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Full text of "Handbuch der mechanischen Wärmetheorie : mit theilweiser Benutzung von É. Verdet's Théorie méchanique de la chaleur"

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T' 


ANKÜNDIGUNG. 


Bei  der  Bearbeitung  dieses  Handbuches  hat  sich  der  Verfasser  die 
Aufgabe  gestellt,  das  gesammte  Gebiet  der  mechanischen  Wärmetheorie, 
das  experimentelle  sowohl  als  das  theoretische,  und  die  Anwendungen 
derselben  in  den  übrigen  exacten  Naturwissenschaften  zu  umfassen. 
Die  technischen  Anwendungen  sind  ausgeschlossen,  da  diese  in  den 
Werken  Zeuner's  und  Grashof' s  bereits  eine  treffliche  Behandlung 
gefunden  haben. 

Das  Buch  soll  dem  lehrenden  und  forschenden  Fachmanne  als 
Handbuch,  den  Studirenden  der  exacten  Naturwissenschaften  als  Lehr- 
buch dienen. 

Durch  Berücksichtigung  möglichst  aller  wichtigen  Arbeiten  des 
In-  und  Auslandes  ist  eine  thunlichste  Vollständigkeit  angestrebt 
worden;  das  Buch  soll  jedoch  das  Studium  der  Originalarbeiten  nicht 
überflüssig  machen,  es  zeigt  vielmehr  deren  Stellung  im  Gesammt- 
organismus  der  Wissenschaft  und  giebt  ihre  Resultate  in  systematischer 
Anordnung.  Durch  eine  möglichst  umfängliche  Anführung  der  Quellen 
hofl't  der  Verfasser  seinen  Fachgenossen,  zumal  bei  .einschläglichen 
experimentellen  und  theoretischen  Untersuchungen  und  bei  Vorbereitung 
der  Collegien  behülflich  sein  zu  können. . 

Die  Darstellung  ist  so  gewählt,  dass  auch  weniger  Geübte,  wenn 
dieselben  nur  einen  Cursus  der  Differential-  und  Integralrechnung  und 
die  Einleitung  in  die  höhere  Mechanik,  sowie  Experimental -Physik 
und  -Chemie  gehört  haben,  den  Auseinandersetzungen  zu  folgen  im 
Stande  sein  werden. 

Mit  Beginn  des  zweiten  Bandes  hat  sich  der  Verfasser  von  dem 
V erdet' sehen  Buche:  „Theorie  m6canique  de  la  chaleur",  dessen  Bear- 
beitung in  der  ersten  Lieferung  des  ersten  Bandes  angestrebt  worden 
war,  vollständig  emancipirt.  Die  Fülle  des  zumal  im  zweiten  Bande 
zu  berücksichtigenden  Materiales  rührt  vorzugsweise  aus  der  aller- 
neuesten  Zeit  her;  seit  dem  Erscheinen  des  V  erdet 'sehen  Werkes  sind 
in  diesen  Gebieten  die  Gesichtspunkte  daher  so  wesentlich  verschoben 
worden,  dass  es  unmöglich  erschien,  sich  noch  femer  in  irgend  welcher 
Weise  an  diese  sonst  so  treffliche  Arbeit  anzulehnen.  —  Die  vorliegende 
Lieferung  enthält  die  kinetische  Gastheorie  und  den  grösseren  Theil 
der  Thermochemie.  Die  zweite  Lieferung  des  zweiten  Bandes  (und 
vorletzte  des  ganzen  Werkes)  bringt  den  Abschluss  der  Thermochemie 
nebst  einem  Anhang  Über  Explosivkörper  und  deren  Anwendung  in 
den  Gaskraftmaschinen  und  Feuerwaflfen,  hierauf  die  Anwendung  der 
mechanischen  Wärmetheorie  in  der  Elektricitätslehre. 


"N 


HANDBUCH 


DRB 


MECHANISCHEN 


•  • 


WARMETHEORIE. 


ANKÜNDIGUNG. 


Bei  der  Bearbeitung  dieses  Handbuches  hat  sich  der  Verfasser  die 
Aufgabe  gestellt,  das  gesainmte  Gebiet  der  mechanischen  Wärnietheorie, 
das  experimentelle  sowohl  als  das  theoretische,  und  die  Anwendungen 
derselben  in  den  übrigen  exacten  Naturwissenschaften  zu  umfassen« 
Die  technischen  Anwendungen  sind  ausgeschlossen,  da  diese  in  den 
Werken  Zeuner's  und  Grashof' s  bereits  eine  treffliche  Behandlung 
gefunden  haben. 

Das  Buch  soll  dem  lehrenden  und  forschenden  Fachmanne  als 
Handbuch,  den  Studirenden  der  exacten  Naturwissenschaften  als  Lehr- 
buch dienen. 

Durch  Berücksichtigung  möglichst  aller  wichtigen  Arbeiten  des 
In-  und  Auslandes  ist  eine  thuulichste  Vollständigkeit  angestrebt 
worden;  das  Buch  soll  jedoch  das  Studium  der  Origiualarbeiten  nicht 
überflüssig  machen,  es  zeigt  yielmehr  deren  Stellung  im  Gesammt- 
organismus  der  Wissenschaft  und  gicbt  ihre  Resultate  in  systematischer 
Anordnung.  Durch  eine  möglichst  umfängliche  Anführung  der  Quellen 
hoff't  der  Verfasser  seinen  Fachgenossen,  zumal  bei  einschläglichen 
experimentellen  und  theoretischen  Untersuchungen  und  bei  Vorbereitung 
der  Collegien  behülflich  sein  zu  können. . 

Die  Darstellung  ist  so  gewählt,  dass  auch  weniger  Geübte,  wenn 
dieselben  nur  einen  Cursus  der  Diö'ercntial  -  und  Integralrechnung  und 
die  Einleitung  in  die  höhere  Mechanik,  sowie  Experimental -Physik 
und  -Chemie  gehört  haben,  den  Auseinandersetzungen  zu  folgen  im 
Stande  sein  werden. 

Mit  Beginn  des  zweiten  Bandes  hat  sich  der  Verfasser  von  dem 
Verdet'schen  Buche:  „Theorie  mecanique  de  la  chaleur",  dessen  Bear- 
beitung in  der  ersten  Lieferung  des  ersten  Bandes  angestrebt  worden 
war,  vollständig  eraancipirt.  Die  Fülle  des  zumal  im  zweiten  Bande 
zu  berücksichtigenden  Materialea  rührt  vorzugsweise  aus  der  aller- 
neuesten  Zeit  her;  seit  dem  Erscheinen  des  Verd et' sehen  Werkes  sind 
in  diesen  Gebieten  die  Gesichtspunkte  daher  so  wesentlich  verschoben 
worden,  dass  es  unmöglich  erschien,  sich  noch  ferner  in  irgend  welcher 
Weise  an  diese  sonst  so  treffliche  iVrbeit  anzulehnen.  —  Die  vorliegende 
Lieferung  enthält  die  kinetische  Gastheorie  und  den  grösseren  Theil 
der  Thermochemie.  Die  zweite  Lieferung  des  zweiten  Bandes  (und 
vorletzte  des  ganzen  Werkes)  bringt  den  Abschluss  der  Thermochemie 
nebst  einem  Anhang  über  Explosivkörper  und  deren  Anwendung  in 
den  Gaskraftmaschinen  und  Feuerwafi'en,  hierauf  die  Anwendung  der 
mechanischen  Wärmetheorie  in  der  Elektricitätslchre. 


HANDBUCH 


DEB 


ME  OHANI 8  C  H  E  N 


•  • 


WARMETHEORIE. 


Holzstiche 

auB  dem  xylographisohen  Atelier 

von    Friedrich  Vieweg    und    Sohn 

in  Braanechweig. 

Papier 

aus  der  meohanischen  Papier-Fabrik 
der  Gebrüder  Yieweg  zu   Wendhausen 

bei  Brannschweig. 


© 


HANDBUCH 


DER 


ME  CHANIS  CHEN 


WARMETHEORIE. 


VON 


De.  RICHARD  EÜHLMANN, 

Professor  am  Königl.  Gymnasium  zu  Chemnitz. 


ZWEITER   BAND. 


MIT    68    EINGRDBCCKTEN    HOLZSTICHEN. 


BRAUNSCHWEIG, 

DKÜCK  UND  VERLAG  VON  FRIEDRICH  VIEWEG  UND  SOHN. 

18  8  5. 


e^7-T 


,  Th4<i  Iit3?7^'^ 


/ , 


Alle   Rechte   vorbehalten. 


VORREDE  ZUM  ZWEITEN  BANDE. 


Im  ersten  Bande  dieses  Werkes  sind  die  Grundlagen  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  im  engeren  Sinne  erledigt  worden.  Es  wurden 
dort  diejenigen  theoretischen  Betrachtungen  und  experimentellen 
Untersuchungen  zusammengestellt^  welche  sich  auf  die  beiden  Haupt- 
sätze und  die  aus  denselben  hervorgehenden  Gleichungen,  sowie  auf 
die  Anwendungen  derselben  in  der  eigentlichen  Wärmelehre  be- 
ziehen. Der  zweite  Band  ist  hauptsächlich  den  Anwendungen  der 
Thermodynamik  auf  andere  Theile  der  Physik,  sowie  verwandte 
Disdpliuen  gewidmet  Vorher  wird  jedoch  derjenige  Theil  unserer 
Wissenschaft  behandelt,  welchen  wir  heute  unter  dem  Namen 
kinetische  Atomistik  zusammenfassen. 

Während  die  Betrachtungen  des  ersten  Bandes  ganz  unab- 
hängig davon  sind,  welche*  besonderen  Vorstellungen  man  sich  von 
dem  Wesen  der  Wärme  macht,  und  nur  auf  der  Thatsache  beruhen, 
dass  die  Wärme  eine  Form  der  Energie  ist,  so  beschäftigt  sich  die 
kinetische  Atomistik  mit  den  Folgerungen,  auf  welche  die  besondere 
Annahme  führt,  dass  die  Körper  eine  moleculare  Zusammensetzung 
besitzen,  und  dass  das  Wesen  der  Wärme  in  eigen thümlichen 
Bewegungszuständen  der  kleinsten  Theile  der  Materie  zu  suchen 
seL  Ein  längerer  Abschnitt  beschäftigt  sich  alsdann  mit  den  An- 
wendungen der  eigenthümlichen  Betrachtungsweise,  durch  welche 
die  mechanische  Wärmetheorie  charakterisirt  wird,  auf  die  Chemie. 
Unter  dem  Namen  Thermochemie  sind  die  Ergebnisse  aller  wesent- 
Kchen  hierauf  bezüglichen  Untersuchungen  zusammengestellt.    Im 


VI  Vorrede  zum  zweiten  Bande. 

Anschluss  hieran  findet  die  Betrachtung  der  Explosivkörper,  sowie 
die  theoretische  Behandlung  der  Vorgänge  in  den  Feuerwaffen  ihre 
Erledigung.  Einem  weiteren  Abschnitte  ist  die  Aufgabe  zugewiesen, 
die  Anwendungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  in  den  ver- 
schiedenen Theilen  der  Electricitätslehre  zusammenzufassen,  da 
auch  hier  die  Einfuhrung  der  neuen  Betrachtungsweise  wesenÜich 
neue  Aufschlüsse  gegebeft'  hat  und  zur  Zusammenfassung  scheinbar 
weit  auseinanderliegender  Untersuchungen  unter  einheitliche  Ge- 
sichtspunkte Veranlassung  geworden  ist 

"Auch  auf  dem  Gebiete  der  Meteorologie  und  Astronomie  hat 
die  Anwendung  des  ersten  und  zweiten  Hauptsatzes  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  ganz  neue  Zusammenhänge  zwischen  ver- 
schiedenen Erscheinungen  aufgedeckt  und  zu  weittragenden  theo- 
retischen Speculationen  Veranlassung  gegeben.  Diese  Betrachtungen 
werden,  insoweit  sie  auf  wohlbegründetem  physikalischem  Boden 
stehen,  im  vorletzten  Abschnitte  besprochen. 

Der  letzte  Abschnitt  ist  der  Geschichte  der  mechanischen 
Wärmetheorie  von  ihren  ersten  Anfängen  bis  auf  unsere  Zeit  ge- 
widmet. Die  Besprechung  der  neuesten  Leistungen  auf  diesem 
Gebiete  und  ihrer  Bedeutung  für  die  historische  Entwicklung  der 
ganzen  Disciplin  hat  Gelegenheit  gegeben  auf  manche  Ergänzungen 
hinzuweisen,  welche  sich  durch  neuere  Arbeiten  zu  einzelnen  Capiteln 
der  früher  erschienenen  Abschnitte  nothwendig  gemacht  haben. 

Der  Verfasser  ist  bemüht  gewesen,  sowohl  die  experimentellen 
Grundlagen,  als  auch  das  theoretische  Material  der  mechanischen 
Wärmetheorie  mit  thunlichster  Vollständigkeit  zu  sammeln,  kritisch 
zu  sichten  und  nach  einheitlichen  Gesichtspunkten  zusammenzu- 
fassen. Obgleich  eine  absolute  Vollständigkeit  bei  einem  ersten 
derartigen  Versuche,  für  welchen  zumeist  wenig  oder  gar  keine 
Vorarbeiten  vorhanden  waren,  nicht  zu  erreichen  gewesen  ist,  so 
haben  sich  aus  der  Zusammenstellung  des  Materials  doch  vielfach 
neue  Gesichtspunkte  und  dadurch  Anregungen  zu  weiteren  Be- 
trachtungen ergeben,  welche  dem  sachkundigen  Leser  nicht  ent- 
gehen werden.  Es  war  die  Aufgabe  dieser  bescheidenen  Arbeit, 
den  derzeitigen  Standpunkt  der  mechanischen  Wärmetheorie  in 
einer  Form  darzustellen,  welche  es  möghch  macht,  der  weiteren 
Entwickelung  dieser  Wissenschaft  mit  Verständniss  zu  folgen.    Für 


Vorrede  zum  zweiten  Bande.  Vil 

solche,  welche  sich  mit  eingehenden  Specialuntersuchungen  beschäf- 
tigen wollen,  finden  sich  in  den  zahlreichen  Gitaten  die  Nachweise 
der  Quellen,  aus  welchen  der  Verfasser  geschöpft  hat.  Auf  die 
mathematische  Theorie  wurde  nur  da  ins  Einzelne  eingegangen, 
wo  dieselbe  mit  der  mechanischen  Wärmetheorie  als  rein  physika- 
lische Disciplin  im  Zusammenhange  war,  dagegen  wurden  solche 
Betrachtungen,  welche  fast  ausschliesslich  der  reinen  Mechanik 
oder  den  rein  mathematischen  Theilen  der  Electricitätslehre  an- 
gehören, nicht  aufgenommen,  auch  wenn  sie  durch  Betrachtungen 
veranlasst  worden  waren,  welche  innerhalb  des  von  uns  behandel- 
ten Ideenkreises  liegen. 

Besondere  Schwierigkeiten  bot  die  Darstellung  der  Geschichte 
der  mechanischen  Wärmetheorie,  weil  es  galt,  nicht  nur  die  Zeit- 
punkte festzustellen,  zu  welchen  ein  neuer  Gedanke  zuerst  richtig 
ausgesprochen  oder  eine  physikalische  Thatsache  aufgefunden  wor- 
den war,  sondern  weil  es  für  eine  historische  Darstellung  von  viel 
grösserer  Wichtigkeit  erschien,  nachzuweisen,  von  wann  an  und  in 
welcher  Weise  das  Neue  auf  die  Weiterentwickelung  der  Gesammt- 
wissenschaft  wirklich  Einfluss  gewonnen  hatte.  Der  Verfasser  ist 
gewissenhaft  bemüht  gewesen,  strenge  Objectivität  zu  bewahren,  zu- 
mal auch  jede  nationale  Empfindlichkeit  darüber  zu  unterdrücken, 
dass  man  im  Auslande  hier  und  da  versucht  hat,  Entdeckungen 
zu  reclamiren,  welche  zweifellos  auf  deutschen^  Boden  ihren  Ur- 
sprung haben.  Eine  sorgsame  Prüfung  des  Sachverhaltes  hat  gezeigt, 
dass  der  Antheil  unseres  Volkes*  an  der  Schöpfung  und  Ausbildung 
der  mechanischen  Wärmetheorie  so  gross  ist,  dass  wir  nicht  noth- 
wendig  haben,  mit  Anderen  neidisch  um  Kleinigkeiten  zu  rechten. 

Möge  es  der  nunmehr  vollendeten  bescheidenen  Arbeit  gelin- 
gen, zu  zeigen,  welchen  maassgebenden  Einfluss  die  eigenthümliche 
Methode,  die  in  dem  ersten  und  zweiten  Hauptsatze  der  mechani- 
schen Wärmetheorie  enthalten  ist,  auf  die  Betrachtungsweise  aller 
exacten  Naturwissenschaften  bereits  gewonnen  hat. 

Freundliche  Leser  unji  nachsichtige  Beurtheiler  des  anspruchs- 
losen Werkes  wollen  die  lange  Verzögerung  des  Abschlusses  der 
Arbeit  damit  gütigst  entschuldigen,  dass  nicht  nur  das  Sammeln 
und  Sichten  des  Materials  nicht  leicht  und  vielfach  mit  langen 
Aufenthalten  verknüpft  war,  sondern  dass  die  Arbeitskraft  des  Ver- 


Yiii  Vorrede  zum  zweiten  Bande. 

fassers  nicht  nur  durch  eine  anstrengende  Berufsthätigkeit,  sondern 
auch  durch  einige  andere  inzwischen  erfolgte  Publicationen,  zu 
welchen  ihn  Pflichten  der  Pietät  nöthigten,  vielfach  anderweit  ür 
Anspruch  genommen  war. 

Wenn  ich  zum  Schluss  um  freundliche  Aufnahme  der  Arbeit 
bitte,  ist  es  mir  gleichzeitig  herzliches  Bedürfniss,  allen  denjenigen 
Dank  zu  sagen,  welche  mich  durch  gütige  Zusendung  ihrer  Ab- 
handlungen und  durch  freundliche  Auskünfte  und  mit  ihrem  Rathe 
unterstützt  haben. 

Insbesondere  fühle  ich  mich  auch  meinen  verehrten  CoUegen, 
den  Herren  Gymnasialoberlehrem  H.  Hübschmann  und  Dr.  Estel, 
zu  grossem  Danke  verpflichtet,  welche  mir  unermüdlich  bei  den 
zeitraubenden  Gorrecturen  beistanden. 

Chemnitz,  im  September  1885. 


Richard  Rtthlmann. 


INHALTS VERZEICHNISS 


DES 


ZWEITEN   BANDES. 


I.    Die  Moleoulartheorie  der  Wärme. 

A.     Allgemeines  über  die  Molecularconstitution  der  Körper. 

Seite 

1.  Die    Grundformeln  der  mechaniBchen  Wärmetheorie   sind  anabhängig 

von  den  Hypothesen  über  die  Molecularconstitution 1 

2.  Die  Fundamentalannahmen  der  Moleculartheorie 2 

3.  lieber  die  Molecularbewegungen 3 

4.  Die  mittlere  Gruppirung  der  Holecüle;  Bisgregation;  Entropie   ....  5 

5.  Die  wahre  specifische  Wärme ;  die  absolute  Temperatur  ist  proportional 

der  inneren  kinetischen  Energie 9 

6.  Der  absolute  KuUpunkt  kann  durch  keinen  endlichen  Process  erreicht 

werden 11 

B.  Oeschichtliches  über  die  Moleculartheorie,  im  Besonderen 

über  die  der  Gase. 

1.  Die  ersten  Anfange  einer  Moleculartheorie  der  Gase 12 

2-  Die  neueren  Vorläufer  der  Gtastheorie 17 

3.  Die  Gastheorie  von  Krön  ig 19 

4.  lieber  den  Mechanismus  der  Umsetzung  von  Arbeit  in  Wärme  und  um- 

gekehrt bei  einem  vollkommenen  Gase ^ 25 

5.  Erklärung  des  Druckes  der  Atmosphäre  und  des  Eigengewichtes  eines 

Gases  aus  der  Moleculartheorie 26 

6.  Was  die  Theorie  über  die  Abweichungen  von  den  einfachen  Gesetzen 

ergiebt 29 

C.  Die  moderne  Gastheorie  in  den  Auffassungen  von  Clausius 

und  Maxwell. 

1.  Die  Hypothesen  der  Clausius'schen  Moleculartheorie  der  Gase  ...  31 

2.  Ableitung  der  Consequenzen  der  Hypothesen 33 

3.  Die  mittleren  Geschwindigkeiten  der  Molecüle 37 

4.  Die  Anwendung  der  Fundamente  der  Clausius*  sehen  Moleculartheorie 

auf  die  übrigen  Aggregatzustände 39 


X  Inhaltsverzeichniss  des  zweiten  Bandes. 

Seite 

5.  Einwände»  welche  gegen  die  Clausius'sche  Theorie  der  molecularen  . 

StÖBBe  erhoben  worden  sind 43 

6.  Besprechung  des  ersten  und  zweiten  Einwurfes  von  Bujs-Ballot; 

Bestimmung  der  mittleren  Weglänge  der  Molecüle *.   .      46 

7.  Zweite  Clausius'sche  Methode  zur  Berechnung  der  mittleren  Weg- 

länge          58 

8.  Ueher  die  Umsetzung  von  calorischer  in  äussere  kinetische  Energie 

bei  Gasen 62 

9.  Das  Max wel lösche  Gesetz  über  die  Yertheilung  der  Geschwindig- 

keiten unter  die  Moleonle -  .   .    .      63 

10.  Formeln  für  ein  Gemisch,  welches   aus  zwei  Arten  von  Molecülen 

besteht 70 

11.  Ableitung  der  mittleren  Weglänge  aus  dem  Maxwell* sehen  Gesetze       73 

12.  Ableitung  des  Gasdruckes  auf  eine  Fläche  aus  MaxwelTs  Gesetz    .      77 

■ 

D.    Innere  Beibung  der  Gase. 

1.  Ueber  die  Bestimmung  der  mittleren  Weglänge  nach  absolutem  Maasse. 

Maxwell's  Formeln  für  die  innere  Beibung  der  Gase     ....      79 

2.  Andere  Ableitung  der  Formeln  für  die  innere  |teibung  der  Gase   .    .      83 

3.  Die  Bestimmung  des  Coef&cienten  der  inneren  Beibung  aus  Pendel- 

beobachtungen        87 

4.  0.  E.  M  e  y  e  r '  s  Versuche  zur  Bestimmung  der  inneren  Beibung  der 

Gase 92 

5.  Maxwell* s  Experimente  über  die  innere  Beibung ^   .    .      97 

6.  Versuche  von  Kundt  und  Warburg  mit  verdünnten  Gasen.    Der 

Gleitungscoefücient  v 106 

7.  Die  Ableitung  der  Beibungscoefficienten  aus  Transspirationsversuchen     111 

8.  Ueber  die  Abhängigkeit  der  inneren  Beibung  der  Gase  von  der  Tem- 

peratur     118 

9.  Theoretische  Consequenzen  .   .    .   .• 127 

E.    Die  kinetische  Theorie  der  Diffusion  der  Gase. 

1.  Ableitung  der  Grundformeln 130 

2.  Loschmidt's  Experimentaluntersuchungen  über  Diffusion    ....     137 

F.    Die  Wärmeleitung  in  Gasen. 

1.  Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Wärmeleitungsfahigkeit  der  Gase  .  142 

2.  Die  älteren  Versuche  über  die  Wärmeleitung  in  Gasen 144 

3.  Neuere  Versuche  über  die  Wärmeleitung  in  Gasen 149 

4.  Versuche  über  die  Abhängigkeit  der  Wärmeleitungsfähigkeit  von  der 

Gasdichte  und  der  Temperatur 161 

5.  Die  Clausius'sche  Theorie  der  Wärmeleitung  in  Gasen 168 

6.  Ueber  den  Zustand  der  von  einer  unendlich   dünnen   Schicht  aus- 

gesendeten Molecüle 177 

7.  Der  Zustand  der  gleichzeitig  in  einer  unendlich  dünnen  Schicht  ent- 

haltenen Molecüle 181 

8.  Berechnung  der  Grösse  des  Wärmestromes,  welcher  in  der  Bichtung 

der  X-Axe  fliesst 185 


Inhaltsyerzeichiiiss  des  zweiten  Bandes.  xi 

Seite 

9.    Bestinuuiing  der  Grösse  a 188 

10.  Bestimmung  von  M.dx^  d.  h.  der  Anzahl  Molecüle,  welche  in  der 

Schicht  zusammenstossen 193 

11.  Schlttssfolgerungen 195 

12.  Einige  Bemerkungen  über  Maxweirs  Theorie  der  Wärmeleitung  in 

Gasen 199 

13.  Ueber  die  Wärmeleitung  in  Gasgemengen 208 

G.    Die  Fortpflanzung  des  Schalles. 

1.  Die  zu' Grunde  liegenden  Hypothesen 209 

2.  Die   Ableitung    der   Grundgleichungen    für    die   Fortpflanzung    des 

SchaUes 211 

3.  Einige  weitere  Gonsequenzen 218 

4.  Die  Berechnung  der  Intensität 220 

5.  Schlussbemerkungen 223 

H.    üeber  die  Natur  der  Molecüle. 

1.  Querschnitte  der  Molecüle 226 

2.  Verhältnisse  der  Volumina  und  Durchmesser  der  Molecüle 231 

3.  Untersuchungen  über  die  absoluten  Grössen  der  Molecüle 237 

4.  Die  Verwerthung  der  genaueren  Formeln  für  die  mittlere  Weglänge 

von  Clausius  und  van  der  Waals 239 

5.  Neue  Bestinuoung  des  Querschnittes,  des  Volumens,  der  Anzahl,  der 

gegenseitigen  Entfernung  und  des  Gewichtes  der  Molecüle     .   .   •  245 

6.  Ueber  die  Wirkungsweise  der  Molecüle  und  Atome 248 

7.  Bchlussbemerkungen '•.  •   •    •  ^^^ 


n.    Thermoolieniie. 

A.    Atomgewicht  und  specifische  Wärme. 

1.  Vorbemerkungen 254 

2.  Die  Atomgewichte  und  die  Atomigkeit 255 

3.  Die  Beziehung  zwischen  Atomgewichten  und  speciflschen  Wärmen 

der  Elemente  im  starren  Zustande 258 

4.  Die  physikalische  Begründung  der  Avogadro' sehen  Hypothese  für 

Gase  mit  mehratomigen  Molecülen 263 

5.  Die  specifische  Wärme  des  Quecksilbergases 267 

6.  Die  physikalische  Begründung  des  Dulong-Petit' sehen  Gesetzes  •  269 

7.  Die  Wärmecapacität  der  Verbindungen 272 

B.    Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit. 

1.  Mechanische  Bedeutung  der  bei  chemischen  Vorgängen  entwickelten 

Wärme 274 

2.  Die  Heihoden  zur  Bestimmung  der  experimenteUen  Fundamente  der 

Thermochemie 279 


xn  Inhaltsverzeichniss  des  zweiten  Bandes. 

Seite 

3.  Ueber  den  Einfluss  der  Temperatur  und  des  Aggregatzustandes  auf 

die  Bedeutung  der  empirisch  gefundenen  Zahlen 284 

4.  Einige  der  wichtigsten  Yerhindungswärmen 289 

a)  Verbindungen  der  Metalloide  unter  einander 290 

b)  Verbindung  einiger  HetaUe  mit  Metalloiden 296 

c)  Neutralisation  von  Säuren  und  Basen >  30t 

d)  Lösungen  in  Wasser 309 

e)  Wärmeentwickelung  bei  einigen  einfachen  und  doppelten  Zer- 

setzimgen 319 

a)  Einfache  Zersetzungen 320 

ß)  Doppelte  Zersetzungen  .   .    • .323 

f)  Die  Wärmetönung  bei  Bildung  einiger  organischer  Verbin- 

dungen      326 

ft)  t>ie  Bildungswärmen    einiger    organischer  Verbin- 
dungen aus  ihren  Elementen 326 

ß)  Die  Bildung   der   Aether   und   Alkohole   in   ihrem 

wirklichen  Zustande  aus  den  Kohlenwasserstoffen    329 

y)  Bildung  der  Aether  aus  den  Alkoholen 332 

d)  Bildung  der  Aldehyde  und  der  organischen  Säuren 

durch  Oxydation  (nach  Berthelot) 333 

s)  Bildung    verschiedener    organischer    Verbindungen 

(nach  Berthelot) 334 

g)  Die  latenten  Schmelz-   und   Verdampfungswärmen  einiger 

Substanzen     335 

a)  Schmelzwärmen 336 

ß)  Verdampfungswärmen  einiger  Substanzen  .....  336 

5.  Ueber  die  Ableitung  der  nicht  direct  beobachteten  Zahlen 338 

6.  Die  Affinität  nach  Multiplen  gemeinsamer  Oonstanten 341 

a)  Bildung    gasförmiger  Froducte    aus    gasförmigen   Bestand- 

theilen 343 

ß)  Oasföimige  Moleciüe  in  wässeriger  Lösung 343 

y)  Oxydationen  in  wässerigen  Lösungen 344 

(f)  Beactionen  von  Chlor  oder  Wasserstoff  auf  wässerige  Lösungen  345 

e)  Substitutionen 345 

C)  Substitution  eines  Metalles  durch  ein  anderes 347 

ti)  Einige  anderweite  Beactionen 349 

^)  Lösungswärmen 349 

7.  Einige  andere  Consequenzen  der  mitgetheilten  Zahlwerthe 351 

G.    Die  DisBOciationserscheinungen. 

1.  Die  Theorie  der  Dissociation 365 

2.  Versuche  über  Dissociation  gasförmiger  Substanzen 370 

3.  Dissociation  flüssiger  und  fester  Körper 376 

4.  Die  Pfaundler 'sehe  Theorie  der  partiellen  Wechselzersetzimgen    .  389 

5.  Die  Horstmann 'sehe  Theorie  der  partiellen  Wechselzersetzungen  395 

6.  Ueber  die  Beschaffenheit  der  Lösungen 406 

7.  Die  Dissociationserscheinungen  in  den  Flammen 415 

8.  Horstmann's  Versuche  über  die  relative  Verwandtschaft  des  Sauer- 

stoffs zu  Wasserstoff  und  Kohlenoxyd 429 

9.  Ueber  die  Wirkung  durch  Gase  schlagender  electrischer  Funken    .   .    435 


Inhaltsverzeichniss  des  zweiten  Bandes.  ^n 

Seite 

10.  Einwirkung  des  electrischen  Funkens  auf  einzelne  Kohlenwasserstoflf- 

und  Stickstoffverbindungen 442 

11.  Ueber  die  Wirkung  schwacher  electriacher  Entiadungen.  auf  Gtase  .   .    446 

D.    Die  ExplosivkÖrper. 


1.  Allgemeines  über  explosive  Substanzen 451 

2.  üeber  die  Bestandtheile  und  die  Zersetzung  des  Schiesspulvers   .    .    .  455 

3.  Die  Theorie  des  Schiesspulvers  nach  Bunsen  und  Schischkoff.    .  463 

4.  Baint-Bobert's  Theorie   der  Wirkung   des  Schiesspulvers   in  den 

I                 -Oeschützrohren 468 

I      5.  Noble' 8  und  Abel 's  Theorie  der  Bewegung  der  Geschosse  in  den 

Kanonenrohren 477 

6.  Die   Yersuche   über   die   Thätigkeit   des   Pulvers   in   den   Geschütz- 

rohren    482 

7.  Vergleich  der  Yersuchsresultate  mit  den  theoretischen  Formeln  .    .    .  490 

i      8.  Schiesspulver  mit  abweichenden  Zusammensetzungen 494 

I      9.  Die  explosiven  Gasgemische 496 

:     10.  Chlor-  und  Jodstickstoff 497 

I     11.  Nitroglycerin 499 

I     12.  Schiessbaumwolle 508 

:     13.  Die  Pikrinsäure  und  die  Pikrate 509 

I     14.  Die  Fulminate 511 

15.  Einfluss  der  Art  der  Entzündung  auf  Zersetzungsweise  und  Wirkung 

I                 der  Explosivkörper 513 

16.  Zusammenstellung  der  auf  die  wichtigsten  Explosivstoffe  bezüglichen 

Zahlwerthe 523 


£.    Die  Anwendung  explosiver  Gasgemische  zum  Betriebe  von 
Wärmemaschinen.     (Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.) 

1.  Allgemeines 524 

2.  Die  direct  wirkenden  Gasmaschinen  älterer  Gonstruction 529 

3.  Die  Anwendung   von    Leuchtgas    in    der  älteren  Gaskrafbmaschine 

von  Otto  und  Langen 533 

4.  Der  gerauschlose  Otto-Gasmotor     541 


Anhang. 

F.  Ueber  die  Verwendung  des  Dampfes  zur  Fortschleuderung 

von  Geschossen. 

1.  Ableitung  der  allgemeinen  Formeln 547 

2.  Durchrechnung  eines  speciellen  Falles  und  numerischen  Beispieles     .    55 L 


xiv  Inhaltsverzeichiiiss  des  zweiten  Bandes. 


III.    Anwendungen   der   meohanischen  Wärmetlieorie   auf  die 

eleotriflchen  Erscheinungen. 


A.    Einleitung. 

Seite 

1.  Allgemeines  und  Historisches 555 

2.  Die  Potentialfunction •   •    •  ^57 

3.  Das  Potential 559 

4.  Sätze  über  die  Potentialfunction  und  das  Potential      560 

5.  Die  Summe  der  Wirkungen,  welche  eine  Aenderung  des  electrischen  « 

Zustandes  herbeifuhrt,  ist  gleich  der  Aenderung  des  Potentials 

der  Electricität  in  Bezug  auf  sich  selbst      564 

6.  Die  Potentialfunction  ist  proportional  der  electrischen  Ladung    .    .    .  565 


B.    Bestätigungen  im  Gebiete  der  Keibungselectricität. 

1.  Anwendungen  auf  die  Leydener  Flasche 567 

2.  Die  Potentialfunction  und  das  Potential  kugelförmig  gestalteter  Ley- 

dener Flaschen 569 

3.  Anwendbarkeit  der   gefundenen  Formeln  auf  gewöhnliche  Leydener 

Flaschen 572 

4.  Bestätigung  der  Besultate  durch  die  Biess' sehen  Versuche    ....    574 

5.  Die  Bestätigung  der  Formeln  durch  Y  il  1  a  r  i '  s  Messungen  der  Wärme- 

wirkung  der  Entladungsfunken 581 

6.  Unvollständige  Entladung  einer  Batterie 583 

7.  Die  Biess 'sehen  und  Yillar  loschen  Versuche   über  die  Wärme- 

wirkungen unvollständiger  Entladungen 585 

8.  Die  Wärmewirkungen   der  Gascadenbatterie   und   die  Versuche  von 

Dove  und  Biess 588 


C.    Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom. 

1.  Allgemeines  über  den  galvanischen  Strom 590 

2.  Ausdruck  für  den  stationären  Strom,  Ohm'sches  Gesetz 595 

3.  Untersuchung  des  Specialfalles,  dass  der  Leiter  ein  äusserst  dünner 

Cylinder  ist 597 

4.  Die  Arbeit  der  Kräfte,  unter  deren  Einfluss  sich  die  Electricität  im 

Leiter  bewegt;  das  Gesetz  von  Joule 599 

5.  Experimentelle  Bestätigungen  des  Joule 'sehen  Gesetzes 605 

6.  Einige  weitere  Consequenzen  des  Joule 'sehen  Gesetzes 611 

7.  Die  Erklärung  des  Grove' sehen  Versuches  durch  Clausius  .    .   .  612 

8.  Die  Bestimmung  der  Stromintensität  und  des  Widerstandes  in  ab- 

soluten Einheiten 614 

9.  Die  Bestimmung  der  Constanten  des  Joule 'sehen  Gesetzes  durch 

V.  Quintus  Icilius  und  Joule 620 


Inhaltsverzeichniss  des  zweiten  Bandes.  XV 


D.    Induction. 

Seite 
1.     Beziehungen  zwischen  der  erzeugten  Wärmemenge  und  den  Kräften, 

welche  den  electrischen  Strom  hervorbringen  (Induction)   ....  622 

2-     Ueber  die  Anwendungen  der  Neumann' sehen  Formel 625 

3.  Joule 's  Versuche  über  die  Aequivalenz  der  durch  einen  Inductions- 

strom  erzeugten  Wärme  und  der  -zu  seiner  Hervorbringung  auf- 
gewandten Arbeit 627 

4.  Die  Versuche  von  Poucault 630 

5.  Die  Gesetze  der  Induction 631 

6.  Die  electromagnetischen  und  electrodynamischen  Maschinen     ....  635 

7.  Die  Gesammtenergie  und  der  äusserlich  nutzbare  Theil  derselben  .    .  638 

8.  Die  zur  Messung  dienenden  Einheiten 639 

9.  Der  Verwandlungscoefficient  electrischer  Maschinen  mit  permanenten 

Magneten 641 

10.  Der  Verwandlungscoefficient  electrischer  Maschinen,  welche  als  Mo- 

toren gebraucht  werden 645 

11.  Andere  Ableitung  des  Verwandlungscoefficienten 648 

12.  üeber  die  Wirthschaftlichkeit  der  mit  Batterien  betriebenen  electro- 

magnetischen Maschinen 65o 

13.  Die  electrischen  Maschinen  als  Electricitätsquellen 655 

14.  Die  Kraftübertragung  durch  Verbindung  zweier  electrischer  Maschinen  662 

15.  Bechnungsbeispiel  für  die  Kraftübertragung  in  grössere  Entfernungen  665 


E.     Die  mechanische  Theorie  der  electrochemischen 

Erscheinungen. 

1.  Die  Aequivalenz  zwischen  der  vom  Strome  entwickelten  Wärme  und 

Arbeit  und  der  Arbeit  der  chemischen  Kräfte  im  Elemente  .   .   .  668 

2.  Theoretische  Consequenzen  der  Favre' sehen  Versuche 672 

3.  Die  electromotorische  Kraft  ist  proportional  der  im  Elemente  produ- 

cirten  chemischen  Wärme 673 

4.  Joule 's   Methode,    die   bei    chemischen   Zersetzungen    absorbirten 

Wärmemengen  zu  messen 674 

5.  Mit  einem  D  a  n  1  e  1 1 '  sehen  Element  kann  Wasser  nicht  zersetzt  werden  677 

6.  Ueber  den  Einfluss  des  Amalgamirens  des  Zinks  in  den  Elementen  •  678 

7.  Jul.   Thomsen's   Messung    der    gesammt^n    im   Stromkreise   des 

D a nie  11' sehen  Elementes  entwickelten  Wärmemenge  .   .   .   •   .   .  679 

8.  Indirecte  Messung  der  in  einem  D  a  n  i  e  1 1'  sehen  Elemente  entwickel- 

ten Wärmemenge 683 

9.  Die  Bestimmung  der  Grösse  K  durch  Bosscha 687 

10.  Die  electrolytische  Zersetzung  des  Wassers .   •  688 

11.  Aeltere  Anschauung  über  die  Natur  der  Polarisation 692 

12.  Das  Gesetz  der  Wärmeentwickelung  in  Electrolyten  durch  den  Strom  693 

13.  Exner's  Untersuchungen  über  Polarisation 696 

14.  Die    electrolytische    Conveetion    und    die    condensatorischen    Eigen- 

schaften der  Zersetzungs^ellen 701 

15.  Exner's  Ansichten  über  die  Ursachen  der Electricitätsentwickelung  703 

16.  Exner's  Theorie  der  galvanischen  Elemente 705 

17.  Die  Erklärung  der  Beobachtungsthatsachen  aus  der  Contacttheorie  .  708 


XYi  Inhaltsverzeichniss  des  zweiten  Bandes. 

Seite 

18.  y.  Helmholtz's  Theorie  der  electrolytischen  Aussclieidang  der  Ionen  710 

19.  Die  electrolytische  Convection 711 

20.  Die  Wasserstoffocclusion  des  Platins  und  Palladiams 712 

21.  Einwendungen  gegen  Exner's  VerBuohsresultate 713 

22.  Einwendungen  gegen  die  Aequivalenz  von  WärmetÖnung  und  electro- 

motoriBcher  Kraft 716 

23.  SchluBsbetrachtungen  über  die  Beziehung  zwischen  Arbeit  und  electro- 

motorischer  Kraft 721 

F.    Thermoelectricität. 

1.  Allgemeines  und  Historisches 724 

2.  Der  experimentelle  Nachweis  des  Peltier'schen  Phänomens   ....  726 

3.  Die  Versuche  von  Quintus  Icilius 729 

4.  Die  ältere  Thomson'sche  Theorie 731 

5.  Widerspruch  mit  der  Erfahrung,  Cumming' scher  Versuch     ....  735 

6.  Die  zweite  Thomson' sehe  Theorie  der  thermoelectrischen  Vorgänge  737 

7.  Die  Bec  querer  sehen  Versuche  über  die  thermoelectrische  Wirkung 

von  Knoten  in  Drähten 739 

8.  Die  Versuche,  welche  die  Fortführung  von  Wärme  durch  den  electri- 

schen  Strom  beweisen 740 

9.  Die  Temperaturvertheilung    in   einem    erwärmten  Stromleiter    mit 

Brücksicht  auf  das  Thomson' sehe  Phänomen 749 

10.  Die  Olausius'sche  Theorie  der  thermoelectrischen  Erscheinungen  .  754 

11.  Anwendung  des  ersten  Hauptsatzes  auf  die  Gl ausius' sehe  Hypothese  755 

12.  Anwendung  des  zweiten  Hauptsatzes  auf  die  Clausius'sche  Hypo- 

these       756 

13.  Die  Budde'sche  Erweiterung  der  Claus  ins' sehen  Theorie     ....  759 

14.  Die  empirische  Formel  von  Avenarius 765 

15.  Das  thermoelectrische  Diagramm 769 

16.  Experimentelle  Bestätigungen  der  erweiterten  Theorie 772 

17.  Erklärung  des  Thomson' sehen  Phänomens 775 


rv.    Anwendungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf 
Probleme  der  Meteorologie  und  Astronomie. 

A.    Der  indifferente  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre. 

1.  Der  indifferente  Gleichgewichtszustand  einer  Atmosphäre,    die  aus 

trockener  Luft  besteht 777 

2.  Folgerungen,  die  sich  aus  den  Formeln  für  den  indifferenten  Gleich- 

gewichtszustand ergeben 781 

8.    Gleichgewichtszustand,   wenn  die  Luft  nicht  mit  Wasserdampf  ge- 
sättigt ist 782 

4.  Gleichgewichtszustand  einer  mit  Wasserdampf  gesättigten  Atmosphäre    785 

5.  Die  Formeln  von  Guldberg  und  Mohn  für  den  indifferenten  Zu- 

stand der  mit  Wasserdampf  gesättigten  Atmosphäre 789 


Inhaltsverzeichniss  des  zweiten  Bandes.  XVil 

Seite 

6.  Consequenzen  der  vorstehenden  Formeln 793 

7.  Auf-  uhd  absteigende  Strömungen  in  der  Atmosphäre 794 

8.  Die  Ursache  der  Barometermaximä 797 

9.  Die  barometrischen  Minima,  Cyklonen,  Wirbelstürme ,  Tornados  etc.  799 

10.  Die  aufsteigende  Bewegung   der  Luft  als   Ursache   von  wässerigen 

Niederschlägen - 803 

11.  Der  Föhn  und  vei-wandte  Luftströmungen      805 

B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 

1.  Die  Bedeutung  der  Sonne  für  die  Erde 810 

2.  Die  Energiemenge,  welche  die  Sonne  der  Erde  zusendet 812 

3.  Die  von  der  Sonne  überhaupt  ausgesendete  Energiemenge 815 

4.  Ist  eine  Abnahme  der  Sonnen  wärme  nachweisbar? 817 

5.  Die  Hypothese  von  Newton,  Buffon,  Mayer  und  Waterston  .    .  819 

6.  Die  Theorie  von  W.  Thomson 822 

7.  Die  Helmholtz'sche  Contractionstheorie 824 

8.  Die  Hypothese  von  William  Siemens ^ 825 

9.  Ist  der  Weltraum  mit  verdünnten  Gasen  erfüllt?      829 

10.  Werden  hoch  verdünnte  Gase  durch  Sonnenstrahlen  dissociirt?  ....  832 

11.  Die  Temperatur  der  Sonnenoberfläche 833 

12.  Einwendungen  aus  der  himmlischen  Mechanik  gegen  die  Siemens'- 

sehe  Hypothese 836 

13.  Electrische   Vorgänge,    welche    für   die   Siemens* sehe   Hypothese 

sprechen 840 

14.  Schlussbetrachtung  über  die  Siemens* sehe  Hypothese 842 

15.  Die  Untersuchungen  von  Bitter 843 

16.  Das  Yerhältniss  der  inneren  Wärme  zur  Gravitationsarbeit 845 

17.  Adiabatischer  Gleichgewichtszustand  gasförmiger  Weltkörper  ....  847 

18.  Folgerungen  aus  dem  gefundenen  Ausdrucke 8.50 

19.  Die  von  der  Sonne  nach  aussen  abgegebene  Wärmemenge 851 

20.  Weitere  Schlüsse  über  den  derzeitigen  Zustand  der  Sonne 853 

21.  Bitter's  Betrachtungen  über  veränderliche  Sterne  und  Nebelflecken  855 

22.  Die  Zulässigkeit  der  Grundlagen  der  Bitter' sehen  Hypothese  .    .   .  856 

23.  Schlussbetrachtung  über  die  Erhaltung  der  Sonnenenergie 857 

Anhang. 

24.  üeber  die  Atmosphären  fester  Weltkörper 860 


V.     Die  Gesohiolite  der  mechanischen  WSrmetheorie. 

A.    Die    Vorgeschichte. 

1.  Der  Zusammenhang  der  mechanischen  Wärmetheorie  mit  den  Vor- 

stellungen vom  Wesen  der  Wärme 863 

2.  Die  Vorstellungen  der  Alten  von  der  Wärme 864 

3.  Die  Scholastik  und  die  Benaissance 867 

4.  Cartesius,  Hobbes,  Locke,  Spinoza,  Toland 868 


xvm  Inhaltsverzeichniss  des  zweiten  Bandes. 

SeiU 

5.  Die  Vorstellungen  von  der  Wärme  im  Zeitalter  Newton's     .    .   .    .  872 

6.  Leibnizeus  Stellung  zur  mechanisclien  Wärmetheorie 876 

7.  Die  Bernoulli*8 87« 

8.  Die  herrschenden  Meinungen  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts    .    .  881 

B.     Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer. 

i.     Rumford 886 

2.  Das  Ende  der  Lehre  von  der  Wärmesubstanz 894 

3.  Die  Prioritätsansprüche  Fr.  Mohr's 897 

4.  Robert  Mayer,  der  Entdecker  des  ersten  Hauptsatzes 900 

5.  Leben  und  Werke  Robert  Mayer's 901 

6.  Sadi  Carnot 910 

7.  Clapeyrou 916 

8.  S^guin,  Colding,  Holtzmann 919 

0.    Die  moderne  Periode  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

1.  James  Prescott  Joule .' 922 

2.  Die  Entdeckung  des  zweiten  HaupUatzes  durch  Clausius  und  die 

Prioritätsansprüche  von  Rank  ine  und  W.  Thomson     ....  925 

3.  Macquorne  Rankine 930 

4.  William  Thomson 931 

5.  Rudolph  Olausius 936 

6.  Hermann  von  Helmholtz 941 

D.    Die  neuere  Geschichte  der  Theorie  der  Gase. 

1.  Die  Vorstellungen  über  die  zwischen  den  Molekeln  thätigen  Kräfte  947 

2.  Die   Begründung  der   kinetischen  Gastheorie   durch  Clausius   und 

Maxwell  und  die  neueren  Kinetiker 950 

8.    Die  Zustandsgieichung  wirklicher  Gase 952 

4.  Gasreibung,  Diffusion  und  Wärmeleitung  der  Gase 955 

5.  Die  Untersuchungen  über  die  Eigenschaften  der  Molekeln 957 

£.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen  der  Thermodynamik. 

1.  Die  ersten  Anwendungen  auf  die  Dampfmaschinentheorie 960 

2.  Gustav  Adolph  Hirn 962 

3.  Der  Werth   des   mechanischen  Wäimeäquivalentes   nach  Hirn  und 

Anderen 966 

4.  Gustav  Zeuner 968; 

5.  Grashof,  G.  Schmidt  und  Weyrauch 97S| 

I 

( 
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I 


HANDBUCH 


DER 


MECHANISCHEN 


•  • 


WARMETHEORIE. 


Holzstiche 
ans  dem  zylographiaohen  Atelier 
von  Friedricli  Yieweg  und  Sohn 
in  Braonschweig. 


Papier 

aus  der  mechanischen  Papier  -  Fabrik 

der  Gebrüder  Vieweg  zn  Wendbausen 

bei  BraonMhweig. 


HANDBUCH 

0 


DKB 


MECHANISCHEN 


•  • 


WARMETHEORIE. 


BEARBEITET 


VON 


De.  RIOHARD^HLMANN, 

Professor  am  Königlichen   Gymnasiam  zn   Chemnits. 


MIT    IN   DBN    TEXT    EINGEDBUCKTEN   HOLZSTIGHEN. 


ZWEITES    BAND. 


"^    BRAUNSCHWEIG, 


DRÜCK  UND  VERLAG  VON  FRIEDRICH  VIEWEG  UND  SOHN. 


187  8. 


Alle  Bechte  vorbehalten. 


I. 


DIE  MOLECULARTHEORIE  DER  WÄRME. 


A.    Allgemeines  über  die  Moleeular Constitution 

der  Körper. 

l  Die  Orundformeln  der  mechanischen  Wärmetheorie 
sind  unabhängig  von  den  Hypothesen  über  die 

Molecnlarconstitution. 

Alle  Formeln,  anf  welchen  die  gesammte  mechanische  Wtirmetheorie 
beruht,  sind  entwickelt  worden,  ohne  dass  wir  an  irgend  einer  Stelle 
genötbigt  waren,  besondere  Voraussetzungen  über  den  Bau  der  Körper 
oder  über  das  Wesen  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen,  zu 
Grande  zu  legen.  Die  sämmtlichen  Formeln  würden  ebensowohl  gültig 
Bein,  wenn  wir  eine  continuirliche  Raumerfüllung  durch  die  Materie  an- 
genommen hätten,  als  dieselben  gültig  sein  würden,  wenn  wir  das  Wesen 
der  Wärme  in  Bewegungserscheinungen  der  aus  discreten  Atomen  auf- 
gebauten Körperwelt  suchen.  Es  soll  jedoch  nicht  geleugnet  werden, 
dass  die  Annahme  räumlich  getrennter  Molecüle,  abgesehen  davon,  dass 
die  Chemie  eine  solche  Anschauung  gar  nicht  entbehren  kann,  yiel  besser 
dazo  geeignet  erscheint,  die  mathematischen  Formeln  der  Theorie  in  un- 
gezwungener Weise  physikalisch  zu  interpretiren,  als  dies  im  anderen 
Falle  möglich  sein  würde. 

Dieser  Thatsache  ist  es  auch  zuzuschreiben,  dass  wir  bereits  au 
mebreren  Stellen  einen  atomistischen  Aufbau  der  Körper  in  Betracht 
gezogen  haben,  wenn  es  sich  darum  handelte  den  Mechanismus  eines 
physikalischen  Vorganges  oder  den  Inhalt  eines  mathematischen  Aub- 
drockea  dem  Yerständnisse  näher  zu  fähren. 

Verdet-ROhlmaun,  Mechan.  W&raieihoorie.    Bd.  2.  1 


2  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Der  gesammte  erste  bis  jetzt  von  uns  behandelte  Theil  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  beruht  auf  den  Principien  der  Constanz  der  Energie 
und  der  damit  zusammenhängenden  Aequivalenz  der  Energieformen 
(Aequi Valenz  von  Arbeit  und  Wärme)  und  dem  Gl ausius' sehen  Grund- 
satze, dass  Wärme  nie  von  selbst  von  einer  Wärmequelle  niederer  Tem- 
peratur zu  einer  Wärmequelle  höherer  Temperatur  übergehen  könne. 

Insoweit  diese  Sätze  ohne  Bedenken  als  richtig  zugegeben  werden 
können,  besitzt  daher  der  vorhergehende  Theil  einen  erheblichen  Grad 
von  Sicherheit,  den  man  dem  nun  folgenden  Theile,  der  Moleculartheorie, 
nicht  in  gleicher  Weise  zugestehen  kann,  weil  diese  Theorie  auf  einer 
Anzahl  zum  Theil  völlig  hypothetischer  Voraussetzungen  beruht. 

Bezüglich  der  Grundlagen  der  Moleculartheorie  sind  auch  verschie- 
dene Schriftsteller  von  wesentlich  verschiedenen  Anschauungen  ausge- 
gangen. 

Die  grössere  oder  geringere  Wahrscheinlichkeit  der  zu  Grunde  ge- 
legten Annahme  kann  lediglich  darnach  beurtheilt  werden,  inwieweit  die 
aus  diesen  Hypothesen  entwickelte  Theorie  im  Stande  ist,  die  Einzelheiten 
der  Erscheinungen  in  genügender  Weise  zu  erklären.  Da  nun  aber  die 
Ausbildung  einer  Theorie  so  wesentlich  von  der  mathematischen  Geschick- 
lichkeit derer  abhängt,  die  sich  mit  ihrer  Verfolgung  beschäftigen,  so  ist 
man  zur  Zeit  noch  kaum  im  Stande,  über  den  Werth  oder  Unwerth  der 
verschiedenen  atomistischen  Hypothesen  ein  einigermaassen  zuverlässiges 
Ürtheil  abzugeben. 

Eine  besondere  Schwierigkeit  ist  der  physikalischen  Atomistik  da- 
durch erwachsen,  dass  man  sich  genöthigt  gesehen  hat,  um  die  Erschei- 
nungen der  strahlenden  Energie,  besonders  des  Lichtes  und  der  strah- 
lenden Wärme  zu  erklären,  die  Existenz  eines  besonderen  imponderabelen 
Mediums,  des  Aethers,  anzunehmen. 

Die  Betrachtungen,  auf  die  man  in  der  Moleculartheorie  der  Wärme 
geführt  worden  ist,  haben  bisher  keine  besondere  Rücksichtnahme  auf 
diese  räthselhafte  Substanz  unbedingt  gefordert,  wir  wollen  daher  den 
Aether  bis  auf  Weiteres  ganz  ausser  Betracht  lassen  und  uns  nicht  ent- 
scheiden, ob  wir,  wenn  von  Atomen  die  Rede  ist,  darunter  kleinste,  auf 
keine  Weise  weiter  zerlegbare  Körpertheilchen  allein  oder  diese  sammt 
den  sie  umgebenden  Hüllen  von  Aetheratomen  (Dynamiden)  meinen. 
Molecüle  aber  wollen  wir  immer  Systeme  nennen ,  welche  aus  mehr  als 
einem  Atome  bestehen. 


2.  Die  Fundamentalannahmen  der  Moleoulartheorie. 

....Gunz  abgesehen  von  den  Wärmeerscheinungen  haben  die  Chemie,  und 
ebenso  die  allgemeinen  physikalischen  Eigenschaften  der  Körper  darauf 
gefuhrt,  anzunehmen,  dass  die  Materie  den  von  ihr  eingenommenen  Raum 
nicht  continuirlich  erfälle,  sondern  dass  vielmehr  jeder  Körper  als  ein 


A.  Allgemeines  über  die  Molecularconstitution.  3 

Aggregat  von  sehr  vielen  ausserordentlich  kleinen,  materiellen  Theilchen 
anxnsehen  sei,  welche  sich  im  Allgemeinen  gar  nicht  oder  höchstens  in 
aosserordentlich  wenigen  Punkten  berühren,  und  welche  verschiedene  La- 
gen gegen  einander  annehmen  können. 

Man  muss  femer  voraussetzen,  dass  ausser  der  gegenseitigen  An- 
ziehung der  Theüchen  nach  dem  allgemeinen  Gravitationsgesetze  noch 
andere  besondere  Kräfte  zwischen  den  kleinsten  Körpertheilchen  wirksam 
sind,  welche  zwar  ebenfalls  dem  Producte  der  Masse  proportional,  aber 
nach  einer  anderen  noch  unbekannten  Function  vom  Abstände  der  klein- 
sten Theilchen  abhängig  sind. 

Wenn  auch  diese  Wirkungsgesetze  der  Molecularkrafte  noch  unbe- 
kannt sind  und  vielleicht  überhaupt  nie  vollkommen  bekannt  werden,  so 
hat  man  in  der  Wärmelehre  doch  bis  jetzt  keine  Veranlassung  gehabt, 
Yon  der  Gmndannahme  abzugehen,  dass: 

Jeder  Körper  als  ein  Newton'sches  System  angesehen  wer- 
den könne  (man  sehe  Bd.  1,  Abschn.  I,  B,  9,  S.  152),  d.  h.,  dass  die 
zwischen  den  kleinsten  Theilen  wirksamen  Kräfte  lediglich  Functionen 
des  Abstandes  derselben  sind. 

Die  chemischen  Vorgänge  nöthigen  zu  der  weiteren  Annahme,  dass 
die  Körper  zunächst  aus  Molecülen  und  diese  wiederum  aus  grösseren 
oder  geringeren  Zahlen  von  nicht  weiter  theilbaren  Atomen  bestehen. 

Am  häufigsten  kommt  übrigens  der  Fall  vor,  dass  dieMolecüle  wie- 
derum zu  mehrfachen  Molecülen  zusammentreten,  so  dass  diese  mehr- 
fachen Molecüle  zwar  in  gewissem  Sinne  als  Einheiten  auftreten,  dass 
aber  die  Atome  jedes  einfacheren  oder  Partialmolecüles  einen  innigeren 
Znsammenhang  unter  einander  als  mit  den  Atomen  der  übrigen  Partial- 
molecüle  besitzen. 

Manche  Erscheinungen,  insbesondere  die  verschiedenen  Zustände, 
in  welchen  dieselben  einfachen  oder  zusammengesetzten  Substanzen  unter 
verschiedenen  Umständen  auftreten  können  (AUotropie,  Dimorphismus, 
Isomerie  und  Aehnliches),  deutet  ferner  darauf  hin,  dass  auch  die  unter 
sich  gleichartigen  Molecüle  in  verschiedenen  Zahlenverhältnissen  und 
in  verschiedenen  relativen  Lagen  zu  zusammengesetzten  Molecülen  sich 
gmppiren  können.  Auch  die  verschiedenen  Aggregatformen  desselben 
Körpers  lassen  sich  durch  ähnliche  Vorstellungen  erklären. 


3.  üeber  die  Moleoularbewegungen. 

Die  Wärmeerscheinungen  werden  jetzt  fast  allgemein  als  Aeusse- 
mngen  der  Bewegungen  der  Molecüle  angesehen,  aus  denen  die  Körper 
bestehen  ^). 


')  Einzelne  hervorragende  Gelehrte   haben   zwar  das  Wesen   der  Wärme   in  Bewe- 
gtinijien  der  Atome    des    in   den  Körpern  enthaltenen  Aethers  gesucht,   da  aber  aus  an- 

1* 


4  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Es  können  fortschreitende,  rotirende  oder  oscillirende  Bewegungen 
der  Molecüle  als  Ganzes  oder  mehrere  dieser  Formen  gleichzeitig  vor- 
handen sein ;  ebensowohl  können  dann  aber  auch  relative  (dann  aber  nur 
periodische)  Lagenänderungen  der  einzelnen  Atome  oder  Atomgruppen 
in  den  Molecülen  stattfinden.  Beide  Arten  von  Bewegungen  wollen  wir 
unter  dem  Namen  innere  Bewegungen  zusammenfassen,  im  Gegensalze 
zu  den  Bewegungen,  welche  die  Körper  als  Ganze  oder  merklich  end- 
liche Körpertheile  vollziehen  können.  Man  wird  daher  auch  in  diesem 
Sinne  die  Energie  der  inneren  und  äusseren  Bewegung  oder  innere  und 
äussere  kinetische  Energie  zu  unterscheiden  haben. 

Alle  diese  Bewegungen  werden,  wenn  es  sich  um  einen  bestimmt 
definirten  Zustand  und  nicht  um  stürmische  Uebergänge  aus  einem  Zu- 
stande in  einen  anderen  handelt,  nach  der  von  Glausius  eingeführten 
Bezeichnungs weise  als  stationäre  Bewegungen  anzusehen  sein.  Stationär 
ist  der  Bewegungszustand  der  Molecüle  eines  Körpers  aber  dann,  wenn 
1.  die  einzelnen  Punkte  nicht  sich  immer  weiter  von  ihren  Anfangsstel- 
Inngen  entfernen  und  2.  die  Geschwindigkeiten  nicht  fortwährend  in  dem- 
selben Sinne  wachsen.  Die  Molecüle  bewegen  sich  in  diesem  Falle  viel- 
mehr innerhalb  eines  gewissen  Raumes  und  die  Geschwindigkeiten  schwan- 
ken nur  zwischen  gewissen  Grenzen. 

Alsdann  nennt  man  die  Summe  der  Mittelwerthe  der  lebendigen 
Kraft  der  Molecüle  eines  Körpers  die  innere  kinetische  Energie  desselben 
in  dem  gegebenen  Zustande.  Da  voraussichtlich  nach  dem  Gesetze  der 
grossen  Zahlen  bei  einer  über  alle  Begriffe  grossen  Anzahl  von  Molecülen, 
wie  wir  dieselben  in  jedem  Körper  annehmen  müssen,  vorausgesetzt  wer- 
den kann,  dass,  bis  auf  unmessbare  Di£Perenzen,  alle  Geschwindigkeita- 
quadrate,  welche  innerhalb  der  Grenze  vorkommen  können,  auftreten,  so 
kann  man  sich  all  diese  Geschwindigkeiten  nach  ihrer  Grösse  in  Gruppen 
getheilt  denken  und  kann  dann  annehmen,  dass  die  Anzahlen  der  in 
einer  Gruppe  enthaltenen  Geschwindigkeiten  den  Zeiten  proportional  sind, 
während  welcher  durchschnittlich  die  Geschwindigkeit  eines  einzelnen 
Molecüls  sich  bei  constantem  Wärmezustande  innerhalb  derselben  Grössen- 
grenzen  wie  in  der  Gruppe  befindet. 

Mit  Rücksicht  auf  diese  allen  Gesetzen  der  Wahrscheinlichkeit  durch- 
aus entsprechende  Annahme  wird  man  auch  sagen  können: 


deren  Gründen  die  Masse  des  Aethers  im  Vergleich  zur  Masse  der  Körperatome  als  ver- 
schwindend klein  angesehen  werden  muss,  so  ist  es  schwer  verständlich,  puf  welche 
Weise  dann  die  anter  Umständen  ausserordentlich  bedeutenden  Quantitäten  lebendiger 
Kraft  bei  einer  so  geringen  Masse  erklärt  werden  solle.  Auch  empfiehlt  es  sich,  in 
Anbetracht  der  vielen  Bedenken,  welche  sich  auch  sonst  bei  genauerer  Verfolgung  der 
Aetherhypothese  überhaupt  aufdrängen,  wenn  irgend  möglich  von  diesem  räthselhaften 
Erkläningshülfsmittel  abzusehen.  Wir  werden  im  Nachstehenden  der  vorzugsweise  von 
Clausius  vertretenen  Anschauung  folgen,  dass  die  Wärme  in  der  lebendigen  Krafl  der 
K'drperatome  zu  suchen  sei. 


A,  Allgemeines  über  die  Molecularcoustitution.  5 

Die  innere  kinetische  Energie  eines  Körpers  ist  in  jedem 
Augenblicke  gleich  der  Summe  der  lebendigen  Kräfte  der 
stationären  Bewegungen  seiner  Molecüle. 

Die  gesammte  kinetische  Energie  eines  Korpers  ist  nach  den  Be- 
trachtungen, welche  früher  (Bd.  I,  I,  B,  23  bis  28,  S.  161  bis  165)  an- 
gestellt worden  sind,  gleich  der  Summe  aus  seiner  äusseren  und  inneren 
kinetischen  Energie. 


4.  Die  mittlere  Oruppirung  der  Moleoüle ;  Dlsgregation ; 

Entropie. 

Bei  allen  stationären  Bewegungen  wird  auch,  so  lange  die  Bewegungs- 
art der  Molecüle  und  ihr  Bestand  ungeändert  bleiben,  die  mittlere  Orup- 
pirung aller  Molecüle  dieselbe  bleiben.  Zwar  werden  in  einen  gegebenen 
Kaum  fortwährend  Molecüle  eintreten,  welche  unmittelbar  yorher  ausser- 
ludb  desselben  gelegen  waren,  dafür  aber  werden  in  dem  nämlichen  Zeit- 
abschnitte immer  so  nahezu  gleichviel  Moleciüe  auch  wieder  austreten, 
dass  die  hierdurch  etwa  entstehenden  Differenzen  der  in  dem  Räume 
Yorbandenen  Anzahl  vonMolecülen  und  ebenso  ihr  mittlerer  Abstand 
immer  als  ungeändert  angesehen  werden  kann. 

Bei  Aenderungen  des  Aggregatzustandes,  welche  doch  meist  bei 
constanter  Temperatur  erfolgen,  ändert  sich  wahrscheinlich  die  Bewegungs- 
ari der  Molecüle  oder  der  Bestand  der  zusammengesetzten  Molecüle,  mit 
der  eine  Aenderung  der  mittleren  lebendigen  Kraft  nicht  nothwendig 
verknüpft  zu  sein  braucht. 

Die  hierbei  aufgewendete  Energie  geht  alsdann  in  potentielle  innere 
Energie  über. 

Es  kann  jedoch  auch  durch  eine  blosse  Aenderung  der  Anordnung 
der  Molecüle  der  mittlere  Bewegungszustand  derselben  geändert  werden, 
alsdann  geht  innere  potentielle  Energie  in  innere  kinetische  Energie  über. 

Jedenfalls  geht  aus  dem  soeben  Gesagten,  was  sich  noch  nach  vielen 
Richtungen  hin  weiter  ausführen  Hesse,  hervor,  dass  die  mittlere  Grup- 
piruDg  der  Molecüle  und  der  Atome  in  denMolecülen  einen  wesentlichen 
Theil  der  inneren  potentiellen  Energie  der  Körper  ausmacht,  und  so  lange 
man  die  Beziehung  des  Körpers  zu  anderen  Körpern  nicht  ändert,  nur 
am  eine  Constante  von  derselben  verschieden  sein  wird. 

Die  Energiemenge,  welche  aufgewendet  werden  muss,  um  eine  mitt- 
lere innere  Anordnung  der  Molecüle  in  eine  bestimmte  andere  überzu- 
führen, ist  der  Zuwachs  der  inneren  potentiellen  Energie,  beim  lieber- 
gange  aus  dem  einen  in  den  anderen  Zustand. 

Die  Summe  aus  der  inneren  kinetischen  und  der  inneren  potentiellen 
Energie  eines  Körpers  nennen  wir,  übereinstimmend  mit  Clausius,  die 
„mnere  Energie **,  oder  vollständiger:  „gesammte  innere  Energie*" 
derselben.      Kirchhoff  nennt  diese  Grösse   „Wirkungsfunction^ , 


6  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Thomson    gebraucht  dafür  den   Ausdruck:    „mechanioal    energy", 
Zeuner  bezeichnet  dieselbe  mit  dem  Namen:  „innere  Arbeit". 

Die  gesammte  innere  Energie  eines  Körpers  ist  schon  früher  yon 
uns  mit  U  bezeichnet  worden,  dieselbe  ist  nach  dem  eben  Erwähnten: 

17  =  3, +  3:,, 1) 

wenn  man  untet  3<  ^^^  innere  potentielle  und  unter  %i  die  innere  ki- 
netische Energie  eines  Körpers  versteht. 

Betrachten  wir  eine  umkehrbare  Zustandsänderung  eines  Körpers, 
so  wird  zwar  während  dieses  Processes  die  Anordnung  der  Molecüle  und 
auch  ihr  mittlerer  Bewegungszustand  sich  fortwährend  ändern,  trotzdem 
aber  schliesst  der  Begriff  der  Umkehrbarkeit  die  Voraussetzung  in  sich 
ein,  dass  in  jedem  betrachteten  Moment  der  Bewegungszustand  der  Mole- 
cüle als  stationär  angesehen  werden  kann.  Die  zu  dieser  Zustands- 
änderung aufgewendete  Wärme  bezeichnen  wir  mit  Q,  alsdann  ist  (man 
sehe  Bd.  1,  II,  C,  25,  S.  216): 

J ,  Q=zU  ^'  S 2) 

wobei  S  die  Aenderung  der  äusseren  Energie  bezeichnet. 

Setzt  man  hierin  den  Werth  von  ü"  ein,  so  ergiebt  sich: 

^-  e  =  3i  +  3;<  +  s 3) 

Die  potentielle  innere  Energie  eines  chemisch  bestimmten  Körpen 
wird  ein  Maximum  erreichen,  wenn  die  Molecüle  desselben  so  weit  aus 
einander  gerückt  worden  sind,  dass  ihre  gegenseitigen  Wirkungen  als 
verschwindend  angesehen  werden  können ;  wir  wissen ,  dass  dieser  Fall 
eintritt,  wenn  eine  Substanz  soweit  verdünnt  worden  ist,  dass  dieselbe  ein 
Gas  geworden  ist,  welches  sich  nicht  mehr  merklich  von  einem  vollkom- 
menen Gase  unterscheidet. 

Den  negativen  Werth  der  Quantität,  um  welchen  sich  die  augen- 
blickliche innere  potentielle  Energie  von  diesem  Maximalwerthe  unter- 
scheidet, wollen  wir  alsMaass  für  die  innere  potentielle  Energie  benutzen. 
Diese  Grösse  kann  uns  gleichzeitig  als  Maass  für  die  innere  potentielle 
Energie  einer  gegebenen  Gruppirung  der  Molecüle  dienen  und  damit  als 
mathematisch  ausdrückbarer  Werth  für  eine  Gruppirung  der  Molecüle 
selbst. 

Den  Grad  der  Zertheilung  des  Körpers  nennt  Clausius^)  Disgrega- 
tion  und  wir  wollen  diese  Bezeichnungs weise  far  das  Folgende  annehmen. 
Da  durch  die  Wärme  das  Volumen  der  Körper  im  Allgemeinen  vergrössert 
wird,  die  Molecüle  bei  zunehmender  Temperatur  also  aus  einander  rücken^ 
durch  weiterQ  Zuführung  von  Wärme  allmälig  alle  Körper  in  den  flüssi- 
gen, respective  in  den  gasigen  Zustand  übergehen,  die  mehrfachen  Mole- 
cüle also  wahrscheinlich  in  gleichartige  einfachere  Molecüle  zerfallt  wer- 
den, so  kann  man  auch  sagen:  in  fast  allen  Fällen  wird  durch  Zu- 


^)  Abhandlnngen  Bd.  1,  S.  248. 


A.  Allgemeines  über  die  Molecularconstitution.  7 

fdhrang   von  Warme   zu    einem   Körper    desBen  Disgregation 
rermehrt. 

Zu  einem  mathematischen  Ausdrucke  für  die  Grösse  der  Disgregation 
gelangte  Glansius  dadurch,  dass  er  von  dem  Beispiele  eines  vollkom- 
menen  Gases  ausging.  Bei  einem  Gase  ist  bei  gegebenem  Volumen  der 
Zertbeilungsgrad  so  gross  als  möglich  und  kann  sich  weiter  nur  noch 
mit  dem  Volumen  ändern.  Bezeichnen  nun,  wie  üblich,  p,  v  und  T  Druck, 
specifisches  Volumen  und  absolute  Temperatur,  so  ist  bei  einem  Gase: 

p  .  v  =  B  .  T. 

Bei  einem  Gase  aber  ist  d^i  =  0  und: 

dS  =  p  .dv  =  R'  —  '  T 

V 

oder: 

dS  =  T  .d{R  ,  logmt  v)  .    . 4) 

Bei  einem  Gase  aber  wächst  die  Zertheilung  in  demselben  Verhält- 
nisse, wie  das  Volumen,  man  wird  also  in  diesem  Falle  die  Grösse 
E .  lognat  v  bei  einem  Gase  als  Maass  der  Zertheilung  oder  als  die  Dis- 
gregation ansehen  können. 

Analog  hierzu  definirt  nunmehr  Glausius  die  Disgregation  Z  eines 
Körpers  durch  die  Gleichung: 

d(8-\-  Sd=T.dZ 5) 

Dieselbesagtuns:  Für  irgend  einen  Körper  ist  die  Aendorung 
der  gesammten  potentiellen  Energie  (die  Aendernng  der  inne- 
ren nnd  äusseren  Arbeit)  proportional  der  absoluten  Tempe- 
ratar  und  der  gleichzeitig  stattfindenden  Disgrcgationsände- 
rung  1). 

Wenn  man  auf  d  Z  reducirt  und  alsdann  integrirt  ergiebt  sich : 

z  =  ^+/l(«  +  3J ,, 

worin  Zq  die  Disgregation  in  dem  Zustande  bedeutet,  auf  den  sich  die 
untere,  Z  in  dem  Zustande,  auf  den  sich  die  obere  Integrationsgrenze 
bezieht. 

Nach  dem  vorher  Bemerkten  ist  übrigens  ohne  Weiteres  klar,  dass 
durch  die  mittlere  Gruppirung  der  Molecüle  zwar  die  Grösse  Z,  nicht 
aber  umgekehrt  durch  den  bekannten  Werth  der  Disgregation  auch  die 
mittlere  Gruppirung  der  Molecüle  gegeben  ist. 


^)  Schon fräber :  Bd.  1,  IV,  D,  7,  S.  446,  haben  wir  an  der  Hand  einer  Clausius*- 
Khen  Abhandlung  gezeigt,  dass  diese  Formel,  welche  dort  die  Gestalt: 

^L  =  C  .  h  .  dz 

fc«t,  eine  tiefere  Bedeutung  hat,   als   dies   nach    obigem    etwas  äusserlich  erscheinenden 
AuüogieschJQMe  der  Fall  zu  sein  scheint. 


8  I.  Molecülartheorie  der  Wanne. 

Bei  einem  Kreieprocesse  ist  bekanntlich  nach  dem  zweiten  Haupt- 
sätze : 


n-> 


und  ebenso  ist,  da  Anfangs-  und  Endzustand  und  auch  die  Disgregation 
bei  Beginn  und  am  Schlüsse  des  Processes  dieselbe  ist: 

Z  =  Zo  ; 

folglich  ergiebt  sich,  wenn  man  auf  Gleichung  3) : 

j-.dö  =  d(3,  +  s)  +  d%, 

Rücksicht  nimmt  und  beachtet,  dass  danach: 


-/T«=^-^+r 


^ 7) 

T 


ist: 


f 


y     =   0 8) 


Der  Quotient  -^  ist  demnach  das  vollständige  Differential  einer  Func- 
tion von  Veränderlichen,  welche  den  Wärmezustand  bestimmen.  Hieraas 
lassen  sich  noch  einige  weitere  Schlüsse  ableiten.  Nimmt  man  z.  B.  an, 
der  Wärmezustand  sei  durch  die  unabhängigen  Variabein  T  und  x  voll- 
ständig bestimmt,  so  ist: 

Wenn   aber  -~  ein  vollständiges  Differential  sein  soll,  so  muss: 


. /l     öSA         o  /l     dZ\ 


dx        ,  dT 

sein. 

Differentiirt  man  aus,  so  ergiebt  sich  mit  Rücksicht  darauf,  dass  T 
und  X  nach  Voraussetzung  zwei  unabhängige  Variabele  sein  sollen: 

g=« •■•■■») 

Dies  ergiebt  das  Resultat,  dass  Xi  von  x  unabhängig  und  mithin 
nur  eine  Function  von  T  ist,  und  wir  gelangen  damit  zu  dem  Satze : 

Die  innere  kinetische  Energie  eines  Körpers  ist  eine 
Function  der  absoluten  Temperatur  allein  und  ist  durch  die- 
selbe volständig  bestimmt;  die  innere  kinetische  Energie  ist 
demnach  von  der  Anordnung  der  Molecüle  vollkommen  unab- 
hängig. 


A.  Allgemeines  über  die  Molecularconstitution.  9 

Setzt  man: 

80  ist: 

/d% 
-Y lö) 

wenn  man  unter  Yq  den  speciellen  Werth  versteht,  den  Y  an  der  unteren 
Integrationsgrenze  annimmt. 

Substitoirt  man  diese  Bezeichnungsweise  nochmals  in   7),    so   er- 
giebt  sich: 

J./^  =  (r  +  Z)  -  (Fo  +  Zo). 

Die  Summe  Y  -{-  Z  nennt  Glausius  den  Verwandlungsinhalt  oder 
die  Entropie^)  eines  Körpers.     Man  kann  also  den  zweiten  Hauptsatz: 


■r-i = » 


mit  Benutzung  dieses  Ausdruckes  auch  in  der  Form  aussprechen : 

In  einem  umkehrbaren  Ereisprocesse  ist   die  Aenderung 
der  Entropie  gleich  NulL 


5.  Die  walire  speolflsche  Wärme ;  die  absolute  Temperatur 
ist  proportional  der  inneren  kinetischen  Energie. 

Bekanntlich  ist  die  specifische  Wärme  eines  Körpers  für  eine  be- 
stimmte gesetzmässige  umkehrbare  Aenderung  des  Zustandes  eines  Kör- 
pers definirt  durch  die  Gleichung: 

"^  -  dT' 

wobei  dQ  die  unendlich  kleine  Wärmemenge  bedeutet,  welche   einem 
Kilogramme  der  betreffenden  Substanz  zugefögt  werden  muss,  damit  die 
Temperatur  T  desselben  sich  längs  der  stetigen  Curve,  welche  die  gesetz- 
mässige Zustandsänderung  graphisch  darstellt,  um  d  T  zunehme. 
Nun  ist  aber  nach  7): 

J  .dQ=T  ,dZ  -\-  d%r, 
folghch,  wenn  man  beiderseitig  mit  -^^^^7^,  multiplicirt : 


*)  Von  fix^onri^  die  Verwandlung.  Man  sehe  auch  Bd.  1,  S.  144.  Die  Engländer 
Dennen  Entropie  einer  Substanz  den  noch  verwandelbaren  Theil  seiner  inneren  kinetischen 
Energie.    Man  sehe  Tait,  Sketch  of  Thermodynamics  S.  100. 


10  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

dT       J  dT~^  J  '  dT' 

Geschieht  nun  aber  die  Zustandsänderang  ohne  Disgregationsände- 
rung,  so  ist: 

dZ  =  0, 

und  demnach: 

Diese  specifische  Wärme  0,  welche  die  Unveränderlichkeit  der  Dia- 
gregation  voraussetzt,  wird  nach  Rankine  ^)  die  wahre  specifische 
Wärme  genannt. 

Die  dem  Körper  anter  diesen  Verhältnissen  mitgetheilte  Wärme 
wird  nämlich  lediglich  zur  Aenderung  der  inneren  kinetischen  Energie, 
mithin  lediglich  zur  Aenderung  der  absoluten  Temperatur  verwandt,  kein 
Theil  der  mitgetheilten  calorischen  Energie  geht  in  äussere  Arbeit  oder 
in  innere  potentielle  Energie  über,  und  es  ist  der  Name  daher  ein  ganz 
glücklich  gewählter. 

Die  Grösse  Xi  ist,  wie  wir  vorhin  gefunden  haben,  unabhängig  von 
der  Gi*uppirung  der  Molecüle  im  Körper  und  ist  lediglich  eine  Function 
der  Temperatur. 

Führen  wir  aber  einen  Körper  bei  verschiedenen  Temperaturen 
durch  geeignete  Volumen-  und  Druckänderungen  in  den  absoluten  Gas- 
zustand über  und  lassen  hiernach  bei  einer  unendlich  kleinen  Temperatur- 
änderung das  Volumen  constant,  so  nimmt,  da  in  diesem  Falle  dv  =  0 
ist,  d  Z  den  Werth  Null  und  somit  C  den  Werth  c„  an.  c„,  die  specifische 
Wärme  bei  constantem  Volumen,  ist  aber  bei  einem  vollkommenen  Gase 
eine  Constante  und  wir  finden  somit  den  Satz: 

Die  wahre  specifische  Wärme  einer  Substanz  ist  eine 
lediglich  von  der  Art  des  betreffenden  Stoffes  abhäng^ige 
Constante,  sie  ist  der  Grenzwerth,  dem  sich  die  specifische 
Wärme  des  Dampfes  der  Substanz  bei  constantem  Volumen 
bei  fortschreitender  Ueberhitzung  nähert. 

Aus  der  Gleichung  11): 

^  =  j"df 

ergiebt  sich: 

dXi  =/.  C  ,dT, 

und  durch  Integration: 

%,z=J,C.T.+  Const 12) 

Nimmt  man  ausserdem   die  Annahme  hinzu,  dass  beim  absoluten 


^)  Rankine,    On   tbe  mechanical  action  of  heat,   especially  in  gases  and  vapoo». 
Phil.  Trans.  (1850)  Bd.  20,  S.  153. 


A.  Allgemeines  über  die  Molecularconstitution.  11 

Xnllpiuikt  (d.  h.  für  T  =  0)  die  Molecöle  eines  Körpers  sich   in  Ruhe 
befinden,  d.  h.  dass: 

2^'(r  -  0)  =  ^ 
ist,  80  ergiebt  sich : 

K/f    ^^   c/«O.JL 1 0) 

d.  h.:  Die  absolute  Temperatur  eines  Körpers  ist  der  inneren 
kinetischen  Energie  seiner  Molecüle  direct  proportional. 


6.  Der  absolute  Nullpunkt  kann  durch  keinen  endUohen 

Prooess  erreicht  werden. 

Durch  die  Gleichung  10): 


r=ro+/f 


hüben  wir  eine  Grösse  IT  definirt,  welche  mit  der  Disgregation  Z  zu- 
sammen die  Entropie  eines  Körpers  ausmacht.  Substituirt  man  in  diese 
Formel  den  in  13)  für  Xi  gefundenen  Werth,  so  findet  man  : 

oder: 

Y  —  Yo=J.  G  .  lognat  ^ - 

Nimmt  man  nun  Znstandsänderungen  eines  Körpers  vor,  bei  denen 
die  Entropie  ungeändert  bleibt,  so  ist: 

Z'-Zo  =  Yo—  Y=J.G.  lognat  y   ....    14) 

Hieraus  folgt,  dass  wenn  T  gleich  Null  werden  soll,  hierzu  eine  un- 
endlich grosse  Disgregationsvermehrung  erforderlich  sein  würde;  da  dies 
aber  nicht  st-atthaft  ist,  so  kann  man  hieraus  schliessen,  dass  es  unmög- 
lich sein  wird,  den  absoluten  Nullpunkt  durch  endliche  Znstandsän- 
demngen  je  zu  erreichen. 


12  I,  Moleculartheorie  der  Wärme, 


B,    Greschichtliches  über  die  Moleculartheorie, 
im  Besonderen  über  die  der  Gase, 

1.  Die  ersten  Anfänge  einer  Moleonlartheorie  der  Gase. 

Von  fast  allen  Gedanken,  welche  für  die  Entwickelung  einer  Wissen- 
schaft von  hervorragender  Bedentang  sind,  lassen  sich  bei  sorgsamer  Re- 
vision älterer  Arbeiten  bereits  ziemlich  frühe  Spuren  nachweisen.  Jeden- 
falls sind  aber  erst  diejenigen  Gelehrten  als  die  eigentlichen  Begründer 
einer  Theorie  anzusehen,  durch  welche  ein  solcher  Gedanke  nicht  nur 
selbstständig  von  Neuem  gefunden,  sondern  auch  zum  ersten  Male  mit  vollem 
Bewusstsein  als  Ausgangspunkt  von  Untersuchungen  verwerthet  worden 
ist,  welche  einen  wesentlichen  Fortschritt  der  Wissenschaft  repräsentiren. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  halten  wir  es  zwar  für  geschicht- 
lich interessant,  wenn  man  uns  zeigt,  dass  schon  bei  Philosophen  und 
Schriftstellern  des  classischen  Alterthums  Ideen  zu  finden  sind,  welche 
mit  den  Grundlagen  unserer  heutigen  Moleculartheorie  verwandt  sind, 
wir  halten  es  aber  für  vollkommen  unberechtigt,  wenn  man  auf  Grund 
solcher  historischer  Funde  die  Prioritätsrechte  verdienter  Forscher  zu 
bestreiten  versucht. 

Schon  Lucrez  ^j|  wird  unter  denjenigen  angeführt,  welche  den  mo- 
dernen Anschauungen  verwandte  Vorstellungen  •  gehegt  haben.  Die 
meisten  Nachfolgenden,  welche  sich  mit  dem  Wesen  der  Wärme  beschäf- 
tigten, blieben  dabei  stehen,  dass  es  besondere,  von  den  Körperatomen 
verschiedene,  Atome  seien,  durch  deren  Bewegungen  die  Wirkungen  der 
Wärme  hervorgebracht  werden;  dazu  gehören  z.  B.  Euler,  Voltaire, 
Boscovich,  Marat.  Weniger  klar  in  dieser  Beziehung  äussern  sich 
Newton  und  Kant. 

Anklänge,  welche  zum  Theil  wirklich  überraschen  durch  ihre  Aehn- 
lichkeit  mit  Sätzen,  auf  denen  die  heutige  Wissenschaft  ruht,  finden  sich 
dagegen  schon  bei  Gassendi  und  Descartes^). 

Zum  ersten  Male  findet  sich  eine  den  heutigen  Auffassungen  sehr 
nahestehende  Moleculartheorie  der  Gase  bei  Daniel  Bernoulli.  Der- 
selbe hat  diese  Theorie  in   dem   10.  Abschnitte  seiner  Hydrodynamik ') 


')  Lucretius,  De  rerum  natura  libri  sex.  Herausgegeben  von  J.  Bernavs, 
Leipzig  1871.  S.  36. 

2)  Genaueres  hierüber  findet  man  in  der  äusserst  lesenswerthen  Schrift  von 
G.  Bert  hold:  Rumtbrd  und  die  mechanische  Wärmetheorie.  Heidelberg  1875, 
S.  11  u.  s.  f. 

^)  Hydrodynamica.     Strassborg  1738,  sect.  decim.  §.  1,  S.  200. 


I 


B.  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie.  13 

niedergelegt.  Allerdings  sind  seine  Anscbannngen  von  seinen  Zeitge- 
nossen nicht  gewürdigt  wurden  und  er  selbst  scheint  sich  der  Tragweite 
seiner  Anseinandersetznngen  kaum  bewasst  gewesen  zu  sein. 

Er  sagt  am  angegebenen  Orte: 

Indern^)  wir  jetzt  die  elastischen  Flüssigkeiten  betrach- 
ten wollen,  steht  es  uns  frei,  ihnen  eine  solche  Beschaffenheit 
beizulegen,  welche  sich  inUebereinstimmung  mit  allen  bisher 
bekannten  Eigenschaften  befindet,  dass  auf  dieseWeise  sogar 
ein  Einblick  in  die  übrigen  bisher  noch  nicht  erforschten 
Eigenschaften  gewonnen  wird.  Die  hauptsächlichsten 
Eigenschaften  der  elastischen  Flüssigkeiten  beruhen  auf 
Folgendem:  1)  sie  haben  Schwere,  2)  sie  breiten  sich  nach 
allen  Richtungen  hin  aus,  wenn  sie  nicht  eingeschlossen 
sind,  und  3)  sie  lassen  sich  anhaltend  mehr  und  mehr  zu- 
sammenpressen,  je  mehr  die  zusammendrückenden  Kräfte 
wachsen.  So  ist  die  Luft  beschaffen,  auf  welche  haupt- 
sächlich unsere  jetzigen  Betrachtungen  sich  erstrecken. 

Man  denke  sich  also  ein  cylindrisches,  vertical  stehen- 
des Gefäss  mit  einem  beweglichen  Deckel  darauf,  auf  wel- 
chem einGewicht  ruht*,  dasGefäss  enthalte  sehr  kleine  Mo- 
lecüle,  welche  sich  mit  der  grössten  Geschwindigkeit  nach 
allen  Richtungen  bewegen:  auf  diese  Weise  bilden  die  Mo- 
lecüle,  indem  sie  gegen  den  Deckel  stossen  und  letzteren 
durch  ihre  beständig  wiederholten  Stösse  tragen,  ein 
elastisches  Fluidum,  welches  sich  ausdehnt,  wenn  das 
Gewicht  entfernt  oder  verringert  S^ird,  welches  bei  Ver- 
mehrung des  Gewichtes  verdichtet  wird,  und  welches  ge- 
gen den  horizontalen  Boden  des  Gefässes  nicht  anders 
gravitirt,  als  wenn  es  keine  elastische  Kraft  hätte;  mögen 
nämlich  die  Molecüle  ruhen  oder  sich  bewegen,  so  verän- 
dern sie  nicht  die  Schwere,  so  dass  der  Boden  sowohl  das 
Gewicht  als  auch  die  Elasticität  des  Fluidums  trägt.  Ein 
solches  Fluidum  also,  welches  mit  den  hauptsächlichsten 
Eigenschaften  der  elastischen  Flüssigkeiten  überein- 
stimmt, wollen  wir  der  Luft  substituiren,  und  auf  diese 
Weise  einige  Eigenschaften,  welche  bereits  an  der  Luft 
entdeckt  sind,  erklären,  und  andere  noch  nicht  genug 
untersuchte  erläutern. 

Wird  das  Gewicht  des  Deckels  vermehrt  und  das  Gas 
comprimirt,  so  erleidet  der  Deckel  von  Seiten  des  Flui- 
dnms  auf  zweifache  Weise  einen  Widerstand,  einmal  weil 
die  Zahl  der. Molecüle  im  Verhältnisse  zu  dem  Räume,   in 


^)   Wir   geben    dieses    Citat    nach:     Bert  hold,    Rnniford    und    die    mechanische 
Wiimetheorie  S.  14. 


14  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

welchem  sie  eingeschlossen  sind,  jetzt  eine  grössere  ist 
und  zweitens  weil  jedes  Molecül  jetzt  öfters  den  Stose 
wiederholt,  der  Stoss  muss  nämlich  um  so  häufiger  erfol- 
gen, je  näher  einander  die  Molecüle  gebracht  sind« 

Wäre  z.  B.  das  Volumen  des  Gases  im  Verhältnisse  von  1  :  8  ver- 
mehrt worden,  so  ist  dann  in  einem  gegebenen  Räume  eine  im  Verhält- 
nisse 1  :  s  geringere  Anzahl  von  Molecülen  vorhanden,  als  Vorher.      Der 

mittlere  Abstand  der  Molecüle  hat  dann  im  Verhältniss  von  1  :  yg  zuge- 
nommen. Hiervon  ausgehend  betrachten  wir  die  Anzahl  Molecüle,  welche 
in  einem  bestimmten  Zeitabschnitte  den  Deckel  treffen.  Die  Anzahl  der 
Molecüle,  welche  in  einer  gegebenen  Fläche  enthalten  sind,  ist  umgekehrt 
proportional  dem  Quadrate  ihres  mittleren  Abstandes.     Die  Anzahl  der 

Molecüle,  welche  gleichzeitig  den  Deckel  treffen,  kann  also  durch  ^^-^ 

oder  durch  — ^  dargestellt  werden,    wenn    man    die  Anzahl   Molecüle, 

welche  im  ursprünglichen  Zustande  den  Deckel  gleichzeitig  treffen,  mit 
1  bezeichnet. 

Diese  Molecüle ,  welche  die  Fläche  des  Deckels  treffen ,  werden  zu- 
rückgeworfen und  werden  unmittelbar  nachher  durch  andere  Molecüle 
ersetzt,  welche  ebenfalls  zurückgeworfen  werden.  Der  gesammte  An- 
trieb, welcher  dem  Deckel  mitgetheilt  wird,  ist  aber  nicht  nur  propor- 
tional der  Anzahl  Molecüle,  welche  gleichzeitig  den  Deckel  treffen,  son- 
dern auch  proportional  der  Anzahl  von  StÖssen,  welche  in  der  Zeiteinheit 
erfolgen.  Diese  letzte  Anzahl  aber  ist  dem  mittleren  Abstände  der  Mo- 
cüle  umgekehrt  proportional,  mag  man  nun  annehmen,  dass  alle  Mole- 
cüle, welche  in  einer  sehr  dünnen  Schicht  enthalten  sind,  nachdem  sie 
an  dem  Deckel  reflectirt  worden  sind,  sich  entfernen,  um  von  den  Mole- 
cülen der  folgenden  Schicht  ersetzt  zu  werden,  wobei  alsdann  die  Zwischen- 
zeit zwischen  zwei  Stössen  proportional  dem  Zwischenräume  zwischen 
zwei  auf  einander  folgenden  Schichten  ist,  oder  mag  man  annehmen,  dass 
gewisse  Molecüle,  nachdem  sie  an  dem  Deckel  abgeprallt  sind,  an  Mole- 
cüle der  folgenden  Schicht  antreffen  und  von  diesen  nach  dem  Deckel 
zurückgeschleudert  werden;  denn  in  diesem  letzten  Falle  werden  sich 
zwei  Molecüle  nicht  eher  treffen,  als  bis  jedes  den  halben  Zwischenraum 
zwischen  zwei  auf  einander  folgenden  Schichten  durchlaufen  hat,  das  erste 
Molecül  wird  den  Deckel  erst  genau  nach  der  Zeit  wieder  treffen,  welche 
die  Molecüle  der  zweiten  Schicht  gebraucht  halsen  würde,  um  den  Deckel 
zu  erreichen.  Die  Anzahl  der  Stösse,  welche  an  einer  Stelle  in  der  Zeit- 
einheit erfolgen  und  also  dem  mittleren  Abstände  der  Molecüle  umge- 

1  .  . 

kehrt  proportional  sein,  d.  h.  der  Grösse  -fp=  proportional  sein.    Der  Ge- 

V  s 
sammtantrieb  wird  demnach  der  Grösse: 


B.  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie.  15 

* 

J_    J-  —  1 

proportional  sein. 

Bezeichnet  man  nun  die  Belastung  des  beweglichen  Deckels,  als  das 
Volomen  des  Gases  gleich  1  war,  mit  P,  und  die  neue  Belastung,  als  das 
Volumen  s  betrug,  mit  P',  so  hat  man: 

P  :  P'  =  1  :  - 

s 
oder: 

" = ^' 

and  das  ist  das  Mario tte'sche  oder  6 oyl ersehe  Gesetz. 
Weiterhin  im  §.  6  ^)  fährt  Daniel  Bernoulli  fort: 
Die  Elasticität  der  Luft  wird  indessen  nicht  nur  durch 
dieCondensation  vermehrt,  sondern  auch  durch  vermehrte 
Wärme;  und  da  es  feststeht,  dass  die  Wärme  überall  ver- 
mehrt wird,  wenn  die  innere  Bewegung  der  Molecüle 
wächst,  so  folgt,,  dass  die  Yergrösserung  der  Elasticität 
der  Luft  bei  constantem  Volumen  eine  heftigere  Bewegung 
in  den  Molecülen  der  Luft  beweist,  was  mit  unserer  Hypo- 
these vollkommen  ühereinstimmt;  es  ist  nämlich  äugen- 
Bcheinlich,  dass  ein  um  so  grösseres  Gewicht  erforderlich 
ist,  um  die  Luft  im  Oylinder  in  ihrer  Lage  zu  erhalten,  je 
grösser  die  Geschwindigkeit  ist,  mit  welcher  die  Luft- 
molecüle  sich  bewegen,  ja  es  ist  nicht  schwer  zu  begreifen, 
dass  das  Gewicht  sich  wie  das  Quadrat  jener  Geschwindig- 
keit verhalten  wird,  da  durch  die  Yergrösserung  der  Ge- 
schwindigkeit sowohl  die  Zahl  als  auch  die  Intensität  der 
Stösse  gleichmässig  wächst,  heide  aber  für  sich  dem  Ge- 
wichte proportional  sind. 

An  einer  anderen  Stelle')  fährt  Bernoulli  folgendermaassen  fort: 
Ein  Punkt  ist  nicht  zu  vernachlässigen,  in  welchem 
sich  die  elastischen  Fluida  von  den  nicht  elastischen 
anterscheiden,  nämlich  darin,  dass  ein  elastisches  Flui- 
dum  auch  im  ruhenden  Zustande  lebendige  Kraft  besitzt, 
nicht  insofern  es  gleich  anderen  bewegten  Körpern  sich 
bis  zu  einer  gewissen  Höhe  erheben  kann  —  eine  Orts- 
bewegung in  demselben  ziehen  wir  hier  nicht  in  Betracht — , 
sondern  insofern  es  durch  seine  Spannkraft  in  anderen 
Körpern,  welche  Gewicht  besitzen,  ein  solchesAufsteigen 


^)  Am  angefahrten  Orte  S.   202.      Bertbold,    Ramford    and    die    mechanische 
Wärmetheorie  S.  15. 

^)  Am  angegebenen  Orte  §.  39,  S.  228.     Berthold,  Rumford  etc.  S.  15. 


16  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

bewirken  kann.  Hoffentlich  wird  es  gestattet  sein,  im 
Folgenden  den  Ausdruck:  lebendige  Kraft,  welche  einem 
comprimirten  elastischen  Körper  eingepflanzt  ist,  zu  ge- 
brauchen, wenn  man  nichts  anderes  darunter  versteht,  als 
den  potentiellen  Auftrieb,  welchen  ein  elastischer  Kör- 
per anderen  Körpern  mittheilen  kann,  so  lange  noch  nicht 
seine  gesammte  elastische  Kraft  erschöpft  ist. 

Wenn  man  selbst  glaubt,  auf  diese  geniale  Voraussicht  der  Wahr- 
heit keinen  zu  grossen  Werth  legen  zu  sollen,  da  nicht  immer  anzunehmen 
ist,  dass  mit  den  gebrauchten  Bezeichnungen  auch  ganz  klare  Vorstel- 
lungen verknüpft  gewesen  sind,  so  wird  man  doch  durch  einige  Folge- 
rungen dieses  Abschnittes  der  Bernoulli' sehen  Hydrodynamik  ausser- 
ordentlich überrascht,  weil  dieselben  fast  wörtlich  mit  Folgerungen  un- 
serer heutigen  mechanischen  Wärmetheorie  übereinstimmen,  trotzdem, 
dass  zur  Zeit  von  Daniel  Bernoulli  (geb.  1700,  gest.  1782,  Hydro- 
dynamica  datirt  vom  Jahre  1738)  die  Unterscheidung  zwischen  4en 
Worten  „Wärme"  und  „Temperatur"  noch  nicht  klargestellt  war  und 
man  von  den  calorimetrischen  Messungen  von  Black  und  Wilcke  (1760) 
damals  noch  keine  Ahnung  hatte.  Jedenfalls  war  Bernoulli  mit  seinen 
Ideen  nicht  nur  seiner  Zeit,  sondern  selbst  allen  den  Bestrebungen  weit 
voraus,  welche  auf  dem  Gebiete  der  Erklärung  der  Wärmeerscheinungen 
vor  der  definitiven  Feststellung  des  Princips  der  Aequivalenz  von  Wärme 
und  Arbeit  durch  Rumford  (1805)  zu  verzeichnen  sind. 

Wenn  auch  für  einen  besonderen  Fall,  so  ist  es  doch  der  klar  aus- 
gesprochene Grundsatz  von  der  Aequivalenz  zwischen  kinetischer  und 
potentieller  Energie,  wenn  Bernoulli  z.  B.  sagt^): 

„Jedesmal  wenn  das  Gleichgewicht  der  Gasmasse  ge- 
stört wird,  ist  eine  gewisse  Menge  lebendiger  Kraft  ver- 
fügbar und  kann  dazu  dienen,  eine  mechanische  Leistung 
hervorzubringen." 

Dem  Ausspruche  dieses  Satzes  fügt  er  viele  Beispiele  bei,  welche 
deutlich  zeigen,  dass  er  die  Tragweite  desselben  begriffen  hatte.  Um 
zu  zeigen,  wie  richtig  er  hierbei  den  Begriff  lebendige  Kraft  gefasst 
hatte,  genügt  es,  eine  weitere  Bemerkung  aus  seinem  Buche  anzuführen. 
Er  sagt  nämlich  in  fast  prophetischen  Worten  ^) : 

„Ich  hege  die  Ueberzeugung,  dass,  wenn  alle  lebendige 
Kraft,  welche  in  einem  Cubikfuss  Kohle  verborgen  ist,  auf 
vortheilhafte  Weise  zur  Bewegung  einer  Maschine  ver- 
wandt wird,  mehr  damit  erreicht  werden  kann,  als  durch 
die  tägliche  Arbeit  von  acht  oder  zehn  Menschen." 

Solche  Gedanken  waren  dem  gesammten  Stande  naturwissenschaft- 
licher Erkenntniss  jener  Zeit  zu  weit  voraus,  keiner  seiner  Zeitgenossen 


1)  A.  a.  0.  S.  233. 

^)  Die  Krfincluns:  der  Daniptmaschinc  kann  wohl  kaum  ror  Watt  (1769)  datirt  werden. 


B.  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie.  17 

erluste  ihre  Tragweite  nnd  sie  blieben  daher  für  die  Entwickelnng  der 
Wissenschaft  unfrachtbar  nnd  mnssten,  nm  nutzbar  zu  werden,  zu  einer 
viel  späteren  Epoche ,  in  der  sie  längst  vergessen  waren ,  vollkommen 
neu  entdeckt  werden. 


2.  Die  neueren  Vorläufer  der  Oastheorie. 

Zu  verschiedenen  Zeiten  wurden  Physiker  und  Chemiker  durch  ihre 
Untersuchungen  dazu  geführt,  ähnliche  Anschauungen  über  die  Be- 
schaffenheit der  elastisch -flüssigen  Substanzen  aufzustellen,  wie  die, 
welche  seiner  Zeit  Daniel  BernouUi  entwickelt  hatte;  jedoch  ist  erst 
in  neuester  Zeit  durch  Joule,  Krönig  und  Clausius  die  Klarheit  der 
Anschauungen  Bernoulli's  wieder  erreicht  und  durch  die  Letzteren 
flbertroffen  worden. 

Zunächst  ist  Le  Sage  ^)  zu  nennen,  welcher  sich  im  Jahre  1759 
über  die  Constitution  der  Gase  ungefähr  folgendermaassen  ausge- 
sprochen hat : 

^DieMolecüle  eines  elastischenFluidums  sind  fest  und 
nicht  elastisch;  die  mittlere  wechselseitige  Entfernung 
der  einander  nächsten  ist  bedeutend  grösser  als  ihr  Durch- 
messer; jedes  derMolecüle  bewegt  sich  sehr  rasch  mit  fort- 
schreitender Bewegung,  deren  Richtungen  so  mannig- 
faltig sind,  dass  sie  nach  allen  Seiten  erfolgen.  Wenn 
diese  Bewegung  durch  den  Gegenstoss  gegen  ein  anderes 
Molecül  vernichtet  oder  geschwächt  wird,  oder  durch  den 
Stoss  gegen  einen  groben  Körper,  so  wird  sie  in  demselben 
Grade  erneuert;  die  Ursache  dieser  Erneuerung  beruht  in 
der  Ungleichheit  des  Stosses  der  ultramundanen  Molecüle 
auf  die  gegenüberliegenden  Seiten  eines  und  desselben 
Molecüls.  —  Wenn  diese  Molecüle  grösser  sind  als  irgend 
eine  der  Poren  eines  ihren  StÖssen  ausgesetzten  Körpers* 
80  wird  die  Summe  dieser  Stösse  auf  eine  gegebene  Fläche 
während  einer  gegebenen  Zeit,  wenn  die  Geschwindigkeit 
der  Molecüle  sich  nicht  ändert,  sich  verhalten  wie  das 
Dreifache  ihrer  mittleren  wechselseitigen  Entfernung* 
d.h.  es  wird  im  geraden  Verhältniss  zur  Dichtigkeit  des 
Fluidums  stehen. 

Nun  giebt  aber  die  Kleinheit  jedes  Stosses,  jeder  Di- 
stanz   der    gleichzeitigen     Stösse,     jedes    Zeitintervalles 


')  Pierre  Prevost,  Deux  trtiiUs  de  physique  m^caniqae.  Paris  1818,  Buch  III, 
Cap.  1,  §.  89,  S.  124.  Man  sehe:  Berthold,  Ramibrd  und  die  mechanische  Wärme- 
theorie S.  17. 

Verdet-BühlmftDD,  Mechan.  WiLnneihoorie.    Bd.  2.  2 


18  .  Moleculartheorie  der  Wärme. 

zwischen  den  aufeinander  folgenden  Stössen,  ihrerSamme 
das  Ansehen  eines  continuirlichen  Druckes. 

So  erhält  man  ein  ezpansibles  und  coerciblesFluidum, 
dessen  Druck  der  Dichtigkeit  proportional  sein  wird;  mit 
einem  Wort:  die  Luft  ist  ein  elastisches  Fluidum,  fähig  in 
ges  chlo  8  senenGefässen  gehalten  zu  wer  den,  undmuss,  wenn 
es  den  Experimenten  des  Druckes  unterworfen  wird,  sieb 
dem  Mariotte'schen  Gesetze  gemäss  verhalten.*' 

An  diese  Auseinandersetzungen,  welche  nicht  immer  g&rrz  klar  sind 
(ultramundane  Molecüle),  schliesst  Prevost  eigene  Bemerkungen  an, 
welche  zeigen,  dass  er  die  Tragweite  einer  Moleculartheorie  der  Gase 
wohl  erfasst  hatte.     Er  sagt  ^) : 

„Von  dieser  einfachen  Constitution  leitet  man  regel- 
recht das  Boyle'sche  oder  Mariotte'sche  Gesetz  ab,  wel- 
ches sich  auf  das  Verhältniss  zwischen  der  Elasticität 
und  der  Dichtigkeit  eines  Gases  bezieht**  und  weiterhin^): 
„Das  Gewicht  eines  in  einem  geschlossenen  Gefässe  ent- 
haltenen elastischen  Fluidums  kann  nach  unserer  Theorie 
nichts  sein  als  die  Differenz  der  Stösse  gegen  den  Boden 
und  gegen  den  Deckel.** 

Auch  Humphrey  Davy  (1812)  hat  sich,  worauf  in  neuerer  Zeit 
F.  Mohr  aufmerksam  gemacht  hat,  ähnliche  Vorstellungen  gebildet, 
wenn  er  dieselben  auch  nicht  in  ihre  Consequenzen  verfolgt.    Er  sagt  ^) : 

,Es  scheint  möglich,  alle  Phänomene  der  Wärme  zu 
erklären,  wenn  man  annimmt,  dass  bei  festen  Körpern  die 
Theilchen  sich  in  einem  beständigen  Zustande  der  Vibra- 
tion befinden,  dass  die  Theilchen  der  heissesten  Körper 
sich  mit  der  grösstenGeschwindigkeit  und  durch  die  gröss- 
ten  Räume  bewegen,  dass  bei  Flüssigkeiten  und  Gasen 
neben  der  vibratorischen  Bewegung,  welche  bei  den  Gasen 
als  am  grössten  angenommen  werden  muss,  die  Theilchen 
auch  eine  Bewegung  um  ihre  Aze  haben,  welche  bei  den 
Gasen  ebenfalls  als  am  grössten  angenommen  werden  muss, 
und  dass  sie  den  Baum  in  geraden  Linien  durchdringen.** 

In  etwas  weniger  klarer  Form  hat  späterhin  (1821)  auch  ein  eng- 
lischer Chemiker,  Herapath^),  die  Grundzüge  der  Gastheorie  aufge- 
stellt. 

Eingehender  und  mit  der  ihm  eigenthümlichen  Schärfe  hat  sich 
auch  Joule ^)  (1846)  mit  demselben  Gegenstande  beschäftigt,  später- 

M  A.  a.  0.  sccond  trait6,  Buch  I,  §.  3,  S.  191. 

2)  A.  a.  0.  §.  7,  S.  197, 

')  El^ements  of  chemical  philosophy  S.  95. 

*)  Mathematical  physics,  1847. 

^)  Joule,  Some  remarks  on  heat  and  the  Constitution  of  elastic  fluid»,  1848, 
3.  Oct.;  dieselbe  Abhandlung  ist  späterhin  in:  Phil.  Mag.  Bd.  XIV  (1857),  S.  211  noch 
einmal  abgedruckt  worden. 


B.  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie.  19 

hin  jedoch,  als  er  seine  classischen  experimentellen  Arbeiten  in  AngrifiP 
nahm,  hat  er  diese  theoretischen  Betrachtangen  fallen  gelassen  und  die- 
selben blieben,  wie  auch  die  Arbeiten  seiner  zahlreichen  Vorgänger,  un- 
beachtet und  ohne  Einfluss  auf  die  Entwickelung  der  Wissenschaft. 


3.  Die  Gastheorie  von  Krön  ig. 

Die  eigentliche  Einführung  der  Moleculartheorie  der  Gase  in  die 
moderne  Wissenschaft  ist  von  den  beiden  Arbeiten  an  zu  zählen,  welche 
ohne  Kenntniss  ihrer  Vorläufer  von  zwei  deutschen  Gelehrten  kurz  nach 
einander  YeröfiPentlicht  worden  sind,  es  ist  dies  die  Abhandlung  Erö- 
nig's  (1856),  „Grundzüge  einer  Theorie  der  Gase*' ^)  und  die  für  die  noch 
heute  gültigen  Anschauungen  grundlegende  Arbeit  von  Clausius  (1857): 
„üeber  die  Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen''  ^). 

Da  die  Grundlagen  der  Theorie  Krönig 's  heute  nicht  mehr  als 
genügend  anerkannt  werden  können,  so  verweisen  wir  das  Referat  über 
dieselbe  noch  in  dieses  historische  Capitel.  Wir  werden  jedoch  umfäng- 
licher über  diese,  für  die  Entwickelung  der  Wissenschaft  immerhin  hoch- 
bedeutsame Arbeit  berichten,  weil  ein  Theil  der  hier  zu  erörternden 
Fragen  geeignet  ist,  in  diese  Anschauungen  einzuführen,  und  andererseits 
dazu  dienen  wird,  den  Unterschied  dieser  Theorie  von  der  von  Clausius 
klar  zu  stellen,  welche  vielfach  irrthümlicher  Weise  als  vollkommen 
identisch  mit  der  von  Krön  ig  angesehen  wird. 

Krönig  geht  von  derselben  Hauptannahme  aus,  wie  Daniel  Ber- 
noulli,  d,  h<^  er  setzt  voraus,  dass  dieMolecüle  der  Gase  durch  Zwischen- 
räume getrennt  seien,  welche  im  Vergleich  zu  deren  Grösse  und  zu  der 
Entfernung,  in  welchen  dieselben  noch  merklich  auf  einander  wirken,  sehr 
gross  seien,  und  dass  die  Molecüle  mit  fortschreitenden  Bewegungen  von  sehr 
beträchtlicher  Geschwindigkeit  begabt  seien,  welche  alle  möglichen  Richtun- 
gen besitzen  können.  Zunächst  stellte  er  sich  die  Aufgabe,  das  Gewicht  P 
zu  bestimmen,  welches  nöthig  ist,  um  den  Kolben  eines  mit  Gas  gefüllten 
Gylinders  im  Gleichgewichte  zu  halten.  Er  bestimmte  jedoch  die  numerische 
Beziehung  för  diesen  Druck,  indem  er  von  einer  ziemlich  willkürlichen 
Hypothese  über  die  Art  der  Bewegung  der  Molecüle  ausging. 

Krönig  bemerkte  zunächst,  dass,  wenn  man  die  Geschwindigkeiten 
der  Molecüle  eines  in  einem  Gefasse  eingeschlossenen  Gases  zwar  als 
ganz  unregelmässig,  aber  selbst  in  kleinen  Theilen  des  Raumes  als  im 
Mittel  gleichartig  betrachten  könne,  es  nach  den  Grundsätzen  der  Wahr- 
icheinlicbkeitsrechnung  zulässig  sei,  die  unregelmässigen  Bewegungen 
doreh  eine  regelmässige  Anordnung  derselben  zu  ersetzen,  welche  keiner 
Bicbtong  einen  bestimmten  Vorzug  gewähren. 


^)  P^g*  Ann.  Bd.  99,  S.  315  bis  322. 


')  Pagg.  Ann.  (1857)  Bd.  100,  S.  353  und  Abhandlangen  Bd.  II,   S.  229  bis  259. 

2* 


^ I 


20  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Wenn  eine  Gasmasse  in  ein  würfelförmiges  GefUss  eingeschlossen 
sei,  so  könne  man  sich  die  sämmtlichen  Molecüle  z.  B.  in  drei  Gruppen 
eingetheilt  denken,  deren  Bewegungen  parallel  den  drei  Kanten  des  Wür- 
fels gerichtet  seien. 

Es  sei  V  das  Volumen  des  Würfels ,  n  die  Anzahl  der  in  demselben 
enthaltenen  Molecüle.   Dann  wäre  die  auf  die  Wände  ausgeübte  Wirkung 

dieselbe,  als  wenn  das  Gefass  drei  Gruppen  von  je  ~  Molecüle  enthielte, 

von  denen  die  Molecüle  jeder  Gruppe  sich  geradlinig  parallel  zu  einer 
Kante  bewegten  und  sich  untereinander  nie  träfen. 

Die  Bewegung  jedes  Molecüls  würde  dann  eine  parallel  einer  Kanle 
hin-  und  hergehende  sein. 

Die  Erfahrung  zeigt  nun,  dass  die  mechanischen  Eigenschaften  der 
Gase  von  ihrer  Qualität  unabhängig  sind.  Die  Experimente  Joule^s 
zeigen  ausserdem,  dass  die  innere  Energie  eines  Gases  sich  nicht  ändert, 
wenn  sich  das  Volumen  und  somit  auch  die  Abstände  der  Molecüle  än- 
dern. Die  potentielle  Energie  eines  Gases  ist  demnach  unabhängig  von 
der  Grösse  dieser  Abstände,  Ü.  h.  die  inneren  Kräfte  scheinen  unabhängig 
von  der  gegenseitigen  Entfernung  der  Molecüle  zu  sein,  man  muss  dem- 
nach voraussetzen,  dass  diese  Abstände  im  Vergleich  mit  den  Dimensio- 
nen der  Molecüle  sehr  gross  seien.  Damit  aber  diese  unzusamraenhän- 
gende  Masse  zerstreuter  Molecüle  im  Stande  sei,  auf  sich  selbst  und  anf 
äussere  Körper  zu  wirken,  muss  man  nothwendiger  Weise  den  Molecülen 
Geschwindigkeiten  zuschreiben,  so  dass  die  verschiedenen  Theile  des  Sy- 
stems durch  gegenseitige  Stösse  oder  dadurch  mit  einander  in  Verbindung 
gesetzt  werden,  dass  die  Molecüle  sich  derart  einander  nähern,  dass  ihre 
gegenseitigen  Wirkungen  vorübergehend  merklich  werden.  Diese  Mole- 
cüle bilden  alsdann  ein  System,  dessen  verschiedene  Theile  zu  einander 
in  Beziehung  stehen,  und  welches  auch  auf  äussere  Körper,  z.  B.  auf  die 
Wände,  wirken  kann,  von  welchen  dieselben  eingeschlossen  sind.  Man 
wird  demnach  dazu  genöthigt,  den  Molecülen  eines  Gases  Geschwindig- 
keiten zuzuschreiben,  von  denen  man  annehmen  kann,  dass  dieselben  in 
einer  gleichförmigen  Masse  einen  unveränderlichen  Mittelwerth  besitzen. 
Die  gesammte  Masse  befindet  sich  demnach  in  einem  mittleren  Zustande, 
dessen  Grundzüge  sich  leicht  übersehen  lassen« 

Wegen  der  Grösse  der  gegenseitigen  Abstände  müssen  sich  beinahe 
alle  Molecüle  in  einem  gegebenen  Augenblicke  so  bewegen,  als  wären 
dieselben  keinerlei  Kraft  unterworfen,  d.  h.  ihre  Bewegung  muss  eine 
geradlinige  und  gleichförmige  sein.  Molecüle,  welche  sich  in  denselben 
Geraden  bewegen  und  einander  treffen,  tauschen  im  Stosse  nur  ihre  Ge- 
schwindigkeiten, da  die  Massen  der  Molecüle,  der  Hypothese  nach,  unter 
einander  gleich  sind;  der  Erfolg  ist  demnach  derselbe,  als  ob  die  Mole- 
cüle, ohne  sich  zu  treffen,  an  einander  vorübergegangen  wären.  Bei  seit- 
lichen Stössen  werden,  wenn  die  Geschwindigkeiten  ebensowohl  wie  die 
Massen  einander  gleich  sind,  lediglich  die  Richtungen,  nicht  aber  die 


B.  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie. 


21 


Grossen  der  Geschwindigkeiten  geändert.  Diejenigen  Molecüle,  welche  sich 
einander  so  nahe  kommen,  dass  sie  zwar  auf  einander  wirken,  nicht  aber 
einander  treffen,  erleiden  eine  vorübergehende  Veränderung,  Aenderungen 
der  Bewegung,  welche  jedoch  nur  sehr  kurze  Zeit  dauern,  so  dass  die 
mittleren  Bedingungen  des  Sjstemes  immer  dieselben  bleiben.  Man  er- 
kennt hieraus,  dass  man,  um  die  Wirkung  zu  finden,  welche  das  System 
auf  die  Wandungen  des  begrenzenden  Gefasses  ausübt,  für  den 
wirklichen  Zustand  einen  gedachten  setzen  kann,  in  welchem  sieb  alle 
Molecüle  unaufhörlich,  ohne  sich  zu  treffeii,  in  gerader  Linie  bewegen 
und  nach  Richtungen,  welche  man  ihrer  Unregelmässigkeit  wegen  durch 
die  drei  Richtungen  der  Würfelkanten  ersetzen  kann,  wenn  man  keiner 
dieser  Richtungen  ein  Uebergewicht  über  die  anderen  gestattet. 

Wir  setzen  nun  zunächst  mit  Krön  ig  voraus,  dass  eine  der  Wan- 
dungen des  Würfels  beweglich  sei,  und  suchen  die  Grösse  der  bewegenden 
Kraft,  welche  man  auf  die  Wand  wirken  lassen  muss,  um  sie  im  Gleich- 
gewichte zu  halten. 

Jedes  der  Molecüle,  deren  Geschwindigkeiten  senkrecht  zur  Wand 
AB  CD  sind,  trifPb  dieselbe  in  einem  bestimmten  Augenblicke  und  wird 


Fig.  1. 


/'■ 

Y 

/ 

B 

* 

mit  einer  gleichen  Geschwindigkeit 
von  entgegengesetztem  Vorzeichen  re- 
flectirt.  Die  Grösse  dieser  Geschwin- 
digkeit möge  u  sein.  Die  Kraft  P, 
welche  die  Wand  in  ihrer  Stellung 
erhält,  muss  demnach  im  Stande  sein, 
das  Vorzeichen  der  Geschwindigkeit 
jedes  der  Molecüle  umzukehren,  welche 
in  der  Zeiteinheit  auf  die  Wand  tref- 
n  fen,  oder,  was  auf  dasselbe  hinaus- 
kommt, diese  Kraft  P  muss  gross  ge- 
lang sein,  den  Molecülen  eine  Ge- 
schwindigkeit —  2i«  zu  ertheilen, 
d.  h.  jedem  eine  Bewegungsgrösse 
—  2mM  mitzutheilen ,  wenn  man  mit  m  die  Masse  jedes  Molecüls  be- 
zeichnet. Das  negative  Vorzeichen  deutet  an,  dass  die  mitgetheilte  Ge- 
schwindigkeit der  ursprünglichen  entgegengesetzt  gerichtet  ist.  Nach 
der  Reflexion  an  der  Wand  AB  CD  durchläuft  das  Molecül  die  ganze 
Länge  l  derjenigen  Würfelseite,  die  seiner  Bewegung  parallel  ist,  reflec- 
tirt  an  der  gegenüberstehenden  Wand  und  stösst  die  Wand  AB  CD  nach 

einer  Zeit    d  =  —  abermals. 

u 

An  der  Oberfläche  AB  CD  wird  das  betrachtete  Molecül  in  der 
Zeiteinheit : 

L  —  — 
U  '     21 


E 


22  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Mal  reflectirt.   Der  Dmck  P,  den  man  auf  AB  CD  ausüben  masB,  um  in 

u 
der  Zeiteinheit   —  Mal  die  Bewegungsgrösse   —  2mu  an  eine  Anzahl 

äi   l      * 

von  —  Molecülen  zu  ertheilen,  ist  mithin: 

«5 

_        u     '  n        n     m  .u^ 

P  =  —  •  2  wu  •  —  =  —  • • 

21  S         3  l 

Auf  die  Flächeneinheit  bezogen,  ist  dieser  Druck: 

n     m  .  u^ 
3"       V     ' 

wenn  man  mit  v  =  P  das  Volumen  des  Würfels  bezeichnet. 

Der  specifische  Druck,  d.  h.  der  Druck,  den  man  auf  die  Flächen- 
einheit ausüben  muss,  mithin  der  Druck  |7  des  Gases  selbst,  ist  demnach: 


oder: 


Es  ist  leicht  einzusehen,  dass  diese  Betrachtungen  sich  ohne  Schwierig- 
keit auf  Gefasse  von  beliebiger  Form  übertragen  lassen. 

Nimmt  man  an,  dass  die  Constanz  der  Temperatur  die  Unveränder- 
lichkeit  der  mittleren  Geschwindigkeit  bedingt,  so  ist  ^  ,  v  bei  constanter 
Temperatur  constant,  und  die  eben  gefundene  Formel  ist  das  Ma- 
riotte'sche  Gesetz. 

Nehmen  wir  aber  nunmehr  an ,  wir  hätten  in  einem  beliebigen  Cy- 
linder,  in  dem  ein  Kolben  ohne  Keibung  beweglich  ist,  zwei  Gase,  und 
diese  beiden  Gase  übten  beiderseitig  den  nämlichen  Druck  aus;  alle 
Grössen,  die  sich  auf  das  eine  Gas  beziehen,  mögen  mit  n\  fn\  u'  t/, 
die  auf  das  andere  Gas  bezüglichen  mit  n",  m'\  u",  v"  bezeichnet  sein. 
Alsdann  ist,  da  $f  =  i>"  ist: 


fi  .nJ  .  u'^  _  n''  .  m''  .  u''^ 


2) 


Stellen  wir  uns  hierauf  vor,  der  Kolben  sei  weggenommen  und  dies 
bedinge  keine  andere  Aenderung,  als  eine  fortschreitende  Diffusion,  da- 
gegen zeige  weder  das  Thermometer,  noch  das  Manometer  irgend  einen 
Einfluss  dieses  Vorganges  an,  so  kann  man  sagen,  dass  beide  Gase  gleiche 
Temperatur  besessen  haben.  Damit  aber  eine  derartige  allmälige  Mi- 
schung  ohne  irgend  welche  Störung  vor  sich  gehen  kann,  ist  erforderlich, 
dass  die  lebendige  Kraft  der  Molecüle  in  jedem  Systeme  die  nämliche  sei. 

Man  sieht  auch  ohne  Weiteres  ein,  in  welcher  Weise  sich  die  Mi- 
schung zweier  Gase  vollziehen  wird,  und  gerade  diese  Theorie  erklärt 
den  Vorgang  der  Diffusion    am  einfachsten.      Die   zunächst  durch  den 


B.  GeschichtHches  über  die  Moleculaxtheorie.  23 

Kolben  abgeschloBsenen  und  in  Bewegung  begriffenen  Molecüle  des 
einen  Gases  dringen  in  das  andere  Gas  ein,  sobald  man  den  Kolben 
entfernt,  nnd  dringen  soweit  vor,  bis  sie  Molecüle  des  anderen  Gases 
treffen. 

Wenn  die  Elasticitat  der  Molecüle  vollkommen  ist,  so  dass  die  Ge- 
schwindigkeiten durch  den  Stoss  nicht  geändert  werden,  so  genügt  es 
dazu,  dass  der  Zustand  eines  Gases  vor  und  nach  der  Diffusion  der  näm- 
liehe  bleibt,  dass  die  lebendige  Kraft  jedes  Molecüls  in  beiden  Gasen  die 
nämliche  Grösse  besitzt.     Diese  Bedingung  besagt  demnach,  dass: 

m"  .  tt"«  =  w'  .  w'2 3) 

sein  muss;  die  Temperatur  zweier  Gasmassen  ist  demnach  gleich,  wenn 
die  lebendigen  Kräfte  der  einzelnen  Molecüle  dieselben  sind. 

Jede  Function  der  lebendigen  Kräfte  der  Molecüle  kann  demnach 
als  Definition  der  Temperatur  eines  Gases  dienen;  das  Einfachste  ist  es 
selbstverständlich,  die  lebendige  Kraft  selbst  zu  diesem  Zwecke  zu  ver- 
wenden. Der  Ausgangspunkt  der  Thermometerscala  wird  alsdann  jener 
ideale  Zustand  sein,  in  dem  die  lebendige  Kraft  der  Molecüle  Null  ist 
and  von  dem  man  entsprechend  annimmt,  dass  in  ihm  ein  Gas  keine 
Wärme  mehr  enthält.  Bezeichnet  man  die  auf  diese  Weise  definirte 
Temperatur  mit  T,  so  nimmt  die  vorher  aufgestellte  Formel  die  Ge- 
stalt an: 

p  .  V  =  -  .  T, 4) 

wobei  n  die  Anzahl  Molecüle  bedeutet,  welche  im  Yolamen  v  enthalten 
ist.  Aus  dieser  Formel  folgt  unmittelbar,  dass,  wenn  das  Volumen  con- 
stant  bleibt,  der  Druck  sich  proportional  der  Temperatur  ändert  und 
ebenso,  dass,  wenn  der  Druck  constant  ist,  das  Volumen  proportional  der 
Temperatur  geändert  wird.  Die  Ausdehnungscoefficienten  bei  constantem 
Volumen  und  bei  constantem  Drucke  sind  demnach  für  ein  und  dasselbe 
Gas  einander  gleich.  Ja,  man  kann  sagen,  sie  sind  für  alle  Gase  gleich, 
denn  bei  gleicher  Temperatur  T  und  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen 
enthalten  gleiche  Volumina  verschiedener  Gase  gleichviel  Molecüle,  wie 
sich  leicht  zeigen  lässt. 

Greifen  wir  nämlich  zurück  auf  die  für  Gase  bei  gleichem  Drucke 
gültige  Beziehung  2): 

n^  W  .  u'^  _  n"  .  m"  .  u''^ 

und  setzen  voraus,  dass  beide  Gase  zwar  gleiches  Volumen  und  gleiche 
Temperatur  besitzen,  aber  von  verschiedener  Substanz  sind,  so  ist: 


und: 


m'  .  t*'»  =  m"  .  ü"3 


t;'  =  v". 


24  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Wenn  man  dies  einsetzt  ergiebt  sieb  sofort: 

Wir  gelangen  auf  diese  Weise  zur  Bestätigung  der  Avogrado'- 
scben  Hypotbese,  welcbe  man  sonst  nur  sebr  scbwierig  begründen  kann 
und  welcbe  docb  das  Fundament  ist,  auf  dem  die  Tbeorie  von  den  Atom- 
gewicbten  berubt. 

Man  kann  ausserdem  nocb  ergänzend  binzufügen,  dass  die  gesammte 
Energie  eines  Gases  lediglicb  dessen  kinetiscbe  Energie  ist,  da  in  Folge 
der  Grösse  der  Zwiscbenräume  der  Molecüle  die  potentielle  Energie  Null 
ist.  Die  kinetiscbe  Energie  der  Molecüle  einer  rubenden  Gasmasse  ist 
aber  durcb  die  Temperatur  definirt.  Haben  wir  also  ein  gegebenes  Ge- 
wicbt  eines  beliebigen  Gases,  so  ist  die  kinetiscbe  Energie  seiner  Mole- 
cüle lediglicb  &ine  Function  der  Temperatur  und  zwar  ist  sie  unmittelbar 
der  absoluten  Temperatur  proportional. 

Demnacb  sind  aber  aucb  die  Wärmemengen,  welcbe  nötbig  sincL 
um  gleicbe  Volumina  der  Gase  um  gleicb  viel  zu  erwärmen,  d.  h.,  die 
auf  gleicbes  Volumen  bezogenen  specifiscben  Wärmen  einander  gleicb; 
denn  gleicbe  Volumina  yerscbiedener  Qase  entbalten  bei  gleicber  Tem- 
peratur und  gleicbem  Drucke  gleicbviel  Atome,  und  da  die  mittleren  le- 
bendigen Kräfte  der  Atome  dieselben  sind,  so  kann  man  die  beiden  Aus 

,  ..  ,       n  .m  .  u^       .  n  .  ni  ,  u'^    ,      .        .     .  _  , 

drucke und m  den  einzigen   n  •  T  zusammen- 

fassen,  welcber  für  jedes  Gas  proportional  der  in  einem  gegebenen  Vo- 
luinen  entbaltenen  Gesammtenergie  ist.  Die  Aenderungen  der  Gesammt^ 
energie  sind  für  jedes  Gas  proportional  den  Aenderungen  von  T,  sind 
demnacb  für  alle  Gase  gleicb,  wenn  sie  auf  Quantitäten  bezogen  werden, 
welcbe  bei  gleicbem  Drucke  und  gleicber  Temperatur  aucb  gleicbes  Vo- 
lumen besitzen.  Man  erkennt  somit,  dass  gleicbe  Wärmemengen  nötbig 
sind,  um  gleicbe  Volumina  yerscbiedener  Gase  bei  gleicbem  Drucke  und 
gleicber  Temperatur  um  eine  gleicbe  Anzabl  von  Graden  zu  erwärmeB. 

Alle  cbarakteristiscben  fundamentalen  Gesetze,  welcbe  wir  für  voU- 
kommene  Gase  als  gültig  annebmen,  ergeben  sieb  somit  in  einfachster 
und  naturgemässester  Weise  als  Folgerungen  dieser  Hypotbese  über  die 
Constitution  der  Gase.  Aucb  erkennt  man  gleicbzeitig,  dass  diese  tbeo- 
retiscben  Gesetze  auf  kein  Gas ,  wie  es  in  der  Natur  vorkommt ,  streng 
anwendbaf*  sein  können.  Es  ist  in  der  Tbat  möglieb,  dass  die  Dauer  der 
Zeit,  in  welcber  dui'cb  die  gegenseitige  Wirkung  der  Molecüle  Störungen 
der  Bewegungen  bedingt  werden ,  nicbt  vemacblässigt  werden  darf  im 
Vergleich  mit  der  Dauer  der  Zeit,  in  welcber  die  Bewegung  gleicbformig 
vor  sieb  gebt.  Wenn  aber  das  Verbältniss  dieser  beiden  Zeitabschnitte, 
selbst  wenn  es  nocb  immer  sebr  klein  bleibt,  anfängt  merklieb  zu  wer- 
den, so  können  alle  die  Betraebtungen,  welcbe  wir  im  Vorbergebenden 
angestellt  baben,  nicbt  in  aller  Strenge  wiederbolt  werden  und  ibre  Fol- 
gerungen können   nicbt    mebr   streng  die  Eigensebaften   des  Systemes 


B.  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie.  25 

wiedergeboD,  sondem  dieselben  werden  lediglich  nur  mehr  oder  weniger 
angenfthert  von  den  wirklichen  Eigenschaften  des  Gases  erfüllt  werden. 
Es  ist  aach  leicht  einzusehen,  dass  diese  theoretischen  Betrachtangen  um 
,30  mehr  auf  wirklich  in  der  Natur  vorkommende  Gase  anwendbar  sein 
werden,  je  mehr  dieselben  verdünnt  sind.  Der  Zustand  der  yollkomme- 
nen  Gase  ist  demnach  auch  auf  dem  Boden  dieser  Betrachtungen  lediglich 
ein  idealer  Zustand,  dem  man  sich  mit  wachsender  Verdünnung  beliebig 
nahem  kann,  ohne  dass  man  im  Stande  wäre,  denselben  je  zu  erreichen. 


4.  Ueber  den  Mechanismus  der  Umsetzung  von  Arbeit  in 
Wärme  und  umgekehrt  bei  einem  vollkommenen  Oase. 

Man  kann  sich  leicht  darüber  Rechenschaft  geben,  auf  welche  Weise 
sich  Wärme  in  Arbeit  umsetzt,  wenn  ein  Gas,  während  es  sich  ausdehnt, 
ein  Gewicht  hebt,  oder  umgekehrt  darüber,  auf  welche  Weise  sich  Arbeit 
in  Wärme  umsetzt,  wenn  man  ein  Gas  zusammendrückt.  Man  kann 
ebenso  leicht  einsehen,  warum  weder  eine  Absorption  noch  eine  Erzeu- 
gung von  Wärme  stattfinden  kann,  wenn  es^sich  nur  um  eine  Ausdeh- 
nung des  Gases  handelt,  welche  mit  keiner  äusseren  Arbeitsleistung  ver- 
knüpft ist. 

Wir  denken  uns  wiederum  ein  Gas  in  einem  Cylinder  eingeschlossen, 
in  welchem  sich  ein  ohne  Reibung  beweglicher,  luftdicht  schliessender 
Kolben  befindet.  Ist  die  Kraft,  welche  aiif  den  Kolben  wirkt,  im  Stande, 
jedem  Molecül,  welches  auf  die  fläche  des  Kolbens  trifft,  eine  Geschwin- 
digkeit zu  ertheilen,  welche  doppelt  so  gross  und  von  entgegengesetztem 
Vorzeichen  wie  die  ursprüngliche  ist,  so  befindet  sich  der  Kolben  im 
Gleichgewichte.  Ist  die  Kraft  grösser,  so  geht  der  Kolben  dahin,  wohin 
die  Kraft  ihn  treibt;  der  Kolben  presst  alsdann  das  Gas  zusammen  und 
treibt  die  Molecüle  vor  sich  her.  Die  Molecüle,  welche  die  Kolbenfläche 
treffen,  werden  mit  einer  Geschwindigkeit  zurückgeschleudert,  welche  der 
ursprünglichen  entgegengesetzt  gerichtet  ist;  der  absolute  Werth  dieser 
Geschwindigkeit  ist  dieses  Mal  jedoch  grösser  als  vor  der  Reflexion.  Das 
Gas  erwärmt  sich  alsdann  und  die  Arbeit  des  Druckes  hat  eine  Zunahme 
der  Summe  der  lebendigen  Kräfte  als  Aequivalent,  d.  h.,  es  ist  derselben 
eine  gewisse  Wärmemenge,  welche  erzeugt  worden  ist,  äquivalent.  Der 
entgegengesetzte  Vorgang  findet  bei  einer  Ausdehnung  eines  Gases  statt. 
Setzen  wir  nämlich  voraus,  die  auf  den  Kolben  wirkende  Kraft  sei  ge- 
ringer als  die,  welche  dazu  nöthig  wäre,  um  das  Vorzeichen  aller  Ge- 
schwindigkeiten der  Molecüle  umzukehren,  von  der  die  Kolbenfläche  ge- 
troffen wird,  so  dehnt  sich  das  Gas  aus  und  jedes  Molecül  wird  mit 
einer  Geschwindigkeit  zurückgeschleudert,  welche  geringer  als  die  ur- 
sprüngliche vor  der  Reflexion  ist.  Die  Molecüle  des  Gases  theilen  dem- 
nach dem  Kolben  nach  den  Gesetzen  des  Stosses  einen  Theil  ihrer  leben- 


26  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

digen  Erafb  mit.  Die  kinetische  Energie  der  Molecüle  nimmt  demnach 
ab,  nnd  dies  entspricht  einer  Abnahme  der  Temperatur;  die  yerschwan- 
dene  Quantität  von  kinetischer  Energie  findet  sich  jedoch  vollständig  in  der 
Arbeit  wieder,  die  bei  der  Bewegung  des  Kolbens  geleistet  worden  ist. 

In  gleicher  Weise  lassen  sich  die  Ergebnisse  der  grundlegenden 
Joule' sehen  Versuche  mit  einem  luftleeren  und  dem  damit  verbundenen 
lufthaltigen  Gefässe  ohne  jede  Schwierigkeit  erklären.  Bekanntlich  ergab 
sich  keine  Temperaturänderung,  als  er  den  Hahn  öffnete,  durch  den  das 
Innere  beider  Gefässe  mit  einander  communiciren  konnte.  Diejenigen 
Gasmoleküle,  welche  sich  vor  der  Oeffnung  befinden  und  deren  Geschwin- 
digkeiten nach  dem  leeren  Gefässe  gerichtet  sind,  werden  in  diesen  Re- 
cipienten  hineinfliegen;  sie  werden  bald  durch  andere  ersetzt,  welche 
ihre  Geschwindigkeiten  ebenso  beibehalten,  wie  die  zuerst  eingedrun- 
genen, und  man  wird  auf  diese  Weise  zu  einem  Druckgleichgewicht 
in  beiden  Gefassen  kommen,  ohne  dass  deshalb  die  mittlere  Geschwindig- 
keit der  Molecüle  geändert  worden  wäre,  da  keine  Ursache  zu  einer  sol- 
chen Aenderung  vorhanden  war. 

Der  Hauptversuch  Joule's  ist  auf  diese  Weise  ohne  Schwierigkeit 
erklärt.  Nicht  ganz  so  leicht  ist  es,  den  zweiten  Versuch  begreiflich  za 
machen,  welcher  zeigt,  dass  in  dem  vorher  luftleeren  Gefässe  genaa 
ebenso  viel  Wärme  entwickelt  werden  muss,  als  im  anderen  luftgefuUten 
verschwunden  war.  Wenn  man  sich  auch  leicht  vorstellen  kann,  dass 
zunächst  vor  allem  diejenigen  Molecüle,  welche  sich  am  raschesten  be- 
wegen, in  das  leere  GefUss  hineingelangen,  so  ist  dadurch  wohl  erklärt, 
warum  das  Einströmungsgefass  erwärmt,  das  Ausströmungsgefass  abge- 
kühlt wird.  Weniger  leicht  aber  ist  es,  die  numerische  Relation  anfzo- 
steUen,  welche  zwischen  beiden  Wärmemengen  stattfinden  muss. 


5.  Erklärung  des  Druckes  der  Atmosphäre  und  des  Eigen- 
gewichtes  eines  Oases  aus  der  Moleculartheorie. 

Um  die  Entwickelungen,  welche  sich  aus  der  Krön  ig' sehen  Theorie 
ergeben,  zu  vervollständigen,  wollen  wir  noch  zeigen,  dass  auch  der 
Atmosphärendruck  auf  das  Barometer  und  das  Gewicht  eines  in  einem 
Gefässe  eingeschlossenen  Gases  sich  als  einfache  Consequenzen  aus  der- 
selben ergeben. 

Es  erscheint  zunächst  etwas  fremdartig,  dass  der  Druck  der  Atmo- 
sphäre auf  das  Gefass  eines  Barometers  gleich  dem  Gewichte  der  Luft- 
säule sein  soll,  deren  Basis  die  Quecksilberoberfläche  ist,  wenn  dieser 
Druck  davon  herrührt,  dass  die  Luftmolecüle  gegen  die  Oberfläche  stossen, 
zumal  könnte  es  fraglich  erscheinen,  ob  alsdann  dieser  Druck  nicht  von 
der  Temperatur  abhängen  müsse. 

Wir  betrachten  ein  Molecül  m,  welches  gegen  die  Quecksilberober- 


B.  Geschichtliches  üher  die  Moleculartheorie.  27 

flache   stosst  und  dessen  yerticale  Geschwindigkeitscomponente  w  sein 
mag.      Dieses  Molecül  wird  nach  den  gewöhnlichen  Gesetzen  des  Stosses 
reflectiit,  die  Componente,  welche  parallel  der  Qnecksilheroherflache  ge- 
richtet war,  hehält  ihr  Vorzeichen  und  ihre  Grösse  hei,  die  yerticale 
Componente  hehält  zwar  ihren  ahsoiuten  Werth,  ändert  aher  ihr  Vor- 
zeichen. Das  Molecül  empfangt  hei  diesem  Stosse  eine  normale  Beschlen- 
nigong,  welche  gleich  dem  Doppelten  der  anfönglichen  yerticalen  Ge- 
schwindigkeitscomponente war,  nnd  welche  entgegengesetztes  Vorzeichen, 
wie  diese  besitzt.    Hieraus  folgt,  dass,  um  die  freie  Quecksilheroberfläche 
im  Gleichgewichte  zu  halten,  eine  Kraft  nöthig  ist,  welche  genügt,  um 
allen  Massen  m,  welche  in  der  Zeiteinheit  die  Oberfläche  treflen,  die  Be- 
schleunigung 2w  za  ertheilen.     Die  Kraft ,  das  ist  das  Gewicht  der  im 
Barometer  gehobenen  Quecksilbersäule,  muss  demnach  gleich  2  mw  sein, 
mxQtipliciTt  mit  der  Anzahl  von  Stössen,  welche  in  der  Zeiteinheit  statt- 
finden.     Die  Anzahl  dieser  in  der  Zeiteinheit  stattfindenden  Stosse  lässt 
sich  aber  leicht  bestimmen.      Das  Molecül  wird  mit  einer  verticalen  Ge- 
schwindigkeitscomponente f(7  reflectirt  und  erhebt  sich  bis  zu  einer  Höhe  A, 
welche  der  Formel  to^  =  2gh  entspricht.    Auf  diese  Höhe   gelangt  es 
aber  in  der  Zeit,  in  welcher  seine  yerticale  Geschwindigkeitscomponente 
Null  geworden  ist.     Nach  t  Secunden  ist  aber  die  yerticale  Geschwindig- 
keit w  —  g  '  t^  demnach  erlangt  das  Molecül  seinen  höchsten  Punkt, 
wenn  w  —  g  .  t  gleich  Null  geworden,  d.  h.  wenn  t  den  Werth: 

w 

9 

erreicht  hat.  Alsdann  fallt  dasselbe  zurück  und  durchläuft  abermals  alle 
Gesobwindigkeiten ,  welche  es  während  der  aufsteigenden  Periode  be- 
sessen hat,  und  stösst  hierauf  die  Oberfläche  abermals  mit  der  Geschwin. 

diirkeit  w  nach  der  Zeit  2  —  • 

9 
Die  Anzahl  der  Stosse  dieses  Molecüls   in  der  Zeiteinheit  ist  dem- 
nach —  -     Ein  einzelnes  Molecül  empfanirt  demnach  in  der  Zeiteinheit 

■^  Mal  die  Beschleunigung  2  tv.     Die  Kraft  aber,  welche  ihm  diese  Be- 
Bchleunigung  zu  ertheilen  im  Stande  ist,  muss  für  jedes  Molecül  gleich  : 

2w'-^  =  g 
2  w 

sein. 

Um  allen  Molecülen  diese  Beschleunigung  zu  ertheilen,  muss  man 
denselben  demnach  eine  Beschleunigung  ertheilen,  welche  gleich  dem 
Gewichte  sämmtlicher  Molecüle  ist,  die  sich  yertical  über  der  Quecksilber- 
flache  befinden.  Die  Höhe  des  Quecksilberbarometers  ist  demnach  gleich 
dem  Gewichte  der  Luftsäule,  welche  über  dem  Quecksilbergefässe  steht. 


28  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Auch  angenäherte  Schätzungen  über  die  Höhe  der  Atmosphäre 
Hessen  sich  ableiten,  wenn  die  Geschwindigkeit  w  bekannt  wäre  ^). 

Durch  eine  ganze  gleiche  Betrachtungsweise  kann  man  zeigen,  dass 
das  Gewicht  eines  mit  Gas  gefüllten  Gefasses,  welches  an  dem  Wage- 
balken einer  Wage  hängt,  gleich  der  Summe  aus  dem  Gewichte  des  6e- 
fösses  und  dem  Gewichte  der  Gasmasse  ist.  Es  ist  allerdings  a  priori 
klar,  dass  das  Gewicht  eines  Systemes  nicht  durch  die  Bewegungen  ge- 
ändert werden  kann,  die  man  spiuen  einzelnen  Theilen  zuschreibt.  Viel- 
leicht ist  es  aber  nicht  uninteressant,  den  Vorgang  etwas  näher  kennen 
zu  lernen,  durch  den  dieses  Resultat  erzielt  wird,  um  so  mehr  als  dieselbe 
Betrachtungsweise  auch  bei  allen  anderen  Fundamenten  der  Gastheorie 
vollständig  anwendbar  bleibt. 

Der  Einfachheit  wegen  setzen  wir  voraus,  dass  das  Gas  in  einem  ver- 
ticalen,  cylindrischen  Gefasse  enthalten  sei,  welches  zwei  horizontale  End- 
flächen besitzt,  und  wir  suchen  den  Druck  zu  bestimmen,  welcher  durch  den 
Stoss  der  Molecüle  auf  beide  Endflächen,  auf  die  obere  und  die  untere,  aus- 
geübt wird.  Wir  setzen  weiter  voraus,  dass  die  Bewegungen  aller  Mole- 
cüle parallel  der  Axe  des  Cy linders,  also  vertical  seien.  Betrachten  wir 
ein  Molecül  M  und  nehmen  wir  an,  dass  seine  Bewegung  vertical  sei 
und  sich  vollziehe,  ohne  von  den  übrigen  Molecülen  beeinflusst  zu  wer- 
den. Das  Molecül  besitze  in  dem  Augenblicke,  in  welchem  es  die  Grund- 
fläche trifft,  die  verticale  Geschwindigkeit  il^.  Es  wird  mit  einer  gleichen 
Geschwindigkeit  von  entgegengesetztem  Vorzeichen  zurückgeschleudert, 
es  empfängt  somit  von  der  Grundfläche  eine  Beschleunigung  —  2w, 
Der  Stoss  dieses  Molecüls  fordert  somit  eine  Kraft  gleich  —  2  m  .  w 
auf  die  Bodenfläche  AB,  Die  Geschwindigkeit  to,  welche  das  Molecül 
bei  der  Reflexion  erhalten  hat,  ist  nun  entweder  ungenügend  oder  ge- 
nügend, um  bis  zur  Deckfläche  GD  aufzusteigen.  Im  'ersten  Falle 
kann  man  einfach  die  vorhin  angestellten  Betrachtungen  wiederholen 
und  findet,  dass  der  durch  den  Stoss  des  Molecüls  ausgeübte  Druck 
gerade  gleich  dessen  Gewicht  ist.  Im  anderen  Falle  trifil  das  Molecül 
die  Deckfläche  nach  einer  leicht  zu  bestimmenden  Zeit  und  übt  einen 
Druck  von  unten  nach  oben  aus.  Das  Molecül  stösst  alsdann  abwechselnd 
die  beiden  Endflächen  des  Gylinders  und  veranlasst  somit  zwei  entgegen- 
gesetzte Drücke,  deren  Diflerenz  als  die  Gewichtszunahme  merklich  ist, 
welche  von  der  Anwesenheit  des  Gases  im  Cylinder  herrührt.  Man  findet 
durch  eine  sehr  einfache  Rechnung,  dass  die  Zwischenzeit  zwischen 
zwei  auf  einander  folgenden  Stössen  auf  dieselbe  Grundfläche  gleich: 

2.(tg  —  Vig»  —  2gh) 
9 


1)  Nimmt  man  für  Luil,  wie  dies  nach  den  Rechnungen  von  Clausius  und  von 
0.  E.  Meyer  statthaft  ist,  den  Werth  to  =  485  m  an,  so  würde  sich  hieraus  (fürO^) 
eine  Hohe  der  Atmosphäre   von   ungefähr    12  000  Metern    ergeben.     Dieser  Werth  ist 

wohl  unzweifelhaft  zu  gering. 


B,  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie.  29 

ist,  and  dass  die  Geschvrindigkeit,  mit  der  die  obere  Endfläche  getroffen 

wird,  Vw^  —  2gh  ist. 

Hieraus  ergiebt  sich,   dass   die  Zahl  der  Stösse  eines  Molectds  ai}f 

die  Grundfläche    in    der   Zeiteinheit    — 7 ,  /  v     beträgt, 

2\w  —  Vtt?»  —  2gh) 

and  dass  es  bei  jedem  Stosse  die  Beschlennigang  2mw  erhält,  der  Druck, 

den  ein  Molecül  anf  die  untere  Grundfläche  ausübt,  ist  demnach : 

2  ,m  ,  g  ,  w 

2.(w  —  ]/u)^  —  2gh) 

Die  Zahl  der  Stösse  auf  die  obere  Deckfläche  ist  eben  so  gross  wie 
die,  welche  die  Grundfläche  erfährt,   die  Geschwindigkeit  an  der  oberen 

Endfläche  ist  aber  bloss  V«?*  —  2gh^  und  hieraus  folgt,  dass  der  Druck 
eines  Molecüls  auf  dieselbe  gleich : 

2  mg  .  Vw^  —  2gh 

2  .  (w  —  Vw«— 2^ä) 
ist 

Die  Differenz   beider  Drucke  ist  mg^    das  Gewicht    des  Molecüls. 

Das  Gewicht  des  Systemes  wird  demnach  durch  die  Bewegungen  seiner 

Bestandtheile  nicht  geändert  und  ist  unabhängig  von  der  Temperatur. 


6.  Was  die  Theorie  über  die  Abweichungen  von  den 

einfachen  Gesetzen  ergiebt. 

Schon  vorher  machten  wir  darauf  aufknerksam,  dass  die  Abweichun- 
gen von  den  einfachen  Gesetzen,  welche  nur  für  vollkommene  Gase  gelten, 
sich  dadurch  voraus  sehen  Hessen,  dass  die  Zeiträume,  in  denen  die  Be- 
wegung eine  geänderte  ist,  nicht  vollkommen  gegen  die  Zeit  vernach- 
lässigt werden  können,  in  der  die  Bewegung  eine  geradlinige  und  gleich- 
formige  ist.  Aus  diesen  Störungen  können  zwei  verschiedene  Wirkungen 
sich  ergeben,  es  kann  die  Bewegung  in  dem  Zeitabschnitte  der  Störung 
langsamer  vor  sich  gehen  als  in  der  gleichförmigen  Bewegung,  oder  sie 
binn  im  Gegentheil  verhältnissmässig  rascher  sein. 

Wir  wollen  zunächst  den  Fall  untersuchen,  dass  die  Molecüle  sich 
in  der  2^it,  in  welcher  je  zwei  merklich  auf  einander  einwirken ,  etwas 
langsamer  bewegen,  als  sonst  angenommen  wird.  Die  Zwischenzeit 
zwischen  zwei  auf  einander  folgenden  Stössen  wird  dadurch  etwas  ver- 
grössert  und  der  vom  Gase  ausgeübte  Druck  wird  alsdann  etwas  geringer 
sein,  als  der  vorher  von  uns  gefundene.  Das  Product  p  .  v  wird  alsdann, 
anstatt  sich  proportional  der  kinetischen  Energie  der  Molecüle  zu  ändern, 
etwas  langsamer  als  diese  wachsen.  Der  Druck  wird  also  etwas  lang- 
samer als  die  durch  ein  vollkommenes  Gasthermometer  gemessene  Tem- 
peratur zunehmen. 


30  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Nehmen  wir  hingegen  an,  dass  in  Folge  der  Störungen  die  Zahl  der 
Stösse  eines  Molecüls  gegen  die  Wand  wächst,  so  wird  der  Druck  anter 
sonst  gleichen  Umständen  grösser  ausfallen,  als  bei  einem  idealen  Grase.  Der 
erste  Fall  würde  dem  entsprechen,  was  bei  den  meisten  Gasen  beobachtet 
worden  ist,  während  der  letzte  auf  das  abweichende  Verhalten  des  Wasser- 
stoffes anwendbar  sein  würde. 

Wir  finden  also  in  der  Hauptsache  alle  wesentlichen  uns  bis  jetzt 
bekannten  Eigenschaften  der  Gase  wieder,  wenn  wir  uns  einen  mit  Gas 
erfüllten  Raum  als  in  der  Hauptsache  leer,  aber  doch  mit  ungemein  vie- 
len ausserordentlich  kleinen  Gasmolecülen  bevölkert  vorstellen,  welche 
nach  allen  denkbaren  Richtungen  hin  fortschreitende  Bewegungen  be- 
sitzen, welche  die  Eigenschaften  vollkommen  elastischer  Körper  zeigen 
und  nach  dem  Stosse  keinen  Theil  ihrer  lebendigen  Kraft  als  kinetische 
Energie  schwingender  Bewegungen  zurück  behalten. 

Es  ist  jedoch  hierzu  zu  bemerken,  dass  die  Annahme,  dass  die  Mo- 
lecüle  vollkommen  elastisch  seien,  eigentlich  nur  eine  Zurückverlegung 
der  an  den  Gasen  beobachteten  Eigenschaften  in  die  Molecüle  involvirt, 
und  dass  es  mit  den  sonst  von  uns  an  festen  Körpern  beobachteten  That- 
Sachen  vollkommen  unvereinbar  ist,  anzunehmen,  dass  nach  dem  Stosse 
nicht  ein  Theil  der  kinetischen  Energie  als  lebendige  Kraft  schwingender 
Bewegungen  zurück  bleiben  sollte.  Ebenso  unmöglich  ist  es,  anzuneh- 
men, dass  die  Molecüle  nicht  Rotationsbewegungen  besitzen  sollten,  da 
die  Stösse  der  Molecüle  doch  im  Allgemeinen  nicht  central  und  unter 
verschiedener  Bewegungsrichtung  erfolgen  werden,  so  dass  man  es 
also  im  Allgemeinen  nicht  mit  einem  geraden  Stosse  zu  thun  haben 
wird. 

Man  muss  femer  annehmen,  dass  das  Medium,  durch  welches  die 
Uebertragung  der  Lichtschwingungen  geschieht,  nicht  ohne  Einfluss  auf 
die  Bewegungen  der  Gasmolecüle  bleiben  kann.  Man  wird  somit  ge* 
nöthigt,  bei  Aufstellung  einer  Moleculartheorie  der  Gase  auf  viel  ver- 
wickeitere Bedingungen  Rücksicht  zu  nehmen,  als  die  sind,  welche  den 
vorherigen  Betrachtungen  zu  Grunde  liegen. 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell  31 


G.  Die  moderne  Gastheorie  in  den  Auifassnngen  von 

Clansins  und  Maxwell. 


1.  Die  Hypotliesen  der  Clausius' sehen  Moleculartlieorie 

der  08ise. 

Clansins  hat  eine  vollständigere  Theorie  knrz  nach  Erönig's 
Yeröffentlichnng  gegeben  und  aus  derselben  Resultate  abgeleitet,  welche 
sich  noch  bedeutend  enger  an  die  durch  die  Erfahrung  gegebenen  That- 
Sachen  anschliessen.  Auch  Clausius  geht  zum  Theil  von  denselben 
Fandamen  talannahmen  aus,  welche  der  Gastheorie  Krönig's  zu  Grunde 
lagen. 

Dieselben  lassen  sich  kurz  in  folgende  Worte  zusammenfassen: 

1)  Jedes  Gas  ist  ein  Newton'sches  System,  d.  h.  es  besteht 
aus  einzelnen  Molecülen,  und  die  Kräfte,  welche  diese  auf 
einander  ausüben,  sind  lediglich  Functionen  der  Entfer- 
nungen. 

2)  Die  Temperatur  eines  Gases  hängt  lediglich  ab  von  der 
inneren  kinetischen  Energie  der  Molecularbewegungen  und 
umgekehrt. 

3)  Die  Molecüle  sind  im  Mittel  so  weit  von  einander  ent- 
fernt, dass  man  in  jedem  gegebenen  Augenblicke  die  gegen- 
seitigen Einwirkungen  der  meisten  vernachlässigen  kann, 
BD  dass  die  Zahl  der  Molecüle,  welche  zufällig  einander  so 
nahe  sind,  dass  sie  auf  einander  merklich  wirken,  jederzeit 
vernachlässigt  werden  kann. 

Diese  Annahmen  führen  sofort  dazu,  dass  die  Bewegungen  der  Mo- 
lecüle während  des  grössten  Theiles  der  Zeit  geradlinig  und  gleichförmig 
Bein  müssen,  sie  schliessen  dagegen  nicht  die  Krönig 'sehe  Voraussetzung 
in  sich  ein,  dass  diese  fortschreitende  Bewegung  die  einzige  sei,  welche 
die  Molecüle  besitzen.  Es  ist  vielmehr  ohne  Weiteres  klar,  dass  die 
meisten  Stösse  nicht  gerade  und  central  sein  werden,  und  deshalb  werden 
alle  Molecüle  rotatorische  Bewegungen  um  Axen  besitzen,  welche  so 
lange  ungeändert  bleiben,  als  der  Schwerpunkt  der  betreffenden  Mole- 
cüle sich  geradlinig  und  gleichförmig  bewegt. 

Betrachten  wir  ausserdem  die  Molecüle  nicht  als  unausgedehnte, 
durchaus  einheitliche  Atome  im  metaphysischen  Sinne,  sondern  als  Kör- 
per, deren  Ausdehnungen  zwar  ausserordentlich  klein,  aber  doch 
nicht  unendlich  klein  sind,  so  kann  man  sogar  noch  annehmen,  dass 


32  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

die  Atome,  aQs  denen  die  Molecüle  bestehen,  relative  Bewegungen,  z.  B. 
OsciUationen  in  Bezng  auf  ihren  Schwerpunkt  besitzen. 

Da  auch  der  Lichtäther  an  den  Bewegungen  der  Atome,  respectiye 
an  denen  der  Molecüle  theilnehmen  muss,  so  werden  wir  möglicherweise 
im  Folgenden  auf  vier  Arten  von  kinetischer  Energie  Rücksicht  zu  neh- 
men haben,  nämlich  : 

1)  die  kinetische  Ekiergie  der  fortschreitenden  Bewegung, 

2)  die  kinetische  Energie  der  rotirenden  Bewegung, 

3)  kinetische  Energie  der  Schwingungen  der  Atome  um  ihre  rela- 
tiven Stellungen  im  Molecül, 

4)  auf  die  kinetische  Energie  der  Bewegungen  des  Aethers. 

Die  weitere  Fundaraentalannahme ,  auf  welcher  die  Clausin s' sehe 
Moleculartheorie  beruht,  ist  die,  dass,  wenn  die  fortschreitende  Bewegung 
der  Molecüle  gegeben  ist,  hierdurch  die  lebendigen  Kräfte  der  übrigen 
Bewegungen  mit  bestimmt  seien. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  einer  näheren  Betrachtung  der  Clansius'- 
schen  Moleculartheorie.  Die  zweite  Hypothese  (S.  31,  Z.  16  v.  c),  auf 
der  dieselbe  beruht,  schliesst  in  sich  die  stillschweigende  Voraussetzung 
mit  ein,  dass  die  gegenseitigen  Abstände  der  Molecüle  verhältnissmässig 
sehr  gross  sind  im  Vergleich  mit  den  Entfernungen,  in  welchen  die 
Molecularkräfte  noch  wirksam  sind.  Ausserdem  schliesst  dieselbe  weiter 
in  sich  ein,  dass  jederzeit  nur  eine  sehr  geringe  Anzahl  von  Molecülen 
wirklich  auf  einander  und  ebenso  nur  eine  äusserst  geringe  Anzahl  von 
Molecülen  gleichzeitig  auf  die  Wandungen  des  einschliessenden  Gefasses 
wirken. 

Es  ist  gleichbedeutend,  ob  man  von  diesen  Voraussetzungen  ausgeht, 
oder  davon,  dass  jedes  Molecül  sich  verhältnissmässig  nur  sehr  kurze 
Zeit  in  der  Nähe  eines  anderen  Molecüls  oder  einer  Wand  befindet  im 
Vergleich  mit  der  Zeit,  während  der  es  sich  ausserhalb  der  Wirkungs- 
sphäre eines  Molecüls  oder  einer  Wand  im  Beharrtgigszustande  bewegt 

Auch  hier  werden  wir  zur  Erleichterung  der  Rechnung  einige  Ver- 
einfachungen eintreten  lassen,  jedoch  werden  wir  dieselben  nicht  so  weit 
treiben,  wie  bei  der  Krön  ig' sehen  Theorie.  Wir  nehmen  an,  dass  die 
fortschreitende  Bewegung  bei  verschiedenen  Molecülen  mit  ausserordent- 
licher Mannichfaltigkeit  nach  Grösse  und  Richtung  vor  sich  gehe,  dass 
aber  schon  in  Räumen,  welche  zwar  im  Vergleiche  zur  Distanz  der  Mo- 
lecüle sehr  gross,  aber  an  sich  noch  klein  sind,  ein  vollkommener  Aus- 
gleich  stattfinde,  so  dass  die  Bewegungszustände  in  denselben  als  im 
Durchschnitt  gleich  angesehen  werden  können.  Wir  können  dann,  ohne 
die  Summe  der  kinetischen  Energie  der  Molecüle  eines  solchen  Raumes 
zu  ändern,  alle  Molecüle  mit  derselben  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden 
Bewegung  begabt  ansehen  ^).     Wir  nehmen  also  der  Einfachheit  wegen 


^)  In  dieser  Annahme  beruht  besonders  der  Unterschied  zwischen  der  Cl auslas'' 
sehen  und  der  später  von  uns  zu  behandelnden  Maxwell' sehen  Theorie  der  Gase, 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  33 

auf  dass  alle  Geschwindigkeiten  der  fortschreitenden  Bewegungen  gleich 
seien,  Lassen  aber  die  grösste  Mannichfaltigkeit  in  Bezug  auf  Richtung 
zu  und  substituiren  nicht,  wie  Krön  ig,  drei  Flauptbewegungsrichtungen. 


2.  Ableitmig  der  Consequenzen  der  Hypothesen  0- 

Die  Anzahl  der  im  GefiLsse  enthaltenen  Molecüle  sei  n,  m  die  Masse 
jedes  einzelnen  und  u  die  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden  Bewe- 
gung, alsdann  ist  die  kinetische  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  Xfi 

^f= 2 ^^ 

Die  gesammte  kinetische  Energie  aller  vier  Bewegungsarten  be- 
zeichnen wir  mit  %.  Es  sei  nun  to  ein  Element  der  das  Gas  umschliessen- 
den  Gefasswand,  und  wir  bestimmen  die  Beschleunigung  p  .  w,  welche 
das  Wandungselement  fr  den  Gasmolecülen  in  der  Zeiteinheit  ertheilen 
muss,  wenn  p,  wie  üblich,  den  specifischen  Druck,  d.  h.  den  Druck  auf  die 
Flächeneinheit  bezeichnet.  Um  irgend  einen  Punkt  des  Flächenelementes 
denken  wir  uns  eine  Hülfskngeliläche  mit  dem  Radius  gleich  1  beschrie- 
ben. Zur  Bestimmung  der  Lage  von  Orten  auf  der  Kugeloberfläche  be- 
dienen wir  uns  der  Poldistanz  d"  und  der  geographischen  Breite  (p.  Den 
Pol  soll  deijenige  Punkt  bilden,  in  welchem  die  im  Mittelpunkte  ddr 
Kugel  auf  to  nach  innen  errichte  Normale  die  Kugeloberfläche  triflt. 

In  einer  beliebigen  Richtung  lassen  wir  einen  unendlich  dünnen 
Strahlenkegel  nach  dem  Kugelcentrum  gehen,  derselbe  schneidet  aus  der 
Kngeloberfläche  das  Flächenstück  dö.  Da  alle  Bewegungsnchtungen 
unserer  Annahme  nach  gleich  stark  vertreten  sind ,  so  wird  die  Anzahl 
der  Molecüle,  welche  sich  in  einer  der  Richtungen  bewegt,  die  in  dem 
Elementarkegel  um  d  C  liegen,  der  Oeffnung,  d.  h.  dem  Flächeninhalte 
von  d6  proportional  sein.  ;Bezeichnet  man  die  Proportionalitätsconstante 
mit  a,  so  bewegen  sich  demnach  in  den  im  Elementarkegel  um  d6  ent- 
haltenen Richtungen  a  ,  dö  Molecüle.  In  allen  möglichen  Richtungen, 
denen  ein  Kegel  von  der  Oeffnung  4  n  entspricht,  bewegen  sich : 

a  .  4  .  Ä  =  n 

Molecüle.     Demnach  ist: 


a  =  -p 2) 

4« 

und  die  Anzahl  der  Molecüle,  die  sich  in  den  von  d6  umschlossenen 
Richtungen  bewegen,  ist: 


^  In  diesem  Capitel  ist  mehrfach  von:    C.  Neumann,  Vorlesungen  über  die  me- 
thaoische  Theorie  der  Wärme,  Leipzig  1875,  S.  232  etc.  Gebrauch  gemacht. 
Verdet-Bahlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  3.  3 


34 


I.  Moleculaxtheorie  der  Wärme. 


n 
4  n 


.  da. 


Wir  bestimmen  nun   zunächst,  welche  Beschleunigungen  den  Mole-! 
cülen,  welche  sich  in  den  vom  Kegel  mit  der  Oeffnung  d  6  umschlossenen 
Richtungen  bewegen,  von  w  in  der  Zeiteinheit  ertheilt  werden  müseeiul 
Betrachten  wir,  von  der  Spitze  aus  gerechnet,  eine  Länge  u  des  Kegd8,| 
so  enthält  derselbe  alle  Molecüle^  welche  in  der  Zeiteinheit  in  den  gegf 
benen  Richtungen  nach  seiner  Spitze  gelangen ,  da  u  die  Geschwindig- 
keit jedes  Molecüls  bedeutet.     Wenn  wir  diesen  Kegel  sich  selbst  p»* 
rallel  verschieben   lassen,  so   dass    seine  Spitze   alle  Punkte  des  £le-| 
mentes  w  durchläuft,   so  wird  der  auf  diese  Weise    erzeugte  Cylindvl 
alle  Elemente  enthalten,  welche  Überhaupt  in  dieser  Richtung   nach« 
gelangen.     Die  Grundfläche  dieses  Gylinders  ist  w^  seine  Höhe  u  .  co&,^y 
wenn  %'  die  Poldistanz  des  Elementes  d6  bezeichnet.    Die  Anzahl  Mole-' 
cüle,  welche  sich  in  diesem  Cylinder  in  den  angegebenen  Richtungen  be- 
wegen, verhält  sich  zur  Anzahl  Molecüle,  welche  überhaupt  im  ganze] 
Gas  Volumen  diese  Richtung  besitzen ,  wie  das  Volumen  des  Gylinders  zv ' 
dem  des  Gases.      Die  Anzahl  der  Molecüle,  welche  sich  in  dem  Cylinder 
parallel  zu  den  va.d6  eingeschlossenen  Richtungen  bewegen,  ist  demnach: 

n  .  d0    w  .  u  ,  COS.  d' 


4  .  n 


V 


Jedes  dieser  Molecüle  trifft  in  der  Zeiteinheit  das  Element  fo  unter 
dem  Winkel  ^  mit  der  Geschwindigkeit  u.  Um  jedes  derselben  wie 
einen  elastischen  Körper  zu  reflectiren,  muss'  die  Wand  jedem  Molecdk 
eine  Beschleunigung  von  der  Grösse: 

—  2  .  m  .  M  cos,  d' 

ertheilen,  da  die  zum  Elemente  to  normale  Geschwindigkeitscomponente 
das  entgegengesetzte  Vorzeichen  erhalten  muss. 

Die  allen  Molecülen,  welche  sich  in  den  mehrfach  bezeichneten 
Richtungen  bewegen,  von  w  mitgetheilte  Beschleunigung  ist  demnach  : 

2  .  m  .  n  .  da  .  w  ,  u^  .  cos,^  d" 

Wir  erhalten  die  ganze  Kraft  p  .  w^  wenn  wir  alle  ähnlichen  Aus- 
drücke für  alle  Elemente  d(^  der  inneren  Hohlkugel  summiren,  indem 
wir  dann  alle  Richtungen  erschöpfen,  in  der  Molecüle  nach  w  gelangen 
können.  Denken  wir  uns  das  Element  von  zwei  Parallelkreisen,  welche 
die  Poldistanzen  %"  und  ^  ■\-  d^  und  von  den  beiden  Meridianen,  welche 
die  Längen  (p  und  tp  -\-  d(p  besitzen,  begrenzt,  so  ist  bekanntlich: 

d6  =^  sm  ^  ,  d%'  .  dip. 

Die  Integration  muss  in  Bezug  auf  ^  von  0  bis  90^  und  in  Bezog 
auf  q>  von  0  bis  360^  ausgedehnt  werden,  und  wir  finden  demnach: 


C.  Die  Gastheorie  von  Glausius  und  Maxwell.  35 


s    in 


0        0 

Dies  hier  siehende  Doppelintegral  ist,  wie  man  sofort  findet,  gleich 

2x 

—  und  es  ergiebt  sich,  wenn  man  w  beiderseitig  weghebt: 


sd  somit: 


1     n  .  m  .  u^ 


p  .  V  =  -  n  .  m  u^^) .2) 


Die  Grösse  n  •  — '- —  ist  aber  die  lebendige  Kraft  der  fortschreitenden 

bwegnng  nnd  wir  finden  somit,  da  wir  diese  mit  %j  bezeichnet  haben : 

2                                         • 
1>  .  ^^  =  3  •  Sy 3) 

Nach  dem  Ansdehnnngsgesetze  vollkommener  Gase  ist  aber: 

lobei  bekanntlich  (Bd.  I,  III,  A,  Gl.  20,  S.  253)  It  den  Werth : 

Ä  =  J  .  c„  .  (x  —  1) 

Mitzt 

Hierans  folgt,  dass: 

2,  =  I  .  /  .  c,  .  (X  -  1)  .  T 4) 

it,  (Lh.die  kinetische  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung 
ler  Molecule  eines  Gases  ist  proportional  der  absoluten  Tem- 
teratur. 

Wir  haben  früher  (1.  Bd.,  III,  A,  7,  S.  252,  61.  17)  bereits  gefun- 
len,  dass: 

ü=J.c,,T 5) 

it,  wenn  U  die  gesammte  innere  Energie  eines  Gases  bezeichnet;  es  er- 
gebt sich  somit,  dass : 

I,  =  |.(x-I).  ü 6) 

It  Setzen  wir  für  Luft  nach  Röntgen's  Versuchen  (1.  Bd.,  III,  B, 
12,  S.  278): 

X  =  1,405, 

^)  Diese  Formel  findet  sich  bei  Clausius,  Abhandlungen  Bd.  II,  S.  251,  Gl.  6). 

3* 


36  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

so  ist: 

Zj  =  0,608  .  ü. 

Die  kinetische  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  ist  demnad; 
nnr  ein  Theil  der  gesammten  inneren  Energie  und  zwar  bei  allen  ei»^ 
fachen  Gasen  ungefähr  ^5  derselben.  Ungeföhr  %  der  Energie  sinl 
also  den  übrigen  drei,  früher  (S*  32)  von  uns  erwähnten  Bewegangend 
der  rotirenden  der  Molecüle,  der  oscillirenden  der  Atome  im  Molecold 
und  den  Aetherbewegungen,  zuzuschreiben. 

Es  ergiebt  sich  weiter  hieraus,  dass: 

£ 2 

SE,  ~"  3  .  (x  —  1) 

oder: 

^-%  _     5~3x  1 

%f  3  .  (X  —  1) ' 

ist. 

Wir  werden  also  genöthigt  zuzugeben,  dass  die  kinetische  Energia 
der  übrigen  Bewegungen  bei  allen  Temperaturen  zur  kinetischen  Eneipä 
der  fortschreitenden  Bewegung  in  einem  constanten  YerhaltniBse   steht 

Es  fällt  allerdings  nicht  leicht,  die  Richtigkeit  dieser  Beziehung» 
ohne  Weiteres  zuzugeben,  aber  man  kann  sich  wohl  vorstellen,  wie  aue^ 
Glausius^)  ausgeführt  hat,  dass  erst  dann  ein  stationärer  Zustand  ilj 
einem  Gase  eintreten  kann,  wenn  alle  Bewegungen,  welche  überhaufl 
entstehen  können,  im  Mittel  ein  gewisses,  lediglich  von  der  Bescbaffeii 
heit  der  Molecüle  abhängiges  Yerhältniss  zu  einander  angenommen  habet 

Es  müssten  alsdann  alle  vier  Quantitäten  kinetischer  Energ^ie  be* 
stimmt  sein,  wenn  es  eine  derselben  wäre,  und  die  vollständige  Ünregel* 
mässigkeit  der  Bewegungen  müsste  in^merhin  in  allen,  selbst  idein< 
Bäumen  einen  mittleren  Zustand  herbeiführen.  Die  wahrscheinlich! 
Hypothese  bleibt  immerhin  die,  dass  das  Yerhältniss  zwischen  der 
sammten  kinetischen  Energie  und  der  Energie  der  fortschreitenden 
wegung  lediglich  von  der  Natur  des  Gases,  nicht  aber  von  der 
der  kinetischen  Energie  selbst  und  der  mittleren  Entfernung  der  Mo 
cüle  abhänge.  Alsdann  müssten  die  beiden  specifischen  Wärmen  di 
Gases  unabhängig  von  der  Temperatur  und  vom  Drucke  sein;  denn 
specifische  Wärme  bei  constantem  Yolumen  ist  in  der  That  g^leich 
Zunahme  der  gesammten  lebendigen  Kraft,  und  die  Zunahme  der  kine 
sehen  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  ist  darin  eine  constani 
Grösse.  Besteht  nun  ein  constantes  Yerhältniss  zwischen  der  Summe  d 
kinetischen  Energien  der  fortschreitenden  Bewegungen  und  der  Sum: 
aller  lebendigen  Kräfte,  so  wird,  wenn  die  kinetische  Energie  der  fo 
schreitenden  Bewegung  in  einem  gewissen  Maasse  zunimmt,  auch 
gesammte  Summe  der  lebendigen  Kräfte  in  demselben  Maasse  zune 


1)  Claus i US,  Abhandlungen  Bd.  II,  S.  2.13. 


C.  Die  Gastheorie  von  Glausius  und  Maxwell.  37 

mässen.  Die  specifische  Wärme  bei  constantem  Volumen  muss  demnach 
eine  onYeräaderliche  Grösse  sein.  Die  specifische  Wärme  bei  constantem 
Dnicke  unterscheidet  sich  aber  von  der  bei  constantem  Volumen  ledig- 
lich durch  das  Wärmeäquivalent  der  Arbeit,  welche  daa  Gas  leistet,  wenn 
es  sich  frei  unter  constantem  Drucke  ausdehnt.  Diese  Arbeit  aber  ist 
immer  die  nämliche;  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke,  be- 
logen auf  die  Gewichtseinheit,  ist  demnach  ebenfalls  unabhängig  von 
Dmck  und  Temperatur.  Die  Oonstanz  der  specifischen  Wärme  ist  aber 
durch  Regnault's  treffliche  Experimentaluntersuchungen  ^)  innerhalb 
sehr  weiter  Grenzen  nachgewiesen  worden  und  man  kann  daher  darin 
rückwärts  eine  Bestätigung  der  Gl  aus  ins' sehen  Annahme  erkennen,  dass 
das  Verhältniss  der  kinetischen  Energien  ein  constantes  und  nur  von  der 
Qualität  der  Molecüle  abhängiges  sei. 


3.,  Die  mittleren  Oeschwindigkelten  der  Molecüle. 

Man  kann  auch  sehr  leicht  die  Grösse  der  Geschwindigkeit  u  der 
fortschreitenden  Bewegung  berechnen,  welche  nöthig  ist,  damit  der 
BÜttelwerth  der  lebendigen  Kraft  herauskommt,  den  wir  annehmen  müs- 
sen, um  den  Druck  auf  die  Gefösswandungen  erklären  zu  können.  Wir 
gehen  zu  dem  Zwecke  von  der  Gleichung  2): 

aus.  Dieselbe  kann  leicht  dazu  dienen,  die  Grösse  u  zu  bestimmen,  da 
man  im  Stande  ist,  alle  anderen  Stücke,  welche  sonst  in  der  Formel  vor- 
kommen, numerisch  auszudrücken.  Man  kennt  zwar  weder  die  Grösse  n, 
die  Anzahl  der  Atome,  noch  die  Masse  m  jedes  einzelnen  derselben,  man 
weiss  aber,  dass  m  .  n  die  Masse  des  Gases,  also  gleich  seinem  Gewichte, 
dividirt  durch  die  Acceleration  der  Schwere  ist.     Es  ergiebt  sich  somit: 

V   .    8 
W  .  W  =  

g 

wenn  man  mit  8  das  Gewicht  der  Yolumeneinheit  Gas  bezeichnet,  und 
es  ergiebt  sich  für  u  der  Ausdruck : 


u  =  1/^  .p  .  g  ^v  _  \/dTp~g 


8) 


Ehe  wir  aber  an  die  Einsetzung  der  numerischen  Werthe  gehen,  ist 
es  nöthig  zu  zeigen,  dass  die  oberste  Gleichung  aach  homogen  ist. 

p  .  f  ist  eine  Arbeitsgrösse  d.  h.  das  Product  aus  einem  Gewichte 
^  einer  Länge;   die  Grösse  m  ,  n  ist  gleich  dem  Gewichte  dividirt 


^)  M6moires  de  l'Acad^mie  des  Sciences  Bd.  XXVI. 


38 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


durch  eine  Länge,  und  demnach  ist  auch  die  erste  Seite,  da  m  .  » 
dem  Quadrate  einer  Strecke  multiplicirt  ist,  das  Product  auB  einem  G** 
wichte  und  einer  Länge,  die  Homogenität  ist  demnach  vorhanden. 

Bezeichnet  man  nun  das  specifische  Gewicht  eines  Gases  bei  0® 
Centesimalscala  oder  274^  der  absoluten  Scala  mit  Sq  und  bezeicbnet 
das  specifische  Gewicht  bei  t^  der  hunderttheiligen,  oder  T  der  absolvtai 
Scala,  so  ist: 

So  .  274 


8  = 


T 


und  demnach: 


y      214..  So 


Setzt  man  hierin 


p  =  10333  Kg. 
g  =  9,81  m  . 
So  =  1,293  .  Qo, 

worin  ^o  die  Dichte  des  Gases  bei  Null  Grad,   die  der  Luft  gleich  1  g»> 
setzt,  bezeidbnet,  so  ist: 


w  =  485  .    |/; 


9» 


274  .  Qo 
Setzt  man  nach  Regnault: 

far  Wasserstoff   ^o  =  0,06926 
„  Stickstoff       ^0  =  0,9714 
„   Sauerstoff      ^o  =  1,1056 
„  Kohlensäure  ^o  *=  1,529, 

so  findet  man  folgende 

"Tabelle  für  die  Moleculargeschwindigkeiten  ^)  u  einiger  GasCi 
==  t    ■  = 


r=0-f  274 


Wasserstoff 
Stickstoff  . 
Sauerstoff  > 
Kohlensäure 


m 
1843 
492 
461 
392 


r=  100-1-274 


m 
2153 
575 
539 
458 


r=200+274 


m 
2424 
647 
607 
516 


Es  ist  vielleicht  nicht  überflüssig,  nochmals  daran  zu  erinnern,  dass 
dies    die   mittleren  Geschwindigkeiten    der  fortschreitenden   Bewegung 

^)  Auf  Grund  der  Max  well 'sehen  Gastheorie  werden  wir  späterhin  etwas  aadeie 
mittlere  Geschwindigkeiten  berechnen,  welche  sich  von  diesen  nur  durch  einen  con- 
stauten  Factor  unterscheiden. 


C  Die  Gastheori^  von  ClausiuB  und  Maxwell.  39 

nnd,  and  dass  die  Geschwindigkeiten  der  einselnen  Molecüle  bald  be- 
liebige grösser,  bald  beliebig  kleiner  als  diese  Zahlen  sind. 

Diese  Zahlen  sind  unabhängig  yom  Drucke  und  ungefähr  von  der 
Ordnung  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Schalles« 


4.  Die  Anwendung  der  Fundamente  der  Olauslus'schen 
Moleculartlieorie  auf  die  übrigen  Aggregatzustände. 

Während  alle  Vorgänger,  welche  versucht  haben  die  Eigenschaften 
der  Gase  aus  den  Bewegungen  der  Molecüle  zu  erklären,  sich  lediglich 
auf  den  elastisch  flüssigen  Zustand  beschränkt  haben,  ist  Glausius 
insofern  wesentlich  weiter  gegangen,  als  er  die  Betrachtungsweise  auch 
auf  die  übrigen  Aggregatzustände  und  die  Vorgänge  der  Schmelzung 
und  der  Verdampfung  mit  Erfolg  ausgedehnt  hat  ^).  Bewegungen  der 
Molecüle  werden  von  ihm  in  allen  drei  Aggregatzuständen  angenommen. 

Im  festen  Zustande  ist  die  Bewegung  derart,  dass  sich  die  Molecüle 
um  gewisse  Gleichgewichtslagen  bewegen,  ohne  diese,  so  lange  nicht 
fremde  Kräfte  auf  sie  einwirken,  ganz  zu  verlassen.  Die  Molecular- 
bewegungen  bei  festen  Körpern  würde  man  daher  als  oscillatorische 
bezeichnen  können.  Auch  diese  können  übrigens  in  mehrfacher  Beziehung 
oomplicirt  sein;  die  Bestandtheile  der  Molecüle  (einzelne  Atome,  Atom- 
gmppen,  Aether)  können  nämlich  um  ihre  Mittellagen  im  Molecüle  hin- 
nnd  herschwingen  und  ausserdem  können  die  Molecüle  als  Ganzes  um  die 
Mittellage  ihres  Schwerpunktes  schwingen  und  Drehschwingungen  um  den 
ruhend  gedachten  Schwerpunkt  vollziehen. 

In  solchen  Fällen,  in  welchen  äussere  Kräfte  auf  den  Körper  wirken, 
können  auch  dauernde  Lagenänderungen  der  Molecüle  bei  Deformationen 
und  elastisohen  Nachwirkungen  (Viscosität)  eintreten. 

Im  flüssigen  Zustande  haben  die  Molecüle  keine  bestimmten  Gleich- 
gewichtslagen mehr,  sie  können  sich  um  ihren  Schwerpunkt  ganz  herum- 
drehen, und  auch  der  Schwerpunkt  kann,  selbst  ohne  ]^nwirkung  äusserer 
Kräfte,  seine  Lage  dauernd  ändern.  Die  centrifugale  Wirkung  der  Mole- 
cüle ist  aber  im  Verhältniss  zu  ihrer  gegenseitigen  Anziehung  nicht  stark 
genug,  um  die  Molecüle  vollständig  von  einander  zu  trennen.  Die  Mole- 
cüle haften  also  nicht  mehr  an  bestimmten  Nachbarmolecülen ,  aber  sie 
verlassen  diese  doch  nicht  von  selbst,  sondern  unter  Mitwirkung  von 
Kräften ,  welche  sie  von  anderen  Molecülen  erleiden.  Es  gelangen  hier- 
durch die  Molecüle  zu  anderen  in  ähnliche  Lagen,  wie  die  waren,  in  denen 
ne  sich  vorher  in  Bezug  auf  ihre  Nachbarmolecüle  befunden  haben.  Es 
findet  dann  in  den  Flüssigkeiten  eine  schwingende,  wälzende  und  fort- 
Bchreitende  Bewegung  der  Molecüle  statt,  aber  so,  dass  die  Molecüle  da- 


1)  Clausius,  Abhandlungen  Bd.  II,  Abhandlungen  XIV:    „Ueber  die  Art  der  Be- 
wegongen,  welche  wir  WSrme  nennen^,  S.  236  bis  273. 


40  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

durch  nicht  aus  einander  getrieben  werden,  sondern  sich  auch  ohne  äasserai 
Druck  innerhalb  eines  gewissen  Volumens  halten. 

Be8ondei*s  der  Vorgang  der  Verdampfung  ist  von  GlausiiiB 
weiterhin  einer  eingehenderen  Erörterung  unterzogen  worden  und  wir 
haben  schon  früher,  bei  Besprechung  der  Verdampfangserscheinongen, 
gelegentlich  von  derselben  Gebrauch  machen  müssen,  um  uns  eine  an- 
schauliche Vorstellung  von  demselben  bilden  zu  können. 

Es  wurde  schon  vorhin  bemerkt,  das  in  Flüssigkeiten  ein  Molecül 
bei  seiner  Bewegung  in  den  Anziehungssphären  seiner  Nachbarmolecüle 
bleibe  oder  dass  es  diese  nur  verlassen  würde,  um  dafür  zu  andereo 
Nachbarmolecülen  in  entsprechende  Lagen  zu  kommen.  Wir  erinnern 
daran,  dass  nur  die  Mittel werthe  der  Bewegungen  einzelner  Molecuk 
oder  der  mittlere  Bewegungszustand  einer  grossen  Anzahl  vonMolecfilen 
bei  einem  stationären  Wärmezustande  constant  bleibt,  die  Geschwindig- 
keiten der  Molecüle  an  sich  aber  ausserordentlich  verschieden  sein  und 
nach  beiden  Seiten  hin  von  diesem  Mittel  werthe  weit  abweichen  können. 

An  der  freien  Oberfläche  einer  Flüssigkeit  wird  aber  sehr  häufige  der 
Fall  eintreten,  dass  ein  Molecül  durch  ein  günstiges  Zusammentreffen 
der  fortschreitenden,  schwingenden  und  Drehbewegung  mit  solcher  Heftig- 
keit von  seinen  Nachbarmolecülen  fortgeschleudert  wird,  dass  es,   bevor 
es  durch  die  zurückziehende  Kraft  derselben  seine  Geschwindigkeit  ganx 
verloren  hat,  schon  aus  der  Wirkungssphäre  der  in  der  Nähe  gelegenen 
Molecüle    der  Flüssigkeitsoberfläche    hinaus    gelangt    ist    und     nnn    in 
dem  über  der  Flüssigkeit  befindlichen  Räume  weiter  fliegt.     Ist  der  über 
der  Flüssigkeit  befindliche  Raum  leer,    so   werden  die  zuerst  von  der 
Flüssigkeit  ausgestossenen  Molecüle  sich  bis  zur  Berührung  mit  der  (je- 
fässwand,  welche  Flüssigkeit  und  Vacuum  umschliesst,  fortbewegen  und 
werden  nun  theils  von  der  Wand  al)prallen,  theils  von  derselben  als  eine 
sich  successive  ansammelnde,  condensirte  Flüssigkeitsschicht  zurückgehal- 
ten werden.     Nachfolgende  Molecüle    werden  in  zunehmendem    Maasse 
immer  häufiger  von  ihrer  geradlinigen  Bahn  abgelenkt  werden,   da  sie 
von  Zeit  zu  Zeit  in  die  Wirkungsräume  von  Dampfmolecülen  gelangen, 
welche  sich  bereits  in  dem  Gefassraume  über  der  Flüssigkeit  befinden. 
Diese  Molecüle  verhalten  sich  in  dem  Räume  ganz  wie  die  Molecüle  eines 
Gases,  sie  stossen  gegen  die  Wände  des  Gefasses  und  üben  auf  dieselben 
einen  mit  ihrer  Anzahl  zunehmenden  Druck  aus.     Eine  dieser  Wände 
des  Raumes,  in  dem  sich  die  von  der  Wirkung  der  Flüssigkeitsmolecüle 
befreiten  Molecüle  bewegen,  wird  aber  von  der  Flüssigkeit  selbst  gebildet 
und  diese  wird,  wenn  die  Molecüle  gegen  sie  stossen,  dieselben  meist 
nicht  abprallen  lassen,  sondern  festhalten  und  in  sich  aufnehmen.   Dieser 
Vorgang,  dass  die  Molecüle  die  Flüssigkeitsoberfläche  treffen  und  dieser 
wieder  einverleibt  werden,  muss  um  so  häufiger  stattfinden,  je  mehr  Mole- 
cüle sich  im  Dampfraume  angesammelt  haben.     Die  Dichte  des  Dampfes 
wird  sich  in  Folge  hiervon  mit  abnehmender  Schnelligkeit  einer  Grenze 
nähern,  welche  erreicht  wird,  wenn  in  derselben  Zeit  gleichviele  Molecüle 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  41 

Too  der  Oberfläche  ausgesendet,  als  von  derselben  wieder  aufgenommen 
und  Zurückgehalten  werden.  In  diesem  Grenzzustande  ist  der  obere 
Geiassraam  mit  Dampf  gesattigt,  letzterer  selbst  ist,  wie  man  sich  aus- 
drückt, gesättigter  Dampf. 

Die  Dichtigkeit  des  Dampfes,  welche  dazu  nöthig  ist,  damit  sich 
Anssendung  und  Aufnahme  von  Molecülen  durch  die  Flüssigkeitsschicht 
fortwährend  compensiren,  muss  um  so  grösser  sein,  je  grösser  die  Geschwin- 
digkeit der  Flüssigkeitsmolecüle ,  d.  h.  je  grösser  die  innere  kinetische 
Energie,  d.  i.  die  Temperatur  derselben  ist. 

Wäre  der  atomistische  Bau  der  Molecüle  und  wären  die  mittleren 
Bewegungazustände  der  Molecüle  bekannt,  so  müsste  man  im  Stande  sein, 
«af  theoretischem  Wege  die  Beziehung  abzuleiten,  welche  zwischen  Dampf- 
drack  und  Temperatur  besteht.  Bis  jetzt  ist  dies  allerdings  noch  nicht 
möglich  gewesen. 

Es  bedarf  übrigens  wohl  kaum  noch  besonderer  Erwähnung,  dass 
das,  was  Tom  Verhalten  der  Flüssigkeitsoberfläche  gegen  den  darüber 
befindlichen  Dampf  gesagt  ist,  in  ganz  ähnlicher  Weise  auch  von  den 
übrigen  Wänden  gilt,  welche  den  mit  Dampf  erfällten  Raum  begrenzen. 
£b  schlägt  sich  etwas  Dampf  an  denselben  nieder,  dieser  wird  zum  Theil 
immer  wieder  verdampfen  und  zuletzt  vrird  auch  hier  ein  Zustand  ein- 
treten, in  welchem  Verdampfung  und  Niederschlag  einander  gleich  sind. 
Die  Menge  des  auf  der  Oberfläche  der  Wand  condensirten  Dampfes, 
welche  zur  Herstellung  dieses  stationären  Zustandes  nöthig  ist,  hängt  ab 
Ton  der  Dichtigkeit  des  Dampfes  im  umschlossenen  Räume,  von  der 
Temperatur  des  Dampfes  und  der  Wand,  und  von  der  Kraft,  mit  welcher 
die  Dampfmolecüle  von  der  Wand  angezogen  werden. 

Das  Maximum,  welches  eintreten  kann,  ist  die  voUständige  Benetzung 
der  Wand  durch  niedergeschlagene  Flüssigkeit;  nachdem  dies  geschehen 
ist,  verhält  sich  die  Wand  genau  so,  wie  die  freie  Flüssigkeitsoberfläche. 
Gesättigter  Dampf  in  Berührung  mit  gleichartiger  Flüssigkeit  ist 
nach  der  soeben  entwickelten  Auflassung  nicht  eine  individuell  bestimmte 
Materie,  sondern  es  findet  ein  beständiger  Austausch  von  Molecülen  zwi- 
schen ihm  und  der  Flüssigkeit  statt.     Wenn  beide  Theile,  Flüssigkeit 
und  gesättigter  Dampf,  gleiche  Temperatur  haben,  so  ist  auch  im  Mittel 
die  kinetische  Energie  der  Flüssigkeitsmolecüle  und  der  Dampfmolecüle 
dieselbe.    Ebenso  wird  sehr  nahezu  die  kinetische  Energie  der  von  der 
Flüssigkeit  ausgesandten  und  der  von  ihrer  Oberfläche  aufgenommenen 
Bampfinolecüle  gleich  gross  sein.     Die  mittlere  lebendige  Kraft  der  von 
der  Flüssigkeit  und  dem  Dampfe  ausgetauschten  Molecüle  ist  aber  durch- 
schnittlich grösser  als  die  mittlere  kinetische  Energie  eines  Molecüls  der 
ganzen  Masse,  was  vorzugsweise  diejenigen  Bestandtheile  der  Flüssig- 
keit veranlassen  muss,  in  den  Dampfraum  einzutreten,  deren  kinetische 
Energie  am  grössten  ist.     So  lange  der  Dampfraum  noch  nicht  vollstän- 
dig gesättigt  ist,  verliert  die  Flüssigkeit  mehr  Molecüle  als  sie  aufnimmt, 
und  diese  Molecüle  sind  gerade  diejenigen,  welche  am  meisten  zur  Ge- 


42  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

sammtenergie  der  Flüseigkeit  beitragen;  dies  bedingt,  dass  die  MüBsig- 
keit  mehr  lebendige  Ki'afb  verliert,  als  der  Zahl  verlorener  Molecok 
durchschnittlich  entsprechen  würde,  und  dies  bedingt  eine  Abkühlnng 
der  Flüssigkeit,  die  Verdunstungskälte. 

Die  hier  entwickelte  Betrachtungsweise  lässt  femer  leicht  erkennen, 
dass  die  Anwesenheit  eines  Grases  in  dem  Baume  über  der  Flüssigkeit  die 
Verdampfung  nicht  hindern  kann,  wohl  aber  verzögern  muss.  Der  Ein- 
tritt des  Gleichgewichtszustandes,  d.  h.  der  Sättigung,  wird  yerzögert 
werden,  denn  die  von  der  Flüssigkeit  entsendeten  Molecüle  werden  schon 
durch  die  Molecüle  des  vorhandenen  Gases  von  ihrer  Richtung  abgelenkt 
und  zur  Flüssigkeit  zurückgetrieben.  Ebenso  können  die  Molecüle,  welche 
sich  im  Dampfraume  befinden ,  nicht  so  leicht  zur  Flüssigkeitsoberflache 
zurückgelangen,  da  sie  durch  die  Gasmolecüle  abgelenkt  und  möglidier- 
weise  sogar  in  den  Dampfraum  zurückgeworfen  werden.  Da  der  von 
den  Gasmolecülen  wirklich  absorbirte  Raum  ausserordentlich  klein  ist,  so 
wird  die  auf  die  Raumeinheit  erforderliche  Anzahl  von  Dampfmolecülen 
dieselbe  wie  vorher  sein  müssen,  damit  durchschnittlich  von  der  Flüssig- 
keit ebenso  viele  ausgesendet  als  von  derselben  aufgenommen  werden. 
Alle  bisher  geführten  Betrachtungen  beziehen  sich  aber  nur  auf  eine  Ver- 
dampfung von  der  freien  Oberfläche  und  sind  nicht  ohne  Weiteres  anf 
den  Vorgang  übertragbar,  den  wir  als  eine  Dampfentwickelung  aus  der 
gesammten  Masse,  als  Kochen,  bezeichnen.  Die  Möglichkeit  einer  solchen 
Verdunstung,  wie  wir  dieselbe  soeben  beschrieben,  ist  selbst  für  feste 
Körper  denkbar,  obgleich  wohl  nur  selten  einmal  die  Geschwindigkeit 
eines  Molecüls  der  Oberfläche  sich  soweit  über  den  Mittelwerth  erheben 
wird,  dass  dasselbe,  wenn  gleichzeitig  die  Bewegungsrichtung  eine  gün- 
stige ist,  aus  der  Wirkungssphäre  seiner  Nachbarmoleoüle  hinausgelangen 
kann. 

Jedenfalls  aber  wird  jede  solche  Verdunstung,  bei  welchem  Aggregat- 
zustande  dieselbe  auch  stattfindet,  zwar  mit  der  Temperatur  zunehmen, 
nicht  aber  an  eine  gewisse  Minimaltemperatur  gebunden  sein. 

Bei  Flüssigkeiten  können,  zumal  wenn  denselben  von  unten  und 
seitlich  Wärme  zugeführt  wird,  die  an  den  Wandungen  des  Gefösses  oder  an 
vorhandenen  Gasblasen  anliegenden  Molecüle  sich  unter  Umständen  mit 
so  grossen  Geschwindigkeiten  aus  einander  bewegen,  dass  der  Zusammen- 
hang der  Masse  vorübergehend  unterbrochen  wird,  d.  h.  dass  sich  unter 
Umständen  Gruppen  von  Nachbarmolecülen  aus  den  Wirkungssphären 
von  Gruppen  von  Nachbarmolecülen  hinausbewegen  können.  Eine  solche 
Gruppe  aus  den  Wirkungssphären  ihrer  Nachbarmoleoüle  herausgerissener 
Molecüle  bewegt  sich  nun  in  dem  entstandenen  oder  vorhandenen  leeren 
Räume  wie  die  Molecüle  eines  Gases;  ist  die  kinetische  Energie,  mit  der 
sie  sich  bewegen,  stark  genug  und  treten  in  gleicher  Zeit  mindestens 
ebenso  viel  neue  Molecüle  in  den  Raum  ein,  als  von  der  Flüssigkeit  wie- 
der aufgenommen  werden,  so  sind  ihre  Stösse  im  Stande,  die  getrennten 
Wandungen  der  Flüssigkeit  getrennt  zu  erhalten,  respective  noch  weiter 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  43 

TOD  einander  za  entfernen.  Dies  wird  dann  eintreten,  wenn  zwischen 
Dmck  und  Temperatur  an  der  hetreffenden  Stelle  die  Beziehung  statt- 
findet, durch  welche  der  Druck  gesättigten  Dampfes  mit  der  Temperatur 
yerknüpft  ist  und  welche  als  Grenzwerth  schon  heim  Verdunsten  erreicht 
werden  konnte.  Diese  Dampf  blase  wird  wachsen,  bis  der  ihrem  Volumen 
proportional  wachsende  Auftrieb  den  ihrem  Querschnitte  proportional 
wachsenden  Bewegung^widerstand,  respectiye  die  Adhäsion  an  der  Gef&ss* 
wand  überwindet  und  die  Dampfblase  in  der  Flüssigkeit  aufsteigt.  Auf 
solche  Weise  entsteht  die  Erscheinung  des  Kochens,  deren  Eintritt  an 
eine  bestinimte  dem  Drucke  entsprechende  Minimaltemperatur  gebun- 
den ist  ^). 

Auch  die  Wärmeabsorption  bei  der  Verdampfung  oder  Verflüssigung, 
sowie  die  Wärmeerzeugung  bei  der  Verflüssigung  oder  Erstarrung,  also 
die  Thatsache  der  latenten  Wärme  findet  durch  die  ausgeführte  Betrach- 
tongsweise  ihre  einfache  und  naturgemässe  Erklärung. 

Wenn  die  Molecüle  eines  Körpers  ihre  Lage  in  einer  Richtang 
ändern,  welche  den  zwischen  den  Molecülen  wirkenden  Kräften  entgegen- 
gesetzt ist,  so  wird  die  kinetische  Energie  der  Molecüle  in  Spannkraft  oder 
potentielle  Energie  umgesetzt,  die  Wärmemenge  muss  folglich  abnehmen. 

Beim  Uebergange  aus  dem  festen  in  den  flüssigen  Zustand  entfernen 
sich  die  Molecüle  zwar  nicht  vollständig  aus  ihren  gegenseitigen  An- 
ziehungssphären,  aber  sie  gehen  aus  bestimmten,  den  Molecularkräften  an- 
gemessenen Lagen  in  andere  Lagen  über,  wobei  die  Kräfte,  welche  sie 
m  jener  Lage  zu  erhalten  suchen,  überwunden  werden  müssen.  'Beim 
Uebergange  in  den  Dampfzustand  werden  einzelne  Molecüle  der  ver- 
dampfenden Flüssigkeit  vollständig  aus  der  Anziehungssphäre  der  Flüssig- 
keitsmolecüle  entfernt  und,  um  dies  zu  bewirken,  muss  eine  gewisse 
Menge  Arbeit  oder  kinetische  Energie  aufgewandt  werden. 

Ebenso  leicht  kann  man  sich  vorstellen,  dass  beim  Uebergange  aus 
dem  dampfförmigen  in  den  flüssigen,  oder  aus  dem  flüssigen  in  den  festen 
Zustand  kinetische  Energie  (das  ist  Wärme)  oder  Arbeit  gewonnen  wer- 
den kann. 


5.   Einwände,  welche  gegen  die  Olausias'sohe  Theorie 
der  molecnlaren  Stösse  erhoben  worden  sind. 

Gegen  die  Clausius 'sehe  Theorie  sind  von  verschiedenen  Seiten 
Einwendungen  erhoben  worden,  deren  Erörterung  dazu  beitragen  wird, 
die  Wahrscheinlichkeit  der  dieser  Theorie  zu  Grunde  liegenden  Annahmen 
weiter  zu  unterstützen. 


')  Eine  etwas  abweichende  Erklärung  des  Verdampfiings-  und  Condensationsprocesscs 
isi  von  A.  Handl  gegeben  worden:  Ueber  die  Constitution  der  Flüssigkeiten.  Sitzungs- 
berichte der  math.-naturw.  Classe  der  k.  k.  Akademie  zu  Wien  Bd.  55,  II.  Abthl. 
(1872),  S.  377  bis  388. 


44  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Bei  weiterem  Verfolg  der  im  Vorhergehenden  entwickelten  An- 
schauungen stellen  sich  in  der  That  einige  Schwierigkeiten  entgegen. 
Der  eine  Theil  derselben  besteht  in  Wirklichkeit  und  kann  nur  dadurch 
beseitigt  werden,  dass  man  weitere  Hypothesen  zu  Hülfe  nimmt,  durch 
welche  die  Grundannahmen  unterstützt  werden;  ein  anderer  Theil  der 
erhobenen  £in wände  ist  jedoch  nur  scheinbar  und  beruht  nur  auf  einer 
unvollkommenen  mathematischen  Verfolgung  oder  einem  Missverstandnisse 
der  ursprünglichen  Voraussetzungen. 

Kurze  Zeit  nach  der  Publication  der  mehrfach  citirten  C lau siu Bü- 
schen Arbeit  erhob  der  treffliche  holländische  Physiker  und  Meteorolog 
Bujs-Ballot  ^)  folgende  Einwände: 

1)  Es  scheint  schwierig  einzusehen,  auf  welche  Weise  die  von  beweg- 
ten Molecülen  gebildete  Atmosphäre  begrenzt  bleiben  kann  und  warum 
sich  dieselbe  nicht  allmälig  in  den  leeren,  unendlichen  Weltraum  auf- 
lösen muss. 

2)  Es  ist  nicht  begreiflich,  wie  ein  derartig  zusammengesetztes  Cras 
Wärme  strahlen,  d.  h.  den  umgebenden  Aether  in  Schwingungen  ver- 
setzen kann. 

3)  Man  sollte  glauben,  dass  sich  die  Mischung  zweier  Gase  fast 
augenblicklich  vollziehen  müsse«  Da  der  absolute  Werth  der  fortschrei- 
tenden Bewegungen  der  Molecüle  einfacher  Gase  zwischen  400  und  1900 
Meter  liegt,  sollte  man  vermuthen,  dass  wenn  einem  Gase  der  Zutritt  zn 
einem  anderweiten  begrenzten  Räume  gestattet  würde,  sp  müssten  sich 
die  Molecüle  infolge  der  enormen  Geschwindigkeiten  fast  unmittelbar  in 
diesen  Raum  verbreiten.  Die  Erfahrung  zeigt  aber,  dass  dem  nicht  so 
ist  und  ergiebt ,  dass  die  Diffusion  der  Gase  nahezu  nach  denselben  Gre- 
setzen  und  beinahe  ebenso  langsam  vor  sich  geht,  wie  bei  den  Flüssig- 
keiten. 

Weiterhin  hat  besonders  Jochmann  in  seinen  „Beiträgen  zur  Theorie 
der  Gase"  ^)  folgende  weitere  Bedenken  gegen  die  Moleculartheorie  er^ 
hoben : 

4)  Jene  Theorie  sei  den  Nachweis  schuldig  geblieben,  warum  die 
Bedingung  des  Wärmegleichgewichtes  zwischen  zwei  heterogenen  Körpern 
darin  besteht,  dass  die  mittlere  lebendige  Kraft  der  Molecüle  in  beiden 
Körpern  gleich  gross  sei. 

5)  Die  Gl ausiu Busche  Theorie  sei  nicht  im  Stande  über  die  Fort- 
pflanz ang  des  Schalles  in  gasförmigen  Medien  und  die  hydrodynamischen 
Eigenschafben  der  Gase  genügende  Rechenschaft  zu  geben.  Er  sagt 
darüber  ungefähr  Folgendes: 

„Die  bisher  der  Aeromechanik  zu  Grunde  gelegte  Vorstellung 
vom    Drucke    der    Gase    beruht    wesentlich    auf    der    Annahme    einer 


1)  Bujs-Ballot,  Ueber  die  Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  und  Elektrici- 
tät  nennen.     Pogg.  Ann.  Bd.  103,  S.  240  bis  S.  253. 
3)  Pogg.  Ann.  Bd.  108,  S.  159  bis  162. 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  45 

gegenseitigen  Abstossung  der  Gasmolecüle.  Da  die  Erönig-Glan- 
sias'scbe  Hypothese  diese  Basis  umstösst,  so  ist  es  ihre  Sache,  die 
auf  derselben  begründeten  Gesetze  der  Aerodynamik,  z.  B.  für  das  Aos- 
strömen  der  Gase,  von  Nenem  herzuleiten.  Hat  man  bisher  in  der  Aerostatik 
das  Mari otte' sehe  Gesetz  als  eine  Erfahrungsthatsaehe  hinnehmen  müs- 
sen, die  nicht  weiter  erklärt,  d.  h.  auf  noch  einfachere  Grundvorstellungen 
zurückgeführt  werden  konnte,  so  befindet  sich  die  neue  Hypothese  den 
aerodynamischen  Problemen  gegenüber  in  einer  noch  viel  schlimmeren 
Lage.*'  Und  femer:  „So  ist  klar,  dass  die  bisherige  Ableitung  den 
Gleiehungren  der  Schallbewegung  nicht  nur  nicht  zulässig  bleibt,  sondern 
überhaupt  keinen  Sinn  mehr  hat.  Beschränken  wir  uns  auf  den  einfach- 
sten Fall  der  linearen  Sehallbewegung,  so  ist  zur  Ableitung  dieser 
Gresetze  vor  Allem  die  hydrodynamische  Grundgleichung: 

du         1      dp 
dt         Q      dx 

erforderlich,  welche  in  Verbindung  mit  der  Continuitätsgleichung  und 
der  bekannten  Relation  zwischen  Druck  und  Dichtigkeit,  unter  Voraus- 
setzung kleiner  Condensationen  die  bekannte  Differentialgleichung  liefert. 
In  dieser  Gleichung  bezeichnet  t  die  Zeit,  u  die  Geschwindigkeit  parallel 
der  o^Achse,  q  die  Dichtigkeit  und  p  den  Druck.  Der  Sinn  der  Gleichung 
ist,  dass  das  Product  der  Masse  und  Beschleunigung  eines  zwischen  zwei 
unendlich  nahen  parallelen  Ebenen  enthaltenen  Gastheilchens  gleich  ist 
der  Summe  der  bewegenden  Kräfte,  welche  dasselbe  von  beiden  Seiten 

erleidet,  nämlich  gleich  der  Summe  der  Kräfte  p  cd  und  (  —  p  •\-  —  •dxya, 

wo  a  den  Querschnitt  des  die  Gasmasse  begrenzenden  Cylinders  bezeichnet.^ 
Er  fahrt  dann  (S.  160)  fort:  „Dass  diese  ganze  Schlussweise  bei  Annahme 
derKrönig-Clausius' sehen  Theorie  ihren  Halt  verliert,  ist  ohne  We iter es 
einleuchtend.  Denn  diese  Theorie  giebt  zwar  Rechenschaft  über  den  Druck 
des  Gases  gegen  eine  äussere  Wand,  nicht  aber  über  den  Druck  der  Gas- 
theOchen  gegen  einander.  Dieser  letztere,  der  sogenannte  innere  Druck 
wird  bei  Annahme  der  Krönig -Clausius^  sehen  Theorie  in  einem  voll- 
kommenen Gase  gar  nicht  existiren  imd  andererseits  in  einem  wirk- 
lichen Gase  eine  im  Vergleich  zum  äusseren  Drucke  sehr  kleine  Grösse 
sein,  von  derselben  Ordnung  wie  die  Abweichungen  vom  Mariotte-Gay- 
Lnssac'schen  Gesetze." 

6)  Es  ist  endlich  noch  bemerkt  worden,  dass  die  Wärmebewegung 
von  der  fortschreitenden  Bewegung  des  Gases  als  Ganzes  überhaupt  nicht 
zn  imterscheiden  sei  und  deshalb  auf  Widersprüche  mit  der  Erfahrimg 
ftüiren  müsste,  wenn  man  die  Consequenzen  der  Theorie  in  dem  Falle 
des  Ausströmens  eines  Gases  in  einen  luffcverdünnten  Raum  untersuchte. 

Die  ersten  von  Bujs-Ballot  geltend  gemachten  Widersprüche  sind 
darch  Clausius  in  der  Abhandlung  „Ueber  die  mittlere  Länge  der 
Wege,  welche  bei  der  Molecularbewegung  gasförmiger  Körper 


46  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Yon  den  einzelnen  Molec&len  zurückgelegt  werden"  ^)and  „Ueber 
die  Wärmeleitnng  gasförmiger  Körper"  ^)  entscheidend  zurückgewie- 
sen worden.  Es  hat  sich  gezeigt,  dass  die  Theorie  za  Folgerungen  führt, 
welche  mit  den  Erfahrangsthatsachen  im  vollständigen  Einklänge  stehen. 
Ebenso  haben  die  Untersuchungen  MaxwelTs  in  der  Abhandlung  „Od 
the  dynamical  theory  of  gases^  ^)  das  Irrige  der  Joch  man  naschen 
Auffassung  dargethan.  Was  jedoch  den  vierten  Einwand  betrifft,  so  ist 
dieser  allerdings  lediglich  durch  Zuhülfenahme  weiterer  Hypothesen  za 
erledigen. 

Wir  werden  uns  im  Folgenden  mit  einer  genaueren  Erörterung  der 
einzelnen  Einwoidungen  beschäftigen.  / 


6.    Besprechung  des  ersten  und  zweiten  Einwurfes  von 
Bujs -Bailot;  Bestimmung  der  mittleren  Weglänge  der 

Molecüle. 

Wir  entlehnen  die  nächst  folgende  Betrachtung  der  bereits  citirten 
Clausius'schen  Abhandlung^). 

P^  möge  die  Wahrscheinlichkeit  bezeichnen,  welche  vorhanden  ist, 
dass  ein  Molecül  den  Weg  %  geradlinig  und  mit  gleichförmiger  Geschwin- 
digkeit durchlaufe,  ohne  in  die  Wirkungssphäre  eines  der  anderen  Molecüle 
zu  gelangen.  Die  Grösse  P,  bezeichnet  alsdann,  wenn  man  eine  sehr  grosse 
Zahl  von  Molecülen  betrachtet,  das  Verhaltniss  der  Anzahl  dieser  Molecüle, 
welche  den  Weg  x  ohne  Störung  durchlaufen,  zur  Gesammtzahl  der 
betrachteten  Molecüle. 

Beobachtet  man  ein  Molecül  recht  lange  Zeit  hindurch ,  so  ist  P« 
auch  das  Verhaltniss  der  Anzahl  Male ,  welche  das  Molecül  den  Weg  % 
oder  einen  längeren  durchlaufen  hat,  ohne  die  Wirkungssphäre  eines 
anderen  Molecüles  zu  durchschneiden  zu  der  Anzahl  Male,  in  dem  die 
Bewegungsrichtung  oder  Geschwindigkeit  überhaupt  in  der  ganzen  Zeit 
geändert  worden  ist. 

Unter  Wirkungssphäre  eines  Molecüles  versteht  man  hierbei  immer 
eine  Kugelfläche,  welche  um  den  Schwerpunkt  des  Molecüles  constrnirt 
werden  kann,  bis  zu  welcher  sich  der  Schwerpunkt  eines  anderen  Mole- 
cüles nähern  kann,  ohne  dass  ein  Abprallen  eintritt. 

Betrachtet  man  nun  eine  sehr  grosse  Anzahl  "N  von  Molecülen,  so 
80  wird  N ,P,  derjenige  Bruchtheil  dieser  Molecüle  sein,  welche  einen 
Weg  X  ohne  Störung  durchlaufen.  Die  Anzahl  Molecüle  hingegen,  welche 
eine  Strecke  x  -\-  dx  ohne  Störung  durchlaufen,  JV.Px  +  dxi  wird: 


^)  Clausius,  Abhandlungen  Bd  II,  S.  260  bis  276. 

^)  Clausius,  Abhandlungen  Bd.  II,  S.  277  bis  326. 

^)  Maxwell,  Phil.  mag.  4.  Serie,  Bd.  19,  S.  19  u.  Bd.  20,  S.  21. 


G.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  47 

N .  P^  +  ^,  =  N  .  (P,  -{-  ^  ■  dx'j 

Die  Differenz  N  .  Px  —  N' ,  Px  +  dx  wird  die  Anzahl  der  Molecüle 
ergeben,  welche  anf  der  Strecke  dx  eine  Stömng  erleiden.  Demnach  ist 
die  Anzahl  anter  den  N  Molecülen,  welche  den  Weg  x  und  keinen  grösse- 
ren dnrchlanfen ,  ohne  in  die  Wirkungssphären  anderer  Molecüle  zu 
gerathen,  gleich: 

—  N'^'dx. 

^  ox 

Hat  man  nun  unter  den  N  Molecülen  JTq,  welche  einen  Weg  Xq,  Ni 
Molecüle,  welche  einen  Weg  x^  Nq  Molecüle,  welche  einen  Weg  X2  durch- 
laufen n.  B.  f.,  so  ist  der  Quotient: 

Nq  .  Xq  -\-  Ni  .  «1  4"  -^2  •  ^3  4"  •  •  •  •  -^0  .  a?o  +  -Ni .  Xi  +  ^3 .  Xji  -f~  — 

die  mittlere  Weglänge  eines  Molecüles. 

dP, 
Demnach  wird,  da  —  N  *  -ir— ^  •  dx  die  Anzahl  Molecüle  bezeichnet, 

ox 

welche  die  Strecke  x,  und  auch  gerade  nur  diese,  ohne  Störung  durch- 
läuft, die  mittlere  Weglänge  A  im  vorliegenden  Falle: 

dP, 


oder: 

dP. 


=-!' 


dx 10) 


dx 
sem. 

Auch  die  Grenzen,  zwischen  denen  man  das  Integral  zu  nehmen  hat, 
um  die  mittlere  Weglänge  zu  finden,  sind  leicht  zu  finden;  man  muss 
nämlich  alle  Werthe  von  x  in  Rechnung  ziehen,  welche  überhaupt  vor- 
kommen können,  also  sowohl  den  unendlich  kleinen  Weg  n;  =  0,  welcher 
dem  sofortigen  Zusammenstosse  mit  einem  unendlich  benachbarten  Mo- 
lecüle entspricht,  als  auch  den  grössten  Werth  der  Distanz,  die  ein  Molecül 
dmx:hlaufen  kann,  ohne  eine  Störung  durch  ein  anderes  zu  erfahren, 
und  das  ist  unzweifelhaft  ein  wenigstens  im  Vergleich  zur  mittleren 
Distanz  zweier  Molecüle  unendlich  grosser  Weg.  Den  mittleren  Ab- 
stand der  Molecüle  wählt  man  bei  diesen  Untersuchungen  zweckmässiger- 
weise  zur  £Iinheit. 

Demnach  ist  die  mittlere  Weglänge  A,  welche  im  Mittel  von  einem 
Molecüle  zwischen  zwei  Zusammenstössen  zurückgelegt  wird: 


OD 

•/*■ 


H— ») 


48  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

und  zwar  liegt  dieser  Formel  keine  andere  Voranssetzong  zu  Grande,  als 
die,  dass  der  Wärmezastand  stationär  und  die  Masse  des  Gases  homogen  sei 

Um  diese  mittlere  Weglänge  A,  welche  ein  Molecül  zwischen  zwei 
Znsammenstössen  geradlinig  und  gleichförmig  durchläuft,  numerisch  zb 
bestimmen,  hat  man  demnach  nur  nöthig,  die  Grösse  P,  zu  bestimmen. 

Wir  betrachten  ein  beliebiges  Molecul,  welches  sich  nach  irgend 
einer  Richtung  bewegt,  und  theilen  die  Gasmasse  durch  parallele  Ebenen, 
Welche  auf  dieser  Richtung  normal  sind,  in  gleich  dicke  Schichten.  Die 
Wahrscheinlichkeit,  dass  das  Molecül  die  erste  dieser  Schichten  durch- 
läufb,  ohne  dabei  in  die  Wirkungssphäre  eines  anderen  Molecül s  zu  ge- 
rathen,  möge  mit  a  bezeichnet  werden.  Die  Dicke  aller  Schichten  möge 
von  vornherein  gleich  der  Einheit,  d.  h.  in  diesem  Falle  gleich  der  mitt- 
leren Distanz  zweier  Molecüle  gesetzt  werden.  An  der  hinteren  Be- 
grenzungsebene  der  ersten  Schicht  angekommen,  ist  die  Wahrscheinlich- 
keit, die  zweite  Schicht  ohne  Störung  zu  passiren,  ebenfalls  a.  Die 
Wahrscheinlichkeit  beide  Schichten  geradlinig  und  mit  ungeänderter 
Geschwindigkeit  zu  durchlaufen  ist  demnach  a*.  Setzt  man  diese  Be- 
trachtung weiter  fort,  so  ergiebt  sich,  dass  die  Wahrscheinlichkeit,  dass 
das  gegebene  Molecül  die  Strecke  von  der  Länge  x  ohne  Störung  durdi- 
läuft,  gleich  a'  ist. 

Es  ist  demnach: 

P,  =  a' 

die  Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  Molecül  die  Länge  x  ohne  Stönmg 
durchläuft. 

Da  a  seiner  Bedeutung  nach,  als  eine  Wahrscheinlichkeit,  ein  echter 
Bruch  sein  muss,  so  kann  man  auch: 

a  =  e~  " 

setzen,  wo  e  die  Basis  der  natürlichen  Logarithmen  und: 

—  a  =  lognat  a 

ist. 

Demnach  ist: 

P,  =  c"~"-^ 12) 

X  W  ^  W  W  W  w  w  ^ 

Führt  man  dies  ein,  so  ergiebt  sich  aus  Gl.  11  (S.  47): 


1--  r  8(6- "  • ') , 

A  —  —  /  rc  .     ^  .- ^  •  dx. 


"bx 
Es  ist  nun  aber: 

8(e-"') 


cx 


Wenn  man  theilweise  integrirt,  findet  man: 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausitts  und  Maxwell.  49 

fa.x.e-'''.dx=:a.x.\-j-e-"'\-a.f{-^.e-"'ydx 

=  _a,  .  e-"'  +  fe-"'  dz 

a  .  X      f  1  \ 


Demnach  ist: 

00 


=  /.-"... (_._!). 


Nun  ist  aber: 


ar  sa  OD 


(f-«')  =0 


X    ■■    OD 


und  demnach: 


A=  i 13) 


a 


Gelingt  es  also  die  Grösse  a  za  bestimmen,  so  ist  deren  reciproker 
Werth  die  gesachte  mittlere  Wegiänge. 

Da  wir  weder  die  Radien  der  Wirkungssphären  der  Molecüle ,  noch 
die  Grösse  des  Abstandes  der  Molecüle  kennen,  so  kann  es  sich  zunächst 
nicht  um  eine  Bestimmung  der  Grösse  A  in  absolutem  Maasse,  z.  B.  in 
Metern,  handeln ,  sondern  lediglich  um  eine  Bestimmung  der  Grössen- 
ordnung  ^).  Mit  Rücksicht  darauf  kann  man  das  Problem  der  Ermitte- 
lung des  Werthes  von  a  im  wirklich  vorliegenden  allgemeinen  Falle  zu- 
nächst auf  ein  einfacheres  zurückfuhren,  sofern  nur  dadurch  die  Grössen- 
ordnung  des  Werthes  von  a  nicht  geändert  wird. 

Ein  einzelnes  Molecül,  welches  wir  betrachten,  bewegt  sich  bei  einem 
Gase  zwischen  lauter  Molecülen,  welche  sich  ebenfalls  bewegen.  Anstatt 
diesen  verwickelten  Fall  gleich  von  Anfang  an  zu  betrachten,  denken  wir 
uns,  dass  nur  ein  Molecül  sich  bewege,  während  alle  übrigen  in  gleichem 
Abstände  ihrer  mittleren  Entfernung  festgehalten  würden.  Die  Lösung 
dieser  Aufgabe  ist  jedenfalls  wesentlich  einfacher,  als  die  Behandlung 
des  wirklichen ;  es  lässt  sich  jedoch  leicht  übersehen,  dass  der  Werth,  den 
man  unter  dieser  Voraussetzung  für  et  findet,  von  derselben  Grössen- 
Ordnung  sein  muss,  wie  der,  welcher  im  Allgemeinen  für  den  Fall  gilt, 
der  den  wirklichen  Verhältnissen  entspricht. 

Es  kann  dadurch,  dass  man  die  sich  sonst  stationär  bewegenden  Molecüle 
der  homogenen  Gasiuasse  in  ihren  Mittellagen  fixirt  denkt,  zwar  die  An- 


')  Eine   Bestimmung  des    absoluten   Werthes  der  mittleren  Weglänge  wird  später- 
hin mit  Hülfe  der  Constanten  der  inneren  Reibung  der  Gase  vorgenommen  werden.    ^ 
Verdet-BQfalmann,  Mechau.  Warmethoorie.    Bd.  2.  ^ 


50  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

zahl  der  Zusammenstösse  eines  betrachteten  bewegten  Molecüls  mit  den 
übrigen,  nicht  aber  die  Grössenordnung  dieser  Anzahl  geändert  werden. 
Man  kann  das  Molecül  mit  einem  Projectile  vergleichen,  welches  gegen 
eine  Scheibe  geschossen  wird,  in  welcher  sich  eine  OefiPnung  befindet;  in 
dem  einen  Falle  ist  diese  Oeffnang  fest,  im  anderen  Falle  in  darchans 
nnregelmässiger  Weise  bewegt.  Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  das  Pro- 
jectil  durch  die  Oeifniing  hindurchgeht,  ist  (wie  wir  später  sehen  werden) 
im  zweiten  Falle  grösser  als  im  ersten.  Wir  finden  also  zunächst  eine 
grössere  Zahl  als  die  gesuchte;  die  auf  diese  Weise  bestimmte  mittlere 
Weglänge,  während  der  sich  ein  Molecül  ohne  Störung  bewegt,  wird  zwar 
grösser,  aber  von  derselben  Grössenordnung  als  die  in  Wirklichkeit  yor- 
handene  sein. 

