus, so findet man:
A=F.«.jj, . [(1 _ «,) . (1 _ 9') - "ilj-^ • e, . (l-e«""')]-
Pie in nützliche Arbeit verwandelte Wärme q ist demnach:
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen. 639
wenn, wie gewöhnlich, J das mechanische Aeqaiyalent der Wärme
hezeichnet. — Beachten wir, dass zur ursprünglichen Kolhenfülluug
Fo =^ ^ . S . «1 cbm des Gemisches nöthig waren ; diese wiegen :
F.s.ei(a 4- 0,435). 1,293
a + 1
tind liefern bei vollkommener Verbrennung:
kg
Demnach sind:
F.s.e, 6390^^^ ^7)
a + 1
J . 100 .28)
V
Procent der Wärme nützlich verwerthet worden.
Ein Zahlenbeispiel wird den Gang der Rechnung noch weiter yer-
anschaulichen.
2
Setzt man a = —, a = 8, so ist nach Gl. 14) und 15):
o
c„ = 0,190
und:
Ti — To = 1890«.
Die Verdichtung -^ beträgt alsdann :
# = 1,026.
a
Hieraus ergiebt sich der Druck pi nach der Explosion, dtk Pq = 1 ist:
Pi = 7,3 Atmosphären.
Bei einer von Meidinger untersuchten Maschine von Otto-
L an gen, älterer Construction , war s = 0,99 m, F = 0,01767 qm,
ö . öl = 0,114 m und:
B = 28,8 kg.
Hieraus ergiebt sich:
Q = 0,157.
Substituirt man dies in die Gleichung 19), so erhält man zur Be-
stimmung Yon n die transcendente Gleichung:
1,215 n — 2,215 = — el""■^
Diese Gleichung wird nahezu vollkommen befriedigt durch:
n = 1,6.
Mit dem gefundenen Exponenten findet man die Spannung p^ am
Ende der Expansion durch die Gleichung:
540 IL Thermochemie,
Demnach ist:
p^=pi .ei
1,6
und ausgerechnet :
p^ r= 0,23 Atmosphären.
Man sieht also, dass die Spannung in dieser Otto-Lange naschen
Maschine am Ende der Expansion nicht mehr ganz V4 Atmosphäre be-
trägt. Die Temperatur T am Ende der Expansion heträgt:
r = 5800
oder ungefähr:
3060
der hunderttheiligen Scala.
Das Volumen des Gases heim Austritte aus dem Cylinder findet
man durch Bestimmung der Grösse s . 63, und diese ergiebt sich, di
Meidinger die Temperatur der aus dem Cylinder ausströmenden Gase
zu ungefähr 200», also nahezu T3 =4740, beobachtet hat, nach GL 22)
e^ , 8 = 0,18 m .
und den Exponenten m des zweiten Aenderungsgesetzes beim Rückgänge
des Kolbens nach GL 23):
m = 0,87.
Beim Rückgange des Kolbens ist:
r == — 14,8, demnach 9' = — 0,08 i).
Hieraus ergiebt sich alsdann nach Gleichung 25):
l = 96,6 kgm.
Demnach beträgt die für jedes Kolbenspiel im ungeschlossenen Kreis-
processe in Arbeit verwandelte Wärme:
g = 4" = 0,227 Cal.
Die pro Kolbenspiel überhaupt aufgewendete Wärme beträgt nach
Gleichung 27):
Q = 1,416 CaL
Hiernach würden theoretisch ungefähr:
16 Proc.
der durch die Explosion des Leuchtgases prodncirten Wärme überhaupt
in der Maschine in nützliche Arbeit verwandelt werden.
^) Die älteren Otto-Langen'schen Maschinen besitzen Terticale Cylinder und.
beim Niedergänge ist das Gewicht des Kolbens und der Zahnstange grosser, als der
Beibnngswiderstand, daher das negative r.
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen. 541
Die Otto -Langen' sehen Gaekraftmasohinen älterer Constrnction
eonsamiren bei voller Inanspruchnahme ungefähr 1,2 cbm Gag (den Gas-
yerbranch des Entzündungsflämmchens mit eingerechnet) pro Stunde und
Pferdekraft disponibler Arbeit. Eine Pferdekraft pro Stunde entspricht
einer Arbeit von
75 . 60 . 60 = 270000 kg.
Diese sind aber:
— —— — =635 Galorien
425
äquivalent.
Die 1,2 cbm Gas erzeugen
1,2 X 6390 = 7668 Galorien,
demnach werden thatsächlich nur ungefähr:
Yöös • 100 = 8 Procent
der in der Maschine erzeugten Wärme in wirklich nutzbringende Arbeit
umgesetzt; 92 Procent gehen verloren.
4. Der geräiisohlose Otto-Gasmotor i).
Die ausserordentlich günstige Aufnahme, welche die nach dem Prin-
cipe von Langen und Otto construirten Maschinen in der Praxis, zumal
för die Zwecke des Kleingewerbes, gefunden hatten (in den zehn Jahren
von 1866 bis 1876 waren 4500 Maschinen dieser Art inThätigkeit gesetzt
worden), veranlassten Otto, auf dem einmal betretenen Wege fortzu-
schreiten und weitere Mängel der bisherigen Einrichtung zu vermeiden.
Bei diesem Streben, das bereits Geleistete zu verbessern, wurde er jedoch
dazu gefuhrt, den vorher eingeschlagenen indirecten Weg wiedertu ver-
lassen und direct die durch die Explosion des Gases erzeugte Arbeit auf
die Maschinen welle zu übertragen. Der neue Otto' sehe Motor, gewöhn-
lich der Geräuschlose genannt, hat mit der älteren atmosphärischen Gas-
kraftmaschine nur den Betrieb durch Leuchtgas gemein; im Uebrigen
ist die Constrnction durchaus neu und eigenthümlich. Die schädlichen
Einflüsse der Explosion, welche bei den ebenfalls direct wirkenden
Maschinen von Lenoir und Hugon so störend waren, sind durch
neue sinnreich« Einrichtungen fast vollständig vermieden.
Die Maschine ist einfach wirkend. Der Cylinder ist etwas länger
als der Kolbenhub, so dass, wenn der Kolben sich in der innersten Stel-
^) Man vergleiche den Auszug aus einem Vortrage des Herrn A. Slaby in: Bericht
fiber die Sitzungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleisses in Berlin. Sitzung
vom 4. Februar 1S78, S. 46 bis 65.
542 II. Thennochemie.
long befindet, zwischen ihm und dem Gylinderboden noch ein angemes-
sener Raum übrig bleibt. Dieser Raum ist mit einem Theil der von der
letzten Füllung herrührenden gasigen Verbrennungsproducte gefülltw Das
Gemisch aus Gas und Luft, die eigentliche Ladung, wird in die Maschine
bei atmosphärischer Spannung eingeführt, während der Kolben sich nach
auswärts bewegt. Die Maschine hat zu diesem Behufe einen Schieber B
mit geeigneten Oeffnungen, dessen Bewegung so regulirt ist, dass wäh-
rend der ersten Hälfte des Kolbenhubes Luft allein in den Cjlinder tritt,
während bei dem zweiten Theile dieses Hubes eine Mischung yon Gas
und Luft einströmt. Der Gylinder ist am Schlüsse des ersten Kolben-
hubes mit drei Schichten verschiedener Gasarten gefüllt: zunächst dem
Kolben befinden sich rückständige Yerbrennungsgase , dann Luft und
schliesslich das explosible Gemisch aus Lufb und Leuchtgas. Der Kol-
ben C der Maschine geht nun zunächst zurück und comprimirt den Inhalt
des Gy linders A bis auf den zuerst erwähnten Raum, wobei die Gase sich
ein wenig mit einander vermischen. Am Gylinderboden bleibt demnach
das Gasgemisch am meisten gesättigt, und zwischen dem explosiven
Gemisch und dem Kolben bleibt eine Schicht nicht explosiblen Gases»
welches gewissermaassen wie ein elastisches Kissen den durch die Explo-
sion erzeugten Stoss aufnimmt. Durch den Schieber B der Maschine wird
nun eine Verbindung hergestellt zwischen einer kleinen von aussen her-
eintransportirten Vermittelungsflamme und dem Inhalte des Gylinders.
Die Zündung und die Explosion der ersten Schichten erfolgt, wäh-
rend der Kolben im todten Punkt steht. Eine momentane Verbrennung
des gesammten eingeschlossenen explosiven Gasgemisches kann in Folge
der Dissociation und auch wegen der geschilderten Anordnung kaum
stattfinden; die Verbrennung wird erst ganz allmälig eine vollkommene
werden. Die auf diese Weise hervorgerufene allmälige Expansion
überträgt nutzbare Arbeit auf den Kolben und weiterhin auf ein Schwung-
rad, dessen lebendige Kraft den abermaligen Rückgang des Kolbens und
den damit verbundenen Austritt der Verbrennungsproducte durch ein
geeignetes Ventil, sowie die Gompression bei Beginn der nächsten Arbeits-
periode zu leisten hat. Das Ventil &, welches den Verbrennungsproducten
den Austritt gestattet, öffnet sich bei Beginn der Rückbewegung des
Kolbens und schliesst sich, wenn dieser seine innerste Stellung er-
reicht hat.
Wesentlich neu an diesem verbesserton Otto'schen Motor ist dem-
nach der Umstand, dass sich zwischen dem explodirenden Gasgemische
und dem Kolben eine Schicht unverbrennlichen Gases befindet, und dass
die GylinderfüUung vor der Explosion sich in Folge der vorhergegange-
nen Gompression bereits unter höherem Drucke befindet.
Diese beiden charakteristischen Abweichungen des Otto 'sehen von
den früher construirten Gasmotoren bewirken thatsächlich, dass die Hef-
tigkeit des Stosses auf den Kolben und die mit demselben verbundenen
Maschinentheile im Momente der Explosion ausserordentlich abgeschwächt
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen. 543
wird, nnd der Gung dieser Kraftmaschinen daher ungemein viel weniger
geräasohToll ist, als der aller anderen auf dem Explosion Bprincipe be-
ruhenden Motoren.
Die allgemeine Disposition der Maschine, F'ig. 34, ist ziemlich einfach.
Der Cf linder A liegt horizontal nnd ist mit einem Wassermantel Wver-
Fig. 34.
sehen, damit einer zn grossen Erhitzung der Cylinderwände vorgebeugt
werde. Die abzuleitende Wärme iat nicht übermässig and verlangt nichtr
wie bei den Maschinen von L e n o i r und H n g o n , einen constauten
Durchflnss kalten Wassers. Die Anwendung eines gescbtossenen Reser-
voirs genügt, um die Temperatur der Cylinderwände ziemlich niedrig zu
erhalten.
Der hintere Theil des HoblranmeH des Cylinders ist rund oder couisch
und dient dazu, die bei der Compression im Cjlinder enthaltenen Gase auf-
zunehmen. Der Boden des Cylinders ist durchbohrt nnd hat eine Oeffnnng a,
durch welche die Füllnng der Maschine und die Zündung der Ladung
erfolgt. Die OefFnung a wird durch einen Schieber £ verschlossen, dessen
besondere Einrichtung hier nicht beschrieben werden kann. Eine zweite
Oeffnung b im hinteren Theile des Cylinders dient für die ÄUBstossnng
der Yerbrenunngsprodacte ; dieselbe mündet in eiaen Caual, der durch
ein Eegelventil mittelst Federdmck geschlossen und zu geeigneter Zeit
von der Maschine selbstthätig geöffnet wird. C ist der Kolben der Ma-
Bchiue, der mittelst Kreozkopf und Lenkstange seine Bewegung auf ein
starkes Sahwangrad D überträgt. Die Steuerung der Maschine erfolgt
durch eine Hülfswelle E, welche seitlich neben dem Cjlinder liegt und
ihre Drehung von der Hanptwelle aus mittelst conischer Bilder unter
einer Uebersetzung 2 : 1 erhält, so dasa also die Steuerwelle nur eine
Umdrehung ausführt, während der Kolben der Maschine zwei Doppelhühe
vollzieht. Die Hülfswelle E trägt an ihrem linken Ende eine Kurbel F,
von welcher der Schieber B seine hin- und hergehenden Bewegungen
544 IL IHiermochemie.
Auf die höchst sinnreichen and zum Theil sehr complicirten mecha-
nischen Einrichtungen, durch welche die eigenthümlichen Bewegungen
und verschiedenartigen Functionen des Schiebers und der Ventile ermdg-
licht werden, können wir uns hier nicht einlassen.
Die Reihe von Zustandsanderungen, der das Gas unterworfen wird,
zerfällt bei der eigenartigen Functions weise des Otto 'sehen gerauschlosen
Motors demnach in fünf Hauptperioden.
Die erste Periode zerfällt in drei Unterabtheilungen. Anfänglich
sind im Gylinder, während der Kolben sich in der innersten Stellung
befindet, nur Yerbrennungsproducte der letzten Explosion vorhanden, hieiv
auf wird während der ersten Hälfte der Bewegung des Kolbens nach aus-
wärts nur atmosphärische Luft eingesaugt, dann während des Restes der
Kolbenbewegung ein Gemisch von Luft und Leuchtgas. Während dieser
ganzen ersten Periode der Kolbenbewegung bleibt der Druck constant
.gleich dem Atmosphärendrucke, die Temperatur der Gylinderfullung wird
nicht an allen Stellen dieselbe sein, da die Explosion srückstände, welche
anfänglich vorhanden wai^en, eine höhere Temperatur besitzen, als die
eintretenden Luftmengen und das eintretende Gasgemisch, welche an den
Gylinderwänden nur wenig über die Temperatur der Umgebung der Ma-
schine erwärmt werden.
Die zweite Periode ist die der Gompression. Der Kolben macht
seinen ganzen Weg zurück, und da der Gang der Maschine ein sehr
rascher ist [170 Kolbenhübe per Minute ^)], so wird man annehmen kön-
nen, dass di^se Gompression nahezu längs einer adiabatischen Gurve, also
ohne Aufnahme und Abgabe von Wärme stattfinde. Der Enddruck be-
trägt ungefähr 2 Atmosphären, und die Temperatur des Gases ist während
dieser. Periode erheblich gestiegen.
In der nunmehr beginnenden dritten Periode, welche von ausser»
ordentlich geringer zeitlicher Dauer ist, erfolgt die Explosion der ver-
brennlichen Bestandtheile bei nahezu constantem Volumen; Temperatsr
und Druck steigen hierbei äusserst rapid. Der Druck erreicht beinahe
10 Atmosphären, die Temperatur erhebt sich beträchtlich.
Während der vierten Periode wird nunmehr der Theil der ver*
brennlichen Bestandtheile, welcher noch nicht verbrannt war, vollends
verbrannt, und die mit wachsender Expansion abnehmende Dissociation
producirt den Rest der Wärmemenge, welcher in der vorhergehenden
Periode noch nicht zur Wirkung gelangen konnte. — Die Expansion
wird fortgesetzt, bis noch nicht ganz Atmosphärendruck erreicht ist«
Mit dem Rückgange des Kolbens in das Innere des GylinderB
beginnt die fünfte und letzte Periode. Da sich bei Beginn dieses
Abschnittes das Ventil bei h ö&et, welches die Gommunication zwischen
^) Dies ist eine Mittelzahl, entnommen dem Werke von: E. Brauer und A. Slsbj.
Versuche über Leistung und Brennmaterial verbrauch von Kleinmotoren. Berlin, J. Sprin-
ger, 1879. Heft 1, S. 29.
E. Physikalische Theorie der Gasmaschinen. 545
dem Cylinderinhalte und der freien Atmosphäre herstellt, so sinkt der
Draok im Innern des Cylinders sehr rasch auf Atmosphärenspannung, und
bei diesem Dmcke entweichen die gasigen Yerbrennnngsproducte his anf
deige'tiigen Rest derselben, der im halbkagelförmigen Hohlräume des
Cylinders bei der tie&ten SteUung des Kolbens jedesmal zurflckbleibt.
Damit ist ein Spiel der Maschine beendet, und es beginnt die nftm-
Hefae Reihe yon Zustandsftnderungen von Neuem.
Beistehende Figur 35 gieht ein angenähertes Bild, welches sich auch
siemlich gut an die yon den Herren Brauer und Slahy direct beob-
achteten Indicatordiagramme anschliesst ^).
Die erste Periode umfasst die untere horizontale Linie AB; die
zweite oder Compressionsperiode ist dargestellt durch die adiabatische
Fig. 35.
CurvQ BC. Die nahezu yerticale Linie CD endlich repräsentirt die
dritte oder eigentliche Explosionsperiode. Längs der Linie DE findet
in der vierten Periode die Expansion statt; es ist dies eine Curye yon
der Art:
p . v^ = const.
Auf dem zum grossten Theil horizontalen Gurvenstücke EF voll-
zieht sich endlich die Rückkehr zu dem ursprünglichen Zustande.
Da uns nichts hindert, anzunehmen, es sei der unter dem Kolben selbst
bei der innersten SteUung desselben zurückhleibende Rest der Explo-
sionsproducte immer die nämliche Gasmenge, so beschreibt diese einen
vollständigen, geschlossenen, umkehrbaren Kreisprocess. Wir haben es
^) Ueber Indicatoren und Indicatordiagramme sehe man Bd. 1 dieses Buches, S. 17.
Bflblmann, Mechan. Winnetheorie. Bd. 2. 35
546 II. Thermochemie.
in dem geräuschloBen Otto 'sehen Motor also eigentlich mit einer Com-
hination dea Principea der Heissluft- und der EbEplosionsmaachinen
zu thun ^).
Es mag unterhleihen , hier eine Theorie dieser Maschinen su ent-
wickeln. Die Unmöglichkeit, den Einfluss der Diasociation auf die dritte
und vierte Periode des nicht umkehrharen Kreisprooesses zu überiehen,
lässt ohnehin das Fundament eines jeden Yersnohes in dieser Richtong
höchst unsicher erscheinen ; auch würde die Theorie dieser Maschinen in
der Hauptsache nur eine Wiederholung des zumeist schon in CSapitel 2
und 3 Mitgetheilten bedingen.
Wir theilen nur noch mit, dass der Grasconsum pro Stande und
Pferdest&riLe in diesen Motoren zu ungef&hr 1,1 cbm (circa 20 Pfennige
im Werthe) beobachtet worden ist').
Eine Pferdestärke pro Stunde entspricht einer Arbeitsleistung tod
270000 kg, welche 635 Galerien äquivalent sind. Die conBomirien
1,1 olmi Leuchtgas aber entwickeln sehr nahe 7029 Galerien, demnach
werden nngef&hr 9 Procent der im GyHnder entwickelten Wärme in
ausserhalb der Maschine disponible Arbeit verwandelt.
Dampfmaschinen von so geringer Pferdestärke, dass dieselben hin-
sichtlich ihrer Leistungsfähigkeit ungeflihr mit den Gasmotoren ver-
glichen werden können (zwei- bis sechspferdige), oonsamiren pro Stunde
und Pferdekraft ungefähr 4 kg Steinkohlen '). Nimmt man nun an, das
bei Verbrennung von 1 kg Steinkohlen im Mittel 6000 Gal. produdit
werden, so müssen demnach 24000 Gal. auf dem Eesselroste erzeugt
werden, um die der einstündigen Arbeit einer Pferdekraft äquivalente
Wärmemenge von 650 Gal« in nützliche Arbeit zu verwandeln. Bei klei-
nen Dampfmaschinen werden demnach nur ungefähr 2,7 Proc der auf
dem Koste der Feuerungsanlage entwickelten Wärme in ausserhalb der
Maschine disponible Arbeit umgesetzt.
^) Reuleaux hat (Sitzongsbericht des Vereins zur Beförderung des GewerbefleisHs
in Berlin, Sitzang vom 4. Februar 1878, S. 54) darauf aufmerksam gemacht, dass dk
Ezplosionsproducte ein Gemisch von Gasen und Wasserdampf sind.
^) Brauer und Slaby, a. a. 0., S. 29 fanden: 1,14 cbm, 1,07 cbm und l,00cbm
pro Stunde und Pferdestärke an drei verschiedenen Maschinen.
*) Redtenbacher, Resultate für den Maschinenbau. Heidelberg, Bassermsan,
6. Aufl. 1875, $. 242 bis 252.
ANHANG.
F. Ueber die Verwendung des Dampfes zur Fort-
schleudening yon Geschossen.
1. Ableitung der allgemeinen Formeln.
Naelidem wir die Anwendung von Explosivstoffen zur Arbeitsleistung
in Maschinen besprochen haben, liegt die Frage sehr nahe, ob man nicht
ebenso, wie man Maschinen mit Explosivstoffen betreibt, es anch nm-
gekehrt ermöglichen könne, den Körper, welcher gewöhnlich in den Arbeits-
maschinen verwendet wird, den Wasserdampf, zur Bewegung der Ge-
schosse in den Geschützrohren zu gebrauchen.
Diese Frage ist bekanntlich wiederholt in militärischen Kreisen und
von hervorragenden Ingenieuren ventilirt worden; alle Versuche, den
Gedanken praktisch zu realisiren, sind jedoch ausnahmslos ungünstig aus-
gefallen. Die Behandlung dieses Problemes mit Hülfe der Gleichungen
der mechanischen Wärmetheorie giebt in einfacher Weise darüber Auf-
schluss, warum man auf diesem Wege zu befriedigenden Resultaten bisher
nicht gelangen konnte ^).
Nehmen wir an, es befinde sich in Verbindung mit dem Rohre
eines Geschützes ein Reservoir, welches flüssiges und dampfförmiges
Wasser von hoher Temperatur enthält. Durch eine geeignete Vorrichtung
könne man nach Belieben den Druck dieses Gemisches auf ein am Boden
des Laufes befindliches Geschoss wirken lassen. Gestattet man der in
der Flüssigkeit, respective im Dampfe befindlichen Energie auf das Ge-
schoss zu wirken, so wird Flüssigkeit verdampfen, und während der
Bildung und Expansion des Dampfes wird das Geschoss im Rohre mit
progressiver Geschwindigkeit vorwärts bewegt werden.
>) Man sehe z.B. über das Pe^kin'sche Dampfgewehr, Engineer, Bd. 12, S. 390,
und über Dampfartilleri« im Allgemeinen , Dingler, Polyt. Joam. Bd. 199, S. 41.
35*
548 Anhang zum IL Abschnitt.
Die nächste Aufgabe würde die sein, die Geschwindigkeit zu be-
stimmen, mit welcher in diesem Falle, ein Geschoss die Mündung yerlasit,
wenn Anfangszustand, Quantität, YolumenverhältniBS des Wassers iisd
Dampfes, das Gewicht des Geschosses und die Dimensionen des Rolur«
bekannt sind. Ausgehend von der Theorie St. Robert's hatten wir filr
die Bewegung der Geschosse in den Gesohützläufen bekanntlich die Glei-
chung gefunden (man sehe Bd. 2, II, D, 4, S. 474, GL 12):
(m+^) ' ^=J.x.C.(T,^T,) + J,(i . . 1)
worin die einzelnen Grössen folgende Bedentong hatten:
M = Masse des Geschosses,
m = Masse der Ladung,
9C das Gewicht des verbrannten Theiles der Ladung im Momente,
in welchem das Geschoss das Geschützrohr verlässt.
Hierin ist ferner:
J . [g + Ä . C . (Ti — Ta)] = r/i — , 17, . . . . 2)
. die Aenderung der inneren Energie des Systemes während der Bewegimg
des Geschosses im Geschützrohre.
Man kann diese Gleichung fclr den vorliegenden Zweck daher sock
schreiben:
da die Ableitung der linken Seite der Gleichung 1) von der Art der Sub-
stanz, welche die Fortbewegung des Geschosses im Rohre bewirkt, an*
abhängig ist.
Vorausgesetzt ist, dass es gestattet sei, die Geschwindigkeit da
Ruckstosses, den Luftwiderstand und auch die von den Wänden äa
Rohres absorbirte Wärme zu vernachlässigen, und dass die AnnakmeD
erfüllt seien, welche früher (S. 473, nach Gl. 10) von uns angeführt vo^
den sind.
Es gilt nun für Ui — U^ die Werthe einzusetzen, welche fSr die
innere Energie eines Gemisches von Wasser in flüssigem und gasförmigem
Zustande giltig sind.
Die hierauf bezüglichen Formeln sind früher (Bd. 1, VI, A, 4 und 5,
S. 744 bis 748) entwickelt worden.
Besteht anfanglich bei der Temperatur Ti das Gemisch aus Xi Ge-
wichtstheilen Flüssigkeit und aus yi Gewichtstheilen gesättigtem Dampt
so ist die innere Elnergie in diesem Zustande:
Ui=J.Xi. \rr,.dT+ tr+fc,. dA
T
i
F. Physikalische Theorie der Dampfgeschütze.
549
TT
+ yi . J
/'•
dT + t
dT
I»
/'
+ (s'.-«O.T».^l
T= T,
Am Ende der Znstandsänderung, in dem Momente, in welchem das
GeschoBs den Lauf verlässt, sollen x^ kg Wasser and y^ kg gesättigter
Dampf vorhanden sein, und die ahsolute Temperatur des Gemisches mag
T^ hetragen. £s ist ganz entsprechend die innere Energie alsdann:
Ui = J.x^. [f ^P . ^T + St» 4- fc, . d rj
Tf
T*
+ y^ '{ ^
[/'■
u
dT + £
T -\- I c, . dT
T*
+ (sj — Sj) . Tj
T»Tt
Hierin hahen die einzelnen Grössen heistehende Bedeutungen:
J ist das mechanische Aequiyalent der Wärme, r^ die specifische
Wärme des Eises, Cp die des flüssigen Wassers hei constantem Drucke,
St' die latente Schmelzwärme des Eises, / die Spannkrafb des gesättigten
Dampfes, ^i resp. sl% das specifische Yolomen des gesättigten Dampfes,
Si resp. 9% das specifische Volumen des Wassers hei der absoluten Tem-
peratur Ti und 1*3. T' endlich ist die Schmelztemperatur des Eises.
Es bestehen aber ausserdem, wenn Q das Gewicht des überhaupt
als Flüssigkeit und Dampf zur Verwendung gebrachten Wassers bezeich«
net, die Gleichungen:
iPi + yi = ^ + y« = ff 4)
Führt man dies ein und bildet die Differenz zwischen U^ und r/i,
so ist:
r.
ü'o
— Uy^=J . G . j c,.dT —
yi'(s\ — sO.T;.
r-r»
+ y« . (s'2 — «2) • 21?
-T,
550 Anhang zum II. Abschnitt.
Wenn man hierin die Factoren von der Form:
ausrechnet, erg^eht sich:
g/
Nach der bekannten Clapeyron'schen Gleichung (man sehe Bd. 1,
V, B, 14, S. 614,. Gl. 25) ist aber:
y . (s' — s) . T . ^ = J . r . y,
wenn r die latente Wärme der Verdampfung bei der Temperatur 7 be-
zeichnet, und man erhält somit schliesslich:
y . (s' — «) . r* . y^ = » . J- . r - y . (s" — «) . /.
Wenn man dies in die Gleichung für ü^ — üi einfuhrt, erhält man:
Ua— Ui=J.Q. I c,,dT + J.y2^r2—J.yi.ri—y3.(i3f9—Si)./T,
i
+ y\ . (s'i — Si) ./t, 5)
Nimmt man femer an, dass die Znstandsänderung des Dampfes Tor
sich geht, ohne dass Wärme aufgenommen oder abgegeben wird, so gilt
bekanntlich (man sehe Bd. 1, V, E, 2, S. 673, GL 14) die Beziehung:
Ti
wenn fi die specifische Wärme des siedenden Wassers bezeichnet.
Die nunmehr erhaltenen Gleichungen genügen zur Lösung des Pro-
blemes.
Wir können als von Anfang an gegeben ansehen die Ghrössen Xu Vu
/tv ^1) ^i> ^i> ^*Bmer G und das Anfangsvolumen Vy des Gemisches toh
Dampf und Wasser und das Endvolumen F3 = Fi 4" ^9 wenn v dtf
Volumen des Geschützrohres bezeichnet. Femer sind die Grössen ff, s't,
^9 fyt Bämmtlich sofort bestimmt, sowie die Grösse Tj gefunden ist Vit
letztangeführte Gleichung 6) enthält demnach zur Zeit noch zwei nn-
aUiängige Unbekannte, nämlich T9 und ^3.
F. Physikalische Theorie der Dampfgeschütze. 551
Es besteht aber auch noch eine weitere Gleichung. Das Volumen V
des Gemisches von Dampf und Wasser zu irgend einer Zeit besteht aus
dem Volumen des Wassers x • 8 und dem Volumen des Dampfes p • s\
Setzt man dies in die Gleichnnig Fg = Fi -|~ ^ ein, so ergiebt sich:
«8 . «2 + y« • «'s — («1 • «1 + yi . «'i) = V . . . 7)
Führt man hierin die Werthe von x^ und Xi aus GL 4) ein:
as, = ö — ya »i = G — yi,
80 erhält man:
Sj . ö^ + y« • (s'i — Sj) — «1 • ö — yi . (s'i — 8i) = V.
Da nun aber das specifische Volumen des Wassers sich mit der
Temperatur äusserst wenig ändert» so kann man für eine solche äusserst
rohe Annäherungsrechnung, wie es die ist, um welche es sich im Yor-
liegenden Falle handelt, ohne wesentlichen Fehler:
setzen; denn die Dichte des flüssigen Wassers ändert sich mit der Tem-
peratur nur äusserst wenig.
Alsdann erhält man:
y« ■ (s'i — 8,) = yi . (s'i — Si) + V
oder: y, =± ^^ ' ^^ " ^^> + ^ 8)
5^ Si
Führt man dies in die Gleichung der adiabatischen Curve des
Dampf- und Flüssigkeitsgemisches, GL 6), ein, so enthält dieselbe nun-
mehr lediglich Functionen von T^ und kann zur Bestimmung von T^
unmittelbar verwendet werden.
Dio Losung der Gleichung nach Tf geschieht alsdann durch Pro-
biren unter Anwendung der früher von uns für Wasser und gesättigten
Dampf mitgetheilten Tabellen (Bd. 1, S. 588 bis 594) und Gonstanten
(Bd. 1, S. 620).
Hat man T^ gefunden, so kann hiermit die Grösse U^ — üi und
daraus die Geschwindigkeit u bestimmt werden ,^ mit der das Geschoss
die Mündung des Bohres verlässt.
2. Dturohrechntuig eines speoiellen Falles und nnmeriscjien
Beispieles.
Setzen wir voraus, es sei anfänglich nur Wasser von der Tempe-
ratur Ti, jedoch kein Dampf vorhanden^), so ist:
^) St. Robert behandelt diesien einfachen Fall in seinem trefflichen Werke: Prin-
tipes de thermodynarnique, 2. Auflage , S. 287. Wir entnehmen demselben die nach-
stehenden Zahlwerthe.
552 Anhang zum IL Abschnitt.
und die Gleichung der adiabatischen Gunre nimmt die einfachere Form an
ri^ = a.ft.aT 9)
Die Gleichung ftLr U, — Ui geht über in:
U^— Ui = J . Q . je, . dT + J.r^ .yi — ffi (s'a— «a) /r, - 10)
Für die numerische Rechnung kann man die Formeln noch etwas
bequemer machen, wenn man für y^ . (s's — ^) c^en Werth:
ya . (s'j — s,) = t?
einfuhrt.
Die Grösse r^ . y^ wird besser noch aus der Gleichung 9) eliminirt.
Dies geschieht mit Hülfe der beiden Gleichungen:
V = y^ . (s'a — Sa)
und:
r _^ — s df
T~ J ' T
Denn hiemach ist:
KdTjT^T,'
Auch setzt man angenähert:
f
^^dT=c,.lognat^^
und erhält somit zur Bestimmung von T% die transcendente Gleichaog:
Nimmt man nun an, es betrage das Gewicht des Wassers 6=1 kg,
das Gewicht des Geschosses 4,5 kg und das Volumen v des Laufes nach
Abzug des Raumes, den die Ladung ausfüllt, 0,00937 cbm ^); die An-
fangstemperatur sei 200^0., also Ti = 474; so ergiebt sich, wenn man
sich der in den Tafeln und sonst früher yon uns gegebenen Werthe bedient:
Ti = 451,80.
^) Diese Zahlen entsprechen ungefähr den Dimensionen eines tiranzosischen Feld-
geschiitzes, welches ehedem als Achtpfänder bezeichnet wurde..
F. Physikalische Theorie der Dampfgeschütze. 553
Damit aber findet man:
Ui — üi = — 1145,4 kg.
Hierdurch erh< man zur Bestimmung der- Geschwindigkeit u, mit
der das Geschoss die Mündung verlfisst, die Gleichung:
(^ + 1) • f = "*'''•
Da nun aber die Masse des Geschosses, respective der Ladung die
Werthe haben:
M = — m = — ,
9 9
wenn g die Acceleration der Schwere bedeutet, so erhält man:
V 2^1145,4
Diese Geschwindigkeit ist aber yerhältnissmässig zu gering, da maa
bei Anwendung normaler Pulverladungen (0,9 kg) durchschnittlich 400 m
proSecunde erreicht und die Bestrebungen der Artilleristen dahin gehen,
die Anfangsgeschwindigkeit noch zu erhöhen.
Durch Veränderung der Quantität der Ladung, also z. B. durch
Verbindung des Geschützrohres mit einem Kessel, welcher eine grosse
Menge Wasser enthält, wird das Besultat der Bechnung nicht sehr
erheblich verändert, ebenso wenig, wenn von Anfang an ausser dem
Wasser auch bereits fertig gebildeter Dampf vorhanden gewesen wäre.
Wollte man bei sonst unveränderten Dimensionen des Geschützes
und den nämlichen Gewichten des verwendeten Wassers und Geschosses
die Geschwindigkeit u = 400 m erreichen, welche man durchschnitt-
lich für ein Geschoss beansprucht, so müsste man die Anfangstemperatur
2i ausserordentlich viel höher, nämlich ungefähr Ti = 900^ ti = 626«
wählen; dann aber betrüge der Druck, dem das Beservoir, welches das
Wasser enthielte, ausgesetzt wäre, beinahe 1200 Atmosphären.
Für ein Gefass, welches von aussen erhitzt werden muss, dürfle sich
aber kein Material finden, welches bei mindestens 620^0. einem der-
artigen Drucke noch ausreichenden Widerstand leistete.
Vergrösserte man die Länge des Geschützrohres (1,438 m) bei un-
geändertem Querschnitte auf das Tausendfache (1438 m), so erhielte man,
sofern man von der Beibung absehen darf, die gewünschte Anfangs-
geschwindigkeit von ungefähr 400 m bei Anwendung von Wasser, wel-
ches eine absolute Temperatur von 590^, also eine Wärme von 316® G.,
besitzt; aber auch dann würde der Druck des Dampfes noch immer
nahezu 100 Atmosphären betragen.
Berücksichtigt man ausserdem, dass bei Ableitung obiger Formeln
und Zahl werthe insofern wesentlich zu günstig gerechnet worden ist, als
man von der Mittheilung von Wärme an das Geschützrohr und von der
554 Anhang zum II. Abschnitt
Consumtion von Energie durch Reibung abgesehen hat, so erklären
im Vorstehenden mitgetheilten Beispiele unmittelbar, warum sich Dampf
so wenig zum Fortschleudern von Geschossen eignet, und weshalb die
Dampfgeschütze, von welchen seiner Zeit so viel die Rede war, sich nickt
einmal für ganz besondere Zwecke einen dauernden Platz in der Milit
technik erwerben konnten.
HL
ANWENDUNGEN DER MECHANISCHEN
WÄRMETHEORIE AUF DIE ELECTRISCHEN
# ERSCHEINUNGEN.
A. Einleitnng.
1. Allgemeines und Hlstorisohes.
Bei electrisohen Vorgängen treten jederzeit Wärmeerscheiniingen auf,
nnd umgekehrt sind, wie das Gebiet der Thermoelectricität zeigt, vielfach
Wärmeprocesse mit Veränderungen des electrischen Znstandes verknüpft.
Da ausserdem die electrischen Wirkungen leicht nach Arbeitsmaass ge-
messen werden können, ebenso, wie dies mit Wärmemengen der Fall ist,
8o lag der Gedanke nahe, die eigenartigen Betrachtungsweisen, durch
welche die mechanische Wärmetheorie charakterisirt wird, auch in der
Electrieitätslehre anzuwenden.
Diese Art der Untersuchung hat nicht bloss die eigentlichen Wärme-
erscheinungen, welche bei electrischen Vorgängen sich zeigen, in wesent-
lich helleres Licht gestellt, sondern auch fGLr die Betrachtung der electri-
schen Erscheinungen selbst wesentlich pieue Gesichtspunkte eröffnet.
Zum ersten Male hat diesen Weg Helmholtz in denjenigen Ab-
schnitten seiner Abhandlung: „Die Erhaltung der Erafb^ ^) betreten,
welche sich mit den electrischen Erscheinungen und den damit zusammen-
hängenden Wärmevorgängen beschäftigen«
Der Nächste, welcher hierauf diese Probleme in Angriff nahm,
war W. Thomson, dessen Abhandlungen: „Mechanical theory of electro-
lysis^ '), und „On a mechanical theory of thermo-electric-currents" ') aus-
zugsweise im Jahre 1848, 1851, vollständig erst in den Jahren 1855^)
][) Berlin, Reimer, 1847.
^ TrauB, of British Assoc. 1848, Philos. Mag. (December 1851), 4. Serie, Bd. 2,
S. 429 n. 551, Bd. 3, S. 529, und Rep. of Brit. Assoc (1852), Bd. 2, S. 16.
^ Philos. Mag. 4. Serie. Bd. 3, S. 529 (1852).
*) On the tbermo-elastic and thermo-magnetic propertiM of matter« Quaterly Journal
pf math. Bd. 1, S. 57.
556 lU. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
und 1856^) yerö£Pentlicbt wurden und erst im Jahre 1875 einen end-
giltigen AhscUusB gewannen.
Vom Jahre 1852 an hat sich alsdann besonders Clansius um diesen
Theil der mechanischen Wärmetheorie hervorragend verdient gemacht
und in seinen Abhandlungen : „lieber das mechanische Aequivalent einer
electrischen Entladung und die dabei stattfindende Erwärmung des Lei-
tungsdrahtes" und: „Ueber die bei einem stationären electrischen Strome
in dem Leiter gethane Arbeit und erzeugte Wärme", die wichtigsten da-
mals bekannten Wärmeprocesse bei Anwendung statischer und galvani-
scher Eleotricität eingehend behandelt, und zwar sofort in einer Form,
welche in allen wesentlichen Theilen noch heute mustergültig ist. Im
nächsten Jahre 1853 Yerö£fentlichte Clansius seine Abhandlung: „Ueber
die Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf die thermoeleciri-
schen Erscheinungen", in welcher er eine vollständige mechanische Theorie
der Electricitätserregung an der Trennungsfläche zweier Metalle durch
Temperaturdififerenzen gab. Diesen Arbeiten folgte im Jahre 1857 eine'
kurze Behandlung der electrolytischen Vorgänge unter dem Titel: „Ueber
die Electricitätsleitung in Electrolyten". Im Jahre 1866 endlich Hess
Clansius einen Zusatz zu seiner zuerst genannten Abhandlung folgen,
welcher sich eingehend mit dem Verhalten der isolirenden Zwischenschicht
beschäftigt.
Alle diese Arbeiten hat Clansius gesammelt im zweiten Bande
seiner: „Abhandlungen über Mechanische Wärmetheorie** (Braunschweig,
Fr. Viewegu.Sohn 1868). In wesentlich umgearbeiteter und erweiterter
Form sind dieselben neu erschienen in dem trefflichen Werke : Clansius,
Mechanische Theorie der Eleotricität (Braunschweig, Fr. Vieweg-
u. Sohn 1879).
Unter Anwendung der Methoden, welche der mechanischen Wärme-
theorie eigenthümlich sind, hat femer schon im Jabre 1865 Maxwell^
auf Grund der Annahme, dass die Eleotricität ein überall verbreitetes
incompressibles Fluidum sei, die electrischen Vorgänge behandelt, welche
sich in der Nähe von mit freier Eleotricität belegten Leitern vollziehen;
vollständig entwickelte er jedoch seine Theorie erst im Jahre 1873 in
einem besonderen Werke: „A treatise of electricity and magnetism'.
Die neueren überaus bedeutungsvollen Arbeiten von Helmholtz
und Clansius, in welchen diese hervorragenden Forscher ihre von dem
Weber' sehen electrischen Grundgesetze abweichenden Grundgesetze auf-
gestellt und auf eine Anzahl electrischeir Vorgänge angewendet haben,
gehören wesentlich mehr der mathematischen Electricitätslehre , als der
Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf die Behandlung der
electrischen Vorgänge an, müssen daher in diesem Buche unberücksich-
tigt bleiben.
^) On the elecirodynamie properties of metab. Bakeriaii Lecttire Phil. Trans. 1855.
2) Maxwell, Dynaxnical theory of the electromagnetic field. Phil. Trans. 1865, p.459.
r
A. Mathematische Einleitung. 557
2. Die Potentialftinotion.
tüne electrische Masse m wirke auf eine andere electrische Masse fi.
Letztere mag gleich der Einheit sein. Wir bezeichnen mit a, h, c, die
Coordinaten der Masse m, mit Xy y, 0 die Coordinaten der Masse fi, mit
r den Abstand beider Massen. Nach dem Conlo mb' sehen ^) Gesetze f&llt
die gegenseitige Wirkung, welche beide Massen auf einander ausüben, in
die. Verbindungslinie der beiden Theilchen und besitzt die Grösse :
m
sofern es sich um einä gegenseitige Anziehung der beiden electrischen
Massen, also um das Streben nach Yerkleinerung des Abstaodes derselben
handelt. ^
Unter der Einheit der electrischen Masse versteht man hierbei die-
jenige electrische Masse, welche auf eine gleich grosse von entgegen-
gesetztem Vorzeichen in der Einheit der Entfernung eine Anziehung
gleich eins ausübt.
Die Gomponenten dieser Anziehungskraft der beiden Massen m und
ft = 1 nach den drei Coordinatenaxen der x^ y und g sind alsdann der
Reihe nach:
X — a y — h y — c
fS r' r '
Wirkt nicht nur eine Masse m auf das Theilchen fi, sondern sind
deren eine Anzahl vorhanden, so besitzen die drei Projectionen der Re-
sultante der einzelnen Anziehungen und Abstossungen, welche zwischen
II und diesen Massen bestehen, die Grössen:
£[ierbei bezieht sich das obere Vorzeichen auf die anziehenden , das
untere auf die abstossenden Wirkungen, welche stattfinden. Diese drei
Grössen sind jedoch von einer einzigen aj>hängig. Da bekanntlich :
r» = (aj — a)2 + öf — hy + (jp — c)«
ist, erhält man z. B. durch beiderseitige partielle Differentiation nach x:
dr
r . r- X — a.
ox
Da nun ferner:
'(7)
1 dr
r« dx
X — 0
dx
r^
^) Coulomb, M^moires de PAcad. Paris, 1785.
558 ni. Anwendungen auf electrisehe Erscheinungen*
ist, so kann man den Ausdrack für die Gomponente Z auch in der Form
schreiben:
X=2
+ m
und analog:
+ m
z = z:
+ m
Die drei Componenten lassen sich somit als partielle Differenüal-
quotienten ein und derselben Grösse F darstellen, wenn man :
=^(±')
2)
setzt, wobei sich das Summationszeichen S auf alle wirkenden electri-
sehen Massen erstreckt
Alsdann ist;
SF
8a?
= E' V+m
oder:
und analog:
Z =
Y =
Z=-
8F
87
8F
oz
3)
Kennt man die Function F bis auf eine Gonstante genau, so können
sofort die drei Componenten X, F, Z bestimmt werden. Den Werth der
Constanten ermittelt man, wenn derselbe gebraucht wird, aus dem- be-
kannten Werth, z. B. dem Werth Null, welchen die Function f&r irgend
einen bestimmten Punkt besitzt. — Green gab dieser Function den
Namen Potentialfanction. Dem Vorgänge vieler Autoren, zumal auch dem
von Clausius folgend, schliesse ich mich dieser Benennung an. Gauss
bediente sieb bei seinen Untersuchungen über die Kräfte, welche um-
gekehrt proportional dem Quadrate der Entfernung wirken, dieser Func-
tion F unter dem Namen Potential ; wir reserviren jedoch , im Anscfalnaa
an Clausius, diese Bezeichnung für eine andere verwandte Function.
A. Mathematische Einleitimg. 559
3. Das Potential.
Nanmebr betrachten wir zwei electriscbe Quantitäten m und iHi,
welche fähig sind, ihren Ort zu ändern, nnd ermitteln die elementare
Gesammtarbeit, welche einer unendlich kleinen Yerschiebung beider elec-
trischer Massen entspricht. Es mögen op, y, e und rcj, yi, Zi die Coor-
dinaten von m und mi sein. Besitzen beide Electricitätsmengen ent-
gegengesetztes Vorzeichen, so hat die Wirkung, welche ni auf mi ausübt,
die drei Componenten:
.m , mi . (xi — x) m , mi . (tfi — y) w . iwi . (jg| — g)
IMe Wirkung, welche iifi auf m ausübt, ist gleich gross, jedoch ent-
gegengesetzt gerichtet.
Erleiden die beiden Punkte m und fNi elementare Verschiebungen
um die unendlich kleinen Strecken dx, dtf, dß respecüve dxi^ dyi, dgij
so besitzt die im ganzen Systeme geleistete Arbeit die Grössen
~ *^a ^^ • f— (Pi — a?) . dx^ ^{y^—y), dyi — (£i — e) . dzil
L+ («1 — x) > äx + d^i ^ y) . dy + (si -- 0) . de J
= ''[=^T^].
wobei das «Zeichen d, wie gewöhnlich, eine totale Differentiation andeutet.
Betrachtet man nicht bloss zwei electriscbe Massen, sondern eine beliebige
Anzahl derselben, so findet man, dass die Gesammtarbeit, welche durch
elementare Verschiebung der einzelnen electrisohen Massen hervorgebracht
wird, gleich dem totalen Differentiale einer Function:
ist.
Tr=2;(:p^) 4)
Das Minuszeichen entspricht auch hier den anziehend, das Plus-
zeichen den abstossend wirkenden Kräften.
Die unendlich kleinen Variationen dieser Function W stellen die
elementaren Arbeiten der Kräfte dar; dieselbe kann demnach dazu die-
nen, die bei einer Aenderung des electrischen Zustandes geleistete Arbeit
bis auf eine Constante genau zu ermitteln, und die Grösse dieser Con-
stanten kann gewöhnlich durch Betrachtung eines speciellen Falles ge-
funden werden. Diese Function W nennen wir, wie bereits erwähnt, dem
Vorgange von Clausius folgend, das Potential.
560 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
4. Sätze über die Potentialfunction und das PotentiaL
Pols 80 n hat folgenden Satz aufgestellt^): „Damit ein System
von Körpern, welche als vollkommene Electricitatsleiter
angesehen werden können, seinen electrischen Zustand
nnverändert heibehalte, istesnöthig nnd ausreichend, dasB
die Resultante der Wirkungen der electrischen Massen,
welche die Oberflächen bedecken, für einen beliebigen im
Innern eines Körpers gelegenen Punkt Null ist.**
Die Richtigkeit dieses Satzes ist leicht einzusehen. Besässe in irgend
einem im Innern befindlichen Punkte M die Resultante eine angebbon
Grösse, so würde die hier vorhandene positive Electricität in dem einen,
die negative im entgegengesetzten Sinne in der Richtung der ResDltanie
verschoben und hierdurch der electrisöhe Gleichgewichtszustand geändert
werden. Dies aber widerspricht der Voraussetzung. — Wenn aber die
Resultante Null sein soll , muss es auch jede der drei Componenten sein,
und demnach müssen folgende drei Gleichungen bestehen:
F^ = ^' 87 = ^' äl=' '^
V ist aber eine bestimmte, stetige Function der Coordinaten x^f/,i
des Punktes M, der sich im Innern des betrachteten Körpers befindet
Die obigen Gleichungen zeigen sofort, dass die ausreichende nnd noth-
wendige Bedingung des Gleichgewichtes:
F = const. 6)
ist.
Damit ist bewiesen, dass die Potentialfiinction Fim Innern einei
jeden der Leiter, auf welchen die Electricität sich im Gleichgewicht be-
findet, constant ist; jedoch wird im Allgemeinen der Werth dieser Gon-
stanten von Körper zu Körper eine verschiedene Grösse haben.
Ist Q die Dichte des wirksamen Agens in dem Punkte Jf, in Bezug
auf welchen die Potentialfunction F genommen ist, so gilt allgemein die
Beziehung, dass:
8«F , 8>F . 8«F , ,,
ist.
Behufs Nachweis dieses Satzes ziehen wir eine unendlidi kleine
Kngelfläche mit dem Radius B (man sehe Fig. 36), welche den Punkt P
in sich begreift. Alsdann setzt sich die Potentialfunction F aus zwei
^) M6moires de PAcad^mie des sciences (1811), Vol.. 12, p. 7.
A. Mathematische Einleitnng. 561
Theilen zusammen, aus der Potentialfanction Vi derjenigen Menge Elec-
tricität, die sich ausserhalb der Kugelfläche befindet, und aus der Poten-
Fig. 36.
tialfunction V^ ^^^ innerhalb der Kugel befindlichen £Iectricitätsmenge.
Man erkennt nun leicht, dass, wenn:
ist, auch:
^V=^Vi + JV2
sein muss, wenn man abkürzungsweise : *
schreibt.
Es ist nun ^ Vi gleich Null. Bezeichnen x, y, is die Goordinaten
des Punktes M und Xiy yi , ^i die eines ausserhalb der Kugelfläche gele-
genen Punktes Mi, so ist:
demnach :
d Vi Pxi — X
dx
und endlich:
=/^
da.
'■-. =/T- i + 3 '^^'J
dq,
dx^
wenn dq die Ladung des im Punkte M befindlichen Raumelementes be-
zeichnet. '
Bildet man die analogen Ausdrücke für die F- und die Z-Axe
und addirt dieselben, so ergiebt sich:
R fl h 1 m a n n , Mechan. Wamiethcorie. Bd. 2. 3ß
562 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
oder einfacher:
^F,
=yi-r.
+ 3
-1
dq,
und dieser Ausdruck ist sichtlich gleich Null. ^^ V reducirt sich somit
auf -^ Fa. .
Diese Grösse ^ V^ kann auf folgende Weise herechnet werden :
Fig. 37. Bas Centrum der yorhin ge-
zogenen Kugelfläche sei Cund £, %
t seien die Coordinaten dieses Pank-
tes, a ferner der Abstand diesei
Mittelpunktes und des Punktes i',
den die Eugelfläche einschliesL
Alsdann kann die Lage eines be-
liebigen im Innern der Kugelfläche
befindlichen Punktes M^ durch fol-
gende Coordinatän definirt werden:
1) durch seinen Abstand f] fom
Mittelpunkt 0, 2) durch denWinU
ty welchen CM^ mit CP macht,
und 3) durch den Winkel 9, welchen die Ebene M^ CP mit einer festa
Ebene einschliesst. Alsdann ist:
r = PM2 = Vr/ — 2 a . ra . cos t + a^
und die in dem in M^ befindlichen Volumenelemente enthaltene Qiun-
tität Electricitat dq ist:
dq =: Q . r^ . sin ijj . dq) , d^ . dr^;
Q bezeichnet alsdann die Dichte im Punkte Jf«, und diese kann nnr Ttf-
schwindend wenig von der Dichte im Punkte P verschieden sein.
Man erhält nunmehr für:
F,
-r-^
nach Einführung der Werthe für dq nnd r den Ausdruck:
y \ \ \ ^^ ' sin jf . d<p . dtif . dfj
J J J Vr^— 2a. rj.cös^ + a»'
Die. ersten beiden der angedeuteten Integrationen können leicht ans-
gefüfart werden, und man erhält:
y^ = ^f[(r^ + a) - V[± ir,-a)yyr,.dr,.
A. Mathematische Einleitung. 563
Das untere Vorzeichen im Radicanden mnsa benatzt werden, so lange
als rj < a, und das obere, wenn ^2 > a ist. Wir theilen deshalb die
Integration in eine solche von 0 bis a und eine andere von a bis ^, so
dass Fj die folgende Form annimmt:
a R
Nach Ausführung der Integration ergiebt sich:
F, = 2«9.(^ + B' -a«)
oder:
Da nun:
V^ = 2xQ .(b^-j^
o» = (« - ö» + iz- f,y + (z- g)*
ist, Bo findet man weiterhin:
-^ = --«.p.(a;-g)
nnd analoge Formeln durch Differentiation nach y zu z und schliesslich
hieraus:
a^Fg _a2F2 _0»F2 4
Und wenn man:
bildet, so ergiebt sich:
und demnach ^ F selbst :
^V= — ^ytQ .8)
Wir gelangen hiermit zu folgendem wichtigen Satze für die Grösse
^F, welche man gewöhnlich den zweiten Differentialparameter der
Potentialfunction nennt. Der zweite Differentialparameter der
Potentialfunction ist für einen gegebenen Punkt gleich
der mit — 4^ multiplicirten Dichte des wirksamen Agens
an dem betreffenden Punkte^).
Wir hatten im Vorhergehenden gefunden, dass im Innern sämmt-
licher mit freier Electricität geladener vollkommener Leiter ^^V = 0
«rar, so lange Gleichgewicht besteht, und schliessen nunmehr hieraus:
8y»
" 8
e^
--.«,
9-
8»F,
+
8»Fj
+
8*F,
^F, :
— -• ,
— 4«
Q
^) Für nicht homogene Körper hat Claus ins die Richtigkeit dieses Satzes eben-
falls bewiesen. Man sehe: Claus ins, Die Potentialfunction und das Potential (Leipzig,
l^arth, 3. Aufl. 1877), S. 53. Auch sehe man: Delsaulz, Ann d. 1. soc. d. Bnixelles 1877.
36*
564 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Im Innern yollkommener Leiter, auf welchen sich die
Electricität in einem stationären Zustande hefindet, kann
freie Electricität nicht vorhanden sein. Die gesammteio
Yollkommen leitenden Körpern enthaltene freie Electri-
cität bildet nur eine unendlich dünne Schicht an der Ober-
fläche derselben.
6. Die Summe der Wirkungen , welche eine Aendernng
des eleotrischen Zustandes herbeiführt, ist gleich der
Aenderung des Potentiales der Electricität in Bezug auf
m
sich selbst.
In den weitaus meisten Fällen wird die Aendernng des electrischen
Zustandes nicht nur in den gegenseitigen Arbeiten bestehen, zu welchea
die electrischen Theilchen selbst veranlasst werden, sondern es werden
auch Arbeiten äusserer Kräfte mit in Betracht zu ziehen sein. Erstreckt
sich die Aenderung des electrischen Zustandes auf Leiter , welche duitji
Nichtleiter getrennt sind, so werden Funken entstehen, wenn der Wider-
stand der nicht leitenden Schichten von der Elektricität überwundeo
wird. Geht die Entladung durch eine Flüssigkeit, so wird in den meistes
Fällen ein Theil derselben zersetzt werden. Vollzieht sich die Entladiug
in der Nachbarschaft eines Kreises von Leitern oder eines magnetificheo
Körpers , so entwickelt sich daselbst im ersten Falle eine inducirte Eot-
ladung, im anderen Falle eine Magnetisirung, welche ihrerseits aaf di«
ursprüngliche Entladung zurückwirkt u. s. f.
Die Arbeit aller dieser unter verschiedenen Umständen in Thätigkeit
gesetzten Kräfte ist negativ, denn alle diese Kräfte wirken dem Eintreten
und Verlaufe der Entladung entgegen. Nennen wir diese Arbeit T, »o
schreibt sich die bekannte allgemeine Gleichung der kinetischen Energie:
t
^'Im.v'^'- i S w . t^o^ = 2 Ax . da? 4- r . dy + Z . rf#)
in ihrer Anwendung auf elektrische Kräfte wie folgt:
i V wi . t;2 - I 2 »w . t'o^ = TT - TFo + T — To . . 9)
Die linke Seite dieser Gleichung repräsentirt den Zuwachs an leben*
diger Kraft etwa in Bewegung gesetzter Körper und die durch die elec-.
trischen Entladungen herbeigeführten Aenderungen der calorischen Energit
im Systeme. Bringt man T — To, die Summe der negativen Arbeite!,
auf die linke Seite der Gleichung, so tritt daselbst demnach ein posititei
Glied hinzu, welches als Maass aller durch die Aenderung des electrischet!
i
A. Mathematische Einleitung. 565
Zustandes herbeigeführten Wirkungen angesehen werden kann, abgesehen
von den Wärme Wirkungen und abgesehen, sofern diese in Betracht kom-
men, von den Bewegungen äusserer Körpen
Die rechte Seite der Gleichung reducirt sich alsdann auf die Arbeit
der gegenseitigen Einwirkung der Electricität, und diese bezeichneten
wir im Vorstehenden (Capitel 3, S. 559) mit dem Namen: Potential der
Electricität auf sich selbst. In dieser Gestalt repräsentirt alsdann die
Gleichung 9) den wichtigen Satz:
Die Summe der durch eine electrische Entladung her-
vorgebrachten Wirkungen, sämmtlich auf mechanisches
Maass bezogen, ist gleich der Aenderung des Potentiales
der Electricität auf sich selbst.
6. Die Potentialfunctlon ist proportional der eleotrlsohen
Ladung.
Nachdem wir im Vorhergehenden gesehen haben, dass im Zustande
des electrischen Gleichgewichtes die auf einem Leiter vorhandene Electri-
citätsmenge nur eine sehr dünne Schicht auf dessen Oberfläche bildet,
ist es erklärlich, dass das Gleichgewicht ungeändert bestehen bleibt,
wenn man die in jedem Elemente der Oberfläche vorhandene Electri-
citätsmenge verdoppelt, verdreifacht, vemfacht. — Die Potentialfunction
hat im Innern des Leiters allerorts die Form:
-f{±r}-
wobei dq die Ladung eines Flächenelementes bezeichnet. Es wächst
sichtlich demnach V genau in demselben constanten Verhältnisse, in
welchem die Ladung jedes Elementes zunimmt. Man kann demnach:
V= Ä. Q 10)
setzen , wobei Q die gesammte Ladung und A eine Constante bedeutet.
Letztere ist gleich der Potentialfunction , die durch eine Ladung von der
Grösse I hervorgebracht wird.
Für den Gleichgewichtszustand besteht eine sehr einfache Beziehung
zwischen der Potentialfunction und dem Potential. — Um das Potential
W für ein System von leitenden Körpern :
W
dq' . dq"
= -ir-^ »)
zu bilden, nimmt man zuerst ein dem ersten Körper des Systems ange-
höriges Element dq' und nimmt alle Elemente unter dem Integralzeichen
zusammen, welche dq' als Factor enthalten; deren Summe ist:
566 ni. Anwendangen auf electrische Erscheinungen.
Für ein zweites Element diq' desselben Körpers nimmt man dieselbe
Operation vor, und die Summe dieser zusammengehörigen Glieder des
Integrales ist:
- ^.^ • /'t'-
* Da die beiden Elemente dq' und di ^ demselben Körper angehören, hat
/da
— denselben Werth; es ist dies der con-
staute Werth, den die Potentialfunction im Innern des ersten Körpen
des Systemes besitzt, wir wollen denselben Fi nennen. Setzt man diei
Verfahren fort für alle Elemente des ersten Körpers, so erhält man die
Summe:
-(dq' +d^g: + d,q' + . . .) • V^.
Der in der Klammer stehende Ausdruck repräsentirt sichtlich die
gesammte Ladung des ersten Körpers, und man erhält daher für den
Theil des Doppelintegrales W, welcher sich auf den ersten Körper des
Leitersystemes bezieht, den Ausdruck:
Der zweite Körper des Systemes liefert in dem Integrale W em
ähnliches Glied:
- Fa . ft.
Bildet man für alle Körper des Systemes diese Producte, so erhält
man:
— (Fl . ft + F, . §3 + Fs . ÖS + . . . .)
Diese Summe ist jedoch nicht W selbst, sondern das Doppelte von
TF; denn bei der Art zu verfahren, welche soeben beschrieben wurde,
hsit man jedes Glied zweimal verwendet.
Betrachtet man z. B. das Glied der Summirung, welches sich auf
zwei bestimmte Elemente dq* und dq*' bezieht, so ist dieses Glied einmal
verwendet, als man den Ausdruck — dq' . / — bildete, denn das In-
rdq dq"
tegral / — enthält auch das Glied mit; ein zweites Mal aber
wnrde das nämliche Glied auch in dem Producte — dg" . / — mi
— enthält auch das Glied — . —
Man erhält demnach für das Potential W der Electrioität auf sich selbst
den Ausdruck:
W= — ^1V.Q 12)
mit'
A. MathematiBche Einleitung. 567
Diese Samme nmfasst alle Producte, welche man erhält, wenn man
für jeden Körper den Werth, welchen die Potentialfanction des ganzen
Systemes in diesem Körper besitzt, mit der Ladung des betrachteten
Körpers multiplicirt.
Aus diesem Satze ergeben sich unmittelbar einige wichtige Re-
sultate. *
Setzt man voraus, ein Körper des Systemes sei nicht geladen wor-
den, sondern werde lediglich durch Influenzwirkungen electrisirt. Als-
dann befindet sich zwar eine Electricitätsschicht auf der Oberfläche des
Körpers, aber es ist für denselben Q = 0. Die potentielle Energie eines
Körpers, welcher lediglich durch Influenz electrisirt wird, ist demnach
gleich Null. Das Vorhandensein eines derartigen Körpers vermehrt die
Arbeit nicht, welche dazu nöthig ist, die übrigen Körper des Systemes
zu laden, und bei der Entladung leisten solche Körper keine Arbeit.
Wenn andererseits ein Körper des Systemes mit dem Erdboden in
leitende Verbindung gesetzt wird, so ist zwar Q von Null verschieden,
hingegen ist in diesem Falle F == 0. Die Potentialfunction hat nämlich
alsdann für diesen Körper denselben Werth, den sie in allen Punkten
der Erde hat, d. h. den Werth Null. Das auf diesen Körper bezügliche
Product F. Q wird demnach Null, und es gelten daher für einen solchen
Körper dieselben Schlussfolgerungen, welche wir soeben für einen unge-
ladenen, nur durch Influenz electrisirten Körper erhalten haben.
B. Bestätignngen im Gebiete der Beibnngs-
electricität
1. Anwendungen auf die Leidener Flasche.
Bei einer Leidener Flasche oder einer Franklin 'sehen Tafel reprä-
sentiren die beiden Beleg^gen das System leitender Körper, sofern man
von dem electrischen Einflüsse des durch eine Ladung in seinem Zustande
geänderten Dielectricums , der isolirenden Zwischenschicht, vorlänflg ab-
sieht. — Wir nehmen an, das äussere Beleg des Ansammlers sei mit dem
Erdboden in leitender Verbindung, und das innere Beleg sei geladen.
Alsdann ist die Potentialfunction auf dem äusseren Belege Null, da das-
selbe mit dem Erdboden in leitender Verbindung steht. Auf dem inneren
Beleg mag die Potentialfunction einen Werth V besitzen ; ist q die La-
dung, welche diesem Belege mitgetheilt worden ist, so hat man:
W=-^ 1)
568 III. Anwendungen auf electrische' Erscheinungen.
Die Potentialfunction aber ändert sich proportional der electriacfaen
Ladung des ganzen Systemes und demnach im vorliegenden Falle pro-
portional der Ladung des inneren Beleges. Man kann demnach:
V=A.q 2)
setzen, ;^obei A eine Gonstante ist, welche von den Dimensionen und der
Gestalt des electrischen Ansammlungsapparates abhängt, welche jedoch
für durchaus gleich beschaffene Flaschen genau denselben Werth haben
wird. Führt man dies in den Ausdruck für das Potential W ein, so
erhält man:
Diese Formel enthält den wichtigen Satz: Das Potential eines
Verstärkungsapparates (Leidener Flasche) ist dem Qaadrate
seiner Ladung proportional.
Vermindert eine unvollkommene Entladung die Ladung auf q', so geht
die Potentialfunction im inneren Belege auf den Werth V zurück, und
das Potential des Ansammlungsapparates auf sich selbst ist nur noch W
V* a' Ä o'«
Tui ^ ' ^' ^ • tf .
2 2
Die Zunahme des Potentiales beträgt:
W -W=A . ^' ~ ^'* 4)
und durch diese wird bekanntlich die geleistete äussere Arbeit gemessen.
Ist die Entladung eine vollständige, so ist W* = 0, und die Zunahme
des Potentiales ist gleich seinem ursprünglichen Werthe, jedoch mit ent-
gegengesetztem Vorzeichen, d. h. die Zunahme ist gleich:
Ä .3«
Der Betrag der mechanischen Wirkungen, welche von
einer Leidener Flasche hervorgebracht werden können,
hängt demnach vom Quadrate der Electricitätsmen^e ab,
welche der Flasche mitgetheilt worden ist.
Vereinigt man n gleichbeschaffene und mit gleichen Ladungen Ter-
sehene Leidener Flaschen oder Franklin'schö Tafeln, so dass die-
selben eine Batterie bilden, IBO kann man für eine rohe Annäherung den
Einflifts vernachlässigen, welchen die einzelnen Ansammlungsapparate
auf einander ausüben und ebenso den Einfluss der freien Electricität^
welche auf den Verbindungsdrähten vertheilt ist. Daraus folgt, dass die
Potentialfunction V dieselbe bleibt, das Potential hingegen den irfachen
Werth annimmt. Bezeichnet man demnach die gesammte auf dem inne-
ren Belege angehäufte Electricitätsmenge mit Q, so ist:
I
B. Bestätigungen im Gebiete der Reibungselectricität 569
Tr=-i. r.Q
r = Ä, ^
n
^=-^-£ ^>
Um diese Sätze im Besonderen auf die Wärmeerscheinungen anwen-
den zu können, beiracliten wii* den Fall, in welchem alle Yersachsanord-
nnngen derart getroffen sind, dass die Entladungen weder magnetische,
noch Indu^ionswirkungen , noch chemische Wirkungen hervorbringen
können. Die Entladung erzeugt alsdann nur Wärme und diejenige
Arbeit, welche das Hervorbringen der Funken erfordert, die an den
Stellen entstehen, an welchen der Leiterkreis unterbrochen ist. Die
Summe dieser beiden Wirkungen muss in diesem Falle der Zunahme des
Potentiales gleich sein. Ist die Entladung vollkommen, so ist schliesslich
das Potential Null; seine Zunahme ist demnach:
A . Q^
2n
Daraus ergiebt sich der nur für die mitgetheilten Voraussetzungen '
gültige und daher nie streng anwendbare Satz : Für ein und dieselbe
Batterie und gleich grosse Ladungen derselben muss die
Summe der Wä^rmewirkungen und der auf die Funkenbil-
dung verwendeten Arbeit constant bleiben, wie auch der
von der Entladung durchlaufene Leiter beschaffen sein' mag.
2. Die Potentialfunction und das Potential kugelförmig
gestalteter Leidener Flaschen.
• Die Bestimmung des. Goefficienten Ä und die Aufstellung einer
vollkommenen Theorie der Leidener Flaschen überhaupt bietet erhebliche
Schwierigkeiten dar^). Man hat es jedoch mit einem sehr einfachen
Specialfalle zu thun, wenn man annimmt, dass beide Belege und die
isoHrende Zwischenschicht von vollständigen concentrischen Kugelober-
flächen begrenzt werden. Allerdings kann dieser Forderung in Wirklich-
keit nur näherungsweise genügt werden; jedoch kann man, wenn man
thermometerkugelartig construirte Flaschen wählt, die innen mit Queck-
silber gefüllt und aussen belegt sind, den theoretischen Voraussetzungen
sehr nahe Genüge leisten.
^) Ausführliche theoretische Untersuchungen über diese Apparate findet man in :
ClausiuR, Die mechanische Behandlung der Electricität (Braunschweig, Fr. Vieweg
u. Sohn, 1879), S. 39 bis 97, und: Kirchhoff, Zur Theorie des Condensators, Monats-
berichte der Berliner Akademie. 1877, S. 144 bis 162.
570 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Bezeichnet B den Radius einer aus einem vollkommenen Leiter her-
gestellten isolirten Kugelfiäche, und theilt man dieser Eugelflache die
Electricitätsmenge Q mit, so ist nach dem fr&her (auf S. 560 Gl. 6) mit-
getheilten Satze die Potentialfnnction dieser Electricitätsmenge im ganzen
inneren Räume der Eugelflache constant. Dieser Werth der Potential-
function kann leicht für das Centrum der Kugelfläche und dadurch somit
für jeden beliebigen anderen Punkt de| inneren Hohlraumes der Kugel
bestimmt werden. Für das Centrum der Kugel ist der Werth der Poten-
tialfnnction:
B
Füi* ^nen ausserhalb der Kugel gelegenen Punkt, welcher sich in
einem Abstände B •]- a vom Kugelcentrum befindet, ist der Werth der
Potentialfnnction :
F=-«-.
B + a
Die Richtigkeit dieser Behauptung ist leicht zu erweisen, denn die
Anziehung, welche die electrische Ladung der Kugel auf ein in dem
betreffenden Punkte gelegenes entgegengesetzt electrisches Theilchen yon
der Grösse 1 ausübt, ist bekanntlich gerade so gross, als ob die gesammte
anziehend wirkende Electricitätsmenge im Mittelpunkte der Kugel Te^
einigt wäre ^). Die Anziehung beträgt demnach :
Q
(.B + «)*'
Die anziehend wirkende Kraft dieser Electricitätsmenge ist aber
bekanntlich das Differential der Potentialfunction nach B -\- a. Man
erhält also:
8 V ^ Q
8 (i? + a) (Ä + a)2
und daraus folgt, mit Rücksicht darauf, dass für:
« = «>, F = |
ist, für den im Abstände B ■\' a ausserhalb gelegenen Punkt:
F=-«-.
B + a
Wir wenden dies nun auf eine Leidener Flasche an, deren innere
und äussere Belege Kugelflächen mit den Radien B und B -^ e sind,
nehmen also an, dass die Dicke der isolirenden Zwischenschicht e betrage.
Setzt man nun ferner voraus, dass die Ladung des inneren Beleges (,
^) Man sehe: Claus ius, Die Potentialfunction und das Potential (Leipzig, J. A.
Barth, 1877, 3. Auflage), S. 24.
B. Bestätigungen im Gebiete der Reibungselectricität 571
die des äusseren Q' sei, so ist die Potentialfonction in Bezug auf einen
Punkt, welcher sich auf der Oberfläche des inneren Beleges befindet:
^=l + ifi «)
In irgend einem zweiten Punkte jedoch, welcher auf dem äusseren
Belege der kugelförmigen Leidener F^^Bche liegt, hat die Potentialfunc-
tion den Werth:
Da jedoc& das äussere Beleg einer Leidener Flascbe für gewöhnlich
mit der Erde in leitender Yerhindnng steht, ist:
7' = 0,
und daraus folgt sofort:
Q=-Q! 8)
In einer kugelförmigen Leidener Flasche besitzen demnach die auf
dem inneren und äusseren Belege ausgebreiteten electrischen Ladungea
entgegengesetzte Vorzeichen , sie sind jedoch ihrer Grösse nach einander
gleich.
Setzt man nunmehr Gl. 8) in 6) ein, so ergiebt sich:
1 "T" "I^
^ B
Führt man hierin die Oberfläche 8 des inneren Beleges:
S = 4 . « . E«
ein und vernachlässigt mit Rücksicht darauf, dass e, die Glasdicke, im
Yerhältniss zu B eine sehr kleine Grösse ist, den Quotienten ~, so erhält
man für die Potentialfunction F den Näherungswerth:
F=if^.« 9)
Der früher von uns eingeführte Coefficient il, von dem wir mittheil-
ten, dass er von den Dimensionen und der Beschaffenheit der Leidener
Flasche abhängig sei, besitzt demnach in dem speciellen Falle der kugel-
förmigen Leidener Flasche den Werth:
^=— ^«>
Das Potential W selbst ist allgemein nach den früher (III, A, 6,
61. 12, S. 566) von uns festgestellten Sätzen:
572 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen,
und in dem besonderen Falle, den wir hier behandeln, demnach:
oder wenn wir wiederum die Oberfläche S einführen und die Glieder von
6'
der Form -=7 und deren höhere Potenzen gegen 1 vernachlässigen:
W=-^-Q* ....... 11)
Im vorliegenden Specialfalle ist demnach die Potentialfnnction und
das Potential umgekehrt proportional der Oberfläche der Flasche und
direct proportional der Dicke der isolirenden Zwischenschicht. Hieraus
folgt, dass wenn verschieden grosse und mit verschieden dicken isoliren*
den Zwischenschichten versehene kugelförmige Leidener Flaschen, w-elche
mit gleichen Electricitätsm engen geladen sind, entladen wefden, die in
irgend einem Punkte des Leiters entwickelte Wärmemenge proportional
^er Dicke der isolirenden Zwischenschicht und umgekehrt proportional
der Oberfläche der Flasche ist. Riess erkannte, dass auch bei Entladung
von Batterien, welche aus nicht kugelförmigen Leidener Flaschen be-
.stehen, die an einer Stelle des metallischen Leiters entwickelten Wärme-
mengen der Zahl der gleich beschaffenen Flaschen und somit der Ober-
fläche proportional waren (man sehe die Tabelle auf S. 579).
3. Anwendbarkeit der grefiindenen Formeln auf gevfrölmr
liohe Leidener Flasohen.
Clausius hat nachgewiesen, dass angenähert die im Obigen für
kugelförmige Leidener Flaschen gefundenen Sätze gültig bleiben, sofern
die Flaschendicke verhältnissmässig klein ist, sowohl für beliebig geformte
Leidener Flaschen, wenn keine plötzlichen Krümmungsändemngren bei
denselben vorkommen, als im Besondem auch für Franklin^sche Tafeln
mit kreisförmig gestalteten Belegen.
Clausius hat femer gezeigt^), dass die Potentialniveaudififerens,
welche bei der Ladung einer Franklin 'sehen Tafel oder Leidener Flaacbe
mit einer bestimmten Electricitätsmenge wirklich eintritt, im Yerbaltniss
^^^ — ; — : ^ • ^ kleiner ist, als diejenige Potentialniveaudifferenz,
welche bei Anwendung derselben Electricitätsmenge eintreten würde,
wenn das Glas keinen polaren Zustand annähme, sondern als vollkomme-
^) Die mechanische Behandlung der Electricität (Brannschweig, Fr. Vieweg u. Sohn,
1879), S. 88.
B. Bestätigungen im Gebiete der Reibungselectricität 573
ner Isolator wirkte. Letzteres haben wir im Vorhergehenden stets ange-
nommen. Der Werth von E ist verschieden gross, je nach der Katnr
des Dielectricnms, ans welchem die trennende Zwischenschicht der beiden
Belege des Condensators besteht. E ist 0 für, solche Substanzen, welche
durch und durch nichtleitend sind, und Eist gleich oo, wenn die Zwischen-
schicht ein yoUkommener Electricitätsleiter ist.
Für gut isolirende Zwischenschichten ist E jedenfalls eine kleine
Grosse, und wir können daher annehmen, dass die für kugelförmige Lei-
dener Flaschen mit vollkommen isolirender Zwischenschicht gefundenen
Resultate wenigstens angenähert auch für solche beliebig gestaltete Ver-
stärkungsapparate gültig sind, welche keine scharfen Kanten besitzen,
deren Trennungsschicht dünn und aus sehr gut isolirender Substanz her-
gestellt ist.
Bei den messenden Versuchen, welche bisher über die Wirkungen
electrischer Entladungen angestellt worden sind, handelt es sich jederzeit
um Resultate, welche mit grossen unvermeidlichen Beobachtungsfehlern
behaftet sind. Zur Bestimmung der einer Leidener Flasche oder einer
Batterie solcher Flaschen zugeführten Electricitätsmenge .bedient man
sich fast ausschliesslich der Lane' sehen Maassflasche. Da aber notorisch
die zwischen den Kugeln einer solchen Maassflasche überspringenden
Electricitätsmengen nicht immer absolut gleich sind, so ist schon die
Bestimmung der einer Batterie mitgetheiUen Electricitätsmenge ziemlich
ungenau. .
Die Wärmewirkungen, welche gemessen werden, seien dies nun Wärme-
mengen, welche in den Leitern hervorgebracht werden, oder seien dies
Wärme Wirkungen der Entladungsfunken, sind bisher meist mit dem Riess'-
schen electrischen Thermometer, oder mit Vorrichtungen bestimmt worden,
welche dem Kinnersley^schen Funkenthermometer nachgebildet sind«
Beide Vorrichtungen sind aber zur Bestimmung von Wärmemengen wenig
geeignet, und ihre Angaben werden nothwendig durch wesentliche Fehler-
quellen und Ungenauigkeiten beeinträchtigt. Für Vergleich der theoretischen
Ergebnisse der mechanischen Wärmetheorie mit den Resultaten der Mes-
sungen über Wärmewirkung der Entladungen electrischer Batterien wird
es daher ausreichend sein von der Polarität der isolirenden dielectrischen
Zwischenschichten abzusehen, wie dies im Vorstehenden und Folgenden
stets geschehen ist. Andererseits geht während der Dauer der Ladung
jederzeit ein Theil derselben durch Zerstreuung verloren, und dieser ist
verschieden gross, je nach der Dauer, welche die Ladung beansprucht, je
nach der Beschaffenheit der Atmosphäre, und je nach der grösc^eren oder
geringeren Menge von Staub etc., welche auf den Belegen und sonst auf
den Flaschen befindlich ist. Ausserdem aber sind wir nie im Stande alle
Wirkungen, welche die Electricität bei einer Entladung hervorbringt, zu
berücksichtigen. Selbst die dicksten und vollkommensten Leiter, die
Flaschen selbst erwärmen sich bei der Entladung und erleiden Volum en-
_ J
574 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
anderungen ^) , und die Funken sind selbst bei thunlichst gleicher Be-
schaffenheit der £ntladung8yorrichtung nicht ganz genau einander gleich.
Zumal der Theil der Electricitat, welcher zur Loslösung kleiner Metall-
theile der Kugeln und der Gasschichten von der Oberflache der Kugeln
dient, entzieht sich der Bestimmung durch Messung.
4. Bestätigung der ResiQtate durcli die Riesa 'sehen
Versuolie.
Ries 8 hat auf experimentellem Wege zwei Sätze abgeleitet, welche
als Bestätigungen der oben mitgetheilten Resultate der Potentialtheorie
angesehen werden können.
Er fand, dass in einem Leiterkreise, welcher durch mehrere hinter
einander eingeschaltete Drähte gebildet wird, die in jedem einzelnen
Drahte bei einer Entladung entwickelte Wäime dem electrischen Wider-
stände des Drahtes proportional ist. Wenn man andererseits, ohne an
den Bedingungen des Versuches etwas zu ändern, in den Schliessungs-
bogen einen neuen Draht einschaltete, dessen Widerstand l beträgt, so
ändert sich die in irgend einem Drahte entwickelte Wärmemenge um-
gekehrt proportional dem Ausdrucke 1 -|- h .1^ wobei 5 eine durch Beob-
achtungen bestimmte Constante ist. — Es ist klar, dass dieser neu ein-
gefügte Draht selbst der Sitz einer Wärmeentwickelung ist, welche nach
den vorstehend mitgetheilten Gesetzen durch:
S _J
* 1 + 5. Z
ausgedrückt wir|][.
Durch diese neue Wärmemenge würde die im gesammten Schliessungs-
bogen entwickelte Wärme wachsen; die an allen anderen Stellen des
Schliessungskreises entwickelte Wärme nimmt jedoch ab, es tritt eine
Gompensation ein, so dass die Summe der hervorgebrachten Wirkungen
immer constant bleibt. — Man kann ohne eigentliche calorimetrische
Bestimmungen, und diese liegen in den Riess^ sehen Versuchen durchaus
nicht vor, allerdings nicht nachweisen,, dass diese Compensation eine
ganz vollkommene ist; man muss sich vielmehr damit begnügen zu con-
statiren, dass der Verlauf der Erscheinung mit der Theorie vollkommen
im Einklänge ist. Auch zeigen einige Versuche von Riess, in vollstän-
diger Uebereinstimmung mit der Theorie, den Einfluss, welchen die Art
der Unterbrechung des Stromes an den Stellen ausübt, an welchen Fnn-
ken gebildet werden müssen. Die Batterie wurde bei jedem Versuche
gleich stark geladen und dies durch die gleiche Funkenzahl einer mit
^) Man sehe die Anmerkung auf S. 586.
B. Bestätigimgen im Gebiete der Reibungselectncität 5T5
dem Sosaeren Belege der Batterie Terbnadenen Lane'Bchen Maasaflucbe
L constatirt. Die Batterie war isolirt nnd das insBere Beleg dnrcb einen
horizontalen Draht mit dem inneren Beleg der Lane'schen Maasaflasche
Fig. 38.
verbunden, deren anderes Beleg mit dem Erdboden in leitende Terbin-
dnng gesetzt war (man sehe Fig. 38). Gegen den Draht, welcher das
SoBsere Beleg der Batterie mit der Lane'schen Flasche verband, war
ein Kapferstreif iT angepresat, der an einem isolirten Häkchen befestigt ,
war and sieb hieraof bis zum Boden fortsetzte. Während der Zeit, welche
daa Laden der Batterie beansprnchte, worde dieser Enpferstreifen vom
Drahte durch eine geeignete Torrichtnng fem gehalten. Ein Metallstab
verband das innere Beleg mit einer isolirten Kngel; diese konnte lArcb
einen hebelartig beweglieben AEetallstab S direct mit einem Arme a eines
Henley'schen allgemeinen Entladers in leitende Verbindung gesetzt
werden. Der andere Arm des Entladers war durch isolirte Drähte mit
einem sogenannten Riess'schen electrisohen Lnfttbermometer T verbun-
den, so dass der Entladungsstrom, ehe er den Erdboden erreichen konnte,
durch dieses Thermometer faiadorchgehen musste. Mit dieser Einrich-
tung, deren sichRiess bei allen seinen Beobachtnn gen bediente, konnten
die einzelnen Versuche leicht angestellt werden. Er entfernte den Rnpfer-
ntreifen E der Erdleitung von dem Drahte, welcher das äussere Beleg
mit der Lane'schen Flasche verband, und senkte den Hebel S, so dass
das innere Beleg vollkommen isolirt war. Er lud hierauf, indem er daa
innere Beleg mit der Electricit&tsquelle in Verbindung setzte, die Batterie
und bestimmte die Stärke der Ladung aus der Zahl der Funken, welche
zwischen den beiden Engeln der Lane'schen Flasche L übersprangen.
n
576 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Alsdann liess er den zur Erde abgeleiteten Kupferstreifen K den vom
äusseren Beleg zur L an e' sehen Flasche führenden Draht berühren und
entlud durch Emporheben des Hebels 8 die Batterie. Riess veränderte
am allgemeinen Auslader bei einigen Versuchen die Metallenden, zwischen
welchen die Funken übersprangen. Bei anderen Versuchen brachte er
zwischen die inneren Enden a und 5 des Entladers Platten nicht leiten-
der Korper. Auf diese Weise veränderte Riess den Widerstand, wel-
cher sich dem Durchgange der Electricitat entgegensteUte und damit die
Arbeit, welche durch die Entstehung eines Funkens consumirt wurde.
Es zeigte sich bei allen Versuchen vollkommene Uebereinstimmang mit
der Theorie. Die im electrischen Thermometer beobachtete Wärmemenge
war um so geringer, je grösser der Widerstand war, den die Entladung
überwinden musste.
Die entwickelten Wärmemengen wurden mit dem Riess' sehen elec-
trischen Thermometer (T in Fig. 38) gemessen. Die Goustruction dieses
Apparates setzen wir als bekannt voraus ^).
Die Einiichtung des electrischen Thermometers von Riesa ist derart
getroffen , dass die Längen , um welche sich der gefärbte Weingeist im
geneigten Rohre verschiebt, den im Drahte entwickelten Wärmemengen
sehr nahe proportional sind. Allerdings ist die Proportionalität keine
vollkommen strenge, aber die unvermeidlichen Beobachtungsfehler sind
bei allen Versuchen mit Reibungselectricität so gross, dass die geringen
Ungenauigkeiten, welche von der Mangelhaftigkeit des Luftthermometers
als Wärmemessinstrument herrühren, gegen die übrigen Beobachtungs-
fehler vollständig vernachlässigt werden können.
Wir theilen im Nachstehenden einige hierher gehörige Versuche von
Riess mit. Als Maass der entwickelten Wärmemenge dienen die von
dem Ende der Flüssigkeitssäule im electrischen Thermometer durch«
laufenen Strecken. Die Neigung der Röhre dieses Instrumentes gegen
die Horizontale war bei allen Versuchen die nämliche. Auch wurde
selbstverständlich bei jedem der angefahrten Versuche der Batterie die
nämliche Ladung mitgetheilt und die Entladung in derselben Weise be-
werkstelligt. Nur an der Stelle, an welcher die Funken übersprangen,
wurden einestheils verschieden gestaltete Endflächen verwendet, anderen-
theils in den Weg des Funkens verschiedene Körper gebracht, welche
der electrischen Durchbohrung verschieden grosse Widerstände entgegen-
stellten. Der kürzeste Abstand der Leitertheile , zwischen welchen der
Funken überspringen musste, betrug bei allen Versuchen 0,45 mm.
^) Man sehe: Riess, Die Lehre von der Reibungselectricität (Berlin, Hirsrhwald,
1853), Bd. 1, S. 386 und 462.
B. Bestätigungen im Gebiete der Reibungselectricität 577
Beschaffenheit der Tom Funken durch-
hohrten Substanzen^)
Erwärmung des Drahtes im electrischen
Thermometer, wenn der Funken übersprang
zwischen
2 Kugeln
2 Platten
2 Spitzen
Luftschicht
Ein Kartenblatt
Zwei Blätter mit dazwischen gelegtem
Stanniol
Zwei Kartenblätter ... *
Glimmerblatt
15,8
11,6
9,5
8,5
7,4
15,4
12,0
9,3
8,8
4,9
15,1
11,6
10,4
6,3
Der Knall der £ntladang war um so heftiger , je geringer die ihn
begleitende Erwärmung im Thermometer ausfiel. Man erkennt sofort,
dasB, je grösser der Widerstand war, den der Funke hei der Entladung
zu üherwinden hat, je starker der Knall war, je mehr Arheit also hei der
Entstehung des Funkens geleistet wurde, desto geringer die im Ther-
mometer erzeugte Wärmemenge ausfiel.
Lässt man den gesammten Leiterkreis, welchen der Funken durch-
laufen muss, ungeändert, gieht jedoch der Batterie yerschieden starke
Ladungen, und setzt man die Batterie aus yerschiedenen Anzahlen unter
sich gleichen Leidener Flaschen zusammen, so muss die Summe der Wir-
kungen, welche eine vollkommene Entladung hervorhringt, sich alsdann
proportional dem Potentiale der Batterie ändern. Die ganze Anordnung
des Yersuches wurde derart getroffen, dass die einzigen Wirkungen der
Entladung soweit thunlich in der entwickelten Wärme und der für die
Entstehung des Funkens aufgewendeten Arheit hestand; mindestens war
dafQr gesorgt, dass die Entladung von keinerlei magnetischen, electrischen
oder chemischen Nehenerscheinungen begleitet wurde. Lässt man, indem
man den Thermometerdraht sehr lang und sehr dünn wählt und aus
sehr schlecht leitendem Metalle herstellt, den Widerstand des Schliessungs-
kreiBes mehr und mehr wachsen, so wird der Funke immer schwächer,
und die für seine Entstehung aufgewendete Arbeit wird mehr und mehr
eine verschwindende Grösse. Man nähert sich mit wachsendem Wider-
stände des Leiterkreises mehr und mehr dem idealen Falle, in welchem
die im Leitungsdrahte entwickelte Wärmemenge die einzige Wirkung der
Entladung ist und somit als Maass des Potentiales dienen kann.; jedoch
wird es niemals möglich sein, diesen idealen Zustand zu erreichen.
Obgleich dieser ideale Fall bei den nachstehend mitgetheilten Biess^-
schen Versuchen ^ jedenfalls nicht ganz erreicht gewesen ist, so ergeben
^) Man gebe: Riess, Die Lehre von der Reibungselectricität, Bd. 1, S. 416 u. 417.
^ Riess, Die Lehre von der Reibungselectricität, Bd. 1, S. 399.
Bfihlmann, Mechan« W&rmetheoTie. Bd. 2. 37
578 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
dieselben doch fast genau das Resultat: Die Wärmemenge, welche in
einem Metalldrahte des Sohliessungsbogens durch eine Entladung erseogi
wird, ist dem Quadrate der Ladung der Batterie direct und der Ober-
fläche der Batterie umgekehrt proportional.
Die Ursache, dass es trotz der erwähnten unvermeidlichen Mangel-
haftigkeit der Yersuchsanordnung möglich war, dieses Gesets in so fiber-
raschender Weise experimentell zu constatiren, liegt, wie wir spater
zeigen werden, darin, dass auch der andere Summand, welchen Riesa
nicht maass, die im Funken erzeugte Wärmemenge, demselben GesetBe
folgt, welches für die im metallischen Schliessungsbogen entwickelte
Wärmemenge gilt.
Bei Anstellung dieser Versuche bediente sich Riess einer An^^kl
thunlichst gleich hergesteUter Leidener Flaschen, von welchen jedes
Beleg ungefähr 16 qdm Oberfläche besass. Die Ladung wurde durch die
Zahl der Funken einer Laue' sehen Maassflasche bestimmt, deren Kngebi
sieh in einem Abstände yon 2,25 mm befanden. Die erzeugte Wärme-
menge wurde wiederum direct durch die Verschiebung der Flflasigkeits-
säule des electrischen Thermometers gemessen« Jede Zahl der Tabdk
ist das Mittel aus drei Beobachtungen, und daneben sind die nach der
Formel :
fl = a . ^ 12)
berechneten Werthe gesetzt, worin d die entwickelte Wärmemenge, Q die
LaduDg (Anzahl der Funken der L an e 'sehen Maassflasche), n die AnssW
der Flaschen, a eine aus den Versuchen bestimmte Gonstante bedeutet:
R Beetätigungen im Gebiete der BeibnngselectricitäL 579
■2J
II
1 i
1
1
1
2.0
3,2
6,2
7,3
11,0
14,1
17,8
n
1
1 5 5- S 1 :- 5 1 1
1
1 S- V £ 5 2- g 1 1
e. (3
^
* 5 2- S S 1 1 1 1
1
2 5 J- S- 5 1 1 1 1
»!.•
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""""-■--•s
11
II
9 S
äs
aJ
g w
I!
•1 =
11
ii
11
IS
580 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
10 Flaschen
15 Flaschen
25 Flaschen
Ladung
Erwärmung
Erwärmung
Erwärmung
Q
beobachtet
berechnet
beobachtet
berechnet
beobachtet
berechnet
10
8,5
8,8
5,0
5,9
3,0
3,5
20
-^
—
25,0
23,5
ä
—
Wir fanden früher ans der Anwendung der Sätae der mechanischea
Theorie der Wärme auf die electrisohen Erscheinungen die Formd
(S. 569, GL 5):
91
2n
W= — A
13)
und diese wird, wie man erkennt, durch die Riess^achen Yersache in
sehr befriedigender Weise bestätigt. Die kleinen Abweichungen der Beob-
achtungsresultate von der Formel erklären sich minder dadurch , daas
die zur Hervorbringung des Entladungsfunkens aufgewendete Arbeit
nicht absolut Null, sondern nur eine sehr kleine Grösse ist^), sondeni
dadurch, dass die der Batterie mitgetheilten Ladungen nicht immer gani
genau proportional der Zahl der Funken der Lane'schen JfiMBBsflascbe
sind, dass auch die Entladungen der Batterie sich nicht immer gleidi
▼ollkommen YoUsiehen, und dass man die auf den VerbindungadrahteD
aufgehäuften Electricitätsmengen ausser Betracht gelassen hat
Die obige Formel kann auch in die Gestalt:
2 n
Q
H)
gebracht werden. Beachtet man dabei, dass — der Dichte der Electricität
n
auf der Batterie proportional ist, so kann man den durch Riesa experi-
mentell bestätigten Satz auch in folgender Form aussprechen: Die in
einem Punkte des Leiterkreises entwickelte Wärmemenge ist
proportional der auf der Batterie aufgehäuften Electricitäts*
menge und proportional der Dichte der Electricität auf den
Belegen.
^) Man sehe die weiterhin Cap. 5, S. 581 mitgetheilten Versuche von Villari.
B. Bestätigungen im Gebiete der Reibungselectricität. ^ 581
6. Die Bestätigimg der Formeln duroh VlUarrs Messun-
gen der Wärmewirkimg der Entladimgsfimken.
Die zur Bestätigimg der Formel 14):
A 0
•2 n
mitgetheilten Yersnche von Riesa leiden, wie bereits erwähnt, sfimmtlich
an dem Uebelstande, dass die zur Production des Fankens yerbranchte
Menge electrisoher Energie nicht in Rechnung gezogen ist und bei diesen
Untersuchungen nor ein sehr kleiner Theil der überhaupt erzeugten
Wärmemenge gemessen wird, nämlich der, welcher in einem kleinen
Theile des Leiters, in dem Drahte entwickelt wird, welcher sich in der
Kugel des electrischen Thermometers befindet. Als eine vollkommenere
Bestätigung der Formeln, als sie früher die Riess'Bchen Versuche
allein gewährten, können daher die neueren Versuche von Villari an*
^^esehen werden , bei welchen die Wärm& des Entladungsfunkens electri-
scher Batterien gemessen worden ist; zumal aber erhalten letztere in
Verbindung mit den von Riess erhaltenen Resultaten eine sehr hervor-
ragende Bedeutung.
Villari^) trug dafür Sorge, dass bei seinen Versuchen nur ein ein-
ziger Funke, nicht wie gewöhnlich mehrere entstanden, und stellte alle
übrigen Theile des Schliessungskreises aus sehr kurzen und ungewöhnlich
dicken Eupferdrähten her, so dass die Erwärmung der metallischen
Leiter sehr gering war und vernachlässigt werden konnte.
Die Funken selbst entstanden in dem Hohlräume eines electrischen
Thermometers, welches dem Kinn er sley 'sehen nachgebildet war. Der
Apparat war so eingerichtet, dass man keines Entladers bedurfte, son-
dern dass einzig im Thermometer ein Entladungsfunke übersprang. Aus
den Verschiebungen des Flüssigkeitsniveaus in dem Thermometerrohre
schloss er auf die vom Funken entwickelte Wärmemenge.
Er lud eine Batterie von 18 und 36 nahezu congruenten Leidener
Flaschen mit gleich grossen Electricitätsmengen. Die Quantität der zn,-
gefuhrten Electricitätsmenge bestimmte er, wie früher schon Riess, auef
der Funkenzahl einer Lane' sehen Maassflasche. Bei Entladung der aus
36 Flaschen bestehenden Batterie betrug die Verschiebung des Niveaus
am electHschen Thermometer 24 Einheiten, bei Schluss einer mit einer
gleich grossen Electricitätsmenge geladenen Batterie von 18 Flaschen
durch das Funkenthermometer: 48 Einheiten, so dass die entwickelten
1) Villari, II nuovo Cimento S.Serie. Bd. 5 (1878), S. 49 u. 161. Bd. 6 (1879),
S. 115 bis 128.
582 nL Anwendangen auf electrische ErocheiBungen.
Wärmemengen Oi und O« sich genau umgekehrt proportional dar
Flaschenzahl n verhielten.
Liess er statt eines, mehrere Fui^ken entstehen, indem er meluere
Fnnkenthermometer hinter einander einschaltete, so betrug die Srnnme
der in s&mmÜichen Fanken entwickelten W&rmemengen immer genan
ebenso viel, als die, welche er erhielt, wenn unter sonst gleichen um-
ständen die Entladung nur einen Funken erzeugt hätte. Auch die Be-
schaffenheit der Metallenden, zwischen welchen die Funken überspriiigeB,
waren ohne wesentlichen Einfluss. Man erhielt dieselbe WärmemeDge,
gleichgültig ob der Funken zwischen Platten, Kugeln oder Spitaen über-
gesprungen war.
Der Einfluss der Electricitätsmenge auf die im Funken entwickelte
Wärmequantität wurde in zwei gesonderten Versuchsreihen ermittelt. Für
alle Versuche einer Reihe wurde eine und dieselbe Batterie mit ungeiii-
derter Flaschenzahl verwendet. Die Ladungen wurden erst in steigender,
dann in sinkender Reihe verändert und aus beiden Reihen die Mittdr
werthe der den gleichen Electricitätsmengen entsprechenden Erwärmun-
gen genommen. ' Aus beiden TabeUen der gewonnenen Hittelwertke
ergiebt sich zwischen den Wärmemengen D und Ladungen Q die
Formel:
wo a eine Gonstante ist.
Bei den beiden Versuchsreihen fand man:
k = 2,02 und Ä; = 2,08;
so dass es mit Rtlck9icht auf die Grösse der unvenüeidlichen Beobacii-
tungsfehler berechtigt erscheint, ohne Weiteres % = 2 zu setzen. Am
diesen Ergebnissen zieht Villari den Schluss: Die Gesammtwfirme, die
von einem oder mehreren Funken erzeugt wird, welche die ToUkonuneBe
Entladung einer Flaschenbatterie bewirken, ist proportional dem Qua-
drate der Electricitätsmenge, welche sie erzengt, und umgekehrt propor-
tional der Oberfläche des Gondensators.
Damit aber ist die Formel 13) in aüer Strenge bestätigt. Gleidi-
zeitig beweisen die Villari'schen Versuche, dass es in der That zuüasig
ist, die theoretische Formel, welche eigentlich nur ftr kugelftrmige Lei-
dener Flaschen mit absolut isolirender Zwischenschicht gültig ist, nähe-
rungsweise auch für gute gewöhnliche Leidener Flaschen anzuwenden.
Weiterhin constatirte Villari, ebenfalls in vollkommenster Ueber-
einstimmung mit der Theorie, dass die Wärme des Funkens um so
mehr abnimmt, je grösser der Widerstand des metallischen Schliessungs-
kreises wird.
Bestand der Schliessungskreis aus kurzen und dicken Kuplerdrälitez,
so betrug die vom Funken entwickelte Wärmemenge 34,3, wurde jedoek
dieselbe Batterie bei gleich starker Ladung durch einen Leiterkreis ent-
laden, in welchem 13 Rollen dünner Messingdraht eingeschaltet witbd,
so sank die Erwärmung von 34,3 auf 2 herab.
B. Bestätigungen im Gebiete der Reibungselectricität 583
Diese Yersache, znmal aber ihre ZasammensteUnng mit den im
Capitel 4 mitgetheilten Resnltaten, welche Riesa erhalten hat, können
als eine ftberzeugende'Bestfttigung der theoretischen Ergebnisse angesehen
-werden.
Gelänge es, sowohl die yom Fnnken entwickelte, als die im ge-
sammten Schliessnngsbogen freiwerdende Wärmemenge gleichzeitig zn
messen, so würde die Samme beider Wirkungen jederzeit constant sein,
^gleichgültig ob man ein und dieselbe gleich stark geladene Batterie durch
einen kurzen dicken, oder durch einen langen dünnen Leitungsdraht
schlösse; Bei verschieden starken Ladungen von verschiedenen, aus con-
Cpruenten Flaschen bestehenden Batterien würde diese Summe mit grosser
Annäherung den in Gleichung 13) enthaltenen Gesetzen folgen.
6. unvollständige Entladung einer Batterie.
Von zwei Batterien H und 8 , welche ans congruenten Flaschen zu-
sammengesetzt sind, deren eine, 9[, aus r! und deren andere, 9, aus
n'' Flaschen besteht, sei die erste mit einer Electricitätsmenge Q geladen,
die andere ungeladen.
Die äusseren Belege beider Batterien sollen sich mit der Erde in
leitender Verbindung befinden. Hierauf verbindet man die inneren Be-
lege beider Batterien durch einen metallischen Schliessungsbogen, in
welchen ein electrisch'es Thermometer eingeschaltet ist.
Für die erste Batterie ist vor der Entladung das Potential der dort
aufgehäuften Electricitätsmengen auf sich selbst
^= s-l^ 1^)
-wenn e die Glasdicke, S die Oberfläche jeder Flasche, Q die zur Ladung
werwendete Electricitätsmenge und C eine Constante bedeutet.
Für die zweite Batterie ist, da sie ungeladen ist, anföngEch das
Potential gleich Null.
Wenn die inneren Belege der Batterie % und S9 hierauf verbunden
worden sind, erfolgt eine Entladung, und die beiden Batterien setzen sich
in electrisches Gleichgewicht. Eine derartige Entladung nennt man eine
unvollständige.
Nach diesem Ausgleich ist die Batterie % mit einer Electricitäts-
menge Q', die Batterie 9 mit einer Electricitätsmenge Q" geladen.
Da nach der Entladung die beiden inneren Belege durch einen metal-
lischen Schliessungsbogen verbunden sind, besitzt die Potentialfunction
auf jeder der gleichen Flaschen beider Batterien denselben Werth. Der
Werth des Potentials ist die Hälfte des Productes aus dem Werthe der
Potentialfunction auf irgend einer der Flaschen ' • -^ und der ge-
584 III. Anwendungen anf electrische Erscheinungen.
sammten Ladung sämmtliolier Batterien, und diese letztere ist, nach wie
vor, gleich Q. Nach der Entladung hesitzt das Potential auf sich selbst
daher den Werth Wi:
Wi = - ^^ -^-Q 16)
Die Grösse Qf kann leicht ermittelt werden. Anf den Flaschen
beider Batterien besitzt, nachdem die unvollständige Entladung statt*
gefunden hat und beide inneren Belege in leitender Verbindung stehen,
die Potentialfunction den Werth:
C .e Q^ _ C_^ ^
S ' n' ~ S * w" '
Verbindet man diese Gleichung mit der an sich selbstverständlichen:
«=«'+«" 17)
so ergiebt sich daraus unmittelbar:
«' = z^ry • « ''"^ «" = ;7^-^' • « • • . 18)
Führt man diesen Werth von (^ in die Formel für Wi ein, so erhält
man:
^' S W + n"
Die Zunahme des Potentials beträgt demnach:
G . e
TT — Wi = —
^' \n' n' + n")
S
oder:
Dies ist demnach die Menge electrischer Energie, welche bei der
Entladung unmittelbar in Wärme umgesetzt wird, sofern Wirkungen
anderer Art vollkommen ausgeschlossen sind.
Die Richtigkeit dieser Formel hatte Riess nachgewiesen, schon
lange ehe dieselbe auf theoretischem Wege abgeleitet wurde.
Wir wollen nunmehr die Voraussetzung fallen lassen, dass die Flaschen
beider Batterien congruent sind und wollen annehmen, dass die Leidener
Flaschen, welche zu einer Batterie gehören, zwar unter sich oongment
sind, dass jedoch die Flaschen beider Batterien nach Grosse und Glas-
dicke verschieden seien.
Wir haben früher nachgewiesen, dass für kugelförmige Leidener
Flaschen, deren Belegungen durch vollkommen isolirende Zwischenschich-
ten getrennt sind, die Potentialfunctiop auf dem ganzen inneren Belege
den Werth hat (man sehe GL 9, S. 571)
B. Bestätigungen im Gebiete der Beibungselectricität 585
wenn 8 die Oberfl&che des inneren Belegs, e die Glasdicke und Q die dem
inneren Beleg mitgetheilte Electrioitätsmenge bezeichnet.
Besteht die Batterie S ans n congruenten Flaschen, und bezeichnet
man die Ladung der Batterie mit Q, so ist vor der Entladung das Po-
tential der Batterie:
W=-^Q* 20)
Da nach der unvollständigen Entladung die Potentialfunctionen auf
den inneren Belegen der Flaschen beider Batterien einander gleich sind,
so ist, da wir die Ladungen beider Batterien am Schlüsse mit (^ und Q"
bezeichnet haben:
^•"^ «'=-?^e" 21)
W .ff ^ ~n" .ff'
-wobei ef und e" die Dicken der isolirenden Zwischenschichten und S' und
ff' die Oberfl&chen der inneren Belege jeder Flasche in den Batterien %
und S bezeichnen.
Da ausserdem:
ö = ^ + ö"
ist, so findet man sofort:
e" n' ff
^ = ^ ■ ^.n".si'+'e".n'.S' • • • • 28)
und hieraas das Potential der Gesammtbatterie auf sich selbst nach der
Entladnng:
iL
Wi = - C .</ . Q*' —, y^^ . 23)
Der Zuwachs des Potentials Wi — W durch die unvollkommene Ent-
ladung betr> hiemach:
TTi^ Tr=^;^V/ ,/ , ^ ... 24)
n. ff ef' , n' . ff
7. Die Riess'sohen und Villari'solien Versuche über die
Wärmewirkungen unvollständiger Entladungen.
Die Richtigkeit obiger Formel ist durch einige Yersuchsreihen yon
P. Ries 8 in so weit vollkommen bestätigt worden, als die Art und Weise
der von diesem Physiker angewendeten Untersuchungsmethode überhaupt
geeignet ist, directe Vergleiche zwischen den yon ihm erhaltenen Wärme-
586 III. Anwendungen auf electiische Erscheinungen.
messungen und den in der Formel auftretenden Grössen xu gestattaiL
Riesa yemacblässigt vollkommen die im Entladungsfunken entwickelte
Wärmemenge. Die Versuche von Yillari hahen jedoch geseigt, dssi
dies nur dann zulässig ist, wenn der Widerstand des metalliachsa
Schliessungshogens sehr gross ist
Nennt man die im Funken entwickelte Wärmemeoge Ci, ^o hn
metallischen Schliessungsbogen entwickelte Wärmemenge C^, die auf
anderweite mechanische ^) nnd sonstige Wirkungen verwendete Energie-
menge £1, so gilt jederzeit die Relation:
TTi — Tr= jr.(Ci + C,) + S 25)
Riess misst bei seinen Versuchen jederzeit nur einen fCür jede Yer>
suchsreihe constanten Bruchtheil von C^. Die von ihm gefundenen For-
meln für diesen Theil der Wärmemenge werden nur dann richtig aeiii,
wenn entweder Ci und 8 im Vergleich zu C^ als verschwindend klea
angesehen werden dürfen, oder wenn diese genau in derselben Weise
von den veränderlichen Versucbsgrdssen abhängen, wie jene. Von diesa
beiden Möglichkeiten findet, wie es scheint, die letztere statt, nnd daher
wird die überraschende Uebereinstimmung seiner Beobachtungsresultsie
mit den theoretischen Formeln erklärlich.
Die Versuche von Riess beziehen sich auf den Fall, dass dieFlaschoi
beider Batterien einander nicht gleich sind. Jedoch waren die Glasdicken
sehr nahe einander gleich, nämlich 3,7 und 3,3 mm. Daraus wird es
vollständig erklärlich, dass die in der letzten Golonne nachstehender Ta-
belle mit Hülfe der Formel:
e=^-y^^-^. »)
(? + l)-«
^) Es ist z. B. in neuerer Zeit wiederholt constatirt worden, dass Leidener Flasdicn
durch die Ladung eine VolumenTergrosserung erfahrenj welche im Momente der EnUadas;
yerschwindet. E. D uteri Comptes rendus Bd. 88, S. 1260 bis 1262 und A. Righi,
Comptes rendus Bd. 88, S. 1262 bis 1265 kommen aus getrennten VersnchsrdheB
übereinstimmend zu der Formel:
xra
J = cofiat. — ,
wenn J die Yolumeuvergrösserung, V der Potentialunterschied beider Belege und e £e
Glasdicke ist.
Kosteweg, Comptes rendus 88, S. 338 bis 340 glaubt diese VolumenTergrSsseraig
lediglich als eine Wirkung des electrischen Druckes ansehen zu dürfen und hält llr
kugelförmige Leidener Flaschen die Formel:
> ___ .«j • • ''*
^ — . coruu _ ■
e* . 8
für die richtigere. Hierin ist R der Kugelradius und e der ElasticitStsmodulus der
isolirenden Substanz.
Die erstgenannten beiden Physiker halten den electrischen Druck nicht für aus-
reichend zur Erklärung dieser Erscheinungen, sondern glauben auch der Polaritit der
dielectrischen Trennungsschicht einen Antheil zuschreiben zu müssen , eine Anskiht, die
durch die Tollstandigeren Untersuchungen Quincke's (Wiedemann, Ann. Bd. 10, S.165)
bestätigt wird. Auch sehe man W. Siemens' Beobachtungen über Erwirmung der
Gondensatoren bei abwechselnder Ladung und Entladang. Pogg. Ann. Bd. 125, $.138.
B. Bestatigangen im Gebiete der Beibungselectricität. 587
bereehiieten Zahlwerttie so gute Uebereinstimmiuig mit den RiesB'schen
BeobaohtongBresiiltaten ^) Beigen:
Erwirmnng des Drahtes im Riess'-
Auahl der Flaschen
Ladung
schen Thermometer
6
der ersten Batterie
Q
erste Batterie
n
zweite Batterie
*
beobachtet
»
berechnet nach
Formel 26
112
7,0
6,8
5
7
V*
9,0
9,2
lie
12,0
12,0
jio
8,5
8,2
5
5
12
11,4
11,8
lu
15,3
16,1
6
6,6
6,6
5
3
'
8
11.7
11,7
10
17,2
18,3
( 8
9,5
8,8
3
3
10
13,3
13,7
ll2
19,3
19,7
*
ri2
1
9,3
8,7
1
3
14
12,3
11,9
ll6
15.7
15,4
Die Yenuche Ton Yillari') sind in ähnlicher Weise angestellt, wie
die im vorigen Capitel beschriebenen» insbesondere war dafür Sorge ge-
tragen, dass die in den metallischen Leitungen des Schliessungsbogens
entwickelte W&rme yerschwindend klein war nnd nur ein einziger Fun-
ken, eben der im Fnnkenthermometer, zn Stande kam, dessen Wärme
gemessen wurde* Es wurde jedoch vorzugsweise oonstatirt, dass die
bei der unvollständigen Entladung erzeugte Wärmemenge des Funkens,
Termehrt um die Wärmemenge, welche bei der schUesslichen Entladung
der durch die unvollkommene Entladung geladenen Batterie entwickelt
-wlBurde, gleich der Wärmemenge war, welche bei der directen vollstän-
digen Entladung der mit der gleichen Electridtätsmenge geladenen
ersten Batterie erzeugt worden wäre.
M Riess, Lehre Ton der Reibnngselectricitat, Berlin, Hirschwald, 1853, S. 178.
'j Richerche snlle leggi termiche e galyanometriche deye scintille elettriche pro-
dotte dalle scariche complete, incomplete e pandali dei condensatori« Atti della Accadem.
dei Linoei (8) Bd. 3. (1879), S. 220 bis 223.
588 UL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Auch das Reialtat der Yillari' sehen Versuche stimmt mit der
Theorie yollkommen überein.
Ladet man die erste Batterie S mit der Electricit&tsmenge Q^ so
ist das Potential auf sich selbst in diesem Falle:
^ 8 n'
Bei der partiellen Entladung auf eine zweite Batterie, deren Flaacheor
zahl n" beträgt, ist, sofern die Flaschen beider Batterien congrueat sind,
der Anwachs des Potentials (nach Gleichung 19):
(n' + »") . n'
Das Potential auf sich selbst der gesammten durch die
Entladung nunmehr geladenen Batterie, welche aus n' -{- n" Flaschen
besteht, ist gleich:
"^ - — r W^Ti^
und daraus folgt sofort, dass:
Wi + (TT— Tfi)= W
sein muss. Dies aber ist das Resultat, welches Yillari gefunden hat, ds
er die Grössen TT, TTi — Wund Wi direct mit Hülfe des Fonken-
thermometers gemessen hat.
Weitere Vergleiche zwischen Erfahrung und Theorie sind leider mit
den Ton Villari publicirten Versuchsreihen, soweit dieselben dem Ver-
fasser zugfinglich waren, bis jetzt nicht möglich.
8. Die Wänn6\Krirktingen der Casoadenbatterle und die
Versuche von Dove und Biess.
Eine Cascadenbatterie oder Franklin^ sehe Flaschens&ule besieht
bekanntlich aus einer Anzahl genügend isolirt aufgestellter einxelDer
Flaschen oder auch aus einer Anzahl Batterien, welche derart yerbundeii
sind, dass das äussere Beleg der ersten mit dem inneren Belege der
zweiten, das äussere Beleg der zweiten mit dem inneren einer dritten u.8.f.
verbunden ist. Das innere Beleg der ersten und das äussere der letzten
werden bei der Ladung und Entladung gerade so behandelt, wie die
inneren und äusseren Belege einer einzigen Batterie.
Nehmen wir an, es seien nach Art der Cascadenbatterie eine Anzahl
Batterien mit einander verbunden, welche sämmÜich aus congruenten
Flaschen zusammengesetzt sind und die der Reihe nach aus n\ n'\ fT^^
einzelnen Flaschen bestehen.
Tr = —
B. Bestätigimgeii im Gebiete der Reibimgselectriciiai 589
Wir nehmen der Einfachheit i) wegen an, dass diese Flaschen sehr
d.Onn und überhaupt derart beschaffen sind, dass man ohne wesentlichen
Fehler die innere und ftussere Ladung jeder Batterie als gleich gross
stnaeben kann. Alsdann kann man die Grösse s&mmtlicher Ladungen
aller Belege als unter sich gleich betrachten. Wir nehmen an, dieselbe
sei ihrer absoluten Grösse nach: Q.
Für jede Batterie berechnet sich alsdann das Potential gerade so,
als ob sie yon den übrigen getrennt w&re, und man erhält für alle zusam-
men das Gesammtpotential :
Hierin bezeichnen bekanntlich e und 8 die für alle Flaschen als
g^leich vorausgesetzte Glasdicke und Oberfläche und n\ n!\ n!" u. s. f. die
Anzahl der Flaschen, aus denen die einzelnen zu einer Cascadenbatterie
-verbundenen Batterien bestehen.
Auch die zuletzt gefundene Formel kann leicht durch Versuche con-
trolirt werden, welche von Dove*) und von Riess ') herrühren. Dove
stellte seine Yersuchsresultate durch eine andere Formel dar. Er fand,
dass die Erwärmung & durch die Gleichung:
e = g>g«. . ^ ...... 28)
ausgedrückt werden könne, wenn Si und 8^ die Gesammtoberflächen
n' . 8 und n" • 8 der beiden zu einer Cascadenbatterie verbundenen
Batterien 9 und 93 sind. Die Versuche stimmen sowohl mit dieser, als
auch mit der von der Electricitätstheorie gegebenen Formel gleich gut
überein, wie dies nachstehende Tabelle darthut.
Die Beobachtungsreihen beider Experimentatoren zerfallen in zwei
Abschnitte; bei der einen Art von Versuchen wurde nj, die Flaschen zahl
der ersten Batterie, constant gelassen und n^ t=i rii^ dann n^ = 2ni,
9t3 r=^ 3 m etc. gewählt. Bei den Versuchen der zweiten Art wurde hin-
gegen n^, die Flaschenzahl der zweiten Batterie, constant gelassen und
ni die der ersteren nach einander ni = n^, ni = 2 ns, tii = Sn^ etc«
gewählt. In jeder von beiden Versuchsreihen sind die Erwärmungen im
Falle ni = n^ als Einheit genommen.
^) Den allgemeinen Fall bebandelt ClansiuB, Mecbaniscbe Behandlung der Electri'
cität (Braunachweig, Fr. Vieweg o. Sohn, 1879), S. 123 n. s. f.
>) Pogg. Ann. Bd. 72, S. 419.
3) Pogg. Ann. Bd. 72, S. 417, und Bd. 80, S. 356.
590 TTI.
Anwendungen auf electnsche Erscheinnngen«
Plascheozahl
Erwlrmuiig
der 1. Batterie
der 2. Batterie
«4
beobachtet
berechnet
"1
von Dove
Ton Riet»
nach Formel 27 nach Forviel 28
««\
1
1
1
1
2»,
8iis[
«4
0,72
0,59
0,76
0,69
0,71
0,58
0,75
0,67
4iiJ
0,51
0,66
0,50
0,63
( »1
1
1
1
1
2iii
0,71
0,78
0,71
0,75
»1
Siii
0,60
0,72
0,58
0,67
141.1
0,50
0,68
0,50
0,63
Nimmt man darauf Rücksiclit, dass die Yersuchsbedingimgen dimb-
aus nicht streng den Yoraussetzungen der Formel entsprechen, denn
weder ist es möglich, die einzelnen Batterien yollkommen sro. isolireii,
noch ist die trennende Zwischenschicht der einzelnen Flaschen abfl<dvt
nichtleitend, noch sind die Längen des metallischen Schliessungdoneises
bei verschiedenen Yersuohen genau gleich , so muss man die Ueberein-
Stimmung zwischen den Ergebnissen der Formel und den Yersuchareial-
taten als eine yollstfindig befriedigende bezeichnen.
G. Wärmeentwickelnng dnrch den galYanischen
Strom.
1. Allgemeines über den galvanischen Strom.
Die W&rmewirkungen galvanischer StriSme können von zwei Ge-
sichtspunkten aus behandelt werden. Entweder man kann die Beziehun-
gen aufsuchen zwischen den Bedingungen, unter welchen ein electriseher
Strom in einem Leiter zu Stande kommt, und zwischen der in einem be-
stimmten Theile des Leiters entwickelten Wärmemenge, oder man kann
das Yerhältniss ermitteln zwischen der im gesammten vom Strome
durchflossenen Systeme entbundenen Wärme und den Grössen der Kräfte,
welche die Entstehung des Stromes bedingen. Der erste Weg ist der,
welchen zuerst Joule und Kirchhoff betreten habeui der zweite ist vor-
zugsweise von F. Neumann, Joule und Favre eingeschlagen wordsn.
G. Wärmeentwickelung durch den galyaniBchen Strom. 591
Wenn man ein galTaniBches £]ement isolirt, 00 sind die beiden Pole
mit gleichen Mengen ongleiobnamiger Eleotricit&t geladen. Verbindet
man die beiden Pole durch einen Electricit&taleiter, bo vereinigen sich
diese beiden Eleotrieit&tsmengen durch einen Vorgang, welcher dem
ungemein ähnlich ist, der sich in einem Leiter yoUzieht, mit welchem
man beide Belege einer geladenen Leidener Flasche berührt. Bei
einem galTanischen Elemente werden jedoch die beiden Ladungen der
Pole sofort wieder hergestellt, und der Vorgang, welcher beim Verbinden
beider Belege einer Leidener Flasche fast unmittelbar ablftuft, dauert
unausgesetzt fort, wenn man die Pole eines galvanischen Elementes, oder
die Pole einer aus mehreren solchen Elementen bestehenden Batterie
durch einen Leitungsdraht verbunden hat. Für gewöhnlich, sofern man
die Existenz zweier entgegengesetzter Electricitäten annimmt, stellt man
sieh vor, dass der Verbindongsdraht in seiner gesammten Ansdehnung
der Heerd einer doppelten Bewegung sei. Man denkt sich nämlich, es
werde positive Electricität in dem einen Sinne, negative im entgegen-
gesetztem im Leiter fortbewegt. Da, wenn man den Draht ungeändert
lässt und die Pole der Kette vertauscht, der Leiter sich in mehreren Be-
ziehungen anders verhält, als vorher, so muss man eine Bichtung des
Stromes annehmen, und dies geschieht, indem man in demselben Sinne,
wie bei der Entladung einer Leidener Flasche, als Stromrichtung die-
jenige bezeichnet, in welcher sich die positive Electricität bewegt.
Obgleich man also nicht übersehen darf, dass man sich vom theo-
retischen Gesichtspunkte aus eben so gut vorstellen kann, es bewegen
sich in jedem Leiter zwei entgegengesetzte* Ströme von gleicher Stärke,
als auch, es bewege sich nur die eine Electricität und die andere sei fest,
80 ist es för die rein mathematische Behandlung doch gleichgültig, ob
man die Existenz zweier solcher gleicher aber entgegengesetzt gerich-
teten Ströme annimmt, oder ob man nur einen, den positiven Strom, an-
nimmt und diesem die doppelte Intensität beilegt Die letztere Aufias-
snng besitzt den Vorzug der grösseren Einfachheit und wird im Folgenden
durchaus beibehalten werden. Aus den in der Abtheilung A. dieses Ab-
schnittes angestellten Erörterungen hat sich ergeben, dass, wenn in einem
Leitersysteme die Electricität sich im Gleichgewichte befindet, der Werth
der Potentialfunction im Innern des gesammten Leitersystemes constant
ist Besteht diese Gonstanz nicht, so findet auch kein electrisches Gleich-
gewicht statt, die Electricitäten sind im Leiter in Bewegung. Man muss
demnach voraussetzen, dass der Werth der Potentialfunction in verschie-
denen Stellen des Leiters verschieden sei und kann diese Verschiedenheit
des Werthes der Potentialfunction als die Ursache der Bewegung der
Electricität ansehen.
Ist der Werth der Potentialfunction ausserdem auch noch von der
Zeit abhängig, d. h. ändert sich der electrische Zustand nicht nur mit
dem Orte, sondern auch mit der Zeit, so finden die Inductionserscheinun-
gen statt. Diese können auf theoretischem Wege aus dem Coulomb^-
592 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
geben Gesetze über die eleotrostatiscben Wirkungen der Elecfaricität nicht
abgeleitet werden, ohne neue Hypothesen eu Hülfe zu nehmen. Letzteres
geschieht bekanntlich durch die Zugrundelegung des W eher ^ sehen oder
eines der anderen Gesetze über die gegenseitige Wirkung be'wegter
electrisoher Theilohen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass sieh in
dem Leiter, durch welchen man die Pole einer galvanischen Kette rer-
bindet, sehr bald ein station&rer Zustand herstellt, welcher onabfaSagig
von der Zeit ist. Ist dieser Zustand eingetreten, so hören alle Indactions-
erscheinungen auf; der Leiter ist alsdann von einem constanten StnnM
durchflössen, und man kann die Potentialfun ction als unabhängig Ton der
Zeit und lediglich von Punkt zu Punkt des Leiters veränderlich ansehcD.
Kirchhoff setzt voraus, dass die Bewegung eines Electricitätatheileheot
in einem Leiter nur von dem Werthe der Resultante der augenblicklidi
auf dasselbe wirkenden Kräfte und von der Natur der Substanz de
ters abhängig sei.
Von diesem Standpunkte aus hat Kirchhoff ^) die Ohm'schen Säi
über galvanische Ströme vollständig auf die Principien der Electroetaiik,
also auf das Coulomb' sehe Gesetz: + • — zurückgeführt. Als Aus-
gangspunkt dient die auf experimentellem Wege genügend sicher erwie-
sene Thatsache, dass, sobald die Ursache zu wirken aufhört, welche auf
den verschiedenen Punkten eines Electricitätsleiters die Unterschiede der
Potentialfunction veranlasst, die Potentialfunotion constant wird. In
.einem' Leiter, den man von den Polen der galvanischen Batterie abzieht,.
erlischt der electrische Strom fast momentan. Diese Erscheinung kann
man als Beweis dafär ansehen, dass sich der Bewegung der Electricit&ten
in einem Leiter ein grosser Widerstand entgegen stellt. Es ist leicht
verständlich, dass die Grösse dieses Widerstandes von der Subetans des
Leiters abhängig sein muss. Sobald die äusseren Ursachen, welche die
Ungleichheiten des Poteptiales veranlassen, zu wirken aufhören, wird in
Folge einer Art von enormem Widerstände, welcher sich der Bewegung
der electrischen Theilchen entgegensetzt, die Potentialfunction sofort im
ganzen vom Leiter eingenommenen Räume constant. Die Voraussetzung
der EIxistenz eines solchen Widerstandes von enormer Grösse macht es
erklärlich, wie es möglich sei, dass die Bewegung eines Electricitätsth^-
chens im Leiter im Widerspruche mit den Sätzen der Mechanik nur von
dem Werthe der Resultante der gerade momentan auf dasselbe wirken-
den Kräfte, nicht aber von den Kräften abhängig ist, welche unmittelbar
vorher auf dasselbe gewirkt haben. Durch diese eigenthümliohe Annahme
wird es einigermaassen verständlich, dass sich jedes ElectricitätstheOchen
in einem die Pole einer galvanischen Kette verbindenden Leiter jederzeit
gerade in der Resultante der momentan auf dasselbe wirkenden Kräfte
^) Kirchhoff, Ueber eine Ableitung der Ohm'schen GeseUe, welche sich an die
Theorie der Electrostatik anschliesst. Pogg. Ann. Bd. 78, S. 506 bis 513.
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 593
bewegt, dass die bewegten Electricitätstheilchen scheinbar keine Trägheit
besitzen.
Bedient man sich des Ausdruckes Niveanfiäche für eine Fläche,
w^elche die neben einander liegenden Punkte mit einander verbindet, in
^welchen die Potentialfunction V denselben Werth hat , welche also durch
die Gleichung
V = const 1)
repräsentirt wird, so kann man die oben charakterisirte eigenthümliche
Bewegung der Electricitätstheilchen auch dadurch zum Ausdruck biingen,
dass man sagt: die Electricitätstheilchen bewegen sich in jedem Punkte
normal zu der durch diesen Punkt gelegten Niveaufläche ^).
Bezeichnet man die Cosinus der Winkel, welche die Normale der
Niveauflache in einem Punkte mit den drei Coordinatenachsen einschliesst,
mit a, ß und y, so gelten die Gleichungen:
'dV_ dV^ dV . . . -;
dx dy dz
Sind X, F, Z die drei Componenten der Resultante der Kräfte, welche
auf ein in diesem Punkte befindliches Electricitätstheilchen wirken, so ist
nach den soeben mitgetheilten Voraussetzungen:
x-^ r-^ z-^ 3)
ox oy de
nnd demnach:
a ß y
X~^ Y~ Z
4)
Dies ist aber nur möglich, wenn der Cosinus des Winkels zwischen
der Normalen und der Resultante gleich Eins, der Winkel selbst also
Null ist.
Es bezeichne dn den Theil der Normalen, welcher zwischen zwei be-
nachbarten Niveauflächen liegt. Auf einer derselben möge die Potential-
function den Werth F, auf der anderen einen davon etwas verschiedenen
Werth: V + dV haben. Alsdann ist:
dx a dy dz ^.
dn dn ' dn ^
-wenn au, y, z die drei Coordinaten des einen, a: + da?, j^ + dy^ z + dz^
die Coordinaten des anderen Endpunktes der Strecke dn sind.
Für die bei einer Verschiebung des electrischen Theilchens längs dn
geleistete Arbeit gilt die Gleichung:
F .dn=X .dx -{- T ,dy -\- Z .dz . . . . 6)
^) Die»e Formulirang beruht auf dem bekannten Satze der Potentialtheorie: die
Kraflrichtung ist normal auf der Niveaufläche, welche man sich durch den betreffenden
Punkt construirt denken kann, und ist nach jener Seite gerichtet, nach welcher hin V
abnimmt. Man sehe: Clausins, Die Potentialfunction und das Potential, III. Aufl., S.S.
Btthlmann, Meohan. W&rmetheorie. Bd. 2. 38
594 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Setzt. man für X, Y und Z die oben in Gleichung 3) mitgeiheüten
Werthe ein, so ergiebt sich:
dx dn dy dn de dn
oder:
^=8;r '^
Dies ist die Wirkung aller Electricitätstheilchen des Sjstemes anf
ein Electricitätstheilchen, oder um sich eines correcteren Aasdruckes zi
bedienen, auf eine Quantität des electrischen Agens von der Grosse 1.
Die Gesammtwirkung auf eine Quantität des negativen electrischen Flui-
dums von der Grösse ^ wäre f( . -^ — * Auf eine gleich grosse Menge des
positiven electrischen Fluidnms würde die Gesammtwirkung — f* . -^
sein.
Aus der Annahme, dass die Geschwindigkeit eines in einem I^eiter
bewegten Electricitätstheilchens allein von der Grosse der gerade anf das-
selbe wirkenden Kräfte und von der Substanz des Leiters abhängig ist.
folgt, dass die Geschwindigkeit eines electrischen Molecüles proportioDal
der Grösse der Kraft ist, und dass der Coefficient dieser Proportionalität
von der Natur der Substanz abhängig sein muss, in welcher die Bewe-
gung stattfindet. Die Geschwindigkeit eines positiven Moleoüles würde
9F . . .
alsdann — x . -^ — sein. Hierbei wäre x eine fttr die Natur des Körpers
dn '^
charakteristische Constante (der Coefficient der electrischen Leitnngs-
fähigkeit).
Die Bewegung einer Quantität Electricität in einem Leiter gebt also
ungefähr so vor sich, als ob sich ein Körper in einem Mittel bewege,
dessen Dichtigkeit im Verhältniss zu der des Körpers erheblich ist, oder
ungefähr so, als ob eine Flüssigkeit durch enge Röhren, in welchen sie
sich mit grosser Reibung bewegt, mit gleichförmiger Geschwindigkeit
durch eine Kraft hindurch getrieben wird, welche gerade ausreicht diese
Reibung zu überwinden.
Die Kraft, welche die Verschiedenheit des Potentiales in dem die
Pole einer galvanischen Kette verbindenden Leiter veranlasst, fikhrt den
Namen electromotorische Kraft.
Die bewegten El ectrici täten besitzen keine Masse, unterliegen daher
nicht dem Gesetze der Trägheit.
Das im Vorstehenden Entwickelte ist keine mechanische Theorie im
eigentlichen Sinne des Wortes; Bewegungen, wie die hier charakterisir^
ten, sind bei ponderablen Massen nicht beobachtet worden«
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 595
2. Ausdruck für den stationären Strom, Ohm'sches
Gesetz.
Setzt man yoraos, dass an einem bestimmten Punkte die Geschwin-
digkeit der Bewegung der Electricität — x • - — ist, so fliesst in der
Zeiteinheit (Secnnde) durch ein Flächenelement da der durch den be-
'treffenden Punkt gelegten Niyeaufläche die Electricitätsmenge :
on
Nimmt man die Existenz und Bewegung zweier electrischer Fluida
an, so muss man annehmen diese Quantität der bewegten Electricität
l^estehe aus zwei gleichen Hälften, von welchen die eine, die positive
£lectricität, in dem einen, die andere, die negative Electricität, im ent-
gegengesetzten Sinne bewegt wird.
Auch die Electricitätsmenge, welche in der Zeiteinheit durch ein
beliebig gerichtetes Flächenelement dö strömt, kann leicht bestimmt
-werden. Nimmt man an die Projection dieses beliebig gerichteten
Flächenelementes d6 auf die an dieser Stelle construirte Niveaufläche
Bei d (9, so ist:
dcj =z d6 * cos a,
^venu a der Neigungswinkel des Flächenelementes d6 gegen die Niveau-
fläche ist. Weiter setzen wir voraus, durch einen beliebigen Punkt
a?, y, JS des Leiters sei die Niveaufläche V und durch den Punkt x -\- dx^
y + dy^ B '\- dz die Niveaufläche Y ■\- dV construirt worden. Alsdann
strömt in jeder Secnnde durch da die Electricitätsmenge
— X • • d6 . cos a.
dn
Nennt man nun aber ds und dn die auf den Normalen zu den
Flächenelementen d6 und dio gelegenen Strecken, welche sich zwischen
den beiden benachbarten Niveaufiächen F und V ^ dY beflnden (man
aehe Fig. 39 a. f. S.)i so ist:
ein = eis . cos a
und folglich:
oY dY
—— - cos a = ■^— ■ •
cn OS
Man kann die in der Zeiteinheit durch ein beliebiges Flächenele-
ment dö strömende Electricitätsmenge di daher auch in der Form:
di =2 — X • -T — 'de 8)
da
88*
596 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Fi^. 39.
VtdV
darstellen. Dies aber ist genau der nämliche Ausdruck, welchen Ohra ^)
mit Hülfe der Annahme abgeleitet hat, dass der galvanische Strom die
Folge vorhandener electrischer Spannungszustände
sei. An Stelle der Potentialfnnction V braucht
man nur die von Ohm als electroskopische Kraft
bezeichnete Grrösse zu setzen, um sofort dessen
Formeln zu erhalten.
Hiermit kann sehr leicht die partielle Differen-
tialgleichung abgeleitet werden, welche den Zn-
stand der Electricität in einem vom Strome dnreh-
flossenen Leiter darstellt.
In einer Zeiteinheit fliessen durch die sechs
Wände eines Parallelepipedes, dessen drei Kanten
durch die drei den Coordinatenaxen panülelen
Streckenelemente dx, dy^ dz gebildet werden,
nachstehend verzeichnete Flectricitätsmengen :
df, = — X
dv
dy • de\
dz
m
di, = — x
' dy
' dx • d2\
8F
de
dx • dy;
dl
^+.,= -x.(— ^ ^^'dx
dx^
) • ^y
de\
dh^H. = - X . (— + — ' dgy dx , dy.
Soll wirklich ein stationärer Zustand stattfinden, so ronss die alge-
braische Summe dieser sechs Electricitätsra engen Null sein. Es gilt dem-
nach alsdann in der gesaromten Ausdehnung des Leiters für den statio-
nären Zustand die Gleichung:
d^V d^V d^V _
dx^ "^ dy^ ^ dz^ ~
9)
Mit Rücksicht auf die früher von uns gewählte Bezeichnung können
wir diese Gleichung kurz durch
j r^ 0
ausdrücken.
Wir haben im Vorhergebenden (Bd. 2, III, A, 4, S. 563, Gl. 8) ge-
funden, dass
^) Ohm, Die galvanische Kette mathematisch bearbeitet. Berlin (1827), S. 96.
Ohm nennt die Grösse V die electroskopische Kraft und defintrt sie als die Dichtigkeit
der Electricität an dem betreifenden Pankte des Leiters.
Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 597
ist, wobei Q die Dichte des wirksamen Agens an dem betrefifenden Funkte
l>ezeicbnet. Obige Gleichung 9):
^i F= 0
bedeutet somit, dass die Dichte der freien Electrioität in jedem im Innern
des Leiters gelegenen Punkte gleich Null ist. Da nun in dem Falle eines
Liciters, welcher von einem Strome durchflössen ist, diese die Yerschieden-
lieit des Potentiales bedingenden Electricitätsmengen nicht ausserhalb
des Leiters gesucht werden können, gelangt man zu dem wichtigen Satze :
In einem von einem stationären galvanischen Strome durchflossenen
Leiter befindet sich im Innern des Leiters keine freie Electricität ; die
£reie Electricität, welche die Verschiedenheit der Potentialfunction be-
dingt, bildet eine unendlich dünne Schicht auf der Oberfläche des Leiters.
Bekanntlich kann die Existenz freier Electricität auf der Oberfläche
eines von einem galvanischen Strome durchflossenen Leiters mit Hülfe
des Electrometers leicht experimentell nachgewiesen werden. Es geschah
dies z. 6. zuerst von Kohlrausch ^).
Die partielle Differentialgleichung 9) bestimmt die Potentialfunc-
tion. Die bei der Integration auftretenden willkürlichen Functionen
werden ihrerseits durch die Bedingungen der Aufgabe bestimmt. Diese
Bedingungen sind selbstverständlich im Allgemeinen je nach der Natur
der Aufgabe verschieden ; eine derselben gilt jedoch bei allen gemeinsam.
Die Leiter, um die es sich handelt, sind nämlich in den weitaus meisten
Fällen mit Luft umgeben, und diese kann ohne wesentlichen Fehler als
absolut nicht leitend für galvanische Electricität angesehen werden. Die
für alle solche von Luft umgebenen Leiter gültige gemeinsame Bedin-
gungsgleichung ist demnach:
is=» '«)
wenn man unter dN ein unendlich kleines Element der nach aussen ge-
richteten Normalen der freien Oberfläche versteht, welches an der Ober-
fläche selbst gelegen ist.
An der freien Obei*fläche eines Leiters, mit der er an ein isolirendes
Mittel grenzt, müssen die Strömungscurven der bewegten Electricitäts-
mengen der Obei'fläche parallel laufen und die zu den Strömungscurven
normalen Niveauflächen müssen die freie Oberfläche des Leiters senkrecht
schneiden.
3. Untersuchung des Specialfalles, dass der Leiter ein
äusserst dünner Oylinder ist.
Wir wählen an irgend einem Punkte eines cylindrisch gestalteten
Electricitätsleiters die Cylinderaxe als a;-Axe. Da angenommen wird der
^) Kohlransch, Die electroskopischen Eigenschaften der geschlossenen galvani-
Bcheir Kette. Pogg. Ann. Bd. 78 (1849), S. 1 bis 20, Bd. 79, S. 183. Aach sehe man
Gangain, Ann. de chim. et de phys. 3. Serie. Bd. 59, S. 5 (1860).
598 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Qaerschnitt des Cy linders sei aasserordentlich klein, so müssen <lie
Niveauflächen sehr nahe senkrecht zur Oberfläche sein und die Electri-
cität musB sich parallel zur Cylinderaxe bewegen. Alsdann ist:
-5- = 0 und -^- == 0
und die partielle Differentialgleichung 9) reducirt sich auf:
327
Dieser Gleichung genügt:
= 0.
—— = const.
ox
Hieraus folgt durch Integration:
F — Fo = 0 . (ä; — a:o)
wobei C eine.Constante bezeichnet. Besitzt für x = Xi die Potential-
function F den Werth Fi, so kann die Constante C aus der Gleichung:
F, — Fo = C . (a?i — ajo)
bestimmt werden, und man erhält:
7 — Fo = ^^ "" ^^ ' {x — x^) 11)
^1 — ^0
Die Electricitätsmenge di^ welche in der Zeiteinheit durch ein zur
Cylinderaxe normales Flächenelement d(Q hindurch geht, ist nach Gl. 8):
at = — X • -;r — • d(a,
ox
Durch den ganzen Normalschnitt S des Leiters fliesst demnach ib
der Zeiteinheit die Electricitätsmenge i
« = — x.S-^5— 12)
ox ^
Die Electricitätsmenge, welche in der Zeiteinheit durch den Qaer-
schnitt hindurch geht, wird Strominteusität genannt; die durch den
Buchstaben % bezeichnete Electricitätsmenge ist demnach die Strom-
intensität.
Dififerentiirt man die Gleichung 11) nach x^ so ergiebt sich:
8F^ Fl - V^
dx Xi — Xq
Setzt man diesen Werth in 12) ein, so erhält man für die Strom-
intensität i den Ausdruck:
Xi — Xo
C. WärmeentwickeluDg durch den galvanischen Strom. 599
Bezeichnet man ausserdem die Länge Xi — Xq des Leiters durch l,
so ergieht sich:
X , S.jVi - Vq)
Die Grösse
^=' 13)
ist der Leitungswiderstand des zwischen den beiden begrenzenden Niveau-
jS.ächen gelegenen Theiles des linearen Leiters. Wir finden demnach
schliesslich :
i = --^-=:-^« 14)
Diese rechte Seite der Gleichung 14) ist negativ oder positiv, je
nachdem die Richtung des positiven Stromes mit der Richtung der posi-
tiven x-Axe zusammenfällt, oder ihr entgegengesetzt ist. Der Strom
der positiven Electricitat fliesst jederzeit von der Gegend der grösseren
Berthe der Potentialfunction nach derjenigen Elichtung, in welcher der
Werth der Potentialfunction abnimmt.
4. Die Arbelt der Kräfte, unter deren Elnflnss sich die
Electricitat im Leiter bewegrt; das Gesetz von Joule.
Setzt man voraus, dass durch die Kraft, welche auf die im Leiter
befindliche Electricitat wirkt, keine andere Erscheinung im Leiter oder
dessen Umgebung, sondern nur Wärme hervorgebracht wird, so kann
die entwickelte Wärmemenge unmittelbar als Maass der von diesen Kräf-
ten im Leiter geleisteten Arbeit angesehen werden. Die Grösse dieser
Arbeit kann nach einem zuerst von Clausius angegebenen Verfahren
ermittelt werden ^).
Bewegt sich eine Quantität Electricitat von der Grösse dq auf einer
Bahn s, so findet man die elementare Arbeit, welche von der beschleu-
nigenden Kraft auf dem Wegelemente ds geleistet wird, wenn man ds
mit der Componente der beschleunigenden Kraft multiplicirt , welche in
die bei ds an die Bahn der bewegten Eleotricitätsmenge gezogene Tan-
gente fallt. Diese Projection der beschleunigenden Kraft ist:
, dV •
^) Zuerst von Clausius veröffentlicht (1852) in der Abhandlung: Ueber die bei
einem stationären electrischen Strome in dem Leiter gethane Arbeit und erzeugte
Wärme. Poggendorff's Annalen Bd. 87, S. 415 in: Clausius, Die mechan. Wärme-
theorie. 2. Aufl. (Braunschweig, Fr. Vi e weg u. Sohn). Bd. 2, S. 131.
600 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Die gesachte elementare Arheit heträgt demnach:
dv
dL = — dq
ds
• ds
15)
Die einer endlichen Verschiebung der electrischen Quantität dq ent-
sprechende Arbeit ist:
= -.«./
ds
ds= — dq. (Fl — F«) .
16)
Es ist bemerkenswerth, dass diese Arbeitsgrösse nur von den Wertfaen
der Potentialfunction abhängig ist, welche am Anfange und Ende des
von dq durchlaufenen Weges gelten.
Vorstehender Ausdruck bleibt noch gültig, wenn man annimmt,
dass nicht eine einzelne elementare Quantität Electricität den Weg Si — s$
durchlaufen hat, sondern dass eine unendlich grosse Anzahl solcher Elec-
tricitätsmengen dq^ also eine endliche Electricitätsmenge dies wüirend
der nämlichen Zeit gethan hat.
Berücksichtigt man, dass V , dq das Potential der getrennten EUeo-
tricität auf das Element dq ist, und dass daher der Ausdruck — (Fi — Vq) . dq
die Abnahme dieses Potentiales auf dem Wege Si — Sq darstellt und sich
der Ausdruck nach dem eben Bemerkten auch auf eine endliche Electri-
citätsmenge ausdehnen lässt, so erhält man den von Clausius aufgestell-
ten Satz ^): Die bei einer Bewegung einer Electricitätsmenge von der
im Leiter wirksamen Ki*aft gethane Arbeit ist gleich der bei der Bewe-
gung eingetretenen Abnahme des Potentiales dieser Electricitätsmenge
und der treibenden, getrennten Electricitäten auf einander.
Wir denken uns im Innern des Leiters eine beliebige geschlossene
Oberfläche construirt und bestimmen die Arbeit, welche an den im Innern
dieser Fläche sich bewegenden Electricitätsmengen von den auf diese
wirkenden Kräften geleistet wird.
Bei der Bewegung der elementaren Electricitätsmengen, welche sich za
Fig. 40.
P—
irgend einer Zeit im
Innern der construir-
ten Oberfläche befinden,
können viele verschie-
dene Fälle vorkommen,
die wichtigsten deiael-
ben sind folgende:
1. Der Anfangspunkt
P (siehe Fig. 40) der Be-
wegung kann z.B.ausser-
^) Clausius, Mechanische
Wärmetheorie. 2. Au6. Bd. 2,
S. 139.
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 601
halb, der Endpunkt Q innerhalb der Fläohe liegen ; alsdann braucht man
nur den Theil der Arbeit in Betracht zu ziehen, welcher auf der Strecke
JdQ geleistet worden ist, wenn M der Punkt ist, in welchem die Bahn
der bewegten elementaren Electricitätsmenge die Oberfläche schneidet.
Ist V der Werth der Potentialfunction in M, und ü der Werth in Q, so
ist die von den beschleunigten Kräften an der bewegten Electricitäts-
menge dq geleistete Arbeit (man sehe Gl. 16):
dX = (F — ü) . dq.
2. Ferner kann auch der Anfangspunkt Qi der Bahn , auf welcher
sich eine elementare Electricitätsmenge dq während des nämlichen be-
trachteten Zeitraumes bewegt, innerhalb der gezogenen Oberfläche und
der Endpunkt Pi dieses Weges ausserhalb der Fläche S liegen. Ist Vi
der Werth der Potentialfunction im Punkte Mi, in welchem die Bahn
QiPi die Oberfläche 8 schneidet, und Üi der Werth, den die Potential-
function in Qi besitzt, so ist nur die Arbeit:
(Ui — Vi) . dq
für die vorliegende Aufgabe in Betracht zu ziehen.
3. Ferner kann auch der. Fall eintreten, dass Anfangs- und End-
punkt Q^ und (^3 der Bahn einer Electricitätsmenge innerhalb der ge-
schlossenen Fläche liegen. Alsdann muss die gesammte Arbeit der be-
schleunigenden Kräfte:
{ü^ — U^) . dq
in Rechnung gezogen werden.
4. Ausser diesen drei Hauptfallen sind selbstverständlich noch eine
grosse Anzahl anderer denkbar, nämlich solche, bei welchen die Bahn-
curven der bewegten Electricitätsmengen die Oberfläche S mehrere Male
durchschneiden. Es ist jedoch leicht auch für diese in ganz gleicher
Weise die entsprechenden Betrachtungen anzustellen.
Bildet man die Summe aller derartigen Arbeitsgrössen für alle
Electncitätsmengen , welche sich während der Zeit, auf welche sich die
Betrachtung erstreckt, innerhalb der geschlossenen Fläche bewegt haben,
so findet man die gesuchte Arbeit.
Mau kann diese Summe als die Differenz zweier Integrale auflassen.
Den Minuend bildet ein Integral von der Form:
±/
V.dg,
wobei das Pluszeichen sich auf die eintretenden und das Minuszeichen
sich auf die austretenden Electricitätsmengen bezieht. Der Subtrahend
ist ein ganz ähnlich gestaltetes Integral:
i/"-
dq.
Fig. 41.
602 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Beide Integrale können ermittelt werden. Von dem zweiten kann
nachgewiesen werden, dass es Null sein mnss.
Denken wir uns im Innern der geschlossenen Oherfläche S einen
heliebigen Raum AB (man sehe Fig. 41), so muss die algebraische Summe
der in diesen Raum eintretenden
und der aus demselben aostreten-
den Electricitätsmengen Null sein;
denn im stationären Zustande darf
keine Anhäufung freier Electricitat
in einem derartigen Räume statt'
finden. Dies muss auch gültig blei-
ben, wenn man um einen Punkt Q
einen kleinen Raum abgrenzt, den
man so klein wählt, dass die Po-
tentialfun ction innerhalb dieses
Raumes merklich den constanten
Werth Uq besitzt
Alsdann hat man unter dem Integralzeichen Ausdrücke von der
Form :
und diese müsseu, da jeder selbst Null ist, auch selbst wieder eine Summe
von der Grösse Null geben. Jedes Element des zu ermittelnden Inte-
grales ist eine unendlich kleine Grösse dritter Ordnung, und man ver-
nachlässigt bei der Betrachtung, welche wir soeben anstellten, nur Grössen,
welche unendlich klein von der vierten Ordnung sind. Daraus aber
folgt, dass:
+ ru . dq = 0
ist.
Um das erste Integral zu finden, denken wir uns um jeden Punkt
M der Oberfläche eine geschlossene Curve gezeichnet, welche ein Flächen-
Clement des einschliesst. Dieses Flächenelement rechnet man mit posi-
tivem Vorzeichen für solche Electricitätsmengen, welche in den von der
Fläche eingeschlossenen Raum eintreten; man fühi't das Flächenelement
d(0 mit dem negativen Vorzeichen ein, wenn es sich um austretende
electrische Quantitäten handelt. Bezeichnet f'i die Electricitätsmenge,
welche in der Zeiteinheit durch die Oberflächeneinheit hindurchgeht, so
ist das gesuchte Integral:
=/
V , ii , da
und dies ist die in der Zeiteinheit geleistete Arbeit, wenn der Zustand
des Systemes stationär geworden ist.
Man kann diesem Integrale noch eine andere Form geben, wenn
C. Wärmeentvrickelung durch den galvanischen Strom. 603
9F . . .
man unter ^-^ den Bifferentialquotienten der Potentialfunction nach der
auf der Oberfläche in M gezogenen Normalen bezeichnet und diese Nor-
male positiv rechnet, sofern sie nach dem Innern der geschlossenen Fläche
gerichtet ist. Alsdann erhält man für die Electricitätsmenge ii, welche
in der Zeiteinheit durch die Flächeneinheit einer in M construirten Tan-
gentialebene hindurchgeht, den Ausdruck:
dV
' dN
Dies muss man in obigem Integral für ii einsetzen und erhält schliess-
lich für die gesuchte Arbeitsgrösse den Werth:
L = '-)c> Tv-^-dfo 17)
Dies ist die gesammte Arbeit, welche die im Innern der geschlossenen
Fläche wirksamen Ki*äfte leisten, sofern diese Kräfte in dem geschlossenen
Räume weder chemische, noch mechanische, noch Inductionswirkungen
hervorbringen, und wenn in der geschlossenen Fläche keinerlei electromoto-
rische Kraft thätig ist. Diese Arbeit wäre demnach auch gleich der Zunahme
der lebendigen Kraft sämmtlicher im Innern des Raumes bewegten Elec-
tricitätsmengen. Da man aber mit Rücksicht auf unsere Grundannahmen,
auf welche sich die Kirchhoffsche Ableitung des Ohm 'sehen Gesetzes
stützt (man sehe diesen Abschnitt C, 1, S. 594), die Massen und damit auch
die lebendigen Ki'äfte der bewegten Electricitätsmengen vernachlässigen
muss, so kann diese Zunahme der lebendigen Kraft nichts anderes sein,
als eine Zunahme der lebendigen Kräfte der materiellen Bestandtheile der
im Innern der Fläche befindlichen Substanz des Leiters, d. h. es muss die
gefundene Arbeit äquivalent der in der geschlossenen Fläche entwickelten
Wärmemenge sein. Bezeichnet man diese Wärmemenge mit Q und das
mechanische Aequivalent der Wärme mit «7, so ergiebt sich somit:
/dV
V'^'d<D = J.Q 18)
Diese Gleichung gilt ganz allgemein für jeden homogenen Leiter.
Sie gilt sogar nicht ausschliesslich nur für metallische Leiter, sondern
auch für diejenigen Theile electrolytischer Leiter, in welchen sich nicht
die durch die Electrolyse freigewordenen Molecüle wieder mit der Sub-
stanz der Electrode verbinden.
Ist der bei vorstehender Ableitung in Betracht gezogene Theil des
Leiters durch die äussere Oberfläche des Leiters und zwei ebene oder
krumme Querschnitte desselben begrenzt, so ist bekanntlich (man sehe
S. 597, Zeile 27 v. o.) für die gesammte äussere Oberfläche des Leiters;
604 III. Anwendangen auf clectriscbe ErscheinungeD.
- der auf die äussere Begrenzuugsfläche des Leiters bezügliche Theil des
Oberflächenintegrales ist somit Null und man hat alsdann nui* nöthig,
die Integration über die beiden begrenzenden Querschnitte dos Leiters
auszudehnen. Ist der Leiter ausserdem sehr nahe cylindrisch, und sind
die begrenzenden Querschnitte zur Axe normale, ebene Schnitte, so kann
man ohne merklichen Fehler i und V in der ganzen Ausdehnung jedes
der beiden Querschnitte conetant voraussetzen. Alsdann giebt das In-
tegral F . / ^ . dcD für den ersten Querschnitt:
Fo . / «1 . dio
und für den zweiten Querschnitt, für welchen das Integral das entg^egen-
gesetzte Vorzeichen erhalten muss:
- "■ •/'■
. dco.
Demnach ist die gesammte Arbeit, welche an den Electricitätsmen-
gen geleistet wird, die sich im Leiter zwischen -beiden Querschnitten be-
wegen:
L = (Fn — F,) . / h . da.
(Vo - V,).fH,
einen
Das Integral / ii . do ist eben die in der Zeiteinheit durch eii
Querschnitt hindurchströmende Electricitätsmenge, also die Grösse, welche
wir als Stromintensität bezeichnet haben. Bezeichnet man die Strom-
intensität mit if setzt also:
so erhält man:
i = j . (Fo - F.)
oder:
i = - i . (Fl - F„)
als schliesslichen Ausdruck für die Arbeit der Kräfte. Die Formel 18)
schreibt sich mit Rücksicht darauf:
J •« = — «• (Fx - F„) 19)
Wir fanden nun früher (Gl. 14), dass im Falle eines sehr dftnnen
electrischen Leiters:
7,- Fn
*= J—
ist; wenn man dies einführt, findet man:
§ . / = i2 . A
oder :
Q = —r- 20)
C. Wärmepntwickelnng durch den galvanischen Strom. 605
Dies aber ist das Joale'sche Gesetz, welches schon lange auf ezpe-
T-imentelleiQ Wege gefiiDden war, ehe es gelang, dasselbe als eine noth-
^vendige Folge der Theorie nachzuweisen.
5. Experimentelle Bestätigungen des Jonle'sohen
Die Thatsache, dass sieb vom Strome darchflosaene Leiter erwärmen,
ist schon von Volta bemerkt worden; die Gesetae jedoch, nach welchen
eich die Erscheinung richtet, sind bis za Joule's Arbeiten unbekinnt
g'eblieben. In der Zwischenzeit ist nur eine Beobachtnng von Wolla-
Bton zn erwähnen, welche deutlich die Abhängigkeit der Erwärmung
von der Stromstärke und von der GrSsse des Widerstandes des
Leiters zeigte.
Wollaston verband die beiden Pole eines Elementes mit grosser
Oberfläche durch einen dicken Draht, der an einen dünnen Draht von
derselben Substanz geldthet war. Als er das Plattenpaar in angesäuertes
Wasser eintauchte, wurde der dünne Draht glähend, während sich die
Temperatur des dicken Drahtes kaum merklich erhöhte.
Bekanntlich kann man denselben Versuch auch mit Drähten an-
stellen, welche aus verschiedenen Metallen gefertigt sind. Sehr geeignet
sind Fiatin- und Silberdrähte, welche man hinter einander verbnnden
hat. Lässt man einen gbnügend starken Strom durch einen derartigen
Leiter hindurchgehen, so glühen nur die Platindrähte nnd die Silbertheile
des Leiters bleiben dunkel, auch wenn beide gleichen Querschnitt haben.
Die er8t«n Versuche Joule's waren, obgleich sie ihn auf die nach
ihm benannte Gesetzmässigkeit führten, nicht sonderlich genau. £^
wickelte eiucn Draht um das Gefäss eines empfindlichen Thermometers
und rührte mit diesem, während der Strom dnrch den Draht floss, die
Pj 42, Flüssigkeit eines Calorimeters um.
Beistehende Abbildung (Fig. 42)
zeigt die Einrichtung des von ihm
angewendeten Apparates in der Form,
wie er ihn benutzte, um die Erwär-
mung flüssiger Leiternachzuweisen*).
Die Enden Ä und B des Leiters befan-
den sich ansserhalb der Flüssigkeit,
um die Störungen fem za halten, wel-
che die Vorgänge an den Znleitungs-
drahten bewirkten. Aus den Tem-
peraturänderungen des Calorimeters
') Man uhe; PhiloBophkal Maguine
(1841), 3. Serie. Bd. 19, S. 360 und (1852),
i. Sene. Bd. 3, S. 486.
606 III. Anwendungen auf .electrische Eracheinungen.
schloBB er auf die entwickelte Wärmemenge; die Stromstärke beobachtete
an einer Tangentenboussole, welche in den Stromkreis eingeschaltet
Die Beobachtungen, welche Joule auf diese Weise anstellte, führten
ihn dazu, das Gesetz aufzustellen: Die in der Zeiteinheit entwickelte
Wärmemenge ist proportional dem Quadrate der Stromintfensitat und
dem Widerstände des Drahtes.
Da Joule die Abkühlung des Calorimeters nicht vollkommen be-
rücksichtigt hatte, konnten gegen die strenge Gültigkeit des von ihm
aufgestellten Gesetzes noch Einwendungen erhoben werden. Etwas ge-
nauer sind die Messungen, durch welche E. BecquereP) (der Aeltere)
wenig später (1843) die Richtigkeit des Joule 'sehen Gesetzes oonstatirt
hat. Der Draht, dessen Wärmeabgabe bestimmt werden sollte, war, ähn-
lich wie dies früher auch schon Joule gethan hatte, um einen spiralig
gebogenen Glasstab in einer Schraubenlinie aufgewunden und in ein
dünnwandiges kleines Kupfercalorimeter (Würfel von 2,5 cm Seite) ein-
gesenkt, welches mit Wasser gefüllt war. Durch zwei stärkere Drähte
waren die Enden des Versuchsdrahtes mit einer Batterie und einem
EnallgasYoltameter verbunden.
Man setzte, während man die Stromstärke constant erhielt, den
Versuch so lange fort, bis die an einem eingebrachten Thermometer ab-
gelesene Temperatur des Calorimeters constant geworden war. Alsdann
verlor^ das Calorimeter durch Abkühlung in jeder Zeiteinheit eben so viel
Wärme, als der vom Strom durchflossene Draht ihm Wärme mittheilte. —
Die Anzahl der Wärmeeinheiten, welche in jeder Secunde abgegeben
wurden, konnte aus dem Wasserwertbe des Calorimeters sammt Zubehör
und aus der Zeit berechnet werden, welche das Calorimeter brauchte, um
sich von einer gegebenen Temperatur an um eine bestimmte Anzahl Grade
abzukühlen.
Seine Resultate stimmen mit dem Joule 'schon Gesetze bis auf wenige
Procente gut überein. Er fand, dass durch einen Strom in der Zeit,
während der im Voltameter 1 cbcm Knallgas entwickelt wird, in einem
Platindrahte von 1 m Länge und 0,001 m Durchmesser eine Wärmemenge
von 0,0000197 Calorien entbunden wird.
Eine anderweite höchst beachtenswerthe Bestätigung des Joule'-
schen Gesetzes bieten die Versuche von Lenz'). Das Calorimeter des-
selben besteht aus einer verkehrt aufgestellten Glasfiasche (man sehe
Fig. 43), in welches ein Thermometer / von oben durch eine eingebohrte
Oeffnung eintaucht. Unten ist die Mündung der Flasche durch einen
aus isolirender Substanz hergestellten Pfropfen B geschlossen. Durch
letzteren gehen zwei starke Metalldrähte; diese sind aussen mit Klemm-
schrauben 8y s versehen, zwischen den inneren Enden derselben befindet sich
?
£. Becqnerel, Ann. de Chem. et de Phys. 3. Serie. Bd. 9 (1843), S. Sl.
Lenz (1844). Ueber die Gesetze der Wärmeentwickelang durch den galyanischeA
Strom. Poggend. Ann. Bd. 61, S. 18 bis 49.
Fig. 43.
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 607
ein langer dünner, spiralförmig gewundener Draht. Die beiden Klemm-,
schrauben s und 8 werden mit den Polen einer galvanischen Kette
in Verbindung gesetzt. Der innere Hohl-
raum des Glases ist mit Alkohol gefüllt.
Man kühlt nun zunächst das Wasser um 0
Grad unter die Temperatur der Umgebung
ab, so dass t — d die Anfangstemperatur
des Calorimeters ist. Man lässt hierauf den
Strom hindurchgehen und beobachtet, wäh-
rend man den Apparat beständig schüttelt,
die Zunahme der Temperatur am Thermo-
meter /. Man unterbricht den Strom, so wie
die Temperatur des Wassers < -f- ö gewor-
den ist.
Lenz glaubte auf diese Weise eine be-
sondere Temperaturcorrection seiner Beob-
achtungen entbehren zu können und stützte
sich dabei auf folgende Betrachtang.
Um das Calorimeter von der Temperatur t auf die Temperatur t -]- 0
zu erwärmen, gehört eben so viel Zeit, r Secunden, als erforderlich ist,
uro dasselbe von t — 0 auf t zu erwärmen. Man bestimmte die Zeiten,
zn welchen man am Thermometer die Temperaturen t — 0\ t — Ö",
..,t-\-ff,t'\- 6", . . . ablas und bezeichnete die Anzahl Secunden,
welche zwischen den Ablesungen t — 0' und t -|- Ö' verflossen sind,
mit 2r', die folgende mit 2 t'' u. s. f. Vollzieht sich die Erwärmung mit
gleichförmiger Geschwindigkeit, so kann man die Giltigkeit des Rumford'-
schen Principes voraussetzen, und zwar wird dieses Princip nicht nur
für den Zeitraum 2r, sondern ebenso gut für 2r', 2r" u. s. f. gelten.
Bezeichnet m den Wasserwerth des Calorimeters und seines gesammten
Zubehörs, so misst das Product 2m 0 ohne Correction die Wärmemenge,
welche der Draht während der Dauer des Versuches in 2 t Secunden ent-
wickelt hat. Ebenso repräsentirt 2 m 0' die während der Zeit 2 r' ent-
wickelte Wärmemenge u. s. f.
Demnach ist jeder Ausdruck von der Form: — ' — , — -, — , — 77 — ,
... ein Werth für die in der Zeiteinheit entwickelte Anzahl von Wärme-
einheiten. Diese Quotienten wurden in der That gleich gross beobachtet,
wenn man das Gefass vor jeder einzelnen Ablesung gehörig umgeschüt-
telt hatte.
Da sich zeigte, dass man die Leitungsfahigkeit des Wassers gegenüber
der des Drahtes nicht vollständig vernachlässigen könne, so füllte Lenz
sein Calorimeter mit dem noch schlechter leitenden absoluten Alkohol
und nicht, wie die früheren Beobachter, mit Wasser. Als Einheit der
Stromintensität diente ihm ein Strom, welcher in einer Stunde 41,16 cbcm
Knallgas gab; als Widerstandseinheit diente der Widerstand eines Kupfer-
608 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
••drafaies von 194,79 cm Länge and 0,0840 cm Durchmesser hei 19^ C.
Die Zeit f, welche erforderlich ist, um die Temperatur des GalorimeterB
um einen Grad zu erwärmen, ist der in der Zeiteinheit entwickelten
Wärmemenge Q umgekehrt proportional.
Da nach dem Joule'scben Gesetze (Gl. 20) die Wärmemenge Q
proportional dem Leitungswiderstande k des Drahtes und proportional
dem Qnadrate der Stromintensität ist, so muss
t . i^ , l = const.
sein. In. wie weit diese Beziehung durch das Experiment hestätigt wird,
zeigt nachstehende Tahelle:
Anzahl Minu-
e>c
Substanz des
Drahtes
Strom -
Intensität i
Leitungs wider-
stand X
ten, die eine
Erwärmung
um 1® bean-
sprucht, t
Product :
const.
s
o
<
10,1
35,2
1,35
4840
<
+ 140
Neusilber I. Sorte
15,4
15,4
35,2
36,7
0,57
0,53
4740
4610
4700
+ 40
— 90
h
20,9
35,3
0,30
4620
1
— 80
«
15,4
22.1
0,92
4820
+ 20O
Neusilber II. Sorte
20,9
20,9
22,0
22,6
0,48
0,46
4610
4510
4620
— 10
— 110
t
26,7
22,2
0,29
4560
X
— 60
Neusilber JIl. Sorte
26,7
16,8
0,38
4590
—
Platin ....
20,8
26,7
19,0
19,2
0,55
0,32
4590
4450
14520
4- 70
— 70
Eisen
33,1 '
9,4
0,44
4480
26,7
5,2
1,30
4840
«•>*
-|- 80
33,1
5,2
0,84
4770
-f 10
Kupfer ....
40,1
5.2
0,58
4850
476
+ 90
40,1
5,4
0,54
4690
— 70
.
48,1
5,3
0,38
4660
— 100
Die Constanz der Producte f . i^ . A ist, wie man aus den Result
der Lenz 'sehen Versuche erkennt, keine ahsolute. Bei grösseren Str<
intensitäten fällt das Product t . i^ . X meist etwas kleiner, die pro i
cunde entwickelte Wärmemenge also etwas grösser aus, als anscheine
die Joule 'sehe Formel fordert. Diese Abweichung hat jedoch ihre 1
Sache nicht in einer Ungenauigkeit des Joule' sehen Gesetzes, 8ond<
Inhaltsübersioht
der
zweiten Lieferung des zweiten Bandes.
Seite
IL Thermocliemie.
B. Aequivalenz zwischen Wärme und cheraischer Arbeit 321
C. Die Dissociationserscheinnngen 365
D. Die Exi)losivkörper 451
E. Die Anwendung explosiver Gasgemische zum Betriebe von Wärme-
maschinen (Physikalische Theorie der Gasmaschinen) ..... 524
F. Anhang. Ueber die Verwendung des Dampfes zur Fortachleude-
rung von Geschossen 547
III. Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie auf die elec-
trischen Erscheinungen.
A. Mathematische Einleitung 555
B. Bestätigungen im Gebiete der Beibungselectricität 567
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom 590
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig.
Handbuch der Soda-Industrie
und
ihrer Nebenzweige
für
Theorie und Praxis.
Von
Dr. Oeopg Lunge,
Professor der teclmischon Chemie am eidgeuüssischcn Polytechnikam zu ZQrich.
(Zugleich als 3. bis 5. Lieferung der ersten Gruppe des zweiten Bandes von
BoUey-Birnbaum's Handbuch der chemischen Technologie.)