Wir  nehmen  also  jetzt  an ,,  dass  alle  Molecüle  mit  Ausnahme  des 
einen  betrachteten  in  ihrer  mittleren  Lage  fixirt  sind  und  demnach  ein 
allseitig  gleichartiges  räumliches  Netz  gleich  weit  von  einander  abstehen- 
der Molecüle  bilden.  Der  Einfachheit  wegen  nehmen  wir  an,  die  Anord- 
nung der  Molecüle  sei  derart,  dass  die  Nachbarmolecüle  in  deu  Ecken 
von  Würfeln  liegen ,  deren  Seiten  unter  sich  gleich  und  zwar  gleich  dem 
mittleren  Molecularabstande  8  sind. 

Zunächst  bestimmen  wir  die  Grösse  der  Wahrscheinlichkeit  P^,  dass 
das  bewegte  Molecül  eine  Schicht  von  der  Dicke  d  durchlaufe,  ohne  hier- 
bei in  die  Wirkungssphäre  eines  Molecüls  der  Schicht  zu  gerathen. 

Es  ist  nach  der  allgemeinen  Formel  12)  (S.  48): 

i>rf  =  ß-  «»  •  ^  , 

wobei  an  Stelle  von  a  diesmal  ein  Buchstabe  cci  gewählt  ist,  weil  sich 
diese  Rechnung  auf  den  Fall  bezieht ,  dass  die  Molecüle  fest  stehen. 

Da  voraussichtlich  nach  unserer  Annahme  über  die  Constitution 
der  Gase  P^  sehr  gross  sein  muss,  so  wird  S  sehr  klein  sein  und  wir 
können  uns  bei  der  Reihenentwickelung  der  Ezponentialgrösse  mit  den 
beiden  ersten  Gliedern  begnügen,  so  dass  man  hat: 

ZV  =  1  —  «1  *• 

P^  kann  aber  noch  unmittelbar  durch  folgende  Betrachtung  be- 
stimmt werden. 

Wir  ziehen  uns  in  gleichen  Abständen  gleich  ö  lauter  parallele  zur 
Bewegungsrichtung  des  Molecüls  senkrechte  Ebenen.  Alsdann  ist  P^  die 
Wahrscheinlichkeit,  dass  das  Molecül  die  erste  dieser  Schichten  ohne  Störung 
passirt.  Betrachtet  man  nun  ein  beliebig  grosses,  irgendwo  begrenztes 
Stück  S  einer  solchen  Ebene,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  das  be- 
wegte  Molecül  diese  Schicht  mit  der  Basis  S  ungehindert  durchläuft,  leicht 
zu  finden. 

Bezeichnen  wir  die  Radien  der  Wirkungssphären  der  Molecüle  mit 
p,  so  kommt  die  zu  beantwortende  Frage  darauf  hinaus,  wie  gross  ist 
die  Wahrscheinlichkeit,  dass  das   bewegte  Molecül  ausserhalb  des  Ab- 


G.  Die  GaBtheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  51 

itandes  g  an  den  festen  Molecülen  der  Schiebt  vorüber  gebt?  Ist  nun  M 
lie  Anzahl  der  in  der  Schicht  von  der  Gnindfläche  £land  der  Dicke  d  ent- 
haltenen Molecüle,  so  können  wir  uns  die  Molecüle  sammt  ihren  Wirkungs- 
sphären sämmtlicb  auf  die  Vorderfläche  S  normal  projicirt  denken.  Die 
Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  Molecül  ungehindert  durch  die  Schiebt 
bindurchgebt ,  ist  dann  gleich  der  Wahrscheinlichkeit,  dass  das  Molecül 
b  der  Vorderfläche  nicht  einen  der  Kreise  trifft,  welche  die  Projeetion 
der  Wirkungssphären  der  Molecüle  bilden.  Die  von  diesen  Kreisen  be- 
ieckte Fläche  ht  M .  X  .  qK  Demnach  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  beim 
Dnr^lanfen  der  Fläche  S  einen  dieser  Kreise  au  treffen,  gleich  dem 
(Terhältniss  des  von  den  Kreisen  bedeckten  Flächeninhaltes  zurGesammt- 

Bäche,  d.h.  gleich '-—^ Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  Molecül 

S 

angehindert  durch  die  Schiebt  passirt,  ist  demnach: 

p,^,_E^ U) 

Die  ganze  Aufgabe  kommt  demnach  nunmehr  darauf  hinaus,  das 

"mg- 

Terhältniss  -5-  der  in  der  Schicht  mit  der  Basis  S  und  der  Höhe  8  vorhan- 
o 

denen  Anzahl  Molecüle  M  zum  Flächeninhalt  zu  bestimmen. 

Man  kann  sich  die  in  dem  cubischen  Netze  gruppirten  Molecüle  auf 
unter  sieh  äquidistanten  parallelen  geraden  Linien  in  gleichen  Abständen 
angeordnet  denken,  so  dass  sowohl  die  Parallelen  unter  sich,  als  zwei 
Nachbarmolecüle  auf  derselben  Geraden  immer  um  d  von  einander  ab- 
stehen. Fig.  2  (a.  f.  S.)  zeigt  einen  Querschnitt  eines  solchen  Netzes.  Betrach- 
tet man  eine  Strecke  L  auf  einer  dieser  parallelen  Geraden,  so  liegen  auf  der- 
selben -^  Molecüle.    Hierbei  können  wir,  wenn  L  im  Vergleich  zu  S  sehr 

gross  ist,  -IT  als  eine  ganze  Zahl  ansehen,  da  alsdann  der  bei  der  Division 

etwa  bleibende  Bruch  gegen  die  ganze  Zahl  vernachlässigt  werden  kann. 
Die  Oberfläche  S  wird  nun  aber  von  einer  sehr  grossen  Anzahl  solcher 
parallelen  Geraden  getroffen,  diese  Anzahl  möge  H  sein,  und  zwar  schnei- 
det die  Schicht   von   der  Dicke  S  aus  jeder  solchen  Geraden  die  Länge 

ab,  wenn  Q>  der  Neigungswinkel  der  Schaar  von  Parallelen  gegen 

cos   ffi  00 

die  Ebene  8  ist.     Es  kann  behauptet  werden,  dass  alsdann 

H  .0  H 


d  ,  cos  (p         cos  (f 

die  Anzahl  Molecüle  darstellt,  welche  innerhalb  der  Schicht  liegen,  deren 
Basis  S  und  deren  Höhe  d  ist.  Es  lässt  sich  nämlich  zeigen,  dass  die 
Anzahl  der  in  der  Schicht  enthaltenen  Molecüle  ebenso  gross  ist,  als  die 


62 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Anzahl  Molecüle,  welche  auf  einer  Geraden  liegt,  deinen  Länge  gleick 
der  Summe  aller  abgeschnittenen,  in  der  Schicht  enthaltenen  Stucke  der 
Parallelen  ist.     Um  dies  anschaulich  zu  machen,  genügt  es,  einen  Ko^ 


Fig.  2. 


malschnitt  zur  Ebene  S  zu  betrachten,  in  dem  die  einzelnen  Molecole 
quadratisch  angeordnet  sind.  SS  und  5'S'  mögen  die  Spuren  der  Ebene 
S  und  ihrer  Parallelebene  sein ;  der  Winkel,  unter  dem  ihre  Normale  gegen 
die  parallelen  Geraden  geneigt  ist,  muss  demnach  tp,  der  Abstand  der- 
selben d  sein.  Ausserdem  denke  ich  mir  in  gleichen  Abständen  d  eine 
Anzahl  Hülfsgerade  parallel  zu  S  und  ff  durch  J^,  B'\  B"  etc.  gezogen 
und  behaupte,  dass  man  unter  der  grossen  Zahl  der  zwischen  SSff  Sf  liegen- 
den Theile  der  Parallelen  immer  einen  finden  wird,  welcher  bezüglich  der 
Stellung  desMolecüles  zu  den  Begrenzungspunkten  genau  gleich  J?J?  ist, 
dann  auch  einen,  welcher  genau  gleich  JffB^'  ist  u.  s.  f.  Man  kann  also 
sagen,  die  Anzahl  der  zwischen  SSf  auf  den  abgeschnittenen  ParaDel- 
stücken  liegenden  Molecüle  ist  gleich  der  Anzahl  Molecüle,  welche  auf 
einer  Strecke  einer  solchen  Parallelen  liegen,  welche  gleich  der  Summe  der 
einzelnen  abgeschnittenen  Strecken  ist.  Demnach  ist,  wie  wir  schon  sagten, 

■—  die  Anzahl  der  in  Sff ff S  enthaltenen  Molecüle. 

cos  q> 

Nunmehr  ist  nur  noch  H,  die  Anzahl  der  parallelen  Geraden,  zu  bestim- 
men, welche  S  treffen.  Denken  wir  uns  über  8  einen  Gylinder  construirt, 
dessen  Axe  den  parallelen  Geraden  parallel  ist,  so  müssen  in  diesem  Gy- 
linder soviele  solcher  parallelen  Geraden  enthalten  sein,  als  derNormalschniit 
des  Gylinders  Quadrate  von  der  Seite  ö  enthält.  Die  Neigung  der  parallelen 
Geraden  gegen  die  Normale  auf  SS  war  q>,  demnach  ist  der  Flächeninhalt 
des  Normalschnittes  =  S  ,  cos  <p  und  demnach: 


H  = 


8  .  cos  q> 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  53 

Demnach  ist* 


cos  q> 
und  die  Anzahl  der  in  SSfS^S  enthaltenen  Molecflie: 

^  =  äi- 

Seist  man  dies  in  Formel  14)  ein,  so  ergiebt  sich  endlich: 

Vergleicht  man  dies  mit  der  Formel: 

P<f  =  1  —  «1  .  Ä, 

80  ergiebt  sich  anmittelbar,  dass  Ai  =  — ,   die  mittlere    Weglänge,  im 

Falle,  dass  die  Molecüle  alle  in  ihren  Mittellagen  feststehen, 

1  —      ^^ 
«1        n  .  Q^ 

Nun  ist  aber,  wenn  N  die  Anzahl  der  in  der  Yolameneinheit  enthal- 
tenen Molecüle  und  Ö  den  mittleren  Molecnlarabstand  bezeichnet: 

Die  mittlere  Weglänge  ^i  eines  Molecüls  in  einem  Netze  gleich  weit 
abstehender,  nnbeweglicher  Molecüle  ist  demnach: 

'•=77^ 1^) 

Wenn  wir  auch  im  Vorhergehenden  schon  darauf  aufmerksam  ge- 
Biacht  haben,  dass  die  mittlere  Weglänge  in  dem  von  uns  untersuchten 
Falle  nicht  von  anderer  Grössenordnung  sein  kann,  als  in  der  Wirklich- 
keit, in  der  wir  es  mit  durchaas  unregelmässig  bewegten  MolecÜlen  zu 
thnn  haben ,  so  ist  es  doch  von  Interesse  zu  untersuchen ,  in  welcher 
Groesenbeziehnng  die  mittleren  Weglängen  A^  und  A  in  beiden  FäUen 
zu  einander  stehen  ^). 

Bezeichnet  man  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  das  bewegte  Molecül 
auf  dem  Wege  dx  eine  Störung  durch  andere  Molecüle  erleidet,  mit  a .  dx 
and  ist  di  die  Zeit,  welche  nöthig  ist,  um  dx  zu  durchlaufen,  so  ist  ß, dt 
die  Wahrscheinlichkeit,  dass  eine  Störung  in  der  Zeit  dt  stattfindet.  Hier- 
aas  folgt,  dA  a  .  dx  und  ß  .  dt  zwei  verschiedene  Ausdrücke  für  dieselbe 
Wahrscheinlichkeit  sind,  dass: 

a  .  dx  :=  ß  •  dtj 


^  Wir  folgen  aach  hier  Claus  ins:  Abhandlungen,  Bd.  II,  Anmerkung  zu  S.  265. 


54 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


somit: 


dx 
Tt 


ist,  wenn  u  die  Geschwindigkeit  des  bewegten  Molecüles  bedeutet. 

Bezeichnet  nun  ßi  den  speciellen  Werth  von  /J,  welcher  dem  Werthe 
«1,  d.  h.  der  Annahme  entspricht,  dass  das  bewegte  Molecül  zwiscnea 
ruhenden  hindurchlaufe,  so  ist: 

ßi  =z  tti  .  V  =^  n  ,  Q^  .  N  .  V. 

Wir  stellen  uns  zunächst  vor,  es  sei  den  vorher  ruhenden  Molecflkii 
des  Systemes  eine  gleichförmig  fortschreitende  Bewegung  nach  einer 
Richtung  ertheilt  worden,  welche  mit  der  Bewegungsrichtung  des  betrach» 
teten  Molecüls  einen  Winkel  (p  einschliesst  Die  Geschwindigkeit  der  Be- 
wegung möge  V  sein. 

Man  kann  diesen  Fall  ohne  Weiteres  auf  den  vorhin  betrachteten 
zurückführen,  wenn  man  das  bewegte  Molecülsystem  als  ruhend  annimmt,  und 
dafür  dem  einzelnen  betrachteten  Molecül  gleichzeitig  die  Geschwindigkeit 
u  und  die  Geschwindigkeit  —  v  beilegt ,  welche  einen  Winkel  <p  mit « 
einschliesst.  Alsdann  ist  die  Wahrscheinlichkeit  /J,  dass  das  betrachtete 
Molecül  in  der  Zeit  dt  in  die  Wirkungssphäre  eines  anderen  gerathe, 

gleich : 

ß  =  n  ,  Q^  .N ,]/  ü^  -\-  v^  +  2u  .  V  .  C08  fp     .    -    .    Iß) 

Wir  nehmen  nun  weiter  an,  dass  die  Geschwindigkeiten  nicht  alle 
parallel  gerichtet  seien,  sondern  alle  möglichen  Richtungen  besitzen  andi 
auch  bezüglich  ihrer  Grösse  innerhalb  ziemlich  weitabstehender  Grenaen 
nach  beiden  Seiten  von  dem  Mittel  werthe  abweichen.  Alsdann  wird  die 
Wahrscheinlichkeit  B  .  dt,  dass  das  betrachtete  bewegte  Molecül  in  der 
Zeit  dt  eine  Bewegungsänderung  erfahre,  der  Mittelwerth  der  Wahr- 
scheinlichkeit ß  .  dt  sein,  den  man  erhält,  wenn  man  für  t;  und  q>  die  ver- 
schiedenen Werthe  einsetzt,  welche  in  Wirklichkeit  vorkommen. 

Anstatt  aber  für  v  wirklich  verschiedene  Werthe  einzuführen,  kann  man 
sich  damit  begnügen,  für  v  den  Mittelwerth  v  einzusetzen  *).  Dieser  Mittel- 
werth V  repräsentirt  alsdann  aber  auch  die  mittlere  Geschwindigkeit  des 

betrachteten  Molecüles,  es  ist  also  auch  u  — F. 
Wir  finden  demnach: 


ß  =  jt  ,  Q^  ,  N 


V  2 1;2  .  (1  +  costp)  =  2n  .  Q^  .N.v,cos^' 


B  mag  der  Mittelwerth  dieses  Ausdruckes  sein,  den  man  erhalt,  wenn 
man  für  g>  alle  möglichen  Werthe  einsetzt 


^  Schon  früher  haben  wir  festgestellt,  dass  wir  den  Mittelwerth  einer  Grosse  t 
mit  X  bezeichnen  woUen.^Wir  werden  später  zeigen ,  dass  ^  und  V  nicht  einander 
gleich  und  ebenso,  dass  t;  und  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit  verschieden  «ni 
Auf  die  hierdurch  nöthig  werdenden  Correctionen  wollen  wir  bei  Beaprechung  der 
Maxwell' sehen  Arbeiten  ausführlich  zurückkommen. 


C.  Die  Grastheörie  Yon  Clausius  und  Maxwell. 


55 


Dieser  Mittelwerth  l&set  sich  leicht   auf  folgende  Weise  bestimmen : 
IHe  Anzahl  Molecülo,   deren   Bewegangsrichtungen  mit  der  Bewe- 


Fig.  3. 


gungsrichtung  des  betrachteten  Mo- 
lecüls  Winkel  bilden,  welche  zwi- 
schen (p  und  g>  -}-  d(p  liegen,  ver- 
halten sich  zur  Anzahl  aller  yor- 
handenen  Molecüle  wie  die  Fl&che 
einer  Kugelzone  mit  dem  Polar- 
winkel q>  und  einer  Breite  d(p  sich 
zur  ganzen  Kugeloberfläche  yer- 
hält.  Die  Höhe  einer  solchen  Kugel- 
zone aber  ist  (man  sehe  Fig.  3) 
r  .  sin  q>  ,d<p ,  folglich  ihr  Flächen- 
inhalt gleich  2  n  ,  r^  ,  sin  (p  ,  dtp. 
Demnach  ist  das  gesuchte  Yerhält- 
niss  gleich: 


1     •  ^ 

2  3rr*  .«m  ip\,d(p 2 


4;rra 


l 


Man  findet  demnach  den  Mittelwerth,  wenn  man  den  Torigen  Aus- 
druck mit  ~  sin  fp  .  dtp  multiplicirt  und  dann   von  0  bis  n  integrirt. 

Nun  ist  aber: 

TT  n 


/sin  (p  .  C08  ^  d(p  f  ^ 
r^-J 


n 


=  -3/««' 2  =3- 


Demnach  ist: 


B  ^=1 -^  '  %  ,  Q^  .  N ,  V 17) 

8 

Unter  den  Verhältnissen,  welche  wirklich  in  einem  Gase  vorkommen, 
ist  demnach  die  Wahrscheinlichkeit  B  .dt,  dass  ein  Molecül  in  der  Zeit 
di  in  die  Wirkungssphäre  eines  anderen  Molecüls  gelangt,  gleich: 

4  — 

B  .  dt  ^=  -  '  n  .  Q^  .  N  .V  .  dt 

o 

Dies  ist  aber  auch  die  Wahrscheinlichkeit  a  .  dx,  dass  ein  Molecül 
auf  dem  Wege  dx  eine  Bewegungsänderung  erfahre,  wenn  dx  den  in  der 
Zeit  dt  zurückgelegten  Weg  bezeichnet,  demnach  ist: 


56  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

a  .  dx  ^=  B  .  dt 

und  somit: 

B 

V 

Demnach  ist  mit  Rücksicht  auf  den  in  17)  für  B  gefundenen  Werth: 

4 
u  =  -  -  X  .  Q^  .N. 
o 

Nunmehr  ist  das  Prohlem  vollkommen  gelöst. 

Man  erinnere  sich  daran,  dass  a,  a^  Coefficienten  sind,  derart,  dasi 
e—  «  ^  etc.  die  Wahrscheinlichkeit  darstellt,  dass  ein  Moleciil  eine  Schicht 
von  der  Dicke  8  ohne  Bewegungsänderung  durchlaufe  und  dass  demnach 
die  reoiproken  Werthe  dieser  Coefficienten  die  mittleren  Weglängen 
sind,  welche  unter  den  vorausgesetzten  Verhältnissen  von  einem  Molecül 
durchlaufen  werden. 

Demnach  ist  die  mittlere  Weglänge  A,  welche  ein  Gasmolecül  durch* 
läuft: 

A=- ?^— ^ 18) 

Hierin  bedeutet  Q  den  Radius  der  Wirkungssphäre  eines  Moleculea 
und  N  die  Anzahl  der  in  der  Yolumeneinheit  enthaltenen  Molecüle. 

Um  über  die  numerischen  Beziehungen  einigermaassen  ins  Klare  zu 

kommen,  ersetzen  wir  wiederum  N  durch  rr  und  bilden  den  Quotienten  —  • 
Es  ist: 

^  «i_ 19) 


4 

Nun  ist  aber  -^  '  Q^  •  ^  das  Volumen    der   Wirkungssphäre    eine« 

o 

Molecüls  und  d^  das  Volumen,  in  welchem  im  Mittel  gerade  nur  ein  Mo- 
lecül enthalten  ist.  Multiplicirt  man  Zähler  und  Nenner  des  Verhält- 
nisses mit  iV,  der  Anzahl  der  in  der  Volumeneinheit  enthaltenen  Molecüle, 
so  ist: 

X  _  N.  d» 

JV   •   —    •    Q^  ,   TL 

und  diese  Gleichung  lässt  sich  in  dem  von  Giausius  gefundenen  Satze 
aussprechen : 

Die  mittlere  Weglänge  eines  Molecüls  verhält  sich  zum 
Radius  der  Wirkungssphäre,  wie  der  von  dem  Gase  eingenom- 
mene Raum  zu  dem  Theile  des  Raumes,  welcher  von  den  Wir- 
kungssphären der  Molecüle  ausgefüllt  wird. 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  57 

Die  Zahl  ^  müssen  wir  als  sehr  heträchtlich  ansehen,  da  aber  Q 
sehr  klein  ist,  so  wird  immerhin  l  noch  eine  sehr  kleine  Grösse  sein; 
ja  man  kann  sogar  sagen,  dieselbe  wird  für  unsere  Sinne  verschwindend 
klein  sein. 

Weiter  kann  man  die  numerische  Rechnung  nicht  führen,  da  weder 
Q  noch  d  selbst  für  irgend  ein  Gas  bekannt  sind;  aber  schon  dieser  von 
Clausiaa  entwickelte  Satz  zeigt,  wie  unbegründet  die  Einwände  gewesen 
sind,  die  man  gegen  die  Gastheorie  erhoben  hat. 

Die  Theorie,  welche  den  Druck  des  Gases  gegen  die  Gefässwände 
durch  Stösse  geradlinig  bewegter  Molecüle  erklärt,  führt  nicht  zu  dem 
Schlosse,  dass  zwei  aneinander  grenzende  Gasmassen  sich  schnell  nnd 
stärmisch  mischen  müssen,  sondern  dass  nur  eine  verhältnissmässig  kleine 
Anzahl  von  Molecülen  schnell  in  grössere  Entfernung  gelangen  kann, 
während  die  Hauptmassen  sich  nur  allmälig  an  den  Grenzflächen  mischen 
können.  Die  von  Buys-Ballot  gezogene  Consequenz,  dass  die  Gastheil- 
chen  den  Kaum  eines  Zimmers  in  einer  Secunde  einige  hundert  Mal 
durchlaufen  müssten,  ist  der  Theorie  durchaus  fremd. 

Für  die  Erörterung  vieler  Probleme  hat  es  sich  als  eine  genügende 
Annäherung  der  Wahrheit  herausgestellt,  wenn  man  annimmt,  die  Mole- 
cüle wirkten  nicht  merklich  in  den  Entfernungen  auf  einander,  sondern 
sie  verhielten  sich  wie  elastische  Kugeln  ^ ). 

Stellt  man  sich  die  Molecüle  als  elastische  oder  heftig  rotirende  und 
daher  scheinbar  elastische  Kugeln  vor,  welche  keine  merklichen  Kräfte 
auf  einander  ausüben,  so  können  die  In  dieser  Weise  vorgestellten  Molecüle 
einander  nicht  näher  kommen  als  bis  zur  Berührung  ihrer  Oberflächen. 
Bann  können  sich  also  die  Mittelpunkte  dieser  Kugeln  nur  bis  auf  eine  Ent- 
fernung nähern,  welche  gleich  dera  doppelten  Radius  der  Kugeln  ist.  Dem- 
nach muss  man  dann  den  Radius  r=^,  gleich  dem  halben  Radius  der  Wir- 

kangssphäre  setzen,  da  wir  früher  den  Radius  Q  der  Wirkungssphäre  als 
df>n  Halbmesser  derjenigen  um  den  Schwerpunkt  des  Molecüls  construir- 
ten  Kngelfläche  definirt  haben,  bis  zu  deren  Oberfläche  der  Schwerpunkt 
eines  anderen  Molecüles  sich  ihm  nähern  kann,  bevor  ein  Abprallen  eintritt. 

Daraus  folgt,  dass  das  Volumen  der  elastischen  Molecüle  gleich  einem 
Achtel  des  Volumens  der  Wirkungssphäre  ist  und  man  kann  den  vorhin 
aufgestellten  Satz  in  folgender  Form  aussprechen: 

Die  mittlere  Weglänge  eines  Molecüles  verhält  sich  zu 
einem  Achtel  seines  Halbmessers,  wie  der  vom  Gase  im 
Ganzen  eingenommene  Raum  zu  dem  Theile  des  Raumes,  wel- 
cher von  den  Molecülen  wirklich  ausgefüllt  wird. 

')  Stefan  zeigte  z.  B.,  dass  diese   Annahme    für    Ableitung  der  Diffasionsgesetze 
au  der  Gastheorie  genügt.     Wiener  Ber.,  Bd.  65,  S.  336. 


58  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


7.  Zweite  Clausius'sche  Methode  zur  Berecliniuig  der 

mittleren  Weglänge. 

In  einer  späteren  Abhandlung^)  hat  Clansias  noch  auf  weseni 
anderem  Wege  Formeln  für  die  mittleren  Weglängen  der  Molecüle 
geleitet,  welche  sogar  eine  etwas  grössere  Strenge  besitzen,  als  die,  wel 
im  vorhergehenden  Paragraphen  gewonnen  worden  sind;  för  den  pi 
sehen  Gebranch  liefern  dieselben  jedoch  die  nämlichen  numerischen  W« 
welche  schon  früher  von  uns  erhalten  worden  sind. 

In  einem  Räume ,  welcher  von  einer  beliebigen ,  unregelmässig 
stalteten  Oberfläche  begrenzt  sein  mag,  befinde  sich  an  einem  beliebij 
Orte  ein  beweglicher  Punkt,  so  dass  für  alle  gleich  grossen  Theile 
Raumes  die  Wahrscheinlichkeit,  den  Punkt  zu  enthalten,  gleich  gross  i 
Dieser  Punkt  mache  nach  irgend  einer  Richtung  eine  unendlich  klfx 
Bewegung  derart,  dass  eine  Bewegung  nach  jeder  Richtung  hin  gleii 
wahrscheinlich  ist.  Unter  dieser  Annahme  soll  die  Grösse  der  WabH 
scheinlichkeit  bestimmt  werden,  dass  der  Punkt  bei  seiner  unendMj 
kleinen  Bewegung  die  Oberfläche  treffe.  Zunächst  bestimmen  wir  dii| 
Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punkt  ein  Flächenelement  ds  trifft« 

Wenn  dl  der  unendlich  kleine  Weg  ist,  welchen  der  Punkt  zurücb 
legt ,  so  kann  man  sich  auch  den  Punkt  ruhend  und  statt  dessen  daij 
Flächen element  ds  nach  der  entgegengesetzten  Sei^e  um  die  Strecke  H] 
bewegt  denken.  Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punkt  bei  seiner  Be-I 
wegung  alsdann  das  Flächenelement  trifft,  ist  dann  ebenso  gross  als  die 
Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punkt  innerhalb  des  vom  Flächenelement  dtl 
bei  seiner  Bewegung  beschriebenen  prismatischen  Raumes  liegt. 

In  allen  Fällen,  in  welchen  die  gedachte  Bewegung  des  Flächesr 
dementes  von  dem  begrenzten  Räume  nach  aussen  geht,  derart,  dass  du 
vom  Flächenelemente  ds  beschriebene  Yolumeneleraent  ausserhalb  dei 
gegebenen  Raumes  liegt,  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Puokt  mefc 
in  diesem  kleinen  Räume  befinde ,  gleich  Null.  Für  solche  FSlle  da- 
gegen, in  denen  die  gedachte  Bewegung  des  Flächenelementes  nachinoeD 
geht ,  so  dass  der  erzeugte  kleine  prismatische  Raum  innerhalb  der  Be- 
grenzungsfläche liegt,  wird  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  sich  der  Piul^ 
gerade  innerhalb  des  Volumenelementes  befindet,  dargestellt  durch  einen 
Bruch,  dessen  Zähler  dieser  Theil  des  Raumes  und  dessen  Nenner  der 
ganze  von  der  Oberfläche  eingeschlossene  Raum  ist. 

Wenn  -9"  den  Winkel  bezeichnet,  welchen  die  Bewegnngsrichtung  des 
Elementes  ds  mit  der  auf  dem  Elemente  nach  innen  errichteten  Normalen 


^)  Clausius:  Ueber  den  Satz  vom  mittleren  Ergal  und  seine  Anwendung  auf  ^^ 
Molecularbewegungen  der  Gase.  Sitzungsberichte  der  Niederrheinischen  Gresellschaft  Taf 
Natur-  und  Heilkunde  f.  d.  Jahr  1874  (vorgetragen  am  9.  Nov.  1874),  S.  1  bi»  49. 
Die  hier  fast  wörtlich  aufgenommene  Untersuchung  jBndet  sich  S.  23  bis  28. 


• 


C.  Die  Gastbeorie  von  Clausius  und  Maxwell  59 

faüdet,  so  ist  der  Inhalt  des  durch  die  Bewegung  erzeugten  prismatischen 

Ttdomenelementes  gleich: 

l  .  ds  .  C03  d'. 

Bezeichnen  wir  den  gesammten  von  der  Oberfläche  eingeschlossenen 
BAam  mit  TF,  so  können  wir  in  Bezug  auf  die  zu  bestimmende  Wahr- 
Vebeinlichkeit  sagen :  für  solche  Bewegungsrichtungen,  bei  denen  der  vor- 
btehende  Ausdruck  negativ  wird ,  ist  die  Wahrscheinlichkeit  gleich  Null, 
Mnd  Air  solche  Bewegungen,  bei  denen  der  Ausdruck  positiv  wird,  ist  die 
Wahrscheinlichkeit  gleich  : 

cos  d'  .  ds  .  dl 

W  ' 

Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Winkel,  den  die  Bewegungsrich- 
tong  mit  der  Normalen  bildet,  zwischen  seinem  gegebenen  Werthe  d" 
^d  dem  benachbarten  Werthe  d"  -}-  dd"  liegt,  wird  dargestellt  durch 
du  Yerhältniss  des  Flächeninhaltes  einer  Kugelzone  mit  dem  Polarwinkel 
%'  und  der  Breite  dd"  zur  ganzen  Kugelfläche,  also  durch  den  Bruch: 

2x  .  sin^  .  dd"        1     .    o.     ^o. 
: =  —  sin  -ö"  .  dv". 

I 

Mit  diesem  Bruche  ist   der  obige  Werth  zu  multipliciren  und  dann 

7t 

ftr  alle  Werthe  von  d",  für  welche  cos  d"  positiv  ist ,  also  von  0  bis  — 

sa  integriren. 

Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punkt  bei  einer  beliebig  gerichte- 
ten Bewegung  um  den  Weg  dl  das  Flächenelement  ds  trifft,  wird  dem- 
nach dargestellt  durch: 
-  2. 

3  2 

rds  .dl  .008  ^  .  sind^  .  dd"        ds  .  dl    PI    ,  ,  .  „  ^^         ds  .  dl 
J 2W =  -2W-  J  2  ^  (*'"'  *>  =  -TW- 

Für  jedes  andere  Plächenelement  ausser  ds  gilt  dieselbe  Wahr- 
scheinlichkeit. Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  der  Punkt  ein  Flächenele- 
ment der  Oberfläche  S  überhaupt  trefi'e,  wird  demnach  dargestellt  durch: 

dl  .  £  ds 

oder,  da  2J  ds  die  Fläche  S  selbst  ist,  durch : 

dl.  — . 

Das  Flächenelement  dl  können  wir  aber  durch  v  .  dt  ersetzen,  wenn 
wir  anter  v  die  mittlere  Geschwindigkeit  des  Punktes  verstehen ,  und 
wir  erhalten  für  die  Wahrscheinlichkeit ,  dass  der  Punkt  in  der  S^eit  dt, 
wäurend  der  dZ  zurückgelegt  wird,  die  Oberfläche  S  treffe,  den  Ausdruck: 

4  .  W 


60  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Daraus  ergiebt  sich  für  die  durohschnittlicli  während  der  Zeiteinheil 
stattfindende  Anzahl  von  Stössen,  wenn  der  Punkt  bei  jedem  Stossc  tw 
der  Oberfläche  S  reflectirt  wird,  wenn  wir  diese  Anzahl  von  Stösseii  mit  P 
bezeichnen : 

^  =  irw '^ 

Den  mittleren  Weg  A^,  welchen  der  Punkt  zwischen  zwei  ReflezioDca 
an  der  Oberfläche  S  zurücklegt,  erhalten  wir,  yrerm  wir  die  mittlere  Gfr 

seh  windigkeit  v,  d.  i.  den  in  der  Zeiteinheit  durchschnittlich  zurück- 
gelegten Weg,  durch  die  Anzahl  der  Stösse  P'  dividiren,  welche  in  der 
Zeiteinheit  erfolgen;  es  ist  demnach: 

4      W 
Ai  =  tjJL 21) 

Zunächst  stellen  wir  uns  nun  vor,  die  in  dem  Räume  vorbandenei 
Molecüle  besitzen  gleiche  Abstände  und  zwischen  diesen  Molecülen  be- 
wege sich  ein  einzelnes  Molecül,  welches  bald  gegen  das  eine  bald  gegen 
das  andere  Molecül  stösst  und  von  diesem  abprallt.  Alsdann  bilden  die 
Wirkungssphären  der  zunächst  ruhend  gedachten  Molecüle  einen  Thdl 
der  Oberfläche  S,  welche  den  für  die  Bewegung  des  Punktes  freien  Raum 
begrenzt. 

Die  Anzahl  der  in  einem  Volumen  V  enthaltenen  Molecüle  sei  N, 
alsdann  ist  der  für  die  Bewegung  des  beweglichen  Molecüls  freie  Raum 

4 

gleich    V  —  -^  •  "^  •  Q^^y  wenn  man  mit  Q  den  Radius  der  Wirkung»- 

o 

Sphäre  eines  Molecüles  bezeichnet.    Die  Oberflächen  der  Wirkungssphären 

bilden  zusammen  eine  Fläche  von    der  Grösse  N .  4  ,  x  ,  q^.     Ist  die 

Oberfläche  der  Begrenzung  des  Volumens  V  gleich  s,  so  ist  die  gesammte 

Oberfläche,   gegen  welche    das    bewegte  Moleci|.l    stossen    kann,  gleick 

4:  ,  7t  .  N .  Q^  -^  s,  und  der  freie  Raum,   in  dem  sich  dasselbe  bewegea 

4 

kann,  ist  V  —  --^^•'*;r.    Die  Anzahl -P'  der  Stösse,  welche  das  Molecül 

o 

erfährt,  ist  nach  den  vorhergegangenen  Entwickelungen  gleich: 

pi  ^    (4  .  gg  .  p«  ,N+s).v      22) 

und  die  mittlere  Weglänge,  welche  durchschnittlich  zwischen  zwei  solchen 
Stössen  zurückgelegt  wird,  ist*): 


4(v—  N'^  '  Q^  .n\ 


^'  -        4..N.7C.Q^  +  s  ^^^ 


^)  Diese  Gleichungen  sind    in  der  Clan  eins' sehen  Abhandlung   (a.  a.  0.)  mit  72) 
und  73)  bezeichnet  und  finden  sich  auf  Seite  27. 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  61 

Um  diese  hier  gefundenen   Aasdrücke  mit  den  früher  von  uns  ge- 

bmdenen  (S.  53,  GL  15)  vergleichen    ssu  können,   berücksichtigen  wir, 

dass  unseren  Annahmen  gemäss,  der  von  der  Wirkungssphäre  der  Mole- 

efile  eingenommene  Raum  im  Vergleich  zu  dem  Gesammtraume,  welchen 

4 
das  Gas  einnimmt,  sehr  klein  ist,  dass  wir  also  —  •  N  .  n  .  q^  im  Yer- 

o 

gleich  KU  V  vernachlässigen  können.  Ebenso  wird  bei  Gasen,  die  nicht 
itark  verdünnt  sind,  die  Fläche  s  gegen  N .A  .  n  ,  Q^  bo  klein  tiein,  dass 
S  ohne  wesentlichen  Fehler  gegen  die  Summe  der  Oberflächen  der  Wir- 
kungssphären vernachlässigt  werden  kann.  Alsdann  geben  die  Formeln 
in  die  einfachen  über: 

4.F  ~"  V 

und: 

.  4  .  F  V 


Berücksichtigt  man  ferner,  dass: 
^  wenn  8  die  mittlere  Distanz  zweier  Molecüle  bezeichnet,  so  erhält  man 

und: 


n  .  p2 

Dieser  Ausdruck  stimmt  vollkommen  mit  dem  überein,  welchen  wir 
för  die  mittlere  Weglänge  in  dem  Falle  gefunden  haben,  dass  sich  ein 
einzelnes  Molecül  zwischen  den  feststehenden  übrigen  bewege.  Die  jetzt 
fon  uns  abgeleiteten  Ausdrücke  sind  erheblich  genauer,  zumal  die  Be- 
räcksichtignug  des  Werthes  s  halten  wir  für  eine  wesentliche  Vervoll- 
ständigung der  betreffenden  Formeln,  da  sehr  wohl  Fälle  denkbar  sind, 
in  denen  8  gegen  4  .  N  *  n  ,  q^  nicht  vernachlässigt  werden  darf. 

In  Wirklichkeit  ist  nun  aber  nicht  bloss  ein  Molecül  beweglich  und 
die  übrigen  fest,  wie  wir  das  bisher  vorausgesetzt  haben ,  sondern  es  be- 
wegen sich  alle  Molecüle.  Es  muss  daher  nunmehr  auch  dieser  Fall  er- 
örtert werden. 

Die  soeben  gefundenen  Formeln  22)  und  23)  (S.  60)  können  beibe- 
halten werden,  jedoch  muss  bei  der  Bestimmung  von  P,  der  Anzahl  der 
in  der  Zeiteinheit  erfolgenden  Stösse  eines  Molecüles,  unterschieden  wer- 
den zwischen  den  Stössen  gegen  andere  Molecüle  und  denen  gegen  die 
ruhende  Wandung  des  Gefasses,  welches  das  Gas  einschliesst. 

Bezüglich  der  Stösse  der  Molecüle  gegen  einander  ist  an  Stelle  von 
V  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit  zweier  Molecüle  zu  setzen,  wir 

wollen  dieselbe  mit  r   bezeichnen.     In  Bezug  auf  die  feste  Wand  des 


62 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Gefässes  ist  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit  einfach   gleich  se 

mittleren  absoluten  Geschwindigkeit  v.  Folglich  findet  man  in  äiesad 
Falle  die  mittlere  Anzahl  P  der  Stösse,  welche  ein  Molecül  in  einer  Se^j 
cunde  erleidet: 


P  = 


4  .  (f—  |.  i\r.  jr  .  p3\ 


24)i 


Will  man  hieraus  die  mittlere  Weglänge  erhalten ,  so  muss  man 

mittlere  absolute  Geschwindigkeit  v  des  Molecüles  durch  die  soeben 
fundene  Zahl  P  dividiren  und  es  ergiebt  sich: 


A== 


4  .  ^F—  -  •  ^.  Ä  .  gn.  V 


25) 


Diese  Formeln  werden  vermöge  ihrer  grösseren  Strenge  auch  nicht 
bloss  für  vollkommene  Gase,  sondern  auch  für  sehr  verdünnte  und  far 
Gase  gelten,  wie  dieselben  in  der  Natur  wirklich  vorkommen  ^). 


8.    üeber  die  Umsetzung  von  calorisoher  in  äussere 

kinetische  Energie  bei  Oaaen. 


Anknüpfend  an    die  im  Vorhergehenden    geführten  Betrachtungeff 
lässt  sich  zeigen,  auf  welche  Weise  beim  Ausströmen  eines  Gases  ein 


Fig.  4. 


D 


C 


m 


n 


B 


Theil  der  Wärme  desselben  in  lebendige  Kraft 
der  fortschreitenden  Bewegung  der  ganzen  Gas- 
masse  umgesetzt  werden  kann,  d.  h.  wie  es  mög- 
lich ist,  dass  durch  einen  verschieden  starken 
Druck  auf  die  Fläche  eines  kleinen  aus  Gas  be- 
stehenden Parallelepipedes  dieses  als  Ganzes  in 
Bewegung  gesetzt  werden  kann. 

Wir  betrachten  als  Beispiel  ein  in  einem 
Gefasse  AB  CD  (man  sehe  Fig.  4)  enthaltenes 
Gas,  welches  durch  eine  enge  Oeffnung  mn  mit  • 
dem  umgebenden  Räume  communicirt,  in  dem  der 
Druck  geringer,  die  Temperatur  a^ber,  der  Ein- 
fachheit halber,  als  gleich  vorausgesetzt  werden 
mag.  Alsdann  ist  die  lebendige  Kraft  der  Mole- 
cüle  innerhalb  und  ausserhalb  des  Gefasses  die- 


^)  Ein  etwas  abweichender  Weg  zur  Ableitung  der  Formeln  für  die  Zahl  der 
Zusammenstösse  und  für  die  mittlere  Wegl&nge  mit  einer  Erweiterung  auch  auf  den  Fall, 
dasB  man  es  mit  Gasgemischen  zu  thun  hat,  ist  von  Stefan  gegeben  worden,  lieber 
die  dynamische  Theorie  der  Diffusion  der  Gase.  Sitzungsber.  d.  Wien.  Akad. ,  Bd.  65, 
Abth.  II,  S.  344  etc. 


C.  Die  Gastheorie  von  Glausius  und  Maxwell.  6S 

selbe,  jedoch  ist  die  Anzahl  Molecüle,  welche  in  einer  gegebenen  Zeit 
auf  ein  Flächenstück  stossen,  innen  grosser  als  aussen.  Betrachtet  man 
nan  in  diesem  Gefösse  ein  Prisma  mnpq,  welches  zur  Basis  mn  und  zur 
Höhe  mp  die  mittlere  Weglänge  besitzt.  Während  durch  die  Basis  mn 
ie&  Prismas  eine  gewisse  Anzahl  Molecüle  austritt,  dringt  demnach  gleich- 
zeitig eine  geringere  Anzahl  Molecüle  mit  durchschnittlich  gleicher  aber 
entgegengesetzt  gerichteter  Geschwindigkeit  in  das  Innere  ein.  Die  bei- 
den entgegengesetzten  Strömungen  von  Molecülen  compensiren  sich  nicht. 
Auf  der  entgegengesetzten  Seite  des  Prismas  findet  jedoch  ein  vollstän- 
diger Ausgleich  statt;  das  innerhalb  befindliche  Gas  hat  durch  diesen 
Querschnitt  nach  aussen  in  der  Richtung  pm  hin  eine  genau  ebenso 
grosse  Anzahl  von  Molecülen  gesendet,  als  die  ist,  welche  von  aussen 
oacb  innen  eingedrungen  ist. 

Fassen  wir  nun  das,  was  auf  beiden  Grundflächen  des  Prismas  ge- 
schehen ist,  ansammen,  so  sehen  wir,  dass  innerhalb  des  Prismas  kein 
Ausgleich  zwischen  den  entgegengesetzten  Geschwindigkeiten  stattfindet 
und  dass  die  Geschwindigkeiten,  welche  nach  aussen  gerichtet  sind,  ein 
Uebergewicht  erlangen.  Man  kann  demnach  die  Verhältnisse  betrachten, 
als  sei  das  Prisma  ans  Molecülen  zusammengesetzt,  welche  einen  Ueberschuss 
Ton  Geschwindigkeit  ergeben ,  die  die  gemeinschaftliche  Geschwindigkeit 
ihrer  fortschreitenden  Bewegung  ist.  Dieser  Geschwindigkeitsüberschuss 
kann  aber  nicht  als  Wärme  angesehen  werden,  denn  die  kinetische  Energie 
der  Wärme  hängt  lediglich  von  den  relativen  Einzelbewegungen  der 
Molecüle  ab.  Der  Theil  lebendiger  Kraft,  welcher  im  Innern  des  Ge- 
fasses  vorhanden  ist  und  auf  das  Thermometer  wirken  kann,  wird  ver- 
mindert, das  Thermometer  muss  sinken. 

Schon  diese  Betrachtung  zeigt,  dass  der  Einwand  Jochmann's 
(S.  44)  unbegründet  sein  muss. 


9.   Das  Maxwell'solie  Gesetz  über  die  Vertheilung  der 
Gesohwindigkeiten  unter  die  Moleoüle  ^). 

Maxwell  stellte  sich  die  Aufgabe,  in  einem  in  stationärer  Wärme- 
bewegung begriffenen  Gase  die  mittlere  Anzahl  von  Molecülen  zu  finden, 
deren  Geschwindigkeiten  nach  einer  grossen  Zahl  von  Znsammenstössen 
zwischen  gegebenen  Grenzen  liegen. 

Es  möge  N  die  Gesammtzahl  der  vorhandenen  Molecüle  sein;  o/,  y' 
imd  /  sollen  die  drei  Geschwindigkeitscomponenten  eines  Molecüls  in 
Bezug  auf  drei  zu  einander  rechtwinklige  Axen  sein.     Alsdann  möge: 

n,  =  N.f(af).dx' 26) 


')  J.  C.  Maxwell,   Hlustrations    of  the  dynamical  theorie   of  giises.     Part  I.     Ob 
iW  BOtioas  and  collisions  of  perfectly  elatticspheres.  Phil.  Mag.  Ser.  4,  Bd.  XIX,  S.  22. 


64 


L  Moleculartheorie  der  Wärmö. 


die  Anzahl  Molecüle  sein  ,  deren  der  X-Axe  parallele  Geschwindigkai 
componenten  zwischen  den  Grenzen  oi  und  o/  +  doi  liegen').     Hiei 
ist/(a;')  eine  Function  der  Geschwindigkeit,  deren  Gestalt  wir  zu  ei 
teln  suchen  müssen.    Da  das  System  stationär  und  nach  allen  Richtunf 
hin  gleichartig  beschaffen  ist ,  so  wird  die  Anzahl  n,  der  Molecüle,  dei 
Geschwindigkeitscomponenten  längs  der  Y-Axe  zwischen  \f  und  y'  +  i\ 
liegen,  in  ganz  gleicher  Weise  durch  iV^  • /(^O  •  ^V*  und  die  Anzahl  n, 
Molecüle,  deren  der  Z-AKe  parallele  Geschwindigkeitscomponenten  zi 
z'  und  js'  +  de'  liegen,  mit  N  .f{e')  .  de*  bezeichnet  werden,  wobd 
in  allen  drei  Fällen  dieselbe  Function  bedeuten  wird.    Da  die  betracl 
ten,  auf  einander  senkrechten  Geschwindigkeiten  a/,  y\  jer'  gar  nicht 
einander  abhängig  sind,  so  kann  man  sagen,  die  Anzahl  n  der  Mok 
deren  Geschwindigkeitscomponenten  nach  der  X-Axe  zwischen  a!  und 
+  da?',  nach  der  Y-Axe  zwischen  y*  und  f/  •\-  d^  und  nach  der  Z-J 
gleichzeitig  zwischen  sf  und  /  +  df^  liegen,  ist: 

n  =  JY  ./(«')  ./(yO  ./(;?')  .  drc'  .  dy'  .  de' 

Denken  wir  uns,  dass  alle  JV  Theilchen  mit  ihren  Geschwindigkeit 
gleichzeitig  vom  Goordinatenanfange  ausgegangen  wären,  so  befanc 
sich  im  betrachteten  Augenblicke  zwischen  zwei  Ebenen,  welche  um 
und  x'  -{-  d^  Yon  der  ihnen  parallelen  Ebene  YZ  abstehen: 

Xi,  =  N  .  f(x')  .  ds! 

Molecüle.    Zwischen  zwei  der  ZX-Ebene  parallelen  Ebenen,  welche  am 
und  um  if  -|-  djf  von  derselben  abstehen,  liegt  dann  eine  Anzahl,  welel 
gleich: 

ist.     Zwischen  zwei  der  XT-Ebene  parallelen,  von  dieser  um  d  und 
e'  +  de'  abstehenden  Ebenen  liegen  dann: 

u,  =  iy  ./(^')  'äe. 

Das  von  diesen  sechs  Ebenen  begrenzte  rechtwinklige  Parallelepi] 
dessen  Kanten  gleich  dx'^  dy'  und  de'  sind,  enthält  demnach: 

n  —  iV^  ,f(7!)  ,f{if')  ./(/)  .  dx'  .  dy'  .  de' 

Molecüle.     Eine  Yolumeneinheit  würde  demnach  an  dieser  Stelle: 

N  .f{^)  .fitf")  .f{e')  .  da/  .  dy'  .  de'  ^ 
dx'  .  dy'  .  de' 

Molecüle  enthalten. 

Da  aber  die  Richtungen  der  Axen  vollkommen  willkürlich  gewi 
sind,  so  kann  diese  Anzahl  von  Molecülen  doch  nur  vom  Abstände  tos] 
Ausgangspunkte  der  Molecüle,  also  lediglich  vom  Radius  vector  r: 


N.fic^)./(i/).m 


^)  Es  ist  dies  lediglich  der  Ausdruck  des  Gedankens,  dass  bei  einem  statioDira 
Zustande  die  Anzahl  der  sich  mit  gewissen  Geschwindigkeiten  bewegenden  Molecäk 
von  der  Grösse  der  Geschwindigkeit  abhängig  sein  müsse. 


G.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  6S> 

r  =  Va?'«  +  ä/«  +  ^* 
abhängen. 

Es  mu88  demnach: 

■ein,  wobei  9)  irgend  eine  Fanction   des  Qaadrates  des  Radias  bedeutet. 

Dieser  Functionalgleichung  genügt  am  Besten  eine  Exponential- 
groese,  da  das  Product  der  Functionen  f(x')  »f(j/)  »f{^)  gleich  einer 
Fanction  tp  sein  soll,  in  der  die  Summe  der  Quadrate  von  o/,  y,  /  als 
Argument  auftritt. 

Maxwell  setzt: 

f{x^)  r=  C.c^** 28) 

woraus  sich  sofort  ergieht: 

Wählt  man  f&r  A  einen  positiven  Werth ,  so  nimmt  die  Anzahl  der 
Molecüle  mit  der  Grösse  der  Geschwindigkeit  zu  und  würde  für  unendlich 
grosse  Geschwindigkeiten  unendlich  gross  sein.  Demnach  würde  die  An- 
zahl N  unendlich  gross  sein  müssen,  was  unseren  Voraussetzungen  nicht 
entspricht.     Wir  wählen  daher  für  A  eine  negative  Grosse  und  setzen: 

^  =  -\ 

imd  erhalten  dann  für  die  Anzahl  Molecüle  n,,  deren   Geschwindigkeit 
zwischen  af  und  x'  -\-  dx'  liegt,  den  Werth: 

n,  =  N  .  G  .  e    ''''  .dx 29) 

Integrirt  man  zwischen  —  oo  und  -|~  <30 «  so  muss  man  alle  möglichen 
Fälle  erschöpft  haben  und  demnach  N  selbst  erhalten.  Es  wird  dem- 
nach C  durch  die  Gleichung  bestimmt: 

+  • 


dx  =  N 30) 


00 


Die  Ebrmittelung  des  Integrales: 

L=    I  e    '^  .da/ 


00 


..könnte    weniger   Geübten  vielleicht  Schwierigkeiten    bereiten;   dasselbe 
I  kommt  aber  bei  diesen  Betrachtungen ,  wie  in  der  Wahrscheinlichkeits- 
rechnung überhaupt,  häufig  vor,  deshalb  wollen  wir  den  Werth  desselben 
hier  umständlich  und  möglichst  elementar  entwickeln. 
Setzt  man  zunächst: 

fl  =  -,    «  .  dri=dx\ 
cc 

Verdet-Btthlmann,  Mechan.  W&nnethoorie.    Bd.  9.  5 


66  I.  Moleciüartheorie  der  Wärme. 

so  geht,  da  diese  Substitation  keinen  Einfluss  aui'  die  Grenze  hat,  du 

Integral  in  das  einfachere  über: 

+  « 


Zunächst  kann  man  aber,  wenn  man  das  bestimmte  Integral  bei 
Null  theilt,  dafür  auch  schreiben: 

00  0 

L  =  a  A  fe-^  .  dri  +   /"c-  '»* .  dA 


0  OD 


vertauscht  man  im  zweiten  aber  die  Grenzen  und  setzt  für  ij  den  Weith 
—  ri  ein  und  integrirt  demgemass  zwischen  0  und  -{-  oo ,  so  findet  man: 


00 


L  =  2  .a  .    ie^"^.  dt^. 

0 

Das  Integral  lässt  sich  aber  leicht  auf  eine  Gammafonction  zurftek- 
führen. 

Subfltituirt  man  nämlich: 

und  demgemass: 

d'n  =  -B    ^  .de, 
so  erhält  man: 


00 


Nach  der  Definition  der  Gammafunctionen  (Schlömilch,  Compendinm 
der  höheren  Analysis,  Bd.  II,  1.  Aufl.,  S.  242)  ist  aber: 

r(^)  =  jef"  -^  .  e''  .dz 

0 

und  demnach: 

i  =  a  .  r(i). 

Bekanntlich  ist  aber  (Schlömilch,  Compend.,  Bd.  II,  S.  245): 

r(|)  =  i/i. 

Man  erhält  somit  schliesslich: 

+  « 

e     «".da/  =  a.V^ 31) 

—    00 

Der  Werth  von  r(|)  kann  aber  auch  ohne  Eenntniss  der  Sätze  von 
den  Gammafunctionen  ermittelt  werden.  Man  geht  zu  dem  Zwecke  von 
dem  Doppelintegrale: 


G.  Die  Grastheorie  yon  Clausius  und  Maxwell.  67 


// 


0       0 

Dasselbe  kann  ohne  Weiteres  in  das  Prodnct  zweier  Integrale  ver- 
wandelt werden,  nämlich  in: 

Je- ".dx  .fe-  »•  .  dy  =  i  r(i)  .  i  r(i)  =  i  {r(i))». 

0  0 

Snbstitnirt  man  aber  in  das  Doppelintegral  Polarcoordinaten 

X  r^  r  .  cos  0    p  ^=  r  ,  sin  0 
und  demnach: 

dx  ,  dp  =  r  *  dd  .  dr, 
so  wird: 


TT 

OB       <B_  S        OD 


r  Je"  ^"^  ^^.dx.dp=    r  r^  "*  .r  .dr  .de. 


0      0  0      0 

Nnn  ist  aber: 


/>  00  00 

0  0  0  - 

ond  hieraus  folgt: 

0      0  0 

Demnach  ist: 

i .  {r(i))«  =  f , 

folglich,  was  wir  nachzuweisen  suchten: 

r(i)  =  y^. 

Hieranii  folgt: 

N.  C  .a  .  V7C  =  N 

und  dies  ergiebt  für  C  den  Werth: 

C  =  — V 82) 

Demnach  ist: 

/<')  =  «ri^  • ''"  ^ 3^> 

Die  Zahl  der  Theilchen,  deren  Geschwindigkeitscomponenten  nach 
einer  bestimmten  Richtung  zwischen  den  Grenzen  x'  und  x^  +  dxf  lie- 
gen, ist  demnach: 

6* 


68 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

1 


n,  =  N. 


34) 


Daraus  folgt  sofort,  dass  die  Anzahl  der  Molecüle  t/,  deren  wiik- 
liohe  (Sreschwindigkeiten  zwischen  v  und  v  +  dv  liegen ,  gleich  ist  der- 
jenigen Anzahl  Molecüle,  welche  zwischen  zwei  Kugelfiächen  liegen,  deren 
Radien  v  und  v  +  dv  sind,  wenn  die  Anzahl  n  der  Molecüle ,  welche  in 
dem  Parallelepiped  liegen,  dessen  Kanten  dx^ ,  dy\  df/  sind  und  dessen 
Ecke  vom  Coordinatenanfang  um  a?',  y',  ^  ahsteht,  gleich: 

-^  •  C  ««  .  dJ,  d^,  dl! 

ist     Demnach  ist  die  Anzahl  v  der  Molecüle,  deren  (reschwindigkeiteo 
zwischen  v  und  v  -^  dv  liegen,  gleich: 

i;=   :^— =    C       f       Ce"^ .dt/!  .d^  .dl/. 

a^  .sc  .yx  J        J        J 

9  V  9 

Führt  manjedochPolarcoordinaten  ein,  so  fällt  die  Integration  nach 
V  weg  und  man  erhält  für  v  das  Doppelintegral: 

in  n 

V  =  -^  /    f  €^  ^  .  v^  .  sin  6  .  dO  .  d(p. 

-     a*  .  «  .  V7tJ  J 

0       0 

Die  Integration  nach  9  von  0  his  2  sr  liefert  den  Factor  2  jc  und 
jene  nach  6  von  0  bis  ^  giebt: 

71  n 

I  sin  Q  .  dfl  =  —  /cos  9  =  2. 

0  0 

Demnach  ist  die  Anzahl  v  der  Molecüle,  deren  Geschwindigkeiten 
zwischen  v  und  v  -\-  dv  liegen,  gleich: 

^  -     ~-      -  35J 


v  =  2V. 


t?«.c 


dt? 


Dieser  Ausdruck  repräsentirt  das  wichtige  Maxwell' sehe  Gesetz 
über  die  Yertheilung  der  Geschwindigkeiten^).  Die  Geschwindigkeiten 
sind  alsdann  unter  den  Molecülen  ähnlich  vertheilt,  wie  die  Grösse  der 
Fehler  einer  Beobachtung  in  der  Theorie  der  Methode  der  kleinsten 
Quadrate.     Alle  Geschwindigkeiten  sind  möglich;  aber  die  Anzahl  der 

^)  Maxwell  hat  auch  versucht  nachzuweisen,  dass  dieses  Gesetz  das  einzige  sei, 
welches  die  Eigenschaft  besitzt,  dass,  wenn  die  Geschwindigkeitsvertheilung  nach  dem- 
selben einmal  hergestellt  ist,  dieselbe  durch  die  Zusammenstösse  überhaupt  nicht  mehr 
geändert  wird.  Dieser  Beweis  ist  jedoch  anfechtbar  und  Boltzmann  hat  in  seiner  Ab* 
handlung:  Weitere  Studien  über  das  WSrmegleiohgewicht  unter  Gasmolecülen ,  gezeigt, 
dass  sich  dieser  Beweis  nicht  führen  lässt,  dass  aber  die  Maxwell 'sehe  Losung  inso- 
fern die  einzige  brauchbare  ist ,  als  sie  allein  lauter  positive  Wahrscheinlichkeiten  giebt. 
(Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  66). 


C.  Die  Gastheorie  Ton  Clausins  und  Maxwell.  69 

Holecüle,  welche  dieselben  besitzen,  wird  um  so  kleiner,  je  weiter  die  be- 
treffende Geschwindigkeit  sich  vom  Mittelwerthe  entfernt. 

Um  die  mittlere  Geschwindigkeit  v  zu  finden ,  mnss  man  jede  Ge- 
schwindigkeit zwischen  den  Grenzen  0  und  oo  mit  der  Anzahl  derMole- 
eüle,  welche  dieselbe  Geschwindigkeit  besitzen,  multipliciren,  diese  Pro- 
dade  addiren  nnd  die  erhaltene  Summe  durch  die  Gesammtzahl  N  der 
Molecflle  diyidiren.     Es  ist  demnach: 

—         1       /*"  4  —  i  ^ 

0 

Dieses   Integral  kann   leicht  ermittelt  werden,  setzt  man  zun&chst 

-  =  «  so  ist: 
a        * 


dri. 


0 

Wenn  man  im  Integrale: 

/"i2».e'~'»*.  dri 

den  Werth: 

—  71^  =  e 

und  somit: 

—  2  ly  .  <lij  =  dir,    71^  ,  dri  =:  -  e  .  dz 

mibstituirt,  geht  dasselbe  in  eine  Form  über,  welche  durch  partielle  In- 
tegration leicht  ausgerechnet  werden  kann: 

^    r  ^1  1  1  ^  X 

-  y  ^  .  ej*  .  £f  ^  =  -  .  ^  .  C  —  -  c-  =  -  (^  -  .1)  .  e*. 
Sabstituirt  man  rückwärts  B  -=■  —  ij^,  so  ergiebt  sich: 

0»  00 

0  0 

Somit  ist: 

ir=  :r7-  •  a 36) 

y«  _ 

Den  Mittelwerth  des  Quadrates  der  Geschwindigkeit  v^  findet  man 
in  Ihnlicher  Weise;  es  ist: 


f;*  =  —  •    I  v^  .  V  ,  dv 


und  somit: 

-         1      /•  4  ^t, 

t;»  =  —    I  V^  .  N-  77*  •  «'  .  e     a»  .  dv. 


70 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Setzt  man: 


80  ergiebt  sich: 


V 

«  =  ''- 


.  e 


-^*  .dn. 


Nun  ist  aber,  wie  man  durch  theilweise  Integration  leicht  findet: 


00 


'  =  -/f  «-'4 /!•«-'• +  l/.-'--^^- 

0  0  0 

Die  beiden  ersten  zwischen  den  Substitationsseichen  stehenden  Ans- 
drücke  verschwinden  sowohl  für  1}  =  0  als  auch  für  17  =  00  ,  sie  fallen, 

daher  weg,  dagegen  ist  der  Integralwerth  wiederum  gleich  —  •  r(\).  Folg- 


lich ist: 


a 

f 


fi^ .  €   ^  .  di^  =  -  V« 


und  demnach: 


2 


37) 


Man  erkennt  also,  dass  v^  in  ditoem  Falle  etwas  grösser  ist,  als  das 

Quadrat  der  mittleren  Geschwindigkeit  v.    Es  findet  zwischen  beiden  die 

Relation  statt: 

ir     _a        1   — 

38) 


Ä    -«        1  -, 
8  3 


10,    Formeln  für  ein  Oemisoh,  welohes  aus  zwei  Arten 

von  Molecülen  besteht. 


Wir  betrachten  ein  Gemisch  von  N*  Molecülen  der  einen  und  W 
Molecülen  einer  anderen  Art,  welche  sich  beide  in  demselben  Baume  in 
einem  stationären  Bewegungszustande  befinden. 

Zunächst  soll  die  Anzahl  von  Theilchen  der  ersten  Art  gesucht  wer- 
den, deren  relative  Geschwindigkeiten  gegen  Theilchen  der  zweiten  Art 
innerhalb  gewisser  Grenzen  liegen.  Alsdann  ist  JV'  .  N**  die  Anzahl 
aller  Paare,  deren  relative  Geschwindigkeiten  überhaupt  in  Betracht  ge- 
zogen werden  können«  Nach  den  im  vorigen  Paragraphen  (GL  34,  S.  68) 
entwickelten  Sätzen  ist  die  Anzahl  n«/  Molecüle,  deren  nach  irgend  einer 


C-  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  71 

Richtung    genommene    Geschwindigkeitscomponenten   zwischen  t!   und 
o/  4"  ^^  liegen,  gleich: 

1  _  *? 

tl^  =  2^' r7=  •  e      ««  .  (!»'. 

Die  Zahl  von  MolectQen  der  zweiten  Art,  deren  nach  derselben  Rich- 
tung genommene  Geschwindigkeit  zwischen  ol  ■\-  d'  und  o/  -f*  ^'  H~  ^^' 
liegt,  ist  nach  denselben  Formehi  gleich: 

p.  yfn 

wenn  /3  im  zweiten  Systeme  dieselbe  Rolle  wie  oe  im  ersten  spielt. 

Die  Anzahl  von  Molecülpaaren ,  welche  die  beiden  Bedingungen  er- 
füllen, dasB  die  nach  bestimmter  Richtung  genommenen  Gomponenten  der 
relativen  Geschwindigkeiten  zwischen  o/'  und  o/'  -\-  dx*'  liegen,  wenn 
die  Molecfile  der  ersten  Art  Geschwindigkeiten  haben,  welche  zwischen 
den  Grenzen  x'  und  J  •\-  dx!  liegen,  ist  gleich: 

IT  .IT' '  — 5 —  •  6""  ^^  +  — ^— )  .  dx!  .  da/'. 

Um  die  Anzahl  aller  Molecülpaare  zu  finden,  deren  auf  die  angenom- 
mene Richtung  bezüglichen  Gomponenten  der  relativen  Geschwindigkeit 
zwischen  a/'  und  o/'  -|-  dxf'  liegen,  muss  man  xf  alle  möglichen  Werthe 
zwischen  4~  ®  ^u^d  —  oo  geben,  d.  h.  man  muss  den  obigen  Ausdruck 
nach  af  von  —  oo  bis  +  oo  integriren.     Diese  Anzahl  ist  also: 

^5 '  e    ß^  .  dxf'  /  e     t««  +        ßi        / .  dx^. 

a  .  ß  .n         '^  J 


—   00 


Das  Integral  kann  leicht  auf  /^(^reducirt  werden.    Es  ist  nämlich: 


Es  ist  aber  (nach  S.  66,  Gl.  31): 


+  » 


V«»  +  /s«     '*      V«»  +  /J» 


72 


I.  Moleculartheorie  der  Wanne. 


und  demnach  finden  wir  für  die  gesuchte  Anzahl  von  MolecülpaareD, 
deren  relative  Geschwindigkeitscomponenten  nach  irgend  einer  Bichtung 
zwischen  af'  und  a?"  +  doi*  liegen,  den  Werth: 


cc.  ß  .  7C    Vaa  +  /J« 


=  iV'  .  iV"  . 


«3  +  /j2 .  v^ 

Dieser  Ausdruck  ist  von  ganz  derselben  Form,  wie  der,  den  wir  för 
die  Gomponenten  der  absoluten  Geschwindigkeiten  gefunden  haben. 
Man  könnte  demnach  in  ganz  derselben  Weise  wie  vorher  die  Anzahl 
der  Molecüle  bestimmen,  deren  relative  Geschwindigkeiten  selbst  (nicht 
bloss  deren  Gomponenten)  zwischen  zwei  unendlich  benachbarten  Grenzen 
liegen,  und  ebenso  den  Mittelwerth  der  sämmtlichen  relativen  Geschwin- 
digkeiten. 

Diese  Werthe  braucht  man  nur  in  die  früher  von  Clausius  ent- 
wickelten Formeln  einzusetzen,  um  neue  Ausdrücke  für  die  mittleren  Weg- 
längen zu  finden. 

Es  lässt  sich  femer  zeigen,  dass,  wenn  sich  zwei  Systeme  von 
Molecülen  in  dem  nämlichen  Gefässe  bewegen,    die   mittlere   lebendige 


Fig.  5. 


Kraft  jedes  Theilchens  in  beiden  Sy- 
stemen denselben  Werth  annimmt 
Es  mögen  m'  und  m"  die  Massen  der 
Theilchen  im  ersten  und  zweiten  Mo- 
lecülsysteme,  p'  und  p"  die  mittleren 
Geschwindigkeiten  vor  und  pi\  f" 
die  mittleren  Geschwindigkeiten  nach 
einem  Stosse  sein.     Es  möge  nun  in 

beistehender  Figur  5   OA'=p'  und 

OB  =  p"    und  der   Winkel  AOB 

=  90^  sein,  so  ist  AB  die  mittlere 

relative  Geschwindigkeit.  0  G  möge 
die  mittlere  Geschwindigkeit  des 
Schwerpunktes  sein.     Zieht  man  nun 

die  Linie  aGb  unter  einem  rechten  Winkel  zu  0  G  und  macht  aG'=^ÄG 


und  hG  =  BG,  so  istOa   die  mittlere  Geschwindigkeit  Pi'  der  Masse 

m'  nach  dem  Stosse  und  analog  Oh  die  von  m".     Dieselben  entstehen 

durch  Zusammensetzung  von  OG  mit  Oa  resp.  mit  Oh. 
Demnach  ist: 


AB  =  Vp'»  -h  p"»,    AG  = 


tn 


II 


r,  ■  Vp'»  +  p"« 


m'  +  f»f" 


C.  Die  Gastheorie  von  Glausius  und  Maxwell.  73 

Demnach  ist:  


m  •+-  w 


UO  —  Pi     =  ,  ,f 

fW     -f-    Wl 

und  endlich: 

«  .J»!»-«    -ih»-   («'  +  «,")« 

Diese  Formel  zeigt,  dass  die  Differenz  der  kinetischen  Energie 
wl .  pi^  —  m"  .  Pi"^,  wenn  eine  solche  anfanglich  bestand,  mit  jedem 
Stoflse  in  demselben  Verhältnisse  vermindert  wird.  Bezeichnet  man  die 
Geschwindigkeiten  der  Massen  m'  und  m"  nach  n  Stossen  mit  j?'.  und 
p'*„  so  wird,  wenn  n  in  beiden  F&Uen  eine  sehr  grosse  Zahl  bedeutet: 

m'  .  pj*  =  m"  .  !>."« 
sein. 

Die  mittlere  lebendige  Kraft  ist  nun  aber  [man  sehe  Gl.  37)  und  38)]: 

m  .  p  ^  =  "^  '  f>^  .  ft    =  -r-  •  I»   .  p 
2  o 

för  die  Masse  t»',  und  analog  gleich: 

3ä        /,     -772 
—  •  I»"  .  p^ 

för*". 

Es  ist  ersichtlich,  dass  diese  Grössen  einander  gleich  sind,  wenn: 

wi    .  p    =  fw    .  p 
ist. 

Haben  irgend  welche  Anzahlen  von  yerschiedenartigen  Molecülen 
die  Massen  «•',  tit",  »*'"  etc.  und  resp.  die  Geschwindigkeiten  p\p'\p'"  eic, 
und  bewegen  sich  dieselben  in  demselben  Gefässe,  so  ist  nach  vielen 
Stossen: 

m  .  p     =  wi    .  p     =  I»     .  p      =  etc. 


IL    Ableitung  der  mittleren  Weglänge  aus  dem 

Maxwell'solien  Gesetze  0  * 

Befinden  sich  in  der  Yolnmeneinheit  v  Molecüle,  deren  Geschwindigkeit 
V  ist  und  bewegt  sich  zwischen  diesen  ein  Molecül,  dessen  Geschwindig- 
keit «  ist,  so  wird  die  Anzahl  von  ZusammenstÖssen ,  welche  dieses  eine 


*)  Die  Ableitung  dieser  Formeln  findet  sich  bei  O.E.  Meyer:  De  gasomm  theoria. 
baogimldiMertationy  1866,  Breslau.    Die  von  Maxwelli  Phil.  Hag.,  Bd.  19  gegebene 
ist  nicht  streng  richtig« 


74 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Molecül  mit  den  n  anderen  in  der  Zeiteinheit  erfährt,  bekanntlich  m 
GlausiuB  gleich: 

r  .  «  .  9*  .  n, 

wenn  man  mit  r  die  relative  Geschwindigkeit  und  mit  Q  den  Radius 
Wirkungssphäre  bezeichnet  (man  sehe  Bd.  2,  C,  I,    8.  51). 

Nun  ist  nach  den  Rechnungen,  welche  wir  früher  (S.  54,  GL  li 
angestellt  haben,  die  mittlere  Geschwindigkeit: 


n 


=  -    /  Vu*  +  v^  — -  2u  .  V .008  ^  .  sin  ^  . 


({<& 


und  dies  ergiebt: 
r 
Hieraus  folgt,  dass: 


=  r •  ktt«  +  v«  +  2w  .  i;)«  —  (m«  +•  v«  —  2a  .  t7>J . 


r  =r  . — :: ,  wenn  \  u<if> 


3u 


,  wenn:  «*>-  t? 


und 


ist. 


r  =  -.t.. 


wenn:  u 


V 


Mithin  ist  die  in  der  Zeiteinheit  erfolgende  Anzahl  von  Zusamm« 
stössen  des  u  Molecüls  mit  den  n  Molecülen,  deren  Geschwindigkeit  v  ü 
gleich: 

it  .  n  .  Q^  '  ^ ,  wenn  «<«'» 


X  .  n  .  Q 


a  . 


3u 


,  wenn  w>t?, 


—  •  «  .  n  .  p'  .  V,  wenn  u  =  v 
o 

ist. 

Nun  haben  wir  aber  an  der  Hand  der  M ax  well' sehen  üntersuchunj 

gefunden,  dass  die  Anzahl  der  in  der  Volumeneinheit  befindlichen  Mol 

cüle,  deren  irgendwie   gerichtete   absolute  Geschwindigkeiten  zwisch 

den  Grenzen  v  und  v  -\-  dv  liegen,  gleich  ist  (man  sehe.  Gl.  35,  S.  68 

4jy 


V 


«5  .  Vx 


e    «• .  v^  .  dv 


41 


wenn  N  die  Gesammtzahl  der  in  der  Volumeneinheit  enthaltenen  Mole- 
cüle  bezeichnet. 

Hieraus  folgt,  dass  die  Anzahl  B  der  in  der  Zeiteinheit  erfolgenden 
Zusammenstösse,  welche  das  Molecül  überhaupt  erfahrt,  welches  eich  mit 


C.  Die  Gastheorie  von  Clausius  und  Maxwell.  75 

ler  Geschwindigkeit  u  zwischen  den  Molecülen  bewegt^  deren  Gesohwin- 
ligkeiten  nach  dem  MazwelPschen  Gesetze  vertheilt  sind,  folgenden 
IMTerth  hat: 


00 


e    a*  ,  V  .  dv 


Dies  ergiebt,  wenn  man  die  Integrale  zerlegt  und  dieselben  Rech- 
nungen anstellt,  welche  wir  schon  im  yorigen  Paragraphen  ausföhrlich 
mitgetheilt  haben  (man  sehe  S.  65  bis  70): 


u 


B=yi  .N.Q^  Aa.e-  a*  +  ^ —  /  e^^  .dt)    .    42) 

0 

Mit  Geschwindigkeiten,  welche  zwischen  u  und  u  -{-  du  liegen,  be- 
wegen sich  aber  in  der  Yolumeneinheit  nach  dem  Maxweir sehen  Ge- 
setze eine  Anzahl  dn  Molecüle,  welche  gleich: 

^     N       -  ül! 

ist. 

Demnach  ist  die  mittlere  Anzahl  C  von  Zusammenstössen ,  welche 
flberhanpt  zwischen  den  N  in  der  Yolumeneinheit  enthaltenen  Molecülen 
stattfindet,  gleich: 

0 

oder  gleich: 
C=     '  J  ^   .  \a  I  f^^.u^.du  +  I  e"  a*  .  (2u^  +  «^  .  w) 


a 


.    A"  ^\dl,  du\ 


0 

Das  erste  Integral  ist  schon  mehrfach  von  uns  berechnet  worden, 
das  zweite  Integral  kann  durch  eine  Reihenentwickelung  leicht  gefunden 
werden. 

Das  erste  Glied  in  der  Klammer: 

e     a^  .  u^  .  du 

0 

ergiebt,  wenn  man: 


76  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

setzt: 

0  "^ 

mithin: 


00 


«.y. 


2u«  „4 


««  ,  u*  ,  du  =  — 77=8-  .  yyt. 

4  .  V2 


Der  zweite  Ausdmck  wird  gefunddn,  indem  man: 


ti 


0 

in  eine  Reihe  entwickelt  und  hierauf  mit  dem  in  Klammern  geschlos- 
senen Factor  multiplicirt.  Alsdann  findet  man  eine  Reihe  von  Integralen, 
welche  sich  als  /^(f),  -Td)  etc.  sofort  hinschreiben  lassen,  und  findet 
schliesslich  durch  Summirung  der  neuentstandenen  Reihe,  dass  der  Aus- 
druck : 


Je    «•  .  d{2u^  +  a^  .u)  .   fe    ^\  d^  .  du  =  ^  -  )/|  -  a* 

0  0 

ist. 

Hieraus  ergiebt  sich:  _ 

C  =  ^--^     N  .Q^  .n  ,a 43) 

für  die  Anzahl  der  in  der  Zeiteinheit  unter  den  N  Molecülen  stattfinden- 
den Zusammenstösse. 

Die  mittlere  zwischen  zwei  Zusammenstössen  zurückgelegte  Weg- 
länge ergiebt  sich,  wenn  man  den  durchschnittlich  in  der  Zeiteinheit  you 
einem  Molecül  überhaupt  zurückgelegten  Weg,  d.  i.  die  mittlere  Ge- 
schwindigkeit v^  durch  die  mittlere  Zahl  der  Zusammenstösse  dividiii 
Man  findet  somit: 


G        2  .  ]/2.    Vä  •  V»  .  iV.  9«.« 

Die  mittlere  Weglänge  A  findet  sich  aus  dem  Maxwell' sehen  Ge- 
setze über  die  Yertheilung  der  Geschwindigkeiten,  somit  gleich: 

A  =  r7= ^ 44) 

Oder  führt  man  den  mittleren  Abstand  8  zweier  Moleoüle  ein,  d.  h. 
die  Grösse: 


C.  Die  Oastheorie  von  Clausiua  und  Maxwell.  77 

loergiebt  Bich^): 

1           Ä' 
A  =  -4.  .  -^ 45) 

während  Glaasius  (S.  56)  aus  der  Annahme,  dass  sich  alle  Molecüle  mit 
der  gleichen,  nämlich  der  mittleren  Geschwindigkeit  v  bewegen,  fand,  dass: 

l—i.      ** 


4      Jt  .  Q^ 


12.  Ableitung  des  Gasdruckes  auf  eine  Fläohe  aus 

Mazwell's  Gesetz. 

Der  Druck,  den  man  auf  die  Flächeneinheit  ausüben  muss,  um  die 
Holecüle  mit  der  nämlichen  Geschwindigkeit  zu  reflectiren,  mit  der  sie 
Auftreffen,  ist  gleich  dem  Doppelten  der  zur  Fläche  senkrechten  Compo- 
aente  ihrer  lebendigen  Erafb. 

Bekanntlich  sind  nun  nach  Maxwell's  Geschwindigkeitsgesetze 
(GL  35,  S.  68)  in  dem  Volumenelemente  dXj  dy,  de  eine  Anzahl  v  Mo- 
lecüle enthalten,  deren  Geschwindigkeiten  zwischen  u  und  u  -{-  du  lie- 
gen, und  zwar  ist: 

4  .  JV        -  ^ 

V  = —7=  .  e    a*  .  u^  ,  du  .  dx  ,  dy  .  de    .    .    .    46) 

Nach  dem  vorhin  von  uns  Entwickelten  stösst  jedes  der  v  Molecäle 
B  mal  an  andere  Molecüle  an.  Gleichzeitig  ist  dies  die  Anzahl  der 
einzelnen  Wege,  welche  ein  solches  Theilchen  in  der  Zeiteinheit  zurück- 
legt Die  Zahl  der  Theilchen,  welche  in  der  Zeiteinheit  aus  dem  Yo- 
Inmenelemente  dx^  dy,  de  mit  der  Geschwindigkeit  u  austreten^),  ist 
demnach: 

4  .  iV  -  h! 

'  B .  e    a^  .  ü*  .  du  .  dx  .  dy  .  de. 


a*  .  Vi 

Von  diesen  Molecülen  legt  (man  sehe  Bd.  2,  G,  5,  S.  48,  Gl.  12)  nur 
deijenige  Theil  einen  Weg  grösser  als  r  zurück,  welcher  sich  zur  ge- 
Bammten  Anzahl  verhält  wie: 

e-f  :  1, 

wenn  l  die  mittlere  Weglänge  deijenigen  Molecüle  bedeutet ,  deren  Ge- 
Bchwindigkeit  u  ist.     Nun  ist  aber: 

')  Auch  Maxwell  gelangt,  wenn  auch  aaf  nicht  zayerlKssigem  Wege,  zu  derselben 
Formel,    llan  sehe  Phil.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  XIX,  S.  22. 

*)  Man  sehe,  um  die  Richtigkeit  dieser  Behauptung  Tollkominen  einzusehen,  die 
Katwiekelnng  im  nächsten  Abschnitte  D,  2,  S.  83. 


78 


folglich : 


I.  Moleculartheorie  dev  Wärme. 
k  .  B  =  u, 

r  B  .  r 

e- j  =  e      ;r. 


Unter    einem    Winkel   ^    stösst   gegen    ein   Element    df  der 
grenzenden  Wand  bekanntlich  (man  sehe  S.  52  u.  s.  f.)  nur  derTheil 
Molecüle,  der  sich  zur  Gresammtzahl  verhält  wie: 


df  .  cos  d 


:  1. 


4  .  Ä  .  r' 

Die  zur  Ebene  normale  Componente  der  Geschwindigkeit  u  ist: 

u  .  cos  d". 

Demnach  ist  die  bewegende  Kraft,  welche  durch  den  Stoas  der 
dem  Volumenelemente  dx,  dy^  dz  mit  einer  Geschwindigkeit  u  austreten- 
den Molecüle,  die  das  Flächenelement  dfm  der  Zeiteinheit  treffen,  am-l 
geübt  wird,  gleich: 

'■-r=-  •  -:  •  c       «•     •  ^    ««  .  w^  .  rftt  .  ä/  .  oos'  ^  .  dx  .  dy  ,  de. 

Hierin  bezeichnet  wiederum  m  die  Masse  jedes  Molecüles. 

Den  gesammten,   auf  der  Flächeneinheit  ausgeübten  Druck  findet] 
man,  wenn  man  in  Bezug  auf/yon  0  bis  1,  in  Bezug  auf  u  von  Obis  o) 
und  nach  Einführung  räumlicher  Polarcoordinaten  mit  den  Substitationea: 

X  =  r  .  cos  &• 

y  =  r  .  sin  d"  .  cos  q> 

z  =  r  .  sin  d"  ,  sin  g>, 

in  Bezug  auf  q)  von  0  bis  2;r,  in  Bezug  auf  d"  von  0  bis  n  und  m 
r  von  0  bis  oo  integrirt  hat. 

Die  umständliche  aber  nicht  schwierige  Rechnung  ergiebt: 


^        2 


m\ 


Führt  man  für  a  den  früher  von  uns  bestimmten  Werth  der  mitt- 
leren Geschwindigkeit  (man  sehe  Bd.  II,  I,  C,  9,  S.  69,  Gl.  36) 


-       2.  a 
V  = 


ein,  so  ergiebt  sich  ^)  •' 


Vn: 


8 


48) 


Unter  der  Annahme,  dass  die  Geschwindigkeit  aller  Molecüle  gleicb, 

nämlich  die  mittlere  v  sei,  fanden  wir  (man  sehe  Bd.  II ,  I,  C,  2 ,  S.   35X 
Gl.  2): 


^)  Dieses   Resultat  rührt  von  0.  E.  Meyer  her;   man    sehe:  De  gasorum  tbeoria. 
Inaug.  diss.     Breslau  1866,  S.  14, 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  79 

p  =  —  •  N .m  .  t;  1) 
o 

Hieraus  kann  man,  ganz  in  derBelben  Weise,  wie  dies  schon  früher 
TOD  uns  geschehen  ist,  v  die  mittlere  Geschwindigkeit  der  MolecÜle  be- 
rechnen. 

Es  erg^ebt  sich: 


^=Vlf^ 


! «> 

venn  8  die  Gasdichte  beim  Drucke  p  und  der  herrschenden  Temperatur 
heaeichnet.  Man  findet  für  die  Temperatur  des  schmelzenden  Eises  auf 
diese  Weise: 

Mittlere  Moleculargeschwindigkeiten  nach  Meyer's  Formel 

für  0». 

Luft 447  m 

Sauerstoff  •  .  .  425  m 
Stickstoff  ...  463  m 
Wasserstoff.    .    .  1693  m 


D.    Innere  ßeibnng  der  Gase. 

L   üeber  die  Bestimmung  der  mittleren  Weglänge  nach 
absolutem  Maasse.    Maxweirs^)  Formeln  für  die  innere 

Reibung  der  Oase. 

Man  kann  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  Ührigens  auch  ihrem 
absoluten  Werthe  nach  aus  zwei  Arten  von  Erscheinungen  ableiten, 
nämlich  aus  der  inneren  Beibung  der  Oase  und  aus  den  Diffusionsvor- 
gangen.     Wir  betrachten  zunächst  die  erstere. 

Wenn  zwei  Gasschichten  mit  Tersohiedenen  Geschwindigkeiten  an 
einander  hingleiten,  so  üben  dieselben  eine  Art  von  Tangentialkraft  auf 
^blander  aus,  welche  strebt,  dieses  Gleiten  zu  verhindern  und  daher  eine 
grosse  Aehnlichkeit  mit  der  Wirkung  des  Reibungswiderstandes  hat,  der 
n<^  geltend  macht,  wenn  die  Oberflächen  zweier  fester  Körper  sich  mit 
irgend  einer  Geschwindigkeit  an  einander  hinbewegen. 

Biese  EIrscheinung  kann  aus  unseren  Annahmen  über  den  Molecular- 
nstand  der  Gase  leicht  erklärt  werden.  Besitzen  nämlich  ausser  der 
Holeeolarbewegung,  welche  dem  Gase  in  Folge  seiner  Temperatur  und 
9sme»  Volumens  zukommt ,  benachbarte  Gasschiohten  noch  verschiedene 


^)  A'  bedeutet  hier  die  AnzAhl  Molecüle  in  der  Volumeneinheit. 
^  Maiwell,  PhiK  Hag.  Bd.  19,  S.  37  bis  40. 


80 


I.  Moleculartheorie  der  Warme. 


Geschwindigkeiten  fortecbreitender  Bewegungen  nach  irgend  einer 
tang,  BD  gelangen  Molecüle  ans  der  rascher  bewegten  Schicht  mit 
Geschwindigkeit  in  die  langsamer  bewegte  und  umgekehrt.    Hierbei 
fen  dieselben  gegen  die  Theilchen  der  anderen  Schicht  und  üben  somit 
die  langsamer  bewegte  Schicht  eine  Beschleunigung  und  auf  die 
bewegte  eine  Verzögerung  aus.    Die  tangentiale  Kraft,  welche  schein 
hieraus  resultirt,  ist  die  innere  Reibung  des  Gases.     Die  gesammte 
bung  zwischen   zwei  durch  eine  ebene  Fläche  getrennte  Gasmassen 
hervorgerufen  durch  die  gesammte  Wirkung  aller  auf  der  einen  Seite 
Ebene  gelegenen  Schichten  auf  alle  auf  der  anderen    Seite    gel 
Schichten. 

Es  soll  nun  unsere  nächste  Aufgabe  sein,  die  Formeln  fü.r  die  G 
dieser  inneren  Reibung  aufzustellen. 

Wir  denken  uns  zu  dem  Zwecke  in  einem  mit  bewegten  Gasm 
cülen   erfüllten   Räume  ein  rechtwinkliges   Coordinatenkreuz  co: 
und  theilen  die  gesammte  Masse  durch  ausserordentlich  benachbarte, 
X  F-Ebene  parallele  Ebenen  in  Schichten.    Jede  solche  Schicht  möge 
der  Richtung  der  X-Axe  mit  einer  Geschwindigkeit  u  begabt  sein, 
doch  mö^e  u  von  Schicht  zu  Schicht  einen  anderen  Werth  besitzen, 
art,  dass: 

u  z=z  A  +  B  .  a      11 

ist,  wobei  Ä  und  B  Zahlen  sind,  deren  physikalische  Bedeutung  lei 
erkannt  werden  kann.     Wir  betrachten  die  gegenseitige  Wirkung  z 
sehen  den  Schichten,  welche  auf  der  positiven  und  negativen  Seite  d 
X7-Ebene  liegen. 

Wir  betrachten  zunächst  die  gegenseitige  Wirkung  zwischen  z 
Schichten,  deren  Dicke  de  und  de'  ist,  und  welche  sich  in  den  Abst&nd 
g  und  —  t^  auf  entgegengesetzten  Seiten  von  der  X  F-Ebene  befinden, 
setzen  dabei  voraus,  dass  jede  Schicht  eine  Grundfläche  vom  Inhalt  gleich 
der  Einheit  besitzt.  Die  Zahl  92  der  Molecüle,  welche  in  der  Zeitein* 
heit  aus  der  Schicht  mit  der  Dicke  de  austreten  und  einen  Abstand  zm- 
sehen  n  .  k  und  (n  -|-  dn)  .  A  erreichen,  ohne  ein  anderes  zu  treffen,  iai 
wenn  A  die  mittlere  Weglänge  bedeutet,  gleich: 


V 


SR^N.j 


—  II 


ds  .  dn 


i) 


Nachfolgende  Betrachtung  wird  die  Richtigkeit  dieser  Behauptimg, 
darthun : 

Die  Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  Theilchen  ein  anderes  treffe,  wäh- 
rend es  den  Weg  dx  zurücklegt,  sei  a  .  dx.  Wenn  demnach  iV'Theilcli^ 
einen  Abstand  rc  erreichten,  so  würden  N .  a  .  dx  von  denselben  auf  den 
Wege  dx  mit  anderen  zusammentreffen.    Demnach  ist: 

dN 
dx 


=  —  N .  a 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  81 

vnd  wenn  man  dies  integrirt: 


r—  a .  X 


N=  C  .e 

Setzt  man  N  =i  1  f&r  a;  =  0,  so  ist  e""  "  '  '  die  Washrsoheinlichkeit, 
dass  ein  Theilchen  kein  anderes  Tfaeilchen  trifft,  ehe  es  die  Entfernung  x 
sarückgelegt  hat. 

Die  mittlere  Distanz,  welche  jedes  Theilchen  zurücklegt,  ehe  es  ein 
anderes  trifft,  ist  (man  sehe  Bd.  2,  I,  C,  8,  S.  49,  Gl.  13): 

a 

Demnach  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  Theilchen  eine  Strecke 
V  .  k  zurücklegt,  ohne  mit  anderen  zusammenzutreffen,  gleich: 

Ist  nun  N  die  Anzahl  Molecüle  in  der  Yolumeneinheit ,  so  ist  die 
Anzahl  Theilchen ,  welche  in  einer  Schicht  vorkommen,  deren  Basis  den 
Flächeninhalt  1  besitzt,  und  deren  Dicke  de  ist,  gleich:  N  •  d^er. 

Die  Summe  der  Wege,  welche  alle  diese  Molecüle  in  der  Zeiteinheit 
zurücklegen,  ist : 

N  .dz  .v^ 
wenn  v  die  mittlere  Geschwindigkeit  ist.     Demnach  ist : 

N.dz'j 

die  Anzahl  der  Zusammenstösse  dieser  Theilchen,  wenn  man  mit  A  die 
Weglänge  bezeichnet  ,  welche  jedes  dieser  Theilchen  durchschnittlich 
swischen  zwei  Zusammenstössen  zurücklegt.  Demnach  ist  die  Anzahl  9t 
der  Theilchen ,  welche  nach  einem  Zusammenstösse  einen  Weg  zwischen 
n  .  A  nnd  (n  -f-  dn)  .  X  zurücklegen,  gleich: 

3i  =  N'  j'  dz  .dn  .e""", 

was  bewiesen  werden  sollte. 

Die  Anzahl  n  solcher  Molecüle,  welche  in  einer  Schicht  liegen,  deren 
Dicke  d£^  ist,  verhalten  sich  zur  Anzahl  9i,  wie  der  Flächeninhalt  der 
Mantelfläche  einer  Kugelzone,  deren  Hohe  d/  ist,  zur  Oberfläche  der 
Kugel,  deren  Radius  =  nA  ist,  d.  h.  es  findet  die  Proportion  statt: 

ni^l  =  2n  .nk  .  dz'  :  47t{nky. 
Demnach  ist: 

n  =  ^  •  XTZ '  dz' ,  dz  .  dn  .  e"  ^  - 

2  A«  .  w 

Die  mittlere  Geschwindigkeit  der  Molecüle  in  der  Richtung  der  2- 
Axe  ist  in  der  Schicht  von  der  Dicke  dz  gleich  A  -f*  -^^i  i^^  ^^^  ande- 
ren von  uns  betrachteten  Schicht,  deren  Dicke  dz'  ist,  besitzt  dieselbe 
einen  Werth  gleich  Ä  -\'  B  .  z'.  Jedes  der  von  dz  nach  dz'  gelangenden 

Verdet-Bahlmann,  Meohan.  Wärmetheorie.    Bd.  2.  Q 


82 


L  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Molecüle  giebt  daher,  wenn  m  die  Masse  jedes  derselben  ist,  die  Bewe- 

gungsgrösse : 

m  .  B  .  (jer  —  £r') 

ab. 

Die  sämmtlichen  aus  de  nacb  d$'  gelangenden  Molecüle  geben  dem- 
nach die  Bewegungsgrösse : 


N  ,m  .  B 


V 


2  .  n  .  A'« 


e""  (ß-^z")  .dz .  ds!  ,dn 


ab. 

Man  muBS  nnn  zunächst  in  Bezug  auf/  von  z'  ■=  z  —  n A  bis  j?'  =0 
integriren,  um  die  Wirkung  aller  unter  derXZ-Ebene  gelegenen  Schicih| 
ten  auf  die  Schicht  dz  zu  erhalten,  dies  ergiebt: 

\  '  N  .m  .B  '  — %-,  .  (n2  .  A«  —  j?«)  .  e""" .  d^  .  d«. 
2  2n.A2 

Hierauf  integrirt  man  nach  z  von  z  -=  0  h\s  z  =  nX  und  erhält: 

1 


6 


m,N.B,k,v,n^.e       .  dn. 


Nach  n  muss  schliesslich  noch  von  n  =  0  bis  n  =  oo  integrir 
werden.  Nach  dem  aber,  was  früher  von  uns  (Bd.  2,  S.  66)  gefandi 
worden  ist,  war  ^): 


/ 


c"     .  n«  .  (In  =  r(3)  =  2. 


Man  findet  demnach  die  gesammte  Reibung  F  zwischen  der  Flächei 
einheit  oberhalb  und  unterhalb  der  Ebene: 


F  =  -m.N.k.v.B. 


Nun  ist  aber: 


gleich  der  Dichte  des  Gases  und  es  ist,  der  Definition  nach: 


-.        du 
B  =  ^' 
dz 


Wir  finden  demnach: 


F  =  -  -  0  .  X  .  V  '  rr- 
3  dz 

du 
Die  Grösse,  mit  der  —  multiplicirt    ist,  bezeichnet    man   mit  dem 

(tz 

Namen  Goefficienten  der  inneren  Reibung;  wir  wollen  für  densel- 
ben künftig  den  Buchstaben  tj  gebrauchen.  Diese  Reibungsconstante  i] 
wird  demnach  durch  die  Gleichung: 

ij  =  —  'Ä.A.t; 3) 

o 


1)  Man  sehe:  Schlömilch,  Compendium  1.  Auflagre,  Bd.  II,  S.  242. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  83 

definirt.  Hierin  bezeichnet  d  die  Dichte  des  Gases,  A  die  mittlere  Weg- 
länge nnd  V  die  mittlere  Geschwindigkeit.  Ersichtlich  ist  der  Coefficient 
1}  die  innere  Reibung,  welche  an  der  Flächeneinheit  stattfindet,  wenn 
die  Geschwindigkeit  sich,  in  zur  Fläche  normaler  Richtung  auf  einem 
Wege  gleich  der  Längeneinheit  um  die  Einheit  der  Geschwindigkeit 
ändert.  • 

Da  dieser  Coefficient  der  inneren  Reibung  der  Gase,  die  Grösse  i^, 
auf  experimentellem  Wege  bestimmt  werden  kann ,  so  ist ,  da  in  Gl.  3) 
sonst  alle  Grössen  bekannt  sind,  die  Möglichkeit  gegeben,  die  Grösse  X 
der  mittleren  Weglänge  ihrem  absoluten  Werthe  nach  zu  ermitteln.  Es 
findet  sich: 

A   =    O    •    IT   '   ZZ 4) 

oder  wenn  man  für  v  seinen  vorhin  gefundenen  Werth  (Bd.  2,  I,  C,  12 
Gl.  49,  S.  79): 


^=Vlf 


p 
ä 


einsetzt: 


^  =  2' Vr'^'Vö' Vv  ''''*''*  ^^ 


2.    Andere  Ableitung  der  Formeln  für  die  innere  Rei- 
bung der  Oase  0- 

Wir  wählen  wieder,  wie  vorhin,  die  XY-Ebene  als  Fläche,  auf  welche 
die  gesuchte  Reibung  ausgeübt  wird.  Die  F-Axe  sei  der  Bewegangs- 
richtung  des  Gases  parallel.  Zunächst  bestimmen  wir  nun  die  Anzahl 
Theilchen,  welche  durch  ein  unendlich  kleines  am  Coordinatenanfang  lie- 
gendes Rechteck  dx  .  dy  hindurch  gehen  und  ermitteln  die  Bewegungs- 
grössen  Qi  und  ^2*  die  nach  beiden  Richtungen  durch  dx  •  dy  hindurch 
geführt  werden. 

Ausserdem  wählen  wir  im  Gase  einen  Punkt,  dessen  Goordinaten 
^ii  Vu  ^1  sii^d  ui^d  betrachten  denselben  als  die  eine  Ecke  des  Yolumen- 
elementes  dx^  .  dy^^  .  dzi. 

Sind  N  Molecüle  in  der  Yolumeneinheit  enthalten ,  so  sind  im  Yo- 
Inmenelemente  N  .  dxi  .  dyi  ,  dg^  Molecüle  vorhanden.  Ist  femer  % 
die  Zeit,  welche  im  Mittel  zwischen  zwei  auf  einander  folgenden  Zusam- 

menstössen  eines  Theilchens  mit  anderen  verfliesst,  so  ist  ^  die  Anzahl 

der  von  einem  Theilchen  in  der  Zeiteinheit  begonnenen  einzelnen  Bahnen. 


^)  Die«;e   Ableitung  rührt   von   0.  E.  Meyer   her;  man  sehe  dessen   Abhandlnog: 
Ueber  die  innere  Reibung  der  Gase.     Pogg.  Ann.  Bd.  125,  S.  589  bis  598. 

6* 


84  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Jv  Theilchen  beginnen  also  in  der  Zeiteinheit  ^  Bahnen  und  die  im  Yo- 
lamenelemente  enthaltenen  Theilchen  beginnen: 

Bahnen.  Dies  ist  also  die  Anzahl  Theilchen,  welche  in  der  Zeiteinheit 
aus  dem  Yolamenelemente  austreten. 

Die  Zahl  der  Theilchen,  welche  den  Weg  r  ohne  Zusammenstoss  mit 
anderen  zurücklegen,  ist  aber  nur  der 

e^  Ite 

Theil  derselben;  wenn  A  die  mittlere  Weglänge  bezeichnet  (man  sehe 
Bd.  2, 1,  C,  6,  Gl.  13,  S.  49).  Bezeichnet  nun  r  den  Abstand  des  Punkteg 
^1«  ^it  ^1  '^<>™  Elemente  dx  dy^  so  ist: 

r  =  {«1»  +  y.«  +  ei^\\ 

und  dann  ist: 

N     _  n 

■cp  '  e    X  ,  dxi  .  dyi .  dei 

die  Anzahl  Molecule,  welche  aus  dem  Volumenelemente  dxy  .  dyi  .  dsi 
austritt  und  eine  Eugelfläche  durchdringt,  deren  Radius  r  ist.  Von  die- 
sen Molecülen  geht  nur  der  Theil  durch  das  kleine  Rechteck  d  x  •  dy  hin* 
durch,  der  sich  zu  allen  Molecülen  verhält,  wie  die  Projection  von  dx.df 
auf  die  Eugelfläche  zur  gesammten  Kugelfläche.  Ist  0*  der  Winkel,  dee 
r  mit  der  Z-Axe  macht,  so  ist  die  Orthogonalprojection  Yon  dx  .  dy  auf 
die  Kugelfläche  gleich: 

dx  .  dy  .  cos  ^ 

und  ed  gehen  demnach  von  den  aus  dxi  .  dyi  .  dzi  heraustretenden  Mo- 
lecülen nur: 

z —  •  7?"  •  "5         -  COS  d"  .  dx  .  dy  .  dxi  .  dyi  .  d^i 
Alt     X     r^ 

durch  das  Flächenelement  dx  .  dy  hindurch.  Bei  der  Bestimmung  des 
Betrages  der  übergeführten  Bewegungsgrösse  kann  nun  ohne  Weiteret 
der  auf  Wärme  bezügliche  Theil  der  Molecularbewegung  unberücksichtigt 
gelassen  werden ,  da  wir  bei  allen  derartigen  Untersuchungen  annehmen, 
der  Wärmezustand  sei  im  ganzen  Räume  an  allen  Stellen  derselbe.  Nur 
auf  der  Uebertragung  der  fortschreitenden  Bewegung  der  Scfaichten 
beruht  die  innere  Reibung,  daher  braucht  auch  nur  diese  in  Rechnung 
gezogen  zu  werden. 

Ist  die  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden  Bewegung  in  der  Richtung 
der  F-Axe  im  Volumenelemente  dxi  .  dyi  .  dzi  gleich  i/'i,  so  ist  die  mit 
den  durch  dx  .  dy  hindurchtretenden  Molecülen  übertragene  Bewegungs- 
grösse dQ  gleich: 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  85 

r 

Nfn      1  c  ~~  T 

dQ  =  - —  '  TP  '  ^1  '  -^       '  cos  d"  .  dx  ,  dy  ,  dxi  .  di/i  ,  dzi, 

wenn  m  die  Masse  eines  jeden  Molecules  ist. 

Integrirt  man  nach  Xy,  yiy  ßi  über  eine  Hälfte  des  ganzen  nnendlich 
aasgedehnt  gedachten  Mediums,  so  erhalt  man  die  gesammte  von  dieser 
Seite  auf  die  andere  Seite  durch  dx  .  dy  hindurch  gehende  Bewegungs- 
quantität. 

In  der  Richtung  der  abnehmenden  ;?  tritt  alsdann  durch  dx  dy  hin- 
durch: 


OD  00  00 


qx=dx  .  dy  '  -j^  .  ^    /      I      ;  t'i  •  — ^  '.  co8^.  dxi  .  dyi  .  dsii. 

—  00—00    0 

In  der  entgegengesetzten  Richtung  aber  wird  eine  Bewegungsgrösse  : 

00  00  0 

Qi  =  dx  .  dy  '  -j^  '^  j     j      f  Vi  •  ^^  '  cos  &  .  dxi  .  dyi  ,  dsi 


00     ^—  00   ^—  00 


übergeführt. 

Die  Differenz  ^i  —  ft  ist  die  von  der  Seite  der  grösseren  e  auf 
die  andere  Seite  ausgeübte  innere  Reibung  F, 

Setzen  wir,  wie  schon  früher: 

V  =  Ä  +  B  .JB, 
80  ist: 

Vi  =  Ä  -}-  B  .  Zi- 

Die  Rechnung  wird  ohne  Schwierigkeit  ausfuhrbar,  wenn  man  Polar- 
coordinaten  einführt.  Die  elementare  Rechnung  übergehen  wir,  dieselbe 
ergiebt: 

F=dx  .dy^^'  "^^  '  k^,B 6) 

Der  Coefficient  der  inneren  Reibung  i^  wird  aber,  wie  vorhin,  defi- 
nirt  durch  die  Gleichung: 

F  =  rj  ,  B  .  dx  .  dy 
und  es  ergiebt  sich  somit  ^): 

Wenn  aber  die  mittlere  Geschwindigkeit  der  Molecüle  v  ist,  so  ist: 

-       A 

Setzt  man  dies  ein,  so  gelangt  man  zu  derselben  Gleichung,  die  wir 
6cEbn  vorhin  gefunden  hatten,  nämlich  zu: 


^)  Stefan  findet,  Wiener  Sitzungsber.  Bd.  65,  Abth.  II,  Aprilheft,  in  der  Abhand- 

n 

8 


lang  „Ueber  die  dynamische  Theorie  der  Diffaston'  der  Gase"  die  Formel  ij  =  —  cf .  »  .  A. 


86  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

ri  =  —  fn,N.v,l=---'ö.v    .  k 7) 

Setzt  man,  wie  dies  für  einen  ungefähren  Ueberschlag  nach  den 
nahezu  übereinstimmenden  Versuchen  von  Maxwell,  Meyer,  Palnj, 
und  Eundt  und  Warburg  wohl  zulassig  ist,  bei  15^0.  für  Luft^): 

rj  =  0,00019  Gramm  Centimeter-Secunde, 

v  =  45910  cm  für  15»C.  nach  Meyer: 

d  =  0,001226  bei  15», 
so  ergiebt  sich  aus  der  Formel  7)  resp.  5): 

k  =  -4r  =  0,0000101  cm. 


Die  mittlere  Weglänge  beträgt  demnach  unter  den  angeführten  um- 
ständen ungefähr  ein  Zehntausendtel  Millimeter,  und  die  Zeit  %  wird: 

^         k         0,00001013        ^^^^^^^^^^««  r. 
I  =  —  =    '  ,,^,^       =  0,00000000022  See. 
t;  45910  * 

Jedes  Molecül  erfährt  demnach  in  jeder  Secunde  durchsah nittlicb 
4600  Millionen  Zusammenstösse  mit  anderen  Theilchen. 

Aus  der  Ordnung  der  Grösse  k  erkennt  man  sofort,  dass  der  Ein- 
wurf, den  man  gegen  die  kinetische  Gastheorie  daraus  erheben  zu  kön- 
nen meint,  dass  man  glaubt,  aus  ihr  folgern  zu  dürfen,  zwei  in  Berüh- 
rung tretende  Gase  müssen  sich  sofort  vollkommen  mengen,  der 
Theorie  fremd  ist.  — 

Führt  man  für  die  mittlere  Weglänge  k  den  früher  von  Gl  aus  ins 
angegebenen  Näherungswerth  ein  (Bd.  2,  I,  C,  6,  S.  56): 

A  —  -      ** 


4  Ä  .  p3' 

worin  d  den  mittleren  Molecularabstand  bedeutet,  und  Q  den  Radius  der 
Wirkungssphäre  bezeichnet,  so  ergiebt  sich,  da: 

ist: 

1  m  .V  .. 

'''=i^rV' '^ 

Diese  Form  lässt  erkennen,  worauf  zuerst  Maxwell  aufmerksam 
gemacht  hat^  dass  der  Coefficient  der  inneren  Reibung  der  Gase  von  der 
Dichtigkeit  des  Gases  unabhängig  ist,  da  der  Molecularabstand  i 
nicht  mehr  in  dem  Ausdrucke  für  fj  vorkommt.     17  ist  aber  proportional 

der  mittleren  Geschwindigkeit  v,  und  demnach  wie  diese  der  Quadrat- 
wurzel aus  der  absoluten  Temperatur  T  des  Gases  proportional.     Wir 

^)  Hierbei  wird  unberücksichtigt  gelassen,   dass  Luft  ein  Gasgemisch  ist  und  nicht 
aus  gleichartigen  Molecülen  besteht. 


D.  Innere  Beibung  der  Gase.  87 

werden  im  Weiteren   sehen,  ob  diese  theoretischen  Folgerangen  durch 
die  experimentellen  Resultate  bestätigt  werden. 


3.    Die  Bestimmuiig  des  CoefQcienten  der  inneren 
Reibung  aus  Pendelbeobaohtungen. 

Zur  Bestimmung  der  inneren  Reibung  können  einestheils  Versuche 
dieneo,  welche  den  Reibungscoefficienten  in  absolutem  Maasse  ergeben, 
anderen  Theils  kann  man  durch  Versuche,  in  welchen  Gase  durch  sehr  enge 
Röhren  fliessen  (Transpirationsversuche),  Zahlen  erhalten,  welche  gestat- 
ten, den  Quotienten  der  Reibungscoefficienten  zweier  Gase  oder  desselben 
Gases  unter  verschiedenen  Umständen  zu  ermitteln.  Wir  wenden  uns 
zunächst  zur  Besprechung  der  ersten  Art  von  Versuchen. 

Zum  ersten  Mal  hat  wohl  Stokes^)  Werthe  für  den  Coefficienten 
der  inneren  Reibung  gegeben  und  zwar  ermittelte  er  diesen  Werth  aus 
Baily^s  Pendelbeobachtungen.  Die  Voraussetzungen ,  auf  denen  seine  Be- 
rechnung der  Reibungsconstante  beruht,  sind  jedoch  in  mehr  als  einer 
Beziehung  anfechtbar.  Stokes  benutzte  nämlich  den  Correctionsfactor 
für  seine  Rechnungen,  den  Baily  abgeleitet  hatte,  um  die  Schwingungen 
eines  Pendels  auf  den  luftleeren  Raum  zu  reduciren.  Aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  stellen  diese  Zahlen  jenen  Factor  aber  gar  nicht  dar.  Baily 
Hess  nämlich,  um  diesen  Correctionsfactor  zu  ermitteln,  eine  grosse  An- 
zahl von  Pendeln  im  lufterfüllten  und  im  möglichst  luftleeren  Räume 
schwingen  und  verglich  die  Schwingungszeiten.  Er  berechnete  die  Gor- 
rection,  indem  er  den  Raum,  der  nur  sehr  verdünnte  Luft  enthielt,  als 
ein  vollkommenes  Vacuum  betrachtete.  Da  aber  nach  Versuchen 
0.  E.  Meyer's  und  neueren  Arbeiten  von  Kundt  und  Warburg  auf 
experimentellem  Wege  dargethan  worden  ist,  dass  auch  sehr  verdünnte 
Luft  noch  eine  sehr  merkliche  Reibung  zeigt,  zumal,  wenn  die  Wandun- 
gen des  umgebenden  Gefasses  dem  schwingenden  Pendel  sehr  nahe  sind, 
80  folgt  daraus  von  selbst,  dass  Stokes  bei  der  Berechnung  des  Coeffi- 
cienten der  inneren  Reibung  ans  Baily 's  Pendel  versuchen  einen  zu  klei- 
nen, nicht  brauchbaren  Werth  erhalten  musste. 

Schon  Bessel  hat  bei  seinen  berühmten  Pendel  versuchen  eine  Cor- 
rection  berechnet,  mit  der  das  Quadrat  der  beobachteten  Schwingungs- 
zeit multiplicirt  werden  muss ,  um  dasselbe  auf  den  luftleeren  Raum  zu 
reduciren.  Er  stellt  diesen  Reductionsfactor  durch  einen  Ausdruck  von 
der  Form: 

m 


I      7        ^ 

m 


^)  stokes,  On  the  theories  of  the  internal  friction  of  flaids  in  motion.  Cambridge 
Pbil.  Trans.     Bd.  8,  Theil  3,  S.  287.    1847. 


88  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

dar,  worin  wi  die  Masse  des  Pendels,  m'  die  der  verdrängten  Luft  und 
h  eine  von  der  Gestalt  des  Pendels  abhängige  Zahl  darsteUt^).  Er  be- 
stimmte diese  Zahl  Ic  für  seinen  Pendelapparat  dadurch,  dass  er  mehrere 
Beobachtungen,  bei  denen  diese  Correction  verschiedene  Grössen  besass, 
mit  einander  combinirte. 

Aus  Bessel's  Versuchen  lässt  sich  ein  Werth  für  die  Reibung  der 
Luft  berechneu,  der  mit  den  neueren  Messungen  leidlich  übereinstimmt. — 

Bessel  benutzte  die  Beobachtung  der  Schwingungszeiten  von  vier 
Pendeln,  die  er  erhielt,  indem  er  zwei  Kugeln  von  gleicher  Grösse,  aber 
verschiedenem  Gewicht  an  zwei  Fäden  verschiedener  Länge  aufhing. 

Diese  Versuche  ergaben  für  die  Zahl  k  den  Mittelwerth ') : 

h  =  0,956. 

0.  £.  Meyer 3)  berechnet  hieraus  für  den  ReibungscoefQcienten  ij 

der  Luft  den  Werth: 

71  =  0,000275 

und  glaubt,  dass  derselbe  ungefähr  für  12^0.  richtig  sei. 

Aber  nicht  nur  aus  der  Veränderung  der  Schwingungszeit,  sondern 
auch  aus  der  allmäligen  Abnahme  der  Schwingungsweite  kann  die 
innere  Reibung  abgeleitet  werden.  Stokes  hat  hierfür  eine  Gleichung 
abgeleitet,  welche  sich  auf  den  Fall  einer  pendelnden  Kugel  bezieht. 
Nach  ihm  ist  nämlich  das  logarithmische  Decrement  B  gleich : 

_%  h'm' 

2  '  m  +  h.m" 
und  zwar  ist  m  hierin  wiederum  die  Masse  der  pendelnden   Kugel,   fi/ 
die  der  von  ihr  verdrängten  Luft^und  h  und  h!  haben  die  Werthe: 

,         1     .       9V212  .r 
Ä  =  77  + 


2     '    4.a  VöT^' 

4:a  .   yö  z     \  a.yS.yt 

wobei  a  den  Radius  der  Kugel,  d  die  Dichte  der  Luft  und  r  die  Schwin- 
gungsdauer bezeichnet. 

Unter  Benutzung  dieser  Formeln  kann  man  aus  einer  grossen  An- 
zahl von  Beobachtungen,  welche  Girault  in  Caen  über  das  logarith- 
mische Decrement  einer  schwingenden  HolzkugeH)  angestellt  hat,  einen 
für  mittlere  Temperaturen  gültigen  Werth  von  rj  berechnen.  0.  E.  Meyer 
fand  auf  diese  Weise  aus  Girault^s  Beobachtungen: 

^)  Diese  Notizen  sind  zum  grössten  Theil  der  Abhandlung  0.  E.  Meyer's  ent- 
nommen: lieber  die  innere  Reibung  der  Gase.  Pogg.  Ann.,  Bd.  125,  S.  177  bis  202 
(1863). 

2)  Bessel,  Versuche  über  die  Kraft  der  Erde.  Astronomische  Nachrichten,  Bd.  10, 
S.  105.  (1832.) 

3)  0.  E.  Meyer,  Pogg.  Ann.,  Bd.  125,  S.  195. 

*)  M6m.  de  PAcad.  imp.  des  sciences,  arts  et  belies  lettres  de  Caen.     1860. 


D.  Innere  Reibnng  der  Gase.  89 

ti  =  0,0003842. 

In  neaerer  Zeit  hat  0.  £•  Meyer  selbst  die  Theorie^)  der  Pendel- 
lehwingungen  einer  Kugel  f&r  den  FaU  untersnclit,  dass  der  Einfloss  der 
inneren  Reibnng  des  Mediums,  insoweit  derselbe  von  der  Kugel  herrührt, 
beiöcksichtigt  wird,  dass  hingegen  die  Reibung  des  Pendelfadens  ver- 
Dachlässigt  werden  kann  und  hat  diese  Theorie  hierauf  mit  eigenen  Yer- 
nichen')  verglichen. 

Für  die  Schwingungsdauer  t  und  das  logarithmische  Decrement  s 
der  Amplituden  ergaben  sich  folgende  Formeln: 

(m  +  Ä  .  m') .  J 


r*  =  « 


2 


B  = 


(m  —  mf)  .  g 
2 


Hierin  ist: 


"•  + 1  •  (*  +  ^)  •  •" 


24.i/.a  Ava     \  v  .  a        2«/ 

m,  m'  und  a  haben  dieselbe  Bedeutung  wie  vorhin,  l  ist  die  Pendellänge, 
g  die  Acceleration  der  Schwere. 

V  hängt  mit  dem  Reibungscoef&cienten  1}  durch  die  Formel: 

v^  =  J^-l1^ 10) 

zmammen,  wenn  i  die  Dichte  der  Luft  bedeutet. 

Für  die  wirkliche  Berechnung  bediente  sich  O.E.  Meyer  jedoch  der 
«bgekürzten,  aber  genügend  genauen  Formeln: 


«  =  f.V.^ 11) 

2  m 


A'  = 


-•(l+-^> 
a     \  V  .  aj 


Um  Schwingungen  mit  möglichst  kleinen  Geschwindigkeiten  beob- 
achten zu  können,  musste  mit  sehr  langen  Pendeln  experimentirt  werden. 
Er  hing  zu  dem  Zwecke  eine  Holzkugel  von  circa  20  cm  Durchmesser 
an  sehr  dünnen  Kupferdrähten  auf,  die  bei  den  verschiedenen  Yersuchs- 
Teihen  die  Längen  l  =  14,5528  m,  =  9,4890  m  und  =  4,4868  m  besassen. 

Die  Schwingungsamplituden  wurden  durch  ein  hcuizontal  gerichtetes 
Femrohr  an  einem  Ocularmikrometer  gemessen.  Die  Schwingungszeit 
wurde  nach  der  Bord a' sehen  Methode')  durch  Coincidenzbeobachtungen 


^)  0.  E.  Meyer,  Ueber  die  pendelnde  Bewegung  einer  Kugel  unter  dem  Einflüsse 
(ter  iDoeren  Reibnng  der  Gase.     Crelle's  Journal.  Bd.  75,  S.  31  bis  38. 
*)  Pendelbeobachtungen,  Pogg.  Ann.  Bd.  142,  S.  481  bi«  524. 
')  M^cbain  und  Delambre,  Base  du  Systeme  metrique  decimal.  Bd.  S,  S.337  (l810)« 


90  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

bestimmt.  Ausserdem  warde  Temperatur,  Druck  und  Feuchtigkeitsgehalt 
der  Luft  sorgfältig  ermittelt. 

Zur  Berechnung  der  Schwingungszeiten  verfuhr  0.  E.  Meyer  nach 
dem  von  BesseP)  angegebenen  Verfahren.  Für  die  Reduction  auf  uo- 
endlich  kleine  Schwingungen  ist  die  Kenntniss  der  absoluten  Schw}ih 
gungswinkel  nöthig;  diese  erhält  man  aus  der  Ablesung  am  Ocularmikro- 
meter  und  der  Dimension  des  Apparates  nach  Elimination  der  Drehung, 
welche  die  Schwingungsebene  durch  die  Erdrotation  während  einer 
Beobachtungsreihe  erlitten  hat. 

Es  ergab  sich  die  Schwingungszeit  r 

für  das  lange       Pendel  r  =  3,84497  See.  mittlere  Zeit, 
„      „    mittlere       „        r  =  3,11224    „ 
„      „    kurze  „       r  =  2,15312    „ 

Etwas  umständlicher  müssen  wir  über  die  Ermittelung  des  Gesetzes 
der  Schwingungsbogen  referiren  ^).  Bei  Vernachlässigung  des  Quadrates 
der  sehr  kleinen  Geschwindigkeit  des  Pendels  und  der  umgebenden  Lull 
gegen  diese  Geschwindigkeit  selbst  erhält  man  bekanntlich  das  Gesetz, 
dass  die  Schwingungsbogen  in  geometrischen  Progressionen  abnehmen. 
Bezeichnet  daher  q)  den  Schwingungswinkel,  —  8(p  seine  negative  Zu- 
nahme und  £  eine  Constante,  so  ist: 


—  oq)  =  s  .  (p. 

Da  jedoch  diese  Formel  die  aufeinander  folgenden  Amplituden  nicht 
streng  darstellt,  so  setzt  man  in  einer  weiteren  Annäherung: 

—  dy  =  fi  .  y  .  (1  -\-  ß  ,  (p\ 

worin  ß  eine  neue  Constante  bedeutet.  Nehmen,  wie  dies  hier  der  Fall 
ist,  die  Amplituden  sehr  langsam  ab,  so  kann  man: 

8(p        ä(p 

setzen.  Wenn  man  hierin  den  Werth  von  8  q>  einsetzt ,  so  erhält  man 
eine  Differentialgleichung,  welche  Gronau')  über  die  Zeit  von  p  Schwin- 
gungen integrirt  hat.     Das  Integral  lautet: 

lognaii^    1+1-:^)=^./ 12) 

wenn  9)0  die  Amplitude  am  Anfang,  9)^  nach  Ablauf  von  p  Schwingungen 
bedeutet. 

Dieses  Gesetz  benutzte  0.  E.  Meyer  in  der  auf  Brigg s'sche  Loga- 
rithmen reducirten  Form: 


^)  Untersuchungen,  Abhandl.  der  Berl.  Akad.  (1826),  S.  15  und  28. 
2)  Man  sehe  0.  K.  Meyer's  Originnlabhandl.  Pogg.  Ann.  Bd.  142,  S.  513.    ff. 
^)  Gronau,   Ueber  die  Bewegung    schwingender  Körper  im   widerstehenden  Mittel. 
Programm  der  Johannisschule  in  Danzig.     1850. 


I 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  91 

jog  L±J_!?--  =C+n,X, 

Hierin  ist  n  die  Stellenzahl  einer  einfachen  Beobachtung  und  hängt 
mit  p  daher  durch  die  Gleichung : 

p  =  n  .  q 

nuammen,  worin  q  die  Anzahl  der  in  jedem  Intervalle  zwischen  zwei 
A.ble6ungen  vollzogenen  Schwingungen  bedeutet. 

Wie  ßj  so  sind  auch  C  und  A  von  t  abhängige,  aber  von  n  unab- 
liäDgige  Const-anten. 

X  bestimmt  sich  aus: 

k  =  q  .  t  .  log,  e, 
CauB  der  Formel: 

C  =  log.  l±±:-^ .      ' 

fi  wird  auf  folgende  Weise  berechnet: 
Es  ist: 

und  ebenso: 

log.  gs^  ■  /  +/ •  y-»     =n.A. 

9m  l    +  p   -   <Ptn-n 

Hieraus  folgt: 

11  11 


•      -T- 


'^   ■"      1       .        1  1 


9^0  9m  (Pn  9m  ~  n 

Man  kann  also  ß  aus  je  vier  Beobachtungen  ermitteln.  Unter  Be- 
rücksichtigung aller  Kunstgriffe,  welche  zur  thunlichsten  Elimination  zu- 
falliger Beobachtungsfehler  dienen  konnten,  ergab  sich  dann  das  durch 
Gleichung  12)  definirte  S: 

für  das  lange  Pendel  s  =  0,000578 
„  „  mittlere  Pendel  b  =  0,000515 
„     „    kurze      Pendel  £  =  0,000375 

Femer  ergaben  die  übrigen  Messungen: 

a  =  21,02  cm,  m  =  2471,3  g,  w'  =  5,77  g. 

Mit  den  angegebenen  Zahlendaten  findet  man  für  eine  mittlere  Tem- 
peratur von  18^0.  aus  Beobachtungen 

des  langen      Pendels  rj  =  0,000232  cm-Sec. 
„    mittleren        „       ri  =  0,000233 
„    kurzen  „       rj  =  0,000184 

im  Mittel:    i^  =  0,000216  cm-Sec.  bei  180O. 


92  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Dieser  Werth  zeigt,  wie  wir  sehen  werden,  mit  den  anf  andere  Weiee 
gefundenen  eine  befriedigende  Uebereinstimmnng. 

Um  ein  Urtheil  über  die  Reibung  in  Flüssigkeiten  zu  erbalten,  hatte 
schon  früher  Coulomb^)  kreisrunde,  planparallele  Scheiben  in  ihrem 
Schwerpunkte  an  einem  Faden  horizontal  aufgehängt,  und  dieselben  in 
ihrer  Ebene  um  den  verticalen  Faden  als  Axe  in  den  betreffenden  Flu- 
sigkeiten  drehende  Schwingungen  machen  lassen.  In  Folge  der  Reibung 
der  Flüssigkeit  werden  die  Schwingungsweiten  allmälig  kleiner,  und  zwar 
nehmen  dieselben  mit  fast  absoluter  Genauigkeit  nach  einer  geometri- 
schen Reihe  ab.  Die  logarithmischen  Decreniente  können  unmittelbar 
zur  Bestimmung  des  Reibungscoefficienten  dienen. 


4.   O.  E.  Meyer 's  Versuche  zur  Bestimmung  der 

inneren  Reibung  der  Qase. 

Diese  Methode  ist  in  neuerer  Zeit  vriederholt  zur  Messung  der  inne- 
ren Reibung  auch  in  Gasen  benutzt  worden  und  zwar  haben  nach  einan- 
der 0.  E.  Meyer,  Maxwell,  Kundt  und  "Warburg  und  Puluj  sich 
dieses  Verfahrens  bedient. 

Bei  allen  Versuchen,  bei  denen  sich  ein  Körper  in  einer  Flüssigkeit 
bewegt,  setzt  er  auch  diese  mit  in  Bewegung,  und  seine  eigene  Geschwin- 
digkeit nimmt  in  dem  Maasse  ab,  als  er  der  Flüssigkeit  lebendige  Kraft 
mittheilt.  Der  auftretende  Widerstand  hat  zweierlei  Ursachen,  einnul 
muss  der  sich  bewegende  Körper  Flüssigkeit  verdrängen,  dann  aber  auch 
ist  die  Reibung  der  Flüssigkeit  an  der  Oberfläche  des  festen  Körpers  und 
der  bewegten  Flüssigkeitsschichten  an  einander  zu  überwinden. 

Nur  um  den  letzten  dieser  Theile,  um  die  Bestimmung  der  inneren 
Reibung  handelt  es  sich  bei  den  meisten  Versuchen;  die  Existenz  eines 
Gleitungscoefficienten,  eines  Coefficienten  der  äusseren  Reibung,  ist  erst 
in  neuerer  Zeit  durch  die  sehr  sorgfaltigen  Untersuchungen  von  Kundt 
und  Warburg ^)  mit  Sicherheit  nachgewiesen  worden.  Früher  nahm 
man  an,  dass  die  Gase  an  der  Oberfläche  der  untersuchten  Substamen 
so  fest  haften,  dass  ein  Gleiten  der  Gase  an  der  Oberfläche  nicht  statt- 
finde. Wäre  diese  Annahme  richtig,  so  könnte  von  einer  äusseren  Rei- 
bung nicht  die  Rede  sein  und  es  träte  z.  B.  bei  Versuchen  mit  Kreis- 
scheiben, welche  um  eine  zu  ihrer  Ebene  im  Mittelpunkte  senkrechte 
Axe  schwingen,  nur  die  innere  Reibung  auf;  dann  wäre  die  Theorie  der 
Versuche  verhältnissmässig  einfach. 

Wir  unterziehen  die  wichtigsten  Versuchsreihen  der  Reihe  nach 
einer  kurzen  Besprechung  sowohl  bezüglich  der  Methoden,  als  auch  mit 
Rücksicht  auf  die  gefundenen  Resultate. 


M  M£m  de  PInst.  national.  Bd.  3,  S.  246. 
3)  Pogg.  Ann.,  Bd.  155,  S.  339. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  93 

Wir  besprechen  vorerst  diejenigen  M eye r' sehen  Versacbe'),  welche 

nach  der  Gonlomb'schen  Methode  angestellt  worden  sind. 

Der  zn  den  Yeranchen  dienende  Apparat  besteht  (wie  Fig.  6  zeigt) 

in  der  Hauptsache   ana  einem  Gefässe  ee,  ia  welchem  an  zwei  Fäden  it 

Fig.  8. 


(hifilar)  drei  congmente,  nm  ihre  genieinHchaitlicheverticaleAze  drehbare, 
horizontale,  planparallele  Kreisscheiben  aiiigehtingt  sind.  Von  diesen  drei 
Scheiben  sind  die  beiden  äaaseren  derart  beweglich ,  dass  sie  der  dritten 
beliebig  genähert  werden  können,  ohne  dass  dadarch  der  Parallelismns 
der  drei  Scheiben  and  ihre  normale  Stellung  znr  Dnrchgangsaxe  geän- 
dert wird.  Drückt  mau  die  drei  Scheiben  fest  zusammen,  so  bilden  die- 
selben  eine  einzige,  nnd  die  Reibang  muBB   dann,  abgesehen  Ton    stö- 

I)  0.  E.  Mcjcr,    Ueber    die    innere    Reibung    des    Gnie«.      Pogg.    Ann.,    Bd.   12&, 


94  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

renden  Vorgängen  am  RiEinde  der  Scheiben,  nur  den  dritten  Theil  Ton 
der  Keibung  betragen,  welche  stt^ttfindet,  wenn  man  secns  reibende  Flä- 
chen hat.  Die  Einrichtung  des  Apparates  gestattet  die  Bestimmung  dei 
Reibnngscoefiicienten  der  Lnft  und  anderer  Gase  bei  jedem  beliebigen 
Drucke,  welcher  kleiner  als  der  der  Atmosphäre  ist. 

Der  Theil  des  logarithmischen  Decremen tes  des  schwingenden  Sy- 
stems, der  von  der  durch  die  Scheiben  bewirkten  inneren  Reibung  hei^ 
rührt,  muss  drei  Mal  so  gross  sein,  wenn  die  drei  Scheiben  s'  s"  s'"  ädk 
in  angemessenen  Entfernungen  befinden ,  als  wenn  die  drei  Scheiben  za 
einer  einzigen  vereinigt  sind. 

Die  Figur  erläutert  die  Einrichtung  des  ganzen  Apparates  zur  Ge- 
nüge. Auf  eine  verkehrt  aufgestellte  grössere  Luftpumpenglocke  ist  luft- 
dicht ein  Deckel  dd  befestigt,  welcher  die  Röhre  rr  trägt.  Am  oberea 
Ende  der  letzteren  befindet  sich  ein  ebenfalls  luftdicht  eingelassener  Torsions- 
kreis p.  An  diesem  Torsi onsapparate  war  durch  bifilare  Aufhängung  die 
verticale  Aze  befestigt,  welche  ausser  den  drei  Scheiben  auch  noch  des 
kleinen  Spiegel  n  trug.  Durch  zwei  Hähne  h  und  H,  welche  ausserdem 
noch  an  diesem  Deckel  angebracht  waren,  konnte  das  Innere  des  Appa- 
rates einerseits  mit  einer  Luftpumpe,  andererseits  mit  einem  Manometer 
communiciren,  um  sowohl  im  Inneren  des  Apparates  verschiedene  Drücke 
herstellen,  als  auch  dieselben  messen  zu  können. 

Die  Schwingungen  des  Apparates  wurden  durch  den  Spiegel  ii 
beobachtet,  der  das  Bild  einer  horizontal  aufgestellten  Scala  in  ein  Fern- 
rohr reflectirte.  Die  Schwingungen  der  in  dem  abgeschlossenen  Räume 
hängenden  Scheiben  s'  s"  s'"  wurden  durch  Drehung  des  Torsionskreisesj» 
eingeleitet.  Bei  den  Beobachtungen  wurde  gleichzeitig  die  Schwingunga- 
dauer  des  Apparates  und  das  logarithmische  Decrement  bestimmt.  Die 
Temperatur  im  Apparat  wurde  an  einem  durch  eine  Stopfbüchse  einge- 
führten Thermometer  gemessen. 

Zur  Berechnung  der  Beobachtungen  diente  eine  Formel,  welche  von 
0.  E.  Meyer  schon  früher  ^)  für  Beobachtungen  mit  einer  Scheibe  ab- 
geleitet worden  war.  Wir  verweisen  bezüglich  deren  Ableitung  auf  die 
Originalabhandlung. 

Mit  Vernachlässigung  von  Grössen,  welche  von  der  Ordnung  des 
Quadrates  des  logarithmischen  Decrementes  sind,  kann  man  denjenigen 
Theil  des  logarithmischen  Decrementes  einer  pendelnden  Scheibe,  welcher 
der  Reibung  der  Luft  seine  Entstehung  verdankt,  durch  folgende  Formel 
ausdrücken : 

*=^^\/2-''-*-* ") 

Hierin  ist  R  der  Radius  der  Scheibe,  M  das  Trägheitsmoment  des 


1)  Pogg.  Ann.,  Bd.  123,  S.  402. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase. 


95 


schwingenden  Apparates,  t  dessen  Scbwingungszeit,  rj  der  ReibangscoefH- 
cient  and  ö  die  Dichtigkeit  der  Luft.  Das  Trägheitsmoment  M  des  Ap- 
parates wurde  anf  die  bekannte  yon  Gauss  ^)  angegebene  Weise  experi- 
mentell bestimmt. 

Sind  die  drei  Scheiben  nicht  zu  einer  vereinigt,  sondern  befinden 
sich  dieselben  in  angemessenen  Entfernungen ,  so  übt  die  Luft  auf  jede 
der  drei  Scheiben  denselben  Einfluss  aus  und  es  wird  in  diesem  Falle  das 
logarithmiscbe  Decrement  fc'  den  dreifachen  Werth,  wie  im  ersten  Falle 
besitzen,  es  ist  alsdann: 


€'=3 


2M 


•  Vf  •  ^  • 


ö  .  t. 


Da  bei  den  beiden  Beobachtungen  mit  getrennten  und  mit  unge- 
trennten Scbeiben  die  Scbwingungszeit  t  und  das  Trägheitsmoment  M 
Dicht  merklich  verschieden  sind,  so  kann  man  die  Differenz  «'  —  s  ohne 
Weiteres  zur  Bestimmung  des  Reibungscoefficienten  ri  verwenden. 

Es  empfiehlt  sich,  die  Differenz  s'  —  s  und  nicht  s  oder  fi'  selbst 
znr  Berechnung  von  rj  zu  verwenden,  da  die  Steifheit  der  Auf hängungs- 
drähte,  der  Luftwiderstand  anderer  Theüe  des  Apparates,  z.  B.  des 
Spiegels,  Kräfte  liefern,  deren  Einflass  bei  der  Differenz  der  Decre- 
mente  aus  der  Rechnung  fällt,  deren  Ermittelung  sonst  aber  fast  unüber- 
steigliche  Hindemisse  darbieten  würde.  Zunächst  stellte  Meyer  eine 
Anzahl  Beobacbtungen  an,  um  die  Abhängigkeit  des  Reibungscoefficienten 
vom  Drucke  zu  ermitteln. 

Es  war  bei  diesen  Versuchen,  zu  welchen  drei  Messingscheiben  dienten : 

Jf  =  55  500, 
wobei  das  Gramm    als  Massen-  und   das  Centimeter  als  Längeneinheit 
diente.     JR  der  Radius  der  Scheibe  betrug: 

B  =  9,99  cm, 
die  Schwingungszeit  t: 

t  =  14,1975  Secunde, 

die  Temperatur  22,4^  C.     Es  ergab  sich  2): 


Druck 

Differenz  der 

ReibungHcon- 

P 

log.  Decrem. 

stante 

mm 

fi'  —   B 

n 

757,5 

0,001676 

0,000332 

500,6 

0,001311 

0,000307 

251,1 

0,000813 

0,000236 

^)  Qaass,     Intensitas  Ws  magneticae  terrestris.     S.  36. 
2)  Pogg.  Ann.,  Bd.  125,  S.  578. 


96  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Bei  einer  anderen  ähnlichen  Versnchsreihe  i)  ergab  sich  bei  ein« 
Temperatur  von  21,4®  C: 


Dnick 
mm 

Di£fereiiz  der 

log.  Decrem. 

c'  —  € 

Reibongs- 
coefficient 

747,2 
494,9 
239,7 

0,001619 
0,001268 
0,000740 

m 

0,000313 
0,000336 
0,000204 

Bei  einer  anderen  Yersnchsreihe')  mit  gläsernen  Scheiben,  für  welche: 
M  =  6850,     H  =  7,5657  cm,     t  =  8,895  See, 
die  Temperatur  gleich  20,4^0.  war,  ergab  sich: 


Druck 
mm 

Differenz  der 
log.  Decrem. 

Reibungs- 
coefficient 

749,1 
499,7 
250,5 

0,00342 
0,00323 
0,00208 

0,000388 
0,000385 
0,000318 

Die  Versuche  ergeben  somit,  soweit  die  Genauigkeit  der  Zahlen 
überhaupt  ein  Urtheil  gestattet,  das  Resultat,  dass  der  Reibungscoefficient 
der  Luft  mit  abnehmender  Dichte  weit  langsamer  abnimmt  als  diese. 
Demnach  ist  das  Maxwell'  sehe  Gesetz,  nach  welchem  die  Reibungsconstante 
(man  sehe  Gl.  8,  S.  86)  eines  Gases  unabhängig  von  der  Dichte  sein 
sollte,  wahrscheinlich  wenigstens  angenähert  richtig.  Dass  dasselbe  nur 
innerhalb  gewisser  Grenzen  und  auch  da  nur  angenähert  gültig  sein  könne, 
ergiebt  sich  auch  schon  daraus,  dass  die  Annahme  einer  beliebigen  Gül- 
tigkeit desselben  zu  der  absurden  Consequenz  führen  würde,  dass  eb 
Gas  von  der  Dichtigkeit  0  eine  ebenso  grosse  Reibung  besitzen  müsse, 
wie  unter  normalem  Drucke,  oder  dass  im  Yacuum  dieselbe  Reibung  Tor- 
handen  sein  müsse,  wie  im  lufterfullten  Räume.  — 

Weitere  Consequenzen  lassen  sich  wegen  der  geringen  Zuverlässig- 
keit der  beobachteten  Werthe  von  ^  zunächst  wohl  kaum  aus  obigen 
Zahlen  ziehen. 


1)  A.  a.  0.,  S.  581. 

2)  A.  a.  O.,  S.  583. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase. 


97 


InD erhalb  Bahr  enger  Grenzen  hat  auch  0.  E.  Meyer  versucht,  das 
[weite  Gesetz,  welches  sich  aus  der  Max  well' sehen  Theorie  ergab,  einer 
ixperimentellen  Prüfung  zu  unterziehen.  Die  Theorie  verlangt  nämlich 
(man  sehe  Gl.  8,  S.  86),  dass  die  Reibnngsconstante  ij  eines  Gases  der 
(^nadratTviirzel  aus  der  absoluten  Temperatur  proportional  sein  müsse. 

Die  Beobachtungen  nach  der  hier  gewählten  Methode  liefern  aber 
Dicht  direct  die  Reibungsconstante  ^,  sondern  zunächst  die  Grösse: 

das  geometrische  Mittel  aus  ij  und  der  Dichtigkeit  der  Luft.  Dieser  Werth 
aber  ändert  sich  proportional  der  Grösse     y  —  •     Eine  Temperatarerhö- 

hung  des  Gases  um  10^0.  würde  demnach  die  Grösse  Vrj  .  S  und 
die  ihr  proportionale  Grösse  fc'  —  b  nur  um  1  Procent  ändern  und  das 
ist  eine  Aenderung,  welche  ganz  und  gar  innerhalb  der  unvermeidlichen 
Fersncbsfebler  liegt.  Der  Theorie  nach  müsste  somit  die  Differenz  der 
log^rithmischen  Decremente  von  der  Temperatur  nahezu  unabhängig  ge- 
hinden  werden.  Meyer  fand  bei  einem  constanten  Drucke  von  nahezu 
750  mm  dnrch  Versuche  mit  gläsernen  Scheiben : 


Tempera- 
tur 

'Druck 
P 

Differenz  der 
log.  Decrem. 

Reibungs- 
coefficient  *) 

8,3 
21,5 
34,4 

745,6 
756,6 
751,5 

0,00375 
0,00364 
0,00377 

0,000533 

0,000323 

•     0,000316 

Diese  Resultate  scheinen  demnach  der  Maxwell'  sehen  Theorie  nicht 
sa  widersprechen ,  wenn  wir  auch  nicht  wagen ,  dieselbe  als  eine  Bestä- 
tigung des  Gesetzes  in  Anspruch  zu  nehmen. 


5.    Maxwell's  Experimente  über  die  innere  Reibung. 


Auch  Maxwell^)  bediente  sich  für  die  Messung  der  inneren  Reibung 
des  Coulomb' sehen  Verfahrens;  seine  Yersuchsmethode  ist  nur  insofern 
von  der  Meyer's  verschieden,  als  er  jede  der  drei  mit  einander  verbun- 
denen Scheiben  zwischen   zwei  festen  Scheiben  schwingen  Hess,  so  dass 


1)  A.  a.  0.,  S.  585  und  586. 

^  Oh  tbe  viscosity  and  internal  friction  ofairand  othergases.  Phil.  Transact.  ofthe 
Roy.  Soc.  of  London.     Bd.  156  (1866),  S.  249  bis  268. 


Verdet-Kahlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  2. 

% 


98  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

die  innere  Reibung  in  sechs  getrennten  Laftschichten  wirkte.  Im  Uebri- 
gen  ähnelte  die  yon  ihm  getroffene  Einrichtnng  und  das  angewendete; 
Verfahren  dem  Meyer 's  auch  sonst  in  vielen  Stücken.  Die  beweglichen 
Scheiben  hingen  bei  Maxwell  jedoch  an  einem  einzigen  Stahldraht.  Die- 
ses Verfahren  vermeidet  den  nicht  unwesentlichen  Uebelstand,  dass  der 
Schwerpunkt  des  schwingenden  Systemes  bei  jeder  Oscillation  gehoben  and 
gesenkt  wird. 

Um  den  Apparat  ohne  Erschütterungen  in  drehende  Schwingungen 
versetzen  zu  können,  war  an  das  untere  Ende  der  Scheibenaxe  ein  Magneti 
befestigt,  der  von  aussen  durch  andere  Magnete  aus  seiner  Richtung  ab«] 
gelenkt  werden  und  dadurch  das  ganze  System  in  Bewegung  setzen  konnte. I 

Maxwell  hing  seinen  schwingenden  Apparat  an  nur  einem  hart 
gezogenen  Stahldrahte  auf,  dessen  Torsionselasticität  genau  bestimmt 
worden  war.  Die  elastische  Nachwirkung  wurde  als  constant  angenom- 
men,  da  der  Draht  schon  Monate  lang  vorher  aufgehangen  mit  gleicher 
Belastung  sehr  viele  Male  bei  verschiedenen  Temperaturen  in  Torsion»*- 
Schwingungen  von  denselben  Anfangslagen  aus,  welche  später  bei  den  Ver* 
suchen  benutzt  wurden,  versetzt  worden  war.  Spätere  Versuche,  welche 
0.  E.  Meyer  ^)  auf  dieselbe  Weise  mit  bifilar  aufgehangenen  Scheiben  ao-' 
gestellt  hat,  zeigten  eine  solche  Uebereinstimmung  mit  MaxwelTs  Resd« 
taten,  dass  man  wohl  annehmen  kann,  dass  die  elastische  Nachwirkung 
eines  derartig  behandelten  Drahtes  bei  constanter  Temperatur  wirklich 
schliesslich  einen  nahe  con stauten  Werth  annimmt. 

Unter  der  Annahme,  dass  die  Luft  an  den  Oberflächen  der  Scheiben 
fest  hafte  und  somit  keine  merkliche  äussere  Reibung  vorhanden  sei,  und 
unter  der  weiteren  Voraussetzung,  dass  jede  unendlich  dünne  Luftschicht 
für  sich  als  Ganzes  oscillire,  wurde  die  Theorie  der  Versuche  aufgestellt^ 
Dem  Einflüsse  der  Luftbewegungen  am  Scheibenrande  suchte  Maxwell 
dadurch  Rechnung  zu  tragen,  dass  er  annahm,  dieselben  wirkten  gerade 
so,  als  ob  die  Scheiben  etwas  grösser  wären. 

Wir  wollen  uns  auf  eine  Reproduction  dieser  Theorie  nicht  einlas» 
sen.  Wir  halten  besonders  das  Verfahren,  durch  welches  dem  Einflnsse 
des  Randes  Rechnung  getragen  worden  ist,  für  sehr  angreifbar;  da  je*< 
doch  diese  ganze  Gorrection  von  sehr  geringfügigem  Betrage  ist,  so  mag 
immerhin  eine  solche  angenäherte  Rechnung  für  zulässig  gelten. 

Einen  wesentlichen  Vortheil  besitzt  jedoch  die  Max  weil' sehe  Ein- 
richtung vor  der  Meyer's,  nämlich  den,  dass  durch  die  Einführung  der 
festen  Scheiben  die  Formel  ,  durch  welche  aus  den  Beobachtungen  diej 
Werthe  des  Reibungscoefficienten  rj  gefunden  werden,  unmittelbar  diesen  | 
Werth  ri  selbst  ergiebt.  Meyer 's  Formel,  welche  für  nur  bewegliche 
Scheiben  gilt,  ergiebt  zunächst  (man  sehe  S.  94  u.  95)  die  Quadratwurzel 
aus  V},  und  dadurch  werden  die  Beobachtungsfehler  mit  doppeltem  Ge- 


*)  0.  E.  Meyer:  Ueber  die  innere  Reibung  der  Gase.     Dritte  Abhandlung.     Pogg. 
Ann.  Bd.  143,  S.  14  bis  26. 


D.  Innere  Beibung  der  Gase.  99 

^icbt  anf  das  EndresnHat  einwirken,  als  bei  Anwendung  von  MaxweH's 
Tormel. 

Die  Formel  Maxweirs,  welche  znr  Berechnung  von  17  dient,  lautet^): 

4  .  M  .  a  ,  (£  —  Ä;) 
V  =  /  A    \ ....    10) 


1  +  ^  J  .  (1  +  -ö") 


in  derselben  ist  M  das  Trägheitsmoment  des  Apparates,  a  der  Abstand 
der  Innenfläche  der  festen  und  der  beweglichen  Scheiben ,  N  die  Anzahl 
der  der  Lnflreibung  ausgesetzten  'Scheibenflächen,  R  der  Radius  der 
Scheiben.     Femer  ist: 

a  = lognat  10 .  [log  2  +  m  +  hg  sin  - — ^^^H 

n  [  26      j 

eine  Gorrection  wegen  des  Randes,  wobei  2  b  der  Abstand  der  Innenfläche 
zweier  fester  Scheiben,  h  —  a  die  Dicke  der  reibenden  Luftschicht  ist. 
S  ist  die  Schwingungszeit ,  6  das  auf  die  Basis  e  bezügliche  beobachtete 
logarithmische  Decrement,  k  der  Theil  dieses  logarithmischen  Decrementes, 
welcher  nicht  von  der  inneren  Luftreibung,  sondern  von  anderen  Widerstän- 
den abhängt.  -Ö"  ist  eine  Reihe,  deren  Werth  von  der  Dichte  der  Luft  ab- 
hängt, und  welche  um  so  mehr  convergirt,  je  grösser  die  Schwingungs- 
daaer  I,  je  kleiner  der  Scheibenabstand  a,  je  kleiner  die  Dichte  und  je 
grösser  der  Reibungscoefficient  ist. 

Maxwell  findet  aus  seinen  Versuchen  für  0^0.  den  Reibungscoeffl- 
cnenten  17  der  trockenen  Luft: 

12  =  0,0001878 

und  i^lanbt,  was  nicht  wahrscheinlich  ist,  dass  dieses  Resultat  bis  auf  Ya 
Prooent  richtig  seL 

Ausserdem  glaubt  Maxwell  aus  seinen  Versuchen  das  Resultat  ab- 
leiten zu  können,  dass  der  Reibungscoefficient  17  nicht,  wie  es  die  Theo- 
rie (GL  8,  S.  86)  fordert,  der  Quadratwurzel,  sondern  der  absoluten  Tempe- 
ratur selbst  proportional  sei.  Er  fand  nämlich,  dass,  wenn  er  die  abso- 
hiie  Temperatur  des  Gases  im  Verhältniss  von 

1  :  1,2605 

wachsen  Hess,  die  innere  Reibung  im  Verhältniss  von 

1  :  1,2624 

wuchs^).      Das  Temperaturintervall  betrug  hierbei  134^  F.   oder  unge- 
fehr  750  C. 

Denselben  Weg,  den  vor  ihm  schon  Maxwell  betreten  hatte,  schlug 
Spaterhin   auch  0.  E.  Meyer 3)  ein,  auch  er  brachte  zwischen  die  drei 

1)  Maxwell,  Phil.  Trans.,  Bd.  156,  S.  263,  Gl.  24. 
')  Maxwell,  a.  a.  0.,  S.  256. 

»)  O.  E.  Meyer:  lieber  die  innere  Reibung  der  Gase.     Dritte  Abhandlung.    Pogg. 
Aan.  Bd.  143,  S.  14  big  26. 

7* 


100  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

beweglichen  Scheiben  seines  Apparates  und  oberhalb  und  unterhalb  der- 
selben feste  Scheiben  an.  Er  bediente  sich  jedoch,  wie  schon  früher,  der 
bifilaren  Aufhängung,  damit  nicht  die  veränderliche  Torsion,  sondern 
die  constante  Schwerkraft  die  Ursache  der  Schwingungen  würde,  und  da- 
mit die  elastische  Nachwirkung  der  Aufhängungsdrähte  nur  yerschwin* 
dend  wenig  auf  die  Abnahme  der  Amplitude  einwirken  konnte. 

Bei  Betrachtung  der  gemessenen  Amplituden  zeigte  sich,  dass  die 
Rogelmässigkeit  der  horizontalen  Oscillationen  der  Scheiben ,  welche  bei 
Ableitung  der  Theorie  vorausgesetzt  waren,  durch  die  periodischen  He- 
bungen und  Senkungen  des  bifilar  aufgehängten  Apparates  gestört  wor- 
den waren;  das  logarithmische  Decrement  wuchs  mit  den  Amplituden. 
Durch  einen  Behr  geschickten  Kuust griff  hat  Meyer  jedoch  diese  Schwie- 
rigkeit erfolgreich  überwunden.  Die  Reibung  bei  der  horizontalen  Be- 
wegung bewirkt  nämlich  eine  Abnahme  der  Amplitude,  welche  der  Ge. 
seh  windigkeit  proportional  ist,  also  eine  Abnahme  nach  einer  geometrischen 
Reihe.  Die  vom  Quadrate  der  Geschwindigkeit  abhängige  Störungs- 
bewegung fügt  eine  Vermehrung  der  Abnahme  hinzu,  welche  dem  Quadrate 
der  Geschwindigkeit  proportional  ist.  Hierdurch  wird  man  genöthigt, 
für  die  Abnahme  der  Amplituden  ein  Gesetz  ^)  anzunehmen,  welches  eine 
geometrische  Reihe  als  speciellen  Fall  in  sich  schliesst.  Dieses  Gesetz 
lautet: 

'''""^  iv  ttjtI) = ^  • ' ''^ 

Hierin  ist  O  die  anfangliche  Grösse  der  Amplitude,  tp  die  Amplitude 
nach  p  Schwingungen,  ß  ist  eine  constante  Zahl,  £  das  logarithmische  De- 
crement. Durch  Division  zweier  Gleichungen  von  der  Form  von  15) 
kann  ß  leicht  ermittelt  und  damit  dann  £  bestimmt  werden. 

Meyer*)  theilt  folgende  Versuchsreihe  mit: 


^)  0.  E.  Meyer,  Pogg.  Ann.  Bd.  143,    S.  20  und   Crelle»s   Journal  (ur    Mathe- 
matik. Bd.  39,  S.  241.     Man  sehe  auch  diesen  %and  S.  90. 
2)  A.  a.  0.  Pogg.  Ann.  Bd.  145,  S.  23. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase. 


101 


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102  I.  Mo)eculartheorie  der  Wärme, 

Ans  den  VerBuclieD  1,  2,  4,  5  fand  Meyer; 

1)  =  0,000197,     X  =  0,00029  für  180C., 
aus  den  Venachen  6  und  7; 

j]  =  0,000190,     X  =  0,00036  für  25«C., 
nud  dies  sind  Zahlen,  welche  sowohl  nnter  sich,  als  auch  mit  den  Msi-^ 
vell'schen  Resultaten,  welche; 

tj  =  0,000200  für  ISf'C. 
ergebeo,  sehr  gut  aberein  stimmen 

Noch  neuere  Versuche  von  0.  E.  Meyer')  nach  derselben  Methoda, 
welche  dazu  dienen  sollten,  die  Abhängigkeit  des  ßeibungscoei^cienteo 
von  der  Temperatur  zu  ermitteln,  ergaben : 

t}  =  0,000196  für  19"  C. 
Eine  sehr  umfassende  Experi mental untersachong,  welche  sich  gleii^- 
f^^   j  zeitig  aof  mehrere  hier- 

hergehfirige  Gebiet« 
(Reibung  uod  Wärme]  ei- 
tungsfahigkeit  sehr  ver- 
dünnter Gase)  erstreckt, 
ist  in  der  Abhnndlung 
yon  Kundt  und  War- 
burg mitgetheilt; 
„Ueber  Reibung  nnd 
W&rmeleitung  verdänn- 
ter  Gase"  *), 

Der  Apparat,  dessen 
sich  dieselben  za  ihres 
Ver Sachen  bedienten,  ist 
in  Fig.  7  abgebildet.  Eb 
wurde  nur  eine  hori- 
zontal schwingende 
Scheibe  benutzt,  welcher 
durch  drei  Schrauben 
eine  feste  Scheibe  von 
unten  und  durch  andere 
Schrauben  eine  an  die- 
sen letzteren  hängende 
feste  Soheihe  von  oben 
beliebig  genähert  werde  n 
konnte.  DerHauptnnter- 
Bchied    zwischen    dieser 

')  O.  K.  Meyer:  UcUer  .lic  innere  Reibung  der  Ga-^e.  Fünfte  Abhandlung.  P<kk- 
Ann.  Bd.   148,  S.  222  b«  '•'H  ^       ^*^ 


*)  Pogg.  Ann.  Bd.  155,  5,337  bis  365;  S.  525  bis  550  ni 


.  15S,  S.  1 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  103 

Einnchtang  und  der  von  den  früheren  Beobachtern  gewählten  Anordnun- 
gen bestand  jedoch  darin,  dass  die  störenden  dämpfenden  Momente  (in  Max- 
welFs  Formel  14  ist  das  davon  herrührende  Decrement  mit  k  bezeich- 
net) gegen  das  dämpfende  Moment  der  Gasreibung  an  der  Scheibe  so  klein 
war,  dass  wegen  der  ersteren  keine  merkliche  Gorrection  anzubringen  war. 
Aach  Kundt  und  War  bürg  wählen  eine  bifilare  Aufhängung  an  einem 
losserst  dünnen  Süberdrahte  (Durchmesser  0,06  mm),  jedoch  machten 
eie  diese  Drähte  so  lang  (0,3  m)  und  brachten  dieselben  einander  so 
nahe  (Abstand  3  mm),  dass  die  Störungen  durch  das  Heben  und 
Senken  der  Scheiben  bei  den  Schwingungen  ebenfalls  unmerklich 
worden.  (Das  grösste  Auf-  und  Niedersteigen  der  Scheiben  betrug 
0,00006  mm.) 

Bei  to  befindet  sich  (man  sehe  Fig.  7  a.  t.  S.)  in  einer  Messingfassung 
ein  planparalleles  Glas,  durch  welches  in  dem  an  der  Axe  des  Apparates 
befestigten  Spiegel  eine  Scala  beobachtet  werden  konnte.  Die  mit  dem 
Hahn  {  versehene  Glasröhre  führte  zu  einer  Quecksilberluftpumpe,  dem 
Gasentwickelungsapparate,  Manometer  etc.  Der  ganze  Apparat  steht  auf 
einem  Teller  pq^  auf  den  eine  Glocke  o'o"  luftdicht  aufgesetzt  ist.  Die 
ganze  Aufhängungsvorrichtung  steht  ebenfalls  mit  unter  einem  oben  ge- 
schlossenen Röhrenaufsatze  o,  welcher  bei  n  in  die  Glasglocke  o'o"  ein- 
gekittet ist. 

Die  Untersuchung  wurde  auf  Luft,  Wasserstoff  und  Kohlensäure  aus- 
gedehnt. Die  Versuche  lieferten  für  alle  drei  Gase  eine  glänzende  Be- 
«tätignng  des  ersten  MaxwelTschen  Gesetzes,  dass  1}  von  der  Dichte 
und  somit  vom  Drucke  des  Gases  unabhängig  sei,  denn  von  750  mm 
I  Quecksilberdruck  bis  zu  20  mm  blieb  das  logarithmische  Decrement  bis 
aof  weniger  als  1  Procent  des  Werthes  con staut.  Bei  noch  geringerem 
'  Drucke  zeigte  sich  dagegen  eine  merkliche  Abnahme  des  logarithmischen 
Decrementes,  die  sich  jedoch,  wie  im  nächsten  Abschnitt  gezeigt  wird, 
anderweit  erklärt  Zur  Bestimmung  des  absoluten  Reibungscoefficienten 
Bind  aber  nur  die  bei  750  mm  und  380  mm  Druck  beobachteten  Werthe 
angewendet  worden. 

Zar  Berechnung  diente  die  MaxwelTsche  Formel,  welche  wir  be- 
reits als  Gleichung  14)  reproducirt  haben. 

Da  der  Reibungscoefficient  r^  von  der  Grösse  e  des  logarithmischen 
Decrementes  abhängt,  so  garantirt  die  Un Veränderlichkeit  von  s  gleich- 
zeitig die  von  17. 

Wir  reproduciren ,  um  zu  zeigen,  dass  f}  nahezu  unabhängig  vom 
Drucke  ist,  so  lange  der  Druck  nicht  unter  20  mm  sinkt ,  drei  auf  Luft, 
Kohlensäure  und  Wasserstoff  bezügliche  Beobachtungsreihen.  Die  Co- 
lumne  e  enthält  für  jedes  Gas  die  auf  15^  G.  bezüglichen  logarithmisohen 
Decremente,  welche  unter  der  Annahme  aus  den  beobachteten  abgeleitet 
Bbd,  dass,  wie  es  aus  Maxwell's  Versuchen  hervorzugehen  scheint,  1}  und 


104 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


somit  auch  das  logarithmische  Decrement  e  der  ersten  Potenz  der  abeo- 
luten  Temperatur  proportional  sei^). 

Der  Abstand  der  beweglichen  Scheiben  von  den  beiden  festen  Schei> 
ben  betrag: 

a  =  0,1967  mm, 

das    Trägheitsmoment    des    schwingenden   Apparates  M  =.  1960  g  ein, 
die  Schwingangsdauer  %  =  42,28  Secunde. 

Luft.  ' 


Logarithmiscbes  Decrement 

Druck 

Temperatur 

mm 

OC. 

beobachtet 

auf  15^  reduc. 

• 

6 

C 

750 

18,8 

0,0587 

0,0580 

380 

18,5 

0,0593 

0,0586 

20,5 

17,2 

0,0586 

0,0582 

2,4 

16,6 

0,0570 

0,0567 

1,53 

16,4 

0,0558 

0,0555 

0,63 

17,2 

0,0530 

0,0526 

Wasserstoff, 


750 
380 

20 


18,9 
19,8 
22,1 


0,0287 
0,0287 
0,0287 


0,0283 
0,0283 
0,0281 


Kohlensäure. 


750 

380 
20,5 
2,4 
1,54 
0,65 


18,3 
20,0 
17,3 
18,7 
19,1 
19,7 


0,0474 

0,0468 

0,0477 

0,0469 

0,0470 

0,0466 

0,0466 

0,0461 

0,0459 

0,0453 

0,0441 

0,0434 

^)  Der  Fehler ,  welcher  durch  Anwendung  dieses  nicht  richtigen  Gesetzes  sich  in 
die  reducirten  Werthe  einschleicht,  ist  hier  ganz  unerheblich,  da  die  Temperaturdiffe- 
renzen  sehr  gering  sind. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase. 


105 


Auch  hier  erkennt  man,  dass  die  innere  Reibnng  der  Gase  bei  ab- 
nehmender Dichte  allerdings,  wenn  auch  erstaunlich  langsam,  abnimmt, 
und  dass  diese  Abnahme  bei  allen  Gasen  nahezu  in  gleichem  Maasse 
stattfindet. 

Für  jedes  Gas  sind  drei  Versuchsreihen  angestellt  worden  und  zwar 
für  alle  Gase  bei  der: 


1.  Versuchs- 
reihe 


2.  Versuchs- 
reihe 


3.  Versuchs- 
reihe 


Scheibenabstand 

Trägheitsmoment 

SchwiDgungfidaaer 

Badins  der  Scheiben 

Conrection 

Im  Besonderen  war  für: 


a  ■ 

M 

G 

R 

a 


0,1104  cm 
1550 

40,25  See. 
8,0 
0,07622 


=  0,1967 
=  1960 
=  42,28 
=  7,95 
=  0,1022 


Luft. 


=  0,2802 
=  1960 
=  42,20 
=  7,95 
=  0,1422 


1.  Versuchs- 
reihe 


2.  Versuchs- 
reihe 


3.  Versuchs- 
reihe 


Auf  15®  reduc.  J)ecrement    .    .    . 
ReibnngscoefHcient  bei  15^0.  .    • 


C  =  0,1318 
}}  =  0,000193 


0,05828 
0,000186 


Anf  15^  reduc.  Decrem.    .    .    . 
ReibungscoefFicient  bei  15®  •    . 


Auf  15®  reduc.  Decreme'nt    .    . 
Beibungscoefßcient  bei  15®   .    • 


Mittel  n  =  0,000189. 

Wasserstoff. 

e  =  0,6517 
ri  =  0,0000953 

Mittel  1?  =  0,0000923. 
Kohlensäure. 

e  =  0,1069 

ri  =  0,000156 
Mittel  1?  =  0,000152. 

Wasserdampf. 


=  0,028275 
=  0,0000900 


0,0469 
0,000149 


Auf  15®  reduc.  Decrement  .    •    • 
BeibungBCoeflicient  bei  15®   •    .    . 


e 


0,03063 
0,0000975 


0,04248 
0,000189 


0,020545 
0,0000916 


0,0341 
0,000152 


106  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Man  erkennt,  dass  der  ReibungscoefÜcient  der  Loft  am  grossten,  der 
des  Wasserstoffs  nahezu  nur  halb  so  gross  und  der  des  Wasserdampfes 
wenig  grösser,  als  der  des  reinen  Wasserstoffes  ist.  Hieraus  ergiebtsich 
die  mittlere  Weglänge  bei  15®  und  760  mm  Druck  fur^): 

Luft  A  =  0,0000084  cm, 

Kohlensäure  X  =  0,0000055  cm, 
Wasserstoff  X  =  0,0000156  cm, 
Wasserdampf  A  =  0,0000056  cm. 

Auch  einige  Versuche,  welche  von  Puluj  angestellt  worden  sind, 
mögen  an  dieser  Stelle  mit  Platz  finden ,  wenngleich  wir  später  bei  Be- 
sprechung der  Abhängigkeit  des  Reibungscoefficieuten  von  der  Tempe- 
ratur Veranlassung  haben  werden,  ausführlicher  auf  diese  Arbeiten  zu- 
rückzukommen.  Derselbe  fand  mit  einem  Apparate,  welcher  dem  too 
Kundt  und  Warburg  fast  vollkommen  glich,  für: 

Luft  1^  =  0,0001916    bei  20»  C, 

Wasserstoff    rj  =  0,00009285  bei  15,9^ 
Kohlensäure  if  =  0,000153  bei  19,9». 

6.  Versuche  von  Kundt  und  Warbupg  mit  verdünnten 

Gasen.    Der  Oleitungscoefficient  v. 

Auch  durch  rein  theoretische  Betrachtungen  kann  man  sich  dayon 
überzeugen,  dass  die  Annahme,  welche  den  meisten  bisherigen  Rechniin- 
gen  zu  Grunde  lag,  nach  der  ein  Gleiten  des  Gases  an  den  festen  Wan- 
dungen nicht  stattfinden  soll,  nicht  richtig  sein  kann. 

Wir  denken  zu  diesem  Zwecke  ^)  das  Gas  auf  der  einen  Seite  durch 
eine  ruhende  ebene  Wand  begrenzt,  deren  dem  Gase  zugekehrte  Fläche 
die  XY-Ebene  sein  möge.  Der  Bewegungszuatand  im  Gase  soU.  als  sta- 
tionär vorausgesetzt  werden  und  in  jedem  Punkte  soll  eine  der  X-Axe 
parallel  gerichtete  fortschreitende  Bewegung  vorhanden  sein.  In  irgend 
einem  Punkte,  welcher  um  g  von  der  XY-Ebene  absteht,  soll  die  Grosse 
der  fortschreitenden  Bewegung  gleich: 

u  =  Ä  -^  B  .  e 

sein.  Betrachtet  man  ein  Flächenelement  Ö  der  Wand,  so  hat  die  mitt- 
lere Translationsgeschwindigkeit  der  dieses  Element  treffenden  Gasmole- 
cüle  einen  endlichen  positiven  Werth ,  derselbe  mag  /  sein.  Wäre  die 
Wand  absolut  glatt,  so  würde  die  der  Wand  parallele  Componente  der 

1)  Hierbei  ist  die  Stefan 'sehe  Formel: 

17  =  —■  •  <f  .  i>  .  A 

'         8 

benutzt  worden.     Man  sehe  Anmerkung  zu  S.  86. 

*)  Wir  folgen  im  Nachstehenden  der  Entwickelung,  welche  Kundt  und  WarborK 
in  ihrer  Abhandlung:  Ueber  die  Reibung  und  Wärmeleitung  verdünnter  Gase ,  Pogg. 
Ann.  Bd.  155,  S.  345  ff.,  gegeben  haben. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase. 


107 


Geschwindigkeit  der  Molecale  durch  den  Anstoss  an  die  Wand  nicht  ge- 
ändert werden. 

Die  Thatsache,  dass  Reibung  des  Gases  an  der  Wand  stattfindet, 
beweist,  dass  die  Molecüle  der  Wand  einen  Theil  der  der  Wand  paralle- 
len CompoDente  ihrer  BeweguDgsgrösse  abgeben.  Welche  Vorstellung 
man  sich  auch  von  dem  jedenfalls  höchst  complicirten  Vorgänge  machen 
will,  dem  die  Molecüle  an  der  Wand  unterworfen  werden,  so  wird  man 
doch  immer  zugeben  müssen,  dass  die  mittlere  mit  x  parallele  Transla- 
tionsgeschwindigkeit der  von  der  Wand  abfliegenden  Molecüle  zwischen 
0  und /liegt.  Hieraus  folgt  aber,  dass  die  mittlere  Geschwindigkeit  Uq 
der  der  Wand  anliegenden  Gasmolecüle  einen  endlichen  positiven  Werth 
hat.  Yon  diesem  haben  aber  die  auf  die  Wand  zufliegenden  Molecüle 
die  mittlere  Translationsgeschwindigkeit /,  die  von  der  Wand  abfliegen- 
den eine  zwischen  0  und  /  liegende  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden 

Bewegung;  hieraus  folgt,  dass: 

Wo  >  0 

ist,  d.  h.  es  findet  Gleitong  an  der  Wand  statt. 

um  Aufschluss  darüber  zu  erhalten,  in  welcher  Weise  der  Gleitungs- 
coefficient  mit  den  übrigen  Eigenschafben  des  Gases  zusammenhängt; 
machen  Eundt  und  Warbnrg  eine  sehr  specielle  Annahme  und  setzen 
an  die  Stelle  des  jedenfalls  sehr  complicirten  Vorganges  an  der  Wand 
einen  einfacheren.  Sie  nehmen  nämlich  an,  dass  die  Curve,  welche  die 
Geschwindigkeit  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Wand  darstellt,  in  der 
Nähe  der  Wand  aus  vier   geradlinigen  Stücken  AB,  BC,  CD,  DE  be- 


Fig.  8. 


1 


X 


steht  (man  sehe  Fig.  8), 
welche  sich  bei  ^  =.A, 

schneiden,  wenn  A  die 
mittlere  Weglänge  be- 
zeichnet. Die  Gerade 
A  B  entspricht  der  For- 
mel u  =:  A  -Y  B  ,  e. 
Die  drei  anderen  wurden 
der  Voraussetzung  des 
stationären  Zustandes 
gemäss  dadurch  be- 
stimmt, dass  durch  ^  =  0, 


nämliche  Bewegungsgrösse    hindurchgeht.       Bezüglich   der    Details  der 

hierher  gehörigen  Rechnung  verweisen  wir  auf  die  Origiualabhandlung  ^). 

Bezeichnet  Uq  die  Geschwindigkeit  der  Gasschicht,  welche  der  ruhen- 


^)  A.  a.  0.     Pogg.  Ann.     Bd.  155,  S.  354  bis  358. 


108  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

den  Wand  anliegt,  5',  b'\  h"'  Rieht ungsconstanten  der  Geraden  B  C,  CD, 
DE  in  Bezug  aaf  die  X-Axen,  so  ergiebt  eich  : 

6'  =  1,1640  .  5;   b"  =  0,8679  .  J?;   5'"  =  1,3750  .  B; 

Wo  =  0,57660  A  .  B. 
In  der  bisher  immer  angenommenen  Theorie  war  die  Geschwindig- 
keitscurve  bis  an  die  Wand  hinan  eine  stetig  fortlaufende  Gerade.  In 
der  von  Kundt  und  War  bürg  adoptirten  Annahme  weicht  die  Cunre  in 
der  Nähe  der  Wand  von  der  Geraden  ab;  doch  sind  die  Abweichungen 
beschränkt  auf  die  Entfernungen  <  A  von  derselben,  wenn  A  die  mitt- 
lere Weglänge  bezeichnet.  Wenn  die  Geschwindigkeit  von  D  aus  nach 
der  Wand  nach  dem  Gesetze  der  Geraden  ÄB^  d.  h.  nach: 

u  =  Ä  -{■  B  .  is 

abnähme,  so  würde  u  =  0,  d.  h.  gleich  der  Geschwindigkeit  der  festen 
Wand  werden,  in  einem  Abstände  v  hinter  derselben.  Zur  Besiimmiing 
dieser  Grösse  r,  welche  der  Gleitungscoefficient  genannt  wird,  erhält 
man  die  Gleichung: 

^        1     A  .  (b^  +  h*'  +  h''^  +  Uq 

3  A  +  V 

Setzt  man  die  angegebenen  Werthe  ein,  so  ergiebt  sich: 

V  =  0,7122  .  A, 
oder : 

v  =0,7122  .  Ao  •  , 

P 

wenn  Aq  die  mittlere  Weglänge  des  Gases  für  760  mm  Druck  and  p  den 

DiMick  des  Gases  in  mm  Quecksilber  bezeichnet. 

Setzt  man  für  A  seinen  Werth  für  Luft  bei  p  =  760  mm  ein,  so 

ergiebt  sich: 

V  =  0,000059  mm. 

Man  findet  also  allgemein: 

V  =  K  .  X 16) 

wo  K  ein  Proportionalitätsfactor  ist. 

In  dieser  Gleichung  liegen  folgende  Gesetze  für  den  Gleitungscoeffi« 
cienten,  welche  einer  experimentellen  Controle  fähig  sind: 

1.  Da  A  der  Dichte  umgekehrt  proportional  ist,  so  ist  der  Gleitungs- 
coefficient V  eines  Gases  der  Dichte  ebenfalls  umgekehrt  proportional. 

2.  Für  verschiedene  Gase  von  gleichem  Drucke  verhalten  sich  die 
Gleitungscoefficienten  wie  die  mittleren  Weglängen,  da  der  Proportionali- 
tätsfactor Ä,  wie  schon  O.E.  Meyer  ^)  vermuthete  und  Kundt  und  War- 
burg bestätigt  haben,  für  alle  Gase  nahe  denselben  Werth  hat. 

Betrachten  wir  nun  wiederum  den  Fall,  der  bei  den  Versuchen  vor- 
liegt, dass  die  Gasmasse  zwischen  zwei  ebenen,  der  XF- Ebene  parallelen 


^J  0.  E.  Meyer:  üeber  die  innere  Reibung  der  Gase,  II.  Abhandlang.  Pogg.  Ann. 
Bd.  127,  S.  377. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  109 

Wänden  ein  geschlossen  ist,  von  welchen  die  eine  ruht,  die  andere  mit  der 
Geschwindigkeit  vi  parallel  der  X-Axe  verschoben  wird.  Dann  ist  die 
Translationsgeschwindigkeit  u  =  A  -\-  Be  des  Gases  in  einem  Abstände 
e  von  der  festen  Wand  gleich: 

M  =    -  •  tt'    4;    j -  Z 17) 

wenn  a  die  Dicke  der  zwischen  den  Wänden  eingeschlossenen  Gasschicht 
and  V  den  vorhin  definirten  Gleitnngscoefficienten  bezeichnet.  Alsdann 
ist  die  auf  die  Flächeneinheit  der  bewegten  Ebene  ausgeübte  Reibung  92 
merklich  gleich: 

»^  = "  •  «-+Tr/> ^«) 

so  lange 

a  >  14  A 

ist.     Wobei  nach  Gleichung  16: 

V  =  K  .  k. 

Aus  MazwelTs  Theorie  hatte  sich  nun  aber  früher  zur  Berechnung 
der  Versuche  die  Formel  ergeben  (man  sehe  Gl.  10,  S.  99,  bei  Kundt 
und  Warburg  ist  A'=  2,  x  =  0): 

2  Jf  .  g  .  £ 

^  ~  Ä  .  (JB  +  «)*  .(1  +  »)  .%' 

Genauer  würde  man  hierin  für  a  also  nunmehr: 

a  +  2v 
zu  setzen  haben. 

Aendert  man  nun  lediglich  die  Dichte  des  Gases,  während  alles 
Uebrige  constant  bleibt,  so  ändert  sich  allein  v.  Nennt  man  nun  Sq  das 
logarithmisohe  Decrement  für  eine  sehr  grosse  Dichte  des  Gases,  so  ist: 

s  a 


.0         1  ^  2v 
*  a 

Bei  sehr  grosser  Dichte  aber  ist  A,  die  mittlere  Weglänge,  sehr  klein 

und  daher  wird  man,  ohne  wesentlichen  Fehler,  vernachlässigen  kön- 
nen und  erhält: 

«0 


a 


19) 


wobei  V  =  K  ,  X, 

Dies  Resultat  lässt  sich  auch  in  der  Form  darstellen: 


')  Genaueres  hieräber  sehe   man    bei    Kundt  und  Warburg  a.  a.  O.  Pogg.  Ann. 
Bd.  155,  S.  3  50. 


110 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


B  = 


fo 


worin : 


Ö  = 


P 


JST.Ae  .  760 
a 


20) 


Hierin  inuss  demnach  6  vom  Drucke  unabhängig,  filr  verschiedene 
Gase  proportional  der  mittleren  Weglänge  und  ausserdem  umgekehrt 
proportional  der  Dicke  a  der  reibenden  Gasschicht  sein.  Dies  bestätigte 
sich  bei  den  Versuchen  von  Kundt  und  Warburg  mit  kleinen  Drücken 
von  20  bis  0,60  mm  Quecksilber  vollständig.  Für  jede  der  auf  S.  104 
mitgeth eilten  Versuchsreihen  wurde  ö  bestimmt  und  damit  rückwärts 
die  Grösse  des  logarithmischen  Decrementes  bestimmt. 

Es  ergab  sich: 


für  Luft, 

wenn:  a  -— 

0,1104, 

f  0   = 

0,132, 

Ö  —  0,149: 

Druck  p 

mm 

s 

beobachtet 

£  berechnet 

20 

0,131 

0,131 

7,6 

0,129 

0,129 

2,4 

0,125 

0,124 

1,63 

0,120 

0,120 

für  Wasserstoff, 
wenn:  a  =  0,1104,     Iq  =  0,0653, i   6  =  0,0256 

Druck  p 

mm                6  beobachtet  6  berechnet 

20                       0,0638  0,0645 

8,8                     0,0629  0,0635 

2,4                     0,0601  0,0590 


für  Kohlensäure, 

wenn:  a  — 

0,1967, 

£o  —  0,0469, 

ö  —  0,0505 

Druck  p 

mm 

£ 

beobachtet 

£  berechnet 

20,5 

0,0467 

0,0468 

2,4 

0,0461 

0;0459 

1,54 

0,0453 

0,0454 

0,65 

0,0435 

0,0435 

Es  zeigt  sich  also,  dass  v  innerhalb  der  Versachsgrenzen  dem  Dmeke 
umgekehrt  proportional  ist. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  111 

Auch  dass  6  umgekehrt  proportional  dem  Scheibenabstande  a  nnd 
för  Terschiedene  Gase  bei  gleichem  Drucke  der  mittleren  Weglänge  X 
proportional  ist,  kann  innerhalb  der  Versuchsgi'enzen  als  bewiesen  ange- 
sehen werden.  Wenn  man  somit  durch  die  Versuche  die  Theorie  der 
Gleitung  als  bewiesen  ansieht,  so  ist  damit  gleichzeitig  dargethan ,  dass 
die  Voraussetzung  der  Theorie  richtig  ist,  nämlich,  dass  der  Reibungs- 
coefficient  der  Gase  vom  Drucke  innerhalb  der  Drucke  von 
750  bis  1  mm  unabhängig  ist. 

Dies  aber  ist  eine  glänzende  Bestätigung  der  früher  von  uns  ent- 
wickelten Theorie  der  inneren  Reibung  und  sonfit  der  Moleculartheorie 
der  Gase  überhaupt. 

Die  von  allen  Experimentatoren  beobachtete  Abnahme  desReibungs- 
coefficienten  7}  mit  abnehmendem  Drucke  kann  zwischen  750  und  1  mm 
somit  dadurch  erklärt  werden,  dass  man  bisher  immer  den  Gleitungscoef- 
ficienten  in  Formel  14)  gleich  Null  annahm,  während  derselbe  einen 
zwar  kleinen  aber  merklichen  Werth  besitzt,  der  sich  dem  Drucke  um- 
gekehrt proportional  ändert. 

In  den  besten  luftleeren  Räumen,  welche  man  überhaupt  mit  Queck- 
silberpnmpen  herzustellen  im  Stande  war,  behielt  die  innere  Reibung 
noch  immer  den  dritten  Theil  des  Werthes,  den  sie  bei  Atmosphären- 
druck besessen  hatte. 

Es  sind  diese  Versuche  von  Kundt  und  Warburg  besonders  des- 
halb höchst  interessant,  weil  sie  zeigen,  dass  fast  verschwindende  Spuren 
gasiger  Materie  im  Stande  sind,  verhältnissmässig  sehr  grosse  Mengen 
von  Bewegungsgrösse  in  der  Zeiteinheit  zu  transportiren.  Schon  diese 
Versuche  allein  würden  genügen,  um  bei  Erklärung  der  Vorgänge  an 
den  Radiometern  oder  Lichtmühlen  dabei  stehen  zu  bleiben,  dass  die 
lebendige  Kraft  durch  die  letzten  Spuren  von  Gas,  welche  sich  auch  in 
dem  besten  Vacnum  befinden,  übertragen  werden. 


7.   Die  Ableitung  der  ReibungscoefBoienten  aus  Trans- 

spirationsversuolien. 

Von  grosser  Bedeutung  für  die  Bestimmung  des  Reibungscoefficien- 
ten  i|  sind  femer  die  Versuche  über  die  Strömung  der  Gase  durch  Ca- 
pillarröhren,  die  Transspirationsversuche.  Derartige  Versuche  sind  nicht 
nur  mit  Flüssigkeiten,  sondern  auch  mit  Gasen  in  grosser  Zahl  angestellt 
worden.  Von  den  älteren  hierhergehörigen  Beobachtungsreihen  sind  be- 
sonders die  von  Graham  ^)  mitgetheilten  durch  ihre  Vollständigkeit  und 
die  Sorgfalt  ihrer  Ausführung  ausgezeichnet. 

Wenn  man  von  der  Annahme  ausgeht,  deren  Richtigkeit  bereits  von 

^)  Graham,    On   the  motion  of  gases.     Phil.   Trans,   of   the   roy.  soc.  of  London. 
Jahrgang  1846,  S.  513  und  Jahrgang  1849,  S.  390. 


112  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

uns  erkannt  worden  ist,  dass  der  Rcibungscoefficient  tj  in  sehr  weites 
Grenzen  vom  Drucke  und  somit  von  der  Dichte  des  Gases  unabhängig 
ist,  so  lässt  sich  die  Theorie  der  Strömung  eines  Gases  durch  eine  Capil- 
larröhre  ohne  Schwierigkeit  durchführen. 

Man  findet  auch  für  Gase  dasselbe  Gesetz,  welches  Poiseuille*) 
und  11  a  g  e  n  ^)  schon  früher  für  tropfbare  Flüssigkeiten  auf  experimen- 
tellem Wege  ermittelt  haben,  und  welches  erst  später  durch  Stokes^ 
und  andere  für  diesen  Fall  auch  auf  Rechnungswege  abgeleitet  worden  ist 

Dieses  Gesetz,  welches  man  gewöhnlich  das  Poiseuille'sche  nennt, 
giebt  die  Flüssigkeitsmenge  an ,  welche  während  einer  bestimmten  Zeit 
durch  die  Röhre  geflossen  ist,  als  Function  der  Dimensionen  der  Röhre, 
der  Stärke  des  treibenden  Druckes  und  des  inneren  Reibungscoefficienten. 
Da  man  die  ausgeflossene  Menge,  die  Dimensionen  der  Röhre  and  den 
Druck  leicht  findet,  so  können  solche  Versuche  demnach  zur  Bestimmung 
des  Reibungscoefficienten  i^  dienen.  Für  Gase,  welche  sich  von  den  Flüs- 
sigkeiten durch  die  Veränderlichkeit  ihrer  Dichte  mit  dem  Drucke  UDte^ 
scheiden,  ist  die  Theorie  zuerst  von  0.  E.  Meyer*)  durchgeführt  wor* 
den.  Derselbe  ging  aus  von  den  bekannten  Differentialgleichungen  der 
Bewegung,  welche  von  Stokes^)  und  auch  von  Stefan^)  für  Flüssigkei- 
ten unter  Berücksichtigung  der  inneren  Reibung  aufgestellt  worden  sind. 

0.  E.  Meyer  findet  für  die  Geschwindigkeit  u  der  Strömung  eines 
um  r  von  der  Aze  der  Röhre  abstehenden  Flüssigkeitsth eilchens  die  Formel: 

w  =  t'r^'\  -[R'-r'  +  ^v.B]    .    .    ,   .-21) 

Hierin  bedeutet  pi  den  Druck  am  Anfang,  p^  am  Ende  des  Capillar- 
rohres,  l  die  Länge  und  R  den  Radius  des  Capillarrohres ,  p  den  Druck 
in  dem  Querschnitte,  in  welchem  u  gemessen  wird,  17  den  Coefficienten 
der  inneren  Reibung  und  v  den  Gleitungscoefficienten: 

V 
v=— 

s 

wenn  s  den  Coefficienten  der  äusseren  Reibung  an  den  RöhrenwanduD* 
gen  bezeichnet.  Vorausgesetzt  bei  der  Entwickelung  ist:  1)  dass  t}  tm- 
abhängig  von  der  Dichte  ist ,  2)  dass  l  sehr  gross  ist  im  Verhältniss  zam 


^)  Poiseuille,  Recherches  exper.  sur  le  moavement  des  liquides.  Anu.  d.  chim> 
et  de  phys.  3.  Serie.  Bd.  7,  S.  50  (1843). 

2)  Hagen,   Sitzungsber.  d.  Berl.  Akad.,  1854,  S.  17. 

8)  Stokes,  Cnmb.  Trans.  Bd.  8  (1849),  Theil  3  (1847),  S.  304,  §.  9;  G.  Wieae- 
mann,  Pogg.  Ann.  Bd.  99,  S.  218.  F.  Keuroann  in  H.  Jacobson's  Arch.  f.  Anat 
und  rhys.  1860,  S.  80.  1861,  S.  304,  Bericht  der  Naturforscherversamnilung  in  Kö- 
nigsberg 1860,  S.  142;  Hagenbach,  Pogg.  Ann.  Bd.  409,  S.  385;  Helmholtz, 
Wiener  Sitzungsber.  Bd.  40,  S.  107;  Stefan,  Wiener  Sitzungsber.  Bd.  46,  il.  AbUd., 
S.  495. 

*)  0.  E.  Meyer,  Ueber  die  Reibung  der  Gase.  U.  Abhandl.  Pogg.  Ann.  Bd.  127. 
S.  263  bis  271.  | 

ö)  Stokes,  Cambridge  Phil,  trana.  Bd.  8.  I 

6)  Stefan,  Wiener  Sitzungsber.  Bd.  46,  Abtbl.  II,  S.  8.  j 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  113 

Böhrenradiiu  Jl  and  3)  dass  die  treibende  Druckdifferenz  pt  —  jPs  sehr 
klein  ist;  4)  ist  voransgesetzt ,  dass  auch  der  Gleitnngscoef&cient  v  vom 
Droeke  unabhängig  sei,  dieses  aber  ist,  wie  wir  aus  Eundt  und  War- 
bnrg^s  Versuchen  wissen,  nicht  ganz  zulässig. 

Für  die  Verwendung  der  Formel  zur  Berechnung  der  Versuche  ist 
es  bequemer,  die  Ausflusszeit  oder  Transspiratiönszeit  t  und  das  Ausfluss- 
Tolomen  in  Rechnung  zu  ziehen.  Das  während  der  Zeit  t  durch  einen 
Querschnitt  ausgeflossene  Volumen  V  ist: 

F=  2n  .  t  .  I  u  .  r  .  dr 

und  dies  ergiebt ,  wenn  man  den  Werth  Yon  u  einsetzt  und  die  einfache 
Integration  ausfuhrt: 

Beim  Eintritt  in  das  Rohr  (bei  p  =  Pi)  gemessen  beträgt  das  Volu- 
men demnach: 

ivnd  nach  dem  Austritte  (unter  p  =  p^)  gemessen: 

Das  bekannte  Poiseuille^ sehe  Gesetz  erhält  man  unmittelbar,  wenn 
man  das  Volumen  unter  dem  mittleren  Drucke: 

Imisit  und,  was  für  tropfbare  Flüssigkeiten,  welche  die  Wand  benetzen, 

nltoig  ist, 

V  =  0 
Betit    Eis  wird  dann: 

7o  =  »  .  <  .  (pi  —  i?3)  .  — - —      .....    25) 

o   .  1]    •    f 

und  das  ist  das  Poiseuille^sche  Gesetz. 

Diese  Formeln,  welche  eine  constante  Strömungsgeschwindigkeit 
^Toraossetzen ,  dürfen  nur  dann  zur  Berechnung  der  Beobachtungen  be- 
i  nutzt  werden,  wenn  Anfangs-  und  Enddruck  während  des  ganzen  Ver- 
ncbs  UDgeändert  bleiben. 

Für  gewöhnlich  kann  diese  Formel  immer  nur  für  eine  unendlich 
Ueine  Zeit  d^  gelten.  Das  während  des  Zeitelementes  di  unter  dem 
Drucke  pi  in  die  Capillare  eintretende  GasYolumen  dV\  ist: 

oder  wenn  man  dasselbe  nach  dem  Ausflusse  unter  dem  Ausströmungs- 
^nmke  p^  misst: 

T«rd«t-BahlmaBn,Meoliaiu  Wllrmetheoiie.    Bd.  9.  8 


114  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

'  8   .71  .1      \  Rj  2p^ 


Durch  diesen  Vorgang  sinkt  pi  nm  dpi^  und  p^  nimmt  am  dp^  a 
Der  Betrag  von  dpi  und  dp^  ergiebt  sich  aas  dem  Mariotte'* sehen  G^ 
setze,  wenn  man  die  Volumina  Wi  und  W^  der  Gasbehälter  and  deret 
Temperatur  als  constant  betrachtet     Es  ist  dann: 

TT, 

Setzt  man  für  d  Vi  und  d  Fj  die  soeben  berechneten  Werthe  dij 
and  führt  die  Abkürzung: 

ein,  80  ergiebt  sich: 

TT,  .  dj»,  =  +  I  •  ^  .  (Pi»  -  p,») .  dt.  \ 

Durch  Addition  findet  sich  sofort: 

Fi  .  (fpi  +  Wi  .  dp2  ■=  0 

and  durch  hierauf  folgende  Integration : 

C=  Wi.pi  +  Wi  .pa 

Ist  zu  Anfang  des  Versuches  bei  ^  =  0:  p^  =  P^  und  p^ 
bestimmt  sich  der  Werth  dieser  Gonstanten  0  zu: 

C=Wi.Pi  +  Wi.Pt 

Femer  findet  sich: 

•    2  Wi  .  dpi        2.Wi.dpi 

Multiplicirt  man  diese  Gleichung  mit  der  zweitvorhergehenden, 
erhält  man: 

C.K.dt=.^2Wi.W,'  P^'^P^-P^'^P\ 

Pi^  —  Pt^ 
oder  auch: 

C.K.dt=  Wi  .  W2  .d  logncU  ?L-±-£«. 

Pi  —  Pt 
Durch  Integration  ergiebt  sich  hieraus: 

C  .  K  .t^Wi  .  W^.  llognat  ?L+-^  _  jognat  ^'  "^  f ' 


=  -P^J 


l  Pi—Pi  Pi  —  Pt\ 

and  hiermit  ist,  zusammengenommen  mit 

Cf  =  TTi  .  pi  +  TT,  .  p,  =  Wi  .  Pi  +  TTj  .  P„.  .    .   21 
pi  und  |>3  als  Function  Yon  t  durch  die  anfänglich  gegebenen  Gi 
ausgedrückt. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  115 

Die  Ol.  28)  kann  dazn  dienen ,  zu  jeder  Zeit  zn  prüfen ,  ob  der  Ap. 
parat  Inftdicht  geblieben  ist.  Die  letzte  Gleichung  wird,  wenn  pi  und  p^ 
an  den  Manometern  abgelesen  ist,  dazn  benutzt,  um  die  Grösse  K  zu  be- 
rechnen und,  wenn  Versuche  mit  mehreren  Capillaren  vorliegen,  aus  die- 
sen die  Reibungsconstanten  i}  und  v  zu  finden. 

Berechnet  man  aus  den  in  gleichen  Zeiten  t  aufeinander  folgenden 
Manometerablesungen  die  Grösse  iC,  so  erkennt  man  aus  der  Constanz 
dieser  Grösse  die  Gültigkeit  des  Poiseuille'schen  Gesetzes. 

Die  aufgestellten  Formeln  bedürfen  eigentlich  noch  kleiner  Correc- 
tionen«  Die  beiden  Volumina  Wi  und  W3  der  Gasbehälter  sind  nämlich 
nicht  ganz  constant,  sondern  werden  dadurch  etwas  veränderlich,  dass 
das  Quecksilber  in  den  mit  ihnen  verbundenen  Manometern  schwankt. 
0.  E.  Meyer  hat  eine  vollständigere  Formel^)  entwickelt,  welche  auch 
auf  diesen  Umstand  Rücksicht  nimmt,  doch  ist  die  Correction  meist  so 
klein,  dass  sie  unbedenklich  vernachlässigt  werden  kann.  Von  ebenso 
untergeordneter  Bedeutung  ist  eine  Verbesserung  der  Formel,  welche  da- 
durch nöthig  wird,  dass  in  einem  Gefässe,  aus  dem  Gas  ausströmt,  die 
Temperatur  sinkt  und  dass  im  Einströmungsgefösse  eine  Erwärmung  ein- 
tritt Das  strömende  Gras  ist  weder  mit  einer  für  Wärme  vollkommen 
undurchlässigen  Hülle  umgeben,  noch  besitzen  andererseits  Röhren  und 
Geftsse  eine' so  grosse  Leitungsfähigkeit,  dass  sich  die  Temperatur  gar 
nicht  änderte.  Eine  vollständige  analytische  Behandlung  der  Wärme- 
correction  igt  daher  sehr  schwierig,  wenn  nicht  fast  unmöglich;  jedoch 
ist  es  von  Bedeutung,  dass  O.E.Meyer  durch  Untersuchung  der  beiden 
Grenzfalle  einer  Strömung  bei  constanter  Temperatur  und  einer  Strömung 
ohne  jede  Wärmezufuhr  von  aussen  gezeigt  hat,  dass  die  Transspirations- 
versuche  etwas  zu  kleine  Resultate  liefern  müssen.  Dies  ist  um  so  wich- 
tiger, als  die  Sohwingungsbeobachtungen  wahrscheinlich  etwas  zu  grosse 
Werthe  liefern.  Die  fast  vollkommene  Uebereinstimmung  der  nach  bei- 
den Methoden  erhaltenen  Werthe  garantirt  die  Zuverlässigkeit  der  erhal- 
tenen Grössen  und  zeigt,  dass  die  den  Methoden  anhaftenden  Fehler  un- 
bedenklich vernachlässigt  werden  können. 

Der  zu  solchen  Versuchen  dienende  Apparat  ist  in  Fig9  dargestellt 
und  zwar  ist  dies  die  Einrichtung,  deren  sich  0.  E.  Meyer  bei  seinen 
neuesten  Versuchen  bediente. 

Zwei  kupferne  Ballons  Ä  und  B  sind  durch  eine  luftdicht  eingekit- 
tete Gapillarröhre  CC  mit  einander  verbunden.  Den  Druck  des  Gases 
in  Ä  kann  man  am  Manometer  1),  den  in  £  am  Manometer  E  ablesen. 
Am  oberen  Ende  besitzt  jedes  der  Gefässe  Ä  und  B  eine  Röhre  mit  Hahn- 
▼enchloBa,  durch  welche  das  Innere  des  Ballons  mit  zwei  Luftpumpen  in 
Verbindung  gesetzt  werden  kann.  Die  Ablesung  beider  Manometer  ge- 
schieht meist  alle  Minuten  gleichzeitig  durch  zwei  Beobachter.    Die  Tem- 


^)  O.  E.  Mejer:  üeber  die  innere  Reibung  der  Gase,  4.  Abhandlung,  §.  3.  Pogg. 
Ann.  Bd.  148,  S.  10  bis  13. 

8* 


D.  Innere  Reibung  der  Gase. 


117 


1.  Versuch. 
Qaeraelmitt  der  Gapillare  E^jc  =  0,001114  qcm,  Länge  l  =  155,3  cm. 


tntor 

r 

Druck  in 
Pi 

B 

Druck  in  A 

C=:«JiPi  +  W2;>2 

W^^ 

142,51  — 

Pl 

7,84  =  Pa 

372000 

lüt 

132,20 

18,30 

0,0362 

0600 

fk 

123,45 

26,78 

359 

0900 

p 

116,08 

34,53 

364 

0100 

m 

109,73 

41,41 

371 

0800 

m 

104,43 

46,36 

367 

369600 

99,83 

51,06 

369 

8700 

95,92 

54,76 

368 

9300 

96,67 

58,18 

371 

9300 

fiiMe 

— 

— 

0,0368 

370100 

2?  =  0,590. 

E*  nnterscbeidet  sich  von  f  dadurch,  dass  K'  auf  Briggs' sehe  und 
Jlaaf  natürliche  Logarithmen  bezogen  ist,  denn  es  ist  E^  nach  der  For- 
Jid  29)  berechnet: 

C 
md  demnach,  weil  C  durch  die  Grösse  p  ausgedrückt  ist: 

2,3026     Wi  .  Wi  .  s 

^-T~g C • 

WO  p  die  Dichte  des  Quecksilbers  für  mittlere  Temperaturen,  p  =  13,55 
ondi/die  Accelerationder  Schwere  am  Beobachtungsorte  ^=  981,2  cm  ist. 
Nmi  ist  aber  (man  sehe  GL  26,  S.  114): 


8  .  1?  .  Z     1     ^    jR\ 


Demnach  ergiebt  sich  für  die  Beobachtungstemperatur: 
14,6      1,'  =  ij  :  (l  +  4  ^)  =  0,000187. 

Aus  zwei  anderen  Beobachtungsreihen  ergab  sich  für: 
» .  «  =  0,000812  qcm,    l  —  156,2  cm,    i  =  Ufi^C,    6  =  0,0201, 

C  =  154,6,   S!  =  0,316, 


118  L  Moleculartheorie  der  Wanne. 

14,6     V  =  1?  :  (l  +  4  -^  =  0,000186. 

Die  beiden  Wertbe  stimmen,  trotzdem  dass  B  wesentlich 
dene  Werthe  besitzt,  so  gut  mit  einander  überein,  dass  man  schon  dar>| 
aas  erkennen  kann,  dass  v,  der  Gleitungscoefficient,  einen  fast  verschvia-l 
denden  Werth  besitzen  muss.  Für  Berechnung  der  Versuche  habet' 
daher  alle  Beobachter,  welche  sich  der  Transspirationsmethode  bedientes,; 
einfach  v  =  0  gesetzt  und  17'  mit  17  verwechselt. 

Es  braucht  wohl  kaum  hinzugefügt  zu  werden,  dass  solche  Appante^j 
wie  der  oben  beschriebene  und  in  Fig.  9  abgebildete  durch  ihre  Einfadi-| 
heit  besonders  geeignet  erscheinen,  um  1)  die  Reibungscoefficienteii 
verschiedener  Gase  und  2)  die  Reibungscoefficienten  der  Gase  bei  ve^ 
schiedenen  Temperaturen  zu  ermitteln. 

Die  besonderen  Einrichtungen,  welche  sich  für  Versuche  letzter  Ait 
nöthig  machen,  theilen  wir  nicht  mit ,  Bondern  verweisen  deshalb  auf  die: 
Beschreibung,  welche  z.  B*  v.  Obermayer^)  von  dem  von  ihm  benutzien^ 
Apparate  gegeben  hat. 

Auch  bezüglich  einer  etwas  abweicheu den  Methode,  welche  v.  Lang') 
und  nach  ihm  Puluj ')  bei  Transspirationsversuchen  angewendet  habai, 
verweisen  wir  auf  die  Originalabhandlungen. 


8.S  üeber  die  Abhängigkeit  der  inneren  Reibung  der 

Oase  von  der  Temperatur. 

Bekanntlich  fordert  die  Max  well 'sehe  Theorie  der  inneren  Keibiug] 
der  Gase ,  dass  der  Reibungscoefficient  17  vom  Drucke  unabhängig  mA  I 
der  Wurzel  aus  der  absoluten  Temperatur  proportional  sein  müsse.  (Man; 
sehe  Bd.  2,  I,  D,  2,  S.  86,  Gl.  8.) 

Während  das  erste  der  MazwelP sehen  Gesetze  durch  zahlreich« 
Versuche  und  ganz  besonders  durch  die  vortreffliche  Arbeit  von  Kundt 
und  War  bürg  durch  Berücksichtigung  der  Gleitung  iu  sehr  weitet 
Grenzen  für  richtig  erkannt  worden  ist ,  führten  die  Versuche  über  die 
Abhängigkeit  des  Reibungscoefficienten  von  der  Temperatur  zu  ziernüd 
abweichenden  Resultaten,  welche  der  Theorie  fast  alle  zu  widersprecben 
scheinen. 

Ma|[well  glaubte  aus  seinen  Schwingungsversuchen  das  Resultat 
ableiten     zu   müssen,    dass   der  Coefficient    der  inneren    Reibung  den 


^)  y.  Obermayer:   Ueber   die   Abhängigkeit  des   Reibongscoefficienten   der  atoo- 

sphärischen  Luft   von   der  Temperatur  in:    Carl's  Repertorium    der  ExperimentalphTsik. 

Bd.  12,  S.  13  bis  38. 

^  T.  Lang,  Sitzongsber.  d.  Wiener  Akad.  11.  Abth.,  Bd.  66,  Jahrg.  1871,  ApriJhdL 
^J  Palnj,   üeber  die  Reibongsconstante   der   Luft    als   Function  der  Tempentnr. 

Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  Bd.  69,  Jahrg.  1874,  II.  Abth.  Februarheft  und  Bd.  70, 

1874,  Juliheft. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  119 

^nft  der  absoluten  Temperatur  selbst  proportional  sei.     Dieses  Ergeb- 
wnrde  sogar  die  Veranlassung,  dass  MaxwelP)  die  Fundamente  der 
kmmten  Gastheorie  glaubte  abändern  zu  müssen.     Die  Theorie  zeigt 
imlich,  dass  die  Function,  nach  welcher  der  Reibungscoefficient  von  der 
^mperatur  abhängt,  durch  die  Annahme  bestimmt  wird,  welche  man  über 
Vorgänge  während  des  Zusammenstosses  zweier  Molecüle  macht.    Statt 
ler  abstossenden  Kraft,  welche  zwei  sich  begegnende  Gasmolecüle,  ähnlich 
te  zwei  zusammenstossende  elastische  Kugeln  nur  bei  unmittelbarer  Beruh- 
ig oder  wenigstens  in  unmessbar  kleiner  Entfernung  auf  einander  aus- 
)n,  nahm   er  neuerdings  eine  der  fünften  Potenz  der  Entfernung  um- 
»kehrt  proportionale  abstossende  Kraft  an.     Da  wir  jedoch  in  Ueber-' 
[Stimmung  mit  Stefan^)  und  0.  E.  Meyer')  der  Ansicht  sind,  dass 
Annahme  sich  mit  den  früher  von  uns  (Bd.  1,  Abth.  III,  B,  8  bis  10, 
254  bis  270)  besprochenen  Versuchen  von  Joule  und  Thomson  in 
Iderspmcb  befindet,  so  sehen  wir  von  einer  ausführlichen  Besprechung 
wr  Arbeit  ab.     Nach  Joule's  und  Thomson's  Messungen  der  Tem- 
^ratnränderungen,  welche  bei  Druckänderungen  der  Gase  eintreten,  sind 
|ir  nämlich  genöthigt,   zwischen  Gasmolecülen  anziehende  und 
cht  abstossende  Fernewirkungen  anzunehmen^).    Gegen  die  An- 
ime   einer    abstossenden    Femewirkung    zwischen    den  Grasmolecülen 
iricht  auch  noch  der  Umstand,  dass  ein  Gas  zu  einer  Flüssigkeit  und 
sogar  zu  schneeartigen  Massen  sich  verdichten  lässt. 

O.E.  Meyer  wiederholte  deshalb  die  Versuche  nach  der  Mazwell*- 
schen  Methode  und  fand.  fQr  die  Abhängigkeit  der  Lnflreibung  von  der 

Temperatur,  dass  sich  17  weder  mit  der  ^  ten  noch  mit  der  1  ten  Potenz 

der  absoluten  Temperatur,  sondern  dass  sich  17  mit  einem  zwischen  bei- 
den Werthen  liegenden  Exponenten  der  absoluten  Temperatur  ändere. 
Dieses  Resultat  wird  durch  zahlreiche  Transspirationsyersuche ,  die  wir 
im  Folgenden  besprechen  werden,  vollkommen  bestätigt.  Den  Grund  der 
ÜDgenauigkeit  der  MaxwelTschen  Versuche  sucht  O.E.  Meyer,  wie  wir 
glauben,  mit  vollem  Rechte  in  der  ungenauen  Bestimmung  d^r  Temperatur 
der  reibenden  Luftschicht;  Streintz^)  sucht  sie  in  einer  Zunahme  der 
durch  die  elastische  Nachwirkung  des  Aufhängungsdrahtes  bewirkten 
Dämpfung  mit  der  Temperatur.  0.  E.  Meyer  ^)  fand  aus  Transspirations- 
versuchen  mit  einem  Gapillarrohre  von  79,75  cm  Länge  und  0,0161  cm 
Baditts: 


^)  Maxwell,  Phil.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  35,  S.  211. 

^  Stefan:  Ueber  die  dTnamische  Theorie  der  Diffasion  der  Gase.  Sitzungttber. 
der  Wiener  Akad.  Bd.  65,  Abth.  2. 

*)  O.  E.  Meyer;  Ueber  die  innere  Reibong  der  Gase,  5.  Abhandl.  Pogg.  Ann. 
Bd.  14S,  S.  239. 

*)  Herr  Prof.  Boltzmann  in  Wien  hatte  die  Gfitedem  Verf.  brieflich  mitzutheilen, 
diM  er  gefunden  habe,  die  Joule-Thomson 'sehen  Versnche  widersprächen  der  Max^ 
well'schen  Theorie  nicht. 

^  Streintz,  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  69,  IL  Abth.  S.  837. 

^  0.  B.  Meyer.  Pogg.  Ann.  Bd.  148,  S.  203  bis  228. 


120  I.  Moleculaxtheorie  der  Wänae. 

71  =  0,000171  .  (1  4-  0,0024  .  0  von  i  =  20^  hb  99öC.     . 
ri  —  0,000170  .  (1  +  0,0028  .  t)  von  t  =  21»  bis  100«C. 

and  nach  einer  anderen  Methode  mit  einer  Capillare  von  86,5  cm  Länge 
und  0,00691  Radius: 

71  =  0,000174  .  (1  +  0,0030  .  t). 

Drei  Yersuchsreihen  von  Pulnj  ^),  welche  ebenfalls  nach  derTra» 
Bpirationsmethode  angestellt  waren,  ergaben  im  Mittel: 

71  —  0,000180  .  (1  +-  0,0022  .  t)  zwischen  ^  =  1«  und  93o. 

V.  Obermayer')  fand  aus  Strömangsversachen  mit  drei Gapillani 
als  Mittel  aus  acht  Bestimmungen: 

7i  =  0,000167  .  (1  4-  0,0027  .  t)  zwischen  t  =  —  21,50  und  92,5«C. 

Da  alle  diese  Versuche  eine  recht  befriedigende  Uebereinstimmniig 
noch  immer  vermissen  Hessen,  nahm  in  neuester  Zeit  Puluj  ')  mit  den 
Hundt  und  Warburg' sehen  Apparate  (Fig.  7)  neue  Versuche  tot, 
welche  mit  grösster  Sorgfalt  und  Umsicht  durchgeführt  sind. 

Wie  aus  der  Max  well' sehen  Formel  14)  (angewendet  auf  dei 
Kundt  und  Warburg'schen  Apparat,  für  den  x  =  0,  ^  =  0,  ^=2  ist) 

2  .  M .  a  .  € 

n= 


Z.n.B^ 


•O  +  i") 


sich  ergiebt,  ist  die  Reibungsconstante  7j  des  Gases  dem  logarithmiscbei: 
Decremente  6  der  schwingenden  Scheibe  direct  proportional  und  dah« 
lässt  sich  in  der  Formel: 

iy  =  ijo  .  (1  +  5  .  0 30) 

die  Grösse  h  direct  aus  den  Decrementen  berechnen.     Es  ist  nämlich: 

s  =  eo  .{l  +h  .t) 31) 

üeber  die  Resultate  seiner  Versuche  giebt  Puluj  folgende  Ueb6^ 
sieht: 


^)  Palnj:  üeber  die  Reibun^constante  der  Luft  als  Function  der  Tempento. 
Sitzunpber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  69,  II.  Abih.  und  Bd.  70,  II.  Abth. 

*)  Y»  Obermayer:  Ueber  die  Abhängigkeit  des  Reibungscoefiicienten  der  ttmo- 
sphärischen  Luft  von  der  Temperatur.    Carl's  Repertorium  Bd.  12,  8.  13  bis  38. 

^  Puluj,  Ueber  die  Abhängigkeit  der  Reibung  der  Gase  von  der  Temperäiat> 
Sitznngsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  73,  Abth.  II,  S.  589  bis  628. 


D.  Innere  Reibimg  der  Gase. 


1114^- 


122 


I.  Moleculaxtheorie  der  Wärme. 


Hieraus  ergiebt  sich: 

für  Luft  .    .    .    1^  =  1^0  .  (1  +  0,00265  .  0 
fftr  Kohlensaure  ri  =  r^o  .  (1  +  0,003378  .  t) 
für  Wasserstoff   iy  =  i^o  •  (1  +  0,002535  .  t), 
oder,  wenn  man  1}  als  Function  der  absoluten  Temperatur  darstellt: 

für  Luft  .    .    .    91  =  fio  .  T«»7«| 

für  Kohlensaure  rj  =  rjo  ,  T^M 32) 

für  WasserstoflF    ly  =  ijo  .  T^'H 

Max  wein)  hatte  früher  angenommen,  es  sei: 
0.  E.  Meyer«): 
und  Puluj^)  nach  früheren  Versuchen: 

Innerhalb  sehr  weiter  Temperaturgrenzen  hat  in  allemeuester  Zeit 
auch  Y.  Obermayer  ^)  die  Coefficienten  der  inneren  Reibung  und  ihre  Ab- 
hängigkeit von  der  Temperatur  ermittelt,  derselbe  findet  in  trefflicher 
Uebereinstimmung  mit  den  vorhin  mitgetheilten  Resultaten  tod 
0.  E.  Meyer  und  Puluj: 

Substanz  Reibungscoefficient  fi 

Luft n  =  0,0001678  .  (1  4-  0,003665  0*^'" 


Wasserstoff . 
Sauerstoff  . 
Kohlenoxyd 
Aethylen 
Stickstoff  . 
Stickoxydul 
Kohlensäure 
Aethylchlorid 


0861  .  (1  +  0,003665  «)«''« 
1878  .  ^  +  0,003665  0**^ 
1625  .  (1  +  0,003665  0*^^'* 
0922  .  (1  +  0,003665  tf^"^ 
1559  .  (1  -i-  0,003655  tf^'^^ 
1353  .  (1  +  0,003719  tf^ 
1383  .  (1  +  0,003701  if^^ 
0889  .  (1  +  0,003900  t)^^'^] 


33) 


Der  Reibungscoefficient  der  permanenten  Gase  ist  nach  diesen  Ver- 
suchen nahezu  der  Potenz  ^4,  jener  der  coercibeln  Gase  nahe  der  Po- 
tenz 1  der  absoluten  Temperatur  proportional. 

Für  Temperaturen  zwischen  150^0.  und  300<^C.  ergab  Luft  diesel- 
ben Wertke  des  Exponenten,  wie  zwischen  den  niederen  Temperatnreo 


1^  Maxwell,  Phil.  Trans,  of  the  roy.  soc.  of  London.  Bd.  156,  S.  249  bis  268. 

^)  0.  E.  Meyer,  Ueber  die  innere  Reibang  der  Gase.  5.  Abhandl.  Pogg.  Abo. 
Bd.  148,  S.  226. 

')  Pulnj,  Ueber  die  Reibongsconstante  der  Luft  als  Function  der  Temperatur. 
Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  69,  Abtb.  II,  Febroaxheft  und  Bd.  70,  Abth.  II,  JaUheft 
des  J^res  1874. 

^)  y.  Obermayer,  Ueber  die  Abhängigkeit  des  Coefficienten  der  inneren  Beibug 
der  Gase  von  der  Temperatur.    Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  73,  S.  433  Ms  475. 

I 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  123 

—  31,5^  C.  nnd  53,5i>C.;  fflr  KohlensAiire  wurde  eine  langsame  Abnahme 
des  Exponenten  mit  der  Temperatnr  aus  den  Veranohen  gefolgert. 

Jedenfalls  erkennt  man,  dass  die  Abhängigkeit  Ton  der  absolnten 
Tcmperator  fflr  verschiedene  Gase  nicht  daroh  denaelben  Werth  des  Ex- 
ponenten dargeatellt  wird. 

JH«  T.  Obermajer'acben  Zahlen  für  den  ReibangscoefScienten  sind 
&>t  darcbg&ngig  etwaa  kleiner,  als  die  von  den  Übrigen  Beobachtern 
angegebenen;  ein  Grund  für  diese  eigenthfimliche  Abweichung  Ifisst  sich 
Biu  der  Originalabhandlnng  nicht  erkennen  '). 

Für  Bestimmung  der  Function,  nach  welcher  der  CoefBcient  der 
inneren  Reibung  von  der  Temperatur  abb&ngt,  bat  in  allemeueater  Zeit 
8.  W.  Holman*)  eine  weitere  Vereinfachung  der  Transspirationsmethode 
angegeben,  welche,  obgleich  sehr  einfach  in  der  Anwendung,  nicht  un- 
geeignet erscheint,  siemlich  genaue  Reaultate  xa  erzielen. 

Zwei  Capillarröhren  AB  and  CD  (man  sehe  die  beistehende  Fig.  10) 
liegen  nebeneinander  in  zwei  Zinktrögen.  Diese  Tröge  sind  dazu  be- 
Flg.  10. 


stimmt  Bfider  aufzunehmen,  durch  welche  die  Capillarröhren  auf  oon- 
ttanter  Temperatnr  erbalten  werden.  Die  Röhre  G  commnnioirt  mit  dem 
Uanometerf  und  führt  zur  Capillare  DC,  Diebeiden  CapiUaren  sind  bei 
C  und  £  durch  ein  weiteres  T-förmiges  RohrstQck  mit  einander  und  mit 


')  Schon  O.  G.  liejtr  h&t  dannf  hingewiesen,  dui  TruuiplntianiTeraacbe  über- 
hinpt  etvM  ta  kleine  Werthe  für  die  ReibnngiiGaeliicienlen  liefern  miuaen.  Die  durch 
CampTCHion  oder  Ausdehanng  dei  CSuti  entwickelte  Wurme  wird  von  den  Windangen 
dei  CipilUrrohrei  nur  nnToilkommen  ihgeführt  und  dsher  iit  die  Tempenlor  dei  Geses 
nicht  ToUitlndig  conatant,  wUirand  doch  die  Theorie  die«  Tonnuetit.  Umn  >che  Pogg. 
Ann.  Bd.  148,  S.  14. 

*)  8.  W.  Bolmin,  A  new  method  of  atndying  the  reUtion  between  the  vincosity 
ud  Umpenton  of  guM.  PhUo*.  llng.  Sehe  5,  Bd.  3  (Febrnuheft  1877),  S.  81  Ini  8S. 


124 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


einem  Manometer  E  verbunden.  Die  Capillare  BÄ  endlich  oommiinicül 
durch  die  Chlorcalciumröhren  J  und  H  mit  der  atmosphärisohen  Luft. 

Der  Querschnitt  der  Zuleitungsröhren,  welche  zu  den  £nden  tob 
AB  und  CD  führten,  war  klein  genug,  um  voraussetzen  zu  können,  dass 
die  transspirirende  Luft  die  Temperatur  des  Bades  angenommen  habe. 

Das  Rohr  G  mündete  luftdicht  in  ein  grösseres  Gefass,  aus  welchem 
durch  eine  Wasser]  uftpumpe  fortwährend  die  Luft  ausgepumpt  wurde. 

Nach  einiger  Zeit  stellte  sich  ein  stationärer  Zustand  her.  Bei  Ä 
tritt  die  Luft  unter  Atmosphärendruck  ein,  geht  durch  AB^  zwizchen 
beiden  Capillaren  fand  ein  mittlerer  Druck  statt ,  der  durch  E  gemessen 
wurde,  alsdann  strömte  die  Luft  durch  CD  und  nach  £r.  Bei  Q-  herrschte 
der  niedrigste  Druck,  welcher  durch  die  Thätigkeit  der  Wasserluftpnmpe 
cönstant  erhalten  und  durch  das  Manometer  F  gemessen  wurde. 

Ist  der  Apparat  vollkommen  dichte  so  muss  durch  AB  und  CD  die 
nämliche  Luftmenge  hindurchgehen.  Nennen  wir  nun  Fi  das  in  einer 
bestimmten  Zeit  ^  durch  AB  transspirirte  Gasvolumen,  bezeichnen  ferner 
J?i,  li  Badius  und  Länge  dieser  Capillare,  i^i  den  Reibungscoefißcienten  bei 
der  in  AB  herrschenden  Temperatur  ^i  und  bezeichnet  F2,  B^j  2,,  i;,, 
^2  die  entsprechenden  Grössen  in  der  zweiten  Capillare  CD,  und  sind 
Piy  l'2i  fs  die  Gasdrücke  bei  A,  BE  G  und  2),  so  kann  man  folgende  Glei- 
chungen aufstellen  (man  sehe  S.  113,  Gl.  23): 


Fi  = 


8  .  i?i  .  ?i 


2p 


8   


P3 


3 


2p 


t 


L 


8   .  1^2   .  ?2 

Sind  beide  Bäder,  die  in  den  Capillaren  liegen,  auf  gleiche  Tempe- 
ratur gebracht,  so  ist: 

Fl  =  Fj,  %i  —  -^2  und  ij,  =  1/3, 

und  man  erhält  bei  Division  der  Gleichungen: 

•Ri'  »  h  ^  Vi"  —  Pi^ 

Im  Allgemeinen  ist  aber: 

F,  V, 


1  +  a  .  ^1  ~  1  +  «  .  «"2 ^^^ 

wenn  ^ixaidd'^  die Transspirationstemperaturen  in  AB  und  in  CD  sind 
und  folglich  ist: 

fli  _  Bi^  .  k    Pi»  —  Pi^     1  +  «  .  ^f  . 


Man  bestimmt  die  Grösse 


Bi^.h 


zunächst  durch  Ablesung  der  drei 


Barometerstände  Pi,  Ps,  ps  bei  gleicher  Temperatur  in  allen  beiden  Ca- 
pillaren und  kann  hierauf  lediglich  durch  Ablesung  dreier  Quecksilber- 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  125 

Säulen  das  Verbältniss  der  Reibnngscoef&cienten  171  :  179  für  irgend  zwei 
beliebige  Temperaturen  ^i  und  ^9  erhalten.  Nimmt  man  Rücksicht  auf 
die  Aendemngen  der  Länge  nnd  des  Querschnittes  der  Capülare  durch 
die  Temperatur  nnd  bezeichnet  den  linearen  Ausdehnungscoefficienten 
des  Glases  mit  A  {Ä  =  0,0000075),  so  geht  die  Formel  in  die  etwas 
complicirtere  über: 

Tji  ^Sj^.Q.  4-  Ä.  »,)»  .  Z,  .  (j),«  -  j),«)  .  (1  +  «  .  »i) 

71,    R,* .  {1 -\- Ä .  »^y .  h .  iPi*  -  p,^) .  {1  +  a .  »y 

Bei  den  Versuchen  war: 

h  =  1272,3  mm,  JBi  =0,1098  mm;  h  =  1274,1  mm,  H^  =  0,1115  mm. 

Wir  theilen  eine  Beobachtnugsreihe  mit  Luft  sammt  ihren  Resul- 
taten mit: 


TransspiratioDB- 

Pi 

ra 

PS 

*1 

*2 

ff,« .  j, 

Vi 

ricfatnng 

««*  •  '1 

r 

mm 

mm 

mm 

1    —  2 

759,9 

525,2 

16,3 

17,0 

17,0 

0,912 

— 

— 

1   —  2 

759,9 

.549,3 

17,1 

17,0 

47,5 

0,912 

1,083 

0,799 

1—2 

759,8 

525,6 

18,0 

15,1 

15,1 

0,916 

— 

— 

1   —  2 

759,8 

534,4 

18,9 

15,1 

15,1 

0,921 

— 

— 

1  —  2 

765,7 

550,9 

18,6 

17,8 

17,8 

0,934 

— 

— 

2  —  1 

765,7 

490,7 

17,7 

17,5 

99,0 

— 

1,212 

0,776 

2  —  1 

765,7 

491,2 

17,6 

17,5 

99,5 

— 

1,206 

0,755 

2  —  1 

765,7 

490,0 

17,3 

17,5 

99,8 

— 

1,215 

0,780 

2  —  1 

755,2 

467,8 

20,4 

0,0 

100,0 

— 

1,272 

0,771 

2  —  1 

755,2 

468,4 

19,4 

0,0 

100,0 

— 

1,267 

0,767 

2  —  1 

755,2 

467,9 

19,6 

0,0 

100,0 

— 

1,271 

0,768 

2  —  1 

755,2 

467,7 

19,3 

0,0 

100,0 

— 

1,273 

0,773 

2  —  1 

755,2 

544,2 

20,7 

0,0 

0,0 

0,927 

— 

— 

1—2 

756,7 

525,3 

23,4 

0,0 

0,0 

0,928 

— 

— 

1—2 

756,7 

594,8 

21,5 

0,0 

100,0 

— 

1,277 

0,782 

1—2 

761,4 

529,1 

16,1 

100,0 

10(T,0 

0,933 

— 

— 

1—2 

762,0 

530,2 

16,7 

100,0 

100,0 

0,937 

— 

— 

1—2 

763,1 

452,2 

18,5 

100,0 

0,0 

— 

1,259 

0,738 

Abstrahirt  man  vom  zweiten  und  vom  letzten  Versuche,  so  zeigt 
sich  eine  recht  gute  Uebereinstimmung.  Hierin  ist  x  der  Exponent,  den 
nachstehende  Formel  definirt: 

£b  ergiebt  sich  im  Mittel: 


126 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


X  =  0,77, 

nnd  dies  stimmt  mit  den  Werthen  von  Pulaj  und  y.  Obermayer  trefflicli 
überein. 

Den  Quotienten  ans  dem  Reibungscoefficienten  eines  Oaaes  und  dem 
Reibungscoefficienten  des  Sauerstoffs  nennt  man  nach  Graham  den 
Transspirationscoefficienten  der  Substanz.  Wir  geben  im  Nachstehenden 
diese  Transspirationscoefficienten ,  wie  sich  dieselben  aus  den  t.  Ober- 
mayer'sehen  Zahlen  und  aus  den  von  0.  E.  Meyer  ^)  berechneten  Yer- 
suchen  Graham's  ergeben  haben. 

Tabelle  der  Transspirationscoefficienten. 


Graham 
für  mittlere  Temp. 


V.  Obermayer 
bei  0^ 


Sauerstoff  .    .    .    .    • 

Lufl 

Stickoxyd 

Stickstoff 

Kohlenoxyd  •  •  .  • 
Kohlensäure  .  .  .  . 
Stickoxydul  •  .  .  . 
Chlorwasserstoff    .    . 

Chlor 

Schweflige  Säure  .  . 
Schwefelwasserstoff  . 

Sumpfgas 

Methylchlorid    .    .    . 

Aethylen 

Ammoniak     .    .    .    . 

Cyan 

Aethylchlorid  .  .  . 
Methyläther  .  .  .  . 
Wasserstoff   .... 


1,000 
0,899 
0,878 
0,873 
0,870 
0,755 
0,752 
0,736 
0,687 
0,654 
0,616 
0,555 
0,547 
0,516 
0,511 
0,506 
0,499 
0,483 
0,439 


1,000 
0,896 

0,885 
0,868 
0,738 
0,723 


0,492 


0,475 


0,459 


Setzt  man  den  Reibungscoefficienten  für  Luft  =  1,  so  fanden  einige 
andere  Beobachter  folgende  Werthe; 


^)  0.  E.  Meyer,    Ueber   die   innere    Reibung   der  Gase.    Sechste  Abhandl.     Pogg. 
Ann.  Bd.  148  S.  549. 


D.  Innere  Reibung  der  Oase. 


127 


Tabelle  einiger  Reibangscoefficienten  nnd  Quotienten  der 

ReibnngBCoefficienten. 


Keibungscoefficient  der  Luft  i; 
'  bei  0® 

Quotienten  der  Reibungs- 
coef&cienten 

nacbMaxwelPs 
Methode 

• 

durch  Transspira- 
tionsYersncbe 

Luft 

0 

H 

COa 

Grabam     .    .    ;    . 
Maxwell    .    .    •    • 

0,000188 
0,000184 

0,000182 
0,000182 

0,000172 
0,0001675?  ' 
0,000180 

1,113 
1,095 
1,116 

0,486 
0,516 
0,601 

0,513 
0,488 
0,489 

0,807 
0.859 

0.  E.  Meyer     .    . 
T.  Lang  .       •   . 
T.  Obermayer 
Knndt  and  Warbi 
Pnlni     .    .   .    .    c 

arg 

0,851 
0,830 
0,824 
0,806 
0,798 

"«••»•j     •••»t- 

WfthrBcheinl.  Wertl 

le: 

0,00( 

0182 

1 

1,108 

0,516 

0,825 

9.    Theoretische  Gonsequenzen. 


Uebereinstimmend  wird,  wie  wir  gesehen  haben,  dnrch  die  Versuche 
Gonstatirt,  dass  der  Exponent,  mit  dem  die  absolute  Temperatur  poten- 
zirt  werden  muss,  um  die  Abhängigkeit  des  Reibungscoefficienten  von 

der  Temperatur  darzustellen,  grösser  als  der  Werth  —  ist ,  der  durch  die 

Gastbeorie  (man  sehe  S.  86)  gefordert  wird. 

Schon  früher  haben  wir  angedeutet,  dass  wir  mit  dem  MaxwelP- 
Bchen  Erklärungsversuche  nicht  einverstanden  sind,  welcher,  um  eine  Ab- 
hängigkeit Yon  der  ersten  Potenz  der  absoluten  Temperatur  theoretisch 
zu  begründen ,  annahm ,  es  beätehe  eine  abstossende  Wirkung  zwischen 
den  Gasmolecülen ,  welche  der  fünften  Potenz  der  Entfernung  proportio- 
nal sei. 

Wollte  man  den  Exponenten  0,75  erklären,  den  Meyer  und  y.  Ober- 
mayer aus  ihren  Versuchen  gefunden  haben,  so  müsste  man  eine  ab- 
stossende Kraft  annehmen,  welche  nach  der  neunten  Potenz  der  Entfer- 
Bimg  abnähme,  und  man  würde  sich  genöthigt  sehen,  für  verschiedene 
Gase  verschiedene  Abstossungsgesetze  zwischen  den  Molecülen  anzuneh- 
men, was  wohl  Niemand  für  statthaft  halten  wird. 


128  L  Molecolartheorie  der  Wärme. 

Das  auf  experimentellem  Wege  constatirte  Gesetz,  dass  der  Coeffi- 
cient  der  inneren  Reibang  unabhängig  vom  Bracke  ist,  bleibt  übrigens  be- 
stehen, von  welcher  Annahme  über  das  Wirknngsgesetz  der  zwischen  den 
Molecülen  thätigen  Kräfte  man  auch  ausgehen  mag. 

Stefan^}  und  späterhin  O.E.Meyer^)  haben  übrigens  gezeigt,  daas 
man,  ohne  den  Boden  unserer  jetzt  üblichen  Vorstellungen  von  der  mole- 
cularen  Constitution  der  Gase  zu  verlassen,  im  Stande  ist,  den  Zusammen- 
hang zwischen  Reibungscoefficienten  und  Temperatur  zu  erklären. 

Wir  gelangten  dadurch  zu  dem  Schlüsse,  dass  der  Reibungscoeffieient 

eines  Gases  der  —  ten  Potenz  der  absoluten  Temperatur  proportional  sei, 
dass  wir  von  folgenden  drei  Formeln  ausgingen  : 

1)  =  -  •  Ä  .1? 36) 

o 

(Man  sehe  Gl.  48,  S.  78,  und  Anmerkung  S.  85) : 

jjp  

rj  =  ■-  '  d  .  V  .  X 37) 

o 

und  endlich  Formel  45,  S.  77: 

1          d» 
A  =  -7 ^ 38) 

Wenn  man  aus  diesen  Formeln  schliesst,  dass  der  Reibungscoeffieient 
f)  der  Quadratwurzel  aus  der  absoluten  Temperatur  proportional  sei,  so 
liegt  dem  stillschweigend  die  Annahme  zu  Grunde,  dass  sich  fj  nur  inso- 
fern mit  der  Temperatur  ändere,  als  die  mittlere  Geschwindigkeit  v  der 
Molecüle  sich  mit  derselben  ändert.  Dagegen  aber  haben  wir  immer 
bisher  angenommen,  dass  die  mittlere  Weglänge  A  und  der  Radius  der 
Wirkungssphäre  eines  Molecüles  Q  von  der  Temperatur  unabhängig  seien. 

Um  nun  aber  zu  erklären,  dass  rj  rascher  mit  der  Temperatur  zu- 
nimmt als  die  mittlere  Geschwindigkeit  t^,  muss  man  gemäss  der  Formel  37): 

annehmen,  dass  X  mit  wachsender  Temperatur  zunimmt  und  dies  fuhrt 
durch  die  Formel  38): 

A—  —        ^^ 

zu  der  Folgerung,  dass  Q  mit  wachsender  Temperatur  abnimmt. 

Der  Radius  Q  der  Wirkungssphäre  eines  Molecüles  ist  der  kleinste 

^)  Stefan:  Ueber  die  dynamische  Theorie  der  Diffusion  der  Gase.  Sitznngsber. 
der  Wiener  Akad.,  Bd.  65,  Abth.  U,  Aprilheft  1872. 

^)  0.  £.  Meyer:  Ueber  die  innere  Reibung  der  Gase.  Fünfte  Abhandl.  Pogg.  Ann« 
Bd.  148,  S.  202  bis  836. 


D.  Innere  Reibung  der  Gase.  129 

Abstand  der  Mittelpunkte  zweier  Molecüle  bei  einem  ZosammenstoBse, 
alao  nahezu  gleich  dem  Durchmesser  der  Molecüle. 

0.  £.  Meyer  ^)  hat  nun  einen  Versuch  gemacht,  diese  Abnahme  von 
p  mit  wachsender  Temperatur  auf  einfache  Weise  zu  erklären,  der  uns 
seiner  Einfachheit  wegen  sehr  annehmbar  erscheint. 

Die  Molecüle  der  Gase  bestehen  jedenfalls,  wie  wir  schon  früher 
m.  wiederholten  Malen  anführten ,  aus  einzelnen  Atomen.  Diese  Atome 
bewegen  sich  höchst  wahrscheinlich  im  Molecüle  ähnlich  wie  die  Glieder 
eines  Planetensystems  um  einander.  Das  Molecül  als  Ganzes  besitzt  die 
unregelmässig  hin-  und  hergehenden  geradlinigen  Bewegungen,  von  denen 
wir  in  den  yorhergehenden  Abschnitten  so  ausführlich  gehandelt  haben. 
Steigert  sich  nun  durch  Wärmezufuhr  von  aussen  die  Geschwindigkeit 
dieser  fortschreitenden  Bewegungen,  so  nimmt  die  lebendige  Kraft  der 
intrunolecularen  und  der  rotatorischen  Bewegungen  des  ganzen  Molecüles 
um  eine  seiner  Axen  nach  den  Schlussfolgerungen  von  Glausius'), 
welche  wir  auf  S.  36,  Z.  19  v.  ,o.  reproducirt  haben,  in  dem  nämlichen 
Verhältnisse  zu,  in  dem  die  der  fortschreitenden  Bewegungen  der  Mole- 
cüle wächst.  Bei  einer  Zunahme  der  Geschwindigkeit  der  rotatorischen 
and  intramolecularen  Bewegungen  mnss  aber  i{i  Folge  der  vermehrten 
Gentrifugalkraft  und  der  Yergrössemng  der  Bahnen  der  Atome  der  Durch- 
messer^ der  Molecüle  wachsen.  Wir  gelangen  also  zu  dem  Schlüsse,  dass 
mit  zunehmender  Temperatur  der  Durchmesser  der  Molecüle  zunehmen 
und  somit  die  Dichtigkeit  des  Molecüles  abnehmen  muss. 

Ist  aber  der  Zusammenhang  der  Bestandtheile  des  Molecüles  ge- 
lockert, so  ist  auch  yerständlich ,  dass  zwei  Molecüle  bei  einem  heftigen 
AnstoBse  tiefer  in  einander  eindringen  können,  als  vorhin,  wo  der  Ajq- 
stoss  weniger  heftig  und  jedes  Molecül  dichter  war.  Die  Entfernung  der 
Mittelpunkte  zweier  zusammenstossender  Molecüle,  der  Radius  der  Wir- 
kungssphäre Q,  wird  demnach  bei  höherer  Temperatur  geringer  sein,  als 
bei  niedrigeren  Wärmegraden.  Wir  gelangen  also  ohne  Zuhülfenahme 
neuer  Hypothesen  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Radien  der  Wirkungs- 
sphären der  Gasmolecüle  mit  wachsender  Temperatur  abnehmen  müssen. 

Diese  £rklärungsweise  erscheint  noch  mehr  naturgemäss,  als  die*  An- 
nahme von  Stefan^).  Letztere  stützt  sich  zwar  sonst  in  der  Haupt- 
sache auf  ganz  die  nämlichen  Betrachtungen,  wie  die  0.  £.  Meyer^s; 
aber  sie  setzt  ein  grösseres  oder  geringeres  gegenseitiges  Durchdringen 
der  Aetherhüllen  voraus,  von  der  seiner  Ansicht  nach  die  Molecüle  um- 
geben  sind. 

Jedenfalls  ist  man  durch  die  nicht  vollständige  Uebereinstimmung 
der  Erfahrung  mit  den  Folgerungen  der  einfachsten  Theorie  noch  nicht 

^)  0.  E.  Meyer:  lieber  die  innere  Reibung  der  Gase.  Fünfte  Abhandl.  Pogg.  Ann. 
Bd.  148,  S.  228. 

2  CUusins,  Abbandlangen,  Bd.  2,  S.  232. 

^  Stefan:  Ueber  die  dynamische  Theorie  der  Diffusion  der  Gase  (1872).  Sitzungs- 
ber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  65,  Abth.  II,  Aprilheft.  0.  E.  Meyer  publicirte  seine  Ab- 
baodliuig  erst  im  Jahre  1873. 

V«rdet-&flhlinann,  Meohan.  Wftrmetheori«.    Bd.  2.  9 


130  *         I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

genöthigt,  der  geBammten  kinetischen  Gastheorie  ein  ganz  anderes  Fqb* 
dament  zu  geben,  wie  dies  Maxwell  gethan  hat. 


E.  Die  kinetische  Theorie  der  Diffusion  der  &ase. 

1.    Ableitung  der  Grundformeln. 

Werden  zwei  mit  verschiedenen  Grasen  gefüllte  GefUsse  durch  eint 
Röhre  mit  einander  in  Verbindung  gesetzt,  so  vermischen  sich  allmähU 
beide  Gasarten  zu  einem  gleichförmigen  Gemenge.  Durch  die  Röhre  geha 
also  gleichzeitig  zwei  entgegengesetzt  gerichtete  Strömungen  beider  Ga«^ 
und  diese  Erscheinung  föhrt  den  Namen  Diffusion.  Auch  die  Erschei- 
nungen der  DiflPusion  lassen  sich ,  wie  schon  früher  erwähnt  wurde,  au 
den  Grundlagen  der  kinetischen  Gastheorie  vollständig  erklären. 

Bekanntlich  werden  die  Gleichungen  des  Gleichgewichtes  für  die  einzd-i 
nen  Bestandtheile  eines  Gasgemisches  durch  das  Dalt  o  n'sche  Princip  gefit* 
fert,  welches  aussagt:  dass  in  einem  Gemenge  sich  jeder  Bestand«^ 
theil  so  ins  Gleichgewicht  stellt,  als  wäre  er  allein  in  dem  tos 
Gemenge  erfüllten  Räume  vorhanden.  Durch  vielseitige  Er&b-i 
rungen  ist  jedoch  erwiesen,  dass  sich  ein  einzelnes  Gas  in  einem  Gremengi 
nicht  so  bewegt,  als  wären  die  übrigen  Bestandtheile  des  Gemenges  nictti 
vorhanden.  Man  kann  demnach  nicht  auf  dem  gewöhnlichen  Wege  init| 
Hülfe  des  D'Alembert'schenPrincipes  die  Gleichungen  der  Bewegnnga; 
aus  denen  des  Gleichgewichtes  ableiten. 

J.  Stefan  hat  nun  in  einer  ersten  Abhandlung  ^}  über  diesen  Geget*; 
stand  gezeigt,  dass  man  zu  Gleichungen  gelangen  kann,  welche  mit  derj 
Erfahrung  vollkommen  im  Einklänge  stehen,  wenn  man  zu  dem  Dalton*<4 
sehen  Principe  noch  folgende  Ergänzung  hinzufügt:  In  einem  Gas' 
gemenge  erfährt  jedes  einzelne  Theilchen  eines  Gases,  wenn  ei 
sich  bewegt,  von  jedem  anderen  Gase  einen  Widerstand,  weH 
eher  derDichte  dieses  Gasesund  der  relativenGeschwindigkeifi' 
beider  Gase  proportional  ist. 

Auf  alle  in  der  Einheit  des  Volumens  befindlichen  Theilchen  kommt 
also  ein  dem  Producte  der  Dichte  beider  Gase  und  ihrer  relativen  6^, 
schwindigkeit  proportionaler  Widerstand  in  Rechnung.  Dieser  WiderstaDd: 
wurde  in  der  genannten  Abhandlung')  durch  den  Ausdruck: 

W  =  Ai2  .  bi  .  ba  .  («j  —  Wj) 1) 

dargestellt,  worin  b  und  u  die  Dichten  und  Geschwindigkeiten  der  Gase 
1  und  2  vorstellen  und  Äi^  eine  von  der  Natur  beider  Gase  und  von  der 
Temperatur  abhängige  Constante  ist.     Bei  der  Aufstellung  dieser  Glei- 

^)  J.  Stefan:  Ueber  das  Gleichgewicht  und  die  Bewegung,  insbesondere  die  Diffo* 
ilon  von  GasgcmengeU;     Sitznngsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  63,  Abth.  II,  Januarheft. 
^)  A.  a.  0.,  S.  12  des  6eparatabdnickes. 


E.  Kinetische  Theorie  der  Diffusion.  131 

ehnng  ist  selbstverständlich  yoransgesetzt,  dass  die  BewegnngsrichtuDgen 
lieider  Gase  in  dieselbe  Linie  fallen,  so  dass  dann  Ui  —  u^  ihre  relative 
Geschwindigkeit  bedeutet. 

Die  Gleichungen,  welche  man  mit  Hülfe  dieser  Annahme  über  den 
Widerstand  der  Bewegung  zweier  Gase  durcheinander  gewinnt,  sind  die 
nämlichen,  auf  welche  Maxwell  auf  Grund  seiner  zweiten  Gastheorie ^) 
gelangt,  in  welcher  er  annimmt,  dass  die  einzelnen  Gasmolecüle  in  fort- 
schreitender Bewegung  begriffen  sind  und  mit  abstossenden  Kräften  auf 
^sinander  wirken,  die  der  fünften  Potenz  des  Abstandes  umgekehrt  pro-* 
lorticnud  sind.  .  .  .  * 

'  Auch  aus  seiner  ersten  Gastheorie,  die  wir  nach  ihren  Begrün- 
dern die  von  Clausius  und  Maxwell  genannt  haben,  hat  Maxwell 
Formeln  för  die  Diffusion')  entwickelt,  doch  hat  er  dieselben  späterhin 
selbst  mit  Recht  für  falsch  erklärt. 

Handelt  es  sich  um  die  entgegengesetzte  Bewegung  zweier  Gase  in 
0iiier  durchaus  gleich  weiten  cylindrischen  Röhre,  so  werden  die  Partial- 
dräcke  pi  und  p%  der  beiden  Gase  als  Functionen  der  Zeit  und  der  Ab- 
KÖBse  des  Querschnittes,  für  den  sie  gelten,  durch  folgende  Gleichungen 
Ibestimmt'): 


dt  ~         dx^ 


^P^  _  ^    ^^P^ 


i 


2) 


dt  dx^ 

Pi  misst  in  dem  betrachteten  Querschnitte  gewissermaassen  die  Gon- 
Kntration  des  ersten  Gases  in  dem  Gemenge,  und  die  Gleichungen  sagen 
Isher  nichts  Anderes  aus,  als  dass  die  durch  die  Einheit  des  Querschnittes 
ipfohrte  Grasmenge  der  Concentrationsdifferenz  proportional  sei 

Die  Grrösse  X;,  welche  hierin  vorkommt,  ist  der  Diffusionscoefficient 
ler  Cbiscombination  genannt  worden«  Dieser  Diffusionscoefficient  k  hängt 
fent  dem  vorhin  erwähnten  Widerstandscoef&cienten  W  durch  folgende 
ffleichung  zusammmen: 

1         i>o»        T»      1  . 

^-Är,"drrd,-T7^-p ^^ 

worin  Po  den  Normaldruck  bezeichnet,  unter  welchem  die  beiden  Gase 
bei  der  absoluten  Temperatur  To  die  Dichten  e^  und  d^  haben  undp  und  T 
Druck  und  Temperatur  des  Gasgemenges  während  des  Versuches  bedeuten. 
Die  Diffusionsconstante  Je  besitzt  nämlich  folgende  physikalische  Be- 
deutung: Denkt  man  sich  ein  prismatisches  Gefäss,  dessen  Querschnitt 
sin  Quadratfeentimeter,  dessen  Länge  ein  Centimeter  ist,  an  dessen  vor- 
derer Seite  der  Druck  des  einen  Gases  constant  gleich  po ,  auf  der  ande- 


^)  Maxwell,  Phil.  Mag.  Serie  4,  Bd.  34,  S.  129. 
2  Pbil.  Mag:  Serie  4,  Bd.  20,  S.  21. 

*)  Bezuglich   der  Ableitung   dieser   Gleichungen  verweisen    wir   auf  Stefanos  Ab- 
haadlung.    Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  63,  II.  Abtli.,  S.  17  u.  ff. 

9* 


132 


L  Moleculartheorie  der  Wärme. 


ren  Seite  consiant  gleich  Null  gehalten  wird,  so  ist Ä;  das  in  einer! 
durch  dieses  Gefass  gehende  Volumeu  des  einen  Gases.    Ein  gleiches?« 
lumen  geht  vom  zweiten  Gase  in   der  entgegengesetzten  Richtang 
für  dieses  zweite  Gas  ist  der  Druck  constant  gleich  Null  am  Anfang 
gleich  Po  am  Ende  des  Rohres. 

Die  Grösse  Äi^,  der  Widerstand,  den   ein  Gas  bei  der  Bewc 
durch  ein  anderes  erfährt,  wenn  die  Dichte  beider  Gase  und  die  Gescb 
digkeitsdi£ferenz  gleich  1  ist,  kann  nichts  anderes  sein,  als  die  Bewej 
grosse,  welche  von  den  Molecülen  des  einen  Gases  auf  die  des  ande 
in  der  Zeiteinheit  Übertragen  wird. 

Diese  Bewegungsgrösse  aber  kann  aus  der   kinetischen  Gastkc 
hergeleitet  werden. 

Der  Widerstand,  den  ein  Molecül  bei  seiner  Bewegung  dnrdi 
zweites  Gas  erfährt ,  ist  abhängig  von  den  Radien  der  Wirkungsspl 
d.  h.  von  den  Durchmessern  der  Molecüle  der  beiden  Gase.     Da  yon 
ser  Grösse  aber  auch  die  Reibungsconstante  abhängt  (man  sehe  Gl 
S.  86),  so  enthält  der  Ausdruck  fär  den  Widerstand  demnach  keiae  ne 
der  Gascombination  eigenthümliche  constante  Grössen,  sondern  nur  solc 
welche  uns  schon  aus  den  Versuchen  über  die  innere  Reibung  in 
beiden  einfachen  Gasen  bekannt  sind.     Man  kann  somit  aus  den 
bungscoefficienten  zweier  einfachen  Gase  ihre  DifiEusionscoefficienten 
rechnen.     Die  Grösse  W  xmd  somit  auch  Ä^  lässt  sich  nämlich  aosi 
kinetischen  Gastheorie  berechnen,   und  Stefan  hat  dies  zuerst 
führt.      Bezeichnet  man,  wie  wir  dies  schon  früher  wiederholt  gc 
haben  (man  sehe  Bd.  2,  I,  C,  9,  S.  65),    die  zur  2-Axe,  d.  h.  der 
des  Diffusionsrohres  parallele    Geschwindigkeitscomponente    eines 
molecüls  der  ersten  Gasart  mit  ^i,  so  sind,  gleichviel,  ob  das  Gas  mhti 
sich  bewegt,  alle  Werthe  zwischen  +  oo  und  —  oo  für  Xi  mögliclL 
Wahrscheinlichkeit  jedoch,  dass  ein  Molecül  diese  Geschwindigkeit  osi 
ist  in  beiden  Fällen  verschieden.    Setzt  sich  nämlich  die  Geschwindigl 
componente  Xi  aus  einer  der  X-Axe  parallelen  Componente  |x  der  Moleci 
bewegung  und  der  der  X-Axe  parallelen  Translationsgesohwindigkeit ! 
men,  welche  allen  in  demselben  Querschnitt  enthaltenen  Molecülen  gemd^ 
sam  ist,  so  haben  im  bewegten  Gase  ebensoviele  Molecüle  die  Geschwii 
digkeit  x^,  als  im  ruhenden  die  Geschwindigkeit  {i  besitzen.    Die  Am 
Molecüle  des  bewegten  Gases,  deren   der  X-Axe  parallele  Geschwbc 
keitscomponenten   zwischen  Xi  und  Xi  -f  dxi  liegen ,  ist  demnach  (i 
sehe  Bd.  2,  1,  C,  9,  S.  68,  Gl.  34) 

«    «1«     ^*    -^         ^ 


«1  .  yn 


äL  = 


e 


«1» 


dxi 


1*1    +    •»!« 


^    •    0 


«l' 


a 


dxi 


wo  Ni  die  Anzahl  und  «,  die  bekannte  Grösse  für  das  erste  Gas  sind. 


E.  Kinetische  Theorie  der  Diffusion.  133 

Da  Ui  bei  DiffusioDsversuchen  eine  sehr  kleine  Geschwindigkeit  ist, 
nnd  ai  yod  der  Grössenordnung  der  mittleren  Moleculargescbwindigkeit 

V  (man  sehe  S.  69,  Gl.  36)  ist,  so  moss  -^  eine  sehr  kleine  Zahl  sein  und 

man  kann  ohne  merklichen  Fehler: 

e      «i«        =  1  H ~-^ 

setzen.     Demnach  ist  die  oben  erwähnte  Anzahl  von  Molecülen  gleich: 

Die  Anzahl  n\  Molecüle  erster  Art,  deren  Geschwindigkeitscompo- 
nenten  parallel  der  2-,  Y-und  Z-Axe  awischen  o^i,  ^i,  Zi  und  Xi  -f~  ^^i 
jfi  4*  ifyi,  i^i   ■{-  di^i  liegen,  ist  aber: 


s 


«i*  .  ^1  +       ^3     J  .  ^«1  .  c?yi  .c?^i    5) 


Auf  ganz  gleiche  Weise  findet  man,  dass  von  den  Molecülen  zweiter 
Art,  welche  sich  mit  der  Geschwindigkeit  m^  l&ngs  der  2-Axe  der  vori- 
gen entgegen  bewegen,  eine  Anzahl  n'j  Geschwindigkeitscomponenten 
parallel  der  X,  F,  Z-Axe  besitzen,  welche  zwischen  X2,  y^  und  z^  und  x^ 
4"  ^^fi  j^  '~h  ^^3»  ^3  ~l~  ^^3  liegen,  und  zwar  ist  n-^  ganz  analog  gleich: 


«',  f=  — ^^^  •  e  "      «i«      *  .  Tl  H ^^  'g*^M  .  (iara  .  Jya»  .  dz<i    6) 

er,*  .  «2  * 

Die  Anzahl  der  zwischen  diesen  zwei  Gruppen  in  der  Zeiteinheit 
erfolgenden  Zusammenstösse  wird: 

x.Q^  ,n\.  n'a  ,  V(«i  -  ^3)'  +  (yi  -  ^3)*  +  (^1  —  ^^3)*     •    7) 

Hierin  ist  Q  der  Radius  der  Wirkungssphäre  zwischen  den  Mole- 
cülen der  ersten  und  zweiten  Art.  Nehmen  wir  also  au,  die  Molecüle 
der  Gase  verhielten  sich  einfach  wie  elastische  Bälle,  so  wäre: 

9  =  ri  +  r2 

gleich  der  Summe  der  Molecülradien. 

Moltiplicirt  man  diesen  Ausdruck  noch  mit: 

.^^     (^^-X.) 8) 

der  Bewegungsgrösse ,  welche  bei  einem  Zusammenstösse  eines  Mole- 
eöles  erster  Art  mit  einem  Molecüle  zweiter  Art  von  dem  ersteren  an 
dis  letztere  abgegeben  wird  ^) ,  so  erhält  man  die  bei  den  sämmtlichen 

^)  Die  Ableitung  diese«  Aasdrackea  iiehe  man  bei  Stefan  in  der  Abhandlung: 
ü«ber  die  dynamische  Theorie  der  Dififasion  der  Gas«.  Siizungsber.  der  Wiener  Akad. 
Bd.  65,  II.  Abth.  Aprilheft,  in  dem  Abschnitt  II:  Die  Geschwindigkeiten  nach  dem  Stosse. 


134  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

ZuBammenstöBsen  von  den  Molec&len  erster  Art  abgegebene  Bewegung^ 
grosse. 

Die  Summe  aller  dieser  Grössen  ist  TF,  man  erhält  dieselbe,  wenn  man 
sowohl  für  das  eine  als  für  das  andere  Gas  über  den  ganzen  Raum  inte- 
grirt.    Diese  Integration  kann  wirklich  ausgeführt  werden  und  ergiebt: 

Berücksichtigt  man,  dass: 

Ni  ,  mi  z=  bi 

und 

JVj  .  iw,  =  bj 

die  Dichten  des  Gases  sind,  so  findet  man  in  der  That  für  W  die  (auf 
S.  130,  Gl.  1)  von  Stefan  angenommene  Form  durch  die  Molecular- 
theorie der  Gase  bestätigt,  und  es  ist:  ' 

Führt  man  aber  für  «j  und  «g  die  früher  (Bd.  2,  I,  C,  9,  S.  69,  GL  36) 
entwickelten  Formeln: 

v^  _    ^        v^  _ 

«1  =  -—  •  Vi     und     «2  =  —T-  •  t?2 
ein,  so  ergiebt  sich: 


^12  =  5 •     ^     ,    ^         10) 

o  tWi    -f-   WI2 

Man  erkennt,  dass  A12  unabhängig  vom  Drucke  ist,  nach  Formel  3) 
ist  demnachderDiffusionscoefficient  A;  dem^Drucke  verkehrt 
proportional  und  das  stimmt,  wie  wir  später  sehen  werden,  mit  den 
Erfahrungsresultaten  überein.  Bekanntlich  ist  die  absolute  Temperatur 
der  inneren  kinetischen  Energie  und  somit  dem  Quadrate  der  mittleren 

Moleculargeschwindigkeit  v  proportional.  Obige  Formel  also  ergiebt» 
dass  auch  j1i2  der  Quadratwurzel  aus  der  absoluten  Temperatur  propor- 
tional seinmuss,  der  Diffusionscoefficient  A;  würde  sich  somit  der 

3 

—  Potenz  der  absoluten  Temperatur  proportional  ändern,  und 

das  stimmt  mit  den  Kesultaten  der  Beobachtungen  in  analoger  Weise 
nicht  überein,  wie  die  theoretisch  geforderte  und  empirisch  gefundene 
Abhängigkeit  des  Reibungscoefficienten  von  der  Temperatur.  Stefan^) 
untersucht  nun  weiterhin  die  Abhängigkeit  des  Diffusionscoef&cienten 
von  der  Natur  der  beiden  Gase. 

Er   bezieht    dazu   Temperatur  und   Druck  auf  die  Normalwerthe 


^)  J.  Stefan,  Ueber  die  dynamische  Theorie  der  Diffusion  der  Gase.    Sitzongsber. 
der  Wiener  Akad.  Bd.  65,  Abtb.  11,  Aprilheft. 


E.  Kinetische  Theorie  der  Diffusion.  135 


pSO  mm  und  0^  C).     Dann  geht  die  Gleichung  3)   für  X;  in  die  ein- 
pchere  Form  üher: 


j  --.  1^0  __.  £  Po  '  i^i  +  Wa) j,N 


Ist  Nq  die  für  alle  Gase  gleiche  Anzahl  von  Molecfllen  in  der  Yolu- 
ineneinheit  bei  normalem  Drucke  und  normaler  Temperatur,  so  ist  ferner 
noch  (nach  Bd.  2,  I,  C,  12,  S.  78,  GL  48): 

and 

dl  =  No  .  nii     und     d^  =  No  .  m^ 

und  wenn  man  für  Wasserstoffgas  ab  Normalgas  die  Masse  eines  Mole- 

coles  gleich  m  und  die  mittlere  Geschwindigkeit  bei  O^G.  gleich  v  setzt, 
80  ist  bei  der  Temperatur  des  schmelzenden  Eises: 

« 


Setzt  man  alles  dies  in  die  Formel  für  Je  ein,  so  ergiebt  sich: 

r       IMi    . 


,    3       «.vü^    \/i^r+^ 

10  =  1—-  •  Ä 


32  Nq  .  %  .  Q^      r    f»!  .  wj 

Nimmt  mau  Wasserstoff  als  Normalgas  an,  so  ist  für  0^  G.  (man  sehe 
Bd.  2,  C,  S.  79): 

v=:^  169  300  cm; 

fär  m,  IN|,  fff)  sind  aber  dann  die  Atomgewichte  der  Gase  einzusetzen,  da 
lieh  bekanntlich  die  Massen,  der  Molecüle  in  verschiedenen  Gasen  wie 
die  Atomgewichte  yerhalten.  Ist  Xi  die  mittlere  Wegl&nge  des  ersten 
Gases  im  Normalzustande  (0^0.  und  760  mm),  so  ist  (man  sehe  S.  76, 
GL  44): 

und  ebenso: 

k    =__J— 

^        Nq  .n  .  Q^^  .  Yl" 

▼0  pi  und  ^s  die  Radien  der  Wirkungssphäre  im  ersten  und  zweiten 
Gase  sind.  Nun  ist  aber  Q  der  Radius  der  Wirkungssphäre  zwischen 
beiden  Gasen: 

Pi  +  Pa 

wenn  wir  annehmen,  dass  sich  die  Molecüle  wie  eliCstische  Kugeln  yer- 
balten.    Demnach  ist: 


136 


I.  Moleculartheorie  der  Wanne. 


und  die  Formel  f&r  k  kann,  wenn  man  dies  einsetst,  endlich  foljfende 
Gestalt  erhalten 


8 


121) 


Hierin  kommen  aber  nunmehr  bloss  bekannte  Grossen  vor,  mit  deren 
Hülfe  es  möglich  ist,  die  Difinsionsconstanten  auf  theoretischem  Wege 
zu  berechnen.  Nimmt  man,  wie  dies  Stefan  gethan  hat,  den  Reibun^pB- 
ooefficienten  17  der  Luft  bei  O^C.  gleich: 

1^0  =  0,000188 
an,  so  ergiebt  sich  aus  der  bekannten  Formel  : 

o  p 

und  dem  auf  S.  79  fftr  v  angegebenen  Werthe: 

X  =  0,0000083  cm. 

Benutzt  man  den  von  y.  Obermayer  gefundenen  Werth: 

1^0  =  0,000168, 
so  ergiebt  sich: 

X  =  0,0000074  cm. 

Hiermit  lassen  sich  aus  demGraham'  sehen  Transspirationscoefficien« 
ten  die  mittleren  Weglängen  X  für  Terschiedene  Gase  ableiten,  und  es 
ergiebt  sich  folgende  Tabelle  der  mittleren  Weglänge: 

Luft X  =  0,0000083     X  =  0,00000741 


Wasserstoff    .  . 

Sauerstoff  .    .  . 

Kohlensäure  .  . 

Eohlenoxyd  .  . 
Schweflige  Säure 

Sumpfgas  .    .  . 

Stickoxydul    .  . 


153 
87 
56 
81 
40 
70 
56 


144 
79 
49 
73 
36 
63 
48 


\ 


13) 


Mit  Hülfe  dieser  Werthe  kann  man  die  Diffusionscoefficienten  der 
einzelnen  Gasgemenge  leicht  bestimmen. 


^)  Es  ist  dies  Fonnel  7)  iu  J.  Stefan 's  Abhandlung:  Ueber  die  dynamische  Theo- 
rie der  DiflPusion  der  Gase.  Sitrangsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  65,  II.  Abth.  April- 
heft, 1872.     Im  Seperatabdrucke,  S.  10. 


E.  Kinetische  Theorie  der  Diffusion. 


137 


Tabelle  der  DiffuBionBcoefficienten  ib. 


Berechnet 

Beobachtet 
von 

Gascombioation 

aus  der  ersten 

aus  der  zwei- 

Reihe der 

ten  Reihe  der 

Loschmidt 

- 

Weglängen 

Weglängen 

Wuwntoff  —  Sauerstoff    .    . 

h  =  0,826 

0,738 

0,722 

Wauentoff  —  Kohlensaure    . 

0,630 

0,562 

0,556 

Waaaentoff  —  Kohlenoxyd 

0,796 

0,711 

0,642 

Kohlenoxyd  —  Sauerstoff    .    • 

0,218 

0,159 

0,180 

Kohlenoxyd  -^  KohlensSore    . 

0,162 

0,145 

0,160 

Saottstoff  —  Kohlensäure  .    . 

0,161 

0,144 

0,161 

Snnipfgas  —  Kohlensäure  .    . 

0.183 

0,163 

0,159 

Stkkozydul  —  Kohlensäure    . 

j 

0,120 

0,108 

0,089 

w 

Laft  —  Kohlensaure  .... 

0,162 

0,145 

0,142 

l  .    14) 


Die  DifFasionscoefficienteu  beziehen  sich  auf  den  Quadratcentimeter  als 
Flachen-  and  Seconde  als  Zeiteinheit.  Die  Uebereinstimmang  zwischen 
fieobachtnng  und  Rechnung  ist  zumal  bei  der  aus  v.  Obermayer's 
Zahlen  berechneten  zweiten  Reihe  befriedigend,  wenn  sie  auch,  was  im 
YoraoB  zu  erwarten  war,  durchaus  keine  vollkommene  ist. 

Selbstverständlich  kann  man ,  nach  der  Formel  12),  aus  den  für  k 
gefundenen  Werthen  rückwärts  die  mittlere  Weglänge  des  einen  Gases 
bestimmen,  wenn  die  des  anderen  als  bekannt  vorausgesetzt  wird;  auch 
diese  Rechnung  hat  Stefan^)  ausgeführt,  doch  wollen  wir  auf  die  von 
ihm  gefundenen  Werthe  nicht  näher  eingehen,  da  die  auf  diese  Weise 
bestimmten  Grössen  der  mittleren  Weglängen  doch  nur  eine  verhältniss- 
fflässig  geringe  Zuverlässigkeit  besitzen  können. 


2.    Losolimidt's  Ezperimentaluntersuoliungen  über 

Diffkision. 


Es  können  hier  nur  derartige  Versuche  über  Diffusion  in  Frage 
kommen,  welche  ohne  poröse  Scheidewände  angestellt  worden  sind.  Wir 
haben  uns   daher  in  der  Hauptsache  auch  nur  mit  den   Arbeiten  Lo- 


^)  A.  a.  O.  Sitznngsher.  der  Wiener  Akad.  Bd.  65,  Ahth.  II,  Aprilheft, 
ntabdmcke,  S.  15. 


Im  Sepa- 


138 


I.  Mokculartheorie  der  Wärme. 


scbmidt's^)  zu  befassen,  da  dieselben  viel  exacter  sind,  als  einige  älm- 
liebe  Versnobe  von  Grab  am').  Der  angewendete  Ap{>arat  bestand  am 
einem  ziemlicb  einen  Meter  langen  Glasrobre,  dessen  beide  Enden  durch 
Spiegelplatten  mit  eingelassenen  G  ei  ssler 'scben  Glasbabnen  gescblossen 
waren.  In  der  Mitte  war  das  Robr  dnrcbscbnitten  und  beide  offeae 
Enden  waren  in  Spiegelglasplatten  eingekittet,  welcbe  dnrcb  Metallplatten 
verstärkt  waren.  Darob  eine  dünne  Stablplatte,  welobe  sieb  zwisdioi 
Oeffnangen  in  diesen  Platten  versobieben  Hess,  konnte  das  Innere  der 
beiden  Röbren  nacb  Belieben  mit  einander  in  Verbindung  gesetzt  oder 
getrennt  werden.  Zunäcbst  füllte  man  beide  Röbrenbälften  mit  Queck- 
silber und  Hess  dieses  dann  dnrob  das  Gas,  mit  dem  die  eine  oder  andere 
Hälfte  gefülUt  werden  sollte,  verdrängen.  Nachdem  bieranf  in  beiden 
Gefassen  genau  gleicber  Druck  bergestellt  war,  sebob  man  die  trennende 
Stablplatte  zurück  und  Hess  das  Innere  beider  Robrbälften  Vs  ^ 
1  Stunde  lang  mit  einander  communiciren.  ScbliessHcb  wurde  das  in 
jeder  Robrbälfte  befindlicbe  Gasgemiscb  genau  analysirt.  Die  Versuchs- 
temperaturen lagen  zwiscben  —  21®  C.  und  +  21®  C;  aucb  wurden  die 
Versnobe  bei  sebr  versobiedenen  Druckverbältnissen  wiederbolt. 

Wir  baben  im  vorbergebenden  Abscbnitte  die  beiden  Stefan'scben 
Differentialgleiobungen  gegeben,  durcb  welobe  die  DiffusionserscheiDan- 
gen  dargestellt  werden,  dieselben  lauteten  (man  sebe  S.  129,  GL  2): 


dt 
dpi 


=  Je 


=  k 


dx^ 
d^p. 


dt         "     dx^  ' 

worin  pi  der  Partialdruck  des  ersten  Gases  in  dem  Querscbnitte  ist, 
welcber  um  x  vom  Anfange  der  Röbre  abstobt  und  entsprecbend  p^  der 
Druck  des  zweiten  Gases  in  dem  nämlicben  Querscbnitte.  t  ist  die  Zeü, 
welcbe  seit  Beginn  der  Diffusion  verstrioben  ist. 

Alsdann  sind  die  Grenzbedingungen  für  die  Lpscbmidt'scben  Ver- 
snobe, wenn  a  die  Länge  des  ganzen  Diffusionsrobres  bedeutet: 

für  *  =  0    pi  z=  p  von  OJ  =  0  bis  a?  =  — 


Pi  =:  p  von  X 


—  bis  a?  =  a. 


Nacb  Ablauf  einer  so  grossen  Zeit,  dass  sieb  ein  vollständiges  gleich- 
artiges Gasgemisch  im  ganzen  Rohre  bergesteUt  bat,  ist: 

dpx 

-- —  =  0  für  jedes  x  und  jedes  grössere  t. 


^)  Loschmidt,  ExperimeDtal-Uniersucbangen  über  die  DifTusion  von  Gasen  ohne 
poröse  Scheidewände.  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Abth.  2,  Bd.  61,  S.  367  bis  380 
und  Bd.  62,  S.  468  bis  478. 

3)  Graham,  PhU.  Mag.     Bd.  26,  S.  433  (1863). 


E.  Kinetische  Theorie  der  Diffusion.  139 

Diesen  Bedingnpgen  entspricht  nach  Stefan^)  folgendes  Integral 
der  fär  pi  gegebenen  Differentialgleichung: 

ri    ,    2      _  nULJ  n  .  X         2       _  971^.  k.t 

Iß        ^  a  oTC 

.  €08 «     •  •  ^ 

Die  nach  der  Zeit  t  in  der  ersten  Hälfte  des  Rohres  befindliche 
Menge  Mi  des  ersten  Gases  ist,  wenn  mit  Q  der  Querschnitt  der  Röhre 
beaeichnet  wird: 

a 
i" 

Jtfi  =  Q  '  J  Pi  .dx=  Q  .p  ,a  .\j  +  ^ 

\         2  971*.  k.t  1 

+  9^^''  ^        +    •    .    .    J, 

and  die  in  die  zweite  Rohrhälfte  eingedrungene  Menge   üfi   des  ersten 
Gases  ist: 


e        o» 


^\  =  Q  JPi  'dx  =  Q  '  P  '  ^,    [j  —  —i 


'^"~     •        •        *  I  * 


n*  .  k  .  t 


e         a> 


a 

i" 

2  _  9  71*  .  k  ,  t 

.  e  a« 


9ä« 
Die  Differenz  dieser  beiden  Grössen  ist: 


Ml  -3^1  = \/        [e        -«       +g^e         a«       +  •    •    J' 

and  die  Summe  beider  Gleichungen  ergiebt: 

Ml  +-  JMi  = 

Durch  Division  beider  Gleichungen  ergiebt  sich: 

■Rf     TM'  Q        r         71«  .  *  .  <  1  9  71*  .  k  ,  t  n 

and  diese  Gleichung  kann  zur  Bestimmung  von  Je  dienen,  da  die  Grössen 
Jfi,  M'it  t  und  a  durch  die  Messungen,  welche  bei  den  Versuchen  ange- 
stellt worden,  bekannt  sind. 

Da  bei  den  von  Loschmidt  angestellten  Experimenten  übrigens  t 
meist  ziemlich  gross  ist,  so  kann  man  in  der  in  der  Klammer  stehenden 
Beihenentwickelung  ohne  wesentlichen  Fehler  bei  dem  ersten  Gliede  stehen 
bleiben  und  erhält: 


^)  Stefan,  Ueber  das  Gleichgewicht  ' nnd  die  Bewegung,  insbeBondere  die  Dififu- 
aoa  ron  Gasgemengen.  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  63 ,  Abth.  II,  Separat- 
abdrack,  S.  19. 


140 


L  Moleculartheorie  der  Wärme. 


k  = ^  llogruU  {Mi'-jU!^)^lognai  (üf,  +  JTf,)  +  lognai^ 

Auf  diese  Weise  sind  die  im  vorigen  Paragraphen  mitgeiheilten 
Diffusionscoefficienten  von  Loschmidt  ans  seinen  Yersnchen  berechnet 
worden.  —  Die  von  Loschmidt  selbst  in  seinen  Abhandlungen  mitge- 
theilten  Diffnsionscoefficienten  lanten  etwas  anders ,  weil  sich  dieselben 
auf  den  Quadratmeter  und  die  Stunde  als  Einheit  beziehen. 

Es  ergab  sich  ans  L ose hmidt's  Yersnchen,  welche  er  mit  einigen 
Gascombinationen  bei  verschiedenem  Drucke  und  Temperaturen  anstellte: 

1)  Dass  die  Diffusionsconstante  k  dem  Gesammtdrucke  der  beiden 
diffundirenden  Gase  indirect^roportional  ist  und  das  wird,  wie  die  Formel  3): 

Ali     dl  .  da  '  2o'     p 

zeigt,  auch  durch  die  Theorie  in  genau  derselben  Weise  gefordert; 

2)  dass  die  Diffusionsconstante  k  dem  Quadrat  der  absoluten  Tem- 
peratur angenähert  proportional  sei,  und  dieses  Resultat  wird  durch  die 
Gestalt  der  für  A;  gefundenen  Gleichung  nur  annähernd  bestätigt,  wie  dies 
nachstehende  der  Loschmidt' sehen  Arbeit  entnommene  Zahlen  zeigen: 


Diffundirende 
Substanzen 

Diffusionscoeff. 
Stunde 

Diffusions- 
constante 
T 

0) 

(fj 

©■ 

• 

Kohlensäure  — 

< 

Laft  .... 

Eohlens&ore  — 
Wassentoff   . 

Wawerstoff  — 
Sauerstoff .    .  * 

0,059512 
0,059278 
0,058257 
0,059816 
0,050335 
0,043618 
0,221134 
0,200250 
0,296608 
0,285149 
0,282698 
0,254930 
0,226876 

290,8 
290,3 
289,6 
289,5 
273,0 
252,0 
286,2 
273,0 
286,0 
284,3 
283,0 
273,0 
252,0 

1,36439 
3,35903 
1,33562 
1,37136 
1,15400 

1, 
1,104 

1, 
1,30736 

1,25685 

1,24605 

1,12365 

1, 

1,14941 
1,14743 
1,14466 
1,14427 
1,07905 

1, 
1,04835 

1, 
1,13043 

1,12372 

1,11857 

1,07905 

1, 

1,32114 
1,31660 
1,31026 
1,30935 
1,16435 

1, 
1,09904 

1, 
1,27788 

1,26274 

1,25121 

1,16435 

1, 

3)  Wir  habän  ferner  gesehen,  dass  Ai^  eine  symmetrische  Function  der 
Grossen  ist,  durch  welche  die  chemischen  Eigenschaften  der  beiden  Gase  be- 
stimmt werden.    Der  Ausdruck  Äi^  aber  ist  der  reciproke  Werth  des  Pro- 


R  Kinetische  Theorie  der  Diffusion.  141 

dnctes  ans  einer  Dichte  and  einer  Zeitgrösse.  Da  Dun  aber  ^13  yon  den 
Dichten  der  beiden  Gase  in^gleicher  Weide  abhängen  mnss,  so  ist  Äu  ein 
Bmchf  dessen  Nenner  eine  Function  der  beiden  Dichten  di  nnd  d^  und 
iwar  eine  Function  ersten  Grades  ist ,  die  einfachste  Function  dieser  Art 

ist  Vdi d).  Hieraus  folgt  aber,  dass  auch  %  der  Quadratwurzel  aus  dem 
Ph)ducte  der  Dichten  verkehrt  proportional  ist.  Nachstehende  kleine 
Tabelle  seigt,  dass  die  auf  0^  reducirten  Diffusionsconstanten  bei  Diffu- 
sion eines  Gases  Ä  und  B  und  bei  Diffusion  von  Ä  in  C  sich  wie  die 
redproken  Werthe  der  Wurzeln  aus  den  Dichten  der  Gase  B  und  C  zu 
einander  Yerhalten,^und  darin  liegt  die  experimentelle  Bestätigung  des 
theoretisch  gefundenen  Gesetses,  dass  die  Diffusionsconstante  dem  geo- 
metrischen Mittel  aus  den  Dichten  beider  Gase  umgekehrt  proportional 
ist    LoBchmidt  fand: 

Vd,:Vd; 

k  fiir  Kohlensäure  —  Wasserstoff .2i??2.  —  3  oß        Wasserstoff 

k  för       Kohlensäure  —  Luft         ~  0,0506  ~    '  Luft 

k  ftr        Luft  —  Wasserstoff  0,266  ^  ^^        Wasserstoff  ,  „ 

k  für       Luft  —  Kohlensäure  0,0505  '  Kohlensäure    ' 

k  ftr       Luft  —  Wasserstoff 0,255   Luft 

k  flkr  Kohlensäure  —  Wasserstoff  ~~    0,200   ~    '         Kohlensäure    ' 

Auch  die  Diffusion  eines  Gemenges  Ton  drei  Gasen  ist  von  Stefan 
auf  theoretischem  und  yon  Wretsohko^)  auf  experimentellem  Wege 
untersucht  worden.  Auch  hier  hat  sich  eine  durchaus  beledigende 
Uebereinstimmung  ergeben.  Dieser  Fall  war  von  um  so  grösserem  Interesse, 
als  man  die  hierauf  bezüglichen  Gleichungen  nicht  einfach  aus  der  An- 
schauung ableiten  konnte,  dass  die  durch  die  Einheit  des  Querschnittes 
in  der  Zeiteinheit  hindurchdiffundirenden  Gasmengen  der  Concentrations- 
differens  zu  beiden  Seiten  des  Querschnittes  proportional  sein  müssen. 
Man  musste  demnach  in  diesem  Falle  auf  die  ursprünglichen  Beweg^ngs- 
gleichungen  zurückgehen.  , 

Die  Versuche  wurden  in  der  Weise  angestellt,  dass  den  in  beiden 
Rohrhälften-  anfänglich  befindlichen  Gasen  ein  drittes  zu  gleichen  Theilen 
beigemengt  wurde.  Theorie  und  Erfahrung  ergaben  übereinstimmend, 
dass  die  anfänglich  im  ganzen  Rohre  gleichmässige  Dichte  dieses  dritten 
Gases  durch  die  Diffusion  gestört  wurde  und  sich  erst  ganz  allmählich 
nach  langer  Zeit  wieder  herstellte.  Auch  die  Ergebnisse  der  Versuche 
Ton  Benigar*)  über  die  Diffusion  eines  Gasgemisches  in  ein  drittes  von 
den  ersten  beiden  verschiedenes  Gas  sind  von  Stefan  aus  der  von  ihm 
aufgestellten  Theorie  vollständig  befriedigend  erklärt  worden. 

^)  Wretschko,  Experimentalnnteniachangen  über  die  Diffusion  von  Gasgemengen 
SitKongsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  62,  S.  575  bis  589. 
*)  Benigar,  Sitzangsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  82: 


142  I.  Moleculaxtheorie  der  Wärme. 

Endlich  sind  auch  die  schönen  Versache  yon  Graham  und  Banaeii 
üher  die  Diffasion  einfacher  Gase  and  die  Diffusion  yon  Gasgemengen 
durch  poröse  Scheidewände  auf  demselben  Wege  mit  der  Theorie  in  Ein- 
klang gefunden,  worden.  Es  zeigt  sich  merkirürdiger  Weise,  dasB  die 
Widerstände,  welche  verhältnissmäBBig  dichte  poröse  Substanzen  den 
Durchgange  der  Gase  entgegensetzen,  von  gleicher  Grössenordnung  sind, 
wie  die  Widerstände,  welche  sich  Gase  bei  ihrer  gegenseitigen  Durch- 
dringung entgegensetzen.  Es  ist  dies  ein  auffälliges  Resultat,  welchn 
nur  durch  die  ungemein  feine  Zertheilung  der  Materie  im  gasförmigen 
Aggregatzustande  begreiflich  wird^). 


F.    Die  Wärmeleitung  in  Gasen. 

1.    Vorläufige  Bemerkungen  über  die  Wärmeleitungs- 
fälligkeit der  Oase. 

Wiederholt  ist  von  den  Gegnern  der  kinetischen  Gastheorie,  so 
z.  B.  von  Hoppe,  Jochmann,  Puschl,  gegen  diese  Theorie  der  Einwarf 
geltend  gemacht  worden,  dass  nach  derselben  ein  localer  Temperator- 
unterschied in  einem  Gase  fast  augenblicklich  verschwinden  müsse.  Diese 
Folgerung  hat  man  geglaubt  aus-  der  Betrachtung  des  sehr  einfachen 
Falles  ziehen  zu  können,  dass  es  sich  am  die  Fortpflanztmg  der  leb^i- 
digen  Erafb  in  einer  Reihe  gleich  grosser,  elastischer  Kugeln  handele. 
Jede  elastische  Kugel  tauschet  nämlich  beim  centralen  Zusammenstoese 
mit  dieser  die  Geschwindigkeit  aus,  und  der  Geschwindigkeitsüberschusi 
pflanzt  sich  durch  die  ganze  Reihe  mit  derselben  Geschwindigkeit  fcMii 
mit  welcher  diese  Kugel  sich  bewegt.  Da  die  Rechnung  für  die  Moie- 
culargeschwindigkeiten  in  den  Gasen  nun  sehr  grosse  Werthe  geliefert 
hat  (man  sehe  Bd.  2,  I,  C,  12,  S.  79),  so  glaubte  man,  müsste  auch  die 
Fortpflanzung  der  Wärme  in  einem  Gase  durch  Leitung  mit  derselben 
Geschwindigkeit  vor  sich  gehen,  und  schloss  fälschlich  hieraus,  der 
Wärmeleitungscoefflcient  in  einem  Gase  müsse  eine  sehr  grosse  Zahl  sein. 
Dies  aber  würde  mit  allen  Erfahrungsresultaten  nicht  im  Einklänge  sein. 
Gegen  diesen  Einwurf  hat  zunächst  Clausius  in  seiner  Theorie  der 
Wärmeleitung  in  Gasen  ^)  geantwortet.      Seine  auf  die  dynamische  Gas- 


^)  üeber  die  Diffasion  der  Gase  durch  absorbirende  Substanzen  bat  S.  v.  Wrob- 
lewski,  Strassburg  1876,  eine  interessante  Abhandlung  als  Habilitationsschrift  rtr- 
öffentlicht.  Die  von  ihm  gefundenen  Gesetzmässigkeiten  sind  jedoch  noch  nicht  in  Be- 
zug auf  ihre  Uebereinstimmung  mit  der  kinetii^chen  Theorie  der  Diffusion  geprüft  worden. 

^)  ClausiuS)  Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper,  Abhandlungen,  Bd.  2, 
S.  277  bis  326. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  143 

theorie  basirte  Rechnung  lieferte  für  das  Wärmeleitungsvermögen  der 
Gase  einen  sehr  kleinen  Werth. 

Zuerst  hatte  Maxwell  in  seiner  berühmten  mehrfach  von  uns  citir- 
ien  ersten  Abhandlung^)  eine  Theorie  der  Wärmeleitung  aus  den  Gmnd- 
principen  der  Moleculartheorie  der  Gase  abgeleitet.  Gegen  die  Richtig- 
keit der  dort  gegebenen  Entwickelung  sind  jedoch  von  Glausius  sehr 
triftige  Einwendungen  erhoben  worden,  so  dass  Maxwell  diese  erste 
Theorie  späterhin  selbst  verworfen  hat  und  auf  Grund  der  Hypothesen,  welche 
der  sweiten  Abhandlung  zu  Grunde  liegen,  nämlich  der,  dass  die  Gas- 
molecüle  sich  umgekehrt  der  .  f£Uiften  Potenz  ihres  Abstandes  abstossen, 
das  Problem  von  Neuem  behandelt.  Da  wir  bereits  mehrfach  erklärt 
haben,  dass  wir  uns  mit  dieser  Grundannahme  nicht  einverstanden 
erklären  können,  so  bleibt  uns  zunächst  nur  die  Glausius 'sehe  Abband- 
long  als  Grundlage  über.  Ehe  wir  uns  jedoch  zu  dieser  wenden,  woUen 
wir  kurz  über  die  bis  jetzt  vorliegenden  experimentellen  Bestimmungen 
des  Wärmeleitungscoefficienten  der  Gase  berichten. 

Zunächst  jedoch  müssen  wir  den  f&r  alle  Aggregatzustände  gelten- 
den Begriff  des  Wärmeleitungscoef&cienten  feststellen  und  dies  geschieht 
in  folgender  Weise. 

Man  denkt  sich  einen  unendlich  ausgedehnten,  durchaus  gleicharti- 
gen Körper  und  theilt  denselben  durch  ein  System  von  sehr  nahe  anein- 
ander liegenden  parallelen  Ebenen  in  sehr  dünne  Schichten.  Die  yfäxme 
wird  in  demselben  so  vertheilt  angenommen ,  dass  alle  Punkte  einer  sol- 
chen dünnen  Schicht  dieselbe  Temperatur  besitzen,  letztere  also  nur  von 
Schicht  zu  Schicht  sich  ändert  und  zwar  gleichförmig  in  der  Weise,  dass 
je  zwei  um  eine  Längeneinheit  von  einander  abstehende  Schichten  in 
ihrer  Temperatur  um  einen  Grad  der  hunderttheiligen  Scala  differiren. 
In  diesem  Falle  findet  ein  constanter  Wärmestrom  von  der  wärmeren 
gegen  die  kältere  Seite  statt;  in  jeder  Schicht  des  Körpers  tritt  in  einer 
gegebenen  Zeit  ebenso  viel  Wärme  ein,  als  in  derselben  Zeit  aus  ihr  hin- 
austritt, es  bleibt  also  auch  die  Temperatur  jeder  Schicht,  wenn  dieser 
stationäre  Zustand  hergestellt  ist,  immer  dieselbe.  Unter  Wärmelei- 
tungsvermögen eines  Körpers  versteht  man  alsdann  die  Wär- 
memenge, welche  in  der  Zeiteinheit  durch  die  Flächeneinheit 
einer  der  Parallelebenen  hindurchgeht.  Unter  Wärmeleitung  ist 
nur  die  Wärmebewegung  zu  verstehen,  welche  einerseits  nicht  von  Strö- 
mungen endlicher  Gasmassen  als  Ganzes  herrührt  und  andererseits  auch 
nicht  durch  Strahlung  übertragen  wird.  Da  wir  nämlich  die  Gase  nicht 
von  der  Einwirkung  der  Schwerkraft  befreien  können,  so  streben  die 
wirmsten,  also  specifisch  leichtesten  Gasmassen  immer  möglichst  hoch  zu 
steigen,  und  in  Folge  dieses  Umstandes  tritt  eine  Strömung  ein,  welche 


')  Phil.  Mag.  Bd.  20,  S.  19. 


144  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

ebenfalls  eine  Uebertragung  von  Wärme  zur  Folge  hat.     Diese  Uel 
tragung  von  Wärme  hat  mit  der  Leitung  nichts  zu  thnn  and  vird 
dem   Namen   Wärmeconvection  yon  dieser  unterschieden.     Um 
dieser  Erscheinung  anabhängig  zn  sein,  denken  wir  ans  das  betracl 
Gas,    wie  die  Körper   bei  allen  üntersachangen   in  der  mechai 
Wärmetheorie,  von  der  Einwirkung  der  Schwere  befreit.    Für  die  meii 
Zwecke  genügt  es  übrigens,  sich  zu  denken,  dass  die  Schichten,  in  ve 
wir  uns  das  Gas  getheilt  denken,  horizontal  liegen,  und  dass  die 
sten  Schichten  am  höchsten  liegen.      In  diesem  Falle  kann*  von 
Strömung  ebenfalls  keine  Rede  sein. 

Yon  der  Uebertragung  von  Wärme  von  einem  Molecül  zum  an( 
durch  Strahlung  sehen  wir  bei  der  folgenden  Betrachtung  ebenfalls 
da  zunächst  noch  gar  nicht  abzusehen  ist,  in  welcher  Weise  dieser  ü( 
tragungsweise  von    Bewegungsgrösse   Rechnung    getragen   werden 
Zum  Glück  ist   durch  mannichfache  Versuche,  so  z.  B.  durch  die  n 
Stefan^),  dargethan  worden,  dass  die  durch  Strahlung  von  Schiebt 
Schicht  übertragene  Wärmemenge  jedenfalls  im  Vergleich  sa  der  di 
Leitung  fortbewegten  Wärmemenge  sehr  gering  ist. . 


2.  Die  älteren  Versuolie  über  die  WärnLeleitimgr  in 

Zuerst  zeigte  Fielet'),  dass  es  eine  Wärmeleitung  in  Gasen  ül 
haupt  gäbe,  und  seine  Versuche  führten  ihn  auf  das  Resultat,  dass 
Wärmeleitungsvermögen  der  Luft  ebenso  gross  sei,  als  das   der 
gen  Substanzen,  welche  man  meistentheils  verwendet,   um  Körper  ve 
Wärmeverlusten  zu  schützen.    Der  Versuch  P6clet's  ist  äusserst  einfte 
Er  bediente  sich  eines  doppel wandigen  Gefässes,  dessen  Anssenseite  d 
warmes  Wasser  tauchte  und  dessen  innerster  Raum  mit  kaltem  Wt 
gefüllt  war.     Den  zwischen  beiden  Hüllen   befindlichen  Hohlraum  folli 
er  mit  Baumwolle  oder  ähnlichen  faserigen  Stoffen  aus. 

Nach    einiger  Zeit  gab  die    Temperaturerhöhung  des    im  Innc 
befindlichen  Wassers  unmittelbar  die  Wärmemenge  an,  welche  durch 
Schicht   hindurchgegangen  war.     Nach  den  bekannten  Fourier^schen^ 
Formeln  konnte  man  hieraus  den  Wärmeleitungscoeificienten  des  gani 
zusammengesetzten  Systems  ermitteln.      Es  zeigte  sich  nun  das  mt 
würdige  Resultat,  dass,  wie  viele  Fasern  man  auch  in  den  zwischen  dai| 
Doppelwänden  befindlichen  Raum  brachte,  sich  doch  die  Leitungsfftbi| 
keit  des  gesammten  Systems  nicht  so  merklich  änderte ,  dass  die  etwiij 


.  ^)  J.  Stefan,    Untersuchung    über  die  Wärmeleitung    in    Gasen.     I.    AbhaodlaBg. 
Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Abth.  II,  Bd.  65.     Februarhefl. 

3)  Fielet,  Tratte  de  la  chaleur,  3.  Aufl.  1861,  Bd.  3,  S.  418. 
*)  Fourier,  Theorie  analytique  de  la  chaleur,  1828. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  145 

rehe  Versachsmethode  eiueo  Uoterschied  hätte  erkennen  lassen.  Hier- 
MS  folgt  sofort,  daes  die  Lnft  eine  eigene  von  der  WärmeconTection  nn- 
■lihängige  Wärmeleitnngefähigkeit  besitzen  mOfse,  denn  hier  konnte  von 
iiueren  StrömDDgen  dea  Gases  nicht  die  Rede  sein,  and  auch  die  Fasern 
bmDteD  nicht  die  TOrzugaweise  wärmeleitende  Substanz  sein,  da  die  An- 
nhl  derwlben  ohne  Einflnea  war. 

Erheblich  genanere  Versnobe  sind  in  nenerer  Zeit  Ton  Magnus') 
■ogettellt  worden.  Derselbe  bediente  eich  bei  seinen  Versacben  eines 
Apparates,  von  dem  Fig.  11  eine  Onrchschnittszeichnung  giebt. 

Zwei  Glasgefaeee,  AB  und  C,  sind  derart  aneinander  geschmolzen 
diu  der  Deckel  Ton  AB  als  Boden  von  C  dient.     Das  Geßtss  AB  he- 
^-     21.  "'^^^  nnten  bei  A  und  seitlich 

einen  Röhrenansatz,  durch  wel- 
chen Pfropfen  mit  Röhren  etc. 
eingeführt  werden  können. 
Durch  den  Pfropfen,  der  den 

unteren  Tnbnlns  scbliesst, 
sind  zwei  Glasröhren  mit 
Hahnverschlnsa  luftdicht  ein- 
geführt, durch  welche  Gase 
in  das  Gefass  A  B  gebracht 
und  ans  demselben  entfernt 
werden  können.  Durch  den 
seitlichen  Tubulus  ist  eiu  Ther- 
I  mometor/sr  eingeführt,  dessen 

Kugel  g  sich  in  der  Axe  des 
Gefässes  befindet.    Durch  einen 
Schirm  o,  der   entweder  aus 
,  Kork  oder  aus  zwei   Eupfer- 

y  blechen    bestand,    wurde    die 

Thermomcterkagel  vor  direc- 
.   -  ter  War meatrah hing  von  oben 

geschützt.  Der  ganze  Appa- 
rat befand  sich  in  einem  Ge- 
ßwe  EE,  dessen  Wandungen  durch  ein  Wasserbad  auf  der  constanten 
Tamperalur  von  ll^C.  erhalten  wurden.  Das  obere  Gefass  C  war  offen 
Mil  anthielt  heisses  Wasser,  welches  durch  überhitzten  Dampf,  der  durch 
4«  Rohr  p  eiutrat,  im  Kochen  erhalten  wurde.  Die  Wärme  wird  nun 
•nf  mehrerlei  Weise  nach  der  Thermometerkugel  g  hingeführt.  Ein 
Theil  der  Wärme,  welche  das  kochende  Wasser  liefert,  wird  durch  Lei- 
tung darch  das  Glas  auf  die  Thermometerröhre  und  von  da  nach  g  über- 
Ingen, ein  anderer  Theil  Wärme  wird  von  der  durch  Leitung  erwärmten 

'I  HigDUs,  Uituag  der  Wäraie  durch  dk  Gase.  Pogg.  Anp.  Bd.  Ua,  S.  351 
mi  197. 

Vi[ilit.KahlD*Dn,H«hu.  WUmMbeori«.    Bd.  1.  10 


146  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Wand  des  Gefösses  Ä  B  aasgestrahlt ,  und  endlich  leitet  das  Oas  selbst 
einen  Theil  der  Wärme  fort  and  um  die  Bestimmung  dieses  letzten  Thei- 
les  handelt  es  sich  bei  diesen  Versuchen.  Die  Fortbewegung  der  Wärme 
durch  das  Gas  kann,  wie  aus  der  Anordnung  des  Apparates  heryorgebt, 
nicht  durch  Strömungen  der  Lnfb ,  also  nicht  auf  dem  Wege  der  ConY6^ 
tion  bewirkt  werden,  da  die  Erwärmung  des  Gases  von  oben  geschieht 
und  sich  deshalb  jede  Gasschicht  fortwährend  in  stabilem  Gleichgewichte 
befindet.  Das  Gas  wirkt  durch  seine  Absorptionsfähigkeit  für  Wärme- 
strahlen vermindernd  auf  die  Erwärmung  des  Schirms  und  der  Wände 
durch  Strahlung  und  vermehrt  durch  seine  eigene  Leitungrsföhigkeit  die 
Wärmemenge,  welche  der  Thermometerkugel  zugeführt  wird.  Wemi 
man  den  Druck  des  Gases  bis  auf  15  mm  Qnecksilbersäule^iverminderte, 
war  die  eigenthümliche  Leitungsfähigkeit  des  Gases  nicht  mehr  merklich, 
die  eintretende  Temperaturerhöhung  zeigte  sich  dann  sehr  nahe  unib- 
hängig  von  der  Gasart,  mit  der  das  Gefass  AB  gefüllt  war  und  n]lte^ 
schied  sich  nicht  mehr  merklich  von  der,  welche  in  einem  möglichst  loiU 
verdünnten  Räume,  also  in  einem  sogenannten  Yacuum  beobachtet  wurde. , 
Wir  lassen  zunächst  einige  der  Magnus' sehen  Zahlen  hier  folgen  i 
Das  Thermometer  zeigte  im  Maximum  und  blieb  auf  seinem  Stande  sta- 
tionär, wenn  das  Gefäss  gefüllt  war  mit: 

(Tabelle  siehe  folgende  Seite.) 

Die  bei  den  grössten  Verdünnungen  erhaltenen  Zahlen  stimmen  Z¥V 
nicht  vollständig  mit  einander  überein,  weil  jedenfalls  auch  geringe  Gai- 
mengen  noch  einen  bemerkbaren  Einfluss  ausüben.  Magnus  nahm  jedoch 
an,  dasB  man  keinen  wesentlichen  Fehler  begehe,  wenn  man  die  höchste 
beobachtete  Temperatur  11, 7<^  -l~  1^^  Als  diejenige  annähme,  welche  du 
Thermometer  im  leeren  Räume  gehabt  haben  würde.  Setzt  man  diei 
gleich  100  und  vergleicht  damit  die  Temperaturen,  bei  welchen  der  Ther- 
mometerstand in  den  Gasen  unter  760  mm  Druck  stationär  wurde,  so 
erhält  man  folgende  Reihe: 


Leerer  Raum     .    , 

100 

Wasserstoff   .    .    . 

.    111,1 

Atm.  Luft      .    .    , 

82,0 

Sauerstoff .    .    .    , 

82,0 

Kohlenoxydgas .    . 

81,2 

Grubengas     .    .    . 

80.3 

Qelbildendes  Gas  , 

.      76,9 

Stickoxydul  .    .    . 

75,2 

Cyan 

75,2 

Kohlen  säare  .    .    < 

.      70,0 

Ammoniak     .    . 

69,2 

Schweflige  Säure  , 

66,6 

F.  Wärmeleitung  der  Gase. 


147 


Lut\   . 


Sauerstoff 


Wasserstoff 


KohleDsäure 


Stickoxydul 


Ammoniak 


Kohlenoxyd 


Cyangas     . 


Schweflige  Säure 


Druck  desselben 
mm 


759,4 
373,0 
194,7 

11,6 
771,2 

10,0 
760,0 
517,7 
195,4 

11,7 

9,6 

765,3 

16,4 
760,0 

12,0 
770,3 

15,4 
760,0 

11,0 
760,0 

14,0 
763,3 
301,1 

11,4 


Temperatur 
15»  +  0  C. 


9,6 
10,0 
11,0 
11,7 

9,6 
11,6 
13,0 
12,5 
12,1 
11,8 
11,6 

8,2 
11,3 

8,8 
11,5 

8,1 

» 

11,0 
9,5 

11,6 
8,8 

11,4 
8,0 
9,1 

11,0 


Nur  das  mit  Wasserstoffgas  erhaltene  Resultat  ist  ganz  unzweideutig; 
es  beweist,  dass  dieses  Gas  die  Wärme  thatsächlich  leitet;  denn  die  Tem- 
peratur, welche  das  Thermometer  in  diesem  Gase  annimmt,  ist  höher  als 
in  dem  leeren  Räume  und  um  so  höher,  je  grösser  die  Dichtigkeit  des 
Gasee  ist^). 

Bei  allen  anderen  Gasen  ist  die  stationäre  Temperatur  des  Thermo- 
meters niedriger  als  im  leeren  Räume  und. zwar  um  so  niedriger,  je 
dichter  das  Gas  ist.  Es  würde  jedoch  voreilig  sein,  daraus  schliessen  zu 
wollen«  dass  diese  Gase  die  Wärme  überhaupt  nicht  leiteten.     Die  Er- 


^)  Schon  Dulong  und  Petit  haben  bei  ihren  Untersuchungen  über  die  Gesetze 
der  Abkühlung  geirinden ,  dass  die  Abkühlung  eines  Thermometers  in  Wasserstoff  3,5 
mal  so  raach  yor  sich  geht,  als  in  Luft. 

10* 


148 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


wärmang  des  Thermometers  rührt  nämlich,  wie  wir  schon  oben  sagten, 
vorzugsweise  von  drei  Ursachen  her,  von  der  Wärme,  welche  das  6u 
demselben  zuleitet,  von  der  Wärme,  welche  der  durch  Strahlung  erwärmte 
Schirm  demselben  zustrahlt,  und  von  der  Strahlung  einiger  Theile  der 
Wände.  Die  Strahlung  ist  nun  zweifelsohne  im  leeren  Räume  am  grö» 
ten.  Wenn  aber  die  Gase  von  den  Strahlen,  welche  sie  durchdringeii, 
mehr  in  sich  aufnehmen,  als  die  Wärmemenge  beträgt,  die  sie  leiteo, eo 
muss  in  den  Gasen  das  Thermometer  niedriger  stehen,  als  im  leerai 
Räume.  Magnus  hat  nun  aber  auch  ausserdem  die  Diathermanität  de^ 
selben  Gase  einer  Untersuchung  unterworfen.  W^ir  stellen  im  Folgenden 
die  Resultate  mit  den  Thermometerständen  zusammen,  welche  bei  An- 
wendung eines  Korkschirms  bei  den  soeben  mitgetheilten  Wärmeleitongi- 
versuchen  erhalten  wurden. 


Namen  der  Gaue 


Temperatur  des 
Thermometers 


Durchgelassene  Wirme- 
strahlen  von  100* 


Sehr  verdünnte  Lufl  (sogen.  Vacuum)  • 

Wasserstoff 

Atmosphärische  Luft 

Sauerstoff 

Kohlenoxydgas 

Grubengas     

Oelbildendes  Gas 

Stickoxydul • 

Cyan 

Kohlensäure 

Ammoniak . 


100 

111,1 
82,0 
82,0 
81,2 
80,3 
76,9 
75,2 
7bfi 
70,0 
69,2 


100 
85,8 
88,9 
88,9 
79,0 
72,2 
46,3 
74,1 
72,2 
80,2 
38,9 


Man  erkennt  sofort,  dass  die  Durchstrahlbarkeit  der  Gase  für  Wann 
von  100  Grad  sich  in  einer  ganz  anderen  Weise  gruppirt,  at&  die  Tem*| 
peraturen  des  Thermometers,  und  dass  die  Unterschiede  der  Diathermanitit  | 
viel  bedeutender  sind.  Wir  schliessen  hieraus  mit  Magnus,  dass  aack 
für  andere  Gase  als  Wasserstoff  der  Beweis  für  die  Existenz  einer 
Wärmeleitungsfahigkeit  durch  die  Magnus^ sehen  Versuchsreihen  e^ 
bracht  ist  ^). 


^)  Versuche,  welche H.B uff  in  neuester  Zeitmit  einem  vollkommeneren,  dem  Mag* 
nus^ sehen  nachgebildeten  Apparate  angestellt  hat,  beziehen  sich  zumeist  auf  die  Di&ther> 
manität  der  Gase  und  gestatten  keine  direeten  Schlüsse  auf  das  WärmeleitangsTenaÖfica. 
Man  sehe:  Ueber  die  Fähigkeit  der  Lutt  und  des  Wasserstoffs  die  Wärme  zu  leitM 
und  deren  Strahlen  durchzulassen.     Pogg.  Ann.  Bd.  158,  S.  177  bis  213. 


F.  Wärmeteittmg  der  Oase.  149 

8.   Neuere  Versuche  über  die  Wärmeleltung  in  Oasen. 

Eine  wesentlicb  gröswre  Genauigkeit  ist  den  Versuchen  znzn- 
icbreiben,  welche  Narr>)  über  das  VerhSltniss  der  Wärmeleitungsver- 
mägGD  der  Gaee  angestellt  hat.  Er  bat  die  Äbküblungageschwiadigkeit 
eia»  mit  Leinöl  gefüllten  Gef&Bseg  in  sehr  lull  verdünntem  Räume  mit 
jener  in  verechiedenen  Gasen  bei  90  mm  Spannang  verglichen.  Mit  Gasen, 
die  eich  nnter  höherem  Dmcke  befanden,  kannte  nicht  experimentirt  wer- 
den, da  bei  dichteren  Gasen  die  Strömiuigen  störend  einwirkten.  Der 
Angewendet«  Apparat  bestand  ans  einem  Cylinder  von  dünnem  Messing' 
Mecl]  (Darcbmesser  9  cm,  Höhe  13  cm),  der  in  Hchmelzendes  Eis  einge- 
eetzt  wnrde.  In  diesem  Cylinder  schwebte,  nur  von  oben  darch  einen 
Kork  festgehalten ,  das  erwärmte  Gefass.  Durch  Vermittlung  des  zwi- 
schen dem  erwärmten  Gefasse  und  der  Cylinderwand  befindlichen  Gases 
Pj_    IT  gab  das  erstere  seine  Warme  allniäb- 

lich  an  letztere  ab.      Die  Geschwin- 
digkeit ,  mit  der  diese  Abküblung  er- 
folgte, diente   als  Maass  der  Wärme- 
leitnngsfAbigkeit     des     Gases.       Das 
innere,  erwärmte  Gefäss  hatte  ebenfalls 
eine  cylindrische  Gestalt  nnd  war  ans 
Glas  hergestellt.     Fig.  12  zeigt  eine 
Abbildung  desselben.      In    der  Mitte 
des  inneren  Hohlraumes  aa  befand  «ich 
das  Gefäss  b  eines  sehr  genauen  nnd 
empfindlichen     Thermometers.       Die 
beiden  seitlichen    Röbren    trngen  an 
aufgetriebenen    Stellen    zwei  Ktipfer- 
sfäbcben  dd.     Legt  man  an  diese  die 
Enden  einer  galvanischen  Batterie,  so 
wird   der  Platiijdrabt  n,   welcher  sich 
durch  den  inneren  mitLeinöl  gefüllten  Hohlraum  erstreckt,  erhitzt  nnddamit 
das  ganze  Gel^ss  erwärmt.     Die  Wärme  des  mit  Leinöl  gefüllten  Gläa- 
chans  wurde  nun  durch  das  Gas  nach  dem  änsseren  mit  Eis  umgebenen 
Gel^e  übergeleitet.      Die    Erkaltungsgeschwindigkeit    wurde    an   dem 
Thennometar  b  beobachtet.      Narr  nahm  an,  dasa   die    Wärmeübertra- 
gung  nur    durch    die  vom   Gase  geleitete  Wärme  bewirkt  würde.    Wäre 
diee  der  Fall,  so  würde  das  Verhältniss  der  Krkaltuiigsgesch windigkeiten 
•och  das  der  Wärmelei  tun  gs  vermögen  sein.    Wegen  der  Wärmeableitung 

')  N»rr,  Ueber  die  Erkaltung  und  WSnn*l»itun|;  von  Gasen.  Pung.  Ann.  Bd.  142, 
8.  123  bis  158.  Aehnüche  Versuche  »lud  in  un^follkommener  Wewe  früher  schon  von 
DdIdük  und  Petit,  De  IsPre 
•lätec  (1872)  auch    von    Jamin 


150  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

durch  die  featen  Bestandtheile  des  Apparates,  wegen  der  Strahlung,  wegen 
der  Strömangen,  welche  im  Gase  entstehen  und  wegen  der  langsamen 
Wärmeyer  breit  ung  im  Oele  kann  dies  freilich  nicht  streng  richtig  sein. 

Subtrahirt  man  aber  von  der  Erkaltungsgeschwindigkeit  in  einem 
Gase  die  in  einem  möglichst  guten  Yacuum  beobachtete  Erkaltungs- 
geschwindigkeit des  Thermometers,  so  wird  die  Di£Perenz  sehr  nahe  d» 
lediglich  von  der  Wärmeleitung  des  Gases  herrührende  Erkaltongs- 
gesch windigkeit  darstellen. 

Setzt  man  die  Erkaltungsgeschwindigkeit,  welche  yon  Luft  bewirkt 
wird,  gleich  1,  ao  ergeben  die  Versuche  Ton  Narr  folgende  Verhältnim 
der  Erkaltungsgeschwindigkeiten,  welche  angenähert  also  auch  als  die 
Verhältnisse  der  Wärmeleitungsföhigkeit  angesehen  werden  können: 

Wasserstoff   .    .    5,5,     Stickstoff     ....    0,98 
Luft 1,0,     Kohlensäure    .    .    .    0^1 

Nach  einer  wenigstens  principiell  mit  dem  yon  Narr  angewendeten 
Verfahren  yerwandten  Methode  experimentirte  Stefan  ^):  er  bestimmte 
jedoch  den  Wärmeinhalt  des  sich  abkühlenden  Körpers  mit  und  lieferte 
somit  die  ersten  Versuche,  welche  wenigstens  annäherungsweise  eine 
Bestimmung  des  absoluten  Wärmeleitungsyermögens  der  Gase  zulaseeo. 

Bei  den  ersten  derartigen  Versuchen  wurde  eine  abgeschlossene  Lnft- 
menge  yon  allen  Seiten  gleichmässig  erwärmt  oder  abgekühlt  und  die 
Mitteltemperatur  des  Gases  wurde  für  yerschiedene  Zeitpunkte  manom^ 
trisch  bestimmt.  Genaue  Resultate  lieferten  jedoch  erst  Apparate,  bei 
denen  doppelwandige  Luftthermometer  aus  Kupfer-  oder  Messingblech 
angewendet  wurden,  derart,  dass  das  auf  sein  Leitungsyermögen  zu  ulte^ 
suchende  Gas  den  Raum  zwischen  den  beiden  MetallhüUen  ausfüllte. 

Direct  beobachtet  wurden  die  Druckzunahmen  der  eingeschlossenen 
Luftsäule  und  die  dazu  erforderlichen  Zeiten.  Wird  die  Temperatur  der 
Luft  yor  dem  Versuche  gleich  1  gesetzt,  und  ist  der  dann  im  Apparate 
herrschende  Druck  po ,  so  muss ,  wenn  die  mittlere  Temperatur  um  Ü 
Grade  gestiegen  ist,  der  dann  herrschende  Druck  p  mit  po  durch  die 
Gleichung  yerbunden  sein: 

P=Pq  .(l  +  a  .  ü). 

Die  Druckzunahme  p  —  i>o  ist  dann : 

P    -    Po   _    ^        rr 

Po 
Um  das  Wärmeleitungsyermögen  der  Lufb  aus  der  Grösse  ü  bestin* 
men  zu  können,  wurde  angenommen,  dass  sich  die  Fundamentalgleichung 
der  Wärmeleitung: 

du        ,     d^u  ,v 


1)  Stefan,  Untersuchungen  über  die  Wärmeleitung  in  9<^f^^i^'     Erste   Abhandlaog- 
Silzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  65,  Abth.  II,  Februarheft,  1872. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  151 

•ach  auf  die  Yerbreitimg  der  Wärme  in  einem  mit  Gas  erfüllten  Cylin- 
der  anwenden  lasse. 

In  dieser  Gleichung  bedeutet  u  die  Temperatur  in  dem  Querschnitte, 
welcher  um  x  tou  der  Wärmequelle  absteht  zur  Zeit  ^;  ^  ist  der  Quotient 
ans  dem  früher  (S.  143)  von  uns  definirten  Wärmeleitungscoefficienten  K 
und  der  specifischen  Wärme  bei  constantem  Drucke  der  Yolumeneinheit 
der  leitenden  Substanz  (welche,  wenn  Cp  die  specifisohe  Wärme  bei  con- 
stantem Drucke  und  s  das  specifische  Gewicht  der  Substanz ,  auf  Wasser 
als  Einheit  bezogen,  bedeutet,  durch  c^.s  ausgedrückt  wird).    Demnach  ist 

Ä  =  -^ 2) 

Bei  Aufstellung  dieser  Gleichung  ist  femer  vorausgesetzt,  dass  kein 
Wärmeaustausch  zwischen  dem  Gase  und  den  Wandungen  des  dasselbe 
begrenzenden  Gelasses  stattfinde. 

Hat  die  Luftsäule  ursprünglich  überall  die  Temperatur  Null,  und 
wird  bei  f  =  0  plötzlich  der  oberste  Querschnitt  auf  die  Temperatur  a 
«gebracht,  und  yon  nun  an  auf  dieser  Temperatur  erhalten,  so  ergiebt 
sich,  wenn  l  die  Länge  des  Cylinders  so  gross  ist,  dass  die  während  der 
Zeit  i  durch  die  untere  Endfläche  entwichene  Wärme  vernachlässigt  wer- 
den darf,,  als  Integral  der  Differentialgleichung  ^) : 


„=i».y^'. 


Ist  jedoch  {  nicht  genügend  gross ,  wird  aber  die  untere  Endfläche 
auf  0^  erhalten,  so  ergiebt  sich  das  Integral: 

worin  abkürzungsweise  m  für  — j^ —  gesetzt  worden  ist. 

Die  Zunahme' des  Druckes  ist  also  im  ersten  Falle  durch  die  Formel: 


p  —  ffo  /2  .  g  .  g    A/h  .  t 


Po 
bestimmt  und  somit  wird  JT unter  diesen  Verhältnissen  durch  den  Ausdruck : 

4  .  a»  .  a«  .  r  \     Po     } 

dargestellt. 

Die  Voraussetzung,  dass  durch  die  Wände  weder  ein  Zufluss  noch 
ein  Abfluss  von  Wärme  stattfindet,  ist  nicht  statthaft,  das  aus  solchen 
Versuchen  erhaltene  Resultat  daher  auch  nicht  unmittelbar  brauchbar. 
Wählt  man  jedoch  das  eine  Mal  eine  Substanz  für  die  Wandungen  des 


^)  Man  sehe:  Stefan,  a.  a.  0.,  im  Separatabdmcke,  S.  6. 


152  I.  MolecuUrtheorie  der  Wärme.  _ 

GefitsBes,  dasB  siah  in  der  Wand  die  Temperatur  über  die  dea  danebeo- 
liegenden  Gasqaerschnittes  erhebt,  BOwird  von  den  Wandungen  dem  Gut 
Wärme  zngefübrt  und  wir  finden  p  —  po  und  damit  S  zu  gross.  Fe^ 
tigen  wir  dagegen  daa  Gefäes  aus  einer  derartigen  Substaae,  das*  jede 
Wandstelle  durch  die  Wärmequelle  weniger  erhitzt  wird,  als  der  daneba 
liegende  Gasquergchnitt,  so  finden  wir  K  zu  klein,  weil  das  Gas  einei 
Theil  seiner  geleiteten  Wärme  nach  aussen  abgiebt. 

£b  zeigte  sich  nun,  dass  in  einem  Glasgefässe  daa  Gas  aicfa  dank 
Leitung  stärker  erwärmte,  als  die  umgebende  Wand;  in  einem  Zinkgeßw 
war  dagegen  die  Temperatur  der  Wand  immer  höher,  als  die  der  danebcB 
liegenden  Gasschichtcii ,  bei  Versachen  erster  Art  fand  Stefan  für  Lnfl: 
Als  unteren  Grenzwerth:     K  ^=  0,00002, 
als  oberen     Grenzwerth:     K=  0,000065. 
E-  1'^-  Für    spatere  Versuche    bediente    eich    Stefan 

eines  etwas  anderen  Apparates,  den  wir  im  Folgen- 
den beschreiben  wollen  {Fig.  13  zeigt  eine  Bcbei» 
tische  Abbildung  desselben).  In  den  Kupfercylindfr 
AB  CD  ist  ein  offenes  Eupferschüsselchen  abcd 
geschliffen.  In  dieses  SchQsselchen  ist  ein  Kork  b«- 
festigt,  der  das  Rohr  Jlf  mit  Hahnverachluss  dorel 
sich  hindurch  lässt  und  an  dem  Röhrchen  Ji  einn 
inneren  Kupfercy linder  GÄ^/H  trägt,  der  ab  Lnft- 
tbermometer  dient. 

Die  Dimensionen   dieses  inneren  Cylinders  dni 
derart  gewählt,  dass  der  Abstand  der  Mantelfläcbei 
des  inneren  nnd  äusseren  Geiasees   dnrchaus  gleicb 
ist.    Die  Röhre  B  ist  von  oben  umgebogen,  trägt 
ihrem  abwärts  gehenden  Schenkel  eine  Scala  S  und 
taucht  in  ein  mit  Quecksilber  gefülltes  Probirgli 
cheu.     Dieses  ProfairröhrcheD  ist  an  K  darcb  ein 
luftdicht    schlieseenden    Kork   befestigt,    darch   d 
noch  ein  zweites  Röhrchen  r  geht.    Dieses  Röhrchen 
r  dient  dazu ,  um   vor  Iteginn  jedes  Versuches  d«ii 
Quecksilber  in  R    einen  passenden  Stand   gehen  eo 
können,   indem  mau  Luft  aas  HIKG-  heraustaagt 
nnd  dafür  Quecksilber  in  B  aufsteigen  lässt. 

Die  Versuche ,  welche  zur  Bestimmung 
Wä rmelei tu ngBvermög CDS  dienten,  bestanden  nun 
fach  darin,  dass  man ,  nachdem  der  ganze  Apparst 
eine  durchaus  gleichförmige  Temperatur  angenommen 
hatte ,  denselben  plötzUch  in  ein  mit  Schnee  und 
Eis  gefülltes  Gefass  tauchte  und  die  Abkübloag 
dea  inneren  Luftthermometers  durch  die  Ableaungen 


F.  Wärmeleitang  der  Gase.  153 

des  im  Lnftthermometer  herrschenden  Druckes  an  der  Scala  des  Röhrchens 
B  TOD  Zeit  zu  Zeit  hestimmte. 

Vom  inneren  gegen  den  äusseren  Cy linder  findet  eine  continuirliche 
Wärmeströmung  statt  und  die  Menge  der  in  einer  bestimmten  Zeit  über- 
gefahrten  Wärme  hängt  ab:  von  der  Temperaturdifierenz  des  inneren  und 
ftusBoren  Mantels,  von  der  Grösse  der  Oberflächen,  von  dem  Abstände 
beider  und  von  dem  Leitungsvermögen  der  den  Zwischenraum  ausfällen- 
den  Substanz. 

Stefan  setzt  nun,  in  Uebereinstimmung  mit  den  bekannten  Grund- 
lagen der  Wärmeleitung,  voraus,  dass  die  in  einem  Zeitelemente  dt  vom 
inneren  zum  äusseren  Cylinder  durch  Leitung  übergehende  Wärmemenge 
der  Temperaturdifferenz  und  dem  arithmetischen  Mittel  ihrer  Oberflächen 
direct,  dem  Abstände  der  beiden  Oberflächen  verkehrt  proportional  sei, 
also  ansgedrnckt  werden  könne  durch: 

K.F.e  .dt 

Hierin  bedeutet  K  das  Wärmeleitungsvermögen  der  den  Zwischen- 
raam  ausfüllenden  Substanzen,  6  die  Temperaturdifferenz  des  inneren 
und  äusseren  Cylinders;  F  das  arithmetische  Mittel  ihrer  Oberflächen, 
J  ihren  Abstand. 

*IHe  in  der  Zeit  dt  dem  inneren   Cylinder  entführte  Wärmemenge 
llsst  sich  ausdrücken  durch: 

—  P  .  Cp  .  de, 

veno  —  dd  die  in  der  Zeit  dt  erfolgte  Temperaturabnahme,  Cp  die  spe- 
cifische  Wärme, ^P  das  Gewicht  des  inneren  Cylinders  bezeichnet.  Die 
Wärmemenge,  welche  die  im  inneren  Cylinder  enthaltene  Luft  verliert, 
kann  vernachlässigt  werden,  ebenso  auch  die  Störung,  welche  das  Glas- 
ißhrchen  veranlasst. 

Wir  erhalten  demnach  die  Gleichung: 

Die  Integration  derselben  ergiebt  sofort: 


ß  =  da  .  e     P.c. 


.t 


Wenn  man  zur  Abküi*zung: 

K  .F      _ 

setzt: 


ß 3) 


0  =  00.6    ^' 4) 

Bezeichnet  nun  jpo  don  Druck  zu  Beginn  der  Zeit,  p  denselben  zur 
Zeit  t,  und  pi  am  Ende  des  Versuches,  zu  welchem  der  ganze  Apparat 
die  Temperatur  0^  angenommen  hat,  so  gelten  folgende  Gleichungen: 


154 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


l'o  =  (1  +  «  .  öo)  .Pi. 
i>i  =  (1  +  a  .  Ö)   .  p. 

Aus  diesen  folgt  sofort: 


Po  —  P\ 
P  —  Pi 
nnd  liieraas  durch  Logarithmiren : 


6 


ß* 


V 


5« 


=     2,089 
=     6,88 
z/  ==  0,2346 
P    ==  59,66 
C\  =     0,0935 


g 


Bei  einem  Yersuche  mit  Luft  war  beispielsweise: 

Der  innere  Radios  des  äusseren  Cylinders 
die  Höhe  des  inneren  Cylinders  .... 
der  Abstand  der  beiden  Mantelflächen  . 
das  Gewicht  des  inneren  Cylinders     .    . 
die  specifische  Wärme  des  Kupfers  ist  . 

das  arithmetische  Mittel  der  Flächen  wurde  aus  obigen  Daten  bei 

z\x  F  =  112,85  qcm. 

Es  wurden  nun    nachstehende  Quecksilberhöhen  h  am 
zu  den  Zeiten  t  abgelesen  und  hieraus  die  Grösse  ß  .  log  e  berechnet 

h 

5 
10 
15 
20 

25 
30 

41,8 

Benutzt  man  das  Mittel: 

ß  .log  e  =  0,00206, 
so  erhält  man  aus  den  mitgetheilten  Zahlen: 

K  =  0,0000561. 
Als  Mittel  ans  acht  Versuchen  findet  Stefan  für  Luft: 

K  =  0,0000558 

und  damit: 

h  =  0,256. 

Auch  mit  einer  grösseren  Zahl  anderer  Gase  hat  Stefan  experimen*: 
tirt^)  und  mit  demselben  Apparate  nachstehende  Werthe  von  fi  ,  l4>§$ 
gefunden;  aus  diesen  ergiebt  sich  dann  die  daneben  befindliche  Reibt 
yon  relativen  Wärmeleitungscoefficienten ,  den  der  Luft  gleich  1  gesetxt:; 


t 

ß .  log.  e 

27 

0,00204 

58 

0,00205 

94 

0,00205 

137 

0,00206 

192 

0,00206 

263 

0,00209 

00 

^)   Stefan,    Relative  Bestimmungen    des    WärmeleitungsvennÖgens 
Gase.     Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  Bd.  72.  Janiheft. 


verscbiedeB«' 


•     F.  Wärmeleitung  der  Gase.  155 

ß  .log  e  S! 

Luft 0,001026  1,000 

Kohlensaure 0,000658  '     0,642 

Stickoxydul 0,000682  0,665 

-      Oelbildendes  Gas    .    .    .  0,000772  0,752 

Kohlenoxyd 0,001007  0,981 ' 

Sauerstoffe.    .....  0,001045  1,018 

Sumpfgas 0,001408  1,372 

Wasserstoff 0,006893  6,718 

Mit  dem  Stefan 'sehen  Apparate  fand  Plank^)  aus  neueren  Ver- 
lachen fiär  das  relative  WärmeleitungsvermÖgen  einiger  Gase  bei  mitt- 
leren Temperaturen  folgende  Zahlwerthe  (Luft  =1): 

Wasserstoff.  .  .  .  6,68 
Kohlensäure  .  .  .  0,65 
Sauerstoff    ....    1,02 

Einige  Messungen  über  das  relative  Wärmeleitungsvermögen  von 
Gasgemischen  ergaben  nachstehende  Resultate: 

3H  +  0  4,24 

2H  4-  O  3,70 

H  +  0  2,77 

H  +  20  2,08 

H  +  30  1,78 

0,616  H  4-  0,384  CO2  2,83 

0,493  H  +  0,507  COj,  1,93 

0,319  H  -I-  0,681  CO2  1,54 

0,689  0  -f  6,302  CO3  0,929 
0,5610   +  0,439  CO2              .    0,857 

Die  Versuche  zeigten,  dass  das  Wärmeleitungsvermogen  von  6as- 
gemengen  mit  grosser  Annäherung  nach  dem  Gesetze  der  arithmetischen 
Mittel  ans  dem  der  Bestandtheile  berechnet  werden  kann,  wenn  das  Wärme- 
lei tongsvermögen  der  beiden  Bestandtheile  nicht  sehr  von  einander  ver- 
Kliieden  ist. 

Dieses  letzte  Gesetz  verwendete  Plan k  3),  um  bei  einer  zweiten  Arbeit 
das  Wärmeleitungsvermögen  des  Stickoxydes  zu  berechnen,  da  es  sich 
heraasstellte ,  dass  die  zur  Entwickelung  dieses  Gases  dienende  Methode 
(Einwirkung  von  Kupfer  auf  verdünnte  Salpetersäure  bei  massiger  Wärme) 
stets  nicht  unerhebliche  Mengen  von  Stickoxydul  und  Stickstoff  (?)  mit 
lieferte.  Unter  sorgfaltiger  Berücksichtigung  der  hierdurch  erwachsen- 
den Veränderungen  des  Wärm eleitungs Vermögens  ergab  sich  für  reines: 

^)  J.  Plank,  Versuche  über  das  Wärmeleitangsvermögen  von  Gasgemengen. 
Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.  II.  Abth-,  Bd.  32,  Juliheft  1875. 

1  J.  Plank,  üeher  das  Wärmeleitungsvermögen  von  Stickstoff,  Stickozyd,  Ammo- 
niak nnd  Leuchtgas.     Sitzungsber.   der   Wiener   Akad.  Bd.  74  (1870),   S.  215  bis  235. 


156  I.  Moleculartheorie  der  Wärme/ 

Relatives  Wärme- 
leitangBvermögen 
Stickoxyd    .    .    ,    .    0,95 
Stickstoff    ....    0,99 
Ammoniak  ....    0,92 
Eine    Bestimmung    des  WärmeleitungsYermögens   des  LenchtgiMg, 
welche  bei  dieser  Gelegenheit  mit  aasgeführt  wurde,  ist  zwar  ohne  wit» 
senschaftliche  Bedeutung,  dürfte  aber  für  gelegentliche  Demonstration!» 
versuche  im  Auditorium  nicht  ohne  Interesse  sein.     Plank  fand  f&r: 

Leuchtgas  :  2,67. 
Mit  verschiedenen  Apparaten,  welche  in  der  Hauptsache  mit  dea 
von  Stefan  construirten  übereinstimmten,  experimentirle  Winkel* 
mann^),  und  es  gelang  ihm,  durch  Benutzung  mehrerer  Apparate  nnt 
verschiedenen  Dimensionen,  den  Einfluss  der  Strahlung  zu  eliminiren, 
der  bei  Stefanos  Versuchen  zwar  sehr  klein  war,  aber  doch  noch  nicht 
vernachlässigt  werden  konnte.  Die  Grösse  der  Strahlung  lässt  sich  nia- 
lich  dadurch  ermitteln  und  ihr  Einfluss  aus  den  Endresnltaten  beseiti* 
gen,  dass  man  den  Satz  zu  Hülfe  nimmt,  dass  die  Grösse  der  Strahlung 
nur  von  dem  strahlenden  Körper  abhängt  und  nicht  von  der  Entfer* 
nung  der  ihn  umgebenden  Hülle.  Beobachtet  man  daher  die  Abkühlnng 
desselben  cylindrischen  Luftthermometers  in  zwei  verschiedenen  äussera 
Cylindern,  so  lässt  sich  die  Grösse  der  Strahlung  durch  Gombination  !)«• 
der  BeobachtuDgen  ermitteln  und  aus  der  Rechnung  schaffen. 

Nennt  man  den  Radius  des  inneren  Cylinders  r,  jenen  des  äaeseren  E, 
die  Höhe  des  inneren  h  und  die  des  äusseren  H,  so  ist  der  übenÜ 
gleiche  Abstand  beider  Cylinderflächen  ^/: 

J  =  R  —  r 

und  somit: 

H  =  h  i-  2  .(R  —  r). 
Nimmt  man  zunächst  an,  der  innere  Cylinder  habe  die  oonstantt 
Temperatur  r^,  und  der  äussere  Cylinder,  welcher  bei  den  Yersnchen  ii 
ein  Gemisch  von  Eis  und  Wasser  getaucht  wird,  die  constante  Tempen* 
tur  0®,  so  ist  die  Wärmemenge  tr,  welche  während  der  Zeiteinheit  dnrd 
eine  den  beiden  Cylinderflächen  ähnliche  und  von  der  inneren  übenD; 
gleichweit  abstehende  isothermische  Cylinderfläche  hindurchgeht,  gleich:' 

M^=—  K  .  {[h  +  2  .(q  —  r)].2QJC  +  2q^x]  -  -— , 

I*  * 

wenn  Q  den  Radius  dieses  Cylinders  und  somit  [h  +  2(p  —  r)]  sein« 
Höhe  und  d"  die  constante  Temperatur  in  dieser  isothermischen  Fläclie 
bedeutet. 

Integrirt  man  diese  Gleichung  und  setzt  für  Q  als  Grenzen  r  und  B 
und  dem  entsprechend  für  d"  dieWerthe  d^  und  0®  ein,  so  ergiebt  sich: 

,  ^)Wiiikelinaan,  Ueber  die  Wärmeleitung  der  Gase.  Pogg.  Ann.  Bd.  156,  S.  497 

bis  531. 


i€  =  K  . 


F.  Wärmeleitung  der  Gase. 
2  Ä  .  (Ä  —  2  r)  .  (9 


157 


lognat 


R(r  +  h) 


r(3E  +  h  —  2r 
Durch  StrahluDg  wird  aber  in  der  Zeiteinheit  von  dem  innneren  auf 
Jen  finBseren  Cy linder  eine  Wärmemenge  3  übertragen,  welche  proportio- 
nal der  Temperaturdifferenz  6  beider  Cylinder  ist,  also: 

8  =  c  .  e 6) 

venn  c  eine  von  den  Dimensionen  und  der  Beschaffenheit  des  inneren 
Cylinders  abhangige  Constante  ist.  Die  vom  inneren  Cylinder  in  dem 
Zeitelemente  dt  abgegebene  Wärmemenge  ist  (man  sehe  S.  153),  sofern 
MQ  unendlich  kleine  Grössen  höherer  Ordnung  vernachlässigt,  F.C^,d^^ 
%6im  man  in  der  Zeit  dt  die  Temperatur  des  inneren  Cylinders  als  con- 
itant,  gleich  0  ansieht.     Diese  Wärmemenge  aber  ist  gleich: 

{w  -\-  s)  .  dt, 
snd  man  erhält  somit  die  Gleichung: 

2  ff  (Ä  —  2  r) 


-P.C,.dO  = 


K 


Joffnat 


R  (r  +  h) 


+   c 


0  .dt. 


r(3Ä  +  Ä  —  2r) 
Wenn  man  annimmt,  dass  zu  Beginn  des  Versuches  also  f&r  ^  =  0 
die  Temperatur  des  inneren  Cylinders  den  Werth  Oo  und  zur  Zeit  t  den 
Werth  0  besitzt,  so  ergiebt  sich  durch  Integration: 
P .  a     loffnat  00  —  lognat  0        ^  ä  —  2r 


2n 


lognat 


R.(r  -hh) 


r  .  (3  Ä  +  Ä  —  2  r) 


+ 


2n 


7) 


Bezeichnet  man  die  Abkählungsgeschwindigkeit  mit  v: 

lognat  Qq  —  lognat  0 


t 


8) 


•0  wird  man,  wenn  man  den  inneren  Cylinder  in  zwei  ähnlichen  äusseren 
Cylindem  abkühlen  lässt,  eine  Abkühlungsgeschwindigkeit  Vi  finden,  wenn 
der  Radius  des  äusseren  Cylinders  Ri  und  eine  Abkühlungsgeschwindig- 
keit  r^,  wenn  der  Radius  des  äusseren  Cylinders  R^  ist.  Man  kann  dann 
iwei  der  obigen  Gl.  7)  analoge  aufstellen  und  aus  diesen  durch  Sub- 
traction  c  eliroiniren. 

Man  findet  dann  fär  K  den  Werth: 

y  _,  -P  '  Q.  -  (^^1  —  t^i) 
2  ff  .  (Ä  —  2  r)     ' 


\lognat 


Ri'ir  +  h) 


r  .{3Ri  +  h  —  2r) 


1 

7/i/iiti/y/ 

B,.(r 

+  h) 

tuynui 

.(3iJ,  + 

h  — 

2r)j 

9) 


158  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Winkelmann  ezperimentirte  im   Ganzen   mit  fünf  Apparaten 
fand  das  Wärmeleitungsvermögen  der  Luft  durch  Gombination  von  Y( 
suchen,  die  mit  den  ersten  beiden  Apparaten  angestellt  waren, 

K  =  0,0000532 

und  durch  Versuche  mit  einem  dritten  und  vierten  Apparate: 

K  =  0,0000528. 

Nach  Anbringung  einer  Correction ,  welche  sich  wegen  des  zu 
Samen  Ganges  der  Uhr  nöthig  machte,  ergab  sich  schliesslich: 

K  =  0,0000525, 

wobei  Gramm,  Secunde  und  Centimeter  als  Einheiten  dienen. 

Auch  stellte  Winkelmann  noch  mit  einer  Reihe  anderer  Gase?« 
suche  an  und  erhielt  folgende,  für  Temperaturen  von   7®  bis   8^  C. 
tige  Werthe: 

Wärmeleitungscoefficienten  (bei  7^  bis  8^0.). 


K 

Relative  Warme 
leitungscoeffic. 

0,0000525 

1 

3324 

6,33 

647 

1,23 

563 

1,07 

524 

1,00 

510 

0,97 

460 

0,88 

414 

0,79 

363 

0,69 

317 

Oi60 

Luft  .  .  . 
WaÄserstoff 
Sumpfj^  . 
Sauerstoff  . 
Stickstoff  . 
Kohlenoxyd 
Stickoxyd  . 
Aethylen  . 
Stickoxydul 
Kohlensäure 


AeuBserst   sorgfältige   Untersuchungen    über    die  Wärmeleitung 
Gasen  sind,  in  Anschluss  an  die  schon  oben  (S.  102  bis  111)  bespi 
nen  Reibungsversuche,  von  Kundt  und  War  bürg  ^)  angestellt  wordei 

Sie  bedienten  sich  bei  ihren  Versuchen  theils  kugelförmiger  ^  tb< 
cylindrischer  Glasgefässe,  in  welche  Thermometer  luftdicht  einges« 
werden  konnten.  Fig.  14  zeigt  einen  derartigen  Apparat  der  ei 
Art.     a  ist  die  kugelförmige  Hülle,    an  diese  ist  ein  cylindrisches  R< 


^)  Kundt   und   Warburg,   Ueber   Reibung   und   Wärmeleitung   verdünnter  Gssc. 
Pogg.  Ann.  Bd.  156,  S.  177  bis  211. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase. 


159 


Fig.  14. 


ageblasen,  und  in  dieses  Bohr  ist  bei  d  ein  Thermometer  sehr  sorgföltig 
ingeschliffen.     Der  cylindrische  Theil  hat  oben  neben  h  einen  seitlichen 

Ansatz  mit  einem  Glashahn,  durch  welchen  der  Apparat 
mit  einer  Qaecksilberlnftpnmpe  in  Verbindung  gesetzt 
werden  kann. 

Bei  den  Versuchen  wurde  der  Apparat  zunächst 
mit  dem  gut  getrockneten  Gase  bis  zum  Drucke  gefüllt, 
bei  dem  die  Messung  stattfinden  soUte,  und  hierauf 
wurde  die  Verbindung  mit  der  Luftpumpe  durch  den 
Hahn  g  abgesperrt.  Alsdann  wurde  der  Apparat  in 
kochendes  Wasser  getaucht.  Nachdem  derselbe  die 
constante  Siedetemperatur  angenommen  hatte,  wurde 
das  ganze  Geföss  mit  schmelzendem  Eise  umgeben,  und 
nun  beobachtete  man  die  Abkühlungszeit,  des  Thermo- 
meters zwischen  60®  und  20<*C.  von  5  zu  5^^  nach  einer 
genau  gehenden  Secundenuhr. 

Es  zeigte  sich,  dass  die  Versuche  genügend  durck 
das  empirische  Abkühlnngsgesetz: 

dt=  —  d&  .(a  .t  +  ß  .t^)    .    .    .    10) 

dargestellt  werden  konnten,  wenn  t  die  Temperatur,  d" 
die  seit  Beginn  der  Abkühlung  verflossene  Zeit,  a  und 
ß  Constante  bedeuteten. 


Hieraus  folgt: 


^  = .  log 


a  .log  e 


1 


a 

1  +  ^*, 


11) 


wenn  für  ^  =  0  die  Temperatur  t  =  t^  ist: 

Es  zeigte  sich  auch  hier,  wie  bei  allen  früher  angeführten  Versuchs- 
^en  der  übrigen  Experimentatoren,    dass  der  Einfluss  der  Luftstrd- 

mnngen  unmerklich  wurde,  so  wie  der  Druck  weniger  als  —  des  At- 

mospfaärendrackes  betrug. 

Setzt  man  den  Wasserwerth  der  Thermometerkugel  gleich  S  und 

die  der  Flächeneinheit  in   der  Zeiteinheit  durch  Leitung  entnommene 

Wärmemenge  gleich: 

A,  .  ^  +  Aa  .  <« 

«nd  die  in  der  Zeit  1  von  der  Fläche    1  durch  Strahlung  abgegebene 
Wärmemenge  .gleich: 

10  besteht,  wenn  Strömungen  ausgeschlossen  sind,  für  die  im  Zeitelemente 
d^  beobachtete  Abkühlung  dt  die  Gleichung : 


<  +  02  .  t^. 


160 

und  hieraus: 


1.  Moleculartheorie  der  Wanne. 


dt=:—  d»-  ^^:.^^* .  [(«1  +  ki)t  +  P.t*]  .   .  .  12) 


vergleicht  man  dies  mit  der  Formel  10),  so  ergiebt  sich  sofort: 


« 


(öl  +  ^i) 


13) 


Hierin  ist,  so  lange  das  Gesetz  besteht,  dass  die  Wärmeleitang  na- 
abhängig  vom  Drucke  ist: 


Ai  —  Kq 


r^ 


(fa  —  ri)  .  ri 
Man  erhält  demnach  für  Kq  die  Formel: 

{^  ~  ^^  •  iJi)  .  e .  (r,  —  n) 


14) 


Ko  = 


.    .    .    .   15) 


Nimmt  man  nun  an,  dass  für  das  beste  Vacuum,  welches  von  Kandtj 
and  W arbarg  erreicht  worden  ist,  Xi  gleich  Nall  gesetzt  werden  dju({ 
so  könnte  aus  dem  in  diesem  Falle  beobachteten  Werthe  yon  cc  und  dem| 
bekannten  Radios  rx  die  Strahlungsconstante  0i  bestimmt  werden. 

Bei  dem  besten  Yacuum  ergab  sich: 

a  =  0,00159; 

femer  ist  bei  diesem  Versuche  der  Wasser werth  (S  des  Thermometers: 

e  =  0,15663  g, 
und  ri  der  Radius  der  Thermometerkugel: 

ri  =  0,4609  cm. 
Wenn  man  annimmt,  dass  Aj  =  0  ist,  so  ergiebt  sich: 

(Ji  =  —^  =  0,00093. 
4»ri* 

Das  Wärmeleitungsvermögen  der  Luft  lässt  sich  aus  folgenden  Ter»] 
suchen  ableiten.     Es  ergab  sich  für  Luft  bei  einem 

Drucke  von  «  = 

0,00366 
376 
368 
363 


19,5  mm 
9,0 
4,0 
0,5 


Mittel:  0,00368 

und  hiermit,  wenn  man  sich  des  vorher  gefundenen  Werthes  von  tfj  be* 
dient, 

Kq  =  0,000048, 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  161 

Stefan  fand  bekanntlich  £;>  =*0,0000Ö5, 
Winkelmann  0,000053. 

Da  bei  den  Versncben  von  Knndt  and  Warbnrg  der  Wasserwerth 
S  des  Thermometers  nur  sehr  angenähert  bestimmt  war,  so  ist  auf  diese 
Differenz  kein  grosser  Werth  zu  legen. 

Bezeichnen  wir  durch  a'  den  Werth  von  a  für  ein  bestimmtes  Gas, 
durch  a"  fär  ein  anderes  und  durch  Uq  den  für  das  beste  Vacuum 
beobachteten  Werth  von  a,  so  verhält  sich,  wie  man  durch  Aufstellung 
zweier  Formeln  von  der  Form  15)  und  Division  erhält: 


Ko  «  —  Uq 


16) 


Die  Beobachtungen  ergaben: 

fiir  das  beste  Vacuum  ao  =  0,00159, 

für  Kohlensaure  bei  7,7  mm  Druck  a  =  0,002841  .     „...  ,    ^  aaoqq 

1  fi  AAAOQof  ^^  Mittel:  0,00283, 

„     1,6  mm      ,       «  =  0,00282J 

för  Luft  (siehe  vorige  Seite)  im  Mittel:  0,00368, 

far  Wasserstoff  bei  15,4  mm  Druck  a  =  0,0167)  .     «...  ,    rx^cK 

„     sie  mm     ,      a  =  coiear*"  "'**^*=  ^•°'^^- 

Hieraus  findet  man  die  relativen  Wärmeleitungscoefficienten  K'  für 

E! 

Luft  =  1 

Wasserstoff  1)  =  6,53 
Kohlensäure    =  0,59 

Wir  wollen  nicht  verschweigen,  dass  wir  in  Uebereinstimmung  mit 
Kundt  und  Warbnrg  nur  den  relativen  Werthen  einen  Werth  beilegen, 
nicht  nur,  weil  die  Grösse  6  ungenau  bestimmt  war,  sondern  weil  höchst 
wahrscheinlich  auch  im  besten  Vacuum  noch  ein  nicht  verschwindender 
Theil  der  Uebertragung  von  Wärme  auf  Rechnung  von  Leitung  durch 
die  letzten  Spuren  von  Gas  resp.  durch  Quecksilberdampf  zu  setzen  ist. 
Wenn  man  aber  somit  höchst  wahrscheinlich  in  Oq  zu  viel  abzieht,  so 
wird  dadurch  vielmehr  der  absolute  Werth  als  das  Verhältniss  zweier 
absolaten  Werthe  alterirt,  zumal  wenn  die  letzteren  nicht  sehr  verschie- 
den sind. 


4«  Versuche  über  die  Abhängigkeit  der  Wärmeleitungs- 
fahigkeit  von  der  Gasdichte  und  der  Temperatur. 

Von  allen  Beobachtern  ist  übereinstimmend  wahrgenommen  worden, 
dasB  der  Wärmeleitungscoef6cient  K  so  lange  unabhängig  vom  Drucke 

^)  Nach   Anbringung    einer  Correction,  auf  deren  Nothwendigkeit  zuerst  Winkel- 
mnn,  Pogg.  Ann«  Bd.  157,  S.  554,  aufmerksam  gemacht  hat. 

Verdet-Bfthlmann,  Meoban.  Wftrmatlieorie.    Bd.  S.  n 


162 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


ist ,  als  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  eine  Terschwindend  kleine 
Grösse  ist  im  Vergleich  zu  den  Dimensionen  der  Yersachsapparate.  la 
Anfange  freilich  tritt  diese  Constanz  nicht  deutlich  zu  Tage,  da  bei 
den  meisten  der  in  neuerer  Zeit  angewendeten  Yersuchsmethodeii  der 
Einfluss  der  Strömungen  erst  verschwindet,  wenn  die  Gasdichte  wesentUdi 
vermindert  ist. 

Am  übersichtlichsten  zur  Beurtheilung  dieser  Frage  sind  einige  Yer. 
suche  von  Winkelmann^.  Bezeichnet  v  die  Abkuhlungsgeschvindig- 
keit ,  welche  bekanntlich  bei  dqn  nämlichen  Apparaten ,  nach  Formel  4), 
dem  Wärmeleitnngcoefficienten  proportional  ist ,  so  fand  sich  z.  B.  bei 
Versuchen  mit  Luft: 


Druck 

74  mm 
43 
13 
1 


m 

V  .  log  e 

0,000277 

0,000260 

0,000260 

0,000259 


Im  Anfange  wird  durch  die  Strömungen  noch  eine  erhebliche  Wlrme- 
menge  mehr  übergeführt.  Bei  abnehmendem  Drucke  verschwindet  aber 
dieser  Einfluss  ganz  und  der  Werth  v  .  log  e  wird  constant.  Auch  die 
übrigen  Gase  zeigen  ein  gleiches  Verhalten,  und  damit  ist  überzeagend 
dargethan,  dass  bis  zum  Drucke  von  1  mm  die  Wärmeleitung  deri 
Gase  vom  Drucke  unabhängig  ist.  Bei  sehr  niedrigem  DrQcb| 
nimmt  die  Wärmelei tungsfUhigkeit  der  Gase  merklich  ab,  besonders  habeal 
Kundt  und  War  bürg  bei  ihren  erstgenannten  Untersuchungen ')  die« 
Frage  ausführlich  erörtert.  In  nachfolgender  Tabelle  ist  ^  die  Zeitii 
Secunden,  welche  ein  Thermometer  in  einer  kugelförmigen  Hülle  brafuMj 
um  von  ßO^  auf  20»  G.  abzukühlen. 


1)  Man  »ehe  a.  a.  O.  Pogg.  Ann.  Bd.  156,  S.  512, 

2)  Kundt  und  Warburg,  Pogg.  Ann.  Bd.  U6,  S.  203. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase. 


163 


Druck 

^ 

Lua 

Kohlensäure 

mm 

See. 

9,3 

363 

— 

4,0     . 

369 

— 

1,2 

364 

— 

Drei  weitere  ETacuiningen : 

• 

Vacuum  1 

444 

— 

Fünf  weitere  Evacuirungen : 

Vacunm  2 

555 

— 

Sehr  lange  gepampt: 

Vacanm  3 

602 

— 

Bis  200®  erUtzt  and  wiederholt  gepumpt: 

Vacunm  4 

712 

708 

Um  nachzuweisen,  dass  bei  diesen  besten  Yacuis  es  fast  allein  die 
Strahlnng  sei,  dnrch  welche  Wärme  übertragen  wird,  setzten  Eundt  und 
Warbnrg  das  nämliche  Thermometer  in  eine  cylindrische  und  eine  ku- 
gelförmige Hülle.     Alsdann  ergab  sich  bei  Versuchen  mit: 

Wasserstoff. 


Thermometer  in 

TbermometiBr  in 

Druck 

kugelförmiger 

Hülle 

eylindrischer  Hülle 

* 

^ 

* 

mm 

See. 

occ« 

760 

60 

25 

154 

66 

25 

8,8 

68 

30 

hestes  Vacuum  4 

586 

578 

Luft. 


760 

171 

148 

234 

9,5 

270 

0,5 

280 

bestes  Vacuum  4 

576 

Kohl 

ensäure. 

bestes  Vacuum  4 

588 

114 
114 
116 
154 

576 


578 


11 


164 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Die  AbkühlnngBzeit  ^,  welche  für  mittlere  Drücke  beim  Eugelappa- 
rate  über  doppelt  so  gross  ist,  als  beim  Cylinderapparat,  anterscheidet 
sich  bei  den  besten  Yacuis  nicht  mehr  merklich ,  mit  welchem  Gase  der 
Apparat  auch  gefüllt  war.  Man  kann  daraus  allerdings  schliessen,  d»» 
in  diesen  Vacois  dem  Thermometer  die  Wärme  znm  weitaus  grössten 
Theile  durch  Strahlung  entzogen  worden  ist;  denn  der  Verlust  dnreb 
Strahlung  ist  ja  bekanntlich  lediglich  abhängig  von  der  Beschaffenheit  und 
Grösse  des  strahlenden  Körpers,  was  bei  der  Leitung  nicht  der  Fall  ist 

Es  zeigt  sich  gleichzeitig,  dass  die  Abkühlungsgeschwindigkeit  eines 
Thermometers,  es  ist  dies  eine  Grösse,  welche  mit  grosser  Schärfe  ge- 
messen werden  kann ,  ein  vorzügliches  Reagens  auf  die  Güte  eines  Ya- 
cuums  ist^). 

Die  Abhängigkeit  des  Wärmeleitungs Vermögens  von  der  Temperatur 
hat  in  ausgedehnterer  Weise  nur  Winkelmann')  untersucht,  und  auch 
seine  Yerfahrungsweise  ist  nicht  ganz  einwurfisfrei. 

Seiner  Untersuchungsmethode  liegt  nämlich  die  Voraussetzung  zu 
Grunde,  dass  das  Wärmeleitungsvermögen  zweier  verschiedener  Gase  in 
gleicher  Weise  sich  mit  der  Temperatur  ändere.  Jedenfalls  wird  nach 
allen  Erfahrungen,  die  man  über  Gase  gesammelt  hat,  der  Änalogieschluss 
für  statthaft  erscheinen,  dass  diese  Annahme  zwar  angenähert,  aber  nidit 
vollständig  richtig  ist. 

Bei  dieser  Versuchsreihe  verwendete  Winkelmann,  ähnlich  wie 
vor  ihm  schon  Run  dt  und  Warburg,  Glasapparate.  Die  Abkühlungs- 
constante,  welche  sich  bei  der  Temperatur  t  ergiebt,  möge  für  den  Fall, 
dass  der  Apparat  mit  Lufb  gefüllt  ist ,  mit  Vi^  t  bezeichnet  werden ,  und 
wenn  derselbe  Apparat  Wasserstoff  enthält,  mit  Fj«,, /.  Nennt  man  nun  den 
Theil  der  Abkühlung,  welcher  im  ersten  Falle  von  der  Leitung  der  Luft 
herrührt,  If,  beim  Wasserstoff  analog  t^^r«  und  den  Theil,  der  von  der  Strah- 
lung hervorgebracht  wird,  6t^  so  gelten  die  beiden  Gleichungen: 

V^,  t  =  Wt  +  <J<. 

Ist  nun  bei  einer  anderen  Temperatur  r  die  Leitungsgrosse  für  Luft 
A  .  2|,  so  ist  sie  bei  Wasserstoff  unserer  Annahme  gemäss  A  .  f^i,  und  es 
gelten  die  beiden  weiteren  Gleichungen: 

V„^j  =  A  .ict  +  Ör, 
und  aus  diesen  vier  Formeln  ergiebt  sich  sofort: 


A  = 


F.  ,  -  F,. 


17) 


')  Geschickten  Mechanikern  wird  es  vielleicht  gelingen ,  unter  Benutzung  dieses 
Principet  endlich  ein  Mittel  zu  finden,  durch  das  man  mit  Sicherheit  die  Ünveriuider» 
lichkeit  des  Vacuums  der  Normalbarometer  prüfen  kann. 

^)  Ueber  die  Wärmeleitung  der  Gase,  zweiter  Theil.  Pogg.  Ann.  Bd.  157,  S.  497 
bis  555. 


F.  Wärmeleitung  der  Qade.  165 

Auf  diesem  einfachen  Wege  kann  man  also  das  Yerhaltniss  der  Lei* 
tungBcoDstaute  för  zwei  Temperaturen  t  und  v  bestimmen. 

Die  Beobachtungen  wurden  in  folgender  Weise  angestellt: 

Der  mit  dem  betreffendem  Gase  gefüllte  Apparat  wurde  in  Eis  gesenkt, 
und  die  Abkuhlungszeit  Yon  18  bis  8^  von  Grad  zu  Grad  beobachtet. 
Hierauf  wurde  derselbe  Apparat  in  ein  Luftbad  eingesenkt,  bis  zu  einer 
Temperatur  von  125^  erwärmt,  alsdann  in  ein  Gefäss  mit  siedendem 
Waeser  eingetaucht,  und  die  Abkühlungszeit  von  118  bis  108^  ebenso 
wie  früher  von  Grad  zu  Grad  abgelesen. 

Die  Abkühlungsconstante  v  wurde  auch  hier  nach  der  Formel: 

berechnet,  in  welcher  b  die  constante  Temperatur  der  Hülle,  Tq  die  An- 
gabe des  Thermometers  zur  Zeit  0  und  r^  die  Temperatur  zur  Zeit  S) 
bezeichnet. 

Da  in  jeder  Beobachtungsreihe  etwa  zehn  Ablesungen  der  Tempe- 
ratur und  der  zu  diesen  gehörigen  Zeiten  vorliegen,  so  erhält  man  eben- 
soviele  Werthe  von  v.  Durch  ein  besonderes  Verfahren,  welches  man  in 
der  Originalarbeit ^)  nachsehen  möge,  ist  die  Temperatur  ermittelt,  auf 
welche  sich  der  Mittelwerth  von  v  bezieht.  Für  uns  genügt  es,  dass  die 
beiden  Werthe  fast  genau  um  100^  auseinander  liegen. 

Es  ergaben  sich  nachstehende  Werthe  von  v  .  log  €: 

Temperatur  7,50  Temperatur  109,0^ 
V  .log  e  V  ,log  e 

für  Kohlensäure       0,0003186  0,0006312 

„    Luft  0,0004328  0,0007541 

„    Wasserstoff         0,001934  0,002749 

Gombinirt  man  die  Resultate  fär  Luft  und  Wasserstoff  nach  For- 
mel 17),  so  ergiebt  sich: 

A  =  1,3289, 

und  wenn  man  die  Zahlen  für  Fvon  Kohlensäure  und  Wasserstoff 

zusammennimmt : 

Ä  =  1,3104. 

Diese  Zahlen  bedürfen  aber  noch  zweier  nicht  ganz  unerheblicher 
Correctionen.  Einmal  nämlich  enthält  die  sich  abkühlende  Thermometer- 
kugel  bei  hölieren  Temperaturen  nicht  mehr  das  gleiche  Quecksilber- 
gewicht, wie  bei  niedrigen  Temperaturen,  weil  bei  höheren  Wärmegraden 
ein  Theil  des  Quecksilbers  in  die  Thermometerröhre  aufgestiegen  ist,  und 
dann  entspricht  der  Abkühlung  um  einen  Grad  nicht  bei  allen  Tempera- 
turen dieselbe  Wärmemenge,  da  die  specifische  Wärme  des  Quecksilbers 
bekanntlich  mit  steigender  Temperatur  zunimmt.    Bringt  man  diese  Cor- 


^)  Pogg.  Ann.  Bd.  157,  S.  514. 


166 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


rectionen  an,  so  ergiebt  sich  als  Mittel  aus  zahlreichen  Yersachen  mit  drei 
verschiedenen  Apparaten: 

^  =  1,36  für  Luft  nnd  Wasserstoff  zwischen  7,5  und  109^ 

Ä  =  1,33  für  Kohlensäure  und  Wasserstoff  zwischen  7,5  und  109^ 

Stellt  man  die  Abhängigkeit  der  Wärmeleitung  von  der  Temperator 

durch  die  Formel: 

l,  =  7,  .  (1  +  /J  .  r) 

dar,  so  ist: 

1  —  A.  »  t 

Hieraus  ergiebt  sich,  dass  für  Luft  und  Wasserstoff: 

ß  =  0,00365. 

Da  man  nicht  annehmen  konnte,  dass  auch  die  Kohlensäure  den- 
selben Aenderungscoefficienten  des  Leitungsvermögens  besitze,  den  man 
für  Wasserstoff  und  Luft  angenommen  hatte,  auch  die  Yersucharesul- 
tate  unmittelbar  dagegen  sprachen,  so  musste  hier  ein  anderer  Weg  zur 
Berechnung  von  ß  eingeschlagen  werden. 

Bezeichnet  man  mit  V^^  t  resp.  Vk,  %  die  Abkühlungsgesch windigkeit 
des  Thermometers  in  Kohlensäure  und  mit  h^  resp.  hx  den  von  der  Lei- 
tung herrührenden  Theil  derselben  bei  der  Temperatur  t  resp.  %  und  den 
für  Kohlensäure  gültigen  Aenderungscoefficienten  mit  C,  so  kann  man 
von  folgenden  vier  Gleichungen  ausgehen  (man  sehe  S.  164,  Z.  8  ▼.  u.): 

^•r,  t  =  Wt  -\r  8t,     r«,,  t  =  il  .  W|  +  Sr 

n,  ,  =  ht  +  8t,    F*,  r  =  C  •  Ä,  +  8^: 

Hieraus  kann  G  bestimmt  werden ,  da  das  Yerhältniss  -;-  =  m,  d.  L 

der  relative  Leitungscoefficient  des  Wasserstofib  im  Vergleich  zu  KoUen- 
säure,  bekannt  ist. 

Durch  Subtraction  der  unter  einander  stehenden  Gleichungen   and 
Division  der  Resultate  findet  man: 


A  .Wt  —  G  .  kt^ 


und  hieraus,  ergiebt  sich: 

C=  Ä  .  m 


Vw,  T   ^*,  T 


(m  -  1) 


19) 


Aus  den  oben  mitgetheilten  Zahlen  und  dem  von  Winkelmann  für 

fw  gefundenen  Werthe: 

991  =  10,485 
ergiebt  sich  im  Mittel: 

G  =  1,58  zwischen  7,5»  und  108». 
Damit  aber  findet  man  ffSa  Kohlensäure: 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  167 

ß  =  0,0059, 

ftlso  einen  Werth,  der  wesentlich  grösser  ist ,  als  der  für  Wasserstoff  und 
Luft  ermittelte.  ^ 

Dem  auf  diese  Weise  gefdndenen  Werthe  des  Temperatnrcoefficienten 
haftete  aber  noch  ein  Fehler  an,  welcher  davon  herrührte,  dass  die  Abhän- 
gigkeit der  specifischen  Wärme  des  Quecksilbers  von  der  Temperatur 
nicht  genau  bekannt  war. 

Auf  Gmnd  einer  besonderen  Untersuchung,  welohe  Winkelmann 
behufs  Messung  dieser  Grösse  anstellte^),  zeigte  sich,  dass  man  auf  er- 
beblich kleinere  Werthe  für  den  Temperaturcoefficienten  ß  gef&brt  wurde, 
wenn  man  richtige  Werthe  für  die  specifisohe  Wärme  der  Quecksilbers 
einführte. 

Nach  den  neueren  Messungen  von  Winkelmann ^),  welche  sich  auf 
eine  grössere  Zahl  von  Gasen  und  Dämpfen  erstrecken ,  ergeben  sich  für 
die  Temperaturcoefficienten  der  Wärmeleitung  schliesslich  folgende  Werthe: 

ß 

für  Luft =  0,00277 

„  Wasserstoff  .  .  .  .  =  0,00277 
„  Stickoxydul  ....==  0,00115 
„  Wasserdampf  .  .  .  .  =  0,00439 
„  Kohlensäure  .  .  .  .  =  0,00497 
„    Schwefelkohlenstoffdampf  =  0,00572 

„     Ammoniak =  0,00613 

„    Aethylen =  0,00575 

,  Alkoholdampf.  .  .  .  =  0,00615 
„    Aetherdampf  .     .     .     .     =  0,00701 

Die  Unsicherheit  der  Zahlen  taxirt  Winkel  mann  auf  ungefiähr 
7  Procent  des  Endresultates. 

Es  ergiebt  sich  das  übeiTaschende  Resultat,  dass  bei  den  permanen- 
ten Gasen  Reibung  und  Wärmeleitung  sehr  nahe  in  gleicher  Weise  von 
der  Temperatur  abhängig  sind.  v.  Obermayer  erhielt  z.  B.  für  den 
Temperaturänderungscoefficienten  der  inneren  Reibung  (man  sehe  Bd.  2, 
1»1),  8,  S.  120)  bei: 

Luft =  0,00278 

Wasserstoff     .     .     .     .  =  0,00257 

Stickoxydul     .     .     .     .  =  0,00346 

Kohlensäure    .     .     .     .  =  0,00481 

Aethylen =  0,00352 

')  Winkelmann,  Ueber  die  Abhängigkeit  der  specifischen  Wärme  des  Queck- 
silbers von  der  Temperatur.     Pogg.  Ann.  Bd.  159,  S.  152  bis  165.     Er  fand: 

Cj,  =  0,03336  —  0,0000069  .  /. 

^  Winkelmann,  Ueber  die  Wärmeleitung  von  Gasen  and  Dämpfen  und  die  Ab- 
bingigkeii  der  specUischen  Wärme  derselben  von  der  Temperatur.  Pogg.  Ann.  Bd.  159, 
S.  177  bis  197. 


168  L  Moleculartheprie  der  Wärme. 

Nur  Aethylen  (C3H4),  ein  Gas,  dessen  Molecül  aus  vielen  Atomen 
besteht,  zeigt  eine  erhebliche  Abweichung. 

Diese  Thatsache  hat  übrigens  ihren  inneren  Grund  darin,  dass  man, 
wie  wir  später  zeigen  wercien,  berechtigt  ist,  den  Wänneleitangacoeffi- 
cienten  £'(man  sehe  Gl.  61,  S.  198): 

K  =  a  ,  rj  .  c^ 

zu  setzen,  worin  a  eine  für  alle  Gase  gleiche  Constante,  1}  der  Goefficieat 
der  inneren  Reibung  und  c,  die  specifiache  Wärme  des  Gases  bei  con- 
stantem  Volumen  ist. 

Insoweit  also  die  specififlche  Wärme  bei  constantem  Volumen  einei 
Gases  als  unabhängig  von  der  Temperatur  angesehen  werden  kann, 
müssen  die  Coefficienten  der  Wärmeleitung  und  inneren  Reibung  sich  ii 
gleicher  Weise  mit  der  Temperatur  ändern. 

Durch  eine  Untersuchung  von  £.  Wiedemann^)  ist  es  höchst  waht^. 
scheinlich  gemacht  worden,  dass  die  specifische  Wärme  der  zweiatomigen 
Gase  sehr  nahe  von  der  Temperatur  unabhängig  ist,  und  dieses  Resultat 
findet  insofern  eine  Bestätigung,  als  für  die  zweiatomigen  Gase  Luft  und 
Wasserstoff  die  Temperaturänderungscoefficienten  der  inneren  Reibung 
und  der  Wärmeleitung  fast  absolut  gleich  sind. 

Bei  anderen  Gasen  muss  sich  noth wendiger  Weise  der  •  Aendemngs- 
coefficient  von  K  aus  dem  von  17  und  c„  zusammensetzen,  und  auch 
dies  könnte  man  durch  die  zur  Verfügung  stehenden  Zahlen  als  bewiesen 
ansehen ;  da  jedoch  die  Bestimmung  von  c,  mit  sehr  grossen  Ungenauig- 
keiten  behaftet  ist,  so  kann  auf  eine  solche  Uebereinstimmung  kein  Ge- 
wicht gelegt  werden. 


6.    Die  Olausius'sohe  Theorie  der  Wärmeleitimgr  in 

Oasen. 

Während  man  bekanntlich  in  der  Lage  war,  aus  der  kinetischen 
Gastheorie  die  Erscheinungen  der  inneren  Reibung  der  Gase  fast  toU- 
ständig  abzuleiten,  ist  dies  mit  der  Wärmeleitung  durchaus  nicht  in  glei- 
cherweise der  Fall.  Den  ersten  Versuch  derart  hat  MaxwelP)  gemacht, 
doch  hat  er  selbst  späterhin  diese  seine  ersten  Entwickelungen  wieder 
als  fehlerhaft  zurückgezogen.  Ihm  folgte  Clausius'),  welcher  angeregt 
durch  den  früher  erwähnten  Einwurf,  dass  sich  Wärmeunterschiede  in 
Gasen  fast  momentan  vollständig  ausgleichen  müssten,  wenn  die  kineti- 
sche Gastheorie  richtig  wäre,  zeigte,  dass  sich  aus  der  dynamischen  Gas- 
theorie   vielmehr  för  die   WärmeleitungscoefQcienten   Grössen   ergebeo. 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  157,  S.  1  bis  42. 

^)  Maxwell,  Phil.  Mag.  4.  Serie.  Bd.  19,  S.  19  und  Bd.  XX,  S.  21  (1860). 
^)  Claasius,   Üeber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper  (1862).  Abhandlongea. 
Bd.  2,  S.  277  bis  326. 


F.  Wäxmeleitung  der  Gase.  169 

welche  nicht  wesentlich ,  wenigstens  nicht  hinsichtlich  ihrer  Grossenörd- 

Dong  Ton  den  experimentell  gefandenen  Werthen  abweichen. 

Noch  später  hat  Maxwell^)  auf  Grand  seiner  zweiten  Gastheorie, 

dass  sich  die  Molecüle  umgekehrt  proportional  der  fünften  Potenz  ihrer 

Entfernung  abstiessen,  eine  sehr  yollstandige  Theorie  der  Wärmeleitung 

entwickelt,  welche  späterhin  durch  die  inzwischen  angestellten  Versuche 

in  überraschender  Weise  bestätigt  zu  werden  schien.     Diese  Ueberein» 

Stimmung  wurde  jedoch  hinfällig,  als  bald  darauf  durch  Boltzmann^) 

geaeigt  wurde,  dass  die  Maxwell' sehen  Resultate  durch  einen  Rechen« 

3 
fehler  um  —  zu  klein  ausgefallen  waren.     Das  Yerhältniss  der  Warme- 

leitungscoefficienten  aber  wird  sowohl  nach  der  Clausius' sehen  als  nach 
der  Maxw einsehen  Theorie  für  eine  Anzahl  von  Gasen  in  guter  Ueber- 
eiDstimmung  mit  den  Yersnchsergebnissen  gefunden.  Der  Hauptunter- 
Bchied  beider  Theorien  bestehtauch  bei  dieser  Erscheinungsgruppe  wieder 

darin,  dass  Clausius  findet,  die  Wärmeleitung  nähme  mit  der  —  Potenz 

der  absoluten  Temperatur  zu,  während  sich  bei  Maxwell  eine  der  ersten 
Potenz  proportionale  Zunahme  ergiebt.  Inzwischen  hat  endlich  Boltz- 
mann')  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  man  die  Wärmeleitungscon- 
stante  der  Gase  überhaupt  auf  theoretischem  Wege  ihrem  absoluten 
Werthe  nach  nicht  bestimmen  kann,  da  man  aus  der  Gastheorie  ohne 
nähere  Kenntniss  der  inneren  Beschaffenheit  der  Moleoüle  nicht  ermit- 
teln kann,  in  welcher  Weise  sich  die  intramolecularen  Bewegungen  von 
Molecül  zu  Molecül  fortpflanzen. 

Es  möge  daher  zunächst  genügen,  die  einfachere  Clausius 'sehe 
Theorie  der  Wärmeleitung  an  dieser  Stelle  zu  reproduciren«  Wir  wollen 
zuerst  durch  Betrachtung  eines  sehr  einfachen  Falles  versuchen  ,  eine 
Vorstellung  von  dem  Mechanismus  zu  geben,  durch  welchen  in  Gasen  die 
Debertragung  der  Wärme  von  Schicht  zu  Schicht  stattfindet.  Wir  be- 
trschten  zu  diesem  Zwecke  eine  dem  Einflüsse  der  Schwerkraft  nicht 

Y\2^,  15.  unterworfene  Gasmasse,  welche 

*  .  I  zwischen  zwei  unendlich  grossen 

"^T" 5 ' T —      parallelen  Ebenen  AA  und  BB 

4^  eingeschlossen  ist,  die  auf  ver- 

schiedener Temperatur  erhalten 

[ I  werden  (man  sehe  Fig.  1 5).  Nach 

BT  ▼    B      einiger  Zeit  wird  sich   alsdann 

in  der  Gasmasse  ein  stationärer 
Zustand  hergestellt  haben,  derart,  dass  die  in  jedem  beliebigen  Punkte  M 


2  Maxwell,  Phil.  Mag.  4.  Serie.  Bd.  35,  S.  216  (1868). 


Boltzmann,  Weitere  Stadien  über  da«  Wärmegleichgewicht  anter  GasmolecUleiL 
Bericht  der  Wiener  Akademie.  Bd.  56,  S.  390  (1872). 

^  Boltzmann,  Bemerknngen  über  die  Wärmeleitung  der  Gase.  Pogg.  Ann.  Bd.  157, 
S.  457  bis  469  (1876). 


170  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

staitfindende  constante  Temperatur  lediglich  eine  Fanction  des  Abstandess 
von  der  wärmeren  der  beiden  Ebenen,  von  ÄÄ  ist.  Alsdann  wird 
Temperatur  der  Schichten  mit  wachsendem  x  abnehmen.  Auch  woUi 
wir  in  unserer  Betrachtung  von  innerer  Strahlung  von  Molecül  sa 
cül  absehen  und  nur  den  Theil  der  Fortpflanzung  der  Wärme  in  Bei 
ziehen,  welcher  von  den  Bewegungen  der  Molecflle  der  Gasmasse  h» 
rührt.  Wir  nehmeif  also  an,  dass  die  Erwärmung  der  Gasschichten 
von  herrührt,  dass  die  Molecüle  der  wärmeren  Schichten  zum  Theil  in 
der  kälteren  eindringen  und  durch  Znsammenstösse  mit  den  dort  befindli« 
Molecülen  die  Wärme  in  die  kälteren  Schichten  übertragen.  Die  Mol 
der  wärmeren  festen  Wand  AÄ  befinden  sich  in  einem  Schwingung»-! 
zustande,  derart,  dass  die  Gasmolecüle,  welche  an  dieselbe  stosaen,  mit  G^ 
seh  windigkeiten  reflectirt  werden,  deren  Mittelwerth  der  Temperatur  di< 
Wand  entpricht.  Diese  Molecüle  begegnen  nun  ihrerseits  anderen 
cülen,  deren  Geschwindigkeit  im  Mittel  geringer  ist,  und  übertragen 
Theil  ihrer  Geschwindigkeit  auf  diese.  Diese  Molecüle  übertragen  n 
wiederum  einen  Theil  ihrer  Geschwindigkeit  in  die  nachfolg 
Schicht  u.  B.  f.,  bis  schliesslich  zu  denjenigen  Molecülen,  welche  sidii 
unmittelbarer  Nähe  der  kälteren  Wand  BB  befinden  und  dort  d 
einen  Vorgang  auf  der  constanten  Temperatur  der  kälteren  Wand  erl 
ten  werden,  welcher  dem  ganz  gleich  ist,  der  an  der  heissen  Wand  s^ 
fand. 

Wenn  ein  stationärer  Zustand  in  der  Gasschioht  eingetreten  ist,  m 
dieser  Zustand  folgenden  Bedingungen  entsprechen: 

Wenn  wir  uns  in  einer  zu  beiden  Wänden  AÄ  und  BB   parallel 
Ebene  eine  Flächeneinheit  durch  irgend  eine  geschlossene  Carve  ab{ 
grenzt  denken,  so  ist  es  nöthig,  dass  gleichviel  Molecüle  nach  der 
der  positiven  X  hin  als  in  entgegengesetzter  Richtung  durch  dieses 
ohenstück  hindurchgehen.    Es  darf  demnach  an  keiner  Stelle  des  Rau 
eine  Strömung  des  Gases  stattfinden. 

Es  ist  ferner  für  den  stationären  Zustand  nöthig,  dass  der  auf 
Flächeneinheit  ausgeübte  Druck  des  Gases  an  jeder  Stelle  des  RaaoMl 
der  nämliche  sei. 

Die  nach  der  einen  Seite  des  Raumes  durch  das  betrachtete  Flächea* 
stück  hindurchgehende  Anzahl  von  Molecülen  ist  zwar  gleich  derjenige]^ 
welche  nach  dem  anderen  Theile  des  Raumes  hin  durch  das  Flächenstäck 
gelangt,  aber  die  lebendigen  Kräfte  dieser  Molecüle  sind  nicht  glei^ 
die  Summe  der  lebendigen  Kräfte  der  Molecüle,  welche  sich  in  den  Tbe2 
des  Raumes  begeben,  nach  welchem  hin  die  x  wachsen,  wird  großer  seis, 
als  die  in  entgegengesetzter  Richtung  transportirten.  Im  stationären  Zt- 
stande  aber  muss  in  allen  zvl  AA  und  BB  parallelen  Ebenen  dieser 
Ueberschuss  ein  constante  Zahl  sein.  Wäre  dies  nicht  der  Fall,  so  ward» 
die  kinetische  Energie,  welche  in  einem  Cylinder  vorhanden  wäre,  dessea 
Endfläche  AA  und  BB  parallel  wäre,  nicht  constant  sein  können,  dsni 


F.  Wärmeleitung  der  Gase. 


171 


aber  würde  aach  der  Zustand  des  Gases  mit  der  Zeit  veränderlich,  also 
nicht  stationär  sein. 

In  kurzen  Worten  kann  man  diese  drei  Grandbedingungen  des  sta- 
tionären Zufitandes  folgendermaassen  zusammenfassen: 

1)  Die  Massen  der  MolecÜle,  welche  in  einer  gegebenen  Zeit  durch 
eine  in  einer  beliebigen  Parallelebene  zu.  ÄÄ  gelegenen  Flächeneinheit 
in  die  za  beiden  Seiten  der  Ebene  gelegenen  Raumtheile  hindurchgehen, 
eompensiren  sich  vollständig. 

2)  Der  Druck  auf  alle  solche  Flächen  ist  in  allen  Schichten  derselbe. 

3)  Der  durch  diese  Flächen  hindurchfliessende  Wärmestrom  ist 
überall  gleich,  oder  der  Ueberschuss  der  lebendigen  Kräfte,  welche  nach 
entgegengesetzten  Richtungen  durch  eine  solche  Flächeneinheit  hindurch- 
gehen, ist  ebenfalls  in  allen  Schichten  gleich. 

Man  kann  nunmehr  diesen  drei  Bedingungen  auch  sehr  leicht  einen 
analytischen  Ausdruck  geben. 

Um  dies  mit  der  ersten  Bedingung  vorzunehmen,  betrachten  wir 
einen  Cylinder,  dessen  Grundfläche  parallel  der  Basis  ÄÄ  und  gleich  der 
Flächeneinheit  und  dessen  unendlich  kleine  Höhe  äx  ist.  Das  Volumen 
dieses  Gylinders  ist  alsdann  dx.  Bezeichnet  nun  N  die  Anzahl  der  in 
der  Yolumeneinheit  vorhandenen  Gasmolecüle,  so  ist  N.  dx  die  Zahl  der 
in  dem  betrachteten  Cylinder  eingeschlossenen  Molecüle.  Diese  Molectile 
besitzen,  wie  wir  dies  schon  oft  angenommen  haben,  die  verschiedensten 
Geschwindigkeiten.  Als  Yertheilungsgesetz  der  Geschwindigkeiten  wird 
man  am  besten  das  Maxwell' sehe  (man  sehe  S.  68)  als  gültig  voraus- 
setzen.    Denkt  man  sich  nun  durch  einen  Punkt  0  des  Raumes  Parallele 

zu  allen  Richtungen  gezogen,  welche  die 
Geschwindigkeiten  der  Molecüle  in  einem 
gegebenen  Augenblicke  besitzen  und  be- 
trachtet diejenigen,  welche  mit  der  auf 
der  Grundfläche  unseres  Gylinders  nor- 
malen Geraden  ON  (man  sehe  Fig.  16) 
Winkel  einschli essen,  welche  zwischen  ß 
und  ß  -}-  dß  liegen,  so  verhält  sich  die 
Anzahl  der  sich  in  diesen  Richtungen 
bewegenden  Molecüle  zur  Gesammt- 
zahl,  wie  die  Oberfläche  der  Kugelzone, 
welche  zwischen  den  Oefifnungswinkeln 
ß  und  ß  -}r  dß  liegt,  zur  gesammten 
Kugeloberfläche.  Dieses  Verhältniss 
aber  ist  (wie  wir  schon  früher  Öfter ,  so    z.  B.  S.   54  und  55  ,  gezeigt 

baben): 

1 

-jr-wn  /J  .  dß. 


172  I.  Moleculaxtheorie  der  Wärme. 

Kommen  wir  nim  aber  überein,  den  Winkel  ß  dorch  seinen  negpj 
tiyen  Cosinus  ff  za  definiren,  bezeichnen  wir  also:  { 

—  cos  ß  =^  fi,  . 

so  ist: 

>  1  1 

—  sin  ß  *  dß  =  —  •  ef/i. 

Demnach  ist  —  •  d(ik  der  Bruchtheil  der  Anzahl  aller  Molecüle,  d< 

Geschwindigkeit  mit  den  Normalen    Oif  Winkel  bilden,  deren  CoBiii 
zwischen  der  Grenze  —  fi  und  —  (f*  +  ^f*)  enthalten  sind. 

Die  Anzahl  Molecüle,  welche  im  unendlich  kleinen  Cy linder  G^ 
schwindigkeiten  besitzen,  deren  Bichtung  gegen  die  X-Axe  durch  p>  de- 
finirt  ist,  beträgt  demnach: 

—  N  »  äx  ,  rfft. 

In  Wirklichkeit  ist  aber  die  Vertheilung  der  Geschwindigkeitci 
keine  durchaus  unregelmässige.      Die  Anzahl  Molecüle,  deren  Richtuii 

1  i 

durch  [i  definirt  wird,  kann  demnach  nicht  unmittelbar  selbst  •^N.dx.i{ 

sein,  sondern  wir  werden  diesen  Werth  mit  einer  Function  A  von  fc  mi 
tipliciren  müssen ,   welcher  je  nach  dem  Abstände  der  unendlich  di 
Schicht,  die  wir  betrachten,  verschiedene  Grössen  haben  wird.    Die  Am 
der  Molecüle,  welche  die  durch  fi  charakterisirte  Richtung  besitzen, 
demnach: 

—  *  A  ."N .  dx  ,  dyi 

sein  und  die  Bestimmung  der  Function  A  gehört  zu  den  wichtigsten  Pank* 
ten,  auf  denen  die  Lösung  des  Problems  beruht. 

Setzt  man  voraus,  alle  Molecüle  besässen  die  gleiche  Geschwindi^. 
keit  F,  so  ist  der  Weg,  den  die  Molecüle,  deren  Richtung  der  CrröBseM 

entspricht,  im  Inneren  des  Gy linders  zurücklegen,  gleich  — ,  unddieZdu 

dx 

welche  zur  Zurücklegung  dieses  Weges  nöthig  ist,  beträgt =:•   B^ 

trachten  wir  nun  die  sämmtlichen,  im  unendlich  dünnen  Cylinder  ent^ 

haltenen  Molecüle  zur  Zeit  ^,  so  findet  sich  zu  einem  Zeitpunkte  i  -{ ^ 

von  den  f(  Molec ölen  0  nicht  ein  einziges  mehr  in  dem  Cylinder.    Da  der 
Zustand  stationär   ist,  so  muss  eine  gleiche  Anzahl  der  fi  Molecüle  ii 


^)  Anstatt  den  etwas  "weitschweifigen  Ausdruck  zu  gebrauchen :  „die  Molecüle,  der« 
Geschwindigkeit  durch  /u  charakterisirt  ist** ,  werden  wir  der  Kurze  wegen  hiafig  J» 
(A  Molecüle^  schreiben. 


^F.  Wärmeleitung  der  Gase.  173 

den  Cylinder  wieder  eiBgetreten  sein.     In  einem  Zeitpunkte  f  +  n = 

werden  die  im  Cylinder  enthaltenen  fi  Molecüle  n  mal  erneuert  worden 
sein. 

Betrachten  wir  einen  2^itraum  0,  so  werden  während  des  Ablaufes 
desselben  die  fi  Molecüle 

e 

dx 


mal  im  Cylinder  erneuert  werden.  Die  Zahl  der  Erneuerungen  multi- 
plicirt  mit  der  Anzahl  der  gleichzeitig  im  Cylinder  enthaltenen  ^Molecüle 
gieht  die  Anzahl  ft  Molecüle,  welche  in  der  Zeit  0  durch  die  Grundfläche 
des  Cylinders  hindurchgehen.  In  der  Zeiteinheit  ist  diese  Zahl  der  Er- 
neuerungen im  Cylinder: 

1 

dx    ' 


ft  .  V 

mithin  ist  die  Anzahl  der  f»  Molecüle,  welche  durch  die  Einheit  der  Grund- 
fläche in  der  Zeiteinheit  austreten,  gleich: 

■-'A.N.  V  .  li  .dfi, 

sofern  wir  voraussetzen,  dass  alle  Molecüle  die  gleiche  Geschwindigkeit  V 
besitzen. 

Da  aber  in  Wirklichkeit,  wie  wir  wissen,  nicht  alle  Molecüle  eine 
gleiche  Geschwindigkeit  F  besitzen,  sondern  im  Gegentheil  sehr  ver- 
sduedene  Geschwindigkeiten  vorkommen  können,  so  wird  V  durch  die 

mittlere  Geschwindigkeit,  die  wir  mit  V  bezeichnen  wollen,  zu  ersetzen 
sein. 

Multiplicirt  man  nun  aber  diese  Anzahl  mit  m,  mit  der  Masse  jedes 
Molecüls,  so  repräsentirt  das  Prodnct: 

—  m  .  Ä  .N  .  V  .  n  .  d^ 

\  die  Masse  der  Molecüle,  welche  in  der  durch  ft  definirten  Richtung  in 
der  Zeiteinheit  durch  ein  fläohenelement,  welches  den  beiden  begrenzen- 
den Wänden  parallel  ist,  hindurchgehen.  Bildet  man  nunmehr  die  Summe 
über  alle  Richtungsunterschiede,  welche  zwischen  den  Geschwindigkeiten 
der  Molecüle  und  der  Richtung  der  wachsenden  x  vorkommen  können, 
so  nmss,  da  unserer  ersten  Annahme  gemäss  im  stationären  Zustande 
der  Austausch  der  Molecüle  durch  jede  Ebene  sich  compensirt,  diese 
Samme  gleich  Null  sein,  und  wir  erhalten  die  Gleichung: 

+  1 

-    m  .  JV .  JA  .V.ii.dii  =  0 20) 

—  1 


174  I.  Moleculariheorie  der  Wärme. 

Die  Integration  ist  zwischen  den  Grenzen  -\-  1  bis  —  1  suBgefob^ 
weil  dann  der  Cosinus  ft  für  alle  Richtongsonterschiede  zwischen  0  vi| 
180^  gebildet  worden  ist,  d.  h.  ftLr  alle  Winkel,  die  überhaupt  YorkonuMi 
können.  Die  Grösse  N  ist  vor  das  Integrationszeichen  gesetzt  woriil 
da  N  unabhängig  von  fi  und  lediglich  eine  Function  yon  x  uL  \k 

Grössen  Ä  dagegen  und  V  sind  gleichzeitig  Function  Ton  9  und  von  flu 
Wir  wenden  uns  nun  zur  zweiten  Bedingung,  welche  erfüllt  ni 
muss,  damit  der  Zustand  des  Gases  ein  stationärer  ist,  nämlich  du^ 
dasB  der  Druck  des  Gases  auf  jede  beiden  Begrenzungsebenei 
parallele  Flächeneinheit  gleich  sein  muss,  welchen  Werth^ 
auch  an  der  betreffenden  Stelle  besitzen  mag.  £ine  nutU 
matische  Form  für  den  Druck  auf  die  Flächeneinheit  findet  man,  wM 
man  die  auf  die  betrachtete  Flächeneinheit  normalen  Ge8chwindigkal| 
componenten  der  Molecüle  bildet  und  die  hierauf  bezüglichen  Beweguaf^ 
grossen  verdoppelt. 

Die  Anzahl  Molecüle,  welche  die  Flächeneinheit  in  der  ZeiteinUl 
parallel  der  durch  fi  und  fi  -f*  ^f^  definirten  Richtungen  treffen,  ist: 

-  N .  Ä  .  V  .  u  .  da.  ) 

2  ^       '^  i 

Die  Dewegungsgrösse,  welche  jedem  Molecüle  ertheilt  werden  mi 
um  es  mit  entgegengesetzter  normaler  Geschwindigkeitscomponente 
reflectiren,  erhält  man,  wenn  man  für  jedes Molecül  die  Grösse  2.  F.«. 
bildet.     Setzt  man  der  Einfachheit  wegen  voraus,  alle  Molecfile 
die  gleiche  Geschwindigkeit,  so  ergiebt  sich   für   den  Druck,  den 
li  Molecüle  ausüben,  die  Grösse: 

-  N  .  Ä  ,  V ,  II  .  d(i  .  2  .  m  .  F.  /li, 

und  dies  ist  gleich: 

Setzt  man  die  Geschwindigkeiten  nicht  als  gleich  voraus,  so  würi 
man  den  Ausdruck:  I 

m  .N .  Ä  .  F»  .  fi»  •  df* 

erhalten. 

Die  Bedingung ,  dass  der  Gesaramtdruck  aller  Molecüle  auf  ^ 
Flächeneinheit  constant  sei,  wird  alsdann  ausgedrückt  durch  die  Gleichnnlj 

0  i 

m  .N.  Ca  .  F^  .  fi«  .  dfi  =  const 211 

—  1 

Die  Grenzen  für  fi  beziehen  sich  nur  auf  einen  BichtungsunterBchiei 
von  0  bis  90®  zwischen  den  Geschwindigkeiten  und  der  Richtung  der  wach^ 
senden  x ,  weil  man ,  um  von  einem  Drucke  reden  zu  könen ,  sich  doA 
immer  die  betrachtete  Flächeneinheit  als  Begrenzung  der  Gasmasse  den* 


F.  Wärmeleitung'  der  Oase.  175 

ken  mnsB,  mithio  bloss  die  yon  einer  Seite  kommenden  Molecüle  berück- 
uebtigen  darf. 

Schliesslich  bleibt  es  uns  noch  übrig,  die  dritte  Bedingung  des  sta- 
fcbnären  Zastandes  in  eine  mathematische  Form  zu  bringen,  dass  der 
Deberschuss  der  Wärmemenge,  welche  in  Richtung  der  wach- 
landen  x  durch  eine  Flächeneinheit  hindurchgeht,  über  die 
Wärmemenge,  welche  in  entgegengesetzter  Richtung  hin- 
dnrcbfliesst,  in  jeder  zu  den  Bewegungsebenen  parallelenFlä- 
eheneinheit  constant  und  unabhängig  von  x  ist. 

Die  Wärmemenge,  welche  in  einem  bestimmten  Sinne  durch  eine  Fläche 
kindurcbgeht ,  ist  gleich  der  lebendigen  Kraft  der  Molecüle,  welche  in 
liesem  Sinne  der  Bewegungsrichtnngen  die  Fläche  durchdringen.  Nimmt 
»an  zonäohst  an ,  alle  Molecüle  besässen  die  gleiche  Gresohwindigkeit  F, 
10  ist  die  Anzahl  der  ft  Molecüle,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch  diä 
Fläcbeneinheit  hindurchgehen : 

-  '  N  .  A  .  V .  fi  .  dfi. 
Die  lebendige  Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  ist: 

Wir  haben  nun  aber  schon  früher  gesehen,  dass  die  lebendige  Kraft 
fortschreitenden  Bewegung  die  kinetische  Energie  der  Molecüle  nicht 
lein  ausmacht,  sondern  dass  auch  die  kinetische  Energie  der  Rotations- 
iwegungen  der  Molecüle,  der  intramoleeularen  Bewegungen  und  der 
Bewegung  des  Aethers  mit  in  Betracht  zu  ziehen  ist«  Die  auf  die  fort- 
ichreitende  Bewegung  eines  Molecüles  bezügliche  Quantität  kinetischer 
Energie: 

Itnn  daher  nicht  durch  eine  Fläche  hindurchgehen ,  ohne  dass  nicht 
gleichzeitig  auch  eine  gewisse  Quantität  kinetischer  Energie  der  übrigen 
oben  genannten  Bewegungen  mit  hindurchgefährt  würde.  Nun  nimmt 
•ber  bekanntlich  Glausius  an  (man  sehe  dieses  Buch  Bd.  2,  S.  36), 
-ilMs  aUe  diese  Grössen  zur  ersten  in  einem  für  jedes  Gas  constanten  Ver- 
liältnisse  stehen.  Man  kann  demnach  die  Gesammtmenge  kinetischer 
Energie,  oder  die  entsprechende  Wärmemenge,  welche  durch  ein  Molecül 
dnrcb  die  Fläche  hindurchgeführt  wird,  mit: 

bezeichnen.  Alle  Molecüle,  welche  in  den  durch  fi  und  /i  -|-  d^  defi- 
nirten  Richtungen  durch  die  Flächeneinheit  hindurchgehen,  vermitteln 
demnach  die  Ueberführung  einer  Wärmemenge,  welche  (in  Arbeitsmaass 
zugedrückt)  gleich: 


176 


L  Molecnlartheorie  der  Wärme. 


4 


ist. 

Sieht  man  ab  von  der  lediglich  der  Uebersichtlichkeit  wegen  ange* 
nommenen  Yoranssetznng,  daers  die  Geschwindigkeiten  aller  Molecäle  gleich 

seien,  so  hat  man  den  Ausdruck  -^  N  .  Ä  ,  F  .  ft .  df(  mit  der  übertragenei 
kinetischen  Energie  Je '  -^  m  ,  F^  zu  multipliciren  und  erhält: 


j  •  k  .  m  ,  N .  A  .  F.  F*  .ft.  dfi. 

Da  der  im  -Sinne  der  wachsenden  x  übertragene  Ueberschuss  m 
kinetischer  Energie  berechnet  werden  soll,  so  müssen  alle  Richtongea  fi 
berücksichtigt  werden,  welche  vorkommen  können,  d.  h.  man  mnss  über 
alle  Winkel  von  0  bis  180**  integriren,  oder  nach  fi  von  +  1  bis  —  1. 
Hiernach  gestaltet  sich  die  Gleichung  für  die  dritte  Bedingung  des  sti- 
tionären  Zustandes  folgendermaassen : 

+  1 

jk  .m  .N  .  JA  .  F .  F»  •  ^  .  d^  = 
—  1 
Setzt  man  von  nun  an  abkürzungsweise: 


eonst. 


22) 


+  1 


E 


=  -  m  .  N .  I  A  .  F.fi.rffi 


—  1 

0 


F=^m  .  N  .  Ta.  F*  .  fi2  . 


dfi 


—  1 


+  1 


Gz=jk.m.N.rA.  V^  .V. 


fi  .  (2fi 


—  1 


23) 


so  nehmen  die  drei   Bedingungsgleichungen  des  stationären  Zostandci 
die  Form  an: 


E=  0  I 
F  =  const,  \ 
Q  =  const,] 


24) 


Die    Aufgabe,   um   deren    Lösung    es    sich  nunmehr   handelt,  ist 

die:  A  als  Function  von  ft  zu  bestimmen,  und  ebenso  F  und  7^,  die 
uns  schon  von  früher  her  bekannt  sind,  durch  die  gegebene  Grösse  aaa- 
zudrücken. 


F.  Wänneleitung  der  Gase.  177 

6.    üeber  den  Zustand  der  von  einer  unendlicli  dünnen 

ScMoht  ausgesendeten  Molecüle. 

Wir  bestimmen  nnnmehr  den  Zustand  derjenigen  Molecüle,  welche 
von  einer  unendlich  dünnen  Schicht  ausgesendet  werden. 

Diese  Schicht  möge  yon  zwei  den  Begrenzungsebenen  parallelen  Ebe- 
nen eingeschlossen  sein ,  welche  um  x  und  x  '\-  dx  von ,  der  wärmeren 
Wand  abstehen.  Die  Temperatur,  welche  in  der  Richtung  der  wachsen- 
den X  abnimmt,  soll  sich  durchaus  stetig  mit  x  ändern.  Wir  betrachten 
einestheils  den  Zustand  der  in  dieser  Schicht  befindlichen  Molecüle  und 
aaderentheils  die  Aenderungen,  welche  die  Geschwindigkeit  und  Richtung 
eines  Molecüles  bei  dem  Durchgange  durch  diese  Schicht  erfahren  kann. 
Wir  betrachten  zunächst  nur  diejenigen  wenigen  Molecüle,  welche  mit 
tnderen  zusammentreffen  und  nennen  sie  „die  von  der  Schicht  aus- 
gesendeten", da  sie  durch  diese  hindurchgegangen  sein  würden,  wenn 
der  Zusammenstoss  nicht  erfolgt  wäre. 

Bei  einem  Zusammenstosse  zweier  Molecüle  können  mehrere  Fälle 
eintreten.  Besitzen  beide  Molecüle  gleiche  und  entgegengesetzt  gerich- 
tete Geschwindigkeiten  und  ist  ausserdem  derStoss  ein  centraler,  so  tau- 
schen die  Molecüle  bekanntlich  lediglich  ihre  Geschwindigkeiten.  Dies 
ist  jedoch  ein  ausserordentlich  seltener  Fall;  die  Wahrscheinlichkeit  für 
einen  exoentrischen  Stoss  ist  unvergleichlich  grösser.  Man  kann  zeigen, 
dsss  zwar  auch  dann  die  Geschwindigkeiten  vor  und  nach  dem  Stosse 
noch  dieselben  sind,  diese  behalten  aber  in  diesen  Fällen  ihre  ursprüng- 
liche Richtung  nicht  mehr  bei,  sondern  bilden  mit  dieser  Winkel,  welche 
▼on  der  Art  und  Weise  abhängen,  in  welcher  der  Stoss  erfolgt  ist.  Der 
Winkel,  den  die  Bewegungsrichtungen  nach  dem  Stosse  einschliessen,  ist 
eine  Function  des  Abstandes  der  beiden  parallelen  Geschwindigkeiten 
der  Gentra.  Bei  einem  Systeme,  wie  es  in  Wirklichkeit  vorkommt,  sind 
die  Geschwindigkeiten  nach  dem  Stosse  allen  möglichen  Richtungen  pa- 
nülel.  Im  thatsächlich  vorkommenden  Falle  ist  ja  auch  der  excentrische 
Stofis  mit  gleichen  und  entgegengesetzt  gerichteten  Geschwindigkeiten 
nur  ein  äusserst  selten  vorkommender  specieller,  aber  man  kann  den  all- 
gemeinen Fall  auf  diesen  zurückführen. 

Es  mögen  2;,  y,  z  und  a/,  y\  e^  Functionen  der  Zeit  sein,  welche  die 
Goordinaten  der  Gentra  zweier  Molecüle  darstellen.  Man  kann  nun  die 
Abscisse  des  Centrums  des  ersten  Molecüles  durch: 

ag  +  g^       X  —  a/ 
2        "^        2 

und  die  des  anderen  durch: 

X  •\-  X*       X  —  a/ 
2        ""  \     2 

Verdet -Rnhlm an n,  Meofaan.  Wärmetheorie.    Bd.  2.  12 


178 


L  Moleculartheorie  der  Wärme. 


ersetzen  und  analog    die    übrigen   Coordinaten,   d.  h.  eigentlich  niditi 
anderes ,  als :  wir  stellen  die  Coordinaten  beider  Molecule  dar  durcb  £t 
Coordinaten  ihres  Schwerpunktes,  vermehrt  um  gleiche  aber  entgegen* 
gesetzte  Coordinaten.    Di£Ferentiirt  man,  so  ergiebt  sich  fär  die  GeschwiB- 
digkeiten  unmittelbar  das  Nämliche ,  was  wir  von  den  Coordinaten  be- 
merkt haben.    Nach  einem  bekannten  Satze  der  Mechanik  kann  aber  die 
Geschwindigkeit  und  Bewegungsrichtung  des  Schwerpunktes  zweier  Kör- 
per durch  deren  Zusammenstoss  nicht  geändert  werden.    Man  braucht  alMg 
um  die  Wirkung  des  Stosses  zu  erhalten,  die  Bewegung  des  Schwer- 
punktes, welche  durch  den  Stoss  nicht  geändert  wird,  nur  mit  der  des  excen- 
trischen  Stosses  mit  gleichen  aber  entgegengesetzten  Geschwindigkeitei 
zusammenzusetzen.     Treffen  sich  in  ähnlicher  Weise  sehr  viele  Molecük, 
so  erhält  man  ein  neues  System ,  in  welchem  die  Geschwindigkeiten  vie 
im  ursprünglichen  Zustande  alle  möglichen  Bewegungsrichtungen  besitzen. 
Im  Allgemeinen  kommen  nun  in  dem  von  uns  betrachteten  Falle  iwei 
Molecule,  welche  sich  mit  beliebig  gerichteten  Geschwindigkeiten  treffen, 
von  den  beiden  verschiedenen  Seiten  der  Schicht  her;  die  Molecule,  welche 
von  der  heisseren  Seite  herkommen,  besitzen  im  Allgemeinen  eine  groe> 
sere  mittlere  Geschwindigkeit  als  die,  welche  von  der  kälteren  kommen. 
Man  hat  demnach  in  der  unendlich  dünnen  Schicht  eine  grosse  Anzahl 
solcher  Molecule,  derart,   dass  die,   welche  von  der  einen  Seite  kommen, 
eine  etwas  grössere   Geschwindigkeit  besitzen ,   als  die ,  welche  von  dcrl 
anderen  kommen.    Das  System  der  von  der  Schicht  ausgesendeten  Mole-I 
cüle  besitzt  demnach  Geschwindigkeiten,  welche  man  dadurch  darstellenl 
kann,  dass  man  zu  den  nach  allen  möglichen  Seiten  hin  gerichteten  gleichenj 
Geschwindigkeiten  der  Molecule  den  Mittelwerth  der  Geschwindigkeit  di 
Schwerpunktes  hinzufügt.     Diese  letzte  Geschwindigkeit  ist  zur  Schiel 
normal  und  ihrem  absoluten  Werthe  nach  sehr  klein.     Man  kann  dei 
nach  an  Stelle  des  wirklich  vorhandenen  Systems  ein  System  betrachte] 
in  welchem  alle  Molecule  gleiche,  aber  nach  allen  möglichen  Seiten 
gerichtete  Geschwindigkeiten  besitzen  und  diesem  ganzen  fingirten  Systei 
eine  kleine  zur  Wand  normale,  also  der  positiven  X-Axe  parallele 
schwindigkeit  ertheilen. 

Es  möge  %  den  absoluten  Werth  der  bei  allen  Molecülen  gleichen  G( 
schwindigkeit  bezeichnen;  A  sei  der  negative  Cosinus  des  Winkels,  d( 
die  Bewegungsrichtung  eines  gegebenen  Molecüles  mit  der  positiven  X-j 
einscbliesst.     Dann  bezeichnet  bekanntlich  (man  sehe  die  Entwickelonj 

auf  Seite  171,  letzte  Zeile)  —  '  dl  das  Yerhältniss  der  AnzahF  Mol< 

deren  Bewegungsrichtnng  durch  A  definirt  ist,  zur  gesammten  Mol< 
zahl.   Bezeichnet  ferner  27  die  Geschwindigkeit  eines  Molecüles  in  dem  wirkj 
lieh  vorhandenen,  nicht  im  fingirten  Systeme  und  definirt  fi  analog 
vorher  A  dessen  Bewegungsrichtung,   so  entsteht   ü  durch  ZoBammen' 
Setzung  der  nach  der  Richtung  A  gehenden  Geschwindigkeit  %  mit  eine 
kleinen  Geschwindigkeit,  welche  parallel  der  positiven  X-Axe  ist. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  179 

M  and  JT  mögen  zwei  Molecüle  sein ,  welche  sich  im  Inneren  der 
Schicht  in  einem  Pnnkte  P  treffen.  Diese  heiden  Molecüle  wandern  nn- 
gestört  bis  zu  dem  Augenblicke  des  Stosses  und  durchlaufen  Wege,  welche 
Ton  der  Grössenordnung  der  mittleren  Weglänge  sind,  und  das  ist,  wie 
wir  yon  früher  her  wissen ,  eine  sehr  kleine  Grösse.  Es  sind  M  und  M' 
demnach  zwei  Molecüle,  welche  von  zwei  Schichten  ausgegangen  sind, 
die  der  yon  uns  betrachteten  sehr  nahe  benachbart  sind.  Die  Geschwin- 
digkeit des  Schwerpunktes  beider  Molecüle  ist  von  derselben  Grössen- 
ordnung, wie  die  Differenz  der  mittleren  Geschwindigkeiten  beider  Mole- 
cüle, d.  fa.  yon  derselben  Grössenordnung,  wie  die  mittlere  Weglänge, 
Bezeichnen  wir  nun  mit  p  eine  endliche  Grösse,  welche  Function  der 
Temperatur  ist,  und  mit  s  die  mittlere  Weglänge  eines  Molecüles  zwi- 
schen zwei  auf  einander  folgenden  Zusammenstössen  in  einem  bestimmten 
Zustande  des  Gases  ^  so  können  wir  mit  p  .  6  die  kleine  Geschwindig- 
keit des  Schwerpunktes  parallel  der  x-Axe  bezeichnen.  Mit  der  Bestim- 
mung yon  p  werden  wir  uns  noch  weiterhin  zu  beschäftigen  haben.  Es 
ist  s  eigentlich  die  mittlere  Weglänge  im  wirklich  yorhandenen  Zustande 
des  Gases,  wir  wollen  jedoch  im  Folgenden  immer  unter  S  die  mittlere 
Weglänge  des  Gases  im  Normalzustande  des  Gases  (0^,  760  mm  Druck) 
ventehen,  weil  diese  Vereinfachung  keinen  wesentlichen  Fehler  herbeiführt. 

Die  Geschwindigkeit  ü,  deren  Richtung  (i  ist,  kann  als  Resultante 
der  Geschwindigkeit  9,  deren  Richtung  durch  X  definirt  ist,  und  der  klei- 
nen Geschwindigkeit  p .  6  angesehen  werden,  welche  der  X-Axe  parallel  ist. 

Alsdann  bestehen  zwei  Gleichungen: 

ü  .  n=p  ,  B  +  "&  ,  X 25) 

nnd: 

17«  =  a«  +  2  «  .  i?  .  £  .  A  +  1?«  .  £> 26) 

Durch  diese  beiden  Gleichungen  werden  die  Geschwindigkeiten  der 
Ton  der  Schicht  ausgesendeten  Molecüle  für  jedes  beliebige  fi  bestimmt, 
wenn  man  A  willkürlich  annimmt  und  die  Grössen  fL  und  p  bekannt  sind; 
die  zweite  Gleichung  giebt  den  absoluten  Werth  der  GeschMrindigkeit  der 
in  einer  Richtung  fi  ausgesendeten  Molecüle,  während  die  erste  Gleichung 
diese  Richtung  ft  bestimmt. 

Setzt  man  für  %  .  X  den  aus  der  Gleichung  25)  folgenden  Werth  in 
26)  ein,  so  erhält  man  für  den  absoluten  Werth  der  Geschwindigkeit  U 
die  Gleichung: 

ü^  =  %i —p^  .  e^  +  2p  .  B  .  ü.  (i  ,    .    .    .    .    27) 

II  Zunächst  betrachten  wir  den  Fall,  dass  ft  =  0  ist,  d.  h.  wir  betrach- 

ten die  Molecüle,  welche  sich  nach  dem  Stosse  normal  zur  X-Axe,  mit- 
hin parallel  den  Begrenzungsebenen  der  Schicht  bewegen.  Die  Geschwin- 
digkeit derselben  wollen  wir  mit  u  bezeichnen,  also: 

U^  ^o  =  u 

setzen.     Alsdann  ist: 

tt«  =  «2  —  p2  .  £2 28) 

12* 


180  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

und  demnach,  wenn  wir  von  diesem  Werthe  in  27)  Gebraucli  machen: 

lP  =  u^  +  2.p.€.U,fi. 

Löst  man  diese  Gleichung  zweiten  Grades  nach  Ü  auf  and  entwickelt 
die  rechtsstehende  Wurzel  nach  aufsteigenden  Potenzen  von  £,  so  e^ 
giebt  sich: 

17  —  u  +  1?  .  f*  .  «  +  i  ^'  .  ^»  .  £2  4. 29) 

Von  weiteren  Gliedern,  als  den  hierstehenden,  kann  man  absehen,  da 
£  eine  so  kleine  Grösse  ist,  dass  man  Producte,  welche  höhere  Potenzeo 
von  B  enthalten,  vernachlässigen  darf. 

Es  genügt  jedoch  nicht  die  Grösse  U  der  Geschwindigkeit  eines  in 
der  Richtung  ft  entsendeten  Molecüles  zu  kennen,  man  muss  vielmehr 
auch  die  Anzahl  der  in  bestimmter  Richtung  ft  entsendeten  Molecfile, 
also  die  Vertheilung  der  Molecüle  auf  die  verschiedenen  Richtungen, 
kennen. 

In  dem  Systeme,  mit  dem  wir  es  in  Wirklichkeit  zu  ihun  haben, 
kann  man  die  Anzahl  der  ausgesendeten  Molecüle,  die  sich  vwischen  den 

durch  (i  und  fi  -^  dii  definirten  Richtungen  bewegen,  mtkt  durch  -  dtt 

darstellen,  da  die  Vertheilung  der  Molecüle  auf  verschiedene  Bewegnngs- 
richtnngen  keine  ganz  allseitig  gleichartige  ist;  man  kann  jedoch  dieie 

Anzahl  durch  --  A  .  dfi  darstellen ,  wenn  Ä  eine  Function  von  fi  ist  Da 

aber  durch  Hinzufügung  der  Geschwindigkeit' j? .  e  die  Richtung  A  in  die 
durch  fi  definirte  und  ebenso  die  durch  A  -f-  dk  in  die  durch  fi  -|-  d(i 
definirte  Richtung  übergeht,  so  kann  gesetzt  werden: 


oder: 


-  .  dA  =  -  .  ^  .  dfi, 


Ä—  — 
dfi 


Die  Gleichung  25)  giebt  aber  durch  Differentiation  nach  ft: 

a  (17  .  ft)        ^     dl 
— =  a  •  j-, 

dX  .  ,    dX 

und  da  man  ^  ohne  Weiteres  mit  —  verwechseln  darf,  so  ergiebt  sidi: 

_1     8  (g  .  ft) 
und  wenn  man  fflr  U  seinen  Werth  ans  29)  einsetzt  und  aasrechnet: 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  181 

Aus  der  Gleichung  28)  erkennt  man  leicht ,  dass  der  Factor  ^  von 

der  Einheit  höchstens  um  eine  Grösse  differirt ,  welche  von  der  Ordnung 
€»  ist. 


7.    Der  Zustand  der  gleichzeitig  in  einer  unendlich 
dünnen  Schicht  enthaltenen  Molecüle. 

Die  Gleichung  29)  hestimmt  die  mittlere  Geschwindigkeit  der  zwi- 
schen der  Richtung  ft  und  fi  -}-  df'  ausgesendeten  Molecüle  und  die 
Okichung  30)  gieht  die  Anzahl  der  sich  in  diesen  Richtungen  hewegen- 
den  Molecüle  an.  • 

Biese  Gleichungen  für  die  von  einer  Schicht  entsendeten  Molecüle 
mossten  zunächst  aufgestellt  werden ,  damit  wir  nunmehr  auch  den  Zu- 
stand der  in  der  Schicht  hefindlichen  Molecüle  angehen  können.  Irgend 
ein  heliehiges  und  jetzt  der  Schicht  angehöriges  Molecül  wurde  ja  un- 
mittelbar Yorher  von  einer  anderen  benachbarten  Schicht  ausgesendet, 
deren  mittlere  Distanz  bestimmt  werden  kann. 

Es  sei  nan  V  die  Geschwindigkeit  eines  in  einem  gegebenen  Augen- 
blicke in  der  Schicht  befindlichen  Molecüles  und  f(  der  negative  Cosinus 
des  Winkels»  den  seine  Geschwindigkeit  mit  der  positiven  X-Axe  ein- 
Bshliesst.  Diese  Geschwindigkeit  V  aber  besitzt  dieses  Molecül  seit  seinen! 
Zusammenstosse  mit  einem  benachbarten.  Ist  nun  s  der  seit  dem  letzten 
Stosse  zurückgelegte  Weg,  so  ist  der  normale  Abstand  des  Punktes,  in 
dem  der  Zusammenstoss  stattfand,  von  der  Schicht  gleich  —  (i  .  s.  Die 
Geschwindigkeit  V  des  Molecüles  ist  demnach  einfach  die  Geschwindig- 
keit CT,  welche  zu  einer  Abscisse  x  —  ^i  .  s  gehört.  Man  kann  demnach 
setzen: 

F  =  [7  -  —ii.s  +  -  _  .  ^»  .  s»  -  +  .  .  . 

Jedoch  ist  in  Wirklichkeit  dieser  Werth  von  Molecül  zu  Molecül  ver- 
schieden; denn  die  in  einer  Schicht  enthaltenen  Molecüle  haben  ihren  letz- 
ten Zusammenstoss  in  verschiedenen  Entfernungen  von  der  Schicht  erfah- 
ren. Deshalb  wird,  selbst  wenn  wir  für  V  einen  Mittel  werth  wählen, 
der  Werth,  den  wir  für  V  hieraus  ableiten ,  ein  von  Molecül  zu  Molecül 
verschiedener  sein.     Man  erhält  demnach  den  Mittelwerth  von  F,  wenn 

man  für  U,  s  und  s^  die  Mittelwerthe  dieser  Grössen  U,  8  und  s^  einführt 

V  ist  abo  durch  die  Formel  : 


dx     ^        ^  2  dx^     ^ 


bestimmt. 


mgß 


182  I.  Moleciüartheorie  der  Wäxme. 

Wir  haben  nun  bereits  früher    gefanden   (man  sehe  Bd.  2,  G,  6 
S.  49),  dass  die  mittlere  Weglänge  s 


00 

—  « 


/- 


e 


' '  ,  a  .  ds  =  — 


ist  und  analog,  dass: 


00 


s«  =  Aä  .  e"  "  • '  .  a  .  rfs  =  |; 


2 


0 

Diese  Formeln  beziehen  sich  aber,  wie  man  sioh  entsinnen  wird,  auf 
ein  Gas  von  allseitig  gleicher  Dichte  und  gleicher  Temperatur.  Beide 
Voraussetzungen  werden  jedoch  im  vorliegenden  Falle  nicht  erfüllt  sein 

und  die  Werthe  8  und  8^  werden  nicht  als  unabhängig  von  (i  angesehen 

werden  können. 

Es  giebt  jedoch  eine  bevorzugfte  Richtung,  d.  i.  diejenige,  welche 

senkrecht  zur  X- Axe  oder  parallel  den  Begrenzungsebenen  der  Schicht  ist, 

in  dieser  trifft  das  bewegliche  Molecül  nur  mit  Gasmengen  zusammen, 

in  welchen  die  Dichte  überall  gleich  ist.     Für  diese  Bewegungsrichtung 

1  2  -  — 

kann  man  demnach  ohne  Weiteres  —  und  — „  für  8  und  s^    setzen.     Es 

a  «2 

ist  also: 


und: 


— 

1 

Sf 

=* 

0 

a 

2 

^u 

- 

0 

a» 

Wir  können  8^  .  o  als  eine  Grösse  ansehen,  welche  von  gleicher  Ord- 
nung wie  B  ist,  d.  h.  wir  können: 

5/4  ^  0  ■"—  C  •  B  I 

und:  I Sl) 

sä^  ^  0  =  2  c»  .  a«l 

setzen.  Diese  Werthe  dürfen  allerdings  nicht  in  die  Reihenentwickelimg 
für  V  eingesetzt  werden,  aber  man  kann  mit  Hülfe  derselben  die  Gestalt 
der  Grössen  s  und  s^  darstellen.  Man  kann  nämlich  8  in  einer  Reihe  nach 
aufsteigenden  Potenzen  von  B  entwickeln.     Jedenfalls  ist  einleuchtend, 

dass  8  von  derselben  Grössenordnung  wie  8u,  ^^  ist  und  damit  auch  von 
derselben  Grössenordnung  wie  £ ,  nur  ist  der  auf  die  Richtung  fi  bezüg- 
liche Coefficient  nicht  gleich  c.  Dieser  CoefHcient,  der  sich  auf  die  Rich- 
tung ^1»  bezieht,  kann  in  einer  Reihe  nach  fi  .  B  entwickelt  werden,  der- 
art, dass: 

7  ==  «  .  (c  +   C  .  ft  .  £  +   C  .  fi«  .  £2  +  .  .  .) 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  183 

ist    Ebenso  wird  mau  s^  in  einer  Reihe  entwickeln  können: 

s^  =  2  «2  .  (c«  +  2  2>  .  ft .  a  +  .  .  .). 

Setzt  man  dies  in  den  früher  von  uns  für  V  angegebenen  Ausdruck 
em,  80  ergiebt  sich: 

F  =  w  +  g  .  ft  .  5  +  r  .  ^2  .  £2  4- 32) 

worin  abkürzungsweise  gesetzt  worden  ist: 

«=^-''•81^ 33) 

und: 

Id  ähnlicher  Weise  erhält  mau : 

F«  =  w»  +  2t*  .  g  .  fi  .  «  +  (2t*r  +  Si«)  .  ft«  .  £2  +  .  .    .    35) 
wobei  qi  mit  den  vorhergehenden  Grössen  durch  die  Gleichung: 

,.,  =  a'  +  c»  .  (g^) .36) 

nsammenhängt. 

Bildet  man  noch  die  Grösse  V^  »  F,  so  findet  man: 

F .  F«  =  tt»  +  3  .  «*a  .  g  .  f*  .  £  -f-  (3  t*2r  4-  uqi^  +  2  uq^) 

.H^.6^+ 37) 

Die  Grössen  F,  F*  und  F .  F*  könnte  man  nun  sofort  in  die  Glei- 
chimgen  23)  eintragen;  es  kommt  aber  ausserdem  noch  die  Grösse^  darin 
Tor,  welche  sich  auf  die  YertheilUng  der  Molecüle  auf  die  yerschiedenen  f* 
Bichtongen  beziehte  Mit  Rücksicht  auf  die  Reihenentwickelungen,  die 
wir  uns  aber  sonst  überall  gestattet  haben,  kann  man  für  A  auch  folgende 
Beihe  einführen: 

A  =  i{l  +  q'  ,  (i  .  s  +  f^  ,  (i^  .  6^  + )  .    .    .    38) 

in  welcher  t,  q'  und  /  von  [i  unabhängige  Grössen  sind. 

Der  Werth  von  •  kann  durch  folgende  Betrachtung  bestimmt  wer- 
den.   Es  muss  nämlich: 


T 

/ 


+    1 

-    '    Ä.dfl    =1 


—   1 

sein  (man  sehe  die  Definition  von  il-auf  S.  173,  Gl.   20),  und  hieraus 
folgt  sofort: 

*  .  (l  +  ^  r'  .£«  +  ...)  =  1, 
oder  angenähert,  mit  der  von  uns  bis  jetzt  festgehaltenen  Genauigkeit: 


184  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

»•  =  1  —  I  r'  .  f»  +  .  .  . 
und  bierans: 

.1  =  (l  -  i  r'  .  fi«)  .  (1  +  g'  .  ^  .  fi  +  r'  .  /i«  .  ««  +  .  ..)  39) 

Es  bleibt  nun  nocb  übrig,  die  so  gefundenen  Wertbe  von  A^  V  und 
F'  in  das  System  23)  einzusetzen;  fubi*t  man  die  angedeuteten  Integra- 
tionen aus,  was  nicbt  die  mindeste  Schwierigkeit  darbietet,  so  findet  man: 

1 

o 

F  =  i  w  .  i^  .  w»  4-  Xj  .  ««, 
3 

ff  =  -  .  Ä;  .  m  .  iV .  t*»  .  (3g  +  w  .  ö')  .  6  +  X3  .  £^ 

wenn  man  unter  Xi,  X^,  X3  die  mit  £^  multiplicirten  Ausdrücke  zubsib- 
menfasst.  Wenn  man  nun  die  £^  enthaltenden  Glieder  ohne  Weiteres 
weglässt,  so  erhält  man  die  drei  Bedingungen  24)  des  stationären  Za- 
Standes  in  der  Gestalt: 

■ 

-  '  m  .  N  .  (q  -\-  u  ,  q*)  ,  €  =  0 

ö 


—  m  .  N .  u^  =  const, 
0 

-  '  k  .  m  .  N  .  u^  .  (Sq  -\-  u  ,  q')  .  e  =  const. 
o 


...    40) 


und  diese  Gleichungen  enthalten  von  den  sämmtlichen  von  uns  eilige* 
führten  Coefficienten  unmittelbar  nur  noch  g  und  q',  während  alle  übri* 
gen  von  selbst  aus  der  Rechnung  gefallen  sind. 

Aus  der  ersten  Gleichung  dieses  Systems  ergiebt  sich  sofort,  da 
weder  m  noch  N  noch  e  Null  sein  können,  dass: 

g  4"  **  •  3'  =  0 

sein  muss  und  daraus  folgt: 

«■=-.^ «) 

Hiermit  aber  ist  die  Zahl  der  zu  bestimmenden  Goefficienten  auf 
einen  reducirt.  Setzt  man  dies  in  die  Gleichung  39)  für  A  ein,  so  erhält 
man : 

^  =  1  -  J  .  ,t  .  £  +  r'  .  (p»  -  1)  .  «»  .    .    .    .    42) 

Die  zweite  Gleichung  des  Systems  ergiebt: 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  185 

m  .  N .  u^  =  ernst 43) 

u'  unterscheidet  sich  von    F^  nur  um  Grössen  von  der  Ordnung  B 

wie  Gl.  35)  lehrt.     — - —  ist  daher  sehr  nahe  die  mittlere  lebendige  Kraft 

der  fortschreitenden  Bewegung  an  irgend  einer  SteUe  der  Gasmasse; 
N  ist  die  Anzahl  Molecüle ,  welche  die  Yolumeneinheit  enthalten  würde, 
wenn  das  Gas  in  seiner  Gesammtheit  sich  in  demselben  Zustande  befände, 
wie  in  dem  betreffenden  Punkte.  N.m  ,  u^  =  consL  bedeutet  also  ledig- 
lich, dass  der  diesem  Producte  proportionale  Druck  (man  sehe  Gl.  2, 
S.  35  und  GL  48,  S.  78)  in  der  ganzen  Masse  constant  ist.  Die  dritte 
Gleichung  G  ==  const.  reducirt  sich,  wenn  man  auf  die  Gleichung  43) 
Rödaicht  nimmt,  auf: 

3  g  +  «  .  g'  =  canst., 
oder  da  nach  41): 


q  +  u  .  q'  =  0 


ist,  auf: 


2q  =  const. 

Die  Bedingung  dafür,  dass  ein  stationärer  Wärmestrom  durch  jede 
dea  Bewegungsebenen  parallele  Flächeneinheit  hindurchgeht,  ist  demnach: 

q  z=.  const 44) 


8.   Bereclinang  der  Grösse  des  Wärmestromes,  welcher 

in  der  Richtung  der  X-Axe  fliesst. 

Es  erübrigt  also  jetzt  nur  noch  die  Grösse  von  q  zu  ermitteln  und 
die  Schlüsse  zu  ziehen,  die  sich  aus  44)  ergeben. 

Der  Wärmestrom,  welcher  in  der  Richtung  der  zunehmenden  x  in 
der  Zeiteinheit  durch  die  Flächeneinheit  hindurchgeht,  ist: 

3  * 

Hierbei  ist  X;  ein  numerischer  von  der  Natur  des  Gases  abhängiger 
Goefficient,  durch  welchen  das  Yerhältniss  der  gesammten  im  Gase  ent- 
haltenen lebendigen  Kraft  zur  lebendigen  Kraft  der  fortschreitenden  Be- 
wegong  dargestellt  wird;  m  ist  die  gleiche  Masse  jedes  Molecüles,  N  die 
Anzahl  Molecüle,  welche  die  Yolumeneinheit  enthalten  würde,  wenn  der 
gesammte  Zustand  des  Gases  der  nämliche  wäre,  als  in  der  Schicht,  welche 
durch  die  Abscisse  x  definirt  ist.  u^  ist  das  Quadrat  der  Geschwindig- 
keit der  Molecüle,  die  sich  nur  in  derselben  Schicht  bewegen ,  e  ist  die 
mittlere  Weglänge  eines  Molecüles  zwischen  zwei  aufeinanderfolgenden 
Züsammeustössen,  und  q  ist  der  noch  zu  bestimmende  Goefficient. 

q  ist  zuerst  in  der  Gleichung  32): 


186  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

aufgetreten  und  definirt  durch  die  Gleichung  33): 

du 

*  dx 

Die  physikalische  Bedeutung  von  p  ist  durch  die  Gleichung  25)  und 
die  von  c  durch  31)  hestimmt. 

Ausserdem  ist  q  durch  die  Gleichung  41): 

q  -\-  u  ,  q*  =  0 

mit  einem  Coefficienten  q*  verknüpft,  welcher  wesentlich  die  Grösse  i 

hestimmt,  wenn  man  mit  jr  -  Ä  .  dfi  den  Bruchtheil  der  sämmtlichen  in 

der  Schicht  dx  enthaltenen  Moleciile  hezeichnet,  welcher  sich  parallel  den 
zwischen  fi  und  (i  -f~  .^f^  liegenden  Richtungen  bewegt.  Und  Ä  war 
gleich : 

Ä  =  i  .  (l  +  q'  ,  (i  ,  s  -\-  .  .  .), 

Die  Entwickelung  des  Werthes  von  q  geschieht  mit  llülfe  der  Glei- 
chung 33): 

du 

^  =  p-<^'rx' 

p  ist  hierin  eine  solche  Grösse,  dass  p  .  £  der  Mittelwerth  dei 
Ueberschusses  der  der  X-Axe  parallelen  Geschwindigkeitscomponente 
eines  Molecüles,  welches  in  die  betrachtete  Schicht  eindringt,  über  die 
entsprechende  Geschwindigkeitscomponente  eines  anderen  in  der  Schickt 
befindlichen  Molecüles  ist,  mit  dem  es  znsammenstösst;  hierbei  hat  man 
sich  vorzustellen,  dass  das  erste  Molecül  von  der  Seite  kommt,  auf  der 
die  Temperatur  höher,  das  zweite  von  der  Seite,  auf  der  die  Temperatur 
niedriger  ist.  p  ,  B  war  die  positive,  parallel  der  X-Axe  gerichtete 
Geschwindigkeit,  die  man  einem  System  gleicher  und  g&mz  beliebig  ge- 
richteter Geschwindigkeiten  hinzufügen  musste,  um  das  wirkliche  System 
zu  erhalten.  Diese  Geschwindigkeit  war  dadurch  in  den  Kreis  der  Be- 
trachtungen gezogen  worden,  dass  der  Schwerpunkt  jeder  Gruppe  von 
zwei  Molecülen  im  Allgemeinen  eine  parallel  der  positiven  X-Axe  gerieb- 
tete  Geschwindigkeit  besitzt,  die  auch  nach  dem  Zusammenstosse  beider 
Molecüle  noch  vorhanden  ist.  Nennt  man  nun  M  »  dx  die  Anzahl  der 
in  der  Zeiteinheit  von  der  Schicht  ausgesendeten  Molecüle,  so  besitsen 
diese  Molecüle  1)  eine  Geschwindigkeit  81,  deren  Richtung  ganz  regellos 
von  Molecül  zu  Molecül  sich  ändert,  2)  eine  Geschwindigkeit  —  p  .  i^ 
welche  der  positiven  X-Axe  parallel  und  allen  Molecülen  gemeinsam  ist 
Durch  die  Geschwindigkeit  31  wird  die  Lage  des  Schwerpunktes  des 
Systemes  nicht  geändert.  Die  Geschwindigkeit  der  VerschiebuDg  des 
Schwerpunktes  rührt  einzig  von  der  allen  Molecülen  geroeinsameDt 
gleichgerichteten  Geschwindigkeit  p .  £  her  und  ist  dieser  glüich.    Molti- 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  187 

plicirt  man  diese  Grösse  mit  der  Masse  eines  Molecüles  and  mit  der  An- 
laU  M  der  in  der  Zeiteinheit  von  der  betrachteten  Schicht  ausgesendeten 
Molecüle,  so  stellt  das  Product 

—  M  ,  dx  .  m  .  p  .  6 

die  der  X-Axe  parallele  Bewegnngsgrösse  des  Schwerpunktes  und  somit 
des  ganzen  Systemes  dar. 

Für  dieselbe  Grösse  kann  aber  auch  noch  auf  andere  Weise  ein  Aus- 
druck abgeleitet  werden.  Wir  betrachten  nämlich  jede  sich  in  der  durch 
dss  zugehörige  ft  bestimmten  Richtung  bewegende  Gmppe  von  Molecülen  für 
lieh,  suchen  dann  die  der  X-Axe  parallelen  Geschwindigkeitscomponenten 
und  bilden  die  algebraische  Summe  derselben  über  alle  Gruppen;  dann 
ist  diese  Summe  die  der  X-Axe  parallele  Geschwindigkeit  des  Schwer- 
punktes des  Systemes.  Wir  bilden  ferner  für  alle  Molecüle,  welche  in  der 
Zeiteinheit  innerhalb  der  Schicht  mit  anderen  zusammentreffen,  die  Pro- 
dacte  aus  ihren  Massen  und  den  der  X-Axe  parallelen  Geschwindigkeits- 
eomponenten  und  summiren  alle  diese  Producte  algebraisch.  Hätte  z.  B* 
fin  MolecQl  eine  Geschwindigkeit  V  in  einer  Richtung,  deren  negativer 
Cosinus  gleich  fi  wäre,  so  wäre  die  der  X-Axe  parallele  Gomponente  der 
Bewegungsgrösse  dieses  Molecüles  gleich: 

Es  stellt  nun  aber  N .  dx  die  Anzahl  Molecüle  dar,  die  in  einem 
gegebenen  Augenblicke  in  einem  unendlich*  kleinen  Gylinder  enthalten 
sind,  dessen    den     Begrenzungsebenen   parallele   Endfläche    gleich   der 

Flacheneinheit  und  dessen  Höhe  gleich  dx  ist,  und  -^  A  .  N  .dx .  dpi  \sX, 

der  Bruchtheil  dieser  Anzahl  Molecüle ,  welche  sich  gleichzeitig  in  Rich- 
tungen bewegen,  die  zwischen  fi  und  \k-\-  d^  enthalten  sind.  Von  dieser 
letzten  Anzahl  Molecüle  wird  aber  wiederum  nur  ein  Bruchtheil,  nämlich: 

-^  Ä  .  N  .  dx  .  dfi  .  a  .  dt, 

in  der  unendlich  kleinen  Zeit  dt  mit  anderen  Molecülen  ZusammenstÖsse 
erfahren.  Hierin  ist  a  eine  solche  Zahl,  dass  a  ,  dt  für  ein  Molecül  die 
Wahrscheinlichkeit  darstellt,  in  der  Zeit  dt  einen  Zusammenstoss  mit 
anderen  in  der  Schicht  befindlichen  Molecülen  zu  erfahren. 

Integrirt  man  diese  Anzahl  nach  der  Zeit  i  von  0  bis  1,  so  erhält  man : 

-  A  ,  1^  ,  a  ,dx  .  d\i 

för  die  Anzahl  Molecüle,  deren  Geschwindigkeit  parallel  den  ft  Richtun- 
gen ist,  und  welche  in  der  Zeiteinheit  innerhalb  der  Schicht  einen  Zu- 
sammenstoss erfahren. 

Besässen,  was  allerdings,  wie  wir  wissen,  nicht  zutreffend  ist,  alle 


188  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

ft  Molecüle  die   gleiche  Geschwindigkeit    F,    so    wäre    die  der   2-A» 
parallele  C!omponente  der  Bewegungsgrösse  dieser  Molecüle  gleich: 

—  —  Ä  .  N  ,  a  .  dx  .  dfi  ,  V  ,  m .  fi. 

In  dem  wirklich  vorhandenen  Gase  sind  nun  aber  die  Greschwindig- 
keiten  V  der  Gase  nicht  gleich  und  ebenso  nicht  die  Grösse  a,  die  Gro« 
V  .  a  ändert  sich  demnach  von  MolecQl  zu  MolecüL  Wir  müssen  dea- 
nach,  um  uns  auf  den  Boden  der  Thatsaohen  zu  stellen,  die  Grösse  F .  f 

durch  ihren  Mittelwerth  V  .  a  ersetzen.     Demnach  ist  in  dem  wirUid 
vorhandenen  Systeme: 


—  —  '  dx  ,  m  .  Ä  .  N ,  V .  a  .  (i  .  dfi 

Ja 

die  der  X-Axe  parallele  Componente  der  Bewegungsgrösse  für  alle  dii 
Molecüle,  deren  Geschwindigkeiten  parallel  den  zwischen  fi  und  (i  -\-  df 
liegenden  Richtungen  sind.. 

Integrirt  man  nunmehr  diesen  Ausdruck  nach  fi  von  —  1  bis  -|-  1, 
so  erhält  man  die  auf  die  X-Axe  bezogene  Componente  der  Bewegoni^ 
grosse  für  alle  Molecüle,  die  sich  in  der  Schicht  in  der  Zeiteinheit  gegen- 
seitig treffen;  es  ergiebt  sich  demnach  die  Gleichung: 

fn,M.dx.p,8^=z--in.N.dxlÄ.V.a.fi.dii.    .45) 


—  1 


9.    Bestimmung  der  Grösse  a. 

Da  wir  für  Ä  bereits  den  Werth  abgeleitet  haben,  so  kommt  es  nur 

noch  darauf  an,  V  ,  a  zu  ermitteln  und  das  Integral  auszureclmeo. 
a  wurde  nun  durch  Betrachtungen  bestimmt,  welche  denen  ganz  äbnlick 
sind,  die  wir^schon  früher  (Bd.  2,  G,  6 ,  S.  48)  angestellt  haben ,  um  die 
Wahrscheinlichkeit  des  Zusammenstossses  eines  Molecüles  mit  einem  ftD* 
deren  in  einem  Gase  zu  ermitteln,  welches  allseitig  gleiche  Temperstor 
und  Dichte  besitzt. 

Stellen  wir  uns  ein  ruhendes  System  von  Molecülen  vor,  in  dem  neb 
ein  einziges  bewegt,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  ein  Moleeül  aif 
einem  unendlich  kleinen  Wege  ds  mit  einem  anderen  zusammenstoestf 
bekanntlich  (man  sehe  Bd.  2,  C,  19,  6,  S.  53)  a  .  ds  und  hierin: 

wenn  Q  den  Radius  der  Wirkungssphäre  eines  Molecüles  und  Ö  den 
mittleren  Abstand  zweier  Nachbarmolecüle  bezeichnet. 

Führt  man  statt  S  die  Anzahl  der  Molecüle  ein,  so  hat  man»  da: 


.    F.  Wärmeleitung  der  Gase.  189 

a  z=:  Q^  ,  n  .  N. 

Dieser  Ausdruck  von  a  lässt  sich  leicht  so  umändern ,  dass  er  auch 
Ükr  einen  Fall  gilt,  in  dem  die  übrigen  Molecüle  nicht  in  Ruhe  sind,  son- 
lern  sich  ebenfalls  bewegen. 

Bezeichnet  man  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  das  Molecül  in  der 
Zeit  dt  ein  anderes  trifft,  mit  a  .  dty  so  ist: 

a  .  dt  =  a  .  ds, 

is 
nnd  wenn  man  für  3-  die  Grösse  f,  die  Geschwindigkeit  des  Molecüles 

dt 

einsetzt,  so  ergiebt  sich: 

a  =  a  .  v, 

uid  daraus  folgt,  dass: 

a  ^=  X  ,  Q^  .  N  ,  V 
ist 

Denkt  man  sich  nun,  dass  alle  übrigen  Molecüle  statt  zu  ruhen  sich 
mit  einer  gemeinschaftlichen  Geschwindigkeit  V  nach  einer  Richtung 
bewegen,  die  mit  v  den  Winkel  9  einschliesst ,  so  wird  die  Wahrschein- 
fiebkeit,  dass  in  der  Zeit  dt  ein  Zusammenstoss  des  betrachteten  Mole- 
c&les  mit  den  übrigen  erfolgt,  durch  dieselbe  Formel  wie  vorhin  ausge- 
drückt, sofern  man  nur  v  durch  die  relative  Geschwindigkeit  des  Mole- 
eüks  und  des  Systemes  durch : 

R  =  Vm  +  v«  —  2  F  .  v  .  cös  9? 
enetzt. 

Berücksichtigen  wir  aber,  dass  in  dem  von  uns  betrachteten  Systeme 
sich  erstens  nicht  alle  Molecüle  nach  derselben  Richtung,  sondern  nach 
Tenchiedenen  Richtungen  bewegen,  dass  femer  die  Geschwindigkeiten 
nicht  nnter  sich  gleich  sind ,  so  muss  man  in  die  Gleichung  einen  nach 
beiden  Möglichkeiten  der  Unterschiede  der  Molecüle  genommenen  Mittel- 
wertb  der  relativen  Geschwindigkeit  der  Molecüle  in  die  Formel  ein- 
setzen, den  wir  mit  i2  bezeichnen  wollen.     Es  ist  dann: 

a  =  n  .  Q^  .  N  ,R 46) 

and: 

«  =  Ä  .  (>«  .  JV  •  ~ 47) 

Es  kommt  nun  zunächst  darauf  ah,  für  ein  gegebenes  Molecül,  wel- 
ches sich  in  der  von  uns  betrachteten  unendlich  dünnen  Schicht  bewegt, 

die  mittlere    relative  Geschwindigkeit  R  zu   allen  gleichzeitig   in  der 
ochicht  befindlichen  Molecülen  zu  bestimmen. 


190  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Schon  die  Molecüle,  die  sich  anter  demselben  Winkel  fp  gegen  die 
Geschwindigkeit  des  betrachteten  Molecüles  bewegen,  besitzen  TeraeUe- 
dene  Geschwindigkeiten ,  wir  wollen  daher  für  jede  bestimmte  Bichtuig 

eine  mittlere  relative  Geschwindigkeit  B  einföhren. 

Die  verschiedenen  möglichen  Richtungen,  in  denen  sich  die  Molecöle 
bewegen  können ,  stellen  wir  wiederum  als  Punkte  auf  einer  Kngelober- 
iläche  vom  Radius  1  anschaulich  dar.  Dann  würde,,  wenn  die  Molecöle 
sich  nach  allen  Richtungen  ganz  gleichartig  bewegten,  die  Anzahl  Mole- 
cüle,  welche  sich  in  Richtungen  bewegten,  die  innerhalb  eines  Elementes  d« 
der  Eugeloberfläche  fallen,  sich  zur  Gesammtzahl  verhalten,  wie  dti:4r. 
In  dem  von  uns  jetzt  behandelten  Falle  der  Wärmeleitung  bewegen  sieb 
die  Molecüle  aber  nicht  nach  allen  Richtungen  in  ganz  gleicher  Weide, 
die  Anzahl  der  Molecüle,  welche  sich  in  den  Richtungen  du  bewegen,  ist: 

.      du 
A  •  -—• 

Ist  nun  R  die  mittlere  relative  Geschwindigkeit  des  von  uns  betrach- 
teten Molecüles  zu  den  Molecülen,  deren  Bewegungsrichtungen  in  das  Ele- 
ment du  fallen,  so  ist  22: 


^-m 


'  Ä  ,  R, 


und  die  Integratit>n  muss  auf  die  ganze  Eugelfläche  ausgedehnt  werden. 
Für  den  (S.  189,  Z.  16  v.  u.)  aufgestellten  Werth  von  jB  kann  man 
auch  schreiben: 


B  =  \^.  VVTv  .  Vi  _  c«s  <p  +  ^4f-?- 

N 

Die  Grössen  Fund  v  werden  von  der  Geschwindigkeit  u  der  Molecüle, 
welche  sich  parallel  den  Begrenzungsebenen  bewegen,  im  Mittel  hÖchsteDt 
um  Grössen  verschieden  sein  können ,  welche  von  der  Ordnung  £  sind, 
bei  einer  Mittelwerthsberechnung,  um  die  es  sich  hier  handelt,  wird  maa 

(7  __  t,)2 

daher  das  Glied  -tt^t unberücksichtigt  lassen  können.    Man  schreibt 

2V.V 

demnach  zunächst  angenähert: 

72  =  V2  .  Vv  .  V  .  Vi  —  cos  (p. 
Wir  haben  aber  nun  früher  gefunden  (S.  181),  dass: 

dU 

öx 

ist,  setzt  man  dies  ein  und  entwickelt  nach  s  bis  auf  Glieder  erster  Ord- 
nung, so  ergiebt  sich: 

•iJ  =  1/2  .  Vi  -  cos  <p  .  VÜTT'  .(\  -  i  .  i  .  I? .  p  .  sY 

\  2      U      öx  / 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  191 

Setzt  man  nunmehr  hierin  fdr  8  seinen  Mittelwerth  s ,  so  erhält  man 
statt  R  den  Mittelwerth  i2.     Demnach  ist: 


R 


=  Vi" .  Vi  —  cos  q>  .  VüTv  •  (l  —  I  •  ^  •  8^  •  ^  •  «)• 


Setzt  man  nun  für  ü  und  8  die  früher  von  uns  gefundenen  Werthe 
ein,  welche  (man  sehe  61.  29,  S.  180  und  S.  182)  his  auf  die  erste  Potenz 
Ton  B  genan  lauten  : 

CT  =  t^  -f  p  .  ff  .  £ 

s  =  c  ,  « 
und  fuhrt  für  v  einen  Ausdruck: 

ein,  worin  b  irgend  eine  Grösse  von  der  Ordnung  £  bedeuten  soll ,  so  er- 
giebt  sich: 

Ä  =  V2  .  Vi  -  cos  q>  .  [u  +  ^  b  +  i  (i)  -  c  .  |J)  .  fi  .  *]. 

Nach  GL  33)  ist  aber: 

du 

Setzt  man  dies  ein,  bildet  das  Product  A  .  R  und  rechnet  die 
Klammem  ans,  indem  man  immer  alle  Glieder,  welche  Potenzen  von  £ 
eDthaltcn,  die  höher  als  die  erste  sind,  vernachlässigt,  so  ergiebt  sich: 

A.R  =  V2.  Vi  —  cos  (p  .  (u  +  2^  ~  2  ^  '  ^  '  ^J' 

Zunächst  muss  man  noch  die  Beziehung  aufsuchen,  welche  zwischen 
cos  fp  und  fi  besteht»  und  die  Grösse  du  näher  bestimmen.  Bekanntlich 
ist  n  der  negative  Cosinus  des  Winkels,  den  die  Bewegungsrichtung  irgend 
eines  Molecüles  mit  der  X-Axe  einschliesst,  <p  ist  der  Winkel  zwischen 
der  Bewegung^richtuDg  dieses  und  des  betrachteten  Molecüles.  Ist  femer 
noch  1}  der  Winkel  zwischen  der  Bewegungsrichtung  des  betrachteten 
Molecüles  and  der  X-Axe  und  ^  der  Winkel  zwischen  der  Ebene  des 
Winkels  <p  und  der  Ebene  des  Winkels  ij,  so  ist  bekanntlich: 

II  ==  cos  ri  .  cos  g)  -^^  sin  i]  .  sin  (p  .  cos  if 

und  femer  ist: 

du  =  sin  q>  .  dq>  .  d^. 

Führt  man  dies  in  die  Formel  für  R  ein,  so  erhalt  man: 

R  =  .    /    I  dw  ,  dtif  ,  sin  w  Vi  —  cos  w  .\u  -\-  -  h 

2V2 .n     J  J  L  2 

—  9  5  •  (^^*  ri  .  cos  q>  -^^  sin  ri  .  sin  q>  ,  cos  i>)  .  e  L 


192  L  Moleculartheorie  der  Wanne. 

worin  die  Integration  nach  if  von  0  bis  2  n  und  die  nach  q)  von  0  bis  ar 
auszuführen  ist. 

Clausius^)  hat  diese  Integration  ausgeführt  und  gefunden,  wenn 
er  nur  Glieder  von  der  Ordnung  der  e  beibehält,  dagegen  die  mit  höhe- 
ren Potenzen  von  £  multiplicirten  vernachlässigt,  dass: 

;R  =  -  .  f  tt  +  -  b  +  —  •  gf  .  cos  1?  .  « j  .    .    .    .48) 

Mit  Hülfe  dieses  Werthes  von  B  findet  man  nun  sofort  aus  der 
GL  46): 

a=-'X.Q^.N.(u+-h  +  —  'q.co8i^.€\    .49) 

und,  wenn  man  zugleich  für  v  seinen  Werth  u  •\'  h  einsetzt,  und  sick 
mit  der  oben  angegebenen  Genauigkeitsgrenze  begnügt,  aus  47): 

a  =  i  n.Q^.N  .  [l  -  II  +  ^-  q  .  CO,  n  '  ^)   •    •   «>) 

Aus  diesem  Ausdrucke  kann  man  noch  die  Grösse  q  eliminiren,  wenn 
man  auf  die  Gleichung  Rücksicht  nimmt,  durch  welche  die  mittlere  Weg- 
länge eines  Molecüles  im  Noimalzustande  des  Gases  (0^  und  760  mm) 
dargestellt  wird.  Nach  der  Clauaius' sehen  Formel  ist,  wenn  ^o  die  in 
Normalzustande  des  Gases  in  der  Volumeneinheit  enthaltene  AnaU 
von  Molecülen  bezeichnet: 


4  n  ,  Q^  .  Nq 

Allerdings  setzt  diese  Formel  voraus,  dass  sich  alle  Molecüle  im 
Normalzustande  mit  der  gleichen  Geschwindigkeit  u  bewegen.  Aus  die- 
ser Formel  kann  man  q^  ermitteln  und  in  die  Gleichungen  für  a  und  a 
einsetzen,  dann  ergiebt  sich: 


und: 


l     N_    / b_       0,1  q  .cos  ij  .  t\ 


51) 


52} 


Man  sieht,  dass  a  und  a  von  der  Geschwindigkeit  und  Bewegungs- 
richtung des  Molecüles  abhängen  und*  dass  ferner,  da  ^und  u  von  Schicht 
zu  Schicht  zu  verschieden  sind,  a  und  a  auch  fi^inctionen  des  Abstandes  f 
der  betrachteten  Schicht  von  der  wärmeren  Grenz  wand  ung  ist. 


^)  Abhandlungen,  1.  Aufl.,  Bd.  2,  S.  310. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  193 


10.   Bestimmtingr  von  M .  dx^  d.  h.  der  Anzahl  Molecüle, 
welolie  in  der  Sohiolit  znsammenstossen. 

Die  Anzahl  Molecüle,  welche  sich  in   der  Schicht  gleichzeitig  zwi- 
schen den  durch  ft  and  {/l  '\'  d^i^  definirten  Richtungen  bewegen,  ist: 

—  '  N .  A  .d^i  ,  dx, 

um  den  Bmchtheil  derselben  zn  erhalten,  welche  in  dem  Zeitele- 
mente  äi  mit  einander  zusammenstossen ,  mnss  man  die  vorige  Anzahl 

mit  a  .  dt  mnltipliciren ,  wobei  der  Mittelwerth  a  von  a  zn  nehmen  ist, 
da  der  Werth  a  nicht  fßr  alle  Molecüle  gleich  ist.  Integrirt  man  diesen 
Aosdnick  nach  ft  von  -\-  1  bis  —  1,  so  erhält  man  die  Anzahl  M.dx.di 
Molecüle,  welche  in  der  betrachteten  Schicht  im  Zeitelemente  dt  zn- 
sammenstossen, und  es  ergiebt  sich  demnach,  d&  dx  nnd  dt  für  die  Inte- 
gration nach  §1  constant  sind  nnd  beiderseitig  wegdividirt  werden  kön- 
nen, Ar  die  Bestimmung  von  M  die  Gleichung: 

+  1 


M 


=  —  '  N ,  I  A  ,  a  .  dfi. 


—  1 

Nun  ist  (man  sehe  61.  42,  S.  184)  ii,  genau  bis  auf  Grösse  von  der 
Ordnung  B,  gleich: 

-4  =  1  —  ^  •  fi  .  «. 
u 

Um  a  ans  a  zu  erhalten,  müssen  wir  in  der  für  a  gefundenen  Glei- 

ehnng  für  cos  ri  die  Grösse  \i  und  für  b  müssen  wir  V  —  u  setzen. .  Es 
ist  aber  mit  demselben  Genauigkeitsgrade,  auf  den  wir  uns  immer  be- 
schränkt haben  (GL  32,  S.  183): 

and  demnach: 

b  =  $  .  fi  .  £. 
Berücksichtigt  man  alles  dies,  so  ist: 

^=^4 '("  +  !«•'*•*) ^^^ 

Führt  man  dies  oben  ein,  so  erhält  man  für  M  den  Werth: 

—  1 
Integrirt  man  ans,  so  ergiebt  sich: 

Vflrdet-Bflhlmftnn,  Meohaa.  Warmathoorie.    Bd.  S.  \^ 


194  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

^=J^-F ") 

Nnnmehr  kann  man  auch  die  der  X-Axe  parallele  Bewegnngsgröne 
aller  der  in  der  Schicht  in  der  Zeiteinheit  zusammenstossenden  Mok- 
cüle  bestimmen. 

Diese  Bewegnngsgrösse  der  sich  unter  der  Richtung  (i  bewegenden 
Molecüle  würde,  wenn  die  Geschwindigkeit  aller  Molecüle  gleich  wftre, 
einfach  : 

m  ,  (i  ,  V  .  a 

sein;  da  aber  F  und  a  von  Molecül  zuMolecül  verschieden  ist,   bo  rana 

man  V  .  a  durch  seinen  Mittelwerth  V  .  a  ersetzen.  Die  gesammte  der 
X'Axe  parallele  ßewegungsgrösse  aller  in  der  Zeiteinheit  in  der  Schiebt 
zusammenstossenden  Molecüle  ist  demnach: 

+  1 

-  '  dx  .  m  .  N .  I  Ä  .  V  .  a  .  ft  .  d^. 


Setzt  man  hierin  für  A  und  V .  a  die  Werthe  ein,  welche  sich  au 
den  Gl.  42),  32)  und  51)  ergeben,  so  findet  man: 

+  1 
1  HP     1      /*/  3  \ 

Das  bestimmte  Integral  des  ersten  Theiles  wird  Null,  das  zweite 

1 
Glied  in  der  Klammer  ist  das  vollständige  Differential  von  r-  «*  .  ff .  ft' .  f. 

o 

und  man  erhält  somit: 

1      ^  N^ 

—  '  dx  ,  m  '  —  '  u  ,  q. 

Führt  man  aus  54)  den  Werth: 

M  =  -r-  •  — 
ein,  so  erhält  man  einfacher: 

—  *  dx  .  m  ,  M,  q  .  s. 
5 

Für  dieselbe  Bewegungsgrösse  hatten  wir  Gl.  45): 

M  .  dx  .  m  ,  p  .  6 

gefunden.     Wenn  man   nun  diese  beiden  Grössen  einander  gleich  seist, 
so  findet  man: 

1 
und  mit  Rücksicht  auf  die  schon  mehrfach  benutzte  Gleichung  33) : 


F.  Wärmeleitung  der  Oase.  195 


du 

q  =  p  —  c  •  77- 

ox 

ndlich: 


Nach  der  früher  yon  uns  (S.  182)  gegebenen  Definition  war  c  .  s 
ter  mittlere  Weg,  den  die  Molecüle  zwischen  zwei  Zosammenstössen  zu* 
tcklegen,  welche  sich  zur  X-Aze  normal  bewegen,  wenn  die  mittlere 
kichwindigkeit  gleich  u  ist.     £&  war  nach  Gl.  31)  (S.  182): 

nithin: 

1 
—  =  c  .  c, 

CtQ 

robei  «%  denjenigen  Speoialwerth  von  a  bedeutet,  den  a  f&r  diejenigen 
iolecflle  annimmt,  die  sich  senkrecht  zur  AT-Axe  bewegen.  Alsdann  is^ 
108  1}  oder  fi  =  0  und  b  =  0  und  demnach  nach  Gl.  52): 

N      1 

Hieraus  ergiöbt  sich  unmittelbar: 

c  =  f 56) 

Wenn  man  diesen  Werth  von  c  in  die  Gleichung  für  q  einführt,  so 
irhält  man: 

^  =  -I-N'd^ ^^ 

Damit  aber  nimmt  endlich  die  Gleichung,  durch  welche  der  Wärme- 
lrom regnlirt  wird,  die  Gestalt  an: 

5                                   du 
G  =  —  -irr  '  h  .  m  .  Nq  .  u^  -  ^-  -  s 58) 

12  ox 


11.    Schlussfolgerungen. 

Wir  haben  festgestellt,  dass  es  für  den  stationären  Zustand  genügt, 
renn: 

Q-  =  eonst, 

■t    Die  übrigen  Factoren  in  58)  sind  ohnehin  von  x  unabhängig  und 

du 
ledifflich  u''  und  ;?—  ändern  sich  von  Schicht  zu  Schicht.    Demnach  kann 

ox 

Bian  die  obige  Bedingung  durch  die  einfachere  ersetzen: 


du 
li»  •  -r-  =  canst. 
dx 


13  • 


196  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

In  dieser  ist  u  die  znr  X-Axe  normale  GescHwindigkeit  derlfdeeSl« 
in  einem  Punkte,  der  nm  x  von  der  heisseren  Begrenzangsebene  abstdit 
Die  Grösse  u'  ist  aber  der  absoluten  Temperatur  T  proportional  tud 
wir  können  daher  für  u  setzen: 

u  =  Const.  Vt. 

Fährt  man  dies  ein ,  so  geht  die  Bedingungsgleichung  in  die  Fom 
über: 

VT  ~  =  consL 59) 

ax 

Man  erkennt  somit,  da: 

dx  ax 

gesetzt  werden  kann  und  nach  der  Fourier 'sehen  Theorie  der  W&rme» 
leitung  der  Wärmestrom  in  einer  Wand  gleich : 

dT 

dx 

ist,  dass  sich  der  Coefficient  ^)  der  inneren  Wärmeleitung  K  proportional 

mit  VT  ändert.  Ausserdem  enthält  obige  Gleichung  insofern  eine  wi^ 
tige  Folgerung,  als  man  nach  derselben  nicht  berechtigt  ist  anzunehmen, 
dass  sich  in  einer  Gasmasse  die  Temperatur  yon  einer  Wand  zur  andern 
proportional  mit  dem  Abstände  x  ändere.  Die  Versuche  haben  über 
diese  Frage  noch  keine  bestimmte  Aufklärung  gegeben. 

Das  Gesetz,  durch  welches  die  Temperatur  in  einer  den  beiden  Be* 
grenzungswänden  parallelen  von  der  heisseren  um  x  abstehenden  Schidit 
dargestellt  wird,  ergiebt  sich,  wenn  man  Gl.  59)  integrirt.     Man  findet 

alsdann:  

T  .Yt  =  C.x  +  Gl. 

Die  beidefi  Constanten  G  und  Gi  ermittelt  man  einfach  dadnnki 
dass  man  zunächst  für  a;  =  0  T  =  Ti  und  hierauf  für  o;  =  e,  glei<i 
der  Dicke  der  Wand,  T  =  T3  gleich  der  Temperatur  an  der  kühleiei 
Begrenzungsebene  setzt.     Damit  findet  man  die  beiden  Gleichungen: 

Ti  .  Vt^  =  G, 
und: 

Benutzt  man  für  G  und  (7|  die  Werthe,  die  sich  hieraas  ergeben, 
so  erhält  man  für  T  die  Gleichung: 

8  8 

8             8         mz  ^  7^  • 
IT  =  Ti«  -  ^-^ ^  .  « 60) 


^)  Eb  braucht  wohl  kaum  besonders  erwähnt   zu  werden,   dass   hier  K  in  Win«- 
maass  ausgedrückt  ist. 


F.  Warmeleitung  der  Gase.  .  197 

Dieses  Geseta  ist  minder  einfach  als  eine  arithmetische  Progression 
nnd  hängt  yon  der  Beziehung  ab,  durch  welche  der  Wärmeleitungscoeffi- 
dent  mit  der  Temperatur  im  Zusammenhange  steht. 

Wir  wollen  nun  auf  die  Bestimmung  dieses  Goeffioienten  näher  ein- 
gshen. 