In zwei Bünden.
l&xXi zahlreichen in den Text eingedruckten Holzstichen, gr. 8. geh.
Erster Band. Preis 18 Mark.
Zweiter Band (in zwei Abtheüungen). Preis zus. 28 Mark.
Die
Bereitung der Steinkohlen - Briquettes.
Mit Eücksicht
\ auf die
Vefhältnisse In Rheinland und Westfalen.
\ Von
\ Dr. Adolf Qurlt,
Bergingenieur in Bonn.
\ Royal -8. Fein Velinpap, geh. Preis 2 Mark.
ANKUNDIÖUNG.
Das vorliegende Handbuch hat die Aufgabe, sowohl die experimentellen
und theoretischen Grundlagen der mechanischen Wännetheorie, als auch die
Anwendung der Gleichungen und Sätze derselben in der eigentlichen Wärme-
lehre und in den übrigen Theilen der exacten Naturwissenschaft in möglich-
ster Vollständigkeit einheitlich darzustellen. Nur die Anwendungen auf rein
technische Aufgaben und auf die Probleme der Physiologie sind ausgeschlossen
worden; die ersteren, weil dieses Gebiet in den trefflichen Werken von
Zeuner und Grashof bereits in mustergültiger Weise behandelt worden
ist; die letzteren, weil dieser Abschnitt dem Physiker überhaupt ferner hegt.
Im Anschluss an die Behandlung des eigentlichen Inhaltes der mecha-
nischen Wärmetheorie ist eine kurz gefasste Geschichte dieser Discipliii von
ihren ersten Anfängen bis auf die heutige Zeit hinzugefügt. Diese historische
Darstellung hat auch Gelegenheit geboten, auf diejenigen Ergänzungen hin-
zuweisen, welche durch Arbeiten nothwendig geworden sind, welche seit der
Veröffentlichung der ersten Lieferungen dieses Buches erschienen sind.
Durch Berücksichtigung der wichtigsten Arbeiten des In- und Auslände:«
ist eine thunlichst« Vollständigkeit angestrebt worden. Das Buch soll jedoch
das Studium der Originalarbeiten nicht überflüssig machen, vielmehr deren
Stellung im Gesammtorganismus der Wissenschaft zeigen und ihre Resultate
kritisch gesichtet und nach zusammenfassenden Gesichtspunkt^^n geordnet
zur Darstellung bringen.
Das Buch soll dem lehrenden und forschenden Fachmannc als Hand-
buch, den Studirenden der exacten Naturwissenschaften als Lehrbuch dienen.
Die Darstellung ist so gewälilt, daas auch weniger Geübte, wenn die-
selben nur einen Cursus der Differential- und Integralrechnung imd die Ein-
leitung in die höhere Mechanik, sowie Experimental • Physik mid -Chemie
gehört haben, den Auseinandersetzungen zu folgen im Stande sein werden.
Solche, welche eingehende Sx>ecialBtudien vornehmen wollen, finden zusammen-
gestellt, was bereits geleistet worden ist, und an welche Quellen sie sich für
weitere Auskünfte zu wenden haben.
Diese letztere Lieferung im Besonderen, mit welcher das Werk seinen
Abschluss erreicht hat, bringt die Anwendungen der mechanischen Wärme-
theorie auf die galvanischen und elektrochemischen Pro<!esse, auf die mit
den Inductionsvovgängen zusammenhängenden Erscheinungen und auf die
Therm oelektricität. Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich hierauf mit den
Anwendungen auf Probleme der Meteorologie und Astronomie. Der letzte
Theil ist, wie bereits erwähnt, der Geschichte der behandelten Disoiplin
gewidmet und dürfte wohl den ersten Versuch enthalten, die Entwickelung
der mechanischen Wärmetheorie von den ersten Anfängen an bis auf die
heutige Zeit in zusammenhängender Weise zur Darstellung zu bringen. Eiu
möglichst umfängliches Sach- und Namenregister, welches sich auf beide
Bände erstreckt, soll es ermöglichen, das Buch auch als Nachschlagewerk
für die Erledigung einzelner Fragen zu verwenden, während die systemati-
schen Inhaltsverzeichnisse am Anfange jeden Bandes mittlieilen , welche
Capitel behandelt worden sind, und nach welchen Gesichtspunkten das Material
eingetbeilt worden ist.
1
1
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 609
vielmehr ^) darin , dass mit zunehmender Erwärmung der Widerstand A
eines Drahtes zunimmt. Bei stärkeren Stromintensitäten nimmt die Tem-
peratur eines Drahtes, damit sein Widerstand und ebenso die in gleichen
Zeiten entwickelte Wärmemenge zu.
Ein anderes von Poggendorff*) herrührendes Verfahren besitzt den
grossen Vorzug, dass es gestattet, den Einfluss der Abkühlung yollkom-
men zu eliminiren, ohne dass man nöthig hat, zu der Compensations-
methode zu greifen.
Der Apparat Poggendorff ^) besteht aus einer Art von Thermo-
meter, dessen Gefäss, ein Glasfläschchen, von zwei starken Silberdrähten
durchbohrt wird, welche innen und aussen Klemmschrauben tragen.
Zwischen den inneren Klemmschrauben wird der Draht ausgespannt,
dessen Erwärmung beobachtet werden soll. In den Hals der Flasche
wird, nachdem das Gefäss vollständig, mit Alkohol gefüllt worden ist, ein
Kork gepresst, welcher von einem Thermometerrohre durchbohrt wird.
Ist die Temperaturzanahme, welche der Draht durch den Strom er-
fahrt, so gering, dass man die Aenderung des electrischen Leitungs-
vermögens desselben mit der Temperatur vernachlässigen kann, so ist
die entwickelte Wärmemenge und gleichzeitig auch das Aufsteigen des
Alkohols im Thermometerrohre der Zeit proportional. Ist Q die in der
Zeiteinheit entbundene Anzahl Calorien, so wird in der Zeit dt die
Wärmemenge Q . dt entwickelt. Ist nun 0 die Anzahl Grade, um welche
die Temperatur des Calorimeters höher ist, als die der umgebenden Luft,
so wird in der Zeit dt eine Wärmemenge: x . 6 . dt nach aussen ab-
gegeben. Ist nun M der Wasserwerth des Calorimeters sammt seinem
ganzen Inhalte an Metall und Flüssigkeit, so besteht die Gleichung:
(Q — X .6) . dt = M .dO 21)
Dividirt man beiderseitig durch M und setzt abkürzungsweise:
M M ' '
Bo erhält man, wenn die Yariabeln getrennt werden :
h — m . 0
Durch Integration findet man, da h und m Constanten sind:
t = — — • lognat {h — w . 0) -\- consf.
Bezeichnen nnn Oq, 0i, 0^ ^i^ Temperaturüberschüsse des Calori-
meters über die Umgebung zu den Zeitmomenten 0, r, 2r, so erhält man:
^) Man sehe die hierauf bezüglichen Versuche von Romney Robison, Transact^
of tbe Irish Academ. Bd. XXII, S. 3, auch Wiedemann, Oalvanismus, Bd. 1, S. 893.
2) Pogg. Ann. Bd. 73 (1848) S. 366.
Jlühlniann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. 2. g^
610 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
1 , ^ Ä — »i . Öo
r = — . Jognat t n
m h — m . Ol
1 h — fw . 00
2 T = — . lognat ^
m h — m , 0^
Hieraus folgt, wenn man t eliminirt:
2 , , h — m . 6o 1 , , Ä — w . öo
— . lognat j- = ~- . lognat — ^ •
m h — m . üi tn n — nt . u^
Geht man nunmehr auf die Logarithmanden zurück, so erhält man :
h — tn , Oq /h — m . Opy
h —■ m . d^i \h — m . Öi/
und hieraus:
^j ___ ^^ . 00 » 02 — 01 22)
00* +02 — 2 01
Sofern man bei einem zweiten Versuche mit einer anderen Strom-
stärke oder mit einem zweiten Drahte experimentirt, findet man die ent-
sprechende Gleichung:
,, 0^ » 0^2 — 0'\
"'"'' 0'o + 0'2 - 26\
Der Quotient beider Gleichungen giebt unmittelbar 7;^, unabhan^g
von der Grösse I9i, von welcher die Abkühlang des Apparates abhäng-t.
h war aber v^ und // ist rrz^. wobei Q und Q' die in beiden Yersachen
M M
in der Zeiteinheit entwickelten Wärmemengen sind. M und If', die
Wasserwerthe des Galorimeters, sind, sofern es sich um Versuche mit
demselben Drahte handelt, absolut identisch, und dieselben werden,
selbst wenn man verschiedene Drähte verwendet, kaum merklich ver-
h
schieden sein. Jedenfalls abef gestattet der Quotient -r? leicht das Yer-
h
Q
hältniss ~pr, zu bestimmen und auf diese Weise die Giltigkeit des Jonle^-
sehen Gesetzes zu verificiren. Die Grossen Q und Q' sind unmittelbar
proportional dem Producte i^ . X,
Wir brauchen kaum besonders zu erwähnen, dass auch das Favre-
Silber mann 'sehe Quecksilberthermometer ^) und das Bunsen'sche Eia-
calorimeter ') leicht zu Bestätigungen des Joule' sehen Gesetzes ver-
wendet werden können. Die im Vorstehenden mitgetheilten Versuche
dürften jedoch vollständig ausreichen, um die Uebereinstimmung zwischen
Theorie und Erfahrung zu constatiren.
^) Man sehe dessen Abbildung, Beschreibung und Theorie; dieses Bach Bd. 2, II,
B. 2, S. 279 bis 281. — ^) Auf Verwendung des älteren Eiscalorimeters beruhen z. B.
die hierher gehörigen Versuche von Botto, Archives de l'Electr. Bd. 5. (1845.)
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 611
6. Einige weitere Consequenzen des Joule' sehen
Gesetzes.
Ist der Leiter, welcher vom galvanischen Strome durchflosBen wird,
nicht ein sehr dünner Cy linder, sondern beliebig gestaltet, so kann man
mit Hülfe des Joule' sehen Gesetzes und den allgemeinen Sätzen über
die Bewegung der Electricität die Grösse der entwickelten Wärmemenge
bestimmen. Man denkt sich zu dem Zwecke den Leiter durch unendlich
benachbarte Niveauflächen in Schichten, und diese durch die Bahnen, in
welchen sich die electrischen Theilchen bewegen, durch die Kraftlinien
oder Stromfaden, welche um jedes Flächenelement gezogen werden, in
unendlich kleine prismatische Canäle zerlegt.
Diese Prismen haben alsdann zwei Elemente zweier Niveanflächen
als Basen ; die Kanten der Prismen sind auf diesen Grundflächen normal. Der
Widerstand A jedes dieser Prismen berechnet sich dann als Function der
Leitungsfahigkeit x, welche der Leiter im Punkte x^ y^ z besitzt und
seiner Länge. In einem solchen elementaren Prisma ist die Strominten-
sität i entweder unmittelbar bekannt oder kann berechnet werden. Mul-
tiplicirt man nun deren Quadrate i^ mit dem Widerstände A des Prismas
und dividirt dieses Product durch das mechanische Aequivalent der Warme
i7, so erhält man die in diesem Yolumenelemente des Leiters entwickelte
elementare Wärmemenge. Durch eine Integration, welche sich über das
ganze Volumen des Leiters erstreckt, erhält man alsdann die überhaupt
entwickelte Wärmemenge.
Einige Experimente sind besonders geeignet den doppelten Einfluss
der Strom intensität und des Widerstandes im Leiterkreise überzeugend
darzuthun.
Schaltet man einen dicken Silberdraht und einen dünnen Platindraht
derart in den Stromkreis einer galvanischen Batterie von grosser Ober-
fläche ein, dass der Strom erst den einen und dann den anderen Draht
darchfliessen muss, so wird, sofern der Strom genügend stark ist, der
Platindraht, glühend, während sich der Silberdraht kaum merklich er-
wärmt. Bildet man dagegen aus beiden Drähten einen verzweigten Lei-
ter und schaltet diesen in den Stromkreis derselben Batterie derart ein,
dass der Strom beide Drähte gleichzeitig durchfliesst, so bleibt der Platin-
draht kalt, während sich der Silberdraht merklich erwärmt. Der Grund
dieser Erscheinung ist an der Hand des Joule'schen Gesetzes leicht zu
erkennen. Im ersten Falle durchfliesst der Strom beide Drähte mit glei-
cher Intensität, und deshalb erwärmt sich der Draht mit dem grösseren
Widerstände um so mehr, je grösser das Verhältniss dieser Widerstände
ist. Im zweiten Falle ist die Stromintensität an sich beträchtlicher, der
Strom fliesst jedoch vorzugsweise durch den Silberdraht und nur ein
89*
612 m Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
kleiner Theil desselben durch den Platindraht, so dass im zweiten Falle
die Erwärmung des Silberdrahtes merklich, die des Platindrahtes jedocli
gering ist.
Die Temperaturerhöhung, welche ein vom Strome dnrchflossener
Leiter erfahrt, ist, ausser von der in demselben entbundenen Wärme-
menge, welche proportional i^ . A ist, auch abhängig von der specifischen
Wärme des Drahtes und von dem Grade der Abkühlung, die er dnrcb
seine Umgebung erfahrt. In einem durchaus gleichartig beschaffenen,
vom Strome durchflossenen Drahte ist daher die Temperatur in gehöriger
Entfernung von den Enden allerorts gleich und daher ist, sofern die
Stromstärke ungeändert bleibt, die entwickelte Wärmemenge proportional
der Länge des Drahtes.
Bei beträchtlichen Temperaturerhöhungen ündet gleichzeitig eine
merkliche Aenderung des electrischen Leitungsvermögens statt, und diese
erklärt folgende Versuche.
Davy ^) Hess den Strom einer Batterie durch einen Platindraht hin-
durchgehen, von dem ein Theil an eine Spirale gewunden war. Bei
geeigneter Stromstärke wurde der Draht in seiner ganzen Ausdehnung
dunkel rothglühend. Wenn man nunmehr den spiralig gewundenen
grösseren Theil des Drahtes mit Eis umgab, so wurde der nicht vom Eis
berührte Theil hellroth glühend, gerade so, als ob die im nunmehr ab-
gekühlten Theile entwickelte Wärme auf den nicht abgekühlten über-
tragen worden wäre. Durch die Abkühlung des längeren, abgekühlten
Theiles vermehrt man die Leitungsfahigkeit desselben, dadurch nimmt
die Stromintensität im ganzen Drahte zu, und die im nicht abgekühltes
Theile des Leiters entwickelte Wärme wächst. — Wenn man umgekehrt
den spiralig gewundenen Theil des Leiters durch eine Flamme besonders
erwärmt, vermindert sich die Temperatur im nicht erwärmten Theile des
Leiters aus nunmehr leicht begreiflichen Ursachen.
7. Die Erklärung des Orove' sehen Versuches durch
Clausius.
Auch ein eigenthümlicher Versuch, welcher zuerst von Grove*) an-
gestellt worden ist, kann durch Betrachtungen, welche den vorigen ganz
analog sind, vollständig erklärt werden.
Zwei vollkommen congruente spiralförmig gewundene Platindräfai«
waren jeder in die Mitte eines geschlossenen Glasrohres eingebracht nnd
wurden von demselben Strome durchflössen. Das eine dieser Glasrohre
war mit Luft, das andere mit Wasserstoff gefüllt. Wenn der Strom
1) Davv, Phil. Transact. (1821), Bd. 1, S. 7. Gilbert^s Annalen Bd. 71, S. 259.
2)Grove, Philos. Magaz. Ser. 3, Bd. 27, S. 445 (1845), und Bd.. 35, S. 114
<1849), auch Pogg. Ann. Bd. 78, S. 366.
C. Wänneentwickelung durch den giilvanischen Strom. 613
^escbloBBen ist, kann man durch ein ThermoelemeDtleictitcODatAtiren, daw
im Waseerstoff der Draht sich weniger erwärmt, ala in der Luft. Grove
glaubt« anfänglich, dasa die Ursache dieser Erecheinang lediglich darin
ZD Buchen Bei, daes der WaeserBtofF als bcBBerer Wärmeleiter dem Drahte
die Wärme rascher und ToUkommener entfahre, ala die Luft. Nachdem
er jedoch jede der beiden Rdbren in ein beeonderee Calorimeter G und O'
eingelegt hatte (man sehe Fig. 45), überraschte es ihn, als er bemerkte,
Fig. «.
dasB in dem Calorimeter, welches die mit WaBserstoff gefällte Rdbre ent-
hielt , weniger Wärme entwickelt worden war, als in dem anderen Calo-
rimeter.
ClansiuB^) hat die ToUständige , zureichende Erklärung dieser
Tfaatsache gegeben. In Folge des stärkeren Abkablungs Vermögens des
Wasserstofies erwärmt sich der in diesem Gase befindliche Drabt weniger
stark, ab der andere. Die Leitung sfahigkeit dieses Drahtes nimmt, da
seine Temperatur sich weniger erhöht, nur um wenig ab, hingegen bat
sich der Widerstand des in der Luft befindlichen Drahtes, welcher stärker
erhitzt wird, erheblich vergröseert, und die dort entwickelte Wärmemenge
ist daher nach dem Joule'schen Gesetze grösser, als in dem von Wasser-
■toff umgebenen Drahte.
Auch eine Berechnung, die Clausius für den Fall anstellte, daes
die Temperatur des in Luft befindlieben Drahtes 300" sei, stimmt mit
den Grove'scheu Beobachtungen nahe überein. Eine vollkommene Ueber-
einstimmung ist nicht zu erwarten. Der in Luft befindliche Draht glühte
bei Grove's Versuch, und für so hohe Temperaturen kann weder die
Gültigkeit des von Dulong und Petit aufgestellten Gesetzes über die
Wärmemenge, welche eiu erwärmter Draht tbeils durch Wärmestrahlung,
theils durch Wärmecouvectiou und Wärmeleitung in der Zeiteinheit ver-
liert, noch die der empirischen Formel, welche die elektrische Leitungs-
föhigkeit des Metalles als Function der Temperatur darstellt, voraus-
gesetzt werden *).
') CUneias, Pogg. Ann. 87 (1S52) S. 501, auch in dessen Mechan. Wärme-
thMrit, 2. Aufl. Bd. 2, S. 144.
*) Clausios glaubte aufGrund der Ver»nche von Arndtspii (Pogg. Ann. Bd. 10*,
S. 1) innehmeD zu düifeD, da» die elektrische LeituDgtfahigkeit der Metalle proportio-
614 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen,
8. ^ie Bestimmung der Stromintensität und des "Wider-
Standes in absoluten Einheiten.
Der Vergleich der Ergehnisse der Theorie mit den Resultaten dcf
Versuche ist jedoch mit dem Nachweis der Proportionalität der Joule*-
sehen Formel noch nicht erschöpft.
Bekanntlich ist die Proportionalitätsconstante dieser Formel :
die Grösse ~, der reciproke Werth des mechanischen AequlTalenies der
Wärme. Misst man die Wärmemenge Q calorimetrisch und hestimmt mai
die Grössen i und X in entsprechenden Einheiten, so gelangt man aof
diese Weise zu einer neuen Bestimmung des Werthes tT", des mechanischei
Wärmeäquiyalentes, welche principiell von den früher beschriebenen Me-
thoden (man sehe Bd. 1, II, A, S. 185 u. s. f. IL B, S. 200 u. s. f. II, C
S. 218 u. s. f. III, A, S. 235, V, A, S. 558) verschieden ist und gerade
deshalb ein besonderes Interesse darbietet.
Eine derartige Bestimmung bat thatsächlich von Quintus Icilint
mit grosser Sorgfalt durchgeführt. Ehe wir jedoch zur Beschreibung
dieser Versuche übergehen können, müssen die Grössen t und k in Eio-
heiten ausgedrückt werden, welche einen unmittelbaren Vergleich er-
möglichen.
Die Stromintensität i haben wir al^ die algebraische Summe der
Electricitätsmengen definirt, welche in der Zeiteinheit durch jeden Quei^
schnitt des Leiters hindurchgehen.
Die Grösse % wird demnach bestimmt sein, so wie gefunden worden
ist, nach welcher Einheit die Electricitätsmengen gemessen werden müssen.
Zu diesem Zwecke bezieht man sich auf die Definition der Potential-
function.
Bekanntlich ist die Potentialfunction für ein System electrischer
Massen dq, welche auf eine negative Electricitätsmenge von der Grösse
1 im Abstände r wirken, gleich / — , und die Wirkung selbst, welche
eine der Massen dq auf eine Masse von der Grösse l ausübt, ist: 7>
Die anziehende Wirkung einer positiven Electricitätsmenge 1 auf eine
negative Electricitätsmenge von derselben Grösse 1, welche sich in einem
nal der absoluten Temperatur abnehme. Man sehe Claus ius, Mechanische Winnc-
theorie, 2. Aufl., Bd. 2, S. 150.
G. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 615
Bo grossen Abstände B von der letzten befinden, dass der Abstand aller
electrischen Theilchen dereinen and anderen Masse als gleich gross ange-
sehen werden kann, ist demnach — — . Die Einheit der Electricitäts-
menge ist hiernach diejenige, welche in einem Abstände B auf eine gleich
^osse Electricitätsmenge von. entgegengesetztem Vorzeichen die Anziehung
r^ ausübt.
Dem Vorgange W. Weber 's folgend, benutzen wir im Folgenden
den Millimeter als Längeneinheit und als Erafteinheit die Anziehung,
welche die Erde an ihrer Oberfläche auf die dem Millimeter im metrischen
Systeme entsprechende Masseneinheit, auf das Milligramm, ausübt.
Bei dieser Bestimmung bleibt nunmehr keine Willkürlichkeit zu-
rück, und man kann, nachdem auf diese Weise die Einheit der Electri-
citätsmenge fest bestimmt ist, die Stromintensität i ausdrücken.
y. Quintus Icilius stützte sich hierbei auf zahlreiche Versuche,
welche von W. Weber und Kohlrausch angestellt und in der denk-
würdigen Abhandlung: „Electrodynamische Maassbestimmungen ^)"
niedergelegt worden sind. Zu dem gewünschten Ziele würde z. B. fol-
gende Reihe von Versuchen führen.
Ein Condensator wurde mit Hülfe einer gewöhnlichen Electrisir-
maschine geladen. Um die Ladung dieses Condensators zu bestimmen,
berührte man das innere Beleg mit einer grossen isolirten metallischen
Kugel. Diese Kugel entnimmt einen bestimmten Theil der Ladung.
Hierauf entladet man den Condensator durch ein Galvanometer. Ausser
diesem Galvanometer schaltete man jedoch in den Stromkreis auch noch
eine Wassersäule ein, um auf diese Weise den Verlauf des Stromes thun-
lichst zu verlangsamen und die Bildung eines Funkens zu verhindern.
Die Galvanometernadel erleidet durch diese Entladung eine Ablenkung;
diese wird genau beobachtet. Hierauf misst man die Intensität eines
galvanischen Stromes mit Hülfe einer Tangentenbussole und lässt diesen
nämlichen Strom durch Anwendung eines geeigneten Unterbrechers eine
sehr kurze, aber genau gemessene Zeit lang durch das nämliche Galvano-
meter hindurchgehen.
Die Entladungszeit ist nur ein kleiner Bruchtheil der Schwingungs-
dauer der Nadel und daher die Wirkung des Entladungsstromes die eines
StoBses, welcher die Nadel in der Bahelage trifft. Aus der Beobachtung
der ersten Elongation der Nadel nach der Entladung kann die durch den
Stoss der Nadel ertheilte anfängliche Winkelgeschwindigkeit berechnet
werden. Die Grösse dieser Winkelgeschwindigkeit, welche der Nadel
durch den Stoss ertheilt wird, hängt ganz allein von der Electricitäts-
menge ab, welche während der Dauer des Stromes durch jeden Querschnitt
^) Electrodynamische Maasfibestimmungen , Abhandlangen der k. sächsischen Ge-
sellschaft der WisseDschaflen. Leipzig 1856, Bd. 5, S. 219 bis 292.
616 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
des Multiplioatordrahtes geflossen ist. Der Einfachheit wegen wollen wir
annehmen, man hahe den Unterhrecher derart eingerichtet, dass die Ab-
lenkung der Galvanometernadel, welche der die kurze Zeit 0 wirkende
Strom hervorbrachte, ebenso gross sei, als die, welche vorher durch
die Entladung des Condensators veranlasst worden war.
Ist q die Electricitätsmenge , welche nach der Berührung mit der
isolirten Kugel im Condensator zurückgeblieben war, so ist diese Electri-
citätsmenge ebenso gross, wie diejenige, welche in Folge des Stromes von
der unbekannten Intensität i während der kurzen Zeit 0 durch jeden Qner-
Bchnitt des Leiters hindurchfloss.
Die Ldsung der Aufgabe läuft hiernach auf folgende zwei Punkte
hinaus :
1. Die Electricitätsmenge q in mechanischem Maasse zu messen
und bei ihrer Entladung den ersten Ausschlag der Nadel eines Galvano-
meters zu beobachten, und
2. die kleine Zeit 6 zu bestimmen, während welcher ein Strom von
der Intensität i durch das Galvanometer gehen muss, um einen gleich
grossen ersten Ausschlag hervorzubringen.
Man hat alsdann:
oder:
i =z q.O.
Um nun q zu bestimmen, bedient man sich der isolirten Kugel,
welche man dadurch electrisirt hatte, dass man mit ihr das innere Beleg
des Condensators berührte. Diese Kugel hat vom Condensator eine Elec-
tricitätsmenge q^ weggenommen.
Diese Electricitätsmenge q' selbst bestimmt man nunmehr auf fol-
gende Weise. Man berührt mit ihr die feste Kugel einer Coulolnb' sehen
Drehwage. Die Rechnungen Plana's^), welche durch zahlreiche experi-
mentelle Untersuchungen ausreichend bestätigt sind, gestatten den Bruch
m der Ladung q' zu bestimmen, welchen die erste isolirte Kugel bei ihrer
Berührung mit der festen Drehwagenkugel an diese abgegeben hat. Die
bewegliche Kugel der Drehwage, welche mit der festen genau congruent
ist, wird durch Berührung mit der festen Kugel elektrisirt, und man
bringt durch eine geeignete Torsion des Fadens den beweglichen Ann
der Drehwage, der die eine Kugel trägt, unter einem bestimmten Winkel
gegen die Anfangslage zur Einstellung ins Gleichgewicht. Vorher be-
stimmt man das Drehungsmoment der Torsion durch Beobachtung der
Schwingungen einer Masse von einfacher geometrischer Gestalt (mit be-
kanntem Trägheitsmoment), die man an dem Faden befestigt hat.
Da die Electricitätsmenge mq* sich bei Berührung der festen und
^) Plana, Memoire sur la distribntion de Pclectricite k la snrface de deux spheres.
Turin, 1845.
C. Wärmeentwickelung durch, den galvanischen Strom. 617
der beweglichen Engel in zwei Hälften getheilt hat und die von densel-
ben ausgeübten Kräfte durch ein DrehuDgsmoment in mechanifichem Maasse
gemessen werden, so kann man hiermit die Grösse tn^' bestimmen. Da
nun nach den Plana'schen Formeln der Bruch m aus den Dimensionen
der Engeln bekannt ist, so hat man anf diese Weise q* selbst gefunden.
Um q zu finden, genügt es, das Yerhältniss zwischen der Electri-
citätsmenge s', welche die Kugel entnahm und der Electricitatsmeuge q
zu bestimmen, welche auf dem Condensator zurückblieb, nachdem die
Electricitätsmenge q' weggenommen worden war. Man hat diese
Aufgabe dadurch gelöst, dass man mit dem inneren Beleg des Conden-
sators ein Sinuselectrometer in Verbindung setzte und den Gang der
Nadel desselben einige Zeit vor und einige Zeit nach der Berührung des
inneren Beleges mit der isolirten Kugel beobachtete. Man konnte auf
diese Weise den Verlust und ebenso das Verhältniss der Ladungen un-
mittelbar vor und nach der Berührung mit der Kugel ermitteln.
Die Verbindung zwischen dem Condensator und dem Messapparate
wurde natürlich in dem Momente unterbrochen, in welchem man das
innere Beleg mit der Kugel berührte ^). Die Versuche ergeben nunmehr
sofort den numerischen Werth der Intensität des Stromes, mit welchem
man experimentirt hat. Die Einheit, auf welche sich alsdann der Zahl-
werth der Stromintensität i bezieht, heisst die mechanische Einheit. Da
aber ausserdem die Intensität dieses Stromes durch ein Galvanometer
gemessen worden ist, so kann man nunmehr leicht die Intensität jedes
beliebigen mit diesem Galvanometer gemessenen Stromes und schliesslich
auch die durch andere Messinsti'umente gemessenen Ströme in mecha-
oischen Einheiten ausdrücken. Zu letzterem Zwecke würde es genügen,
den Strom, der uns bei dem Experimente gedient hat, mit dem Strome
zu vergleichen, welcher in einer Secunde ein Milligramm Wasser zersetzt.
Auf diese Weise erhält man die Intensität desjenigen Stromes in mecha-
nischen Einheiten, welche in einer Secunde ein Milligramm Wasser zer-
letzt. Hat man diesen Zahlwerth, so genügt die Multiplication mit einem
i^ahlencoefficienten , um aus jeder Angabe des Galvanometers die Inten-
(ität des betreifenden Stromes in mechanische Einheiten umzurechnen.
Man kann sich auch mit Vortheil der von Weber als absolutes
iCaass der Stromintensität vorgeschlagenen Grösse bedienen. Es ist dies
lerjenige Strom, welcher, wenn er einen geschlossenen kreisförmigen
Leiter, der die Flächeneinheit nmschliesst, durchströmt und auf eine in
fehr grosser Entfernung S befindliche Magnetnadel wirkt, deren magne-
dsches Moment gleich 1 ist, durch seine Wirkung ein Kräftepaar hervor-
»ringt, welches gleich der Einheit dividirt durch die dritte Potenz der
Entfernung ist. Diese letzte Einheit ist gleichwerthig mit 155370.10^
nechanischen Einheiten, und der Strom, welcher in einer Secunde ein
^) Genaueres über diese Versuche sehe man in der Originalabhandlung Kohlrausch
tnd Weber, Abhandlungen d. sächs. Gesellsch. d. Wissenschaften, Bd. 5, S. 235u. s. f.
618 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Milligramm Wasser zersetzt, ist das 106 V3 fache der ahsoluten, also glekl
1067» . 155 370 . 10« = 16 573 . 10^ mechanischen Einheiten.
Es fehlt nunmehr noch der ahsolute Werth des Widerstandes ^) l
Sind Vq und Vi die Werthe der Potentialfunction an zwei Punkten M^
und Ml des Leiters, A der Widerstand des dazwischen gelegenen Theila
Mq itfi, so gestattet die früher entwickelte Gleichung
den Werth von A zu hestimmen, sofern die Grösse der Differenz Vi — Fj
und die Intensität i, in den gewählten Einheiten ausgedrückt, bekansl
sind. Dieser Werth kann jedoch ohne Schwierigkeit aus einer Versudu
reihe von Eohlrausch^) entnommen werden, die behufs Yerifieatioi
des Ohm 'sehen Gesetzes angestellt worden ist.
Der Leiter, an welchem diese Versuche angestellt wurden, war ▼«
einem Strome durchflössen, dessen Intensität i auf die soeben Yon na
auseinandergesetzte Weise ihrem numerischen Werthe nach ermittd
worden war.
Die beiden Punkte Mq und Mi dieses Leiters sind jeder mit je einem Bt
leg eines Condensators verbunden, welcher aus zwei Metallplatten beatek
Fig. 46.
die durch eine änsseiy
dünne Luftschicht gi
trennt sind (g. Fig. 4l{
Der Condensator, deaa
sich EohlrauBch b€
seinen Versuchen be
diente, war besonders s
diesem Zwecke ooa
strnirt, um die zahlrä
eben Fehlerquellen si
beseitigen, durch welche sonst meist der Gebrauch dieses Instrumente
beeinträchtigt wird. Der Condensator bestand ans zwei Messingrplatta
von ungefähr 15 cm Durchmesser und 3 mm Dicke. Jede Platte war m
drei Seidenschnüren aufgehängt, und die Schnüre, an welchen die ober
befestigt ist, waren an einem beweglichen Arme angebracht, welcher gc
stattete, beide Platten einander beliebig zu nähern oder von einander M
^) Einen sehr einfachen Weg den Widerstand in absoluter Einheit aaszudracki
giebt W.Thomson an in seiner Abhandlung : Applications of the prlnciple of mecbaaid
effect to the measnrement of electromotive forces and of galvanic resistances in aboolal
Units. Phil. Mag. (1851) 4. Ser., Bd. 2, S. 551 bis 562. Er definirt folgendermaasica
Der Widerstand eines metallischen Leiters in Weber'schen absoluten Einheiten ist gläd
dem Producte aus der Wärmemenge, die ein Strom Won der Intensität Eins in der Sc
cunde in dem Drahte entwickelt, multiplicirt mit dem mechanischen Aequivalent di
Wärme. Nach dem Joule 'sehen Gesetz ist: JH ^= At^, folglich, wenn i = 1 ist
X =: J. Hf wenn H die Wärmemenge bedeutet.
2) Poggendorff's Anualen, Bd. 75, S. 220 (1848) und Bd. 78, S. 1 (1879).
C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 619
entfernen. Die untere Platte war mit einer sehr dünnen Schellackschicht
überzogen und trug an drei in der Nähe des Randes gelegenen Punkten
kleine Schellackstabchen. Durch diese Einrichtung bewirkte man, dass
der Plattenabstand und die Condensationsfähigkeit während der ganzen
Dauer des Versuches fast vollkommen constant blieb. Die Art der Auf.
liängung bedingte, dass Störungen durch solche Electricitätsmengen
"wegüelen, welche sich meist schliesslich auf den Glasunterlagen gewöhn-
licher Condensatoren aufhäufen. Der Gondensator ist alsbald geladen, und
nachdem dies geschehen ist, geht die Fortpflanzung der Electrioität längs
des Drahtstückes Mo Mi ganz wie vorher weiter; die Potentialfunction
nimmt daher in den Paukten Mq und Mi genau dieselben Werthe an,
welche sie vorher dort besass, ehe die Verbindung mit dem Gondensator
hergestellt wurde.
Ist dies geschehen, so hebt man die Metalldrähte, welche die Platte
des Gondensators mit den Punkten Mq und Mi verbinden, ab und misst
in bekannter und bereits besprochener Weise die Grösse der Ladung,
welche der Gondensator empfangen hat.
Die eine der Platten, welche mit Mq verbunden war, hat alsdann
eine Ladung angenommen, deren Potentialfunction Vq ist, auf der anderen
Platte des Gondensators besitzt die Potentialfunction den Werth Vi*
Wäre dies nicht der Fall, so könnte die Electricität sich nicht auf dem
ganzen Systeme im Gleichgewichtszustande befunden haben. Da die
Dimensionen des Gondensators bekannt sind, kann man die Differenz der
Potentialfunctionen Vi — Vq leicht als Function der Ladung des Apparates
darstellen. Auf diese Weise bestimmt man den numerischen Werth der
Differenz der Potentialfunctionen und damit die Grösse von A, in mecha-
nischen Einheiten ausgedrückt.
Diese Operation wurde mit einem beliebigen Leitungsdrahte aus-
geführt, dessen Verhältniss zu einer beliebigen Widerstandseinheit durch
eine der bekannten Methoden ermittelt worden war, deren man sich zum
Vergleich von Leitungswiderständen bedient*). Auf diese Weise ergiebt
sich ein Proportionalitätscoefficient , mit dem man nur den in einer
anderen Einheit ausgedrückten Widerstand zu multipliciren braucht, um
ihn in mechanische Einheiten umzurechnen. Will man z.B. einen Wider-
stand, dessen Grösse in Web er 'sehen absoluten Einheiten gegeben ist,
in mechanische Einheiten umrechnen, so mnss man die erste Zahl durch
155370^.10*2 dividiren. Man erkennt hiernach leicht, dass das Product
aus Stromintensität und Quadrat des Widerstandes in absoluten und
mechanischen Einheiten denselben Werth giebt. Die Weber' sehe absolute
/Widerstandseinheit ist der Widerstand eines geschlossenen kreisförmig
gestalteten Drahtes, in welchem ein Strom von der Intensität 1 inducirt
wird, wenn man ihn an einem Orte, an welchem die Intensität der mag-
^) Eine sehr vollständige Ztisammenstellang und Statistik dieser Methoden tiudet
man in: G. Wicdemann, Galvanismus. 3. Aufl., Bd. 1, S. 439 u. s. f.
620 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
netischen Erdkraft gleich 1 ist, in einer Secunde am 90^ dreht, nach-
dem er zuerst der Richtung dieser Kraft parallel gestanden hat. Die
von dem Drahte eingeschlossene Kreisfläche muss hierhei den Flächen-
inhalt 1 besitzen. Sehr viel bequemer herzustellen ist die von W. Siem en s
vorgeschlagene Widerstandseinheit. Dies ist der Widerstand, den bei 0*
eine Quecksilbersäule von 1 m Länge und 1 qmm Querschnitt darbietet.
Die in Siem ens 'sehen Einheiten ausgedrückten Widerstände müssen mit
3745 . 10 "" ^^ multiplicirt werden, um dieselben auf mechanische Einheiten
umzurechnen.
9. Die Bestimmung der Constanten des Joule'schen
Gesetzes durch von Quintus Icilius und Joule.
Allerdings hat v. Quintus Icilius^) nicht den hier beschriebenen
Weg eingeschlagen, um die Intensität des von ihm benutzten Stromes
und den Widerstand des bei seinen Versuchen- verwendeten Widerstandes
in mechanischen Einheiten auszudrücken. Die von ihm angewendeten Me-
thoden würden ein näheres Eingehen auf die Gesetze gewisser Inductions-
erscheinungen bedingen, deren Erörterung späteren Betrachtungen vor-
behalten ist.
Die Versuche wurden mit Kupfer- und Platindrähten angestellt. Die
Drähte wurden während des Versuches in ein Calorimeter von dünnem
Kupferblech getaucht, welches selbst wieder in einem zweiten leeren ähn-
lich gestalteten Gefasse stand, dessen Wandungen durch einen aussen
angebrachten Wassermantel auf constanter Temperatur erhalten werden. Es
wurden zwei Calorimeter von verschiedenartiger Gestalt verwendet and
diese mit Wasser, Terpentinöl oder absolutem Alkohol gefüllt. Der Gang
der Beobachtungen war bei jedem einzelnen Experimente der folgende:
Man ermittelte die Gleichgewichtslage der Galvanometernadel durch Ab-
lesung von sieben einzelnen Maximal elongationen der Nadel. Alsdann Hess
man den Strom hindurchgehen, schaltete jedoch an Stelle des in das Calo-
rimeter eingetauchten Drahtes einen anderen von gleichem Widerstände
ein und las die neue Stellung der Galvanometernadel ab. Diese Opera-
tionen nahmen ungefähr 2 Minuten in Anspruch. Hierauf lässt man den
Strom durch den Draht hindurchgehen, der sich im Calorimeter be-
6ndet, und liest eine Stunde lang alle 2 Minuten den Stand des in den-
selben eintauchenden Thermometers ab. Das Galvanometer wurde zu
den Zeiten 12 See, 24 See, 36 See. etc., 96 See. und 108 See. abgelesen,
und zum Termine 60 See. verschob man, wenn eine Aenderung der Strom-
intensität wahrnehmbar war, den Rheostat. Diese Beobachtungen lieferten
nunmehr alle einzelnen Daten zur Berechnung der entwickelten Wärme-
menge und der zugehörigen Stromintensität. Auch wurde die Aenderung
berücksichtigt, welche der Widerstand des in das Calorimeter eingetanch-
') V. Quintus Icilius, Bd. 101, S. 69 (1857).
.C. Wärmeentwickelung durch den galvanischen Strom. 621
ten Drahtes in Folge der Temperatarerhöhung des Calorimeters erfährt.
Die Beschaffenheit dieser Abhängigkeit war durch yorhergehende besondere
Versuche erimittelt worden. Hierbei wurde man auf eine andere Fehler-
quelle aufmerksam, welche nur schwierig eliminirt werden konnte.
Misst man nämlich den Widerstandeines Drahtes, ehe und nachdem
man den Draht eine grosse Anzahl yon Malen der erwärmenden Wirkung
des Stromes ausgesetzt hat, so bemerkt man, dass der Leitungswiderstand
sich erheblich vergrössert hat. Solche Zunahmen wurden gelegentlich
von Quintus bis zu 3 Proc. des Gesammtbetrages beobachtet. Wenn
man auch als Widerstand eines Drahtes während des Versuches das arith-
metische Mittel des Yorher und nachher beobachteten Werthes benutzte,
so war die auf solche Weise vorgenommene Correction doch immerhin
eine ziemlich rohe nnd beeinträchtigte die Zuverlässigkeit des Endresul-
tates erheblich.
V. Quintus Icilius hat mit dem Wasser calorimeter 12 verschiedene
Versuchsreihen angestellt und hat für die Constante -=. des Joule 'sehen
Gesetzes folgende in Zehntausendmillionsteln ausgedrückte Zahlen erhalten :
2,573 2,490
2,860
2,492 2,414
2,571
2,544 2,619
2,761
2,685 2,556
2,590
Man erhält somit im Mittel:
1 2,551
1
J 10 000 000 000
3 920 000 000
Es ergiebt sich somit für das mechanische Aequivalent der Wärme J,
bezogen auf das Milligramm und den Millimeter, der Werth 3 920 000 000,
oder für den auf gewöhnliche Maasse (Meter und Kilogramm) reducirten
Werth :
J = 392.
Dies weicht von dem von Joule gegebenen Mittelwerth 425 aller-
dings nicht unerheblich ab, immerhin aber ist die Uebereinstimmung eine
befriedigende, wenn man berücksichtigt, wie viel verschiedenartige, ge-
trennt bestimmte Elemente das Endresultat beeinflussen.
Einen von dem vorhergehenden nicht sehr erheblich verschiedenen
Weg schlag Joule ^) zur Bestimmung desselben Factors ein.
In einem besonders für diese Messungen vorbereiteten Calorimeter
befand sich ein dünner Draht von bekanntem Widerstände, welcher aus
einer Silberplatinlegirung hergestellt war. Durch diesen Draht wurde
ein Strom geleitet, dessen Intensität % an einer einfachen Tangenten-
bussole abgelesen wurde. Nach einer besonders für diesen Zweck gewähl-
ten Methode wurde gleichzeitig die horizontale Componente des Erd-
^) J 0 u 1 e , Determination of the mechnnical equivalent of heat from eiperiments on
thc heat cvolved by currents of electricity. Rep. of the Brit. Assoc. (1867), S. 512»
622 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
magnetismus für jeden einzelnen Versuch in mechanischem Maasse be-
stimmt.
Hiernach erhält man, wenn <p die Angabe der Tangentenbussole and
H die Grösse der horizontalen Gomponente der Erdkraft in mechanischem
Maasse bedeutet, die gesuchte Stromintensität i aus der Formel:
i = H. tang
direct in mechanischem Maasse. Der Widerstand war genau bekannt
(nahezu gleich ein 0 h m a d ^) und konnte durch Multiplication mit
einem bekannten Zahlenfactor leicht in mechanische Einheiten umgerech-
net werden.
Der Strom ging 40 Minuten lang durch den Draht, dann beobach-
tete man ebenso lange die Abkählung des Calorimeters und ermittelte
dadurch die Wärmeroenge, welche wegen des Verlustes durch Wärme-
leitung und -Strahlung ersetzt werden musste.
Als Mittel aus 30 Versuchen ergab sich für das mechanische Wärme-
äquivalent in gewöhnlichen^ mechanischen Einheiten :
429,8 Kgm,
und dies stimmt mit den sonstigen Bestimmungen der Grösse J vortreff-
lich überein.
D. Induction.
1. Beziehungen zwischen der erzeugten Wärmemenere
und den Kräften, welche den electrischen Strom hervor-
bringen (Induction).
Anstatt, wie es bisher geschehen ist, die Gesetze der vom galva-
nischen Strom erzeugten Wärmemengen aus den Hypothesen über die
Natur des Stromes und der Art der Fortpflanzung der Electricität
herzuleiten, kann man sich auch, wie wir dies schon in der Einleitung
dieses Abschnittes gethan haben, auf einen anderen Standpunkt stellen
und kann, indem man die Gesetze über die Wärmeerscheinungen als
empirisch gegeben betrachtet, die entwickelten Wärmemengen als Aequi-
valent der in anderen Theilen des Systems stattfindenden Aenderungen
der Energie ansehen. Auf diese Weise gelangt man zu Beziehungen
zwischen diesen Wärmemengen, welche vom Strome entwickelt werden,
und den anderen Vorgängen, welche den Strom veranlassen, den chemi-
schen Processen und den Inductionserscheinungen.
*) 1 Ohmad = 1,0493 Siemens 'sehe Einheiten nach Dehms und H. Siemens.
Siehe Pogg. Ann. Bd. 148, S. 155.
D. Induction. 623
Zunächst betrachten wir die Inductions Vorgänge und zwar zuerst
die Ströme, welche dadurch entstehen, dass sich ein geschlossener Leiter-
^reis bewegt, während er der Wirkung eines Magneten oder, was dem
»qaivalent ist, der Wirkung eines Systemes von Strömen ausgesetzt ist.
^Bewegt man unter solchen Umständen einen Leiter, so wird in ihm ein
Strom entstehen, und dieser erzeugt eine Wärmemenge Q, welche nach
dem Joule' sehen Gesetze proportional dem Producte i^.A ist. Alsdann
musB die bei der Bewegung aufgewendete Energie ebenfalls der Grösse
■t* . A proportional sein.
Wir setzen voraus, dass der Leiter aus einer homogenen Substanz
liergestellt sei. Wir nehmen dies lediglich deshalb an, um von den
thermoelektrischen Wirkungen absehen zu können, die an der Berührungs-
Btelle zweier verschiedenartiger Substanzen stattfinden würden. Wir
machen jedoch keine beschränkenden Voraussetzungen über die Gestalt des
Leiters. Nennt man A den Gesammtwiderstand dieses beliebig gestal-
teten Leiters, i die Intensität des durch den Inductionsprocess in ihm
erzeugten Stromes, so gilt für jede Zeiteinheit die Gleichung :
J.Q = m.iKX 1)
Hierbei ist m eine Constante, welche von den Einheiten abhängig
ist, die man für die Intensität und den Widerstand des Stromes gewählt
hat. Man weiss aber ausserdem, dass, wenn man mit F die elektro-
motorische Kraft eines Stromes bezeichnet, nach dem Ohm' sehen Gesetze
die Gleichung gilt:
F
^ = Ä' 2)
so dass man die vorhergehende Gleichung auch schreiben kann:
J.Q = m.Fj 3)
Bezeichnet man die der entwickelten Wärmemenge Q äquivalente
Quantität Energie J. Q mit H, so ergiebt sich die einfache Gleichung :
H=m.F.i 4)
Diese Formel entspricht einem Strome von constanter Intensität.
Dieselbe ist beispielsweise anwendbar in dem bekannten Arago' sehen
Experimente (man sehe Fig. 47 a. f. S.). Bei diesem wird der Strom
dadurch erzeugt, dass ein fester Magnet AB oder auch nur der Erd-
magnetismus auf eine drehbare Kupferscheibe CD wirkt. Bringt man
die beiden Enden eines festen Leiters in Berührung mit zwei Stellen der
Scheibe, so ändern sich während der-Rotation zwar die vom Leitungs-
draht berührten Punkte der Scheibe, der Zustand des Systemes bleibt
aber in Folge der strengen Symmetrie des Systemes constant. Im festen
Leiter circulirt alsdann ein constanter Strom. Sind die electromotorische
Kraft und der Leitungswiderstand veränderlich, so gilt für die während
der Zeit dt entwickelte Energiemenge dH die Gleichung:
dH=m.F.i.dt 5)
624 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
und fQr die in dem Zeitrasme t entwickelte Energiemenge erhält i
H=f...
■.dt
Setzt man voraus, dass der Leiter, auf welchen die Indactionawirkanf
anageübt werden eotl, zunächst ungeschlossen sei, bo findet bei Bewegong
des Leiters keine Wirkung des Magneten oder des diesem äquivalente
Strom Byetemea statt. Ist dagegen der bewegliche Leiter geschlossen, so
findet eine Wärmeentwickelung statt. Daraus können wir sofort BchliMwn.
da8B, um nnnmehr nochmals die nämliche Bewegung des beweg-lichm
Leiters hervorzubringen, ein grösserer Aufwand von Energie notbwendig
P^ 47 ist, als znvor. Es muBS alsdann in Jedem
Zeitabschnitte eine Arbeitamenge dS auf-
gewendet werden. Dieser binzutretendc
Arbeitsaufwand rührt daher, dass der
inducirte Strom auf den Uagnet zurück-
wirkt, und dadurch eine Kraft eatstefat.
welche sich der Bewegung entgegen aetit.
Wir sind dadurch auf das Fnudament«!-
geaetz der Induction geführt worden, eii
Gesetz, welches zuerst von Lenz') sof-
geateUt worden ist und nach dieeem
seinen Namen flihrt.
Aber nicht nur das Lenz'sche Geaetz ergiebt sich auf diese Weise,
eondem auch der Ausdruck, welchen seinerzeit Nenmann^) als eine
Hypothese über die electromotoriache Kraft der Indnction aufgestellt hat
erscheint als eine nothwendige Consequenz der mechanischen WSrne-
theorie.
Die Arbeit dH, welche in jedem Zeitintervalle dt aufgewendet wer-
den mnaa, um die Bewegung des beweglichen Leiters gleichionnig n
erhalten, ist gleich der Arbeit der gegenaeitigen Wirkungen zwischen dem
Indnction Bstrome und dem indncirenden Magneten oder Strome. Die-
selbe kann daher auf theoretischem Wege aus dem Ampere'schen Ge-
setze über electromagnetische Wirkungen hergeleitet werden. Dieser
Ausdruck für die Arbeit des Inductlonsatromes und des Magnetes enthilt
nothwendiger Weise als gemeinschaftlichen Factor aller Glieder die Inten-
aität I dea während der Zeit dt inducirten Stromea. Man kann demnadi
dH=i.df 7)
aetzen und erhält aofort:
dip = m.F.dt Ö)
') H^moireii de l'Acudfniie des Bcieaces de St. Pjtersbourg (Uathem. |ihjsik*lische
und nMurwin^^nschottliche AUhdlurig 183», S. Serie, Bd. II, S. 42T); auch Pogg. Ann.
Bd. 31 (1834), S. 483.
^ Keumnnii, Abhandlungen der Berlin» Akademie JUb, S. t d. 1S47, S. 1.
D. Induction. 625
Um dq> zu berechnen, mnBs man berücksichtigen, dass dq> = dH
ist, sofern man « = 1 macht. Die Aufgabe reducirt sich alsdann auf die
ireitere, einfachere, die Arbeit zu finden, welche von der Wirkung des
indacirenden Systemes auf einen- Strom von der Intensität 1 herrührt,
sofern dieser den Leiter, auf welchen die Inductionswirkung ausgeübt
iKrird, durchfliesst. Ist ds ein Element dieses letztgenannten Leiters und
Ii,d$ die Resultante der Wirkungen des inducirenden Systemes auf dieses
dement, so kann im Allgemeinen die Grösse dieser Resultante leicht mit
Hülfe der Amp^r ersehen Gesetze gefunden werden. Dieses Element ds
bewegt sich unter Wirkung einer äusseren mechanischen Kraft trotz der
Wirkung B des inducirenden Systemes mit einer constanten Geschwindig-
keit V,' Demnach ist v ,dt der in der Zeit dt vom Elemente ds durch-
lanfene Weg, und die geleistete elementare Arbeit ist, sofern man mit ^
den Winkel zwischen der Geschwindigkeit v und der Resultante R be-
zeichnet,
E.V. cos ijf .ds.dt
Um die Gesammtwirkung d(p zu erhalten, bildet man die Summe
über alle Elemente ds des Leiters und erhält:
d(p = dt. I R.vcos'if .ds .... 9)
Mit Rücksicht auf den in Gleichung 8) für d^ gegebenen Ausdruck
findet man:
m J
R.v.cost'ds, . . . 10)
Dies aber ist der Ausdruck, welchen Neumann hypothetisch für die
eleotromotorische Kraft desjenigen Inductionsstromes gegeben hat, welcher
durch die relative Bewegung eines Leiters und eines benachbarten Mag-
neten oder Stromes entsteht. , Man sieht leicht ein , dass jeder Fall der
relativen Bewegung auf den von uns betrachteten zurückgeführt werden
kann, in welchem das inducirte System das bewegte und das inducirende
das ruhende ist.
2. üeber die Anwendungen der Neumann'sclien Formeli.
Diese Neu mann' sehe Formel hat auf eine grosse Zahl von Folge-
rungen geführt, welche sammtlich durch die Erfahrung bestätigt worden
sind.
Selbstverständlich ist es nicht unsere Aufgabe, sämmtliche Folge-
rungen der Neumann 'sehen Formel zu entwickeln, denn dies würde es
noth wendig machen, eine vollständige mathematische Theorie der Induc-
tionserscheinungen zu geben. Wir wollen jedoch die Wichtigkeit dieser
Formel an einem charakteristischen Beispiele darthun und gleichzeitig
Bühlmann, Mechan. WftrmetlieoTie. Bd. ü. 4Q
626 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
damit zeigen in welcher Weise solche Fälle, in welchen Inductioiu-
wirknogen stattfinden, behandelt werden können.
Man weiss, dass beispielsweise iDductionswirknngen stattfinden,
wenn die Intensität eines Magneten ,• der sich in der Nähe "eines ge-
schlossenen Leiterkreises befindet, geändert wird, oder wenn die Inten-
sität eines benachbarten Stromes zu- oder abnimmt.
N e u m an n hat diesen Fall auf folgende Weise anf das Gmndpbänomen
zurückgeführt, in welchem die Inductionserscheinnngen darch die Ter-
schiebung eines Magneten hervorgebracht werden. Er betrachtet zu-
nächst die Inductionserscheinnngen, welche in einem geschlossenen festen
Leiterkreise durch die Verschiebung eines einzigen Magnetpolea erzeugt
werden. Die Resultante R kann leicht mit Hülfe der bekannten 'Formel
sincD.ds
G
r2
berechnet werden, welche die Wirkung eines Magnetpoles A auf ein
Stromelement MM'= ds darstellt, dessen Mitte P sich in einem Abstand
AP = r vom Pole befindet, und dessen Richtung mit der Geraden AF
den Winkel cd einschliesst (siehe Fig. 48). Diese Wirkung ist nach recbts
Fig. 48.
vom Strome aus gerichtet, wenn man einen Nordpol betrachtet. Auch die
Bestimmung von P bezieht sich auf einen Nordpol ; man braucht nur das
Vorzeichen zu ändern, um die electromotorische Kraft zu erhalten, welche
unter sonst gleichen Umständen ein Südpol von gleicher Intensität hei^
vorbringen würde. Zunächst nimmt Neu mann nunmehr an, dass swei
gleichstarke entgegengesetzt magnetische Pole in einem einzigen Punkte
N vereinigt wären; alsdann üben dieselben zusammen selbstverständlich
keine Wirkung auf einen benachbarten geschlossenen Leiter aus« Hierauf
entfernt er die gleichen Mengen von entgegengesetztem Magnetismus in
zwei von N gleich weit abstehende Punkte A und B, Er bildet auf
diese Weise einen Magnet, und diese Entstehung eines Magneten veran-
lasst einen Inductionsstrom, dessen Ursache in der Bewegung zweier ein-
zelner Magnetpole zu suchen ist. Indem Neumann diese Pole mehr
oder minder weit von N entfernt denkt, kann er auf diese Weise die
Intensitätsänderungen des inducirenden Magneten nachahmen. Str^ig
genommen ist dieses Verfahren eigentlich nur auf einen aus zwei magne-
tischen Elementen gebildeten Magnet anwendbar; man darf dasselbe
jedoch auf alle Elemente anwenden, aus welchen man sich einen wirk-
lichen Magnet zusammengesetzt denken kann.
D. Induction, 627
Nach dem Bchon vorher von uns erwähnten Principe von der Aeqniva-
lenz zwischen Magneten and Strömen lassen sich die Inductionswirkangen,
welche durch Aenderang der Strom Intensität hervorgehracht werden,
leicht auf den vorhergehenden Fall zurückführen. Ampere hat gezeigt,
dass alle Wirkungen eines geschlossenen Stromes identisch sind mit den
Wirkungen, welche zwei unendlich benachbarte, mit entgegengesetztem
Magnetismus belegte Flächen ausüben würden. Die Gestalt dieser Flächen
ist hierbei ganz gleichgültig, und es ist nur erforderlich, dass sie durch
zwei dem Leiter unendlich benachbarte Curven begrenzt sind. Ausserdem
setzt man voraus, dass wenn die zwei Punkte M und M' die beiden
Fasspunkte einer gemeinschaftlichen Normale beider Flächen sind
(siehe Fig. 49) , die Dichtigkeiten der in M auf der einen und in M! auf
der anderen Fläche gelegenen gleichen aber entgegengesetzten Magne-
tismen dem Abstände MM' umgekehrt proportional sind. Haben die
beiden benachbarten Flächen durchaus den
nämlichen Abstand, so würden dieselben beide
durchaus gleichförmig mit entgegengesetztem
Magnetismus beladen sein. Man kann sich
leicht eine Vorstellung von der Lage dieser
Oberflächen machen, wenn man sie durch eine
beliebige fibetie schneidet. Diese Ebene schneidet den geschlossenen
Leiterkreis in zwei Punkten N und N\ und ausserdem erhält man zwei
unendlich benachbarte Curven stücke , von welchen jedes durch zwei den
Punkten N und N* unendlich benachbarte Punkte begrenzt wird. Nach
dieser Methode kann man jederzeit einen Strom auf ein System magne«
tisch er Flächenelemente zurückführen und auf diese Weise die auf die
Induction durch Magnete bezüglichen Betrachtungen ohne Weiteres auch
auf die Inductionswirkungen durch galvanische Ströme übertragen. Der
Durchführung dieses Gedankens im besonderen Falle setzen sich freilich
nicht selten erhebliche Schwierigkeiten entgegen.
3. Joule's Versuclie über die Aequivalenz der durch einen
Induotionsstrom erzeugten Wärme und der zu seiner
Hervorbringung aufgewandten Arbeit.
Diese Experimentaluntersuchung Joule^s ist, obgleich die Genauig-
keit der Messungen nicht sehr gross war, von grösster historischer Bedeu-
tung, denn es ist die erste Arbeit, mit der Joule das Gebiet der mecha-
nischen Wärmetheorio betrat ^). In der Nähe eines Magneten Hess man
einen Leiter zunächst in un geschlossenem Zustande rotiren. Um eine
1) Man sehe: Phil. Mag. III. Ser., Bd. 23, S. 243, 347, 435 (1843); in deutscher
Uebersetzung: Das mechanische Wärmeäquivalent, gesammelte Abhandl. von J. P. Joale,
deutsch von J. W. Spengel (Braunschweig, 1872. Vieweg & Sohn), S. 2.
40*
628 I[I. Anwendungen auf electrieche Erscheinungen.
gleichförmige Rotation Bgeschvindigkeit za erzielen, war du Niederaiiikra
eines beatimmten Gewichtes erforderlich. Um die nämliche Rotstionr
geschwindigkeit za erzielen, wenn der Leiter geschlossen witr, bedurft«
ea eines beträchtlich grösseren Gewichtes. Das VerhältnisB zwischen dti
Arbeit, welche beim zweiten Versncb, in welchem der Leiter geschloua
war, mehr gebraucht wnrde, and der dnrch die Indnctionsströme toi-
bnndenen Wärme gab unmittelbar einen Werth für das mechaniscfat
Aeqnivalent der Wärrae.
Der bewegliche Leiter a (siehe Fig. 50) bestand ans einem UeiDn
Electromagneten, der dnrch sechs Platten weioheh Eisens Ton 28 cm Liop
nnd 1,6 mm Dicke gebildet wurde. Diese Platten lagen neben einander,
aber waren nnter sich isolirt durch zwistifaeagefilgte Seheiben von Seide, <]ie
mit Schellack getränkt war. Um diese Eisenmasse waren ungefähr Idn
Knpferdraht gewickelt, dessen Dicke 1,4 mm betrag. Während des Te^
suches befand sich der Electromagnet in einem Glasgefäes, welches mit
Wasser gefüllt war und während der Daaer des EzperimenteB dnrek
^nen Pfropfen verschlossen war. Diesen Apparat befestigte man ii
horizontaler Lage an einem Rotation sapparate b mit rerticaler Drehut
und liess den kleinen Electromagneten iwischen den beiden rertical«
Armen eines grossen festen Electromagneten rotiren. Die Enden da
beweglichen Electromagneten ragten aas dem Glasgei&sse herans usA
gingen zu einem an der Aze befindlichen Commntator.
Vom Commntator wurden die Inductionsströme immer in gleichff
Richtung nach einem Galvanometer gesendet. Ehe man die den kleiDMi
Electromagneten enthaltende Glasröhre in den Rotationsapparat ein*
brachte, beobachtet« man die Temperatnr des Wassers mittelst zweier m
D. Induction. 629
cLen Enden des GlasgeflisseB befestigten Thermometer, welche gestatteten,
Fonfzigstel eines Grades der Fahrenheit'schenSoala abzulesen. Hieraaf
l>rachte man den Electromagnet an Ort und Stelle und Hess ihn ungefähr
eine Viertelstunde lang 600 Umdrehungen in der Minute machen. Als-
dann nahm man den Electromagneten wieder weg und las an den beiden
Thermometern die Temperatur des Wassers ab. Die beobachtete Tempe-
iraturänderung war die Differenz zwischen der durch die Inductionsströme
Isewirkten Erwärmung und der durch die äusseren Einflüsse hervorge-
'brachten Abkühlung. Um die Wirkung dieser letzten Ursache zu be-
stimmen, begann man den Versuch sofort von Neuem , unterbrach jedoch
den Strom, welcher um den festen Electromagnet circulirt hatte. Als-
dann änderte sich die Temperatur ausschliesslich durch die äusseren Ein-
flasse. Man ermittelte nunmehr noch die Wärme des in der Röhre ent-
haltenen Wassers (ungefähr 300 g) , die Gewichte und specifischen Wär-
men des Rohres, des weichen Eisens und Eupferdrahtes und berechnete
somit leicht die Grösse der durch die Inductionsströme überhaupt ent-
-wickelten Wärmemenge.
Joule bediente sich verschiedener fester Electromagnete. Der grösste
'vmrde durch eine dicke Eisenplatte von 81 cm Länge, 20cm Breite und
12 cm Dicke gebildet. Diese Platte war wie ein Hufeisen gekrümmt, und
um dieselbe war ein Bündel von 21 Eupferdrähten gewickelt, von welchen
jedes einzelne aus 96 m Draht von 1,2 mm Dicke bestand. Liess man
durch die Drähte den Strom einer galvanischen Eette von 10 DanielT-
Bchen Elementen gehen, welche zu 5 Paaren verbunden waren, so betrug
die Temperaturerhöhung: 2,39^ F., wenn die Drahtenden des rotirenden
Slectromagnetendrahtes unter einander verbunden waren, und 1,84<^F.,
wenn das Galvanometer in den Leiterkreis eingeschaltet war.
Mit der durch die Inductionsströme entwickelten Wärmemenge muss
nunmehr die Arbeit verglichen werden, die man aufwenden musste, um
bei geschlossenem Leiter dieselbe gleichförmige Rotationsgeschwindigkeit
hervorzubringen, wie bei offenem Leiter. Um diese Arbeit direct zu
messen, wickelte Joule um die Axe, die den beweglichen Electromagneten
trug, einen Faden, den er hierauf über eine Rolle laufen liess, und au
dessen Ende er ein Gewicht befestigte. Das Niedersinken des Gewichtes
setzte den Apparat in Bewegung, und durch Veränderung des Gewichtes
konnte man es schliesslich dahin bringen, dass der kleine Electromagnet
mit fast constanter Geschwindigkeit in jeder Minute 600 Umdrehungen
machte. Maass man ausserdem die nahezu constante Geschwindigkeit,
mit der das Gewicht längs eines Maassstabes niedersank, so konnte man
die Arbeit berechnen, die erforderlich war, um während einer Viertel-
stunde diese constante Rotationsgeschwindigkeit von 600 Umdrehungen
pro Secunde zu erhalten. Hierauf begann man den Versuch von Neuem,
während der Electromagnet entfernt und der Leiter geöffnet war. Bei
diesem Versuche bestimmte man die Arbeit, welche erforderlich war, um
die passiven Widerstände der Bewegung zu überwinden. Wenn man
630 III. Anwendungen anf electrische Erecheinungen.
diese Arbeit von der zuerst gafundeoen abzog, erhielt man die Arbeits
meoge, welche der yom isdacirteD Strome entwickelten Wärme äqui-
valent war.
Die Wärmemenge, welche im ersten Theil des Versuches entwickelt
wurde, war jedoch nicht mit ansreichender Genauigkeit ermittelt wordea.
Erstens wurde die AbkOhlung nicht sicher genug hestimnU:, und
zweitens ist es auch wenig wahrscheinlich, dass die beiden Themioine1<r
die Temperatur des ganzen System es anzeigen; es wird sich TielmeHr eii
stationärer Zustand herstellen, bei welchem die Temperator des Wasaen
symmetrisch von der Axe nach den Enden zu sich ändert. Die Resultat«
stimmen daher anch nur wenig unter einander überein. Joule bat im
Ganzen acht Versuche angestellt, und die extremsten Werthe, die er für daa
mechanische Aequivalent der Wärme erhielt, sind 322 und 672. In
Mittel fand er 460. Ist die Genauigkeit dieser Versnche auch nicU sehr
gross, so kann man mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der Untersach nng
und den Umstand, dass so verschiedenartige Bestimmungen auf das End-
resultat einwirken, immerhin in denselben eine Bestätigung des Principcs
erkennen.
4. Die Versuche von Foucaiüt.
Dem Joale'schen Versuche hat bekanntlich Foucault eine bemerken«-
werthe Form gegeben, welche besonders für Vorlesungsdemonstrationcn
sehr geeignet ist, nnd Tyndall hat denselben noch etwas abgeändert.
Zwischen zwei geeignete Anker eines sehr starken ElectromagDeten
(siehe Fig. 51) bringt mau eine Kupferscheibe, welche durch einec
Rotationsapparat in sehr rasche Umdrehungen versetzt werden kann.
Hat man die Scheibe in rascheste Umdrehungen versetzt und schliest
man plötzlich den Strom von sechs Ele-
^S' menten, welche mit dem Electromag-
neten verbanden sind, so erlischt die
Bewegung der Scheibe fast momentan,
gerade so, als ob dieselbe von einem
unsichtbaren Zaume gebremst wflrde.
Wenn man nunmehr die Handhabe des
Rotationsapparates dreht, nm die
Scheibe in Umdrehtmgen zuvervetaea,
bemerkt man einen enormen Wider-
stand. Um diesen Widerstand in
überwinden, muss man eine grosse
Arbeit aufwenden, und diese Arbeit
speichert sich alsdann in der Form
von Wärme im Innern der roürenden Scheibe auf. Der Apparat ist
nicht für messende Versuche eingerichtet, er könnte jedoch leicht fSr
D. Induction. 631
diesen Zweck abgeändert werden, und man könnte auf diese Weise eine
sehr genaue Bestimmung des meohanischen Aequivalentes der Wärme
erhalten.
b. Die Gesetze der Induotion.
Ist Q die in der Zeiteinheit in de^;^ Kette und im Leiterkreise ent-
bundene Wärmemenge und 2JX die Summe der Widerstände, die der
Strom zu überwinden hat, so gilt nach dem Joule 'sehen Gesetze die
Gleichung :
J,Q = m.i^,2X 11)
Die thermoelectrischen Erscheinungen und deren Wirkungen sollen
-▼ernachlässigt werden; es kann dies geschehen, da zumeist der galyani-
sche Strom eine unvergleichlich viel grössere Intensität besitzt. Be-
zeichnet £F die Summe der eleotromotorischen Kräfte der verschiedenen
Bestandtheile der Kette, so gilt ausserdem nach dem Oh mischen Gesetz
die Gleichung:
£F
' = ^ • • 12)
Setzt man dies in die vorhergehende Gleichung ein, so ergiebt sich:
J.Q = m.i.£F. ..... 13)
Bisher haben wir keine bestimmte Entscheidung über die Wahl der
Einheit getroffen, nach der die Stromintensität gemessen werden soll;
niinmehr soll festgesetzt werden, dass als Intensitätseinheit derjenige
Strom gewählt werden soll, welcher in der Zeiteinheit ein Aequivalent
Wasser zersetzt. Nach dem bekannten Faraday' sehen Gesetze weiss
man, dass alsdann der Strom gleichzeitig ein Aequivalent jeder beliebigen
Verbindung zersetzt, durch die er hindurchgeht. In jedem Bestandtheile
der Kette wird ein Aequivalent chemischer Wirkung hervorgebracht
Nennen wir K die Wärmemenge, welche in jedem Elemente der Bildung
oder Zersetzung eines Aequivalentes der chemischen Wirkung entspricht,
die sich dort vollzieht, so ist die Summe der Arbeiten der chemischen
Kräfte in den Verschiedenen Elementen in mechanischem Maasse gemessen
gleich J.2jK, Andererseits ist die Zunahme der calorischen oder kine-
tischen Energie, welche i Aequivalenten chemischer Wirkung entspricht,
gleich eiT. Q. Die Zunahme der kinetischen oder calorischen Energie,
welche einem Aequivalent entspricht, ist hiernach:
J.^ = J,q 14)
i
wenn man ~ der Einfachheit wegen gleich ^ setzt, und man erhält dem-
t
nach die Gleichung:
J,^=zJ.q=zJ.ZK 15)
632 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
oder mit Rücksiclit auf die Gleichung des Oh mischen Gesetzes (GL 13):
J.2K=fn.£F 16)
Diese Gleichung zeigt, dass die Wärmemenge 2JK, welche durch die
Auflösung von einem Aequivalent Metall in einem Elemente entwickelt
wird, proportional der electromotorischen Kraft UF dieses Elementes ist;
selbstverständlich gilt dies nur, sofern im Leiterkeise keine Wirknngen
anderer Art und keine Inductionserscheinungen stattfinden. Man kann
folglich anstatt die Wärmemengen zu messen, welche durch die ver-
schiedenen Bestandtheile einer Kette entwickelt werden, auch die electro-
motorische Kraft messen, was meist leichter möglich ist, sofern man nur
die Wärmemenge kennt, welche durch die Auflösung eines Aequivalentes
Metall in einem Elemente entwickelt wird, dessen electromotorische Kraft
ebenfalls genau gemessen ist.
Zunächst soll es unerörtert bleiben, ob und welche Yortheile es dar^
bietet calorimetrische Messungen durch Bestimmungen electromotorischer
Kräfte zu ersetzen. Auch findet diese Frage weiterhin im Abschnitt £
eine eingehende Besprechung. An dieser Stelle interessirt uns vielmehr
die Frage, was sich an vorstehender Gleichung für Abänderungen nöthig
machen, wenn in den Stromkreis ein electromagnetischer oder electro-
dynamischer Motor eingeschaltet ist, der mechanische Arbeit leistet. Als-
dann wird eine bestimmte Menge äusserer Energie entwickelt, die durch
8 bezeichnet werden mag, und zwar mag in S die gesammte erzeugte
mechanische Energie begriffen sein, sowohl die geleistete nützliche äussere
Arbeit, als auch die, welche zur Ueberwindung der Reibung und Hervor-
bringung anderweiter Wirkungen erforderlich ist. Auch diesmal nehmen
wir, wie schon vorher, an, dass ein Aequivalent chemischer Wirkungen
im Elemente aufgewendet worden sein soll. Alsdann ist die Energie
der chemischen Wirkungen: J.UK. Der erzengte Strom jedoch bringt
eine doppelte Wirkung hervor: er setzt die Maschine in Thätigkeit, welche
eine Arbeitsmenge S beansprucht, und er entwickelt in dem gesammten
vom Strome überhaupt durchflossenen Kreise eine Wärmemenge qi. Es
gilt demnach in diesem Falle die Gleichung:
J.£K=S + J.qi. ........ 17)
Nach dem Ohm 'sehen und Joul ersehen Gesetze muss man jedoch
annehmen, dass die im gesammten Leiterkreise entwickelte Wärme stets
der Summe der electromotorischen Kräfte proportional ist. Daraus folgt,
da diese Wärmemenge qi diesmal geringer ist, dass auch die Summe der
electromotorischen Kräfte um einen bestimmten Betrag gegen früher
vermindert sein muss. Nennt man diese Verminderung £<p, so er-
halten wir:
J.2JK= S + fn,i2:F—2Jq>) 18)
Durch die Bewegung der electromagnetischen Maschine vollzieht
sich somit eine Reihe von Vorgängen, welche einer Verminderung der
D. Induction. 633
Summe von electromotorischen Kr&ften äquivalent ist; za der Summe 27 f^
der electromotorischen Kräfte treten entgegengesetzt wirkende electromo-
torische Kräfte £fp hinzu. Auf diese Weise ist die Nothwendigkeit von
Indttctionserscheinungen nachgewiesen. Auch die Erfahrung bestätigt
dieses Ergebniss von fundamentaler Bedeutung vollständig; die Bewegung
einer magnetelectrischen Maschine vermindert die Intensität des Stromes,
der durch dieselbe hindurchgeht. Schaltet man ein Galvanometer in den
vom Strome durchflossenen Leiter ein, so ist der Ausschlag geringer, wenn
die Maschine in Thätigkeit ist, als wenn sich dieselbe in Ruhe befindet,
und die Differenz ist um so beträchtlicher, je grösser die mechanische
Arbeit ist, welche die Maschine leistet, während ein Aequivalent chemi-
scher Wirkungen im Elemente verbraucht wird.
Zufolge der früher von uns aufgestellten Gleichung 16):
ergiebt sich aus der zuletzt mitgetheilten Formel 18):
S = m.2Jq> 19)
Beziehen wir nunmehr sämmtliche Processe auf die Zeiteinheit, so
müssen beide Seiten der Gleichung durch T dividirt werden, wenn T die
Zeit ist, welche nothwendig ist, um ein Aequivalent chemischer Wirkung
im Elemente zu verbrauchen, und berücksichtigt man gleichzeitig, dass
^ = 1 ist, so ergiebt sich:
j, = m,i.Z!(p 20)
Nennt man jedoch H die in der Zeiteinheit von der in den Strom-
kreis eingeschalteten Maschine geleistete Arbeit, so ist:
H=§ 21
H=m.i,2:(p 22)
Ist der Zustand des Systemes veränderlich, so gilt die Gleichung nur
für ein unendlich kleines Zeitintervall und nimmt die Form an :
H.dt = m.i.£ip.dt 23)
Die Gleichung 23) gestattet Zq>, d. i. die Summe der inducirten elec-
tromotorischen Kräfte, für einen beliebigen Zeitmoment zu berechnen.
Zunächst betrachten wir den Fall, dass der vom Strome durchflossene
Leiter im Ganzen oder wenigstens Theile desselben sich unter dem Ein-
flüsse äusserer magnetischer Kräfte oder unter der gegenseitigen Wirkung
seiner verschiedenen Theile bewegen. Wenn sich zunächst der gesammte
vom Strome durchflossene Leiterkreis (die Kette mit inbegriffen) um ein
Stück fortbewegt, ohne seine Gestalt zu ändern, während ein benach-
barter Magnet oder ein System von Strömen auf denselben wirkt, so ist
die elementare Arbeit der electromagnetischen oder electrodynamischen
Kräfte (man sehe D, 1, GL 9, S. 625):
634 UL Auwendongen auf electrische Erscheinimgen.
H.dt = dt . I E.i,v,cos^.ds 24)
R.i,ds ist die Resultante der Wirkungen , welche im betrachteten
Momente von den Strömen oder Magneten auf ein Leiterelement ds aus-
geübt werden, das von einem Strome von der Intensität i durchflössen
wird. Die Integration erstreckt sich alsdann auf alle Elemente des ge-
schlossenen Stromes. Da somit i innerhalb des Integrales constant ist,
so erhält man für U den Ausdruck :
Hr= i. I B,v .cosip.ds 25)
und folglich nach Gl. 22:
29> = — I B.v.costif.ds 26)
mj
Wir sind somit zum Neu mann' sehen Gesetze zurückgelan^, und
wir finden von Neuem die Proportionalität zwischen der Intensität des
inducirten Stromes und der Geschwindigkeit der Verschiebung, .welche
die Induction veranlasst.
Wenn jedoch die Induction lediglich dadurch entsteht, dass ein Thefl
des Stromkreises sich verschiebt, während der andere Theil desselben fest
bleibt, so kann man die von der gegenseitigen Wirkung herrührende
elementare Arbeit auch schreiben :
H.dt=dt.rrR.i*.v.cost»d$.d8'. . 27)
R,P.d$,ds' repräsentirt alsdann die gegenseitige Wirkung zweier
Stromeremente ds und dsf des ruhenden und des bewegten Theiles des
Leiters.
Hieraus folgt in ähnlicher Weise, wie vorhin:
2^9? = — -i / I R,v.cos.ifds,ds! . .
28)
ein Ausdruck, welcher ebenfalls von Neu mann herrührt. Die Formel
zeigt, dass in diesem Falle die electromotorische Kraft der Induction
proportional dem Producte aus der Stromintensität und der Geschwindig.
keit ist.
Im allgemeinen Falle, in welchem gleichzeitig Deformation des
Stromkreises und vollständige oder theilweise Verschiebung desselben
unter der Einwirkung äusserer electrodynamischer oder magnetischer
Kraftcentren stattfindet, ist die Inductionswirkung die Summe zweier den
rechten Seiten der Gleichungen 26) und 28) ähnlicher Ausdrücke.
D. Induction. 635
6. Die electromagnetisclieii und eleotrodynanxisclien
Maschinen,
Während man in früherer Zeit sich fast ausschliesslich auf das Problem
beschränkte, mit Hilfe electromagnetischer und electrodynamischer An-
ziehungen und Abstossnngen kleine Arbeitsmaschinen, Motoren, za con-
stmiren, ^welche durch den von einer galvanischen Kette erzeugten Strom
bewegt wurden, so hat sich in neuerer Zeit das allgemeine Interesse
vorzugsweise der Umkehrung dieses Problems zugewendet, nämlich der
Aufgabe, die mechanische Arbeit eines Motors in electrische Energie
umzusetzen. Man hat auf diese Weise Electricitätsquellen von ausser-
ordentlicher Stärke construirt, welche zur Erzeugung electrischen Lichtes
und hoher Hitzegrade, zur Hervorbringung electrochemischer Processe
und zur Wiederumsetzung in mechanische Arbeit, also zur Uebertragung
von mechanischer Energie von einem Orte zum anderen vielseitige An-
wendung gefunden haben.
Die meisten derartigen Maschinen können gleichzeitig beiden Zwecken
dienen. Setzt man dieselbe durch einen Motor in Bewegung, so entstehen
Inductionsströme , welche ausserhalb der Maschine verwendet werden
können. Wenn man dagegen durch die Leitungsdrähte einen kräftigen
electrischen Strom in die Maschine eintreten lässt, so wird durch den
Apparat die electrische Energie in mechanische Arbeit umgesetzt, und
die Vorrichtung kann als Motor verwendet werden.
Natürlich sind nur solche Maschinen für beide Zwecke, sowohl für
Erzeugung von Strömen, als auch für mechanische Arbeitsleistung ver-
wendbar, welche einen stets gleichgerichteten Strom liefern, nicht aber
solche, welche Inductionsströme von abwechselnder Richtung liefern
(Wechselstrommaschinen).
Alle electromagnetischen und electrodynamischen Maschinen alter
Gonstruction lieferten ursprünglich alternirende Ströme, dieselben wurden
jedoch, sofern es sich nicht um die Production von Wärme, Licht oder
physiologischer Wirkungen handelt, in dem Moment, in dem sich ihre
Kichtung umkehrte, durch einen mit der Maschine verbundenen, selbst-
thätigen Commutator in entgegengesetzter Richtung durch den äusseren
Leitungsdraht gesendet, so dass der electiische Strom ausserhalb der
Maschine immer in gleicher Richtung floss. Die neueren derartigen Vor-
richtungen, insbesondere die nach dem Pa ein otti -Gramme 'sehen und
nach dem von H efn er- Alteneck'schen Principe construirten Maschinen
liefern dagegen nur gleichgerichtete Ströme.
Die gesammten electromagnetischen und electrodynamischen Appa-
rate, welche zur Production von Electricität oder zur Erzeugung mecha-
nischer Arbeit dienen, zerfallen hiemach in zwei Classen. Die erste
636 in. Anweiidungen auf electrische Erscheinungen.
Classe umfasst alle Maschinen, welche, wenn sie durch einen Motor be-
wegt werden, alternirende Ströme liefern, die entweder alternirend zur
Verwendnng kommen, oder erst vor ihrer Benutzung durch einen Com-
mutator gleichgerichtet werden, dann aher ihre Intensität periodisch ändern.
In diese Classe gehören die veralteten Magnetmaschinen von Pixi, Saxton,
Clarke, Ettinghausen,'Petrina, Stöhrer, die Alliancemaschine, die
Maschine von Meritien, der Cylinderinductor von Siemens, fernem die
dynamoelectrischen Maschinen von Siemens, Siemens und Halske,
Ladd, Weston, Möhring, Baur, Brush und die neueren Wechsel-
strommaschinen von Lontin, Gramme und Siemens und Halske.
Die zweite Classe umfasst alle Maschinen, welche bei constanier
Rotationsgeschwindigkeit einen gleichstarken, gleichgerichteten Strom
liefern, also solche Maschinen, welche keiner Commutatoren bedürfen,
sondern nur Stromsammler, Collectoren, besitzen. Die ersten Constructionea
dieser Art waren die Pacinotti'sche Ringmaschine und die mit ihr in
allen wesentlichen Theilen übereinstimmende Maschine von Gramme.
Als eine weitere Verbesserung auf diesem Gebiete kann man femer die
Hefn er- Alte neckische Cy linder- oder Trommelmaschine ansehen. In
diese zweite Classe gehören ferner die den vorgenannten nahe verwandten
Maschinen von Schuckert, Maxim, Niaudet, Bürgin und Anderen.
Als einen anderen Eintheilungsgrund kann man die Art der Her-
stellung des magnetischen Feldes benutzen, in wdchem sich diejenigen
Theile des Leiterkreises bewegen, auf welche die Inductionswirkong aus-
geübt wurde. Von diesem Gesichtspunkte aus zerfallen die sämmtÜchen
hierher gehörigen Apparate in drei Classen. Die erste Classe bilden die-
jenigen Apparate, bei welchen die verschiedenen Arten von permanenten
Stahlmagneten das magnetische Feld erzeugen; diese umfasst alle älteren
Maschinen, den Siemens 'sehen Läuteinductor und die kleinen Hand-
maschinen nach dem Gramme' sehen und Siemens'schen System, welche
zum Ersätze einer galvanischen Batterie von 4 bis 12 Bunsenelementen
dienen. In die zweite Classe gehören diejenigen Maschinen, deren
magnetisches Feld durch Electromagnete hergestellt wird. Welche von
einer ausserhalb der Maschine angebrachten Stromquelle erregt werden.
Die letzte Classe endlich bilden die dynamoelectrischen Maschinen, bei
welchen der die Electromagnete umkreisende Strom in der Masckine
selbst mit erregt wird. In den weichen Eisenkernen der Electromagnete
bleibt, nachdem dieselben einmal kräftig erregt worden sind, stets em
gewisser, schwacher Rest von Magnetismus zurück. Der ganze Leitungs-
draht der Maschine bildet ein ununterbrochen fortlaufendes Ganzes and
die Einrichtung des Apparates ist derart getroffen, dass die Um Windun-
gen der Electromagnete stets nur in demselben Sinne von den erzeugten
Strömen durchlaufen werden. Bei einer Beweg^g der InductionsroUe
im schwachen magnetischen Felde werden in diesem Ströme erregt, diese
verstärken, wenn sie den Electromagneten umkreisen, die Intensität im
magnetischen Felde; dadurch wird die Inductionswirkung eine kräftigere,
D. Induction. 637
und wiederum der die Electromagnete umkreisende Strom verstärkt; bei
steigender Umlaufsgeschwindigkeit der Inductionsrollen werden die weichen
Sisenkerne der Electromagnete bald bis zur Sättigung magnetisirt.
Auf die Beschreibung der constructiven Details und auf eine ein-
ziehende theoretische Erörterung der einzelnen Inductionswirkungen bei
den verschiedenen electrischen Maschinen können wir uns hier nicht
einlassen. Wir verweisen auf die einschlagende Literatur, welche noch
täglich durch* die Beschreibung neuer Erfindungen und die Discussion
eingehender Experimentaluntersuchungen vermehrt wird ^).
Die wichtigste Anwendung der mit Hilfe solcher Maschinen erzeugten
kräftigen electrischen Ströme ist zur Zeit die Hervorbringung des elec-
trischen Lichtes in den beiden Formen : als Flammenbogen zwischen den
Kohlenspitzen der electrischen Lampe oder den Kohlenstreifen der elec-
trischen Kerze und als Glühlicht in den Incandescenzlampen. Von einer
Maschine aus werden zumeist mehrere Leuchtapparate bedient, sei es
durch einfache Einschaltung neben einander oder hinter einander in dem-
selben Stromkreise, oder sei es dadurch, dass die Inductionswirküng auf
mehrere neben einander liegende Leitersysteme gleichzeitig erfolgt, dass
also die Wirkung eine mehrfache ist und in jedes besondere Leitersystem
ein oder mehrere Lichter eingeschaltet werden.
Eine andere wichtige Anwendung finden die electrischen Maschinen
in der Galvanoplastik und in der Metallurgie; im ersten Falle, um eiserne,
kupferne und messingene Werkstücken mit Ueberzügen von Nickel, Silber,
Gold oder anderen Metallen zu überziehen, im anderen Falle, um Metalle
aus ihren Salzlösungen in reinem Zustande zu gewinnen.
Besondere Aufmerksamkeit hat die Verkuppelung zweier dynamo-
electrischer Maschinen zur Uebertragung der Arbeit eines Motors auf
weite Entfernungen erregt. Durch eine stehende Dampfmaschine oder
eine Wasserkraft wird mit Hilfe einer electrischen Maschine ein kräftiger
Strom erregt, dieser wird durch Leitungsdrähte in eine an einem anderen
Orte befindliche derartige electrische Maschine eingeführt und setzt sich
dort in mechanische Arbeit um. Ein besonders interessantes Beispiel der
Art ist die von der Firma Siemens und Halske^ erbaute electrische
Eisenbahn, welche den Bahnhof Lichterfelde der Anhaltischen Bahn mit
der Hauptkadettenanstalt in Gr. Lichterfelde verbindet^). Der im Ma-
^) Die Constmction der gangbarsten magnetelectriscben und dynamoelectrischen
Maschinen nnd ihre Verwendung in der Praxis findet man übersichtlich und gemein-
verständlich beschrieben in: H. Schellen, Die magnet- und dynamo-electrischen Ma-
schinen, Cöln, Du Mont-Schauberg 1882* A. Niaudet, Machines Electriques ä Courants
Continus. Auch vergleiche man die betreffenden Abschnitte in: O. Fröhlich, Die
Lehre von der ElectricitSt und dem Magnetismus (Bd. 2, von K. E. Zetzsche, Hand-
buch der electrischen Telegraphie) Berlin, Springer 1878, S. 278 u. s. f. und in:
Müller-Pfaundleri Lehrb. der Physik und Meteorologie (Braunschweig, Fr. Vieweg
und Sohn, 1881), Bd. 3, S. 503 bis 528 und S. 671 bis 708.
^) Eingehende Beschreibung der electrischen Eisenbahn sehe man in: Electrotech-
nische Zeitschrift, Bd. 2, S. 124 und S. 178.
638 ni. Anwendung auf electrische Erscheinungen,
schinenbause mit Hilfe einer Dampfmascliine durch eineelectrodynamische
Maschine erzeugte Strom wurde der einen der beiden Eisenbahnscbienen
mittelst eines Kabels zugeführt. Durch das diese Schiene berührende Rad
gelangt der Strom in die auf dem zu bewegenden Wagen befindliche
electrodynamische Maschine, durch die auf der anderen Schiene laufen-
den Räder tritt der Strom in die andere Schiene ein und wird von dieser
nach der Stelle zurückgeführt, an welcher die den Strom erzeugende Ma-
schine steht. Ein kurzes Kabel leitet dort den Strom von der Rückleite-
schiene zur festen electrischen Maschine zurück.
Auch für Personen auf züge, femer um Krafttransmissionen auf sprosse
Entfernungen, z. B. nach den Sohlen yon Bergwerken auszuführen, ist die
Verbindung zweier electrischer Maschinen bereits mit grossem Erfolge
benutzt worden.
7. Die Gesammtenergie und der äusserlioli nutzbare
Theil derselben.
Der Vorgang, um den es sich bei allen electrischen Maschinen han-
delt, ist also der, dass eine Electricitätsquelle entweder die potentielle
Energie der chemischen Affinität von Elementen einer galvanischen
Batterie oder mechanische Arbeit verbraucht; es wird dadurch Electricitat
produoirt und dieser eine gewisse Potentialniveaudifferenz ertheilt. Diese
Electricitätsmenge repräsentirt , wenn man alles in mechanischen Ein-
heiten ausdrückt und auf die Secunde bezieht, eine Energiemenge (man
sehe. Gleichung 13):
J.Q = i.£F,
d. b. die Energie ist gleich dem Producte aus der in der Zeiteinheit er-
zeugten Electricitätsmenge, d. i. der Stromintensität i, multiplicirt mit
der Potentialniveaudifferenz, d. h. der Summe der electromotorischen
Kräfte 2 F. Von dieser vom Motor oder der Batterie gelieferten Ge-
sammtenergie ist jedoch nur der Theil wirklich nutzbar, welcher der in
dem äusseren Stromkreise entwickelten Wärme äquivalent ist, wlUirend
die auf Erwärmung der Leitungsdrähte der electrischen Maschine oder
der den Strom erzeugenden Batterieelemente verwendete Energiemenge
nutzlos verloren geht, bezeichnet man die Gesammtenergie J*. Q, welche
der Generator, also eine electrische Maschine oder eine Batterie consumirt,
mit G, so ist:
Q = i,£F=-£j- = i^,2X,
wenn 27 A die Summe sämmtlicher Widerstände bezeichnet.
Nutzbar ist nur der Theil der Energie, der im äusseren Theile der
Leitung, sei es als Wärme, sei es als Arbeit zum Vorschein kommt. Be-
zeichnen wir die Summe der vom Strome ausserhalb des Generators durch*
D. Induction. 639
fiosseDen Widerstände mit 21, die dortselbst entwickelte, also für Heiz-
nnd Belenchtungsz wecke nutzbare Energiemenge mit N, so ist:
Besitzt die Stromquelle, wie dies mehrfach der Fall ist, eine constante elec-
trom'otorische Kraft JE7, so wird die nutzbare Energiemenge N ein Maximum,
wenn -^j^ einen Maximalwerth erreicht. Dies aber findet statt, wenn:
ist, und alsdann ist:
21 = ^UX
N= ^ a.
2
Die Nutzarbeit ist beispielsweise nur Wärme bei den Glühlampen
(Incandescenzlampen). Aus dem Vorstehenden ergiebt sich, dass man die
günstigsten Bedingungen erhält, wenn der Widerstand der eingeschalteten
Lampe gleich der Summe aus dem Widerstände der Electricitätsquelle
und der zur Lampe führenden Leitung ist.
Das Verhältniss der in äussere Arbeit umgesetzten zur überhaupt
aufgewendeten Energiemenge nennt man bekanntlich nach Zeuner's
Vorgang den Verwandlungscoefficient einer Maschine. Wir bezeichnen
denselben mit dem Buchstaben W. Nach den von uns gewählten Be-
zeichnungen ist hiernach für eine electrische Maschine:
a
8. Die zur Messung dienenden Einheiten.
Die hier in Betracht kommenden Grössen: Stromintensität, electro-
motorische Kraft und Widerstand werden bei Beurtheilung electrischer
Maschinen zumeist in den Einheiten ausgedrückt, über welche man sich
auf dem Internationalen Electrischen Congress im September des Jahres
1881 in Paris geeinigt hat, nämlich in Ampere, Volt und Ohm. Es
ist nun die Stromintensität von 1 Ampere gleich 10~^ derW. Thomson-
schen Centimeter-Gramm-Secunden- (cm, g, s) Einheit oder 1 Ampere
gleich 10 Gau SS-Webe rasche Millimeter- Milligramm -Secunden- (mm,
mg, b) Einheiten. 1 Ampere ist ein Strom, welcher in einer Minute
10,54 Cubikcentimeter Knallgas (0^, 760 mm) durch Wasserzersetzung
entwickelt ^).
1 Volt ist gleich 10^ der W. Thomson'schen (cm, g, s) und lO^i
der Gauss-Web er' sehen (mm, mg, s) Einheiten. Die electromotorische
Kraft von 1 Volt ist ungefähr = 0,89 von der electromotorischen- Kraft
^) 1 Ampere entwickelt in 1 Secunde 0,0000105g Wasserstoff ans verdünnter
Schwefelsäure, resp. 0,001134 g Silber ans salpetersaurer Silberlösung.
J
640 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
eines Daniell ^) und ungefiähr 0,54 von der electromotorischen Kraft eines
Banse naschen Bechers.
1 Ohm ist gleich 10^ der W. Thomson'schen (cm, g, s) und lO^»
der Gauss-Weher'schen (mm, mg, s) oder 1,0493 Siemens-Einheiten*).
Bei diesen Einheiten gilt immer das Oh mische Gesetz
.,^^ ,. . , . electromotorische Kraft (in Volts)
Strommtensitat (in Amperes) = =771 — : — TT- — tt: ^
^ Widerstand (m Ohms)
Die hei electrischen Maschinen in Betracht zn ziehenden ArbeitsleistongeB
werden zumeist in Pferdestarken angegehen.
Eine deutsche Pferdestärke 3) ist eine Arbeit yon 75 Kilo^ammmeter
76
pro Secunde und entspricht einer Wärmemenge von -r^ = 0,1 765 Calori«
pro Secunde.
Bezeichnen wir die in Thomson'schen (g, cm, s) Einheiten ais-
gedrückten Grössen durch die einmal von uns gewählten Buchstabeo
t, 2r J^, 2JA in runden Klammern und die in Ampere, Volt nnd Ohm
ausgedrückten Werthe derselben Grössen durch die nämlichen Bachstaba
mit eckigen Klammern, so ist zunächst, nach der von uns vorhin mit-
getheilten Beziehung:
W = (0 .io-> («) = [.-] .10' ]
[2;f] = (£J').io» (2; f) = [2;f] . 10-» } ... 29)
[2;a] = (2;a).io» (^x) = [za].io-'J
\i:f\ CSFMO-« . , ,. . ... (XF)
t'l = [zI] ^^ • 1« ' = (2:a).io-» ^""^^^'"^ W = (-^
In der Gleichung:
(«)» . (ZA) = (ff)
ist {ß) die Energie des Stromes in (g, cm, s) Arbeitseinheiten, in Ergs,
gegeben. Das Erg aber ist die Arbeit, welche die (g,cm,8) KrafteinheH,
das D jn, auf einem Wege gleich der Längeneinheit, gleich 1 cm leistet
Das Dyn aber ist die Kraft, welche der Masse eines Grammes in der
Secunde eine Beschleunigung von 1 cm ertheilt. Die Kraftgrosse, welche
wir gewöhnlich mit 1 Gramm bezeichnen, ist eine Eüraft, welche der
Masse eines Grammes pro Secunde die Beschleunigung von 980,9 cm er*
theilt , also ist die Kraft eines Grammes gleich 980,9 Dyns, eines Kilo-
grammes = 980,9. 10^ Dyns. Die Arbeit von einem Kilogrammmeter ist
gleich 980,9. IOMO2 = 9,809 . 10^ Ergs. Demnach ist eine deuiscl«
Pferdekraft gleich 75.980,9.10* = 735,7. 10^ Ergs pro Secunde. Die
Gesammtenergie Ot in Pferdestärken ist also:
735,7.107
1) 1 Daniell = 1,124 Volt.
2) Genauer : 1 01im= 1,0196.10^ Thomson' sehe Einbeiten.
^) Eine englische Pferdestärke ist: 76,041 Kilogrammmeter pro Secunde.
D. Induction. 641
Wird die Gesammienergie in Amperes, Volts and Ohms ausge-
druckt, 80 muBs man das Prodnct
mit (10""')*. 10^ multipliciren, um es in Thomson'sclie Einheiten um-
zurechnen. Man erhält somit:
(ö) = [t]3 . [ZI] . 107
und hiernach die Gesammtenergie pro Secunde O in Pferdestärken:
[q^.[Zk]AO^
735,7 . 107
[i]'.[2:i]__[z\.[2:F]
^ ~ 735,7 "" 735,7 "^"^
wenn, wie schon vorhin erwähnt, [i] die Stromstärke in Amperes, [2^A]
der Gesammtwiderstand in Ohms und [ZF] die Summe der electromo-
torischen Kräfte in Volts ist. Statt 735,7 gebraucht man die Zahl 9,81,
wenn man G in Kilogrammmetern pro Secunde erhalten will.
Diese Grösse 6r braucht man nur mit dem Verhältniss der Pferde-
stärke zum mechanischen Wärmeäquivalent 75:425 = 0,1765 zu multi-
pliciren, um die pro Secunde aufgewendete Gesammtenergie in Galorien
(1^ pro 1 kg Wasser) zu erhalten. Alsdann ist diese Wärmemenge Q,
welche pro Secunde in Calorien aufgewendet wird, gleich:
C= 0,0002899. [f|2. [ZA] = 0,0002399. [t].[2;F] ... 31)
Wählt man dagegen William Thomson' sehe (g, cm, s) Einheiten,
80 ist der Coefficient m (man sehe S. 631, Gl. 13) = 0,0002399 . lO-^,
die pro Secunde aufgewendete Wärmemenge in Calorien ist:
Q = 0,00000000002399 . (i)^ . (ZX) = 0,00000000002399 (t) .{ZF). 32)
wenn alle Grössen auf der rechten Seite der Gleichung in Thomson-
Bcben (cm, g, s) Einheiten ausgedrückt sind.
9. Der Verwandlungsooeffilcieiit eleotrischer Maschinen
mit permanenten Ma^rneten.
Alle drei Fälle der Induction, welche wir im Absatz 6 angedeutet
haben, kommen bei den electromagnetischen und electrodynamischen
Maschinen vor. Welche Art solcher Apparate man immer auch behandeln
mag, 80 ist dieselbe jederzeit der Sitz gegenseitiger Wirkungen von
Strömen und Magneten, welche streben ein bewegliches System in eine
Gleichgewichtslage zu bringen oder der Aenderung einer bestehenden
Gleichgewichtslage sich widersetzen. Schon vorher sahen wir, dass in
jeder electromagnetischen Maschine, welche eine mechanische Arbeit
leistet, in Wirklichkeit ein Verlust an Wärme stattfindet. Auch die elec-
tromagnetischen und electrodynamischen Maschinen gehören daher unter
Bahlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. II. 4X
642 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
die allgemeine Gattung der Wärmemaschinen ; ihre Behandlang fallt daher
in das Gehiet der mechanischen Wärmetheorie.
So wie man diese Maschinen von diesem Standpunkte ans behandelt,
kann auch der Yerwandlungscoefficient derselben leicht bestimmt werden.
So lange sich die Maschine in Ruhe befindet, gilt bekanntlich für jedes
Zeitmoment die Gleichung 13) dieses Abschnittes:
J.Qdt = m.i.I!F.dt.
Wenn jedoch die Maschine Arbeit leistet und beispielsweise in der
Zeiteinheit die Arbeitsmenge H hervorbringt, gilt andererseits für ein
beliebiges Zeitelement dt die Gleichung (man sehe Gleichung 23):
H.dt = m.i.£g>.df.
Nach der früher yon uns gewählten Definition, dass der Wirkungs-
grad das Verhältniss der in äussere Arbeit umgesetzten zur überhaupt auf-
gewendeten Wärmemenge sei, ergiebt sich der 7erwandlungscoef&cient W:
W=Tf . . . . 33)
Dieser Coefficient nähert sich, wie wir nunmehr zeigen werden, um
so mehr der Einheit, je mehr die Geschwindigkeit der Maschine wächst
Der einfachste Fall ist der, in welchem feste Magneten auf einen
beweglichen von einem Strome durchflossenen Leiter wirken. Die Strom-
intensität ist, während die Maschine als Motor Arbeit leistet:
••=^^ '«
und ausserdem ist in diesem ersten Falle :
2Jw = — / B.v.costif .ds
m J
wobei J? lediglich von der gegenseitigen Lage der Magnete und des
Leiterkreises abhängig ist. Lässt man nunmehr v ins Unbestimmte
wachsen, so nähert sich 2^q> um so mehr 27 jP, denn man kann leicht ein-
sehen, dass mit wachsendem v auch I^tp fortwährend wächst, dass aber
ein Wachsthum von 21 fp über ZIF hinaus keine physikalische Bedeutung
hat. Ist aber die mögliche Grenze
Zq) = SF
erreicht, so ist der Wirkungsgrad der Maschine gleich 1, aber gleichzeitig
(nach Gleichung 34):
i = 0.
Der Verwandlungscoefficient einer solchen electromagnetischen Ma-
schine der ersten Art kann demnach nur unter der Bedingung vergrossert
werden, dass die in einer gegebenen Zeit geleistete Arbeit gleichzeitig
abnimmt; denn mit wachsendem 27 g) nimmt gleichzeitig die Intensität i
des Stromes und damit auch die geleistete Arbeit H (man sehe Gl. 21)
ab. Die Arbeit, welche die Maschine wirklich zu liefern im Stande ist.
D. Induction. 643
nimmt demnach bis za Nall ab, wahrend der Brachtheil der aufgewende-
ten Energie, welcher der äusseren Arbeit der Maschine äquivalent ist,
sich um so mehr der Einheit nähert, je mehr die Geschwindigkeit, mit der
man die Maschine arbeiten lässt, zunimmt. Immerhin sieht man ein,
dass man bei geeignet gewählten Geschwindigkeiten noch einen namhaf-
ten Werth für die Intensität i behält und somit in Wirklichkeit noch
eine ansehnliche mechanische Arbeit von der Maschine geleistet erhält
and gleichzeitig doch einen Wirkungsgrad zu erreichen im Stande ist,
welcher den Wirkungsgrad, der bei anderen Maschinen erzielt werden
kann, wesentlich übersteigt.
Für eine bestimmte Geschwindigkeit kann der Wirkungsgrad sehr
leicht gefunden werden. Ist nämlich io die ursprüngliche Intensität des
Stromes, wenn die Maschine nicht in Thätigkeit ist, so gilt für fo die
Gleichung :
£F
und ist fi die Intensität, welche bei der betrachteten Geschwindigkeit
der Maschine noch stattfindet, so ist:
.■.=^^i^ 35,
Daraus findet man sofort den Wirkungsgrad, denn derselbe ist:
^-i:F--ir ^^^
Aus dem leicht beobachtbaren Werthe des Yerhältnisses der Strom-
intensitäten, welche während der Ruhe und während der Arbeit der
Maschine stattfinden, kann man somit leicht in jedem Falle den Verwand-
Inngscoefficient eines electromagnetischen Motors berechnen. Handelt es
sich bei einer electromagnetischen Maschine nur um die Leistung irgend
welcher mechanischer Arbeiten, so ist die gesaramte Energiemenge Ü
nutzlos, welche zur Erwärmung des Leitungsdrahtes dient, diese ist:
U=^ m.ii^.ZX 37)
In der Praxis wirken natürlich ausserdem die nämlichen Umstände ver-
mindernd auf den Wirkungsgrad, welche sich auch bei anderen Maschinen
geltend machen. Zu diesen allgemeinen UnvoUkommenheiten kommen
jedoch im vorstehenden Falle noch neue, nämlich Funkenbildungen, Ver-
änderungen der Oberfläche an den Stellen, an welchen die Commutation
des Stromes stattfindet, und besonders das Warmwerden des Eisens der
Electromagnete.
Von verschiedenen Autoren, so auch besonders von Joule und
Müller, ist nachgewiesen worden, dass der Grad von Magnetismus, den
eine weiche Eisenstange annehmen kann, begrenzt ist. Vermehrt man
die Intensität des magnetisirenden Stromes, so nimmt der Magnetismus
41*
644 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
der Stange minder rasch zu, als die Stromintensität und streht einen
endlichen Maximalwerthe zu. Nach den zuerst von Ampere ausge-
sprochenen Ansichten denkt man sich, dass die elementaren Bestandtheile
einer weichen Eisenstange hereits Magnete sind, die jedoch, so lange die
Stange unmagnetisch ist, regellos durch einander liegen und in keiner
Weise gerichtet sind. Der Vorgang des Magnetisirens wird von ihm ah
ein gemeinsames Richten der hereits hestehenden Magnete aufgefaast. Je
vollkommener der Parallelismus dieser Elementarmagnete ist, am w
stärker wird die Intensität des Magnetismus, und dieser hat das möglidie
Maximum erreicht, wenn alle Elementarmagnete einander gleichainnig
parallel sind. Der Vorgang des Magnetisirens gestaltet sich hiernach za
einem rein mechanischen, und hekanntlich ist diese Auffassung durch die
Beohachtungen G. Wiedemann's vollständig bestätigt worden, welcher
die wechselseitigen Beziehungen zwischen Torsion, Stössen etc. eineneiti
und Magnetismus andererseits untersuchte und dadurch nachwies, das
der elementare Vorgang in jedem Falle eine 'moleculare Verschiebung ist
Diese molecularen Verschiebungen sind in Eisen, welches nicht ganz weicli
ist, mit Reibungen verknüpft, welche durch eine Wärmeentwickelang ia
dem der Magnetisirung unterworfenen Eisen angezeigt wird. Diese
Wärmemenge hat aber alsdann ebensogut ihre Ursache in den Vorg^ängea.
welche die Bewegung der Maschine veranlassen ; sie muss daher ebensogut
als ein Arbeitsverlust angesehen werden, und zwar ist derselbe, wie die
Erfahrung gelehrt hat, nicht unerheblich.
Durch Verwendung von vollkommen weichem Eisen, welches mai
gelegentlich besonders für solche Zwecke präparirt hat, vermindert mai
diese Art von Verluste allerdings ausserordentlich. Trotzdem ist seihst
dann die Verwendung electromagnetischer Maschinen f ür ArbeitsleistimgeB
von rein praktischen Gesichtspunkten aus im Allgemeinen nicht vortheD-
haft, wenn die chemische Affinität, die in einer Batterie consumirt wird,
die bewegende Kraft der Maschine liefert. Der electrische Strom einer
galvanischen Batterie ist viel zu theuer ^), als dass die aus einer galvani-
schen Kette stammende Wärme für die Erzeugung von Arbeit in der
Praxis irgend welche Aussicht hätte, andere Arten Arbeit zu erzeugen,
zu verdrängen, trotz der Vollkommenheit, mit welcher diese Maschinen
solche Wärme in Arbeit umzusetzen im Stande sind. Ganz anders freilich
gestaltet sich, wie wir im Folgenden sehen werden, das Verhältniss, wenn
der Strom selbst wieder durch eine electromagne tische oder electrody-
namische Maschine erzeugt wird, deren Strom seine Ursache in con-
sumirter mechanischer Kraft hat.
1) Man sehe Capitel 12, S. 655 u. f.
D. Induction. 645
lO. Der Verwandlungscoefflcient eleotrisclier Maschinen,
welche als Motoren gebraucht werden.
Der Nachweis, dass mit wachsender Grösse der relativen Bewegung
des Inductors nnd des Inducenten der Wirkungsgrad sich der Grenze
1 nähert, mnss für alle drei im Vorhergehenden von nns antei*8chiedenen
Fälle- gefuhrt werden.
Der einfachste und daher zuerst von uns untersuchte Fall war der,
dass feste Magneten auf einen beweglichen von einem Strome durch-
fiossenen Leiter wirken.
Diesen haben wir bereits soeben vollständig erledigt.
Zu dieser Art gehören übrigens nicht nur diejenigen Maschinen,
welche lediglich feste Stahlmagnete besitzen, sondern man muss dahin
auch solche Vorrichtungen zählen, in welchen an Stelle der Stahlmagnete,
Electromagnete treten, welche durch besondere Batterien oder electrische
Maschinen erregt werden, deren Energieconsum für die vorstehenden
Betrachtungen nicht in Rechnung gezogen zu werden braucht. Nur ist
hierbei zu beachten , dass die Theorie solcher Maschinen nur insoweit
inbegriffen ist, als die Ströme, welche die Kerne des Electromagneten
umkreisen, so kräftig sind, dass man die geringen Intensitätsänderungen
vernachlässigen kann, welche in ihnen durch die Bewegung der von
Strömen durchflossenen beweglichen Leiter hervorgerufen werden.
Wir betrachten den Fall, dass eine Electricitätsquelle, der Generator,
einen Strom liefert und dieser durch eine, electrische Maschine in Arbeit
umgesetzt wird.
Der zweite Fall, der von uns betrachtet wurde, war der, dass die
festen und die beweglichen Theile der Maschine von demselben Strome
des Generators durchflössen werden. Auch hier gilt alsdann die Glei-
chung 34):
. *_ 2JF—Z!q>
und in diesem Falle war (man sehe Gleichung 28):
2J(p = —.«./ I R.v.cos^ .ds. ds'.
Setzt man dies in die vorhergehende Gleichung ein und reducirt auf
i, so ergiebt sich:
SF
... 38)
ZX -\' "" I 1 R'V.cost'ds,ds>
646 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Das Doppelintegral wächst, sofern v ins unendliche zanimmt,
ehenfalls zu einem unendlich grossen Betrage, und man erhält somit für
einen unendlich grossen Betrag von v abermals für i den Werth NolL
Der VerwandluDgscoefficient W war, wie wir schon im vorhergehen-
den Paragraphen zeigten:
Sowie nun t = 0 ist, folgt unmittelbar aus Gleichung 34):
i.£l + Uip = ZF,
EF "^
und somit
W= 1.
Der dritte zusammengesetzteste Fall ist der, welcher bei electrodj-
namischen Maschinen stattfindet. Es ist dies derjenige, in dem ein System
beweglicher Electromagneten sich vor einem System fester Electromagneten
bewegt und beide Systeme von einem und demselben Strome darchfioBBen
werden. Auch hier ist selbstverständlich (man sehe Gleichung 7):
Hierin repräsentirt H die Arbeit der äusseren Kräfte, und diese be-
steht aus drei verschiedenen Theilen.
Einen ersten Antheil geben die gegenseitigen Wirkungen der be-
wegten und ^er nicht bewegten Theile des vom Strome durchflosaeneo
Leiters, dieser besitzt die Grösse:
j2 . / I B.v,costlf.ds, ds'.
Ein zweiter Theil rührt her von der Wirkung der festen Electro-
magneten auf die beweglichen Leitertheile. Bezeichnet /(f) die Fumctioiii
nach welcher die Kraft des Electromagneten von der Strom in tensitit
abhäogt, so ist die Arbeit, welche in der Wirkung eines festen Electro-
magneten auf einen beweglichen Leitertheil ihren Ursprung hat, gleich:
*-/W- / S.u.co^,%As.
Hierin bezeichnet S.ds die Wirkung, welche ein Electromagnet von
der Einheit der Wirkung auf ein Stromelement ds ausübt, welches von
einem Strome durchflössen wird, dessen Intensität gleich 1 ist. u bedeu-
tet die relative Geschwindigkeit des Electromagneten in Bezug auf den
beweglichen Leiter und % den Winkel, den die Kraftrichtuug S.ds mit
der Richtung der Verschiebung einschliesst. Für jeden festen Electro-
magneten muss ein derartiger Ausdruck gebildet werden. Der zweite
Theil der gesuchten Arbeit erhält demnach die Form:
».27/(1) . / S.tt. cos^l.ds,
D. Induction. 647
'^obei die Samination 2J sich auf sämratliche feste Electromagneten er-
Btreckt. Der di-itte Theil endlich, der bei weitem beträchtlichste, ist der-
jenige, welcher sich auf die gegenseitige Wirkung der beweglichen und
festen Electromagnete bezieht Jeder bewegliche £lectromagnet giebt
zwei Ausdrücke von der Form:
fp(i).fq{i)'U.tv.€o$d.
fp{i) bezeichnet die magnetische Intensität des betrachteten beweg-
lichen Electromagneten, fq (i) die Intensität des auf ihn wirkenden übrigen
magnetischen Systems, ü ist die Wirkung, welche stattfinden würd«,
^wenn die magnetische Wirkung sowohl des beweglichen als des übrigen
Systemes der Electromagnete gleich 1 wäre, i/o ist die relative Geschwin-
digkeit des beweglichen Electromagneten in Bezug auf das System und 0
der Winkel dieser Bewegung und der Wirkung ü. Jeder bewegliche
Magnet liefert für jeden seiner Pole einen solchen Ausdruck« Alle diese
Wirkungen müssen für alle Electromagneten summirt werden, und man
erhält den dritten Theil der gesuchten Arbeit gleich:
Hiernach erhält man zur Bestimmung von Sq) aus
die Gleichung:
£q> = — ••. / / R.v.cos^ .ds.ds* •{- — --Smt). f S.u . cosxAds
+ i''\ £[fp(i).M).ü.iv.md] 39)
91} t
Die Functionen /(i) besitzen bekanntlich sämmtlich die Eigenschaft,
dass, je mehr sich i der Null nähert, um so mehr/(i) dem Argumente i
f(i)
proportional wird. Hiernach nähert sich der Quotient —r- mehr und mehr
einer bestimmten Grenze, je mehr i selbst der Grenze Null zustrebt.
Hiemach kann man abkürznngsweise für IJip schreiben:
Z(p = i.M + i,Fi(i) + i.F^it) .... 40)
oder noch einfacher:
2:(p = i.O(i) 41)
wobei O (i) eine Function der Stromiutensität ist, welche für i=0 nicht
verschwindet, und die ins Unendliche wächst, wenn die Geschwindigkeit
anendlich gross wird.
Setzt man dies in die schon mehrfach benutzte allgemeine
Gleichung
•■=^^^ ")
und hieraus:
648 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
ein, so erhält man:
.^5£-^*® „,
Hieraus erkennt man, dass der Strom für wachsende Geschwindigkeit
mehr und mehr his ins Unhegrenzte zunimmt, i selbst aber nähert sich
dann um so mehr der Grenze Null.
Für i = 0 aber wird, wie wir schon vorhin sahen,
und somit der Verwandlungscoefficient
^ — 2F
für unendliche Geschwindigkeit.
11. Andere Ableitung des Yerwandlungscoefflcienten.
Aus vorstehenden Betrachtungen hat sich zunächst ergeben, dass,
wenn man den von einer galvanischen Batterie oder einer electrischen
Maschine, für beide wollen wir den gemeinsamen Namen Generator ge-
brauchen, erzeugten Strom sich nicht unmittelbar in Wärme umsetseo
lässt, sondern ihn zu einer Arbeitsleistung verwendet, sich eine electro-
motorische Kraft im Leitungskreise entwickelt, welche der des Generators
entgegen wirkt. Es ist dies die Kraft, welche der electromotorischen
Kraft 2JF entgegengesetzt ist, die wir in den vorstehenden Gapitelo
mit Uip bezeichnet haben. Diese Grösse £(p ist die electromotorische
Gegenkraft, welche die electrische Maschine, die als Motor benutzt wer-
den soll, entwickelt, wenn sie durch den Strom des Generators in Be-
wegung gesetzt wird. £(p ist die electromotorische Gegenkraft, welche
sich im Lichtbogen entwickelt, wenn zwischen den Kohlenspitzen der
electrischen Lampe oder den Kohlen der electrischen Kerze die Licht-
entwickelung eintritt ^). Wird jedoch der Strom des Generators benutset,
um chemische Arbeit zu leisten, so ist die electromotorische Kraft der ent-
stehenden Polarisation die Grösse 2J(pi welche in Gleichung 34) auftritt
Nutzlos verloren ist ausser dem Theile der dem Generator über-
tragenen Energie, welcher durch Reibung, Stösse und die den electrischen
Maschinen noch besonders eigenthümlichen Nachtheile consumirt wird.
^) Die Existenz einer solchen electromotorischen Gegenkraft im Lichtbogen ist be-
kanntlich zuerst von E dl and nachgewiesen worden. Man sehe: Edlnnd, Pogg. Ann.,
Bd. 134, S. 280. Auch vergleiche man: Wiedemann, Galvanismus, 2. Aufl., Bd. 1,
S. 938.
D. Induction. 649
-wie bereits erwähnt, auch diejenige £nergie, welche in den Leitungsdrähten
in Wärme umgesetzt wird. Diese Wärmemenge ist poyportional der
Grösse i', dem Quadrate der im ganzen System herrschenden Strom-
stärke. Je kleiner also i wird, um so geringer ist die Energiemenge,
-welche im Leiterkreise nutzlos in Wärme yerwandelt wird. Nach 61. 34,
S. 642 aber ist :
2JF — Zw
* = zT—:
und daraus erkennt man aufs Neue, dass i um so kleiner wird, je mehr
2(py die electromotorische Gegenkraft, sich dem Maximalwerthe 2jF
nähert. Dies aber ist das nämliche Resultat, zu welchem wir in dem
vorigen Paragraphen auf ganz anderem Wege geführt worden waren.
Die Gesammtenergie Q^ welche der Generator aufnimmt, ist (in
Pferdestärken, wenn i in Amperes, SF und £(p in Volts und £k in
Ohms gegeben sind):
^ - 735J W • L-^^J - 735J i^Ä] ... 45)
Der Theil dieser Energiemenge 6r, welcher durch Yermittelung der
entgegengesetzt wirkenden electromotorischen Kraft in nützliche Arbeit
umgesetzt wird, wir wollen ihn mit ^bezeichnen, ist (ausgedrückt in
Pferdekräften pro Secunde):
A/Vill man auf ähnliche Weise auch noch die nutzlos verlorene Energie
O — ^ausdrücken, so. erhält man^):
Für den Verwandlungscoefficienten W der Maschine oder der Vor-
richtung findet man wiederum:
W = ^ = ^
G £F
Diese vorstehenden Formeln sind in vielen Beziehungen sehr lehrreich.
Man ersieht aus denselben, dass die in nützliche Arbeit verwandelte
^Energie N proportional der Stromintensität und der electromotorischen
Gegenkraft ist, während der nutzlos verlorene Theil der Energie ff — N
porportional dem Quadrate der Stromintensität im Systeme ist. Man er-
kennt daraus leicht, dass die Kraftübertragung um so vollkommener
^) Will man die Grossen G und N in Kilogrammmetern pro Secunde ausgedrückt
haben ) so braucht man blos in den Gleichungen 44), 45) und 46) den Coefßcienten
durch •— -—- = Tr:- zu ersetzen.
735,7 735,7 9,81
650 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
stattfindet, je hoher die electromotorische Kraft (je grösser die Spannung
der Electricität) 27<p und je geringer die Stromstarke i ist.
Diesen Anforderungen wird man um so näher kommen, 1. je mehr
man die rela:tive Geschwindigkeit vergrössert, mit der sich die iuducirten
und inducirenden Theile des Leiters gegen einander bewegen; 2. je mehr
man die Intensität der magnetischen Felder vergrössert; 3. je groaser
die Drahtmassen werden, zwischen welchen inducirende Wirkungen statt-
finden. Dies zeigt, dass wir unsere electrischen Maschinen nach wesent-
lich anderen Principien bauen müssen, als dies jetzt geschieht, wenn wir
fär die Umsetzung der mechanischen Energie irgend eines Motors in
electrische Energie durch den Generator und Rückumsetzung in mecha-
nische Energie oder chemische Arbeit günstige Verhältnisse erhalten
wollen. Die der Zeit im Betriebe befindlichen electrischen Maschinen
sind Yorzugsweise gebaut, um zu zeigen, welche Massen von Wärme und
Licht man mit verhältnissmässig kleinen Maschinen hervorzubringen im
Stande- ist; dergleichen Vorrichtungen sind aber, wie die vorstehenden
Formeln lehren, für die Lösung des Problems der Uebertragung von
Kraft auf electrischem Wege im höchsten Grade unwirthschaftlich. Für
diese Zwecke wird man in Zukunft grosse electrische Maschinen mit
grossem inneren Widerstände construiren, deren Theile sich ungemein
rasch bewegen und wird für die Fortleitung der Electricität (wegen der
hohen Spannung) für gut isolirte Leitungen sorgen müssen.
12. üeber die Wirthschaftlichkeit der mit Batterien
betriebenen electromagnetisohen Maschinen.
Joule schätzt, dass die Production einer bestimmten Wärmemenge
unter Anwendung der galvanischen Kette ungefähr 50 bis 60 Mal so
theuer zu stehen kommt, als wenn man dieselbe Wärmemenge durch
Verbrennung von Steinkohle erzeugt. Obgleich nun eine Dampfmaschine
nur ungefähr Ve oder V? der dem Dampfkessel mitgetheilten Wärme in
nützliche Arbeit umsetzt und dieser Bruch noch beträchtlich kleiner
wird, wenn man die auf dem Roste erzeugte Wärme in Betracht zieht,
so bleiben diese Maschinen doch noch immer den electromagnetischen
Motoren gegenüber bedeutend im Vortheil.
Nachstehende Betrachtung gestattet die Richtigkeit seiner Behaup-
tung zu prüfen. Jacobi^) hat zuerst versucht das Arbeit«maximum
auf theoretischem Wege zu bestimmen, welches eine electromagnetische
Maschine in einer gegebenen Zeit zu liefern im Stande ist. Selbstredend
kann hierbei nur von rotirenden electromagnetischen Maschinen die Rede
^) Annales de chimie et de physique 3. Serie, Bd. 34, S. 451.
D. Induction. 651
sein, nicht aber von oscillirenden , welche äusserlich und ihrer Be-
wegongsart nach den Dampfmaschinen nicht unähnlich sind. Die letzten
arbeiten mit ungleichförmiger Geschwindigkeit und können die theore-
tische Mazimalarbeit auch nicht annähernd leisten.
Bei allen mit gleichförmiger Geschwindigkeit arbeitenden Maschi-
nen ist die durch Inductionswirkungen erzeugte electromotorische Gegen-
kraft £(p:
wobei V eine Grösse ist, welche mit zunehmender Geschwindigkeit fort-
während wächst. Man hat aber (siehe Gleichung S. 34)
und somit, wenn man fär Stp obigen Werth einsetzt:
£k '■
hieraus findet man:
2F
48)
V + 2JX
Die in der Zeit dt geleistete elementare Arbeit ist hiemach :
H.dt = tn.v.i^.dt
oder, wenn man für i seinen Werth einsetzt:
Ist die Geschwindigkeit der Maschine durchaus gleichförmig gewor-
den, so ist die in der Zeiteinheit geleistete Arbeitsmenge H:
^ - (e; + Sky *"^
Man erhält nun das Maximum der in der Zeiteinheit geleisteten
Arbeit, wenn
— = 0
dv
ist.
Dies ergiebt ausgeführt die Bedingungsgleichung des Maximums:
Diese Gleichung wird erfüllt, wenn ^
V -\- 2^k = 00,
wäre, da das aber nicht möglich ist, bleibt nur die andere Wurzel brauch-
bar, dass nämlich die Gleichung Null wird, wenn:
t; J- 2:A — 2t; = 0,
oder:
v^Zk 50)
ist.
652 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Setzt man das in Gleichung 48) ein, so erhält man die Strominten-
sität i\ bei welcher das Maximum der Arbeit in jeder Zeiteinheit geleistet
wird. Man erhält für t':
f
22]X
Da nun die ursprüngliche Intensität (q bei ruhender Maschine, nach
S. 643, Zeile 14 v. o.
SF
''-^k
ist, findet man auf diese Weise :
«' = 2^0 51)
Soll eine electromagnetische Maschine also das Maximum der Arbeit
in einer gegebenen Zeit leisten, so geschieht dies, wenn die ursprüngliche
Intensität des galvanischen Stromes der treibenden Kette durch die bei
der Bewegung der Maschine erzeugten Inductionsströme auf die HalÜe
herabgemindert wird.
• •
Der UmwandluDgscoefficient — : — ist alsdann selbstverständlich:
W=^ 52)
Gewiss hat man nicht selten die Geschwindigkeit erreicht, welche
erforderlich ist, umt= — «q ^^ machen, und trotzdem haben sich für prak-
tische Zwecke die durch galvanische Batterien betriebenen electromag*
netischen Motoren als unzweckmässig und zu kostspielig erwiesen. Nur
in einigen wenigen besonderen Fällen, in welchen es sich um Arbeits-
leistungen von geringer Grösse handelt , haben dieselben mit Erfolg
dauernde Anwendung gefunden. Auch haben sich electromagnetische
Motoren in solchen Fällen bewährt, in welchen es sich um sehr regel-
mässige Bewegungen handelt, die öfters plötzlich unterbrochen und
wieder aufgenommen werden müssen.
£s liegen eine Anzahl directer Messungen an electromagnetischen
Maschinen vor, welche in der That zu beweisen scheinen, dass der Ver-
wandlungscoefficient dieser Art von Motoren keine sehr grossen Werthe
annimmt, welche also den geringen wirthschaftlichen Werth solcher
durch galvanische Maschinen betriebenen Motoren darthuen. Selbstver-
ständlich ist die wirklich an dem Motor auftretende, ausserhalb verwend*
bare Nutzarbeit noch um ein Beträchtliches geringer, als die theoretische
Nutzarbeit, weil ein nicht unerheblicher Theil der Arbeit zur lieber-
Windung der Reibungswiderstände verwendet wird und durch Funken-
bildung an den Commutatoren in Wärme umgesetzt wird.
Als aufgewendete Wärmemenge ist, sofern der Motor darch eine
D. Induction.
65ä
galvanische Batterie betrieben wird, die in den Elementen consumirte^
potentielle Energie der chemischen Affinität anzusehen.
Die Yon einer Batterie in der Secunde consumirte Energiemenge
ist (man sehe Gl. 30, S. 641) in Pferdestärken ausgedrückt:
^ = w--^ • ■ ''^
wenn i die Stromstärke in Amperes, E die electromotorische Kraft
jedes galvanischen Elementes in Volts und n die Anzahl der hinterein-
ander verbundenen, unter sich gleichen Elemente bedeutet.
Bezeichnet N' die mit dem Dynamometer gemessene wirkliche Ar-
beitsleistung des Motors in Pferdestärken, so ist:
El
G
der NntzefFect des Motors.
Hat man gleichzeitig in den Leiterkreis, welcher Batterie und Motor
mit einander verbindet, einen Strommesser eingeschaltet, welcher die
Stromstärke abzulesen gestattet, so erhält man aus der Stromstärke t,
während der Arbeitsleistui^ und der Stromstärke «oi welche stattfindet,
wenn die Maschine sich in Ruhe befindet, den Yerwandlungscoefficienten :
«0 — «1
W =
♦o
54)
Wir theilen im Nachstehenden einige Versuche mit, welche
A. V. Walte nhofen ^) mit einem KrahvogFschen Motor angestellt hat.
Derselbe ist nicht unähnlich dem Pacinotti' sehen Ringmotor und hat
selbst bei massiger Umdrehungsgeschwindigkeit im Vergleich zu anderen
Motoren dieser Art relativ sehr günstige Resultate ergeben; weiterhin
folgen noch einige Versuche iVon Handmann ^) mit einem oscillirenden
£gg er* sehen Motor. '
Anzahl
der Um-
drehun-
gen pro
Secunde
Strom-
stärke i
in
Amperes
Electro-
motorische
Kraft n . E
in Volts
Aufgewen-
dete Arbeit
0 in Pferde-
stärken
Aeusserlich
nutzbare Ar-
beit N* in
Pferde-
stärken
Verhältniss
d. Nutisarbeit
zur aufge-
wendeten Ar-
beit in Proc.
Q
»—4
°l
1,33
2,17
2,50
5,00
6,15
3,79
3,42
3,34
2,80
2,47
11,4
11,4
11,4
11,4
11,4
0,0587
0,0529
0,0518
0,0434
0,0383
0,00776
0,01040
0,01241
0,00871
0,00536
13,2 Proc.
19,7 „
24,0 „
20,0 „
14,0 „
CD
2,74
2,26
2,85
3,45
5,7
5,7
7,6
7,6
0,0212
0,0175
0,0301
0,0356
0,00317
0,00338
0,00474
0,00570
14,9 Proc.
19,3 .
15,7 „
16,0 „
1) A. von Walten hofen, Dingler's Journal, Bd. 183, S. 428.
^) R. Handmann, Der neue Egger'sche Motor, Münster 1879*
654 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
£s iBt angenommen : Stromstärke inAmpereB = Stromstarke in Ja-
cobi 10,54, und electromotorische Kraft von einem IBnnBen-(GroYe-)
elemente = 1,9 Volte.
Man erkennt, dass im allergünstigsten Falle ungefähr der Tierte
Theil der von der Batterie consumirten Energie als nützliche Arbeit
zum Vorschein kommt.
Dies wäre kein ungünstiges Verhältniss, wenn nicht die HerstelloogB*
kosten der aufgewendeten Energie G in diesem Falle ungewöhnlich hoch
wären.
Aus der Formel 51)
735,7
folgt:
735,7 . G
t = •
n.E
Nun entwickelt aber die Stromintensität von 1 Ampere 10,54 cbcm
Knallgas in der Minute, also die Stromintensität von i Amperes
«.10,54 cbcm Knallgas. Ein Molecül (= 18 kg) Wasser, d. h.
33 515 000 cbcm Knallgas sind einem Molecüle, d. h. 65,2 kg Zink äqoi-
i . 10 54
valent. Bei einer Stromstärke von i Amperes werden somit ^^' ' .
*^ 33515000
. 65,2 kg Zink pro Minute = 0,00002047 . i . kg Zink pro Minute in jedem
Elemente oder jeder der neben einander verbundenen ZellengmppeD
gelöst.
Für die Energiemenge G werden somit in den n Elementen der
Batterie :
^^^^^^^,^ . 0,00002047.0.7*35,7, ^. ^ „. ^
0,00002047 J.n = = kg Zink pro Minute
consumirt.
Für eine Pferdekraft {G = 1) beträgt somit (wenn E in Volts ge-
geben ist) der Zinkconsum pro Stunde:
0,00002047 . 735,7 . 60 _ 0,9035
E ~ E ^'
Das erhaltene Resultat ergiebt den bemerken swerthen Satz, dass der
zur Production einer bestimmten Arbeitsmenge bei Anwendung einer
galvanischen Batterie erforderliche Zinkconsum der electromotorischen
Kraft der verwendeten Elemente umgekehrt proportional ist.
Benutzt man Bunsen'scbe Elemente, deren electromotorische Kraft
nahezu gleich 1,9 Volts ist, so findet man den Zinkconsum pro Stande
und Pferdekraft zu: 0,475 kg.
Ausserdem werden gleichzeitig ungefHhr 2 kg Salpetersäure (Dichte
= 1,33) verbraucht.
D. Induction. 655
Nimmt man nun an, dass die Kosten der zur Füllung der Elemente
▼erwendeten Schwefelsäure und der Amalgamation des Zinkes, sowie die
Amortisationskosten der Elemente durch die Yerwerthung des entstehen-
den Zinkvitriols gedeckt werden, so bleiben als Aufwand stehen: die'
Kosten von ungefähr 0,5 kg Zink und 2 kg Salpetersäure fär jede der
electromagnetischen Maschinen zugefiihrte Pferdekraft pro Stunde.
Nimmt man nun an, dass im Mittel ungefähr 20 Proc. der in der
Batterie consumirten Energiemenge am Motor als Nutzarbeit wieder
erscheinen, so muss, um 1 Pferdekraft Nutzarbeit zu erhalten, der 5 fache
Betrag also: 2,5 kg Zink und 10 kg Salpetersäure pro Stunde aufge-
mrendet werden. Nimmt man den Preis von 1 kg Zink zu 1,5 Mark und
den von 1 kg Salpetersäure zu 0,5 Mark an, so kostet eine Pferdekraft,
erzeugt durch eine Bunsenbatterie mit Hilfe eines electromagnetischen
Motors pro Stunde: 8,75 Mark.
Bei einem guten Gasmotor kostet (man sehe Bd. 2, S. 546) die
Pferdekraft pro Stunde ungefähr 0,2 Mark. Mithin wäre die Arbeit
eines durch eine Bunsenbatterie betriebenen EUectromotors mehr als
40 Mal so thener, als die gleiche Arbeitsleistung einer Gaskraftmaschine.
13. Die electrisohen Maschinen als Eleotrioitätsquellen.
Die Erfahrung, welche wiederholt gemacht worden war, dass es im
Allgemeinen unwirthschaftlich sei durch electrische Ströme Motoren zu
treiben, welche erhebliche Mengen mechanischer Arbeit zu leisten im
Stande sind , Hess es im Voraus als wahrscheinlich erscheinen , dass es
wirthschaftlich richtiger sein werde die kostspielige Herstellung der
electrisohen Ströme durch Anwendung galvanischer Batterien dadurch
zu ersetzen, dass man versuchte umgekehrt mechanische Arbeit in elec-
trische Energie zu verwandeln. Schon die Erfahrungen mit den Influenz-
electrisirmaschinen zeigten, dass man durch einen verhältnissmässig gerin-
gen Aufwand von mechanischer Arbeit beträchtliche Mengen electrischer
Energie produciren könne. Die alten, schon lange bekannten Maschinen
mit permanenten Magneten waren zu schwerfällig und bis zur Einfüh-
rung des Siemens'schen T- Ankers zu wenig leistungsfähig, um eine
für die Praxis bedeutsame Durchführung dieses Gedankens zu ermög-
lichen. Erst durch die Erfindung ^) und Ausbildung des Principes, wel-
ches den dynamoelectrischen Maschinen zu Grunde liegt, war der Weg
gefunden, dessen Verfolg jetzt zu einer ausgedehnten Anwendung der
') Die Ehre der Erfindung dieses Principes gebührt zweifelsohne Werner Sie-
mens (1866). Ihm folgte erst einige Monate später Wheatstone (1867), welcher
möglicherweise den Gedanken selbstständig concipirt hatte.
656 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
electriscben Ströme in der PraziB und zu einer tiefgreifenden Umgestal-
tung vieler Theile der Technik zu führen beginnt.
Heute ist bereits der Zeitpunkt vorauBznsehen, von welchem an die
Erzeugung von E]^ctricität durch galvanische Batterien nur auf eine
sehr geringe Zahl von Fällen beschräakt sein wird. Die Theorie der
electrischen Maschinen, welche als Electricitätsquellen dienen, ist bis jetzt
nur in sehr rohen Grundzügen aufgestellt worden. Diese Theorie, welche
wir im Nachfolgenden mittheilen, gestattet zwar den Verlauf des Haupt-
phänomenes an der Hand der Rechnung zu übersehen, nicht aber den
Einfluss der zahlreichen secundären Erscheinungen genau zu verfolgen,
welche bei diesen Maschinen stets mit auftreten.
Aus der Formel des Jonl ersehen Gesetzes ^)
und dem Ohm'schen Gesetze:
folgt unmittelbar die schon mehrfach von uns benutzte Gleichung 13),
S. 631:
J.Q = mA.EF,
d. h. die zur Erzeugung eines electrischen Stromes erforderliche Energie-
menge ist proportional dem Producte aus Stromintensitat und electro-
motorischer Kraft. In anderen Worten ausgedrückt heisst das, die
Energie eines electrischen Stromes ist gleich dem Producte aus sein«'
Intensität und der electromotorischen Kraft des Stromerzeugers.
Wird durch Aufwendung äusserer Energie eine electrische Maschine
in Bewegung gesetzt, so entsteht durch die Inductionswirkang magneti-
scher Systeme auf bewegte Theile des Leiters ein electrischer Strom.
Die Inductionswirkung ruhender, vom Strom durchflossener Leit^r-
theile auf bewegte ist bei fast allen electrischen Maschinen« sofern sie
im Vorstehenden nicht bereits mit eingeschlossen sind, von untergeord-
neter Bedeutung,
Die electromotorische Kraft der Inductionswirkungen ist proportional
der relativen Geschwindigkeit, mit der die Leitertheile ihre gegenseitige
Lage ändern; diese aber ist, da alle derartige Bewegungen rotirende
sind, proportional der Umdrehungszahl (Tourenzahl) v. Ausserdem ist
die electromotorische Kraft noch proportional der Länge des Drahtes,
auf welchem die Inductionswirkung ausgeübt wird, also proportional der
Windungszahl n der bewegten InductorroUen (des Ankers). Endlich
aber ist die electromotorische Kraft proportional einem Coefficienten If,
welcher die electromotorische Kraft der Inductionswirkung des gesamm-
ten magnetischen Systeme bei der Tourenzahl 1 auf eine einzige Win-
^) Die Grosse von m für die rerschiedcoen Einheiten sehe man S. 641.
D. Induction.
657
dnng repräsentirt. Fröhlich nennt diesen für jede Maschine indivi-
duellen Goefficienten M den „wirksamen Magnetismus".
Wählt man für M die geeigneten Einheiten, so erhält man un-
mittelbar :
M.n,v
* = -^r 55)
Diese Gleichung gilt ohne Weiteres für jede electrische Maschine,
deren magnetisches System unveränderlich ist.
Die Richtigkeit dieser Gleichung ist von A. v. Waltenhofen^)
durch Versuche mit einer Siemens^ sehen Fünfzigmagnethandmaschine
auch experimentell nachgewiesen worden. Das magnetische Feld, in
"welchem die Windungen des Ankers rotiren, wird durch die Wirkung
von 50 permanenten Stahlmagneten hergestellt.
Wenn bei allen Versuchen mit derselben Maschine n und M unver-
änderlich sind, muss nach Gleichung 52 die electromotorische Kraft
Jlf . n . V der Tourenzahl v proportional sein.
Versuche mit einer Siemen Büschen Fünfzigmagnetmaschine.
Tourenzahl v
ElectromotoriBche
des Inductors
Kraft M.n ,v
in
M.n
pro Secunde
Amperes
1,75
2,0
1,17
3,50
4,2
1,19
1
8,2
1,17
14
16,7
1,19
21
24,9
1,19
Da die Windungszahl n eine constante Zahl ist, dürfte damit die
Constanz der mit dem Namen wirksamer Magnetismus bezeichneten
Grosse M zur Genüge erwiesen sein.
^) Ueber eine directe Messung der Inductionsarbeit and eine daraus abgeleitete Be-
ßtimmung des mechanischen Aequivalentes der Wärme. Wiedemann's Annalen, Bd. 9,
S. 81 bis 95. Die Arbeit, welche erforderlich war, um einen electrischen Strom von
bestimmter Intensität zu erzeugen, wurde mit einem Federdynamometer gemessen, aus
der Stromstärke i und dem Widerstand X wurde die electromotorische Kraft J&, und aus i . E
die erzeugte electrische Energie bestimmt, welche die Maschine erzeugt, v. Walten-
hofen fand, dass, um in einem Schliessungskreise Ton 1 S. £. Widerstand die elec-
tromotorische Kraft 7on 1 Daniell zu erzeugen, 0,13 Kgm Arbeit pro Secunde erforderlich
seien. Nach Thomson und Jenkin wurde angenommen, dass 788,4 Calorien in der
Da nie 11' sehen Kette dem Verbrauche der Gewichtseinheit Zink entsprechen. Hieraus
bestimmte v. Waltenhofen aus der gemessenen Inductionsarbeit und der electrischen
Energie das mechanische Wärmeäquivalent zu I ^ 421 kg.
Bühlmann, Mechan. WiLrmetheorie. Bd. II. 42
658 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Gleichzeitig erkennt man, dass die electromotorische Kraft solcher
Maschinen der Tourenzahl proportional ist.
Der Form nach wird die Gleichung 52)
. M. n,v
auch für dynamoelectrische Maschinen gültig hleihen müssen ; die Grösse
M jedoch, welche für Maschinen mit permanenten Magneten constant
war, ist bei den dynamoelectrischen Maschinen eine Function der Strom-
intensität f. Bei dieser letztgenannten Art von electnschen Maschinen
also ist:
M = f{i).
Man weiss nun, dass der wirksame Magnetismus eines Electromag-
neten nicht einfach der Stromstärke proportional ist, dass man demnach
nicht M = c,i setzen darf, sondern dass mit wachsender Stromstarke
sich der Magnetismus asymptotisch einem Maximum, dem Sättigungs-
zustande des Electromagneten, nähert. Der Magnetismus wächst lang-
samer als die Stromstärke, und diese Abweichung von der Proportionali-
tät, welche selbst wieder von i abhängig ist, soll mit q)(t) bezeichnet
werden, so dass sich bei dynamoelectrischen Maschinen fürilf die Form:
M = c,i — g)(i) 56)
ergiebt.
Da wir die Magnetisirungsvorgänge in ihrer Abhängigkeit von der
Stromintensität überhaupt noch nicht vollkommen kennen ^ blieb nichts
anderes übrig, als die Constante c und die Form der Function 9>(f) auf
experimentellem Wege zu bestimmen. Dieser Aufgabe hat sich 0. Fröh-
lich^) unterzogen. Er experimentirte mit einer grossen dynamoelec-
trischen Maschine von Siemens und Halske. Er veränderte Um-
drehungsgeschwindigkeit V (Tourenzahl), Windungszahl n und Widerstand
2JA und maass die auftretende Stromintensität i. Diese Versuche haben
gezeigt, dass die Gleichung 55) ausreichend ist, um innerhalb der Gren-
zen, welche bei der praktischen Verwendung derartiger Maschinen in
Betracht kommen , die Beziehung zwischen den einzelnen Grössen aus-
zudrücken.
Es ergiebt sich, dass die Stromintensität t sehr nahe als lineare
Function des Quotienten -j^r angesehen werden kann. Es gilt dies natür-
lich nicht erst von dem Werth von v an, bei welchem, wie man sich aus-
drückt, die Maschine angeht, d. h. bei welchem der remanente Magnetis-
mus der weichen Eisenkerne der Electromagnete durch electromagnetische
^) 0. Fröhlich, Versuche des EtahlisBements von Siemens und Halske über
dynamoelectrische Maschinen und electrische Kraftübertragung und theoretische Folge-
rungen aus denselben. Electrotechnische Zeitschrift, Bd. 2, S. 134 und 141 und & 170
bis 175 (1881).
D. Induction.
659
Wirkungen des entstehenden Stromes verstärkt za werden beginnt. Den
"Werth des Verhältnisses yrfj von dem aus die dynamoelectrische Ma-
schine überhaupt erst Strom giebt, nennt Fröhlich: „die todten Touren".
Fröhlich setzt:
V
2:x
= a -\- h.i
und erhält hieraus:
^' = i(ir~«)
57)
58)
und hierin bedeutet nun: a die todten Touren und — den Proportionalitäts-
factor, nach welchem sich jenseits der todten Touren i mit dem Quotienten
•yTj ändert. Was die Abhängigkeit des wirksamen Magnetismus M der
dynamoelectrischen Maschinen von der Stromintensität betrifft, so zeigte
sich, dass anfanglich für geringe Stromstärken M in derThat fast genau
proportional mit i wächst, bei grösseren Beträgen von i nähert sich
jedoch M mehr und mehr einem Maximal werthe. Statt jedoch , wie es
nach theoretischen Betrachtungen zu erwarten wäre, mit immer grösseren
Werthen von i auf diesem Maximalwerthe constant zu verharren, beob-
achteten sowohl Meyer und Auerbach^) als auch Fröhlich ^ für
noch grössere Werthe von i wiederum eine geringfügige Abnahme von M,
Beistehende Curve (Fig. 52) stellt diese beobachtete Abhängigkeit
der Grösse M von i graphisch dar. In horizontaler Richtung sind als
M Fig. 52.
Abscissen die Werthe von ?', als Ordinaten die Werthe von M aufge-
tragen.
^) 0. E. Meyer ond F. Auerbach, Ueber die Ströme der Gramme'ßchen Ma-
schine, Wiedemann's Annalen Bd. 8, S. 500.
') Fröhlich a. a. 0., Electrotechnische Zeitschrift, Bd. 2, S. 138.
42*
V
n
ZX
für -yTT den Werth aus Gleichung 57) ein, so ergiebt sich:
M= r-j—: 59)
und hierin ist — der Factor der orsprünglichen Proportionalitat und
— der Mazimalwerth, den schliesslich der wirksame Magnetismus erreicht
Die Abhängigkeit des wirksamen Magnetismus der Dynamomaschinen
von der Stromintensität wird durch diese Formel mit einer für die
meisten Fälle befriedigenden Genauigkeit dargestellt.
Auch die Richtigkeit der Gleichung 44):
ist von Fröhlich experimentell geprüft worden. Zu diesem Zwecke
wurde die auf eine dynamoelectrische Maschine übertragene Arbeitskrafl
mit einem Dynamometer von Hefner Alteneck ^ direct gemessen,
ausserdem wurde die electromotorische Kraft iJ und die Stromintensität
i gemessen. Die Arbeit, welche der Leergang der Maschine bei den
^) Man sehe Genaueres über diesen ebenso sinnreichen als einfachen Apparat im
2. Bande der Electrotechnischen Zeitschrift (1881), S. 229.
660 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Diese der Theorie scheinbar widersprechende Abnahme des wirk-
samen Magnetismus ilf, welche stattfindet, wenn die Strominten sitat «
eine gewisse Grösse übersteigt, erklärt sich dadurch, dass, wenn die
Schenkel der Electromagnete, welche das intensive magnetische Feld
bilden, in dem sich der Anker bewegt, bis zum Sättigungspunkte mag-
netisirt sind, der Strom, welcher die Ankerdrähte umkreist, mit wach-
sender Stromintensität in zunehmendem Maasse auf den Magnetismus
der Schenkel des Electromagneten schwächend zurückwirkt nnd die
magnetische Axe des Ankers mit wachsender Stromstärke zunehmend
verdreht.
Diese Wirkungen veranlassen, wenn der Sättigungspunkt über-
schritten ist, einerseits eine Abnahme des wirksamen Magnetismus, \
andererseits macht diese Verdrehung von Anfang an eine mit wachsender
Stromstärke zunehmende kleine Verschiebung der ström sammelnden Bor-
sten im Sinne der Bewegungsrichtung des Ankers noibwendig*, wenn
man das Maximum der Wirksamkeit der Maschine zu erhalten ^wünscht
Für den praktischen Gebrauch der Maschinen ist diese Abnahme von IL
für hohe Stromintensitäten jedoch ohne wesentliche Bedeutung.
Setzt man in dem Werthe von M (Gl. 55)
4
D. luduction.
661
verschiedenen GeBcbwindigkeiteu erforderte , war ebenfalls beatimmt
worden und wurde von der vom Dynamometer angezeigten Arbeit in
Abzng gebracht.
Die Ergebniase seiner VerBuche stehen mit der Formel in sehr
gutem Einklänge, jedoch deateten dieselben darauf bin, dass man, um
der Erwärmung der Eisenkerne der Electromagnete durch die in den-
selben inducirten Ströme Rechnung zu tragen, ein Correctionsglied p.E^
hinzofOgen müsse, so dass man erhält:
G = C.i.E + p.E^ 60)
Hierin sind C nnd ^ Conatante, deren Zablenwerthe von den gewählten
Einheiten abhängen. Die Grösse von p ist ausserdem von der Beschaffen-
heit der Eisenkerne der Electromagnete abhängig und hat daher bei
jeder Maschine einen anderen Werth.
Es gehören hierher ferner die Versuche, welche an der Ingenieur-
schnle in Cbatham ') Qber die LeiatungsiUbigkeit dynamoelectriscber
Maschinen verschiedener Construction angestellt worden sind. Nach>
stehende Tabelle zeigt die Resultate deraelben;
Name des Strom-
erzeuge re
u
3 £
ii
Ä„.S
S a
lllfi
Sutz-
effeut
ö
2 Siemens mittlerer
Grösse neben ein-
ander geechaltet
SHO
13,*
i3,9
9,8
73
Gramme-ModeU D
471
15,1
12,7
'1,3
i;i,4
11,2
89
68
■ c
1200
9.5
■1,2
M.1
85
2 Gramme-Modelle
«75
9,6
8,8
8,4
A neben einander
geschaltet
Man erkennt aus dieaen Versuchen, dass ungefähr 73 bis 89 Procent
der von den djnamoelectrischen Maschinen aufgenommenen Arbeit als
electrische Energie äusserliob nutzbar zum Vorschein kommen, und da-
durch wird die Richtigkeit des am Eingange dieaes Paragraphen {S. 655,
Z. 14 V. n.) ausgesprochenen Gedankens durch das Experiment in Über-
zeugendster Weise bestätigt.
1) Versuclie mi
Chatham in den J:
S. 67 liis 71 und .«
Iien LItl
662 IIL Anwendungen auf electriscbe Erscheinungen.
14. Die Eraftübertragung durch Verbindung zweier
electrisclxer Maschinen.
Will man mechaniscbe Kraft von einem Orte zam anderen übei^
tragen und will lange Seiltransmissionen vermeiden, so eignet sich hierzu
die Verbindung zweier electriscber Maschinen, welche durch Leitungs-
drähte mit einander verbunden sind. Durch den Motor, dessen Kraft
übertragen werden soll, setzt man eine electrische Maschine (den Gene-
rator) in Betrieb. Den Strom leitet man an dem Orte, an welchem die
übertragene Kraft verwendet werden soU, in eine zweite electrische Ma-
schine, den Receptor. Alsdann wird durch den Strom der Anker des
Receptors in eine entgegengesetzte Drehung versetzt und ist im Stande,
Arbeit zu leisten.
Nimmt man der Einfachheit wegen an, beide electrische Maschineo
seien einander gleich, so ist der wirksame Magnetismus M und die Win-
dungszahl n beim Generator und beim Receptor gleich; auch die Strom-
intensität i ist die nämliche, da beide Maschinen von demselben Strome
durcbflossen werden. Wir bezeichnen ferner mit: Ei die electromo-
torische Kraft des Generators, mit E^ die des Receptors, mit Vi die
Tourenzahl des Generators , mit v^ die des Receptors , mit W den Ge-
sammtwiderstand, mit 0 die am Generator aufgenommene Arbeit, mit N
die am Receptor geleistete Nutzarbeit, TFsei der NutzefiPect desSystemes,
A der Gesammt widerstand der ganzen Anlage. Alsdann ist zunächst
nach den von uns gewählten Bezeichnungen:
El = n,M,Vi
Ei = n.M.V2 61)
und nach dem Ohm 'sehen Gesetze:
El — Ei n.M , . ^_
Fem er ist:
a = G.Ei.i
und:
N= CE^A 63)
Hierin ist C eine von den gewählten Einheiten abhängige Constante,
welche = -z^rz-z^ wird, wenn die electromotorische Kraft in Volts, Strom-
735,7
intensität in Amperes und der Widerstand in Ohms gegeben ist
Erweitert man in dem Ausdrucke für Gr in Zähler und Nenner mit
D. Induction. 663
G= CAKk'^
und ersetzt ^i und i.A durch ihre Werthe aus Gl. 61) und Gl. 62), so
ergebt sich:
0= C.i^k ^^ . 64)
Durch ein analoges Verfahren mit Gl. 63) erhält man:
N=CA^.l"-^^— 65)
Die im Leiterkreise nutzlos in Wärme umgesetzte Energiemenge U ist:
U= CA^.l 66)
Selbstverständlich ist, wie auch die Gleichungen leicht übersehen lassen:
a = N + ü.
Der Wirkungsgrad W ist in diesem Falle der Quotient der am
Receptor gewonnenen (übertragenen) Nutzarbeit N zu der am Generator
aufgewendeten Arbeit. Es ist also:
T7=-=^ = ?^ 67)
Um diese einfachen Gleichungen auf ihre Richtigkeit zu prüfen,
hat Fröhlich in den Räumen des Siemens'schen Etablissements in
Berlin eine Anzahl praktischer Versuche über Kraftübertragung ange-
stellt, bei welchen alle in Betracht kommenden Grössen sorgsam gemessen
wurden ^).
Die auf den Generator übertragene Arbeit G wurde mit Hilfe des
schon fi-üher erwähnten v. Hefn er- Alten eck' sehen Dynamometers
(siehe S. 660) gemessen; die vom Receptor geleistete Arbeit wurde mit
Hilfe eines Prony' sehen Zaumes bestimmt. Die Stromstärke wurde an
einem Electrodynamometer , die electromotorische Kraft an den Polen
beider Maschinen durch Torsionsgalvanometer gemessen. Da ausserdem
der Gesammtwiderstand A genau bekannt war, konnte man mit Hilfe der
Gleichung :
.^E^-E, .^g^
die Genauigkeit der einzelnen Messungen controliren.
Wir reproduciren im Nachstehenden einige von Fröhliches Ver-
suchen über electrische Kraftübertragung.
1) Genaueres sehe man: Electrotechnische Zeitschrift, Bd. 2 (1881), S. 172.
664 -III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Wirkungsgrad
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Uebertragene
Arbeit in Pferde-
stärken
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Aufgewendete
Arbeit in Pferde-
stärken
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Stromintensität in
Daniell
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^RRRRRRRRRRR
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^CECRCCEce
D. Induction. 665
Die Yersuchsergebnisse zeigen im Allgemeinen eine befriedigende
Uebereinstimmung zwischen Theorie und Experiment, jedoch erscheint
es aafifällig, dass der Wirkungsgrad, der theoretisch sehr hohe Werthe
annehmen kann, zumeist nur zwischen 40 bis 60 Proc. schwankt.
Fröhlich hat daraufhingewiesen, dass zumeist die am Dynamo-
meter wirklich gemessene Nutzarbeit des Receptors (N beob.) kleiner als
die theoretisch gefundene (^berechn.) und dagegen die electromotorische
Kraft des Receptors E^ meist durch Beobachtung grösser gefunden wird,
als sie der Theorie nach sein sollte. Er vermuthet, dass die Ursache
dieser Abweichungen in den Inductionsströmen (Foucaul tischen Strö-
men) zu suchen sei, welche in dem Eisenkerne der Anker entstehen.
Diese Ströme sind im Generator den Strömen in den Ankerdrähten
gleichgerichtet und schwächen daher, wie diese, den wirklichen Mag-
netismus M und die electromotorische Kraft Ei und vermehren die am
Generator aufzuwendende Arbeit G. Entgegengesetzt verhält es sich im
Receptor; dort sind diese Inductionsströme dem in den Ankerum Windun-
gen fliessenden Strome entgegengesetzt gerichtet, sie verstärken daher
den wirksamen Magnetismus und vergrössern damit die electromotorische
Kraft E^y die Nutzarbeit N wird dadurch herabgedrückt ^).
Um diese Inductionsströme zu vermindern hat man schon mehrfach
die Eisenkerne der beweglichen Anker der electrischen Maschine aus
Bündeln von einander isolirter Eisendrähte hergestellt, ähnlich wie man
dies schon früher bei Inductionsapparaten gethan hat.
16. Reclinungsbeispiel für die Kraftübertragung in
grössere Entfernungen.
Man zweifelte längere Zeit, ob es möglich sein werde, grössere Kraft-
mengen auf weitere Entfernungen zu übertragen , da tnan fürchtete , die
bedeutenden Kosten für eine lange Leitung würden die voraussichtlichen
Vortheile, welche die Kraftübertragung unter Umständen darbietet, mehr
als aufwiegen.
Soll nämlich eine Leitung auf eine nmal grössere Entfernung er-
folgen, ohne dass gleichzeitig der Widerstand und damit der nutzlos in
Wärme umgesetzte Theil der electrischen Energie {Q = i^.k) vergrössert
w^ird , so muss der Leitungsdraht einen n mal grösseren Querschnitt
erhalten. Die Leitung würde, weil somit auf eine n fache Länge ein
^mal grösserer Querschnitt erforderlich wäre, ein n^mal grösseres Ge-
^) Fröhlich hat auch eine Theorie der electrischen Kraftübertragung gegeben, in
welcher er auf diese Ströme Rücksicht nimmt. Man sehe dieselbe: Electrotechnische
Zeitschrift, Bd. 2, S. 194.
666 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
wicht des leitenden Metalles heanspruchen and somit nahezu die n' fachen
Kosten verursachen.
Um ohne Vermehrung der Dimensionen des Leiters Kraft auf
grössere Entfernungen übertragen zu können, bleibt nichts anderes übrig
als, wie wir bereits früher erwähnten, die electromotorische Kraft sn
erhöhen. Dies könnte einerseits dadurch geschehen, dass man, sofeni
es sich um eine Uebertragung a\Lf eine n fache Entfernung handelt,
n Generatoren und n Receptoren verwendet. Dieser von Thomson und
Houston 1) angedeutete Weg dürfte jedoch in der Praxis selten betreten
werden. Den anderen Weg, nämlich die electromotorische Ejraft dadurch
zu vergrössem, dass man die Windungszahl n, respective die relative
Geschwindigkeit der inducirenden Theile der Maschine erhöht, mag noch
folgendes Rechnungsbeispiel erläutern.
Unter Anwendung der im Absatz 14, S« 662, dargelegten Prind-
pien hat Marcel Duprez^) in einem Beispiele gezeigt, dass man von
16 Pferdestärken, welche auf den Generator übertragen werden, unter
geeigneten Umständen 10 Pferdestärken auf 10 Kilometer Entfernung
durch einen gewöhnlichen Telegraphendraht übertragen könne. Er geht
aus von den auch von uns citirten Versuchen in Chatham mit ein«'
Gramme' sehen dynamoelectrischen Maschine (Modell C). Bei dersel-
ben war bekanntlich bei 1200 Touren pro Minute die Stromstärke gleich
81,2 Amperes, die electromotorische Kraft 69,9 Volts; die consomirte
Energiemenge betrug 9,52 und die hiermit erzeugte Menge electrischer
Energie 8,09 Pferdestärken. Ausserdem betrug der Widerstand der In-
ductoren 0,15 Ohms, und der der Ringwickelung 0,06 Ohms. Wenn
man nun dem Drahte, mit welchem die Electromagnete, und dem, mit
welchem der Ring umwickelt ist, den fünfzigsten Theil seines Quer-
schnittes giebt und ihn dafür 50 Mal länger macht, so wächst der Wi-
derstand der Maschine auf den 2500 fachen Betrag, würde also den
Werth von:
0,21 X 2500 = 525 Ohms
annehmen.
Nimmt man nun an, man wählt als Generator und Receptor zwei
gleiche Maschinen mit derart vergrössertem Widerstände und verbindet
diese durch eine 50 ILilometer lange Leitung aus gewöhnlichem Tele-
graphendraht, so ist alsdann der Gesammtwiderstand A des Systems:
Widerstand des Generators = 525 Ohms
„ „ Receptors = 525 „
„ der Leitung 50 . 9 = 450 „
X = 1500 Ohms.
^) P. Higgs, Electric Transmission of Power, London 1879.
^) Electrotechnische Zeitschriil, Bd. 2, S. 433. In Folge einer Verdrucknng steht
der Schluss dieses Artikels nicht S. 434, sondern S. 423 a. a. O.
D. Induction. 667
Damit das magnetische Feld, in welchem die Anker rotiren, ebenso
wirksam ist, wie bei den Maschinen der Chatham-Versuche , muss das
Product aus der Windungszahl n und der Stromintensitat i dasselbe
bleiben. Da nunmehr aber 50 Mal soviel Windungen vorhanden sind,
so braucht die Stromintensität nur:
' = 1,624 Amperes
zu betragen.
Um in einem Widerstände von 1500 Ohms eine Stromintensitat von
1,624 Amperes hervorzurufen, ist nach dem Ohm'schen Gesetz eine
electromotorische Kraft von:
E = 1500 . 1,624 = 2436 Volts
erforderlich.
Da aber der Anker jetzt n mal so viel Windungen trägt wie früher,
so ist auch, da M constant bleibt , die electromotorische Kraft jeder der
beiden Maschinen bei gleicher Tourenzahl 50 Mal so gross, als bei den
Chatham -Versuchen, d. h. sie ist bei 1200 Touren pro Minute:
69,9 X 50 = 3495 Volts.
*
Um eine Differenz der electromotorischen Eo'äfte von nur 2436 Volts
im Leiterkreise hervorzubringen, kann die Differenz der Tourenzahl
1200 im Verhältnisse von 2436 : 3495 reducirt werden, dies giebt:
2437
1200-—--- = 835,5 Touren pro Minute.
o495
Die Nutzarbeit N (siehe GL 65) ist der Tourenzahl des Receptors
proportional, wenn die Stromstärke i und Differenz der Tourenzahl v^ — v^
constant bleibt. Für jede Tour wurde nun unter sonst gleichen Verhält-
nissen bei den Chatham- Versuchen eine Arbeit von 29 Kilogrammmetern
geleistet^). Um eine Nutzarbeit N von 10 Pferdestärken, d. h. pro Se-
cunde 750 Kilogrammmeter zu leisten, sind demnach in der Minute:
750 ,^ .ee«m
v, = -—-•. 60 = 1552 Touren
des Receptors erforderlich. Da die Differenz der Tourenzahl constant
bleiben muss, wenn die Differenz der electromotorischen Kräfte Ei — E^
nnd somit die inducirende Wirkung in beiden magnetischen Fällen und
die Stromstärke i im ganzen Systeme dieselbe bleiben soll, so muss die
erste Maschine:
Vi = 1552 + 835 = 2387 Touren pro Minute
machen. Der Generator wird dann auch pro Tour 29 Kilogrammmeter
^) Wenn die Eisenkerne der Electromagnete bis zur Sättigung magnetisirt sind, ist
ziemlich streng die Arbeitsleistung der Tourenzahl proportional.
668 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
mechanische Arbeit consumiren und in electrische Energie umseizen, d. h.
er wird:
2387.29 ,^ . r... ,
= fjf' =15,4 Pferdestärken
consumiren.
Von diesen 15,4 Pferdestärken, welche der Generator aofdimmt,
werden 10 Pferdestärken am Receptor als Nutzarbeit abgegeben, dagegen
5,4 Pferdestärken gehen verloren und erscheinen als Wärme U in beiden
Maschinen und im Leitungsdrahte wieder.
Man ersieht somit, dass man mit einem theoretischen Nutzeffecte
von über 60 Proc. im Stande ist die Arbeitsleistung eines Motors mit-
telst Verbindung zweier geeignet construirter electrischer Maschinen
durch einen gut isolirten gewöhnlichen Telegraphendraht auf 50 Kilo-
meter Entfernung zu übertragen.
E. Die mechanische Theorie der electrochemischen
Erscheinungen.
1. Die Aequivalenz zwischen der vom Strome entwickelten
Wärme und Arbeit und der Arbeit der obemisolien Kräfte
im Elemente.
Nehmen wir an, dass die in einem . geschlossenen Leiter wirksame
electromotorische Kraft lediglich durch ein galvanisches Element hervor-
gebracht werde, und dass gleichzeitig keine Inductionswirkungen im
Systeme vorkommen, so ist nur die in diesem Elemente stattfindende
chemische Wirkung die Ursache des Stromes, und es kann zwischen den
Wirkungen dieses Stromes und der im Elemente geleisteten Arbeit der
chemischen Kräfte ebenfalls eine Beziehung aufgestellt werden.
Wir nehmen an, dass der Leiter, der vom galvanischen Strome durch-
flössen wird, homogen sei und unbeweglich, damit thermoelectrische und
Inductionswirkungen ausgeschlossen sind. Ausserdem soll vorausgesetst
werden , dass keine Unterbreohungsstelle vorhanden sei, damit kein Fun-
ken oder Lichtbogen gebildet werde, und endlich wollen wir zunächst
der Einfachheit wegen auch den Fall ausschliessen, dass sich ein Electro-
lyt in den Leiterkreis eingeschaltet befinde. Alsdann veranlasst der
Strom Wärmeentwickelungen im Leiterkreise, dieselben sind jedoch an
verschiedenen Stellen des Stromkreises verschieden gross. Es muss jedoch
die im gesammten vom Strome durchfiossenen Leitersysteme entwickelte
E. Die mechanisch« Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 6G9
'Wärmemenge der Arbeit der chemisclien Kräfte, welche im Elemente
thätig sind, äquivalent sein.
Dieser Gedanke ist im Princip schon mit nnverkennbarer Deutlich*
keit von Jonle (1S42) und mit vollkommener Klarheit von Uelmholtz
in seiner Schrift: „Das Princip von der Erhaltung der Kraft" (1847)
aosgesprochen worden.
Experimentell ist dieser Satz zuerst von Joule') and dann von
Favre bewiesen worden. Es zeigen diese Messungen, dass die Con-
eamtion einer bestimmten Summe chemischer Wirkungen jederzeit der
Entwickelang einer bestimmten Wärmemenge entspricht, gleichgültig wie
auch immer die Kette und der Leiterkreis beschaffen sein mögen , in
welchen sich die beiden Erscheinungen gleichzeitig vollziehen.