Die  Gleichung  58),  durch  welche  der  Wärmestrom  bestimmt  wurde, 
lautete  (man  sehe  S.  195): 

12  dx 

Bezeichnen  wir  mit  Uo  die  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden  Be- 
wegung der  Molecüle  bei  der  Temperatur  T  =  T^^  so  wissen  wir,  dass: 

-Hl  —1. 
%»  ~  To 
oder: 

T 

ist,  und  hieraus  ergiebt  sich: 

and: 

dT 

du  dx 


dx       ^    2VT.T0' 
80  dass  man  durch  Einsetzung  erhält: 

24  yj  dx 

Der  mit  cT*  =  425  multiplicirte,  auf  den  Nullpunkt  der  Celsiusscala 
bezogene  Fourier'sche  Goefßcient  der  Wärmeleitung  Kq  (wir  haben  es 
auf  der  rechten  Seite  doch  lediglich  mit  mechanischen  Einheiten  zu  thun) 
ist  demnach: 

„      -              5      k  .  m  .  Nq  ,  Uü^  .  6 
^0  •  «^  =  -  24 To 

Der  auf  die  Temperatur  0  der  hunderttheiligen  Scala  bezogene  Wärme- 
leitongBcoeffioient  ü^,  fOr  den  die  absolute  Temperatur  T=  Tq  =  274® 
beträgt,  hängt  mit  K^,,  dem  bei  der  absoluten  Temperatur  T  gültigen 

Wärmeleitangscoefficienten,  durch  die  Gleichung  zusammen:  ^^ 

Vt  -^ 

Die  numerische  Berechnung  des  oben  mitgetheilten  Ausdruckes 
ist  aber  möglich.     Die  Grösse  —  %  .  m  .  ^0  •  %'  ist  die  in  der  Volumen- 


198  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

einheit  eines  Oases  bei  Null  Grad  enthaltene  gesammte  innere  kinetiidie 
Energie.  Ist  aber,  wie  wir  dies  für  die  meisten  einfachen  Gase  aniieb* 
men  dürfen,  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Volumen  onabliängig 
von  der  Temperatur,  und  bezeichnet  y  diese  specifische  Wärme  bezog« 
auf  die  Yolumeneinheit,  so  ist  y  .  T^s  die  Wärmemenge,  welche  nötfaif 
ist,  um  die  Volumeneinheit  eines  Gases  vom  absoluten  Nullpunkte  an  lai 
zum  Nullpunkte  der  Celsius' sehen  Scala  zu  erwärmen,  c/* .  y  .  T»ü 
demnach  die  innere  Energie  eines  Gases  bei  O^C.  Setzt  man  dies  öd, 
so  erhält  man: 

5 

J^o  =  Y2  '  y  •  ^0  •  *• 

Vom  negativen  Vorzeichen  kann  man  absehen,  da  es  sich  hier  ledigli^ 
um  die  Berechnung  eines  absoluten  Werthes  handelt.  «0  ist  die  mittlen 
Geschwindigkeit  der  fortschreitenden  Bewegung,  also  ebenfalls  eine  Gröese^ 
die  uns  von  früher  her  bekannt  ist,  und  auch  e,  die  mittlere  Weglingi 
der  Molecüle  zwischen  zwei  aufeinanderfolgenden  Zusammenstossen,  iai 
von  früher  her  bekannt.  Führt  man  nach  der  bekannten  Meyer* scbei 
Formll  (man  sehe  Gl.  37,  S.  128): 

8     1?  I 

den  Beibungscoefficienten  17  ein,  so  nimmt  die  Formel  für  K^  die  ein- 
fachere Gestalt: 

_     10       y  .ri 

y 
an;  da  aber  ^  wiederum  c„  ist,  erhält  man: 

JTo  =  1,061  .  c,  .  1^0, 

oder  weil  K  von  K^  in  derselben  Weise  abhängt,  wie  17  von  i^q,  so  ergiefat 
sich  schliesslich: 

K  =  1,061  .  c„  .  1? 61) 

Glausius^)  selbst  findet: 


1)  Abhandlungen,  Bd.  2,  S.  322. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase. 


199 


Sabstitaireii  wir  nun  für  die  verschiedenen  Gase  folgende  für  O^G. 
goliige  Werthe: 


Luft  .  .  . 
Saaeretofi  . 
Stickstoff  . 
Wasientoff 
Sohlenoijd 
Koklensaare 


0,2375 

1,405 

0,2175 

1,405 

0,2435 

1,405 

3,4090 

1,385 

0,2450 

1,409 

0,1911*) 

1,305 

cm  X  See. 

0,169 

0,000182 

0,154 

0,000202 

0,173 

0,000176 

2,461 

0,0000939 

0,174 

0,000176 

0,146 

0,000150 

Bo  findet  man  für  den  Wärmeleibangscoefficienten : 


absolut 

relativ 

für  Luft              Ko 

—  0,0000326, 

—  1,00 

Sauerstoff 

—  0,0000332, 

—  1,02 

Stickstoff 

—  0,0000324, 

—  0,99 

Wasserstoff 

—  0,0002451, 

—  7,51 

Kohlenoxyd 

—  0,0000325, 

—  1,00 

Kohlensäure 

=  0,0000233, 

—  0,71 

Vergleichen  wir  hiermit  die  in  Paragraph  3,  S.  155  mitgetheilten 
Zahlen,  so  erkennen  wir,  dass  die  absoluten  Werthe  nicht  in  Ueberein- 
stimmung  sind,  dass  aber,  wenigstens  für  diejenigen  unter  den  vorbin 
genannten  Gasen,  deren  Molecüle  zweiatomig  sind,  die  Verhältnisse  der 
Wärmeleitungscoefficienten  in  befriedigender  Weise  mit  den  Beobachtungs- 
resoltaten  im  Einklänge  stehen. 


12.   Einige  Bemerkungren  über  Maxwell's  Theorie  der 

Wärmeleitung  in  Gasen. 

Ausgehend  von  seiner  bekannten  zweiten  Theorie,  nach  welcher  sich 
die  Molecüle  eines  Gases  umgekehrt  proportional  der  fünften  Potenz  des 
Abstandes  abstossen,  hat   neuerlich  auch  Maxwell  eine  sehr  vollstän- 


*)  Di«  iRt  der  Mittel wprth  aus  der  Re gn ault' sehen    Angabe    Cp  =  0,1870  und 
der  Ton  E.  Wiedemann  Cp  =  0,1952. 


200  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

dige  Theorie  der  Wärmeleitung  in  Gasen  entwickelt.  Wir  wollen  diese 
£ntwickelungen,  welche  zum  Theil  äuBserst  complicirt  und,  wenn  num 
nicht  eine  Controle  der  Rechnungen  durch  Auslassungen  über  Gebühr 
erschweren  will,  sehr  umfangreich  sein  würden,  an  dieser  Stelle  nicht  re- 
produciren.  Die  Formeln,  auf  welche  die  Maxwell'schen  Recbnungen 
geführt  haben,  geben,  selbst  wenn  man  den  von  Boltzmann^)  aufge- 
deckten Fehler  corrigirt,  noch  immer  absolute  numerische  Werthe,  weldie 
mit  den  experimentell  gefundenen  Daten  ebenso  wenig  ÜbereinstimiDeD, 
als  die  aus  den  Ol ausius' sehen  Formeln  entwickelten  Zahlen.  Die  re- 
lativen Wärmeleitungscoefficienten  findet  man  dagegen  nach  beiden  Fof^ 
mein  übereinstimmend,  da  sich  beide  Formeln  nur  durch  constante  Zahlea- 
factoren  unterscheiden.  Auch  führen  beide  Formeln  in  gleicher  Wdae  sa 
dem  Resultate,  dass  das  Wärmeleitungsvermögen  vom  Drucke 
unabhängig  ist,  so  weit  dies  vom  ReibungscoefBcienten  und  von  der 
specifischen  Wärme  des  Gases  behauptet  werden  kann. 

Ein  wesentlicher  Unterschied  der  beiden  Theorien  liegt  aber  darin, 
dass  während  nach  Clausius  sich  das  Wärmeleitungs vermögen  propor- 
tional der  Wurzel  aus  der  absoluten  Temperatur  ändert,  nach  Maxweiri 
Theorie  der  Wärmeleitungscoefficient  der  absoluten  Temperatur  selbst 
proportional  ist.  Wir  haben  in  den  vorhergehenden  Abschnitten  gezeigl^ 
dass  die  neueren  Versuche  von  Winkelmann  weder  zu  Gunsten  dxst 
einen  noch  der  anderen  Theorie  entschieden  haben«  Aehnlich  wie  schoD 
früher  bei  der  inneren  Reibung,  stehen  die  auf  experimentellem  Wege 
gefundenen  Gesetze  nahezu  in  der  Mitte  zwischen  den  theoretischen  Re- 
sultaten. Was  den  Haupteinwand  betrifft,  den  wir  bisher  immer  gegea 
die  Maxwell' sehe  Grundlage  der  Gastheorie  vorgebracht  haben,  dass  näm- 
lich die  AbstoBsung  der  Molecüle  umgekehrt  der  fünften  Potenz  ihres  Ab- 
standes  nicht  mit  den  Joule-Thomson' sehen  AusstrÖmungsversucbeii 
übereinstimme,  so  wollen  wir  nicht  verschweigen,  dass  Herr  Prof.  Boltz- 
mann  freundlicher  Weise  dem  Verfasser  dieses  Buches  brieflich  mitge- 
theilt  hat,  dass  er  auf  Rechnungswegen  sich  überzeugt  habe,  dass  die 
Max  well 'sehe  Theorie  diesen  eben  genannten  Versuchen  nicht  wide^ 
spreche. 

£s  ist  uns  jedoch  nicht  gelungen,  zu  demselben  Resultate  zu  gelan- 
gen. Auch  scheint  uns  der  von  O.E.  Meyer  urgirte  innere  Widersprach 
der  neueren  Maxwell'schen  Theorie  beachtenswerth,  welcher  darin  liegt, 
'  dass  das  Gesetz  über  die  Vertheilung  der  Geschwindigkeiten  fordert,  dss 
sich  zwischen  zwei  ZusammenstÖssen  die  Molecüle  mit  constanter  Ge- 
schwindigkeit und  geradlinig ,  also  unabhängig  von  der  Einwirkung  tod 
Kräften  bewegen,  während  das  Gesetz  über  die  Wirksamkeit  der  Kräfte, 
nach  welchen  sich  die  Molecüle  umgekehrt  proportional  der  fünften  Po- 
tenz der  Entfernung  abstossen,  bedingt,  dass  die  Molecüle  sich  nie  gsiu 


^)  Boltzmann,  Weitere  Stadien  über  das  Wärmegleichgewicht  aoter  Gasmolecfiks. 
Separatabdruck    aus  dem  Wiener  Sitzungsber.  Bd.  66,  Abth.  11  (Oetober  1872),  S.  58. 


F.  Wärmeleitong  der  Gase.  201 

frei  bewegen,  da  die  abstossenden  Kräfte  in  endlicher  Entfernung  zwar 
sehr  klein,  aber  doch  nicht  unendlich  klein  werden. 

Die  Formel,  auf  welche  die  neuere  Mazwell'sche^)  Untersuchung 
gefahrt  hat,  lautet,  wenn  man  die  nach  Boltzmann  nothwendige  Correc- 
tion  anbringt: 

0        4  •  (X  _  1)  .  Po  .  To  '  s  ' 

Hierin  ist  die  Wärmeleitungsf&higkeit  Kq  in  Arbeitsmaass  gemessen, 
T  bedeutet  wie  gewöhnlich  die  absolute  Temperatur ,  x  das  Yerhältniss 
der  specifischen  Wärme  bei  constantem  Drucke  und  constantem  Volumen« 
pe  die  auf  die  Masseneinheit  bezogene  Dichtigkeit ,  8  das  specifische  Ge- 
wicht des  Grases ,  bezogen  auf  das  der  Luft  =  1  und  po  der  Druck  in 
Gewichtseinheiten ,  welcher  auf  die  Flächeneinheit  ausgeübt  wird,  ß  ist 
ein  Coefficient,  der  für  Gase,  deren  Molecüle  zweiatomig  sind,  gleich  2 
SU  setzen  ist. 

Führt  man  auch  hier  den  Werth  des  Reibungscoefficienten  und  der 
specifischen  Wärme  ein,  so  vereinfacht  sich  die  Formel  zu: 

Jr=|l.c. 62) 

Wir  geben  in  nachfolgender  Tabelle  eine  Zusammenstellung  der 
nach  den  verschiedenen  Formeln  und  der  auf  experimentellem  Wege  ge- 
fundenen Werthe  der  Wärmeleitungsfähigkeit.  Es  zeigt  sich,  dass  die 
Clansius'schen  absoluten  Zahlen  durchaus  zu  klein  sind,  und  die  aus 
Maxwell's  Formel  folgenden  erheblich  in  entgegengesetzter  Richtung 
abweichen. 


1)  Maxwell,  Phil.  Mag.  4.  Serie.  Bd.  35,  S.  216  (1868). 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


F.  Wärmeleitimg  der  Gase.  203 

Für  die  übrigen  Gase  ausser  Lnft,  Eohlenoxyd,  Sauerstoff,  Stickstoff, 
Wasserstoff,  die  nicht  von  zweiatomigen  Molecülen  gebildet  werden, 
gtimmen,  sofern  man  die  Wärmeleitungsconstante  der  Lnft  gleich  1  setzt, 
aach  nicht  einmal  die  theoretisch  erhaltenen  Relativzahlen  mit  den  auf 
experimentellem  Wege  ermittelten  überein.  Es  stimmen  zwar  die  Ver- 
hältnisse der  Coefficienten  dreiatomiger  Gase  unter  sich  wieder  überein, 
wemi  man  z.  B.  Kohlensäure  gleich  1  setzt,  doch  ist  es  nicht  räthlich, 
hierauf  grosses  Gewicht  zu  legen,  da  die  theoretische  Berechnung  dieser 
Zahlen  wegen  der  Veränderlichkeit  der  specifischen  Wärme  mit  derTem* 
peratur  überhaupt  auf  unsicherer  Grundlage  ruht. 

Winkelmann  hat  aus  den  Coefficienten ,  welche  die  Abhängigkeit 
der  Wärmeleitung  in  Gasen  von  der  Temperatur  bestimmen ,  sogar  die 
Aenderung  der  specifischen  Wärme  einiger  Gase  und  Dämpfe  mit  der 
Temperatur  rückwärts  zu  ermitteln  gesucht^). 

Boltzmann  hat  in  einer  höchst  interessanten  Abhandlung :  Weitere 
Studien  über  das  Wärmegleichgewicht  unter  Gasmolecülen  ^)  darauf  auf- 
mei^sam  gemacht,  dass  die  Wärmeleitungsconstante  der  Gase  auf  theo- 
retischem Wege  überhaupt  nicht  mit  Sicherheit  numerisch  berechnet  wer- 
den kann,  da  man  aus  der  Gastheorie  ohne  nähere  Eenntniss  der  inneren 
Beschaffenheit  der  Molecüle  nicht  bestimmen  kann,  in  welcher  Weise  sich 
die  intramolecularen  Bewegungen  von  Molecül  zu  Molecül  fortpflanzen. 
Maxwell  und  auchClausius  setzen  bei  ihren  Entwickelungen  wenigstens 
stülschweigend  voraus,  dass  sich  die  kinetische  Energie  der  intramolecu- 
laren Bewegung  verhältnissmässig  ebenso  rasch  von  Molecül  zu  Molecül 
übertrage,  wie  die  lebendige  Kraft  der  fortschreitenden  Bewegung  der 
Molecäle.  £s  ist  jedoch  durchaus  kein  zwingender  Grund  vorhanden, 
welcher  dazu  nöthigte,  anzunehmen,  dass  die  Geschwindigkeiten,  mit  der 
die  kinetische  Energie  der  progressiven  und  der  intramolecularen  Bewe- 
gung geleitet  wird,  einander  gleich  seien. 

Die  aus  Maxwell*s  Formeln  berechneten  Wärmeleitungsconstanten 
der  Gase  sind  durchaus  zu  gross  und  daraus  schloss  auch  schon  Stefan, 
dass  sich  die  intramoleculare  Bewegung  nur  in  geringerem  Maasse  an  der 
Wärmeleitung  betheilige,  als  dies  von  Maxwell  vorausgesetzt  wurde. 

Boltzmann')  hat  nun  gefunden,  dass,  wenn  die  intramoleculare 
Bewegung  gar  nicht  zur  Wärmeleitung  beitrüge,  wenn  sich  die  Molecüle 
also  bei  der  Wärmeleitung  ¥rie  einfache  materielle  Punkte  verhielten,  so 
müsste  die  Wärmeleitungsconstante  eines  Gases  einen  Werth  haben,  der, 
in  Wärmemaass  gemessen,  durch  folgende  Formel  dargestellt  würde: 


^)  Winkelmann,  Ueber  die  Wärmeleitang  von  Gasen  und  Dämpfen  und  die  Ab- 
hängigkeit der  specifiBchen  Wärmen  derselben  von  der  Temperatur.  Pogg.  Ann.  Bd.  159; 
S.  177  bis  198. 

^  Sitzungsber.  der  Wiener  Akademie.     Bd.  66,  S.  59. 

*)  Boltzmann,  Weitere  Stadien  über  das  Wärmegleirhgewicht  unter  GasmoleciHen. 
Spparatabdruck  aus  dem  66.  Bd.  der  Wiener  Sitzungwber.  (Ortober   1872),  S.   o8. 


204  L  Moleculariheorie  der  Wäxme. 

•  K        =  ^'^'(''-^)-0"n 63) 

prog.  4  ' 

Hierin  ist  K        die  unter  den  oben  mitgetheilten  Annahmen  gfiltige 

prog. 

C 

Wärmeleitungsconstante,  x  =  -^  das  Yerhältniss  der  specifischen  Wärme 

Cp  bei  constantem  Dmcke  zu  c,  der  bei  constantem  Yolnmen ,  fi  der  Rei* 
bnngscoefficient  des  Gases. 

Ans  der  Max  weil' sehen  Hypothese  ergiebt  sich  unter  Annalime, 
dass  die  intramoleculare  Bewegung  sich  in  gleicher  Weise  wie  die  fort- 
schreitende fortpflanze: 

■^toUI  =  I  •  «.  •  'J «♦) 

Für.  Luft  ergiebt  sich,  wenn  man  für  c„,  x  und  f^  die  besten  ZaMea 
von  Röntgen  und  Kundt  und  Warburg  benutzt: 

K        =  0,000048  und  JiT.  .  ,  =  0,000080, 

prog*  *oȀi 

während  Stefan  durch  seine  Versuche: 

K  =  0,000055 
fand. 

Boltzmann  zeigte  nun,  dass  in  Wirklichkeit: 

±K        -1-12  jr 

13  -""toUl     •"    13        prog.» 

3 
was  er  mit  K  —  bezeichnet,  Werthe  liefert,  welche  Yon  den  experimen- 

13 

teil  gefundenen  nicht  wesentlich  abweichen. 

Boltzmann^)  fügt  übrigens  ausdrücklich  hinzu,  dass  es  nicht üi 
seiner  Absicht  gelegen  hat,  zu  behaupten,  dass  das  Yerhältniss  des  Be- 
trags, den  die  intramoleculare  Bewegung  zur  Wärmeleitung  wirklich  lie- 
fert, zu  dem,  was  sie  nach  M ax well' s  Hypothese  liefern  müsste,  f&r  aUe 
Gase  genau  denselben  Werth  haben  müsse* 

Möglicherweise  kann  ja  dieses  Yerhältniss  von  Gas  zu  Gas  verschie- 
den sein.  Jedenfalls  aber  ist  zu  constatiren,  dass  die  bis  jetzt  über  die 
Wärmeleitung  von  Gasen  bekannten,  auf  experimentellem  Wege  bestimm- 
ten Zahlen  genügend  dargestellt  werden  können,  wenn  man: 

^=13  ^ioUd  +   13  -^prog. «^) 

setzt. 

Ausgehend  von  den  Maxweir sehen  Yertheilnngsgesetzen  der  Ge- 
schwindigkeiten und  der  Annahme,  dass  die  Molecüle  sich  beim  Znsam- 


^)  BoitzmanD,    Bemerkangen    über    die    Wärmeleitung   der   Gase.      Pogg.  Abb. 
Bd.  157,  S.  463. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase.  205 

menBtoflB  wie  elastische  B&lle  verhielten,  hat  0.  E.  Meyer  ^)  die  Wärme- 
leitnng  der  Gase  untersucht.  Er  macht  zunächst  darauf  aufmerksam, 
dasB  die  Vorgänge  bei  der  inneren  Reibung  der  Gase  und  bei  der  Wärme- 
leitung derselben  sehr  nahe  verwandt  sind.  Die  Reibung  besteht  in  einer 
üebertragung  fortschreitender  Bewegung  der  Molecüle  von  Schicht  zu 
Schicht;  W&rmeleitung  dagegen  ist  die  Üebertragung  innerer  kinetischer 
Energie  von  Schicht  zu  Schicht.  Das  Problem  der  Wärmeleitung  kann 
daher  ganz  analog  durchgeführt  werden,  wie  das  der  Reibung.  Der  ein- 
zige Unterschied  besteht  darin,  dass  man  an  Stelle  der  durch  das  Ein- 
dringen von  Molecülen  der  einen  Schicht  in  die  andere  Schicht  übertra- 
genen Bewegungsgrosse  die  gesammte  innere  kinetische  Energie  in  Rech- 
nung zu  ziehen  hat,  welche  die  aus  heisseren  Schichten  in  benachbarte 
Schichten  eintretenden  Molecüle  überführen. 

Meyer  hat  hierbei  von  der  Atombewegung  abgesehen  und  nur  die 
Molecolarbewegung  in  Rechnung  gezogen.  Seine  Rechnung  ist  also  nur 
dann  richtig,  wenn  nachgewiesen  werden  sollte,  dass  die  Energie  der 
iotramolecularen  Bewegungen  sich  ebenso  rasch  im  Räume  fortpflanzte, 
als  die  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  der  Molecüle. 

Im  üebrigen  schliesst  sich  der  Gang  der  Entwickelung  bei  Meyer 
an  den  von  Glausius  eingeschlagenen  Weg  an,  nur  wird  nirgends  mit 
mittleren  Geschwindigkeiten  gerechnet,  sondern  es  wird  das  MaxwelP- 
flche  Gesetz  benutzt  und  überall  wird  die  Summe  und  das  Mittel  erst  am 
Schlosse  der  Rechnung  gezogen,  nicht  von  Schritt  zu  Schritt,  wie  wir 
dies  vorhin  mehrfach  gethan  haben.  Dann  ergiebt  sich  für  den  Wärme- 
leitongsooefficienten  K  das  Integral'): 


00 


9y«  J  \  4ay 


wenn: 


a  =  — 


^    m  ."? 


und  V  die  nach  Meyer  berechnete  mittlere  Geschwindigkeit  ist  (mansche 

die  Werthe  von "»,  Bd.  2,  I,  C,  Gl.  49,  S.  79). 

Den  Werth  des  Integrales  hat  Meyer  durch  mechanische  Quadratur 
ermittelt  und  schliesslich: 


*)  Da«  Meyer'scbe  Werk:  Die  kinetische  Theorie  der  Gase,  Breslau  1877,  welches 
10  auBserordentlicher  Klarheit  und  Strenge  die  einschlagenden  Fragen  behandelt,  eiachien 
^t,  nachdem  der  Druck  und  die  Correctur  dieses  Abschnittes  nahezu  beendet  waren.  Es 
koimteii  daher  nur  noch  an  ganz  wenigen  Stellen  die  Resultate  dieser  Arbeit  beräck- 
uchtigt  werden.  Ich  bedaure  dies  um  so  mehr,  als  unsere  beiderseitige  Stellung  zur 
tweiten  Maxwell' eben  Theorie  genau  die  nämliche  ist,  und  Meyer  als  der  Erste«  angesehen 
werden  muss,  der  die  altere  Maxwell 'sehe  Theorie  consequent  durchgeführt  und  ge- 
'vjgt  hat,  daas  die  Folgerungen  derselben  den.  experimentell  gefundenen  Thatsachen 
Biadestens  nicht  widersprechen. 

^  Man  sehe  0.  E.  Meyer,  Die  kinetische  Theorie  der  Gase,  S.  337. 


206  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

K  =  1,53  .  1?  .  0, 66) 

bestimmt. 

Für  Molecüle,  bei  denen  die  Atomenergie  sieb  mit  einer  Gesckwm- 
digkeit  fortpflanzt,  welche  von  der  Fortpflanznngsgescbwindigkeit  der 
Energie  der  Translationsbewegnng  der  Molecüle  verschieden  ist,  benntzt 
Meyer ^)  eine  Formel,  welche  ausgerechnet  die  Gestalt: 

1,59  X  +  0,41 
K  = 2^^  •  ^  •  ^« ^^^ 

annimmt.    Hierin  bezeichnet  x  den  bekannten  Quotienten  der  specifiscbeD 
Wärmen. 

Die  vorhin  erwähnte  Boltzmann'sche  Formel  65)  in  ähnlicher 
Weise  ausgerechnet  lautet: 

^        75  .  X  —  60 

^  = 26 ^'"^^ ^^^ 

Die  Uebereinstimmung  der  nach  diesen  Formeln  berechneten  abso- 
luten und  relativen  Wärmeleitungscoefflcienten  mit  den  Beobachtungs- 
resultaten  zeigt  nachstehende  Tabelle. 

Auf  die  zum  Theil  erheblichen  Abweichungen  kann  kein  grosses 
Gewicht  gelegt  werden ,  da  in  die  Bestimmung  von  K  die  drei  Werthe 
Op,  X  und  17  eingehen,  deren  experimentell  gefundenen  Werthe  sammtlicli 
nicht  sehr  zuverlässig  sind. 

Einen  erheblichen  Werth  legen  wir  keiner  von  den  beiden  Formeln 
67)  und  68)  bei,  da  sie  beide  ziemlich  willkürlich  gebildet  sind. 

0.  E.  Meyer  sucht  die  Berechtigung  seiner  Formel  durch  Betrach- 
tungen zu  unterstützen,  welche  auf  der  Ee knietschen  Ansicht  bemheiii 
dass  die  Molecüle  chemischer  Verbindungen  nicht  mit  einem  kugelförmig 
zusammengeballten  Knäuel  von  Atomen,  sondern  vielmehr  einer  Kette 
vergleichbar  seien. 


^)  Man  sehe  O.  E.  Meyer^  Die  kinetische  Theorie  der  Gase,  S.  198. 


F.  Wärmeleitung  der  Gase. 


207 


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208  L  Moleculartheorie  der  Wanne. 


13.    üeber  die  Wärmeleitung  in  QssgemengesL. 

Da  bei  Versachen  über  Wärmeleitung  in  Gasen  die  Berfickrachtiguog 
des  Fehlers  eine  grosse  Rolle  spielt,  welcher  dadurch  entsteht^  dass  fremde 
Gase  dem  zu  untersuchenden  beigemengt  sind,  so  ist  es  nicht  uninteressant 
auch  die  experimentellen  Arbeiten  hierüber  und  die  thtoretiscBen  Ye^ 
suche  kennen  zu  lernen,  welche  über  die  Wärmeleitungs&higkeit  tob 
Gasgemischen  angestellt  worden  sind.  Stefan  hat  aus  den  Grondlagai, 
auf  denen  die  Maxwell' sehe  zweite  Gastheorie  beruht,  eine  Formel  fiir 
das  Wärmeleitungsvermögen  eines  Gemisches  von  Wasserstoff  and  Saaer« 
Stoff  aufgestellt.  Die  Ableitung  der  Formel  ist  bis  jetzt  noch  nicht  mit* 
getheilt  worden.  Bezeichnet  G  eine  Gonstante,  ^i  die  Anzahl  der  Wa88e^ 
stoffmolecüle,  N^  die  der  Sauerstoffmolecüle,  welche  sich  in  der  Volnmen- 
einheit  des  Gemisches  finden,  so  ist  das  Wärmeleitungsvermögen: 

L=  C       7,38  Ni^  +  11,56  Ni  .Nj  +    2J1  N^^ 
~      '  10,11  Ni^  -h  33,07  Ni  .ir^  +  26.03  JVj« ' 

Diese  Formel  ist  jedoch  durch  eine  Reihe  yon  Versuchen ,  welche 
Plank^)  unter  Stefaji's  Leitung  und  mit  dessen  Apparaten  angestellt 
hat,  nicht  l^estätigt  worden. 

Flank  fand  nämlich,  das  Wärmeleitungsvermögen  der  Luft  gleich  1 
gesetzt,  wenn  m  Volumen  H  mit  n  Volumen  0  bei  gleichem  Drucke  und 
gleicher  Temperatur  gemengt  worden  nnd,  für: 

3  H  +  1  0  4,24 

2H  +  10  3,70 

1  H  +  1  0  2,77 

H  +  20  2,08 

H  +  30  1,76 

Eine  andere  Formel,  welche  unter  Annahmen  entwickelt  ist,  wdche 
von  dem  Verfasser  nicht  mitgetbeilt  worden  sind,  lautet  (Luft  =  1): 

0,326  Ni^  +  0,453  Ni  .  N^  +  0,119  N^^ 
~    '    0,264  Ni*  +  0,894  JVi  .  iV,  +  0,666  JV,« ' 

Diese  giebt  leidlich  übereinstimmende  Zahlwerthe,  nämlich  für  obige 
Mischungsverhältnisse  in  derselben  Reihenfolge: 

4,39,     3,79,     2,81,     2,06,     1,76. 

Einige  andere  Versuche  Plank's  über  die  Wärmeleitung  eines  G«* 
misches  von  Kohlensäure  und  Sauerstoff,  also  zweier  Gase,  deren  Leitongs- 
vermögen  nicht  zu  sehr  verschieden  ist,  ergeben  das  Resultat,  dass  rau 
das  Leitungsvermögen  des  Gemisches  mit  grösser  Annäherung  nach  dem 
Principe  des  arithmetischen  Mittels  aus  den  Wärmeleitungscoefficieoteo 
der  Bestandtheile  berechnen  kann. 


^)  J.  P 1  a  n  k ,  Versuche  über  das  Wärroeleiiangsvermögen  von  Gasgemengen.  Sitzmigi- 
bericht  der  Wiener  Akad.  Bd.  72  (Juliheft  1875).  H 


ür.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  209 


Gt.    Die  Fortpflanzung  des  SchaUes. 


1.    Die  zu  Orunde  liegenden  Hypothesen. 

Wir  haben  in  einem  der  vorhergehenden  Abschnitte  (man  sehe  Bd.  2, 
I,  G,  S.  44)  schon  erwähnt,  dass  Jochmann  nnd  mit  ihm  Andere 
als  ein  weiteres  Argument  gegen  die  kinetische  Gastheorie  vorgebracht 
haben,  dass  die  hydrodynamischen  Gmndgleichnngen ,  auf  denen  die 
mathematische  Theorie  des  Schalles  beruht,  in  der  neuen  Gastheorie  nicht 
mehr  gültig  seien ,  und  dass  daher  die  Fortpflanzung  des  Schalles  eine 
Erklärung  aus  dieser  Theorie  gar  nicht  finden  könne.  Wir  werden  im 
Folgenden  nachweisen ,  dass  dem  nicht  so  ist.  Zunächst  müssen  wir  je- 
doch in  Betracht  ziehen ,  ob  denn  die  bis  jetzt  als  gültig  allgemein  an- 
erkannte Ableitung  durchaus  frei  von  Hypothesen  gewesen  ist,  oder  ob 
nicht  auch  diese  auf  gewissen  Annahmen  beruhe ,  denen  man  analoge  in 
der  Gastheorie  gegenüberstellen  könne. 

Die  beiden  Fundamentalgleichungen  für  die  Fortpflanziing  des 
Schalles  sind  bekanntlich  die  folgenden: 

dt«  ~         \dx*  ^  dy^  ^  de^J  •    ■    ••    ■    ■    ^) 
■nd: 

^  =  -vi-I 2) 

and  dieselben  sind  mit  Hülfe  des  leitenden  Gedankens  entwickelt  worden, 
daas  die  Gasmassen  aus  ruhenden  Theilchen  bestehen ,  denen  vom  tönen- 
den Körper  periodisch  sehr  kleine  Geschwindigkeiten  mitgetheilt  werden. 

Nach  der  neueren  Gastheorie  aber  denken  wir  uns,  dass  die  Gase 
nnd  Dämpfe  von  Molecülen  gebildet  werden,  welche  sich  mit  sehr  grossen 
Geschwindigkeiten  nach  allen  möglichen  Richtungen  hin  bewegen  und 
gegen  einander  und  gegen  die  Gefasswände  fortwährend  anstossen.  Auf 
nn  solches  System  von  Molecülen  ist  allerdings  die  frühere  Betrachtungs- 
weise nicht  mehr  anwendbar,  und  die  oben  erwähnten  Differentialglei- 
diimgen  verlieren  somit  ihre  Grundlage. 

Da  nun  aber  die  alte  Theorie  des  Schalles  zu  wichtigen  Resultaten 
gefuhrt  hat,  welche  nahezu  allseitig  von  der  Erfahrung  bestätigt  sind, 
Bo  könnte  man,  da  man  sich  schwer  entschliessen  wird,  eine  so  viel- 
seitig erprobte  Theorie  fallen  zu  lassen,  leicht  geneigt  sein,  die  neuere 
Gastheorie  zu  verwerfen.  Denkt  man  sich  nämlich  ein  Gas  aus  Molecülen 
bestehend,  welche  silsh    mit   grossen    Geschwindigkeiten   durcheinander 

V«rdet-Bflhlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  2.  24 


210  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

bewegen,  and  deren  Geschwindigkeiten  nur  dorcli  gegenseitige  Stöase^ 
oder  dorch  Stösse  gegen  feste  Körper  geändert  werden,  so  erscheint  es 
unzulässig,  anzunehmen,  dass  diese  Molecüle  in  der  Nähe  eines  schwin- 
genden Körpers  selbst  in  Schwingungen  gerathen. 

Nimmti  man  nun  an,  dass  die  Zeit,  welche  zu  einem  Stosse  zweier 
Molecüle  oder  eines  Molecüles  mit  dem  tönenden  Körper  erforderlich  ütt 
Null  sei,  so  würde  der  schwingende  Körper  keinen  wesentlichen  Einflu 
auf  die  bewegten  Molecüle  hervorbringen  können,  gleichviel  ob  derselbe 
tönte,  oder  ob  derselbe  in  Ruhe  wäre.  Es  scheint  demnach  nicht  nur,  sh 
ob  in  der  neueren  Gastheorie  für  fortschreitende  Schallwellen  keine  Möglicb» 
keit  vorläge,  sondern  als  ob  sogar  die  Schwingungen  eines  tönenden  Kö^' 
pers  keinen  merklichen  Einfluss  ausüben  könnten.  Wäre  aber  ausserd«» 
die  fortschreitende  Bewegung  der  Molecüle  eines  Gases  die  Ursache  der 
Fortpflanzung  des  Schalles ,  so  müsste  die  Fortpflanzungsgeschwindigke^ 
des  Schalles  gleich  der  Geschwindigkeit  sein,  mit  der  die  Molecüle  selbii 
fortschreiten. 

Für  die  Geschwindigkeit  des  Schalles  in  einem  Gase  hat  man  aber 
die  Formel  gefunden: 

*'=«^''-V^ 


9l 


und  für  die  mittlere  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden  Bewegung  dv 
Molecüle  nach  Glausius  (man  sehe  S.  38,  Gl.  9): 

u  =  485  .  1/  -^ — 4 

r   274  .  d  ^ 

wenn  T  die  absolute  Temperatur  des  Gases  und  d  dessen  Dichte,  die  deC 
Luft  gleich  1  gesetzt,  bezeichnet. 

Beide  Formeln,  obgleich  sie  nicht  identisch  sind,  zeigen  eine 
formelle  Verwandtschaft. 

Wesentlich  anders  gestalten  sich  ähnliche  Betrachtungen,  wenn 
annimmt,  dass  die  Zeit,  welche  zu  einem  Stosse  nöthig  ist,  nicht,  wie 
sich  häufig  vorstellt,  wirklich  Null  sei,  sondern  wenn  man  annimmt, 
zu  jedem  Stosse  eine,  wenn  auch  äusserst  kleine,  so  doch  immeiliin  \» 
stimmte  Zeit  nöthig  ist  ^). 

Zunächst  erkennt  man  sofort,  dass  wenn  jeder  der  ungemein 
Anzahl  von  Stössen,  welche  in  jeder  kleinen  Zeit  zwischen  den  Mokefr 
len  erfolgen,  eine  gewisse  Zeit  in  Anspruch  nimmt,  die  Gesch windig 
mit  der  sich  der  Schall  fortpflanzt,  geringer  sein  muss,  als  der  Mil 
werth  der  Geschwindigkeit,  mit  der  sich  die  Molecüle  fortschreitend 
wegen.     Der  Unterschied  zwischen  den  Werthen  f>  und  u  erklärt 
hieraus  sofort.     Auch  kann  man  dann  nicht  mehr  annehmen ,  dass  sifll 

-  _  I 

^)  Denkt  man  sich,  dass  irgend  welche  Kräfte  zwischen  den  Moleciilen  thfitig  sial,^ 
so  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  die  2^it,  während  der  sich  zwei  Molecüle  in  tei 
gegenseitigen  Wirkungssphäre  bewegen,  nicht  vollkommen  gleich  Null  sein  kann. 


G.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  211 

die  Theile  des  tönenden  Korpers  in  Beziehung  zu  den  anstossenden  Mo- 
lecülen  wie  die  eines  mhenden  Körpers  verhielten,  sondern  man  kann 
behaupten,  dass  die  Geschwindigkeiten,  welche  verschiedene  Theile  he- 
sitzen,  auf  die  Geschwindigkeit  der  anstossenden  Molecüle  einen  Einfloss 
oosaben  werden.  Die  Geschwindigkeiten  der  reflectirten  Molecüle  werden 
nämlich  bald  etwas  grösser,  bald  etwas  kleiner,  als  vor  dem  Stosse  sein, 
je  nach  dem  der  angestossene  Theil  des  tönenden  Körpers  sich  mit  den 
anstossenden  Molecülen  in  entgegengesetzter  oder  in  gleicher  Richtung 
bewegt  Hieraus  ergeben  sich  periodische  Druckänderungen ,  welche  auf 
das  Trommelfell  übertragen  werden  und  dort  die  Schallempfindung  ver- 
mitteln. 

Selbstverständlich  folgen  sich  diese  Druckänderungen  in  denselben 
ZdtintervaUen  wie  die  Schwingungen  des  tönenden  Körpers,  und  daher 
rfihrt  der  unterschied  zwischen  hohen  und  tiefen  Tönen.  Die  Geschwin- 
digkeiten, mit  denen  sich  die  schwingenden  Theile  des  tönenden  Körpers 
bewegen,  hängen  von  der  Amplitude  dieser  Schwingungen  ab.  Das 
Gleiche  wird  auch  mit  den  Druckänderungen  auf  dem  Trommelfelle  statt- 
finden; dadurch  erklären  sich  die  Unterschiede,  die  wir  als  Intensitäts- 
verscbiedenbeiten  der  Töne  auffassen.  Auch  die  mehr  oder  minder  com- 
plicirte  Weise,  in  der  jede  einzelne  Schwingung  erfolgt,  wird  eine  ganz 
entepreohende  Aenderung  der  Geschwindigkeiten  der  Molecüle  und  damit 
iMich  des  Druckes  auf  das  Trommelfell  nach  sich  ziehen,  und  somit  erklä- 
ren sich  auch  in  einfacher  Weise  die  Unterschiede  der  Klangfarbe. 

Man  erkennt  schon  aus  diesen  vorläufigen  Andeutungen,  dass  die 
Fortpflanzung  des  Schalles  kein  Problem  ist,  dessen  Erklärung  aus  der 
äastheorie  prinoipielle  Schwierigkeiten  entgegensteh^i. 


2.   Die  Ableitung  der  anmdgleiohungeii  für  die  Fort- 

pflaaznng  des  Sohalles  0« 

Der  hier  einzuschlagende  Weg  ähnelt  dem  ungemein,  den  zuerst 
Clausius  betreten  hat,  um  die  Wärmeleitung  in  einer  zwischen  zwei 
parallelen  Wänden  eingeschlossenen  Gasschicht  zu  untersuchen.  Durch 
die  Ungleichheit  der  Temperatur  bleibt  die  vorhin  allseitig  gleichartige 
Yertiieilung  der  grösseren  nnd  kleineren  Geschwindigkeiten  auf  die  ver- 
schiedenen Bewegungsrichtungen  nicht  mehr  bestehen,  sondern  die  von 
der  wärmeren  Wand  kommenden  und  sich  nach  der  kälteren  Wand  hin 
bewegenden  Molecüle  besitzen  durchschnittlich  eine  etwas  grössere  Ge- 
Bchwindigkeit,  als  die  sich  in  entgegengesetzter  Richtung  bewegenden 
Holecüle.   Setzt  man  also  die  Bewegungen  aller  in  fortwährenden  gegen- 


^  Wir  folgen  kier  in  der  Hauptsache  einer  sehr  interessanten  Abhandlung  von 
J.  L  Hoorweg,  Sur?la  propagation  du  son  apres  la  nouvelle  th^orie  des  gaz.  Archive 
NMandaise«.     Bd.  U*^  S.  131   bis  177. 

14* 


212  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

seiti^en  Anstössen  sich  durchkreazenden  Molecüle  zusammen,  so  würde 
noch  eine  kleine  Geschwindigkeit  übrighleiben,  welche  von  der  heisMren 
nach  der  kälteren  Wand  hin  gerichtet  ist*  Clausius  hat  gezeigt,  auf 
welche  Weise,  wenn  man  sich  damit  begnügt,  för  jede  Richtung  die  mitt- 
lere Geschwindigkeit  zn  bestimmen,  man  den  Bewegnngszostand  in  einer 
zwischen  beiden  Begrenznngsebenen  liegenden  Parallelschicht  leicht  er- 
mitteln kann. 

Der  Einfachheit  der  Betrachtung  wegen  denkt  man  sich  zunächst, 
dass  sich  die  Molecüle  nach  allen  denkbaren  Bichtungen  mit  gleicher 
Geschwindigkeit  bewegen.  Wir  wissen  ja  von  früher  her,  dass  diese 
Vorstellung  nicht  ganz  streng  ist;  wir  fanden  aber  überall,  dass  sich  die 
auf  Grund  der  Voraussetzung  gleicher  Moleculargesch windigkeit  entwickel- 
ten Formeln  höchstens  durch  von  der  Einheit  wenig  verschiedene  con- 
stajite  Factoren  von  den  Ergebnissen  unterscheiden,  welche  sich  ergebeot 
wenn  man  das  der  Wahrheit  näher  kommende  MaxwelPsche  Gesetx 
über  die  Vertheilung  der  Geschwindigkeiten  zu  Grunde  legt. 

Dieser  allseitig  gleichen  Geschwindigkeit  fügt  man  eine  für  alle 
Molecüle  gleiche  und  gleichgerichtete  Geschwindigkeitscomponente  hinn, 
die  von  der  wärmeren  nach  der  kälteren  Wand  hingeht  Hierauf  be- 
stimmt man  nach  Clausius  zunächst  den  Zustand  der  Molecüle,  welche 
eine  bestimmte  Schicht  aussendet,  hierauf  den  der  in  der  Schicht  enthal' 
tenen  Molecüle  und  endlich  mit  Hülfe  dieser  beiden  Grundlagen  die 
lebendige  Kraft  der  Molecüle,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch  eine  belie- 
bige Ebene  hindurchgehen.  In  ihren  wesentlichen  Zügen  lässt  sich  dieee 
Betrachtungsweise  auch  auf  den  hier  zu  untersuchenden  Fall  anwenden. 

AehnUch  wie  die  Geschwindigkeit  der  Molecüle  eines  Gases  duth 
die  heissere  Wand  beeinüusst  wird,  wirkt  auch  die  Oberfläche  des  tönen- 
den Körpers.  Um  den  Bewegungszustand  der  Gasmolecüle  in  der  Nähe 
eines  tönenden  Körpers  zu  finden,  fügen  wir  der  anfanglich  gleichen  nach 
allen  möglichen  Seiten  hin  gerichteten  Geschwindigkeit  eine  kleine  sof 
der  tönenden  Fläche  normale  Geschwindigkeitscomponente  hinzu,  welche 
für  alle  in  der  nämlichen  Schicht  befindlichen  Molecüle  gleich  ist,  und 
ihren  Ursprung  den  Schwingungen  des  tönenden  Körpers  verdankt. 

Wir  denken  uns  der  Bequemlichkeit  der  Rechnung  wegen  diesen 
tönenden  Körper  als  eine  sehr  kleine  Kugeloberfläche,  deren  Mittelpunkt 
wir  zum  Ursprünge  eines    rechtwinkligen  Coordinatensystemes  wählen. 

Wir  nennen  die  ursprüngliche,  für  alle  Molecüle  gleich  angenommene 

Geschwindigkeit   der  fortschreitenden  Bewegung  u  und  die  Gomponente 

dw 
derselben  nach  den  drei  Coordinatenaxen  jp,  5  und  w.    Die  Grossen  -j^, 

dw   dw 

-r-^,  -r^  mögen  die  Componenten  der  durch  die  Schallbewegung  hinin- 

tretenden  Geschwindigkeit  sein.     Die  Resultante  dieser  sammtlichen  Ge- 


G.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  213 

Bchwindigkeiten  bezeichnen  wir  mit   TJ  and  die  Componenten  derselben 
mit  P,  8  und  W.    Es  ergeben  sich  somit  die  Gleichungen: 

aas  denen  man  ableitet: 


^=!»-  +  (S)'+0'  +  (S)" 


dx  dy 


dg)!  2 


+  2«'- dl}  «) 

Dies  ist  der  Ausdruck  für  die  Geschwindigkeit  der  durch  die  Schwin- 
gungen der  Schallquelle  geänderten  Bewegung  der  Molecüle. 

Bezeichnet  man  femer  mit  A  den  Cosinus  des  Winkels,  den  die  Be- 
wegongsrichtnng  eines  Molecüles  mit  der  X-Axe  einschliesst,  ehe  die 
Schallquelle  wirkt,  und  init  fft  den  Werth,  den  dieser  Cosinus  annimmt, 
wenn  die  Bewegungen  der  Molecüle  durch  gleichzeitig  stattfindende 
Schwingungen  der  SchallqueUe  geändert  werden,  so  gilt  noch  die  Glei- 
chung: 

^.^  =  „.A+1| 7) 

Um  zu  ermitteln ,  auf  welche  Weise  die  Molecüle  auf  die  verschie- 
denen Bewegungsrichtungen  vertheilt  sind,  denken  wir  uns  eine  Kngel- 
oherfläche  mit  dem  Radius  1  gezogen.  Analog  mit  dem  schon  früher 
Ton  Clausias  eingeschlagenen  Verfahren  würde  dann  die  Anzahl  Mole- 
cüle, die  sich  in  Richtungen  zur  X-Axe  bewegen,  deren  Cosinus  zwischen 

1  und  k'\-  dX  liegt,  von  der  Gesammtzahl  der  Bruch  —  c?A  sein,  so  lange 

die  Schallquelle  nicht  mit  wirkt.  Denken  wir  uns  aber,  dass  der  tönende 
Körper  schwingt  und  seine  Bewegungen  die  der  Molecüle  beeinflussen,  so 
steht  die  Anzahl  Molecüle,  deren  Cosinus  zwischen  /t  und  ^  *f  ^fi*  liegt, 
zur  Gesammtzahl  in  demselben  Verhältnisse,  in  welchem: 

zur  Einheit  steht. 

(Im  diese  Grösse  H  zu  finden,  hat  man  bekanntlich  nur  zu  beachten, 

dass  der  Cosinus  A  durch  die  Hinzufiigung  der  Geschwindigkeit  —  in 

den  Cosinus  fi  übergeht,  so  dass  dieselbe  Anzahl  Molecüle,  deren  Bewe- 
gungsrichtung vorher  zwischen  der  Grenze  X  und  k  -\-  dX  lag,  nunmehr 
zwischen  der  Grenze  ^  und  fi  -|~  ^^  enthalten  ist.     Hieraus  folgt,  dass: 


214  I.  Moleculartheorie  der  Wärme, 

oder: 


-=s " 

ist. 

Nach  der  vorhin  erwähnten  Gleichung  7)  ist  aber: 

A=  ^ 

u 

und  somit: 

ü        u     du 
H=-  +  ^  '^ 9) 

Wir  betrachten  nun  eine  irgendwie  begrenzte  Flächeneinheit,  welche 
in  einer  zur  X-Axe  im  Abstände  x  gezogenen  Normalebene  gelegen  ist 
und  construiren  ausserdem  eine  durch  eine  parallele,  um  dx  von  der  vori- 
gen abstehende  Flächeneinheit  begrenzte  Schicht.  Dann  ist  dx  das 
Volumen  dieser  Schicht  und  N.dx  die  Anzahl  der  in  derselben  enthalte- 
nen Molecüle,  wenn  N  die  Anzahl  Molecüle  bezeichnet,  die  in  eber 
Yolumeneinheit  an  dem  betrachteten  Orte  enthalten  sein  würde.  Voi 
diesen  N  .  dx  Molecülen  bewegen  sich  aber: 

—  '  N  .  H  .  dx .  dfi 

9 

unter  Winkeln  zur  X-Axe,  deren  Cosinus  zwischen  f(  und  fi-}-  dii  liegei. 

Um  zu  ermitteln ,  wie  viele  Molecüle  in  der  Zeiteinheit  durch  die 

zuerst   genannte  Flächeneinheit  hindurchgehen,  muss  man  die  iSeit  ii 

Betracht  ziehen,  welche  jedes  Molecül  braucht,  um  durch  die  Schicht  hin- 

dx 

durch  zu  gehen.     Diese  Zeit  ist =l-   Die  Anzahl  Molecüle,  welche  sid 

**  (i  .  ü 

in  einem  gegebenen  Augenblicke  in  der  Schicht  befinden,  verhält  sich  n 

der,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch  diese  Schicht  hindurchgehen,  wie  die 

vorhin  genannte  kleine  Zeit  zur  Zeiteinheit.     Man  muss  den  Ausdruck 

r-  '  H  .  N  .  dx  .  du  demnach  durch =.  dividiren,  um  die  Anzahl  Mo- 

2  ^  yk  .  U 

lecüle  zu  erhalten,  welche  in  der  fi  Richtung  in  einer  Secunde  durch  die 

gedachte  Flächeneinheit  hindurch  gehen. 

Man  findet  somit  für  die  Gesammtzahl  Molecüle,  welche  in  alleo 

möglichen  Richtungen  durch  die  Schicht  hindurchgehen: 

+  1  +1 

N  .  H  .  dx  .  d(l  ^  ,        xTTTrr  J 

^ —  =  -  .     /      N  .  H  .  ü  .  II .  dfi. 


f*  •  ^ 


—  1 


Nach  den  Gleichungen  7)  und  8)  ist  diese  Anzahl  gleich: 


6.  die  Fortpflanzung  des  Schalles.  215 

—    1 

das8,  wenn  man  die  Gasdichte  im  hetrachteten  Punkte  mit  Q  hezeich- 
tet,  die  Masse  der  Molecüle,  welche  in  einer  Secnnde  durch  diese  Flächen- 
linheit  hindurchgehen,  durch  den  Ausdruck: 

dtp 

Hargestellt  wird. 

I  In  gleicher  Weise  findet  man,  dass  die  Massen  der  Molecüle,  welche 
■D  der  Zeiteinheit  durch  eine  im  Ahstande  y  zur  Y-Axe  normale  Flächen- 
einheit hindurchgehen,  gleich: 

ist 

Für  eine  im  Abstände  xr  normale  Flächeneinheit  beträgt  diese  Masse: 

Wir  constmiren  nun  femer  in  einem  Punkte,  der  durch  die  Coor* 
dinaten  x,  y,  e  bestimmt  ist,  ein  Parallelepiped,  von  dem  drei  in  diesem 
Paukte  zusammenstossende  Kanten  gleich  da?,  dy,  de  sind.  Durch  die 
eine  zur  YZ-Ebene  parallele  Begrenzungsebene  dieses  Parallelepipeds 
greht  demnach  in  der  Zeit  dt  eine  Anzahl  Molecüle,  deren  Masse: 

g  -  ^  ,  dy  ,  dz  .dt 
betragt     Durch  die  zweite  geht: 


('■!!)■ 


p  •  TT^  +  — ^  ^    ^'^^  '  dx\  .  dy  .  de  ,  dt. 

^     dx  ox  ' 

Der  Ueberschuss  der  ersten  Masse  über  die  zweite  ist: 


^-^  '  dx  .  dy  .  de  .  dt. 


dx 

Auf  gleiche  Weise  findet  man  den  Ueberschuss  der  Massen  der  Mo« 
lecüle,  welcher  durch  eine  der  2F-£bene  parallele  Ebene  mehr  hin-* 
durchgeht,  als  durch  die  andere,  gleich: 


(-Ü) 


dx  ,  dy  .  de  .  dt 


de 
Endlich  erhält  man  für  den  Ueberschuss,  der  durch  die  eine  dei| 


216 


L  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Ebenen,   die  der  XZ-Ebene  parallel  sind,  mehr  an  Molecülmassen  bin- 
durchgeht,  als  durch  die  andere: 


HI) 


dx  ,  dy  .  djs  .  dt 


Die  Summe  dieser  drei  Ausdrücke,  diyidirt  durch  das  Volumen  des 
Parallelepipeds,  giebt  die  Dichtenänderung  in  dem  Punkte,  dessen  Coat' 
dinaten  X,  y,  s  sind;  dieser  Quotient  ist  demnach  der  partielle  Differential- 
quotient  der  Dichte  nach  der  Zeit,  so  dass  man  die  Gleichung  aufstellen 
kann 


8e 

dt 


ZU- 


+ 


('■l!),Kvlf)/ 


(-1?) 


dx 


dy 


dz 


=  0    .   10) 


Die  Dichtenänderungen   werden    naturgemäss   nur  sehr  klein  seiiil 
können,  und  demnach  wird  man: 

Q   =  Q,.(l+Y) 11)1 

setzen  können,  wobei  y  die  sehr  kleine  Verdichtung  bezeichnet.    Aberj 

dw 
auoh  die  Werthe  tt^  etc.  werden  sehr  kleine  Grössen  sein ,  so  dass  man 

dx 

ohne  wesentlichen  Fehler  Ausdrücke  von  der  Form  y  -  tt^  u.  b.  f.  wiidl 

»irernachlässigen  können.    Berücksichtigt  man  die?,  so  nimmt  unsere  Glei« 
chung  die  Form  an: 


dy       8«qp       8«y        8«y  _  ^ 


dt 


dx^ 


(^y 


3 


8^» 


1! 


d(p 


Untersuchen  wir  nun  zunächst,  was  die  Ausdrücke  -^  u.  s.  £  b6-| 

ox 

deuten.  Dieselben  rühren  her  von  der  Schallquelle  und  sind  nichts  An- 
deres, als  die  Geschwindigkeiten  der  schwingenden  Theile  des  tonendes  1 
Körpers,  modificirt  durch  den  Umstand,  dass  die  von  der  kleinen  schwin- 
genden Fläche  ausgesendete  lebendige  Kraft  sich  allmählich  über  immer 
grössere  und  grössere  Bäume  ausbreitet.  Diese  Grössen  lAüssen  dem- 
nach goniometrische  Functionen  von  It  —   -  j  sein,  dividirt  durch  irgend 

eine  Potenz  der  Distanz,  so  dass  man  für  (p  z.  B.  eine  Form  ähnlich 
der  folgenden  vermuthen  könnte: 


V=' 


"-{¥•(' -91 


f» 


oder  vielmehr,  da  wir  vorausgesetzt  haben,  dass  die  Schwingungen  von 
einer  kleinen  Körperfläche  ausgehen,  deren  Badius  d  ist,  von  der  Form: 


G.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  217 

«P       =         Ljil_l; L_^ 13) 

Hieraus  folgt,  wenn  l  die  Wellenlänge  bezeichnet: 

und  da  dieser  Ausdruck  für  r  =  ö  die  Geschwindigkeit  V  der  schwin- 
genden Kugelfiäche  gehen  muss,  so  erhält  man: 

^,        1      l2nC      .    27tt       nC  2nt\  ,^. 

K  =  —  •  {-^ •  8in  -7= '  €08  —=-\      ...     15) 

Für  die  auf  der  Oberfläche  vertheilte  lebendige  Kraft  ergiebt  sich 
der  Werth: 

2nm  .  l,-^ ■:;— .  .  stn»  -t;^  +  — :;^  .  cos»  _  -  ^      ^,^_, 


f  4  «a  .  C«        .  _  2  Ä<    ,    n«  , 


.    2  9r<  2ni 

stn  —=-  •  cos 


Will  man  vermeiden,  dass  nach  Ablauf  der  Zeit  —  T  die  kinetische 

4 

Energie  wegen  der  Kleinheit  von  6  auf  der  Oberfläche  unendlich  gross 

werde,  so  muss  man: 

2n  —  2  =  0 
oder: 

n  =  1 
setzen. 

Daraus  folgt: 

r 
vorin  jP  irgend  eine  periodische  Function  ist.     Alsdann  ist: 

8*9        8»9        8»q5         ^y~y  . 

8«»  "^   8y»  "^   8«»  r  .  «;»  •    •    •    •    •       U 

so  dass: 

8y_  J?" 


9)  =  --^ .16) 


oder: 


^,—  , 18) 

dt  r  ,  v^ 


y  =  -l.|? 19) 

^  v^     dt  ' 


^d  somit: 


218  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

ii=-ca+0+s) ^ 

wird. 

Wir  gelangen  somit  auf  dieselben  Fondamentalformeln  1)  und  2) 
(S.  209)  zurück ,  welche  immer  als  Ausgang  für  die  Entwickelong  der 
Theorie  des  Schalles  gedient  haben. 

Die  Function  fp  hat  jedoch  jetzt  eine  etwas  andere  Bedeutongfik 
vorher.  Die  Differentialquotienten  nach  x^  y^  e  sind  jetzt  nicht  mdir 
die  Componenten  der  wirklichen  Geschwindigkeiten  der  Molecüleder 
Luft,  sondern  es  sind  die  Componenten  der  Aeuderungen,  welche  die  wirk- 
lichen Geschwindigkeiten  durch  die  Einwirkung  der  SchallschwingiuigeD 
erleiden. 


3.    Einige  weitere  Consequenzen. 

Aus  den  Ausdrücken,  welche  wir  für  die  Massen  der  Molecüle  erbal- 1 
ten  haben,  die  in  einer  Secunde  durch  eine  einer  GoordinatenebeiM ] 
parallele  Flächeneinheit  hindurchgehen ,  und  aus  der  Natur  der  FQD^j 
tion  9  folgt,  dass,  wenn  man  sich  um  die  Schallquelle  eine  concentriflclie  i 
Kugelfläche  mit  dem  Radius  r  construirt  denkt,  die  Masse  der  MolecöKj 
welche  in  der  Zeiteinheit  durch  die  Flächeneinheit  dieser  Kugelfläche  1ub> 
durchgeht,  durch: 

^       or 

ausgedrückt  werden  kann. 

Daraus  ergiebt  sich  der  Vorgang,  welcher  stattfindet,  ganz  von  selbst 

Während  unter  gewöhnlichen  Umständen  in  jedem  Augenblicke  ebeuM 

viele  Molecül.e  in  positiver  als  in  negativer  Richtung  durch  jede  solcl» 

Flächeneinheit  hindurchgehen ,  ist  dies  nicht  mehr  der  Fall ,  sobald  die 

Schallquelle  tönt.     Alsdann  gehen  durch  jede,  um  diese  Schallquelle  cor 

struirte  Eugelfläche  verschiedene  Molecülmassen ,  deren  Bistrag  von  der 

dw 
periodischen  Function  -^  abhängt. 

In  dieser  etwas  veränderten  Auffassung  wird  man  nach  wie  vor, 
auch  in  der  neuen  Theorie,  von  kugelförmigen  Wellen  und  schwingenda 
Bewegungen  reden  können. 

Die  Verdichtung  ist: 


y  =  -  .-IT- 


1      dq)  1 


v^     dt  v^  .r 

80  dass,  wenn  man  beispielsweise: 

q>=  C  .sin  -^'(t  —  ^ 


^  {'  -  ;)• 


6.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  219 

letst: 

^  =  -VT77t-''''-tV--v) 

wird. 

Daraus  folgt,  dass  an  jedem  Orte  eine  Verdichtung  kurz  darauf  in 
eine  Verdünnung  ühergeht,  und  dass  die  Punkte,  welche  gleichzeitig  den- 
selben Verdichtungszustand  zeigen,  solche  Punkte  sind,  deren  Abstand 
Tom  Centmm  n  ^  v  .  T  beträgt.  Es  besteht  demnach  eine  regelmässige 
Abwechslung  Ton  Verdichtungen,  gerade  so,  wie  man  das  schon  immer 
angenommen  hat. 

Ein  Punkt  bedarf  noch  der  Erläuterung.  Wir  haben  angedeutet, 
dass  dadurch,  dass  die  Stösse  eine  gewisse  Zeit  in  Anspruch  nehmen,  die 
Holecalargeschwindigkeit  u  bei  der  Fortpflanzung  des  Schalles  durch  die 
Geschwindigkeit  r,  die  kleiner  als  u  ist,  zu  ersetzen  sei.  Wir  müssen 
ans  auch  no<^  davon  überzeugen,  ob  diese  Annahme,  dass  jeder  Stoss 
eine  gewisse  Dauer  besitze,  nicht  zu  Widersprüchen  führen  könne. 

Ist  €  der  von  einem  Molecüle  durchschnittlich  zwischen  zwei  StÖssen 
darcblaufene  Weg,  so  ist  die  mittlere  Anzahl  von  Stössen,  welche  ein 

u 

Holecül  in  der  Zeiteinheit  erfahrt,  gleich  —  *     Dauert  nun  jeder  einzelne 

Sioas  die  sehr  kleine  Zeit  t,  so  wird  in  jeder  Secunde  durch  die  Stösse 

die  Zeit  —  •  r  in  Anspruch  genommen.     Von  diesem  Zeitverluste  aber 

röhrt  der  Unterschied  zwischen  u  und  v  her;  demnach  erhält  man  für 
|ede  Distanz  r  die  Gleichung: 


'-  +  '- 

u        u 

u  .  t       r 

e          V 

U  —  V 

oder: 

«/  —  «1 

21) 
u  ,  V 

Setzt  man  nun  selbst  die  grösste  für  0^  C.  berechnete  Zahl  für  u  ein, 
nämlich  nach  Clausius: 

u  =  485  m 
und  femer : 

V  =  332  m, 

a  =  0,00000007  m, 
10  ergiebt  sich: 

r  =  7 .  10         Secunden. 
Die  durchschnittlich  zwischen  zwei  Zusammenstössen  liegende  Zeit  d" 

^  =  4=  ^  '}^^      =  160  .  10"  "  Secunden. 
Hiervon  würde  r  beinahe  —  sein,  was  nicht  sehr  wahrscheinlich  ist. 


220  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 


4.    Die  Bereolmung  der  Intensität 

Vorstehende  Betrachtaiigen  sind  fOr  unseren  Zweck  infiofem  eigoit* 
lieh  vollständig  ausreichend,  als  sie  zu  den  bekannten  Formeln  zurück- 
geführt haben ,  auf  welchen  von  Airy,  Helmholtz  und  Anderen  die 
mathematische  Theorie  des  SchaUes  aufgebaut  worden  ist.  Einige  Punkte 
•bedürfen  jedoch  ebenfalls  noch  einer  etwas  eingehenderen  Untersuchuig» 

Zunächst  betrifft  dies  die  Druckänderungen,  welche  auf  dem  Ttcrd- 
melfelle  durch  die  Schwingungen  der  Schallquelle  hervorgerufen  werdet. 

Um  die  Anzahl  Molecüle  zu  finden ,  welche  in  der  Zeit  dt  auf  du 
Trommelfell  treffen,  betrachten  wir  zunächst  wieder  diejenigen,  dem 
Bewegungsrichtungen  mit  der  Normalen  auf  die  Membran  Winkel  eor 
schliessen,  deren  Cosinus  zwischen  A  und  k  -}-  dA,  liegen.  Die  aof  das 
Trommelfell  normale  Geschwindigkeitscomponente  ist  u  .  A.  Znnädttt 
stellen  wir  uns  einmal  vor,  die  Molecüle  ständen  ruhig,  und  das  Trommel- 
fell bewege  sich  in  einer  der  Bewegungsrichtung  der  Molecüle  entgegen* 
gesetzten  Richtung  mit  derselben  Geschwindigkeit  u  .  A.  Dann  durdh 
liefe  die  Membran  in  der  Zeit  dt  den  Weg  u  .  l  .  dt  Wäre  N  die  An- 
zahl der  in  der  Volumeneinheit  enthaltenen  Molecüle ,  so  wäre  die  ZaU 
der  in  der  Zeit  d t  vom  Trommelfelle  getroffenen  Molecüle  gleich  N.u,lAl 
Der  Stoss  jedes  A  Molecüles  übt  einen  Druck  muk  aus;  der  Druck  p. (21» 
den  sämmtliche  A  Molecüle  in  der  Zeit  dt  ausüben,  ist  demnach: 

p  .dt  =  N  .m  .u^  ,X^  *  dt 

Die  Zahl  n  sämmtlicher  A-Molecüle,  d.  h.  der  Molecüle,  deren  Cosiniii 
zwischen  A  und  k -\- dk  liegt,  verhält  sich  bekanntlich  zur  GesammtzahlÜJ^ 

wie  -T  dk  :  \,     Demnach  erhält  man  für  den  Gesammtdruck,  der  dmti| 

i 

den  Stoss  aller  Molecüle,  die  in  beliebiger  Richtung  in  der  ZeiteinbeÜj 
auf  das  Trommelfell  auftreffen,  ausgeübt  wird,  die  Formel: 

2         J  6 

0 

Ist  jedoch  gleichzeitig  ein  tönender  Körper  vorhanden,  so  geht: 
u  in  U,  k  in  ft,  dX  in  H  .  d(A  und  P  in  JP' 
über  und  es  wird: 


P  = 


'  jlP  .  [i^  ,  H .  d(i. 


2 

0 

Setzt  man  femer  für  Unnd  ^  ihre  Werthe  aus  Gl.  7)  und  Gl.  8)  ein: 

öx 


G.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  221 

und: 

m  ergiebt  eich: 


P  =  N  .m- 


lr'  +  -lF  +  Q'l -> 


Demnach  ist  die  Druckänderung  ^,  welche  durch  die  Schallschwin- 
gnngen  hervorgebracht  wird,  wenn  man  berücksichtigt,  dass: 

N .  m  z=  Q 

ilt,  gleich: 

Da  man  seiner  Kleinheit  wegen  im  Allgemeinen  den  Werth  ( -^  1 
remachlassigen  können  wird,  so  ist  angenähert: 

^/  =  n  .  w  .  I? 25) 

or 

Um  einen  allgemeinen  Ausdruck  für  die  Intensität  zu  erhalten,  be- 
gtimmen  wir,  ähnlich,  wie  dies  schon  von  Grinwis^)  geschehen  ist,  die- 
wlbe  nach  der  Formel: 

t  +  T 


J=\'f^  .dt 


und: 


i 
Hierin  führt  man  für  z/  seinen  Werth  ein,  nämlich: 

Beachtet  man,  dass: 

p  =  ^0  +  Po .  y 
—  _  1    ^ 


it,  80  ergiebt  sich  zunächst: 

z/=Po-j«-gf  +  (g|)    --.^-^^    ...    26) 

Nimmt  man  nun,  wie  dies  schon  vorher  einmal  geschehen  ist,  für  fp 
len  speciellen  Werth  an: 


9  = 


c.«»jV(.-Di 


^)  Grinwis,  Sur  la  propap^tion  libre  du  son;  Archives  n^erlandaise».     Bd.  10. 


222  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

so  ist  im  Besonderen: 

dw  2nC  {2n     /         r\\        C      .    f2«     /        r\] 

8?  =  -rT7-^^Mi^'v''i;))""^'^Mi^'V"^)l 


und: 


dw        2itC  \2n     /        r\\ 


Hieraus  folgt  nach  zahlreichen  zum  Theil  umständlichen  Ausredh 
nungen,  auf  die  wir  nicht  weiter  eingehen  wollen: 

Nach  dieser  Formel  hängt  die  Intensität  des  SchaUes  von  der  Wd- 
lenlänge  {=&.  Tab  und  nimmt  rascher  ab,  als  der  reciproke  Werth  da 
Quadrates  der  Entfernung,  da  auch  noch  das  Glied: 

2r* 
vorkommt. 

Hoorweg  hat  auch  den  Einfluss  untersucht,  den  die  Wirkung  der 
Schwere  auf  die  Fortpflanzung  des  Schalles  ausübt,  wenn  der  Gosm« 
des  Winkels,  den  die  Fortpflanzungsrichtung  des  SchaUes  mit  der  YeHk 
calen  einschliesst,  x  ist.  Er  findet,  wir  wollen  hierauf  nur  beiläufig  to^ 
weisen^),  in  diesem  Falle: 

Po  .  C« 


r  =  J  Ar 


n 1_^| 

P  —  2r»j 


wenn: 

4  3r2C»    .     C« 


X 


die  Intensität  in  dem  Falle  bezeichnet,  dass  man  auf  den  Einfluss 
Schwere  auf  die  Bewegungen  der  Molecüle  des  Gasee  keine  Ru 
nimmt. 

Man  erkennt  leicht,  auch  wenn  man  auf  die  Details  dieser  Foi 
nicht  näher  eingeht,  dass  in  diesem  Ausdrucke  der  Thatsache  Becfani 
getragen  ist,  dass  sich  der  Schall  mit  grösserer  Intensität  von  unten 
oben  als  in  entgegengesetzter  Richtung  fortpflanzt. 

Auch  die  Fortpflanzung  des  Schalles  lässt  sich  demnach  in  einer 
den  Thatsachen  vollständig  entsprechenden  Weise  aus  den  Grundlagen  dff 
dynamischen  Gastheorie  erklären,  und  auch  der  letzte  Einwurf  gegen  die« 
Theorie  ist  somit  erledigt. 


^)  Man  sehe  Archives  n^erlandaises.     Bd.  XI,  S.   169  bis  177. 


G.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  223 


4.    Sohlussbemerktingeii. 

£iQ  nicht  unerhebliches  Bedenken  gegen  den  physikalischen  Aus- 
gang der  Hoorweg' sehen  Theorie  der  Verbreitung  des  Schalles  in  gas- 
förmigen Medien  scheint  darin  begründet  zu  sein,  dass  nach  derselben 
eine  Abhängigkeit  der  Grosse  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  Sl  von 
der  Gasdichte  stattfinden  müsste,  welche  doch  thatsachlich  nicht  vor- 
banden ist. 

Erfahrungsgemäss  ist: 

a  =  c  .V, 

wenn  v  die  mittlere  Translationsgeschwindigkeit  des  Molecüles  des  Gases 
bedeutet,  und  C  eine  für  alle  Gase  nahezu  gleiche  Constante  ist. 
Es  ist  nämlich  bekanntlich  (Bd.  1,  B,  12,  S.  279): 

mid  (nach  Bd.  2,  C,  12,  S.  79,  Gl.  49): 


•=VH 


und  demnach:  

\  Sl  =  v.y^x 29) 

Hieraus  folgt,  dass  fCbr  Luft,  Sauersto£F,  Stickstoff  etc.,  für  welche 
nach  Röntgen: 

.  *  =  7  =  1.405, 

r  C„ 

Ä  =  0,743  .  V 
ist 

Die  Hoorweg'sche  Theorie  stützt  sich  bekanntlich  darauf,  dass  zu 
jedem  Stosse  eine  gewisse,  wenn  auch  sehr  kleine  Zeit  t  nöthig  sei  Es 
ist  nim  an  sich  nicht  wahrscheinlich ,  dass  diese  Zeit  t  in  irgend  einer 
Weise  yon  der  Anzahl  N  der  Molecüle  abhängig  sei,  welche  in  der  Vo- 
lomeneinheit  vorhanden  sind.  Bei  grosserer  Gasdichte  geschieht  aber 
die  Uebertragung  des  Geschwindigkeitsüberschusses ,  welcher  von  der 
schwingenden  Fläche  den  Gasmolecülen  ertheilt  wird,  durch  den  Zusam- 
menstoss  einer  grosseren  Anzahl  von  Molecülen,  als  wenn  die  Gasdichte 
geringer  ist.  Hiemach  müsste  auch,  da  die  Anzahl  der  Zusammenstösse 
wächst,  die  zur  Uebertragung  nöthige  Zeit  zunehmen,  was  den  thatsäch- 
liehen  Verhaltnissen  nicht  entspricht. 

Mit  Ausnahme  der  Formel  21)  wird  übrigens  der  mathematische 
Theil  der  Hoorweg'schen  Entwickelungen  durch  diesen  Umstand  gar 


i 


224  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

nicht  berührt,  da  diese  Theorie  nur  erklärt,  dass  anch  in  der  kinetisclia 
Grastheorie  Schallwellen,  in  dem  Sinne  von  periodisch  sich  folgenden  Y«^ 
dichtungen  und  Verdünnungen,  möglich  sind,  und  dass  man  zu  diesem 
Zwecke  nicht  genöthigt  ist,  den  so  vagen  Begriff  der  Elasticität  des  Gasei 
9U  Hülfe  zu  nehmen. 

Für  den  Mechanismus  der  Verbreitung  des  Schalles  giebt  ToWer 
Preston^)  eine  viel  anschaulichere  Vorstellung,  deren  mathematische 
Consequenzen  von  Maxwell  gezogen  und  im  Wesentlichen  mit  der  & 
fahrung  übereinstimmend  gefunden  worden  sind. 

Denken  wir  uns  eine  in  einem  Gase  befindliche  Ebene  in  Sdull- 
schwingungen  begriffen  und  betrachten  die  Verbreitung  des  Schalles  in 
der  zur  Ebene  normalen  Richtung,  so  wird  dies  zur  Feststellung  der 
mechanischen  Vorgänge,  auf  denen  die  Fortpflanzung  der  SchallwelleB 
beruht,  genügen. 

Bei  der  Schwingungsbewegung  der  Ebene  aus  der  Ruhelage  in  d« 
Gas  hinein,  ertheilt  die  Ebene  den  an  dieselbe  anstossenden  Gasmolecälei 
grössere  zur  Ebene  normale  Geschwindigkeitscomponenten,  als  dieselbe 
vor  dem  Stosse  besass.  Diese  Molecüle  bewegen  sich  also  bis  zu  ifaren 
nächsten  Zusammenstosse  mit  anderen  Gasmolecülen  mit  durchschnittM 
grösserer  Geschwindigkeit  von  der  Ebene  weg  und  kehren  im  Allgemein 
neu  nach  dem  Stosse  mit  normaler  mittlerer  Geschwindigkeit  zurück 
Die  nach  der  Wand  sich  hinbewegenden  Molecüle  treffen  ausserdem  die> 
selbe  nach  einem  kürzeren  Wege,  weil  letztere  sich  ihnen  entgegenbewegl 
hat.  Dadurch  entsteht  eine  Verdichtung,  welche  sich  in  den  Gasmolecälei> 
fortbewegt,'  da  für  immer  weiter  von  der  Wand  entfernte  Schichten  die 
mittlere  Weglänge  in  der  Bewegungsrichtung  von  der  Wand  weg  grosser 
ist,  als  in  entgegengesetztem  Sinne. 

In  dem  darauf  folgenden  Zeitabschnitte,  welcher  gleich  der  HilAi 
der  Schwingungsdauer  der  schwingenden  Platte  ist,  muss  im  GegentheO 
die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  der  der  Wand  zunächst  befindliches 
Schichten  nach  der  Wand  hin  grösser  sein,  als  in  entgegengesetzter 
Richtung,  und  es  muss  eine  Verdünnung  erfolgen,  welche  sich  nun  eben- 
falls von  Schicht  zu  Schicht  durch  das  Gas  verbreitet,  da  jede  Schicht, 
um  einen  rohen  Vergleich  zu  gebrauchen ,  sich  gegen  die  Molecüle  der 
weiter  von  der  Wand  abstehenden  Schichten  ähnlich  verhält,  wie  die 
Wand  selbst  gegen  die  benachbarten  Schichten. 

Maxwell  hat,  wie  in  einer  der  oben  citirten  Abhandlung  beigefilgfen 
Anmerkung  mitgetheilt  wird,  diesen  Gedanken  mathematisch  weiter  Te^ 
folgt  und  findet,  dass  für  einatomige  Molecüle: 

£i.  =  y^'V 30) 


^)  Toi V er  Preston,  Mode  of  the  propagation  of  soünd  and  the  physical  conditio! 
deteraiining  its  velocity  on  the  basis  of  the  kinetic  theory  of  gases.  Phil.  Mag.  5.  Serie. 
Bd.  3,  S.  441   bis  453  (1877). 


G.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles.  225 

d.  h.: 

Ä='0,74.tr 
Bein  müsse. 

Nach  den  Versachen  von  Enndt  nnd  Warburg^)  über  die  Fort- 
pflanznngsgeschwindigkeit  des  Schalles  in  dem  einatomigen  Quecksilber- 
gase  ist  aber  för  diese  Substanz  x  =  1,67,  und  hiernach  findet  man 
nach  Gl.  29): 

ß  =  0,81  .  t7, 

80  dass  nur  eine  angenäherte  Uebereinstimmupg  constatirt  werden  kann. 

Die  Yerdichtungen  und  Verdünnungen  würden  sich  in  einem  Gase 
mit  derselben  Geschwindigkeit  fortpflanzen,  mit  der  im  Mittel  die  fort- 
schreitende Bewegung  der  Molecüle  erfolgt,  wenn  sich  sSmmtliche  Mole- 
cüle  genau  in  der  Richtung  bewegten,  in  der  die  Wellenbewegung  im 
Gase  sich  fortpflanzt.  Da  sich  die  Molecüle  aber  nach  allen  möglichen 
Richtungen  hinbewegen,  so  kommt  im  Allgemeinen  nur  eine  nach  der 
Fortpflanzungsrichtung  des  Schalles  genommene  mittlere  Componente  der 
Molecularbewegung  zur  Geltung,  und  daher  muss  nothwendiger  Weise 
die  Schallgeschwindigkeit  geringer  sein ,  als  die  mittlere  Molecular- 
geschwindigkeit.  An  einer  zuverlässigen  theoretischen  Ableitung  der 
zwischen  beiden  bestehenden  Beziehung  aus  den  Grundlagen  der  kineti- 
schen Gastheorie  fehlt  es  jedoch  bis  jetzt  ^). 

Immerhin  zeigen  sämmtliche  vorstehenden  Betrachtungen,  dass  die 
Einwürfe,  welche  von  verschiedenen  Seiten  gegen  die  dynamische  Gas- 
theorie erhoben  worden  sind,  unberechtigt  waren,  und  dass  man  schon 
jetst  imstande  ist,  nahezu  alle  auf  Gase  bezügliche  Erfahrungsthatsachen 
ans  dieser  Theorie  in  befriedigender  Weise  zu  erklären. 

Wenn  es  bisher  nicht  überall  gelungen  ist,  eine  absolute  Ueberein- 
stimmung  zwischen  Theorie  und  Erfahrung  herzustellen  (Temperatur- 
gesetze, Wärmeleitung),  so  liegt  dies  vorzugsweise  daran,  dass  wir  noch 
nicht  im  Stande  gewesen  sind,  eine  ganz  beledigende  Annahme  über 
die  Wirkung  aufzustellen,  welche  zwei  einander  sehr  nahe  gebrachte  Mo- 
lecüle auf  einander  ausüben,  und  dass  es  noch  nicht  gelungen  ist,  auf 
Rechnungswege  auch  die  intramolecularen  Bewegungen  in  genügender 
Weise  zu  berücksichtigen. 

Dass  wir  auf  äussere  Kräfte,  die  auf  die  Gase  wirken,  bisher  gar 
keine  Rücksicht  genommen  haben,  rechtfertigt  sich  wohl  dadurch,  dass 
man  sich  anfangs  überhaupt  mit  dem  Einfachen  begnügen  muss;  ausser- 
dem aber  steht  zu  erwarten,  dass  die  Berücksichtigung  solcher  äusseren 
Kräfte  keine  wesentlichen  Aenderungen  in  unseren  Schlussfolgerungen 
herbeiführen   wird.     Boltzmann  hat  in  einer  werthvollen  Abhandlung, 


^)  Poss-  ^^'  Bd«  1^7,  S.  368. 


^)  Die  beiden  Abhandlangen  von:  Brussoti,  Riflessi  salla  transmissione  dei  suoni 
e  soft  correlaxione  colla  velociti  molecolari  dei  corpi.  Ann.  scientif.  del  R.  Ist.  Teenico 
<ti  Paria  1874/^5,  S.  171,  und  Ton  Roiti,  La  velociti  teorica  del  suono  e  la  velocitA 
molecolare  d^  gas.    Nnovo  cimento,  2.  Serie,  Bd.  16,  sind  mir  nicht  zngünglich  gewesen. 

Verdet-Bühlmannf  Mechao.  Wftrmeiheorie.    Bd.  3.  ]^5 


226  I.  Molecidartheorie  der  Wärme. 

betitelt:  „lieber  das  Wärmegleicbgewicht  von  Gasen,  auf  welcbe  äussere 
Kräfte  wirken"  ^),  gezeigt,  daes  dnrcb  die  Einwirkung  äasserer  Kräfte, 
z.  B.  der  Schwere,  weder  die  Wahrscheinlichkeit  der  yerschiedenen  Bicb- 
tangen  noch  der  yerschiedenen  Grössen  der  Geschwindigkeiten,  sondern 
lediglich  die  Dichtigkeit  in  den  yerschiedenen  Yolqmenelementen  be^n- 
flusst  wird.  Wir  müssen  nns  an  dieser  Stelle  damit  begnügen,  auf  diese 
interessante  Abhandlang  aufmerksam  gemacht  zu  haben. 


H.    Ueber  die  Natur  der  Molecüle. 


1.    Quersohnitte  der  Molecüle. 

Die  früher  (Bd.  2,  I,  C,  11,  Gl.  45,  S.  77)  für  die  mittlere  WegUnge 
eines  Molecüles  gefundene  Formel: 

1  A3 

W^^^* *' 

gestattet  uns ,  eine  wichtige  Dimension  der  Molecüle  zu  berechnen,  iiäm- 
lich  deren  Querschnitt  und  damit  zum  ersten  Male  eine  Grösse  zu  fioden, 
welche  über  die  absoluten  Maassyerhältnisse  dieser  kleinsten  Bestand* 
theile  der  Gase  Aufklärung  giebt. 

In  dieser  Formel  bezeichnet  k  die  mittlere  Weglänge,  d  den  mifi' 
leren  Abstand  zweier  Molecüle,  Q  den  Radius  der  Wirkungssphäre.  Mid' 
tiplicirl  man  auf  der  rechten  Seite  in  der  Gleichung  1)  Zähler  und  Nen- 
ner mit  N,  der  Anzahl  der  in  der  Yolumeneinheit  enthaltenen  Molecüüt,- 
und  beachtet,  dass: 

sein  muss,  so  findet  man: 

Da  nun  aber  der  Radius  der  Wirkungssphäre  der  nächste  Abstsni 
der  Schwerpunkte  zweier  Molecüle  bei  ihrem  Zusammenstosse  ist,  s» 
wird,  wenn  man  die  Molecüle  als  Kugeln  ansieht,  welche  sich  beim  Stossl 
mit  ihren  Oberflächen  berühren ,  der  Radius  eines  Molecüles  die  Hälftig 
yom  Radius  der  Wirkungssphäre  sein  müssen. 

Allerdings  wird  man  im  Allgemeinen  nicht  berechtigt  sein,  die  Mo- 
lecüle als  Kugeln  anzusehen,  und  streng, genommen  würde  es  nur  daim 
zulässig  sein,  den  Radius  eines  Molecüles  gleich  der  Hälfte  des  EAdios 


^)  Separaiabdruck  aus  dem  72.  Bande  der  Sttsungsber.  der  Wiener  Akad.  U.  Ai^ 
(October  1875),  20  Seiten. 


H.  üeber  die  Natur  der  Molecüle. 


227 


der  Wirkungssphäre  zu  setzen;  aber  immerhin  wird  man  sehr  nahe  ver- 
gleiehbare  Zahlen  erhalten,  wenn  man  von  einer  derartigen    Annahme 

aasgeht)  weil  man  selbst  bei  nicht  sphärischer  Gestalt  —  als  den  mittle- 

ren  Badins  ansehen  kann. 

Die  Grösse  —  ^  .  ;r  .  9'  repräsentirt   die  Summe  der  Querschnitte 

Bämmtlicher  in  der  Yolumeneinheit  enthaltenen  Molecüle. 

Nachstehende  Tabelle  enthält  fElr  einige  Gase  diese  Grösse  in  Qua- 
drstcentimetem ,  bezogen  auf  die  im  Cnbikcentimeter  enthaltenen  Gas- 
molecüle. 


- 

Chemiscbe 
■  Fonnel 

Dichte 
d  .  773,3 

Molecnlarge-» 

scbwindigkeit  0 
bei  0®  in  met. 

Reibongs- 

coefficient 

bei  Oo 

Mittlere   Weg- 
länge V)  bei 
1  Atmospb. 
in  cm 

Summe  der 

Molecular- 

qoerscbnitte 

in  qcm 

flKTStoff    .     .     . 

Ha 

0,0693 

1698 

0,000094 

0,0000194 

9100 

Nntoff .   .    .    . 

0» 

1,106 

425 

0,000202 

0,0000104 

16900 

1 

— 

1,000 

447 

0,000182 

0,0000099 

— 

ibtoff  .   .    .    . 

Na 

0,971 

453 

0,000178 

0,0000098 

18000 

iiiiozyd  .    .    . 

CO 

0,968 

454 

0,000176 

0,0000097 

18200 

ivzyd  •   .    •    . 

NO 

1,039 

438 

0,000177 

0,0000094 

18800 

^fpA  .     .     .     , 

CH4 

0,555 

600 

0,000112 

0,0000082 

21600 

Boolak     .    .    . 

H3N 

0,597 

579 

0,000103 

0,0000072 

24600 

«wusentoff    . 

HCl 

1,247 

400 

0,000149 

0,0000073 

1 

24200 

ifinsftore  .   •    • 

COa 

1,529 

361 

0,000150 

0,0000066 

26700 

ioxydul  .    .    . 

NaO 

1,520 

362 

0,000149 

0,0000066 

26800 

acrdampf    .    . 

HaO 

0,623 

566 

0,000097 

0,0000067 

26400 

irefelvassentoi 

r        HjS 

1,191 

409 

0,000124 

0,0000062 

28500 

Ivlen  .   .   .    . 

C2H4 

0,975 

453 

0,000102 

0,0000056 

31600 

«effige  SXare  . 

SO9 

2,247 

298 

0,000132 

0,0000048 

36700 

ir 

Cla 

2,450 

286 

0,000139 

0,0000048 

36700 

«nnethjl .   . 

CHga 

1,763 

337 

0,000110 

0,0000045 

39300 

% 

Ca  Na 

1,806 

833 

0,000102 

0,0000041 

43100 

nithyl     .   . 

.      CaHßCl 

2,219 

300 

0,000098 

0,0000036 

49100 

^)  Hierbei  ist  die  mittlere  Weglänge  X  nicht  nach  S.  85,  sondern  nach  der  strengeren  Formel : 


A  = 


1?  .  n 


gerechnet.     Daher  rührt  der   Unterschied   zwischen  diesen   und  den  auf  S.  136  mitgc- 
tkdlten  Werthen. 

15* 


228  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Da  wir  wissen  (man  sehe  Bd.  2,  C,  6,  S.  56),  dass  die  Dimensionen 
der  Molecüle  im  Vergleich  zur  mittleren  Weglänge  ansserordentlich  kleine 
Grössen  sind,  so  können  wir  aus  der  yerhältnissmässig  grossen  Fläche, 
welche  die  Summe  der  Querschnitte  der  in  einem  Cubikcentimeter  ent- 
haltenen Molecüle  einnimmt,  auf  die  über  alle  Begriffe  grosse  Anzahl 
von  Molecülen  schliessen,  welche  in  dem  Räume  eines  tausendstel  Liter 
enthalten  sein  müssen. 

Der  Vergleich  der  vorigen  nach  ihrer  Grösse  geordneten  Summen 
der  Molecularquerschnitte  zeigt  gewisse  auffallige  Beziehungen,  auf  die 
wir  aufmerksam  machen  wollen,  ohne  denselben  jedoch  erhebliches  Ge- 
wicht beizulegen. 

Zur  Beurtheilung  der  Zuverlässigkeit  der  gefundenen  Ziffern  mag 
auf  die  Zusammenstellung  der  von  verschiedenen  Beobachtern  für  die 
Beibungscoefficienten  gefundenen  Werthe  (Bd.  2,  S.  126  u.  S.  127]  hin- 
gewiesen werden.  Die  von  den  besten  Beobachtern  für  Lufb  gegebenes 
Werthe  schwanken  zwischen  188.  10"^  (Maxwell)  und  167  .  10"*;  <ii^  ! 
selben  differiren  also  um  ungefähr  11  Proo.  ihres  Werthes;  die  durch 
Transspirationsversuche  gefundenen  Verhältnisse  der  Reibung^constanten 
zeigen  (zwischen  Graham  und  v.  Obermayer)  Abweichungen  bis  zn 
6  Proc,  so  dass,  von  den  möglichen  Fehlern  in  der  Dichtenbestimmimg 
ganz  abgesehen,  wohl  Unsicherheiten  bis  zu  16  Proc.  oder  Ve  des  Be- 
trages der  Zahlen  möglich  sind  und  im  Durchschnitt  ungefähr  8  Proc. , 
betragen  mögen. 

Nach  dem  Avogadro'schen  Gesetze  enthalten  gleiche  Volumina  ?e^ 
schiedener  Gase  bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Temperatur  gleich  vid 
Molecüle.  Für  verschiedene  Gase  ist  demnach  die  Zahl  jY  dieselbe  and 
die  Verhältnisse  der  Querschnittssummen  sind  daher  ohne  Weiteres  die 
Verhältnisse  der  Querschnitte  der  Molecüle  selbst. 

Mit  Rücksicht  hierauf  wird  man  die  für  Sauerstoff,  Stickstoff,  Kohlen- 
oxyd  und  Stickoxyd,  also  die  für  zweiatomige  Molecüle  mit  Ausnahme 
des  Chlors,  Wasserstoffs  und  Chlorwasserstoffs  gefundenen  Zahlen  alt 
unter  sich  gleich  und  die  für  Wasserstoff  gefundene  Querschnittssumme 
für  halb  und  die  für  Chlor  gefundene  als  doppelt  so  gross,  als  die  eni* 
genannten,  anzusehen  berechtigt  sein. 

Die  dreiatomigen  Molecüle  der  Kohlensäure ,  des  Stickoxydais ,  dei 
Wasserdampfes  und  des  Schwefelwasserstoffs  besitzen  wiederum  unter  ein- 
ander  merklich  gleiche  Molecularquerschnitte  und  die  Querschnitte  derselben 
verhalten  sich  zu  denjenigen  der  Mehrzahl  der  zweiatomigen  Crase  wie 
3  :  2.  Eine  Ausnahme  hiervon  macht  jedoch  die  schweflige  Säure,  deren 
Molecularquerschnitt  gleich  dem  des  Chlors  ist. 

In  dieser  Beziehung,  welche  zwischen  den  Molecularquerschnitten 
der  meisten  dreiatomigen  und  der  meisten  zweiatomigen  Gase  stattfindest, 
kann  man  vielleicht  eine  Andeutung  dafür  erblicken,  dass  in  diesen  Mole- 
cülen die  Atome  einfach  neben  einander  liegen,  wie  zwei,  respective  drei 
sich  berührende  Engel d. 


H.  Ueber  die  Natur  der  Molecüle. 


229 


Eine  besondere  Stellung  nehmen  Ammoniak  und  Chlorwasserstoff 
ein,  ihnen  schliesst  sich  vielleicht  Sumpfgas  an,  denn  das  Mittel  dieser 
drei  Zahlen  verhalt  sich  zum  Molecularquerschnitt  der  zweiatomigen  Mole- 
cüle ungefähr  wie  4  :  3. 

Ebenso  ist  man  versucht,  die  Molecularquerschnitte  des  Aethylen, 
der  schwefligen  Säure,  des  Chlors  und  des  Chlormethyls  wiederum  als 
gleich  anzunehmen  und  für  das  Doppelte  von  denen  der  zweiatomigen 
Molecüle  •  anzusehen. 

Cyan  scheint  eine  ganz  isolirte  Stellung  einzunehmen,  während  man 
den  überaus  grossen  Molecularquerschnitt  des  sechsatomigen  Chloräthyls 
iür  das  angenähert  Sechsfache  vom  Molecularquerschnitte  des  Wasserstoffs 
zu  halten  versucht  wird. 

Der  Uebersicht  wegen  stellen  wir  die  aus  den  mittleren  Weglängen 
gefundenen  Molecularquerschnitte  zusammen  mit  den  Zahlen,  die  sich  als 
Mnltipla  des  Molecularquerschnittes  des  Wasserstoffs  ergeben: 


Wasserstoff 

H2       9100 

statt 

9000 

=  1   X 

9000 

/Sauerstoff 

Oa      16900 

n 

180001 

zweiatomig 

Stickstoff 

Kohlettoxyd 

Stickoxyd 

Nj     18000 
CO    18200 
NO    18700 

n 
n 
n 

18000 
18000 
18000i 

=  2  X 

9000 

Sumpfgas  (?) 
Ammoniak 

CH4  21600 
H3N  24600 

n 

24000 
24000 

=  5X 

9000 

Chlorwasserstoff 

HCl  24200 

n 

24000 

0 

3 

Kohlensäure 

CO«  26700 

n 

27000 

dreiatomig 

Stickoxydul                NaO  26800 
Wasserdampf            H^O  26400 
Schwefelwasserstoff  H2  S   28600 

n 
n 
n 

27000 
27000 
27OO0J 

=  3  X 

9000 

Einen  anderen  Weg  zur  physikalischen  Interpretation  der  gefundenen 
Zahlen  hat  0.  £.  Meyer  ^)  eingeschlagen.  Er  berechnet  nämlich  aus 
den  Querschnitten  der  Molecüle  die  der  Atome  und  verwendet  die  so  ge- 
fundenen Zahlen,  um  daraus  die  Molecularquerschnitte  einiger  Yerbin- 
dangen  zu  berechnen.  Biese  Rechnung  würde  nach  den  von  uns  ge- 
fundenen Zahlen  folgende  Resultate  ergeben: 

9100  findet  man  den  Atomquerschn.  d.  H  =    4550 


Aas  d.  Molecularquerschn.  v. 


H,= 


1U 


a. 


a. 


9    n 


„     Oa=  16900 
„     Na  =  18000 
»    Cla  =  36700 
„  „    CO  =  18200| 

g  Atomquerschnitte     „       0  =    8450) 
„  Molecularquerschn.  „  Hg  S  =  28600 1 
„  Atomquerschnittte  „    2H=    9100J 
jj  Molecularquerschn.  „80^=:  36700 
„  „     0^=16900 


n 
n 


n 

n 


n 
n 
n 


n 

n 


n 


0=  8450 
N=  9000 
Cl  =  18350 

C=    9750 
S  =  19500 


8  =  19800 


Auch  hier  fällt  es  auf,  dass  die. Atomquerschnitte  der  drei  Gruppen: 
Wasserstoff  einerseits,  Sauerstoff,  Stickstoff,  Kohlenstoff  andererseits  und 
endlich  Chlor  und  Schwefel  sehr  nahe  zu  einander  im  Yerhältuiss  von 
1:2:4  stehen.     Es  geht  dies  ans  den  vorher  von  uns  angeführten  Be- 


*)  0.  E.  Meyer,  Kinetische  Theorie  der  Gase.     Breslau  1877,  S.  209. 


230 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


Ziehungen    zwischen    den    Molecalarquersohnitten    übrigens   yon   sellwt 
hervor. 

Aas  den  Atomquerschnitien  kann  man  durch  einfache  Addition  die 
Molecularquerschnitte  der  Verbindungen  berechnen  und  mit  den  direct 
gefundenen  vergleichen.     Auf  diese  Weise  erh&lt  man: 


Molecularquerschnitt 

Substanz 

direct 

aus  d.  Atom- 

gefunden 

quencbn.   her. 

NO 

18700 

17450 

CH4 

21600 

27950 

HCl 

24300 

22900 

COa 

26700 

26650 

NaO 

26800 

26450 

NH3 

24600 

22650 

H2O 

26400 

17550 

CH3CI 

39300 

41750 

C2H4 

31600 

37700 

Ca  Na 

43100 

37500 

CaHßCl 

49100 

60600 

Man  erkennt,  dass  bei  den  drei-  und  zweiatomigen  Molecfilen,  wie 
nach  dem  früher  Erwähnten  zu  erwarten  war,  im  Allgemeinen  eine  leid- 
liche Uebereinstimmung  stattfindet  (ausgenommen  Wasser),  dass  jedod 
bei  den  Uebrigen  kaum  von  einem  Einklänge  beider  Zahlenreihen  di« 
Rede  sein  kann. 

Wir  wollen  übrigens  nicht  versäumen,  darauf  aufmerksam  zu  macheDf 
dass  man  aus  der  Thatsache ,  dass  die  Molecularquerschnitte  der  zwei- 
atomigen Molecüle  sich  zu  denen  der  dreiatomigen  Molecüle  wie  2 : 3  t^ 
halten,  schliessen  muss,  dass  sich  die  Molecüle  bei  ihren  translatoriscbeD 
Bewegungen  vorzugsweise  in  der  Richtung  bewegen ,  welche  auf  der 
Verbindungslinie  resp.  Yerbindungsebene  der  Mittelpunkte  der  zum  Ho- 
lecül  verketteten  Atome  senkrecht  ist.  Nur  in  diesen  Richtungen  findet 
diese  Querschnittsbeziehung  statt,  wenn  man  sich  die  Molecüle  als  aoi 
neben  einander  gelagerten  Atomen  entstanden  vorstellt.  Die  nicht  voll- 
ständige Uebereinstimmung  der  auf  solche  Wdise  gerechneten  Atomq1le^ 
Schnittsverhältnisse  kann  man  sich  auch  dadurch  erklären ,  dass  man  di« 
Abweichungen  dem  Umstände  zuschreibt,  dass  sich  die  Molecüle  nidit 
immer  mit  ihren  grössten  Dimensionen  gegenseitig  treffen,  sondern  dass 
nicht  selten  auch  Molecüle  in  den  Richtungen  anstossen,  in  welchen  die 
constituirenden  Atome  zusammenhängen,  in  welchen  der  Molecularq1Ie^ 
schnitt  daher  kleiner  erscheint. 


H.  lieber  die  Natur  der  Molecüle.  231 

Nor  andeuten  wollen  wir,  dass  man  über  die  Entfernungen  der 
Atome  im  Molecüle  von  einander  und  über  die  gleichzeitige  Anwesenheit 
vollständiger  und  zertrümmerter  (dissociirter)  Molecüle  in  einem  Gase 
noch  mancherlei  Schlüsse  aus  obigen  Zahlen  ziehen  könnte.  Mit  Rück- 
sicht auf  die  Yon  uns  mehrfach  erwähnte  geringe  Zuverlässigkeit  dersel- 
ben wollen  wir  uns  jedoch  hier  mit  einem  blossen  Hinweise  begnügen. 


Z.   Verhältnisse  der  Volumina  und  Durchmesser  der 

Moleoüle. 

* 

Id  ähnlicher  Weise  kann  man  unter  der  Voraussetzung,  dass  es  zu- 
lässig ist,  die  Molecüle  als  Kugeln  anzusehen,  aus  der  Summe  der  Mole- 
colarquerschnitte  das  Yerhältniss  der  Volumina  und  der  Durchmesser  der 
Molec&le  und  schliesslich  auch  der  Atome  berechnen.  Dabei  sind  wir 
nns  aber  wohl  bewusst,  dass  alle  Bechnungen,  bei  denen  man  von  den 
Molecülen  auf  die  Atome  und  wieder  umgekehrt  schliesst,  gewisse  innere 
Widersprüche  in  sich  bergen;  diese  sind  darin  begründet,  dass  man  ein- 
mal als  Gestalt  der  Molecüle  Kugelform  und  dann  wieder  aneinander- 
gereihte Atome  als  Formen  der  Molecüle  annimmt. 

Interessant  sind  in  dieser  Beziehung  die  Resultate  neuer  Unter- 
Buchmigen  von  Boltzmann^).  Derselbe  theilt  mit,  dass  er  gefunden 
hat,  der  Quotient  x  der  specifischen  Wärmen  eines  Gases  müsse  l^s  (wie 
z.  B.  beim  einatomigen  Quecksilber)  sein,  sobald  die  Gasmolecüle  als  starre 
Kageln  anzusehen  sind.  Das  Verhältniss  x  wird  gleich  1,4,  wenn  die 
Molecüle  die  Form  von  starren  Botationskörpern  haben,  die  aber  keine 
Ka|[eln  sind,  und  x  ist  gleich  iVa«  wenn  die  Molecüle  beliebig  anders 
gestaltete  starre  Körper  sind. 

Da  nach  dem  bereits  mehrfach  genannten  Ayogadro'schen  Gesetze 
unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  gleiche  Volumina  Gas  eine  gleiche  An- 
zahl Yon  MoleciQen  enthalten,  so  ist  die  Zahl  N  der  in  einer  Volumen- 
einheit  enthaltenen  Molecüle  für  alle  Gase  dieselbe,  und  das  Verhältniss 
der  gefundenen  Molecülquerschnittssummen  kann,  wie  schon  im  vorigen 
Paragraphen  bemerkt  wurde,  direct  als  das  Verhältniss  der  Molecülquer- 
Bchnitte  selbst  angesehen  werden.  Aus  den  Verhältnissen  der  Quer- 
schnitte der  Molecüle  kann  aber  leicht  das  Verhältniss  der  Molecular- 
durchmesser  und  Molecularyolumina  gefunden  werden.  Die  früher  von 
nns  gefundenen  Summen  der  Molecularquerschnitte  zweier  Gase,  die  wir 
durch  die  Indices  1  und  2  unterscheiden  wollen,  sind: 

jy  .  pi^  ,  Ä  und  N ,  Q2^  '  «. 


^)  Boltzmann,   Ueber  die  Natur  der  Gasmolecüle.     Pogg.  Ann.  Bd.  160,  S.  175 
bis  176. 


232  *  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Ans  dem  Verhältnisse: 

kann  man,  indem  man  die  dreihalbte  Potenz  dieses  Yerh&lbiisseB  bildet: 


N-  ^  •  Jt  .  Q»* 


4 


das  Yerhältniss  der  Summen  der  Volumina  der  Molecüle  oder  der  Vola 
mina  der  Molecüle  selbst  berechnen. 

In  gleicher  Weise  kann  man  auch  die  Grösse : 

99 

der  Verhältnisse  der  Moleculardurchmesser  selbst  bestimmen: 

Setzt  man  in  der  einen  Reihe  das  Volumen,  in  der  anderen  des 
Durchmesser  des  Wasserstoffmolecüles  gleich  der  Einheit,  so  erhält 
nachstehende  Zahlenreihe: 


Chemische 
Formel 


Wasserstoff 

Sauerstoff 

Stickstoff 

Kohlenoxyd 

Stickozyd 

Sumpfgas 

Ammoniak 

Chlorwasserstoff 

Kohlensäure 

Stickoxydul 

Wasserdampf 

Schwefelwasserstoff  .    .    .    . 

Aethylen 

Schweflige  Stture 

Chlor 

Chlormethyl 

Cyan 

Chloräthyl 


Ha 

N 


a 
CO 

NO 

CH4 

HgN 

HCl 

COa 

NaO 

H2O 

HaS 

C2H4 

SOa 

Clj 

CHgCl 

CaNa 
Ca  H5  Cl 


Verhaltnisse  der 


Molecularvolumina 


Moleculardorcl 


1 

2,5 
2,8 
2,8 
2,9 
3,7 
4,3 

4,4 
5,0 
5,1 
5,0 
5,6 
6,5 
8,1 
8,1 
9,0 
10,2 
12,2 


1 

1,4 
1,4 

1,4 
1,4 
1,5 
1,6 
1,6 

1,7 
1,7 

1,7 
1,8 
1,9 
2,0 
2,0 

2,1 
2,2 

2,3 


H.  üeber  die  Natur  der  Molecüle. 


233 


Mit  Hülfe  dieser  Zahlen  berechnen  sich  die: 


Atomyolnmina    Atomdurchmesser 

0,5  0,5 

1,25  0,7 

1,4  0,7 

4,06  1,0 

1,55  0,7 

4,6  0,8 

Berechnet  man  hiernach  durch  einfache  Addition  die  Molecular- 
Tolninina  nnd  Moleculardurchmesser  der  Verbindungen  und  vergleicht 
dieselben  mit  den  direct  gefundenen,  so  ergeben  sich  folgende  Zahlen- 
reihen: 


f  ür  H  = 

n     0  = 

N  = 

Cl  = 

C  = 


n 


Chemische 

Molecalarvolumen 

MoleculardurchmesBer 

Fonnel 

direct 

aus  d.  AtomTolumen 

direct 

aus  d.  Atomdurchm. 

NO 

2,9 

2,65 

1,4 

1,4 

HCl 

4,4 

4,55 

1,6 

1,5 

HsN 

2,4 

2,9 

1,6 

2,2 

COj 

5,0 

3,05 

1,7 

2,1 

NaO 

5,1 

4,05 

1,7 

2,1 

HsS 

5,6 

— 

1,8 

1,6    ■ 

SOa 

8,1 

7,1 

2,0 

— 

HgO 

5,0 

2,25 

1,7 

1,7 

CH4 

3,7 

3,55 

1,5 

2,7 

CjNj 

10,2 

5,9 

2,2 

2,8 

C3H4 

6,4 

5,1 

],9 

3,4 

CH3CI 

8,4 

7,1 

2,1 

3,2 

CjHßCl 

12,2 

9,65 

2,3 

4,9 

Wie  zu  erwarten,  ist  in  beiden  Fällen  für  die  zweiatomigen  Mole- 
cfde  die  Uebereinstimmung  zwischen  den  aus  den  Atomzahlen  berechne- 
ten und  den  direct  gefundenen  Zahlen  eine  sehr  befriedigende,  so  dass 
man  aus  der  gesammten  Betrachtung  wohl  zu  dem  Schlüsse  berechtigt 
wird,  dass  viele  zweiatomige  Molecüle  durch  einfache  Nebeneinander- 
lagerong  der  Atome  gebildet  werden,  denn  nur  dann  sind  Querschnitte, 
Volumina  und  Durchmesser  der  Molecüle  gleich  der  Summe  der  entspre- 
ehenden  Grösse  der  Atome. 

Für  alle  übrigen  Substanzen  scheint  eine  Beziehung  nicht  wohl  auf'« 

^)  Aus  HgS  und  H2  berechnet. 


234  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

stellbar;  höchstens  könnte  man  darauf  einiges  Gewicht  legen,  da»  die 
Moleculardorchmesser  des  Wassers  nnd  des  ganz  analog  gebildetes 
Schwefelwasserstoffs  gleich  der  Samme  der  Atomdarchmesser  sind.  Hai 
könnte  hieraus  auf  eine  Anordnung  der  Atomdurchmesser  im  Moleeök 
in  einer  geraden  Linie  schliessen,  wenn  nicht  die  Beziehung  zwischei 
d^n  Molecularquerschnitten  beim  Wasser  dem  widerspräche. 

Beachtenswerth  ist  vielleicht  noch  die  Thatsache,  dass  das  Molecnlu^ 
Volumen  des  Grubengases  sehr  nahe  gleich  der  Summe  der  Yolumina 
seiner  Atome  ist. 

Wir  glauben  daher  kaum,  dass  man,  wie  dies  0.  £.  Meyer  Zu- 
nimmt, in  diesen  Zahlwerthen  eine  Bestätigung  der  Eekul ersehen  Ar 
schauuug  erblicken  darf,  dass  die  Molecüle  durch  eine  kettenartige  Ver- 
knüpfung der  Atome  gebildet  werden. 

Aehnliche  Rechnungen  zur  Bestimmung  des  Molecularvolumens  joi 
Atomvolumens  stellte  früher  schon  Lothar  Meyer')  an.  Er  ging  dabd 
direct  von  der  Formel  für  die  Reibungsconstante  17  (Bd.  2 ,  I,  D,  2, 
S.  86,  Gl.  8): 

l   m  ,  V 

^  ~"  i"  nTg^ 

aus,  deren  Coefßcient  0.  £.  Meyer')  neuerdings  genauer  bestimmt  hi^ 
so  dass  dieselbe  lautet: 

l  m  .  V  . 

Hieraus  folgt  für  zwei  Gase,  die  wir  durch  Indicies  1  and  2  Imtc^ 
scheiden: 

92^       f»,  .  v^    Vi 
Da  nun  aber  bei  gleicher  Temperatur  bei  allen  Gasen: 

nti  .  Vi    =  m^  .  v^ 
ist,  so  folgt  hieraus,  dass  auch: 

3 
Führt  man  dies  ein  imd  erhebt  die  Gleichung  auf  die  ^te  Potenz,  so 

ergiebt  sich: 

s 


£1!  _  MV  .  /5iY  4) 


^)  0.  E.  Meyer,  Kinetische  Theorie  der  Gase.     S.  215. 
^)  Lothar  Meyer,  Ann.  der  Chem.  und  Pharm.     Supplementbd.  5,  S.  129. 
')  O.  E.  Meyer,    Kinetische    Theorie    der  Gase,    mathematische  Zos&tze  §.  lA 
S.  320. 


H.  Ueber  die  Natur  der  Molecüle. 


235 


Das  Yerbältniss  ^—i  ist  aber  das  Yerhältniss  der  Molecularyolumina, 

imd  dieses  kann   somit    nach  der  vorbergebepden  Formel  4)  aus  dem 
Yerhältnisse  der  Massen  der  Molecüle,  also  aus  dem  Verhältnisse  der 

Holecalargewichte  —  und  dem  Quotienten  der  Reibungscoefficienten,  also 

•08  dem  Transspirationscoefficienten  —  bestimmt  werden. 

Um  einen  directen  Vergleich  mit  den  von  Kopp ^)  für  den  flüssigen 
Aggregatzustand  erhaltenen  Zahlen  der  Molecularyolumina  der  Elemente 
«nd  der  Verbindungen  zu  erhalten,  kann  man  mit  Lothar  Meyer  für 
das  Molecularvolumen  der  schwefligen  Saure  den  von  Kopp  gegebenen 
Werth  42,6  einsetzen.  Man  erhält  alsdann  nachstehende  Werthe  für  die 
Molecolarrolumina : 


Substanz 


1.  Wassejrstofi*    .    .   . 
'  2.  Sumpfgas  .... 

3.  Ammoniak      .    «    . 

4.  Wasserdampf     .    . 

5.  Kohlenozyd    •    •    • 

6.  Aethylen     .... 

7.  SUckstofT    .... 

8.  Stickozyd    .... 

9.  Sauerstoff  .... 

10.  Schwefelwasserstoff 

11.  Chlorwasserstoff 

12.  Kohlensäure   .    •    . 

13.  Stickoxjdul     .    •    . 
U.  Chlormethjl  .    .    . 

15.  Cyan 

16.  Schweflige  Säure   . 

17.  Chloräthyl  .... 

18.  Chlor 


Chemische 
Formel 


Ha 
CH4 

H3N 

HgO 

CO 

C2H4 

Na 

NO 

Oa 
HjS 

HCl 

COa 

NjO 

CHjCl 
Ca  Na 
SOa 

CaHja 

Cla 


Molecular- 
gewicht 


m 


2 
16 
17 
18 
28 
28 
28 
30 
32 
34 
36,4 
44 
44 
50,4 
52 
64 
64,4 
70,8 


Reibungs- 
coefficient 


Molecularvolumen 


nach  Gl.  4) 


nach  Kopp 


0,000094 

5,3 

0,000112 

19,3 

• 

0,000103 

13,1 

0,000097 

26,1 

0,000176 

14,9 

0,000102 

33,7 

0,000178 

14,6 

0,000177 

15,5 

0,000202 

13,4 

0,000124 

29,1 

0,000149 

23,3 

0,000150 

26,6 

0,000149 

26,8 

0,000110 

46,8 

0,000102 

53,7 

0,000132 

— 

0,000098 

66,9 

0,000139 

42,5 

11 

33 
18,8 
18,8 
23,2 
44 
4,6 
14,5 
15,6 
33,6 
28,3 
31,0 
16,8 
50,3 
5C,0 
42,6 
72,3 
45,6 


1)  Kopp,  Ann.  d.  Chem.  und  Pharm.  Bd.  96  (1855),  S.  153  u.  303  und  Bd.  100 
(1856),  S.  19. 


236  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Die  Kop p' sehen  Werthe  der  Molecalaryolnmina  sind  durch  Addiü« 
der  Atomyolumina  der  Bestandtheile  gefunden,  und  zwar  nimmt  denelb^ 
an,  dass  das  Atomvolumen  des 

S      =  22,6 

C      =  11,0 

N     =    2,3 

Cl    =  22,8 

H     =    5,5 

CN  =  28,0 

0      =    7,8  (in  HjO  und  Oj)  =  12,2  (in  CO,  NO,  N,0) 

Oa     =  20,0  (in  CO»  und  SOj) 

sei.  Auf  den  Kopp 'sehen  ähnliehe  Zahleni*eihen,  welche  von  L.  Hey  er 
und  Loschmidt  herrühren  und  zum  Theil  auf  anderen  Annahmen  ab« 
die  Werthe  der  Atomyolumina  in  flüssigen  Yerhindungen  beruhen,  woUai 
wir  hier  nicht  weiter  eingehen  ^). 

Die  Uebereinstimmung  der  Molecularyolumina,  welche  sich  aus  dn 
Kopp' sehen  Untersuchungen  des  flüssigen  Aggregatzustandes  ergebet 
haben  und  der  aus  den  Reibungsy ersuchen  abgeleiteten  Zahlen  ist  nur  ii 
wenigen  Fällen  eine  befriedigende.  Bei  einigen  Substanzen  scheinen  j»> 
doch  die  neben  einander  stehenden  Zahlen  auf  ein  einfaches  Yerhältos 
derselben  hinzudeuten.  Beim  Wasserstoff  ist  es  im  gasförmigen  ZusUoii 
sichtlieh  halb  so  gross,  als  im  flüssigen.  Beim  Sumpfgas,  Ammoniak  ual 
Eohlenoxyd  scheinen  die  Volumina  der  Molecüle  im  gasformigen  und  m 
flüssigen  Zustande  im  Verhältniss  yon  2:3  zu  stehen.  Bei  Wasserdunil 
und  Stickoxydul  scheint  dagegen  das  reciproke  Verhältniss  stattzufindoL 

Man  braucht  es  auch  kaum  auffällig  zu  flnden ,  dass  weder  die  as- 
genäherten  Gleichheiten,  noch  die  Verhältnisse  der  in  beiden  Golonnei 
stehenden  Zahlen  sonderliche  Uebereinstimmung  zeigen;  es  ist  meiner 
Ansicht  nach  mit  yoUem  Rechte  zumal  yon  L.  Meyer  darauf  hingewie- 
sen worden,  dass  die  yon  Kopp  für  den  flüssigen  Aggregatzustand  be- 
stimmten Zahlen  nicht  wirklich  die  Volumina  der  Molecüle  selbst,  senden 
diejenigen  mittleren  Volumina  sind,  in  welchen  jedesmal  beim  Siedepn&kl 
der  Substanz  durchschnittlich  ein  Molecül  enthalten  ist. 

Der  Molecularbewegungen  halber ,  auf  denen  die  Temperatur  der 
Flüssigkeiten  beruht,  muss  dieses  Volumen  stets  grösser  als  das  Volnma 
des  Molecüles  selbst  sein  und  kann  auch  in  yerschiedenen  Substanzes 
höchstens  ^ann  streng  yergleichbar  sein,  wenn  dieselben  zufällig  gleiche 
Siedetemperatur  besitzen. 

Auch  die  Grössen  -■  brauchen  nicht  die  Durchmesser  der  Molecöle 

selbst  zu  sein,  da  es  ja  sehr  leicht  möglich  wäre,  dass  die  Molecüle  schoi 


^)  Man  sehe  darüber  die  Originalabhandlungen  von  L.  Meyer,  Ann.  d.  Chem.  aii4 
Pharm.  5.  Supplemtb.  (1867),  S.  129,  and  Loschmidt,  Wiener  SiUnngaber.  Bd.  5S 
(1865),  Abth.  2,  S.  395,  und  0.  £.  Meyer,  Kinetische  Theorie  der  Gase,  S.  219. 


H.  Ueber  die  Natur  der  Molecüle.  237 

in  einiger  Entfernung  einander  abstossen,  noch  ehe  sie  sich  wirklich  be- 
rfihrt  haben. 

Immerhin  gestatten  die  mitgetheilten  Zahlen,  zu  erkennen,  dass  der 
TOD  L.  Meyer  aufgestellte  Satz:  „Die  AtomYolumina  vieler  Ele- 
mente in  ihren  flüssigen  Verbindungen  sind  den  Räumen  pro- 
portionaly  welche  ihre  Atome  im  Gaszustande  erfüllen"  wahr- 
acheinlich  der  Wahrheit  ziemlich  nahe  kommt. 


3.  üntersuohmigeii  über  die  absoluten  Orössen  der 

Molecüle. 

Es  sind  sogar  in  neuerer  Zeit  mehrfach  Rechnungen  angestellt  wor- 
den, welche  in  der  That  geeignet  erscheinen,  über  die  Grösse  der  Mole- 
eüle  in  absolutem  Maasse  einigen  Aufschluss  zu  geben.  Dieselben  benihen 
auf  einem  Vergleiche  der  Dichte  im  gasförmigen  und  im  flüssigen  Zu- 
stande. Wir  sind,  wie  wir  schon  einmal  andeuteten,  zwar  nicht  berechtigt 
anzonehmen,  dflss  die  Molecüle  in  einer  Flüssigkeit  so  dicht  zusammen 
li^en,  dass  das  Volumen  der  Flüssigkeit  einfach  gleich  der  Summe  der 
Tolamina  der  Molecüle  selbst  ist,  sondern  wir  müssen  jedenfalls  voraus- 
ietzen,  dass  das  Volumen  der  Flüssigkeit  nicht  unerheblich  grösser  als 
diese  Summe  ist.  Nach  allen  Anschauungen,  die  wir  uns  über  die  Con- 
stitation  einer  Flüssigkeit  bilden  können,  so  z.  B.  auch  nach  der  von 
Claasius  gegebenen  Vorstellung,  welche  wohl  der  Wahrheit  am  näch- 
iten  kommen  dürfte  (man  sehe  Bd.  2,  I,  C,  4,  S.  39),  müssen  wir  an- 
nehmen, dass  sich  die  Molecüle  der  Flüssigkeiten  in  lebhaften  Bewegungen 
liefinden  und  dass  somit  zwischen  den  Molecülen  noch  Zwischenräume 
Torhanden  sind,  in  denen  diese  Bewegungen  stattfinden. 

Wir  werden  also  nur  eine  obere  Grenze  für  das  Molecularvolumen 
finden,  wenn  man  voraussetzt,  bei  einer  Flüssigkeit  im  Zustande  ihrer 
groflsten  Dichte  sei  das  Volumen  der  Flüssigkeit  gleich  der  Summe  der 
Tohmina  der  dieselben  bildenden  Molecüle.  Bekanntlich  fanden  wir  im 
ersten  Paragraphen  dieses  Capitels  (S.  226)  die  Formel  2): 

Hiernach  folgt  sofort: 

Q  =  V2  N  .n  .  Q^  .1. 

Da  nun  aber  -r-  Q^  das  Volumen  ist,  welches  ein  Molecül  einnimmt, 
6 


10  igt: 


i^.f  P« 


238 


I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 


das  Volamen  in  der  Yolumeneinbeit,  welches  Yon  den  Molecülen  wirkÜek 
eingenommen  wird.     Das  Yerhältniss  dieser  Zahl  zur  Einheit  beaeichidi 
Loschmidt  mit  dem  Namen  Yerdichtnngscoefficient.    Wir  wollen  fb 
denselben  den  Buchstaben  D  gebrauchen;  wir  setzen  also: 


sr 


N  .jQ^=t> 


5) 


Alsdann  ist: 

Q  =  6  .  V2    .r)  .  X 6) 

Für  den  Gondensationscoefficienten  t)  setzt  man  nun  das  Yerhaltaisl 
der  Gewichte  der  in  gleichem  Yolnmen  enthaltenen  Massen  derselbei; 
Substanz  als  Flüssigkeit  im  Zustande  grösster  Dichte  und  im  6ttit*| 
stände  bei  normalem  Drucke  und  normaler  Temperatur  (760  mm  nid 
0^  G.)  ein.  Es  ist  dies  also  das  Yerhältniss  der  Gasdichte  d\  einer 
Substanz  zur  grössten  Dichte  D  derselben  Substanz  als  Flüssigkeit;  beide' 
Grössen  auf  dieselbe  Einheit  bezogen.    Es  ist  dies :  i 

^        7)1 


t)    == 


D 


Für  die  condensirbaren  Gase  wird  hierdurch  die  Bestimmung  einer 
oberen  Grenze  der  Moleculardurchmesser  möglich,  wenn  wir  diese  jeden- 
falls etwas  zu  grossen  Werthe  von  D  einsetzen. 

Die  zur  Rechnung  dienenden  Zahlen  und  das  Ergebniss  der  For- 
mel 6)  zeigt  nachstehende  Tabelle  ^): 


Substanz 


Formel 


Dichtigkeit 


gasförmig 
d  .  773,3 


flüssig 

im  Max.  d. 

Dichte  D 


Conden- 
sationscoef- 
ficient 
d 


Mittlere 
Weglänge 


DnrduiM^ 
ser  desMr' 
lecniei 


Wasser    .... 
Ammoniak  .    .    . 
Schweflige  Säure 
Schwefelwasserstoff 
Cyan    .    .    . 
Chloräthyl   . 
Chlor  .    r    . 
Kohlensäure 
Stickoxydul 


Ha 
H3N 

SO2 

HgS 

C2N2 

CaHßCl 

CI2 
CO2 
NaO 


0,623 
0,597 
2,247 
1,191 
1,806 
2,219 
2,450 
1,529 
1,520 


1 
0,650 
1,49 
0,9 
0,87 
0,92 
1,33 
1,00 
0,96 


0,00081 
119 
195 
171 
268 
312 
238 
198 
205 


0,0000067  cm 

0,0000072 

0,0000048 

0,0000062 

0,0000041 

0,0000036 

0,0000048 

0,0000066 

0,0000066 


10"' X 

46  em 

73 

79 

90 

H 

91 

97 
111 
115 


^)  Die  Maximaldichten  der  Flüssigkeiten  sind  der  Zusammenstellung  0.  £.  üejcr^f 
Kinetische  Theorie  der  Gase,  S.  226,  entnommen. 


H.  üeber  die  Natur  der  Molecüle. 


239 


Hieraus  findet  man  ferner  folgende  obere  Grenzwerthe  der  Quer- 
chnitte  und  der  Volumina  der  Molecüle: 


Querschnitt  eines 
MolecUles  in  qcm 


Volumen  eines 
Molecules  in  cbcm 


Molecnlargewicht 
Ha  =  2 


f acser 

üomoniak  .  .  •  . 
^weaige  Säure  . 
idiwefelwasserstoff 

/jBn • 

wUorathyl   •    .    .    . 

3iIor 

[bhlensanre  .  .  • 
i^koi^dal      .    .    • 


16  X  10 
41 
49 
64 
68 
71 
74 
96 
103 


—  16 


50  X  W 
200 
263 
332 
426 
453 
478 
711 
788 


—  24 


18 

17 

64 

34 

52 

64,3 

70,7 

44 

44 


Die  in  der  yorhergehenden  Tabelle  zuletzt  angeführten  Molecular- 
{ewichte  lassen  keine  einfache  Beziehung  zu  dieser  oberen  Grenze  der 
iolecalarvolumina  erkennen  ^). 


i  Die  Verwerthung  der  genaueren  Formeln  für  die  mitt- 
lere Weglänge  von  Olausius  und  van  der  Waals. 

Bekanntlich  hat  Olausius  eine  strengere  Formel  für  die  mittlere 
RTeglänge  abgeleitet  (man  sehe  Bd.  2,  I,  C,  8,  Gl.  25,  S.  62),  und  diese 
lautet: 


A  =  4 


(v-'jN.n.Q^^.v 


Hierin  ist  v  die  mittlere  Moleculargeschwindigkeit,  r  die  mittlere 
rehtiYe  Geschwindigkeit  zweier  Molecüle,  Q  der  Radius  der  Wirkungs- 
sphäre eines  Molecules ,  V  das  Volumen ,  s  die  Oberfläche  des  Gefasses, 
in  dem  das  Gas  rieh  befindet,  und  N  die  Anzahl  der  in  der  Volumen- 
onlieit  enthaltenen  Molecüle.  «. 

'  In  dieser  Formel  ist  in  Rechnung  g^ogen ,  dass  die  Molecüle  sich 
nicht  in  dem  ganzen  Räume  frei  bewegen  können,  sondern  nur  in 
^,  welcher  von  den  Molecülen  freigelassen  ist,  und  darauf,  dass  die 
SiioBse  nicht  bloss  gegen  andere  Molecüle,  sondern  auch  gegen  die  Wand 
erfolgen. 


^)  0.  E.  Meyer,   Kinetische  Theorie  der  Gase,    S.  227,   glauht   ein    gleichzeitiges 
Wacbsthum  in  beiden  Colon nen  constatiren  zu  können. 


240  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

4 

Für  eine  Bereclmung  der  Grösse  —  N .  ^  »  Q^  ist  aber  dieser  Am- 

3 

druck  nicht  unmittelbar  brauchbar. 

Mit  Rücksicht  auf  die  von  uns  gefundenen  sehr  grossen  Werthe  Ytm 

j  N .  Q^  ,  n:  (als  Minimum  für -ET  9100  qcm  für  1  cbcm  Gas)  wird  man, 

da  r  und  v  von  gleicher  Grössenordnung  sind,  sich  far  berechtigt 
halten  dürfen,  das  zweite  Glied  des  Nenners  (s  =  6  qcm)  gegen  das 
erste  zu  vernachlässigen.  Setzt  man  ausserdem  (nach  Bd.  2,  I,  G,  11, 
Gl.  40,  S.  74); 

4  - 

was  sich  im  Mittel  wohl  nicht  zu  weit  von  der  Wahrheit  entfernen  winl, 
so  erhält  man,  wenn  man  ausdividirt,  für  den  corrigirten  Werth  der  mitt- 
leren Weglänge 


A'  = 


^N  .7t  ,  Q^  ^  N.3C  ,  Q^ 


3  '  ^  3 

oder  mit  Rücksicht  auf  den  ursprünglich  gefundenen  Glaasius^schen  j 
uncorrigirten  Werth  der  mittleren  Weglänge  (Bd.  2, 1,  C,  6,  S.  56,  GL  18):^ 


1  = 


4,7C,q\N' 
wenn  F  =  1  ist: 

k'  =  k  —  Q 8) 

Denselben  Gedanken  hat  auch  van  der  Waals  ^)  verfolg^  und  ist 
dabei  zu  Formeln  gelangt,  welche  mit  Rücksicht  auf  anderweite  Betrack* 
tungen  eine  neue  Berechnung  der  Molecnlarvolumina  gestatten. 

Der  für  die  mittlere  Weglänge  gefundene  uncorrigirte  Werth*)  A  ist 
deshalb  etwas  zu  gross,  weil  bei  der  Berechnung  der  Wahrscheinlichkeit  i 
des  Zusammenstosses  zweier  Molecüle  so  verfahren  worden  ist,  ab  ob  dar ' 
von  der  Wirkungssphäre  eines  Molecüles  bei  der  Durchlaufnng^  des  mitt*! 
leren  Weges  beanspruchte  Raum  ein  Cylinder  wäre,  dessen  Basis  der  Qa^^ 
schnitt  der  Wirkungssphäre,  dessen  Höhe  die  mittlere  Weglänge  l  vt 
Streng  genommen  ist  jedoch  zu  beachten,  dass  dieser  Raum  an  den  £ndei  \ 
kugelförmig  begrenzt  ist. 


^)  Die  Originalarbeit   von   Van   der  Waals,  Over  de  continuiteit  van  den  gta-a 
vloeifttoftoestand.  Academisch  proefschrift.   Leiden  1873,   ist  mir  leider  nicht  znginglitk 
gewesen.     Ich  mass  mich  daher  mit  den  Auszügen  begnügen,    welche  sich  in  den  Bei* 
blättern  zu  PoggendorfTs  Annalen   Bd.  1,    S.  10  bis  21,   und  bei  0.  E.  Meyer,  Kioe-  ^ 
tische  Theorie  der  Gase,  S.  67  bis  76,    S.  297  bis  231  und  S.  297  bis  298  vorßndoi. 

2)  Wir  folgen  hier:   0.  E.  Meyer,  Kinetische  Theorie  der  Gase,  S.  297. 


H.    üeber  die  Natur  der  Molecüle.  241 

Erfolgten  alle  Zusammen stösse  genau  central,  so  würde  von  dem 
früher  berechneten  Werthe  der  mittleren  Weglänge  genau  der  Halbmesser 
einer  Wirkungssphäre  abzuziehen  sein,  wie  dies  von  Clausius  geschehen 
ist.  Da  aber  die  ZusammenstÖsse  im  Allgemeinen  nicht  central  statt- 
finden, so  ist  die  abzuziehende  Grösse  kleiner. 

Beträgt  der  Winkel,  unter  dem  zwei  Molecüle  zusammenstossen,  9, 
80  beträgt  die  Correction  q  .  cos  g>.  Die  Wahrscheinlichkeit  eines  zwi- 
schen <p  und  <p  -{-dtp  liegenden  Stosswinkels  ist  das  Yerhältniss  der  Pro- 
jection  des  ringförmigen  Elementes  2  n  sin  (p  .  d  fp  der  Eugelfläche  auf 
die  Qnerscbnittsebene  zum  ganzen  Querschnitte  selbst.  Die  Wahrschein- 
lichkeit ist  also: 

2  sin  q>  .  cos  <p  .  d  (p. 

Der  Mittelwerth  der  Correction  ist  demnach: 

1 

r  2 

=  2  Q  .   I    cos^  q)  .  sin  (p  .  d  <p  =  —  Q, 
0 

Yan  der  Waals  selbst  hatte  dieselbe  zu  -r  angenommen. 
Die  genaue  Formel  für  die  mittlere  Weglänge  lautet  demnach: 

X'=,K-^{f 9) 


3 


oder: 


2 


p8 


^'=W STT^ ''^ 

Diese  Formel  bringt  nun  van  der  Waals  mit  anderen  bekannten 
Grossen  durch  folgende  Betrachtung  in  Zusammenhang: 

Die  Abweichungen  der  Gase,  wie  sie  in  der  Natur  vorkommen,  vom 
Aosdehnungsgesetze  vollkommener  Gase  erklärt  er  dadurch,  dass  nicht 
nur  die  in  nächster  Nähe  wirksame  gegenseitige  Anziehung  der  Molecüle 
die  Gültigkeit  dieses  Gesetzes  beeinträchtige  (die  Kraft  der  Gohäsion), 
sondern  dass  auch-  die  räumliche  Ausdehnung  der  Molecüle  von  stören- 
dem Einflüsse  sei. 

Die  Glausius'sche  Formel: 

1 
o 

worin  u  der  aus  der  mittleren  lebendigen  Bj'aft  der  fortschreitenden  Be- 
wegung der  Molecüle  berechnete  Mittelwerth  der  Geschwindigkeit  ist 
(man  sehe  Bd.  2,  I,  C,  2,  S.  35,  GL  2),  kann  man  auch  in  folgender  Form 
darstellen: 

V«rdet-Bahlmann,  HechAn.  W&rmethoorie.    Bd.  2.  ^^ 


242 


L  Moleciüartheorie  der  Wärme. 


-.p.v  =  -^n 


m  .  n^ 


11) 


In  dieser  Gestalt  stellt  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  die  fräier 
mit  %^  bezeichnete  kinetische  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  der 
Molecüle.     Auf  der  linken  Seite  steht  eine  Arbeit. 

In  dieser  Arbeit  ist  aber  noch  nicht  berücksichtigt:  in  |>  die  Rnfi 
der  zwischen  den  Molecülen  thätigen  Cohäsionskräfte,  deshalb  miiss ; 
um  diese  Kraft ,  wir  wollen  sie  mit  (S  bezeichnen ,  vergrossert  werdA 
Das  Volumen  v  aber  muss  um  eine  Grösse  h  verkleinert  werden,  da  die 
im  Yolumen  v  enthaltenen  n  Gasmolecüle  nicht  im  ganzen  Räume  9  ad 
bewegen  können,  sondern  nur  in  dem,  welcher  von  den  sich  bewegenda 
Molecülen  frei  gelassen  wird. 

Deshalb  giebt  van  der  Waals  dem  Ausdehnungsgesetze  ToUkoB- 
mener  Gase  die  etwas  veränderte  Form: 

1  3 

-  n  .  wi  .  tt»  =  -  (jp  +  S)  .  (ü  —  6). 

Die  Grösse  S,  der  aus  den  Cohäsionskräfken  resultirende  Druck, 
sich  nach  einem  von  Laplace  in   seiner  Capillaritatstheorie  gegebei 
Verfahren  bestimmen.     Für  uns  genügt  es  darauf  hinzuweisen,  dus 
weil  es  aus  der  Wechselwirkung  der  anziehenden  und  angezogenen 
eben  besteht,  dem  Quadrate  der  Anzahl  der  vorhandenen  Theilchen, 
dem  Quadrate  der  Dichtigkeit  proportional  sein  muss. 

Da  in  unserer  Formel  die  bei  der  Ausdehnung  des  Gases  verind 
liehen  Grössen  aber  nicht  auf  die  Dichte,  sondern  auf  das  dieser 
proke  specifische  Volumen  f  bezogen  sind,  so  muss  S  demnach  als 
dem  Quadrate  von  v  umgekehrt  proportionale  Ghrösse: 

6=  — 

in  die  Rechnung  eingeführt  werden. 

Führt  man  dies  ein  und  berücksichtigt  gleichzeitig,  dass  (man 
Bd.  2,  S.  35) 

-  w  .  w  .  w»  =  9t  .  T, 

1  SR 

-  ».  w  .  tt»  =-.(1  +a.O, 

so  erhält  man  schliesslich,  wenn  man  statt  —  einen  Buchstaben  2!  sei 

a 

für  das  Ansdehnungsgesetz  der  Gase,  wie  sie  in  der  Natur  vorkoi 

die  Form: 

(i>+  J).  (*-&)  =  Ä.(l  +a.O, 


H.    Ueber  die  Natur  der  Molecüle.  243 

oder  aoBgerechnet,  für  f  =  0: 

p,v+-^-h.p-^^^  =  B     ....    12) 

Bekanntlich  hat  nnn  Regnaalt  die  von  ihm  beobachteten  Abwei- 
ehnngen  der  Gase  vom  Boyle-Mariotte'schen  Gesetze  darch  eine  For- 
mel von  folgender  Gestalt  (man  sehe  Bd.  1,  III,  B,  9,  61.  22,  S.  264) 
dargestellt: 

JL:l-  =  i  -  A  .  C-^  -  i)  +  B.C±  -  l)\  .   .   13) 

Setzt  man  hierin  Vq  =  1  ^nd  po  =  1  m  Quecksilberdruck  und 
rechnet  aus,  so  kann  man  dieser  Gleichung  folgende  Gestalt  geben: 

,    A-\-  2B         B        ,     ,     ,    .     ^ 

P  ^f>^ — r  =  1    +    ^   +   ^        ...      14) 

Dieser  Ausdruck  stimmt  mit  dem  von  van  derWaals  gegebenen 
sofort  vollständig  überein ,  wenn  man  in  dem  kleinen  Correctionsgliede 
b  .  |)  die  Grosse  p  nach  dem  sehr  angenähert  richtigen  Boyle-Ma- 
riotte'schen  Gesetze, 

_  Vq  .  j?o  _  1 
^--^--^^ 

durch  —  ersetzt. 

V 

Dann  Jiimmt  das  Ausdehnungsgesetz  der  Gase  die  Gestalt  an : 

a  —  h        a  ,  h 

und  der  Vergleich  mit  der  Regnaul  tischen  Formel  ergiebt  folgende  zur 
Bestimmung  der  Grössen  a,  h  und  R  ausreichende  Gleichungen: 

a  —  b  =  A  +  2,B\ 

a  .1  =  B  \ 16) 

JJ=  1  -f  ^  +  5     ) 

Hiernach  hat  0.  E.  Meyer  aus  Regnault's  Interpolationsformeln, 
yan  der  Waals  aus  denselben  Ausdrücken  auf  etwas  anderem  Wege 
und  aus  Beobachtungen  von  Cailletet  Werthe  für  a  und  h  gefunden, 
die  in  nachstehender  Tabelle  enthalten  sind. 

Ausserdem  hat  van  der  Waals  die  Grössen  a  und  h  für  Kohlensäure 
und  Schwefelkohlenstoff  auch  noch  aus  den  Beobachtungen  von  Andrews 
und  Caignard  Latour  über  die  kritischen  Temperaturen  (man  sehe 
hierüber  Bd.  1,  11,  B,  1,  S.  560  etc.)  dieser  Substanzen  bestimmt.  Er  ist 
hierbei  von  dem  richtigen  Gedanken  ausgegangen,  dass  in  diesem  Grenz- 
znstande  die  Gohosionskräfte  der  kinetischen  Energie  der  Translations- 
bewegung der  Molecüle  das  Gleichgewicht  halten  ^). 


p.«  +  5f___      •      =B 15) 


^)  Man  sehe  hierüber:  Beiblätter  zu  PoggendorfiPs  Annalen,    Bd.  1,  S.  27. 

16* 


244  L  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Es  hat  sich  för  a  und  h  ergeben : 


Meyer   aas 
Re  gna  ul  t  's 
Zahlen     .    .    . 

V.  d.  Waals 
a.  Regnault's 
Zahlen     .    .    . 

V.  d.  Waals 
a.  Cailletet's 
Versuchen    .    • 

V.  d.  Waals 
aus  Andrew's 
etc.  Yersnchen 


Gültig  für  p  =  Im  Quecksilbersäule: 


Luft 


N 


H 


CO, 


0,00501 


0,0037 


0,00387 


0,00303 


0,0026 


0,0037 


0,0015 


0,00232 


0,00265 


0,00318 


0,00065 


0,00933 


0,0004 


0,0115 


0,00078 


0,0115 


0,0030 


0,0023 


Mittel : 


0,0043 


0,0028 


0,0030 


0,0023 


0,0009 


0,0014  I  0,0107  1 0,0016 


Die  physikaliscbe  Bedeutung  der  Grösse  b  kann  leicbt  gefunda 
werden.  Moltipliciren  wir  nämlich  in  der  früher  von  0.  E.  Meyer  ab- 
geleiteten Yollständigen  Formel  10)  für  die  mittlere  Weglänge  A'  Zähler 
nnd  Nenner  mit  N,  so  erhalten  wir: 


A'  = 


(iV .  ««  —  V2  .  2V  ■  I  .  «  .  pA. 


Setzt  man  hierin  N  ,  d^  =  v  und  beachtet,  dass  das  Correcüoi» 
glied,  welches  von  v  subtrahirt  wird,  hier  dieselbe  Bedeutung  hat,  vis 
in  der  van  der  Waals' sehen  Formel  die  Gorrection  6,  so  ergieht  a^ 
sofort,  dass: 

1.        2  V2      ,,  ,  ,,, 

0  =  — - —  '  N  .  X  .  Q^ 17) 

o 

ist. 

Nun  ist  aber  mit  grosser  Annäherung  die  früher  yon  uns  bestimmte 
mittlere  Weglänge  A: 

A-  ^ 

wenn  man  dies  in  Ol.  17)  einführt,  erhält  man: 


H.    üeber  die  Natur  der  Molecüle. 


245 


Damit  ist  aber  eine  neue  Formel  gewonnen,  aas  der  man  mit  Leich- 
tigkeit den  Badius  der  Wirkungssphäre  q  bestimmen  kann;*  wenn  die 
Grosse  b  der  van  der  Waals'schen  Formel  und  die  mittlere  Weglänge  A 
bekannt  ist. 

0.  £.  Meyer  ^)  macht  darauf  aufmerksam,  dass,  weil  h  und  A  beide 
Tom  Drucke  abhängig  sind  und  die  früher  gefundenen  Werthe  von  A  sich 
auf  Atmosphärendmck  beziehen ,  die  Grösse  h  mit  dem  Drucke  p  multi- 
plicirt  werden  mässe.     Die  Formel  nimmt  deshalb  die  Gestalt: 


2-^ 


h  .  X 


18) 


ftD,  wobei  j>  die  Quecksilberhöhe  in  Metern  bezeichnet,  auf  die  sich  der 
Werth  von  b  bezieht. 

Fuhren  wir  die  Rechnung  mit  obengenannte^i  Mittelwerthen  von  b 
BUS,  so  findet  man: 


Grösse  6 


Mittlere  Weglänge 
A  in  cm 


Durchmesser  eines  Mole- 
cüles  ^  in  cm 


Stickstoff  .  . 

Ki^ensäure  . 

Wasserstoff  . 

Luft  ...  . 


0,0023 
0,0016 
0,0014 
0,0028 


0,0000098 
0,0000066 
0,0000194 
0,0000098 


34 .  10 


—  9 


16 .  10 
41 .  10 
41.10 


—  9 


—  9 


—  9 


Auch  die  von  van  der  Waals  und  von  0.  E.  Meyer  gegebenen 
Werthe  bewegen  sich  in  derselben  Grössenordnung. 

Früher  (S.  238)  erhielten  wir  fiir  Kohlensäure  als  obere  Grenze: 
9  =  111  X  10~*cm,  und  dieser  Werth  stimmt  mit  dem  hier  ge- 
fandenen  sehr  befriedigend  überein. 


6.  Neue  Bestiininiuig  des  Quersobnittes,  des  Volumens,  der 
AnzaU,  der  gegenseitigen  Entfernung  und  des  Gewichtes 

der  Holeoüle. 

Benutzt  man  für  den  Durchmesser   eines  Eohlensäuremolecüles 
den  Werth: 

p  =  16  .  10-»  cm, 

ao  ergiebt  sich  für  den  Querschnitt  desselben: 

1  -17 

-  «9»  =  20   X    10        qcm, 


^)  0.  E.  Meyer,  Kineüeche  Theorie  der  Gase,  S.  230. 


246  I.  Müleculartheorie  der  Wärme, 

und  für  das  Volumen: 

-  3r^3  =  21  X   lO^^cbcm. 

Durfte  man  diesen  Zahlen  eine  grössere  Zuverlässigkeit  zaschreiben, 
so  könnte  man  aus  dem  Molecnlarvolumen  der  Kohlensäure  and  den  früher 
(auf  S.  235)  aus  den  Reibungsconstanten  und  Moleculargewicbten  be- 
stimmten Verhältnissen  der  Molecularvolumina  verschiedener  Substanzen 
leicht  auch  für  andere  Grase  und  Dämpfe  die  absolute  Grösse  des  Mole- 
cularvolumens  ableiten. 

Da  wir  früher  für  Kohlensäure  die  Summe  sämmtlicher  Molecular- 
querschnitte  (S.  227)  gleich:  26700  qcm  und  jetzt  den  Querschnitt  eines 
Molecüles  =  20  X  10"""  qcm  gefunden  haben,  so  ergiebt  sich  für  die 
Anzahl  der  im  Cubikcentimeter  enthaltenen  Molecüle  N: 

26700 
_       ^uivv  Trillionen. 

20.10-"  xii^viiüu 

0.  E.  Meyer  findet  für  Luft: 

iV^  =  21  TrilHonen. 

Wenigstens  der  Grössenordnung  nach  stimmen  diese  Zahlen  überein; 
eigentlich  sollte  man  nach  der  Avogadro' sehen  Kegel  für  alle  Gase 
dasselbe  N  finden. 

Bei  der  geringen  Zuverlässigkeit  der  zu  Grunde  liegenden  Zahlen 
muss  man  jedoch  mit  der  gefundenen  Uebereinstimmung  zufrieden  sein. 

Die  von  uns  gefundene  Zahl  N  gilt  übrigens  für  einen  Druck  von 
1  m  Quecksilbersäule;  für  den  Druck  von  1  Atmosphäre  müsste  dieselbe 
noch  mit  0,76  muttiplicirt ,  also  auf  circa  100  Trillionen  Molecüle  im 
Cubikcentimeter  reducirt  werden. 

Da 

ist,  wenn  d  den  mittleren  Abstand  zweier  Molecüle  bezeichnet,  so  ist  die 
Grösse  Ö: 

ö  =  -5=  =  —  0,22  .  10-«  cm. 

VN        ]?^100. 10-18 

Der  mittlere  Abstand  8  zweier  Molecüle  beträgt  also  ungefllhr  2  IGl- 
liontel  Millimeter. 

Es  ist  also,  da  für  Kohlensäure  die  mittlere  Weglänge  A: 

^  =  66  .  10-^ 
ungefähr : 

A  =  30  .  Ä. 

Nach  Clausius  aber  yerhält  sich  (Bd.  2,  I,  C,  6,  S.  57)  der  von 
den  Molecülen  selbst  ausgefüllte  Raum  v  zum  ganzen  Räume  V  wie  ein 
Achtel  des  Halbmessers  eines  Molecüles  zur  mittleren  Weglänge,  also: 


" 


fl  =   ^A     in-18   =   15   .   10      23  g 


H.    üeber  die  Natur  der  Molecüle.  247 

..F=£.. 

Mer: 

f  =  o  =  «•««^- 

Die  Molecüle  nehmen  also  bei  Atmospharendruck  and  0^  nur  ungefähr 
30008ten  Theil  des  Raumes  ein ,  den  das  Gas  überhaupt  erfüllt  ^). 
Nimmt  man  die  Anzahl  der  im  Cubikcentimeter  enthaltenen  Mole- 
e  im  Mittel  (arithmetisches  Mittel  aus  100  Trillionen  und  20  Trillionen) 
leich  60  Trillionen  an,  so  wird,  da  ein  Cubikcentimeter  Wasserstoff: 

0,001293  X  0,0693  g  =  0,0000896  g 

iegi,  das  Gewicht  g  eines  Wasserstoffmolecüles  gleich: 

0,0000896 

60.10 
gefunden. 

Nahmen  wir  das  Volumen  eines  Wasserstoffmolecüles  (man  sehe  S.  235) 

5  3 

S^^^^   nß  ß    ^^^  Volumens  eines  Kohlensäuremolecüles  und  dieses  letztere 

^0,0 

=  21  .  10~**  cbcm  an,  so  findet  man  das  specifische  Gewicht  Ö 
eineB  Wasserstoffmolecüles  gleich : 

_    15  .  10-«  .  26,6   _ 
*-   21.  10-«.  5,3     -^^^- 

Mit  der  im  Vorstehenden  für  die  absoluten  Dimensionen  der  Mole- 
efilc  gefundenen  Grossenordnung  stimmen  auch  die  Resultate  der  auf 
anderem  Wege  angestellten  Betrachtungen  über  die  Grosse  der  Molecüle 
und  Atome  überein. 

Faraday  hat  Goldhäutchen  hergestellt,  deren  Dicke  er  gleich  dem 
lOOsten  Theile  einer  Lichtwelle  schätzt.  Da  ein  solches  Häutchen  doch 
ans  mindestens  einer  Schicht  von  Molecülen  bestehen  muss,  so  würde 
sich  damit  der  Durchmesser  eines  Goldatomes  kleiner  als  5  Milliontel- 
millimeter ergeben.  Wir  fanden  den  Durchmesser  eines  Gasmolecüles 
gleich  0,3  Milliontelmillimeter. 

W.  Thomson  schliesst  aus  Plateau 's  bekannten  Versuchen,  dass 
in  einem  Wasserhäutchen,  welches  eine  geringere  Dicke  als  0,05  Mil- 
Hontehnülimeter  besässe,  höchstenB  eine  Schicht  Molecüle  enthalten  sein 
könne. 

Aus  der  Spannung  eines  galvanischen  Zink -Kupfer -Elementes  und 
der  zur  Elektrolyse  des  Wassers  nöthigen  Energie  schliesst  Lorenz, 


^)  Clansius  schätzte  mit  sehr  sicherem  Blicke   schon  zu  einer  Zeit,   als  man  die 

y 

nur  Berechnung  nöthigen  experimentellen  Daten  noch  nicht  kannte  (1857),  -rz  =  0,001. 
Man  sehe  Ahhandlungen  Bd.  2,  1.  Aufl.,  S.  273. 


248  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

dasB  der  mittlere  Abstand  zweier  Wassermolecüle  geringer  als  0,1  Mü- 
liontelmillimeter  sein  müsste. 

Thomson  kommt  aof  Grund  seiner  Messungen  der  Kraft,  mit  wel« 
eher  sich  zwei  durch  Yol tausche  Elektricität  geladene  Platten  anziehen, 
zu  dem  Schlüsse,  dass  der  Durchmesser  der  Molecüle  des  Zinkes  und  des 
Kupfers  grösser  als  0,03  Milliontelmillimeter  sein  müsste. 

Da  bei  Grenzbestimmungen,  die  auf  so  yerschiedenartigen  Betrach- 
tungen beruhen,  eine  vollkommenere  Uebereinstimmung  der  Resaltate 
gar  nicht  erwartet  werden  kann,  so  dürfen  wir  die  von  uns  gefundenen 
Dimensionen  der  Molecüle  wohl  als  der  Wahrheit  ziemlich  nahe  kos- 
mende  Zahlenwerthe  ansehen. 


6.  üeber  die  Wirkungsweise  der  Molecüle  und  Atome. 

Durch  die  bisher  besprochenen  Untersuchungen  müsste  die  Frag« 
noch  unentschieden  bleiben,  welcher  Natur  die  Kräfte  sind,  die  zwischen 
den  Molecülen  und  besonders  zwischen  den  ein  Molecül  bildenden  Atomea 
thätig  sind. 

Aus  den  Thomson -Joul ersehen  Versuchen  über  die  Abkühlung 
von  Gasen  bei  Ausdehnung  ohne  Arbeitsleistung  wissen  wir,  dass  die 
Gasmolecüle  in  ihren  mittleren  Entfernungen  d  eine  Anziehung  von  ge- 
ringer Grösse  auf  einander  ausüben. 

lieber  die  Natur  der  Kräfte,  durch  welche  zwei  zusammenstosaende ' 
Molecüle  nach  dem  Stosse  wieder  auseinander  geschleudert  werden,  giebl 
die  kinetische  Gastheorie  keinen  Aufschluss.  Die  wesentlichsten  Resul- 
tate dieser  Theorie  sind  sogar  von  der  Vorstellung,  die  man  sich  über 
die  Natur  dieser  Kräfte  machen  könnte,  vollkommen  unabhängig. 

L.  Boltzmann^)  ist  in  neuerer  Zeit  auf  Grund  seiner  Untersttchia- 
gen  dadurch  zu  Resultaten  gekommen,  welche  mit  der  Erfahrung  sehr 
gut  übereinstimmen,  dass  er  annahm,  die  Stoss Wirkung  fände  so  statt,  all 
ob  die  zu  einem  Molecüle  zusammentretenden  Atome  ein  starres  Aggregat 
bildeten.  Auch  0.  E.  Meyer  ^)  ist  der  Ansicht,  dass  bei  dem  Zusammen- 
prallen zweier  absolut  harter  Molecüle  aus  der  Unmöglichkeit,  dieselben 
zusammenzudrücken,  im  Momente  des  Stosses  plötzlich  eine  znrück- 
stossende  Kraft  entsteht. 

Ich  glaube,  dass  die  Gasmolecüle  bei  ihrem  Zusammenstosse  allerdisgi 
als  starre  Gebilde  anzusehen  sind  ^),  dass  aber  zur  Erklärung  ihrer  scheio- 
baren  Elasticität  beim  Zusammenstosse  die  Rotationsbewegungen  der  Mo- 


^)  L.  Boltzmann,    lieber  die   Natur   der  Gasmolecüle.    Poggend.  Ann.  Bd.  160, 
S.  175  u.  176. 

2)  O.  E.  Meyer,  Kinetische  Theorie  der  Gase,  S.  239. 

3)  Za  dem  Resnltate,   dass   die  Molecüle   eines   vollkommenen    Gases   absolat  sUn 
sein  müssten,  sind  wir  schon  im  1.  Bande,  S.  462,  Z.  6  v.  u.  gelangt. 


H.   lieber  die  Natur  der  Molecüle.  249 

lecüle  als  Ganzes  um  ihren  Schwerpunkt  vollständig  genügen.  Infolge  der 
im  Allgemeinen  nicht  centralen  Zusammenstösse  werden  alle  Molecüle  mehr 
oder  minder  heftige  Rotationsbewegungen  um  Axen  besitzen,  welche  durch 
den  Schwerpunkt  hindurch  gehen.  Beim  Zusammenstösse  rotirender  Rota- 
tionskörper aber  gelten  1)  der  Satz  yon  der  Erhaltung  der  Energie,  2)  der 
Satz  von  der  Gleichheit  der  Wirkung  und  Gegenwirkung,  und  3)  für  eine 
grosse  Zahl  von  sich  bewegenden  Molecülen  im  Mittel  der  Satz  von  der 
Erhaltung  der  Bewegung  des  gemeinsamen  Schwerpunktes. 

Nach  den  Untersuchungen  von  0.  £.  Meyer  und  G.  Lübeck  ^) 
genügen  diese  di*ei  Sätze,  um  eine  Aenderung  der  Geschwindigkeit 
beim  Zusammenstösse  der  Molecüle  nach  dem  *  Gesetze  des  elastischen 
Stosses  daraus  herzuleiten,  ohne  dass  man  deshalb  genöthigt  ist,  den 
Molecülen  selbst  Elasticität  zuzuschreiben. 

Wenn  man  somit  jedenfalls  auch  nicht  im  Stande  ist,  die  Natur  der 
zwischen  den  Molecülen  thätigen  Kräfte  zu  erkennen,  und  wir  für  die  zwi- 
schen den  Atomen  eines  Molecüles  wirkenden  Kräfte  Ton  fast  unendlicher 
Grosse  erhalten,  da  die  Molecüle  absolut  starr  oder  sehr  nahe  absolut  starr 
sein  sollen,  so  ist  es  doch  möglich,  die  Grössenordnung  der  Energie  der  Kräfte 
angenähert  zu  schätzen,  welche  zwischen  den  Gasmolecülen  thätig  sind. 

Boltzmann')  hat  eine  hierauf  bezügliche  Rechnung  angestellt,  die 
vir  in  Kürze  mittheilen  wollen. 

Der  mittlere  Abstand  zweier  Molecüle  möge  beim  flüssigen  Wasser 
mit  £  bezeichnet  werden ,  alsdann  ist  die  JSnergie,  welche  nöthig  ist ,  um 
den  mittleren  Abstand  i  um  xt  zn  verringern,  gleich: 

10334  .  g^  .  a? 
0,000016 

Durch  die  Druckzunahme  um  eine  Atmosphäre,  d.  h.  um  10334  Kg 
per  Quadratmeter  wird  das  Volumen  des  Wassers  um  0,000048,  der  Ab- 
stand i  also  um:  0,000016  g  yerringert.  Eine  Atmosphäre  aber  übt  auf 
den  einem  Molecüle  entsprechenden  Flächeninhalt  ^^  einen  Druck  aus  von : 

10334  .  £2. 

Da  durch  diese  Kraft  der  Abstand  S  um  0,000016  5  verringert  wird, 

5  .  X 
80  gehört  zu  einer  Verminderung  von  £  um  x  .  S  eiue  '     — ^  mal 

0,000016  .  f 

grössere  Kraft,  also  die  oben  angegebene  Kraft,  wenn  es  statthaft  ist,  das 

Gesetz,   welches  durch  Versuche  für  geringe  Gompressionen  gefunden 

worden  ist,  auch  auf  grössere  Gompressionen  zu  übertragen. 

Die  bei  dieser  Distanzverminderung  geleistete  Arbeit  findet  man, 

x.t 
wenn  man  die  Kraft  mit  der  halben  Distanzverminderung  -^  multiplicirt. 


»)  Lübeck,  Schlömilch's  Zeitschrift  für  Math.  u.  Physik.  1877,  Bd.  22,  S.  126. 
*)  Boltzmann:  lieber  das  Wirkungsgesetz  der  Molecularkräfbe.   Wiener  Sitzungs- 
bericht.  Bd.  66  (1872),  2.  Abth.,  S.  213  bis  220. 


250  L  Moleculai-theorie  der  Wärme. 

Diese  Arbeit  2  ist  demnach: 

g  _  10334  .  £s  .  0?» . 

~       0,000032 

Diese  Arbeit  2  vergleicht  Boltzmann  mit  der  Energie  der  Mole- 
cnlarbewegung.  Die  Masse  m  eines  Wassermolecules  ist,  wenn  Kilogramm 
und  Meter  neben  einander  als  Einheiten  fongiren: 

1000  .  p3 
m  = ^: —  • 

9 
Die  Summe  der  kinetischen  Energie  der  beiden  zusammenstossendeDD 
Molecüle  ist: 

2  .  -~  a»  =  m  .  tt«. 

Die  Grösse  u  aber  ist,  nach  der  Clausius'schen  Formel  (Bd.  1, 1, 
C,  3,  S.  38,  Gl.  9)  berechnet,  bei  0»  gleich: 

u  =  614  Meter. 

Setzen  wir  den  so  gefundenen  Werth  der  Energie  gleich  der  Arbeit 
?,  so  ergiebt  sich  für  x  die  Gleichung: 

1000  .  614^  .  g3  _  10334  .  g^  .  x^ 
9  ~      0,000032 

und  hieraus  findet  man  angenähert : 

1 
8 

Bei  einer  Temperatur  von  0^  nahem  sich  daher  die  Centra  zweier] 
Wasserdampfmolecüle ,  wenn  sie  central  auf  einander  zufliegen ,  bis  »of 

2  2 

eine  Distanz  von  —  S.  Wenn  aber  ^  auf  —  ^  reducirt  wird,  so  nimmt  du 

o  o 

19 
Volumen  V  um  — r  V  ab. 

27 

Um  das  Volumen  F  um  0,000048  V  zu  vermindern,  war  eine  Atmo* 

19 
Sphäre  nöthig,  um  dasselbe  jedoch  um  —  F  zu  comprimiren,  sind  dem- 

nach: 

19 

—  :  0,000048  =  14700  Atmosphären 

nöthig. 

Die  Kraft,  mit  der  die  Molecüle  auseinander  getrieben  würden,  weim 

2 
dieselben  sich  einander  auf  —  der  Entfernung  genähert  hätten ,  welche 

o 

sie  im  Zustande  grösster  Dichte  besitzen,    wäre  demnach  circa  15O00 

Atmosphären. 


H.    üeber  die  Natur  der  Molecüle.  251 

Mit  Rücksicht  auf  die  Anschanungen,  auf  welchen  die  Berechnung 
des  Condensationscoefficienten  D  beruhte  (man  sehe  Bd.  2,  S.  237)  und 
dem  vorhin  Ton  uns  Bemerkten  ist  selbstverständlich  diesem  Rechnungs- 
resultate nur  eine  ausserordentlich  geringe  Bedeutung  beizulegen. 


7.  ScUussbemerkungen. 

Wir  können  diesen  Abschnitt  nicht  abschliessen,  ohne  unsere  lieber- 
Zeugung  dahin  auszusprechen,  dass  das  Resultat  unserer  Untersuchungen, 
nach  welchem  der  Durchmesser  eines  Molecüles*  ungefähr  der  zehnte  Theil 
eines  Milliontelmillimeters  ist,  eigentlich  die  Bestätigung  dafür  bnngt, 
was  man  schon  vielfach  vermuthet  hat,  dass  wir  es  in  unserer  Annahme 
von  discreten  tintheilbaren  Atomen,  nicht  mit  einer  die  wahre  Beschaffen- 
heit der  Materie  enthüllenden  Wahrheit  zu  thun  haben,  sondern  dass 
diese  Annahme  lediglich  eine  jener  Hypothesen  ist,  welche  zu  einer  mög- 
lichst eingehenden  Construction  und  mathematischen  Discussion  der  Er- 
fahrungsresultate trefflich  geeignet  war,  ohne  auf  Realität  Anspruch  zu 
erheben. 

Die  Annahme  untheilbarer  Atome,  welche  nur  ungefähr  einige  Tau- 
sendmal kleiner  sind  als  die  kleinsten  sichtbaren  Grössen  ^) ,  enthält  für 
einen  philosophischen  Abschluss  der  Atomistik  einen  unlösbaren  Wider- 
sprach. 

Auch  die  Erscheinungen  der  Spectralanalyse,  nach  welchen  die  Be- 
wegungen der  einatomigen  Quecksilber-  und  Gadmium molecüle  ein  so 
reich  gegliedertes  Spectrum  scharf  definirbarer  Linien  giebt,  deuten  dar- 
auf hin,  dass  man  nicht  berechtigt  ist,  die  Atome  als  untheUbare  Mona- 
den aufzufassen. 

Die  Schwierigkeit  einen  consequenten  logischen  Abschluss  einer 
physikalischen  Atomistik  zu  gewinnen,  hat  schon  seiner  Zeit  Daniel 
Bernoulli  veranlasst,  sich  der  Cartesius'schen  Lehre  von  den  Wirbeln 
zazuneigen,  und  bestimmte  Rankine  und  neuerdings  W.  Thomson^), 
die  lange  yergessene  Lehre  des  Cartesius  wieder  aufzunehmen. 

Die  nicht  immer  ganz  klaren  Vorstellungen  Rankine^s,  aus  welchen 
dieser  die  beiden  Hauptsätze  der  mechanischen  Wärmetheorie  entwickelte, 
haben  durch  Thomson  eine  sehr  präcise  Formulirung  erhalten,  dadurch, 
dass  der  Letztere  an  die  berühmte  Untersuchung  von  Helmholtz')  über 
die  Wirbelbewegungen  einer  sich  ohne  Reibung  bewegenden  Flüssigkeit 
aidmüpfte.    In  dieser  Abhandlung  definirt  Helmholtz  unter  dem  Namen 


^)  Helmholtz  hat  hekanntlich  Poggeud.  Annalen  Jubelband,  S.  557  dargethan, 
<Uss  die  Grenze  der  Sichtbarkeit  kleiner  Gegenstände  im  Mikroskop  wegen  der  Diffrac- 
tion  des  Lichtes  ungefähr  beim  4000Bten  Theile  eines  Millimeters  liegt. 

2)  W.  Thomson,  On  vortex  atoms.  Phil.  Mag.  4.  Serie.  Bd.  34,  S.  15  bis  25  (1867). 

^  Helmholtz,  Crelle's  Journal.   Bd.  55  (1858),  S.  25. 


252  I.  Moleculartheorie  der  Wärme. 

Wirbellinien  krumme  Linien,  welche  sich  in  der  Flüssigkeit  derart  ziebei 
lassen,  dass  sie  in  ihrem  ganzen  Verlauf  überall  gegen  die  Ricbtnngder 
Rotationsbewegung  des  Wirbels  senkrecht  stehen ,  so  dass  sie  der  Boti^ 
tionsaxe  parallel  verlaufen ;  unter  Wirbelfaden  versteht  er  dünne  Flfisag- 
keitsfäden,  deren  Axe  von  einer  Wirbellinie  gebildet  und  welche  äiUBO^ 
lieh  durch  eine  Bchaar  von  Wirbellinien  begrenzt  wird  ^).  Helxnholti 
hat  nun  gezeigt,  dass  bei  gewissen  in  der  Natur  erfüllten  Yorausaetm^ 
gen  über  das  Wirkungsgesetz  der  von  aussen  auf  die  Flüssigkeit  9» 
geübten  Kräfte  alle  Bewegungen  so  stattfinden  müssen,  dass  jedeWiiM* 
linie  fortwährend  aus  denselben  Flüssigkeitstheilchen  zusammengesetil 
bleibt.  Da  die  Wirbellinien  im  Allgemeinen  in  sich  zurücklaufende  Ca^ 
ven  sind,  so  enthält  jeder  Wirbelfaden  eine  endliche,  stets  unve^ande^ 
liehe  Menge  von  Flüssigkeit,  welche  ihre  ringförmige  Gestalt  und  ihra 
Ort  verändern,  ihre  Verbindung  aber  nicht  lösen  kann. 

Diesen  Satz ,  dass  die  Erzeugung  neuer  Wirbel  und  neuer  Wirbel* 
faden  ein  Act  der  Schöpfung  sein  würde  und  dass  die  einmal  Torban- 
denen  nicht  ohne  Einwirkung  einer  ausserhalb  stehenden  ELraft  vemichtd 
werden  können,  hat  W.  Thomson  zum  Ausgang  seiner  neuen  Atomutik 
gemacht. 

Er  nimmt  an,  dass  die  Atome  Wirbelfaden  seien  und  wählt  zu  ihrer 
Veranschaulichung  ein  Bild,  er  vergleicht  sie  mit  den  vom  Tabacksraacheri 
geblasenen  Rauchringen. 

Man  kann  sich  gemäss  dieser  Anschauung  die  Materie  als  eine 
Raum  stetig  erfüllende  Substanz  vorstellen  und  muss  dann  annehmi 
dass  die  continuirliche  Masse  sich  in  kleine  ringartig  oder  auch  &dea*! 
förmig  gestaltete  Theilchen  sondert,  welche  durch  keine  innerhalb  der 
Welt  wirkende  Kraft  weiter  getheilt  werden,  vermehrt  oder  vermindeti 
werden  können. 

Die  Undurchdringlichkeit  und  die  Wirbelbewegung  verleiht  da 
Wirbelatomen  Eigenschaften,  welche  denen  der  Elasticität  sehr  ähnM: 
sind,  so  dass  die  Abstossungen  zweier  zusammenstossender  WirbelatoiM 
dadurch  erklärt  werden  können.  —  Auch  eine  Wirkung  solcher  Wirbelatonw 
in  die  Ferne  wäre  vollkommen  verständlich,  da  Thomson  und  Tait'j^ 
Kirchhoff  3)  und  auch  Boltzmann^)  gezeigt  haben,  dass  Ringe  and 
andere  Körper,  welche  sich  in  einer  bewegten  Flüssigkeit  befinden.  Beheb- 
bar eine  der  elektrodynamischen,  vergleichbare  Anziehung  auf  einander 
ausüben.  Die  zwischen  den  Wirbelatomen  befindliche,  nicht  bewegte  Mi- 
terie  könnte  also  eine  Uebertragung  dieser  Kraft  vermitteln. 


^)  Wir  folgen  hier  der  Darstellung  0.  E.  Meyer's,  Kinetische  Theorie  der  G«, 
S.  244. 

^)  Theoretische  Physik,  deutsche  Ausgabe  von  Helmholtz  und  W  e  r  t  h  e  i  m ,  Bnvi* 
schweig,  Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.  Bd.  1,  S.  297. 

3)  Grelle»»  Journal  Bd.  71  (1870),  S.  287  u.  S.  263. 

*)  Crelle's  Journal  Bd.  73,  S.  111. 


H.    Ueber  die  Natur  der  Molecüle.  253 

Wir  glaubten  diesen  Abschnitt  nicht  abschliessen  zu  dürfen,  ohne 
reoigsteDs  anf  diese  vielTersprechende  Thomson' sehe  Wirbeltheorie  hin- 
^wiesen  zu  haben.  Dieselbe  berechtigt  zu  der  Hoffnung,  dass  sie  die 
ümabme  eines  von  der  übrigen  Materie  wesentlich  verschiedenen  Aethers 
B  der  Optik  entbehrlich  machen,  und  dass  sie  die  elektrischen  Erschei- 
rangen  eng  mit  den  optischen  nnd  calorischen  Vorgängen  zu  verknüpfen 
gestatten  wird;  ausserdem  besitzt  sie  den  grossen  Vorzug,  dass  ihr  nicht 
Beselben  philosophischen  Bedenken  entgegenstehen,  wie  der  bisherigen 
Atomistik. 


THERMOCHEMIE. 


A.    Atomgewicht  und  specifische  Wanne. 

1.    Vorbemerkungen. 

* 

Während  in  ihren  ersten  Anfiängen  Physik  and  Chemie  so  eng 
einander  verknüpft  waren,  dasses  kaum  möglich  ist,  die  Unterschiede 
selben  zn  erkennen,  trat  im  weiteren  Verlaufe  der  Entwickelnng  eine 
die  Förderung  der  Erkenntnisse  sehr  dienliche  Axbeitstheilong  ein,  wi 
vor  Kurzem  in  einer  noch  weiteren  Durchführung  derselben  insofern 
zu  Missständen  zu  fuhren  drohte,  als  keine  dieser  Wissenschaften  die 
fahrungsthatsachen  der  anderen  genügend  berücksichtigte.  In  ne 
Zeit  ist  nun  immer  fühlbarer  das  Bedürfniss  hervorgetreten ,  gerade 
gemeinsamen  Gebiete  vorzugsweise  anzubauen ,  da  man  immer  mdir  « 
kannte,  dass  der  Kernpunkt  zu  einer  möglichst  einfachen  und  voDstäuS 
gen  Erklärung,  nicht  bloss  Beschreibung,  der  physikalischen  vk 
chemischen  Vorgänge  in  einer  Mechanik  der  Atome  zu  suchen  sei 

lieber  die  Eigenschaften  der  Atome  haben  aber  einerseits  physib* 
lische  und  andererseits  chemische  Erfahrungsthatsachen  gewisse  Amu^ 
men  nöthig  gemacht,  und  erst  aus  der  Zusammenfassung  beider  enH 
wickelt  sich  allmählich  ein  immer  klareres  Bild  über  die  Kräfte,  welc^ 
als  zwischen  den  Atomen  wirksam  vorausgesetzt  werden  müssen,  nol 
über  die  Grössenbeziehungen ,  welche  wir  zwischen  den  klemsten  6r 
standtheilen  der  Körper  als  vorhanden  anzunehmen  genöthigt  sind.       | 

Aus  diesem  allgemein  als  richtig  anerkannten  leitenden  Gedanka| 
ergab  sich  ganz  von  selbst  das  Bedürfiiiss,,  das  der  Chemie  und  PbyA 
gemeinsame  Gebiet  gesondert  zu  bearbeiten,  und  es  ist  dadurch  eine  neu 
Disciplin  entstanden,  welche  von  einer  Anzahl  hervorragender  Geldrtei 
mit  Vorliebe  gepflegt  wird,  es  ist  dies  die  „Physikalische  Chemie^ 


A.    Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  .  255 

Obgleich  sich  nan  diese  Disciplin  auch  anf  viele  Gebiete  erstreckt, 
welche  mit  der  mechanischen  Wärmetheorie  in  keinem  directen  Zusammen- 
hange stehen  (Spectralanalyse,  optische  Constanten,  Elektrolyse,  magnetische 
Eigenschaften),  so  ist  doch  einer  der  hauptsächlichsten Theile  der  physi- 
kalischen Chemie  derjenige,  welcher  die  Beziehungen  behandelt,  welche 
zwischen  Wärmeerscheinungen  und  chemischen  Vorgängen  bestehen,  und 
dieser  Theil  wird  gewöhnlich  mit  dem  Namen  Thermochemie  bezeichnet. 

Wenn  es  uns  im  Folgenden  auch  nicht  möglich  sein  wird,  ein  voll- 
ständiges Lehrgebäude  der  Thermochemie  aufzustellen,  so  wollen  wir 
doch  versuchen,  die  hauptsächlichsten  Sätze  derselben  und  die  wichtig- 
sten empirischen  Grundlagen,  auf  welchen  diese  ruhen,  zusammenzu- 
siellen. 


2.    Die  Atomgewlclite  und  die  Atomigkelt. 

Die  Chemie  ist  durch  ihre  Zerlegungsmittel  bis  jetzt  bei  ungefähr 

63  bis  65  Stoffen  angelangt,  welche  wesentlich  voneinander  abweichende 

chemische  und  physikalische  Eigenschaften  zeigen,  und  die  sie  zur  Zeit 

noch  nicht  vermochte   in  noch  weitere  ungleichartige  Bestandtheile   zu 

'  iremien.     Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  die  elementaren  Bestandtheile 

I  einer  Verbindung  aus  dieser  stets  wieder  in  denselben  Mengen  und 

'  mit  denselben  Eigenschaften  gewonnen  werden  können,  mit  welchen 

sie  in  die  Verbindung  eingetreten  waren. 

Femer  hat  man  allgemein  wahrgenommen,  dass  auch  die  kleinsten 

Theile  chemischer  Verbindungen,  welche  man  auf  mechanischem  Wege  her- 

'  zustellen  vermochte,  unter  sich  gleichartig  waren  und  Eigenschaften  be- 

I  

!  Sassen,  welche  von  denen  der  kleinsten  Theile  der  Bestandtheile  abwichen. 
Aus  dieser  Erfiahrungsthatsache  hat  man  geschlossen,  dass  die  Ele- 
mente mit  ihren  Eigenschaften  in  den  Verbindungen  fortbestehen,  und 
dass  die  Molecüle  zusammengesetzter  Körper  aus  den  Atomen  oder  Atom- 
complexen  der  Elemente  bestehen,  und  dass  die  Eigenschaften  der  so  ge- 
bildeten Molecüle  von  denen  der  Atome  der  Bestandtheile  wesentlich  ver- 
schieden sind. 

Es  hat  sich  femer  gezeigt,  dass  in  den  zusammengesetzten  Körpern, 
sofern  sie  den  Namen  einer  chemischen  Verbindung  im  engeren  Sinne  ver- 
dienen, die  Elemente  immer  in  bestimmten  Gewichts  Verhältnissen  ent- 
halten sind.  Zerlegt  man  z.  B.  Zinnober,  so  finden  sich  in  demselben 
200  Gewichtstheile  Quecksilber  und  32  Gewichtstheile  Schwefel;  zerlegt 
man  das  schwarze  Schwefel quecksilber,  so  findet  man  200  Gewichtstheile 
Qaecksilber  und  16  Gewichtstheile  Schwefel.  Ferner  verbinden  sich 
16  Gewichtstheile  Sauerstoff  mit  400  Gewichtstheilen  Quecksilber  zu  Queck- 
silberoxydul  und  mit  200  Gewichtstheilen  Quecksilber  za  Quecksilber- 
oxyd. 


256  IL   Thermochemie. 

Man  erkennt  sofort,  dass,  wenn  man  annimmt,  jedes  MolecQl  dei 
schwarzen  Schwefelqnecksilbers  bestehe  aus  gleichviel  Atomen  Qaecksilber 
und  gleichviel  Atomen  Schwefel ,  jedes  Molecül  Zinnober  ans  doppelt  so- 
viel Atomen  Schwefel  als  Atomen  Quecksilber  besteht  etc.,  nnd  das  Ge- 
wicht jedes  Atoms  des  Schwefels  sich  zu  dem  Gewichte  jedes  QaecksiIbe^ 
atoms  wie  16  zu  200  verhält  i). 

Die  Gewichte  der  Atome  selbst  kann  man  auf  solche  Weise  selbst- 
verständlich nicht  bestimmen  (man  sehe  Bd.  2,  I,  H,  S.  247),  wohl  aber 
kann  das  Verhältniss  der  Atomgewichte  durch  derartige  Betrachtongen 
bis  auf  zwei  einfache  Zahlenfactoren  genau  bestimmt  werden.  Gerade  dk 
Lösung  der  Aufgabe,  wie  viele  Atome  jedes  Elementes  in  ein  Moleefil 
der  Verbindung  eingetreten  sind,  ist  häufig  sehr  schwierig. 

In  vielen  Fällen  kommt  da  das  Avogadro'sche  Gesetz  zu  Hälfe, 
welches  sich,  wie  wir  gesehen  haben,  aus  der  kinetischen  Theorie  der 
Gase  ganz  von  selbst  ergiebt^). 

Wir  fanden  schon  im  ersten  Abschnitte  dieses  Bandes,  S.  24,  den 
Satz,  dass  bei  gleicher  Temperatur  und  Druck  in  gleichen  Volumen  voll- 
kommener Gase  gleichviel  Molecüle  enthalten  sein  müssen.  Für  Gase 
ergiebt  sich  hieraus  ein  einfacher  Anhalt,  die  Verhältnisse  der  Moleefil- 
gewichte,  wenn  auch  nicht  der  Atomgewichte  zu  bestimmen.  Denn  da 
die  Anzahl  der  in  gleichen  Räumen  unter  sonst  gleichen  umstanden  vo^ 
handenen  Molecüle  gleich  gross  ist,  so  müssen  sich  die  Gewichte  glei- 
cher Volumina,  also  die  auf  gleiche  Verhältnisse  bezogenen  specifiscbeii 
Gewichte  unmittelbar  wie  die  Gewichte  der  Molecüle  verhalten. 

Für  solche  Gase,  deren  Molecüle  aus  nur  einem  Atom  bestehen,  wü^ 
den  demnach  die  so  erhaltenen  Zahlen  unmittelbar  die  Atomgewichte  sein. 

Für  zusammengesetzte  Substanzen  bezeichnen  mehrfach  Atom  und 
Molecül  dieselbe  relative  Gewichtsmenge,  doch  giebt  es  auch  eine  Anzabl 
von  Verbindungen,  deren  Molecüle  als  aus  zwei  Atomen  oder  als  tu 
zwei  oder  mehr  Atomcomplexen  im  engeren  Sinne  zusammengesetzt  an- 
genommen werden  müssen.  Zur  ersten  Glasse  gehört  die  Salzsäure,  zor 
zweiten  das  Aethyl,  dessen  Molecül  aus  zwei  Atomen  Aethyl  zusammen- 
gesetzt ist.  Für  die  Elemente  ist  in  den  meisten  Fällen  das  Molecultr- 
gewicht  das  Doppelte  des  Atomgewichts,  jedoch  giebt  es  auch  Elemente, 
in  welchen  das  elementare  Atom  zugleich  das  Molecül  darstellt,  z.  B. 
beim  Quecksilber;  bei  anderen  Elementen  ist  man  genöthigt,  anzunehmen, 
dass  deren  Molecüle  aus  drei  (Ozon)  und  vier  (Phosphor,  Arsen)  gleich* 
artigen  elementaren  Atomen  zusammengesetzt  seien. 

Die  Chemiker 3)  verstehen,  etwas  abweichend  vom  physikaliscbo) 
Sprachgebrauch,  unter  Molecül  die  kleinste  Menge  einer  Substanz,  welche 


^)  Eine  grosse  Zahl  schöner  hierhergehöriger  Beispiele  findet  man  z.  B.  in  Ram- 
melsberg's  Gnindriss  der  Chemie  gemäss  den  neueren  Anschauungen ,  4.  Auflage, 
1874,  S.  7. 

3)  Man  sehe  z.  B.  Bd.  2,  I,  B,  3,  S.  24. 

^  A.Naumann,  Thermochemie  (Braunschweig,  Friedr.Viewegu.  Sohn  1869),  S.  6. 


A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  257 

im  freien  (niiYerbimdeiiezi)  Zustande  besteht,  unter  Atom  hingegen  die- 
jenige kleinste  Menge  der  Substanz ,  welche  in  einem  Molecüle  vor- 
kommt 

Zur  Entscheidung  über  die  Anzahl  der  in  einem  Molecüle  vorhan- 
denen Atome  haben  zwei  Erfahrungen  geführt,  welche  durch  folgende 
Beispiele  erl&utert  werden  mögen.  Bei  Verbindungen,  respective  Zerlegung 
hat  sich  gezeigt,  dass,  wenn  sich  die  Elemente  und  ebenso  die  Verbindun- 
gen anter  gleichem  Drucke  und  gleicher  Temperatur  in  Oasform  befinden, 

1  Vol.  H  +  1  Vol.  Cl  =  2  Vol.  HCl 


1 

n 

H  +  1 

n 

Br  — 2 

ff 

HBr 

1 

n 

H  +  1 

w 

J    —2 

ff 

HJ 

2 

n 

H+  1 

ff 

0    —2 

ff 

H,0 

2 

n 

H+  1 

n 

S    — 2 

ff 

H,S 

3 

T» 

H+  1 

4 

ff 

N    —  2 

ff 

HaN 

3 

rt 

H  +  l 

ff 

P    —  2 

ff 

HgP 

3 

n 

H  +  l 

ff 

Ab  —  2 

« 

ff 

U}A 

ist 

Es  findet  bei  der  chemiscben  Verbindung  verschiedener  elementarer 
Oase  also  entweder  eine  einfache  Addition  der  Volumina  oder  eine  Ver- 
dicktmig  in  der  Weise  statt,  dass  das  Volumen  der  Verbindung  immer 
doppelt  so  gross  als  dasjenige  ist,  welches  bei  gleichem' Druck  und  Tem- 
peratur als  ein  Raumtheil  Wasserstoff  bezeichnet  wird. 

Legten  sich  die  n  Molecüle  Wasserstoff  und  die  n  Molecüle  Chlor, 
welche  im  ersten  Falle  in  jeder  Volumeneinheit  enthalten  sind,  einfach 
sosammen,  so  müssten  n  Molecüle  HCl  entstehen,  und  diese  bei  uuge- 
indertem  Drucke  und  gleicher  Temperatur  genau  ebensoviel  Raum  be- 
anspruchen, als  vorher  einer  von  beiden  Bestandtheilen.  Da  nun  aber 
der  gebildete  Chlorwasserstoff  erfahrungsgemäss  unter  gleichen  Um- 
standen ebensoviel  Raum  beansprucht,  als  vor  der  Verbindung  beide 
Bestandtheile  mit  ihren  zusammen  2n  Molecülen,  so  ist  man  genöthigt, 
anzunehmen,  dass  nicht  n,  sondern  2*^1  Molecüle  HCl  gebildet  worden 
sind.  IKes  kann  man  sich  aber  nur  so  erklären ,  dass  jedes  Molecül  des 
vnyerbundenen  Wasserstoffs  und  Chlors  aus  mindestens  zwei  Atomen 
bestanden  hat,  welche  bei  der  Verbindung  auseinandergefalien  sind.  An 
sich  kann  man  eigentlich  nur  schliessen,  dass  jedes  Molecül  aus  einer 
geraden  Anzahl  Atomen  bestanden  habe,  der  Einfachheit  wegen  drückt 
man  dies  dadurch  aus,  dass  man  sagt,  das  Molecül  des  H,  des  Cl  etc.  ist 
zweiatomig.  Das  Nämliche  schliessen  wir  vomBr,  J,  0,  SundN«  Eine 
Ausnahme  jedoch  machen  unter  den  obengenannten  die  vier  Elemente  P, 
As,  Hg  und  Cd.  Wir  sind  aus  ähnlichen  Gründen  genöthigt,  anzuneh- 
men, dass  zum  Molecüle  des  P  und  As  nicht  2,  sondern  4  Atome  gehören, 
imd  dass  beim  Hg  und  Cd  schon  ein  einziges  Atom  das  Molecül  bildet 

VeTdet-Bahlmanli,  Mecban.  W&pnetheorie.    Bd.  S.  ][7 


258 


n.  Thermochemie. 


Diese  Elemente  sind  demzafolge  gleichzeitig  dieselben,  welche  An- 
nahmen von  dem  Volumengesetze  repräsentiren ,  dass  das  Gewicht  der 
Volameneinheit  Gas  des  betreffenden  Elementes,  H  =  2  gesetzt,  gleidi 
dem  doppelten  Atomgewicht  ist  ^).  Es  sind  nämlich  die  Dampfdiclitei 
(d.  h.  die  Gewichte  der  Volameneinheit  unter  sonst  gleichen  Umständen) 
bezogen  anf  das  Gewicht  der  Volameneinheit  Wasserstoff  als  Einheit: 


Namen  der  Elemente 


Dampfdichte  bezogen  auf 
Wasserstoff  als  Einheit 


Gegenwartig  angenommoKi 
Atomgewicht 


Wasserstoff 

Chlor     . 

Brom 

Jod    •    . 

Sauerstoff 

Schwefel 

Stickstoff 

Phosphor 

Arsen     . 

Cadmium 

Quecksilber 


1 

35,5 

80 
127 

16 

32 

14 

63,8 
153 

56,9 
100,7 


1 

35,5 

80 
127 

16 

32 

14 

31 

75 
112 
200 


Die  Atomgewichte  des  Phosphors  and  Arsens,  za  deren  Aniuüuu 
man  aas  chemischen  GrtLnden  and  nachher  za  erwähnenden  physikaliscbfli 
Rücksichten  genöthigt  ist,  müssten  eigentlich  nach  dem  Volamengesetn 
doppelt  so  gross  and  die  des  Cadmiams  and  Qaecksilbers  halbtf 
gross  sein. 


3.    Die  Beziehung  zwischen  Atomgewichten  und  sped- 
fischen  Wärmen  der  Elemente  im  starren  Zustande. 


Wollte  man  die  Dampfdichten  ohne  Weiteres  als  Atomgewicbte  be 
natzen,  so  würden  daraas  gewisse  Unznträglichkeiten  entstehen,  die  ma  \ 
aas  anderen  Analogien  nicht  für  statthaft  halten  kann. 

Setzte  man  z.  B.  das  Gewicht  eines  Phosphoratoms  gleich  62,  so  moste  j 
man  die  Formel  des  Phosphorwasserstoffs  Hg  P  schreiben,  and  das  istnicUl 


^)  Eb  bedarf  wohl  kaum  der  Erwähnong,  dass  dieses  Volamengesetz  auch  nur  «ba 
streng  richtig  sein  kann,  wenn  das  Gas  oder  der  Dampf  des  betreffenden  Elemeot«*  ib 
ein  Tollkommenes  Gas  angesehen  werden  kann ,  welches  durchaus  aus  gleichartiges 
Moleciilen  besteht. 


A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  259 

zulässig,  weil  dann  die  Analogie  mit  H3N  verloren  ginge,  die  sonst  in 
jeder  anderen  Beziehung  su  erkennen  ist.  Man  ist  ähnlichen  Uehelständen 
dadurch  hegegnet,  dass  man  angenommen  hat,  das  Molecül  des  Phosphors 
and  Arsens  bestehe  aus  vier,  das  des  Quecksilbers  undCadmiums  aus  nur 
einem  Atome.  Auf  das  Detail  der  chemischen  Gründe,  welche  hier  maass- 
gebend  gewesen  sind,  können  wir  hier  nicht  wohl  eingehen,  sondern  ver- 
weisen deswegen  auf  die  neueren  Lehr-  und  Handbücher  der  Chemie  ^). 

Auf  einen  Grund  jedoch  wollen  wir  noch  mit  einigen  Worten  ein- 
geben. 

Ea  hat  sich  nämlich  gezeigt,  dass  die  specifische  Wärme  der  meisten 
in  gleichem  Aggregatzustande  befindlichen  Elemente  in  umgekehrtem 
Terhältnisse  zum  Atomgewichte  steht.  Zuerst  machten  Du  long  und 
Petit  ^)  auf  diese  merkwürdige  Beziehung  aufinerksam,  späterhin  ist  von 
F.  Neumann')  der  Satz  dahin  erweitert  worden,  dass  bei  allen  chemisch 
ihnUch  zusammengesetzten  Körpern  sich  die  specifische  Wärme  ebenfalls 
amgekehrt  verhalte,  wie  die  Atomgewichte. 

Man  kann  diesen  Satz  auch  dahin  aussprechen,  dieAtomechemisch 
ähnlicher  Körper  bedürfen  zu  gleicher  Temperaturerhöhung 
gleicher  Wärmemengen. 

Für  die  Elemente,  welche  im  starren  Zustande  vorkommen,  belegt 
diesen  Satz  nachstehende  Tabelle^). 


^)  Besonders  aasfiihrliche  AiueinaodersetSTing  Bndet  man  z.  B.  in:  L.  Meyer, 
IKe  modernen  Theorien  der  Chemie.     3.  Aufl.  Breslau,  1876. 

^  Dulong  und  Petit,  Recherches  sur  quelques  points  importants  de  la  th^orie 
M  ia  chalenr.     Ann.  de  chim.  et  de  phys.     1.  Serie,  Bd.  106,  S.  395  bis  413. 

')  F.  Neumann,  Untersuchung  über  die  .specifische  Wärme  der  Mineralien. 
Pojrg.  Ann.  Bd.  23,  S.  1  und  Beobachtungen  über  die  specifische  Wärme  verschiedener, 
«uneailich  zusammengesetzter  Körper.     Pogg.  Ann.  Bd.  126,  S.  123. 

*)  Ausführlichere  Belege  findet  man  in:  L.  Meyer,  Die  modernen  Theorien  der 
Chemie,  3.  Aufl.  1876,  S.  93  etc. 


17' 


260 


n.  Thermochemie. 


Tabelle  der  Atomwärmen  der  Elemente. 


Namen  der  Elemente 


a 


Specifigche 

Wärme 

C 


Beobachter 


Atom- 
gewicht 
K 


AtOD- 


JT.  C 


Alaminiam 


Antimon 


Arsen,  krjst. 


b)  Graphit 


Kapfer 


Lithiatti 


Magnesiam 
Mangan   • 


Arsen,  amorph        .    . 


Blei 

Bor,  kryst 

Bor,  desgl 

Brom 

Cadmium 

Calcium 

Chrom 

Eisen 

Goia 

Indium 

Jod 

Iridium 

Kalium 

Kobalt 

Kohlenstoff 

a)  Diamant      .... 


»C. 

60 

? 

55 

81 

45 

55 

45 

56 

55 

233 

600 

—  51 
55 
50 
86 
58 
55 
50 
59 
60 

—  34 
55 

985 
978 
55 
58 
35 
64 
60 
34 
55 


0,2143 

0,0507 

0,0508 

0,0523 

0,0758 

0,0814 

0,0830 

0,0822 

0,0314 

0,366 

0,5? 

0,0843 

0,0567 

0,170 

0,100 

0,1138 

0,0324 

0,0570 

0,0541 

0,0326 

0,1655 

0,1067 

0,459 

0,467 

0,0935 

0,0952 

0,0930 

0,9408 

0,2499 

0,2450 

0,1217 


Regnault 

Dulong  u.  Petit 

Regnault 

Kopp 
Wüllner 
Regnault 
Wüllner 
Neumann 
Regnault 


) 


1 


F.  Weber 

Regnault 

» 
Bunsen 

Kopp 

Regnault 

» 
Bunsen 

Regnault 

P.  Weber 

Regnault 

n 
Kopp 

Regnault 

Kopp 
Regnault 


1 


27,3 


122 


75 

206,4 

11,0 

80 
112 
39,9 
52,4 
56 

196,2 
113,4 
126,5 
198 
39,1 
58,6 

12 

63,3 

7 
24 
55 


5,8 
«,2 
6,2 
6,4 

«,l 
6,2 

6,5 

(5,5?) 

6,7 

6,3 

6,8 
5,2 
6,4 
6,4 
6p 
6,8 
6,4 
6,5 
6,3 

5,5 
5,6 
5,9 
6,0 

.5,9 
6,6 
6,0 
5,9 
6,7 


A.  Atomgewicht  und  specifiache  Wärme. 


261 


Tabelle  der  Atomwärmen  der  Elemente. 


Namen  der  Elemente 


Molybdän 

Natrium • 

Nkkel 

Oimitim 

Palladiom 

Phoiphor,  gelb    .... 

ji  n        .... 

jy  roth     •    .    .'   • 

PUtin 

Qaeckfiilber,  fest     .    .    . 
9  flüssig     .    . 

Rhodium 

Schwefel,  rhombisch  .    . 
9       geschmolzen 

Ratheninm 

oelett)  amorph  •  .  .  • 
»  I)  .... 
II     kryst. 

»        j»        

De»g1 

Silber 

SUiciam,  kryst.  .... 

Tellur 

Thalliom 

Wismnth 

Wolfram 

Zink 

Zinn I 

Zitkoniom 


3 


a 


Specifische 

Warme 

C 


55 

—  14 
55 
60 
55 

—  34 
19 
67 
55 

—  59 
50 
55 
67 
56 
50 

—  9 

—  5 
59 
42 
61 
55 

232 
55 
58 
55 
55 
55 
55 
34 
50 


0,0722 

0,2934 

0,1082 

0,0311 

0,0593 

0,174 

0,189 

0,170 

0,0324 

0,0319 

0,0332 

0,0580 

0,178 

6,203 

0,0611 

0,0746 

0,0953 

0,0762 

0,0840 

0,0860 

0,0570 

0,203 

0,0474 

0,0335 

0,0308 

0,0334 

0,0955 

0,0562 

0,0548 

0,0662 


Beobachter 


Regnaalt 

n 

n 
» 
n 
n 
n 
n 
n 
n 
n 
» 

n 
Bansen 

Regnaalt 

Wttllner 

Regnaalt 

Wüllner 

Neamann 

Regnaalt 

F.  Weber 

Regnaalt 

» 
n 
» 

n 
Kopp 

Dana 


Atom- 
gewicht 
K 


1 


1 


96 

23 

58,6 
198,6 
106,6 

31 

196,7 
200 
200 
104,4 

32 

103,5 


»   78,0 


108 

28 
128 
203,6 
210 
184 

64,9 

118 
90 


Atom- 
warme 
K  .  C 


I 


I 


6,9 
6,7 
6,3 
6,2 
6,3 
5,4 
5,9 
15,3 
6,4 
6,4 
6,6 
6,1 
5,7 
6,5 
6,3 
5,8 
7,6 
5,9 
6,6 

e!^ 

6,2 
5,7 
6,1 
6,8 
6,5 
6,1 
6,1 
6,6 
6,5 
6,0 


Wenn  die  aufgeführten  Zahlen  auch  idcht  absolut  gleich  sind,  so 
-IDU88  man  die  grosse  Uebereinstimmung  derselben  doch  als  einen  Beweis 


262  IL  Thermochemie. 

dafür  ansehen,  dass  die  Atomwärmen,  d«  h.  die  Prodacte  ans  der  spedfi- 
Bchen  Wärme  und  dem  Atomgewichte,  sehr  nahe  constant  sind. 

Wollte  man  nun  dem  Qnecksilher  nndCadminm,  dem  Phosphor  und 
Arsen  die  dnrch  die  Dampfdichte  geforderten  Atomgewichte  znBchrexbeD, 
so  würden  deren  Atom  wärmen  nur  halh  resp.  doppelt  so  gross  sein,  ih 
die  der  uhrigen  Elemente.  Es  gieht  zwar  auch  hier  grössere  Abwei- 
chungen^), jedoch  sind  das  besonders  drei  Substanzen,  nämlich  Kobleo- 
stofiP,  Bor  und  Silicium,  welche  wieder  unter  sich  verwandt  sind,  und  mit 
den  oben  genannten  in  keiner  Beziehung  stehen,  so  dass  man  diese  nickt 
wohl  als  Analogie  zu  Hülfe  nehmen  kann,  auch  gehen  diese  Differauen 
nicht  bis  zur  Hälfte  oder  bis  zum  Doppelten  des  Mittelwerthes  6,1. 

Nachdem  somit  wenigstens  an  einigen  Beispielen  gezeigt  worden  is^ 
auf  welche  Weise  man  sich  einigen  Aufsohluss  über  die  Anzahl  derAtone 
verschaffen  kann,  die  zur  Constitution  eines  Molecüles  der  betreffend» 
Substanz  gehören,  wollen  wir  noch  kurz  andeuten,  auf  welche  Wei« 
wenigstens  in  vielen  Fällen  die  Atomgewichte  bestimmt  werden  könnoL 

Mit  Hülfe  des  Yolumengesetzes ,  dass  unter  sonst  gleichen  Unutli- 
den  gleich  grosse  Volumina  gleiche  Anzahlen  von  Molecülen  enthaltea, 
ist  es  nun  leicht,  aus  einer  Dampfdichtenbestimmung  das  Atomgewidit 
auch  solcher  Elemente  abzuleiten,  welche  nicht  in  Dampfform  gebracht 
werden  können  und  z.  B.  auch  dem  Dulong-Petit'schen  oder  Nei- 
m an n 'sehen  Gesetze  nicht  gehorchen. 

Sind  nämlich  M  oder  Mx  die  Gewichte  der  Molecüle,  und  D  und  Di . 
die  Dampfdichten  zweier  Gase,  so  verhält  sich  nach  dem  Avogadro'schea 
Gesetze: 

Jlf :  Jtfi  =  D  :  A. 

Hieraus  folgt: 

,=  f.7>. 

Nun  ist  das  Moleculargewicht  Mx  des  Wasserstoffs  üf]  =  2  (1  Atoa 
H  ==  1  gesetzt)  und  die  Dampfdichte  (d.  i.  das  speciBsche  Gewicht  desH, 
Luft  gleich  1  gesetzt)  Di  =  0,0693,  mithin  ist: 

Jtf  =  28,88  .  D 1) 

Es  ist  nun  beispielsweise  die  Gasdichte  des  Eohlenoxydes  D  =  0,9698 
und  die  der  Kohlensäure  D  =  1,524.  Multiplicirt  man  diese  Zahlen  mit 
28,88 ,  so  findet  man  das  Moleculargewicht  des  Eohlenoxydes  gleich  28 


^)  F.  Weber  hält  es  für  wahrscheinlich,  dass  die  Atomwägrmen  nahe  constant  g^ 
fanden  werden,  wenn  man  für  die  specifischen  Wärmen  die  Werthe  nimmt,  welche 
für  jede  Substanz  innerhalb  des  Intervalles  gelten,  innerhalb  dessen  die  spedfischt 
Wärme  am  meisten  eine  Constante  ist,  d.  h.  am  wenigsten  mit  steigender  Temperakv 
wächst.  Schon  Regnault  glaubte,  dass  man  bei  Bestimmung  der  specifischen .TVame 
dem  Schmelzpunkt  der  Substanz  nicht  nahe  sein  dürfe. 

Die  physikalischen  Bedingungen  der  Gültigkeit  des  Gesetzes  haben  wir  nach  Boltx- 
mann's  Untersuchungen  in  einem  der  folgenden  Paragraphen,  dem  sechsten  dies»  Ai^- 
Schnittes,  auseinandergesetzt. 


A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  263 

und  das  der  Eoblensäm'e  gleich  44.  Da  nun  die  procentische  Analyse 
ergehen  hat,  dass  in  der  Eohlensänte  mit  32  Oewichtstheilen  Sauerstoff 
12  Gewichtstheile  Kohlenstoff  und  in  dem  Kohlenozyd  mit  16  Oewichts- 
theilen Sanerstoff  12  Gewichtstheile  Kohlenstoff  verhnnden  sind,  so  ist 
es  sofort  ersichtlich ,  dass  für  das  Molecül  der  Kohlensänre  nur  die  For- 
mel GOs,  fär  das  Molecül  des  Kohlenoxydes  die  Formel  GO  und  für  das 
Atomgewicht  des  Kohlenstoffis  nur  12  zulässig  ist. 

In  denjenigen  Fällen,  in  welchen  die  vorgenannten  Hülfsmittel  zu- 
mal hei  Yerhindungen  nicht  zum  2iiele  fuhren,  müssen  die  krystallogra- 
phischen Beziehungen, hesonders der  Isomorphismus  und  alle  sonstigen 
physikalischen  und  chemischen Eigenthümlichkeiten  (Suhstitution,Wer- 
thigkeit)  mit  in  Rechnung  gezogen  werden.  Isomorphismus,  Dampf- 
dichte, specifische  Wärme,  Yertretungswerth  streiten  gegenseitig 
um  den  Hang,  und  da  es  schliesslich  dem  wohlerwogenen  Ermessen  üher- 
lassen  hleibt,  auf  welchen  dieser  Umstände  man  zumal  hei  Verbindungen 
im  Zweifelfall  ein  grösseres  Gewicht  zu  legen  hat,  so  erklärt  es  sich, 
dass  die  theoretischen  Grundlagen  in  der  Chemie  so  schwankend  und  so 
häufig  Aenderungen  unterworfen  sind^). 


4.    Die  physikalisolie  Begründung  der  Avogadro' sehen 
Hypothese  für  Gase  mit  mehratomigen  Molecülen, 

Bei  Gelegenheit  seiner  Untersuchungen  über  die  Bewegungszustände 
Ton  Molecülsystemen ,  in  welchen  die  Geschwindigkeiten  nach  dem  Max- 
well^ sehen  Gesetze  yertheilt  sind,  wurde  Boltzmann  auf  eine  Gleichung 
gefuhrt,  welche  die  Richtigkeit  der  Ayogadro'schen  Hypothese  auch 
für  den  Fall  mit  Sicherheit  aus  theoretischen  Gründen  erkennen  lässt, 
dass  die  Molecüle  jene  unregelmässigen  sich  durch  Stdsse  fortwährend 
ändernden  Bewegungen  besitzen,  welche  Maxwell  in  seiner  kinetischen 
Gastheorie  voraussetzt. 

Boltzmann  zeigt  nämlich  in  seiner  Abhandlung:  „Ueber  das  Wärme- 
gleichgewicht zwischen  mehratomigen  Gasmolecülen^  ^),  dass,  wenn  zu 
einer  Zeit  t  die  Anzahl  der  in  der  Yolumeneinheit  eines  Gasgemisches 
befindlichen  Molecüle  eines  bestimmten  Gases,  dessen  Molecüle  aus  r  Ato- 
men bestehen ,  ^  ist ,  die  Anzahl  dN  dieser  Molecüle ,  deren  Zustand 
zwischen  solchen  Grenzen  eingeschlossen  ist,  dass  die  Coordinaten  des 
ersten  Atoms  zwischen: 

li  und  gl  +-  d|i,     fii  und  %  +  dtii,     ti  und  fi  +  dtu 
die  Coordinaten  des  zweiten  Atomes  zwischen: 

I2  und  &  -f-  VI2,     ija  und  1^2  +  di]^,     ti  und  f ,  +  dfa, 


? 


Arendt,  Lehrbuch  der  anorganischen  Chemie.     2.  Aufl.,  S.  537. 
Separata1)dnick  aus  dem  63.  Bande  der  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad«,  S.  18  etc., 
Gl.  24). 


264 


IL  ThermochejDQie. 


die  des  rten  Atoms  zwischen: 

I,  und  I,  +  d^r,    %  und  iy,  +  diy^     f ,  und  g,  +  df^ 

und  dass  allgemein  die  Geschwindigkeitscomponenien  des  iten  dieser 
r  Atome  zwischen  den  Grenzen: 

Ui  und  Ui  +  dUi^    Vi  und  t;<  -}-  dt;<,     ip,  und  ir,  -f-  dw, 

liegen,  durch  folgende  Formel^)  dargestellt  wird: 

dN  =  Ä  .e"^'^  .  dli  .  .  .  dir^i  '  dui  .  dvi  .  .  .  dw^  .   ,  2) 

die  Zustandsvertheilung  unter  den  Molecülen  weder  durch  die  Bewe- 
gung der  Atome  in  den  Molecülen,  noch  durch  die  Zusammenstösse  mit 
anderen  Molecülen  geändert  wird,  wenn  auch  die  Zustandsyertheilung  miter 
den  übrigen  Molecülen  anderer  in  derselben  Yolumeneinheit  beigemeng- 
ter Gasarten  durch  eine  der  Gl.  2)  analoge  Formel  bestimmt  wird. 

Hierin  ist  q)  die  Summe  aus  der  Eraftfunction  der  auf  die  Atom» 
wirksamen  Kräfte  und  der  gesammten  lebendigen  Kraft  des  Molecülen 
h  ist  eine  für  alle  Gasarten  der  im  Wärinegleichgewicbt  stehenden  Giw 
gemeinschaftliche  Constante,  welche  die  Temperatur  des  Gemisches  be- 
stimmt'). Ä  aber  ist  eine  für  die  verschiedenen  Gasarten  verschiede] 
Constante. 

Aus  dieser  Formel  lassen  sich  nun  einige  wichtige  Gonsequen 
ziehen.    Bezeichnet  X  die  Kräftefunction  der  Kräfte,  welche  zwischen  d 
Atomen  des  Molecüls  thätig  sind,  so  lange  das  betrachtete  Molecül  m 
gerade  im  Zusammenstösse  mit  einem  anderen  Molecüle  begriffen  ist, 
sind  die  Massen  der  Atome  mi,  m^  ,  .  ,  m^  und  ihre  Gesohwindigkeii 
Ci,  Cj  .  .  .  Cr,  so  ist: 


9  =  X  + 


l»l  .  Ci' 


+ 


Wi  .  C^' 


2         '         2 
und  daher  nach  der  vorigen  Gleichung  2): 


+  ...  + 


m, .  Cr« 


.  3) 


dN 


=  ^.e-*( 


jr  + 


mi 


mt  .  et« 


mr 


^. 


d|i  .  diii 


.  .  .  dtPr 4) 

Dieser  Ausdruck  zeigt  zunächst  die  wichtige  Thatsache ,  dass  ön 
Wahrscheinlichkeit  der  verschiedenen  Zustände  eines  Molecüls  gta  nie 
von  der  Natur  der  übrigen  Molecüle  abhängig  ist,  mit  welchen  dasadl 
zusammenstösst,  sondern  bloss  von  der  die  Temperatur  bestimmende 
Constanten  A,  und  diese  muss,  wie  wir  schon  oben  erwähnten,  für  a!l4 
in  Wechselwirkung  stehenden  Molecüle  im  Falle  des  Wärmegleich^ 
gewichtes  denselben  Werth  haben. 


^)  Die    Coordinaien  des  rien  Atoms   kommen   nicht   in  Frage,   weil   die  Lage 
letzten  Atoms  durch  die  der  übrigen  und  des  Schwerpunktes  bestimmt  ist. 
9)  Es  ist: 

2*         ^- 


A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  265 

Für  die  mittlere  lebendige  Kraft  eines  der  r  Atome  z.  B.  des  iten 
findet  man^): 

fnj.'c?        1        rmt_^                  3  ^. 

-2-=]fV-2-'^^=2Ä ^^ 

d.  L  die  mittlere  lebendige  Kraft  ist  also  für  alle  Atome  der  in  Wechsel- 
wirkung stehenden  Moleoüle  gleich.  Da  die  mittlere  lebendige  Kraft 
jedes  Atomes  gleich  ist,  so  kann  dieselbe  anoh  (wie  wir  das  an  vielen 
Stellen  angenommen  haben)  als  Maass  der  Temperatur  benutzt  werden. 

Die  in  der  Boltzmann'schen  Gleichung  vorkommende  Ekponential- 
groflse  ist,  wie  man  sieht,  unabhängig  von  der  Richtung  der  Geschwin- 
digkeiten; darausfolgt,  dass,  wenn  die  Stellung  der  Atome  und  die  Grösse 
der  Geschwindigkeiten  für  irgend  einen  Zeitpunkt  gegeben  sind,  fcbr  jedes 
Atom  jede  Geschwindigkeitsrichtung  im  Baume  gleich  wahrscheinlich  ist. 

Bezeichnet*  man  nun  die  Gomponenten  der  Geschwindigkeit  des 
Schwerpunktes  eines  Molecüles  nach  den  drei  Coordinatenaxen  mit  t«,  r, 
w  ohne  Index,  so  ist: 

fHi    ,  Ui    -|-    Mm  .  t^   -f"   .  .  .    -f-   tW,  .   t*^ 
U=   j j j ; 

ähnliche  Gleichungen  lassen  sich  für  v  und  to  aufstellen.  Die  kinetische 
£nergie  der  fortschreitenden  Bewegung  eines  Molecüles  ist  nun  aber  die 
Gesammtmasse  fiii  --|-  ^  4'  •  •  •  ~f~  ^r  des  Molecüles,  mültiplicirt  mit 
dem  halben  Quadrate  der  Geschwindigkeit  des  Schwerpunktes  des  Mole- 
cüles. Die  kinetische  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  eines  Mo- 
lecüles ist  also: 

(mi    4-  »4  +  •  •  •  +  «»r)  •  2 

2  .  (Wi    +  l»3   +   .  .  .) 

Berechnen  wir  den  Mittelwerth  dieser  Grösse,  so  erhalten  wir  lauter 
Glieder  von  der  Form: 


:^ A  • "'  • 


dN 


imd  ähnliche  für  v  und  w.    Wegen  der  gleichen  Wahrscheinlichkeit  jeder 
Bewegungsrichtung  eines  Atoms  sind  diese  Integrale   gleich  0,  wenn  p 

und  q  verschieden  sind,  und  sie  besitzen  den  Werth  -~,  wenn  pz=q=i 

o 

ist.     Infolge  dieses  Umstandes  ist  die  mittlere  kinetische  Energie  der 

fortschreitenden  Bewegung  eines  Molecüles: 

^)  Da  die  za  integrirende,  mit  dN  multiplicirte  Grosse  nur  die  Qescilwindigkeii  a 
cnthilt,  so  ßllt  X  ganz  ans  der  Rechnung.  Die  Integration  mos«  über  alle  in  dN  auf- 
tretenden Variabein  erstreckt  werden  und  ist  nach  den  Grossen  «,  v,  w  von  -f-  oo  bis 
—  OD  anazudehnen.  Man  sehe  Boltzmann,  Separatabdruck  aus  Wiener  Ber.,  Bd.  63, 
8.  20. 


266  IL  Thermochemie. 


hß 


(mj  +  »i2  +  .  .  .  4-  m,)  .  ^ ^ —  '  dN=^'Ci^ 

—  T  •  ^ «) 

Die  mittlere  lebendige  Kraft  der  fortschreitenden  Bewegang  da 
Molecüles  ist  also  gleich  der  mittleren  lebendigen  Kraft  jedes  Atoms  ^). 
Eine  Conseqnenz  dieses  Satzes  findet  in  der  Erfahrung  ihre  BestätigoDg. 

Das  Product  ans  der  mittleren  lebendigen  Kraft  der  fortschreitea- 
den  Bewegang  und  der  Anzahl  Molecüle  in  der  Yolumeneinheit  bestiinDt 
den  Druck  ^),  da  die  mittlere  lebendige  Kraft  eines  Atoms  aber  als  Maas 
der  Temperatur  dient,  so  müssen  bei  gleichem  Druck  und  bei  gleidur 
Temperatur  in  der  Yolumeneinheit  für  alle  Gase  gleichviel  Molecüle  ent- 
halten sein. 

Damit  aber  ist  die  Avogadro'sche  Hypothese  in  voller  AUgemdih 
heit  auch  für  Gase  wissenschaftlich  begründet,  deren  Molecüle  ratomig 
sind,  und  das  ist  wichtig,  da  die  früher  von  uns  (S.  24)  gegebene  Ab- 
leitung stillschweigend  auf  der  Yoraussetzxmg  beruhte,  dass  die  Gas- 
molecüle  sich  wie  materielle  Punkte  verhielten,  also  selbstredend  einatomig 
wären,  und  sich  ziemlich  regelmässig  bewegten. 

Eine  andere  Conseqnenz  der  Formel  5)  wird  durch  die  Yereaehi 
nicht  bestätigt  Bezeichnet  nämlich  ü  die  totale  Energie  des  Gases  ml 
%f  die  kinetische  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung  seiner  Molecoki 
so  ist  nach  Satz  6),  wenn  r  Atome  im  Molecüle  voshanden  sind: 

U=r  .Zj 7) 

Nun  hat  aber  bekanntlich  Clausius  (man  sehe  Bd.  2,  S.  36)  nack- 
gewiesen,  dass  für  ein  Gas,  bei  dem  man  von  innerer  Arbeit  abaehfla 
kann: 

|:=i.^_ 8)j 

%       3x— 1  " 

c 
ist,  worin  x  =  -^  das  Yerhältniss  der  specifischen  Wärmen  bedeutet 

Hieraus  folgt,  dass  z.  B.  für  vollkommene  Gase,  deren  Molecüle  zwö- 

c 
atomig  sind,  x  ^  —  folgenden  Werth  haben  müsste: 

X  =  1  +  I- ....») 

3r 
Sauersto£P,  Wasserstoff,  Chlor  etc.  sind,  wie  wir  gesehen  haben,  m- 
atomig,  demnach  ergäbe  sich  auf  theoretischem  Wege: 

X  =  1,333, 
während  durch  Yersuche  für  Luft,  die  doch  ebenfalls  ein  Gemisch  zwei- 
atomiger Molecüle  ist,  von  Röntgen: 

I 

j 

^)  0.  E.  Meyer  halt  diese   Interpretation  des  Resultates  und  somit  ancli  di«  Ua<'  j 

auf  basirenden  Schlüsse  nicht  für  richtig.    Man  sehe :    Kinetische  Theorie  der  Gsse,  S.  ^  | 

'}  Man  sehe  z.  B.  Bd.  2,  S.  37.  | 


A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  267 

X  =  1,405 
gefunden  worden  ist. 

Die  Annahme,  dass  r  >»  2  sei,  würde  auf  noch  kleinere  Werthe 
Ton  X  fuhren. 


6.    Die  speoiflfiohe  Wärme  des  Queoksilbergases. 

Eine  andere,  man  musB  geradezu  sagen  üherraschende  Ueber- 
einstimmung  der  Formel  9)  mit  der  Erfahrung  ist  jedoch  neuer- 
dings Ton  Eundt  und  Warburg  ^)  geliefert  worden.  Diese  beiden 
Physiker  bestimmten  n&mlioh  den  Quotienten  der  specifischen  Wftrmen 
X  för  Quecksilbergas,  d.  h.  fiir  eines  von  denjenigen  Gasen,  deren  Mole* 
cfile  man  aus  chemisohen  und  physikalischen  Gründen  als  einatomig  an- 
sQsehen  berechtigt  ist,  und  sie  fanden  in  yollkommener  Uebereinstimmung 
mit  der  Formel  9)  für  r  =  1: 

X  =  1,67. 

Damit  ist  nachgewiesen,  was  von  grosser  Bedeutung  ist,  dass  in 
chemischer  und  mechanischer  Beziehung  sich  das  Molecül  des  Queck- 
nlbergases  wie  ein  materieller  Punkt  verhält. 

Dass  dies  in  anderer,  z.  B.  in  optischer  Beziehung  nicht  der  Fall 
ist,  können  wir  aus  dem  reichen  Linienspectrum  des  Lichtes  erkennen, 
welches  glühendes  Quecksilbergas  aussendet. 

Wir  wollen  kurz  beschreiben,  auf  welche  Weise  Eundt  und  War- 
bnrg  verfahren  sind. 

Die  gesuchte  Grosse  wurde  aus  dem  Verhältniss  der  Wellenlängen 
eines  und  desselben  Tones  in  Luft  und  in  Quecksilbergas  von  bekannten 
Temperaturen  nach  dem  schon  früher  von  uns  andeutungsweise  beschrie- 
benen Verfahren  von  Eundt')  ermittelt. 

Bezeichnet  V  den  Abstand  zweier  zu  einem  bestimmten  Tone  gehö- 
riger benachbarter  Staubfiguren  in  Luft,  deren  absolute  Temperatur  T' 
und  deren  Dichte  unter  Normalverh&ltnissen  q!  ist,  und  nennen  wir  V 
den  entsprechenden  Abstand  zweier  benachbarter  Staubfiguren  für  den- 
selhen  Ton  in  Quecksilbergas,  dessen  Temperatur  T"  und  Normaldichte 
p'  ist;  dann  gilt,  wenn  %*  resp.  x''  die  Quotienten  der  specifischen  Wär- 
men in  beiden  Gasen  sind,  die  Gleichung: 

Denn  bekanntlich  ist  der  Abstand  2  zweier  Eundt' scher  Staubfiguren 
gleich  der  halben  Wellenlänge  und  somit: 


^)  Ueber  die  specifische  WSrme  des  Qaecksilbergases.    Pogg.  Ann.  Bd.  154,  S.  353 
bis  369. 

^  Man  sehe  darüber:  Kundt,  Pogg.  Ann.  Bd.  127,  S.  497,  Bd.  135,  S.  337. 


n 


268  IL  Thermocheinie. 

2nl  —  Sl 

gleich  der  FortpflanzungsgeBchwindigkeit  des  Schalles. 

Um  l"  resp.  {'  für  das  n&mliclie  n  bestimmen  zu  können,  wurde  k 
ein  Glasrohr  A  eine  abgewogene  Menge  Quecksilber  gebracht  mid  du 
Rohr  möglichst  InfUeer  gepumpt.  Ausserdem  enthielt  dieses  Glasrolv 
etwas  Kieselsäure,  die  zur  Erzeugung  der  Staubfiguren  diente.  An  dit» 
ses  Glasrohr  Ä  war  ein  Glasstab  B  angeschmolzen,  so  dass  die  Axen  im 
Ä  und  ^  in  die  gegenseitige  Verlängerung  fielen.  A  wurde  nun  a 
einem  einfachen  Kasten  von  Eisenblech ,  der  ausserdem  noch  ein  Luft» 
thermometer  enthielt,  auf  Temperaturen  erhitzt,  deren  Betrag  durch  du 
Luftthermometer  ermittelt  werden  konnte.  Das  aus  dem  Kasten  henm 
stehende  Ende  des  Stabes  B  ragte  in  ein  mit  Luft  gefülltes,  am  andent 
Elnde  geschlossenes  Bohr  C,  das  zur  Messung  der  Entfernung  zweier  b» 
nachbarter  Stanbfiguren  in  Luft  etwas  Lykopodium  enthielt  und  auf  d« 
Constanten  Temperatur  des  Beobachtungsraumes  erhalten  wurde. 

Der  Stallt  B  wurde  auf  seinen  dritten  Longidutinalton   angeriebflu 
Hierdurch  entstanden  im  Bohre  A  die  Staubfiguren  im  Quecksilbergase  ui 
in  C  die  Staubfiguren  fär  den  Ton  des  Stabes  B  in  der  LufL     Der  Ah 
stand  derselben  sowie  die  Temperatur  in  A  und  C  wurde  sorgftltig  gl 
messen  *). 

Es  ergab  sich  z.  B.  bei  einem  Versuche: 

T'  =  22,9'>  +  274«,     T"  =  316,3«  +  274«,     t  =  35,23  mm, 

V  =  21,16mm, 
und   hieraus ,    wenn  man  x'    nach  Böntgen  =   1,405    f%Lr    Luft 

-7-  =  6,978  nach  Dumas  setzt: 
9 

x"  =  1,67. 

,  Da  der  Hohlraum  des  Bohres  A  bei  einer  Temperatur  von  281«  C. 
das  eingebrachte  Quecksilber  gerade  mit  Dampf  gesättigt  wurde,  so 
man  wohl  auch  annehmen,  dass  bei  der  Temperatur  der  Messung 
Quecksilbergas  sich  nahezu  wie  ein  yoUkommenee  Gas  verhalten 
wird. 

Aus  16  sehr  vorzüglich  übereinstimmenden  Versuchen,  welche 
sehr  verschiedenen  Temperaturen  und  Sättigungsgraden  angesteUt 
den,  ergab  sich  in  überraschender  Uebereinstimmung  mit  der  Theorie: 

x"  =  1,667. 

Hieraus  folgt  die  specifische  Wärme  des  Quecksilbers  bei  constani 
Volumen: 


^)  Genaueres  über  die  Construction  des  Apparates  sehe  man  in  Knndt  and  Wt£ 
bürg,  Ueber  die  specifische  Wärme  des  Quecksilbergases.     Pogg.  Ann.  Bd.  157,  S. 
bis  369. 


1 


A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  269 

c,  =  0,1027, 

und  das  ist  der  kleinste  derartige  Werth,  der  nns  bis  jetzt  bekannt  ist  ^). 
Es  kann  zur  Zeit  nicht  angegeben  werden,  warum  für  die  zwei-  und 
mehratomigen  Molecüle  die  Theorie  nicht  Resultate  ergiebt,  die  mit  den 
Yersachen  übereinstimmen. 


6.   Die  physikalisohe  Begründung  des  Dulong-Petit'- 

soben  Gesetzes. 

Da  wir  gerade  über  die  Molecularbewegungen,  auf  denen  die  Wärme- 
encheinungen  der  festen  Körper  beruhen,  ungemein  wenig  wissen,  so 
rnnss  es  in  hohem  Grade  überraschen ,  dass  sich  für  die  specifischen  Wär- 
men der  Elemente  in  diesem  Aggregatzustande  so  überraschende  Gesetz- 
mässigkeiten ergeben,  die,  wenn  sie  auch  nicht  streng  erfüllt  sind,  doch 
schon  ans  dem  Grade  der  Annäherung,  mit  dem  sie  bestehen,  eine  tiefere 
physikalische  Ursache  vermuthen  lassen. 

Diese  Ursache  ist  auch  neuerdings  vonBoltzmann  gefunden  worden. 

In  einer  interessanten  Abhandlung  ^),  betitelt :  „  Analytischer  Beweis  des 
sweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie  aus  den  Sätzen 
aber  das  Gleichgewicht  der  lebendigen  Kraft*' ,  betrachtet  er  nämlich 
einen  beliebigen  Körper,  der  aus  r  Atomen  besteht,  und  bezeichnet  die 
Coordinaten  des  iten  dieser  Atome  mit  a;<,  ^.,  0i  und  die  Geschwindigkeits- 
eomponenten  dieses  Atoms  nach  den  drei  rechtwinkligen  Goordinatenaxen 
mit  Ui^  Vfy  Wfj  die  Geschwindigkeit  des  Atoms  selbst  aber  mit  Ci.  Die 
^bäftefimction  der  auf  die  Atome  wirksamen  Kräfte  bezeichnet  er  mit  2* 
£r  zeigt  nun,  dass  die  bei  einer  Zustandsänderung  zugeführte  Wärme- 
menge 8Q: 

dQ=8^^-^dx-Ii 11) 

vnd  dass  -^  ein  vollständiges  Differential  ist. 

Die  für  ÖQ  gegebene  Formel  11)  zeigt,  dass  die  zngeführte  Wärme 
sn  drei    verschiedenen   Zwecken   verwendet    wird.      Der    erste    Theil 

i  2^r  ^®^*  *^"^  Erhöhung  der  lebendigen  Kraft  der  Atome,  d.  h.  zur 

Temperaturerhöhung,  der  zweite  Theil  -|~  8x,  wird  auf  innere  Arbeits- 
leistung  verwendet ,   und  —    Ifx  ist    die   für    äussere    Arbeitsleistung 

^)  A.  Nenmann  hatte  schon  im  Jahre  1867  die  Vermnthung  ausgesprochen,  dass 
c,  für  Qaecksflber  den  kleinsten  möglichen  Werth  besitzen  möge.  Man  sehe:  Ann.  d. 
Chem.  a.  Fhmrm.  Bd.  142,  S.  282. 

*)  Separatabdmck  aus  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akad.  Bd.  63,  Abth.  U, 
8.  16  etc. 


270  IL  Thermochemie. 

verbrauchte  .Wärmemenge.  Der  Quotient  der  zur  Temperaturerhöhmg 
der  Gewichtseinheit  verwendeten  Wärmemenge  und  der  hervorgebrachten 
Temperaturerhöhung  ist  die  Grösse ,  welche  wir  Bd.  2 ,  S.  10  mit  den 
Namen  wahre  specifische  Wärme  eines  Eöi*per8  belegt  haben. 
Nun  ist  aber,  wie  wir  schon  früher  zeigten  (S.  265,  Gl.  5  u.  GL  7): 


--^2  2h 


.2 


d.  h.  die  Grösse   >.  --—  ist  das  rfache  der  Grösse  ^77,  das  rfache  der  mitt- 

-^^    2  •  2Ä' 

leren  lebendigen  Kraft  eines  Atoms.    Da  nun  die  Temperatur  der  miti' 

leren  lebendigen  Kraft  eines  Atoms  proportional  ist,  so  ist  die  wahre 

specifische  Wärme   gleich  einer  Constanten  multiplicirt 

mit  der  Anzahl  Atome  in  der  Gewichtseinheit.     Die  wahre 

specifische   Wärme  eines  Körpers    ist  also    constant  und 

verkehrt  proportional  dem  Atomgewichte  (d.  h.  dem  dnrek 

die  Anzahl  der  Atome  im  Molecüle  dividirten  Molecular- 

gewichte). 

Für  feste  Körper  ist  es,  wie  wir  aus  den  ezperimenteUen  Gnmd- 

lagen  der  Elasticitätslehre   schliessen,    wahrscheinlich,  dass    die  Kraft, 

welche  auf  irgend  ein  Atom  wirkt,  angenähert  proportional  der  Entfo» 

nung  des  Atoms  von  seiner  Ruhelage  ist.     Demnach  muss  die  Krftfte- 

function,  deren  Differentiale  nach  den  Coordinaten  die  Kraffccomponeniei 

nach  dieser  Richtung  geben,  angenähert  die  Form  haben: 

+  JTy  +  I^  .  .  .) 12)1 

Berechnet  man  unter  dieser  Annahme  den  Mittelwerth  %  von  j^ 
wozu  Boltzmann  am  angegebenen  Orte  die  Anleitung  giebt^  so  findet 
man  für  diese  Annahme: 


x  =  S^ ") 

Für  feste  Körper  kann  man  also  in  erster  roher  Annäherung: 


» 


setzen,  da  man  —  ^^t  <^^  &^  äussere  Arbeit  verwendete  Wärmemenge 
bei  festen  Körpern  ohne  wesentlichen  Fehler  vernachlässigen  kann«  Dieie 
Formel  in  Verbindung  mit  Gl.  11,  S.  269  aber  sagt  aus:  Bei  festei 
Körpern  ist  sehr  nahe  die  auf  innere  Arbeitsleistung  ver- 
wendete  Wärme  ebenso  gross,  als  die  für  Temperaturerhö- 
hung verbrauchte.  Die  gesammte  zugeführte  Wärme  ist 
aber  sehr  nahe  doppelt  so  gross,  als  die  auf  Temperatur- 
erhöhung  verwendete.      Die    von    uns    experimentell    he- 


A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme. 


271 


stimmte  specifische  Wärme  fester  Körper  ist  daher  sehr 
nahe  doppelt  so  gross,  als  die  wahre  Wärmecapacität  des- 
selben; danun  die  letztere  dem  Atomgewicht  verkehrtpro- 
portional  ist,  so  muss  es  auch  die  letztere  sein,  and  das  ist 
das  Dalong-Petit'sche  resp.  F.  Neumann'sche  Gesetz. 

Dieser  Boltz  mann 'sehe  Satz  findet  in  einigen  Fällen  eine  über- 
raschende Bestätigung,  wenn  man  anf  später  anzudeutende  Weise  ans 
den  specifischen  Wärmen  yon  Verbindungen  die  specifischen  Wärmen 
derjenigen  Elemente  im  starren  Zustande  berechnet,  deren  Wärmecapa- 
citäten  im  gasförmigen  Zustande  experimentell  gefunden  worden  sind. 
Wir  bemerkten  schon  fr&her  (S.  10),  dass  die  specifische  Wärme  bei  con- 
stantem  Volumen  fär  yollkommene  Gase  die  wahre  specifische  Wärme- 
sein  müsse.     Es  fand  sich  nun  für: 


Stickstoff  . 
Chlor  .  . 
Brom  .  . 
Quecksilber 


Specifische  Wärme 


0,36 
0,18 
0,084 
0,032 


0,173 
0,093 
0,042 
0,015 


Die  specifische  Wärme  einer  Substanz  im  starren  Zustande  steht  zur 
wahren  Wärmecapacität  fast  genau  im  Verhältnisse  von  2:1  ^). 

Allerdings  wollen  wir  nicht  verschweigen,  dass  Sauerstoff  und  Was- 
serstoff zur  Zeit  noch  als  Ausnahmen  erscheinen.     Es  ist: 


specifische  Wärme 


Wasserstoff  • 
Sauerstoff  . 


starr 
2,3 
0,25 


gasförmig 
2,41 
0,156 


Verhältniss 
1      :  1 
1,3  :  2 


Da  wir  in  der  That  die  Producte  aus  specifischer  Wärme  und  Atom- 
gewicht, d.  h.  die  Atomwärme  der  Elemente  so  nahe  constant  finden  (man 
sehe  die  Tabelle  auf  S.  260),  so  können  wir  hieraus  rückwärts  schHessen, 
dass  auch  unsere  Voraussetzung  ziemlich  richtig  gewesen  ist,  d.  h.  dass  die 
auf  die  Atome  fester  Körper  wirksamen  Kräfte  in  roher  Annäherung  pro- 
portional den  Entfernungen  der  Atome  von  ihrer  Mittellage  sind. 

Man  könnte  rückwärts  hieraus  schUessen,  dass  bei  dei^jenigen  Sub- 


^)  Damit  diirfte  aach  die  Vermttthung  L.  Hey  er 's  in:  Die  modernen  Theorien  der 
Chemie,  3.  Aa£.  (1876),  S.  110,  ihre  Erledigung  finden,  welche  in  Bezug  auf  obige 
Zahlen  lautet:  „Ist  auch  der  Grund  dieser  RegelmSssigkeit  zur  Zeit  noch  nicht  erricht- 
Hch,  so  dürfte  sie  doch  schwerlich  einem  Spiele  des  Zufalles  entsprungen  sein. 


272  IL  Thermochemie. 

stanzen:  Kohlenstoff,  Bor,  Silicinm,  welche  erst  in  höherer Tempe- 
rator  dem  Da  long- Petit' sehen  (jesetze  sich  angenähert  nnterordneo, 
das  Kraftgesetz,  welches  die  Molecäle  in  ihre  Gleichgewichtshige  sarwk' 
führt,  ein  anderes  sei,  dass  diese  Sahstanzen  somit  hei  gewöhnlidiei 
Temperataren  aach  den  sonst  gültigen  Elasticitatsgesetzen  nidit  folgen. 
Yersache  liegen  hierüher,  soTiel  mir  hekannt,  zor  Zeit  nocb  nicht  vor, 
jedoch  dürfte  es,  wenn  aach  ziemlich  schwierig,  doch  nicht  anmöglich  leb, 
experimentelle  Untenrachangen  hierüher  anzostellen. 


7.    Die  Wärmecapacität  der  Verbindungen. 

Die  Wärmecapacitäten  der  Atome  scheinen  sich  nicht  wesenÜicii  a 
ändern,  wenn  dieselhen  in  Verhindongen  eintreten,  so  dass  man  deniol- 
genden  Satz  jetzt  als  naheza  erfahrangsmässig  begründet  ansehen  kaio: 
Dem  Molecalargewichte  jeder  Yerbindang  entspricht  iz 
festen  Aggregatzastande  eine  specifische  Wärme,  welebt 
angenähert  gleich  der  Snmme  der  specifischen  Wärmei 
der  im  Molecüle  enthaltenen  Atome  ist^). 

Die  specifische  Wärme  des  Jodhleies  ist  nach  Regnaalt  =0,0427, 
and  die  des  Brombleies  =  0,0533.  Mnltiplicirt  man  diese  Zahlen  nA 
den  Molecalargewichten  PbJj  =  459,4  and  PhBr^  =  365,9,  so  erhill 
man  die  Molecalarwärmen  (analog  den  Atomwärmen)  19,6  and  19,5.  Dil 
Sammen  der  Atomwärmen  der  in  diesen  Verhindangen  enthaltenen  Atoot 
ergehen  sich  aher  nach  der  Tahelle  S.  260  za: 

für  Ph  J,     =  6,5  +  2  X  6,8  =  20,1 
„   PhBr,  =  6,5  +  2  X  6,7  =  19,9 

Man  erkennt  leicht,  aaf  welche  Weise  man  darch  derartige  Betndt- 
tnngen  im  Stande  ist,  die  specifische  Wärme  im  starren  Zustande  solelief 
Elemente  za  berechnen,  welche  ans  isolirt  nar  im  gasförmigen  Zndaak 
bekannt  sind. 

Die  specifische  Wärme  des  Ghlorhleies,  PbClg,  warde  von  Keg- 
naalt  z.  B.  gleich  0,0664  gefanden.  Das  Atomgewicht  des  Chlor 
hl  ei  es  aber  ist  277,1.  Man  findet  hiemach  die  Molecalarwfirmi 
des  PbCla  =  277,1  X  0,0664  =  18,4.  Wenn  man  hiervon  die  Aton- 
wärme  des  Bleies  6,5  subtrahirt,  so  bleibt  11,59  =  2  X  5,95  für  70,5  G^ 
wichtstheile  Chlor  im  starren  Zastande.  Daraas  folgt,  wenn  man  53$ 
darch  35,37,  das  Atomgewicht  des  Chlors,  dividirt,  dass  die  specifiscb 
Wärme  des  Chlors  im  starren  Zastande  =  0,17  ist. 


^)  Wir  entnebmen  diesen  Satz  und  seine  Erläaterong  dem  bereits  mebrfacb  dtätti 
trefflieben  Werke  L.  Meyer 's:  Die  modernen  Theorien  der  Chemie.  3.  Aufl.,  S.  lOl 
Dort  ist  gleichzeitig  dAraaf  anlinerksam  gemaeht,  dass  Kopp  in  den  Ann.  der  Chea. 
und  Pharm.  3.  Snpplementbd.  S.  1  ff.  auseinandergesetzt  hat,  welchen  AntheU  difC  F<^ 
scher:  Regnault,  de  la  Rive  und  Marcet,  H.  Schröder,  Woestyn,  Gariicfs 
Bancalari  und  Cannizzaro    an  der  Au&tellung  und  Begründung  dieses  Satzes hataa 


A.    Atomgewicht  und  specifische  Wärme.  273 

Für  eine  AnEahl  von  starren  Substanzen  ist  anf  diese  Weise  die 
gpedfijsche  Wärme  zuerst  auf  Rechnnngswege  gefunden  worden  und  erst 
später  worden  diese  Zahlen  durch  experimentelle  Untersuchungen  bestätigt. 
Schon  ziemlich  früh  (1864)  hatte  Glausius  auf  die  Gültigkeit  des 
oben  angeführten  Satzes  für  die  wahren  specifischen  Wärmen  hin- 
gewiesen; da  wir  nun  jetzt  durch  Boltzmann  wissen,  dass  die  speci- 
fische Wärme  einer  Substanz  im  stari'en  Zustande  zur  wahren  specifischen 
Wärme  in  einem  so  einfachen  Verhältnisse  steht,  dass  die  erstere  an- 
genähert das  Doppelte  der  letzteren  ist,  so  findet  nunmehr  auch  dieser 
Satz  seine  einfache  rationelle  Begründung.  Gleichzeitig  ist  aus  dem 
vorstehenden  Paragraphen  zur  Genüge  ersichtlich,  dass  es  sich  hier 
eben  nur  um  ziemlich  rohe  Annäherung  und  durchaus  nicht  um  absolute 
Gleichheiten  handeln  kann.  Insofern  dieser  Glausius' sehe  Satz  zum 
^rständniss  des  am  Eingang  dieses  Paragraphen  mitgetheilten  Erfah- 
nmgsgesetzes  dienen  kann,  wollen  wir  denselben  in  der  gewählten  Modi- 
fication  an  dieser  Stelle  kurz  reproduciren  0* 

Derselbe  lautet  in  der  im  einleitenden  Abschnitte  dieses  Bandes  (Bd.  2, 
I,  A,  4,  S.  8,  Gl. 8 und 9)  mitgetheilten  Form:  die  innere  kinetische 
Energie,  d.h.  derWärmeinhalt  eines  Körpers,  ist  lediglich 
eine  Function  der  Temperatur  und  unabhängig  von  der 
Anordnung  der  Moleoüle. 

Nach  dem  inzwischen  mitgetheilten  Boltzman n' sehen  Satze  (S.  266, 
6L  6)  könnten  wir  in  dem  Schlüsse  dieses  Satzes  hinzufügen:  und  un- 
abhängig von  der  Anordnung  der  Atome  in  den  Molecülen. 
Wir  glauben,  dass  damit  auch  die  neueren  Erfahrungssätze  über  die 
specifischen  Wärmen  chemischer  Verbindungen  ausreichend  theoretisch 
begründet  erscheinen. 

Dass  sich  Glausius  über  die  Tragweite  seines  Satzes  vollkommen 
klar  gewesen  ist,  erhellt  aus  den  Schlussfolgerungen,  welche  er  aus  den- 
lelben  zieht. 

Er  sagt  in  §.  9  der  citirten  Abhandlung  ^):  „Ich  glaube  sogar,  die  An- 
wendung jenes  Gesetzes ,  wenn  es  richtig  ist ,  noch  weiter  ausdehnen  zu 
müssen,  nämlich  auf  chemische  Verbindungen  und  Zersetzungen**  und 
weiterhin'):  „Daraus  folgt,  dass  die  wahre  Wärmecapacität  jeder  Ver- 
bindung sich  anf  einfache  Weise  aus  den  wahren  Wärmecapacitäten  der 
einfachen  Stoffe  berechnen  lassen  muss.  Berücksichtigt  man  dazu  die 
bekannte  Beziehung  zwischen  den  specifischen  Wärmen  der  einfachen 
Stoffe  und  ihren  Atomgewichten,  welche,  wie  ich  glaube,  für  die  wahren 
Wärmecapacitäten  nicht  bloss  angenähert,  sondern  genau  richtig  ist,  so 
sieht  man,  welche  durchgreifende  Vereinfachungen  das  aufgestellte  Ge- 
setz, wenn  es  richtig  ist,  in  die  Wärmelehre  bringen  kann.** 


1)  Man  sehe  Glausius  (1862)  in  dem  Aufsatze:  lieber  die  Anweodung  des  Satzes  yon  der 
Aeqoivalenz  der  Verwandlungen  auf  die  innere  Arbeit.  Abhandlungen.  Bd.  I,  S.  264  u.  s.  f. 
^  A.  a.  0.,  S.  269. 
»)  A.  a.  0.,  S.  270. 

Yerdet-Bfthlmann,  Meohan.  Wftnnetbeorieb    Bd.  2.  X8 


274  IL    Thermochemie. 

B.    Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer 

Arbeit. 

1.  Meohanisclie  Bedeutimg  der  bei  chemisclien  Vorgängen 

entwickelten  Wärme. 

Wir  bemerken  fast  ausnahmslos,  dass  bei  chemischen  Vorgängen 
Wärmeprocesse  mit  nebenher  gehen,  und  in  neuerer  Zeit  hat  eine  Anzahl 
hervorragender  Chemiker  sich  vorzugsweise  mit  dem  Studium  der  hier 
in  Frage  kommenden  Wärmemengen  beschäftigt.  Diese  Wärmeerscheinun- 
gen haben  ihren  Grund  darin  ^),  dass  die  Molecüle  sich  chemisch  ver- 
bindender Substanzen  auf  einander  losstürzen  und,  indem  sie  einer  zwi- 
schen den  Molecülen  bestehenden  Anziehungskraft  Folge  leisten,  kineti- 
sche Energie  gewinnen.  Umgekehrt  wird  für  die  Trennung  von  Atomen 
oder  Molecülen  eine  gewisse  Arbeits-  oder  Wärmemenge  aufgewendet 
werden  müssen,  deren  Betrag  durch  die  bei  der  Vereinigung  gewonnene 
lebendige  Kraft  bedingt  wird. 

Die  bei  einer  chemischen  Reaction  auftretenden  Wärmemengen  kön- 
nen daher  als  ein  Maass  der  Arbeit  angesehen  werden,  welche  von  der 
chemischen  Affinität,  d.  h.  von  den  zwischen  den  Atomen  und  Mole- 
cülen thätigen  Kräften  geleistet  worden  ist,  sofern  während  des  Vorgan- 
ges keine  äussere  Arbeit  an  andere  Körper  abgegeben  wurde. 

Lediglich  als  eine  natargemässe  Gonsequenz  dieser  Anschauungen 
ergiebt  sich,  da  die  zwischen  den  Atomen  oder  Molecülen  wirksamen 
Kräfte  lediglich  innere  Kräfte  sind,  der  Satz:  Wenn  ein  System 
einfacher  oder  zusammengesetzter  Substanzen  in  be- 
stimmten Zuständen  (bedingt  durch  Druck,  Volumen,  Dis- 
gregation,  Temperatur)  gegeben  ist,  und  dieses  System  er- 
fährt physikalische  oder  chemische  Aenderungen,  welche 
dtks  System  in  einen  neuen  Zustand  überführen,  ohne  dass 
gleichzeitig  äussere  mechanische  Wirkungen  hervorge- 
bracht werden,  so  hängt  die  bei  dieser  Aenderung  ent- 
wickelte Wärmemenge  lediglich  von  dem  Anfangs-  und 
Endzustande  des  Systems,  nicht  aber  von  den  Zwischen- 
zuständen ab,  welche  durchlaufen  wurden. 

Dies  ist  derselbe  Satz '),  welcher  schon  früher  von  uns,  zumal  bei 
der  Behandlung  der  Lösungserscheinungen,  vielfach  angewendet  worden  ist 

Aus  diesem  Fundamentalsatze  fliessen  eine  Reihe  von  anderen  Sätzen; 
die  für  die  Behandlung  der  folgenden  Aufgaben  wichtigsten  derselben 
wollen  wir  kurz  anführen. 


^)  A.  Naamann,  Thermochemie  1869,  S.  54  (Braannchweig,  Friedr.  Vieweg  a.  Sohn). 
«)  Bd.  1,  VI,  B,  1,  S.  751. 


B.  Aequiyalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    275 

Die  bei  der  Zersetznng  eines  Körpers  absorbirte 
W&rmemenge  ist  gleich  der  bei  der  Bildung  derselben  ent- 
wickelten Wärmemenge,  sofern  Anfangs-  und  Endznstand 
dieselben  sind. 

Vollzieht  sich  ein  chemischer  Vorgang  mit  Warme- 
entwickelung,  und  bedingt  dieser  Vorgang  das  Stattfinden 
eines  anderen,  so  ist  der  zweite  nur  möglich,  wenn  er  zu 
seiner  Vollbringung  eine  geringere  Wärmemenge  in  An- 
sprach nimmt,  als  die  Wärmemenge  ist,  welche  bei  dem 
ersten  Vorgange  entwickelt  wird. 

Ans  diesem  Satze  ist  es  z.  B.  ohne  Weiteres  verständlich,  warum  es 
nieht  möglich  ist,  mit  einem  einzigen  D  an  i  eil 'sehen  Elemente  eine 
Wasserzersetzung  einzuleiten  (man  sehe  Bd.  1,  Anmerk.  25  zu  den  Vor* 
lesnngen,  S.  121). 

Berthelot ^)  hat  diesem  Satze  eine  etwas  allgemeinere  Form  ge- 
geben, welche  folgendermaassen  lautet: 

Die  bei  einer  Anzahl  zugleich  stattfindender  physi- 
kalischer und  chemischer  Umwandlungen  auftretende 
(positive  oder  negative)  Wärmeentwickelung  ist  die  alge- 
braische Summe  der  einzelnen  bei  jeder  Umwandlung  für 
sich  stattfindenden  Wärmeentwickelungen. 

Selbstverständlich  müssen  hierbei  die  verglichenen  Umwandlungen 
aller  Körper  immer  unter  den  entsprechenden  Anfangs-  und  Endzuständen 
vorgenommen  werden. 

Femer  ergiebt  sich  ohne  Weiteres,  dass  wenn  man  zwei  Reihen  von 
Znstandsänderungen  von  zwei  verschiedenen  Anfangszuständen  aus  an- 
fingt, die  KU  demselben  Endresultate  fuhren,  der  Unterschied  zwischen 
den  in  beiden  Fällen  stattfindenden  Wärmeentwickelungen  gleich  dem 
Beirage  der  Wärmeentwickelung  ist,  welche  bei  der  Ueberf&hrung  des 
eben  Anfangszustandes  in  den  anderen  auftritt.  Stimmen  hingegen  die 
Aniaogszustände  überein  und  sind  die  Endzustände  verschieden,  so  ist 
der  Unterschied  der  bei  beiden  Processen  entwickelten  Wärmemenge 
gleich  der  Wärmemenge,  die  aufkritt,  wenn  man  von  dem  einen  Endzustand 
m  dem  anderen  übergeht. 

Wenn  ')  ein  Körper  Ä  (z.  B.  0)  bei^der  Vereinigung  mit  einem  an 
deren  Körper  B  (z.  B.  einem  Metall)  Wärme  entwickelt,  und  wenn  hier- 
auf der  Körper  AB  (das  Metallozyd)  den  Körper  Ä  an  eine  dritte  Sub- 
atanz  C  (ein  anderes  Metall)  abgiebt  unter  Bildung  einer  neuen  Verbin- 
dung (Oxydes  des  anderen  Metalles),  so  ist  die  bei  dem  letzten  Vorgange 
entwickelte  Wärmemenge  um  den  Betrag  der.  bei  der  Herstellung  der  Ver- 
bindung AB  entwickelten  Wärmemenge  geringer,  als  die  bei  der  directen 
Verbindung  von  A  mit  C  freigewordene  Wärmemenge. 


^)  Berthelot,  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.,  Serie  4,  Bd.  6,  S.  294. 
^  A.  Naumann,  Thermochemie,  S.  55. 

18* 


276  II.    Thermochemie. 

Diese  Sätze  sind  so  an  sich  einleachtend,  dass  wir  dayon  abeeben 
wollen,  dieselben  durch  Beispiele  zu  erl&uiern. 

Bei  allen  Anwendungen  dieser  Sätze  ist  übrigens  wohl  zu  beaditen, 
dass  erstens  die  Aggregatzustände  und  femer  sogar  die  AtonÜAgemng  in 
den  Molecülen  der  sich  yerbindenden  Substanzen  und  der  Verbindungen 
sehr  wesentliche  Unterschiede  bedingen  kann  ,  und  dass  man  daher  em- 
pirisch gefundene  Zahlwerthe  sehr  sorgfaltig  in  dieser  Richtung  za  piü- 
fen  hat,  ehe  man  sie  für  Berechnung  anderer  scheinbar  analoger  Vor- 
gänge benutzen  kann. 

Ausserdem  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Chemiker  zwei  Arten 
Yon  Verbindungen  unterscheiden  ^) ,  nändioh  Atomyerbindungen  und  Mo- 
lecülyerbindungen  (besser  yielleicht  Verknüpfungen).  Die  AtomTer- 
bindungen  umfassen  die  eigentlichen  chemischen  Verbindungen,  d.L 
diejenigen  zusammengesetzten  Substanzen,  deren  Molecüle  aus  den  ele 
mentaren  Atomen  yermöge  der  zwischen  ihnen  bestehenden  chemischen 
Anziehung  nach  festen  durch  die  Werthigkeit  der  Atome  bedingten  Y»- 
hältnissen  entstanden  sind.  Hierbei  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  an 
Stelle  yon  Atomen  auch  Molecüle  eintreten ,  welche  noch  mehrere  freie 
Verwandtschaftseinheiten  besitzen. 

Die  Molecülyerbindungen  sind  solche,  welche  durch  die zwisdien 
den  Molecülen  yorhandenen  Anziehungskräfte  zusammengehalten  werdea 
Es    können    Molecülyerbindungen     nach   festen   Verhältnissen 
stattfinden ,  indem  eine  gewisse  Zahl  yon  Molecülen  sich  zu  einem  n- 
sammengesetzten  Molecüle  yereinigen,  z.  B.  die  Molecüle  eines  Salzes  aut 
mehreren  Molecülen  Erystallwasser.     Es  können  aber  als  Molecül Ver- 
bindung   nach  yeränderlichen  Verhältnissen  solche   Substansen 
bezeichnet  werden,  bei   denen   sich   unter  Mitwirkung  der  Molecnltf* 
anziehung  yerschiedene  Molecüle  gleiohmässig  unter  einander  yertheiks, 
wie  dies  z.  B.  bei  vielen  Legirungen,  Lösungen  und  Flüssigkeitsgemiscba 
der  Fall  ist.  Von  vielen  werden  allerdings  Substanzen  der  letztgenannten  Ait 
yon  den  vorigen  vollständig  geschieden,  und  die  obengenannten  Molecül- 
yerbindungen nach  festem  Verhältnisse  den  Atom  Verbindungen  im  weiteroi 
Sinne  mit  zugerechnet,  und  somit  die  Vereinigung  von  Atomen  oder  Mole* 
cülen  nach  festen  Verhältnissen  als  Unterscheidungsgrund  festgehalteiL 
Diesen  Principien  ist  in  neuerer  Zeit  ^)  ein  weiteres  zugefügt  worden, 
welches  von  seinem  Entdecker,  Berthelot,  das  Princip  der  Maximal" 
arbeit  genannt  wird,  streng  genommen  jedoch  nichts  Anderes  ist,  als  eise 
Gonsequenz  des  zweiten   Hauptsatzes   der  mechanischen  Wärmetheona 
Dasselbe  lautet: 


^)  A.- Naumann  a.  a.  0.,  S.  53. 

^)  Berthelot,  Le^ons  sur  les  m^thodes  g£n4ra1es  de  sjnth^se  en  chimie  orgaacqn^i 
S.  399  etc.  (1864,  Gauthier-Villars);  auch  sehe  man  desselben  Verfassers  Abhand- 
lungen:  Nouvelles  recherches  de  thermochimie.  Ann.  d.  Chim.  et  d.  Phjs.  4.  Snky 
Bd.  18,  S.  103,  und:  Principes  g^n^raux  de  la  thermochimie.  Ann.  d. Chim.  ei  d.  Phyv 
5.  Serie,  Bd.  4,  S.  52  etc. 


B.   Aequivalenz  zwischen  Wanne  und  chemischer  Arbeit.   277 

Jede  obemisohe  Zustandsanderung,  welche  ohne  Mitwir- 
kung äusserer  Energie  vor  sich  geht,  führt  zur  Bildung  der- 
jenigen Substanzen,  bei  derenHerstellung  die  grösste Wärme- 
qnantität  entwickelt  wird. 

Man  kann  diesen  Satz  ebenfalls  als  einen  an  sich  richtigen  aner- 
kennen, da  ein  System,  weiches  so  viel  Wärme  entwickelt  hat,  als  möglich 
war,  nicht  mehr  die  nothige  unwandelbare  Energie  besitzt,  um  eine  wei- 
tere Znstandsänderung  einzugehen.  Jede  weitere  Zustandsanderung  würde 
eine  weitere  Arbeitsleistung  voraussetzen,  diese  aber  ist  nunmehr  nicht 
ohne  Mitwirkung  einer  von  aussen  zugeföhrten  Menge  von  Energie  möglich. 
Em  System  von  Substanzen  hingegen,  welches  föhig  ist,  durch  eine  wei- 
tere Aenderung  der  moleeularen  Lagerungen  noch  mehr  Wärme  zu  ent- 
wickeln, besitzt  noch  umwandelbare  Energie,  mit  deren  Hülfe  ohneMit- 
wiikung  äusserer  Energie  weitere  Zustandsänderungen  eintreten  können. 
Man  könnte  diesen  Satz  ungefähr  mit  dem  mechanischen  Satze  ver- 
gleichen, dass  ein  System  von  schweren  Körpern  derjenigen  Anordnung 
zostrebt,  in  welcher  der  Schwerpunkt  des  ganzen  Systemes  möglichst 
tief  zu  liegen  kommt.  Einige  Beispiele  werden  den  Inhalt  und  die  Be- 
deutung dieses  Satzes  noch  vollends  klar  machen.- 

Bei  der  Verbindung  von  2  Kg  Wasserstoff  mit  16  Kg  Sauerstoff 
werden  ungefähr  68  000  Galorien  entwickelt,  dagegen  bei  der  Vereinigung 
von  2  Kg  Wasserstoff  mit  32  Kg  Sauerstoff  zu  Wasserstoffsuperoxyd  nur 
45  000  Calorien  ^).  Bei  directer  gegenseitiger  Einwirkung  beider  Elemente 
wird  sich  daher  Wasser  bilden,  während,  in  Uebereinstimmung  mit  der 
Theorie,  Wasserstoffsuperoxyd  bekanntlich  das  Streben  zeigt,  sich  unter 
Entwickelang  von  23  000  Calorien  in  Wasser  und  freien  Sauerstoff  zu 
zersetzen.  Um  Wasserstoffsuperoxyd  aus  Wasser  und  Sauerstoff  herzu- 
stellen, bedarf  es  der  Mitwirkung  einer  äusseren  Energie,  welche  z.  B. 
durch  einen  gleichzeitig  stattfindenden  anderweiten  chemischen  Process 
gdiefert  werden  kann. 

Wenn  aus  einem  Molecül  Zinn  und  einem  Moleoül  Sauerstoff  Zinn- 
oxydul gebildet  wird:  Sn  +  0  =  SnO, 

80  entwickeln  sich  gleichzeitig  34Ö00  Wärmeeinheiten.  Bei  der  Bildung 
von  Zinnoxyd  dagegen:       Sn  4*  O2  =  SnO), 

werden  72  700  Calorien  abgegeben.  Die  Erfahrung  lehrt  auch,  dass  bei 
Einwirkung  von  Sauerstoff  auf  metallisches  Zinn  sich  vorzugsweise  Zinn- 
cxyd  bildet,  und  dass  Zinnoxydul  unter  Anwesenheit  von  freiem  Sauer- 
stoff von  selbst  in  Zinnoxyd  übergeht. 

Es  stehen  mit  diesen  Grrundregeln  femer  folgende  Thatsachen  im 
innigen  Znsammenhange  und  können  zum  Theil  zur  Erläuterung  und 
Bestätigung  derselben  dienen.  Man  bemerkt  nämlich,  dass  alle  Verbin- 
dungen, bei  deren  unmittelbarer  Entstehung  aus  ihren  Elementen  Wärme 
entwickelt  wird,  sich  nicht  von  selbst  zersetzen  können,  sondern  dass  die 


1)   Man  sehe  Bd.  2,  II,  B,  S.  290. 


278  n.    Thermochemie. 

Einwirkung  einer  äosseren  Energie  nöthig  ist,  um  die  vereinten  Elemente 
wieder  von  einander  au  trennen.  Es  gehört  dazu  entweder  calorbdie 
Energie,  die  man  durch  Erhitzen  der  Verbindung  zuführt,  oder  es  ge- 
schieht die  Zerlegung  durch  die  Energie  eines  durch  die  Verbindung  ge- 
leiteten galvanischen  Stromes  oder  durch  eine  Reihe  elektrischer  Fonken; 
am  häufigsten  aber  werden  die  zur  Zersetzung  einer  Verbindung  ndthi- 
gen  Energiemengen  durch  gleichzeitig  stattfindende  anderweite  chemiKke 
Processe  geliefert.  Man  kann,  um  zum  letzten  Falle  ein  Beispiel  ann- 
führen,  die  Alkalimetalle  aus  den  Verbindungen  derselben  mit  Kohlen- 
säure gewinnen,  wenn  man  die  letzteren  mit  Kohle  erhitzt. 

Unter  Umständen  kann  sogar  die  Energie,  welche  durch  die  Bisgregir 
tion  einer  Verbindung  beim  Auflösungsprocess  mitgetiieilt  ?m:d,  ausreichend 
sein,  um  die  Zerlegung  herbeizuführen ;  derartige  Vorgänge  sind  z.  6.  beim 
Auflösen  von  Salzen  sehr  schwacher  Säuren  mehrfach  beobachtet  worden. 

Die  Zerlegung  einer  Verbindung  kann  im  Gegentheil  von  selbst  vor 
sich  geben,  wenn  bei  der  Bildung  des  zusammengesetzten  Körpers  niclit 
Wärme  abgegeben ,  sondern  aufgenommen  wird.  Dies  ist  z.  B.  der  FiH 
bei  den  Oxyden  des  Chlors,  bei  der  Chlorsäure  und  unterchlorigen 
Säure,  welche  sich  bei  dem  geringfügigsten  Anlasse  unter  Explosieo 
zersetzen.  Bei  Bildung  der  wässerigen  Lösung  des  Chlorsäurehydrates 
findet  auch  eine  Wärmeaufnahme  statt,  welche  für  ein  Molecül  des  Hy- 
drates (ClHOs)  ungefähr  23  940  Cal.  beträgt  i).  Das  Gleiche  gilt  Tom 
Chlorstickstoff,  Nitroglycerin,  salpetrigsaurem  Ammoniak  nnd 
ähnlichen  Verbindungen,  welche  sich  schon  von  selbst  bei  gewöhnhcken 
Temperaturen  zersetzen. 

Besitzen  aber  solche  unter  Wärmeaufnahme  gebildete  Substanzen, 
welche  bei  ihrer  Zersetzung  Wärme  entwickeln,  auch  nicht  immer  die 
Eigenschaft  sich  freiwillig  zu  zersetzen,  so  zeigen  dieselben  doch  eine 
^osse  Neigung  Verbindungen  einzugehen  und  neue  chemische  Zustande* 
änderungen  zu  erleiden;  bald  bilden  sich  polymere  Condensationeu,  bald 
zerfllUt  der  Körper  in  einfachere  Molecülgruppen ,  jedenfalls  ist  immer 
die  Tendenz  bemerkbar,  Veränderungen  einzugehen,  welche  unter  Wänne- 
entwickelung  stattfinden.  Beweise  hierfür  liefert  das  Studium  des  chemi- 
schen Verhaltens  des  Acetylens,  des  Cyans  und  ähnlicher  Substanzen. 
'^.;  Alle  derartigen  Stoffe,  welche  unter  Wärmeaufnahme  gebildet  sind, 
wie  Wasserstoffsuperoxyd  und  Chlorstickstoff,  sind  auch  äusserst  em- 
pfindlich gegen  jene  Wirkungen,  welche  man  Contactwirkungen  nennt. 
Diese  Contactwirkungen  werden  von  Substanzen  hervorgebracht,  welche 
nicht  eine  neue  besondere  Energie  in  dem  Verlaufe  eines  Processes  sor 
Wirkung  bringen,  sondern  welche  lediglich  eine  schon  vorher  im  System 
vorhandene  potentielle  Energie  auslösen,  welche  vorher  in  Folge  irgend 
welches  nebensächlichen  Umstandes  nicht  zur  Entfaltung  kommen  konnte. 


^)  Man  sehe  J.  Thomsen,  Ber.  d.  D.  ehem.  Ges.,  Bd.  6,  S.  430,  und  dieses  Bock, 
Bd.  2,  n,  B,  S.  290. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wanne  und  chemischer  Arbeit.    279 

2.  Die  Methoden  zur  Bestimmnng  der  experimentellen 
Fundamente  der  Thermochemie. 

Um  mit  den  im  Vorbergeh enden   mitgetheilten  Fundameotalsätzen 
der  Thermochemie  Schlüese  über  chemieche  Vorgänge  ziehen  zn  können, 
müssen  wir  die  hauptsächlichen 
y^  MeBsnngen    mittheilen ,    welche 

Über  die  bei  Bildnng  chemischer 
Verbindungen  oder  deren  Zer- 
setzung entwickelten  oder  absor- 
birten  Wärmemengen  angestellt 
worden  sind.  Zur  Benrtbeilung 
der  Zuverlässigkeit  der  bis  jetzt 
ermittelten  Zahlen  wird  es  nöthig 
sein ,  eine  kurze  Beschreibung 
der  Apparate  vorauszuschicken, 
welche  den  hervorragendsten 
Experimentatoren  auf  diesem  Ge- 
biet« zu  ihren  Versuchen  gedient 
haben. 

Wir    beschreiben    zunächst 
das   Quecksilbercalorimeter  von 
^.  Favre  und  Silbermann. 

",  Dasselbe  ist  ein  grosses  Ther- 

£  mometer')  (man  sehe  Fig.  17), 

dessen  Kugel  A  ein  oder  mehrere 
Liter  Quecksilber  enthält.  In  das 
Innere  dieser  grossen  Thermo- 
meterkngel  ragt  ein  aas  dünnem 
Eisen-  oder  Platinblecb  herge- 
stelltes, unten  gescblossenes  Rohr 
m  hinein,  welches  zur  Äufnabme 
derjenigen  Substanzen  dient, 
welche  Wärme  entwickeln.  Ein 
Stäbclien  s  verhindert,  dase  das 
GefdssmdurchdasQuecksilberin 
die  Höhe  gehoben  wird.  In  einen 
Fortsatz  der  Thermometerkngel 
A  ist  ein  Thermometerrohr  (( 
eingesetzt,  welches  an  einer  Scala 
gestattet,  den  Stand  des  Queck- 
silbers abzulesen.  VorBeginndes 

*)  Du  genauere  Detail  sehe  dud  in 
der  Originalabhandluag :  Ann.  d.  cbim. 
et  d.  phys-,  3.  Serie,  Bd.  3S,  S.  33. 


280  n.    Thermochemie.  ~ 

Versaches  kann  man  durch  ELinein-  oder  Heransschraahen  der  am  ober- 
sten Ende  des  Apparates  flässigkeitsdicht  eingesetzten  Stahlschraube  die 
Quecksilbersäule  an  jeden  beliebigen  Punkt  der  Scala,  also  auch  an  den 
Nullpunkt  derselben  bringen.  Die  Röhre  tt  muss  selbstverständlich  sorg- 
fältig calibrirt  sein. 

Entwickelt  oder  entzieht  man  im  Rohre  mm  Wärme,  so  yertheilt 
sich  diese  Wärme  allerdings  nicht  gleichmässig  in  der  ganzen  Qneck- 
silbermasse.  Ein  kleines  Gewichtstheilchen  dm  nimmt  z.  B.  eine  Wänne- 
menge  f  .  dm  auf  und  erfährt  dadurch,  wenn  C  die  specifische  Wanne 
von  dm  ist,  eine  Temperaturerhöhung,  welche  gleich: 

f.dm^f 
C .  dm        C 

ist.    Hierdurch  geht  das  Volumen  von  dm,  welches  dV  sein  möge,  in: 

dV.  (1  -|-«a  .  T^j  über,    wenn    a   den  Ausdehnungscoefficienien  des 

Quecksilbers  bezeichnet.     Das  jetzige  Gesammtvolumen  V*  der  Qneck- 
silbermasse  wird  demnach: 

F'=ydF.(l  +  a.L^  =  VJr  f^-dV. 

Nennt  man  Q  die  Dichte  des  Quecksilbers  bei  Null  Grad,  so  ist: 

dm  =  ^  ,  d  F. 

Wenn  Q  die  überhaupt  an  das  Quecksilber  abgegebene  Wärmemenge 
bezeichnet,  so  ist  die  von  dm  absorbirte  Wärmemenge  dQi 

dQ  z=f.  dm  =/..9  .  dV 
und  demnach: 

Q  =  Q.ff.d7. 

Ist  aber  a  der  Ausdehnungscoefficient  und  C  die  specifische  Wärme 
des  Quecksilbers  constant,  so  kann  man  für  die  Zunahme  des  Gresammt- 
Volumens  V*  —  7  =i  dVi 


dV  =-'    I  f  '  dV 
oder : 


=f^- 


schreiben. 

Die  entwickelte  Wärmemenge  Q  ist  also,  trotz  der  ungleichmäasigeD 
Yertheilung  der  Wärme  in  der  zur  Füllung  des  Calorimeters  dienenden 
Substanz,  der  Yolumenzunahme  der  Flüssigkeit  proportional,  wenn  man 
berechtigt  ist,  den  Ausdehnungscoefficienten  a  und  die  specifische  Wärme 
C  der  calorimetrischen  Substanz  innerhalb  der  Grenzen  der  im  Apparat 
auftretenden  Temperaturunterschiede   als  constant  anzusehen.     Da  die 


B.   Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    281 

Yoraussetzangen  a  =  eonst.  und  C=con^.^  wie  wir  wissen,  vom  Qaeck- 
silber  sehr  nahe  erfilllt  werden ,  so  lässt  sich  daraus  die  Anwendbarkeit 
des  Favre-  und  Silber  mann 'sehen  Quecksilbercalerimeters  för  der- 
artige Messungen  erkennen. 

Der  BaUon  Ä  steht  auf  einem  schlechtleitenden  Fusse  in  einem 
Kasten,  der  Einrichtungen  enthält,  um  den  Apparat  thunlichst  gegen 
Wänneverluste  durch  Leitung  und  Strahlung  zu  schützen. 

Im  Metallrohre  m  befindet  sich  (wie  Fig.  18  genauer  zeigt)  ein 
ganz  dünnwandiges  Gla^rohr,  welches  durch  einen  Stopfen  in  m  fest- 
gehalteo  wird.  Um  die  Ueberführung  der  Wärme  von  diesem  Glasrohr, 
der  Mischungskammer,    zum  Quecksilber  des  Calorimeters  leichter  zu 

vermitteln,  ist  der  Zwischen- 
raum zwischen  dem  gläsernen 
Mischungsgefasse  und  dem  dünn- 
wandigen Glasrohre  durch  eine 
geringe  Menge  Quecksilber  aus- 
gefüllt. 

Die  Graduirung  des  Calori- 
meters erfolgte  auf  rein  empiri- 
Bchem  Wege,  um  dadurch  möglichst  jede  Correction  des  Endresultates 
umdthig  zu  machen.  In  der  Kugel  einer  eigenthümlich  geformten  Pi- 
pette (man  sehe  Fig.  17)  wurde  eine  abgewogene  Quantität  Wasser  auf 
eine  bestimmte  Temperatur  erhitzt  und  dann  in  das  Mischungsgefäss  des 
Calorimeters  gebracht.  Nach  einiger  Zeit  maass  man  die  Temperatur 
des  eingebrachten  Wassers  wieder  und  konnte  aus  dem  Gewichte,  den 
Temperatardiiferenzen  und  der  specifischen  Wärme  des  Wassers  leicht 
die  Anzahl  der  Wärmeeinheiten  bestimmen ,  die  an  das  Calorimeter  ab- 
gegeben worden  waren.  Aus  der  Verschiebung  des  Quecksilbers  im  Bohre 
U  und  der  Anzahl  von  Wärmeeinheiten,  durch  welche  dieselbe  hervor- 
gebracht worden  war,  konnte  man  leicht  ermitteln ,  wie  viel  Wärmeein- 
heiten nöthig  waren,  um  den  Quecksilberfaden  um  eine  Einheit  der  Scala 
zu  verschieben. 

Bei  chemischen  Reaotionen,  welche  in  der  Miscbungskammer  m  statt- 
fanden, konnte  man  alsdann  aus  der  Yerscfaiebung  des  Quecksilberfadens 
init  auf  die  beim  Processe  entwickelte  Wärmemenge  schliessen. 

Gegen  die  Brauchbarkeit  der  von  Favre  und  Silbermann,  von 
Haatefeuille  und  Anderen  mit  solchen  Quecksilbercalorimetem  erhal- 
tenen Resultate  sind  mehrfach  von  Thomson^)  und  Andrews*)  sehr 
ernste  Bedenken  erhoben  worden.  Man  kann  auch  nicht  leugnen,  dass 
Wärmeverluste  durch  Leitung  und  Strahlung  bei  verschiedenen  Versuchen 
▼erscbieden  stark  wirken  können  und  dass  dadurch  die  Zuverlässigkeit 


^)  Thomsen,  Pogg.  Ann.  Bd.  143,  S.  528  u.  s.  f.  6er.  d.  Beatsch.  ehem.  Ges., 
Bd.  4,  S.  591. 

^  AndrewB,  Pogg.  Ann.  Bd.  143,  S.  101.  Die  gegen  diese  Vorwürfe  von  Favre 
ondTOB  St.  Ciaire  Deville  vorgebrachten  Einwendungen  sind  nemlich  bedeutungftlos. 


282  IL   Thermocbemie. 

d«r  erhAlieafln  Zahlen  aehr  beeiaträchtigt  werden  lunn.  Anch  sind  d(^ 
artige  Apparate  für  TerbrennaDgaversaclie  und  aberhanpt  für  Eipoi- 
meote  mit  nicht  tropfbar  flOBsigen  Chemikalien  eehr  wenig  geeignet 

Für  VerfarennungaverBDohe  nnd  Ähnliche  Bestimmungen  bedienUi 
flieh  Favre  nnd  Silbermann*)  einea  etwas  anders  consbuirten  Appt- 
rates.  Derselbe  war  der  Dalong'scben  Einrichtong  nachgebildet  rai 
bestand  ans  ewei  Theilen :  der  Verbrennnngskammer  nnd  dem  eigentlichn 
Calorimeter.  Die  Terbrennongskammer  A  (man  sehe  Fig.  19) 
ans  dünnem  Kupferblech  und  ist  innen  staric  vergoldet.  Zur  £inföbm| 
Kig.  19.  des  SanerstofCes  dient  du  i 

o.    Gelegentlich  dient  aneb 
schr&g  in  das  Innere  eintreUndi 
Rohr  \>  mit   HahnverechlDK 
diesem  Zwecke.  Meist  aberdini 
h  dazu,  um  die  Gase,  weichet 
bräunt  werden    soUteu,    ia 
Verbrennnngskammer  eiiuifi 
ren.    Die  gasförmigen  Terbr 
nungsproducte  entweichen  du 
dasSchlangenrohr  s.   Dnrcb  < 
Deckel  der  Yerbrennangsksini 
geht  noch  ein  weiteres,  oben  i 
einer  dicken  Glasplatte 
senes  Rohr  aa  in  die 
nnngskammer  hinein.    Dw 
hat  den  Zweck,  nm  dorcfa 
oben  darüber  befindlichen  Spieg 
c  den  Verlauf  des  Yerbremm^ 
prooesaes  im  Innern  desGefia 
beobachten  bu  können. 

Die  yerbreDunngskamner  I 
-i-  findet  sich  im  Innern  desWua 

des  Calorimetere,  nnddiesHitd 
ummöglicliBtTOrWärmeTerlial 
ilnrch  Strahlung  und  Leitung  geschützt  an  sein,  aof  vier  Eorkfü«n 
einem  Kasten  B,  dessen  innere  Wand  mit  Schwanenfeil  derart  übenop 
ist,  dasfi  die  Daunen  dem  Calorimeter  zugekehrt  sind,  ohne  die  Wtf 
desselben  zu  berühren.  Dieser  Schatzkasten  befindet  sich  wieder  in 
Wassergefässe,  dessen  Flüssigkeit  auf  gleicher  Temperatnr  erhalten 
99  ist  eine  RührrorriobtuDg,  welche  dazu  dient,  etwa  vorhandene  Ta 
peratnmnterBchiede  im  Calorimeter  auszugleichen.  Bei  s  liegt  eine 
Kammer,  von  welcher  im  Sohlangenrohre  etwa  condensirte  Verbrensiuif 
producta  aufgenommen  werden  können.  > 

')  F*Tre  und  Silbermsun,  Ann.  d.  chim.  et  d.  phrs.,  3.  Serie,  Bd.  34. 


R  ÄeqoiTalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    S83 

BetQgliob  ireit«reT  Details  des  Apparates  nud  besonderer  läiirich- 
tuDgen  f3r  emeeloe  Tersnche  Terweisen  wir  auf  die  Originalabhandlong  ^). 
Ffli  VerBnohe,  bei  weloben  die  Sabstansen  als  Flüssigkeiteu  auf  ein- 
■iidar  in  wirken  bestimmt  sind,  ist  besonders  die  calorimetriBahe  Ein- 
ricbtnng  geeignet,  deren  sich  J.  Tbomsen*)  bei  Tielen.  seiner  Versuche 
bedient  hat.  Sein  Apparat  mius  eigentlich  ein  Doppelcalorimeter  ge- 
Banot  werden.  Beistebende  BobematiBcbe  Fignr  giebt  eine  VoreteUang 
TOD  den  wesentlicbsten  Theilen  desselben.  (Man  sehe  beistehende  Fig.  20.) 
A  nnd  £  sind  zwei  sUbeme,  stark  vergoldet«  Gefäsie,  von  denen  das 
Fj     2D_  erste  ungefShr  500  cbcäi,  das 

letztere  nahe  1000  cbcm  faast. 
Jedes  dieser  Gefösse  ist  durch 
concentrisohe  Cylinder  Ciind2> 
m&gliohst  gegen  Wärmever- 
Inste  geschatet.  In  beiden  Ca- 
lorimetem  sind  RühirTorrich- 
tnngen  ik  respective  ät  ange- 
bracht, die  durch  eine  kleine 
elektromagnetinche  Maschine 
automatisch  bewegt  werden. 
In  beide  Calorimeter  ragen 
Thermometer  t'  nnd  i"  zur 
Messung  der  Tempei-atur  des 
Wassers  hinein. 

Bei     den   Versuchen  selbst 
werden      die      Flüssigkeiten, 
welche  aof  einander  reagiren 
sollen,  als  ganz  verdünnte  Lö- 
sungen in  den  Calorimetem  A, 
respective    'S  abgewogen  nnd 
auf  die  Temperatur  der  um- 
gebenden Luft,  gebracht;  ihre 
Temperatnren    werden    durch 
die    Thermometer    ('  und  i" 
gemessen.  Alsdann  öffnet  man 
das  Ventil  g,  so  dass  die  in  A 
befindliche  Flüasigkeit  durch  das  Rohr  f  in  B  einfliesst  und  sich  mit  der 
dort  befindlichen  Flüssigkeit  mischt.     Die  hierbei   entwickelte  Wärme- 
menge bestimmt  man  auf  gewöhnlichem  Wege  aus    den  Temperatnren 
der  Lösung  und  dem  Wasserwerthe  der  Apparattheile.  - 

Das   von  Tbomsen   eingeschlagene  Verfahren  beruht  auf  der  An- 
nahme, dasB  man  berechtigt  sei,  den  calorimetrischen  Werth  solcher  stark 


284  II.    Thermochemie. 

yerdüüBten  Loenngen  gleich  dem  caloiimetrischen  Werthe  der  in  denel- 
ben  enthaltenen  Wassermenge  zu  setzen.  Es  lasst  sich  leicht  zeign, 
dass  der  Fehler,  den  diese  Annahme  in  die  Endresultate  bringt,  nur  die 
Zehntelprocente  alterirt.  Da  man  bei  thermochemischen  YerBachen  mit 
1  Proc.  Genauigkeit  aber  sehr  zufrieden  sein  muss,  so  kann  man  dieflen 
Fehler  als  unerheblich  yernachlässigen. 

Dass  man  bei  allen  derartigen  Versuchen  selbstverständlich  nach  der 
Rumford' sehen  Gompensationsmethode  ^)  arbeitet  und  etwaige  Wirme- 
Verluste  durch  Strahlung  und  Leitung  durch  geeignete  Correctionen  be- 
rücksichtigt, braucht  wohl  kaum  erwähnt  zu  werden. 

Für  einzelne  besondere  Versuche,  so  z.  B.  die  Einwirkung  von  Chlor 
auf  Wasserstoff  oder  die  Verbrennung  von  Wasserstoff  durch  Sauerstoff 
und  ähnliche  Vorgänge,  benutzte  Thomson  einen,  dem  Dulon gesehen 
ebenfaUs  nachgebildeten,  aber  ungemein  vervollständigten  und  verbesseiteD 
Apparat ,    auf  dessen  Beschreibung  wir  jedoch  hier  verzichten  müssen  *). 


8.    üeber  den  Einflnss  der  Temperatur  und  des  Agrgrr^gat- 
znstandes  auf  die  Bedeutung  der  empiriscli  gefundenen 

Zahlen. 

Schon  im  ersten  Bande')  haben  wir  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  die  Temperatur,  bei  der  ein  chemischer  Vorgang  stattfindet,  im 
Allgemeinen  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  bei  derselben  entwickelte  oder 
absorbirte  Wärmemenge  ist.  Die  hierauf  bezügliche  Formel  ist  zuerst 
von  Eirchhoff  entwickelt  worden.  Wir  wollen  hier  nochmals  die  Ab- 
leitung folgen  lassen,  welche  von  Berthelot ^)  gegeben  worden  ist,  der 
am  häufigsten  von  derselben  Gebrauch  gemacht  hat. 

Es  möge  Qr  die  Wärmemenge  bezeichnen,  welche  durch  eine  be- 
stimmte chemische  Reaction  bei  einer  Temperatur  T  entwickelt  wird, 
wenn  eine  bestimmte  Gewichtsmenge,  z.  B.  ein  Aequivalent  einer  7er- 
bindung  gebildet  oder  zersetzt  wird.  Bei  einer  anderen  Temperatur  möge 
derselbe  Vorgang  eine  andere  Wärmemenge  Qt  hervorbringen. 

Hätte  man  nun  das  anfänglich  vorhandene  System,  ohne  eine 
chemische  Aenderung  vorzunehmen,  von  der  Temperatur  t  auf  die  Tem- 
peratur T  gebracht,  so  wäre  dazu  eine  gewisse  Wärmemenge  ü  aufzu- 
wenden gewesen.  Hätten  wir  hierauf  bei  T  Grad  den  chemischen  Vor- 
gang vollzogen,  ohne  eine  dauernde  Temperaturerhöhung  zu  gestatten,  so 
wären   hierbei  Qj.  Wärmeeinheiten  entwickelt.     Fuhrt  man  alsdann  das 


^)  Man  sehe  hierüber:  Wüllner,  Experimentalphysik  Bd.  3,  III.  Aufl.  S.  694. 

^)  Man  sehe  Genaueres  über  denselben  in:  J.  Thomsen,  Thermochemische  Untex^ 
snchungen.  Pogg.  Ann.  Bd.  142,  S.  338  etc.,  und  dazu  gehörige  Figur,  a.  a.  0.  Taf.  VII,  Fig. 5. 

»)  Bd.  1,  VI,  C,  2,  S.  772. 

*)  Berthelot,  Recherches  de  thermochimie.  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys*,  4.  Serie, 
Bd.  6.  S.  303  u.  8.  f. 


B.   Aeqnivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    285 

chemisch  geänderte  System  auf  die  Ansgangstemperatiir  t  zurück,  so 
wird  hierbei  eine  Wärmemenge  V  entwickelt  werden. 

Die  nunmehr  im  Ganzen  entwickelte  Wärmemenge  muss,  da  Anfangs- 
nnd  Endzustand  übereinstimmen,  gleich  der  Wärmemenge  Q^  sein,  welche 
entwickelt  wird,  wenn  wir  den  chemischen  Vorgang  bei  t^  yor  sich  gehen 
lassen;  denn  es  ist  beide  Male  bei  der  Temperatur  t  anfanglich  das  un- 
geänderte  System  und  schliesslich  das  chemisch  geänderte  System  vor- 
handen. Hieraus  ergiebt  sich,  da  sonst  keine  Energie  mitwirken  soll,  die 
Gieichong: 

q.=  Qt+  v-u 1) 

Hieraus  folgt,  weil 

ist,  dass  U  —  V  die  Aenderung  der  Verbindnngswärme  durch  die  Tem- 
peratur zwischen  T^  und  ^  repräsentirt. 

Die  Grössen  U  und  V  kann  man  nun  in  einzelne  Bestandtheile  auf- 
lösen. In  U  und  V  sind  nämlich  enthalten:  1)  Wärmemengen,  welche 
vom  System  absorbirt  oder  abgegeben  worden  sind  durch  Temperatur- 
inderungen ohne  Aenderung  des  Aggregatzustandes.  2)  Wärmemengen, 
welche  von  den  Bestandtheilen  des  Systemes  vor  und  nach  dem  chemischen 
Processe  aufgenommen,  oder  durch  Aggregatszustandsänderungen  an  Kör- 
per, welche  nicht  zum  Systeme  gehören,  bei  constanter  Temperatur  mit- 
getheilt  worden  sind. 

Da  wir  angenommen  haben,  dass  wir  nur  mit  äquivalenten  Mengen 
der  Substanzen  operiren,  so  stecken  also  in  U  und  F,  die  mit  den  Atom- 
gewichtszahlen multiplicirten  specifischen  Wärmen,  latenten  Schmelz- 
wärmen und  Yerdampfungs  wärmen  für  den  als  ungeändert  vorausgesetzten 
Druck  des  Versuches.  Es  sind  also  ü  und  V  die  mit  Temperaturdifferenzen 
multiplicirten  Atomwärmen,  und  die  Molecularschmelzwärmen  und  mole- 
enlaren  Verdampfungswärmen  von  Bestandtheilen  des  Systemes  vor  und 
nach  dem  chemischen  Processe. 

Eiin  einfaches  Beispiel  wird  die  Anwendbarkeit  dieser  Formel  darthun. 

Nach  Thomsen  werden,  wenn  sich  2  Kg  Wasserstoff  mit  16  Kg 
Sauerstoff  bei  ungefähr  20^0.  zu  18  Kg  flüssigem  Wasser  von  gleicher 
Temperatur  verbinden,  68  360  Calorien  entwickelt.  Hieraus  lässt  sich 
bestimmen,  wie  gross  die  Wärmemenge  ist,  welche  eine  Verbindung  glei- 
cher Quantitäten  zu  flüssigem  Wasser  bei  100®  hervorbringen  würde. 

Es  wäre  also: 

Die  Wärmemenge  ü  wäre  die  Wärme,  welche  nöthig  wäre,  um  2  Kg 
Wasserstoff  und  16  Kg  Sauerstoff  bei  constantem  Drucke  (wir  wollen 
760  mm  annehmen)  von  20®  bis  100  also  um  80®  zu  erwärmen;  die- 
selbe wäre: 

ü  =  {2  .  3,30  +  16  .  0,24)  .  80  =  10,44  .  80  =  836  Calorien. 


286  IL    Thermochemie. 

Um  18  Kg  Wasser  von  100^  auf  20^  abzukühlen,  müssen  sehr  nahe 
18  .  80  Cal.  abgeführt  werden;  demnach  ist: 

F  =  1440  Calorien, 

und  demnach  ist  für  die  Bildung  flüssigen  Wassers  ans  Wasserstoff-  und 
Sauerstoflgas  bei  100®  die  Yerbindungswärme: 

Cioo  =  68  360  +  835  —  1440  =  67  755  Cal. 

Wollte  man  bestimmen,  welche  Wärmemenge  entwickelt  würde, 
wenn  sich  aus  Sauerstoff  und  Wasserstoff  Wasserdampf  von  100®  ent- 
wickelte, so  wäre:  ^ 

ü=  (2  .  3,30  +  16  .  0,24)  .  80  =  +  835  Cal. 

F=  18  .  80  +  18  .  536  =  1440  +  9648  =  11088  CaL 

V  würde  vergrössert  um  die  molecnlare  Verdampfungswärme  bei  100^ 

Die  bei  Büdung  von  18  Kg  Wasserdampf  von  100®  entwickelte 
Wärmenienge  beträgt  demnach  nur  noch  58107  Cal. 

Der  Vollständigkeit  wegen  wollen  wir  auch  noch  die  Wärmemenge 
Q__30  bestimmen,  welche  entwickelt  werden  müsste,  wenn  sich  bei  —  80* . 
aus  Wasserstoffgas  und  Sauerstoffgas  festes  Wasser  bildete. 

Um  die  Gase  von  -f"  20  bis  —  80  abzukühlen,  müssen: 

(2  .  3,30  +  16  .  0,24)  .  100  =  1044  Cal. 

abgeführt  werden.    Dies  ist  ü. 

Um  1 8  Kg  Eis  von  —  80®  bis  0  zu  erwärmen,  müssen  18  .  80  . 0,49  = 
706  Cal.  zugeführt  werden^);  um  18  Kg  Eis  von  0®  in  Wasser  von  0^  za 
verwandeln,'  sind  18. 80  =  1440  Cal.  erforderlich,  und,  um  endlich  18 Kg 
Wasser  von  0^  auf  +  20<>  zu  erwärmen,  müssen  weitere  18  .20  =  360 
Wärmeeinheiten  mitgetheilt  werden.    Hieraus  folgt: 

ö_80  =  68  360  —  1040  +  706  +  1440  +  360  =  69  466  CaL 

Man  erkennt  damit  sofort,  dass  die  auf  experimentellem  Wege  ge- 
fundenen Verbindungswärmen  eben  nur  für  die  bestimmte  Temperatur 
und  die  Aggregatzustände  der  BestandtheUe  des  Systemes  gelten,  fnr 
welche  dieselben  bestimmt  worden  sind.  Es  ist  daher  mit  aller  Vorsicht 
zu  verfahren,  wenn  man  z.  B.  die  Verbindungswärme  bei  Bildang  von 
Salzsäuregas  aus  Chlorgas  und  Wasserstoffgas  mit  der  Verbindungswärme 
vergleichen  will,  welche  bei  Bildung  von  Brom  wasserstoffgas  ans  Wasser- 
stoffgas  und  flüssigem  Brom  entsteht  und  mit  der  Wärme,  welche  bei  Bil- 
dung von  einem  Molecül  Jodwasserstoffgas  aus  festem  Jod  und  Wasser* 
stoffgas  entwickelt  wird. 

Hierin  liegt  eine  der  grössten  Schwierigkeiten  für  die  Entwicke- 
Inng  der  Thermochemie. 

Will  man   die  zwischen    den  verschiedenartigen  Atomen  thätigea 


^)  Die  specißsche  Wärme  des  Eises  ist  hierbei  angenähert  gleich  0,49  gesetzt. 


B.    Aequivalenz  zwischen  Warme  und  chemischer  Arbeit.    287 

Kräfte  kennen  lernen,  bo  mnes  man  die  lediglich  dnrch  AffinitfitBwirknn- 
gen  hervorgebrachten  Wärmemengen  für  sich  zn  bestimmen  suchen,  oder 
da  dies  meist  ungemein  schwierig  ist,  so  bleibt  nichts  übrig,  als  die  Sub- 
stanzen nnter  gleichen  Yerhältnissen  auf  einander  wirken  zu  lassen,  ent- 
weder beide  in  Gasform ,  oder  beide  in  sehr  yerdünnten  Lösungen ,  oder 
beide  in  flüssigem  Zustande.  Nnr  Zahlen,  welche  auf  solche  Weise  erhal- 
ten worden  sind,  können  für  vergleichbar  angesehen  werden. 

Hätte  man  zwei  Bestandtheile  sowohl,  als  die  Verbindung  derselben 
in  vollkommenem  Gaszustande,  so  würde  die  Atomwärme  der  Verbindung 
gleich  der  Summe  der  Atomwärme  der  Componenten  sein,  und  da  man 
alsdann  auch  die  speciflsche  Wärme  als  constante  Grösse  ansehen  kann, 
80  würde  dann,  sofern  nicht  besondere  Wirkungen  anderer  Art  eintreten, 
ü  =  V  und  somit  auch  Qt  =  Qt  sein ,  wenn  T  und  auch  t  beide  ober- 
halb der  Temperaturgrenzen  liegen.  Über  welche  hinaus  man  die  Dämpfe 
der  Substanzen  als  vollkommene  Gase  ansehen  kann.  Diese  constante, 
von  der  Temperatur  unabhängige  Vorhin dungs wärme  zweier  Substanzen 
nannte  Berthelot:  la  chaleur  atomique  de  combinaison  ^). 

Leider  ist  es  uns  bis  jetzt  nur  in  ganz  wenigen  Fällen  möglich, 
calorimetrische  Messungen  bei  solchen  Temperaturen  anzustellen,  bei 
welchen  die  Bestandtheile  des  Systemes  vor  und  nach  dem  chemischen 
Vorgänge  den  Bedingungen  des  vollkommenen  Gaszustandes  genügen. 

Es  giebt  jedoch  auch  viele  Fälle ,  in  denen  V  —  U  mit  steigender 
Temperatur  fortwährend  wachsen  würde,  wenn  es  gestattet  wäre,  die 
Aenderungsgesetze  der  specifischen  Wärme  auch  weit  über  die  Grenzen 
als  gültig  anzusehen ,  innerhalb  deren  dieselben  bestimmt  sind.  Dann 
liegt  es  nahe  zu  vermuthen,  dass  man  schliesslich  eine  Temperatur  errei- 
chen würde,  bei  welcher  in  der  Formel: 

u-r=—  Q, 

und  somit 

wurde.  Dann  würde  also  der  Fall  eintreten,  dass  die  Vereinigung  oder 
Trennung  der  Verbindung  keine  Arbeit  erzeugen  oder  in  Anspruch  neh- 
men würde,  dann  also  zerfiele  die  Verbindung  von  selbst,  es  träte  das 
ein,  was  wir  Dissociation  nennen. 

Hierfür  Hesse  sich  vielleicht  ein  Beispiel  beibringen.  Nehmen  wir 
z.  B.  an,  dass  Kohlensäure  aus  Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  gebildet  würde 
and  dass  man  berechtigt  sei,  die  speci fische  Wärme  des  Kohlenoxydgäses 
ond  des  Sauerstoffes  als  constant  ^),  die  der  Kohlensäure  als  veränderlich 
anzusehen. 


^)  Man  gehe  darüber  unter  Anderem  auch:  Schröder  von  der  Kolk,  Pogg.  Ann. 
Bd.  131,  S.  282  in  der  Abhandlung:  Ueber  die  mechanische  Energie  der  chemischen 
Wirkungen,  zweiter  Artikel. 

^  Für  zweiatomige  Gaiie  würde  dies  ziemlich  zulässig  sein. 


288  II.    Thermochemie. 

Es  wäre  nun  ü  die  Samme  der  Atomwärme  des  Kohlenozydes  imi 
des  Sauerstofis,  maltiplicirt  mit  der  Temperatardifferenz,  also: 
U  =  [6,86  +  3,47]  .  (T  -^  0  =  10,3  .  {T  —  t). 

Die  Atom  wärme  der  Kohlensäure  ist  nun  nach  Regnaalt: 

bei  —  300  ^^  _    8,2 
bei       100«  c^  =    9,4 
bei       2000  c,  =  10,5 
Entwickelt  man  unter  der  Annahme  eines  durchgängig  gleichartigci 
Wachsthums  von  c,  eine  Interpolationsformel  für  c,,,  so  ergiebt  sich,  dafl 
man  über  200^  für  die  Atomwärme  A .  c,  der  Kohlensäure,  also  bei  einc^ 
Temperatur  0  -\-  200,  setzen  könnte : 

A  .c^  =  10,5  +  0,011  .  r.  I 

^  ^  i 

Demnach  würde  die  von  200  bis  r  -|-  200  vom  Moleeül  absorhirii 
Wärmemenge : 

T  +  aoo 

(10,5  +  0,011  .  t)  .  d«  =  10,5  t  +  0,0055  t« 

aoo, 
betragen. 

Von  2000  ausgehend,  erhielte  man  also: 

er  —  F  ==  10,3  .  r  —  10,5  .  t  —  0,0055  r«, 

wofür  man  angenähert: 

17  —  F  =  —  0,0055  T« 
setzen  könnte. 

i 

Nimmt  man  nun  mit  Berthelot  ^)  beispielsweise  an,  die  Verbindanfi! 
wärme  des  Kohlenoxydgases  und  des  Sauerstoffs  betrüge  bei  200^: 

g,oo  =  69  000,  I 

so  würde  Q^  +  200  ^^  ^  werden,  wenn:  ! 


T 

/ 


=  1/H««   =  3700.. 
Y    0,0055 


Man  fände  also,  dass:  1 

Ö3700  =  0  1 

wäre. 

I 

1 

Versuche  von  Sainte  Ciaire  Deville  deuten  allerdings  darauf  hiii 
dass  ungefähr  bei  einer  derartigen  Temperatur  die  Dissociation  der  Eo^ 
lensäure  in  Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  beendet  sein  würde.  | 

Wir  haben  diese  Rechnung  hier  angeführt,  nicht  weil  wir  deraelbei 
an  sich  irgend  welchen  Werth  beilegen,  sondern  weil  wir  ein  Beispil 
damit  geben  wollten,  für  welches  wir  sonst  hätten  Zahlen  werth  erfinde! 
müssen.     Die  Yoraussetzungen  obiger  Rechnung  dürften   mit  Rücksiciilt 

^)  Nach  Themse n   ist    diese  VerbiDdungsw^ärme  bei  200  gleich  66  800.     Man  s^ 
Bd.  2,  S.  294. 


B.   Aequiyaleiiz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.      289 

aof  die  übrigen  bekannten  physikalischen  Thatsachen  kaum  als  zulässig 
anmsehen  sein. 

Aber  nicht  nar  Aggregatzostand  und  Temperatur  können  auf  die 
bei  Verbindung  zweier  Substanzen  entwickelte  Wärmemenge  von  Einfluss 
sein;  auch  verschiedene  Modificaüonen  desselben  Körpers  besitzen  Energie- 
differenzen, die  unter  Umständen  sogar  sehr  wesentlich  für  das  Endresultat 
sein  können.  Bekanntlich  wird,  wie  schon  £.  Mitscherlich^  beobachtet 
hat,  bei  dem  Uebergang  von  monoklinischem  in  rhombischen  Schwefel 
Wärme  frei  In  Uebereinstimmung  hienhit  ist  auch  bei  Verbrennung 
von  monoklinischem  Schwefel  stets  eine  höhere  Wärmemenge  gefunden 
worden,  als  die  war,  welche  man  bei  Bildung  derselben  Verbindungen 
aus  rhombischem  Schwefel  erhielt. 

Aehnliche  Erfahrungen  hat  man  mit  gewöhnlichem  und  amorphem 
Phosphor  und  anderen  polymorphen  Substanzen  gemacht. 


4.    Einige  der  wichtigsten  Verbindungswärmen  0* 

Die  Formeln  werden  ausgedrückt  durch: 

Q  =  (A^,  Ä,  C„  .  .  .) 

imd  zwar  bezeichnet  Q  die  Wärmemenge,  welche  entwickelt  wird,  wenn 
A^  B^  (7,,  .  .  .  m,  n,  2  Molecüle  der  Körper  A,  £,  C  .  .  .  sind,  welche 
aof  einander  reagiren.  Aq.  bedeutet,  dass  die  übrigen  Körper  in  einem 
grossen  Ueberschuss  von  Wasser  gelöst  sind  oder  gelöst  werden.  Die 
meisten  Zahlen  gelten  für  18^  C. 


')  Pogg.  Ann.  Bd.  88,  S.  328. 

^)  Wir  entnehmen  die  nachstehenden  Affinitätstafeln  vorzagsweise  den  Thermo •- 
chemischen  Untersuchungen  von  J.  Thomson,  weil  dieser  Experimentator  nicht 
nur  die  meisten,  sondern,  wie  es  scheint,  auch  die  relativ  sichersten  Zahlen  gegeben 
hat.  Die  absoluten  Werthe  seiner  Zahlen  sind  vielleicht  etwas  zu  klein,  doch  ist  es, 
wie  schon  Andrews  bemerkt  hat,  äusserst  schwierig,  genaue  absolute  Zahlen  zu  er- 
halten. Die  von  Favre  und  Silbermann  mit  dem  Quecksilbercalorimeter  angestellten 
Zahlen  sind  mit  so  grossen  Fehlem  behaftet,  dass  wir  dieselben  nur  an  ganz  wenigen 
Stellen  vergleichsweise  zugefügt  haben.  Wenn  hinter  einer  Zahl  Th.  steht  oder  kein 
Autor  bezeichnet  ist,  so  rührt  dieselbe  von  Thomsen  her;  F.  imd  S.  bedeutet  Favre 
und  Silbermann,  B.  Berthelot;  A.  deutet  an,  dass  die  Bestimmung  von  Andrews 
herrührt.     Die  Quellen  für  die  Tabelle  a)  sind : 

J.  Thomsen,  Ber.  d.  Deutsch.  Chem.  Gesellschaft,  Bd.  6,  S.  1583,  und  Pogg. 
Ann.  Bd.  148,  S.  177  und  S.  308. 

Favre  und  Silbermann,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.,  3.  Serie,  Bd.  34,  S.  857, 
Bd.  37,  S.  406. 

Andrews,  Pogg.  Ann.  Bd.  75,  S.  25  und  S.  244. 

Berthelot,    Comptes  rendus  Bd.  69,  S.  626. 

Den  Berechnungen  sind  überall  die  neuen  Atomgewiehtszahlen  zu  Grunde  gelegt. 


Yerdet-Btthlmann,  Mechan.  W&rmethoorie.    Bd.  2.  19 


290 


IL    Thermochemie. 


a.    Verhindangen  der  Metalloide  anter  einander. 


Substanz 


Reaction 


WärmetönaDg 


Bemerkungen 


1.  WasBerstoffi). 


WaBser 


Waaserstoff- 
Buperoxyd 


(Ha,0) 


Moleculare  Verdam- 
pf ungsw.  bei  100^ 
Moleculare  Schmelz- 
wärme 

(Ha,  Oa,  Aq) 
(Ha  0,0) 


68360 

68924 

167616 

9660 


1440 

45290 

—  23070 

2.    Chlor. 


Bildung  von  fluarigem 
Waaser. 


Regnault. 

Bunsen. 

Th. 

Th. 


(Cla,0) 

—  18040 

Gaaf  öimige  Säure.  Th. 

UntercWorige 
Säure 

(QaO.Aq) 

(Cla,0,Aq) 

(Cl,0,H,Aq) 

+     9440 
—     8600 
+  29880 

Absorption  d.  Gases  durch  Wasser.  1^ 

Th. 

Th. 

(C10HAq,K0HAq) 

+     9980 

Th. 

(CljjOjjAq) 

—  20480 

Th. 

(Cl,08,H,Aq) 

+  23940 

Th. 

(a08,HAq,E0HAq) 

4-  13760 

Th. 

Chlorsäure   < 

(Cl08,K,Aq) 

—  10040 

Th. 

(KCl,Os) 

—     9760 

Th. 

(HClAqjOg) 

—  15380 

Th. 

(KClAq,08) 

—  15370 

Th. 

[4-  22000 

Th. 

(Cl,H) 

23783 
l       24010 

F.  u.  S. 
Abria 

Gasformige  SSnre. 

Chlor- 
wasserstoff- . 
säure 

(ClH,Aq) 

17320 

16411 

17480 

ll7430 

Th.        ] 

Absorption  derselben. 
F.  u.  S.J             *^ 

F. 
B. 

(Cl,H,Aq) 

39320 

(aHAq,KHOAq) 

13750 

k 

1 

1)   Für  die  Bildung  von  Ozon    (OA  giebt  Berthelot  Compt.  rend.  Bd.  82,  S.  1283 
die  Wärmetonung :  —  29600. 


B.   Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    291 


Substanz 

m 

Reaction 

WärmetÖnung 

Bemerkungen 

3.    Brom. 

[ 

(Bra,  O5,  Aq) 

—  43520 

Th. 

Bromsäure    J 

(Br,08,H,Aq) 

+  12420 

Th. 

l 

(BrOßHAqjTCHOAq) 

13750 

Th. 

► 

(Br2,Aq) 

1080 

Lösungs wärme  in  Wasser. 

(BrHAq,08) 

—  15960 

-f     8440 

Th.  gasförmige  Süure. 

(Br,  H) 

9320 

F.  u.  S. 

Brom- 

< 

Wasserstoff 

10590 

F. 

19940 

Th.  Lösung  derselben  in  Wasser. 

(BrH,Aq) 

19080 

F.  u.  S. 

21150 

B. 

(Br,H,Aq) 

23380 

Th. 

(Br  H  Aq,  K  0  H  Aq) 

13750 

Th. 

4.    Jod. 

(J2,06) 

44960 

Th.  Anhydrid. 

(J2  0ß,Aq) 

—     1900 

Ditte 

(J2,0ß,Aq) 

43060 

Th. 

(J,03,H) 

57880 

Th.  kryst.  Hydrat. 

Jodsäure     * 

(J08H,Aq) 

—     2170 

Th. 

(J,08,H,Aq) 

55710 

Th. 

(JHAq,08) 

42540 

Th. 

(J08HAq,KH0Aq) 

13810 

Th. 

(J,0fl,H5) 

185780 

Th.  kryst.  Hydrat. 

(JOeHB,Aq) 

—     1380 

Th. 

(J,04,H,Aq) 

47680 

Th. 

Uebeijodsäure ' 

(JHAq,04) 

34510 

Th. 

(J2,07,Aq)                       27000 

Th. 

(J0flH6Aq,KH0Aq) 

5150 
26590 

Man  sehe  Ber.   d.  Deutsch,  chein 

(J06H6Aq,2KHOAq) 

Ges.  Bd.  6,  S.  2. 

' 

j—     6040 

Th. -gasförmige  Säure. 

(H,J) 

1—     387^ 

F.  u.  S. 

l—     4590 

F. 

/19210 

Th. 

Jodwasserstoff« 

18910 

F.  u.  S.  Absorption  in  Wasser. 

1 

(HJ,Aq) 

18900 

K. 

119570 

B. 

(HJA4,KH0Aq) 

13080 

Th. 

19* 

292 


n.   Thermochemie. 


Substanz 

Reaction 

Wärmetonung 

Bemerkungen 

5. 

Schwefel. 

Schweflige 
Säure        i 

(S,03) 
(SOa,  Aq) 

f71070 

173820 

7700 

F.  u.  S.l 

gasförmig. 
A.           J 

Th.  gasförmige  Säure. 

^#V9«AA  ** 

(SOa,  Aq) 

1500 

Th.  condensirte  Säure. 

\ 

(S0aAq,2NaH0Aq) 

28970 

Th. 

/ 

(S02,0,Aq) 

71330 

Th. 

(SOaAq,0) 

63630 

Th. 

(S0a,02,Ha) 

121840 

Th. 

(SOs.HaO) 

21320 

Th.  (SO4H2  wird  flüssiges  Hydrat) 

Schwefelsäure  < 

(S04H2,Aq) 

17850 

Th. 

(S  O3,  Aq) 

39170 

Th. 

(S,08) 

103230 

Th.  1       vorausgesetzt,  dass: 

(S,0„H2) 

192910 

Th.)         (8,02)=  71070 

(S08Aq,2NaHOAq) 

31380 

(2S0a,0,Aq) 

68950 

Th. 

(2S0aAq,0) 

53550 

Th. 

Ünterschwefel- 

(SOgAqjSOaAq) 

—10080 

Th.  wenn  sich  SaOsAq  bildet 

säure 

(S2,  Oß,  Aq) 
(Sai  Og,  H3,  Aq) 

211090 
279450 

|wenn  (S.Oa)  — 71070. 

(S206Aq,2NaOHAq) 

27070 

Th. 

(SOa,S,Aq) 

—  1570 

Th. 

ünterschwef- 
lige  Säure 

(S02,Aq,S) 
(S2  02Aq,04) 

—  9270 
215300 

Th. 
Th. 

(Sa,Oa,Aq) 
(Sa,08,H2,Aq) 

69500 
137860 

Wenn  (8,02)  =  71070. 

(2S02,0,S2,Aq) 

62820 

Th. 

Tetrathion- 

< 

(2S02Aq,0,S2) 

47420 

Th. 

säure 

(S4,  Oß,  Aq) 
L        (S4,Oa,H2,Aq) 

204960 
273320 

Wenn  (8,02)  — 7 1070. 

' 

^4510 

Th.  gasförmig. 

Schwefel- 

< 

Wasserstoff 

(H2,S) 
(H2S,Aq) 

48201) 
15480 
4750 

bei  Bildung  aus  octaedriscbem  S. 
F.  u.  S. 

>    (HaSAqjNaHOAq) 

7740 

8.  Pogg.  Ann.  Bd.  140,  S.  5Ä 

1)  Hautefeuille,  Comptes  rendus,  Bd.  68,  S.  1554.  Diejenigen  Zahlen,  für 
welche  der  ^utor  nicht  näher  bezeichnet  ist,  rühren  von  J.  Thomsen  her.  Man  «ke 
Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.,  Bd.  6,  S.  1533. 


B.    Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.     293 


Sabstanz 

Reaction 

WärmetÖnung 

Bemerkungen 

6.    Selen. 

(Se,  Oa) 

57710 

kryst.  Anhydrit. 

Selenige  Saure , 

(SeOa,Aq) 
(Se,Oa,Aq) 

—     920 
56790 

(SeOaAq,2NaOHAq) 

27020 

(Se,O^Aq) 

77240 

Selensäure    . 

(SeOa,0,Aq) 
(SeOaAq,0) 

19530 
20450 

(Se08Aq,2NaHOAq) 

30390 

Selen-         | 
Wasserstoff    1 

(H2,Se) 

—  5400^) 

—  4280^ 

7.    Tellur. 

aus  metallischem  Se. 
aus  rothem  Se. 

Tellurige  Säure 

(Te,02,H2  0) 

81190 

Tellursäure    ■ 

(TeOaAq^O) 
(Te,  Os,  Aq) 

25850 
107040 

8, 

.    Stickstoff. 

r 

(H8,N) 

26710 

Ammoniakgas. 

(HjN.Aq) 

8440 

(H8NAq,HClAq) 

12270 

(HsNAq,HaSAq) 

6190 

(H4,N,Cl,Aq) 

86740 

^H4,N,Br,Aq) 

75800 

Ammoniak    \ 

(H4,N,J,Aq) 
(H5,N,S,Aq) 

60580 
50600 

(H4,N,C1) 

90620 

(H4,N,Br) 

(H4,N,J) 

(HsNjHCl) 

80180 
64130 
41910 

krystallisirte  Salze  aus  den  gasför- 
migen Bestandtheilen  gebildet. 

(H8N,HBr) 

45030 

i 

(HsN.HJ)      . 

43460 

Sückoxydul 

(N2,0j 

—  18320 

Th.  gasföimig. 

Stickoxyd 

(N,0) 

—  4403a 

B.  gasförmig. 

Salpetrige     1 

(N2,03) 

—  66060 

B.  gasförmig. 

Säure         l 

(NgOajAq) 

14260 

B.  Absorption  des  Gases. 

1)  u.  ^  Haute feuille,  Comptes  rendus,  Bd.  68,  S.  1554.  Diejenigen  Zahlen,  für 
welche  der  Autor  nicht  näher  bezeichnet  ist,  rühren  von  J.  Thomsen  her.  Man  sehe 
Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.,  Bd.  6,  S.  1533. 


294 


II.    Thermochemie. 


Substanz 


Reaction 


Wärmetonung 


Bemerkungen 


üntersal  peter- 


saure 


Salpetersäure  .. 


(N0,0) 
(N  Oa,  Aq) 

(^2,05) 

(N,Os,H) 

(Na,06,Aq) 

(2N0aAq,0) 

(NaOa,03,Aq) 

(N02,0,H,Aq) 

(NaOß) 

(NO3H) 

(NOgH) 


19570 
7750 

—  32120 
45200 

-f  18980 
+  12400 

—  15400 
18300 
72940 
51080 

—  4840 

—  600 
+  7180 


Th. 

Th. 

B.  ^)  kry5t.  Anhydrit. 

B.  gasförmiges  Anhydrit. 

6.  flüssiges  Hydrat. 

B.  gasförmiges  Hydrat. 

B.  wässerige  Losung. 

Th. 

Th. 

Th. 

B.  Molec.  Verdampfung» 

B.  Molec.  Schmelzwärme. 

B.  Molec.  Verdampfungsw 


9.    Kohlenstoff. 


(C0,0) 

66810 

Th. 

(CO„A<0 

5880 

Th. 

Kohlenozyd  u. 
Kohlensäure 

(CO.O.Aq) 
(0,0,) 

72690 
96960 
93600 

Th. 

F.  u.  S.  aus  Holzkühlen. 

Th.  Graphit. 

93240 

Th.  Diamant. 

(C,0) 

30150 

wenn  (C,  Oj)  =  96960. 

26800 

Th.,  wenn  (C,  ^j)  =  93240 

Ameisensäure 

(C,Hj„Oj) 

93000 

B. 

(H4,C,0J 

4.  52480 

Th. 

Grubengas, 
Aethylen, 
Acetylen  ^) 

(H4C2,Og) 

(Hg  €2,05) 
(H«,C) 
(Hi,Cj) 

6.  55800 

5.  62110 

23760 

—     4160 

Th. 
Th. 
Th. 
Th. 

wenn  (€,02)  =  96961 

(Hj,  Cjj) 

—  48270 

Th. 

m 

^)  Man  sehe  über  die  SauerstoÜverbindungen  des  Stickstoffes  noch  Berthelot'f 
Arbeiten  in:  Comptes  rendus  Bd.  78,  S.  105,  S.  167  u.  S.  205,  und  auch  Chem.  Ce«- 
tralblatt,  3.  Folge,  Bd.  8,  S.  591. 

^)  Sehr  abweichende  Zahlen  giebt  Berthelot,  Comptes  rendus  Bd.  82,  S.  29. 
Auch  sehe  man  a.  a.  0.  S.  119  u.  122« 


B.   AequWalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    295 


Sabttanx 

Reaction 

Winnetonnng 

Bemerkungen 

10.    Phosphor,  Arsen,  Antimon. 

Phosphor-     f 
nareanhydrit 

(Pj^Oß) 

4-  412200 

A. 

Phosphorige 
Saure 

(P08Ha,Aq) 

0 

Th. 

Phosphor- 
chlorar        ( 

(P,CIa) 

62700 

F.  u.  S.  1) 

Phosphor- 
chlorid 

{P,CÜ 

137500 

F.  u.  S.  1) 

Anenchlornr 

(As,Cla) 

18900 

F.  u.  S.  1) 

Antimon-      i 
chloriir       ( 

(Sb.Cls) 

27300 

F.  u.  S.  1) 

11.    Bor. 

Borsäure-      r 
anhydrit 

(B2,0s) 

158600 

Troost  und  Hautefeuille.     • 

Chlorbor 

1 

(B,Cl8) 
(Ba.Aq) 

» 

104000 
79209 

Comptes  rendus  Bd.  70,  S.  185. 

li 

l.    Siliciam. 

Silicium 

• 

Kieselsättre 
Chlonilidam 

Uebergang  v.  amorph. 
Siliciam  in  krystall. 

(Si,02) 
(Si,CU) 

(SiCl4,Aq) 

8120 

219240 
157640 
r81620 
(46200 

Si  =  28  gesetzt. 

aus  amorphem  Si. 
desgl. 

Th.  Pogg.  Ann.  1 

Troost   und 
Hautefeuille 
C.  rend.  Bd.  70, 
S.  252. 
U.  139,  S.  205. 

13.    Cyan. 

Cjran 

(Ca.  Na) 

—  82000 

gasförmig. 

^m 

(C,N,H) 

—  14100 

gasiorm.  Product. 

Cyan- 
wasserstoff   1 

(C,N,H) 
(C,N,H,Aq) 

—  8400 

—  8000 

condens.Flnssigk. 
verdannt.  Lösung. 

Berthclot, 
»Comptes  rendus 

Cyankaliam 

(C,N,K) 

-|-  41500 

krystall.  Salz. 

Bd.  78,  S.  1092. 

Cyan- 
ammoniam 

(C,Na, 

+  32500 

festes  Sali. 

*)  Favre  und  Silbermann,  Journale  de  pharmacie,  8.  Serie,  Bd.  24i  3t  828. 


296 


n.   Thermochemie. 


Sabstanz 

Reaction 

Wärmetönung 

Bemerklugen 

Cyan- 
quecksUber 

(C,N,Hg) 

• 

—     13700 

< 
festes  Salz. 

Ferrocyan- 
kalium 

(Cy3,Fe,Ka) 

+  232100 

Berthelot 

Cjansaares 
KaU 

(C,N,K,0) 

4-  114600 

festes  Salz. 

> 

&.  a.  0. 

Chlorcyan 

(Cy,Cl) 

+     17900 

gasförmiges  Prodact. 

Jodcyan 

(Cy,J) 

+     17700 

festes  Salz. 

b.    Verbindung  einiger  Metalle  mit  Metalloiden. 

Die  nachstehende  Uebersicht  giebt  einige  hierhergehörige  Zahlen  tob 
Favre  und  Silbermann  ^);  dieselben  beziehen  sich  auf  ein  Molecülj 
der  Verbindung  und  auf  die  Darstellung  der  trockenen  Verbindung.  Für 
Eisen  bezieht  sich  die  Zahl  auf  die  Bildung  von  Eisenozydol. 


Metalle 

Atom- 
gewichte 

Oxyde 

Chloride 

Bromide 

Jodide 

Sulfide«;) 

Kalium 

39 

— 

100960 

90188 

77268 

45638  - 

Natrium 

23 

— 

94847 

— 

— 

Zink 

65 

84900 

100600 

— 

« 

41880 

Eisen 

56 

73656 

99300 

— 

— 

3550Ö 

Kupfer«)  ..... 

64 

43770 

59050 

— 

— 

18270 

Blei 

207 

55350 

89460 

65600 

46420 

1912Ö 

Silber 

108 

12230 

34800 

25618 

18651 

5524 

Da  die  Molecularconstitution  der  einzelnen  Verbindungen  nicht  ül 
einstimmt,  so  sind  obige  Zahlen  nicht  unmittelbar  vergleichbar.     B( 
ist  dies  möglich  bei  den  Zahlen ,  die  sich  auf  die  Bildungswärme  in  tc 
dünnten  Lösungen  beziehen. 


^)  Favre  u.  Silbermann,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.,  3.  Serie,  Bd.  37,  S.  485  u.4d< 
^)  Berthelot  giebt  ohne  Mittheilung  der  Quellen,  Comptes  rendus  Bd.  71,  S. 

KS  =  -f-  45300;    ZnS  =  -[-  15200;    FeS  =  -j-  16700;    CuS  =  -f-  30800;  Pbi] 

=  -f  20400;  AgS  =  +  28700. 

^  Für  (Cu,0)  fanden:  Andrews  38304,  Dulong  36528,  für  (Cu,Cl)  fand  Raovll 

(Comptes  Bendus  Bd,  59,  S,  46)  59000, 


B.    Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    297 


Metalle 

Oxyde 

Chloride 

Bromide 

Jodide 

Sulfide 

Kallam  ..••.• 

Katrinm 

Zink 

Eisen       .- 

Kupfer 

152480 
147020 

97091 

94326 

113140 

106700 

69000 

85678 
82616 

72479 
69143 

50906 
48340 

Eine  grössere  Zuverlässigkeit  dürfte  wohl  den  nachstehenden,  fast 
auBBchliesslich  von  J:ThomBen ^)  herrührenden  Zahlen  zuzuschreiben  sein: 

Kaliumgruppe. 


R  = 

Lithium 

Natrium 

Kalium 

Li  —  7,0 

Na  =  23 

Ka  =  39 

Festes  Hydrat  (R,0,H) 

— 

102  030 

104  000 

Gelostes  Hydrat  (R,0,H,  Aq)  .    .    . 

117  440 

111  810 

116  460 

Gelostes  Siüfhydrat  (R,S,H,Aq)    . 

— 

60  450 

65100 

Gelostes  Oxyd  (Ra,0,Aq)    .... 

166  520 

155  260 

164  560 

Gelöstes  Chlorid  (R,Cl,Aq)     .    .    . 

102  250 

96  510 

101  170 

Gelöstes  Bromid  (R,Br,Aq)    .    .    . 

— 

85  580 

90  230 

Gelöstes  Jodid  (R,J|Aq) 

— 

70  300 

75  020 

Krystallisirtes  Chlorid  (R,C1)  .    .    . 

93  810 

97  690 

105  610 

Krystallisirtes  Bromid  (R,Br)  .    .    . 

— 

85  730 

95  310 

Krystallisirtes  Jodid  (R,J)  .    .    .    . 

— 

69  080 

80  130 

Mit  diesen  für  die  wichtigsten  Alkalimetalle  gültigen  Zahlen  kann 
man  die  für  Ammonium  von  Thomson^)  mitgetheilten  Werthe  in  Pa- 
rallele stellen.     Er  fand  für: 


Ammoniakgas  (NfHg) 
Ammoniakwasser  (N,H3,Aq) 
Hydrat  (N,H4,0,H,Aq) 
Sulfhydrat  (N,  H4,  S,  H,  Aq) 
Chlorid  (N,H4,Cl,Aq) 
Bromid  (N,H4,Br,Aq) 
Jodid  (N,H|,J,Aq) 


26710 
35150 
103  510 
50600 
86  740 
75  800 
60580' 


,  verdünnte  wässerige  Losungen. 


1)  J.  Thomsen,  Thermochemische  Untersuchungen.  Ueber  Lithium,  Natrium,  Ka- 
lium, Magnesium  und  Aluminium.  Journal  f.  praktische  Chemie.  Neue  Folge.  Bd.  11, 
S.  233  u.  8.  f. 

«)  A.  a.  0.  S.  243. 


298 


II.    Thermochemie. 


=  538501 

=  90620 

=  80180 

=  64130 


krystallisirte  Salze. 


Sulf Hydrat  (N,H4,S,U) 
Chlorid  (N,H4,C1) 
Bromid  (N,H4,Br) 
Jodid  (N,H4,J) 

Wir  lassen  hierauf  die  Mei»Ue  Magnesium  und  Aluminium  folgen, 
von  denen  jedes  für  sich  eine  gewisse  Sonderstellung  einnimmt: 

Magnesium  (Mg  =  24)  Aluminium  (AI  =  27,5) 

(Mg,  0,  Hj  0)=  148  960  (AI3, O3, 3  H,  0)  =  388  800  Oxydhydrai 
(Mg,02,H8)  =217  320  (Al,Os, H3)         =  296  940  Hydwt 
(Mg,Cl8)       =151010  (Alj.Clß) 
T  -  /(MgClt,Aq)  =  35920  (Al^Cle.Aq) 

'^'  |(Mg,Cl8,Aq)  =  186930  (Alj.Clg.Aq) 
l(Mg,0)  =  73  100  Di.»). 

Für  die  Calciumgruppe  sind  dem  Verfasser  keine  Messungen  be* 
kannt. 

Eisengruppe. 


Feste 
Körper 


gen 


=  321870  Chlorid 
=  475  560Lö8g8w&me. 
=  451  770  Chlorid 


R  = 


Eisen  ^ 
Fe  =  56 


Zink») 
Zn  =  65,5 


Mangan^) 
Mn  =  55 


Kobalt  B) 
Co  =  58,8 


Kickel^ 
Ni  =58,8 


Bildung  d.  festen^ 
Chloride  aus  den\^   *     *' 
Elementen       H^a^^'e) 


Sesqoichlorid 
a.  Protochlorid 


(2RCla,Cy 


Bildung  der 
Chloride  aus 
wSss.  Lösung 


Bildung  der 
fest.  Hydrate 
aus  Metall, 
Sauerstoff  u. 
Wasser 


(R,0l2,Aq) 

(Ra,  Cle,  Aq) 
H2RClaAq,Cla) 

(R,0,HaO) 
(Ra,08,3H2  0) 


r82  050Th. 
99300F.U.S. 
192  060 

27  960 

99  950  Th. 
102  060  A. 
255  420  Th. 
257  150  A. 

55  520 

68  280 
191  130 


97  210 


111  900 


76  480 


74  530 


112  840  Th. 
112  520  A. 


128  000 


82  680 


94  770 


94  820 


93  700 


63  400 
149  300 


60  840 
120  380 


^)  Bitte,  Comptes  Rendus  Bd.  72,  S.  765,  und  Bd.  73,  S.  108. 

2)  Thomsen,  Journ.  f.  prakt.  Chemie.  2.  Folge,  Bd.  11,  S.  429.  —  «)  Ebend.  W.1U 
—  *)  Ebend.  Bd.  11,  S.  408.  —  ^)  u.  «)  Ebend.  Bd.  14,  S.  428.  —  ')  Ebend.  Bd.  11,  S 

A.  bedeutet  Andrews,  Pogg.  Ann.  75,  S.  244.  F.  u.  S.  bedeutet  Farre  und  Silbti 
D.  bedeutet  Pulong,  Pogg.  Ann.  Bd.  45,  S.  461.    Di.  bedeutet  Ditte. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    299 


R  = 


Eisen 
Fe  =  56 


Zink 
Zn  =  65,5 


Mangan 
Mn  =  55 


Kobalt 
Co  =  58,8 


Nickel 
Ni  =  58,8 


Cadmiam 
Cd  =  112 


^Oiyd(R,0) 


Super- j 


86  670  Di. 
85  430  Th. 
85  860  A. 
85  790F.U.S. 
84  800  D. 


(B,Oa,HaO) 


116  280 


Zinngmppe. 


Zinn»)  Sn  =  118 


.  Bildung  d.  wasser- 
freien festen  Chlo- 
ride 


(Sn,Cla) 
(Sn,  CIJ 


Bildg.  d.  Hydrate/, 

7,         ^  (Sn.OjHaO) 

«u Metall,  Sauer-!,     '    '    ^    \ 
^       '  (Sn,Oo,2HaO) 

itoflF  und  Wasser  l^         *'       *    ' 

Krystall.  Zinn- 

cUororhjdrat 

Ki78tall.  Kaliam- 

zinnchlorid 

(Wässerige  Lösun- 
ftn  d.  Chloride  ans  I  (Sn  Cl^,  Aq) 
Uetall,  Chlor  und]  (Sn  CI4,  Aq) 
Wasser 


l(SnCla,2H2  0) 
|(SnCl4,2KCl) 


80  790 
127  240 

68  090 
133  490 

5720 

24  160 

350 
29  920 


Gold«)  Au  =  196 


Bildungswärme  der 

wasserfreien  Haloid- 

Verbindungen 


(Au,  eis) 
(Au,Br3) 
(An,  Cl) 
(Au,  Br) 
(Au,  J) 

Qoldoxydhydrat  (Ao^,  Os«  H^  0) 
Bildung  der  ge- 
lösten neutralen 


(Au,  eis,  Aq) 
(Au,  Brg,  Aq) 


Haloidverbdgn. 
Bildung  d.ge-/ 

lösten  sauren  j  (Au,  Cls,  H  Cl  Aq) 
Haloidrerbin- 1  (Au,  Br,  H  Br  Aq) 
düngen       V 


22  820 

8850 

5810 

80 

-    5520 

-13  190 

27  270 
5090 

31  800 
12  790 


^)  Thomsen,   Journ.  f.  prakt.  Chemie.    2.  Folge,  Bd.  14,  S.  438. 
^  Thomsen,    Journ.  f.  prakt.  Chemie.    2.  Folge.  Bd.  13,  S.  369. 


300 


IL    Thermochemie. 


Bleignippe. 


R  = 

© 
^^  © 

5    II 

Quecksilber  *) 
Hg  =  200,0 

Silber») 
Ag=  108,0 

§-    II 

•2    1 

,Oxyd  (R,  0) 

50  300 

30  660 

— 

37  160 

— 

Oxydul  (Ra,0) 

— 

42  200 

5900 

40  810 

i2m 

Chlorid  (RjCla) 

82  770 

63  160 

— 

51  630 

— 

Chlorür  (R2,Cl2) 

— 

82  550 

*- 

65  750 

— 

Bromid  (R,Br2) 

64  450 

50  550 

— 

— 

Feste 

< 

Anhydrite 

Bromür  (R2,Br2) 
Jodid  (R,J2) 

39  670 

68  290 
34  310 

^— 

49  970 

-— 

Jodür  (R2,Ja) 

— 

48  440 

— 

32  520 

— 

Chlorid  (R,  Cl) 

— 

29  380 

— 

48  5« 

Bromid  (R,Br) 

— 

22  700 

— 

41211 

Ijodid  (R,J) 

— 

— 

13  800 

30  m 

Bildung  der  Haloid- 

salze    in  wässeriger 

Lösung 

(R,Cl2,Aq) 
(R,  Bra,  Aq) 
(R,  Ja,  Aq) 

75  970 
54  410 

59  860 

|62  710Th. 
I59  000  R. 
f40  830Th. 
Uo  230  R. 
ri0  410Th. 
I15OOOR. 

Oxydul   als   wä8ser.f(R,0,H  Aq) 

— 

— 

— 

— 

637» 

• 

Lösung            [(Ra,0,Aq) 

— 

— 

— 

— 

39110 

[(R,Cl,Aq) 
Bildung  der  Haloide  (r^  CI3,  Aq) 

"— 

"~^ 

— - 

— 

38480 

89000 

in  Wässer.  Lösung    (r^  ßr^^  ^q) 

— 

— 

— 

— 

56180 

(R,J3,Aq) 

— 

— 

— 

— 

10550 

Oxydulhydrat  (R2,0,H2  0) 

— 

— 

— 

45470 

Sesquioxydhydrat  (R2,03,3HaO) 

— 

— 

— 

— 

86010 

Oxydhydrat  (R,OH) 

— 

— 

— 

— 

5691S 

Hydratbildung 

(RaO 

,H2  0) 

— 

— 

— 

SS3t 

^  Thomsen,    Joum.  f.  prakt.  Chemie.  2.  Folge,  Bd.  12,  S.  97. 

2)  Thomsen,  Journ.  f.  prakt.  Chemie.  2.  Folge,  Bd.  11,  S.  283. 

3)  Thomsen,  Joum.  f.  prakt.  Chemie.  2.  Folge,  Bd.  12,  S.  293- 
*)  Thomsen,  Journ.  f.  prakt.  Chemie.  2.  Folge,  Bd.  12,  S.  285. 
^)  Thomsen,  Joum.  f.  prakt.  Chemie.  2.  Folge,  Bd.  12,  S.  121. 
Anmerkung.    Die  mit  R.  bezeichneten  Zahlen  rühren  Ton  Raoult  her.  C«mpt^ 

rendus  Bd.  59,  S.  45, 


B  Chlorid  o. 

(Pt,Br4,2KBr) 

59360 

Bi]dg.d.Dop|.el- 
chlortde,  des  Jo- 

(Pd,Clj,2KCl) 

52670 

■«rfreiE  Salze 

(Pt,Cl„2Naa) 

73720 

dürs  Q.  der  Hy- 

(Pd,Jj,HaO) 

18180 

(Pt,Br4,2NaBr) 

46790 

(Pd,0i„2Hi,0) 

30430 

drate  der  Oiyde 

Merb.  Platin, 

(Pd,O,Ha0) 

22710 

triamcblorid 

(Pt,Cl4,2N.CI,6HiO) 

92890 

Bildg.  d.  Chlor-/ 

(Pd,Cl,,2HClAq) 

72940  (?) 

td  -Bromid 

(Pt.Br„2N«Br,8H,0) 

B5330 

pdladiumw«»- 

{Pd,CI„2HaA(,) 

47920 

mCUorör    u. 

(Pt,CI^2KCl) 

45170 

(Pd,0»,6HClAq) 

52380  (?) 

Dinfir  eQtiT>r. 

{Ft,Clj,2AmCl) 

42550 

wiÜBer.  Lösung' 

(Pd,0,4HClAq) 

37640 

SaUe 

{Pt,Brj,2KBr) 

32310 

LBsmig  der  Hy- 

{Pd04H„6HClAq) 

21950  (?) 

dioMn  Resc- 

(Pt,CV2RaAq) 

84020 

drate  ia  Chlor- 

(PdOjHij,4HaAq) 

14930 

an  2R 

(Pt,Bt4,2RBrAq) 

57160 

[doreh 

(Pt,Clj,2RClAq) 

41830 

2H«N, 

(Pt,Br„3RBrA<|) 

31840 

cohoe 

(Pt,0i,8HClAq) 

64000 

Bg  d« 

(Pt,Oi,,aHBrAq) 

80360 

ng.rer. 

(P^0,4HClAq) 

31550 

rerden. 

(Pt,0,4HBrAq) 

43440 

Fflr  die  Schwefelverbindnogen  der  Metalle  hat  der  VerfaBaer  Zahlen 
liebt  fiDden  kdoneu. 


c.    Neatraliaation  ron  Sänren  and  Basen. 

Die  als  Nentraligfktiouswärme  angegebene  Anzahl  von  Wärmeeinheiten 
leziebt  sich  anf  1  Molecül  Schwefelsänrehydrat  oder  ein  diesem  MolecDl 
iquiTOlentes  Gewicht  der  anderen  Säuren  oder  der  Basen,  so  dasa  in  den 
Formeln  ein  Molecül  der  zweibaaiacben,  aber  zwei  Molecüle  der  einbosi- 
ichen  Säoren  auftreten.  Die  NeatraliBationsphänomene  beziehen  sich  alle 
Inf  verdünnte  w&saerige  Lösungen  nnd  die  normale  Concentration  ist 
diejenige,  dasa  jedem  MolecQl  Schwefelsfiurehydrat  oder  ihrem  AeqniTslent 
einer  anderen  Sänre  oder  Baals  400  Molecül  Wasaer  als  Löaungsmittel 


302 


IL    Thermochemie, 


entsprechen,  so  dass  für  jedes  Molecül  gebildetes  Salz,  welches  x.  B. 
Kaliumsalphat  äquivalent  ist,  800  Molecül  Wasser  in  Reaction 
Nur  in  einzelnen  Fällen,  so  z.  B.  beim  Strontian-  nnd  Kalkwaaaer«  lil 
wegen  der  Schwerlöslichkeit  dieser  Oxyde  die  angewendete  Waaer^ 
menge  grösser.  | 

Die  nachfolgende  Tafel  enthält  mimittelbar  die  sich  bei  der  Nentn^ 
lisation  bildende  Wärmemenge;  bildet  sich  ein  unlösliches  Salz,  so  iä 
also  die  Wärmemenge  die  Summe  aus  der  Nentralisationswärme  und  dm 
jenigen  Wärme,  die  dnrch  das  Festwerden  des  Niederschlages  frei  wird»! 


Basis 

Schwefelsäure 

Chlorwassersioff- 
säure 

Salpetersäure 

EsaigriEnic 

R 

(R,HaS04Aq) 

(R,  2  H  Cl  Aq) 

(R,2HN0sAq) 

(R,2CjH40,i^ 

2LiH0Aq    .    .    . 

81290 

27700 

— 

31380 

27490 

27360 

26370 

2NaH0Aq  .    .    . 

33160  A. 

1 

29490  A. 

• 

28860  A. 

H 

28000  A. 

31620  F.  u.  S. 

1 30260  F.  U.S. 

30570  F.U.S, 

2720O  F.  11.1 

/31290 

27500 

f27540 

1 26430 

2KaH0Aq  .    .    . 

33400  A. 

1 

29880  A. 

29600  A. 

27600  A. 

132160  F.U.S.. 

31330  F.  u.  S. 

I3102O  F.U.S. 

279&0  F.  1.1 

2TlH0Aq    .    .    . 

31130 

44340*1) 

— 

— 

2NAe4HOAq«) 

31010 

— 

— 

■»•. 

BaHjO^Aq  .    •    • 

36900*1) 

27780 

28260 

26906 

SrH2  02Aq    .    .    • 

30710 

27630 

— 

CaHjOaAq  .    .    . 

31140 

27900 

— 

1 

MgHjO^Aq  •    .    . 

31220 

27690 

27520 

264O0 

/28150 

24540 

24640 

r23500 

2  N  H3  Aq  •    .    •    . 

29420  A. 

1 

23830  A. 

25370  A. 

{24630  A. 

29380  F.  n.  S. 

27170  F.  U.S. 

[27350  F.  u.  S. 

25300  P.ilI 

J 

1)  In  den  mit  *  bezeichneten  Fällen  ist  auf  dieser  und  der  folgenden  Seite  «bs  || 
bildete  Salz  schwer-  oder  unlöslich,  und  es  ist  daher  die  hier  stehende  Zahl  i^ckk  i 
Neutralisationswibrme  plus  einem  Theil  oder  der  ganzen  Präcipitationswarme. 

^)  Ae  bedeutet  Aethyl  =  C4H5. 

Anmerkung.  F.  u.  S.  bedeutet  Favre  u.  SilbermanUi  Ann.  dechim-ctl 
phys. ,  3.  Serie.  Bd.  37,  S.  419.  A.  bezeichnet  die  neueren  Bestimmungen  von  id 
drews,  letzterer  theilt  Pogg.  Ann.  Bd.  143,  S.  101  bis  113  auch  noch  Zahl^i   mit  dl 

Kali        Ammoniak 
Oxalsäure:    30250  26080 

Weinsäure:  27020  23490. 

Sämmtliche  Zahlen,  die  nicht  mit  besonderen  Buchstaben  versehen  sind ,  rnkren  fi 
J.  Thomsen  her  und  sind  der  Zusammenstellung  in  Ber.  der  Deutschen  ehem.  Gm 
Bd.  4,  S.  588  entlehnt.  Weitere  Zahlwerthe  von  Thomsen  über  diese  VerhSKai« 
findet  man  noch  unter  dem  Titel:  Thermochemische  Untersuchungen  in:  Pofl 
Ann.  Bd.  138,  S.  65,  201  u.  497,  Bd.  139,  S.  193,  Bd.  140,  S.  88  n.  497,  UJ.  HB 
S.  354,  S.  497. 


B.    AeqniYalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    303 


Basifl 

Sehwefelsäure 

Chlorwasserstoff- 
säure 

Salpetersäure 

Essigsäure 

R 

(RjHaSO^Aq) 

(R,  2  H  Cl  Aq) 

(R,2HN0aAq) 

(R,2C2H402Aq) 

2NAesAq     .    .    . 

28340 

25040 

-_ 

— 

MoHgOa   .    . 

26480 

22950 

— 

• 

NiHaOft    . 

26110 

22580 

— 

C0H2O2    . 

24670 

21140 

— 

— 

FeHjOs    . 

24920 

21390 

— 

CdHaOs    . 

33820 

20290 

20320 

— 

ZnHj|Os    . 

23410 

19880 

19830* 

18030 

CaH^Os    , 

18440 

14910 

14890 

12820 

PbHsOs    • 

21060  * 

14360* 

15340 

13120 

CaO  .    .    . 

18800 

15270 

15270 

13180 

HgO.    . 

— 

19420. 

— 

— 

PbO  .    . 

28500  * 

16790* 

17770 

15460 

AgaO     . 

14490 

42380* 

10880 

— 

%A1H,03 

20990 

18640 

— 

— 

%BeHa08 

16100 

13640 

— 

— 

%CrH,Os 

16440 

13730 

, 

— 

%AaH,Og 

— 

13680 

— 

— 

%FeH3  0j 

;   ' 

11250 

11150 

11200 

7990 

! 

Unterschwefel- 

Aetherschwefel- 

Unierphosphorige 

Schwefcl- 

säure 

säure 

Chlorsäure 

Säure 

wasserstoffsäure 

R 

(R,HjSaOeAq) 

(R,2HCaH5.S04Aq) 

(R,2HC103Aq) 

(R,2H.PHi02Aq) 

(R,2SH,Aq) 

ItHOAq 

27070 

26930 

27520 

30320 

15480 

IH^Aq  .    . 

— 

— 

— 

— 

12390 

iH^OsAq   . 

27760 

27560 

28050 

30920 

15750 

kBjOa    .    . 

27540 

27650* 

— 

— 

— 

^HjO,    .    . 

21200* 

21120 

— 

IH,0,    .    . 

20360 

15250* 

— 

— 

— 

»H,0,    .    . 

14970  * 

14840 

15550 

— 

iFeHgOa    . 

— 

— 

11750 

— 

— 

Anmerkung.     Berthelot  giebt  in  der  Abhandlung:    Etudes  et  exp^riences  sur   les   sulfures 
MBftcs  rendos  Bd.  78,  S.  1176  und  S.  1252  mehrere  hierher  ^hörige  Zahlwerthe;    die  wichtigsten 


304 


IL    Thermochemie. 


Auch  nachfolgende  Tabelle  der  Nentralisations wärmen  der  nor- 
malen Natronsalze  gilt  für  sehr  verdünnte  Lösungen  beider  Bestand- 
theile. 


Namen  der  Säuren 

Formel 

Verbindungswärme 
(2NaH0Aq,QAq) 

Fluorwasserstoffsäure 

2H.F1 

• 

32540 

Schwefelsäure    .    .    . 

Ha.S04 

31380 1) 

• 

Selensäure     .... 

U^  •  oe  i/^ 

30390 

Unterphosphorige  S. 

2H.PH2O2 

30329 

Schweflige  Säure  .    . 

IIa  •  0  Od 

28970             -j 

Metaphosphorsäure    . 

2H.P08 

28750 

Phosphorige  Säure    . 

Ha.PHOs 

28370 

1 

28280 

Oxalsäure 

H2.C2O4 

■ 

30060  A. 
31500  F.  u.sJ 

theilen    wir    im    Nachstehenden    mit.      Dieselben   zeigen    mit    den    Thomsen 'sehen    vei 
befriedigende  Uebereinstimmung. 


Basis 

Schwefelsäure 

Chlorwasserstoff- 
säure 

Salpetersäure 

Essigsäure 

SchwrfJ 

R 

(R,  H2  S  O4  Aq) 

(R,  2  H  Cl  Aq) 

(R,2HN08Aq) 

(R,2C52H4  02Aq) 

(R,2Bi 

2NaH0Aq 

31700 

27400 

27400 

26600 

15« 

2NH8Aq 

29000 

24900 

25000 

24000 

l?li 

BaHjOsAq 

36800  * 

27700 

27800 

27000 

i3d 

Mn  Hq  O2   • 

t 

27000 

23600 

— 

22000 

2(J 

FeHaOa    . 

t 

25000 

21400 

— 

19800 

29  Ji 

Zn  Hq  O2    . 

t 

23400 

19600 

19600 

15700 

ssJ 

PbO.    .    . 

t 

21400* 

15400 

15400 

13200 

hSSt 

Cu  0  .   .   . 

t 

18400  * 

15000 

15000 

12400 

^ 

HgO  .    .    . 

t 

— 

18900 

— 

— 

7$44i 

AgjO.   .   . 

t 

— — 

— 

10400 

— 

um; 

i 

Die  mit  dem  Zeichen  f  versehenen  Basen  wurden  als  Niederschläge  verwendet. 

^)  Bestimmungen  von  Andrews,   Favre  und  Silbermann   für   diese  GroR^sen  sehe  naij 
vorhergehenden  Tabelle.  I 


B,    AeqttivaleDZ  zwischen  Warme  und  chemischer  Arbeit.    3Ö5 


Namen  der  Säuren 

Formel 

Verbindungswärme 
(2NaH0Aq,QAq) 

Chlorwasserätoffsäure 

2H.C1 

27480 1)          ^ 
27500 

Bromwassentoffsiare 

* 

2H.Br 

Jodwasserstoffsäare  . 

2H.J 

27350 

ChloTsaare     .    .   •    . 

2H.C108 

27520 

SalpetenSure     .    •    . 

2H.N08 

273601) 

UnterschwefelsSnre  . 

Hg . Sg  Oß 

27070 

Selenige  Säure  .    •    . 

Hs.SeOg 

27020 

Chlorplatinsäure    .    . 

Ha.PdCl« 

27220 

Flaorsilicium^äure     . 

Ha .  Si  Flß 

26620 

Aetherschwefelsäure 

2H.CaH5S04 

26930 

> 

Ameisensäure    .    .    . 

2H.CH0a 

26400 

Essigsäure      .    •    .    • 

2H.CaH809 

26310 

Propionsäure^)  .    .    . 

2C8He03 

26800 

Buttersäure  8)    .    .    . 

aC^HgOg 

|28600  L. 
i 27320  B. 

Isobuttersäure')    .    • 

2CH(CsH)aC0aH 

28600 

Valeriansäure ')     .    • 

»CftHioOa 

28900 

Paraphosphorsäure    . 

VaH^.PaO^ 

26370 

Orthophosphorsäure  . 

H2.PHO4 

27080 

f 

Orthoarsensäure    •    . 

Ha.AsH04 

27580 

Citronensäure    .    .    . 

%  Hg .  Cg  H5  O7 

25470 

25310 

Weinsäure     .... 

Ha .  C4  H4  Og 

1 

26800  A. 
,27300  F.  U.S. 

1 

Bemsteinsäure  .    •    • 

Ha  •  C4  H4  O4 

94160 

Chromsäure  .    .   •    • 

H2.Cr04 

24720 

Kohlensäure  .    .    .   • 

Ha  •  0  O3 

20180 

Borsäure 

Ha .  Ba  O4 

20010 

► 

Cnterchlorige  Säure 

2H.C10 

19370              ^ 

Schwefelwasserstoffs. 

2H.SH 

15480 

CyanwasserstofTsäure 

2H.Cy 

5530 

Zinnsäure 

Va  H4 .  Sn  O4 

4780 

Kieselsäure    .... 

yaH4.Si04 

2710 

J)    Bertimmungen   von   Andrews,   Favre   und   Silbermann   für  diese   Grössen 

ebe   man  auf  S.  302. 

Ä)  Man  sehe  Berthelot,   Comptes  rendus  Bd.  80,  S.  592. 
»)  Man  sehe  Louguinine,  Comptes  rendus  Bd.  80,  S.  568. 
V«Tdet-Btthlmanii,  Mecban.  Wizmetheorie.    Bd.  2.  20 


306  IL    Thermochemie. 

Nor  an  ganz  wenigen  Stellen  haben  wir  die  von  Favre  and  Silber* 
mann  bestimmten  Nentralisationswärmen  mit  daneben  gestellt,  da  die 
Zahlen  oft  um  10  und  mehr  Procent  difiPeriren  und  meist  za  hoch  mL 
Nicht  blos  Thomsen,  sondern  auch  Andrews  haben  wiederholt  danirf 
aufmerksam  gemacht,  dass  die  Zahlen  dieser  französischen  Fonclier,^ 
zumal  aber  diejenigen,  welche  mit  dem  Quecksilbercalorimeter  erluJftes 
worden  sind,  nur  mit  grosser  Vorsicht  benutzt  werden  dürfen.  Die  BiA- 
renzen  zwischen  den  von  Thomsen  gegebenen  Werthen  und  den  ge 
legentlich  beigestellten  Zahlen  von  Andrews  dürften  yielleicht  als  Miaa 
der  Zuverlässigkeit  der  absoluten  Werthe  derartiger  Beobachtungen  an- 
gesehen werden. 

Neuere  Zahlen,  welche  von  Favre  ^)  gegeben  worden  sind,  stimmet 
mit  denjenigen  von  Thomsen  fast  vollkommen  überein. 

Um  den  Charakter  einer  Säure  festzustellen ,  sind  wenigstens  dra 
Bestimmungen  nothwendig,  nämlich  die  Beaction  bei  äquivalenten  Men- 
gen und  diejenigen  bei  einem  Ueberschuss  der  Säuren  und  bei  üeber 
schuss  von  Basis.  Eine  sehr  vollständige  derartige  Untersuchung  Aber 
die  Neutralisation  wässeriger  Säurelösungen  mit  einer  wässerigen  Lösniii 
von  Natronhydrat  ist  von  J.  Thomsen  über  ungefähr  30  Säuren 
Ghrund  von  nahezu  1000  calorischen  Versuchen  angestellt  worden.  Wi 
theilen  im  Folgenden  eine  Uebersicht  mit,  welche  Thomsen')  selbst  g^ 
geben  hat.  Die  Concentration  der  Natronlösungen  und  der  Säuren  ii 
für  die  Mehrzahl  der  Bestimmungen  200  Molecüle  Wasser  f&r  jedai 
Molecül  Basis  und  Säure,  z.  B.: 

NO3H  +  200 H,0  und  NaOH  +  200 H3O,  oder  SO4H,  +  400 B,a 

Die  Reaction  der  Säure  auf  die  Basis  wird  durch  die  beiden  Fopi 
mein: 

(aNaOHAQAq)  und  (NaOHAq,  ocQAq) 

ausgedrückt,  je  nachdem  es  sich  um  die  Reaction  eines  Moleoölea  dff 
Säure  Q  auf  a  Molecüle  Basis,  oder  im  zweiten  Falle  um  die  Einwirkt 
eines  Molecüles  Basis  auf  cc  Molecüle  der  Säure  Q  handelte. 

Die  letzten  beiden  Zahlen  der  Wärmemenge  sind  weggelassen, 
dass  die  mitgetheilten  Grössen  Hunderte  von  Calorien  bedeuten. 

Nachstehende  Tabelle  zeigt  die  Resultate: 


^)  Favre,  Recherches  thermiques  sur  les  m^langes.  Comptes  rendtu  Bd.  S^ 
S.  1150;  Bd.  51,  S.  316;  Bd.  59,  S.  780;  Bd.  64,  S.  1231;  und  besonders:  Bi  7V 
S.  717. 

^)  Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Qesellsch.  Bd.  3,  S.  187  bis  192  (1870). 


B.    Aeqmvalenz  zwischen  Wanne  und  chemischer  Arbeit.      307 

(«NaOHAq,  QAq.) 


Q  =  1  Molecül 


a 

oder  die  Anzahl  Molecüle 

' 

!fatronhydrat 

Va 

1 

2 

3 

4 

6 

68,5 

137 

137 

^^_^ 

68,5 

137 

137 

— 

— 

— 

68 

137 

137 

— 

— 

— 

39 

77 

78 

— 

— 

— 

80 

163 

163 

— 

— 

— 

14 

28 

27 

— 

— 

i— . 

68 

137 

137 

— 

— 

-. 

77 

152 

153 

— 

— 

__ 

71 

144 

«) 

— 

— 

— 

— 

132 

— 

— 

— 

— 

66 

132 

132 

— 

— 

... 

138 

266 

— 

«) 

— 

71 

146 

310 

— 

310 

— 

— 

148 

304 

— 

304 

-* 

— 

159 

290 

— 

293 

— 

148 

270 

— 

275 

— 

— 

— 

271 

— 

— 

— 

— 

131 

247 

— 

252 

— 

74 

148 

284 

289 

— 

— 

— 

110 

202 

^^^^ 

206 

— 

64 

111 

200 

205 

— 

206 

32 

43 

52 

— 

54 

— 

— 

— 

— 

— 

96 

— 

69 

138 

283 

— 

285 

.- 

— 

124 

242 

— 

244 

-r- 

— 

124 

253 

258 

— 

— 

— 

124 

250 

382 

— 

416 

73 

148 

271 

340 

— 

353 

74 

150 

276 

359 

— 

374 

— 

144 

286 

— 

527 

545 

Einbasische 
Säuren 


Chlorwasserstoff    .••.«. 

Bromwasserstoff 

Jodwasserstoff • 

Schwefelwasserstoff^)    .    .    .    < 

Fluorwasserstoff 

Cyanwasserstoff • 

Salpetersäure     ....*.. 

Unterphosphorige  Säure  .    .    . 

Hetaphosphorsänre   .    .    .    .    . 

Ameisensäure . 

^Essigsäure 

Fluorsilicium-Wasserstoffsäure 

Schwefelsäure , 

Selensäure  , 

Schweflige  Säure 

Selenige  Säure , 

Unterschwefelsäure 

Chromsäure  • 

Phosphorige  Säure 

Kohlensäure^) 

Borsäure 

Kieselsäure 

Zumsäure  ••.••.••« 

Oxalsäure 

Bernsteinsäure 

Weinsäure 

J>reibaaiache   fCitronensäure  6) 

^nren        ]  Ortho-Phosphorsäure  •)     .    .    . 

lArsensäure -  • 

Vierbasische  jpara-Phosphorsäure 


Z^r  eibasische 
SSixren 


1)  Die  Zahlen  gelten  für  die  Reaction  der  Schwefel  wasserst  off  säure  in  wäs- 
Mr  Losung  ebenso  wie  bei  anderen  Säuren. 

^  Diese  Zahl  entfernt  sich  nicht  sehr  von  144,  aber  lässt  sich  nicht  genau  bestimmen 
we^en  der  leichten  Zersetzbarkeit  der  Metaphosphorsäure  (s.  die  Originalabh.  in  Pogg.  Ann.). 

9)  Diese  Zahl  lässt  sich  nicht  benutzen,  weil  die  Säure  durch  den  Ueberschuss  des 
Alkalis  zersetzt  wird. 

^)  Die  Zahlen  gelten  für  Kohlensäure  wasser  (siehe  die  Originalabhandlung,  Pogg. 
Axm.   Bd.    140,  S.  513). 

6)  Ueber  Citronensäure  sehe  man  die  ausfuhrliche  Arbeit  von  Berthelot  und 
Loueninine,  Comptes  rendus  Bd.  81,  S.  908. 

^}  Man  sehe  auch  Berthelot  u.  Louguinine,  Compt.  rend.  Bd.  81,S.  1011  u.  1073. 

20* 


308 


IL  Thermocheniia 


(NsOHAq,  aQAq) 


Q  =  1  Holecil  Siarehjdni 


«  oder  di«  AuaU  der  Siut- 
molecile 


Vt 


% 


Vi 


Einbasische 
Säuren 


ChlanrMsentoff  .  .  . 
Bromwasser8t4>ff  .  \  . 
JodwaMentoff  .... 
Schwefelwasserstoff^)  . 
Flnorwasserstoff  .  . 
Cjanwasserstoff  .  .  . 
Salpetersiore  .... 
Unterphosphorige  Sinre 
Metaphosphorsiore  •  . 
Ameisensiare  .... 
Essigsinre 


Zweibasische 
Sänren 


"'Flaorsiliciam-Wassentoffsinre 

Schwefelsinre < 

Selensanre 

Schweflige  SSore 

Selenige  SHore 

Unterschwefelsaare 

Chromsänre  .    .    • 

Phosphorige  Sanre    •    .    •    .    . 

KohlensSare^) 

Borsäure 

Kieselsänre 

Zinnsäure  • 

Oxalsäure 

Bemsteinsäure 

Weinsäure 


137 
137 
136 

77 
150 

28 
136 
154 
142 

132 
142 


Dreibasische 
Säuren 

Vierbasische 
Säure 


(Citronensäure  .  .  . 
Orthö-Phosphorsäure 
Arsensänre    •    .    .    . 


{ Para-Phosphorsäure 


149 

129 
65 

138 


147 
147 


137 
137 
137 

77 
163 

28 
137 
152 
144 
132 
132 

133 
146 

148 
159 
148 

131 
148 
110 
111 
43 

138 
124 
124 

124 
148 
150 

144 


68^ 

68^ 

68,5 

39 

82 

14 

68 

76 

«) 

66 

133 
155 
152 
145 
135 
135 
124 
142 
101 
100 
26 

141 
121 
127 

125 

135 
138 

143 


96 

68 


86 

127 
113 
120 


_ 


78 
76 
73 
69 

63 

51 

13^ 
24 
71 
61 


132 


U 


91 


^)  Oültig  für  die  Säuren  in  wässeriger  Losung. 
')  Lässt  sich  nicht  mit  Genauigkeit  bestimmen,  siehe  die  Notiz  zur  ▼orheirekeatei 
Tabelle.  *  ' 

')  Die  Säure  wird  durch  den  Ueberschuss  der  Basis  zersetzt. 
*)  Qnltig  für  die  Säure  in  wässeriger  Losung. 


B.    Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    309 

cL    Lösungen  in  Wasser. 

Auch  über  die  Auflösung  yerschiedener  Substanzen  bat  J.  Thomsen 
eine  grosse  Zahl  von  Messungen  angestellt  Diese  Resultate  beziehen 
sich  ebenfalls,  wie  alle  vorb ergehenden,  auf  eine  Temperatur  von  18^0. 
and  auf  die  Auflösung  eines  Molecflles  des  betreffenden  Stoffes  in  der 
nebenbei  angegebenen  Anzahl  von  Molecülen  Wasser  i). 


Stoff 


Wassermenge 
in  Molecülen 


WännetÖnang 

pro  MoleciU 

des  Stoffes 


1.    Eryst.  Chlor-,  Broifl-  und  Jod  Verbindungen. 


CUorlitbium 
Chlomaftriam 

Chloilcaliiun  . 


Chlorammoninm  .... 
""CUormagnesiDm   .    .   .    . 

ÄlnminhuDchlorid     •    .    . 

Quecksilberchlorid    .    .    . 

Chlorblei 

;  Thalliamchlonlr    .... 

Kapferchlorid    ..... 

Zinnchlornr 

ZittBcblorid 

Krystallisirtes  Zinnchlorid 

ChlorbarynxD 

Sromnatrintn     •    .   •    •    . 

Bromkalinm 

Bromammoniom    .... 

Bromblei 

Jodnatrimn 

Jodkalinm 

Jodunmoniani 

Ooldchlorid 

Goldbromid 

'Wasserstoffgoldbromid  .    • 

EisencUorfir 


LiCI 

600 

NaCl 

200 

Ka 

200 
100 

AmCl 

200 

MgCla 

800 

Ala  Cl« 

800 

HgCla 

5400 

PbCla 

64  000 

TlCl 

50  000 

CuCIa 

10  000 

SnClg 

800 

SnCl4 

? 

SnCla-f  2HjO 

900 

Bada  -t-  2HaO 

400 

NaBr 

200 

KBr 

200 

AmBr 

200 

PbBra 

10  000 

NaJ 

200 

KJ 

200 

AmJ 

200 

AuCIs 

150  000 

AuBrg 

36  000 

AuBr4H-f  5HjO 

18  000 

FeClg 

8000 

+ 


+ 


+ 
+ 
+ 


+ 


+ 


+ 


8440c 

1180 

4440 
4410. 

3880 

35  920 

153  690 

53000 

6796 

10100 

11080 

350 

29  920 

5370 

4930 
150 

5080 

4380 
10  040 

1220  ^ 

5110 

3550 

4450 

3760 

1140 
17  900 


^)  Die  Znsammenstellnng  ist  yorzngsweise  entnommen  t/em  Aufsätze  J.  Thomsen's: 
Cntemchong  über  die  Wärmetönnng  beim  Auflösen  verschiedener  fester,  flüssiger  und 
hiftförmiger  Körper  in  Wasser.  Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.,  Bd.  6,  S.  710  bis  717. 
Andere  ^blen  sind  ans  neueren  Arbeiten  desselben  Verfassers  ergftnzungsweise  zugeftigt. 


310 


IL  Thermochemie. 


2.    Flüssige  Chlorverbindungen  und  Brom. 


Zinnchlorid  •  . 
Titanchlorid  .  . 
Siliciumchlorid  . 
Phosphorchlorür 
Brom     •    .    .    . 


SnCl4 

300 

TiCl4 

1600 

SiCl4 

3000 

PCI3 

1000 

Bra 

600 

+  29920c 
+  57870 
+  69260 
+  65140 
4-     1080 


3.    Salpetersaare  Salze. 


Salpeters.  Natron 
Kali  . 


n 
n 
n 
n 
n 


Ammonium 

Silberoxyd 
Baryt    .    . 
Strontian 
Bleioxyd  . 
Thalliamoxyd 


NaNOg 

200 

— 

5060c 

KNOs 

200 

— 

8520 

AmNOs 

1 

200 
100 

— 

6320 
6160 

Ag  N  Oa 

200 

— 

5440 

BaNjOfi 

400 

— 

9400 

SrNaOe 

400 

— 

4620 

PbNaOe 

400 

— 

7600 

TlNOg 

300 

— 

9970 

Stoff 

Formel 

Wassermenge 
in  Molecülen 

WärmetoDimg 

pro  Molecül 

des  Stoffs 

Eisenchlorid ^    • 

FeaClß 

30000 

-f  63360 

Zinkchlorid 

ZnCla 

5500 

+  15630 

Cadminmchlorid    •    .    •    .    . 

CdCia 

7200 

+     3010 

Cobaltchlorär 

CoCla 

10000 

+  18340 

NickelcUorfir 

Ni  Cla 

10000 

+  19170 

Manganchlonir 

MnClg 

8000 

+  16010 

Kalium-Zinnchlorid  .... 

Sn  C\ß  Kn 

800 

—     3380 

Kaliumquecksilberbromid 

HgBr^Kj 

12000 

—     9750 

Kaliumplatinchlonir      .    .    . 

FtCl^Kj 

650 

—  12220 

Kaliomplatinchlorid  .... 

PtCl^Ka 

100000 

—  13760 

Kaliumplatinbromür     .    .    . 

PtBr^Ka 

750 

—  10630 

Kaliumplatinbromid  .... 

PtBrflKa 

150 

—  12260 

AmmoniumplatinchlorUr  .    • 

PtCl^Ama 

600 

—     8480 

Natriumplatinchlorid    .    . 

PtClßNaa 
PtCleNaa  +  6HaO 

900 
600 

+     8540 
—  16630 

Natrinmplatinbromid    .    . 

PtBrgNaa 
PtBr^Naa  +  6H2O 

600 
600 

4-     9960 
—     8550 

Kaliumpalladiumchlortir  .    . 

Pd  CI4  Ka 

600 

—  13630 

Kaliumpalladiumcblorid    .    . 

PdClßKa 

? 

—  15000? 

B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.     311 


Stoff 


Wassenneiige 
in  Molecnlen 


Wärmetönung 

pro  Molecül 

des  Stoffes 


4.    Schwefelsaure  Salze« 


- 

' 

600 
400 

—  18810c 

—  18760 

ifels.  Natron     .... 

NaaSO^.-l-  lOHgO 

200 
100 

—  18550 

—  18130 

1 

50 

—  17460 

Natron     .... 

NaaS04 

400 

—         60 

Kali 

KaSO« 

400 

—     6380 

Ammoniak  .    .   • 

Am2S04 

400 
200 

—  2370 

—  2330 

ThaUiumozyd  •    • 
Baxyt  •   •    .   .    • 

TI2SO4 
BaSO« 

900 

—  8600 

—  5580| 

vgl-  Pogg. 
Ann. 

Strontian     .    .    . 
Magnesia      .    .    . 

SrSO^ 
MgS04  4-  7HaO 

400 

0    t 

—     3910 

Bd.  143, 
S.  399. 

Zinkoxyd      .    .    . 

ZnSO^  4-  7H2O 

400 

—     4240 

Eisenoxydul     .    • 

FeS04  +  7HaO 

400 

—     4510  ' 

Manganoxydol  . 

MnSO«  +  5HaO 
MnS04  +  4HaO 

400 
400 

+         40 
4-     1770 

Knpferozyd    .    . 

CUSO4  +  5HaO 
CUSO4  +  HjO 

400 
400 

--     2750 
-|-     8720 

SUberoxjd    .    .    . 

AgS04 

? 

—     4480 

Nickeloxjd  .    .    . 

NiS04  -1-  7HaO 

800 

—     4250 

6a\uMo%jd  .    .    . 

C0SO4  +  7HaO 

800 

—     3570 

Cadminmoxyd      • 

CdS04V8H20 

400 

4-     2540 

Yttererde     .    .    . 

YSO4  +  %HaO 

400 

+     3560 

Lanthanoxyd  .   . 

USO4  +  3HaO 

400 

+     1500c 

approxim. 

Beiyllerde   .    .    . 

BeS04  +  4H2O 

400 

+     1100 

Thonerde-Kali      . 

K2S04+Al2SsO,a  +  24HaO 

2400 

—  20240 

Chromoxyd-Kali  . 

K2S04  +  CraSgOia+  24HaO 

1600 

—  22300 

xfatron 
Bar>t   . 
Bleioxyd 


5.    Essigsaure  Salze. 


NaCaHjOj  4-  3HaO 
Ba(C2HgOa)a  +  3HaO 
Pb(CaH8  0a)a  4-  SHaO 


400 

—    4810c 

800 

—     1070 

800 

—     6140 

II.  Thermochemie. 


r 


KHO 

aeo 

Chlorkülium 

KCl 

2W 

Broml»li<»n 

KBr 

200 

Jodkalimn 

KJ 

200 

ChlorMurt.  Kuli 

KCIOj 

400 

SilpeleruuT«  Kuli  .... 

KNOj 

800 

ünternchwefelsaure»  K«li     . 

KjSjOb 

500 

Schwerelsanres  Kali      .    .    . 

KjSOj 

400 

Chromum«.  Kall      .... 

KjCrjO, 

800 

KjMnsOg 

1200 

KaCjO,  +  HjO 

800 

Eohlflua.  Ktli,  kTTit.   .   .   . 

K.CO,  +  IV, 

HjO 

180 

7.    Ndtronsalze 

KstrinmhjdrMjd 

K»HO 

150 

ChlomitTium 

KaCI 

200 

Bromnatrium 

NaBr 

200 

Jodnatrium 

NaJ 

200 

KaNOg 

200 

Schwefelwure»       ,      .    .    { 

^falSO^  +  10 
NajSOi 

H^O 

400 
400 

N«sSjO,  +  5 

HjO 

400 

NaaCjO,  -f  lOHjO 

800 

NbjHPO,  +  12HaO 

800 

Phosphors.  Ammoo  .-Natron  . 

NaAmHPOi  + 

4HgO 

800 

Nii,PjO,  +  lOHjO 

1600 

N-«jB^O,  +  1 

HjO 

2500 

NaC,H.O,  + 

SHjO 

400 

ButtOTsaure«   „           .... 

KaC.H,0,  -1- 

H)0 

5, 

—  5110 

—  10040 

—  8520 

—  12990 

—  8380 

—  17030 

—  leiBO 

—  7410 

—  122  ! 


-\-      1220 

—  5080 

—  18760 

—  60 
■  —  11370 

—  16490 

—  22920 

—  10750 

—  12060 

—  25860 

—  4810 
+-     3440 


s  dt  mecan<qaeiao1^nlaire.   Oar*- 


S.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    313 


Stoff 


Formel 


Wassermenge 
in  Molecülen 


Wärmetönnng 
pr.  Molecül 
des  Stoffes 


ymnoxyd 


yinnhydrozyd 

^.  mit   9   Krystallwasser 

orbaryuin       .    .    . 
^etersAurer   Baryt 
ioTBaarer   Baryt 
kerscbiirefels.   Baryt 
ikcTscbwefels.      „ 
^gsanrer   Baryt     •    .    . 
knrpliospl&origs.  Baryt  . 


•    •    • 


8.    Barytsalze. 

BaO 

? 

+ 

27780c 

B.  Bildanf 
conc.  Los. 

1» 

? 

+ 

28120 

B.  Bildanj 
verd.  Lös. 

BaHgOs 

? 

4- 

10260 

B.  Bildunf 
conc.  Lös. 

BaHaOa  +  9H2O 

? 

— 

14060   ' 

B.  Bildunf 
conc.  Xiös. 

BaCIa  +  2H2O 

400 

— 

4930 

BaNaOe 

400 

— 

9400 

BaClaOe  -f-  HgO 

600 

— 

11240 

BaSgOg  +  2HaO 

400 

— 

6930 

Ba(CaH5  .  S04)a  +  2HaO 

800 

— 

4970 

Ba(CaH3  0a)a  -|-  SHaO 

800 

— 

1070 

Ba(PH2  0a)a  +  HgO 

800 

+ 

290 

9.    Andere  alkalische  Erden. 


ämnoxyd  • 


ciambydroxyd 
mtiiimozyd  • 


ontiomhydroxyd 


k1.    mit   9   Krystallwasser 


CaO 


CaHaOa 
SrO 


SrHaOa 
SrHaOa  +  9HaO 


? 
? 
? 
? 
? 
? 
? 


+ 

18100c 

+ 

19000 

+ 

3000    { 

+ 

26800 

+ 

26800 

+ 

9640    1 

— 

15080 

B.  Bildon] 
conc.  Lös. 

B.  Bildunj 
verd.  Lös. 

B.  Bildunj 
conc.  Lös. 

B.  Bildunj 
conc.  Lös. 

B.  Bildunj 
verd.  Lös. 

B.  Bildunj 
conc.  Lös. 

B.  Bildunj 
conc.  Lös, 


Anmerkung.  Die  von  Berthelot  herrührenden  Zahlen  sind  der  Abhandlung  ent- 
lehnt :  Sur  la  chaleur  d^gag6e  dans  la  r^action  entre  l'eau,  Pammoniaque  et  les  tcrres 
adcalines  etc.  Compt.  rend.  Bd.  76,  S.  1106  und  Ann.  de  chim-  et  de  phys.  5.  Serie. 
Bd.  4,  S.  445. 


314 


II.  Thermochemie, 


Stoff 


Fonnel 


Wassermenge 
in  Molecülen 


W&nneioDiiiig 

pr.  Molecnl 

des  Stoffes 


Selenige  Saure 

JodttSare 

Uebeijodsäure 

Phosphorige  Säure    .... 

Bors&ure 

Oxalsäure 

BernsteinBäure  ...... 

Weinsäure 

Citronensäare 


Schweflige  Säure  (condens.) 
Schwefelsäure,  Anhydrid 
„  1.  Hydrat 


n 


2. 


»               ^*        »           • 

SO4H9  -|-  HaO 

„              mit  100  Hj  0 

S04Ha  +  99HaO 

Salpetersäurehydrat  .... 

NOsH 

' 

NOgH  +  HaO 

Wasserhalt.  Baipetersäure  . 

NOgH  -t  2HaO 

NOsH  +  3  HaO 

f 

CIH  +  H2O 

Chlorwasserstoffsäure    .    .     < 

Cl  H  +  3  Ha  0 

CIH  4-  50K2O 

Essigsäurehydrat 

Ca  H4  Og 

Buttersäure 

C4  Hg  O2 

10.   Krystallisirte  Säuren. 


SeOs 

JO3H 

JOeHg 

POjHa 

BjOg  +  3HaO 

CaHa04  +  2  HaO 

C4HeOß 

C4  Hg  H5 

^HgOy  +  HaO 


11.    Flüssige  Säuren. 

SO2 

SOg 

Va  (SaO^Hi) 

SO4H2 


I 


1 


400 

—       920c 

200 

—     2170 

240 

—     1386 

400 

0 

800 

—  10780 

500 

—     8560 

400 

—     6680 

400 

—     3600 

400 

—     6430 

300 

+ 

1500  c 

1600 

+ 

39170 

1600 

+ 

26900 

+ 

17850 

1600 

+ 

15600 

H« 

< 

+ 

17600 

F. 

1600 

+ 

11580 

1600 

+ 

1000 

20 

+ 

7510 

520 

+ 

7580 

320 

+ 

4280 

320 

+ 

2740 

320 

+ 

1830 

100 

+ 

11680 

kfT* 

100 

+ 

3820 

100 

+ 

115 

100 

+ 

150 

53 

+ 

440 

B.«) 

200 

+ 

510 

B-l 

^)  Berthelot  und  Louguinine,  Recherches  thermochimiqae«  sar  les  corps  Umok 
par  double  d^composition,     Compt.  rend.  Bd.  69}  S    628. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.      315 


Stoff 


Formel 


Wärmemenge 
in  Molecülen 


WärmetÖDung 
pr.  Molecöl 
des  Stoffes 


12.    Gasformige  Körper. 


•r')    .... 
wefelwasserstoff 
knsiuiie  .    .    . 
ireflige  Säore  . 
lenalpetersäure 


Boniak 


Inrwuserstoff 


nwassentoff 


kisserstofT 


CI2 
HgS 
CO2 
SOg 
NO2 

H3N 

HCl 
HBr 
HJ 


1000 
900 

1500 
250 
300 

200 

300 
400 
500 


+ 
+ 
+ 
+ 
+ 
+ 
+ 

+ 
-f  17310 
+  17430 
-|-  19940 
+  21150 
+  19210 
+  19570 


4870  c 

4750 

5880 

7690 

7750 

8435 

8820 

8740 


B. 

F.  und  S. 

B.a) 
B.2) 
B.2) 


Für  viele  Sabstanzen  hat  J.  Thomsen  auch  Versuche  mit  Lösung 
in  yerschiedeneu  Wassermengen  angestellt.  Wir  lassen  die  wichtigsten 
Resaltate  auch  hier  folgen: 

Bei  Mischung  einer  Lösung,  welche  aus  einem  Molecül  schwefel- 
sanres  Natrium  auf  50  Molecüle  Wasser  bestand,  mit  a  Molecülen 
Wasser  ergab  sich: 


^)  Berthelot  findet  in  seiner  Abhandlung:  Recherches  sur  le  chlore  et  sur  ses 
compös^s.  Compt.  rend.  Bd.  76,  S.  1514,  dass  das  Chlor  bei  seiner  Lösung  in  Wasser 
xwei  Losangswärmen  besitzen  könne,  nämlich  für  Cl^  sowohl  3580  Cal.,  als  auch  6820, 
nnd  schliesst  daraus,  dass  es  bei  thermochemischen  Arbeiten  überhaupt  unzulftssig  sei, 
mit  Chlorwasser  zu  operiren,  da  häufig  das  Wasser  vom  Chlor  bei  chemischen  Processen 

'  ingegriffen  werde.     Einige  Versuche  über   die   Einwirkung   von  Chlor  auf  Metallchlorür 
Kheinen  dies  zu  bestätigen.     Die  Ursache  soll   in  der  Bildung  von  SauerstofTsäuren  des 

'  Chlors  zu  suchen  sein. 

^  Berthelot  und  Louguinine,  Recherches  thermochimiques  sur  les  corps 
fenn^  par  double  d^composition.     Compt.  rend.  Bd.  69,  S.  628. 


316 


II.    Thermochemie. 


a 

NagSO«  .  50HsO,  aH^O 

50 

—  670 

100 

—  1090 

350 

—  1300 

550 

—  1350 

Für  die  Aufiösang  von  einem  Molecül  Schwefelsäarehydrat  in 
a  Molecülen  Wasser  fand  Thomson  neuerdings  0: 


^w 

(SO4H2,  aHjO) 

CS 

Formel 

Versuch 

Differenz 

1 

6288c 

6272  c 

—  16c 

2 

9320 

9364 

+  44 

3 

11104 

11108 

+   4 

5 

13112 

13082 

—  30 

9 

14910 

14940 

+  30 

19 

16388  ' 

16248 

—  140 

49 

17336 

16676 

—  660 

99 

17662 

16850 

—  812 

199 

17828 

17056 

—  772 

399 

17912 

17304 

—  608 

799 

17956 

17632 

—  324 

1599 

17980 

17848 

—  132 

00 

17994 

— 

— 

Die  Formel,  welche  aus  den  Versuchen  abgeleitet  worden  ist  und  die 
Resultate  bis  zu  einer  Mischung  mit  10  Molecülen  Wasser  ziemlich  gut 
darstellt,  lautet: 


1)  J.  Thomsen,  Ueber  die  Wärmeentwickel ung  bei  der  (Anflösung  von)  Schvefid* 
säure  in  Wasser.  Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Gesellschaft.  Bd.  3,  S.  496  bis  501.  Ge- 
naue Messungen  hierüber  hat  auch  Pfaundler  angestellt.  Man  sehe] Ber.  der Deutadu 
ehem.  Ges.  Bd.  3,  S.  798,  und  auch  Fayre  und  Quaillard^  Compt.  rend.  Bd.  50 
S.  1150, 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    317 

Analog  giebt  Thomsen  för  Salpetersänrehydrat  eine  Formel, 
welche  die  Anzahl  Galorien  zu  berechnen  gestattet,  wenn  ein  Molecül  N  0$  H 
mit  a  Molecfilen  H^  0  gemischt  wird.  Die  Formel  gilt  von  0  bis  6  Molecülen 
und  Bchliesst  sich  den  Beobachtungen  trefflich  an.    Die  Formel  lautet: 


V«        „ 


a 


9070 


+  1,745     -- ^^ 

Die  Yersuohey  in  denen  es  sich  um  eine  Lösung  in  mehr  als  6  Mole- 
eülen  H^O  handelt,  giebt  die  Formel  nicht  wieder.  Die  Versuche  und 
die  Uebereinstimmung  mit  der  Formel  zeigt  nachstehende  Tabelle: 


(NOsH, 

aHgO) 

o 

Venach 

Formel 

0,5 

2019c 

2020  c 

1,0 

3303 

3304 

1,5 

4185 

4193 

2,0 

— 

4844 

2,5 

5331 

5341 

8 

5757 

5735 

4 

— 

6316 

5 

6719 

6723 

10 

7372 

— 

20 

7511 

— 

40 

7497 

— 

80 

7482 

— 

100 

7477 

— 

160 

7511 

— 

320 

7585 

— 

Berthelot ^)  hat  Formeln  gegeben,  durch  welche  die  Wärmetönung 
flargestellt  wird,  welche  eintritt,  wenn  NO^H  -|-  nH^Omit  so  viel  Wasser 
gemengt  ¥rird,  dass  die  schliessliche  Wassermenge  der  Lösung  ftLr  1  Mo- 
lecfll  Salpetersäureanhydrat  (NO3H)  gerade  200  Molecüle  H^O  beträgt. 

Eb  ist: 


^ 


^)  Berthelot.    Etüde   thermique   des  ph^nom^nes  de  la  dissolution;   r^action  de 
.a  nur  l'acide  azotique.     Compt.  rend.     Bd.  78,  S.  769. 


318  IL  Thermochemie. 

Q  =  ^^33^^^  ^  -  2040  von  n  =  0  bis  n  =  5. 

4400 

Q  = 530  von  n  =  5  bis  n  =  15, 

n 

Q  _  _  ?£22  von  »  =  15  bis  «  =  200. 

lieber  die  Lösung  von  Salzsäure  in  Wasser  hat  sowohl  Berthelot ^ 
als  auch  Thomsen^)  umfassende  Versuche  angestellt.  Beide  gelangCD 
übereinstimmend  zu  dem  Resultate,  dass  die  Wärmemenge  Q,  welche  ent- 
wickelt wird,  wenn  eine  Lösung  von  wässeriger  Chlorwasserstoffinni«, 
welche  n  Molecüle  Wasser  enthält,  mit  einer  unendlich  grossen  W 
menge  verdünnt  wird,  durch  eine  Formel  von  der  Gestalt: 

0  =  ^ 8) 

dargestellt  werden  kann. 

Hierin  besitzt  0  den  Werth: 

C  =  11620  nach  Berthelot, 
C  =  11800  nach  Thomson. 

Unzweifelhaft  verdient  die  von  Thomson  gegebene  Zahl  das  gr5t> 

sere  Vertrauen. 

Für  Bromwasserstoffsäure  giebt  Berthelot  (a.a.O.) die Formd 

12060 

Q  =  — 200, 

n 

welche  bis  n  =  40  gültig  sein  soll;  für  n  >>  60  genüge  es,  das  negativ 
Glied  zu  vernachlässigen,    n  hat  hier,  wie  auch  im  nächsten  Falle,  die- 
selbe Bedeutung  wie  in  der  Formel  für  Chlorwasserstoflfaure. 
Für  n  ^  20  soll  für  Jodwasserstoffsäure: 

«  =  ilZ12_500 
n 

und  für  n  >>  20  die  Gleichung: 

_  19570 

^  ~    lOn 

die  entsprechende  Wärmetönung  darstellen. 

Für   die  Mischung  einer  Lösung,    welche  1  Molecül  Kaliumhf 

droxyd,  EHO,  inn  Molecülen  Wasser  enthält,  mit  unendlich  viel  '^ 

hat  Berthelot ^)  eine  Wärmetönung  Q  gefunden,  welche  durch  die  Gl«f 

chung: 

1)  Sur  la  chalear  d6gag6e  dans  la  reaction  entre  les  hjdracides  ei  l'ean.  Bali  M 
la  80C.  chimiqae.  Bd.  19,  S.  351  und:  Sur  la  constitotion  des  hydracidea  dissous.  M 
de  la  80C.  chimiqae.  Bd.  19,  S.  385. 

^)  Tbomsen,  Henry  Berthelot 's  Untersuchung  über  die  Chlorwasaerstoffsaarp.  Bd( 
der  Deutsch,  ehem.  Gesellschaft.     Bd.  6,  S.  717  bis  719. 

^)  Berthelot,  Sur  la  chaleur  d^ag6edans  la  reaction  entre  les  alcalis  et  l'eaS 
pottisse  et  soude.  Compt.  rend.  Bd.  76.  S.  1041  und  1106  und  Ann.  de  chim.  et  de  pkfl 
5.  Serie.  Bd.  4,  S.  445  etc. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Warme  und  chemischer  Arbeit.    319 

23000 


Q  = 


n» 


dargestellt  werden  kann,  so  lange  n  ^  11  ist.     Zwischen  n  =  11  und 
»  =  32  gilt  die  Formel: 

23000  _  23000 

^~     n«  lOn 

und  för  n  >»  32  endlich: 

_  _  23000 

^  ~  lOw  * 

Festes  Ealiumhydroxyd  giebt  bei  seiner  Auflösung  in  260  Molecülen 
Wasser  eine  positive  Wärmetönung  von  12460  Gal. 

Für  Natriumhydroxyd,  NaHO,  haben  sich  die  Formeln  ergeben: 

23000 
6,6  <  n  <  18     Q  =  —5 600, 


n  >  18     Q  = 


23000        23000 


n«  2n 

Festes  Natriumhydroxyd  gab  bei  Auflösung  in  150  Molecülen  Wasser 
sine  W&rmetönung  von  +  9780  Gal. 
Für  Ammoniak  gilt  die  Formel: 


n 


e.    Wärmeentwickelung  bei  einigen  einfachen  und  doppelten 

Zersetzungen. 

Die  nachstehenden  Zahlen  haben  zum  Theil  mit  zur  Ableitung,  zum 
Aeil  zur  Gontrole  der  in  c.  mitgetheilten  Resultate  gedient;  es  dürfte 
•ber  vielleicht  nicht  ohne  Interesse  sein,  auch  einige  Beobachtungen  über 
linfache  und  Doppelzersetzungen  zuzufügen^).  Die  Goncentration  der 
Igen  war  in  der  Regel  800  MolecÜle  auf  1  Molecül  der  Salze,  die 
zweiatomiges  Metall  enthalten.  Nur  in  einzelnen  FäUen  beim  Kalk, 
mtian,  Thallinmoxyd  war  die  Goncentration  geringer. 


[      ')  J.  Thom8en,Thermochemi8che  Untenuchungen.     X.   Ueber   die   bei    der   Neu- 
Untion  toh    Basen  sich   entwickelnde   Wärmemenge.     Pogg.  Ann.    Bd.  143,  S.  354 
396  und  S.  497  bis  534. 


320 


IL  Thennochemie. 


a.    Einfache  Zersetzungen. 
Baryt  und  Schwefels&are. 


R 

(RAq,  HaSO^Aq) 

R 

(RAq,  HaS04Aq) 

BaCIg 
BaN^Oe 
BaSjOe 
BaClaOfi 

9152 
8560 
9136 
8840 

Ba[PHaO]a 

Ba[CaHßSOJa 
Ba  [Ca  Hg  OaJa 

5965 
9336 
9992 

Schwefelsaure  Salze  and  Baryt  oder  Kali. 


R 

RS04Aq,BaHaOa 

RS04Aq,  2KHOAq 

2  Na 

5492 

^_ 

2K 

5632 

— 

2T1 

5728 

— 

2NH4      • 

8792 

— 

Mg 

5840 

—         88 

Mn 

10304 

-f     4912 

Ni 

10628 

5333 

Co 

12224 

•                  5888 

Fe 

12005 

6340 

Cd 

13076 

7066 

Zn 

13429 

7936 

Cu 

18456 

12376 

2Aq 

— 

16800 

%Be 

— 

15192 

'    /sFe 

— 

19984 

Vj  (Fea Ka S4 O16  Aq,  6K0HAq)  =  20040 
V«  (Cr, Ka S4 O16 Aq,  6K0HAq)  =  14848 
1/3  (AlaKaS4  0jeAq,  6K0HAq)  =  10176 
Vs  (Ma  KaS40i6Aq,  SBaOaHaAq)  =  16000 


Inhalts  üb  erstellt 

der    • 


ersten  Lieferung    des  zweiten  Bandes. 


Seite 

I.  Die  Moleculartheorie  der  "VVänne. 

A.  Allgemeines  über  die  Molecularconstitution  der  Körper 1 

B.  Geschichtliches  über  die  Moleculartheorie,  im  Besonderen  über  die 

der  Gase • 12 

C.  Die   moderne  Gastheorie   in  den  Auffassungen  von  Clausius  \ind 

Maxwell  .    .    .    , 31 

D.  Die  innere  Reibung  der  Gase 79 

E.  Die  kinetische  Theorie  der  Diffusion  der  Gase 130 

F.  Die  Wärmeleitung  in  Gasen 142 

G.  Die  Fortpflanzung  des  Schalles 209 

H.  Ueber  die  Natur  der  Molecüle 226 

IL  Thermochemie. 

A.  Atomgewicht  und  specifische  Wärme 254 

B.  Aequivalenz  z^vi8chen  Wärme  und  chemischer  Arbeit 274 


Verlag  von  Friedrich  Vieweg  und  Sohn  in  Braunschweig. 

Müller-Pouillet's 

Lehrbuch  der  Physik  und  Meteorologie. 

Achte  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage 

bearbeitet   von 

Dp.  Leop.  Pfaundler, 

Profcflsor  der  Phyaik  an  der  Universität   Innebrnck. 

In  drei  Bünden. 

Mit  gegen  2000  in  den  Text  ein ged nickten  Holzstichen,  Tafeln,  zum  Theil 

in  Farbendruck,  und  einer  Photographie. 

Srster  Band. 

gr.  8.     Fein  Velinpap.     geh.    Erste  Abtheilung.     Preis  4  Mark. 
Zweite  Abtheilung.     Preis  3  Mark  60  Pf. 


Die    Wärme 

betrachtet   als   eine  Art  der   Bewegung 

von 

John  Tyndall, 

Professor  der  Physik  an  der  Boyal  Institution  zu  London. 

Autorisirte  deutsche  Ausgabe,  herausgegeben  durch 

H.  Helmholtz  und  G.  Wiedemann 

uacb.  der  fiinften  Auflag^e  des   Originals. 

jyrttte  vermehrte  Aufitige, 

Mit  zahlreichen  in  den  Text  eingedruckten  Holzstichen  und  einer  Tafel. 

8,    Pein  Velinpapier,    geh.    Preis  9  Mark. 


ANKÜNDIGUNG. 


:^ 


Bei  der  Ausarbeitung  dieses  Handbuches  hat  sich  der  Verfasser  die 
Aufgabe  gestellt,  das  gesammte  Gebiet  der  mechanischen  Wärmetheorie, 
das  experimentelle  sowohl  als  das  theoretische,  und  die  Anwendungen 
derselben  in  den  übrigen  exacten  Naturwissenschaften  zu  umfassen. 
Die  technischen  Einwendungen  sind  ausgeschlossen,  da  diese  in  den 
Werken  Zeuner's  und  Grashof' s  bereits  eine  treffliche  Behandliing 
gefunden  haben. 

Das  Buch  soll  dem  lehrenden  und  forschenden  Fachmanne  als 
Handbuch,  den  Studirenden  der  exacten  Naturwissenschaften  als  Lehr- 
buch dienen. 

Durch  Berücksichtigung  möglichst  aller  wichtigen  Arbeiten  des 
In-  und  Auslandes  ist  eine  thunlichste  Vollständigkeit  angeetrebt 
worden;  das  Buch  soll  jedoch  das  Studium  der  Originalarbeiten  nicht 
übei-flüssig  machen,  es  zeigt  vielmehr  deren  Stellung  im  Gesammt- 
organismus  der  Wissenschaft  und  giebt  ihre  Resultate  in  systematischer 
Anordnung.  Durch  eine  möglichst  umfängliche  Anführung  der  Quellen 
hofft  der  Verfasser  seinen  Fachgenossen,  zumal  bei  einschläg liehen 
experimentellen  und  theoretischen  Untersuchungen  und  bei  Vorbereitung 
der  Collegien  behülflich  sein  zu  können. 

Die  Darstellung  ist  so  gewählt,  dass  auch  weniger  Geübte,  wenn 
dieselben  nur  einen  Cursus  der  Differential-  und  Integralrechnung  und 
die  Einleitung  in  die  höhere  Mechanik,  sowie  Experimental- Physik 
und  -Chemie  gehört  haben,  den  Auseinandersetzungen  zu  folgen  im 
Stande  sein  werden. 

Mit  Beginn  des  zweiten  Bandes  hat  sich  der  Verfasser  von  dem 
V erdet' sehen  Buche:  „Theorie  mecanique  de  la  chaleur",  dessen  Bear- 
beitung in  der  ersten  Lieferung  des  ersten  Bandes  angestrebt  w^orden 
war,  vollständig  emancipirt.  Die  Fülle  des  zumal  im  zweiten  Bande 
zu  berücksichtigenden  Materiales  rührt  vorzugsweise  aus  der  aller- 
neuesten  Zeit  her;  seit  dem  Erscheinen  des  V erdet' sehen  Werkes  sind 
in  diesen  Gebieten  die  Gesichtspunkte  mehrfach  so  wesentlich  verscho- 
ben worden,  dass  es  unmöglich  erschien,  sich  noch  femer  an  diese 
sonst  so  treffliche  Arbeit  anzulehnen. 

Die  vorliegende  Lieferung,  es  ist  die  vorletzte  des  ganzen  Buches, 
enthält  zunächst  den  Schluss  der  Thermochemie.  Besonders  eingehend 
werden  darin  die  Dissociationserscheinungen  und  die  Anwendungen 
der  thermochemischen  Gesetze  auf  die  Explosivstoffe  behandelt.  Im 
Anschluss  hieran  wird  die  Verwendung  der  Explosivstoffe  in  den  Feuer- 
wafi'en  und  die  Theorie  der  Gaskraftmaschinen  vom  physikalischen 
Standpunkte  aus  betrachtet.  Ein  Anhang  an  dieses  Capitel  beschäftigt 
sich  mit  der  Theorie  der  Dampfgeschütze.  Der  letzte  Theil  der  Liefe- 
rung enthält  nach  einer  kurzen  mathematischen  Einleitung  die  An- 
wendung der  mechanischen  Wärraetheorie  auf  die  Electricitätslehre 
und  erstreckt  sich  bis  zu  den  Wärme  Wirkungen  des  galvanischen 
Stromes  (Joule'sches  Gesetz). 

Die  letzte  Lieferung  soll  bald  folgen  und  wird  den  Absohluss 
dieses  letzterwähnten  Capitels  und  die  Anwendung  der  früher  ge- 
wonnenen Gesichtspunkte  in  der  Astronomie,  Meteorologie  und  Physio- 
logie bringen.  Den  Schluss  des  Buches  soll  eine  kurzgefasste  kritiBche 
Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie  und  eine  Literaturübersicht 
bilden.  —  Durch  Nachträge  wird  ausserdem  der  allemeuesten  Literatur 
Bcchiiung  werden,  welche  seit  der  Veröffentlichung  der  früheren  Liefe- 
rungen erschienen  ist. 


fi.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    321 


B6i^S04Aq, 

wHKOAq) 

n 

Cal. 

Vs 

6300 

1 

8928 

Vs 

11142 

2 

15192 

'  ADmerkang.  Nach  Schluss  der  ersten  Lieferung  des  zweiten  Bandes  dieses  Baches 
Mingten  wir  in  den  Besitz  der  neuesten  Portsetzung  der  Tho ms en 'sehen  Arbeit: 
iennochemische  Untersuchungen;  über  Magnesium,  Calcium,  Strontium  und  Barium, 
^om.  L  prakt  Chemie.  Neue  Folge.  Bd.  16,  S.  97  bis  124.  Um  eine  thunlichste  Voll- 
Hgkeit  zu  erzielen  und  um  die  Zahlen  nicht  zu  weit  räumlich  von  denjenigen  zu  tren- 
ZQ  denen  sie  ihrer  Natur  nach  gehören,  theilen  wir  dieselben  an  dieser  Stelle  mit, 
sie  erst  als  Zusatz  am  Schlosse  des  Abschnittes  oder  des  ganzen  Buches  hinzuzufügen. 

Gruppe  der  alkalischen  Erden. 


P"              = 

Magnesium 

Calcium 

Strontium 

Barium 

Reaction 

R=Mg,Mg=:24 

R=Ca,Ca=40 

B=Sr,Sr=87,6 

R=Ba,Ba=137 

(R,0) 

145860  Cal. 

131360  Cal. 

130980  Cal. 

130380  Cal. 

(RO,Aq) 

3100  B. 

15100 B. 

26800  B. 

27880  B. 

(ROjHa,Aq) 

— 

3000  B. 

9600  B. 

10260  B. 

(R,0,HaO) 

148960 

146460 

148180 

148000 

(R,0„S08) 

232310 

248790 

259820 

266490 

(R,0j,NaOJ 

— 

207210 

223830 

229720 

(R,Cla) 

151010 

170230 

184550 

194250 

ö<,BrJ 

— 

141250 

157700 

169460 

(R,J8) 

— 

107650 

^ 

— 

^ftaj,6HjO) 

183980 

191980 

203190 

— 

|feBr^6H,0) 

— 

166850 

181010 

— 

l|fcCl„2H,0) 

— 

— 

— 

201250 

(hBrfc2H,0) 

] 

Losangsw&rmen. 

"""* 

178570 

(iRCl^Aq) 

35920 

17410 

11140 

2070 

(RBra,Aii) 

— 

24510 

16110 

4980 

(RJa,Aq) 

— 

27690 

— 

— 

ICl^-f  6HaO 

2950 

—  4340 

—     7500 

— . 

EGj-l-SHaO 

— 

— 

— 

—  4930 

EBrj-f  6HjO 

— 

—  1090  t 

—     7200 

— 

fcBra+2HaO 

— 

— 

— 

—  4130 

iH^Oe+eHaO 

—  4220 

—    • 

— 

— 

— 

—  7250 

—  12290 

— 

R:    Oe 

— 

3950 

—     4620 

—  9400 

ISO4     THjO 

—  3910 

— 

— 

— 

tSO«     2H,0 

— 

—     600* 

— 

— 

R     ), 

— 

+  2960  Hess 

0 

—  5580 

Vei    9t-Bfth] 

mann,  Mechan.  "^ 

Sr&rmefheorie.  Bd. 

a. 

21 

322 


II.  Thermochemie. 
Oxyde  und  Hydroxyde  durch  GhlorwasserstoffiB&iire  ^). 


(CaO,  HClAq) 
(BaO,  HClAq) 
(SrO,  HClAq) 


+  46060 
+  55580 
+  54800 


(CaH,0„  HaAq) 
(BaH,03,  HGlAq) 
(SrHjOj,  HClAq) 
(CaHgOaAq,  HClAq) 
(BaHjOjAq,  HClAq) 
(SrHjOaAq,  HClAq) 


+  37960 
+  37680 
+  2796Ö 
+  27701)! 
+  28046 


Chlorverbindungen  und  Kali  oder  Natron. 


fl 

(FeaCl« 

Aq,    fiNaHOAq) 

(Aus  Cle  Hj  CI2  Aq,  »NaH  0  Aq) 

2 

17040 

26640  Oal. 

3 

25308 

— 

4 

33408 

44640 

6 

49008 

57168 

8 

— 

68040 

10 

— 

68472 

HgQjAq,  2KH0Aq  =  8088  Cal. 

Einige  Blei-,  Silber-  und  Eupfersalze. 
(PbNjOsAq,  nNaHOAq) 
n  Cal. 


V«                  6396 

1                 12678 

2                 11952 

4                 11064 

(PbNaOeAq,  2KH0Aq)          — 

12280  Cal 

(Pb  Na  Ofi  Aq,  Hg  S  O4  Aq)           — 

6448     „ 

(PbC4H604Aq,  HjSO^Aq)       — 

7666     „ 

(2  Ag  N  O3  Aq,  Ha  Ba  Oa  Aq)       — 

17380     „ 

(AgNOsAq,  HClAq) 

15750     „ 

(CuC4H604Aq,  HaBaOaAq)  — 

14072     „ 

Partielle  Zersetzungen. 

(KaS04Aq,  2HN05Aq)  =  —  2968  Cal. 
(2KN03Aq,  HaS04Aq)  =  +-    709     „ 


Diejenigen  Werthe  für  Barium,  in  ^eichen  das  Metall  als  solches  reagirt,  sad  1 
Benutzung  der  Berthelo tischen  Zahl  (Ba,0,HaO)  =:  148000  berechnet  and  siid 
halb  yielleicht  nicht  ganz  zuverlässig.  Die  letzte  Zahl  obiger  Tabelle  gilt  fSr  £«  B^ 
düng  eines  Niederschlages,  ist  also  die  Summe  aus  BildungswSrme  und  der  Uiup 
wärme  des  Niederschlages. 

Die  Losungswärmen  beziehen  sich,   sofern   nicht  Anderes  bemeri[t  wird,  ui ^^ 
lösung   in  400  Molecülen  Wasser. 

t  gilt  für  Auflösung  in  450  Molec.  HgO. 

^)  Berthelot,  Compt.  rend.  Bd.  76,  S.  1109. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    323 


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21* 


324 


II.    Thermochemie. 


Einige  weitere  Doppelzersetzungen  sind  hinsichtlich  ihres  thenno- 
chemischen  Werthes  von  Berthelot  und  Louguinine')  untenucbt 
worden.  Da  diese  Messungen  nach  einem  dem  Thomsen'schen  sehr 
ähnlichen  Mischungs verfahren  angestellt  sind,  kann  man  denselhen  yiel-j 
leicht  eine  etwas  grössere  Zuverlässigkeit  zuschreiben ,  als  manchen  frü- 
heren Angaben  Berthelot's '). 


Zersetzung  von 


Formel  der  Reaction 


WSrme- 
tönung 


Bern« 


Acetylchlorid  • 
Acetylbromid  . 
Acetyljodid  •  . 
Batyrylbromür  . 
Essigsäureanhydrid 
Phosphorchlorür 

Desgl 

Phospborbromür 

Desgl 

Phosphorchlorid 

Desgl 

Phosphoroxychlorid 
Desgl 


Wasser 
Wasser 
Wasser 
Wasser 
Wasser 
Wasser 

Kali 
Wasser 

Kali 
Wasser 

Kali 
Wasser 

Kali 


Aq 

(Ca H, CIO,  HgO)  =  C8H40a  -f  HCl 

(CaHjBrO,  HaO)  =  CgH^Oa  +  HBr 

(CaHgJO,  HgO)  =  CaH4  02  +  HJ 

(C^H^BrO,  HaO)  =  C^HgOa  +  HBr 

(C^H^Og,  HaO  =  2CaH4  0a) 

(PClg,  Aq) 

(PCI3,  «KHOAq) 

(PBrs,  Aq) 
(PBj,  «KHOAq) 

(PClß,  Aq) 

(PClß,  «KHOAq) 

(P  CI3  0,  Aq) 

(PCljO,  xKHOAq) 


+  5500 
-(-  1800 
+•  1800 
+  4650 
+  12800 
-\-  63600 
4-  68800 
+  64100 
+  130600 
+  118900 
+  220100 
+  74700 
+  148700 


Sämmtli 
stanien 
in  ihm 
liehen 

ZI 

aaden 


Der  Ve 

Rc 
scheint! 
ziemlidL 

drtnl 


Rückbildung  der  Anhydride  und  WasserstoflEsäuren,  berechnet  for 

1  Atom  Chlor. 


Reaction 

Wärmetöuong  bei 

Einwirkung  tob 

flüssigem  Wasser 

Waasergas 

(CaHs  Cl  0,  Ha  0)  =  Va  (C4  Hg  Og 
VaKPClj,  5HaO)  =  VaPaOß 
V8[(ABCl8,3HaO)=  VaAsaOs 
VsKSbCls,  3HaO)       VaSbaOg 

+  2  H  Cl) 
+  5  H  Cl] 
4-  3HC1] 
+  3  HCl] 

nicht  bemerkbar 
4-  7000 

—  9000 

—  8400 

4-     5000 
+  12000 

—  4000 

—  3400 

^)  Recherches  thermochimiqaes  sor  les  corps  fonnes  par  double  dßcompoeition. 
rend.  Bd.  69 ,  S.  626  und  Bd.  75 ,    S.  100.     Man  sehe  auch  einige  auf  Fetts&ORB 
zügliche  iZahlen  von  Louguinine,  Compt.  rend.  Bd.  80,  S.  667. 

^  Man  sehe  z.  B.  die  kritischen  Bemerkungen  von  Thomsen,    Ber.  der 
ehem.  Geaellsch.  Bd.  5,  S.  181,  508  und  957. 


B.  Äequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.     325 

Büdiing  der  Chloride^)  bei  Ueberschoss  von  Wasser  (für  1  Atom  Gl 

berechnet). 


Formel 


Ca  Hg  CIO 

Vs  P  Gl« 

VöPClß 

VsAsClg 

VsSbClj 


Wännetönung 


-|-  23300 
+  20900 
4-  27500 
+  6300 
4-     9100 


Wir  sehen  von  einer  ausführlichen  Mittheilung  der  Zahlen  von  Ber- 
thelot über  die  Bildung  und  Beactionen  organischer  Verbindungen  ab, 
da  ims  dies  nöthigen  würde,  tief  in  die  Erörterung  der  Details  der  orga- 
nischen Chemie  einzugehen;  wir  begnügen  uns  damit,  auf  die  Original- 
abhandlungen  zu  yerweisen  und  im  Nachstehenden  eine  kurze  Uebersicht 
der  wichtigsten  Resultate  anzuführen  '). 


^)  Nor  zum  Vergleiche  beigestellt.  Der  Vergleich  zeigt,  dass  die  drei  Chloride 
des  As,  Sb,  Sn,  je  nach  der  Menge  des  angewandten  HjO,  die  inverse  Reaction  ein- 
gehen können.  Ueberschüssiges  HgO  zersetzt  die  Chloride,  gasförmige  oder  sehr  con- 
centrirte  HCl  lost  die  entsprechenden  Säuren  unter  Bildung  der  Chloride. 

*)  Nourelles  recherches  thermiques  sur  la  formation  des  compos6s  organiques :  acety- 
line.    Compt.  rend.  Bd.  82,  S.  24. 

Recherches  thermiques  sur  la  formation  des  alcools  et  sur  P^th^rification.  A.  a.  0., 
S.  293.    Man  sehe  auch  Ann.  de  chim.  et  de  phys.     5.  Serie,  Bd.  9,  S.  289. 

Sur  la  formation  des  ethers.     A.  a.  0.,  S.  356. 

Sur  les  Äthers  des  hydracides.     A.  a.  0.,  S.  397. 

Sur  la  formation  des  amides.     A.  a.  0.,  S.  399. 

Recherches  sur  l'aldehyde.     A.  a.  0.,  S.  119. 

Action  de  l'acide  suliurique  fnmant  sur  les  carbures  d'hydrog^ne.    A.  a.  0.,  S.  185. 

Union  des  carbures  d'hydrogine  avec  les  hydracides  et  les  corpa  halog^nes.  A.  a.  0., 
S.  122. 

Sur  la  formation  thermique  des  deuz  ald^hydes  propyliques  isomeres.  Compt.  rend. 
Bd.  83,  S.  413  und  Ann.  de  chim.  et  de  phys.     5.  Serie,  Bd.  10,  S.  389. 

Sur  la  chaleur  de  combustion  des  acides  formique  et  oxalique.  Ann,  de  chim.  et 
de  phys.   5.  Serie.    Bd.  5,  S.  289. 

Recherches  sur  les  acides  gras  et  leurs  sels  alcalines.    Compt.  rend.  Bd.  80,  S.  592. 

Stabilit^  des  acides  gras  en  pr^sence  de  Peau,  et  deplacement  reciproques  de  ces  acides. 
Compt.  rend.  Bd.  80,  S.  700. 

Tableauz  des  principales  donn^es  num^riques  relatives  k  la  thermochimie  im:  An- 
Doaire  pour  l'an  1878  publik  par  le  bureau  des  longitudes.    S.  505. 

Man  sehe  auch: 

Louguinine,  Etüde  des  quantitös  de  chaleur  degag6es  dans  la  formation  des  sels 
de  potasse  de  quelques  acides  de  la  s^rie  grasse.     Compt.  rend.  Bd.  80,  S.  568. 

Sur  les  quantit^s  de  chaleur  degag^es  dans  la  d^composition  des  chlorures  de  quel- 
ques acides  de  la  s^rie  grasse.     Compt.  rend.  Bd.  80,  S.  667. 

Etudes  de  quantit^s  de  chaleur  degag^es  dans  la  d^composition  par  Peau  des  bro- 
mores  de  quelques  acides  de  la  s^rie  grasse.     Compt.  rend.  Bd.  80,  S.  973. 


326  IL  Thermochemie. 

f.    Die  Wärmetönung  bei  Bildung  einiger  organischer  Yer- 

bindnngen. 

Es  würde  uns  allerdings  zu  weit  fuhren,  wenn  wir  alle  im  Yorlle^ 
gehenden  nicht  mit  enthaltenen  Beobachtungen  und  Untersuchungen, 
welche  über  die  bei  Bildung  organischer  Verbindungen  auftretende 
Wärmeerscheinungen  angestellt  worden  sind,  hier  mit  aufiiehmen  woUteiL 
Insbesondere  ersparen  wir  es  uns,  die  seiner  Zeit  von  Favre  und  Sil- 
bermann publioirten  Messungen  der  Yerbrennungswärmen  organischer 
Verbindungen  zu  reproduciren,  da  denselben  aus  den  mehrfeush  erwähnten 
Gründen  nur  ein  geringer  Genauigkeitsgrad  beigelegt  werden  kann^). 

£s  ist  jedoch  auch  sehr  leicht,  aus  den  im  Nachstehenden  unters 
mitgetheilten  Zahlen  die  Verbrennungsw&rme  einer  der  Verbindungen 
rückwärts  zu  berechnen.  Man  bildet  zu  dem  Zwecke  die  Summe  der 
Wärmemengen,  welche  entständen,  wenn  der  in  die  Verbindung  ein- 
gehende Wasserstoflf  zu  Wasser  und  der  Kohlenstoff  zu  Kohlensäure  ver- 
brannt würde,  und  subtrahirt  davon  die  in  der  Tabelle  a  mitgetheilte 
Zahl.     Der  gefundene  Rest  ist  die  gesuchte  Verbrennungswärme. 

Da  auch  vielen  unter  den  im  Nachstehenden  mitgetheilten  Zahlen 
kein  grosses  Vertrauen  entgegengebracht  werden  darf,  so  ist  deren  An- 
zahl auf  ein  thunlichstes  Minimum  beschränkt  worden. 

ee.     Die   Bildungswärmen    einiger   organischer  Verbindungen 

aus  ihren  Elementen. 

Man  ist  allerdings  fast  nie  in  der  Lage,  die  Wärmetönung  bei  Bildns; 
einer  organischen  Verbindung  aus  ihren  Elementen  direct  zu  messen,  diesen» 
lässt  sich  jedoch  leicht  aus  den  Principien  der  Thermochemie  und  einigen 
anderweiten  Beobachtungen,  zumal  aus  den  Verbrennungswärmen  berechnen. 

Die  bei  Bildung  einer  organischen  Verbindung  entwickelte  Wärme- 
menge ist  nämlich  der  Unterschied  zwischen  der  Summe  der  VerbrennungB- 
wärmen  seiner  Elemente  und  der  Verbrennungswärme  der  Verbindung 
sobald  in  beiden  Fällen  die  nämlichen  Verbrennungsproducte  in  genu 
gleichen  Mengen  gebildet  werden.  Nach  diesem  Satze  hat  Berthelot  nadi- 
stehende  Zahlen  berechnet ').  Leider  beruht  allerdings  beinahe  der  diitti 
Theil  der  mitgetheilten  Zahlen  noeh  auf  den  von  Favre  und  Silber  mann 
mit  Hülfe  des  Quecksilbercalorimeters  gemessenen  Verbrennungswärmen, 
deshalb  dürfte  die  Genauigkeit  vieler  Zahlen  nur  eine  sehr  geringe  sein. 

Für  Kohlenstoff  ist  die  Verbrennungswärme  des  Diamantee,  in 
Uebrigen  die  Verbrennungswärme  der  Elemente  als  Gase  mit  gasfö^ 
migem  Sauerstoff  zu  Grunde  gelegt. 


^)  Eine  übersichtliche  Zusammenstellung  dieser  Zahlen  findet  man:  DictioiuMire  ib 
chimie  1870,  Bd.  I,  2,  S.  825  bis  827,  und  in:  A.  Naumann,  AUgemeine  and  phr 
sikalische  Chemie  1877,  S.  661  bis  663. 

^)  Man  sehe  Berthelot's  Abhandlung:  Tableauz  des  principales  donnto  nim^ 
riques  relatives  i  la  thermochimie  im  Annuaire  ponr  Pan  1878,  publik  par  le  Box«« 
des  Longitudes.  Die  Zahlen  finden  sich  auch  in  den  Beiblättern  zu  den  Annales  to 
Physik  und  Chemie,  Bd.  I,  S.  671. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    327 


l^ame  der  gebildeten  Ver- 
bindung 


Bestandtheile,  aas  wel- 
chen dieselbe  gebildet 
wird 


Molecolar- 
ge  wicht 


Bildongswärme 


Cyangas 


{gasf. 
flttss. 


Chlorcyan 


Jodcyan   

Ameisensanres  Kalium 
Essigsaures  Kalium  . 
Ozalsaures  Kalium  .    • 


(gasf. 
flüss. 
•  fest 
.  fest 
.  fest 
.  fest 


Bildung  eines  flüssig.  Homologs 
Verwandlung  amorphen  Kohlen- 
stoffs in  Diamant 

Kohlenoxydgas 

Kohlensäure 

Acetylen 

Aethylen      

Methyl 

Sumpfgas 


Amylen 


\flÜS8. 

Diamylen flüss. 

Aethalen  (Ceten)     .    .    .    flüss. 

Gtronenol flfiss. 

Terpentinöl  (Camphenen)  .    .    . 
Tereben 


Benzol 


fgasf. 

\üÜBB, 


Methylalkohol 

Aethylalkohol 

Isoipropyl-  u.  Propylalkohol 

Amylalkohol 

^Cetylalkoho)    ....  fest 


) 


1 


(CN,) 
(CfcN,) 

(C.N.H) 

(C,N,C1) 

(C,N,J) 
(C,H,K.Os) 

(X,C,Hi^ 

(C) 

(C,0) 

(C,Oj) 

2(C,H) 

2(C,H,) 

2(C,H,) 

(C,H«) 

2(C6,Hio) 
(Cie>  Haa) 

(CiQjHie) 

(C6>He) 

(C,H4,0) 

(C9,He,0) 

(C8,H8,0) 

(C6,Hia,0) 

(C|e,Hg4,0) 


) 


52 
27 

61,5 

153 

84 

98 

166 

X-\-14 

12 
28 
44 

2X13 
2XU 

2X15 
16 

70 

2X70 
224 
136 
136 
136 

78 

32 
46 
60 
88 
242 


—  82000  Cal. 


I 


14100 

8400 

21500 

13200 

—  23100 
-f  155100 
+  174200 
-|-  323600 
-f-   6000 

+       3000 

+  258001) 

4-  94000 1) 

—  64000 1) 

—  8000 1) 
+  28000 
-|-  22000 1) 
4-  5400 
-I-  10600 
+  11800 
-|-  118000 
4-  2000 
+  17000 
4-  42000 

12000 
5000 
4-  62000 
+■  74000 
4-  82000 
-h  96000 
4-  112000 


|: 


1)  Man  Tergleiche  die  wesentlich  abweichenden  Zahlen  Thomsen's  S.  294  unter: 
Kohlenstoff,  um  daraus  die  geringe  Zuverlässigkeit  der  hier  gegebenen  Werthe  beur- 
Uieilen  zu  können. 


328 


IL    Thermochemie. 


Name  der  gebildeten  Ver- 
bindung 


BestandtbeUe,  aus  wel- 

cben  dieselbe  gebildet 

wird 


Molecnlar- 
gewicht 


Bildungsvimf 


Phenol      .^.    .'•••>•• 
Glycose  (Traubenzucker)    .    .    • 

Aethyläther flüu. 

Amylätbylätber 

I  flüss. 

Aceton 

Orthopropylaldehyd  - 

gasf. 
Ameieensäure 


Aldehyd 


CO 


Essigsäure 


(gasf. 
flüss. 


l 


Buttersäure  . 
Valeriansäure 
Margarins&ure 


flüss. 
flüss. 
flüss. 


Oxalsäure fest 


Ole'm    .    . 
Chloräthyl 


{ 


gasf. 
flüss. 


{gasf.   (J  =  gasf.) 
flüss.  (J  =  fest) 

Chloramyl flüss. 

Bromamyl  .  flüss.  (Br  =  flüss.) 
Jod&myl  .  .  .  flüss.  (J=:fest) 
Salpetersäureäther  .    .    .    flüss« 

Acetylchlorür flüss. 

Acetylbromür flüss. 

Acetyljodür  • flüss. 

Oxamid -.     fest 


I 


(C«,H«,0) 

(Ce,Hi2)0f) 

(Ci,Hio,0) 

(C7,Hie,0) 

(Ca,H4,0) 

(C8,He,0) 
(C«,He,0) 

(C,H2,0a) 


(C2»H4»0a) 


(C4,He,08) 

(C41  Hg,  Oj) 
(C5,  HiQ,  O2) 
(Cje,  H32,  Oj) 

(Cj,  Hj,  O4) 
(C57,  Hjoi»  Oß) 

(Cj|,H6,Cl) 


(Cg,H5,  J) 

(C5,Hn,Cl) 
(C5,Hu,Br) 

(^81  ^11»  J) 
(Ca,H5,N,08) 

(Ca.H8,Cl,0) 

(Ca,Hs,Br,0) 

(Ca,H8,J,0) 

(Cj,  H4,  Nj,  Og) 


94 
180 

74 
116 

44 

58 
58 

46 


60 

102 

88 
102 
256 

90 
884 

64,5 

156 

106,5 

151 

198 

91 

78,5 
12s 
170 

88 


-f   34000CiL 
+  265000 


+  169000 


Die  Bildongswärmen  der  verschiedenen  Aeiher  der  organisohen  Ste* 
ren,  z.  B.  des  Ameisensäure -Methyläthers,  lassen  sich  nach  Bertheloi 
leicht  ans  vorstehenden  Zahlen  herechnen;  dieselhen  sind  gleich  der  Bil* 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.     329 

dnngBw&rme  der  S&nre  (z.B.  der  Ameisensänre  [C,H2,0s]  =  93000)  Ter- 
mehrfc  um  die  Bildnngswärme  des  Alkohols  (hier  des  Methylalkohols 
[CfHgtO]  =  62000),  yermindert  nm  die  Bildnngsw&rme  des  Wassers 
minus  2000  för  jedes  Aeqaiyalent  Alkohol.    Also  ist: 

98000  +  62000  —  68400  —  2000  =  +  85600 

die  BQdnngsw&rme  des  Ameisensäore-Methyläthers. 

ß.  Die  Bildung  der  Aether  und  Alkohole  in  ihrem  wirklichen 
Zustande  aus  den  Kohlenwasserstoffen^). 

Die  gebildeten  Verbindungen  entstehen  entweder  durch  Zusammen- 
tritt Ton  Kohlenwasserstoff  plus  Wasser,  sofern  es  sich  um  die  Bildung 
eines  Alkohols  handelt,  oder  durch  Vereinigung  des  Kohlenwasserstoffs 
f^jnit  der  Säure,  wenn  ein  Aether  gebildet  werden  solL     (Siehe  Tabelle 
auf  S.  330  u.  331.) 


^  Auch  diese  Tabelle  rührt  you  Berthelot  her  und  ist  entnommen  dem  Annasire 
ponr  Pan  1878  publik  par  le  Bureau  des  Longitudes,  S.  554  u.  555. 


330 


IL  Thermochemie. 


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B.   Äeqnivalenz  zwiBcheu  Wärme  und  chemlBcher  Arbeit.    331 


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332 


II.   Thermochemie. 


y,    Bildung  der  Aether  aas  den  Alkoholen. 


Anoh  diese  nnd  die  weiterhin  folgenden  Tabellen  sind  der  beni 
mehrfach  citirten  Zusammenstellung  Berthelot's  0  entnommen.  DieV« 
bindungswärmen  gelten  fttr  den  Fall,  dass  sich  sowohl  die  Bestandthol^ 
als  die  gebildete  Verbindung  in  dem  Aggregatsustande  befinden,  den  b| 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  besitzen. 

Die  Bildung  der  Verbindung  ist  nach  der  Formel: 

Alkohol  -(~    Säure    =  Aether  -)-  Wasser 
oder: 

Alkohol  +  Alkohol  =  Aether  +  Wasser 

angenommen. 


Name  der  Verbindung 


Entwickelte  Winnemage  1 

l^nrtnpl   HnnipllMkn 

Bildung  der 

reinen  Kor- 

1 
in  Was»  0 

per 

losten  K«H 

CaH4.Ha 

+ 

3400 

C,H4.HJ 

+ 

6000 

— 

Cg  H5 .  C  j  Hg  O2 

— 

2000 

—  i8oa 

(CgH5)aCa04 

— 

3800 

—    3501 

Cj  H4  •  Cg  O4  Hq 

— 

—    360« 

(CH3)>Cj04 

+ 

1600 

—    24M 

CaHjNOs 

+ 

6200 

fkXAAi 

—     mW 

CsHjCNOs). 

+ 

14100 

—    87W 

CbHsCNOs)» 

4- 

23400 

—  15O0I 

Cj|H5(C,H50) 

— 

300 

+     ^ 

CHs(S04H) 

+ 

13800  •) 

—    51M 

CaH5(S04H) 

+ 

14700  «) 

—    47» 

CaHeO.SOs 

+ 

16000") 

>    3M 

CJH7SO4H 

4-  15900«) 

—    400* 

C8H7.SO4H 

4-  17100  •) 

—    830» 

C4H»S04H 

+  17600«) 

—    «Ol 

C5H11SO4H 

+ 

19500  «) 

—    vk 

C8H7  0a(S04H) 

+ 

15200  «) 

—    3»! 

Chlor&thyl  (flüasig) 

JodKthyl 

EssigsäorelUher 

OxalsänreXther 

Bemsteins&ore  (in  Losung) 

Oxalsäureäthyläther 

Salpeter8&ureiU;lier 

Nitroglycerin  (unlöslich)  .  .  . 
Nitromannit  (unlöslich)  .    .    • 

Aethyllther 

Methylschwefelsäure  •  .  .  • 
Aethylschwefels&ure     .... 

Isithionsäure 

Propylschwefelsaure  .  .  .  • 
Isopropylschwefelsäure  .  .  . 
Isobutylschwefels&ure  .... 

Amylschwefelsäure 

Glycerinschwefels&ure  .... 


^)  Annuaire  pour  Pan  1878,  S.  556. 

^)  Alkohole  und  Säuren  rein  genommen,  die  Aethersäuren  in  Terdünnter 
Lösung. 

')  Bezieht  sich  auf  die  Bestandtheile  und  die  Verbindungen. 


B.  Aeqnivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.     333 

d,    Bildung  der  Aldehyde  und  der  organischen  Säuren  durch 

Oxydation^)  (nach  Berthelot). 


Name  der  gebildeten 
Verbindung 


Formel  der  Be- 
Btandtheile 


Formel  der  Ver- 
bindung 


Entwickelte 
Wärmemenge 


AggregatzuBt. 
d.  Verbindung 


aus  Kohlenwasserstoffen: 


Aethylaldebyd  .    •   » 


Orthopropylaldehyd 


Essigsliire     .    .    . 


Oxalsäure  •    .   •    . 


Essigsäure 


Ameisensäure    .   . 


(C,H4,0) 
(CsH„0) 


(C|H4,0a) 


(CjH^Oj 
(C,Ha,0,H,0) 


(CH4,0,) 


CsH^O 
CsH^O 


C2H4O2 


CH2O9-I-H9O 


( 


'+     46800 

gasf5rmig 

+     54000 

flfissig 

-f     72500 

» 

+  116500 

gasförmig 

4-  124000 

flfissig 

4-  121500 

fest 

+  261000 

J9 

+  111000 

flüssig 

4-  113500 

fest 

4-  140000 

flüssig 

+  137600 

fest 

Essigsäure 


Propionsäure      .    • 


aus  den  Aldehyden: 


(C,H40,0) 


(Ca  H.  0,0) 


GgH^  Oj 


PsHeO» 


68800 


+     70100 


+    74000 


alle  Körper  gas- 
förmig 

wirklicher  Zu- 
stand 


aus  den  Alkoholen: 


Ameisensäure  (flüssig) 
Essigs&ure  (flüssig)  . 
Valerianslure  (flüssig) 
Margarinsäure  (fest) 

Oxalsäure  (fest)    .    . 


(CH^OjOj) 

CH,02,H,0 

+  100000 

n 

(Ca  He  0,0») 

C9H4  0£,H2  0 

+  111000 

» 

(CftHiaOjOj 

C5  HjQ  O3,  Hg  0 

+  131000 

n 

(Ci6Hs4  0,Oa) 

CigH8aOa,HaO 

+  180000 

n 

f(CaHeO,05) 

Ca04Ha,2H20 

+  261000 

n 

UCjH^O^Oa) 

C9  04Hs,HaO 

+  150000 

n 

^)  Annuaire  pour  l'an  1878,  S.  558  u.  559. 


334 


IL   Thermochemie. 


£.    Bildung  TerschiedeBer  organischer  Yerbindnngen  >)  (naek 

Berthelot). 


Name  der  gebildeten 
Verbindung 


Formel  der  Bestandtheile 


Formel  der  gebil- 
deten Verinndnng 


Bildung  der  Amide  ans  den  Ammoniaksabsen: 


Ameisens&ureamid  . 
AmeiBenBÜarenitril  . 
CjanwasserstofisSiire 
Ozamid 


I 


(CH0,,NH4,«|) 
(CH0^NH4,«q) 

(Cs(>4Ha,  2NHs  kiyst.) 


CHsNC.aq 
CHN..aq 

CjH^NjOj  fest 


—  1000 

—  1O400 

—  2400 


Bildung  polymerer  Yerbindongen: 


Diamylen 


Benzol 

Cbloral  (nnlSelicb)  .    •    . 


(«CsH,,! 


flSnig       \ 
gasformig/ 
(3  Ca  Ha) 
»(CaHa,0) 


tflncäg 

C^H«  gasfomig 
»CaHCltO  flfissig 


+  11800 
4-  22300 
-|-  190000 
+  •.8900 


Bildung  der  Säorechlorüre  organischer  Sauren. 
Reine  Säure  -f-  HCl  gasförmig  =  S&urechlorar  flfissig  -f  H^O  flan|. 


AoetjlcUorfir  • 

Acetylbromür  . 

Acetyljodfbr     • 

Batyrylcblorfir 

BntyrylbromfLr 

Valerylcblorfir 

Valeiylbromür 


Ueber  Nitrimng  organischer  Verbindungen  liegen  einige  YenuAi 
▼on  Berthelot')  und  einige  Ton  Troost  und  Hautefeuille*)  Tor.  K> 
letasteren  sind  mit  dem  Quecksübercalorimeter  erhalten;  fiir  die  entent 
sind  genauere  Details  nicht  mitgetheilt. 


CsHsClO 

— 

6500 

C,HsBrO 

— 

2900 

CjHjJO 

— 

1900 

C4H7CIO 

— 

3^)0 

C4H7BrO 

— 

1900 

C5H9CIO 

— 

2500 

CsHgBrO 

— 

1700 

11  Annoaire  ponr  l'an  1878,  S.  560  o.  561. 

^  Berthelot,  Sor  la  formation  des  compos^  organiques  qni  d^rirent  de  Pküc 
axotione.     Compt.  rend.  Bd.  60,  S.  260. 

^)  Troost  und  Hantefeaille,  Note  sur  les  pb^nom^es calorißqaes  qni  seeoa- 
pagnent  la  transformation  de  Pacide  bypoazotiqne  en  acide  axotiqne,  et  PintrüdnctiM  de 
ces  deoz  coips  dans  les  compos^  organiques.     Compt.  rend.  Bd.  73,  S.  381. 


B.  Aeqnivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    835 


Kitrirttxigen 

Berthelot 

TrooBt  und 
Hantefeuille 

■lot .    .    • 

(CeHe,  NO,H) 

=  CeHftNOj  +  HgO 

4-  36200 

4-  88400 

beoiol  .   . 

(CeHe,  2N08H) 

=  CeH4(NO,),  +  2HaO 

+  72260 

4-  76800 

ibobeiizol 

(CeHja,  NOsH) 

=  CeH4(N0j) 

4-  36000 

— 

Mioes&iire 

(C^H^Og,  NOgH) 

==  C7H5(NOj)08  +  HgO 

+  36000 

— 

IqoI  .  •  . 

(C^Hs,  NOjH) 

=  C^Rj^O^  +  HjO 

— 

+  38000 

tolnol  .  . 

(C^Hg,  2K08H) 

=  C57He(NOjj+.  2H80 

— 

4-  76000 

iphtalin    • 

(CioHs,  NO3H) 

=  CioH,(NO,)  +  HgO 

— 

4-  36500 

Mphtalin 

(CioHs,  2N0sH) 

=  CioHe(N02)j  +  2HaO 

— 

4-73000 

lither  .   . 

(CjHeO,  NOjH) 

=  C4H4(N0,H)  +  HgO 

+     5000 

— 

fceriB  .   . 

(CjHßOj,  SNOaH) 

=  C5H,(N0aH)g  +  SHaO 

4-  18000 

4-  19000 

MUÜt     .    . 

(C.Hi4  0e,  6N0,H) 

=  CiHj(NOaH)e  +  6H,0 

+  21200 

+  24500 

bum  wolle 

(C,aHgopio,5NOsH: 

)=Ci.HioOio(NO|H)5  +  5Hj|0 

+  55000 

+  52000 

B  •    •    •    • 

(CeH,o05,  NOaH) 

=  CeH804(NOaH)  +  HaO 

4-  12000 

— 

Mehrere  dieser  Körper  sind  besonders  deshalb  von  Interesse,  weil  wir 
dieselben  bei  der  eingehenderen  Besprechung  der  Ezplosiykörper  mehr- 
fach in  erwähnen  haben  werden. 

g.  Die  latenten  Schmelz-  und  Verdampfungswärmen  einiger 

Substanzen. 

Da  man  nicht  selten  bei  Berechnung  des  Wärmeerfolges  chemischer 
Vorginge  Aenderungen  des  Aggregatzustandes  berücksichtigen  mnss,  zu- 
mal, wenn  es  sich  darftm  handelt,  mit  Hülfe  thermochemischer  Zahlen 
las  Besoltat  einer  Reaction  nach  dem  Princip  der  Mazimalarbeit  der 
Affinität  voraus  zu  berechneni  so  theilen  wir  im  Nachstehenden  eine  Zu- 
lammenstellung  der  wichtigsten  hier  in  Betracht  kommenden  Werthe  mit. 
(Hese  Zahlen  sind  insofern  von  derselben  Bedeutung,  wie  die  Wärme- 
tSnongen,  durch  welche  die  Affinitätsunterschiede  gemessen  werden,  weil 
Iber  das  Zustandekommen  einer  Reaction  die  entwickelte  Oesammt- 
irirme^)  entscheidet;  ohne  Unterschied  ob  dieselbe  aus  Affinitäten  oder 
ins  Aggregatsänderungen  oder  aus  sonst  einer  Ursache  stammt. 


^)  Streng  genommeii  entfleheidet  über  den  Gang  einer  Reaction   der  Eintritt  des 
Huimoms  der  Entropie.    (Man  aehe  den  Begriff  der  Entropie  Bd.  2,  I,  A,  S.  5.) 


336 


IL  Thermochemie, 
a.    Schmelzwärmen. 


Name  der  Substanz 


Formel 


Atom- 
gewicht 


SchmeIxwZrme 


Beobackter 


Brom 

Jod 

Schwefel 

Phosphor 

Quecksilber 

Blei 

Wismuth 

Zinn 

Cadminm •   .    • 

Silber 

Platin 

Wasser  .    • 

Salpetersäureanhydrid  .  .  . 
Schwefelsäure  (Monohydrat) 
Schwefelsäure  (Bihydrat)  . 
Unterphosphorigesäurehydrat 
Phosphorigesäurehydrat  •  . 
Phosphorsäurehydrat    •    .    . 

Naphtalin 

Ameisensäure 

Essigsäure 

Salpetersaures  Kalium     .    . 
Salpetersaures  Natrium   •    . 


Br 
J 
S 
P 

Hg 
Pb 

Bi 
Sn 
Cd 

Ag 

Pt 

HaO 

NaOft 
SO4H2 
SOaHsjH^O 
P^O^SHsO 
P,0a,3H,0 
PjOj,3HaO 

CjoHg 
CHaOa 

Cj  H^  O^ 

NOjK 

NO^Na 


80 
127 

32 

31 
200 
207 
210 
118 
112 
108 

98,6 

18 
108 

98 
116 
132 
164 
196 
128 

46 

60 
101 

85 


130  CaL 
1490 

300 

150 

560 
1600 
2600 
1680 
1300 

230 
2680 
1430 
8280 

860 
3680 
400Ö 
6200 
5000 
4600 
2430 
2500 
4800 
5300 


R(egntalt) 

R. 

P(ers«i) 

P. 

P. 

P. 

P. 

P. 

P. 

P. 

Violle 

Desaiai 

B(erthel»t) 

B. 

B. 

T(homiei) 

T. 

T. 

Allnard 

B. 

B. 

F. 

P. 


ß.    YerdampfangBW&rme  einiger,  Sahstansen, 
gültig  für  die  Bildmig  von  22,82  Liter  Dampf  hei  760  mm  DnicL 


Name  der  Substanz 

Formel 

• 
Molecularge  wicht 

(giebt  22,32  1.  Dampf) 

Ver- 
dampfongS' 
wänne 

Beobaeyer 

Brom  (flfissig)  .    .    . 

Brs 

160 

7200 

R(efBaiilt| 

Jod  (flüssig)  .    .    . 

h 

254 

6000 

F(aTr«) 

Schwefel  (flüssig)  . 

Sa 

64 

4600 

F. 

Quecksilber   .    . 

Hg 

200 

15400 

F. 

Wasser  .... 

HgO 

18 

9650 

R. 

Ammoniak     .    . 

HgN 

17 

4400 

Stickoxydul    •    . 

N,0 

44 

4400 

F. 

Untersalpetersäure 

NOa 

46 

4300 

B. 

Salpetersäureanhydri 

d 

(flüssig)      .    . 

■ 

NjOft 

108 

4800 

B. 

B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.     337 


Name  der  Substanz 

Formel 

Moleculargewicht 
(giebt  22,32  1  Dampf) 

Ver- 
dampfungs- 
wärme 

Beobachter 

Schweflige  SSnre  .    . 

SO2 

64 

6200 

F. 

Zinnchlorür   .    .    .    . 

SnClg 

260 

7600 

R. 

Phosphorchlorür    .    . 

PCI3 

137,5 

6900 

R. 

Arsenchlorür      .    •    . 

A&Clg 

181,5 

8400 

R. 

Koblens&are  (fest)     . 

CO2 

44 

6100 

F. 

Schwefelkohlenstoff  . 

CSg 

76 

6400 

R. 

Cyanwasaentoffsäure 

CNH 

27 

5700 

B. 

Cblorcyan  .    r    -    -    - 

CNCl 

61,5 
70 

8300 

B. 

Amvlen      .    < 

V^K  n.A 

5250 

B. 

Benzol    .    .    • 

^5  *'10 

Cß  Hg 

78 
136 

•       7200 
9400 

R. 

Terpentinöl    . 

R. 

Citren    •     .    . 

Cio  Hie 

136 

9500 

R. 

Chlorätbyl 

C  H3  •  C  H2  Cl 

64,5- 

6450 

R. 

JoHütbvl    • 

k                 \^  Ha   a  V^  xIa  aJ 

156 

7500 

R. 

Methylalkohol 

l    .    . 

CHg.OH 

32 

8450 

R. 

Aethylalkoho] 

i    .    .    . 

C  H3  .  C  H2  •  0  H 

46 

9800 

R. 

Amylalkohol      .    . 

.    CH8.4CHa.OH 

88 

10700 

R. 

Cetylalkohol  .    .    . 

Cje  H33  .  0  H 

242 

14100 

fF(avre)   u. 
lS(ilberm.) 

Aldebvd      .    •    .    • 

Ca  H-  0 

44 

6000 

B. 

Aceton   .    .    ■    .    . 

CgHeO 
CHaOa 

58 
46 

7500 
5600 

R. 

A»WV  K^rfta        ■          B          •          •          • 

Ameisensaare    .    . 

F.  u.  S. 

Essigsäure      .    .    . 

CaH402 

60 

7250 

B. 

Bnttersäure  •    •    . 

C4  Hg  O2 

88 

10100 

F.  u.  S. 

Valeriansäure    .    . 

C5H10O2 

102 

10600 

F.  u.  S. 

Ameisensäure-Methyl 

- 

» 

ather      .... 

.      C  Ha .  C  H2  Oa 

60 

7000 

A(ndrews) 

Es8ig8.-Methyläther 

•     C  Ha .  ^a  H4  Oa 

74 

7900 

A. 

Butter8.-Methyläthei 

C  Ha  •  C4  Hg  Oa 

102 

8900 

F.  u.  S. 

Ameisen«.- Aethy  läthc 

}r    Ca  H4 .  C  Ha  Oa 

74 

7800 

A. 

Essigs. -Aethyläther 

1      Ca  H4  Ca  H4  Oa 

88 

10900 

R. 

Oxalsäure-Aethyläthe 

T    2CaH4.C2H4  04 

146 

10600 

A. 

Aetbylitber   .    .    • 

>     Ca  H4  .  Ca  Hß  0 

74 

6700 

R. 

Chloralhydrat    .    . 

.'   CaHClgO.HaO 

165,5 

21900 

B. 

Chloral  .    . 

•    .    • 

CaHClgO 

147,5 

8000 

B. 

Yerdot-Büblmann,  Mcchan.  WUmoibeorie.  Bd.  2. 


22 


338  IL  Thermochemie. 


7.    Ueber  die  Ableitung  der  nicht  direct  beobaohteten 

Zahlen. 

Ein  ziemlich  grosser  Theil  der  im  vorhergehenden  Paragraphen 
mitgetheilten  Zahlen  ergieht  sich  nnmittelhar  aus  den  calorimetriBcben 
Messungen,  andere  müssen  aus  anderen  Beobachtungen  nach  dem  Sat» 
abgeleitet  werden:  Kommt  keine  äussere  Energie  ins  Spiel,  so 
ist  die  bei  irgend  einem  Processe  erzeugte  oder  absorbirte 
Wärmemenge  einzig  und  allein  vom  Anfangs-  und  Endsa- 
Btande  abhängig  und  bleibt  dieselbe,  welches  auch  die  Art  und 
die  Folge  der  Zwischenzustände  sein  mag. 

Ein  sehr  instructives  und  durch  seine  Gomplication  interessantes 
Beispiel  aus  der  Gruppe  a.  giebt  die  Ermittelung  der  Wärmemenge, 
welche  entwickelt  wird ,  wenn  sich  zwei  Molecüle  Wasserstoff  mit  einem 
Molecül  Schwefel  zu  einem  Molecül  Schwefelwasserstoff  yereinigen. 
Zu  diesem  Zwecke  wurde  die  Reaction  von  mit  Wasserdampf  gesättigtem 
Schwefelwasserstoffgase  auf  eine  Lösung  von  Jod  in  stark  Yerdünnter 
Jodwasserstoffsäure  untersucht.  Die  Reaction  geht  glatt  vor  sich,  und 
der  Schwefel  wird  im  gelben,  elastischen  Zustande  ausgeschieden.  Dnreh 
einen  besonderen  Yorversuch  überzeugte  sich  Thomsen,  dass  bei  Lö- 
sung Ton  festem  Jod  in  Jodwasserstoffsäure  kein  Wärmephänomen  statt- 
fand. Die  bei  obigem  Versuche  entwickelte  Wärme  würde  also  ebenso 
gross  gewesen  sein ,  als  wenn  man  Schwefelwasserstoff  hätte  auf  Jod 
wirken  lassen,  das  in  Wasser  gelöst  gewesen  wäre.     Es  ergab  sich: 

(Ja,  Aq,  SHs)  =  21830. 

Es  bildet  sich  hierbei  2  JHAq  und  S,  letzterer  fallt  aus. 

Demnach  i  ist  die  bei  obigem  Processe  entwickelte  Wärmemenge 
gleich  der,  die  bei  Bildung  von  2  JHAq  aus  2  ( J,  H,  Aq)  entsteht,  ▼e^ 
mindert  um  die  Wärmemenge,  welche  zur  Zersetzung  des  H^S  in  H| 
und  S  aufgewendet  worden  ist. 

Thomsen  drückt  dies  durch  die  Formel  aus: 

(Ja,  Aq,  SHa)  =  2  (H,  J,  Aq)  -  (Hj,  S) 8) 

Es  gilt  also  nunmehr,  die  Wärmemenge  kennen  zu  lernen,  die  bei 
Herstellung  einer  wässerigen  Jodwasserstoffsäui'elösung  aus  den  drei  Be- 
standtheilen  H,  J  und  Aq  frei  wird.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  zunächst 
die  Reaction  von  Chlor  auf  eine  verdünnte  Jodkaliumlös\^ng  bestimmt; 
bekanntlich  entsteht  hierbei  eine  verdünnte  Ghlorkaliumlösung ,  in  der 
das  Jod  nur  zum  Theil  gelöst  bleibt.  Die  Anzahl  Calorien,  welche  frei 
wird,  besteht  aus  den  Verbindungswärmen  von  Kalium  mit  Chlor  ver- 
mindert um  die  Yerbindungswärme  von  Kalium  und  Jod.     Es  ist  also:     ^ 

(KJAq,  Cl)  =  (K,  Aq,  Cl)  -  (K,  Aq,  J) 9 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    339 

Da  diese  Reactionen  wiederum  nicht  unmittelbar  auf  ihren  calori- 
Beben  Effect  untersucht  waren,  so  musste  man  den  Werth  derselben  eben- 
falls berechnen.  Dies  kann  geschehen ,  da  man  weiss ,  dass  die  Wärme- 
entwickelung bei  Neutralisation  einer  verdünnten  Kalilösung  mit  einer 
yerdünnten  Chlor-  oder  Jodwasserstoff lösung  aus  der  Differenz  der 
Warmequantitäten  besteht,  welche  zur  Bildung  einer  wässerigen  Chlor- 
resp.  Jodkaliumlosung  und  zur  Bildung  der  Chlor-  resp.  Jodwasserstoffsäure 
nötkigsind,  und  der  Wärmemenge,  die  bei  der  Entstehung  einer  wässerigen 
EaUlÖBung  frei  wird. 

Es  ist  also: 

(KHOAq,  HClAq)   =  (K,  Cl,  Aq)  —  (H,  Cl,  Aq)  —  (K,  H,  0,  Aq) 

und: 

(KHOAq,  HJAq)     =  (K,  J,  Aq)  —  (H,  J,  Aq)    —  (K,  H,  OAq) 

und  demnach  ist: 

(KJAq,  Cl)  =  (KHOAq,  HClAq)  +  (Cl,  H,  Aq) 

—  (KHOAq,  HJAq)  —  (J,  H,  Aq) 10) 

Die  Neutralisationswärmen  (K  H  O2  Aq,  H  Cl  Aq)  und  (K  HOj  Aq,  HJAq) 
und  ebenso  (K  J  Aq,  Cl)  sind  unmittelbar  bestimmt.  Die  Grösse  (H,  Cl,  Aq) 
ist  hervorgegangen  aus  der  Wärmemenge,  welche  bei  Bildung  von  trock- 
nem,  gasformigem  HCl  aus  trocknem,  gasförmigem  H  und  Cl  entsteht 
und  aus  der  Absorptionswärme  dieses  Gases  in  Wasser.     Es  fand  sich: 

(H,  Cl)       =  22000, 

(HCl,  Aq)  =  17314. 
Daraus  folgt: 

(H,  Cl,  Aq)  =  (H,  Cl)  +  (HCl,  Aq)  =  39300. 
Demnach  ist: 

p,H,Aq)=(KHOAq,HClAq)  —  (KHOAq,HJAq)  +(Cl,H,Aq)— (KJAq,Cl) 
,H,Aq)=  13750  —  13675  +     39300     —     26210 

ÄAq)=  13170 

Der  Versuch  hatte  nun  ferner  ergeben: 

(Ja,  Aq,  SHg)  =  21830. 

Demnach  ist  endlich: 

H,S  =  2  .  13170  —  21830  =  4510  Cal. 

Diese  Zahl  bezieht  sich  auf  die  Bildung  von  Schwefelwasserstoffgas 
aus  weichem,  amorphem  Schwefel  und  Wasserstoffgas. 

Auf  ähnliche,  wenn  auch  nicht  immer  so  complicirte  Weise  sind 
auch  andere  nicht  beobachtete  Zahlen  und  Beobachtungen  abgeleitet. 
Die  Thomsen^schen  Zahlen  gestatten  auch  mehrfach  gegenseitige 

22* 


340 


II.  Thermochemie. 


Controlen;  dies  wird  folgendes  Beispiel  zeigen.    Die  Nentralisation  eil 
Molecüles  Schwefelsäure  durch  Baryt  gieht^): 

(BaOjHjAq,  HaSOiAq)  =  36895  Cal. 

Analog  gieht  die  Neutralisation  eines  Molecüles  Schwefelsäure  dvrel 

R       (RjOaHjAq,  HS04Aq) 

Natron     .    .    .    .  31378 

Kali 31288 

Thalliumoxyd  .    .  31095 

Ammoniak   .    .    .  28152 

Analog  kann  die  hei  Zersetzung  der  schwefelsauren  Salze  di 
Baryt  stattfindende  Wärmemenge  calorimetrisch  ermittelt  werden. 

Nun  ist  aher  die  so  gefundene  Wärmetönung  gleich  der  Diffe 
der  Wärmetönung  hei  Bildung  des  Baryumsulphates  und  der  übi 
Sulphate,  also  muss: 

(R,S04Aq,  BaOjHjAq)  =  (BaOaHjAq,  H2S04Aq) 

—  O^OaHjAq,  H2S04Aq) II 

sein.     Nachstehende  Tahelle  zeigt,  wie  trefflich  die  Versuchsergel 
Thomsen's  diese  Relation  hestätigen. 


R 

(R2S04Aq,  BaOaHjAq) 

(Ba^OaHjiAq,  HsSO^Aq) 
—  (RgOgHaAq,  H2S04Aq) 

Differeu 

• 

Na 

5492  Cal. 

5518  Cal. 

-j-  26 

K 

5632 

5608 

—  24 

Tl 

5728 

5801 

+  73 

Am 

8792 

8744 

-  « 

• 

Die    schöne  Uehereinstimmung,    welche  fast  alle  Thomsen'sel 
Zahlen  unter  einander  zeigen,  lässt  erkennen,  dass  wir  es  jedenfalls 
destens  mit  relativ  sehr  genauen  Werthen  zu  thun  hahen.     Wahrscl 
lieh  kommen  aher  auch  Thomsen^s  Angahen  dem  ahsolut  Richtigen 
nächsten*     Bezüglich  der  Details  verweisen  wir  auf  die  Originalabl 
lungen  ^). 


')  Pogg.  Ann.  Bd.  143,  S.  358. 

*)  Nach  einer  von  Herrn  J.  Thomson  dem  Verf.  in  höchst  liehenswürdiger V« 
übermittelten    Zusammenstellung    lassen    wir    hier  eine  Uebersicht  über  die  wicbtif 
Arbeiten  dieses    verdienstvollen    Forschers  auf  dem    Gebiete   der   Thermochemie 
Liegen  über  denselben  Gegenstand  auch  neuere  Arbeiten  von  Berthelot  oder  Loocaj 
nine  vor,  so  haben  wir  die  Ortsangaben  für  dieselben    unter  der  Chiifre:     B.(ertW« 
oder  L.(ouguinine),  C.(omptes)  r.(endus),  B.(and)  x,  S.(eite)  y  beigefügt: 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    341 


&  Die  Affinität  nach  Multiplen  gemeinsamer  Oonstanten. 

Bei  der  Durchsicht  obiger  Zahlenreihen  erscheint  es  besonders  anf- 
ällig, dass  in  vielen  Fällen  die  Wärmeentwickelungen  der  chemischen 
Processe  als  einfache  Multiplen  gemeinschaftlicher  Constanten  auftreten. 


Gnuldzüge    eines   thermocbemischen  Systems.    Pogg.  Ann.    Bd.  88,  S.  349,  Bd.  90, 
S.  26t,  Bd.  91,  S.  83.     Experimentelle  Untersuchungen   über  das  Verhalten  der 
Alkalien  und  Säuren  gegen  Wasser  und  über  die  Neutralisation. 
Ueber   die    Affinität   mit    besonderer     Rücksicht  auf   die  chemischen   Zersetzungen. 
Pogg.  Ann.  Bd.  92,  S.  34.  (ß.  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  5.  Serie,  Bd.  4,  S.  5 
und  141.) 
I.  Ueber  die  Berthollet'sche  Affinitätstheorie.     Pogg.  Ann.  Bd.  138,  S.  65. 
n.  Ueber  die  Wasserstofifsäuren  des  Chlors,   Broms,  Jods,  Fluors  und  Cyans.     Pogg. 

Ann.  Bd.   138,  201.     (B.  C.  r.  B.  78.  S.  1085,  1092.) 
111.  Ueber  die  Säuren  des  Schwefels  und  Selens.     Pogg.  Ann.    Bd.  138,  S.  497.    (B. 

C.  r.     B.  78,  S.  1175,  1247.) 
lY.  Ueber  die    Säuren  des  Bors ,    SiDciums ,    Titans ,   Zinns  und  Platins  und  die  ent- 
sprechenden Fluor-  und  Chlorverbindungen.     Pogg.  Ann.  Bd.  139,  S.  193. 
y.  Ueber   die  Säuren  des  Stickstoffs ,    Phosphors  und  Arsens.     Pogg.  Ann.  Bd.  140, 

S.  85.     (B.  C.  r.  B.  78,  S.  99,  162  und  205;  Bd.  71,  S.  677.) 
VI.  Ueber  die  Ameisensäure,  Essigsäure,  Oxalsäure,  Bemsteinsäure,  Weinsäure,  Citro- 

nensäure.     Pogg.  Ann.  Bd.  140,  S.  497.  (B.  C.  r.  B.  81,  S.  809  und  1011.) 
Vn.  Ueber    die    Chromsäure,    Kohlensäure    und  Schwefelwasserstoffsäure.     Pogg.  Ann. 
Bd.  140,  S.  513. 

Diese  vorstehend  genannten  Abhandlungen  enthalten  die  calorimetrischen  Messun- 
gen über  die  Neutralisation  der  Säuren.  Die  Resultate  sind  zusammengestellt  unter 
km  Kamen : 

Vni.  Zusammenstellung    der   Resultate   bezüglich    der  Neutralisation    und  Basicität  der 

Säuren.     Pogg.  Ann.  Bd.  140,  S.  530. 
IX.  Ueber  die    specifische    Wärme    der    Salzlösungen.     Pogg.  Ann.  Bd.  142 ,   S.  357. 

Dies  ist  eine  Vorarbeit  für  die  Untersuchung: 
X.  Ueber  die  bei  der  Neutralisation  der  Basen  sich  entwickelnde  Wärme.    Pogg.  Ann. 
Bd.  143,  S.  354  und  497. 

A.  Li,  Na,  K,  Tl,  Ba,  Sr,  Ca,  NHg,  S.  356. 

B.  Mg,  Mn,  Ni,  Co,  Fe,  Cd,  Zn,  Cu,  S.  377. 

C.  Br,  AI,  Cr,  Fe,  S.  497. 

D.  Pb,  Hg,  Ag,  Au,  S.  508. 

E.  Organische  Basen,  S.  521. 

F.  Zusammenstellung  der  Resultate,  S.  523.  (B.  C.  r.  B.  78,  S.   1177.) 

An  diese  Reihe  von  Untersuchungen  über  das  Neutralisationsphänomen  schliessen 
■dl  noch  einige  andere,  deren  Resultate  zwar  publicirt  worden  sind,  deren  Detail  aber 
Kit  spater  folgen  soll.     Es  sind  dies  die  Notizen: 

Ueber  die    Constitution    der     Kieselsäure    und    Flusssäure     in    wässeriger   Losung. 

Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Ges.  Bd,  3,  S.  593. 
Ueber   die  Basicität  und  Constitution    der  Ueberjodsäure.     Ber.  der  Deutsch,  ehem. 

Ges.  Bd.  6,  S.  2, 
Untersuchung  über  die  Wärmetönung  beim  Auflösen  verschiedener  fester ,  flüssiger 

und  luflförmiger  Körper  in  Wasser.   Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Ges.  Bd.  6,  S.  710. 

(B.  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  5.  Serie,  Bd.  4,  S.  445.) 
Die  Neutralisationsphänomene    der  Oxyde  des  La,  Ce,  Di,    Y    und    Er.     Ber.    der 

Deutsch,  ehem.  Ges.  Bd.  7,  S.  31. 
Ueber    die   Basicität   und    Constitution    der    Jodsäure.     Ber.    der    Deutsch,     ehem. 

Ges.  Bd.  7,  S.  112. 
Ueber  die  Neutralisation.     Journal  für  prakt.  Chemie.     2.  Folge.  Bd.  13,  S.  241. 