Favre') bestimmte zunächst die Wärmemenge, die dadurch erzengt
wird, dass sich eine gewisse Menge Zink in verdOnnter Saure auflöst.
Er fand diese Wärmemenge gleich gross, sowohl wenn diese Auflösaug
rasch stattfand, wie dies in einem WasBerstoSentwickelangsapparate der
Fall ist, als auch wenn dies langsam vor sich geht, wie in einem galva-
nischen Element, welches als negativen Pol reines Zink oder amalgamirtes
Zink enthielt In beiden Fällen geschieht ancB genau dasselbe. In einem
Wasserstoffe ntwickeluDgsapparat bewegen innere Ströme die Flüssigkeit
und erwärmen dieselbe entsprechend dem Jonle'achen Gesetze. Wenn
die electro motorische Kraft zur Erzeugung eines Stromes ausserhalb der
Zeraetzungszelle dient, ist die Erwärmung der Zelle genau nm die
Wärmemenge geringer, welche der Strom ausserhalb entwickelt.
Favre bediente sich bei seiner Expenmentaluntersncbang des von
nna mehrfach beschriebenen Quecksilbercalorimeters (man sehe Fig. 53)
') GenauerPB dnrülicr berkhwt W. Thomson in ncinor vortrefflichen AbhnndlunE:
On the mechnnicnl thforj- of «tertrolpe. Phil. Mhk- 4- Serie, Dd. 2, S. 429 l.is .S. 4M.
") Ann. de ehim. el de phys. (1854), 3. Serie, Bd. 40, S. 293.
670 in. Anwendungen auf elßctrische Erscheiniingen.
(vergl. Bd. 2, S. 279). Für dieeo Yereuche t&nchten jedoch mehrere Mnffelfl
in die QaecksilbermaBse hinein. Die Einrichtmig and Verbindung zwüer
Bolcher neben einander liegender Muffeln, deren eine A ein Element, deren
andere B Widerstände enthält, zeigt Fig. 54. Zuerst bracht« Favre in
eine der Mnffeln ein bestimmtes Gewicht grannlirtes Zink und eipe eben-
hÜB abgewogene Menge verdünnter Schwefelsäure. Favre bestätigte »of
diese WeiBB, was er schon früher bei seinen Untersuchnngen mit Silber-
mann gefunden hatte, dass nämlich bei Auflösung von 1 Aequivalrat
= 65,2 kg Zink in verdünnter SchwefelBäure 37 360 Calorien entwickelt
werden. Als hierauf in fünf Muffeln des Calorimaters, welche dieselbe
Menge verdünnter Säitre enthielt, fünf Smce'sche Elemente eingesetit
wurden, die ans amalgamirtem Zink und platinirtem Knpfer beet«heD
und durch einen kurzen, dicken Eupferdraht geschlossen wurden, fand
Favre, dass fQr 65,2 kg aufgelöstes Zink 37 350 Calorien entwickelt
worden waren. Dies beweist deutlich genug die Gleichheit der in beiden
Fällen entwickelten Wärmemengen. Auch wenn mit Elementen anderer
Art der Versuch wiederholt wurde, ergab sich jedesmal das Dämliche
Resultat.
Favre hat hierauf folgenden Versuch angestellt. Der Strom der
nämlichen fünf Smee' sehen Elemente wurde durch zwei kurze dicke
Drähte, in welchen sich nur eine ausserordentlich gering-e Wärmemenge
entwickelte, nach einem kleinen electromagnetischen Rotation sapparat.
einem BogenanntenFromment'schenMotor, geleitet. Dieser kleine Motor
wurde in einer sechsten Muffel nntergebracht. Die
^^' kleinen Electromagnete des Apparates waren etwas
verlängert, nm die Mittheilung etwa entwickelter Wärme
an das Quecksilber des CiLlorimeters zu erleichtern.
Jeder der beiden Electromagnete bestand aus einem
weichen Eiaenstabe, um den Kupferdraht gewickelt ist.
Jede Windung dieses Drahtes hat die Form eines flachen,
nicht geschlossenen Ringes und wurde vom weichen
Eisen durch ein äusserst dünnes Blatt Guttapercha ge-
trennt. Diese Enpferringe richten ihre offenen Stellen
abwechselnd nach oben und unten, und von den freien
Enden ist jedesmal eine derselben innig mit einem
Ende des vorhergehenden nnd einem des folgenden Rin-
ges verbunden. Wenn man zunächst durch ein Hinder-
niss die Bewegung des Motors hemmt, erhält man wieder-
nm für die AuSosungvon 65,2kg Zink 37330 Calorien.
Entfernt man hierauf das Hinderniss , so beginnt die
Maschine zu functioniren , erreicht sehr bald eine constante Rotations-
geschwindigkeit und leistet eine Arbeit, welche gleich der Arbeit der
Reibung der Maschine ist. Man sielit leicht ein , dass diese für üeber-
windung der Reibung aufgewendete Arbeit unmittelbar wieder in Wärme
umgesetzt wird, und dass diese Wärmeroenge der Arbeit äquivalent sein
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 671
xnuss. Da nun auch diese Wärmemenge innerhalb des Calorimeters ent-
'wickelt wird nnd sich zu der in den Elementen und Zuleitungsdrähten
entwickelten Wärmemenge einfach addirt, so ist es sofort ersichtlich, dass
die durch Auflösung von einem Aequiyalent Zink insgesammt entbundene
^Wärmemenge nicht geändert werden kann. Der Versuch ergab 37 310
Oalorien.
Die geringe Differenz zwischen dieser Zahl und den vorhergehenden
liegt vollständig innerhalb der Grenzen der unvermeidlichen Beobach-
tungsfebler.
Bei einem fünften Versuche war die Anordnung im Wesentlichen
g'enau ebenso getroffen, wie beim vierten. An die Axe des kleinen Mo-
tors aber war diesmal ein Faden befestigt, dieser war über eine Leitrolle
geführt und bewirkte, indem er sich auf der Axe aufwickelte, das Auf-
steigen eines Gewichtes. Die Arbeit, welche geleistet wurde, während
sich 65,2 kg Zink auflösten , betrug 262 480 Egm und die gleichzeitig
entwickelte Wärme nur 36 750 Galerien.
Nachsteheode Zusammenstellung giebt eine Uebersicht sämmtlicher
Resultate.
1. Unmittelbare Auflösung von 65,2 kg Zink in vei-dünn-
ter Säure giebt 37 360 Cal.
2. durch einen kurzen, dicken
Draht giebt 37 350 „
3. durch einen ruhenden mag-
netelectrischen Motor giebt 37 330 „
Der durch diese Auf-
lösung entwickelte
galvanische Strom 1
fliesst:
4. durch den Motor, der jedoch
keine nützliche Arbeit her-
vorbringt 37 310
5. durch den Motor, welcher
262 480Kgm Arbeit leistet . . .
Mittel:
37 340 Cal.
36 750
Differenz
590 Cal.
Die im letzten Experimente fehlende Wärmemenge yqu 590Calorien
muss als das Aequivalent der geleisteten äusseren Arbeit von 262 480 Kgm
angesehen werden. Hieraus findet man das mechanische Aequiyalent
der Wärme:
262 480 ,,„^
Die geringe Abweichung von 4 Proc. von den früher von uns gefun-
denen Werthen des mechanischen Aequivalentes der Wärme erklärt sich
vollständig aus der unvermeidlichen Unsicherheit der Messungen mit
dem Quecksilbercalorimeter.
Diese Favre'schen Versuche gestatten nunmehr folgende Schlüsse
zu ziehen:
1. Die durch eine bestimmte Menge chemischer Wirkungen erzengte
Wärmemenge ist hinsichtlich ihrer Grösse unabhängig von dem Leiter-
kreise, auf welchem sich dieselbe vertheilt.
672 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
2. Wird durch den galvanischen Strom eine Maschine in Bewegung
gesetzt, so wird die durch dieselbe Quantität (1 Aequivalent) chemisclier
Wirkungen entwickelte Wärmemenge vermindert. Diese Vermindernng
der entwickelten Wärmemenge tritt im ganzen vom Strome durchflösse-
nen Systeme ein, und die verschwundene Wärme ist genau das Aeqni
lent der geleisteten äusseren Arbeit.
2. Theoretische Oonsequenzen der Favre'schen Versuche.
Auf Grund dieser Untersuchungen wird erst die Richtigkeit unserer
früheren Behauptung vollkommen ersichtlich, dass die magnetelectrischen
Maschinen wahre Wärmemaschinen sind. In denselben wird ein Theil
der durch die chemischen Processe in der Kette entwickelten Wärme in
Arbeit umgesetzt, genau so wie bei einer Dampfmaschine ein Theil der
Wärme, welche die unter ihrem Kessel verbrennenden Kohlen entwickeln,
sich in Arbeit verwandelt. Im einen wie im anderen Falle vollzieht sich
die Umsetzung von Wärme in Arbeit nach bestimmten Gesetzen, die
durch den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie dictirt
werden. In ähnlicher Weise, wie die Betrachtung dieser Umwandlung
von Arbeit in Wärme bei den Dampfmaschinen auf das eigenthümliche
Verhalten des Dampfes bei seiner Expansion führte, wurden wir durch
die genauere Untersuchung dieser Umwandlung von Arbeit in Wärme
bei den magnetelectrischen Maschinen ^) auf die bereits früher gefnnde-
nen Sätze über die Indoction geleitet. Bei diesen Betrachtungen braucht
man jedoch die Induction nicht bloss, wie dies früher immer geschehen
ist, als eine empirisch gegebene Thatsache anzusehen, sondern die In-
ductionserscheinnngen ergeben sich hierbei als eine nothwendige Conse-
quenz der aUgemeinen Grundsätze, auf welchen die mechanische Wärme-
theorie beruht.
Um bei einer solchen Erörterung vollkommen streng verfahren zu
können, muss die Aufgabe zunächst specialisirt und beschränkt werden.
Man muss nämlich Nebenwirkungen jeder Art ausschliessen , wie z. B.
die Entwickelung von Gasen an den Electroden, Auflösungen von Salzen,
Concentrationsänderungen etc. ^). Zumal der erstgenannte Vorgang ist,
wie wir weiterhin sehen werden, eine ziemlich zusammengesetzte Er-
scheinung. Der entwickelte Wasserstoff, für den sich das Zink snbsti-
tuirt, legt sich zunächst, wenn wir bei der Smee* sehen Kette stehen
^) Im vorhergellenden Abschnitte.
^) Eine allgemeine Behandlung dieser Vorgänge ist in neuester Zeit von Helm*
holtz angebahnt worden durch den Aufsatz: Die Thermodynamik chemischer Vorgänge.
Mathematische und naturwissenschaftliche Mittheilungen der Berl. Akad. 1882, Heft 1.
S. 7 bis 24.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinunffen. 673
O'
bleiben, deren n eine Electrode Zink, deren andere Electrode Platin ist,
an das Platin an und befindet sich daselbst in dem eigen thümlichen Zu-
stande, in welchem er die Erscheinung der Polarisation hervorbringt.
Wenn sich die Gasblasen alsdann loslösen und WasserstofPgas entweicht,
dann vollzieht sich eine Umsetzung aus activen in gewöhnlichen Wasser-
stoff, und diese Umsetzung ist noth wendiger Weise von einem Wärme-
process begleitet, welcher höchst wahrscheinlich mit einer Wärmeerschei-
nnng verknüpft ist.
Dieser Uebelstand ist bekanntlich bei den sogenannten constanten
Ketten fast vollkommen vermieden. Bei der Daniel rechen Kette z. B.
befindet sich das Zink in einer concentrirten Zinkvitriollösung und ist
durch eine poröse Thonzelle von dem Kupfer getrennt, welches seinerseits
in einer concentrirten Kupfervitriollösung steht. Alsdann wird in der
Zinkvitriollösung Zink durch Wasserstoff, ersetzt und der Wasserstoff ver-
drängt Kupfer. Damit die Kupferlösung aber concentrirt bleibt, wenn
sich metallisches Kupfer von dem Kupferbleche abscheidet, taucht in die
Kupferlösung ein mit Kupfersulphatkrystallen und concentrirter Kupfer-
lösung gefüllter verkehrter Glasballon. Auf diese Weise werden be-
kanntlich solche störende secundäre Erscheinungen wenigstens ausser-
ordentlich vermindert.
3. Die eleotromotorlsclie Kraft ist proportional der im
Elemente produoirten cliemisclien Wärme.
Wir haben ferner schon früher S. 632 den Satz mitgetheilt, der sich
ebenfalls unmittelbar aus dem Princip von der Erhaltung der Energie
ergiebt, dass die bei Auflösung eines Aequivalentes eines Metalles in ver-
schiedenen Elementen entwickelten Wärmemengen proportional den electro-
motorischen Kräften dieser Elemente sind, sofern der den galvanischen
Strom erzeugende chemische Process nicht von irgend einem secundären
Vorgange begleitet ist, der eine Wärmeentwickelung oder Wärmeabsorption
in sich schliesst. Von diesem Satze finden sich Andeutungen schon bei
Mohr^). In bestimmter Form wurde er von Joule ^) im Jahre 1841
aufgestellt, gelegentlich seiner Untersuchungen über die Wärmewirkung
electromagnetischer Maschinen. Unabhängig von letzterem wurde derselbe
von Helmholtz') im Jahre 1847 in seiner berühmten Arbeit: „Die
Erhaltung der Kraft" in unzweideutiger Weise ausgesprochen, als noth-
wendig bewiesen und in fruchtbringender Weise in der Wissenschaft an-
gewendet.
^) F. Mohr (1837). Man sehe dieses Forschers Broschüre: Allgemeine Theorie
der Bewegung und Kraft. Braunschweig, Friedrich Vieweg u. Sohn (1869), S. 102.
2) Joule, Phil. Mag. (1842), Bd. 20, S. 98.
3) Helmholtz, Erhaltung der Kraft (1847), Berlin, Reimer, S. 47.
Bühlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. n. ^3
674 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Findet in dem gesammten vom Strome durchlaufenen LeiierBysteme
nur eine chemische Wirkung statt, wie dies z. B. in dem mit Zinksnlphat
gefüllten Danie IT sehen Elemente der Fall ist, so wird die Arbeit der
chemischen Affinitäten, welche in diesem Vorgänge wirken, unmittelbar
durch die entwickelte electromotorische Kraft gemessen. Durch eine
einzige galvanometrische Messung könnte demnach diese Arbeit bestimmt
werden, welche man sonst nur durch eine ziemlich complicirte calorime-
trische Messung ermitteln kann. Es würde genügen, ein einziges Mal
die Grösse des Coefücienten m zu bestimmen, welcher in der Gleichung
(man sehe D, 4, Gl. 16, S. 632):
J.2:K=m.EF 1)
vorkommt.
Bekanntlich stellen sich jedoch in der Praxis der Anwendung dieser
Methode Schwierigkeiten entgegen, welche bis jetzt noch nicht in allen
Fällen glücklich überwunden worden sind. Es sind dies besonders die
Entwickelung von Gasen aus den Elementen, Auflösungen von Salzen,
* Dichten änderungen und die damit . zusammenhängende Variabilität der
electromotorischen Kraft mit der Stromstärke ^).
Bringt man eine Flüssigkeit in den Stromkreis, welche electrolysir-
bar ist, so findet eine Zersetzung derselben statt; es wird dann eine
negative Arbeit der Affinität geleistet und dazu eine bestimmte Wärme-
menge absorbirt. Die electromotorische Kraft vermindert sich alsdann;
es entwickelt sich eine neue electromotorische Kraft, welche der vorigen
entgegenwirkt, man nennt dieselbe die electromotorische Kraft der Polari-
sation 2). Wenn sich während der Electrolyse durch Einwirkung eines der
durch die Zersetzung entstandenen Bestandtheile auf die entsprechende
Electrode die zersetzte Flüssigkeit wieder bildet, so ist die chemische
Arbeit in der electrolytischen Zersetzungszelle Null, und dann findet-, wie
bekannt, auch keine Polarisation statt.
4. Joule's Methode, die bei ohemischen Zersetzungen
absorblrten Wärmemengen zu messen.
Diese Methode beruht vollständig auf der Anwendung der im Vor-
stehenden mitgetheilten Grundsätze. Joule hatte jedoch seiner Zeit
unterlassen, die Berechtigung dieses Verfahrens nachzuweisen und die
Grenien, innerhalb deren dasselbe anwendbar ist, anzugeben. Wahr-
scheinlich ist deshalb dasselbe lange Zeit fast ganz unbeachtet geblieben.
In den Strom einer constanten Kette wird die zu electrolysirende
Flüssigkeit eingeschaltet (wir setzen hierbei voraus, dass die Zersetzung
der Flüssigkeit von keinerlei secundärer Wirkung, wie z.B. Gasentwicke-
^) Man vergleiche auch Capitel 22, S. 716.
2) Man vergleiche Capitel 13, S. 696.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 675
lnng, begleitet sei). Man misst die Wärmemenge q, welche in der Flüssig*
keit entwickelt ¥drd, während ein Aeqnivalent der chemischen Wirkung
stattfindet. Dies kann geschehen, entweder indem man die Flüssigkeit
selbst als calorimetrische Substanz benutzt, oder indem man die Zer-
setzungszelle in ein Calorimeter einschliesst. Hierauf ersetzt man die
Zersetzungszelle durch einen Leitungsdraht, dessen Widerstand gerade so
bemessen ist, dass die Stromstärke genau ebenso gross wird, wie sie vor-
her bei Einschaltung der Zersetzungszelle gewesen ist' . Hierauf misst
man ebenfalls die Wärmemenge q' , welche in dem Leitungsdrahte durch
ein Aequivalent chemischer Wirkung erzeugt wird. Diese zweite Wärme-
menge ist grösser, als die vorige, und die Wärmemenge q' — q misst die
Quantität der durch die Zersetzung der electrolysirten Flüssigkeit absor-
birten Wärme. Ist nämlich F die constante electromotorische Kraft der
benutzten Kette und R der Widerstand der Kette selbst und der zur
Herstellung des Leiterkreises erforderlichen metallischen Verbindungs-
stücke, bezeichnet ferner P die electromotorische Kraft der Polarisation
der electrolysirten Flüssigkeit und r den Widerstand der Zersetzungs-
zelle, so ist nach dem Ohm' sehen Gesetze die Stromintensität i im ersten
Falle, während der Electrolyt eingeschaltet war:
'=B+-r' ' • '>
und die Wärmemenge g, welche in diesem Falle in der Zersetzungszelle
entwickelt wird, während im Elemente ein Aequivalent chemischer Wir-
kung coDSumirt wii'd, ist nach: D, Gleichung 14) (S. 631) bestimmt
durch die Gleichung:
J,q = J ,-r*
Nach dem Joule'schen Gesetze aber ist:
mithin ergiebt sich im vorliegenden Falle:
Im zweiten Falle ist die Stromintensität genau so gross, wie zuvor;
i genügt diesmal jedoch der Gleichung :
t = :=^ 4)
wenn q den Widerstand des anstatt der Zersetzungszelle eingeschalteten
Drahtes bezeichnet. Für die Wärmemenge 3', welche im Drahte erzeugt
wird, während* im Element ein Aequivalent chemischer Wirkung con-
sumirt wird, erhält man auf dieselbe Weise wie vorhin :
.r.2'=»..j^.9 5)
43*
676 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Der Unterschied dieser beiden Wärmemengen ist:
2' — 3 = j.».(9 — 0 6)
Der in dieser Gleichung auftretende Werth Q ist jedoch dadurch
bestimmt, dass die Stromintensität bei beiden Experimenten gleich gron
ist und somit für Q die Gleichung gilt:
— :? — = 7)
E + Q B + r ^
hieraus ergiebt sich:
^ = F-P ^^
Setzt man dies ein, so ergiebt sich:
, m . /F.r + P.B \
and ausgerechnet:
. m P.jB + r)
a-g=j.t. j,__p •
Hieraus ergiebt sich mit Rücksicht auf den Werth von t Gleichung 2]
sofort:
a'-2= j.p 9)
Die auf der rechten Seite der Gleichung 9) stehende Grösse -^.Piit
somit die von dem in der Zersetzungszelle Yollzogenen chemischen Procease
während der Zeit absorbirte Wärmemenge, während welcher im Elemente
ein Aequivalent chemischer Wirkung consumirt wurde. Da nach dem
Faraday 'sehen Satze während der Zeit, in welcher in der Batterie eis
Aequivalent chemischer Wirkung consumirt wird, der Strom in der Ze^
MS
setzungszelle ein Aequivalent der Verbindung zersetzt, so ist —.Pancb
die Wärmemenge, welche durch die Zersetzung von einem Aequivalent
der electrolysirten Flüssigkeit consumirt wird. Damit ist die piincipielle
Richtigkeit der den Joule' sehen Untersuchungen zu Grunde liegenden
Methode erwiesen.
Dieses Joule 'sehe Verfahren bleibt sogar anwendbar, wenn secnn-
däre Processe den electrol3rtischen Vorgang begleiten, sofern es nämlicb
möglich ist, die durch diese secundären Processe entwickelten oder abeor-
birten Wärmemengen zu bestimmen. Man braucht alsdann diese Wanne-
menge nur mit ihrem Vorzeichen zu der durch den Strom unmittelbar
entbundenen Anzahl von Calorien hinzuzufügen. Die grössten Schwierig-
keiten bieten, wie bereits erwähnt, in diesen Beziehungen die so häufig
auftretenden Gasentwickelungen dar, da es fast unmöglich ist den calo-
rischen Werth derselben genau zu ermitteln.
E, Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 677
Auf diese Weise hat Joule die Wärmemenge g' — q bestimmt,
eiche durch Zersetzung von Wasser in sehr yerd&nnten Salzlösungen
durch einen Strom mehrerer Elemente entwickelt wird. Es wurde nur
ein sehr geringer Säurezusatz verwendet, um die Störungen zu vermeiden,
T^elche durch die bei zunehmender Concentration der Säurelösung auf-
i;retende Wärmeentwickelung veranlasst werden. Joule fand auf diese
l^eise fast genau dieselbe Zahl, die vor ihm Dulong, später Favre und
Silbermann und in neuerer Zeit J. Thomson für die Bildungswärme
iron 1 Molecül Wasser erhalten haben. Joule fand, dass, wenn ein
Aequivalent, d. h. 65,2 Kg, Zink in der Batterie gelöst worden wai-, im
'Wasservoltameter 67 100 Galerien absorbirt wurden. Bekanntlich ermit-
telte Dulong die Wärmetönung des Wassers zu 69 200, Favre und
Silbermann zu 68 900 und J. Thomson zu 68 400 Galerien. Berück-
sichtigt man, dass man die absolute Genauigkeit derartiger Messungen
im Allgemeinen kaum gleich 1 Proc. annehmen darf, so erkennt man
aas der guten Uebereinstimmung , dass die Joule 'sehe Methode in der
That ganz brauchbare Resultate zu liefern im Stande ist, sofern alle
Vorsichtsmaassregeln zur Vermeidung von Fehlern angewendet werden.
5. Mit einem Daniell'solieii Elemente kann Wasser nicht
zersetzt werden.
Mit Rftcksicht auf das Gresetz von der Constanz der Energie, welches
fiich in allen Sätzen der mechanischen Wärmetheorie wiederspiegelt, folgt
aus den im Vorhergehenden aufgestellten Sätzen, dass die negativen Ar-
beiten der chemischen Affinitäten, welche bei der Zersetzung der Electro-
lyte geleistet werden, niemals grösser werden kann, als die positive Arbeit
der Affinitäten, welche sich innerhalb der galvanischen Kette vollzieht.
Da im Falle der Electrolyse duryh eine hydroelectrische Kette immer
zwei derartig entgegengesetzte Vorgänge stattfinden, resp. statzufinden
streben, so ist ohne Weiteres klar, dass eine Electrolyse nicht eintreten
kann, wenn die negative Arbeit, welche den Eintritt des electrolytischen
Processes bedingen würde, grösser ist, als die positive Arbeit, welche
gleichzeitig innerhalb des Elementes geleistet werden würde. Ein lehr-
reiches Beispiel dieser Art bietet die Wasserzersetzung dar.
Um ein Molecül (18 kg) Wasser zu zersetzen, sind ungefähr
68 000 Calorien erforderlich. Nach dem von Faraday gefundenen
Grundsatze der Electrochemie muss aber während der Zeit, während
welcher ein Molecül einer Verbindung im electrolytischen Zersetzungs-
apparate zerlegt wird, ein Molecül derjenigen Verbindung gebildet werden,
welche im galvanischen Elemente entsteht. Bei Auflösung von einem
Molecüle Zink in Schwefelsäure und Zerlegung von einem Molecül
678 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Kupfersalphat in Kupfer und Schwefelsäure entwickeln sich aber nnr
50130 Galorien. Es ist somit unmöglich, mit einem einzigen Da ni ein-
sehen Elemente eine Wasserzersetzung herbeizuführen. Um eine Wasser-
zersetzung herbeizuführen würden vielmehr 1,36 Daniel 1' sehe Elemente
erforderlich sein ^),
6. üeber den Einfluss des Amalgamirens des Zlnlca in
den Elementen.
Die allgemein übliche Ersetzung des gewöhnlichen Zinks durch
amalgamirtes in den galvanischen Ketten hat einen doppelten Zweck.
Einmal wird dadurch dem unnützen Verbrauche von Zink in den Perioden
vorgebeugt, während welcher die Kette nicht geschlossen ist. Ausserdem
wird die electromotorische Kraft des Elementes dadurch um einen kleinen
Betrag vergrössert. Man kann daraus im Voraus vermuthen, dass beim
Uebergange von amalgamirtem Zink in Zinksulphat eine etwas g'rossere
Wärmemenge per Molecül Zinksulphat entwickelt wird, als wenn sich sonst
gewöhnliches Zink in verdünnter Säure auflöst. Folgerichtig ergiebt sicli
daraus, dass bei dem Amalgamiren des Zinks eine Wärmeabsorption statt-
finden muss ^). Diese Schlussfolgerung führte Julius Regnanld 3) un-
mittelbar zu der Beobachtung der experimentellen Thatsache, dass sich
Zink beim Amalgamiren abkühle.
Das Cadmium, welches sonst in seinen Eigenschaften dem Zink be-
kanntlich ziemlich nahe steht, zeigt in dieser Beziehung ein entgegen-
gesetztes Verhalten. Ersetzt man in einem Cadmiumkupferelemente ge-
wöhnliches Cadmium durch amalgamirtes, so nimmt die electromotorische
Kraft ab. J. Regnauld schloss daraus, dass bei der Entstehung von
Cadmium amalgam Wärme entwickelt werden müsse und fand auch diese
Consequenz durch den Versuch vollkommen bestätigt. Derselbe Forscher
hat seine Untersuchungen auf ziemlich viele Metalle ausgedehnt und fand
^) W. Thomson, On the mechanical theory of elecirolyse. Phil. Mag. 4. Serie,
Bd. 2 (1851), S. 487 berechnet W. Thomson das Verhältniss der electromotorischen
Kraft der Wasserzersetzung zu der eines Daniell-Elementes gleich 1,318:1. Die schein-
baren Abweichungen, dass nämlich schwache Ströme lange Zeit durch Wasser hindarvh.
gehen, Bnden später in dem Capitel: „PolariBation" ihre Erledigung. Man sehe auch
Bd. 1, S. 121 die Notiz über electrolytische Convection.
^ Ob ach (Pogg. Ann. Ergbd. 7, S. 300) fand, dass Ströme entstehen, wenn man
eine Zink- und eine Platinplatte durch einen Leiter verbunden in Quecksilber einsenkt.
Diese Ströme sind wohl vorwiegend Thermoströme , welche durch die Wärmeabsorption
bei der Amalgambildung, vielleicht aber auch Voltaströme, welche durch die chemische
Einwirkung veranlasst werden. Aehnliches haben neuerdings auch Perry und Ayrton
(Proc. of the Roy. Soc. Bd. 27, S. 219) und Goosens (Wicdem. Ann. Bd. 16, S. 551)
beim Eintauchen von Magnesium und Platin in Quecksilber beobachtet. Beachtlich ei^
scheint, dass sich Amalgame nicht elektrolysiren lassen.
') Comptes rendns 1860, Bd. 51, S. 778.
E. Die mechanische. Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 679
in allen diesen Fällen die yorerwähnte Schlassweise in vollkommener
Uebereinstimmung mit den Resultaten experimenteller Erfahrung ^).
Regnauld glaubt beim Amalgamiren der Metalle zweierlei Vorgänge
unterscheiden zu müssen, einestheils nämlich die Arbeit der chemischen
Kräfte, welche bei der Verbindung der betreffenden Metalle mit Queck-
silber in Frage kommen, und anderentheils eine Wärmeerscheinung, welche
dem Uebergange des Metalles aus dem festen in den halbflüssigen Zustand
oder der totalen Auflösung von Metall in Quecksilber entspricht. Höchst
wahrscheinlich besitzen beide Wärmemengen entgegengesetztes Vorzeichen,
und in dem einen Falle überwiegt die eine, in dem anderen die Wärme-
menge, welche dem anderen Processe entspricht. Zink und Cadmium
besitzen überdies beispielsweise, so ähnlich sich beide Elemen.te sonst
mehrfach sind, erheblich verschiedene latente Schmelzwärme. Man kann
sich leicht vorstellen, dass die Wärmemengen, welche durch die Befriedi-
gung der chemischen Affinität der beiden Metalle zum Quecksilber ent-
wickelt werden, nicht sehr verschieden sein mögen. Da hingegen Zink
ungefähr eine doppelt so grosse latente Schmelzwärme besitzt, als das
Cadmium, so wird das feste Zinkamalgam beim Schmelzen eine erheblich
grössere Wärmeabsorption veranlassen als das Auflösen von festem Cad-
miumamalgam« Beim Zink würde alsdann die Wärmeabsorption die
entwickelte Wärme übertreffen, während beim Cadmium das Entgegen-
gesetzte stattfindet. Die electromotorische Kraft fällt daher auch ver-
schieden gross aus, je nachdem das Metall mit festem krystallinischen
oder mit flüssigem Amalgam bedeckt ist.
?. JvlL Thomsen's Messung der gesazmnten im Stromkreise
des Danieirschen Elementes entwickelten
Wärmemenge.
Durch eine umföngliche Experimentaluntersuchung J. Thomsen's^)
ist überzeugend dargethan worden, dass die gesammte ^) im galvanischen
^) Auch neuere genauere Messungen von Hock in und Taylor, Beiblätter 1879,
S. 751, und zumal die Untersuchungen von A. Wright, Phil. Mag. 5. Serie, Bd. 14,
S. 87 etc., haben in der Hauptsache die vorerwähnten Schlüsse bestätigt.
^) Man vergleiche: W. Thomson, Applications of the principle of mechanical
effect to the measurement of electromotive forces and of galvanic resistances in absolute
Units. Phil. Mag. 4. Ser., Bd. 2 (1851), S. 429 bis 446 und S. 551 bis 562. W. Thom-
son, On the sonrce of heat generated by the galvanic battery. Rep. of the British
Assoc, Bd. 22, S. 16 (1852), u. ferner: Raoult, Ann. de chim. et de phys. 4. Ser.,
Bd. 4, S. 392 (1868), und J. Thomsen, Schrift, d. Gesellsch. d. Wissensch. z. Kopen-
hagen (5), Bd. 5, S. 153, und Wiedem. Ann. Bd. 11, S. 241 bis 269 (1880).
») F. Braun (Wiedem. Ann. Bd. 5 , S. 182, und Bd. 16, S. 563) behauptet:
Bei jedem chemischen Processe, welcher innerhalb einer galvanischen Kette nach dem
Faraday 'sehen Gesetze verläuft, geht ein Theil, aber auch nur ein Theil der Verbin-
duiigswärme in electrische Energie über. Weiteres darüber im Capitel 22, S. 716.
680 III. Anwendungen auf electrieche E^rBchemungen.
Elemente consumirie potentielle Energie der AfBuität in Wnrme und
Electricität umgesetzt wird, sofern das galvaniBche Element derart An-
geordnet iat, das8 innerhalb deeselben keine chemischen Keactionen statt*
finden, Bo lange der Stromkreis nicht geschlosBen ist. Die meiBten der
sogenannten constauten Elemente erfüllen diese Bedingung nahezu voll-
Die Untersuchung erfordert 1. die Messung der Wärmemenge, welche
durch einen galvanischen Strom von willkürlicher Intensität in einem
willkürlichen Widerstands iu der Zeiteinheit entwickelt wird, 2. die
Messung der benutzten Stromintensität in absoluten Einheiten, 3. die
Messung der electromotorischen Kraft eines Daniell'schen Elementes,
Fig. 55. bezogen auf die vorher benutzte willkür-
liche Stromintensität und den verweDdeteu
Widerstand.
Die durch den galvanischen Strom ent-
wickelt« Wärmemenge wurde in einem aus
Platinblech hergestellten Wassercalorimeter
gemessen, welches 900 g Wasser enthielt. In
diesem Calorimeter befanden sich vier nahe*
zu gleich lange Spiralen von Platiiidraht,
welche derart mit einander verbunden 'waren,
(siehe Fig. 55), dass der Strom gleichzeitig
durch die Spiralen 1 und 2 und hierauf
gleichzeitig durch 3 und 4 hindurchging.
Der Widerstand der vier Spiralen war bei
dieser Anordnung ungefähr gleich dem einer einzigen Spirale, die Ober-
fläche dagegen, welche vom Wasser berührt wurde, war viermal so gross,
als die einer einzelnen Spirale.
Die Stromstärke wurde an einer Sinnsbonssole gemessen, welche
durch eine Zweigleitung mit dem Hauptstrome verbunden war. Um in
den Leitungen ausserhalb des Calorimeters keine erheblichen Temperatur-
änderungen eintreten zu lassen, wurden dieselben sämmtlich aus sehr
dickem Eupferdrahte hergestellt. Tor dem Versuche ging der Strom
durch eine andere Platinspirale von genau gleichem Widerstände. Wäh*
rend der Dauer des Versuches wurde die Stromintensität durch einen
Regulator auf constanter Höhe erbalten.
Bei einer Stromstärke, welche an der BonsBole einen Ausschlag von
40° gab, fand Thomsen die Erwärmung des Galorimeters per Minute im
Mittel zu 0,1749''C. Da der Wasser werth des Colorimeters sammt Inhalt
0,9147kg betrug, so entwickelte der Strom somit per Minute:
0,9147.0,1749 = 0,2209 Calorien.
Durch eine weitere Versuchsreihe wurde constatirt, dass der Strom,
welcher an der in die Zweigleitung eingeschalteten BouBSole einen Aus-
schlag von 40" gab, pro Minute 18,237 cbom Knallgas (anf 0'^ und
760 mm reduoirt) entwickelte,
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 681
Der Einfachheit wegen bezog Thomsen die gemessenen Grössen
auf einen Strom, welcher in der Boussole die Intensität 1 gehabt hätte,
dividirt die oben gefundene Zahl demnach noch mit stn^40^ und findet
die Wärmemenge C, welche durch einen Strom, dessen Intensität in
der Boassole gleich 1 wäre, in dem benutzten Widerstände pro Minute
erzeugt werden würde,
C = 0,3872 Calorien.
Der Strom von der nämlichen Stärke 1 würde in der Minute
V = 44,138 cbcm Knallgas
entwickeln.
Die electromotorische Kraft des D an i eil' sehen Elementes wurde
nach der Methode von 0 h m ^) bestimmt. An der in die Zweigleitung
eingeschalteten Sinusboussole wurde der Ausschlagwinkel Si beobachtet
bei Einschaltung des im Calorimeter befindlichen Widerstandes; man las
den Ausschlag 8^ ab nach Ausschaltung desselben; die Grösse des Wider-
standes wurde gleich 1 gesetzt.
Alsdann ist die electromotorische Kraft ^):
^ sin $9. sin 81 ,^^
E=- r^ 10)
stns^ — stnsi
bezogen auf die willkürlich gewählten Einheiten des Stromes und des
Widerstandes. Es ergab sich als Mittel aus vielen Beobachtungen:
E = 0,17245.
Da jedoch diese electromotorische Kraft sich auf den Widerstand
der Platinspirale bei einer Stromintensität von ungefähr sin 12^ bezieht
und bei der Stromstärke S7'n40^ der Widerstand infolge der höheren
Temperatur etwas grösser wird, so bedurfte der beobachtete Werth noch
einer Gorrection. Das Yerhältniss des Widerstandes bei Stromstärken,
welche Ausschläge der Boussole bis 40^ und 16^ veranlassen, ergab sich
zu 1,0082. Hiermit musste die bei der Stromstärke von 12^ (statt 16^)
gemessene electromotorische Kraft des D an i eil 'sehen Elementes dividirt
werden, um dieselbe auf den Widerstand zu reduciren, welchen der
Platindraht bei 40^ besessen hatte. Hiemach wird die electromotorische
Kraft eines D an i eil 'sehen Elementes
^ = 0^=0.17105.
1,0082 '
Nach dem Ohm 'sehen Gesetze wird bei der Stromintensität = 1
der Widerstand gleich der electromotorischen Kraft; mithin bezeichnet
0,17105 den Widerstand in einem Daniell'schen Elemente, welches in
der Minute 44,138 cbcm Knallgas entwickelt^).
1) Wiedemann, Galvamsmus, 2. Aufl., Bd. 2, §. 231, S. 345.
3) Dass dies in Wirklichkeit ja nicht möglich ist, hat auf diese theoretische Schluss-
folgerung keinen Einfluss.
682 IIl. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Vorher war gefunden worden , dass ein Strom von der Intensität 1
in der Bonssole in der als Widerstandseinheit gewählten, im Calorimeter
hefindlichen Platinspirale pro Minute 0,3872 Galorien entwickelt Dem-
nach entwickelt dieselbe Stromeinheit in dem Gesammtwiderstande eines
Daniell 'sehen Elementes, den wir gleich 0,17105 fanden, in jeder Minute.
0,17105 . 0,3872 Galorien.
Ein Strom von der Intensität der von uns verwendeten Einheit ent-
wickelt aber in jeder Minute 44,138 cbcm Knallgas. Demnach sind znr
Zersetzung von 1 Mol. = 18kg Wasser, somit zur Bildung der ent-
sprechenden Menge, d. h. von 33 515 000 cbcm Knallgas:
. 33 615 000 ^,. ,
Minuten
44,138 """^*'*'"
erforderlich, und in dieser Zeit würden von der Einheit der Stromstärke
in einem Daniel!' sehen Elemente
33 515 000
0,17105 . 0,3872 . —rr^iirr- Galorien = 50 290 Galerien
44,138
entwickelt werden.
In derselben Zeit aber, in welcher ausserhalb des Elementes 1 Mol
Wasser zersetzt wird, wird im Elemente selbst ein Aequivalent Zink-
sulphat aus Zink und Säure gebildet und ein Aequiyalent Kupfersolpbt
in Metall und Säure zerlegt»
Nun ist aber die Differenz der Bildungswärme beider Salze die b
Wärmemaass gemessene, im Elemente consumirte potentielle Energie der
Affinität 1).
Diese Differenz beträgt^):
(Zn,0,H,S04Aq)-(Gu,0,HaS04Aq)=106090-55960=50130Calorieii.
Dieser Werth fällt mit dem vorher gefundenen so nahe zusammen,
dass man zu dem Schlüsse kommt: In der geschlossenen Daniell'sdieii
Kette wird die gesammte durch den im Innern des Elementes sich voll-
ziehenden chemischen Process entbundene Energiemenge yollständig nnd
ausschliesslich zur Bildung des electrischen Stromes verwendet^).
Auch für eine Anzahl anderer galvanischer Gombinationen l»t
Thomsen in seinen thermochemischen Untersuchungen die nöthigeo
Grundlagen geliefert, um die Wärmetönungen der in den Elementen sich
vollziehenden chemischen Reactionen ermitteln zu können. Die Yerglei-
chung dieser Wärmetönung mit der des Da nie 11' sehen Elementes giebt
^) Im Elemente war die Knpfervitriollösung concentrirt; die Wärmetönangeo be-
liehen sich hingegen auf sehr Terdünnte Lösungen. Der hierdurch entstehende Fehler
kann jedoch vernachlässigt werden , ebenso wohl auch der Umstand, dass das Ziok
amalsramirt war. Vorgl. A. Wright, Phil. Mag. 5. Ser., Bd. 14, S. 87.
2) Mim sehe Bd. 2, S. 298 , Z. 2 v. u. , S. 300, Z. 2 v. o., S. 303, Z. 8 r, o. und
Z. 11 V. o.
^) Für andere Gombinationen hat auch Wright (a. a. 0.) dasselbe Resultat eij**
rimentell bestätigt.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 683
alsdann einen Quotienten, welcher bei allen solchen galyanischen Gombi-
nationen gleich der auf das DanielTsche Element bezogenen electro-
motorischen Kraft sein muss, in welcher ebenfalls die gesammte Energie
in electrische Energie umgesetzt wird. In denjenigen Fällen, in welchen
diese Üebereinstimmnng nicht stattfindet, treten leicht erkennbare secun-
däre Vorgänge in den Elementen auf (Gasent Wickelungen, GoncentrationB-
änderungen etc.), welche einen Theil der chemischen Energie in Anspruch
nehmen.
^ (Siehe TabeUe a. f. 8.).
8. Indireote Messung der in einem Daniell'sohen Elemente
entwickelten Wärmemenge.
Aus den mitgetheilten Principien lässt sich auch noch eine ander*
iT^eite Consequenz ziehen, die ebenfalls einer Prüfong durch das Experi-
ment fähig ist.
Aus dem Joule' sehen Gesetz gewinnt man unmittelbar die Formel ^):
m,F,i = J.Q. ., 11)
und es ist bekannt, dass diese Formel sowohl für inducirte, als auch far
bydroelectrische Ströme giltig ist. Durch beiderseitige Division durch f
leitet man für galvanische Ströme ab:
m.2F=J.2K 12)
und, sofern man es nur mit einem einzelnen Elemente zu thun hat,
m.F=J.K 13)
Hierin bezeichnet F die electromotorische Kraft des betrachteten
Elementes und K die durch die Bildung von 1 Aeq. Zinksulphat ent-
wickelte Wärmemenge, m ist eine Constante, deren Grösse von der Wahl
der Einheiten abhängt. Diese Constante m kann jedoch durch Betrach-
tung von Vorgängen ganz anderer Art, durch Betrachtung von Inductions-
erscheinungen bestimmt werden.
Die von uns früher (D, 5, S. 633, Gleichung 23) gegebene Formel:
m.F.i.dt = dH 14)
gilt bekanntlich für die in einer unendlich kurzen Zeit dt inducirten
Ströme. In einem endlichen Zeitabschnitte hat man demnach:
m. fFAdt = n 15)
oder, wenn man die Gleichung des Ohm 'sehen Gesetzes einführt:
m.B. riKdt = H 16)
1) Voi^l. Bd. 2, ITI, D, 1, S. 623.
684 III. Anwendungen auf elektrische Erscheinungen.
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E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 685
Kann man nun die rechtsstehende Grösse H in Eilogrammmetern
messen und misst man anderentheils die Stromintensit&t und den Wider-
stand in heliehigen Einheiten (woraus alsdann nothwendiger Weise die
Einheit für die electromotorische Kraft folgt), so kann man aus ohiger
Gleichung m bestimmen*
Behält man alsdann die nämlichen Einheiten für % und jß bei und
verwendet den diesen entsprechenden Werth in der oben mitgetheilten
Gleichung :
m.F=J.K 17)
so kann man auf diese Weise K berechnen und muss für K wieder nahe-
zu die Zahl erhalten, welche durch thermochemische Untersuchungen auf
andere Art gefunden worden ist.
Es würde zu weit führen, wollte man an dieser Stelle alle Methoden
auseinander setzen, welche dazu dienen können, die Grösse m zu be-
stimmen; es ist dies in ausführlicher Weise bekanntlich in den W.Web er '-
sehen Abhandlungen: lieber die Messung der Electricität und des
Magnetismus nach absolutem Maasse ^), geschehen. Wir wollen uns hier
damit begnügen, einen nur idealen Vorgang zu beschreiben, durch den es
möglich sein würde H zu messen, und dadurch m zu bestimmen. Es kann
dies z. B. mit Hilfe des Weber' sehen Electrodynamometers geschehen.
Bekanntlich unterscheiden sich diese Instrumente dadurch von den Galva-
nometern, dass die Magnetnadel des Galvanometers beim Dynamometer
durch ein grosses Solenoid ersetzt ist, welches von demselben Strome
durchflössen wird, der durch die Windungen des äusseren festen Drahtes
hindurch fliesst. Dieses Solenoid ist bifllar an den beiden Drähten auf-
gehängt, durch welche die Zu- und Abführung des Stromes von einem
beweglichen Drahte aus stattfindet. Die Verwendung dieser bifllaren
Aufhängung gestattet unmittelbar und leicht aus dem Ablenkungswinkel
die Grösse des Drehungsmomentes zu bestimmen, welches strebt das ab-
gelenkte Solenoid in seine Gleichgewichtslage zurück zu führen.
Zunächst lenkt man bei einem vorläufigen Versuche das bewegliche
Solenoid aus seiner Gleichgewichtslage ab und lässt dasselbe Schwin-
gungen vollführen, während kein Strom durch den Apparat hindurchgeht.
Für einen gegebenen Ausschlagswinkel ist die Arbeit N der Torsions-
kräfte während einer Halbschwingung bekanntlich:
N = ^ 18)
wenn Sl die Winkelgeschwindigkeit beim Durchgange durch die Gleich-
gewichtslage und JÜ das Trägheitsmoment der schwingenden Rolle
bedeutet. Die Geschwindigkeit Sl kann nach den Gesetzen der Torsions-
schwingungen leicht aus dem Ausschlagswinkel und der Schwingungs-
dauer berechnet werden. Das Trägheitsmoment M kann leicht experi-
^) W, Weber, Abhandlungen d. Sfichs. Gesellsch. d. Wissenschaften, Bd. 15,
S. 220 bis 292.
686 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
mentell nach der von Gauss ^) mitgetheilten Methode hestimmt werden.
Diese Methode hesteht bekanntlich darin, dass man das Trägheitsmoment
um bekannte Grössen vermehrt und für jeden einzelnen derartigen Fall
die Schwingungsdauer aufs Neue bestimmt. Die Trägheitsmomente sind
alsdann den Wurzeln aus den Schwingungsdauern direct proportional, und
daraus kann das gesuchte unbekannte Trägheitsmoment unmittelbar be-
rechnet werden.
Hierauf lässt man nur durch die Windungen des festen Drahtes einen
Strom hindurchgehen und beobachtet von neuem die Schwingungen der
beweglichen Rolle. In dem Drahte der schwingenden Rolle werden als-
dann durch den Strom, der die feste Rolle durchströmt, Inductionsströme
erregt, und man findet, wenn der ursprüngliche Ausschlag derselbe war
wie vorher:
N-'H = —^ 19)
und dieser Ausdruck gestattet H in Kilogrammmetem zu berechnen.
Nunmehr bleibt noch übrig das Integral: *
/
iKdt
zu ermitteln , dem die inducirende Wirkung der festen auf die beweg-
liche Rolle proportional ist.
Man kann diese Grösse bestimmen, wenn man durch die feste und
bewegliche Rolle einen constanten Strom von der Intensität t'i eine so
kurze Zeit 0 hindurchgehen lässt, dass der Ablenkungsstoss die beweg-
liche Rolle genau um denselben Winkel aus der Gleichgewichtslage her-
aus bewegt, um den wir vorher die Dynamometerrolle abgelenkt hatten.
Alsdann ist die inducirende Wirkung der festen auf die bewegliche RoUe
allerdings proportional der Grösse
/
und da der Proportioualitätscoefficient, der Gleichheit der Winkel wegen,
in beiden Fällen derselbe sein muss, haben wir unmittelbar:
/
iKdt = il.O . . . 20)
Bestimmt man also ii und d, so hat man damit auch das gesuchte
Integral und durch dieses endlich die gesuchte Grösse K,
^) Mittheilungen des magnetischen Vereines (1836),
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 687
0. Die Bestimmimg der Grösse K durch Bossoha.
Gestutzt auf die von W.Weber in seiner oben citirten Abhandlung
mitgetheilteu Methoden hat der -holländische Physiker Boss cha ^) die
Grösse K bestimmt.
Er liess den Strom von zwei oder drei Daniel loschen Elementen
durch eine Tangentenboussole und durch eine Kupfersulphatlösung hin-
durchgehen, in welche Eupferelectroden hineintauchten. Er bestimmte
das Gewicht Kupfer, das in einer bestimmten Zeit niedergeschlagen
wurde, imd ermittelte daraus die Wassermenge, welche ein Strom zu zer-
legen im Stande sei, von dem die Nadel der Tangentenboussole um einen
bestimmten Winkel abgelenkt wird. W. Weber hat die Intensität des
Stromes, welcher in der Zeiteinheit 1mg Wasser zersetzt, auf das Ge-
naueste ermittelt, und dies gestattet einen constanten Coefficienten a zu
berechnen, mit dem man nur die Tangente des Ausschlagswinkels der
Nadel der Tangentenboussole zu multipliciren braucht, um die dem Aus-
schlage entsprechende Stromintensität in absolutem Maasse zu erhalten.
Bosscha sorgte dafür, dassbei diesen Voruntersuchungen die Strom -
Intensität verhältnissmässig gering war, so dass der Knpferniederschlag
wenig cohärent wurde und leicht gewaschen und getrocknet werden konnte.
Er beobachtete die beiden Ablenkungen, welche der Strom hervorbrachte,
je nachdem man den Strom in der einen oder der entgegengesetzten
Bichtung durch die Tangentenboussole hindurch gehen liess, und wendete
auf das Mittel dieser Ausschläge die B ravais' sehe ^)Correctionsformel an.
Ausserdem versorgte sich Bosscha einen Messingdraht, dessen
Widerstand mit grösster Sorgfalt mit einem der Widerstandsetaions ver-
glichen war,, dessen Widerstand W. Weber auf das Genaueste in abso-
lutem Maasse bestimmt hatte. Der Widerstand dieses Drahtes war so
gewählt, dass, auf Web er 'sehe Einheiten bezogen, die Gonstante tn gleich
1 wurde. Hierauf bestimmte Bosscha mit der nämlichen Tangenten-
boussole, welche schon vorher zu den Versuehen gedient hatte, die Inten-
sität des Stromes, den ein DanielTsches Element hervorbrachte, wenn
das Element ausser der Boussole den Normalwiderstandsdraht enthielt.
Ausserdem wurde noch genau der Widerstand des Elementes und der
Bonssole in Weber ^schen Einheiten ermittelt.
Man konnte auf diese Weise in absoluten Einheiten den Gesammt-
widerstand und die Stromintensität und daraus die electromotorische
1) Bosscha, Pogg. Ann. Bd. 108, S. 312 bis 408.
3) Comptcs remlus, Bd. 34, S. 193 (1853). Bekanntlich ist die Bravais 'sehe
Formel für die Fehlerberechnung nicht streng richtig. Wiedemann, Galyanismos,
Braunschweig, Friedrich Vieweg u. Sohn, II. Aufl., Bd. II, S. 187.
688 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Kraft F bestimnlen. Als Mittel auB drei sehr voUkommen übereiii-
stimmenden Versachsreihen ergab sich:
F=20 500 . 10^.
Mit Hilfe der Gleichung:
f».F= J.K
konnte hieraus K bestimmt werden« Nimmt man «7 = 425 , so ergiebt
sich hieraus:
IT = 47 920 Calorien.
Favre undSilbermann haben durch directe calorimetrische Messon-
gen gefanden, dass die Ersetzung von 1 Mol. Zink durch 1 Mol. Kupfer,
welche sich bekanntlich in einem D an ielTschen Elemente ToUziekt,
eine Wärmeentwickelung von 47120 Galerien^) bedingt. Diese Ueberein-
stimmung kann als eine ganz genügende angesehen werden , wenn man
berücksichtigt, dass die erstgenannte Zahl aus einer so grossen Anzakl
einzelner Bestimmungen gefunden worden ist, deren Durchfühmug theil-
weise ziemlich schwierig ist.
Nimmt man andererseits jedoch K als durch calorimetrische Be-
stimmungen gefunden an, so können die Bosscha' sehen Zahlen auch
dazu dienen, einen neuen Werth für das mechanische Aequivalent «7* der
Wärme zu berechnen. Auf diese Weise würde sich ergeben:
'==^ - «»
Unter Einsetzung der oben mitgetheilten Werthe für F und K er-
hält man:
/ = 428 kgm,
und diese Zahl befindet sich mit den auf andere Weise gefiindeneD
Werthen in befriedigender Uebereinstimmung.
10. Die eleotrolytisohe Zersetzung des Wassers.
Wenn ein electrisoher Strom durch eine Flüssigkeit geht, so bringt
die Anhäufung der Jonen an den Electroden eine dem ursprünglichen
Strome entgegengesetzt wirkende electromotorische Kraft hervor, die
man mit dem Namen der Polarisation bezeichnet. Neben dieser Polari-
sation bilden sich durch Veränderung der Leitungsflüssigkeiten gelegent-
lich neue Widerstände (Uebergangswiderstände) ; diese yergrössem den
Widerstand und nicht die electromotorische Kraft, sie dürfen also nut
der Polarisation nicht verwechselt werden»
Die Grösse der elektromotorischen Kraft der Polarisation, welche
eine Zersetznngszelle mit Wasser hervorbringt, ist von verschiedenen
^) Den richtigea Werth bestimmte Thomsen, siehe vorher Capitel 7.
£. Die mechanisclie Theorie d. electrochem. Erscheinu&gen. 689
Aatoren häufig hestimmt und fast immer auf die electromotoriscbe Kraft
eines D an i eil' sehen Elementes bezogen worden. Hiernach würde man
die dieser electromotorischen . Kraft entsprechende Anzahl von Calorien,
welche bei electrolytischer Zerlegung von Wasser in Wasserstoff und
Sauerstoff absorbirt wird, erhalten, wenn man diese Verhältnisszahl mit
dem calorischen Werthe der electromotorischen Kraft des Dan ie IT scheu
Elementes multiplicirte. Diese Zahlen sind oft bestimmt worden und
zwar wurden von nachstehend verzeichneten Physikern die beigefügten
Zahlen gefunden:
Electromotoriscbe Kraft der Polarisation von Wasserstoff-Sauerstoff
auf Platinplatten:
nach Wheatstone 2,33
„ Buff , 2,56
„ Svanberg 2,31
,, Lenz und Saweljew 2,34
„ Bosscha 2,34
„ Poggendorff 2,33
„ Raoult 2,09
„ Exner 2,03
„ Beetz 2,13
„ Hallock 2,07
„ Bartoli , 2,00
Ohne uns auf eine Discussion der Gründe der nicht sonderlich
guten Uebereinstimmung einzulassen ^), wollen wir annehmen, die electro-
motoriscbe Kraft der Polarisation des electrolytischen Wasserstoff- und
Sauerstoffgases sei 2^3 mal so gross, als die electromotoriscbe Kraft eines
D an ieir sehen Elementes. Multiplicirt man hiermit die von Bosscha
gegebene Zahl 47 920, so findet man: 111 800 Calorien, statt, wie man
erwarten sollte , 68 400 , die WSrmetönung der Wasserbildung . aus den
Elementen. Der Arbeitsaufwand bei der Electrolyse ist grösser, als die
bei der Vereinigung von gewöhnlichem Sauerstoff und Wasserstoff ge-
leistete Arbeit.
Die Erklärung dieses überraschenden Widerspruches dürfte darin
zu suchen sein, dass die Wärmetönung der Wasserbildung sich auf die
Entstehung von Wasser aus gewöhnlichem Wasserstoff und Sauerstoff
bezieht, während sich hingegen bei der Electrolyse die Electroden der
Zersetzungszelle mit den beiden Gasen in activem Zustande beladen.
^) Von Beetz (Pogg. Ann. Bd. 110, S. 62), Crova (Adn. de chim. et de phys.
3. Serie, Bd. 68, S. 461) und neuerdings von F. Einer (Wiedem. Ann. Bd. 6, S. 338)
ist nachgewiesen worden, dass, wenn man die electromotoriscbe Kraft des ni*sprünglichen
Stromes wachsen lässt, auch die electromotorische Kraft des entstehenden Polarisations-
stromes steigt, und zwar so, dass sie bis zu einem Maximum stets gleich der des pri-
mären Stromes bleibt; hat die Polarisation dieses Maximum erreicht, so bleibt sie con-
stant auf demselben.
Bühlroann, Median, W&rmethcorle. Bd. II. 44
690 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Andere suchen jedoch die Ursache der Differenz in der Bildung you
Wasserstoffsuperoxyd, welches bei grösseren Stromstarken entstehen
soll 1).
Der Sauerstoff befindet sich im Zustande des Ozons und der Wasser-
stoff ist sogenannter nascirender, d. h. Wasserstoff, welcher im Stande ist,
Reductionen Torzunehmen , die mit gewöhnlichem Wasserstoff nicht yoU-
iuhrt werden können. Die Wärmemenge, welche bei Verbindung der-
artiger activen Gase hervorgebracht werden wurde, müsste sonach grosser
sein, als die, welche man durch Verbrennen von Wasserstoff in Sauerstoff
erhält. Die auf der Oberfläche der Electroden der Zersetzungszelle ab-
geschiedenen, resp. daselbst occludirten Gase befinden sich in einem dem
flüssigen Zustande ähnlichen Zustande der Verdichtung, und diese Ver-
dichtung wird von einer Wärmeentwickelung begleitet sein. Ausserdem
aber zeigen die Gase im sogenannten activen Zustande eine viel grossere
Fähigkeit chemische Verbindungen einzugehen, als im gewöhnlicheB
Zustande; diese Substanzen scheinen somit im activen Zustande eines
UeberschuBs an potentieller Energie zu besitzen im Vergleich zu dem
Energiegehalte der nämlichen Substanzen im normalen Verhalten.
Dieser Energieüberschuss ist es, der dadurch merklich wird, dasi
eine grössere Wärmemenge absorbirt wird, wenn Wasser in actirec
Sauerstoff und activen Wasserstoff ^) zerlegt wird , als bei der Verbren-
nung von 1 Mol. gewöhnlichem Wasserstoff in Sauerstoff wieder zum Voi^
schein kommt.
Dass in der That die electrolytisch auf den Platten ausgeschiedenen
Gase wesentlich andere Eigenschaften zeigen, als die Gase im gewöhn-
lichen Zustande, zeigt besonders die verschiedene electrische Erregung,
welche dieselben hervorbringen.
Wäre in beiden Fällen der Wasserstoff und der Sauerstoff derselbe,
so müssten die electromotorischen Kräfte eines Gaselementes, bei welchem
die eine Platinplatte in Sauerstoff, die andere in Wasserstoff tauchte,
gleich der electromotorischen Kraft der Polarisation sein. Nun ist aber
nach den übereinstimmenden Versuchen von Beetz'), 0. Peirce'*) und
Anderen die electromotorische Kraft einer mit gewöhnlichem reinen
Sauerstoff belegten Platinplatte gegen reines Platin in Wasser gleich
Null und die einer mit reinem Wasserstoff beladenen Platte gegen reines
Platin in Wasser gleich 0,81 Daniell (Beetz) bis 0,87 (Peirce). Die
electromotorische Kraft eines Was^rstoff-Sauerstoff-Gaselementes (in wel-
chem der Sauerstoff vielleicht Spuren von Chlor enthält) giebt 0. Peirce
zu 0,92 Daniell und Beetz zu 0,97 an, wobei die Sperrflüssigkeit eine
sehr verdünnte Schwefelsäure (1 ProQ. H2SO4) war.
^) Beetz, Pogg. Ann. Bd. 90, 8. 64; Exner, Wiedem. Ann. Bd. 6, S. 381.
^) Die Existenz einer activen Form des Wasserstoffs wird jetzt jedoch Tielfach »
Zweifel gezogen.
8) Beetz, Pogg. Ann. Bd. 77, S. 493.
*) 0. Peirce, Wiedem. Ann. Bd. 8, S. 98.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 691
Ganz anders gestalten sich jedoch die Verhältnisse, wenn die Gase«
electrolytisch auf den Platten entwickelt worden sind.
Beetz ^) findet die electromotorische Kraft einer electrolytisch mit.
Wasserstoff belegten Platte gegen eine in concentrirter Zinkvitriollösung
befindliche Zinkplatte — 0,34 D. und die einer electrolytisch mit Saaer-*
Stoff belegten Platte gegen Zink in Zinkvitriol gleich 1,29 D., die elec-
tromotorische Kraft der Polarisation also gleich 1,29 — ( — 0,34) = 1,63,
wenn der polarisirende Strom 1 Groveelement von 1,69 Daniell electro-
motorischer Kraft war. Im Maximum fand Beetz, wenn er die Polari-
sation beider Gase getrennt bestimmte, für die höchsten Stromstärken
des polarisirenden Stromes 2,1 3 D. Wenn er jedoch beide electrolytisch
überzogene Platten in demselben Gefäsee stehen hatte, fand er in Ueber-
einstimmung mit anderen Experimentatoren die electromotorische Kraft
der. Polarisation gleich 2,3 D. Für stärkere polarisirende Ströme fallt
auch die Polarisation erheblich grösser aus. So fand Hallock^):
El ectromotorische
Polarisation
Kraft der
in 5 Proc. H2SO4
polarisirenden
Lösung zwischen
Säule
Platinplatten
1,00 Daniell
-_
1,72 „
1,46 DanieU
3,44 „
1,95 „
5,16- ,
2.01 „
6,88 „
2,07 „
Bartoli schloss äusserst kurze Zeit (0,004 Secunde) den sehr star-
ken Strom von 400 Zink- Kohle -Elementen durch ein Yoltameter und
bestimmte unmittelbar darauf aus dem ersten Ausschlage der Galyano-
metemadel den Betrag der Polarisation zu 2,00 Daniell.
Man erkennt deutlich, dass die electromotorische Kraft der Polari-
sation mit zunehmenden Stromstärken sich einem bestimmten M^ximal-
werthe nähert, der eben nahezu 2,3 Daniell ist.
Auch die Beschaffenheit der Electroden und der Flüssigkeit, in wel-
cher die Polarisation vor sich geht, ist von Einfiuss auf den Betrag der
Polarisation, auch wenn die Producte der Electrolyse die nämlichen sind.
So ist z. B. die electromotorische Kraft der durch zwei Bunsen'sche
Elemente erzeugten Polarisation in sehr verdünnter Schwefelsäure bei An-
wendung von in Salzsäure gekochten Gaskohlen electroden nur 1,81, wäh*
rend sie unter sonst gleichen Bedingungen an Platinplatten 1,95 ^) beträgt.«
1) Beetz, Wiedem. Ann. Bd. 10, S. 357.
^) W. Hallock, Ueber galvanische Polarisation und das Smee'sche Element.
Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 74.
») Hallock, Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 74.
44*
692 111. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
11. Aeltere Anscliauung über die Natur der Polarisation.
Die Thatsaclie, dass die Messung der electromotoriscben Kraft der
Polarisation wenigstens für Wasserstoff und Sauerstoff zu einem unricb-
tigeD Schlüsse über die Wärmetönung bei Bildung der zersetzten Ver-
bindung fübrt, scheint in einem neuen, unauflöslichen Widerspruche mit
der oben (S. 674) mitgetheilten Beobachtung Joule's zu stehen, welcher
auf Grand seiner Messungen einen Werth für die Bildungswärme des
Wassers fand, welcher mit den aus unmittelbaren Verbrennungsversncben
abgeleiteten Zahlen sich in befriedigender Uebereinstimmung befsuicl.
Dieser Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer, denu es ist eine längst
bekannte Erscheinung, dass die Gase, wenn sie die Electrode, an der sie
entstanden sind, verlassen haben und durch die Flüssigkeit hindurch ent-
weichen, nahezu vollständig in den inactiven Zustand zurückkehren. Hie^
bei müssen sie, nach dem Vorhergehenden zu urtheilen, Wärme entbin-
den, und es muss eine nahezu vollkommene Compensation eintreten.
Dieser Gesichtspunkt gestattet ausserdem zu erklären, woher es
kommt, dass die Grösse der electromotoriscben Kraft der Polarisation mit
der Stromstärke zunimmt und auch sonst durch einige andere Umstände
boßinflusst wird. Der Uebergang aus dem activen in den passiven Zu«
stand wird theilweise an der Oberfläche der Electroden , theilweise wäh"
rend des Durchganges durch die Flüssigkeit stattflnden. Durch den
ersten Vorgang wird die Grösse der Polarisation herabgesetzt, durch den
zweiten eine Erwärmung der Flüssigkeit bewirkt. Der Uebergang des
Gases aus dem activen in den inactiven Zustand wird um so vollkomme-
ner bereits an der Oberfläche der Electrode vor sich gehen, je länger du
Gas au dieser Oberfläche verweilt. Dies wird selbstverständlich vorzugs-
weise dann der Fall sein, wenn die Gasentwickelung langsam vor sicli
geht und es lange dauert, ehe die Gasblasen eine solche Grösse erlangt
haben, dass sie sich von der Electrode loslösen ; dies aber findet natürlich
stets statt, wenn der Strom schwach ist. Bei grossen Stromintensitäten
hingegen findet ein unaufhörliches Aufsteigen von Gasblasen von der
Electrode statt, und der Wasserstoff und Sauerstoff verweilen nur unge-
mein geringe Zeit an der Oberfläche der Electrode. Dies macht es un-
mittelbar verständlich, warum die Grösse der electromotoriscben Kraft
der Polarisation mit der Strom in tensität zunimmt. Man sieht aber auch
leicht ein, dass es ein Maximum giebt, welches wohl nie erreicht wird,
welches aber dann eintreten würde, wenn das gesammte Gas, welches
die Electrodenoberfläche verlässt, sich noch im activen Zustande befindet
Auf analoge Weise erklärt sich auch der Eiufluss der Beschaffenheit
der Electroden auf die Grösse der Polarisation. Diesen Einfluss haben
bekanntlich die Untersuchungen von Lenz und Saweljew in sehr Ober-
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. G93
zeugender Weise experimentell erwiesen. Man weiss, dass es eine Anzahl
Substanzen giebt, welche die Eigenschaft beßitzen, die Umsetzung von
Ozon in gewöhnlichen Sauerstoff zu beschleunigeD. Für nascirenden
Wasserstoff ist Aehnliches bis jetzt noch nicht bekannt; man darf aber
wohl vermuthen, dass es auch Substanzen giebt, welche diesen in kurzer
Zeit in gewöhnlichen Wasserstoff überfahren. Die Versuche von Lenz
und Saweljew ^) scheinen auch auf etwas Derartiges hinzudeuten. Schön-
bein führt unter den Substanzen, welche die Desozonisirung des Sauer-
stoffs bewirken, in erster Linie mit die Kohle auf. Daraus folgt, dass
wenn man den Sauerstoff sich an einer Kohlenelectrode entwickeln lässt,
nahezu aller Sauerstoff, ehe er die Electrode verlässt, seine Activitat ver-
loren haben wird. Gäbe es nun eine Electrode, an deren Oberfläche auch
aller Wasserstoff sofort inacti virt würde , so müsste die electromotorische
Kraft der Polarisation genau der Wärmetönnng des Wassers entsprechen.
Leider lässt sich in dieser Form der Vei*such nicht anstellen; wenn
man jedoch unter Anwendung von zwei Kohlenelectroden eine concen-
trirte Salpetersäure electroly sirt , so wird die Wasserstoffentwickelung
durch eine Abscheidung von Untersalpetersäare ersetzt. Die beobachtete
Polarisation ist fast genau gleich der Bildungswärme von Salpetersäure
aus Untersalpetersäure und Sauerstoff.
Es ist jedoch auch sehr leicht möglich, dass bei der Electrolyse des
Wassers in der Bildung von Wasserstoffsuperoxyd die Ursache dieser
Differenz zu suchen ist, wenigstens ist bei starken Stromstärken das
Auftreten dieses Productes beobachtet worden.
12. Das Gesetz der Wärmeentwickelung in Eleotrolyten
durch den Strom.
Wenn ein galvanischer Strom durch einen Electroly ten hindurchgeht,
der bei seiner Zersetzung zu Gasentwickelungen Veranlassung giebt, so
ist, wie wir soeben gesehen haben, die electromotorische Kraft der Polari-
sation immer grösser als das electromotorische Aequivalent der bei der
Zersetzung des Electrolyten absorbirten Wärmemenge, und infolge davon
ist^die Summe sämmtlicher electromotorischer Kräfte im ganzen Strom-
kreise kleiner als das Aequivalent der durch sämmtliche chemische Pro-
cesse, die sich im Stromkreise vollziehen, entwickelten Wärmemengen.
Nach dem Vorgange Favre 's haben wir diese Erscheinung dadurch
erklärt, dass wir annahmen, die electrolytisch abgeschiedenen Gase befän-
den sich unmittelbar nach ihrer Entstehung in einem Zustande grösserer
*) Pogg. Ann. Bd. 67, S. 497, und Pogg. Ann. Bd. 90, S. 42. Gegen die Zuver-
läsbigkeit dieser Resultate sind jedoch ernste Bedenken von Beetz erhoben worden.
Wiedem. Ana. Bd. 10, S. 350.
694 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
chemischer Activitat, und wir schlössen weiter daraus, da diese Gase ans
den Flüssigkeiten in nahezu vollkommen normalem Zustande entweichen«
dass dieser Uehergang der entwickelten Gase aus dem activen in den
normalen Zustand mit einer localen Wärmeentwickelung verknüpft Bein
müsse.
Hiernach müssen wir die gesammte Wärmeentwickelung, welche ein
galvanischer Strom in einem Electrolyten hervorbringt, als Summe zweier
Theile ansehen. Der erste Theil wäre die nach dem Joule' sehen Gesetz
in der ganzen Ausdehnung des Electrolyten entwickelte Wärmemenge,
die dem Quadrate der Stromintensität und dem Widerstände des Electro-
lyten proportional ist. Der zweite Theil ist die auf der Electrode selbst,
auf der die Gasblasen sich abscheiden, entwickelte Wärmemenge und
diese musste unabhängig vom Widerstände und innerhalb gewisser Gren-
zen der Strom intensität proportional sein. Bosscha^) hat einige Beob-
achtungen Favre' s über die calorischen Erscheinungen bei Anwendung
eines Smee 'sehen Elementes auf Grund obiger Betrachtungen der Rech-
nung unterworfen und eine vollständige Bestätigung gefunden. Favre')
maass in der Muffel seines Quecksilbercalorimeters , sowohl die in einem
Sm6e' sehen Elemente [Zink, platinirtes Kupfer, verdünnte Schwefelsäure
1 : 50] , als auch gesondert davon, die in Platindrähten von verschiedener
Länge, mit welchen das Element geschlossen wurde, entvrickelte Wärme-
menge. Der von ihm verwendete Platin draht besass einen Durchmesser
von 0,265 mm Dicke und Längen von 25, 50, 100, 200 mm. Die Summe
beider Wärmemengen, welche durch die Consumtion einer bestimmten
Menge chemischer Wirkung entwickelt wurde, war bei allen Beobachtungen
selbstverständlich gleich gross.
Wenn beide Wärmemengen, wir wollen die im Elemente entwickelte
f(?e und die im Leitungsdrahte entwickelte toi nennen, dem Joule' sehen
Gesetze folgten^ so musste ihr Yerhältniss : — - immer gleich dem Y er-
hältnisse des Widerstandes des Elementes R und des Widerstandes des
Platindrahtes sein. Denn dann wäre:
1Ve = -j:,i.Il 22)
tOi = -j.t.r 23)
folglich :
tffm R
— = - 24)
und hiernach:
Wi
*) Bosscha, Pogg. Ann. (1869) Bd. 108, S. 312.
^) Favre, Ann. d. Chim. et de Pbys. 3. Serie, Bd. 40, S. 293 (1854).
/2 Mol. Wasser zersetzt wert
Wärmemenge
im Elemente
Wärmemenge
im Platindraht
13 127
4995
11690
6557
10439
7746
8 992
9030
Nach GL 24
Widerstand r
des
berechneter
Flatindrabtes
Widerstand
des Elementes
25
65
50
89
100
135
200
199 '
E. Die mechanische Theorie d. electrochem, Erscheinungen. 695
Nun ist aber nach Favre's Beohacbttmgen die Wärmemenge, welche
in der Zeit entwickelt wird, während der bei gegebener Stromstärke
1
We + fVi
18122
18 247
18185
18 02?
Wäre nun die Grundlage obiger Annahme richtig, so müsste man
doch für jß immer denselben Werth finden und die erhaltenen Werthe
dürften höchstens innerhalb der durch die unvermeidlichen Beobach tun gs-
fehler bedingten Grenzen variiren.
Man sieht, dass dies durchaus nicht der Fall ist, dass man also nicht
annehmen darf, die im Elemente entwickelte Wärmemenge folge ebenfalls
dem Joule 'sehen Gesetze. Man kann mit Rücksicht auf das in den
vorhergehenden Paragraphen Entwickelte aber yoraussetzen , dass ausser
der dem Joule^ sehen Gesetze folgenden Wärmemenge noch eine zweite
Wärmemenge local in der Nähe der Electroden entwickelt werde, welche
unabhängig vom Widerstände und der Stromintensität proportional ist.
Die Grösse dieser in der Zeit, während der die Einheit chemischer Wir-
kung im Elemente consumirt wird, local entwickelten Wärmemenge müsste
also eine constante Grösee K sein. Zieht man diese von der im Element
überhaupt entwickelten Wärmemenge ab, so wird der Rest «7« — K nun-
mehr dem Widerstände im Elemente proportional sein, und es müsste
dann die Gleichung gelten:
We — K E
i€i r
Aus obigen vier Beobadbtungen Favre's findet man für B und K
mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate die Werthe:
R = 32,3 K = 7589.
Berechnet man alsdann rückwärts mit diesen, indem man für Wi die
durch Rechnung gefundenen Werthe einsetzt, die Grosse tr«:
R.wi + K.r
We = , 25)
so findet man eine befriedigende Uebereinstimmung :
berecboet
beobachtet
Differenz
13 523
13127
+ 396
11788
11690
4- 98
10188
10 439
— 251
9 048
8 992
+ 56
69G IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Andere ähnliche Beobachtungsreihen lassen sich nicht ganz so gut
durch ohige Formel darstellen. Wahrscheinlich hat dies seinen Gmnd
darin, dassdie Voraussetzung, diese Wärmemenge, welche durch die Ein-
heit chemischer Wirkung an den Electroden entwickelt wird, sei constant
und unabhängig von der Stromintensität, thatsächlicb nicht ganz richtig
ist. Es war im Vorhergehenden ja besonders erwähnt worden, dasa die
Grösse der electro motorischen Kraft der Polarisation mit zunehmender
Stromstärke wachse.
Die^ Resultate von Experimentaluntersuchungen , in welchen ohne
Weiteres vorausgesetzt ist, die electromotorische Kraft sei genau das
therm ochemische Aequivalent der gesammten sich im Stromkreise yoU-
ziehenden chemischen Reactionen, sind nur dann brauchbar, wenn keine
Gasentwickelungen oder ähnliche localen Processe sich an den Electroden
vollziehen.
Will man ausserdem auf die in den Zersetzungszelleu entwickelten
Wärmemengen keine Rücksicht nehmen, welche davon herrühren, dass
durch die Zersetzungen Concentrationsänderungen der Lösungen entste*
hen, so ist dies nur dann zulässig, wei^n man mit sehr verdünnten
Lösungen operirt.
13. F. Exner's Untersuchungen über Polarisation^).
Durch die Untersuchung tler Frage, ob man berechtigt sei, die elec-
tromotorische Kraft der Polarisation der Wärmetönung der electroly tischen
Zersetzung direct proportional zu setzen, oder ob dies unstatthaft sei, ist
der Kampf zwischen den Anhängern der Contacttheorie auf der einen
und der elecLrochcmischen Theorie auf der anderen Seite aufs Neue auf
das Heftigste entbrannt. Besonders F. Exner vertritt in diesem Streite
den Standpunkt der radicalen Electrochemiker, während vorzugsweise die
zahlreichen Physiker der Helmhol tz'schen Schule die Vertheidigung und
experimentelle Verißcation der Contacttheorie ihres Meisters übernommen
haben. Andere, so z. B. W. Beetz, dem wir so epochemachende Arbeiten
über die electromotorische Kraft der Gase und über die Polarisation ver-
danken, und R. Co Hey nehmen einen vermittelnden Standpunkt ein. Von
allen Seiten ist aus Anlasa dieser Discussion ein höchst werthvoUes Beobach-
tungsraaterial zusamraengebracht worden, welclies, wenn auch keine defi-
*) F. Exner, Ueber die tralvanische Polarisation de* Platins in Wasser. Wieiieni.
Ann. BJ. 5, S. 3Ö8 bis 405. Ccber die Electrolyse des Wassirs. WieJem. Ann. Bd. 6.
S. 336 bis 353. Ueber die Natur der galvanischen Polarisation. WicdeiB. Ann. Bd. 6,
S. 353 bis 385. Zar Theorie der inconstanten Elemente. Wiedem. Ann. Bd. 10,
S. 265 bis 284.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 697
niilye Entscheidung, so doch eine hedeutende Klärung in die angeregte
Streitfrage gebracht bat.
Exner behauptet, die electromotorische Kraft der Polarisation ist
gleich der Verbindungswärme der ausgeschiedenen Ionen. Eine Anzahl
von ihm angestellter Yersache, die wir in nachstehender Tabelle zusammen-
stellen, scheinen dies direct zu bestätigen. Er Terwendete zur Erzeu-
gung der Polarisation zumeist eine sechspaarige Smee'sche Säule. Durch
eine Art von Wippe wurden unmittelbar nach Unterbrechung des pola«
risirenden Stromes die Electroden mit einem Brau ly' sehen Electro-
meter verbunden, an welchem ein Normal -Daniell einen Ausschlag yon
bekannter Grösse erzeugte. Aus dem Ausschlage, den man bei Verbin-
dung der polarisirten Electroden mit dem Electrometer beobachtete, er-
hielt man sofoi-t durch eine einfache Proportion die electromotorische
Kraft der Polarisation in Bruchtheilen von 1 Daniell. Aus den bekannten
Wärmetönungen der electrolysirten Verbindung und der gebildeten Ionen
berechnete man unmittelbar die Wärmetönung des electroly tischen Pro-
cesses, und indem man diese durch die Wärmetönung von 1 Daniell (siehe
S. 684) dividirte, erhielt man einen zweiten Werth für die electromoto-
rische Kraft des electrolytischen Processes.
Ein Beispiel wird die Art der Berechnung erläutern.
Bei Untersuchung von verdünnter Jodwasserstofifsäure ergab sich
ein Ausschlag von 16 Scalentheilen , als man die polarisirten Electroden
mit dem Electrometer verband. 1 Daniell ergab einen Ausschlag von
30 Scalentheilen am Electrometer. Daraus findet man die electromoto-
Iß
rische Kraft der Polarisation gleich — = 0,53 DanielL Nach J. Thomsen
ist die Wärmetönung (H, J, aq) = 26 400 Galerien, die Wärmetönung
des Daniell'scben Elementes = 50100 Galerien, mithin die berechnete
. , ,r r 26 400 ^^„
electromotorische Kraft g. ^ _,, = 0,53.
öülOÜ
Hiernach werden die Zahlen der folgenden Tabelle verständlich
sein.
698 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen-
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E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 699
Es lässt sich nicht in Ahrede stellen, dass diese Zahlen eine über-
raschende UebereiDstimmung 1) zeigen. 'Auch in denjenigen Fällen, in
welchen Differenzen zu bemerken sind, können die Ursachen der Unter-
schiede leicht in secnndären Processen gefunden werden.
Auch die Thatsachen, welche einer rein chemischen Theorie der
Polarisation zu widersprechen scheinen, lassen sich, wie Exner gezeigt
hat, ziemlich ungezwungen erklären.
Hierher gehört z. B. der Umstand, dass die Polarisation, je nach
der Beschaffenheit der Electroden, verschieden ausfallt, auch wenn die
electrolysirte Substanz die nämliche bleibt. Dies findet seine Erklärung
darin, dass die Ionen zum Theil die Electroden angreifen. Nur dann,
wenn dies stattfindet, ändert sich die Polarisation.
Bei der Electrolyse «v^on Salzsäure 'zwischen Kohlenelectroden findet
man z. B. die Polarisation P = 1,60» Electrolysirt man dagegen Salz-
säure zwischen Eupferelectroden, so wird zwar Salzsäure, deren Wärme-
tonung = 39 300, zerlegt, durch das ausgeschiedene Chlor aber wird
gleichzeitig festes Ghlorkupfer (Cu, Clj) gebildet, dessen Wärmetönung
= 41 360 ist. Demnach ist die Wärmetdnung des Processes = 2 (H, Gl)
20 680
— (Cu, eis) = 20 680. Es ist aber -rrrrTTX = 0,43 D. Durch Versuche
50100
mit dem Electrometer fand Exnor direct 0,42 D.
Für Silberelectroden in Salzsäure ergab die unmittelbare Beobach-
tung die Polarisation 0,44. Da aber in diesem Falle nicht nur Salz-
säure zerlegt, sondern auch AgClj (mit einer Wärmetönung von 58800)
gebildet wird, so ist die Wärmetön nng des electroly tischen Processes:
2(H,Cl,aq) — (Ag,Cl2,aq) = 2.39300 — 58800 = 19 800.
Dividirt man dies durch die Wärmetönung der chemischen Vor-
gänge im Daniellelemente (50100), so findet man 0,41, was ebenfalls
sehr nahe mit dem am Electrometer beobachteten Werthe 0,44 über-
einstimmt.
Schwierigkeiten bereitet der electrochemischen Theorie auch die
Thatsache, dass die Polarisation von der Stromstärke abhängig ist, mit
ihr von Null an wächst und nach dem Aufhören des polarisirenden
Stromes ebenso wieder bis Null abnimmt. Besonders interessant sind in
dieser Beziehung F. Exner's eigene Beobachtungen^). Er Hess -z. B.
auf in reines, ausgekochtes Wasser hineinragende Platinelectroden polari-
sirende Ströme von sehr verschiedener electromotori scher Elraft wirken
und bestimmte unmittelbar nach Unterbrechung des Stromes die electro-
motorische Kraft der eingetretenen Polarisation mit Hilfe des Electro-
meters. Wir theilen im Nachstehenden einige von seinen Beobachtun-
gen'mit.
') Man vergleiche jedoch aach Abschnitt 21, S. 713.
^) F. Exner, Ueber die Electrolyse des Wassers. Wiedem. Ann. Bd. 6, S. 336
bis 384.
700 IIL AuwenduBgen auf electrisclie ErscheinungeiL
Ezner's Versuche mit
Exner's Versuche mit Wasser
reinem
Wasser
mit Spur HjSO«
Electromotorische Kraft
Electromotorische Kraft
(in Dan.)
(in Dan.)
des
polarisirenden
Stromes
der
Polarisation
des
polarisirenden
Stromes
der
Polarisation
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0,03^
0,46
0,46
ho
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0,30
0,36
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Diese Versuche beweisen, dass die electromotorische Kraft der Polari-
sation so lange derjenigen des polarisirenden Stromes gleich ist, bis eine
deutliche Gasentwickelnng an den Electroden auftritt, yon da an scheint
sie einen constanten Maximalwerth zu behaupten. Andere Beobachter
haben jedoch in Uebereinstimmung mit den älteren Beobachtungen im
Gegensätze zu diesem letzten Ergebnisse Exner's gefunden, dass sich
die electromotorische Kraft der Polarisation noch über diejenige Grenze
hinaus steigern lässt, welche zum Eintritte einer merklichen Zersetziing
erforderlich ist^). Vielleicht erklärt sich dies jedoch dadurch, dass bei
Strömen von hoher electromotorischer Kraft neue secundäre Processe
hinzutreten.
*) VtrJ. Hailock, Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 74, und A. Bartoli, II Xuoto
Cimento 3. Serie, Bd. 7, S. 234.
E. Die mechanische Theorie cL electrochem. Erscheinungen. 701
14. Die electrolytlsclie Oonvection und die oondensato-
risohen Eigensohaften der Zersetzungszellen.
Während es sich bei den mitgetheilten Versuchen um Polarisationen
durch länger danernde Strome handelte, ist andererseits beobachtet wor-
den, dass, wenn man Ströme von sehr starken electromotorischen Kräften
auf äusserst kurze Zeit durch eine Zersetzungszelle schliesst, zwar keine
Gasentwickelung eintritt, jedoch eine kräftige Polarisation erzeugt wird.
W. Thomson, Maxwell, Varley*), Helmholtz*), Herwig'),
Golley^) haben daraufhingewiesen und experimentell dargethan, dass
somit das Verhalten einer Zersetzungszelle für schwache Ströme oder sehr
kurze Zeit dauernde starke Ströme grosse Aehnlichkeit mit dem eines
doppelten Condensators von sehr grosser Oberfläche hat. Bei Zuführung
einer Electricitätsmenge, welche zum Hervorbringen einer Zersetzung
unzureichend ist, verhält sich die Oberfläche jeder £lectrode wie ein
Condensator von äusserst geringer Dicke des isolirenden Mediums. —
Bei jeder Schwankung der electromotorischen Kraft erfolgt eine kurze
Zelt dauernde gleichförmige Schwankung der Stromstärke. Vom Stand-
punkte der radicalen electrochemischen Theorie aus sollte man eigentlich
vermuthen, dass so lange, bis die electroraotorische Kraft des polarisiren-
den Stromes die zum Eintritt einer Wasserzersetzung nöthige Höhe er-
reicht hat, die zu eleotrolysirende Flüssigkeit sich vollständig wie ein
Nichtleiter (Dielectricum) verhielte und überhaupt erst mit Beginn der
Zersetzung des Electrolytes ein Strom durch die Zersetzungszelle hin-
durchgehen könne.
Dem entgegen steht jedoch die längst bekannte Thatsache , welche
auch die im Vorstehenden mitgetheilten Beobachtungen Exner^s aufs
Neue bestätigen, dass selbst Ströme von äusserst geringer electromoto-
rischer Kraft lange Zeit durch eine Zersetzungszelle hindurchgehen und
die Electroden zu polarisiren im Stande sind.
Nach dem Faraday 'sehen Gesetze, dass sowohl im Elemente als
in jeder eingeschalteten Zersetzungszelle immer äquivalente Mengen der
chemischen Processe sich vollziehen sollen und mit Rücksicht darauf,
dass dann die negativen Wärmetönungen der Zersetzung grösser wären,
als die positiven Wärmetönungen der in der Electricitätsquelle sich voll-
ziehenden Verbindungen, scheint zunächst in diesen unzweifelhaft con-
statirten Thatsachen eine Verletzung des Principes von der -Constanz
der Energie enthalten zu sein.
1) Philos. Transact. Bd. 161, S. 129.
«) Pogg. Ann. Bd. 150, S. 483; Wiedem Ann. Bd. 7, S. 337.
8) Wiedem. Ann. Bd. 2, S. 566; Bd. 4, S. 187 u. 465.
') Wiedem. Ann. Bd. 7, S. 206 bis 246; Bd. 15, S. 94 bis 111.
702 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Helmholtz erklärt diese Erscheinnogen dadurch, dass er annimmt,
der electrolytisch ausgeschiedene Wasserstoff werde von der Flüssigkeit
zum Theil aufgelöst und von dieser fortgeführt und verbinde sich dann
mit Sauerstoff, den er anf der Platte vorfinde, so dass in jedem Momente
eben so viel von dem Electrolyten wieder gebildet als zersetzt vrerde.
Die vom Strome geleistete Arbeit beschränke sich somit auf den Trans-
port des einen Ions von einer Electrode zur anderen. Helmholtz
nennt diesen Transport die electrolytische Convection. Die auf diese
Weise erzeugte andere Yertheilung der Gase an der Electrode aber be-
wirke die scheinbaren condensatorischen Eigenschaften der Zelle und sei
Veranlassung der entstehenden Polarisation. Andererseits kann man
gewiss auch annehmen, dass die vom Strome bewirkte Hineinpressang
der electrolytischen Gase in die Electroden eine electromotorische £i^
regung derselben veranlasse.
Exner setzt, gestützt auf die allgemein verbreitete Meinung von
der Molecularconstitution der Substanzen , voraus , jeder Electrolyt ent-
halte bereits eine Anzahl in ihre Bestandtheile zerfallener, also dissociirter
Molecüle, so dass schon die geringste Zufuhrung electrischer Energie
eine Zunahme dieser Dissociation und eine andere Yertheilung der zer-
legten Molecüle zu bewirken im Stande sei. Die Anzahl der zerlegten
Molecüle aber sei der Stromstarke proportional; die Polarisation jedoch,
und hierin liegt der unsicherste Punkt seiner Erklärung, sei, bis das
Maximum erreicht ist, der Menge der ausgeschiedenen Ionen proportio-
nal. Zu einem ähnlichen Resultate ist jedoch auch Kohlransch ge-
legentlich seiner Untersuchungen über das Leitungsvermögen durch
andere Schlüsse geführt worden.
Exner meint nun, so lange die electromotorische Kraft der polari-
sirenden Kette kleiner sei als der Werth , welcher der Wärmetonung des
electrolytischen Processes entspricht, werden die Ionen in ihrer ganzen
Menge zur Bildung der Polarisation verwendet, von einer sichtbaren
Electrolyse könne nicht die Rede sein. Als Ursache der electromotori-
sehen Kraft der Polarisation sieht nun Exner die Rückbildung des
Electrolytes aus den Ionen an; ebenso wie die Verbindungswärme der
in der Kette befriedigten Affinitäten die Ursache des primären Stromes
ist. Ist die electromotorische Kraft der Kette grösser als die der Pola-
risation , so geht die Zersetzung des Electrolyten schneller vor sich , als
die gleichzeitige Rückbildung desselben, es tritt daher eine Ausscheidung
der Ionen ein.
Durch diese Rückbildung werden nach OefiPoung des primären Stro-
mes allmälig die ausgeschiedenen Ionen wieder consumirt, und damit
nähert sich die Polarisation asymptotisch dem Werthe Null.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 703
15. Exner's Ansiohteii über ^ die Ursachen der
Eleotrioitätsentwiokelung.
Im coDsequenten Verfolg seiner Anschauungen ist Exner dazu ge-
führt worden zu behaupten , der chemische Process sei überhaupt die
einzige Ursache der electromotorischen Erregung ^). Er leugnet daher
.die Existenz einer electromotorischen Kraft bei Contact zweier Substan-
zen, welche weder auf einander chemisch wirken nnd auf welche auch
die umgebenden Gase nicht chemisch wirken, überhaupt. Den Volta'-
sehen Fnndamentalversuch bringt er auf folgende Weise in Zusammen-
hang mit der electrochemischen Lehrmeinung ').
Ein blankes Stück eines oxydirbaren Metalles (Zink) erfährt in
einer Atmosphäre, welche Sauerstoff enthält, eine Oxydation. Diesem
Yerbrennungsprocesse entspricht eine Electricitätsentwickelang. Positive
Electricität geht auf das Oxyd, negative auf das Metall über. Wäre es
möglich, diesen Process zu einem dauernden zu gestalten, indem man die
entgegengesetzten Electiicitäten immer abfliessen Hesse, so würde die
electromotorische Kraft der Combination Metall - Sauerstoff sich aus der
Wärmetönung der Verbindung des Metalles mit Sauerstoff (aus der Ver-
brennungswärme) berechnen lassen. Die Abführung der beiden geschie-
denen Electricitätsmengen ist jedoch nicht möglich , denn das gebildete
Zinkoxyd ist ein Isolator und hält die positive Electricität zurück. Es
könne somit nur die negative Electricität dem leitenden Zink entlang
strömen, was nur eine halb so grosse Stromstärke erzeugen könne, als
wenn beide Electricitäten abgeführt werden könnten.
Leitet man das Zink ab, welches in Sauerstoff oxydirt wurde, so
kommt dessen Potential auf Null , aber die Oxydschicht bleibt mit der
Hälfte^) der Potentialdifferenz geladen, welche der Wärmetönung des
Oxydationsprocesses des Zinks entspricht. Wenn man nun beim Vol tauschen
Fundamental versuche die mit einer Oxydschicht überkleidete Zinkscheibe
als die eine Platte eines Luftcondensators benutzt nnd ihr im isolirten
Zustande eine isolirte Platinplatte nähert , so wird im Platin ^), welches
durch den Sauerstoff der Atmosphäre selbst nicht afücirt wird, negative
Electricität durch die positive Ladung der Zinkoxydschicht inflaenzirt
^) Aasgenommen sind selbstredend die thermoelectrischeD Erscheinungen.
^) F. Einer, Uebcr die Ursache der Electricitätserregung beim Contact heterogener
Metalle. Wiedem. Ann. Bd. 9, S. 591 bis 613.
B) Gegen die Richtigkeit dieses Schlusses sind sowohl von F. Schulze^Berge,
Wiedem. Ann. Bd. 15, S. 442, als auch von Sto>etow, Joum. d. St. Petersburger
Phys.-chem. Qes. Bd. 13, Phys. Theil , S. 135 bis 146, berechtigte Einwürfe gemacht
worden. Auch nach der Ableitung bleibt die Potentialdifferenz 2e und nicht e.
*) Einem von Sauerstoff nicht oxydirbaren Metalle.
704 III. Anwendungen auf electriscbe Erscheinungen.
und positive Electricit&t frei. Werden beide Metal] platten darcb einen
Leiter verbanden, so gleicbt sieb die negative Electricität des Zinks
gegen die freie positive Electricit&t des Platins aus nnd es bleibt in den
Platten eine Potcntialdifferenz zurück, welcbe die Hälfte von derjenigen
ist, welche der Wärmetönung des Oxydationsprocesses des Zinks ent-
spricht.
Bezeichnet man diese Potentialdifferenz mit e und die Wärmetönung
des Oxydationsprosesses des Zinks mit to, die electromotorische Kraft des
DanielTschen Elementes mit 1 und die Wärmetönung der sich in
einem solchen Elemente vollziehenden Beactionen mit TF(=50100), so
müsste hiemach die PropoHion gelten:
« : 1 = ^ : TT.
Hieraus würde folgen:
' = jw 2«^
Bezeichnet man f&r ein anderes oxydirbares Metall die entsprechenden
Grössen , die bei Zink e und w hiessen, mit e' und w\ so erhält man für
dieses Metall:
j
2W
Bei Contact zweier verschiedener oxydirbarer Metalle erhält man
somit eine Potentialdifferenz e — e':
'-^ = -2W- 27)
Die von Exner^) selbst und ebenso die von Edelmann^ ange-
stellten Versuche bestätigen die Ergebnisse dieser Theorie in sehr auf-
fallender Weise.
^) F. Einer, Ueber die Ursache der ElectridUtserregang beim Contact heterogener
Metalle. Ber. d. Wien. Akad. Bd. 80 und Wiedem. Ann. Bd. 9, S. 591 bia 613.
^) Edelmann, Carl, Repert. d. Experimentalphys. Bd. 16, S. 412.
E.
Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 705
Potential-
Electromotori-
differenz,
beobachtet am
Electrometer
Verbrennnngswärmen
sche Kraft,
nach
Gleichung 26)
berechnet
Zink, Platin
0,88
(Zn, 0) — 42 700 (Pt, 0) — 0
0,88
Kupfer, Platin
0,37
(Cu,0) — 18 600
0,38
Eisen, Platin
0,70
(Fe, 0) — 33000 „
0,70
Silber, Platin
0,08
(Ag,0)= ,3 500 „ '
0,06
• ö
Kupfer, Eisen
0,33
{Cu,0) = 19 000 (Fe, 0) = 33000
0,32
0, a
Eisen, Zink
0,18
(Fe, 0) 33 000 (Zn, 0) 42 700
0,18
Ed S
Kupfer, Zink
0,50
(Cu, 0) — 1 9 000 (Zn, 0) — 42 700
0,50
Damit scheint constatirt zu sein, dass die beiContact zweier Metalle
auftretende Electricitätsentwickelung von der chemischen Einwirkung der
umgehenden Gase auf die Metalle abhfingt ^).
16. Ezner's Theorie der g:alvanlschen Elemente.
Späterhin hat F. Exner auch eine mit den vorstehenden An-
schauungen eng zusammenhängende Theorie der galvanischen Elemente
gegeben. Auch diese gipfelt darin, dass er die Existenz von Potential-
differenzen an den Berührungsstellen solcher Substanzen leugnet, welche
nicht chemisch auf einander wirken; electromotorische Kräfte sind nach
Exner nur da vorhanden, wo chemische Veränderungen vor sich gehen.
Ein Element besteht somit in seiner einfachsten Form nur aus zwei Sub-
stanzen^), welche chemisch auf einander wirken, z. B* Zink in Wasser.
Ersteres bildet den negativen, letzteres den positiven Pol. Alles, was
sonst noch beigefügt werde, habe lediglich ein practisches Interesse.
Zamal sei der negative Pol, sofern er von dem electrolytischen Processe
in der Flüssigkeit nicht angegriffen werde, ohne Einfluss auf die electro-
motorische Kraft ^) der Kette.
^) QualiUtiv hatte Brown, Phil. Mag. (1878) 5. Serie, Bd. 6, S. 142 nnd (1879)
Bd. 7, S. 411, schon früher festgestellt, dass die Spannungsreihe der Metalle in Ter-
Bchiedenen Gasen verschieden sei.
>) F. Exner, Die Theorie der galvanischen Elemente. Wiedem. Ann. Bd. 11, S. 1036
bis 1038.
') Letzteres spricht schon D. Thomson ans: Wiedem. Ann. Bd. 11, S. 266,
Zeile 10 v. o.
Bflhlmann, Mechan. Wirmetheorie. Bd. IL 45
706 III. Anwendungen auf electrische Erscheinangen.
Die Potentialdifferenz S der Pole eines Elementes ist nach Exner
lediglich abhängig yon den Wärmetdnungen der in seinen Ionen sich
▼ollziehenden chemischen Processe. Die freie Spannnng an den Polen
ist abhängig von Capacitäten beider Pole. Ist dieCapacitat des posiiiYen
Poles C, die des negativen c, so ist die
Q
negativen Pole = — S .
freie Spannung am
C + c
positiven Pole = 4- S . yr—, —
l C + cj
28)
Unstetigkeiten des Potentiales findet Exner bei Untersuchang mit
dem Electrometer auch nur da, wo eine chemische Wirkung stattfindet,
z. B. beim Sm^e'schen Elemente (Zn, H2SO4 aq, Pt) nur an der Be-
rühmugsstelle zwischen Zink und Schwefelsäure, nicht aber an dem Gou-
tacte zwischen Schwefelsäure und Platin, oder Zink und Platin.
In den Elementen mit zwei Flüssigkeiten sind jedoch zwei Herde
chemischer Wirkung und somit zwei Stellen vorhanden, an welchen das
Potential sich sprungweise ändert, z. B. im Daniell an der Grenze
Zn — H2SO4 und ferner an der Grenze H2SO4 — CUSO4. An der
ersten Stelle wird Zink oxydirt unter Reduction von Wasserstoff, der
chemische Process ist also hier: (ZuyHjSO^) — (H2,0); an der zvireiteo
Stelle wird H2 oxydirt und CUSO4 reducirt; die Wärmetönang' dieses
Vorganges ist: (H2,0) — (Gu,H2S04). Eine besondere Stutze jedoch hat
Exner seiner Theorie dadurch gegeben, dass es ihm neuerlich gelungnen ist,
chemische Elemente zu construiren, welche nur aus ßrundstoffen bestehen,
und deren electromotorische Kraft von ihm in vollkommener Ueberein-
stimmung mit der aus den Wärmetönungen berechneten gefunden wor
den ist.
Es war dieses, Resultat von um so grösserer Bedeutung , als die
meisten Contacttheoretiker galvanische Elemente nur dann für möglich
hielten, wenn mindestens ein Bestandtheil derselben ein Electrolyt, ein
zersetzbarer also chemisch nicht einfacher Leiter sei. Nach der Gontact-
theorie müsste in einer beliebigen Combination von Grundstoffen, z. B.
von Ä^ B, C7, die Summe der Spannungsdifferenzen:
(Ä,B) + (-B,C) + ((7,^) = 0
sein. Ein dauernder galvanischer Strom wäre hiernach zwischen Grund-
stoffen nicht möglich.
Exner ^) untersuchte besonders Elemente, welche aus den Metallen:
Mg, AI, Zn, Pb, Ag, Cu, Pt und Brom oder Jod und Kohle gebildet
waren ^). Da der Leitungswiderstand von Brom und Jod sehr gross ist,
^) F. Exner, Ueber galvanische Elem^te, die nar ans Grandstoffen bestehen etc^
Wiedem. Ann. Bd. 15, S. 412 bis 439.
3) Hoorweg (Wiedem. Ann. Bd. 11, S. 138 etc.) hat in seiner Abhandlong:
Thermische Theorie der Electricitätsentwickelong, Elemente Zn | S | Ca und Zn | C | Ca
untersucht.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 707
so wurde die Grösse der Potentialdifferenz untersucht, welche eintrat,
wenn man gleichzeitig Kohle und Metall in das flüssige Brom oder Jod
eintauchte. Die Kohle wurde zumeist zur Erde abgeleitet und der
Ausschlag beobachtet, den man erhielt, wenn man mit dem Metalle das
Electrometer berührte. Vorher hatte Exner die Grösse des Ausschlages
beobachtet, deu ein Daniell'sches Element hervorrief, an welchem ein
Pol zur Erde abgeleitet war. Nacb stehende Tabelle giebt^eine Ueber-
sicht über seine Beobachtungsresultate:
Ezner's
Versuche
Oombination ^)
Wärmetönung
(1 D. = 50130)
Electromotorische Kraft
Bemerkungen
beobachtet
berechnet
Mg,Br,C . .
(Mg, Bra) — ?
2,36 D.
— .
Al,Br,C .
RAlj, Bre) = 239 300
1,60 „
1,61 D.
Zn,Br,C .
(ZnjBra) — 75 930
1,52 „
1,52 „
Pb,Br,C ,
(Pb,Br8) = 64400
1,29 „
1,29 „
•
Ag,Br,C .
(Ag2,Bra)= 45 400
0,91 „
0,91 ,
Cu,Br,C ,
(Ca, Bra) = 32 600
0,51 „
0,65 „
Ausschlag nicht constant
Pt, Br, C .
(P1^, Bra) ?
0,04 ,
—
Mg,J.C .
(Mg, Ja) = 78 700
1,57 ,
—
Zn, J, C . .
(Zn, Ja) = 49 200
0,96 ,
0,98 „
AI, J.C . .
(Al2,Je) =140 700(?)
0,77 „
0,93 ,
Letzter Werth unsicher
Hg,J,C.
(Hg, Ja) — 34300
0,55 „
0,68 ,
Ag,J,C. .
(Ag2,J2) — 27 600
0,56 „
0,55 ,
Pt, J, C . .
(Pt,Ja) = ?
0,01 „
•—
Die Uebereinstimmung in so vielen F&llen ist in der That eine sehr
befriedigende und spricht in der That sehr zu Gunsten der electro-
ohemischen Theorie ').
^) Der p08iti7e Strom ging überall vom Metall durch das Brom oder Jod zur
Kohle. Die Kohle war also der positive Pol.
^ Ob auch die Untersuchungen von Palmieri über Zink-Quecksilber-Eisenelementc
(Rendic. d. R. Accad. di Napoli Bd. 9) und die schon erwShnten von Ayrton und Perry
(Free, of the Roy. Soc. Bd. 27) über ein Magnesium-Quecksilber-Platinelement mit hierher
gehören, ist zweifelhaft. Es ist möglich, dass es sich hier lediglich um Thermoströme
handelt, da man aus Versuchen von Oh ach (Pogg. Ann. Ergzgsbd. 7, S. 270) schlies6en
muss, dass Amalgame durch den Strom nicht rückwärts in Metall und Quecksilber zer-
legt werden können. Der Process des Amalgamirens scheint somit kein reversibler zu
sein. Er unterscheidet sich dadurch allerdings erheblich von den im Text beschriebenen
Vorgängen, die sämmtlich reversibel sind. Auch die Versuche von Goosens (Wiedem.
Ann. Bd. 16, S. 551) sprechen für die Ansicht Ob ach 's.
45*
708 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
17. Die Erklärung der Beobaolitungsthatsaolien aus der
Contaottheorie.
Nachdem wir im Vorhergehenden gezeigt hahen, in welcher Weise
vom Standpunkte der electrochemischen Theorie aas die YerBuche auf-
gefasst werden, soll im Nachstehenden dasselbe fär die Contaottheorie
geschehen.
Der eigentliche Kern der Contaottheorie, wie sie von Helmholtz^
am klarsten formulirt worden ist, beruht in der Annahme, dass die
Ursache der Potentialdifferenz verschiedener Substanzen darin liegte« dass
verschiedene Substanzen eine verschieden starke Anziehungskraft auf die
beiden Electricitätsarten ausüben. Man kann sich das folgendermaasen
erklären: Die Nachbarmolecüle zweier heterogener Stoffe stören ^T^gen-
seitig ihre thermischen Bewegungszustände. Hierbei geht eine ^T^wisse
Quantität calorischer Energie verloren, und an deren Stelle kommt eine
äquivalente Quantität electrischer Energie zum Vorschein.
Ferner wird angenommen, dass da, wo eine Electricitätsmeng^e ~|- e
eintritt, die gleichgrosse Electricitätsmenge — e austritt Man braucht
daher blos die an -{- e geleisteten Arbeiten in Bechnung zu ziehen.
Bezeichnet man den Werth der Potentialfun ction in einem Metalle a mit
{pat in einem anderen Metalle h mit 9», und die Arbeit, welche durch die
Anziehungskräfte geleistet wird, wenn die Electricitätsmenge 1, aoB
irgend einem als Norm dienenden Metalle in das Metall a beim Gontact
übergeht, mit Gat so findet zwischen den beiden Metallen a und h elec-
trisches Gleichgewicht statt, wenn:
q>a — Ga = 9h — (h 29}
ist. Die Grössen Qa und Ob sind somit Constante, welche die Stellung der
Metalle in der Volt ansehen Spannungsreihe angeben. Helmholts
nennt sie die galvanischen Werthe der Metalle. Nimmt man als daa
Metall, welches als Norm dient, für welches also der Werth G = 0 ist,
das Metall an, au? dem die Quadranten des zur Untersuchung dienenden
Quadrantenelectrometers bestehen, so sind <pa — Ga und tpb — G« die
Potentialwerthe , welche die beiden Metalle durch metallische Leitung
den betreffenden Theilen des Electrometers mittheilen.
Um das von Faraday entdeckte electrolytische Grundgesetz zu
erklären, nimmt Helmholtz') an, dass in jeder electrolytisch zerleg-
baren Verbindung jedes Aequivalent des Kation mit einem Aequivalent
^) Helmholts, Die Erhaltung der Kraft« Berlin, Reimer, 1847, S. 43, und
vollständiger in der Abhandlung : Ueber Bewegungsströme am polarisirten Piatina. Wieden.
Ann. Bd. 11, S. 747 ff. 1
>) Wiedem. Ann. Bd. 11, S. 749.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 709
i
positiver Electricitat und jedes Aequivalent des Anion mit einem Aeqai-
valent negativer Electricitat verbunden sei. Jode Bewegung von Elec-
tricitat in einer electrolytischen Flüssigkeit geschieht nur in der Weise,
dass die Electricitäten an den Ionen haftend sich fortbewegen.
Damit Molecüle des positiven Ions electrisch neutral und chemisch
nnverbunden aus dem Electrolyten entweichen, muss die Hälfte davon
ihre Aequivalente -f* -^ abgeben und dafür die entsprechenden — E auf-
nehmen. Dieser Vorgang ist mit einem grossen Arbeitsaufwande ver-
banden und bedingt die definitive Trennung der vorher bestandenen
chemischen Verbindung.
Ist die electroly tische Flüssigkeit in Berührung mit zwei Electroden
von ungleichem electrischen Potentiale, so tritt zunächst Ansammlung
von Atomen des positiven IoueT an der negativen Platte, des negativen
an der positiven ein, bis im Innern der Flüssigkeit die Potentialfunction
einen constanten Werth erreicht hat. Wenn sich mit positiver Electri-
citat beladene Atome längs der äusseren Seite der Electrodenfläche an-
sammeln, werden an deren innerer Seite die entsprechenden Quanta
negativer Electricitat herangezogen. Es bildet sich eine electrische
Doppelschicht, deren Moment so lange zunimmt, bis die an den beiden
Electroden gebildeten Doppelschichten ausreichen, den zwischen ihnen
durch die electromotorische Kraft der Kette bedingten Sprung des Poten-
tialwerthes hervorzubringen. Eine solche Doppelschicht stellt also einen
Condensator von ausserordentlich grosser Gapacität dar.
So lange keine chemischen Processe die Menge der angesammelten
Electricitäten verändern, ist das Potential der zwischen beiden Electroden
befindlichen electrolytischen Flüssigkeit dadurch bestimmt, dass die
gleichen Mengen -{~ ^ und — E gebunden an ihre Ionen sich an den
beiden Electroden angesammelt haben.
Ist E die Menge der angesammelten Electricitat, Fi und F^ die
Oberfläche der beiden Electroden, sind ferner Oi und C^ die Gapacitäten
der Flächeneinheiten , (pi und (f^ die Potentialwerthe der Electroden-
platten, g>o die derjenigen der Flüssigkeit, so findet Gleichgewicht statt,
wenn:
E = Fl . Gl . {(pi — 9?o), ^ = 1^2 . Ci . (9o — 9a) • 30)
9i — öl — q>2 + G'2 =^ 31)
wobei Ä die electromotorische Kraft des auf den Electrolyten 'wirkenden
Stromes ist. Daraus folgt:
E . (^r^ + |r^) = Ä+ Gl- G, . . . 32)
g,, - 90 = (^ + öl - G,) . ^^.^^ . 33)
-Ti . K/i -t~ -4^2 . Oa
<p,-<p,=iÄ+ ö. - (?,) . ^'\% . . 34)
J:i . Lfi -p 0*2 • ^a
710 UI. Anwendungen auf electrische Erscheinungen«
Um diesen OleichgewichtszoBiand herzostelleD , müsseii die Blectri-
citätsmengen -{- E and — E der Anode zofliessen. Da die eleefoüdien
Doppelscbicbten einander sehr nahe und in Folge dessen die Capacit&ten C
sehr gross sind, so erscheint diese Electricitätsbewegong ab ein nidit
nnbedentender, aber schnell vergänglicher Strom. Diese soeben beschrie-
bene Ladung der Platten nennt Helmholtz die condensatorische. Ter-
bindet man beide Platten, nach Unterbrechung des electrolysirendea
Stromes, so tritt ein ebenso grosser Rückstrom ein.
18. Helmlioltz's Theorie der electrolytischeii Aus-
soheidung der Ionen.
Es können jedoch auch vorübergehende oder dauernde Ströme auf-
treten, wenn irgend welche Processe stattfinden, die einen Theil der
Electricität der Grenzschichten beseitigen.
Ein Theil der Electricität der Grenzschicht wird beseitigt durch
die electrölytische Ausscheidung der Ionen. Dabei kommen theils elec-
trische, theils moleculare Arbeiten in Betracht. Ist die für die Einheit
der positiven Electricität hierbei geleistete moleculare Arbeit Ki^ so ist
die gesammte Arbeit, welche für die an die Kathode übergehende Ein-
heit der positiven Electricität geleistet wird:
9i — ^1 + -Kl — 90tli
worin 9>0)i den"^Werth des Potentiales in der Flüssigkeit, dicht an der
AuBsenseite der electrischen Doppelschicht bezeichnet.
So lange diese Grösse positiv ist, wird der Uebergang nicht erfolgen,
wohl aber, wenn sie negativ zu werden anfangt
Der grösste Werth der Potentialdifferenz, welcher an der Kathoden-
flache eintreten kann, ist also:
9>i — 9oii = 01 — 2^1 35)
Analog gilt für die Anode:
9« — 9oi2 = öj — K2 36)
Sobald diese Grenze überschritten wird, fängt die electrölytische
Action an.
Von dem Zeitpunkte an, wo an einer der Electroden die Dicke der
electrischen Schicht so weit gewachsen ist, dass das Ion daselbst sich
neutralelectrisch auszuscheiden beginnt, wird an dieser das Moment der
electrischen Doppelschicht und daher auch die Potentialdifferenz nicht
mehr wachsen können , sondern nur noch an der anderen Electrode , bis
auch an dieser die Grenze der Zersetzung erreicht ist. Damit dies ge-
schehe, wird (GL 31) die electromotorische Kraft der Kette
<Pi — Gl — (P2 + Gi=A
E. Die mechanisclie Theorie d. electrochem. ErscheinungeD. 711
grösser als die Differenz der Moleculararbeiten an den Eleciroden bei der
Zersetzung, d. h. grösser als £3 — Ki sein müssen.
Helmholtz wendet dieselbe Betrachtungsweise auch an, um die
Stromstarken in den sogenannten constanten Ketten zu bestimmen. Zu
dieser Art rechnet er alle solche, in welchen sich schon vor Schliessung
des Stromes das während der Electrolyse bestehende electrische Gleich«
gewicht zwischen Metall und Flüssigkeit hat herstellen können.
Bezeichnet i die Intensität des Stromes, W den Widerstand in
der metallischen, w den in der flüssigen Leitung, so ist nach dem Ohm'*
sehen Gesetze:
9>i — 9>3 — 61 + ßj — 4 = — « . TT . . . 36)
9^0»! — 9o»« = + «.«? 37)
Da nun aber nach Gl. 30) und 36):
9>2 — 9o»2 — Ö2 = — -^2»
so folgt:
K^ — Kl — Ä = — i .{W + IV) 38)
Ist, wie dies bei Elementen der Fall ist, ^ = 0, so ist JBTi — K^
die einzige electromotorische Kraft im Leiterkreise. Die electromotorische
Kraft eines constanten Elementes hängt also nur von der Differenz der
molecularen Arbeit der electrolytischen Zersetzung ab, die durch die
Constanten K (die Wärmetönungen der chemischen Processe) gemessen
wird, und ist unabhängig von den galvanischen Werthen der Electroden.
y
19. Die eleotrolytisohe Ooiivection»
Ist die zu electrolysirende Flüssigkeit Wasser mit Spuren von H3SO4,
und ist in derselben unelectrischer Sauerstoff (4^ 0) aufgelöst, so werden
selbst sehr schwache Ströme, deren electromotorische Kraft zu einer
Wasserzersetzung nicht ausreichend ist (auch abgesehen von den con-
densatorischen Ladungen der Zersetzungszelle), lange Zeit durch. das
Wasser hindurchgehen können.
Helmholtz erklärt dies dadurch, dass die Kathode ihre negatire
Electricität mit den Aequiyalenten -{- E des Sauerstoffs austauschen
könne. Der dadurch electrisch negativ gemachte Sauerstoff verbinde
sich mit dem durch den Strom herangeführten electrisch positiven Wasser*
Stoff. Da nun Sauerstoff eine geringere Anziehungskraft zur positiven
Electricität hat als Wasserstoff, so wird dadurch die Potentialdifferenz an
der Kathode erheblich herabgesetzt, und es wird schon eine geringe electro-
motorische Kraft genügen, in diesem Falle einen dauernden Strom hervor-
zubringen. ' Derselbe wird jedoch in seiner Intensität vollkommen von
712 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
der Geschwindigkeit ahhängen, mit der durch Diffusion Sauerstoff an die
ElatholLe herangeführt wird. An der Kathode verbindet sich dann neu-
traler + 0 mit + Hq » während an der Anode + 0 aus der Verbindung
H3SO4 ausscheidet. Das Wasser dient somit nur als Lösungsmittel fCLr
die Gase und vermittelt den Transport derselben. — Diese Art von.
Strömen, bei welchen somit die schwache electromotorische Kraft der auf
den Electrolyten wirkenden Kette nur dazu dient, die gelösten Gasmole-
cüle fortzubewegen, nennt Helmholtz^) Convectionsströme ').
20. Die Wasserstofibcclusion des Platins und Palladiiiin&
Auch das von Graham zuerst am Palladium entdeckte Eindringen
der Gase in die intramolecularen Zwischenräume der Metalle, die Erschei-
nung der Occlusion, bewirkt eine Verminderung der positiven electriechen
Grenzschicht an der Kathode. Auch Platin ist im Stande, erhebliche
Mengen von Wasserstoff zu occludiren, jedoch geschieht di^s nur anter
dem Einflüsse von electromotorischen Kräften, welche eine Potentialdiffe-
renz von etwa 1 Daniell gegen die Sauerstoff entwickelnde Anode her-
vorbringen. Das Eintreten von Wasserstoff in Platin geschieht also auch
bei Einwirkung von electromotorischen Kräften, welche nicht zur Wasser-
zersetzung ausreichen, aber es ist ein langsamer Process, und es bedarf
tagelanger Wirkungen, ehe das Platin mit occludirtem Wasserstoff ge-
sättigt wird.
Der occludirte Wasserstoff tritt, so nimmt Helmholtz an, als -\- H
in das Platin ein, und dort wird um jedes occludirte H-Molecül negative
Electricität angesammelt. Das Platin tritt gewissermaassen an Stelle
des Atomcomplexee S 0^ in eine Verbindung mit dem Wasserstpff ein ;
jedoch ist dies nicht eine chemische Verbindung nach festem Gewichts-
verhältnisse. Die chemische Arbeit, die zur Einleitung der Electrolyse
nöthig ist, wird somit durch die Occlusion vermindert. Die Occlusion
beginnt übrigens erßt bei einer bestimmten electromotorischen Kraft
(V5 D.), bei ungefähr Ya ^* beginnt dann bereits die Wasserzersetzung,
und erst von dieser Grenze der electromot-orischen Kraft an kann eine
neue Menge Wasserstoff zur Occlusion gebracht werden. Hat man durch
jenseits dieser Grenze liegende Ströme das Platin mit Wasserstoffgas ge-
füllt, so genügen, bei geöffnetem primären Strome, geringe Erschütte-
rungen unter Wasserstoffabgabe, um einen entgegengesetzten Strom her-
vorzubringen. Die bei circa Y5 D. bis höchstens Vs ^* occludirten
1) Helmholtz, Pogg. A'nn. Bd. 150, S. 483.
^) Auch die Ströme, welche beim Fliessen von Flüssigkeiten darch Röhren und an
den Electroden vorbei auftreten, erklären sich leicht darch die mechanische Fortfuhrang
solcher electrisch geladenen Molecüle, welche sich behufs Herstellung electrischen Gleich-
gewichtes an den Wandungen respective Electroden angelagert haben.
E. Die mectanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 713
WasBerBtoffmengen könneD nur durch die Wirksamkeit von electromoto-
rischen Eräfteo, welche den primären entgegengesetzt wirken, wieder aus
dem Platin heraus gelöst werden.
21. Die Einwendungen gegen Exner's Versuohs-
resultate.
Die Yorstehenden Ausführungen von Helm hol tz zeigen zunächst,
dass auch die Gontacttheorie im Stande ist, die hisher hei der Electro-
lyse und verwandten electrischen Erschein angen heohachteten Thatsachen
zu erklären. Man muss hemerken, dass die zahlreichen Bestätigungen
der Beziehungen zwischen den electromotorischen Kräften der Kette und '
den Wärmetönungen der sich innerhalb derselben abspielenden chemi-
schen Processe, welche Exner erbracht hat, insoweit sie sich auf con-
stante Elemente beziehen (und zu diesen sind auch die nur aus Grund-
Btoffen bestehenden zu rechnen), nach der von Helmholtz abgeleiteten
Gleichung 38) auch mit der Gontacttheorie vollkommen im Einklänge
sind. Ferner kann die Gontacttheorie alle^ jene electrischen Vorgänge
mit in Betracht ziehen, welche in Goncentrationsänderungen , Aenderun-
gen des Aggregätzustandes , Dichtenänderungen, Lösungserscheinungen,
Diffusion, Absorptionen, Strömungen etc. etc. ihre Ursache haben.
Dass es aber Vorgänge nicht chemischer Art glebt, welche ebenfalls
£lectricität hervorzubringen im Stande sind, dürften selbst die radical-
sten Electrochemiker kaum in Abrede stellen. Die Hypothese, dass nur
der sich vollziehende chemische Process eine electri sehe Erregung mög-
lich mache, erklärt übrigens nicht im mindesten den Mechanismus dieses
Zusammenhanges.
Aber auch die Versuche, auf welche Exner seine Verurtheilung der
Gontacttheorie stützt, sind nicht ohne Anfechtung geblieben. Dass seine
Erklärung und Wiederholung des Volta' sehen Fundamentalversuches ^)
nicht ganz einwurfsfrei ist, hat Exner später^) selbst zugegeben.
Aber auch die von ihm gefundenen Zahlen der Potentialdifferenzen,
welche mit den aus den Verbrennungswärmen berechneten so überraschend
übereinstimmen, weichen erheblich von denjenigen ab, welche andere
Physiker gefunden haben, wie dies z. B. nachstehende Tabelle zeigt.
Auch gegen die Art zu experimentiren (Exner bediente sich eines
Paraffincondensators) hat Schulze- Berge*) beachtliche, von Versuchen
unterstützte Einwendungen erhoben. So fand z. B.:
^) F. Exner, Zur Theorie des Volta' sehen Fundamentalversuches. Wiener Be-
richte Bd. 81, S. 1220.
2) F. Exner, Wiedem Ann. Bd. 15, S. 439.
^) Wiedem. Ann. Bd. 15, S. 442. Man vergleiche auch Ayrton und Perry,
Philos. Mag. 4. Serie, Bd. 11, S. 53, und ferner Pellat, Journ. de Phys. Bd. 9, S. 145
nnd Bd. 10, S. 68.
714
ni. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Potentialdifferenzen (in Dan.)
/
Exner^)
Kohl-
ransch ^
beobachtet
HankeP)
beobachtet
Ayrton
und Perry*)
berechnet
beobachtet
beobachtet
ZQ,Ca .
0,50
0,50
0,80
—
0,75
Zn, Pt .
0,88
0,8&
0,98
0,98
0,98
Ca,Pt .
0,38
0,38
0,18
0,18
0,24
Fe,Pt .
0,70
0,70
0,31
0,31
0,37
Ag,Pt .
0,08
0,06
0,18
0,06
—
Es läset sich nicht leugnen, dass die Abweicbnng der Ex ne raschen
Zahlen von den leidlich unter sich übereinstimmenden Versuchen der
übrigen Physiker das Vertrauen zu dem Werthe der Zahlen des Erst-
genannten einigermaassen erschüttert hat. Nicht ganz so schlimm ist es
Exner hinsichtlich seiner Behauptungen ergangen » dass die electro-
motorische Kraft der Polarisation jederzeit durch die Wärmetönung der
Herstellung der electrolysirten Verbindung aus den Ionen gemessen
werde, und dass die Beschaffenheit der negativen Electrode dann ohne
Einfluss sei, wenn sie chemisch nicht verändert werde.
Hier sind es die von W. Hallock^) gefundenen Zahlen, welche zum
Theil erhebliche Abweichung von den von Exner mitgetheilten zeigen.
Die Tabelle a. f. S. enthält aus diesen Werthen nur diejenigen, welche
unmittelbar mit den von Exner gefundenen vergleichbar sind.
Immerhin sind die Abweichungen nicht so bedeutend, dass man die-
selben nicKt aus den verschiedenen Beobachtungsweisen erklären könnte*
Hallock bestimmte die Polarisation nämlich bei geschlossenem primären
Strome mit Hülfe des Galvanometers, Exner arbeitete mit dem Electro-
meter. Auch hat Exner die Concentrationsgrade nicht angegeben, bei
starken Strömen ist aber das Lösungsmittel nicht ohne Einfluss. Femer
bleiben diejenigen seiner Versuche unwiderlegt, welche mit geschmolze-
nen Electrolyten angestellt sind (AgJ^, AgBr2, AgCl).
^) Exner, Wiener Berichte Bd. 81, S. 1220.
^) Kohlrausch, Pogg. Ann. Bd. 82, S. 1, und Hd. 88, S. 472.
3) Hanke 1, Pogg. Ann. Bd. 115, S. 57, und Bd. 126, S. 286.
*) Ayrton und Perry, Philos. Transact. 1880', S. 1, und Wiedem. Beibl. Bd. 4,
S. 665.
^) W. Hallock, Ueber galvanische Polarisation und über das Smie'sche Element.
Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 56 bis 86.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 715
Procent-
Grösse der Polarisation in Daniells
Hallock's Versuche
Berechnet
gehalt
der
Exner
beobachtete
aus den
Wärmetönungen
Elektrolyte
Kohle
Platin
Lösangen
3 Bunsen
2 Bunsen
2 Bansen
am Electro-
meter
von
von
•
geschl.
geschl.
geschl.
Exner
Hallock
H2SO4 . .
5
2,02
1,92
1,95
1,42
1,43
1,36
HCl . . .
6
—
1.54
1,33
1,60
1,61
1,57
NaCl . . .
6
2,37
2,17
1,97
2,08
2,06
2,12
NaJ . . .
5
1,48
1,43
1,24
1,25
1,24
1,07
CuSO^ . .
5
1,20
1,18
1,34
1,13
1,15
1,12
ZnSO^ . .
9,8
2,07
1,99
2,26
2,14
2,14
2,12
AgNOa : .
25
0»78
0,75
0,75
0,42
0,34
0,34
Hallock kann auch nicht zugehen, dass Platin von Chlor, welches
electroly tisch auf demselhen abgeschieden wird, angegriffen werde, was
Exner behauptet. Eine Platinplatte, vor und nach der Electrolyse von
Salzsäure gewogen, zeigte keine Gewichtsveränderung. Diese aber hätte
doch stattfinden müssen, wenn die Ursache der nahezu constanten Diffe-
renz von ungefähr 0,3 Daniell, welche man beobachtet, je nachdem man
Chlor an Platin- oder Kohlenelectroden entwickelt, in einer chemischen
Veränderung des Platins gesucht werden sollte. Möglicherweise liegt die
Ursache dieser Differenz aber darin, dass die andere Platinelectrode Wasser-
stoff occludirt.
Wenn man somit auch zugeben muss, dass gegen erhebliche Punkte
der Exner 'sehen Versuche mit Recht gewichtige Einwände gemacht wor-
den sind, so dass einzelne derselben viel Yon ihrem Werthe verlieren, so
muss man andererseits doch auch bekennen, dass die überraschende
Uebereinstimmung zwischen Versuch und Rechnung in so manchen Fällen
denselben nach wie vor eine hervorragende Stellung anweist und zeigt,
dass seine Anschauungen nicht zu weit von der Wahrheit entfernt sind.
Gewiss giebt es neben dem chemischen Processe noch eine Anzahl anderer
Vorgänge, bei welchen ebenfalls potentielle Energie in electrische Ener-
gie umgesetzt wird. Hierher gehören vor Allem die Occlusionserschei-
nungen, Endosmose, Diffusion, möglicherweise auch die Aggregats- und
Concentrationsänderungen , also Vorgänge, bei welchen es sich nicht um
die Bildung und Zerlegung chemischer Verbindungen handelt, die nach
festen Gewichtsverhältnissen zusammen gesezt sind.
Man muss zugeben, dass die sicher constatirten Versuchsresnltate
auf diesem Gebiete zur Zeit sich fast ausnahmslos ebenso gut nach der
Contacttheorie, als nach der electrochemischen Theorie erklären lassen.
716 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Beide Theorien sind aher üherhaupt nicht so yerschieden, als es erschei-
nen mag, und es ist sehr wahrscheinlich, dass in ihrem auf Grand sorg-
faltiger Versuche vollzogenen Aushau heide schliesslich vollkommen in
einander verschmolzen werden. Die electrochemische Theorie ist ja über-
haupt keine Theorie im eigentlichen Sinne des Wortes, sie giebt über
den causalen Zusammenhang der electrischen und chemischen Vorgänge
keine Aufklärung, sondern begnügt sich mit der Gonstatirung der that-
säoblichen Verhältnisse. Die Contacttheorie macht allerdings eine Anzahl
von Annahmen, deren Berechtigung nur durch fortgesetzte experimen-
telle Prüfung der aus diesen Annahmen sich ergebenden Gonseqnenzen
geprüft werden kann; sie erhebt aber nur den Anspruch, den Werth einer
Hypothese zu besitzen, welche für die weitere Erforschung des Erschei-
nungsgebietes als leitender Faden dienen soll.
Möglicherweise lösen sich beide Theorien in eine dritte, z. B. in
eine thermische Theorie der electrischen Vorgänge auf ^). Da bekannt-
lich zwischen Energie der Atombewegung und Energie der Molecalar-
bewegung ein festes Verhältniss besteht, würde es eine solche Theorie
erklärlich machen, warum zwischen den scheinbaren Anziehungskräften
der verschiedenen Substanzen auf die Electricität und den chemischen
Eigenschaften dieser Substanzen gewisse Beziehungen bestehen.
22. Einwendungen gegen die Aequivalenz von
tönung und electromotorischer Kraft.
Gegen die Grundlage der mechanischen Theorie der electrocbemi-
schen Erscheinungen sind neuerdings von F. Braun ^) Bedenken erhoben
worden. Dieser behauptet direct *) : „Bei jedem Processe, welcher inner-
halb einer Kette (Zersetzungszelle) nach dem Faraday' sehen Gesetze
verläuft, geht ein Theil, aber nur ein Theil der Verbindungswänne in
Stromarbeit über; der Rest der chemischen Wärme bleibt als solche im
Element und macht einen Bestandtheil der sogenannten Wärme durch
secundäre Processe aus.** In dieser Form scheint der Satz zunächst
einen Widerspruch gegen das Princip von der Aequivalenz zwischen den
sich vollziehenden chemischen Processen und der electromotorischen
*) Man sehe z. B. Hoorweg, Die thermische Theorie der Electricitätsentwicke-
lung. Wiedem. Ann. Bd. 9, S. 590, und Wiedem. Ann. Bd. 11, S. 133.
^) Die erfite diesen Gegenstand berührende Abhandlung Tön F. Braun, lieber die
Electricitätsentwickelung als Aequivalent chemischer Processe (Wiedem. Ann. Bd. 5,
S. 182 bis 215) enthält nur eine Reihe von Betrachtungen, welche nicht immer klar
erkennen lassen, wie weit die Ansichten des Verfassers von den Erfahrungen der übrigen
Physiker abweichen. In einer zweiten Abhandlung gleichen Namens (Wiedem. Ann.
Bd. 16, S. 562 bis 593) theilt Braun eine Anzahl Messungen electromotorischer Ermfle
und deren aus den Wärmetönungen berechneten Werthe mit.
3) a. a. 0. Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 563.
E Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 717
Kraft gar nicht zu enthalten, da hisher von keiner Seite hezweifelt wor-
den ist, dasB secundäre Processe mit localen Wärmeentwickelangen (z. B.
an den Electroden) verhunden sind, und daher einer hesonderen Behand-
lung hedürfen.
Die Sätze, welche im Vorhergehenden entwickelt worden sind,
wurden stets mit der Einschränkung aufgestellt, dass locale positive oder
negative Wärmeproductionen , welche mit dem Strome in keinem un-
mittelharen Zusammenhange stehen, ausgeschlossen sein sollten. Als
solche locale, secundäre Processe wurden ausdrücklich: Gasentwickelun-
gen, zumal Ausscheiden von Gasen in anderem als dem gewöhnlichen
Zustande, und Rückkehr dieser Gase in den normalen Zustand, freiwilli-
ger Zerfall der primären Ionen, Goncentrationsänderungen , Gasahsorp-
tionen etc. hezeichnet.
Braun jedoch geht von einer Analogie mit den Processen hei Um-
wandlung von Wärme in Arheit über und meint, dass ebenso wenig als
der gesammte Wärmeinhalt eines Körpers in Arbeit verwandelt werden
könne, es auch nicht möglich sei, die gesammte potentielle Energie der
Affinität in Electricität umzusetzen. Es gehe vielmehr stets nur ein
Theil derselben in electrische Energie über, ein anderer gehe in der
Zelle in Wärme über, ähtilich wie bei der Verwandlung von Wärme in
Arbeit stets ein Theil Wärme von höherer Temperatur in solche niederer
Temperatur übergehe.
Jedenfalls ist diese Analogie insofern keine richtige, als erstens von
der überhaupt in einer Substanz vorhandenen potenziellen Energie der
Affinität stets nur ein Theil umgesetzt wird, nämlich der, welcher sich
auf eine bestimmte mit ihm. in Wirksamkeit tretende Substanz bezieht,
und andererseits ist der nutzlos verloren gehende, im Welträume zerstreute
Theil der Energie in der Wärme zu suchen , welche zur Erwärmung des
gesammten Leiterkeises nach dem Joule' sehen Gesetze dient. Diese
ist, wie die Behandlung der electrischen Maschinen ganz deutlich zeigt,
solche Wärme, welche von höherer in niedere Temperatur übergeht.
Während für constante Ketten von J. Thomsen (siehe S. 679) auf
experimentellem Wege und von Helmholtz auf dem Wege der Rech-
nung (Gl. 38, S. 711) aus den Grundannahmen der Gontacttheorie nach-
gewiesen worden ist, dass die gesammte potentielle Energie der Affinität
in electrische Energie umgesetzt wird, glaubt Braun nachweisen zu
können, dass für jede Substanz ein charakteristischer , mit der Dissocia-
tionsfähigkeit derselben zusammenhängender Bruch x oder y existirt,
welcher den electromotorischen Nutzeffect des Processes angiebt.
Braun nimmt also an, dass die electromotorische Kraft eines Daniell
nicht
D = (Zn, 0,Ht80^,aq) — (Cu, 0,HiSOi,aq) = Zi — Äi
sei, sondern
D = x.{Zn,0,HiSO^,aq) — y . {Cu,0,Ki80^,aq) = x.Ki —y.K^,
718 III. Anwendungen auf electrische ErscheinungeiL
worin x und y die für Zinksulpliat und Eupfersulphat cliarakieristiBcbeii
Brüche sind i).
Späterhin berechnet er aus solchen Processen, für welche die
Wärmetönung K^ der einen Substanz yerhältnissmässig klein ist
(Ags, O,HNO3,aq = 33 600), aus seinen Beobachtungen Grenzwerthe für
einige Substanzen, indem er für y die Werthe 0, Vs und 1 einsetzt und
findet, dass z. B. für CUSO4 im Maximum x = 0,68 und für ZnSO^ im
Maximum x = 0,83 sein könne.
Die Beobachtungen sind zum Theil in der Weise angestellt, dass die
electromotorische Kraft im offenen Stromkreise mit Hilfe des Clectro-
meters gemessen wurde. Zum Theil wurde die electromotorische Kraft
der Ketten dadurch gemessen, dass man die zu untersuchende Combina-
tion einmal hinter einander und daDn gegen einander mit einem Normal-
element von bekannter electromotorischer Kraft durch einen groflsen
Widerstand verband und die Stromstärken t'i und i^ in beiden Fällen
beobachtete.
In den wenigen Fällen, in denen beide Methoden zur Anwendmig
kamen, sind häufig sehr beträchtliche Differenzen zwischen den Resul-
taten beider Methoden bemerkbar.
Die Untersuchungen ergeben erhebliche Differenzen besonders für
die Gombinationen mit Magnesium und mit Silber und für die Ketten, in
welchen Lösungen von essigsauren und Salpetersäuren Salzen oder Ton
Platin- und Goldchlorid vorkommen.
Es g^ebt einzelne Ketten darunter, in welchen die beobachtete elec-
tromotorische Kraft grösser, andere, in welchen sie kleiner ist, als es die
Rechnung aus den Wärmetönungen ergiebt, in einigen Fällen verläuft
der Process in entgegengesetzter Richtung, als man nach den Wärme-
tönungen erwarten sollte.
Wir fügen von jeder Art einige Bdispiele bei:
a. Ketten, deren electromotorische Kraft kleiner ist, als die aus den
Wärmetönungen berechnete.
.
Electromotorische Kraft (D. =: 1)
beobachtet *)
berechnet *)
DiiTerenz
Zn 1 ZnS04 | AggSO^ | Ag ....
Cd 1 CdS04 1 AgjSO* 1 Ag ....
s Ca 1 CUSO4 1 Ag2S04 1 Ag ....
f 1,374
l 1,358
i 1,035
\ 1,039
f 0,336
\ 0,369
1,712
1,680
1,382
1,355
0,712
0,699
— 0.344)
— 0,322/
— 0,347)
— 0,315J
— 0,376
— 0,330
^) Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 564. Man vergleiche dagegen die Heimholte 'sehe
Entwickelung, nach welcher: t.(>f -|- w) = Ki — K^ (und nicht = ac . /Tj — y*^
ist, in unserem Paragraph 18, S. 711, Gl. 38).
*) Die oberen Zahlen rühren von Braun her, die unteren von A. Wright,
Phil. Mag. Ser. 5, Bd. 14, S. 202 u. s. f.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 719
b. Ketten, deren electromotorische Kraft grösser ist, als die ans den
Wärmetonnngen berechnete.
Electromotorische Erafl (D. — l)
beobachtet
berechnet
Differenz
Pb 1 Pb AI3
,CaAl2 Cu ....
0,451
«
0,310
+ 0,141
Cd 1 CdS04
FeS04 Fe ....
0,096 (?)
— 0,072
+ 0,17
Zn ZDSO4
FeSO^ 1 Fe ....
0,40 (?)
0,26
+ 0,14
Zn 1 ZnBr^
CaBra 1 Cu ....
1,06
1,00
+ 0,06
Ag 1 AgNOs
HNO3 1 PtCl^ 1 Pt .
0,073 bis 0,14
— 30,6
+ 0,37 bis 0,44
Hiemnter finden sich auch zwei Beispiele, in welchen die Vorzeichen
der berechneten nnd beobachteten electromotorischen Kraft entgegen-
gesetzt sind.
Unzweifelhaft sind die Unterschiede zwischen beobachteten nnd be-
rechneten Werthen zumeist zu gross, nm durch unvermeidliche Messungs-
fehler erklärt werden zu können. Es fehlt jedoch an einer genauen
Untersuchung der in den Ketten durch den chemischen Process gebilde-
ten Producte, und es liegt daher die Vermuthung nahe, dass die chemi-
schen Vorgänge wesentlich anders verlaufen sind, als bei Berechnung
der electromotorischen Kraft aus den Wärmetönungen angenommen wor-
den ist.
Als eine wesentliche Voraussetzung f&r die Anwendbarkeit des
Satzes, dass die von einer Kette entwickelte electrische Energie der con-
sumirten potentiellen Energie der Affinität äquivalent sei, hat J. Thom-
sen^) die Bedingung vorangeschickt, dass in der offenen Kette keine
chemischen Reactionen eintreten können, sondern dass dies erst bei
Schluss derselben geschieht, ferner dass Nebenwirkungen ausgeschlossen
seien , die «wischen den ursprünglichen und den durch den Strom gebil-
deten Körpern stattfinden.
Die von J. Thomsen nntersuchten Ketten genügen diesem An-
sprüche ziemlich gut und die beobachteten electromotorischen Kräfte
stimmen mit den berechneten fast vollkommen überein. Die von Braun
nntersuchten Ketten, welche grosse Abweichungen zwischen Beobachtung
und Rechnung zeigen, sind zum Theil solche , bei welchen sich der Ver-
lauf der Reaction nicht von vorn herein mit Sicherheit übersehen lässt,
zum Theil aber auch sind es solche, welche diesen von Thomsen auf-
gestellten selbstverständlichen Bedingungen nicht genügen. Jedenfalls
ist es im hohen Grade unwahrscheinlich und spricht sehr gegen die
Braun'sche Hypothese, dass in denjenigen Fällen, in welchen es sich um
^) J. Thomsen, Wiedem. Ann. Bd. 10, S. 259.
720 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
einfache, leicht übersehbare Reactionen handelt, and bei welcben den
Gültigkeitsbedingnngen der Aequivalenz genügt wird, jedesmal gerade
die eigenthümliche Beziehung zwischen x und y exiatirt, daas
X • Kl — y • Kq = Kl '— K%
ist, wenn man mit Ki und K2 die Wärmetönungen der in der Kette sich
vollziehenden, entgegengesetzt verlaufend en Reactionen bezeichnet.
* Die lediglich aus Elementen zusammengesetzten Ketten, welche wir im
Paragraph 16 besprochen haben, sind endlich die überzeugendsten Wider-
legungen und beweisen, dass wenigstens für die von Exner untersacliteD
Brom- und Jod Verbindungen, also wieder für einfache, leicht übersehbare
Reactionen, x = y = 1 ist^).
Mindestens ist es hiernach sehr unwahrscheinlich, dass die Brau na-
sche Ansicht richtig ist, und man wird so lange die Beweiskraft seiner
Versuche bestreiten können, bis von ihm nachgewiesen worden ist, dass
die chemischen Reactionen in den untersuchten Ketten wirklich auch so
verlaufen sind, wie bei Berechnung der electromotorischen Kräfte aus den
Wärmetönungen von ihm angenommen worden ist. Bei genauer Unter-
suchung wird sich wohl überall ergeben, dass die primären Zersetznngs-
producte anderweite Umsetzungen erfahren haben, und dass dadurch die
electromotorische Kraft beeinflusst worden ist. Es ist zumeist ziemlich
schwierig sich eine vollständig zutreffende Vorstellung von all den Reac-
tionen zu bilden, die in einem Elemente oder einer Zersetzun^rszelle
sich vollziehen. Die Thermochemie hat ausreichend gezeigt, wie der
Verlauf der chemischen Processe auch in quantitativer Beziehung' von
der relativen Menge der Stoffe, Temperatur, Wirkungsdauer, Goncentra-
tion etc. abhängt.
Man kann zugeben, dass die vollständige Umsetzung der poten-
tiellen Energie der Affinität in electrische Energie nur in seltenen Fällen
erreichbar sein wird, da secundäre, nicht vollkommen umkehrbare Phäno-
mene fast nie vollkommen ausgeschlossen werden können ; deshalb braucht
man jedoch noch lange nicht der Grundannahme Braun's beizustimmen,
dass nur ein für jede Verbindung charakteristischer und für diese Sub-
stanz constanter Bruch theil der durch' die Wärmetönung ausgedrückten
potentiellen Energie in electrische Energie umsetzbar sei.
') Diese Versuche würden auch die Hilfgmittel abgegeben haben, um die Wertlic
von X und y in einigen Fällen zu berechnen. Dies wäre um so mehr möglich gewesen,
als die Arbeit Exner 's bereits über ein halbes Jahr vor dem Abschluss der Braun'-
sehen Arbeit erschienen war (Exner 1. Juli 1881 und Braun März 1882).
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 721
23. Sclilussbetraohtungen über die Beziehung zwischen
Arbeit und electromotorisoher Kraft 0-
Schliesst man eine constante Kette durch einen Leiter, so yer-
"wandelt sich unter den früher mitgetheilten Bedingungen die vom chemi-
schen Processe consumirte potentielle Energie yollständig in Wärme. Ist
T die Zeit, welche erforderlich ist, um die einem Gramm Wasserstoff
fiquiTalente Menge der reagirenden Stoffe (ein Aequivalent) in Wechsel-
-wirkung treten zu lassen, ferner F die electromotorische Kraft der Kette,
i die Stromstärke und Q die in der Secunde nach dem Joul ersehen
Gesetze in Kette und Leiter im Ganzen entwickelte Wärmemenge und K
die algebraische Summe sämmtlicher im Elemente geleisteten chemischen
Arbeiten, so ist
K= Q . T=F .i . T 39)
und diese Gleichung ist vollständig identisch mit der früher von uns
aufgestellten Gleichung 16), Seite 632.
Wird nun in jeder Secunde im Leiterkreise vom Strome eine Arbeit
q geleistet, so wird die Stromstärke auf «', die electromotorische Kraft
auf F\ die per Secunde nach dem Joule 'sehen Gesetze im gesammten
Leiterkreise erzeugte Wärme auf Q' sinken und zum Verbrauch von je
einem Aequivalente im Elemente wird nunmehr eine Zeit T' erforderlich
sein. Alsdann ist:
K= Q' . r + q . r = F\f . r + q .T' . . 40)
und diese Gleichung ist identisch mit der früher von uns aufgestellten
61. 17), S. 632. Setzt man:
q. r = S,
so ist 8 die Arbeit, welche der Strom leistet, während je ein Aequivalent
der Verbindung im Elemente gebunden und zersetzt wird. Durch Divi-
sion der letzten Gleichungen durch K findet man unter Rücksicht auf
Gl. 39):
,^r.f.r 8^ ...... 41)
F.i . T ^ K ^^
Da nun aber (man sehe auch S. 633, Z. 21 v. o.) die Zeit, welche
erforderlich ist, um ein Aequivalent (Zu zu lösen, Gn niederzuschlagen
im Daniel loschen Elemente) zu consumiren, immer der Stromstärke
umgekehrt proportional ist, so muss stets:
i . T=i' . r 42)
^) Man vergleiche den interesmiiten Anfsata von Colley: Ueber die in einem ge>
schlossenen Stromkreise geleistete Arbeit äusserer Kräfte. Wiedem. Ann. Bd. 16,
S. 39 bis 56.
Bflhlmann, Meehan. Wftrmetheorie. Bd. IL ^
722 III. , Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Bein. Mit Rücksicht darauf folgt aus Gl. 41):
A=E.^ZJ1 43)
Alsdann ist F — F* die electromotorische Gegenkraft 9)^ welche
die vom Strome geleistete Arheit im Leiterkreise erzengt.
Die Grösse 9 ist negativ, wenn eine positive Arheit vom Strome ge-
leistet wird; hingegen ist q> positiv, wenn im Leiterkreise eine Arbeit
von äusseren Kräften geleistet wird.
Die Richtigkeit dieses Satzes, der eine einfache Conseqaenz des
Satzes von der Constanz der Energie ist, wurde durch die vorhergehen-
den Abschnitte bereits in mehreren Fällen sicher constatirt. Wir haben
ihn bewiesen für den Fall, dass es sich um das Treiben eines electro-
magnetischen Motors handelt, in dem Abschnitte D (Induction). Wir
haben dessen Gültigkeit femer gezeigt, wenn es sich um die Zersetzung
eines Electrolyten handelt; es geschah dies nahezu in jedem der vorher-
gehenden Paragraphen des Abschnittes E. Handelt es sich um eine
electrische Endosmose, bei welcher Niveauveränderungen schwerer Flüs-
sigkeiten eintreten, so ist die electrische Energie der von Quincke ent-
deckten Diaphragmenströme der Vorgang, welcher der Arbeitsleiatong
äquivalent ist^).
Die Gleichung 43) können wir auch in der Form schreiben:
l = -| ^*)
Dann liegt es nahe, nach der physikalischen Bedeutung dieser con-
F w
stauten Quotienten -= und -^ zu fragen.
Es ist nun K eine Arbeits-, eine Energiemenge, F eine Potential-
differenz und bekanntlich:
K = F . M 45)
wenn M die Electricitätsmenge bezeichnet, welche den Leiterkreis dnrch-
fliesst, während die Arbeitsmenge K im Elemente consumirt wird.
Betrachten wir die in der Zeiteinheit durch den Leiterkreis fliesaende
Electricitätsmenge, so ist Jlf identisch mit der Stromstärke i, denn Strom-
stärke ist die durch jeden Querschnitt des Leiterkreises per Secnnde
fiiessende Electricitätsmenge ').
Treten mehrere Arbeitsleistungen, Su Sj, S3 etc., in dem Leiterkreise
auf und sind die entsprechenden electromotorischen Kräfte qpi, 9>2, ^^etc^
so ist auch:
— =: — = — = ...=Af
F 9i Vi
^) Man sehe Quincke, Pogg. Ann. Bd. 113, S. 513; vergl. aach CoUev, Po«.
Ann. Bd. 157, S. 405.
^) Diese Gleichung 45) ist demnach identisch mit Gl. 13), S. 631, wobei m = /
gesetzt ist, weil wir annehmen, dass alles in gleichartigen Einheiten (g, em, «ee) aus-
gedrückt ist.
E. Die mechanische Theorie d. electrochem. Erscheinungen. 723
somit auchr
^ i 9i i Va i 9^3 i * • •
wof&r wir kürzer Bchreiben:
ZK
ZF
= M 46)
Da wir nun bei unseren Betrachtungen stets annehmen, dass eine
bestimmte constante Electricitätsmenge M den Leiterkreis durchwandert
(zumeist setzt man der Einfachheit wegen M = 1), so folgt daraus,
dass jede Aenderung von 2K eine entsprechende Aendemng des Poten-
tialniveaus £F bedingt.
Sind die ursprünglich von uns betrachteten Grössen F und K beide
Null, so bleibt die Gleichung 46) ungeändert, man erkennt daraus, dass
die electromotorische Kraft (p eine durchaus selbstständige, von der An-
wesenheit oder Abwesenheit von K und F unabhängige Existenz hat,
deren Grosse und Vorzeichen lediglich durch S bedingt wird. Die in der
Zeiteinheit geleistete Arbeit q hängt wesentlich von der electromotori-
sehen Erafb der ursprünglich wirkenden Kette, von F ah] 8 jedoch ist
davon ganz unabhängig. Es ist nämlich:
TP ^— tn
q = q>.i'=(p — 47)
Da nun:
S = g . T' = 9) . t' . T' 48)
nnd ^ , T' = M und M eine constante Electricitätsmenge ist, so wird
aus der Formel für S somit F und B ganz eliminirt.
Auf alle Fälle muss man annehmen, dass £K eine positive Grösse
sei. Wäre 2JK negativ, so handelte es sich also in einer Kette um eine
freiwillige (endothermische) Reaction , bei der Wärme absorbirt würde ^).
Wäre eine solche im. Stande, einen Strom zu erzeugen, so müsste der
Strom im gesammten Schliessungskreise von einer Wärmeabsorption be-
gleitet sein. Das ist nach dem Joule 'sehen Gesetze aber unmöglich.
Als ein Beispiel, dass 2K nicht negativ sein kann, haben wir z. B.
(in Paragraph 5, S. 677) schon den Fall erwähnt, dass ohne Mithülfe
secundärer Processe (Occlusion, Convection) Wasser nicht durch eine
Kette zersetzt werden kann, deren electromotorische Kraft kleiner als
1,36 Daniell ist.
Auf Grund der Formel 46):
SK
£F
= Cond,
kann man behaupten, dass jede Aenderung des Arbeitswerthes SK, die
sich im geschlossenen Leiterkreise vollzieht, einer Aenderung von SF
^) Braun glaubt solche gefunden zu haben. Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 570.
46*
724 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
entsprechen muss, und es liegt kein Grund vor, aus dem man BcblieBaen
müBste, dasB nur chemische Arheiten allein Aenderungen von 2^F bewir-
ken können. Jede Arbeit, die sich an der Berührungsfläche zweier
Substanzen vollzieht, mag diese Arbeit eine rein chemiscbe, oder mag
diese Arbeit eine physikalische sein, mag sie z. B. 6ine Gasverdich-
tung oder Occlusion, eine Dichtenändernng , eine Arbeit von Capillar-
kräften oder die Losreissungsarbeit electrischer Schichten durch Flüssig-
keitsströme sein, wird Ursache einer electromotorischen Kraft sein können.
Jedesmal wenn bewegliche Theile eines dielectrischen Mittels, gleichviel
ob dies eine Electrolyt ist oder ein Element, als Trager getrennter
Electricitaten auftreten und diese fortführen, kann ein dauernder Strom
entstehen. Jede Ursache, welche den Körperatomen eine gewisse, mit
einer bestimmten bevorzugten Richtung zusammenhängende Beweg^nng
ertheilt, gleichviel welcher Natur die Bewegungsursache ist, bringt eine
der consumirten Arbeit äquivalente electromotorische Kraft hervor ^).
Wir sehen aber auch andererseits aus obiger Gleichung, dass keine
electromotorische Kraft bestehen kann, die nicht einer stetigen Arbeit
irgend welcher Kräfte entspricht.
Ist der Leiterkreis, auf den sich unsere Betrachtungen bezieben, ge-
schlossen, so tritt in dem offenen Leiterkreise an Stelle des Stromes eine
Potentialdifferenz auf.
Als Schluss der gesammten vorstehenden Betrachtungen können wir
einen Satz aufstellen, welcher nur ein specieller Fall des allgemeinen
mechanischen Principes ist, dass jedes materielle System, in welchem
Kräfte thätig sind, stets strebt, unter gleichzeitiger Verrichtung positiver
Arbeit in eine stabile Gleichgewichtslage überzugehen. Dieser Sati
lautot: Wenn in einem geschlossenen Leiterkreise chemische oder andere
Kräfte eine Arbeit leisten können , so ist das Vorzeichen der entstehen-
den electromotorischen Kraft so beschaffen, dass die Gesammtarbeit
positiv ausfällt. Die Grösse der electromotorischen Kraft ist dieser
Arbeit proportional *).
F. Thermoelectricität.
1. Allgemeines und Hlstorlsohes.
Bisher ist von uns angenommen worden, dass der vom Strome dorch-
floBsene Leiter homogen sei, und es fragt sich, was geschieht, wenn diese
Homogeneität nicht mehr stattfindet? Die Antwort hierauf ist durch den
^) Hierher gehören auch die Versuche von Colley über electriAche Strome, her-
vorgebracht durch beschleunigte Bewegung der Elektrolyten. Wiedem. Ann. Bd. 17, S. 53.
3) Colley, Wiedem. Ann. Bd. 16, S. 53.
F. Thermoelectricität. 725
Versucli zuerst von Peltier^) gegeben worden. Peltier liess einen aas
zwei verschiedenen Metallen zusammengelötheten Leiter von einem Strome
durchfliessen und beobachtete, dass die Temperatur der Lothstelle minder
hoch sei, als die der benachbarten Stellen, wenn man den Strom in einer
bestimmten Richtung hatte hindurchgehen lassen. Die Lothstelle erwärmt
sich hingegen mehr als die Umgebung, wenn der Strom in entgegen-
gesetztem Sinne durch den Leiter strömt. Diese Thatsache steht nun in
ursächlichem Zusammenhang mit der schon früher (1823) von Seebeok')
entdeckten Thatsache, dass wenn die beiden Löthstellen eines aus zwei
verschiedenen Metallen zusammengesetzten geschlossenen Leiterkreises
verschiedene Temperatur haben, in diesem Leiterkreise ein eleotrischer
Strom circulirt, dessen Richtung und Intensität von der Qualität der
beiden Metalle und von der TemperaturdifTerenz der Löthstellen abhängt.
Für geringe Temperaturdifferenzen sind die Grössen dieser thermoelec-
tromotorischen Kräfte der Temperaturdifferenzen der Löthstellen nahezu
proportional. Für grössere Temperaturdifferenzen hört diese Proportio-
nalität jedoch bei allen Metallcombinationen vollständig auf.
Man bezeichnet als thermoelectrisch positiv bekanntlich dasjenige
Metall, zu welchem durch die auf der höheren Temperatur befindlichen
Löthstellen der positivelectrische Strom hinströmt. Als positivstes Metall
in diesem Sinne ist nahezu übereinstimmend Wismuth gefunden worden«
In ihm ffiesstder positive thermoelectrische Strom somit von der wärme-
ren zur kälteren Lothstelle. Am entgegengesetzten Ende der thermo-
electrischen Reihe steht Antimon. Die relative Stellung der Metalle und
Legirungen für sehr kleine Temperaturdifferenzen ist jedoch je nach
der Höhe der Temperatur sehr verschieden ^).
Ganz analog den bei der electrischen Spannungsreihe beobachteten
Erscheinungen hat man auch bezüglich der thermoelectrischen Reihe ge-
funden, dass die electro motorische Kraft irgend zweier Metalle der Reihe
gleich der Summe der electromotori sehen Kräfte aller Zwischenglieder
ist, vorausgesetzt, dass die Temperaturen der Löthstellen dieselben sind.
Durch das Peltier'sche Phänomen wird an der wärmeren Lothstelle
Wärme absorbirt und an der kälteren Lothstelle W^rme entwickelt.
Man kann beide Erscheinungen in einen Satz zusammenfassen, wenn
man sagt: Die Wärmeentwickelungs- und Absorptionsprocesse, welche an
den Löthstellen zweier zu einem Leiterkreise verbundenen und von einem
Strome durchflossenen Metalle stattfinden, sind stets derart, dass sie einen
Thermostrom hervorzurufen streben, welcher dem Hauptstrome entgegen-
1) Peltier (1834), Ann. de cbim. et de phys. Bd. 56, S. 371 und Pogg. Ann.
Bd. 43, S. 324. Bei Peltier ist jedoch die Stromricbtung verkehrt angegeben.
3) Seebeck, Denkschriften der Berliner Academie, 1822 u. 1823; auch Qilbert'g
Ann. Bd. 73, S. 115 n. 430; Pogg. Ann. Bd. 6, S. 1, 133 u. 253.
^) Eine sehr vollständige Zasammenstellung aller auf die thermoelectrische Reihe
bezüglichen Versuche findet man in: G. Wiedemann, Electricit&t Bd. 2, S. 247
u. 415 (Friedrich Vieweg u. Sohn, Braunschweig, 3. Aufl., 1883).
726 lU. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
wirkt und diesen Bchwächt. Nicht unzweokmässiger Weise hat daher
Budde ^) für diese Vorgänge den Ausdrack thermoelecirische Polari-
sation in Yorsohlag gehracht.
Die thermoelectrischen Erscheinungen und ihr Zusammenhang mit
den Grundanschauungen der mechanischen Wärmetheorie liegt auf der
Hand. Wenn die Löthstellen zweier verschiedenen Electricitätsleiter auf
ungleiche Temperatur gehracht werden, circulirt durch den gesammten
Leiter ein Strom, dieser aher ist an der höher erwärmten Löthstelle fort-
dauernd mit einem Verbrauch yon Wärme verbunden. Gleichzeitig strebt
der erzeugte thermoelectrische Strom die kältere Löthstelle zu erwärmeo.
Es findet also ein Verbrauch von Wärme statt, und für dieselbe tritt als
Aequivalent ein electrischer Strom auf. Man kann hiernach auf die
thermoelectrischen Vorgänge den ersten Hauptsatz anwenden. Ausser-
dem aber findet ein Uebergang von Wärme von höherer Temperatur in
Wärme, von niederer Temperatur statt, da an der kälteren Löthstelle
fortwährend Wärme absorbirt wird. Da mit Rucksicht auf das P eitler '-
sehe Phänomen der Vorgang ausserdem als ein umkehrbarer angesehen wer-
den kann , so darf auch der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärme-
theorie, der Satz von der Aequivalenz der Verwandlungen, auf die thermo-
electrischen Vorgänge angewendet werden.
•Die erste Behandlung der Angelegenheit rührt von Thomson')
(1851) her; unabhängig von ihm und selbstständig hat wenig später
(1854) Clausius') die Aufgabe in Angriff genommen. Wir werden
zuerst die ältere Theorie von Thomson folgen lassen und hierauf die
abweichende Methode darlegen, durch welche es Clausius gelungen ist,
eine befriedigende Darstellung der durch die Erfahrung gegebenen That-
sache zu gewinnen.
2. Der experimentelle Nachweis des Peltier'schen
Phänomens.
Bekanntlich gelingt es leicht, die thermoelectrischen Vorgänge zu
zeigen und deren Gesetze zu beweisen. Schwieriger ist es hingegen, die
Umkehrung derselben, die thermoelectrische Polarisation und deren Ab-
hängigkeit von Stromstärke und Qualität der sich berührenden Metalle
zu ermitteln, da infolge der beträchtlichen Erwärmung des gesammten
Leiters nach dem Joule 'sehen Gesetze die geringen Temperaturdifferenzen
der beiden Löthstellen schwer nachzuweisen sind.
J) Pogg. Ann., Bd. 153, S. 343.
^) Thomson, Proceedings of the Roy. Soc. of Edinbarg, Decemberhetl 1851, and
Philos. Mag. (1852); ferner Philos. Transact. 1856, Bd. 146, S. 649, 4. Ser., Bd. HI,
S. 529 bis 535. Auch On a mechanical theory of thermoelectric cuiTents. Phil. Mag.
4. Ser., Bd. 3, S. 529.
') Clausius, Pogg. Ann. Bd. 90, S. 513.
F. Thennoelectricität 727
Peltier bedien^te aich, niu zunächst venigateoB qnolitotiT iaa Ton
ihm entdeckte Phänomen n achza weise d , mit Vortheil seiner thermoeleo-
triachen Zange (siehe Fig. 55) und wendete dieselbe bei den zu nnter-
Fig. 55, Bacheuden Lettern an. Diese
Z&nge besteht ans zwei Wis-
mathantimon-Paaren, von duuen
die beiden Wismuthelemente
. Bi, Si durch einen Draht verbnn-
den sind nnd die beiden Antimon-
elemente 86, Sb mit einem Gal-
vanometer G in leitender Ver-
bindung stehea. Wenn der
zwischen beiden Paaren befind-
liche Leiter AB sich zo erwär-
men beginnt, so üben die beiden
tbermoelectriBchen Paare eine gleichsinnige Wirkung aus, und die Ab-
lenkang der Galranometemadel misst die Intensität der Erwärmung an
der Stelle, an welcher sich die tliermoelectriaclie Zange gerade befindet.
Auch hat sich Peltier bei seinen UnterBuchungen eines Apparates
bedient, der dem Rnmford'Ecben Difierentislthermometer sehr ähnlich
ist. In jede der beiden Kugeln hinein ragte eine Löthsteile eines Wis-
muthantimonpaares. Der Strom trat ein in eine Wisrauth-Antimon-Löth-
stejle (siehe Fig. 56) nnd ging dann zu einer Antimon- Wismuth-Löth-
atelle des anderen Elementes.
^'S- ^^- An der einen Stelle fand daher
Abkühlung und am anderen
Elemente Erwärmung statt, und
beide Wirkungen veranlasBten
eine Verschiebung dea Iudex a
des Differeutialthermometera in
dem gleichen Sinne.
Man kann ohne Besohran-
' kung annehuen, dass der einen
heterogenen Leiter durchäiea-
sende Stcom durch Indactions-
wirknngen erzeugt sei. Die während eines unendlich,kleinen Zeitabachnittes
dt aufgewendete mechanische Energie ist aladann (man aehe Bd. 2, D.,
S. 623, Gl. 4):
m.F.i.dt.
Hierin iat F die electromotoriache Kraft der Inductionavrirkung,
t die erzeugte Stromstärke, m eine tou den gewählten Einheiten abhängige
Con staute.
Dies iat auch daa mechanieche Aeqnivaleut der entwickelten Wärme-
menge. In dieser Wärmemenge aber hat mau zwei Theile zu unter-
728 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
scheiden, einen Theil Q-dt^ welcher nach dem Joule 'sehen Gesetze ent-
wickelt worden ist, und einen anderen Theil £q.dij das sind die posi-
tiyen und negativen Wärmemengen, welche an den Berührungastellen
der verschiedenen Metalle frei werden.
Lässt man beiderseitig dt weg, so gelangt man zu der Gleich ongf:
J.(Q + i:q) = m.F.i 1)
Andererseits entsteht an jeder Berührungsstelle yerschiedenartiger
Metalle infolge der Temperaturänderungen eine therm oelectromotorische
Kraft, welche entweder positiv oder negativ gerechnet werden nmss, je
nachdem sie mit F gleichsinnig oder dieser entgegengesetzt ist. Wir
wollen diese thermoelectrischen Kräfte unter der symbolischen Bezeich-
nung £h zusammenfassen. Bezeichnet ausserdem 2JX den gesanamten
Widerstand des vom Strome durchflossenen Leiterkreises, so hat man
nach dem Ohm' sehen Gesetze:
Da Q die nach dem Joule' sehen Gesetze entwickelte Wärmemenge
ist, so gilt für diese Grösse die Gleichung:
J.Qz=m.iKi:X 3)
oder wenn man für einen der Factoren i in t* seinen Werth aus der
vorhergehenden Gleichung einsetzt:
J.Qz=m.i.(F + Zh) 4)
Setzt man dies in die Gleichung 1) ein, so findet man:
J.Uq + m.i.£h=:0 5)
Diese Gleichung gestattet zwei wichtige Schlussfolgernngen :
1) Nimmt man an, der gesammte Leiterkreis sei in ein Calorimeter
eingetaucht, dessen Wassermasse genügend gross ist, so dass keine er-
heblichen Temperaturveränderungen eintreten und kein Theil des Leiters
eine merklich höhere Temperatur besitzen kann, als der andere, so muss
sein. Daraus aber folgt alsdann sofort:
2a = 0.
So lange also die Temperatur der verschiedeneu Theile des Leiters
sehr nahe constant ist, findet zwischen der von den Löthstellen entwickel-
ten und absorbirten Wärmemenge eine vollständige Compensation statt.
Daraus kann man den für die experimentelle Praxis wichtigen Schluss
ziehen, dass bei jedem richtig angestellten calorimetrisohen Versncfae
zur Demonstration des Joule 'sehen Gesetzes von den thermoelectrischen
Wirkungen an den Berührungsstellen verschiedener Metalle abgesehen
werden kann.
F. Thermoelectricität. 729
2) In der Gleichung:
m.F.i = mJ.(F + £h) + J.Zq 6)
kann die Grösse £h gegen ^ auf der rechten Seite vernachlässigt werden,
da die thermoelectrischen Ströme jederzeit nur schwach sind. Daraus
-würde dann näherungsweise:
2:^ = 0
folgen. Also auch in diesem Falle «würde man ohne wesentlichen Fehler
von den Thermoströmen absehen können. Nehmen wir im Besonderen
an, dasB der Leiter nur aus zwei verschiedenen Metallen zusammengesetzt
sei und dass die Bedingungen der einen oder der anderen Voraussetzung
genügen, nach welcher ZJq = 0 sein muss, so findet man:
« + 3' = 0,
wobei q die Erwärmung der einen und g' die Abkühlung der anderen
Löthstelle bedeuten würde. Man erkennt, dass dann die an den beiden
Löthfitellen beobachteten Erscheinungen einander gerade entgegengesetzt
sein würden.
Berücksichtigt man, dass die beiden Löthstellen vom Strome bezüg-
lich der Aufeinanderfolge der an der Löthstelle znsammenstossenden Metalle
gerade in entgegengesetzter Richtung durchflössen werden, so wird
diese theoretische Folgerung durch den Versuch vollkommen bestätigt.
Schon Peltier beobachtete nämlich, dass wenn ein Strom von constanter
Intensität die Löthstelle eines Thermoelementes das eine Mal in dem
einen., das andere Mal in entgegengesetztem Sinne durchfliesse, Tempe-
raturänderungen von gleicher Grösse, aber entgegengesetztem Vorzeichen
an dieser Löthstelle hervorgebracht werden.
3. Die Versuche von Quintus Icllius.
^ Auf experimentellem Wege ist von v. Quintus Icilius ^) der zweite
für die Theorie der thermoelectrischen Erscheinungen wichtige Satz
bewiesen worden, welcher sich aus Gleichung 5) ergiebt, derselbe lautet:
„ein electrischer Strom, der einen aus zwei verschiedenen Metallen gebil-
\ deten Leiterkreis durchströmt, bringt zwischen den beiden Löthstellen
'vTemperaturdifferenzen hervor, welche der Intensität dieses Stromes pro-
portional sind^.
Die eingeschlagene Beobachtungsmethode beruht auf der Ausführung
folgenden Gedankens. Zwei Stücke ein und desselben Metalles werden
mit je einem Ende mit einer Stange eines anderen Metalles verlöthet.
Lässt man zunächst einen galvanischen Strom durch dieses Leitersystem
*) V. Quintus Icilius, Pogg. Ann. Bd. 89, S. 377 (1853).
730 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
hindarobgehen , so nehmen die heiden Löthstellen yenchiedene Temperm-
turen an. Unterbricht man nun plötzlich den Strom und verhindet un-
mittelbar darauf das aus den verschiedenen Metallen hestehende System
mit einem Galvanometer, so entsteht infolge der ungleichen Temperatur,
welche die Löthstellen angenommen haben, ein Thermostrom, dessen
Richtang und Intensität die Art und Grösse der Tempei:atnrdiffereni
beider Löthstellen zu erkennen gestattet.
Um Erscheinungen von grösserer Intensität zu erzielen, wählte
V. Quintus Icilius bei seinen Versuchen nicht ein so einfaches, aus
drei Metallstücken bestehendes Leitersystem , sondern er verwendete eine
Thermosäole von 32 Wismuthantimonpaaren. Ein Gommutator gestattete
die Thermosäule bald mit einem Bunse naschen Elemente, bald mit
einem Galvanometer in Verbindung zu setzen«
Der grosse Vorzug der eingeschlagenen Methode lag darin, dass die
Beobachtung der Temperaturdifferenzen der Löthstellen ganz unabh&ngig
von der Erwärmung war, welche der Leiter als Ganzes nach dem Joui er-
sehen Gesetze erfahren musste. Immerhin zeigte sich jedoch bei den
Versuchen eine eigenartige Schwierigkeit. Obgleich man nämlich die
Thermosäule, unmittelbar nachdem sie vom Strome durchflössen worden
war, mit dem Galvanometer verband, so musste doch der Strom, welchen
nunmehr die Thermosäule hervorbrachte, sehr rasch an Intensität ab-
nehmen, da sich die durch den galvanischen Strom erzeugte Temperatur-
differenz alsbald auszugleichen begann. Es handelte sich im vorliegenden
Falle demnach darum, die anföngliche Intensität eines unausgesetzt ab-
nehmenden Stromes zu messen. Die üblichen Methoden gestatten jedoch
nur entweder Ströme von constanter Intensität oder die Electricit&ts-
mengen zu bestimmen, welche sich bei Strömen von ausserordentlich ge-
ringer Dauer ausgleichen, v. Quintus Icilius hat diese Schwierigkeit
auf folgendem Wege geschickt umgangen. Er bestimmte zunächst die
Gleichgewichtslage der Nadel eines Galvanometers mit Hilfe von vier
Beobachtungen, die durch den Zeitraum von 9 Secunden, der zu einer
vollständigen Schwingung erforderlich war, von einander abstanden.
Hierauf wurde zu einem durch das Pendel einer astronomischen Uhr
markirten Zeitpunkte die galvanische Kette mit dem Thermoelemente
und einer Tangenten boussole in Verbindung gesetzt. Der Ausschlag" der
Tangentenboussole wurde beobachtet und diente zur Beurtheilung der
Stromstärke der Batterie. 30 Secunden später wurde durch eine plötzliche
Bewegung des Gommutators die Thermosäule mit dem Galvanometer ver-
bunden, dann wurden sechs Ausschläge der Nadel beobachtet. Hierauf
führte man die Nadel durch die Wirkung eines Magneten in die Ruhelage
zurück und stellte eine zweite Beobachtungsreihe, an , bei welcher man
den galvanischen Strom in einer der vorigen entgegengesetzten Richtung^
durch das Thermoelement hindurch gehen Hess. Dieser Hess man eine
dritte Beubachtungsreihe folgen, bei welcher der Strom abermals diese
letzte Richtung hatte. Bei einer vierten und fünften Beobachtuugsreihe
F. Thermoelectricität 731
gab man dem Strome wieder die nrsprfingliche RicEtung u. 8. f. Nahm
man nun das Mittel aus einer sehr grossen Anzahl solcher Beobachtungs-
reihen, so eliminirte man den Einfluss, den ein kleiner Rest der Torher-
gehenden Erwärmung ausüben konnte. £& ist leicht einzusehen, dass
wenn die Beobachtungen der zweiten Reihe durch Nachwirkungen des
ersten galvanischen Stromes zu klein ausgefallen waren , die Beobachtun-
gen der dritten Reihe aus den nämlichen Gründen um beinahe ebensoviel
zu gross ausfallen mussten.
Aus den auf diese Weise erhaltenen ZahTen konnte man nach Metho-
den, welche von W. Weber herrühren, die mittlere Intensität des
Stromes berechnen, welche zwischen zwei aufeinander folgenden Maximal-
ausschlägen der Nadel stattgefunden hatte. Man erhielt auf diese Weise
sechs Werthe für die mittlere Intensität von abnehmender Grösse und
konnte daraus die Strtmintensität unmittelbar nach Ausschaltung der
Kette und Einschaltung des Galvanometers berechnen. Es wurde dadurch
auf das Deutlichste gezeigt, dass wenn ein galvanischer Strom durch eine
Thermosäule hindui'chgeht , derselbe zwischen den abwechselnden Löth-
stellen Temperaturdifferenzen hervorbringt, die seiner eigenen Strom-
intensität proportional sind.
Die Ungleichheit der Erwärmung der abwechselnden Löthstellen,
welche ein galvanischer Strom hervorbringt, ändert sich also proportional
der Stromintensität, die Erwärmung der von den Löthstellen entfernteren
Querschnitte nimmt dagegen propoi*tional dem Quadrate der Stromintensität
zu. Beide Erscheinungen zeigen somit einen vollständig getrennten Verlauf,
und es ist leicht ersichtlich, dass in dem Maasse, in welchem die Strom-
intensität zunimmt, die Ungleichheit in der Temperatur der Löthstellen
mehr und mehr unmerklich werden muss. Auf diese Weise ist leicht ein-
zusehen, warum man die Abkühlung der Löthstellen eines Thermoelementes
nur mit sehr schwachen Strömen sicher nachzuweisen im Stande ist.
Es ist inzwischen nachgewiesen worden, dass die Proportionalität,
welche v. Quintus Icilius experimentell bestätigt hat, nur für Ströme
von geringer Intensität streng besteht ^).
4. Die ältere Thomson'sche Theorie.
Mit Rücksicht auf die Versuche von v. Quintus Icilius, welche für
schwache Ströme den Satz ergeben haben, dass die bei dem Peltier' sehen
Phänomen entwickelten und absorbirten Wärmemengen der Strominten-
sität proportional sind, kann man nunmehr für die Grösse 27g schreiben:
i:q = ^.i 7)
Hierin ist 9 die electromotorische Kraft des Thermoelementes.
^) Man vergleiche: Le Roux, Ann. de chim. et de phys., Serie 3, Bd. 10, S. 248 u. ff.
Edlund, Pogg. Ann. Bd. 141, S. 404 u. 534. Sundeil, Pogg. Ann. Bd. 149, S. 144.
732 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Bekanntlich hezog sich dies auf die Annahme, dass der schwacha
Strom einer roagnetelectrischen Maschine durch einen aus Tersohieden.
artigen Metallen zusammengesetzten Leiterkreis fliesse.
Ist J^ die electromotorische Kraft der Indnction und i wie gewöhn«
lieh die Stromintensität, so ist, wenn die Maschine in Thätigkeit ist und
das ganze System einen stationären Zustand erreicht hat (man sehe
Gleichung 1, S. 728):
m.F.i = J.(Q — i:q) 6)
Diesmal ist £q mit negativem Vorzeichen gehraucht, da ¥rir ia
dieser Summe mit positivem Vorzeichen Wärmemengen einführen, weld»
ahsorbirt werden.
Ausserdem gilt nach dem Jo nie 'sehen Gesetze:
J . Q = 9lt.t*.^A.- • . . 9)
wenn £X den gesammten Leitungswiderstand aes ganzen Sjstemea be-
zeichnet.
Wenn man nunmehr diese Werthe aus Gl. 7) und 9) in 8) einsetzt,
findet man:
m.F = fn,SX.i — J.% 10)
und hieraus ergiebt sich:
. ^ m 11)
Die therm oelectromotoriscbe Kraft für die man früher .(Gleichung 2,
S. 728) das Zeichen £h benutzte, ist somit:
i:h== — 12)
m
Nimmt man Rücksicht darauf, dass an jeder Löthstelle eine der
electromotorischen Kraft der magnetelectrischen Maschine entgegen-
wirkende electromotorische Kraft auftritt, so kann man für die beiden
Seiten der vorstehenden Gleichung schreiben:
^.«=^.(«, + «, + ^3+ •••) • . . 13)
wenn man mit sTi, sr^, n^ die Wärmemengen bezeichnet, welche an den
verschiedenen Löthstellen bei den absoluten Temperaturen Ti, T^, T3 ...
absorbirt werden, wenn die Intensität des Stromes, welcher das Leiter-
system durchfliesst, gleich der Einheit ist. Somit ist:
a == TTi + »3 + :ar3 + 14)
und zwar werden hierin die absorbirten Wärmemengen positiv gerechnet
und die abgegebenen Wärmemengen mit negativen Vorzeichen eingeführt.
Die Betrachtung der thermoelectrischen Vorgänge vom Standpunkte
des ersten Hauptsatzes aus führt somit auf den ursächlichen Zosammen-
hang zwischen den Gesetzen der eigentlich thermoelectrischen Erschei-
nungen und den Gesetzen der vonPeltier entdeckten thermoelectrischen
Polarisation.
F. Thermoelectricität. ' 733
Die Anwendbarkeit des aweiten Hauptsatzes auf diese Erscheinungen
fordert vor allen Dingen den strengen Nachweis der Umkehrbarkeit
Bämmtlioher in Betracht zu ziehenden Processe.
Ehe wir den Versuch machen zu- untersuchen, auf welche neue
£igenthümlichkeit auf thermoelectrischem Gebiete uns der zweite Haupt-
satz fährt, vergegenwärtigen wir uns zunächst den Vorgang, durch den
wir an der Hand der Thomson'schen Entwickelung ') die thermoelec-
trischen Erscheinungen theoretisch zu betrachten begonnen haben.
Wir dachten uns als Electricitätsquelle eine um eine verticale Axe
drehbare Kapferscheibe SS^ auf welcher die verticale Componente der erd-
xnagnetischen Kraft Inductionswirkungen hervorbringt (man sehe Fig. 57).
Diese Scheibe wird durch eine äussere Kraft in Bewegung gesetzt. 1. Ein
■p^^ gy Leiterkreis berührt dieselbe mit
seinen beiden Enden derart, dass
ein Ende mit dem Mittelpunkte
des anderen mit der Peripherie
in leitender Verbindung ist.
2. Ausserdem möge der Leiter-
kreis ein oder mehrere Thermo-
elemente enthalten. Es sollen
3. leitende Verbindungsstücke
vorhanden sein, welche weder ein
inneres noch äusseres Wärme-
leitungsvermögen besitzen, was
übrigens bekanntlich in Wirklichkeit nicht hergestellt Verden kann.
Alsdann haben wir eine vollständig umkehrbare Vorrichtung vor uns.
Entweder man setzt durch die Wirkung einer äusseren Kraft die Maschine,
welche den Inductionsstrom liefert, in Thätigkeit, oder man erzeugt un-
mittelbar einen Thermostrom dadurch, dass man die Löthstellen erwärmt,
so ist der Strom, welcher den Leiterkreis durchströmt und der herrührt
von den einander entgegengesetzten Wirkungen der electromotorischen
Kraft der Induction und der electromotorischen Kraft der Thermoelemente,
jederzeit von selbst nur wenig intensiv. Unter diesen Umständen ist der
Vorgang vollkommen umkehrbar, und man kann auf denselben wirklich
den zweiten Hauptsatz anwenden. Man kann alsdann die gewonnenen
Sätze, wenn auch nur hypothetisch, auf den Fall anwenden, der in der
Wirklichkeit allein vorkommt, dass die Leiter Wärmeleitungsfahigkeit
besitzen, wenn man sich auf den Theil des Vorganges beschränkt, welcher
unabhängig ist von der Zerstreuung der Wärme durch Leitung.
Ueber die Zulässigkeit der Annahme, dass man bei Behaudlung der
thermoelectrischen Vorgänge die Wärmebewegung durch Leitung ver-
nachlässigen dürfe, kann nur das Experiment entscheiden. Insbesondere
^) Ea ist hierbei vorzugsweise die Abhandlang : On a mechanical theory of thcrmo-
electric currenU. Phil. Mag. 4. Serie, Bd. 3, S. 529 zu Grunde gelegt.
734 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
hat in neuerer Zeit F. Kohlr^usch^) darauf aufmerkflam gemacht, dan
man durch die Annahme: jede Yermittelung von Wärme durch Lfeitnng ist
mit einem electrischen Strome noth wendig verknüpfb und jeder electrisehe
Strom hewegt Wärme, die sämmtlichen Erfahrungsthatsachen über thermo-
electrische Vorgänge erklären könne. Freilich hat Glausius') mit
Recht gegen diese Hypothese eingewendet, dass Kohlrausch für jede
einzelne der zu erklärenden Erscheinungen eigentlich eine bisher nocb
unbekannte Eigenschaft der Wärme und Electricität anzunehmen ge-
nöthigt sei, dass aber eine derselben, nämlich die Voranssetzung* , das
Wärme durch ihren Uebergang von höherer zu niederer Temperatur auch
im Falle der Wärmeleitang Arbeit zu leisten im Stande sei, den bewährten
Grundsätzen und Erfahrungen der mechanischen Wärmetheorie wider»
spricht.
Nach dem zweiten Hauptsätze muss nun:
^f = 0 15)
sein.
Betrachtet man nun zunächst den einfachen Fall, dass der Leiter-
kreis nur aus zwei Metallen bestehe. Die rotirende Scheibe SS^ (siehe
Fig. 57), welche infolge der Inductionswirkungen der yerticalen Compo-
nente des Erdmagnetismus eine electromotorische Kraft hervorbringt,
werde in ihrem Centrum C und am Rande D von Leitungsdrähten aus
demselben Metalle berührt, aus dem auch die Scheibe hergestellt ist
Diese Leitungsdrähte seien bei A und bei B mit den Enden einer Stange
aus einem anderen Metalle verlöthet. Die absolute Temperatur sei in Ä
gleich T* und in JB gleich T".
Nimmt man zunächst an, die Rotationsgeschwindigkeit der Scheibe
sei so gewählt, dass die Stromstärke im ganzen Systeme gleich 1 ist
Alsdann findet an der ersten Löthstelle eine Wärmeabsorption statt, und
diese kann in der Form :
n' = n{T) 16)
dargestellt werden, wobei yc{T) eine unbekannte Function der absoluten
Temperatur vorstellt.
An der zweiten Löthstelle findet dann eine Wärmeentwickelung i^'
statt, und diese muss nunmehr gleich:
Ä" = jr(T") 17)
sein.
Der Ausdruck für die electromotorische Kraft des entstehenden
thermoelectrischen Gegenstromes besitzt alsdann die Form:
L% = ^\nir)-«{T")] 18)
^) F. Kohlrausch, Ueber Thermoelectricität , Wärme- und ElectricitStsleitang.
Pogg. Ann. Bd. 156, S. 601 bis 618.
^) Claus ins, Die mecbanische Bebandlung der ElectricitiCi (Friedrich Yieweg
a. Sohn. Braunschweig, 1879), S. 337.
F. Thermoelectricität. 735
Nach dem zweiten Hauptsätze ronss die Gleichung gelten:
'-P-'-!p = o ..,.,„
Für jeden beliebigen Werth von T wird diese Gleichung befriedigt,
wenn die unbekannte Function yc{T) die Form hat:
n(T)= CT 20)
worin C eine Constante ist. Damit erhielte man für die electromotorische
Kraft der thermoelectrischen Wirkungen den Ausdruck:
-.« = -.C.(2^-. T") 21)
mm '
Hiernach müsste die electromotorische Kraft der Thermostrome pro-
portional der Differenz der absoluten Temperatur der Löthstellen für alle
Temperaturdiffei*enzen und bei jeder beliebigen Metallcombination sein.
5. Widerspruch mit der Erfahrung, Cumming'scher
Versuch.
Diese letzte Consequenz wird jedoch durch das Experiment nur fär
sehr kleine Temperaturdifferenzen bestätigt; hingegen findet man schon
für massige Temperaturunterschiede bei den meisten Metallcombination en
erhebliche Abweichungen. Man kann nun annehmen, dass die einfache
Annahme (Gleichung 20):
%(T) = G.T
falsch oder nur sehr angenähert richtig sei ^).
W. Thomson^) jedoch schloss aus diesem Widerspruche zwischen
Theorie und Erfahrung, dass bei der formell richtigen Anwendung des
zweiten Hauptsatzes ein anderweiter umkehrbarer Vorgang übersehen
sein müsse. Er wurde also dazu geführt anzunehmen, dass in dem
Systeme noch ein anderer umkehrbarer Vorgang vorhanden sein müsse,
welcher ebenfalls den Sinn seiner Wirkung mit der Richtung des Stromes
wechsele. Aus diesem Schlüsse folgt schon an sich, dass dies nicht die
thermischen Wirkungen sein konnten, welche dem Joule' sehen Gesetze
folgen, da diese Wirkungen dem Quadrate der Stromintensität folgen und
somit vom Vorzeichen der Stromintensität unabhängig sind. Thomson
schloss, es müsse somit noch ein bis dahin noch unbeachteter Vorgang
bestehen, der sich vollzieht, wenn ein Strom durch einen Leiter hindurch-
geht, dessen aufeinander folgende Querschnitte verschiedene Temperatur
besitzen. Dadurch wurde Thomson veranlasst, die Existenz eines Vor-
ganges zu bestätigen, den man, wie er selbst schon anderweit gezeigt
hat, auch durch einfache Betrachtungen ganz anderer Art hätte voraus-
^) Vergl. Capitel 13 dieses Abschnittes.
^) Man sehe: W. Thomson, Ona mechanical theory of thermoelectric currents.
Phil. Mag. 4. Ser., Bd. 3, S. 529 bis 535.
736 UI. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
sehen können. Diese letzterwähnten Erwägungen beruhen auf fol^^enden
experimentellen Thatsachen.
Cnmm.ing^) beobachtete, dass bei manchen Metallcombinationai
die Erhöhung der Temperatur der heissen Löthstelle genüge, um eine
Umkehrung der Richtung des thermoelectrischen Stromes heryorzubringeiL
Hat man z. B. einen aus Eisen und Kupfer bestehenden Leiterkreis und
erhält eine der Löthstellen auf constanter Temperatur , während man die
andere mehr und mehr . erwärmt , so nimmt anfanglich der thermoeleo-
trische Strom an Intensität zu, erreicht alsdann ein Maximum , nimmt
hierauf wieder ab, wird Null und geht schliesslich in einen entg^egeo-
gesetzt verlaufenden Strom über. Es folgt hieraus, dass die electro-
motorische Kraft, deren Sitz die heisse Löthstelle ist, das Yorzeichea
wechselt und bei einer gewissen Temperatur Null ist. Bei dieser Tempe-
ratur sind beide Metalle thermoelectrisch neutral, und ein Strom, welcher
durch die heisse Löthstelle hindurchgeht, bewirkt daselbst weder eine
Absorption noch eipe Entbindung von Wärme. An allen übrigen Stellen
des Leiterkreises und besonders an der kühleren Löthstelle bewirkt der
Strom eine Wärmeentwickelung. Es scheint somit« als ob unter diesen
Umständen an der kalten Löthstelle eine Wärmeentwickelung ohne eine
äquivalente Verwandlung stattfände, und dies würde dem zweiten Haupt-
sätze widersprechen. Um diesem Widerspruche zu entgehen, hat Thom»
son angenommen, es bestehe eine Wärmeabsorption, welche davon her-
rühre, dass der Strom durch einen Draht hindurchgehe, dessen Tempe^
ratur ungleich ist^). Er nimmt also an, dass in einem Leiter, welcher
an verschiedenen Stellen verschiedene Temperatur besitzt^ ein thermo-
electrischer Strom bestehe, welcher ausser der allgemeinen Wärmeent-
wickelung, die allerorts Wärmemengen proportional dem Quadrate der
Stromintensität entbindet, ausserdem eine Wärmeabsorption bewirkt, die
der Stromintensität einfach proportional ist, ähnlich wie solche an ef
wärmten Berührungsstellen verschiedener Metalle auftreten. Diese letzte
Wirkung, welche der ersten Potenz der Stromintensität proportional
ist, muss mit der Stromrichtnng auch ihr Vorzeichen wechseln, wie alle
Vorgänge, welche diesem Gesetze unterworfen sind.
Die Wärmemenge, welche in einem Stücke eines an verschiedenen
Stellen ungleich hoch erwärmten Drahtes entwickelt wird, ist somit '):
W=tt.i^ + ß.i.
Das zweite Glied ändert sichtlich mit der Stromrichtung sein Vorzeichen.
Nur der Versuch kann entscheiden, ob die Wärmeabsorption statt-
findet, wenn der Strom von den wärmeren Stellen des Leiters nach den
kälteren hinfliesst, oder ob das Entgegengesetzte stattfindet.
*) Annais of Philosophy 1823. Juniheft, S. 427.
3) Man sehe Phil. Hag. (1852), 4. Serie, Bd. 3, S. 532.
^) Man vergl. W. Thomson, On a mechanical theory of thermo-electric currenU.
Phil. Mag. 4. Serie, Bd. 3, S. 529. Hierher gehören aach v. Waltenhofen's Ver-
suche. Ber. d. Wiener Akademie Bd. 75, S. 245.
F. Thermoelectricität.
737
6. Die zweite Thomson'solie Theorie der thermoeleo-
trisohen Vorgänge.
Wir wollen nnnmelir in die Reclinang einen Ansdmck einfahren,
welcher dieser neuen Eigenschaft der thermoelectrischen Processe ent-
spricht. Wir bezeichnen mit i.6,dt die Wärmemenge, welche in der
Zeiteinheit in einem Theile des Leiters absorbirt wird, in welchem die
Temperatur von f bis ^ -\- dt sich ändert, wenn der Leiter von einem
Strome von der Intensität 1 durchflössen wird. Es bezeichnen Tq die
absolute Temperatur der rotirenden Scheibe, von welcher der Inductions-
ström ausgeht, und Ti, T2, . . . die Temperaturen der Löthstellen der
verschiedenen Metalle, aus welchen sich das vom Strome durchflossene
Leitersystem zusammensetzt. Alsdann erhält man:
% + ^a + Ä3H + 1 (5i.dT-\- I ö^,dT +
22)
Wir haben hierbei angenommen, dass das letzte Metallstück des
Systemes, welches wiederum an der rotirenden Scheibe des magnetelec-
trischen Apparates anliegt, aus derselben Substanz bestehe, wie die Scheibe
selbst und wie das andere Stück, welches die Scheibe berührt.
Der zweite Hauptsatz fährt alsdann auf die Gleichung :
I + I + I + ...+ /k;^+ A#+-+ /°%|?=o. 23)
Fig. 58.
Wenden wir nun diese For-
mel wiederum auf den schon
vorher von uns behandelten ganz
einfachen Fall an, in welchem
das gesammtevom Strome durch-
flossene System nur aus zwei
Metallen besteht (man sehe
Fig. 58), nämlich einerseits aus
dem Stücke AB und andererseits
aus BSMA.
Alsdann hat man:
a = jr(D —
7t{T) — 7c(r)+r6i.dT+rö<t.dT+f6i.dT . 24)
Nimmt man das erste und letzte Integral zusammen und vereinigt
die beiden dann entstandenen Integrale^ welche dieselben Grenzen be-
Bühlmann, Mechan. Wärraetheorie. Bd. II. 47
738 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
sitzen, nachdem man in dem einen Vorzeichen nnd Grenzen ▼ertaiiseht
hat, 80 ergiebt sich:
T
<lt = n(T) — 7t{r)+ r(6i—6^).dT . ... 25]
Verfährt man in gleicher Weise mit der Gleichung des zweitei
Hauptsatzes, nachdem man dieselbe auf den vorliegenden einfachen FsE
angewendet hat, so findet man femer:
r
T T \^ T
26)
Nimmt man an, dass der unterschied der beiden Temperatnren Tund
T' unendlich klein, also T — T' = (2 T ist, so geht die yorhergehende
Gleichung in nachstehende Über:
m
T
und diese gpiebt ausgerechnet:
+ ^:L^::i = o.
y •- ^2^. - ^T- + -^r- - 0 . ... 27)
Daraus schliesst man:
tfi-ö,- 2, --^r- 28)
Wendet man dieses Resultat auf die Gleichung f&r S an, so e^
giebt sich:
T
oder:
T
n^f'^.dT 29)
-r-^
Für eine endliche, aber sehr kleine Temperaturänderung z berechnet
man hiemach die electromotorische Kraft:
vn m T '
Diese Formel bedeutet, dass man zunächst electromotorische Kr&fU
erhält, welche der Temperaturdifferenz der beiden Löthstellen nahes«
proportional sind, und dies ist bekanntlich mit den Versuchsresultaten ia
(Jebereinstimmang.
Für jeden beliebigen Leiterkreis ist demnach die gesammte thermo^i
electrische Wirkung Null, wenn die Temperatur des ganzen Leitersjstemei
L F. Thermoelectricität 739
m constant ist. Dieser allgemeine Satz ist für alle calorimetrischen Messun-
gen über electrische Wärmeersclieinangen insofeFn von Bedeutung, als,
trotz aUer Gomplication der Erscheinung, es bei richtig angestellten
calorimetrischen Messungen nicht nöthig ist, auf andere Wärmeyorgänge
Rücksicht zu nehmen, als auf die, welche dem Joule 'sehen Gesetze
gehorchen. Früher hatten wir diese Voraussetzung bereits gemacht, dann
iK an der Hand der älteren Theorie bewiesen ; nunmehr ist. ihre Berechtigung
d£ aufs Neue ersichtlich.
7. Die Becquerersclien Versuolie über die thermoeleo-
trisohe Wirkung von Knoten in Drähten.
I.
^ Dieser eigenthümliche , von W. Thomson entdeckte electrische
Wärmetransport steht in keiner Beziehung zu der Theorie des älteren
Becquerel, die sich auf einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen
der Fortpflanzung der Electricität auf thermoelectrischem Wege und der
Verbreitung von Wärme durch Leitung bezieht.
Becquerel^) knüpfte einen Knoten in einen Metalldraht oder drehte
ein Stück desselben in eine Spirale zusammen und erwärmte diesen Draht
vor dem Knoten oder dem tortirten Stücke. £s entstand alsdann ein
electrischer Strom, den er der ungleichen Fortpflanzung der Wärme nach
beiden Seiten rechts und links vom Knoten oder der Spirale zuschrieb.
Diese Ungleichheit, meinte er, rühre von der Verschiedenheit der
Querschnitte zu beiden Seiten des Knotens* her, denn er war der Ansicht,
dass die am Drahte vorgenommene Operation nur eine Veränderung der
Querschnitte bewirke.
Magnus hat durch sorgfältige Versuche^) gezeigt, dass die von
Becquerel beobachteten thermoelectrischen Ströme lediglich ihre Ursache
in der Störung der Homogene'ität des Metalles haben, welche durch die
Torsion des Drahtes bewirkt wird, und hat gezeigt, wie beträchtlich und
verschiedenartig die Erscheinungen dieser Art sind. Die auf diese Weise
durch Magnus widerlegte BocquereTsche Theorie flndet auch nicht,
wie es anfanglich schien, eine Unterstützung durch die Arbeiten von
Thomson. Esergiebt sich vielmehr aus dem von diesem Forscher für die
electromotorische Kraft thermoelectrischer Wirkung gegebenen Ausdruck,
dass wenn die beiden Enden eines Metalldrahtes mit den beiden Enden
eines Galvanometerdrahtes verbunden sind, die thermoelectromotorisohe
Kraft des Systemes Null ist, wenn beide Verbindungsstellen sich auf der-
selben Temperatur befinden. Denn alsdann stimmen die obere und untere
Grenze der Integrale / ö.dt, die sich auf beide Drähte beziehen, überein.
?
Beequerel, Ann. de chim. et de phys. 2. Serie. Bd. 31, S. 359.
Magnus, Pogg. Ann. Bd. 83, S. 469.
47*
740 IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Eine Abhängigkeit vom Querschnitt ist hier nicht bemerkbar, und das
von W. Thomson entdeckte Phänomen ist demnach thatsächlich ein
neues.
8. Die Versuche, welche die Fortführung von Wärme
durch den electrischcn Strom beweisen.
Die Existenz einer solchen electrischen Fortführung der Wärme, wie
Thomson dieses Phänomen nennt, zu constatiren ist nicht leicht, da beim
Durchgange eines Stromes durch einen Leiter jederzeit eine Wärmeent-
wickelung proportional dem Quadrate der Stromintensität stattfindet. Der
Versuch kann nur eine Differenz zwischen der absoluten Wärmemenge
nachweisen, welche stattfindet, wenn ein Strom von constanter Intensität
in den beiden entgegengesetzten 'Richtungen einen Leiter durchströmt,
der an verschiedenen Stellen ungleich erwärmt ist. Diese Differenz be-
mühte sich Thomson zu constatiren.
Die Untersuchungsmethode Thomson^s ging von dem Gedanken
aus, einen Draht in der Mitte zu erwärmen nnd in gleichen Abständen
von der erwärmten Stelle abzukühlen. Alsdann floss in der einen Hälfte
der Strom von kalten Querschnitten zu warmen und in der anderen von
den warmen Querschnitten zu kalten. Waren die Grundlagen derThom-
8 on^ sehen Theorie richtig, so mussten beide Hälften des Leiters ungleich
erwärmt werden , und der Unterschied ihrer Temperaturen musste mit
der Stromrichtung sein Vorzeichen wechseln. Beobachtete man die
Temperaturunterschiede zweier symmetrisch gegen die Mitte gelegenen
Stellen, so war man unabhängig von der Erwärmung des ganzen Drahtes,
welche dem Joule^schen Gesetze zufolge eintrat.
Brachte man je ein Thermometer in die Mitte jeder der beiden
Leiterhälften, so zeigten dieselben allerdings einen sehr bemerklichen
Temperaturunterschied an, wenn man den Strom durch den in der Mitte
erwärmten Leiter strömen liess; als man jedoch die Stromrichtimg
wechselte, so wechselte der Temperaturunterschied sein Vorzeichen nicht,
sondern änderte lediglich seine Grösse. Man war demnach genöthigt,
den grössten Theil der beobachteten Temperaturunterschiede dem Mangel
an Homogenel'tät in der Beschaffenheit des Leiters zuzuschreiben, und nur
der bei Umkehrung des Stromes auftretende Unterschied der Differenz
konnte als Beweis für die neue Thomson'sche Grundannahme seiner
abgeänderten Theorie der thermoelectrischen Vorgänge angesehen werden.
An diese Wirkung muss man sich halten ; bleibt sie so lange constant, als
die allgemeinen Bedingungen der Versuche nicht geändert werden, so
kann dieselbe als experimenteller Beweis filr die von Thomson ver-
muthete Eigenthümlichkeit angesehen werden, und es kann entschieden
werden, ob ein Strom, abgesehen von seiner Wärmewirkung nach dem
F. Thermoelectricität 741
Joale'scben Gesetze, Wärme eotwickeli oder absorbirt, wenn er von
dem warmen Theile nach dem kalten Tbeile einea Leiten hinfliesBt.
Auf die veracbiedenen Vorreranche, welche Thomson anstellen
BanBste, ehe er znm gewüneehten Ziele kam, soll hier nicht eingegangen
^rerden, nnr diejenigen Versuche, welche zuerst wirklich bindende Schlüsse
gestatteten, wollen wir mittheilen.
, Die Natnr der zu beobachtenden Temperaturantersehiede erforderte,
daea man fär die Leiter eine Gestalt und Dimension wählte, welche
C^estattete, in ihr Inneres mindestens an zwei Punkten Thermometer ein-
zuführen. Vorversuche zeigten bald, dass Metalletangen von wenig
beträchtlichem Querschnitt keine ;!UTerlässigen Resultate lieferten. Thom-
son') wählte daher Leiter, welche aus einzelnen Metallstreifen zusammen-
gesetzt waren, wie dies Fig. 59 zeigt. Dieselben entfernten sich tou
einander in den Theilen AB, CD, EF und waren dafür in den Theilen
Fig. 58.
S C, DE einander ausserordentlich genähert. In der Mitte dieser beiden
Stellen wurden die Streifen durch zwei kleine Eorkscheiben etwas ans-
eiiiander gehalten, so dass zwei cjlindriscbe Zwischenräume h und e ent-
standen, in welche die Gefasse zweier Thermometer t^ und t^ eingefühlt
vr erden konnten. DieuntereKorkscheibe war massiv, am dem Thermometer-
gefSsH als Unterstützung zu dienen, die obere war durchbohrt, um dorn Ther-
Pig. 60.
mometer den Durchgang zu gestatten. DerTheil CD befand sich in einem
Geiaaae, in dem Wasser im Kochen erhalten wurde, die Theile AB, EF
') W. Thomson, On the electtodynamio quslities of melalli. Philos. TrsDMCt. of
Ihe Roy. Soc., Bd. 14« (1856), 3. 849 bia 751.
742 ni. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
andererseits waren von Gefässen umgeben, durch welche unansgeeetn
ein Strom kaltes Wasser floss. Die Anordnung des Apparates zeigi
Fig. 60 (a. Y. S.). Die galvanische Kette, durch welche der das LeiterBysteo
durchfliessende sehr kräftige galvanische Strom hervorgebracht wuHe.
bestand aus einigen Elementen mit grosser Oberfläche, bei welchen Zisk
in verdünnte Schwefelsäure und passives Eisen in concentrirte Salpeto^
säure eintauchte.
Die Versuche wurden zuerst sowohl mit Kupfer- als mit Eisenbledn
angestellt. Jeder Leiter bestand aus ungefähr 30 einzelnen Bleehea.
Die Stromrichtung wurde 11 mal gewechselt^ und nach jeder ümschaltiiif
Hess man den Strom acht Minuten lang dnrch den Leiter hindurchgehe
Auf diese Weise erhielt man die in umstehender Tabelle enthaltend
Zahlen. Die Buchstaben a und b bezeichnen die Temperaturen, weld»
man an den Thermometern ablas, die an den Stellen in den Lieiter eis-
geschaltet waren, die in der Fig. 59 mit den Buchstaben a und 5 U-
zeichnet sind.
Versuche mit Eisen.
Nummer
des
Versuches
Der positive Strom geht
von a nach 6
Temperatur
m a
in b
h — a
Der positive Strom geht
von b nach a
Temperatur
m a
in h
h—9
1
2
3
4
5
Mittel
51,62
51,78
52,01
51,30
51,14
53,30
53,26
53,80
53,00
52,98
51,56
53,27
1,68
1,53
1,79
1,70
1,84
51,41
52,03
51,32
51,00
50,69
1,71
51,29
53,21
53,87
53,42
52,95
52,80
53,25
1,80
1,84
2,10
1,95
2,11
1,97
Man erkennt zunächst, dass die Temperatur in h unter aUen Um-
ständen grösser war als in a. Die Temperaturdififerenz ist jedoch immer
grösser, wenn der Strom von h nach a, als wenn er von a nach h geht
allerdings ist der Unterschied sehr gering; immerhin jedoch scheint C6
unzweifelhaft, dass im Eisen der electrische Strom Wärme prodncirt,
wenn er von einer kalten Stelle des Leiters zu einer heissen geht, und
umgekehrt Wärme absorbirt, wenn der Strom von einer heissen zu einer
kalten Stelle strömt.
Derjenige Theil des Apparates, welcher dazu dient, die Mitte des
Leiters zu erwärmen, kann auch ganz weggelassen werden; infolge des
F. Thermoelectricität.
743
IXurchganges des Stromes findet daselbst ohnehin eine Erwärmung nach
dem Joule 'sehen Gesetze statt.
Bei späteren Versuchen hat Thomson die Quecksilberthermometer,
deren Gebrauch mit erheblichen Unzuträglichkeiten verknüpft war, durch
Laflkthermometer ersetzt; als deren Gefösswände diente unmittelbar die
Substanz des Metalles selbst. Der Apparat wurde dadurch ausserdem
'wesentlich empfindlicher.
Mit Platin wurden die Versuche z. B. in folgender Weise angeord-
net^). Eine Platinröhre EU (man sehe Fig. 61) ist auf einem Brettchen
C C befestigt und geht mit ihren Enden durch Holzblöcke B B und B' Bf
hindurch. In die lifitte hat man einen mit Baumwolle umwickelten
Glasstab aa* eingeschoben und daselbst luftdicht eingekittet. Bis zu den
Stellen 5 und h' sind ausserdem dünne Thermometerröhren eingeführt,
deren Enden ebenfalls mit Fäden umwickelt und luftdicht eingekittet
sind. Die beiden Thermometerröhren waren aussen rechtwinklig umge-
bogen und tauchten in zwei kleine, mit gefärbtem Alkohol gefüllte Gefässe.
Cs entstanden auf diese Weise zwei kleine Luftthermometer, deren Ge-
fässe von den Zwischenräumen ab und a'V gebildet wurden, die zwischen
den offenen Röhrenenden h und V und den Enden a und a' des Pfropfens
Fig. 61.
geblieben waren. Zwei Eühl-
gefasse A uild A* aus Gutta-
percha, durch welche unaufhör-
lich ein Strom von kaltem Wasser
floss, kühlten die beiden Enden
der Platinröhre ab. Ein darch
die beiden Klemmschrauben JD
und D' hindurch geführter Strom
erwärmt die Platinröhre und
veranlasst die Ausdehnung der
Luft in den Gefassen ah und a*l/.
Mit Hülfe eines Quecksilberrheo-
states brachte man die Alkohol-
säule in den Thermometerröhren auf eine angemessene Höhe und kehrte,
nachdem dies geschehen und vollständiges Gleichgewicht eingetreten war,
den Strom um. Sowie dies geschah, verschob sich die Flüssigkeitssäule
in den Thermometerröhren und zeigte eine Zunahme der Temperatur an
der Seite an, an welcher der positive Strom eintrat, und eine Abnahme
an der Austritifistelle des Stromes. Man mnss daraus im Sinne der Thom-
son'sehen Auffassung schliessen, dass im Platin die Wärme in der Be-
wegungsrichtung der negativen Electricität mit fortgeführt wird.
In ähnlicher Weise angestellte Versuche haben es möglich gemacht
zu constatiren, dass im Kupfer Wärme im Sinne der Richtung der posi-
tiven Electricität mit fortgeführt wird.
^) Man sehe a. a. 0. S. 694.
744 in. Anwendungen auf electriscbe Erscheinimgen.
Immerhin schien Manchen das £rgebnias der ThomBon'Bchen Vei^
suche nicht zweifelloa, da selbst bei Anwendung sehr starker Ströme dock
nur ungemein geringe Temperaturdifferenzen sich ergeben haben (0,22*C|
ao dass man das Vorhandensein einer FortfQhrung von Wärme dnrcb
den Strom von heissen za kalten Stellen eines Leiters ood umgek^uä
noch nicht als genügend sicher constatirt glaubte, ansehen zn müasen ',L
Neaere Versuche haben jedoch äie Richtigkeit der von ThomsoD be-
haupteten Tbatsache ebenfalls bestätigt.
Le Roux^) verwendete zuerst (man Bebe Fig. 62) zwei tliDB-
liehst gleich hergestellte Nensilberatäbe AB and A'B", welche in ihr«
Mitte gegen die beiden entgegengesetzten LQthstellen einer Thermos&nlc
dnrcb zwei Elfenbein zwingen gepresst wurden. Zwei nebeneinander
liegende Enden A und A' der Stäbe waren durch ein federndes Metaü-
stück mit einander verbunden, und diese Enden befanden sich in einen
Wasserbade M, welches dnrcch Dampf erhitzt wurde. Die Stäbe ragten
auf eine Länge von 7 cm in den Heizapparat hinein. Die anderen Endes
der Stäbe B und B' befanden sich ebenfalls auf 7 cm Länge in einen
zweiten Wasserbade M", welches Eisstücke enthielt. Um eine BerOhroiif
Pig. 82.
der Eisstücke mit den Stäben zu verhindern, wurden die Eisstücke dnrcb
einen Kasten von Drahtgeflecht von den Stäben ferngehalten. Die beides
Enden B und-B' können durch die Dräbte JE und F mit den Polen einer
Batterie in Verbindung gesetzt werden. Die Thermosäule war durch
einen Kasten gegen die Wärmestrahlung von aussen und dieser vieda
durch eine Schiene G 8 gegen eine Erhitzung durch den Heizapparat
geachütet.
■] Man sehe z.B. dae Urtheil Wlcdemann';^, dessen OslvaniBiiiui, 2. Aufl. [Bnmi-
Birhffeig, Friedrich Vieweg u. Sohn), Bd. 1, S. 919, Z. 11 r. o.
^ Ann. d. ehim. et de phya., 4. S., Bd. X, S. 258.
F. Thermoelectricität. 745
Trotz aller Vorsichtsmaassregeln, welche Yon Anüang an getroffen
waren, um die Erwärmung der Stäbe an den Stellen, welche die Thermo«
säalen berührten, möglichst gleichförmig zu machen, fand diese Gleichheit
doch zumeist auch vor Durchgang des galvanischen Stromes durch die
Stäbe nicht vollkommen statt, so dass die Nadel des Galvanometers,
-welches in den Leiterkreis der Thermosaule eingeschaltet worden war,
nicht vollständig auf Null zeigte. Durch Verschieben der Thermosaule
an eine andere Stelle, seitliches Anlegen eines kupfernen Ansatzes,
oder gar durch Yerminderung des Querschnittes (!) des heissen Stabes 0
wurde die Gleichheit hergestellt.
Wegen der Dicke der verwendeten Stäbe war die dem Joule' sehen
Gesetze folgende Temperaturerhöhung in denselben nicht sehr erheblich«
Dadurch, dass man den Strom in verschiedenen Richtungen durch die
Stäbe hindurch gehen Hess und das Mittel aus den Ausschlägen der
Thermosaule benutzte, eliminirte man den Einfluss der meisten Ungleich-
heiten. Als Einheit der Stromintensität diente ein Strom, den sechs
Bunsen'sche Becher, welche zu je dreien nebeneinander und je zweien
nacheinander verbunden waren , in einem Eupferdrahte von 3 m Länge
und 1 mm Querschnitt hervorbringen.
Nachstehende Tabelle zeigt die VersuchBresultate bei verschiedenen
Stromintensitäten:
A
234
228
217
240
Hierbei wurde durch den Strom diejenige Neusilberstange erwärmt,
in welcher der galvanische Strom von dem kalten zum warmen Ende
fliesst.
Die letzte Columne der Tabelle zeigt, dass die Thomson' sehe Wir-
kung der Stromintensität proportional ist. Um dem Einwurfe auszu-
weichen, dass die hier beobachteten Wirkungen lediglich Peltier'sche
Phänomene^) seien, hervorgebracht durch von Anfang an vorhandene,
nicht erst durch die Erwärmung erzeugte Ungleichheiten in der Structur
der Stangen, hat Le Roux auch die Stange um 180^ verwandt, so dass
während einmal die Enden A und Ä' durch den federnden Bügel ver-
ßtrom-
Temperaturuntersobied
intensität
der Stäbe
•
A
0,783
183
0,567
129
0,456
99
0,287
67
1) A. a. 0. S. 265, Z. 5 v. o.
^) Das Peltier'sche PhäDomen ist ein Vorgang, der an der Berühmngsstelle hete-
rogener Substanzen stattfindet, welche gleiche Temperatur haben; das Thomson' sehe
Phänomen dagegen tritt in einer homogenen Substanz ein, zwischen benachbarten Schich-
ten, welche verschiedene Temperatur haben.
746 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
banden und erhitzt wurden, bei einem anderen Versuche die Enden B und
B' durch den Bügel verbunden waren und sich im Heizkasten M befanden,
während die Enden A und Ä' in üf abgekühlt und mit der Batterie ia
Verbindung gesetzt wurden. Das Mittel aus allen Ablesungen wurde
alsdann als Wirkung des Thomson 'sehen Phänomens angesehen.
Um einen Anhalt über die Grösse des Thomson'scheu Phänomens
bei verschiedenen Substanzen zu erhalten, bemühte sich Le Roux id
gleich langen Stäben genau dieselbe Temperaturvertheilnng im nicht vom
Strome durchflossenen Leiter zu erhalten und schloss aus der Verände-
rung dieser Temperaturvertheilnng beim Durchgange des Stromes asf
den Betrag der untersuchten Grösse. Er setzte zu diesem Zwecke die
Enden aller Stäbe nach und nach genau denselben Temperaturen in den
vorher beschriebenen Apparate aus, überzog, um die Oberflächenstrahlnog
bei allen gleich zu machen , jeden Stab mit Russ. Da die Temperatur (
in verschiedenen Abständen vom Ende durch die Gleichung:
bestimmt wird ^) , worin M und N lediglich von den EndtelnperatoRB
abhängen, so konnte die Gleichheit der Temperaturvertheilnng sehr an-
genähert dadurch hergestellt werden, dass man sich bemühte, in allen
Versuchen der Grösse a denselben Werth zu geben. Nun ist aber in der
vorhergehenden Formel:
-w.
I 31)
worin h den Ausstrahlungscoefficienten, p den Umfang, 8 den Querschnitt
und k den Wärmeleitungscoefficienten der Stange bedeutet, h ist wegen
des Russüberzuges bei allen Stäben gleich. Die Grösse und Form der
Querschnitte sämmtlicher Stäbe wurde alsdann derart gewählt, dass bei
allen die Umfange p constant waren und der Flächeninhalt s dem QQe^
schnitte der Grösse k umgekehrt proportional war.
Die Einheit, in welcher in nachstehender Tabelle die Grösse des
Thomson*schen Phänomens ausgedrückt wird, ist eine willkürliche. Das
positive Vorzeichen bedeutet, dass der positive Strom Wärme in der
Richtung von warm zu kalt fortführt, das Minuszeichen deutet an, dass
der positive Strom die wärmeren Theile des Stabes mehr erwärmt, all
die kälteren.
^) Die Ableitang dieser Gleich ang sehe man weiterhio III, F, 9, S. 749 dieicf
Bandes.
F. Thermoelectricität 747
Name Belaüver Betrag
der des Thomaon'Bclieu
Bubstanz Phänomens ^)
10 Wiamuth, 1 Antimon . . . +73
Antimon 4~ 64
Cadmiam +31
Zink +11
Alnmininmbronze + 6
Silber + 6
Kupfer +2
Messing + 0,3
Blei 0
Zinn — 0,1
Aluminium — 0,1
Platin — 18
1 Aeq. Antimon, 1 Aeq. Cadmium,
Vs des Gewichtes des Gemisches
Wismuth — 24
Neusilber — 25
Beines Wismuth — 31
Eisen — 31
In neuester Zeit sind auch noch einige hierher gehörige Versuche
vonHoorweg^) yeröfifentiücht worden, welche ebenfalls die Thatsächlich-
keit der von Thomson behaupteten Erscheinungen bestätigt haben. Ein
Neusilberdraht von 2 mm Dicke und 1,75 m Länge wurde in einer Länge
von 0,75 m horizontal befestigt Bei D und D (s. Fig. 63 a. f. S.) waren
die Enden des Neusilberdrahtes umgebogen und die Enden Ä und E
tauchten in zwei neben einander stehende Gläser mit kaltem Wasser.
Diese Enden Ä und E waren mit dem kupfernen Leitungsdrahte ver-
lothet, weldier zum Commutator (7, zur Tangentenboussole T und der
Batterie B führten. Auf den horizontalen Theil DE des Drahtes waren
vier Schirme a, b, c, d befestigt. Zwischen h und c fiel auf den Draht aus
dem Wasserausfluss K ein kräftiger Strahl kalten Wassers; jenseits a und
d wurde der Draht durch zwei Gasflammen F und F erwärmt. Zwischen
a und h und zwischen c und d waren bei u und v mit Seide fest auf den
Draht, aber von ihm isolirt, die beiden Löthstellen eines Eupfer-Eisen-
Thermoelementes aufgebunden, dessen Ströme durch ein Galvanometer Q
gemessen wurden.
Durch vorsichtiges Reguliren der Flammengrösse und desAbstandes
der beiden Gasflammen konnte man es leicht dahin bringen, dass die
^) Le Roax, Ann. de chim. et de phys. 4. Serie, Bd. 10, S. 277.
^) Thermische Theorie des galvanischen Stromes; Wiedem. Ann. Bd. 9, S. 555
(1880).
748 III. Anwendungen auf electiische Erscheinungen.
beiden Löthstellen des Eupfer-Eisen-Thermoelementes yollständig gleiche
Temperatur besassen, so lange als der Neusilberdraht nicht von einem
galvanischen Strome durchflössen war. Auch der galvanische Strom
rig. 63.
k X
allein brachte, so lange weder eine Abkühlung noch eine Erwärmung des
Neusilberdrahtes stattfand, keinen merklichen Strom hervor. Ging jedoch
der galvanische Strom durch den Neusilberdraht, während derselbe in
der Mitte abgekühlt und zu beiden Seiten erwärmt wurde, so zeigte das
Galvanometer deutlich an, dass eine geringere Erwärmung an der Stelle
stattfand, an welcher der positive Strom vom warmen Querschnitte nach
dem kälteren floss, als auf der Seite, auf welcher der positive Strom von
kälteren zu wärmeren Querschnitten ging. Bei Wechsel der Richtung
des galvanischen Stromes änderte sich auch der Ausschlag des Galvano-
meters in den entgegengesetzten um.
In ähnlicher Weise untersuchte Hoorweg noch mehrere andere
Metalle und fand, dass das Thomson' sehe Phänomen besonders stark
bei Wismuth aufbrat. Im Uebrigen zeigte das Vorzeichen der von ihm
beobachteten Erscheinungen gute Uebereinstimmung mit den Yersuchs-
ergebnissen von Le Roux. Bezüglich der Grösse der beobachteten
Werthe sind aus leicht begreiflichen Gründen seine Zahlen nicht direct
unter einander vergleichbar.
F. Thermoelectricität 749
9. Die Temperaturvertlieilung In einem erwärmten Strom-
leiter mit Rücksicht auf das Thomson'sche Phänomen.
Der EinfluBS, den die von Thomson experimentell constatirte Er-
scheinung anf die Wärmevertheilnng in einem von einem Strome doroh-
flossenen Leiter ansübt, kann auch ohne Schwierigkeit analytisch dar-
gestellt werden. Eine derartige Untersuchung gestattet den wahren
Sinn des Thomson' sehen Ausdrucks „Wärmetransport Im Sinne der
positiven oder der negativen Electricitat'' vollständig klar zu machen.
Wir betrachten zunächst den Fall, dass die beiden Enden eines von einem
Strome durchflossenen und von diesem erwärmten Leiters auf einer con-
stanten niederen Temperatur erhalten werden. Der Einfachheit wegen
soll vorausgesetzt werden, dass die constante Temperatur der Enden des
Drahtes identisch sei mit der Temperatur der umgebenden Luft. Mit x
bezeichnen wir den positiven oder negativen Abstand von dem Mittel-
punkte des Drahtes, mit u den Temperaturüberschuss des im Abstände x
von der Mitte gelegenen Querschnittes über die Umgebung, mit s seinen
Flächeninhalt , mit p seinen Umfang und mit k die innere und mit h die
äussere Wärmeleitungsfahigkeit der . Substanz des Drahtes. Nach den
bekannten Sätzen über Wärmeleitung (man sehe z. B. WüUner, Experi-
mentalphysik, 2. Aufl., Bd. ni, S. 266) strömt alsdann in der unendlich
kleinen Zeit dt durch einen Querschnitt, welcher um x von der Mitte
absteht, eine Wärmemenge, welche gleich :
du
— k.S'TT- 'dt
dx
ist. Durch einen Querschnitt, der um x -\- dx von der Mitte absteht,
fliesst demnach die Wärmemenge:
, /du . d^u .\ .^
Gleichzeitig verliert das zwischen beiden Querschnitten liegende
Cytinderstück durch Wärmestrahlung an die Umgebung die Wärme-
menge :
h.p.u.dx.dt.
Der electrische Strom, der den Leiter durchfliesst, entwickelt in der
nämlichen Zeit dt eine Wärmemenge, die dem Quadrate der Strom-
intensität und dem Widerstände des Abschnittes proportional ist. Der
» Betrag dieser Wärmemenge ist:
jiA^.dx.dt
y.s '
750 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
wenn y die electrische Leitongsfahigkeit der Sahstanz des Drahtes ondfi
eine Constante ist , die sich auf die Wahl der Einheiten für i und f
hezieht.
Existirte die von W. Thomson entdeckte Eigenschaft des Wärme;
transportes nicht, so würde das Temperatargleichgewicht durch die par-
tielle Differentialgleichung :
Ä-S-^-r — Ä.i^.w +^— -= 0 32)
bestimmt werden.
Diese Gleichung kann integrirt werden, wenn man für tf den Aus-
druck:
M = v + — i- 38)
substituirt und beachtet, dass innerhalb nicht zu weiter Temperatar-
grenzen die Grösse:
als eine Constante betrachtet werden kann. Führt man den oben ange-
gebenen Werth färu ein, so nimmt die Gleichung die folgende Gestalt an:
Setzt man, wie das üblich ist,
^ = a« 34)
so lautet das allgemeine Integral obiger Gleichung:
v = -Af.e«-« + JV.e-«-* 35)
und 'man erhält somit für u den Werth :
M=^r^^ — + ifef.c«-* + JV.c-«-« . . . 36)
Ä.p.y.s
M und 1^ kann man bestimmen, wenn man die Gleichungen auf die
beiden Enden des Drahtes anwendet. An diesen ist nach unserer Vor-
aussetzung t« = 0, und dies giebt zwei neue Bedingungsgleichungen fmr
M und ^, da an dem einen Ende x -=. ^ l und u = 0 und an dem
anderen o; = — l und u •=■ ^ sein muss.
Diese beiden Gleichungen heissen:
und
0 = ^ ^'^^ + itf" .c-»' + I[.e^\
h.p ,y.8
F. Thermoelectricität.
751
Hieraas ergiebt sieb:
^.t
• 2
1
37)
Fübrt man diese für M und N gefundenen Wertbe in die Gleicbnng
für u ein, so erbält man:
— ^'^^ (i _ e^"^ + g~^\
38)
Man siebt leicbt ein, dass diese Gleicbnng, sofern man x als Abscisse
nnd u als Ordinate eines recbtwinkligen Goordinatensystemes benutzt,
Fig. 64.
dnrcb eine zur Mitte streng symmetriscbe Curve dargestellt wird. Die
gröBste Ordinate ist die mittelste. Fig. 64 zeigt ungefibr den Cbarakter
dieser Curve.
Nnnmebr wollen wir bei einer Wiederbolung der Untersucbung an-
nebmen, der electriscbe Strom entwickele, wenn er von einem kälteren
zu einem wärmeren Querscbnitte übergebt, Wärme; der Strom absorbire
Wärme, beides proportional seiner Intensität, wenn er von einem warmen
zu einem minder warmen Querscbnitte 'strömt. Wir betracbten also einen
derartigen Fall, wie er bei Eisen, Wismutb, Neusilber vorkommt. Die
durcb diesen besonderen Vorgang in einer unendlicb kurzen Zeit dt ent-
bundene Wärmemenge wäre demnacb:
J , 0* -^ — 'dx.dt
ox
wobei die Grösse 6 im vorliegenden Falle eine positive Constante be-
zeicbnete. Die Gleichung des Temperaturgleicbgewicbtes würde alsdann
folgendermaassen lauten:
ox^ dx y,s '
752 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Um die Integration aasführen zu können, setzen wir auch diesmal:
II. i^
h.p.y.s
Dadurch nimmt die Gleichung nachstehende Gestalt an:
oder, wenn wir wiederum, wie schon vorhin, die Ahkürzung durch den
Gebrauch des Buchstaben a einfahren:
cx^ k.s ox
Es ist sichtlich:
ein particuläres Integral, wenn
aa+^.a — a2 = 0 41)
' k.s
ist. Diese Gleichung nach a hat zwei reelle Wurzeln von entgegen-
gesetztem Vorzeichen, nennen wir deren absolute Werthe a' und a'\ so ist:
eine Lösung der partiellen Di£ferentialgleichang 40). Man kann jedoch
leicht zeigen, dass dies die allgemeine Lösung ist.
Wie zuvor, werden M und N durch die Bedingungen besümmt,
welche für die beiden Enden des Leiters gelten.
Man erhält nämlich f&r die beiden Enden die Gleichangen :
0 = zr^^ — + M.^'-^ + i^.e— "•*
, h.p.y.s
und »2
0='r-^^-^^ — + itf.e— '•* + i^.e*"-*.
h.p.y.s
Hieraus findet man:
M= —
und, wenn man von diesem Ausdrucke Gebrauch macht, findet man
schliesslich :
^^h.p.y.sV e<»' + *")»-er-(«'+-">-^ J ' ^
Diese Gleichung entspricht sichtlich einer Gurve, welche in Bezug
auf die Mitte des Drahtes nicht symmetrisch ist. Der Maximal werth von
du
u findet statt, wenn r— = 0, d. h. wenn:
ox
F. Thermoelectricität.
753
ist. Diese Bedingangsgleicbung für den Werth von x, welcher u zu einem
Maximum macht, kann auch in folgender Weise geschrieben werden:
g-«".a.,[-a'.(g«".i— e-a'M)g(«'+a"):r_oj" (g.M_g-aM)],,^0 ... 43)
Da im vorliegenden Prodacte nar die Klammer gleich Null werden
kann, ergiebt sich für X die Gleichung:
a' + a").x « .(g^ • -—e *'• ) __
a'.(e»
ga' . l ß — a' . l
44)
Da wir <S positiv angenommen haben, ist somit die negative Wurzel,
deren absoluter Werth a" war, die grössere. Die Function
wächst aber bekanntlich mit £^, wenn j? positiv ist; daraus folgt, dass in
obiger Gleichung der Nenner grösser ist, als der Zähler. Der Werth von
X, der u zu einem Maximum macht, ist somit ein solcher, für den
ß(a' + a") . 35 <^ 1
wird. Dies ist aber, da a' und a^' absolute Grössen sind, nur möglich,
wenn x negativ ist. Daraus folgt, dass der Scheitel der Gurve, welche
die Wärmevertheilung im Leiter darstellt, sich nach der linken Seite,
Pjg: 65.
also in dem Sinne verschoben hat, in dem sich die negative Electricität
bewegt. Die Temperaturvertheilung wird also in diesem Falle, in den^
Ö positiv ist, durch eine Curve dargestellt, welche ungefähr die beiste-
hende Gestalt hat (siehe Fig. 65).
Bllhlmsnn, Mechan. Wftrmetheorie. Bd. n, 4Q
754 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Thomson bezeichnet diese VerschiebuDg der Lage des Wänne-
maximnms mit dem Kamen: Wärmetranaport. Die Verschiebung des
Maximums findet in entgegengesetzter Richtung statt, wenn 6 negativ ist
Ob die stillschweigende Annahme, dass C unabhängig von der Ten-
peratnr sei, zutreffend ist, könnte nur durch sehr sorgsame Untersncliiiih
gen festgestellt werden. Aus zwei beobachteten Temperaturen an zwei
Stellen, welche bestimmten Werthen von x entsprechen, kann man die
Grösse der Coefficienten a* und oi' ermitteln; da aber 6 und die absoU-
ten Werthe der beiden Wurzeln der Gleichung 40) durch die Relation
r^' „ff _ ^ '* it\
Jc.s
zusammenhängen, könnte man dann ans den Werthen a' und a!' aocli
die Grösse des Coefficienten s selbst bestimmen.
10. Die Glausius'sche Theorie der thermoeleotrischeii
Erscheinungen.
Clausius geht von der Annahme ans, dass die Potentialdiffereni,
welche an der Grenzfläche zweier Mittel entsteht und besteht, wenig-
stens zum Theil ihre Ursache in der Verschiedenheit der Molecularbe-
wegung habe, welche wir Wärme nennen. Er stellt sich vor, dass die
Wärme die electrischen Theil eben von dem einen Stoffe zum anderen
zu treiben strebt. An der Berührungsstelle , an der man die EziBt«ox
einer Potentialniveaudifferenz mit dem Electrometer constatiren kau).
muss man zu beiden Seiten der Trennungsfläche entgegengesetzt dee-
trische Schichten annehmen, also eine ähnliche Anordnung wie bei einer
Leydener Flasche. Die Wärme wird nun so lange Electricität von dem
einen der beiden Stoffe durch die Trenuungsfläche hindurch zum anderes
treiben, bis sie durch die entgegenwirkende Kraft der beiden dadarcli
gebildeten electrischen Schichten daran verhindert wird, wenn die
Electricitäten in diesen Schichten eine gewisse Dichtigkeit erreidit
haben 0* Befindet sich der gesammte aus zwei verschiedenen Metalles
a und h bestehende Stromkreis auf gleicher Temperatur, so wird die-
ses Streben der Wärmebewegung, die electrischen Theilchen zu bewegen,
nach sehr kurzer Zeit zu einem Gleichgewichtszustand fuhren, in wel'
chem an den beiden Berührungsstellen gleiche, aber entgegengesetzte
Potentialniveaudifferenzen stattfinden, ' während auf jedem der beiden
durchaus gleichartig gedachten Metalle, aus welchen der Leiterkreis
besteht, ein constantes Potentialniveau stattfindet. Ist dagegen die
*) Man vergleiche : Clausius, Die mechaDische Behandlung der Electricitit.
Braunschweig, Fr. Vieweg und Sohn, 1879, S. 173.
r.
F. Thermoelectricität. 755
Temperatur der beiden Berührnngsstellen der Bestandtheile des Leiter-
kreises verschieden, so wird auch die Potentialniveandifferenz an beiden
Berührnngsstellen ungleich sein ; weil dann die Potentialfanction in jeder
Substanz nicht constant sein kann, mnss ein continuirlicher electrischer
Strom, d. h. der thermoelectrische Strom stattfinden.
Leitet man durch einen aus zwei ungleichen Substanzen gebildeten
Leiter einen Strom, so wird die Kraft der Wärme, welche Electricität
durch die Uebergangsschicht zu transportiren strebt, etwas vergrössert
oder verkleinert Wurde vorher im Gleichgewichtszustande dieses Streben
durch die Wirkung der . Uebergangsschicht gerade compensirt, so wird
nunmehr ein Uebergang der Electricität in der einen oder anderen Rieh*
tung veranlasst. Dabei thut oder erleidet die electrische Kraft eine ge-
wisse Arbeit ^), und diese kann nicht durch eine entgegengesetzte Arbeit
einer anderen Kraft aufgehoben werden, sondern muss durch einen Ge-
winn oder Verlust an kinetischer Energie der Molecüle, also durch eine
Entwickelung oder Absorption von Wärme ausgeglichen werden ; dies aber
ist das Peltier^sche Phänomen.
: 11. Anwendung des ersten Hauptsatzes auf die Glausius*-
' sehe Hypothese.
>
Auch hier wollen wir uns zunächst auf den einfachen Fall be-
schränken, dass der Leiterkreis aus zwei verschiedenen durchaus homogenen
Sabstanzen a und h besteht, deren Verbindungsstellen P' und P" sich
aaf den absoluten Temperaturen T' und T'' befindet. Die Einwirkung
jeder Art inducirender Wirkungen auf den Leiterkreis soll vollkommen
ausgeschlossen sein. Als positiv soll die Stromrichtung von P' über a
zu P angenommen werden.
Die Werthe der Potentialfunction auf der Substanz a mögen in P'
und P ', Va und V'd und entsprechend auf der Substanz h in P' und P"
gleich Vb und V'i sein. Der Leitungswiderstand von a mag h, der von
b soll Jh, die imganzen Leiterkreis constante Stromstärke mag i betragen.
Alsdann ist:
V' — F"
w a ' a
' = —77—
im Leiter a, und
. n - n
' = —ir-
m Leiter h. Hieraus ergiebt sich:
i.(i, 4- h) = ra-r; + Vi -n 46)
1) Claasins a. a. 0. S. 176.
48'
756 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Nennt man nun ferner den Leitungswiderstand des gesammten Ldi
kreises L und bezeichnet man die im Sinne des positiven Stroms i
nommene Potentialniveandifferenz am Pankte P' mit E'ha und in .
mit E'ai^ BD erhält man:
'"=-■ 1 '
An der Uebergangsschicht P" gelangt ein in der Richtung des pt
tiven Stromes fliessendes electrisches Theilchen dq vom Potent ialnin
Va zum Potentialniveau V'i, Die hierdurch an dq geleistete Arbeit i
(man sehe Bd. 2, III, C, S. 600):
{Vi -V'{).dn = -^Kh.dq i
An der gesammten in der Zeiteinheit durch die bei I*" gelefc
Zwischenschicht strömende Electricitätsmenge t wird somit die Arbeit;
■tjah • * = J^ab " J
geleistet. Ebenso findet man , dass in der Zeiteinheit an der Ueberga^
schiebt P' die Arbeit:
■jptt |_ -rpl
xp/ • t;,! -^ab -T -i^bn
— Jfjba • * -fjhn • J
geleistet wird. Die gesammte an beiden Uebergangsschichten zusama
geleistete Arbeit ist somit gleich:
— iSaft • f J^^ba f
Jj 1j
(Eab + Eba)' .
— L
Dieser Ausdruck ist negativ, da der Durchgang der Electridi
entgegen der Wirkung der electrischeu/ Kräfte stattfindet.
Die in den Leitern n und h nach dem Joule 'sehen Gesetze R
wickelte Wärmemenge beträgt:
J^ , t^ =^ = I
Die Summe sämmtlicher in der Therm okette von den electrise^
Kräften gethanen Arbeiten ist somit Null.
12. Anwendung des zweiten Hauptsatzes auf die
Clausius'sclie Hypothese.
Es lässt sich nun ferner nachweisen, dass in der Thermokette, im
die Löthstellen verschiedene Temperaturen haben, ein Uebergang tt
F. Thermoelectricität. 757
Wärme vom wärmeren zum kälteren Körper stattfindet. Im Vorstehen-
den ist zwar gezeigt worden, dass die an beiden Uebergangsschichten
zusammen entwickelte Arbeit, also auch die daselbst in Summa eut*
wickelte Wärme negativ sei. Daraus folgt aber nicht, dass auch beide
Bestandtheile der Summe negative Grössen sein müssen. Bei gleichen
Temperaturen der Löthstellen sind nämlich die in den beiden Ueber-
gangsschichten stattfindenden PotentialdifiPerenzen gleich, aber von ent-
gegengesetztem Vorzeichen. Für geringe Temper aturdififerenzen müssen
demnach, wenn die absoluten Werthe der PotentialdifiPerenzen verschie-
den werden, zunächst die Vorzeichen derselben entgegengesetzte bleibend
Ist dieses aber der Fall, so findet an der einen Löthstelle der Ueber-
gang im Sinne der electrischen Kräfte und an der anderen im entgegen-
gesetzten Sinne statt. Alsdann wird an der ersten Stelle eine positive
Arbeit geleistet, Wärme entwickelt, an der anderen aber eine ihrem Be-
trage na^h grössere negative Arbeit geleistet, somit eine grössere Wärme-
menge consumirt. Um nun die Temperatur an den Löthstellen P' und
P'' des Thermoelementes constant zu erhalten, wollen wir annehmen, in
P' berühre die Löthstelle einen genügend grossen Körper von der ab-
soluten Temperatur T' und in P" einen anderen von der Temperatur T".
Um zu entscheiden, ob die Wärme dem kälteren oder dem wärmeren der
beiden Körper entzogen wird, müssen wir ein sicher experimentell nnter-
Buchtes Beispiel betrachten. Clausius wählt hierzu die Combination
Wismuth (a) Antimon (b). Bei diesen geht der positive electrische Thermo-
strom bekanntlich an der höher erwärmten Löthstelle vom Wismuth zum
Antimon. Ebenso weiss man, dass ein in dieser Richtung verlaufender
electrischer Strom an dieser Stelle Wärme absorbirt, an der kalten Löth-
stelle Wärme abgiebt. Es wird durch Vermittelung des Thermostromes
also in der That Wärme dem heisseren Körper entzogen und an den käl-
teren Körper abgegeben. In ganz gleicher Weise aber verhalten sich
erfahrungsmässig alle bekannten thermoelectrischen Combinationen.
Nimmt man zunächst an, dass die Temperaturdififercnz der beiden
Löthstellen unendlich klein sei. Die Temperatur T" der heissen Löth-
stelle JP" mag T sein, alsdann ist für T' zu setzen : T — dT. Bezeichnet
man für diesen Fall ferner die PotentialdifiPerenz Eäb in P" mit JE, so
dE
ist die Differenz E'ba in P^ gleich — E -{■ •;—; • dT. Die electro-
öl
motorische Kraft ist somit:
dE ,
Eah + Eia = ^-j, • dT,
Hieraus folgt, dass die iu mechanischem Maasse gemessene an der
Löthstelle P" in der Zeiteinheit erzeugte Wärme (nach S. 756, Z. 13 v.o.):
_ E cE
L' dT
und die an der Löthstelle JP' erzeugte Wärme:
758 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
^ L dT L KdTj
ist. Die Summe der bei P" und P' zusammen erzeugten Wärmemesge
ist somit:
L KdTj '
dTK
Das negative Vorzeichen bedeutet, dass eine Wärmemenge verbraudd
wird. Die nun frisch zum kalten Körper übergegangene Wärmemeiifi
beträgt somit:
E dE 1 (dE\^
Nach dem zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmeiheorie aba
gilt die Gleichung:
Verbrauchte Wärme T" — T'
^»^— ■■■■■■ I I ^^^ ■ ■ — ■ •
Uebergegangene Wärme T'
Wendet man dies auf den Torliegendeu Fall an, so ergiebt sich:
1 /dE\^
L \dTj dT
^.^aT^^^C^Y^dT^^ ^ '
L dT L \dLj
Hier kann im Nenner das nach d T quadratische zweite Glied ak
im Vergleich zum ersten Gliede sehr klein vernachlässigt werden und
man erhält:
dE dT
-E- = ^ ^'^
Hieraus folgt durch Integration:
log not E = log nat T + Consi 52 1
und daraus:
E= £ , T 53)
worin s eine von der Natur der sich berührenden Substanzen abhängige
Constante bedeutet.
Dies führt zu dem Satze: Die PotentialniveaudifPerenz zweier Sub-
stanzen ist der absoluten Temperatur derselben proportional. Clausius
macht aber gleich bei Formulirung seines Satzes ^) darauf aufmerksam,
dass diese Entwickelung nur insoweit gültig sei, als die VoraossetzuDg
richtig ist, dass jede Substanz a und &, aus denen die Thermokette be-
steht, auch dann durchaus homogen bleiben, wenn ihre Temperatur an
verschiedenen Stellen eine ungleiche ist. Da man dies für geringe Tem-
peraturdifferenzen der Löthstellen annehmen darf, gilt die Ableitung
auch nur mit dieser Beschränkung.
*) A. a. 0., S. 189.
F. Thermoelectricität. 759
Gälte obige Formel allgemein, so müsste, wenn an P' die Tempe-
ratur T" stattfindet, dort die PotentialdifiPerenz Eah'-
sein. Die Potentialniveaadifferenz Eia am Punkte P' wäre:
Eha = Bba ' T = — Bah ' T .
Hierdurch ergiebt sich, dass die electromotorische Kraft F der ther-
moelectrischen Combination ah
F= Sai . (T" - T') 54)
ist.
Für geringe Temperaturdifferenzen wird dieser Satz bekanntlich
auch durch die Erfahrung bestätigt
Aus der Gleichung 53) folgt, wenn man sie auf zwei verschiedene
Gombinationen ah und eine andere cd anwendet:
Fab = fo& . ^ und Ecd == fcd • T'
Durch Differentiation ergiebt sich:
^jf = ^ob und ^y = Bcd
und damit erhält man:
^Fgb dEcd TP TP fCK\
^jy • "^Y — -^^^ ' ^<^^ ^^)
Auch dieser Schluss wird insofern bestätigt, als diejenigen thermo-
electrischen Gombinationen, welche bei einem bestimmten Temperatur-
unterschiede die stärksten Ströme geben, wie z. 6. Wismuth und Antimon,
sich auch dadurch auszeichnen, dass ein hindurchfliessender Strom an den
Löthstellen die grösste Wärmemenge entbindet oder absorbirt.
18. Die Budde'sohe Erweiterung der Clausius'sohen
Theorie.
Mit dem Ergebnisse der G 1 au sius^ sehen Theorie, zumal mit dem
auf S. 758 reproducirten Satze schien nun der G um m Ingusche Versuch
und die inzwischen vielfach beobachtete Thatsache im Widerspruche zu
stehen, dass mit zunehmender Temperatur der einen Löthstelle, sofern
die Temperatur der anderen constant erhalten wird, die Grösse der
thermoelectromotori sehen Kraft nicht fortwährend proportional der Tem-
peraturdifferenz zunimmt, sondern bei manchen Metallcombinationen ab-
nimmt und schliesslich sogar ihr Vorzeichen ändert. Glausius hatte
schon selbst in seiner 1853 ^) erschienenen Abhandlung darauf hin-
gewiesen, worin die Ursache dieser scheiubaren Abweichung zu suchen
^) Abhandlungen über mechanische Wärmetheorie. Bd. 2, S. 197.
760 ni. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
sei. Er sagt darüber^): „Diese Abweichungen lassen darauf schliesaen,
dass die unserer obigen Entwickelung zu Grunde gelegte Vorausseizang,
dass die in' einer Thermokette vorkommenden electromotorischen Kräfte
nur an den Verbindungsstellen verschiedener Stoffe ihren Sitz haben,
während im Inneren eines einzelnen Stoffes, auch wenn seine Theile ver-
schiedene Temperaturen haben, keine electromotorische Kräfte vorkommen,
ungenau sein muss.**
Die Thatsache, dass im Inneren eines Drahtes, der aus einem ein-
zigen Metalle besteht, durch Erwärmung electromotorische Kräfte ent-
stehen können, ist allgemein bekannt. Diese electromotorischen Kräfte
haben nur zum Theil ihren Grund in dauernden Ungleichheiten der
Structur, die in dem Drahte vorhanden sind und beim Erwärmen als
thermoelectrische Differenz zum Vorschein kommen, und zum Theil rühren
sie her von Verschiedenheiten der durchaus gleichartigen Substanzen,
die lediglich in der verschiedenen Temperatur der Theile selbst ihre
Ursache haben.
Electromotorische Kräfte, welche härtere Stellen eines Drahtes gegen
weichere, krystallinische gegen amorphe, gedehnte gegen ungedebnte,
gebogene gegen ungebogene, lackirte gegen nicht lackirte zeigen, das
alles sind solche der ersten Art, welche ausführlich von Franz'),
Gaugain ^), Magnus^), BecquereP), Le Roux^), Thomson^) unter-
sucht worden sind, von diesen soll zunächst abgesehen werden. So wie
man zugiebt, dass in sonst durchaus gleichartigen und im Uebrigen gleich-
artig bleibenden Substanzen durch Temperaturungleichheiten thermo-
electrische Kräfte entstehen können, ist damit auch die von Thomson
zuerst beobachtete Thatsache erklärt, dass durch das Pel tierische Phäno-
men AenderuDgen in der Tempera turvertheilung auf dem Drahte hervor-
gebracht werden müssen, welche lediglich Folge des durch den ungleich
erwärmten Draht fliessenden electrischen Stromes sind und welche
Thomson mit dem Namen electrischer Transport der Wärme bezeichnet
hat. Als Beispiel macht Budde auf den von Gummin g zuerst boob-
achteten Fall Kupfer-Eisen aufmerksam.
Die in einer derartigen Thermokette auftretenden thermoelectrischen
Wirkungen sind:
1) kaltes Eisen, heisses Eisen,
2) heisses Eisen, heisses Kupfer,
3) heisses Kupfer, kaltes Kupfer,
4) kaltes Kupfer, kaltes Eisen.
^) Die mechanische Behandlung der Eiectricität, S. 190. Z. 20 v. o.
3) Franz, Pogg. Ann. Bd. 83, S. 374 u. Bd. 97, S. 34.
^) Gaugain, Ann. de chim. et de phys. 3. Serie, Bd. 65, S. 5.
*) Magnus, Pogg. Ann. Bd. 83, S. 469.
^) Becquerel, Ann. d. chim. et de phys. 2. Seiie, Bd. 10, S. 201 u. 4. Serie,
Bd. 8, S. 403.
^) Le Roui, Ann. d. chim. et de phys. 4. Serie, Bd. 10, S. 221.
') Thomson, Phil. Trans. 1856, Bd. 3, S. 711.
F. Thermoelectricität. 761
So lange die Temperatardifferenz der beiden Löthstellen gering ist,
sind die Kräfte 1) und 3) sehr gering und die Kräfte 2) und 4), welche
entgegengesetztes Vorzeichen haben, überwiegen. Bei grösseren Tempe-
raturunterschieden der Löthstellen wachsen 2) und 4) stärker als 1) und
3), und in Folge dessen ^nimmt die Stromstärke ab und die Stromrichtung
verkehrt sich schliesslich in die entgegengesetzte. Nimmt man aber ein-
mal thermoelectrische Wirkungen zwischen Theilen eines gleichartigen
Leiters an, so sind auch Consumptionen und Entwicklungen von Wärme
nach dem sogenannten Peltier- Phänomen erklärlich, und diese sind als-
dann die von Thomson entdeckte Erscheinung des Wärmetransportes
durch den electrischen Strom.
Jedenfalls beweist die Thatsache der Umkehrung der Stromesrich-
tung bei wachsenden Temperaturdifferenzen, dass in der Clausius^ sehen
Gleichung 53)
E= 6,T
s nicht eine Constante sein kann, sondern eine complicirtere Temperatur-
fanction sein muss.
Tait nimmt an, dass £ die Form hat:
s = a + b.T
und dies wird in der Hauptsache durch die Beobachtung gut bestätigt.
Nur für Eisen und Nickel scheint es nothwendig zu sein, noch Glieder
höherer Ordnung hinzuzufügen.
Budde betrachtet nun auf einem gleichartigen linearen Draht ein
Stück, dessen Endpunkte Ä und B von einem beliebig gewählten Aus-
gangspunkte um x' und x'^ entfernt sind. Die Temperatur soll sich längs
des Drahtes stetig ändern und in Ä gleich T' und in B gleich T'' sein.
Die Potentialfunction V der Electricität muss alsdann, da zwischen ver-
schieden warmen Theilen desselben Metalles thermoelectrische Wirkungen
stattfinden, längs des Drahtes einen verschiedenen Werth haben. Die
thermoelectromotorische Kraft zwischen zwei benachbarten Querschnitten,
welche um x und c^ -\- dx vom willkührlich gewählten Ausgangspunkte
abstehen, sei dE, sofern daselbst die Temperaturen T und T-]- dT sind.
Nennt man JE die Potentialniveaudifferenz der Substanz des Drahtes
gegen irgend eine andere Substanz, z. B. Quecksilber oder Blei, welche
die Eigenschaft besitzt, dass verschieden warme Theile derselben keine
thermoelectrische Wirkungen auf einander ausüben, so ist die Aenderung,
welche diese Potentialniveaudifferenz E erfahrt, wenn man einen auf
T-^- dT erwärmten Querschnitt mit dieser Substanz in Berührung bringt:
f^.dT=T.f^.dT ....... 56)
Dies ist somit auch die Potentialniveaudifferenz zwischen zwei un-
endlich benachbarten Querschnitten des betrachteten Drahtes, wenn die
Temperaturen derselben T und T -\- dT sind.
762 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Demnach ist der Unterschied des Potentialniveaus in den Pankteo
Ä und B des Drahtes gleich:
Ex" — ■Ec' — / T' ^-= ' d T
t£lt
57)
^ ist eine Temperaturfiinction, wahrscheinlich von der Form:
1^ = a + &.T + c.T» +■ d.T3 .... 58)
worin a, b, c, d etc. für die betreffende Substanz charakteristische Cob-
stauten sind.
Der Werth des Integrales:
r
n-^^
ist jedenfalls durch die Grenzen eindeutig bestimmt, und daraus folgt
dass die Summe der thermoelectrischen Kräfte, weiche in einem Draht«
durch Temperaturdifferenzen entstehen können, bloss von der Temperatur
der beiden Enden, «nicht aber von der Yertheilung der Wärme auf der
Strecke abhängt.
Der Werth des Integrales muss verschwinden, wenn T" = T wiri
und daraus folgt der bekanntlich durch Mousson^) für asymmetrüofc
erwärmte Drähte experimentell gefundene Satz: In einem in sich g^
schlossenen gleichartigen Drahte kann durch keine Yertheilung der
Temperatur auf demselben ein Strom entstehen.
Bringt man an irgend einer Stelle der Strecke x* ixl* eines Draht«
ander weite Störungen der Gleichartigkeit, der Structur des Drahtes herror,
indem man z. B. den Draht in der Nähe des Temperaturmaximums tordiii,
einen Knoten schlingt, comprimirt oder dehnt, so wird die Temperatur-
function ni der Substanz in dieser Gegend geändert, es ist gerade so, ah
hätte man in die Strecke 7^ oi\ auf welcher die Haupttemperatu^ulte^
schiede liegen, eine fremdartige Substanz eingeschaltet.
Die Gleichung:
J dT
T'
verliert alsdann ihre Gültigkeit. Man erhält demnach dievonBecqnerel,
Thomson, Magnus und Anderen beobachteten Ströme.
Nunmehr betrachten wir wiederum zwei Drähte a und b , welche in
den Punkten P' und P" zu einer geschlossenen Thermokette verlöthet
sind. Die Temperaturen mögen in P' respective P" gleich T' und T"
sein. Die Werthe der Potential niveaudifferenz der Substanz des Drahtesa
gegen die gedachte Substanz (Blei, Quecksilber), deren Theile durch
^) Mousson, Archiven de l'61ectric. Bd. IV, S. 5.
F. Themoelectricität. 763
>
Temperaturunterschiede keine thermoelectrischen Spannungen annehmen,
seien bei der Temperatur T i}« und die der Substanz h bei der Temperatur
T entsprechend ^b.
Bei der Temperatur T' mögen die Werthe dieser Grössen ij mit
tja und 1^5 und bei der Temperatur T*' mit r/a und iji' bezeichnet
werden.
An der Löthstelle P' und P" wirken an sich alsdann die electro-
motorischen Kräfte:
Durch die thermoelectrischen Wirkungen der auf verschiedenen
Temperaturen befindlichen Theile des Drahtes a ergiebt sich die electro-
motorische Kraft:
/
T'
Für die electromotorische Wirkung der verschieden erwärmten
Theile des Drahtes b findet man analog :
Durch Addition ergiebt sich die thermoelectrische Kraft der ge-
sammten Kette gleich:
y 2»//
+ r.(na- n'h) 59)
Wenn man in jedem der Integrale die Integration ausführt, so erhält
man, da:
^tt 2»»/
und:
T'
l
T'
T' T'
i^t:
fT~^dT= T'-n\-T".r{i-Jrir,.dT
jfft j<t
F= — jria.dT—Jrii.dT.
Vereinigt man beide Integrale und setzt:
^a — ^6 = — «oft»
so erhält man:
764 in. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
F=feai,.dT 60)
T'
denselben Werth, den Clausias schon früher (S. 759) abgeleitet hatte.
Nor weiss man, dass
_dF
nicht eine Constante, sondern eine complicirtere Temperatarfnnction ist
Setzt man hierin Sab gleich einer Constanten, so sieht man ab yob
den thermoelectrischen Wirkungen, welche zwischen den verschieden hoch
erwärmten Theilen desselben Metalles stattfinden, was im Allgemeinen
nur für äusserst geringe Temperaturdifferenzen statthaft ist.
Betrachtet man ein unendlich kleines Stück des Drahtes a, an dessen
Enden die Temperaturen T und T -\- dT stattfinden , so ist die durch
einen Strom von der Intensität i daselbst entwickelte Wärmemenge dHi
und die auf dem ganzen Drahte a durch das Thomson' sehe Phänomen
entwickelte Wärmemenge ist somit:
H«= -if.T^y^'dT^ . . .
61)
Analog erhält man für die auf dem Drahte h entwickelte Wärme-
menge den Ausdruck:
ai== -ifT.y^.dT.-
Man erkennt leicht, dass auch der Betrag dieser Wärmemengen
lediglich von den Endtemperaturen T und T", nicht aber von deren
Vertheilung längs der Drähte abhängig ist.
Die an den Löthstellen stattfindenden electromotorischen Kräfte
sind: T\ (ly« — ^i) respective T". (ly? — i?«), mithin die dort entwickelten
Wäi'memengen, die Peltier'schen Phänomene:
n{r) =-i. T'.(i?;-i?i) und ^(T") = —«. 2"'. (lyi'—VJ) ... 62)
Bezüglich dieser Wärmemenge lässt sich auch leicht erweisen, dass
der zweite Hauptsatz
erfüllt ist.
Man erhält nämlich:
/
F. Thermoelectricität. 765
J T.dT ^ J^ T.cT T"
-iSA:zJl^.r = 0 63)
Rechnet man ans, so ergiebt sich:
and dies ist identisch gleich Null.
13. Die empirisclie Formel von Avenarius.
Aus Versuchen von Avenarius^), von Gaugain^), von F. Eohl-
rausch und Amman ^), von Tidblom^) und von Naccari und
Bellati ^) kann man schliessen, dass für die electro motorische Kraft F
einer Metallcombination, deren Löthstellen sich auf den Temperaturen T'
und T" befinden, die empirische Formel:
F= h . (T" — T') + c . (T"« — r ») ... 64)
genügt.
Daraus folgt, dass £«& die Form hat :
Sai = h + 2c.T 65)
Die Formel 64) gestattet eine kleine Umgestaltung, wenn man
r" — T' aushebt ; alsdann ist :
F = (r" — r)-{& + C'(T" + r)\' . 66)
Man erkennt, dass die electromotorische Kraft der Combination so-
wohl gleich Null wird, wenn T" — T' = 0, d. h. T" = T' die Tempe-
ratur der Löthstellen einander gleich sind, als auch wenn
h + c.(r" + r) = o
T" 4- 2^'= — - • • . 67)
c
£rhält man also die eine Löthstelle eines Thermoelementes auf einer
Constanten Temperatur T\ so giebt es jederzeit eine andere Temperatur
To" i aufweiche man die andere Löthstelle erhitzen muss, um die elec-
1) Avenarius, Pogg. Ann. Bd. 119, S. 406, 1863.
^) Gaugain, Ann. de chim. et de phys. 4. Serie Bd. 8, S. 426. .
^) F. Kohl rausch u. Amman, Pogg. Ann. Bd. 141, S. 456.
*) Tidblom, vergl. Wiedemann, die Lehre von der Electricität Bd. 2, S. 297.
Daselbst fmdet man eine äusserst vollständige Zusammenstellung aller einschlagenden
Versuchsresultate.
^) Naccari und Bellati, UEIlectricita (November und December 1871), Bd. 1,
S. 329 u. 362.
76G IIL Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
tromotorische Kraft zum Yerschwinden zu bringen. Entfernt man sich
mit T" nocb weiter von dieser Temperatur To\ so ändert die electro-
motorische Kraft ihr Vorzeichen.
Wählt man T" — T' = 1, also T" = T' -}- 1, so ist die electio-
motorische Kraft für die Temperaturdifferenz von 1 Grad, wir ^wollen
dieselbe Fi nennen:
Fi=h + c'(2 T' + 1)
Fi = (c + h) + 2,cr.
Diese wird Null, wenn das arithmetische Mittel zwischen T' and T'*
T' -|- — deii Werth 2 annimmt und zwar ist:
, ^ = -^ «^)
Diese Temperatur % führt den Namen neutraler Punkt.
Giebt man den Temperaturen T' und T" der Löthstellen Werthe.
welche um gleichviel über und unter dem neutralen Punkte der Gombi-
nation liegen, setzt man also:
T' = S: — T und T" = J + r,
so wird:
F= 2%.\h + 0.22}.
Führt man hierin für % seinen Werth aus Gleichung 68) ein, so
wird die Klammer gleich Null. Erhitzt man also die eine Löthstelle am
ebenso viele Grade unter, als die andere über die Temperatnr des
neutralen Punktes, so giebt die thermoelectrische Combination keinen
Strom.
Hebt man in der Formel für F, Gleichung 64), — 2c . (T" — T') ans;
so nimmt dieselbe die Gestalt an:
F=- 2c. (T"- r).(- -^- Il±Jl!j.
^ M 2c 2 J
Wenn man nun hierin den Werth von I einsetzt, erhält man die
bemerk enswerthe Form :
F=— 2c. (T"— TO £ — I ■ • 69)
Die Constanten dieser Formeln sind von oben genannten Experi-
mentatoren (siehe die Anmerkungen zu S. 765) für viMe Combinationen
bestimmt worden. Nachstehende kleine Tabelle giebt eine Uebersicht
über einige. Messungsresultate.
F. Thennoelectricität.
767
ZasammenaetzuDg
Temperatur
Namen
des
2c
des neutralen
der
Thermoelementes
Punktes %
Beobachter
Silber — Eisen
— 0,01474
223,5
'
Silber — Zink
Kupfer — Eisen ....
0,004286
0,00350
69,7
275,8
- Avenarius
I»latin — Blei
0,0092
(— 23,0?)
<
Slei — Neusilber . . .
2,7646
— 92,3
Antimon — Neusilber .
Zinn — Neusilber . . .
Slei — Natrium ....
— 10,963
11,689
4,821
— 3828,3
— 0,551
9,9 1
92,9
211,0
Naccari und
Bellati
ßlei — Kalium ....
— 4126,3
60,6
I*latin — Kalium . . .
+ 2529,9
80,8
Man erkennt leicht, dass die electromotorische Kraft F eines Thermo-
elementes, dessen eine Löthstelle anf einer constanten Temperatur T' er-
halten wird, während die Temperatur T" der anderen geändert wird,
eine Function zweiten Grades der Variabein T" ist. Diese Beziehung
zwischen F und T wird geometrisch dargestellt durch eine Parabel, deren
Scheit-el im neutralen Punkte liegt und deren Hauptaxe die Ordinate des
neutralen Punktes ist.
Will man bei gegebenem T' also das Maximum der electromoto-
rischen Kraft erreichen, so muss man für T" die Temperatur des neu-
tralen Punktes wählen.
Berücksichtigt man, dass in Gleichung 65) die Grösse Sah gleich
Nnll wird für
h
T=Z = —
2c'
und sübtrahirt die Gleichung:
0 = 5 + 2c.Z
von 65), so findet man :
f«5 = - 2c. (S— T) 70)
Hierin repräsentirt sichtlich das Glied — 2c» T die Abweichung
von dem einfachsten Falle, in welchem Sah als constant angenommen
wnrde. Solche Fälle, in welchen €ah als constant anzusehen ist, würden
z. B. Combinationen flüssiger Metalle unter einander oder flüssiger
Metalle mit Blei sein, wenn die hierbei Ton der Bildung von Legirungen
und Amalgamen herrührenden secnndären Phänomene vermieden werden.
768 III. Anwendungen Auf electrische Erscheinungen.
Die Abweichung von der Constanz aber rührt, wie wir £feseha
haben, davon her, dass eine Terschieden hoch erwärmte Substanz nick
homogen bleibt, sondern dass benachbarte Querschnitte von verschiedeiL?
Temperatur zur Entwickelung einer electromotorischen Kraft Yeranlasew
werden. Das dieser electromotorischen Kraft entsprechende Phänoss
war das Thomson^ sehe Phänomen, der sogenannte electrische Transp:*:
der Wärme, mit dem wir uns in Kapitel 8 ausführlich beschäftigt hak«
Nach den Versuchen von Le Roux ist dieser Wärmetransport e
einigen Substanzen, so z. B. in Blei , Null. Auch in Flüssigkeiten ist a
noch nicht gelungen und wird es voraussichtlich nicht gelingen, denselba
nachzuweisen.
Wählt man nun eine thermoelectrische Gombination , in wel^
eines der Metalle ein solches ist, für welches dieses Thomson'seb-
Phänomen Null, so wird bei einem solchen Thermoelemente di« i:
Gleichung 65) auftretende Abweichung — 2c. T lediglich auf Rechnof
des anderen Metalles zu setzen sein. Man wird also bei einer Comli-
nation mit Blei diese Constante — 2 c als ein Maass für die AbweichES
des anderen Metalles von dem einfachsten Falle, als ein Maaas für d^
Thomson^ sehe Phänomen ansehen können. Nehmen wir nun an, v?
finden für ein Metall a in Verbindung mit Blei:
f P6,a = Ka . (Xa — T) 7.
und für ein anderes Metall h mit Blei durch Experimente
so ergiebt sich für ein Thermoelement, welches aus den beiden Elemes-
ten a und h zusammengesetzt ist:
Dieser Gleichung kann man auch die mit 70) übereinstimmend
Gestalt geben:
73)
Hieraus ergiebt sich für das Thermoelement, welches aus den MeUl-
len a und h besteht:
— 2cz=z K„ — Kb 74}
und die Temperatur des neutralen Punktes %:
^ Ka .Xa — Kb .%b „,.
^ = ^ TP '5)
Art — Aft
Hat man also für irgend ein Metall a bei seiner Combination mit
Blei zu einem Thermoelemente die Constanten Ka und %a bestimmt, nnd
ausserdem für das Thermoelement ans den Metallen a und h die Cod'
stauten — 2 c und 2^, so kann man daraus auch die Constanten K^ undZi
F. Thermoelectricität. 769
fmden , die für dieses Metall h bei seiner Gombination mit Blei gelten
-würden ^).
Blei, Qnecksilber etc. sind also solche Metalle, für welche die von
uns mit Jl bezeichnete Grösse 0 ist.
14. Das tlieniioeleotrisclie Diagramm.
Thomson hat hierauf die Constrnction eines interessanten
Diagramms gegründet.
Er zeichnet in ein Coordinatenkreuz , auf dessen Abscissenaxe abso-
lute Temperaturen abgetragen sind, als Ordinaten für jedes Metall a die
Grössen Sp^^a eiu« Für jedes Metall a ist die Curve, welche den Zu-
sammenhang von £pb, a uiit der absoluten Temperatur ausdrückt, sichtlich
eine Gerade, da die Gleichung 71) für £pb,a nach T linear ist.
Die Grösse Ka ist offenbar die Tangente des Neigungswinkels, den
die Gerade Spt^a mit der Abscissenaxe einschliesst.
Zieht man ausserdem die Gerade (vergl. Fig. 66), welche der
Gleichung:
€P6,6 = JSTft.CJft — T)
entspricht, so lassen sich nunmehr die thermoelectrischen Beziehungen
zwischen den beiden Metallen a und h auf einfache Weise geometrisch
darstellen.
Errichtet man bei der Temperatur T =i T' eine Parallele zur
Ordinatenaxe, so schneidet diese die Gerade des Metallesa im Punkte P',
die Gerade des Metalles h im Punkte Q\
Sichtlich repräsentirt die Gerade P'Q'i
die Grösse «a, h für die Temperatur 2", Der Schnittpunkt N der beiden
Geraden ist der Punkt, für den «ö^i, z= 0 wird, er entspricht somit dem
neutralen Punkte; senkrecht unter N liegt somit die von uns mit X be-
zeichnete Temperatur des neutralen Punktes. Die electromotorische
Kraft F der Metallcombination a und h, wenn die eine Löthstelle auf
der Temperatur T', die andere auf T" erhalten wird, ist (siehe Gleichung 60):
Dieses Integral aber wird in Fig. 66 (a. f. S.) dargestellt durch den
Flächeninhalt des Trapezes P P' Q' Q'\
') Messungen der Grosse K sind Ton Tait (Transactions of the Koy. Soc. of
Edinburgh, Bd. 27, S. 125) und von Knott und Mac Gregor (a.a.O. Bd. 28, 8.321)
publicirt worden. Vergl. auch Wiedemann, Electricität, Bd. 2, S. 301.
Rahlmann, Mechan« Wärmetheorie. Bd. II. 49
770 lU. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Auch die ührigen Glieder der Gleichung 59):
TV/ ip
ni)
Fig. 66.
können in der Figur nachgewiesen werden, sofern man annimmt, dasi
der Coordinatonnrsprung 0 der ahsolute Nullpunkt ist.
Es ist:
I
das Flächenstück zwischen den Punkten SaPP' Ba> Es ist dies die yod
dem Thomson' sehen Phänomen längs des Metalles a herrührende
electromotorische Kraft. Entsprechend ist:
T.||.dT=Fläche£?e"(?'£i
T
der Theil der electromotorischen Kraft, welcher von dem innerhalb des
Metalles h auftretenden Thomson' sehen Phänomen herrührt.
F. Thermoelectricität. 771
Ferner ist sichtlich:
T' . (12? ~ n'a) = Fläche eü Q" P" b'^
der Tbeil der electromotorischen Kraft , welche in der Wärmeabsorption
ihre Ursache hat, die an der auf die Temperatur T^ erhitzten Löthstelle
stattfindet, entspricht also dem an der heissen Löthstelle auftretenden
Phänomen.
Analog ist:
T'.ina — Vb) = Fläche fiP'^fJ
und ist derTheil der electromotorischen Kraft, welcher der Peltier' sehen
Wärmeentwickelung an der kalten Löthstelle entspricht.
Wir haben nur nöthig hinzuzufügen, dass diese geometrischen Be-
ziehungen und ihre physikalische Bedeutung auch erhalten bleiben, wenn
die Cur Yen, welche den Metallen a und h entsprechen, nicht Gerade, son-
dern Curyen sind. Versuche Yon Tait haben gezeigt, dass bei Eisen
und Nickel erhebliche Abweichungen von der Geraden stattfinden. Bei
Combinationen mit diesen Metallen würde also die Ave narius^ sehe
Gleichung, welche einer Parabel entspricht, deren Scheitel im neutralen
Punkte liegt, und welche zu einer durch diesen Punkt gezogenen Ordinate
symmetrisch liegt, nicht mehr ausreichen. Es müssen dann noch Glieder
höherer Ordnung hinzugefügt werden.
Gewöhnlich deutet man dies dahin, dass solche Metalle bei den
Temperaturen, bei welchen derartige Abweichungen von der Geraden
eintreten, wesentlich andere Molecularstructur annehmen, also gewisser-
maassen in andere allotrope Modificationen übergehen ^).
Bei Thermoelementen, welche aus solchen Metallen bestehen, für
welche die Gurre
von der Geraden abweicht, können alsdann auch mehrere neutrale Punkte
auftreten.
Erhitzt man bei einem solchen Thermoelemente die eine Löthstelle
auf den einen , die andere auf einen zweiten neutralen Punkt , so haben
wir alsdann einen thermoelectrischen Strom, der lediglich von dem längs
3eider Drähte stattfindenden Thomson 'sehen Phänomen herrührt, da
ilsdann an keiner Löthstelle eine Wärmeentwickelung oder -Absorption
Inrch das Pel tierische Phänomen stattfinden kann^).
^) Beobachtungen an Eisen von Gore fPhil. Mag. 4. Serie, Bd. 37, S. 59) und
Jarett (Phil. Mag. 4. Serie, Bd. 26, S. 472) deuten in der That darauf hin. Weiss-
lühendes Eisen zieht sich beim Abkühlen bis zur Kirschrothgluth zusammen, dehnt
ich jedoch dann unter Wärmeeotwickelung vorübergehend aus, ehe es bei weiterer
^bkühlung wieder regelmässig sein Volumen verringert.
*) Man vergleiche Tait, die Thermoelectricität, Pogg. Ann. Bd. 152, S. 443,
1873) und Proceed. of the Roy. See. of Edinburgh Bd. 7, S. 773.
49
772 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
15. Experimentelle Bestätigungen der erweiterten
Theorie.
Das Diagramm Fig. ßß^ welches unseren Betrachtangen zu Grunde
liegt, zeigt sofort, dass wenn man T" = Z wählt, alsdann das Flächen-
stück e^Q'^P^sä gleich Null wird. Dieses Flächenstück aher hedeutete
den Antheil der electromotorischen Kraft, welcher von dem an der heissen
Löthstelle stattfindenden P e 1 1 i e r ' sehen Phänomen herrührt. Dieses Flächen-
stück kann nur dann Null werden, wenn das an der heissen Löthstelle
auftretende Phänomen verschwindet. Wir werden somit durch Betrach-
tung des, Diagramms zu dem Schlüsse geführt: Gieht man einer Löth*
stelle die Temperatur des neutralen Punktes, so findet an dieser Löth-
stelle weder eine Wärmeahsorption noch eine Wärmeentwickelun^ statt
Auch die von uns aufgestellten Gleichungen führen zu demselhen
Resultate. Wir erhielten nämlich (Gleichung 60, S. 764) für die
electromotorische Kraft den Ausdruck:
Differentiirt man diese Gleichung nach T, so erhält man:
dF
dT
Nimmt man nun für T" die Temperatur des neutralen Punktes,
also die Temperatur, bei welcher für ein constantes 1* das Maximum
der electromotorischen Kraft stattfindet, so muss der erste Differential-
dF . .
quotient „ bei dieser Temperatur verschwinden, mithin:
1}',; - iji' = 0
sein.
Die Di£Perenz des Potentialniveaus an einer Löthstelle war nun
dF
allgemein (siehe Gleichung 67, S. 762) gleich T---=r, mithin ist auch
Qr J.
diese PotentialdiflPerenz an der Löthstelle für die Temperatur F^ = %
des Maximums der electromotorischen Kraft gleich Null. Findet aber
bei der Temperatur % an der Löthstelle keine DiflFerenz des Potential-
niveaus statt, so kann dort auch das Peltier'sche Phänomen der Pro-
duction oder Gonsumption von Wärme nicht stattfinden.
Budde^ verfuhr, um dies Resultat zu prüfen, nach folgendem
= 1^6 — '^a*
^) E. Budde, Thennoelectrische Studien, Pogg. Ann. Bd. 153, S. 343 bis S. 372
(1874). Die Beschreibung der Versuche findet sich a. a. 0. S. 362 u. s. f.
F. Thermoelectricität. 773
Gedankengange. Ein Eisendrabt CiC^ war zwischen zwei Knpferdrähte
€i V und c^i w gelöthet. Die Enden v und w wurden durch eine selbst-
thätige Foucaul tische Wippe abwechselnd einerseits mit den Poldrähten
p und n einer galvanischen Batterie und anderseits mit den Enden des
Leitungsdrahtes eines Galvanometers in Contact gebracht.
Die Partie, welche die Löthstellen enthielt, wurde in einem Heiz-
apparate mehr und mehr erhitzt. Stellte man die Verbindung mit der
Batterie her, so wurde durch den Strom an der einen Löthstelle, sagen
wir z. B. an Ci, eine Temperaturerhöhung A, und an C3 eine Tempe-
raturemiedrigung um A hervorgebracht. Verbindet man nun unmittel-
bar darauf w und v mit dem Galvanometer, so wirkt auf dasselbe ein
Kupfereisenthermoelement, dessen eine Löthstelle die Temperatur T-|- A,
dessen andere die Temperatur T — A hat. Bei der Temperatur % des
Maximums der electromotorischen Kraft konnte nun der Strom weder
an Ci noch C2 Wärmeerscheinungen hervorbringen, demnach musste bei
dieser das Galvanometer, wenn es mit v und to verbunden war, keinen
Strom geben. Erhitzte man jedoch die heisse Löthstelle über die Tempe-
ratur % des neutralen Punktes hinaus, so musste das Peltier'sche
Phänomen wieder auftreten, und an den Löthstellen mussten sich wieder
Temperaturunterschiede zeigen.
Der Versuch selbst wurde nun auf die Weise ausgeführt, dass
zwischen zwei Kupferdrähte 11 Eisen- und 10 Kupferdrahtstücke von
5 cm Länge abwechselnd eingelöthet wurden, so dass man je 11 wirksame
Löthstellen Ci und ebenso viele Löthstellen c^ erhielt. Dieser aus beiden
Metallen zusammengesetzte Theil des Leiters wurde in eine Spirale zu-
sammengewickelt und in einem Luftbade erhitzt.
Die Unterbrechung des Stromes und Verbindung des Thermoelemen-
tes mit dem Galvanometer wurde durch die Foucault'sche Wippe
automatisch bewerkstelligt. Die langsam bewegliche Galvanometernadel
nahm in Folge der nur kurze Zeit dauernden, aber rasch sich folgenden
Thermoströme eine für jede Temperatur des Thermoelementes ziemlich
stationäre Stellung ein.
Da bei der angewendeten Heizvorrichtung die Temperatur der
Bämmtlichen gleichartigen Löthstellen nicht ganz genau gleich war, so
erreichten nie alle Löthstellen gleichzeitig die Temperatur des Strom-
maximums, und infolge davon erreichte der Ausschlag am Galvanometer
zwar ein* Minimum, wurde aber nicht absolut Null. Jenseits dieses
Punktes zeigten sich wieder am Galvanometer Thermoströme von zu-
nehmender Intensität, ein Beweis dafür, dass jenseits des Maximums der
electromotorischen Ejraft auch das Peltier'sche Phänomen sich an dgn
Löthstellen wieder merklich machte.
Budde fand im Mittel nachstehend reduoirte Ausschläge am Gal-
vanometer, welche als Maass der vom Strom an entgegengesetzten Löth-
stellen producirten und consumirten Wärmemengen dienen können:
774 III. Anwendungen auf electrische Erscheinungen.
Temperatur
2A
in Galvanometer-
beider
ausschlägen
Löthstellen
240
24,5
1380
9,5
2000
3,5
240«
0,5
270«
5,0
3000
. 7,0
3500
14,0
Soweit die nicht unerhehlichen YerBachsschwierigkeiten dies ge-
statten, darf man daher wohl dieses Resultat Bndde's als eine unzweifel*
hafte experimentelle Bestätigung der theoretischen Folgerung ansebeB.
dass an einer Löthstelle, welche auf die Temperatur X des neniaralca
Punktes erhitzt ist, keine P eitler' sehe Wirkung stattfindet. Badde
findet den neutralen Punkt heim Kupfereisenelemente ungefähr bei 245*.
Gaugain^) hei 236o, Avenarius hei 2760. Diese grossen DifferenscB
werden jedoch hei der individuellen Verschiedenheit der Beschaffenheit
der Eisendrähte und Kupferdrähte kaum üherraschen.
Auf etwas anderem Wege hahen auch Naccari und Bellati') die-
selbe Consequenz der Theorie experimentell hestätigt.
Dieselben maassen in Calorimetern die Grösse der Wärmemengen,
welche durch das Pel tierische Phänomen an der einen Löthstelle einei
Kupferwismuththermoelementes absorhirt und an der anderen entwickelt
wurden, wenn ein Strom von der Intensität Eins durch beide Löthstellen
hindurchging. Die Grösse dieser Wärmemengen wurde aus den Tempe-
raturunterschieden und den Wasserwerthen der Calorimeter bestimmt
Die Temperaturunterschiede der Calorimeter aber wurden mit Hilfe eines
Eisenneusilberthermoelementes gemessen, welches mit einem Thermometer
sorgfältig verglichen worden war.
Auf diese Weise fand sich für das Peltier'sche Phänomen ar (J)
als Function der Temperatur die Formel:
n(T) = 0,02022 + 8,0908. 10-ß.(r — 18) — 0,01888 (T — 18)1
Hiernach wird:
7t(T) = 0{iXr !r = Z — 896,4.
Für die electromotorische Kraft F des Knpferwismuthelementes aber
fanden sie:
F = 0,12309 . 10- 5 . (IT — T") . |877,8 — ^ '^ ^'\ •
1) Gaagain, Ano. de chim. et de phys. 3. Serie Bd. 65, S. 62.
2) Naccari uod Bellati, Atti dcl Instit. Vencto, 5. Serie, Bd. 4, S. 1, «ach:
Beiblätter Bd. 2, S. 638.
F. Thermoelectricität. 7 7 5
Aus dieser Formel findet man anf ganz anderem Wege % = 877,8,
einen Werth, der sehr gut mit 896,4 übereinstimmt. Man erkennt also,
dass das Pelti er' sehe Phänomen an einer Löthstelle verschwindet, deren
Temperatur gleich der des neutralen Punktes ist.
16. Erklärung des Thomson'sclien Phänomens.
Anstatt mit Thomson eine neue Eigenschaft der die Electricität
leitenden Substanzen: einen Transport von Wärme durch den Strom an-
zunehmen, kann man auch imAnschluss an die einfachere von Glausius
angebahnte Auffassung, in Uebereinstimmung mit Bndde und Hoorweg
die Ursache der von Becquerelund Magnus beobachteten Erschei-
nungen und des T h o m s o n ' sehen Phänomens in der durch Temperatur-
Verschiedenheiten hervorgebrachten Heterogeneität suchen. Man ist be-
rechtigt zu behaupten, dass durch die Erwärmung einer Substanz die
Structur derselben sich ändert. Diese Structurverschiedenheit bedingt
eine gewisse Heterogeneität der sonst gleichartigen Theile, und diese
Heterogeneität äussert sich durch das Auftreten thermoelectrischer Ströme.
Will man den Vorgang ganz äusserlich auffassen, so kann man sagen,
dass diese Heterogeneität darin ihre Ursache habe, dass benachbarte Theile
des Leiters eine verschieden starke Yolumenänderung erfahren, da sie
verschiedene Temperatur haben. Diese verschiedenartige Ausdehnung
aber bewirkt eine Spannung. Stärker gedehnte oder gepresste Stücke
desselben Metalles aber geben bekanntlich thermoelectrische Ströme gegen
minder gedehnte oder minder gepresste.
Locale Erwärmung und zur Erwärmungsstelle symmetrische Ab-
kühlung eines homogenen . Drahtes kann keinen Strom liefern, da die
Structurverschiedenheiten zu beiden Seiten der Erwärmung in derselben
Aufeinanderfolge entstehen und daher Tbermoströme erzeugen, die sich
gegenseitig aufheben. Wenn dagegen ein Strom hindurchfliesst, so muss
eine der Pelti er 'sehen Erscheinung analoge eintreten, die eine Seite
muss etwas stärker erwärmt werden, als die andere; genau so, wie die
auf gleicher Temperatur befindlichen beiden Löthstellen einer Thermo-
säule verschiedene Temperaturen annehmen, wenn ein galvanischer Strom
durch dieselbe hindurch geleitet wird. Es repräsentirt dann aber jeder
Querschnitt mit seinem Nachbarquerschnitt, der eine andere Temperatur
besitzt, die Löthstelle eines Thermoelementes. Es treten daher zwischen
benachbarten Querschnitten electromotorische Kräfte und Peltier'sche
Wärmeerscheinungen auf, wenn die Temperatur des Drahtes an verschie-
denen Stellen verschieden hoch ist. Diese Auffassung, nach welcher man
das Thomson'sche Phänomen als eine unendlich häufige Wiederholung
des Pelti er' sehen Wärmeprocesses zwischen unendlich benachbarten Quer-
schnitten betrachtet, erklärt dann ebensogut auclv JVe^o^ ^•^^®^^®^®^»
776 III. Anwendungen auf electnsche Erscheinungen.
Magnus und neuerdings von Le Rouz beobachtete Thatsache, daes in
manchen Drähten thermoelectrische Ströme entstehen, wenn sie einseitig
neben einem geschlungenen Knoten oder einer merklichen Qaerschnitt»
Veränderung erwärmt werden, die einen symmetrischen Abüall der
Temperaturcurre unmöglich machen und die Homogeneitat der Subatani
geändert haben.
Auch die von Cumming zuerst beobachtete und späterhin allseitig
constatirte Thatsache, dass die electromotorische ^aft eines Thenno-
elementes mit wachsender Temperatur bei constanter Temperaturdifferesi
der Löthstellen in ziemlich verwickelter Weise sich ändert, lasst sich vn
diesem Gesichtspunkte aus leicht erklären.
Als Ursache des thermoelectrischen Stromes hat man die Störungen
der Molecularbewegungen anzusehen, welche an den Berübrongsstella
heterogener Substanzen auftreten. An Stelle der Verluste an kinetischer
(calorischer) Energie der sich in ihren Bewegungen störenden Molecöli:
treten äquivalente Mengen electrischer Energie auf. Dass diese Ver
schiedenheit der Molecularbewegung bei verschiedenen Temperatira
auch dadurch geändert werden kann, dass die Substanzen ihre BeschaffeE-
heit mit der Temperatur ändern, ist wohl verständlich.
IV.
ANWENDUNGEN
DEB
MECHANISCHEN WÄRMETHEORIE
AUF
PROBLEME DER METEOROLOGIE UND
ASTRONOMIE.
A. Der indifferente Gleichgewichtszustand der
Atmosphäre.
1. Der indifTerente Oleichgewlolitsziistand einer Atmo-
sphäre, die aus trockener Luft besteht.
In der Atmospliäre besteht der indifiPerente Gleichgewichtszustand^)
dann, wenn die Temperatnrabnahme nach der Höhe genau nach dem Gesetze
stattfindet, nach welchem die Temperatur einer aufsteigenden Luftmasse
abnehmen würdoi welcher beim Aufsteigen weder Wärme zugeführt noch
entzogen wird.
Der Gleichgewichtszustand in der Atmosphäre ist labil, wenn die Tem-
peratur mit der Höhe rascher abnimmt, er ist stabil, wenn die Abnahme
langsamer stattfindet, als beim indifferenten Gleichgewichtszustande. Die
Stabilität des Gleichgewichtszustandes der Atmosphäre hängt nämlich
ausser von ihrer Beschaffenheit (ob trocken oder feucht), hauptsächlich von
dem Gesetze ab, nach welchem sich die Temperatur mit der Höhe ändert.
^) Auf diesen Zustand der Atmosphäre bat zuerst W. Thomson, später ausführ-
licher Reye hingewiesen; Letzterer in seiner wichtigen Schrift: Die Wirbel stürme,
Tornados und Wettersäulen , Hannover 1872. Weiter theoretisch verfolgt wurden diese
Ideen neuerdings von A. Ritter: Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie auf
kosmologische Probleme, Hannover 1879. Auch vergleiche man die äusserst werthvolle
Abhandlung von Hann: Oesterreichische Zeitschrift für Meteorologie, lid. IX (1874),
S. 195 : Die Gesetze der Temperaturänderungen in aufsteigenden Luilströmungen. Eine
sehr präcise und elegante mathematische Darstellung der hier in Betracht kommenden
Verhältnisse findet man auch in der klassischen Arbeit von Mohn und Guldberg:
Etudes sur les mouvements de Patmosph^re. Christiania (üniversitätsprogramm) 1876
und 1880.
778 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
Eriheilt man einer Lufbmenge eine kleine Geschwindigkeit Tertiol
nach oben oder vertioal nach unten, so kann die Temperatur dieser Lofr
menge sich in Folge ihrer Bewegung rascher oder langsamer ändm,
als die Temperatur der umgebenden Atmosphäre. Wenn die Tempentnr
einer aufsteigenden Lufbmenge rascher abnimmt, als die Temperatur der
umgebenden Atmosphäre, so wird die aufsteigende Luftmenge ein gröBKra
specifisches Gewicht bekommen, als die umgebende Luft, und sie viri
deshalb wieder nieder sinken, wenn die ertheilte yerticale Anfangs-
geschwindigkeit consumirt ist. Ein derartiger GleichgewicbtszusiaQd k
demnach ein stabiler. Nimmt die Temperatur eines aufsteigenden Luft-
partikelchens langsamer ab, als die Temperatur der Umgebung, so erksgi
das Lnftpartikelchen ein geringeres specifisches Gewicht, als die nn*
gebende Luft, und es wird seine aufsteigende Bewegung daher mit n-
nehmender Geschwindigkeit fortsetzen; es würde durch den geringstei
Anstoss ein aufsteigender Luftstrom entstehen, das Gleichgevricht der
Atmosphäre ist dann labil. Ertheilt man einer Luftmenge eine abster
gende Geschwindigkeit, so findet man in gleicher Weise, dass das Gleick-
gewicht stabil ist, wenn die Temperatur der niedersinkenden Luftmengi
rascher zunimmt, als die der umgebenden Lufb und ebenso, dass dv
Gleichgewicht labil ist, wenn die Temperatur des sinkenden Lufttheü-
chens langsamer wächst, als die der umgebenden Atmosphäre. Die
Atmosphäre ist somit stabil für einen aufsteigenden Luftstrom, wenn «
labil' für einen absteigenden ist, und umgekehrt.
Das Gesetz der Temperaturabnahme kann für den Fall des indifi-
renten Gleichgewichts der Atmosphäre leicht mit Hülfe der Gleichanga
der mechanischen Wärmetheorie aufgefunden werden. Wir ermitteln dis-
selbe zunächst unter den Voraussetzungen , dass wir es mit einer Atmo-
sphäre von trockener Luft zu thun haben, und dass trockene Luft der
Zustandsgieichung eines idealen Gases:
p.v
m
= E l)
bei allen vorkommenden Drücken und Temperaturen streng folge.
Bezeichnet nun p den Druck, v das specifische YolumeD, T die
absolute Temperatur in der Höhe x über der Meeresoberfläche, so id
p -]- dp, V -}- dVf T -{- dT die entsprechenden Grössen in der Höie
X -^ dx. Alsdann ist die Druckänderung dp negativ und zwar gleich
dem Gewichte des Luftvolumens , dessen Basis die Flächeneinheit m
dessen Höhe dx ist. Man erhält somit, unter VemachlässiguDg der
unendlich kleinen Grössen höherer Ordnung:
dp =1 . dx, ^)
V
weil — das Gewicht der VolumeDeinheit Luft in der Höhe x ist.
V
A. Das indifferente Gleichgewicht der Atmosphäre. 779
Erhebt man 1 kg Luft von der Höhe X auf die Höhe x •\' dx, so
^eht das Volumen dieser Luftmenge von v in v '\- dv über. Hierbei
wird eine Arbeitsmenge v • dp geleistet, welche der Wärmemenge
--•vdp äquivalent ist. Diese Wärmemenge müsste Yon aussen der Luft-
menge zugeführt werden, wenn die Temperatur der Luft bei diesem
Processe ungeändert gleich T bleiben sollte. Erwärmt man nunmehr,
ohne das Volumen des Gases sich ändern zu lassen, dasselbe in der Höhe
X -^ dx um d T, so ist dazu die Wärmemenge CvdT erforderlich.
Im Ganzen müsste also, damit in der Höhe x -{- dx das Kilogramm
Liufb das Volumen v -{■ dv und die Temperatur T -^r dT habe, eine
Wärmemenge dQi
dQ = j - p • dv -i- Cv'dT 3)
zugeführt werden.
Die zur Hebung des Luftgewichtes um die Höhe dx erforderliche
Arbeit ist Null, da im vorausgesetzten Gleichgewichtszustande der Atmo-
sphäre das Gewicht der Luft durch einen genau gleich grossen Auftrieb
aufgehoben wird.
Im indifferenten Gleichgewichtszustande soll nun die obengenannte
Wärmemenge dQ gleich Null sein, die Zustandsänderung der Lufb nach
der Höhe soll längs einer adiabatischen Curve erfolgen. Dies führt zu
der Gleichung:
p.dv = — J.Cv.dT.
Addirt man hierzu die Gleichung 2) in der Form:
V . dp = — dXf
80 erhält man:
p,dv -f- v,dp = — dx — J.Cv.dT
oder:
d(v.p) = — dx — J.Cff.dT.
Nun ist aber nach der Znstandsgleichung vollkommener Gase (Glei-
chung 1):
d(v.p) = B.dT,
80 dass man schliesslich erhält:
R.'dT= — dx — J.c^.dT.
Trennt man die Veränderlichen und berücksichtigt, dass (Bd. 1, III,
A. 2, S. 236, Gleichung 6):
B = J.(cp — Cv)
ist, so ergiebt sich:
J.Cp.dT— — dx
oder:
780 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
dT 1 1)
4)
dx J .Cp
lutegrirt man und setzt die Temperatur an der Erdoberfläche, d. b. in
der Höhe o? = 0 gleich Tq, so findet man für die Temperatur in der
Höhe X den Ausdruck:
^=^«-7^-^ '■
Eliminirt man x statt |>, so kommt man auf die Thomson^eclK
Gleichung ^) :
T= To -(l -' X),
worin Tq, ^oi l'o die Werthe der absoluten Temperatur, der Dichte und
des Druckes der Luft in der Höhe Xq sind, und x den Quotienten der
specifischen Wärme bezeichnet.
£Iiminirt man in der Gleichung 2) v mit Hilfe der Formel :
P
so erhält man:
dp dx '
p B.T
Substituirt man hierin für T den Ausdruck, durch den wir am
Gleichung 5) geführt wurden, so findet man:
dp _ J.Cp dT
p ~ B ' T
und hieraus durch Integration:
Po \ToJ
6i
Po
oder
i_^^.,)V ,)
J.Cp.To J
Hierin bezeichnet p den Druck in der Höhe x^ p^ den Druck an der
Erdoberfläche.
Der Exponent ist seinem numerischen Werthe nach:
B -^'^*-
^) Dieselbe Formel, etwas anders abgeleitet, giebt Mendeleeff in dem Aai&.itzc:
Sur la temp^rature des couches ^lev^es de Patmosph^re. CompUrend. Bd. 81, S. 10^
Die dort entwickelte Formel lautet:
4^ = - ^^-::ii . i = - 0,00984.
^) W. Thomson, On the convective Equilibrium of temperature in tbe JVtmo-
spbcre. Mem. of the Phil. Soc. of Manchester. III. Ser., Bd. II, S. 126.
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 781
2« Folgerungen, die sioli aus den Formeln für den indifi^-
renten Gleioligewlclitszustand ergeben.
Die Formel 5) gestattet einige bemerkenswerthe Schlüsse. Zunächst
siebt man, dass die Temperaturabnahme der Höhe proportional ist. Die
Temperatur nimmt im indifferenten Gleichgewichtszustande mit der Höhe
gleichförmig ab. Ferner ist beachtenswerth, dass T = 0 werden würde,
d. h. dass die Temperatur des absoluten Nullpunktes für einen Werth
von X stattfinden würde, welcher der Gleichung:
0 = To — -Y^ . X
genügt. Nimmt man die Temperatur an der Erdoberfläche gleich lO^C,
also Tq = 283 an, so findet man diesen besonderen Werth von o;, den
wir mit H bezeichnen wollen :
H = 28S . J . Cp = 28564w^.
Dies würde ungefähr die Höhe der Erdatmosphäre sein, wenn die-
selbe aus trockener Luft bestände, wenn die Temperatur des Weltraumes
die des absoluten Nullpunktes wäre, und die Luft bis zum absoluten
Nullpunkte dem Ausdehnungsgesetze vollkommener Gase folgte^).
Wahrscheinlich ist jedoch keine dieser Voraussetzungen auch nur
angenähert erfüllt, ausgenommen vielleicht die zweite. Insbesondere
wissen wir gar nicht, nach welchen Gesetzen Druck und Volumen von
Sauerstoff und Stickstoff bei sehr niedrigen Temperaturen zusammen-
hängen, und wie man sich den Aggregatzustand dieser Gase in der Nähe
des absoluten Nullpunktes vorstellen soll.
Man darf daher nicht überrascht sein, dass dieses Bechnungsresultat
mit bekannten Thatsachen durchaus nicht vereinbar ist. Noch in einer
Höhe von 200 km besitzt z. B. die Atmosphäre eine solche Dichte , dass
sie die Bewegung der sich mit planetarischen Geschwindigkeiten bewegen-
den Meteorite merklich beeinflusst ^). Nicht selten beginnen Stern-
schnuppen schon in beträchtlich grösserer Entfernung von der Erdober-
fläche durch ihr Leuchten sichtbar zu werden. Als einzige zutreffende
Erklärung dieser Licht- und Wärmeentwickelung gilt zur Zeit die An-
nahme, dass die Verluste an kinetischer Energie, welche diese Himmels-
körper durch Reibung an der Erdatmosphäre erfahren, die Ursache dieser
Wärme- und Lichtentwickelung seien.
^) Berücksichtigt man die Abnahme der Schwere mit der Höhe, so ist man über-
haupt nicht mehr im Stande, einen bestimmten Abstand vom Erdmittelpunkt anzugeben,
in welchem das Luflmcer aufhört.
^) Man vergleiche Schiaparelli: Entwurf* einer astronomischen Theorie der
Sternsohnuppen. Deutsch von G. v. Boguslawski. S. 4.
782 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
In einer aus trockener atmosphärischer Luft bestehenden, im indiffe-
renten Gleichgewichte befindlichen Atmosphäre würde für je 100 m Hohe
die Temperatur um
-;?—. 100 = 0,9900. 8)
abnehmen ^).
Eine in einem aufsteigenden oder herabsinkenden Strome befindlidke
trockne Luftmenge würde für je 100 m Erhebung oder Senkung sich nn
nahezu l^G. abkühlen resp. erwärmen, welches auch der Anfangszastand
dieser Luftmenge gewesen sein mag.
3. Oleichgewiclitszustaiid, wenn die Luft nicht mit
Wasserdampf gesättigt ist.
Wenn es möglich wäre, den Gleichgewichtszustand einer aus feachter
Luft bestehenden Atmosphäre genauer mathematisch festzustellen, w
müsste man damit jedenfalls wenigstens für den mittleren Zustand unterer
Schichten der Atmosphäre der Wahrheit erheblich näher kommen, als
durch die Gleichungen des vorhergehenden Paragraphen.
Leider ist eine allgemeine Behandlung der Frage deshalb unmöglich,
weil der Wassergehalt der Luft in verschiedenen Höhen und zu ver^
schiedenen Zeiten nach Beschaffenheit und Quantität ausserordentiich
verschieden ist. Bald enthält die Luft ungesättigten Wasserdampf, ist
also relativ trocken; bald ist die Luft mit Wasserdampf nahezu oder
ganz gesättigt; zu anderer Zeit ist sie nicht nur gesättigt, sondern trägt
nicht unbeträchtliche Mengen von flüssigem Wasser in der Form feiner
Nebelbläschen mit sich herum. Bald enthält die Luft als Regen nieder-
fallende Wassertropfen, zu anderen Zeiten feine Schneekrystalle oder
dicke Schneeflocken. Am einfachsten gestalten sich die Verhältnisse im
ersten Falle, wenn die Luft nur sehr wenig Wasserdampf enthält, wenn
die Luft nicht mit Wasserdampf gesättigt ist. Alsdann verhält
sich die feuchte Luft so lange nicht wesentlich anders als trockne Luft,
bis die Temperatur derselben so niedrig geworden ist, dass eine Conden-
sation eintreten würde.
Nimmt man z. B« an, dass in einem Kilogramm Luft q^ Kilogramm
Wasser als Dampf enthalten sind und an dem gegebenen Punkte der
Atmosphäre g sehr viel kleiner als das Gewicht ist, welches bei dem
gegebenen Zustande zur Sättigung der Luft mit Wasserdampf genügen
würde, so ist die specifische Wärme der feuchten Luft (bei constantem
Drucke) CpX
Cp = Cp . (1 — 5) + yp . (? = 0; + (yp — cp) . 9 . . 3)
*) Man vergleiche Reye: Wirbelstiirme etc., S. 224.
Ä. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 783
ivenn Cp die specifische Wärme der trockenen Luft, yp die des ungesättig-
.en Wasserdampfes bedeutet.
q ist stets ein sehr kleiner echter Bruch ^).
Das Gewicht M der trockenen Luft, welche bei dem Barometer-
stande jp, der Temperatur T und bei einer Dunstspannung / in einem
Kubikmeter feuchter Luft enthalten ist, beträgt (weil v = 1):
B.T
und das Gewicht m des in dem Kubikmeter feuchter Luft enthaltenen
Wasserdampfes beträgt:
Somit ist M -\- m das Gewicht von einem Kubikmeter feuchter
Luft, welche m Kilogramm Wasserdampf enthält. Ein Kilogramm Luft
m
enthalt somit j — — = q Kilogramm Wasserdampf, wenn die Dunst-
m -f- M
Spannung unter den angegebenen Verhältnissen /beträgt. Hiernach ist:
/
ü =
M + m p—f f
B.T "^ WTt
Berücksichtigt man, dass, insoweit man ungesättigten Wasserdampf
als ein vollkommenes Gas ansehen darf, für Luft i2 == et . |)o . vo , für
Wasserdampf i2' = a . po • ^o ist, so folgt:
:?.' _ üo _ ?o _ 1 .
22 ~ ro 6 ~ 0,623 '
somit ergiebt sich, dass -^ gleich dem reciproken Verhältniss der Gas-
dichten ist. Man erhält demnach:
_ 0,623 . / _ 0,623 . / «)
^ "" i? —/+ 0,623 ./ ~" 1? — 0,377 ./
und
f ^ g
p 0,623 + 0,377 . q
10)
11)
>) Man sehe die Tal>e1le für 9 auf S. 785.
^) Näherungsweise Itann man setzen:
5 ./
ff =
8 •!> — 3./
oder auch, da 3/ immer im Vergleich zu 8^ sehr klein ist:
8 t
784 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
Setzt man in der Gleichung 5) für Cp nunmehr Cp, so erhält mtn:
T=To — j^'X 12)
oder:
^ = -yV ^5)
dx J . Cp
Bei Einführung sämmtlicher numerischen Werthe ergeben sich for
Cp Werthe, welche selbst bei ziemlich hohen relativen FenchtigkeitB-
gehalten so wenig von Cp, der specifischen Wärme trockener Luft, abwei-
chen, dass sich der Coefficient für die Temperaturabnahme mit der Höhe
nur unmerklich ändert. Ist z. B. die Temperatur an der Erdoberfläche
30^ also T = 3030, p = 760mm, der Dunstdruck /= 19 mm, w»
einem relativen Feuchtigkeitsgehalte von ungeföhr 60 Proc. entspricht
so ist^):
fl = 0,0156, Cp = 0,241 und -3- = — 0,00975
ax
statt — 0,0990, was wir Gleichung 8) für vollständig trockne Loft
gefunden hatten. Freilich ist diese Formel nur auf einen kleinen Tbeü
der Atmosphäre anwendbar, denn schon in geringer Höhe (im vorliegen-
den Beispiele bei circa 900 m Erhebung) würde wegen des Sinkens da
Temperatur der Luft der in ihr enthaltene Wasserdampf seinen Condea-
sationspunkt erreicht haben, die aus höheren Regionen niedersinkendeB
Condensationsprodücte würden aber alsdann den Gleichgewichtszustand
der darunter liegenden Luftschichten stören. Für die Aendemng dei
Druckes erhalten wir im vorliegenden Falle durch das im §. 1 angewen-
dete Verfahren in diesem Falle
.)■ -
Der Exponent m hat in diesem Falle den Werth:
^_j.o,.. ■+'(g-') ,„
Vfl ^I^ . • :^ • « ■ • . 1 •Jl
B* ö + (l — ö).^
Nach Einsetzung der numerischen Werthe erhält man sehr an-
genähert :
*" - ^'^^ 0.623 + 0.377 . q *
wofür mit genügender Annäherung:
3,44
"^1+0,6. g ''^
gesetzt werden kann.
^) Dieses Beispiel rührt von Hann her, Zeitschrift f. Meteorologie, Bd. 9 (1874),
S. 324.
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 785
4. Olelohgewlöhtszustand einer mit Wasserdampf
gesättigten Atmosphäre.
Denken wir uns nun, wir haben in der Höhe rr 1 kg Luft vor uns,
und zwar sei die Luft mit WaBserdampf vollkommen gesättigt,
und es wird, während sich diese Luftmasse um dx erhebt, die kleine
Dampfinenge d q condensirt. Durch diese Condeusation wird die Wärme-
menge r . dq frei, wenn man mit r die latente Dampfwärme des Wassers
bei der Temperatur T bezeichnet und voraussetzt, dass der Wasserdampf
als flüssiges Wasser condensirt wird.
Wird der Wasserdampf jedoch als Eis ausgeschieden, so wird die
Wärmemenge (r -[- L) . dq entbunden, wobei L die latente Schmelz-
wärme des Eises 79,25 bezeichnet. Denkt man sich den Wasserdampf
als Eis ausgeschieden, so ist in den nachstehenden Formeln überall statt
r die Klammer (r -|- L) zu setzen. Soll wiederum bei einer Erhebung
eines Kilogramms Luft um die Höhe dx weder Wärme von aussen zu«
geführt noch abgeführt werden, so erhält man diesmal:
0 = r ' dq + Cv ' dT -\- -rz ' p * dv^
weil bei der Erhebung der Luftmenge um die Höhe dx die Wasser-
dampfmenge dq condensirt und die Wärmemenge r . dq dadurch ent-
bunden wird.
Mit Rücksicht auf die bekannte Relation :
J . (Cp — Cv) = R
kann man hierfür schreiben:
Hierin ist für Cp wiederum Cp gebraucht, da es sich um die spe-
cifische Wärme feuchter Luft handelt.
Differenzirt man, um diesem Ausdruck eine etwas andere Grestalt
zu geben, die Zustandsgieichung vollkommener Gase, so findet man:
p , dv -]- V . dp = R . dT,
somit:
— .(p.rft; — B - dT) = =-r- dp,
d tß
Wenn man dies oben einsetzt, erhält man:
— r ' dq^= Cp ' dT =•!;• dp.
Rflhlmann, Mecfaaniiche Wärmetheorie. Bd. II. 50
-r.äq=C,-dT-^-dT+-^.p.dv.
786 IV.. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
Sabstituirt man hierin wieder die Gleichung 2), welche die Drack*
abnähme nach der Höhe darstellt :
V . dp ^= — dx,
so erhält man:
-^ r ' dq= Cp' dT + \ ' dx 1
/
t.
Nunmehr muss noch dq eliminirt werden. Zu diesem Z'wecke vird
der Ausdruck q (Gleichung 10, S. 783) logarithmirt und hierauf diffe-
renzirt. Dadurch findet man:
oder:
dq _
df dp ^ ^'^" \p ' i>V
a
f ^ 1 — 0,377 . ^
df dp
dq f p
^ 1 — 0,377 . ^
P
Berücksichtigt man, dass nach 2):
dP_ 1 .,_ 1 .,
p p ,v B.T
ist, so ergiebt sich :
— T -r- • dx
dq = q- -^ -
1 — 0,377 . ^
P
Wenn man dies in die Hauptgleichung 17) einführt und die Glieds
mit dx auf die eine, die mit dT multiplicirten auf die andere Seite
setzt, findet man:
dT.JQ,.(l-0,377.D+r.,.i.^j
= -...(i. (.-0.377. 0 + l^J
dT
1 — 0,377 . ^
P , r.q
J ' I^.T
dx
Gp •
(,_o,a77.A + ..,.).^
IS)
Hier ist Jff für B gesetzt, weil die Formel für feuchte Luft and dk
Grösse B deshalb einen anderen, als den für trockene Luft giltigen Werth
annimmt. Berücksichtigt man, dass alsdann:
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 787
B
B' =
1 — 0,377 . ^
1>
st, so erhält man schliesBlich ^) :
dT _
dx
Hierin ist:
C, • (l - 0,377 . ^ +
I« . g . _ .
df
19)
/ dT
Q =
0,623 • ^
£__
1 — 0,377 . -
P
r = 606,5 — 0,708 . (T — 274),
Cp = 0,2375 + 0,2430 . g
md zwar hedentet p den Barometerstand, / den Druck gesättigten
)ampfe8 hei T, nnd T die ahsolnte Temperatur in der Höhe x. Die
1 df
rrössen / und — * -r=- können aus den Spannkraftstafeln gefunden wer-
•/ »
:en und zwar ist (vergl. Bd. I, V, S. 588 u. s. f.) :
bei T — 274
. /
1 df
f dt
— 15« C.
1,40 mm
0,0799
— iqo
2,09
0,0770
~ 50
3,13
0,0742
0«
4,60
0,0715
+ 50
6,53
0,0699
+ 10«
9,17
0,0664
+ 15«
12,70
0,0640
+ 20«
17,39
0,0617
+ 25«
23,55
0,0595
+ 30«
31,55
0,0574
*) Mit dem hier behandelten Problem hat sich zuerst W. Thomson in der Ab-
ndlung beschäftigt: On the convective equilibrium of temperature in the atmosphere;
;m. of the Literary and Philos. Soc. of Manchester (1862) III. Ser., Bd. 2, S. 125
i 131. Die von ihm abgeleitete Formel lautet in den von uns gewählten Bezeich-
ngen:
de
J • cv — J ' — ■ t»
8
dx
p + J.r
— Ä,
50*
788 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
Wird der Wasserdampf als Eis ausgeschieden, so ist statt r zu
setzen r + X oder:
r 4- i^ = 607 4- 79,25 — 0,708 . {T — 274),
r + i = 686 — 0,708 . (T — 274).
dT , ,
Der Quotient -t — giebt die Wärmeabnahme nach der Höhe in einer
Ct QU
mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre. Hann hat hieraus eine
Tabelle berechnet, welche über die wichtigsten Fragen, die den prakti-
schen Meteorologen interessiren , Auskunft giebt. SelbstTerstandlieh ist
von Null an abwärts darauf Rücksicht genommen, dass der Wasserdampf
nicht als Wasser, sondern als Eis ausgeschieden wird.
Tabelle über die Grösse g.
^ ist das Gewicht Wasserdampf (in Grammen), welches in 1 kg gesättigt
feuchter Luft enthalten ist.
— 10°
— 50
00
50
10^
15'>
20^'
25«
30«
p
/=2,09
3,11
4,60
6,53
9,17
12,70
17,29
23,55
31,55
760
? = 1,72
2,56
— 3,79
5,39
= 7,58
— 10,5
— 14,3
— 19,6
= 26,4
700
1,87
2,78
4,12
5,85
8,23
11,4
15,6
21,3
28,7
600
2,18
3,25
4,81
6,83
9,61
13,3
18,2
24,9
—
500
2,62
3,90
5,77
8,20
11,5
16,0
21,9
—
—
400
3,27
4,87
7,22
10,3
14,5
20,1
—
—
—
300
4,37
6,50
9,64
13,7
19,3
—
—
—
—
200
6,56
9,78
~"^
^—
•—
—
■'
"^—
worin v das specifische Volumen der feuchten Luft und s das specifiache Volnmen dei
gesättigten Dampfes bezeichnet.
Die oben mitgetheilte Formel ist in ihren wesentlichen Elementen zuerst you
Peslin entwickelt worden. Man vergleiche dessen Abhandlung: Sur les moarement«
g^n^raux de l'atmosph^re. Bull. hebd. de PAsboc. scientif. de France. Bd. III, 1868.
Die hier gegebene Ableitung folgt in der Hauptsache Hann. Man sehe dessen epoche>
machende Arbeit : Die Gesetze der TemperaturSnderung in aufsteigenden LufUtromangeik
Oesterr. Zeitschria f. Meteorologie. Bd. IX (1874), S. 326. Gleichzeitig sind einig»
Correctionen berücksichtigt, welche L. Sohnke in derselben Zeitschrift Bd. XV, ä. 41
bis 53 gegeben hat.
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 789
iXann's Tabelle^) über die Wärmeabnahme nach der Höhe in einer
mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre.
>eehöhe in
Anfang-
Hetem
licher
Anfangstei
mperatur
(bei 0»)
Druck
Meter
Mm
— 10«
50
0«
+ 00
50
lOO
150
20O
250
300
20
760
0,76
0,69
0,63
0.65
0,60
0,54
0,49
0,45
0,41
0,38
680
700
0,74
0,68
0,62
0,64
0,59
0,53
0,48
0,44
0,40
0,37
1910
600
0,71
0,65
0,58
0,60
0,55
0,49
0,44
0,40
0,37
3360
500
0,68
0,62
0,55
0,57
0,52
0,46
0,41
0,38
—
5150
400
0,63
0,57
0,50
0,52
0,47
0,42
0,38
—
—
—
7430
300
0,57
0,51
0,44
0,46
0,42
—
—
—
10670
200
0,49
0,43
0,38
0,40
—
■^~»
5. Die Formeln von Ouldberg und Mohn^ für den
indifi^renten Zustand der mit Wasserdampf gesättigten
Atmosphäre.
In etwas anderer Weise haben die oben genannten Autoren mit
grösserer mathematischer Strenge die vorliegenden Aufgaben behandelt.
Dieselben betrachten zuerst ein Gemenge von der Beschaffenheit eines
feuchten Nebels, welches aus 1 kg trockener Luft, } kg Wasserdampf und
^ kg flüssigem Wasser besteht, und denken sich dieses um die Höhe dx
gehoben, ohne dass Wärme zu- oder abgeführt wird.
Bezeichnet man die inneren Energien der Gewichtseinheiten Luft,
Wasserdampf, flüssiges Wasser, der Reihe nach mit ü\ ü'\ 17"', so ist
die innere Energie U der ganzen Mischung :
U= U' + i.U" + y.ü''' 20)
Die Summe ) H~ ^ bleibt constant, so lange nicht ein Theil des
flüssigen Wassers als Regen ausfällt.
^) Diese Tabelle Uann's ist nach etwas vereinfachten Formeln berechnet. Die
durch die Abkürzungen der Rechnungen entstandenen Abweichungen sind aber für
praktische Anwendungen ohne Belang.
^) ^tudes sur les mouvements de l'atmosphere. Christiania (Universitätsprogramm)
1876, S. 10. Der zweite Theil dieser für die theoretische Meteorologie grundlegenden
Abhandlung erschien 1880.
790 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
Setzt man :
i + y = ^y
80 ist:
dU=dü^ + S, dU"' + d(i . [?/" — r"']) ... 21
Bezeichnen ferner «;' und v" die specifischen Volumina der trockenez
Luft und des gesättigten Wasserdampfes und setzt man t/" das Volume
des Wassers gleich Null, so ist das Volumen V des Gemisches :
F = r' + a . v" 22 i
Man kann somit schreiben:
p.dr = (p—/).dv' + f.d(,i. t/')-
Mit Racksicht auf die früher von nns für U', ü" und U'" gegebenen
Ausdrücke (vergl. Bd. I, B, S. 752 u. s. f.) kann man schreiben:
r=i(U"—U"') + ^-f-t/' 23j
Ferner :
T . d j^j = d [j . [U" - O) + J'f' Hi-n ' ' 24)
Cp.dT= dU' + '^' dT 25)
B
J
c'.dT=dü"' 26)
wenn Cp die specifische Wärme der trockenen Luft und (/ die des flüssigen
Wassers bezeichnet. Ferner ist nach dem Ausdehnungsgesetze voll*
kommener Gase:
(p —f) ,v' = B. T.
Diese Grössen setzt man in die Bedingangsgleichnng ein, welche aus-
drückt, dass die Zastandsänderuug eine adiabatische sein soll; diese lautet:
0 r= du ^ \' p ' dV 27)
Dann ergiebt sich:
d(p - /)
/
Bezeichnet man die Grössen, welche an der Erdoberfläche in der
Höhe X = 0 stattfinden, durch angehängte Indices Null, so findet man
durch Integration und Einsetzung der numerischen Werthe:
0=c,-dT + i-c' -dT + T- <i(4r) -7 • ^ -^4^ • 2?»)
lognat (p^) = 3.44 • Fl + 4,21 11 • lognat ^
Hierin ist:
+ 6,29 . jä-Ü^ - i^"} 29)
j = 0.623.^=^ 30)
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 791
Die GleichuDg 1), welche die Abhängigkeit des .Druckes von der
Höhe ausdrückt, nimmt im vorliegenden Falle die Gestalt:
1 +i
dp = ^ . d X
an. Verbindet man diese Gleichung mit 27) durch die Identität:
d{p . V)=p .dV+V.dp,
BO erhält man:
0 = dü+ j'd(p'V) + ^'(l + ^)'dx ' ' . 31)
Näherungsweise kann man aber bekanntlich
p.r=(p-f).i/ +f.i.v" = B.T -\-i.f.v" . 32)
einführen. Setzt man dies in die vorstehende Gleichung ein und berück-
sichtigt den im Vorhergehenden für dU entwickelten Werth, so ergiebt
sich:
0 = (cp -\- ^'c')'dT + d(i'r) + ^'(l + ^)'dx . 33)
oder :
Wenn man jedoch die vorletzte Gleichung integrirt und die Integra-
tionsconstante aus dem Anfangsznstande bestimmt, ergiebt sich für die
in der Höhe x stattfindende Temperatur T die Gleichung :
0=(ep + ^■c')-(T-n) + i-r-jo-^o + ^-(1 ■\- i) • ^ 35)
Af ohn und Guldberg geben hierzu folgendes numerisches Beispiel:
y = 0, I = iTo = 0,0125, To = 274 + 17», T = 274 + 0«,
/o = 14,42mra, /= 4,60mm, |>o = 733,42 mm.
Man erkennt, dass, um die Gleichung 29) anwenden zu können, die
Endtemperatur T bekannt sein muss. Bei den meisten meteorologischen
Fragen aber kommt es gerade darauf an, T zu ermitteln. Den Druck
bestimmt man im vorstehenden Falle aus der Gleichung:
log (p -/) = 2,6005 .+ *^y
Gleichungen von solcher Form aber müssen nach einer der Nähe-
rungsmethoden gelöst werden, und das ist unter allen Umständen un-
bequem. Man findet hierdurch p = 487,2 und damit dann j = 0,00594 1).
^) An denselben Unbequemlichkeiten leidet auch die von Reye gegebene Formel,
welche in ähnlicher Weise abgeleitet ist wie die vorstehende. Vergl. Reye, Die
WirbelBtürme, Tornados und Wettersäulen. Hannover 1872. S. 215 u. s. f.
792 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
Damit findet man dann h = 3384 m. Die mittlere Temperatnrabnabai
nach der Höhe beträgt somit für 100 m 0,50^. Die Hann'Bche Tabdi
ergiebt für 17® bei 733 mm zunächst 0,4 7<) und für 0^ und 487 m
0,55^ oder im Mittel mit befriedigender Uebereinstimmung 0,51® G.
Hat man den Fall vor sich, dass das condensirte Wasser all
Eis ausgeschieden wird, so setzt man auch hier statt r überall &
Grösse r -|- L ein, wenn L die latente Schmelzwärme des Eiaa
bedeutet, und statt c' setzt man die Grösse c", die specifische Wärat
des Eises (= 0,5).
Dadurch nehmen die Constanten der Formel 29) in diesem Falk
etwas andere Werthe an, und die'Gleichung, welche zur Bestimomng da
Druckes dient, lautet, wenn das Wasser als Eis ausgeschieden wird:
log (^^4) = 3.44 . (1 + 2,105 {) . lognat(^^
+ 6.29 ■ f ' • y ^) - '-^^] ■ ■ . ■ 3«,
und X bestimmt man alsdann aus der Formel:
0 = («i + c"-|).(T-ro) + j-(r + L)-j,.(ro + X) + j-(H-|)-« 37,
Auch für diesen Fall geben die vorgenannten Autoren ein Beispiel
welches wir hier reproduciren. Angenommen ist: Tq = 274 + öi
r= 274 — 200, /o = 4,6, / = 0,93, po = 476,5, | = 0,0125.
Daraus findet man zunächst : )o = 0,00607 ; p wird durch Probiren aa
der transscendenten Gleichung:
%(!>-/) = 2,4309 +i^
bestimmt, und zwar genügt derselben der Werth p = 292^73. Daniu
ergieht sich: j = 0,00198 and h = 3206 m. Die mittlere Temperatar-
20 . 100
abnähme fUr 100m Höhe beträgt in diesem Falle: -_,, == 0,62« C
Die H a n n ^ sehe Tafel giebt zunächst bei j^o = 476,5 mm und 0® des
Werth 0,54 und bei p = 292,7 mm und — 20^ dagegen 0,69. Im Mittd
findet man 0,61<^C., abermals in befriedigender Uebereinstimmung mit
dem Ergebnisse der vollständigen Formel ^).
^) Bei Mohn uod Guldberg ist ausserdem noch der Fall ontereucht, dis»
gerade bei 0^ Eis und Wasser gleichzeitig vorhanden sind. A. a. O. S. 11 and 13.
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 793
6. Oonsequenzen der vorstehenden Formeln.
Die in den vorhergehenden Capiteln mitgetheilten Formeln und
zumal die H an n' sehe Tahelle S. 789 gestatten eine Anzahl Folgerungen,
deren Anwendung auf Probleme der praktischen Meteorologie sieh un-
mittelbar ergiebt. ' Nimmt man z. B. an, es werde trockene gesättigte
Luffc, deren Anfangstemperatur 10^0. betrage, von der Höhe Xq = 680 m
auf die Höhe x = 2680 m, also um 2000 m gehoben. Die Tabelle
giebt in diesem Falle eine Temperatnrabnahme für 100 m von 0,53^ C,
d. i. von 0,53 x 20 = 10,6^ C, demnach wäre die Endtemperatur
— 0,6« C. In 2680 m aber beträgt bei — 0,6« C. die Temperaturabnahme
für 100 m 0,57«, im Mittel hätte man somit mit einer Temperaturabnahme
von 0,55 rechnen müssen und hätte 0,55 . 20 = 11« als gesammte
Temperaturabnahme und — 1« C. als Endtemperatur des Luftstromes
erhalten, wenn derselbe auf der Höhe ankommt.
Ein trockener Luftstrom würde sich bei gleicher Erhebung nach
Formel 6) um 0,99 X 20, um 19,8«, also bis auf — 9,8« abgekühlt
haben.
Sänke nunmehr dieselbe Luftmasse, vielleicht jenseits eines Gebirgs*
kammes, den sie zu überschreiten genöthigt gewesen war, in das alte
Niveau zurück, so würde sie comprimirt und dadurch erwärmt werden,
der in der Luft enthaltene Dampf, durch den dieselbe bei — 1« gesättigt
wurde, müsste aus dem gesättigten in den ungesättigten Zustand über-
gehen. Die Luft würde sich für je 100 m Senkung um durchschnittlich
ungefähr 0,97 erwärmen, somit als relativ sehr trockene Luft im gleichen
Niveau von 680 m mit einer Temperatur von — 1 4* 0,97 x 20 = 18,7«
vorkommen.
Durch ähnliche Vorgänge erklärte Hann, wie wir später noch aus-
führlich zeigen werden, die relativ hohe Temperatur und Ti*ockenheit
des Föhnwindes der Alpen.
Die Hann 'sehe Tabelle zeigt sehr deutlich, dass der Wasserdampf,
indem er die bei seiner Condensation frei werdende Wärme an die Luft
abgiebt, die Abkühlung, welche infolge der Expansion in aufsteigenden
Luftströmen stattfindet, sehr beträchtlich vermindert. Ueberhaupt stim-
men die beobachteten Temperaturabnahmen mit der Höhe mit den aus
den Formeln berechneten recht gut überein.
Durch die Condensation, welche eintritt, wenn mit Wasserdampf
unvollkommen gesättigte Luft auch nur um massige Höhen in die Höhe
steigt, erklären sich wahrscheinlich ein grosser Tbeil der Niederschläge.
Wenn Luft sich aus irgend welchem Grunde in die Höhe erhebt, kühlt
sie sich ab, der in ihr enthaltene ungesättigte Wasserdampf nähert sich
dabei mehr und mehr seinem Sättigungspunkte. Schliesslich wird der
Gondensationspunkt erreicht; die vorher klar durchsichtige Luft wird
794 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
durch Nebel- und Wolkenbildung getrübt. Erhebt sich nunmehr die Li
zu nogh grösseren Höhen, so wird nach den Ergebnissen der ▼orstebi
den Tabelle eine immer grössere Wassermenge condensirt, so dass di
selbe schliesslich als Regentropfen oder in der Form Ton Eiakrystal
ausgeschieden wird und endlich als solche zur Erde niedersinkt.
7. Auf- und absteigende Strömungen in der Atmosphäre
Ist der Gleichgewichtszustand der Atmosphäre nicht der in
Yorhergehenden Paragraphen behandelte indifferente, ändert sich
man in der Luft in die Höhe steigt, der Zustand der Atmosphäre
längs einer adiabatischen H^lurve, so hat man es mit einem labilen, resfil
stabilen Gleichgewichtszustände zu thuD, und zwar ist der Zustand Btalfll
für eine aufsteigende Bewegung, wenn er labil für eine absteigende i4!
und umgekehrt. Beim indifferenten Gleichgewichtszustande lässt eiek
der Zusammenhang zwischen Druck und Temperatur durch die Formel:
38)
Po \T,,
Po \ToJ
darstellen.
Wird nun aber die Zustandsänderung in yerschiedenen Höhen nickt
durch diese Formel, sondern durch den Ausdruck:
Po \ToJ
39;
dargestellt, so ist:
wenn /t > m, die Atmosphäre stabil für eine aufsteigende, labil for
eine absteigende Bewegung der Luft^
wenn ft < m, die Atmosphäre labil für eine aufsteigende, stabil for
eine absteigende Bewegung der Luft.
Ohne wesentlichen Fehler kann man die absolute Temperatur T,
die in der Höhe x stattfindet, durch die Formel:
rj
T= To X 401
/*
darstellen, wenn obige Gleichung 39) gilt, worin C eine Constante be-
deutet, die nur vom Zustande der Atmosphäre in der Höhe ^ = 0
abhängt. Ist fi > m, so nimmt somit die Temperatur langi^amer nach
der Höhe ab, und wenn ft < m ist, vermindert sich die Temperatur
rascher mit der Höhe, als im indifferenten Gleichgewichts zustande.
Wenn ft > m ist, werden demnach bei der geringfügigsten Störung
abwärts gerichtete Strömungen in der Atmosphäre eintreten, dagegen
wird das Zustandekommen aufsteigender Luftströmungen begünstigt sein,
wenn ft < m ist.
A. IndiflFerenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 795
Jede Ursache, welche eine Aenderang der Temperaturvertheüung
in der Atmosphäre he wirkt, yeranlasst somit StÖrangen des normalen,
des indifferenten Gleichgewichtszastandes derselben. Tbatsächlich wird
wohl nur, sehr selten, und auch dann nur höchstens ganz local der Zu-
stand der Atmosphäre der indifferente sein. Ist der indifferente Gleich-
gewichtszustand aber nicht vorhanden, so werden alle Bewegungsvor-
gänge der Atmosphäre die Tendenz haben, denselben herzustellen.
Die bewegende Kraft bei den Störungen des Gleichgewichts der
Atmosphäre rührt von der Sonnen wärme her, welche der Erdoberfläche
zugestrahlt wird. Die Sonnenwärme ändert zumal die Temperatur der
untersten Schichten des Luftmeeres. Die Sonnenwärme ändert jedoch
auch die Masse der Atmosphäre, weil durch die absorbirte Wärme Wasser
verdampft wird. In den Wirbelstürmen. Tornados etc. haben wir es
wahrscheinlich mit solchen aufsteigenden, seltener wohl mit absteigenden
Luftströmungen im grossen Maassstabe zu thun, welche dann eintreten,
wenn ein labiler Gleichgewichtszustand der Atmosphäre aufgehoben wird,
der sehr wesentlich vom indifferenten, adiabatischen Gleichgewichts-
zustande verschieden war^).
Schon Lamont^) hat übrigens darauf hingewiesen, dass die land-
läufige Ansicht unrichtig ist, welche dahin geht, dass man sich unter
den durch Erwärmung und Abkühlung des Erdbodens hervorgerufenen
Luftströmungen Auf- und Niederbewegungen der ganzen Luftmassen um
beträchtliche Höhen vorstellt. — Neuerdings hat dies besonders Hann')
noch weiter ausgeführt. Derselbe hat darauf hingewiesen , dass die
erwärmten Lufttheilchen abwechselnd emporsteigen, sich dadurch ab-
kühlen und dann wieder etwas herabsinken, ohne sich dabei weit von
ihrer ursprünglichen Lage zu entfernen. Dadurch wird die Wärme nach
und nach in die höheren Schichten hinaufgetragen und allmälig die
ganze Luftmasse durch die Warme ausgedehnt. Da die Atmosphäre in
ihren untersten Schichten sehr ungleichmässig erwärmt wird und die
aufsteigende Bewegung von Luftmassen sehr bald durch die Abkühlung
und die dadurch erzeugte Verminderung des Auftriebes und durch die
innere Reibung der Luft gehemmt wird, so werden hauptsächlich durch
horizontal gerichtete Luftströmungen, die Winde, die Störungen des
Gleichgewichts unseres Luftmeeres, aufgehoben.
Abgesehen von den localen Differenzen wird aber die Erdoberfläche
und, wie wir im Vorstehenden gezeigt haben, dadurch das über derselben
stehende Luftmeer am Aequator am stärksten erwärmt, während die
*) Dies ist in auRgedehnter Weise von Reye in seinem trefflichen Werke: Die
Wirbelstürme, Tornados und Wettersäulen, Hannover, Rümpler 1872, nachgewiesen
worden.
*) Lamont, Ueber die täglichen Oscillationen des Barometers, Sitzungsber. der
Manch. Akad. 1862, I, S. 95.
^) J. Hann, Einige Bemerkungen zur Lehre von den allgemeinen atmosphärischen
Strömungen. Zeitschr. f. Meteorologie Bd. XIII, S. 33 bis 41.
796 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astrononüe.
Erwärmung nach beiden Polen hin abnimmt. Dadurch wird sich die
Atmosphäre über dem Aequator mehr ausdehnen, als an den Polen. Die
Folge hiervon ist eine Hebung der Flächen gleichen Druckes am
Aequator im Vergleich zur Höhe derselben an den Polen ^).
Dadurch hört der Parallelismus zwischen den Flächen gleichen
Druckes und den Niveauflächen der Gravitation auf. Die Richtung der
Schwerkraft schneidet die Flächen gleichen Druckes unter einem schiefen
statt unter einem rechten Winkel, und daraus resultirt eine nach dem
Polen zu gerichtete Kraftcomponente. Es entstehen daher in dem äqua-
torialen Gürtel und auf der ganzen Erde in der Hohe Luftstromangeo
nach den Polen, welche den gestörten Parallelismus zwischen FLächeo
gleichen Druckes und Niveauflächen der Schwerkraft wieder herzusteUea
bestrebt sind. Durch diese oberen Strömungen nach höheren Breiten
nimmt aber der Druck am Boden des Luftmeeres daselbst zu, ^rährend
dagegen der Luftdruck auf der Erdoberfläche am Aequator wegen der
Verminderung des über demselben lastenden Luftgewichtes abnimmt.
Auf diese Weise wird an der Erdoberfläche eine Gegenströmung Ton den
Regionen höherer Breite nach der äquatorialen Zone hervorgerufen.
Da die Pole der Erde blos Punkte sind, sinkt die obere äquatoriale
Strömung schon zwischen 30^ und 40^ Breite herab, es entsteht hier
eine Zone maximalen Barometerdruckes, und auch die Passate finden
hier ihre polare Grenze, weil ein Theil der niedersinkenden Luft sofort
wieder in den unteren Theil des Kreislaufes eintritt. Am Aequator wird
sich ein Gürtel niedrigen Luftdruckes bilden, der sich mit den Jahres-
zeiten, zögernd der Sonne folgend, verschiebt.
Somit ist nicht, wie man vielfach annahm, die Temperatur an der
Oberfläche der Erde, sondern die mittlere Temperatur der Luftsäule, das
mittlere specifische Gewicht der Luft die Ursache dieser allgemeinen nach
den Polen zu gerichteten und durch die Erdrotation nach Westen zn ab-
gelenkten Strömungen der höher gelegenen Ijuftschichten.
Auch der 'Wasserdampfgehalt der Atmosphäre spielt neben ihrer
Temperatur mittelbar und unmittelbar eine wichtige Rolle. Einmal ver-
mindert der Wasserdampfgehalt das specifische Gewicht der Atmosphäre,
weil Wasserdampf relativ leichter ist als Luft. Ausserdem aber musg
sich ein Theil des Wasserdampfes beim Aufsteigen condensiren, dadorth
die durch das Emporsteigen eintretende Abkühlung vermindern nnd ein
weiteres Emporheben der Flächen gleichen Druckes veranlassen. Diese
Flächen gleichen Druckes werden deshalb über grossen zusammen-
hängenden Meeresflächen mehr gehoben werden v als über den grossen
Gontinenten, trotzdem die Temperatur an der Erdoberfläche auf den
Continenten höher ist, als auf dem Meere.
^) Dass durch eine Erwärmanfr eines grösseren Theiles der Erde ¥rirklich die
Flächen gleichen Druckes gehoben werden, beweist der Umstand, dass der mittlere Ban»-
meterstand auf meteorologischen Hochgebirgsstationen im Sommer ein Maximum, in
Winter ein Minimum hat.
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 797
Die an den Küsten periodisch wechselnden Land- und Seewinde
widersprechen dieser Behauptung nicht, diese sind nur auf die nächsten
Orenzgehiete des Meeres heschränkt und erstrecken sich erfahrungs-
gemäss nicht in grössere Höhen.
Die von dem Aequator nach den Polen zu ahnehmende Mittel-
temperatur und der in derselhen Richtung ahnehmende Dampfgehalt der
Atmosphäre veranlasst somit einen allgemeinen Gradienten ^) des Baro-
meterstandes nach den Polen zu und eine allgemein westliche Strömung
der oheren Luftschicht vom Aequator nach den Polen zu.
Die neue Meteorologie sucht den Ursprung dieser oheren west-
lichen Strömung nicht mehr hlos in dem äquatorialen Gärtel oder der
Calmenzone unserer Erde, sondern nimmt eine üher die ganze Erde
wirksame Ursache für dieselhe an.
8. Die Ursache der Barometermazixna.
Auch jenseits des 30. his 40. Grades, des Gürtels hohen Luftdrucks,
welchen die polare Grenze der Passate bildet, muss die allgemeine West-
strömung der oheren Luftschichten doch wieder zur Erde niedersinken
und seitlich, zumeist aber in polaröstlicher Richtung zurückströmen.
In den höheren Breiten erfolgt dieses Niedersteigen der oheren West-
strömungen wegen der Ungleichförmigkeit und Yeränderlichkeit der mitt-
leren £lrwärmung der Atmosphäre und der geringeren Intensität der
oberen Strömung nicht immer an den nämlichen Orten, sondern findet
gleichzeitig in verschiedenen, je nach den Umständen wechselnden Ge-
genden statt.
Diese Gegenden des Niedersteigens der oberen Westströmungen sind
aller Wahrscheinlichkeit die Orte barometrischer Maxima ^),
Im Winter werden zweifelsohne die Flächen gleichen Druckes aus
den oben entwickelten Gründen eine starke Neigung von den Oceanen
gegen den Gontinent hin haben, deshalb treten im Winter barometrische
Maxima, Stellen an welchen die Luft niedersteigt, vorzugsweise auf den
Continenten auf. — Nur im Winter kommen in den aussertropischen
Theilen der Atmosphäre intensivere, obere nach den Polen gerichtete
') Gradient ist die in Millimetern gemessene Druckänderung normal zur Isobare,
bezogen auf einen Grad des mittleren Meridians. Die vom Drackunterschiede herrührende
bewegende Kraft -- ist daher, wenn G der Gradient ist, gleich:
dp_ __ 10333 90
dv '~ 760 ' 10000000 *
^) Zuerst hat J. Hann darauf hingewiesen in seiner hier mehrfach benutzten
Abhandlung: Einige Bemerkungen zur Lehre von den allgemeinen atmosphärischen
Strömungen. Zeitschrift f. Meteorologie Bd. XIII, S. 39.