^ 


342  U.  Thermochemie. 

Schon  ziemlich  früh  (1854)  wurde  Thomsen^)  bei  seineB  Unt» 
suchnngen  auf  dieses  eigenthümliche  Phänomen  aufmerksam.  Er  seigii 
nämlich  damals,  dass  die  Werthe  (R,  0,  SO3,  Aq)  als  Multiple  einer  oi 
derselben  Grösse  auftreten,  es  ist  nämlich: 


für  R  — 

(R,  0,  SOjAq) 

Zn 

6  .  1145 

Fe 

5  .  1129 

Pb 

4  .  1120 

Cu 

3  .  1120 

Ag 

1  .  1126 

und  fügt  hinzu: 

„Die  nämliche  Zahl  tritt  ak  Grundzahl  hervor  in  den  thermodm 
mischen  Aequivalenten  der  Metalle,  worauf  ich  später  einmal  zurück 
kommen  werde.  ^ 

Setzt  man  0  =  16,  so  ist  die  Constante  im  Mittel  16.  1 130  =  18 

Dieselbe  Zahl  und  ähnliche  treten  nun,  wie  wir  sehen  werden, 
vielen  Stellen  ebenfalls  deutlich  hervor. 

Wir  führen  nach  Thomsen^)  einige  der  auffalligsten  Thal 
der  Art  hier  an,  welche  deutlich  erkennen  lassen,  dass  wir  es  hier 


An  diese  obengenannten  Abhandlungen  schliessen  sich  die  Untersnchong»  iber 
Affinität  der  Metalloide,  und  zwar: 

XL  Ueber  die  Affinität  des  Wasserstoffs  zu  den  Metalloiden :  Chlor,  Brom,  Jod, 

Stoff,  Schwefel,  Stickstoff  und  Kohlenstoff.     Pogg.  Ann.  Bd.  148,  S.  177  \l 
XU.  Oxydations-  und  Reductionsmittel.     Pogg.  Ann.  Bd.  150,  S.  31. 

XIII.  Fortgesetzte  Untersuchungen  über  einige  Oxydations-  und  Redactionsmittel.  P( 
Ann.  Bd.  151,  S.  194. 
Ueber  die  Constitution  der  Chlorwasserstoffsäure.     Pogg.  Ann.  Jubelband,  S.1I 

XIV.  Die  Sauerstoffverbindungen  des  Chlors,  Broms  und  Jods.   Journ.  f^rprakt 
2.  Folge.  Bd.  11,  S.  133. 

XV.  Die  Säuren  des  Phosphors  und  Arsens.  Journ.  f.  prakt.  Chem.  2.  Folge.  Bd.  11,  &  1 

Hieran  schliessen  sich    endlich   die  Untersuchungen   über   die   Affinität  der  Hi 
für  Sauerstoff,  Chlor,  Jod  u.  s.  f.,  nämlich: 

XVI.  Lithium,  Kalium,  Natrium,  Magnesium,   Aluminium.     Journ.    für  prakt. 

2.  Folge.  Bd.  11,  S.  233. 
XVII.  Quecksilber.     Bd.  11,  S.  261. 

XVIII.  Mangan,  Zink,  Cadmium,  Eisen,     l.  c.  Bd.  11,  S.  402. 
XIX.  Blei,  Thallium.  1.  c.  Bd.  12,  S.  85. 
XX.  Kupfer,  Silber.     1.  c.  Bd.  12,  S.  271. 
XXI.  Gold.  1.  c.  Bd.  13,  S.  337. 
XXII.  Nickel,  Kobalt,     l.  c.  Bd.  14,  S.  413. 

XXIII.  Zinn.     1.  c.  Bd.  14,  S.  429. 

XXIV.  PUtin  und  Palladium.     1.  c.  Bd.  15,  S.  435. 

XXV.  ''Magnesium,  Calcium,  Strontium,  Barium  1.  c.  Bd.  16,  S.  97  bis  124. 

XXVI.  Die  Lösungswärme  der  Chlor-,   Brom-  und  Jodyerbindungen.    Ber.  der  DesuA 
chem.  Ges.  Bd.  X,  S.  117  bis  1023. 

^)  P<>gS*  ■^^^*  ^^«  ^^}  ^'  ^  W^  Bezeichnung,  0=1  gesetzt). 

^)  Thomsen:  Das  Phänomen  der  Affinität  nach  Multiplen  gemeinschaftlidier 0 
stauten.     Ber.    der    Deutsch,  chem.  Ges.  Bd.  5,    S.  170   bis  181.     Ueber   die 
schaftliche  Affinitätsconstante.     Ber.   der   Deutsch,  chem.  Ges.    Bd.  6 ,    S.  239  Mi  i 
Ueber  die  Multiplen  in  den  chemischen  Wärmetönungen.     Ber.  der  Deutsch.  cheiB. 
Bd.  7,  S.  452  bis  461. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    343 

einer  Gesetzmässigkeit  zu  thnn  haben,  deren  häufige  Erfollang  kein  Zu- 
fall sein  kann. 

a.    Bildung  gasförmiger  Producte  aus  gasförmigen 

Bestandtheilen. 

Stickoxydul  und  unterchlorige  Säure  entsprechen  beide 
derselben  Formel  und  bilden  sich  beide  unter  Wärmeabsorption  und 
zwar  ist: 

(Nj,  0)  =  —  18320 

(Cla,  0)  =  —  18040. 

Femer  geschieht  die  Bildung  folgender  gasförmiger  Producte  aus 
gasförmigen  Bestandtheilen  mit  folgenden  Wärmevorgängen: 

Chlorwasserstoffsäure (H,  Cl)         =  +  1  .  22000 

Stickoiyd (N,  0)         =  —  2  .  22015 

Salpetrige  Säure (N»,  Oj)       ==  —  3  .  22020 

Acetylen  (aus  Aetylen  und  WasserstoflF)    ♦  (Ha,  CsHa)  =  +  2  .  22065 
Kohlensäure  (aus  Eohlenoxydgas  und 

Sauerstoff) (C0,0)       =  +  3.22266 

Die  Bildung  von  Untersalpetersäure  und  von  Wasserdampf 
durch  Oxydation  von  Stickoxyd  resp.  Wasserstoff  durch  Hinzutritt 
von  einem  Atom  0  giebt: 

Untersalpetersäure     .     .     (NO,  0)  =  1  .  19568 
Wasserdampf    ....     (H«,  0)    =  3  .  19310 

ß.    Gasförmige  Molecüle  in  wässeriger  Lösung. 

Folgende  Reactionen  lassen  sich  in  ihren  Resultaten  aus  den  Formeln 
leicht  übersehen : 

(NH3,  HjS,  Aq)  =  1  .  19375 
(NH3,  HCl,  Aq)  =  2  .  19015 
(NH3,  HJ,  Aq)  =  2  .  19955 
(NH3,  HBr,  Aq)  =  2  .  20325 
(Ha,  CI2,  Aq)   =  4  .  19660 

Die  weiter  angeführten  Fälle  sind  nur  Lösungs-  oder  Absorptions- 
wärmen,  aber  auch  diese  zeigen  ein  ähnliches  Verhalten: 

(HG,  HCl,  Aq)  =  2  .  17320 
(HJ,  HJ,  Aq)  =  2  .  19210 
(HBr,  HBr,  Aq)  =  2  .  19940 
(H2S,  H,S,  Aq)   =  Vs  .  19000  f^  ^   ^       -  .       X 

(11,0,  B,0,  a'S  =  1    .  W320    t*;h"E":|t™? 
(Cl2  0,Cl20,  Aq)  =    1    .  18880  ^  r^«g"»ui 


344  II.  Thermochemie. 

Etwas  kleinere  Zahlen  fär  die  Constante  findet  man ,  wenn  man  die 
Wärmetönnngen  bei  der  Oxydation  von  schwefliger  Säure,  Eohlen- 
oxyd,  Stickoxyd  zu  verdünnten  wässerigen  Lösungen  von  Schwefel- 
säure, Kohlensäure,  Salpetersäure  und  Salpetriger  Säure 
mit  einander  vergleicht.     Es  ist: 

(SO2,  0,  Aq)  =4.17833 
(CO,  0,  Aq)  =  4  .  18172 
(N2O2,  Os,  Aq)  =  4  .  18235 
(Na  03,09,  Aq)  =  3  .  18218 
(NjO^O,  Aq)  =  2  .  18170 

Auch  die  Wärmetönungen  bei  Absorption  der  gasförmigen  Oxyde 
des  Schwefels  und  des  Stickstoffs  durch  Wasser  lassen  sich  als  Multiplen 
einer  gemeinsamen  Constante  auffassen: 

(S3O4,  Aq)     =  1  .  15400 
(N3O4,  Aq)    =  1   .  15500 

(N2O3,  Aq)     =  1  .  142601  Berthelot 
(N2O5,  Aq)     =  2  .  149001  ^«^**^«^^* 

/XT  n    TT  r\\        1      AÄ  Q AA  (Coudens.  von  1  Mol.  gasf.  Salpeter- 
(N,05,  H,0)  =  1  .  14800  (  3äureanhydrid  durch  1  MoL  H,0 

(N,OeH„Aq)=  1  .  15000  ^""^"^^ Zi  ^^^^^ 

y,    Oxydationen  in  wässerigen  Lösungen. 

Wenn  man  eine  wässerige  Lösung  von  salpetriger  Säure  durch  fireien 
Sauerstoff  oxydirt,  so  ist  hierbei  die  Wärmetönung  die  Differenz  zwisdten 
der  Wärmemenge,  welche  bei  Bildung  einer  verdünnten  SalpeterBäun 
und  der  salpetrigen  Säure  entsteht.  Für  diese  und  einige  analoge  Pro- 
cesse  ist  nun: 

(NaOsAq,  O2)    =  (Na,  O5,  Aq)  —  (Ng,  O3,  Aq)    =         2  .  18200 

(N3  04Aq,  0)     =  (N9,  O5,  Aq)  —  (N3O4,  Aq)      =         1  .  18300 

(CljHaAq,  Oj)  ==  (CI2,  O2,  Hj,  Aq)  —  (Clj,  H2,  Aq)  =  —  1  .  18860 
(SaOsAq,  0)      =  (S,,  Oß,  Aq)  —  (83,  O5,  Aq)     =         4.18427 

(P  O3  H3  Aq,  0)  =  (P,  O4,  H3  Aq)      -  (P,  O3,  H3,  Aq)  =         4  .  18425 

Auch  die  Wärmetönungen  bei  einigen  Oxydationen  fester  Oxyde,  wie  I 
Chromoxydhydrat    zu    Chromsäure,   Manganhyperoxyd  za 
Uebermangansäure  und  Eisenoxydulhydrat  zu  Eisenoxydhydrat 
erscheinen  als  Multiplen  der  nämlichen  Constante.    Es  ist  z.  ß.: 

(2  CrOsHg,  O3,  Aq)  =  (Cra,  Oß,  Aq)  -  (Cr»,  O3,  H«)  =  1  .  18868 
(2Mn02H2,  O3,  Aq)  =  (Muj,  O7,  Aq)  —  (Mua,  O4,  H^)  =  —  3  .  18587 
(2FeH3  0j,  0)  =  (Fea,  O3,  H^)    —  (Fe^,  O3,  H,)  =  +  3  .  18193 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme 'und  chemischer  Arbeit.    345 

5.    Beactionen  von  Chlor  oder  Wasserstoff  auf  wässerige 

Lösangen. 

Die  WärmetÖDung  bei  Einwirkung  von  Chlor  auf  salzsäurehaltige 

*  Löanngen  von  Eisen-  oder  Zinnchlorür,  sowie  auf  Quecksilberchlorür  uod 

schweflige  Säure,  und  ebenso  die  Reactionen  von  Wasserstoff  auf  wässerige 

Lösungen  von  Chlor,    Brom  oder  Wasserstoffsuperoxyd  erscheinen   als 

Vielfache  derselben  Constanten.     Es  ist: 


(2Fea9  .  CUH^Aq.Cla) 

—  3 

.  18507 

(SnCl,  .  Cl4HaAq,  Ci^) 

—  4  . 

19005 

(Hg,Cl„  Aq.  a,) 

—  2  . 

18537 

(SO,Aq..Cl,) 

—  4  . 

18478 

(Br^Aq,  Ha) 

—  3  . 

.  18551 

(Cl,Aq,  H,) 

—  4  . 

.  18419 

(H^OaAq,  Ha) 

=  Ö  . 

.  18286 

\t. 


€.    Substitutionen. 

Molecüle,  welche  nach  analogen  Formeln  zusammengesetzt  sind,  wie 
8.B.  N9O5  und  JsOs,  NO3H  und  J08H,H3S  und  H3O,  femer  CS,  nnd 
CO3,  kann  man  als  durch  Substitution  aus  einander  hervorgegangen  an- 
sehen. Die  Wärmetönung,  welche  einer  solchen  Substitution  entspricht, 
ist  gleich  der  Differenz  der  Bildungswärme  zweier  solcher  Molecüle. 
Die  Substitution  des  einen  Schwefelatoms  im  Schwefelwasserstoffgas  H3S 
durch  ein  Atom  Sauerstoff  würde  H2O,  Wasserdampf  geben,  und  die 
Wärmetönung,  von  welcher  diese  Substitution  begleitet  wäre,  müsste 
gleich  der  Differenz  der  Bildungswärme  des  Schwefelwasserstoffs  und  des 
Wasserdampfes  aus  ihren  Elementen,  also  gleich  (H3,  S)  —  (H3,  0)  sein. 

Es  ist  fÜr^): 

Kryst  Anhydrid     (Ja,  O5)  —  (Nj,  O5)  =  44960  —  (—  32120)* 

=  4  .  19270, 
Hydrat  ....     (J,  Os,  H)  —  (N,  O3,  H)  =  57880  —  18980* 

=  3  .  19293  —  1  .  18980  =  2  .  19450, 
Wässerige  Lösung  (J,,  O5,  Aq)  —  (Nj,  O5,  Aq)  =  43060  —  (—  15400)* 

=  3  .  19487, 
Kaliumsalz     .    .    (J«,  Og,  K3,  Aq)  —  (N,,  0«,  K3,  Aq)  =  3  .  19513. 

Während  hier  ein  Unterschied  zwischen  wässeriger  Lösung  einer- 
seits und  Anhydrid  oder  Hydrat  andererseits  henrortritt,  ist  dies  bei 
Substitution  Yon  Schwefel  an  die  Stelle  des  Stickstoffs  bei  Uebergang 
Ton  Untersalpetersäure  in  schweflige  Säure  nicht  der  Fall.     Jede  Yer- 


^)   Die  mit  einem  Sternchen  bezeichneten  Zahlen  sind  von   Berthelot,    die  mit 
zwei  Sternchen  von  Favre,  die  übrigen  von  Thomsen  bestimmt. 


346  IL   Thermochemie. 

taretang  eines  Atoms  N  darch  ein  'Atom  S  ist  von  einer  Wärmetöna 
begleitet,  welche  gleich  dem  Fünffachen  der  wiederholt  gefundenen  Goi 
stauten  ist.     Es  ist: 

Gasförmige  SÄure      (S,  0,)  —  (N,  0»)  =  71070**  —  (—  24630)» 

=  6  .  19140. 
Condensirte  8&mre      (8,  0,)  —  (N,  O,)  =  77270  —  (—  20300) 

=  ö  .  19514, 
Wässerige  Lösungen  (S,  0„  Aq)  —  (N,  0„  Aq)  =  78770  —  (— 16881 

=  6  .  19130. 

Analog  zeigt  sich  bei  einigen  Stickstoff-  und  Kohlenstoffverbindoiifi 
dass  die  Wärmetönung  für  jedes  durch  2  Wasserstoffatome  TerdFäB^ 
Sauerstoffatom  gleich  dem  Zweifachen  der  nämlichen  Constanien  1 
Es  ist: 

Gase  (N„  H«)  —  (N„  O3.)  =3.2.  19913 

Wässerige  f(Na,  H«,  Aq)  —  (N„  O3,  Aq)  =3.2.  20350 

Lösungen  |(N,  H5,  0,  Aq)  —  (N,  O3,  H,  Aq)  =  2  .  2  .  19258 

(C,  H4)  —  (C,  Oj)  =  —  2.2.  18300 

(Ca,  H4,  Oji)  —  (C,,  O4)  =  —  2  .  2  .  19926. 

Auch  ist  die  bei  Bildung  von  Wasserdampf  entstehende  ¥iq 
(H„0)  =  3  .  19310. 

Aehnlich  ist: 
Gasförmig  (H3,  0)  —  (Clj,  0)  =  2  .  2  .  18 

Wässerige  Lösungen  (H,  0,  H,  Aq)  —  ^,  0,  Ol,  Aq)  =  1  .  2  .  19 

Die  Substitution  von  einem  Atom  Chlor  durch  ein  Atom  Wi 
entspricht  also  hier  einer  negativen  Wärmetönung,  deren  Betrag 
dem  Zweifachen  der  Constanten  ist.     Auch  ist  es  bemerkenswerth, 
die  Bildungswärme  der  wässerigen  Chlorwasserstoffsäure: 

(Cl,  H,  Aq)  =  2  .  19660 

gleich  der  nämlichen  Grösse  ist. 

Thomson^)  macht  femer  noch  darauf  aufinerksam,  dass,  weil: 

Flüssiges  Anhydrid  (N^,  O5)  =  —  40360  (nach  Berthelot), 
Flüssiges  Wasser      (Hg,  0)    =  -f  68360  (Thomson) 

ist,  der  Substitution  von  10  Wasserstoffatomen  durch  2  StickstoflkioiDe: 

(Hio,  O5)  —  (Na,  O5)  =  10  .  2  .  19108. 
entspricht. 

Femer  ist: 

(N,  Os,  H)  =  1  .  18980  (Berthelot), 

(NOjH,  2H80)  =  4840  (Thomson). 


^)  Ber.  der  DeutBcb.  QeB.     Bd.  7,  S.  458. 


B.   Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    347 

Demnach  ergiebt  sich,  da: 

(N,  O5,  Hj)  =  (NO3H,  2H,0)  +  (N,  0,.  H)  +  (^.0,) 
(N,  O5,  H5)  —  (N„  O5)  =  5  .  2  .  20090. 

Aehnlich  findet  er: 

(N,  Oe,  H7).—  (Nj,  Oß,  Hj)  =  6  .  2  .  19183 
(H«,  O3)  ■—  (Na,  Os)  =6.2.  19986 
(Ha,  0)    —  (Na,  0)     =2.2.  19061. 

Diese  ZusammensteUnng  scheint  dafär  za  sprechen,  dass,  wenn  Stick- 
stoff durch  Wasserstoff  ersetzt  wird,  jedem  eintretenden  Wasserstoffatome 
eineWärmeentwickelung  entspricht,  welche  das  Zweifache  der  Constanten 
ißt,  mag  das  Atom  N  durch  1 ,  durch  3  oder  durch  5  Atome  Wasserstoff 
ersetzt  werden  ^). 

i,    Substitution  eines  Metalles  durch  ein  anderes. 

Besonders  deutlich  zeigt  sich  die  Erscheinung  der  W&rmetönung 
nach  midtiplen  Constanten ,  wenn  man  die  Bildung  analoger  Salze  der 
Metalle,  also  die  Substitution  eines  Metalles  durch  ein  anderes,  mit  ein- 
ander vergleicht.  Besonders  macht  Thomsen  auf  die  Wärmetonung 
bei  Bildung  folgender  Sulphate  aufmerksam'): 

(Cu,  0,80«  Aq)  =  3  .  18740 
(Pb*,  O,  SOsAq)  =  4  .  18888 
(Fe,  0,  SOa  Aq)  =  5  .  18772 
(Cd,  0,  SOaAq)  =  3  .  18094 
(Zn,  0,  SOsAq)  =  6  .  18077 
(Mg,  0,  SO3  Aq)  =  10  .  18092 

Der  Stern  bezeichnet,  dass  das  gebildete  Bleisulphat  als  wässerige 
LöBong  gedacht  wird. 

Werden  die  Metalle  z.  B.  durch  Magnesium  aus  ihren  Lösungen  ver- 
drängt, so  ist  die  Wärmeentwickelung  bei  Einsetzung  von: 

Mg  für  Zn  =  4  .  18115 
Mg  „  Fe  =  5  .  17412 
Mg  „  Pb  =  6  .  17562 
Mg  „  Cu  =  7  .  17814 
Mg    „    Cd  =  7  .  18090 

Nahezu  dieselben  Zahlen  gelten  auch  f&r  die  Ersetzung  der  Metallä 
durch  einander  in  anderen  Salzen,  als  in  den  Sulphaten. 

Das  Princip  der  Wärmetönung  nach  Multiplen  derselben  Constanten 
ist  auch  -bei  einigen  Haloidverbindungen  der  Metalle  zu  erkennen. 


? 


A.  a.  0.,  S.  459. 

Genaueres  über  die  Ableitnng  dieser  Zahlen  sehe  man:  Das  Phänomen  der 
AfBoitat  nach  Multiplen  gemeinschaftlicher  Constanten.  Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Ges. 
Bd.  5,  S.  376  u.  s.  f.  Man  sehe  auch  die  im  nächsten  Capitel  bei  Besprechung  des 
Favre 'sehen  Satzes  mitgetheilten  Zahlwerthe. 


348 


IL   Thermochemie. 


Es  ist  z.  B.: 

(Sn,Cla)    =  80790  =  9  .  8976^ 
(Fe,Cl9)    =  82050  =  9  .  91171  9 

(Hg„Cl,)  =  82250  =  9  .  9140J   "^  J  *  ^^^^  *) 
(Pb,Cl,)    =  82770  =  9  .  9199) 

Fea.Cle  =  192060  =  3.7.  9146  ^  ^  •  18200 

Sn,«l4    =  127240  =  2.7.  9089  7t  7   .  18200 

Hg,  da   =    63160  =         7  .  9023  ^  ^  •  18200 

Während  in  obigen  Zahlen  die  Verbindung  mit  einer  gleichen  Chk^ 
menge  immer  die  nämliche  Wärmemenge  entbindet,  ist  bei  der  Ent- 
stehung der  drei  weiterhin  angegebenen  Chloride  die  Wärmetonimg  der 
Anzahl  der  aufgenommeneu  Chlormolecüle  proportional.  Femer  scheinea 
hierher  auch  diejenigen  Wärmeersoheinungen  zu  rechnen  zu  sein,  weldia 
auftreten,  wenn  bei  Gold,  Palladium,  Platin  und  Quecksilber  das  nieden 
Haloidsalz  durch  weitere  Aufnahme  von  1  Molecül  Chlor,  Brom  oder  Jod 
in  die  höhere  Verbindungsstufe  übergeht.  Nachstehende  Tabelle  leigt 
die  Grössen  der  hierbei  entwickelten  Wärmemengen. 

Wärmetönung  beim  Uebergange  der  niederen  in  die  höherei 

Haloidsalze. 


Chlor 

Brom 

Jod 

Quecksilber    . 

6  .  8858 

4  .  8822 

3  .  8798 

Platin     .    .    . 

5  .  8866 

3  .  8983 

— 

Palladium  .    . 

3  .  8797 

— 

— 

Gold  .... 

2  .  8505 

1  .  8930 

— 

Die  Constante,  die  hier  auftritt,-  ist  im  Mittel  8850  oder  sehr  ntk 


18200 


2 


£s  ist  fem  er: 


(Cu,0)  =  2  .  18700 
(Pb,0)  =  3  .  18070 
(Zn,0)  =  5  .  17000 
(Ba,0)  =  7  .  18600 
(Sr,0)  =  7  .  18700 
(Ca,0)  =  7  .  18800 
(Mg,0)  =  8  .  18200 


^)  Das  Zeichen  ^  bedeutet:  angenähert  gleich. 


r 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    349 

1}.    Einige  anderweite  Reactionen. 

Aach  zeig^  sich,  dass  angenähert: 

(2MnOH80,  Aq)        =        2  .  18000 

(2MnOHaO,  O4,  Aq)=  0 

(2  MnOHjO,  O5,  Aq)  =  —         18000 

Ebenso  ist: 

(S,  O3.  Aq)  =  8  .  17803. 

Intereflsant  ist  femer  die  NebeneiDanderstellong  der  Reaction  des 
WasBerBtoffsnperozyds  aof  Üebermangansäure  unter  Gegenwart  Ton 
SehwefelBäure  oder  Ghlorwasserstofbäure: 

(MnjOrAq,  ÖHjOgAq,  2S03Aq)     =  10  .  18924 
(MnsOyAq,  ÖHsO^Aq,  2Cl3HsAq)  =  10  .  18218 

Es  entwickeln  sich  hier  in  beiden  Fällen  5  MolecÜle  Sauerstoff, 
indem  die  Körper  sich  unter  Bildung  von  Wasser,  Mangansnlphat  oder 
Manganchlorür  zersetzen. 

^.    Lösungswärmen. 

Auch  in  den  Differenzen  der  LösungBwärme  mehrerer  ähnlich  oon- 
ftiinirier  Haloidsalze  läast  sich  deutlich  eine  gemeinsame  Gonstante  nach- 
weisen  ^). 

Es  ist  z.  B. 

Differenz  der  Lösungswärmen: 
LijCl,  —         NajCl,        =  19240  =  6  .    3207 

NsjCl,  —  K3CI2  =  6520  =  2.  3260 
Na,  Br,  —  K,  Br,  =  9780  =  3  .  8260 
Na,J,  —         KjJj  =  12660  =  4  .     3165 

PbCl,  —  AggCla       =  24900  =  4  .    6225 

PbBr»         —  Ag«Br,      =  30160  =  5  .     6032 

PbJ,  —  AgJ,  =  36400  =  6  .    6067 

DsCls  .  6H2O  —  SrClj  .  6HaO  =    3160  =  1  .  3160 

CsBr,  .  6H,0  —  SrBr,  .  6H0    =    6110  =  2.  3055 

MgCl,  —  CaCls        =  18510  =  6  .  3085 

CaCl,  —  SrCl,         =    6270  =  2  .  3135 

SrCl,  —  BaCl,        =    9070  =  3  .  3023 

AljCl«         —  FeaClß       =90330  =  5.18066  =  30.3011 

FejCle         —  AnjCl«       =  54460  =  3  .  18153  =  18  .  3026 


^)  Herr   Prof.   J.   Thomsen    hatte    die    besondere  Freundlichkeit,    den   Verfasser 
vieflich  auf  diese  Eigenthümlichkeit  aufmerksam  zu  machen. 


350  IL  Thermochemie. 

Die  Beispiele  würden  sich  noch  vermehren  lassen.  Unzweifelbaft 
ist  hier  eine  Constante  ungefähr  von  der  Grosse  3100  zu  erkennen,  lud 
es  ist  jedenfalls  nicht  Eufallig,  dass  dieselbe  fast  genan  der  sechste  Theü 
von  der  Zahl  18700  ist,  welche  auf  den  vorhergehenden  Seiten  so  hiofig 
als  Constante  hei  Wärmetönungen  ähnlicher  chemischer  Vorgänge  nach- 
gewiesen worden  ist. 

Thomson  resumirt  schliesslich  alle  diese  von  ihm  zusammengestell- 
ten Facta  ungefähr  mit  folgenden  Worten  i): 

„Zahlreiche  Beispiele  aus  den  verschiedenen  Theilen  der  Thermo- 
chemie haben  dargelegt,  dass  analoge  chemische  Processe  von  Wärme- 
erscheinungen begleitet  sind,  die  entweder  selbst  Multiplen  gemeinacbaft'* 
lieber  Constanten  sind ,  oder  deren  Differenzen  sioh  als  solche  Moltiplea 
herausstellen.  Bei  der  Verbindung  der  Körper  ändert  sich  oft  der  phydkft* 
lische  Zustand  derselben,  diese  Aenderung  muss  nothwendig  dasResnli 
beeinflussen;  wenn  jedoch  derartige  Aenderungen  sich  compensiren, 
die  totale  Wärmetönung  als  ein  Multiplum  der  Constanten  erwartet  vi 
den.  Am  häufigsten  wird  eine  solche  Compensation  z.  B.  bei  Sahstii 
tionen  eines  Elementes  für  ein  anderes  eintreten,  deshalb  zeigen  di 
gerade  die  Wärmetönungen  der  Substitutionen  als  Multiplen  gtmm 
schaftlicher  Constanten." 

Vielleicht  ist  man  auch  berechtigt,  die  directe  Verbindung  nre 
Körper  als  eine  Substitutionserscheinung  zu  betrachten,  z.  B.  dieWi 
bildung  als: 

(Ha,  0)  —  (H„  H,), 

wobei  H)  durch  0  ersetzt  worden  wäre.    Es  zeigt  sich  auch  oft,  dass 
Verbindungswärme  zweier  Körper  ein  Multiplum  der  nämlichen  Com 
ten  ist ,  welche  sonst  her  der  Substitution  beider  Substanzen  beobsch 
wird,  zumal  wenn  die  Bestandtheile  und  das  Product  sich  in  gleich 
physikalischen  Zuständen  befinden. 

Nicht  selten  aber  vermissen  wir  auch   solche  Beziehungen  bei  Vei 
bindungen  und  Elementen,  welche  sonst  in  ihrem  chemischen  Verh 
und  in  ihren  physikalischen  Eigenschaften  grosse  Aehnlichkeit  zeigen 

Auch  ist  es  jedenfalls  kein  Zufall,  dass  das  Mittel  jenes  gern 
Bchaftlichen  Factors   für  verschiedene    Processe  so    wenig    abweichen 
Resultate  ergiebt  und  ungefähr  um  18500  herum  schwankt.     Es  sehet 
darin  eine  Andeutung  zu  liegen,  dass  es  sich  um   Vorgänge  handel 
welche  als  Multiplen  positiver  oder  negativer  Arbeitsleistungen  anzosehei 
sind ,  dass  also  die  chemische  Anziehungskraft  nicht  eine  regeUose  X: 
ist,  sondern  als  ganzes  Vielfaches  eines  gemeinschaftlichen  Grundm 
wirkt. 

Es  stimmen  zwar  die  Werthe  der  Constanten  durchaus  nicht  fal 
ständig  überein,  darüber  aber  darf  man  sich  nicht  wundem,  da  nur 

^)  Thomsen,    Ueber  die  Multiplen  in  den  chemischen  Warmetönangen.    Ber. 
DeotBch.  ehem.  Ges.  Bd.  7,  S.  460. 


B.  Aeqnivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    351 

selten  die  Umstände,  unter  denen  die  Vorgänge  wirklich  vergleichbar 
sind,  wirklich  auch  ganz  entsprechende  sind,  und  nur  ganz  selten  werden 
wir  im  Stande  sein,  die  Energiedifferenzen  in  Rechnuug  zu  ziehen,  welche 
diesen  Verschiedenheiten  entsprechen. 

I  •  Auf  einige  andere  Gonsequenzen,  die  sich  aus  den  mitgetheilten  Zah- 
len der  Wärmetönungen  ergeben,  wollen  wir  im  folgenden  Paragraphen 
aufmerksam  machen. 


9.    Sinlge  andere  Oonsequenzen  der  mitgetheilten  Zahl- 

werthe. 

Schon  ziemlich  früh  wurden  aus  den  ersten,  zum  Theil  wenig  ge- 
nauen thermochemischen  Untersuchungen  von  Andrews,  Hess,  Favre 
und  Silbermann  eine  Reihe  von  Sätzen  abgeleitet;  einige  wurden  be- 
stätigt, von  anderen  zeigte  sich,  dass  sie  nur  eine  angenäherte  und  be- 
schränkte Gültigkeit  besitzen. 

Unter  anderen  gehört  hierher  der  Satz,  der  sich  aus  den  Arbeiten 
von  Favre  und  Silbermann  ^)  zu  ergeben  schien:  Die  Wärmetönung, 
welche  die  Bildung  einer  in  Wasser  gelösten  Chlorverbindung 
begleitet,  ist  stets  um  eine  bestimmte  Zahl  grösser,  als  die  bei 
der  Entstehung  der  entsprechenden  Jod-  oder  Bromverbin- 
dung entwickelte  Wärmemenge. 

An  der  Hand  der  neueren  Bestimmungen  lässt  sich  leicht  zeigen, 
dass  dieser  Satz  einerseits  einer  Beschränkung  bedarf,  andererseits  aber 
einer  wesentlichen  Erweiterung  fähig  ist,  welche  denselben  in  nahe  Ver- 
bindung mit  dem  Principe  der  Wärmetönung  nach  Multiplen  derselben 
Constanten  bringt'). 


T^            M^  * 

R  —  a 

R  =  Br 

B  =  J 

SabBtitation  von 

Beaction 

Br  durch  Cl 

J  durch  Cl 

(H,R,aq)8)  . 
(K.R,aq)  .  . 
(Na,R,iiq).  . 
(H,.N,R,aq)  . 
(Mg,2B,a<,)  . 

39320 

101170 

96510 

86740 

186930 

28380 
90230 
85580 
75800 
165050 

13170 
75020 
70300 
60580 
134630 

10940 
10940 
10930 
10940 
21880 

26150 
26150 
26210 
26160 
52300 

1)  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.    3.  Serie,  Bd.  37,  S.  489. 

*)  Man  sehe:  R.  Ruh  1  mann,  Die  AflGnitätsunterschiede  des  Chlors,  Broms  und 
Jods  als  Vielfache  derselben  Constanien.  Ann.  d.  Phys.  u.  Chem.  N.  F.  Bd.  3,  S.  461  bis  464. 

>)  Es  sei  mir  gestattet,  an  dieser  Stelle  auf  zwei  störende  Druckfehler  in  den 
thermochemischen  Tabellen  aufinerksam  zu  maehen.  Es  muss  heissen:  Bd.  2  p.  291  Z.  14 
Ton  oben:  28380  statt  23380;  p.  298  Z.  11  von  oben:  (AlaCl«,Aq)  =  153690,  und 
dann:  (Alj, Cl«, Aq)  =  475560  und  (AlajOg, SSO» Aq)  =  451770, 


352 


n.    Thermochemie. 


Renction 

R  =  Cl 

R  =  Br 

R  =  J 

Sul>6titation  roa 

Br  durch  Cl 

J  dardi  0 

(Ca,2R,aq)   . 
(Sr,2R,aq)    . 
(Ba,2R,aq)  . 
(Pb,2R,aq)   . 
(Ctt,2R,aq)  . 
(Tl,3R,aq)    . 
(Aa,3R,aq)  . 

187640 
195690 
196320 
75970 
62710 
89000 
27270 

165760 

173810 

174440 

54410 

40830 

56180 

5090 

135340 
143390 
144020 

10410 
10550 

21880 
21880 
21880 
21560 
21880 
32820 
22180 

52300* 

52300 

52300 

52300 
78450 

Alle  Zahlen,  mit  AuBnahme  der  auf  Gold  bezüglichen,  zeigen, 
bei  Sabstitation  eines  Atomes  Brom  durch  ein  Atom  Chlor  10940, 
bei  Vertretung  von  1  Atom  Jod  durch  1  Atom  Chlor  26150  Caloiil 
entwickelt  werden.  Werden  hingegen  beim  Goldbromid  die  drei  Atoi 
Brom  durch  drei  Atome  Chlor  ersetzt,  so  entwickeln  sich  nur  2211 
statt,  wie  man  erwarten  sollte,  32100  Calorien. 

Es  ist  deutlich  ersichtlich,  dass  die  bei  Vertretung  von  Brom 
Jod  durch  Chlor  in  wässerigen  Lösungen  der  Haloidsalze  und  Hj^ 
säuren  auftretenden  Af&nitätsdifferenzen  genaue  Vielfache  ein  und 
selben  Zahl,  der  Zahl  5350  sind. 

Es  ist  nämlich: 


10940  sehr  nahe  gleich     2  X 
21880     „        , 
32  820     „        „ 
26 150     .       « 


n 


5350 
4  X  5350 
6  X  5350 


52  300 
78450 


5  X  5350 
10  X  5350 
15  X  5350 


Der  Affinitätsunterschied  zwischen  Chlor  und  Brom  t 
hält  sich  zu  dem  zwischen  Chlor  und  Jod  wie  2  :  5. 

Auch  bei  manchen  anderen  Reactionen  in  verdünnten  Lösungen,  dil 
sich  nur  dadurch  unterscheiden,  dass  an  Stelle  von  Brom  oder  Jod,  C%]ar 
eintritt  und  selbst  einige  Verbindungen,  deren  Verschiedenheit  nur  diiiii 
besteht,  dass  statt  4  nur  2  Atome  Chlor  in  die  Reaction  eintreten,  kiu 
die  Differenz  der  die  Verbindung  begleitenden  Wärmemengen  häufig  ib 
ein  Multiplum  der  Zahl  5350  angesehen  werden.  Die  Uebereinstimmang 
ist  jedoch  in  diesen  Fällen  meist  nicht  sehr  gross. 

Vielleicht  verdient  es  einige  Beachtung,  dass  die  hier  auilreteBde 
Constante  5350  auch  zu  den  beiden  anderen  Zahlen,  welche  so  hioiig 
bei  dem  Phänomen  der  Affinität  nach  Vielfachen  derselben  ConstaDtei 
eine  Rolle  spielen,  in  sehr  einfachem  rationalen  Verhältnisse  steht 


und 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    353 
Es  ist  nämlich: 

53Ö0  .  -^  =  18725 


5350  .  -  =  13375. 


Aach  beim  IJebergange  von  einem  Metalle  zum  anderen  sind  in  der 
Tontehenden  Tabelle  constante  Differenzen  wahrnehmbar.  So  zeigt  sich 
8.  B.,  dass  wenn  man  in  den  Hydrosauren  und  Haloidsalzen  ersetzt: 


1 

so  ändert  sich  die 

Bildun^wSrme 

des  Chlorides  um 

« 
des  Bromides  um 

des  Jodides  um. 

d.  Haloidsalzes 
im  Mitte]  um 

11 K.    . 

61850  Cal. 

61850  Cal. 

61850CaI. 

61850  Cal. 

IHduchllNa     . 

57190 

57200 

57190 

57190 

ll(H4,N) 

47420 

47420 

47410 

47420 

IMg   . 

108290 

108290 

108290 

108290 

iCa    . 

109000 

109000 

109000 

109000 

SHdnrch 

iSr     . 
IBa    . 

117050 
117680 

117050 
117680 

117^50 
117660 

117050 
117680 

IPb    . 

—     2870 

—     2650 

— 

—     2660 

ncu   . 

—  15930 

—  15930 

—  15930 

—  15930 

3H  durch 

Tl    .    . 
Au»)    . 

—  28960 

—  90690 

—  28960 

—  80050 

—  28960 

—  28960 

Schon  Favre  und  Silbermann  haben  an  oben  mitgetheiltem  Orte 
auf  diese  Eigenthümlichkeit  aufmerksam  gemacht  und  die  hier  auftreten- 
den Zahlen  die  Moduli  der  Metalle  genannt. 

Tom  Standpunkte  der  Chemie  aus  erscheint  es  weder  besonders 
nerkwürdig,  dass  jedesmal,  wenn  ein  Jod-  oder  Bromatom  daroh  ein 
Chloratom  ersetzt  wird,  eine  gleiche  Wärmemenge  entwickelt  wird,  noch 
dass  dies  der  Fall  ist,  wenn  eine  Hydrosäure  dadurch  in  ein  Haloidsalz 
Übergeht,  dass  man  das  Wasserstoffatom  durch  Metallatome  ersetzt.  Es 
sind  dies  beides  nur  neue  Beweise  für  die  längst  bekannte  Thatsache, 
dass  diese  sich  yertretenden  Elemente  in  den  Haloidsalzen  und  Hydro- 
läoren  immer  genau  dieselbe  Stelle  in  der  Verbindong  ausfällen. 


*)  Wäre  (Au,Br3,Aq)  nicht  -f"  5090,  sondern  —•  5090,  so  würden  sowohl  die  in 
4er  ersten  Tabelle,  als  die  hier  mitgetheilten  Zahlen  gut  übereinstimmen,  tind  Gold 
w&rde  keine  Ausnahmestell mig  unter  den  Metallen  einnehmen. 

Yerdet-Bahlmann,  Heohan.  Warmetheorie.  Bd.  8.  28 


3  54  IL    Thermochemie. 

Die  hier  gefundenen  Vertretungszahlen  der  Metalle  gelten  zam  Thal 
auch  über  das  Gebiet  der  Haloidyerbindnngen  hinaus. 

Es  ist  z.  B.: 

(K,Cl,Aq)      —  (Na,Cl,Aq)      =  +  4660  Cal. 
(K,0,H,Aq)  —  (Na,0,H,Aq)=  +  4650  CaL 

(Ca,0,Aq)  —  (Mg,0,Aq)  =  —  2500  CaL  (Ca,  Cl„  Aq)  —  (Mg,Cl„Aq) 

=  —  2290  Cal. 
(Sr,0,  Aq)  —  (Mg,0,Aq)  =  -f  8820  Cal.  (Sr,  Q,,  Aq)  —  (Mg,Cl„Aq) 

=  +  8760  Cal. 

(Ba,0,  Aq)  —  (Mg,0,Aq)  =  +  9300  Cal.  (Ba,  Cl,,  Aq)  —  (Mg,CljhAq) 

=  +  9390  Cal. 

Berücksichtigt  man,  dass  die  Zahlen  (Mg,0,Aq),  (Sr,0,Aq)  u.  s.  w. 
durch  Addition  einer  von  Thomsen  und  einer  von  Berthelot  gefim- 
denen  Zahl  gebildet  sind,  und  dass  letztere  nicht  vollständig  zuverlässig 
sind,  so  muss  man  die  Uebereinstimmung  für  eine  befriedigende  ut- 
sehen. 

Im  Allgemeinen  können  keine  ähnliche  Beziehungen  für  die  Bü- 
dungswärmen  der  Substanzen  im  festen  Zustande  nachgewiesen  werden. 
Also  ist  nicht  der  feste  Zustand  als  maassgebend  f&r  thermochemisdie 
Betrachtungen  anzusehen,  wie  dies  Berthelot  darzuthun  sucht. 

Wir  stimmen  vielmehr  Thomsen  bei,  welcher  von  Anfang  an  be- 
hauptet hat ,  dass  die  Affinitätsdifferenzen  am  besten  im  Zustande  ver- 
dünnter Lösungen  verglichen  werden.  Berthelot  stützte  sich  bei  Beiner 
Behauptung  darauf,  dass  die  Aenderung  der  specifischen  Wärme  bei 
festen  Körpern  gering,  bei  Flüssigkeiten  hingegen  sehr  bedeutend  sei, 
dass  daher  die  Wärmetönungen  bei  Bildung  fester  Yerbindungen  eher 
als  von  der  Temperatur  unabhängige  Constante  angesehen  werden  könn* 
ten,  als  dies  bei  Bildung  gelöster  Verbindungen  der  Fall  sei,  deren 
Wärmetönung:en  sich  stark  mit  der  Temperatur  ändern.  Auch  fährt  er 
an,  dass  nur  bei  festen  Verbindungen  die  specifische  Wärme  des  Mole- 
cüles  nahe  gleich  der  Summe  der  specifischen  Wärmen  der  Atome  ist, 
welche  das  Molecül  bilden  (man  sehe  Bd.  2,  S.  272). 

Erfahrungsmässig  handelt  es  sich  aber  bei  den  Verbindangswanneo 
meist  um  so  grosse  Wärmemengen,  dass  im  Vergleich  dazu  die  Aende- 
rung, welche  diese  Grössen  durch  die  Abhängigkeit  der  specifisclien 
Wärme  von  der  Temperatur  erleiden,  in  den  meisten  Fällen  ganz  oder 
nahezu  in  die  Grenzen  der  unvermeidlichen  Beobachtungsfehler  faUen. 

Im  Zustande  vollkommener  Gase,  der  sonst  wohl  der  geeignetste 
wäre,  können  die  Affinitäten  der  wenigsten  Substanzen  verglichen  wer- 
den; auch  wird,  da  dieser  Zustand  meist  erst  bei  sehr  hohen  Tempert-  , 
turen  erreicht  wird,  in  vielen  Fällen  bereits  durch  den  später  zu  be- 
sprechenden Vorgang  der  Dissociation  der  Verbindungen  das  Besnliit 
wiederum  getrübt. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    855 

Aach  ist  es  wohl  za  beachten,  dass  nar  elastisch  oder  tropfbar 
flflssige  Sabstanzen  auf  einander  reagiren  können,  also  auch  nur  die 
auf  diese  Aggregatznstände  bezüglichen  Zahlen  als  Maass  der  Affinitäten 
angesehen  werden  können  ^)* 


Ein  anderer  Satz,  den  man  früher  glanbte  ausnahmslos  als  gültig 
ansehen  zu  können,  lautet:  Wenn  eine  Säure  eine  andere  aus 
neutralen  Verbindungen  scheidet,  so  ist  die  Wärmetönung 
stets  dieselbe  und  unabhängig  von  den  Basen,  wenn  nur  die 
Säuren  dieselben  sind  und  keine  unlösliche  Verbindung  entsteht. 

Zum  Beweise  dieses  Satzes  ist  es  leicht  eine  grössere  Zahl  von  Bei- 
spielen  aus  dem  Vorhergehenden  zu  geben.     Es  ist  z.  B*  die  Neutra- 
lisationswärme der  in  Wasser  löslichen  Basen  der  Formel  ROH  und 
II 
ROsH}  für  zwei  Aequivalente  der  wässerigen  Lösung  bei  18^^): 


Käme  der  Basis 

Schwefels&nre 

Chlorwasserstoffs&are 

Salpetersäure 

Lithionhydrat 

Natronliydnit 

KalihTdrat     ....••.•• 

31290  Cal. 
31380 
31290 
31130 

30710 
31140 
31010 
30700 
30840 

27700  Cal. 

27490 

27500 

27520 

27780 

27630 

27900 

27500 

27440 

27290 

—  Cal. 
27360 
27540 

Thalliamozydhydrat 

BarYthrdrat 

27380 
28260 

Strontianhydrat 

Tetramethylammoniambydrat  .    . 

Triathylsalfinhydrat 

Platodiaiiuiihydrat 

.^ 

Die  erhaltenen  Werthe  sind  unter  der  Voraussetzung  gültig,  dass 
Säure  und  Basis  beide  in  einem  solchen  Ueberschuss  Yon  Wasser  gelöst 
i  sind,  dass  auch  das  bei  der  Neutralisation  gebildete  Salz  im  Wasser  ge- 
löst bleibt. 

Vorausgesetzt,  dass  diese  Annahme  erfüllt  ist,  lässt  sich  obiger  Satz 
sogar  etwas  erweitem ;  eine  ganze  Reihe  von  Säuren,  nämlich  die  Wasser- 
stoff- und  Sauerstofifsäuren  des  Chlors,  Jods,  Broms,  die  Salpetersäure,  die 


^)   Man   yergleiche  die  Motivinmg  einer  abweichenden  Ansicht   in  A.  Naumann, 

Allgemeine  und  physikalische  Chemie  (Winter,  Heidelberg  1877),  S.  667. 

^  Diese  Tabelle  ist  entnommen:    Thomsen,    Ueber  die  Neutralisation.    Joum.  f. 

II 
pnkt.  Chemie,  2.  Folge,  Bd.  18,  S.  241  bis  270.     R  ist  das  Symbol  der  zweibasischen 

lUdicale. 

23* 


356 


II.  Thermochemie. 


Unterschwefelsänre,  die  Ghlorplatin-  und  Ghlorzinnsaare,  die  Aeihe^ 
schwefelsauren,  die  Fluorsiliciumsäure,  die  Orthophosphor-  und  die  Ortlift' 
arsenBäure,  die  Ameieensäure,  Essigsäure  und  viele  andere  besitxen  eine 
fast  vollständig  übereinstimmende  Neutralisationswärme  von  ungefähr 
27000  bis  27500  Galerien  bei  Bildung  neutraler  Salze. 

Abweichungen  hiervon  zeigt:  die  Schwefel wasserstoffisäure  (Nentn- 
lisationswärme  15500),  die  unterchlorige  Säure,  die  Borsäure,  dieKohiea* 
säure  und  die  salpetrige  Säure,  deren  Neutralisationswärme  im  MitU 
20000  ist.  Hingegen  zeigen  Oxalsäure,  phosphorige  Säure,  Metaphosphor*^ 
säure,  schweflige  Säure,  unterphosphorige  Säure,  Selensäure,  SchweM* 
säure,  Fluorwasserstoffsäure  Neutralisationswärmen,  die  grosser  als  2700(1 
sind  und  zwischen  28300  (Oxalsäure)  und  32500  (FluorwasserstoffsioFe) 
liegen. 

Es  kommen  jedoch,  wie  ein  Blick  auf  die  Tabellen  auf  Seite 
303  etc.  lehrt,  auch  nicht  unerhebliche  Abweichungen  von  obigem 
vor,  welche  einen  Einfluss  der  Natur  der  Basis  auf  die  Grösse  der  N 
tralisationswärme  deutlich  zu  zeigen  scheinen.     So  ist  z.  B.: 


Basis 

SchwefelsSore 

SalzsSore 

Salpetersäure 

Essigsäare 

CfalonSBif 

2KH0Aq     . 
CUH2O2    .    . 

31300 
18400 

27500 
14900 

27500 
14900 

26400 
12800 

27500 
15500 

Differenz 

12900 

12600 

12600 

13600 

12000 

Diese  Unterschiede  sind  aber  leicht  dadurch  erklärlich,  düsa 
Basen  der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  mit  der  Neutralisationsw; 
31200  respective  27500  sämmtlich  als  Lösungen,  hingegen  die  ü 
(hier  z.  B.  GnH2  02)  als  Niederschläge  verwendet  worden  sind.    Der 
terschied  (hier  im  Mittel  12500)  in  der  Wärmetönung  bei  Neutrali 
der  in  Wasser  unlöslichen  Basis  entspricht  derjenigen  Wärme,  wel 
aufgewendet  werden  muss,  um  die  unlösliche  Basis  zuvor  in  den  fl 
Zustand  überzuführen.     Wir  kommen  später  bei  Besprechung  der  K( 
tralisationswärme  des  Barythydrats  nochmals  ausführlicher  auf  die 
baren  Abweichungen  von  diesem  Satze  zurück. 

Alle  derartigen  Sätze  sind  immer  nur  unter  der  selbstverständli 
Voraussetzung  gültig,  dass  die  einzelnen  Gomponenten  und  Resultan 
sich  bei  den  verglichenen  Processen  in  demselben  Zustande  befinden. 

Ebenso  finden  die  folgenden  Sätze  innerhalb  der  Grenzen  der  el 
angegebenen  Voraussetzung  auch  durch  die  neueren  Untersuchungen 
Bestätigung: 

Die  Wärmetönnng,  welche  entsteht,  wenn  eine  Basis  di< 
andere  aus  neutraler  Verbindung  scheidet,  ist  stets   diesell 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    357 

und  unabhängig  yon  der  Säure,  wenn  nur  die  Basen  dieselben 
sind  (Andrews^),  und  hierunter  dürfte  dann  auch  folgender  Satz  mit  zu 
subsummiren  sein,  welcher  ebenfalls  von  Andrews  herrührt:  Wenn  ein 
Metall  ein  anderes  aus  neutraler  Lösung  scheidet,  so  ist  die 
Wärmetönung  stets  dieselbe  und  unabhängig  vom  Lösungs- 
mittel, sofern  nur  die  Metalle  dieselben  sind^). 

Als  eine  Folge  aus  dem  Vorhergehenden  kann  man  dann  weiter  auf 
einen  Satz  schliessen,  der  gewöhnlich  nach  seinem  Entdecker  der  Hess 'sehe 
Satz  von  der  Thermoneutralität  genannt  wird.     Derselbe  lautet: 

Wenn  sich  zwei  neutrale  Salze  in  wässeriger  Lösung  zer- 
setzen, so  findet  keine  Wärmetönung  statt,  wenn  alle  Verbin- 
dungen gelöst  bleiben')* 

Hieraus  schliesst  Thomsen^)  mit  Recht  weiter:  Wenn  bei  doppelten 
Zersetzungen  dieser  Art  ein  Niederschlag  entsteht,  so  ist  die  Wärme- 
tönung numerisch  gleich,  aber  entgegengesetzt  der  Lösungswärme 
der  gebildeten  unlöslichen  Verbindung. 

Alle  diese  Sätze  zusammen  machen  die  Annahme  sehr  wahrschein- 
lich, durch  welche  Thomsen  schon  im  Jahre  1853  alle  bis  dahin  be- 
kannten thermochemischen  Erfahrungen  in  einfacher  Weise  mit  einander 
in  Zusammenhang  brachte;  dieselbe  lautet  in  unserer  heutigen  Ausdrucks- 
weise: Bei  Bildung  der  neutralen  Salze  der  meisten  Säuren,  der 
Chlorverbindungen  u.  s.  w.  in  wässeriger  Lösung  wird  in  jeder 
Classe  für  sich  eine  gleich  grosse  moleculare  Energie  ent- 
wickelt. Thomsen  nannte  solche  Verbindungen  isodyname.  Er  ging 
bei  Formulirung  dieses  Satzes  von  dem  Fundamentalsatze  der  Thermo- 
chemie aus:  Die  durch  einen  chemischen  Vorgang  erzeugte 
Wärmemenge  ist,  sofern  keine  äussere  Arbeit  geleistet  oder 
aufgenommen  wird,  ein  Maass  für  die  verwandelte  potentielle 
Energie  der  Affinität  tmd  nennt  die  gesammto,  in  einem  Aequivalente 
einer  Substanz  enthaltene  potentielle  Energie  der  Af&nität  in  Wärme- 
maass  ausgedrückt  „das  thermodynamische  Aequivalent''.  Also 
Bind  isodyname  Substanzen  solche,  deren  thermodynamische  Aequi- 
valente gleich  sind. 

Mit  Rücksicht  auf  diesen  mit  klarem  Bewusstsein  von  dem  Satze  von 
der  Constanz  der  Energie  gewählten  Ausgang  und  Bezeichnung  ergaben 
sich  eine  Reihe  von  Sätzen,  welche  Berthelot  und  andere  französische 
Chemiker  viel  später  als  wichtige,  neue,  eigene  Entdeckungen  procla- 
mirten*). 


^)  PhiloB.  Trans,  of  the  Boy.  Soc  of  London  f.  1844,  S.  21,  und  Poggend.  Ann. 
Bd.  66,  S.  21. 

*)  Poggend.  Ann.  Bd.  78,  S.  73. 

^)  Abweichungen  von  diesem  Satze  sehe  man  im  Capitel  7  des  folgenden  Ab- 
schnittes C,  welches  überschrieben  ist:    (Jeher  die  Beschaffenheit  der  Losungen. 

^)  Poggend.  Ann.  Bd.  88,  S.  361. 

^)  Man  sehe  J.  Thomsen,  Eine  Prioritätsfrage  bezüglich  einiger  Grundsätze  der 
Thermochemie.   Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Gesellschaft.   Bd.  6,  S.  423  bis  428. 


358  IL    Thermochemie. 

Hieraus  ergiebt  sich  sofort:  Die  WärmetÖDung  bei  Bildung 
einer  Verbindung  ist  gleich  der  Differenz  der  thermodyna- 
mischenAequivalente  der  Bestandtheile  und  dem  thermodyna- 
mischen  Aequivalente  der  Verbindung. 

Dies  drückt  man  aus  durch  die  Formel: 

wenn  ^»  ^3,  ^  .  .  .  die  thermodynamischen  Aequivalente  der  Be- 
standtheile und  r  das  thermodynamische  Aequivalent  der  Verbindung  ist 
Hieraus  folgt  sofort  weiter: 

—  Ö  =  r  —  (a?i  +  «,  +  a?»  +  .  .  .)» 

und  dies  enthält  in  Zusammenstellung  mit  der  vorhergehenden  Gleichooi^ 
den  an  sich  klaren,  aber  immerhin  erwähnenswerthen  Satz: 

Die  Wärmetönung  bei  der  Zersetzung  einer  Verbindung 
ist  gleich  gross,  aber  entgegengesetzt  derjenigen,  welche  bei 
der  Bildung  derselben  stattfindet. 

Damit  erklärt  sich  nun  auch  in  einfacher  Weise  die  von  Thomsen 
gewählte  Bezeichnungsweise,  wenn  wir  dieselbe  auch  nicht  für  vollkommen 
Übereinstimmend  mit  den  heutigen  Begriffen  der  Energie  halten  können. 

Es  bezeichnet  nämlich: 

(Pb)      (HCl)  etc. 
das   thermodynamische   Aequivalent   des   Bleies,    des   Ghlorwasserstoff- 
gases  etc.,  so  dass  die  Thomson' sehe  Reactionsformel  (X^,   Y^,  Z^ , ») 
die  Bedeutung  hat: 

(z.,  r„  Ze  ....)  =  «.  W  +  ö .  (^  +  c .  (Z)  +  .. . 

^-(z.r,  z, ...) 12) 

Es  wird  demnach  mit  (Z«,  F^,  Z«  •  .  .)  die  bei  Reaction  Yon 
a  Moleculen  des  Stoffes  X,  h  Molecülen  des  Stoffes  F,  c  Molecülen  des 
Stoffes  Z  etc.  auf  einander  entstehende  Wärmetönung  bezeichnet ;  dieselbe 
ist  gleich  der  Summe  der  thermodynamischen  Aequivalente  der  reagiren- 
den  Bestandtheile,  vermindert  um  das  thermodynamische  Aequivalent  der 
Verbindung.  Ist  der  Minuend  grösser  als  der  Subtrahend,  so  findet  bei 
der  angedeuteten  Beaction  eine  Wärmeentwickelung,  im  entgegengesetzten 
Falle  eine  Wärmeabsorption  statt. 

Es  können  hier  also  zwei  Fälle  eintrei^n,  entweder  die  Verbindung 
besitzt  mehr  potentielle  Energie  der  AfEnität,  als  ihre  Componenten,  oder 
das  Ebitgegengesetzte  findet  statt. 

Im  ersten  Falle  wird  bei  Bildung  der  Verbindung  Wärme  oder  eine 
derselben  äquivalente  Energieform  erzeugt,  im  zweiten  Falle  tritt  eine 
Wärmeabsorption  ein^). 

^)  Genau  denselben  von  J.  Thomsen  schon  in  seiner  ersten  Abhandlang  (1B54) 
klar  ausgesprochenen  Gedanken  wählte  später  (1864)  Schröder  van  der  Kolk  ^ 
Ausgangspunkt  seiner  interessanten  Arbeit:  Ueber  die  mechanische  Energie  der  chemi- 
schen Wirkungen.   Fogg.  Ann.  Bd.  122,  S.  439. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    359 

Schröder  van  der  Kolk  hat  später  mit  Hinblick  auf  die 
Si  Claire-Deyille' sehen  Arbeiten  über  Dissociation  hieraus  den  Schluss 
gezogen : 

Verbindungen,  welche  durch  Erwärmung  dissociirt 
werden,  können  sich  bei  nachfolgender  Abkühlung  nur 
dann  wieder  von  selbst  auf'sNeue  bilden, wenn  dieEnergie 
(Summe  der  thermodjnamischen  Aequiyalente)  der  Com- 
ponenten  grösser  ist,  als  die  der  Verbindung  derselben. 

Es  braucht  wohl  kaum  besonders  erwähnt  zu  werden,  dass  aber 
selbst  dann,  wenn  die  Rückbildung  bei  nachfolgender  Abkühlung  möglich 
wäre,  dieselbe  nicht  nothwendigerweise  eintreten  muss,  da  sehr  häufig 
die  getrennten  Bestandtheile  in  einen  Zustand  übergehen,  in  welchem 
sie  sich  nicht  mehr  vereinigen  können. 

Es  lassen  sich  für  diese  Sätze  eine  Menge  von  beweisenden  Bei- 
spielen anführen. 

1)  Stickstoffozydul  besitzt  eine  negative  Yerbindungswärme  {(N2,0) 
=  —  18320}.  Im  freien  Stickstoff  und  Sauerstoff  findet  sich  also  we- 
niger Energie  als  im  Stickstoffoxydul.  Durch  Wärme  dissociirt  vereinigt 
sich  Stickstoff  und  Sauerstoff  nicht  wieder  bei  nachfolgender  Abkühlung. 

2)  Wasserstoffsiiperoxyd  entwickelt  Wärme  bei  der  Zerlegung  in 
Wasser  und  Sauerstoff  {(Hj  0,0)  =  —23070}.  Durch  Wärme  zerlegt, 
bildet  es  sich  bei  der  Abkühlung  nicht  wieder. 

Dieser  Satz,  für  dessen  Bichtigkeit  sich  durch  Betrachtung  der 
Sanerstoffverbindungen  des  Chlors,  der  Chlor-,  Jod-,  Schwefel  Verbindun- 
gen des  Stickstoffes,  der  Sauerstoffverbindungen  mancher  Edelmetalle  und 
aller  sonstigen  Verbindungen  mit  negativen  Verbindungs wärmen  noch 
zahlreiche  Beispiele  beibringen  Hessen,  gilt  sogar  für  die  Zustandsände- 
rangen  di-  und  polymorpher  Körper^).  Arragonit  geht  beim  Erwärmen 
nnter  Wärmeabgabe  in  Ealkspath  über;  Arragonit  besitzt  also  mehr 
potentielle  Energie  als  die  Ealkspathmodification  des  kohlensauren  Kalkes. 
Beim  Abkühlen  findet  der  entgegengesetzte  Process  nicht  statt.  Das 
Gleiche  lässt  sich  bei  den  allotropen  Modificationen  des  Schwefels  und 
Phosphors  nachweisen. 

Die  Umkehmng  des  vorhin  mitgetheilten  Satzes  würde  lauten :  Ver- 
bindungen mit  positiver  Verbindungswärme  können  sich,  wenn  sie 
durch  Erhitzen  dissociirt  worden  sind,  bei  nachfolgender  Abkühlung 
wieder  von  selbst  verbinden.  Dass  dies  nicht  immer  stattfinden  muss, 
versteht  sich  von  selbst. 

Kohlensaurer  Kalk  absorbirt  nach  Favre  und  Silbermann  bei 
seiner  Dissociation  Wärme;  er  besitzt  also  ein  kleineres  thermodyna- 
misches  Aequivalent,  als  seine  Componenten.  In  der  That  beobachtet 
man,  dass  wenn  kohlensaurer  Kalk  durch  Wärme  zerlegt  worden  ist,  sich 


*)  Hierauf  hat   zuerst   Schröder  van  der  K.olk,   Pogg.  Ann.  Bd.  122,    S.  442, 
aufmerksam  gemacht. 


1 

360  U.   Thermochemie. 

derselbe  aas  Calcinmoxyd  imd  Kohlensäure  bei  nachfolgender  Abkdhiiiiig 
von  selbst  wieder  bildet. 

Sind  zwei  ganz  analog  gebildete  Yerbindongen:  X'«  F»  Z«  .  .  . 
und  X"s  Yi  Ze,  welche  sich  nur  dadm*ch  von  einander  nnterschäden, 
dass  der  Körper  X'  im  zweiten  Falle  durch  X"  ersetzt  ist,  iBodynam, 
d.  h.  besitzen  dieselben  gleiche  potentielle  Energie  der  Affinität,  ist  also:  < 

(X  a  li  Z« .  .  .)  =  (-^  a  y»  ^e  •  •  •) 

nach  Thomsen's  Bezeichnung,  so  können  f&r  die  Bildung  derselben 
zwei  der  Gleichung  12)  analoge  aufgestellt  werden.     Es  ist  dann: 

(Z'.,  r„  Z,  ...)  =  a  (X!)  +  h  (Y)  +  c  (Z)+  . . .  —  (X'.  Y,  Z....) 
(Z".,  r„  Z.  ...)  =  a  (Z")  +  6  (D  +  c  (Z)  +        -  (X!'.Y,  Z....)  | 

und  hieraus  folgt  durch  Subtraction: 

(X'„  r„  Z....)-  (X".,  T„Z....)  =  a.  [(XO  -  (X*)]  13)1 

Die  Unterschiede  der  Wärmetönungen  bei  Bildung  zweier  isodyiiA- 
mer  Körper  ist  gleich  der  mit  der  Anzahl  der  substituirten  Molecöla 
multiplicirten  Differenz  äet  thermodynamischen  Aequivalente  der  öek 
yertretenden  Stoffe. 

Hat  man  zwei  isodyname  Salze  von  der  Form: 

R2'S04undB,"S04, 
so  ist  nach  13): 

(R2',H,S04Aq)-(R,",H,S04Aq)  =  2.[(R')-(R")]. 
und  hierin  liegt  der  Andrews' sehe  Satz,  den  wir  vorhin  erwähnten. 

Aehnlich  ergiebt  sich  der  Favre' sehe  Satz,  wenn  wir  z.  B.: 

(R'C1)  =  (R"C1) 

setzen.     Es  ist  dann  nach  13): 

(R',a)  —  (R",  Cl)  =  (RO  —  (R"). 

Wenn  zwei  Körper:  A'B'  und  A"B"  sich  gegenseitig  zu  A'B" 
A"B'  zersetzen,  so  ist  die  hierbei  entstehende  Wärmetönung  Q  = 

Q  =  (A'B")  +  (A"B')  -  (A'BO  —  (A"B"); 

sind  nun  aber  A'B'  und  A"B"  und  ebenso:  A"B'  und  A'B"  paarwei 
isodynam,  d.  h.  ist: 

(A'B')  =  (A"B') 
und  (A'B")  =  (A"B"), 

so  ergiebt  sich  durch  Subtraction  der  unteren  von  den  oberen  Gleich 
gen  und  Reduction  auf  Null: 

(A'B")  +  (A"B')  —  (A'B')  —  (A"B")  =  0 

und  somit  Q  =  0. 

Die  letzte  Gleichung  aber  enthält  den  Hessischen  Satz  von  der 
Thermoneutralität  und  wird  später  von  uns  verwendet  werden,  tun  die 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit    361 

Doppelzereetzangen  Ton  Salzen,  welche  bei  Mischang  wässeriger  Löson- 
gen  stattfinden,  zu  nntersuchen. 

Wir  haben  somit  aus  der  einen  Onmdvoraussetzung  eine  grosse 
Zahl  Ton  Sätzen  auf  theoretischem  Wege  abgeleitet,  welche  schon  früher 
auf  empirischem  Wege  gefunden,  bis  zu  Thomsen's  Arbeit  znsammen- 
hangslos  neben  einander  standen. 

Freilich  würde  es  ein  Trugschluss  sein,  wenn  man  daraus,  dass  diese 
Conseqnenzen  der  Voraussetzung  durch  die  Erfahrung  bestätigt  worden 
sind,  rückwärts  auf  die  Richtigkeit  der  Annahme  schliessen  wollte :  dass 
wirklich  analog  zusammengesetzte  Körper  auch  isodynam  sein  müssten; 
es  wird  dies  durch  die  Uebereinstimmung  mit  der  Erfahrung  zwar  wahr« 
scheinlioh  gemacht,  aber  nicht  bewiesen. 

Da  es  sich  bei  allen  diesen  Formeln  nur  immer  um  Differenzen  von 
potentieller  Energie  handelt,  kann  man  aus  der  G-leichheit  der  Differenzen 
noch  nicht  daraof  schliessen,  dass  anch  die  beiden  Subtrahenden  und  die 
beiden  Minnenden  derselben  einander  gleich  sind.  Jedenfalls  aber  ist 
ein  Gesichtspunkt,  von  dem  aus  sich  mehrere  Reihen  scheinbar  getrennter 
Erscheinungen  einheitlich  zusammenfassen  lassen,  bemerkenswerth,  und 
deshalb  haben  wir  hier  die  Consequenzen  der  Annahme  der  Isodynamie 
analoger  Yerbindungen  mitgetheilt. 

Das  Phänomen  der  Affinitätsdifferenzen  nach  Vielfachen  derselben 
GoQstanten  macht  es  wahrscheinlich,  dass  die  thermodynamischen 
Aequiyalente  der  Elemente  in  gleichen  Aggregatszuständen 
ganze  Vielfache  einer  einzigen  oder  weniger  Constanten  sind. 

Auf  die  grosse  Zahl  einzelner  wichtiger  Conseqnenzen,  welche  sich 
sonst  noch  aus  den  Messungen  der  Verbindungswärmen  ergeben  haben, 
wollen  wir  nicht  weiter  eingehen,  da  dieselbe  zu  sehr  in  das  Detail  der 
Chemie  eingreifen  würde.  Wir  beschränken  uns  darauf,  noch  einige 
allgemein  interessante  Resultate  der  mitgetheilten  Zahlenreihen  zuzu- 
f)lgen. 

Deutlich  zeigt  sich,  wie  erwähnt,  aus  den  Thomson' sehen  Arbeiten, 
dass  man  in  der  That  berechtigt  ist,  den  Zustand  der  Yordünnten  wässe- 
rigen Lösungen  als  einen  solchen  anzusehen,  in  welchem  thermochemische 
Beziehungen  nahezu  mit  demselben  Erfolge  verglichen  werden  können, 
als  dies  bezüglich  vieler  anderer  Eigenschaften  mit  dem  gasformigen 
Zustande  der  Fall  ist.  Man  kann  daher  mit  Thomson^)  annehmen, 
dass  sich  verschiedene  Körper  in  wässeriger  Lösung  in  einem  analogen 
Zustande  befinden. 

Während  bei  Auflösung  der  Anhydride  der  Basen  in  Säuren  die 
Wärmetönung  ausserordentlich  verschieden  ist  und  ebenso  bei  Auflösung 
der  Hydrate  noch  sehr  grosse  Differenzen  auftreten,  zeigt  sich  eine  grosse 
Einfachheit,  wenn  man  Basis  und  Säure  in  verdünnten  wässerigen  Lö- 


^)  Thomsen:  Ueber  die  Neutralisation.  Journ.  f.  prakt.  Chemie,  2.  Folge,  Bd.  16, 
S.  246. 


362  IL  Thermochemie. 

sangen  mit  einander  verbindet  Lithion,  Natron,  Thalliomhydimti  Baiyt. 
Strontian  und  Kalk  zeigen  alle  in  wässeriger  Lösnng  dieselbe  Nentni 
lisationsw&rme,  ohne  dass  das  höchst  verschiedene  Molecnlargewicht  vn 
14  (Li)  bis  408  (Th)  oder  die  höchst  verschiedene  Bildnngswänne  dm 
Basen  {(T1,0,H)  =  10400  bis  (K,0,H)  =  57000}  einen  Einflnss  ad 
die  Neutralisationswärme  auszuüben  scheint. 

Auch  die  zur  Magnesiagruppe  gehörenden  Basen:  Magnesia,  Hin- 
ganoj^ydul,  Nickeloxydul ,  Cobaltoxydul,  Eisenoxydul  (Cadmiamoxyd)^ 
Zinkoxyd  und  Eupferoxyd  zeigen  in  ihrem  Verhalten  eine  sehr  gnMn 
Uebereinstipmung.  Ihre  wichtigsten  Salze  sind  isomorph,  die  Bm« 
unlöslich  in  Wasser,  löslich  in  Ammoniaksalzen  etc. 

Zwar  geben  diese  Basen  mit  derselben  Säure  eine  ungleich  grom 
Wärmetönung,  aber  die  Neutralisationsphänomene  dieser  sieben  Basci 
zeigen  ebenfaUs  eine  völlige  Uebereinstimmung.  Die  Differenzen  zwiacka 
der  Wärmeentwickelung,  welche  dieselbe  Basis  mit  verschiedenen  Säont 
giebt,  ist  für  alle  Glieder  so  genau  dieselbe,  dass  es  hinreichend  ist,  die 
Neutralisationswärme  einer  Säure  zu  kennen,  um  dann  diejenigen  der 
anderen  Säuren  berechnen  zu  können.  Die  Neutralisationswärmen  der 
Hydrate  der  Magnesiareihe  für  Schwefelsäure  sind: 

für  Mg  =  31220 

„  Mn  =  26480 

„  Ni    =  26110 

„  Co   =  24670 

„  Fe   =  24920 

^  Od   =  23820 

„  Zn  =  23410 

„  Cu  =  18440 

und  die  Neutralisationswärmen  sind,  wie  wir  dies  schon  bei  den 
beobachtet  haben,  für  Ghlorwasserstoffsäure,  Salpetersäure,  Untersch 
säure,  Aetherschwefelsäure  unter  sich'  gleich   und  um  dnrchachni 
3560  Gal.  geringer,  als  die  der  Schwefelsäure.    Die  Neutralisatio] 
der  Essigsäure  ist  auch  hier  um  5500  CaL  niedriger,  als  diejenige 
Schwefelsäure. 

Es  liegt  daher  sehr  nahe  anzunehmen,  dass  auch  die  Neotralisatioii 
wärme  der  Basen  der  Magneeiareihe  vollständig  mit  der  der  Alkaiid 
übereinstimmt  und  dass  der  Unterschied  der  scheinbaren,  beobaditeM 
Neutralisationswärme  aus  einer  verschiedenen  Lösungswärme  dieser  H 
sich  unlöslichen  Basen  in  Wasser  entspringt. 

Thomson  hat  noch  eine  grosse  Anzahl  Thateaohen  namhaft  gv 
macht  ^X  welche  alle  diese  Annahmen  als  ungemein  wahrscheinlich  ersdie» 


^)  A.  a.  0.    Journ.  f.  prakt.  Chemie,  2.  Folge,  Bd.  16,  S.  257  etc. 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    363 

nea  lassen.   Unter  dieser  Annahme  schliessen  sieh  dann  auch  diese  Basen 
den  obengenannten  vollständig  an. 

Ganz  analog  sohliesst  Thomson,  dass  auch  die  angleiche  Neutra- 
lisationBwärme ,  welche  für  die  drei  Wassersto&äaren  des  Chlors,  Jods, 
Broms  bei  Bildung  onlöslicher  Verbindungen  gefunden  wird,  sich  einfach 
ans  einer  angleichen  LdsungswSrme  der  in  Wasser  unlöslichen  Haloid- 
rerbindungen  erklären  lässt. 

Dass  man  auf  diese  Weise  somit  in  der  Lage  ist,  auch  die  Lösungs- 
wärmen einiger  in  Wasser  unlöslicher  Verbindungen  rückwärts  zu  berech- 
nen, bedarf  wohl  kaum  der  Erwähnimg. 

£in  wesentlich  abweichendes  Verhalten  im  Vergleich  mit  der  Neu- 
tralisationswärme  der  Gruppe  der  Hydrate  der  Basen  zeigt  die  Neutra- 
lisations wärme  der  nur  als  Anhydride  bekannten  Basen.  Als  Typus  dieser 
zweiten  Gruppe  kann  das  Ammoniak  aufgeführt  werden.  Bei  löslichen 
Basen  dieser  Gruppe  enthält  die  Lösung  das  Anhydrid  und  kein  Hydrat. 
Die  Neutralisationswärme  ist  (bei  18<^)  um  ungefähr  3000  Gal.  kleiner, 
als  bei  den  Hydraten.  Auf  den  Einfluss  der  Substitution  anderer  Radi- 
cale  in  das  Molecül  der  Basis  wollen  wir  hier  nicht  näher  eingeben  ^). 

Ein  allgemeines,  für  alle  Säuren  gültiges  Gesetz  hat  sich  bei  der 
Nentralisation  noch  ergeben,  dasselbe  lautet^):  wenn  ein  Molecül 
eines  basischen  Hydrates  (Natronhydrat)  in  wässeriger 
Losung  auf  eine  Säure  reagirt,  dann  ist  die  Wärmeent- 
wickelung sehr  nahe  proportional  der  Säuremenge,  bis 
diese  1,  Vs»  Va  oder  Y4  Molecül  beträgt,  je  nachdem  die 
Säure  eine  ein-,  zwei-,  drei-  oder  yierbasische  ist. 

Dies  dürfte  vielleicht  das  sicherste.  Mittel  sein,  um  die  Basicität 
einer  Säure  zu  bestimmen,  wenn  deren  Moleculargewicht  bereits  durch 
andere  Versuche  bekannt  ist. 

Auf  diese  Weise  schloss  Thomson  z.B.,  dass  Wasser,  H^O,  und  der 
ganz  analog  zusammengesetzte  Schwefelwasserstoff,  H3S,  als  einbasische 
Säuren  anzusehen  sind.  Berücksichtigt  man  diese  AufiPassung  des  Cha- 
rakters des  Wassers,  so  werden  dadurch  die  partiellen  Zersetzungen  der 
Salze  schwachsaurer  Säuren  und  schwach  alkalischer  Basen  durch  Wasser- 
zofohr  leicht  yerständlich. 

Ebenso  lassen  sich  bei  mehrbasischen  Säuren  über  den  gleichen  oder 
angleichen  Charakter  der  durch  Metalle  oder  andere  Molecüle  vertret- 
baren Atome  aus  den  thermochemischen  Neutralisationsversuchen  häufig 
Schlüsse  ziehen,  welche  geeignet  sind,  für  oder  wider  eine  rationelle 
Formel  in  Betracht  gezogen  zu  werden. 


^)  Genaueres  sehe  man  a.  a.  0.  Joarn.  f.  prakt.  Chemie,  2.  Folge,  Bd.  16, 
S.  248  etc. 

*)  Thomsen:  Thermochemische  Untersuchungen  über  die  Neutralisationsphänomene 
und  Basicität  der  Säuren.  Ber.  der  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.,  Bd.  3,  S.  187  bis  193 
(1870). 


364  IL    Thermochemie. 

So  denkt  man  sich  s.  B.  die  einbasischen  Säuren  folgendemmnMen 
geschrieben : 

Cl  .  H         Br  .H        HO  .  H        HS  .  H, 

in  welchen  H  das  durch  Metalle  vertretbare  Atom  ist. 

Für  die  zweibasischen  Wasserstofibäuren,  s.  B.  FinorsilicinmwaaBer- 
stoffsänre  und  Chlorplatinwasserstoffsänre,  wird  hingegen,  da  die  beiden 
yertretbaren  Wasserstoffatome  jedes  fär  seine  Substitution  durch  ein 
Metallatom  eine  gleiche  Wärmetönung  ergiebt,  die  Formel: 

SiFlß.g       ^PtCl«.^ 

wahrscheinlich  sein. 

Andere  zweibasische  Säuren  dagegen,  wie  z.  B.  schweflige  Säure, 
selenige  Säure,  Kohlensäui^e,  Chromsäure  etc.,  deren  vertretbare  Wasser- 
stoffatome nicht  unter  gleicher  Wärmetönung  durch  dasselbe  Metall  er- 
setzt werden  können,  stellt  man  sich  vielleicht  besser  in  folgenden  ratio- 
nellen Formeln  vor: 

Q^      OH        Q  f\      OH        /^,^      OH 

D  U3    •       TT  Oe  U3     •       TT  ^  v/3    •        TT     9 

in  welchen  die  durch  Metalle  vertretbaren  Wasserstoffatome  einen  ver- 
schiedenen Charakter  zeigen. 

Die  zweibasische  Schwefel-,  Selen-  und  Oxalsäure  dagegen  st^t  sich 
Thomson  unter  der  rationellen  Formel: 

an      OH         Q  ^      OH         ^  ^      OH    . 
*  *  0  H  ^  ^  *  0  H         ^  ^  '  0  H  ® 

vor,  weil  hier  die  vertretbaren  Wasserstoffatome  gleichwerthig  sind. 

Die  dreibasisohe  Gitronensäure  erhielt  dann  aus  ähnlichen  Grfinden 
die  Formel: 

OH 
C6H5O4  .OH, 
OH 

dagegen  die  drei  Modiflcationen  der  Phosphorsäure  die  Gestalt: 

HPOs  .  ^^        2HP0s  .  ^^        und  HPO,, 

wodurch  der  thermische  Unterschied  zwischen  den  Säuren  des  Phosphon 
und  Arsens  einerseits  und  der  Gitronensäure  andererseits  genfigend  und 
in  Uebereinstimmung  mit  anderen  chemischen  Thatsachen  erklärt  seia 
würde  i). 

Dass  man  für  die  Kieselsäure  eine  bestimmte  Basicität  nicht  nach- 
zuweisen im  Stande  war,  hat  jedenfalls  seinen  Grund  darin,  dasa  ihre 


^)  Genaueres  sehe  man:   J.  Thomsen,  Pogg.  Ann.  Bd.  140,  S.  536  etc.^ 


B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  chemischer  Arbeit.    365 

Neigang  sich  mit  der  Basis  zn  verbinden  nicht  viel  grösser  ist,  als  die 
desWassers,  nnd  dass  somit  beim  Verdünnen  der  Salzlösungen  mit  Wasser 
theilweise  Zersetzungen  eintreten. 

Die  eigenthümlichen  Wärmeerscheinungen,  welche  beim  Verdünnen 
der  SahdöBungen  schwacher  Säuren  oder  schwach  alkalischer  Basen  durch 
Wasser  eintreten,  sind  zum  Theil  ebenfalls  als  partielle  Zersetzungen 
anzusehen,  anderentheils  gehören  dieselben  in  den  nachfolgenden  Ab- 
schnitt, der  von  den  Dissociationserscheinungen  handelt.  Das  Gleiche 
gilt  von  den  analogen  Wärmeerscheinungen,  welche  bei  Zufügung  über- 
sehüBsiger  Säure  oder  überschüssiger  Basis  zu  Lösungen  unzersetzlicher 
Salze  eintreten.  Wir  werden  die  schönen  hierher  gehörigen  Unter- 
sachongen  der  französischen  Thermochemiker  in  einem  besonderen  Ca- 
pitel  (C,  7)  mittheilen  und  besprechen. 

Anderweite  Schlüsse  von  allgemeiner  Bedeutung  sind  zur  Zeit  aus 
dem  vorliegenden  Materiale  nicht  gezogen  worden,  auch  haben  die 
Themse  naschen  Arbeiten  über  die  Neutralisation  recht  deutlich  gezeigt, 
wie  schwierig  es  ist  zu  allgemeinen  Resultaten  zu  gelangen ,  ■wenn  man 
nicht  den  Boden  der  Thatsachen  verlassen  und  sich  nicht  zu  weit  in  das 
unsichere  Gebiet  der  Hypothese  verlieren  will  ^). 


C.  Die  Dissociationserscheinungen, 


1.   Die  Theorie  der  Dlssooiation. 

Wir  haben  schon  früher  wiederholt  darauf  aufmerksam  gemacht, 
(lass  mit  wachsender  Temperatur  auch  die  Disgregation  eines  Körpers 
zunimmt.  Zunächst  gehen  bei  fortschreitender  Erwärmung  die  Sub- 
stanzen in  den  Aggregatzustand  der  Gase  über.  Wenn  man  einem  Gase 
weiter  Wärme  zuführt,  so  nimmt  die  lebendige  Kraft  der  Molecüle  und 
wahrscheinlich  nahezu  in  gleichem  Verhältnisse  die  kinetische  Energie 
der  fortschreitenden  Bewegung  und  die  kinetische  Energie  der  intra- 
molecularen  und  der  rotatorischen  Bewegungen  der  ganzen  Molecüle  zu 
(man  sehe  Bd.  2,  S.  36). 

Wenn  die  kinetische  Energie  der  intramolecularen  Bewegungen  ge- 
nügend anwächst,  kann  das  Molecül  zerfallen,  weil  durch  die  lebhaften 
Bewegungen  die  gegenseitige  Anziehungskraft  der  Atome  oder  Atom- 
gmppen  im  Molecüle  überwunden  wird. 


^)  Die  französischen  Thennochemiker,  zumal  Berthelot,  obwohl  denselben  grosse 
Verdienste  nicht  abzusprechen  sind,  haben  sich  häufig  in  bedenklicher  Weise  auf  das 
Gebiet  der  bodenlosen  Speculation  verirrt. 


366  IL   Thermochemie. 

Da  nun  bekanntlich  die  Geschwindigkeiten  der  Molecüle  eines  Gaaei 
nicht  alle  einander  gleich,  Bondem  vielmehr  nach  dem  Maxweirwhen 
Gesetze  (Bd.  2,  I,  C,  9,  S.  68),  ähnlich  wie  die  Beobachtongsfehler,  in  den 
weitesten  Grenzen  vertheilt  sind,  so  wird,  da  das  Mittel  der  Geschwindig- 
keit der  Molecnlarbewegungen  mit  zunehmender  Temperatur  lonimmt, 
auch  bei  einer  immer  grösseren  Zahl  von  Molecülen  die  intramolecnlm 
Geschwindigkeit  so  weit  anwachsen ,  dass  dadurch  die  gegenseitige  An- 
ziehung der  Bestandtheile  des  Molecüles  überwunden  wird.  Bei  zuneb- 
mender  Temperatur  werden  also  immer  mehr  Molecüle  zerfallen. 

Ist  nun  die  Temperatur  so  weit  gestiegen,  dass  die  mittlere  Ge- 
schwindigkeit der  fortschreitenden  und  die  ihr  proportionale  miUlen 
Geschwindigkeit  der  Bewegungen  der  Bestandtheile  des  Molecüles  vn 
den  ruhend  gedachten  Schwerpunkt,  also  die  Centrifugalkraft  der  rotato* 
rischen  Bewegungen  der  ganzen  Molecüle  und  der  Oscillationen  der  Atome 
oder  Atomgruppen  im  Moleoül,  dei^'enigen  Werth  erreicht  hat,  för  den 
der  Zerfall  des  Molecüles  eintritt,  so  wird  nach  dem  Maxweirseheo 
Yertheilungsgesetze  der  Geschwindigkeiten  die  Hälfte  Molecüle  bereüi 
grössere  Geschwindigkeiten  erreicht  haben  und  mnss  daher  bereits  se^ 
fallen  sein,  und  die  andere  Hälfte  der  Molecüle  wird,  weil  die  Geschwin* 
digkeit  geringer  als  dieser  Mittelwerth  ist,  noch  unverändert  sich  erhalten 
haben. 

Man  wird  demnach  mit  Rücksicht  auf  diese  Betrachtung  den  Nno* 
mann'sohen  Satz^)  zugeben  können,  daes  die  Zersetzungstempe- 
ratur  eines  Gases  die  Temperatur  ist,  bei  welcher  die 
Hälfte  der  Molecüle  bereits  zersetzt,  die  andere  Hälfte 
noch  unzersetzt  ist. 

Es  ist  ferner  klar ,  dass  diese  Zersetzung  durch  Wärmezufiihr  nicht 
ein  Vorgang  ist,  der  bei  einer  bestimmten  Temperatur  vollständig  toi 
statten  geht,  ähnlich  den  Aenderungen  des  Aggregatzustandes  beia 
Sieden  oder  Schmelzen,  sondern  wir  haben  es  in  demselben  vielmehr  mit 
einem  Vorgänge  zu  thun,  der  dem  Verdunsten  einer  Flüssigkeit  nnter^ 
halb  ihres  Siedepunktes  vergleichbar  ist^).  Schon  bei  TemperstoreD, 
welche  weit  unter  der  Zersetzungstemperatur  liegen,  werden  einzelne 
Molecüle,  deren  Geschwindigkeiten  bis  über  jene  durch  die  mittlere  Ge- 
schwindigkeit der  Zersetzungstemperatur  charakterisirte  Grenze  hinanf* 
reichen ,  bereits  zerfallen.  Die  Zahl  der  zerfallenen  Molecüle  wird  mit 
steigender  Temperatur  wachsen ;  bei  der  Zersetzungstemperatur  wird  die 
Hälfte  aller  Molecüle  zerlegt  sein  und  die  Zersetzung  wird  erst  bei  eber 


1)  Man  sehe  Ä.  Naumann,  Ann.  d.  Chem.  und  Pharm.  1867.  Sappl.  V,  3^. 
und:  Grundriss  der  Thermochemie  (Braunschweig,  Fr.  Vieweg  n.  Sohn),  S.  56. 

2)  Deville  hatte  den  Vergleich  des  Verdampfangs-  und  DissociatioBsproc«««« 
(Le9ons  sor  la  dissociation.  Soci6t6  chimique  de  Paris  1864  bis  1865)  unzweifelhaft  m  vett 
getrieben,  wogegen  Schröder  van  der  Kolk  in  seiner  Abhandlung:  Ueber  die  De 
Tille 'sehe  Dissociaiionstheorie.  Poggend.  Ann.  Bd.  129,  S.  481  bis  505,  mit  Recht  fir 
testirt  hat. 


C.  Die  DissociationserscheinuDgen.  367 

• 

80  hohen  Temperatur  als  yollendet  angesehen  werden  können ,  dass  nur 
die  Geschwindigkeit  einer  verschwindend  kleinen  Anzahl  von  Molecülen 
unter  die  mittlere  Geschwindigkeit  der  Zersetzungstemperatur  herabgeht. 

Dieser  Vorgang  der  theilweisen,  mit  steigender  Temperatur  zuneh- 
menden Zersetzung  der  Körper  f!Lhrt  nach  Deville^)  den  Namen:  Dis- 
Bociation. 

Sehr  ausführlich  hat  Pfaundler  diese  Vorgänge  besprochen;  er 
geht  zunächst  von  der  Annahme  aus,  dass  es  fQr  jede  Temperatur  und 
jeden  Körper  ein  Dissociationsgleichgewicht  gäbe.  Dieses  Gleichgewicht 
besteht  darin,  dass  wenn  die  Zersetzung  einmal  eingeleitet,  die  Tempe- 
ratur aber  constant  erhalten  und  die  Dissociationsproducte  am  Entweichen 
gehindert  werden,  in  jedem  Zeiträume  eine  ebenso  grosse  Anzahl  von 
Molecülen  sich  spaltet,  als  sich  durch  Begegnung  wieder  vereinigt.  Hier- 
Ton  ausgehend  sagt  er'):  „So  lange  die  Verbindung  noch  gar  nicht  zer- 
setzt ist,  haben  alle  Molecüle  die  Zusammensetzung  AB.  Sie  bewegen 
sich  geradlinig  fort.  Ausserdem  bewegen  sich  die  Bestandtheile  dieser 
Molecüle  gegeneinander.  Die  Bewegung  der  Bestandtheile  ist  aber  (so 
wenig  wie  die  geradlinige)  nicht  bei  allen  Molecülen  gleich  gross.  Nur 
die  mittlere  lebendige  Kraft  dieser  Bewegung  bleibt  bei  ungeänderter 
Temperatur  gleich  gross  und  im  bestimmten  Verhältnisse  zur  lebendigen 
Kraft  der  geradlinigen  Bewegung  der  Molecüle.  In  den  einzelnen  Mole- 
cülen muss  sie  aber  bald  grösser,  bald  kleiner  sein. 

Wird  nun  die  Temperatur  erhöht,  so  steigt  die  lebendige  Kraft  bei- 
der Bewegrnngen.  Es  kann  daher  kommen,  dass  die  Steigerung  der 
inneren  Bewegung  bei  jenen  Molecülen,  bei  denen  sie  im  Moment  schon 
sehr  gross  ist,  so  gross  wird,  dass  sie  zu  einer  vollständigen  Trennung 
der  Bestandtheile  A  und  B  führt.  Diese  Trennung  kann  unmöglich  alle 
Molecüle  zugleich  ergreifen,  sondern  muss  bei  jenen  zuerst  eintreten,  bei 
denen  die  innere  Bewegung  grösser  ist,  als  bei  den  übrigen.  Diese  ge« 
trennten  Bestandtheile,  welche  nun  selbst  freie  Molecüle  geworden  sind, 
folgen  von  nun  an  ebenfalls  der  geradlinigen  Bewegung.  Inzwischen 
hat  eine  neue  Anzahl  bisher  unzersetzter  Molecüle  jenes  Minimum  innerer 
Bewegung  erreicht,  in  Folge  deren  sie  zerfallen.  Dies  wird  in  gleichen 
Zeiten  eine  gleiche  Anzahl  treffen  und  die  Menge  der  gespaltenen  Mole- 
cüle fortwährend  vermehren.  Diese  aber  werden  sich  zum  Theil  wieder 
begegnen.  Nicht  alle  sich  begegnenden  gespaltenen  Molecüle  können 
sich  wieder  vereinigen,  sondern  nur  solche,  deren  Bewegungszustände 
derartig  sind,  dass  aus  diesen  bei  der  Vereinigung  zur  ursprünglichen 
Terbindung  keine  grössere  Bewegung  der  Bestandtheile  resultirt,  als  jene 
ist,  bei  der  sie  sich  trennen  mussten.  Bei  einer  bestimmten  constanten 
Temperatur  muss  folglich  die  Vermehrung  der  freien  Theilmolecüle  so 
lange  fortschreiten,  bis  die  Zahl  der  sich  binnen  eines  Zeitraumes  wieder 


M  Comptes  rendns  Bd.  45  (1867),  S.  857. 

*)  L.  Pfaundler,  Beitrag  zur  chemischen  Statik.   Pogg.  Ann.  Bd.  131,  S.  60. 


368  IL   Thermochemie. 

yeremigendeh  Molecüle  so  gross  geworden  isi,  als  die  Zahl  der  b  de^ 
selben  Zeit  durch  Spaltang  entstandenen.  Von  diesem  Zeitpimkte  la 
herrscht  dann  Gleichgewicht  zwischen  den  Zersetznngen  und  Yerbiii- 
dungen,  so  lange  die  Temperatur  sich  nicht  ändert  Steigt  diese  aber, 
so  muss  die  Anzahl  der  sich  spaltenden  Molecüle  grösser,  zugleich  die 
der  sich  wieder  yereinigenden  Molecüle  zun&chst  kleiner  werden.  Du 
Gleichgewicht  kann  erst  dann  wieder  hergestellt  sein ,  wenn  die  AuiU 
der  im  freien  Zustande  befindlichen  Molecüle  Ä  und  B  so  gross  geworda 
ist,  dass  sich  wiederum  ebenso  viele  verbinden,  als  sich  zersetzen.  Steigt 
die  Temperatur  immer  höher,  so  muss  endlich  ein  Zeitpunkt  kommen,  vo 
alle  Molecüle  sich  zeraetzen,  ohne  sich  wieder  verbinden  zu  können.  Im 
diesem  Momente  endet  die  Periode  der  Dissociation  mit  dem  Eintntte 
der  vollständigen  Zersetzung. 

Wird  während  der  Dissociationsperiode  in  die  Wand  des  Gel« 
eine  Oefifnung  gemacht,  oder  sind  die  Wände  porös,  so  werden  sich  d 
diese  hindurch  sowohl  unzersetzte  als  zersetzte  Molecüle  geradlinig  fi 
bewegen,  da  aber  ihre  Geschwindigkeiten  sich  verkehrt  verhalten, 
die  Quadratwurzeln  aus  ihrer  Masse  (man  sehe  I,  E,  2,  S.  141),  so  wi 
die  gespaltenen  Molecüle  schneller  difEundiren,  als  die  ungespaltenen, 
unter  den  ersteren  die  leichteren  schneller,  als  die  schwereren." 

Hierdurch  wird  es  erklärlich,  dass  man  im  Stande  ist,  selbst 
einer  Temperatur,  die  erheblich  unter  der  Zersetzungstemperstur  liegt^ 
Dissociation  einer  Verbindung  zu  Ende  zu  führen,  wenn  man  den 
ciationsproducten  zu  entweichen  gestattet  und  somit  die  Bildung 
Molecüle  durch  Zusammentritt  der  Spaltungsproducte  unmöglich  macl 

Schon  bei  massiger  Temperatur  kann  z.  B.  kohlensaurer  Kalk, 
durch  die  Hitze  in  Kalk  und  Kohlensäure  dissociirt  wird,  fast  vo 
seiner  Kohlensäure  beraubt  werden,  wenn  man  durch  den  erhitzten 
einen  Luftstrom  hindurchstreichen  lässt,  der  die  etwa  losgerissenen  K 
lensänremolecüle  mit  sich  fortführt.     In  einem  abgeschlossenen 
dagegen  nimmt  der  Kalk  bei  allmählicher  Abkühlung  alle  Kohlensäi 
wieder  auf,  welche  er  bei  der  vorhergehenden  Erhitzung  ausgestossen 

Es  ist  femer  als  eine  wesentliche  Bestätigung  der  angeful 
P  f  a  u  n  d  1  e  r'  sehen  Theorie  der  Dissociation  anzusehen,  dass  bei  Mi 
von  Dampfdichten  nach  der  Gay-Lussac' sehen  Methode,  bei  der 
Entweichen  der  Dissociationsproducte  durch  Diffusion  nicht  möglich  i 
auch  in  solchen  Fällen,  in  denen  eine  partielle  Zersetzung,  also  Disacd» 
tion  aus  den  mit  der  Theorie  nicht  übereinstimmenden  Werthen  dtf 
Dampfdichte  geschlossen  werden  kann,  bei  sehr  lange  fortgesetztem  Cot* 
stanterhalten  der  Temperatur  ebenfalls  constante  Zahlen  f&r  die  Danft 
dichte  erhalten  werden  ^);  es  ist  dann  eben  ein  Dissociationsgleichgewidl 
eingetreten.  *  ' 


^)  Hierdurch  fällt  besonders  der  Einwand,  den  SchrÖdervanderKolk  in  «einer  »ekr 
beachtenswerthen  Abhandlung :    Ueber  die  Deville'sche  Dissociationstheorie.  Pogg.Att« 


C.    Die  Dissociationserscheinungen.  869 

Hieraus  erklären  sich  auch  sehr  einfach  die  Versuche  von  PehaH) 
und  Deyille,  nach  denen  es  durch  DifiPasion  möglich  ist,  auch  bei  unter' 
der  Zersetzungstemperatur  gelegenen  Hitzegraden  die  Dissociation  auf 
die  gesammte  im  Gefasse  zurückbleibende  Masse  auszudehnen,  wenn  man 
die  Wiedervereinigung  der  Dissociationsproducte  unmöglich  macht. 

Auf  andere  hierhergehörige  Thatsachen  hat  schon  vor  längerer  Zeit 
Berthollet  aufmerksam  gemacht,  indem  er  darauf  hinwies,  dass  bei 
chemischen  Processen  vorherrschend  jene  Reactionen  stattfinden,  welche 
mit  Bildung  eines  Niederschlages  oder  Austreibung  eines  Gases  verbun- 
den sind,  d.  h.  solche  Reactionen,  in  welchen  ein  Product  sich  der  Ein- 
wirkung der  übrigen  Molecüle  entzieht^). 

Aus  all  dem  vorher  Angeführten  geht  hervor,  dass  das  YerhältniBS 
der  durch  Dissociation  getrennten  Molecüle  zur  Gesammtzahl  der  ur- 
sprünglich vorhandenen  Molecüle  bei  irgend  einer  Temperatur  genau 
gleich  dem  Verhältnisse  sein  muss,  welches  angiebt,  welcher  Bruchtheil 
der  Anzahl  sämmtlicher  Molecüle  grössere  Geschwindigkeiten  besitzt, 
als  die  der  Zersetzungstemperatur  entsprechende  mittlere  Molecularge- 
schwindigkeit.  Streng  genommen  kann  man  daher,  da  nach  dem  Max- 
well'schen  Geschwindigkeitsgesetze  bei  jeder  Temperatur  alle  Geschwin- 
digkeiten möglich  sind,  von  einer  Temperatur  des  Beginnens  der  Zer- 
setzung und  der  Vollendung  derselben  gar  nicht  reden,  wohl  aber  wird 
dies  wohl  insofern  zulässig  sein,  als  die  Anzahl  Molecüle,  welche  eine 
bestimmte  Geschwindigkeit  besitzen,  äusserst  rasch  abnimmt,  sobald  als 
sich  diese  Geschwindigkeit  wesentlich  von  der  mittleren  Geschwindigkeit 
entfernt,  welche  der  herrschenden  Temperatur  entspricht. 

Bezeichnet  man  z.  B.  die  Zersetzungstemperatur  vom  absoluten  Null- 
punkte aus  gemessen  mit  T  und  die  denselben   entsprechende  mittlere 

Moleculargeschwindigkeit  mit  F,  so  ist  bekanntlich: 

wenn  T  die  absolute  Temperatur  des  Gases  und  Q  die  Dichte,  die  der 
Luft  unter  gleichen  Verhältnissen  gleich  1  gesetzt,  bedeutet. 

Nach  dem  Maxwell 'sehen  Gesetze  (Bd.  2,  I,  G,  9,  S.  68)  ist  nun  die 
Anzahl  der  Molecüle,  deren  Geschwindigkeit  zwischen  v  und  dv  liegt,  gleich : 

N  .  77=  ,  v^  .  e    "*  .  dv^ 


Bd.  129,  S.  481  bis  508  gegen  die  Dissociationstheorie  erhoben  hat;  er  sagt  nämlich 
(S.  505  Z.  15  v.u.):  ,,Zwar  meint  der  Verfasser  (Deville),  die  Zerlegung  sei  in  diesem 
Falle  nur  partiell;  wenn  sie  aber  partiell  stattfindet,  muss  sie  auch  total  sein  können, 
'sobtild  die  Zersetzung,  wie  bei  Deville  der  Fall  ist,  nur  als  Function  der  Temperatur 
betrachtet  wird." 

*)  Ann.  d.  Chim.  u.  Pharm.  1862.    Bd.  123,  S.  199. 

^)  Man  sehe  L.  Pfaundler^s  geistvolle  Abhandlung:  Der  „Kampf  um's  Dasein** 
unter  den  Molecülcn;  ein  weiterer  Beitrag  zur  chemischen  Statik.  Pogg.  Ann.  Jubel" 
band,  S.   182  bis  198. 

Yerdet-Bahlmann,  Mechan.  Wftrmetheorie.   Bd.  2.  ^* 


370  II.   Thennochemie. 

wenn  N  die  Anzahl  Molecüle  in  der  Volameneinfaeit  and 

ist,  wobei  T'  die  Temperatur  des  Gases  und  p'  seine  auf  Luft  als  Ein- 
heit bezogene  Dichte,  also  seine  Dampfdichte  ist. 

Von  N  Molecülen  eines  Gases  sind  daher  bei  einer  Temperatur  T 
eine  Anzahl  von: 


00 

-7=—  '    l  v^  .  e     '    .  dv 


1) 


Molecülen  bereits  dissociirt,    wenn  V  die  der  Zersetzungstemperatur  T 
entsprechende  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden  Molecularbewegung  ist 

Diese  Integration  lässt  sich  leicht  ausführen  ^) ;  wir  wollen  jedo<^ 
von  einer  weiteren  Verfolgung  der  Theorie  absehen  und  nur  anführen, 
dass  dieselbe  zu  dem  Resultate  führt,  dass  die  Anzahl  der  für  eine  Tem- 
peraturznnahme  von  einem  Grad  zersetzten  Molecüle  bis  zur  Temperatur 
der  halbvollendeten  Zersetzung  fortwährend  zu  und  von  da  ab  bei  wö- 
terer  Temperatursteigerung  wieder  abnimmt.  Jedoch  ist  selbstverstäDd^ 
lieh  hierbei  vorausgesetzt,  dass  die  Temperatur  so  langsam  sich  äDdei^ 
dass  fortwährend  das  Dissociationsgleichgewicht  eintreten  kann,  und  6m 
dürfte,  wie  die  nachfolgenden  Beobachtungsresultate  zumTheil  zu  zeig« 
scheinen,  unter  Umständen  vielleicht  eine  ziemlich  lange  Zeit  in  Ansprnek 
nehmen. 

Auf  eine  Mittheilung  und  Besprechung  der  von  A.  Horstmann 
aufgestellten  Theorie  der  Dissociationserscheinungen  (II,  C,  7)  wei 
wir  erst  eingehen,  wenn  über  die  wichtigsten  Beobachtungsresuliate  fi 
Dissooiation  referirt  worden  ist  und  wir  die  L.  Pfaundler 'sehe  Th« 
der  Wechselzersetzungen  (II,  C,  6)  berichtet  haben.     Die  bis  jetzt  m 
getheilte  Auffassung  des  Dissociationsproblemes  im  Sinne  der  kinetiscl 
Moleculartheorie  wird  zum  Verständniss  der  weitaus  meisten  hierher 
hörigen  Erscheinungen  vorläufig  ausreichen. 

2.  Versuche  über  Dissociation  grasförmiger  Substanzen. 

Zerfallt  eine  Verbindung  in  n  Molecüle,  so  wird,  da  im  AUgemeiaa 
gleichviel  Molecüle  unter  gleichen  Verhältnissen  gleiche  Volumina  eui- 
nehmen,  eine  Verbindung  in  dem  Maasse,  als  sie  sich  zersetzt,  ihr  Vola- 
men  vermehren.  Die  Dampfdichte  einer  sich  zersetzenden  Verbindnig 
nimmt  demnach  mit  fortschreitender  Dissociation  ab. 


r2 


^)    Die  Aufgabe  lässt  sich  durch  die  Substitution  — ^  =  |  auf  die  Bestimmung  «mtI 

unvollständigen    Gammatunction    zurückführen,    deren  Werth    man    nach    Schlömilck, 
Compendium  Bd.  2  (1.  Auflage),  S.  266  ermitteln  kann. 

^)  A.  Horstmann,  Theorie  der  Dissociation,  Liebig's  Annalen  Bd.  170,  S.  192bis210» 


C.    Die  Dissociationserscheinungen.  371 

Wäre  D  die  Dampfdichte  der  ursprünglichen  Verbindung ,  so  ist, 
wenn  ein  Molecül  bei  der  Dissociation  in  n  Molecüle  zerfällt,  die  Dampf- 
dichte nach  beendeter  Zersetzung  gleich  ^-    Sind  aber  vor  Beginn  der 

ti 

Dissociation  N  unzersetzte  Molecüle  vorhanden  gewesen  und  sind  x  der- 
selben bei  der  Temperatur  T'  zersetzt,  so  sind  nunmehr  im  Ganzen: 
N  —  X  ^  n  .  X  oder  N  -{-  (n  —  1)  .  a?  Molecüle  vorhanden.  In  dem- 
selben Verhältnisse,  als'  die  Molecülzahl  zugenommen,  ist  das  Volumen 
unter  sonst  gleichen  Umständen  gewachsen,  und  im  umgekehrten  Ver- 
hältnisse hat  die  Dichte  demnach  abgenommen. 

Bezeichnet  man  die  Dampfdichte,  welche  beobachtet  wird,  wenn 
X  Molecüle  zersetzt  sind,  mit  d,  so  gilt  die  Proportion: 

D  :  d=  {N  -}-  (n—  1)  .x]  :  N, 

und  aus  dieser  folgt: 

{D-d).N 
(n-l).d' 

Die  Anzahl  p  der  zersetzten  Molecüle  in  Procenten  ergiebt  sich  hiei^ 
ans,  wenn  mAn  JV  =  100  und  x  =  p  setzt,  und  dies  giebt: 

(D-^d).  100 

^  (n  —  1)  .  (f  ^ 

A.  Naumann  hat  diese  Formel  benutzt,  um  bei  einigen  Verbindun- 
gen, über  welche  Di ssociations versuche  vorliegen,  den  Dissociationsgrad 
zu  berechnen,  und  hat  damit  die  Richtigkeit  der  oben  entwickelten  theo- 
retischen Auseinandersetzungen  über  Dissociation  darzuthun  versucht. 

Die  Chemiker  meinen  Grund  zu  haben  annehmen  zu  dürfen,  dass 
Untersalpetersäuregas  bei  niedrigen  Temperaturen  nach  der  Formel  Ng  O4 
zusammengesetzt  sei,  dass  dieselbe  aber  schon  bei  massigen  Hitzegraden 
in  zwei  Molecüle  dissociirt  werde, ^).  Hiernach  wäre  für  die  Dissociation 
der  N2O4  in  NO2  +  NO^: 

2.14  +  4.16^  ^^^ 

28,87 

Nach  einer  Untersuchung  von  De  vi  He  und  Troost^)  liegen  für  d 
folgende  Beobachtungen  vor: 


^)  Auf  eine  genauere  Untersuchung  dieser  etwas  schwierigen  Frage  brauchen  wir 
uns  hier  um  so  weniger  einzulassen,  als  es  für  den  vorliegenden  Zweck  gar  nicht  auf 
die  Conntitution ,  sondern  lediglich  auf  die  unzweifelhailte  Thatsache  ankommt,  dass  bei 
der  Dissociation  jedes  Molecül  in  zwei  gespalten  wird.  Man  sehe  auch  Naumann: 
Thermochemie,  Braunschweig,  Fr.  Vieweff  u.  Sohn  1869,  S.  63. 

''')  Comptes  rendus  Bd.  64,  S.  237, 


24* 


372 


IL    Thermochemie. 


Dissociation  der  Na04  in  NOj  +  NO^ 


Temperatur 


Beobachtete  Dampf- 
dichte 
d 


' 


Anzahl  p  d.  zersetzten 

Molecüle  in  Pro- 

centen*),  berechnet 

nach  2) 


Zuwachs  d.  Zersetzu; 

für  1®  Tempentnr- 

erhohung  in  Procenta 

dp 
dt 


26,7 

35,4 

39,8 

49,6 

60,2 

70,0 

80,6 

90,0 

100,1 

111,3 

121,5 

135,0 

154,0 

183,2 


2,65 
2,53 
2,46 
2,27 
2,08 
1,92 
1,80 
1,72 
1,68 
1,65 
1,62 
1,60 
1,58 
1,57 


20,0 
25,7 
29,2 
40,0 
52,8 
65,6 
76,6 
84,8 
89,2 
92,7 
96,2 
98,7 


0,7 
0,8 

1,1 
1,2 
1,3 
1,0 
0,9 
0,4 
0,3 
0,3 
0,2 


Die  Zersetzungstemperatur,  d.  h.  die  Temperatur  der  halbvoUendeUi 

Zersetzung  liegt  demnach  ungefähr  bei  58^,  während  die  BeobachtoBgci 

darauf  hinweisen,  dass  die  Dissociation  bei  —  10^  merklich  beginnt  ool 

bei  150^  in  der  Hauptsache  beendet  ist. 

dp 
Man  erkennt  sofort,  dass  sowohl  p  als  auch  —  ganz  in   der  Weisl 

verläuft,  wie  wir  dies  gemäss  den  im  vorigen  Capitel  dargelegten  tbei' 
retischen  Anschauungen  von  der  Dissociation  erwarten  mussten.  Jm 
kleinen  Abweichungen  sind  ans  den  unvermeidlichen  BeobachtungsfehkiV 
erklärlich,  da  die  Dampfdichtebestimmungen  nach  der  Dumas^sckfl* 
Methode  angestellt  worden  sind,  also  nach  einer  Methode,  welche  selM 
in  der  Hand  des  geschicktesten  Experimentators  nicht  ganz  einwuifrj 
frei  ist.  I 

Nicht  ganz  so  regelmässig  verlaufen  die  Zahlen,  welche  Würtz^ 
für  die  Dissociation  des  Bromwasserstoffamylens  erhalten  hat.  DerDinfl 


^)  Die  Zahlen  sind  von  Naumann,  Thermochemie  S.  63,  entlehnt. 
^)  Die  hier  mitgetheilten  Zahlen  sind  A.Naumann,  Thermochemie  S.  65,  eDtlehxL 
Die  Originalbeobachtung  findet  sich:    Coraptes  i*endu8  Bd.  62,  S.  1182. 


G.  Die  Dissociationserscheinungen. 


373 


dieser  Flüssigkeit  zerfallt,  wenn  er  erheblich  über  seinen  Siedepunkt  er- 
hitzt wird,  in  Amylen  und  Brom  Wasserstoff.  Die  theoretische  Dampf- 
dichte der  Substanz  ist,  entsprechend  der  Formel  C5H10  .  H6r,  gleich 
5,22,  die  Dampfdichte  nach  beendeter  Dissociation ,  da  jedes  Molecül  in 
zwei  gespalten  wird,  also  n  =  2  ist,  gleich  2,61. 

Dissociation  des  Bromwasserstoffamylens. 


Beobachtete  Dampf- 

Anzahl der  zersetzten 

Temperatur 

dichte 

Molecüle  in  Procenten 

d 

P 

152,0'»  C. 

5,37 

155,8 

5,18 

160,5 

5,32 

165,0 

5,14 

1,6 

171,2 

5,16 

173,1 

5,18 

183,3 

5,15 

1,4 

186,5 

5,12 

2,0 

193,2 

4,84 

7,9 

195,5 

4,66 

12,0 

205,2 

4,39 

18}9 

215,0 

4,12 

26,7 

225,0 

1 

4,69) 
3,68^'^« 

• 

236,5 

3,83' 

36,3 

248,0 

3,30 

58,2 

262,5 

3,09 

68,9 

272,0 

3,11 

295,0 

3,19 

305,3 

3,19 

314,0 

2,98 

75,1 

319,2 

2,88 

81,2 

360,0 

2,61 

100,0 

Die  Zersetzungstemperatur  scheint  bei  244®  zu  liegen,  bei  160<> 
merklich  zu  beginnen  und  bei  360^  beendet  zu  sein.  Besonders  anstössig 
erscheint  die  Doppelbeobachtung  bei  225^. 

Mit  besonderer  Sorgfalt  hat  L.  Carius  ^)  die  Dissociation  der  Sal- 


^)   L.   Carius,    üebcr  die  Zersetzung   der  Salpetersäure    in   der  Wärme.    Liebig'a 
Annalen  Bd.  169,  S.  273  bis  344. 


374 


IL    Thermochemie. 


petersäure  untersucht.  Die  Versuche  waren  hesonders  schwierig  and  die 
Dampfdichten  mussten  nach  einer  ganz  besonderen,  im  Original  nachzu- 
sehenden Methode  gemessen  werden,  weil  in  diesem  Falle  Quecksilber 
nicht  als  Sperrflüssigkeit  verwendet  werden  konnte.  Die  Versuche  ergaben 
folgende  Resultate: 


Beobachtete  Dampf- 

Anzahl der  zersetzten 

Temperatur 

dichte 

Molecüle  in  Procenten 

d 

P 

86«  C. 

2,05 

9,5 

100 

2,02 

11,8 

130 

.          1,92 

18,8 

160 

1,79 

29,0 

190 

1,59 

49,3 

220 

1,42 

72,1 

250 

1,29 

93,0 

260 

1,25 

100,0 

312 

1,25 

100,0 

Die  Anzahl  der  zersetzten  Molecüle  in  Procenten  ist  unter  der  Af 
nähme  berechnet,  dass  die  Zersetzung  nach  der  Formel: 

2NHO3  =  N2O4  +  H2O  +  0 

von  statten  gehe.     Hierbei  ist  natürlich  auf  die  weitere  Dissociation  dtt^ 
Molecüle  N2O4  unter  Benutzung  der  Na u man  naschen  Zahlen  Rücksicht 
genommen.     Die  Zersetzuugstemperatur  der  Salpetersäure  scheint  die^o 
Versuchen  nach  ungefähr  bei  195^  zu  liegen. 

Ausserdem  liegen  Dissociationsversuche  über  eine  grössere  Zahl  Ton 
Verbindungen  in  Dampfform  vor,  auf  die  wir  hier  nicht  näher  eingeben 
wollen  1). 

Auch  zeigen  noch  eine  grössere  Zahl  von  Substanzen  Dampfdichteo, 
welche  nicht  mit  den  theoretisch  berechneten  übereinstimmen,  und  welche 
sich  durch  vollständige  oder  theil weise  Dissociation  durch  Hitze  erkläret 
lassen.  Es  gehört  hierher :  N  H4  Cl,  N  H4  J,  N  H4  Br  und  N  H4  Cy ,  welclie 
in  N  H3  und  H  Cl  rosp.  II J,  II  Br,  H  Cy  dissociirt  werden.  Ebenso  zerfllH 
PH4Br  und  PH4CI  in  PH3  und  HBr  respective  in  PHs  und  Ha 
Schwefelammonium,  2NH4  .  S,  zerfällt  in  2NH3  und  H^S,  Ammoninm- 
sulf hydrat,  N  H5  S,  zerfällt  in  N  H3  und  Hg  S,  Carbamat  des  Ammoniun», 
CN2H6O2,  in  2NH3  und  CO2.    Antimonchlorid,  SbCls,  wird,  wie  schoii 


1)  A.  Naumann  theilt  noch  Zahlen  mit  f ür  Jodwasscrstoffamylen,  PhosphorcUorid, 
Schwefelßäurehydrat.    Thermochemie  S.  64  etc. 


C.  Die  Dissociationserscheiuungen.  375 

lange  bekannt  ist,  in  SbCl^  und  CLj  dissociirt,  Phosphorbromid  analog 
in  PbBr  nnd  Br^.  Bromsäure  dissociirt  beim  Erwärmen  in  Brom  und 
Sauerstoff^). 

Bei  sehr  hohen  Temperaturen  ist  eine  Dissociation  noch  fiir  einige 
sehr  stabile  Verbindungen   nachgewiesen   worden.     Deville  hat  z.  B. 
beobachtet,  dass  Kohlensäure  bei  sehr  hohen  Hitzegraden  in  Eohlenoxyd 
und  Sauerstoff  gespalten  werden  kann.    Ferner  gehört  hierher  wahrschein- 
lich der  bekannte  Versuch  von  Grove,  welcher  nachgewiesen  hat,  dass 
durch  Einbringung  weissglühenden,  resp.  geschmolzenen  Platins  in  Wasser 
immer  etwas  Wasser  in   Knallgas   zerlegt  wird.      Umfassende  Versuche 
von   Deville  haben  späterhin  die  Richtigkeit   dieser  Beobachtung  und 
den  Umfang  der  Zersetzung  constatirt.     Wir  kennen  demnach  eine  ge- 
wisse Zahl  von   Substanzen,  welche  ganz  in   Uebereinstimmung  damit, 
dass  die  mechanische  Wärmetheorie  eine  mit  zunehmender  Temperatur 
steigende  Disgregation  fordert,  bei  fortschreitender  Erwärmung  ein  Zer- 
fallen in  die  Elemente  oder  in  einfachere  Molecülgruppen  zeigen.     Sieht 
man  aber  einmal  als  erwiesen  an,  dass  mit  höheren  Hitzegraden  die  nor- 
malen Molecüle  in  einfachere  zerfallen,  so  liegt  es  auch  nahe,  rückwärts 
manche  der  zu  grossen  Dampfdichten,  welche  in  nur  schwach  überhitzten 
Dampfen  beobachtet  werden,    dadurch  zu  erklären  zu  versuchen,  dass 
einzelne  der  normalen  Molecüle  mit  mehreren  gleichartigen  zusammen- 
gesetzte Molecülcomplexe  bilden.    Auch  hier  wird  es  für  jede  längere  Zeit 
hindurch  constant  erhaltene  Temperatur  ein  gewisses  Dissociationsgleich- 
gewicht  geben,  d.  h.  es  wird  für  jede  bestimmte  Temperatur  eine  be- 
itimmte  Verhältnisszahl  p  der  zusammengesetzten  und  normalen  Molecüle 
geben;  ist  dieses  Verhältniss  2>  erreicht,  so  wird  die  Zahl  der  sich  aufs 
Neue  zusammensetzenden  und  der  zerfallenden  Molecülgruppen  in  jedem 
Zeiträume  gleich  gross  sein. 

Welche  Erklärung  der  abnormen  oder  mit  der  Theorie  nur  ange- 
nähert übereinstimmenden  Dampfdichten  vorzuziehen  ist,  die  hier  gegebene, 
oder  die  früher  mitgetheilte,  dass  die  mittlere  Moleculardistanz  in  Folge  noch 
wirksamer  Anziehungskräfte  kleiner  sei,  als  sie  bei  einem  vollkommenen 
Gase  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  sein  würde,  wird  nur  in  manchen 
Fällen  durch  Versuche  entschieden  werden  können. 

Schwefel,  Phosphor,  Arsen  zeigen  im  dampfibrmigen  Zustande  grössere 
Dichten,  als  man  theoretisch  erwarten  sollte  ^).  Schwefeldampf  z.  B.  zeigt 
in  der  Nähe  des  Siedepunktes  eine  dreimal  so  grosse  Dampfdichte,  als 
man  theoretisch  zu  erwarten  hat,  wenn  man  sein  Moleculargewicht  durch 
28,87  dividirt.  Bei  steigender  Temperatur  nimmt  die  Dampfdichte  ab 
und  erreicht  zwischen  900^  und  1000^  den  normalen  Werth.    Hier  dürfte 


*)  In  seiDem  Lehrbuche:  Allgemeine  und  physikalische  Chemie  (Heidelberg  1877) 
S.  235  u.  236  luhrt  A.  Naumann  noch  mehrere  in  Dampfform  sich  zersetzende  Ver- 
bindnngen  an. 

^)  In  diesen  Abschnitten  ist  vorzugsweise  A.  Naumann,  Thermochemie,  benutzt 
worden. 


376 


II.    Thermochemie. 


es  also  wohl  kaam  zweifelhaft  sein,  dass  hei  niedrigen  Temperaturen  das 
Molecül  des  Sohwefeldampfes  aus  drei  normalen  Molecülen  besteht  und 
dass  mit  steigender  Temperatur  eine  Bissociation  dieser  complicirten  Mo- 
lecüle  stattfindet.  Aus  ähnlichen  Gründen  schliesst  man  auch,  dass  die 
Molecüle  des  Phosphor-  und  Arsendampfes  selbst  bei  hohen  Temperaturen 
aus  Tier  Atomen  bestehen. 


8.    Dissociation  flüssiger  und  fester  Körper. 


Obgleich  wir  uns  im  Vorhergehenden  vorzugsweise  darauf  beschränkt 
haben ,  die  Dissociation  gasförmiger  Körper  zu  eröi-tem ,  so  haben  wir 
Substanzen,  welche  sich  in  anderen  Aggregatzuständen  befinden,  nicbi 
principiell  ausgeschlossen.  Es  ist  auch  ohne  Weiteres  ersichtlich,  dioB 
dem  Gebrauche  der  beim  gasförmigen  Znstande  angewendeten  Betncli- 
tungsweise  auch  bei  anderen  Aggregatzuständeo  kein  Hinderniss  im  Wege 
steht. 

Schon  früher  (Bd.  2,  I,  C,  4,  S.  39)  haben  wir  darauf  aufmerksui 
gemacht,  dass  wir  auch  bei  festen  und  flüssigen  Körpern  die  Existeoi 
von  Molecularbewegungen   anzunehmen  genöthigt  sind,  deren    mittlf 
kinetische  Energie  gleich  der  Temperatur  derselben  ist.  Auch  bei  solch«] 
Substanzen,  deren  Molecularbewegungen  wesentlich  von  den  in  den  Gasoi 
und  Dämpfen    angenommenen   verschieden   sein  müssen,    sind   wir  ge* 
nöthigt  anzunehmen,  dass  die  Geschwindigkeit  der  Bewegung  bei  vo- 
schiedenen  Molecülen  äusserst  verschieden  sein  kann.    Es  liegt  nahe,  aodi  i 
hier  eine  Vertheilung  der  Geschwindigkeiten  nach  dem  Maxwreirschei 
Gesetze  vorauszusetzen,    da  dieses   Gesetz  von   der  Art   der   Bewegung 
unabhängig  ist  und  bei  den  Gasen   so  vortreffliche   Uebereinatimmimg 
mit  den  Erfahrungsresultaten  ergeben  hat.  Auch  bei  festen  Körpern  ondj 
Flüssigkeiten  wird,  abgesehen  von  ihrem  Bestreben,    bei  zunehmendffi 
Temperatur  in  einen  Aggregatzustand  mit  grösserer  Disgregaüon  über-, 
zugehen,  eine  Neigung  bei  höheren  Wärmegraden,  also  bei  zunehmender 
Molecularbewegung,  zu  dissociiren,  im  Voraus  sehr  wahrscheinlich  erscb»*; 
nen.     Die  wenigen  Beobachtungsthatsachen ,  welche  in  dieser  Beziehung 
vorliegen,  sprechen  in  der  That  unzweifelhaft  für  die  Richtigkeit  dieses 
Analogieschlusses. 

Jedoch  braucht  es  nicht  aufzufallen,  dass  hier  die  Zahl  der  Beispida 
geringer  ist,  da  möglicher  und  wahrscheinlicher  Weise  die  Moleeular* 
bewegungen  im  festen  und  flüssigen  Aggregatzustande  derart  beschaffen 
sind,  dass  selten  grosse  und  rasche  Geschwindigkeitsänderungen  vor^ 
kommen,  wie  dieselben  bei  den  so  häufigen  Zusammenstössen  der  aick 
geradlinig  fortbewegenden  Molecüle  der  Gase  nothwendig  anftretai 
müssen. 

Aus  Gründen,  ähnlich  denen,  welche  Gl  ausius  bestimmten,  bei  Gasen 
anzunehmen,  dass  die  kinetische  Energie  der  fortschreitenden  Bewegung 


C.   Die  Dissociationserscheinungen.  377 

nnd  die  kinStische  Energie  der  relativen  Bewegungen  der  Molecüle  nm 
ihren  Schwerpunkt  und  die  intramolecularen  Bewegungen  bei  jeder  Tem- 
peratur in  constantem  Verhältnisse  stehen,  werden  wir  auch  bei  flüssigen 
und  selbst  bei  festen  Körpern  ein  ähnliches  constantes  Yerhältniss  der 
Theile  der  innered  kinetischen  Energie  für  jede  Temperatur  anzunehmen 
berechtigt  sein.  Diese  Annahme  schliesst  jedoch  auch  hier  nicht  aus,  dass, 
wenn  die  Mittel werthe  der  Geschwindigkeiten  der  einzelnen  Bewegungs- 
arten  auf  diese  Weise  für  jede  Temperatur  bestimmt  sind,  die  Geschwin- 
digkeiten der  einzelnen  Molecüle  zwischen  sehr  weiten  Grenzen  verschie- 
den sein  können.  Unzweifelhaft  wird  es  dann  auch  für  jede  dissociations- 
f^hige  Flüssigkeit  oder  jeden  festen  Körper,  der  dissociirbar  ist,  eine  ge- 
wisse untere  Temperatur  grenze  geben,  oberhalb  welcher  eine  merkliche 
Anzahl  von  Molecülen  individuelle  Geschwindigkeiten  besitzt,  bei  denen 
diese  Molecüle  nicht  mehr  bestehen  bleiben,  sondern  in  Theile  zerfallen 
müssen. 

Ein  Unterschied  zwischen  der  Dissociation  gasförmiger  Substanzen  in 
gasförmige  Bestandtheile  und  der  Dissociation  fester  und  flüssiger  Körper 
wird  jedocb  dann  im  Voraus  erwartet  werden  müssen,  wenn  die  Producte 
der  Zersetzung  unter  sich  oder  im  Vergleich  mit  dem  zersetzten  Körper 
verschiedene  Aggregatzubtände  annehmen.  Die  Zahl  der  gegenseitigen 
Zusammenstösse  zersetzter  Molecüle  unter  den  zur  Rückbildung  geeig- 
neten Umständen  kann  dadurch  so  wesentlich  vermindert  werden,  dass 
ein  Dissociation  Sgieichgewicht  nur  erst  nach  äusserst  langer  Zeit  oder 
auch  gar  nicht  zu  Stande  kommt.  Auch  kann  ein  Theil  des  aus  der 
chemischen  Verbindung  dissociirten  Gases  noch  durch  Molecularanziehung 
von  der  Flüssigkeit  oder  dem  festen  Körper  absorbirt  werden  und  da- 
durch der  regelmässige  Verlauf  der  Dissociation  beeinträchtigt  werden. 

Für  den  tropfbaren  Aggregatzustand  führt  A.  Naumann^)  die 
flüssige  Untersalpetersäure  als  Beispiel  an.  Allerdings  ist  es  nach  den 
Versuchsergebnissen  über  die  gasförmige  Untersalpetersäure  von  der  For- 
mel N)  O4  sehr  wahrscheinlich ,  dass  in  sogenanntem  Untersalpetersäure- 
gaa  schon  bei  massigen  Temperaturen  eine  nicht  unerhebliche  Anzahl  von 
Molecülen  von  der  Gestalt  NOs  vorhanden  ist.  Bekanntlich  ist  das  Gas 
N9O4  farblos,  dagegen  NO3  gefärbt.  Während  nun  in  der  Nähe  des  Siede- 
punktes bei  Atmosphärendruck,  d.  i.  ungefähr  bei  27^,  die  Flüssigkeit 
merklich  gefärbt  ist,  so  nimmt  in  dem  Maasse,  als  nach  Analogie  mit 
der  Dissociation  des  Gases,  mit  Abnahme  der  Temperatur  die  Möglichkeit 
f&r  das  Bestehen  der  Molecüle  NO3  vermindert  wird,  auch  die  Färbung 
der  Flüssigkeit  ab.  Die  Flüssigkeit  wird  zuletzt  farblos  und  erstarrt 
schliesslich  zu  farblosen  Kry stallen,  während  andererseits  beim  Erwärmen 
der  in  Glasgefässen  eingeschlossenen  Flüssigkeit  die  gelbe  Farbe  mit 
wachsender  Temperatur  in  Braun  und  schliesslich  in  Schwarz  Übergeht, 


')  Nanmann,  Thermochemie^  S.  76. 


378 


II.    Thermochemie. 


Es  scheint,  also,   als  ob  auch  in  der  Flüssigkeit  mit  abnehmender  Tem- 
peratur die  Zahl  der  dissociirten  Molecüle  geringer  wurde. 

Von  A.Michaelis^)  ist  femer  die  fortschreitende  Zersetzung  einiger 
Chloride  des  Schwefels  mit  zunehmender  Temperatur  untersucht  worden. 
Auf  —  22<^  abgekühlter  Chlorschwefel  Sj  Cl^  absorbirt  so  viel  trockenei 
Chlorgas,  dass  eine  Flüssigkeit  entsteht,  welche  nach  der  Formel  SC1| 
zusammengesetzt  ist.  Beim  Erwärmen  dieser  Yerbinduug  entwickelt 
sich  grosse  Mengen  von  Chlor  und  die  zurückbleibende  Flüssigkeit  Eeigl 
alle  Eigenthümlichkeiten  der  Dissociationserscheinungen. 

Dissociation  des  Yierfach-Chlorschwefels. 


Gehalt 

der  Flüssigkeit  an 

Temperatur 

SCI4 

■ 

SOj 

—  22»  C. 

100,0 

% 

0,0  % 

—  15 

42,0 

58,0 

—   10 

27,6 

72,4 

—     7 

22,0 

78,0 

—     2 

11,9 

88,1 

+     0,7 

8,9 

91,1 

+     6,2 

^^4 

97,6 

Nicht  ganz   so  regelmässig   verläuft  die  Zersetzung  des   Zwei! 
Chlorschwefels  SCI2,  welche  nach  der  Formel: 

"       2SI2  rrrSjClj   +   2  Cl 

vor  sich  geht.    Die  Zersetzung  scheint  bei  10^  zu  beginnen  and  zwisc] 
85*^  und  90^  halbvollendet  zu  sein.    Bei  der' Zersetzungstemperat ar  Z4 
jedoch  die  Dissociationscurve  einen  Sprung,  dessen  Ursache  noch   ni< 
aufgeklärt  ist.    Bei  130<^  ist  die  Zersetzung  beendet. 


1)    Michaelis,     Ueher    die   Chloride    und    Oxvchloride    des    Schwefels,    LielofV 
Annalen  Bd.  170,  S.  1  bis  42. 


C.  Die  Dissociationserscheinungen. 
DisBOciatioD  des  Zweifacb-Cfalorschwefels. 


379 


Gehalt  an 

Temperatur 

SCI2 

S2CI2 

+     20 
+     30 
+     50 
-f     65 
-1-     85 
+     90 
+  100 
+  110 
-h  120 
+  130 

93,5 
87,2 
75,4 
66,8 
54,1 
26,8 
19,5 
12,4 
5,4 
0,0 

6,6 
12,8 
24,6 
33,2 
45,9 
73,5 
80,5 
87,6 
94,6 
100,0 

Ferner  macht  Thomsen^)  darauf  anfmerksam,  dass  die  sehr  geringe 
Affinität  des  Broms  zum  Sauerstoff  {(Br3,05,Aq)  =  —  43525)  zur  Folge 
tut,  dass  man  Bromsäare  nicht  im  Wasserbade  concentriren  könne,  ohne 
sine  Dissociation  derselben  einzuleiten,  während  dies  bei  Chlorsäure 
j(Cl2,0ä,Aq)  =  —  20480}  nicht  stattfindet. 

Es  lassen  sich  jedoch  leicht  noch  eine  grössere  Zahl  anderer  Bei- 
qiiele  anführen.  Die  Thatsache,  dass  eine  Anzahl  leicht  zersetzbarer 
Hfissigkeiten  dadurch  zersetzt  werden  können,  dass  man  mit  Hülfe  eines 
Undurch geleiteten  indifferenten  Gases  ein  gasförmiges  Zcrsetzungspro- 
Inct  mechanisch  entfernt,  spricht  dafür,  dass  auch  in  vielen  Flüssigkeiten 
bei  Temperaturen,  welche  noch  ziemlich  erheblich  von  der  Zersetzungs- 
bmperatur  entfernt  sind,  bereits  einzelne  Molecüle  zersetzt  sind.  Besteht 
bei  einer  jgewissen  Temperatur  ein  Dissociationsgleichge wicht,  d.  h.  ist 
kei  dieser  Temperatur  jederzeit  der  wte  Theil  der  Molecüle  zersetzt  und 
man  entfernt  die  eine  Art  der  getrennten  Molecüle,  so  wird  damit  das 
Dissociation  Sgieichgewicht  gestört.  Es  können  sich  nicht  mehr  in  der- 
lelben  Zeit  ebenso  viele  Molecüle  neu  bilden,  als  zersetzt  werden,  und  es 
«rerden  ans  der  Anzahl  der  unzersetzten  Molecüle  so  lange  neue  gespalten, 
bis  dieser  Bruchtheil  wieder  hergestellt  ist.  Dies  zeigt  sich  sehr  deut- 
fich,  wenn  man  z.  B.  durch  eine  Lösung  von  sauren  kohlensauren  Salzen 
des  Calciums  und  Bariums  ein  indifferentes  Gas  strömen  lässt').  Dieses 
nimmt  die  Kohlensäure  bereits  dissociirter  Molecüle  mit  fort  und  die 
Beutralen  Salze  werden  aus  der  Lösung  ausgefallt  und  damit  noch  mehr 


M  Thomsen,  Jonrn.  f.  prakt.  Chemie.    Neue  Folge.    Bd.  11,  S.  147. 
^  Gernez,  Compt.  rend.  (1867),    Bd.  64,  S.  606. 


880 


II.  Thermochemie. 


die  Einwirkung  etwa  in  der  Flüssigkeit  noch  aufgelöster  Kohlensäure- 
molecüle  entzogen.  Ebenso  giebt  eine  Lösung  von  sauren  kohlenBaureD 
Salzen  des  Kaliums  oder  I^atriums  beim  Durchleiten  eines  Luft-,  Saaer 
Stoff-,  Stickstoff-  oder  Wasserstoffstromes  Kohlensäure  ab  und  es  bleibt 
einfach  kohlensaures  Salz  in  der  Lösung  zurück,  wie  dies  schon  Gustay 
Magnus  1)  und  später  Marchand  ^)  zeigten. 

In  gleicher  Weise  wird  man  auch  die  Thatsache  auslegen  dürfeu, 
dass  die  Sulfhydrate  der  Alkalien  unter  dem  Einflüsse  eines  Stromes  eines 
indifferenten  Gases  Schwefelwasserstoff  abgeben,  sowie  dass  geschmol- 
zenes salpetersaures  Magnesium  bei  gleicher  Behandlung  einen  Thal 
seiner  Salpetersäure  abgiebt. 

Ein  gleiches  Verhalten  ist  ferner  von  Dibbits  ')  an  wässerigen  Lö- 
sungen von  Chlorammonium,  salpetersaurem  Ammonium,  schwefelsaurem 
Ammonium,  oxalsaurem  Ammonium,  essigsaurem  Ammonium  beobachtet 
worden.  Wurden  durch  möglichst  neutral  hergestellte,  ziemlich  coneea- 
trirte  Lösungen  dieser  Salze  Luft  oder  Wasserstoff  geleitet  und  d« 
durchgeleitete  Gas  in  einer  Vorlage  aufgefangen,  so  zeigte  sich  echoii 
nach  verhältnissmässig  kurzer  Zeit  die  Anwesenheit  von  Ammoniak  in  dem 
durchgeleiteten  Gase  an  einer  merklichen  Bläuung  eines  Streifens  ro' 
Lackmuspapieres.  Besonders  interessant  ist  es,  die  Annahme,  dass  auch 
eine  Dissociation  vorliege,  dadurch  bestätigt  zu  finden,  dass  die  Mengen 
fortgeführten  Ammoniaks  mit  wachsender  Temperatur  rasch  zunehmen. 

Es  zeigt  dies  sofort  folgende  Tabelle: 

Zeitdauer  bis  zum  Anfange  der  Verfärbung  des  Lackmuspapieres  in  di 

Vorlage. 


Temperatur 

Chlor- 

1             — 

Salpetersaures 

Schwefelsaures 

Oxal  saures 

Essigsaure! 

der  Lösung 

ammonium 

Ammonium 

Ammonium 

Ammonium 

AnunooisB 

oo 

20  Min. 

15  Mio. 

15  Min. 

10  Min. 

10  Min. 

10» 

15    „ 

15    „ 

s   „ 

5    „ 

*    = 

20» 

15    „ 

8    « 

2    „ 

1     n 

45  See, 

soo 

10    „ 

2    „ 

30  See. 

30  See. 

10    , 

40» 

5    „ 

1,5  „ 

10    „ 

sofort. 

sofort. 

60^ 

3    „ 

30  See. 

sofort. 

60^ 

2    « 

12    „ 

70» 

30  See. 

sofort. 

80« 

sofort. 

y  G.  Magnus  (1837),  Pogg.  Ann.  Bd.  40,  S.  590. 
^  R.  F.  Marchand,  Joum.  f.  prakt.  Chemie,  Bd.  35,  S.  389  (1845). 
^)  Ueber  die  Dissociation  der  Ammoniumsalze   in   wtUseriger    Losung.    Pogg.  Abb. 
Bd.  150,  S.  260. 


C.    Die  Dissociationserscheinungen.  381 

Also  schon  bei  0^'  befinden  sich  alle  diese  Ammoniumsalze  im  Zn- 
stande  theil weiser  Zersetzung. 

All  die  vorgenannten  Lösungen  zersetzen  sich  übrigens  in  derselben 
Weise  auch  durch  blosses  Stehenlassen  an  der  Luft  in  unbedeckten  Ge- 
lassen, jedoch  geht  hier  die  Zerlegung  viel  langsamer  vor  sich,  weil  die 
flüchtigen  Dissociationsproducte  nur  von  der  Oberfläche  durch  Difiusion 
in  die  Atmosphäre  fortgeführt  werden. 

Dibbits  hat  auch  sehr  geschickt  den  Dissociationsgrad  dieser  Lö- 
sungen bei  100^  bestimmt.  Das  Verfahren  möge  man  in  der  Original- 
arbeit nachsehen  ^).  Es  ergab  sich,  dass  die  von  der  Concentration 
unabhängige  Anzahl  der  zersetzten  Molecüle  bei  100^  mindestens  sein 
müsste  för: 

Chlorammonium     ....     0,06  Procent 

Salpetersaures  Ammonium        0,07       „ 

Schwefelsaures  Ammonium       1,1  „ 

Oxalsaures  Ammonium    .     .     6,7  „ 

Essigsaures  Ammonium        .     7,3         „ 

Ein  anderes  schönes  Beispiel  von  Dissociation  einer  Flüssigkeit  beim 
Erwärmen  und  von  Wiedervereinigung  der  gespaltenen  Moleküle  beim 
Abkühlen  bietet  eine  schwachsaure  Cyaninlösung  ^)  dar.  Die  Flüssigkeit 
ist  bei  Zimmertemperatur  vollkommen  farblos,  beim  Erhitzen  jedoch  wird 
dieselbe  durch  Zerfall  in  Säure  und  Cyanin  prachtvoll  blau.  Beim  Er- 
kalten nimmt  jedoch  die  Intensität  der  Färbung  wieder  ab  und  die  Flüs- 
sigkeit vnrd  wieder  farblos. 

Wahrscheinlicher  Weise  kann  die  Verdunstung  fester  und  flüssiger 
Körper  ebenfalls  als  eine  Dissociation  complicirterer  Molecülgruppen  in 
einfachere  angesehen  werden. 

Festes  carbaminsaures  Ammonium  zerfällt  nach  A.  Naumann's  Ver- 
suchen beim  Erhitzen  im  Vacuum  in  zwei  gasförmige  Bestandtheile,  in  zwei 
Molecüle,  H3  N,  und  ein  Molecül,  0  O3  ').  Unzersetzt  scheint  diese  Substanz 
gar  nicht  flüchtig  zu  sein.  Den  Zersetzungsproducten  des  Ammonium- 
carbamates  kommt  eine  für  jede  Temperatur  constante,  wenn  auch  mei- 
sientheils  erst  nach  langer  Zeit  erreichte  Dissociationsspannung  zu.  Ist 
dieses  Dissociationsgleichge wicht  hergestellt,  so  werden  in  jedem  Zeit- 
abschnitte immer  ebenso  viele  Molecüle  des  carbaminsauren  Ammoniums 
zerlegt,  als  sich  aus  den  Zersetzungsproducten  zurückbilden.  Die  Disso- 
ciationsspannungen  dieser  Substanzen  zeigen  übrigens,  als  Function  der 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  150,  S.  284  bis  294. 

^)  Schönbein,  Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1873,  Jahrg.  6.  S.  1520.  Andere 
Beispiele  von  Dissociation  von  Flüssigkeiten  theilt  A.  Naumann,  Allgemeine  and  phy- 
sikalische Chemie  1877,  S.  545  etc.  mit;  dieselben  scheinen  uns  jedoch  nicht  charak- 
teristisch  genug,  um  hier  Aufnahme  finden  zu  können. 

^)  Die  Dampfdichtenbestimmungen  entsprechen  immer  genau  der  Formel  2  Hs  N  -|-  C  O^. 
Man  sehe:  Ann.  der  Chemie  u.  Pharmacie,  Bd.  160,  S.  1  bis  29,  und  A.  Naumann, 
Allgemeine  und  physikalische  Chemie  (1877),  S.  384  u.  s.  f. 


382  II.    Thermochemie. 

Temperatur  dargestellt,  einen  äusserst  regelmässigen  Verlauf.  Beim  Ab- 
kühlen tritt  eine  vollständige  Wiedervereinigung  der  getrennten  Bestand- 
theile  ein ,  jedoch  hedarf  es  meist  einer  ungemein  langen  Zeit  (oft  meh- 
rerer Tage),  his  dieselbe  durchaus  vollzogen  war.  Wahrscheinlich  bat 
dies  seinen  Grund  darin,  dass  das  Zusammentreffen  von  zwei  Molecäko 
H3  N  und  einem  Molecüle  G  O2  unter  so  günstigen  Umständen ,  dass  dit 
Zusammenlagerung  dieser  drei  Molecüle  zur  Bildung  eines  Molecüles  der 
ursprünglichen  Substanz  eintreten  kann,  nur  selten  stattfindet. 

Es  entspricht  der  Erklärung  der  Dissociationserscheinnngen  aus  der 
kinetischen  Molecnlartheorie  vollkommen,  dass  der  Znstand  des  GemiEchei 
sich  um  so  langsamer  dem  Dissociationsgleichgewichte  nähert,  je  weniger 
er  noch  von  demselben  verschieden  ist  und  dass  dieser  Ausgleich  ba 
höheren  Temperaturen  (bei  rascheren  Molecularbewegungen)  etwas  rascber 
geschieht,  als  bei  niederen. 

Auch  bei  einer  Anzahl  fester  Körper ,  welche  ein  flilchtiges  und  a£ 
festes  Zersetzungsproduct  ergeben ,  sind  den  soeben  beschriebenen  gni 
ähnliche  Dissociationserscheinungen  beobachtet  worden.  Am  bekanntest^ 
dürfte  die  Dissociation  des  kohlensauren  Kalkes  sein. 

Debray ')  erhitzte  kohlensauren  Kalk  in  einem  Yacunm,   und 
zeigte  sich,  dass  eine  Spaltung  der  Kalkspathmolecüle  eintrat,  welche 
860^  C.  so  lange  fortging,  bis  die  Spannung  der  Kohlensäure  unge 
einer  Quecksilbersäule  von  85  mm  das  Gleichgewicht  hielt.     Wurde 
Kohlensäure  entfernt  oder  das  Volumen  vergrössert,  so  trat  eine  n 
Versetzung  ein,  bis  der  Druck  der  Kohlensäure  wiederum  85  mm  errei 
hatte.     Bei    1040^    trat   erst   Dissociationsgleichgewicht  ein,    wenn 
Druck  der  Kohlensäure  510  bis  520  mm  betrug.    Liess  man  die 
langsam  wieder  abkühlen,  so  wurde  die  gesammte  Kohlensäure  wieder 
absorbirt. 

Es  zeigte  sich  also  auch  hier,   dass  bei  wachsender  Temperatur  dil| 
Zersetzung  eine  immer  grössere  Zahl  von  Molecülen  ergriff,  und  es  erkläHl 
sich  dies  aus  der  Theorie  der  Dissociation  leicht  dadurch,  dass  bei  znn^ 
mender  Temperatur  eine  immer  grössere  Anzahl  von  Molecülen  Geschwia* 
digkeiten  annimmt,  welche  grösser  sind,  als  die  der  Zersetzungstempe» 
ratur  entsprechende  mittlere  Geschwindigkeit. 

Das  Dissociationsgleichgewicht  tritt  ein,  wenn  der  Druck  so  hock 
gestiegen  ist,  dass  in  gleicher  Zeit  so  viele  Kohlensäuremolecüle  du 
Calciumoxyd  treffen  und  von  diesem  festgehalten  werden,  als  neue  Mole» 
cüle  kohlensauren  Kalkes  zerlegt  werden. 

Entfernte  man  die  entwickelte  Kohlensäure  durch  Auspumpen,  wib> 
rend  man  die  Temperatur  ungeändert  liess,  so  wurden  so  lange  immer 
neue  Pjirtien  kohlensaurer  Kalk  zersetzt,  bis  die  der  herrschenden  Ten* 
peratur  entsprechende  Dissociationsspannung  wieder  nahezu  berge* 
stellt  war. 


^)  Recherche«  Rur  la  dissoc'ujtion.    Comptes  rendus  Bd.  46  (1867),    S.  603  bU  «H-'T. 


C.  Die  Dissociationserscheinungen.  383 

Schon  bei  masBigen  Temperaturen  kann  übrigens  die  Kohlensäure 
fast  vollständig  aas  kohlensaurem  Kalk  ausgetrieben  werden,  wenn  man 
einen  Luftstrom  durch  den  erhitzten  Kalk  hindurchstreichen  lässt.  Dass 
die  letzten  Antheile  Kohlensäure  sehr  schwer  zu  entfernen  sind,  ja  dass, 
wie  Erdmann  und  Marchand  gefunden  haben,  selbst  in  der  Weiss- 
glöhhitze  noch  etwas  Kohlensäure  zurückbleibt,  ist  kein  Widerspruch, 
sondern  lässt  sich  vielmehr  sehr  leicht  aus  der  kinetischen  Molecular- 
theorie  der  Wärme  erklären. 

Selbst  bei  Wärmegraden,  welche  erheblich  über  der  2iersetzung8tem- 
peratur  liegen;  wird  es  immer  noch  eine  Anzahl  Molecüle  geben,  deren 
Geschwindigkeiten  erheblich  unter  der  der  Zersetzungstemperatur  ent- 
sprechenden mittleren  Geschwindigkeiten  liegen.  Theoretisch  genommen 
braucht  es  sogar  keine  erreichbare  Temperaturgrenze  zu  geben,  bei  der 
die  Existenz  solcher  Moleculargeschwindigkeiten  vollkommen  ausgeschlos- 
sen wäre.  Aber  abgesehen  selbst  von  solchen  letzten  Resten  noch  un- 
zersetzter  Molecüle,  so  würden  auch  die  letzten  Antheile  des  Zersetzungs- 
productee  am  schwersten  zu  entfernen  sein,  weil  dieselben  auf  ihrem 
Wege  durch  die  Masse  des  schon  zersetzten  Rückstandes  nunmehr  mit 
einer  relativ  ungleich  viel  grösseren  Anzahl  Molecüle  zusammentreffen, 
mit  denen  sie  von  Neuem  den  der  Dissociation  unterworfenen  Körper 
bilden  können. 

Auf  diese  Weise  erklärt  sich  auch  einfach  der  früher  so  schwer  ver- 
ständliche Einflttss,  den  die  Masse  der  Substanzen  bei  Dissociationserschei- 
nungen and  verwandten  chemischen  Vorgängen  sichtlich  spielt. 

Pfaundler^)  hat  auf  eine  ganze  Reihe  von  Erfahrungsthatsachen 
hingewiesen,  welche  diese  Auffassung  in  jeder  Beziehung  bestätigen. 

Ein  sehr  hübsches  Beispiel  bietet  die  Reaction  zwischen  Kupfer, 
Wasserdampf  und  Wasserstoff.  Leitet  man  Wasserdampf  über  glühendes 
Kupfer,  so  bUdet  sich  Wasserstoff  und  Kupferoxyd.  Führt  man  bei  der- 
selben Temperatur  einen  Wasserstoffstrom  über  Kupferoxyd,  so  entsteht 
Wasserdampf  und  Kupfer.  Es  finden  also  zwei  gerade  entgegengesetzte, 
also  reciproke  Reactionen  statt,  je  nachdem  Wasserdampf  oder  je  nach- 
dem Wasserstoffgas  in  einem  Gemisch  von  beiden  in  erheblichem  Ueber- 
schusse  ist,  mit  einem  Gemische  von  Kupfer  und  Kupferoxyd  in  Berüh- 
rung ist  und  die  flüchtigen  Zersetzungsproducte  mit  fortgeführt  werden. 

Ist  Wasserdampf  in  Ueberschuss  vorhanden,  so  ist  eben  mehr  Ge- 
legenheit vorhanden,  Kupferoxyd  zu  bilden,  da  die  Anzahl  der  zur  Re- 
duction  von  Kupferoxyd  und  Bildung  von  Wasser  nöthigen  Wasserstoff- 
molecüle  fortwährend  abnimmt.  Im  anderen  Falle  werden  die  Sauerstoff- 
molecüle,  welche  bei  der  theil weisen  Dissociation  des  Kupferoxyds  etwa 
frei  werden,  sehr  oft  mit  Wasserstoffmolecülen  zusammenstossen  und  sehr 
bald  auch  eines  finden,  bei  dem  die  Geschwindigkeitsgrössen  und  Ge- 
schwindigkeitsrichtungen derart  sind,  dass  von  dem  Momente  des  Zusam- 


^)  Pfaundler,  Beiträge  zur  cheminch«n  Statik,  Pogg.  Ann.  Bd.  131,  S.  55  bis  85« 


384  IL    Thermochemie. 

mentreifenB  an  heide  Molecüle  vereint  weiter  wandern  and  nimmebr,  vem 
sie  nicht  durch  nene  Anstösae  nochmals  zerlegt  werden,  ans  dem  Bereiche 
des  Knpfers  schliesslich  fortgeführt  werden. 

Erhitzt  man  aher  eine  heschränkte  Menge  Wasserdampf  mit  einer 
beschränkten  Menge  Kupfer  in  einer  geschlossenen  Röhre,  so  ^rd  sdv 
bald  ein  gewisses  Gleichgewicht  eintreten,  ein  Theil  des  Wassers  wiri 
zersetzt  und  ein  Theil  des  Kupfers  wird  oxydirt  werden.    Der  Gleidi- 
gewichtszustand  beruht  darauf,  dass,  so  lange  die  Temperatur  nngeändeit 
bleibt  und  keine  Substanz  entweichen  kann,  in  jedem  Zeiträume  ebenso; 
viele  Molecüle  jedes  Stoffes  zersetzt,  als  von  Neuem  gebildet  werden; 
für  jede  Substanz  wird  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  die  ABXiki{ 
der  Molecüle,  deren  Geschwindigkeiten  über  der  Zersetzungstempersti 
liegen,  so  lange  ungeändert  bleiben,  als  es  die  Temperatur  selbst  ist 

Aehnlich  vorhalten  sich  auch  Eisen,  Zink,  Zinn,  Kobalt,  Nickel,  ümj 
und  Cadmium  gegen  Wasserdampf  und  Wasserstoff. 

Leitet  man  Chlorwasserstoffgas  über  glühendes  Silber,  so  en\ 
Ohlorsilber  und  Wasserstoff,  umgekehrt  kann  bei  derselben  Tempent 
Chlorsilber   durch    einen    darüber    geführten    Wasserstoffstrom    redi 
werden. 

Aehnlich  verhält  sich  femer  Zink,  Zinn,  Eisen  gegen  Kohl 
und  Kohlenoxydgas. 

Hierher  gehören  femer  die  Wahrnehmungen,   dass  sich  viele  Idi 
zersetzliche  Verbindungen,  also  Substanzen,  welche  schon  bei  gewj 
liehen  Zimmertemperaturen  sich  im  Zustande  der  Dissociation  befinden, 
in  einer  Umgebung  des  flüssigen  oder  gasformigen  Zersetzungsprodi 
auf  die  Dauer  unverändert  erhalten  werden  können.    Chlorschwefel 
z.  B.  nur  in  einer  Atmosphäre  von  Chlorgas  aufbewahrt  werden. 

Pfaundler^)  erinnert  femer  noch  daran,  dass  die  Einwirkung 
Brom  auf  organische  Substanzen  wesentlich  geiordei-t  wird,  wenn 
den  gebildeten  Bromwasserstoff  entweichen  lässt. 

Die  Zahl  der  Beispiele  Hesse  sich  sogar  leicht  noch  erheblich 
mehren. 

Unter  die  Beispiele,  welche  man  für  eine  Dissociation  fester  Köi 
halten  kann,  gehören  auch  die  Abgaben  von  Krystallwasser,  welche 
bei  Erwärmung  von  Krystallen  vieler  Salze  beobachtet. 

Eine  hierauf  bezügliche  Beobachtung  von  E.  Mitscherlich')  (18U) 
ist  sogar  vielleicht  die  älteste  exacte  Messung  einer  Dissociationsi 
nung. 

Zu  den  Erscheinungen,  welche  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  <kri 
Dissociation  wasserhaltiger  Salze  in  Betracht  kommen  können,  gtked 
auch  das  Verwittern  wasserhaltiger  Salze  in  atmosphärischer  LofL  lieber- 
trifft  bei  der  herrschenden  Temperatur  die  Dissociationsspannung  eise» 


1)  Pfaundler,  Pogg.  Ann.  Bd.  131,  S.  71. 

^)  E.  Mitsc herlich,  Lehrbuch  der  Chemie,  4.  Aufl.,  S.  565. 


C.    Die  Dissociationserscheinungeii.  385 

wasflerhaltigen  Salzes  die  Spannung  des  Wasserdampfes  der  umgebenden 
Atmosphäre,  so  g^ebt  das  Salz  Wasser  an  die  Luft  ab  und  verwittert. 

Ist  jedoch  die  Dissociationsspannung  des  Salzes  gleich  oder  geringer, 
als  die  des  Wasserdampfes  der  Atmosphäre,  so  bleibt  entweder  das  Salz 
nnrerändert,  oder  es  zieht  Wasser  aus  der  Atmosphäre  an. 

Eine  eingehendere  Untersuchung  über  das  Verhalten  einiger  kry- 
siallwasserhaltiger  schwefelsaurer  Salze  im  Yacuum  des  Barometers  bei 
yerschiedenen  Temperaturen  hat  G.  Wiedemann^)  angestellt.  Beson- 
dere Schwierigkeiten  boten  diese  Versuche  dadurch,  dass  es  zur  Erlan- 
gung zuverlässiger  Resultate  durchaus  nöthig  war,  die  Ery  stalle  frei  von 
anhängendem  oder  eingeschlossenem  Wasser  und  ohne  gleichzeitige  Ein- 
fahrung von  Luft  in  das  Vacuum  des  Barometers  zu  bringen. 

Bezüglich  der  Eunstgri£fe,  welche  angewendet  werden  mussten,  um 
diese  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  verweisen  wir  auf  die  Original- 
abhandlang.  Die  Barometerröhren,  in  deren  luftleerem  Räume  sich  trockene 
Krjstalle  befanden,  wurden  dann  in  einem  Apparate  erhitzt,  der  dem 
ziemlich  ähnlich  war,  dessen  sich  Wüllner^)  zur  Messung  der  Spann- 
kräfte der  Dämpfe  von  Salzlösungen  bediente. 

Die  Differenz  des  Standes  des  Quecksilbers  in  den  die  Ejrystalle  ent- 
haltenden Röhren  und  in  dem  Rohre  eines  mit  erhitzten  Barometers  giebt 
die  Spannkraft  p  des  aus  den  Krystallen  dissociirten  Wassers. 


^)  6.   Wiedemann,    Ueber  die  Dissociation  der  wasserhaltigen  Salze.    Pogg.  Ann. 
Jobelband,  S.  474  bis  491. 

^  Wüllner,  Pogg.  Ann.  Bd.  103,  S.  535. 


Verdet-Bfihlmann,  Mechan.  Wftrmetheorie.  Bd.  9.  26 


386 


n.    Thermochemie. 


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G.    Die  Dissociationserscheinungen.  387 

Die  Meaningen  ergeben  das  Resultat,  dass  die  Spannkräfte  p  des 
KiystallwasserB  niedriger  sind,  als  die  Spannkräfte  ip  des   gesättigten 

Vasserdampfes  von  gleicher  Temperatur,  and  dass  der  Quotient  —  beider 

Grossen  mit  steigender  Temperatur  langsam  abnimmt,  und  femer  zeigte 
Bicli,  dass  innerhalb  der  Yersuchsgrenzen  die  Spannkraft  des  dissociirten 
Wasserdampfes  von  der  Gesammtmenge  des  verwendeten  Salzes  und  des 
den  Dämpfen  dargebotenen  Raumes  unabhängig  sind. 

Man  erkennt,  dass  die  hier  erhaltenen  Resultate  den  von  Debray 
am  kohlensauren  Kalke  beobachteten  Erscheinungen  sehr  ähnlich  sind. 

Zwischen  55^  und  60^  findet  eine  ziemlich  grosse  Unregelmässigkeit 
zwischen  den  in  verschiedenen  Röhren  gleichzeitig  beobachteten  Spann- 
kräften statt,  die  sich  aber  bei  noch  weiter  steigender  Temperaturerhöhung 
wieder  ausgleicht.  Biese  Unregelmässigkeit  dOrfte  vielleicht  darauf  hin- 
deuten, dass  die  verschiedenen  Molecüle  des  Erystallwassers  eine  nicht 
ganz  gleiche  Affinität  zum  Salze  besitzen,  denn  diese  Unterschiede  treten 
noch  stärker  hervor,  wenn  man  so  kleine  Mengen  Salz  verwendet,  dass 
sie  den  gebotenen  Raum  nicht  vollständig  mit  Dampf  zu  sättigen  ver- 
mögen. 

Ganz  ähnliche  Resultate  fand  G.Wiedemann  auch,  als  er  schwefel- 
Aore  Salze  des  Zinks,  Cobalts,  Nickels  und  Eisens  untersuchte.     Auch 

lind  bei  gleichen  Temperaturen  die  Quotienten  —  für  die  verschiedenen 

«ntersnchten  Salze  nicht  sehr  erheblich  von  einander  verschieden. 

Nicht  leicht  dürfte  es  sein,  den  Grund  anzugeben,  warum  die  Quo- 
tienten ^   von  1  verschieden  sind.    Die  übliche  Erklärungsweise,  dass 

die  Waaserdampfmolecüle  von  den  Erystallen  mit  einer  geringeren  mitt- 
leren Geschwindigkeit  fortgeschleudert  werden,  als  von  einer  Wasser- 
oberfläche, weil  die  dissociirten  festen  Salze  eine  gewisse  Anziehung  auf 
die  abgespaltenen  Wasserdampfmolecüle  ausüben,  ist  vom  Standpunkte 
der  mechanischen  Wärmetheorie  aus  nicht  einwurfsfrei. 

Jedenfalls  kommt  man  der  Wahrheit  näher,  wenn  man  annimmt,  dass 
ein  mit  wachsender  Temperatur  abnehmender  Theil  der  Wassermolecüle 
von  den  Salzmolecülen  zurückgehalten  wird  und  dass  daher  in  gleichen 
Zeiten  die  Wandungen  des  Raumes  von  wenigen  Molecülen   getroffen 

werden,  als  dies  der  Fall  sein  würde,  wenn  freies  Wasser  vorhanden 

p 
wäre.     Diese  Auffassunff  würde  sowohl  erklärlich  machen,    dass   —  <^  1 

ist,  als  auch,  dass  =-  mit  wachsender  Temperatur  abnimmt. 

25* 


388 


n.    Theimochemie. 


Zn  wesentlich  anderen  Resultaten  über  die  Dissociation  waswilial- 
tiger  Salze  ist  A.  Naumann  ^)  durch  seine  Versuche  mit  Kupferrhrifll 
geführt  worden.     Den  Unterschied  in  den  Ergebnissen  sucht  er  dAiin,' 
dass  Wiedemann  die  Krystalle  nicht  lange  genug  auf  den  Tempera- 
turen der  Versuche  erhalten  habe  und  dass  daher  das  Torausgesstileil 
Dissociationsgleichgewicht  bei  dessen  Versuchen  noch  nicht  eingeketes. 
gewesen  sei.     Naumann  geht  sogar  soweit  su  behaupten,  dass  sidi 
constant  bleibende  Spannung  eines  wasserhaltigen  Salaes  für  eine  bfr*| 
stimmte  Temperatur  überhaupt  nicht  beobachten  lasse.     Seine  Ver8iieha{ 
am  Kupfervitriol  scheinen  dies  allerdings  zu  bestätigen;  die  durchi 
gleiche  und  gleichbleibende  Beschaffenheit,  welche  fOr  Herstellung  eii 
Gleichgewichtszustandes  nothwendig  ist,  scheint  beim  Kupfervitriol 
bei  tagelangem  Erhalten  auf  gleicher  Temperatur  nicht  einzutreten. 

Der  sehr  regelmässige  Verlauf  der  von  Wiedemann    erhall 
Spannungscurven  und  die  gute  Uebereinstimmung  der  einzelnen  mit  t( 
schiedenen  Quantitäten  derselben   Substanz  angestellten  Beobacht 
reihen  unter  einander  scheint  mir  dafür  zu  sprechen,  dass  das  Vei 
des  Kupfervitrioles  ein  abnormes  ist,  nach  dem  man  nicht  ohne  Weii 
das  der  übrigen  wasserhaltigen  Salze    beurtheilen   darf  und  daas 
Wiedemann 'sehen  Zahlen  einem  Dissociationsgleichgewicht  entsprecl 

Aus  Versuchen  von  A.  Naumann,  K.  Kraut'),  A«  Weinhol 
scheint  hervorzugehen,  dass  bei  Dissociation  fester  Körper  die  Masse 
festen  Körpers  nicht  ohne  Einfluss  auf  den  Grad  der  Zersetzung  ist 
dass  bei  festen  Körpern  ein  eigentliches  Dissociationsgleichgewicht  nie 
erreicht  werde.    Die  Versuche  von  H.  Debray*),  A.  Lamy  ^),  F.  Isai 
bert^),   G.  Wiedemann,    A.  Horstmann ^)  hingegen  widerspceel 
diesen  Erfahrungen.     Diesen  scheinbaren  Widerspruch  hat  L.  Pfaundj 
1er  ^)  dadurch  aufzuklären  gesucht,   dass  er  darauf  aufioierksam 
dass  bei  einem  festen  Körper,  sofern  er  nicht  äusserst  porös  und  k 
ist,  nur  die  an  der  Oberfläche  gelegenen  Molecüle  des  festen  Körpers 
den  Stössen  der  abgeschiedenen  gasförmigen  Molecüle  getroffen  i 
und  dass  daher  nur  diese  einen  unmittelbaren  Einfluss  auf  den 
des  darüber  befindlichen  Gases  haben  können.     Allerdings  werden 
die  im  Innern  gelegenen  Molecüle  des  festen  Körpers  mit  der  Zeit  ni 
ohne  Einfluss  bleiben,   der  Einfluss  der  Masse  wird  jedoch  durch 
Einfluss  der  den  Einwirkungen  ausgesetzten*  Oberfläche  beim  festen 


^)  Man  sehe:   Ber.   d.  Deutsch,  ehem.  Oes.  1874,   S.  1573,    and   A.  Nanmaai 
Allgemeine  und  physikalische  Chemie,  S.  390. 

^  A.  Kaumann,  Allgemeine  und  physikalische  Chemie,  S.  394. 

^  A.  Weinhold,  Programm  der  höheren  Gewerheschule  zu  Chemnitz  1873,  & 
und  Pogg.  Ann.  Bd.  149,  S.  217. 

^)  Dehray,  Comptes  rendus  Bd.  64,  S.  603  his  606. 

^)  Lamy,  Comptes  rendus  Bd.  70,  S.  393  his  396. 

^)  Isamhert,  Comptes  rendus,  Bd.  66,  S.  1259,  u.  Bd.  70,  S.  456  his  457. 

^  A.  Horstmann,  Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Qes.  Bd.  9,  S.  750t 

^)  L.  Pfaundler,  Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Oes.  Bd.  9,  S.  1152. 


G.    Die  Dissociationserscheinungen.  389 

per  ereetst  werden.  Wird  z.  B.  dnrch  EinreisBen  eines  Spmnges  in  den 
festen  Körper  die  Oberfläche  wesentlich  geändert,  so  ändert  sich  damit 
auch  das  Yerhältniss  der  Anzahl  der  auf  einander  wirkenden  Molecüle, 
and  es  kann  die  Dissociationsspannüng  erheblich  geändert  werden.  Die 
Cohäsionsonterschiede  der  untersuchten  Substanzen  und  der  aus  denselben 
durch  Zersetzung  gebildeten  festen  Körper  reichen  daher  yielleicht  voll- 
kommen aus,  um  die  yerschiedenen  Resultate,  welche  über  die  Dissocia- 
tion  fester  Körper  erhalten  worden  sind,  zu  erklären. 

Ton  dem  Einflüsse  der  Masse  handeln  wir  noch  einmal  ausführlicher 
im  Anschlüsse  an  A.  Horstmann's  Dissociationstheorie,  die  wir  im  Über- 
n&ohsten  Paragraphen  besprechen. 


6.   Die  Pfaundler'sohe  Theorie  der  partiellen  Wechsel- 

zersetzungen. 

Da  man  unter  dem  Namen  Dissociation  gewöhnlich  nur  theilweise 
Zersetzungen  einer  einzigen  Molecülgattung  in  einfachere  Bestandtheile 
durch  Wärme  versteht,  so  giebt  es  eine  ganze  Gruppe  von  Erscheinun- 
gen, welche  man  am  Besten  unter  dem  Namen  partielle  Wechselzersetzuu- 
gen  zusammenfassen  kann,  welche  nicht  in  den  Begriff  der  Dissociation 
mit  eingeschlossen  sein  würden;  diese  letztere  ist  vielmehr  als  ein  spe- 
cieller  Fall  dieser  allgemeinen  Erscheinungsgruppe  aufzufassen. 

Schon  manche  der  vorhin  mitgetheilten  Erfahrungsthatsachen  wür- 
den richtiger  unter  diese  allgemeinere  Rubrik  gestellt  werden. 

Pfaundler  1)  hat  in  seinen  „Beiträgen  zur  chemischen  Statik**  und 
in  der  Abhandlung:  „Der  ,Kampf  ums  Dasein*  unter  den  Molecülen;  ein 
weiterer  Beitrag  zur  chemischen  Statik**  ^)  eine  sehr  übersichtliche  und 
klare  Auseinandersetzung  der  hier  in  Frage  kommenden  Verhältnisse 
gegeben,  welche  wir  dem  Hauptinhalte  nach  reproduciren  wollen. 

Wir  nehmen  an,  es  seien  Molecüle  ^\  und  j.\  gleichzeitig  in  einem 

geschlossenen  Räume  vorhanden.     Diese  Molecüle,  jedes  als  Ganzes,  be- 
wegen sich  in  diesem  Räume  (äussere  Molecularbewegung). 

Ausserdem  bewegen  sich  die  Bestandtheile  des  Molecüles  um  den 
Schwerpunkt  des  Molecüles  und  auch  gegen  einander  (intramoleculare 
Bewegung).  So  lange  die  Temperatur  ungeändert  erhalten  bleibt,  wird 
sowohl  die  Gesammtsumme  der  kinetischen  Energien  beider  Bev^gungs- 
arten  für  alle  Molecüle,  als  auch  das  Yerhältniss  der  kinetischen  Ener- 
gien beider  Bewegungsarten  constant  bleiben,  da  die  Auseinandersetzun- 
gen von  Glausius  es  höchst  wahrscheinlich  gemacht  haben,  dass  bei 
stationären  Bewegungen  die  kinetische  Energie  jeder  Bewegungsart 
zur  Summe  beider  in  einem  constanten  Yerhältnisse  stehen  muss.    Hin- 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  131,  S.  78.  —  >)  Pogg.  Ann.  Jnbelbd.  S.  182  bis  198. 


390  II.  Thermochemie. 

gegen  wird  mit  Rücksicht  auf  das  höchst  wahrscheinlich  aUgeman  glü- 
tigeMaxweir sehe  Gesetz  der Gesch windigkeitsyertheilimg  die Grescliwiii- 
digkeit  sowohl  der  äusseren,  als  die  der  intramolncalaren  Bewegung  auf 
die  einzelnen  Molecüle  sehr  yerschieden  vertheilt  sein. 

Es  sind  nun  folgende  vier  Grenzfälle  denkhar,  welche  seihst  gewisB 
äasserst  selten  auftreten,  zwischen  denen  aher  alle  thatsächlich  Tor- 
kommenden  Verhältnisse  eingeschlossen  sind. 

1)  Molecüle  im  Minimum  |lnsserer  und  im  Maximum  intramoleciilarer 
Bewegung. 

2)  Molecüle  im  Minimum  äusserer  und  im  Minimum  intramoleeolanr 
Bewegung. 

3)  Molecüle  im  Maximum  äusserer  und  im  Maximum  intramolecalver 
Bewegung. 

4)  Molecüle  im  Maximum  äusserer  und  im  Minimum  intramoleevlarer 
Bewegung. 

Beim  Zusammenstoss  zweier  Molecüle  kann  die  äussere  Bewegung 
auf  Kosten  der  intramolecularen ,  oder  die  letztere  durch  Yerminderofig 
der  ersten  vermehrt  werden;  dass  heide  Grössen  durch  den  Stoss  nickt 
geändert  werden,  ist  nur  ein  seltener  GrenzfalL  Aus  den  zahlreicha 
Möglichkeiten,  welche  heim  Zusammenstosse  der  Molecüle  eintreten  köih 
neu,  heht  Pfaundler^)  folgende  Fälle  heraus: 

1)  Es  trifft  ein  Molecül  -n|  mit  einem  Molecül  jA    zusammen,   bd 

welchen  die  Geschwindigkeit  der  äusseren  und  die  der  inneren  Bewegong 
sehr  gross  ist;  die  kinetische  Energie  der  äusseren  Bewegung  wurde 
zum  grössten  Theil  zur  Vermehrung  der  inneren  Bewegung  verwendet 
Diese  Bewegungsgrösse  wächst  dadurch  so  erhehlich,  dass  heide  Molecük 
zerfallen  und  die  vier  Theile  A,  B,  G,  D  getrennt  werden  und  sich  nm 
jeder  für  sich  weiter  bewegen. 

2)  Es  treffen  sich  zwei  Molecüle  p|  und  jA,  deren  innere  und  dem 

intramoleculare  Energie  sehr  klein  ist.  Dann  ist  es  möglich ,  dass  die 
resultirende  innere  Bewegung  nicht  allein  zu  klein  ist,  die  beiden  zosia- 
menstossenden  Molecüle  zu  spalten,  sondern  auch  die  bleibende  Vereini- 
gung beider  zu  hindern.  Es  resultirt  dann  ein  zusammengesetztes  Molecä 

3)  Es  treffen  sich  zwei  Molecüle  unter  solcben  Verhältnissen,  da« 
die  resultirende  innere  Bewegung  zu  klein  ist,  um  die  Molecüle  zu  spal- 
ten, aber  gross  genug,    die  bleibende  Vereinigung  beider  Molecüle  n 

hindern.    Dann  werden  beide  Molecüle  ^|  und  ^|  in  ihrem  Bestände  w- 

geändert  nach  dem  Stosse  weitergehen. 


1)  Pogg.  Ann.   Jubelbd.  S.  182  bis  198. 


C.    Die  Dissociationserscheinangen.  391 

4)  Aaeh  können  zwei  verschiedene  Molecüle  unter  solchen  Bedin- 
gungen gegen  einander  stossen,  dass  eine  Spaltung  des  zunächst  ent- 
standenen Doppelmolecüles  InjA  nach  einer  anderen  Richtung  veranlasst 

wird.     Es  kommt  nun  auf  die  Affinitat  zwischen  den  Molecülen  A,  B, 
C  und  D  und  zugleich  auf  die  Grösse  der  zuvor  schon  vorhandenen 

inneren  Bewegung  der  Bestandtheile  jA  und  jA  und  auf  die  durch  den 

Stoes  herbeigeführte  Vermehrung  derselben  an,  ob  die  Spaltung  in  der 


A 


C     ,     .     ,     AC 


Richtung  -n  ry  oder  in  der  Richtung  :^=  erfolgt. 

Auf  diese  Weise  kann  man  sofort  einsehen,  dass  die  Art  der  Zer- 
setzung ausser  von  den  Affinitäten  auch  noch  von  einer  anderen  Ursache, 
dem  Bewegungszustande,  abhängig  sein  muss,  und  dass  deshalb  unter  Um- 
ständen auch  solche  Reactionen  eintreten  können,  welche  den  Affinitäten 
entgegengesetzt  zu  sein  scheinen.    (Reciproke  Reactionen.) 

Von  der  Beschaffenheit  der  Molecüle,  zumal  von  der  Affinität  ihrer 
Bestandtheile  und  von  der  Grösse  der  inneren  Bewegung  wird  es  ab- 
hängen, ob  alle  oder  nur  einzelne  der  vorher  aufgeführten  Fälle  ein- 
treten. 

£s  braucht  auch  wohl  kaum  hinzugef&gt  zu  werden,  dass  durch  Zu- 
sammenfitösse  gleichartiger  Molecüle  unter  geeigneten  Bedingungen  auch 

Bildung  der  Atomcomplexe  a  K  r»}»    pi»  t>i   ^^^  Rückbildungen  der  ur- 

aprfinglichen  Molecüle  denkbar  sind. 

Obwohl  das  Zusammentreffen  der  Molecüle  ein  zufalliges  ist,  muss 
noh  nach  den  Principien  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  bei  einer 
ausserordentlich  grossen  Anzahl  von  Zusammenstössen  eine  Regelmässig- 
keit ergeben,  so  dass  die  Anzahl  der  Stösse,  in  Folge  deren  ein  bestimm- 
ter von  den  vorher  genannten  Möglichkeiten  eintritt,  unter  gleichen  Um- 
ständen stets  denselben  Bruchtheil  der  Anzahl  der  Stösse  überhaupt  aus- 
macht. Es  werden  also  neben  Molecülen,  die  sich  zersetzen,  immer  solche 
vorkommen,  die  ohne  Zersetzung  sich  abstossen,  oder  die  sich  aus  zer- 
setzten neu  bilden. 

Es  werden  also  neben  zersetzten  auch  gleichzeitig  unze^setzte  Mole- 
cüle vorhanden  sein,  und  es  kann  sich  unter  geeigneten  Umständen  ein 
vollkommener  Gleichgewichtszustand  zwischen  den  verschiedenen  Möglich- 
keiten herstellen. 

Wird  durch  Entfernung  einer  Molecülgruppe  das  Gleichgewicht  ge- 
stört, so  kann  auch  eine  solche  Reaction  in  dem  einen  oder  anderen  Sinne 
vollkommen  zu  Ende  geführt  werden. 

Ein  recht  hübsches  Beispiel  bietet  ^)  in  dieser  Beziehung  der  Process 
der  Aetherbildung. 


^)  Man  sehe  Pfaundler,  Beiträge  zur  chemischen  Statik,  Pogg.  Ann.  Bd.  131,  S.  82. 


392 


IL    Thermochemie. 


Der  Vorgang  zerfallt  in  zwei  Abtheilungen,  welche  durch  folgende 
Schemata  dargestellt  werden: 

-|-   Schwefelsäure  =  Aetherschwefelsäure    -\-    Wasser 
und: 


C3H5 

Alkohol 


0,         + 


?l» 


H,  G'i  H5 

SO2 

'Aetherschwefelsäure  -|- 


Alkohol       =  SchwefeUäore    -|-      Aether 


Beide  Reactionen,  welche  hier  dargestellt  sind,  tragen  die  Merkmale 
einer  theilweisen  Zersetzung  an  sich,  beide  bleiben  unvollständig,  wenn 
man  die  Producte  nicht  entfernt,  und  beide  können  rückgängig  gemacht 
werden. 

Da  nun  fortwährend  Wasser  und  Aether  durch  Destillation  entfenit 
werden  und  dafür  Alkohol  neu  zugeführt  wird,  so  verlaufen  beide  Pro- 
cesse  immer  in  der  Richtung  von  links  nach  rechts. 

Dass  auch  hier  die  Zerlegungsprocesse  erst  dann  merklich  beginnen, 
wenn  die  mittlere  Geschwindigkeit  der  Molecularbewegungen  eine  ge- 
wisse Grösse  erlangt  hat,  erkennt  man  daran ,  dass  nicht  bei  jeder  belie- 
bigen Temperatur  Aether  und  Wasser  gebildet  wird;  bei  einer  Erwär- 
mung bis  zu  126^  destiUirt  nur  Alkohol  ab  und  erst  bei  circa  140®  gebt 
der  Process  normal  vor  sich,  das  Destillat  enthält  dann  fast  alleiii  Aether 
und  Wasser. 

Während  wir  nun  bis  jetzt  bei  unseren  Betrachtungen  auf  die  ge* 
genseitige  Affinität  der  vier  Elemente  A,  B^  G,  D  nur  wenig  Rücksichi 
genommen  haben,  wollen  wir  nun  einmal  weiter  annehmen,  dass  bei  Bil- 
dung der  Molecülgruppe  AD  die  grösste,  und  bei  Bildung  von  AB  die 
geringste  Wärmeentwickelung  stattfinde.  Ueberhaupt  wollen  wir  eine 
derartige  Stellung  der  vier  Elemente  in  der  Spannungsreihe  annehmen, 
wie  dieselbe  durch  das  Schema: 

A...B C,..D 

repräsentirt  wird. 

Ist  dies  der  Fall,  so  würde  man  im  Allgemeinen  annehmen  können, 

dass,  wenn  man  eine  beschränkte  Anzahl  Molecüle  rk?  mit  einer  beschränk- 

Gl 
ten  Anzahl  Molecüle  ^|  zusammenbringt,  vorzugsweise  eine  Wechselzer- 

setzung  in  der  Art  stattfände,  dass  sich  Molecüle  jv[  und  p|  bildeten,  weü 
dann  zumeist  dem  Streben  der  Affinität  Rechnung  getragen  wäre. 

Bekanntlich  haben  ja  die  thermochemischen  Untersuchungen  in  der 
Hauptsache  die  Thatsache  constatirt,  dass  diejenigen  Elemente,  welche 
in  der  Spannungsreihe  am  weitesten  von  einander  abstehen,  am  leiehteBten 


C.    Die  Dissociationserscheinungen.  393 

zur  Bildung  gesättigter  Yerbindung  Anläse  geben ,  und  dass  hierbei  die 
grosste  Wärmetönung  stattfindet  Pfaundler  weist  mit  Recht  darauf 
hin,  dass  dies  ein  deutlicher  Fingerzeig  dahin  ist,  dass  auch  die  Yerbin- 
dungsTorgänge  unter  das  allgemeine  Gesetz  fallen,  welches  wir  mit  dem 
Namen  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie  be- 
zeichnen. 

Ans  diesem  Satze  folgt,  dass  am  leichtesten,  unter  Umständen  sogar 
von  selbst,  ohne  Compensation  durch  äquivalente  Verwandlungen,  nur 
positive  Verwandlungen  vor  sich  gehen  können ;  zu  diesen  aber  gehören 
besonders  auch  die  Wärmeentwickelungen  bei  Verbindungen. 

Insoweit  als  nun  die  Berzelius'sche  Spannungsreihe  ein  Ausdruck 
dieses  Fundamentalgesetzes  ist,  hat  sie  noch  heute  ihre  Bedeutung.  Bei 
allen  Erscheinungen,  welche  scheinbar  Ausnahmen  von  der  Spannungs- 
reihe repräsentiren,  lassen  sich  leicht  äquivalente  positive  Verwandlungen 
nachweisen,  durch  welche  solche  negative  Verwandlungen  reichlich  com- 
pensirt  werden.   Lassen  wir  z.  B.  auf  das  Gemisch  der  Molecüle 


d)  ""•*  c) 


von  einem  wärmeren  Körper  Wärme  übergehen,  so  kann  dieser  Ueber^ 
gang,  welcher  bekanntlich  eine  positive  Verwandlung  ist,  von  einer  klei- 
neren oder  höchstens  als  Grenzfall  von  einer  gleich  grossen  negativen  Ver- 
wandlung begleitet  sein;  es  kann  also  eine  Rückbildung  in  die  Molecüle 


b)  ""•*  d} 


oder  überhaupt  eine  solche  Reaction  eintreten ,  durch  welche  Wärme  in 
Spannkrftft  verwandelt  wird;  es  kann  also  unter  solchen  Umständen  eine 
Aenderung  der  Anordnung  der  Molecüle  eintreten,  welche  sich  mit  der 
chemischen  Spannungsreihe  im  Widerspruch  befindet. 

Sind  nun  in  einem  geschlossenen  Räume,  dem  weder  Wärme  zuge- 
führt noch  enizogen  wird,  eine  beschränkte  Anzahl  von  Molecülen  von 
folgender  Anordnung  neben  einander  vorhanden: 

\y  DJ'  DJ 

so  kann  im  Allgemeinen  durch  den  Zusammenstoss  folgende  Reihe  an- 
derer Molecüle  aus  diesen  hervorgehen: 


bI  dI»  D    ^"^^  B 


BBl 
'DD 


A   Ti  r  n   M    Bl    M   Bl    Cl    Dl    AC\   ADl    AAl    AAl    BB 

A,  B,  U,  LF,   ^|,  j^j,  ^j,  g|,   ^|,  j^|,  gjjj,   ß(.|,    gßj,   ^^|,   ^^ 

Einige  von  diesen  fordern  bei  ihrer  Entstehung  aus  anderen  eine 
Wärmebindung,  d.  h.  einen  Verbrauch  von  kinetischer  Energie  der  Mo- 
lecnlarbewegung ,  bei  der  Entstehung  anderer  wird  Spannkraft  in  kine- 
tische Energie  verwandelt. 

Die  grosste  Consumption  kinetischer  Energie  würde  eintreten  müssen 
bei  Isolirung  der  Elemente  A,  B,  C,  D,  und  diese  wird  daher  nur  selten 
möglich  sein. 


394 


II.    Thermochemie. 


Die  Bildung  der  Molecülgruppen  aL  r»}  ®^-  kann  mit  einem  Yer 
brauch  von  kinetischer  Energie  verknüpft  sein ,  es  kann  aber  aadi  im 
Gegen theil  der  Fall  sein.     Bei  Bildung  der  höheren  Yerbindung  ^^^1 

oder  der  isomeren  ^jA  wird  dagegen  in  der  Regel  Wärme  frei  werdet. 

Unentschieden,  ob  dieser  oder  der  entgegengesetzte  Fall  eintritt,  ist  et. 
dagegen  wiederum  bei  der  Bildung  der  condensirten  oder  polymerenYe^| 


BB) 
CC 


etc. 


bindung  gg 

Jedenfalls  müssen,  wenn  dem  Räume,  welcher  die  Molecüle  entküli 
weder  Wärme  zugeführt  noch  entzogen  wird,  die  gleichzeitigen  posüiT« 
und  negativen  Verwandlungen  sich  entweder  compensiren,  oder  ee  köiii« 
höchstens  die  positiven  überwiegen. 

Gleichgewicht  wird  dann  eintreten,  wenn  bei  den  möglichen  Reacti»-! 
nen  der  Ueberschuss  der  positiven  Verwandlungen  über  die   nej 
den  höchsten  erreichbaren  Betrag  erlangt  hat,  wenn  die  Entropie 
Systemes  ein  Maximum  erreicht^). 

Kommen  nun  aber  zu  dem  soeben  von  uns  betrachteten  ideal 
fachen  Falle  andere  Umstände  hinzu,  welche  die  Büdung  der  einen 
anderen  Molecülarart  besonders  begünstigen,  so  kann  auch  leicht  derFj 
eintreten,  dass  dann  der  gesammte  Process  in  diesem  begünstigten  Si 
bis  zu  Ende  verläuft. 

Bringt  man   z.  B.    schwefelsaures  Kalium    mit   einer  Lösung 
Chlorbaryum  zusammen,  so  wird,  trotzdem  dass  die  Affinitat  des  Ci 
zu  Baryum  und  Kalium  und  die  der  Schwefelsäure  zu  beiden  Basen 
gleich  gross  ist,  doch  die  Umsetzung  zu  schwefelsaurem  BarynmBalz 
Ghlorkalium  zu  Ende  gefuhrt,  weil  der  schwefelsaure  Baryt  unlöslich 
und  die  Bildung  des  festen  Niederschlages  mit  Wärmeentwickelnng  ( 
5500  Cal.)  verknüpft  ist,  somit  eine  positive  Verwandlung  repriseDi 
und  die  einmal  zu  festem  schwefelsaurem  Barytsalze  verwendeten  Molec 
Baryum  und  Schwefelsäure  nicht  oder  nur  selten  wieder  durch  neue 
stösse  getrennt  werden  können. 

Die  schwächere  Phosphorsänre  treibt  die  stärkere  Schwefelsäure 
vielen  Verbindungen  aus,  weil  aus  dem  Gemische  einer  Loenng 
schwefelsauren  Salzes  und  einer  Phosphorsäurelösung  die  freigewordea^ 
flüchtige  Schwefelsäure  verdampft,  wenn  durch  Anstoss  eines  Pho^hc^ 
saurem olecüles  und  eines  Molecüles  des  schwefelsauren  Salzes  einmal  ea 
Molecül  phosphorsauren   Salzes  gebildet    und   Schwefelsäure    entwickei 


')   Man   sehe  den  Begriff:    „Entropie^    Bd.  2,  I,  A,  4,  S.  29.     In  der  znleixi 
gesprochenen  Ausdrucksweise   ist  die  Bedingung  des  Gleichgewichtes  partieller 
Zersetzungen  zuerst  von  A.  Horstmann  gegehen  worden.     Man  sehe  dessen: 
der  Dissociation'',  Liebig's  Annalen  Bd.  170,  S.  192  bis  210. 


G.    Die  Dissociationserscheinungen.  395 

worden  ist.  Dadurch  treffen  bei  Wärmezufuhr,  um  den  durch  die  Yer- 
dampfdng  und  die  Bildung  des  phosphorsauren  Salzes  aus  dem  schwefel- 
sauren Salze  entstandenen  Verlust  an  kinetischer  Energie  zu  decken, 
künftig^  die  gebildeten  Molecüle  phosphorsauren  Salzes  seltener  mit  Schwe- 
felsäaremolecülen  zusammen,  und  die  Rückbildung  zu  schwefelsaurem 
Salz  anter  Abspaltung  von  Pbosphorsäure  kann  nur  selten  und  immer 
seltener  eintreten,  bis  schliesslich,  wenn  alle  Schwefelsäuremolecüle  ent- 
wichen sind,  der  Process  beendet  ist. 

Schon  Berthollet  hat  die  mit  den  neueren  Anschauungen  voUstän- 
dig  übereinstimmende  Ansicht  ausgesprochen,  dass  in  allen  den  Fällen, 
in  denen  Reactionen  stattfinden,  welche  der  Afßnität  entgegenwirken,  im 
ersten  Momente  stets  nur  partielle  Reactionen  eintreten,  dass  dieselbeii 
aber  dadurch  zu  totalen  werden  können,  dass  die  gefällten  oder  gasförmig 
gewordenen  Verbindungen  der  Einwirkung  der  gelöst  gebliebenen  ent- 
zogen werden. 

Es  braucht  zum  Schlüsse  wohl  kaum  darauf  hingewiesen  zu  werden, 
dass  alle  Betrachtungen,  welche  wir  im  Vorhergehenden  für  Molecülpaare 
Ton  der  Form: 


A 
B 


)  "''^  d) 


angestellt  haben,  auch  vollständig  für  Molecülpaare  von  der  Form: 


B     '^•^B 


I 


liestehen  bleiben,  und  dass  wir  es  dann  wieder  mit  den  Vorgängen  zu 
jHiiui  haben,  die  wir  im  engeren  Sinne  mit  dem  Namen:  „Dissociations- 
itaracheinangen"  bezeichnen. 


7.   Die  Hör  St  mann' sollet  Theorie  der  partiellen 

Weohselzersetziingen. 

Irgend  eine  chemische  Reaction  wird  solange  in  einem  Sinne  fort- 
schreiten, bis  die  Entropie  des  Systemes  so  gross  geworden  ist,  als  dies 
durch  die  in  Betracht  kommenden  Veränderungen  möglich  ist.  Wird 
dieses  Maximum  erreicht,  noch  ehe  die  Reaction  zu  Ende  geführt  ist,  so 
bleibt  dieselbe  unvollständig;  häufig  jedoch  wird  dieses  Maximum  erst 
dann  eintreten,  wenn  die  Umsetzung  sich  auf  alle  oder  wenigstens  fast 

« 

alle  Molecüle  erstreckt  hat. 

Nach  den  schon  früher  gegebenen  Auseinandersetzungen  wird  die 
Entropie  durch  alle  positiven  Verwandlungen  vermehrt,  durch  alle  nega- 
tiven vermindert. 


*)  A.  Horstmann,  Theorie  der  Dissociation,  Liebig's  Annalen  Bd.  170,  S.  192 
Mt  210. 


396  IL  Thermochemie. 

Wir  zählen  zanächst  die  yorzngBweise  bei  chemischen  Prooeseen  in 
Betracht  kommenden  Verwandlungen  auf: 

1)  Die  Verwandlung  von  potentieller  Energie  der  Affinität  in 
Wärme  ist  eine  positive  Verwandlung;  durch  die  Umsetzung  von  Wanne 
in  chemische  Arbeit,  welche  vorzugsweise  bei  der  Dissociation  und  par- 
tiellen  Wechselzersetzung  in  Frage  kommt,  wird  hingegen  die  Entropie 
vermindert 

2)  Der  Uebergang  von  Wärme  von  heissen  Körpern  auf  kältere  iä 
eine  positive  Verwandlung,  also  wird  durch  Erwärmung  die  Entropie  des 
Systemes  vermehrt,  durch  Abkühlung  vermindert. 

3)  JedOjVormehrung  der  Disgregation,  welche  dadurch  herbeigefiüiit 
wird,  dass  man  die  Abstände  der  Atome  vergrössert,  sei  dies  dadurck, 
dass  sich  einzelne  Molecülarten  als  Gase  ganz  entfernen,  oder  dass  mu 
dem  System  ein  grösseres  Volumen  anweist,  repräsentirt  eine  positire 
Verwandlung.  —  Wird  hingegen  durch  Vermehrung  der  Zahl  der  Mole- 
cüle,  welche  in  einem  gegebenen  Räume  vorhanden  sind,  der  Abstand  d« 
Molecüle  vermindert,  so  wird  hierdurch  die  Entropie  verkleinert. 

4)  Durch  Umsetzung  von  Arbeit  in  Wärme  wird  bei  dem  fraglicken 
chemischen  Processe  ebenfalls  die  Entropie  vermehrt,  während  sie  bin* 
gegen  abnimmt,  sowie  Wärme  in  irgend  welcher  Form  in  Arbeit  Ter- 
wandelt  wird. 

Wir  wollen  dies  an  einer  der  einfachsten  Dissociationserscheinungei, 
an  der  Zersetzung  eines  Gases  in  gasförmige  Bestandtheile  durch  Ervär 
men  bei  constantem  Volumen  näher  erläutern. 

Die  Entropie  wird  in  diesem  Falle  am  grössten  sein,  wenn  mogiidifl 
viele  Molecüle  zersetzt,  aber  möglichst  wenig  Wärme  verbraucht  wordei 
ist  und  wenn  ausserdem  die  Molecüle  jedes  der  drei  Gase  möglichst  weä 
auseinander  gdrückt  sind.  Diesen  Bedingungen  wird  im  Allgemeine« 
nicht  gleichzeitig  bei  vollständiger  Zersetzung  genügt  werden  können, 
deshalb  wird  nur  ein  mit  wachsender  Temperatur  zunehmender  Tbdl 
zersetzt  werden. 

Wir  wissen,  dass  nach  dem  zweiten  Hauptsätze  der  mechanischen 
Wärmetheorie  die  Aenderung  der  Entropie  eines  isolirten  Systemes  ntf 
positiv  sein  kann.  Es  drückt  dies  die  Fundamentalgleichung  des  zweiten 
Hauptsatzes: 


f 


T    -» 


aus. 

In  einem  selbstständigen,  von  anderen  Körpern  unabhängigen  Sj* 
steme  kann  eine  chemische  Reaction  nur  dann  beginnen  and  sich  fort* 
setzen,  wenn  die  jgesammte  Zunahme,  welche  die  Entropie  durch  die  eio- 
zelnen  Vorgänge  erleidet,  die  gleichzeitige  gesammte  Abnahme  überwiegt 
Die  Reaction  muss  aufhören,  sowie  die  Abnahme  die  Zunahme  zu  über* 


G.    Die  Dissodationserscheinungen.  397 

wiegen  im  BegrifiP  ist,  d.  h.  es  wird  Gleichgewicht  eintreten,   sowie  die 
£&tropie  ein  Maximum  erreicht  hat. 

Wir  haben  nun  früher  (Bd.  2,  I,  A,  4,  S.  9)  fär  die  Entropie  die 
Form  Y  ■]-  Z  angenommen,  worin  Z  die  Disgregation  des  Systemes,  und 
T  der  Yon  der  Anordnung  der  Molecüle  unabhängige  Theil  der  Entropie 
ist.  Die  Bedingung  für  den  Eintritt  des  Gleichgewichtes  bei  einer  Reac- 
tion  wird  sich  demnach  durch  die  Gleichung: 

«  (r  +  Z)  =  0 1) 

ausdrücken  lassen. 

Bezeichnet  man  mit  x  die  relative  Menge  eines  Körpers,  in  Mole- 
culargewichten  ausgedrückt,  der  sich  bei  der  Reaction  zerlegt  i),  so  kann 
X  auch  als  Maass  für  den  Grad  der  Vollendung  der  chemischen  Reaction 
benutzt  werden.  Man  kann  dann  x  als  unabhängige  Variable  benutzen 
and  behaupten:  die  Gleichung  1)  wird  erfüllt  sein,  die  Reaction,  um 
die  es  sich  handelt,  wird  einen  Gleichgewichtszustand  erreicht  haben, 
wenn: 

^f +^=0 2) 

ox 

ist. 

Bezeichnet  nun  Q  diejenige  Menge  calorischer  Energie,  welche  auf- 
gewendet werden  muss,  um  unter  den  gegebenen  Umständen  ein  Mole- 
colargewicht  des  Körpers,  auf  den  sich  x  bezieht,  vollständig  zu  zer- 
setzen, dann  ist  zur  Vollendung  der  Reaction  noch  eine  Energiemenge 
Q  •  X  nöthig. 

Man  kann  demnach  für  die  Grösse  Y,  welche  ausser  der  Disgrega- 
üon  den  Betrag  der  Entropie  des  Systemes  bestimmt,  setzen: 

Demnach  findet  Gleichgewicht  statt,  wenn: 

ist. 

Von  dieser  Gleichung  soll  nun  in  einem  speciellen  Falle  Anwendung 
gemacht  werden.  Nehmen  wir  an,  von  einem  Moleculargewichte  eines 
festen  Körpers,  der  beim  Erhitzen  in  zwei  Bestandtheile,  einen  festen 
und  einen  gasförmigen  zerföUt  (z.  B.  kohlensaurer  Kalk  in  Aetzkalk  und 
Kohlensäure),  sei  im  gegebenen  Momente  noch  ein  Bruchtheil  x  unzer- 
setzt.  Aus  jedem  Molecül  des  ursprünglichen  Körpers  mögen  sich  r  Mo- 
lecüle des  einen  und  s  Molecüle  des  anderen  Zersetzungsproductes  bilden, 


^)  Wir  folgen  hier  in  der  Hauptsache  den  Ansfiihrangen  der  A.  Horstmann 'sehen 
Originalabhandlung,  Lieb  ig' s  Annalen  Bd.  170,  S.  198. 


398 


IL   Thermochemie. 


und  von  dem  ersten  der  beiden  mögen  m  Molecolargewichte  im  üeW 
schuss  vorhanden  sein.  Alsdann  ist  die  Disgregation  des  Sysiemes  Z 
gleich : 

Z=  X  .Zi  +  {r  .  (1  —  «)  +  w}  .  Z,  +  s  .  (1  —  a?)  .  ^  .  .  4) 

wenn  Z^,  Zg,  ^  die  Disgregationen  je  eines  Molecolargewichtes  der  ur- 
sprünglichen Substanz,  des  einen  und  des  anderen  Zersetzungsprodacies 
sind.  Sind  nun  der  sich  zersetzende  Körper  und  das  Zersetzungsprodnct» 
von  dem  r  -\-  m  Moleculargewichte  vorhanden  sind,  feste  Körper,  sonal 
Zi  und  Z2  von  x  unabhängig,  hingegen  hängt  Z^  von  dem  Baume  a^ 
welcher  dem  Gase  zur  Verfügung  steht.  Ist  u  das  Volumen  eines  Hol^ 
culargewichtes  des  gasförmigen  Zersetzungsproductes  beim  Drucke  p  vai 
der  absoluten  Temperatur  T,  so  ist  bekanntlich  (Bd.  2,  I,  A,  4,  S.  7, 
Gleichung  4): 


Z,  =  Z,'  +j  '   B 


u 


lognaJt  — S) 

Wo 


wenn  Z^*  die  Disgregation  eines  Moleculargewichts  des  Gases  ist,  wen 
dasselbe  das  Normalvolumen  Uq  besitzt,  und  12  ist  die  (konstante  ( 
dehnungsgesetzes  vollkommener  Gase,  bezogen  auf  ein  MolecuiargeinfU 
des  betreffenden  Gases. 

Die  Wärmemenge  Q  besteht  aus  zwei  Theüen,  aus  der  eigeni 
Zersetzungswärme   q  und    der    auf   Ueberwindung    des   Druckes  j9 
Entwickelung   des   Gasvolumens  u  verwendeten  in  Arbeit  unngesel 
Wärmemenge  : 

1 


bekanntlich  ist  aber: 


J-   ^ 


1  1      ^ 

«/  e/ 


T, 


und  demnach  gilt  die  Gleichung: 


«  =  «  +  / 


R  .  T 


Führt  man  für  Q  und  Z  die  in  den  Gleichungen  3)  und  4)  gefoB-j 
denen  Werthe  ein,  so  nimmt  die  Gleichung  3)  folgende  Gestalt  an: 


1        /      .      i2 


T  ^-  X 


dq 

dx 


+  X 


R 
J 


d 
dx 


£> 


+  {r  (1  -  aj)  +  m) 


dZ^ 
'dx 


—  r  .  Z2  +  s  .  (1  —  x) 


+-  X 

dZy 

'  dx 


dx 


+  4. 


—  s.^=eL 


Differenzirt  man  aus  und  beachtet,  dass  9,   T,  ti,  Zj,  Z^  von  x  na* 
abhängig  sind,  so  findet  man: 


I  +  f  +  ^1  -  r  2a  -  «  .  -^s'  -  s  •  j 


Uanat  ~  =0. 
«0 


C.  Die  DissociationserBcheinungen.  399 

Setzt  man  die  Grösse: 

^-r.j^  —  s.^'  =  C 7) 

so  nimmt  die  Oleichung  die  Form  an: 

^  +  j  .  (l  -  s  .  lognat  ^)  +  C  =  0       ...     8) 

Diese  Grösse  C  ist  die  Aenderung,  welche  die  Disgregation  erleiden 
würde,  wenn  das  entwickelte  Gas  das  Molecnlaryolumen  Uq  hätte;  C  ist 
demnach y  ebenso  wie  q,  nur  noch  von  T  abhängig,  dagegen  unabhängig 
Ton  X. 

Die  Gleichung  enthält  daher  nur  noch  eine  Grösse,  nämlich  ii, 
welche  sich  mit  x  ändert  Es  wird  daher,  sofern  T  bestimmt  ist,  nur 
einen  bestimmten  Werth  des  specifischen  Volumens,  oder  da: 

R  .  T 
^  =  -^ 

ist,  des  Druckes  geben,  bei  dem  Gleichgewicht  stattfindet. 

Die  Dissociationsspannung  hängt  also  lediglich  von  der  Temperatur 
ab,  ist  dagegen  unabhängig  von  dem  Verhältnisse,  in  welchem  dem  sich 
zersetzenden  festen  Körper  das  feste  Dissociationsproduct  beigemischt 
ist,  so  lange  sich  die  Disgregation  des  festen  Körpers  nicht  wesentlich 
ändert  — 

Hiermit  stimmen  bekanntlich  die  Resultate  der  Arbeiten  von  D  e  br  a  j  ^) 
über  die  Dissociation  des  kohlensauren  Kalkes,  die  von  Lamy^)  über  die 
Verbindung  von  Ammoniak  mit  Ghlorcalcium,  die  von  Isambert')  über 
die  Ammoniakverbindungen  der  Ohlorüre,  die  von  G.  Wiedemann^) 
aber  die  Dissociation  wasserhaltiger  Salze  und  die  Beobachtungen  von 
A.  Horstmann  ^)  an  der  Verbindung  von  Chlorsilber  und  Ammoniak 
ftberein;  die  Versuche  von  A.  Weinhold^)  über  Ghlorcalciumammoniak 
und  Calciumcarbonat  und  die  Beobachtungen  von  A.  Naumann^)  üher 
das  Verhalten  des  Kupfervitriols  in  der  Wärme,  scheinen  hingegen  den 
Gonsequenzen  der  Horst  man  naschen  Theorie  zu  widersprechen. 

Die  Dissociationsspannungen  können  bei  der  nämlichen  Temperatur 
nor  dann  verschieden  sein,  wenn  C  und  q  bei  derselben  Temperatur  ver- 
schiedene Werthe  besitzen. 

Bei  allotropen  Modificationen  derselben  Substanz  ändert  sich  einer- 
seits bekanntlich  q  beim  Uebergange  von  einem  Zustande  in  den  anderen, 
und  andererseits  ist  meist  auch  die  Dichte  und  somit  die  Disgregation 


1)  Compt.  read.  Bd.  64,  S.  603. 

^  Compt.  rend.  Bd.  70,  S.  393. 

')  Compt.  rend.  Bd.  66,  S.  1295,  u.  Bd.  70,  S.  456. 

*)  Pog?'  Ann.  Jubelband,  S.  474. 

*)  Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Ges.  Bd.  9,  S.  750. 

*)  Programm  d.  Chemnitzer  höh.  Qewerbeschale,  Ostern  1873,  S.  34. 

^  A.  Naumann,  Allgemeine  und  physikalische  Chemie  (Heidelberg  1877),  S.  392. 


400  IL    Thermochemie. 

verschiedener  Modificationen  derselben  Substanz  bei  gleichen  Tempen- 
turen  nicht  dieselbe. 

Ganz  in  Uebereinstimmong  hiermit  fanden  Troost  und  Haute- 
feuille  ^)  die  Dampftension  über  rothem  Phosphor  beträchtlich  klebei^ 
als  über  gewöhnlichem  Phosphor,  und  schon  früher  hatten  sie  Aehnlidm 
beim  Uebergang  der  Cyansänre  in  Cyanursänre  beobachtet.  — 

Wir  wenden  uns  nun  zur  Anwendung  der  Horstmann'schen  Gld< 
chung  auf  den  einfachen  Specialfall,  dass  sich  ein  gasförmiger  Körper  ii 
zwei  gasförmige  Bestandtheile  zersetzt.  Alsdann  besitzen  alle  Diegregi* 
tionen  Zi,  Z^,  Z^  die  Form  der  Gleichung  5)  (S.  398): 

Z  =  Z'  +  -=r  •    lognai  — . 

Die  Gleichung  2)  nimmt  in  diesem  Falle  die  Form: 

1  +  7-0+  2-x^m-^''i  •  (l-..+l)(l-x))  +  ^="    " 

an.     Hierin  bedeutet  diesmal  C  die  Aenderung  der  Disgregation  bei  da 
Zersetzung  eines  Moleculargewichtes,  wenn  vor  und  nach  der  Ze 
die  Gase  das  Molecularvolumen  Uq  haben.     Alsdann  ist,    wenn  alle 
Gase  als  vollkommene  angesehen  werden  können,  0  von  T  unabhängig. 

Ist  m  =  0,  so  gilt  die  Formel  für  die  bekannten  im  Vorherge! 
den  mitgetheilten  Versuche  über  Dissociation  gasformiger  Bestand 
In  der  That  ist,  wie  dies  die  Formel  verlangt,  der  Grad  der  Di 
lediglich  von  der  Temperatur   T  abhängig  und  nimmt  mit  dieser 
Sogar  die  Form  der  Function,  in  weicher  Horstmann  die  Abhän 
des  Druckes  von  der  Temperatur  aus  der  Theorie  erhält,  stimmt  mit 
bekannten  Dissociationsversuchen  gasförmiger  Substanzen,  die  wir  Bd. 
B,  2,  S.  370  mittheilten,  recht  gut  überein. 

Ist  m  nicht  gleich  Null ,  d.  h.  ist  eines  der  Zersetzungsprodiicte  i 
Ueberschusse  vorhanden,    so  ergiebt  sich  bei    gleicher  Temperatur 
grösseres  x^  als  man  erhält,  wenn  m  =  0  ist.    Der  Grad  der 
wird  bei  Gasen  durch  Massen  Wirkung  vermindert,  jedoch  ist  dieser 
flusB  um  so  geringer,  je  weiter  die  Zersetzung  schon  fortgeschritteo 

Die  erste  dieser  Consequenzen  hat  Horstmann  durch  umfangE 
Versuche  über  die  Dissociation  von  carbaminsaurem  Ammoniak  in 
Atmosphäre  von  Kohlensäure  und  von  Ammoniak  bestätigt.     Wir  enft»; 
nehmen  nachstehende  Tabellen  der  Horstmann'schen  Arbeit: 


>)  Coroptes  rendus  Bd.  76,  S.  76  bis  80,  S.  219  bis  222.  Aach  yergleiche  ■» 
den  von  St.  Ciaire  Deville  in  Qemeinschaft  mit  Damas  und  Cahonr«  rer£tfstti 
Bericht:  Rapport  snr  un  memoire  de  M.  M.  Troost  et  Hautefenille  sar  kt 
iransformations  isom^riques  et  allotropiques.    Comptes  rendus  Bd.  76,  S.  1175  bi«  11^ 


G.   Die  Dissociationserscheinungen. 


401 


Dissociation  des  carbaminsauren  Ammoniaks  in  einer  Kohlensäure- 

atmoBphäre. 


Gesammt- 

Partialdnick 

Partialdmck 

Druck  reinen 

Temperatur 

druck  des  Gas- 
gemisches 

der  Kohlen- 
säure 

d.  carbamins. 
Ammoniaks 

Dampfes  des 
carbamins. 
Ammoniaks 

P 

£1 
P 

n 

P 

P\ 

P 

20,40  C. 

78,9  mm 

33,5  mm 

45,4  mm 

66,2  mm 

0,52 

0,71 

21,8 

105,8 

69,9 

35,9 

71,0 

0,98 

0,51 

18,3 

112,4 

87,4 

25,0 

55,0 

1,59 

0,45 

18,3 

145,4 

122,3 

23,1 

55,0 

2,22 

0,42 

17,9 

■  167,9 

148,9 

19,0 

53,3 

2,79 

0,36 

18,6 

203,4 

185,5 

17,9 

56,3 

3,28 

0,32 

17,9 

193,3 

175,7 

17,6 

53,3 

3,30 

0,33 

17,8 

225,3 

208,4 

16,9 

53,0 

3,93 

0,32 

17,6 

243,6 

228,5 

15,1 

52,3 

4,37 

0,29 

18,6 

302,9 

288,3 

14,6 

56,5 

5,10 

0,26 

17,7 

297,5 

285,6 

12,9 

52,6 

5,43 

0,24 

17,7 

328,8 

315,8 

13,0 

52,6 

5,99 

0,25 

18,4 

353,7 

340,7 

13,0 

55,5 

6,14 

0,23 

18,4 

1 

426,4 

416,8 

9,6 

55,4 

7,52 

0,18 

BiBSOciation  des  carbaminsauren  Ammoniaks  in  einer  Ammoniak- 
atmosphäre. 


i 

Gesammt- 

Partialdruck 

Partialdruck 

Druck  reinen 

Tempentnr 

druck  des  Ge* 
misches 

der  Kohlen- 
säure 

d.  carbamins. 
Ammoniaks 

Dampfes  des 

carbamins. 

Ammoniaks 

P 
P 

£1 
P 

n 

P 

P\ 

P 

21,8»  C. 

69,5  mm 

24,4  mm 

45,1  mm 

70,9  mm 

0,36 

0,67 

20,6 

75,2 

35,4 

39,8 

65,3 

0,54 

0,61 

20,8 

86,9 

57,1 

29,8 

66,2 

0,86 

0,45 

17,7 

68,9 

48,6 

20,3 

52,6 

0,92 

0,39 

20,8 

88,5 

66,1 

22,4 

66,2 

1,00 

0,34 

22,0 

103,5 

89,1 

14,4    « 

72,1 

1,24 

0,20 

20,8 

108,1 

93,4 

14,7 

66,2 

1,41 

0,22 

20,4 

111,8 

92,6 

19,2 

64,3 

1,44 

0,30 

▼  erdet-Btthlmann,  Mechan.  Wirmeibeorie.  Bd.  2. 


26 


402 


n.   Thermochemie. 


Temperatur 

Gesammt- 
druck  des  Ge- 
misches 

Partialdnick 
der  Kohlen- 
säure 

Partialdruck 

d.  carbamins. 

Ammoniaks 

Druck  reinen 

Dampfes  des 

carbamins. 

Ammoniaks 

P 

P 

n 

P 

P\ 

P 

17,30  c.* 

99,7  mm 

86,0  mm 

13,7  mm 

51,2  mm 

1,68 

o,r 

21,7 

132,1 

125,2 

6,9 

70,4 

1,78 

0,10 

20,7 

154,5 

141,6 

12,9 

65,8 

2,15 

0,30 

17,3 

128,0 

119,0 

9,0 

51,2 

2,33 

0,17 

21,7 

168,1 

165,8 

2,3 

70,4 

2,36 

0,03 

17,4 

155,5 

146,4 

9,1 

51,5 

2,84 

0,18 

21,6 

203,3 

201,2 

2,1   . 

69,9 

2,88 

0,W 

21,7 

235,0 

232,9 

2,1 

70,4 

3,31 

0,03 

17,1 

180,3 

173,3 

7,0 

50,5 

3,43 

0,14 

20,6 

231,1 

226,4 

4,7 

65,3 

3,47 

0,07 

21,8 

293,6 

292,0 

1,6 

70,9 

4,15 

0,02 

20,8 

295,6 

289,2 

6,4 

66,2 

4,43 

0,1» 

21,6 

325,9 

324,8 

1,1 

69,9 

4,61 

0,08 

21,9 

374,5 

372,2 

2,3 

71,5 

5,24 

0,03 

20,5 

417,4 

416,2 

1,2 

64,8 

6,42 

0.02 

17,8 

359,8 

355,3 

4,5 

53,0 

6,71 

0,08 

Es  wurde  der  Gesammtdruck  7C  des  Gemisches  direct  aus  der 
pression  der  Quecksilbersäule  eines  Barometers  ermittelt.     Den  Druck 
des  zugeführten  überschüssigen  Gases  bestimmte  man  aas  der  zugi 
Menge  und  seinem  derzeitigen  Volumen.     Die  Differenz  a  —  jP  = 
dieser  beiden  Drucke  ist  der  Partialdruck  des  carbaminsauren  Ammo; 
in  der  Atmosphäre  des  überschüssigen  Gases,  hingegen  ist  p  die 
A.  Naumann's    umfänglichen   Beobachtungen  durch  Interpolation 
rechnete  Dissociationsspannung  des  carbaminsauren  Ammoniaks  im  Tj 
cuum  bei  der  Temperatur  der  Ablesung. 

Die  obigen  Tabellen  zeigen  sofort,  dass  die  Dissociationsspann 
bei  Anwesenheit  von  Ammoniak  oder  Kohlensäure  kleiner   ist,  ab  i 
leeren  Räume,  und  zwar  nimmt  dieselbe  um  so  mehr  ab,  je  grosser  d« 
Ueberschuss  des  betreffenden  Gases  ist. 

Aus  den  Principien  der  kinetischen  Gastheorie  lässt  sich  dies  lei 
erklären.     Die  Zahl  der  zersetzten  Molecüle  hängt  haaptsachli 
von  der  Temperatur  ab,  ist  aber  jedenfalls  nahezu  unabhängig 
der  Zusammensetzung  des  Gasgemisches.     Bei  Üeberschiiss 
Gases  müssen  aber  die  Molecüle  des  nicht  überschüssigen  Gases 
mit  den  anderen  Molecülen  unter  geeigneten  Umständen  zusammen 
und  es  werden  sich  daher  in  gleichen  Zeiten  mehr  Molecüle  der  T 


C.   Die  DissociationserBcheinungen. 


403 


dang  bilden,  als  wenn  der  Ueberschuss  des  einen  Bestandtheiles  nicht 
vorhanden  wäre.  Die  Dissociationsspannang  der  Yerbindong  muss  dem- 
nach abnehmen,  wie  dies  die  Versuche  auch  zeigen. 

Auch  kann  leicht  erkannt  werden,  dass  die  Dissociationsspannung 
des  carbaminsauren  Ammoniaks  bei  gleichem  Partialdrucke  des  über- 
schüssigen Gases  stets  mehr  durch  Ammoniak  herabgedrückt  wird,  als 
durch  Kohlensäure.  Es  rührt  dies  selbstverständlich  davon  her,  dass  bei 
Anwesenheit  eines  gleich  grossen  procentalen  Ueberschusses  von  Am* 
moniakmolecülen  stets  mehr  Molecüle  carbaminsauren  Ammoniaks  in 
einer  bestimmten  Zeit  gebildet  werden,  als  bei  Anwesenheit  von  Kohlen- 
säure. Zwei  Ammoniakmolecüle  bedürfen  nur  je  eines  Kohlensäuremole- 
cälee,  um  ein  Molecül  carbaminsaures  Ammoniak  zu  bilden,  während 
jedes  Kohlensäuremolecül  zu  demselben  Zwecke  mit  zwei  Ammoniakmole- 
cülen  unter  den  geeigneten  Bedingungen  zusammentreffen  muss. 

Aach  hat  Horstmann  noch  besonders  bewiesen,  dass  die  Spann- 
kraftsverminderung  eine  specifische  Wirkung  der  Zersetzungsproducte 
des  carbaminsauren  Ammoniaks  ist;  denn  bei  Versuchen  mit  einem  in- 
differenten Gase  (atmosphärischer  Luft)  zeigte  die  Substanz  in  der  Gas- 
atmosphäre fast  genau  dieselbe  Dissociationsspannung,  wie  im  leeren 
Baume.    Man  erkennt  dies  leicht  aus  nachstehender  Tabelle: 

Dissociationsspannung  des  carbaminsauren  Ammoniaks  in  einem  indiffe- 
renten Gase. 


Temp«ntar 

Gesammtdruck 

de»  Gemisches 

n 

Partialdrnck  des 

indiffereDt.  Gases 

P 

Partialdruck  des 
carbamins.  Am- 
moniaks im  Ge* 

> 

mische  f»2 

Dissociationsspan- 
nung d.  carbamins. 
Ammoniaks  im 
Vacuum 

17,9 
18,0 
18,0 
17,7 

177,6  mm 
240,8 
446,6 
443,8 

121,8  mm 
185,6 
390,1 
388,7 

55,8  mm 
55,2 
56,5 
55,1 

53,3 
53,7 
53,7 
52,6 

Die  etwas  höhere  Dissociationsspannung  im  indifferenten  Gase  ist 
jedenfalls  dem  Umstände  zuzuschreiben,  dass  in  Folge  der  Anwesenheit 
der  fremdartigen  Molecüle  die  Bestandtheile  des  carbaminsauren  Ammo- 
niaks sich  seltener  unter  den  zur  Neubildung  der  Verbindung  geeigneten 
Umständen  treffen  können,  als  wenn  fremde  Molecüle  nicht  vorhanden 
sind  9  während  die  fast  allein  von  der  Temperatur  abhängige  Anzahl  der 
in  gleichen  Zeiten  zersetzten  Molecüle  nahezu  ungeändert  bleibt.  Bei 
solchen  gasförmigen  Substanzen,  die  aus  gleichen  Volumen  der  Bestand- 

26* 


404 


n.   Thermochemie. 


theile  zusammengesetzt  sind  (wie  z.  B.  Salmiak  ans  gleichen  Yoli 
NH3  und  HCl),  muss  ein  gleich  grosser  üeherschoss  von  jedem  der 
standtheile  die  gleiche  Wirkang  hervorhringen  ^). 

Auch  die  partiellen  Wechselzersetznngen  im  eigentlichen  Sinne 
Wortes  lassen  sich  mit  Hülfe  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mc 
Wärmetheorie   in   durchaus  hefriedigender  Weise  behandeln.     Nc 
wir  zunächst  an,  es  handele  sich  um  die  Reaction  bei  Einwirkimg 
Wasserdampf  auf  Eisen.  Alsdann  haben  die  Disgregationen  Zi  und  Z| 
Wasserdampf  und  Wasserstoff  die  für  Gase  gegebene  Form  (GleichoDgl 
2j^  und  Z4  hingegen  beziehen  sich  auf  Eisenoxydul  und  Eisen,  alw 
feste  Körper,  und  sind  deshalb  vom  Grade  der  Dissociation  unabhäof 

Die  äussere  Arbeit  ist  Null,  da  für  jedes  Terschwindende  Yoh 
H3O  ein  gleich  grosses  Volumen  H3  entsteht.     Es  ist  demnach  Q 
und  die  Beding^g   des  Gleichgewichtes   in  einem  begrenzten 
wird: 

|  +  j-(l-%»a<|j)+C  =  0 

Hierin  ist  C  wiederum  die  Disgregations&nderung  für  den  Fall, 
die  Gase  auf  ein  Normalvolumen  gebracht  worden  sind;  pi  und  p% 
die  Partialdrucke  der  beiden  Gase.     Man  erkennt  leicht,   dass  bei 

stanter  Temperatur  das  Yerhältniss  —  constant  sein  muss. 

Behandelt  man  die  partielle  Wechselzersetznng  zweier  löslicher 
z.B.  Na^  SO4  und  NaNOs,  bei  Ueberschuss  beider  Säuren,  so  kommt 
relative  Menge  jeder  Substanz  bei  der  Dissociation  in  Frage,  da  sie 
Disgregation  jedes  der  gelösten  Bestandtheile  mit  fortschreitender 
Setzung  ändert.     Nimmt  man  an,  dass  in  verdünnten  Lösungen  die 
gregation  eines  Salzes  in  ähnlicher  Weise  von  der  Entfernung 
Molecüle  abhängt,  wie  bei  einem  permanenten  Gase,  so  findet  man, 
Gleichgewicht  stattfindet,  wenn: 

a  .  p  .  q^=  p'  .  gf 

wenn  p,  q,  p\  q'  die  relativen  Mengen  der  reagirenden  Sa 
Schwefelsaures  Natrium,  Salpetersaures  Ammonium,  Schwefelsäiire 
Salpetersäure  und  a  eine  Gonstante  bezeichnet. 

Dies  ist  aber  dieselbe  Formel,  welche  Guldberg')  f^  die 
Wirkungen  aus  anderen  Gesichtspunkten  ableitete  und  welche  J.  Th 
sen')  experimentell  bestätigt  hat 


^)  Man  vergleiche  die  Beobachtungen  von  Friedet  mit  C3 Hq 0  .  H Cl.  Coinpt.i 
Bd.  81,  S.  152. 

^)  C.  M.  Guidberg  und  P.  Waage,   itudes  aar  les  af&nit^s  chimiques, 
nia,  (JniverBitätsprogramm  1867t 

^)  J.  Thomsen,  Ueber  die  Berthollet'sche  Affinit&tstheorie;  Pogg.  Anfi.Bi 
S.  94,  Gl.  10. 


C.    Die  Dissociationserscheinungen. 


405 


Endlich  fährt  Hör  st  mann  noch  als  Beleg  für  die  Richtigkeit  seiner 
Theorie  die  partielle  Wechselzersetzung  zwischen  Lösungen  von  kohlen- 
saurem Kali  und  von  schwefelsanrem  Baryt  an.  In  diesem  Falle  bleihen 
nur  zwei  Körper,  nämlich  KjSO«  und  K^COs,  ^  Lösung,  während  die 
beiden  anderen  in  Betracht  kommenden  Substanzen,  BaSO«  und  BaCOs, 
fest  sind.  Ganz  in  Uebereinstimmung  mit  der  Theorie,  nacli  welcher 
feste  Körper  keinen  Einfluss  auf  den  Grad  der  partiellen  Wechselzer- 
setzung haben  sollen,  fanden  Guldberg  und  Waage ^)  durch  Versuche, 
dasB  eine  Vermehrung  der  Massen  der  festen  Körper  die  gegenseitige 
Wirkung  der  Substanzen  nur  äusserst  wenig  beeinflusse.  Nach  der 
Theorie  muss,  wenn  unsere  Annahme,  dass  Salze  in  verdünnten  Lö- 
sungen sich  ähnlich  wie  Gase  verhalten,  richtig  ist,  das  Verhältniss 
EsSO^  :  E9CO3  wesentlich  nur  eine  Function  der  Temperatur  und  fär 
dieselbe  Temperatur  also  K^SOi  '  K^COs  nahezu  constant  und  fast  un- 
abhängig vom  Verhältniss  BaS04  :  BaCGj  sein.  Die  Zahlen  der  nach- 
stehenden, der  Arbeit  der  beiden  schwedischen  Gelehrten  entnommenen 
Tabelle  bestätigen  diese  Folgerungen  der  Theorie  vollkommen. 