798 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
WeßtstrÖmungen zustande, weil in dieser Jahreszeit Wärme- und Fench-
tigkeitsabnahme nach den Polen hin besonders intensiv ist. Daher treten
vorzugsweise in dieser Jahreszeit Gebiete deutlich ausgesprochen auf^
in welchen bei hohem Barometerstände verhältnissmässig ruhige Lnü
nnd an der Erdoberfläche niedrige Temperatur herrscht.
Allem Vermuthen nach ist unsere Atmosphäre ein im Verhältniss
zu seiner Oberfläche sehr seichtes Luftmeer, deshalb können Diemals in
demselben verticale Strömungscomponenten von grösserer Energie auf-
treten. Da ausserdem in verticaler Richtung keine wesentlichen Be-
wegungshindernisse vorkommen , wie sie in horizontaler Richtung die
Gebirge darbieten, so können in verticalem Sinne nur sehr selten erheb-
liche Abweichungen vom stabilen Gleichgewichtszustande nnd somit
auch keine energischen Verticalbewegungen auftreten. Man darf sich
daher die absteigende Bewegung der oberen westlichen Strömnngeii
nicht als einen verticalen von oben nach unten wehenden Wind vor-
stellen. Es wird in den barometrischen Maxima vielmehr fast immer
absolute Windstille herrschen nnd nur ein langsames seitliches Ab-
fliessen bemerkbar sein.
Die verticale Abwärtsbewegung der Luft wird zumal an der Erd-
oberfläche absolut unmerklich sein.
Die Yermuthung, dass die Barometermaxim a über denjenigen Ge-
genden stattfinden, in welchen die Luft der westlichen PolarstrÖmungen
zur Erdoberfläche niedersteigt, wird aber auch durch eine grössere Zahl
von Erfahrungsthatsachen bestätigt.
Ueber einem Luftdruckmaximum herrscht meist ruhiges, klares
Wetter; die Temperaturabnahme nach der Höhe ist sehr gering, nicht
selten sogar negativ, wenn nämlich die durch Berührung mit dem durch
Ausstrahlung erkalteten Erdboden abgekühlte Luft in Thalmulden und
kleineren Bodenvertiefungen sich angesammelt hat. Die Luft ist ausser-
ordentlich trocken und höchstens die sehr niedere Temperatur der aller-
p untersten Schichten der Atmosphäre veranlasst Bodennebel von ganz
geringer Höhe, aus welchen sich Eiskrystalle als Reif oder Rauchfrost
ausscheiden.
Das räumliche Zusammenfallen der barometrischen Maxima im Win-
ter mit den Temperatur minima hat darin seinen Grund, dass die Erd-
oberfläche in den reinen, wegen der Trockenheit der Luft wolkenlosen
[. Himmelsraum erheblich viel mehr Wärme ausstrahlt, als die schiefauffallen-
den wenig wirksamen Strahlen der Wintersonne in den wenigen Tagen zu
ersetzen im Stande sind. Die durch Berührung mit dem kalten Erd-
boden abgekühlte Luft fliesst in den Thälern zusammen. Die ver-
f hältnissmässig hohe Wärme und Trockenheit der Luft etwas höher,
* frei gelegener Punkte rührt davon her, dass die Luft, welche in den
J Baroraetermaxima niedersteigt, sich erwärmt und da sie während ihrer
*i Abwärtsbewegung keine neuen Wassermengen aufnehmen kann, sich in
A. Indifferenter Gleichgewichtszustand der Atmosphäre. 799
Folge ihrer Temperaturerhöhung mehr und mehr von ihrem Sättigungs-
punkte entfernt.
Im Sommer, in welchem heträohtlich mehr Wärme von der Sonne
dem Erdhoden zugestrahlt, als- nachts in den Himmelsraum ausgestrahlt
-wird, muss die wolkenlose Beschaffenheit des Himmels üher den Baro-
metermaxima seihst verständlich leicht Veranlassung zu ahnorm hohen
Temperaturen werden. Diese seihst sind dann aber wieder Veranlassung
zu einer Auflockerung der darüber stehenden Luftsäule, welche noth-
-wendig eine baldige Vernichtung des Barometermaximums und seiner
Folgen nach sich zieht. Auf den Continenten werden sich im Sommer
daher nur selten intensive Barometermaxima von grösserer Dauer und be-
trächtlicher räumlicher Ausdehnung bilden können.
Um barometrische Maxima entwickeln sich wirbelnde Bewegungen
der Luft, dieselben werden auticyklonische genannt. Die Luft wird näm-
lich in Folge der Mitwirkung der Axendrehung der Erde um die Maxima
auf der Nordhemisphäre in der Richtung des Uhrzeigers (mit dem Sonnen-
laufe) auf der südlichen Halbkugel entgegen der Bichtung des Uhrzeigers
bewegt. Da die barometrischen Maxima jedoch dem stabilen Gleich-
gewichtszustande der Atmosphäre entsprechen, besitzen dieselben ver-
hältnissmässig grosse Ausbreitung, längere Dauer und sehr geringe
Gradienten, deshalb sind die Wirbelbewegungen um dieselben herum zu-
meist schwach und werden leicht durch locale Luftströmungen zur Un-
kenntlichkeit entstellt.
9. Die barometrisohen Minima, Oyklonen, Wlpbelstürme,
Tornados etc.
Nicht selten wird das indifferente Gleichgewicht der Atmosphäre,
welches herzustellen das Streben aller Luftbewegungen ist, dadurch
gestört, dass untere, der Erdoberfläche nahe gelegene Luftschichten durch
Berührung mit dem durch die Wirkung der Sonnenstrahlen stark erhitzten
Erdboden erheblich erwärmt werden. Alsdann entwickelt sich, wenn
nicht durch bereits vorhandene horizontale Luftströmungen eine Mischung
mit kälterer Luft erfolgt, ein labiler Gleichgewichtszustand, d. h. die
Lufttemperatur nimmt mit der Höhe rascher ab, als dem Feuchtigkeits-
gehalte der Atmosphäre in dem indifferenten Gleichgewichtszustande
entspricht.
Alsdann heben sich einestheils die Flächen gleichen Druckes, wie
es einer Zunahme der mittleren Lufttemperator überhaupt entspricht,
und da ein Theil der gehobenen Luftsäule in der Höhe abströmt, sinkt
der Barometerstand. Nicht selten wird aber auch, nachdem er längere
Zeit hindurch bestanden hat, der labile Gleichgewichtszustand aufgehoben ;
und kühlt eich dadorch ab. Die Aoascheidung des Waaeerdampfes mber.
welcher in den unteren Regiouen reichlicher als in höberen entbalta
ist, bewirkt eine langsamere Abküblang des aufsteigenden feuchten Laft-
Stromes, als der Erhebnng einer trockenen LnitmaBse entspricht. Dadonk
behält die Luft länger eine aufsteigende Tendenz, als ihr sonst ziikomiMt
würde. Die in die Höhe geführte Luft strömt in oberen Schichten, der
in den vorh ergehenden Capiteln bereits erwähnten allgemeinen Wert-
strSmung folgend, ab. Diese in der Höhe abströmende Bewegung iit
bekanntlich in der Bewegung der Cirruswolken zu erkennen, welche nt
den Orten ausgehen , an welchen ein barometrisches Minimam herrsdA,
r,g. 67.
Von allen Seiten strömt nun aber die Luft längs der Erdoberflicb«
zu, um das ans der Aufhebnng des labilen Gleichgewichtes folgende bwv-
metriache Minimum zu zerstören, die entstandene Luftrerdünnang anf-
zuheben. Die Wirkung der Erdumdrehung ist nun auf der udrdlicbee
Hemisphäre bestrebt die über die Erdoberfläche hinströmenden Luft-
theilcben, gleichviel ans welcher Richtung sie kommen, nach rechts au
ihrer Bahn abzulenken; dies bewirkt, dass auf unserer Halbkugel die
Luft um die barometrischen Minima herum in eitler dem ührzei^^r ent-
laetzte. Auf dieser bewegen sieb die Lufttheilchen auf einer spiraligen
ihn dem Minimum zu, velche iu der Richtung des Uhrzeigers, also im
nne der echeinbnren Bewegung der Sonne, um den Ort tiefsten Luft-
■nckea herumläuft.
Beistehende Figur 67 bietet ein ideales Bild einer Cyldone, eines
'irbels um ein Minimum, auf der nördlichen Hemisphftre dar. Die Pfeile
:uten die Bahn nnd Richtung der Lufttbeilchen , die feineren Linien
e Isobaren an. Die Figur 63 repräsentirt eine sogenannte Anticyklone,
e Bewegung der Luft um ein barometrisches Maximum , ebenfalls auf
iserer nördlichen Halbkugel.
Flg. 68.
Im Centntm eines Wirbels herrscht nahezu Tollkommene Windstille,
tLbrend in zwei diametrial gleich weit vom Mittelpunkt entfernten
i«lleu meist nahezu entgegengesetzte Windrichtungen herrschen. Die
irbelnde Bewegung in der Atmosphäre selbst ist meist ein den Ort
ecbselnder Bewegungszustand, nnd zwar wandern, wenigstens ausser-
üb der äquatorialen Zone, jedenfalls nnter dem Einfluss der allgemeinen
leren Westströmnng und aus weiterbin nocb zu erörternden Qründen
BOblamnn, Ueobu. W»rm«Ui*oil». Bd. U. ei
ifie üeaiD^aDgeu lur aie finiiaieniiiig eines Daromeinscnen »miBn
Bind nie auf allen Seiten des Wirbele gleicbmfissig vorhanden. 1
unserer nördlichen Erdhälfte bringen Winde, welche aas eddlicber {
legenen Gegenden weben, warme und mit Wasserdampf reichlich «
sebene Luft; diese tritt vorzugsweiBe anf der nach Osten za gelega
Seite des Wirbels in diesen ein. Dagegen wird anf der noch Wea
gewendeten Hftlfte des Wirbels faaupt«fichlicb kältere, minder wim
dampfbaltige , also relativ schwerere Laft angesaugt, welche aas döi
liehen Gegenden herbeiströmt. Aach aus diesem Gnade werdea i
Minima Torzugsweise nach Osten zn TorrQcken, denn die leichtm
dampfreichen Luftmengen, welche auf der Ostseite des Wirbels eintnu
sind vielmebr geneigt kräftig aufzusteigen, als die auf der RCickaeite i
Fortbewegnng des Wirbels eintretenden. Die Winde ftof der Vordi
eeite des Wirbels bringen das Barometer znm Fallen nnd veranlMi
somit gewissermaassen die Bildung eines neuen barometriachen Hiniaa
vor dem Wirbetstnrm, während die auf der Westseite eintrvttai
Winde, welche k<ere, trockene Luft bringen, die LuftverdOnnung h
füllen und das Barometer zum Steigen bringen.
Je nach der BescbaSenheit der Lnftmassen, welche in einen Voll
eintreten, wird das Uimmnm immer dahin wandern, woher darebxU
lieh die wärmste und fenchteate Luft in den Wirbel eingeoangt rd
Daraus erklärt es sich aucb, dass, wenn bei ungewöhnlichen Tempenv
und Fenobtigkeits Verhältnissen oder bei ansserge wohn lieh heftign i*
tationen die meiste feuchte und warme Lnft auf einer anderen ak k
Ostseite des Wirbels zum Aufsteigen gebracht wird, die Bahn des Tt
bels von der allgemeinen Ostrichtung abweichen wird.
Nähert sieb der Wirbel Gegenden, in welchen ein indifiTereuter tk
stabiler Gleichgewichtszustand herrsobt, so wird das barometrische ILi
mum mehr nnd mehr an Tiefe verlieren und schliesslich gans n
schwinden *).
Die Wirbelstärme «der Cyklouen der tropischen Zone entsteheii fc
engsweise in den Gegenden des 10. Grades nördlicher nnd sädlidt
Breite, wandern anfangs meist nach Westen und wenden sich dann äa
nächst liegenden Wendekreise zn. Am häufigsten sind dieselben b ie
Jahreszeiten, in welchen sich der Wechsel der Uonsune vollzieht, «k
zn der Zeit, in welcher die Auflockerung der Lnft durch die hohe Tca
peratur nnd den hohen Feuchtigkeitsgehalt am stärksten wirksam p
worden ist. Da es sich in diesen Gegenden um viel energischere 'Ld
Terdünnongen handelt, sind die bsrome tri sehen Gradienten meist cd
gross und die Stürme nicht selten von ausserordentlicher Heftigkä
Die aufsteigende Bewegung ist dabei nicht selten so bedeutend, Jm
>) MsD vergleiche; Mohn, Grundzüge der HeteorolDgie, 3. Aufl., 1883, S. 3&1
IV. Anwendung auf Meteorologie und Astronomie. 803
Haasdäcber und andere schwere Gegenstände hoch mit in die Höhe
gerissen werden.
Die Tornados , noch mehr aber Tromben , Wasser- und Sandhosen
sind Wirbel aufsteigender Luftmassen von geringerem Umfange, welche
von mehr local auftretenden labilen Gleichgewichtszuständen in der Luft
herrühren.
Bei allen derartigen Erscheinungen aber ist die Wärme die treibende
Kraft, durch welche die Bewegungezustände der Atmosphäre erzeugt
werden. Geringfügige lopale Ursachen können die Veranlassung zur
Aufhebang der mehr oder weniger weit verbreiteten Zustände einer zu
raschen Abnahme der Temperatur mit der Höhe des labilen Gleich-
gewichtes werden. Die Bewegungen werden um so intensiver ausfallen,
je grösser die Abweichung der Atmosphäre vom indifferenten Gleich-
gewichtszustande ist. Auf um so weitere Gebiete wird sich der Vorgang
erstrecken, eine je grössere Verbreitung in horizontaler oder verticaler
Richtung der vom indifferenten Gleichgewichtszustand abweichende Zu-
stand der Atmosphäre besitzt.
In den Minima der Barometerstände haben wir es mit der von unten
lach oben wirkenden Ursache eines labilen Gleichgewichtes, in den baro*
netrischen Maxima mit Aufhebung stabiler Gleichgewichtszustände durch
Bewegungen der Luft von oben nach unten zu thun.
Die barometrischen Minima, welche viel ausgesprochener und ener-
gischer auftreten als die Maxima, sind wahrscheinlich von mehr ursprüng-
icher Art. In den barometrischen Maxima steigt dagegen wahrschein-
ich für die in den Wirbeln in die Höhe geführte Luft der erforderliche
!>satz wieder zur Erde nieder.
0. Die au&telgende Bewegung der Luft als Ursache von
wässerigen NledersoMägen.
In früherer Zeit suchte man mehrfach die Ursache der barometri-
iben Minima in den Niederschlägen. Man ging dabei von der falschen
niiahme aus, dass die durch die Gondensation des Wasserdampfes frei
erdende latente Dampfwärme die Lufl erwärme und ein Emporwirbeln
»rselben veranlasse. Zunächst aber widerlegen die meteorologischen
rfahrungen diese Vermuthung, denn es hat sich gezeigt, dass Ent-
shung und Verlauf energischer Regenfalle keinen erheblichen Einfiuss
[£ das Barometer ausübt. Man nimmt nicht ein Sinken des Barometers
Ihrend des Regenfalles wahr, sondern gegen Ende steht im Allgemeinen
.8 Barometer etwas höher , als zu Anfang ^). Andererseits liegt es auf
^) Vergleiche : H a n n , lieber den Einfluss des Regens aaf den Barometerstand und über
Entstehung- der Nicdereichläge im Allgemeinen. Zeitschr. f. Meteorologie, Bd. IX, S. 291 .
51*
804 A. Der indifferente Gleichgewichtszustand der Atmosphäre.
der Hand, dass ohne besondere YeranlaBsnng eine Condensation von
Wasserdampf und eine damit zusammenhängende Erwärmung der Luft
nicht eintreten kann. Eine Ausscheidung von Wasserdampf wird viel-
mehr stets nur die Folge einer vorausgehenden Wärmeentziehun^ sein
und höchstens dazu beitragen können, dass die Wärmeentziehung nicht
mit einer eotsprechenden Abkühlung verknüpft ist.
Wenn es zu Niederschlägen kommt, haben dieselben wohl in den
meisten Fällen darin ihre Ursache, dass kältere Luftmassen heran-
geweht werden , durch welche die wärmeren vorhandenen Luftmassen,
wenn eine Mischung stattfindet, abgekühlt werden, oder, und das ist
wahrscheinlich die bei weitem häufigste Ursache, dass warme, reichlich
Wasserdampf enthaltende Luft in die Höhe geführt wird. Bewirkt ein-
dringende kalte Luft, dass warme Luft, welche feucht war, zum Aof-
steigen gebracht, abgekühlt wird, so tritt eine Condensation von Was*
serdampf ein, alsdann muss dies mit einem Steigen des Barometers ver-
knüpft sein. Ausserdem bringen die aus der Höhe niederfallenden
Wassertropfen die niedrige Temperatur der oberen Luftschichten mit
und bewirken schon dadurch eine Abkühlung der unteren Luftschichten.
Ferner wird die Verdampfung eines Theiles des herabfallenden W&ssea
die Temperatur der unteren Luftschichten erniedrigen, und diese Yei^
dampfnng wird stets eintreten, wenn die unteren Luftschichten nicht
bereits volUcommen mit Wasserdampf gesättigt sind. Diese beiaen im
gleichen Sinne wirkenden Ursachen, welche gewiss bei den kalten Regen-
fällen znsammeni reffen, werden eine Abkühlung der unteren Partien der
Atmosphäre und damit schliesslich ein geringfügiges Wachsen des Baro-
meterstandes nach sich ziehen.
Strudelt dagegen in einer Gegend, in welcher sich ein labiler Gleich-
gewichtszustand mit zu rascher Abnahme der Temperatur nach der Höhe
gebildet hatte, die feuchte warme Luft in die Höhe, so wird in Folge
der Hebung der Luft alsbald eine Abkühlung derselben, weiterhin eine
Condensation des Wasserdampfes, demnach Wolkenbildang und endlich,
je nach der Temperatur, Regen- oder Schneefall stattfinden.
Die barometrischen Minima und Wirbelcentra unserer Atmosphäre
sind daher stets von dichten Wolkenbildungen und heftigen Nieder*
schlagen begleitet, und zumal um das Centrum der Cyklonen herom
finden intensive Niederschläge statt.
Werden bei intensiven Aufwärtsbewegungen warme und dabei sehr
wasserdampfhaltige Lufbmassen im Innern eines Wirbels mechanisch so
rasch in die Höhe gehoben, dass die Abkühlung und Condensation nicht
in dem Maasse erfolgen kann, als die Hebung stattfindet, so wird, wenai
alsdann die aufsteigende Bewegung erst in Luftschichten erlahmt, derea
Temperatur erheblich unter Null ist, plötzlich eine energische Abküblnni
und eine starke Condensation zu Eis eintreten ; die so gebildeten ConglQpjj
merate von Eiskrystallen werden als Graupeln oder Hagel zum Erdbodelj
niederfallen.
IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie. 805
Wird durch ein kräftig saugend wirkendes barometrisches MiDimnm
die Luft jenseits eines Gebirges verdünnt, so strömt Luft aus den dies-
seits des Gebirges liegenden Gegenden zu und die unmittelbar am Ge-
birge befindlichen Luftschichten werden beim Uoberschreiten des Kam-
mes genöthigt, am Gebirge aufzusteigen. Derartige Hebungen der Luft
über die Gebirgsrücken bei Ausgleichung von Druckdifferenzen, welche
zu beiden Seiten des Gebirges stattfinden, sind die Ursache der zahl-
reichen Regenfälle, welche in gebirgigen Gegenden stattfinden. Ebenso
bringen die Winde beim Auftreffen auf Gebirge die Luft zum Aufsteigen
und wirken in gleichem Sinne, wenn man überhaupt berechtigt ist, diese
Ursache von der vorigen zu trennen.
Nicht selten wird die Luft der atmosphärischen Strömung beim An-
nähern an den Gebirgskamm zwar etwas gehoben, dadurch abgekühlt und
ein Theil des Wasserdampfes zu Dunstbläschen verdichtet, unmittelbar
hinter dem Kamme aber hört diese aufsteigende Bewegung wieder auf.
Alsdann sehen wir nur die Gipfel und Gebirgsrücken mit Nebelkappen
bedeckt, während sonst vielleicht überall die Luft klar ist.
Da aber nur dann eine geringfügige Hebung und dadurch bewirkte
kleine Wärmeentziehung schon eine Ausscheidung von Wasserdampf in
Form von Dunstbläschen bewirken kann, wenn der in der Luft enthaltene
Wasserdampf nicht weit von seinem Condensationspunkt entfernt ist, so
sind diese Nebelkappen der Berge immer ein Zeichen, dass die höheren
Luftschichten nur einer geringen Abkühlung bedürfen, um zu Nieder-
schlägen Veranlassung zu geben.
Durch neuere Untersuchungen ist ferner dargethan worden, dass
der Feuchtigkeitsgehalt der Luft mit der Höhe viel rascher abnimmt,
als dies in einer freien Dampfatmosphäre der Fall sein würde ^). In den
untersten 2000 m der Atmosphäre ist schon die Hälfte des gesammten
Wasserdampfes, in den untersten 4600 m sind Vio ^°d in den untersten
6500 m schon ^/^q des gesammten Wasserdampfgehaltes der Atmosphäre
enthalten. — Diese Thatsache zusammengehalten mit den oben erwähn-
ten auf die Ausscheidung von Wasser und Bildung von Niederschlägen
binwirkenden Eigenschaften der Gebirge erklärt zur Genüge, warum in
1er Th'at. selbst massige Gebirgskämme als deutlich erkennbare Wetter-
scheiden wirken können.
!!• Der Fölin und verwandte Luftströmungen.
Der Föhn der Nordseite der Alpen und der Scirocco des Südabhanges
lesselben Gebirges, sowie eine Menge von heissen Winden, welche
*) Vergleiche: Strachey, Proceedings of the Roy. Soc. of London 1861. Früher
latte schon L a m o n t darauf hingewieften, dass der Wasserdampf sich in der Atmosphäre
liemals in einem Gleichgewichtszustände be6ndet, wie ihn das Dalton'sche Gesetz
x)rdert. Vergleiche Zeitschr. f. Meteorologie Bd. 111, S. 271.
806 A. Der indifferente Gleichgewichtszustand der Atmosphü
gelegentlich zu beiden Seiten an dem steil abfallenden Hochgebirge 'wehen,
sind durch ihre hohe Temperatur und durch die ausnehmende Trocken-
heit der Luft deutlich charakterisirt und tou Luftströmungen anderer
Art merklich verschieden.
Diese Winde bieten das auffallende Beispiel, dass Luft, welcbe ans
den vergletscherten Gipfeln des Gebirges herzukommen scheint, eine
ermattende Wärme und auffallende Trockenheit mit sich bringt, wäh-
rend gleichzeitig oder bald nachher auf den Gipfeln und Kämmen da-
Gebirge schneidend kalte Lnft in nahe derselben Richtung weht, und jen-
seits des Gebirges bis zum Kamme dichte Niederschläge etattfinden.
Man ist jetzt nach den eingehenden Untersuchungen Hannos nicht
mehr im Zweifel darüber, dass der Föhn und die ihm verwandten Winde
ihre Ursache darin haben, dass auf der einen Seite des Gehirns ein
barometrisches Minimum sich entwickelt bat oder vorüberzieht und die
Luft, welche zwischen dem Wirbel und dem Gebirge liegt, kräftig ansaugt.
Der Ersatz der abgeführten Luft kann alsdann nur dadurch erfolgen,
dass über den Gebirgskamm her Lnft herangeführt wird und diese Luft
niedersteigt, um die entstandene Lufbverdünnung auszufüllen. Die Lall
aber, welche auf diese Weise gezwungen wird, vom Gebirgskamme zun
Thale niederzusteigen, muss, sobald sie sich senkt, zusammengepresst,
dadurch erwärmt und relativ trocken werden. Da die Luft sehr bald
kein verdunstbares flüssiges Wasser mehr enthalten und sich trockener
Luft in ihrem Verhalten mehr und mehr nähern muss, so müsste, aofeni
Hannos Hypothese richtig ist, alsdann auch in einer vom Föhn über-
flutheten Gegend die Temperaturabnahme mit der Höhe ziemlich geau
die sein, die in einem absteigenden trockenen Lufbstrome stattfindes
muss.
Auf der abgewendeten Seite des Gebirges jedoch wird die Luft naeb
und nach zum Aufsteigen genöthigt, der Wasserdampf condensirt sieh,
dies bewirkt eine sehr geringe Temperaturabnahme mit der Höhe, kühle
Temperatur und Niederschläge.
Auf den Gobirgskämmen selbst weht alsdann ein schneidend kalter
Wind, dessen niedere Temperatur davon herrührt, dass die Luft merklieh
gehoben und ausgedehnt werden musste, ehe sie im Stande war, die
Kamm höhe zu überschreiten.
£ine Zusammenstellung der Witternngsverhältnisse während einiger
ausgesprochenen Föhnperioden lässt deutlich den wesentlichen Unter-
schied des Süd- und Nordabhanges der Alpen erkennen ^).
^) Hann, Ueber den Föhn in Blndenz. Sitzungsber. der Wiener Akad., Ü. AbtU.
Bd. 86, S. 416 bis 440.
2480
2060
SSdseite der Alpen
llinzona, Lnguo, S. Victore
stasegDS, Brasio
■ttbard. Julier, BernhiiniiQ
Ncrdiieite der Alpen
. Bernhard
>tthBiil, Simplon, Jalier, Bcmhiintin, GrimBel ■ .
&VO«, Orichen, ADdermstt, Spionen, PlatU . . .
harwalden, Grindelwsld, Trogen, Anen, nellfberfi
Imr, HarachliD), Ragati, AllttSHen, Altdorf . .
Diese Zahlen gestatten die Abnalims der Temperatur t mit der
iahe X (x in Hnnderten toh Ilfetern snsgedrQckt) dorch folgende For-
leln darznstellen :
SQdabhang 4= 4,4»— 0,34 a:
Nordabhang f, = 16,7 —0,92«.
Ebenso diarakteristiach ist die Zusammen atellung einer zweiten
Sngeren
FShnperiode rom I., 4., 7., 8^ 9. Jannar 1677.
Seeböbe Tempersti
; der Alpen
1. Vittarc, Lugano
lils
lemhardin
Nonlnbhang der Alpen
Jemliai^ln, St. BernbarJ
[)bvd«, Qrichen
Spliigen, Platta, Andermatt
Eiig«1b«rg, GSlria
Auen, Trogen
Ragati, Cbor, Marechlin
Altdorf, Altstitten, GUrus
+ 8,2'
+ 4,1
— 3,S
+ 1,9
+ *,2
+ Ifi
+ 10,4
808 A. Der indifferente Gleichgewichtszustand der Atmosphäre.
Die TemperaturabDahme nach der Höhe wird durch nacliBtehendc
Gleichungen mit befriedigender Genauigkeit wiedergegeben:
Südabhang: <« = 7,4 — 0,46 -a?
Nordabhang: tx = 17,9 — 0,95-x.
{x in Hunderten von Metern auBgedrückt.)
Die Temperatnrabnahme ist somit auf dem Sädabhange im Mitte]
ungefähr %o^^* ^nr 100 m Erhebung in yerticaler Richtung, während die
gleichzeitige Temperaturabnahme auf dem Nordabhange ungefähr 0,94® C
beträgt. Die erste Zahl entspricht der langsamen Wärmeahn&hme in
einem aufsteigenden Luflstrome, dessen Wasserdampf beim Emporheben
der Luft zum grössten Theile condensirt wird; die zweite Zahl stimmt
fast absolut genau mit der theoretischen Temperaturabnahme in einem
niedersteigenden Luftstrome überein. Man kann somit mit ziemlicher
Sicherheit behaupten : der Föhn mit seiner hohen Temperatur and seinem
geringen Feuchtigkeitsgehalte ist Luft, welche über die Alpenkamme
kommend, nach der Tiefe angesaugt worden ist. Das Gefalle der Luft-
strömungen wird dabei zumeist so gering sein, dass man die ▼ertacal
nach abwärts gerichtete Componente kaum bemerkt^).
Das plötzliche Auftreten des Föhns erklärt Billweiler^) dadnrcli,
dass die Barometerminima , welche im Westen des europäischen Fest-
landes auftreten, zunächst die über Frankreich und Mitteleuropa g^egenem
Luftmassen in den Wirbelsturm hineinziehen. Durch die so entstehende
Luftverdännung wird alsdann aber auch Luft aus den Niederangen der
Nordschweiz und den Alpenthälern zum Abfluss gebracht. Die Alpen
selbst aber bilden eine Scheidewand, welche den Luftaustausch in den
unteren Schichten hemmt. Während die Luft des Alpenvorlandes und
der Alpenthäler schon in die Barometerdepression der atlantiseben
Cyklonen hinein gezogen werden, wird die jenseits des Gebirges gelegene
Luftmasse noch in Ruhe bleiben. Im Gebirge selbst, zumal in den
Thälern, werden sich daher beträchtliche barometrische Gradienten ent-
wickeln. Für die abgeführte Luft der Alpenthäler kann aber nur durch
Luft Ersatz gebracht werden, welche vom Elamme herabkommt.
Die einzelnen Stösse des Föhns entsprechen dem Yorübersiebec
kleinerer secundärer Minima, von welchen eine grössere Anzahl bekannt-
lich zumeist die grossen Depressionscentra seitlich begleiten.
Anfänglich beim Beginne des Föhns stammt daher die Luft gar
nicht yon der Südseite der Alpen, sondern es ist Luft, welche ron der
Kammhöhe herabgefahrt worden ist; später wird jedoch auch die jenseits
des Gebirges befindliche Luftmasse in Bewegung gesetzt und allmählich
auf den Kamm heran fg^sogen. Daher bemerkt man auf der Südseite
der Alpen das Auftreten von Südwestwinden meist erst, wenn der Föhn
^) Der Neigungswinkel der Linie Gotthard- Altdorf beträgt 2^21', Gottlurd- Bellt»-
zona 2»1', Martigny - St. Beruhard 3<^44', Bellinzona-Bcrnhardin 2« 45'.
^) Zeitschrift für Meteorologie 1878, Bd. XIII, S. 319.
bereits längere Zeit hindurch in den nördlich liegenden Alpen
gehaust hat. Der Regenfall auf der Südseite der Alpen folgt da
meist erst dem Föhn und geht ihm nicht voraus. — Der Regen s
Südabhange der Alpen aber müsste in den nördlich von den AI]
genden Thälern dem Föhn vorausgehen, wenn ein von Süde
kommender, die Alpen überwehender Wind, welcher die Luffc ül
Kamm hinübergetrieben hätte, die Ursache des Föhns wäre, w
dies früher annahm.
Da im Winter die Temperatur in der Höhe weniger stark ^
Th altemperatur abweicht, als im Sommer, so muss, weil die Temp
erböhung für eine gleiche Senkung immer um dieselbe Anzahl von <
erfolgt, der Winterföhn eine aufi^lligere Erwärmung bringen ;
Sommerföhn. Dies wird in der That zumal durch die sorgsan:
obacbtungen des Baron von Sternbach iu Bludenz, in dem durc
reiche Föhnstürme ausgezeichneten Ulthale auffallend bestätigt.
Selbstverständlich werden Föhnstürme auf beiden Seiten jedee
lang gestreckten Gebirgskammes auftreten können, und zwar wen
immer auf der Seite des Gebirges entstehen, auf welcher ein
barometrisches Minimum in nicht zu grosser Entfernung vorüb(
So ist z. B. der trockene, heisse Nordwind der Südseite der Alpe
Scirocco, nichts weiter als der Föhn des Südabhanges dieses Gebii
II a n n 0 ^^^ durch eingehende Untersuchungen nachgewiesei
bei Scirocco die Temperaturabnahme mit der Höhe auf der Südse
norm rasch ist, nahezu l^G. für 100m beträgt; auf der Nordsei
Gebii'ges ist sie dagegen entweder normal oder wegen des daselb
steigenden Luftsti'omes und der Goudensation des Wasserdampfes m
lieh verzögert; die Temperaturabnahme mit der Höhe beträgt n
bei im Süden des Gebirges wehendem Scirocco auf der Nordseii
0,46 bis 0,240 C. auf 100 m.
M 0 h n ^) berichtet, dass auch Grönland das überraschende Phä
eines Windes darbietet, welcher, aus dem vergletscherten Hochg
im Norden kommend, auffallende Wärme und Trockenheit mit sich
Das Gegenstück des Föhns sind wahrscheinlich die kalten Winc
z. B. die Bora des Earsts, welche auf manchen. Gebirgszügen so se
fürchtet werden. Diese rühren wahrscheinlich von Luft her, welc
das Gebirge heraufgesaugt worden ist, um grössere luftverdünnte 1
auszufüllen , die sich jenseits des Gebirges gebildet und bereite
gewisse Intensität erlangt hatten, ehe sich die Luft den Bergabhan,
auf in Bewegung gesetzt hatte.
Wir hatten bereits früher (S. 784) für die Temperaturabnal
einem absteigenden Luftstrome die Formel
^) Hann, Der Scirocco der Südalpcn. Zeitschrift f. Meteorologie (1868),
S. 561 bis 574.
^) Mohn, Meteorologie. Dritte Aufl., 1883, S. 182.
entwickelt. Hans ■) hat die nittlere bei F6hn beobachtete Temperstar-
dT
abnähme mit der Höhe -;— = — 0,97° C. benutzt nnd ans dieser Tormd
das mechaniache Aequivalent der Warme berechnet:
Ea ergiebt aich, da Cy = 0,238 iat:
J = 433 kgm,
was sehr wenig von den anderen, besten Bestimmnngea dieser CoDstsnUa
abveicht.
B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
1. Sie Bedeutung der sonne Vax die Erde.
Die Methode der mechaniBchen Theorie der Wärme ist mit bestem Er-
folge anch auf einige andere Probleme der kosmischen Physik angewssdet
worden. Aaf diesem Gebiete sind, wie anch auf vielen anderen, dadord
neue, früher ungeahnte GesichtBpunMe eröffnet worden, welche ee ermfig-
licht haben, tiefere Einblicke in den Zaaammenhang gewiaeer Natnr-
erscheinnngen zu gewinnen, welche vordem scheinbar beziehnngalo« nebca
einander standen.
Durch die Unteranchnuges der neueren PfiaDEenphyriologen istObei^
zeugend dargethan worden, daas das Wachsen sämmtlicher Pflanzen [mit
verschwindenden Ausnahmen , welche von einigen parasitiaehen Formen
gebildet werden')] auf einem Zersetznngsprocesse der KohlenaäDre der
Atmosphäre nnd des Wassers dnrch die Einwirkung des Sonnenlichtes
beruht. Von den grflnen Pflanzenzellen werden gewisse Partieo *) dn
strahlenden Energie, welche die Sonne nns zusendet, absorbirt und dan
verwendet, ans Eohlensänre nnd Wasser unter Ahseheidnng von Saser-
Stoff Eohlenwaasersteffe zu bilden , welche alsdann neben Wasaer nnd
wenigen mineralischen Boatandtheilen den Pflanaenkörper aufbaoeo.
1) Hinn, SitiDDgsbcr. d. Wiener Akad., IL Abthl. (1882), Bd. LXKXV, S. 430.
*) Vergl. Bd. I, S. 127.
Sutane hsaptsSchlich kIb künstliche Wärme- und Lichtquellen dienen,
itammen, soweit es atoh nm die enormen Energie vorräthe handelt, welche
n ihnen »afgespeichert sind, von der Sonne ah; denn es sind die Ueber-
■eete einer Pflanzenwelt, welche ehemals die Erdoberflftohe bedeckte.
Von den Pflanzen wiederam entnehmen &Ile thierisohen Organis-
uen diejenigen Energiemengen, welche theils als Eigenwärme des thieri-
ichen Körpers, theils als Muskelarbeit zur Erscheinung kommen. Alle
[jebens- nnd BewegungserBcbeinnngeu der die Erdoberfläche bedeckenden
Fhierwelt sind somit nar in andere Formen umgesetzte Energie der
^n Den strahlen.
Aber nicht nur alles organische Leben auf der Erdoberfläche, sondern
auch alle abrigen Bewegungsersoheianngen, mit alleiniger Ausnahme der
vulcanischen Vorgänge und der Bewegung der Wassermassen des Meeres
iD £bbe nnd Fluth, sind umgesetzte Formen der strahlenden Energie des
SonoenlichteB. Die Bewegungen des Lnftmeeres, sowohl die regelmässig
auftretenden Passate als die See- und Landwinde und die Wirbelstarme,
welche die atmosphärischen Schichten gewaltig durch einander schOtteln,
kurz, alle Loftbewegungen von den alles verheerenden Cyklonen bie zum
leisesten Lufthanch, der kaum das zarteste Blatt des Baumes bewegt, sind
veranlasst durch die gewaltigen .^rbeitsvorräthe, welche die Sonne durch
ihre Strahlen unserem Planeten unausgesetzt zusendet.
Auch die gewaltigen Strömungen des Weltmeeres, durch welche in
jeder Secande Millionen von Cubikmetern Wasser bewegt werden, ver-
danken der verschiedenen Erwärmung des Wassers dnrch die Sonnen-
strahlen ihre Entstehung.
Die Sonnenwärme vordampft femer unausgesetzt einen Tbeil des an
der Erdoberfläche befladlichen Wassers und hebt dasselbe, die Anziehungs-
kraft der Erde Qberwindead, in dieH5he. Die auis teigenden, mit Wasser-
dampf reichlich versebenen Luftmassen kühlen sich in demselben Haasse
ab , als sie bei weiterer Erhebung von der Erdoberfläche sich mehr und
mehr in den ddnneren Luftschichten ausdehnen. Der in der Luft enthal-
tene Wasaerdampf nähert sich bei fortdauernder Abkühlung allmählich
Boinetn Sättigangspnnkte, er wird schliesslich flüssig nnd fällt als Regen,
Schnee und in den mancherlei anderen Formen des Niederschlages wieder
auf die Erdoberfläche nieder. Das Wasser wird dadurch auf die Berge
getragen und strömt von diesen, dem Gesetze der Schwere folgend, den
Niederungen und Bchliesslich dem Weltmeere wieder zu.
Das auf die Gipfel der Berge jenseits der Grenzen des ewigen Schnees
niedergefallene krystallisirte Wasser wird durch den Druck der sich ftber
einander lagernden Schichten in das Eis der Gletscher verwandelt, und
diese steigen langsamen Schrittes in dos Thal hinab, bis die auflösende
Kraft der in den Niederungen zunehmenden Wärme ihrem weiteren Vor-
812 B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
driDgen ein Ziel setzt. Anf ihrem Wege arbeiten sie, gewaltigen Hobeln
gleich, die Mulden derXhäler, welche sie darchwanderD, immer tiefer aus.
Wohin wir in der uns umgebenden Natur anch blicken, überall er-
kennen wir die Wirkungen der Sonnenstrahlen. Bald sind es Wirkungen
von Strahlen, welche jetzt eben zu uns kommen oder vor Kurzem zu ans
gekommen sind, bald solche Yon Strahlen, welche vor Jahrtausenden Yoa
unserer Erde aufgenommen wurden.
In der Sonnen an betüng der Völker des Orients und den Mythen
unserer Altvorderen liegt somit eine reiche Fülle von richtigem Ahnen
der Bedeutung der Sonne für die Erde und ihre Bewohner.
Wunderbarer Weise hat schon der Begründer der mechanischen
Wärmetheorie , der deutsche Arzt Julius Robert Mayer ^), beim Be-
ginn seiner Betrachtungen diese wichtigen Beziehungen der Sonne zor
Erde vollständig klar erkannt. Manche Gonsequenz seiner kühnen Speca*
lationen ist erst in neuerer und neuester Zeit durch genauere Beobach-
tungen bestätigt worden.
2. Die Energiemenge, welche die Sonne der Erde
zusendet.
Die Messung des Betrages der Energie oder Arbeitsgrösse , welche
die Erde von der Sonne in einem gegebenen Zeiträume empfangt, ge-
schieht dadurch, dass man eine mit Rnss vollständig geschwärzte Fläche
den senkrechten Strahlen der Sonne aussetzt und die Wärmemenge misst,
welche auf diese Weise in einem bestimmten Zeiträume an Stelle der
vollständig aufgesaugten Sonnenstrahlen erzeugt wird.
Die Messung dieser Wärmemenge ist deshalb mit grossen Schwierig-
keiten verknüpft, weil die Sonnenstrahlen, ehe sie die absorbirende Fläche
erreichen, durch das Luftmeer hindurchgehen müssen und dort bereits
eine beträchtliche Absorption erfahren.
Insbesondere sind es die verschiedenen Formen des Wassers und der
geringe Antheil Kohlensäure, welche in der Atmosphäre enthalten sind,
die vorzugsweise einen beträchtlichen Theil der Sonnenstrahlen ver-
schlucken, ehe das Sonnenlicht die Erdoberfläche erreicht. Ausserdem
setzt sich die Temperaturerhöhung, welche ein solches zur Messung der
Sonnenwärme bestimmtes Instrument erfährt, aus zwei entgegengesetzt
wirkenden Theilen zusammen. Die vom Instrumente aufgenommene
Energie der Sonnenstrahlen veranlasst eine Temperaturerhöhung; die
unvermeidliche Wärmestrahlung, die Leitung und die Fortführung yon
Wärme durch Luftströmungen (Wärmeconvection) bewirkt unausgesetzt
Wärmeverluste.
') Mnyer, Beiträge zur Dynamik des Himmels. Ucilbronn 1848.
io einer Minute von derSonne EOgestrahlt werden, zu beatimtnen, rttbren
▼on John Herschel (1838 am C&p der guten Haffnnng) und von
Pouilleti) her.
In Deuerer Zeit aind unter Zuhülfenabme der bedeutenden Fortschritte
der physikalischen Methodik diese Versuche in sehr grossem Umfange
von Crova*) nod von Violle') wiederholt worden. Der Einfluse der
Absorption in der AtmoBphäre ist dadurch berücksichtigt worden, dass
die Versuche bei verschiedenen Sonnenhöhen angestellt worden sind. Die
verschiedenen Längen der von den Strahlen in der Atmosphäre durch-
laufenen Wege sind nach einer bekannten von Lambert gegebenen
Formel und die Grösse der Absorption schUesslicb unter Berücksichtigung
der Siebte der einzelnen absorbirenden Schichten bestimmt worden. Da
Bicb jedoch auf diese Weise der Einfluss des schwankenden Wasserdampf-
gehaltes der Atmosphäre nicht ausreichend ermitteln liess, so hat Violle
Yersuche in verschiedenen Höhen Über der Erdoberfläche itngest«]It, und
zwar auf dem Gipfel des Montblanc (4810 m), anf dem Plateau des
Grsnds-Mnieta (3050 in), am Fnsse des Glacier de Boason (1200m) und
in der Nabe von Paris in der Ilöhe von 60 m über dem Meeresspiegel.
Auch die Wärmeverluste durch Strahlung, Leitung, Wärmeoonvection etc.i
sowie die Menge der wirklich aufgenommenen Wärme wurden sorgfältig
gemessen. Auf diese Weise erhielt Violle für die Solare onstante S den
Werth :
S = 0,00254 Calorien *),
d. h. an der Grenze der AtmosphSre wird in jeder Minnte von einer
Fläche von einem Qnadratcentimeter Grösse eine Wärmemenge aufgenom-
men, welche genügen würde, um 2,54 g Wasser um 1" Celsius an er-
wärmen. Von dieser Wärmemenge gelangen nur 94 Proc. bis auf den
Gipfel des Montblanc, 89 Proc. bis zu den Grands - Maleta , 79 Proc. bis
in eine Höbe von 1200 m und 68 Proc. bis in eine Höhe von 60 m über
dem Meeresspiegel. Der Rest wird von der Atmosphäre und zwar, wie
man sieht, hauptsächlich von den unteren wasserdampf haltigen Schichten
derselben ahaorbirt. Diese hier mitgetheilten Zahlen gelten für auagewählt
schöne wolkenfreie Tage. Wenn die Sonnenstrahlen von Wolken auf-
und VII.
') Crovi (IBTT), Mesure de l'intenaiU cBlorißqne in ndintiaiiB Bolairee
d« chicn. et de php. 5. S«r. Bd. XI, 8. 433 bie äSO.
') Violle (1S77), M£ro. snr Is temp. mofeuDe de 1> surface da saleil
chim. et de ph;s. 5. Ser. Bd. X, S. 38S bis 361 und (1BT9) Bd. XVII, S. 3°
*) pDaillet hatte Fat dieselbe Grotte S den Werth 0,0(nT6 Calorien
CroTi fuid 0,0033a, Korbes sogar 0,00382.
814 B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
gehalten werden , gelangt ein viel kleinerer Bruchtheil his an die Ober-
fläche der Erde.
Auch diese zur Zeit heste Bestimmung der Solarconstante dardi
Vi olle kann jedoch nur als ein angenäherter Mittelwerth gelten, da
es neuerdings durch Versuche von 0. Frölich^) wahrscheinlich gewor
den ist, dass die von der Sonne der Erde zugestrahlte Energiemenge
durchaus nicht constant,' sondern zu verschiedenen Zeiten, vielleicht je
nach der Zahl der Sonnenflecke, verschieden gross ist ^).
Diese der EIrde zugesendete Wärmemenge ist in der That aas9e^
ordentlich gross. Dieselbe würde genügen, um in jeder Minute eine Eis-
schicht von 0,337 mm Dicke zu schmelzen.
Ein Eisparallelepiped von 1 qcm Grundfläche und x cm Dicke wiegt
z . 0,95 g , da 0,95 das speciflsche Gewicht des Eises ist. Um diese Eis-
menge zu schmelzen, sind:
x.0,95 X 79,25 Grammcalorien
erforderlich. Auf 1 qcm Fläche fallen in einer Minute 2,54 Grammcalorien,
demnach wäre die Sonne an der Grenze der Atmosphäre im Stande, in
jeder Minute eine Eisschicht von
2,54 2,54 X 10
cm oder — — WTTT^ ^^^ 0,337 mm
0,95 X 79,25 0,95 X 79,25
Dicke zu schmelzen.
Nach Herschel sollte diese Eisschicht 0,192 mm und nach Ponil-
let^s Messungen 0,179 mm dick sein.
« Die Erde wendet der Sonne eine Fläche zu, welche man nahen
gleich dem Inhalte eines grössten Kreises der Erde setzen kann. Der
Inhalt eines solchen Kreises beträgt nngef&hr
12750 X 101* qcm.
Demnach empfängt die Erde in einem Jahre von der Sonne
12750 X 10»* X 60 X 24 X 365,25 X 0,00254 Galerien
= 1,703 . 10" Calorien.
Diese Wärmemenge ist:
12 750 X 10" X 0,00254 X 425
60.75
= 305900000000000
continuirlich wirkenden Pferdestärken äquivalent. Angesichts dieser
enormen Zahlen darf man sich über die mannigfaltigen und gewaltigen
Wirkungen des Sonnenlichtes auf der Erdoberfläche nicht mehr wundern.
^) 0. Frölich (1884), Messangen der Sonnen wärme. Ann. der Phys. and Cbem.
Bd. XXI, S. 1 bis 3.
^) Vergl. auch Förster, Ueber den Einfluss der elfjährigen Sonnenileckenperiode
auf telluriiiche ErBcbeinungen. Astr. Nachr. Nr. 2545.
IV. Anwendungeu auf Meteorologie und Astronomie. 815
3. Die von der Sonne überhaupt ausgesendete
Energiemenge.
Wir haben keine UrBache anzunehmen, dass die Sonne bei Aussen-
dung ihrer Strahlen die Erde irgendwie bevorzuge. Die Sonne wird viel-
mehr nach allen Richtungen im Räume genau dieselbe Wärmemenge
senden. Denken wir uns nun vom Sonnenmittelpunkte aus durch den
Erdmittelpunkt eine Hohlkugel constmirt, so bildet der Durchschnitt dieser
Kugel mit der Erde einen Kreis, dessen Fläche nur den 2173million8ten
Theil dieser ganzen Hohlkugel ausmacht ^). Dieser nahezu verschwindende
Bruchtheil der fortdauernd von der Sonne ausgegebenen Energie ist es
nun, welcher fast ausschliessliche Ursache aller Lebens- und Bewegungs-
erscheinuDgen ist, die sich auf der Oberßäche unseres Planeten abspielen.
Die von der Sonne unausgesetzt abgegebene Wärmemenge ist eine
geradezu ungeheuerliche. Jeder Quadratmeter der Sonnenfläche strahlt
nämlich, wenn man die Violle'sche Angabe über die Solarconstante be-
nutzt, in jeder Minute
1159000 Calorien
aus, und diese Wärmeausgabe ist der fortwährenden Arbeitsleistung von
109 500 Pferdestärken
äquivalent.
Man findet diese Grösse, wenn man die auf den Meter reducirte
Solarconstante mit dem Quadrate der Entfernung beider Oberflächen, aus-
gedruckt in Sonnenhalbmessern, multiplicirt. Die mittlere Entfernung
des Sonnen- und Erdmittelpunktes beträgt 23 307 Erdradien, der Duroh-
messer der Sonne 108,« Erdradien, die Entfernung beider Oberflächen
23 198
in Sonnenradien gemessen, somit: — -^r — •
Demnach strahlt jeder Quadratmeter der Sonnenoberfläche in einer
Minute :
^^^) = 1159 000 Calorien
ans«
Eine 1 m dicke Wasserschicht, welche pro 1 qm Bodenfläche 1000 kg
wiegt, würde in einer Minute um ungefähr 1160^ C. erwärmt werden. Diese
^) Die FlSche eines grÖMten Kreises der als Kugel gedachten Erde TerhiUt sich zur
Fläche einer Hohlkugel, deren Radius der mittlere Abstand des Sonnenmittelpuoktes vom
Erdmittelpunkte ist, wie:
r»7i _ 1 _ 1
4R».ff ~ 4.23307^ "~ 2173 000000*
816 B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
Wärmemenge würde ausreichen, um in jeder Minute eine ungefähr Ion
dicke Eisschicht zu schmelzen. Die von jedem Quadratmeter der Sonnen-
oherfläche in einer Secunde ausgegebene Energiemenge betragt hierron —
6ü
Nun ist aber eine in einer Secunde abgegebene Calorie der Arbeit toq
-ZT- Pferdestärken äquivalent.
Demnach entspricht der Energie Verlust, welchen jeder Quadratmeter
der Sonnenoberfläche durch Strahlung erleidet, der unausgesetzten Thätig-
keit von :
1159000 X 425 ,^^,,^^^, , , ,
— — t= 109500 Pferdestärken.
60 X 75
Die Sonnenoberfläche ist 11 940 mal so gross als die der Erde, die
Erdoberfläche beträgt: 5,1 X 10"qm, ein Jahr enthält: 60 X 24 X 365^5
Minuten. Die Sonne giebt somit überhaupt in einem Jahre die unerme»
liehe Wärmemenge von:
1 159000X 11 940X 5,1 XlOJ*X 60X24X365,25 = 3,71 X 10»<>Calorieii
ab.
Ein anderer immerhin ebenfalls verschwindender Brucbtheil der tob
der Sonne in ihren Strahlen fortwährend ausgesendeten Arbeitsgrösse wird
von den anderen Planeten, den Asteroiden, den Cometen und sonstiges
Gliedern unseres Sonnensystem es aufgefangen. Der Gesammtbetrag diesa
Theiles dürfte jedoch kaum zehnmal so gross sein, als der, welcher die
Erde trifft.
Der weitaus grösste Theil dieser über alle menschlichen Begriffe
grossen Arbeitsmenge wird anscheinend in den Weltraum zerstreut and
scheint unserem Sonnensystem verloren zu gehen. Da nun die tagtägliek
Erfahrung uns unausgesetzt darauf hinweist, für jede Ursache eine ent-
sprechende Wirkung zu suchen, so liegt einerseits die Frage nahe: ^Val
geschieht im grossen Gesammthaushalte des Weltalls mit dieser von der
Sonne zerstreuten ungeheuren Menge von Energie? Geht sie nutzlos ii
den unendlichen Raum hinaus? Kehrt dieser Kraftstrom endlos aaf irgend
einem Wege zu seiner Quelle zurück?
Ebenso drängt sich die Frage mit zwingender Gewalt auf: Mw
bei solch einer ungeheuerlichen Verschwendung von Wärme und Liebt
die Sonne nicht allmählich erkalten, weil selbst der grösste Vorratb tu
Energie doch endlich einmal erschöpft werden würde?
Die nothwendige Folge einer Abnahme der unserer Erde von der
Sonne zugesendeten Energiemengen würde es sein , dass die ewigen £i^
f eider der arctischen Zonen allmählich sich mehr und mehr ausbreites
und, unwiderstehlich vorrückend , alles Leben auf der Erde immer enger
am Aequator zusammendrängen müssten, um es schliesslich, noch ehe mit
dem Erlöschen der Sonnenstrahlen die ewige Nacht begonnen, unter eiaer
eisigen Decke zu begraben.
4. Ist eine Abnahme der Sonnenwäxme naohweisba !
Leicht könnte nach dem im vorhergehenden Ahschnitte Auseina
ST^setsten die Yermuthong entstehen, dass eine so ausserordentlich s
Elnergieassgahe der Sonne in nicht zn langer Zeit eine merkliche Abn
der unserer £rde von der Sonne zugesendeten Energiemenge nacl: i
aiehen müssen dass also das Ende alles Lebens anf der Erdoberfläc
absehbarer Zeit bevorstehe.
Ob die Menge der unserer Erde von der Sonne zugesendeten Wi i
menge in historischen Zeiten sieh geändert habe, kann jedoch nicht (
g^e wiesen werden.
Vielfach hat man geglaubt, dass die Unveränderlichkeit der '
tationsgrenzen ein Beweis dafür sei, dass die Temperatur der i
oberfiäche sich nicht geändert habe. Es ist ziemlich sicher, dass i
wesentliche Verschiebung der geographischen Verbreitung der Pfli
und Thiere nicht stattgefunden hat, seitdem wir zuverlässige Nachri* ;
darüber haben. Die Grenze des Weines und Oelbaumes und die der
men liegt in der Hauptsache noch heute da, wo sie sich zur Zeit Hon i
befunden hat, und ebenso liegt in Frankreich und Deutschland die Gj i
des Weinstocks noeh in denselben Gegenden, wo sie vor tausend Js
Bioh befand. Aber selbst diese scheinbare Unveränderlichkeit, für d
übrigens sehr sehwer ist ganz zuverlässige Beweise beizubringen, ge\ i
leistet die Unveränderlichkeit der Oberflächentemperatur der Erde n i
denn wir wissen aus den Untersuchungen Darwin's und der Vert
seiner Richtung, dass alle Organismen die Fähigkeit besitzen» sich
änderten Lebensbedingungen bis zu einem gewissen Grade anzupa >
Allerdings könnte man darauf verweisen, und dies ist z« B. [
Blandet^) geschehen, dass auch in den arktischen Regionen^ v< I
beute vollständig vergletschert sind, Fossilien gefunden werden, w( I
andeuten , dass ehemals auch in jenen Gegenden eine Flora und F [
existirt habe, wie sie jetzt nur in beträchtlich wärmeren Theilen um i
£rde vorkommt. Die Kohle, welche in Grönland gefunden wordei
scheint aus denselben Baumfarren entstanden zu sein, welchen die K
unserer Gegenden ihre Entstehung verdankt. Bland et glaubt, i
ehemals eine Sonne von erheblich grösserem Durchmesser auch i
polaren Regionen unserer Erde beträchtliche Wärmemengen zugese i
habe. Mit der allmäligen Verkleinerung des Sonnen durch messers wüj
jene Gegenden immer weniger Wärme empfangen haben. Während s*
früher die Tbier- nnd Pflanzenwelt auf der Erdoberfläche eine gröt i
Gleichförmigkeit gezeigt habe, fanden jetzt die Pflanzen, welche ehei
die ganze Erde bedecken konnten, nur noch in der heissesten, äquatori !
1) B landet, Compt. rend. Bd. 95, S. 981.
B « h 1 n a n n , Meoban. Wftrmetheoile. Bd. II. 52
r
BU weeeDtlich anderen, neuen Formen entwickelt.
Ea Iftsat eich gegen dieee Aasf&hrnng jedooh einwenden, du
jenen angemein fern liegenden Zeiten aaeh die Eigen tempmtu i
Erde mfigliob erweise eine höhere gewesen ist und daher noch tob Eid
anf die W&rmeTerhältniBBe an ihrer Oberfläche sein konnte.
Es Bind jedoch auch Vermuthungen laut geworden, da» die Eii
oder Erdbahn ehemals eine andere Richtung gehabt habe and difaw
Theile der Erde, welche jetzt nur unter einem sehr spitaen Winkd'
den Sonnen atrablen getroffen werden, vordem grössere W&rmemeDgNi
der Sonne empfangen h&tten.
Anch aus der Constanz der Bauer der Zeit, welche nuten l
braacht, nm sich einmal am ihre Axe zu drehen, also aas der onTaniJ
ten L&nge eines Tages, hat man anf die Unver&nderlicbkeit derd
flächentemperator aneeree Planeten bu sohliessen gesucht. HitU i
Temperatur eine Erniedrigung erlitten, eo masste eine VohnDTtraa
rang unseres Planeten und dadurch eine Abnahme seiner Rotaliou^
eingetreten sein.
Durch die Reibung der Flnthwellan an der Erdoberfläche gcki
aufhörl ich kinetische Energie der Erde verloren >) , nnd hierdurch ■
eine Vergrösaerung der Uotationsdaaer der Erde bewirkt werden, h
Vorgänge, Abkühlung der Erde nad Fluthreibung, wirken somit ätd
entgegen, und aus den Veränderangeu der Lftnge dee Tages kinia
somit nicht schlieseen, daas eine Abkühlung der Erde stattgclaA
habe oder nicht eingetreten sei.
Aus alten Sonnen finstemissen hatte Laplace*) berechnMi >
sich die LSnge eines siderischen Tages seit 720 t, Chr. Geb. nicfci
seiner Länge geändert habe. Der grosse Aatronom ^
diesen Schluss aus der Uebereinatimmung seiner Dynamik der vaäa
Bewegung des Mondes mit den Beobachtungen ziehen zu dBritc ^
Jahre 18Ö3 jedoch wies Adams in diesem Theile des Laplaec'i^
Werkes einen Fehler nach. Im Jahre 1S59 theilte er Delsnoir«
dass der Mond in einem Jahrhnndert um 5,7" in seiner Bahn nr^
theoretisch berechneten Orte in Bezug auf einen Erdmeridian neb betf
Delaonay ■) bestätigte dieses Ergebnias und erklärte diese Eracboi"
durch eine Yerlangsamnng der Erdrotation durch die Ebbe- und m
bewegang. Adams berechnete nunmehr den Einflusa der Flatlmi^
I) Msy«T, UMhiDib der Wirm«, S. SlO.
>) Lkplace, H^Diqae UUmU , Bd. U, 8. 34T, Bd. Ul, S. I7S, Bd. V,S.)t
*) DelauDay, Compt. read. Bd. LXl, S. 1033 bla 1032. Zucnt hu R- )>■;'
in irincT Abhandlang: „B«llräge zur Dynamik dei Himraels, 1846" aa( dtcMo Di*>
anfmerkum gemacfat.
tiben wOrde, 22 Secanden betragen müsse'). HanBen*) berecliDete
B aeiaer Theorie der Mondbewegnng für die Abnahme derDaner einer
ndrehnng der Erde um ihre Axe einen um die Hälfte geringeren Be-
ig; nach ihm hat seit Hipparch die Dauer jedes Sterntages nm —
iteecnnde, die Bauer einea Jahrhunderts nm eine h&lbe Viertelstande
genommen.
Diese Zunahme der Dauer einer Umdrehung der Erde um ihre Axe
nn aber ausser in der Wirkung von Ebbe und Flnth auch in einer
ibang an einem widerstehenden Mittel, welches im Weltraums vorhan-
Q ist, znmXheil begründet sein, worauf schoaHansen hingewiesen hat.
Thomson') hat gezeigt, dass die Zunahme der Erdrotation durch
t B&cnlare Abkühlung der Ei'de dieser Verlangsam ung durch Flath-
bnng nur in untergeordneter Weise entgegenwirkt.
So viel allerdings erkennt man leicht, dass jedenfalls kein merklicher
ckgang der Sonnenw^me in historischen Zeiten stattgefunden hat, dass
nit eine nahezu vollkommene Unreränderliehkeit der bestehenden Ver*
tnisse auf Jahrtausende hinaus gesichert ist.
Diese Thatsache hat viele Naturforscher veranlasst, die Frage anf-
verfen, ob nicht in der Natur Vorkehrungen getroffen seien, durch
lohe die Abnahme der Sonnenenergie verhindert werde. In den nach-
benden Capiteln beschäftigen wir uns mit denjenigen Untersnchungen,
lebe behufs Beantwortung dieser Frage von einer Anzahl der hervor-
;endsteQ Gelehrten angestellt worden sind.
b. Die Hypothese von Newton, Bufibn, Mayer und
Waterston.
In früheren Zeiten betrachtete man di« Sonne als eine ungeheure
Flammen stehende Masse; man hielt demnach das Centralgestirn unteres
rtems für den Herd nnaosgesetat wirkender chemisoher Procease von
laerordentlicher Heftigkeit. Es iat jedoch wiederholt darauf aufmerk-
d g'emaoht worden, dass, wenn es nur ohemisohe Vorginge, Verbrennun-
1 wären, die unausgesetzt die enormen Energiemengen lieferten, welche
roh die Sonnenatrahlen in den Weltraum zerstreut werden, alsdann in
hSltnissmäsBig kurzer Zeit die Sonne ausgebrannt und ihre Energie-
■rtlthe erschfipft sein mtlBsten. Von allen uns bekannten Körpern liefert
1) Vergl. TboDDon und Tait, Theorttuche Pbysik. DenWch von HelmhoUi
L Wertbsim, BmQDKhweig, Friedrich Vi«weg u. Sohn. §§'276, 405, 830.
«) Verjl. H*aiteD, Ber. d. Kgl. Sieb». Gestllich. d. W. 1863, Bd. 15, S. 1 bis 9.
') Tliomaan, a. B. 0. S. 402.
nao au , die gaiiBe U&sBe der Sonne >beBtfinde ana in riditig«« Vcdil
nitee g«roiMbtem EnaUgase, bo findet man durch eine .TertdllmaMi
einfache Reohnong, dua diese dorch die VerbrennDQg'UiaigtBlIä
nnr 1720 Jahre aaareichen würde, den £nergi»7erluat derSoaitb
Strahlung W deckeo.
Wenn iicfa nSmlich 18 kg Knallgas zu 'Wasserdampf idni
werden 58200 Calorien entwit^elt.
Die Maase der Senne ist 324 400 mal so gross, ab die det^i
die Erdnutsee beträgt:
1,0828413 X 10" X 5,6 X 1000kg.
Demnach wäre die Wärmemenge, welche entwickdt wirf, wmi
KnaUgastnenge von der Offtsee der "Sonnen maiae .-zur Verbramuii
langte, |fleich:
324400 X 1.083 XM X 10" X =,8 200 ^ ^^^ ^ .,„„ ^^
In einem Jahre giebt die -Senne ein« gesammte W&menNcj
welche (vergl. Seite 815) gleich
1159000 X 60 X 24 X 366,35 x I1Ö40 X 50995 XW
= 3,71 x lü"Calorien ist
Dividirt man das obere Product durch dos untere, bo finditac
Anzahl Jahre, fllr .welche die durch Varbrannung. des Knallguesia*
Wänuemenge auaretcben würde, und diese ist 1720 Jtthie.
Eine Ähnliche Heohnung hat W. Tha.mB:On angettellt, bnn
er Toraaseetzte, die Maate der Sonne beatöke aus Kohlenatoff; bm»,
alsdann, daas der Energivvorrath unseres Centcalgeatirues in d>eM>
in ungefähr 4200 Jahren erachöpft sein würde. Wenn mao nv'
leicht aioh vorstellen könnte, deas auf der SonHe-niofat nur alte VoM
gen in ihre Elemente, -aonderu in Folg« der auaserordentlich bobali
peratur, welche Toraussichtlich das Innere der Sonne beiittt, t»
Stoffe, welche wir jetst als Elemente ansehen, in nooli einhehenlM
theile zersetzt würden und demgem&as nodi beträchtlich grfin«lM
potentieller Energie in der Form von chemiaeher Verwandtachifti*
den w&ren, ao würde doch immerhiu-schon in historiachen Zcitai
betr&chtliche Abnahme des Energievorrathei atattfinden müMu')-
SchonNewton'), welcher bekanntlich annahm, daaa dieLid''
len ans materiellen Theilchen heatfinden, welche von dem leu^
Körper ansgeaendet warden , glaubte, daas die Kometen mit i"
in die Sonnenmasae hineinatürzten and daae dadurch der din
') Diest letite Ansicht hiit i. B. TorBberKcheiMl iB Sccchi tJDU Vstiwl
dm. llan vergl. Secchi, Diu Sans*, 1. Auf). 1882, 8. 600.
*) Newton, PhiloHphiM nataralia principia mMhcmatica, Üb. Dl, Fi^
EdiUo Dria»l>i. T.nnd. 1 HHT. R .M^.% IT.
^■oimUO lunriBUUCV IWIlSBIf TUlIÜHHIUIg VeiCBBBCUeiU« »b BjnHVIUlll
ich TOD dem fnnzaeiBoheD Nattn-forscber Baffon wieder anegeeprochea
orden, welcher eich ebenfalle dieSomne bIb den Herd eines ^rouartdgen
erbrennungaproceeBes dachte; welchem darch-in die Sonne hiaeinstdrzende
ometen fortwährend oeaee Btennmatenal zugeführt werde.
Späterhin hat Mayer'), der berühmte Begrfln der der mechaniacben
^finoetheorie, nad eini^Zeit nach ihm Wateraton*) denselben Grond-
adanben in aioer anderen etwa» annebrnbarereQ* Form wieder tov-
»bracht. Mayer nud Waterston eetsten einen. nnanffaörHi^en Stnrz
311 Meteoreteinen and anderen HimmelHkftrpem in>dieSonnenniaa>e Tor-
OB und' wiesen darauf hin, das« der Terlust von Soanenwänne darcb- die
eträchtlfchen W&nnemengen gedeckt werden kSnne, welche- entsteh eu,
-enn die Idnetiscfae Energi» der mit fabelhafter Öeaebwindigkeit aof der
onnenoberflädie aakommeBden Meteoriten dort in Whttoo umgesetEt
Dasa unvergleichlich viel mehr Meteorsteine auf lUe Sonne fallen
lassen, alfl auf die- Erde, Jet wohl begi«iflioh, da die Sonne in Folge ihrer
röseeren Hasae eine viel gTSsaereAneiehungskraft aasabt. Die Reebnang
ber lebrt, daas« wenn man den geaaiDintea EnergieTerlnst der Sonne anf
ieBdWeiae decken wollte, es erforderlicb wire, daas io jeder Seconde anf
eden Quadratmeter der SminenoberSftcbe 3 g Marne fielen.
Gegen dieae Hypothesa rauss znnäcbat eingewendet weeden, daw,
^enn so anseerordentlickiTiel kosmisobe Masse nnaoegeaetzt auf die Sonne
iele, der ganze Weltraum von aolchen nach allen Rijifatungen bin. aioh
>eivegenden kleinen Weltkörpem erfüllt sein mfisste. In eitler bin-
'eichend grossen Entfernung von der Sonne, in wekbpr ihre Anzieknngs-
craft noch nichtinLeBklich.wäre, mAaeten sich ebenf^ls solche K5rper be-
luden, von ihnen könnten aber nur diejenigen in das Äbaiehnngabereieh
1er Sonne gelangen und apKter auf dieselbe fallen, welche sich in einer
lassenden Richtung bewegen. Da man aber die Masse berechnet hat,
ivcicbe in einer Bestimmten Zeit auf die Sonne fallen musE, nm durch die
Umsetzung ihrer lebendigen Kraft den jährlichen Energie veritaet dftr Sonne
GU decken 0. bo kann man nach den Gesetzen der Wahrscbeinlicbkeit ancli
jiejenigeaMassenqnantitäten, berechnen, welche sich in einer bestimmten
anderen Richtung, z. B. nach der Erde bin, bewegen^ Man findet anf
diese Weise,,, dass alsdann ancb anf unsere Erde naausgesetzt ein fSrm*
>1 Hajer, Bcitri^e 7nr D)Tninik des Hiniinel«, 1848.
') »«tersion, TrariMPtion« or.theRoy.. Sae. of Edinhorgb, 1853, Dd. 20,
>) Vgl. WateritoD, Od certain indactioni witb rcspMt tg the heid «Dgeodercd
by the poMible fall of a metcor into tbe inn etc. Phil. Hag. 4. S«r. Bd. Ifi, S. 338
(1860).
*) Et ist diea asgeflihT — ron der Maue der Erde.
822 IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
lieber Hagel kosmischer Massen niederfallen müsste. Und zwar wüH
derselbe alsdann so stark sein, dass die bierdurcb entwickelte Wära
genügte, nm die Temperatur der Erdoberfl&cbe bis ziemlich sar Sieik
hitze des Wassers zu erwärmen^). Wenn nun auch yermutblich dieZal
der im Laufe eines Tages auf die Erde niederfallenden Meteoriten un
die Menge des niederfallenden kosmischen Staubes viel beträchtlicher iä
als man bisher gedacht hat, so berechtigt uns doch nichts, eine solek
H&ufigkeit derartiger Sendboten aus dem Welträume anzunehmen, wi
man sie zulassen müsste, wenn der Ersatz der ausgestrahlten Cner^e de
Sonne ausschliesslich auf die Weise stattfinden sollte, in welcher M&jei
und Waterston sich dies vorstellen.
Durch diesen Sturz so beträchtlicher Mengen kosmischer Masse ad
die Sonne würde auch fortwährend die Masse unseres Gentral^^estims eise
Vergrösser ung erfahren; dadurch würde ihre Anziehungskraft vergrofiseit
und die Umlauf Bzeit der Planeten verringert werden. W« Tlkomson hat
berechnet, dass die hierdurch bewirkte Abnahme des tropischen Jabra
ungefähr betragen würde. Ein Zeitraum von 4000 Jahren, gerne»-
4000 •
sen nach der Länge unseres jetzigen Jahres, würde nur 3999 Jahre oni
6 Monate enthalten haben. Dies ist aber im höchsten Grade anwalir'
scheinlich, da sich sonst erheblichere Differenzen bei der Nachrechnusf
von Finsternissen ergeben müssten, über die man in den Berichten de
ältesten Culturvölker , z. B. der Chinesen, noch zuverlässige Nacfarichtas
findet. Es ist vielmehr (vergl. Anmerkung zu S. 818) naohgewieKs
worden , dass die Lange des Jahres um einen geringfügigen Betrag sa-
genommen hat.
6. Die Theorie von W, Thomson.
Um diese doppelte Schwierigkeit zu umgehen, hat Thomson^ an*
genommen, dass die kosmischen Massen, welche auf die Sonnenoberfiäche
fallen, nicht im ganzen Welträume gleichmassig vertheilt seien , aondcra
hauptsächlich von der sehr verdünnten kosmischen Masse herrühren, welcbe
nach Art einer vorzagsweise in der Richtung des Sonnenäqaators aus-
gedehnten Linse die Sonne umgiebt, und welche von uns als Thierkreis-
oder Zodiakallicht wahrgenommen wird. Man muss sich alsdann diese
linsenförmige Masse als aus einer grossen Menge getrennter einzelner
Körper bestehend vorstellen und annehmen, dass dieselben entweder
durch gegenseitige Zusammenstösse plötzliche, oder durch Reibang an
einem widerstehenden Mittel allmähliche Verminderungen ihrer Bahn-
^) Die betreffenden Rcchnunfiren findet man in einer Abhandlung von Thomson,
Transact. of the Roy. Soc. of Edinburgh, Bd. 21, S. 57 und S. 63.
^) Thomson, Edinburgh Transact. Bd. 21 (1854), S. 63.
ohliesBlich ia dieeelbe hineinfallen. Auf der Sonnenoberfl&oke Migel«ngt,
vQrdeD sie nur die GeBchvindigkeit behalten, welche die SonneuoberflSche
vm Kintrittspankte besitzt. Da nun aber ein in der Nabe der Sonnen-
iberfi&che kreisender kleiner Planet eine viel grossere B&bngeachwindig*
Eeit besitaen mnea, als ein Punkt der SoonenoberflScba , bo v^rde der
;ro8ete Tbeil der kinetischen Energie eines solchen kleinen Planeten eich
>ei der Vereinigung mit der Sonnenmasse in WArme umsetzen.
Die Einwände, welche man der vorher erwähnten Hypothese von
llayer und Waterston entgegenstellen konnte, lassen sich allerdings
fegen die Thomson'sche Theorie nicht mit gleichem Gewichte vorbrin-
fen; and die beiden £iaweDdangen, welche man machen könnte, dasa
lämlich in Folge einer allmählichen Vermehrung der Maese der Sonnen-
larchmesBer sich vergrÖBsern und wegen der Zunahme des Trägheita*
nomenteB die Dauer einer Rotation der Sonne um ihre Axe zunehmen
nüsete, können beide dnrch Beobachtungen nicht kontrollirt werden.
In 4000 Jahren würde der DurchmesBer der Sonne um ungefähr
— BogenHecunden zunehmen; genaue Beobachtungen des sobeinbaraD
Durchmessers der Sonne besitzen wir aber seit kaum länger als 100 Jahren,
^och sind in Folge der eigentbümlich wallenden Beschaffenheit des Sonnen-
'andes kleine Veränderungen des Durchmessers überhaupt nicht leicht
wahrnehmbar.
Die Botationsdauer der Sonne um ihre Ase ist Überhaupt noch nicht
lieber bestimmt, da sie nur aus der Bewegung der Sonnenflecken ab*
geleitet werden kann und diese selbst wieder eine erhebliche, in ver-
lobiedenen Abständen vom Aequator verschiedene Eigenbewegnng haben.
Selbst wenn also die Veränderung derRotationsdauer der Sonne in einem
'eitraume von einem Jahrhundert 2 bis 3 Stunden betrflge, so wQrde
lieae Zunahme fOr uns noch nicht bemerklich sein.
Ein gewichtiges Bedenken gegen die Thomson'sobe Hypothese
lat sich jedoch aus den Unter Buchungen ergeben, welche Leverrier*)
Iber die Ursache gewisser Störungen des Planeten Mercur angestellt hat.
Ür prüfte bei dieser Gelegenheit, ob diese Störungen nicht von Asteroiden
lerrQhren könnten, welche in der Zone dea Zodiakallichtes vorhanden
rftren. Die Rechnung ergab jedoch, dass man dem Zodiakallioht keine
ehr beträchtliche Masse Eusobreiben dürfe, dass jedoch ein einzelner
wischen Sonne und Mercur befindlicher Planet, wenn er existirte, diese
'törnngen erklären würde ^). Damit darf man wohl auch dieThomson'-
cbe Anschauung als unzulänglich bei Seite legen.
1) Etüde dea pertnrbstians de 1« pluiJt« Mercare. Add. d. l'Obsen'. Bd. V.
^) Knch den Beobachtangea, wekbe wXhreDd der letzten SeDnenüniteniisBe angestellt
forden aind, iit e< nehr HDwahrKheinlkh geworden, äut iwinchen Mercur und Sonn«
loch ein PInnet von Bedentung vorhnnden ist.
?■ Die Heimnoitz'solie Contraotionstneorie.
Gelegentlich seiner Unteraucliangeii Ober die saecoUre AbkübloBg dp
Erde hatte W. Thomaon*) vom Standpunkte der meehamschenWinir
theorie aas sorgfältig nnteTBacht, welche Wärraemen^ bei dem B&lltmp-
acte der Sonne entwickelt worden ist.
Er setzt, der Eant-Laplaoe^aehen Hypothese folgend, arspriu-
lieh eine kosmische Masse Toraos, welche sieb weit über die Gtoomb ia
heutigen Sonnen Bystems, also bis Aber die Neptun sb&bn binana, entredlt
und nimmt an, dass in diesem Vertbeitungsztntande die Masae, dm
Grösse er gleich der Sonnenmasse annimmt, die Temperatur des absolo»
Nullpunktes (— 274» C.) besessen babe.
Er bestimmt hierauf die Wärmemenge, welche der Arbeit derOnii-
tatiou äquivalent ist, die geleistet wird, wenn «ch diese SCaaae bii U
das beutige Volumen der Sonne zusammenzieht. Er findet aoT dieaeWcii
eine enorme Wärmemenge, durch welche die Sonnenmaase, «elbst «w
ihre apecifieche Wärme sehr beträchtlich wäre, auf eine fabelhafte Teape
ratnr gebracht werden müaste.
Diese Betrachtungsweise bat Helmboltz*) angewendet nad i^
dieselbe eine neue und nngemein ansprechende Theorie Ton einem tbä-
weisen Ersätze der durch Strahlnng verloren gebenden Sonneoeocrp
gegründet. Wenn die Sonne nämlich durch Strahlung Wärme Terür.
muBB ihre Masse sich zusammenziehen. Während die Molekeln derSou
bei dieser Znaammenziebung, dem Gesetze der Schwere folgend, sidi dn
Sonnenmittelpunkte nähern, leisten sie eine positive Arbeit. Diese AAä»
grosse muBS sich in eine äquivalente Wärmemenge umsetzen , und diar
wird die durch StrabWog verloren gehende Wärme entweder theihras
ersetzen, oder ihr gleich sein, oder gar sie QbertreSeu.
Bezeichnet ^ die Sonixenmasse, dQ den Wärmererlnst, welebenA
Sonnenraasse in der unendlich feinen Zelt dt erleidet, und d T die Tcnif
ratur Verminderung, welche di^, 'Sonne in der Zeit dt er^hrt, ao ist
ot
der Wärmeverlast der Sonne in der Zeit di.
Nun entspricht aber einer Temperaturemiedrigang d T der Ssuc
eine unendlich kleine Contractionsarbeit, dieselbe sei
') Thomson, Phyiipal con*iderationii regarding the possiblc iige of the hob» ta*i
Phil. Mag. (1881), 4. Scr, Bd. XXIII, S. 153.
*) Die betreflenden Rechnangea ßndvt man in: Helmholtx, Wiswiucban]. Tv
träge, Heft 2 (1876), S. 134.
Ä
■ ■ • ff • — ^~ • dt
j dt
W&rmeeinbeiten äquivalent.
Die Aendemng des Wärmeinhalts der Sonne dQ m der Zeit dt ist
somit :
8T 1 8T
dO = M ' -;r- ' dt T ' ^ ' "7^ ' dt 1)
^ 8t / 8t '
Je nach dem numerischen Betrage der Grösse et kann hiernach dQ
positiv, Null oder negativ sein.
Helmholtz hat berechnet, dass selbst unter den ungünstigsten Vor-
aussetzungen eine Verminderung des Sonnendurohmessers um 75 m im
Jahre, also um eine Meile in ungefähr 100 Jahren, gen&gen würde, um
den gesammten durch Strahlung herbeigeführten Wärmeverlust zu er-
setzen ^). Da einer Bogensecunde in dem mittleren Abstände der Sonne
ungefähr eine Strecke von 98 Meilen entspricht, würde erst in 10000
Jahren diese Verminderung des Sonnendurchmessers einen merklichen
Betrag annehmen. Mit dieser Zusammenziehung Hand in Hand würde
eine sehr langsame Zunahme der Rotationsgeschwindigkeit der Sonne
gehen, weil das Trägheitsmoment eine Verminderung erführe. Aber
diese würden wir aus den bei Besprechung der Thomson' sehen Theorie')
schon angeführten Gründen erst recht nicht wahrzunehmen im Stande sein.
Diese von Helmholtz aufgestellte Erklärung für die Erhaltung
der Strahlungsenergie der Sonne kann kaum mehr eine Hypothese ge-
nannt werden; sie ist vielmehr eine nothwendige Folgerung aus Grund-
sätzen der mechanischen Wärmetheorie, deren Allgemeing^ltigkeit niemand
bezweifelt.
New comb hat im Anschlüsse hieran daraufhingewiesen, dass als-
dann die Sonne, wenn ihre Wärmeausstrahlung ungeändert bliebe, in
5 Millionen Jahren auf die Hälfte ihres jetzigen Durchmessers zusammen-
geschrumpft sein würde.
8. Die Hypothese von William Siemens 9).
In allerneuester Zeit hat ein Versuch, die Erhaltung der Sonnen-
energie zu erklären, in den Kreisen der Astronomen und Physiker die
^) Diese Zahl bezieht sich jedoch noch auf den Pouillet'schen Werth der Solar»
constante.
3) VergL S. 823.
^) Die Abhandlung: .On the Conservation of Solar Energy" wurde der Roy. Soc.
of London am 20. Februar 1882 vorgelegt. Wir folgen hier hauptsächlich der Dar-
stellung in der gleichnamigen Schrift, London, Macmillan 1883.
826 . IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie.
Geister lebhaft bewegt. Nicht nur der Umstand, dass diese Hypothese
▼on einem der hervorragendsten Ingenieure und praktischen Physiker,
Sir William Siemens, ausging, welcher sich durch eine grosse Zahl
wichtiger Erfindungen und werthvoller Beobachtungen ausgex^chnet
hatte, sondern auch die Neuheit und Originalität der seiner Hypothese zi
Grunde liegenden Annahmen lenkte sofort die Aufmerksamkeit aUer be
theiligten wissenschaftlichen Kreise auf diesen neuen Versuch, den scheis-
baren Widerspruch zu lösen, welcher zwischen dem Satze von der Cou-
stauz der Energie einerseits uud der enormen Energieverschwendung des
Centralgestirnes unseres Planetensystems andererseits besteht.
Die Sie mens* sehe Hypothese beruht auf folgenden Annahmen:
Erstens: Der zwischen den Weltkörpem befindliche Raum ist
nicht leer, sondern mit ausserordentlich verdünnten Gasen und D&mpfa
ausgefüllt, unter welchen sich Wasserdampf und dessen BestMidtheile»
Stickstoff und verschiedene Kohlenwasserstoffe befinden.
Zweitens: Im Zustande ausserordentlicher Verdünnung werden
diese Dämpfe durch strahlende Energie der Sonne in ihre Bestandtheik
zerlegt (dissociirt).
Drittens: Die Umdrehung der Sonne um ihre Axe bewirkt, das
in die polaren Gebiete der Sonnenoberfläche derartige im Räume durd
das Sonnenlicht dissociirte gasformige Substanzen einströmen, und dsa
dieselben, nachdem sie an der Sonnenoberfläche verbrannt sind, in des
äquatorialen Zonen wieder ausgeschleudert werden.
So überraschend anfanglich diese Forderungen erscheinen « so liegt
doch keine derart ausserhalb der Grenzen der Möglichkeit, dass sie ohae
Weiteres zurückgewiesen werden müsste.
Siemens ist auf seine Theorie durch die Beobachtungen gefühlt
worden, dass die Sonnenfiecken nicht auf allen Theilen der Sonne glack-
massig, sondern besonders häufig nur in zwei Zonen auftreten, weld»
rechts und links vom Aequator in nicht unbeträchtlichem Abstände vw
den Polen gelegen sind.
Nur selten treten Sonnenflecken auf in dem Räume von 0^ fais i*
heliocentrischer Breite auf beiden Hemisphären, am häufigsten sind die-
selben in den Zonen, welche sich von 5^ bis 15^ heliocentrischer Breite
erstrecken. In den breiten Bäumen zwischen dem 25. heliocentrischea
Breitengrade und den Polen werden fast nie Sonnenflecken wahrgenon-
men. Diese Thatsache und das eigenthümliche Bild, welches uns die
Sonnenflecken in stark vergrössemden Femröhren darbieten, sowie eigen*
thümliche seitliche Verschiebungen, welche die Spectrallinien inneriudb
der Sonnenflecken erfahren, haben mehr und mehr bei den Astronomen
und Physikern die Meinung befestigt, dass man es in den Sonnenfledrea
mit Wirbelstürmen in der Sonnenatmosphäre zu thun habe, ähnlich den-
jenigen, durch welche in unregelmässigen Zwischenräumen die Schichten
unseres Luftmeeres durch einander geschüttelt werden.
anu aoBSBruem otromaageii bui aer oonDSuoDunitioiie BDMDeii, weicae Tom
Pole zuiQ Aequator oder Knoh umgekehrt gerichtet Bind.
Fftr Störungen des WärmegleiohgewichteB aber einander lagernder
Schicht«n würde die ÄuBBtrahlang der Sonne in den Weltraum einen sn-
reiohenden Omnd geben; fär StrSmungen auf der Sonnenoberfläche, deren
Existenz kanm mehr bezweifelt werden kann ^, musa irgend ein anderer
ErklärnngBgrund gesncht werden, und diesen glaubte Siemens in einer
Einttrdmung tob Gasmassen an den Polen und AoBschleudernng derselben
am Aeqoator ermittelt zu haben.
Die Sonne vollendet eine Umdrehung nm ihre Axe in einer Zeit tob
nngeföhr 25 Tagen 4*/} Stunden, und da ihr Durchmesser nahezu 108 Yj-
mal so gross ist als der unserer Erde, so ist die GesohTindigkeit, mit der
sich Puakte der SoDDenoberfl£ohe am die Axe bewegen, nahezu 4,41 mal
so gross, als in gleichen Breiten die Tan gentialgeach windigkeit eines an
der Erdoberätche gelegenen Pnnktes.
Diese Geschwindigkeit, welche am Aequator der Sonne angelSbr
2 km pro Secunde hetr> und am Pole gleich Null ist, wird nicht ohne
Wirkung auf die in der Nähe der Sonne befindlichen GasmasBen bleiben,
von welchen Siemens annimmt, dasB sie den zwischen den Himmels-
kdrpem befindlichen Weltraam ansfüllen. Diese Wirkung der Rotation
der Sonne am ihre Axe soll non nach Siemens darin besteben, dasB
diese verdünnten Gase aus dem Welträume nach dem Pole bin angeeaugt
■werden.
Während diese Gase im Welträume vermuthlich eine Temperatur
besitzen, die sich wenig Ober den absalnten Nullpunkt ( — 274*0.) er-
hebt'), werden sich dieselben, je mehr eie sieb der Sonnenoberfläcfae
nähern, in Folge der Anziehnng der Sonnenmasse mehr nnd mehr ver-
dichten und dadurch ihre Temperatur erhoben. Schliesslich wird eine
Temperatur erreicht werden, bei welcher die Wiedervereioigmig der bis
dahin in ihre elementaren Bestandtheile verlegten Verbindungen beginnt.
Von diesem wirklichen Verbrenn ungsprocesse nimmt Siemens an, dass
er in der leuchtenden Hülle der Sonne, in der sogenannten Photosphäre,
stattfinde.
Die Temperatur dieser Lichthülle wird daher ungefähr gleich der
Dissociationstemperatur des Waseerdampfea, also ungeiähr gleich 2600** C.
') Vergleiche: ^eje, Wirbelstfirme, Tomadoi and Wetteniulen. Hannoier, Kamp-
ier, 1B7T, S. 161 und Ritter, Anwendangea der mecbu. Winnetheorie aef koBmol.
Probleme. HerDoirer, Rümpler, 1879, S. 1 u. i. f.
^ Die EiUUni solcher SCrömungen wird i^nz nenerdingi tdd PHjie In Abrede geatellt.
') Ans der lebhallen Auwtrnhluiig der ErdoberflSche , welche troti der »chütienden
Atmoephlire atattfindet, und aus den tiefen Temperaturen, welche gelegentlich atatt-
getuoden haben, achliesst man auf eine lefar niedere Temperatur des Weltraumee. Nach
GuTschow tind in Sibirien am SO. üov. 1871 z. B. — eS^C. beobachtet worden.
durch die bei der VereiDigtiiig der Elemente ftm werdcokd« Terbindmg»
wirme einen Eruts für die EnergieTerlnstn bilden, veldi« die Sonne fcit-
vUirend darcb ihre Strafalnng in den W«ltraiini erf&hi4i
kl der EiohtoDg des Aeqoators würdeni didann diese dan^ Tr>
brvnnHng auf der Sonnenoberflftcbe gebildeten Terbindnsgen imder in
deffWeHnrambinansgescbleudert und aerstreat werden. Siemens ninot
an, dssa dnrcb dieae äquatorialen Auistr6muDgen ancb einaelae Partilal-
cben der epeeifiecb schwereren Bestandtheile der Sonne, welche den «igot-
liehen Kern der Sonne bilden, mechanisch mit fortgerinen werden tti
erklärt anf diese Weise einen Tbeil jenes kasmiscben Stanbes, welcher, wie
inait senerdnige bemerkt bat, nicht zv selten auf unsere Erde niadeiWIt'l
DaaZodiakal- oder Thierkreislioht glaubt Siemens eben&lls diesem br 1
mischen Staube zaschreiben bu sollen and' h< das Leuchten dioa |
StanBes tbeils fflr die Wirkung reflectirten Sonnenlichtes, theils fär tat
Pbosphorescenz dieser kosmischen Sabstani^ oder fQr das Licht elektriMte
Entladungen, welche von diesem dnrcb lUibnng ekktrisirten. Steak
rfickwürts nach der Sonue hin statt6nden.
Dnrchi die Energie der Sonnenstrahlen werde alsdann eine ZuäteUmf 1
der Ton der Sonne ansgeschlenderten nnd im Ranme dnrcb ibre Au-
breitmg sehr stark Terdünnten VerbindoDgan v des Wssaerdampfe», is \
Kohlensäure nnd der Kohlenwasserstoffe, bewirkt. Dieser oeaen Hjpotbot 1
liegt somit der Gedsnke zn Grunde, das« die den Weltranm erfOUesdt
Masse einen Kreisprocess durchlaufe. Die toD' der Sonne in ibram.S4nUa I
ausgesendete Energie werde im Weltraum« znm Tbeil absorbirt nod sar
Zerlegung ohemischer Verbindungen verwendeb
hl Form von gegenseitiger Ansiehang chemisch getrennter ElemMA
gelange in' den polaren Einströmungen ein grosser Theil dar früher m
der Senne in ihren Strahlen ausgesendeten Energie wieder atr Sotw
Eurflck. Auf der Sonnenoberfläahe werde die potentielle Energie ekesi-
Bcher Affinität wieder in Wärme umgesetzt. Die erseugte Warna« w«dt
anfs Neue als strahlende Energie in den Weltraum abgegeben^ die Mf
der Sonn» gebildeten chemischen Verbindungen aber werden als etdcbt i
durch die äquatorial» Ansatrömong in den zwischen den-Hinunelnkfirpen
befindlichen Raum zurückgel^hrt. '
Zur Unterstützung der Hauptpunkte seiner Theorie besieht li^
Siemens anf mehrere zum Theil ganz neue, noch wenig bekannte Beob-
achtungen. Als eine Bestätigung seiner Anschannogen betrachtet er «s.
dass mehrere bis jetzt anverständUch gebliebene Thateachen TcrstäxuOicfc
werden würden, wenn man die Grundlagen seiner Theorie zngiebt.
■) Bnonden hat SchwedorC in den SUabdeckrn iit Sehne«! iiaSf Sabdn^
gefoDden, welche et für koKaiEcben Uraprunges hSlU
B. Die Erbaltimg der Sonnenenergie. 829
0. Ist der WeltrauiDL mtt verdünnteii Oasen erfüllt f
Die ei»te der Siemens' sehen Voraussetzungen , dass der zwisdien
den Gestirnen befindliche Baum nicht leer sei, sondern von sehr yerdUnn-
ten Gasen .erfüllt werde^ ist von Newton^) an bis auf die neueste JZeit
Yon vielen Naturforschem als richtig angesehen worden. Sofern man die
Grundlagen der kinetischen Gastheorie, wie sie von Clausius »und Max-
well begrftndet vund von Boltzmahn, O.E. Meyer, von der W^ials
und Anderen mit so viel Erfolg ausgeführt worden ist, als richtig an«
erkennt , ist ein leerer Raum neben den Atmosphären der Planeten ^ar
nicht denkbar. Dazu kommt, dass die spectroskopischen UnterBuchangen,
welche in neuerer Zeit wiederholt auf den Gipfeln der höchsten Bei:ge
angestellt worden «ind, es sehr wahrscheinlich machen, dass gewisse von
den Himmelskörpern ausgesendete Strahlen, welche beträchtlich jenseits
des violetten Endes des ^sichtbaren Spectrums liegen würden, in dem
zwischen den Uimmelskönpern befindlichen Räume absorbirt werden, wäh-
rend vermuthlich hauptsächlich Strahlen, welche jenseits des rothen sieht"
baren Endes des Spectrums liegen, in der Atmosphätre^ unserer Erde
zurackgehakeu werden. Insbesondere hat Abney^) imd ausserdem
Langley^) durch Yersache mit den von Rowland hergestellten con-
caven Diffractiousgittern , deren über einander liegende Spectra sie
durch Steinsalzprismen von einander sonderten , nachgewiesen^ daas die
Länge des Spectnums der Sonnenstrahlen eine ungefähr neunmal so grosse
Ausdehnui^g besitzt, als das für gewöhnlich unserem Auge sichtbare Spec-
trum. Bei Beobachtungen «auf sehr hohen Bergen, z. B. auf dem beinahe
4000 m hohen Mouut Whitney, konnten noch Partien des Spectrums ,ge-
sehen werden, <7on welchen man gewöhulich annahm, dass £ie nahezu
vollständig von der Augensubstanz absorbirt würden und deshalb die
Netzhaut nicht mehr erregen könnten. Obgleich auch eine nicht unerheb-
liche Ausdehnung des Spectrums über das ultraviolette Ende hinaus
wahrgenommen wurde , zeigte sich doch dort das Spectram so scharf be-
grenzt, dass man glaubte, die Ursache nur der Anwesenheit absorbirender
Kohlenwasserstoffe in dem Baume zwischen der leuchtenden Sonne und
der Erde zuschreiben zu müssen. Freilich dürfte damit die Frage noch
nicht entschieden sein, ob diese Absorption durch Kohlenwasserstofife
M Newton, Principia Üb. III, prqpos. 12, vergl. auch Sterry Hnnt, Celestial
chemistrj from the time of Newton. Americ. .Journ. of Science, Febr. 1882.
^) Abney und Langlev, Sunlight and skyJight at bigh altitudes, Nature (1882)
Bd. XXVI, S. 586.
^) Langley, Die auswählende Absorption der Energie der Sonne, Ann. d. Phys.
u. Chem. 1883, Bd. XIX, S. 226 u. S. 384.
830 IV. Anwendungen anf Meteorologie und Astronomie.
allein in der Sonnenatmospbäre , oder auch merklich in dem dazwisehea
liegenden Räume stattfinde. Durch Messungen von H. Vogel ^) (Pots-
dam) und spectrophotometrische Untersuchungen von Gouy und Tfaol-
1 0 n ') ist nachgewiesen worden, dass ultraviolette Strahlen um so weniger
von der Sonne ausgesendet werden, je mehr die strahlenden Stellen sich
dem Bande nähern.
Dies ist nur dadurch erklärlich, dass die Bandstrahlen der Sonite
durch eine dickere Schicht einer lichtabsorbirenden Sonnenatmosphlre
hindurchgehen, als die centralen Strahlen. Die Art der Absorption macht
es sehr wahrscheinlich, dass diese Atmosphäre Kohlenwasserstoffe ent^
hält. Wird aber die Sonne von einer GashfiUe umgeben , in weldier
solche Stoffe enthalten sind, so müssen in Folge der Difiosion anck
in dem zwischen den Gestirnen befindlichen Baume derartige Gase vor>
kommen.
Ist im Welträume sehr vei*d&nntes Gas irgend welcher Art vorhan-
den, so müsste sich an der Oberfläche der Planeten und aach derea
Trabanten eine verdichtete Schicht derselben Gase finden. In der Thst
hat man bei der letzten Sonnenfinsterniss in der nächsten Nähe des Mond-
randes eine auffällige Verbreiterung der Frauenhof er 'sehen Linie B
beobachtet, und dieser Umstand deutet auf die Existenz einer Wasserstoff-
haltigen Atmosphäre am Mondrande hin. Nicht minder kann es als eise
Unterstützung der Sie mens' sehen Hypothese angesehen werden, dasi
nach Beobachtungen von Huggins'), YogeH), Tacchini^) and Yiekn
Anderen mindestens die Kerne der Kometen mit eigenem Lichte leuchten
und deutlich die Bandenspectren von Kohlenwasserstoffen erkennen lassen,
wie sie ungefähr Petroleum und verwandte Körper zeigen. Auch die An-
wesenheit von Stickstoff ist in einigen Kometen erkannt worden, da man
deutlich das Spectrum des Cyangases gesehen hat. Nach den Untere
suchungen von Schiapparelli^) ist es sehr wahrscheinlich geworden,
dass die Hauptmasse der Kometen aus einzelnen festen Meteorateinen
besteht. Ein neuerdings niedergefallener und von Flight^) unmittelbar
nach seinem Auftreffen untersuchter Meteorstein hatte eine Gasmengs
eingeschlossen, welche bei Atmosphärendruck ein sechsmal so grossei
Volumen einnahm, als der Stein selbst. Die Analyse des Gases ergab
nachstehendes, überraschendes Besultat:
1) H. C. Vogel, Monateber. d. Berl. Akad. 1877, S. 104.
*) Gouy und T hol Ion, Compt. rend. Bd. XCV, S. 834.
8) Huggins, Nature 1882, Bd. XXVI, S. 179.
*) H. C. Vogel, Astronom. Nachr. Bd. CII, S. 159 und S. 201.
B) Tacchini, Compt. rend. Bd. XCIII, S. 849.
^) Schiapparelli, Entwurf einer astronomischen Theorie der Stemscbnappn.
Uebersetzt von G. v. Boguslawski.
^) Siemens, On the Conserv. of Solar Energy, London, Mncmillan, 1883, S. 9.
Äethylen C,H, 4,55
Stickstoff N . . ; . ■ 17,66
100,00
Das Speotrnni eines glfibendea Gaagemisohes, welches die vorBtebeode
ZaBammenBetznng hatte, wftrde ToUetändig mit den beobachteten Kometen-
Bpeotren abereiuBtimmeD. Siemens yermnthet, dass der Meteorit in dem
mit solchen Gasen erfüllten Weltraame dieselben in seine intromolecnlaren
Zniechenraume aufgenommen, sie occludirt habe. Das Glühen nndSelbst-
leuchtend werden der Kometenkeme wflrde sich dann in der Weise er-
klären, dass, weil bei Anu&herung an die Soddo die Bahngesohwiadigkeit
der Kometen zunimmt, durch lleibung an der in der N&he der Sonne
dietiteren Auefflllnog des Weltraumes die Ueteorateinschw&rme glühend
werden und dann die occludirten Gase abgeben , walche ihrerseita zur
Bildung des Schweifes heitragen. Berficksiobtigt man, dass bei derartigen
Beibungspbanomenen jedenfalls nicht nnbeträebtliche ElektricitAtsmengen
erzeugt werden, und dass aller Wahrsoheinlichkeit nach die Sonne ein
erhebliches elektrisches Potential besitzt, so wflrde, sofern die Sonne und
der Kometenschweif gleichnamige elektrische Polarität h«i&sseii, die eigen-
thftmliche Form und Bichtang der Kometenschweife ihre natttrliche Er-
klärung finden kQnnen ').
Man muss doch jedenfalls nach Analogie irdischer Vorgänge an-
nehraen, dass ein Komet, wenn die Siemens'sche Ansicht richtig ist,
wthrend eines Durchganges durch das Peribel den grössten Tbeil des
occladirten Gases dnrch Zerstreuung in den Weltranm Terliert; dennoch
flehen wir seihst solche Kometen, wie z. B. den Encke'sohen, deren Bahnen
ToUstftndig innerhalb unaerea Sonnen Systems liegen, bei ihrer Rftckkehr
in die Sonnennähe immer wieder in alter Weise leuchten. Dies würde
Dar dadnrch erklftrlich sein, dasa die den Kometen zasammenaetzeiiden
Heteorsteine in grösserer Entfernung Ton der Sonoe eich anfa Nene ab-
gekühlt und die im Waltraume enthaltenen Gase wieder absorhirt haben.
Dem Einwände, dasa auch unsere ErdatmosphKre diese Gase enthal-
ten müseei wenn der Weltraam mit WasBeratofF nnd Kahlen wasserstofi'en
erfüllt wäre, glaubt Siemens dadurch begegnen zu können, dass er be-
hauptet: an der Oberfläche eines Tsrhättniag massig kalten, stark anziehend
wirkenden Planeten würden nur merkliche Quantitäten der achweraten
Gase grÖBsere Dichte annehmen.
') BeUontlicti hit achoo ZEIlber io der Schrifl: „Ucbn- dia Natur der KometeD,
Leipzig 1872", dem Vorging« von Olberi folgtsd, Tenacht, die eigenthümlichea an
Kometen beobachteten Emheinangen durch elektriiche Fenurlitangcn iwiMheo Saune
und Komet eumaibe t\i eiklärfn.
092 lY. Anwendungen am Meieoroiogie una Astronomie.
10. Werden hoohverdünnte Oase dnroh Sonnenstralilen
dissociirt?
Die zweite Voraassetzung der Siemens' sehen Hypothese hat liupl-
sächlich nur hinsichtlich ihrer physikalischen Seite Einwendangen erfiik-
ren, hingegen auffälliger Weise wenig von Seiten der Chemiker. Die tm
Einwendung, welche yonFitzgerald^) gemacht wurde: «Wie man ä
Sterne sehen könne , wenn die Energie der Strahlen derselben durch da
den Weltraum erfüllendes Medium absorbirt und in chemiBche Enerpt
umgesetzt würde?" hat Siemens dadurch zurückgewiesen, dasa er dv-
auf aufmerksam machte, dass es wohl Torzugsweise die nltraTioktUt.
also uns unsichtbaren Strahlen wären, welche im Welträume zuritt-
gehalten würden^).
Um die Möglichkeit einer Dissociation hochverdünnter Gase dani
Sonnenlicht und elektrisches Licht darzuthun, hat William Siemeti
G ei 8 sl er 'sehe Röhren, in welchen verschwindende Spuren von W
dampf, Yon Kohlensäure oder von Kohlenwasserstoffen enthalten
theil weise mit Kältemischungen bedeckt, so dass die Röhren bis u:
-— 82^0. abgekühlt wurden. Der Gasdruck in diesen Röhren wmi
dadurch so beträchtlich vermindert, dass der elektrische Funken niÄ
mehr hindurchgingt).
Wenn er alsdann auf den nicht von der Kältemischnng bedeckte
Theil die Strahlen der Sonne oder einer kräftigen elektrischen Bogea*
lampe wirken liess, trat nach einiger Zeit der elektrische Fanken i.n de
Geissler 'sehen Röhre wieder auf. Siemens glaubt, daas die mt
^ getretene Dissociation der verdünnten Gase die Yeranlassung hiem f^
wesen sei. Eine quantitative Bestätigung seiner Yermuthung iatSiemeu
schuldig geblieben, weil sich derselben, wie leicht begreiflich, fast unäba-
steigliche Hindernisse in den Weg stellen. Dass durch strahlende Elnergv
von hoher Temperatur gasförmige chemische Verbindungen zersetxt
den können, hat Siemens durch ein interessantes Experiment bewi<
Er lenkte die durch einen guten parabolischen Reflector concentriitK
Sonnenstrahlen auf eine brennende Leuchtgasflamme und fand , dass &
Verbrennung durch die eintretende Dissociation der Gase erheblich nr-
zögert, wenn auch nicht ganz aufgehoben wurde ^).
^) Dr. Siemens* Solar Hypothesis. Natore, 1882, Bd. XXVI, S. 80.
^) Werner Siemens, der Bruder von Will. Siemens, bat m seiner Abb««'
Innf^: „Ueber die Zalässigkeit eines elektrischen Sonnenpotentiales and dessen BedevtsK
zur Erklärung^ terrestrischer Phänomene", Ann. d. Pbys. u. Chem. Neue Folge, Bd.IXr
S. 108, darauf hingewiesen, dass möglicher Weise die Dissociationsarbeit bereits ia ^
Hauptsache ToUendet sei und jetzt nur die geringen Mengen zu zerlegen seien , wek^«
fortwährend aufs Neue von der Sonne ausgesendet werden.
^) Siemens, Conserv. of Sol. Energy, S. 22 bis 27.
*) Ebend. S. 77.
B. Die Erhaltung der Sontiönenergie. 833
DasB auch Andere nicht ohne Bedenken gegen die von Siemens yor-
ansgesetzte Dissociation hoch verdünnter Gase durch Sonnenstrahlen ge-
wesen sind, heweist der UmstAud, dass Naturforscher, welche sonst mit den
(rrnndlagen der Siemens'schen Theorie einverstanden sind, versucht
hahen, die Theorie von dieser Hypothese unabhängig zu machen. So hat
z. B. Ch. Mor r i s ^) die Dissociation durch das Sonnenlicht in Abrede gestellt
und darauf hingewiesen, dass in dem Maasse, als die Sonnenenergie durch
Ausstrahlung verliert, durch Bildung chembcher Verbindungen, welche
vorher dissociirt waren, neue Energiemengen frei werden ^). Da auf diese
Weise allmählich der Vorrath der Sonne an potentieller Energie, und
wäre derselbe auch noch so gross, in strahlende Energie umgesetzt und
verloren gehen würde, so acceptirt Morris die Einströmung von Gas-
massen an den Polen und die Abschleuderung gasiger Bestandtheile in
der Richtung des Sonnen äquators. Er weist nur darauf hin , dass , wäh-
rend der Energieinhalt der in der Sonne zusammengeballten Masse
durch Strahlung fortwährend vermindert wird, der Ehergievorrath der
ausserhalb der Sonne im Welträume zerstreuten Masse um den von der
Sonne verlorenen Betrag zunehmen müsse. Während die Sonne am
Aequator Masse von verhältnissmässig geringem Energieinhalte ab-
schleudere, ströme am Pole Masse ein, welche einen relativ grösseren
Energieinhalt besitze.
11. Die Temperatur der Sonnenoberfläohe.
Einen auffalligen Contrast zu den früheren Ansichten über die
Temperatur der Sonne bildete der durch die Siemens^sche Hypothese
geforderte, verhältnissmässig geringe Betrag der Temperatur der Sonnen-
oberfläche. Man war bisher gewöhnt, für die Temperatur der Sonne
ausserordentlich grosse Zahlwerthe anzunehmen, un.d zwar wurde man
auf diese durch die Wärmemengen geführt, welche bei dem Zusammen-
ballen und allmählichen Verdichten der heutigen Sonnenmasse aus dem
Urnebel frei geworden sein müssen. Secchi^) nimmt z.B. für die Sonnen-
temperatur 5 bis 10 Millionen Grade an, Newton^) und später Wat er-
sten^) und Eriosson^) halten auch die Temperatur der Sonne über
1) Morris, Nature, Bd. XXV, S. 601.
^) Diese Meinung, der Vorratli der Sonnenmasse an potentieller Energie sei derart
über alle Begriffe gross, dass man den jährlichen Verlust nicht bemerke, findet sich
auch bei Secchi; vergleiche dessen Buch, Die Sonne, 1. Aufl. S. 600, Westermann,
Braunschweig.
5) Secchi, Die Sonne, 1. Aufl. S. 595.
^) Newton, Principia, üb. III, propos. 12.
6) Waterston, Phil. Mag. 4. Ser. Bd. XXIII, S. 497.
^) Ericsson, Solar investigations, Nature, Bd. XII u. Xlll.
B ü h I m a n n , Mechan. Wärmetheorie, Bd. II. 53
834 IV. Anwendungen auf Meteorologie u. Astronomie.
Millionen Grad gelegen. Rossetti^) glaubt auf Grund seiner Yergleiclmn-
gen der Strahlen des Sonnen- und des elektrischen Lichtes die Tempe-
ratur der Sonnenoberfläche in der Nähe von lOOOO^C. gelegen. Kad
der Siemens^ sehen Hypothese sind Sonneutemperatur und Sounenliclit
wesentlich Erscheinungen, die ihren Ursprung in den chemischen Vor-
gängen haben, welche sich in der Sonnenatmosphäre vollziehen. Die au
dem Welträume nach den Polen hinströmenden dissociirten Gase werden,
je mehr sie sich der Sonnenoberfläche nähern, um so mehr verdichtet aod
dadurch erwärmt. Wenn die Dissociationstemperatur erreicht worden ist
wird die Verbindung, d. h. die Verbrennung der Gase beginnen. Die«
Verbrennung wird, während die Gase nach dem Aequator hinwanden,
fortdauern, und zwar wird immer der Wärmeverlust in Folge von StnJi-
lung und Expansion der wieder aufsteigenden Gase durch Wärmeeot-
Wickelung bei der Bildung chemischer Verbindungen ausgeglichen werden.
Die Temperatur der Sonnenatmosphäre wird daher sehr nahe gleich der
Dissociationstemperatur derjenigen Verbindung sein, welche die grösste
Wärmetönung besitzt. Diese Verbindung dürfte wohl unzweifelhaft du
Wasser sein, dessen Bestandtheile in der grössten Höhe verbrennen wir
den. Die specifisch schwereren Verbindungen besitzen zumeist höhere
Dissociationstemperaturen und werden schon iui tiefer liegenden, also
heisseren Regionen der Sonne verbrennen.
Durch diese Betrachtung wird Siemens veranlasst, die Temperatsr
der Sonnenoberfläche gleich, oder, weil uns der Druck nicht bekannt in
unter welchem sich die Verbrennungsvorgänge auf der Sonne vollzieheo.
wenig höher als die Dissociationstemperatur des Wasserdampfes , das ist
ungefähr gleich 2800 bis 3000<^C., zu setzen.
Alle neueren, sorgfältig ausgeführten Messungen über den Zusammen-
hang zwischen Strahlung und Temperatur führen für die Oberflächei*
temperatur der Sonne auf Zahlwerthe, welche vollständig oder sehr Dibe
mit dem von Siemens theoretisch abgeleiteten Werthe überein stimmee.
VioUe^) wird durch seine bereits im Vorhergehenden erwähnten unter
suchungen auf eine Temperatur von ungefähr 2000® gefuhrt. Durck
Einwendungen, welche man später gegen die Methode seiner Rechnung
gemacht hat, ist er veranlasst worden, ungefähr 3000^ für den wahr
scheinlichsten Werth anzugeben. Langley') hat dieselbe Methode
eingeschlagen , deren sich V i o 1 1 e bedient hat. Er verglich nämlich die
Strahlung einer in einem Bessern er-Converter glühend flüssigen Metall-
masse, deren Temperatur bekannt war, mit der Strahlung eines gleich
grossen Flächenstücks der Sonne und wurde dadurch zu einem Werthe
von 2800<^ für die Temperatur der Sonnenoberfläche geführt. Einen etir«
1) Rossetti, Nuovo Cim. 3. Ser. Bd. 111, S. 238.
8) Violle, Ann. de chim. et de plm. 5. Ser. Bd. X, S. 289 bis 361 u. Bd.XVÜ,
S. 391 bis 429.
') Langley, Proceedings of the American Acadeniy of Arts and Sciences, 1^78,
S. 106.
B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
835
höheren Werth, nämlich 5500^, hat Stefan^) ans einer sorgfältigen Dis-
cnssion der Messungen abgeleitet, welche Soret^) über die Ausstrahlung
einer im Enallgasgebläse glühenden Zirkonscheibe und deren Vergleich
mit der Strahlung der Sonne angestellt hatte.
Anch Siemens^) ist durch Messungen auf einen Werth geführt
worden, welcher vollständig mit den Consequenzen seiner Theorie überein-
stimmt. Er geht von dem Gedanken aus, dessen Bichtigkeit man schwer-
lich wird bestreiten können, dass, wenn die Temperatur zweier Körper
dieselbe sei, auch das Verhältniss des sichtbaren Theiles und des unsicht-
baren Theiles der Strahlen dasselbe sein müsse. Er fand nun:
Name der Lichtquelle
Temperatur
Verhältniss der
leuchtenden zu den
nichtleuchtenden
Strahlen
yasflamme
Uektrisch glühend gemachter Platindraht . . . .
lektrisches Bogenlicht von 5 Amperes hei 36 Volts
Spannung
Ilektrisches Bogenlicht von 42 Amperes bei 43 Volts
Spannung
onnenstrahlen
1700°C.
2100'* C.
2500«» C.
25
l_
24
10
_1_
4
-L
4
Man könnte nun leicht in diesem verhaltnissmässig niedrigen Werthe
er Temperatur der Sonnenoberfläche einen Widerspruch mit dei\jenigen
onsequenzen der mechanischen Wärmetheorie yermuthen, welche für
ie Temperatur des Sonneninnern zu unvergleichlich viel höheren Wer-
len führen. Dieser Widerspruch ist jedoch nur ein scheinbarer; denn
e Dicke der Schicht, welche uns vorzugsweise Licht und Wärme zü-
ndet, ist jedenfalls nicht unbeträchtlich^), wenn sie auch vermuthlich
i Vergleich zum Sonnendurchmesser ausserordentlich dünn ist. Schon
isere gewöhnlichen Flammen geben, wenn man Sonnenlicht oder elek-
Isches Licht auf sie fallen lässt, deutliche Schatten. Es ist daher ganz
*) Stefan, Berichte der Wiener Akademie. Math.-Naturw. Abth. Bd. LXXIX,
jaratabdruck.
*) Soret, Archives de Genive. 3. Ser. Bd. I, 1878, S. 79.
8) Siemens, Conserv. of Solar Energy, S. 58.
*) Nach Ritter*8 Rechnungen würde die Dicke der Photosphäre ungefähr 25km
ragen.
53*
836 IV. Anwendungen auf Meteorologie u. Astronomie.
unwabrscbeinlicb, dass viele von den aus den heisseren, tieferen Sodu
schichten herrührenden Strahlen die mehrere Meilen dicke Photofpk
zu durchdringen vermögen. Für unsere Erde ist nur die Oberfl&d
temperatur der Sonne von Belang, und diese kann sehr gut verbältH
massig niedrig sein.
Hirn, welcher sich durch schöne Experimentalarbeiten hobeV
dienste um die mechanische Wärmetheorie erworben hat, gehört ni
entschiedensten Gegnern der Siemens^schen Hypothese von derl
haltung der Sonnenenergie. Er bestreitet auch, dass die Tempentori
Sonnenoberiläche zwischen 2800 und 3000^ liege, and zwar weist«
daraufhin, dass Körper, welche im Brennpunkte grosser Hohlspiegel di
Sonnenstrahlen zum Glühen und Verdampfen gebracht werden, hA
Temperaturen als die angegebenen annehmen. Nach einem von Cli
sius^) wohlbegründeten Satze kann aber ein Körper im Breonpa
eines Hohlspiegels niemals eine höhere Temperatur annehmen, ab kl
stens die Temperatur der Wärmequelle , deren Strahlen im Focos t
einigt wurden. Stets wird wegen unvermeidlicher Wärmeverloste £
Temperatur beträchtlich niedriger sein. Hirn giebt nicht an, oben
auf eigene Versuche über die durch Hohlspiegel erzeugten Tempenti
stützt. Siemens^) aber theilt mit , dass die Gluth von Kohleoftteki
auf welche er die durch seinen Hohlspiegel concentrirten Sonnenstnii
lenkte, niemals die Temperatur erreicht habe, welche im Flammeiüiui
sehr starker elektrischer Lichter oder in seinem elektrischen SdiK
apparat hergestellt werden kann^).
12. Einwendungen aus der hinmilisohen Bleolianik fff
die Siemens'solie Hypothese.
Die zweifellos schwerwiegendsten Bedenken gegen die Sienefi^
sehe Sonnenhypothese sind vom Standpunkte der Mechanik aus erU
worden. Von Seiten der Astronomen wird vielfach behauptet, dfta^
selben genöthigt wären, einen absolut leeren Weltraum anzoneboeo, *
sonst merkliche Störungen der Bewegungen der Himmelskörper eioti^
müssten ^). Ein im Welträume enthaltenes gasförmiges Mittel Ton iif
welcher merklichen Dichte müsste den mit ausserordentlicher Ge«li*
1) Hirn, Compt. rend. Bd. XCV, S. 812 und S. 1015.
2) C 1 a u s i US , Mechanische Wärmetheorie. Friedrich Vieweg u. Sohn, Braoo*'^
2. Aufl. 1874, Bd. I, S. 314.
3) Siemens, Conserv. of Sol. Energy, S. V7.
*) Siemens, Conserv. of Sol. Energy, S. 91.
^) Vergl. Faye, Compt. rend. Bd. XCV, S. 615 und Hirn, Compt. reni Bi^^
S. 812 und S, 1195.
15. JJie trnaltung der Sonnenenergie. 837
Li^keit in ihren Bahnen sich bewegenden Weltkörpern einen Beibungs-
viderstand entgegenstellen; dieser würde bewirken, dass die Bahnen der
limmelskörper nicht mehr Ellipsen blieben, sondern dass sich Planeten
ind Kometen in spiraligen Curven und mit wachsender Geschwindigkeit
nelir und mehr der Sonne näherten. Unzweifelhaft könnten derartige
^Veränderungen nicht unbemerkt bleiben, da beispielsweise die Umlaufs-
seit unserer Erde um die Sonne mit solcher Genauigkeit bestimmt ist,
laBs ein Unterschied von + 90 Secunden auf den Zeitraum von 3000 Jah-
ren bereits die durch die Beobachtungsfehler bedingte Grenze überschrei-
ben würde. Hirn behauptet, dass schon 1 kg Masse in 700 Millionen
Gnbikmetern, also eine Dichte, welche gleich r-r^ von der ist, welche die
Luft bei Atmosphärendruck besitzt, in Veränderungen der Umlaufszeiten
eich merklich machen müsste. Eine derartige Verdünnung würde aber
viel geringeren Dichten entsprechen, als die sind, welche wir mit den
besten Luftpumpen in sogenannten Vacuumröhren zu erreichen im Stande
sind. Auch behauptet Hirn^) weiter, dass selbst so geringfügige Dich-
ten der Masse in dem bisher für leer gehaltenen Welträume genügen
würden, jede Atmosphäre von den Planeten hinwegzufegen. Siemens
wendet zwar hiergegen ein, dass selbst eine so ausserordentlich geringe
Dichte für seine Hypothese ausreichen würde, und dass es falsch sei, den
Keibungs widerstand, welchen ein Körper von der Grösse und Bewegungs-
geschwindigkeit eines Planeten in einem unbegrenzten Mittel von ausser-
ordentlich geringer Dichte erfahre, nach den Formeln zu berechnen, nach .
welchen die Geschwindigkeitsverluste von Geschossen in der Atmosphäre
dargestellt werden können. Er stützt sich hierbei auf die Theorie der
Stromlinien von Fronde und auf Versuche, welche die Ingenieure Fow-
1er und Baker ^ angestellt haben.
Besonders wichtig erscheint es, dass schon im Jahre 1863, also lange
vor der Aufstellung der Siemens' sehen Hypothese, die grösste Autorität
auf diesem Gebiete, Hansen'), den Widerstand der im Welträume ver-
breiteten Materie für eine der Ursachen der Säcularänderung der mittle-
ren Länge des Mondes angesehen hat. Er weist darauf hin , dass der
Laplace'sche^) Beweis für die Unveränderlichkeit der Bewegungen in
unserem Planetensysteme, auf welchen sich Hirn's Einwurf stützt, nicht
richtig sein könne, denn der von Laplace aus dieser Annahme berech-
nete Werth des Coefficienten der Säcularänderungen der mittleren Länge
*) Hirn, Compt. reod. Bd. XCV, S. 1197.
^) Vergl. Conserr. of Solar Energy S. 61. Neben einander aufgestellte Anemometer,
von welchen das eine Platten von 27 qm, ein anderes solche von 0,18 qm besass, er-
gaben Winddrucke von 35 resp. 65 kg pro qm und nicht, wie man nach den bisherigen
Theorien annehmen sollte, gleiche Werthe.
8) Hansen, Ber. d. Sachs. Ges. d. Wissensch., Math.-Phys. Classe Bd. XV, S. 1.
*) Laplace, M6canique Celeste, Tome II, S. 347, Tome III, S. 17«, Tome V,
S. 72 u. S. 361.
des Mondes zeige für die alten FiDsternisse nicht die wünscheDswertli
VebereioBtimmung (vergleicbe auub den SchlusB des näcbsteD C«[utdi|
Von anderer Seite*) ist eingewendet worden, dam, wenn ancli 4
Centrifugalkraft an der Oberfläche der Sonne betr&cbUich grösser ist, ij
die an der Erdoberfläche, doch andererBeita die AcceleratioQ der Sehn
an der Sonnen Oberfläche 27,625 mal so gross ist, als die am Aeqnator i
Erdoberfläche-, dasa somit die Rotation der Sonne nm ihre Axe eine il
schleuderaog von Masse am Aequator nnd ein Einsangen von dergteidi
am Pole nicht hervorbringen könne.
Wäre dies jedoch der Fall, so inÜBsten ancb in der Atmospliii
welche nnseren Planeten nmgiebt, heftige aufsteigende Winde zu bddi
Seifen des Aequators in der tropischen Zone nnd kr&ftige niederBteignt
Lnftströinnngen in den arctischen Regionen wahrnehmbar sein.
Hiergegen hat Siemens*) nicht mit Unrecht eingewendet, daai
nicht anf die absolute Grösse der von der Sonne ansge&bten Annebug
sondern nur darauf ankomme, dass eine Differenz zwischen der am Aeqm
tor durch die Centrifugalkraft verminderten und der am Pole angeachvidq
wirkenden Anziehungskraft bestehe. |
Betrachtet man zwei gleich groese Massen mp nnd »•„, tod weldn
sich die erste am Pole, die andere am Aequator, beide im Abstaade R ra
Sonnenmittelpunkte, befindet, so wird die von der Sonne auf beide Vw-
sen ausgeübte Anziehungskraft gleich gross und zwar, wenn wir miif
die Acceleration der Massenanziehung bezeichnen, gleich :
sein. Auf die Masse n>a wirkt nun aber noch eine zweite Kraft, nämlÄ
die Centrifugalkraft, und diese ist, wenn v die Geschwindigkeit beicxi-
net, mit der sich m„ bewegt, gleich:
Diese Kraft ist der Anziehung entgegengesetzt gerichtet Darana ergieb;
eich, dass schliesslich die aaf beide Massen wirkenden Kräfte oicbt ndr
gleich, sondern:
g.Wp g.ffl. ffl„.c' ^
S* -^ R^ R •'
ist. Das zweite Glied der rechten Seite ist nur von dem Betragt
des ersten. lo Folge dieses Unterschiedes, behauptet Siemens, mütib
am Pole eine Einströmung (polar inflow) und am Aeqnator eine Ak-
strömUDir ('aeanatorial nnl.flnw'l ntAtfRnHnn.
B. Die Erhaltung der Sonnenenergie. 839
Wenn man eine grössere Kugel (z. B. einen Globus) mit einem Drahte
an die Axe eines Kotationsapparates anhängt und in rasche Umdrehun-
gen versetzt , so wird die den rotirenden Globus umgebende Luft in der
That in der Richtung der Botationsaxe angesaugt und in einem ziemlich
schmalen Streifen am Aequator abgeschleudert. Diese Bewegung der
Luft erkennt man leicht, wenn man das Experiment in einem mit Bauch
erfüllten Zimmer anstellt und die Contouren der rotirenden Kugel in dem
sonst massig erhellten Baume durch ein breites Bündel heller Lichtstrah-
len erleuchtet.
Eine wesentliche Bestätigung glaubte Siemens^) auch in den Be-
obachtungen über die eigenartige Ausdehnung der Corona erblicken zu
dürfen, welche bei den letzten Sonnenfinsternissen wiederholt wahrgenom-
men worden ist.
Bei totalen Sonnenfinsternissen erblickt man nämlich neben dem
dunklen Mondrande nach allen Seiten Strahlen eines perlenglänzenden
Lichtes» welches in unmittelbarer Nähe des Randes von blendender Hellig-
keit ist, ohne jedoch die Helligkeit der rothen Protuberanzen ganz zu er-
reichen. Während die innere Corona nur einen Ring - von ungefähr
vier Bogenmiuuten Breite bildet, erstrecken sich Strahlen der äusseren
Corona oft bis auf eine Entfernung von mehreren Graden vom Sonnen-
rande. Zumeist besteht die äussere Corona aus zwei auf einander senk-
rechten breiten Strahlenbündeln, deren Richtungen nahezu mit der des
Aequators und der Axe der Sonne zusammenfallen. Wäre die Richtung
dieser Coronastrahlen genau die des Aequators und der Axe der Sonne,
so würde man mit Siemens berechtigt sein, in diesen Strahlen Ströme
von an den Polen eingesaugten und am Aequator abgeschleudf^rten Mas-
sen zu erkennen. Man würde hierzu um so mehr berechtigt erscheinen,
als die Corona nicht nur das Spectrum eines selbstleuchtenden glühenden
Gases zeigt, sondern ihr Licht auch deutliche Spuren einer Polarisation
erkennen lässt, woraus man sohliessen muss, dass ein Theil ihres Lichtes
reflectirtes Sonnenlicht ist. Leider zeigt jedoch eine genaue Betrachtung
der bei den letzten grossen Sonnenfinsternissen beobachteten Coronastreifen
eine nicht unerhebliche Abweichung von der äquatorialen und der dazu
senkrechten Richtung ^), so dass mau meiner Ansicht nach nicht berechtigt
ist, diese streifenförmigen Vergrösserungen der Corona mit den Sie mens' -
sehen Aus- und Einströmungen zu identificiren.
^) Siemens, Conscrv. of Solar Energy, S. 17.
^) Vergl. Ranyard's Zeichuuogen in Mem. of the Britt. Koy. Aötronom. Soc.
Bd. XLI, ferner: Report and Observations upon the Total Eclipse of the Sun, July 29.
1878 in Annual Report of the Chief Signal Officer. Jahrg. 1881. Washington, S. 800.
840 IV. Anwendungea auf Meteorologie u. Astronomie.
13. Elektrische Vorgänge, welche für die Siemens'sclie
Hypothese sprechen.
Werner Siemens^) hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Ai-
nahme, die Sonne hesitze eine elektrische Fernewirkung (ein- elektriscki
Potential) nur dann zulässig ist, wenn man voraussetzt, dass nicht nr
unausgesetzt auf der Sonnenoberfläche Scheidungaprocesse der bdda
Elektricitäten stattfinden, sondern dass die eine der beiden EUektricititei
durch einen Vorgang nach aussen abgeführt wird, während die andere
Elektricität in der Sonnenmasse zurückbleibt. Dass bei den. fortdanenl
mit ausserordentlicher Stärke in der Sonnenatmosphäre sich YollzieheDdei
chemischen Processen grosse Mengen von Elektricität entwickelt werda
müssen, kann bei dem nahen und ursächlichen Zusammenhange zwiBeha
chemischer Thätigkeit und Elektricitätsentwickelung wohl kaum bezweifeä
werden. Bekanntlich werden aber immer gleiche Mengen beider Buk-
tricitätsarten gebildet. Wäre keine isolirende Zwischenschicht yorhuidei.
wären also alle Theile der Sonne elektrische Leiter , so würden die ebei
getrennten Elektricitäten sich sofort unter Wärmeentwickelung wieder
yereinigen. Nun kann man sich zwar sehr wohl denken, dass diejenigi
Schicht der Sonne, in welcher sich die chemischen Processe hanptsachbd
abspielen, eine dauernde Trennung beider Elektricitätsarten beviiit,
derart, dass die eine Elektricitätsart nach der dem Sonnenmittelpiiiikie
zugewendeten Seite, die andere nach aussen getrieben würde. Auch dasi
aber würde eine elektrische Femwirkung nicht möglich sein, ebensowemf
wie eine geladene Leydener Flasche eine solche ausübt.
Nur wenn die in den äusseren Schichten vorhandene Elektricitätiait
dadurch abgeführt wird, dass die mit einer Art Elektricität geladesa
Massentheilchen in einer ähnlichen Weise von der Sonne entfernt werdet,
wie dies William Siemens in seiner Hypothese voraussetzt , ist ea
Ueberwiegen der einen der beiden Elektricitäten über die andere auf der
Sonne , und dadurch eine elektrische Femwirkung der Sonne , ein elek-
trisches Potential derselben, möglich.
Die Annahme eines elektrischen Potentials der Sonne gestattet aber
eine Menge von eigenthümlichen Naturerscheinungen zu begreifen, welebe
bisher vollständig unverständlich waren; deshalb haben von jeher ebe
grosse Zahl hervorragender Naturforscher die Existenz eines elektrischei
Sonnenpotentials vorausgesetzt '). Diese Naturerscheinungen sind enteD«
^) Werner Siemens, Ueber die Zulässigkeit der Annahme eines elekthscbn
Sonnenpotentials und dessen Bedeutung zur Erklärung terrestrischer Phänomene (l9A^\
Wiedem. Ann. Bd. 20, S. 108.
^) Wir nennen hier blos Olbers, J. Herschel, Lamont, Secchi, ZolUt'<
Näheres findet man in Zolin er, Ueber die Natur der Kometen, Leipzig, Engelmaon 29^'
B. Die Erhaltung der Sonnenenergie. 841
die Lnftelektricität und die damit zusammenhängende Erklärung der
Gewitter, ferner die Nordlichter und Südlichter, deren genaues Zusammen-
fallen mit Störungen des magnetischen Zustandes unserer Erde, die
magnetischen Vorgänge auf der Erde üherhaupt und das genaue Ueberein»
stimmen der elfjährigen Periode der Häufigkeit der Sonnenflecken mit
der Häufigkeit der Polarlichter. Leider gestattet der begrenzte Raum
dieses Buches nicht näher auf diese hochinteressanten Beziehungen ein-
zugehen; wir verweisen deshalb auf den ausserordentlich reichen Inhalt
der Originalabhandlung.
Werner Siemens scheint ebenfalls das Gewicht der Gründe an-
zuerkennen, welche von Seiten der Astronomen gegen die Anwesenheit
eines widerstehenden Mittels im Welträume Yorgebracht worden sind.
Da er jedoch in der Annahme eines elektrischen Potentiales der Sonne
einen so ausserordentlich brauchbaren Erklärungsgrund für viele sonst
unverständliche Naturerscheinungen und deren Zusammenhang gefunden
hat, und die Annahme einer elektrischen Fern Wirkung der Sonne nur
zulässig erscheint, wenn man die Convectionstheorie seines Bruders accep-
tirt, so hält er es, wie vor ihm schon Olbers^), für wahrscheinlich, dass
jede Molekel der im Welträume vertheilten Massen, den Eepp 1er 'sehen
Regeln folgend, sich wie ein kleiner Planet um die Sonne bewegt. Dann
würde das im Welträume befindliche Medium der Bewegung der Planeten
einen Reibungswiderstand nicht entgegensetzen. Freilich müsste sich
iann dieser Reibungswiderstand bei solchen Kometen doppelt fühlbar
machen, deren Bahn oder Bewegungsrichtung erheblich von der des wider-
stehenden Mittels abweicht^).
Bei der Axendrehung der Planeten und bei der Bewegung der Satel-
liten um die Planeten müsste sich jedoch dieser Reibungs widerst and eben-
falls bemerklioh machen. Man könnte als Bestätigung anführen, dass
s. B. beim Monde eine Atmosphäre kaum wahrnehmbar ist, dass dieselbe
>i8 auf einen kleinen Rest von dem widerstehenden Mittel weggefegt
KTorden ist^), und dass der grösste Kenner der Mondbewegung, Hansen^),
iine geringfügige Verzögerung des Mondes nicht für ausgeschlossen hält.
^) Olbers, Bode's Astronom. Jahrb. f. 1826, S. 110.
^) Die Untersachangen darüber, ob der Encke'sche Komet sich in spiraliger Bahn
er Sonne nähert, wie vielfach behauptet wird, sind noch nicht deßnitiv abgeschlossen.
!benso wenig ist sicher nachgewiesen, dass die eigenthämlichen Störungen, welche in
er Bewegung dieses and anderer Kometen beobachtet worden sind, nur durch den Ein-
iass eines im Welträume vorhandenen widerstehenden Mittels erklärt werden können.
>rgleiche die Inauguraldissert. von Rebeur-Paschwitz, Ueber die Bewegung der
[ometen im widerstehenden Mittel, und Backlund, Astronom. Nachr. Nr. 2539.
^) Vergleiche über die Mondatmosphäre auch die Betrachtungen im Schlusskapitei
IV. Bd., 10) dieses Abschnittes.
^) Einige Bemerkungen über die Säcularänderung der mittleren Länge des Mondes.
Berichte der K. S. Gesellsch. der Wissensch. 1863, Math.-Phys. Cl. Bd. XV, S. 1.
§42 IV, Anwendungen auf Meteorologie u. Astronomie.
14* Sohlussbetraohtung über die Siemens'sohe Hypotliesa
Obgleich die Siemens^ sehe Hypothese den grossen Vorzu§^ besiixt
dass sie eine Menge von Eigenscbaften der Sonne und die Abh&ngigk«t
gewisser Naturerscheinungen von derselben yerst&ndlich macht, so lisst
sich andererseits doch nicht in Abrede stellen, dass sie bis jetzt noch nickt
alle bekannten Eigenschaften befriedigend erklärt hat. Im Liebte eii»
richtigen, vollständigen Theorie aber mQssten alle Erscheinon^en md
Beziehungen ohne Ausnahme verständlich erscheinen.
Zwar hat William Siemens mit fast jagendlicher Lebbaftigkext
und wirklich ritterlichem Anstände seine Hypothese nicht ohne GIfiek
gegen alle Einwendungen vertheidigt, immerhin aber giebt es, "«renn mu
diese geistvolle /Theorie ohne Voreingenommenheit einer gewissenhaft^!
Prüfang unterzieht, noch erhebliche principielle Bedenken zu beseitigec
ehe man sich zu ihrer rückhaltlosen Annahme entschliessen könnte.
Zunächst scheint es mir ein erheblicher Einwand zu sein, dass n«^
der Sie mens' sehen Hypothese doch immerhin ein Theil der Energif
der Sonne verloren gehen wQrde, nämlich der, welcher nicht von dem dei
Weltraum erfüllenden Mittel absorbirt würde. Gerade darin aber sehies
doch ein wesentlicher Vortheil der Sie mens' sehen Theorie zn liegen,
dass sie nicht bloss einen Ersatz für thatsächlich verlorengehende £nei|nc
bot, sondern dass sie zeigte, wie es möglich sei, dass die aus^^egebeac
Energie unausgesetzt zurückgewonnen werde.
Auch die Versuche, durch welche Siemens die Dissociation voi
Wasserdampf, Kohlensäure etc. durch Sonnenlicht für bewiesen bält^ siod
nicht einwnrfsfrei. Zweifellos verhalten sich die Molekeln unter demEiB-
flusse starker elektrischer Potentiale, wie man dieselben in VacuumröhreB
anwendet, wesentlich anders als im Weltranme. Auch ist es eine bekanvt^
Thatsache, dass alle Yacuumröhren nach einiger Zeit den elektrischea
Entladungen wieder den Durchgang gestatten ^) und zumeist ein Wasser»
stoffspectrum geben, vermuthllch deshalb, weil an der Glasoberfläche
haftende oder im Glase oder in dem Metall der Elektroden occlndirte
Gasmolecüle nach und nach in den gut ausgepumpten Raum eintreten.
Femer müssten meiner Ansicht nach, wenn die von Siemens ver-
muthete Dissociation im Welträume stattfände, doch mindestens die ober^
sten uns zugänglichen Schichten der Atmosphäre Spuren von Wasserttof
oder mindestens von Kohlenwasserstoffen und von Kohlenoxyd wahr-
nehmen lassen. Denn, wenn man auch zugeben könnte, dass das auswr-
ordentlich dünne Wasserstoffgas erst jenseits der für uns bei Loflfahitea
^)PiazzySmyth, Od ihe gaseoas spectra in vacuum tubes. Edioborgh TrAB»-
»ct. Bd. XXX, S. 93.
B. Die Erhaltung der Sonnenenergie. 843
erreichbaren Höhen in merklichen Mengen auftreten könnte, so müssten
doch Stoffe wie Sumpfgas, Kohlenoxyd, Aethylen, deren Dichten 0,568,
0,969 und 0,978 , also nicht erheblich von der Dichte 1 der Luft ver-
schieden sind, in merklichen Quantitäten auftreten. Niemals aber sind
bei der Analyse von Luftproben, welche beträchtlichen Höhen entnommen
waren, auch nur Spuren dieser Gase gefunden worden. Ein anderes ge-
wichtiges Bedenken aber liegt in der Frage , warum denn die den Welt-
raum jetzt erfüllende Masse nicht an dem Ballungsacte mit tbeil genommen
habe, durch welchen nach der Kant-Laplace' sehen Hypothese die
Sonne und unser Sonnensystem aus einem Urnebel entstanden ist.
Auch würde, selbst wenn wir eine ganz ausserordentliche Verdünnung
der kosmischen Materie annehmen, die Gesammtmasse derselben doch
eine Grösse besitzen, welche die Sonnenmasse nicht unerheblich überträfe ;
alsdann müsste aber die Graviti^tionswirkung dieser Masse einen Einfluss
auf die Bewegung der Himmelskörper ausüben ; von einem solchen ist aber
bis jetzt nichts bemerkt worden ^). Existirte aber für dieses interstellare
Medium kein Gravitationscentrum, so müsste sich die gasartige Masse in
den unendlichen Baum des ganzen Weltsystems allmählich zerstreuen 3).
16. Die XJntersucliiingen von Ritter.
Bitter 3) hat nachgewiesen, dass die Existenz gasförmiger Weltkör-
per mit den Gesetzen der Mechanik nicht in Widerspruch steht ^). Die
Dichtigkeit und die absolute Temperatur derselben würde im Centrum
alsdann sehr hoch, an der Oberfläche von Null nicht wesentlich ver-
schieden sein. Die Temperatur- und Massenvertheilung würde, sofern
man voraussetzt, dass das Gay-Lussac'sche und Mariotte'sche Ge-
setz für alle Temperaturen und Drucke gültig bliebe, eine sogenannte
adiabatische sein.
^) Oder sollte vielleicht die bekannte Eigenbewegung des gesammten Sonnensystems
im Welträume, welche jetzt nach einem Punkte im Sternbilde des Herkules (259^ 30'
Rectascension und 32^ nördl. Declination) gerichtet ist, von einer Bewegung um dieses
noch unbekannte Attractionscentrum herrühren?
*) Vcrgl. Zöllner, Die Natur der Kometen, 2. Aufl., S.91 und Poisson, Theorie
mathem. de chaleur, Supplem. S. 21 ; vergl. auch Ritter, Wiedem. Ann. Bd. XI, S. 344.
^) Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie auf kosmologische Probleme.
Hannover, Rümpler, 1879. Fortsetzung in verschiedenen Abhandlungen in Wiedem. Ann.
Bd. X, S. 130; Bd. XI, S. 332; Bd. XI, S. 978; Bd. XU, S. 445; Bd. XIII, S. 360;
Bd. XIV, S. 16; Bd. XVI, S. 166; Bd. XVII, S. 322; Bd. XVIII, S. 488; Bd. XX,
S. 137 u. S. 897. Ebenso vergl. Ritter, Untersuchungen über die Constitution gas-
tormiger Weltkörper, Exner's Repertorium der Physik, Bd. XX, S. 379.
^) Schon im Jahre 1864 hat Secchi die Vermuthung ausgesprochen, dass die
Sonnenmasse sich in gasförmigem Aggregatzustande befinde. Im folgenden Jahre hat
iich auch Faye dieser Hypothese angeschlossen.
844 IV. Anwendungen auf Meteorologie u. Astronomie.
Adiabatifich ist der Zustand einer der Gravitation nnterwcffÜBDeo
Gasmasse dann, wenn Temperatur und Dichte mit dem Abstände von den
Gravitationscentrum sich genau nach dem Gesetze ändern, nach welchen
Temperatur und Dichte einer aufsteigenden oder absteigenden Gasmasse
sich ändern würden, wenn ihr bei dieser Ortsveränderung weder Wime
Ton aussen zugeführt noch entzogen wird.
Für eine solche Gaskugel findet Ritter das Gesetz, dass die Mittel-
punktstemperatur dem Halbmesser der Kugel umgekehrt proportioDtl ü
dass also die Kugel , je mehr sie sich zusammenzieht , um so mehr adt
erwärmt.
Da jede Wärmeentziehung, z. B. Wärmeverluste durch Ausstrahlosg.
eine Volumyerminderung nach sich ziehen würde, so ergiebt sich t«
dem vorigen Satze die Folgerung, dass die specifische Wärme eioer
frei im Weltraum schwebenden Gaskugel negativ ist ^). Bei der dmek
Wärmeverluste hervorgebrachten Contraction verrichten die GravitatM»
kräfte, wie bereits früher erwähnt, eine positive Arbeit, welche eichst
gleich in Wärme umsetzt. Der eine Theil (18,7 Proc.) der auf die«
Weise erzeugten Wärme dient bei einer im adiabatischen Gleichgewichti
befindlichen Gaskugel zum Ersätze der durch Strahlung nach tofls
abgegebenen Wärme, während der bei W^eitem grossere Theil (81,3 Pro&i
zur Temperaturerhöhung verwendet wird. Selbstverständlich gelten diev
Folgerungen nur, wenn durch die Strahlung und Contraction der Gif
kugel die adiabatische Temperatur- und Massenvertheilung nicht ge-
ändert wird und das Gas streng dem Gay-Lussac-Mariotte'sdxn
Gesetze genügt, also n den Werth 1,41 hat. Wenn es erlaubt w&re, die
Sonne als eine aus einem vollkommenen Gase bestehende Kugel aon-
sehen, welche sich im adiabatischen Gleichgewichtszustände beftode, «
würde daraus folgen, dass trotz des ausserordentlich grossen Energie'
Verlustes, welchen die Sonne durch Strahlung fortwährend erfihrt, die
Temperatur im Innern der Sonne nicht ab-, sondern unausgesetzt bqiubb^
Da nach Violle im Laufe eines Jahres durchschnittlich jedes Kik'
gramm der Sonnenmasse beinahe 2 Wärmeeinheiten verliert, so wirdi
der Sonnenhalbmesser jährlich ungefähr um 130 m abnehmen. Die Mittel*
punktstemperatur der Sonne würde alsdann, wenn man sie sich auBreJueii
Wasserstoff zusammengesetzt denkt, 31 Millionen Grade betragen, und diese
Temperatur würde jährlich um 4,2<> wachsen. Nach dieser soeben elt-
wickelten Theorie würde somit die Temperatur der Sonne mit derZdt
nicht abnehmen, sondern im Wachsen begriffen sein, mögUcherweiae würde
alsdann auch die der Erde zugestrahlte Wärme sich stetig vermehren.
Eine solche in einen kalten Weltraum Wärme ausstrahlende Gm-
kugel würde alsdann in unendlich ferner Zeit, wenn dies möglieh wiit
während ihre Temperatur ins Unendliche zunähme, auf ein nneodlkk
kleines Volumen zusammenschrumpfen.
^) Auch Lane war schon früher (1870) zu demselben BesulUte gekonunen.
B. Die Erhaltung der Sonüenönörgie. 845
Bei einer Contraction der Oaskugel auf — ihres Durchmessers wächst
n
die Temperatur an jeder Stelle auf den n fachen Betrag, die strahlende
Oberfläche aber vermindert sich auf -^ des früheren Werthes. Da wir
durchaus noch nicht sicher wissen, in welchem Maasse die Ausstrahlung
mit der Temperatur wächst, können wir auch nicht angeben, ob die aus-
grestrahlte Wärmemenge in Folge der Contraction zu- oder abnimmt.
Nach neueren Untersuchungen ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass sie
zunimmt, da man yoraussetzen kann, dass die Wärmestrahlung ungefähr
der vierten Pqtenz der absoluten Temperatur proportional wächst^).
Möglicherweise aber hängen Wärmestrahlung und Temperatur nach einem
ziemlich complicirten Gesetze zusammen. Unter Annahme des Stefan' -
sehen Strahlungsgesetzes und der äusserst wahrscheinlichen weiteren
Voraussetzung, dass an der Wärmeausstrahlung nach aussen nur eine
Terhältnissmässig dünne Oberflächenschicht theil nimmt, folgt, dass die
gesammte jährlich yon der Sonne ausgestrahlte Wärmemenge gegen-
wärtig schon in der Abnahme begriffen ist.
16. Das Verhältniss der inneren Wärme zur
Oravltationsarbeit.
In einer aus homogenen, concentrischen Schichten zusammengesetzten
Kugel erfährt ein im Abstände Q vom Eugelmittelpunkte befindliches
Massenelement dM bekanntlich nur von demjenigen Theile der Masse
anziehende Wirkungen, welcher sich im Inneren der mit dem Radius q
construirten Eugelschale befindet. Mit Rücksicht hierauf erhält man für
das Potential Ä der Kugel auf sich selbst, oder für die Arbeit, welche
geleistet wurde, als die Masse der Kugel aus unendlicher Verdünnung in
ihren jetzigen Zustand gebracht wurde, den Ausdruck :
Ä = f x>,g.Q.dM 3)
Hierin ist \)g die Beschleunigung, welche die anziehenden Kräfte einem
im Abstände g vom Mittelpunkte befindlichen Theilchen im betrachteten
Zustande ertheilen. Die Grösse t) wird bestimmt durch die Gleichung
des GrayitationBgesetzes :
(P'9)'9 = -Tj'-j;^ *)
in welcher g die Acceleration an der Erdoberfläche, E die Erdmasse, M
die innerhalb des Kugelradius Q liegende Masse bezeichnet.
Wenn man ferner unter 0 die Dichte im Abstände q yorsteht, so
') Stefan, Berichte d. Wien. Akademie d. Wissensch. Math. Phys, Classe, Bd. 79,
846 IV. Anwendungen auf Meteorologie u. Astronomie.
erhält man für das zwischen den Halbmessern Q und Q -\- dg befindliche
Massenelement dM der Kugel die Gleichung:
dM = 4.Q^.7c,0,dQ 5»
Setzt man dies ein, so ergiebt sich:
Ar
A = 4« y 0.\).g.Q^.dQ,
0
wenn man annimmt, dass der Radius der betrachteten Kug^el A.r, ak
Amal so gros^ als der Erdradius r sei.
Für die Druckänderung dp, welche beim Uebergange vom Abstand»
Q zum Abstände q -\- dQ stattfindet, erhält man (vergl. IV, A» 1, S. 78?.
Gl. 2) :
dp = — ®.)d.g,dQ.
Daraus aber findet man für 0,X>.g einen Werth, den man in den Air
druck für Ä einsetzen kann. Alsdann nimmt derselbe die Geat< an:
A= — An J* Q^.dp.
0
Durch partielle Integration ergiebt sich:
Ar
— 4« {[p'.p] -'s A).ß».dß|
0
Berücksichtigt man, dass für q = kr, d. h. an der Kageloberfläcbf
der Druck p = 0^ und im Mittelpunkte der Kugel p = 0 ist, so lallt dt:
Minuend in der Klammer weg, und man findet für das Potential der Gts-
kugel auf sich selbst-
Ar
A = I2,n ,f p.Q^.dg t,
0
Die innere Wärme ü der Gaskugel in Arbeitsmaass gemessen, wurde
aber betragen:
Ar
U=J.c^.fdM.g.T 7
0
Hierin bezeichnet T die absolute Temperatur im Abstände Q tos
Mittelpunkte der Gaskugel.
In die letzte Formel für dM setzt man wieder den Ausdruck an:
Gl. 5) ein. Unter der Annahme, dass die Substanz der Kugel ein roll-
kommenes ist und 0,g das Gewicht der Volumeneiuheit des Gases im
Abstände Q vom Kugelmittelpunkte bezeichnet, ist nach dem Gaj-
Lussac-Mariotte'schen Gesetze:
&.9.T=^ S)
Berücksichtigt man dies , so nimmt der Werth von U folgende Gestalt
an:
B. Die Erhaltung der Sonnenenergie. 847
Kr
_- J". 4 Ä.c,
I p.Q^*dQ.
B
0
Wenn man ferner berücksichtigt, dass bei yoUkommenen Gasen (vergl.
1. 1, III, A, 2, S. 236, Gl. 2) :
Cn '~~ C»
Cp
t, und den Buchstaben x für — einführt, erhält man endlich:
Ar
U=-^^.Jp.ff*.dQ 9)
0
ieraus ergiebt sich durch Division der beiden Gleichungen 6) und 9):
A = 3.(x_ 1) 10)
5
Bekanntlich kann x für kein Gas grösser als -r sein, demnach kann
ö
3 in mechanischem Maasse gemessene innere Wärme der Gaskugel nie*
A , 4 .
ils kleiner als -^ sein. Wenn x<^ -■ ist, würde der obiger Gleichung
2 o
(^sprechende Gleichgewichtszustand labil sein, er könnte also nicht
aernd bestehen.
.?• Adiabatisoher Qleioligrewiolitszustand gasförmiger
Weltkörper.
Die vorigen Gleichungen gelten ganz allgemein für jede beliebige
ussenyerth eilung innerhalb der Kugel, sofern nur immer die concen-
scben Schichten homogen sind. Eine solche Gaskugel kann bei jedem
iebigen Gesetze der Massenvertheilung im Gleichgewichte sein. Bei
du Gaskugeln, in welchen yerticale Strömungen vorkommen, wird der
abatisahe Gleichgewichtszustand immer der des indifferenten Gleich-
^ichts sein und, sofern Abweichungen von diesem Zustande vorkommen,
rden alle Gleichgewichtsstörungen nur dazu beitragen, dass der augeh-
skliche Zustand der Gaskugel sich mehr und mehr einem adiabatischen
»icbgewichtszustande nähert. Man wird daher den wirklich bestehen-
i Zustand gasförmiger Weltkörper näherungsweise als einen adiabati-
en betrachten dürfen.
Für den Fall, dass die Massenvertheilung in der Gaskugel den
iingungsgleichungen des adiabatischen Gleichgewichts genügt, die
• . §. 15 aus einander gesetzt haben , lässt sich das Potential der Gas-
a^el auf sich selbst in folgender Weise berechnen.
848 B. Anwendungen auf Meteorologie u- Astronomie.
Bezeichnet wiederum t) . g die Bescbleanigung, welche dorek h
Massenanziehung im Abstände Q Tom Mittelpunkte ertheilt wird, soi
dp =^ ' ^.g.d^
V
wenn jp den Druck und v das specifische Yolnmen des Gases im Abstii>
Q vom Mittelpunkte bezeichnet.
Aus der Gleichung des adiabatischen Znstandes:
Po
folgt durch Differentiation:
dp =|)o
Po \tJ
jy-i
li
X
T'^-^.dT
oder, wenn man für
i>o
To'^-"
den Werth einsetzt und ausreeluMt:
J^K —
^ X — 1 T
Nach dem Gay-Lussac-Mariotte'schenCresetze kann man b
für schreiben: *
X — l V
Setzt man diesen Werth für dp in die Gleichung 1 1) ein, so
sich:
and daraus:
-' — 'dT= dg
X — 1 r V ^
dT = — ?L_l.t,.(ip-
■ • ■ •
x.JB
Nach dem Newton* sehen Grayitationsgesetze (vergl. Gl. 4, S. 845) «■
wenn üf die im Kugelraume vom Halbmesser Q befindliche Masse, £ >
Erdmasse und r den Erdradius bezeichnet
Ferner ist bekanntlich:
_ B
b
somit :
X — 1
x.JB
t7".r.
^
IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie. 849
Wenn man diese beiden Aasdrücke in die Gleichung 13) einsetzt,
BD ergiebt sich:
J,Cp Q^ E ^
Schon früher diente zur Berechnung der in Arbeitsmaass gemessenen
inneren Wärme die Formel 7):
ü = J.c^.J'T.g.dM.
p-O
In derselben ist Ar der Radius der gesammten betrachteten Gaskugel.
Zunächst erhält man aus vorstehender Gleichung durch partielle
Integration :
[jg.M.rf^^ -^ fg.M.dl],
p = 0 To
Ü=J.C^
wobei Tq die Mittelpunktstemperatur des gasförmigen Weltkörpers be-
zeichnet.
Da MT sowohl für p = 0, als auch für p = Ar gleich Null wird,
verschwindet das erste Glied in der Klammer. Somit erhält man, wenn
der oben für d T entwickelte Ausdruck eingesetzt wird :
kr
U=—=;' ^ ^ 15)
0
Durch nochmalige partielle Integration ergiebt sich hieraus:
p«=«A.r
27 =
x.js;
p«0
Für das Potential A der Gaskugel auf sich selbst hatten wir dio
Gleichung aufgestellt (S. 845, GL 3):
p SS Ar
-4 = / ü.^. Q .dM.
p-O
Setzt man hienn für t) seinen Werth aus Gleichung 4) ein:
80 ergiebt sich:
p = Ar
dM
E J Q
p=:0
Damit aber lässt sich in der für ü erhaltenen Gleichung der Werth
des Integrales ausdrücken; es ist:
Bühlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. U. 54
Sno B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
/
%.M,dM E.A
Führt man dies ein, so wird:
^=--^+ii 16)
Früher hatten wir aber für das Verhältniss von Ä und U (S. 847,
Gleichang 10) den Ausdruck ermittelt:
^ = 3.(x-l).
Wenn man den Ausdruck, welcher sich hieraus für ü ergiebt, einftlhrt,
erhält man eine lineare Gleichung für A^ ans welcher
^— (5x-6).ii;.A ^^
berechnet wird i).
18. Folgerungen aus dem gefundenen Ausdrucke.
Man erkennt leicht, daas die ganze Torstehende Rechnung ungeändot
bleibt, wenn man unter x, anstatt des Quotienten der specifischen W&rmes.
eine beliebige Zahl versteht. Dann würde aber der Gleicbgewichto-
zustand nicht mehr ein adiabatischer sein, sondern nur ein solcher, welch«
einer Zustandsgieichung des Gases von der Form:
Po \vj \tJ
genügt
Der Werth x = oo würde dem Falle entsprechen, daas die ge>
sammte Gasmasse, aus welcher die Kugel besteht, überall gleiche Dickte
hätte.
Für X = -• aber würde Ä = cd werden. Die für A gewönnest
Gleichung zeigt somit, dass ein obigen Bedingungsgleichungen entsprechei^
der Gleichgewichtszustand nur möglich ist, so lange x;>> -- isL Ab
5
5
oberen zulässigen Werth für x hat aber die kinetische Gastlieorie ~ er^
geben.
Es ergiebt sich somit, dass wenn x zwischen den Grenz wertiben -
') Vergl. Ritter, Wied. Ann. Bd. 11, S. 341.
IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie. 851
4 .
und — liegt, der adiabatiscbe Gleichgewichtszustand zugleich ein indiffe-
renter Gleichgewichtszustand ist. Liegt jedoch das Yerhältniss x der
.'46
specifischen Wärmen zwischen -r und •-, so ist der adiabatische Gleich-
3 5
gewichtszustand ein labiler und kann somit nicht auf die Daner bestehen.
Die in Arbeitsmaass gemessene innere Wärme ü der Gaskugel hat
mit Rücksicht auf den in Gleichung 17) für das Potential Ä gefundenen
Werth (vergl. Gleichung 10) die Grösse:
^^N^ljr^ ;
53C — 6 ^
Die in jedem Kilogramm Masse enthaltene Wärmemenge Q in Galerien
beträgt somit:
^ j.s
oder:
g = J.(5x-6) 1»>
Setzt man hierin die auf die Sonne bezüglichen Werthe, nämlich :
N == 27,4 Ar == 688 000 000 Meter,
30 findet man:
wenn x = — 1,41 ■- gesetzt wird,
3 ö
für Ö = 66 600 000 42 300 000 19 040 000 Galerien.
Wäre demnach die Sonne eine im adiabatischen Gleichgewichts-
zustande befindliche, aus einem vollkommenen Gase bestehende Engel, so
vvürde der durchschnittliche Wärmeinhalt jedes Massenkilogrammes der-
lelben höchstens 66,6 Millionen Calorien sein nnd müsste mindestens
L9 Millionen Calorien betragen.
19. Die von der Sonne nach aussen abgegebene
Wärmemenge.
Wenn Ä das Potential einer Gaskugel auf sich selbst nnd ü ihren
n Arbeitsmaass gemessenen Wärmeinhalt bezeichnet, so ist:
W=\'{A — Ü) 20)
lie Wärmemenge, welche während der Contraction der Gaskugel seit
hrer Entstehung überhaupt nach aussen abgegeben worden ist. Mit
[lücksicht auf die in den Gleichungen 10) und 18) für Ä und U mit-
l^etheiHen Werthe ergiebt sich somit:
54*
852 B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
W=\4^^^^'N.X.r.S 21)
J 5x — 6
Bezeichnet man die auf den Zeitpunkt t =^ ^o hezüglichen Werthe mit
dem Index „Null*, so ist nach dem New tonischen (hnvitationsgesetse:
da N die Beschleunigung bedeutet, welche die Massenanziehung einem
an der Oberfläche der Gaskugel gelegenen Theilchen ertheilt
Bestimmt man N aus dieser Beziehung und führt dies in der vor-
angehenden Gleichung ein, so ergiebt sich:
Differenziirt man diese Gleichung nach der Zeit, so erhält man für
die von dem Himmelskörper durchschnittlich während der Zeiteinheit
abgegebene Wärmemenge den Ausdruck:
dt / öx — 6 ^ k ^ H dt ^
Die auf der linken Seite stehende Grösse, das ist die in der Zeiteinheit
vom Himmelskörper ausgestrahlte Wärmemenge, ist aber für die Sonne ans
den Versuchen von Grova, YioUe etc. annähernd bekannt. Die Yor-
fliehende Gleichung kann daher dazu dienen, die Abnahme -^ des Halb-
messers in der Zeiteinheit zu berechnen.
Nimmt man an, dass sich die mit dem Index „Null" bezeichneten
Grössen auf den derzeitigen Zustand der Sonne beziehen, so findet maa
für die derzeitige Abnahme des Sonnenhalbmessers in der Zeiteinheit:
\dtJo 3x — 4 \dt Jo JVo.Ao.ro* '
Führt man hierin die auf die Sonne bezüglichen Grössen ein, so
giebt sich, sofern die Sonne eine im adiabatischen Gleichgewichtszastaade
befindliche und aus einem vollkommenen Gase bestehende Kugel ist,
5
wenn x =1,41 ^^ T ^*»
o
für ( -^^ = 141 Meter 72 Meter.
V dt )-
Demnach müsste, sofern die der Entwickelung zu Grunde liegenden
Voraussetzungen erf&llt wären, der Sonnenradius jährlich mindestens am
72 Meter abnehmen ^).
1) Vergl. Ritter, Wied. Ann., Bd. 20, S. 143.
20. Weitere SoMüsse über den derzeitigen Zustand
der Sonne.
Späterhin hat Ritter^) darauf aufmerksam gemacht, dasB die An-
lahme angemessener isei, es gäbe für die Dichtigkeit der Sonnensabstanz
)ine obere Grenze, über welche hinaus die Dichte nicht mehr zunehmen
cann. Daraus würde alsdann folgen, dass die Sonnentemperatur während
)iner ersten Periode ihrer Existenz 'bis zu einem Maxiroalwerthe zu-
sehmen, dass aber, nachdem dieser Zustand erreicht worden ist, die Tem-
peratur wieder abnehmen müsse.
In welchen von beiden Stadien die Sonne sich jetzt befindet, lässt
sich nach dem im Abschnitte I, Cap. 4 Mitgetheilten zur Zeit nicht be-
itimmen.
Ritter macht ferner darauf aufmerksam, dass in Folge der hohen
Temperatur, welche alle Rechnungen für im Inneren der Sonne gelegene
Blassen theilchen ergeben, es sehr wahrscheinlich sei, dass im Inneren der
Sonne alle Elemente bis zu dem Zustande einatomiger Gase dissociirt
sein müssten. Hiernach würde man zu dem Schlüsse geführt werden,
dass das Innere der Sonnenmasse aus einem einatomigen Gase bestehe,
welches als Dissociationsproduct der chemischen Elemente den Grund-
oder Urstoff des Weltalles vorstellen würde.
Die Spectralbeobachtnngen aber beweisen, dass die Sonnensubstanz
sich an der Oberfläche jedenfalls in der Zustandsform chemischer Ele-
mente, vielleicht sogar im Zustande chemischer Verbindungen befindet.
Die sichtbare, scheinbar sdiarf begrenzte Oberfläche der Sonne wäre viel-
leicht dadurch zu erklären, dass dies die Grenze sei zwischen dem aus
einatomigen Gasen bestehenden Kerne und der aus zusammengesetzten
Molekeln bestehenden Hülle. Die Gurve, durch welche man die Dichtig-
keit der Sonnen masse als Function des Abstandes vom Mittelpunkte dar-
stellen könnte, würde an dieser Stelle eine Spitze zeigen.
Auch Ritter hält die Sonnenflecken für abwärts gerichtete Strömun-
gen, durch welche grosse Massen, die aus complicirten Molekeln bestehen,
in grössere Tiefen der Sonnenmasse hineingeführt werden, während viel-
leicht die Sonnenfackeln als diejenigen Stellen zu deuten wären, in
welchen durch aufsteigende Strömungen Massen einatomiger Substanzen
des Sonnenkernes an die Oberfläche geführt würden.
Die Entstehung der Sonnenflecken könnte man sich dann, wie dies
auch Reye, Zöllner, Faye gethan haben, in ähnlicher Weise vor-
stellen, wie die Entstehung eines Wirbelsturmes in der Erdatmosphäre.
Wenn sich in der oberen Gegend der Sonnenatmosphäre durch Aus-
1) Wicd. Ann. Bd. 11, S. 992.
5 LUBllWeiBO r eCUlVULUUtj lU TI UIILBU VUU HUtUUlUI U1I(( ICBlSn
oder von nebelartig äQssigea Körpern eingetretea ist '), ao befindeo sich
diese dicbteren Massca in einem labilen Gleicbgewichtszustaude ; sie
werden in einem Strome nach dem Sonnenmittelpunkte binabstürsen und
erst in einiger Tiefe unter der Oberfläche zar Rabe kommen. Das ge-
i-ipgere Leuchten der Flecken wäre dann eineatbeils in der geringeren
Durcbeichtigkeit der condensirten Substanz, anderentbeile darin begrAndet,
daes diebinabstürzenden Massen einen Theil ibres totalen £nergieinhaJt«s
bei der Qetregung in kinetische Energie ninsetzen.
Die VertbeiluDg der Sonnenflecke und ihre Eigen bevegnng erkl&rt
Ritter (Inrch eine Circulation innerhalb der Sonnenmasse, welcbe darcb
eine ungleiche Ansstrablung veranlasst wird. Er nimmt an, dass die
Planeten nnd die fibrigen die Sonne vorzugsweise in der Aequatorialebene
ninkreisenden Weltkörper in ihrer Gesammtheit eine Art Scbirmfläcbe
bilden, durch welcbe die Aeqaatorialscbicht vor Wärmestrab long snio
Thcil geschützt wird. Möglieberweise ist in früheren Zeiten diese Sckirm-
fiäcbe noch wirksamer gewesen, als sie es jetzt ist. In einer Kugel Ton
der Grösse und Masse der Sonne aber würde eine vorhandene Strömung
noch Millionen von JaLren hiodnrch fortbestehen können, nachdem die
Ursache, welcbe dieselbe veranlasste, bereit« längst sa wirken &afgehört
bat, £iue geringere Wärmeausstrahlnng in der äquatorialen Zone sb«r
würde ein rascheres Sinken der Oberflächen schiebt im PoUrgebiet« alt
am Aequator verursachen. In Folge dessen wQrde an der Oberfläche
eine Strömung vom Aequator nach den Polen entstehen, und diese wiedernn
würde im loneren der Sonneumasse eine GegeuströmuDg in entgegen-
gesetzter Richtung veranlassen.
In der Aequatorialzone würden Sonnenflecken nicht zu Stande kom-
men, weil dort der ganze Massencomplex, in welchem der Process, walcbcr
zur Entstehung eines Fleckens YeraolasHung gicbt, noch vor Beendigung
derselben an die Oberfläche getrieben und von dort weiter ntich den
Polen hin fortgetrieben sein würde. In den Polargebieten würden Sonnen*
flecken nicht entstehen, weil dort der Massencomplex , in welchem der
Entsteh uDgsprocess stattflndet, noch vor Beendigung desselben in die
Tiefe gesunken und dem Auge des Beobachters entzogen sein wOrde.
In Folge der Rotation des Sonnenkörpers werden die sinkendeD nnd
steigenden Massen von ihren radialen Bewegungsrichtungen abgelenkt,
und auch diese Ursache wörde die oben erwähnte Strömung begOnstigeD.
') Hüitings in seiaer lerühiüteD Theorie von der Ober«iich«it>*6cli«fftnbeil Ort
Sonne );liiubl, ilic am schwersten TcrdtuiprbiirfD SulK.tanzen, vie KohlenebiB', Bor. SLIi-
riuin, seien in festem A|:^regatzustiinile an der SanoeDobertiücbe rorbaoden, and iwar ^UalA
er, dass diese Sto0e deu glülieaden (jusen nie eine Art toq Staub beigemcnp 'ein.
Vercl. Haatings, l'rafeeilinKB of the AmcricHii Atademii of Arls and Scieoi-e« Nui.
1880 uiid Sillimaa Juura. Bd. 20, S. 33. !scuerdingt iit aui'h Fsje la iUiDli'.-btB
ADBi;liauuDgcn übergegangen.
IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie. 855
Die verzögernde Wirkung, welche von Innen aufsteigende, also mit
geringeren Geschwindigkeiten rotirende Massen aaf die Oherflachenschicht
ausüben, muss da am stärksten sein, wo die grösste Massencirculation
stattfindet, also in den Polargebieten, weil hier die grösste Wärmeaus-
strahlung Torhanden ist. Die in der Oberflächenschicht der Sonne be-
findlichen Sonnenflecke werden somit in der Nähe des Aequators eine
grössere Eotationsgeschwindigkeit besitzen, als in höheren Breiten.
Die Ritter'sche Hypothese würde somit im Stande sein, sowohl
das Yertheilungsgesetz als auch das Kotationsgesetz der Sonnenflecken
ungezwungen zu erklären ^).
21. Bitter's BetraclitxLngen über veränderliolie Sterne
und Nebelflecken.
Wenn die innere Wärmemenge einer im stabilen Gleichgewichte be-
findlichen Gaskugel, welche wir früher mit IJ bezeichnet haben, durch
irgend eine Ursache, z. B. durch einen Meteoritensturz oder das Zusammen-
stossen zweier Gaskugeln, plötzlich zunähme, so würde dadurch eine be-
schleunigte ExpansionsbeweguDg eintreten. Diese Expausionsbewegung
würde bei längerem Bestehen eine Abnahme der plötzlich vermehrten
inneren Wärme veranlassen. Diese Expansionsbewegung würde mit ab-
nehmender Geschwindigkeit sich fortsetzen, wenn in Folge der Trägheit
das Volumen überschritten würde, bei welchem für die vermehrte Masse
das Gleichgewicht zwischen den Gravitationskräften und der Expansions-
wirkung der inneren Wärme erreicht wäre.
Wenn schliesslich die Expausionsbewegung sich erschöpft hätte,
würde die innere Wärme, welche ursprünglich zu gruss war, nunmehr
zu klein geworden sein, die Gravitationswirkung würde überwiegen und
das Volumen würde abzunehmen beginnen. Diese Contractionsbewegung
würde so lange mit Beschleunigung vor sich gehen, bis wieder das
Volumen erreicht wäre, bei welchem die vermehrte Masse sich abermals in
stabilem Gleichgewichte befände. In Folge der Trägheit aber würde mit
abnehmender Geschwindigkeit die Contractionsbewegung sich fortsetzen,
und wenn dieselbe schliesslich erloschen wäre, würde wiederum die innere
Wärme zu gross sein und eine erneute Expansion beginnen.
Ans grosser Entfernung würde eine solche Gaskugel, die sich ab-
wechselnd ausdehnt und zusammenzieht, den Eindruck eines veränder-
lichen Sternes machen, da der periodische Temperaturwechsel einen perio-
dischen Wechsel der Helligkeit des Gestirnes veranlassen würde ^).
Denkbar ist andererseits auch der Fall, dass zwei kosmische Gebilde
') Vergl. Ritter, Wied. Ann. Bd. 17, S. 322 u. s. f.
2) Vergl. Ritter, Wied. Ann. Bd. 13, S. 3ö0 u. ». f.
856 B. Die Erhaltuug der Sonnenenergie.
mit erheblich grosseren Geschwindigkeiten zusammenstossen , als ikrer
gegenseitigen G-ravitationswirkang entspricht. Dieser Fall kann eintreten,
wenn beide Weltkörper bereits ansehnliche, passend gerichtete Eigen*
bewegungen besassen, ehe sie sich gegenseitig merklich anzumehen be-
gannen.
Dann wird nach der Vereinigung beider Massen die innere Wärme T
der Gesammtmasse einen solchen Werth annehmen, dass es keinVolameB
mehr giebt, bei welchem eine Umkehr der Expansionsbewegnng einttitt,
die durch die Vergrösserung von U eingeleitet wird.
Je nachdem das Arbeitsäquivalent ü der Wärmemenge, welche der
durch die Vereinigung beider neugebildeten Weltkörper unmittelbar nadi
dem Zusammenstosse enthält, grösser oder kleiner ist, als der Potentiil-
werth Ä der Masse des neuen Himmelskörpers, wird die Masse sich ent-
weder in den Weltraum zerstreuen, oder es wird ein kosmisches Gebikk
entstehen, welches sein Volumen periodisch Tergrössert and YerkleiBeit
Auf Grund dieser Betrachtung theilt Ritter die Himmelskörper ia
zwei Hauptclasseu ein. Die erste Classe enthält die centripettlec
Gebilde, bei welchen der Bildungsprocess in einer allgemeinen Annilw-
rungsbewegung der Massentheilchen gegen das Attractionscentmm Im
seinen Abschluss findet; zu dieser Classe gehören jedenfalls die Sonne,
die Planeten, alle Fixsterne und manche Nebelflecken.
Die zweite Classe umfasst die centrifugalen Gebilde, bei weichet
der durch einen Zusammenstoss eingeleitete Process mit einer allgemeioeE
Zerstreuung der Massentheile im unendlichen Räume endet; zu dieiff
Classe gehören vielleicht manche weit ausgedehnte Nebelflecken ni
manche Kometen ^).
Jedenfalls ist dieser Gesichtspunkt, die nebelartigen Himmelskörpe
zu betrachten, neu; er ist aber besonders deshalb beachtüch, weil es sois
schwierig erscheint, die zum Leuchten solcher Himmelskörper erforder
liehe Wärme zu erklären. Ein einfacher Verdichtungsprocess, ähDl»^
dem Ballungsacte, durch den wir uns nach der Kant-LaplaceVk:
Hypothese unser Sonnensystem entstanden denken, würde bei Gebildes
von so geringer Dichte kaum zur Erklärung so hoher Temperaturen a»-
reichen, wie wir sie nach den Spectralbeobachtungen für manche Neb^
flecken anzunehmen geneigt sind.
22. Die Zulässigkeit der Grundlagen der Ritter'schen
Hypothese,
Man kann zunächst zugeben, dass es äusserst wahrscheinlich ist, &
Sonne befinde sich im gasformigen Zustande. Ferner wird eine im Welt-
räume befindliche Gaskugel, welche durch Strahlung Wärme abgiebt
^) Vergl. Ritter, Wicd. Ann. Bd. 12, S. 460 u. s. f. und Bd. 13, S. 375 u.*.^
IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie. 857
sich zwar nicht yollständig im adiabatiachen Wftrmegleicbgewichte be-
finden, es werden aber, wie anoh in unserer Erdatmosphäre, in den ober-
flächlichen Schichten einer solchen Gaskngel unausgesetzt Strömungen
entstehen, durch welche erhebliche Abweichungen Yom adiabatischen
Zustande fortwährend wieder ausgeglichen werden. Man kann sich dem-,
nach sehr wohl vorteilen* dass der durchschnittliche Zustand unserer
Sonne, zumal aber der Zustand der inneren Masse derselben, welcher
nicht wesentlich mehr an dem Energie Verluste durch Strahlung theil-
nimmt, sehr nahe mit dem adiabatischen Gleichgewichte übereinstimmen
muss.
Ganz erhebliche Bedenken muss man jedoch gegen die Annahme
geltend machen, dass bei Temperaturen von Millionen von Graden und
bei Drucken von Millionen Atmosphären eine Substanz sich auch nur
annähernd so verhalte, wie ein vollkommenes Gas. Wir wissen vielmehr,
dass schon innerhalb der sehr engen Grenzen von wenigen hundert
Graden und der geringen Druckunterschiede, welche wir in unseren
Laboratorien hervorzubringen im Stande sind, alle Gase bereits sehr er-
heblich vom Gay-LuBsac^schen und Mariott ersehen Gesetze ab-
weichen.
Da wir die Zustandsänderungen der Gase nur auf eine sehr enge
Strecke hin messend verfolgen können, sind wir durchaus nicht berech-
tigt aus der Beschaffenheit der für ein so enges Gebiet gültigen empiri-
schen Formeln Schlüsse zu ziehen^ wie sich Körper bei ausserordentlich
hohen Drucken und Temperaturen verhalten werden. Ebenso erscheint
es kaum zulässig, die fOr niedrigere Temperaturen gefundenen Gesetze
der Wärmestrahlung auch nur näherungsweise für gültig zu halten, wenn
es sich um Temperaturen handelt, die wir bei keiner irdischen Wärme-
quelle zu erreichen im Stande sind. So hochinteressant die Resultate der
Kitt er 'scheu Rechnungen auch sind, und so sehr man auch Ursache
hat, die geistvolle Art zu bewundem, mit der Ritter seine Anschauun-
gen bis zu den äussersten Consequenzen rechnend verfolgt und für eine
Erklärung der Einzelheiten der Sonnenphysik dienstbar gemacht hat, so
würde es doch wohl ungemein gewagt sein, aus seinen Rechnungsresul-
taten Schlüsse über den wirklichen Sachverhalt ziehen zu wollen.
23. Schlussbetraohtung über die Erhaltung der
Sonnenenergie.
Nachdem die verschiedenen Theorien zusammengestellt worden sind,
nach welchen man sich einen Wiederersatz, eine Wiederherstellung oder
nahezu unbegrenzte Dauer der von der Sonne unserer Erde zugesendeten
Warme- und Lichtstrahlen vorstellen kann, geziemt es sich' wohl, das
858 B. Die Erhaltung der Sonnenenergie.
ErgebnisB der einzelnen Paragraphen nochmals zn überblicken und hit*
sichtlich ihres Inhaltes an Wahrheit za yergleichen.
Man wird auch bei der Behandlung dieser Fragen streng die ßegd
innehalten müssen, dass wir nur berechtigt sind, mit solchen Kräften osd
"Wirkungen zn rechnen, welche uns durch die Erfahrung bereits soT«r-
l&ssig bekannt sind. Da, wo es sich um di6 Anwendung empiriteher
Formeln handelt, werden wir im Allgemeinen nicht berechtigt sein, dii
Gültigkeit dieser Formeln über diejenigen Grenzen auszudehnen, inner
halb welcher die Erfahrungsresultate lagen, die zur Au&tellung der
Formeln geführt haben.
Von diesem Standpunkte aus muss man die von Helmhol ts ge-
gebene Erklärung der Erhaltung der Sonnenstrahlung für diejenige as>
sehen, gegen welche sich die wenigsten Einwürfe machen lassen. Anderer
seits befriedigt dieselbe allerdings insofern nicht, als sie keine AufklaroBf
darüber giebt, welche Wirkungen die in den Weltraum zerstreuten on-
ermesslichen Energiemengen dort hervorbringen. Dieses Schicksal theth
die Hei mholtz' sehe Theorie übrigens mit derjenigen, welche Majer,
Waterston und Thomson aufgestellt haben, nach welcher die Sonnen-
strahlung durch in das Centralgestirn hineinstürzende Meteoriten a-
halten werden soll. Diese beiden Theorien ergänzen sich sonst geges*
seitig ausserordentlich vortheilhaft; die eine lehrt, dass durch Zosammer
Ziehung der Sonnenmasse eine Verkleinerung ihres Durchmessers md
eine Abnahme der Rotationsdauer eintrete; aus der anderen hingegei
folgt, dass durch eine Zunahme der Sonnenmasse eine Vergrössemng da
Durchmessers und ein Anwachsen der Rotationsdauer stattfindet Dia
Meteorsteine in nicht unbeträchtlicher i^ahl auf die Sonnenoberflsche
niederfallen, kann nach Analogie derartiger auf der Erde beobachteta
Vorgänge nicht bezweifelt werden. Ob freilich dieser Meteoritenstan
auf der Sonnenoberfläche ein derart häufiges Ereigniss ist, dass eejoi
Wirkungen gegen die einer fortgesetzten Schrumpfung der Sonnenmiae
als sehr wesentlich in Betracht zu ziehen sind, muss bezweifelt werda.
Auch die Ritter' sehe Hypothese, nach der es ungewiss erscheint, ob
eine Wärmeausstrahlung der Sonue wirklich eine merkliche Temperato^
erniedrigung derselben nach sich zieht, lässt die Frage unbeantwortit,
was aus jenen ungeheuerlichen Energiemengen wird, welche die Soue
unausgesetzt in den Weltraum hinaussendet.
Man kann sich zwar vorstellen, dass das gesammte Weltall so grM
sei, dass unser Sonnensystem sich zu demselben nur verhält, wie eii
Atom zu einem Körper von beträchtlicher Ausdehnung. Alsdann wörde
schliesslich jeder Strahl, welchen die Sonne aussendet, wenn auch mancher
vielleicht erst in undenkbar weiter Ferne, auf einen Himmelskörper treffei*
der den Strahl hinderte, sich mit seinem Euergieinhalte in die Unend-
lichkeit hinaus zu verlieren ^). Verfolgt man diese Ideenrichtung tihet
1) Olbers (Bode, Astron. Jahrb. f. 1826, S. 110 bis 12l) behauptet: pd«« i:c
Annahme einer unendlichen Zahl von Licht und Wärme au&strahlender Körper (Fix'
IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie. 869
weiter, so wird man durch dieselbe zu der metaphysischen Frage geführt^
aaf welche naturwissenschaftliche Erkenntniss niemals Antwort geben
wird: ist unser Weltsystem hinsichtlich seiner Masse und räumlichen
Ausdehnang unendlich? oder existirt irgendwo eine Begrenzung? und
wodurch wird dieselbe gegeben?
Ist das Weltsystem aber unendlich, so ist es auch sein Energie-
inhalt, und die Frage danach, was ans den in das Weltall zerstreuten
Energiemengen der Sonne wird, ist eine ziemlich massige, da deren
Wirkungen yielleicht erst in endloser Ferne erfolgen.
Genau betrachtet, kehren die beim Ballungsacte mit der Sonneur
masse concentrirten Energiemengen, welche urspr&nglich im Welträume
yertheilt waren, doch nur wieder dahin zurück, woher sie gekommen
waren, so dass man es mit einer Art Kreislauf zu thun hat.
Die einzige Theorie, nach welcher die durch Strahlung ausgegebene
Energie der Sonne nicht nur ersetzt, sondern thatsächlich aufs Neue
zurückgewonnen würde, ist die, welche William Siemens entwickelt
hat. Es 'ist auch die Hypothese, welche verhältnissmässig von den meisten
Eigenschaften der Sonne und von deren Einfluss auf andere Natur-
erscheinungen Rechenschaft zu geben im Stande ist. Ihre wissenschaft-
lichen Grundlagen sind jedoch keine festen So grossartig diese Theorie
auch concipirt, so meisterhaft sie ins Einzelne durchgeführt ist, vertritt
sie doch immerhin insofern einen einigermaassen beschränkten, naiven
Standpunkt, als sie zu sehr das Sonnensystem für sich allein, losgelöst
▼on seinem Zusamm'enhange mit dem ganzen Weltall, betrachtet.
Gewiss hat der Gedanke etwas ungemein Verführerisches sich vor-
zustellen, dass in der Natur Vorkehrungen getroffen seien, um die Wärme
der Sonne für lange oder gar ewige Dauer zu erhalten, so dass dadurch
den Zuständen auf unserer Erde ein nahezu unbegrenzte^ Beetehen ge-
sichert sei. Wer wollte leugnen, dass, wenn man an der üand der Me-
chanik des Himmels das Weltsystem durchmustert, dieses den Eindruck
macht, als sei es stabil und unveränderlich! — Ist diese Unveränderlich-
keit aber nicht nur ein Schein« der uns trügt, weil wir von unserem zeit-
lich und räumlich so beschränkten irdischen Standpunkte aus urtheilen?
Giebt es nicht Anzeichen genug in der Physik des Himmels, welche
andererseits dafür sprechen, dass nicht nur alles Irdische, sondern auch
das ganze Weltall einem grossen Werdeprocesse unterliegt, in welchem
nichts ewig ist, als die Veränderlichkeit und der Wechsel?
Kann man sich nicht auch damit trösten, dass auf alle Fälle die
definitive Erkaltung unserer Sonne eine noch sehr ferne Katastrophe ist,
und dass auch die schönsten Dinge dieser Welt nicht für eine ewige
Dauer gemacht zu sein scheinen, dass vielmehr Alles einem ewigen Wer-
den, gleichzeitig aber auch einer ewigen Vervollkommnung unterliegt?
Sternen) nothwendig zu dem Schlüsse fnhi-t, dass das ganze HimnCielsgewölbe überall in
einem Glänze und in einer "Wärme strahlen müsse, wie gegenwärtig die Sonnenscheibe.^
860 B. Die ErhaltuDg der Sonnenenergie.
So anziehend solche Excnrse über den AnfSng und das Ende der
Dinge auch sein mögen , so viel sie auch dazu beitragen mögen nns vd-
zuklären über die Bescheidenheit, mit welcher der Mensch über Beine
Stellung im Weltall zu denken hat: zu zuverlässigen Resultaten werden
solche Betrachtungen niemals fuhren können, weil sie uns nöthigen, tob
dem engen Räume, welcher unserer directen Erfahrung zugänglich iit,
auf Verhältnisse zu schliessen, welche weit über die Grenzen hinausragen,
innerhalb welcher unsere Erfahrungssätze gültig sind; dann sind wir aber
nicht mehr im Stande zu beurtheilen, wie weit solche Schlüsse dniek
unvollkommene Analogie in Folge der unvermeidlichen Fehler, die allen
unseren Beobachtungen anhaften, von der Wahrheit abweichen.
Anhang.
24. XTeber die Atmosphären fester Weltkörper.
Die eigenthümliche Betrachtungsweise Ritter' s kann mit Erfolg
auch auf den Fall angewendet werden, dass man es mit einem Himmdb-
körper zu thun hat, welcher einen festen Kern und eine gasförmige HüDe,
also eine Atmosphäre, besitzt.
Ist die Gravitationsbeschleunigung ^). an der Oberfläche des festa
Kernes N. g und der Halbmesser desselben k . r (wobei r der Erdradiu),
so nimmt die bekannte Differentialgleichung, welche den Formeln for
barometrische Höhenmessungen zu Grunde liegt (vgl.Bd, 2, S. 778, GLS)*
die Form an:
V Q'
Hierin bedeutet p den Druck innerhalb der Atmosphäre im Ahstaodc
Q vom Mittelpunkte des Himmelskörpers, v das specifische Volumen d«
Gases seiner Atmosphäre an jener Stelle. Multiplicirt man beiderseitig
mit — t?,-so nimmt die Gleichung die Form an:
dg
Berücksichtigt man, dass beim adiabatischen Gleichgewichte der Aübö'
Sphäre:
0 = Cp . dT -- -j ' V ' dp
und somit in diesem Falle:
V . dp = J , Cp , d T 26»
ist, so erhält man:
dg
rfj> = — -. JV^.;L«.r«~ 25)
— v dp = N ' l^ ' r^ ' j
— J' Cp'dT = N' l^ -r^
^) Vergl. Ritter, Wied. Ann. Bd. 10, S. 135.
IV. Anwendungen auf Meteorologie und Astronomie. 8G1
Durch Integration ergiebt sich, wenn man annimmt, dass an der
Oberfläche des festen Kernes die Temperatur Tq herrscht, und an der
Grenze der Atmosphäre, in einer Höhe H über dem festen Kerne, die Tem-
peratur den absoluten Nullpunkt erreicht:
0 \.r + H
— J.Cp , CdT=N.l^ .r^ f %'
Durch Ausführung der an gedeuteten Integi*ation erhält man:
Hieraus kann man die Höhe der Atmosphäre berechnen und findet:
J , Cp , JLq'
N
S = T^—T- 2'>
y • Cp , J.Q
N .k .r
Diese Gleichung zeigt, dass die Höhe der im adiabatischen Gleich-
gewichtszustande befindlichen Atmosphäre eines Weltkörpers nur ab-
hängig ist Yon der Temperatur ihrer untersten Schicht und ganz unab-
hängig yon der Dichtigkeit des Gases, aus welchem die Atmosphäre besteht.
Führt man in diese Formel die für trockene atmosphärische Luft
und die Erde gültigen Werthe eiu, nämlich:
Cp = 0,2375 J^ = 1 A = 1,
80 findet man, wenn man J= 425 setzt und die absolute Temperatur
an der Erdoberfläche = 273^ also Null Grad Celsius annimmt,
jffzzr 27500 Meter 1).
Man erkennt leicht, dass die Atmosphärenhöhe n= co wird, wenn
die Temperatur To an der Oberfläche des festen Kernes den Werth:
T,=^^ 28)
J . Cp
annimmt.
Diesen Grenzwerth der Oberflächentemperatur des festen Kernes, für
welchen die Höhe IT der Atmosphäre unendlich gross wird, nennt Ritter
die Dispersionstemperatur des betreffenden Weltkörpers. Ueber-
schreitet die Temperatur an der Oberfläche des festen Kernes diese Grenze,
80 würde die Gravitationskraft des Himmelskörpers nicht mehr genügen,
eine Zerstreuung der Atmosphäre in den unendlichen Weltraum zu ver-
hüten.
Für eine reine Wasserstoifatmosphäre (Cp = 3,409) erhält man:
^) Vergleiche Seite 781.
862
Anhang.
Name des Weltkörpers
Erde .
Mars •
M er cur
Mond .
' Dispersions-
temperatnr Tq
X
0,382
0,521
0,164
1
0,540
0,378
0,273
4404
908
867
197
Bei einem mbenden Weltkorper von der Grösse und Masse d«
Mondes würde also eine Wasserstoffatmosphäre nicht mehr bestehen könno,
wenn die Oberflächen temperatnr desselben höher wäre als minna 76* C
Führt man für den Mond die Rechnung durch unter der Annahiee.
dass die Atmosphäre desselben aus gesättigtem Wasserdampf bestehe'].
und setzt man ausserdem voraus, dass Wasserdampf unter Nall Gnd
sich wie ein vollkommenes Gas verhalte , so findet man , dass eine da-
artige Atmosphäre nur bestehen könne, wenn die Oberflächentempentir
derselben niedriger als — 50^ C. wäre.
Nimmt man Rücksicht auf die Drehbewegung des Mondes, dura
welche bedingt ist, dass die Mondatmosphäre nicht höher als 21 Ho»!'
radien sein kann, setzt man %^o:
H = 21 . A . r,
so ergiebt sich für eine Atmosphäre von gesättigtem Wasserdampf die
Dispersionstemperatur der Mondoberfläch« zu — 60^ C. Das Fehlen eiao
Mondatmosphäre dürfte hierdurch erklärt werden können.
Wahrscheinlicherweise hängt das Zunehmen der Schweiflän^ ^
Kometen bei deren Annäherung an die Sonne damit zusammen, dsss nc
wachsender Annäherung an die Sonne die Oberflächentemperatar der
Meteoriten, aus welchen die Kometen vermuthlich zusammengesetzt sisi
in Folge der zunehmenden Strahlung sich mehr und mehr der Diip
sionstemperatur nähert und in Folge dessen die flüchtigen Bestandtheilt
der Oberfläche eine Gasatniosphäre von beträchtlicher Ausdehnung bildei.
Nach einem kleinen Planeten in grösserer Nähe der Sonne bat nn
deshalb vielleicht bis jetzt vergeblich gesucht, weil bei sehr kleinem Ab-
stände von der Sonne die Oberflächentemperatur eines solchen Himm^
körpers in Folge der energischen Wärmeznstrahlung höher als stiv
Dispersionstemperatur sein würde.
1) Vergl. Ritter, Wied. Ann. Bd. 10, S. 139.
V.
DIE GESCHICHTE
DEB
MECHANISCHEN WÄKMETHEORIE
A. Die Vorgeschichte.
1. Der Zusamxnenliang der mechanisolieii Wärmetheorie
mit den Vorstellimgen vom Wesen der Wärme.
Man halt neaerdiDgs vielfach die mechaniche Theorie der Wftrme
för untrennbar yon der Hypothese, dass das Wesen der Wärme in einer
Bewegung der MolecÜle zu suchen sei. Dies ist jedoch insofern un-
richtig, als vielmehr der charakteristische Gedanke dieser neuen Disci-
plin nur darin zu suchen ist, dass jede Eraftäusserung irgend welcher
Art, sei dieselbe nun Wärme, Licht, Elektricität, Magnetismus, ein
chemischer oder physiologischer Vorgang, ihrer Quantität nach in mecha-
nischem Arbeitsmaasse gemessen werden, und dass nur Transformationen
vorhandener Kraftgrössen, niemals aber NeuschÖpfangen oder Vernichtung
von Kraft stattfinden kann. Die Hypothese, dass Wärme stets Molecular-
Bewegung sei, hat sich zwar Hand in Hand mit der allgemeinen atomi-
stischen Auffassung der Naturvorgänge äusserst fruchtbar erwiesen, die
Formeln und zumal die Methoden der mechanischen Wärmetheorie sind
jedoch von dieser Art der Auffassung ganz unabhängig.
Der Grundgedanke, dass Wärme eine Eräfteform ist, dass Wärme
nach bestimmten Maassverhältnissen in andere Eräfteformen umgesetzt
werden kann, ist ganz modern und in klarer Conception zuerst durch
Robert Mayer ausgesprochen worden.
Für die Anschauung jedoch, dass Eraftmengen weder geschaffen
noch vernichtet werden können, finden sich Andeutungen schon in ziem-
864 A. Die Vorgeschichte.
lieh früher Zeit. Die Vorstellung aher, dass Wärme eine Bewegung
kleinster Theile sei, lässt sich bereits im Alterthume nachweisen, wenn-
gleich die Meinung, dass Wärme ein Stoff sei, bis über den Anfang dieses
Jahrhunderts hinaus die herrschende geblieben und erst darch Rom*
ford und Davy überwunden worden ist.
Die Vorgeschichte der mechanischen Wärmetheorie beschäftigt sich
zunächst mit der allmählichen Umgestaltung der Anschauungen über das
Wesen der Wärme und dann mit der Entwickelung des Satzes von der
Erhaltung der Energie zu immer grösserer Klarheit. Die Vorgeschichte
endet hiernach mit dem Beginne der Arbeiten Runiford's, Davy*« nnd
deren Zusammenfassung durch Joung am Anfange dieses Jahr b änderte.
2. Die Vorstellungen der Alten von der Warme-
Die älteste Vorstellung, welche wir in den ersten Anfangen gpriechi-
scher Philosophie finden, war die, das Feuer als einen Urstoff, als ein
Element anzusehen. Auch die Pythagoreer halten alle Elemente, somit
auch das Feuer, für einen Stoffe).
Heraklit, dem Dunklen, war das Feuer das Princip aller Dinge,
das Bild selbstwirkender Kraft und Thätigkeit. Nach ihm ist daa Feaer
durch eine unwiderstehliche Begierde getrieben, sich in eine bestimmte
Existenz umzuwandeln. Bei ihm zuerst entwickelte sich der Begriff ▼on
der ewigen Veränderlichkeit der Natur und einer ewigen harmonisches
Gesetzmässigkeit im Wechsel.
Bei Anaxagoras findet sich schon der schöne Gedanke, desseo
consequenter Durchführung unsere Zeit so grosse fruchtreiche Entdeckun-
gen verdankt: „Nichts tritt ins Sein oder wird zerstört, sondern Alles ist
eine Zusammenstellung oder Aussonderung Ton Dingen, die schon Torfaer
existirten.^ Diese Idee, welche so lebhaft an unsere Vorstellungen tob
der Constanz der Masse und der Energie erinnert, klingen lebhaft -wieder
bei Empedokles, welcher sagt:
„Thoren denken, ett könne zu sein beginnen, was nie war,
Oder es könne, was ist, vergehen und gänzlich verschwinden!**
Empedokles lehrte jedoch wieder, es gäbe vier Urelemente, Crde,
Luft, Feuer und Wasser; alle Dinge seien nur Mischungen dieser vier
Stoffe.
Nach Demokritos existiren bloss Atome und Raum; das Heisse,
das Kalte, wie alle Qualitäten der Dinge bestehen nach ihm nur in der
Form. Die Atome sind ihm die Urelemente, aus welchen durch 2^bl,
Grösse, Gestalt und Lage alle Dinge hervorgehen. Er schrieb seines
*) Aristoteles, Metaphysik, erstes Buch, fünftes Capitel.
A. Vorgeschichte. 865
Atomen Bewegung zu; und behauptete, jede Bewegung werde durch eine
oder mehrere frühere Bewegungen bestimmt. Die Atome des Feuers sind
nach ihm fein, glatt und rund und können daher alle Körper durch-
dringen, sie warm machen.
Am ausgebildetsten erscheinen die Vorstellungen über das Wesen
der Wärme in der Atomistik des Demokrit. Er nimmt besondere
Wärmeatome von kugeliger Gestalt an und schreibt deren Bewegung
die damals bekannten Wärmeerscheinungen zu. Bei ihm zuerst auch
findet sich eine Vorstellung von den Grundsätzen moderner Wissenschaft,
denn von ihm rührt der Satz her: »Aub Nichts wird Nichts und Nichts
kann zu Nichts vergehen ** ^).
Beachtlich ist, dass wenigstens in Anwendung auf Astronomie die
Vorstellung von einer Ewigkeit der Bewegung auch schon bei Plato
und Aristoteles angetroffen wird.
Während die grossen Philosophenschulen des Alterthums mit ihrer
deductiven Methode wenig oder gar nichts Neues an Ansichten über die
Wärme gebracht haben, beschäftigte sich Epikur, welcher die demo-
kritische Atomistik wieder aufnahm, aufs Neue eingehender mit diesen
Fragen, ohne jedoch scheinbar wesentHch über dieselbe hinaus zu gehen.
Wichtig erscheint jedoch bei ihm die Wiederkehr des demokritischen
Satzes: „Aus Nichts wird Nichts, denn sonst könnte aus Allem Alles
werden."
J^in Theil seiner Anschauungen ist uns durch Lucretius in dessen
Lehrgedicht: „De rerum natura" übermittelt worden und zeigt auch in
diesem vielleicht nicht ganz ungetrübten Spiegel eine überraschende
Richtigkeit der Naturauffassung, die wunderbar mit der Unklarheit der
übrigen philosophischen Schulen contrastirt.
Die Sätze von der Constanz der Materie und der Erhaltung der
Kraft wurden nach Lucretius von Epikur dadurch begründet, dass
er darauf hinwies, es gäbe keinen Ort, wohin aus dem Universum Atome
entfliehen könnten oder aus welchem neue Kraftwirkungen in das Uni-
versum eindringen könnten. Bekanntlich hat späterhin auch Leibniz
in ganz ähnlicher Weise geschlossen (vergl. S. 877).
Die interessante Stelle bei Lucretius^) lautet nach M. Se^deTs
metrischer Uebersetzung:
„Niemals war auch dichter vorher noch lockrer der ürstoff;
Dann er vermehrt sich nie, noch yermindert er sich durch Zerstörung,
Deshalb war die Bewegung, die jetzt in den TJrelementen
Herrscht, schon von jeher da, und so wird sie auch künftig noch dasein.**
„Was bisher schon entstand, wird unter der gleichen Bedingung
Femer entstehen und bestehen, wird wachsen und blüh'n und erstarken
Je nach dem Maass, das jedem verliehen durch natürliche Satzung."
') Nach Diogenes Laertius, IX, 44; Aristoteles, Phys. I, 4.
^) T. Lncreti Cari, De rerum natura libri sex, Üb. U, v. 294 — 307.
Btthlmann, Mechan. WAnnetbeorie. Bd. U. 2>5
866 V. Geschichte der mechaDischen Wärmetheorie.
„Denu kein Platz ist vorhanden, nach welchem die Theile des UrstofTs
Könnten entflieh'n, kein Platz, von wo aus erneuerte Krftfte
Brächen herein, die Bewegung und Natur der Dinge zu ändern."
Mehrfach ist auch auf eine Stelle in Cicero's Tnscalanen ^) hin-
gewiesen worden, als Beweis dafür, dass den römischen Philosophen die
Ideen yon der Constanz der Kraft nicht fremd gewesen seien. Die be-
treffende Stelle ist dem Pbaidros des Plato entlehnt und es erscheint
mir daher von höherer Bedeutung, dass auch in den Lehren der Philo-
sophenschule der Akademiker das wichtige Princip einen Platz gehabt
hat. Bekannt genug ist es ja, dass der Gedanke von der Ewigkeit der
Materie einer der Grundpfeiler antiker Weisheit gewesen ist.
Da hinsichtlich der ciceronianischen Stelle mehrfach Zweifel laut ge-
worden sind, ob die bemerkenswerthe Schlussfolgernng nicht bloss
auf geistige Bewegungs- und Lebenserscheinungen zu beziehen sei,
gebe ich die platonische Stelle in ganzer Ausdehnung. Mir erscheint es
nicht zweifelhaft, dass Plato seine Betrachtungen ganz allgemein auf
Bewegung erstreckt und aus dem allgemeinen Satze alsdann nur für den
speciellen Fall seine Folgerungen zieht. Es handelt sich nämlich an
dieser Stelle, welche wir im Folgenden mittheilen, um einen Beweis fär
die Unsterblichkeit der Seele. Plato ^) sagt:
„Jede Seele ist unsterblich; denn das immer in Bewegung Befind-
liche ist unsterblich. Dasjenige aber, welches ein Anderes bewegt und
von einem Anderen bewegt wird, hört auf zu leben, sobald seine Be-
wegung aufhört. Nur das, was sich selbst bewegt, hört, weil es sich ja
nicht selbst yerlässt, niemals auf in Bewegung zu sein, sondern auch für
alles Andere, was in Bewegung ist, ist dieses die Quelle und der Anfang
der Bewegung. Der Anfang aber ist ungeworden. Denn aus dem An-
fange muss alles Werdende werden, er selbst aber nicht aus irgend
Einem. Denn wenn der Anfang aus etwas würde, so würde er nicht aus
dem Anfange werden. Da er also ein Ungewordenes ist, so muss der-
selbe auch unvergänglich sein. Denn wenn der Anfang weggefallen ist,
so wird weder er selbst jemals aus Etwas, noch sonst etwas Anderes
aus ihm werden, da ja doch alles aus dem Anfange werden muss. So ist
denn der Anfang der Bewegung das, was sich selbst in Bewegung setzt.
Dies kann aber weder vergehen noch werden oder es muss der ganze
Himmel und die ganze Natur zusammenstürzen und stillstehen, ohne
jemals wieder einen Anlass zur Bewegung zu haben. Da sich aber das
durch sich selbst Bewegte als unsterblich erwiesen hat, so wird man
gerade dies mit Recht als Begriff und Wesen der Seele bezeichnen u. s. f.**
^) ToBcul. disput. I, 23.
')Phaedra8, p. 245. e. Die thunlichst wort- und sinngetreue Ueberseizung
der Stelle verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Dr. Johnson, Chemnitz.
A. Vorgeschichte. 867
3. Die Scholastik und die Renaissance.
Die naive Anschauung, dass Wärme ein Stoff sei, war sämmtlichen
Sintiken naturphilosophischen Anfangen gemeinsam; selbst die yerhält-
lissmässig am meisten fortgeschrittene atomistische Schule glaubte die
^ärmeerscheinungen auf die Wirkung von Wärmeatomen zurückfuhren
(u müssen.
Es ist leicht begreiflich, dass das Mittelalter nicht zu einer höheren
Auffassung zu gelangen im Stande war, da das wissenschaftliche Denken der
abendländischen Culturvölker in jener Zeit durch die Religion vollständig
ausgefüllt war und die Beschäftigung mit der Natur für gottlos ^), für eine
Untfremdung von Christus gehalten wurde. Statt sich an die Erschei-
Lungswelt zu wenden, glaubte man alle Weisheit in der Bibel oder in
Lristoteles vereinigt zu finden. Das Wesen der Dinge suchte man
icht durch Beobachtungen zu erkennen , sondern meinte dasselbe durch
>gische und wörtliche Unterscheidungen ergründen zu können. Erst
achdem im Zeitalter der Renaissance sich das Bewusstsein mehr und
lehr Bahn zu brechen begonnen hatte, dass das Denken frei sein müsse, an
eine religiösen oder philosophischen Schulschranken gebunden sein dürfe,
ehrte man zur Natur und zur Betrachtung derselben zurück. In diesem
eistesfrühling finden sich auch die ersten Anfänge zu einer den That-
ichen mehr entsprechenden Auffassung über das Wesen der Wärme,
ad ebenso können hier schon die deutlichen Spuren jener Gedanken er-
uint werden, welche jetzt als leitende Grundsätze an der Spitze der
ethode der exacten Naturwissenschaften stehen.
An erster Stelle ist hier Gassendi') zu nennen, welcher die ato-
istischen Lehren Epikur^s dadurch wieder zugänglich machte, dass
das zehnte Buch des Sammelwerkes des Diogenes Laertius,
liebes von Epikur und dessen Lehrgebäude handelt, einer ausführ-
(hen Betrachtung unterzog. Die Atomistik wurde von Gassendi aus
m Schutt des Alterthnms hervorgesucht und der mit aristotelischer
lilosophie verwachsenen Scholastik gegenüber gestellt»
Der Wärme schrieb er eine ganz besondere Bedeutung zu; er be-
uptete, die Wärme sei durch die ganze Welt ausgegossen, die Wärme
nne auch die Seele der Welt genannt werden. Das Wesen der Wärme
sht er in bewegten, kugelförmig gestalteten Wärmeatomen, während er
a Kälteatomen pyramidale oder tetraedrale Gestalt zuschrieb ^). Auch
> Gesetze von der Constanz der Materie und der Energie dämmerten
1) Eine Meinung, die übrigens auch Sokrates schon vertreten haben soll.
2) Gassendi, Animadversiones in decimum librum Diogenis Laertii qni est de
moribus placitisqae Epicuri. Ed. test. Lugdnni 1649.
8) Gassendi, Syntagma philos. lib. VI, c. 6. Hagae 1655.
55*
868 V« Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
bereits in dem klaren Kopfe ^). Das Entstehen and Vergehen der Dba
ist nach ihm nichts als Verbindung und Trennung der Atome. Alle T»
änderung ist ihm nur Bewegung der Theile eines Dinges. Mit edt
wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit vermied er Probleme, die vom Bodo
der Erfahrung hinweg fähren. Gassendi's Vorstellungen von derE^
schaffenheit der Gase enthalten schon wesentliche Anklänge an vom
moderne kinetische Theorie der Gase ').
Nicht wesentlich hinter dem Vorgenannten steht Magnenos zariÄ
welcher sich grosse Verdienste um die Wiederbelebung der Atonkä
und Verbreitung der demokritischen Lehre hauptsächlich in Italien e-
werben hat. Auch ihm ist es jedoch nicht gelungen sich von den mgs
Meinungen der herrschenden aristotelischen Lehre hinsichtlieh des Wns
der Wärme ganz frei zu machen. Zwar bekämpft er die Meinnaf k
grossen Stagiriten, dass die Wärme ein Element^) sei, aber andc
spricht von kugelförmigen Wärmeatomen ^). Er schreibt der Wännta
auflösende Kraft zu, aber seine „spirüus ignei'^ ^) erinnern doch sdii
die Lehre vom Wärmestoff.
Neben, eigentlich sogar vor Gassendi, istBacon t. Vernlu
2U nennen, welcher aUgemein, obgleich nicht mit vollem Rechte, akii
alleinige Begründer der naturwissenschaftlichen Methode angesehen vs
Obgleich er die Wärme mit Vorliebe behandelt und dentlich auaspni
dass Wärme eine Art der Bewegung sei, waren seine AnscluuioDga ii
derselben doch höchst unklar; so stellt er z.B. die mystische astrologifl
„ Wärme ** eines Metalles, Sternbildes etc. ohne Bedenken mit der p^
kaiischen Wärme in eine Reihe ^).
4. Cartesius, Hobbes, Locke, Spinoza, Toland.
Der erste, welcher in seinen Ansichten über das Wesen der ^ia
sich von der Vorstellung eines Wärmestoffes frei gemacht hat, i
Descartes. Derselbe sagt, nachdem er ausgeführt hat, dass die M
aus getrennten Molecülen bestehen, welche sich unabhängig Ton
^) Gassendi sagt z. B. (Animadv. etc. Bd. I, S. 241): „Ich bemerke, 4i»J
die eingeborene Kraft der Atome weder verloren geht, wenn die concreto Kicfei
rahen anfangen, sondern nur gehemmt wird, noch erzeugt wird, wenn die Eoi^*
fangen sich zu bewegen, sondern nur ihre Freiheit wieder erlangt, man sages tf
gleich viel Trieb (impetus) bleibe beständig in den Körpern, wie viel von Amhm <
dagewesen." Vergl. Bert hold, Ber. d« Berl. Akademie, Jahrg. 1875, S. 579.
^ Gassendi, Animadversiones in X. libr. Biogenis Laertii. Lngdoci l^
Bd. I, S. 232.
^ Vergl. Magnenus, Democritus reviviscens, Hagae-Comitis 1646,
Cap. II, S. 121.
*) A. a. 0. S. 232.
**) A. a. 0. S. 305.
^) Lange, Geschichte des Materialismus, Bd. I, IIL Aufl., S. 197.
A. Vorgeschichte. 869
bewegen: „dass hier unter Wärme nichts anderes verstanden werden
muss, als eine Beschleunigung der Bewegung in jenen Moiecülen, und
unter Kälte eine Yerlangsamung derselben*' ^).
Sehr nahe dieser AufiPassnng steht die Meinung Hobbes'^), welcher
bereits sorgsam zwischen dem Zustande des erregenden Objectes und
ier Empfindung im wahrnehmenden Subjecte unterscheidet; er sagt unter
anderem: „Licht und Farbe haben Bezug aufs Auge, der Schall aufs Ohr,
1er Geruch auf die Nase, der Geschmack auf den Gaumen, Wärme, Kälte,
Särte, Weichheit und die übrigen Sinnesqualitäten auf den übrigen
Körper. Alle diese Qualitäten pflegen Sinnesqualitäten genannt zu wer-
ien, und sie sind im Objecte selbst nichts anderes als eine Bewegung der
tfaterie, durch welche das Object auf die Sinnesorgane auf verschiedene
Weise wirkt." In seinen Elementen der Philosophie') spricht er sich über
lenselben Gegenstand noch deutlicher aus. Er äussert sich nämlich
blgendermaassen : „Wärme wird dadurch erzeugt, dass in der einfachen
Bewegung des Mediums die Theile gegenseitig den Ort wechseln, das
Licht aber dadurch, dass in derselben einfachen Bewegung die Action
dch in einer geraden Linie fortpflanzt." Sogar die Identität von Licht
md Wärme, welche erst soviel später mit Sicherheit erkannt worden ist,
>ehauptet Hob b es mit unzweifelhafter Klarheit^): „Wärme ist nicht
He Ursache des Lichtes, sondern in vielen Körpern ist dieselbe Yeran-
assung (nämlich dieselbe Bewegung) die Ursache sowohl des Lichtes
ils auch .der Wärme. Es verhalten sich also Wärme und Licht nicht wie
Jrsache und Wirkung, sondern es sind verschwisterte Wirkungen ein
ind derselben Ursache."
Mit besonderer Klarheit hat sich L o c k e ^) über das Wesen der
Wärme ausgesprochen, so dass z. B. Joule seiner denkwürdigen Abband-
ung über das mechanische Wärmeäquivalent ein Citat aus einer wenig
gekannten Schrift dieses Philosophen vorausschickte. An verschiedenen
{teilen seiner Abhandlung über den menschlichen Verstand ^) spricht er
>8 klar aus, dass er das Wesen der Wärme in einer Bewegung der klein-
sten Theile der Körper zu finden glaubt. Den Unterschied zwischen
V'arm und kalt, den unser Gefühl nachweist, sucht er in einer heftigeren
>der minder lebhaften Bewegung der Molecüle der Empfindungsnerven,
i^elche durch die entsprechenden Bewegungen in den unsichtbaren klein-
sten Theilen der Körper veranlasst werden.
Am deutlichsten jedoch spricht sich Locke in jener von Joule
^) R. Descartes, Principia philosophiae. Amstelodami 1677. Pars quarta, p. 157.
^) Thom. Hobbes, Levlathan. Amstelodami 1668. Pars prima, cap. I, de sensu.
^) Hobbes, Elementarum philosophiae Sectio prima de corpore. Londini 1655.
Qdit. princ. pars IV, cap. XXVII, §. 3, S. 258.
*) Hobbes, Problemata physica, cap. IV, S. 22. Amstelodami 1668.
^) John Locke, geb. 1632, gest. 1704.
^) An essay concerning haman nnterstanding. London 1731. 10. Aufl. S. 93, 98,
>9, 101, 285.
870 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
und nach diesem von vielen Anderen citirten SteUe ans, welche einer
weniger hekannten Arbeit i) des Philosophen entnommen ist, die er zum
Gebrauche eines jungen Edelmannes dictirt haben soll, dessen Erziebong
ihm anvertraut war. Diese Stelle lautet yollst&ndig:
„Wärme ist eine sehr lebhafte Bewegung der anwahmehmbareB
TheUe eines Gegenstandes, welche in uns diejenige Empfindong erregt,
wonach wir den Gegenstand als warm bezeichnen: was in unserer Em-
pfindung als Wärme erscheint, ist am Gegenstande nur Bewegung. Vm
erhellt aus der Art, wie Wärme hervorgebracht wird; denn wir sehen,
dass das Reiben eines metallenen Nagels auf einem Brette denselben sehr
heiss macht; und die Wagenachsen von Karren und Kutschen sind oft
heiss und bisweilen in einem Grade, dass sie in Feuer geratfaen, dorc^
das Reiben der Nabe des Rades auf denselben. Auf der anderen Seite
besteht der äusserste Grad von Kälte in dem Aufhören dieser Bewegung
der unwahmehmbaren Molecüle, welche für unser Gefühl Wärme bedeutet^
Während wir somit bei diesen drei Philosophen einzelne Aeasseningen
finden, welche eine sehr fortgeschrittene, unbefangene Einsicht in dis
Wesen der Wärme nachzuweisen gestatten, bemerken wir einen aaffiüligei
Rückschritt in dem, was Spinoza über die Natur der Wärme sagt. Die
Erklärung dieses auffiilligen Umstandes ist wohl darin zu snchen, dass es
nicht die Absicht Spinoza^s war, die Körperwelt zum Hauptgegenstande
seiner Untersuchungen zu machen'). In einem Briefe an Oldenburg')
nimmt der berühmte Philosoph deutlich för die Materialit&t der Warme
Partei, indem er über einige Experimente Boyle's mit Salpeter nnd Ssl-
petersäure sich in folgender Weise ausspricht: „Wie willer(Bo7le) aeiga
können, dass die Hitze nicht durch einen ganz feinen Stoff erzengt wor-
den ist? Etwa daraus, dass das alte Gewicht nur um ein Weniges ver-
ändert sei? etc. etc.*' und weiterhin: ,,ja ich bin überzeugt, dass die Hits»
und. jenes Auflodern, was der berühmte Mann erwähnt, von einem fremdes
Stoffe ausgegangen sind.''
Auch den ersten Versuch zu einer klaren Formolinmg des Satzes
von der Erhaltung der Energie treffen wir bei Descartes an. Derselbe
stellte den Satz^) auf, dass die Quantität der Bewegung im UniTersnis
constant bleibe. Wenn auch die Klarheit des Inhaltes des Sataes etwas
durch falsche Vorstellungen über das Maass der Kräfte beeinträchtigt wird,
so gebührt Descartes immerhin das Verdienst, die Aufmerksamkeit
zuerst auf dieses wichtige Princip gelenkt zu haben.
^) Elements of natural philosophy. A collection of several pieces of J. Locke.
London 1722. S. 224. Das Verdienst, die Originalstelle gefanden zu haben, gebibtt
wohl G. Berthold, Ramford und die mechan. Wärmetheorie. Heidelberg 1875,
nach dem wir auch obige Uebersetzung mittheilen.
^) Vergl. Spinoza, Ethik, Kirch mann 'sehe uebersetzung, Berlin 1868, S. M.
^) Spinoza, Briefe, Kirchmann's Philo». Bibliothek, Bd. 46, S. 36.
*) Cartesius, Principia philosophiae, Amstelodami 1677, F. II, S. 37 and S. 41
und P. III, $. 65.
A. Vorgeschichte. 871
Während Spinoza unzweifelhaft darüher sich im Unklaren be-
fanden hat, dasB die Wärme eine Form der Energie sei, so liegt es
jedoch andererseits in der Natur seines philosophischen Systems, dass er
von der Un Veränderlichkeit der in der Welt vorhandenen Kraft- und Arbeits-
yorräthe überzeugt war. Unzweifelhaft wenigstens ist ihm die Substanz
unendlich und ihrer Quantität nach unveränderlich; zwischen Substanz
und Kraft aber nimmt er eine Wesensidentität an und hält Materie und
Kraft nur für zwei verschiedene Modi der Auffassung des Seienden ^).
Ausführlicher und klarer spricht sich Spinoza über das Princip
von der Erhaltung der Kraft in der weniger bekannten Abhandlung:
„Von Gott, dem Menschen und dessen Glück ')" aus. In dem Gapitel, in
welchem es „Von der geschaffenen Natur" handelt, heisst es: „Was nun
die allgemeine geschaffene Natur anbetrifft oder die Modi oder Ge-
schöpfe, die unmittelbar von Gott abhängen oder geschaffen sind, so
kennen wir von diesen nicht mehr als zwei, nämlich die Bewegung im
Stoff und den Verstand im denkenden Dinge. Von ihnen sagen wir, dass
sie von aller Ewigkeit gewesen sind und in alle Ewigkeit unverändert
bleiben werden. Wahrlich ein Werk so gross, wie es der (Jrösse des
Werkmeisters geziemte.
Was nun insbesondere die Bewegung anbetrifft, da diese eigentlich
mehr in die Abhandlung von der Naturwissenschaft als hierher gehört,
dass sie von aller Ewigkeit her dagewesen ist und in Ewigkeit un-
verändert bleiben wird, dass sie in ihrer Art unendlich ist und dass sie
durch sich selbst nicht bestehen oder begriffen werden kann, sondern
allein mittelst der Ausdehnung — von dem Allem, sage ich, werden wir
hier nicht handeln etc.''
Es ist nach solchen Aeusserungen nicht ohne Weiteres zu verwerfen,
wenn einzelne begeisterte Anhänger der spinozistischen Lehre, welchen
es unbekannt war, auf wie früher Stufe menschlicher Erkenntniss be-
reits deutlichere Spuren dieses wichtigen Princips zu finden sind, den
grossen Philosophen als den eigentlichen Entdecker des Princips von der
Erhaltung der Kraft bezeichnet haben ^).
Schon mit grösserer Klarheit finden wir ähnliche Gedanken bei John
T o 1 a n d ^) wieder, welcher das System Spinoza's einer eingehenden
Kritik unterzogen hat. In zwei werthvoUen Abhandlungen, welche den
„Letters toSerena" angehängt sind, wird freilich in der* verkehrten Auf-
fassung des Kräftemaasses von Cartesius deutlich ausgesprochen, dass
die Actionsmenge im Universum constant sei. Es finden sich bei Toland
1) Vergl. Spinoza, Ethik, I. Thl.: Von Gott. Lehrsatz 28 und 36. In der
Kirchmann'schen Ausg. S. 83 u. 41.
2) Üebersetzung von Schaarschmidt. Berlin 1874. 2. Aufl., Cap. 9, S. 38.
3) Vergl. F. Cohn, Die Entwickelung der Naturwissenschaft in den letzten 25 Jahren.
Breslau 1872. 2. Aufl., S. 15.
*) Vergl. G. Berthold, Notizen zur Geschichte des Princips von der Erhaltung
der Kraft. Pogg. Ann. Bd. 157, S. 397 und Berl. Ber. Jahrg. 1875, S. 583,
872 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
einige Stellen ^), welche deutlich auf die YorstelluDg von der Einheit <k
Naturkräfte hinweisen. Wir reproduciren eine andere, welche klar genug
den Satz yoh der Erhaltung der Energie erkennen lässt. Dieselhe lautet^:
„Sowie diese hesonderen oder hegrenzten Quantitäten, welche wir di»
oder jene Körper nennen, nur die yerschiedenen Modificationen der aD-
gemeinen Ausdehnung der Materie sind, in welcher sie alle enthalten änd,
und welche sie weder vermehren noch verringem : so sind als eine adä-
quate Parallele, alle hesonderen oder Localbewegungen der Materie nsi
die verschiedenen Determinationen 'ihrer allgemeinen Action, welche ne
hierhin oder dorthin durch diese oder jene Ursache, auf diese oder je&«
Weise dirigiren, ohne sie irgendwie zu vermehren oder zu vermindern."
5. Die Vorstellungen von der Wärme im Zeitalter
Newton's.
Bei den Männern, welche dem grossen Newton vorhergingen, Oui
gleichzeitig waren und folgten, macht sich eine eigenthümliche Ver
mischung solcher Vorstellungen bemerkbar, welche mit den unseren fi1)e^
einstimmen, und solchen Meinungen, welche mit der alten Anschauiu;
zusammenhängen, dass die Wärme ein Stoff sei. Erst Hocke erhdrf
sich über diese Fragen zur vollen Klarheit.
Dem grossen, durch seine Verdienste um die Physik wie um dk
Chemie gleich ausgezeichneten Boyle (geb. 1627, gest. 1691) ist z.&
die Wärme nur eine Bewegung, das Feuer hingegen ist ihm eine Sub-
stanz, welche Gewicht besitzt. Er sagt z. B. '): „Wärme wird erzeugt,
wenn nur die Eörpermolecüle hinreichend bewegt werden." DieGewiehlx*
Vermehrung des Bleies, welches in einer verschlossenen gläsernen Seiorte
erhitzt wird, schreibt er dem Eindringen von Feuerkügelchen durch die
Poren des Glases zu^), obgleich seiner scharfen Beobachtungsgabe (&
Volumenverminderung der mit eingeschlossenen Luft, in Folge des Ter*
brauches des Sauerstoffs nicht entgangen war.
In einer besonderen Abhandlung : De mechanica caloris origine sei
productione ^) sagt er: „Das Wesen der Wärme besteht entweder übe^
haupt oder doch an erster Stelle in derjenigen Eigenschaft der Wärme,
welche wir eine mechanisch modificirte Localbewegung nennen.** &
^) Toland, Letters to Serena etc. London 1704. S. 159 n. 193.
2) A. a. 0. S. 176.
^) Rob. Boyle, Opera varia de absoluta quiete in corporibus, Colonniae AJV*
brogae 1680, p. 6.
*) Rob. Boyle, Opera varia, Detecta penetrabilitas vitri a ponderabilibus pr
tibus flammaei p. 4.
^) Rob. Boyle, Experimenta et not-ae circa caloris et frigoris originem sea pw
ductionem tnechanicam. Genevae 1694, S. 12.
I
A. Vorgeschichte. 873
sprioht eich unzweifelhaft darüher auB, dass die Geschwindigkeit der Be-
wegung der kleinsten Theile der Körper den Wärmegrad hedinge, dass
diese Wärmebewegnngen nach allen möglichen Richtungen hin sich voll-
ziehen, und dass es die unwahrnehmbaren, kleinsten Theile sind, welche
bewegt werden.
Zum Beweise seiner Ansicht weist er darauf hin, dass beim Reiben
von Körpern an einander, beim Hämmern und ähnlichen Vorgängen
Wärme erzeugt werde, ohne dass ein Verbrauch von irgend welcher Art
von Substanz stattfinde. Er sagt ganz deutlich über die Thatsache, dass
ein Nagel und der Hammer beim Schlagen heiss werden, „die Kraft des
Hammers wird dazu aufgewendet, die inneren Molecüle des Nagels heftig
in schwingende Bewegung zu setzen*^ und weiterhin: „dass eben in die-
ser Bewegung das Wesen der Wärme beruhe^.
Wie die oben mitgetheilte Ansicht Boyle's über das Wesen des
Feuers zeigt, sind die Theorien dieses hervorragenden Naturforschers
noch nicht ganz frei von den mystischen Vorstellungen der Alchemie,
deren kräftige Bekämpfung gerade er sich vorzugsweise zur Aufgabe
gestellt hatte. Seine hohe Bedeutung für die Geschichte der exacten
Naturwissenschaften liegt besonders in seiner gewissenhaften Art zu experi-
mentiren und darin, dass er lehrte, die aus den Experimenten gezogenen
Schlüsse durch Controlexperimente zu prüfen.
Newton, (geb. 1642, gest. 1727), der bekanntlich bis zuletzt mit
grosser Zähigkeit daran festgehalten hat, dass das Wesen des Lichtes
iauf der Anssendung einer feinen Substanz durch den leuchtenden Körper
bestehe, hielt im Gegensatze dazu die Wärme für eine Bewegung der
Körpermolecüle. Von den seiner Optik ^) angehängten Fragen lautet die
fünfte : „Wirken nicht Körper und Licht gegenseitig auf einander, d. h.
die Körper auf das Licht, indem sie dasselbe aussenden, brechen und
beugen und das Licht auf die Körper, indem es sie erwärmt und deren
lüiolecüle in eine vibrirende Bewegung versetzt, worin die Wärme be-
iteht?** In der neunten Frage aber sagt er: „Ist das Feuer nicht ein
Körper, der so stark erwärmt ist, dass er reichlich Licht auszusenden
vermag?"
Der Versuch englischer Schriftsteller, für Newton das Verdienst
n Ansprach zu nehmen, das Princip von der Erhaltung der Kraft ent-
leckt zu haben, muss, worauf schon Berthold ^) aufmerksam gemacht
lat, als verfehlt angesehen werden. Wenn man auch zugeben kann, dass
Newton gelegentlich von diesem Principe bei seinen mechanischen Be-
rachtnngen Anwendung gemacht hat, so hat es ihm doch ganz fern ge-
egen, demselben eine universelle Bedeutung beizulegen. Wie hätte er
^) Newton, Optics, or a treatise of tlic reflexions, refractions, inflexions and
>lours of light. London 1704. S. 133.
*) Berthold, Notizen zur Geschichte v. d. Erh. d. Kraft. Pogg. Ann. Bd. 157,
, 348.
874 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
sonst auf den Oedanken kommen können, aof den schon Leibniz^) hin-
weist, dass die göttliche Maschine: Natur, so anyollkommen sei, dass se
von Zeit zu Zeit ansgehessert und gereinigt werden müsse.
Der grosse Rivale und Zeitgenosse Newton's, den letsterer sdUk
immer nur als „Summus Huyghenius^ hezeichnete, Hayg^hens (geb.
1629, gest. 1695), hat sich minder mit dem Wesen der Wärme beschäftigt
dafür aber hat er bei seinen mechanischen Betrachtungen über Ponktt
und starre Systeme, insbesondere bei Ableitung seiner S&tze über dei
Stoss^) wiederholt sich auf das Princip berufen, dass unmöglich Knfi
aus nichts entstehen könne. Ihm mit zu allererst scheint der Inbah
und die Tragweite dieses Fundamentalsatzes zu klarem Bewasstaein ge-
kommen zu sein, jedenfalls ist er es zuerst gewesen, der denselben wk
Bewusstsein seiner Bedeutung als methodisches Hilfsmittel mit Erfolg,
wenn zunächst auch nur auf dem Gebiete der Mechanik, yerwendet hit
Er wohl zuerst zeigte auch die Unmöglichkeit ein Perpetaam mobile
herzustellen ').
Neben den eben Angeführten muss wegen der besonderen Klarbat
seiner Anschauungen über das Wesen der Wärme Robert Hookc
(geb. 1635, gest. 1703) genannt werden. Seine Aussprüche lauten der
art, dass man stellenweise glaubt, einen Physiker der heutigen Zeit n
hören; bei ihm heisst es z. B.^), „dass die Wärme nichts weiter sei als
eine sehr lebhafte und heftige Bewegung derKörpermolecü^e" und weiter-
hin : „Meiner Ansicht nach ist die Ursache* des flüssigen Aggregatsustao-
des nichts anderes als eine bestimmte Schwingung oder Erschfittenug
der Wärme, denn da die Wärme nichts anderes ist als eine sehr lebhaft«
Bewegung der Körpermolecüle, werden die Molecüle eines Körpers da-
durch so Yon einander frei gemacht, dass sie sehr leicht sich nach jeder
Richtung bewegen und flüssig werden.^ Etwas weiterhin bemeilt
Hooke^) femer: „Dass die Molecüle aller Körper, so solid diese aa^
sein mögen, doch yibriren, dazu braucht es meines Erachtens keinei
anderen Beweises als den, dass alle Körper einen gewissen Grad Wänse
in sich haben, und dass noch niemals ein absolut kalter Körper ^efos*
den ist.**
Diese letzte Aeusserung behauptet doch genau dasselbe, was man jetflt
als den Satz von der Unerreichbarkeit des absoluten Nullpunktes be-
zeichnen würde.
Auch das Princip von der Erhaltung der Kraft Endet sich bei Hocke
bereits in einer eigentbümlichen, ziemlich klaren Fassung. Nachdem er^l
^) L e i b n i t i i opera philosophica. Ed. J. E. E r d m a n n , Berottni 1840. S. 747.
^) Huyghens, Opuscnla posthuma 1703, de motu corporum ex percn^«««
Prop. XI. Vergl. Dühring, Principien der Mechanik. 2. Aufl., S. 166 etc.
8) Huyghens, Opera varia 1724. Bd. 1, S. 123.
^) R. Hooke, MicTOgraphia, S. 12. London 1667.
^) A. a. 0., S. 16.
*) The posthnmous works of R. Hooke. Published by R. Waller. London 1703,
S. 171.
A. Vorgeschichte. 875
die Behauptung aufgestellt hat, dass „das Oanze der Realitäten, welche
unsere Sinne afficiren, Materie und Bewegung sei" fahrt er fort: „sie
sind, was sie sind, Mächte geschaffen vom Allmächtigen zu sein, was sie
sind und zu wirken, wie sie thun, welche unveränderlich im Gan-
zen sind, weder durch Vermehrung noch durch Verminderung.^
Auch Hooke's Bemerkungen über die Erscheinungen, welche sich
an rasch gekühlten Glastropfen, den sogenannten Glasthränen zeigen,
und seine Erklärung des Funkensprühens beim Feuerschlagen mit Stahl
und Quarz lauten derart, dass man nicht darüber im Zweifel sein kann,
ihm war die Umsetzung von Arbeit und kinetischer Energie in Wärme
ein selbstverständlicher Vorgang. Bei Hooke's Eigenart und seiner
Neigung, sich die Verdienste Anderer zu eigen zu machen, bleibt es viel-
leicht zweifelhaft, in wie weit seine fortgeschrittenen Anschauungen ganz
sein eigenes geistiges Product gewesen sind, jedenfalls aber muss man
anerkennen, dass er zuerst dem richtigen Gedanken in so treffender Weise
Ausdruck gegeben hat.
Es erscheint uns heute fast unbegreiflich, wie es möglich gewesen
ist, dass, nachdem bereits in ihrer Zeit so allseitig anerkannte Autori-
täten, wie die vol*genannten Boyle, Newton, Hooke, sich in so un-
zweifelhafter Weise darüber ausgesprochen hatten, dass die Wärme ein
Bewegungszustand, also eine Eräfteform sei, die Ansicht von der Exi-
stenz eines Wärmestoffes späterhin wiederum hat Platz greifen und bis
in den Anfang unseres Jahrhunderts hinein die maassgebende hat bleiben
können.
Ueber die Stellung der vorgenannten Männer zu dem wichtigen
Gesetze, welches wir jetzt die Erhaltung der Energie nennen, lässt sich
zusammenfassend soviel sagen, dass, nachdem Galilei bereits bei seinen
Betrachtungen gelegentlich von Vorstellungen ausgegangen war, welche
diesem Gesetze sehr ähnlich sind ^), es nahe liegt, dass die grossen
Mechaniker und Physiker dieser Periode, die alle auf den Schultern dieses
Meisters stehen, wiederholt in ihren Werken Aussprüche gethan haben,
welche als Belege angesehen werden können, dass auch ihnen der Inhalt
dieses Gesetzes nicht ganz fremd gewesen ist.
Einen wesentlichen Fortschritt zu grösserer Klarheit und bewusster
Anwendung scheint jedoch nur, wie bereits erwähnt, hinsichtlich der An-
wendung durch Huyghens und hinsichtlich der Formulirung durch
Hooke vollzogen worden zu sein.
S. 171. Vergl. Berthold, Notizen «. Gesch. d. Princ. v. d, Erhalt, d. K., Berl. Ber.
1875, S. 583.
1) Vergl. Du bring, Principien d. Mechanik. 2. Aufl., S. 52. Leipzig, Fues, 1877
und Mach, Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit.
Prag 1872, S. 7.
876 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
6. Lelbnizens Stellung zur meclianisohen
Den AnBchaunngen unserer Zeit steht schon die Ansicht wesentüdi
näher, welche Leihniz (geh. 1646, gest 1716) von dem Wesen der
Wärme hatte. Dieser Philosoph hSit die Wärme für ähnlich, wenn anch
nicht identisch mit dem Lichte. Er sagt z. B. ^): „Die Wärme hat die-
selbe Ursache wie das Licht, nnr mit dem Unterschiede der Feinheit
Beides entsteht sowohl darch eine innerliche, in sich zurückkehrende
Bewegung, welche das Feinere ausstösst, als es auch eine solche Bewegung
bewirkt.^ Vom Lichte aber sagt er vorher'), es sei „eine Bewegung
des Aethers zum Sinnesorgan, welche geradlinig und sehr schnell sich
rings umher nach allen wahrnehmbaren Punkten verbreitet^.
Von manchen Schriftstellern wird das Verdienst, den Satz von der
Erhaltung der Energie aufgestellt zu haben, Leihniz zuerkannt. Wir
haben jedoch im Vorstehenden deutlich gezeigt, dass ähnliche Ansichten
bereits in viel früherer Zeit zu finden sind. Vielfach wird zur Begrün-
dung dieser Behauptung auf den bekannten Streit zwischen Leibnii^)
und den Anhängern des Cartesius über das Maass der Kr&fte hin-
gewiesen, von welchen bekanntlich späterhin d'Alerabert^) gezeigt hat,
dass es sich dabei wesentlich um einen Wertstreit gehandelt habe. In
Wirklichkeit liegt die Sache aber so, dass, während Gartesias be-
hauptet hat, die im Weltall vorhandene Bewegungsgrösse (27 mc) bleibe
constant, Leihniz den Vorrath an lebendiger Kraft (nach Leibnii
2Jmv^) im Welträume fär unveränderlich hält.
In Wirklichkeit hat aber damit keiner Recht, da weder die eine
noch die andere, sondern nur die Summe aus potentieller und kineüaeher
Energie unveränderlich ist, und zwar auch nur in sofern, als beide Be
griffe in einer ganz allgemeinen Bedeutung verstanden werden, derea
Verständniss erst erschlossen wurde, als R. Mayer darauf hingewiesen
hatte, dass auch Wärme, chemische Differenz, elektrische und magnetische
Wirkungen als Energieformen anzusehen seien, welche in die rein meeha-
nischen nach bestimmten Aequivalentverhältnissen umsetzbar sind.
Eine Bemerkung ist von Bedeutung, welche sich in dem ans der
Zeit des Streites mit den Cartesianern herrührenden Essai de dyna-
mique ^) findet. Dieselbe bezieht sich auf die scheinbaren ElnergieTerluste
beim Stosse und lautet: „Was durch die kleinen Theile absorbiri wxrä.
^) Leibniz, Mathem. Schriften, herauBgegeben von Gerhardt. 2. Abth., 2. Bi.
Seite 36.
2) A. a. 0., S. 34.
8) A. a. O., S. 117 und S. 234.
^) d'AIembert, Trait^ de dynamique. Paris 1743. Vorrede, S. XVI.
*) Leihniz, Mathem. Werke. Ausg. von Pertz-Gerhardt, Bd. VI, S, 231.
A. Vorgeschichte. 877
geht keinesfalls absolat für das Uniyersam yerloren, obwohl es für die
Gesammtkraft der zasammenstossenden Körper yerloren geht.*'
Yon Wichtigkeit igt auch die Stellung, welche dieses wichtige Prineip
in der Betrachtungsweise yon Leibniz einnimmt. Er schliesst z. B. in
folgender Weise ^): „Die Körper des Uniyersnms können mit anderen
Körpern, welche in dem Uniyersnm nicht enthalten sind, nicht communi«
. ciren. Das Uniyersam ist also ein System yon Körpern, welche mit an-
deren nicht communiciren, und daher erhält sich in ihm immer dieselbe
Kraft."
Bereits bei Gelegenheit der Erwähnung des Streites zwischen Leib-
niz und den Cartesianern über das Maass der Kräfte war darauf
hingewiesen worden, dass der Erstgenannte bereits ziemlich richtige
Vorstellungen yon dem Inhalte und der grundlegenden Bedeutung des
Satzes yon der Energie hatte, soweit es sich um Anwendungen dieses
Satzes innerhalb des Bereiches der Mechanik handelte. Es liegen Be-
weise dafür yor, dass diesem grossen yielseitigen Gelehrten der Ueber-
gang der kinetischen Energie bewegter Körper in das, was win heute
als Molecularbewegung zu bezeichnen pflegen, yoU ständig bekannt war.
Er yergleicht z. B. diese Umsetzung sehr treffend mit dem Wechseln
eines grossen Geldstückes in Scheidemünze ').
Es gelang ihm jedoch nicht zu erkennen, dass Arbeit und Wärme
nach feststehenden quantitatiyen Verhältnissen in einander umsetzbar sind;
er hat, obgleich er dem Ziele nicht mehr fern war, in dieser Richtung
den letzten wichtigen Schritt nicht gethan. Die erforderlichen Grundlagen
waren jedoch für ihn zum grössten Theile yorhanden, denn in Bezug auf
die Wärme sagt er, worauf wir schon yorher (S. 876) hingewiesen haben,
dass sie eine innerliche in sich zurückkehrende Bewegung sei ^). Was
kann er unter diesen Worten anderes yerstanden haben als: eine schwin-
gende Bewegung? Ferner musste dem Begründer der Lehre yon den
Monaden ein Aufbau des Stoffes aus einzelnen Molecülen etwas Selbst-
yerständliches sein. Er yergleicht z. B.^) die weichen Körper mit einem
Sack yoU elastischer Kugeln, welche bei einem massigen Stoss nicht
wieder die frühere Form annehmen, weil die Theile nicht genug mit
einander yerbunden sind und fährt weiter fort : „Hieryon kommt es, dass
bei dem Stosse solcher Körper ein Theil der Kraft durch die kleinen
Theile absorbirt wird, welche die Masse zusammensetzen, ohne dass diese
Kraft dem Ganzen zurückgegeben wird. — Indessen ist dieser Abzug
der Totalkraft durchaus kein Verstoss gegen das Gesetz der Erhal-
^) LeibDiz, Mathem. Schriften. Herausgegeben von Gerhardt. Halle 1860.
Abth. 2. Bd. 2, S. 434. Vergl. auch S. 865 die Beweisführung Epikur's.
^) Leibniz, Opera philosophica etc. S. 775. Vergl. auch G. Berthold, Notizen
zur Geschichte des Principes der Erhaltung der Kraft. Pogg. Ann. Bd. 157, S. 342.
^) Leibniz, Mathem. Schriften. Herausgegeben v. Gerhardt. 2. Abtheilung,
2. Bd. Halle 1760. S. 34.
*) A. a. 0., S. 230.
878 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
tung der Kraft in der Welt. Denn was durch die kleinen Thak
ahsorbirt wird, ist keineswegs für das Universum verloren, obgldde«
für die Totalkrafb der stossenden Körper verloren ist" Man sieht \aik
ein, dass der nächste wichtige Schritt, welcher bei Anderen, wie z.&
bei Hooke, bereits gethan ist, und welcher lauten würde: diese B^
weguDg der kleinsten Theile ist das, was wir Wärme nennen, bei Leib-
niz fehlt. Hätte er ihn gethan, so würde er, da er in obigem Gitat aof &
Quantitätsbeziehungen deutlich hinweist, naturgemäss dazu gefahrt wot-
den sein, auszusprechen, dass die erzeugte Wärme der scheinbar tv
lorenen Arbeit entspreche. — Leibniz wurde an diesem Schritte dft>
durch gehindert, dass bei ihm die Begriffe Kraft und Arbeit noch nids:
zu genügend klarer Unterscheidung gediehen waren, und weil ihm der
Begriff der Wärmemenge noch fremd war, der bekanntlich erst dord
J. Black ^) und Wilcke^) in die Wissenschaft eingeführt worden ist
7. Die Bemoulli's.
Schon Johann Bernoulli^) hatte die Wärme für einen Be-
wegungszustand der Körpermolecüle angesehen^), jedoch war es eni
seinem Sohne Daniel Bernoulli^) vorbehalten, aus diesem Gedanka
diejenigen fruchtbaren Folgerungen zu ziehen, welche ihn zum eigesi-
lichen Begründer der kinetischen Gastheorie gemacht haben. — Möglich£^
weise stammt jedoch die erste Anregung zu dieser eigenthümlichen B^
trachtungsweise schon von Jacob Bernoulli, dem Bruder des JoIibbi
Bernoulli. Bei einem Schüler desselben, Jacob Hermann^) (g^
boren 1678, gestorben 1733), findet sich nämlich schon zwei Jahnebir
früher, als bei DanieJ Bernoulli der Satz, dass die Wärme eins
Körpers dem Producte aus der Dichte und dem Quadrate der mittlera
Geschwindigkeit seiner kleinsten Theile proportional sei. — Bemerkesr
werth ist, dass schon Johann Bernoulli den Namen £nergie fv
Arbeit gebraucht. Er sagt z. B. in einem 1717 an Yarignon g^
1) J. Black (geb. 1728, gest. 1799).
2) J. K. Wilcke, geb. 1732, gest. 1796.
3) Job. Bernoulli, geb. 1667, gest. 1748.
^) Vergl. S. Hagenbach, Die Zielpunkte der pbysik. Wissenschaften. I/eipac
1871. S. 32.
*) Daniel Bernoulli, geb. 1700, gest. 1782. Vergl. die Verdienste dcssdte
um die Begründung der kinetischen Gastheorie im Abschnitte I, B, dieses Bandes; ^G^
scbichtliches über die Moleculartheorie, im Besonderen über die der Gase", S. 12ii.$-i
Vergl. auch die Ueberseizung der ersten sechs Paragraphen des 10. Baches der Hjdn-
dynamik, welche P. du Bois-Reymond in Pogg. Ann* Bd. 107, S. 490 mitgetheilt iit.
^) J. Hermann, Phoronomia sive de viribus et motibus corporum solidonun et
fluidorum libri duo. Amstelodami 1716, S. 376. Vergl. E. Oehler, Beitrag rv
Geschichte der mechan. Wärmetheorie, Wiedem. Ann. Bd. IX, S. 512.
A. Vorgeschichte. 879
richteten Briefe^): „Unter Energie ist zu verstehen das Product der
Kraft in die Projection der Yerschiehong anf die Krafbrichtung etc/i
während sich hei seinem Sohne Daniel hereits der Unterschied zwischen
actneller und potentieller Energie TorfindeL Von diesen Begriffen machte
Letzterer z. B. Anwendung hei Ahleitnng der nach ihm henannten Formel
für die Ansflussgeschwindigkeit von Gasen aus engen Gefössmündungen.
Selbstredend gehraucht auch er, wie sein Vater, den Begriff Energie nur
in Anwendung auf rein mechanische Vorgänge. Wenn er die W&rme
bei Gasen als einen rein mechanischen Vorgang auffasste, lag ihm eigent-
lich der Gedanke sehr nahe, die zur Zusammenpressung eines Gases auf-
gewendete Arbeit mit der durch diesen Vorgang erzeugten Wärmemenge
in Verbindung zu setzen, aber auch ihm fehlte, da seine Hydrodynamik,
in der er die kinetische Theorie der Gase abhandelt, schon im Jahre 1738
erschienen ist, der für eine solche Gedankenverbindung nothwendige Be-
griff der Wärmemenge. — Es findet sich jedoch insofern bei Daniel
Bernoulli ein wesentlicher Fortschritt, als er einestheils klar die Mole-
cularbewegungen für die Ursache der Wärme erklärt und andererseits
die in dieser Molecularbewegung vorhandene Energie als solche klar be-
zeichnete. Gleich im Anfange seiner Hydromechanik^) sagt er z. B. :
„Alle stimmen darin überein, dass alle Fluida eine innere Bewegung
haben. Aus diesem Grunde werden selbst die meisten Körper von
festester Constitution flüssig durch einen hinreichenden Grad von Wärme,
welche alles in Bewegung bringt. — Diese innere Bewegung bewirkt
aber, dass die Molecüle einander nicht berühren, sondern gleichsam
fliegen, wodurch es geschieht, dass sie ohne Reibung durch den gering-
sten Stoss von ihrem Platze weichen, was keineswegs geschehen würde,
wenn diese Molecüle wie bei einem Haufen Sand in Berührung lägen.
Je intensiver aber die Wärme ist, desto heftiger ist auch die Bewegung
1er Molecüle ."
An einer anderen Stelle ^) desselben Werkes sagt er : „Ein Punkt
et nicht zu vernachlässigen, in welchem sich die elastischen Fluida von
len nicht elastischen unterscheiden, nämlich darin, dass ein elastisches
^luidum auch im ruhenden Zustande lebendige Kraft besitzt
nsofern durch seine Spannkraft in anderen Körpern, welche ein Gewicht
>e8itzen, ein solches Aufsteigen (entgegen der Wirkung der Schwerkraft)
bewirken kann. Hoffentlich wird es gestattet sein, im Folgenden den
Lusdrack: lebendige Kraft, welche einem comprimirten elastischen Körper
ingepflanzt ist, zu gebrauchen, wenn man nichts anderes darunter ver-
teht, als den potentiellen Auftrieb, welchen ein elastischer Körper einem
nderen mittheilen kann, so lange seine gesammte elastische Kraft noch
icht ersdiöpft ist." Im weiteren Verlaufe spricht er alsdann einen Satz
1) Vergl. Moritz Rühlmann, Vorträge aus d. Geschichte d. theoret. Maschinen-
hre, S. 149.
^) Dan. Berooulli, Hydrodynamica. Argentorati 1788. Sectio prima, §. 24, S. 14.
^) HydrodyD. Sect. decima, §. 43, S. 231.
' 880 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
aus, welcher allerdings bereits den Gedanken von der Umsetsbarkest n
Wärme in Arbeit, ja sogar von der Ueberführang von potentieller Ebsb
in chemische Verwandtschaft in Arbeit deutlich zum Ansdmck briir.
Man kann daher behaupten, dass Dan. Bernoulli zuerst den^Gedaik
von einer Umsetzbarkeit der verschiedenen Naturkräfte in einander m
weit concipirt hatte, als dies bei dem damaligen Zustande pfaysikaÜKk
Kenntnisse möglich war. Ein wesentlicher Mangel ist es jedodi, im
auch bei ihm die Nothwendigkeit quantitativer Beziehungen niifoi
Erwähnung findet. Die charakteristische Stelle, auf welche wir »\t
Werth legen, heisst*):
„Aus dieser Uebereinstimmung zwischen der Erhaltnng der, k
comprimirten Luft und einem von einer gegebenen Höhe herabgefiülac
Körper innehaftenden , lebendigen Kräfte erhellt, dass zum Maa^Baff
gebrauche kein Yortheil von dem Princip der ZusammenpresBung
Luft zu hoffen ist. — Da aber auf vielerlei Art die Luft nicht
Verwendung von Kraft, sondern von Natur comprimirt ist oder
aussergewöhnlichen Grad von Spannkraft erlangt, steht sicher zu kS
dass von diesem natürlichen Zustande der Dinge grosse Yortheik s
die Bewegung von Maschinen erdacht werden können, wie denn hen
D. Amontons einen Modus für die Bewegung von Maschinen (
die Kraft der Wärme gelehrt hat. Ich hege die Ueberzeugnng,
wenn alle lebendige Kraft, welche in einem Cubikfuss Kohle v
ist, auf vortheilhafte Weise zur Bewegung einer Maschine v
wird, mehr damit erreicht werden kann, als durch die tägliche
von acht oder zehn Menschen.^
In seiner wenig bekannten Abhandlung „Bemerkungen über d»
einem allgemeinen Sinne genommene Princip von der Erhaltung kia
diger Kräfte^)" bezeichnet er dieses Gesetz selbst als ein grosses Piie
der Natur. Schwer vereinbar mit so fortgeschrittenen Anschas
aber bleibt es , dass Daniel Bernoulli') den Theil der lebes*
Kraft, welcher beim Stosse unelastischer Körper scheinbar verloren g^
eine „materia subtilis^ übergehen und derselben inhärent bleiben I
Merkwürdigerweise ist auch der Anlauf, den Daniel Bersot
machte, um die Eigenschaften der Körper lediglich aus einer Be
der Atome, statt wie Bor eil i und Andere aus der Gestalt und den
Schäften der Atome zu erklären, ohne unmittelbare Conseqnenzen far
Physik geblieben. Erst der neueren Zeit war es beschieden sich vob
alten Corpusculartheorie erfolgreich zur kinetischen Atomistik*^) n
heben.
^) Hydrodyn. S. 231. Zuerst hat Berthold anf diese bemerkenswertbe
aufmerksam gemacht, vergl. dessen Schrift: Ramford etc., S. 16.
^) Memoiren d. Berl. Akad. d. Wissenschaften vom Jahre 1748, S. 356.
^) Hydrodynamica, Sect. I, §. 20, Argentorati 1738, S. 13.
^) Vergl. Lasswitz, Der Verfall der kinetischen Atomistik im 17. Jahrhcsia
Pogg. Ann. Bd. 153, S. 371.
A. Vorgeschichte. 881
8. Die hemöheiidexi Meinimgen zu Ende des vorigen
Jalirbnnderts.
Obgleich der Satz von der Erhaltang der Kraft durch immer aus*
gedehntere Anwendung auf mechanische Probleme sieb mehr und mehr
einbürgerte und grösserer Klarheit entgegenreifte, so lässt sich doch kein
herrorstechender Einfluss desselben auf die Entwickelung der übrigen
exacten Naturwissenschaften von der Mitte bis zum Ende des 18. Jahr-
hunderts nachweisen. Auffallig bleibt es, dass während dieses Gesetz den
Mathematikern und Philosophen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
noch ganz geläufig war, dasselbe gegen Ende desselben mehr und mehr
aus dem Bewusstsein der Nichtmechaniker entschwindet. Immanuel
Kant (geb. 1724, gest. 1804) z.B., welcher über einen diesem Gedanken-
kreise nahestehenden Gegenstand seine Doctordissertation „De igne^
schrieb*), hatte schon im Jahre 1746 eine kurze Abhandlung über das*
Cartesianische und Leib niz' sehe Kräftemaass verfasst; er war auch
sonst im naturwissenschaftlichen Wissen seiner Zeit vollständig zu Hause,
dennoch findet man in seinen ^Metaphysischen Anfangsgründen der Natur-
wissenschaft ** den Satz von der Erhaltung der Kraft nicht einmal erwähnt^).
Auch die bis dahin schon zu ziemlicher Klarheit entwickelten Vor-
stellungen über die Beschaffenheit der Wärme, nach welchen man es in
derselben nur mit einer Bewegung der kleinsten Theile der Materie zu thun
hat, werden in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr
verdunkelt und machen schliesslich fast ganz der irrigen Meinung Platz,
dass Wärme ein feiner Stoff sei, der sich ähnlich wie andere Elemente
mit den übrigen Körpern in wechselnden Verhältnissen verbinden könne.
Im Besonderen war es der Philosoph Christian Wolff (geb. 1679,
gest. 1754), der zur Verbreitung der Vorstellung beitrug, dass man es
in der Wärme mit etwas Stofflichem zu thun habe. In seiner Kosmologie,
und zwar in der Abtheilung „Vernünftige Gedanken von den Wirkungen
der Natur^ unterscheidet er in jedem Körper eine eigenthümliche und
fremde Materie und rechnet zu der fremden, neben der magnetischen
Materie, auch den Wärmestoff.
Wenn man sich an den maassgebenden Elinfluss erinnert, den Wolf f^s
Philosophie nicht nur während der Lebenszeit ihres Begründers, sondern
bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts besessen hat, so wird man sich
nicht wundern, dass die von ihm ausgesprochene Meinung über das Wesen
der Wärme auf fast allen Lehrstühlen und in den weitaus meisten Schrif-
ten wiederholt wurde.
^) Iram. Kant, Einige kurzgefasste Betncktatigen über das Feuer, 17. April 1755.
Kirchmann'sche Aasgahe Ton Kant'a kleiaeren Schriften zar Natarphiloaophie, 2. AuB.
^) Im Jahre 1775 beschloss die Pariser Akademie LÖsnngeu der Aufgabe des Per-
petanm mobile nicht mehr anzunehmen. Man morste sich doch somit in maassgeben-
den Kreisen schon damals Uar sein, dass es unmöglich sei auf irgend eine Weise Be-
wegung aus nichts zu erzeugen.
Rfihlmann, Mechan. Wftrmelheoric. Bd. II. 5ß
882 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Im Jahre 1738 hatte die Pariaer Akademie eine Preisaafgabe ge-
stellt über das Thema: »I^ '^ nature dufeu et sa propagiaiion'^ ^ was man
mit £. Da Bois-Reymond wohl am treffendsten mit: „Das Wesen der
Wärme und ihre Fortpflanzung^ ^) übersetzt. Nach Mittheilangen N ol-
le t's war die Veranlassung für das Aufwerfen dieser Frage der Wider-
spruch, welcher scheinbar zwischen dem Gesetze von der Erhaltang der
Kraft und der Thatsache bestand, dass ein einziges Fünkchen einen
grossen Waldbrand veranlassen könne.
Von dem, was wir heute mit dem Namen „Auslösungen" belegen,
hatte man in jener Zeit ja noch keine Vorstellung. Bekanntlich siegte
in dem Wettstreite, an welchem auch Voltaire und seine Freundin, die
Marquise du Ghatelet, theilgenommen hatten, Leonhard Cnler
mit zwei Anderen '), während den beiden Erstgenannten nur eine ehren-
Tolle Erwähnung zuerkannt wurde. Euler vertritt in dieser prds-
gekrönten Abhandlung y^Disseriaiio de igne^ die Hypothese von der
'Stofflichkeit der Wärme. In den Theilchen brennbarer Körper, sagt er,
sei der vom Aether verschiedene Feuerstoff enthalten. Er vergleicht diese
Theilchen, welche den Wärmestoff enthalten, mit kleinen hohlen Glas-
kugeln, welche mit comprimirter Luft gefüllt sind und beidemg^etingsten
Stosse zerbrechen, und deren Scherben durch die sich ausdehnende Lnit
gegen die benachbarten Glaskugeln geschleudert werden und diese zer-
trümmern. Ein dem letztangedeuteten ähnlicher Process soll die Fort-
pflanzung der Wärme veranlassen.
Voltaire experimentirte fleissig über die Natur der Wärme and
konnte keinen Gewichtsunterschied für denselben Körper finden, je nachdem
er ihn heiss oder warm wog. Da er aber die Wärme für einerlei mit dem
Lichte hielt und als leidenschaftlicher Verehrer und Anhänger Newton*i
vollständig von der Emanationstheorie des grossen Mathematikers über-
zeugt war, hielt er es nicht für ausgeschlossen, dass die Gewichtsdifferens
zwischen einem und demselben Körper im kalten und heissen Znstande an ge-
ring sei, um mit Sicherheit durch die Wage nachgewiesen werden zu können.
In der für die Preisbewerbung eingereichten Arbeit der Marquise
du Ghatelet kommt die bemerkenswerthe Stelle vor, nach welcher sie
eine gelegentliche Entstehung von Waldbränden durch gegenseitig Rei-
bung der Zweige bei heftigem Winde nicht für ausgeschlossen hält. Diese
Ansicht ist ihr später von Friedrich dem Grossen, mit dem die
Marquise in Briefwechsel stand, widerlegt worden ').
^) Du Bois-Keymond, Voltaire in seiner Beziehung tur Naiurwieteaach«fL
Monatsber. d. Berliner Akademie 1868, S. 45.
^) Dieselben waren der Jesuit Lozeran deFieac, nach welchem die Waraae
AUS in heftigem Wirbel begriffenen „flüchtigen und wesentlichen Salzen, ans SchweM«
Luft, AetherKtofi'' zusammengesetct ist, und Comfte Cr^quj, welcher sich ganz ia
C ar t esi an i sehen Sinne ausgesprochen hatte.
^) Oeuvres de FrM^ric le Grand. Bd. 21, S. 7 etc. Vergl. Du Bois-Refnos^.
Voltaire in seiner Beziehung zar Natur wisseuBchafb, Monatsber. d. Berl. Akad. f. d.
Juhr 1868, S. 53.
A. Vorgeschichte. 883
Man erkennt aus dem Angeführten zur Genüge, welehe Unklarheit
an Stelle jener überraBchend richtigen YorBtellnn gen getreten war, welche
man z. B. schon bei den Zeitgenossen Newton's nnd bei Daniel
BernouUi findet.
Voltaire^) schreibt zwar die Wirkungen der Wärme ihrer Be-
wegung zu; die Wärme hält nach seiner Meinung der gegenseitigen An-
'ziehung der kleinsten Körpertheilchen das Gleichgewicht, sie bedingt den
flüssigen Zustand, ertheilt der Luft die Elasticität and zerlegt bei
'grosser Heftigkeit die Körper in ihreBestandtheile; immerhin aber denkt
!er dabei an die Existenz eines Wärmestoffes.
Aehulich äussert sich später auch H o 1 b a c h , dessen in dem „ Systeme
de la nature^ niedergelegte Meinungen man vielfach als typische Form
der materialistischen Anschauungen der französischen Eucyklopädisteu
anführt. Er 3) sagt, die Wärmematerie habe die besondere Eigenschaft,
^af eine Art bewegt zu werden, welche auf unsere Organe das Gefühl der
Wärme hervorbringt.
Auch Diderot, dessen Fensies sur Vinterjpretation de la nature
bereits eine ziemlich richtige Vorstellung von der Einheit der Natur-
cräfte erkennen lassen, hält die Wärme noch für einen Stoff. Deshalb
^öhrt er die Wärme nicht mit an, wenn er') Schwere, Elasticität, An«
äehung, Magnetismus, Elektricität als Wirkungen derselben Ursache
bezeichnet.
Auch Boscovich (geb. 1711, gest. 1787), dessen Bedeutung für
\ie Wiederbelebung der Atomistik von Fechner^) in das rechte Licht
''eatellt geworden ist, steht'mit seinen Anschauungen über das Wesen
•er Wärme noch ganz auf dem Standpunkte, dass Wärme ein Stoff sei.
fach der Meinung von Boscowich^) wird die Wärme durch eine heftige
Bewegung einer feurigen oder schwefligen Substanz verursacht, welche
orzüglich mit den Lichtmolecülen in Gährung gerät h; die Kälte soll in
em Fehlen dieser Wärmesubstanz oder dem Aufhören der Bewegung in
erselben ihre Ursache haben. — Von dem Begriffe der Auslösungen,
an welchem , wie wir sahen , die Pariser Akademie bei der Aufstellung
irer vorhin erwähnten Preisaufgabe noch keine Ahnung hatte, findet
ch jedoch in dem citirten Werke bereits eine sehr ansprechende Vor-
;elluug in Gestalt eines treffenden Bildes ^).
Charakteristisch für die am Ende des vorigen Jahrhunderts herr-
iliende Geistesströmung ist es, dass man sich zwar durchaus bemühte,
^) E. da Bois-Reymond, Voltaire in seiner. Beziehung zur Naturwissenschaft.
t>iiat8her. d. Berl. Akad., Jahrg. 1868, S. 47.
^) (J. Berthold, Rumford und die naechan. Wärmetheorie. Heidelberg 1875.
6.
8) A. a. 0. S. 61.
*) Fechner, Ai omenlehre. 2. Aufl. Leipzig 1864. S. 153 und 231.
^) Bo 8 COT ich, Philosophiae nuturalis theoria. Vlennae Aastriae 1759. 8. TUl.
502, S. 297.
«*) A. a. 0., §. 463, S. 243.
56*
884 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
die Wirkangen der Wärme durch die Yorstellung von einer Bevegan^
der Molecüle hegreiflich zu machen ; man sah jedoch nicht die kiäiuta
Theile der Körper selbst als das Bewegte an, sondern blieb an der doK-
kritischen Vorstellung haften, dass es eine besondere Wärmesubstaiugd»
und dass die Bewegung der Atome dieses Wftrmestoffes das Wesen der
Wärme ausmache.
Ein sehr charakteristisches Beispiel dieser Denkweise liefert du
spätere Conventsmitglied Marat in einer physikalischen Abhandhi;
Eecherches physiques sur le feu. Wärme und Feuer erklärte er^)^
Wirkungen derselben Ursache, welche nur dem Grade nach verscbiedc!
seien. Er Terwirft die Annahme, dass nur die grössere oder geriagm
Anhäufung eines Wärmestoffes den Wärmezustand eines Körpen bedii^
Eine besondere Substanz, „fluide ign^'' genannt, bewirke nicht darch ib
Anwesenheit, sondern durch ihre Bewegung die Erscheinungen der Wir«
nnd des Feuers; ebenso werde die Kälte durch die Yermindenuf der
Bewegung des „fluide igne** hervorgebracht. Wird die Bewegung bo gna
dass die Kraft des Feuers diejenige der Adhäsion übersteigt, so wird de
Körper flüssig. In der Flüssigkeit sind die Theilchen befreit tod d?
Cohärenz, bei der Verdampfung werden die Molecüle aus der Spbit
ihrer Anziehung hinausgestossen. Das Feuerfluidum, weit davon eoto
sich in den Körpern zu flxiren, verhindert lediglich durch seine Beiregssr
die absolute Cohärenz der Körpermolecüle, — eine Cohärenz, welche 80i$
alsbald das Universum zu einer unbeweglichen Masse machen undje^
Bewegung vernichten würde.
Wenn wir vorher darauf aufmerksam machten (vergl. S. 8dl), d»
Kant's Schriften ein Beweis dafür seien, dass der Satz von derEr^
tung der Energie in jener Zeit nahezu vollständig aus dem YorBtelliif
kreise deijenigen entschwunden war, welche sich sonst angelefestÜ^
mit theoretischen naturwissenschaftlichen Betrachtungen befasstea. >
sind auch andererseits seine Aeusserungen ein weiterer Beweis difi^
wie fest sich der Gedanke eingebürgert hatte, dass die Wärme eioer V
sonderen Substanz zuzuschreiben sei. Auch dem grossen Philosopba.
der schon vor Laplace die noch heute in den Hauptzügen ah ^
angesehene Kosmogenie entwickelte, der bereits das Drehnngsgeseti ^
Winde, welches jetzt als das Do versehe bezeichnet wird, suigfl^
hatte, und durch eine Menge treffender Bemerkungen bewiesen hitt ^
tief er in den Geist der Natur eingedrungen war, und wie vorzügliche Ee^
nisse er in diesem Gebiete besass, konnte sich nicht von der Yont^
eines Wärmestoffes frei machen. — Er war kein Anhänger der dtfi^
noch allgemein giltigen Newton' sehen Corpusculartheorie des Lx^
aber auch die von Uuyghens nnd Euler aufgestellte Schwingt!^
hypothese konnte er nur in einer Anwendung auf einen Wärmestoff sfis*
Anschauungen dienstbar machen.
>) G. Berthold, Ramford u. d. mechan. Wärmetheorie. Heidelberg 1875. S^
A. Vorgeschichte. 855
In seiner Doctordissertation y,De igne*^ hemerkt Kant^): „Wenn
man der Hypothese heitritt, die den Gesetzen *der Natur am meisten ent
spricht, und kürslich durch den herühmten Eni er in neuer Weise ver-
stärkt worden ist, wonach das Licht kein Ausfluss der leuchtenden Körper
ist, sondern ein sich fortpflanzender Druck eines üherall verhreiteten
Aethers, so wird man einräumen müssen, dass dieser Aether offen-
bar mit dem Stoffe des Feuers verwandt oder vielmehr identisch ist. —
Per Stoff des Feuers ist nur ein elastischer Stoff, welcher die Elemente jed-
weden Körpers, mit dem er vermengt ist, zusammenhält; seine wellen-
förmige oder zitternde Bewegung ist das, was man Wärme nennt ^/ In
den „metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft')** äussert
er, Bezug nehmend auf eine beiläufig von Newton ausgesprochene Mei-
nung über die Beschaffenheit der Gase: „Allein man kann die Ausspan-
nungskraft der letzteren (nämlich der Theile der Luft) auch nicht als die
Wirkung ursprünglich zurückstossender Kräfte ansehen, sondern sie
beruht auf der Wärme, die nicht bloss als eine in sie eingedrungene
Materie, sondern allem Anschein nach durch ihre Erschütterungen die
eigentlichen Lufttheile (denen man überdem wirkliche Entfernungen von
einander zugestehen kann) nöthigt, einander zu fliehen. Dass aber diese
Bebungen der einander nächsten Theile eine Fliehkraft, die in umgekehr-
tem Verhältnisse ihrer Entfernungen steht, ertheilen müssen, lässt sich
nach den Gesetzen der Mittheilung der Bewegung durch Schwingung
elastischer Materien wohl begreiflich machen. **
Der grosse Astronom und Physiker Laplace befasste sich, obgleich
er auf dem Gebiete der Wärmelehre eine Menge trefflicher Arbeiten ge-
liefert hat, nicht mit der Frage, worin das Wesen der Wärme eigentlich
zu suchen seL Er lässt es vielmehr unentschieden, wie man sich die Wärme-
vorgänge vorstellen soll, schreibt jedoch ebenfalls, wie vor ihm bereits
Marat und Kant, der Wärme eine Repulsivkraft zu, welche beispiels-
weise beim Schmelzprocease den flüssigen Molecülen mitgetheilt wird^.
Er sagt, wenn diese Repulsivkraft der Wärme den Druck der Atmosphäre
überwinde, dann gerathe das Wasser ins Kochen und verwandele sich in
Dampf. *
Unterdessen war bereits jene Zeit herangekommen, in welcher in
der damals mit der Physik eng verschwesterten Chemie ein neuer Morgen
zu dämmern begann. Aber selbst als durch Lavoisier's Verdienste
es endlich gelang die Stahl' sehe Lehre von dem Phlogiston zu über-
^) Einige kurzgefaMte Betrachtnngeii über das Feaer. Königsberg, den 17. April
1755. Immanuel Kant's kleinere Schriften zur Katurphilosophie. Heraasgegeben
von Kirchmann. Berlin. 2. Abth. 1873. 8^ S. 282.
*) 1. c. pag. 279.
') Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 1786. Immanuel Kant's
kleinere Schriften zur Naturphilosophie. Herausgegeben von Kirchmann. Berlin 1872.
8^ 1. Abth. S. 248.
^) Laplace, Exposition du Systeme du monde. Paris. Bd. 1, S. 165. '
886 V. Geschichte der mechanischen W&rmetheorie.
winden, konnte man sich noch nicht von der Ansicht losmachen , dass
man es in der Wärme mit einem Stoffe zu thnn hahe. Der anftnglieh
ohne eine hestiromte Voreingenommenheit üher das Wesen der W&rme
gebrauchte Ausdruck ^cälorique^ gewann unter der Herrschaft der allgemein
gültigen Lehrmeinung bald die Bedeutung, als ob der damit bezeichnete
Wärmestoff eine ähnliche Substanz sei, wie andere chemische Ghrandstofie,
eine Substanz, welche mit anderen in wechselnden Verhältnissen Verbin-
dungen eingehen könne.
Unter solchen Verhältnissen gewinnt die siegreiche Ueberwindnng
der Lehre von der Existenz eines Wärmestoffes durch Rumford and
Davy auf experimentellem Wege in der That den Werth einer herror-
ragenden wissenschaftlichen Entdeckung, obgleich es sich in theoretischer
Beziehung eigentlich nur um die Neubelebung von Vorstellungen han-
delte, welche bereits wiederholt in 7 iel früheren Perioden der Wissenschaft
maassgebende Bedeutung gehabt hatten.
B. Von Rumford bis zu R. Mayer.
1. Rumford.
Die Lehre von der Existenz eines Wärmestoffes wurde endgültig
erst durch die Versuche von Rumford widerlegt. Man beobachtet auch
in diesem Falle die lehrreiche Thatsache, dass ein an sich richtiger Ge-
danke, wie der, dass die Wärme eine Kräfteform sei, so lange auf die
Weiterentwickclung der Wissenschaft unwirksam bleibt, als er nur auf
dem Wege der philosophischen Speculation oder theoretischen Abstrac-
tion gefunden worden ist. Erst dann gewinnt in den empirischen Wissen-
schaften ein neuer Gedanke Einfluss auf die fernere Gestaltung der An-
6ch(^uungen, erst dann wird er in den Organismus der betreffenden Dis-
ciplin aufgenommen, wenn er auf empirischem Wege gewonnen oder
mindestens durch unzweifelhafte Versuche bestätigt wird.
Benjamin Thompson (geb. 1753, gest. 1814) wurde wegen seiner
grossen Verdienste, welche er sich um Bayern erwarb, während er 10
diesem Lande verschiedene hohe Staatsämter, unter anderen das eines
Kriegsministers bekleidete, vom Churfursten Carl Theodor, der da-
mals gerade Reichsvicar war, in den Reichsgrafenstand erhoben nnd
führte daher nach seinem Geburtsorte Rumford (jetzt Goncord, New
Hampshire, in Nordamerika) den Titel Graf von Rumford. Unter
dem Namen Rumford sind seine zahlreichen, äusserst werthvollen
Untersuchungen, welche sich über beinahe alle Theile der Wärmelehre,
einzelne Gebiete der Optik, viele Zweige der Artillerie Wissenschaften und
eine Menge technologische Fragen erstrecken, bekannt geworden. Er
B. Von Ramford bis zu R. Mayer. 887
sagt selbst: „Versuche über die Wärme anzustellen, war von jeher eine
meiner angenehmsten Beschftfbigang^n ^)'^j und fihrt dann fort: „Diese
yiey ährige Gewohnheit, vermöge welcher ich alle und jede Phänomene,
die zu meiner Kenntniss gelangen und mit der Wärme und deren Wir-
kungen nnr auf die entfernteste Art in Verbindung stehen , sogleich mit
der grössten Begierde auffasse und sie zu ergründen strebe, hat mir fast
alle jene Versuche an die Hand gegeben, die ich in Betreff dieses Gegen-
standes angestellt habe."
Bei Gelegenheit von Versuchen über die Wirksamkeit des Schiesspulyers
machte er die Beobachtung, ^ass ein Gewehrlauf sich stärker erwärmte,
wenn die Pulverladung allein entzündet wurde, als wenn die nämliche
Menge Pnlver dazu gedient hatte, eine oder mehrere Geschosse von he-
trächtlichem Gewichte fortzuschleudern'). Diese Wahrnehmung führte
Rumford dazu, sich näher mit der Meinung zu beschäftigen, „dass die
Wärme nichts Anderes sei, als eine ununterbrochene, bald mehr, bald
wenig schnelle, vibrirende Bewegung, die in den Bestaodtheilen fester
Körper vorgeht" ').
Zunächst beschäftigte sich Rnmford längere Zeit^) damit, fest-
zustellen, dass Wasser in flüssigem und festem Zustande gleich schwer
bleibe, dass zwei gleich schwere Mengen solcher Körper, wie z. B. Wasser
und Quecksilber, deren specifische Wärmen sehr verschieden sind, gleiche
Gewichte behalten, je nachdem sie hohe oder niedere gleiche Temperatur
besitzen. Ferner wog Rumford (1784) Eisen und Goldkugeln iu weiss-
glühendem und stark abgekühltem Zustande und fand, sofern er alle
Ursachen, welche störend wirken konnten, ausschloss, innerhalb der
Grenzen der unvermeidlichen Wägnngsfehler immer die nämlichen Ge-
wichte.
Rumford berichtet selbst über diese Beobachtungen^): „Alle diese
Versuche überzeugten mich, dass das Gewicht eines Körpers durch die
Wärme nicht im Geringsten verändert wird." Er fählte jedoch selbst,
dass damit der wesentlichste Punkt des Streites noch nicht erledigt sei.
Die Vertheidiger des Wärmestoffes konnten noch immer einwenden und
wendeten auch ein, dass die Wärmesubstanz viel zu fein sei, zu geringe
Dichte besitze, als dass man ihr Gewicht mit der Wage nachweisen könne.
Es ist interessant zu verfolgen, in welch logischer Weise Rnm-
ford die begonnene Gedankenkette wBiter fQhrte, und durch welche Er-
wägungen er schliesslich dazu gelangte, jene Versuche anzustellen, die
ihm einen dauernden Ehrenplatz in der Geschichte der inductiven Wissen-
^) Benj. Graf V. Rumford, Kleine Schriften, Bd. IV, 1. Abthl., S. 4. Weimar
1805.
3) Vergl. Bd. II dieses Buches 11, D, 4, S. 468.
•) A. a. 0., S. 7.
^) Verg]. Rumford) Kleine Schriften, Bd. 4, S. 552. In der Roy. Soc. vorge-
tragen am 2. Mai 1799.
*) A. a. 0., S. 41.
888 V. Creschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Schäften gesichert hahen. Er erzählt dayon selbst in der Abhandliing:
„Historische Uebersicht der Experimente über die W&rme" Folgendes i):
„loh stellte mir nämlich vor, wenn es mit der Existens des Wärme-
Stoffes seine Richtigkeit hätte, so sei es schlechterdings nicht mögbck,
dass ein Körper oder mehrere isolirte Körper, die zusammen ein Ganset
ausmachen, diese Substanz mehreren anderen Körpern, von welchen sit
umgeben wären, ununterbrochen mittheilen könnten, ohne daas ihnen
diese Sabstauz nach und nach gänzlich entginge. ** Weiterhin ilLhrl er
fort: „Es ist bekannt, dass zwei harte Körper, wenn man sie an einander
reibt, viel Hitze von sich geben. Können sie diese geben, ohne eodÜfik
erschöpft zu werden? Hierüber muss die Erfahrung entscheiden.'
Diese maassgebenden Versuche theilte Rumford in einer Abband*
lung mit, welche er in der Sitzung am 25. Januar 1798 der Boys!
Society in London vorlas, und welche den Titel führt: nUntersnchnng
über den Ursprung der Wärme, welche durch Reibung hervorgebracht
wird «)."
Rumford Hess einen stumpfen Stahlbohrer, der durch einen
Pferdegöpel 32 mal in der Minute um seine Aze gedreht worde, mit be-
trächtlichem Drucke gegen den Boden eines cylindrisch ausgebohTtea
Kanonenrohres reiben. Die Menge der Wärme, welche durch dsts un-
aufhörliche Aneinanderreihen erzeugt wurde, war ausserordentlich gross.
Die erzeugte Wärmemenge blieb immer dieselbe, sowohl, wenn der
Kasten, in welchem sich das Kanonenrohr befand, mit Wasser gefällt war.
als aucb, wenn der Apparat, in welchem die Reibung bewirkt wurde, n«-
von Luft umgeben war. Wenn er den umgebenden Kasten mit Wasser
anfüllte, so wurde dasselbe immer wärmer und fing schliesslich zu koehea
an. Der Apparat erzeugte Wärme, so lange er in Thätigkeit war. Die
Quelle der Wärme, welche mit dem Apparate erzeugt werden konntet
erschien somit unerschöpflich.
Durch unzweifelhafte Versuche wies Rumford nach, dass diese
Wärme weder von einer Zersetzung des Wassers, noch von einer Ein-
wirkung der Luft herrühren konnte. Ebenso zeigte er, dass die Warmc-
entwickelung nicht in einer Aenderung der Wärmecapacität der loegesr-
beiteten Metallspäne o^^r der durch die Reibung etwas veränderten
Metalloberflächen ihre Ursache haben könne. Er überzeugte sich am
dem davon, dass die Wärmequelle nicht in irgend einem anderen
der maschinellen Anordnung gesucht werden könne.
Die gesammte angezogene Abhandlung zeigt deutlich, wie mnster-
haft schon auf dem damaligen Standpunkte physikalischer Methodik
Rumford zu experimentiren verstand; sie ist besonders lehrreich auch
1) Ramford, Kleine Schriften, Weimar 1805, S. 42.
3) Phil. Transactions 1798, S. 80 bis 102. An ingoing concerning the aoiirc« ai
the heat which is excited by friction. Rumford, Kleine Schriften, Bd. 2, AbtU. 2^
S. 353 bis 388. Auch abgedruckt in: G. Berthold, Ramford und die
Wärmetheorie. Heidelberg 1875, S. 48 bis 70.
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 889
dadurch, diMS sie erkennen lasat, welobe einfache logische Operation bei
Geschick in der Anordnung und Ausf&hrung von Versuchen su den
wichtigsten Ergebnissen führen können.
Wir lassen hier die Resultate eines solchen Versuches folgen, welche
zeigen, mit welcher Gewissenhaftigkeit sich Rumford von der Menge
der erzeugten Wärme bereits Rechenschaft gegeben hat. Es ist dies der
Versuch, bei welchem das Wasser zum Kochen kam, nachdem das Reiben
2Vs Stunden lang fortgesetzt worden war. Die anföngliche Temperatur
der ganzen Vorrichtung, wie die der umgebenden Luft, hatte 60^ F. be-
tragen. Die Endtemperatur war die des siedenden Wassers, wird also
nahezu gleich 210^ F. gewesen sein.
Doch lassen wir Rumford selbst reden:
„Die ganze Quantität der erzeugten Wärme kann mit ziemlicher
Genauigkeit auf folgende Art geschätzt werden. Von der erzeugten
Wärme scheint sich wirklich angehäuft zu haben:
Wsssermenge, welche durch die
gegebene Quantität Warme vom
Eispunkte bis zum Sieden erhitzt
worden wäre.
In dem im hölzernen Kasten enthaltenen Wasser, I8V4 I^fd.
avoirdupois, erwärmt um 150®, nämlich von 60 bi8L210*
Fahrenheit Pfund 16,2
In 113,13 Pfd. Kanonenmetall (der hohle Cylinder) 150® er*
hitzt, und da die Wärmecapacität dieses Metalls sich zu
der des Wassers verhält wie 0,1100 zu 1,0000, so würde
diese Quantität Wärme I2V2 Pfund Wasser bis zu dem-
selben Grade erhitzt haben . „10,37
In 36,75 GubikzoU Eisen (der Theil der eisernen Stange^ an
der der Bohrer befestigt war und die sich im Kasten be-
fand) 150® erhitzt, welches in Ansehung der Wärme-
capacität 1,21 Pfund Wasser gleich gerechnet werden
kann „ 1,01
(NB. Sowohl die in dem hölzernen Kasten angehäufte Wärme»
als die, welche während des Versuches verloren ging, ist
hier nicht mitgerechnet worden.)
Gesammtmenge des eiskalten Wassers, die durch die durch
Reiben erzeugte und während 2 Stunden 30 Minuten an-
gesammelte Wärme hätte bis zu ISO'^ erhitzt oder bis
zum Kochen gebracht werden können Pfund 26,58
Etwas weiterhin bemerkt Bumford hinsichtlich der für die Er-
zeugung dieser Wärmemenge erforderlichen Arbeit Folgendes:
pDa die bei dem obigen Versuche angewandte Maschinerie sehr
leicht durch ein Pferd in Bewegung erhalten werden konnte (ob ich
gleich zur Erleichterung zwei Pferde angewandt hatte), so zeigen diese
890 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Berechnungen femev, welch eine Quantität von Wärme durch eine^
paesende mechanische Vorrichtung bloss durch die Kräfte emes PMa
ohne Licht, Feuer, Verbrennung oder chemische Deeomposition, henv-
gebracht werden könne, so dass man im Nothfall die auf dieMlitr
regte Wärme selbst zum Kochen von Lebensmitteln brauchen köaste.
Doch lassen sich keine Bedingungen denken, in denen diese Art Win
zu schaffen vortheilhaft sein wurde, denn selbst aas dem Futter fürdi
eine Pferd, als Feuerung gebraucht, würde man mehr Wärme eriuHa*
Diese hier mitgetheilte Stelle ist Veranlassung geworden, dantpilff-
hin von Joule ^) und Anderen') dem Grafen Rumford das Yeniiai
zugesprochen worden ist, das mechanische Aequivalent der WinM(at>
deckt zu haben. So sagt z. B. Joule in der historischen EinleitaBfn
seiner im Jahre 1850 erschienenen Abhandlung: „Ueber das meehaniadi
Aequivalent der Wärme**:
„Einer der wichtigsten Punkte in Graf Rumford^s Schrift, ek-
gleich man demselben bis jetzt wenig Aufmerksamkeit geschenkt k
ist der, wo er die Menge mechanischer Kraft berechnet, welche erfofd»
lieh ist, um eine bestimmte Wärmemenge hervorzubringen.** Indear
sich auf seinen dritten Versuch bezieht, bemerkt er, dass ,,di6 Gesuist*
menge eiskalten Wassers, welche im Laufe von 2 Stunden und 30 Mis-
ten auf 180^ F. erwärmt werden könne, 26,58 Pfund betrage**. Aofde
nächsten Seite sagt er, „die Maschine, welche bei den Versncben »
gewandt sei, könne leicht durch ein Pferd getrieben werden, ohgleiei:
Wirklichkeit zwei Pferde angewandt seien, um die Arbeit zu erleieht«'
Nun ist eine Pferdekraft nach Watt 33000 Fusspfund per Minute,«
für 2 Stunden 30 Minuten 4 950 000 Fusspfund giebt; diese soUea oa
Graf Rumford^s Versuch das Aequivalent der Erwärmung Ton 2(^
Pfund Wasser um 180<> F. sein. Folglich muss die Wärme, wcldufr
forderlich ist, um 1 Pfund Wasser um 1® zu erwärmen, der Kraft i«
1034 Fusspfund äquivalent sein. Dies Resultat stimmt siemlich thnrn
mit denen, welche ich aus meinen eigenen Versuchen gewonnen btx
welche nämlich 772 Fusspfund ergaben; dabei ist zu bemerken, ^
Graf Rumford^s Aequivalent gerade um so yiel zu grom ist, wie sä
aus dem Umstände schliessen lässt, den er selbst angiebt, dass nisSs
y, weder die Wärme, welche in dem hölzernen Kasten angehäuft war, ui
die, welche während des Versuches verloren ging, berechnet wnrde*.
Joule irrt jedoch insofern nicht unwesentlich, als Rumfor(l.*si
lediglich mit der genauen Bestimmung der durch den Reibcngsproof
erzeugten Wärmemenge beschäftigt hat, hingegen selbst jedwede Meaat
oder genaue Schätzung der dazu erforderlichen Arbeitsmenge onteriii^
1) Phil. TranRact. of the Roy. Soc. of London 1850. S. 61 u. s. f. rts^ nä-
Jonle, Das mechanische Aequivalent der Wirroe, Deutsch von Spengel. I^'
schweig, Vieweg & Sohn 1872, S. 88, Zeile 20 von oben.
*) Vergleiche G. Berthold, Rumford und die mechan. Wirmetheorie. 5.**^
Ferner P. G. Tait, Sketsch of Thermodynamics, Edingburgh 1868, 8. 8.
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 891
Keine einzige Bemerkung in Rnmford's Schriften ist mir bekannt,
welche darauf hindeutet oder so verstanden werden könnte, als hfttte
derselbe eine feste quantitative Beziehung zwischen der Menge der pro-
dncirten Wärme und der Menge der dazu aufgewendeten Arbeit ver-
muthet oder gesucht.
Es lag auch in der Natur der Sache, dasses Rum ford nur darum zu
thun war, die Ansicht von der Existenz eines Wärmestofies endgültig zu
widerlegen. Dies hat er in meisterhafter Weise gethan. Darüber hinaus-
zugehen, lag ihm hingegen fem; dazu fehlten ihm vor Allem noch scharfe
Begriffe von dem Wesen und dem Maasse der Arbeit. Die historische Ge-
rechtigkeit fordert, dass ausdrücklich hierauf hingewiesen wird. Es unter-
liegt keinem Zweifel, dass das hohe Verdienst, eine feste quantitative Bezie-
hung zwischen W&rmemenge und der zu ihrer Erzeugung erforderlichen Ar-
beitsmenge zuerst vermuthetund annähernd bestimmt zuhaben, R. Mayer
gebührt. Dass sich Rumford darüber klar gewesen ist, dass seine Ver-
suche die Lehre von der Existenz eines Wärmestoffes endgültig wider-
legt haben, geht aus einigen Bemerkungen hervor, die sieh am Schlüsse
seiner mehrfach erwähnten, oben citirten Abhandlung finden, aber aus
diesen Schlussbemerkungen, denen nur allgemeine Betrachtungen folgen,
welche zu der soeben behandelten Streitfrage in keiner Beziehung stehen,
geht auch klar hervor, dass es nicht entfernt in Rumford's Absicht gele-
gen hat, die gemessene Wärmemenge zur aufgewendeten Arbeit in Beziehung
zu setzen. Rumford sagt nämlich über das Ergebniss seiner Versuche:
„Wenn wir über diesen Gegenstand Schlüsse machen, so dürfen wir
den merkwürdigen Umstand nicht vergessen, dass die Quelle der durch
Reibung erzeugten Wärme bei allen diesen Versuchen offenbar als uner-
schöpflich erschien.
Kaum ist es nöthig zu bemerken, dass ein Etwas, welches von
einem isolirten Körper oder einem System von Körpern ohne Grenzen
mitgetheilt wird, unmöglich eine materielle Substanz sein kann,
und es scheint mir sehr schwer, wo nicht ganz unmöglich zu sein, sich
eine bestimmte Idee von einem Etwas zu machen, das fähig wäre, so wie
die Wärme in den vorigen Versuchen erregt und mitgetheilt zu werden,
efl müsste denn die Bewegung sein.*'
Selbstverständlich blieben die Arbeiten Rumford's nicht ohne
Anfechtung. Die bedeutendsten Chemiker jener Zeit, wie Lavoisier,
Berthollet hielten auch trotz der so entschiedenen Versuche an der
Liebre fest, dass die Wärme ein Stoff sei. So hatte z. B. Berthollet
in seinem bekannten Werke: „Versuch einer chemischen Statik^ sich be-
müht, die Schlussfolgerungen zu widerlegen, welche Rumford an seine
zahlreichen Experimente geknüpft hatte. Der berühmte Chemiker suchte
die Ursache der Wärmeentwickelung durch Reibung in den Verände-
rungen, welche das Metall bei der Zusammendrückung erfahre.
Rumford widerlegte ihn auf das Schlagendste, indem er darauf
hinwies, dasses dann unbegreiflich sei, wie die geriebenen Körper Wärme
892 V. Gescliichte der i^echauischon Wärmetheorie.
in nahezu unerschöpflicher Menge entwickeln und nach Aussen al^geben
könnten. Er zeigte, dass die Wärmemenge, welche in der ganzen Zeit
entwickelt worden wäre, die erforderlich gewesen sein würde, um das
gesammte Metall des zum Versuche dienenden Geschützrohres in Dreh-
späne zu verwandeln, ausgereicht hätte, um die 16 fache Gewichtamenge
dieses Metalles zu schmelzen. Er fügt hinzu ^) :
„Ist es wohl denkbar, dass diese ungeheure Menge Wärmeatoff in
dem Körper vorhanden gewesen sein konnte? — Aber selbst diese Yot^
aussetzung würde nicht genügen, um die Thatsache zu erklären, da idi
durch ein entscheidendes Experiment bewiesen habe, dass die Wärme-
oapacität des Metalles nicht merklich verändert wurde.
Woher kam nun der Wärmestoff, welchen der Apparat in so reich-
licher Fülle geliefert haben soll?
Es ist Sache Derer, welche an das wirkliche Dasein eines Wärme-
stoffes glauben, diese Frage zu beantworten.^
In seinen zahlreichen Abhandlungen über Wärmestrahlung hat
Bumford auch keinen Zweifel darüber gelassen, dass er der Ansicht
war, das Wesen der Wärme sei in einer Bewegung der Molecfiie der
Körper zu suchen. Seine Vorstellungen über die Molecularverhältniase,
aufweichen der Unterschied zwischen festem und flüssigem Aggregatzoatand
beruht, kommen den heutigen Meinungen schon ziemlich nahe. Am Schlüsse
der nachstehend citirten Stelle findet sich sogar eine Aeusserung über
die latente Schmelzwärme. So beachtlich diese Bemerkung aber aoch
erscheint, so kann man dieselbe doch nicht als den Versuch zn einer
Erklärung ansehen. Dass sich keine Andeutung darin findet, daaa die
sogen, latente Wärme bei dem Schmelzprocesse für Molecnlararbeit auf-
gewendet worden ist, dürfte ein weiterer überzeugender Beweis dafür sein,
dass es Bumford noch nicht gelungen war, sich zu einer halbwegs
klaren Vorstellung davon hindurch zu arbeiten, dass zwischen Wärme
und Arbeit ein Aequivalenzverhältniss bestehe. Diese charakteristische
Stelle ^) findet sich in der Abhandlung: „Untersuchung über die Be-
schaffenheit der Wärme und die Art, wie sich dieselbe verbreitet. ** Die-
selbe lautet: „Während der Zeit und gerade so lange, als die Partikeln
eines festen Körpers, welche sich an seiner Oberfläche befinden, in ihren
Bewegungen sich nicht gegenseitig überschreiten, muss der Körper noth«
wendig seine Form behalten, wie schnell auch diese Vibrationen sein
mögen; wenn aber diese Bewegung derart zunimmt-, dass diese Theilehen
nicht mehr in ihren Grenzen bleiben können, so wird allmählich die
regelmässige Vertheilung, welche sie bei der Krystallisation erlangt hatten,
zerstört — die so von der festen Masse getrennten Partikeln bilden
neue von einander unabhängige Systeme — und die Masse wird zu
einer Flüssigkeit.
1) Rumford, Kleine Schriften, S. 64.
>) Rutniord, Kleine Schriften, Bd. 4, S. 254.
B. Von Riunford bis zu R. Mayer. 893
Wie auch die Figuren der Bahnen beschaffen sein mögen, welche
die Theilchen einer Flüssigkeit beschreiben, so bleiben doch die mittleren
Entfernungen dieser Molecüle so ziemlich dieselben, wie damals, als sie
noch ein Ganzes bildeten: man kann dies aus der geringen Yerftnde-
rung schliessen, welche in der specifischen Schwere eines flüssig ge-
^ewordenen festen Körpers stattfindet; und wenn man voraussetzt, dass
ihre Bewegungen denselben Gesetzen unterworfen sind, nach welchen
Hich das Sonnensystem richten muss, so folgt, dass die additioneile
Bewegung, welche sie annehmen müssen, um in den flüssi-
gen Zustand überzugehen, nicht verloren gehen kann,
sondern fortdauernd bei dieser Flüssigkeit bleiben und
wieder erscheinen muss, sobald die Flüssigkeit ihre Form
findert und wieder fest wird. — Man weiss, dass eine bestimmte
Quantit&t Wärme erforderlich ist, um einen festen Körper zu schmelzen,
und dass diese Quantität in der Flüssigkeit, welche sich gebildet hat,
verschwindet oder latent bleibt, nachher, wenn die Flüssigkeit gerinnt,
wieder zum Vorschein kommt.^
Auch in der berühmten Abhandlung: „Memoire sur la chaleur^, in
welcher Rumford nochmals seine Ansichten von dem Wesen der Wärme
und der Art ihrer Fortpflanzung durch Leitung und Strahlung zusammen-
fasst, kommen charakteristische Stellen vor, welche erkennen lassen, dass
sich der grosse Physiker die Wärmestrahlung genau so denkt, wie die
Fortpflanzung des Lichtes, nämlich durch Aetherwellen. Auch über die
wechselseitige Beziehung zwischen den Körpermolecülen und diesem
räthselhaften Etwas, welches noch heute von vielen Physikern unter dem
Worte „Aether** verstanden wird, spricht sich Rumford in einer Weise
aus, welche ebenso gut in unserer heutigen Zeit geschrieben sein könnte.
£s heisst z. B. ^): „So ist leicht zu begreifen, dass die Bewegungen der
Bestandtheile der wahrnehmbaren Körper in dieser Flüssigkeit (dem
Aether) wellenförmige Bewegungen verursachen müssen, und dass die
wellenförmigen Bewegungen dieser Flüssigkeit wiederum auf die Be-
wegungen der Bestandtheile jener Körper sehr merklich wirken und sie
modificiren/
Fast unmittelbar daran schliesst sich ein anderweiter Satz, welcher
mehrfach in einem Sinne ausgelegt worden ist, dass man geglaubt hat,
es müsse Rumford das Verdienst zugeschrieben werden, das Princip
von der Erhaltung der Kraft zuerst ausgesprochen zu haben. Er sagt
nämlich'): „Wenn nun die Dinge wirklich sich in dem Zustande befänden,
welchen die Hypothese, von der hier die Rede ist, voraussetzt, würde
nothwendig folgen: erstens, dass die Summe der lebendigen
Kräfte im Universum immer dieselbe beiben muss, unge-
achtet aller Actionen und Reactionen der Körper („II
') Ramford, Kleine SchriUen, Bd. 4, S. 304.
«) A. a. 0, S.. 305.
894 V. Geschiebte der mechaDischen Wärmetbeorie.
suivrait nScessairement de Vetat des choses que l'hgpothhi
en question suppose: P que la somme des forces vires dam
Vunivers doit rester toujours la memey non obstant touin
les actions et riactions des corps^)^ und zweitens, dass die lldt-
cüle aller ponderablen Körper noth wendig strahlend sein masseD.
Wenn wir hierin auch nooh keinen AuBsprach des wichtigen pb^a-
kalischen Grundprincips in seiner universellen Ausdehnung auf s&
Energieformen anzuerkennen im Stande sind, so muss man doch »
gestehen, dass Rumford insofern einen we8entli<;hen Fortschritt ia
Vergleich zu seinen Vorgängern Leibniz, Bernoulli und Huygheti
gemacht hat , als er zuerst erkannt hat , dass die Gültigkeit dieses Ge>
setzes nicht auf das Gebiet der reinen Mechanik beschränkt, sondern
auf die Wärmephänomene anwendbar sei.
2. Das Ende der Lehre von der Wärmesubstanz.
Die damals maassgebenden Chemiker und Physiker hielten nsd
einige Zeit hindurch beharrlich an der Lehre vom Wärmestofife fest, soc^
nachdem die Rumfof d'schen Versuche und Abhandlungen bekannt gf
worden waren. £s ist dies um so auffalliger, als zum Theil Männer dir
unter sind, wie Lavoisier, welche selbst Bahnbrecher für neue, richtigen
Anschauungen auf anderen Gebieten gewesen sind. Es mag, um cd
Ansobauung Lavoisier^s und der mit ihm zusammenhängenden G«-
lehrten zu charakterisiren, gestattet sein, eine Stelle aus dem berühnier
„Traite elementaire de chimie^ dieses grossen Chemikers hier wieds-
zugeben :
„Als ich mit de Morveau, Berthollet und de Fourcc'oy iads
Absicht gemeinschaftliche Sache machte, die Sprache der Chemiker is
verbessern, waren wir der Meinung, man müsse vor allen Dingen je»
Umschreibungen daraus yerbanneu, die den Vortrag unnöthiger Ww
verlängern, ihn schleppend, weniger kernig, weniger deutlich macba
und oft nicht einmal auf Begriffe führen, die klar und deutlich bestimst
sind. Dem zu Folge bezeichneten wir die Ursache der Wärme, jene le
ausserordentlich elastische Flüssigkeit, wodurch dieselbe erzengt wird,
mit der Benennung Wärmestoff {cälorique). Dieser Ausdmck entspiickt
nicht nur dem Zwecke, welchen wir vermittelst unseres Systems beahsk^
tigen, sondern verschafft uns noch überdies den Vortheil, dass er za alkt
Arten von Meinungen passt; denn nimmt man die Sache in strengster
Auffassung, so haben wir nicht einmal nöthig vorauszusetzen, dass d«
Wärmestoff eine wirklich existireude Materie ist.**
In England waren die Früchte der Arbeiten Rumford' s bes^r
gewürdigt worden; besonders H u m p h r e y Davy (geb. 1778, gest. 18iäK
welcher sofort das Ueberzeugende der Rn in for duschen Versuche er-
B. Von Rumford bis zu II. Mayer. 895
kannte, sprach dies in seiner ersten grösseren Abhandlung ^) aus, welche
kurz vor dem Schlüsse des Yorigei^ Jahrhunderts erschien. Er fügte ein
tlberraschendes weiteres Experiment zu der Rumford' sehen Beweis-
f Abrang hinzu. Er rieb zwei Stücke Eis im Yacnum unter dem Reci-
pienten der Luftpumpe an einander, und obgleich die Temperatur des
Recipienten unter dem Gefrierpunkte erhalten wurde, schmolz ein Theil
des Eises. — Da die specifische Wärme des Eises viel kleiner ist, als
die des Wassers, so konnte man die durch den Reibungsprocess ent-
wickelte Wärmemenge nicht, wie dies den Rumford' scheu Versuchen
gegenüber eingewendet worden war, der Veränderung der specifischen
Wärme zuschreiben. Da der Versuch im Vacuum angestellt worden,
konnte auch der Luit kein Einfluss zugeschrieben werden. Dayy schloss
daraas, dass^): „die unmittelbare Ursache der Wärmeerscheinung Be«
wegung ist, und dass die Gesetze ihrer Fortpflanzung genau dieselben
sind, wie die für die Fortpflanzung der Bewegung^. Auch über die Art
der Bewegung, welche Wärme sein soll, spricht sich Davy in den oben
bereits citirten Elements of chemical philosophy (1812') in einer so
klaren und bündigen Weise aus, dass beispielsweise Fr. Mohr demselben
die Priorität hinsichtlich der Begründung der Elemente der kinetischen
Gastheorie vor Krön ig zuweist. Diese charakteristische Stelle lautet
folgendermaassen :
„Es scheint möglich alle Phänomene der Wärme zu erklären, wenn
man anuimmt, dass bei festen Körperu die Theilchen sich in einem be-
ständigen Zustande der Vibration befluden, dass die Theilchen der heisse*
sten Körper sich mit der grössten Geschwindigkeit und durch die
grössten Räume bewegen; dass bei Flüssigkeiten und Gasen neben der
vibratorischen Bewegung, welche bei den Gasen als am grössten an-
genommen werden muss, die Theilchen auch eine Bewegung um ihre
Axen (have a moHon round their oton axes) haben, welche bei den Gasen
ebenfalls als am grössten angenommen werden muss, und dass bei äthe-
rischen Stoffen (etherial substaTices = elastisch-flüssigen) die Theilchen
sich rund um ihre Axen und getrennt Ton einander bewegen, und dass
sie den Raum in geraden Linien durchdringen („and that in eUierial
suhstances the purticles move round ilieir own aies and separate from euch
other^ penetrating in right Hnea tharough space*^).^
Wie klar überhaupt Davy dachte, geht fernerhin aus einer Be-
merkung hervor, welche sich in jener vorher erwähnten im Jahre 1799
erschienenen Arbeit befand, welche der vorsichtige Gelehrte jedoch wegen
der j^tagueness of generaliecUion^ vor dem Drucke selbst beseitigt hatte;
dieselbe lautet*^):
^) An essay on heat, light aud the combinations of liglit 1799. In: The collected
works of H. Davy. London 1839, Bd. II, S. 29. — ^) Uumphrey Davy, Elements
of Chemical Philodophy, S. 94. — ^) Ebendaselbst, S. 95. — *) Vergl. G. Bert hold,
Notizen zur Oeschicbte des Principes der Erhaltung der Kraft. Berl. Ber. Jahrg. 1875,
S. 585.
896 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
„Man kann sich von den Bewegungen der Materie keine böl»
Yorstellung machen als die, anzunehmen, dass die Terschiedeneii Arte
derselben unaufhöriich in einander übergehen. Die Gravitati<m, n«l»
nische und Wärmebewegung scheinen sich fortwährend gegenaeitif ■
erzeugen, und von diesen Umwandlungen kommen wahrachemlieh lü
Erscheinungen der Veränderungen der Materie her/
Unzweifelhaft ist hier die wechselseitige Umsetzharkeit der Kiifir
formen bereits deutlich zum Ausdruck gebracht. Da jedoch nirgeiuii e^
wähnt ist, dass bei diesen. Umsetzungen die Menge der Energie ufa"
ändert bleibt, und Davy selbst die Stelle beim Drucke unterdräcktk
so halte ich es nicht für richtig, wenn man denselben mit unter diek-
decker des Gesetzes von der Erhaltung der Energie ssählt. In ununtt»
barem Anschluss an den Vorgenannten muss auch der geniale TkoDu
Young^), der Wiederbegründer der Vibrationshypothese des U^n,
genannt werden, welcher in seinem trefflichen Werke: Äeouneoflf'
tures an natural philosophy and the mechanical arts ') entschied» k
die Immaterialität der Wärme Partei ergriff; derselbe -hat dadurch, du
seine gesammte lichtvolle Darstellung von diesem Gedanken durcbdrufi
war, namentlich dazu beigetragen, der neuen Anschauung wenigBkai'i
England festen Boden zu gewinnen.
Es finden sich in dem vorgenannten Werke eine grössere ZaU n
Stellen, nach welchen es nahezu unbegreiflich scheint, wie bis tief in ii
erste Drittel unseres Jahrhunderts hinein die Lehre von der Stoili^
keit der Wärme auch in den Kreisen tüchtiger Naturforscher noehb
Anhänger finden können. Es kann dieser aufiallige Umstand höcbt«
dadurch erklärt werden, dass die Mitglieder der damals maassgebos
französischen Akademie, unter ihnen Leute wie Lavoisier, Be^
thollet. Biet, Gay-Lussac sich wenigstens noch des irrefohrei^
Ausdruckes: y^calorique^ Wärmestoff" bedienten, dass damals wenigem
jetzt von den gleichzeitigen geistigen Erzeugnissen anderer Völker Kas>'
niss genommen wurde, und dass es ferner wenig gebräuchlich wü
heute, in einem geordneten Studium der Vorgeschichte der naturvia»
schaftlichen Disciplinen die beachtlichen Gedanken aufzusuchen, v#
bereits früher von hervorragenden Geistern ausgesprochen worden wa
Eine der charakteristischen Bemerkungen Toung'a, welche gicif
zeitig die überlegene Schärfe seiner Schlussfolgerungen zeigt, lautet ir
gendermaassen ') :
„Die Umstände, welche in Betreff der Wärmeerzeagang dank I»
bung bereits dargelegt sind,' scheinen eine bündige Widerlegung^
ganzen Lehre vom Wärmestoff zu liefern. Wenn die Wärme weder ff
^) Thomas TouBg, geb. 1773, gest. 1829.
') Neae Aufl. besorgt darch Kell and, London 1845.
^ Th. Young, A course of lectures of natural philosophy etc. LottJv l^^
Bd. I, S. 502. (Die erste, jetzt seltene Ausgabe dieses hervorragenden Boches vir Vf
erfolgt.)
B. Von Rutnford bis zu R. Mayer. 897
den umgebenden Körpern empfangen ist, was ohne Erniedrigung ihrer
Temperatur nicht geschehen kann, noch von der bereits in den Körpern
selbst angehäuften Quantität abgeleitet werden kann, was nicht ge-
schehen konnte, ohne dass ihre Capacitäten in irgend einem erdenklichen
Grade sich verminderten, so giebt es keine Alternative, als anzuerkennen,
dass Wärme wirklich durch Reibung erzeugt wird; und wenn sie aus
Nichts erzeugt ist, so kann sie keine Materie sein, noch selbst eine im-
materielle oder halbmaterielle Substanz. — Wenn Wftrme keine Sub-
stanz ist, so muss sie eine Qualität sein, und diese Qualität kann bloss
Bewegung sein."
3. Die Prioritätsansprüche Fr. Mohr's.
Mit vollem Rechte hat Fr. Mohr darauf hingewiesen, dass er als
einer der Ersten in Deutschland auf die Kraftnatur der Wärme, die Ein-
heit der Naturkräfte und die Möglichkeit ihrer wechselseitigen Umsetzung
in einander aufmerksam gemacht hat. — Leider enthalten aber seine
Darstellungen neben vielem Richtigen manche groben Missverständnisse,
Unrichtigkeiten und Unklarheiten, so dass es nicht zu verwundern ist,
dass man auch den richtigen Grundgedanken seiner Ausführungen lange
Zeit hindurch nicht die Bedeutung beigelegt hat, welche dieselben doch
mit Recht verdient hätten. — Auch war diese Abhandlung, betitelt:
^Ueber die Natur der Wärme", in einer wenig gelesenen Zeitschrift,
nämlich in Baumgarten's und v. Holger's Zeitschrift für Physik
und verwandte Wissenschaften^), erschienen, so dass dem Verfasser selbst
erst Mitte der sechziger Jahre bekannt wurde, dass seine Jugendarbeit
seiner Zeit wirklich zum Abdrucke gelangt war. Da jedoch die Abband*'
lung wirklich schon im Jahre 1837 veröffentlicht worden ist, hat Mohr
in der That Anspruch darauf, in der Geschichte der mechanischen
Wärmetheorie genannt zu werden. — Schon die Einleitungsworte seiner
A^rbeit werfen ein ziemlich helles Licht auf den damaligen Stand der
Dinge und sind daher nicht ohne Interesse. Mohr beginnt wie folgt:
„Die Erscheinungen der Wärme sind immer durch Annahme eines
3-fcoffes, den man Wärmestoff, Caloricnm, nannte, erklärt worden. Das
Sutreten und Entweichen dieses Stoffes musste die Verschiedenheit der
Srscheinungen bedingen. Alles nöthigte, diesem Stoffe eine absolute Im-
>onderabilität zuzugestehen."
Mohr weist im Weiteren darauf hin, dass die Erscheinungen der
V^ärmestrahlung, zumal die der Polarisation der Wärmestrahlen, nöthigen,
inen Bewegungszustand, Schwingungen, für die wahre Ursache der
1) A. a. O. Jahrg. 5 (1837), S. 419. Auch abgedruckt in F. Mohr, Allgemeine
Itcoric der Bewegung und Kraft. Braunschweig, Vieweg u. Sohn 1869, S. 84.
Hahlmannt MacTtan. Wirmeihcorie. Bd. IT. 57
898 V. Geschichte der mechanischen "Wärmetheorie.
Wärmeerscfaeinungen, zumal der Fortpflanzung der Wärme, anzusehen ^).
Er fährt dann fort:
„Es ist bekannt, dass diese Ansicht im Allgemeinen schon yielfiftch
geäussert worden ist, und dass namentlich Graf Rumford dieselbe mit
der grössten Bestimmtheit aussprach, ohne jedoch mit seiner sehr ge-
wichtigen Stimme durchzudringen. Die folgenden Zeilen sollen nur die
Uebercinstimmung dieser Ansicht mit den Erscheinungen der geleiteten
Wärme als noth^endige Consequenz der ersten Idee erscheinen lassen
und darauf hinwirken, in der Wissenschaft eine schwankende unrichtige
Nomenclatur durch eine passendere zu ersetzen.
Indem man also von vorn herein den Begriff einer unwägbaren Sub-
stanz nicht statuirt, wird die Ursache der Wärme einer Kraft bei-
gemessen, welche die ponderablen Stoffe in eine besondere Vibrations-
bewegung versetzt, die unseren Sinnen als Wärme erscheint. Diese Kraft
ist aber ihrer Natur nach durchaus nicht von der gemeinen mechani-
schen oder virtuellen Kraft verschieden.
Nach dieser Ansicht ist nun
1) ein warmer Körper ein solcher, dessen einzelne kleinste Theil-
clien sich in einer bestimmten Vibration befinden.**
Nach einigen Auseinandersetzungen über die Art dieser Warme-
schwingungen sagt er ferner:
2) „Die Fortpflanzung der Wärme durch Continuität ist danach eine
Mittheilung einer Bewegung durch Anstoss und das Abkühlen ein rela-
tives Zurruhekommen.
Was die Anzahl der Wärmevibrationen betrifft, so müssen sie den
Licht Vibrationen nahe kommen, weil sie bei der Glühhitze in einander
übergehen; sie geht also in die Billionen für die Secunde.
3) Die Imponderabilität der Wärme, welche so grosse Schwierig-
keiten veranlasst, fallt nun ganz weg; denn da die Wärme nur eine Be-
wegung, ein vorübergehender Zustand ist, und ein vibrirender Körper
eben so schwer wie ein ruhender sein muss, so ist auch ein warmer ao
schwer wie ein kalter.
4) Der sogenannte absolute Nullpunkt ist demnach absolute Ruhe
der kleinsten Theilchen, zwar in Wirklichkeit uns nicht bekannt, aber
im Begriffe keine Schwierigkeiten darbietend. Nach aufwärts hat die
Wärme keine Grenze.
5) Die Wärme erscheint in unzähligen Fällen als eine
Kraft.
Die Gohäsion der Körper ist eine Kraft; wir bedürfen einer Kraft^
um die Gohäsion aufzuheben, durch Feilen, Sägen, Reiben etc. Die
Wärme hebt ebenfalls die Gohäsion der Körper auf, was aber eine
^) Schon vor Mohr hatten in Italien: Par2otti, Pesaro, Posinieri und
Bizio Aehnliches ausgesprochen. Dorrh die Anregung dieser Manner ist wahrs^beiB*
lieh Avogadro auf seine moleculartheoretischen Speculationen geführt worden. Verfl.
Gelin in Les Mondes, Bd. 62, S. 154.
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 899
Kraft aufhebt, muss selbst eine Kraft sein. Dieser Scblass ist
sehr wichtig, denn es giebt keinen einzigen Fall in der Natur, wo man
eine Kraft anders als durch Entgegenstellung einer anderen Kraft auf-
höbe.
6) Die Ausdehnung starrer, flüssiger und gasförmiger Körper durch
Wärme; diese sind Krafterscheinungen von der ungeheuersten Grösse
und durch die Wärme veranlasst, was aber eine Kraft hervor-
bringt, muss selbst eine Kraft sein.
7) Die Ausdehnung der festen Körper durch Wärme ist demnach
nichts als eine vergrösserte Yibrations-Amplitude, ohne dass die Theile
ans der Anziehungssphäre der Cohäsion kommen. „Es dehnen
sich also durch Erwärmen die Körper selbst nicht aus,
sondern ihr Umfang vermehrt sich nur durch erweiterte
Wärmevibrationen."
Die hier wiedergegebenen Sätze enthalten in der That bereits die
wesentlichsten Oedanken, welche noch heute der meehanischen Theorie
der Wärme zu Grunde liegen. Dieselben sind allerdings nicht neu, da
bereits vor Mohr von vielen Anderen, wie wir gesehen haben, Aehnliches
gesagt worden war; allem Anscheine nach hat aber Mohr damals von
seinen Vorgängern keine Kenntniss gehabt, es liegt somit in der That
eine selbstständig^ Conception des richtigen Gedankens vor, so dass es
Pflicht der historischen Gerechtigkeit erscheint, Mohr unter den Be-
gründern der modernen Anschauung mit zu nennen.
Für minder berechtigt muss es jedoch erklärt werden, wenn Mohr
auf eine selbstständige Aufstellung des Satzes von der Constanz der
Energie Anspruch erhoben hat. Die fragliche Stelle, auf welche er diesen
Anspruch begründet, lautet: „denn von einer Kraft lässt sicli eben-
falls Bechensehaft geben wie von einem wägbaren Stoffe; man
kann sie theilen, davon abziehen, dazu fügen, ohne dass die ur-
sprüngliohe Kraft verloren ginge, oder sich in ihrer Quantität
änderte, und dies ist auch der Grund, warum alle Wä^eerscheinungen
ohne absoluten Widerspruch auch durch Annahme einer Materie er-
klärt werden können.^
Zunächst ist an dieser Stelle, wie Mohr später selbst zugegeben
hat, nur von der Wärme, nicht von anderen Formen der Energie die
Rede, und anderntheils ist nicht klar genug hervorgehoben, dass es über-
haupt unmöglich sei, Energie zu vernichten oder aus Nichts zu schaffen,
and gerade hierin ist doch das hauptsächliche Gewicht dieses Princips
zu Buchen.
Beachtlich ist jedoch unter Anderem auch das, was Mohr in jener
Abhandlung über die Aggregatzustände sagt. Man erkennt deutlich dar-
aus , dass er sich bereits zu jener Zeit richtige Vorstellungen gemacht
lat, ähnlich denjenigen, welche späterhin von Clausius unabhängig
ron seinen Vorgängern und viel eingehender ausgeführt worden sind.
Diese Stelle lautet:
57*
1
I
900 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
13) „Die Definition der drei Aggregatformen ist bei diesem Zu-
sammenhange folgende:
Ein fester Körper ist ein solcher, bei dem die Grösse der Vibra-
tionen die einzelnen Theilchen nicht aus der Anziehungssphäre der
Cohäsion bringt.
Ein flüssiger Körper ist ein solcher, wo die in Vibration begriffenen
Theile sich so weit von einander entfernen, dass sie nur zu einem sehr
geringen Theile innerhalb dieser Grenze kommen.
Ein gasförmiger Körper ist ein solcher, bei welchem die Vibration
so erweitert ist, dass die Theile gar nicht mehr innerhalb dieser An-
ziehnngsgrenze kommen und sich nur abstossen. Zwingt man sie aber
dennoch, innerhalb der Grenze zu kommen, so ziehen sie sich wieder an
und erscheinen wieder als Flüssigkeit; dies ist die Liquidifaction der
Gasarten durch Druck."
Hervorzuheben ist jedoch, dass sich nirgends in jener für die Ge-
schichte der mechanischen Wärmetheorie beachtlichen Abhandlang auch
nur eine Hindeutung auf die Existenz eines festen AequiYalentTerb<-
nisses zwischen Wärme und Arbeit findet. Mohr ist somit nicht aber
das hinausgegangen, was andere schon vor ihm geleistet hatten. Die
richtigen Gedanken jedoch finden bei ihm bereits einen zutreffenderen,
unserer modernen Terminologie näher kommenden Ausdruck, als bei den
meisten seiner Vorgänger, weil ihm bereits damals eine grössere Somme von
Erfahrungsthatsachcn zu Gebote stand, als denjenigen, welche früher sieb
über dieselben Gegenstände ausgesprochen hatten, zu einer Zeit, wo die
Kenntnisse über die Wärmevorgänge noch äusserst mangelhaft waren.
Irgend welchen Einfiuss auf die Gestaltung der allgemeinen wissen«
schaftlichen Anschauungen über die Wärme hat jedoch die Mohr 'sehe
Abhandlung nicht ausgeübt, einestheils weil sie in einer wenig gelesenen
Zeitschrift erschienen war, anderntheils weil wirklich neue Thatsaches
oder Anschauungen nicht darin beigebracht sind , welche wesentUch
über das hinausgingen, was bereits von Hooke, Rumford, Davy,
Young ausgesprochen worden war.
4. Robert Mayer, der Entdeoker des ersten Hauptsatzes.
Als der Entdecker des ersten Hauptsatzes der mechanischen W&rme-
theorie, d. h. des Satzes, dass Wärme und Arbeit nach einem festen
Aequivalentverhältnisse gegenseitig in einander verwandelbar sind, kann
nur RobortMayer angesehen werden. Er hat sich nicht damit be-
gnügt, darauf hinzuweisen, dass ein solches festes Aequivalentverhält-
niss besteht, sondern er hat auch den Versuch gemacht, die Zahl des
mechanischen Aequivalentes selbst zu ermitteln,
In der Aufstellung dieses Aequivalentverhftltnisses liegt der grosste
Fortschritt, welcher seit Jahrhunderten auf diesem Gebiete gemacht wor-
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 901
den ist, von hier an ist eigentlich erst die Begründang der mechanischen
Theorie der Wärme im engeren Sinne za zählen.
Die endgültige Ermittelung des mechanischen Aequivalentes der
Wärme ist freilich nicht Mayer boschieden gewesen; es fehlten ihm da-
mals die erforderlichen Beobachtungsdaten, um dasselbe nach seinem
durchaus richtigen Gedankengange berechnen zu können; auch gebrach
es ihm an den Hilfsmitteln , vielleicht seiner ganzen 'Anlage nach auch
an der Neigung , dasselbe auf expenmentellem Wege zu finden. Diese
Zahl mit Zuverlässigkeit ermittelt zu haben, ist das grosse unbestreit-
bare Verdienst von James Prescott Joule.
Wir halten es für Unrecht, wenn von verschiedener Seite versucht
worden ist, das Verdienst des einen der beiden grossen Männer auf
Kosten des anderen zu schmälern. Jeder für sich hat für das, was er ge-
leistet hat, das unangreifbare Anrecht erworben, für alle Zeiten unter
den besten Namen in der Geschichte der empirischen Wissenschaften
genannt zu werden.
5. Leben und Werke Robert Mayer's.
Das Leben dieses grossen Mannes ist reich an Dornen gewesen, wie
das der meisten, welche die Welt mit neuen, grundlegenden Fortschritten
beglückt haben. Es war ihm jedoch vergönnt, zu sehen, nicht nur wie
die von ihm begründete Lehre immer mehr Boden* gewann, sondern
auch endgültig als Grundlage weiterer wissenschaftlicher Forschung an-
erkannt und mit grösstem Erfolge verwendet wurde.
So war ihm wenigstens am Abend seines Lebens das Glück beschie-
den, sein Haupt mit dem Lorbeerkranze geschmückt zu sehen, den seine
Geistesthaten reichlich verdient hatten.
Jul. Rob. Mayer wurde am 25. Nov. 1814 im Schwabenlande und
zwar zu Heilbronn am lieblichen Ufer des Neckars geboren. Sein Vater
war der Apotheker des Städtchens und erfreute sich bei seinen Mitbürgern
hohen Ansehens. Der Knabe Robert war ein träumerisches Kind und seine
jugendliche Phantasie war oft mit Gedanken beschäftigt, welche sonst nur
ausnahmsweise in dem Kopfe eines jungen Menschenkindes Platz finden.
Die Betrachtung der zahlreichen Mühlen am Ufer des heimathlichen
Flusses führten ihn auf die Frage, warum es wohl nicht möglich sein
solle, auch mit kleineren Wasserrädern grosse Werke in Thätigkeit zu
setzen, wenn man durch eine Schraube ohne Ende die Kraft vorvielfache
und dann durch passend gewählte Zahnräder die verlorene Geschwindig-
keit der Bewegung wieder herstelle. Durch fortgesetzte Beobachtungen
der wirklichen Verhältnisse aber und durch die Beschäftigung mit einer
populären Naturlehre: „Poppers physikalischer Jugendfreund, Wien
1815", welchen er von seinem Vater geschenkt erhalten hatte, befestigte
sich in seinem Kopfe mehr und mehr die Ueberzeugung, dass man durch
902 V, Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
sogenannte mechanische Uebersetzungen die Arbeitsfähigkeit eines W
rades nicht vergrössern könne.
Von dem Vater, der nicht nur ein tüchtiger Gesohäftsmaiui vc
sondern sich auch mit den damals nenen Fortschritten aof dem Msta
der Chemie vertraut gemacht hatte, hörte Robert schon Irahzeitig Xu-
cherlei, was seine Kenntnisse auf diesem Gebiete Yermehrte uide
Interesse für naturwissenschaftliche Dinge rege machte. Die E3te
vernachlässigten nichts , um dem Sohne eine sorgfaltige Erziehuif t
geben. Da ihm aber die Beschäftigung mit der Natar sichtlidi m&
zusagte, als das Erlernen der alten Sprachen in der StudienansUli c
Schönthal, so bestimmte man den zum Jünglinge heran gewnchaoB
Robert, seinen eigenen Neigungen entsprechend, für das Stadium k
Medicin. Während seiner Studentenjahre auf der Universität Tül»sf:
(von 1832 bis 1837) beschäftigte er sich eifrig nicht nur mit dem Ft^
Studium, sondern er sammelte, soweit dies die damaligen dürftigen Bi>
mittel der deutschen Hochschulen gestatteten, auch gründlicbe Ken
nisse auf dem Gebiete der exaoten Naturwissenschaften. Gegen £•:
seiner Studienzeit wurde er, weil er Leiter einer unerlaubten stodc::-
sehen Verbindung gewesen war, zu einer längeren Garoerstrafe r*
urtheilt. Er war seiner Meinung nach unschuldig bestraft worden, ud i
gelang ihm, seine Haft dadurch abzukürzen, dass er beharrlich diei^
nähme jeder Nahrung verweigerte. Er wurde hierauf, seiner Wnit
spenstigkeit wegen, von der Universität relegirt. Er beendete m
Studien durch kürzere Aufenthalte an den Universitäten München c
Wien und besuchte, nachdem er die letzten üblichen Ehcamina hiss
sich hatte, zu seiner weiteren Ausbildung auch noch die Kliniken o
Hospitäler in Paris.
Der Vater, welcher die hervorragende Begabung seines Söhnest
naturwissenschaftliche Studien wohl erkannt hatte , gab gern seine JJt
willigung, als der junge Doctor der Medicin den Wunsch äusserte, mc
ein Stück Welt sehen zu wollen , ehe er sich durch Uebemahme ea
medicinischen Praxis dauernd an die Scholle fessele. £^ nahm Dstf
als Schiffsarzt auf einem Ostindienfahrer und schiffte sich im I
des Jahres 1840 in Rotterdam ein. Da derCapitain ein wenig gebüddc
und nicht sonderlich umgänglicher Mann war, so. sah sich der
Mayer während der langen Fahrt durch das Weltmeer in der Htaf
Sache auf sich selbst angewiesen. Er benutzte die vielen Mossestnsds
um sich gründlich in das Studium des Handbuches der Physiologie r.i
Johannes Müller zu vertiefen. Dieses Studium und MayerU gro^
liehe Kenntniss der Chemie, in welcher sich damals noch immer k
wesentliche Interesse um den von Lavoisier in den VordergroDd k
Betrachtung gestellten Verbrennungsprocess bewegte, befähigten ia
jungen Arzt, aus einer gelegentlichen Beobachtung die weittragendrta
Folgerungen zu ziehen, welche das Ferment zu einer vollkommenen IV
gestaltung der naturwissenschaftlichen Methode geworden sind.
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 903
Mayer erzählt darüber selbst Folgendes ^) : „ Während eiuerbundert-
tägigen Seereise war bei der aus 28 Köpfen bestehenden Equipage kein
erheblicher Krankheitsfall vorgekommen; wenige Tage aber nach der
Ankunft auf der Rhede von Batavia verbreitete sich epidemisch eine acute
(katarrhalisch - entzündliche) Affection der Lunge. Bei den reichlichen
Aderlässen, welche ich machte, hatte das aus der Armvene gelassene
Blut eine ungemeine Röthe, so dass ich der Farbe nach glauben konnte,
eine Arterie getroffen zu haben.'' An einer anderen Stelle ^) berichtet
er weiter darüber Folgendes: „Diese Erscheinung fesselte meine volle
Aufmerksamkeit. Von der Theorie Lavoisier's ausgehend, nach welcher
die animalische Wärme das Resultat eines Verbrennungsprocesses ist,
betrachtete ich die doppelte Farbenveränderung, welche das Blut in den
Haargefässen des kleinen und grossen Blutlaufes erleidet^), als ein sinn-
lich wahrnehmbares Zeichen, als den sichtbaren Reflex einer mit dem
Blute vor sich gehenden Oxydation. Zur Erhaltung einer gleichförmigen
Temperatur des menschlichen Körpers muss die Wärmeentwickelung in
demselben mit einem Wärmeverluste, also auch mit der Temperatur des
umgebenden Mediums nothwendig in einer Grössenbeziehung stehen, und
es muss daher sowohl die Wärmeproduction und der Oxydationsprocess,
als auch der Farbenunterschied beider Blutarten im Ganzen in der heissen
Zone geringer sein, als in kälteren Gegenden.^
Die Betrachtungen, welche Mayer an diese Beobachtung knüpfte,
haben ihn, wie er selbst^) berichtet, auf die Entdeckung des wichtigen
Satzes geführt, dass zwischen Wärme und Arbeit ein fest bestimmtes
Aequivalentverhältniss bestehen müsse.
Mayer blieb nämlich nicht dabei stehen, die Wärmeproduction der
lebenden Organismen der Verbrennung der Nahrungsmittel zuzuschreiben,
sondern er that dies auch bezüglich der Arbeitsleistung der Muskeln der
Thiere und gelangte dadurch zu dem Schlüsse^): „Es bleibt also der
Yerbrennungstheorie, wenn sie sich nicht von vornherein selbst aufgeben
will, nichts übrig, als anzunehmen : dass die gesammte theils unmittelbar,
theils auf mechanischem Wege vom Organismus entwickelte Wärme dem
Yerbrennungseffecte quantitativ entspricht oder gleich ist.^
„Daraus folgt nun aber mit derselben Nothwendigkeit , dass die
vom lebenden Körper ert&ugte mechanische Wärme mit der dazu ver-
brauchten Arbeit in einem unveränderlichen Grösseuverhältnisse stehen
muss/ Schliesslich kam er zu dem Ergebnisse^): „Es ist folglich eine
1) Mayer, Mechanik der Wärme, Stuttgart, Cotta, 1867. S. 95.
«) A. a. 0. S. 249.
«) Für solche Leser, welche mit den Elementen der Physiologie wenig bekannt
sind, verweise ich auf die kurze Darstellung des Blutlaufes und seiner Bedeutung für
den Organismus, welche ich im ersten Bande dieses Buches, S. 133, gegeben habe.
*) Mayer, Mechanik der Wärme, 1867, S. 249 u. s. f.
^) Mayer, Mechanik der Wärme, 1867, S. 252.
«) A. a. 0. S. 253.
904 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
unveränderliche Grössen beziehong zwischen der Wärme and der
beit ein Postulat der physiologischen Yerbrennungstheorie.^
Heimgekehrt, theilte Robert Mayer dasErgebniss seiner Bebrach-
tungen verschiedenen Fachgelehrten mit; nirgend jedoch fand er Yer-
ständniss für seine Gedanken. Er legte hierauf seine neuen Ideen in
einer Abhandlung nieder: „Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten
Natur/ Er sendete dieselbe an Poggendorff mit der Bitte, dieselbe
in dem von ihm redigirten, gelesensten deutseben Fachjoamale, den be-
kannten Annalen der Physik und Chemie, zum Abdrucke zu bringen.
Die Arbeit wurde ihm jedoch mit dem Bemerken zurückgesendet, es
seien neue experimentelle Daten darin nicht enthalten. Justus Ton
L i e b i g jedoch acceptirte die Arbeit und druckte dieselbe im Jahre 1 842
im Maihefte des 42. Bandes der von ihm gemeinsam mit Wohl er her-
ausgegebenen Annalen der Chemie und Pharmacie ab.
Es ist unbegreiflich, wie einem auf allen Gebieten der Physik so
wohl orientirten und so durchaus wohlmeinenden Manne wie Poggen-
dorff der Werth des Inhaltes der May er 'sehen Abhandlung hat ver«
borgen bleiben könneu. Schreckte ihn die von der üblichen Schulsprache
der Physik nicht unwesentlich abweichende Ausdrucksweise ab? oder
hat er nicht Zeit gefunden, sich genügend eingehend mit dem Inhalte eu
beschäftigen? Wahrscheinlich hat er nach den mehr philosophisch ge»
haltenen ersten Seiten gemeint, er habe es mit einer jener leeren Specn-
lationen zu thun, mit welchen die Philosophen gelegentlich das Gebiet
der Naturwissenschaften heimsuchen. JedenfaUs hatte Poggendorff
nicht beachtet, dass in der May er ^ sehen Abhandlung etwas auch filr
den experimentellen Theil der Physik sehr Wichtiges steckte, nämlich
die erste Berechnung des mechanischen Aequivalentes der Wärme. Diese
wichtige Stelle in May er 's Abhandlung lautet^): „Wir müssen aasfindig
machen, wie hoch ein bestimmtes Gewicht über den Erdboden erhoben
werden müsse, dass seine Fallkraft äquivalent sei der Erwärmung eines
gleichen Gewichtes Wasser von 0^ auf PC. Dass eine solche Gleichung
wirklich in der Natur begründet sei, kann als das Kesume des Bisherigen
betrachtet werden."-
„Unter Anwendung der aufgestellten Sätze auf die Wärme- and
Volumverhältnisse der Gasarten findet man die Senkung einer ein Gas
comprimirenden Quecksilbersäule gleich der durch die Compression ent-
bundenen Wärmemenge, und es ergiebt sich hieraus — den Verhaltniss-
exponenten der Capacitäten der atmosphärischen Luft unter gleichem
Drucke und unter gleichem Volumen = 1,421 gesetzt — dass dem
Herabsinken eines Gewichtstheiles von einer Höhe von circa 365 m die
Erwärmung eines gleichen Gewichtstheiles Wasser von 0^ auf l^ ent-
spreche.*^
Der Gedankengang, durch welchen Mayer an dieser Stelle das
*) Mayer, Mechanik der Wärme, S. 11.
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 905
mechanische Wärmeäquivalent ableitet, ist ganz richtig; denn ihm war,
urie er später auf Einwendungen Joule's^) diesem entgegnete, der Gay-
XiUBsac'sche Versuch^) bekannt, nach welchem sich die mittlere Tem-
peratur einer Gasmasse nicht ändert, wenn das Volumen des Gases ver-
grössert wird, ohne dass gleichseitig eine äussere Arbeitsleistung statt-
findet. Der von Mayer gefundene numerische Werth des mechanischen
Wärmeäquivalentes, 365 kgm, weicht jedoch nicht unerheblich von dem
durch Joule gefundenen und durch alle neueren Untersuchungen be-
stätigten wahren Werth e, ungefähr 425 kgm, ab; Mayer konnte nar die
damals bekannten ungenauen Zahlen für den Ausdehnungscoefficienten und
die specifische Wärme seiner Rechnung zu Grunde legen. Verwendet
man die inzwischen gefundenen genaueren Bestimmungen dieser physika-
lischen Constanten, so gelangt man genau zu dem von Joule gefunde-
nen Zahlwerthe ^).
Es kann jetzt kein Zweifel mehr darüber herrschen, dass sowohl
hinsichtlich der klaren Erfassung des richtigen Gedankens, als auch hin-
sichtlich der correcten Durchführung desselben bis zum Endresultat
Mayer die Priorität vor Joule gebührt. Mayer hat zuerst ausge-
sprochen, dass es ein mechanisches Aequivalent der Wärme giebt und
den richtigen Weg gezeigt, dasselbe aufzufinden. Die genaue Bestimmung
des wahren Werthes nach einer anderen, wesentlich mühevolleren, aber
auch einwurf^eien Methode ist das grosse, unbestreitbare Verdienst
J o u 1 e ' s.
In dieser ersten Publication May er 's ist auch die gegenseitige
Verwandelbarkeit der verschiedenen Naturkräfte, sowie die Unzerstörbar-
keit der Kraft und die Unmöglichkeit, Kraft aus Nichts zu schaffen, also
der Satz von der Gonstanz der Energie, auf das Klarste auseinander-
gresetzt.
May er 's Arbeit fand damals durchaus nicht die Beachtung, die ihr
apochemachender Inhalt verdient hätte. Die Ursache hiervon ist gewiss
7or Allem darin zu suchen, dass die Darstellung in der Abhandlung „Be-
merkungen über die Kräfte der unbelebten Natur ^ den Eindruck macht,
ÜB sei Mayer auf deductivem Wege zu den Ergebnissen, die er mit-
bheilte, gelangt. Gegen diese Methode aber haben die Naturforscher eine
[>e rechtigte Abneigung, da die wesentlichen Fortschritte auf dem Ge-
t:>iete des Naturerkennens fast ausschliesslich durch consequentes Ver-
folgen des indnctiven Weges gewonnen worden sind. Hätte Mayer
3infach die Beobachtungen beschrieben, welche ihn, wie wir oben mit-
^heilten, thatsächlich auf seine Entdeckung geführt haben, und den Ge-
iankengang klar gelegt, welcher ihn zu seinen Ergebnissen führte, so
^) Joule, Comptes rendus 28, S. 132. Mayer, R^clamation de priorite contre
kl. Joule, relativement i la loi d^^quivalence du calorique, Comptci« rendus, 27, S. 385,
S8, S. 132; 29, S. 534.
2) M6moires d'Arcueil, 1, S. 180.
. 3) Vergl. Bd. 1 dieses Buches, III, A, 2, S. 235. '
906 V. Geschichte der mechanischen Wännetheorie.
würde man seine Leistung mit grösserem Vertrauen aufgenommen usd
sorgfUtiger hinsichtlich ihres Werthes geprüft hahen.
Entschieden falsch ist es, wenn Dühring^) den SachTerhalt so dar-
stellt, als hahe man den Werth der May er' sehen Arbeit zwar schoa
damals erkannt, aber es habe zwischen den Fachgelehrten eine Art tob
Complott bestanden zu dem Zwecke, die Ergebnisse der neuen Est-
deckung zwar zu eigenem Ruhme auszubeuten, den Entdecker selbst aber,
weil er ein Nichtfachmann gewesen sei, zu unterdrtlcken.