Partielle  Wechselzersetzung  zwischen: 

BaS04,  K^OOg,  BaCOa,  KaS04»). 


Temperatur 

Endzusttmd 

ADfangBznstand 

KaS04:KaC08 

Ba  S  O4  :  Ba  C  0^ 

(iBa  804,1/4X3003)   .    .    .    . 

100<»  C. 

0,17 

26,8 

(JBaS04,%KaC08)    . 

100 

0,19 

11,5 

(IBaSO«,    iK^COs)    . 

100 

0,25 

4,0 

(iBaCOj,    lKaS04)    .    . 

100 

0,21 

4,7 

(lBaS04,   2KaC08)    . 

100 

0,22 

1,4 

(lBaS04,    SKjCOg)    . 

100 

0,23 

0,75 

(lBaS04,   iK^COa)    .    , 

100 

0,24 

0,17 

(IBaSO«,    SKgCOs)    . 

100 

0,24 

0,03 

(lBaS04,    SKaCOg)    .   . 

15 

0,04 

4,3 

Hör  st  mann  hat  auch  noch  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  unter 
umständen  der  Grad  der  partiellen  Wechselzersetzung  nur  in  sehr  ge- 
ringem Maasse  von  der  Temperatur  beeinflusst  werden  kann,  nämlich 


M  C.  M.  Qnldberg  und  P.  Waage  a.  a.  0.  S.  59. 

^  Die  Lösungen  enthalten  1  MolectU  Salz  auf  500  Molecüle  Wasser. 


406 


II.  Thermochemie. 


dann,  wenn  -^  in  Gleiohang  6)  sehr  klein  ist  und  auch  die  Gröfise  Zsid 

nur  wenig  mit  der  Temperatur  ändert: 

Wir  sehen  also,  dass  die  Horstmann' sehe  Theorie  fast  alleroiil 
durch  die  ^Erfahrung  bestätigt  wird  ^)  und  dass  der  von  Pfaundler  eb 
geschlagene  Weg,  den  Mechanismus  der  Vorgänge  aus  der  IdnetiflciKi 
Gastheorie  zu  erklären,  in  allen  Fällen  ein  zutreffendes  BUd  von  dei| 
Verlaufe  der  Erscheinung  zu  entwerfen  gestattet. 


8.   üeber  die  Bescliaffldiilieit  der  LösungeiL 


Mit  den  soeben  besprochenen  Erscheinungen  der  partiellen  W( 
Zersetzung  in  engstem   Zusammenhange  steht  die  Thateache,  dsss 
Salze  schwacher  Basen  und  schwacher  Säuren  im  gelösten  Zustande 
in  einem  mit  wachsender  Verdünnung  zunehmenden  Zustande  der 
Setzung  befinden. 

Die  in  Wasser  gelösten  starken  Säuren  und  starken  Basen 
den  bei  Vereinigung  in  gehöriger  Aequivalentzahl  neutrale  und  dnrc 
beständige  Salze.  Die  bei  der  Bildung  von  einem  Aequivalente  Salz 
wickelte  Wärmemenge  wird  durch  ZufÜgung  neuer  Wassermeogen 
neuer  Mengen  der  Säure  oder  neuer  Mengen  derselben  oder  einer  vai 
Basis  nicht  erheblich  geändert.  Die  geringfügigen  Wärmeerscheinonj 
welche  etwa  wahrgenommen  werden,  können  durch  die  weitere  Verdi 
nung  der  Salzlösungen  vollkommen  erklärt  werden.  In  diese  Kategc 
der  beständigen  Salze  gehören  die  Chloride,  Nitrate  und  die  neni 
Sulfate  der  fixen  Alkalien. 

Es  zeigen  dies  z.  B.  die  nachstehenden  Versuche  von  BertlieU 
und  Saint  Martin^): 

1  Aequiv.  Salz  und  1  Aequiv.  Säure  in  je  2  Liter  Wasser  gelöst: 

(KClAq,  nClAq)  =  —  30  CaL 

(NaaAq,  HClAq)  =  —  30     „ 

(Am  Cl  Aq,  H  Cl  Aq)  =  —  40  „ 
(NOjKAq,  NOsHAq)  =  +  10  „ 
(NOsNaAq,  NOjHAq)  =  —  40  „ 
(NOaAmAq,  N03HAq)=  +  20     „ 

Die  beobachteten  Wärmemengen  sind  äusserst  gering,   übersteij 
kaum  die  unvermeidlichen  Beobachtungsfehler  und  sind  höchstens 
der  Ordnung  der  durch  weitere  Verdünnung  der  Lösungen  hervorgebi 
ten  Wärmeerscheinungen. 


1)  Pfaundler  hat  (Ber.  der  ehem.  Gesellsch.  Bd.  9,  S.  1152  bis  1157) 
da88  die  Hör  st  mann' sehe  and  die  Ton  ihm  selbst  aofgestellte  Theorie  im 
nicht  verschieden  sind. 

^)  Comptes  rendns  Bd.  69,  S.  464. 


C.   Die  DissöciaitionserBcheinungen.  407 

Gleichzeitig  beweisen  diese  Zahlen,  dass  im  gelösten  Zustande 
saare  Salze  der  einbasischen  Säuren  nicht  bestehen. 

Die  schwachen  Säuren  hingegen  bilden  selbst  mit  den  starken 
Basen  Salze,  welche  durch  Wasser  zersetzbar  sind.  Diese  Zersetzung 
nimmt  mit  wachsenden  Wassermengen  zu  und  nimmt  ab,  wenn  die  Säure 
oder  Basis  im  Ueberschusse  vorhanden  ist. 

Es  bedarf  wohl  kaum  des  besonderen  Hinweises,  dass  diese  letzte 
Thatsache  durch  die  im  vorhergehenden  Capitel  gegebenen  Mittheilungen 
über  den  Einfluss  der  Quantitäten  der  Substanzen  bei  chemischen  Reac- 
tionen  ihre  zureichende  Erklärung  findet. 

Ebenso  werden  die  Salze  der  schwachen  Basen  und  der  Metalloxyde  ^) 
selbst  mit  starken  Säuren,  noch  mehr  aber  die  Salze  dieser  Basen  mit 
schwachen  Säuren  durch  Verdünnung  mit  Säuren  merklich  zersetzt. 

Die  Borate,  Garbonate,  Cyanide,  Sulfide,  Phenate  der 
Alkalien  und  selbst  die  Acetate,  Butyrate,  Valerianate,  welche 
letztere  den  üebergang  von  den  Salzen  der  starken  Säuren  zu  denjenigen 
der  achwachen  Säuren  bilden,  zeigen  bei  zunehmendem  Wasserzusatze 
«ine  Zersetzung,  welche  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  fortschreitet. 
Sie  Alkoholate')  der  Alkalien,  die  sich  vom  Aethylalkohol,  dem 
-Ifannit,  dem  Glycerin  u.  s.  f.  ableiten,  werden  hingegen  schon  durch 
:den  ersteu  Wasserzusatz  fast  vollkommen  zersetzt;  die  absorbirte  Wärme- 
menge ist  nämlich  schon  bei  der  ersten  Zufahrung  von  Wasser  fast  eben 
flo  gross,  als  die  Wärmemenge,  welche  bei  der  Bildung  des  neutralen 
Salzes  entwickelt  wurde. 

,  Die  Salze  des  Ammoniaks  zeigeu,  selbst  wenn  die  Säuren  zu  den 
lilarken  gehören,  deutliche  Spuren  von  Zersetzung  durch  Wasser  (man 
sehe  z.  B.  Bd.  2,  II,  G,  3,  S.  380). 

Bei  den  Salzen,  welche  das  Ammoniak  mit  schwachen  Säuren  bildet, 
ist  die  Zersetzung  durch  Wasser  noch  viel  auffälliger.  Das  neutrale  Gar- 
bonat  und  Phenat  des  Ammoniaks  wird  z.  B.  durch  Wasser  viel  stärker 
zersetzt,  als  die  Garbonate  und  Phenate  der  festen  Alkalien. 

Gelöste  Salze  reagiren  derart  auf  einander,  dass  sich  die  starken 
Säuren  der  starken  Basen  bemächtigen  und  die  schwache  Säure  sich  mit 
der  schwachen  Basis  verbindet.  Kaliumcarbonat  z.  B.  zersetzt  sich  mit 
einer  äquivalenten  Menge  von  gelöstem  Ammoniumsulfat  und  führt  zur 
Bildnng  von  Ealiumsulfat  und  Ammoniumcarbonat.  Es  wird  dieser 
Vorgang  durch  eine  Entwickelung  von  3200  Galorien  angedeutet  ^). 
Ebenso  zersetzen  sich  die  Borate,  Gyanide,  Phenate  der  Alkalien  in  Ge- 
genwart von  Chlorammonium  oder  Ammoniumsulfat,  und  bilden  Chloride 


^)  Berthelot,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  4.  Serie.  Bd.  29,  S.  458,  467,  474, 
tt.  Bd.  30,  S,  145.  —  *)  Berthelot,  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.  4.  Serie.  Bd.  29,  S.  291 
>nd  461,  zumal  S.  634.  Auch  sehe  man  die  Zusammenstellung  der  Berthelo  fachen 
Arbeiten  über  die  Constitution  der  Lösungen  in  Naumann,  Allgemeine  und  physikalische 
Cbemie,  S.  627  u.  s.  f.,  welche  wir  mehrfach  benutzt  haben.  —  ^  Man  sehe  Berthelot, 
Comptes  rendus  Bd.  73,  S.  1051. 


408 


II.    Thermochemie. 


und  Sulfate  der  Alkalien.  Ebenso  zersetzt  sich  Natriumacetat  durcli  die 
Sulfate,  Chloride,  Nitrate  des  Eisens,  des  Zinks,  des  Kupfers  unter  Bil- 
dung der  Sulfate,  Chloride,  Nitrate  des  Natriums^).  Auch  diese  Vorginge 
sind  durch  das  thermische  Verhalten  leicht  zu  erkennen.  Ist  das  one, 
oder  sind  beide  Salze  in  der  Lösung  im  Zustande  theilweiser  Zersetsang, 
so  bilden  sich  immer  (die  Ausnahmen  werden  wir  im  Folgenden  mitüiei- 
len)  diejenigen  Salze,  bei  deren  Entstehung  die  grösstmögliche  Wärme- 
menge entwickelt  wird. 

Bei  Einwirkung  von  Wasser  auf  die  sauren  Salze  der  zweibaaiselien 
Säuren  stellt  sich  ein  von  den  relativen  Mengen  der  Componenten  ab- 
hängiges Gleichgewicht  zwischen  Wasser,  dem  sauren  Salxe,  der  S&aie 
und  dem  neutralen  Salze  her.     Alle  yier  Körper  bestehen,  ganz  entspR- 
chend  der  im  vorigen  Capitel  entwickelten  Theorie,  gleichzeitig  nebea 
einander.  —  Welche  Wirkung  das  Wasser  eigentlich  hierbei  spielt,  ist 
selbstverständlich  nur  äusserst  schwierig  zu  erkennen.    Das  Wasser  burn 
nämlich  in  sofern  chemisch  im  engeren  Sinne  wirken ,  als  die  Säure  irnii 
auch  die  Basis  mit  Wasser  verschiedene  Hydrate,  die  Salzmoleeule  mit 
Wassermolecülen  zusammengesetzte  Moleoüle  bilden  können,  ähnlich  dn 
Molectilgruppen,  aus  welchen  die  krystallisirten  Salze  bestehen;  a]lder6^ 
seits  aber  kann  das  Wasser  auch  lediglich  dadurch  zersetzend  auf  die 
Salze  wirken,  dass  die  Bestandtheile  der  durch  Zusammenstösse  zenpal- 
tenen  Molecüle  in  grösseren  Wassermengen  immer  seltener  mit  den  an" 
deren  zur  Bildung  des  Salzes  gehörigen  Molecülen  zusammentreffen  kön- 
nen 3).    Zumal  der  letztgenannte  Umstand  würde  eine  stete  Zunahme  dff  j 
Zersetzung  der  Salze  mit  wachsender  Wassermenge  unter  WärmeahBorp^ 
tion  vollständig  erklären.     Höchst  wahrscheinlich  aber  sind  in  den  mar\ 
sten  Fällen  beide  angeführten  Momente  auf  den  Verlauf  der  Elrscheinimg 
gemeinsam  von  Einfluss. 

Die  nachstehend  mitgetheilten  von  Berthelot')  herrfihrendenBeob- 
achtungswerthe  bestätigen  diese  Ansicht  vollständig  9  wenn  man  berflok« 
sichtigt,  dass  die  Bildung  des  Disulfates  des  Kaliums  aus  dem  neatraleft 
Kaliumsulfat  und  aus  freier  Schwefelsäure  von  einer  Wärmeabsorption 
von  ungefähr  2000  Calorien  pro  Aequivalent  begleitet  ist. 

1)   Behandlung  von  neutralem  Kaliumsulfat  mit  Schwefel- 
säure. 

V2  SO4  K2  (87g  in  1 1)  +  V«  SOiHs  (49g  in  1 1)  =  —  1230  CaL 

+     1  SO4H2  „  =—  1590    „ 

+  VaS04H2  „  =-  1840    , 

+     Ö  SO4H3  „  =  —  1900    „ 

Die  absorbirte  Wärmemenge  nimmt,  wie  es  scheint,  zu,  bis  das 
1  Aequiv.  neutrales  Sulfat  vollständig  in  Disulfat  verwandelt  worden  iit 


n 
n 

7i 


^)  A.  a,  0.  S.  1474  u.  Compt.  reiid.  Bd.  74,  S.  122.  —   «)  Vermehrung  dw  D»- 
gregation  des  Salzes.  —  ^)  Compt.  rend.  Bd.  75,  S.  207  u.  263. 


C.    Die  Dissociationserscheinungen.  409 

Annälienid  dasselbe  Resultat  ergiebt  sich,  wenn  die  Schwefelsäure 
durch  einen  wachsenden  Zusatz  von  neutralem  Sulfat  vollständig  in  sau- 
res schwefelsaures  Kali  verwandelt  wird. 

2)    Behandlung  von  Schwefelsäure  mit  neutralem  Kalium- 
sulfat. 

Va  SO4  Ha  (49g  in  1  1)  +  Va  SO4K2  (87  g  in  1 1)  =  —  1260  Cal. 

+    1  SO4K2  „  =-  1700     „ 

+  V2SO4K,  „  =-  1990     „ 

+    5SO4K,  „  =-  2200     „ 

Die  zunehmende  Zersetzung  des  Disulfates  durch  wachsende  Wasser- 
mengen erkennt  man  aus  folgenden  Zahlen: 

V2S04K,(1  Aeq.  in    11)  +  V2  SO4H2  (1  Aeq.  in   1 1)  =  —  1230 
„        (1  Aeq.  in    2 1)  +  „  (1  Aeq.  in   21)  =  —  1040 

„        (1  Aeq.  in    4 1)  -f  „  (1  Aeq.  in   41)  =  —     980 

„        (1  Aeq.  in  101)  +  „  (1  Aeq.  in  101)  =  —     800  (ca.) 

Die  Menge  des  gebildeten  DisuKates  ist  demnach  um  so  geringer,  je 
grosser  die  angewendete  Wassermenge  ist.  In  Folge  dieser  Zersetzung 
entbindet  eine  Lösung  von  Kaliumdisulfat  Wärme,  wenn  die  Lösung 
weiter  mit  Wasser  verdünnt  wird,  während  die  Verdünnung  von  Lösun- 
gen beständiger  Salze  stets  von  einer  Wärmeabsorption  begleitet  wird. 
Eine  Lösung  von  40  g  des  Salzes  in  1  Liter  Wasser  entwickelt  z.  B.  bei 
Verdünnung  mit  einem  gleichen  Volumen  Wasser  4"  330  Cal.,  während 
die  gleiche  Verdünnung  äquivalenter  Lösungen  des  neutralen  Kalium- 
Bülfates  und  der  Schwefelsäure,  getrennt  ausgeführt,  zusammen  nur  eine 
Wärmemenge  von  +  60  Cal.  entwickeln. 

Ein  ganz  analoges  Verhalten  zeigt  z.  B.  auch  die  zweibasische  Oxal- 
säure. — 

Von  demselben  Gesichtspunkte  aus,  von  dem  der  Einfluss  wachsender 
Wassermengen  auf  nicht  sehr  stabile  Salze  vollkommen  klar  erschien, 
kann  man  auch  erkennen,  dass  es.  sich  bei  Vertheilung  einer  Base 
zwischen  mehreren  Säuren^)  und  einer  Säure  zwischen  meh- 
reren Basen  um  Vorgänge  handelt,  welche  mit  den  früher  entwickelten 
Principien  der  Moleculartheorie  durchaus  im  Einklänge  sind.  — 

Wir  müssen  hierbei  nur  daran  festhalten,  dass  die  Bestandtheile  der 
Molecüle  solcher  Salze,  welche  in  Lösungen  nicht  zersetzt  werden,  so  fest 
an  einander  haften,  dass  dieselben  bei  Zusammenstössen  unter  einander 
oder  mit  anderen  Molecülen  entweder  gar  nicht,  oder  nur  in  äusserst 
seltenen  und  daher  im  Erfolg  nicht  bemerkbaren  Fällen  zerspalten  werden. 

So  wird  z.  B.,  wenn  man  essigsaure  und  kohlensaure  Salze  mit  äqui- 
valenten Mengen  einer  stärkeren  Säure  behandelt,  die  schwächere  Säure 
vollständig  oder  wenigstens  fast  vollständig  verdrängt.    Man  erkennt 

^)  Mansche  auch  die  hierauf  bezügliche  Thomsen'sche  Gleichung  11)  auf  Seite  404 
im  vorhergehenden  Paragraphen. 


410  II.    Thermochemie. 

dies  daraus,  dass  die  bei  der  Mischung  eintretende  Wärmeentwickehmg 
fast  genau  gleioh  der  Differenz  der  Neutralisationswännen  beider  Säuren 
ist.  Die  gebildeten  Molecüle  der  Chloride,  Nitrate  sind  so  stabil,  da» 
sie,  wenn  einmal  gebildet,  nicht  wieder  zerspalten  werden,  deshalb  nimmt 
ihre  Anzahl  fortwährend  bis  zur  vollständigen  Umsetzung  zu. 

Dies  zeigen  z.  B.  nachstehende  Versuche  Berthelot^s^): 

CjHsNaOa  (1  Aeq.  in  2  1)  +  NO3H  (1  Aeq.  in  2  1)         =  +    450CiL 
Differenz  der  Neutralisationswärmen:    13700  —  13300  =    400  , 

NOaNa  (1  Aeq.  in  2  1)        +  C,H4  0a  (1  Aeq.  in  2  1)       =  —      60  , 

CaHjNaO,  „  +  HCl  „  +  460, 

Differenz  der  Neutralisationswärmen:   13700  —  13300  =    400  . 

NaCl  (1  Aeq.  in  2  1)  +  CgH^Oa  (1  Aeq.  in  2  1)       =  0  , 

V2  CO3  Naj  (1  Aeq.  in  13  1)  +  NO3  H  (1  Aeq.  in  2  1)  =       3410  , 

Differenz  der  Neutralisations wärmen :   13700  ~  10200  =  3500  , 

Vs  COsNa,  (1  Aeq.  in  18 1)  +  C8H4O2  (1  Aeq.  in  2  1)  =  3140  , 
Differenz  der  Neutralisations  wärmen :    13300  —  10200  =  3100  , 

V«  COaNaaCl  Aeq.inlSl)  +  V2SO4H,  (1  Aeq.  in  2  1)  =  +  5520  . 
Differenz  der  Neutralisationswärmen:   15870  —  10200  =  5670  , 

COsNaH  (1  Aeq.  in  181)  +  V2C4H6O6  (1  Aeq.  in  2  1)  =  +  1610  , 
Differenz  der  Neutralisationswärmen:   13300  —  11600  +  1700  , 

CaHjNaOa  (1  Aeq.  in  2  1)  +  V2SO4H8  (1  Aeq.  in  2  1)  =  +  2380  , 
Differenz  der  Neutralisationswärmen:    15870  --  13300  ==  2570  . 

C2H4O3       (1  Aeq.  in  2  1)  +  1/2  S04Naj(l  Aeq.  in  2  1)  =  —     120  , 

Die  Behauptung  Berthelot's,  dass  in  Lösungen  die  chemisehfli 
Vorgänge  immer  in  dem  Sinne  verliefen ,  in  welchem  dieselben  bei  Ab- 
wesenheit von  Wasser  vor  sich  gehen,  ist  jedenfalls  für  alle  die  Falk 
richtig,  in  welchen  das  verdünnende  Wasser  lediglich  die  Disgregatioi 
der  gelösten  Substanzen  vergrössert,  sie  wird  dagegen  falsch  sein,  wem 
das  Wasser  mit  einem  der  gelösten  oder  durch  partielle  Wechselzersetzuig 
entstehenden  Körper  Molecularverbindungen  bildet  und  die  hierbei  est- 
wickelte  Wärmetönung  grösser  ist  als  die ,  welche  bei  irgend  einer  ai- 
deren  Art  der  Vereinigung  der  dissociirten  Molecüle  gebildet  werden  würde. 

Als  Beispiel  für  seine  Behauptung  führt  Berthelot  an,  dass  Essig- 
säure durch  die  zweibasische  Weinsäure,  die  zweibasische  Oxalsäure  voll* 
ständig  durch  die  einbasische  Salpeter-  und  Salzsäure  verdrängt  werden, 
obgleich  alle  diese  Processe  mit  einer  Wärmeabsorption  vor  sich  geli«B, 
welche  der  Differenz  der  Neutralisationswärnien  fast  genau  gleich  sini 

Die  Differenz  der  Neutralisationswärmen  ist  negativ,  hingegen  ist 
der  Unterschied  der  bei  Bildung  der  festen  Salze  frei  werdenden  Wime* 
menge  positiv  im  Sinne  der  eintretenden  Reaction. 


^)  Comptes  rendus,    Bd.  75,    S.  435,  480,   538  u.  583 ,    und  Ann.  de  dum.  rt  ^ 
phys.,  4.  Serie,  Bd.  30,  S.  456  bis  539. 


C.    Die  Dissociationserscheinangen.  411 

Nachstehende  Beobachtongszahlen  Berthelot' b  beweisen  dies: 

C,  Ha  Na  Oa  (1  Aeq.  in  2 1)  +  Va  C4  Hg  Oß  (1  Aeq.  in  4 1)       =  —     ÖOOCal. 
Differenz  der  Nentraüsationswärmen:  12660  —  13300  =  —     640  „ 

C8H4  0a  (lAeq.in21)       +  V2C4H4Na2  06  (1  Aeq.in41)  =  +     140  ^ 

3NO3H     (lAeq.in21)  +  V«C2Na,04      (33,5 g in  1 1)  =  —    730  „ 
Differenz  der  Neutralisationswännen:  13720  —  14340  =  —    620  „ 

INOaH      (lAeq.in21)  +  V2C2Naj04  (33,5ginll)      =  —     600  „ 

INOsH  «  +  V3C2Na«04  „  =  —    890  „ 

3Ha  „  +  V3C2Na804  „  =  —     740  „ 

Differenz  der  Nentraliäationswärmen:  13690  —  14340  =  —     650  „ 

IHCl  (1  Aeq. in 21)  +  ^^€^^€^04  (33,5ginll)      =  —     700  „ 

IHCl  „  +  V«0aNa204  „  =-1070„ 

Die  Einwirkung  von  Chlornatriam  oder  Natriumsulfat  auf  Oxalsäure 
giebt  keine  merkliche  Wirkung.  Bei  Ueberschuss  von  neutralem  Oxalate 
tritt  ausserdem  noch  die  Abkühlung  von  —  400  durch  Bildung  des 
Dioxalates  hinzu. 

Die  gänzliche  Yerdrängnng  entspricht  in  der  That  derjenigen  Reac- 
tion  zwischen  den  wasserfreien  Körpern,  welche  am  meisten  Wärme  ent- 
bindet, denn  es  ist: 

(2  N  Oj  H,  Ca  Naa  O4)      =  +  2 1000  Calorien  bei  Bildung  von :  2  N  O3  Na 

+  CaH304 
(2NO3H,  CaNaa04)       ==  +  12400  Calorien  bei  Bildung  von:  NOsNa 

+  CsHNa04  4-  NO3H 
(NQsH,  CaRNa04)        =  +     8600  Calorien  bei  Bildung  von:  NOsNa 

+  CaH,04 

Oxalsäure  und  Essigsäure  theilen  sich  bei  gemeinsamer  An- 
wesenheit in  eine  vorhandene  Basis,  obschon  die  Reaction  der  wasser- 
freien Körper  eine  solche  keineswegs  voraussetzen  lässt.  Giebt  bei  dem 
gleichzeitigen  Einwirken  einer  zweibasischen  und  einer  einbasischen  Säure 
auf  eine  Basis  die  Bildung  des  sauren  Salzes  im  ungelösten  Zustande  die 
grösste  Wärmeentwickelung,  so  wird  sich  dieses  Salz  zunächst  bilden  und 
bei  Abwesenheit  von  Wasser  findet  eine  genaue  Theilung  der  Basis  zwi- 
schen den  beiden  in  äquivalenten  Mengen  angewendeten  Säuren  statt. 

Schwefelsäure  und  Salpetersäure  ergeben  z.  B.  im  wasserfreien  Zu- 
stande nachstehende  Wärm eent Wickelungen  bei  beistehenden  Reactionen: 

S04Ha  +  2NO3K  =  SO4KH  -f  NO3K  +  NO3H  =    5900  Cal. 
804Ka  +  2N08H  =  8O4KH  +  NO3K  +  NO3H  =  10100    „ 

In  wässerigen  Lösungen  wird  das  Disulfat  zum  Theil  wieder  zer- 
setzt; die  hierdurch  frei  werdende  Schwefelsäure  wirkt  wieder  zersetzend 
auf  das  Nitrat  und  strebt  von  Neuem  Disulfat  zu  bilden.     Es  entsteht 


412  IL  Thermochemie. 

daher  ein  ziemlich  complicirtes  Gleichgewicht  zwischen  neatralem  Sulfit, 
Dbulfat,  freier  Schwefelsaure,  verdünnter  Salpetersäure  und* Nitrat 

Bei  den  hier  mitgetheilten  Yersuohszahlen  äherwiegt  die  Wänne- 
ahsorption  hei  Bildung  des  Disulfates  in  wässeriger  Lösung,  dieselbe 
nimmt  jedoch  um  so  mehr  ah,  je  weniger  saures  Salz  infolge  wachsender 
Verdünnung  gebildet  werden  kann: 

V2SO4K3  (1  Aeq.  in  1  1)  +  NO3H  (1  Aeq.  in  1  1)         =  —  1810 C»L 
Differenz  der  Neutralisationswärmen 1880  „ 

NOsK  (1  Aeq.  in  1  1)  +   V2SO4H2  (1  Aeq.  in  11)  =  —       70  , 
V2  SO4K3  (1  Aeq.  in  2  1)  +  NO3H  (1  Aeq.  in  2  1)  '      =  —  1780  , 

NOsK  „  +  V2SO4H,       „  =  +     190 

V2S04Ka  (1  Aeq.  in  4  1)  +  NO3H  (1  Aeq.  in  4  1)         =  —  1600 

NOsK  „  +   V2SO4H3       „  =  +     240  . 

V2SO4K3  (1  Aeq.  in  101)  +  NO3H  (1  Aeq.  in  101)         =  —  1500  , 

NO3K  „  +  V2SO4H2       „  =  +     150  , 

Ganz  ähnliche  Resultate  ergehen  sich,  wenn  man  Kalium  durch  eise 
andere  starke  Basis  und  Salpetersäure  durch  Salzsäure  ersetzt. 

Die  Alkalisalze  der  Säuren  der  Fettreihe  stehen  in  ihrem  Yerhalten 
zu  Wasser  nahe  in  der  Mitte  zwischen  den  Salzen  der  starken  und  des 
der  schwachen  Säuren.  Sie  nähern  sich  um  so  mehr  den  Letzteren,  je 
höher  ihr  Atomgewicht  steigt.  Die  Formiate  sind  nahezu  so  stabil  wie 
die  Salze  starker  Säuren ;  die  Valeriate  gehen  schon  leicht  in  saure  Salxe 
über,  die  stearinsauren  und  margarinsauren  Salze  zerfallen  mit  Wasaer 
schon  in  der  Kälte  in  Doppelsalae  und  freie  Basis  ^). 

Je  nach  ihrer  Stärke  verdrängen  sich  auch  die  Fettsäuren  theilweiie 
aus  ihren  Salzen. 

Auch  die  Yertheilung  einer  beliebigen  Säure  zwischen  meh- 
reren  Basen  ^)  geht  in  ähnlicher  Weise  vor  sich,  wie  die  VertheiliiBg 
einer  Basis  zwischen  mehreren  Säuren.  Die  stärkere  Basis  verdrängt  die 
schwächere  aus  den  Verbindungen,  z.  B.  wird  Ammoniak  in  gelösten 
Salzen  vollständig  durch  Natron  oder  Kali  ersetzt;  selbst  Kalk  verdringt 
das  Ammoniak  aus  einer  GhlorammoniumlÖsung. 

Bekanntlich  besitzt  das  Natron  eine  um  ungefähr  1120  Cal.  höhere 
Neutralisationswärme  mit  Salzsäure,  als  Ammoniak.  Nach  Berthelot*« 
Versuchen  ist: 

NH4CI  (1  Aeq.  in  2  1)  +-  1/2  Na^O  (1  Aeq.  in  2  1)  =  +  1070 CaL 
NHs  „  +NaCl  „  =  -       50  , 

Ein  Ueberschuss  eines  der  vier  in  Frage  kommenden  Körper  ändert 
nichts  am  Resultat ,  so  dass  für  diesen  Fall  die  einfache  Ersetzung  des 
Ammoniums  durch  Natrium  für  bewiesen  erachtet  werden  kann. 


^)  Man  sehe:   Berthelot,  Ann.  de  chim.  et  de  phjB.    5.  Serie,  Bd.  6,  S.  331» 
Comptes  rendus  Bd.  80,  S.  700. 

>)  Berthelot,  Comptes  rendus  Bd.  80,  S.  1564  bis  1568. 


C.    Die  DisBOciationBerscheinungen.  413 

Gewölinlicher  Alkohol,  Olycerin,  Mannit,  Gummi  zeigen  das 
eigenihümliobe  Yerhalten,  dass  sie  sich  in  conoentrirten  Lösungen  (Alko- 
hol nur  in  unverdünntem  Zustande)  wie  Säuren  unter  Wärmeentwicke- 
long  mit  den  Basen  verbinden;  diese  Verbindungen  sind  jedoch  aus- 
nahmslos so  locker,  dass  meist  ein  geringer,  höchstens  ein  fünffacher 
Wasserzusats  genügt,  um  das  gebildete  Salz  vollständig  zu  zerstören. 
Die  beim  Verdünnen  beobachtete  Absorption  von  Wärme  ist  nämlich  fast 
genau  gleich  der  vorher  bei  Bildung  des  Salzes  entwickelten  Wärme- 
menge. 

Berthelot  beobachtete  z.  B.  folgende  Wärmeerscheinungen  beim 
Glycerin : 

(CaHgOs  +  lOOHjrO)  +  (VsNsO  +  100 H2O)  =  +  372  Cal. 
Beim  Verdünnen  mit  dem  fünffachen  Vol.  H9  0=  —  363     „ 

Phenol  und  Pikrinsäure  verbindet  sich  mit  gelösten  festen  Al- 
kalien wie  eine  wahre  Säure,  ohne  dass  eine  basische  oder  saure  Verbin- 
dung gebildet  würde;  die  entstandenen  Salze  werden  durch  Wasserzusatz 
nicht  merklich  zersetzt.  Hingegen  wird  Ammoniumphenat,  wie  die  mei- 
sten Ammoniumsalze  durch  Verdünnung  theilweise  zerstört. 

Eigenartige  Erscheinungen  treten  bei  Bildung  der  Salze  des  Alde- 
hyds, der  Salicylsäure,  Milchsäure,  der  Weinsäure  und  bei  ihrer 
Behandlung  mit  Wasser  auf.  Aldehyd  bindet  zunächst  beim  Mischen 
mit  Wasser  eine  ziemlich  bedeutende  Wärmemenge,  vielleicht  indem  es 
ein  dem  Ghloralhydi*at  ähnliches  Hydrat  bildet.  Mischt  man  diese  Lö- 
sung mit  verdünnter  Natronlauge,  so  tritt  eine  neue  Wärmeentwickelung 
ein,  ein  Theil  derselben  wird  sofort  merklich,  ein  anderer  Theil  entsteht 
erst  aUmälig,  vielleicht  in  Folge  einer  allmäligen  Sauersto£faufnahme 
ans  der  Atmosphäre«  Verdünnt  man  diese  Mischung  mit  viel  Wasser,  so 
wird  die  gebildete  Verbindung  unter  Wärmeabsorption  zum  Theil  wieder 
zerstört  Die  Salicyl-,  Milch-  und  Weinsäure  verhalten  sich  in  verdünn- 
ten Lösungen  wie  gewöhnliche  Säuren,  indem  sie  neutrale  Salze  bilden, 
die  durch  weiteren  Wasserzusatz  nicht  erheblich  zersetzt  werden.  In 
sehr  conoentrirten  Lösungen  verhalten  sie  sich  hingegen  ähnlich  wie  die 
voriiin  erwähnten  Alkohole.  Vielleicht  wird  im  conoentrirten  Zustande 
mehr  als  ein  Atom  Wasserstoff  durch  das  Metall  ersetzt  und  die  so  ge- 
bildete Verbindung  schon  durch  geringen  Wasserzusatz  zersetzt^). 

Durch  eine  besondere  Untersuchung  hat  Berthelot  übrigens  auch 
dargethan,  dass  die  Sätze,  welche  für  die  Theilung  einer  Basis  zwischen 
zwei  Säuren  imd  die  Bildung  löslicher  Salze  innerhalb  einer  Lösung  gel- 
ten, auch  für  in  Wasser  unlösliche  Salze  gelten.  Häufig  geschieht  auch 
hier  die  Verdrängung  einer  schwächeren  Säure  durch  eine  stärkere  unter 
Wärmeabsorption ,- also  eigentlich. entgegen  dem  Gesetze  von  der  ohemi« 


^)  Genaxieres  sehe  man:  Berthelot,  Comptes  rendos  Bd.  73,  S.  668  bis  681« 


414  II.  Thermochemie. 

sehen  MaximaJarheit.  Die  negative  Warmeentbindong  hat  aber  ihre 
Ursache  dann  darin,  dass  erst  ein  festes  Salz  yorhanden  war,  nnd  sdüieBa- 
lich  eine  gelöste  Verbindung  entstanden  ist,  die  Differeni  der  Neatnii- 
sationswärmen,  also  durch  die  Wärmeabsorption  bei  der  Lösung  über- 
troffen wird. 

Die  Metallsalze  zeigen  in  gelöstem  Zustande  deutliche  Symptome 
der  partiellen  Zersetzung.  Es  ist  dies  daran  kenntlich,  dass  die  bei  Bil- 
dung eines  MetaUsalzes  oder  Mischung  mehrerer  Salze  entstehende  Wärme- 
menge mit  zunehmender  Verdünnung  der  Lösungen  erheblich  abnimmt 
Bei  Mischung  mehrerer  Salzlösungen  tritt  meist  ein  Dissociationsgleich- 
gewicht  ein,  bei  welchem  sich  in  überwiegender  Menge  das  beständigste 
Salz  bildet,  d.  h.  dasjenige,  in  dem  die  stärkste  Säure  mit  der  stärksten 
Basis  verbunden  ist. 

Mengt  man  z.  B.  Kupfer-  oder  Zinksulfat,  Kupferchlorür  oder  Kupf^- 
nitrat  mit  Natriumacetat,  so  bildet  sich  vorzugsweise  NatriumsulÜBit  n-s.!, 
und  Kupfer-  oder  Zinkacetat.  Einzelne  MetaUsalze  können  durch  stsrkei 
Erhitzen  und  durch  starkes  Verdünnen  ihrer  Lösungen  in  MetaUoxyd  nnd 
Säure  dissocürt  werden;  besonders  ist  dies  merklich  bei  den  Metallsalien 
der  schwachen  Säuren.  Die  Sulfette  und  Nitrate  der  Metalle  ^igen  hin- 
gegen grössere  Beständigkeit. 

Als  Gesammtresultat  seiner  sämmtlichen  auf  die  Constitution  der 
Lösungen  bezüglichen  Untersuchungen  stdlt  Berthelot  ^)  sehlieaalieh 
den  Satz  auf:  Vorzugsweise  bildet  sich  diejenige  Verbindung,  bei  deren 
Entstehung  die  grösste  Wärmemenge  entwickelt  wird.  Ist  diese  Ver- 
bindung in  Gegenwart  von  Wasser  beständig,  so  ist  die  Bildung  eine 
vollständige  (Einwirkung  von  Salzsäure,  Salpetersäure  etc.  auf  die  Qu* 
bonate,  Acetate  etc.).  Erleidet  diese  Verbindung  jedoch  durch  die  Ein- 
wirkung des  Wassers  eine  partielle  Zersetzung,  so  wird  die  Bildung  der 
Verbindung  mit  der  geringsten  potentiellen  Energie  durch  die  theilweiee 
Zersetzung  derselben  begrenzt  und  daher  nicht  zu  Ende  gefuhrt  (diei 
zeigt  z.  B.  die  nur  theilweise  Zersetzung  der  neutralen  Sol£GLte  doidi 
Salzsäure  und  Salpetersäure,  da  das  gebildete  Disulfat  durch  Wasser  dis- 
socürt wird). 

Diese  Untersuchungen  zeigen  einerseits,  dass  die  thermochemischen 
Methoden  geeignet  sind,  in  Fällen,  in  welchen  die  Analyse  nicht  anwend- 
bar ist,  wie  dies  bei  der  Frage  nach  der  Constitution  der  Lösung  statt- 
findet, Aufschluss  zu  geben,  und  andererseits  werden  wir  dadurch  anf- 
merksam  gemacht,  dass  die  Lösungswärme ')  der  Substanzen  meist  nicht 
nur  als  ein  Aequivalent  einer  Disgregation  der  betre£Penden  Körper  durch 
eine  indifferente  Masse  dazwischen  tretender  Molecüle  anzusehen  ist,  son- 
dern dass  dieselbe  vielmehr  häufig  als  eine  algebraische  Summe  Ter- 
schiedener  zum  Theil  entgegengesetzter  Wärmeerscheinungen  betrachtet 


^)  Sur  la  statique  des  dissolutions  salines,  Comptes  rendns  Bd.  74,  8.  94  bis  9& 
^)  Man  vergleiche  auch  diesen  Band  S.  365,  Zeile  4  v.  o. 


C.   Die  Dissociationserscheinimgen.  415 

werden  moBS,  welche  in  yerschiedenartigen  extramolecnlaren  (rftamliche 
Trennnng  der  Molecüle  der  gelösten  Substanz)  and  intramolecularen  Vor- 
gängen (Zerfall  der  Molecüle  der  gelösten  Substanz,  Bildung  neuer  Molecül- 
gruppen  unter  Hinzutritt  von  Wassermolecülen)  ihren  Ursprung  haben  ^). 

0.    Die  Dissooiationsersoheinungen  in  den  Flammen. 

Wenn  irgend  eine  Substanz  in  einer  Atmosphäre  einer  anderen,  mit 
der  sie  sich  unter  Wärmeentwickelung  verbindet,  verbrennt,  so  ist  man 
im  Stande,  ein  Temperaturmaidmum  zu  berechnen,  welches  die  Tempe- 
ratur des  Gemisches  höchstens  erreichen  könnte,  das  aber  in  Wirklich- 
keit nie  erreicht  werden  wird,  da  durch  Leitung  und  Strahlung  und 
ausserdem  auch  durch  die  negative  Verwandlung  von  kinetischer  Energie 
in  potentielle  Energie  bei  der  Dissociation  der  gebildeten  Verbindung 
stets  eine  grosse  Menge  Wärme  wiederum  consumirt  wird. 

Sieht  man  aber  von  allen  diesen  Umständeji  ab,  durch  welche  in 
Wirklichkeit,  zumal  bei  Flammen,  sehr  erhebliche  Wärmeverluste  herbei- 
geführt werden,  so  könnte  man  ein  solches  theoretisches  Maximum  der 
Flammentemperatur  auf  folgende  Weise  berechnen: 

Verbinden  sich  äquivalente  Gewichtsmengen  a  und  h  zweier  Sub- 
stanzen (z.B.  2H,  mit  16  Gewichtstheilen  0)  zu  einem Aequivalente  oder 
a  '\-  h  Gewichtstheilen  einer  Verbindung  (z.  B.  HgO)  bei  ^®,  so  werden 
hierbei,  wenn  weder  äussere  Arbeit  geleistet,  noch  sonstige  Aenderungen, 
z.  B.  des  Aggregatzustandes  eintreten,  n  Wärmeeinheiten  entbunden, 
welche  die  Wärmetönung  des  Processes  repräsentiren. 

In  dem  angenommenen  Beispiele  ist  bei  Bildung  von  Wassergas  von 
180  die  Wärmetönung  n  =  57  668').  Hierdurch  könnten,  wenn  diese 
Wärme  nur  auf  Temperaturerhöhung  der  entstandenen  Verbindung  ver- 
wendet würde,  die  entstandenen  a  +  b  Gewichtstheile  der  Verbindung 
auf  eine  Temperatur 

t  = 2 12) 

erhitzt  werden,  wenn  c^  die  specifische  Wärme  der  Verbindung  wäre. 
In  dem  von  uns  gewählten  Beispiele  ist: 

n  =  57668,  a  +  5  =  18,  c^  =  0,4805, 


^)  Einen  wichtigen  Schritt  vorwiirts  zur  Zerlegung  der  Summe:  „AuHösungswärme** 
in  ihren  einzelnen  Summanden  haben  P.  A.  Favre  und  C.  A.  VaUon  in  ihren  Unter- 
suchungen über  die  krystallinische  Dissociation  gethan.  Ein  eingehendes  Referat  über 
diese  umfänglichen  Arbeiten  würde  uns  zu  weit  führen.  Man  sehe  die  Abhandlungen 
in:  Comptes  rendus  Bd.  73,  S.  1144  bis  1152,  S.  1376  bis  1379;  Bd.  75,  S.  330,  385, 
1066:  Bd.  77,  S.  577  u.  803. 

^  Man  hat  von  der  von  Thomsen  gefundenen  Zahl  68  360,  welche  für  die  Bil- 
dung von  flüssigem  Wasser  von  18^  gilt,  die  mit  der  Anzahl  der  gebildeten  Gewichts- 
einheiten 18  multiplicirte  Dampfw&rme,  also  18  X  594  =  10692  Cal.  zu  subtrahiren. 


4]  6  n.    Thermochemie. 

mithin  ergieht  sich  eine  theoreÜBche  Flammentemperatar  von: 

t  =  6667«  C. 

für  die  Flamme  des  Enallgasgehläses. 

Deville  ist  nun  der  Ansicht,  dass,  ahgesehen  von  allen  W&rm^ 
yerlnsten  durch  Leitung  und  Strahlung,  die  Temperatur  einer  Flamme 
nie  ein  ähnliches  Maximum  erreichen  könne,  weil  die  Dissociataonstaii- 
peraturen  der  zu  hildenden  Yerhindungen  viel  tiefer  liegen,  als  dicM 
Temperaturen.  Das  theoretische  Temperaturmaximum  wäre  hiemach  die 
Zersetzungstemperatur  der  hei  der  Verhrennung  gehildeten  Yerhindmi^ 
Die  Folge  davon  wäre,  dass  sich  in  den  Flammen  keine  vollständige, 
dern  nur  eine  theilweise  Verhrennung  vollzöge. 


Auch  für  diesen  Fall  wftrde  sich  leicht  eine  Formel  ao&tellen  li 
welche  zur  Berechnung  der  Temperatur  dienen  könnte,  welche  hei 
Verhrennung  des  Gasgemisches  in  einer  vollkommen  adiathennanen  HllUi 
hervorgehracht  würdie,  sofern  gleichzeitig  der  Brachtheil  des  6a^ 
gemisches  bekannt  wäre,  welcher  nnverbrannt  geblieben  ist 

Nimmt  man  an,  dass  von  den  a-^-h  Gewichtstheilen  des  GrasgemischeB  < 
X;te  Theil  unverbrannt  bleibt,  so  werden  sich  bei  dem  Verbremmngsp] 

(a  +  h)  .  ll  —  -  j  Gewichtstheile  verbinden  und  eine  Wärmemenge 
n  .  ( 1  —  jr)  GaL  hervorbringen,  wenn  n  die  Wärmetönong  des  Pri 
ist.   Diese  Wärmemenge  dient  dazu,  um  a  .  r*  Gewichtstheile  der 

b  .  —  Gewichtstheile  der  zweiten,  und  (a  +  ^)  •  ( 1  —  r  )  Gewicht 

der  Verbindung  (alle  gasförmig  gedacht)  von  0  auf  ^^  zu 
besteht  daher  die  Gleichung: 

(a  .  c'  +  b  .  O  .  i  •«  +  («  +  l»)  •  (l  -  iy,t=n.  (l—\] 

oder: 

, n.(k-l) 

'  ~  ia  .  c;  +  h  .  e;')  +  (a  +  b)  .  c,  .  ik-l)  •    '    •    ' 

wenn  ej  die  specifische  Wärme  des  einen,  c^"  die  des  anderen  der  beides^ 
sieh  verbindenden  Sto£fe  und  c^  die  der  Verbindung  ist. 

Eine  vollkommene  Verbindung  zweier  Stoffe,  deren  theoretische  ssckj 
Formel  12)  berechnete  Flammentemperatur  höher  liegt  als  deren  Ztf* 
setzung^mperatur,  ist  demnach  nur  dann  möglich,  wenn  während dei 
Vereinigungsvorganges  in  ausreichender  Weise  fortwährend  W&rme  eot^ 
zogen  wird. 


G.    Die  Dissociationserscheinungeü.  417 

Deyille  hat  nch  nun  bemüht,  experimentell  nachzuweisen,  dass  die 
Zersetzong^temperatnr  im  Aligemeinen  eine  niedrigere  sei,  als  die  nach 
12)  berechnete. 

Er  erinnert  zu  diesem  Zwecke  an  den  bekannten  Gro versehen  Ver- 
such, dass  durch  Einbringung  glühenden  oder  geschmolzenen  Platins  in 
Wasser  eine  kleine  Quantit&t  Knallgas  gebildet  wird.  Da  ein  Theil  Wasser 
zerlegt  worden  ist,  so  meint  Deyille,  müsse  die  Zersetzungstemperatur 
niedriger  sein,  als  die  Temperatur  des  eingebrachten  Platins. 

Die  Temperatur  des  eingebrachten  Platins  suchte  er  zu  bestimmen 
und  fand  dieselbe  nach  einer  allerdings  sehr  unzuverlässigen  Methode 
gleich  2500^  Deyille  ^)  erhitzte  nämlich  das  Platin  in  einem  Kalkofen 
mit  der  Knallgasflamme  und  warf  das  geschmolzene  Platin  in  Wasser, 
beobachtete  die  Temperaturerhöhung  desselben  und  berechnete  hieraus 
nach  der  Mischungsmethode  die  Temperatur  des  Platins.  Die  bedeutende 
Wärmebindung,  welche  hierbei  durch  die  Zersetzung  einer  kleinen  Wasser- 
menge heryorgebracht  wird,  wurde  gar  nicht  berücksichtigt. 

Selbst  angenommen,  dass  der  durch  die  Unyollkommenheit  der  Me- 
thode herbeigeführte  Fehler  nicht  unbedeutend  sei,  ist  jedenfalls  consta- 
tirt,  dass  die  Temperatur  der  Flamme  und  zumal  die  des  Platins  wesent- 
lich niedriger  gewesen  ist,  als  die  nach  Formel  12)  zu  ungefähr  6700^0. 
berechnete.  Eine  andere  Frage  dürfte  es  sein,  ob  damit  schon  erwiesen 
ist,  dass  die  Zersetznngstemperatur  des  Wassers  ebenso  tief  liegt.  Ich 
glaube,  dass  dieser  Nachweis  nicht  genügend  ist,  weil  wir  gesehen  haben, 
daas  schon  bei  Temperaturen,  welche  wesentlich  unter  der  Zersetzungs- 
temperatur liegen,  theilweise  Zersetzungen  eintreten  können  und  dass 
diese  zumal  dann  ziemlich  weit  gehen  können,  wenn  den  Zersetzungs- 
produoten,  wie  dies  hier  wegen  der  Abkühlung  durch  das  umgebende 
Wasser  und  wegen  des  Entweichens  der  gebildeten  Gase  der  Fall  ist,  die 
Möglichkeit  genommen  wird,  sich  wieder  zu  yereinigen. 

Da  jedoch  die  Temperaturen,  bei  welchen  merkliche  Quantitäten 
einer  Substanz  durch  Wärme  zerlegt  werden,  meist  nicht  sehr  weit  von 
der  eigentlichen  Zersetzungstemperatur  entfernt  zu  sein  pflegen,  so  kann 
man  es  nach  den  Devill ersehen  Versuchen  immerhin  für  sehr  wahr- 
scheinlich halten,  dass  die  Zersetzungstemperatur  des  Wassers  wesentlich 
niedriger  liegt  als' die  nach  12)  berechnete  Flammentemperatur  des 'Knall- 
gases. 

Femer  hat  Deyille  noch  Beobachtungen  an  einer  Flamme  yon 
Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  angestellt.  Er  Hess  aus  einer  5  qmm  weiten 
Oeffnung  Kohlenozyd  und  Sauerstoff  bei  massigem  Drucke  in  solchen 
Mengenverhältnissen  ausströmen,  dass  die  ausfliessenden  Gasmengen  ge- 
rade zur  Bildung  yon  Kohlensäure  ausreichten,  und  zündete  den  Gas- 
Btrom  an.    Die  Flamme  bildete  einen  doppelten  Kegel,  einen  inneren  und 


^)  Le^ons  sur  la  dissociation.    Bulletin  de  la  soci^te  chimique  de  Paris,  1 864  u.  1865, 
S.  281. 

y  erdet -BflhI mann,  Meehan.  Wftrmotlieorie.     Bd.  2.  ^^^ 


418  II.   Thermochemie. 

einen  äasseren.     Es  wurde  Temperatar  und  chemische  Znsammeiuetsiuii 
der  Gase  an  den  verschiedenen  Stellen  der  Flamme  nntersncht. 

In  der  Nähe  des  Ausflussrohres  hefand  sich  ein  nicht  leachtender 
Kegel;  in  diesem  waren  noch  keine  merklichen  Mengen  heider  (hm 
mit  einander  yerhonden ,  die  Temperatur  war  aher  an  dieser  Stelle  aa 
höchsten.  Von  der  Spitze  his  zur  Oeffhung  nimmt  der  Gehalt  derFlamiN 
an  Eohlenoxyd  ah  und  ist  an  der  Spitze  Null ,  und  in  derselben  Weia 
nimmt  auch  die  Temperatur  von  der  Oefihung  hie  zur  Spitze  ab,  li 
man  aus  dem  Glühzustande  eines  eingetauchten  Platindrahtes  leicht  • 
kennen  konnte. 

De  Tille  meint  nun,  dass  am  Rande  des  dunklen  Kegels  die  T«j 
bindung  zwischen  Eohlenoxyd  und  Sauerstoff  zu  Kohlensäure  stattfind^ 
dass  dieselbe  aber  nur  eine  unvollständige  sei,  weil  die 
Flammentemperatur  sich  an  dieser  Stelle  der  Zersetzungstempenitiir 
erheblich  genähert  habe. 

Deville  zeigte  späterhin  auch  direct,  dass  beim  Erhitzen  von  Ki 
lensäure  in  Porcellanrdhren  bis  und  über  1000®  um  so  grössere  M< 
Kohlensäure  in  Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  zerfallen,  je  höher  die  Ti 
ratur  ist. 

Auch  die  Flamme,  welche  durch  Verbrennung  von  Wasserstoff 
Chlor  zu  Chlorwasserstoffgas  entsteht,  und  mehrere  ähnliche  FäUe 
stets  gezeigt,  dass  die  Zersetzungstemperatur  merklich  unter  der  Ti 
peratur  liegt,  welche  das  Gemisch  bei  seiner  voUständigen  Verl 
annehmen  müsste,  wenn  eine  Wärmeabgabe  nach  aussen  vollständig 
geschlossen  wäre. 

Undenkbar  wäre  es  zunächst  aber  nicht,  dass  es  auch  Verhindiiif 
gäbe,  deren  Zersetzungstemperatur  höher  läge,  als  dieses  theoi 
Temperaturmaximum. 

Es  ergab  sich,  dass  die  heisseste  Stelle  der  Kohlenozydknal]| 
flamme  die  Spitze  des  inneren  Kegels  ist;  ein  dünner  Platindraht 
hier  mit  Funkensprühen  geschmolzen.     Aus  den  chemischen  Ansl] 
der  Gasgemenge,  welche  verschiedenen  Tbeilen  der  Flamme  entooi 
wurden,  ergab  sich,  dass  von  der  Mantelfläche  des  inneren  Kegels  bis 
Spitze  der  sichtbaren  Flamme  der  Kohlensäuregehalt  beständig 

Im  inneren  Kegel  findet  noch  keine   chemische  Verbindung 
weil  die  Geschwindigkeit  des  ausströmenden  Gasstromes  dort  noch 
ist,  als  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Entzündung.     Am 
des  inneren  Kegels  geht  nur  eine  theilweise  Verbrennung  des  Kc 
oxydgases  zu  Kohlensäure  vor  sich,  weil  die  Temperatur  des  verl 
liehen  Gases  so  hoch  steigt,  dass  eine  mit  weiterer  Wärmeentwickdi 
stattfindende  Verbindung  durch   die   Dissociation   einer   gleich 
Menge  Kohlensäure  compensirt  wird. 

Nach  den  schon  vorhin  erwähnten  Versuchen  tritt  eine  schon  m^ 
liehe  Dissociation  der  Kohlensäure  in  Kohlenoxydgas  und  Sauerstoff  m 
lOOQo  C.  ein.  i 


G.    Die  Dissociationserscheinangen.  419 

DasB  eine  Flamme  mit  erheblicher  Aasdehnimg  entsteht,  wenn  Koh- 
lenoxyd oder  Wasserstoff  in  atmosphärischer  Luft  yerbrennt,  ist  von  vorn- 
herein einleuchtend,  da  die  im  Innern  des  ansfliessenden  Gasstromes  be- 
findlichen Molecüle  des  verbrennlichen  Gases  erst  in  einiger  Entfernung 
von  der  Ausströmungsöffnang  mit  dem  zur  Verbrennung  nöthigen  Sauer- 
stoff in  Berührung  kommen.  Wenn  aber  ein  aus  äquivalenten  Mengen 
von  Wasserstoff  und  Sauerstoff  bestehendes  Gasgemisch,  oder  ein  zur 
Bildung  von  reiner  Kohlensäure  gerade  ausreichendes  Gemisch  aus  einer 
Oeffoung  ausfliesst,  so  könnte  man  fragen,  warum  nicht  schon  an  der 
Oefinung  sich  die  ganze  Gasmasse  verbindet  und  warum  nicht  nur  eine 
sehr  kurze  Flamme  gebildet  wird. 

Diese  Frage  ist  von  Bunsen  entschieden  worden,  welcher  zeigte,  dass 
die  Geschwindigkeit,  mit  der  eine  eingeleitete  Verbrennung  in  einem  solchen 
Gase  sich  fortpflanzt,  eine  ganz  bestimmte  und  leicht  messbare  Grösse  ist. 

Bunsen^)  Hess  zu  dem  Zwecke  die  explosiven  Gasgemenge  aus  einer 
in  dünner  Platte  befindlichen  feinen  Oefinung  von  bekanntem  Querschnitte 
ausströmen  und  zündete  den  Gasstrom  an.  Hierauf  verkleinerte  er  die 
Ausströmungsgeschwindigkeit  durch  Verminderung  des  Druckes  im  Re- 
servoir so  lange,  bis  die  Flamme  durch  die  Oeffnung  zurückschlug  und 
das  hinter  derselben  befindliche  Gas  entzündete.  Das  Zurückschlagen 
der  Flamme  muss  eintreten,  sowie  die  Geschwindigkeit,  mit  der  das 
Gasgemisch  die  AusflussÖfihung  durchströmt,  um  eine  unendlich  kleine 
Grösse  geringer  geworden  ist,  als  die  Geschwindigkeit,  mit  der  sich 
die  Entzündung  von  den  äusseren  brennenden  Gasschichten  nach  den 
inneren  noch  nicht  brennenden  hin  fortpfianzt.  Die  Geschwindigkeit,  mit 
der  das  Gas  aus  der  Oefihung  ausströmte,  als  gerade  der  Rückschlag  er- 
folgte, wird  also  sehr  nahe  gleich  der  Geschwindigkeit  sein,  mit  der  sich 
die  Entzündung  fortpfianzt.  Wahrscheinlich  wird  die  gesuchte  Grösse 
etwas  grösser  sein,  da  der  äussere  Theil  des  Gasstrahles  durch  die  Be- 
rührung mit  der  Wand  immer  etwas  abgekühlt  wird  und  Abkühlung 
des  Gases  die  Entzündungsgeschwindigkeit  verringert,  resp.  den  Eintritt 
der  Entzündung  ganz  verhindert. 

Nennt  man  die  Geschwindigkeit,  mit  der  sich  die  Entzündung  fort- 
pflanzt, 07 ,  d  den  Durchmesser  der  Ausflussöffnung ,  V  das  Gasvolnmen, 
welches  bei  der  Ausflussgeschwindigkeit  in  t  Secunden  ausfliesst ,  u  den 
Contractionscoefficienten  des  Strahles,  so  ist: 

4     V 
€^= 1     , 14) 

Bunsen  fand  hieraus  die  Entzündungsgeschwindigkeit  cd  für  Knall- 
gas ans  äquivalenten  Mengen  von: 

Sauerstoff  und  Wasserstoff  =  34  m, 
Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  =     1  m. 

*)  Bunsen,   Ueber   die  Temperatur   der  Flammen   des  KoWenoxydes  und  Wasser- 
stoffs.    Pogff.  Ann.     Bd.  131,  S.  165. 

27* 


420 


n.   Thermochemie. 


Es  sind  dies  überraschend  kleine  Zahlen,  da  man  eigentlich  genagt 
wäre,  zu  vermuthen ,  dass  sich  die  Entzündung  ungefähr  mit  der  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit des  Schalles  in  den  Gasen  verbreiten  mänte. 

Einen  entscheidenden  Beweis  daf&r,  dass  die  FlanunentemperatBr 
wirklich  wesentlich  niedriger  liegt,  als  die  auf  theoretischem  Wege  er- 
mittelte Ziffer,  so  dass  man  nicht  bloss  die  Abkühlung  durch  Leitimg^ 
Strahlung  und  Fortführung  der  Wärme  als  zureichende  ErklärungsgrüBd» 
für  diese  jDifferenzen  ansehen  kann,  bat  Bunsen  ^)  beigebracht. 

Der  Bestimmung  der  mittleren  Flammentemperatur  liegen  folgendt 
Formeln  zu  Grunde.  Nimmt  man  an,  es  seien  h  Gewichtstheile  WaaMr- 
Stoff,  0  Gewichtstheile  Sauerstoff,  n  Gewichtstheile  eines  indiffereniaa 
Gases  vorhanden,  die  specifische  Wärme  bei  constantem  Yolumen 
Wasserdampfes  sei  tf„,  die  des  Wasserstoffs  Ö,,,  des  Sauerstoffii  6^  dee  i 
dififerenten  Gases  <5«,  so  ist,  wenn  der  xte  Theil  des  vorhandenen  W 
Stoffs  in  einem  allseitig  geschlossenen  Räume  bei  der  Explosion  dch 
dem  Sfacben  Gewichte  Sauerstoff  verbindet,  die  resultirende  Tem 
erhöhung  2i  —  T,  sofern  weder  Wärme  zu-  noch  abgeführt  wird, 
dann: 


Ti  —  T  = 


Q  .X  .h 


9x  .h  .  <S„  +  {o  —  Bh.x)  .  öo  +  (l — x)  .  h.ö^  +«.0. 


wenn  Q  die  Wärmetönung  bei  Bildung  von  Wasserdampf  ans  den 
menten  bei  der  Temperatur  ti  bezeichnet.     Setzt  man  in  dieser  F( 

h(96„  --8<J„  —  0,)=  C 


und: 


so  ist: 


und  demnach: 


Ä  .  dfc  +  0  .  <J„  +  »  .  <y,  =  D, 


^'~^-  Cx  +  D 


h.Q—  C.(Ti  —  T) 


Statt  mit  .Hülfe  dieser  Formel  ist  Ti  —  T  durch  eine  analoge 
chung  zu  bestimmen,  wenn  es  sich  um  Eohlenoxyd  anstatt  um  Wi 
Stoff  oder  um  irgend  ein  anderes  explosives  Gasgemisch  handelt, 
ausser  den  beiden  verbrennlichen  nur  noch  ein  indifferentes  Gas  ml 

Mit  Hülfe  des  Ausdehnungsgesetzes   vollkommener  Oase,   wi 
man  bei  der  Temperatur  Ti  auch  für  das  Yerbrennungsprodact 
und  GOs)  als  gültig  ansehen  kann,  und  mit  Hülfe  des  bekannten 


^)  Bansen,  Ueber  die  Temperatur  der  Flammen  des  Kohlenoxydes  und  desWi 

Rtoffs.     Pügg.  Ann.  Bd.   131,  S.   161   bis  189. 


C.   Die  DissooiatdonBerscheinuiigen.  421 

dass  der  Druck  eines  Gasgemisches  gleich  der  Summe  der  Partialdrüoke 
der  Beetandtheile  ist,  kann  man  noch  eine  Beziehung  zwischen  x  und  2i 
an&tellen. 

MitV^A,  Soi  ^1  S^  wollen  wir  die  specifischen  Gewichte  des  Wasserstoffs, 
des  Sauerstoffs,  des  indifferenten  Gases  und  des  Wassergases  bezeichnen. 

Die  Gewichtsmenge  ^j^  Wasserstoff  übt  bei  To(=  274  -f  0^),  wenn 
es  das  Volumen  1  erfüllt,  den  Drucik  von  1  Atmosphäre  aus;  demnach 
übt  die  Gewichtsmenge  h^  wenn  dieselbe  das  Volumen  V  erfüllt,  bei 
Ti  Grad  einen  Druck  aus,  welcher  gleich: 


ist. 

Analog  sind  die  Drücke,  welche  o  Gewiohtstheile  Sauerstoff  und  die 
n  Gewichtstheile  des  indifferenten  Gases^ausüben: 

0  .  Ti  ^       n  .  Ti 

und 


Aus  diesen  drei  Drücken  besteht  vor  der  Explosion  bei  der  Tem- 
peratur T  der  Druck  P,  es  gilt  demnach  die  Gleichung: 

T 


P  = 


To.  V 

Wenn  bei  der  Explosion  nur  der  o^te  Theil  des  Wasserstoffs  sich  mit 
Sauerstoff  zu  Wasser  verbunden  hat,  so  sind  alsdann: 

9x  .  h  Gewichtstheile  Wasser, 
(1  —  x)  .  h  „  Wasserstoff, 

0  "^  8  .X   .  h  „  Sauerstoff, 

n  „  des  indifferenten  Gases, 

vorhanden.  Der  unmittelbar  nach  der  Explosion  bei  einer  Temperatur  Ti 
stattfindende  Druck  Fi  setzt  sich  demnach  aus  den  Partialdrücken  dieser 
vier  Gasmengen  zusammen  und  es  muss  aus  denselben  Gründen  wie  vor- 
her die  Gleichung  bestehen: 

_      Ti        /9xh       (l  —  x)  ,h       0  —  Sxh       n\ 

'  ""  To  .  F  A  s«    "^  s,  "•■         s,         ^  sJ 

Da  bei  den  Bunsen 'sehen  Versuchen  das  Gasvolumen  vor  und  nach 
der  Explosion  unverändert  bleibt,  so  besitzt  V  in  beiden  Gleichungen 
denselben  Werth  und  kann  durch  Division  aus  denselben  eliminirt  wer- 
den. Auf  diese  Weise  entsteht  eine  neue  Beziehung  zwischen  Ti  und  a;; 
dieselbe  lautet: 

^•^^-        ^  17) 


Pi  .  T        Äx  +  B 

worin  abkärzungsweise: 

h         0    .    n 

B       s-  +  T  +  T 
<*»       «.       ö» 

422  II-   Thermocliemie. 

gesetzt  worden  iat. 

Eliminirt  man  ans  diesen  beiden  Gleichungen  x,  eo  erhält  man  filr 
T|  eine  quadratische  Gleichung,  von  der  jedoch  nnr  eineWnrzel  branch* 
bar  ist,  während  die  andere  auf  ein  unmögliches  Resultat  fOhrt  Somit 
iat  hier  ein  Weg  gefanden,  am  dieFlammentemperatnr  T]  ans  Teranohen 
zn  ermittebi. 

Bunsen  verfuhr  nan  anf  folgende  Weiae:  In  ein  Endiometer  (tnan 
Bebe  Fig.  21),  welches  obendnrch  eine  auegeschlifiene  Platte j)  geschlossen 
werden  konnte,  brachte  er  das  explosible  Gasgemisch. 

IKe  Deckplatte  p  bestand  aus  einer  dicken  Scheibe  von  Spiegelglas 
und  war  auf  eine  zweite  eiserne  Platte  gekittet,  von  der,  um  einen  lo- 
dnctionsfunken  dnrch  den  Apparat  schlagen  lassen  en  können,  ein  eiser- 
ner Stift  bis  unter  die  untere  Fläche  der  durchbohrten  Glasplatte  heraua* 
ragte. 

Von  nuten  ist  durch  das  Glas  des  Eudiometera  ein  Platindraht  ge> 
schmolzen,  welcher  mit  seinem  äusseres  Ende  auf  einen  Stanniol  streifen  c 
aufgesetzt  wird.  Nachdem  das  explosible  GasgemiHch  unter  Quecksilber 
in  das  Endiometer  gefüllt  worden  war,  wurde  die  etwas  gefettete  Glas- 
platte auf  das  Eudiometer  aufgesetzt  und  der  obere  Theil  des  letzteren 
mit  einem  anf  einer  Kantschnkwulst  aufsitzenden  Glasrande  g  versehea- 
Das  auf  diese  Weise  über  dem  Deckel  entstehende  Näpfchen  wurde  mit 
Wasser  gefüllt.  Zur  Drackmessnng  selbst  diente  die  Hebel  Vorrichtung, 
welche  aus  der  Zeichnung  leicht  verständlich  ist.  Das  Gegengewicht  a 
diente  zur  Balancirung  des  Hebelarmes,  auf  dessen  Eintheilang  das  Lauf- 
Fij-.  21. 


gewicht  Ii  verschiebbar  ist,  um  den  auf  dem  Verschluss  des  Explosions- 
gefässes  lastenden  Druck  beliebig  variiren  zu  können.  Die  Eisenplatte, 
welche  auf  den  Glasdeckel  des  Eudiometera  aufgekittet  ist,  besitzt  in  der 


G.    Die  PissodatioDBerscheinangen.  423 

Mitte  eine  kleine  Vertiefung,  um  die  oonische  Spitze  des  Fortsatzes  d 
stets  genau  concentrisch  an  derselben  Stelle  aufsetzen  zu  können.  Soll 
das  im  Gef&sse  befindliche  Gas  entzündet  werden,  so  verbindet  man  d 
und  den  Stanniolstreifen  e  mit  den  Polen  eines  kräftigen  Inductions- 
apparates  und  lässt  einen  Funken  durch  das  Gemisch  hindurchschlagen. 

Wenn  der  durch  die  Entzündung  des  Gases  hervorgebrachte  Druck 
geringer  ist,  als  der  auf  dieVerschlussplatte  ausgeübte  Druck,  so  verläuft 
die  Explosion  ohne  Geräusch  und  ohne  das  Absperrwasser  im  Glasauf- 
satze g  in  Bewegung  zu  setzen.  Ist  dagegen  der  durch  die  Entzündung 
erzeugte  Druck  der  grössere,  so  wird  der  Deckel  gehoben  und  das  Ab- 
sperrwasser  mit  heftigem  Geräusche  in  die  Höhe  geschleudert. 

Nach  wenigen  Versuchen  konnte  man  leicht  die  Druckgrenzen,  bei 
denen  die  eine  oder  die  andere  von  beiden  Möglichkeiten  eintrat,  einander 
so  nahe  rücken,  dass  man  das  Mittel  aus  beiden  sich  am  nächsten  liegen- 
den Drücken  ohne  erheblichen  Fehler  als  den  Druck  ansehen  konnte,  den 
das  Gasgemisch  bei  der  Explosion  ausübte  0* 

Selbstvei'ständlich  wurde  auch  der  Druck,  unter  dem  sich  das  Gas 
vor  der  Explosion  befand,  und  die  Kraft,  welche  zum  Abreissen  des  ad- 
härirenden  Deckels  von  dem  Eudiometerrande  nöthig  war,  mit  berück- 
sichtigt« 

Da  die  Entzündung  längs  der  ganzen  Axe^  des  Eudiometers  erfolgte, 
welches  einen  Durchmesser  von  1,7  cm  hatte,  so  musste,  wenn  man 
die  obengenannten  Fortpflanzungsgeschwindigkeiten  der  Entzündung  zu 
Grunde  legte,  die  Einleitung  der  Verbindung  in  dem  ganzen  Räume  in 
einer  so  kurzen  Zeit  erfolgt  sein,  dass  man  ohne  wesentlichen  Fehler  an- 
nehmen kann,  es  sei  von  der  während  der  Dauer  der  Explosion  ent- 
wickelten Wärmemenge  bis  zur  Messung  des  Druckes  keine  sehr  erheb- 
liche Menge  durch  Leitung  und  Strahlung  verloren  gegangen.  Nach- 
stehende Tabelle  giebt  eine  Uebersicht  über  die  Resultate  der  Versuche. 

Zur  Berechnung  sind  die  specifischen  Wärmen  bei  constantem  Vo- 
lumen benutzt,  da  ja  bei  jedem  Versuche  das  Volumen  ungeändert  bleibt. 

Als  Verbrennungswärme  des  Kohlenoxydgases  ist  2403  (C  =  6, 
0  =  8)  und  als  die  des  Wasserstofi's  29  629  (H  =  1,  0  =  8)  benutzt. 

Die  geringen  Ungenauigkeiten,  die  in  diesen  vonBunsen  benutzten 
Zahlen  begründet  sind,  beeinflussen,  wie  man  sich  leicht  überzeugen 
kann'),  das  Endresultat  so  wenig,  dass  wir  unmittelbar  die  Ziffern  der 
Originalarbeit  mittheilen. 


^)  Man  sehe  die  belegenden  Versuche  in  der  Banse  naschen  Originalabhandlung. 
Pogg.  Ann.     Bd.  131,  S.   168. 

^  Vicaire,  Memoire  snr  la  temp^ratare  des  flammes  et  la  dissociation.  Ann.  de 
chim.  et  de  phys.  4.  Serie.  Bd.  19,  S.  145,  findet  Unterschiede  für  T^  —  7,  welche 
kaam  100^  übersteigen. 


424 


II.    Thermochemie. 


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CDCDOtokOt«i-4aOO 
C^«H«DtOC«C««OCDK« 

aoooc«cotoi>«p>o^ 


^  ^  CD  CD  O 

CO  o  CO  CO  OS 

OS  00  t>  1>  kO 

OS  OS  OS  OS  OS 

•%  ^  ^  ^  ^ 

o  o  o  o  o 


^ooosc«^'<«<ooao^ 

kOkOOSOOOeOCDCDOS 
aOCD<DOOCDOStob-t» 

osososososososo^os 

^  ^  ^  ^  ^  ^  •«  ^  m^ 

ooooooooo 


I  & 

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OkAOOOOkOCDOr* 
OOOOOOOO'v^OOOt« 


+  +  +  +  +  +  +  +  +  +  +  +  +  +• 


^     ^     ^     -,!•     ^ 
C4      (N      d      d      ©« 


C4C<IC«C4C«OIOIC40« 


ca 

TS 

Cf 
OB 


:c9 

'S 

> 

B 


CA 

a 

O 


MM 


o 

00 

o 


t^  '^  vH  00  OS  CO  kO  OS  OS 
kAkOCDCDOSCD<^tOC« 
OOkOOOkAkOkOv-itOCD 
CD00OC«0)0«K^i^«-* 


O      O 


C4      CO 


ooooo     ooooooooo 


JW    .»Ä    >,.C0    ».W    «»CO 


^«   ^CO 


o  o  o 

ü  ü  w  w  o 


oooo        oooo 


«^CO    <vjp    v^CO 

«^  ei*^  w* 


4?  "^ 


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G.  Die  DissociationserscheinuDgen.  425 

Aus  diesen  VerBuchen  ergiebt  sich,  dass  die  Temperatur  bei  Yer- 
brennung  von  in  richtigem  Yerhältnisse  gemischten  Wasserstoff-Sauer- 
stoff-Knallgase  ungefähr  gleich  2840^  C.  ist,  wenn  der  erreichte  Druck 
nahezu  10  Atmosphären  betragt.  Die  Verbindung  hat  sich  dabei  auf 
ungefähr  ^/a  des  disponiblen  Knallgases  erstreckt,  während  ^/g  dissociirt 
bleiben. 

Da  Deville  bei  Atmosphärendruck  die  Temperatur  der  Knallgas- 
flamme auf  2500^  C.  schätzt,  so  kann  man  in  diesen  Zahlen  eine  Bestäti- 
gung der  Deville' sehen  Versuche  und  auch  der  Vermuthung  erkennen, 
dasB  die  wirkliche  Flammentemperatur  beim  Knallgas  wesentlich  tiefer 
liegt,  als  die  nach  Gl.  12)  theoretisch  bestimmte. 

Das  im  richtigen  Verhältnisse  gemischte  Knallgas,  welches  aus  Koh- 
lenoxyd und  Sauerstoff  besteht,  erreicht  bei  einem  Drucke  von  durch- 
schnittlich 10,4  Atmosphären  in  einem  geschlossenen  Gefasse  eine  Tem- 
peratur von  3030«  C. 

Merkwtbrdigerweise  ist  auch  in  diesem  Falle  der  Theil  des  verbin- 
dungsfahigen  Gemisches,  welcher  sich  wirklich  zu  Kohlensäure  verbindet, 
fast  genau  der  dritte  Theil,  während  Vs  tinverbmnden  bleiben. 

Bei  beiden  explosiblen  Gemischen  nimmt,  wenn  ein  Volumen  des- 
selben successive  mit  0,7  bis  3,2  Volumina  nicht  mitverbrennenden  Gases 
verdünnt  wird,  die  Flammentemperatur  bis  beinahe  1000®  merklich  ab- 
Alsdann  ist  die  Menge  des  zur  Verbrennung  gelangenden  Gasgemisches 
fast  genau  die  Hälfte  desjenigen,  welches  überhaupt  eine  Verbindung  ein- 
zugehen fähig  war. 

Bunsen  fasst  das  Resultat  dieser  Versuche  in  folgenden  Worten 
zusammen^): 

„Wird  Kohlenoxydgas  entzündet  und  seine  Temperatur  dadurch  von 
O^'  auf  3033®  C.  gesteigert,  so  enthält  es  Vs  des  vorhandenen  Kohlenoxyd- 
gases  in  unverbranntem  und  un  verbrenn  liebem  Zustande,  die  Temperatur 
3033®  G.  erniedrigt  sich  jetzt  durch  Strahlung  und  Leitung  auf  2558®  G., 
ohne  dass  von  diesen  Vs  Kohlenoxydgas  etwas  verbrennen  kann;  sinkt  die 
Temperatur  noch  etwas  weiter  herab,  so  beginnt  von  Neuem  eine  Ver- 
brennung, welche  den  weiteren  durch  Strahlung  und  Leitung  bedingten 
Wärmeverlust  ersetzt  und  die  Temperatur  von  2558®  C.  wieder  herstellt« 
ohne  eine  Erhitzung  über  diese  Temperatur  bewirken  zu  können;  daher 
folgt  auf  die  von  3033®  G.  stetig  abnehmende  Temperatur  abermals  eine 
so  lange  constant  bleibende  von  2558®  G.,  bis  gerade  die  Hälfte  des  Koh- 
lenoxydgases  verbrannt  ist;  es  tritt  jetzt  eine  dritte  Phase  ein,  bei  der 
bis  zur  Abkühlung  des  entflammten  Gemisches  bis  auf  mindestens  1146® 
wiederum  gar  keine  Verbrennung  erfolgt.  Da  das  Gasgemisch  nach  dem 
Erkalten  ganz  aus  Kohlensäure  besteht,  so  müssen  sich  diese  Phasen 
constanter  und  abnehmender  Temperaturen  auch  noch  unterhalb  1146^G. 
wiederholen,  bis  der  letzte  Antheil  des  Gases  verbrannt  ist."     Hieraus 


^)  Bansen,  Pogg.  Ann.   Bd.  131,  S.  175. 


426  EL    Thermochemie. 

würde  folgen,  dasB  die  Dissociation  der  Kohlens&iire  und  analog  des  Was- 
serdampfes  bei  wachsendem  Drucke  und  wachsender  Temperatur  nicht 
in  stetiger  Weise,  sondern  sprungweise  erfolgte. 

Bunsen  setzt  dies  mit  einem  anderen  Gesetze  in  Verbindung  und 
meint,  dass  sich  dasselbe  mit  den  Resultaten  obiger  UntersnchuDg  wecb- 
selsweise  bestätige.  Er  fand  nämlich  ^),  dass,  wenn  man  ein  Gemisch  tod 
Wasserstoff,  Eohlenoxyd  und  Sauerstoff  entzündet,  so  wird  durch  den  Sauer- 
stoff sowohl  Wasserstoff  als  Kohlenoxyd  verbrannt.  Der  Versuch  zeigt 
aber  das  eigenthümliche  Resultat,  dass  die  Mengen,  welche  sich  der  Sauer- 
stoff von  den  beiden  überschüssig  vorhandenen  Gasen  zur  Verbrennung 
auswählt,  in  einem  einfachen  atomistischen  Verhältnisse  zu  einander  ste- 
hen, und  dass  diese  mit  dem  Sauerstoffe  sich  verbindenden  Gasmengen 
bei  allmählicher  Vermehrung  eines  der  Gemengtheile  nicht  stetig  wach- 
sen oder  abnehmen,  sondern  in  Intervallen  plötzlich  von  einem  einfachen 
Atomverhältnisse  auf  ein  anderes  einfaches  überspringen.  Der  Sauerstoff 
theilt  sich  dabei  in  das  überschüssig  dargebotene  Wasserstoffgas  und 
Kohlenoxydgas  in  Verhältnissen,  die  folgenden  Atomzahlen  der  gebildeten 
Verbren nungsproducte  entsprechen: 

2CO3      ICO,      ICO2      ICO,      ICO,     ICO, 
1H,0     1H,0     2HaO     SHaO     4H,0     5H,0 

Wäre  die  von  Bunsen  aus  seinen  Versuchen  geschlossene  Thatsache 
richtig,  80  müsste  auch  die  Dissociation  sich  in  ähnlicher  Weise  sprung- 
weise mit  der  Temperatur  ändern,  das  aber  stimmt  weder  mit  uneerai 
sonstigen  Erfahrungen  noch  mit  den  bisher  von  uns  entwickelten  theo- 
retischen Anschauungen  Überein. 

Allerdings  sind  die  Versuche  nicht  zahlreich  genug  und  erstrecke! 
sich  nicht  auf  ausreichend  verschiedene  Anfangsdrücke  und  Anfangstem- 
peraturen,  um  schon  definitiv  genöthigt  zu  sein,  Unstetigkeiten  oder  sehr 
plötzliche  Richtungsänderungen  in  der  Dissociationscurve  annehmen  za 
müssen.  Auch  sind  die  unvermeidlichen  Fehler  der  Versuche  nicht  so 
gering,  dass  man  die  von  Bunsen  erhaltenen  sehr  einfachen  Mittel werthe 
für  X  =  0,332  und  x  =  0,502  nicht  noch  als  zum  Theil  zufallig  mit  ^  s 
und  V2  zusammenfallende  ansehen  könnte.  Die  Entzündung  schreitet, 
zumal  beim  Kohlenoxydgas,  doch  nicht  momentan  von  der  Mitte  bis  zur 
Wandung  fort  und  zumal  bei  so  hohen  Temperaturen  wird  die  selbst  in 
einer  so  kurzen  Zeit  durch  die  Wandungen  abgeführte  Warme  nicht 
zu  vernachlässigen  sein  '). 

Beide  Umstände  wirken  aber  darauf  hin,  dass  die  von  Bunsen  be- 
obachteten Drücke  und  Temperaturen  zu  klein  gefunden  werden  mussten. 
Besonders  merklich  muss  dieser  Fehler  aber  bei  den  explosiblen  Gemi- 


^)  Bansen,  Gasometrische  Methoden.     S.  273. 

^)  Das  vollkommen  momentane  Aufleuchten  und  Verschwinden  des  Funkens  ia 
einer  G  eis  sie  r 'sehen  Röhre  deutet  auf  eine  sehr  rasche  Ahkühlung  hocherhitzter  Gase 
Man  sollte  solche  Versuche  einmal  mit  Eudiometem  wiederholen,  die  aus  sehr  $vt 
wärmeleitenden  Suhstanzen  z.  B.  aus  Metallen  hergestellt  wären. 


C.    Die  Dissociationserscheinuiigen.  427 

sehen  aeiD,  welche  neben  Eohlenoxydgas  ond  der  äquivalenten  Menge 
Sauerstoff  noch  erhebliche  QoantitAten  nicht  yerbrennHcher  Gase  ent- 
halten; denn  Bansen  selbst  bemerkt,  dass  die  Fortpflanzungsgeschwin- 
digkeit der  Entzündung  bei  zunehmender  Beimengung  indifferenter  Gase 
80  rasch  abnimmt,  dass  man  z.  B.  bei  Kohlenoxydgas  in  der  Lage  sei, 
das  Fortschreiten  der  Verbrennung  mit  dem  Auge  zu  verfolgen. 
Nun  wird  aber  x  aus  der  Formel: 

(Ti—  T)  .  D  D 


X 


},.Q-(T^^T),C  h.  Q     _  ^ 


bestimmt.  Findet  man  aber  für  Ti  —  T  wesentlich  zu  kleine  Zahlen, 
so  wird  dadurch  der  Nenner  vergrössert  und  somit  x  zu  klein  gefunden. 

Eine  solche  Abnahme  der  Werthe  von  x  mit  sinkender  Temperatur, 
d.  h.  bei  zunehmender  Beimischung  fremder  Gase,  ist  aber  beim  Kohlen- 
oxydgas nicht  zu  bemerken;  man  könnte  eher  das  Gegentheil  erkennen, 
da  man  bei  einer  Mitteltemperatur  von  ungefähr  2300^  den  Werth  von  x 
gleich  0,486  und  bei  einer  Mitteltemperatur  von  ungefähr  1500®  fürd;  die 
Grösse  0,507  erhält. 

Auch  hat  Horstmann  gezeigt,  dass  zumal  die  zuletzt  von  Bunsen 
angezogenen  Versuche  dadurch  zu  kleine  Zahlen  ergeben  haben,  dass 
dieser  mit  feuchten  Gasen  experimentirte. 

Wir  sind  zumal  mit  Hinblick  auf  die  im  nachstehenden  Paragraphen 
mitgetheilten  Versuche  von  E.  v.  Meyer  und  von  Horstmann  der  An- 
sicht, dass  die  Bunsen' sehen  Zahlen  uns  jetzt  noch  nicht  nöthigen,  die 
bisherigen  Anschauungen  über  Dissociation  vollständig  zu  ändern. 

Jedenfalls  ist  aber  schon  durch  die  mitgetheilten  Versuche  constatirt, 
dass  selbst  bei  hohem'  Drucke  die  Dissociationstemperatur  wesentlich  nie- 
driger liegt,  als  die  theoretische  nach  Formel  12)  berechnete  Flammen- 
temperatur, und  dass  somit  die  Dissociationserscheinungen  auch  bei  den 
Flammen  eine  wichtige  Rolle  spielen  ^). 

Wir  sind  nunmehr  auch  im  Stande,  uns  ein  leidlich  anschauliches 
Bild  von  den  Vorgängen  zu  machen,  welche  im  Inneren  einer  Flamme 
stattfinden. 

Stellen  wir  uns  die  Flamme  eines  Knallgasgebläses  vor,  so  beginnt 
die  Verbrennung  nicht  an  der  Ausflussöffnung  des  Gasgemisches,  sondern 
dieselbe  beginnt  auf  der  Oberfläche  desjenigen  Kegels,  auf  welchem  die 
mit  der  Entfernung  von  der  Mündung  abnehmende  Geschwindigkeit  des 
ausströmenden  Gases  gleich  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Ent- 
zündung geworden  ist.  Eine  kleine  Gasmenge,  welche  diese  Fläche  über- 
schreitet, ist  schon  bei  der  Annäherung  an  diese  Grenzfläche  durch  Strah- 
lung und  Leitung  erhitzt  worden,  nunmehr  wird  dieselbe  entzündet  und 


^)  Beach tens werth ,  wenn  auch  yielfach  anf  zu  hypothetischem  Boden  stehend, 
•cfaeint  die  Arbeit  von  Vicaire,  Memoire  sur  1a  temp^atur  des  flammes  et  la  disso^« 
cUtion.    Ann.  de  chim.  et  de  phys.     4.  Serie.    Bd.  19,  S.  118  bis  158, 


428  II.    Thermochemie. 

wird  durch  die  YerbrennaDg  eines  Theiles  seiner  Bestandtheile  erhitzt  Ee 
sei  V  die  Wärmemenge ,  welche  die  Gasmasse  aufgenommen  hat,  die  sie 
zur  Verbrennung  gelangt,  und  die  sie  durch  den  eingeleiteten  chemiacheo 
Process  während  der  Zeit  erhält,  die  nöthig  ist,  um  das  durch  die  Disso- 
ciation  begrenzte  Temperaturmaximum  zu  erreichen.  In  demselben  Zeit- 
räume giebt  die  Gasmasse  auch  eine  Wärmemenge  Vi  ab,  ein  Theil  de^ 
selben  wird  verwendet,  um  die  durch  die  Ausdehnung  des  Gases  gelei- 
stete äussere  Arbeit  hervorzubringen ,  ein  anderer  Theil  dient  dazu,  be- 
nachbarte Gasmengen  zu  erwärmen.  Die  Zeit,  welche  die  Gasmaae 
braucht ,  um  diese  ausserordentlich  bedeutende  Temperaturändenmg  n 
erfahren,  ist  eine  ungemein  kleine  Grösse.  Zuerst  empfängt  das  Gia 
unzweifelhaft  mehr  Wärme,  als  es  abgiebt;  in  den  ersten  überans  klo- 
nen Zeitabschnitten  ist  daher  v  >  i^i.  Sehr  bald  wird  v  =  Vi  werd^ 
und  die  Verbrennung  wird  in  der  Hauptsache  bei  constanter  Temperatur 
vor  sich  gehen.  Der  Raum,  innerhalb  dessen  sich  dieser  Vorgang  toII- 
zieht,  wird  der  eigentliche  Flammenkörper  sein.  Allmählich  aber  ge- 
langt eine  solche  Gasmasse  in  eine  Umgebung,  in  der  sie  mehr  Wärme 
durch  Fortführung,  Leitung  und  Strahlung  abgiebt,  als  durch  die  letatea 
Reste  verbrennenden  Gases  'geliefert  werden  kann,  die  Temperatur  sinkt 
und  die  vorher  durch  Dissociation  noch  unverbrennlich  gebliebenen  Gai- 
theile  gehen  nun  ebenfalls  in  die  zu  bildende  Verbindung  über.  Dk 
Temperatur  des  sichtbaren  äusseren  Randes  der  Flamme  wird  daher  jeden- 
falls die  sein,  bei  der  eine  merkliche  Dissociation  des  verbrennenden  Ge- 
misches  nicht  mehr  stattfindet. 

Man  erkennt,  dass  die  Dissociation  demnach  eine  sehr  wichtige  Rolb 
bei  der  Erscheinung  der  Flamme  spielt;  dieselbe  vermindert  die  Tempe* 
ratur  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  inneren  Kegels,  während  sie  weite^ 
hin  einen  vollommenen  und  in  noch  grösserer  Entfernung  von  der  Mös- 
dung  nahe  am  äusseren  Rande  der  Flamme  einen  theilweisen  Ersatz 
durch  den  nachträglichen  Eintritt  der  Verbindung  der  noch  unverbrann- 
ten  Theile  für  den  Wärmeverlust  giebt.  Ohne  das  Eintreten  der  Di^o- 
ciation  würden  wir  nur  äusserst  kurze  Flammen  mit  enorm  hohen  Tem- 
peraturen erhalten* 

Die  Erfahrung  steht  mit  diesen  auf  theoretischem  Wege  erhalteneB 
Folgerungen  im  besten  Einklänge. 

Man  braucht  nicht  nur  auf  die  Messungen  von  St.  Claire  Devillc 
an  der  Kohlen oxydgasflamme  aufmerksam  zu  machen.  Es  ist  z.  E  er- 
sichtlich ,  dass  die  Temperaturerniedrigung  und  die  Vollendung  der  Bil- 
dung des  Verbrennungsproductes  um  so  mehr  in  der  Nähe  des  inneres 
Kegels  stattfinden  wird,  je  grösser  die  Wärmeentziehung  auf  dem  Weg« 
einer  kleinen  Gasmenge  ist.  Das  Volumen  einer  Flamme  wird  demnach 
um  so  grösser  sein  müssen,  je  höher  die  Temperatur  der  Körper  iet^ 
welche  sich  in  unmittelbarer  Nähe  der  Flamme  befinden.  In  der  Tltft 
ist  auch  die  in  freier  Atmosphäre  so  kurze  und  spitze  Flamme  desKoall- 
gasgebläses  von  erstaunlich  grosser  Dimension  in  den  Gasöfen  von  Schlö- 


C.   Die  Dissociationsetscheinungen.  429 

sing,  Perrot  und  Anderen,  deren  Wandungen  ans  weissgluhendem  Kalk 
oder  Thonmassen  bestehen.  Die  Flammen  können  in  solchen  Apparaten 
ihre  Wärme  nicht  abgeben,  und  die  Dissociation  erstreckt  sich  daher  aaf 
einen  viel  grösseren  Weg  des  ausströmenden  und  verbrennenden  Gases, 
als  Yofher. 


10.  Horstmann's  Versuche  über  die  relative  Verwandt- 
sohaft  des  Sauerstoffe  zu  Wasserstoff  und  KoUeuozyd. 

Bei  den  Untersuchungen  von  B  u  n  s  e  n  wurde  ein  Gremisch  von 
Wasserstoff  und  Kohlenoxyd  mit  einer  zur  vollständigen  Verbrennung 
beider  Gase  unzureichenden  Menge  von  Sauerstoff  zur  Explosion  ge- 
bracht. Die  Resultate, der  Experimente  schienen  anzudeuten,  dass  das 
Yerhältniss  der  Volumina  der  Yerbrennungsproducte  (COg  :  H9O)  sich 
stets  durch  kleine  ganze  Zahlen  ausdrücken  lasse,  und  dass  mit  stetig 
zunehmendem  Wasserstoffgehalte  der  ursprünglichen  Mischung  jenes  Yer- 
hältniss sich  sprungweise  ändere. 

Die  Zahl  ier  Versuche  reichte  jedoch  zur  Begründung  eines  so 
wichtigen  Gesetzes  nicht  aus.  In  neuerer  Zeit  schienen  jedoch  die  Bun- 
gen'sehen  Resultate  eine  Bestätigung  durch  die  Untersuchungen  von 
£.  Y.  Meyer  ^)  „über  die  unvollkommene  Verbrennung  von  Gasgemischen^ 
m  erhalten.  Auch  diese  Arbeit  enthält  jedoch  keine  genügend  zusam- 
menhängende Reihe  von  Versuchen,  so  dass  es  nicht  möglich  ist  die 
Constanz  des  fraglichen  Volumenverhältnisses  nach  der  Explosion  für 
Terschiedene  Zusammensetzungen  des  Gemisches  vor  der  Explosion  oder 
einen  Sprung  desselben  für  zwei  naheliegende  Mischungsverhältnisse  der 
anfanglich  vorhandenen  Gase  deutlich  zu  erkennen  ^). 

Diese  Unsicherheit  über  einen  Vorgang,  der  die  bisher  übliche  Vor- 
stellung von  der  Dissociation  vollständig  umzustossen  drohte,  indem  er 
Bunsen's  auffallige,  im  vorigen  Paragraphen  mitgetheilten  Resultate  zu 
bestätigen  schien,  bestimmte  Horstmann  ^)  die  Frage  nach  der  Gültig- 
keit des  von  Bunsen  vermutheten  Gesetzes,  durch  eine  planmässige  Un- 
tersuchung zur  Entscheidung  zu  bringen.  Er  mischte  zunächst,  wie 
Bansen,  Kohlenoxyd  mit  Knallgas  in  wachsendem  Verhältnisse  und  Hess 
die  Gemische  in  gewöhnlichen  Eudiometem  explodiren.  Die  Gase  wurden 
vollkommen  rein  und  trocken  verwendet  und  die  Zusammensetzung  des 
Gemisches  vor  und  nach  der  Explosion  genau  bestimmt. 

M  Journal  f.  praktische  Chemie  2.  Folge,  Bd.  10,  S.  273  u.  s.  f. 

^)  Auch  spätere  Versuche  von  E.  r.  Meyer  über  die  langsame  theil weise  Ver- 
brennung von  Wasserstoffkohlenozydgemischen  bei  Gegenwart  von  Platinschwamm  (Journ. 
für  prakt.  Chemie  2.  Folge,  Bd.  13,  S.  125;  auch  sehe  man  a.  a.  0.  Bd.  14,  S.  125 
Anmerk.)  sind  nicht  geeignet,  das  von  Bunsen  vermuthete  Gesetz  zu  beweisen,  da 
die  onvermeidHcben  Fehler  zu  gross  sind  und  der  Einfluss  der  für  die  verschiedenen  Gase 
und  Terschiedenen  Temperaturen  sehr  ungleichen  Absorptionsfähigkeit  des  Platinschwamms 
nicht  untersucht  und  berücksichtigt  ist. 

^  Liebig's  Annaien  der  Chemie   Bd.  190,  S.  228  bis  256. 


430 


II.  Thermochemie. 


Nachstehende  Tahelle  enthält  die  Resultate  der  Versuche.  Der  Brack 
der  Gase  vor  der  Explosion  war  in  den  meisten  Fällen  naheza  gleich, 
der  Maximaldmck  während  der  Explosion  ist  nicht  gemessen  worden. 

Die  genaueren  Details  der  Versuche  möge  man  in  der  Originalarb^t 
nachsah  en. 

Versuche  mit  Gemischen  von   trockenem  Kohlenoxyd  und 

Knallgas. 


Verhältniss  des 

ver- 

Wasserstoffgehalt  vor 

^7 

brannten  Wasserstoff- 

der  Explosion  in  Pro- 

Druck  des  Gemisches 

E 

und  Kohlenoxyd- 

centen  der  brennbaren 

9 

▼or  der  Explosion 

Gase 

Yolumens  (H2  0 : 

z 

CO3) 

r 

19,5 

0,73 

462,3  mm 

24,1 

1,03 

468,6 

25,5 

1,15 

462,3 

26,0 

1,15 

374,0 

27,2 

1,22 

463,0 

28,6 

1,30 

463,2 

30,0 

1,45 

461,0 

30,4 

1,44 

461,4 

31,1 

1,51 

478,6 

33,2 

1,57 

371,9 

35,8 

1,76 

359,2 

35,9 

1,87 

457,8 

37,5 

1,83 

473,1 

38,5 

1,91 

364,8 

39,7 

1,97 

461,8 

45,1 

2,35 

459,4 

49,7 

2,61 

445,5 

64,2 

3,90 

449,7 

67,9 

4,39 

452,5 

Diese  Versuche  zeigen  keine  Spar  eines  Sprunges  des  Verhaltniues 
HgO  :  GO2,  sie  ergeben  vielmehr  eine  ganz  stetige  Aenderung  des  Ve^ 
hältnisses  z  der  Verbrennungsproducte  mit  einer  Zunahme  des  Wasse^ 
stoffgehaltes  im  Gemische  vor  der  Explosion.  Die  Bansen' sehen  Zahlen, 
welche  eine  solche  sprungweise  Aenderung  des  Verhältnisses  beweisen 
sollten,  sind  durchgehends  geringer,  als  die  von  Horstmann  gefundenen 
Werthe. 


G.   Die  DissociationserBcheiniingeii. 


431 


Um  die  ürsaclie  dieses  Unterschiedes  aofztifinden,  stellte  Horst- 
mann  aach  eine  grössere  Zahl  von  Versuchen  mit  fenchten  Gasen  an  und 
68  zeigte  sich,  dass  die  anf  diese  Weise  gefundenen  Yerhältnisszahlen 
ß  von  H9O :  GO3  wesentlich  klein  waren,  als  wenn  man  trockene  Gase  ver- 
wendet hatte.  Aber  auch  in  diesem  Falle  zeigrte  sich  nirgends  eine  sprung- 
weise Aenderang  oder  eine  Bevorzugung  ganzzahliger  Verhältnisse. 

Bnnsen  theilt  nun  mit,  dass  er  bei  Füllung  des  Eudiometers  nach 
seiner  bekannten  Methode  gearbeitet  habe  und  schreibt  an  anderer  Stelle 
Tor:  „wenn  es  die  Umstände  erlauben,"  die  Gase  vor  der  Messung  mit 
Wasserdampf  zu  sättigen.  Es  liegt  also  in  der  That  nahe  zu  vermuthen, 
d&88  in  dem  Umstände,  dass  Bunsen  mit  feuchten,  Horstmann  jedoch 
mit  trockenen  Gasen  gearbeitet  hat,  eine  wesentliche  Ursache  des  Unter- 
schiedes zu  suchen  ist. 

Wenn  man  die  Bunsen'schen  Zahlen  mit  den  von  Horstmann  für 
feuchte  Gsae  erhaltenen  zusammenstellt,  so  zeigen  sie  wesentlich  bessere 
Üehereinstimmang.  Bunsen's  Versuche  sind  nun  aber  bei  sehr  ver- 
schiedenen Temperaturen  angestellt  (2,^3  bis  22,^6)  und  deshalb  mussten 
die  Gase,  wenn  ihr  Druck  und  Volumen  im  feuchten  Zustande  gemessen 
waren,  sehr  verschiedene  Mengen  von  Wasserdampf  enthalten. 

In  nachstehender  Tabelle  sind  die  Bunsen 'sehen  Versuche  zusam- 
mengestellt, die  wahrscheinlichen  Wasserdampfmengen  der  verwendeten 
Oase,  angenähert  ermittelt  aus  den  Versuchsbedingungen,  und  die  nach 
Horstmann's  Versuchen  berechneten  Verhältnisssahlen  H3O  :  CO3  an- 
gegeben, die  Bunsen  erhalten  haben  würde,  wenn  er  trockene  Gase  ver- 
wendet hätte. 

Bunsen's  Versuche. 


XniD- 
mer 

des 

Ver- 

Wasaerstoff- 
gehalt  vor  der 

Explosion  in 
Procenten  der 

brennbaren 
Gase 

Verhältnisa  d.  verbrannten  Wasserstoff- 
nnd  Kohlenoxydvolnmens 

Differenz 

Wahrschein- 
licher Wasser- 

von Bansen 
für  feuchte  Gase 

nach  Horst- 
mann  für 

trockene  Gase 
berechnet 

dampfgehalt 

der  von  Bunsen 

verwendeten 

suchs 

beobachtet 

angenähert 

Gase 

'W.... 

1 

20,1 

0,49 

% 

0,81 

—  32 

0,80 

2 

25,8 

1,02 

1 

1,14 

—  12 

0,40 

3 

30,8 

1,05 

1 

1,46 

—  41 

0,80 

4 

40,4 

1,98 

2 

2,03 

—     5 

0,55 

5 

53,4 

3,00 

3 

2,92 

+     8 

1,00 

6 

62,6 

3,13 

3 

3,72 

—  59 

0,60 

7 

71,3 

4,15 

4 

4,80 

—  65 

0,60 

9 

72,8 

5,08 

5 

5,02 

+     6 

0,70 

432 


IL  Thermochemie. 


Man  hemerkt,  dass  die  kleineren  Differenzen  bei  Versncb  2  und  4 
auch  zn  kleinem  Wasserdampfgebalte  der  Gase  geboren,  5  und  9  sind 
wahrscheinlich  mit  trockenen  Gasen  angestellt,  während  bei  Yersnch  1,  3, 
6  und  7  sowohl  die  Differenz,  als  auch  der  WasBerdampfgebalt  gross  ist 

Der  Schein  einer  sprangweisen  Aendemng  des  Verhältnisses  z  der 
Verbrennangsprodncte  ist  somit  wabrscbeinlicb  dadurch  hervorgebracht, 
dass  derselbe  bei  1  und  3  durch  grössere  Wasserdampfmengen  mehr 
berabgedrückt  worden  ist,  als  bei  2  und  4.  Dadurch  kommen  sich  die 
Wertbe  für  2  und  3  sehr  nahe  und  stehen  für  1  und  2,  sowie  für  3  und  4 
weiter  von  einander  ab,  als  nach  der  Zusammensetzung  des  Gemiacbes 
zu  erwarten  war.  Aebnliches  gilt  für  die  letzten  Yersuche,  docb  sind 
dieselben  an  sich  von  geringerer  Bedeutung,  weil  mit  den  gröeserai 
Zahlen  die  unvermeidlichen  Beobachtungsfehler  unverhältnissmässig  wacb- 
sen.  —  Die  scheinbare  Unstetigkeit  der  Aendemng  des  Verhältnisses  tod 
HsO  und  GO3  ist  demnach  durch  neuere  Versuche  nicht  bestätigt  worden. 
In  einem  Gemische  von  Koblenoxyd  und  KnaUgas  nimmt  vielmehr, 
Horstmann  gezeigt  hat,  die  Menge  des  bei  der  Verbrennung  gebild 
Wassers  stetig  mit  der  Menge  des  anfanglich  vorhandenen  Wassersitoffes 

Die  Thatsache,  dass  bei  Anwesenheit  von  Wasserdampf  weniger 
Wasserstoff  verbrannt  wird,  findet  übrigens  sein  vollkommenes  Analoj 
darin,  dass  wenn  man  den  Gasen  vor  der  Explosion  Kohlensäure  beim< 
weniger  Koblenoxyd  verbrennt.  Nachstehende  Tabelle  zeigt  dies  eelf 
deutlich  ^). 


Vor  der  Explosi 

OD  enthielt  das 

Von  100  Vol.  CO  verbrannten, 

Oemisch  aaf  1  Vol.  CO 

wenn  anfänglich 

Ha 

CO2 

keine  CO^ 
vorhanden  war 

wenn  CO2 
vorhanden  war 

1,46 

0,32 

33,3 

26,5 

1,49 

0,49 

33,5 

22,0 

1,51 

0,77 

38,7 

18,3 

1,47 

0,87 

33,3 

17,5 

1,52 

0,92 

33,8 

18,5 

2,03 

5,70 

38,5 

15,3 

0,53 

0,87 

19,7 

13,6 

Die  Tabelle  zeigt  ausserdem,  dass  um  so  weniger  Kohlenoxyd  ro^j 
brennt,    je  mehr  vod  Anfang  an  Koblensäure  beigemengt  w&r.     Pi^sej 
Massenwirkung  der  Yerbrennungsproducte  zeigt  recbt  deutlich  den  nahen 
Zusammenhang  dieser  Vorgänge  mit  den  anderen  von  uns  betrachtetes 
Di  ssociationserscheinungen. 


^}  Man  sehe:  Horstmanri,  Liebisc's  Annalen  Bd.  190,  S.  235. 


C.    Die  Dissociationserscheinungen.  433 

Weiterhin  hat  Horstmann  verschiedene  Gemische  yon  Kohlenoxyd 
und  Wasserstoff  (nicht  Knallgas)  mit  wachsenden  Sanerstoffmengen  explo- 
diren  lassen,  so  dass  zwischen  20  und  60  Proc.  des  Volumens  der  brenn- 
baren Gase  zur  Verbrennung  gelangten.  Auch  bei  diesen  Versuchen 
findet  sich  nirgends  eine  Andeutung  einer  sprungweisen  Aenderung  des 
Verhältnisses  der  Verbrennungsproducte ,  noch  einer  Bevorzugung  ganz- 
zahliger Werthe  desselben. 

Allgemein  zeigt  sich,  dass  der  Sauerstoff  grössere  Verwandtschaft 
zum  Wasserstoff,  als  zum  Kohlenoxyd  hat,  d.  h.  es  verbrennt  stets  relativ 
mehr  Wasserstoff  als  Kohlenoxyd.  Man  erkennt,  dass  das  Volumenver- 
hältniss  e  der  Verbrennungsproducte  (HjO  :  CO^)  dem  Volumenverhält- 
niss  ß'  der  unverbrannten  Gase  (H  :  CO)  proportional  ist,  so  dass  auch 
hier  die  Gleichung  gilt: 

welche  nach  J.  Thomsen's  Untersuchungen,  die  Vertheilung  einer 
Basis  zwischen  zwei  Säuren  bestimmt,  und  welche  in  neuester  Zeit^)  von 
J.  vant'  Hoff  auch  auf  die  Aetherbildung  angewendet  worden  ist. 

Der  Proportionalitätsfactor  y  (von  E.  v.  Meyer  und  Horstmann 
auch  AfBnitätscoefficient  genaont)  ist  im  Allgemeinen  kein  constanter 
Werth.  £r  ändert  sich  mit  dem  Procentsatze  a,  welcher  von  dem  Ge- 
mische brennbarer  Gase  verbrennt  und  besitzt  fär  verschiedene  Mengen 
der  beigemengten  nicht  verbrennenden  Gase  verschiedene  Werthe,  die 
Qualität  der  zugemischten  Gase  scheint  hierbei  von  untergeordneter  Be- 
deutung zu  sein.  Nach  einer  vorläufigen  Mittheilung  Horstmann's 
scheint  diese  Aenderung  des  AffinitätscoefQcienten  y  mit  der  Verschieden- 
heit der  Verbrennungstemperatur  zusammenzuhängen,  welche  durch  Bei- 
mengungen nicht  mit  verbrennender  Gase  bedingt  wird.  Da  diese  Un- 
tersuchungen jedoch  noch  nicht  vollkommen  abgeschlossen  sind,  so  ver- 
weisen wir  bezüglich  der  Details  auf  die  Originalabhandlung  ^). 

In  nahem  Zusammenhange  mit  den  vorstehend  angeführten  That- 
sachen  steht  die  Einwirkung  von  glühender  Holzkohlis  auf  Wasserdampf. 
Bunsen^)  glaubte  auch  hier  beobachtet  zu  haben,  dass  das  bei  einem 
solchen  Versuche  resultirende  Gasgemisch  Kohlenoxyd  und  Kohlensäure 
in  Volumverhältnissen  enthalte,  welche  sich  durch  kleine  ganze  Zahlen 
ausdrücken  Hessen.  Langlois^)  und  G m e  1  i n  ^)  konnten  einfache  Ver- 
hältnisse zwischen  den  Volumina  dieser  Gase  nicht  auffinden.  In  neuerer 
Zeit  hat  J.  H.  Long^)  hierüber  Versuche  angestellt.  Dieser  leitete  nach 
Austreibung  der  Luft  über  glühend  gemachte,  in  einer  Porcellanröhre  be- 
findliche reine  Holzkohle  Wasserdampf  und  fing  die  entweichenden  Gase 


1)  Berichte  der  Deutsch,  ehem.  Gesellsch.  Bd.  11,  S.  669  (1877). 

*)  Liebig's  Annalen  Bd.  190,  S.  247  bis  256. 

'j  Pogg.  Ann.  Bd.  46,  S.  207. 

*)  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.,  3.  Serie.  Bd.  51,  S.  322. 

^)  Gmelin-Eraut's  Handbuch,  Bd.  1,  2.  Abth.,  S.  71. 

*)  Liebig's  Annalen  Bd.  192,  S.  288. 

YerdAt-RablmanD,  Meohan.  W&rmetheorie.  Bd.  '2.  28 


434 


IL   Thermochemie. 


üher  Qaecksilber  auf.     Die  in  sieben  einander  folgenden  Zeitabschnittes 
aufgesammelten  Gase  worden  analysirt 

Nachstehende  Tabelle  zeigt  die  Volomyerhältnisse  des  Gasgemisckei: 


Ha 

COa 

CO 

Nj 

1.  halbe  Stapde 

52,9 

19,9 

26,9 

0,3 

2-     „ 

53,7 

24,4 

21,5 

0,4 

3.           J»                   ff 

60,0 

26,8 

13,2 

— 

*•      „ 

63,5 

30,2 

6,1 

0,2 

5-           1»                   » 

64,2 

30,3 

5,1 

0,4 

Ö«           »                   » 

64,2 

30,7 

4,8 

0,3 

7.      n 

64,9 

31,0 

4,0 

0,2 

Die  Reactionen,  welche  in  dem  Räume  stattfinden,  gehen  nach 
genden  Formeln  yor  sich: 

2HaO  +  C       =  2H2  +  CO, 
CO2  +  C       =  2C0 
CO    +  H2O  =  COj  +  Ha 

und  zwar  finden  wahrscheinlich  alle  drei  Reactionen  fortwährend  glc 
zeitig  beben  einander  statt. 

Fänden  blos  die  ersten  Reactionen  statt,  so  müssten  for  jedes  Voll 
Kohlensäure  zwei  Volumina  Wasserstoff  und  fär  jedes  Volumen  Kol 
ozyd  ein  Volumen  Wasserstoff  vorhanden  sein.     Long  hat  nun 
dass  im  Anfange,  wo  dies  Verhältniss  nicht  einmal  angenähert  erfüllt 
in  der  Kohle  absorbirte  Kohlensäure  oder  solche  Kohlensäure  mit 
wichen  ist,  die  durch  von  der  Kohle  absorbirten  Sauerstoff  gebildet 
den  war.     Leitet  man  nämlich  über  Holzkohle  Wasserstoff,  so  findet 
in  dem  entweichenden  Gasgemische  stets  Kohlensäure.     Gegen  Ende 
Versuches  nimmt  in  dem  Maasse,  als  der  Kohlenstoff  bereits  oxydirt 
die  Massenwirkung  des  Kohlenstoffs  ab  und  es  wird  die  gebildete  Kol 
säure  nicht  mehr  reducirt,  oder  die  Massen wirkung  des  Wasserdai 
hat  nach  der  dritten  Reactionsformel  das  Uebergewicht  gewonnen. 

In  Wirklichkeit  ist  der  Vorgang  jedenfalls  ein  sehr  complicirter, 
nicht  nur  die  relativen  Affinitäten  des  Wasserstoffs  und  Kohlenstoffs 
disponiblen  Sauerstoff  des  Wasserdampfes,  sondern  auch  die  Massesi 
kungen  beider  Substanzen  und  die  theilweise  Dissociation  der  gebüdc 
Verbindungen  gleichzeitig  in  Betracht  kommen.  Jedenfalls  ist  aber  si 
hier  kein  einfaches  Volumenverbältniss  der  bei  dem  Versuche  enl 
den  Gase  nachweisbar. 

Alle  die  von  Bunsen  erwähnten  Resultate,  welche  ähnliche  m\ 
Beziehungen  ergeben  sollten,    wie  die  im  zweitvorhergehenden  Pi 


C.    Die  Dissociations^rscheinoiigeii.  435 

phen  mitgetheilten  Versuche,  sind  demnach  durch  neuere  Beohachtungen 
nicht  bestätigt  worden.  Man  wird  sich  also  auch  nicht  fär  gebunden  zu 
halten  brauchen,  die  bisherigen  Anschauungen  über  Dissociation  auf- 
zugeben. 


11.    XTeber  die  Wirkung  durch  Qase  schlagender  elek- 
trischer Funken. 

Ebenso  wie  eine  Erklärung  der  aus  den  eben  mitgetheilten  Ver- 
suchen fliessenden  Resultate  vom  Standpunkte  der  Moleculartheorie  nicht 
mehr  schwierig  erscheint,  so  stellen  sich  auch  dem  Verständniss  einer 
anderen  Gruppe  von  Erscheinungen,  welche  mit  dem  Vorhergehenden 
in  engem  Zusammenhange  stehen,  keine  wesentlichen  Hindernisse  in 
den  Weg. 

Hierher  gehört  zumal  die  Einwirkung  des  elektrischen  Funkens  auf 
Gasgemische.  Vorzugsweise  ist  jedenfalls,  wie  auch  schon  Plücker  bei 
seiner  Untersuchung  über  die  Spectra  der  Gase  annahm,  die  Wirkung 
eine  thermische;  denn  die  Temperatur,  auf  welche  die  auf  der  Funken- 
bahn liegenden  Gasmolecüle  erhitzt  werden,  muss  äusserst  beträchtlich 
sein.  Einestheils  wird  dies  schon  durch  das  Leuchten  des  Gases  Consta- ' 
tirt,  anderentheils  aber  kann  man  dies  auch  daraus  schliessen,  dass  in 
fast  unmerklich  kurzer  Zeit  erhebliche  Wärmemengen  übertragen  werden. 
Bei  einer  Untersuchung,  welche  ich  gemeinschaftlich  mit  Herrn  G.  Wie- 
demann  über  den  Durchgang  der  Elektricität  durch  Gase^)  anstellte, 
zeigte  sich,  dass  die  zwischen  zwei  Elektroden  stattfindende  Entladung 
einer  Holtz' sehen  Maschine  aus  einer  sehr  grossen  Anzahl  getrennter 
Entladungen  besteht,  welche  sich  bei  sonst  gleich  bleibenden  Verhält- 
nissen in  gleichen,  sehr  kleinen  Zeitintervallen  folgten.  Die  einzelnen 
Entladungen  behielten  aber,  auch  wenn  man  dieselben  in  einem  äusserst 
rasch  rotirenden  Spiegel  betrachtete,  immer  ihre  Gestalt  bei;  dies  deutet 
darauf  hin ,  dass  die  Zeitdauer  der  eigentlichen  Entladung  eine  fast  ver- 
schwindende ist.  Die  in  fast  verschwindender  Zeit  mitgetheilte  Wärme 
besitzt  aber  eine  merkliche  Grösse,  denn  die  Temperatursteigerung  der 
Umgebung  lässt  sich  leicht  durch  jede  zur  Temperaturmessung  geeignete 
Vorrichtung  constatiren.  Die  Temperatur,  weiche  die  in  der  Funken- 
bahn gelegenen  Gasmolecüle  annehmen,  muss  daher  eine  ausserordentlich 
hohe  gewesen  sein. 

Jedenfalls  ist  die  Wirkung  des  elektrischen  Funkens  auf  Gasgemische 
aber  nicht  bloss  eine  thermische,  sondern  auch  die  Ladung  der  Molecule 


^)  G.  Wiedetnann  und  R.  Rüblmann,    Ueber    den    Durchgang   der   Elektiicität 
dnrch  Gase.     Pogg.  Ann.     Bd.  145,  S.  235  and  364. 

28* 


436  n.    Thermochemie. 

mit  Elektricität ,  also  die  Mittheilung  elektrischer  Eaergie,  wird  nick 
ohne  EinflasB  auf  das  Endresultat  sein  ^). 

Die  thermische  Wirkung  besteht  höchst  wahrscheinlich  darin,  dai 
alle  auf  der  Funkenbahn  liegenden  Molecüle  so  vollständig  als  mögliek 
dissociirt  werden.  Hierfür  spricht  der  Umstand,  dass  man  fast  immer 
in  den  Spectren  des  elektrischen  Funkens  in  Gasen,  deren  Molecüle  n 
den  Atomen  mehrerer  Elemente  bestehen,  die  Spectren  der  Elemenii 
wieder  erkennen  kann.  Die  Reichhaltigkeit,  welche  das  durch  den  ekb 
trischen  Funken  erzeugte  Spectrum  vieler  Elemente  erkennen  lässt,  de» 
tet  ebenfalls  darauf  hin ,  dass  die  Molecüle  in  ausserordentÜch  leb! 
und  complicirte  Schwingungen  versetzt  werden ,  vielleicht  sogar  in  s 
einfachere  Atomgruppen  zerlegt  werden ,  als  wir  bisher  aus  den  ¥< 
düngen  als  einfachste  abzuscheiden  im  Stande  gewesen  sind. 

Ehe  wir  nun  die  chemischen  Wirkungen  des  elektrischen  F 
aus  der  kinetischen  Gastheorie  zu  erklären  suchen,  wollen  wir  di 
kurz  beschreiben.     Bekanntlich  hat  schon  Plücker')    bemerkt, 
wenn  Wasserdampf,  Ammoniak,  Stickoxydul,  Stickozyd  und  sal 
Säure  in  Geissler'sche  Röhren  gebracht  werden,  dieselben  zum 
in  ihre  Bestandtheile  zerfallen,     umgekehrt  wird  bekanntlich  auch 
Wasserstoff  und  Sauerstoff  mit  Hülfe  des  Inductionsfunkens  Wasser 
bildet;  Wasserstoff  giebt,  wenn  man  die  Funken  zwischen  Eohlenel 
den  überschlagen   lässt,    Acetylen;    Stickstoff  und  Sauerstod  giebt 
petrige  Saure;  Stickstoff  und  Wasserstoff  liefert  Ammoniak;  schvi 
Säure  und  Sauerstoff  geben  Schwefelsäure;  aus  Kohlenwasserstoffen 
Stickstoff  erhält  man  Blausäure  u.  s.  f. 

In  neuerer  Zeit  hat  Berthelot ^)  umfänglichere,  wenn  auch 
immer  nicht  entscheidende  Versuche   in  dieser  Richtung  angestellt 
constatirte  zunächst,  dass  Wasser  vom  elektrischen  Funken  sowohl 
flüssigen  als  im  gasförmigen  Zustande  zersetzt  werde.     Um  aber 
elektrischen  Funken  auf  ein  homogenes  Gas  wirken  zu  lassen,  ste 
seine  Untersuchungen  mit  überhitztem  Wasserdampf  an ,  dessen  X 
ratui*  nahe  100^,  und  dessen  Druck  gleich  0,60  bis  0,65  m  Qne 
Säule  war.     Wenn  der  Funkenstrom  längere  Zeit  durch  das  Wi 
gegangen  war,  Hess  er  das  Wasser  sich  condensiren,  maass  und 
suchte  das  durch  den  Funken  gebildete  nicht  condensirte  Gas.    Es 
sich,  dass  die  Wasserzersetzung  keiner  bestimmten  Grenze  zustrebte 
nicht  sehr  weit  getrieben  werden  konnte.     Er  beobachtete,  dasi 
100  Raumtheilen  Wassergas  unter  den  angeführten  Umständen  zej 
worden  waren: 


^)    Wahrscheinlich    ist    die   Erhitzung   des   Gases   in    der    Fonkenbahn  ul 
nichts  Anderes ,    als    eine    Beschleunigung   der  Molecnlargesch windigkeiten  io  Foli 
elektrischen  Anziehung  und  Abstossung  der  geladenen  Molecüle  untereinander  dbJ 
die  Elektroden. 

2)  Pogg.  Ann.  Bd.  105,  S.  81. 

^)  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.  4.  Serie.     Bd.  18,  S.  184. 


C.    Die  Dissociationserscheinuugen.  437 


durch  starke 

durch  kurze  und 

Funken 

schwache  Funken 

nach  10  Min. 

1,9  Vol. 

i,5  Vol. 

nach  25  Min. 

1,1  Vol. 

0,5  Vol. 

Es  zeigt  sich  also,  dass,  nachdem  ein  Xheil  des  Wasserdampfes  zer- 
setzt worden  ist,  schliesslich  auch  durch  denselhen  elektrischen  Funken 
eine  theilweise  (oder  vollständige)  Rückhildung  desselhen  aus  den  ge- 
trennten Elementen  herheigefiihrt  wird. 

Man- kann  aus  diesem  Versuche  auch  erkennen,  dass  die  Anwesen- 
heit eines  erhehlichen  üeberschusses  von  Wasserdampf  in  ahnlicher  Weise 
den  Eintritt  einer  Explosion  des  Knallgases  hindert,  wie  dies  nach  den 
Versuchen  von  Dalton  durch  einen  Ueberschuss  von  Wasserstoff  oder 
Sauerstoff  geschieht. 

Die  Verbindungsfahigkeit  des  Knallgases  hört  jedoch  nicht  auf,  wenn 
keine  Explosion  mehr  stattfinden  kann.  Durch  eine  lange  Reihe  von 
elektrischen  Funken  konnte  z.  B.,  selbst  wenn  die  vorhandene  Menge  des 
einen  Gases  sehr  gering  war,  dasselbe  doch  zu  einer  Verbindung  mit 
dem  anderen  Gase  veranlasst  werden. 

Berthelot  fand  z.  B.,  dass  Gemenge,  welche  aus: 

95,8  Volumen  Wasserstoff,    2,4  Volumen  Sauerstoff 

und: 

4,2  Volumen  Wasserstoff,  97,6  Volumen  Sauerstoff 

bestanden,  nach  einigen  Minuten  keine  merklichen  Quantitäten  Knallgas 
mehr  enthielten. 

Ein  ganz  ähnliches  Verhalten  beobachtet  man  bei  Zersetzung  der 
Kohlensäure  und  ihrer  Entstehung  aus  Kohlenoxyd  und  Sauerstoff. 

Wenn  man  durch  Kohlensäure  eine  Reihe  Inductionsfunken  schlagen 
lässt,  zersetzt  sich  dieselbe  rasch,  die  Zerlegung  erreicht  einen  gewissen 
Grad,  alsdann  tritt  Rückbildung  ein;  dieser  folgt  eine  neue  Zersetzung 
^  und  abermalige  Verbindung  zu  Kohlensäure,  ohne  jemals  eine  feste  Grenze 
zu  erreichen.  Es  waren  aus  200  cbcm  Kohlensäure  in  den  nachstehend 
angeführten  Zeiten  die  nebenbemerkte  Anzahl  von  Cubikcentimetern  nicht 
von  Kalilauge  absorbirbares  Gas  gebildet  worden^). 

Nachdem  der  Funken  eines  sehr  grossen  Ruh mkorf fischen  Appa- 
rates (mit  sechs  Elementen)  durchgegangen  war: 

nach       5  Minuten  13,0  cbcm  CO  und  0 

.  12         „  .10,0 

„  14        „  9,5 

n  24        „  7,5 

»       54        „  10,0 

„       69        „  12,8 


1)  Berthelot,  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.  4.  Serie.  Bd.  18,  S.  178. 


438  II.  Thermochemie. 


nach    84  Minuten 

12,5  cbcm 

CO  und  0 

„     110 

n 

6,0 

n 

«     128 

r 

6,0 

n 

„     143 

n 

5,0 

n 

«     153 

n 

7,0 

n 

„     163 

10,0 

n 

Auch  die  Grenzen ,  zwischen  denen  der  Grad  der  Zersetzung  hin* 
und  herschwankt,  sind  durchaus  nicht  constant,  sie  hängen  sichtlidi  tob 
der  Länge  und  der  Stärke  der  Funken  ab,  wie  dies  nachstehende  auf  die- 
selben Verhältnisse,  welche  auch  bei  der  soeben  erwähnten  Yersuchareilie 
stattfanden,  bezogenen  Zahlwerthe  deutlich  zeigen. 

Es  waren  von  200  cbcm  Kohlensäure  zersetzt: 

durch  kurze  durch  sehr  kurze  und 

Funken  sehr  schwache  Funken 

nach  10  Minuten         14,0  Volumina  14,0  Volumina 

„     15         „               14,0         „  6,0          i 

n     25        „               18,0         ^  6,0 

„     35         „               19,0         ^  13,5 

„     60        „                 1,5         „  29,0 

.     82        „               24,0         „  2,0 

Buff  und  Hofmann^)  wollen  sogar  bei  dem  Eintritte  der  Wiedcf 
Vereinigung  eine  Explosion  wahrgenommen  haben,  Berthelot  hat 
eine  Explosion  beobachtet,  deutet  aber  an,  dass  man  mit  noch  schw 
ren  Funken  die  Zersetzung  vielleicht  so   weit  zu  treiben  im  Stande 
dass  ein  explosives  Gemisch  entstehe. 

Bekanntlich  hört  ein  Gemisch  von  zwei  Volumina  Kohlenoxjd 
ein   Volumen  Sauerstoff  auf,    explosiv  am  sein,    wenn  die   Heimen 
eines  indifferenten  dritten  Gases  mehr  als  ^0  oder  65  Hunderttheile 
Gesammt Volumens  beträgt. 

Auch  Berthelot  fand  die  Angaben  Dalton's  bestätigt,  dass 
Gemisch  von  Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  aufhört,  explosiv  zu  sein,  w^ 
dasselbe  weniger  als   Vs   ^^^  mehr  als  i*/i5  Kohlenoxyd  enthält    Di 
Grenzen  ändern  sich  etwas  je  nach  der  Stärke  des  Funkens.     Jens 
dieser  Grenzen  ist,  wie  sich  dies  schon  nach  obigen  Versuchen  cnrj 
lässt,  die  Verbindung  bald  vollständig,  bald  mehr  oder  weniger  on 
ständig. 

Ein  einzelner  Funken  bringt  in  einem  Gemische  von  13,0  Vol 
Kohlenoxydgas  auf  87,0  Sauerstoff  noch  keine  merkliche  Verbindung 
vor.    Nachdem  eine  Minute  lang  ein  Strom  von  Funken  hindorchgegan 
war,  hatten  sich  6,5  Volumina  Kohlensäure  und  nach  5  Minuten  13  T< 
lumina  gebildet. 


^)  Quarterly  Journal  of  the  chemical  society.     Bd.  12,  S.  283. 


C.  Die  Dissociationserschemungeii.  439 

Aehniiche  Restdtate  erhielt  man  auch  mit  anderen  Mischungen, 
welche  8,0  und  5,0  Volumen -Procent  Kohlenoxyd,  oder  welche  einige 
Procent  Sauerstoff  bei  einem  merklichen  Ueberschusse  von  Kohlenozydgas 
enthielten.  Alle  derartigen  Gemische  gehen  durch  immer  weiter  fort- 
schreitende Verbindung  schliesslich  in  ein  Gemenge  über,  welches  keine 
Yerbindungsföhigen  Bestandtheile  mehr  enthält. 

Auch  der  entgegengesetzte  Versuch  fiel  ganz  unzweideutig  aus; 
Gemische  von 

16,6  Kohlensäure  und  83,4  Vol.  Sauerstoff 
und 

13,Ö  Kohlensäure  und  87,0  Vol.  Kohlenoxyd 

blieben  auch  bei  mehrstündiger  Behandlung  mit  starken  elektrischen 
Fanken  yoUständig  unzersetzt.  Die  Anwesenheit  eines  genügenden  Ueber- 
schusses  von  Sauerstoff  oder  Kohleifoxyd  verhindert  demnach  eine  Zer- 
legung durch  den  elektrischen  Funken  vollständig. 

Wenn  jedoch  sehr  geringe  Mengen  von  Kohlenoxyd  oder  Sauerstoff 
in  grösseren  Quantitäten  von  Kohlensäure  enthalten  sind,  schützt  deren 
Anwesenheit  die  Kohlensäure  nicht  vor  einer  theilweisen  Zersetzung.  Ein 
Gemisch  von 

96,5  Kohlensäure 
und 

3,5  Kohlenoxyd 

zeigte  z.  B.,  nachdem  die  Funken  eine  Viertelstunde  lang  gewirkt  hatten, 
eine  Vermehrung  des  Kohlenoxydgehaltes  um  3,4  und  eine  Bildung  von 
1,7  Volumina  Sauerstoff. 

Diese  Vorgänge  dürften  sich  vielleicht  auf  folgende  Weise  mit  der 
kinetischen  Gastheorie  in  Einklang  bringen  lassen. 

Der  elektrische  Funken  zerlegt  höchst  wahrscheinlich  die  im  Ver- 
gleich zur  Gesammtanzahl  äusserst  geringe  Anzahl  Molecüle ,  die  zusam- 
mengesetzten sowohl  als  auch,  wenn  die  Molecüle  mehr  als  einatomig 
sind,  die  Molecüle  einfacher  Gase  (02,H2Cl2  u.  s.  w.),  welche  auf  der 
Fankenbahn  liegen,  in  ihre  Bestandtheile,  und  vermehrt  durch  die 
Abstossung  gleichelektrisirter  Theilchen  und  durch  die  Anziehung  ent- 
gegengesetzt elektrisch  geladener  deren  Moleculargeschwindigkeiten  sehr 
erheblich.  Auf  diese  Weise  ist  es  erklärlich,  warum  die  explosibeln 
Gemische  durch  den  Funken  entzündet  werden.  Während  die  zweiato- 
migen Sauerstoff-  und  Wasserstoffatome  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
indifferent  neben  einander  sich  bewegen,  und  sich  gegenseitig  anstossen 
können,  ohne  sich  zu  H2O  zu  verbinden,  so  werden  die  sich  ungemein 
rasch  bewegenden  und  mit  grösseren  Affinitäten  begabten  einatomigen 
Sauerstoff-  und  Wasserstoffatome  bei  ihrem  Zusammenstosse  in  der  Lage 
sein,  sich  zu  Wasserdampf  zu  vereinigen.  Hierdurch  wird,  wenn  sich  die 
lebendige  Kraft  der  erzeugten  calorischen  Energie  nicht  auf  zu  viele 
Molecüle  vertheilt,  ein  immer  grösserer  Theil  von  Doppelatomen  beim 


440  IL  Thermochemie. 

Zusammen stosse  auseinander  gerissen  und  die  gesammte  yerbindbäre  (ras- 
masse  kann  sich  nnter  Eintritt  einer  Explosion  vereinigen. 

Sind  dagegen  viele  Molecüle  beigemengt,  welche  nicht  fähig  sind, 
nnter  einander  oder  mit  anderen  eine  Verbindung  einzugehen,  so  werden 
nur  die  gerade  mit  den   grössten   Geschwindigkeiten  sich  bewegendeo 

Hl  Ol  Ol    . 

Molecüle  tj[  tmd  ^[  oder  CO  und  ^     im  Stande  sein,  aus  dem  Doppel- 
atom rA  eines  abzuspalten  und  zurückzuhalten.     Es  wird  alsdann  eine  ' 

öftere  Wiederholung  der  elektrischen  Ladung  von  Molecülen  in  der  Fim- 
kenbahn  und  der  Fortschleuderung  derselben  in  den  übrigen  Raum  be- 
dürfen, ehe  Bämmtliche  verbindungsfahigen  Molecüle  vereinigt  worden  ; 
sind.  Möglicherweise  begünstigt  auch  die  ungleichartige  Elektrisiraiig  ! 
und  die  hieraus  sich  ergebende  Anziehung  verschiedener  Molecüle  dift 
Bildung  zusammengesetzter  Molecüle.  Man  kann  sich  auf  solche  Wei» 
leicht  erklären,  wie  der  elektrische  Funke  gleichzeitig  die  zwei  entgegei- 
gesetzten  Reactionen,  Zerlegung  und  Verbindung,  hervorzubringen 
Stande  ist. 

Wahrscheinlich  beruht  auf  der  Steigerung  der  Molecnlargeschwin* 
digkeit  auch  die  Thatsache,  dass  z.  B.  ein  Gemisch  von  2  H3  und  O3  sieh 
ungefähr  bei  600^0.  zu  Wasser  verbindet,  dass  also  bei  dieser  Tempe* 
ratur  die  Entzündung  des  Wasserstoff-Sauerstoffknallgases  stattfindet 

Bei  dieser  Temperatur  erreichen  wahrscheinlich  die  Molecüle  soldMi 
Geschwindigkeiten,  dass  beim  Zusammenstosse  zweier  ungleichartiger  odm 
beim  Zusammenstosse  zweier  gleichartiger  Molecüle  die  letzteren  in  zwa 
active  Atome  zerschlagen  werden  und  nunmehr  die  Verbindung  möglid 
ist,  während  bei  niedrigeren  Temperaturen  die  Moleculargesch windig 
keiten  noch  nicht  die  Grösse  erreichen,  welche  nöthig  ist,  am  beim  Iv 
sammenstosse  unter  günstigen  Verhältnissen  den  Zusammenhalt  der  Dop 
pelatome  aufzuheben. 

Wirkt  der  Funkenstrom  dagegen  auf  ein  Gas,  dessen  Molecüle  zei^ 
setzbar  sind,  z.  B.  auf  Wasser-  oder  KohlensäuremolecOle,  so  tritt  höcfarf 
wahrscheinlich  eine  Zersetzung  derselben  ein,  und  nicht  alle  zersetztet 
Molecüle  treffen  zufällig  auf  ihrem  Wege  wieder  mit  solchen  zoBamioeOi 
mit  denen  sie  die  zersetzte  Verbindung  von  Neuem  bilden  können;  a 
wird  sich  daher  ein  kleiner  Theil  zerlegter  Molecüle  unter  den  Molecükt 
der  Verbindung  finden ,  dieser  Theil  braucht  jedoch  nicht  sehr  gross  n 
sein,  weil  die  Rückbildung  der  Verbindung  zum  grössten  Theilescboi 
in  nächster  Nähe  der  Funkenbahn  selbst  stattfindet,  und  eine  Zerlegoof 
nur  in  dem  Bruchtheile  des  Gesammtraumes  stattfindet,  den  die  Fmikea* 
bahn  einnimmt.  Solche  Verbindungen,  bei  deren  Entstehung  mt 
grosse  Wärmemenge  entwickelt  wird,  werden  auch  bei  ihrer  Zerlegiug 
erhebliche  Energiemengen  consumiren,  so  dass  die  Zersetzangsprodncfo 
solcher  Verbindungen  verhältnissmässig  nur  mit  geringen  Geschwindig- 
keiten in  und  aus  der  P'unkenbahn  heraus  bewegt  werden  können.  ^ 


C.    Die  DissociationserscheinuDgen.  441 

kann  dadurch  leicht  verstehen,  warum  dnrch  den  elektrischen  Funken 
um  so  geringere  Mengen  eines  Gases  zersetzt  werden,  je  grösser  die  Affi- 
nität seiner  Bestandtheile  ist  ^). 

Dass  aber  die  Zersetzung  z.  B.  bei  Wasserdampf  und  Kohlensäure 
keiner  bestimmten  Grenze  zustrebt,  sondern  bald  fortschreitet,  bald  durch 
eine  überwiegende  Rückbildung  ersetzt  wird,  kann  man  sich  ebenfalls 
erklären.  Zunächst  schreitet  nämlich  die  Zersetzung  eine  Zeit  lang  fort; 
dann,  wenn  sich  in  einem  der  Funkenbahn  nicht  zu  fernen  Räume  eine 
grossere  Menge  verbindbarer  Molecüle  angesammelt  hat,  tritt  eine  locale 
Entzündung  ein  und  diese  kann  unter  Umständen  fast  sämmtliche  oder 
weitaus  die  meisten  der  verbindbaren  Molecüle  ergreifen  und  aufs  Neue 
vereinigen.  Dass  solche  Entzündungen  und  Rückbildungen  nicht  fort- 
während, sondern  meist,  ähnlich  wie  die  Rückschwingungen  einer  vom 
Bogen  ergriffenen  Saite,  erst  geschehen,  wenn  sich  eine  gewisse  Menge 
potentieller  Energie  angehäuft  hat,  ist  dadurch  erklärlich,  dass  die  Funken 
erstens  nicht  immer  genau  in  derselben  Linie  Überspringen,  sondern  ihren 
Ort  wechseln,  und  dann  dadurch,  dass  auch  die  Funken,  zumal  wenn  die- 
selben vom  Inductionsapparate  herrühren,  nicht  immer  gleiche  Mengen  elek- 
trischer Energie  übertragen,  sondern  je  nach  der  Art  der  Stromunterbre- 
chang  des  primären  Stromes  oft  sehr  verschiedene  Beschaffenheit  zeigen, 
wie  man  leicht  bei  längerer,  aufmerksamer  Beobachtung  des  Funken- 
stromes  eines  Inductoriums  erKcnnt.  Auch  kann  vielleicht  der  Umstand 
mitwirken,  dass  sich  die  Zersetzungsproducte  vorzugsweise  an  bestimmten 
Stellen  des  Raumes,  z.  B.  oben  in  Folge  ihrer  Erwärmung  oder  ihres  ge- 
ringen specifischen  Gewichts,  oder  in  der  Nähe  einer  Elektrode  anhäufen, 
und  erst  wenn  ein  gewisses  Volumen  angesammelt  ist,  das  explosible  Ge- 
misch vom  Funken  getroffen  wird. 

Befinden  sich  dagegen  kleine  Mengen  des  einen  der  beiden  gasfor- 
migen Bestandtheile  in  einem  Ueberschusse  des  anderen,  so  wird  zwar 
die  Yertheilung  der  durch  Elektrisirung  und  Erhitzung  hervorgebrachten 
lebendigen  Kraft  einzelner  Molecüle  auf  so  viele  andere  kein  Fortschrei- 
ten der  Verbrennung  aus  der  nächsten  Nähe  der  Funkenbahn  hinaus 
möglich  machen,  aber  die  in  der  Funkenbahn  gespaltenen  und  daher  in 
activem  Zustande  fortgeschleuderten  Molecüle  werden  bald  mit  anderen 
yerbindungsfähigen  Molecülen  zusammenstossen  und  die  Verbindung 
herbeiführen.  Jedenfalls  werden  immer  einzelne  Wasser-  oder  Kohlen- 
säuremolecüle  wieder  zersetzt  werden,  da  deren  Zahl  aber  sehr  gering 
ist,  und  viele  zersetzte  Molecüle  unmittelbar  nachher  wieder  Gelegenheit 
finden,  sich  zu  vereinigen,  so  wird  die  Quantität  der  Zersetzungsproducte 
nicht  bemerkbar  werden. 


^)  Nach  Versuchen  von  Perrot  (Comptes  rendus  Bd.  67,  S.  351)  und  von  Grove 
(Poggend.  Ann.  Bd.  93,  S.  417  u.  582)  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dass  auch  elektro- 
lytische Vorgänge  in  Gasen  stattfinden,  dass  also  die  Zersetzun^producte  eines  Gases 
unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  von  den  Elektroden  mit  verschiedenen  Geschwindig- 
keiten fortgeschleudert  werden. 


442  IL  Thermochemie, 


12.   Einwirkung  des  elektrisohen  Funkens  auf  einzelne 
KohlenwasserstofiT-  und  StickstofiVerbindungen. 

Es  ist  schon  längere  Zeit  hekannt^),  d&ss,  wenn  man  einen  Funken- 
ström  durch  einen  Dampf  eines  Kohlenwasserstoffs,  zumal  durch  Smnpf- 
gas  leitet,  eine  Bildung  von  Acetylen  auf  Kosten  dieses  Gases  vor  sich  geht 

Sendet  man  einen  Strom  sehr  starker  Funken  durch  reines  Sumpf- 
gas, so  scheidet  sich  Kohlenstoff  ah ,  und  das  Volumen  des  Gases  nimst 
rasch  zu.  Aher  erst  nach  einiger  Zeit  ist  alles  Sumpfgas  zerstört,  mdst 
gehört  dazu  ein  Zeitraum  von  mehreren  Stunden. 

Man  könnte  annehmen,  es  hilde  sich  aus  einem  Molecül  Sumpfg» 
ein  Molecül  Kohlenstoff  und  zwei  Molecüle  Wasserstoff: 

CH4  =  C  +  2  Hj. 

Man  müsste  demnach  erwarten,  dass  das  Volumen  verdoppelt  würd% 
da  sich  der  Kohlenstoff  niederschlägt,  und  zwei  Molecüle  Wasserstoff  im 
zweimal  so  grosse  Volumen  einnehmen,  als  ein  Molecül  Sumpfgas.  Uebo^ 
einstimmende  Versuche  hahen  jedoch  gezeigt,  dass  100  Volumina  Sumpf' 
gas  nach  der  Zerlegung  nur  181  Volumina  einnehmen'). 

Es  zeigt  sich  jedoch,  dass  erhehliche  Mengen  von  Acetylen  gebit 
det  werden  (13  Proc),  und  eine  genaue  Analyse  des  gehildeten  Gaset 
deutet  an ,  dass  der  Vorgang  ungefähr  nach  folgender  Formel  vor  oA 
geht: 

2  C  H4  =  C2  H2  "|~  3  Hg) 

d.  h.,  dass  die  Hälfte  des  Sumpfgases  durch  den  Funken  in  Acetylen  t< 
wandelt  worden  ist.  Lässt  man  nach  einiger  Zeit  das  gehildete  Acetyld 
ahsorhiren  und  lässt  den  Funken  ahermals  wirken,  so  kann  man  dieZtf* 
Setzung  noch  weiter  treihen  und  üherhaupt  39  Volumina  Acetylen  hildd^ 
so  dass  schliesslich  V5  ^^s  ursprünglich  vorhandenen  Sumpfgas^  in  io^ 
tylen  verwandelt  worden  sind. 

Die  unvollständige  Uehereinstimmung  der  beohachteten  Zahlen  mit  dflt 
berechneten  erklärt  sich  leicht  daraus,  dass  das  Acetylen  geneigt  ii^ 
polymere  Verbindungen  von  der  Form  (C2H2)»  zu  bilden.  Berthelot 
behauptet,  dass  wenn  man  sehr  lange  auf  Sumpfgas  elektrische  Fankfi' 
einwirken  lasse ,  so  sei  die  Hälfte  des  Gases  in  Acetylen ,  drei  Achtel  i 
condensirte  Kohlenwasserstoffe  (Triacetylen ,  Benzol)  übergegangen  joi 
ein  Achtel  nur  werde  in  Kohlenstoff  und  Wasserstoff  zerlegt. 


^)  Berthelot,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  3.  Serie.  Bd.  67,  S.  52  md  »^ 
4.  Serie,  Bd.  19,  S.   156. 

^)  Berthelot.    Add   de    chim.    et    de  *  phys.     4.    Serie.  Bd.     18,     S.  157  uä 

Buff  a.  Hofman,  Qaarterly  Journal  of  the  chemical  society.  Bd.  12,  S.  283. 


C.    Die  Dissociationserscheinungen.  443 

Aehnliche  Resultate  erhält  man  übrigens  aach,  wenn  man  Sampfgas 
l&ngere  Zeit  in  einem  geschlossenen  Rohre  erhitzt  ^). , 

Mengt  man  Acetylen  mit  mehr  als  dem  Siebenfachen  seines  Volums 
Wasserstoff,  so  übt  der  Funken  keine  merkliche  Wirkung  auf  das  Ge- 
misch aus.  Setzt  man  dem  Funkenstrome  ein  Hinderniss  in  den  Weg, 
nöthigt  man  denselben  z.  B.,  um  eine  Glaswand  herum  zu  gehen,  so 
scheiden  sich  geringe,  aber  merkliche  Mengen  Kohlenstoff  aus.  Wahr- 
scheinlich rührt  dies  davon  her,  dass  an  solchen  Stellen  der  im  Funken- 
strome vorhandene  Kohlenstoff  sehr  rasch  abgekühlt  wird,  so  dass  er 
dann  nicht  mehr  im  Stande  ist,  sich  wieder  mit  dem  Wasserstoffe  zu  ver- 
binden. 

Selbst  der  sonst  so  indifferente  Stickstoff  erlangt  unter  dem  Ein- 
flüsse des  elektrischen  Funkens  die  Fähigkeit,  Verbindungen  einzu- 
gehen. Mit  Sauerstoff  geht  unter  Einwirkung  des  Funkenstromes  der 
Stickstoff  in  salpetrige  Säure  über ,  bei  Anwesenheit  von  Wasserstoff  bil- 
den sich  Spuren  von  Ammoniak,  und  in  neuester  Zeit  zeigte  Berthelot, 
dass  freier  Stickstoff  im  Stande  sei,  sich  mit  Acetylen  zu  Cyan wasser- 
stoffsäure zu  verbinden. 

Das  Acetylen  zeichnet  sich  überhaupt  durch  eine  hohe  chemische 
Activität  aus,  die  sich  im  Besonderen  auch  durch  sein  Verhalten  zum 
Stickstoff  im  Funkonstrome  manifestirt.  Lässt  man  durch  ein  Gemenge 
beider  Gase  eine  Anzahl  kräftiger  Funken  eines  Ruh mkorfr sehen  Appa- 
rates schlagen,  so  wird  unmittelbar  der  charakteristische  Geruch  der  Blau- 
säure wahrnehmbar. 

Auch  hier  stockt  die  Bildung  der  Blausäure  aber  bald,  wenn  man 
nicht  die  Säure  durch  Alkalien  absorbiren  lässt  und  aus  der  Funkenbahn 
beseitigt.  Der  Vorgang  ähnelt  überhaupt  dem  bei  Bildung  des  Acetylen 
in  sehr  vielen  Beziehungen. 

Die  meisten  Kohlenwasserstoffe  geben  unter  Einwirkung  des  Fun- 
kens Veranlassung  zur  Entstehung  von  Acetylen,  ein  Gemisch  irgend 
eines  Kohlenwasserstoffs  mit  Stickstoff  liefert  daher  Blausäure. 

Da  nun  aber  nachweislich  zur  Bildung  der  Blausäure  aus  ihren 
Elementen  Wärme  erforderlich  ist,  so  geht  daraus  hervor,  dass  der  elek- 
trische Funke  im  Stande  ist,  die  Energiemengen  zu  liefern,  welche  nöthig 
sind,  um  Verbindungen  herzustellen,  bei  deren  Bildung  Wärme  ab- 
sorbirt  wird. 

Auch  bei  diesen  Vorgängen  zeigt  sich  deutlich,  dass  das  Verhalten 
der  Gase  gegenüber  dem  elektrischen  Funken  zum  Theil  in  einer  Zer- 
legung, zumTheil  in  einer  Neubildung  ^n  Verbindungen  besteht,  welche 
auf  eine  Dissociation  der  Bestandtheile  zurückzuführen  ist ,  und  sich  ohne 
Schwierigkeit  aus  den  früher  von  uns  mitgetheilten  Pfaundler^schen 
Betrachtungen  erklären  lässt. 


')  Man  sehe  Berthelot,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.     4.  Serie.     Bd.  18,  S.  159. 


444  II.   Thermochemie. 

Molecüle,  welche  entweder  hei  ihrem  gegenseitigen  ZasamiiieDflioBse 
oder  durch  elektrische  Ladung  und  gegenseitige  Ahstossung  der  Molecfil- 
hestandtheile  zerlegt  werden,    liefern  einfachere  Molecüle  oder  Atome, 
welche  sich  nunmehr  im  Räume  bewegen  und  entweder  unter  geeigneten 
Umständen  sich  mit  anderen  vereinigen  können,  oder  wenn  ,die  dazu  ge- 
eigneten Umstände  nicht  eintreten,  auch  isolirt  bleiben  können,    Dazu 
kommt  bei  der  Einwirkung  des  elektrischen  Funkens  der  Umstand,  dus 
die  Mittheilung  von  erheblicher  Menge  von  Energie  nur  immer  an  eine 
beschränkte  Anzahl  von  Molecülen  und  in  einem  eng  begrenzten  Räume 
in  gewissen  Intervallen  geschieht.    Wir  haben  es  hier  in  Folge  dessen 
bei  diesen  Vorgängen  mit  Erscheinungen  zu  thun,  welche  weder  zeitlich 
noch  räumlich  homogen  sind.     Es  wird  daher  erst  dann  eine  neue  Art  , 
von  Gleichgewicht  zwischen  den  Bestandtheilen  des  GaBgemisches  ein-  | 
treten,  wenn  das  Gemisch  einen  solchen  Zustand  erreicht  hat,  dass  in  I 
gleichen  Zeiten  gleich  grosse  Mengen  der  Bestandtheile  des  Gasgemisches 
verbunden  und  von  Verbindungen  in  die  Bestandtheile  wieder  zerlegt 
wird,  und  der  Eintritt  eines  vollständigen  Gleichgewichtszustandes  wird 
unter  diesen  Umständen  meist  erst  nach  ziemlich  langer  Bauer  der  Ein- 
wirkung eintreten  können  und  von  der  Temperatur  und  von  den  Energie 
mengen  abhängig  sein,  welche  bei  jeder  Entladung  übertragen  werden. 

Dass  die  chemische  Affinität  der  Belätandtheile  eine  wesentliche  Rolle 
spielt,  wenn  es  sich  darum  handelt,  anzugeben,  wie  sich  ein  Gras  gegen- 
über dem  elektrischen  Funken  verhalten  wird,  und 'dass  die  Erscheinun- 
gen denen  bei  der  Dissociation  durch  blosse  Erwärmung  sehr  ähnlich 
sind,  kann  leicht  erkannt  werden.  Ammoniak,  dessen  Bestandtheile  eine 
grosse  Affinität  zu  einander  besitzen,  wird  nur  langsam  und  bei  Anwesen- 
heit der  Zersetzungsproducte  nie  vollständig  vom  Funkenstrome  zersetzt; 
N2O4  wird  langsam,  N2O9  dagegen  rasch  zerlegt.  »Cyan  wird  von  einem 
starken  Funkenstrome  hingegen  vollständig  in  Kohlenstoff  und  Stickstoff 
zerlegt  ^);  der  Kohlenstoff  scheidet  sich  als  fester  Körper  aus.  Eine 
Rückbildung  von  Cyan  aus  den  Zersetzungsproducten  früherer  Funken 
ist  daher  unmöglich,  weil  die  Kohlen stoffmolecüle  sich  aus  dem  Bereiche 
der  Einwirkung  des  Funkenstromes  und  auch  der  Gasmolecüle  sich  fast 
vollständig  entfernen;  deshalb  muss  hier,  ähnlich  wie  wir  dies  schon  bei 
d^n  Dissociationserscheinungen  durch  Wärmezufuhr  beobachtet  haben, 
wenn  ein  Zersetzungsproduct  der  Einwirkung  der  übrigen  Molecüle  ent- 
zogen wird,  die  Zerlegung  vollständig  zu  Ende  geführt  werden. 

Auch  die  Anzahl  Molecüle,  auf  welche  die  durch  den  elektrischeB 
Funken  übertragene  Energie  vertheilt  wird,  muss  von  Einfluss  sein, 
wie  wir  dies  schon  bei  Betrachtung  des  Verhaltens  der  Gasgemenge  in 
Funkenstrome  wiederholt  bemerkt  haben. 

Leider  liegen  genaue  Messungen  über  die  durch  Entladung  über 
tragenen  Elektricitätsmengen  nur  für  wenig  Gase  vor  und  zwar  unter 


^)  Die  Angaben  von  Berthelot  und  von  Buff  stimmen  hier  nicht  volUtandig  nbemo. 


C.  Die  Dissociationserscheinungeti. 


445 


Anwendung  der  Funken  der  Holtz'schen  Influenzelektrisirmaschine  in 
der  Untersuchung  über  den  Durchgang  der  Elektricitst  durch  yerdünnte 
Gase,  welche  ich  ^)  gemeinsam  mit  Herrn  G.Wiedemann  angestellt  habe. 
Die  Kohlensäure  und  atmosphärische  Luft,  mit  welchen  wir  experimentirt 
hatten,  sind  aber  von  uns  nicht  auf  ihre  chemische  Beschaffenheit  nach 
dem  Durchgange  des  Funkens  untersucht  worden. 

Nimmt  man  an,  dass  bei  Benutzung  der  Funken  eines  Inductoriums 
bei  jeder  Entladung  gleiche  Energiemengen  übertragen  werden,  gleich- 
viel, ob  das  Gas  mehr  oder  weniger  verdünnt  ist,  ob  die  Funkenbahn 
lang  oder  kurz  ist,  so  würde  sich  dieselbe  Energiemenge  je  nach  Um- 
standen auf  sehr  ungleiche  Anzahlen  von  Molecülen  yertheilen  und  könnte 
möglicher  Weise  sehr  verschiedene  Wirkungen  hervorbringen. 

Unsere  Versuche  deuten  darauf  hin,  dass  bei  einer  Elektricitätsquelle, 
wie  die  Holtz' sehe  Maschine,  sehr  nahe  immer  die  gleiche  Energiemenge 
auf  eine  gleiche  Anzahl  von  Molecülen  vertheilt  wird;  die  Anzahl  der  in 
einer  Secunde  erfolgenden  Funken  ist  nämlich  innerhalb  ziemlich  weiter 
Grenzen  dem  Drucke  umgekehrt  proportional. 

Einen  sehr  eigenthümlichen  Einfluss  der  Anzahl  der  dem  Funken 
ausgesetzten  Molecüle  hat  Berthelot  beobachtet.  Leider  fehlen  aber 
die  näheren  Details  über  die  Art  der  Anstellung  der  Versuche,  so  dass 
man,  meiner  Ansicht  nach,  nicht  in  der  Lage  ist,  weitergehende  Schlüsse 
aas  den  merkwürdigen  Resultaten  zu  ziehen. 

Er  beobachtete  nämlich,  dass  die  Quantität  reinen  Acetylens,  welche 
dnrch  die  langdauernde  Einwirkung  starker  elektrischer  Funken  zersetzt 
wird,  vom  Drucke  abhängig  sei.  Schon  vorher  bemerkten  wir,  dass, 
während  etwas  Kohlenstoff  sich  ausscheidet,  bald  ein  Mischungsverhält- 
niss  zwischen  Acetylen  und  Wasserstoff  sich  herstellt,  welches  weiterhin 
'nicht  mehr  vom  Funken  geändert  wird. 

Dieses  Mischungsverhältniss  war  nun  bei  verschiedenem  Drucke  ver- 
schieden, wie  nachstehende  Tabelle  zeigt. 


Druck  in  m 

Volumen  Acetylen  in 

Qaecksilbersäule 

100 

Vol. 

des  Gemisches 

3,46 

11,9 

0,76 

12,2 

0,42 

11,9 

0,41 

12,0 

0,31 

6,5 

0,23 

3,5 

0,18 

3,1 

0,10 

3,1 

^)  Pogg.  Ann.  Bd.  145,  S.  235  und  364. 


U6 


IL  Thermochemie. 


£s  Scheint  hieraas  hervorzugehen ,  dass  das  Gleichgewicht  zwischen 
Kohlenstoff,  Wasserstoff  und  Acetylen  un geändert  bleiht,  während  der 
Druck  (yon  3,46  bis  0,41)  sich  anf  den  achten  Theil  redacirt,  dass  dann 
nur  die  Hälfte  und  schliesslich,  bei  sehr  niedrigen  Drücken,  nur  der 
vierte  Theil  der  ursprünglichen  Menge  zui*  Herstellung  des  Gleichgewichte 
nöthig  ist. 

Berthelot ^)  glaubt  hierin  eine  Bestätigung  der  B u n s e n ^ sehen  Er- 
scheinungen beim  Entzünden  von  Gemischen  von  Wasserstoff  oder  Kofa- 
lenoxyd  mit  Sauerstoff  erkennen  zu  müssen.  Eine  stetige  Aendemng  dei 
Druckes  scheint  in  der  That  eine  sprungweise  oder  mindestens  sehr  HD- 
gleiche  plötzliche  Aenderungen  des  Gleichgewichtes  zwischen  Acetylen, 
Kohlenstoff  und  Wasserstoff  zur  Folge  zu  haben. 

Wenn  derartige  Beobachtungen  durch  anderweite  Versuche  bestätigt 
werden  sollten,  würde  man  in  denselben  allerdings  sehr  beachtenswert)» 
Abweichungen  von  den  gewöhnlichen  Vorgängen  der  Dissodation  erkennen 
müssen. 

Ich  habe  zunächst  noch  nicht  versucht,  diese  Gruppe  von  Erschei* 
nungen  mit  den  Fundamenten  der  Gastheorie,  welche  sonst  so  gute  Dienste 
bei  Erklärung  chemischer  Vorgäng6  leisteten,  in  Einklang  zu  bringen; 
man  muss  umfänglichere  experimentelle  Studien  auf  diesem  Gebiete  ab- 
warten, ehe  man  daran  denken  kann,  eine  Behandlung  von  allgemeioen 
Gesichtspunkten  aus  in  Angriff  zu  nehmen. 


13.    Ueber  die  Wirkung  schwacher  elektrischer 

Entladungen  auf  Gteise. 

Auch  über  die  chemische  Wirksamkeit  der  wenig  leuchtenden  elek-j 
trischen  Entladungen  liegen  einige  Versuche  von  Thenard  vor,  uni] 
zwar  beziehen   sich   dieselben  auf  die  Zerlegung  der  Kohlensäure  und 
auf  das  Verhalten  von  Gemischen  von  Sauerstoff  mit  Kohlenoxyd  uid 
Wasserstoff. 

Berthelot  ^)  stellte  ähnliche  Versuche  mit  einem  Houzeau'scfaeo 
Apparate  an,  der  zur  Erzeugung  von  Ozon  bestimmt  war.  Auch  schwä- 
chere, sehr  wenig  leuchtende  Funken  erzeugten  Acetylen,  wenn  aach  sehr 
kleine  Quantitäten. 

Höchst  wahrscheinlich  ist  in  den  hellen  leuchtenden  Funken  die 
Temperatur  und  jedenfalls  ist  bei  denselben  die  durch  jede  Entladung 
übertragene  Menge  elektrischer  Energie  grösser.  Wahrscheinlich  bildet 
sich  aber  aus  Kohlenwasserstoffen  um  so  mehr  Acetylen,  mit  je  gröaseroi 
Geschwindigkeiten  die  Molecüle  sich  bewegen  und  zusammen stossen.  In 
neuerer  Zeit  hat  Berthelot  derartige  Versuche  wiederholt.  Er  expcri- 
mentirte  mit  wenig   leuchtenden  Entladungen   eines  Ruhmkorffsdien 


M  Ann.  de  chim.  et  de  phys.    4.  Serie.    Bd.  18,  S.  201. 
2)  Ann.  de  chim.  et  de  phys.    4.  Serie.    Bd.  30,  S.  431. 


G.    Die  Dissociationaerschemuiigetl.  44? 

Ippantee  durch  Ozonröhren  und  mit  Entladangeo  der  Holtz'schen 
iBdieDEelektrisiriiiaaclkiDe.  In  einer  anderen  Gmppe  von  Versuchen 
kUobs  er  eine  dünne  Schicht  Gas  zwischen  zwei  concentrieche  dünn- 
wiadige  Glaacylinder  ein;  die  dem  Gase  abgewendeten  Glaaw&nde  wur- 
dan  mit  Elektricitatsleitem  überzogen  (Platin,  Zinnfolie,  Schwefelsiure) 
und  entgegengesetzt  elettrisch  geladen.  Die  entgegengesetzten  Ladungen 
wnrdeD  ertheilt:  entweder  durch  die  Elektroden  eines  Rnhmkorff'schen 
Apparates,  die  mit  den  Belegen  verbunden  waren,  die  Elektroden  einer 
Eoltz'scfaen  Maschine,  zwischen  deren  Conductoren  Funken  überspraa- 
gen,  oder  die  beiden  Pole  einer  galvanischen  Batterie  von  mehreren  Ele- 
Dienten,  oder  endlich  durch  die  Differenzen  der  Luftelektricität  in  zwei 
Terschiedenen  hohen  Schichten  der  Atmosphäre. 

Beistehende  Figur  21  giebt  eine  VorsteUnng  von  einem  derartigen 
Bertbelot' sehen  Apparate'). 

Daseigenthüm  lieh  gestaltete  Gl  aa- 
^'      '  röhr,  welches  die  Abbildung  zeigt, 

besteht  aus  zwei  in  einander  ge- 
schmolzenen dünnwandigen  Probir- 
gl&sern ,  von  denen  das  Aeussere 
mit  zwei  angeschmolzenen  Glas- 
röhren versehen  ist,  die  zur  Ein- 
fahrong  und  Entfernung  der  zn 
untersuchenden  Gase  dienen.  Das 
innere  oben  offene  Röhrcfaen  wird 
mitSchwefelsfiure  gefüllt  und  ebenso 
der  Apparat  in  Schwefelsäure  ein- 
geat^llt.  Die  beiden  von  einander 
isolirten  Schwefel  säure  mengen  wer- 
den alsdann  mit  dem  positiven  und 
negativen  Pole  irgend  einer  Elek- 
tricitätsquelle  leitend  verbunden 
und  bilden  somit  gewisser  maassen 
eine  Leydener  Flasche,  deren  iso- 
tirende  Schicht  aus  den  beiden  Glas- 
wänden und  dem  zwischen  beiden 
befindlichen  Gase  besteht.  Sind 
die  Potential differenzen  dies-  und 
jenseits  der  Gasschicht  bedeutend 
und  der  Gasdruck  gering,  so  sieht 
man  im  Dunkeln  einzelne,  je  nach 
der  GrSsse  dieser  Differenz  rascher  oder  minder  rasch  sieb  folgende, 
schwach    leuchtende  elektrische  Entladungen    im  Gase   sich  vollziehen. 

'I  GeimuereB  über  die  HHOdhHbuag  dieser  einfachen 
linigcT  abweichend  conatraiiien  Apparate,  welche  besonder 
Ann.  de  chim.  et  de  phys,    5.  Serie,  Bd.   12,  S.  ■153  l.iä 


448  n.    Thermochemie. 

Bei  geringeren  Potentialdifferenzen ,  ako  z.  B.  bei  Ladungen  durch  eine 
Holtz*sche  Maschine,  Lnftelektricität  oder  eine  galvanische  Battene, 
sind  solche  Entladungen  nicht  sichtbar. 

Durch  diese  Art  der  Einwirkung  der  Elektricität  auf  Gase  zeig» 
sich  nun  chemische  Wirkungen,  welche  zum  Theil  von  denjenigen,  welche 
durch  Funken  hervorgebracht  werden,  die  durch  das  Gas  hindurch- 
Bch]agen,  nicht  unwesentlich  verschieden  sind. 

Befindet  sich  in  einer  solchen  Röhre,  wir  wollen  sie  kurz  Ozonröbrt 
nennen,  Sauerstoff,  so  wird  ein  Theil  desselben  ozonisirt.  Die  Ozonisiruag 
erreicht  nach  einiger  Zeit  eine  Grenze  und  es  bildet  sich  ein  Gleieb- 
gewichtszustand.  Die  Ozonisirung  ist  um  so  schwächer,  die  Grenze  liegt 
um  so  tiefer,  je  geringer  die  angewendeten  Potentialdifferenzen  aod. 
Wird  jedoch  die  Potentialdifferenz  so  gross,  dass  man  hellleucktende 
Funken  von  hoher  Temperatur  erhält,  so  wird  das  gebildete  Ozon  um 
Theil  wieder  zerstört. 

Nach  Houzeau's^)  Angaben  soll  die  Ozonbildung  an  der  negatiren 
Elektrode  bedeutend  stärker  sein,  als  an  der  positiven.  Berthelot  gUaht 
dieser  Behauptung  auf  Grund  seiner  neueren  Versuche  widersprechen  n 
müssen. 

Mit  Hülfe  der  gewöhnlichen  Ozonröhren  konnte  diese  Frage  alle^ 
dings  nicht  entschieden  werden.  Berthelot')  construirte  zu  demZwecb 
einen  besonderen  Apparat.  Er  versah  nämlich  zwei  Glasröhren  inneir 
und  aussen  mit  Platinbelegungen  und  verschloss  die  Röhren,  nachdea 
sie  mit  Sauerstoff  gefüllt  worden  waren.  Die  inneren  Belege  verband 
er  mit  den  beiden  Conductoren  einer  Holtz'schen  Infiuenzelektria^ 
maschine  und  Hess  zwischen  den  Conductorkugeln  selbst  fortw&hratfl 
Funken  überschlagen.  Die  äusseren.  Belege  der  beiden  so  construiites 
Gondensatoren  leitete  er  zur  Erde  ab.  Nach  einiger  Zeit  fand  säch  k 
beiden  Röhren  nahezu  gleichviel  Ozon  (8  bis  8,5  Proc.  des  vorhandenen 
Sauerstoffes),  auch  wurde  selbst  bei  langandauemder  Einwirkung  dieiff 
Grenzwerth  nicht  überschritten,  wenn  das  gebildete  Ozon  nicht  dnrcl 
absorbirende  Mittel  (arsenige  Säure)  entfernt  wurde '). 

Auch  hier  zeigte  sich  also  eine  Art  von  Dissociationsgleichgewicbt 
dem  der  Process  zustrebt,  solange  die  Dissociationsproducte  nicht  der 
Einwirkung  der  übrigen  Molecüle  entzogen  werden ,  welches  darauf  hio* 
deutet,  dass  beide  entgegengesetzte  Processe,  Ozonisirung  und  Desosoni- 
sirung,  gleichzeitig  stattfinden. 

Darf  man  sich  der  Ansicht  anschliessen ,  dass  die  Ozonmolecnle  ani 
drei  Sauerstoffatomen  bestehen,  so  würde  der  Vorgang  der  Ozonisiran; 
sich  dahin  erklären ,    dass  durch  die  Steigerung  der  Intensität  der  Zo- 


^)  Comptes  rendus  Bd.  70,  S.  128d. 

^)  Berthelot,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.    5.  Serie.   Bd.  12,  S.  447. 

^)  Damit  dürfte  gleichzeitig  die  Ansicht  widerlegt  sein,  dass  Ozon  mit  aegat^<f 
Elektricität  geladener  Sauerstoff  sei,  welche  unserer  Erklärung  der  elektrisch-cbemiichn 
Erscheinungen  in  Gasen  ans  der  kinetischen  Gastheorie  widersprechen  würde. 


G.  Die  Dissociationserscheinungen.  449 

BammenstoBse  beim  filektvisiren  des  Sauerstoffs  die  inactiven  Molecüle  Og 
in  oiiuelne  Atome  0  gespalten  werden.  Die  einzelnen  Atome  vereinigen 
nch  zum  weitaus  grössten  Tbeil  sofort  wieder  mit  anderen  einzelnen 
Atomen  zu  O2,  ein  Tbeil  derselben  jedocb  vereinigt  sieb  mit  nngespal- 
tenen  Sauerstoffmolecülen  zu  einem  Molecül  yon  der  Form  Oj).  Diese 
Molecüle  besitzen  jedocb  geringere  Stabilität,  als  die  Molecüle  von  der 
Form  O3,  die  Ozohmolecüle  geben  daber  leicbter  das  eine  Atom  0  wieder 
ab  und  zeigen  daber  eine  grössere  Fäbigkeit  oxydirend  zu  wirken,  als 
gewdhnlicber  Sauerstoff.  —  Dieser  Auffassung  des  Ozonisirungsvorganges, 
welche  sieb  unmittelbar  aus  den  Grundlagen  der  kinetiscben  Oastbeorie 
ergiebt,  widerspricbt  keine  der  bekannten  Eigenscbaften  des  Ozons,  bin- 
gegen  scbeinen  mebrere  verwandte  Procesde  dieselbe  zu  bestätigen. 

Die  Tbatsacbe,  dass  bei  böberen  Temperaturen  die  Grenze  der  Ozo- 
nisirang  durcb  gleicb  grosse  elektriscbe  Potentialdifferenzen  berabsinkt, 
und  dass  Erwärmung  auf  ozonisirten  Sauerstoff  desozonisirend  einwirkt, 
erklärt  sieb  leicbt  dadnrcb,  dass  wenn  die  Moleculargescbwindigkeit 
Bämmtlicber  Molecüle,  nicbt  nur  der  in  der  Nabe  der  Elektroden  befind- 
lichen zunimmt,  die  vorbandenen  oder  gebildeten  Molecüle  von  der  Form 
O3  nicht  besteben  können,  sondern  bei  den  meisten  Znsammenstössen 
lerfallen  und  zur  Neubildung  von  Molecülen  von  der  Form  0^  Anlass 
geben. 

Dafür,  dass  in  der  Tbat  in  einem  elektrisirten  Gase  einzelne  Atome 
ak  gespaltene  Molecüle  isolirt  vorkommen,  spricht  der  Umstand,  dass 
selbst  sonst  sehr  indifferente  Gase ,  wie  Wasserstoff  nnd  Stickstoff,  unter 
der  Einwirkung  elektriscber  Ladungen  die  Fäbigkeit  erlangen  Yerbin- 
dongen  einzugeben,  welche  sie  sonst  nur  im  status  nascens  haben  ^). 

Nacb  den  Beobachtungen  Cbabrier's  ^)  soll  z.  B.  das  in  Ozonröbren 
behandelte  Wasserstoffgas  die  Eigenscbafk  besitzen,  friscbes  und  feucbtes 
Silberoxyd  zu  reduciren. 

Bertbelot')  bat  femer  eine  Reibe  vonVersucben  angestellt,  welcbe 
dentlicb  beweisen,  dass  elektrisirter  Wasserstoff  und  Stickstoff  von  orga- 
nischen Substanzen  absorbirt  werden. 

Ein  Gramm  Benzol  ist  z.  B.  im  Stande,  4  bis  5  cbcm  Stickstoff  zu 
abeorbiren,  mit  dem  es  in  eine  solche  Ozonröbre  eingescblossen  und  der 
Einwirkung  elektriscber  (scbwachleuchtender)  Entladung  ausgesetzt  war. 
Hierbei  entstebt  eine  barzartige  Verbindung,  welcbe  beim  Erhitzen  Am- 
moniak liefert.  Aebnl^icbe  Producte  erbält  man,  wenn  man  Terpentinöl, 
Sumpfgas,  Acetylen  der  Einwirkung  elektrisirten  Stickstoffs  in  gleicber 

^)   Jedenfalls   rührt   die   grosse  chemische  Energie,    welche   SubsUnzen   im    statas' 
nascens   haben,    ebenfalls  davon    her,    dass   in   diesem    Zustande  Atome    und    nicht  aus 
■olcheo  Atomen  zusammengesetzte  Molecüle  austreten. 

^  Chabrier,  Comptes  rendus  Bd.  75,  S.  484. 

^  Berthelot,  Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.  5.  Serie.  Bd.  10,  S.  51.  Berthelot 
hat  auch  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  auf  Grundlage  dieser  Beobachtungen  die 
atmosphärische  Elektricität  eine  Bedeutung  für  Agriculturchemie  und  Pflanzenphysiologie 
erlangt,  die  eine  genaue  Untersuchung  ihres  Einflusses  sehr  lohnend  erscheinen  lässt. 

B&hlmann,  Mechan.  Wftrmeiheoric.    Bd.  2.  29 


\ 


450 


II.   Thermochemie. 


Weise  aussetzt;    selbst  feachtes  Filtrirpapier,  Dextrinlösimgen  erlangen 
unter  diesen  Umständen  die  Fähigkeit  Stickstoff  zu  binden. 

Der  EinfluBS  der  hohen  Temperatur  fehlt  bei  diesen  Versuchen  mit 
geringeren  Potentialdifferenzen,  deshalb  sind  die  chemischen  Wirkungen 
hier  auch  schwächer.  Sehr  deutlich  zeigt  dies  z.  B.  das  Verhalten  des 
Acetylens,  welches  unter  dem  Einflüsse  der  Funkenentladungen  mit  Stick- 
stoff Cyanwasserstoff  liefert.  Ebenso  bilden  sich  auf  diese  Weise  au« 
Stickstoff  und  Wasserstoff  kaum  Spuren  von  Ammoniak,  welches  bekannt* 
lieh  in  merklichen  Quantitäten  unter  dem  Einflüsse  elektrischer  Funket 
gebildet  wird,  ebenso  entsteht  durch  dunkle  Entladungen  keine  Salpeter- 
säure oder  salpetrige  Säure.  Kohle  mit  Wasserstoff  giebt  bei  Anwendung 
geringer  Potentialdifferenzen  keine  Spur  eines  Kohlenwasserstoffii. 

Unter  dem  Einflüsse  solcher  dunklen  Entladungen  absorbirt  ferner 
Benzol  bis  zum  250fachen  seines  Volumens  Wasserstoff  (1,9  Aequivalente) 
und  bildet  condensirte  Verbindungen  von  der  Form  (CgHs)«.  Elrhebli^ 
geringere  Mengen  Wasserstoff  werden  von  Terpentinöl  (2,5  VoL)  und 
Acetylen  (^/s  Vol.)  absorbirt  Kohlenoxyd  und  Wasserstoff  geben,  wenn 
sie  in  Ozonröhren  elektrisirt  werden,  wie  schon  P.  und  A.  Thenard  juä 
fast  gleichzeitig  Brodie  gezeigt  haben,  eine  feste  Verbindung,  welcbe 
eine  Zusammensetzung  nach  der  Pormel  (G4  H«  O3)«  vermuthen  lässt. 

Berthelot  hat  auch  die  chemischen  Veränderungen  ontersueiiU 
welche  eine  Anzahl  binärer  Verbindungen  bei  ihrer  Behandlung  in  Osm- 
röhren  erfahren.  Stickoxydul  zersetzt  sich  in  Stickstoff  und  Sauersiof; 
Stickoxyd  giebt  Stickoxydul,  Stickstoff  und  Sauerstoff;  SchwefelwassenAoff^ 
zerfiel  nach  der  Formel: 

4  Ha  S  =  7  H  -f  HS,  +  (4  —  x)  S; 

ähnlich  verhält  sich  Selenwasserstoff.   Phosphorwasserstoff  veränderte  acibj 
nach  dem  Schema: 

2  PH»  =  5  H  +  P,H. 

Verwendet  man  schwefelige  Säure,  so  zerfallt  ein  Zehntel  der  Sob- 
stanz  in  Sauerstoff  und  Schwefel,  und  gleichzeitig  bildet  sich  Ueb^ 
Schwefelsäureanhydrid  (S2O7);  Cyan  giebt  Paracy an;  Kohlenoxyd  giebt 
das  von  Brodie  entdeckte  Kohlensuboxyd  und  Kohlensäure.  Die  meisten 
Kohlenwasserstoffe  liefern  Wasserstoff  imd  Acetylen  u.  s.  f.  ^). 

Man  bemerkt  sofort,  dass  die  hier  angefahrten  Vorgänge,  weldie 
stets  eine  doppelte  chemische  Wirkung  der  Elektrisirung  erkennen  lassen, 
nämlich  eine  zersetzende  und  eine  verbindende ,  sich  leicht  auf  dieselbe 
Weise  aus  den  Grundlagen  der  kinetischen  Gastheorie  verstehen  lasseoii 
welche  uns  schon  bei  der  Erklärung  des  Ozonisirungsprocesses  gute 
Dienste  geleistet  hat.  Es  soll  dies  blos  an  einem  der  hier  angefuhrtoi 
Beispiele   gezeigt  werden;    wir  wollen    das  Verhalten    des    Stickoxydet 


^)  Genaueres  sehe  man:    Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.   5.  Serie.  Bd.  X,  S.  71  bis  75, 
und  Compt.  rend.  Bd.  86,  S.  277  bis  279. 


D.    Die  Explosivkörper.  451 

wählen.  Erhalten  Stiokoxydmolecüle  nnter  Einwirkung  entgegengesetzter 
elektrischer  Ladungen  höhere  Moleculargesch windigkeiten ,  so  zerfallen 
diese  beim  Zusammenstosse  entweder  in  die  stabileren  8tickoxydulmole- 
cüle  und  Sauerstoffatome  oder  auch  sofort  in  Stickstoffatome  und  Saucr- 
stoffatome;  durch  Zusammenstosse  dieser  entsteht  unter  geeigneten  Um- 
ständen aus  denselben:  zum  Theil  Stickoxyd  (NO)  aufs  Neue,  zum  Theil 
Stickozydul  (NjO),  ferner  bilden  sich  Stickstofimolecüle  (N^)  und  Sauer- 
stoffmolecüle  (0)),  wohl  auch  Ozonmolecüle  (O3).  Es  wird  sich  schliess* 
lieh  sswischen  diesen  Substanzen  in  der  Ozonröhre  ein  yon  der  Tempe- 
ratur und  der  wirksamen  elektrischen  Potentialdifferenz  abhängiges 
Dissociationsgleichgewicht  herstellen;  der  Eintritt  eines  solchen  kine- 
tischen Gleichgewichtszustandes  kann  unter  Umständen  ziemlich  lange 
Zeit  in  Anspruch  nehmen.  Dies  aber  stimmt  mit  den  beobachteten  That- 
Sachen  vollkommen  überein. 

Mit  abnehmender  Potentialdifferenz  vermindert  sich  vorzugsweise 
die  Quantität  der  Zersetzungsproducte,  jedoch  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  auch  die  Qualität  sich  ändert,  da  es  nur  bei  heftigen  Anstössen  ge- 
lingen wird,  gewisse  sehr  stabile  Molecüle  zu  zertrümmern,  und  ande- 
rerseits wird  es  nur  bei  sehr  starker  elektrischer  Anziehung  möglich 
sein,  n^anche  entgegengesetzt  geladenen  Molecüle,  welche  geringe  Affini- 
täten haben,  zu  einer  dauernden  Vereinigung  zu  veranlassen;  diese  ener- 
gischen Wirkungen  werden  aber  nur  dann  mit  solcher  Häufigkeit  ein- 
treten können,  dass  ihr  Einfluss  merklich  wird,  wenn  die  Substanzen 
grösseren  Potentialdifferenzen  ausgesetzt  worden  sind. 

Berthelot  hat  Spuren  der  Bildung  von  Ozon,  der  Absorption  von 
Stickstoff  und  Wasserstoff  durch  organische  Substanzen  noch  nachweisen 
können,  als  er  die  Belegungen  einer  solchen  Ozonröhre  mit  den  beiden 
Polen  einer  Batterie  von  fünf  Leclanche'schen  Elementen  verband. 
Phosphorwasserstoff,  Cyan,  Acetylen,  Aether  wurden  jedoch  bei  Anwen- 
dung so  geringer  Potentialdifferenzen  nicht  verändert 


\ 


D.    Die  Explosivkorper  0. 

1.   Allgemeines  über  explosive  Substanzen. 

Mit  dem  Namen  Explosivkorper  bezeichnet  man  alle  solche  Sub- 
stanzen oder  Gemische,  welche  verhältnissmässig  grosse  Mengen  poten- 
tieller Energie  der  Affinität,  die  leicht  ausgelöst  und  in  calorische  Ener- 
gie verwandelt  werden  können,  in  sich  schli essen. 


^)  Die  Behandlung  der  Elektrolyse  könnte  aach  an  dieser  Stelle  im  Anschluss  an 
die  Dissociationserscheinungen  sehr  gut  eingereiht  werden,  da  jedoch  der  Zusaipmen- 
hang  dieses  Gebietes  mit  dem  der  Elektricitätslehre  ein  noch  innigerer  ist,  so  ziehen 
wir  Tor,  dieses  Capitel  an  den  Schluss  des  letztgenannten  Abschnittes  zu  stellen. 

29* 


452 


IL   Thermochemie. 


Um  die  Wirksamkeit  einer  solchen  Sahstanz  henrtheiien  zu  können, 
mnss  man  folgende  Daten  für  dieselbe  ermitteln: 

1.  die  chenlische  Zusammensetzung  und  den  Zustand  des  Explosiv- 
körpers; 

2.  die  chemische  Zusammensetzung  und  den  Zustand  der  durch  die 
Explosion  gebildeten  Producte; 

3.  die  bei  dem  Uebergang  aus  dem  ersten  in  den  zweiten  Zostand 
freiwerdende  Wärmemenge. 

Die  Wirkung  wird  um  so  grösser  sein ,  je  mehr  Wärme  bei  den 
chemischen  Processe,  welcher  sich  bei  der  Explosion  vollzieht,  entwidcdt 
wird,  und  je  grösser  das  Volumen  der  gebildeten  Producte  im  Vergleiek 
mit  dem  Räume  ist,  welchen  die  Substanz  vor  der  Explosion  einnirani 
Berthelot  benutzt  daher  das  Product  aus  der  durch  ein  Kilogramm  So^ 
stanz  entwickelten  Wärmemenge  und  dem  Volumen  der  bei  der  flxpl 
gebildeten  Gase  als  Maassstab  für  die  Vergleichung  yerschiedener 
stanzen. 

Von  Einfluss  ist  auch  die  Zeit,  während  welcher  sich  die  che 
Reaction  vollzieht;  solche  Materialien,  bei  welchen  derProcess  sehr 
verläuft,  zeichnen  sich  gewöhnlich  besonders  dadurch  aus,   dass  sie 
gemein  heftige  zerstörende  Wirkungen  in  ihrer  nächsten  Umgebung 
üben,  sie  werden  von  den  Artilleristen  und  Technikern  „brisante* 
plosivkörper  genannt. 

Wäre  man  im  Stande,  in  allen  Fällen  die  chemische  Formel  g 
anzugeben,   nach  der  die  Reaction  während  der  Explosion  verläuft, 
würde  man  auch  genau  die  entwickelte  Wärmemenge  bestimmen  köni 
Meist  ist  dies  jedoch  nur  angenähert  möglich,  weil  wir  die  Producte 
Reaction  erst  zu  einer  Zeit  zu  untersuchen  im  Stande  sind,   zu  w^i 
die  explosive  Wirkung  längst  beendet  ist.  —  Noch  schwieriger  ist 
meistentheils ,  die  Temperatur  des  gebildeten  Gases  und  das  Gesetz 
bestimmen,    welches   Temperatur   und   Druck   mit  einander    verhin 
Wäre  diese  Beziehung  bekannt,  so  könnte  man  den  Druck  der 
sionsproducte  in  einem  geschlossenen  Räume  und  die  Druckändenug 
einem  Gefasse  mit  variabelem  Volumen  berechnen,    wie  dies   s.  B. 
einem  Geschütze,  bei  einer  Handfeuerwaffe  oder  bei  der  Thätigkeii 
Explosivkörpers  in  einer  Mine  der  Fall  ist. 

Die  Rechnung  wäre  leicht  auszuführen,  wenn  man  ohne  Wei^ 
annehmen  dürfte,  dass  die  Gase  auch  bei  den  enormen  Drucken  und  Ti 
peraturen,  denen  sie  in  einem  Geschütze  ausgesetzt  sind,  dem  Mariottt' 
sehen  und  Gay -Lussa ersehen  Gesetze  Folge  leisteten,  und  wenn  man 
rechtigt  wäre  vorauszusetzen,  dass  die  specifische  Wärme  constant  bli 

Wären  diese  Annahmen  zulässig,    so  brauchte  man   nur  die 
wickelte  Wärmemenge  durch  die  mittlere  specifische  Wärme  der 
sionsproducte  zu  dividiren  und  erhielte  sofort  die  Temperatur  d 
aus  Temperatur  und  Volumen  könnte  man  dann  sofort  den  Druck 
mitteln. 


D.    Die  Explosivkörper.  453 

Man  ist  jedoch  nicht  berechtigt  anzunehmen,  dass  die  Gase  bei 
Dracken  yon  vielen  tausend  Atmosphären,  wie  solche  in  Geschützrohren 
und  Sprenglöchern  häufig  vorkommen/  auch  nur  angenähert  dem  Aus- 
dehnungsgesetze  vollkommener  Gase  folgen.  Es  sind  nicht  die  mindesten 
Erfahrungen  bekannt,  welche  uns  zu  solch  einer  Voraussetzung  berech- 
tigten, viele  Thatsachen  jedoch,  welche  uns  auf  das  Gegentheil  hin- 
weisen. Auch  die  specifischen  Wärmen  der  besonders  hier  in  Frage  kom- 
menden Gase  und  festen  Körper  zeigen  schon  innerhalb  der  Grenzen, 
innerhalb  deren  wir  geordnete  messende  Versuche  anzustellen  im  Stande 
sind,  erhebliche  Abhängigkeit  von  Druck  und  Temperatur.  •—  Die  Ar- 
tilleristen haben  in  der  That  auch  Drucke  in  den  Geschützen  gemessen,, 
welche  beinahe  das  Doppelte  von  den  Drucken  sind,  die  man  auf  dem 
Wege  der  Rechnung  erhält,  wenn  man  die  Gesetze  und  Constanten  als 
gültig  annimmt,  von  welchen-  die  Zustandsänderung  der  Gase  unter  den 
gewöhnlichen  Verhältnissen  abhängt. 

Eine  weitere  Complication,  welche  unzweifelhaft  die  Uebersichtlich- 
keit  des  Vorganges  und  zumal  die  Möglichkeit,  die  Wirkung  eines  Ex- 
plosivkörpers vorauszusehen,  sehr  erschwert,  liegt  in  den  Dissociations- 
erscheinungen ,  welche  jedenfalls  bei  den  hohen  Temperaturen  auftreten, 
um  die  es  sich  während  der  Explosionen  handelt.  —  Die  bei  den  Reac- 
tionen  entwickelten  Producte  messen  und  untersuchen  wir  später  bei 
Zimmertemperatur  und  Atmosphärendruck ,  höchst  wahrscheinlich  sind 
jedoch  im  Momente  der  Entzündung  und  während  der  Thätigkeit  der 
explosiblen  Substanz  diese  Producte  durchaus  nicht  alle  vorhanden,  da 
Wahrscheinlich  ein  sehr  grosser  Theil  derselben  bei  der  hohen  Tempera- 
tur in  einfachere  Körper  zerfallt.  In  Folge  dieses  Umstandes  wird  die 
während  der  Explosion  thätige  Wärmemenge  geringer  sein  a;ls  die,  welche 
man  theoretisch  aus  den  Bildungswärmen  des  Anfangszustandes  und  dem 
der  Endproducte  der  Reaction  bestimmt.  Die  Rolle,  welche  der  Dis- 
sociation  in  dem  Verlaufe  des  Processes  zugewiesen  ist,  wird  eine  ganz 
ähnliche  sein  wie  die,  welche  die  Dissociation  schon  in  den  Flammen  ge- 
spielt hat  1).  —  Anfänglich  wird  Temperatur  und  Druck,  wegen  des  theil-' 
weisen  Zerfallens  der  Verbindungen  in  einfachere  Substanzen,  nicht  ganz 
so  hoch  steigen,  als  dies  der  Fall  sein  würde,  wenn  derartige  Vorginge 
nicht  stattfanden ;  während  der  Abkühlung  und  Expansion  der  gebildeten 
Producte  wird  jedoch  der  in  den  zerfallenen  Verbindungen  aufgespeicherte 
Vorrath  von  potentieller  Energie  der  Affinität  allmälig  consumirt  und 
dadurch  einige  Zeit  hindurch  Druck  und  Temperatur  angenähert  auf  dem 
anfanglich  erreichten  Maximum  erhalten  bleiben.  Einen  ganz  gleichen 
Einfluss  würde  man  auch  bemerken,  wenn  anfanglich  die  Producte  der  Ex- 
plosion, welche  späterhin  fest  oder  flüssig  werden,  im  gasförmigen  oder 
flüssigen  Zustande    vorhanden   wären   und    allmälig   in    Folge  der  Ab- 


1)  Man  vergleiche  Bd.  2.  IL  C.  9.  S.  415. 


454  II.  Thermochemie. 

kühlang  ihre  Wärme  ahgehen,  während  sie  in  den  stahileren  Aggregai- 
zostand  ühergehen  ^). 

Die  Einwirkung  der  Dissociation  wird  ührigens  möglicher  Wösa 
nicht  BO  sehr  hedeutend  sein,  weil  hei  den  Vorgängen,  um  die  es  sich  in 
vorliegenden  Falle  handelt,  nicht  nnr  die  Temperatur,  sondern  aach  der 
Druck  ungemein  hohe  Werthe  annimmt;  diese  beiden  Grossen  wiikea 
aber  in  entgegengesetztem  Sinne  ein ,  die  zunehmende  Temperatur  be- 
fördert die  Dissociation,  der  steigende  Druck  vermindert  dieselbe.  Yiub 
Vergrösserung  der  Temperatur  bewirkt  aber  auch  eine  Steigerung  des 
Druckes.  Die  beiden  Einflüsse  werden  sich  daher  ganz  oder  zum  TbcA 
gegenseitig  compensiren  '). 

Könnte  man  die  Beschaffenheit  der  gebildeten  Producte  unmitteH» 
nach  Vollendung  der  beabsichtigten  Wirkung  des  ExplosivkÖrpers  (z.  K 
unmittelbar  nachdem  das  Geschoss  die  Mündung  des  Rohres  verlasset 
hat)  bestimmen,  so  brauchte  man,  um  den  geleisteten  Effect  zu  besü» 
men,  auf  eine  etwa  vorhanden  gewesene  theilweise  Dissociation  znnul 
der  Kohlensäure  in  Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  keine  Rücksicht  zu  neh- 
men, da  die  mitgeth eilte  Energie  nur  vom  Anfangs-  und  Endzustand^ 
nicht  aber  von  den  Zwischen  zuständen  abhängt. 

Leider  sind  wir  jedoch  kaum  im  Stande,  die  Producte  des  ProceaM 
in  diesem  Zustande  zu  untersuchen ,  sondern  es  kann  dies  stets  erst  ge- 
schehen, nachdem  sie  ihre  lebendige  Krafb  verloren  und  Temperatur  und 
Druck  der  Umgebung  angenommen  haben. 

Da  man,  wie  aus  dem  Vorhergehenden  zur  Genüge  hervorgeht,  nv^ 
im  Stande  ist,  den  Verlauf  von  Temperatur  und  Druck  während  der  Zei^ 
welche  die  Explosion  zu  ihrer  Vollendung  beansprucht,  auf  theoretischoi 
Wege  aus  gewissen  einzelnen  Daten  abzuleiten,  die  auf  experimentelles 
Wege  gefunden  worden  sind,  so  ist  man  genöthigt,  die  Grössen,  die  eic 
irgendwie  dazu  eignen,  zu  messen  und  die  gegenseitigen  Beziehungen  d« 
einzelnen  Grössen  durch  empirische  Formeln  zur  Darstellung  za  briogeii 
und  man  muss  versuchen,  alsdann  mit  deren  Hülfe  die  Frage  in  jedes 
einzelnen  Falle,  den  die  Praxis  bietet,  zu  beantworten. 

Immerhin  werden  die  Grundsätze  der  mechanischen  Wärmetheans 
auch  hier  die  nöthige  Anleitung  geben,  da  man  es  bei  allen  hier  in  Fragt 
kommenden  Problemen  mit  Umsetzung  potentieller  Energie  cbemiselKr 


^)  Man  vergleiche  z.  B.  die  Experimente  Ton  Noble  und  Abel,  beschrieben  ii: 
Researches  on  Explosives.  —  Fired  Gunpowder,  Phil.  Tranaact.  Bd.  165  (167^ 
S.  93.  —  Bunsen  glaubt,  dass  die  festen  Producte  der  Pulververbrennnng  bei  3000 Gni 
selbst  bei  Atmosphärendruck  noch  flüssig  sind. 

^)  Ueber  die  Bedeutung  des  Einflusses  der  Dissociation  auf  Druck  und  TempenW 
und  über  die  Aenderung  beider  Grössen  .während  der  Thätigkeit  des  Explosiv] 
sind  zumal  Berthelot  (Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.  4.  Serie,  S.  227  u.  5.  Serie,  S.is4 
und  Noble  und  Abel  (Phil.  Transact.  Bd.  165  [1875]  S.  94)  wesentlich  renchM^aa 
Ansicht.  Ersterer  vertritt  im  Wesentlichen  die  oben  vertretene  Meinung,  die  LetxicRt 
glauben,  dass  wenn  wirklich  Dissociation  einträte,  dieselbe  in  ihrer  ^Wirkung 
merklich  sein  könne. 


D.    Die  Explosivkörper.  455 

Affinität  in  Wärme    and  mit  Verwandlnng  von   Wärme    in*  kinetische 
£nergie  und  Deformationsarbeit  zu  thnn  hat. 

Zonächst  behandeln  wir  den  wichtigsten  von  allen  Explosivkörpern, 
das  Schiesspnlver,  nnd  gehen  dann  erst  später  kurz  aof  die  Nitrokörper 
ein,  welche  explosive  Eigenschaften  zeigen. 


2.   üeber  die  Bestandtlieile  und  die  Zersetzung  des 

Sohiesspulvers. 

Die  als  normal  betrachtete  Zosammensetznng  der  meisten  Schiess- 
palver  entspricht  nach  R.  Bunsen  und  L.  Schischkoff  ^)  sehr  nahe  einem 
Gemenge  von :  2  Atomen  Salpeter,  1  Atom  Schwefel  und  3  Atomen  Kohle. 
Dies  würde  folgende  procentische  Verhältnisse  der  Bestandtheile  ergeben: 

K  N  O3  =  74,8  Proc. 
S       =  11,8     „ 
C       =  13,3     „ 
In  Wirklichkeit  sind  die  Zusammensetzungen  zum  Theil  etwas  ab- 
weichend, wie  nachstehende  Tabelle  zeigt  ^): 


^                                                                       • 

Cylindri- 

Grobkör- 

Oesterrei- 

Oesterrei- 

. 

Jagdpnlver 

sches 

niges 

Spanisches 

chisches 

chisches 

• 

nach  Bun- 

(Pebble) 

Büchsen- 

sphärisches 

Geschütz- 

Gewehr- 

sen und 

Pulver  aus 

pulver  aus 

(Pebble) 

pulver 

pulver 

Schischkoff 

Waltham- 

Waltham- 

Pulver 

nach 

nach 

Abbey 

Abbey 

KArolyi 

Kirolyi 

KNOj 

80,0 

74,7 

75,0 

75,3 

73,8 

77,1 

S 

9,8 

10,1 

10,3 

12,4 

12,8 

8,6 

(    ^ 

7,71 

12,11 

10,9\ 

8,7\ 

10,9^ 

11,8^ 

H 
Kohle 

0 

0,4 
3,lJ 

11,2 

0,4 
1,5 

14,2 

0,4 
2,0 

13,5 

0,4 

>11,4 
1,7 

0,4 
1,8 

13,4 

0,4 
1,8 

14,3 

Asche 

Spuren 

0,2) 

0,2) 

0,6/ 

0,3] 

0,3) 

HaO 

— 

- 

1,0 

1,1 

0,7 

— 

- 

- 

Die  obige  Zusammensetzung,  welche  Bunsen  und  Schischköff 
angenommen  haben,  entspricht  einer  Reaction  während  der  Explosion 
nach  der  Formel: 

C3  +  S  +  2KNO3  =  3CO2  +  N2  +  KjS; 
doch  wird  dieser  Verlauf  durch  die  Ergebnisse  der  Analyse  der  Explo- 
sionsproducte  nur  sehr  unvollkommen  bestätigt. 


1)  Bansen  und  Schischkoff,  Chemische  Theorie  des  Schiesspulvers.   Pogg.  Ann. 
Bd.  92,  S.  321. 

^  Untergeordnete  zufällige  Beimeogangen  sind  unberücksichtigt  gelassen  worden. 


456 


IL  Thermochemie. 


Dieser  Verlauf  würde  folgenden  entwickelten  WärmemeDgen  und 
nebenstehend  entwickelten  Gasmengen  (bezogen  auf  0^  und  760  mm)  ent- 
sprechen: 

270  kg  Pulver  würden  liefern:  199  200  CalorienO, 
also  1  kg  Pulver       „  „  738  Calorien, 

und  die,  entwickelten  Gase  würden  ein  Volumen  von  331  Liter  ausfülleB. 

Berthelot  hat  geglaubt,  die  Zusammensetzung  und  den  in  Wirk- 
lichkeit  stattfindenden  Zersetzungsprocess  bei  der  Explosion  des  Pulven 
durch  folgendes  Schema  zur  Darstellung  bringen  zu  können: 

16KN03  +  6S-f  13C  =  5KaSO4  +  2K3CO3  +  K2S  +  16N  +  llC0^ 

Nach  dieser  Formel  würde 

1  kg  Pulver  981  Calorien 

entwickeln,   und  gleichzeitig  würden  diese  Pulvermengen  225  Liter  (W 
zogen  auf  0^  und  760  mm)  Gas  liefern. 

Dies  entspricht  folgendem  procentischen  Zusammensetzungsverhah- 
niss  der  durch  Entzündung  des  Pulvers  gebildeten  Producte: 


Berechnet 

Berechnet 

Gefunden  Yon 

• 

nach  Bnnsen 

nach  Berthelot 

Abel  a.  Noble 

K2S04 

--i 

45 

10 

KaCOg 

— 

7 

32 

KaS 

40,7 

10 

10 

N 

10,4 

12 

11 

CO2 

48,9 

26 

27 

CO 

— 

— 

6 

Ka&jO, 

— 

— 

4 

100 

100 

100 

Die  Berthelo tischen  Zahlen  entsprechen,  wie  ein  Vergleich  mit 
den  im  Nachstehenden  mitgetheilten  Zififern  zeigt,  den  thatsächlich  beob* 
achteten  Verhältnissen  zwar  wesentlich  besser  als  die  B unse naschen,  je- 


^)    Hierbei    sind    nach    Berthelot  folgende    Zahlwerthe   für   die   Wärmetönongo 
benatzt: 

(N,  Ca,  K)  =     97  000  Cal. 

(S,04,K2)  =  350  000     „ 

(Kg,  S)  =  102  200     „ 

(0,0)  =     28  000  (wenn  C  =  HokkoWe) 

(0,  O2)  =     97  000  desgl. 

(C,03,Ka)  =  280  800  Cal. 

Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.   5.  Serie.  Bd.  9,  S.  149. 


D.    Die  Explosivkörper.  457 

doch  sind  auch  in  diesem  Falle  die  Differenzen  noch  gross  genug,  um  er- 
kennen zu  lassen,  dass  die  Vorgänge  bei  der  Explosion  des  Schiesspnl'» 
yers  viel  zu  complicirte  sind,  als  dass  sich  dieselben  durch  eine  so  einfache 
Formel  zum  Ausdruck  bringen  Hessen. 

Besonders  beachtlich  aber  ist  der  Umstand,  dass  sich  die  Zersetzungs- 
producte  eines  und  desselben  Pulvers  wesentlich  ändern,  je  nach  dem 
Drucke  und  somit  auch  nach  der  Temperatur,'  welche  durch  die  Ex- 
plosion erzeugt  wird.  Aus  den  Beobachtungen,  welche  man  erhält,  wenn 
Pulver  frei  bei  Atmosphärendruck  verbrennt,  kann  man  somit  nicht 
mit  Sicherheit  auf  die  Yerbrennungsproducte  schliessen,  welche  gebildet 
werden,  wenn  die  Explosion  des  Pulvers  in  einem  vollkommen  abgeschlos- 
senen und  abgeschlossen  bleibenden  Räume,  oder  wenn  sie  in  einem 
durch  die  Bewegung  des  Geschosses  veränderlichen  Räume  stattfindet 
und  gleichzeitig  ein  Theil  der  erzeugten  Wärme  dazu  dient,  die  Reibung 
des  Geschosses  an  den  Geschützwandungen  zu  überwinden  und  demselben 
eine  erhebliche  lebendige  Kraft  zu  ertheilen  ^).  Wahrscheinlich  ist  jedoch 
der  Unterschied  zwischen  dem  Falle,  dass  eine  Explosion  in  einem  voll- 
kommen geschlossenen  Räume  geschieht,  und  zwischen  dem,  dass  dieselbe 
im  Laufe  eines  Geschützes  geschieht,  nicht  sehr  gross,  da  die  Versuche 
des  Committee  on  Explosive  SübstanceSf  welche  besonders  von  Boxer  und 
Noble')  angestellt  worden  sind  und  neuere  Untersuchungen  von  Noble 
und  AbeH)  gezeigt  haben,  dass  der  grösste  Theil  der  Reaction  sich 
bereits  vollzogen  hat,  ehe  das^Geschoss  einen  erheblichen  Theil  des 
Weges  im  Geschützrohre  zurückgelegt  hat. 

Es  scheint  die  Geschwindigkeit,  mit  der  sich  die  Reaction  vollzieht, 
das  ausschlaggebende  Moment  zu  sein,  welches  den  Verlauf  der  Zer- 
setzung des  Pulvers  vorzugsweise  beeinflusst;  diese  hängt  aber,  wie  man 
weiss,  minder  von  den  geringen  Differenzen  in  der  Zusammensetzung, 
als  vielmehr  vom  Drucke  und  von  der  physikalischen  Beschaffenheit: 
Grösse  der  Pulverkömer,  Dichte,  Härte  und  Gestalt  derselben  ab  *). 

Die  definitive  Lösung  des  Problemes,  den  VerlcCuf  des  chemischen 
Vorganges  bei  der  Explosion  von  Pulver  theoretisch  darzustellen,  scheint 
noch  nicht  sehr  nahe  bevorzustehen ,  da  bei  der  Gefährlichkeit  der  Ex- 
perimente, welche  für  eine  solche  Theorie  die  Grundlage  zu  liefern  hätten, 
sich  sorgfältigen  Messungen  fast  unübersteigliche  Hindernisse  in  den 
Weg  stellen. 

Wir  lassen  im  Nachstehenden  eine  kurze  Ueber sieht  über  die  Pro- 
ducta der  Verbrennung  des  Pulvers  folgen,  welche  von  verschiedenen 
Beobachtern  unter  verschiedenen  Umständen  gefunden  worden  sind. 


*)  Dies  beweisen  besonders  Versuche  von  Vignotti,  De  l'analyse  des  produits  de 
la  Gombustion  de  la  poadre,  Paris  1861;  von  Craig,  Dingler'p  Journal  Bd.  161,  S.  462; 
von  Fedorow,  Zeitschrift  für  Chemie  Bd.  12,  S.  12.  —  ^  Noble,  Procecdings  of 
Royal  Institution  Bd.  6,  S.  262;  Dingler's  Journal  B.  202,  S.  344.  -—  ^)  Noble  und 
Abel,  Philosophical  Transactions  Bd.  165  (1875),  S.  49  bis  155.  —  *)  Man  sehe  z.  B. 
Noble  und  Abel  in  der  hier  mehrfach  benutzten  Abhandlung:  Researches  on  Explosives. 
—  Fired  Ganpowder  in:  Philosophical  Transactions  Bd.  165  (1875)  S.  85. 


458 


IL    Tliermocheniie. 


Name  der  Expeiimentatoren 


Bansen  und  Schisch 
koff 


Fedorow 


a 

:3 

m 

a 
B 

i 


-TS    'S 


KNOg 

S 

Kohle  {  H 

lo 

HaO 


Name  des  Pulvers 


Art  der  Entzündung 


na 

I 

in 
4) 

'S    a 

^     Oh 


es 


5 

« 


'Gesammtgewicht 
d.  festen  Bestand- 
theile 

K'aCOg 

KaSOg 

KaS04 

KaS 

KCNS 

KNOg 

(NH4)aG08 


\ 


G  esammtvolumen 


0,790 
0,098 
0,077 
0,004 
0,031 


0,742 
0,099 
0,108 
0,004 
0,034 
0,012 


Jagdpnlver 


Russisches  MilitSrgei 


Unter  AunoRphSrendruck 


0,672  kg 

0,126  „ 

0,033  „ 

0,423  „ 

0,021  „ 

0,003  „ 

0,037  „ 

0,029  „ 


Blindgeladenes 
Geschütz 


^,943  kg 

0,234  „ 

0,165  , 

0,482  „ 

0,001  „ 

0,005  „ 

0,058  „ 


0,313  kg 

0,201  „ 

0,009  „ 

0,002  „ 


101,7  l 
7,5  „ 
1,2  n 


0,0002  „    =  2,3  „ 

0,001    r,    =  1,0  „ 

0,100    „    =  79,4  „ 

193  l  - 


KtDO 

mit  3  Pfd. 


JZ 

^ 

o 

2 

& 

d 

OD 
»4 

• 
t« 

5 

a 

9 

•* 
fi 

o 

V 

0,908  i 

0,370 ; 

0,008 
0,150] 
0,382 
0,003i 


e  M 


D.    Die  Explosivkörper. 


459 


Noble  und  Abel 


0,747 
0,101 
0,121 
0,004 
0,015 
0,010 


Cylindrisches  (Pebble)  Pulver  aus  Waltham-Abbey  für  Marinegeschütze 


b^loeion  in  einem  geschlossenen  Gefässe,  die  Ladung  fällte  Procent  des  Hohlraumes: 


«0% 

207o 

30% 

40% 

50% 

60% 

70% 

80% 

90% 

i561kg 

0,560  kg 

0,557  kg 

0,570  kg 

0,552  kg 

0,564kg 

« 
0,573  kg 

0,570  kg 

0,573  kg 

m„ 

0,322  „ 

0,331  „ 

0,315  „ 

0,310  „ 

0,325  „ 

0,288  „ 

0,335  „ 

0,368  „ 

416, 

0,021   „ 

0.024  „ 

0,082  „ 

0,034  „ 

0,056  „ 

0,185  „ 

0,118  „ 

0,076  „ 

(084, 

0,077  „ 

0,070  „ 

0,075  „ 

0,066  „ 

0,076  „ 

0,073  „ 

0,059  „ 

0,052  „ 

m. 

0,101   „ 

0,092  „ 

0,055  „ 

0,106  „ 

0,065  „ 

0,013  „ 

0,022  „ 

0,022  „ 

(Ml, 

0,003  „ 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,002  „ 

0,002  „ 

0,003  „ 

0,003  „ 

/HO, 

— 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,002  „ 

0,001  „ 

0,002  „ 

0,002  „ 

.001  , 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,001   „ 

^^^ 

^■MB 

0,001  „ 

0,001  „ 

,439  kg 

0,440  kg 

0,443  kg 

0,430  kg 

0,448  kg 

0,436  kg 

0,427  kg 

0,430  kg 

0,427  kg 

.258, 

0,252  „ 

0,262  „ 

0,265  „ 

0,277  „ 

0,268  „ 

0,263  „ 

0,272  „ 

0,271  „ 

.052, 

0,058  „ 

0,055  „ 

0,048  „ 

0,047  „ 

0,047  „ 

0,042  „ 

0,040  „ 

0,036  „ 

'.013  „ 

0,018  „ 

0,013  „ 

0,007  „ 

0,008  „ 

0,009  „ 

0,013  „ 

0,008  „ 

0,009  „ 

— 

— 

— 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,001  „ 

0,001  „ 

0,001  „ 

0,001  „ 

»,001  , 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,001   „ 

0,001  „ 

0,001  „ 

— • 

W15„ 

0412  „ 

0,112  „ 

0,110  „ 

0,114  „ 

0,110  „ 

0,108  „ 

0,109  „ 

0,109  , 

881/ 

285/ 

283/ 

* 

279/ 

282/ 

275/ 

268/ 

269/ 

266/ 

460  II.    Thermochemie. 

Besonders  die  Versuche  von  Fedorow  zeigen  die  Unterschiede  i«cht 
dentlich,  freilich  konnten  sich  dessen  Resultate  naturgemäss  lediglidi  aenf 
den  festen  Rückstand  erstrecken. 

Man  bemerkt  in  den  festen  Yerbrennnngsprodacten  zunächst  eine 
Zunahme  des  Rückstandes  an  kohlensaurem  Kalium  und  eine  Abnahme 
des  Gehaltes  an  Schwefelkalium  bei  zunehmender  Temperatur  und  Druck 
im  Explosionsraume,  eine  Beobachtung,  die  auch  durch  die  Yenniche  tc» 
Noble  und  Abel  bestätigt  worden  sind,  die  sich  vorzugsweise  auf  ver- 
schiedenen Druck,  hingegen  wahrscheinlich  auf  geringere  Temperatur- 
differenzen  beziehen.  Die  bedeutende  Abnahme  des  Gehaltes  des  festen 
Rückstandes  an  schwefelsaurem  Kalium,  welche  Fedorow  beobachtet 
hat,  sind  durch  die  englischen  Untersuchungen  nicht  bestätigt  worden. 

Die  letztgenannte  Versuchsreihe  deutet  jedoch  auf  eine  erheblidie 
Zunahme  des  Kohlensanregehaltes  bei  wachsendem  Drucke  während  äa 
Explosion  und  eine  gleichzeitige  Abnahme  des  Kohlenoxydgehaltes  hin, 
woraus  man  auf  eine  vollkommenere  Verbrennung  schliessen  kann,  wenn 
der  Druck  und  vielleicht  auch  die  Temperatur  zunehmen.  Auch  der  Ge- 
halt an  Schwefelwasserstoff  und  das  Gesammtgasvolumen,  welches  gebildet 
worden  ist,  lassen  eine  geringe  Abnahme  bei  zunehmendem  Drucke  er- 
kennen, während  die  Menge  des  entwickelten  Stickstoffes,  wie  zu  erwar- 
ten war,  fast  ungeändert  bleibt  ^). 

Dass  bei  den  Versuchen  von  Bunsen  so  wesentlich  verschiedene 
Resultate  erhalten  worden  sind,  dürfte  ausser  in  der  etwas  Terschiedenea 
Beschaffenheit  des  verwendeten  Pulvers,  darin  seine  Ursache  haben,  das 
bei  Bunsen 's  Methode  das  Pulver  in  Gegenwart  von  Sauerstoff  der 
Luft  verbrannte.  Zumal  der  auffallig  geringe  Gehalt  der  Verbrennung»- 
producto  an  Kohlenoxyd  gas  dürfte  darin  seine  ausreichende  Erklämog 
finden. 

Sämmtliche  Analysen  der  Producte,  welche  das  nämliche  oder  gani 
ähnlich  zusammengesetzte  Pulver  geliefert  haben,  lassen  ganz  ausser 
ordentliche  Unterschiede  in  den  wesentlichen  Producten:  Kohlenssnna 
Kalium,  Schwefelsaures  Kalium,  Schwefelkalium,  Unterschwefelsanres  Sip 
lium,  Kohlensäure  und  Kohlenoxyd  erkennen;  auch  die  mehr  acceesorischei 
Beimengungen:  Schwefelcyanür,  Kohlensaures  Ammoniak,  Sumpfgassei- 
gen grosse  Differenzen.  Dies  beweist  die  Complication  und  Unferti^eit 
der  sich  vollziehenden  Reactionen;  aus  der  Kürze  der  Z^it  ist  dieser 
Mangel  an  Homogenität  vollständig  erklärlich. 

Es  muss  übrigens  nochmals  erwähnt  werden,  dass  man  'kaum  be- 
rechtigt sein  dürfte,  aus  der  chemischen  Beschaffenheit  der  Verbrennung 
producte  nach  vollendeter  Erkaltung  einen  zutreffenden  Schluss  auf  die 


^)  Beobachtungen  über  die  Beschaffenheit  der  Pulvergase  in  verschiedenen  Stdh* 
des  Geschützrohres  bei  Bewegung  des  Geschosses  liegen,  soviel  mir  bekannt  i^,  nkht 
vor,  obgleich  es  nicht  undenkbar  wäre,  dass  man  in  genügend  dickwandigen  Ge9dlit^ 
röhren  durch  eingebohrte  überaus  feine  Capillarrohre  an  verschiedenen  Stellen  des  Uafo 
Gasproben  ausströmen  lassen  könnte. 


D.    Die  Explosivkörper,  461 

chenuBche  Constdtation  der  Explosioneproducte  im  Momeate  der  IDntzQn- 
Atmg  nnd  während  ihrer  Arbeitle istong  im  Geschützrohre  za  ziehen,  da 
die  DiBBOciatioD,  die  bei  der  hohen  Temperatur  und  ^em  gleichzeitig  ent- 
gegengesetzt wirkenden  Dracke  stattfindet,  bei  verBchiedenen  Substanzen 
sehr  verschiedene  Wirkungen  herrorbringen  kann.  Höchst  wahrschein* 
lieh  befinden  sich  aber  in  diesem  kurzen  Zeiträume  sehr  viele  Zersetzungs- 
producte  dee  FolverB  in  jenem  eigenthümlichen  Zustande,  den  alle  Plüs- 
sigkeiteo  jenseits  ihrer  kritischen  Temperatur  annehmen. 

Kurze  Zeit  nach  der  Explosion  befinden  sich  Qbrigens,  wenn  die 
Wärme  nicht  sehr  rasch  darch  Uebergang  in  kinetiache  Energie  und 
Expansion  conaumirt  wird,  die  späterhin  festen  Bestandtheile  der  Ve» 
brennnngsprodacte  in  flüssigem  Zustande;  dies  zeigten  besonders  die 
Versuche  von  Noble  and  Abel,  die  wir  jetzt  knrs  beschreiben  wollen. 
Bezüglich  aller  Details  bei  Anstellung  dieser  Versuche,  sowie  bei  denen 
von  Bunsen  und  Sohischkoff  und  denen  von  Fedorow  verweisen  wir 
■nf  die  OriginalabbandluDgen. 

In  einem  Gefasse,  welches  ans  weichem,  aber  äusserst  zähem  Stahle 
hergestellt  war,  befand  sich  ein  Hohlraum  zur  Aufnahme  der  Ladung, 
der  ungefähr  1  Kilogramm  Pulver  {bei  einem  anderen  Apparate  nur 
V]  Kilogramm)  aufzunehmen  im  Stande  war. 

Beistehende  Figur  23  zeigt  die  Gestalt  und  Einrichtung  des  Appa- 
rates. Die  Hanptöfinnng  ist  durch  einen  konischen  Schraubenbolzen  0 
Fig.  23. 


verschlossen.  Durch  diesen  Bolzen  hindurch  geht  in  der  Mitte  ein  durch 
eine  dünne  Hartgummischicht  isolirter  Konus  W,  welcher  seine  breitere 
Seite  nach  innen  kehrt  nnd  einen  Leitaagedraht  enthält,    der  innen  in 


462  IL    Thermochemie. 

einen  kleinen  Drahtträger  L  endet.  Ausserdem  tr&gt  der  Bolzen  C 
aasserhalh  des  durch  Hartgummi  isolirten  Theilea  W  desselben  nodi 
einen  Drahtträger  L\  Zwischen  diese  Träger  wird ,  ehe  man  C  iA  den 
Apparat  einsetzt,  ein  Platindraht  gespannt.  Ist  der  Hohlraum  B  mit  der 
Ladung  gefüllt  und  das  Explosionsgefäss  vollkommen  geschlossen,  m 
entzündet  man  die  Ladung  dadurch,  dass  man  den  zwischen  LL'  ge- 
spannten Draht  durch  einen  kräftigen  galvanischen  Strom  ins  Glükes 
bringt.  Bei  E  findet  sich  eine  Vorrichtung,  um  die  bei  der  Yerbrennong 
des  Pulvers  entwickelten  Gase  entweichen  lassen  zu  können.  Die  Oeff- 
nung  F  wird  durch  einen  sehr  gut  eingepassten  Gylinder,  der  oben  in 
ein  kegelförmiges  Ansatzstück  Q-  endet,  dicht  geschlossen.  Wird  die 
Schraube  JE7  gelüftet,  so  können  die  bei  der  Explosion  entstandenen  Gase 
durch  das  eingesetzte  Böhrchen  H  entweichen  und  werden  durch  einen 
Gummischlauch  in  einen  Gasometer  geleitet,  welcher  mit  Einrichtongen 
versehen  ist,  die  es  gestatten,  das  Volumen  des  Gases  genau  zu  bestim- 
men. Bei  K  befindet  sich  eine  Art  Manometer,  dessen  Einrichtang  wir 
später  beschreiben  werden;  dasselbe  4ient  dazu,  den  Maximaldruck  n 
finden,  der  im  Explosionsgefasse  vorhanden  gewesen  ist. 

Um  bei  dem  hohen  Drucke,  der  nach  der  Explosion  in  dem  Appa- 
rate herrscht,  die  Verschlüsse  überhaupt  wieder  öffnen  zu  können,  mnai- 
ten  die  Schrauben  sämmtlich  konisch  geschnitten  werden ,  wie  dies  anck 
unsere  Figur  erkennen  lässt. 

Eine  sorgfaltige  Untersuchung  des  Inhaltes  des  Explosionsge&BMi 
nach  dessen  Oeffnung  zeigte  zunächst  bei  den  einzelnen  Versuchen  ein  ob* 
gemein  verschiedenartiges  Aeussere.  Verschiedene  Beobachtungen  Ueafli 
deutlich  erkennen,  dass  kurze  Zeit  nach  der  Entzündung  aUe  Theile  d« 
festen  Rückstandes  sich  in  flüssigem  Zustande  befanden.  Bei  einem  der 
Versuche  von  Nobl^  und  Abel,  in  welchem  ihr  Explosionsgefass  on- 
gefähr  zu  ^/s  mit  Pulver  gefüllt  war,  wurde  30  Secunden  nach  der  Ent- 
zündung das  Gefass  so  gestellt,  dass  seine  Axe  (in  der  Zeichnung  dnrck 
eine  gestrichelte  Linie  S8  angedeutet)  einen  Winkel  von  45®  mit  der 
Horizontalen  einschloss.  Zwei  Minuten  später  wurde  diese  Axe  wiefo 
horizontal  gestellt.  Bei  späterhin  folgender  Untersuchung  ergab  «di, 
dass  der  Rückstand  unter  einem  Winkel  von  45^  fest  geworden  war;  die 
Kanten  zeigten  sich  vollständig  scharf  ausgebildet. 

Bei  einem  anderen  Experimente  war  der  Hohlraum  zu  Y«  ^^"^ 
die  Ladung  erfüllt.  Eine  Minute  naoh  der  Entzündung  wurde  die  Ase 
rasch  um  45^  geneigt  und  45  Secunden  später  wieder  in  die  nrsprünf' 
liehe  Lage  gebracht  Beim  Oeffnen  sah  man,  dass  zu  der  Zeit,  n  der 
man  begonnen  hatte  das  Gefass  zu  neigen,  also  eine  Minute  nach  der 
Explosion,  der  Rückstand  bereits  angefangen  hatte  fest  zu  werden;  ei 
hatte  sich  zu  jener  Zeit  auf  der  Oberfläche  bereits  eine  dünne  gehaiteia 
Kruste  gebildet  gehabt,  die  jedoch  bei  der  Neigung  von  der  damntar 
befindlichen  Flüssigkeit  zerbrochen  worden  war.  Der  Rückstand  Itg 
nämlich   mit  ebener  Oberfläche  unter  einem  Winkel  von  45^  gegen  die 


D.    Die  Explosivkörper.  463 

Axd,  und  die  Kruste,  durch  welche  die  Flüssigkeit  hindurchgeflossen  war, 
stand  in  horizontaler  Lage  wie  ein  dünnes  Eishlatt,  unter  dem  das  Wasser 
abgeflossen  ist. 

Bei  einem  dritten  Versuche  endlich  war  das  Gefass  vollständig  mit 
Pulver  gefüllt  gewesen.  Eine  Minute  nach  der  Explosion  wurde  das 
Gefass  um  45^  geneigt  und  hierauf  alle  15  Secunden  die  Stellung  des 
Gylinders  geändert.  Es  zeigte  sich,  dass  nach  Verlauf  von  60  bis  75  Se- 
cunden nach  der  Entzündung  der  Rückstand  noch  vollständig  flüssig  war. 
Jede  Stellung  des  Gylinders  von  da  an  konnte  durch  eine  Welle  an  der 
Gberfläche  des  Rückstandes  nachträglich  erkannt  werden.  Nach  90  Se- 
cunden war  der  Rückstand  zähflüssig  und  105  Secunden  nach  der  Ent- 
zündung fest. 

.  3.   Die  Theorie  des  ScliiesspiQvers  nach  Bunsen  und 

Schisohkoff  i). 

Wenn  nach  dem,  was  im  Vorhergehenden  mitgetheilt  worden  ist, 
auch  selbst  die  experimentellen  Grundlagen  der  Theorie  von  Bunsen 
und  Schischkoff  nicht  als  zutreffend  für  den  eigentlich  in  den  Ge- 
schützen sich  vollziehenden  Vorgang  angesehen  werden  können,  so  ist 
immerhin  diese  Theorie  die  erste  gewesen,  welche,  gestützt  auf  wissen- 
schaftliche Grundlagen,  der  Lösung  der  Frage  näher  zu  treten  versucht 
hat.  Die  Auseinandersetzung  und  Kritik  dieser  einfachen  Theorie  kann 
ausserdem  als  eine  geeignete  Vorbereitung  auf  die  complicirteren  Be- 
trachtungen angesehen  werden,  welche  später  von  St.  Robert  und  von 
Noble  und  Abel  gegeben  worden  sind. 

Bezeichnet  man  mit  w  die  bei  Verbrennung  von  1  kg  Pulver  er- 
zengte Wärmemenge,  mit  G  die  speciflsche  Wärme  der  gesammten  Ver- 

brennungsproducte,  so  würde  r^  die  Temperaturerhöhung  der  Substanz 

durch  die  Verbrennung  sein,  und  wenn  die  Anfangstemperatur  gleich  Null 

war,  so  bedeutet  -r^  unmittelbar  die  Flammentemperatur  des  Pulvers  selbst. 
■ 
Bunsen  maass  nun  die  bei  Verbrennung  einer  abgewogenen  Pulver- 
menge entwickelte  Wärmemenge  direct.  Er  entzündete  zu  dem  Zwecke 
das  Pulver  in  einem  weiten,  hermetisch  geschlossenen  Glasrohre  durch 
einen  galvanisch  glühend  gemachten  Draht.  Dieses  Glasrohr  war  in  ein 
Calorimeter  eingesetzt  und  aus  der  Temperaturerhöhung  der  Flüssigkeit, 
des  Calorimetergefasses  und  sämmtlicher  im  Calorimeter  befindlicher  Ge- 
genstände '),    sowie  aus  dem  Wasserwerthe  der  gesammten  erwärmten 

^)  Bansen  u.  Schischkoff,  Chemische  Theorie  des  Schiesspulvers.  Pogg.  Ann. 
Bd.  102,  S.  321  bis  353.    (1857.) 