Heimgekehrt von seiner Seereise, liess sich Mayer im Jahre 1841
in seiner Vaterstadt Heilbronn als praktischer Arzt nieder. Er erwarh
sich bald das Vertrauen seiner Mitbürger und damit eine steüg* wachsende
Praxis. Im folgenden Jahre gründete er sich einen eigenen Haasstand.
Trotzdem Mayer mit seiner Erstlingsarbelit nicht entfernt die An-
erkennung fand , auf welche er wohl mit Recht gehoflt hatte , verfolgte
er unentwegt den einmal betretenen Pfad weiter. Als Fracht seiner
weiteren Studien erschien im Jahre 1846 eine kleine Broschüre, betiteh:
„Die organische Bewegung im Zusammenhange mit dem Stoffwechsel.**
Dieselbe beschäftigte sich mit den Anwendungen des neuen Principe auf
die Physiologie. Diese Arbeit zeigt deutlich, dass Mayer sich der Trag-
weite und universellen Bedeutung seiner Entdeckung voll bevmsst war;
sie gehört zu den classischen Werken auf naturwissenschaftlichem Ge-
biete und documentirt hinsichtlich der Darstellung nnd^osseren Form
im Vergleich zur ersten Publication einen gewaltigen Fortschritt.
Kurze Zeit darauf, im Jahre 1848, veröffentlichte Mayer eine nicht
minder bedeutsame Abhandlung: „Beiträge zur Dynamik des Himmels^ xd
populärer Darstellung"'), in welcher zahlreiche Anwendungen seiner
Principien auf kosmologische Probleme niedergelegt sind, und wclcbe
einen erneuten Beweis für die Genialität und durchdringende Schärfe
seines Denkens abgiebt. Er entwickelte in dieser Abhandlung die bereits
^) E. Dühring, Robert Mayer, der Galilei des 19. Jahrhunderts. Chemnitz
1880. Das Dühring' sehe Buch verdankt seinen Ursprung sichtlich minder dem Be-
dürfnisse, den längere 2Seit nicht genügend gewürdigten Verdiensten May er 's Gercchti^
keit widerfahren zu lassen, als vielmehr dem Drange eines verbitterten Gemüthes, dem
Grimme über persönliche üble Erfahrungen im Kreise der akademischen FachgcBae^cs
Ausdimck zu geben. Dühring war nämlich wegen ganz unqualificlrbarer, von ILl<«
and Bosheit strotzender persönlicher Angriffe in Rede und Schrift gegen eüuelne ^diicr
Collegen an der Berliner Universität im Jahre 1877 gezwungen worden, seine Utitis-
keit als Privatdocent an dieser Hochschule einzustellen. — Dem über alles Mjum I«-
scheidenen, gegen Jeden freundlichen Mayer würde gewiss, wenn er noch gelebt hatte,
das Erscheinen der hasscrfüllten Dühring» sehen SchritY keine Freude bereitet hat««.
Die Dühring* sehe Darstellung der Lebensschicksale, sowie der Bedeutung der Eat-
deckungen Robert Mayer's, machen nicht den Eindruck historischer, objectirer Wor*
digung ; Thatsachen und Motive erscheinen in augenfälliger tendenziöser Verxerrung. Is
ist dies um so mehr zu beklagen, als man gern anerkennen kann, dass Dühring skli
durch andere Arbeiten auf philosophischem, staatswissenschaftlichem und histortsrhen
Gebiete Verdienste erworben hat.
*) Mayer, Mechanik d. Wärme, S. 147 bis 234. Heilbronn 1848.
B. Von ßumford bis jju R. Mayer. 907
früher (S. 819) von uns mitgetheilte Theorie, nach welcher die unaoB-
gesetzten, durch die Wärme- und Lichtausstrahlung der Sonne veran-
lassten Energieverluste dadurch ersetzt würden, dass die auf die Sonnen-
oberfläche niederfallenden Meteoriten dort ihre enormen Mengen kineti-
scher Energie, die sie mit sich führten, verlieren und in Wärme um-
setzen. Ferner zeigte Mayer, dass die Reibung der Ebbe und Fluth
an der Erdoberfläche eine kleine Verzögerung der Rotationsgeschwindig-
keit der Erde um ihre Axe zur Folge haben müsse. Obgleich dieselbe
zum Theil durch die allmähliche C!ontraction compensirt wird, welche
die Erde in Folge ihrer Abkühlung erfährt, so scheint es doch, als ob
die erstgenannte Wirkung einen nicht zu vernachlässigenden Betrag
besässe ^).
Zum ersten Mal^ wird hier die Sonne und ihre Beziehung zur Erde
in mustergültiger Weise von einem weitblickenden Standpunkte aus be-
trachtet, welcher eine klare Auffassung einer ganzen Reihe wichtiger
kosmischer Probleme ermöglicht hat. Auch diese Abhandlung muss
daher zu den werth vollsten geschichtlichen Documenten gerechnet werden,
welche unsere Wissenschaft besitzt.
Merkwürdiger Weise fanden aber auch diese Schriften so gut wie
keine Beachtung und kaum Verständniss in den^ Kreisen der Naturforscher.
Die Enttäuschung über diesen Misserfolg, Anfeindungen von Gegnern
der neuen Gedanken, vielleicht auch häusliche Differenzen, welche durch
die Unkosten des Druckes der Abhandlungen veranlasst worden sein
mögen, wirkten ungemein niederdrückend auf das empflndsame, zu ener-
gischer Gegenwirkung nicht veranlagte Gemüth des grossen Mannes.
Um dem ungerechten Todtschweigen seiner Entdeckung entgegen-
zutreten und um zu verhüten, dass mau nicht Anderen, die erst nach
ihm gekommen waren, die Entdeckung des mechanischen Wärmeäqui-
valentes zuschreibe, veröffentlichte er 1850 eine kleine Reclamations-
Bchrift „Ueber das mechanische Aequivalent der Wärme ^ ^). Aber auch
diese blieb ohne Wirkung.
In Folge dieser schmerzlichen Erfahrungen, vielleicht unterstützt
durch eine angeerbte körperliche Disposition, kam ein ernstes Nerven-
leiden bei Mayer zum Ausbruch; zu spät durch Ruhe und Erholung
bekämpft, steigerte sich dasselbe bis zur Gemüthskrankheit und zog einen
fünfzehnmonatlichen Aufenthalt in den Irrenheilanstalten zu Göppingen
und Winnenthal nach sich. Ob Mayer in jener Periode wirklich im
eigentlichen Sinne des Wortes geisteskrank gewesen ist, oder ob nicht
durch ungeschickte Behandlung sein Gemüthsleiden nur zu gelegent-
lichen Paroxismen gesteigert worden ist, kann jetzt kaum mehr mit
Sicherheit constatirt werden. Mayer selbst hat, soviel mir bekannt,
*) Wir verweisen hier auf das, was wir im vorigen Abschnitte IV, B. 4, S. 819
desselben Bandes dieses Baches mitgetheilt haben.
^ Heilbronn 1850. Mechanik der W&rme, S. 235 bis 294. Als Broschüre erschienen.
908 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
selbst nie zugegeben , dass er geisteskrank gewesen sei , wohl- aber et
zeitlebens bitter über die schlechte Behandlung ausgesprochen, die er =
den oben genannten Anstalten erfahren. Zur Ehre der Irrenftrzie, wdck
Mayer behandelt haben, darf man yielleicht annehmen, dass demkn^;
haft überreizten Manne manches damals schlimmer erschienen, nnd k
auch in seiner Erinnerung geblieben ist, als es in Wirklichkeit n j
D ü h r i n g stellt M a y e r ' s Aufenthalt in der Irrenheilanstalt all ä
Märtyrerthum für seine Ueberzeugung dar. Die treibende Unadwe
der Neid der Fachgelehrten gewesen, die Familie habe zur Unschadlid-
machung willig die Hand geboten, und die Irrenärzte hätten geinsk>
maassen die Ausführung des Attentates übernommen, dessen Zvecka
gewesen sei, den grossen Mann entweder zu vernichten oder dock dub^
stens um den Lohn seiner geistigen Schöpfungen zu betrügen. la
kann es der Zukunft überlassen, darüber zu entscheiden, ob sieäneiolQi
Potenzirung von Gemeinheit und Niedertracht bei sonst achtbaren, ^Saä:,-
treuen und wohlmeinenden Menschen für möglich hält, oder ob es m^
für wahrscheinlicher gehalten werden wird, anzunehmen, dass Maje:
wirklich vorübergehend gemüthsleidend gewesen sei, und dass nur ooem
Bosheit und Hass erfüllte Phantasie einen Zusammenhang and Motive eiga-
m ächtig erdichtet hat, um May er 's Aufenthalt in der Irrenanstalt ■
die Leiden eines modernen Galilei erscheinen lassen, und dabei Giftni
Galle über die Gelehrtenzunft ausspeien zu können.
Nachdem Mayer im Jahre 1854 die Irrenanstalt verlassoi hat
scheint er lange Zeit eine begreifliche Niedergedrücktheit nicht bik
los werden zu können. Man hatte ihn inzwischen auch bereits todt p*
sagt. Er litt schwer unter dem Odium , was ja leider lange Zeit Boiai
Unglückliche verfolgt, von welchen es bekannt ist, dass ihr Geist getrik
gewesen. Doppelt schwer lastete dieses Gefühl, auf einem Manne, der et
Ueberzeugung hatte, er sei nicht geisteskrank gewesen, der bia dikb
vergeblich nach Anerkennung seiner Verdienste sich gesehnt hatte oi
wahrnehmen musste, dass inzwischen andere, die nach ihm gekoasa
waren, mit denselben Gedanken, die er zuerst ausgesprochen hatte, Bei&S
fanden, während man ihn vergessen zu haben schien. Doppelt aAn
musste ein solches Schicksal für einen Arzt sein, dessen Wirkanke^
doch vor Allem sich auf dem Vertrauen seiner Klienten aufbaut NV
mand wird so tragischem Geschicke des grossen Mannes innigste Tbeü*
nähme versagen!
Diese schwere Last, welche das verdüsterte Gemüih des grons
Mannes bedrückte, ist wohl auch die richtige Erklärung fftr die Itf?
Pause, welche nach jener Erkrankung in seinen Publicationen eingeticis
ist. Ein Glück war es, dass Mayer auch als Arzt ohne lohnende Pmi
wenigstens vor äusserem Mangel bewahrt blieb. Erst im Jahre 1^
veröffentlichte er in Wunderliches Archiv der Heilkunde wieder eis
Abhandlung: „Ueber das Fieber. Ein iatromechanischer Versack^ ^
yr&r dies eine Anwendung seiner eigenthümlichen Betrachtungsve*
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 909
und des vou ihm entdeckten Principes auf die Losung pathologischer
Fragen.
Das Verdienst, zuerst auf Mayer hingewiesen zu haben, gebührt
unzweifelhaft Glausius, welcher schon in seiner ersten 1850 erschie-
nenen Abhandlung: „Ueber die bewegende Kraft der Warme" diesen
citirte^). Auch tou Uelmholtz hat, seitdem er die Arbeiten Mayer's
kennen gelernt hatte, niemals unterlassen, dessen Prioritätsrechte voll-
ständig anzuerkennen^) und wiederholt Mayer gegen die Verkleine-
rungsyersuche gewisser englischer Physiker in Schutz genommen.
Aber erst durch die Vorträge und Schriften des Engländers Tyn-
dall ist die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Bedeutsamkeit der
May er 'sehen Entdeckungen gelenkt worden, und man begann nunmehr
auch in Deutschland und anderwärts die grossen Verdienste Mayer' s
voll zu würdigen, nachdem nahezu ein Vierte^jahrhundert lang sich nur
ganz Wenige darum gekümmert hatten, dass von Mayer die neuen Fun-
damente geschaffen worden waren, auf welchen sich die neueste, glänzende
Epoche naturwissenschaftlicher Entdeckungen und technischer Erfindun-
gen aufbauen konnte.
Im Jahre 1867 veröffentlichte er im Cot tauschen Verlage eine Samm-
lung seiner sämmtlichen auf mechanische Wärmetheorie bezüglichen Ab-
handlungen unter dem Titel: „Die Mechanik der Wärme." Dieses Bänd-
chen, welches über May er 's An theil an der Begründung der mechanischen
Wärmetheorie genügend Auskunft giebt, fand bald rasche und vielseitige
Anerkennung, so dass schon nach wenigen Jahren eine neue Auflage
nöthig wurde. Während die erste Auflage nur eine wortgetreue Wieder-
gabe der inzwischen zum Theil fast unerreichbaren Originalabhandlungen
und -Broschüren war, acceptirte Mayer in der zweiten Auflage von
1874 die Joule' sehe 2iahl für das mechanische Wärmeäquivalent und
rechnete alle numerischen Beispiele, in welchen diese Zahl vorkommt,
um. Für die Consequenzen, welche Mayer aus dieser Zahl gezogen hat,
blieb die Differenz zwischen dem von ihm angenommenen Werthe 367
und dem von Joule gefundenen 423 Meterkilogramm ohne jeden Einfluss.
Abgesehen von einigen öffentlichen Vorträgen, die Mayer hielt, ist
nur noch wenig über seine weitere Thätigkeit bekannt geworden. Am
19. October 1869 hielt er auf der Naturforscherversammlang in Inns-
bruck einen Vortrag. Er sprach über das mechanische Wärmeäquivalent
and entwickelte einen neuen originellen Erklärungsversuch der Er-
scheinungen der Polarlichter. Er glaubte, dass die Ursache der zeit-
weiligen Störungen des elektrischen Gleichgewichtes darin zu suchen sei,
dass die Reibung der Luft der unteren Passatwinde an der Erdoberfläche
einen Scheidungsprocess der beiden Elektricitäten bewirke; die eine
^) Clansius, Abhandlungen über mechanische Wärmetheorie. 1. Aufl. ßraun-
ftchweig 1864. S. 75.
^) Vergl. Helmholtz, Populäre wiwenschaftliche Vorträge. 1. Aufl. 1854. Hft. 2.
S. 112.
910 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Elektricitätsart wird der Erdoberfläche, die andere der Luft mitgetbeüt.
Die in der heissen Zone aufsteigende Luft führe ihre elektrische Ladung
den Polen zu und bnuge dort die Polarlichter hervor. — Wir TerzichteB
darauf, diese Hypothese an dieser Stelle auf das Maass ihrer Wahrscheia-
lichkeit zu prüfen, weisen jedoch darauf hin, dass dieselbe mindesUas
nicht unbeachtlich ist, wenn sie auch kaum im Stande sein dürfte, alle
Erscheinungen des Erdmagnetismus und der Luftelektricität in ihren
Zusammenhange zu erklären.
Zwei Jahre vor seinem Tode (1876) veröffentlichte er eine Ideiae
Broschüre: „Die Toricelli'sche Leere und über Auslosang.'^ In der
ersten ganz kurzen Notiz weist er darauf hin, dass das sogenannte
Yacuum der Barometer jederzeit noch erhebliche Gasmengen enthalteD
müsse, was später durch zahlreiche Untersuchungen über den Darcfagang
der Elektricität durch verdünnte Gase vielseitig bestätigt worden ist.
In der zweiten Abhandlung erörtert er die Bedeutung jener ersten An-
stösse, durch welche der Eintritt gewisser Naturprocesse eingeleitet wird,
und welche scheinbar dem Grundsatze „causa aequat effectum^ wider-
sprechen. Der verschwindend kleine Druck auf den Abzug* d^ ge-
stochenen Büchse bringt die in dem Pulver enthaltene grosse Menge
potentieller Energie chemischer Affinität zur Wirkung. Dieser Drack
auf den Abzug ist die Auslösung und steht in keiner quantitativen Be-
ziehung zu der bei der Entladung des Geschosses entwickelten Menge
calorischer und kinetischer Energie. Vorzugsweise behandelt er in jener
Schrift die Bedeutung des Auslösnngsvorganges für physiologische nad
psychologische Vorgänge.
Am 20. März 1878 endete eine Lungenentzündung nach kwaen
Krankenlager das Leben des bedeutenden Mannes.
Unaufgeklärt ist es geblieben, warum Mayer in den lotsten Jahr-
zehnten seines Lebens sich minder lebhaft an dem neuen Aufbau der
exacten Wissenschaften betheiligt hat, für den seine Entdeckungen das
Fundament abgegeben haben. Das aber, was Mayer geleistet hat, ist
so originell und von so grundlegender Bedeutung gewesen, dass die
Wissenschaft zu allen Zeiten seiner als einer Grösse ersten Ranges ge-
denken wird.
6. Sadi Oarnot.
Dem Mitgliede des Directoriums der ersten Republik, dem Genen!
Carnot, wurde am 1. Juni 1796 ein dritter Sohn geboren, dem er in
der Taufe nach einem persischen Weisen, dessen Dichtungen und Moral-
anschauungen er sehr schätzte, den Vornamen Sadi beilegte. Nach den
18. Fructidor gehörte auch der General Carnot zu den ProacribirieB
und flüchtete zunächst nach der Schweiz, fipäter nach Deutschland. Seine
B, Von Rumford bis zu R. Mayer. 911
Gattin hatte sich mit ihrem Sohne Sadi nach St. Omer gewendet, und
dort yerlebte der Knabe seine erste Jugendzeit. Dem Directorinm war
dasGonsnlat gefolgt; dasselbe führte den vertriebenen General nach zwei-
jährigem Exil in sein Vaterland zurück, und derselbe gelangte zu dem
wichtigen Amte eines Kriegsministers. Trotz seiner umfänglichen dienst-
lichen Verpflichtungen leitete der Vater mit grosser Sorgfalt persönlich
die Erziehung seines Sohnes. Der kleine Sadi, welcher oft seinen Vater
nach Malmaison begleitete, erfreute sich der besonderen Liebe Josephinens,
der späteren Kaiserin, und verbrachte oft halbe Tage in der Gesellschaft
der liebenswördigen, geistvollen Frau. Auf dem Lycee Charlemagne be-
reitete sich der heranwachsende Knabe für die polytechnische Schule
vor. Durch energische* körperliche Uebungen wurde der zarte Körper
gestählt und das erforderliche Gleichgewicht zwischen der Ausbildung
des Geistes und des Körpers bewahrt. Im September des Jahres 1812
trat der nunmehr sechzehnjährige Sadi in die polytechnische Schule
selbst ein. Obgleich er bereits nach einem Jahre auf Grund seiner her-
vorragenden Leistungen zum Eintritt in die Artillerie für reif erklärt
wurde, blieb er mit Rücksicht auf seine Jugend und seine zarte Körper-
beschaffenheit noch ein weiteres Jahr auf der Schule und trat im Jahre
1814 als Genieofficier in die Armee ein. Unmittelbar darauf kam er
auch im Bataillon der Polytechniker während des AngrifiFes der Alliirten
auf Paris an dem Thore von Vinoennes zum ersten Male ins Feuer.
Sadi Carnot besuchte nunmehr im Jahre 1814 und 1815 zunächst
als Unterlieutenant die Kriegsschule in Metz. Obgleich er sich bereits
hier durch hervorragende wissenschaftliche Leistungen ausgezeichnet
hatte und sich jederzeit des vollsten Vertrauens seiner nächsten Vor^
gesetzten erfreute, wurde der junge Genieofflcier vom neuen Bourboni-
Bchen Regime, wahrscheinlich seines an die republikanischen und napoleo-
niflchen Traditionen erinnernden Namens wegen , von einer Garnison in
die andere versetzt und meist in kleinen Festungen mit rein mechani-
schen Arbeiten beschäftigt, die ihm seinen Dienst mehr und mehr ver-
leideten. Er trat deshalb 1819 bei der Bildung des Generalstabes als
Lieutenant in diesen ein, fand jedoch auch hier keine seinen Fähigkeiten
entsprechende Verwendung. In Folge dieses Umstandes wendete er seine
Aufmerksamkeit anderen, seinem Berufe ziemlich fem liegenden Dingen
zu, und als Frucht dieser Studien veröffentlichte er im Jahre 1824 die
Abhandlung : „Reflexions sur la puissance motrice du feu et sur les machines
propres k d^^elopper cette puissance. ** Diese Abhandlung enthält, ob-
gleich Carnot^) in derselben von der Annahme eines unzerstörbaren,
un verwandelbaren Wärmestoffes ausgeht, eine eigenthümliche Betrach-
1) Carnot, R^flexions etc. Paris 1824. Bachelier. Nen abgedruckt: Annales
scientifique« de Vtco\e Normale sup^rieure, 2. Ser., Bd. 1, 1872. Neu herausgegeben,
mit einer Biographie und Abdrücken aus den unedirt gebliebenen Manuscripten ver-
sehen von Hypolite Carnot, dem Bruder Sadi Carnot's, im Jahre 1878. Paris.
Gauthier Villars.
912 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
tungsweise über die Vorgänge bei Maschinen, durch die vermiHelst
Wärme Kraft erzengt wird , welche die Gmndlage "des zweiten Haapt-
satzes der mechanischen Wärmetheori& geworden ist.
Ehe wir auf den wesentlichen Inhalt dieser Abhandlung eingeben,
berichten wir kurz über die weiteren Lebensschicksale Carnot^B. In
Jahre 1828 nahm er, um sich seinem Lieblingsstudinm, der Theorie dff
technischen Verwendungen der Wärme, ungestörter zuwenden zu köBDen
seinen Abschied. Die Manuscripte, welche Carnot unvollendet lliote^
lassen hat, beweisen auf das Deutlichste, dass derselbe nach Publicatioe
seiner ^Reflexions" die Meinung: Wärme sei ein unverwandelbarer Stoff,
gänzlich verlassen hat. Er war vielmehr zur vollen Klarheit über die
Kraftnatnr der Wärme gelangt und hat sogar eine angenäherte Bestin-
mung des mechanischen Aequivalentes der Wärme und zwar zu 370 Meter-
kilogramm^) hinterlassen. Da diese Notizen jedoch erst 1878 vonseixieiB
Bruder Hypolite Carnot veröffentlicht worden, können hierauf keine
Prioritätsansprüche gegründet werden.
Späterhin wendete sich S. Garnot vorzugsweise nationalökoDoini'
sehen Studien zu. Diese wurden Veranlassung, dass er im Jahre 183(i
mit anderen ehemaligen Schülern der polytechnischen Schule die Assocu-
tion polytechnique, -eine Gesellschaft zur Gewinnung und Verbreitosg
gemeinnützlicher Kenntnisse, gründete. Mitte Juni 1832 erkranl[te er
am Scharlachfieber, dasselbe nahm später einen typhösen Charakter u.
Sein hierdurch ohnehin sehr geschwächter Körper erfag am 24. Kupsk
desselben Jahres einem Choleraanfalle in wenig Stunden.
Er hinterliess nur Anfange zu weiteren Arbeiten, von welchen ein-
zelne der neuen Auflage ') seines berühmten Abhandlung beigefagt siiii
Der Inhalt der Carno tischen Abhandlung ist ungefähr der folgende -
Der Gedankengang knüpft an die Beobachtung an , dass überall da, vo
Arbeit mittelst Wärme erzeugt wird, gleichzeitig ein Uebergang von
Wärme von einem heissen zu einem minder warmen Körper stattfiodet
^) A. a. 0. S. 95 heisst es: „Nach einigen Vorstellungen, welche ich mir ii«
die Theorie der Wärme gebildet habe, erfordert die Entstehung einer Krafteinheit" (fc^
hebung eines Cubikmeters Wasser una einen Meter) „die Zerstörung von 2,70 Wiraw
einheiten." Nun ist aber
^""V^g" = 370 kgm.
2,70 *
Der von Carnot vermuthete Werth des mechanischen Wärmeäquivalentes stimmt dikr
so ziemlich mit dem überein, welchen späterhin Mayer aufstellte. Auch dem Sita
von der Erhaltung der Kraft begegnet man in dieser Sammlung eintelner Kotiia tt*
S. Carnot^s hinterlassenen Manuscripten, und zwar in folgender Perm (a. a. 0. S, 95):
„Man kann daher den allgemeinen Satz aufstellen, dass die bewegende Kraft" (pm«»«
motrice) „in der Natur eine unveränderliche Grösse ist, dass sie im eigentiicken Sine
des Wortes weder geschaffen noch zerstört wird. Sie wechselt in Wirklichkeil 6k G^
stalt, d. h. sie bringt bald die eine, bald die andere Art Bewegung hervor, aber st
verschwindet niemals."
2) Reflexions etc. Paris 1878. S. 89 bis 102.
B. Von Rumford bis zu R, Mayer, 913
Bei jeder durch Wärme getriebenen Maschine ist einerseits eine Wärme-
quelle vorhanden (bei einer Dampfmaschine z. B. die Kesselfeuerung),
andererseits eine Abkühlungsvorrichtung (der Condensator) , und femer
gieht es einen anderen Körper (den Wasserdampf), welcher, abwechselnd
mit der Wärmequelle und der Kühlvorrichtung in Berührung gebracht,
durch seine Yolumveränderungen die Arbeit erzeugt, welche die Ma-
schine leistet.
Carnot behandelt zuerst die Frage, ob die durch die Wärme er-
zeugte Arbeitsmenge von der Qualität der dritten Substanz abhängig
sei, welche durch ihre Volum Veränderungen diiö Arbeitsleistung be-
wirkt. Ausgehend von der üeberzeugung, dass ein Perpetuum mobile
. unmöglich sei, zeigt er, dass die erzeugte Arbeitsmenge unabhängig von
der Qualität des Zwischenmittels ist und lediglich von den Temperaturen
der beiden Körper abhängt, zwischen welchen sich dieser Wärmetransport
vollzieht. Er 2eigt weiter, dass, sofern die Temperaturen der Wärme-
quelle und der Abkühlungsvorrichtung gegeben sind und die grösste
mögliche Arbeitsleistung erzielt werden soll, man jede Temperaturände-
ruDg der vermittelnden Substanz vermeiden muss, welche nicht mit einer
entsprechenden Volumenänderung verbunden sei. Jede Temperatur-
änderung, welche nicht mit einer gleichzeitigen Volumen änderung ver-
knüpft ist, muss nothwendig mit einem unmittelbaren Uebergange von
Wärme von einem heissen auf einen kalten Körper verbunden sein. Ein
solcher schädlicher Uebergang findet z. B. jederzeit statt, wenn sich
Körper von verschiedener Temperatur berühren, und das muss demnach
soviel als möglich vermieden werden. Zum mindesten sollen, da der-
artige Verschiedenheiten in der Praxis nicht gänzlich zu umgehen sind,
dieselben so gering als möglich gemacht werden. Sadi Carnot zeigt,
-wie es mit Hilfe von Hüllen, welche für Wärme undurchdringlich sind,
möglich sein würde, Maschinen zu construiren, welche dieser Bedingung
vollständig entsprächen. Er macht darauf aufmerksam, dass solche Pro-
cesse, bei welchen auf die angedeutete Weise die Substanz, durch welche
die Wärme von der Wärmequelle auf die Abkühlungsvorrichtung über-
tragen wird, in den Anfangs^stand zurückgebracht wird, ohne dass
jemals sich Körper von ungleicher Temperatur berührt haben, auch um-
kehrbar sind, d. h. ebenso gut in entgegengesetzter Hichtung vollzogen
irerden können.
Hierauf versucht Sadi Carnot zu bestimmen, wie gross dieMaximal-
arl>eit sei, welche eine bestimmte Wärmemenge zu erzeugen im Stande
ist, wenn sie von einer Wärmequelle auf einen kälteren Körper über-
tragnen wird. Dass ein Theil der Wärme dabei wirklich verschwinde.
Lind gerade dieser in Arbeit umgesetzt wird, entging ihm, da er von
}er Annahme ausging, die Wärme sei ein Stoff und deshalb ihre
^Qftntität unveränderlich. Er haftete mit seinen Vorstellungen an dem
Silde des Wassers, welches Arbeit zu leisten im Stande ist, wenn es von
änem höheren zu einem tieferen Niveau herabsinkt. £r spricht daher
Sühlmaiin, Mechan. Wärmetheorie. Bd. II. 5g
914 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
auch Yon einem Falle der Wärme. Es fehlten ihm BarBeantwoitmigder
Frage nach dem möglichen Arheitsroaxiinam^ die experimentellen Grud-
lagen, und er konnte nur den Satz aafstellen, dass ein Wärmefall om di^
seihe Anzahl von Graden eine grössere Arheitsleistang in den tiefiena,
als in den höheren Temperatarregionen bewirke. Er zeigte nim, daa
hei einer Maschine, in welcher die Arbeitssnbstanz (Lufb, Dampf) eba
vollkommen umkehrbaren Ereisprocess durchläuft, das Yerhältaiai kt
erzeugten Arbeit zu der yon der Wärmequelle abgegebenen Winae-
menge lediglich eine Function der Teroperaturdifferenz zwischen Wärae-
quelle und abkühlender Substanz ist. Carnot bewies, dass bei «nn^
lieh kleinen Kreisprocessen die erzeugte Arbeitsmenge der Tempentl^
differenz zwischen der Wärmequelle und dem kalten Körper, auf wdcki
die Wärme übertragen wird, und einer unbekannten Temperatarfanetki
proportional sei; aber es gelang ihm nicht, das Gesetz für YollkomiBae
Kreisprocesse von endlicher Ausdehnung vollständig aufzustellen, md
welchem die durch die Wärme erzeugte Arbeitsmenge zwischen des tv-
schiedenen Temperaturgrenzen sich ändert, da er die Natur der erwib-
ten unbekannten Temperatnrfunction , der sogenannten Cärnot^scWt
Function, nicht zu bestimmen vermochte.
Erst Holmholtz und Clausius zeigten, dass die erzeugte Arlwitr
menge proportional der Temperaturdifferenz und umgekehrt propertkafc
der absoluten Temperatur der Wärmequelle ist. Dieser Satz, wal^
den Ausgang des zweiten Hauptsatzes der mechanischen WärmeÜMow
bildet, ist zusammen mit dem Mayer' sehen Satze von dem Arboi»
äquivalente der Wärme das Fundament geworden, worauf die neoeB^
handlungsweise naturwissenschaftlicher Probleme ruht, welche nakn
in alle Gebiete der Kräfteverwandlung eingreift und in den letztes Jak*
zehnten einen vollständigen Umschwung der Naturauffassnng bewiri^t ^
Obgleich Carnot schon in der eben besprochenen Abhs&dliiif
wiederholt Bemerkungen einstreute, welche darauf hindeuten, dan er ik
Annahme von der Existenz eines unzerstörbaren WärmeetcfPes niebtüt
unangreifbar halte, hat er doch seine ganze Abhandlung in diesem Siiat
durchgeführt. Er stellt die theoretische Grundlage der Wärmemasetiia
so dar, als ob die Wärmemenge , welche der Dampf beim Eintritt is £>
Maschine vom Dampfkessel mitbringt, vollständig im (Jondensator vii^
zum Vorschein käme und lediglich ihre Temperatur geändert hkt
Trotzdem ihm somit entging, dass die vom Dampfe in der Maschine gr
leistete Arbeit der Wärmemenge gleich ist, welche während des Tr
ganges verschwindet, also nicht wieder im Condensator auftritt, so bM
doch der Gar not' sehe Satz, dass die erzeugte Arbeit der Tempera»*
differenz zwischen dem heissen und kalten Körper proportional ist, fi*
sehen denen der Wärmeübergang stattfindet, yon diesem Irrthume «*
berührt.
Ich halte es daher för ungerecht, wenn einzelne Physiker mit Bb^
sieht auf den sachlichen Irrthum die Bedeutung Garnot'z f^ dieG^
B. Von Bumford bis zu R. Mayer. 915
sobichte der mechanischen W&rmetheorie gering erachten. Dieselben
stützen sich immer auf die Stelle (Eleflexions, Aasgabe vom Jahre 1878,
S. 6), welche in Uebersetzung folgendermaasseu lautet: „Die Erzeugung
bewegender Kraft in den Dampfmaschinen rührt somit nicht von einem
wirklichen Verbrauche von Wärme her, sondern von ihrem Uebergan^e
Yon einem heissen auf einen kalten Körper, d. h. Yon der Wiederher-
stellung des Gleichgewichtes, eines Gleichgewichtes, welches durch irgend
welche Ursache, etwa durch einen chemischen Process, wie z. B. dieVer*
brennung, gestört worden ist.*' Es wird dabei aber vergessep, dass
Carnot's Verdienst in der neuen Behandlungsweise der Wärmevorgänge
liegt, und dass es ihm durch dieselbe gelungen ist, gewisse Wahrheiten
der mechanischen Wärmetheorie zu finden, welche von den Vorstellungen
über das Wesen der Wärme ganz unabhängig sind.
Glausius ging später, statt von der Unmöglichkeit des Perpetuum
mobile, von dem an sich einleuchtenden Satze aus: Wärme geht nicht von
selbst von einem kälteren auf einen heisseren Körper über und gelangt auf
diese Weise durch Vervollständigung und Richtigstellung des C a r n o t^ sehen
Satzes zur Aufstellung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärme-
theorie. Nur kurze Zeit später gelangte W. Thomson zu demselben
Ergebnisse, indem er von dem Axiome ausging: Es ist unmöglich, mit
Hilfe unbeseelter Körper irgend welche mechanische Leistung durch
irgend eine Substanz zu erzielen, wenn ihre Temperatur niedriger ist,
als die tiefste aller ihn umgebenden Körper.
Sadi Garnot gelangte, indem er seine Betrachtungsweise auf per-
manente Gase anwendete, bereits zu den wichtigsten derjenigen Sätze,
welche sich jetzt unmittelbar aus der Erwägung ergeben, dass die innere
Arbeit bei Gasen nahezu verschwindend klein ist. Es sind dies Sätze ^),
welche zum Theil erst später durch die Experi mentalarbeiten von
Dulong und von Joule und Thomson auf dem Erfahrungswege be-
stätigt worden sind.
Die Abhandlung von Sadi Carnot schliesst mit einer Erörterung
der verschiedenen Mittel, welche Verwendung finden können, um die be-
wegende Kraft der Wärme thunlichst auszunutzen. Er gelangt dabei
zu drei wesentlichen Gesichtspunkten, welche auch heute noch für die
Maschinenconstructeure von der höchsten Bedeutung sind. Dieselben
^) Diese Sätze lauten:
1. Wenn eine gegebene Gasmenge bei constanter Temperatur Vol amen und Druck
ändert, so ist die vom Gase absorbirte oder abgegebene Wärmemenge von der Natur
des Gases unabhängig (Carnot, R6flexions S. 25).
2. Die Differenz zwischen der specifischen Wärme eines Gases bei constantem
Drucke und bei constantem Volumen ist für alle Gase bei jeder Dichte gleich gross
(Carnot, B^flexions S. 32).
3. Wenn ein Gas sein Volumen bei constanter Temperatur ändert, so stehen die
Tom Gase absorbirten oder abgegebenen Wärmemengen in arithmetischer Progression,
wenn die Vergrösser angen oder Verringerungen des Gasvolumens eine geometrische Pro-
gression bilden (Carnot, R^flexions S. 28).
58*
91G V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
lauten: Um einen möglichst starken Wärmefall zu erzielen, musadkii
der Maschine zur Wärmeühertragong verwendete Substanz anlaagM
mögliebst hoch erwärmt und schliesslich thunlichst tief abgekühlt wo-
den. Man inuss so verfahren , dass der Uebergang von dieser bödula
zur tiefsten Temperatur, soweit als irgend möglich, von einer allmablidn
Yolumenvergrösserung der Arbeitssubstanz herrührt. Um dieee Anfgik
lösen zu können, erdachte Carnot zuerst jene bereits erwähnten, ab-
wechselnden Zustandsänderungen der Körper, welche den Namen der
Kreisprocesse führen und noch heute als ein unentbehrliches Hilfnoittii
für Demonstrationen auf dem Gebiete der Theorie der WärmemaadiiDei
geschätzt werden.
Auch S. Garnot fand, ähnlich wie Mayer, bei seinen Zeitgenonei
wenig Yerständniss und Anerkennung. Bezüglich der C am o tischen A^
beit mag dies unter Anderem darin begründet sein, dass bereits zu der Zet
als er seine Abhandlung veröffentlichte, die Thatsachen, welche geget
die Stofflichkeit der Wärme. und für die Kraftnatur derselben spimebe^
sich zu häufen begannen. Selbst Carnot hatte sich, wie bennti c^
wähnt, später davon überzeugt, dass die zu Grunde gelegte Annihw
von der Unzerstörbarkeit der Wärme falsch sei. Lieider ereilte ihn <iff
Tod zu irüh im besten Mannesalter, so dass es ihm nicht mehr vergöis
war, die Ergebnisse seiner Untersuchungen in geschlossene Form zubiioga
und dadurch den von ihm aufgestellten Satz zur vollen Höhe einer n-
mittelbar überzeugenden, unanfechtbaren Wahrheit zu erheben. Aber
auch das, was Garnot geleistet hat, genügt, um ihm einen daaenda
Ehrenplatz in der Geschichte der mechanischen Wärmetheorie zu siebes.
7. Olapeypon.
Sadi Garnot hatte in seiner Abhandlung nahezu ^eflisBentlidi d»
Gebrauch von Formeln vermieden, um dadurch den Inhalt thaoliete
einem Jeden, auch demjenigen zugänglich zu machen, welcher mit (iff
Sprache der Mathematik nicht vertraut ist. Trotz der hervorrageada
Klarheit und Anmuth der Schreibweise Gar not 's ist dadurch immeriui
das Eindringen in die Sache dem Leser nicht erleichtert worden, rter
mehr musste der Verfasser oftmals auf künstlichem Wege den Leser
durch schwierige Betrachtungen hindurchleiten, welche ermüden und &
Aufmerksamkeit von den Hauptpunkten ablenken.
Auch dieser Umstand ist gewiss nicht zum mindesten mit die Ü^
Sache gewesen, dass Garnot's Arbeiten zu seiner Zeit in den maw
gebenden Kreisen wenig Beachtung gefunden haben.
Im Jahre 1834 gab Benoit Pierre Emile Glapeyron^) ia
^) B. P. E. Clapeyron, geb. 26. Januar 1799 in Paris, studirt« anf der tr«
Polytechnique und auf der Ecole des Mines und folgte bereits 1820 gemeittfav ^
B. Von Rumford bis zu B. Mayen 917
23. Hefte des: „Jonroal de T&ole Polytechnique'' nnter dem Titel:
„Memoire sur la puissance motrice de la cbaleur'' eine Barstellnng der
Garno tischen Betrachtungsweise in analytischer Form nnd bediente
sich dabei der durch Watt's Diagramm begründeten Methode der
graphischen Darstellung der von Garnot ei'fundenen Kreisprooesse,
welche noch jetzt allgemeine Verwendung findet und späterhin zumal
von Macquorne Bankine weiter ausgebildet worden ist. Aber auch
dieser Abhandlung, welche nunmehr den Inhalt der Carnot'schen Be-
trachtungen in der allgemein üblichen Form, in der Sprache der Wissen«
Schaft zur Darstellung brachte, gelang es anfänglich nicht, die Theil-
Bahme weiter Kreise für den wichtigen wissenschaftlichen Fortschritt zu
gewinnen, welchen die Garn ot' sehe Arbeit repräsentirte.
Neun Jahre später (1843) wurde eine Uebersetzung derClapeyron'-
schen Arbeit im 59. Bande von Poggendorff's Annalen abgedruckt
und dadurch aufs Neue das allgemeine Interesse auf die hervorragende Ar-
beit gelenkt. — Späterhin (1847) wurde die Arbeit auch in England
bekannt und gewürdigt.
Man muss Glapeyron direct als den Begründer der noch heute
in der mechanischen Wärmetheorie üblichen Schreibweise und Nomen-
clatur betrachten. Er spricht zuerst von umkehrbaren Kreisprocessen,
bei ihm zuerst erscheint die Zustandsgi eichung der Gase in der Form:
267 + t
= J2,
wobei p den Druck, v das specifische Volumen, t die Temperatur des Gases
und 22 eine für das Gas charakteristische Gonstante ist.
Bei ihm zuerst findet man für das Differential einer Wärmemenge
die Entwickelung
cv dp
unter Verwendung von genau denselben Buchstaben, deren wir uns noch
heute bedienen.
£r zuerst gebrauchte für die Darstellung des maximalen Wirkungs-
grades eines unendlich kleinen, umkehrbaren Ereisprocesses die Form -r^,
worin C eine stets positive, lediglich von der Temperatur abhängige
Function, die sogenannte Gar not' sehe Function ist. Später hat auch
William Thomson %och lange mit dieser Garnot*schen Function
Lame eioem Rufe nach Petersburg. Hier war er als Professor und praktischer Ingenieur
bis zum Jahre 1830 thätig. Nach Frankreich zurückgekehrt, widmete er sich zunächst
clem Staatsdienste und wurde Ingenieur en chef des mines und Oberst im Wegebaucorps.
Zuletzt war Glapeyron bis zu seinem Tode berathender Ingenieur der Nord-Eisenbahn-
gesellschaft. Schon im Jahre 1858 wurde er als Nachfolger Cauchy's Mitglied der
Pariser Akademie und starb 1864 in Paris. Auch auf dem Gebiete der Elasticitäts-
and Festigkeitslehre hat er mehrere werthvolle Abhandlungen veröfientlicht.
918 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
operirt, während Glausias gleich im Anfange seiner ünterauclinDgea^i
auf diesem Gebiete durch Beirachtnng eines idealen Gases und ZohSie-
nahme des ersten Hauptsatzes nachwies, dass die Gar no tische Fluc-
ti on einfach die vom absoluten Nullpunkte aus gesählte Temperatur, din*
dirt durch das mechanische Aequivalent der Wärme, ist.
Die analytischen Entwickelungen Glapeyron's nntersch^dea m
äusserlich yon den später von Clausius gegebenen besonders dadnrdt.
dass ersterer meistentheils p und v als unabhängige Veränderliche wtUte,
letzterer dagegen wenigstens im Anfange Yorzugsweise v uud t
Durch Anwendung der Gar not* sehen Betrachtungsweise aufDiapfii
gelangte Glapeyron bereits zu der nach ihm benannten Gleichung:
welche sofort die Form der früher von uns (Bd. I, V, B, 13, S. 614) adi-
getheilten wichtigen ' Gleichung :
annimmt, wenn man für die Garnot'sche Function C ihren ToihiADÜ-
getheilten Werth einsetzt.
Ebenso gelangt Glapeyron späterhin zu der allgemeinen GleiduDg
und drückt deren Inhalt durch den Satz aus: Erhöht man, während ii
Temperatur constant bleibt, den Druck um einen kleinen Betrag df m
werden Wärmemengen entwickelt, welche dem Ausdehnungscoefficieota
der Substanz proportional sind.
Es ist diese Gleichung , wie man leicht erkennt , identisch mit d«r.
welche W. Thomson späterhin auf etwas anderem Wege eoiwiekt:
hat, und die man jetzt zumeist die Thomson^sche nennt. Mfirbibo
früher (Bd. 1, V, A, 5, S. 481) diese Gleichung in der Form:
C = n
mitgetheilt. Bekanntlich hat sich zumal Joule eingehend mit der ex-
perimentellen Verification derselben beschäftigt, indem er die Wirw-
entwickelung bei plötzlichen Gompressionen von Flüssigkeiten und M-
nungen fester Körper beobachtete. Auch den Werth der Carnot'Bci*
Function hat Glapeyron aus den für Dämpfe gewonnenen Gleiehutg*
zu ermitteln gesucht. Die damals bekannten experimentellen ünterliia
waren jedoch noch nicht genau genug, um den wahren Gharakter der
selben erkennen zu lassen. Auch stützte sich Glapeyron noch immff»
^) Vergl. Clausiusj Ueber die bewegende Kraft der Wärme etc. 1850.
B. Von Rumford bis zu R. Mayer. 919
die fehlerhafte Annahme , dass, wenn irgend eine Substans einem Kreis-
processe unterworfen wird, lediglich der Wärmefall, d. h. die Verwand-
lung einer Wärmemenge von höherer Temperatur in eine solche von
niedrigerer Temperatur die Ursache der Arbeitsentwickelung oder des
ArbeitsYerbrauches sei. Schon damals wäre die mechanische Wfirme-
theorie, für welche Glapeyron die analytische Grundlage gegeben hat,
geschaffen gewesen, wenn er nicht den Grundirrthum der Carno tischen
Entwickelungen beibehalten hätte, dass die Wärme eine Substanz und
daher hinsichtlich ihrer Menge unveränderlich sei ^).
Die Glapeyron'sche Arbeit ist unzweifelhaft die Anregung für
die ersten Untersuchungen sowohl von Glausius als auch von Will.
Thomson gewesen; beide sind freilich wesentlich über ihren Vorgänger
hitiaasgegangen, weil sie von Anfang an auf den von Mayer und Joule
gewonnenen Gedanken fussten, dass die Wärme eine Kräfteform sei, und
dass sich dieselbe nach festen Aequivalentverhältnissen in Arbeit umsetze.
Dadurch gewann erst bei diesen der von Gar not eigentlich nur in
genialem Vorausblick vermuthete, nicht aber streng abgeleitete Satz so-
fort die Bedeutung eines Axiomes, und die von ihnen abgeleiteten Re-
sultate erhielten die volle Sicherheit.
Obgleich Glapeyron nicht principiell Neues zu den von Garnot
entwickelten Gedanken hinzugefügt hat, so ist er für die Geschichte der
mechanischen Wärmetheorie doch dadurch von Bedeutung, dass er die
algebraische Symbolik und geometrische Veranschaulichungsweise , also
gewissermaassen die Sprache dieser Wissenschaft geschaffen hat, in welcher
sich die Wahrheiten derselben in einfacher Weise ausdrücken lassen.
8. Söguin, Colding, Holtzmann.
Wenn auf Grund der gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse
der Zeitpunkt heranrückt, in weichein die Wissenschaft reif wird, auf
eine höhere Stufe der Vollkommenheit erhoben zu werden, von welcher
aus eine grössere Zahl von Thatsachen unter einheitlichen Gesichts-
punkten zusammengefasst werden können, so tritt gewöhnlich dieser
Fortschritt nicht plötzlich ein, sondern man bemerkt, dass an verschie-
denen Stellen wiederholt, anfänglich schüchtern und dann mit immer
wachsender Energie, Versuche gemacht werden, diese höhere Stufe der
Einsicht zu erklimmen, bis dann endlich, veranlasst durch die über-
raschenden Erfolge, welche solche erringen, die bereits den höheren Staud-
*) Die erste Berichtigung des Carno tischen Kreisprocesses scheint im Jahre 1849
von James Thomson gegeben worden zu sein, in seiner Abhandlung: Theoretical
con^iiiierations on the efifect of pressure in lowering the frcezing poiut oi' water. Traus.
of the Roy. Soc. of Edingburgh (1849). Vol. XVI, p. 575.
920 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
puukt einnehmen, die Gesammtheit edgemd sich entschliesat, den Bahi-
brechem zu folgen.
Aehnlich verhält es sich auch mit dem Satze von der AeqniTslnz
von Wärme and Arbeit und dem Principe von der Erhaltung der Energie.
Noch' vor Mayer hat z. B. R. Sega in in einem merkwärdigen
Werke mehr nationalökonomischen Inhaltes über Eisenbahnwesen ^) sdni
im Jahre 1839 Ideen über die Arbeitsleistung von Dampfmaschinen mt-
getheilt , aus welchen man für das mechanische Aeqaiyalent der Wim«
einen Betrag von ungefähr 650 Meterkilogrammen berechnen kann. Seiae
Art zu schliessen ist jedoch nicht ein warfsfrei '), der nach ihm für das
Arbeitsäquivalent der Wärme sich ergebende Werth ist erheblich zu gn»,
aber der Gedanke von der Existenz eines quantitativen Verhaltniaei
zwischen Arbeit und Wärme kann bei ihm schon nachgewiesen werdea.
Der Grundgedanke der Entwickelung Seguin's ist der, dass ein Körpfr,
wenn er sich ausdehnt, kälter wird, Wärme verliert, und dass die ver
lorene Wärme das Aequivalent der während der Ausdehnung verrichteia
Arbeit sei.
Segoin gab sich viel Mühe zu ergründen, ob die WännemeBge,
welche mit dem Dampfe einer Dampfmaschine den Kessel verlasse, toli-
ständig im Gondensator wieder erscheine. Es gelang ihm in Folge der
unzureichenden Hilfsmittel und Versucbsmethoden nicht, zu einem sicliercB
Resultate zu gelangen, und er fand nur, dass, wenn die DampfmaiehiBe
Arbeit leistete, z. B. eine Anzahl Spindeln drehte, der Unterschied iwi-
sehen der dem Kessel entnommenen und der im Condensator wieder g^
wonnenen Wärmemenge grösser sei, als wenn der Dampf ohne Arbdt
zu leisten durch die Maschine gehe. Ohne Zweifel ist somit Segais
auf dem richtigen Wege gewesen, ohne jedoch auf diesem Wege eil
brauchbares Ziel zu erreichen.
Einen wesentlichen Schritt weiter hatte schon der dänische logeniei:
Colding gethan. Derselbe legte im Jahre 1843 der Akademie inKopafi-
hagen eine Abhandlung vor, betitelt; „Nogle Saetninger om Kraefteree'
(Sätze über die Kräfte), in welchen er das Gesetz von der Erhaltni
der Energie ziemlich deutlich ausspricht und auch einen aus ziemika
rohen Reibungsversuchen abgeleiteten näherungsweisen Werth far d«
Arbeitsäquivalent der Wärme (350 Meterkilogramm) mittheilt
In seiner Abhandlung geht Colding von wesentlich meUpfaTa*
sehen Betrachtungen aus und gelangt dadurch zu dem Gedanken, ^
die Kraft unvergänglich und unsterblich sei, und dass, wo auch ifflser
eine Kraft bei Verrichtung einer mechanischen, chemischen oder aat
stigen Arbeit zu verschwinden scheint, sie bloss eine Umformang er-
fährt und in einer neuen Form wieder auftritt, in welcher sie aber tos
derselben Grösse ist, die sie zuvor als wirksame Kraft hatte. Coldis^
^) S6gain, iSltudes sur l'influence des chemins de fer. Paris 1839.
2) Vergl. Bd. 1, S. 133. üeber eine fehlerhafte Beweisführung Seguio's.
B. Von Rumford bis zu E, Mayer. 921
hat spllter seine Prioritätsrechte geltend zu machen gesucht und dabei be-
hauptet, er habe schon früher ^s Robert Mayer, nämlich im Jahre
1840, diese Gedanken concipirt gehabt, er sei durch „das d'Alambert'-
sche Princip Ton den wirksamen und verlorenen Kräften^ auf dieselben
geführt worden; aber er habe Bedenken getragen, seine Vorstellungen
bekannt zu geben, ohne eine experimentelle Bestätigung derselben hin-
zufügen zu können.
Da nach allgemeinem Gebrauche der Termin der Veröffentlichung
über die Priorität entscheidet, kann Golding nicht mehr beansprachen,
als neben und nach Ma'yer als selbständiger Entdecker des Principes
von der Erhaltung der Kraft und des Arbeitsäquivalentes der Wärme
genannt zu werden.
Uebrigens ist bei Golding weder die durchsichtige Klarheit der Be-
griffe wie bei Mayer zu finden, noch hat derselbe, wie dies Mayer doch
in seinen späteren Abhandlungen in so umfänglicher Weise gethan hat,
gezeigt, dass er die universelle Bedeutung des Principes begriffen und zur
Erweiterung unserer Erkenntnisse zu verwenden gewusst habe.
Golding hat später behauptet, er habe sich gemeinsam mit 0 er-
st edt zu derselben Zeit wie Joule auch mit Versuchen über die Er-
wärmungen bei Gorapression von Flüssigkeiten beschäftigt, veröffentlicht
scheint er jedoch dieselben nicht zu haben. Es wird wohl Niemandem
beifallen, auf Grund dieser Behauptung ihm Prioritätsrechte hinsichtlich
dieser wichtigen Frage neben Joule einzuräumen^).
Als einer der ersten, welche die Form der Garn o tischen Tempe-
raturfunction in der Hauptsache richtig erkannt und kurze Zeit nach
R. Mayer eine näherungsweise Bestimmung des mechanischen Wärme-
äquivalents gegeben haben, ist Hol tz mann zu nennen.
Derselbe veröffentlichte im Jahre 1845 ein Schriftchen, betitelt:
„lieber die Wärme und Elasticität der Gase und Dämpfe", von welchem
im übernächsten Jahre ein Auszug in Poggendorff's Annalen ^) er-
schienen ist. Holtzmann weist zunächst darauf hin, dass die von
Glapeyron für Gase abgeleiteten Resultate nur insoweit richtig sind,
als das Gay -Lussac^ sehe und Mar iotte' sehe Gesetz gültig bleiben.
Hierauf zeigt er, dass unter der Annahme, das Verhältniss der specifi-
schen Wärme sei unabhängig von der Temperatur, die Form der von
^) Besonders Tait hat die Bedeutung der Colding'schen Schrift sefer tiber-
schätzt, utn dadurch Mayer 's Verdienste im Vergleich zu denen Joule's zu ver-
kleinern. Ebenso hat er die Bedeutung Carnot's und Thomson's unbillig betont,
um dadurch den heryorragenden Antheil , welchen Clausius an der Begründung des
zweiten Hauptsatzes der mechanischen Wärmetheorie hat, als etwas ganz Untergeordnetes
erscheinen zu lassen. Man vergleiche, um ein Bild von dieser tendenziös einseitigen,
an historischen Darstellungsweise der Geschichte der mechanischen Wärmetheorie zu er-
halten: Tait, Sketch ofThermodynamics. London 1868. S. 17 und Tait, Vorlesungen
über einige neuere Fortschritte der Physik. Deutsch von Wertheim, Vorrede S. VIIT,
und S. 38 u. s. f., besonders auch S. 50.
^) ^ogS* ^°n* Ergänzungsband II, S. 183 bis 191.
922 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
ClApeyron eingeführten, unbekannten Temperaturf anction sieh be-
stimmen lasse. Er beweist zwar nicht/ dass der reciproke Werth dieser
Function die durch das mechanische Aequivalent der Wärme dividirte
absolute Temperatur sei, aber er zeigt, dass diese unbekannte FanctioB
die Form
' Ä
a + b,t
habe, worin Ä das mechanische Aequivalent, a und h constante Zahlern
und t die Temperatur ist.
Er bestimmte auf dieselbe Weise, wie schon Yorihm R. Mayer, au
dem Verhältnisse der specifischen Wärme eines Gases nach der Ton
früher (Bd. I, III, A 2, S. 235) mitgetheilten Formel:
J =
Cp "~~ 0%
den Werth des Arbeitsäquivalentes der Wärme und fand, weil ihm eis
genauerer Werth für oe zur Verfügung stand als seiner Zeit Mayer, &r
das mechanische Wärmeäquivalent 374 Meterkilogramm, einen der Wahr-
heit etwas näher kommenden Werth. Charakteristisch ist jedenfalls, das
er zuerst die Gestalt der Carnot' sehen Function unter der Voraas-
Setzung bestimmt hat, dass Wärme nach einem fest beetiramten Aeqai-
yalentverhältnisse in Arbeit und umgekehrt umgesetzt werden könne.
C. Die moderne Periode der mechanischen
Wärmetheorie.
1. James Presoott Joule.
Wenn die Koryphäen der mechanischen Wärmetheorie genannt
den, wird alle Zeit der Name Joule' s als einer der heryorrmgendsiea
aufgeführt werden. Derselbe hat durch die Sorgsamkeit und Gewisses-
haftigkeit, mit welcher er seine Messungen angestellt hat, und durch den
Scharfsinn, mit welchem er die besten Versucbsanordnungen aufsufiaufii
wuaste, zahlreiche leuchtende Beispiele streng wissenschaftlicher erpttt-
menteller Forschung gegeben. Die Sicherheit, mit welcher er es
stand, die Ergebnisse seiner Beobachtungen zu interpretiren, hat ihn
Entdeckung einer Anzahl wichtiger Gesetze gefuhrt, welche die
lässige Grundlage für die weitere Entwickelung der exacten Naturwissea-
Schaft und für die Auffindung zahlreicher technischer Anwendangea
geworden ist. Doppelt anzuerkennen aber sind solche Leistungen, cii
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 923
Joule nicht eigentlich Gelehrter von Beruf, sondern Besitzer einer
grösseren Bierbrauerei ist und sich nur aus Liebe zur Wissenschaft mit
der Physik beschäftigt.
Joule ist am 24. Decerober 1818 bei Manchester geboren und be-
schäftigte sich schon als junger Mann mit physikalischen Problemen.
Anfänglich wendete er sein Interesse der Benutzung der elektrischen
und magnetischen Kräfte für dio Leistung mechanischer Arbeit zu und
veröffentlichte die Resultate seiner Beobachtungen in einer Reihe von
Aufsätzen, weichein St urgeon's: „Annalsof Electricity*' erschienen sind.
£r gelangte dadurch zu der Ueberzeugung , dass zwischen der im
Schliessungsbogen einer Batterie erzeugten Wärmemenge und der Menge
des in den Elementen verbrauchten Zinks eine bestimmte Beziehung be*
stehen müsse« Die hierauf bezQglicheu Messungen führten ihn auf das
nach ihm benannte Gesetz, dass die Wärmemenge, welche in einem vom
elektrischen Strome durchflossenen Leiter entwickelt wird, proportional
dem Producte aus dem Quadrate der Stromstärke und dem Widerstände
des Leiters sei, und dass die Strom Intensität mit dem Zink verbrauch in
der Batterie sich in gleichem Verhältnisse ändere.
Die Entdeckung der Inductionserscheinungen durch Faraday ver-
anlasste ihn der Frage näher zu treten, welche mechanische Arbeit auf-
gewendet werden müsse, um auf dem Wege der Induction in einem Leiter
von bekanntem Widerstände einen Strom von vorgeschriebener Stärke
zu erzeugen. Er bestimmte die zum Treiben einer kleinen elektrischen
Maschine erforderliche Arbeit, Hess die erzengte elektrische Energie sich
direct in Wärme umsetzen und maass die so erzengte Wärmemenge. Er
veröffentlichte die Ergebnisse dieser interessanten Untersuchung am
21. August 1843 in einem Vortrage, den er vor der mathematisch-
physikalischen Section der British Association bei einer Versammlung in
Cork hielt i). Er giebt in dieser Arbeit für das mechanische Wärme*
äquivalent die Zahl 460 Meterkilogramm an undtheilt in einer Nachschrift
mit, er habe schon vorher diese wichtige Zahl dadurch zu bestimmen
gesucht, dass er die Wärmemenge, welche entsteht, wenn man Wasser
durch enge Röhren presst und gleichzeitig die dazu erforderliche Arbeit
gemessen habe. Auf diese Weise haben sich 438 Meterkilogramm ergeben.
Während dieser Untersuchungen, war Joule darauf aufmerksam ge-
worden, dass es ganz gleichgültig sei, ob Arbeit direct in Wärme oder
erst in Elektricität und dann in Wärdie umgesetzt werde, und er wen-
dete sich daher nunmehr der genauen experimentellen Bestimmung des
Arbeitsäquivalentes der Wärme und der Untersuchung zu, ob der Process,
durch den Arbeit in Wärme verwandelt wird, von Einfluss auf die Grösse
des mechanischen Wärmeäquivaleutes sei. Er erledigte diese Frage, so-
1) Die Abhandlung wurde abgedruckt in Philos. Mag. 3. Ser., Bd. 23, S. 263,
347 und 435 u. a. f. (1843). Die deutsche Uebersetzung findet sich in: Joule, Das
mechanische Wärnieäquiyalent, deutsch von S p e n g e I , Braunschweig, Fr. Vieweg u. Sohn,
1872, S. 1 bis 40.
924 V. Geschichte der mechftnischen Wärmetheorie.
weit sie einer experimentellen Beantwortung fähig ist, Yollständig^ dnrck
seine herühmten Reibungsversuche , welche wir im ersten Bande dieses
Baches (II, A, S. 186 ff.) ausführlich beschrieben und besprochen haboL
Diese Reibungsversuche hat Joule mit immer zunehmender Genauigkeit
bis in die neueste Zeit fortgesetzt, und danach hält er jetzt 423,7 Kilo-
grammmeter für den zuverlässigsten Werth dieser wichtigen Conatante,
mit einem wahrscheinlichen Fehler von höchstens db 0,5 Kilogramm*
meter.
Allem Anscheine nach ist Joule auch schon ziemlich früh aaf Gnud
seiner experimentellen Forschungen zu Vorstellungen geführt worden,
welche dem Principe von der Erhaltung der Energie ziemlich nahe
stehen, obgleich er erst später als Mayer, nämlich im Jahre 1845, dieaea
Ideen öffentlich einen deutlichen Ausdruck gegeben hat. In der Abhand-
lung: „Ueber Teroperaturveränderungen durch Verdünnung und Ver-
dichtung der Luft^ ^) weist Joule zunächst die von Carnot and Gla-
peyron vertretene Ansicht als unrichtig zurück, dass bei den Kreis-
Processen einer Wärmemaschine alle von einem heissen Körper abgegebene
Wärme vollständig wieder an den kalten Körper übertragen werde, wenn
die Maschine Arbeit leistet und fahrt dann mit einem Satze fort, welcbec
man für eine Formulirung des Principes von der Erhaltung der £nergit
ansprechen kann: „Da ich der Ansicht bin, dass nur der Schopfer die
Macht zu zerstören besitzt, so stimme ich mit Rojet und Faraday
darin überein, dass jede Theorie, welche in ihren Gonseqaenzen xur Ver-
nichtung von Kraft gelangt, nothwendig falsch ist. Die Grundsalze.
welche ich in dieser Abhandlung entwickelt habe^ sind frei von dieser
Schwierigkeit. Aus ihnen können wir schliessen, dass der Dampf, wäh-
rend er sich im Gylinder ausdehnt, eine Wärmemenge verliert, welche
genau der auf den Kolben übertragenen Kraft proportional iat^ und da»
bei der Verdichtung des Dampfes die so in Kraft umgesetzte Wärme nicht
wieder frei wird."
Ausser .den oben erwähnten classischen Versuchsreihen , welche dei
Zweck hatten, den numerischen Werth des mechanischen Aequivalentes
der Wärme festzustellen, hat Joule eine grosse Menge von VersochcD
angestellt, durch welche er dargethan hat, dass die innere Arbeit, welche
bei Zustandsänderungen von Gasen stattfindet, verhältnissmässig sehr
klein ist und man daher aus den bei Compressionen oder Auadehniingini
eines Gases entwickelten oder absorbirten Wärmemengen sehr angenähert
richtige Schlüsse auf die Grösse des Wärmeäquivalentes ziehen konnf.
Wir haben über den Inhalt dieser Untersuchungen bereits fräb^
umf&nglich berichtet (vergl. Bd. I, III, A, 4, S. 238 ff.). Späterhin hat
sich alsdann Joule gemeinsam, mit W. Thomson auch mit denjenigen
Eigenthümlichkeiten beschäftigt, welche vorzugsweise mit den Abweichao-
') Philos. Mag. 3. Ser. (1845), Bd. 23, S. 263, 347, 435 und in der Spender,
sehen Sammlung: Joule, Das mechanische Wärmeäquivalent, S. 75.
C. Die moderne- Periode der mechan. Wärmetbeorie. 925
gen der wirklichen Gase vom Zustande eines idealen Gases zosammen-
hängen und dadurch zum ersten Male ein Urtheil über die bei Zustandst
änderungen eines Gases auftretenden Aenderungen der inneren Energie
ermöglicht (vergl. Bd. I, III, B, 8, S. 254 ff.).
Alle Arbeiten, welche Joule yeröffentlicht hat, zeigen das Bestreben,
auf dem Wege des gewissenhaften Experimentes der Natur ihre Geheim*
nisse zu entlocken; was die Geschicklichkeit in der Anordnung der Ver-
suche und die Zuverlässigkeit hinsichtlich ihrer Durchführung und der
Auslegung der Resultate anbetrifft, ist Joule unzweifelhaft als einer der
ersten Meister aller Zeiten zu nennen. Seine geringe Neigung zu kühnen
Speculationen hat ihn vielleicht verhindert, von Anfang an die volle Trag-
weite der Ideen zu erkennen, welche ihn geleitet haben; die gewissen-
hafte und gewissermaassen nüchterne Art seiner Forschung aber hat
von Anfang an allseitiges Vertrauen eiugeflösst und ihn zu Ergebnissen
geführt, auf welchen mit Sicherheit weiter gebaut werden kann.
Seine Untersuchungen vor Allem sind es gewesen, eben weil sie von
Anfang an exact und leicht controUirbar waren, welche der modernen
Anschauung von der Wärme zum entscheidenden Siege verholfen haben.
Nichts überzeugt eben rascher und vollkommener als ein Resultat, welches
auf dem Wege sorgsamer Experimente gewonnen worden ist.
2. Die Entdeckung des zweiten Hauptsatzes durcli Clausius
und die Prioritätsansprüolie von Rankine und W. Thomson,
Im Jahre 1849 veröffentlichte W. T h o m s o n eine Abhandlung unter
dem Titel: „An account of Garnot^s theory of the motive power of heat;
with numerical results deduced from Regnault^s expenments on steam ^y,
in welcher er seine Landsleute auf die ei gen thüm liehe Betrachtungsweise
Carnot^s aufmerksam machte. sEr weist auch bei dieser Gelegenheit
auf den Widerspruch hin, welcher zwischen der Carnot'schen Annahme
von der Unveränderlichkeit der im Ereisprocesse wirksamen Wärme und
den damals bereits in England allgemein bekannten Resultaten der
Joule 'sehen Experimente bestand, nach welchen Arbeit nach einem
festen Aequivalentverhältnisse in Wärme umsetzbar sei. Er sagt z. B.^):
„Es möchte scheinen, dass die Schwierigkeit ganz vermieden werden
könne, wenn man Carnot's Fundamental- Axiom verliesse, eine Ansicht,
welche besonders von Herrn Joule vertreten wird." Thomson konnte
sich damals jedoch noch nicht entschliessen , die irrige Grundlage der
Carnot'schen Entwickelung aufzugeben, denn er fährt weiterhin fort:
„Wenn wir dieses jedoch thun, so begegnen wir unzähligen anderen
^) Transact. of the Roy. Soc. of Edinburgh, Bd. 16, S. 541.
2) A. a. 0. S. 545. ' .
926 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Schwierigkeiten, welche ohne fernere experimentelle UnteTBodmiig nnd
einen ToUständigen Neuhan der Wärmetheorie Ton Grund aus unüber-
windlich sind."
Zu jener Zeit war aber ClanBiaB bereits damit beach&fti^ dieeea
Nenban der Wärmetheorie aufsurichten. Die Ergebnisse seiner Cnier-
snchnngen theilte er im Februar des Jahres 1850 der Berliner Ahadewk
mit nnd veröffentlichte dieselben in der grundlegenden Abliandlsiif:
„lieber die bewegende Kraft der Wärme und die Gesetze , welche sidi
daraus für die Wärmelehre selbst ableiten lassen **, im April deaselhca
Jahres ^).
Diese Arbeit formulirt zunächst den ersten Hauptsatz nnd est-
wickelt hierauf eine Reihe von Gleichungen für Gase und I>anipfe unter
Benutzung der analytischen Methoden und Formeln, welche bereits tob
Carnot und Clapeyron gegeben waren. Clausius leitet dabei die
schon früher yon jenen MäDuem gefundenen Sätze über Gase und
Dämpfe aus der richtigen Beziehung zwischen Arbeit und Wärme aon
ersten Male ab. Weiterhin theilt er die Carnot'sche Theorie mit vad
zeigt, dasB es genüge, yon dem Satze auszugehen, dass Wärme nidit
Ton selbst aus einem kälteren in einen wärmeren Körper über^he, um
den ersten Theil des Carnot'schen Satzes beibehalten zu können und
denselben mit dem Principe von der Aequivalenz von Arbeit und Wiime
in Einklang zu bringen. Er sagt darüber ') : „Demnach scheint es ge-
rechtfertigt zu sein, den ersten und eigentlich wesentlichen TbeO der
Garn ot'schen Annahme beizubehalten, und als zweiten Grundsatz nebea
dem früher aufgestellten (dem Mayer- Joule* sehen) anzuwenden.'
Clausius leitet hierauf die Yon Clapeyron gegebenen Ausdrficke für
Dämpfe, wie sich dieselben aus dem Ca rn ot'schen Satze ergeben, ab,
wobei er auf den Grundirrthum der Clapeyron 'sehen Behandlungi-
weise aufmerksam macht. Er verwendet anfänglich ebenfalls die itm
Clapeyron eingeführte unbekannte Temperaturfunction , entwickelt
aber unmittelbar darauf deren wirklichen Werth. Damit aber ist dai,
was wir jetzt den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie
nennen, thatsächlich formulirt. Es ist sp&terhin, zumal yon englischen
Physikern'), der Versuch gemacht worden, Clausius die Priorität ia
der Aufstellung des zweiten Hauptsatzes zu bestreiten und dieselbe
Thomson, resp. Rankine zu yindiciren«
Von Seiten einzelner französischer Schriftsteller aber ist man be-
müht gewesen, die Sache so darzustellen, als ob eigentlich Carnot be-
reits den zweiten Hauptsatz yollständig richtig gefunden gehabt habe
und das, was Clausius hinzugebracht, nur unwesentlich sei.
Der Wahrheit gemftss aber liegt die Sache folgendermaasaen.
1) Pogg. Ann. Bd. 79, S. 368 und S. 500.
^) Clausius, Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie, Dd. 1, & hl.
Braunschweig, Fr. Vieweg u. Sohn, 1864.
^) Besonders von Tait.
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 927
Zu der nfimlichen Zeit (Febmar 1850), za welcher Clausias seine
epochemachende Abhandlang bekannt machte, las Rank ine Yor der
Edinburger Royal Society eine sehr werthvoUe Abhandlung: On the
mechanical aotion of heat, espeoially in gases and yaponrs ^). Rankine
führt darin die bereits früher Ton ihm begründete Annahme durch, das«
das Wesen der Wärme in einer wirbelnden Bewegung der Molecüle be-
stehe. Er gelangt dadurch mehrfach zu den nftmlichen Schlüssen, auf
welche Clausius in dem ersten Theile seiner vorher erwähnten Ab-
handlung durch den ersten Hauptsatz geführt worden war.
Der Vorzug der Ableitnngsweise des deutschen Gelehrten liegt hier
augenfällig darin, dass er irgend welche Voraussetzungen über das
Wesen der Wärme nicht macht.
In dieser Arbeit erwähnt jedoch Rankine den zweiten Hauptsatz
noch nicht. In einer später veröffentlichten Arbeit ') jedoch macht er
darauf aufmerksam, dass dieses Princip aus Gleichungen hergeleitet wer*
den könne, welche in dem ersten Abschnitte seiner früheren Abhandlung
mitgetheilt sind. Zwar theilt nunmehr Rankine eine selbständige
Beweisführung für den zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärme-
theorie mit, aber dieser Beweis ist weder an sich einwnrfsfrei, noch steht
er mit den sonstigen Anschauungen dieses Gelehrten in Einklang ').
Auf alle Fälle aber giebt Rankine selbst zu^), dass er anfänglich,
als ihm der zweite Hauptsatz in der Clausius'schen Formulirung be-
kannt geworden sei, Zweifel gehegt habe, die ihm erst später von
W. Thomson widerlegt worden seien.
Daraus geht doch unzweifelhaft hervor, dass man Rankine nicht
die Priorität vor Clausius zuschreiben kann.
Im März des Jahres 1851 erschien nunmehr auch eine zweite Ab-
handlung von W. Thomson, betitelt: On the dynamioal theory of heat,
with numerical results deduced from Joule' s aequivalent and Reg-
nault's experiments on steam^), in welcher eine von der Clausins'-
schen abweichende selbständige Ableitung des zweiten Hauptsatzes ge-
geben ist. Er stützt sich dabei auf ein mehr mechairisches Axiom (vergl.
S. 915) und giebt der Entwickelung einen allgemeinen, vom Aggregat^
zustande unabhängigen Charakter. Er macht bei dieser Gelegenheit *)
Einwendungen gegen einzelne auf das Verhalten gesättigter Dämpfe be-
zügliche Annahmen von Clausius, woraus auch für diesen Fall zur
^) Edinb. Transact, Bd. 20, S. 147 (1851) a. später (1854) in Phil. Mag., 4. Ser.,
Bd. 7, S. 1, 111 und 172.
^) Rankine, On the power and oeconomy of aingleacting steame engine. Edinb.
Transact., Bd. 20, S. 205 und Phil. Mag., 4. Ser., Bd. 7, S. 249.
') Vergl. Clausias, Die mechanische Wärmetheorie. Braunschweig, Fr. Viewegu.
Sohn, 1876, Bd. 1, S. 369 u. s. f.
^) Rankine, Phil. Mag., 4. Ser., Bd. 7, S. 250.
B) Edinb. Transact., Bd. 20, S. 261 und Phil. Mag., 4. Ser., Bd. 4, S. 8, 105
und S. 168.
«) A. a. O., S. 277.
928 y. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Genüge erhellt, dasB ihm keine Priorität vor Glaasius gebührt. —
Aach hat übrigens, wenigstens damals, Thomson dies vollständig aa-
erkannt. So sagt Tli o m s o n z. B. ^) : Die gesammte Theorie der bewegen-
den Kraft der Wärme gründet sich auf jene beiden Sätae, welche be-
ziehentlich von Joule und von Carnot und Gl ans ins herrühren.''
Nachdem Thomson den Ton ihm gegebenen Beweis des zweites
Hauptsatzes mitgetheilt hat, fahrt er fort^): „Es ist nicht mit des
Wunsche, eine Priorität zu reclamiren, dass ich diese Darlegung gebe,
da das Verdienst, den Satz zuerst auf richtige Principien gegründet sn
haben, vollständig Clausius gebührt, welcher seinen Beweis desselbeii
im Monat Mai des vorigen Jahres im zweiten Theile seines AnfwtsM
über die bewegende Kraft der Wärme veröffentlichte."
Als man später in England das Bedürfniss fühlte, trotz dieses Usrs
Standes der Dinge an den Clausius' sehen Prioritätsrechten za mäkeln,
wendete man sich vorzugsweise gegen den Satz, auf welchen Glanaist
seine Entwickelung des zweiten Hauptsatzes gegründet hatte.
Alle diese Einwürfe sind jedoch als unhaltbar widerlegt worden.
und noch heute hält man die von Clausius gegebene Ableitung far
genau ebenso zulässig, als die von Thomson herrührende. Den hervor-
ragenden Verdiensten des letzteren an dem Ausbau der mechanischeB
Wärmetheorie werden wir jedoch im Weiteren noch eine eingdiende
Würdigung angedeihen lassen.
In den vorher angezogenen Abhandlungen von Glansius') nsi
Rankine^) findet sich auch zum ersten Male der Satz dargelegt, das
gesättigter Wasserdampf, welcher comprimirt wird, ohne dass eine Wärme-
zufuhr oder Abführung stattfindet, überhitzt wird, und dass bei einer
Expansion desselben ohne gleichzeitige Wärmezufuhr von aussen eis
Theil des Dampfes sich als Flüssigkeit niederschlägt.
Ueberhaupt findet sich eine grössere Anzahl von Sätzen und Tor^
aussagen, welche zuerst aus den Principien der mechanischen Wärme-
theorie hergeleitet worden waren und erst später experimentell bestätigt
worden sind, nahezu gleichzeitig bei Clausius und Bankine, so z.E
die Behauptung, dass der damals allgemein als gültig angenommene Wertk
der specifischen Wärme der Luft bei constantem Drucke {Cp = 0,267) falsch
sein müsse ^). Rankine schloss sogar aus den Joule'schen Yersuchci
über das mechanische Aequivälent der Wärme, dass diese Grösse Cp nur gleich
0,24 sein könne ^). . In den im Jahre 1853 veröffentlichten genaues
Zahlen Regnault's findet man alsdann den noch heute für richtig s&-
1) Kdinb. Transact., Bd. 20, S. 264, Phil. Mag., Bd. 4, S. 11.
*) Edinb. Transact., Bd. 20, S. 261, Phil. Mag., Bd. 4, S. 14.
8) Poggend. Ann., Bd. 79 (1850).
*) Edinb. Transact., Bd. 20, S. 147 (1851).
^) Clausius, Abhandlungen, Bd. 1 (Ausg. von 1864), S. 75, Publication n^
Februar 1850.
^) Rank ine, Transact. of the Edinb. Roy. Soc, Bd. 20, S. 191. Poblirirt iv
1. December 1850.
C; Die moderne Periode der mechan. WärmetÜeorie. 929
genommenen Wertb 0,2375, Auch in diesen Fällen aber gebührt Gl an 8 i u s
insofern der Vorzug, als er seine Resultate nicht aus einer bestreitbaren
Hypothese über die Art der Molecularbewegung, welche die Ursache der
Wärme sein sollte, herleitete, wie dies bei Rankine der Fall ist.
Man muss somit Clausius das Verdienst zusprechen, dass er den
von Gar not in seinem Hauptinhalte bereits angedeuteten zweiten Haupt-
satz der mechanischen Wärmetheorie zuerst in diejenige Form gebracht
hat, in welcher dieser Satz noch heute allgemeine Gültigkeit hat und
eine der wichtigsten Grundlagen der neueren Wärmelehre geworden ist. Der
von ihm gegebene Beweis dieses Satzes beruht auf einem Axiom, gegen
dessen Richtigkeit bis jetzt beachtliche Einwürfe nicht erhoben worden
sind. Alle scheinbaren Widerlegungen oder Ausnahmen von diesem
Grundsätze, welche vielfach vorgebracht wurden, sind stets als auf Miss-
verständnissen beruhend zurückgewiesen worden.
Trotz mannigfacher Versuche, den zweiten Hauptsatz &ub allgemeinen
mechanischen Principien herzuleiten ^) (vgl. Bd. I, Abschn. IV, S. 424u.ff.),
ist das Ergebniss dieser Bemühungen doch nicht sonderlich erfolgreich
gewesen. Eine Verallgemeinerung des Qrundgedankens des zweiten
Hauptsatzes hinsichtlich seiner Anwendung auf andere Formen der
Energie, als die. Wärme, ist zwar wiederholt versucht, aber noch nicht
in überzeugender Weise fruchtbringend durchgeführt worden ^).
Einen wesentlichen Fortschritt in der Anwendbarkeit dieses Satzes
hat jedoch ebenfalls zuerst Glausius bewirkt durch Einführung einer
Q
Denen thermodynamischen Function ~, welcher er den Namen Verwand-
nngswerth oder Aequivalenzwerth der Verwandlung beilegte; später
wählte er für die nämliche Grosse den Ausdruck Entropie. Er zeigte,
lass in einem umkehrbaren Ereisprocesse der Gesammtwerth aller Ver-
handlungen gleich Null sei; in nicht umkejirbaren Processen aber ist
üe algebraische Summe der vorkommenden Verwandlungen immer positiv.
SIb positiv aber bezeichnet Glausius z. B. die Verwandlung von Wärme
löherer Temperatur in solche von niedrigerer Temperatur, den üeber-
j^ang von Arbeit in Wärme etc.
^) Man sehe auch die neueren derartigen Versuche von Boltzmann, Ber. d. Wien.
Akademie, Bd. 88, S. 861.
^) Beachtlich sind jedenfalls die von v. Helmholtz und dessen Schülern und
on Braun herrührenden Untersuchungen über die bei electrischen Vorgängen in Ele-
lenten und Zersetzungszellen verbrauchten Mengen Energie der chemischen Aflßnität und
er erzeugten electromotorischcn Kraft, zumal aber die neueren Untersuchungen von
. Helmholtz über monocyklische Systeme, ^uf welche wir in Cap. 6 dieses Ab-
chnittes zurückkommen.
Bühlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. II. 59
930 V, Geschichte der mechanischen Wannetheorie.
3. Maoquorne Rankine.
Wir haben im Vorhergehenden bereits erwähnt, dass Rankiae^)
mehrfach selbständig nnd ganz unabhängig durch seine BetrachtoBga
zu den wichtigsten Entdeckungen auf dem Gebiete der mechaninchfr
Wärmetheorie geführt worden war. — Bei seinen Betrachtungen giig
er von der Annahme sogenannter Molecularwirbel aus. Er setzte tot
aus, die wirbelnde Materie umgebe wie eine Art von Atmosphäre dicfaicn
Kerne und lässt dabei unentschieden, ob man sich unter diesen Eeraa
kleine Eörperchen besonderer Art, oder nur Condensationsprodncte dff
wirbelnden Substanz selbst, oder aber lediglich Attractionaoentren tct
stellen wolle. Strahlende Energie, also Wärme- und Lichtstrahlen, be-
stehe in der Fortpflanzung einer - schwingenden Bewegung der Kem
durch Kräfte, welche diese auf einander ausüben. Unter Wärmemeng»
eines Körpers dachte er sich die Energie der in ihm enthaltenen Wirbei*
atome, die absolute Temperatur eines Körpers sollte der Quotient diee
Energie und eines für jede Substanz charakteristischen Coefficientet
sein. Bei einem vollkommenen Gase ändere sich dessen ielastiBcher Drack
lediglich mit der Gentrifugalkraft dieser Molecularwirbel; daraus eigielt
sich alsdann sofort aus bekannten mechanischen Sätzen, dass der Drack
proportional der Energie der Wirbelatome und umgekehrt proxKntksal
dem Baume sein müsse, welcher Ton diesen Wirbeln erfällt ist. In ai-
deren Substanzen als den vollkommenen Gasen werde die Elaatidät
jedoch noch durch anziehende oder Gohäsionskräfte beeinflnsst. Ist &
Abweichung vom Zustande vollkommener Gase, wie bei wirklichen Gasn
und Dämpfen, nur gering, so lässt sich die Wirkung solcher anxiehesdB
Kräfte näherungsweise dureh Reihen darstellen, welche nach reciprobs
Werthen der absoluten Temperatur fortschreiten« Auf Terschiedcsf
Dämpfe hat er dieses Verfahren mit ziemlichem Erfolge angewendsC
Fühlbare Wärme war ihm Energie, welche dazu gedient hat, &
Geschwindigkeit der wirbelnden Bewegung zu erhöhen, latente Wmtm
die Arbeit, welche geleistet wird, wenn die Ausdehnung der Wirbel w-
grössert oder verringert werden muss, weil die Yolumina und Gestsita
der von den Wirbeln erfüllten Räume sich ändern«
^) William John Macquorne Rankine wurde am 5. Juli 1820 in E£^
burgh geboren und machte daselbst auch seine Studien. Er war längere Zeit
Professor der Ingenieurwissenschaften und Mechanik in Glasgow. Ausser den in
Buche erwähnten zahlreichen Arbeiten über mechanische Wärmetheorie yeKSemii^^
er noch: „Manual of civil engineering", welches elf Auflagen erlebte, ferner: ^üj
rules and tables", „Ship-building" und „Manual of machinery and millwork*'. Er
am 24. December 1872.
*) Vergl. Rankine, Elasticity of vapours. Edinb. Philos. Joum. July 1849;
auch dieses Buch Bd. I, Abschn. V, A., S. 546. ^
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 931
DieErafb, durch welche ein Theilchen in seiner Wirheihahn erhalten
wird, ist immer gleich der Centrifugalkraft desselben, aber entgegen-
gesetzt gerichtet; deshalb ist die Arbeit, welche bei Veränderungen der
Wirbelbahnen geleistet wird, der Centrifugalkraft, somit der Energie, d. h.
der absoluten Temperatur proportional Will man diese Arbeitsgrösse
oder latente Wfirme berechnen, welche bei einer gegebenen Aenderuog
der nämlichen Ausdehnung aufzuwenden ist, so muss die absolute Tempe-
ratur mit einer entsprechenden Aenderung einer Function der Dimensionen
und der Elasticität des Körpers mnltiplicirt werden. — Diese Function,
deren Variation mit der absoluten Temperatur mnltiplicirt werden muss,
ist somit eine Art latenter Wärme, welche einer gegebenen Dimensions-
änderung bei dieser Temperatur unter den entsprechenden Umständen
zugehört (vergl. Bd I, Abschn. V, A., S. 472 etc.). -
R a n k i n e bezeichnete diese Grösse anfänglich ^) nur durch ein Symbol,
später ') nannte er sie Wärmepotential , und schliesslich ^) fugte er no<fh
ein auf die Temperaturänderung bezügliches Glied hinzu und nannte
dieselbe Grösse : „Thermodynamische Function^, eine Bezeichnung, welche
noch heute gelegentlich zur Anwendung kommt. Rankine brachte
ferner auch wieder die Ausdrücke actuelle und potentielle Energie in Auf-
nahme, nachdem vor ibm bereits Young dem Worte Energie allge-
meine Geltung verschafft hatte.
Von besonderer Bedeutung aber sind die Verdienste, welche sich
Rankine dadurch erworben hat, dass er die eigenthümlichen Methoden
der mechanischen Wärmetheorie auf verschiedenartige Probleme der
Technik anwendete« Er ist der Erste gewesen, welcher die Lehre von
den verschiedenen Wärmemaschinen von diesem Gesichtspunkte aus be-
handelte^) und dieselbe späterhin einheitlich in einem geschlossenen
Werke zusammengefasst hat; es ist dies Rankine's Buch: „A Manual
of the Steam- Engine and other Prime Movers" 1859, welches mehrere
Auflagen erlebt hat und noch heute als ein classisches Werk von Theo-
retikern und Praktikern hoch geschätzt wird.
4. William Thomson.
Wir wenden uns nun zn William Thomson^), dessen Name jeder-
Bseit als einer der ersten unter den Koryphäen der mechanischen Wärme-
>) Edinb. Transact., Bd. 26, S. U7.
2) Ebendas. S. 569.
^) Philos. Transact. of the Roy. Soc. of London. Jahrg. 1854, S. 1^0.
*) Rankine, On the geometrical repreaentation of the expansive action of heat
&nd the theory of thennodynamic engines. Philos. Transact. of Lond. 1854.
^) Sir William Thomson ist 1824 in Belfast geboren. Sein Vater war damals
Lehrer daselbst and warde später als Professor der Mathematik an die Universität
Grlasgow bernfen. Schon während seiner Stadienzeit in Cambridge verrieth William
59*
932 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
theorie neben nnd in gleicher Linie mit Mayer, Jonle, Carnotvid
Clansias genannt werden wird.
Wir erwähnten bereits, dass derselbe zuerst, freilich ohne die h>
thümer derselben zu corrigiren, auf die Bedeutung der Arbeiten t«
Garnot und Glapeyron hingewiesen hat. Selbst&ndig, wenn Mck
etwas später als Glausius, hat er den zweiten Hauptsatz richtig aa
den von Gar not gegebenen Grundlagen entwickelt und auf änem etVM
anderen Wege als jener bewiesen. Zuerst hat er eine Anzahl Gleidin-
gen der mechanischen Wärmetheorie in einer sehr allgeoieinen Form
entwickelt und die rein physikalische Interpretation derselben gegebea
Schon im Jahre 1849 hatte James Thomson, der Bruder des
Genannten, durch Anwendung von Garnot's Kreisprocess (resp. aa
Glapeyron's Gleichungen) auf den Gefrierprocess des Wassers unter
Zuhilfenahme des Satzes von der Unmöglichkeit des Perpetamn mol£«
geschlossen, dass der Gefrierpunkt des Wassers vom Drucke abhäsgif
sein müsse ^). William Thomson^) bestätigte dieses tbeoretisd»
Ergebniss durch den berühmten Versuch mit dem 0 er sted' scheu Pk-
zometer, welcher früher (Bd. I, Abschn. Y, D., S. 658) von uns aosfok-
lieh beschrieben worden ist. Thomson behandelte in seiner origineEa
Weise den Fall, dass Mischungen einer Substanz im festen und flössigfli
Zustande gegeben sind, allgemeiner und zeigte, dass bei solchen S^
stanzen, deren Volumen beim Uebergange aus dem flüssigen in den feitn
Aggregatzustand vergrössert wird, die Schmelztemperatur sinkt, in
solchen hingegen steigt, welche im festen Zustande dichter sind, als ia
flüssigen. Ebenso formte er die Glapeyron' sehe Gleichung, wekhe te
Zusammenhang zwischen dem Ausdehnungscoefficienten und der Tempe-
raturänderung bei einer adiabatischen Volumenändemng darstellt, dem;
Thomson ganz ungewöhnliche Anlagen und wurde, nachdem er 1845
mit Auszeichnung abgelegt hatte, schon im folgenden Jahre zum Professor der
in Glasgow ernannt. Unmittelbar darauf übernahm er die Redaction des „Caaiböd^v
and Dublin mathematical Journal^ und Teröifentliehte darin im Jahre 1848 £e bv
rühmte Abhandlung : „On the distribution of electricity on spedal condactors*'» in vricte
er die nach ihm benannte Methode zur Bestimmung der Electricititsrertlieilaks iz
sich gegenseitig influenzirenden Leitern entwickelte. Auf seine epochemacheBde Bc^
theiligung an der Schöpfung der mechanischen Wärmetheori« und dem Ansb«« ie
angrenzenden Gebiete der Electricitätslehre wird oben im Texte ausführlich
werden. Wegen seiner hervorragenden Verdienste um die Legung des eniea
atlantischen Kabels wurde er 1866 von der Konigin von England in <
erhoben. Seine zahlreichen Entdeckungen und Erfindungen nnd seine Werke: J
matical theory of elasticity** und vor Allem sein unter Mitwirkung von Tai!
gegebenes Hauptwerk: Elements of natural philosophy (deutsch von Hebaholtz
Wertheim. 2 Bde., 1871 bis 1874, Braunschweigi Fr. Yieweg u. Sohn) sidhem i)
Unsterblichkeit seines Ruhmes.
^) James Thomson, Theoretical considerations on the effect of preesnie in
ring the freezing point of water. Transact. of the hoy. Soc of Edinb., Bd. 16 (IMd;
S. 5 u. S. 575.
^) William Thomson, Experiments on the effect of pressure in loweii^ tx
freezing point of water. Phil. Mag. (1850) 3. Ser., Bd. 37, S. 123.
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 933
um, dass der physikalische Sinn derselben sofort erkennbar war. Joule
hat bald darauf diese theoretische Vorhersage experimentell durch jene
Versuche bestätigt, welche wir Bd. I, Abschn. V, A., S. 517 ausführlich
beschrieben haben ^).
Eine andere nicht minder interessante Consequenz der mechanischen
Wärmetheorie hat Thomson unter dem Namen der Zerstreuung der
Energie entwickelt^). Es ist dies eine andere Form jenes Satzes von
den Verwandlungswerthen, welchen wir bereits bei Clausius (S. 929)
erwähnt haben. Die Form der Darstellung ist bei beiden wesentlich ver-
schieden, jedoch gebührt auf diesem Gebiete W.Thomson die Priorität.
Thomson wies darauf hin, dass durch Wärmeleitung und Strahlung
immer freiwillig eine Zerstreuung, niemals aber eine Concentration der
Wärme stattfinde, und dass bei Erzeugung von Wärme durch Arbeit
immer eine grössere Wärmemenge von höherer Temperatur in solche
von niederer Temperatur verwandelt werde. Bei allen nicht umkehrbaren
Kreisprocessen finde immer eine Zerstreuung von Energie statt, und in
Wirklichkeit sind doch nahezu alle in der Natur vorkommenden Vor-,
gange nicht streng umkehrbar«
Bei solchen Processen ist es unmöglich den ursprünglichen Zustand
ohne Hinzunahme neuer Energiemengen wieder herzustellen. Die uni-
versellen Consequenzen, welche späterhin sowohl von Thomson als
auch von Clausius, von jedem in der ihm eigenthümlichen Ausdrucks-
weise, gezogen wmrden sind, nach welchen das Weltall mit Rücksicht auf
diese in der Natur gültige Gesetzmässigkeit einem allmählichen Gleich-
gewichtszustande entgegengeht, in welchem alle Bewegungs- und Lebens-
erscheinungen erloschen sein werden, weil alle anderen Energieformen so
weit als möglich in Wärme von gleicher Temperatur verwandelt sind,
greifen so weit in das Gebiet der Metaphysik ein, dass sie nicht ohue
Weiteres als bindende Ergebnisse streng naturwissenschaftlicher Methodik
angenommen zu werden brauchen.
In der berühmten Abhandlung : „Mechanical Theory of Electrolysis'' ^),
gab Thomson in Verfolg der Ideen, welche wir bereits bei Joule ge-
fanden haben, zuerst eine theoretische Auseinandersetzung über den Zu-
sammenhang zwischen electromotorischer Erafb und chemischer Affinität.
£r wies bei dieser Gelegenheit zuerst darauf hin , dass zur Einleitung
eines electrolytischen Processes eine höhere, mindestens gleiche Potential-
difiPerenz nöthig sei, als dem einzuleitenden Zersetzungsprocesse entspricht.
Thomson zuerst lehrte die scheinbar disparaten Qualitäten der electro-
motorischen Kraft und chemischen Affinität quantitativ in einander um-
^) Minder bekannt scheint zu. sein, dass y. Helmhol tz bereits im Jahre 1847 in
seiner berühmten Abhandlung: Die Erhaltung der Kraft, S. 35, das wesentliche Er-
f^ebniss der späteren Joule 'sehen Versuche ans der Clapeyron 'sehen Gleichung
Torhergesagt hatte.
^) W. Thomson, On an universal tendency in nature to the dissipation of me-
chanical energy, Phil. Mag. 1852, Bd. 2.
») W. Thomson, Philos. Mag. 1851.
934 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
rechnen. Erst in neaeBier Zeit, inshesondeve durch die Arbeiten im
Y. Helmholtz und seinen Schülern ist gezeigt worden, dass die eb-
fache, von Thomson damals dem Stande der Erfahmng entepredieBd
entwickelte Theorie wegen der Einwirkung gleichzeitiger secundiier
Processe noch mancherlei Ahänderungen hedurfte.
Von nicht geringerer Bedeutung war jene Experimentalarhat
welche Thomson mit Joule gemeinsam unternahm, um den Betng
der inneren Arheit bei Gasen und Dämpfen (vergl. Bd. I, Abechn. IQ,
C, S. 255), wie dieselben in der Natur wirklich vorkommen, zu bestimm^L
Hervorzuheben sind ferner Thomson's Verdienste um Nenformulirimf
und strenge Durchbildung der Dynamik und seine zahlreichen geraden
epochemachenden Arbeiten auf dem Gebiete der Potentialtheorie. Er
zuerst wies auf die Wichtigkeit der ganz in Vergessenheit geradieaeB
Arbeiten von Green auf dem Gebiete der Potentialtheorie hin, und et
ist wohl kaum zu bezweifeln,, dass er das sogenannte Dirichlet'sek
Princip selbständig und etwas früher gefunden hat (1848) alsDirichlei,
nach dem es jetzt allgemein benannt wird.
Auch hinsichtlich der Ausbildung und Klärung der unseren theore-
tischen Speculationen vielfach zu Grunde liegenden Hypothese eiaer
atomistischen Zusammensetzung der Materie hat William Thomsoi
Wesentliches beigetragen« Späterhin hat er, ausgehend von Faradaj's
Entdeckung der electromagnetischen Drehung der PolarisationfiebcK
des Lichtes, die wesentlichen Fundamente zu der sogenannten eketid-
magnetischen Theorie des Lichtes geliefert, welche späterhin vomgs-
weise von Maxwell ^ in eine Form gebracht worden ist, in der mm
Stande ist, nicht nur die optischen und magnetisch -electriachen &
scheinungen zu verknüpfen, sondern auch den eigenartigen Crflchaim-
gen auf jedem der beiden Gebiete vollständig Bechnung zn tragen.
Thomson wies zuerst darauf hin, dass die Energie eines electrischeE
Stromes sowohl von der Form der Leiter und den in der Nähe derselbeB
befindlichen Medien, als von der Beschaffenheit, Länge and Dicke d«
vom Strome durchflossenen Drahtes abhängig ist.
Er zeigte, dass man sich die electromagnetischen Femewirkufci
durch rotatorische Bewegungen erklären könne, welche in der Nachbar
Schaft eines Stromleiters um die sogenannten magnetischen Krafttiaia
herum stattfinden.
Thomson betrachtet somit das Medium, welches Magnete vaä
Electricitätsleiter umgiebt, als den Sitz rotatorischer Bewegangoi vb
grosser Energie, welche durch ihre Gentrifugalkrafk die magnetiidie
und electrischen Anziehungen veranlassen. Indem Thomson diesen
bewegten Medium eine gewisse Masse und somit auch Trägheit suschRibc
hat er unter Anwendung der Lagrang ersehen dynamischen Gleichua-
^) Od Faraday's lines of force, Cambr. Phil. Transact. 1857; ferner: Od phrsicx
lines of force, Phil. Mag. 1862, II, Dynamical theory of the eleetromagnetk fieMi Pbü».
Transact. 1865.
C. Die moderne Periode der mechan, Wärmetheorie. 935
gen die bekannten Gesetze der Indactions- and Anziehungserscheinungen
zwischen Strömen aus seiner Annahme solcher Wirbel abgeleitet. Auch
auf dem Gebiete der Thermoelectricität hat Thomson^) durch experi-
mentelle und theoretische Untersuchungen unter Zuhülfenahme der bei-
den Hauptsätze der mechanischen Wärmetheorie auf einen eigentham-
lichen Vorgang aufmerksam gemacht, welchen er „ Wärmetransport durch
den Strom" nennt, und welcher in Deutschland zumeist als das Thom-
son'sche Phänomen bezeichnet wird.
Auch durch die Anwendung der Methode der mechanischen Wärme-
theorie auf kosmologische Probleme hat W. Thomson sehr wesentliche
Fortschritte herbeigeführt. Er beschäftigte sich zunächst mit der Wate r -
8 ton 'sehen Hypothese der Erhaltung der Sonnen wärme durch Meteo-
ritenfölle auf die Sonnenoberfläche und suchte unter Zuhülfenahme der
ihm bekannten Daten über Sonnenstrahlung, Ausstrahlung der Erde und
Wärmeleitung vom Erdinneren einen Zeitpunkt für den Beginn der jetzigen
Vertheilung der Massen in unserem Sonnensysteme und des derzeitigen
Zustandes unserer Erdoberfläche aufzufinden. Er zuerst wies auf die
Bedeutung der Wärmeerzeugung durch Contraction der Sonnenmasse hin,
eine Theorie, die bekanntlich (vergl. dieses Buch, Bd. II, Abschn. lY,
B., S. 824) weiterhin besonders von v. Helmholtz durchgeführt worden
ist. Gelegentlich derartiger Untersuchungen wies Thomson darauf hin,
dass die landläufige Meinung, das Erdinnere müsse in der Hauptsache
noch feuerflüssig sein, sowohl aus rein dynamischen als auch aus physi-
kalischen Gründen höchst unwahrscheinlich sei. Er zeigte vielmehr, dass
die durchschnittliche Starrheit der Erdmasse bereits zwischen der des
Stahles und der des Glases stehe. Von rein physikalischem Stand-
punkte aus wies er mit Becht darauf hin, dass die Geologen bisher ganz
übersehen hatten, dass die Gesteine ausnahmslos zu denjenigen Substan-
zen gehören, deren Schmelzpunkt durch Druck erhöht wird, weü dieselben
bei gleicher Temperatur im festen Zustande wesentlich dichter sind als
im flüssigen. Die Zunahme der Temperatur nach dem Erdinneren kann
somit nicht als entscheidender Grund dafür angerufen werden, dass sich
im Erdinneren noch Alles im flüssigen Zustande befinde.
Auf die übrigen grossen Verdienste Thomson's um die Wissen-
schaft, welche er sich durch Erfindung einer grossen Anzahl wichtiger
Instrumente, wir erinnern nur an das Quadrantelectrometer, um die
Theorie und Praxis des Telegraphen wesens, insbesondere die submarine
Telegraphie erworben hat, brauchen wir an dieser Stelle nicht hin-
zuweisen, ebenso wenig auf den wesentlichen Fortschritt, den er da*
durch eingeleitet hat, dass er die Einführung absoluter Maasseinheiten
und die Beachtung der Dimensionen der physikalischen Grössen, d. h.
des Zusammenhanges physikalischer Grössen mit den absoluten Einheiten,
hauptsächlich veranlasst und durchgeführt hat.
^) Philo«. Transact. Jahrg. 1855. Vergl. dieses Buch, Bd. II, Ahschn. III, F.
936 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Das Angeführte wird genügen, um den Ausspruch zu rechtfertige%
dass W. Thomson einer der grössten schöpferischen Geister anaerer
Zeit ist, dem alle Nationen hedingungslose Anerkennung und Dank Etdka
können.
5. Rudolph Olausius^).
Nachdem wir im Vorhergehenden die Prioritätsfrage hinsichilieh der
Entdeckung des zweiten Hauptsatzes der mechanischen W&rmetheorie
erörtert und auch Rankine's und Thomson's Yerdiensten die ge-
rechte Anerkennung hahen zu Theil werden lassen, dürfte es wohl eint
Pflicht der geschichtlichen Gerechtigkeit sein, auch die weiteren Arbeitn
von Clausius anzuführen und in kurzen Worten zu charakterisireB,
durch welche derselben er die mechanische W&rmetheorie b^rründet
und deren Entwickelung in hervorragender Weise gefördert hat^
Clausius wendete sich, nachdem er die theoretischen GrundlageD
und den mathematischen Apparat auf Grund der neuen Anschamuigen toh
der Wärme in seiner Abhaijdlung: „Ueber die bewegende Kraft der
Wärme etc.^, festgestellt hatte, dazu, die Frage zu erörtern, welche Ab-
änderungen die Lehre von den Dampfmaschinen ') erfahren müsse. Jeda-
falls war ihm diese Frage durch seine damalige Thätigkeit an dem Pdj-
technicum oftmals nahe gelegt worden. Pambour, dessen Theorie der
Dampfmaschine damals ausschliesslich allgemeine Gültigkeit hatte, m
von der Annahme Watt's ausgegangen, dass gesättigter Dampf 1«
einer adiabatischen Aenderung eines Volumens gesättigt bleibe. Gtndi
über diesen Punkt aber hatten die Untersuchungen von Clausius und
Rankine zu ganz abweichenden Resultaten geführt. Einige Formeln,
zu welchen Clausius gelangt war, hatte zwar schon etwas vor ihm
Rankine ^) gefunden, jedoch waren die Ableitungen von Glausiai
^) Rudolph Clausias iet am 2. Januar 1822. zu Koslin in Pommern geboea.
Er studlrte in den Jahren 1840 his 1844 in Berlin und war nach rühmlicbst bestM-
denem Examen hierauf einige Jahre hindurch als Lehrer an dem Wer der' sehen (^n»>
näsium in Berlin thätig. Im Jahre 1850 wurde er zum Lehrer der Phjstk an der
Ebnigl. Artillerie- und Ingenieurschule ernannt. Unmittelbar darauf habilitirte er ski
auch als Privatdocent an der Universität. Bei Neubegründung des eidgenossischeB Pdf-
technicums in Zürich wurde er dorthin als Professor der Physik, sowohl für diese Hed-
schule} als für die Universität berufen. Hier war es vorzugsweise, wo er die Gnza^
lagen der heutigen mechanischen Wärmetheorie schuf. Nach zwölQähriger Wirksaaihrn
in dieser Doppelstellung folgte er einem ehrenvollen Rufe an die UniversitiLt Winbiin;:
im Jahre 1869 endlich vertauschte Clausius diesen Lehrstuhl mit der Prolessiir is
Physik an der Universität Bonn , woselbst er noch heute in segensreichster Wttse ab
Forscher und Lehrer thätig ist.
^) Clausius, Ueber die Anwendung der mechanischen Wärmetheorie auf <&
Dampfmaschine, Pogg. Ann. (1856), S. 441 u. 513.
^) Rankine, On the geometrical representation of the expansive actien of heat sd
the theory of thermodynamic engines. Pfailos. Transact. of the Roy. Soc of London IS54
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 937
sirenger, da dieser auf das vom Dampfe mitgefülirte flüssige Wasser
Rücksicht nahm, was jener unterlassen hatte.
Die für das Maximum der Arbeit W einer beliebigen Wärmemaschine
gültige Gleichung:
•ar Ol . ^^ "^ ^0
J Ti
(wo Qi die von der Arbeit8Bubstan2s bei der Temperatur Ti des heisseren
Körpers aufgenommene Wärme, Tq die Temperatur des abkühlenden
Körpers und J das mechanische Aequivalent der Wärme bedeutet) war
•allerdings schon früher (1851) yon W. Thomson und Bankine ab-
geleitet worden.
Femer beschäftigte sich Glausius mit Erweiterungen des zweiten
Hauptsatzes, insbesondere mit der Anwendung desselben auf die bei Zu-
standsänderungen auftretende innere Arbeit ^), indem er eine neue
Grösse, die Disgregation, einführte, welche ein Maass für die Zertheilung
des Körpers abgiebt, also lediglich von der Anordnung der Bestandtheile
des Körpers abhängig ist. £lr wies hier zuerst darauf hin, dass auch die
rein chemischen Vorgänge einer Behandlung vom Standpunkte der mecha-
nischen Wärmetheorie aus zugänglich seien. Im Anschluss hieran zeigte
er, dass es möglich sein müsse, die auf die Yolumeneinheit bezogene
speciflsche Wärme eines zusammengesetzten Gases zu berechnen, wenn
die Wärmecapacität der einfachen Oase und die bei der Verbindung ein-
tretende Volumenänderung bekannt sind. Die von W. Thomson zuerst
aufgestellte Lehre von der Zerstreuung der Energie hatte Bankine
▼eranlasst, eine Hypothese aufzustellen, nach weicheres möglich erschien,
dass es auch Vorgänge geben könne, wie z. B. die Concentrirung der
Wärmestrahlung durch Beflezion und Brechung, durch welche eine
Wiederherstellung der entarteten Energie, also eine Erhebung von Wärme
niederer Temperatur zu solcher höherer Temperatur, ohne Zerstreuung
weiterer Energiemengen möglich sei. In einer äusserst lichtvollen Ent-
wickelung^) zeigte Glausius, dass diese Annahme, welche einen Wider-
spruch gegen den Grundsatz enthielt, auf welchem der Glausius' sehe
Beweis des zweiten Hauptsatzes ruhte, irrig sei. Er wies nach, dass es
nie möglich sei, durch Goncentration von Wärme und Lichtstrahlen die
Temperatur des Korpers, welcher anfanglich niedere Temperatur besass,
über die Temperatur des Körpers zu erheben, welcher anfänglich der
wärmere gewesen war.
Weiterhin hat Glausius die ganz allgemeinen Gleichungen der
mechanischen Wärmetheorie für die verschiedenen speciellen Voraus-
setzungen umgestaltet, in welchen dieselben bei Lösung bestimmter Auf-
gaben zur Anwendung kommen. Für den gesammten Verwandlungs-
^) R. Clausius, Ueber die Anwendung des Satzes von der Aequivalenz der Ver-
-wandlungen auf die innere Arbeit. Pogg. Ann. Bd. 116 (1862), S. 73.
^) Clausius, Ueber die Goncentration von Wärme- Und Lichtstrahlen und die
Orenzen ihrer Wirkung. Pogg. Ann. Bd. 121 (1864), S. 1.'
938 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie-
inhalt, also die Summe ans dem Yerwandlongswerthe des W&rmeiiiliBttei
eines Körpers und dem Yerwandlungswerthe der in der Anordnnng der
Körpertheile enthaltenen potentiellen Energie, welchen GlanBins Dit-
gregation nennt, führt derselhe den Namen Entropie ein. Er steOt a&
Schlüsse dieser Betrachtungen die Sätze auf: die Energie der Welt ist
constant, die Entropie der Welt streht einem Maximum zu.
Vom Beginne seiner Untersuchungen über die mechanische Winae-
theorie anhatte sichClausius mit der Anwendung der in der TorBtebesd
erwähnten Abhandlung gewonnenen Gleichuugen und Methoden auf dk
Electricitätslehre beschäftigt. Die ersten derartigen Arbeiten datirt«
schon vom Jahre 1852^), die erste ist den Erwärmungen dee Leiterkreisa
durch Batterieentladungen, die zweite') der Erwärmung durch eina
stationären galvanischen Strom gewidmet. — Unmittelbar darauf (1853)
behandelte er auch die thermoelectrischen Erscheinungen und zeigte^),
dass das Peltier^sche Phänomen eine einfache Consequenz der Anwn-
duDg des ersten und zweiten Hauptsatzes sei und eine thermoelectrisckc
Kette genau wie eine andere Wärmemaschine behandelt werden köniie.
.Auf das nämliche Resultat war v. Helmholtz^) auf wesentlich anderem
Wege allerdings schon vor Clausius in seiner Schrift: Ueber die Erhal-
tung der Kraft und W. Thomson bei einer Untersuchung gekommeB,
welche nur lückenhaft im Jahre 18Ö1 ^) veröffentlicht worden war.
Durch seine Untersuchungen auf electrischem Gebiete ist später
Clausius dazu geführt worden, ein neues electrodynamisches Grnsd-
gesetz aufzustellen, welches nicht nur alle experimentell ^ewonneoa
Resultate auf diesem Gebiete zu erklären gestattet, sondern auch dedialb
von besonderer Bedeutung ist, weil es, obgleich in ihm £[räfte TorkonmieB.
die von der Geschwindigkeit und den Beschleunigungen und nicht hkm
von den Entfernungen abhängen, doch mit dem Satze von der ErhaUaBf
der Energie in Uebereinstimmung ist^).
Zu diesem neuen Gesetze gelangte Clausius durch folgende Er-
wägungen. Das Weber' sehe electrodynamiBche Grundgesetz giebt Isr
das Potential F, welches zwei bewegte Electricitätstheilchen ^ und ^
^) Clausius, Ueber das mecbaDische Aequivalent einer electrischen EnUadaaf n4
die dabei stattfindende Erwärmung des Leitungsdrahtes. Pogg. Ann., Juli 1852, Bd. M,
S. 337.
^) Ueber die bei einem stationären electrischen Strome in dem Leiter gethane A^
beit und erzeugte Wärme, November 1852. Pogg. Ann., Bd. 87, S. 415.
3) Clausius, Ueber die Anwendung der mechanischen Wärmet-heorie auf die tkenw
electrischen Erscheinungen. November 1853. Pogg. Ann., Bd. 90, S. 513.
*) V. Helmholtz, Die Erhaltung der Kraft. Berlin, Reimer, 1847. S. 59. Ansik
in V. Helmholtz, Wissenschaftliche Abhandlungen. Leipzig, Barth, 1882. Bd.!, S.5T.
*>) W. Thomson, Proceed. of the Roy. Soc. of Edinb. 1851.
ö) Vergl. dieses Buch, Bd. I, Vorbegriffe, S. 152. Das dort Mitgetheihe
sich nur auf den Satz von der lebendigen Kraft, während der Satz von der
der Energie viel allgemeiner ist und auch für nach ganz anderen Gesetzen
Kräfte bestehen bleibt. Vergleiche darüber Weyrauch, Das Princip von der Erkal-
tung der Energie seit Robert Mayer, Leipzig, Teubner, 1885, S. 31,
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 939
aaf einander ausüben, die sich im Abstände r von einander befinden, den
Ausdruck:
r ■ \dt) '
Die Folgerungen ans der Formel stimmen jedoch nur unter der An-
nahme mit der Erfahrung überein, dass jeder galvanische Strom aus zwei
gleichen, aber entgegengesetzt gerichteten Strömen von positiver und
negativer Electricität besteht. Dieser Annahme aber widerstrebt der
Umstand, dass es äusserst schwierig ist, sich hiervon eine anschauliche
Vorstellung zu machen, und die Thatsache, dass die beiden Electri-
cit&tsarten verschiedene Eigenschaften haben. Nimmt man jedoch an,
dass bei di^m electrischen Strome die beiden ElectricitSten sich mit un-
gleicher Geschwindigkeit bewegen, oder nur eine einzige Electricitätsart
vorhanden ist und bewegt wird, so führt das Web er ^ sehe Gesetz auf die
mit der Erfahrung nicht übereinstimmende Folgerung, dass ein in einem
ruhenden geschlossenen Leiter fliessender electrischer Strom auf jede
ausserhalb des Leiters befindliche ruhende Eiectricitätsmenge eine be-
wegende Kraft ausüben müsse.
Clausius hat sich in Folge dessen veranlasst gesehen, ein neues
Grundgesetz für die gegenseitige Einwirkung bewegter Electricitäts-
mengen aufzusuchen, welches von jeder Annahme über die wechselseitige
Bewegung der beiden Electricitätsarten im Strome unabhängig ist.
Nach dem Clausius'schen Grundgesetze ist das Potential F zweier
bewegter Electricitätstheilchen auf einander:
F= i • — ^ — • v\i/\co8S.
r
wobei 1?' und t;" die Geschwindigkeiten von e' und e" und £ den Winkel
zwischen diesen Bewegungsrichtungen bedeutet. Die Constante steht zu
der des Web er 'sehen Gesetzes in dem Yerhältniss, dass:
ist.
Bezeichnet man die rechtwinkligen Coordinaten von e' mit x\ y\ ti
und die von e" analog mit ^\ y, ii\ so kann man in obiger Formel
den Factor t/.t/\cos€ auch durch den gleichwerthigen Ausdruck:
t?'. v", cos £
_ /d^ d^ d£ d^ d^ ^\
~\dt' dt '^ dt' dt '^ dt' dt)
ersetzen.
Aus dieser für das Potential zweier bewegter Electricitätsmengen
erhaltenen Gleichung kann man die auf irgend eine Kichtung bezügliche
Componente der electrodynamischen Kraft auf die bekannte Weise erhal-
ten, welche Lagrange in Bezug auf die in allgemeinen Coordinaten
ausgedrückte lebendige Kraft angewendet hat. Ist nämlich Fy . e\ e" die
940 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
betreffende Eraftcomponente in einer beliebigen Bichtong v, n eiliih
man Py aus folgender Gleichung:
äV _^ £ läV
dv dt
In Bezug auf die nach der X-Axe der Coordinaten gerichtete Knft-
componente X erhält man hiernach:
X= Ä-e -e
; jt
d^
dxf
r , „ d n daf''
d n d;£\
'''' - dt[r"dt)
Aus dem Ausdrucke f&r die Kraft, welche zwischen zwei bewegten
Electricitätsmengen e' und e" wirksam ist, hat Clausius alsdann Mck
für die Kräfte, welche zwei von den Stromintensitäten »' und t*' doreb*
flossene Leiter demente dsf und ds" auf einander ausüben, Formeln her
geleitet.
Für die Kraft, welche das Stromelement d^ vom Stromelemente if
erfahrt, findet er:
h.iJ'.ds'.ds"
dl
r
57
C08(sf
wobei (s'.s") der Winkel zwischen den Stromelementen und a/,y,/res[i.
ic", y", J8?" deren Coordinaten sind.
Formell stimmt dieser Ausdruck mit dem von H. GraBsmannia
Jahre 1845 gefundenen, überein. Die Grassmann'sche Formel besek
sich jedoch nur auf die zwischen den Leitertheilen wirksamen Krifie.
die ponderomotorischen, wie sie Clausius nennt, während dieClanains'-
sche Form des electrodynamischen Potentials auch die electromotorisebeB
Kräfte mit bestimmt, welche bei Lagen- und Intensitataändemngen der
Ströme eintreten.
Späterhin hat Clausius auch diese electromotorischen Kräfte vod
die yon den electromotorischen und ponderomotorischen Kräften geleiiteta
Arbeiten ermittelt. Der grosse Vorzug seiner Entmckelnngen ^
darin , dass dieselben Ton jeder besonderen Annahme über die Ge-
schwindigkeiten, mit welchen sich im Strome die positive und fiegstire
Electricität bewegt, ganz unabhängig sind.
Aus den gefundenen Grundlagen hat Clausius endlich zuenieitf
wirkliche Theorie der Vorgänge bei dynamoelectrischen Maschinen 0 P"
geben und ebenso eine Theorie der Kraftübertragung') auf electnscheii
Wege entwickelt.
1) Wied. Ann., Bd. 20 (1883), S. 353.
2) Wied. Ann., Bd. 21 (1884), S. 385.
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 941
Von besonderer Bedeutung sind femer die Abhandlungen über die
Art der Molecularbewegnng, welche wir Wärme nennen. — Obgleich wir
schon früher darauf hingewiesen haben, dass verwandte Vorstellungen
sich schon ziemlich frühe, z. B. bei den Bernoulli's und späterhin
bei Joule und bei Erönig fanden, so sind doch erst die Arbeiten von
Glausius der Anstoss und der Grand gewesen, auf welchem sich die
moderne kinetische Atomistik entwickelt hat.
Wir übergehen jedoch an dieser Stelle diese Arbeiten, obgleich sie
für Würdigung der hohen Verdienste, welche sich Glausius um die
mechanische Wärmetheorie erworben hat, sehr hoch anzuschlagen sind,
da wir die neueste Geschichte der kinetischen Atomistik besonders be-
handeln wollen (Abschn. D) und dann Wiederholungen durch nothwen-
dige Hinweise auf den Antheil yon Glausius unvermeidlich sein würden.
Zum ersten Male gab Glausius eine Sammlung seiner bis dahin
erschienenen Abhandlungen in den Jahren 1864 bis 1867 heraus, unter
dem Titel : Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie 0.
Da das werthvolle Werk bald vergriffen war und als wichtigste
Quelle fortwährend neu begehrt wurde, so liess er im Jahre 1876 eine
systematisch durchgearbeitete Neubearbeitung unter dem Titel: „Die
mechanische Wärmetheorie" folgen ^). Den zweiten Theil, welcher im Jahre
1879 erschien, widmete er ganz der Electricitätslehra und gab ihm den
Titel: „Die mechanische Behandlung der Electricität**. In diesem letzten
Bande findet man auch die Resultate der vorher kurz skizzirten neuen
Electricitätstheorie vollständig niedergelegt. Leider sind jedoch in der
neuen Auflage die sämmtlichen Abhandlungen über die Moleculartheorie
weggelassen; hoffentlich folgt eine Neubearbeitung derselben recht bald
als dritter Band des classischen Werkes.
6. Hermann von Helmholtz.
Nachdem wir bisher der Entwickelung der mechanischen Wärme-
theorie bis zu ihrem jetzigen Stande gefolgt sind, ist es nöthig, auf
das so eng mit dieser Disciplin zusammenhängende Princip von der Er-
haltung der £[raft zurück zu kommen, und dies nothigt jetzt, unsere Auf-
merksamkeit dem grossten Meister exacter Naturforschung unserer Zeit,
nämlich Hermann von Helmholtz^) zuzuwenden.
*) Braunschweig, Friedrich Vieweg und Sohn.
^) Derselbe Verlag.
') Herrn, von Helmholtz wurde am 31. August 1821 «Is Sohn des Potsdamer
Gymnasiallehrers gleichen Namens geboren. In seinem 17. Lebensjahre trat er als
Schüler in das militärärztliche Friedrich- Wilhelms-Insti tut in Berlin ein, um Medicin zu
Studiren. Im Jahre 1842 hatte er seine Studien beendet und erwarb sich den Doctor-
titel. Nach kurzer Thätigkeit an der Berliner Charit^ wurde er 1843 Militärarzt in
Potsdam. Nunmehr wendete sich der junge Arzt mit der ihm eigenthümlichen That-
942 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
Man kann behaupten, dass das Gesetz von der Erhaltonf^ derEnetfie,
welches gewissermaassen latent bereits seit ondenklichen Zeiten Toriiaa-
den war, zwar von Robert Mayer zuerst mit yoUer Elarfaeit mid in
Yollem Umfange ausgesprochen ist, jedoch erst durch die He Imh ölte's^
Abhandlung: „Die Erhaltung der Kraft*' für die gesammte Natnrwiss»-
Bchaft fruchtbar gemacht worden ist. Helmhol tz trag das widitige
Gesetz zuerst in der in der Wissenschaft üblichen Sprache tot und wn-
dete dasselbe nahezu auf alle Gebiete der Physik und einzelne TheOe der
Physiologie in durchaus neuer und origineller Weise an.
kraft der Vertiefung seiner Kenntnisse auf physikalischem und physiologisdiem CebiA
zu. Durch einen : „Bericht über die Theorie der physiologischen ¥nrmea9cbcmvBges*,
welchen er im Jahre 1846 für die Fortschritte der Physik anfertigte, wmr er auf &
Arbeiten von Carnot, Clapeyron und Holtzmann aufmerksam geworden, und da-
durch veranlasst, versuchte er die damals bekannten Naturvorginge, die uao
sowohl als die organischen, unter einheitlichem Gesichtspunkte nach den Ocsetcen
wissenschaftlichen Denkens zusammenzufassen. Das Ergebniss dieser Studien war die U>
rühmte, für die Entwickelung der Wissenschaft geradezu bahnbrechende Abhandluaf ;
„lieber die Erhaltung der Kraft*', welche er am 23. Juli 1847 in der physikaÜscheE
Gesellschaft in Berlin vortrug und bald darauf als Broschüre bei Reimer in B<f&
erscheinen Hess. Im Herbst des Jahres 1848 kehrte Helmholtz als Lelira- iet
Anatomie an der Kunstakademie nach Berlin zurück, vertauschte aber schon im fo^en*
den Jahre seine neue Tbätigkeit mit der ordentlichen Professur der Physiologie an der
Universität Königsberg. Von hier datiren hauptsachlich seine Erfindung des Ag^cb-
spicgels und zahlreiche weitere epochemachende Arbeiten auf ophtalmologischem Ge-
biete, welche er spater (1856 bis 1866) in dem classischen Werke: „^ndbudi der
physiologischen Optik'' niederlegte. Im Herbste 1855 siedelte Helmholtz aa£»
Bonner Universität und 1858 von da nach Heidelberg über. Inzwischen hatte er, «*>
bei ihm seine gründlichen musikalischen Kenntnisse sehr zu statten kamen, sich snch
akustischen Studien zugewendet, deren Frucht, ausser zahlreichen Abhandlungen ibcr
die mathematisch-physikalischen Grundlagen dieser Disciplin, das berühmte Werk
Lehre von den Tonempfindungen'' war.
In Folge der nahen Beziehungen zu Kirchhoff, Bunsen und Kopp
Helmholtz mehr und mehr auf das rein physikalische Gebiet gefuhrt, so das» e*
Niemand erstaunlich fand, als er sich Im Jahre 1871 entschloss, als Nachfolger toc
Magnus die Professur für Physik an der Berliner Universität zu übernehmen.
Von hier vorzugsweise rühren seine classischen Arbeiten auf erkenntni^tlieoceti>
schem Gebiete, seine Abhandlungen über die Electrodynamik , seine £zperimcsta^
arbeiten und theoretischen Betrachtungen über die mit der Electricitätslehre
hängenden thermo-chemi sehen Vorgänge her. — Im Jahre 1883 wurde Helmholtz
Kaiser von Deutschland geadelt ; seine nahen Beziehungen zu den höchsten Kreisen Bcr*
lins und die Belastung mit allerhand officiellen Aufträgen haben den unermadlk^cn
Forscher jedoch nicht gehindert, unentwegt seiner Wissenschaft zu leben, wovon (ort*
währende neue Publicationen Kenntniss geben.
Eine grosse Zahl begabter Schüler wird in seinem Laboratorium zn trefilkha
Physikern herangebildet.
Den grössten Theil seiner streng wissenschaftlichen Arbeiten, so weit sie nkht ts
den erwähnten geschlossenen Arbeiten enthalten sind, hat v. Helmholtz neuerdis^
gesammelt erscheinen lassen (Wissenschaftliche Abhandlungen, Barth, Leipzig, 3 Bde.
1882 und 188S). Die zahlreichen Vorträge und Reden, welche sich an dasV
tvpiterer Kreise des wissenschaftlich gebildeten Publicums wenden, sind bereits in
holten Auflagen früher unter dem Titel: „Populäre Vorträge", jetzt aber: .Vortrag
und Reden'^ (Braunschweig, Fr. Vieweg und Sohn, 1884) herausgegeben worden.
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 943
Der häsBliche Verdacht» welchen Dühring wiederholt ausgesprochen
hat, y. Helmholtz hahe nicht selhstandig das Gesetz gefdnden, son-
dern er habe die May er' sehen Arbeiten: „Bemerkungen über die Kräfte
der unbelebten Natur (1842)*' und : ^Die organische Bewegung in ihrem
Zusammenhange mit dem Stoffwechsel ** bei Abfassung seiner Schrift be-
reits gekannt und absichtlich diese Kenntniss verschwiegen, ist durch
nichts begründet. Die Helmholtz 'sehe Behandlung ist eine durch-
aus andere, als die May er' s, die Schlussfolgerungen ruhen bei Helm-
lioltz wesentlich auf mathematischem und exaot naturwissenschaftlichem
Grunde, bei Mayer hingegen entstammt dieselbe mehr philosophischen
^Erwägungen, so dass schon die Betrachtung der Arbeiten selbst es über-
aus unwahrscheinlich erscheinen lässt, es habe ein ursächlicher Zusammen-
Lang irgend welcher Art zwischen den beiderseitigen Publicationen be-
standen.
Dazu aber kommt, dass Helmholtz diese erste grössere Arbeit in
Potsdam in Verhältnissen schrieb, in welchen ihm nur sehr bescheidene
literarische Hülfsmittel zugänglich waren. Dadurch aber, dass die M a y e r ' -
sehen Veröffentlichungen gar keine Beachtung in wissenschaftlichen
Kreisen gefunden hatten, wird es vollständig verständlich, wie es gekommen
ist, dass Helmholtz, als er über den nämlichen Gegenstand schrieb,
Ton der Existenz eines Vorgängers auf diesem Gebiete keine Ahnung
hatte. Ueberdies hat Helmholtz später in unzweideutiger, bestimmter
Weise die Erklärung abgegeben, dass ihm zur Zeit der Abfassung seiner
Schrift die May er' sehen Veröffentlichungen vollständig unbekannt ge-
wesen sind ^). An sich ist es unter ehrlichen Leuten nicht üblich, an dem
Worte eines Mannes zu zweifeln, so lange demselben nicht Mangel an
Wahrheitsliebe nachgewiesen worden ist; wie sollte man nun mit Düh-
ring dazu kommen, an Helmholtz's Aufrichtigkeit zu zweifeln, eines
Mannes, dessen goldreine Zuverlässigkeit in der Erkenntniss und Mit-
theilung der Wahrheit in allen seinen Arbeiten wohl selbst seine Gegner
nicht zu bestreiten wagen.
Ausserdem aber muss, um dem von Dühring so mit Unrecht Ver-
dächtigten volle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, hervorgehoben
werden, dass gerade Clausius und v. Helmholtz, die von Dühring
am heftigsten geschmäht worden sind, wohl die ersten in Deutschland
gewesen sind, welche auf die Prioritätsrechte von Mayer hinsichtlich
des Satzes von der Erhaltung der Energie und der Entdeckung des Ar-
beitsäquivalentes der Wärme hingewiesen haben, lange ehe Dühring
Veranlassung gefunden hatte, sich mit der Frage zu beschäftigen ^).
1) Vergl. V. Helmholtz, Wissenschaftl. Abhandlungen, Bd. 1, S. 71 und Vor-
träge und Reden, Bd. 1, S. 61.
*) Vergleiche die Vorträge von v. Helmholtz, üeber die Wechselwirkung der
Naturkräfte, 1854. Vorträge und Reden, Bd. 1, S. 38 und Ueber die Erhaltung der
Kraft, 1862. Vorträge und Reden, Bd. 1, S. 151. Bezüglich Clausius rergleiche
man dessen Abhandlung vom Jahre 1850. Abhandlungen, Bd. 1, S. 19.
944 V. Geschichte der mechanischen Wännetheorie.
Obgleich neuere UnterBuchnngen gezeigt haben, dass die Ton t. Helm*
holtz in seiner „Erhaltung der Kraft*' gegebenen Entwickelungen übo'
die Wirkungsweise der Kräfte, welche angenommen werden mnas, u
die allgemeine Gültigkeit dieses Gesetzes Yoraussetzen zn dürfen, einiger
Einschränkungen bedürfen, so gehen die in dieser Abhandlung gegebcnei
Entwickelungen doch viel tiefer in die Sache ein als Mayer'i
einandersetzungen und umfassen eine Menge von Erscheinangen,
von jenem gar nicht berührt oder nur oberflächlich erwähnt sind.
Erst in Folge des durch t. Helmholtz gegebenen Ansiosses k«t
sich jene vollständige Umwandlung der Art, die Naturerscheinongeti n
betrachten , vollzogen , durch welche sich die heutige NatnranachainiBg
von der Betrachtungsweise, welche in der ersten Hälfte anzereB Jilir*
hunderts im Gebrauche war, vollständig unterscheidet
Es kann nicht unsere Aufgabe sein, an dieser Stelle den ansserordeBt*
liehen Verdiensten des grossen Meisters um die übrigen Gebiete der Phjck
und um die Physiologie eine eingehende Würdigung angedeihen za lasKi.
Wir erwähnen nur, dass v. Helmholtz überall, wo er mit eigenen Ai^
beiten eingetreten ist, Epochemachendes geliefert und vollatändig rdoT'
matorisch auf die vorhandenen Anschauungen eingewirkt bat. Wir «-
wähnen in diesem Sinne die Abhandlungen: „Ueber WirbelbewegungCB^.
welche die Grundlage zuW. Thomson's Hypothese von den
atomen geworden ist, die Arbeiten über discontinuirliche
und Reibungsvorgänge in Flüssigkeiten, femer die akostLschen Unter-
suchungen über Gombinationstöne, Schwingungen von Lnftsäolen, die
Theorie der Zungenpfeifen, die Entdeckung des Wesens der Klang£vbe
und die Theorie der Saitenschwingnngen.
Auf electrischem Gebiete hat v. Helmholtz nahezu das gai«
Gebiet der Yertheilung und Fernewirkung einer erschöpfenden Umarbei-
tung unterworfen und eine neue Theorie derElectrodynamikO aufgezteDt
Seine Abhandlungen über Galvanismus, insbesondere die Arbeiten: Uebp
galvanische Ströme, verursacht durch Goncentrationsunterschiede, Folge-
rungen aus der mechanischen Wärmetheorie ^), femer über Electrisdie
Grenzschichten 3), Bewegungsströme ^), Galvanische Polarisation ^) stehes
mit der mechanischen Wärmetheorie in engem Zusammenhange. In der
erstgenannten Abhandlung wird der zweite Hauptsatz mit Erfolg auf
umkehrbare Kreisprocesse angewendet, bei welchen ausser Yerdampfuiigr
erscheinungen auch electrochemische und electromotorische Wirknngez
mit in Betracht kommen.
^) Crelle's Journ., Bd. 55, S. 25 bis 55 (1855). v. Helmholtz, Ahha^i-
langen, S. 107.
^ Wied. Ann., Bd. 8, S. 201 bis 216. Abbandlungen, S. 840.
8) Wied. Ann., Bd. 7, S. 387 bis 382 (1879).
*) Wied. Ann., Bd. 11, S. 737 bis 759 (1880). Abhandlungen, S. 899.
^) Pogg. Ann., Bd. 150, S. 483 bis 495 (1873). Abhandlungen, S. 822. Pof;.
Ann., Bd. 159, S. 416 bis 420 (1876). Abhandlungen, S. 835.
C. Die moderne Periode der mechan. Wärmetheorie. 945
Die zablreichen AbhandluDgen über: Physikalisohe und physiologi-
sche Optik, physiologische Akustik, Erkenntnisstheorie und Physiologie
abergehen wir ganz, da dieselben mit dem von uns behandelten 'Gebiete
in keiner Beziehung stehen.
In neuester Zeit hat jedoch y. Helmholtz wiederum sich beson*
ders dem Gebiete der mechanischen Wärmetheorie zugewendet. Es ist
iies geschehen durch die Abhandlungen: „Die Thermodynamik chemi-
scher Vorgänge*' ^). In denselben wird der zweite Hauptsatz auf die
chemischen Processe angewendet und zwar nicht nur auf die mit dem-
selben yerknüpfken Wärmeerscheinungen, sondern auch auf die damit
Busammenh äugenden Aenderungen der Dichte und des Aggregatzustandes
bei AuflösungSYorgängen. Es wird auf die bekannte Thatsache hin-
gewiesen, dass es chemische Processe giebt, welche ohne Aufwand äusserer
Triebkraft fortschreiten, während gleichzeitig Kälte erzeugt wird ^). Diese
Erscheinungen nöthigen bei chemischen Vorgängen zu einer Unterscheidung
zwischen den Theilen der potentiellen Energie chemischer Verwandtschaft,
welche nur einer Verwandlung in Wärme fähig sind und solchen, welche
auch in andere Energieformen umgesetzt werden können. Den ersten
Theil nennt v. Helmholtz gebundene, den anderen freie Energie, Nur
die ersten entscheiden über den Sinn, in welchem ein chemischer Vorgang
verläuft. Um dieser nothwendig gewordenen Unterscheidung Rechnung zu
tragen, hat v. Helmholtz den Grundgleichungen der Thermodynamik
ßine neue Form gegeben, welche diesen Umstand berCLcksichtigt. Er
F&brt zu diesem Zwecke in die Formeln, welche die beiden Haupt-
sätze repräsentiren« nicht nur ausser der absoluten Temperatur noch
einen zweiten Parameter ein, von welchem der Zustand des Systemes ab-
hängt, wie dies bereits Clausius gethan hatte, sondern beliebig viele
von der Temperatur und von einander unabhängige Parameter. Alsdann
srfordern die Gleichungen nicht mehr zwei von einander abhängige
Functionen der Parameter (Energie und Entropie), sondern eine einzige
;das Ergal 8).
Um die Richtigkeit seiner theoretischen Folgerungen messend durch
ien Versuch zu prüfen, behandelte v. Helmholtz die Aenderungen der
Z/oncentration von Lösungen einmal durch Verdunstung, ein anderes Mal
lurch Electrolyse. Bei beiden Zustandsänderungen hat man es mit genau
xiessbaren, umkehrbaren Arbeitsleistungen zu thun. Die Betrachtung
les V. Helmholtz' sehen Chlorzink -Calomel- Normalelementes hat eine
rollständige Bestätigung seiner theoretischen Resultate ergeben.
^) Sitzungsber. der Berl. Akademie. Febr. u. Jali 1882. Abhandlungen, Bd. 2,
$. 958 bis 992.
^) Vergl. B. Rathke, Ueber die Principien der Thermochemie. Abhandlangen
ler Natnrforsch. Gesellsch. zu Halle, Bd. 15.
^) Auf diese wichtige Beziehung hatte schon früher Massieu (Journ. de Physique
>ar d'Almeida, Bd. 6, S. 216) und Gibbs, Transact. of the Connecticut Acad. Bd. 3,
$. 108 bis 248 und S. 343 bis 524 hingewiesen.
Bablmann, Mechan. Wännetheorie. Bd. II. QQ
946 V. Die Geschichte der mechaniBchen Wärmetheoiie.
Neuerdings hat sich v. Helmholtz mit der Frage besehäfligt, bd
welchen mechanischen und anderweiten Vorgängen Gleichungen bestehes.
welche denen der mechanischen Wärmetheorie, inshesondere dem zweita
Hauptsätze, analog sind. Es kann sich dahei nur um eine hohe Analogie,
nicht um eine vollkommene Gongmenz handeln. Solche SyBtane, ii
welchen eine oder mehrere in sich zurücklaufende Bewegungen tot-
kommen, welche also yollkommen umkehrbare Ereisprocesse zukan.
nennt er monocyklische, wenn die auftretenden Geschwindigkctes
immer nur von einem Parameter (bei den Wärmeerscheinnngeii voo der
absoluten Temperatur) abhängen.
Diesen monocyklischen Systemen kommt die wesentliche dnrck da
zweiten Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie ausgedruckte figc^
thümlichkeit zu, dass gewisse in bestimmte Formen übergegangene i^
beitswerthe (z. 6. bei Wärmekreisprocessen die Wärmemengen, wekbe &
tiefste im Ereisprocesse yorkommende Temperatur angenommen haba)
nur eine beschränkte Verwandlungsfahigkeit besitzen.
Im weiteren Verlaufe der Untersuchung ^) wird darauf hin£[evieM:.
dass die physikalische Eigenthümlichkeit der Wärmebewegn&g dsm
liegt, dass einer (d. i. die absolute Temperatur) unter den möglidia
integrirenden Nennern der Gleichung d Q = 0 gleichen Werth for iwi
Körper haben muss, die sich im Wärmegleichgewicht befinden.
An dieser vorzugsweise historischen Betrachtungen gewidmeten Sl^
können wir auf den Inhalt der wichtigen Abhandlungen seihst mckt
näher eingehen und müssen uns damit begnügen anzudeuten, dass eiso-
seits dadurch der zweite Hauptsatz der mechanischen Wärmetheoiie jm
einem ganz allgemeinen Gesiottspunkte aus mit den Principien da
Mechanik in Beziehung gebracht wird und andererseits die GmndlifBi
für eine viel weitere Gültigkeit einer dem zweiten Hauptsatze analoges
Beziehung auch für andere Naturkräfte geschaffen worden isi
^) Vergl. V. Helmholtz, Principien der Statik monocykliscber Systeme.
f. reine und angewandte Mathematik 1884. Bd. 97, S. 111 bis 145 a. S. 317 btsS^
D. Die neuere Geschichte der Theorie der Gase.
1. Die Vorstellungen über die zwischen den Molekeln
thätigen Kräfte.
Eine höclist bedeutsame StelluDg in der heutigen theoretischen Physik
nehmen die Versuche ein, die Wärmeerscheinungen lediglich durch die
Bewegungen der Molekeln zu erklären.
Die Vorgeschichte dieser Theorie haben wir bereits früher (vergl.
Bd. 11, I, B. S. 12 bis 30) besprochen, ebenso den wesentlichen Inhalt
der Untersuchungen, welche auf diesem Gebiete yon Clausius, Max-
well^), Boltzmann und 0. £. Meyer angestellt worden sind, in den
sich anschliessenden Paragraphen mitgetheilt. Es erübrigt noch, den
historischen Zusammenhang der Untersuchungen bis auf die neueste Zeit
fortzuführen.
Die Begründer der modernen kinetischen Gastheorie, insbesondere
Clausius, fassten die Gasmolecüle als feste, unendlich wenig deformirbare,
elastische Kugeln auf, welche sich mit grosser Geschwindigkeit im Räume
gleichförmig in geradlinigen Bahnen bewegen und ausserordentlich häufig
anter einander und mit den Gefässwandungen zusammenstossen und
^) James Clerk Maxwell wurde 1831 in Edinburgh geboren. Seine Studien
ibsolvirte er auf der Hochschule seiner Vaterstadt und in Cambridge. Schon im Jahre
1856, nach Fublication seiner ei^^ten Untersuchungen über die Faraday' sehen Kraft-
inien, wurde er zum Professor der Physik am Marishai - College in Aberdeen ernannt.
lier arbeitete er seine Theorie der Zusammensetzung der Farben aus, welche er im
Fahre 1860 veröflTentlichte. Den Lehrstuhl von Aberdeen vertauschte er 1860 mit dem
ler Physik und Astronomie am Kings-College in London. Von 1865 an lebte er längere
Seit als Privatmann vollständig seinen Studien. Erst im Jahre 1871 nahm er die
ikademische Lehrthätigkeit und zwar als Professor der Physik in Cambridge wieder
luf. Ausser seinen hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete der kinetischen Ato-
aistik sind hier vorzugsweise seine Verdienste um die Begründung der electromagne-
ischen Lichttheorie zu erwähnen. Auch bei der Aufstellung und Durchführung des
.bsolnten Maasssystems ist er vielfach thätig gewesen. — Ausser den Elementarbüchern :
jTheory of heat", London 1872 und „An elementary treatise on electricity", London 1881,
tat er auch ein grösseres zusammenhängendes wissenschaftliches Werk veröflfentlicht ;
,A treatise onelectricity andmagnetisme", 2 Bde., London 1877 und 1881 (deutsch von
)r. Weinstein, Berlin 1883). Maxwell starb am 5. November 1879 zu Cambridge.
60*
948 V. Die Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
nach dem ZnsammenstosBe wieder ahprallen. — Maxwell^) behandelte
auch den Fall, dass sich die Gasmolekeln wie Eraltoentren veiiialtea,
welche sich umgekehrt proportional der fünften Potenz ihrer Entfenumg
abstoBsen.
Keine der Annahmen führt, nach den Gesetzen der Wahrschönh^
keitsrechnung durchgerechnet, auf Resultate, welche mehr als eine zioi'
lieh genäherte Uebereinstimmung mit den BeobachtungsresnltateB 9-
kennen lassen.
Die früher Ton uns mitgetheilten Versuche von Thomson nd
Joule ^) über die Arbeitsleistung bei der Ausdehnung von Gasen habe
jedoch zur Genüge dargethan, dass die bei Ausdehnung eines Gases g^
leistete innere Arbeit zwar sehr klein , aber doch nicht Null ist , dass a
somit nicht zulässig ist, von anziehenden Kräften, welche zwischen da
Molekeln thätig sind, ganz zu abstrahiren.
Van der Waals ^) hat seine Theorie der tropfbaren Flassigkuta
wesentlich nur auf anziehende Kräfte gegründet, jedoch behalt er sock
immer die Annahme bei, dass die Molekeln einen festen elastischen Eoi
besitzen. Er fand jedoch die Distanz, in welcher die Ansiehnng a
grössten ist, kleiner als den Durchmesser des Molecülkemes.
Boltzmann hat später einmal versucht, eine Gastheorie unter Ab
Voraussetzung durchzuführen, dass nur anziehende Kräfte zwischen ds
sich auf dem grössten Theile ihrer Bahn gleichförmig und geradlinig be-
wegenden Molekeln thätig sind^). Er nahm dabei an, dass die Mokbä
unausgedehnte Massenpunkte seien, und dass die Anziehungskraft ecä
dann in ausserordentlicher Stärke wirksam werde, wenn der Afastu^
der Molekeln eine gewisse Distanz d unterschreitet, dagegen wied»* m
wirken aufhöre, wenn die Distanz gleich oder kleiner als ein
kleinerer Abstand s geworden ist. Es zeigte sich, dass dann die
molekeln sich durchschnittlich genau so bewegen, als ob man
Molekeln angenommen hätte.
Auch der Fall, dass die Molekeln sich umgekehrt proportional d«
fünften Potenz ihres Abstandes anziehen, statt sich abstossen, wie
Maxwell angenommen hatte, ist von Boltzmann^) untersucht
und es hat sich herausgestellt, dass die wesentlichen Grundlagen der
Max well 'sehen kinetischen Gastheorie auch dann bestehen bleiben
nur die numerischen Werthe einiger Integrale sich etwas ändern. Fro-
lieh ist diese Annahme nicht durchfuhrbar, ohne wiederum
1) Maxwell, Phil. Mag., 4. Serie, Bd. 35, S. 129 und 185 (1869).
a) Vergl. Bd. 1, UI, B. S. 256 u. s. f.
^) Van der Waals, Die Continuität des gasförmigen und flüssigen
Deutsch von Fr. Roth. Leipzig, Ambr. Barth, 1881.
*) Vergl. L. Boltzmann, Ueber die Möglichkeit der Begrondong
sehen Gastheorie auf anziehende Kräfte allein. Exner's Repertorium d. Phjrak, B4.£l
S. 1 bis 7.
^) Boltzmann, Weitere Studien über das Wärmegleichgewicht iwtscbea
atomigen Gasmolecülen. Wiener Ben, Bd. 66, Abth. 2, S. 275.
D. Neuere Geschichte der Theorie der Gase. 949
Moleoüle vorauszusetzen, oder anzunehmen, dass die Wirkung plötzlich
Null wird, wenn punktförmige Molekeln sich his auf eine Minimaldistanz
einander genähert hahen.
Mit Recht hat Boltzmann daraufhingewiesen, dass die Annahme
nnr anziehender Kräfte zwischen den Molekeln den Vorzug hat, dass es
möglich ist, die Erscheinungen der Dissociation von Yerhindungen, sowie
die Vorgänge des Verdampfens und Verflüssigens aus denselben An-
nahmen zu erklären, welche für die Vorgänge bei den Bewegungen und
Znsammenstdssen freier Molekeln ausreichen.
So lange Zusammenstösse von nur zwei Molekeln in Betracht ge*
zogen werden, ist auch bei der Annahme nur anziehender Kräfte das
dauernde Zusammenbleiben zweier Molekeln nach dem Zusammenstossen
ausgeschlossen. Durch die Mitwirkung noch anderer Molekeln aber ist
es möglich, dass zwei oder mehr Molekeln eine solche Verminderung
ihrer kinetischen Energie erfahren, dass sie nach dem Zusammenstösse
zusammenbleiben und sich als Ganzes weiter bewegen.
Boltzmann hat die Anzahl solcher Doppelmolekeln nach der
Wahrscheinlichkeitsrechnung bestimmt ^) und findet ein Resultat, welches
nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ vollkommen mit den em-
pirisch ermittelten Gesetzen der Dissociation übereinstimmt. — Bei hoher
Temperatur und grosser Verdünnung sind solche Doppelmolekeln selten,
sie werden um so häufiger, je niedriger die Temperatur und je grösser
die Dichte wird.
Ganz analog verhält es sich beim Gondensationsprocesse, nur han-
delt es sich alsdann nicht um die Bildung von Doppelmolekeln, sondern
um Aggregate, welche aus sehr vielen Molekeln gleicher Art bestehen.
•Auch für diesen Fall giebt die Wahrscheinlichkeitsrechnung Resultate,
mrelche ganz befriedigend mit der Erfahrung übereinstimmen.
Uebrigens hatte früher auch schon van der Waals in seiner im
Vorhergehenden erwähnten Schrift nur anziehende Kräfte zwischen den
Molekeln angenommen und deren' Grösse nach einer Methode berechnet,
-welche schon Laplace in seiner Theorie der Capillarität gegeben hat.
Van der Waals hatte dabei angenommen, dafes die zwischen den sich
frei bewegenden Molekeln der Gase und Dämpfe bei den Zusammen-
stossen zur Wirkung kommenden Kräfte mit jenen identisch seien, auf
^welchen die Cohäsionserscheinungen derselben Substanzen im flüssigen
Zustande beruhen.
^) L. Boltzmann, Ueber die Arbeit, welche bei chemischen Verbindungen ge-
wonnen werden kann. Wiener Sitzungsber., Bd. 88, S. 861 (1883).
950 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
2. Die Begründung der kinetisclien GaBtheorie durch
Olausius und Maxwell und die neueren Kinetiker.
Trotzdem die VorBtellnng, dass das Wesen der Wärme in MoleenUr-
bewegnngen zu suchen sei, und dass insbesondere die Gase aus getrenntei.
sich in der Hauptsache frei und geradlinig bewegenden Molekeln bestehe.
sehr alt ist und wie bereits erwähnt, schon vor Krön ig and Clansiui
durchHermann, Daniel Bernonlli neuerdings durch Herapath, Jomlc
und Erönig wiederholt durchgeführt worden war, kann man die modene
kinetische Moleculartheorie doch erst Von der Arbeit von Glaasiai:
„Ueber die Art der Bewegung, welche wir Wärme nennen^ datiren'l
In dieser Abhandlung wird zuerst ein Näherungswerth für die mittlenB
Geschwindigkeiten der sich frei bewegenden Molekeln berechnet nnd dae
Yerhältniss der kinetischen Energie der fortschreitenden Bewe^ong n
der in einem Gase im Ganzen enthaltenen kinetischen Energie, d. h. n
der im Gase enthaltenen Wärme berechnet. Für die mittlere Molecnkr
gesch windigkeit in Metern wird die Formel:
u = 485 l/-;
T
273. p
aufgestellt, worin T die absolute Temperatur und q das specifische Ge»
wicht des Gases bezeichnet. Den Weg zu einer solchen Berechnimg hatte
übrigens vor Clausius schon Joule ^) angedeutet. Für das YeiteiM-
niss der kinetischen Energien aber wird die Formel:
aufgestellt. Diese Gleichung enthält den wichtigen Satz: dass bei eioea
vollkommenen Gase die kinetische Energie f der fortschreitenden Bewegnnf
in einem von der Temperatur unabhängigen Verhältnisse zur Gesammt-
energie H und somit auch zur Energie der übrigen an und in den Moie
keln denkbaren Bewegungen stehen müsse. Erst dann kann von eines
stationären Zustande eines Gases gesprochen werden, wenn die Eneipe-
werthe aller Bewegungen, die entstehen können, ein constantes, nur tq£
der Beschaffenheit der Molekeln abhängiges Yerhältniss besitzen.
Clausius hatte seine mittlere Geschwindigkeit u derart defiairt
dass das Gas, wenn sich alle seine Molekeln mit dieser gleichen Geschwind!^
keit bewegten, dieselbe Energie enthält und denselben Druck ausübt, wie
bei der thatsächlich bestehenden ausserordentlichen Yerschiedenheii d«r
1) Pogg. Ann. (Marzheft 1857), Bd. 100, S. 353.
2) Joule, Mem. of thg Manch, lit. and phil. Soc. (1851), 2. Ser., Bd- 9, S. WT
und Phü, mag. 1857, 4. Ser., Bd. 14, S. 211.
D. Neuere Geschichte der Theorie der Gase. 951
wirklioh vorhandenen Geschwindigkeiten. Für weitere Untersuchnngen üher
das Wesen des gasförmigen Gaszustandes war es aher dringend erfovderlich,
das Gesetz der Häufigkeit zu kennen, nach welchem die verschiedenen Ge-
schwindigkeiten vorkommen« Diese Aufgabe hat zuerst J. Cl. Max»
well^) gelöst. Er nahm dabei an, dass nach den Gesetzen der Wahr-
scheinlichkeitsrechnung die Abweichungen der wirklichen Geschwindig-
keiten der Molekeln von der mittleren nach demselben Gesetze vertheilt
sind, wie in der Methode der kleinsten Quadrate die zufalligen Beob-
achtungsfehler. Hierdurch wird die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten
Werthes der Geschwindigkeit und damit seine Häufigkeit ausreichend
definirt, ausserdem aber wird dadurch bestimmt, wie oft ein und dasselbe
Theilchen im Laufe der Zeit durch die erlittenen Stösse eine gewisse
Geschwindigkeit erlangt.
Maxwell leitete dieses Gesetz zuerst unter der Annahme eines Satzes
ab, der zwar, wie später 0. E. Meyer ^) gezeigt hat, richtig ist, aber
selbst erst eines Beweises bedurfte. Auf diesen Uebelstand aufmerksam
gemacht, hat Maxwell späterhin ^) einen anderen Beweis gegeben. Auch
dieser war jedoch nicht einwurfsfrei, denn es hatten sich nicht nur einige
Fehler eingeschlichen, sondern Maxwell hatte auch angenommen, dass
jede Gasmolekel nur ein materieller Punkt sei. Letztere Annahme ist
aber im höchsten Grade unwahrscheinlich und höchstens für hochüber-
hitzte einatomige Gase ganz weniger Substanzen (Hg, Zn, Cd) zulässig.
Boltzmann hat diese Beschränkung fallen lassen und, lediglich aus-
gehend von den unanfechtbaren Lehrsätzen der analytischen Mechanik,
zuerst einen strengen, allgemeinen Beweis des Maxwell^ sehen Verthei-
lungsgesetzes der Geschwindigkeiten der Molekeln geliefert^).
Nach dem von Maxwell aufgestellten Gesetze ist die Anzahl der
unter N überhaupt vorhandenen Molekeln , deren Geschwindigkeit zwi-
schen V und V •\- dv liegt, gleich:
■V?-
N'€'^"^'V^'dv,
wobei h eine die Temperatur bestimmende Constante ist.
Eine besondere Eigenthümlichkeit dieses Gesetzes liegt darin, dass
es unabhängig von den Voraussetzungen ist, welche man über die Vor-
gänge beim Zusammenstosse zweier Molekeln macht. Es gilt ebenso-
"wohl, wenn man annimmt, die Molekeln verhielten sich wie harte, elasti-
^) Maxwell, Illastrations of the dynamical theory of gases. Phil. Mag., 4. Ser,,
1860, Bd. 20, S. 21.
2) O. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase. Breslau 1877, S. 36 u. S. 266.
^) Maxwell, On the dynamical theory of gases. Phil. Mag., 4. Ser., Bd. 35,
g. 129 'nnd S. 185. 1868.
*) Vergl. L. Boltzmann, Studien über das Gleichgewicht der lebendigen Kraft
zwischen bewegten materiellen Punkten. 1868. Wien. Bor., Bd. 58, S. 517. üeber
da« Gleichgewicht zwischen mehratomigen Gasmolecülen. 1871. Wien. Ber., Bd. 63,
S. 397 und S. 679.
952 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
sehe Kngeln , als auch wenn man zwischen denselhen ansiebende odv
abstoBsende Kräfte wirkend annimmt.
Das Maxwell 'sehe Gesetz bedarf gewisser Abänderongen, vcn
das Gas der Einwirkung äusserer Kräfte unteiüegt, z. B. der Sebm»
kraft, magnetischen oder electrischen Anziehungen und AbstomiBges.
Diese Fälle hatte andeutungsweise schon Maxwell^) selbst, spater aber
eingehender Boltzmann^) und Loschmidt') einer DiscnssioB nat»
zogen.
Das Vertheilungsgesetz der Geschwindigkeiten gilt übrigen, yh
Maxwell und Boltzmann gezeigt haben, für Gasgemische ebow-
wohl wie für einfache Gase. Aus dem Maxwell' sehen Gesetae {olft
ohne weitere Hilfsannahmen die bekannte Avogadro'sche Regel: gisk^
Volumina zweier yerschiedener Gase enthalten, wenn sie gleiche Tsap
ratur haben und unter gleichem Drucke stehen, gleichYiel Molekdn.
3. Die Zustandsgleicliimg wirklicher Oase.
Die ursprüngliche einfache kinetische Theorie der Gase hatte nO-
ständig davon abgesehen, dass mit Rücksicht auf die Thomson-Jonle-
sehen Versuche und mit Rücksicht auf die bedeutenden Abweiclrangea
welche nach den Versuchen von Regnault, Cailletet, Natterer
und Anderen die Dämpfe von dem Verhalten vollkommener Gase leigo.
je mehr sie sich ihrem Condensationspunkte nähern oder auch nar»
sammengepresst werden, es nothwendig sei, auch die Existens dieser
Kräfte und die Grösse der Molekeln selbst mit in Rechnung zu ziehen.-
Besonders dringend aber wurde diese Forderung, als es durch die Tff*
suche Cailletet' 8, Pictet's, v. Wroblewski's gelungen war, sndidie
früher für permanent gehaltenen Gase zu Flüssigkeiten zu verdichten
und als die schönen Versuche von Andrews es unzweifelhaft geoMM
hatten, dass der Flüssigkeits- und Gaszustand continuirlich mit einaa^
zusammenhängen.
Alle diese Thatsachen wiesen auf die Aufgabe hin , nicht mehr, tk
bisher, jeden Aggregatzustand für sich durch besondere Zustandsgleidnn-
gen , sondern das ganze Gebiet durch eine einheitliche Gleichoiig iv
Darstellung zu bringen.
Einen ersten Versuch in dieser Richtung hat Recknagel^) gemadl
^) Maxwell, Report of the 43th meeting of the Brit. Assoc. at Bridfort 1^
S. 29.
^ Boltzmann, Wien. Ber. 1875, Bd. 72, 2. Abth. S. 427.
') J. Loschmidt, Ueber den Zustand des Wärmegleicbgewichtes einei Stitoi
von Körpern mit Rücksicht auf die Schwerkraft. Wien. Ber., 2. Abth. 187$, Bi '^
S. 128 und S. 366.
^) Recknagel, Bas physikalische Verhalten der Kohlensinrc. Pogg. Ana. iSil
Ergänxgsbd. 5, S. 563 und Bd. 145, S. 469. Schon früher hatten Rankiie {^
D. Neuere Geschichte der Theorie der Gase. 963
Er berücksichtigte die gegenseitigen anziehenden Wirkungen der Molekeln,
durch welche die geradlinigen Bahnen mannigfache Krümmungen er-
&hren müssen, dadurch, dass er bei Berechnung des Gasdruckes aus den
Molecularstössen eine zeitliche Verzögerung der geradlinigen Bewegungen
beim Zusammenstosse annahm. Dadurch wird die Anzahl der in gleicher
Zeit auf die Wand erfolgenden Stösse verringert. Dieser Abzug wächst
direct proportional der Dichte, und dadurch kommt Recknagel an
Stelle des Gay-Lussac-Mariotte'schen Gesetzes auf die Form:
p.v= B.T .(i — ^y
worin Bt eine Temperaturfunction bedeutet. — Für Kohlensäure zeigt
diese Formel sehr gute Uebereinstimmung mit den Regnault' sehen
Versuchen.
Neuerdings hat van der Waals^) diese Betrachtungsweise von
einem allgemeineren Gesichtspunkte aus wiederaufgenommen. Er berück-
sichtigt nicht nur die zwischen den Molekeln thatigen Anziehungskräfte,
sondern er nimmt auch, wie vor ihm schon Clausius, Rücksicht darauf,
dass die Molekeln nicht ausdehnungslose Punkte sind, sondern einen be-
stimmten Theil des Raumes wirklich mit ihren Massen erfüllen.
Die Abänderungen, welche in Folge dessen van der Wa als an dem
bisher als für vollkommene Gase gültig betrachteten Gay-Lussac-
Mariotte'schen Gesetze anbringt, lassen sich in folgender Weise physi-
kalisch deuten ').
Clausius hatte für den Druck einer Gasmasse, weichein derRaum-
einheit N Molekeln enthält, deren jede die Masse m besitzt, die Formel
aufgestellt:
p = — N . m .u\
3 »
worin u der aus der kinetischen Energie der Wärmebewegung berechnete
BCittelwerth der Geschwindigkeit der Molekeln ist. — Nennt man n die
Anzahl der im Volumen v vorhandenen Molekeln, so kann man vor-
stehender Gleichung auch die Gestalt geben:
-- n . m . u* = — • ü . V.
2 2 ^
In dieser Gleichung steht linker Hand die kinetische Energie der
Bewegung der Molekeln, und die Formel sagt, dass diese ihr Aequivalent
fransact. 1854, S. 336) und nach ihm Thomson und Joule (Phil. Trans. 1862,
3. 579) die ähnliche Form:
p,v = R,T -- -^
^ T.v
rerw endet.
^) Die Continnität des gasförmigen und flüssigen Zustandes. Deutsch von Roth.
Leipzig, Barth 1881.
^ Wir folgen hier, wie auch schon mehrfach im Vorhergehenden, der lichtvollen Dar-
stellung 0. E. Meyer 's, Kinetfsche Theorie der Gase. Breslau 1877, S. 67.
954 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
in der Arbeitsgrösse p . v hat. Nan ist aber in Wirklichkeit nicht der
Druck p allein, sondern ausserdem ein von Molecnlarwirknngen her-
rührender Druck K wirksam. Es muss deshalb p am diese GrSsK f
vermehrt werden. Da aber ausserdem die Bewegung der Molekeln iir
in den von ihnen selbst nichterfüllten Raum möglich ist, so hangt die Ziki
der Molecularstösse nur von dem wirklich zwischen den Molekeln befind-
lichen freien Räume ab. Es ist somit statt v die Grösse v — 6 zu aeUes.
Hierbei braucht übrigens h nicht die Summe der Molecularvolumina w&^
zu sein,^ sondern es ist die Summe der Wirkungssphären^) sammtüdxr
Molekeln , daher wahrscheinlich keine Constante , sondern eine mit a-
nehmender Temperatur, also wachsender Geschwindigkeit, abnehmeade
Grösse. Die Formel von van der Waals nimmt hiemach die Gestalt ai:
1 3
-n.m.u^ = -'{p-\-K).{v — h).
Die Grösse K^ der von den Molecularkräfken herrührende Dmck, eit-
steht aus der Wechselwirkung der anziehenden und der angesogeocc
Theilchen, ist also dem Quadrate der Anzahl der den Raum v erfäUeodfE
Molekeln oder dem Quadrate der Dichte direct, somit der zweiten Poteai
des Volumens v umgekehrt proportional. Hiernach kann man:
setzen und erhält alsdann, wenn man andererseits fOr ^l^,n,m,u'^ vit-
derum den Werth jß . (1 4-^*0 einführt, die Gleichung, welche tik
der Waals für wirkliche Gase und Flüssigkeiten an Stelle des für voC-
kommene Gase gültigen Gay-Lussac-Mariotte'schen GesetaBea seist
und welche lautet:
Da in dieser Formel vier Grössen enthalten sind, nämlich 2^ oe, a, 6, wdck
aus Yersuchsresultaten bestimmt werden müssen, so zeigte diese TormÄ
selbstverständlich eine viel grössere Uebereinstimmung mit der£r£abrGi|.
als das für ideale Gase gültige Gesetz.
Auf dem hier besprochenen Wege ist neuerdings Glausius aoa
etwas weiter gegangen , indem er darauf hinweist, dass die Annahmca.
welche der van der Waals' sehen Formel zu Grunde liegen, nicht sb-
anfechtbar sind. Er macht aufmerksam, dass aller Wahrscheinlicfakeix
nach die anziehende Wirkung der Molecüle bei wachsender Tempenter
abnehmen muss und giebt nicht zu, dass auch für die kleinsten Volnmi&a
die Anziehung dem Quadrate der Dichte proportional seL
1) Unter Wirkungssphäre eines Molecüles (vergl. Bd. 2, 1, C, 6., & 46)
man eine nm den Schwerpankt der Molekel constrairte Kagelflache, bis eq «rickcr ^
der Schwerpunkt einer anderen Molekel nähern kann, ohne dass ein Abprallen
D. Neuere Geschichte der Theorie der Gase. 955
Gestützt auf diese Bemerkungen hat Glausius^) ein noch com"
plicirteres Gesetz vermuthet, welches sowohl die Flüssigkeiten, als die
Grase umfasst, and diesem die folgende Gestalt gegehen;
p _ 1 27 _1^ a + ß
B.T~ v-^n 8 ' ö- * (t; •\- ß^'
Hierin hahen j?, v, T und B die gewöhnlichen Bedentungen, wie im
Gray-Lussac-Mariotte'schen Gesetze, aundjS sind Constante, und'8'
ist eine Temperaturfunction, welche für r= 0 den Werth Null und bei der
britischen Temperatur der Substanz den Werth 1 annimmt. Im weiteren
Verlaufe hat Clausius auch die Form dieser Temperaturfunction er-
mittelt und gelangt dadurch, unter Einführung dreier neuer Constanten
A^ B und n, zu der Form:
p _ 1 a.t''''—b
B.T~v—a {v + ßy
Für Aether und Wasser hat Clausius die Werthe der Constanten
drmittelt und zwar:
AB n B a ß
Aether: 15,607 0,0044968 1,19233 11,4318 0,0010876 0,0006476
Wasser: 45,17 0,00737 1,24 47,05 0,000754 0,001815.
Die Uebereinstimmung zwischen den beobachteten und den aus der
Forme} berechneten Werthen ist für Aether zwischen — 20^ und + 190<*
und für Wasser zwischen 0^ und -|-~ 220^ eine vortreffliche. Die kriti-
sche Temperatur des Wassers würde hiernach bei 332,3^ C. liegen und
der entsprechende Druck 134 Atmosphären betragen.
4. Oasreibung, Difftision und Wänneleitung der Oase.
Gegen die kinetische Gastheorie wurden alsbald von Hoppe, Joch-
uann, Puschl und Anderen Einwendungen erhoben, welche auf einer
falschen Auffassung der Grundlagen der Theorie beruhten. Wegen der
bohen Moleculargesch windigkeiten , meinten jene, müssten locale Tem*
peraturunterschiede sich fast momentan ausbreiten. Buys-Ballot
iber sprach die Ansicht aus, dass aus demselben Grunde ungleichartige
iJase mit ausserordentlicher Geschwindigkeit sich durch Diffusion durch«
Iringen und mengen müssten.
Diese Einwendungen bestimmten Clausius in seiner bahnbrechen*
ien Abhandlung: „lieber die mittlere Länge der von den Molecülen
^) Clausius, Ueber die theoretische Bestimmuug des Dampfdruckes und der
Volumina des Dampfes und der Flüssigkeit. Wiedem. Ann. 1881, Bd. 14, S. 279 und
5. 692. Vergl. auch: üeber das Verhalten der Kohlensäure in Bezug auf Druck, Vol.
ind Temp. Wied. Ann. 1879, Bd. 9, S. 337.
956 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
durcUanfenen Wege'' ^ darzathon, dass der Ton einer Mokkel doick-
schnittlich zwischen zwei auf einander folgenden ZasammenstoBBeadordb-
lanfene Weg ganz ausserordentlich klein sei. — Er ging hierbei siis m
der vereinfachenden Annahme, dass die Molecüle sich zwar aEe oad
verschiedenen Richtungen, aber mit der bereits oben erwähnten gleicki
Durchschnittsgeschwindigkeit u bewegten.
Von dem Maxwell' sehen Gesetze fär die Yertheilmig der Gt-
schwindigkeiten unter den Molekeln ausgehend, hat alsdann nenl
0. E. Meyer') von der Clausius'schen nur in den Gonstantan etwii
abweichende Formeln für die mittlere freie Weglänge abgeleitet
Im Jahre 1860 hat alsdann Maxwell') die Gesetze der laoeRi
Reibung aus der kinetischen Gastheorie hergeleitet und wurde dabei i^
das überraschende Resultat geführt, dass diese innere Reibung Ton dv
Dichte des Gases unabhängig sei. Dieses Ergebniss ist alsdann dord
experimentelle Untersuchungen von 0. E. Meyer^) und vop Maxwell'-
selbst in ziemlich weiten Grenzen bestätigt worden.
Die kinetische Gastheorie hatte jedoch zu dem Ergebnisse geföbrt,
dass der Reibungscoefficient der Y^ten Potenz der absoluten Tempentir
proportional sei, während die Versuche von Puluj,Kundt und War birf .
V. Obermayer und Anderen *) eine complicirtere und von Sabsiau n
Substanz verschiedene Abhängigkeit ergeben. Maxwell^ wurde di-
durch veranlasst, die einfache Grundlage seiner Theorie auSEugeben ui
jene schon oben von uns erwähnte Annahme zu machen, dass dieG«*
molekeln sich umgekehrt proportional den fünften Potenzen ihrer A^
stände abstiessen. Diese Annahme hat jedoch vielseitig Bedenken entft
da sie nicht nur das ganze Fundament der Gastheorie verschiebt, eoaden
auch den Joule-Thomson'schen Erfahrungsresnltaten direct vidff-
spricht.
Bereits in seiner ersten Abhandlung vom Jahre 1860 hatte M&i-
well auch die DifFusionserscheinungen der Gase benutzt, um numense^
Werthe für die mittleren Weglängen der Molekeln zu berechnen, h
hatten sich aber bei der Behandlung dieser Erscheinungen Fehler ea*
geschlichen. Auch auf Grund seiner veränderten Annahmen über da
Wirkungsgesetz der Molekeln hat er neue Formeln für die Diflusiott ber
geleitet. Späterhin hat Stefan ^) die Werthe der Diffnsionscoeffieieita
unmittelbar aus den Reibungsconstanten numerisch berechnet und ZiUs
^) Pogg. Ann. 1858, Bd. 105, S. 239. AbhandluDgen über Mecban. WaraetliM^
1. Aufl., 2. Abthl. 1867, S. 260.
^) 0. E. Meyer, De gasoraro tbeoria. Breslau 1866.
^) Maxwell, lUustrations of tbe dynamical theory of gases. Phil. Kaf. l?^
Bd. 19, S. 19; Bd. 20, S. 21.
*) Pogg. Ann. 1865, Bd. 125, S. 177 und 583.
^) Phil. Transact., Bd. 156 (1866), S. 249.
«) Vergleiche Bd. 2, I, D, 8., S. 119 u. b. f.
7) PhU. Mag. 4. Serie, Bd. 35, S. 129 und 185 (1869).
^ Wien. Ber. 1872, Bd. 65, Abthl. 2, S. 323.
D. Neuere Geschichte der Theorie der Gase. 957
g^efanden , welche trefflich mit den VersachBresultaten Loschmidt^s^)
öbereinstiinmten.
Boltzmann^ hat aLsdann gezeigt, dass das MaxwelTsche Ver-
theilaBgagesetz der Geschwindigkeit ahgeändert werden mnss, wenn man
annimmt, dass sich die Molekehi umgekehrt proportional der fünften
Potenz der Entfernung ahstossen, was Maxwell übersehen hatte, und
daraus eine neue Theorie der Diffusion hergeleitet.
Die Wärmeleitung der Gase, welche ebenso wie die Diffusion einige
Zeit hindurch missversUndlich als ein Einwurf gegen die kinetische Gas-
theorie betrachtet wurde, ist zuerst von Maxwell in seiner oft erwähn-
ten Abhandlung vom Jahre 1860 und unmittelbar darauf wesentlich voll-
ständiger und genauer von Clausius^) einer eingehenden Behandlung
unterworfen worden. Es ergab sich, dass auch die Wärmeleitungsfähig-
Iceit eines Gases vom Drucke unabhängig sei und direct proportional der
zweiten Wurzel aus der absoluten Temperatur wachsen müsse. Zahlreiche
Versuche von Stefan, Plank, Winkelmann, Eundt und War-
burg ^) haben die Richtigkeit des auf die Abhängigkeit vom Drucke be-
züglichen Theiles des Satzes erwiesen; hingegen für den Einfluss von
der Temperatur dieselben Abweichungen ergeben, welche wir schon be-
züglich der Reibungsconstanten erwähnten. Auch die neueren Unter-
suchungen von 0. E. Meyer, welcher in seiner mehrerwähnten Schrift:
„Kinetische Theorie der Gase" die erste MaxwelTsche Theorie con-
sequent durchgeführt hat, haben über diese Abweichung keine weitere
Aufklärung gegeben.
6. Die üntersuclmiigen über die Eigensohaften der
Molekeln.
Nachdem auf experimentellem Wege die numerischen Werthe der
Constanten der Reibung, der Diffusion und der Wärmeleitung gefunden
worden, war es auch möglich, Schlüsse auf die absoluten Dimensionen
and Anzahl der Molekeln eines Gases zu ziehen. Den ersten Versuch in
dieser Richtung hat Loschmidt^) gemacht. Diesem folgten Unter-
suchungen von Lothar Meyer ß), von William Thomson^) und von
1) Vergl. Bd. 2, I, E, 2., S. 137.
^ Wien. Ber. 1872, Bd. 66, Abthl. 2, S. 325.
^) ClaasiuB, Ueber die Wärmeleitung gasförmiger Körper. Pogg. Ann. 1862,
Bd. 115, S. 1 and Abhandlungen über Mechanische Wärmetfaeorie, 1. Aufl., 2. Abthl.,
S. 277 bis 326.
*) Vergleiche Bd. 2, I, F, 4., S. 161.
^) Losch mi dt, Zur Grösse der Luftmolecüle. Wien. Ber. 1865, Bd. 52, Abthl. 2,
S. 395.
^ Ann. der Physik und Chemie 1865, 5. Suppl.-Bd. S. 252.
^) Silliman Joum., On the size of atoms und On the size of molecules, Bd. 50,
S. 38 und 258.
968 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
MazwelP). Insbesondere aber hat sich O.E.Meyer in seinem
holt erwähnten Buche eingebend mit dieser Frage beschäftigt, zmui
auch den Znsammenhang mit chemischen Begriffen erörtert. £b crgebeE
sich für die Grösse der Volumina der Molekeln ganz ansBerordenffid
kleine Werthe, ungefähr von der Ordnung Va Cubik-MülionteUMillinwfar.
Einen etwas anderen Weg hat van der Waals*) betreten. Er
leitet aus der in seiner Formel vorkommenden Constante b, welche cic
Maass für die Grösse des von den Molekeln selbst erfüllten Theiles ^
Raumes ist, das Volumen der Molekeln selbst her.
Auch 0. E. Meyer hat denselben Weg eingeschlagen ^, und htA
finden für den Durchmesser der Gasmolekeln bei verschiedenen Snbstansi
zwar verschiedene Werthe, dieselben sind jedocb sanuntlich von ia
Ordnung 0,3 Milliontel -Millimeter. Die mittlere Entfemnng sweier be-
nachbarter Gasmolekeln und ibre Anzahl muss nach der Avogadro*-
sehen Regel für alle Gase unter sonst gleichen Verhältnissen gleich grm
sein, die mittlere Entfernung beträgt ungefähr 3 bis 4 Mill]ontel-3G&
meter und die Anzahl, welche in einem Gubikcentimeter enthalten iit
nahezu 20 Trillionen.
Hiernach würden die Molekeln selbst ungefähr Vsooo ^^ ^^^ ^^
eingenommenen Raumes ausfüllen. — Glausius hatte schon im Jaki
1858 in seiner berühmten Abhandlung: „Ueber die mittlere Wegliacc
der Molecüle'' für den von der Wirkungssphäre eingenommenen Raum, abc
den achtfachen Betrag des eigentlichen Volumens der Molekeln, wi
scharfem Blicke Viooo gewählt. Rechnungen, welche Boltzmann^)»-
gestellt hat, haben ergeben, dass die zwischen dfen Molekeln wirksam auf
tretenden Kräfte von ausserordentlicher Intensität sind, und dass beispid«-
weise zwei Wassermolekeln, welche beide ihre mittlere kinetische Enerpf
besitzen und in centralem Stosse zusammentreffen, sich bis za ''3 da*
jenigen Entfernung nähern, welche diese Molekeln im Mittel in flossiga
Wasser von 4^C. besitzen.
Um das flüssige Wasser so weit zusammenzudrücken, dass aidi £f
Molekeln auf Vs ihres Abstandes näherten, würde ein Druck von 2000>'
Atmosphären erforderlich sein.
Der überraschenden Thatsache, dass die untheilbaren, physikaha^
einfachen Atome so mannigfache, je nach der Substanz von einiiider
abweichende Eigenschaften besitzen und doch immerhin durchaus nickt
undenkbar klein sind, hat zuerst Rankine ■'^) und später Willi ic
^) Phil. mag. 1873, 4. Ser., Bd. 46, S. 453.
^) Van der Waals, Die Continuität des gasfonnigen und flüssigen
Leipzig 1871, S. 108.
^) 0. E. Meyer, Kinetische Theorie der Gase. 1877, S. 230.
*■) Ueher das Wirkongsgesetz der Molecularkräfte. Wiener Ser. 1872, hA. U,
2. Abthl., S. 213.
^) Rankine, On the h3rpothesi8 of molecnlar vortices. Phil. Mag. 4. Sen^
Bd. 10, S. 354 und S. 411.
D. Neuere Geschiclite der Theorie der Gase. 959
rhomson^) durch die Annahme Rechnung zu tragen gesucht, die
^tome seien Wirbelfaden.
Diese Annahme hat den Vortheil, dass sie manche philosophische
Bedenken beseitigt, welche mit Recht gegen eine atomistische Vorstellung
ron der Beschafifenheit der Materie erhoben werden können, und dass
iie ebenso gut mit einer continuirlichen Raumerfüllung durch die Materie,
ftls mit den atomistischen Anschauungen vereinigt werden kann. Be-
kanntlich hatten übrigens schon Descartes und Daniel Bernoulli
ähnlichen Vorstellungen gehuldigt.
W. Thomson knüpft seine Theorie an gewisse Lehrsätze, aufweiche
r. Helmholtz^) gelegentlich seiner hydrodynamischen Untersuchung
aber die Wirbelbewegungen in ohne Reibung sich bewegenden Flüssig-
keiten geführt worden war. Unter Wirbellinien sind dort in sich zurück-
laufende krumme Linien verstanden, welche stets auf der Rotationsrichtung
des Wirbels senkrecht sind, und v. Helmholtz zeigte, dass unter ge-
wissen, nicht unwahrscheinlichen Voraussetzungen diese Wirbellinien stets
ans denselben Flüssigkeitstheilchen zusammengesetzt bleiben. Da solche
Wirbelfaden undurchdringlich, aber biegsam sind, und weil die zwischen
ihnen liegende Masse, welche an der Wirbelbewegung nicht theilnimmt,
die Uebertragung der Kraft bewirkt, die Wirbelatome auch scheinbare
Femewirkangen auszuüben im Stande sind, so besitzen dieselben allerdings
jene wesentlichen Eigenschaften, welche man in der kinetischen Gastheorie
den Molekeln beilegen muss. Ausserdem aber gestattet diese Vorstellung
auch für die chemischen Eigenschaften der Molekeln und gewisse opti-
sche, electrische und magnetische Erscheinungen plausible Erklärun-
gren aufzustellen '). Wir wollen aber nicht verschweigen , dass diese
Thomson' sehe Annahme zumal hinsichtlich der Erfahrungssätze über
Wärmecapacität auf schwer zu beseitigende Schwierigkeiten führt.
^) W. Thomson, On vortex atoms. Phil. Mag. 4. Serie, Bd. 37, S. 15.
2) V. Helmholtz, Crelle's Journ. 1858, Bd. 55, Abhandlungen, Bd. 1, S. 101.
*) Wir yerweisen fiir Weiteres auf W. Thomson's Schrift: Lectures on molc-
GUlar dynamics. London 1885.
E. Geschichte der technischen Anwendungen d«
Thermodynamik.
1. Die ersten Anwendungen auf die Dampfoiasclüiieib
theorie.
Bereits am Anfange der wissenscliaftlichen Begründung der me^
nischen Wärmetheorie begegnen wir zahlreichen Yersnchen, die Pnoopie
der nenen Disciplin auch für die Theorie der Wärmemaschinen nntsb
zu machen. Die erste Entdeckung des zweiten EUtuptsatses in noch u*
vollkommener Form durch Sadi Carnot wurde, wie bereits mit^jetiieOL
dadurch herbeigeführt, dass dieser sich eingehend mit den Yorgioga
beschäftigte, welche stattfinden, wenn mit Hülfe von Wärme Arbeit (^
zeugt wird.
Am frühesten scheint sich eingehend mit diesen Fragen Maeqnorte
Rankine abgegeben zu haben, und ihm besonders ist die Anwenduf ^
ersten Hauptsatzes auf die Lehre von den Dampf- und Heisslnftmascbiia
zu danken. Schon in der im Jahre 1850 erschienenen Abhandlang: Oi
the mechanical action of heat, especially in gases and vaponn ^) fii^
sich im vierten Abschnitt eine, wenn auch noch unvollkommene TWv
der Dampfmaschine, welche unter der Annahme durchgeführt ist, ^
sich der Wasserdampf durchaus, auch wenn er gesättigt ist, wie es
vollkommenes Gas verhalte.
Dieser folgte im Jahre 1854 eine wesentlich verbesserte, TenIl|^
meinerte und eingehendere Behandlung desselben Gegenstandes unterdes
Titel: On the geometrical representation of the expansive action ofbei^
and the theory of thermodynamic engines^). In dieser AbhaadloDg i^
besonders die graphische Darstellung der Kreisprocesse, welche in da
verschiedenen Wärmemaschinen auftreten, bereits zu hoher Tollkofluna'
heit entwickelt. Bei den Untersuchungen wird hier bereits von bdda
Hauptsätzen Gebrauch gemacht; die Darstellung .leidet jedoch an cae
1) Edinburgh TransActions, Bd. 20, S. 147 bis 190.
2) Philos. Transact., Bd. 144 (1854), S. 115 bis 175.
E. Geschichte der technischen Anwendungen. 961
grossen Schwerfälligkeit, weil die thermodynamische Fanction, d. i. der
reciproke Werth der ahsolaten Temperatur (vergl. Bd. II, S. 922), durch
die meisten Rechnungen hindurch geschleppt wird, was die Durchsichtig-
keit der Resultate sehr heeinträchtigt.
Die umfangreichste Behandlung des Gegenstandes hat jedoch Rank i n e
in seinem grösseren Werke: „On steam engine and other prime movers^
1860 und in den späteren Auflagen dieses Baches gegehen, welche den
Titel führen: „A manual of the steam engine.^
Ausser den verschiedenen Dampfmaschinen sind daselbst auch die
. Theorien und Constructionen der Heissluftmaschinen eingehend besprochen.
^- Gewisse Partien dieses Rank in ersehen Werkes sind nach dem Ur-
theile maassgebender Fachleute noch nicht durch neuere Darstellungen
übertroflfen.
Zur vollen Klarheit wurde die Frage durch die Clausius'sche
^ Abhandlung (1856): „lieber die Anwendung der mechanischen Wärme-
theorie auf die Dampfmaschine" ^) gebracht. Durch die Ergebnisse der
thermodynamischen Untersuchungen wurden die Grundlagen der bis dahin
gültigen Dampfmaschinen theorie, z. B. der früher allgemein als aus-
. reichende Näherang angesehene Watt'sche Satz beseitigt, dass der
" Wasserdampf bei seiner Expansion in einer für Wärme undurchdring-
" liehen Hülle gesättigt bleibe. Auf diesem Satze aber und auf der Annahme,
dass es zulässig sei, das Volumen der Gewichtseinheit gesättigten Dampfes
unter der Annahme zu berechnen, dass das Gay-Lussac-Mariotte'-
' sehe Gesetz für Wasserdampf auch im Maximum seiner Dichte gelte, be-
^ ruhte die alte Dampfmaschinentheorie, wie sie von Pambour und Pon-
celet entwickelt worden war. — Von Rankine und Clausius war
' aber unabhängig von einander der Nachweis geführt worden, dass, wenn
* sich' gesättigter Wasserdampf in einer für Wärme undurchlässigen Hülle
' expandirt, derselbe eine theil weise Condensation erfährt. Clausius
^ aber hatte ausserdem darauf hingewiesen, dass es unzulässig sei, die für
'* vollkommene Gase gültigen Gesetze auch auf gesättigten Wasserdampf
anzuwenden und zeigte, wie man auf anderem Wege, mit Hülfe der
Formeln der mechanischen Wärmetheorie (vergl. Bd. I, V., B, S. 616,
Gl. 30), das specifische Volumen des gesättigten Dampfes bei verschie-
denen Temperaturen berechnen könne. Endlich aber giebt Clausius
noch den Satz, dass, wenn der Dampf aus dem Kessel in den Cylinder
strömt, in Folge der Druckdifferenz ein Theil des vom gesättigten Dampfe
mechanisch fortgerissenen Wassers verdampfen müsse oder dass, wenn
trockener Dampf einströme, dieser während der Admission in überhitzten
abergehe.
Das wichtigste Resultat aber, welches die neuere auf dem Boden der
mechanischen Wärmetheorie ruhende Dampfmaschinentheorie von den
^) ^^SS* Ann., Bd. 97, S. 441 und 513. Clausius, Abhandlungen über mecha^
niscbe Wärmetbeorie, 1. Aufl., S. 154 bis 233.
BUhlmaun, Mechan. Wftrmetheorie. Bd. II. Q\
962 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
älteren YerBacben, eine Theorie der Wärmemaschinen anfinutdieD, mt»
scheidet, ist der Nachweis, dass ein Theil der Ton den Feaergasen geüefir
ten Wärmemenge während des Ereisprocesses, den der Dampf dnreklMÜ,
nach dem ersten Hauptsatze yersch windet und in Arbeit omgeaetit wirf,
und dass eine andere Wärmemenge gleichzeitig nach dem zweiten Hisft-
Satze Ton höherer zu niedriger Temperatur übergehen man.
Besonders in der Darstellung von Clausius tritt dieser piiach
pielle Unterschied der älteren und neueren Auffassung klar zu Tige.
2. Gustav Adolpli Hirn^).
Unter Denjenigen , welche für die weitere AusbildoDg und Dird-
führung der Dampfmaschinentheorie das Meiste gethan habeoi min
in erster Linie Hirn und Zeuner genannt werden. Der erstere tu
beiden hat an der Begründung und Entwickelung der mechanisclien Wir»
theorie von Anfang an den lebhaftesten Antheil genommen, so dis ib
für alle Zeit in der Geschichte dieser wissenschaftlichen Diaeiplin co
hervorragender Platz angewiesen werden muss.
Zum ersten Male begegnen wir dem Namen des noch heute nneni^
liehen Forschers im Jahre 1855. Er veröffentlichte damals im BaQeta
de la Bociete industrielle de Mulhouse ^) eine Abhandlnng über die Vc^
Züge des Dampfmantels. Er glaubte die von Rankine und Clamiii
erwiesene theilweise Gondensation gesättigten Dampfes während aur
adiabatischen Expansion durch die Anwendung des DampfnuntdiW
seitigen zu können. Er wusste damals noch nicht, dass der weseotHdt
Yortheil des Dampfmantels darin besteht, dass er die Condensatioo da
Admissionsdampfes an den Cylinder Wandungen vermindert und eu fort-
währendes Verdampfen der anfänglich an den Wandungen befindlieha
Wassermengen begünstigt.
Im Jahre 1857 beschäftigte er sich besonders mit der AnweDdof
überhitzten Wasserdampfes in den Dampfmaschinen ') und stellte beraü
eingehende Betrachtungen über die Grösse, Bedeutung und YenrendiBi
der Wärmemengen an, welche den verschiedenen Theilen der Dia;^
') Gustav Adolph Hirn wurde 1815 in Logelbach bei Colmar geboren vd*
Mitbesitzer der daselbst befindlichen Spinnerei. Jetzt lebt derselbe In Golnur. Sa»
äusserst zahlreichen und werthvoUen experimentellen Arbeiten haben ihm aadi TidU
äussere Ehren eingetragen. Derselbe ist Hitglied der französischen AktJeniic ui er
respondirendes Mitglied der preussischen Akademie der Wissenschaften. Ausicrdaii^
Geschichte der mechanischen Wärmetheorie zu nennenden Arbeiten hat sich Hira mb
besonders durch die in seinem Etablissement gemeinsam mit seinem Bruder Ferdii"*
ausgeführte grosse Kraftübertragung durch Drahtseil, wohl die erste ihrer Art, bofi^
gemacht.
^) Sur l'utilite des envellopes k vapeurs. Nr. 133, & 105.
*) G. A. Hirn, Memoire sur la theorie de la vapeor sur-chaoffte daot les
i vapeur. Bullet, de ia soc. industr. de Mulhouse, Nr. 138 und 139.
£• Geschichte der technischen Anwendungen. 963
naschine zugefiihrt werden. Er macht in dieser Abhandlung zuerst darauf
Gtufmerksam, dass der Vorgang in den wirklichen Dampfmaschinen nicht
unwesentlich von den Zustandsanderungen abweicht, welche man anfang-
lich den theoretischen Betrachtungen zu Grunde gelegt hatte. — Er
sagt z. B.: „Die Wärmemenge, welche (während der Admission) sich in
den Wänden (des Cylinders) angehäuft hat und jene, welche die Kolben-
reibung hervorruft, werden theil weise dem sich ezpandirenden Dampfe
überlassen. Daraus folgt, dass in keiner Maschine sich der Dampf ex-
pandiren kann, ohne Wärme zu empfangen, und dass deshalb die rein
physikalischen Expansionsgesetze des gesättigten oder überhitzten Dampfes
niemals auf die Berechnung der Expansionsarbeit in einer wirklichen
Maschine unverändert angewendet werden können." Er fährt mit Rück-
sicht darauf später fort: „Die Cy linder unserer Maschinen müssen eben
sowohl als Wärmereservoirs wie als Wärmequellen betrachtet werden."
Gerade der in dieser letzten Bemerkung niedergelegte Gedanke ist später
Veranlassung zu ernsten Auseinandersetzungen zwischen Hirn und seinen
Schülern Hallauer und Leloutre einerseits und Zeuner andererseits
geworden. Auf S. 84 dieser werthyoUen Abhandlung finden sich auch
zum ersten Male jene Formeln, welche über die Verwendung der vom
Kesseldampfe mitgeführten Wärme in der Dampfmaschine quantitativ
Auskunft geben. In diesen Formeln, welche die Grundlage - der denk-
würdigen, calorimetrischen Untersuchungen Hirn 's über die Dampf-
maschine geworden sind, fehlt in diesdr Abhandlung vom Jahre 1857
noch das Glied, welches die in die äussere Arbeit L umgesetzte Wärme-
menge LJJ enthält. Das Verdienst, auf diesen Mangel hingewiesen und
dadurch erst die Hirn 'sehen Formeln brauchbar gemacht zu haben, ge-
bührt Grashof 0.
Durch zahlreiche, zum Theil äusserst mühsame Versuche hat Hirn
auf sehr verschiedenen Wegen das mechanische Aequivalent der Wärme
bestimmt. Besonders werthvoll sind seine Versuche mit Dampfmaschinen,
welche er in Logelbach bei Colmar anstellte '). Ausserdem aber hat er
noch durch Versuche über die Wärmeentwickelung beim Zusammen?
drücken des Bleies durch den Energieverlust beim Stosse eines mit. be-
kannter Geschwindigkeit auftrefiPenden schweren Klotzes, über die Wärme-
entwickelung bei der Reibung verschiedener Flüssigkeiten und bei Aus-
strömung von Wasser durch enge Röhren, auf dem Wege der Rechnung
aus dem specifischen Volumen überhitzter Dämpfe und aus Versuchen
Über die Ausdehnung von Gasen der Wahrheit ausserordentlich nahe
kommende Werthe für das mechanische Aequivalent der Wärme ermittelt.
Die meisten der hierher gehörigen Versuche hat er später zusammen-
gefasst und 1858 in einer Schrift: Recherches sur l'^quivalent mecanique
de la chaleur ') mitgetheilt.
1) Vgl. G. Schmidt, Techn. Blätter, 1880, Heft 2. — ^) Eine Beschreibung dieser
Vemuthc findet sich Bd. 1, II, B,, U, 15, 16, S. 200 u. s. f. — ») Colmar 1858,
61^'
964 ' ^ V. Geschichte der mechanisclien Wärmetheorie.
Ein Theil der hier erwähnten Yersnche, anmal die, bei welchen m
den Werth des WärmeäqoiYalentes aus der Menge der bei einer groeMi
Dampfmaschine in Arbeit umgesetzten Wärmemenge bestimmte, gciiöra
zu den werthvollsten experimentellen Grundlagen der ThermodynaBJk
und gewährleisten, dass der Name Hirnes immer neben denjenigen im
Mayer und Joule genannt werden wird.
Die hervorragende Bedeutung Hirn's liegt überhaupt in der geäl-
yollen Erfindung und scharfsinnigen Durchführung experimenteller Aar
Ordnungen und der gewissenhaften Durchführung der Beobachtnnga;
seine Untersuchungen über die überhitzten Dämpfe, die BestimmaBgei
der specifischen Wärmen der Flüssigkeiten^), Gase und Dämpfe^ tni
vortreffliche Beweise dafür, während seine theoretischen SpeculatioiKS
sich nicht selten ins Unbestimmte und Nebelhafte verloren haben ').
Die Ergebnisse der zahlreichen Beobachtungen und der theoretiscfaa
Speculationen, welche Hirn an seine Versuche anknüpfte, legte er in ge-
schlossener Form in dem höchst werthvollen Werke nieder: £xp08itioi
anal3rtique et experimentale de la theorie mecanique de la chalev^
welches bereits drei Auflagen (1862, 1865, 1875) erlebt hat und ba
jedem neuen Erscheinen an Inhalt und Umfang beträchtlich gewacbsa
ist. Ausser Hirn's sehr werthvollen Untersuchungen über den Belnf
des mechanischen Aequivalentes der Wärme ist der hervorragendste Tka
dieses Werkes der Abschnitt, welcher betitelt ist: Theorie pratiqne de
la machine ä vapeur. Mit Recht ist von G. Schmidt und Zenn er be-
merkt worden, dass es richtiger sei, diesen Gegenstand mit dem Nans
^Galorimetrische Untersuchungsmethode der Dampfmaschinen" ni be-
zeichnen. — Erst durch diese Methode, welche von den Schülern lad
Mitarbeitern Hirnes, G. Leloutre^) und 0. Hallauer^, auf viek
praktische Beispiele angewendet worden ist, hat man über die WäAie-
verluste und dadurch über den Werth der einzelnen Systeme und £e
Stellen, an welchen die Dampfmaschine verbesserungsfahig ist, ein richtiges
Urtheil gewonnen. Das wichtigste Ergebniss, auf welches diese Unter
suchungen führten, war: „dass der Cy linder während der AnsstrÖmoif
des Dampfes in den Gondensator eine gewisse Wärmemenge abgiebt obse
irgend welchen Nutzen für die Arbeit, und dass dieser WärmeTerioit
durchaus nicht als unbedeutend betrachtet werden darf, vielmehr maadt-
^) Hirn, Ann. de cbim. et de phys., 4. Ser., Bd. 10.
^) Hirn, Theorie m6caniqae de U chalear, Bd. 1, S. 69.
^) Zamal der zweite Theil seiner Theorie mecanique de la chaleor, betitelt: Cos*
B^quences philosopbiques et metaphysiqaes de la Th^rmodjnamiqae. Analyse eleincaiaBc
de l'ünivers, Paris 1868, ist ein überraschendes Beispiel für diese bedenkliche Ncifsii
Hirn 's.
^) Paris, 2 Bde, Gauthier-Villars. Neaerdings unter dem Titel: Theorie
de la chaleor, 2 Bde.
^) Leloatre, Recherches experimentales et analytiqaes sar les machines i ti
Ballet, de la Soc. indust. du Nord de la France 1874.
^) Hai lau er, Moteurs ä rapeur, Mühlhausen 1879.
E. Geschichte der technischen Anwendungen. 965
mal sogar der Wärmemenge, welche die Gesammtarheit verbraucht, gleich-
kommt, oder diese noch übertrifiPt."
Zuerst h^t Hirn 1857 auf den Einfluss derCylinderwandungen und
ausführlicher in einem Briefe an Leloutre im Jahre 1871 auf diesen
wichtigen Wärmeverlust aufmerksam gemacht. Da eich im Beharruugs-
Eustande keine Wärme in den Cylinderwandungen ansammeln kann, so muss
bei jedem Kolbenhub diese während der Admission aufgenommene Wärme-
menge vom Gylinder wieder an den auspuffenden Dampf abgegeben wer-
den; sie wird verwendet, um den grössten Theil der an den Gylinder-
wanden befindlichen Wassermenge in der Auspuffperiode zu verdampfen,
gleichgültig ob der Auspuff in die freie Luft oder in den Gondensator
erfolgt. Deshalb nennt 6. Schmidt diese Grösse die Auspuffwärme.
Die theoretischen Arbeiten Hirn 's und Anderer über überhitzte
Dämpfe sind jetzt als veraltet zu betrachten, weil die neueren Er-
Tahrungen über den unmittelbaren Zusammenhang zwischen über-
hitzten und gesättigten Dämpfen einerseits und den Flüssigkeiten
andererseits eine viel allgemeinere Behandlung der Aufgabe fordern.
Gerade für Wasser, den für die Technik wichtigsten Stoff, hat bekannt-
lich (vergl. S. 955) Glausius eine Formel gegeben, welche allen An-
sprüchen in be£riedigender Weise genügt. Die von Hirn theils allein, theils
mit Gazin^) gemeinsam ausgeführten Experimentaluntersuchungen über
Zustandsändernngen überhitzter Dämpfe werden jedoch allezeit ihren
hohen Werth behalten und waren bis vor Kurzem die einzigen Grand-
lagen , auf welche sich die theoretischen Betrachtungen stützen konnten.
Hirn war durch theoretische Speculationen dazu geführt worden
vorauszusetzen, dass bei beliebigen Zustandsändernngen eines überhitzten
Dampfes die Aenderung der inneren Energie (innere Arbeit) den Aende-
rangen dös Productes j? . v proportional sei. Seine Yersuche schienen diesen
Satz zu bestätigen. Von diesem Gesetze, welches immer das Hirn 'sehe
B^enannt wird, sind später Zeuner und auch Schmidt bei ihren
Untersuchungen über die ungesättigten Dämpfe ausgegangen. Es ist je-
loch neuerdings nachgewiesen worden, dass dieses Gesetz bei keinem
Dampfe, auch nicht beim überhitzten Wasserdampfe, genau erfüllt ist,
sondern nur eine ziemlich rohe, auch theoretisch nur schwer zu recht-
fertigende Annäherung ist^). Für die Zustandsänderung überhitzter
Dämpfe nach der adiabatischen Gurve führten die Versuche von Hirn und
[];azin auf die Formel:
T = C.p'^,
worm C und m Gonstante sind.
^) Hirn und Cazin, Memoire sor la d^tente de la vapenr sar-chauff6e. Ann. de
:hiiD. et de phys., 4. Serie, Bd. lo.
^ Weyrauch, Von den überhitzten Dämpfen, Zeitschrifb des Vereins Deutscher
ngenieore 1876, Bd. 20, S. 50 und Bd. 21, S. 271.
966
V. Geschichte der mechanischen Wännetheorie.
8. Der Werth des meclianisolieii Wärmeäqnivalentes
nacli Hirn und Anderen.
Die Besprechang der Hirn' sehen Arbeiten fQhrt ans
dazu, die von ihm für das mechanische Wärmeäquivalent gefondeiMi
Werthe mitzutheilen und mit den besten Bestimmungen anderer FonAm
zu vergleichen. Nachstehende Tabelle giebt hierüber Ansknnft; dieaelbi
enthält die wichtigsten Bestimmungen der Zahl J in
einanderfolge.
Name des
Beobachten
Jahreszahl
der
Bestimmangen
Methode der Bestimmang
R. Mayer
Colding
Joale
Joule
Joale
1842
1843
1843
1843
1843
fioltzmann
Joule
Joule
Joule
Joule
Joule
Joule
Joule
Hirn
Hirn
T. Quintus-
IciliuB
Weber
FaTre und
Silbennann
1845
1845
1845
1845
1847
1850
1850
1850
1857
1857
1857
1857
1857
Aus der Warmeentwickelung bei Com-
pressioD der Luft theoret
Reibungsversuche
Reibung von Wasser in engen Rohren •
Erwärmung durch electromagnetische In-
ductionsströme
Verminderung der in einem Stromkreise
entwickelten Wärme, wenn Arbeit ge-
leistet wird
Cp
Aus dem Verhältnisse -=-
Cv
Luftcompression ezperim
Ausdehnung der Luft desgl. . . . , .
Reibung von Wasser in Calorimetem • .
desgl.
desgl.
Reibung von Quecksilber in Calorimetem
Reibung von Eisenplatten in Calorimetem
Calorimetrische Untersuchung der Dampf*
maschine
Reibung Ton Metallplatten im Calorimeter
Warmeentwickelung durch den Strom in
einem Leiter . . '
Warmeentwickelung durch den Strom.
Electrochem. Aequivalent des Wassers
= 0,009879. Widerstand in absolu-
tem Maasse
Einwirkung von Zink auf KupfersulfiA .
365
350
424,6
460
499
374
443,8
437,8
4«8^
429,0
423,9
424,7
425,3
413,0
371,6
399,7
432,1
432,1
K Geschichte der technischen Anwendungen.
967
Name des
Beobachters
Bosscba
Hirn
Hirn
Favre
Joule und
Bosscha
Hirn
Hirn
Hirn
Hirn
Hirn
Edlund
Joule
VioUe
Pnluj
Joule
H. F. Weber
Rowland
Kowland
Kann
Jahreszahl
der
Bestimmongen
Methode der Bestimmung
1857
1858
1858
1858
1859
1861
1861
1861
1861
1861
1865
1867
1870
1876
1878
1878
1880
1880
1880
1882
Elcctrom. Kraft d. Daniell'schen Kette .
Reibung von Metallen im Calorimeter
Beiben von Metall
Verminderung d. WSrmeentwickelang in
einem Leiter, wenn d. Strom Arbeit leistet
Wärmeentwickeiung u. electromotorische
Kraft im Daniellelement •
Calorinietrische Versuche mit d. Dampf-
maschine
Berechnet aus dem Volumen überhitzter
Dämpfe
Reibung von Wasser in engen Röhren .
Reibung von Wasser in d. Reibungswage
Wärmeent Wickelung im Blei beim Stosse
Dehnen und Zusammen pressung von Me-
tallen
Wärmeentwickelung in einem vom Strome
durchflossenen Leiter
Wärmeentwickelung durch Foucault'sche
Ströme
Reibung von Metallen
Reibung von Wasser in Calorimetern . .
Wärmeent Wickelung durch d. electr. Strom
Desgl. nach Correctionen von Rowland .
Berechnet aus d. Wärmeentwickeiung bei
Compression d. Luft unter Benutzung
Cp
d. neuesten Zahlwerthe für — und Cp
Cv ^
Reibungsversuche
Temperaturabnahme mit d. Höhe bei Föhn
Werth des
mechanischen
Wärmeäqui-
valentes (Breite
von Berlin) in
kgm
419,5
400 bis 450
425
443
419,5
420 bis 432
432
432
432
425
443,6
- 430,1
428,3
429,5
[435,2
1434,9
1435,8
^437,4
426,6
423,9
428,1
428,4
430,2
426,9
433
Unter Beräckaichtigung des Gewichtes der einzelnen Bestimmangen,
resp. nach Correctur der Joule' sehen Werthe wegen Gebrauches einer
zu grossen Zahl für die specifische Wärme des Kupfers giebt, bezogen
auf die absolute Temperaturscala, Rowland^) nachstehende Tabelle:
^) H. A. Rowland, On the mechanical equivalent of heat, Cambridge (Amerika)
1880.
968 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
kgm i. d. Breite Absolute C.-G.-S.-
Temperatur ^^^ ^^^j.^ Einheiten
50 c. 429,3 4212.107
10 428,0 4200. 10'
15 426,9 4189.107
20 425,9 4179 . 10'
25 425,3 4173.107
30 425,1 4171 . 107
Correction für die Aenderang der Acceleration der Schwere mit dff
Breite, wenn J in Rilogrammmetern gegehen ist.
Additive Correction _ .^ Additive Correctim
ß^*^^ • in kgm ^^'^ in kgm
0« + 0,89 400 + 0,08
10« + 0,82 500 — 0,41
200 4. 0,63 600 — 0,77
300 ^- 0,34 700 — 1,06
£s geht daraas hervor, dass, wenn man, wozu man wohl bereditift
sein dürfte, den Ton Joule gegebenen Werthen ein etwas höheres Ge-
wicht beilegt, als den von Rowland mitgetheilten Zahlen, nach wie tgt
in unseren Breiten:
J = 42§ Kilogrammmeter oder = 41700000000 Erg
als der zur Zeit wahrscheinlichste Werth des mechaniBchen Wänae-
äquiyalentes verwendet werden kann.
4. Gustav Zeuneri).
a
Wahrscheinlich würde die Technik längere Zeit gebraucht habei*
ehe sie aus den Ergebnissen der mechanischen Wärmetheorie für dii
Praxis in umfänglicher Weise Nutzen gezogen hätte, wenn sich ni^
Z e u n e r durch zahlreiche werth volle Untersuchungen und Schriften du
Verdienst erworben hätte, den Weg zu zeigen, auf welchem dies gr
schehen könne, und wenn es ihm nicht gelungen wäre, einfaohe Foraea
aufzufinden, welche sich bei Lösung praktischer Aufgaben leicht v«^
wenden lassen.
^) Gustav Zeuner ist am 30. November 1828 in Chemnitz geboren.
studirte vom Jahre 1848 bis 1851 an der Bergakademie in Freiberg. 1853 fibenabi
er nach mehrfachen Studienreisen die Redaction der neugegründeten Zeiiscbrift .ChiV
ingenieur'' und führte diese Redaction bis zum Jahre 1857 fort. Bei Eniclitiaf ie«
Zäricher Polytechnicums wurde er als Professor der technischen Mechanik und thcer-
tischen Maschinenlehre dorthin berufen; in den Jahren 1865 bis 1867 war er Diitcte
dieser Hochschule. Im Jahre 1871 folgte er einem Rufe als erster ständiger DirccSff
der Bergakademie Freiberg in Sachsen, an welcher bis dahin, trotz ihres lOOjikiigea
Bestehens ein ständiges Directorat nicht bestanden hatte. Im Jahre 1873 wvtie e
zum Director des Dresdener Polytechnicums ernannt und legte, nachdem die Resr|ur>
E. Geschichte der technischen Anwendungen. 969
In seiner ersten unseren Gegenstand betreffenden Publioation: „Grund-
züge der meohanischen Wärmetheorie*', deren erste Auflage im Jahre
1860 erschien, gab Zeuner zunächst eine etwas abweichende Herleitong
des zweiten Hauptsatzes, welche darauf hinauskommt, dass er nachweist,
wenn für irgend zwei Körper der zweite Hauptsatz nicht gültig sei, so
würde es durch zwei mit diesen beiden Körpern in entgegengesetzter
Folge durchgeführten Kreisprocessen möglich sein, Wärme aus dem käl-
teren in den wärmeren Körper zu übertragen, und dies widerspreche der
Erfahrung. Gegen die Strenge dieser Schlussfolgerung wurden von
Clausius nicht unberechtigte Einwendungen^) erhoben.
Der grösseren Anschaulichkeit wegen yergleicbt Zeuner Wärme-
satlon der Bergakademie 1875 vollzogen war, das bis dahin gleichzeitig mit verwaltete
Directorat dieser Anstalt nieder, am sich vollständig den Aufgaben zuzuwenden, welche
an der Dresdener Hochschule seiner unermüdlichen Thatkraft gestellt waren. Durch
die Vorlesungen über theoretische Maschinenlehre, welche er am Züricher Polytechnicum
zu. halten hatte, und durch das Zusammenleben und -Wirken mit Clausius an der-
selben Hochschule war Zeuner sehr bald zum Studium der mechanischen Wärme-
theorie und zur Mitarbeit auf dem neuen Gebiete angeregt worden.
Im Jahre 1860 erschienen die „Qrundzüge der mechanischen Wärmetheorie"; eine
▼oUständig umgearbeitete und speciell für technische Studien bestimmte zweite Auflage
erschien 1866. Eine französische Uebersetzung dieses Werkes von Cazin und Arn-
thal wurde 1869 veröffentlicht, und 1877 machte sich ein neuer Abdruck der deutschen
vollständig vergriffenen Ausgabe nöthig. Aagenblicklich ist Zeuner mit einer aber-
maligen vollständigen Neubearbeitung seines berühmten Werkes beschäftigt. Eine weitere
Anwendung der Pnncipien der Thermodynamik machte er in dem Buche: Das Locomo-
tivblasrohr (Zürich 1863), welches sich vorzugsweise mit den Erscheinungen beim Aus-
fluss von Gasen und Dämpfen beschäftigt.
Ausser zahlreichen Broschüren und Abhandlungen aus dem Gebiete der theoretischen
Maschinenlehre und der mathematischen Statistik sind es vorzugsweise die nachstehend
verzeichneten Abhandlungen, in welchen sich Zeuner's Antheil an der Ausbildung
der mechanischen Wärmetheorie und deren Anwendung auf die Technik niedergelegt findet.
Beiträge zur Theorie der Dämpfe, Pogff. Ann. Bd. 20 (1860); Theorie des Giffard*-
schen Injectors, Civilingenieur, Bd. 6 (1860); Neue Tabelle für gesättigte Wasserdämpfe,
Schweiz, polyt. Zeitschrift, Bd. 8 (1863); Verhalten verschiedener Dämpfe bei der Ex-
pansion und Compression, Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich (1863).
Tabelle für gesättigte Aetherdämpfe, ebendas. (1863); Ausfluss von Dämpfen und hoch-
erhitzten Flüssigkeiten, Civilingenieur, Bd. 10 (1864).
Theorie der überhitzten Wasserdämpfe, Zeitschrift d. Ver. Deutscher Ingenieure,
Bd. 11 (1866); lieber das Verhalten der überhitzten und gemischten Wasserdämpfe,
CiriliDgenieur, Bd. 13 (1867); Neue Darstellang der Vorgänge beim Ausströmen der
Gase und Dämpfe, Civilingenieur, Bd. 17 (1871).
Resultate experimenteller Untersuchungen über das Ausströmen der Luft bei starkem
Ueberdruck, Civilingenieur, Bd. 20 (1874); Ueber die Wirkung dßs Drosselns und den
Einfluss des schädlichen Raumes auf die bei Dampfmaschinen verbrauchte Daropfmenge,
Civilingenieur, Bd. 21 (1875).
Calorimetrische Untersuchung der Dampfmaschine, Civilingenieur, Bd. 27 (1881)
and Bd. 28(1882); Zur Theorie der Ealtdampfmaschinen, Civilingenieur, Bd. 27 (1881),
Ueber die Wirkung des Verdrängers bei Heiss- und Kaltluftmaschinen, Civilingenieur,
Bd. 29 (1883).
^) Clausius, Abhandlungen über die mechanische Wärmetheorie, 1. Aufl., Bd. 1,
S. 302; 2. Aufl., Bd. 1, S. 366.
970 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie.
mengen mit Oewiohten, welche, wenn sie von einem höheren sn eiaai
tieferen Niveau sinken, Arheit zu leisten im Stande sind. Die Ten^ie-
denen Höhen entsprechen alsdann den verschiedenen Temperaturen* Wir
hahen uns mit dieser Analogie, welche sich schon hei Garnot findet
nie hefrennden können, weil dadurch der wesentliche Gedanke ver-
schleiert wird, dass ein Theil der Wärme verhrancht wird, wemu &
Wärme Arheit leistet. Das Gewicht hingegen hleiht, wenn es Arbdt ki-
stend zum niederen Niveau herabsinkt, ungeändert
In der im Jahre 1866 erschienenen zweiten Auflage des Werka
schlägt Z e u n e r für die Herleitung des zweiten Hauptsatzes einen andern
Weg ein. Er geht, indem er den Zustand des Körpers als durch Dnck
und Volumen definirt ansieht, von der Gleichung aus:
m
worin d Q die bei der unendlich kleinen Zustandsänderung anfgenonneK
Wärmemenge, X und T Functionen von p und v sind. Hierauf dividirt
er beide Seiten mit einer anderweiten, noch unbekannten Function S der
Grössen v und p und wählt S derart, dass es der integrirende Drrisor
des rechts in der Klammer stehenden Ausdruckes ist, d. h. er bestimBt
8 so, dass die rechte Seite in ein vollständiges Differential verwaadctt
wird.
Für einen geschlossenen Kreisprocess wird alsdann:
/
dO
--^ = 0
Hierauf zeigt Zeuner, dass es ungemein wahrscheinlich sei, die Fme-
tion 8 sei lediglich eine Temperaturfunction.
Gegen diese einfache Form der Ableitung des zweiten Hauptsstm
ist nicht mit Unrecht eingewendet worden ^), dass der Nachweis fcUi,
8 sei für alle Substanzen dieselbe Temperaturfunction und deshalb ider
tisch mit der absoluten Temperatur.
Man muss jedoch dem Umstände Rechnung tragen, dass es Zeuner
minder darauf ankommt, die grösste wissenschaftliche Strenge zu er-
reichen, als vielmehr darauf, eine möglichst einfache, leicht übers^hiit
Ableitung zu geben, welche immerhin die Richtigkeit des zu beweisendn
Satzes plausibel macht. Auch hat die Methode, die TemperaturfaDcties
als integrirenden Divisor zu definiren, welche schon vor Zeuner tob
Reech^) angewendet worden war, neuerdings wieder, so z. B. in da
neuesten Arbeiten von Helmholtzfür Erweiterungen des zweiten Hsnpt-
satzes auf andere Processe als Wärmevorgänge, Anwendungen gefondes ^
^) Clausius, Mechanische Wärmetheorie. Braonschweig, Friedr. Tieweg k Sthm,
1876, Bd. 1, S. 367.
*) Reech, Journ. de Liouville, 2. Ser., Bd. 1, S. 58.
>) Vergl. aach: J. J. Weyrauch, Das Prinrip von der Erhaltong der
seit R. Mayer, Leipzig, A. G. Teubner, 1885, S. 37.
E. Geschichte der technischen Anwendungen. 971
Durch iänfährung des inneren specifisohen ArbeitevermögenB ü ge-
langt Z e n n e r zu den .Gleichungen :
und daraus zu:
ov dp
dp dv '
X = tT ' c^ ' -^— Y ^= J • Cp
welche er die erste Hauptgleichung nennt, und wird, indem er 8 durch
27 ersetzt, auf die Formel:
dT dT
dp ov
geführt, welcher er den Namen zweite Hauptgleiohung giebt. Berück-
sichtigt man, dass:
dT ^ ^ dT
■5— X ^= J ' Cp * -5—,
dp ^ dv
BO kommt man auf die bekannten, früher Ton uns mitgetheilten, zuerst
von Clausius abgeleiteten Gleichungen zurück.
Besondere Verdienste hat sich Zeuner dadurch erworben, dass er
die zum Theil complicirten Gleichungen für das Verhalten der Dämpfe,
auf welche die Versuche und die mechanische W&rmetheorie führten,
durch einfache, für die praktische Rechnung bequemere Näherungsformeln
ersetzt hat. Einzelne Probleme sind auf diese Weise überhaupt erst einer
rechnerischen Behandlung zugänglich geworden.
Allgemein bedient man sich der von Zeuner für die gesättigten
I>ämpfe verschiedener Substanzen berechneten Tabellen^); dieselben ent-
halten alle jene Grössen, welche bei Lösung technischer Aufgaben häufig
Verwendung finden.
Von hervorragender Bedeutung sind Zeuner 's Untersuchungen über
die Vorgänge beim Ausströmen von Gasen un'd Dämpfen, mit welchen
sich derselbe sowohl experimentell als theoretisch vielfach beschäftigt hat.
Besondere Beachtung haben auch Zeuner 's Untersuchungen über
die Zustandsgieichung überhitzter Dämpfe gefunden. Dieselben stützen sich
auf die von ihm als Hirn'sches Gesetz benannte Annahme, dass die
Aenderung der inneren Energie bei diesen Dämpfen dem Producte p . v
proportional sei. Ausserdem macht er die Annahme, dass die specifische
Wärme Cp bei constantem Drucke constant und der Ausdehnungscoefficient
cCp==.conat Unabhängig von v sei^).
Diese Annahmen stimmen, wie Grashof') gezeigt hat, mit dem
durch die Versuche von Hirn und Cazin^) als nähemngsweise richtig
^) Vergl. Zenner, Grandzüge der mechan. Wlirmetheorie, 2. Aufl., S. 253 a. s. f.
^) Zeuner, Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, Bd. 11, 1866 und
Bd. 12, 1867.
^ Grashof, Theoret. Maschinenlehre. Leipzig, Voss, 1875, Bd. 1, S. 198 u.8.f.
^) Hirn und Cazin, Ann. de Chim. et de Phys., 4. Serie, Bd. 10.
972 V. Geschichte der mechanischen Wärmetheorie
erwiesenen Satze überein, dass bei ZostandBanderongen öberhitster Diiipfi
nach der adiabatischen Carve die Gleichung:
T= Constplir
gelte, wobei n nicht den Quotienten der specifischen Wärmeoi ■onden
eine andere aus den Versuchen zu bestimmende Constante bedeutet
Als Zusii^ndsgleiohung ffir die überhitzten D&mpfe ergiebi sich nf
diese Weise i):
worin p^ v und T die gewöhnliche Bedeutung haben,
B = ü^ ■ <i uBd S und .
<^.U d.d.
In Wirklichkeit ist allerdings S nicht ganz constant. Wird dar
Druck p in Atmosphären ausgedruckt, so genügt es, wenn man :
n = T , S = 0,186 und B = 0,004924
4
setzt ^).
Für die Wärmemenge, welche erforderlich ist, um 1 kg Wasser Toa
0^ bei dem con stauten Drucke p in überhitzten Wasserdampf toh der
absoluten Temperatur T überzuführen, wobei er das specifische Yolona
V besitzt, hat Zeuner:
A = 476,11 + 4. .J.p .V
gefunden.
Vom rein physikalischen Standpunkte aus haben diese UnterBiidia&-
gen jetzt insofern geringere Bedeutung , als man aus den neueren os*
fanglicheren Untersuchungen von van der Waals, Glausias u. A. (fjl
S. 856 u. s. f.) erkennen kann, dass die zu Grunde gelegte Annahme tb
der Gültigkeit des Hirn' sehen Gesetzes nicht richtig ist. Für dieLöeimf
praktischer Aufgaben behalten jedoch die Zeuner 'sehen ein£acki
Näherungsformeln, welche innerhalb der den Techniker interessirenda
Grenzen keine zu grossen Abweichungen Ton den experimentell g^u-
denen Zahlen zeigen, ihren vollen Werth.
Die calorimetrischen Untersuchungen der Dampfmaschine benrtheSl
Zeuner nicht unwesentlich anders, (ils dies Hirn und seine Geno»«
thun. Zunächst hält er die Expansionscurve der Indicatordiagramme fir
^) Zeuner, Civilingenienr, Bd. 13, 8. Heft.
^) Ueber die ZaISssigkeit der Zenn er' sehen Annahmen hat sich besonders J. J.
Weyrauch in seiner Abhandlung: Neue Theorie der überhitzten Dimpfe, Zcttsc^nft
des Vereins Deutscher Ingenieure, Bd. 20 und Bd. 21, abfällig ansgesprodien and dir
auf hingewiesen , dass diese Annahmen gelegentlich auf einander widersprecheDde Ec-
suitate fuhren. Zeuner hat wiederum ziemlich scharf im 21. Bande der Zcitscinä
d. Vereins Deutscher Ingenieure entgegnet, was eine abermalige Erwiderung Weyrauch*!
auf S. 241 desselben Bandes veranlasst hat.
E. Geschichte der technischen Anwendungen. 973
keine Gleichgewichtscunre, weil der Zutritt des Dampfes während der
Admissionsperiode stürmisohe Bewegungen des Dampfes veranlasst, welche
sich nicht sobald vollstfindig verlieren. Er gläubig daher, dass die In-
dicatordiagramme für den Yorderdruck - in der Mitte des Kolbenlaufes
bei calorimetrischen Untersuchungen der Dampfmaschine keine Verwendung
finden können. Femer ist Zeuner der Meinung, dass die Erscheinungen,
welche Hirn und Genossen ausschliesslich der Einwirkung der in den
Wandungen der Cylinder zurückbleibenden positiven oder negativen
Wännemengen zuschreiben (vergl. S. 963), atych dadurch erklärt werden
könnten, dass man annimmt, es sei auf den Cylinderwandungen und im
Gjlinderraume eine nicht unbeträchtliche Wassermenge ^) vorhanden.
Hirn und Hailauer ^) haben in ihrer Erwiderung nicht gerade
die Sache selbst, wohl aber die Grösse des Einflusses dieser Vorgänge
entschieden bestritten. Jedenfalls ist durch die aus dieser Differenz sich
ergebende Discussion die Einsicht in die Vorgänge, welche sich in der
Dampfmaschine vollziehen, wesentlich gefördert worden.
Zuerst hat Zeuner in seiner Abhandlung: Ueber die Wirkung des
Drosseins etc. ') auf die . UnwirthschafÜichkeit dieses Verfahrens vom
Standpunkte der mechanischen Wärmetheorie aus, sowie auf die Bedeu-
tung der im schädlichen Baume auftretenden Gompressionen hingewiesen.
Ein ganz neues Untersuchungsgebiet hat Zeuner mit seiner Ab-
handlung über die Wirkung des Verdrängers bei Luftmaschinen ^) er-
öffnet. Die Frage selbst hat aber wesentlich technisches Interesse, so dass
wir hier auf eine nähere £k*örterung der Natur des Problems verzichten
müssen.
5. Qrashof, O. Sohmidt und Weyrauoli.
In der Discussion zwischen Zeuner einerseits und den Elsässern
andererseits hat sich Grashof ^) das Verdienst erworben, mit voller Ob-
jectivität den wissenschaftlichen Werth der beiderseitig gegenüber ge-
stellten Behauptungen, soweit dies irgend angänglich war, durch eine mathe-
matische Behandlung der einzelnen Fragen klar zu stellen. Er zeigte,
dass zwar die Energiemenge der wirbelnden Bewegung des in den Cylin-
^) Vergl. Zeuner, Civilingenieur, Bd. 1881, S. 385 und Bd. 1882, S. 353.
^) Hirn und Hallauer, Bulletin de la Soci^t^ industr. de Mulhouse 1881,
3. 313 und 360.
^ Zeuner, Civilingenieur 1875, Bd. 21.
*) Zeuner, Civilingenieur 1883, Bd. 29.
*) F. Grashof wurde in Düsseldorf geboren. Er besuchte bis 1843 das Gym-
nasium zu Düsseldorf und bis Ostern 1847 das Gewerbe-Institut in Berlin, arbeitete im
Sommer desselben Jahres praktisch in einer Giesserei und diente im Jahre 1848 sein
Preiwilligenjahr ab. Von 1849 bis 1851 war er als Volontair auf einem Hamburger
ECauffahrteischiffe in Ostindien und Australien, besuchte von Ostern 1852 an das Ge-
werbe-Institut in Berlin als Lehramtscandidat und wurde schon 1854 nach abgelegter
Staatsprüfung Lehrer der Mathematik und Mechanik an derselben Anstalt. Im Jahre
974 V. Geschichte der mechanischen Wännetheorie.
der einströmenden Dampfes ohne wesentlichen Fehler ▼emarMSMft
werden könne, dass aber wegen der Unsicherheit, welche hinsiGlitikb
des Wärmeaustaasches zwischen Cylinderwandangen und Dampf in Ter
Bchiedenen Stadien der Zustandsänderong des Dampfes besteht, die Ib-
dicatordiagramme nur mit grosser Vorsicht far die BeurtheOnng d«
calorimetrisch yerfolgbaren Vorgänge verwendet werden duHa'^
Gestützt auf die Untersuchungen von Forbes und Angstrom Int
Grashof ^) neuerdings mit der ihm charakteristisehen Feinhät im
mathematischen Analyse dis Wärmeleitung in den Gylinderwandvigfi
einer näheren Untersuchung unterworfen, wonach man über den Be
trag dieser periodischen Wärmezu- und Abfuhr sieh ein nngefikn
Bild zu machen im Stande ist.
Besondere Verdienste hatte sich Grashof ausserdem Bchoo frikr
durch die Abfassung seiner „Resultate der mechanischen Warmetheoiie^
erworben (1870), welche er als Anhang der von ihm beBorj^n Augibe
Yon Redtenbacher's Resultate für den Maschinenbaii binzufiigte.
Neuerdings hat Grashof im ersten Bande seines vierbändigen Wecket:
„Theoretische Maschinenlehre" ') auch die sämmtlichen AnwendioifB
der mechanischen Wärmetheorie in der Maschinenlehre in miuterifdlt^
Weise zusammengestellt. In diesem Werke findet sich auch jene UaUr
suchung, durch welche die gemeinsame Wurzel und der Ziuammenhaig
der von Zeuner einerseits und von G. Schmidt andererseits herrahr«*
den Behandlungen der Theorie der überhitzten Dämpfe nachgewiesen wiri
Obgleich viel weniger schöpferisch als Zeuner, hat doch cur Yerim-
tung der mechanischen Wärmetheorie in den Kreisen der Techniker
G. Schmidt^) nicht wenig beigetragen. Er war, zumal was
1855 übernahm er die Leitung der Berliner Aichämter, wurde 1860 von der rniTe«>
sität Rostock zum Doctor philosophiae honoris causa ernannt und wurde 184^3 <äer
Nachfolger Bedtenbacher's in der Professur für Maschinenbau am Karismlia' PaSr^
technicum, woselbst er noch heute sehr segensreich wirkt.
^) Vergl. Grashof, Calorimetrische Untersuchung der Dampfmaachinen. Zeitsc^.
d. Vereins Deutscher Ingenieure, Bd. 27, S. 161.
^) Grashof, Ueber die Wärmeleitung in den Cylinderwinden Ton Dunpfmasckiaa.
Zeitschr. d. Vereins Deutscher Ingenieure, Bd. 28, S. 292.
*) Leipzig, Verlag von Voss, 1875 bis 1884.
*) Gustav Schmidt wurde am 16. September 1826 in Wien geboren, erkicä
seine Schulbildung auf der Realschule seiner Vaterstadt, studirte hierauf an der Pth^
technischen Schule in Wien und absolvirte dieselbe, als Vorzugs schul er, 1^45,
Schmidt besuchte in den Jahren 1848 und 1849 die Bergakademie in Leobcn, er-
hielt schon 1849 die Stelle eines Aasistenten daselbst und wurde 1853 wiiküdv
Knnstmeister in Joachimsthal. Von 1856 bis 1858 besuchte Schmidt (mit Cila«^
die Polytechnische Schule in Karlsruhe um Redtenbacher's berühmte
thode der Verhältnisszahlen im rationellen Maschinenbaue etc. gründlich ki
lernen und wurde bei seiner Rückkehr erst Docent an der Bei^gakademie zu PniInK
und dann in Leoben. Im Jahre 1862 folgte er einem Rufe als Professor der
an die Polytechnische Schule in Riga, nahm aber schon 1864 die Stelle als
des Maschinenbaues am Polytechnicum in Prag an, in welcher Stellung tf bis an
Tode höchst verdienstlich wirkte. Er starb am 25. Januar 188^.
E. Geschichte der technischen Anwendungen. 975
g'en und Referate anbetrifft, von einer geradezu erstaunlichen Fruchtbar-
keit. Durch diese unermüdliche Arbeit lenkte er die Aufmerksamkeit
der Techniker immer aufs Neue wieder auf die Anwendungen, welche die
Methoden und Gleichungen der mechanischen Wärmetheorie in der
Maschinenlehre finden können, und gab, indem er das fär den Praktiker
Wichtigste heraushob und mit eigenen treffenden, kritischen Bemerkungen
begleitete, Anregung zu anderweiten Behandlungen der einzelnen Auf-
gaben.
Seine „Theorie der Dampfmaschinen ** und die Abhandlungen: „Die
Gesetze und Kräfte der relativen Bewegung", „Ueberblick der verschie-
denen Turbinentheorien" haben mit der von uns hier behandelten Dis-
Giplin minder zu thun. — Von Werth sind jedoch seine kritischen Be-
merkungen und Beiträge über die calorimetriscbe Untersuchung der
Dampfmaschine ^). Von ihm rührt auch diese treffende Bezeichnung her,
"Während Hirn und seine Genossen denselben Gegenstand mit dem Namen
„Praktische Theorie der Dampfmaschine" bezeichnen.
Vielseitige Beachtung hat jedoch die Abhandlung : „Ueberdie innere
Pressung und Energie überhitzter Dämpfe" ') gefunden. Die Voraus-
setzungen, aufweichen die Schmidt 'sehe Untersuchung ben:(ht, sind
denjenigen sehr ähnlich, von- welchen Zeuner ausgegangen ist, und
bilden in gewissem Sinne das Gegenstück zu denselben. Auch Schmidt
erkennt das Hirn* sehe Gesetz für überhitzte Dämpfe als richtig an, dass
die Aenderung der inneren Energie bei Zustandsänderungen dem Pro-
ducte p . V proportional sei.
Während aber Zeuner Cp als constant für alle Drucke und Tem-
peraturen annimmt, setzt Schmidt c« als constant voraus, und während
Zeuner den Ausdehnungscoefficienten cCp^oonH als vom Volumen v unab-
hängig betrachtet, nimmt Schmidt an, der Spannungscoefficient (^^chfigt
habe für alle Drucke denselben Werth. Auch Schmidt geht davon aus,
dass die Gleichung der Zustandsänderung nach der adiabatischen Curve
die schon von Rankine vermuthete allgemeine Form:
T = Const p *
habe, wo h eine Constante bedeutet. Auf diese Weise gelangt Schmidt
für die Zustandsgieichung überhitzter Dämpfe auf die Form :
c
p.v = B.T '-' v*-\
worin Bj C, k Constante sind.
Auch diese Schmidt' sehe Formel ist für praktische Zwecke als
Näherungsformel anwendbar; sie ist jedoch weniger genau als die
1) G. Schmidt, Dingl. Joorn. Bd. 244, S. 1, S. 89 und S. 257; Bd. 246, S. 105.
Technische Blätter, 1880, 2. Heft. Maschinenbaner, Bd. 17, Heft 7, S. 119.
2) G. Schmidt, Sitznnfcsber. d. Wien. Akad. 2. Abthl., Bd. 86 (1882).
976 V. Geschichte der mechanischen Wännetheorie.
Zeuner'sohe, und die gegen jene erhobenen Einwendungen gM&k
f&r diese ^).
Anknüpfend an die beiden eben genannten Behandlongen dee Pro-
blemes der überhitzten Dämpfe hat später Weyrauch eine auf wenifer
Annahmen begründete Theorie der überhitzten Dämpfe gegeben. DerBdbt
glaubt aus den Hirn 'sehen directen Wägungen des überhitsten Wi
dampfes den Erfahrungssatz ablesen zu dürfen: DasProduct ans
und Volumendifferenz des überhitzten und gesättigten Dampfes ist direct
proportional der Ueberhitzung.
Diese Annahme führt für die überhitzten Dämpfe auf eine dem
Gay-Lussac-Mariotte'schen Gesetze sehr ähnliche Zustandsgleickng,
welche lautet:
p . (e; — 8) = B . r,
worin s das dem Drucke p entsprechende specifische Volumen des reina
gesättigten Dampfes, v die in Graden angegebene üeberhitzuiig und S
eine Gonstante = 0,004924 ist (vorausgesetzt, dass p in Atmosphäres
gegeben wird).
Diese Art der Behandlung des Problemes hat vor der Ton Zeuner
und Schmidt gewählten den grossen Vorzug, dass sie von inneres
Widersprüchen frei ist und jene beiden als specielle Fälle in sich schlicset.
wenn man weitere, allerdings nicht ohne Bedenken zulässige Annahmes
über die specifischen Wärmen Cp oder Cv hinzufugt. — Da die Wey-
rauch'sehe Gleichung nur eine verfügbare Gonstante enthält, istne ent-
schieden einfacher, als die von Zeuner und Schmidt gegebenen Gks-
chungen, sie schliesst sich aber in Folge dessen auch minder eng an dk
Versuchsergebnisse an, als es jene thun können, wenn man die Constur
ten passend wählt. Keine dieser Formeln stellt die wirkliche Znstandr
gleichung der überhitzten Dämpfe dar, und erst die Untersuchungen m
van der Waals und Glausius, welche sich auf die kinetische Mole-
culartheorie stützen , haben uns der wahren Form derselben näher ge-
bracht, leider aber auch zu der Ueberzeugung gefuhrt, dass diese Z>-
standsgleichung wahrscheinlich viel zu complicirt ist, um für die Löosf
praktischer Aufgaben, wie sie die Technik stellt, unmittelbar ohne Ter-
einfachungen Anwendung finden zu können.
^) Yergl. Weyrauch, Neae Theorie der überhitzten Dämpfe, Zeitschrift d. Yc-
eins Deutscher Ingenieure, Bd. 20 und 21.
ALPHABETISCHES
3ACH- UlfD NAMEN-REGISTER
zun
ERSTEN UND ZWEITEN BANDE.
A.
A.bel, Bestandtheile und Zersetzung des Sohiesspulvers n, 457; Theorie der
Bewegung derGescboaee in den Kanonenrohren II, 477; Yersnehe über den
Brack der Palvergase n, 483 ; Einfloss der Beimengung indifferenter Stoffe
zu Explosivkörpem II, 501; Versuch mit Knallquecksilbern, 512; Einfluss
der Art der Entzündung von Explosivkörpem auf die Wirkung derselben
n, 514; Hypothese von den synchronen Schwingungen II, 521.
Absolute Einheiten s. Einheiten.
Absoluter Nullpunkt, Unerreichbarbeit desselben I, 107; n, 11; Bedeutung
desselben I, 464; Lage desselben I, 464.
absolute Temperatur I, 403, 463; II, 11, 35. Yergl. mit Luftthermometer I,
555; n, 1000.
Absorption, Spectrum des Chlorophylls I, 127; der Gase I, 750 bi9 763.
Abweichungen der Gase vom Mariotte'schen Gesetze I, 263, 541, 547;
II, 243; der Dämpfe vom Mariotte- tmd Gay-Lussac'schen Gesetze I,
698 bis 705 ; II, 952.
\dams, Veränderung in der Daner der Erdrotation n, 818.
Adiabatische Coefficienten I, 503.
&.equivalent, mechanisches, der Wärme I, 11, 30, 59, 61, 74, 93, 115, 186
bis 193, 196, 209, 218, 232, 235, 558, 618; II, 621, 622, 630, 671, 688, 810,
890, 900, 905, 912, 920 bis 924, 943, 963; Zusammenstellung aller Werthe
n, 966 bis 968; Unveränderlichkeit desselben I, 212; thermodynamisches
II, 357.
Aequi Valenz der Verwandlungen I, 137, 405; der Wärmeerscheinungen I,
174; von Wärme und chemischer Arbeit II, 274; von Wärme und Arbeit
bei Inductionsströmen II, 627; do. in galvan. Elementen n, 668; Einwände
gegen die Aequivalenz von Wärmetönung und electromotorischer Kraft
U, 716.
^equivalenzwerth I, 405; II, 929.
^ether, physik. Gonst. desselben I, 490, 560, 582, 584, 587, 595, 623, 685;
Verbindungswärmen derselben n, 330.
^ffinitätscoefficient H, 433.
^Sfi»T®8&tzustand, Aenderung desselben I, 559; derselbe vom Standpunkte
der Cl au sius' sehen Moleculartheorie aus betrachtet n, 39; Einfluss des-
selben auf die Verbindungswärmen II, 284.
Rflhlmftnn, Mechan. W&rmetheorle. Bd. II. Q2
978 Alphabetisches Sach- und NamenregiBter.
Alkohol, spedfische Wärme desselben I, 490; Ausdehnungsooefficieiit I, 4f&;
CompressioDSCoefficient I, 490; kritische Temperatur ^ 560, 685; Bgaasr
kraft eto. I, 595; specifische Wärme des Dampfes I, 622; innere IsteB»
Wärme I, 685; YerbindungHwärmen derselben II, 330.
Amalgame, electromotorische Kraft derselben I, 65.
Amalgamiren des Zinks in den galvanischen Elementen II, 678.
Amagat, Verhalten verdünilter Gase I, 547.
Ammoniak, mittlere Moleculargeschwindigkeit, Wegl&nge der Molecik
Beibungscoefiicient II, 227; Transspirationscoefflcient n» 126; Wirae*
leitungscoefficient Ü, 202, 207; Beschaffenheit der Molecöle IE, 227 faa
239; WärmetönuDgen II, 293.
Andrews, kritische Temperatur I, 561; Bestimmungen von
II, 290 ff.; Sätze über dieselben II, 357.
Arbeit, Definition I, 2 ; gleich Aenderung der lebendigen Kraft I, S, 150;
derselben I, 3; innere und äussere I, 24; innere in KzystaÜoD etc. I, §$;
Yerhältnlss der inneren und äusseren Arbeit bei Gasen I, 265; ijjaphjsrtt
Darstellung der äusseren Arbeit I, 207, 412; desgl. der inneren Arbeü 1,413.
Arbeit der chemischen Kräfte bei der Bildimg von Verbindungen II, 274; 4a
ßchlesspulvers bei der Explosion II, 467, 476, 481; bei galvaninchfiP Cti6Meü
II, 604, 721; bei Inductionsströmen ^, 629, 631; bei ElectiamotarcD E
650; bei der Kraftübertragung durch dieselben n, 664.
Atmosphäre, Erklärung des Druckes derselben aus der Mölaciüaztfateci
(nach Krön ig) II, 26; indifferentes Gleichgewicht derselben im trockeMi
Zustande 11, 777; do. in dem mit Wass^ampf ungesattigiten Zmteaii
II, 782; do. im gesättigten Zustande II, 785, 789; Formel for die TeiE|B-
raturabnahme mit der Höhe in derselben im 1. Falle II, 780, im 2. Mi
II, 784, im 1 Falle U, 787; labiler und stabUer GleichgewichtmB&cd
derselben 11, 794; die barometrischen Mazima n, 797, lOnima n, TM.
Cy klonen II, 801 ; Toiiiados II, 803 ; Ursache der atmosphäriacben Niedv-
schlage n, 803; Föhn und verwandte LuftstrOmnngen U, 805; ferts
Weltkörper nach Bitter II, 860.
Atomgewichte, Allgemeines II, -256 ; Beadehung zur speciflaclien WlnK H
259; Tabellen derselben n, 260; Bestimmungsweise derselben n, 262.
Atomverbindungen 11, 276.
Atomwärme II, 260.
Auflösung von Gasen in Flüssigkeiten I, 751 bis 764; fester Salsel, 7641» 713^
Ausdehnung der Gase I, 265, Aiudehnung längs einer adiabatiscfaen Carve I, f*^
Ausdehnungscoefficient des Wassers ^ 487; des Alkohols I, 490; 4b
Aethers I, 490; des Quecksilbers I, '491; des Kautschuks I, 532;
Metalle I, 495, 519; adiabatischer I, 504; Beziehungen deBsetben
Elasticitätscoefficienten I, 524.
Ausdehnungsgesetz, der Gase I, 88; II, 242, 952 bis 955;
desselben I, 559; der überhitzten Dämpfe II, 953 bis 955, 978.
Ausfluss von Flüssigkeiten I, 196; Poiseuille's GesetzU, 113; von
(Hirn) I, 217; neue Darstellung des Ausflusses der Gase darch Zeaaer
I, 304; Ausflussexponent I, 310.
Auspuffwärme n, 965.
Ausströmen von Gasen I, 283, aus einem Grefässe in ein anderes I, 296; IL
112; von Luft in die Atmosphäre I, 301; Einströmen in ein Geftssl, 301;
von Dämpfen I, 631.
Avenarius, kritische Temperatur I, 564, 685; empirische Fomid ifir £•
electromotorische Kraft eines Thermoelementes II, 765.
Avogadro's Hypothese n, 24, 228, 256, 262, 266, 952, 958.
Axiom, Clausius'sches, vom Uebergange der Wärme I, 109, 869; II, 931;
vonNewton I, 152; Thomson'sches, welches dem zweiten Haaptsü*
zu Grunde liegt II, 937.
B.
V. Babo, Damp/bpannungen der Salzlösungen I, 769.
Barometer-Maxima II, 797; -Minima II, 799.
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 979
Kauschinger, Ueberströmen von Gasen zwischen zwei Oefässen I, 296.
^öclard, Versucbe über Erw&rmang arbeitender Muskeln I, 67.
kecquerel, Bestätigung des Joule' sehen Gesetzes (über die Wftrmeentwicke-
Inng durch den galvanischen Strom) II, 606; thermoeleotrische Wirkung
von Kno.ten in Drähten II, 739, 775.
\ Beetz, electromotorische Kraft der Gase II, 690, 696.
^ellati, Formel für das Peltier'sche Phänomen II, 774.
lernoulli, Jacob, Anfänge der kinetischen Gastheorie II, 878.
— Johann, Wärme ein Bewegungszustand II, 878; gebraucht das Wort
£nergie zuerst II, 878.
— Daniel, Gastheorie I, 72; n, 12 bis 16; Wirbeltheorie U, 251, 959; Be-
deutung für die mechanische Wärmetheorie n, 879.
Berthelot, Satz über die Wärmeentwiokelung bei physikalischen und chemi-
schen Vorgängen II, 275; Prindp der Maximalarbelt II, 277; Einfluss von
Aggregatzustand und Temperatur auf die Yerbindungswärme II, 284;
Bestimmung von Wärmetönungen II, 290 £f.; Wärmeabsorption bei
liösungenll, 406, 408; Dissociation durch *den electrischen Funken II, 486,
445; über Schiesspulver n, 456; explosive Gasgemische II, 496; Nitro-
glycerin II, 500, 514; Schiessbaumwolle II, 505; Pikrinsäure und Pikrate
II, 510.
Be^weis des zweiten Hauptsatzes, Allgemeines I, 391; von Carnot und
Clausius I, 368; aus allgemeinen mechanischen Grundprincipien I, 425;
* Geschichtliches darüber II, 937.
Billweiler, über den Föhn U, 808.
Blaserna, physikalisches Verhalten der Kohlensäure I, 548.
Blei, physikalische Constanten 1, 519; Atomwärme II, 260; Verbindungswärmen
n, 300.
Blut, Beziehungen der Farbe desselben zur mechanischen Wärmetheorie I, 133.
Boltzmann, Herleitung des zweiten Hauptsatzes aus mechanischen Prinoi-
pienl, 425, 452; Wärmeleitung der Gase II, 169, 200, 203; Natur derGas-
molecüle II, 231, 249; die Avogadro'sche Hypothese für mehratomige
Gase II, 263; die speciflsche Wärme fester Körper ist doppelt so gross
als die wahre Wärmecapacität n, 271; Gastheorie n, 231, 248 bis 250;
Bedeutung für die Geschichte der kinetischen Atomistik n, 948, 949, 951,
957, 958.
Bosscha, Wärmeentwickelung in einem Daniel!' sehen Elemente II, 687;
Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes II, 688, 967.
Boyle, über das Wesen der Wärme II, 872.
Braun, Einwendungen gegen die mechanische Theorie der electrochemischen
Erscheinungen n, 716.
Bromwasserstoffamylen, Dissociation desselben II, 373.
Budde, Erweiterung der Clausius' sehen Theorie der Thermoelectricität II,
761; experimentelle Bestätigung n, .773; Erklärung des Thomson'schen
Phänomens n, 775.
Bnffon, Erhaltung der Sonnen wärme I, 69; n, 821.
Bujs-Ballot, Einwände gegen die Clausius'sche GastheorieH, 44, 46, 955.
Bnnsen, Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke I, 654; Absorptions-
coeffident der Gase I, 762; Diffusion der Gase II, 142; Dissociation in
Flammen II, 419; über Schiesspulver II, 455, 463.
0.
Daignard Latour, kritische Temperaturen I, 560.
Oailletet, Verflüssigung der Gase n, 952.
Dalorimetrie I, 177, 230, II, 279.
kalorimetrische Untersuchung der Dampfmaschinen II, 963, 964, 972 bis 975.
Carbaminsaures Ammoniak, Dissociation desselben II, 401.
Carius, Dissociation der Salpetersäure II, 374.
Carnot, Beweis des zweiten Hauptsatzes I, 366; Entdeckung des zweiten
Hauptsatzes I, 358, 366; Carnot'sche Function I, 403, 468; II, 917, 918,
921, 922; Einführung der Kreisprocesse I, 25; II, 916; Irrthum seiner
62*
980 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
Theorie I, 75; H, 913, 914, 916; KreiBprooess des Carnot I, 320, SS£.
324; eines beliebigen Körpers I, 360; Dampfmaschinentheorie II, 914; Bia-
graphisches II, 910; Bedentong für die Geschichte der meehaniKhea
Wärmetheorie II, 912 bis 916.
Cascadeubatterie, Wärmewirknngen derselben II, 588.
C a z i n , Bestimmung von — bei Gasen 1, 273, 282 ; Zastandsandemng aberfaötztff
Dämpfe I, 709; II, 965, 972.
Gentralkräfte I, 153.
Charles, Priorität gegen Gay-Lussac I, 88.
Chemische Verbindungen, die Bildungen derselben sind Wärmequellen L C.
Chlor. Beschaffenheit der Molecüle II, 227 bis 239; WännetoDongeii II, SK
ChlorKohlenstoff, physikalische Const. desselben I, 595, 625, 6S5.
Chloroform, physikalische Const. desselben I, 595, 625, 685.
Chlorophyll, Spectrum desselben I, 127.
Chlorschwefel, Dissociation desselben II, 378.
Chlorstickstoff, explosive Eigenschaften n, 498, 525.
Chorwasserstoff, Beschaffenheit der Molecüle n, 227 bis 235; Kentnüi-
sationswärmen II, 302; Electrolyse desselben II, 698.
Clapeyron, Bedeutung desselben für die Geschichte der mechanischen Wiin«-
theorie I, 75; U, 917; Biographisches II, 917; Gleichung desselben I, €I4
II, 918, 932.
Clausius, Axiom desselben I, 109, 369; II, 937; Besprechung der Hirn'tda
Versuche I, 83 ; Beweis des zweiten Hauptsatzes I, 368 ; VerallgemeiBcnaf
dieses Beweises I, 395 bis 403 ; Entdeckung des zweiten Hauptsatzes 1, 144
358, 452; Herleitung des zweiten Hauptsatzes aus allgemeinen medissi-
schen Principien I, 425, 436, 452; Condensation des Wasserdampfa bb
Expansion: Entdeckung I, 102; Berechnung ders. I, 217, 606; Sotropse I.
136; II, 9, 929, 938; Disgregation 1, 138; II, 6, 937, 938; Formel bei nidit \mr
kehrbaren Kreisprocessen I, 416 ; allgemeine Formeln aus den Hanptntaa I
469 etc.; Formeln für Verdampfiing I, 579; Dampfdichte I, 617; thermh
sche Curven der Dämpfe I, 677 ; Dampfinaschinentheorie I, 720 ; n, 936, 961;
Moleculartheorie der Gase I, 98; II, 31, 947, 950; Einwände gega ^
selbe n, 44, 142, 955; Widerlegung der letzteren n, 46, 57, 63, 168, §53;
Bestimmung der mittleren Weglänge der Ga^molecüle n, 47, 58; Aiiwa-
dung der Moleculartheorie auf die übrigen Aggregatzostände D, 3>:
Virial I, 437; variirende Bewegung eines Punktes C 446; WideriopDf
der Bank in ersehen Hvpothese I, 383; Strahlung zwischen zwei Fiidtti
I, 384 bis 388; Theorie der Wärmeleitung in Gasen U, 169, 957; Wäinc-
capacität der Verbindungen U, 273; Potentialfunction und Potential ek^
trischer Massen II, 558, 569; über die bei einem galvanischen StrcHneis
einem Leiter gethane Arbeit und erzeugte Wärme II, 599; BrUämng im
Grove' sehen Versuches II, 613; Theorie der thermoelectriscfaen Ei^Mi-
nungen II, 754, 938 ; neues electrodynamisches Grundgesetz H, 938 ; Biogn-
phisches II, 936; Bedeutung für die Geschichte der mechanischen Wira»-
theorie n, 926, 936 bis 941; Ausdehnungsgesetz für wirkliche Gase si^i
Flüssigkeiten n, 955.
Clement und Desormes, Bestimmung des Verhältnisses der
Wärmen I, 274.
Coefficient der Diffusion, Wärmeleitung etc. s. Diffusionscoefßcient, Wii
leitungscoefAcient etc.
Colding, Bedeutung für die mechanische Wärmetheorie I, 77; n, 920; Be-
stimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes II, 920, 966.
Colladon, Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles a
Wasser I, 507.
Committee on Explosives, Versuche über den Druck der Pnlvergase in G«-
schützen II, 485.
Compression entwickelt Wärme in Flüssigkeiten I, 484, in Gasen I, 24*.
in festen Körpern I, 517.
Compressionsooefficient, Definition desselben I, 447, 499;
I, 504; einiger Flüssigkeiten I, 488 bis 491.
Condensation des Wasserdampfes bei Expansion I, 102, 216, 606.
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 981
*onden8ation8coefficient II, 238.
^ondensatorische Eigenschaften der Zeraetznngszellen II, 701 ; Ladung
von ZenetzungszeUen II, 710.
i^onstanten der Wärmelehre I, 178; gastheoretische II, 227 bis 239 ^ thermo-
chemische der Orandstoffe U, 260.
I? ou tacttheorie, electrische nach v. Helmholtz II, 708.
L> on tractionscoeffioient I, 311.
cf ontractionstheorie der Sonne von v. Helmholtz II, 824.
C^onvection der Wärme II, 144; electrolytische I, 121; II, 702, 711.
C/onvections ströme IT, 712.
Doriolis, mechanisches Theorem desselben I, 87.
D nmming, thermoelectrische Versuche II, 736, 774.
C y a n , Eigenschaften der Molecüle II, 227 bis 239 ; Wärmetönungen II, 295.
Cyklonen und Anticyklonen n, 801 .
D.
I>ahlander, Beziehung zwischen Ausdehnungscoefflcient und Elasticitäts-
coefficient I, 525.
Dalton's Princip I, 751; II, 130.
Dämpfe, Arbeitsleistung derselben I, 99; Dichte derselben I, 597, 670; II, 227,
258; s. überhitzter Dampf, s. Spannkraft.
I>ampfgeschütze II, 547.
Dampfmantel I, 724; II, 962.
Dampfmaschine, Vorgänge in derselben I, 199; Bestimmung des mechani-
schen Aequivalentes der Wärme durch dieselbe I, 14, 17, 200 bis 203; II,
963; Garnot 's Theorie derselben I, 82; II, 914; Hirn 's Versuche I,
200; Dampfmaschinentheorie I, 716 bis 734; II, 936, 960 bis 965, 973 bis
976; calorimetrische üntersuchungsmethode ders. II, 963, 964, 972 bis 975.
Dampf menge, Curven constanter, I, 684.
Dampf wärme I, 569, 584; innere I, 685; Formel von Zeuner II, 972.
DanielVs Element, warum ein solches nicht Wasser zersetzt I, 64; II, 677;
Wärmeentwickelung in demselben II, 682.
Davy, Beiben von Eis I, 74, 198; Gastheorie II, 18; Bedeutung für die mech.
Wärmetheorie II, 895.
Debray, Dissociation des kohlensauren Kalks II, 382.
Dehnung, Wärmeerscheinung bei derselben I, 512.
Descartes, Wärme ist Bewegung II, 868; Erhaltung der Energie II, 870;
Wirbeltheorie II, 251, 959.
Cf>
Desormes, Bestimmung von — I, 274.
Cv
Detonation von Ezplosivkörpern II, 515.
Deville, Dissociation der Untersalpetereaure II, 372; des Wassers II, 375;
in Flammen II, 416.
Diagramm, thermoelectrisches von Thomson II, 769.
Dibbits, Dissociation wässeriger Lösungen II, 380.
Dichte von Gasen II, 227, 238; von Dämpfen II, 258; des Wasserdampfes I,
597, 615.
Diffusion von Gasen, Bedeutung II, 130; Formeln von Stefan II, 134; Ex-
perimentaluntersuchungen von Loschmidtll, 138; Geschichtliches II, 956.
Diffusionscoefficient II, 131, 134, 137, 140.
Dirichlet's Princip II, 934.
Disgregation I, 138; II, 6, 937, 938.
Dispersionstemperatur eines Weltkörpers II, 861.
Dissociation, Bedeutung und Theorie U, 367; Versuche mit gasförmigen
Substanzen II, 370; mit flüssigen und festen Körpern II, 376; von Lösuu-
gen II, 406; in Flammen II, 415; durch Sonnenstrahlen II, 832.
Donny, Siedeverzug I, 567.
Dove, Wärme Wirkung der Cascadenbatterie II, 589.
Drehstürme II, 795, 802.
982 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
Druck, Mazimalwerth bei Dämpfen I, 565; der Atmosphäre ans der Moieeolir-
theorie (nach Krönig) erklart n, 26; der Gase aaf eine Fläche (i
MaxwelTs Gesetz) II, 78; der Pulvergase n, 4S2.
Dulong-Petit*8 Gesetz flir die specifische Wärme der chemischen
n, 259; physikalische Begründung desselben II, 269; Yerhalten von
Stoff, Bor und Siiicinm zu demselben II, 262, 272.
Dynamit H, 501, 525.
Dynamoelectrisohes Prindp II, 655.
Dynamomaschinen, Allgemeines 11, 635; Theorie derselben IE, 656, 94C;
Versuche über dieselben ü, 658.
E.
Edlund, Wärmeerscheinungen bei Dehnungen I, 222, 522; Bestirnnmag da
mechanischen Wärmeäqnivalentes £1, 967.
Einheiten, absolute von Weber II, 615, 617, 619; von Thomson H, C3I:
vom Pariser Congress II, 639; praktische II, 620.
Einströmen von Luft in ein Gefäss I, 301; in das Yaeunm I, 303.
Eis, Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke I, 659; PlasticitiU nsd
Begelatlon I, 663; Wärme durch Beibung des Eises I, 74.
Eisen, physikalische Constanten desselben I, 495, 519,521; Atomwärm« E
260; Wärmetönungen II, 298.
Elasticitätscoefficient, Definition I, 494; einiger Metalle I, 495, MI.
522; adiabatischer I, 503; Beziehung zum Ausdehnongscoefficienten 1 Stf.
Electrischer Funken, dissociirende Wirkung auf Gase II , 435; Warne
entwickelung durch denselben n, 573.
Electrische Kräfte, Natur derselben I, 116.
Electrische Maschinen, dieselben sind Wärmemaschinen I, 52, 55; EiDth»
lung derselben I, 52; n, 635; Bestimmung des mechanischen Aeqmvalciitei
der Wärme an denscdben I, 54, 115; Wärmeentwickelung an denadbea I,
59; vollständige Umsetzung der Wärme I, 113; Gesammtenergie nnd vmt
bare Energie derselben II, 638; Yerwandlungscoefficient II, 641; Win^
schafblichkeit der mit Batterien betriebenen electromagneüflcheo Ms-
schinen II, 650; electr. Maschinen als ElectricitätsqueUen II, 655; Kraft-
übertragung durch Verbindung zweier electrischer Maschinen H, 662, Hk.
Electrochemische Erscheinungen, Beziehungen zwischen WärmetÖBiDi^
chemischer Arbeit und electromotorischer Kraft II, 668, 673, 696, 716, TSi
933; Favre's Versuche U, 669; Joule' s Messnngsmethode der WinK-
absorption bei Electrolysen n, 674; Wärmeentwickelung in galvsniscket
Elementen II, 680 ff.; in Electrolyten II, 693; electrochemiMbe Thecce
vonExnerll, 702 ff.; Contacttheorie nach Helmhol tzll, 708; SiBwiaie
gegen Exner*s Resultate n, 713.
Electrodynamisches Grundgesetz von Webern, 939; neues von Ol amiai
II, 938.
Electrolyse, des Wassers n, 689; Wärmetönungen bei der Electrolyse Ter-
schiedener Bubstanzen (nach Ezner) II, 698; Polarisation bei denelbs
n, 698, 715.
Electrolyten, Wärmeentwickelung in denselben durch den galvanisckM
Strom n, 693.
Electrolytische Convection I, 121; U, 702, 711.
Electroly tisches Grundgesetz von Paraday n, 676, 677, 701, 706.
Electromotorische Kraft, Bedeutung U, 594; Beziehung derselbeD sv
Wärmetönung I, 64; II, 632, 673, 716; Grösse derselben für verschiedear
galvanische Elemente n, 684, 707; der Polarisation II, 674, 689, 715; t»
Gasen II, 690; bei Berührung von Metallen n, 705, 708; der ThenK*
electricität n, 728, 732, 735, 738, 759, 765; der Induction n, 625; eiaetn-
scher Maschinen 11, 653, 657, 661, 664.
Elemente, chemische, Atomgewichte, Atomwärmen n, 260; YerbindoBir
wärmen II, 290; galvanische, Zahlwerthe für dieselben n, 684; Tbeccit
derselben nach Exner n, 705.
Aiphabetisches Sach- und Namenregister. 983
Energie* Definition und Eintheilung I, 157, 158, 216; innere der Gase I, 256;
II, 31, 741; Aenderong der8ell)en beim Ansflussel, 263; Tendenz derselben
zu entartenl, 143, 379; Bi^nkine's Hypothese über die Wiederherstellung
der äusseren Energie I, 381; Uutersudinngen über innere Energie I, 735
bis 750; innere der Flüssigkeiten I, 744; desgleichen der Dämpfe I, 745;
innere kinetische, Function der Temperatur IX, 8 ; Energie der fortschreiten-
den Bewegung der Molecüle eines Gases H, 35; äussere kinetische eines
Gases U, 62; Energie chemischer Wirkungen II, 357; der Induction II,
624, 631; electrisoher Maschinen II, 638, 661; chemische in den galvani-
schen Elementen II, 684; der Sonne II, 814; Hypothesen über die Er-
haltung der Sonnenenergie II, 819; Tendenz der Zersti*euung derselben II,
933, 937; Historisches zum Principe von der Erhaltung ders. II, 865, 867,
870 bis 876, 880, 881, 884, 893, 894, 896, 899, 905, 912, 920, 921, 924, 942.
Sntropie I, 136; II, 9, 929, 938.
ISrdrotation, Veränderung in der Dauer derselben I, 182; II, 818.
JBrgal II, 945.
Ericsson, Verwand! ungscoefficient seiner Maschine I, 105, 343.
^Essigsäure, Neutralisationswärmen II, 302.
£ixner, Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles im Kautschuk I, 538;
Untersuchungen über galvan. Polarisation II, 696 ; Ursachen der Electricitäts-
entwickelung IE, 703; Theorie der galvanischen Elemente II, 705; galva-
nische Elemente, die nur ans Grundstoffen bestehen II, 706, 720.
Sxplosive Gasgemische n, 496; Anwendung derselben zum Betriebe von
Wärmemaschinen n, 524.
Xixplosivkörper, Allgemeines II, 451; Behandlung der hauptsächlichsten
derselben II, 455; Einfluss von Beimengungen indifferenter Stoffe zu den-
selben II, 501; Einfluss der Entzündungsweise auf Zersetzung und Wirkung
derselben II, 513; Zahlwerthe n, 525.
F.
Fairbairn, Dampfdichte I, 597.
Falb, Erdbebentheorie I, 132.
Faraday, Entdeckung der electrischen Induction I, 110; Grundgesetz der
Electrochemie II, 676, 677, 701, 708.
Favre, Bestimmung des mechanischen Aequivalentes der Wärme I, 54, 195;
n, 671, 966, 967; Erklärung, warum ein Daniellelement nicht Wasser
zersetzt I, 64; Calorimeter zu ^hermochemischen Versuchen II, 279; Be-
stimmung von Wärmetönungen 11, 290 ff.; Satz über dieselben II, 351;
Wänneentwickelung in Electrolyten durch den galvanischen Strom II, 694.
Fedorow, Verbrennung des Schiesspulvers II, 458.
Fizeau, Interferenz der Wärmestrahlen I, 9.
Flammen, Dissociationserscheinungen in denselben 11, 415.
Flüssigkeiten, Erwärmung bei Oompression dersellaen I, 485; Gesammt-
wärme I, 582; specifische Wärme I, 583; Verdampfungswärme I, 584;
kritische Temperatur I, 560, 685; Poiseuille's Gesetz II, 112; Dlsso-
ciation derselben II, 376; Ausdehnungsgesetz II, 953.
Flüssigkeitswärme I, 571.
Fluth verzögert die Erdrotation I, 131; II, 818.
Föhn n, 806.
Fortpflanzung des Schalles in Gasen n, 209; Ableitung der Fundamental-
gleichungen dafür n, 211; Intensität derselben n, 220.
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles; Laplace'sche Correc-
tion derselben I, 211, 279; Bestimmung derselben I, 279, 506; Ableitung
aus der kinetischen Gastheorie II, 210, 223, 225.
Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Verbrennung von Explosivkörpern
n, 525.
Foucault, Interferenz der Wärmestrahlen I, 9; Versuch über Erwärmung
durch Induction I, 60; II, 630.
Frölich, O., Versnche über dynamoelectrische Maschinen II, 658 und electri-
sche Ei*aftübertragung II, 663; über Sonnenwärme II, 814.
984 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
Fulminate, explosive Eigenschaften II, 511.
Function, Kräftefunction I, 155; Wirkungsfonction I, 736; II, 5; Carnot*-
sehe I, 403, 468; H, 917, 918, 921, 922; thermodynamische II, 931, Ml.
a.
Galvanische Elemente, Polarisation s. Elemente, Polarisatioii.
Galvanischer Strom, Allgemeines H, 590; Ohm'sches Geaets II, 595; Ar-
beit desselben in einem Leiter n, 599; Joule 's Gesetz H, 604; cxpciv
mentelle Bestätigungen desselben II, 605; Bestimmung der StramiirteBBtit
und des Widerstandes in absoluten Einheiten II , 614. (Siehe aodi U-
duction, electrochemische Erscheinungen.)
Gase, Arbeitsleistung derselben I, 99; Definition der vollkommenen Qmm l.
173, 204, 238; Constanten der Gasel, 253; mechanisches Wärmeftqmvikift
aus denselben 1 , 209 , 235 bis 249 , 558 ; Wänneentwickelung derselbea L
204; Temperaturemiedrigung derselben bei Expansion I, 29; Abweiebn^gM
derselben vom Mar iotte 'sehen etc. Gesetz I, 265, 541, 547; BesUmmnr
der specifischen Wärme bei constantem Volumen 1, 274; innere Enei^gie den.
I, 251, 741; Auflösung den. inFlüssigkeiten 1,750 bis 763; Mc^ecolMtheone
ders. 1, 28, 72, 95 ; Ausdehnung ders. 1, 265 ; Ausdehnung längs einer adiabasi-
schen Curve I, 270; Ausfluss derselben I, 287 bis 291; Kreiaprocease der-
selben I, 215; adiabatische Curven derselben I, 321; isothermiscfae Cmra
I, 321; geschichtlicher Abriss der Moleculartheorie derselben II, 12; Theorie
derselben von Krönig II, 19; von Clausius II, 31, 947, 950 (B.dieMBt.
von Maxwell n, 63, 948 (s. diesen); von Boltzmann II, 948 (mAt
diesen), von van der Waals II, 949; innere Reibung derselben II, 7),
956; Diffusion derselben II, 130, 956; Wärmeleitung dermlben II, lü,
957; Fortpflanzung des Schalles in denselben n, 209; Beschaffenheit ds
Molecüle ders. U, 226, 957 (Genaueres s. unter den einzelnen ArtikeiB>,
Ausdehnungsgesetz ders. II, 242, 917, 952 bis 955 ; . Wärmetönnngen den.
II, 290, 343; Dissociätion ders. II, 370; do. durch Sonnenstrahlen H, S3S;
Einwirkung electrischer Funken auf dieselben 11, 435; explosive GeBoisefae
II, 496; electromotorische Kraft ders^ben 11,689; Vorhandensein dendba
im Welträume n, 829; neuere Geschichte der Theorie derselben II, 947.
Gasmaschinen (ältere) II, 524; Erläuterung der Theorie derselben n, 529.
Gasmotor, geräuschloser, von Otto, II, 541.
Gassendi, über das Wesen der Wärme II, 867.
Gay-Lussac, Historisches über dessen Gesetz I, 88; Bestimmung der specü
Wärme der Gase bei constantem Volumen I, 274; Auflösungswärmen I, 78L
Generator II, 662.
Gerländ, Verhalten des Chlorophylls I, 129.
Gesammt wärme, Definition I, 579; einiger Flüssigkeiten I, 582.
Geschichte der mechanischen Wärmetheorie; kurzer Abriss derselben I, 72
147; eingehendere Behandlung derselben: Vorstellungen über die Wanv
im Alterthum II, 864; im Mittelalter II, 867; Gassendi II, 867; Xaf>
nenuB, Bacon von Verulam, Descartes H, 868; Hobbes, I«ock«
II, 869; Spinoza II, 870; Toland II, 871; Boyle n, 872; Newtos
II, 873; Huyghens, Hooke II, 874; Leibniz II, 876; die Ber-
noulli's n, 878; Ansichten zu Ende des 18. Jahrhunderts n, 881;
Bumford II, 886; Davy II, 895; Young II, 896; Mohr II, 897; R.
Mayer II, 900; Carnot II, 910; Glapeyron II, 916; Segain, Col;
ding II, 920; Holtzmann II, 921; Joule H, 922; Bankine II, 930*
Will. Thomson H, 931; Clausius II, 936; v. Helmholtz II« 941;
Maxwell II, 947; neuere Geschichte der Gastheorie II, 947; Geschieh»
der technischen Anwendungen der Thermodynamik II, 960; Hirn II, 9€2;
ZeunerII,968; Grashof II, 973; SchmidtII,974; Weyrauch II, 971.
Geschosse, Theorie derselben von St. Bobert H, 468; von Noble und
Abel II, 477; Verwendung des Wasserdampfes zur Fortschleudening der-
selben n, 547.
Geschütze, St. Bobert* s Theorie der Wirkung des Schiesspulven in den-
selben II, 468; Noble* 8 und AbeTs Theorie der Bewegrnng der Ge>
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 985
Bohosse in denselben 11, 477; Versuche über die Drucke in denselben II,
485; Dampfgeschütze II, 547.
ifriffard, Injecior I, 647.
Gleichgewicht der Temperatur I, 167, 173; adiabatisches in der Atmosphäre
U, 777.
Gleitungscoefficient der Gase, Bedeutung II, 92; Bestimmung desselben
durch Kundt und Warburg II, 106.
G^ongh, abnormes Verhalten des Kautschuks I, 94, 533.
3^0 vi, tische Erklärung des abnormen Verhaltens des Kautschuks Ij 94.
atradient II, 797.
3t r ah am, Versuche über den Beibungscoefficienten der Gase II, 111; über
Diffusion derselben II, 38, 142; Beobachtung der Wasserstoffocdusion am
PaUadium U, 712.
Gt ramme, Dynamomaschine mit Bingarmatur II, 636.
Graphische Darstellung der thermischen Curven I, 406; der äusseren und
inneren Arbeit 1, 412 ; des Wärmegewichtes oder Verwandlungswerthes 1, 421;
GIrrashof, Ausfluss der Gase I, 284; adiabatisoherElasUcitätscoefficient I, 507;
adiabatische Curve der Dämpfe I, 674; Zustandsgieichung der überhitzten
Dämpfe I, 711; Biographisches und Bedeutung für die Geschichte der
mechanischen Wärmetheorie II, 973.
Qrassi, Compressionscoefflcienten von Flüssigkeiten I, 487 bis 492.
Qrenzcurven, Definition I, 667.
QroTe, Dissociation von Wasser II, 375; Versuch über die verschiedene Er-
wärmung eines Drahtes in Luft und Wasserstoff durch den galvanischen
Strom II, 612.
Guldberg und Mohn, Formeln für den indifferenten Zustand der mit Wasser-
dampf gesättigten Atmosphäre II, 789.
H.
Hailauer, calorimetrische Untersuchung der Dampfmaschinell, 963,964,973.
Hailock, galvanische Polarisation 11, 691, 714.
Hamilton 'sehen Princip I, 427; Beziehungen desselben zum zweiten Haupt-
satze I, 431.
Handmann, Versuche mit einem Egg er' sehen Motor IT, 653.
Hann, Wasserdampfgehalt der Atmosphäre und Wärmeabnahme in derselben
mit der Höhe II, 788; über den FÖhn n, 806; Bestimmung des mechani-
schen Wärmeäquivalentes n, 810, 967.
Hansen, Veränderung in der Daner der Erdrotation n, 819; über Materie
im Weltraum II, 819, 837.
Hauptsatz, erster der mechanischen Wärmetheorie. Allgemeine Form des-
selben I, 216, 467; Anwendung auf vollkommene Gase £ 204; Anwendung
auf wirkliche Gase I, 254 etc.; Ableitung allgemeiner Formeln aus dem-
selben I, 467; Anwendung auf Schmelzung I, 609; Anwendung auf Ver-
dampfung I, 753; Anwendung desselben aiS die Theorie der Geschosse n,
468; do. auf die Thermoelectricität II, 726, 732, 755; Historisches II, 900,
926, 943, 960, 962.
Hauptsatz, zweiter der mechanischen Wärmetheorie. Einfache Form des-
selben I, 358; vorläufige Formulirung desselben I, 365; Besprechung des
Claus ins' sehen Beweises desselben, Entdeckung desselben etc. I, 358,
366; Beweis von Gar not I, 366; Abänderung des Gar not 'scheu Be-
weises I, 369; Einwendungen: von Hirn I, 83, 371, 374, von Bank ine
I, 384, von Wand I, 389; Verallgemeinerung des Beweises I, 391; allge-
meiner Ausdruck desselben durch eine Formel I, 414; Herleitung des-
selben ans mechanischen Prindpien I, 425 bis 465; Beziehungen desselben
zum Hamilton' sehen Princip I, 43 1 ; Anwendung desselben auf Volumen-
änderungen I, 474; Anwendung auf Verdampfung I, 612; Anwendung
dess. auf Schmelzung I, 653; Anwendung dess. auf die Theorie der Ge-
schosse II, 477; do. auf die Thermoelectricität II, 726,734,737,758; Histo-
risches II, 912, 914, 915, 921, 926, 927, 928, 929, 932, 937, 944, 945, 946,
960, 962, 969, 970; Erweiterung dess. durch v. HelmholtzII, 946, 970.
986 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
V. Hefner- Alteneck, dynamoelectrische Hasohine mit TramnailanBtuj
II,. 636.
HeisBluftmaschine, ob der Dampfinascliine überlegen I, 30, 51; Kn»
processe derselben I, 313 bis 357; Yerwandlangscoefficient dendlMB ca
Maximum I, 335; von Stirling I, 339 bis 343; von SricstonI, 34$:
von Joule I, 354.
V. Helmholtz, Beziehungen der mechcmischen W&rmetbeorie xa eleetriicbei
Erscheinungen I, 65; electrolytische Gonvection .1, 121; H, 702, 711; d»>
trische Contacttheorie II, 708; Theorie der electrolytischen AuasclkeidiiBf iv
Ionen II, 710; Erklärung der Wasserstoffocclusion dea Platäna II, TU:
Contractionstheorie der Sonne n, 824; Centralkräfte I, 153; Teoden Cf
äussere Energie zu zerstreuen I, 379; Carnot's Functicm I, 403^ 4e3;
Wirbeltheorie II, 251, 944, 959; Erweiterung des zweiten Hmaptaates ds
mechanischen Wärmetheorie n, 946, 970; Biographisches II, 941; B«i»
tung desselben für die mechanische Wärmetheorie I, 75; H, 942 bis Ml
Herapath, Moleculartheorie der Gase I, 98; II, 18, 950.
Herwig, Verhalten überhitzter Dämpfe I, 698 bis 705.
He%s, Satz von der Thermoneutralität II, 357.
Hirn, Bestimmung des mechanischen Aequivalentes der Wärme an Daaif'
maschinen I, 17, 200 bis 203, II, 963 ; desgl. an arbeitenden Menschen I, 6t
desgl. durch Btossversuche I, 218 bis 221; II, 963; Zusammenstellang seas
Bestimmungen desselben H, 966, 967 ; scheinbare Widersprüche gegea da
Glausi US 'sehen Grundsatz I, 83, 371, 374; Ausströmen von sänpf 1,
217, 610; Modification der Joule 'sehen Versuche I, 249; äbeiitiate
Dämpfe I, 705 bis 710; thermische Gurren überhitzter DSmpfe I, 715,
Hirn's Gesetz für überhitzte Dämpfe I, 706; n, 965, 971, 973, fTi;
specifische Wärme von Flüssigkeiten I, 583 ; Dampfimaech i nentbeorie H.
962, 963, 973; Gegner der Siemens 'sehen Hypothese von der &lislti^
der Sonnenenergie II, 836; Biographisches II, 962; Bedentong fär ^
mechanische Wärmetheorie II, 962 bis 965.
Hobbes, über das Wesen der Wärme II, 869.
Holman, Bestimmung des BeibungscoefBicienten der Gase II, 123.
Holtzmann, Formel für Gase undDämpfe I, 403; Bedeutung for die meekia
Wärmetheorie II, 921; Bestimmung des mechanischen Wärmeaquivakila
II, 922, 966.
Hooke, Stellang zur mechanischen Wärmetheorie II, 874.
Hoorweg, Forti>flanzung des SchaUes II, 211, 222; über das ThomsOB'sde
thermoelectrische Phänomen II, 747, 775.
Hopkins, Abhängigkeit des Schmelzpunktee vom Drucke I, 657.
Hoppe, Gegner der kinetischen Gastheorie II, 142, 955.
Horstmann, Dampfdichten I, 696; Theorie der partiellen
gen II, 395; Versuche über die relative Verwandtschaft di
zu Wasserstoff und Kohlenoxyd II, 429.
Hugon, Gasmaschine II, 524.
Huyghens, Stellung zur mechanischen Wärmetheorie II, 874.
Indicator I, 17.
Induction, electrische, Entdeckung derselben I, 57, 110; Beaehüng
zur mechanischen Wärmetheorie I, 57; Foucault's Versnch aber fr-
wärmung durch Induction I, 60; n, 630; Lenz'sches FundamentalgafB
II, 624; Formel von Neumann für die electromotoriache Kraft n, I3§.
Versuche von Joule II, 627; Ableitung der Gesetze I, 111; n, 631; Eh
Zeugung von Inductionsströmen durch electrische Maschinen II, 635, 6»^
Injector I, 647.
Ionen, v. Helmholtz's Theorie der electroly tischen Aussoheiduns dene&
n, 710.
Isodyname Substanzen II, 357.
Isodynamische Gurve, Eigenschaften derselben I, 407, der
Dämpfe I, 681; überhitzter Dämpfe I, 714.
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 987
IsothermiBohe Curyen im Allgemeinen I, 406; der Gaae I, 321; Wärme-
abgabe beim Uebergange von einer isothermischen Corve auf eine andere
I, 358; der gesättigten Dämpfe I, 680; überhitzter Dämpfe I, 714.
J.
Jacobi, Bestimmuig des Arbeitsmazimums einer electromagnetisohen Ma-
schine n, 650.
Jochmann, Abweichungen der Gase vom Mariotte' sehen Gesetze I, 541 etc. ;
Einwände gegen die Clansius'sche Gastheorie II, 44, 142, 955.
Jodstickstoff, explosive Eigenschaften n, 499, 525.
Joule, Bestimmung des mechanischen Aequivalentes der Wärme I, 11, 30, 59,
115, 242; n, 622, 630, 923, 924, 966, 967; Ausdehnung eines Gases ohne
Abkühlung I, 29; Versuche mit Gasen I, 239 bis 244; Beziehung der
electrischen Erscheinungen zur mechanischen Wärmetheorie I, 65; ab-
normes Verhalten des Kautschuks I, 93, 531; Moleculartheorie der Gase
I, 98; n, 18, 950; Ausfluss von Gasen I, 101; Heissluftmaschine desselben
I, 354; Wärmeentwickelung bei Compression von Flüssigkeiten I, 481;
Wärmeentwickelung bei Dehnung und Pressung fester Körper I, 517 bis
521; Gesetz über die durch einen galvanischen Strom entwickelte Wärme-
menge II, 604, 923; Versuche über die Aequivalenz von W$rme und Ar-
beit bei Inductionsströmen n, 627; Methode der Messung der Wärme-
absorption bei Electrolysen n, 674; Biographisches und SteUung dess. in
der Geschichte der mechanischen Wärmetheorie II, 923.
Janker, hydraulische Maschine I, 5.
K.
Kalk, kohlensaurer, Dissociation desselben II, 382.
Kant, Stellung zur mechanischen Wärmetheorie II, 881, 885.
Karolyi, Schiessbaum wolle II, 504, 514.
• Kautschuk, abnormes Verhalten desselben I, 93, 530 bis 540; phys. Gonst.
desselben I, 534.
Kirchhoff, Untersuchungen über Schallgeschwindigkeit I, 280; über Com-
pressionscoefücienten^I, 493; Untersuchungen über innere Energie I, 735;
Spannkräfte der Schwefelsäurehydrate I, 787; Wirkungsftmction I, 736;
II, 5; Ableitung des Ohm* sehen Gesetzes aus electrostatischen Piincipien
n, 592.
Knallquecksilber und Knallsilber H, 511.
Kohlensäure, Bestimmung des mechanischen Aequivalentes der Wärme durch
dieselbe I, 100, 558; specifische Wärme I, 211; Constanten derselben I,
253, 541, 558; Thomson's und Joule's Ausflussversuche mit derselben
I, 261; Abweichungen des Kohlensäurethermometers von der absoluten
Scala I, 556 ; mittlere Moleculargeschwindigkeit n, 38, 227 ; mittlere Weg-
länge der Molecüle II, 106, 136, 227, 245; Beibungscoefßcient II, 106, 122,
227; Transspirationscoefflcient II, 126; DifFusionscoefficlent H, 137, 140;
Wärmeleitungscoefücient II, 158, 199, 202, 207; Beschaffenheit der Mole-
cüle n, 227 bis 247; Wärmetönung n, 294.
Kohlenwasserstoffverbindungen, Einwirkung des electrischen Fun-
kens auf dieselben n, 442.
Kohlrausch, Bestimmung von ^ I, 275; Abhängigkeit der ElasticitätscoefÜ-
cienten von der Temperatur I, 528; Bestimmung der Stromintensität in
absolutem' Maasse II, 615;' do. des Leitungswiderstandes II, 618; Erklärung
der thermoelectrischen Erscheinungen n, 734.
Kolster, Bemerkung über Ausflussersoheinungen I, 313.
Kopp, Ausdehnung der Flüssigkeiten I, 487 bis 491; über die Molecular-
volumina der Körper II, 235.
988 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
Kraft, lebendige, gleich Arbeit I, 3; Säte von der lebendigen Knft I, lal,|
155; Anwendung desselben auf Centralkräfte I, 153.
Kräftefnnction I, 155.
Kraftübertragung durch electrische Maschinen II, 662, 940.
Krebs, Biedeyerzug I, 568.
Kreisprocess, Definition I, 313; graphische Darstellang denelben I, 317;
Carnot'scher I, 320; Carnot'scher eines beliebigen Körpen I, 3$»;
Yerwandlungscoefficient des Garnot'schen I, 322, 324, 352; bc]jrti|v|
einer Heisslufbuiaschine I, 328, 335; Zeuner 'scher Kreisproce« 1, 343i{
bis 354; umkehrbarer I, 414; nicht umkehrbarer I, 417.
Kritische Temperatur I, 560, 685.
Krön ig, Gastheorie II, 19.
Kundt, Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Bctuüles ra t9^\
schiedenen Gasen I, 281 ; über den Reibungscoefficienten d. Gase II, 102,9a<;|
über den GleitungscoefHcienten ders. 11, 107; über l^anneleitnog
II, 158, 162, 957; die specifische Wärme des Quecksilberdampfes II, sr.
Kupfer, physikallBche Constauten desselben I, 495, 519, 522, 528; Atamwitm
n, 260; Wärmetönungeu II, 300.
Kupffer, falsche Bestimmung des mechanischen WärmeaqulTslentes I, 93.
Langen and Otto, Gasmaschine (älterer Gonstruction) U, 526.
Laplace und Lavoisier, Stellung derselben zur mechanischen WämwÜitcrit
I, 73, 184; II, 885, 894; Laplace 'sehe Gorrection der Formel for &
Fortpflanzungsgeschwindigkeit I, 210, 279, 507.
Latente Wärme der Ausdehnung, Definition I, 178.
Latente Wärme der Verdampfung, Definition ders. I, 569, 584; innere 1,^9:
Leibniz, Stellung zur mechanischen Wärmetheorie H, 876.
Leydener Flasche, Sätze über dieselbe II, 567.
Leloutre, calorimetrisohe Untersuchung der Dampfmaschine H, 963, 9$4.
Lenoir, Gasmaschine 11, 524.
Lenz, Bestätigung des Joule 'sehen Gesetzes über die Wärmeentwickete
durch den galvanischen Strom II, 606; Fundamentalgesetz der Indocä»
n, 624.
Le Boux, Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalk]? I, ?TS.
Versuche über das Thomson* sehe thermoelectrische Phänomen IL TU
Le Sage, Gastheorie II, 17.
Leuchtgas, Anwendung desselben in den Gasmaschinen U, 526; Zosimwi'
Setzung desselben U, 533.
Licht, Identität mit Wärme 1,8; Beziehung zur Vegetation I, 66, 125, ITT.
Locke, über das Wesen der Wärme II, 869.
Lommel, Verhalten des Chlorophylls I, 129.
Loschmidt, über den zweiten Hauptsatz I, 459; ExperimentaluntersachiiBga
über Diffusion der Gase II, 138, 957.
Lösungen, Dissociatiou derselben II, 406 ; Lösungswärmen II. 309.
Luft, mechanisches Aequivalent der Wärme I, 209, 558; specifioche WiiaeL
253, 278; Constanten ders. I, 253, 541, 558; Thomson's and Joale'i
Versuche mit ders. I, 260; Ausströmen in die Atmosphäre I, 3O0; Jtait-
cul^rgeschwindigkeit II , 79, 227 ; mittlere Weglänge der M decnle II. t^
106, 136, 227, 245; Beibungscoefficient II, 88, 95, 106, 122, 227; Tn»
spirationscoefficient II, 126; Difl'usionscoefficient II, 137, 140; y^itat
leitungscoefficient II, 158, 199, 202, 207.
Luftthermometer, Abweichungen dess. von der absoL Scala 1, 555 ; n, K<C(
M.
Magnetelectrische Maschinen, siehe electrische Maschinen.
Magnus, Versuche über Wärmeleitung in Gasen II, 145; thermoelectmk
Versuche II, 739, 776.
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 989
tf arcet, Siedeverzag I, 568.
Mtariotte'sches Gesetz, Abweichungen der GaSe von demselben I, 263, 548;
n, 243; desgleichen der Dämpfe I, 698 bis 705.
Harly, Wasserhebungsmaschine, daselbst I, 5.
Itf asson, falsche Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes I, 93; Be-
stimmung d. Verh. ~ I, 282.
Cv
Katthiessen, Ausdehnungscoefßcient des Wassers I, 488; einiger Metalle
I, 495.
Bffaximalarbeit, Princip derselben von Berthelot n, 277.
Bfaximalspannung des Dampfes I, 565.
BCazwell, adiabatischer Elasticitätscoefficient I, 506; Moleculartheorie der
Gase U, 32, 63, 118, 127, 131, 948, 956, 957; Gesetz über die Vertheilung
der Geschwindigkeiten der Molecüle II, 68, 951, 957; Formeln fttr die
innere Reibung der Gase n, 82, 956; Versuche über dieselbe II, 98, 956;
Diifusion der Gase II, 131, 956; Theorie der Wärmeleitung in Gasen II,
143, 169, 200, 957; Fortpflanzung des Schalles in Gasen II, 224; Biographi-
sches II, 947.
Mayer, B., Bedeutung der mechanischen Wärmetheorie für die organische
Natur I, 66; Erhaltung der Sonnenwärme I, 69; II, 821; Ebbe und Fluth
I, 131; Farbenunterschied der Blutarten I, 133; May er' sehe Annahme
bei Gasen I, 540; Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalentea n,
966; Biographisches II, 901; Stellung dess. in der Geschichte der mecha-
nischen Wärmetheorie I, 75; II, 863, 900, 905.
Mechanisches Wärmeäquivalent, Bestimmung desselben durch Bumford
I, 74; falsche Bestimmung desselben durch Masson und Kupffer I,
93; Bestimmungen desselben dufch Joule I, 11, 30, 59, 115, 186 bis 193,
235; II, 621, 630; durch Edlund I, 232; durch Hirn I, 196, 203, 218,
558; II, 963; durch v. Quintus-Icilius II, 621; durch Favre n, 671;
durch Bosscha II, 688; durch Hann 11, 810; durch Bowland, II, 967;
Bestimmungen anderer Art I, 558, 618; Unveränderlichkeit I, 212; Tabelle
verschiedener Bestimmimgen desselben I, 61, 209; II, 966 bis 968; Histori-
sches II, 890, 900, 905, 912, 920 bis 924, 943, 963.
Mechanische Wärmetheorie, Grenzen derselben I, 71; kurze Geschichte der-
selben I, 148; Methode derselben I, 149; Anwendungen derselben auf die
Chemie s. Thermochemie; auf die electrischen Erscheinungen II, 555 (s.
Reibungselectricität, galvanischer Strom, Induction, electrochemische Er-
scheinungen, Thermoelectricität); auf die Meteorologie II, 777 (s. Atmo-
sphäre); auf die Astronomie II, 810 (s. Sonne, Weltkörper); Historisches s.
Geschichte der mechanischen Wärmetheorie; Erweiterung derselben durch
V. Helmholtz II, 946, 970.
Melloni, Wärmestrahlung I, 8.
Mendelejeff, Abweichungen der Gase vom MariotteUchen Gesetze 1,548;
Formel für die Temperaturabnahme mit der Höhe in der Atmosphäre II,
780.
Messing, physikalische Constanten I, 512, 528.
Meyer, Lothar, über Molecular- und Atomvolumen II, 234, 957.
Meyer, O. £., Ableitung der mittleren Weglänge der Gasmolecüle ans dem
Maxwell 'sehen Gesetze II, 74, 956; Ableitung der Formeln für die
innere Beibung der Gase II, 83, 234; Bestimmung des Beibungscoefdcien-
ten der Gase aus Pendelschwingungen II, 89; nach Coulomb's Methode
n, 93; nach Maxwell's Methode II, 100; nach der Transspirations-
methode n, 115, 120; Wärmeleitung der Gase II, 205, 957; Beschaffen-
heit der Molecüle n, 229, 245, 246, 248, 958.
Michaelis, Dissociation des Chlorschwefels II, 378.
Mohn und Guldberg, Formeln für den indifferenten Zustand der mit Wasser-
dampf gesättigten Atmosphäre II, 789.
Mohr, Bedeutung desselben für die mechanische Wärmetheorie I, 78; II, 897.
Moleculartheorie, allgemeine II, 2; der Gase I, 28; II, 12 (s. Gase).
Molecularwärme II, 272.
Molecüle, mittlere Geschwindigkeit derselben bei Gasen II, 38, 79, 227;
mittlere Weglänge derselben U, 47, 61, 77, 83, 86, 106, 136, 227, 238, 241,
990 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
245; Qaerschnitte derselben n, 226, 245; YerhältDiisBe der Völiimiii* joi
Durchmesser derselben 11, 232; absolute Grösse derselben ü, 237, 248;
WirkungBSphäre derselben ü, 46, 954, 958; Wirkungsweise denelbeB H,
248; Beschaffenheit derselben vom chemischen Standpunkte aus n, SM;
Geschichtliches über die Eigenschaften derselben n, 957.
Molecülverbindungen U, 276.
Honocyklische Systeme n, 946.
M o u s B o n , Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke. I, 66 1 ; Satz äte
Thermoelectricität n, 762.
Montier, Bestätigung der Kirchhoff 'sehen Formeln über ladmangBWMima.
I, 779 bis 782.
Müller, J. J., über adiabatische Goefficienten I, 503; über die speciil Wime
der Dämpfe bei constantem Dampfvolumen I, 629.
Muskelfaser, abnormes Verhalten derselben I, 540.
Muskelarbeit, Erklärung derselben aus der mechanischen Wärmetheorie L <7.
N.
Naccari, s. unter Bellati.
Napier, Versuche über Ausfluss der Dämpfe I, 313.
Narr, Wärmeleitungsy ermögen der Gase n, 149.
N a u m a n n , A., Satz über die Zersetzungstemperatur eines Gases II, 366 ; Diso-
ciation flüssiger und fester Körper II, 377, 381, 388.
Neumann, 0., mechanische Energie der Schwefelsäure I, 784.
Neu mann, F., Satz über die speciflsclie Wärme chemiseher Yerbindongen n.
259; physikalische Begründung desselben II, 271; Formel für die electro»
motorische Kraft eines Inductionsstromes n, 625, 634.
Neutraler Punkt eines Thermoelementes II, 736, 772, 774.
Neutralisationswärmen n, 302.
Newton, mechanische Axiome I, 152; Erhaltung der Sonnenenei^gie II, 8CA:
Stellung zur mechanischen Wärmetheorie n, 873.
Niederschläge, atmosphärische, Ursache derselben n, 803.
Nitroglycerin II, 499, 525.
Niveaufläche, Definition n, 593.
Noble und Abel, Bestandtheile und Zersetzung des Schiesspulvers H, A>7; <
Theorie der Bewegung der Geschosse in den Kanonenrohren n, 477; Ter- ■
suche über den Druck der Pulyergase II, 483.
y. Obermayer, Bestimmung des Beibungscoefficienten der Gase H, 118, 190,
122, 956.
y. Oettingen, Kreisprocess der Gase I, 315, Verwandlungscoefficient I, 317.
Ohm'sches Gesetz für den galvanischen Strom n, 592, 595.
Organische Natur in ihrer Stellung zur mechanischen Wärmetheorie I, 64;
Einwendungen aus Vorgängen in derselben gegen den zweiten Uaaptmti
I, 389.
Otto, geräuschloser Gasmotor 11, 541.
Otto und Langen, Gasmaschine älterer Construction II, 526.
P.
Palladium, Wasserstoffocclusion desselben II, 712.
Pap in, Schiesspulvermaschine n, 529.
Paraffin, Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke I, 656.
Pasteur, Alkoholg&rung I, 126.
P^clet, Wärmeleitung in Gasen II, 144.
Peirce, electromotorische Kraft der Gase II, 690.
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 991
i*eltier*s thermoeleotmcheB Phänomen U, 725, 727, 755, 772, 938; Formel
fiir dasselbe von Nacoari und Bellati U, 774.
Perpetuum mobile, Unmöglichkeit desselben I, 4, 80, 154.
i^erson, AuflÖsungswärmen I, 775.
^ e tit, siehe Dulong.
Pfaundler, Theorie der Dissociation II, 367; Dissociation einiger Bubstanzen
II, 383; Theorie der partiellen Wechselzersetzungen n, 889.
Pliänomen von Peltier, von Thomson siehe unter diesen Nainen.
Pliysikalische Chemie II, 254.
Pictet, Verflüssigung der Gase II, 952.
Pikrinsäure und Pikrate II, 509, 525.
P 1 a n k , Versuche über das Wärmeleitungsvermögen einiger Gase II, 155, 208, 957.
Plasticität des Sises I, «63.
Platin, physikalische Oonstanten desselben I, 495; Atomwärme n, 261; Ver-
bindungswärmen II, 301; Wasserstoffocdusion desselben II, 712.
Poggendorff, Bestätigung des Joule' sehen Gesetzes über die durch den
galvanischen Btrom entwickelte Wärmemenge n, 609.
Poiseuille's Gesetz über die Ansflussmenge von Flüssigkeiten II, 112.
PoisBon's Satz über die Wirkung electrischer Hassen auf einen inneren Punkt
n, 560.
PoisBou'sche Gleichung für Gase I, 297; Annahme über den cubischen Gom-
pressionscoefücienten I, 493.
Polarisation, galvanische, der Electroden I, 122; II, 674, 688; bei der Elec-
trolyse des Wassers II, 689; ältere Ansicht über die Natur ders. II, 692;
V. Beetz' 8 und Ex n er 's Untersuchungen über dies. II, 690, 696; Einwände
gegen die Resultate des letzteren II, 714; thermoeleotrische n, 726.
Potential electrischer Massen II, 559; auf sich selbst n, 564, 566; von Lei-
dener Flaschen n, 568, 572; electrisches der Sonne II, 840.
Potentialfunction electrischer Massen, Bedeutung II, 558 ; allgemeine Sätze
n, 560, 565; von Leydener Flaschen II, 570.
Pressung, Wärmeerscheinung bei derselben I, 517 bis 522.
Pressungscoefficient, thermischer, Definition I, 499; adiabatisoher I, 504.
Preston, Verbreitung des Schalles II, 224.
Prevost, Moleculartheorie der Gase II, 18.
Prlncip der Erhaltung der Energie s. Energie.
Princip von Hamilton I, 427, von DaltonI, 751; 11,130, von Dirichlet
n, 934; der Maximalarbeit von Berthelot II, 277; dynamoelectrisches
n, 655.
Puluj, Bestimmung des Beibungscoefficienten der Gase II, 106, 120, 956; Be-
stimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes II, 967.
P US Chi, Gegner der kinetischen Gastheorie n, 142, 955.
Pyroxylin siehe Schiessbaum wolle.
Q.
Quecksilber, Atomwärme II, 261 ; Wärmetönungen 11, 300 ; specifische Wärme
des Quecksilberdampfes II, 267.
V. Quintus-Icilius, Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes I,
61; n, 621, 966; Versuche über Thermoelectricität II, 729.
Bank ine, Entdeckung der Oondensation des Wasserdampfes bei Expansion I,
41, 102; zu allgemeine Auffassung der mechanischen Wärmetheorie I, 148;
Wirbeltheorie I, 214; II, 251, 930, 958; Bemerkungen über Ausfluss-
erscheinxmgen I, 313; Hypothese über die Wiederherstellung der äusseren
Energie I, 381; Widerlegung dieser Hypothese I, 382; Abweichungen der
Gase vom Mar iotte' sehen Gesetze I, 546; II, 953; Spannkraftsformeln
I, 596; Dampfmaschinentheorie H, 960; wahre speciflsche Wärme II, 10;
992 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
Biographiflcheg H, 030; Bedeutung für die mecbaniiclie Wännetbeovie n,
927, 928, 931.
BeceptOT tl, 662.
Becknagel, Zastandsgleichnng wirklicher Gtase IL, 953.
Begeneratoren I, 103.
Begelation I, 663.
Begnauld, electxomotoriscbe Kraft der Amalgame I, 65; EiniloflB da Amil-
gamirens der Metalle 11, 678.
Begnault, Wiederholung der Joule* sehen Qasversuche I, 32 ; Yervociie öter
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles I, 279; Abweiebangen derGa«
vom Mariotte' sehen Gesetze I, 264, 541 ; n, 243; Mesrangen der Spana-
kräfte I, 585 bis 595; Messungen der Verdampfungawärmeii I, 582; sped-
flsche Wärmen von Flüssigkeiten I, 583; Spannkräfte Ton Flnasigkeito-
gemischen I, 586.
Beibung, Definition derselben I, 6, 185; des Blutes in den Oefiaeen I, 124:
Erklärung derselben nach alter Anschauung I, 197; innere, der Qa«:
Bedeutung und Ableitung der Formeln für dieselbe n, 80; HiatoritclMi
n, 956.
Beibungscoefficient, Definition 11, 82; experimentelle Beetüninimg daa
bei Gasen durch O.E.Meyer II, 88, 93, 99, 115, 120; Maxwell fi, 96;
Kundt und Warburg Ö, 102; Puluj n, 106, 118, 120; Abbiagi^sit
desselben von der Dichte und dem Drucke des Gases H, 86, 96, 103, 111.
118; do. von der Temperatur n, 86, 97, 118, 122; Erklfirnng denelbai IL
. 128; Grösse des Beibungscoefficienten der Gase II, 86, 88, 91, 96, 99, 10t
105, 106, 122, 127.
Beibungselectricität, Ableitung der wichtigsten Formeln II, 567; Be-
stätigung derselben durch die Versuche Yon Biess 11, 574, von Villari
n, 581; unvollständige Entladung einer Batterie n, 583; CaeeadeBbatlene
n, 588.
Beibungsversuche, yon Bumfor'd I, 74, 197; II, 888; von Joule I, W
bis 195; von Favre I, 195; von Hirn I, 196; II, 966; von Yiolle uad
Laboulaye I, 558; von Bowland II, 967.
Beichenbach, Wasserhebungsmaschine I, 5.
Beusch, abnormes Verhalten der Guttapercha I, 94, 540.
Beye, Abweichungen der Gase vom Mariotte' sehen und Qay-Lussac*-
schen Gesetze I, 263; über Drehstürme II, 795.
Biess, Versuche über die Wärmeentwickelung durch Beibungeeleetneitit n.
574; do. bei unvollständigen Entladungen II, 586; do. bei der Caaesdo-
batterie II, 589.
Bitter, Untersuchungen über gasförmige Weltkörper n, 843; Anwendung der
mechanischen Wärmetheorie auf die Sonnenphysik II, 851; über ver-
änderliche Sterne und Nebelflecke n, 855; über die Atmosphären ftstv
Weltkörper U, 860.
St. Bober t, Theorie der Wirkung des Schiesspulvers in den GeachützrohrcB
II, 468.
Böntgen, Quotient der specifischen Wärmen bei Luft I, 211, 277; IL 2SS,
266; bei Kohlensäure I, 211, 277; bei Wasserstoff I, 277; bei Sanentoi^
Stickstoff II, 223.
Boux, Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des SchaUes I, 279;
Versuche über das Thomson'sche thermoelectrische Phänomen H, 744.
Bowland, Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes II, 967, 968.
Büdorf, Auflösungswärmen I, 769.
Bumford, Beibungsversuche desselben I, 74, 197; II, 888; Bedeutung für die
mechanische Wärmetheorie II, 886.
s.
Salpetersäure, Neutralisationswärmen n, 302 ; Dissociation derMlben Ü, 374.
Salze, Auflösungserscheinungen derselben I, 764 bis 783; Wftrmeentwickehnig
bei der Bildung und chemischen Zersetzung derselben II, 320; do. bei der
Electrolyse II, 698; Dissociation derselben ü, 385; Beschaffmheit der
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 998
liösnngen derselben II, 406; eleotromotorisobe Kraft der Polarisation bei
denselben II, 698, 715.
alziösangen, Dampfspannungen derselben I, 763 bis 782; Mischung der-
selben I, 763 bis 782 ; Eigenschaften derselben bei der Dissociation II, 406.
auerstoff, mechaniBcheB Aequivalent der Wärme aus demselben bestimmt
I, 209, 235; physikalische Constanten desselben I, 211, 253; mittlere Mole-
culargeschwindigkeit n, 38, 79, 227; mittlere Weglänge der Holecüle II,
136, 227; Beibungscoefficient II, 122, 227; Diffasionsooefflcient II, 137;
Wärmeleitungsooefficient H, 158, 199, 202, 207; Beschaffenheit der Hole-
cüle II, 227 bis 236; Versuche über die relative Verwandtschaft desselben
zu Wasserstoff und Kohlenozyd II, 429.
oalen, thermische I, 167 bis 170; II, 1000.
Chemnitz, Lnftcompressionsmaschine I, 30.
• chiessbaumwolle II, 503, 525.
ichiesspulver, BestandtheUe \fnä Zersetzung II, 455, 525 ; Theorie desselben
nach Bunsen und Schischkoff II, 463; do. der Wirkung desselben
nach St. Bober t II, 468; do. nach Noble und Abel II, 477; Versuche
über den Druck der Pulvergase II, 482; Vergleichung der Versuchsresultate
mit d^r Theorie II, 490; Schiesspulver mit abweichenden Zusammen-
setzungen n, 494.
Ichischkoff, BestandtheUe und Zersetzung des Schiesspulvers IX, 455 ; Theorie
desselben II, 463.
Ichmelzen, Anwendung des ersten Hauptsatzes auf dasselbe I, 609; An-
wendung des zweiten Hauptsatzes auf dasselbe I, 653.
Schmelztemperatur, Abhängigkeit vom Drucke I, 653; II, 932; einiger
Substanzen I, 655 bis 657.
Schmelzwärmen II, 336.
Schmidt, G., Zustandsgieichung für überhitzte Dampfe I, 708; II, 975; Bio-
graphisches II, 974; Bedeutung für die mechanische Wärmetheorie II, 975.
Schmulewitsch, abnormes Verhalten des Kautschuks I, 537; desgleichen der
Muskel^er I, 540.
tchröder van der Kolk, Satz über die Energie der chemischen Wirkungen
n, 359.
Ichwefel, Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke I, 657.
Schwefelkohlenstoff, physikalische Constanten I, 626, 685.
Ichwefelsäure, Spannkräfte der Gemische derselben I, 788, Neutralisations-
wärmen derselben II, 302.
Schwefelwasserstoff, Beschaffenheit der Molecüle II, 227 bis 239; Neu-
tralisationswämien n, 303.
Schweflige Säure, Beschaffenheit der Molecüle II, 227 bis 239; Neutralisations-
wärmen ders. II, 304.
Schwingungen, Sätze von den kleinsten I, 162.
Scily, Beziehungen des zweiten Hauptsatzes zum Hamilton* sehen Principe
I, 431 bis 433.
»ieden I, 566.
liedetemperatur I, 565 bis 572.
Siedeverzug I, 566.
Seguin, zur Theorie der Dampfmaschinen I, 133; Bedeutung für die mecha-
nische Wärmetheorie II, 920.
Siemens, Werner, Entdeckung des dynamoelectrischen Prinoips II, 655; elec-
irisches Sonnenpotential II, 840; electrische Widerstandseinheit II, 620.
Siemens, Will., Ausdehnung überhitzten Wasserdampfes I, 698; Wassergas-
maschine I, 734; Hypothese über die Erhaltung der Sonnenenergie II,
825; Einwände gegen dieselbe n, 836.
Silber, physikalische Constanten desselben I, 495; Atomwärme II, 261; Ver-
bindungswärmen U, 300.
Silbermann, Calorimeter zu thermochemischen Versuchen II, 279; Bestimmung
von Wärmetönungen n, 290; Satz über dieselben II, 351; Bestimmung des
mechanischen Wärmeäquivalentes II, 966.
Solarconstante II, 813.
Sonne, Bedeutung derselben für die Erde n, 810; ausgestrahlte Wärmemenge
derselben n, 812; ältere Hypothesen über die Erhaltung der Energie der-
Bühlmann, Mechan. Wärmetheorie. Bd. II. ^3
994 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
selben I, 69; II, 819; Theorie von W. Thomson I, 70; EL, 8S2, 935; Gn-
tractionstheorie von v. HelmholtzII, 824; Hypothese von WilL 8 iemeiJ
II, 826; Einwände aus der Mechanik g;eg;en diese letztere n. 83«; Tmr
peratur der Oberfläche derselben II, 833; electrisches Potential denelbei
U, 840; Betrachtungen von Ritter über dieselbe II, 851.
Spannkräfte, Begnault's Messungen derselben I, 585; einiger FUu8i|;keit<i
I, 587, 595; Bankine's Formeln I, 596; der Salzlösungen I, 764 bis 7ti:
der FlüBsigkeitsgemisohe I, 787.
Speoifische Wärme im Allgemeinen» allgemeine Aoffassiin^ denelbeadird
Zeuner I, 308, 345.
Specifische Wärme, wahre, Definition II, 10; Gesetz für dieselbe II, 270; da
Verbindungen II, 272.
Specifische Wärme bei constantem Drucke, Definition I, 181; ^aig«
Gase I, 204; einiger Flüssigkeiten I, 491, 583; einiger Metalle I, 495; ds
gesättigten Dämpfe I, 579, 604, 619; überhitzter Dampfe I, 693; der Bi-
mente II, 260.
Specifische Wärme bei constantem Volumen, Definition I, 178; 4k
Gase I, 204; Bestimmung des Verhältnisses ^ I, 273, 282, 506; U, SM;
Cv
einiger Flüssigkeiten I, 489 bis 491; einiger Metalle I, 495, 512, 523; ia
Dämpfe bei constantem Dampfvolumen I, 629.
Spectrum des Chlorophylls I, 127.
Spinoza, über das Wesen der Wärme II, 870.
Stationäre Bewegung I, 437.
Stearin, Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke I, 657.
Stefan, Beibungscoefficient der Gase II, 106, 128; Ergänzung zn dem Daltoi-
schen Principe II, 130; Diffusion der Gase II, 131, 141, 956; Wänneieitaif
der Gase II, 150, 208, 957.
Stickstoff, mechanisches Wärmeäquivalent aus demselben bestimmt I, 9Cf.
235; specifische Wärme dess. I, 211; physikalische Gonstanten dess. L tiS,
mittlere Moleculargeschwindigkeit II, 38, 79, 227 ; mittlere Weglänfe dsr
Molecüle 11, 227, 245; Beibimgscoefficient II, 122, 227; TrannpiiaooM-
coefficient II, 126; Wärmeleitungscoefficient n, 158, 199, 202, 207; Bt-
schaffenheit der Molecüle II, 227 bis 245; Wärmetonungen 11, 293.
Stickstoffv erbindun gen, Einwirkung des electriachen Funkens auf
n, 443.
Stirling, Heissluftmaschine I, 43, 339 bi9 343.
Stokes, Bestimmung des Beibungscoefficienten der Gase n, 87.
Strahlung zwischen zwei Flächen I, 384 bis 388.
Sturm, Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit desSchallee imWi
I, 507.
Sturmtheorie von Beye II, 795.
Synchrone Schwingungen, Abers Hypothese von denselben £1, 521.
T.
Tait, Unrichtigkeiten bez. der Geschichte der mechanischen
II, 921.
Täte, Dampfdichte I, 597.
Temperatur, Definition I, 166, 459; Gleichgewicht derselben I, 167, ITI;
Scalen ders. I, 167; II, 1000; Einfluss ders. auf die innere Beibang Ai
Gase II, 118; auf die Diffusion derselben n, 134, 140; auf das Want
leitungsvermögen derselben II, 164; auf die Verbindungswärmen II, M
der Pulvergase II, 473, 479; Abnahme derselben in der Atmosphäre m
der Höhe 11, 780, 784; der Sonnenoberfläche II, 833; absolute s. absoiM
Temperatur. i
Tendenz der Wärme von heisseren Körpern auf kältere überzugeben I, Sl
109; der Zerstreuung der Energie II, 933, 937. J
Thermochemie, Allgemeines II, 254 ; Fimdamental8&tzeII,274; experimentdl
Grundlagen II, 279 (fl.auchDi8Sociation,Exploaivk5rper, Wärmetdnangelfll
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 995
Thermochemische Bestimmnng der electromotorischen Kraft I» 123.
Thermodynamik siehe mechaDische Wärmetheorie.
Thermodynamisches Aequivalent ü, 357.
ThermodynamiBche Fonction II, 931, 961.
Thermoelectricität, Allgemeines nnd Historisches II, 724; experimenteller
Nachweis des P e 1 1 i e r ' sehen Phänomens II, 726 ; Versuche von v. Quintus
Icilins II, 729; ältere Thomson'sche Theorien, 731; die zweite II, 737 ;
Thomson's Phänomen II, 735,736, 740, 775,935; Theorie von Clansius
II, 754, 938; Erweiterung derselben von Buddelt, 761; experimentelle Be-
stätigungen II, 773; thermoelectromotorische Kraft II, 735, 738, 759, 764;
empirische Formel für dieselbe von Avenarius II, 765.
Thermoelectrische Polarisation II, 726.
Thermoelectrisches Diagramm II, 769; Phänomen von Peltier II, 725,
727, 755, 772, 938 ;. Phänomen von Thomson II, 735, 736, 740, 935.
Thermoelectromotorische Kraft n, 735, 738, 759, 764, 765.
Thermometer, Erfindung desselben I, 170.
Thermoneutralität, Satz von Hess über dieselbe n, 357.
Thompson, Benj., s. Bumford.
Thomsen, J., calorimetrische Untersuchungen I, 762, 779, 786; II, 283; Be-
stimmungen von Wärmetdnungen II, 290 ff.; Sätze über dieselben II, 357;
Wärmetönungen der chemischen Beactionen in galvanischen Elementen
n, 682.
Thomson, J., Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke I, 658; II, 932.
Thomson, W., Versuche mit Joule über Oasausfluss 1,34, 256 bis 270; Princip
dieser Versuche I, 101, 254; Tendenz der Zerstreuung der Energie I, 143,
379; n, 933, 987; Definition der Temperatur I, 463; Abhängigkeit des
Schmelzpunktes vom Drucke I, 659; 11, 932; Untersuchungen über innere
Energie I, 735; Wirbeltlieorie II, 252, 944, 959; absolute Einheiten II,
639; Theorie der Thermoelectricität 11, 731, 737; thermoelectrisches Phä-
nomen II, 735, 736, 740, 775, 935; thermoelectrisches Diagramm n, 769;
Formel für die Temperaturabnahme in der Atmosphäre mit der Höhe
II, 780, 787; Theorie der Erhaltung der Sonnenenergie I, 70; H, 822, 935;
Biographisches II, 931; Bedeutung für die mechanische Wärmetheorie 11;
925, 927, 928, 932 bis 935.
Thomson'sche Gleichung Z = -=• • -^ I, 475; II, 918; Anwendung dieser
Gleichung auf feste Körper I, 492; unvollständige Bestätigung derselben
I, 524.
Toland, Stellung zur mechanischen Wärmetheorie II, 871.
Tornados II, 795, 803.
Transspirationscoefficient der Gase II, 126.
Troost, Dissociation der Unt«r8alpetersänre II, 372; Bestimmung von Wärme-
tönungen n, 295.
Tyndall, Gletschertheorie I, 666.
u.
tJeberhitzter Dampf, Abweichungen vom Mariotte'schen Gesetze I, 692,
699; specifische Wärme desselben I, 693; Volumen I, 698; thermische
Curven desselben I, 705 bis 710; Zustandsgleichung desselben I, 711; II,
953 his 955, 965, 972, 975, 976; isodynamische Curve desselben I, 714; iso-
thermische Gurve desselben I, 714; Haschinen mit überhitztem Dampfe
I, 729 bis 734; 11, 962; Hirn's Gesetz für denselben I, 706; H, 965, 971,
972, 975; Darstellung der Theorie dess. von Hirn I, 706, von Zeuner
n, 972, von Grashof II, 974, von Schmidt II, 975, von Weyrauch
II, 976.
Ueherschmelzen I, 611.
Ueberströmen eines Gases zwischen zwei Gefässen I, 296.
Untersalpeter säure, Dissociation derselben II, 372.
996 Alphabetische« Sach- and Namenregnter.
V.
Variirende Bewegung eines Punktes I, 441.
Yegetationi Beziehung zum Lichte I, 66; ohne Lidht I, 125.
Vetbrennungswärmen der Explosivkörper 11« 525.
Verbindungswärmen, Abhängigkeit derselben von Temperatur und Aggre^-
zustand n, 284; Grösse derselben ü, 290 (s. auch Wärmetdnoiigcn^
Verdampfung, Anwendung des ersten Hauptsatzes auf dieselbe I« 57S; i»-
wenduug des zweiten Hauptsatzes auf dieselbe I, 612.
Ver dam pfungs wärme einiger Flüssigkeiten I, 584; des WasMis I, 58S; Q.
336, 972; verschiedener Substanzen n, 336, 337.
Verdichtungscoefficient n, 238.
Vertheilungsgesetz der Gheschwindigkeiten der Molecüle von M mzwell IL
68, 951, 957.
Verwandlungscoefficient, Definition, Vorwort I, 47, 315; 11,639; MaTTW
desselben I, 47; der Erics so naschen Maschine I, 104; des Carnot*ffheE
Kreisprocesses I, 322; Maximum desselben bei HeiBsluitmaecfaiiieo I, 3&
beliebiger Maschinen I, 422 ; einer Bampftnaschine mit ToUatändiger Ei-
pansion I, 717; desgleichen mit unvollständiger Expansion I, 722; efectn
scher Maschinen II, 642.
Verwandlungen, Aequivalenz derselben I, 137, 405.
Verwandlungswerth I, 405; II, 929; Formel desselben I, 420; graphisefer
Darstellung desselben I, 420.
Villari, abnormes Verhalten des Kautschuks I, 535; Versuche über die Wäis»
Wirkung der electrischen Funken U, 581, 587.
Violle, Bestimmung der Solaroonstante II, 813; Messung der Temperator is
Sonnenoberfläohe II, 834; Bestimmung des medumischen WSnneiqSr
valentes n, 967.
Virial, Beziehung zur lebendigen Kraft I, 437.
Volta' scher Fundamentalversuch erklärt von Exner n, 703.
Volumenänderungen, Wärmeerscheinungen bei denselben (Edlnnd) I, Ci
bis 232, Joule I, 481; Anwendung des zweiten Ebraptaaties auf diesielba
I, 474; Thomson*s Formel für die Erwärmung bei derselben I, 481.
w.
van der Waals, Formel für die mittlere Weglänge der Molecüle n, 241; Aia-
dehnungsgesetz für wirkliche Gase H, 242, 954; Grösse der Moleeöle H
245, 958; Moleculartheorie n, 948, 949.
Wachs, Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Drucke I, 657.
Wallrath, Erwärmung desselben durch Compression I, 484; Abhängigkeit da
Schmelzpunktes desselben vom Drucke I, 657.
V. Walten hofen. Versuche über electrische Maschinen n, 653, 657.
Wand, Einwendungen gegen den zweiten Hauptsatz I, 389.
War bürg, über den Beibnngscoefficienten der Gase II, 102,956; den Oleitang*-
coefflcienten derselben II, 107; über Wärmeleitung derselben H, 158, IC
957; über die specifische Wärme des Quecksilberdampfes n, 267.
Wärme durch Auflösung von Zink I, 54; siehe latente, specifiache T€^
dampfungs- etc. Wärme; Entwicklung derselben I, 20; Entziehung ätr-
selben I, 23; strahlende I, 214.
Wärmeäquivalent I, 177; siehe Mechanisches Aequivalent, Aequivalent.
Wärmeausstrahlung der Sonne n, 813.
Wärmecapacität si^e specifische Wärme, wahre.
Wärmeconvection II, 144.
Wärmeentwickelung, Definition I, 20; bei Compression von Gasen I, 2^
bei Compression von Flüssigkeiten I, 481; bei Dehnung fester Korptr l
513; durch chemische Processe II, 274, 338; Grösse derselben H, SSO ff:
bei Lösungen II, 406; durch Explosivkörper n, 525; durch den eWctir
Alphabetisches Sach- und Namenregister. 997
Bchen Funken II, 579, 587, 590; durch den galvanischen Strom 11, 590;
Joule *8 Gesetz dafür II, 604, 923; durch iDductionsströme II, 627; in
den galvanischen Elementen II, 680; in Electrolyten n, 694; durch das
Peltier'sche Phänomen II, 729, 731, 764; durch das Thomson'sche
Phänomen n, 740, 764.
"Wärmegewicht I, 420.
^Wärmeleitung derGasell, 142; Versuche von Pöclet II, 144; von Magnus
n, 145; von Narr II, 149; Stefan II, 160; Plank II, 155; Winkel-
mann n, 156; Kundt und War hur g II, 158; Ahhängigkeit derselben
vom Drucke n, 162, 200, von der Temperatur II, 164; Theorie derselben
nach Clausius II, 169, Maxwell II, 199; von Gasgemischen II, 208;
Geschichtliches n, 957.
l^ärmeleitungscoefficient, Definition 11, 148; Grösse II, 158, 161, 199,
202, 207.
^Wärmemenge, Definition I, 177; Ermittelung derselben I, 215.
^Wärmepotential II, 931.
mr arme quellen, Reibung I, 11, 30, 187, 195; electrischer Strom I, 62; In-
duction I, 60; chemischer Process I, 62; Yolumenänderung I, 222, 481.
VTärmetönung (gleich Yerbindungs wärme bei Entstehung eines Molecüles),
bei Verbindungen von Metalloiden II, 290; von Metallen mit Metalloiden
II, 296 ; bei der Neutralisation von Säuren und Basen II, 302 ; bei Lösun-
gen in Wasser 11, 309; bei ein&chen und doppelten Zersetzungen n, 320;
bei der Bildung organischer Verbindungen n, 326; Multiple bei ders. 11,
841; Sätze über dieselbe II, 351; von Explosivkörpem II, 509, 525; bei
der Electrolyse des Wassers n, 677, 689; in galvanischen Elementen II,
684, 707; bei Electrolysen II, 698; Beziehung zur electromotorischen Kraft
n, 632, 673, 716.
Wärmetransport, electrischer (nach Thomson) n, 749, 935.
Wasser, Wärmeentwickelung desselben durch Compression I, 485; physika-
lische Gonstanten desselben I, 487, 560, 588 bis 595, 685; Dissociation des-
selben II, 357; Wärmetönung desselben II, 290, 677, 689; Electrolyse des-
selben n, 688.
^Wasserdampf, Tabelle für denselben I, 588 bis 595; Dichte desselben I, 597,
670; specifische Wärme des gesättigten I, 604; specifische Wärme des über-
hitzten I, 694 ; specifisches Volumen des überhitzten I, 697 ; Ausdehnungs-
coefficient desselben I, 698; Beschaffenheit der Molecüle desselben n, 227
bis 239; Verwendung desselben zur Fortschleuderung von Geschossen II,
547; Gehalt der Atmosphäre an demselben 11^ 788; Geschichtliches über
die Anwendung desselben in Dampftnaschinen II, 960.
Wasserstoff, mechanisches Wärmeäquivalent mit demselben bestimmt I,
209, 285; physikalische Constanten desselben I, 211,253, 278; Verbrennungs-
wärme desselben I, 63; n, 290; Thomson's und Joule' s Versuch mit
demselben I, 263; mittlere Moleculargeschwindigkeit II, 38, 79, 227;
mittlere Weglänge der Molecüle II, 106, 136, 227, 245; Beibungscoefßcient
n, 106, 122, 227; Transspirationscoeffioient II, 126; Diffusionscoefßcient II,
140; Wärmeleitungscoefficient II, 158, 199, 202, 207; Beschaffenheit der
Molecüle n, 227 bis 247; Occlusion desselben in Platin und Palladium
n, 712.
Waterston, Erhaltung der Sonnenwärme I, 70; H, 821.
Watt, Indicator I, 17; Dampfmantel I, 724; Satz über die Expansion des ge-
sättigten Wasserdampfes II, 936, 961.
Weber, H. F., Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes II, 967.
Weber, W., absolute Einheiten II, 615, 617, 619; Bestimmung der Strom-
intensität in absolutem Maasse II, 615; electrodynamisches Grundgesetz
II, 939; Bestimmung des mechanischen Wärmeäquivalentes II, 966.
Wechselzersetzungen, partielle, Theorie derselben von Pfaundler II,
389, von Horstmann n, 395.
Weinstein, B., Abweichungen der Gasthermometer von der absoluten Tem-
peratur II, 1000.
Weisbach, Ausflussformel für Gase I, 294.
Weltkörper, gasförmige, Untersuchungen von Ritter über dieselben II,
843; adiabatiKcher Gleichgewichtszustand derselben II, 847; Bitteres Be-
998 Alphabetisches Sach- und Namenregister.
trachtuugen über veränderliche Sterne und Nebelflecken II, -S»5: £e
AtmoepMren fester Weltkörper (na<^ Bitter) II, 860.
Wertheim, Annahme über den GompresnonBcoefficaenten I, 493; Bcatinnmi
einiger Elasticit&tscoefficienten I, 528.
Weyrauch, Theorie der überhitzten Dämpfe U, 976.
Wiedemann, G., Dissociation wasserhaltiger Balze II, 385.
Wie dem an n, £., specifische Wärme der Gase n, 1000.
Windhausen, Eismaschine I, 301.
Winkelmann, Wärmeleitong der Gase H, 156, 162, 164, 203, 957.
Wirbelstürme II, 795, 802.
Wirbeltheorie n, 251 bis 253, 930, 944, 958, 959.
Wirksamer Magnetismus einer electrischen Haschine II, 657.
Wirkungsfunction eines Körpers (nach Kirehhoff) I, 736; II, 5.
Wirkungsgrad nach Zeuner I, 315; siehe Vorrede zum ersten Bande.
Wirkungssphäre der Molekeln II, 46, 954, 958.
Witte, Methode zur Bestimmung der specifischen Wärme bei constaiilm T*>
lumen I, 279.
Wolff, Chr., über das Wesen der Wärme II, 881.
WoUaston, Beobachtung über die Wärmewirkuog des galTaniachen Strana
n, 605.
Wretschko, Diffusion von Gasgemengen II, 141.
V. Wroblewsky, Verflüssigung der Gase n, 952.
Wüllner, Dampfspannungen der Salzlösungen I, 769; desgleichen TonfliuBr-
keitsgemischen I, 789.
Wurtz, Dissociation des Bromwasserstoffamylens II, 373.
Y.
Young, Stellimg zur mechanischen Wärmetheorie I, 74; II, 896; Terrbtf
dem Worte Energie allgemeine Geltung II, 931.
z.
Zersetzungscoefficient der Ezplosivkörper n, 515.
Zersetzungstemperatur eines Gases II, 366.
Zerstreuung der Energie I, 143, 379; II, 933. 937.
Zeuner, Ausfluss der Gase I, 283 ; neuere Darstellung der Augfluasci m Iwiim-
gen I, 304; allgemeinere Auffassung der specifischen Wärme I, 308; A»
flussexponent I, 310; Kreissprocess desselben I, 345; grai^iische Dantefiof
des Wärmegewichtes I, 420; Definition der absoluten Temperatur L46;
Ausströmen von Dämpfen I, 631; Theorie des Injectora I, 647; Thajir
dichte I, 670; adiabatische Curve der Dämpfe I, 674; iaodynamische Cnnt
der Dämpfe I, 683 ; Curve constanterDampfioienge 1,684; innere latente lOm
I, 685; Verwandlungscoefficient einer Maschäell, 639; BiographischeilL
968; Bedeutung für die mechanische Wärmetheorie H, 968 bis 973: ^
Standsgleichung der überhitzten Dämpfe I, 708; n, 972; Formel firAt
Verdampfungswärme des Wassers II, 972.
Zink, Verbindungswärme desselben I, 54; II , 298; Auflösiing in Säsrao 1|
123; Atomwärme II, 261; Einfluss des Amalgamirena deaaelbeii ii ^
galvanischen Elementen II, 678.
Druckfehl er Verbesserungen.
Bd. I, Seite 70, Zeile 19 von oben moss es heissenWaterBton statt Waterson.
Bd. I, Seite 165, Zeile 9 von unten muBS es heiasen X -^ x statt X ~\- z.
Bd. I, Seite 225, Zeile 7 von oben moss es heissen Fig. 22 statt Fig. 20.
Bd. I, Seite 268, Formel 29, mnsi es heissen ^ statt -^ •
Bd. I, Seite 297, Zeile 7 von oben mosB es heissen vollkommener statt vollkommenen.
Bd. I, Seite 305, Zeile 12 von oben moss es heissen Beschleonigung statt be-
schleunigende Kraft y.
Bd. I, Seite 306, Zeile 3 von unten muss es heissen Gl. 3) statt Gl. 2).
Bd. I, Seite 350. Herr Prof. O. Ghwolson in Petersburg, der die Güte
hatte mich auf eine Beihe von Druckfehlern aufmerksam zn machen, war so
liebenswürdig mir einen anderen Beweis für die letzte Gleichung auf S. 350
mitzatheilen, der vor dem dort gegebenen den Vorzug hat, dass es bei dem-
selben nicht nöthig ist, den zweiten Hauptsatz zu benutzen, dessen Verwendung
an dieser Stelle in der That misslich ist. Dieser neue Beweis lautet:
MultipUcirt man die Gleichungen:
so ergiebt sich:
Dividirt man femer die Gleichungen:
Ps \V2/
Sl — f^X
' Pi _. /üaLLülY
und
80 findet man:
j/ \V2/
Pl V^8/
. p' \»2 • ^U
iL
Pü
Da nun die linken Seiten der beiden gewonnenen Gleichungen überein-
stimmen und x nicht gleich — sein kann (denn sonst würde B C mit CD zü-
rn ^
1000
Druckfehlerverbesserungen.
sammenfallen), so ist das gleichzeitige Besteben beider Gleichangen nur mÖfbA,
wenn:
««
1/
ist.
t?a . Vi
= 1 und
PZ'P'
Hieraus ergiebt sieb durch Division der beiden letzten Gleichongen «>£Drt:
(t?8 . j?8) .{f/.p^)
(V2P2) . (ViPi)
= 1.
was zu beweisen war.
Damit ist dann gezeigt, dass unter allen in diese ganz allgemeine CbiM
fallenden Arten von Kreisproceesen der Garnot 'sehe den grGasten Wiikonp-
grad besitzt.
Bd. I, Seite 372 in Formel 3 muss es im Nenner heissen x statt t
Bd. I, Seite 376, Zeile 7 von oben muss es heissen Vq statt Vj.
Bd. I, Seite 377, Zeile 5 von unten müssen die Worte gestrichen werden: v«kk
gleich Cv + dB,n ist.
Q 0
Bd. I, Seite 401, Zeile 4 von oben GL 12 muss es heissen -—- statt •^•
pdo \q
Bd. I, Seite 414, Anmerkung, muss es heissen / -^ statt / ■—•
Bd. I, Seite 428, Gl. 4, muss es vor dem zweiten Summationtzeichen — itu
-|- heissen.
Bd. I, Seite 429, Zeile 5 von unten muss es Gl. 4 statt GL 7 heissen.
Bd. I, Seite 443, Formel 30) und 33) muss es rechter ELand lauten:
Sh -{- 2 ^ . (f . lognat i statt h ■\- 2h. lognai u
Bd. I, Seite 515, Zeile 3 von oben muss ea dP statt dP heissen.
Bd. I, Seite 515, Zeile 9 von unten muss es (f P statt d' P heissen.
Bd. I, Seite 554, Zeile 3 von oben muss es heissen: & = — 0,00093243 ittf:
— 0,00003243, ein Fehler, der aus der benutzten JochmanD'scha
Originalarbeit herrührt. Dadurch wird auch die Tabelle auf 6. Ui tv-
ändert; und nach B. Weinstein, Üeber die Beduotion der Aagite
von Gasthermometem auf absolute Temperaturen, Berlin 1881, Batet
lautet die dritte Spalte: « — (T — 273,89):
Nach J
ochmann
Nach Weinsuil
Cp nach Begnault
Cp nach £. Wiedemann
0»
0
0
0
10»
— 0,0l5
— 0,018
— 0,020
20«
— 0,026
— 0,031
— 0,034
30<>
— 0,034
— 0,040
— 0,045
40«
— 0,040
— 0,046
- 0,051
50»
— 0,041
— 0,047
— 0,053
60^
— 0,039
— 0,045
-0.050
70«
— 0,033
— 0.039
— 0,043
80«
— 0,025
— 0,029
— 0,032
90«
— 0,013
— 0,016
— 0,01«
100«
0
0
0
J
Drückfehlerverbesserungen. 1001
Bd. I, Seite 637, Zeile 9 von unten muss es heissen 8. 636 statt S. 634.
Bd. I, Seite 641, Zeile 4 von oben muss ee heissen die Gewichtseinheit des Ge-
misches statt das Gemisch.
Bd. I, Seite 686, Zeile 12 von oben fehlen nach: „so folgt" die Worte: „aas
GL 28) und 29), wenn man x = con$t setzt".
Bd. I, Seite 698, Zeile 9 von oben muss es 0,003902 statt 0,002902 heissen.
Bd. I, Seite 698, Zeile 10 von oben muss es 0,003959 statt 0,003059 heissen.
Bd. I, Seite 707, GL 13 mnss es im Nenner des ersten Braches in der Klammer
J . c« . (x — 1) statt Cü . (x — 1) heissen.
Bd. I, Seite 713, Zeile 5 von oben, mass es heissen:
Cp 1 , Ä * x^ «iP 1 12
-£. = X := und Cd — Ct> = -X statt -s- = x = = ^ •
Cv 1 — m ^ J Cv 1 — m J
Bd. I, Seite 713, Zeile 7 von oben mass J im Zähler statt im Nenner stehen.
Bd. I, Seite 7ia, Zeile 6 von unten muss es r^ statt r heissen.
Bd. I, Seite 722, Zeile 11 von unten muss es 29,7 statt 25,7 heissen.
Bd. I, Seite 723, Zeile 11 von oben muss es Druckabnahme statt Druckzunahme
heissen.
Bd. I, Seite 741, Zeile 4 von oben muss es T statt Tq heissen.
Bd. I, Seite 753, Gl. 2) Im ersten Gliede muss / statt p stehen.
Bd. I, Seite 759, Zeile 4 von oben muss es in beiden Integralen heissen
Bd. I, Seite 765, GL 2)
Bd. I, Seite 766, GL 6) > muss unter dem Integrale p statt / stehen.
Bd. I, Seite 767, GL 7)J
Bd. I, Seite 767, GL 9) muss / statt p und in GL 10) p statt / stehen und es
^ fp TT
Vorher heissen: ff • -r-rtr = Ä' • -tt • rppi*
Bd. n, Seite 65, Zeile 11 von oben muss es f(x) statt f(x^ heissen.
Bd. n, Seite 84, Zeile 8 von oben muss es im Exponenten — statt -|- heissen.
Bd. n, Seite 235, Zeile 14 von unten muss es heissen 14,6 statt 4,6.
Bd. n, Seite 236, Zeile 12 von oben muss es.heissen : „Auf die den Kopp' sehen
ähnlichen Zahlenreihen*' etc.
Bd. II, Seite 238 auf Zeile 11 von unten muss es heissen Hg 0 statt H2.
Bd. n, Seite 271, Zeile 5 von oben muss es heissen .erstere" statt letztere.
Bd. n, Seite 291, Zeile 14 von oben muss es heissen 28380 statt 23380.
Bd. n, Seite 298, Zeile 11 v. oben muss es heissen (Al2Gl^,Aq) = 153690 und
darunter (Al^, Cl<j, Aq) = 475560 und (Ala,08, 3S08,Aq) = 451770.
Bd. n, Seite 657 und 663 u. s. f. muss es überall Frölich statt Fröhlich
heissen.
Bd. II, Seite 780, Anm. 1) muss es heissen Mendelejeff statt Mendeleeff.
Bd. II, Seite 783 muss es in Anmerkung 1) heissen 788 statt 785.
Bd. n, Seite 784, Zeile 14 von oben muss es — 0,00990 statt — 0,0990 heissen.
Bd. n, Seite 955, Zeile 10 von unten muss es heissen Bujs-Ballot statt
Buys-Ballot.
Verlag von Friedrich Vieweg nnd Sohn in Brannschweig.
Faraday und seine Entdeckungen.
Eine Gedenkschrift von
John Tyndall,
ProfeiBor der Physik >an der Boyal Institution
BU London.
Autorisirte deutsche Ausgabe herauBgegeben durch H. Helmliol'tz.
8. geb. Preis 4 M.
Fragmente aus den Naturwissenschaften.
Vorlesnngen und Aufsätze von
John Tyndall,
Professor der Physik an der Royal Institution zn London.
Autorisirte deutsche Ausgabe^ übersetzt von
Mit Vorwort und Zusätzen von
Prof. H. HelmholtsE.
Mit HolzBtichen. 8. geh. Preis 12 Ji.
Das Licht.
Sechs Vorlesungen, gehalten in Amerika im Winter 1872 — 1873 von
John Tyndall,
Professor der Physik an der Royal Institution ku London.
Autorisirte deutsche Ausgabe herausgegeben durch
Gustav Wiedemann.
Mit Holzßticlien uud einem Portrait von Thomas Young. 8. geh. Preis 6 M.
Der Schall.
Acht Vorlesungen, gehalten in der Royal Institution von Grossbritannien
von John Tyndall,
Professor der Physik an der Royal Institution zu London.
Autorisirte deutsche Ausgabe herausgegeben durch
H. Helmholtz und G. Wiedemann.
Zweite Auflage. Mit Holzstichen. 8. geh. Preis 6 M.
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