2)  Bezüglich  der  Details  des  Versuches  verweisen  wir  auf  die  Originalabhandlung : 
Pogg.  Ann.  Bd.  102,  S.  344. 


464 


IL    Thermochemie. 


Theile  konnte  man  auf  die  Anzahl  der  vom  Pulver  entwickelten  Wärme- 
einheiten schliessen.     Die  gefundene  Ziffer  hetmg: 

644  Galorien  pro  1  Kilogramm  Pulver. 

« 

Dieselben  bedui*ften  noch  einer  kleinen  Correction,  da  durch  den  SaQe^ 
Stoff  der  im  weiten  Rohre,  in  dem  die  Entzündung  vor  sich  ging,  Tor- 
handenen  Luft  ein  Theil  der  verbrennlichen  Producte  der  Entzündung  I 
(CO, H, H2S)  noch  weiter  verbrannt  waren.  Die  deshalb  in  Abzug  so  1 
bringende  Gorrection  betrug  24  Galorien,  so  dass  man  schliesslich  furvl 
den  Werth  erhielt: 

ti7  =  620  Galorien. 

um  die  mittlere  specifische  Wärme  der  gesammten  YerbrenniiDgs- 
producte  zu  erhalten,  multiplicirten  Bunsen  und  Schischkoff  (& 
einzelnen  von  einem  Kilogramm  erhaltenen  Yerbrennungsproducte  bb(| 
der  specifischen  Wärme. 

Erfolgt  die  Entzündung  und  Erwärmung  bei  constantem  ThwkA 
einer  Atmosphäre,  so  wurden  bei  dieser  Multiplication  die  specifiscin| 
Wärmen  bei  constantem  Drucke  verwandt;  soll  die  Erwärmung  in 
geschlossenen  Räume,  also  bei  constantem  Volumen  erfolgen,  so  sind 
speciiischen  Wärmen  der  einzelnen  Substanzen  bei  constantem  Yolai 
zu  verwenden.     Bunsen  findet  im  ersten  Falle  die  mittlere  speeü 
Wärme  : 

Cp  =  0,206, 

im  zweiten  Falle: 

c,  =  0,185. 

Daraus  berechnet  er  die  Flammentemperatur  des  in  freier  Luft  tc 
brennenden  Pulvers  zu: 

30000  G.; 

hingegen  ermittelt  er  die  Flammentemperatur  für  den  Fall,  dass  die 
in  einem  geschlossenen  Räume  entstehen  und  sich  nicht  frei  ai 
können,  zu 

33000  G. 

Selbstverständlich  sind  auch  diese  Flammenteroperatnren  ledii 
Näherungswerthe,  welche  thatsäcblich  nie  erreicht  werden,  da  durch  AI 
leitung  von   Wärme    durch   die  Gefasswände    und   durch  Strahlung 
jedem  gegebenen  Falle  eine    erhebliche  Anzahl  von   Galorien  verlor 
gehen  wird. 

Gegen  die  ganze  Art  der  Rechnung  ist  aber,  abgesehen  von 
Temperaturerniedrigung    durch   die    Dissociationserscheinungen ,  wek 
auch  hier  nicht  ausbleiben  werden,  der  viel  erheblichere  Einwand 
worden,  dass  man  aus  den  bei  Atmosphärendruck  und  sehr  niedn^ 
Temperaturen  gemessenen  specifischen  Wärmen  nicht  auf  die  Wärmectpft^ 
cität  der  Substanzen  in  dem  Zustande  schliessen  dürfe,  in  dem  se 
während  und  unmittelbar  nach  der  Explosion  befinden.  —  Im  Allgemeii 


D.   Die  Explosivkörper.  465 

wächst  die  specifiBche  W&rme  bekanntlich  mit  der  Temperatur,  man  wird 
also  in  obiger  Rechnong  die  Nenner  zu  klein  gewählt  haben  und  anch 
aus  diesem  Grunde  in  Wirklichkeit  niedrigere  Temperaturen  erwarten 
müssen,  als  oben  durch  die  B^hnung  gefunden  worden  sind. 

Bei  der  Ermittelung  dea  Druckmaximums,  welches  das  Pulver  zu  er- 
sengen  im  Stande  ist,  wenn  es  in  einem  geschlossenen  Räume  verbrennt, 
glaubt  Bnnsen  auf  die  Tension  der  Dämpfe  des  festen  Rückstandes  ver- 
zichten  zu  können,  weil  eine  an  einem  Platindraht  in  die  Flamme  eines 
Wasserstoffluftgebläses  gebrachte  Perle  des  Pulverrückstandes  zwar 
schmilzt  und  auch  verdampft,  aber  nicht  siedet.  Er  glaubt  aus  dieser 
Beobachtung  schliessen  zu  dürfen,  dass  der  Druck  der  Dämpfe  dieser 
geschmolzenen  Substanzen  bei  circa  BOOO^  noch  nicht  eine  Atmosphäre 
erreicht  haben  könne. 

Um  den  entstehenden  Druck  selbst  bestimmen  zu  können,  setzt 
die  Theorie  von  Bunsen  und  Schischkoff  weiter  voraus,  dass  die  ent- 
wickelten Gase  unter  den  w&hrend  einer  Pulverexplosion  in  einem  ge- 
schlossenen Baume  stattfindenden  Temperatur-  und  Druckverhältnissen 
dem  Ausdehnungsgesetze  vollkommener  Gase  noch  angenähert  Folge  lei- 
sten. —  Gegen  die  Zulässigkeit  dieser  Annahme  sind  bekanntlich  in 
neuester  JZeit  von  Berthelot  ernstliche  Bedenken  geltend  gemacht  wor- 
den, und  auch  wir  glauben  ,n  dass  diese  Voraussetzung  von  allen  Hypo- 
thesen, auf  denen  die  Bunsen-Schischkofr sehe  Theorie  beruht,  die* 
jeuige  ist,  welche  am  wenigsten  zulässig  erscheint. 

Unter  Voraussetzung  der  Giltigkeit  des  Mariotte'schen  und  Gay- 
LuBsac'schen  Gesetzes  findet  man  den  Druck  durch  folgende  Betrachtung. 
Nimmt  man  an,  nach  erfolgter  Explosion  erfüllen  die  Verbrennungs- 
producte  gerade  den  Raum,  den  vorher  die  Ladung  beanspruchte,   so 

nimmt  1  Kilogramm  unverbranntes  Pulver  den  Raum  von  -^  Liter  ein, 

o 

wenn  8  das  Gewicht  von  1  Liter  bezeichnet  (die  Grösse  8  nennen  die 
Artilleristen  die  gravimetrische  Dichte).  Ist  nun  bei  der  Explosions- 
temperatur T  =  273  -f'  ^  das  specifische  Gewicht  der  festen  Bestand- 
theile  des  Rückstandes  gleich  <y<,  und  liefert  1  kg  Pulver  Q  Kilogramme 
festen  Rückstand,  so  ist  der  von  dem  entwickelten  1  —  GF  kg  Gas  bei  der 

absoluten  Temperatur  T  eingenommene  Raum  gleich  -5-  —  ---. 

Die  1  —  Q  Kilogramme  entwickeltes  Pulvergas  besitzen  nun  bei 
0^  und  dem  Drucke  von  1  Atmosphäre  ein  Volumen  F.  Demnach  muss 
nach  dem  Ausdehnungsgesetze  vollkommener  Gase  für  den  gesuchten 
Druck  z  die  Gleichung  gelten: 


•(iS         J 


«..       _  .  ^^y 


T  273 

BablmanD,  Xechan.  WlnMthMria.  Bd.  t,  80 


466  II.    Thermochemie. 

Hieraas  findet  man: 

X  =  ■         ■     ■  1) 

Führt  man  hierin  ein: 

Volumen  der  gebildeten  Gase     .     .     .     .     « F==tl93l, 

Grayimetrische  Dichte  des  Pulyers       .     .     .   ' .     .     .     .     .  S  =0,96k( 

Gewicht  der  festen  Explosion ßproducte     ; Gr= 0,68kg, 

Das  specifische  Gewicht  1)  des  festen  Rückstandes  bei  3300^  ^^  =  1,50, 

Temperatur,  wenn  die  Ezplos.  im  geachloss.  Räume  stattfindet  T  =  3500*, 

so  ecgiebt  sichi- 

X  =  4200  Atmosphären. 

Setzte  man  für-  das  specifische  Gewicht  des  Pulverrückstanda  bei 
3300^  das  specifische  Gewicht  bei  0^  ein  Oq  =  2,35,  so  fände  man  für  x 
nur  3300  Atmosphären.  Ungefähr  1000  Atmosphären  des  Druckes  ruka 
also  von  der  Ausdehnung  der  festen  Bestandtheile  des  EIxplosioDsrück- 
standes  her. 

Wir  wollen  übrigens  nicht  unterlassen  darauf  hinzuweisen,  danii 
dieser  Rechnung  noch  andere  Umstände  nicht  berücksichtigt  sind,  wel^ 
^veranlassen  würden ,  dass  durch  unsere  Rechnung  zu  grosse  Weitk 
für  X  gefunden  werden.  Erstens  nämlich  wird  die  Zunahme  des  qpeö- 
fischen  Gewichtes  des  festen  Rückstandes  in  Folge  der  bei  so  hohes 
Drucke  sehr  erheblichen  Comprefision  eine  wesentliche  Abnahme  vonf 
bedingen,  zweitens  wird  die  bei  so  hohem  Drucke  unbedingt  eintretenji 
ISr Weiterung  des  Volumens  des  Explosionsgefösses  und  drittens  wird  & 
Wärmeentziehung,  Welche  die  Pulverflamme  erfährt,  ebenMls  erniedrigeofl 
auf  den  herv(»>zubringenden  Druck  einwirken. 

Mit  Hülfe  der  jetzt  gewonnenen  Resultate  ist  man  nunmehr  auch  in 
Stande,  eine  ganz  oberflächliche  Annäherungsrechhung  über  die  Gesammt- 
energie  anzustellen,  die  in  1  Kilogramm  Pulver  enthalten  ist  Die« 
Grösse  wurde  eigentlich  das  einzige  wissenschaftlich  berechtigte  Maas 
für  die  Leistungsfähigkeit  eines  Explosivkörpers  sein.  Die  Grundkges 
dieser  Rechnung  .sind  jedoch  leider  ausserordentlich  unsicher,  so  das 
man  ihren  Reeultaten  kaum  den  Werth  einer  angenäherten  Schätmf 
beilegen  kann. 

Sieht  man  ganz  ab  von  der  in  den  festen  Rückständen  anfgespo* 
cherten  Energiemenge,  so  besitzen  die  Gase,  die  aus  einem  Kilograma 

.  1  ff      . 

Pulver  entwickelt  werden,  ein  Volumen  f,  =  ~  —  —  Liter   und  ein« 

S         o, 

Druck  von  x  Atmosphären.     Die  grösstmögliche  Arbeit  würde  geleätei 


*      • 


^)  Von  Bunsen  nach  seiner  bekannten  Methode  experimentell  bestimmt. 


D.    Die  ExplosivkÖrper.  467 

werden»  wenn  sich  die  Palvergase  ohne  Wärmeverlust  so  lange  ezpan- 
dirten,  bis  ihr  Volumen  gleich  F  geworden  wäre.    Man  erhielte  somit: 

F 

Maximalarbeit  =    /  i>  .  de?, 

wenn  p  und  v  Druck  und  Volumen  in  irgend  einem  der  Zwiscfaenzustände 
bezeichnen. 

Erfolgt  die  Expansion,  wie  vorausgesetzt,    ohne  dass  Wärme  zu- 
oder  abgeführt  wird,  also  längs  einer  adiabatischen  Curve,  so  ist: 


'=••(?) 


c  ' 

wo  X  das  VerhältnisB  -^  der  specifischen  Wärmen  bedeutet. 

Setzt  man  dies  ein  und  führt  die  Integration  aus,  so  erhält  man  für 
die  Maximalarbeit  die  Gleichung: 


Maximalarbeit  =  — - — *-  •   1  1  —  (l^)  I    *     '     ' 


2) 


Beachtet  man,  dass  im  gegebenen  Falle  Vf  =  0,58  1,    F  =  193  1 

und  X  =T  -^  =  1,39  ist  und  sämmtliohe  (jl^rundlagen  der  Rechnungen 

äusserst  unzuverlässig  sind,  so  kann  man  das  zweite  Glied  in  der  obigen 
Klammer  vernachlässigen  und  erhält  die  von  Bunsen  gegebene  Formel: 

Maximalarbeit  =  — - — - 3) 

X  —  1 

Diese  liefert,  wenn  man  einsetzt: 

X  =  4000  Atmosphären  =  4000  X   103,33  kg  pro  qdm, 
V,  =  0,6      1, 
X  —  1  =:  0,39, 

den  Werth: 

Maximalarbeit  =64  000  Kilogrammmeter. 

Wollte  man  auf  gleichen  Grundlagen  die  Arbeitsleistung  schätzen, 
welche  das  Pulver  einem  Geschoss  auf  dessen  Weg  bis  zum  Ende  des 
fieschützrohres  zu  ertheilen  im  Stande  wäre,  so  müsste  man  in  der  For- 
inel  2)  für  F  das  Volumen  des  Geschützrohres  einsetzen.  Wir  werden 
weiterhin  sehen,  dass  die  Resultate  dieser  Theorie  mit  den  Erfahrungen 
nicht  vollständig  im  Einklänge  sind. 

ÖD* 


468  n.    Thermochemie. 


4.    Saint-Robert's  Theorie  der  Wirkung  des  Sohie»- 

pulvers  in  den  ßeseliützroliren  ^). 

Diese  Theorie  geht  von  einer  hekanaten  Fandamentalgleicbiuig  tos, 
die  ein  einfacher  Ansdruck  des  ersten  Hauptsatzes  der  mechanisckei 
Wärmetheorie  ist;  sie  betrachtet  das  Problem  der  Bewegung  eines  Ge- 
schosses im  Laufe  eines  Geschützes  von  ähnlichen  Gesichtspunkten  aas, 
wie  dies  seiner  Zeit  Zeuner  böi  seiner  Behandlung  des  Ausflusses  Tn 
Gasen  und  Dämpfen  gethan  hat. 

Erleidet  ein  System  von  Körpern  eine  Zustandsänderung,  ohne  dm 
Energie  abgegeben    oder   aufgenommen  wird,    so  wird  einestheils  die 

innere  Energie  geändert,  die  Aenderung  mag    f  du  heissen,   anderai- 

theils  wird  äussere  Arbeit  erzengt,  die  Grösse  derselben  sei    /  dX,  ood 

endlich  wird  noch  eine  gewisse  Menge  kinetischer  Energie  produeiiii 
wenn  vorher  alle  Theile  des  Systems  in  Ruhe  waren;  dieser  Theil  nD 

mit  f  dV  bezeichnet  werden.    Alsdann  ist  nach  dem  ersten  Hauptaata 

der  mechanischen  Wärmetheorie: 


fdü+  fdL+    rdr=0 


Diese  Gleichung  kann  auf  die  Bewegung  eines  Geschosses  in  deK 
Laufe  eines  Geschützes  angewendet  werden.  Als  Anfangszustand  seit« 
wir  den  Beginn  der  Explosion,  als  Endzustand  den  Zustand  an,  in  vd- 
chem  sich  das  System  in  dem  Momente  befindet,  in  welchem  das  Geschos 
die  Mündung  des  Rohres  verlässt. 

Die  Aenderung  der  inneren  Energie  besteht  aus  der  Erwännmf 
des  Geschützrohres  und  Geschosses,  diese  Wärmemenge  mag  q  gensnifc 
werden,  und  aus  der  Temperaturänderung  der  Producte  der  Explosk 
während  der  Zeit,  während  welcher  sich  das  Geschoss  im  Rohre  bevre^ 
Letztere  Grösse  besteht  vorzugsweise  aus  der  Differenz  der  Wärmemei- 
gen,  welche  die  Zersetzungsproduote  des  Pulvers  zu  den  beiden  angege- 
benen Zeitpunkten  enthalten. 

Bezeichnet  man  mit  n  das  Gewicht  des  verbrannten  Theiles  d9 
Ladung,  mit  to  die  auf  das  Kilogramm  bezogene  Umsetzungswin^ 
mit  C  die  mittlere  specifische  Wärme  der  Explosionsproducte,  mit  fi 
die  absolute  Temperatur  im  Momente  unmittelbar  nach  der  ExploM 


^)   Man  sehe:    Saint-Robert,   Priacipes  de  Thermodynamiqtte  2.  Audace  (187i>\ 
>.  251  bis  278. 


D.  Die  Explosivtörper.  469 

and  mit  T^  die  in  dem  Momente,  in  welchem  das  GeschoBs  die  Mündung 
Terlasst,  so  ist: 

/"d  17  ==  J.  fg  +  Ä  .  («;  —  0  •  Ta)]  =  J  .  [fl  +  «  .  C.  (Ti  —  T^)\. 

Gegen  diese  Grösse  glanbt  Saint  Robert  die  sonstigen  Aenderon- 
gen  der  inneren  Energie  in  einer  ersten  Annäherung,  um  die  es  sich 
bei  allen  derartigen  Rechnungen  doch  nur  handeln  kann,  vernachlässigen 
zu  dürfen.  Ueber  die  Zulässigkeit  dieser  Annahme  lässt  sich  äusserst 
schwer  ein  TJrtheil  abgeben,  da  uns  die  physikalischen  Eigenschaften  so 
hoch  erhitzter  und  so  stark  comprimirter  Körper  zur  Zeit  noch  gänzlich 
unbekannt  sind. 

Jedenfalls  erkennt  man  leicht,  dass    J  d  U  unabhängig  davon  ist, 

ob  das  Pulver  fast  momentan,  oder  erst  allmälig  während  des  Fortrückens 
des  Geschosses  verbrennt,  sofern  nur  die  im  Ganzen  dadurch  entwickelte 
Wärmemenge  nicht  geändert  wird. 

Die  geleistete  äussere  Arbeit:     /  dX  ist  äusserst  gering,  sie  besteht 

nur  in  der  Zurückschiebung  des  Drucks  der  Atmosphäre  um  den  Raum: 
1^  —  f^x,  wenn  ,v^  den  gesammten  Hohlraum  des  Geschützrohres  und  V\ 
das  Volumen  der  Ladung  bedeutet.  Bezeichnet  man  den  Druck  der  Atmo- 
sphäre mit|>,  so  ist  also: 


/ 


dW  =  p  .{V2  —  Vi\ 


und  diesen  Betrag  wird  man  künftighin  ohne  Weiteres  vernachlässigen 
können. 


/ 


Die  meisten  Schwierigkeiten  setzen  sich  der  Bestimmung  der  Grösse 
d  V  entgegen. 


Es  wird  nämlich  kinetische  Energie  mitgetheilt:   1)  dem  Geschosse, 

2)  dem  Geschütze,  welches  letztere  sich  als  Rückstoss  geltend  macht, 

3)  den  Verbrennungsproducten  des  Pulvers  und  4)  der  Luftmenge,  welche 
sich  vor  der  Ladung  im  Geschützrohre  befunden  hat.  Bezeichnen  nun: 
m  die  Masse  des  Geschosses,  m'  die  des  Geschützes,  Lafette,  oder  was 
dem  entspricht,  mit  eingeschlossen,  und  u  und  uf  die  Geschwindigkeiten 
dieser  Massen  in  dem  Mon^ente,  in  dem  das  Geschoss  den  Lauf  verlässt; 
bezeichnet  femer  fi  die  Masse  der  Ladung,  v  die  veränderliche  Geschwin- 
digkeit, welche  den  Pulverrückständen  ertheilt  worden  ist  in  irgend  einem 
Momente  der  Bewegung  des  Projectües  im  Laufe,  und  ist  endlich  B  der 
Luftwiderstand,  der  sich  der  Bewegung  des  Geschosses  entgegensetzt, 
wenn  dasselbe  um  8  seine  ursprüngliche  Lage  verlassen  hat,  so  ist: 

Jd7  =  -^-\-—^^^Jv^.d^-\-jB. 


ds. 


470  II.   Tbennocheinie. 

Hierbei  muss  nun  das  Integral    /  v^  .  d  ^   auf  die  Gesammtmasse 

der  Rückstände  erstreckt  werden,  wenn  dieselben  das  ganze  Gescliützrobr 

ansfüllen ;  das  Integral    t  B  .  d  8  muss  ausgedehnt  werden  von  der  An- 

fangsstellang  des  Geschosses  bis  zu  dem  Momente,  wo  es  aofhört  du 
Rohr  za  berühren.     Man  erhält  demnach  folgende  Ausgangsgleichong; 

I  .  m  .  tt»  +  i^  .  m'  .  m'»  +  ^    /"v«  .  d  (i  +    Cb  .  d  s 

=  J..«.G.(Ti  —  Ti)  +  J.q—p.{vi^Vi)      .    .    4) 

Die  Geschwindigkeiten  fi,  u'  und  v  hängen  übrigens  noch  dprch  eine 
Gleichung  zusammen.  Es  muss  nämlich  der  Schwerpunkt  des  gansen 
Systemes,  der  Yor  der  Entzündung  in  Ruhe  war,  auch  nach  der  Entzün- 
dung in  Ruhe  bleiben.  Die  Bewegungsgrösse  des  Geschosses  und  der 
Pulyergase  muss  gleich  sein  der  Bewegungsgrösse  des  Geschützes,  die 
Lafette  etc.  mit  einbegriffen.     Nach  diesem  Satze  gilt  die  Gleichung: 


m  .u  -{- 


I  V  ,  d  II  ^=  m'  .  u' 5) 


Die  beiden  Gleichungen  4)  und  5)  enthalten  die  Lösung  der  ge- 
eammten  Aufgabe:  die  Geschwindigkeiten  zu  bestimmen,  welche  dordi 
die  Entzündung  des  Pulvers  dem  Geschosse,  dem  Geschütze  und  der  Gaa- 
menge  ertheilt  werden.    . 

Die  beiden  Integrale 


I  v^  .  d  (i  und    I  V  ,  d  yi 


sind  die  Ausdrücke  für  kinetische  Energie  und  Bewegungsgrösse  der 
Pulvergase;  sie  hängen  von  der  Art  und  Weise  ab,  in  welcher  die  GaM 
im  Innern  des  Rohres  vertheilt  sind,  ferner  von  der  Geschwindigkeit 
ihrer  Molecüle  in  dem  Augenblicke,  in  welchem  das  Geschoss  den  Laaf 
verlässt. 

St.  Robert  macht  nun  folgende  Annahmen:  1)  Die  Dichte  ist  in 
dem  ganzen  Räume,  den  das  Gas  im  Augenblicke  einnimmt,  in  dem  das 
Geschoss  das  Rohr  verlässt,  constant,  und  2)  die  Geschwindigkeiten,  mit 
denen  die  einzelnen  Theile  der  Gasmasse  sich  nach  der  Mündung  hin 
bewegen,  wachsen  gleichförmig  vom  Boden  des  Geschützrohres  bis  lor 
Mündung. 

Die  unmittelbar  hinter  dem  Geschosse  befindlichen  Gasmengen  be- 
sitzen die  nämliche  Geschwindigkeit,  wie  das  Geschoss  selbst;  die  am 
geschlossenen  Ende  des  Rohres  gelegenen  Gasmengen  bewegen  sich  mit 
der  nämlichen  Geschwindigkeit  rückwärts»  wie  das  Rohr;  da  diese  Ge- 
schwindigkeiten entgegengesetztes  Yorzeiphen  haben,  so  muss  es  önsn 


D.    Die  Explosivkörper.  471 

mittleren  Querschnitt  in  der  GasmaBse  geben,  in  welchem  die  in  dem- 
selben befindlichen  Gastheilchen  in  Buhe  sind. 

Nach  der  zweiten  Voraussetzung  müssen  die  Geschwindigkeiten  des 
Gases  in  verschiedenen  Querschnitten  proportional  den  Abständen  dieser 
Querschnitte  von  dem  ruhenden  Querschnitte  sein. 

Bezeichnet  man  die  Länge  des  Geschützrohres  mit  />,  so  steht  der 
rahende  Querschnitt  von  der  Mündung  ab  um : 

u  +  tt' 

and  Tom  Boden  des  Bohres  um: 

u'  .  L  '     ' 

u  +  u'' 

Für  einen  Querschnitt,  welcher  von  diesem  ruhenden  Querschnitte 
nach  der  Mündung  zu  um  x  absteht,  bestimmt,  sich  al&dann  die  Geschwin- 
digkeit durch  die  Proportion: 

woraus  folgt: 

V  = = .  X, 

Auf  gleiche  Weise  findet  man  die  Geschwindigkeit  v*  in  einem  Quer- 
Bohnitte,  welcher  um  y  vom  ruhenden  Querschnitte  nach  dem  geschlosse- 
nen Ende  des  Geschützrohres  zu  absteht.     Es  ist: 

Hieraus  ergiebt  sich  die  Bewegungsgrösse  der  Gasmasse,'  welche  sich 
nach  der  Mündung  zu  bewegt.     Dieselbe  ist: 

x.d^:=. — 2 —  tr+^- 

0 

Die  Bewegungsgrösse  des  ganzen  Theiles  der  Gasmasse,  welche  sich 
in  demselben  Sinne  bewegt,  wie  das  Geschütz,  findet  man  gleich: 


»  +  I.' 


Sl  .  d  .  [^    T  "^  )    •       /     y'äy=    —' 


n 


3  w  +  «* 

0 

wenn  Sl  den  inneren  Querschnitt  des  Geschützrohres  und  8  die  cpn- 
stante  Dichte  der  Pulvergase  in  demselben  in  dem  Momente  bezeichnet, 
in  dem  das  Geschoss  die  Mündung  verlässt. 


/ 


472  n.   Thennocheniie. 

Die  Differenz  dieser  beiden  Grössen  ist: 

g (V  —  ttO. 

Das  Productß  •  9  .  Xr  ist  aber  die  Masse  der  gesammten  gebildeten 
Polyergase.  Bezeichnen  wir  diese  mit  fft,  so  vereinfacht  sich  der  Aos- 
druck  f&r  die  Bewegungsgrösse  der  Pulvergase  zu  folgender  Form: 

V  .A\^  =  \{ik-^) 6) 

In  gleicherweise  findet  man  für  die  kinetische  Energie  der  zwischen 
dem  ruhenden  Querschnitt  und  der  Mündung  liegenden  Gasmasse  den 
Werth: 

/tt  .  L 
0 

und  fEbr  die  kinetische  Energie  der  zwischen  dem  ruhenden  Querschnitte 
und  dem  geschlossenen  Ende  des  Geschützrohres  liegenden  Gasmasse: 

»  +  tt' 

,    ^  8  .a  .L  u'» 

Bildet  man  die  Summe  der  Beträge  der  kinetischen  Energrie  und 
führt  wiederum  die  oben  erwähnte  Grösse  ft  ein,  so  findet  man  schliesslich: 

f^   .  d  ^  =  ^  .  (u«  +  u'»  -  u  .  u')  .    .    .    .    7) 

Grössere  Schwierigkeiten  bieten  sich  dar,  wenn  man  das  Integral 

B  .  ds  zvl  bestimmen  Tersucht,  welches  die  lebendige  Erafb  darstellti 

die  das  Geschoss  während  seiner  Bewegung  im  Geschützrohre  den  Tor 
ihm  liegenden  Theilen  der  atmosphärischen  Luft  mittheilt.  SL  Robert 
nimmt  an,  dass  B  proportional  der  Masse  m  des  Projectiles,  proportional 
dem  Quadrate  seiner  Geschwindigkeit  und  umgekehrt  proportional  einem 
Goefficienten  Je  sei,  welcher  von  der  Gestalt  des  Geschosses  und  von  seiner 
Dichte  im  Vergleich  mit  derjenigen  der  Luft  abhängt 

Um  die  Integration  wirklich  ausfähren  zu  können,  muss  man  die 
Abhängigkeit  der  Geschwindigkeit  von  dem  Wege  8  kennen,  den  das 
Geschoss  bereits  im  Geschützrohre  zurückgelegt  hat.  Der  Einfachheit 
wegen  nimmt  St.  Robert  an,  dass  diese  Geschwindigkeit  gleichförmig 
von  Null  bis  zu  der  Geschwindigkeit  u  wachse,  mit  der  das  Projectil 
schliesslich  die  Mündung  verlässt.    Alsdann  ist: 

«  »I.W* 

*=SlMi'' 


/ 


D.    Die  Explosivkörper.  473 


und  demnach: 


^'^'  =  —6ir- ») 

0 

wobei  l  die  Entfemang  zwischen  der  Anfangs-  und  Endlage  des  6e- 
BchoBses  im  Rohre  bezeichnet. 

Setzt  man  diese  Grössen  in  4)  and  5)  ein,  so  erhält  man  zur  Be- 
stimmung der  Geschwindigkeit  u  des  Geschosses  und  u'  des  Geschützes, 
wenn  man  gleichzeitig  nach  Potenzen  dieser  Grössen  ordnet,  die  beiden 
Gleichungen:  ' 

(-+?+?fiO-"+("'+f)""-i-«'' 

=  2  J  .  jr  .  C  .  (ri  —  Ta)  +  2  .  «7" .  fl  —  2  p  .  (f?,  —  Vi)   .    9) 
uid: 

(m  +'0  .u=(m'  +  f^    '  u' 10) 

Die  Oiltigkeit  dieser  Gleichungen  beruht  auf  folgenden  Voraussetzun- 
gen: 1)  Die  Dichte  der  Pulyergase  ist  im  ganzen  Rohre  constant,  wenn 
sich  das  Projectil  an  der  Mündung  befindet.  2)  In  demselben  Zeitpunkte 
wachsen  die  Geschwindigkeiten  der  Gasmasse  gleichförmig  und  sind  in 
jedem  Theile  desselben  Querschnittes  gleich  gross. 

Die  Annahmen  über  B  sind  von  untergeordneter  Bedeutung,  da  die 
Grosse  der  hiervon  abhängenden  Glieder  im  Vergleich  mit  der  Grösse  der 
übrigen  nahezu  vernachlässigt  werden  kann. 

Es  ist  wohl  kaum  zweifelhaft;,  dass  diese  beiden  Hauptannahmen 
häufig  nicht  erfiült  sein  können;  in  den  meisten  in  der  Praxis  auftreten- 
den Fällen  wird  denselben  jedoch  wahrscheinlich  wenigstens  angenähert 
genügt  werden. 

Die  Temperatur,  welche  die  Gase  an  der  Mündung  besitzen,  leitet 
SL  Robert  mit  Hülfe  der  Annahme  ab,  dass  die  Pulvergase  dem  Aus- 
dehnungsgesetze vollkommener  Gase  folgen,  und  dass  die  Ausdehnung  der 
Gase  längs  einer  adiabatischen  Curve,  d.  h.  in  der  Weise  erfolge,  dass 
weder  Wärme  zu-  noch  abgeführt  wird. 

Alsdann  würden  die  Temperaturen  der  Pulvergase  bei  Beginn  und 
am  Schlüsse  der  Bewegung  des  Projectiles,  es  sind  dies  Ti  und  T^,  durch 
die  bekannte  Poisson'sche  Gleichung  zusammenhängen  (man  sehe 
Bd.  I.  m,  B,  11,  S.  272): 

wenn  x  das  Verhaltniss  der  beiden  specifischen  Wärmen  der  Pulvergase 


474  IL  Thermochemie. 

Alsdann  wäre: 


r,  -  ..  =  r. .  r.  -  (^)-] 


Bezeichnet  man  mit  pi  den  Anfangsdmck  im  Geschützrohre,  so  ist 
hekanntlich  (man  sehe  Bd.  I,  III,  B,  11): 


J .  (V  .  («  —  1)' 

and  man  erhält: 

Ueher  den  ]Grrad  der  Zulässigkeit  der  Voraussetzungen,  auf  welchen 
die  Berechnung  der  Temperatur  heruht,  ist  hereits  im  Yorhergehendeii 
das  Nöthige  gesagt  worden.  Unter  Berücksichtigung  der  ausserordentlich 
geringen  Zuverlässigkeit,  welche  jeder  derartigen  Rechnung  üherhaopt 
zukommt,  sind  einige  weitere  Vereinfachungen  der  Formeln  9)  und  10) 
statthaft.  Die  Geschwindigkeit  t/i ^  mit  der  sich  heim  Ahfeuem  das  Ge- 
schütz, zurückbewegt,  ist  so  gering,  dass  dieselbe  gegen  die  aoaserordent- 
lioh  grosse  Geschwindigkeit  des  Projecüles  vernachlässigt  werden  kann. 

Ausserdem  kann  man  die  lebendige  Kraft  unberücksichtigt  lasam, 
welche  vom  Geschosse  der  vor  ihm  im  Laufe  befindlichen  Luft  mitgetheiU 
wird,  und  ebenso  die  Arbeit,  welche  das  Geschoss  leistet,  indem  es  dem 
Drucke  der  Luft  entgegen  im  Rohre  sieh  um  die  Strecke  s  fortbewegt 
Die  hier  angefCQirten  Grössen  sind  sämmtlich  ganz  unerhebliefa  gegen 
anderweite  Verluste  an  Energie  der  Pulvergase,  die  man  nicht  im  Stande 
ist  auf  dem  Wege  der  Rechnung  voraus  zu  bestimmen.  Führt  man  diese 
wesentlichen  Vereinfachungen  ein,  so  erhält  man: 

(w  +  I)  .  w«  =  2  .  cT- .  ;c  .  C .  (T,  —  Tj)  +  2  J- .  3  .  .  12) 

Vernachlässigt  man  ausserdem  noch  die  von  den  Pulvergasen  dem 
Geschütze  mitgetheilte  Wärme,  so  nimmt  die  Gleichung  die  noch  en- 
fächere  Form  an: 

(«  +  I)  .  tt*  =  2  .  Jr ,  ar  .  C  .  r,  .  (l  •-  ^) ^^^ 

Durch  Elimination  der  Temperaturen  mit  Hülfe  der  Poisson^schen 
Gleichung  erhält  man  schliesslich,  da  St.  Robert  C  =  c^  setzt: 


(-+i)-=^4i?f^-['-(?y""]-- 


14) 


und  von  der  vorhergehenden  und  dieser  Formel  ist  St.  Robert  bei  der 
Discussion  praktischer  Versuche  ausgegangen. 


D.    Die  Explosivkörper. 


-    475 


Durch  besondere  Yersaolie  hat  derselbe  Gelehrte  übrigens  gezeigt, 
dass  man  nicht  berechtigt  ist,  die  dem  Geschützrohre  mitgetheilte  Wärme 
zu  vernachlässigen.  Derselbe  glanbt  aus  diesen  Untersuchungen  schliessen 
zu  dürfen,  dass  die  vom  Metalle  der  Geschützwände  absorbirte  Wärme* 
menge  bei  gezogenen  Gewehren  mehr  als  ein  Drittel  der  überhaupt  vom 
Pulver  bei  dessen  Entzündung  entwickelten  Wärme  betrage.  Bei  Kano- 
nen ist  dieser  Verlust  jedenfalls  um  so  geringer,  je  grösser  das  Kaliber 
ist,  da  die  Oberflächen  der  Geschosse  in  geringerem  Verhältnisse  wachsen, 
als  die  Volumina  derselben. 

Diese  Behauptung  St.  Robert' s  stützt  sich  auf  Versuche  mit  einem 
gezogenen  Militärgewehr,  welches  ein  Langblei  von  33  g  Gewicht  schoss 
und  mit  4,5  g  Pulver  geladen  wurde.  Bei  diesen  Versuchen  ergab  sich 
auch  mit  unzweifelhafter  Sicherheit  das  eigenthümliche  Resultat,  dass  die 
Rohrwände  die  geringste  Erwärmung  zeigten,  wenn  das  Geschoss  un- 
mittelbar auf  dem  Pulver  aufsass,  die  stärkste,  wenn  das  Geschoss  sich 
anfänglich  in  einer  Entfernung  von  0,02  m  von  dem  Pulver  befand,  und 
eine  zwischen  beiden  Fällen  liegende  Temperaturerhöhung  wurde  beob- 
achtet, wenn  gar  kein  Geschoss  in  den  Lauf  gebracht,  die  Pulverladung 
also  blind  abgefeuert  wurde. 

Wir  wählen  aus  den  Versuchen  St.  Robertos  nur  folgende  aus: 


Geschoss  auf  dem 
Pulver  aufsitzend 

Geschoss  in  0,02  ro 
Entfernung  vom  Pulver 

Blinder  Schass 

Den  Rohrwänden  wurde 

mitgetbeilt  bei  jedem 

Schasse 

0,99  Cal. 

1,10  Cal. 

1,00  Cal. 

Lebendige  Kraft  des 
Geschosses 

158  kgm 

51  kgm 

— 

Nach  den  im  Vorhergehenden  von  uns  mitgetheilten  Untersuchungen 
entwickelt  aber  1  kg  Pulver  im  Durchschnitt  bei  seiner  Entzündung  un- 
g'eiahr  rund  600  Calorien  und  somit  0,0045  kg  nur  2,7  Cal.  Es  wird 
somit  mehr  als  ein  Drittel  der  Wärme  auf  Erwärmung  des  Rohres  ver- 
wendet, und  es  ist  demnach  durchaus  unzulässig,  ^  =  0  zu  setzen  und 
die  Formeln  13)  oder  14)  an  Stelle  der  Formel  12)  in  Anwendung  zu 
bringen. 

Ein  Versuch  die  Formel  12)  zur  Berechnung  eines  praktischen  Bei- 
spieles zu  verwenden,  fahrt  zu  ganz  ungünstigen  Resultaten.  Die  Ur- 
sache liegt  zum  Theil  in  der  Unzulänglichkeit  der  dieser  Gleichung  zu 
Grande  liegenden  Voraussetzungen,  zum  weitaus  grösseren  Theile  jedoch 


476 


II.    Thermochemie. 


in  anderen  Umständen,  die  nur  schwierig  in  Rechnung  gezogen  werden 
können,  nämlich  darin,  dass  jederzeit  ein  Theil  des  Polyers  anverhrannt 
bleibt  und  ein  nicht  zu  unterschätzender  Theil  der  Pulverg^ase  durcb 
den  Spielraum  zwischen  Oeschoss  und  Rohr  und  durch  das  Zfindloch 
entweicht. 

Von  dem  Einflüsse  dieses  störenden  Umstandes  kann  man  sich  leicht 
überzeugen,  wenn  man  die  mit  Hülfe  eines  ballistischen  Pendels  gemesse- 
nen  Anfangsgeschwindigkeiten  vergleicht,  welche  bei  wachsender  Pulver- 
ladung  genau  gleichen  Geschossen  ertheilt  worden  sind,  die  aus  einem 
bestimmten  Geschütze  geschleudert  wurden  i).    Das  Geschoss  wog  6,07  kg. 


Gewicht  der  Pulverladung 

Anfangsgeschwindigkeit 
des  Geschosses 

Arbeit,  welche  1  kg 
Pulver  geleistet  hat 

0,5     kg     ^ 

259  m 

53  854  kgm 

0,875  „ 

400  „ 

56  579    Q 

1,0       n 

423  „ 

55  364    „ 

2,0       „ 

526  „ 

42  804    „ 

3,0       „ 

566  „- 

33  041     „ 

Allerdings  wird  durch  eine  Vermehrung  der  Ladung  das  Yerhältniss 
des  Volumens  der  Pulvergase  am  Anfange  und  am  Ende  der  Bew^gang 
des  Geschosses  im  Röhre  geändert,  diese  Aenderung  ist  jedoch  bei  weitem 
nicht  gross  genug,  um  die  Abnahme  der  am  Geschosse  entwickelten  Ener 
giemenge  zu  erklären. 

Es  ist  Übrigens  bekannt,  dass  man  bei  sehr  starken  Ladungen  nicht 
unerhebliche  Pulvermengen  unverbrannt  in  geringer  Entfernung  Tor  der 
Mündung  des  Rohres  wiederfindet. 

Aus  einer  Büchse  geschossen  erlangte  durch  eine  Pulyermenge  too 
0,008  kg  eine  Kugel  von  0,0252  kg  Gewicht,  welche  im  Rohre  einoi 
Spielraum  von  0,0012  m  hatte,  eine  kinetische  Energie,  welche,  auf  dtf 
Kilogramm  Pulver  umgerechnet,  kaum  29000  kgm  beträgt.  Hit  einer 
Ladung  von  0,0045  kg  Pulver  erlangte  ein  Langblei  geschoss  tod 
0,110  kg  Gewicht,  Welches  den  Lauf  fast  ganz  dicht  abschloss,  eine  aif 
das  Kilogramm  Pulver  bezogene  lebendige  Kraft  von  55  700  kgm. 

Diese  Erörterungen  zeigen  deutlich,  welche  Umstände  vorzugsweise 
die  Veranlassung  sind,  dass  so  grosse  Differenzen  zwischen  den  Ergeb* 
nissen  der  Formeln  und  den  Versuchsresultaten  auftreten,  und  dass  mao 
mit  Rücksicht  hierauf  vollständig  berechtigt  ist,  die  Gorrectionsglieder 
zu  vernachlässigen,  durch  welche  sich  die  strengere  Formel  9)  von  der 
Gleichung  12)  unterscheidet. 

^)  Aide-memoire  i  l'nsage  des  ofBciers  d'artillerie.   AoBgabe  von  1856,  S.  922. 


D.    Die  Explosivkörper.  477 


5.   Noble's  und  Abel's  Theorie  der  Bewegimg  der 
Oescliosse  in  den  Kanonenrohren. 

Die  Theorie  von  Noble  und  Abel  geht  von  der  einfachen  Gl  aus  ins'- 
sehen  Gleichung  (Bd.  I,  Abschn.  IV,  G,  9,  S.  416): 


/ 


dO 
T 


ans,  welche  nur  die  eine  YoraaBsetznng  hat,  dass  der  ProcesB,  um  den 
es  sich  handelt,  ein  umkehrbarer  sei.  Für  die  Expansion  der  Gase  im 
Geschützrohre  wird  die  Znlässigkeit  der  Bedingung  der  Umkehrbarkeit 
des  Processes  angenommen.  Mit  Kücksicht  auf  die  unvermeidlichen  Gas- 
verluste, die  durch  das  Ausströmen  der  Pulvergase  durch  das  Zündloch 
and  durch  den  Zwischenraum  zwischen  Geschoss  und  Rohr  herbeigeführt 
werden,  kann  man  nicht  behaupten,  dass  diese  Voraussetzung  streng 
erfallt  sei.  Um  jedoch  für  den  Bau  empirischer  Formeln  einen  Anhalt 
zu  gewinnen,  kann  man  auf  dieser  Grundlage  Gleichungen  entwickeln. 

Wir  bezeichnen  das  Gewicht  der  gasförmigen  Yerbrennungsproducte 

mit  a  und  das  der  nicht  gasförmigen  mit  h,  ihr  Yerhältniss  —  mit  /),  die 

specifische  Wärme  dieser  nicht  gasförmigen  Bestandtheile  mit  A,  die  spe- 
cifischen  Wärmen  der  gasformigen  Bestandtheile  mit  Cp  und  c«.  Die  Tem- 
peratur im  Geschützrohre  vor  Beginn  der  Bewegung  des  Geschosses  sei 
Ji,  das  Volumen  der'gasigen  Bestandtheile  zur  gleichen  Zeit  sei  Vi.  Im 
Momente,  in  dem  das  Geschoss  die  Mündung  verlässt,  sei  die  Temperatur 
Tg,  das  Volumen  der  Pulvergase  v^\ 

Die  Wärmemenge  d  Q^  welche  in  einer  unendlichen  kurzen  Zeit  mit- 
getheilt  wird,  besteht  aus  mehreren  Theilen:  aus  der  Wärme,  welche  zur 
Erwärmung  der  h  Gewichtseinheiten  nicht  gasförmiger  Explosionsproducte 
um  d  T  dient,  die  Grösse  dieser  Wärmemenge  ist :  h  .  A  .  d  T,  ferner  aus 
der  Wärme,  die  dazu  dient,  die  gasförmigen  Explosionsproducte  um  d  T  zu 
erwärmen,  das  ist:  a.c^.d  T,  und  endlich  aus  der  zu  Arbeitsleistung  ver- 
wendeten Wärme  — - — =? • 

Führt  man  dies  in  die  Glausius^sche  Gleichung  des  zweiten  Haupt- 
satzes ein,  so  erhält  man: 


478  II.    Thermochemie. 

Bividirt  man  die  ganze  Gleichung  mit  a  nnd  führt  die  Bezeichnung 

ein,  herücksichtigt  femer,  dass  nach  dem  Aasdehnungsgesetze  Tollkom- 
mener  Gase  die  auf  einen  willkürlichen  Zwischenzostand  hezüglichen 
Grössen:  p,  v  und  T  durch  die  Gleichung 

p^ R 

T         V 

zusammenhängen  und  trennt  die  heiden  Glieder,  so  erhält  man: 

-(ß.l  +  c.).J  -Y  =  jJ  -JT- 

Ti  Vif 

Führt  man  die  Integration  aus,  so  ergiebt  sich: 

-(ß.X  +  c).  lognat  (^)  =  |  lognat  (^) 
oder  wenn  man  etwas  anders  schreibt: 

lognat 


m 


=  lognat 


m 


•    •    .    . 


15) 


Geht  man  von  der  Gleichheit  der  auf  gleiche  Basen  bezüglichen 
Logarithmen  zur  Gleichheit  der  Logarithmanden  iy>er  und  berücksichtigt 
die  bekannte  Relation  (Bd.  I,  III,  A,  7,  S.  253,  Gl.  20): 

R 


j  —  Cp  -^  Cp 


16) 


eo  erhält  man 


iJ.A  + 


Hieraus  ergiebt  sich  sofort: 


'\*p  —  «*» 


Cp—  C| 


t;,'\/J.X  +  e, 


17) 


Nun  ist  aber: 

Pi         v^      T, 

und  demzufolge: 

18) 


D.    Die  Explosivkörper.  4T9 

Beseichnet  nun  ferner  a  das  Verh&ltniM  des  Yolomens  der  nicbt 
gasförmigen  Explosionsproducte  zu  dem  Yolomen  der  Pal  Verladung,  Vi 
das  Voliimen  der  Ijadnng  and  v^  das  Yolamen  des  Gesohützrokres,  so  ist, 
wenn  man  die  Yolamver&nderangen  der  nicbt  gasformigen  Bestandtheile 
Temachlässigt: 

t;/  =  ri  (1  —  a) 19) 

und 

r,'  =  t?j  -—  a  .  t?i 20) 

Fährt  man  dies  ein,  so  erh&lt  man  die  Gleichang: 


Pi 


Vi  (1  —  a)]c,  +  X.ß 
Vi  —  a.vij 


21) 


nnd  diese  giebt  die  Besiebang  zwischen  p^  und  «2^  wenn  sieb  die  gas- 
förmigen Explosionsprodacte  im  Grescbützrobre  ausdehnen,  während  sie 
gleichzeitig  Arbeit  leisten  and  den  festen  Explosionsproducten  Wärme 
entziehen. 

Auf  Grund  ihrer  Yersuche  über  die  Explosion  von  Pulver  in  ge- 
sehloseenen  GefiLssen  setzen  Abel  und  Noble  ^)  in  dieser  Gleichung: 

c^  =  0,235 
c„  =  0,178 

Pq  =  6300  Atmosphären 
A  =  0,41 

ß  =  1,31, 
und  die  Resultate  der  Formel  stimmen  mit  den  Ergebnissen  von  Mes- 
sungen,  welche  in  England  bei  Schiessyersuchen  mit  Marinegeschützen 
angestellt  worden  sind,  ziemlich  gut  überein. 

Da  jedoch  bei  Ableitung  der  Formeln  weder  auf  die  Erwärmung  des 
Geschützrohres,  noch  auf  den  Yerlust  an  Energie  durch  das  Entweichen 
ton  Gasmassen  Rücksicht  genommen  ist,  so  dürfte  die  Uebereinstintmung 
mehr  eine  zuHlllige  sein,  und  der  Gleichung  kann  kein  grösserer  YiTerth 
beigelegt  werden,  als  der  Werth  einer  empirischen  Formel. 

Die  Temperatur  bestimmt  sich  aus  der  Formel  (man  sehe  Gl.  17); 


Cp-^e, 


Tt=  Tl.  K  0  —«))«.  +  /»•*    .     ,    .     .    .     22) 


»1  —  a  .  Vi 

•Diese  Gleichungen  gelten  unter  der Yoraüssetzung,  dass  die  Ladung 
bereits  verbrannt  ist,  ehe  das  Geschoss  bereits  merklich  begonnen  hat  im 
Rohre  seine  Anfangslage  zu  verlassen. 

Auch  die  vom  Pulver  geleistete  Arbeit,  wenn  sich  das  Yolamen  der 
Explosionsproducte  von  Vi  auf  ein  beliebiges  Yolnm  v^  expandirt,  kann 
leicht  gefunden  werden. 

^)  PhiUM.  Trassact.  Bd.  165  (1875),  On  fired  gunrpowder,  p.  129« 


480  IL  Thermochemie. 

Diese  Arbeit  L  ist  n&mlich  gleich  dem  bestimmten  Integrale: 


24) 


Führt  man  die  einfache  Integration  ans,  so  ergiebt  sich: 

Die  in  diese  Formel  eingehenden  Gonstanten  sind  schon  im  yorhe^ 
gehenden  mitgetheilt  worden.  Es  empfiehlt  sich  jedoch  auch  in  diesem 
Falle  die  von  einem  Kilogramm  Pulver  geleistete  Arbeit  za  bestimmen, 
und  man  setzt  deshalb: 

^^  =  6320  Atmosphären  =  6532  kg  pro  qcm. 

Die  grayimetrische  Dichte  des  Pulvers  wird  auch  hier  der  Ein&dh 
heit  wegen  gleich  der  Einheit  d.  h.: 

gesetzt. 

Will  man  die  dem  Geschosse  mitgetheilte  Anfangsgeschwindigkeit 
ermitteln,  so  bedient  man  sich  zu  diesem  Zwecke  der  Gleichung: 

worin  c  die  Geschwindigkeit  des  Geschosses,  m  seine  Masse  und  Xdie 
vorhin  bestimmte  Arbeitsgrösse  bezeichnet. 

Hieraus  ergiebt  sich,  wenn  G  das  Gewicht  der  Geschosse,  g  die  Be- 
schleunigung der  Schwere  ist,  für  die  Bestimmung  der  Geschwindigkeit« 
die  Formel: 


25) 


In  derselben  ist  K  das  Gewicht  des  zur  Ladung  verwendeten  Polven. 

In  dieser  Formel  hat  man  lediglich  das  Yolumenverhältniss  —  eia- 

zufahren,  welches  angiebt,  wie  viel  mal  grösser  das  Volumen  des  Geschdti- 
rohres,  als  das  der  Ladung  bei  den  betreffenden  Feuerwaffen  ist,  und  du 

Verhältniss  -7;  der  Gewichte  der  Ladung  und  des  Geschosses,  um  mit 

Hülfe  derselben  sofort  die  Anfangsgeschwindigkeit  c  bestimmen  zu  kör 
nen,  mit  welcher  das  Geschoss  die  Mündung  verlässt. 

Allerdings  gelten  die  oben  mitgetheilten  Constanten  für  cylindrisckes 
Pebblepulver ,  und  diese  werden  für  andere  Pulversorten  nicht  streng 
brauchbar  sein.  Höchst  wahrscheinlich  wird  es  aber  genügen,  das  kier 
gefundene  c  noch  mit  einem  Correctionsfactor  y  zu  multipliciren,  um  die 


D.   Die  Explosivkörper.  481 

Formel  anmittelbar  für  alle  Fälle  brauchbar  zn  machen.  Der  Werth 
von  y  scheint  nicht  unter  0,75  zu  sinken;  er  yariirt  jedoch  je  nach  der 
Qualit&t  des  verwendeten  Pulvers,  nach  dem  Gewichte  der  Ladung,  dem 
Gewichte  des  Geschosses  und  nach  der  Lange  des  Rohres,  in  dem  sich 
das  Geschoss  bewegt. 

Dieser  Correctionsfactor  ist  um  so  kleiner,  je  mehr  die  Rohrlänge 
zunimmt,  weil  mit  der  Lange  des  Weges,  den  das  Geschoss  im  Rohre 
zurücklegt,  auch  die  auf  Erwärmung  des  Geschützrohres  verwendete 
Wärmemenge  und  die  Quantität  des  verloren  gehenden  Gases  an  Grösse 
zunimmt;  diese  Wärmemenge  aber  wird  dem  in  Arbeit  verwandelbaren 
Energiewerthe  der  Explosionsproducte  entzogen. 

Nicht  ohne  Interesse  ist  es  auch  die  Maximftlarbeit  zu  bestimmen, 
welche  das  Pulver  zu  leisten  im  Stande  wäre,  wenn  die  Yerbrennungs- 
producte  auf  ein  unendlich  grosses  Volumen  expandirt  werden  könnten. 

In  diesem  Falle  müsste  man  in  Gleichung  23)  von  v^  bis  oo  integriren. 
Es  ist  aber: 


00 


L  max.  = 


c„  +  ^ .  A 


«> 


dv 


»1  v\ 

Pi  .  Vi  .  (1  —  a)  .  (c,  +  /J  .  A) 


26) 


Wendet  man  die  von  Noble  und  Abel  gegebenen  Zahlwerthe  an, 
80  findet  man  auf  diese  Weise: 

L  max.  =  332000  Kilogrammeter 
für  Pebblepulver. 

Dieser  Werth  ist  allerdings  beträchtlich  grösser  als  die  von  Bunsen 
und  Schischkoff  für  Jagdpulver  gefundene  Zahl:  67  000  Kilogrammeter. 
Der  Unterschied  dürfte  aber  wesentlich  darin  zu  suchen  sein,  dass  diese 
beiden  letztgenannten  Forscher  den  ungemein  wichtigen  Einfluss  nicht 
genügend  beachtet  haben,  den  die  nicht  gasförmigen  Explosionsrück- 
stände  des  Pulvers  durch  ihre  Wärmeabgabe  während  der  Expansion  der 
Oase  ausüben,  und  dass  bei  ihren  Versuchen,  welche  die  Grundlage  für 
diese  2^hl  lieferten,  die  Explosion  nur  bei  Atmosphären  druck  stattfand. 

Ein  Kilogramm  reine  Kohle  würde  bei  seiner  Verbrennung  zu  Kohlen- 
säure bekanntlich  ungefähr  97000  Calorien  erzeugen,  und  diese  würden, 
wenn  es  möglich  wäre  dieselben  vollständig  in  Arbeit  umzuwandeln,  un- 
gefähr 3  400  000  Kilogrammeter  hervorbringen.  Während  aber  die  Kohle 
den  zu  ihrer  Verbrennung  nöthigen  Sauerstoff  der  Luft  entzieht,  enthält 
das  Pulver  den  zur  Oxydation  des  Kohlenstoffs  nöthigen  Sauerstoff  in 
ziemlich  kostspieliger  Form,  als  Salpeter.  Es  erscheint  daher  vom  wirth- 
ichaftlichen  Gesichtspunkte  aus  nicht  vortheilhaft  zu  versuchen,  für  andere 
als  ganz  besondere  Zwecke  Maschinen  zu  construiren,  welchen  ihre  bewe* 
gende  Kraft  durch  die  Entzündung  von  Schiesspulver  mitgetheilt^  wird, 

Btthlmftnn,  Meohim.  Wftnn«th«ori«.  Bd.  a.  81 


482  IL   Thermochemie. 


6.  Die  Versuche  über  die  Thätigkeit  des  Pulvers  in  den 

Gesohützrohren. 

Die  wichtigsten  Yersnche,  welchen  wir  unsere  Aufmerksamkeit  zu- 
nächst zuzuwenden  hahen,  sind  die  Messungen  des  Maximaldruckes,  den 
die  Explosionsproducte  des  Pulvers  in  einem  geschlossenen  Gefasse  her- 
vorzubringen vermögen. 

Der  Apparat,  dessen  man  sich  für  Anstellung  solcher  Versuche  be- 
diente, ist  schon  vorher  von  uns  beschrieben  und  in  Fig.  23  (Bd.  II,  S.  461) 
abgebildet  worden.  Die  Messung  des  Druckes  bot  selbstverständlich  er- 
hebliche Schwierigkeiten  dar,  da  die  sonst  üblichen  Druckmessvorrich- 
tungen  für  Drucke  von  mehreren  tausend  Atmosphären  nicht  mehr  an- 
wendbar sind. 

Als  einziges  leidlich  zuverlässiges  Hülfsmittel,  um  so  grosse  Drucke 
noch  messen  zu  können,  hat  sich  die  Grösse  der  Deformation  bewährt, 
welch»  weiche  Metalle  erfahren,  wenn  sie  erheblichen  Drucken  aas- 
gesetzt werden. 

Rodmann  ^)  Hess  von  dem  Drucke  der  Pulvergase  einen  Stahlmeissel 
in  eine  Eupferplatte  treiben  und  bestimmte  hinterher  mit  der  hydrau- 
lischen Presse,  welcher  Druck  erforderlich  war,  um  eine  gleich  grosse 
Wirkung  hervorzubringen. 

Noble  ^)  construirte  einen  Druckmesser  („crusher  gauge^  genannt), 
welcher  auf  der  Zusammendrückung  und  Deformation  eines  weichen  Eupfe^ 
cylinders  beruhte.  Zur  Beurtheilung  des  ausgeübten  Druckes  wurden 
ähnliche  Kupfercylinder  einer  Reihe  von  Versuchen  unterworfen,  bei  wel- 
chen man  dieselben  mit  einer  Quetschmaschine  verschieden  stark  zosam- 
menpresste  und  gleichzeitig  neben  der  Grösse  der  bleibenden  Zosam- 
menpressang  direct  die  Grösse  des  dazu  erforderlichen  Druckes  maass. 
Die  erhaltenen  Resultate  stellte  er  aber  in  einer  Tabelle  zusammen  und 
ermittelte  aus  der  beobachteten  Zusammendrückung  den  stattgefundenen 
Druck  durch  Interpolation. 

De  Montluisant  und  de  Reffye ')  Hessen  durch  den  Druck  der 
Explosionsproducte  des  Pulvers  einen  Bleicylinder  in  eine  konische  Röhre 
hineinpressen  und  bestimmten  dur^h  Vergleich  der  Länge  des  bei  einem 
Versuche  erzielten  Bleiconus  mit  der  Länge  solcher  Bleikegel,  welche 
durch  bekannte  Drucke  hergestellt  worden  waren,  den  Betrag  des  aus- 
geübten Druckes. 

Die  umfänglichsten  Versuchsreihen  sind  mit  dem  von  Noble  con- 
struirten  Apparate  von  diesem  selbst  und  dem  englischen  Committee  on 


')  Rodmann,  Dingler*s  Journal  Bd.  107,  S.  21. 

2)  Noble,  Philos.  Transact.  Bd.  165  (1875),   S.  62. 

3)  De  Montluisant  und  de  Reffye,  Comptes  rendus  Bd.  74,  S.  834. 


D.    Die  Explosivkorper.  483 

ExploBiTea  angestellt  worden.  Wir  bcBchränken  nna  daher  dsraaf,  diese 
Vorrichtung  hier  Rbznbilden  nnd  kurz  zu  beBchreiben.  Dieselbe  bestehf, 
wie  Fig.  24  und  25  zeigt,  ans  einem  hohlen  Btählemen  Schrauben  bolzen, 
In  dessen  Hohlraum  Cylinder  aus  weichem  Kupfer  oder  Blei  eingesetzt 
Fig.  24.  Fig.  25.  werden  können.     Den   Zugang  zu 

diesem  Hohlräume  verachlieRSt  ein 
beweglicher  Stempel  CC.  Der  Zu- 
tritt von  Gasen  wird  verbindert 
dnrch  eine  Dichtungsscheibe.  Die 
eine  Fläcbe  des  zusammen  zu  pres- 
senden Kupfercylinders  B  ruht 
auf  dem  Ambos  A,  welcher  den 
Hohlraum  des  Schrauben  bolzen  s 
abschliesst.  Im  Ambos  selbst  belin- 
den sieb  bei  A'  und  B'  vier  Durch- 
bohrungen ,  welche  während  der 
Compression  des  Kupfercylinders 
der  neben  demselben  befindlichen 
Luft  in  den  weiten  Hohlraum  H 
zu  entweichen  gestatten;/,/ sind, 
wie  dies  noch  besser  Fig.  26 
im  Graudriss  zeigt,  Stahlfedern, 
welche  den  Cylinder  B  in  der  Kam- 
mer centriren.  In  Fig.  23,  S.  461 
P'g-  2«-  sieht  man,  auf  welche  Weise  ein 

O,.  solcher  Druckmesser  im  Explosions- 

gefasse  befestigt  ist    Er  liegt  dort 
eingebett&t  in  die  grosse  conische 
Schraube  K. 
Mit  Hülfe  solcher  Apparate  haben  nun  Noble  und  Abel  eine  um- 
&igUche  Untersnchung  über  die  Grösse  des  Dmckes  angestellt,  den  die 
Explosion sproducte  des  Pulvers  hervorbringen,  wenn  das  Pulver  das  Ex- 
plosion sgefaas  anfangs  vollständig  oder  nur  theilweise  ausgefüllt  hatte. 
Nimmt  man  die  mittlere  gravimetrische  Dichte  des  Pulvers  gleich  1  an, 
so'  ist  demnach  die  Dichte  der  Explosionsproducte  gleich  1 ,   wenn  der 
geaammte  Hohlranm  des  Explosionsgefasses  anfönglicb    vollständig  mit 

Pulver  erfüUt  war;  die  Dichte  ist  gleich  — ,    wenn  die   zur  Entzündung 
gelangende  Pulvermenge  nur  den  nten  Tbeil  dieses  Raumes  ans  füllt. 

Nachstehende  Tabelle  giebt  die  von  zufälligen  Beobachtnngsfehlem 
bereite  befreiten  Resultat«  dieser  Messungen: 


484 


n.   Thermocfaemie. 


Maximaldrncke   der   Explosionsproducte   des   Palvers  in 
geschlossenen  Gefässen  nach  Noble  und  Abel. 


Druck  für  Anwendung 

von 

Mittlere  Dichte  der  Explo- 
sionsproducte im  Gefiüse 

Pebblepulver  u.  grobkörnigem 
Gewehrpulver   aus   Waltham 
AbbeyJ) 

feinkörnigem  Pulver  aiu 
Waltham  Abbey^ 

0,05 

107  Atmosph. 

107Atmotph. 

0,10 

224 

» 

224 

n 

0,15 

355 

n 

355 

!f 

0,20 

496 

n 

497 

n 

0,25 

649 

r> 

650 

n 

0,30 

812 

n 

812 

1» 

0,35 

988 

» 

988 

» 

0,40 

1180 

n 

1179 

ff 

0,45 

1392 

1) 

1387 

ff 

0,50 

1628 

n 

1614 

ff 

0,55 

1893 

n 

1863 

ff 

0,60 

2191 

n 

2136 

ff 

0,65 

2528 

rt 

2445 

ff 

0,70 

2907 

n 

2790  * 

ff 

0,75 

3333 

n 

3179 

ff 

0,80 

3812 

n 

3613 

ff 

0,85 

4346 

n 

4096 

ff 

0,90 

4943 

» 

4632 

n 

0,95 

5608 

» 

5190 

V 

1,00 

6350 

n 

5870 

ff 

Da  nach  Yersachen,  welche  in  England  das  Committee  on  Exploairefl 
angestellt  hat,  die  Zeit,  welche  in  einem  geschlossenen  Ranme  befiod- 
liches  Pulver  zu  seiner  vollständigen  Verbrennung  braucht,  sehr  ku«  ist 
(bei  grobkörnigem  Gewehrpulver  0,00128  Secunden,  bei  PebblepulTer 
0,0052  Secunden),  so  wird  die  Verminderung  des  Druckes  durch  Abgabe 
von  Wärme  an  die  GefösBwände  nicht  sehr  erheblich  sein.  Ware  dieser 
Einfluss  sehr  merklich,  so  müssten  bei  den  beiden  letztgenannten  Pnlrer- 
arten,  deren  Entzündungsgeschwindigkeiten  sehr  verschieden  gross  sind, 
grössere  Unterschiede  auftreten,  und  es  würden  in  der  ganzen  Versoeb- 
reihe  die  indicirten  Drucke  nicht  vollständig  übereinstimmend  gefooden 
worden  sein. 


M  Noble  und  Abel,  Fired  gunpowder.     Philos.  TransacU  Bd.  165  (1875),  &  104. 
^)  A.  a.  0.  S.  97. 


.J 


D.    Die  Explosivkörper.  485 

Nur  die  kleinsten  Drucke  bei  den  sohwächsten  Ladungen  sind  höchst 
wahrscheinlich  zu  niedrig  gemessen  worden;  einmal  weil  dort  die  ab- 
kQhlende  Oberfläche  im  Yerhältniss  zur  Ladung  grösser  ist,  und  dann 
weil  bei  geringen  Drucken  die  Verbrennung  erfahrungsmässig  viel  lang- 
samer vor  sich  geht,  als  bei  hohen  Drucken. 

Die  soeben  mitgetheilten  Yersuchsresultate  stimmen  mit  den  Beob- 
achtungen überein,  welche  das  Committee  on  Explosives  unter  dem  Vor- 
sitze des  Oberst  Jounghusband  über  die  in  Kanonenrohren  auftreten- 
den Drucke  angesteUt  hat.  Diese  höchst  interessanten  Untersuchungen 
sind  nach  zwei  wesentlich  verschiedenen  Methoden  angestellt  worden. 
Es  wurde  nämlich  der  Druck  des  Gases  unmittelbar  an  verschiedenen 
Stellen  der  Geschützläufe  während  der  Bewegung  des  Geschosses  im 
Rohre  bestimmt.  Ausserdem  beobachtete  man  aber  auch  die  Zeit,  zu 
welcher  das  Geschoss  bestimmte  Stellen  des  Laufes  passirte  und  ermittelte 
hieraus  die  Geschwindigkeitsänderung  des  Geschosses  von  seiner  Anfangs* 
läge  an  bis  zur  Mündung.  Durch  Rechnung  konnte  man  hieraus  die 
Drucke  bestimmen,  welche  hinter  dem  Geschosse  herrschen  mussten,  um 
die  beobachteten  Geschwindigkeitsänderungen  hervorzubringen. 

Zur  Bestimmung  der  Drucke  diente  der  soeben  von  uns  beschriebene 
und  abgebildete  Apparat  (crusher  gauge)  von  Noble.  Zur  Ermittelung 
der  Geschwindigkeit  diente  ein  für  diesen  Zweck  besonders  con6truii*te8 
Chronoskop. 

Die  Fig.  29  giebt  eine  Vorstellung  von  diesem  eigenthümlichen 
Apparate  und  dessen  Verbindung  mit  den  am  Geschützrohre  angebrach- 
ten Einrichtiugen. 

Der  Haupttheil  des  Chrouoskopes  besteht  aus  einer  Anzahl  dünner 
Scheiben,  welche  auf  einer  Axe  befestigt  sind  und  durch  ein  Uhrwerk  in 
ausserordentlich  rasche  und  möglichst  gleichförmige  Umdrehung  versetzt 
werden.  Ein  in  geeigneter  Weise  mit  diesen  Scheiben  verbundenes  Zähl- 
werk gestattet  genau  die  Zahl  der  Umdrehungen  und  damit  die  Ge- 
schwindigkeiten zu  bestimmen,  mit  der  sich  die  Umfange  der  Scheiben 
bewegen. 

Die  Peripherie  der  Metallscheiben  sind  mit  präparirtem  Papier  über- 
zogen und  stehen  mit  der  Inductionsrolle  eines  Ruhmkorf fischen  Appa- 
rates in  Verbindung  ^) ,  während  das  andere  Ende  des  Drahtes  der  In- 
ductionsspirale  zu  einem  kleinen  Metallstifte  führt,  welcher  dicht  vor 
dem  Umfange  der  Metallscheibe  liegt.  Der  Draht  der  inducirenden  Rolle 
steht  einerseits  mit  einer  Batterie  von  genügender  Stärke  und  anderer- 
seits mit  einer  Vorrichtung  in  Verbindung,  die  von  der  Seite  her  an  der 
Stelle  in  das  Geschützrohr  eingeschraubt  wird,  an  welcher  die  Zeit  des 
Vorüberganges  des  Geschosses  bemerkt  werden  soll. 

Im  Moment,  in  dem  das  Geschoss  den  Ort  berührt,  an  dem  ein^  sol- 
cher Cylinder  in  das  Geschützrohr  eingeschraubt  ist,  wird  der  Strom  in 


^}  Genaueres  sehe  man:  Dingler's  Journal  Bd.  195,  S.  52,  und  Bd.  202,  S.  338. 


486  n.  ThermocLemie. 

der  indaclrenden  Spirale  dadurch  uoterbrochen,  dass  der  Draht  zer- 
schnitten wird.  Fig.  27  nnd  28  erklärt  den  Mechauiarnns  dieser  Vor- 
richtung.   Im  Axenschnitte  Fig.  27  iet  ji  du  in  der  Richtnng  des  Pfeilea 

Fig.  27. 


sich  hevegende  GeschoSB,  B  die  Wand  des  GeschOtzes.     Der  in  Fig.  27 

vom  GescbosBe  noch  nicht  berührte  Cylinder  seigt  die  AnfangBstelluDg  dn 

KUppe,  welche  das  Abecheeren  des  Drahtes  bewirkt.    Fig.  28  stellt  einen 

Fig,  28.  ^^'  Kobraxe  senkrecht  stehenden  Verticsl- 

durchschnitt  durch  einen  solchen  Apptnt 

Im  Momente,  in  dem  daa  Geschoss  die  in 
a  drehbara  El&ppe  2>  niederdrückt,  wird 
der  primäre  Strom  des  RuhmkorffBehen 
Apparates  unterbrochen  und  swischen  der 
Peripherie  der  rotireuden  Scheibe  S  and 
dem  vor  derselben  befindlichen  Stifte  T 
springt  ein  Inductionsfonken  über,  wel- 
cher anf  dem  den  Umfang  der  Scheibe 
umkleidenden  Papiere  eine  sichtbare  Spnr 
znrücklässt. 

Erreicht  das  Geschoss  einen  x<reit«D 
solchen  Cjlinder,  so  geschieht  dssaelbe, 
und  auf  der  benachbarten  Scheibe  aeichnet 
sich  ein  zweiter  Punkt  ab  u.  s.  f. 

Jede  Scheibe  steht  mit  einem  besoade- 

ren  Cylinder  in  Verbindung  und  besitzt  einen  eigenen  Ruhmkorff  Kbeo 

Apparat  nebet  Batterie. 


D.    Die  Explosivkörper.  487 

Hat  das  Geschoss  die  Mündung  Yerlassen,  so  arretirt  man  das  Uhr- 
werk, welches  die  Scheibenaxe  des  Chronoskopes  bewegt,  und  sucht  die 
Fankenstellen  auf  der  Peripherie  auf.  Aus  der  Stellung  dieser  Punkte 
auf  den  yerschiedenen  Scheiben  zu  einander  lässt  sich  dann  mit  Hülfe 
der  bekannten  Umdrehungsgeschwindigkeit  der  Scheibe  die  Zeit  bestim- 
men, welche  das  Geschoss  zur  Zurücklegung  des  Weges  yon  einem  Cy- 
linder  zum  anderen  in  dem  Geschützrohre  gebraucht  hat. 

Die  grössten  Differenzen ,  welche  auf  diese  Weise  bei  zwei  ganz 
gleichen  Ladungen  gemacht  worden  sind,  betrugen  6  Procent.  Dies  be- 
dingt aber  für  derartige  Versuche  jedenfalls  eine  vollkommen  genügende 
Genauigkeit. 

Fig.  29  (a.  f.  S.)  giebt  eine  Vorstellung  von  der  Anordnung  des 
Apparates.  Von  dem  als  Ghronoskop  dienenden  Rotationsspparat  3)  ist 
allerdings  nur  die  Welle  MM  mit  den  Scheiben  Si  Sa  . . .  Sio  gezeichnet, 
hingegen  ist  der  die  gleichförmige  Rotation  bewirkende  Mechanismus, 
sowie  das  Zählwerk  nicht  mit  abgezeichnet^). 

9  ist  ein  Längsschnitt  durch  das  Geschützrohr,  hierin  iist  B  die 
Geschützwand,  P  die  Pulverladung,  G  das  Geschoss,  bei  a,  5,  c  sind  Druck- 
messapparate  (crusher  gauges)  eingesetzt.  In  die  in  die  Laufwandung 
eingebohrten  Löcher  1,  2,  3  ...  bis  18  können  je  nach  Bedüifniss  Chro- 
noskopcylinder  oder  ebenfalls  Druckmessapparate  (crusher  gauges)  ein- 
gesetzt werden.  Der  Chronoskopcylinder  6  z.  B.  ist  mit  dem  zu  ihm 
gehörigen  Ruhmkorf fischen  Apparate  93  und  mit  der  Batterie  @,  das 
Inductoiium  93  mit  dem  vor  der  Scheibe  Sj  stehenden  Stifte  T^  ver- 
banden. 

Die  Resultate,  die  man  aus  den  Angaben  der  Druckmesser  und  von 
den  Ablesungen  am  Chronoskope  herleitet,  stimmen  zwar  leidlich  aber 
nicht  vollkommen  überein.  Dies  rührt  jedenfalls  davon  her,  dass  die 
Entzündung  des  Pulvers  doch  immerhin  eine  gewisse  Zeit  zu  ihrer  Voll- 
endung braucht  und  nicht  ganz  gleichmässig  nach  den  verschiedenen 
Richtungen  hin  fortschreitet.  Es  entsteht  eine  Wellenbewegung  nach 
vor-  und  rückwärts  in  den  Explosionsproducten,  welche  so  lange  dauert, 
als  das  Gepchoss  sich  überhaupt  im  Geschützrohre  bewegt.  Zumal  bei 
sehr  rasch  verbrennendem  (brisantem)  Pulver,  in  geringerem  Maasse  bei 
den  langsamer  sich  entzündenden  Pulverarten,  erkennt  man  aus  den  An- 
gaben der  Chronoskope,  und  auch  aus  den  Ablesungen  an  den  Druck- 
mesavorrichtungen ,  dass  die  Geschwindigkeitsänderung  des  Geschosses 
derartig  erfolgt,  als  erhielte  das  Projectil  eine  Anzahl  einzelner  Stösse, 
nicht  aber  derartig,  als  würde  das  Geschoss  von  einem  wie  hochgespannter 
Dampf  sich  gleichförmig  expandirenden  Gase  fortgeschoben. 


^)  Die  Abbildung  ist  der  Abhandlung  Ton  Koble  und  Abel  entnommen:  Ou  Hred 
gunpowder.    Philos.  Transact.  Bd.  165  (1875),  Tafel  18. 


IL  Tbermocbemie. 


D.    Die  Exploaivkörper. 


489 


Die  Einwirkung  solcher  einzelnen  Stösse  von  ungemein  geringer  Dauer 
zeigt  sioh  deutlich  in  den  Differensen,  welche  zwischen  den  Ablesungen 
an  den  in  den  Geschützlauf  eingeschraubten  Druckmessapparaten  und 
den  ans  den  Angaben  des  Chronoskopes  berechneten  Drucken  bestehen. 

Die  Druckmessapparate  gestatten  nfimlich  die  Maxima  abzulesen, 
welche  aufgetreten  sind,  und  die  am  Ghronoskope  abgelesenen  Geschwin- 
digkeiten sind  gewissermaassen  die  Integrale  über  die  einzelnen  dem 
Projectile  mitgetheilten  Stösse. 

Bei  langsam  yerbrennenden  Pulverarten  ist  eine  derartige  Entste- 
hung von  Wellenbewegungen  in  den  Explosionsproducten  in  geringerem 
Grade  beobachtet  worden,  dann  stimmen  nämlich  (ausgenommen  den 
FaU,  dass  aussergewöhnlich  schwere  Geschosse  angewendet  wurden)  die 
Angaben  des  Drnckmessapparates  und  des  Chronoskopes  bis  auf  5  bis  7  Proc. 
mit  einander  überein. 

Nachstehende  Tabelle  enthält  die  Beobachtungsresultate ,  die  sich 
bei  einem  derartigen  Versuche  aus  den  Ablesungen  am  Ghronoskope  er- 
geben haben. 

Versuch  mit  einem  10  Zoll  (18  Tonnen)  Geschütz. 

Gewicht  des  Pulvers  (Pebble)  31,75  Kg.    Gewicht  des  Geschosses  1 3 6,05  Kg. 
Geschwindigkeit,  mit  der  das  Projectil  die  Mündung  verlässt,  465,4  m. 


Vom  Projectil  im 

Rohre  zarückgelegter 

Weg 


Zeit,  welche  das  Ge- 
schoss  z.  Zurücklegen 
dieses  Weges  brauchte 


Mittlere  Geschwindig- 
keit zwischen  den 
Beobachtungsstellen 


Druck  in  Atmosphären 
an  der  Beobachtungs- 
stelle 


0,000  m 

0,018 

0,079 

0,140 

0,201 

0,262 

0,323 

0,445 

0,567 

0,689 

0,811 

1,055 

1,298 

1,542 

2,030 

2,518 


0,0000  See. 

0,0027 

0,0038 

0,0043 

0,0046 

0,0050 

0,0052 

0,0057 

0,0062 

0,0066 

0,0069 

0,0076 

0,0083 

0,0089 

0,0101 

0,0112 


6,7  m 
55,8 
118,3 
171,3 
199,9 
221,0 
249,9 
281,6 
304,8 
324,6 
346,9 
370,3 
388,0 
409,0 
482,2 


928  Atmosph. 
2442 
2734 
2575 
2240 
1994 
1725 
1503 
1326 
1178 

975 

836 

723 

565 

455 


49Q  II.    Thermochemie. 

Man  ersieht  ans  diesen  Versuchen  sehr  dentlich,  dass  die  Yerhren- 
nong  des  Pulyers  noch  nicht  Yollständig  beendet  ist,  ehe  das  ProjecÜl 
merklich  seine  Anfangslage  verlassen  hat,  sondern  dass  erst,  nachdem 
das  Oeschoss  einen  Weg  yon  ungefähr  0,15  m  im  Laufe  zurückgelegt  hat, 
der  Maximaldruck  erreicht  wird« 

Könnte  man  die  Abhängigkeit  zwischen  dem  vom  Geschosse  zurück- 
gelegten Wege  8  und  der  seit  dem  Beginn  der  Bewegung  verflossenen 
Zeit  t  in  der  Form: 

s=/(0 

darstellen,  so  würde: 

-  =  Tt  =-^'<'> 27) 

die  Geschwindigkeit  des  Geschosses  im  Abstände  s  von  seiner  Anfangs- 
lage und 

.   ^  =  7- 1^  =  7  •^"« ^" 

den  Druck  an  dieser  Stelle  darstellen,  wenn  to  das  Gewicht  des  Pro- 
jectiles  und  g  die  Beschleunigung  der  Schwere  bedeutet.  Es  ist  jedoch 
Noble  und  Abel  nicht  gelungen  den  ganzen  Verlauf  der  Beobachtungen 
durch  eine  einzige  empirische  Formel  auszudrücken  ^). 

Für  andere  Pulverarten  und  andere  Geschütze  sind  von  dem  eng- 
lischen Gommittee  on  Explosives  ebenfalls  ähnliche  Versuchsreihen  an- 
gestellt worden,  wie  die  vorher  beschriebenen  mit  Pebblepulver;  dieselbeD 
haben  in  der  Hauptsache  gleichartige  Ergebnisse  geliefert,  bezüglich 
deren  wir  jedoch  auf  die  Originalabhandlungen  verweisen  müssen,  da 
uns  lediglich  die  physikalische  und  chemische  Seite  dieser  Fragen  in- 
teressirt  *). 


7.  Vergleioli  der  Versuohsresultate  mit  den  fheoretisclien 

Formeln. 

Im  Nachstehenden  wollen  wir  die  wesentlichen  Theile  der  Theorie 
von  Buusen  und  Schischkoff,  von  St.  Robert  und  von  Abel  und 
Noble  mit  den  Versuchsresultaten  vergleichen. 

Der  Grundgedanke  der  Theorie  von  Bunsen  und  Schischkoff  üher 
die  Thätigkeit  des  Schiesspulvers  in  den  Feuerwaffen,  obgleich  sie  diesen 


^)  Für  das  erste  Viertel  des  Weges ,  auf  dem  das  Dnickmaximum  liegt,  ist  es  ge- 
langen durch  einen  Ausdruck  von  der  Form: 

,  =  «.««  +  /»•'  +  >'•'•. 

3)  Man  sehe  Noble  u.Abel,  On  fired  gunpowder.   Philos.  Transact.  Bd.  165  (1875), 
S.  117  u.  B.  f. 


D.    Die  Explosiykörper.  491 

Gegenstand  nur  nebenbei  berührt  haben,  liegt  darin«  dasB  sie  auf  Grund 
ihrer  Versuche  annehmen,  nur  ein  Theil  der  Explosionsproducte  des 
Pulvers  befinde  sich  im  gasförmigen  Zustande,  und  die  dem  Geschosse 
mitgetheilte  kinetische  Energie  rühre  lediglich  von  der  Expansion  des 
gasförmigen. Theiles  der  bei  der  Entzündung  des  Pulvers  entstehenden 
Producta  her;  sie  setzen  femer  in  einer  ersten  Annäherung  voraus,  dass 
diese  Ausdehnung  der  Pulvergase  längs  einer  adiabatischen  Curve,  also 
ohne  Aufnahme  oder  Abgabe  von  Wärme  stattfinde. 

Bezeichnet  man  nun,  wie  bisher  mit  t/  das  Volumen  der  Pulvergase 
im  Geschützrohre  in  irgend  einem  Augenblicke  und  mit  v^  das  Anfangs- 
volumen der  Pulvergase,  ist  femer  j>  der  Druck  in  dem  Momente,  in  dem 
das  Gasvolum  v*  ist  und  pi  der  Anfangsdruck,  so  würde  nach  dieser 
Theorie  p  durch  die  Poisson'sche  Formel: 

dargestellt  werden. 

Bezeichnet  nun  a  das  Verhältniss  der  gasförmigen  Explosionsproducte 
zu  den  nicht  gasförmigen  in  dem  Momente,  in  dem  das  Geschoss  sich  zu 
bewegen  beginnt,  und  nimmt  man  an,  was  allerdings  mit  den  thatsäch- 
lichen  Verhältnissen  nicht  voUkommen  übereinstimmt,  dass  das  Pulver  in 
diesem  Moment  bereits  vollständig  verbrannt  sei,  so  ist: 

^i'  =  ^1  .  (1  —  «)         v'  =^  V  —  a  .  Vi, 

Hierin  ist  t^i  =  1  der  von  der  Pulverladung  eingenommene  Raum  und  v 
das  hinter  dem  Geschosse  befindliche  Volumen  des  Rohres. 
Alsdann  erhält  man: 


^P 


p  =  p^   .  p-  (^  -  «)p 29) 

^        [v  —  a  .  i^iJ 
/  . 

Setzt  man  hierin  Pi  gleich  6320  Atmosphären,  gleich  dem  Druck, 
den  Noble  und  Abel  bei  Verbrennung  des  Pulvers  bei  constantem 
Volumen,  also  in  einem  vollständig  mit  Pulver  ausgefüllten  geschlossenen 
Räume  gefunden  haben,  und  nimmt  man  ferner  an,  was  sich  ebenfalls 
aus  den  Experimenten  der  eben  Genannten  ergeben  hat,  dass 

a  =  0,6 

ist;  hält  man  es  ferner  für  statthaft,  sich  bei  einer  derartigen  Rechnung 
der  für  gewöhnliche  Druck-  und  Volumen  Verhältnisse  gefundenen  mitt- 
leren specifischen  Wärme  zu  bedienen,  so  ist: 

c,  =  0,235         c,  =  0,178. 

Dies  giebt  in  die  Gleichung  29)  eingesetzt: 

/     0  4     \^'^^ 
p  =  6320  .  (     J^Qr,)       Atmosphären    ....     30) 


492  IL  Thermochemie. 

St.  Robert  setzt  in  einer  ganz* rohen  Annäherang,  deren  Unzu- 
länglichkeit er  selbst  beweist,  Yoraos,  dass  die  sämmtlichen  Ezplosions- 
producte  gasformig  seien,  und  dass  bei  so  hoher  Temperatur,  wie  die 
sind,  welche  in  Geschützen  die  Polyergase  voranssichtlich  annehmen,  die 
Gase  genaa  das  Gay-Lussac'sche  and  Mariotte'sche  Gesetz  erföUen, 
und  dass  der  Quotient  ihrer  specifischen  Wärmen  gleich  dem  bei  einem 

vollkommenen  Gase  also  ~  =  1,41  sei. 
Alsdann  wäre 

1^ 31) 


= -  ■  (?) 


wenn  man  von  der  Wärmeentziehnng  durch  die  Geschützwand,  welche 
während  der  Expansion  stattfindet,  absieht.  Setzt  man  hierin  die  yon 
uns  gewählten  Constanten  ein,  so  findet  man: 

1>  =  6320  .  (iY'*' 32) 

« 

In  der  von  Abel  und  Noble  entwickelten  Theorie  ist  bekanntlich 
darauf  Rücksicht  genommen,,  dass  während  der  Expansion  der  Gase  den 
festen  Explosionsproducten  Wärme  entzogen  wird;  hingegen  ist  die 
Wärmeentziehung  durch  die  Geschützwand  und  der  Verlust  an  Eneiigie 
durch  Gasausströmungen  etc.  unbeachtet  gelassen.  Ausserdem  ist  audi 
in  dieser  Theorie  vorausgesetzt,  dass  die  Gase  auch  unter  den  in  Ge- 
schützrohren herrschenden  Verhältnissen  den  bei  mittleren  Drucken  und 
Temperaturen  gültigen  Gesetzen  Folge  leisten. 

Die  unter  diesen  Annahmen  entwickelte  Formel  lautete: 

(1  —  "^nzm 33) 


^       ^}     \v  —  a  .Vi  l 


oder  nach  Einsetzung  der  auf  Seite  480  mitgetheilten  Gonstanten: 

0,4 


p  =  6320 


V  —  0,6 


1,08 

Atmosphären     •     •     •     •    34) 


Die  Uebereinstimmung  der  aus  diesen  Formeln  abgeleiteten  Drache 
mit  den  Ergebnissen  der  Beobachtungen  zeigt  nachstehende  Tabelle. 

Man  erkennt  hieraus,  dass  die  aus  Bunsen^s  und  Schischkoffs 
Anschauungen  hergeleitete  Formel  anfanglich  weitaus  am  besten  mit  den 
Erfahrungsresultaten  in  Uebereinstimmung  ist;  in  grösseren  Entfemongen 
von  den  Anfangslagen  des  Geschosses  jedoch  schliesst  sich  die  von  Noble 
und  Abel  gegebene  Formel  den  Versuchen  am  besten  an.  Diese  letzteren 
dürften  daher  überall  da,  wo  es  sich  um  Rechpungen  bei  nicht  sehr 
kurzläufigen  Feuerwaffen  handelt,  also  für  die  meisten  Fälle  der  Praxis, 
die  besten  Dienste  leisten. 


D.   D 

e  Explosivkörper. 

493 

HiUlitre  Dichte 

der  Eiplwioni- 

proJucte 

Beobachtet« 
Drucke  in  eioem 
18  Tonn.  GeschiiU 

Bere 

nach  Bunsen  ond 

Schiuhkoff 

Gl.  30 

chcete  Druck 

nach  St.  Robert 
Gl.  32 

p«ch  Abel  and 
Noble 
Gl.  34 

1,0 

„ 

6320Attno.ph. 

6320  Atmosph. 

aseo  Atmosph. 

0,9 

3099  Atmosph. 

4592 

5448 

4848 

0,8 

2590 

3330 

4593 

3740 

0,7 

2I3B 

2416 

3822 

2877 

0,6 

1725 

1771 

3078 

2190 

0,5 

1351 

1209 

2378 

1632 

0,4 

1013 

80B 

1736 

1174 

0,3 

711 

500 

1156 

793 

0.2 

44S 

267 

653 

474 

0.1 

- 

98 

246 

209 

NachBteheodes  Diagramm,  Fig.  30,  gestattet  die  beobocliteteD  nad 
die  berechneteD  Werthe  beqaem  mit  einander  zu  vergleichen. 


Die  rcTticalen  Ordinaten  tind  Drucke  in  Atmoaphären ,  die  h 
Dichten  der  ErplosioDiproducte.  Die  oberste  Curve  reprSnen 
xwischen  Druck  und  Dicht«  nach  Gleichung  32  (St.  Robert) 
chung  34  (Nobte  D.  Abel).  Die  punhtirte  Linie  stellt  die; 
cbung  SO  (Bnnien)  and  die  gestrichelte  Cnrre  die  in  eiof 
beobachteten  Werthe  dar. 


494  n.   Thermochemie. 


8.  Schiesspulver  mit  abweichenden  Zusammensetzungen. 

/ 

Da  wir  uns  im  Vorhergehenden  nnr  mit  denjenigen  explosiven  Ge- 
mischen heschäftigt  haben,  welche  für  gewöhnlich  -  nnier  dem  Namen 
Schiesspulyer  für  Militärzwecke,  für  industrielle  Arbeiten  in  Erde  und 
Stein  bei  Sprengungen  vorzugsweise  Anwendung  finden,  so  ist  noch  eine 
Anzahl  sehr  ähnlicher  Gemische  übrig  geblieben,  deren  Zusammensetznng 
zwar  eine  abweichende,  deren  Wirkung  aber  auf  Vorgängen  beruht,  welche 
den  bei  gewöhnlichem  Pulver  besprochenen  ausserordentlich  ähnlich  sind. 

Zunächst  hat  man  den  Kalisalpeter  durch  den  billigeren  Natron- 
salpeter ersetzt,  im  Uebrigen  aber  die  Mischungsverhältnisse  beibehalten^ 
so  dass  zur  Verbrennung  des  Schwefels  und  Kohlenstoffs  die  gleiche 
Sauerstoffmenge  zur  Verfügung  stand  ^).  Bei  gleichen  Aequivalenten 
muss,  da  die  Wärmetönungen  für  die  Kali-  und  Natronsalze  nicht  merk- 
lich verschieden  sind,  die  gleiche  Wärmemenge  bei  der  Entzündung 
erzeugt  werden,  und  ebenso  wird,  da  man  wohl  berechtigt  ist  eine  gleiche 
Zersetzungsweise  dieses  Pulvers  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  vor- 
auszusetzen ,  die  pro  Aequivalent  entwickelte  Gasmenge  die  gleiche  sein. 
Bezieht  man  jedoch  diese  beiden  maassgebenden  Zahlen  auf  gleiche  Ge- 
wichte, so  stellen  sich  für  Natronpulver  die  Verhältnisse  wesentlich  gün- 
stiger, da  das  Atomgewicht  des  Natriums  erheblich  kleiner,  als  das  des 
Kaliums  ist  *^). 

Hatte  man  die  EIrsetzung  des  Kalisalpeters  im  Schiesspulver  durch 
Natronsalpeter  wohl  wesentlich  aus  Gründen  der  Wohlfeilheit  in^s  Ange 
gefasst,  so  hatte  die  Ersetzung  der  salpetersauren  Salze  durch  chlorsaure 
und  überchlorsaure  Salze  vorzugsweise  den  Zweck  Pulversorten  hem- 
stellen,  welche  leichter  entzündlich  waren,  und  welche  durch  raschere 
Abbrennung  heftigere  Wirkungen  hervorbringen.  Aus  dem  Vergleich 
der  Atomgewichte  ergiebt  sich  leicht,  dass  die  Ghlorate  auf  gleiche  Ge- 
wichtsmengen zwar  weniger  Sauerstoff  enthalten  als  die  Nitrate,  bekannt- 
lich geben  aber  die  ersteren  ihren  Sauerstoff  viel  leichter  ab,  als  die  leti- 
teren.  —  Die  unter  Zumischung  von  Chloraten  hergestellten  Palversorten 
zeichnen  sich  daher  durch  sehr  brisante  Wirkungen  aus. 

Berthelot  ^)  nimmt  für  ein  Ghloratpnlver  folgende Zosammensetsang 
nach  Gewichtstheilen  an: 


^)  Zumal  bei  den  Arbeiten  am  Saezcanal  ist  mit  einer  wesentlichen  Kostenerspanifl 
Natronpulver  mit  Erfolg  verwendet  worden.  Leider  stellt  sich  einer  ausgedehntere» 
Verwendung  die  grosse  Hygroskopicität  dieses  Pulvers  entgegen. 

^)  Genaueres  über  die  in  der  Praxis  verwendeten  Misch ungsverbUtnisse  und  fiher 
die  Ersetzung  des  Kalisalpeters  durch  Barytsalpeter  sehe  man:  E.  v.  Meyer,  Die  Ei' 
plosivkörper  (Handbuch  der  chemischen  Technologie  von  Bolley-Birnbanm,  Bd.  6, 
dritte  Gruppe,  Abtheil.  2),  Braunschweig,  Vieweg  u.  Sohn  1874,  S.  5  bis  8. 

^)  Berthelot,  Memoire  sur  la  force  de  la  poudre  et  des  matiires  explosites. 
Ann.  d.  chim.  et  d.  phys.   4.  Serie.  Bd.  23,  S.  242. 


D.  Die  Explosivkörper.  495 

Ealiamchlorat  ....     75,0 

Schwefel 12,5 

Kohle 12,5 

und  glauht,  dass  dieses  Gemisch  und  seine  Zersetzung  sich  durch  folgende 
Formel  ausdrücken  lasse: 

3  (KCIO,)  +  2  S  +  5  C  =  3  KCl  +  2  SOa  +  5  CO. 

Gewiss  ist  mindestens  die  Formel  für  die  Yerhrennungsproducte 
äasserst  hypothetisch,  da,  soviel  uns  bekannt,  Analysen  der  Explosions- 
prodncte  für  eine  Verbrennung  bei  constantem  Volumen  nicht  vorliegen. 
—  Unter  Annahme  der  Richtigkeit  obiger  Formel  und  bei  Zugrunde- 
legung der  Berthelot'schen  Zahlen  für  die  Wärmetönungen  berechnet 
man  eine  Wärmeentwickelung  von  972  Calorien  pro  Kilogramm  und  bei 
0®  und  760  mm  Druck  ein  Gasquantum  von  318  1.  Diesen  Zahlen  nach 
würde  sich  allerdings  eine  wesentliche  Ueberlegenheit  der  Chloratpulver 
über  die  Nitratpulver  ergeben. 

Diese  Pulver  sind  viel  leichter  entzündlich  als  die  Nitratpulver,  schon 
ein  darauf  geführter  Schlag  mit  dem  Hammer  genügt,  um  die  Explosion 
herbeizuführen,  deshalb  pflanzt  sich  die  eingeleitete  Verbrennung  auch 
sehr  rasch  auf  benachbarte  Partien  des  Pulvers  fort.  Die  Zersetzungs- 
prodncte  sind  ferner  wahrscheinlich  alle  einfacher  und  stabiler,  als  die  des 
gewöhnlichen  Pulvers;  KCl,  SO3  und  CO  sind  unzweifelhaft  beständigere 
Verbindungen,  als  K3SO4,  KsC03  und  COs;  die  Dissociationserschei- 
nungen  werden  daher  bei  gleicher  Temperatur  und  gleichen  Druck- 
verhältnissen  geringer  sein,  als  bei  deu'Explosionsproducten  des  Schiess- 
pulvers. In  Folge  der  rascheren  Entzündung,  der  höheren  Temperatur 
und  grösseren  entwickelten  Gaamassen  wird  der  Anfangsdruck  beim 
Chloratpulver  verhältnissmässig  höher,  und  wegen  der  geringeren  Wir- 
kung der  Dissociation  wird  das  Ansteigen  und  die  Abnahme  des  Druckes 
rapider  sein,  als  beim  Nitratpulver;  dies  erklärt  aber  vollkommen  die  so 
erheblich  brisantere  Wirkung  dieser  Pulversorten.  —  Für  den  praktischen 
Gebrauch  ist  dies  nicht  immer  ein  Vortheil,  in  Feuerwaffen  sind  z.  B. 
sehr  brisante  Explosivkörper  nicht  zu  gebrauchen,  weil  sie,  statt  das 
Geschoss  zu  bewegen,  die  Läufe  zertrümmern;  ausserdem  ist  die  Her* 
Stellung,  der  Transport  und  die  Handhabung  solcher  leicht  entzündlichen 
Palversorten  zu  gefährlich,  um  eine  umfangreichere  Verwendung  in  der 
Technik  zu  gestatten  ^). 


')  Genaueres  über  die  Pulver  mit  Kaliumchlorat  sehe  man:  E.  v.  Meyer,  Die 
Exploftiykorper  (Bolley-Birnbanm,  Handbuch  der  Technologie  Bd.  6,  dritte  Gruppe, 
Abtheil.  2),  Braunschweig,  Vieweg  u.  Sohn  1874,  S.  8. 


496 


II.  Thennochemie. 


9.  Die  explosiven  Oasgemlsolie. 

Den  bisher  besprochenen  explosiven  Gremischen  fester  Körper  sind 
in  gewissem  Sinne  ähnlich  die  explosibeln  Gasgemische.  Auch  bei 
.diesen  wird  bei  Einleitung  der  Verbindung  durch  Entzündung  eine  er- 
hebliche Wärmemenge  entwickelt,  jedoch  ist  in  diesen  Fällen  bei  gleichem 
Drucke  und  gleicher  Temperatur  das  Volumen  der  Explosionsproducte 
von  dem  der  ursprünglichen  Substanzen  meist  nicht  sehr  erheblich  ver- 
schieden, in  manchen  Fällen  sogar  kleiner,  als  das  des  ursprünglichen 
Gemisches.  Die  entwickelten  Wärmemengen  sind  in  fast  idlen  Fällen 
ausserordentlich  hoch,  wie  dies  die  im  Folgenden  mitgetheilte  Tabelle 
deutlich  zeigt;  die  mechanische  Wirkung  hingegen,  welche  diese  explo- 
siven Gemische  hervorbringen  können,  sind  verhältniasmässig  gering, 
einestheils  weil  ihr  Volumen  an  sich  sehr  gross  ist,  und  anderentheik 
weil  keine  erhebliche  Volumenvergrösserung ,  welche  die  Wirkung  der 
Wärme  vergrössern  würde,  stattfindet,  und  endlich  weil,  wie  dies  Buna  es 
überzeugend  dargethan  hat,  bei  Bildung  complicirterer  Producta  aus  ein* 
fächeren  Bestandtheilen  der  Eintritt  einer  energischen  Dissociation  dem 
Ansteigen  der  Temperatur  und  des  Druckes  sich  bald  hindernd  in  den 
Weg  steUt. 

Wir  entnehmen  nachstehende  Tabelle  einer  Abhandlung  Ber- 
thelot's*). 


Zusammensetzung  des  explosiven 

Von  1  kg  entbundene 
Wärmemenge 

Gasvolumen  bei  0^  n.  760  mm, 
welches  1  kg  einnimmt: 

Gemisches 

Vor  der  Ex- 
plosion 

Nach  der  Ei- 
plosioD 

Ha          +02) 

CO         +      0 

CH4        +40 

C9O4       +60 

CjHa      +   50  \ 

CaHe      +70 

C^Hg      +70 

C4H10O+  12  0  (Aetherdampf) 
Cß  H«       +15  0  (Benzindampf) 
C2N2       +40 

3  280  Cal. 
1570 
2  375 
2  530 
2  800 
2  300 
2  450 
2  400 
2  300 
2  300 

1,86  cbm 

0,75 

0,84 

0,72 

0,74 

0,70 

0,63 

0,59 

0,60 

0,58 

1,24  cbm 

0,50 

0,84 

0,72 

0,63 

0,78 

0,72 

0,75 

0,63 

0,58 

^)  Berthelot,  Sur  la  force  des  m^langes  gaseax  d^tonants.  Ann.  de  chim.  << 
de  phys.  4.  Serie.  Bd.  22,  S.  130.  Da  es  sich  iin  vorliegenden  Falle  nur  um  no» 
angenäherten  Vergleich  handelt,  sehen  wir  davo«  ab,  die  genaueren  Zahlen  Thomsea's 
in  den  von  diesen  untersuchten  Fällen  einzuführen. 

^)  Die  Wärmetonung  bei  Bildung  gastörmigen  Wassers  ist  hier  zu  59000  Cakvieo 
angenommen. 


D.    Die  Explosivkörper.  497 

Man  bemerkt  zunäcIiBt,  dass  die  entwickelten  Wärmemengen  keine 
grossen  Differenzen  zeigen  und  fär  die  meisten  Kohlenwasserstoffe  nnd 
das  Cyangas  naheza  gleich  gross  sind.  Die  grösste  Zahl,  das  ist  die  fiir 
Wasserstoff-  Sauerstoff  gefundene ,  ist  ungefähr  f&nf  Mal  so  gross  als  die 
für  Schiesspnlver  (620  Cal.),  und  mehr  ids  das  Zweifache  der  bei  Explo« 
sion  des  gleichen  Gewichtes  Nitroglycerin  frei  werdenden  Wärme  (1300  Cal.). 
Die  herrorgerufenen  Druckmaxima  sind  bekanntlich,  wie  Bunsen  direct 
gemessen  hat  ^),  ausserordentlich  gering,  denn  sie  betragen  bei  Verbren- 
nung von  Wasserstoff-  Sauerstoff  bei  constantem  Volumen  nur  9,7  Atmo- 
sphären und  beim  Eohlenoxyd-Sauerstoff  Knallgas  nur  10,3  Atmosphären. 
Mischt  man  den  explosiven  Gasgemischen  indifferente  Gase  bei,  so  sinken 
die  Drucke  noch  tiefer,  weil  die  Temperatur  nicht  so  hoch  steigen  kann, 
wie  in  reinen  Knallgasen;  das  zugemischte  Gas  muss  alsdann  durch  die 
gleiche  Wärmemenge  mit  erwärmt  werden.  Auch  ist  bekanntlich,  wie 
ebenfalls  die  Untersuchungen  Bunsen's  überzeugend  dargethan  haben,  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Entzündung  bei  diesen  Gasgemischen 
eine  äusserst  geringe  (Wasserstoffknallgas  bei  Atmosphärendruck  34  m 
pro  Secunde,  Kohlenoxyd-Sauerstoff  1  m)  im  Vergleich  zu  der  Geschwin- 
digkeit, mit  welcher  sich  die  Entzündung  in  anderen  Explosivsubstanzen 
verbreitet  (5000  bis  6000  m  pro  Secunde  bei  comprimirter  Schiessbaum - 
wolle  und  Nitroglycerin). 

Die  Gasgemische  bleiben  hinsichtlich  ihrer  mechanischen  Wirkung 
daher  weitaus  hinter  den  festen  und  flüssigen  Explosivkörpern  zurück. 
Wollte  man  dieselben  angenähert  gleich  wirkungsfähig  machen,  so  müsste 
man  dieselben,  ehe  sie  zur  Verwendung  kommen,  sehr  stark  compri- 
miren;  einem  solchen  Verfahren  dürften  sich  jedoch  wiederum  erhebliche 
praktische  Schwierigkeiten  hindernd  in  den  Weg  stellen. 

Die  Betrachtung  der  explosiven  Gasgemische  zeigt  deutlich,  dass 
die  Fähigkeit  in  sehr  kurzer  Zeit  eine  grosse  Wärmemenge  zu  entbinden, 
allein  nicht  genügt,  um  einer  Substanz  die  Eigenschaften  eines  kräftigen 
Ezplosivkörpers  ^u  verleihen;  es  gehört  ausserdem  dazu,  dass  das 
Yolomen  der  Explosionsproducte  beträchtlich  grösser  ist,  als  das  der 
ursprünglichen  Substanz.  —  Soll  der  betreffende  Körper  sich  durch 
besonders  brisante  Wirkung  auszeichnen,  so  muss  die  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit der  Entzündung  sehr  gross  und  die  entstehenden  Körper 
müssen  sehr  einfach  und  beständig  sein,  so  dass  das  rapide  Ansteigen 
and  Abfallen  des  Druckes  nicht  merklich  durch  eintretende  Dissociations- 
erecheinungen  gemildert  werden  kann. 

10.  Ohlor-  und  Jodstiokstofit 

Der  wichtigste  Unterschied  zwischen  den  bisher  von  uns  besproche- 
nen Explosivkörpem  und  den  im  Nachstehenden  vom  Standpunkte  der 

^)  Man  sehe  die  Bansen' sehen  Versuchsresultate,  dieses  Buch  Bd.  2,  II,  C,  9,  S.  424. 
Rtthlmann,  Mechan.  Wftrmetheone.  Bd.  S.  32 


498  n.   Thermochemie. 

mechanischen  Wärmetheorie  aus  zu  behandelnden  bemht  darin,  dass, 
während  es  sich  vorher  am  Gemische  verschiedener  Substanzen  handelte, 
die  grosse  Mengen  chemischer  Affinität  in  einer  Form  besassen,  welche 
leicht  auslösbar  in  sehr  kurzer  Zeit  in  Wärme  umgesetzt  werden  kann, 
nunmehr  einheitliche  chemische  Verbindungen  zu  betrachten  sind,  welche 
ein  äusserst  labiles  chemisches  Gleichgewicht  besitzen,  bei  ihrer  Zer- 
setzung in  einfachere  Verbindungen  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen 
ein  beträchtlich  grösseres  Volumen  beanspruchen  und  gleichzeitig  bedeu- 
tende Wärmemengen  entwickeln. 

Die  beiden  Verbindungen  Ghlorstickstoff  und  Jodstickstoff  zeichnen 
sich  vor  anderen  Explosivkörpem  besonders  dadurch  aus,  dass  ihre  Zer- 
setzungsproducte  Elemente  sind,  welche  einer  Dissociation  nicht  föhig 
sind.  Trotz  der  im  Vergleich  zu  anderen  Explosivkörpern  verhältniBS- 
mässig  nicht  sehr  grossen  Wärmemenge  und  nicht  ungewöhnlichen  Yo- 
lumenvergrösserung  gehören  daher  diese  beiden  Substanzen  doch  zu  den 
brisantesten,  welche  überhaupt  bekannt  sind. 

Ghlorstickstoff  und  ebenso  der  Jodstickstoff  detoniren  bekanntlich, 
indem  sie  nach  den  Formeln: 

NCl3=N  +  3Cl 
respective 

NJs  =N  +  3J 

in  ihre  Elemente  zerfallen  ^). 

Die  im  ersten  Falle  entwickelte  Wärmemenge  ist  von  Deville  und 
Haute feuille  zu  316  Galerien  pro  Kilogramm  bestimmt  worden.  Ausser- 
dem entwickelt  ein  Kilogramm  370  Liter  Gas  (bei  0®  und  760  mm),  die 
Volumenvergrösserung  beträgt  daher,  da  die  Dichte  des  Ghlorstickstoffii 
ungefähr  gleich  1,66  ist,  nahe  das  620fache. 

Beim  Pulver  betragen  die  entsprechenden  Zahlen  620  Galorien  und 
215  Liter;  die  Gesammtenergie  des  Pulvers  ist  jedenfalls  nicht  wesent- 
lich geringer,  als  die  des  Ghlorstickstoffs;  in  Folge  der  leichten  Entzünd- 
lichkeit (bei  circa  100^)  und  der  hiermit  zusammenhängenden  äusserst 
raschen  Fortpflanzung  der  Zersetzung  durch  die  ganze  Masse  und  w^gen  des 
äusserst  raschen  Ansteigens  des  Druckes  und  der  ausserordentlich  raschen 
Abnahme  desselben,  welche  durch  keine  Dissociationserscheinungen  ver- 
zögert wird,  sind  die  auftretenden  Druckdifferenzen  und  damit  die  ze^ 
störenden  Wirkungen  auf  die  nächste  Umgebung  unvergleichlich  viel 
grösser,  als  bei  den  meisten  anderen  Explosivkörpern.  —  Bei  sehr  plöti* 
liehen  Volumen vergrösserun gen  genügt  die  Trägheit  der  geringsten  Masse, 
welche  der  Entwickelung  der  Gase  sich  entgegenstellt,  um  enorme  Drack- 
steigerungen  zu  veranlassen.  Daher  ist  es  erklärlich,  dass  die  Bedeckong 
von  Ghlorstickstoff  mit  einer  ganz  dünnen  Schicht  Wasser,  die  Einhüllnng 


^)  Nach  seinem  Verhalten  gegen  Chlorwassentoffsäure ,  mit  dem  der  Jodutickstoff 
Chlorjod  und  Chlorammonium  giebt,  glaubt  man  für  Jodstickstoff  die  Formel  JjN.HjK 
annehmen  zu  müssen. 


D.    Die  Explosivkörper.  499 

in  ein  dünnes  Metallblech  genügt,  am  die  verheerendsten  Wirkungen  bei 
der  Explosion  zn  veranlassen.  Selbst  die  Einleitung  der  Explosion  un- 
terhalb der  Oberfläche  genügt  schon  zu  diesem  Zwecke,  da  alsdann  die 
Trägheit  der  oberen  Schichten  genügenden  Widerstand  darbietet,  um 
eine  Zersetzung  mit  furchtbarer  Detonation  herbeizuführen. 

Wenn  der  Druck  so  enorm  rasch  steigt,  dass  die  umgebenden  Körper 
nicht  Zeit  haben  sich  merklich  in  Bewegung  zu  setzen,  so  bieten  sie^  auch 
wenn  diese  Hindernisse  durch  Flüssigkeiten  oder  selbst  Gase  gebildet 
werden,  ähnliche  Widerstände  dar,  wie  feste  Körper. 

lieber  die  explosiven  Eigenschaften  des  Jodstickstofifs  ist  wenig  be- 
kannt, da  sich  diese  Substanz  in  trockenem  Zustande  fast  gar  nicht  ver- 
wenden lässt,  ohne  bei  der  leisesten  Berührung  zu  detoniren.  —  Auch 
über  die  bei  seiner  Zersetzung  frei  werdende  Wärme-  und  Gasmenge 
sind  Zahlwerthe  bis  jetzt  nicht  publicirt.  Die  geringste  Erschütterung 
der  Luft  in  der  Nähe  von  trockenem  JodstickstofF,  der  bekanntlich  ein 
fester  Körper  ist,  z.  B.  das  Zuschlagen  einer  Thür  im  Aufbewahrungs- 
räume genügt,  um  das  Detoniren  dieses  äusserst  empfindlichen  Explosiv- 
körpers  herbeizuführen.  Seine  Wirkung  scheint  der  des  Chlorstickstofis 
sehr  nahe  zu  stehen,  vielleicht  sogar  noch  etwas  rapider  zu  verlaufen 
als  bei  jenem;  die  Gesammtenergie  ist  jedoch  vermuthlich  eher  ge- 
ringer 1). 


11.  Nitroglycerin. 

Dieser  nach  dem  Pulver  für  die  Technik  wichtigste  Explosivkörper 
entsteht  durch  Einwirkung  sehr  concentrirter  Salpetersäure  (man  mischt, 
nm  die  letzten  Theile  Wasser  zu  entziehen,  der  Salpetersäure  conoen- 
trirte  Schwefelsäure  zu)  auf  Glycerin.  Die  Bildung  geschieht  nach  der 
Formel: 

CsHaOs  +  3HN08  =3H30  +  CgHiNsO»- 

Der  Name  Nitroglycerin  ist,  obgleich  in  der  Praxis  vollkommen  ein- 
gebürgert, falsch,  da  man  diese  Substanz  nicht  als  einen  Nitrokörper, 
sondern  vielmehr  als  einen  neutralen  Salpetersäureäther  des  dreiatomigen 
Alkohols  Glycerin  anzusehen  hat.     Die  rationelle  Formel  wird  daher: 

C3H5(NO,)3 

zu  schreiben  sein  ^). 


^)  Außgedehntere  Versuche  mit  Jodstickstoff  hat,  soviel  mir  bekannt  geworden,  nur 
Abel  ansgefährt.  Man  sehe:  Kouvelles  Stades  sur  les  propriet^s  des  cozps  explosibles. 
Ann.  de  chim.  et  de  phys.   4.  Serie.  Bd.  21,  S.  129. 

^  Genaueres  hierüber  sehe  man:  Journ.  f.  prakt.  Chem.  Bd.  105,  S.  254.  üeber 
die  Barstellung,  Transport,  Anwendung  des  Nitroglycerins  findet  man  ausführliche  Mit- 
theilongen  und.zahlreiche  Quellenangaben  in:  E.  v.  Meyer,  Die  Explosivkörper  (B o  1 1  e y - 
Birnbaum,  Handbuch  d.  chem.  Techn.  Bd.  6,  Gruppe  3,  Abtheil.  2),  Braunschweig, 
Vieweg  u.  Sohn,  1874,  S.  51  bis  82. 

32* 


500  .  IL  Thermochemie. 

Die  2jersetzang  des  Nitroglycerins  ist  noch  nicht  genan  bekannt;  die 
von  Berthelot  gegebene  Formel: 

2C3H5(N03)3  =  12C0,  +  5H,0  +  6N  +  O 
ist  nur  eine  hypothetische. 

Hiernach  berechnet  Berthelot  die  bei  Zersetzung  von  1  Kilogramm 
frei  werdende  Wärme  zu  1786  Calorien,  während  Ronx  und  Sarran 
ans  Versachen  mit  Dynamit  in  guter  üebereinstimmnng  mit  obiger  An- 
gabe 1720  Calorien  gefanden  haben  ').  Ein  Kilogramm  würde  nach  der 
Berthelot' sehen  Zersetznngsformel  710  Liter  Gas  (bei  0^  nnd  760  mm) 
entwickeln.  Die  Yolnmenvergrösserang  würde  das  1140fache  betragen, 
da  die  Dichte  des  Nitroglycerins  ziemlich  hoch  ist,  nämlich  1,6.  Das 
Product  des  GasYolnmens  und  der  Wärmemenge  ist  demnach  das  weitaus 
grösste,  was  bei  irgend  einer  explosiven  Substanz  vorkommt.  In  der 
That  ist  dieser  Körper  wohl  auch  unter  allen  Ezplosivkörpem  der  ener- 
gischste. Durch  Anwendung  desselben  hat  man  im  eigentlichen  Sinne 
des  Wortes  Berge  versetzt,  die  stärksten  Eisenmassen  zertrümmert  und 
ungeheure  Gewichte  weithin  fortgeschleudert. 

Auch  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Entzündung  ist  eine 
ziemlich  hohe,  sie  beträgt  nämlich  nach  den  Untersuchungen  Abers*), 
die  er  imter  Anwendung  des  früher  von  uns  (S.  486)  beschriebenen  Ghro- 
noskopes  angestellt  hat,  für  reines  Nitroglycerin  ungefähr  1700  m  pro 
Secunde;  die  Entzündungsgesch windigkeit  des  Dynamits,  d.  i.  einer 
Mischung  von  Nitroglycerin  mit  Infusorienerde  wurde  noch  grösser  ge- 
funden, dieselbe  erreichte  die  enorme  Zahl  von  6000  bis  6500  m  pro 
Secunde. 

Obgleich  in  Folge  dieser  angeführten  Eigenschaften  *das  Nitrogly- 
cerin ein  brisanter  Explosivkörper  ist,  ähnlich  wie  Ghlorstickstoff,  so  seigt 
er  andererseits  wenn  auch  in  wesentlich  grösserem  Maassstabe  EigenthüBi- 
lichkeiten,  welche  den  vom  Pulver  hervorgebrachten  sehr  ähnlich  sind. 
Zumal  bei  Verwendung  von  Nitroglycerin  in  Sprenglöchern  bricht  und 
verschiebt  es  zwar  sehr  erhebliche  Gesteinsmassen,  aber  es  zertrümmert 
und  zerstäubt  dieselben  nicht,  auch  bewirkt  es  häufig  gewaltige  Fortschlea- 
derungen,  während  die  vorzugsweise  brisanten  Sprengmittel  bei  der  De- 
tonatiod  ihre  ganze  Umgebung  in  Staub  verwandeln,  ohne  hingegen 
grössere  Stücke  weithin  fortzuschleudern. 

Auch  diese  durch  zahlreiche  Erfahrungen  hinreichend  sicher  ge- 
stellte Thatsache  kann  von  den  bisher  festgehaltenen  Gesichtspunkten 
aus  leicht  erklärt  werden.  In  den  Explosion  sproducten  des  Nitroglycerins 
sind  vorzugsweise  Kohlensäure  und  Wasser,  gelegentlich  auch  Stickoxydal 
nachgewiesen  worden^).    Dies  sind  Verbindungen,  welche  fähig  sind,  bei 

^)  Man  sehe  Ann.  de  chim.  et  de  phjs.    5.  Serie.    Bd.  9,  S.  163. 
^)  Abel|   Etudes  sur  les  corps  explosibles.     Ann.  de  chim.  et  de  phjs.    5.  Serie. 
Bd.  2.  S.  190. 

')   Man  sehe  die  Analyse  vonL'Hotein:    Dingler's  Polytechn.  Journ.   Bd.  178, 
S.  349. 


D.    Die  Explosivkörper.  501 

hohen  Temperaturen  dissociirt  zn  werden,  und  man  kann  daher  vermnthen, 
dass  ein  sehr  rapides  Ansteigen  des  Druckes  und  selbst  vielleicht  das 
Eintreten  der  theoretisch  möglichen  Maximaldrucke  und  ebenso  eine  sehr 
rasche  Abnahme  des  erreichten  Druckes  durch  stattfindende  Dissociations- 
erscheinungen  verhindert  wird. 

Der  Umstand,  dass  der  Transport  und  die  Anwendung  des  flüssigen 
Sprengöles  mit  vielen  Gefahren  und  sonstigen  Unzuträglichkeiten  ver- 
knüpft war,  machte  es  dringend  wünschenswerth ,  demselben  irgend  eine 
feste  Form  zu  geben.  Dies  erreichte  (1866)  Noble  dadurch,  dass  er  das 
Sprengöl  mit  einer  sehr  leichten,  mehlartigen  Infusorienerde  zusammen- 
kneten liess.  Die  auf  diese  Weise  entstehenden  teigartigen  Massen, 
welche  ungefähr  77  bis  75  Proc.  Nitroglycerin  und  23  bis  25  Proc.  Kie- 
selguhr  enthalten,  werden  jetzt  fast  ausschliesslich  in  der  Praxis  ver- 
wendet und  führen  den  Namen  Dynamit.  Diese  Substanz  verbrennt, 
wie  das  reine  Nitroglycerin,  durch  eine  Flamme  an  der  Oberfläche  ent- 
zündet, nur  langsam  ab.  Um  Zersetzung  mit  Detonation  herbeizuführen, 
mxLBB  beim  reinen  Präparate  und  beim  Dynamit  die  Entzündung  durch 
die  Explosion  eines  kräftigen  Zündhütchens  (Patentzünder)  bewirkt 
werden. 

Durch  Stoss  und  Schlag  wird  reines  flüssiges  Sprengöl  sehr  leicht 
entzündet,  Dynamit  hingegen  ist  gegen  Erschütterungen  ziemlich  un- 
empfindlich, und  selbst  die  heftigsten  Hammerschläge  veranlassen  nur  die 
Explosion  der  unmittelbar  getroffenen  Theile,  während  die  benachbarten 
nnentzündet  fortgeschleudert  werden  i).  Die  Möglichkeit,  die  teigartige 
Masse  in  fertige  Patronen  verdichtet  zur  Anwendung  bringen  zu  können, 
erleichtert  den  Gebrauch  dieses  Explosivpräparates  ausserordentlich  ^). 

Abel  hat  durch  besondere  umfängliche  experimentelle  Untersuchun- 
gen den  Einfluss  festzustellen  gesucht,  den  die  Beimengung  indifferenter 
Stoffe  zu  einem  Explosivkörper  auf  die  Wirksamkeit  und  Entzündlichkeit 
desselben  im  Allgemeinen  ausübt  und  sich  in  diesem  Sinne  auch  beson- 
ders eingehend  mit  dem  Dynamit  beschäftigt.  Zunächst  stellte  sich  hin- 
sichtlich dieses  Einflusses  ein  erheblicher  Unterschied  heraus,  je  nachdem 
der  Explosivkörper  fest  oder  flüssig  war  und  die  indifferente  Beimengung 
den  einen  oder  den  anderen  dieser  Aggregatzustände  besass.  Mengt  man, 
wie  beim  Dynamit,  einem  flüssigen  Präparate  feste  Körper  in  Pulverform 
bei,  so  wird  dadurch  die  Gontinuität  der  explodirenden  Substanz  nicht  auf- 
gehoben, die  eingeleiteten  Detonationen  können  sich  daher,  da  sich  immer 
Berührungspunkte  genug  darbieten,  in  einem  derartigen  Gemische  ebenso 
gut  fortpflanzen,  wie  im  reinen  Präparate. 

^)  Umfängliche  Yenuche  verschiedener  Physiker,  Chemiker  und  Ingenieare  üher 
die  Ungefährlichkeit  des  Dynamits  findet  man  zusammengestellt  in  der  Schrift  von 
J.  Trauzl:    Ueber  explosive  Nitrilverbindungen,  insbesondere  Dynamit.    Paris,  1871. 

^)  Die  verschiedenen  Methoden  der  Anwendung  des  Dynamits  in  der  Technik  findet 
man  übersichtlich  geordnet  mitgetheilt  in:  E.  v.  Meyer,  Die  Explosivkörper  (Bolley- 
Birnbaum,  Handb.  d.  ehem.  Technol.  Bd.  6,  Gruppe  3,  Abtheil.  2),  Braunschweig, 
Vieweg  u,  Sohn  1874,  S.  66  bis  75. 


502  II.  Thermochemie. 

Hätte  man  hingegen  nmgekehrt  eine  feste  indifferente  Sabsians 
einem  explosiblen  Präparate  beigemischt,  welches  selbst  fest  ist,  so  wür- 
den zumeist  die  Theilchen  des  letzteren  dadurch  vollständig  von  einander 
getrennt  werden.  Die  eingeleitete  Entzündung  würde  daher  an  ihrer 
Verbreitung  wesentlich  gehindert  werden,  theils  durch  die  Verminderung 
der  Berührimgspunkte  des  entzündlichen  Körpers,  theils  durch  den  Wider- 
stand, welchen  die  indifferenten  Körner  der  Fortpflanzung  der  Detonation 
durch  Abkühlung  entgegenstellen. 

Faserige  oder  pulverförmige  Explosivpräparate  erhalten  durch  Ein- 
tritt von  Flüssigkeit  in  die  klemsten  capillaren  Zwischenräume  eine 
grössere  Stetigkeit;  die  Theile  des  festen  Körpers  können  daher  einem 
Stosse  weniger  leicht  ausweichen,  und  Erschütterungen  werden  in  dem 
angefeuchteten  Präparate  leichter  fortgepflanzt,  als  im  trockenen. 

Die  Beimengung  von  Kieseiguhr  (auch  Thonerde,  Zucker  etc.  sind 
verwendet  worden)  würde  die  Wirkungsfähigkeit  des  flüssigen  Explosiv- 
körpers  nicht  beeinträchtigen,  sobald  nur  die  Masse  der  zugemischten 
Substanz  nicht  so  gross  wird,  dass  dadurch  die  Temperatur,  bis  zu  wel- 
cher die  ganze  Masse  erhitzt  wird,  wegen  der  Miterwärmung  der  Beimen- 
gung so  tief  sinkt,  dass  die  Entzündung  sich  nicht  mehr  fortpflanzen 
kann,  oder  so  gross,  dass  durch  Aufhebung  der  Stetigkeit  der  flüssigen 
Verbindung  der  raschen  Ausbreitung  der  Detonation  Hindemisso  in  den 
Weg  gelegt  werden. 

Die  entwickelte  Gesammtenergie  kann  durch  indifferente  ßeimen- 
gungen  nicht  vermindert  werden,  sicher  wird  jedoch  die  Temperatur 
erniedrigt,  da  die  Anzahl  entbundener  Wärmeeinheiten  beim  Dynamit 
auch  die  indifferente  Substanz  mit  erwärmen  muss.  Kieselgnhr  besitzt 
nahezu  dieselbe  speciflsche  Wärme,  wie  die  gasformigen  Ezplosionspro- 
ducte  des  Sprengöles  bei  constantem  Volumen ;  Temperatur  und  Maximal- 
druck  werden  daher  bei  Explosion  von  Dynamit  ungefähr  um  Y4  geringer 
sein,  als  wenn  man  die  im  Dynamit  enthaltene  Menge  reinen  Nitro- 
glycenns  in  einem  gleich  grossen  Räume  allein  entzündet  hätte.  In  Folge 
davon  ist  die  Wirkung  des  Dynamits  geringer,  als  die  des  reinen  Spreng- 
öles. Wegen  der  Miterwärmung  der  indifferenten  Beimengung  müssen 
zur  Entzündung  des  Dynamits  auch  stärker  geladene  Zündhütchen  verwen- 
det werden,  als  zur  Einleitung  der  Explosion  beim  reinen  Nitroglycerin. 

Bei  der  Expansion  der  Explosionsgase  giebt  aber  die  feste  Kiesel- 
säure in  ähnlicher  Weise  ihre  Wärme  ab,  wie  die  festen  Rückstände 
beim  Pulver. 

Sehr  auffallig  ist  es,  dass  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der 
Entzündung  in  nebeneinander  gelegten  Dynamitpatronen  ungemein  viel 
beträchtlicher,  nämlich  gleich  5900  bis  6500  m  gefunden  worden  ist,  als 
in  flüssigem  Nitroglycerin,  worin  sie  unter  genau  denselben  Verhältnissen 
nur  ungefähr  1700  m  beträgt.  —  Die  Entzündung  geschah  in  beiden 
Fällen  durch  die  Explosion  eines  mit  reinem  Knallquecksilber  gefüllten 
Zündhütchens. 


D.    Die  Explosivkörper.  503 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  wird  dieser  charakteristische  Unter- 
schied durch  den  verschiedenen  Aggregatznstand  heider  Sahstanzen  her- 
vorgerufen. Dynamit  ist  eine  dick  hreiartige,  kaum  knethare  Masse, 
welche  sich  angenähert  wie  ein  fester  Körper  verhält.  Die  sich  ent- 
wickelnden gasförmigen  Ezplosionsprodncte  finden  daher  hei  ihrer  Ent- 
stehung erhehliche  Widerstände,  wenn  sie  nicht  gerade  zufallig  an  der 
Oberfläche  gebildet  werden.  Bei  dem  flüssigen  Nitroglycerin  können 
die  benachbarten  Theilchen  in  Folge  ihrer  grösseren  Beweglichkeit  und 
Elasticität  leichter  sich  der  Einwirkung  der  heissen  gasförmigen  Explo- 
sionsproducte  entziehen,  wenn  die  Umhüllung  der  Flüssigkeit  nicht  eine 
sehr  feste  ist.  —  Versuche  über  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  in 
fest  eingeschlossenen  Massen  heider  Explosivkörper  liegen  nicht  vor. 
Höchst  wahrscheinlich  wäre  der  Unterschied  geringer  ausgefallen  und 
man  hätte  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  überhaupt  grösser  gefunden, 
wenn  man  die  Explosionsproducte  am  Entweichen  in  die  freie  Atmo- 
sphäre gehindert  und  gezwungen  hätte,  das  ursprüngliche  Volumen  des 
Explosivkörpers  beizubehalten  ^). 

Im  Anschluss  an  Dynamit  könnten  wir  noch  einige  Gemische  von 
Nitroglycerin  mit  anderen  Substanzen  behandeln,  welche  unter  dem 
Namen  Lithofracteur ,  Dualin,  Fulminatin  etc.  in  der  Technik  im  Ge« 
brauch  sind.  Bei  allen  diesen  Präparaten  handelt  es  sich  um  Beimen- 
gangen  von  Kohle,  Schiesspulver,  Salpeter,  Sägespänen  zu  Nitroglyce- 
rin etc.  —  Allerdings  wird  durch  die  Zumischung  von  Substanzen, 
welche  selbst  chemische  Veränderungen  bei  der  Entzündung  zu  erleiden 
im  Stande  sind,  sowohl  die  überhaupt  entwickelte  Wärmemenge,  als  auch 
die  producirte  Gasmenge,  deren  Zusammensetzung  und  Eigenschaften, 
also  der  ganze  Verlauf  des  Explosionsprocesses  geändert,  immerhin  dürften 
jedoch  diese  Gemische  vom  theoretischen  Standpunkte  aus  kaum  zu 
wesentlich  neuen  Betrachtungen  Anlass  gehen  ^). 


12.  SohiessbaumwoUe. 


Wenn  man  Holzfaser  (Cellulose)  längere  Zeit  hindurch  mit  einem 
Gemische  von  sehr  concentrirter  Salpetersäure  und  ebenso  concentrirter 
Schwefelsäure  behandelt,  so  tritt  aus  dem  Atomcomplex  Wasser  aus  und 
dafür  ein  Salpetersäurerest  ein.     Es  wird  auf  diese  Weise  ein  kräftiger 


^)  Genaueres  über  den  Einfluss  der  Art  der  Entzündung  und  der  Art  der  üm- 
hüllong  der  explosiven  Körper  auf  den  Verlauf  der  Zersetzung  sehe  man  in  Cap.  15, 
S.  513. 

^  Genaueres  über  diese  Substanzen  sehe  man  in:  E.  v.  Meyer,  Die  Explosivkorper 
(Bolley- Birnbaum,  Handb.  der  ehem.  Technologie  Bd.  6,  Gruppe  3,  Abth^Uung  2), 
Braunschweig,  Vieweg  u.  Sohn  1874,  S.  77. 


504 


n.    Thermochemie. 


Exploeivkörper,  das  Pyroxylin  (TrinitrocelluloBe,  Schiessbaomwolle),  wie 
man  jetzt  allgemein  annimmt,  nach  folgender  Formel  gebildet: 

CßHioOs     +       SHNOa      =     3  HjO     +     CßHyNsOu 

Cellulose  Salpetersäure  Wasser  Pyroxylin 

Ans  dem  Verhalten  dieser  Substanz  gegen  concentrirte  Schwefel- 
säure, verdünnte  Kalilauge,  Eisenchlorür  etc.  glaubt  Bechamp  schli essen 
zu  dürfen,  dass  man  es  mit  einem  Aether  der  Salpetersäure  zu  thun  habe. 

Die  Analysen  stimmen  mit  den  nach  obiger  Formel  theoretisch  ge- 
forderten Mengen  der  einzelnen  Elemente  gut  überein. 

Zusammensetzung  der  Schiessbaumwolle  in  Gewichts- 

procenten. 


Bestandtheile 

Nach  der 
Formel 

Schönbein 

Fehling 

Cmm 

C 

24,2 

27,4 

25,9 

24,7 

H 

2,4 

3,5 

3,7 

2.5 

N 

14,1 

14,3 

10,0 

13,8 

0 

59,3 

54,8 

60,4 

59,0 

Die  Zersetzungsproducte  fallen,  wie  bei  den  meisten  ExplosiYkorpem 
verschieden  aus,  je  nach  der  Art  der  Zersetzung.  Bei  einer  Verbrennung  im 
Vacuum  oder  in  freier  Luft  findet  eine  langsamere  und  unvollkommenere 
Zersetzung  statt,  als  bei  einer  Detonation  in  einem  geschlossenen  Baume. 
Zumal  die  Versuche  von  Karolyi  ^)  haben  dies  überzeugend  dargethan. 

Zersetzungsproducte  der  Schiesswolle  in  Volumenprocenten. 


Explosionsproducte 


Kohlenoxyd 

Kohlensäure 

Gmbengas 

Stickozyd 

Wasserdampf 

Wasserstoff 

Stickstoff 

ünverbrannter  Rückstand 
(Kohle) 


Im  Vacuum  verbrannt 


28,6 
19,1 
11,2 
8,8 
21,9 

8,6 

1,8 


In  einem  geschlossenen 
GefSsse  explodirt 


29,0 

20,8 

7,2 

25,3 

3,2 

12,7 

'  1,8 


1)  Dingler's  Polytechn.  Journal  Bd.  169,  S.  428. 


D.  Die  Explosivkörper. 


505 


2  Ci«  Hi&  0 


18  **15  v/io 


Die  Zersetzung  der  Schiessbaiunwolle  hat  nur  Berthelot  and  zwar 
auf  überaus  hypothetisclier  Grundlage  durch  nachstehende  Formel  theore- 
tisch darzustellen  gesucht  ^) : 

_  |7  COa  +  12  CO  4-  2  CH4  +  H  +  3  CNH 
^  ""  1+  9  Ha  0  +  5  NO  +  2  N. 

Hiemach  berechnet  er  die  von  einem  Kilogramm  entwickelte  Wärme- 
menge zu  ungefähr  630  Calorien  und  das  Volumen  der  Explosionsproducte 
bei  0®  und  760  mm  (Wasser  gasförmig)  zu  800  Liter.  Erheblicher  Werth 
dürfte  diesen  Zahlen  kaum  beizulegen  sein. 

Karolyi  erhielt  aus  einem  Kilogramm  bei  constantem  Volumen 
explodirter  Schiesswolle  755  Liter  Gas.  Die  entwickelte  Wärmemenge 
ist  experimentell  bis  jetzt  noch  nicht  bestimmt  worden.  —  Nimmt  man 
nach  Berthelot  die  Bildungswärme  von  1  kg  Schiessbaumwolle  aus  den 
Elementen  zti  920  Calorien  an  und  benutzt  die  Karolyi 'sehe  Analyse 
als  Grundlage  für  die  Bildung  der  Explosionsproducte  aus  ihren  Elemen- 
ten, so  findet  man  für  die  Entstehung  dieser  Explosionsproducte  aus  den 
Elementen  eine  Wärmeentwickelung  von  1470  Calorien;  die  Differenz 
=  550  Calorien  würde  hiemach  die  bei  der  Explosion  von  1  Kilogramm 
Schiesswolle  freiwerdende  Wärmemenge  sein^). 


•  ^)  Berthelot,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.   4.  Serie.   Bd.  23,  S.  264. 

^  Die  Berechnung  der  bei  der  Zersetzung  der  Schiessbaumwolle  frei- 
werdenden  Wärmemenge  theilen  wir  im  Nachstehenden  ziemlich  ausfuhrlich  mit 
einestheils,  um  die  Grundlage  dieser  Rechnung  zu  geben,  und  anderentheils,  um  damit 
an  einem  Beispiele  zu  zeigen,  auf  welche  Weise  die  in  Bd.  2,  II,  B,  4,  S.  289  u.  s.  f. 
zusammengestellten  Wärmetönungen  zur  Bearbeitung  praktischer  Aufgaben  verwendet 
werden  können. 

Nach  Karolyi  entwickelt  1  kg  bei  constantem  Volumen  explodirte  Schiessbaum- 
wolle 0,75  cbm  Gas.     Diese  bestehen  nach  der  vorhin  mitgetheilten  Analyse  aus: 


9 

entwickelte 
Gasmenge 

Gewicht 
von  1  cbm 

w 

Wärmetönung 

bei  Bildg.  von 

1  Aeq.  aus  den 

Elementen 

a 

Aequivalent- 
gewicht 

r  .  <f  .  w 

Bestandtheil 

a 

Kohlenoxyd  CO    . 
Kohlensäure  CO2  . 
Grubengas  CH4    . 
Stickstoff  Na  .    •    . 
Wasserdampf  H2O 
Wasserstoff  H2  .    . 
Amorphe  Kohle  C 

0,216  cbm 
0,157    „ 
0,054    „ 
0,095    „ 
0,190    „ 
0,024    „ 
0,014    „ 

1.254  kg 
1,975    „ 
0,716    „ 

1.255  „ 
0,806    „ 
0,0896  „ 

25  800  Cal. 
94  000    „ 
22  000    „ 

59  000    „ 

28 
44 
16 

18 

249  Cal. 
662  „ 
53  „ 

502  „ 

Summa: 

0,750  cbm 

— 

— 

— 

1466  Cal, 

Es  besitzen  aber  v  cbm  eines  dieser  Gase  ein  Gewicht  von  v  .  d  kg.    Bei  Bildung 
von  1  Aequivalent   dieses   Gases   werden  w  Cal.   frei ,   bei  Bildung   von  1  kg   demnach 


506  n.   Thermochemie. 

Far  Schiesspnlyer  waren  die  entsprechenden  Zahlen:  270  I  Gas  und 
620  Gal.  Aus  einem  Vergleich  der  Zahlenwerthe  kann  man  BchliesBen, 
dasB  die  Gesammienergie  der  Schiesswolle  hedentend  grösser  ist,  als  die 
eines  gleichen  Gewichtes  Pulyer.  Da  in  den  E^plosionsproducten  ziem- 
lich complicirte  Yerhindongen  auftreten,  wird  unzweifelhaft  anch  bei  der 
Schiesswolle  der  Anfangsdruck  nicht  so  bedeutend  sein,  als  man  hiernach 
vermuthen  könnte;  die  Dissociationserscheinungen  werden  die  Intensität 
des  Druckmaximums  möglicherweise  yermindem,  sicher  aber  den  Eintritt 
desselben  und  noch  mehr  den  Abfall  des  Druckes  verlangsamen.  Auch 
die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Entzündung  ist  gross,  dieselbe  ist 
jedoch  ausserordentlich  abhängig  Yon  der  Dichtigkeit  der  Substanz  und 
Ton  dem  Widerstände,  den  die  Umgebung  der  Entwickelung  der  gas- 
formigen Explosionsproducte  entgegensetzt. 

Stellt  man  unter  dem  Drucke  einer  hydraulischen  Presse  Scheiben 
von  Schiessbaum  wolle  her  und  setzt  aus  diesen  einen  langen  Cylinder  za- 
sammen,  so  betragt  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  5300  bis  6100  m. 
Lässt  man  die  einzelnen  Scheiben  sich  nicht  gegenseitig  berühren,  son- 
dem  bleiben  zwischen  denselben  Zwischenräume,  so  sinkt  die  Fortpflan- 
zungsgeschwindigkeit der  Entzündung.  Comprimirte  Schiesswolle,  welche 
15  Procent  Feuchtigkeit  enthält,  bedarf  zu  ihrer  Entzündung  zwar  stär- 
kerer Zündhütchen  als  trockene,  ist  die  Einleitung  der  Explosion  aber 
erst  geglückt,  so  verbreitet  sich  diese  in  feuchter  Schiesswolle  rascher, 
als  in  trockener.  Bei  der  Schiessbaumwolle,  in  welcher  in  comprimirtem, 
trockenem  Zustande  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  gleich  5300  m 
gewesen  war,  stieg  sie  nach  Aufiiahme  von  15  Proc.  Wasser  auf  6100  m.  — 
Der  Grund  dieses  eigenthümlichen  Umstandes  dürfte  derselbe  sein,  den 
wir  schon  bei  Besprechung  des  verschiedenen  Verhaltens  von  Nitrogly- 
cerin und  Dynamit  geltend  gemacht  haben.  —  Die  in  die  Schiesswolle 
eingedrungene  Feuchtigkeit  macht  nämlich  die  Substanz  compacter;  sie 
hindert  die  einzelnen  Theilchen  derselben  sich  dadurch  der  Entzündung 
zu  entziehen,  dass  sie  in  vorhandene  Zwischenräume  eindringen;  denn 
diese  capillaren  Zwischenräume  sind  es  vorzugsweise,  welche  durch  die 
aufgesaugte  Flüssigkeit  ausgefüllt  werden. 

Der  ausserordentliche  Unterschied,  den  die  Dichte  des  Explofiör« 
körpers  und  vielleicht  noch  mehr  seine  Starrheit  auf  den  Yerlanf  der 
Zersetzung  ausübt,  zeigt  sich  an  der  Schiesswolle  besonders  deutlich,  weä 
diese  einestheils  als  ganz  leichte  Flocken,  dann  als  Göspinnst  und  Gewebe 


—  Cal.    Bei  Entstehung  von  v  cbm  des  betreffenden  Gases  ans  seinen  Elementen  wird 

demnach  eine  Wärmemenge  von  Cal.   entbanden.     Znr  Bildnng  der  ans  1  kg 

a 

Schiessbaum wolle  entstehenden  Gase  gehören  demnach  1466  Cal.     Zur  Bildung  von  1  k$ 

SchiessbanmwoUe  aus   den  Elementen   gehört  nach   Berthelot   eine  Wfirmenieng«  tob 

920  Cal.    Demnach  werden  bei  Explosion  yon  1  kg  Schiesswolle  entwickelt :  1470  —  d^ 

K=  550  Calorien. 


D.    Die  Explosivkörper.  507 

und  endlich,  nachdem  sie  dorch  enorme  Dracke  comprimirt  worden  ist, 
als  holz-,  beinahe  homartige  Masse  zur  Verwendung  kommt.  Nähert 
man  einem  Ballen  flockiger  SchiessbaamwoUe  eine  Wärmequelle  von 
mindestens  135^  C,  so  verbrennt  sie  sehr  rasch,  fast  momentan,  und 
ein  sehr  matter  dumpfer  Knall  begleitet  die  Zersetzung.  Verfahrt  man 
in  gleicher  Weise  mit  Gespinnsten  oder  Geweben,  so  geht  an  freier  Luft 
die  Verbrennung  um  so  langsamer  vor  sich,  je  dichter  die  Fasern  im 
Fabrikate  zusammengelagert  sind.  Comprimirte  Schiessbaum  wolle  ver- 
brennt noch  langsamer;  durch  geeignete  Wahl  der  Temperatur  der  Wärme- 
quelle, welche  zur  Entzündung  dient,  und  der  Dichte  und  Dimensionen 
des  Materiales  kann  man  es  dahin  bringen,  dass  die  Zersetzung  zwar 
eingeleitet  wird,  die  entwickelte  Wärme  aber  nicht  genügt,  um  die  Zer- 
setzungsproducte  zu  entzünden,  so  dass  die  Schiesswolle  verzehrt  wird, 
ohne  eine  eigentliche  Flamme  zu  bilden  ^).  —  Aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  sind  bei  einer  derartigen  Zersetzung  die  entstehenden  Produote 
wesentlich  andere,  als  im  Falle  einer  mit  Detonation  verbundenen  Ex- 
plosion der  ganzen  Masse,  welche  mit  den  oben  mitgetheilten  Geschwin- 
digkeiten sich  durch  die  Substanz  verbreitet.  Man  kann  daher  aus  den 
bei  derartigen  Versuchen,  oder  bei  Verbrennung  in  einem  luftverdünnten 
Räume  erhaltenen  Zersetzungsproducten  durchaus  keinen  zuverlässigen 
Schluss  auf  den  Verlauf  des  chemischen  Processes  ziehen,  der  im  Falle 
einer  eigentlichen  EIxplosion  stattfindet.  Diese  wesentlich  andere  Art 
der  Zersetzung  tritt  ein:  entweder  bei  Berührung  mit  einem  sehr  hoch 
erhitzten  Körper,  oder  bei  Entzündung  dui'ch  ein  kräftiges  Zündhütchen, 
jedoch  nur  in  seltenen  Fällen  durch  die  Einwirkung  sehr  kräftiger  me- 
chanischer Erschütterungen,  wie  heftige  Hammerschläge  mit  einem  Stahl- 
hammer auf  harter  Unterlage  etc. 

Als  man  mit  einem  Garabiner  auf  Distanzen  von  36  bia  91  m  nach 
Scheiben  von  comprimirter  Schiesswolle  schoss,  wurden  diese  anfönglich 
ohne  Entzündung  vom  Geschosse  durchschlagen,  bei  grösseren  Entfernungen 
gelegentlich  auch  in  Flammen  gesetzt,  manchmal  explodirten  dieselben 
auch  theilweise,  in  seltenen  Fällen  vollständig;  jedoch  kam  es  fast  nie  zu 
einer  eigentlichen  Detonation,  wie  man  dieselbe  durch  die  Einwirkung 
eines  kräftigen  mit  Knallquecksilber  gefällten  Metallzündhütchens  erhielt. 

Die  Schiessbaumwolle  im  comprimirten  Zustande  ist  ein  sehr  ge- 
schätzter Ezplosivkörper  geworden  und  hat  vielfach  dem  noch  heftiger 
wirkenden  Dynamit  (reines  Nitroglycerin  wird  seiner  flüssigen  Form 
wegen  in  der  Praxis  fast  gar  nicht  mehr  verwendet)  Goncurrenz  gemacht. 
Sind  auch  die  Wirkungen  des  Pyroxylins  nicht  so  beträchtlich,  als  die 
des  Dynamits,  so  sind  dieselben  doch  bei  Einleitung  der  Entzündung 
durch  Detonationszünder  immerhin  das  Vielfache  von  derjenigen ,  welche 


^)  Abel  hat  diesen  Versuch  z.  B.  im  Jahre  1864  vor  der  Royal  Society,  angestellt. 
Man  sehe:  Abel,  Nouvelles  Stades  sor  les  propri^t^s  des  corps  explosibles.  Ann.  de 
chim.  et  de  phys.  4.  Serie.   Bd.  21,  S.  98. 


508  n.  Thermochemie. 

die  gleiche  Menge  Pnlyer  hervorhringt ;  dabei  ist  die  SchiessbanmwoUe, 
wenigBtens  wenn  sie  nach  dem  von  Abel  verbesserten  Lenk' sehen  ^)  Yei^ 
fahren  aus  ganz  reiner  Holzfaser  hergestellt  nnd  das  Präparat  sorgfältig 
entfettet  nnd  entsäuert  worden  ist,  in  der  comprimirten  Form  fast  ganz 
ungefährlich  zu  handhaben.  Aach  kann  sie  beim  Gomprimiren  leicht  in 
jede  beliebige  Gestalt  gebracht  werden.  Ihre  Wirkung  ist  nicht  so  bri- 
sant, dass  ihre  Yerwendnng  in  Fenerwaffen  ausgeschlossen  ist;  jedoch  f&r 
diese  Zwecke  ist  noch  keines  der  neueren  Explosiypräparate  im  Stande 
gewesen,  das  Pulver  in  merklicher  Weise  zu  verdrängen. 

Jedenfalls  bieten  auch  die  bei  der  Schiessbaumwolle  beobachteten 
Vorgänge  nichts  dar,  was  sich  nicht  vom  Standpunkte  der  mechanischen 
Wärmetheorie  und  der  Thermochemie  aus  vollständig  aus  der  physika- 
lischen und  chemischen  Bescha£Penheit  dieser  Substanz  erklären  liesse. 

Zum  Schlüsse  wollen  wir  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  man  auch 
andere  ähnlich  wie  Cellulose  zusammengesetzte  Kohlenhydrate  durch 
Behandeln  mit  sehr  concentrirter  Salpetersäure  in  Ezplosivkörper  ver- 
wandelt hat.  Auf  diese  Weise  entsteht  die  Nitrostärke  (Xyloidin),  der 
Knallzucker,  CiaHi8  07(N03)4,  Nitromilchzucker  und  Nitrömannit,  letztere 
mit  der  Zusammensetzung  O^Hs  (N03)6-  Nitrostärke  ist  zusammengesetit 
wie  Schiessbaum  wolle ;  von  den  beiden  von  den  Zuckerarten  hergeleiteten 
Präparaten  ist  die  Zusammensetzung  nicht  sicher  bekannt. 

Alle  diese  Körper  ähneln  bezüglich  ihrer  Explosivität  sehr  dem 
Pyrozylin,  sie  sind  jedoch  in  Aether  und  Alkohol  löslich,  in  Wasser  oo- 
löslich  und  sind  daher  besonders  als  Ueberzüge  über  andere  Explosiv- 
Präparate  empfohlen  worden,  die  durch  Wasser  verändert  werden  würden. 
Selbstständig  haben  sie  in  der  Praxis  keine  erhebliche  Bedeutung  erlangt, 
auch  sind  dieselben  nicht  so  genau  untersucht,  dass  man  umfänglichere 
theoretische  Betrachtungen  an  ihr  Verhalten  anknüpfen  könnte. 

Da  die  Schiessbaumwolle  und  die  ihr  verwandten  Präparate  nicht 
genügenden  Sauerstoff  in  sich  schliessen,  um  eine  vollkommene  Verbren- 
nung der  oxydirbaren  Elemente  zu  gestatten,  so  hat  man  auch  vielfach 
daran  gedacht,  durch  Mengung  derselben  mit  Mitteln,  welche  im  Stande 
sind  freien  Sauerstoff  abzugeben,  z.  B.  durch  Zumischung  von  Nitraten 
oder  Ghloraten,  eine  grössere  explosive  Wirkung  zu  erzielen.  Hierher 
gehört  z.  B.  das  weisse  Schiesspulver  des  Hauptmanns  E.  Schnitze, 
Lannoy's  Lithofracteur.     Berthelot  ^)  hat  gezeigt,  dass  der  hierdurch 


^)  Gensaeres  über  Hentellang,  Bearbeitung,  Transport  nnd  Anwendung  der  Sdilew 
banmwoUe  in  der  Technik  sehe  man  in  dem  bereits  mehrfach  dtirten  Schrifichen  too 
E.  T.  Meyer,  Die  Explosivkörper  S.  16  bis  41.  Speciell  über  Anwendung  in  Fenei^ 
Waffen  S.  34  u.  35  daselbst. 

^)  Berthelot  giebt  am  Schlosse  seiner  Abhandlang:  „Snr  la  chalenr  de  formatioi 
des  compos^s  oxyg6n6s  de  l'azote^  eine  interessante  tabellarische  Zusammenstellong  fiber 
die  Bildangswärme  der  wichtigsten  unter  Mitwirkung  der  Salpetersäure  gebildeten  £x- 
plosiykorper  aus  ihren  Elementen,  über  die  Yerbrennungßwärme  derselben  durch  reinen 
Sauerstoff*  und  über  die  Abzüge ,  die  von  dieser  Verbrennungswärme  zu  machen  sind, 
wenn  nicht  freier  Sauerstoff  angewendet  wird,  sondern  der  Sauerstoff  tou  anderen  Oxy- 
dationsmitteln abgegeben   wird.     Gegen    die   Richtigkeit  dieser   Zahlwexthe   sind  jedoch 


D.   Die  Explosivkörper.  609 

erzielte  Yortheil  kaum  sehr  erheblich  ist»  Die  entwickelte  Wärmemenge 
wird  zwar  yergrössert,  das  Gasvolumen  nimmt  jedoch  meist  nur  aner- 
heblich zu,  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Entzündung  nimmt 
jedoch  ab,  sie  beträgt  bei  mit  Salpeter  gemengter,  getrockneter  compri- 
mirter  Schiessbaumwolle  nur  circa  4800  m,  gegen  5300  m  bei  reiner, 
comprimirter  Schiesswolle.  Da  ausserdem  die  entstehenden  Verbren- 
nongsproducte  der  Dissociation  fähig  sind,  so  wird  das  Präparat  dadurch 
minder  brisant,  als  dies  reines  Pyroxylin  ist.  Umfänglichere  Versuche 
vom  wissenschaftlichen  Standpunkte  aus  sind  auch  mit  diesen  Präparaten 
nicht  angestellt  worden. 


13.  Die  Pikrinsäure  und  die  Pikrate. 

Durch  Behandlung  des  Phenols  (Carbolsäure)  mit  überschüssiger 
cöncentrirter  Salpetersäure  entsteht  die  Pikrinsäure  (Trinitrophenol, 
C^HsIl^OslsCOH]),  welche  theils  selbst,  theils  in  ihren  Salzen  in  neuerer 
Zeit  eine  nicht  unwesentliche  Rolle  als  Explosivpräparat  spielt. 

Die  Pikrinsäure  selbst  zerfallt,  wenn  sie  bis  SlO^C.  erhitzt  oder  durch 
einen  Hammerschlag  entzündet  wird,  wahrscheinlich  nach  der  Formel: 

2C6H2(N02)s(OH)  =  C03  +  900  +  SHjO  +  20  +  6N. 

von  J.  Thomsen  nicht  unweseDtliche  und,  wie  es  scheint,  nicht  unbegründete  Einwände 
erhoben  worden. 


Warmetönung  bei  Bildung  der 
Substanzen  aus  ihren  Elementen. 
Bildungswärme  pro  1  kg  Substanz 


Nitroglycerin  ....      llOCal. 

Pyroxylin 920   „ 

Pikrinsäure  ....  —  66  „ 
Kaliumpikrat  .  •  .  .  IdO  „ 
Salpetersäure  (Monohyd.)  320  „ 
Ealiumnitrat 930    . 


Verbreunungswärme  w 

in  reinem  Sauerstoff 

pro  1  kg  Substanz 


1790  Cal. 
1570  „ 
2920  „ 
2470  „ 


Von  den  Verbrennungswärmen  w  in  reinem  Sauerstoff  sind  abzuziehen,    wenn  man 

»Atom  0  entnimmt: 

'    fi 
KapferoxydnCuO:to — 18,6n,  SUberozydnAgO: to — 3»,  Silbemitrat "rNOjAq:«;— 1,1  n, 

Kalinmnitrat   -  NOaKiw  — 1,9»,  Kaliumchlorat  -  ClOaK:  w-f-2,5n- 
3  3 

Man  sehe  Berthelot,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  5.  Serie.  Bd.  9,  S.  164. 


510  IL   Thermochemie. 

Nach  diesem  Zersetzrmgsschema ,  welches  von  Berthelot  herrührt 
nnd,  soviel  mir  hekannt,  durch  genaue  Analysen  noch  nicht  controliit 
ist,  würden  die  Explosionsproducte  pro  1  Kilogramm  eine  Wärmemeng« 
Ton  1093  Galorien  hei  ihrer  Entstehung  aus  den  Elementen  entwickeln; 
nimmt  man  nach  den  Angaben  des  eben  genannten  Chemikers  die  bei 
Bildung  von  1  kg  Pikrinsäure  entwickelte  Wärmemenge  zu  —  66  GaL 
an,  so  würde  die  bei  der  Explosion  von  1  kg  Pikrinsäure  freiwerdende 
Wärmemenge  die  Zahl  von  1160  Cal.  erreichen.  Die  von  1  kg  bei  der 
Explosion  entwickelte  Gasmenge  würde,  wenn  obige  Formel  richtig  wäre 
(Wasser  gasförmig  angenommen),  bei  0^  und  760  mm  7801  betragen. 
Hiemach  wäre  die  Pikrinsäure  einer  der  energischst  wirkenden  Explosiv- 
körper,  welcher  selbst  Nitroglycerin  an  Energie  überträfe.  Da  jedoch  so 
überaus  heftige  Wirkungen  bei  der  Explosion  der  Pikrinsäure  nicht  be- 
kannt sind ,  so  ist  entweder  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Ent- 
zündung eine  sehr  geringe,  oder  die  Zersetzung  findet  in  anderer  far  die 
Production  von  Wärme  und  Yolumenvergrösserung  minder  günstigeo 
Weise  statt  ^). 

Genaue  Versuche  mit  reiner  Pikrinsäure  scheinen  wenig  oder  gar 
nicht  angestellt  worden  zu  sein. 

Da  auch  bei  dieser  Substanz  die  Menge  des  ursprünglich  Torhan- 
denen  Sauerstoffs  nicht  zur  vollständigen  Verbrennung  der  BestandtheÜe 
ausreicht,  so  liegt  der  Gedanke  nahe,  durch  Beimengung  von  Snbstansen, 
welche  im  Stande  sind  Sauerstoff  abzugeben,  die  Verbrennung  zu  einer 
vollkommeneren  zu  machen.  Am  geeignetsten  würde  dazu  z.  B.  Kaliom- 
chlorat  sein.  Es  würde  sich  in  diesem  Falle  nach  der  Ansicht  Berthe- 
lot's^)  ergeben: 

2C6H3(NO03(OH)  +  ^ClO8K=^KCl+12CO3  +  3H,O+6N. 

o  o 

Bei  Bildung  der  Explosionsproducte,  welche  von  1  kg  des  GenÜBches 
herrühren,  wird  eine  Wärmemenge  von  1780  Cal.  entbunden.  Bei  Ent- 
stehung von  1  kg  des  Gemisches  werden  1522  Cal.  frei,  demnach  ent- 
spricht der  Zustandsänderung,  welche  bei  der  Explosion  stattfindet,  eine 
Wärmemenge  von  260  Cal.  Das  von  1  kg  des  Gemisches  herrührende 
Gasquantum  nimmt  ein  Volumen  von  405  1  ein.  Die  disponible  (jesamnit- 
energie  des  Gemisches  ist  daher  sehr  viel  geringer,  als  die  des  gleichen 
Gewichtes  reiner  Pikrinsäure.  Damit  dürfte  vielleicht  die  Thatsache  zu- 
sammenhängen,  dass  die  Gemische  von  Pikrinsäure  und  Substanzen, 
welche  geeignet  sind  Sauerstoff  abzugeben,  durchaus  nicht  den  Erwartun- 
gen entsprochen  haben,  die  man  glaubte  von  denselben  hegen  zu  dürfen. 


^)  Letzteres  ist  jedoch  höchst  unwahrscheinlich,  da  unter  allen  möglichen  Beacdoim 
stets  diejenige  stattfindet,  bei  welcher  die  grösste  Wärmemenge  entwickelt  wird. 

^)  Man  sehe  Berthelot,  Ann.  de  chira.  et  de  phys.  4.  Serie.  Bd.  23,  S.  267. 
Die  an  dieser  Stelle  gegebenen  Zahlen  sind  späterhin  von  Berthelot  selbst  rervorftB 
worden,  deshalb  sind  in  diesem  Buche  Wärmemengen  und  Gasvolumina  nach  deo  gc* 
wonnenen  Daten  neu  berechnet. 


D.    Die  Explosivkörper.  511 

In  der  Technik  ist  h&nfiger,  als  die  Pikrinsfture,  das  Kalinmpikrat 
Terwendet  worden.  Für  dessen  Zersetzung  nimmt  Berthelot  die 
Formel  an : 

2[C6Hj(N02)8  0K]  =  6N  +  9C0  +  20  +  K^COs  +  2H2O. 

Bei  Bildung  von  1  kg  dieses  Salzes  aus  den  Elementen  werden  nach 
den  Versuchen  desselben  Chemikers  186  Oal.  entwickelt.  Bei  Entstehung 
von  1  kg  der  Explosionsproducte  aus  den  Elementen  werden  1118  Cal. 
frei  Die  Differenz  von  930  Cal.  giebt  die  bei  Explosion  von  1  kg  der 
Substanz  entfaltete  Wärmemenge.  Das  Volumen  der  Gase,  welche  von 
1  kg  bei  der  Zersetzung  entwickelt  werden,  beträgt,  sofern  man  obige 
hypothetische  Formel  als  richtig  annimmt,  585  Cal.  Das  Ealiumpikrat 
charakterisirt  sich  hiernach  in  der  That  als  ein  sehr  kräftig  wiikender 
Ezplosivkörper,  als  welcher  es  auch  in  der  Praxis  geschätzt  wird. 

Die  Entzündungstemperatur  liegt  verhältnissmässig  hoch,  nämlich 
bei  31 0^;  ein  kräftiger  Hammerschlag  genügt  jedoch  auch  die  Zersetzung 
desselben  unter  hefdger  Detonation  herbeizuführen. 

Auch  das  Ammoniumpikrat  ist  vielfach,  theils  allein,  theils  als  Bei- 
mengung zu  gewöhnlichem  Pulver,  verwendet  worden  ^). 

Die  Entzündungsgeschwindigkeit,  die  ausgeübten  Drucke  bei  Ex- 
plosion in  geschlossenen  Räumen  und  die  chemische  Beschaffenheit  der 
Zersetzungsproducte  scheint  jedoch  noch  nicht  auf  experimentellem  Wege 
gemessen  worden  zu  sein. 

Die  theoretischen  Zahlwerthe  lassen  wenigstens  erkennen,  dass  die 
Verwendung  der  Pikrinsäure  und  ihrer  Salze  viel  heftiger  wirkende  Prä- 
parate giebt,  als  beispielsweise  Schiesspulver,  und  dies  ist  in  der  That 
durch  die  Erfahrungen,  welche  in  der  Technik  gemacht  worden  sind, 
durchaus  bestätigt  worden. 

14,    Die  Fulminate. 

Die  meisten  Salze  der  Enallsäure  zeichnen  sich  durch  ihre  hohe 
Explosibilität  aus,  weshalb  diese  Substanzen,  welche  ihrer  Kostbarkeit 
und  der  Gefährlichkeit  ihrer  Behandlung  wegen  sich  nicht  dazu  eignen, 
selbstständig  in  grösseren  Massen  in  der  Technik  verwendet  zu  werden, 
besonders  zur  Fabrikation  von  Detonationszündem,  Zündhütchen  etc.  ver- 
wendet werden. 

Die  Hauptrolle  in  der  Praxis  spielt  in  dieser  Beziehung  das  Enall- 
qnecksilber;  von  untergeordneter  Bedeutung  hingegen  ist  das  Enall- 
Bilber.  Nach  den  Untersuchungen  Kekul^'s  sind  diese  Präparate  nach 
den  Formeln: 

C(NOa)(CN)Hg  und  C(NOa)(CN)Agj 

^)  Nähere  Details  über  die  in   der  Technik  verwendeten  Gemische   sehe  man  in: 
E.  T.  Meyer,  Die  Explosivkörper,  S.  49* 


512  IL   Thermochemie. 

zusammengesetzt.  Ueber  ihre  Bildungswärmen  und  die  bei  der  Explo- 
sion frei  werdenden  Wärmemengen ,  sowie  über  die  Mengen  der  bei  der 
Zersetzung  gebildeten  Producte  liegen  bis  jetzt  weder  Hyxwthesen ,  noch 
experimentelle  Erfahrungen  vor.  Als  Zersetzungsproducte  sind  jedenät 
Stickstoff,  Eohlenoxyd  und  Quecksilberdampf  respective  Silber  wah^ 
genommen  worden.  Die  verhältnissmässig  grosse  Einfachheit  der  Explo- 
sionsproducte  schliesst  eine  merkliche  Wirkung  der  Dissociation  fast  toD- 
ständig  aus  und  macht  die  ausserordentlich  brisanten  Eigenschaften  dieser 
Substanzen  verständlich.  Das  chemische  Gleichgewicht  dieser  Yerbiii- 
dungen  scheint  ein  sehr  labiles  zu  sein,  denn  eine  Erwärmung  des  Knall- 
quecksilbers  auf  150®  C.  (nach  Anderen  auf  200®)  und  des  Knallsilben 
auf  130®  genügt,  um  die  Zersetzung  unter  heftiger  Detonation  herbdxü- 
ftihren.  Eine  massige  Reibung,  ein  gelinder  Schlag,  wenn  Hammer  und 
Ambos  von  harten  Substanzen  (Stahl)  hergestellt  sind,  genügt  zur  Ein- 
leitung der  Zersetzung.  Enallsilber  entzündet  sich  schon  bei  der  leich- 
testen Beibung  und  kann  daher  kaum  zu  Zündern  (Zündhütchen),  son- 
dern höchstens  zu  Spielereien  (Knallbonbons,  Knallerbsen)  verwende 
werden.  Zündet  man  Knallquecksilber  an  der  Oberfläche  an,  so  yerpidft 
es  mit  massigem  Knalle.  Knallsilber  zersetzt  sich  nur  mit  heftiger  De- 
tonation, ausser  in  einem  luftyerdünnten  Räume,  in  dem  selbst  diese 
ausserordentlich  empfindlichen  Präparate  nur  schwierig  zn  entzünden 
sind  und  dann  einen  langsam  fortschreitenden  Zersetzungeprocess  a- 
leiden. 

Die  ausserordentlich  brisante  und  verhältnissmässig  geringe  balli- 
stische Wirkung  des  Knallquecksilbers  hat  unter  Anderem  ein  Yersneli 
von  AbeP)  dargethan.  Er  füllte  ein  Hohlgesohoss  mit  nur  6,5  g  KnaD- 
quecksilber,  verschloss  dasselbe  und  entzündete  die  Ladung  durch  eines 
^ektrisch  glühend  gemachten  Draht.  Das  eiserne  Greschoss  wurde  dureb 
die  Explosion  fast  zu  Staub  zersprengt,  die  Sprengstücke  lagen  jedoch 
sämmtHch  unweit  des  Explosionscentrums.  Als  man  hierauf  eine  gus 
gleichbeschaffene  Bombe  in  derselben  Weise  durch  eine  Ladung  von  50  g 
Schiesspulyer  zersprengte,  wurde  die  Eisenmasse  in  wenige  grosse  Stu<^e 
zerrissen,  diese  jedoch  wurden  weithin  fortgeschleudert. 

Es  deuten  diese  Versuche,  sowie  alle  Erfahrungen,  welche  man  mü 
Knallquecksilber  gemacht  hat,  darauf  hin,  dass  die  Geschwindigkeit,  mit 
der  eine  eingeleitete  Detonation  fortschreitet,  eine  sehr  grosse  ist,  und 
dass  deshalb  ein  hohes  Maximum  des  Druckes  äusserst  rasch  erreicht 
wird,  dass  aber  der  Druck  nach  diesem  plötzlichen  Ansteigen  auch  äussent 
rasch  wieder  sinkt,  und  dass  diese  grossen  Druckdifferenzen  verhältniss- 
mässig nur  local  auftreten. 

Um  diese  fast  momentane  Zersetzung  etwas  zu  verlangsamen  nsd 
namentlich  um  das  Volumen  der  Verbrennungsgase  zu  vergrössem,  mengt 
man  dem  Knallquecksilber  häufig  andere  Substanzen,  z.  B.  chlorsanrei 


^)  Abel,  Chemical  News  1862,  S.  270. 


D.   Die  Explosivkörper.  513 

Kalinm,  Salpeter,  SchieBspolver  oder  Schwefel  bei.  Die  Gesammtenergien 
solcher  Gemenge,  auf  gleiches  Gewicht  bezogen,  sind  selbstverständlich 
stets  geringer,  als  die  des  reinen,  anvermischten  Präparates. 


Ib.  Einfluss  der  Art  der  Entzündung  auf  Zersetzungsweise 

und  Wirkung  der  Explosivkörper. 

Schon  Papacino  d' Antonio  bemerkt  im  Jahre  1765  in  seinem: 
Examen  de  la  poudre  ^) ,  dass  Palver  nm  so  schwerer  entzündet  werden 
könne,  je  verdünnter  die  Atmosphäre  sei,  in  der  sich  dasselbe  befinde;  im 
Jahre  1817  beobachtete  Mnnke^),  dass  im  Yacuum  das  Schiesspolver 
durch  schnelles  Erhitzen  nicht  explodire.  Bald  darauf  machte  Hearder 
die  Beobachtung,  welche  später  durch  Bianchi')  vollständig  bestätigt 
wurde,  dass  es  im  Yacuum  nicht  möglich  sei,  Schiesspulver  durch  einen 
galvanisch  glühenden  Draht  zur  Explosion  zu  bringen;  meist  zeigte  sich 
nur  eine  Snblimation  des  Schwefels;  wurde  die  Erhitzung  jedoch  noch 
weiter  getrieben,  wurden  grössere  Partien  gleichzeitig  rasch  von  unten  er- 
wärmt, so  trat  schliesslich  ein  langsames  Abbrennen,  durchaus  aber  keine 
Verpuffung  ein.  Heeren  ^)  hat  späterhin  diese  Versuche  wiederholt  und 
gefunden,  dass  alle  Explosivkörper  sich  ähnlich  verhalten,  d.  h.  dass 
alle  diese  Substanzen  im  Yacuum  eine  langsame  Zersetzung  ohne  Explo- 
sion erfahren.  Selbst  diejenigen  hierhergehörigen  Stoffe,  welche  das 
labilste  chemische  Gleichgewicht  zeigen,  wie  z.  B.  KnaUquecksilber,  ver- 
brennen, wie  schon  erwähnt,  im  luftleeren  Räume  nur  äusserst  langsam, 
und  die  eingeleitete  Entzündung  überträgt  sich  nur  äusserst  schwierig 
auf  benachbarte  Theile. 

Auf  die  wesentliche  Ursache  dieses  eigenthümlichen  Yerhaltens  hat 
schon  Heeren  hingewiesen;  sie  dürfte  darin  zu  suchen  sein,  dass  sich  im 
Yacuum  die  durch  die  Zersetzung  gebildeten  Gase  sehr  rasch  expandiren 
und  bei  dieser  beträchtlichen  Yolumenvergrösserung  sich  sehr  stark  ab- 
kühlen. Die  bei  der  eingeleiteten  Entzündung  entwickelte  Wärme  wird 
dadurch  zum  grossen  Theile  absorbirt,  und  der  Rest  genügt  nicht,  um 
benachbarte  Theile  bis  zur  Entzündungstemperatur  zu  erhitzen,  oder 
wenn  selbst  die  übriggebliebene  Wärmemenge  ausreichen  sollte,  die  aller- 
nächsten Partien  des  Explosivkörpers  genügend  hoch  zu  erhitzen,  so 
wird  dies  mit  etwas  weiter  entfernt  liegenden  Theilchen  doch  nicht  der 
Fall  sein,  und  in  Folge  davon  wird  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
der  Entzündung  sehr  vermindert  werden. 

Nach  Erfahrungen,  welche  man  gemacht  hat,  indem  man  eine  explo- 
sive Substanz  langsam  abbrennen  Hess  und  dann  eine  Probe  desselben 

1)  Paris  1765,  S.  208. 

*i  Gehlert's  Phys.  V^örterb.  Bd.  8,  S.  526. 

^  Compte«  rendiu  Bd.  55,  S.  97. 

^  Dingler's  Polyt.  Journ.  Bd.  180,  S.  287. 

Rftblmaiin,  Heohan.  Wftnnetbeorie.   Bd.  8.  38 


514 


n.  Thermochemie. 


Körpers  mit  heftiger  Detonation  sich  zu  zersetzen  veranlasste,  darf  man  ah 
ziemlich  sicher  annehmen,  dass  die  Explosionsprodncte  in  dem  einen  ond 
dem  anderen  Falle  wesentlich  verschieden  ausfallen.  Allem  Anschein  nscli 
ist  die  Reaction  eine  um  so  vollkommenere,  nnd  wird  um  so  mehr  Wanne 
producirt,  bei  je  höherer  Temperatur  die  Zastandsändernng  stattfindet 
Ein  recht  deutliches  Beispiel  hierfür  ist  die  schon  früher  von  uns  mit- 
getheilte  Zersetzung  der  Schiessbaum  wolle  im  Yacuum  und  in  einem  ge- 
schlossenen Räume.  Karolyi  ^)  liess  dieselbe  Sorte  Schiesswolle  anf 
beide  Weisen  sich  zersetzen  und  erhielt  nachstehend  verzeichnete  Pro- 
ducte  in  den  angeführten  Mengen.  Das  Volumen  der  entwickelten  Gtse 
ist  nur  im  letzten  Falle  ermittelt. 


Zersetzangsproducte  des  Pjroxylins 


Kohlenoxyd  •  .  .  . 
Kohlensäure  .  .  .  . 
Grubengas      .    .    .    . 

Stickoxyd 

Wasserdampf  .  .  . 
Wasserstoff    .    .    .    . 

Stickstoff 

Unverbrannte  Kohle 


im  Vacunm  verbrannt 


28,5 
19,1 
11,2 

21,9 

8,6 
1,8 


bei  constantem  Vo- 
lumen explodirt 


29,0 

20,8 

7,2 

25,3 
3,2 

12,7 
1,8 


Versuche  von  Berthelot  und  von  Abel ')  haben  sogar  gezeigt,  daa 
mehrere  Explosivpräparate,  z.  B.  Nitroglycerin,  wenn  sie  allmalig  nur  bis 
in  die  Nähe  ihrer  Entzündungstemperatur  erhitzt  und  bei  dieser  Tempe- 
ratur erhalten  werden,  sich  in  wesentlich  anderer  Weise  zersetzen  könnea, 
als  beim  eigentlichen  Verbrennen,  so  dass  bei  dieser  Zustandsändening, 
während  welcher  die  Substanz  ihre  Fähigkeit  zu  ezplodiren  verliert, 
wenig  oder  gar  keine  Wärme  entwickelt  wird.  —  Geschieht  die  Erhitioflg 
rasch,  so  dass  die  Zersetzungsproducte  sich  nicht  aus  dem  Wirkaogs- 
bereiche  der  übrigen  Molecüle  entfernen  können,  so  wird  durch  dieee 
Einwirkung  der  Wärme  das  chemische  Gleichgewicht  bereits  stark  er- 
schüttert, und  es  genügt  dann  eine  sehr  geringfügige  Ursache,  um  eine 
vollständige  und  explosive  Zersetzung  der  ganzen  Masse  herbeizuführen* 

Sind  diese  Präparate  bereits  bis  in  die  Nähe  ihrer  Entzündnngs- 
temperatur  vorgewärmt,  so  tritt  fast  ausnahmslos,  wenn  die  Entsündong 

1)  Pogg.  Ann.  Bd.  118,  S.  544  und  Dingler»»  Polyt.  Journ.  Bd.  169,  S.  428. 
')  Abel,  Nouvelles  recherches  sur  Ics  corps  explogives.  Ann.  de  chtm.  et  de  fhp. 
Bd.  21,  S.   188. 


D.    Die  Explosivkörper.  515 

eingeleitet  wird,  eine  rapide  Zersetzong  mit  heftiger  Detonation  ein, 
selbst  unter  Umstanden,  unter  welchen  sonst  ein  langsames  Abbrennen 
der  ganzen  Masse  stattfinden  würde.  Ist  z.  B.  Nitroglycerin  im  Yacnnm 
Torher  erhitzt  worden,  und  bringt  man  dasselbe  dann  plötzlich  mit  einem 
glühenden  Platindraht  oder  einem  anderen  hocherhitzten  Körper  in  Be- 
rührang,  so  tritt  eine  heftige  Explosion  ein,  während  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  im  Yacuum  bekanntlich  höchstens  ein  langsames  Abbrennen 
erzielt  werden  kann« 

Ganz  ähnliche  Vorgänge  hat  Abel  vielfach  sowohl  mit  Nitroglycerin, 
als  aach  mit  Schiesswolle  beobachtet  ^).  Er  entzündete  z.  B.  Flocken  von 
Schiessbaumwolle  in  Glasgefässen  bei  gewöhnlicher  Temperatur  und 
nachdem  er  dieselben  vorher  erwärmt  hatte;  die  Explosion  fiel  um  so 
heftiger  aus,  auf  je  höhere  Temperatur  das  Präparat  zuvor  gebracht 
worden  war.  Im  Laufe  seiner  Studien  über  die  Explosion  verschiedener 
Präparate  wurde  Abel  dazu  geführt,  überhaupt  zwei  Hauptarten  des 
Verlaufs  des  chemischen  Processes  zu  unterscheiden.  Die  eine,  welche 
er  schlechthin  als  Explosion  bezeichnet,  ist  charakterisirt  durch  einen 
langsamen  Verlauf,  massige  mechanische  Wirkungen  und  nicht  sehr  hef- 
tigen Knall;  diese  Vorgänge  erstrecken  sich  häufig  nur  auf  einzelne 
Partien  des  entzündeten  Körpers,  andere  Theile  desselben  werden  in 
onyerändertem  Zustande  dabei  fortgeschleudert.  Die  andere  Art  der 
Znstandsänderung  bezeichnet  er  ausschliesslich  mit  dem  Namen  Detona- 
tion, weil  sie  stets  von  einem  heftigen  Knall  begleitet  ist  und  die 
energischsten  mechanischen  Wirkungen  hervorbringt,  deren  die  Substanz 
flhig  ist.  —  Es  ist  jedoch  wahrscheinlicher,  dass  eine  unendliche  Anzahl 
▼on  Zwischenzuständen  existirt,  welche  begrenzt  wird  einerseits  durch 
das  langsame  Abbrennen,  dessen  Fortschreiten  man  häufig  mit  dem  Auge 
verfolgen  kann,  andererseits  durch  die  fast  momentan  durch  die  ganze 
Masse  sich  verbreitende  Zersetzung,  bei  welcher  enorme  Drucke  auftreten, 
so  dass  selbst  die  gewaltigsten  mechanischen  ELindemisse  durch  dieselben 
überwunden  werden.  Die  Explosionsproducte  werden  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  sowohl  hinsichtlich  ihrer  relativen  Menge,  als  auch  hin- 
sichtlich ihrer  chemischen  Beschaffenheit  je  nach  den  Druck-  und  Tem- 
peraturverhältnissen, welche  während  der  Reaction  herrschen,  verschieden 
ausfallen.  Es  existirt  ein  Zersetzungscoefficient  k,  ähnlich  dem  von 
Guldberg  und  Waage  für  Massenwirkungen  gefundenen  3) ,  für  jeden 
üxplosivkörper,  von  dem  die  Geschwindigkeit  der  Reaction  abhängig  ist, 
welcher  je  nach  der  Temperatur  und  dem  Drucke  sich  ändert.  —  Der 
Charakter  der  Explosivität  hängt  wahrscheinlich  sogar  ausschliesslich 
▼on  der  Grösse  dieses  Coefficienten  der  Geschwindigkeit  der  Reaction  ab, 
da  eine  Menge  von  chemischen  Processen  bekannt  ist,  bei  welchen  die 
entwickelte  Wärmemenge  mindestens  ebenso  gross  ist,  als  bei  Vorgängen, 

*)   Man    sehe  Philosophical  Tranwctions   Bd.  157,   S.  223,   und  Ann.  de  chim.  et 
de  phy».  4.  Serie.    Bd.  21,  Anmerk.  auf  S.  109  etc. 

>)   Man  sehe:  Journal  für  praktische  Chemie,  Neue  Folge  Bd.  19  (1879),  S.  69. 

33* 


516  n.  Thermoclieinie. 

welche  einen  explosiven  Charakter  an  sich  tragen,  and  welche  trotzdem 
dnrchauB  ruhig  verlaufen,  lediglich  deshalb,  weil  die  Greschwindigkeit, 
mit  der  sich  die  Reaction  vollzieht,  eine  geringe  ist.  Ein  Beispiel  hier- 
für ist  unter  anderen  das  Zerfallen  des  Cyangases  in  Kohlenstoff  imd 
Stickstoff;  bei  Bildung  dieses  Stoffes  aus  seinen  Elementen  werden 
82  000  Cal.  absorbirt,  bei  Zerlegung  von  1  kg  Cyangas  in  Kohlenstoff 
und  Stickstoff  werden  demnach  1580  Cal.  frei.  Trotzdem  vollzieht  siek 
diese  Zersetzung  unter  Einwirkung  des  elektrischen  Funkens  ohne  jed- 
wede Explosion.  Ein  Kilogramm  Kohlenoxyd  -  Sauerstoff  -  Knallgas  ent- 
bindet bei  seiner  Entzündung  bekanntlich  die  gleiche  Wärmemenge,  (arca 
1570  Cal.,  unter  Hervorbringung  heftiger  Explosionserscheinungen;  der 
Unterschied  kann  nur  in  der  Grösse  des  Coefficienten  der  Geschwindig' 
keit  der  Reaction  begründet  sein. 

Aus  den  vorliegenden  Versuchen  muss  man  schliessen,  dass  der  Ge* 
schwindigkeitscoefficient  mit  wachsender  Temperatur  und  zunehmendea 
Drucke  grösser  wird.  Es  ist  jedoch  an  der  Hand  des  bis  jetzt  pabli* 
cirten  Materials  schwierig  zu  entscheiden,  ob  vorzugsweise  der  Dmck 
oder  hauptsächlich  die  Temperatur  den  maassgebenden  EinfluBs  ausoK 
da  bei  allen  derartigen  Experimenten  das  Wachsthum  der  einen  Grö« 
auch  das  der  anderen  bedingt.  Versuche  ähnlich  denen,  welche  Bunsei 
und  späterhin  Horstmann  über  die  Verbindung  von  Wa8ser8toff-SaIle^ 
Stoff  und  Kohlenoxydgas-Sauerstoff  angestellt  haben,  wiederholt  bei  Ter 
schiedenen  Anfangsdrucken  und  Anfangstemperaturen  des  Gemisches  TOf 
der  Explosion,  dürften  am  ersten  geeignet  sein,  diese  Frage  ihrer  Beant- 
wortung näher  zu  führen. 

Alle  Vorgänge,  welche  geeignet  sind,  Druck  und  Temperatur  der 
Explosionsproducte  zu  erhöhen,  wirken  ausnahmslos  dahin,  daas  die 
Reaction  rascher  verläuft,  und  dass  der  chemische  Process  mehr  und  mekr 
den  Charakter  einer  Detonation  annimmt.  In  diesem  Sinne  wirkt  daliflr 
ausser  der  vorhergehenden  Temperaturerhöhung  des  Präparates  die  üb- 
hüllung  des  zur  Entzündung  gebrachten  Explosivstoffes  mit  Sabstansei, 
welche  eine  rasche  Expansion  der  Explosionsproducte  verhindern  osd 
eine  rasche  Abkühlung  derselben  unmöglich  machen.  —  Diese  Thatsacb 
hat  zumal  Abel  durch  eine  grosse  Zahl  vielfach  abgeänderter  Versnd» 
überzeugend  dargethan.  Die  meisten  Explosivstoffe  bewirken,  wenn  nsi 
auf  die  nämliche  Weise  die  Reaction  einleitet,  um  so  heftigere  Wirkoa- 
gen,  je  grösser  der  Widerstand  ist,  den  die  Umgebung  der  ExpansioB 
der  Gase  entgegenstellt.  Zur  Einleitung  einer  Explosion  in  compiimirter 
Schiessbaumwolle  genügt  z.  B.  schon  eine  in  dünnes  Metallblech  gehfiDtt 
Menge  von  0,32  g  Knallquecksilber,  während,  um  den  nämlichen  ErMf 
zu  erzielen,  1  bis  2  g  derselben  Substanz  nöthig  sind,  wenn  dasselbe  u 
freier  Luft  ohne  Umhüllung  auf  die  gleiche  Weise  zur  Explosion  veran* 
lasst  wird.  —  Lockere  Schiessbaum  wolle  liefert  nie,  selbst  wenn  mai 
gleiche  Gewichtsmengen  verwendet,  auch  nur  angenähert  gleiche  Wi^ 
kungen,  wie  Scheiben  dieser  Substanz  in  comprimirtem  Zustande;  jedes- 


D.   Die  Explosivkörper.  517 

falls  ans  dem  Grande,  weil  die  entwickelten  Ezplosionsprodncte  sich  in 
die  Zwischenräume  expandiren  nnd  dadurch  eine  erhebliche  Temperatur- 
emiedrigung  erfahren« 

Ebenso  hat  das  mehr  oder  minder  langsame  Abbrennen  sämmtlicher 
explosiver  Körper  und  die  äusserst  geringfügige  Wirkung,  welche  die- 
selben auf  ihre  Unterlagen  ausüben,  wenn  sie  an  freier  Luft  und  an  ihrer 
Oberfläche  entzündet  werden,  seinen  Grund  darin,  dass  die  gebildeten 
gasformigen  Explosionsproduct«  sich  unmittelbar  bei  ihrer  Bildung  un- 
gehindert in  die  Atmosphäre  expandiren  können  und  sich  dadurch  wesent- 
lich abkühlen.  Der  Druck  bleibt  in  Folge  davon  sehr  niedrig  und  die 
gebildete  Wärmemenge  wird  zum  grossen  Theile  durch  die  Expansions- 
arbeit  der  Gase  absorbirt.  Der  ReactionscoefQcient  behält  unter  diesen 
Umständen  einen  kleinen  Werth,  der  ganze  Process  verläuft  verhältniss- 
mässig  langsam. 

Diese  Umstände  wirken  in  noch  hervorragenderer  Weise,  wenn  Ex- 
plosivkörper  unter  niedrigerem  als  unter  Atmosphärendrucke  ^ur  Ver- 
brennung gelangen;  die  Reaction  kann  bekanntlich  dadurch  so  ver- 
langsamt werden,  dass  dieselbe,  selbst  wenn  sie  bereits  eingeleitet  ist, 
sich  nicht  fortzusetzen  im  Stande  ist,  dass  also  der  Geschwindigkeits- 
coefficient  den  Werth  Null  erreicht.  Die  Reaction  geht  dann  nur  vor 
sich,  wenn  von  aussen  Energie  zugeführt  wird. 

Schon  dünne  Hüllen,  mit  welchen  die  Substanzen  umgeben  werden, 
können  dem  Entweichen  der  Explosionsproducte  erhebliche  Schwierig- 
keiten in  den  Weg  legen.  Dadurch  wird  an  den  Stellen,  an  welchen 
man  die  Reaction  eingeleitet  hat,  Druck  und  Temperatur  in  geradezu 
ftberraschender  Weise  erhöht.  Die  Explosion  yoll  zieht  sich  dann  mit  viel 
grösserer  Heftigkeit,  der  Knall  ist  kürzer  und  heftiger,  die  Einwirkung 
auf  die  Umgebung  energischer  geworden,  ein  Zeichen,  dass  der  Ge- 
8chwindigkeitscoe£ficient  einen  grösseren  Werth  angenommen  hat.  Es 
ist  vielfach  nicht  einmal  nöthig  eine  eigentliche  Umhüllung  anzubringen. 
Entzündet  man  einen  Haufen  oder  einen  Tropfen  der  Substanz,  statt  an 
der  Oberfläche,  an  der  Auflagerungsstätte  auf  seiner  Unterlage,  so  wirkt 
das  Gewicht  der  Substanz,  respective  die  Trägheit  der  über  der  Entzün- 
dongsstelle  liegenden  Masse  ähnlich  wie  eine  Umhüllung.  Die  Explosion 
ist  dann  jederzeit  viel  heftiger,  als  beim  Abbrennen  in  freier  Luft,  wenn 
die  Entzündung  von  der  Oberfläche  aus  stattfand.  Abel  ^)  hat  dies 
dorch  Versuche  mit  Pulver,  Chlorstickstofi^,  Knallquecksilber,  Nitro- 
glycerin etc.  vielfach  bestätigt. 

Als  Umhüllung  der  Explosivpräparate  sind  die  verschiedenartigsten 
Körper  verwendet  worden ;  den  geringsten  Widerstand  boten  Papierhülsen 
dar,  einen  grösseren,  wie  zu  erwarten,  dünne  Metallbleche.  Auf  flüssigem 


^)  Abel,  NouTelles  ^tudes  sur  les  propri^t^s  des  corps  explosibles.    Ann.  de  chim. 
•i  de  phjTB.  4.  Serie.  Bd.  21,  S.-  100  u.  s.  f. 


518  IL   Thermochemie. 

Nitroglycerin  oder  Chlorstickstoff  erwies  sich  auch  eine  Bedeckung  mit 
einer  dünnen  Schicht  Wasser  als  äusserst  wirksam. 

Eine  Detonation  kann,  seihst  wenn  sich  die  Körper  in  freier  Luft 
befinden,  hei  fast  allen  derartigen  Substanzen  dadurch  herbeigeführt 
werden,  dass  man  deren  Entzündung  durch  eine  anderweite  Detonation 
veranlasst.  Am  besten  geschieht  dies  dadurch,  dass  man  die  Explosion 
eines  kräftigen  Zündhütchens  auf  den  betreffenden  Körper  einwirken 
lässt.  —  Auf  diese  Weise  können  in  freier  Luft  befindliche  Scheiben 
von  comprimirter  Schiessbaumwolle,  Nitroglycerin,  Dynamitpatronen  etc^ 
welche  sonst  an  freier  Luft  langsam  abbrennen,  zu  den  heftigsten  Detoiu- 
tionen  gebracht  werden.  Die  mechanischen  Wirkungen  auf  die  Umgebung 
sind  dann  sogar  wesentlich  energischer  gefunden  worden,  als  in  denjenigea 
Fällen,  in  welchen  man  die  gleichen  Quantitäten  des  Explosivkörpers 
durch  Einwirkung  hocherhitzter  Körper  (galvanisch  glühender  Dr&hte, 
elektrischer  Funken,  gewöhnlicher  Zünder  etc.)  in  äusserst  widerstands- 
fähigen Hüllen  (in  Sprenglöchern)  zur  Explosion  gebracht  hatte. 

Diese  eigenthümliche  Beobachtung  machte  zuerst  Brown,  ein  Che- 
miker im  Abel' sehen  Laboratorium;  hierauf  wurde  diese  Thatsache 
durch  umfängliche  Versuchsreihen,  welche  Abel  selbst  anstellte,  unzvei- 
felhaft  sichergestellt  und  unter  den  verschiedensten  Modificationen  wie- 
derholt. Die  vollständige  Erklärung  dieser  Erscheinung  wird  sich  erst 
geben  lassen ,  wenn  wir  ausser  der  Entzündung  der  Explosivstoffe  dareh 
rasche  Temperaturerhöhung  auch  die  Einleitung  der  Explosion  durch 
mechanische  Wirkungen :  Reibung  und  Stoss,  erörtert  haben,  denn  aUeo 
Anscheine  nach  wirken  bei  dem  Herbeiführen  der  Reaction  durch  Deto- 
nationszünder beide  Momente:  Erhitzung  und  Stoss,  gleichzeitig. 

Die  meisten,  obgleich  nicht  alle  explosiven  Präparate  können  durch 
heftige  Stösse,  zumal  durch  kräftige  Hammerschläge,  unter  geeigneten 
Umständen  entzündet  werden;  nur  diejenigen  Stoffe,  deren  chemiBches 
Gleichgewicht  ein  äusserst  labiles  ist,  kann  man  auch  durch  Reibung  ent- 
zünden. 

In  den  weitaus  meisten  Fällen  dürfte  lediglich  die  durch  die  be- 
treffende mechanische  Wirkung  entwickelte  Wärme  die  Ursache  der  Ent^ 
Zündung  sein. 

Bei  der  Reibung  ist  die  in  Wärme  verwandelte  Arbeit  verhältnissmässig 
gering,  deshalb  können  nur  die  leichtentzündlichsten  Stoffe^  wie  Jodstick- 
stoff,  Chlorstickstoff,  Knallquecksilber,  Knallsilber,  die  Chloratpalver  auf 
diese  Weise  zur  Explosion  gebracht  werden.  Nitroglycerin,  Schiessbanm- 
wolle,  Pikrinsäure  und  die  Pikrate  können  durch  Reibung  so  gut  wie  gar 
nicht  entzündet  werden;  bei  diesen  Substanzen  und  zumal  beim  Dynamit 
gelingt  die  Entzündung  nur  durch  heftige,  rasch  wiederholte  Hammerschläge, 
welche  mit  sehr  grosser  Geschwindigkeit  gegen  harte  Unterlagen  geführt 
werden.  Zumeist  werden  nur  die  unmittelbar  von  der  mechanischen  Ein- 
Wirkung  getroffenen  Partien  entzündet,  diese  explodiren  jedoch  hemgi 
weil  sie  sich  im  Momente  des  Stosses  unter  sehr  hohem  Drucke  befinden 


D.  Die  Explosivkörper.  519 

und  der  Hammer  nnd  die  als  Unterlage  dienende  Snbstanz  der  Expansion 
der  Explosionsproducte  einen  grossen  Widerstand  entgegenstellen.  Die 
nicht  unmittelbar  vom  Schlage  getroffenen  Theile  werden,  wenn  sie  sich 
in  freier  Lnft  befinden,  nur  dann  mit  entzündet,  wenn  das  chemische 
Gleichgewicht  des  Explosivkörpers  überhaupt  ein  sehr  labiles  ist;  gehört 
die  Substanz  jedoch  zu  den  stabileren,  so  werden  nur  die  allernächsten 
nicht  mit  getroffenen  Partien  mit  entzündet,  und  die  zwischen  Hammer 
nnd  Ambos  und  von  den  nächstliegenden  Theilen  entwickelten  gasför- 
migen Explosionsproducte  schleudern  den  nicht  getroffenen  Rest  der  Sub- 
stanz unentzündet  fort. 

Befindet  sich  unter  dem  Hammer  zu  viel  von  dem  zu  entzündenden 
Körper,  oder  besteht  Hammer  oder  Ambos  aus  einer  weichen  Substanz, 
oder  ist  endlich  die  auf  die  Einheit  der  Substanz  zur  Wirkung  kom- 
mende kinetische  Energie  zu  gering,  so  wird  dieselbe  nur  zur  Compres- 
sion,  also  zur  Deformationsarbeit  verwendet,  ohne  dass  die  Temperatur 
sich  bis  zur  Entzündung  steigert.  Der  ausgeübte  Stoss  wird  eine  um 
so  grössere  Temperaturerhöhung  hervorbringen,  die  Explosion  wird  um 
so  heftiger  sein,  je  momentaner  der  Stoss  wirkt,  je  weniger  also  die  Um- 
gebung Zeit  hat  durch  ihre  Elasticität  auszuweichen  und  die  entwickelte 
Wärmemenge  abzuleiten,  je  besser  die  getroffenen  Theile  isolirt  sind,  und 
je  grösseren  Widerstand  die  Molecüle  des  Explosivkörpers  einer  Verschie- 
bung durch  ihre  Starrheit  oder  Incompressibilität  und  die  ihrer  Um- 
gebung entgegenstellen. 

Die  Yersttche  Abel's  haben  diese  vom  theoretischen  Gesichtspunkte 
aus  vollkommen  verständlichen  Einflüsse  festgestellt;  die  für  die  eiuzel- 
nen  Präparate  experimentell  gefundenen  Zahlwerthe  über  Grösse  der  fal- 
lenden Gewichte  und  deren  Endgeschwindigkeit  sind  jedoch  nicht  zahlreich 
und  vollständig  genug,  um  aus  denselben  über  die  Eigenschaften  der  ein- 
zelnen Explosivstoffe  Vergleiche  anstellen  und  wichtige  Consequenzen 
ableiten  zu  können  ^). 

Der  Stoss,  den  die  Compressionswelle  einer  in  unmittelbarer  Nähe 
stattfindenden  Detonation  ausübt,  ist  jedenfalls  ungemein  viel  stärker,  als 
die  Stösse,  welche  man  durch  Hammerschläge  hervorzubringen  im  Stande 
ist;  dazu  kommt,  dass  der  Strahl  ungemein  hoch  erhitzter  und  stark  com- 
primirter  Gase,  welche  dem  Detonationszünder  (zumeist  sind  es  Zünd- 
hütchen) entströmt,  eine  gleichzeitige  und  sehr  plötzliche  Entzündung 
grösserer  Massen  des  Explosivkörpers  veranlasst.  Beide  Wirkungen  ver- 
stärken sich  also  in  hohem  Grade,  und  daraus  dürften  die  günstigen  Re- 
sultate, welche  man  selbst  bei  Anwendung  von  schwach  geladenen  Zünd- 
hütchen erhalten  hat,  ihre  zureichende  Erklärung  finden.  —  Dazu  kommt, 
dass  bei  gleichzeitiger  Entzündung  grösserer  und  nicht  an  der  Oberfläche 
gelegener  Massen  des  Explosivkörpers  die  Temperatur  und  der  Druck 


^)   Man  sehe  die  betreffenden  Versuche  A  b  e  1 '  s   in :    Oontributions  to  the  history 
of  expiosire  agents.    PhUos.  Transact.  £d.  164  (1874),  S.  359. 


520  n.    Thermochemie. 

enorm  steigen.  Dadurch  erlangt  der  Geschwind] gkeitscoefficient  der 
Reaction  einen  hohen  Werth,  und  indem  immer  grössere  Massen  in  die 
Zersetzung  hineingezogen  werden,  entwickeln  sich  plötzlich  so  enorme 
Gasmassen,  dass  selbst  die  umgebende  Luft  und  die  noch  nicht  entzikn- 
deten  Theile  durch  ihre  Trägheit  den  Widerstand  darbieten,  der  för  den 
Eintritt  der  eigentlichen  Detonation  erforderlich  ist. 

Immerhin  sind  jedoch  bei  der  Anwendung  kleiner  Detonationen  lor 
Herbeiführung  von  Explosionen  grösserer  Massen  explosiver  Substanzen 
Erscheinungen  beobachtet  worden,  welche  Abel,  der  weitaus  die  meisten 
Erfahrungen  auf  diesem  Gebiete  gesammelt  hat,  bestimmt  haben,  noek 
einen  besonderen  Vorgang  zu  ihrer  Erklärung  herbeizuziehen. 

So  ist  es  z.  B.  auffällig,  dass  Nitroglycerin  schon  durch  schwächer 
geladene  Zündhütchen  zur  Explosion  gebracht  werden  kann,  als  Schiee»- 
bäum  wolle,  obgleich  der  erstgenannte  Körper  sich  erst  bei  190®  C,  der 
letztere  hingegen  sich  schon  bei  150®  G.  entzündet.  Die  Zündhütchen, 
welche  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  Nitroglycerin  sicher  entsün- 
den,  können  fünfmal  weniger  Knallquecksilber  enthalten,  als  diejenigen, 
welche  bei  Schiessbaumwolle  zuverlässig  eine  Detonation  herbeifilhren. 
In  Uebereinstimraung  hiermit  findet  man,  dass  Nitroglycerin  durch  Stöne 
und  Hammerschläge  leichter  entzündet  werden'kann,  als  Schiessbaumwolle. 

Als  einen  weiteren  Beweis  dafür ,  dass  es  nicht  ausschliesslich  die 
Wirkung  der  Wärme  ist,  welche  die  Detonation  selbst  an  freier  Luft 
befindlicher  unbedeckter  Explosivstoffe  veranlasst,  kann  man  den  Umstand  • 
betrachten,  dass  man  nicht  einmal  nöthig  hat,  die  Zündhütchen  in  unmittel- 
barer Nähe  des  Präparates  explodiren  zu  lassen.  Allerdings  sind  bei  Wir- 
kung aus  grösserer  Entfernung  stärker  geladene  Zündhütchen  erforderlich; 
während  bei  unmittelbarer  Berührung  z.  B.  ein  mit  0,35  g  Knallqueck- 
silber  geladenes  Zündhütchen  genügt,  um  comprimirte  Schiessbaumwolle 
sicher  zur  Detonation  zu  bringen,  mnss,  wenn  das  Hütchen  sich  in  einem 
Abstände  von  13  mm  befindet,  eine  Quantität  von  1,3  g  verwendet  werden, 
um  mit  gleicher  Sicherheit  den  nämlichen  Erfolg  zu  erzielen.  Auch  nnter 
Wasser  gelang  es,  durch  kräftige  Detonationszünder  mit  Nitroglycerin 
getränkte  Schiessbaumwolle  zur  momentanen  Zersetzung  der  ganxen 
Masse  zu  veranlassen,  selbst  wenn  der  Zünder  vom  Explosivpräparate 
13  mm  (1  Zoll  engl.)  entfernt  war.  Sogar  als  man  zwischen  ein  mit  2,6  g 
Knallquecksilber  gefülltes  Zündhütchen  und  die  Patrone  ausser  einer 
Wasserschicht  auch  noch  einen  aus  dünnem  Metallblech  gebildeten  Schirm 
brachte,  gelang  die  Entzündung  in  jedem  Falle,  sofern  die  Dicke  der 
Wasserschicht  zwischen  Zündhütchen  und  Schirm  nicht  mehr  als  8  mm 
und  die  der  Schicht  zwischen  Schirm  und  Patrone  nur  3  mm  betrug. 

Ausserdem  wurde  durch  zahlreiche  Versuche  constatirt,  dass  gerade 
die  Fulminate,  in  festen  metallischen  Hüllen  verwendet,  die  geeignetsten 
Mittel  seien,  um  durch  ihre  Detonation  die  momentane  Explosion  grosser 
Massen  von  comprimirter  Schiessbaumwolle  herbeizuführen;  die  an  aidi 
viel  heftiger  wirkenden  Präparate,  wie  Ghlorstickstoff,  Jodatickstoff,  Nitro- 


D.    Die  Explosivkörper.  521 

glycerin  waren  viel  weniger  branchbar.  Man  musste  nnvergleichlicb  viel 
grössere  Mengen  dieser  Substanz  anwenden,  um  den  gleichen  Erfolg  zu 
erzielen.  Es  schien  hiernach  weniger  die  Wärmewirkung,  nicht  die  ent- 
wickelte Gesammtenergie ,  nicht  die  Plötzlichkeit  der  Verbrennung  des 
Zünders  zu  sein,  welche  vorzugsweise  den  Eintritt  dieser  eigenthümlichen 
Zersetznngsweise ,  die  wir  als  Detonation  im  engeren  Sinne  bezeichnet 
haben,  herbeiführt,  sondern  es  scheint  gleichzeitig  noch  ein  eigenartiger 
physikalischer  Process  dabei  mit  im  Spiele  zu  sein. 

Aus  diesen  und  mehreren  ähnlichen  Versuchen  ^)  glaubte  Abel 
folgenden  Schluss  ziehen  zu  müssen  ^):  „Die  heftige  Explosion  der 
Schiessbaumwolle  und  des  Nitroglycerins  durch  die  Einwirkung  eines 
Detonationszünders  muss  theils  der  mechanischen  Wirkung  der  Detona- 
tion zugeschrieben  werden,  d.  h.  der  Störung  des  molecularen  Gleich- 
gewichtes, welche  in  den  dem  Herde  des  Stosses  oder  der  Erschütterung 
nächst  gelegenen  Theilen  hervorgerufen  wird,  theils  der  Störung  des 
chemischen  Gleichgewichtes,  welche  entweder  von  der  Plötzlichkeit  ge- 
wisser Erschütterungen  oder  von  Schwingungen  herrührt,  welche  durch 
die  Detonation  veranlasst  werden.^  Und  weiterhin  stellt  er  die  Frage  '): 
„Scheinen  diese  Thatsachen  nicht  zu  zeigen,  dass  ein  tief  begründeter 
Unterschied  zwischen  den  Erschütterungen,  oder,  wenn  man  will,  zwischen 
den  Schwingungen  besteht,  welche  durch  die  Explosion  von  zwei  ver- 
schiedenen Substanzen  veranlasst  werden  ?** 

„Hierin  scheint  mir,''  sagt  Abel,  „die  befriedigendste  Erklärung 
der  ausserordentlichen  Differenzen  zu  liegen,  welche  man  in  dem  Ver- 
halten verschiedener  Explosivpräparate  (in  Bezug  auf  die  Herbeiführung 
von  Detonationen  anderer  Substanzen)  bemerkt.  Eine  jede  Explosion 
ist  von  Schwingungen  begleitet;  besteht  Synchronismus  zwischen 
diesen  Schwingungen  und  denjenigen,  welche  sie  hervorrufen  würden, 
wenn  sie  die  Detonation  eines  in  der  Nähe  befindlichen  Körpers  von  sehr 
labilem  chemischen  Gleichgewicht  (dans  un  haut  6tat  de  tension  chimique) 
veranlasste,  so  resultirt  aus  dieser  Beziehung,  dass  die  Schwingungen 
eine  natnrgemässe  Tendenz  haben,  sich  in  jenen  Körper  hinein  fort- 
zupflanzen. Dies  ist  die  Veranlassung,  welche  den  Eintritt  der  Explosion 
bewirkt,  oder  auch,  welche  in  einem  gewissen  Maasse  die  erregende 
und  plötzliche  Wirkung  der  mechanischen  Kraft  erleichtert.  Haben  hin- 
gegen, die  Schwingungen  einen  verschiedenartigen  Charakter,  so  findet 
die  von  der  Explosion  des  ersten  Körpers  herrührende  mechanische  Kraft 
im  zweiten  nur  eine  schwache  und  träge  Unterstützung ;  man  muss  daher, 
nm  die  Explosion  dieses  letzteren  hervorzurufen,  viel  grössere  Mengen 
des  ersten  anwenden  etc.'' 


^)  Man  sehe  deren  Beschreibung  in  Abel:    Nonvelles  ^tudes  sur  les  propri^Us  des 
Corps  explosibles.     Ann.  de  chim.  et  de  phys.  4.  Serie.  Bd.  21,  S.  118  a.  s.  f. 

')  A.  a.  0.  S.  120. 

')  A.  a.  0.  S.  139. 


522  II.  Thermochemie. 

Auoh  macht  Ahel  weiterhin  darauf  anfmerksam,  dass  diese  Hypo- 
theee  der  Uehertragnng  der  detonirenden  ZerBetznng  von  einem  Körper 
auf  den  anderen  durch  synohrone  Schwingungen  auch  damit  in  Ueber- 
einstimihung  sein  würde,  dass  sehr  häufig  Explosionen  eines  Theiles  einer 
explosiven  Substanz  in  fast  unerklärlicher  Weise  auf  andere  in  grösserer 
Entfernung  befindliche  Partien  desselben  oder  anderer  ähnlich  sich  Ter- 
haltender  Körper  übertragen  worden  sind. 

Diese  Hypothese  Abel's  von  den  synchronen  Schwingungen  hat 
sich  rasch  vielfach  Anerkennung  verschafft,  und  dieselbe  hat  durch  ihre 
zahlreichen  Analogien  mit  anderen  physikalischen  Vorgängen  auch  etwas 
sehr  Bestechendes.  Trotzalledem  lassen  sich  meiner  Ansicht  nach  alle  in 
jener  Abhandlung  mitgetheilten  Versuche  auch  vollständig  befriedigend 
erklären,  ohne  dass  man  genöthigt  wäre,  zu  einer  derartigen  neuen 
Hypothese  seine  Zuflucht  zu  nehmen.  —  Wir  wollen  nur  auf  einige  der 
wichtigsten  hier  hindeuten.  Der  eigenthümliche  Unterschied,  der  zwischen 
Nitroglycerin  und  Schiessbaumwolle  darin  liegt,  dass  das  erst  bei  höherer 
Temperatur  (193^  C.)  entzündliche  Nitroglycerin  leichter  durch  Stösse 
und  Schläge  und  durch  schwächer  geladene  Zündhütchen  zur  Detonation 
gebracht  werden  kann,  als  die  schon  bei  150^  sich  explosiv  zersetzende 
Schiessbaum  wolle ,  könnte  ebenso  gut  darin  begründet  sein,  dass  die 
flüssige  Form,  in  welcher  das  Nitroglycerin  ausschliesslich  bei  diesen 
Versuchen  verwendet  worden  ist,  unvergleichlich  viel  geringere  Gom- 
pressibilität  besitzt,  als  die  SchiessbaumwoUe.  In  Folge  dieses  Umstandes 
wird  bei  Stössen,  welche  die  Flüssigkeit  treffen,  mögen  dieselben  von 
Hammerschlägen,  oder  von  Gasströmen  eines  Zündhütchens,  oder  endlich 
von  heiligen  Compressions wellen  einer  anderen  Explosion  herrühren,  eine 
grössere  Menge  kinetischer  Energie  in  Wärme  umgesetzt,  und  diese  bleibt 
auf  geringere  Quantitäten  von  Masse  concentrirt,  als  bei  der  Schiess- 
baumwoUe,  deren  Theile  selbst  in  comprimirtem  Zustande  leichter 
compressibel  und  minder  träge  gegen  plötzliche  Verschiebungen  sind; 
hierdurch  kann  möglicher  Weise  die  bestehende  Differenz  in  der  Ent- 
zündlichkeit mehr  als  überreich  aufgewogen  werden. 

Auch  der  Umstand,  dass  selbst  die  Einschaltung  von  Schirmen  und 
dünnen  Wasserschichten  zwischen  das  Zündhütchen  und  den  zur  Deto- 
nation zu  bringenden  Explosivkörper  die  üebertragung  der  Explosion 
nicht  gehindert  haben,  ist  kein  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Aberachoi 
Hypothese;  derartige  Versuche  zeigen  nur,  dass  es  nicht  vorzugsweise 
die  Wärme  des  vom  Zünder  entwickelten  Gasstromes  ist,  welche  die 
Detonation  veranlasst,  sondern  dass  vorzugsweise  die  Stosswirkung  maaas- 
gebend  ist.  Dünne  Wasserschichten  und  Metallschirme  sind  zwar  im 
Stande  diese  Stosswirkung  erheblich  abzuschwächen,  nicht  aber  dieselbe 
aufzuheben. 

In  Uebereinstimmung  hiermit  fand  auch  Abel,  dass  bedeutend 
grössere  Mengen  des  als  Zünder  dienenden  Präparates  erforderlich  sind,  um 
im  letztgenannten  Falle   mit  Sicherheit  die  Detonation  herbeizuführen. 


D.    Die  Explosivkörper.  523 

Am  meisten  zu  Gunsten  der  Hypothese  von  den  synchronen  Schwin- 
gungen scheint  der  Umstand  zu  sprechen,  dass  gerade  bestimmte  Prä- 
parate (die  Fulminate),  and  auch  diese  nur,  wenn  sie  in  bestimmter 
Weise  verwendet  werden  (als  Zündhütchen),  leicht  die  Detonation  von 
Schiessbaum  wolle  und  Nitroglycerin  bewirken,  während  selbst  grosse 
Mengen  anderer  nicht  minder  heftig  wirkender  Stoffe  nicht  den  gleichen 
Erfolg  herbeifuhren.  —  Da  jedoch  die  Form  und  Amplitude  der  Com- 
pressionswellen,  welche  die  einzelnen  Explosivstoffe  veranlassen,  je  nach- 
dem sie  auf  die  eine  oder  andere  Weise  verwendet  werden,  zur  Zeit  noch 
nicht  im  Mindesten  bekannt  sind,  so  kann  man  über  die  Plötzlichkeit  und 
Intensität  der  dadurch  herbeigeführten  Stösse  auch  keine  Schlüsse  ziehen, 
and  es  ist  wohl  möglich,  dass  der  auf  die  nämliche  Menge  von  Masse 
aasgeübte  Stoss  selbst  bei  gprossen  Mengen  des  einen  Explosivkörpers 
nicht  die  gleiche  Heftigkeit  besitzt  und  nicht  so  grosse  Temperatur- 
erhöhungen bewirkt,  als  der,  welchen  eine  kleine  Quantität  der  Ful- 
minate veranlasst. 

Ich  glaube  nicht,  dass  mit  diesen  Einwendungen  die  AbeTsche 
Hypothese  von  den  synchronen  Schwingungen  endgiltig  widerlegt  ist,  wohl 
aber  dürften  dieselben  darthun,  dass  die  Zahl  und  Beschaffenheit  der  vor- 
liegenden EIrfahrungen  nicht  derart  ist,  dass  man  unbedingt  genöthigt 
wird,  zu  ihrer  Erkläitmg  neue  Annahmen  zur  Anwendung  zu  bringen. 

Für  die  Technik  ist  die  Entdeckung  des  Umstandes,  dass  man  im 
Stande  ist,  durch  Anwendung  genügend  kräftiger  Detonationszünder  die 
nahezu  momentane  Entzündung  beliebig  grosser  Massen  der  gebräuch- 
lichsten Explojsivpräparate  herbeizuführen,  von  ungemein  hoher  Bedeu- 
tung. Man  ist  nämlich  im  Stande  alle  gewünschten  Wirkungen,  nahezu 
das  Maximum  des  mechanischen  Effectes,  welches  diese  Substanzen  her- 
vorzubringen fähig  sind,  zu  erzielen,  ohne  dass  man  durch  Versetzen 
mit  Lehm  in  Sprenglöchern  thunlichst  geschlossene  Räume  herzustellen 
nöthig  hat.  Das  Zustopfen  des  über  dem  Explosivstoffe  in  Sprenglöchern 
verbleibenden  Hohlraumes  mit  geeigneten  Materialien  und  das  Entfernen 
nicht  entzündeter  Massen  war  aber  der  gefahrlichste  Theil  der  Arbeit, 
bei  welchem  sich  am  häufigsten  Unglücksfalle  ereigneten. 


16.   Zusammenstelliing  der  auf  die  wiohtigsten  Explosiv- 

stofib  bezügliolieii  Zahlwerthe. 

Um  einen  Vergleich  der  verschiedenen  Präparate  zu  erleichtern, 
geben  vrir  im  Nachstehenden  die  wichtigsten  für  die  Beurtheilung  der 
Wirksamkeit  dieser  Stoffe  bedeutungsvollen  Zahlen. 

In  erster  Linie  wichtig  ist  die  von  einem  Kilogramm  des  Explosiv- 
stoffes bei  seiner  Entzündung  entwickelte  Wärmemenge;  in  zweiter  Linie 
hängt,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Energie  ab  von  der  Quantität  der 


524  IL  Thermochemie. 

entbundenen  gasförmigen  Explosionsproducte  oder  eigentlich  vielmehr 
von  der  durch  dieselben  bewirkten  Volumenvergrössernng.  Weiterfain 
ist  von  Bedeutung  der  Druck,  der  erzeugt  wird,  wenn  das  Präparat  hm 
constantem  Volumen  abbrennt;  leider  ist  derselbe  bei  nur  ganz  wenigen 
Stoffen  auch  nur  angenähert  bestimmt,  und  die  gefundenen  Werthe  sind 
deshalb  von  nicht  sehr  hervorragender  Bedeutung,  weil  dieselben  wesent- 
lich von  der  Geschwindigkeit  abhängen,  mit  der  sich  die  Reaction  voll- 
zieht. —  Die  Wirkung  eines  Präparates  ist  femer  abhängig  von  der 
Geschwindigkeit,  mit  der  die  eingeleitete  Entzündung  in  der  Masse  selbst 
fortschreitet  und  von  der  Temperatur,  bei  welcher  die  SelbstentzCindnng 
des  Stoffes  stattfindet. 

Die  mit  einem  Sternchen  {*)  auf  nebenstehender  Tabelle  ausgezeich- 
neten Ziffern  sind  entweder  unmittelbar  experimenteU  gefunden  oder  auf 
unanfechtbare  Weise  aus  direct  beobachteten  Zahlen  berechnet.  Die 
übrigen  Zahlen  sind  sämmtlich  auf  Grund  mehr  oder  minder  wahrschein- 
licher Annahmen  auf  theoretischem  Wege  gefunden. 

Die  zahlreichen  Lücken  in  betr.  Tabelle  zeigen,  wie  viele  experimen- 
telle Untersuchungen  im  Gebiete  der  Explosivpräparate  noch  anzustellen 
sind,  ehe  vom  Standpunkte  der  Wissenschaft  aus  umfänglichere  Yerglei- 
chungen  zwischen  diesen  interessanten  Substanzen  vorgenommen  werden 
können. 


E.    Die  Anwendung  explosiyer  Gasgemische  zum 

Betriebe  von  Wännemaschinen.  (Physikalische 

Theorie  der  Gasmaschinen.) 

1.   Allgemeines. 

Der  Gedanke,  die  bei  den  Explosionserscheinungen  frei  werdende 
Wärmemenge  und  auftretende  Volum envergrösserung  zum  Betriebe  von 
Maschinen  zu  verwenden,  liegt  so  nahe,  dass  man  auf  mannigfache 
Weise  versucht  hat,  denselben  für  die  Technik  nützlich  zu  machen«  Da 
jedoch  die  zur  Verwendung  gelangenden  motorisch  wirkenden  Substanzen 
im  Allgemeinen  beträchtlich  kostspieliger  sind,  als  die  zum  Heizen  der 
Dampfmaschinen  erforderlichen  Kohlen,  so  hat  man  vorzugsweise  Maschi- 
nen für  besondere  Zwecke,  besonders  för  die  Bedürfnisse  des  Kleingewerbes, 
also  Maschinen  von  geringer  Pferdestärke  und  Maschinen,  welche  nicht 
unausgesetzt  gebraucht  werden,  nach  diesem  Principe  construirt. 

Die  älteren  derartigen  Maschinen,  welche  von  Lenoir  und  von 
Hugon  herrühren,  sind  nach  Art  von  Dampfmaschinen  gebaute,  dop- 
pelt wirkende  Maschinen. 


D.   Die  Explosirkörper. 


525 


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626  n.  Thermochemie. 

Das  durch  einen  Inductionsfanken  oder  dnrch  ein  Flämmchen  en^ 
zündete  Gasgemisch,  welches  sich  nach  der  Explosion  auszudehnen  strebt» 
vertritt  genau  die  Stelle  des  einströmenden  und  sich  expandirenden 
Dampfes  und  wirkt  abwechselnd  auf  beiden  Seiten  des  Kolbens. 

Die  Gasmaschine  von  Otto  und  Langen  ist  eine  einfach  wirkende 
atmosphärische  Maschine.  Ein  Gemenge  von  Gas  und  atmosphärischer 
Luft  wird  stets  auf  derselben  Seite  des  Kolbens  zugeführt  und  durch  ein 
Flämmchen  entzündet.  Die  Explosion  des  Gases  schleudert  den  Kolben  in 
die  Höhe,  und  die  Expansion  wird  so  weit  getrieben,  dass  im  Gylinder  ein 
luftverdünnter  Raum  entsteht.  Während  dieser  Yorwärtsschleuderun^  des 
Kolbens  wirkt  eine  mit  dem  Kolben  fest  verbundene  Zahnstange  nicht 
auf  die  Schwungrad  welle,  sondern  fuhrt  ein  durch  ein  besonderes  Schalt* 
werk  mit  dieser  Welle  verbundenes  Zahnrad  lose  über  dieselbe  hin. 
Beginnt  der  Atmopharendruck  hierauf  den  Kolben  zurückzutreiben,  so 
legt  sich  das  vorher  lose  Zahnrad  fest  an  die  Welle  an,  und  die  Arbeits- 
leistung des  Atmosphärendruckes  wird  auf  die  Schwungradwelle  über- 
tragen. Hierauf  füllt  sich  der  unter  dem  Kolben  befindliche  Raum  des 
Cylinders  aufs  Neue  mit  dem  explosiven  Gasgemische,  dieses  wird  ent- 
zündet, und  der  Process  beginnt  von  Neuem  ^). 

Der  wesentliche  Unterschied  der  Maschine  von  Otto  und  Langen 
und  der  von  Lenoir  und  der  von  Hugon  construirten  beruht  darauf 
dass  die  Letztgenannten  die  bei  der  Explosion  entstehende  Spannung^ 
direct  als  motorische  Kraft  benutzten,  während  die  Ersteren  die  durch 
die  Verbrennung  des  explosiven  Gasgemisches  frei  werdende  Wärme  erst 
zu  Arbeit  werden  lassen,  indem  sie  der  Ausdehnung  der  Explosions- 
producte  nur  sehr  kleine  Widerstände  entgegensetzen  und  als  motorische 
Krafb  die  Compression  derselben  durch  den  Atmosphärendruck  benutzen. 

Die  von  Otto  und  Langen  construirte  Maschine  ist  den  älteren 
Systemen  in  sofern  wesentlich  überlegen,  als  man  es  in  dem  Atmosphären* 
drucke  mit  einer  stetig  wirkenden  Kraft  zu  thun  hat,  während  hingegen  die 
nach  einer  Explosion  auftretende  Expansion  einen  heftigen  Stoss  bewirkt 
Durch  einen  solchen  Stoss  werden  einestheils  die  Maschinentheile  heftig 
erschüttert,  anderentheils  wird,  weil  sich  der  Expansion  die  Trägheit  der 
Maschinentheile  und  der  zu  überwindende  Widerstand  der  Arbeitsmaschi- 
nen  entgegenstellt,  ein  grosser  Theil  der  durch  die  Explosion  entwickelten 
Wärme  des  Gases  in  die  Gylinderwände  übergehen;  diese  Wärme  geht 
nicht  nur  verloren,  sondern  sie  wirkt  insofern  schädlich,  als  die  Gylinder- 
wände und  die  Liderung  des  Kolbens  dadurch  hoch  erhitzt  und  rasch 
abgenutzt  werden. 

Lenoir  und  auch  Otto  und  Langen  kühlen  die  Gylinderwände 
durch  Wasser,  welches  sie  von  aussen  um  dieselben  circüliren  lassen.  In 
der  von  Hugon  construirten  Maschine  wird  die  Erhitzung  des  Gas- 

^)  Das  Detail  der  Construction  dieser  Maschinen  sehe  man:  Dingler 's  Journal 
Bd.  186,  S.  98,  und  Röntgen,  Die  Grandlehren  der  mechanischen  Wirmetheorie,  Jena, 
Costenoble,  1871,  S.  255. 


E.  Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen. 


527 


gemenges  und  daher  auch  die  Wärmeahgahe  an  die  Cylinderwftnde 
geringer,  weil  in  den  Cylinder  hinein  kaltes  Wasser  eingespritzt  wird. 

Die  Grundlagen  der  Theorie  der  Gasmaschinen  sind  wesentlich  an- 
dere, als  die  der  Dampf-  nnd  Heisslnftmaschinen,  welche  wir  im  ersten 
Bande  dieses  Buches  (III,  G,  S.  716  his  733)  besprochen  haben,  weil  es 
sich  im  vorliegenden  Falle  nicht  wie  früher  um  geschlossene  Kreisprocesse 
handelt.  Die  Sahstanzen,  welche  motorisch  wirken,  befinden  sich,  wenn 
sie  aus  der  Maschine  ausgestossen  werden,  in  einem  wesentlich  anderen 
Zustande,  als  beim  Eintritte;  unter  gleichem  Drucke  und  bei  gleicher 
Temperatur,  wie  am  Anfange  des  Processes,  ist  schliesslich  die  chemische 
Beschaffenheit  und  das  Volumen  des  Gemisches  geändert. 

Beistehendes  Diagramm,  Fig.  31,  giebt  einen  ungefähren  Ueber- 
blick    über   die    Zustandsänderungen,     welche    ein   solches    Gasgemisch 


Fig.  31. 


beispielsweise  in  einer 
Leu oir' sehen  Gasma- 
schine erfahrt.  In  den 
Cylinder  tritt  ein  Gas- 
Yolumen  OÄ  ein,  welches 
einer  Explosion  fähig  ist, 
der  Druck,  unter  dem 
dasselbe  anfänglich  steht, 
wird  angenähert  Atmo- 
sphärendruck sein,  die 
Temperatur  desselben 
wird  durchschnittlich  et- 
was höher,  als  die  der 
Umgebung  sein ,  weil 
das  Gas  während  seines 
Eintrittes  sich  an  den 
Cylinderwandungen  erwärmt.  Durch  die  Entzündung  steigt  plötzlich, 
während  das  Volumen  sehr  nahe  constant  bleibt,  der  Druck  sehr  be- 
trächtlich, der  Zustand  des  Gases  ändert  sich  längs  der  verticalen  Linie 
AN.  Von  da  an  fallt  der  Druck  während  der  Expansion  stetig,  bis 
er  schliesslich  auf  den  Anfangswerth  zurückgekommen  ist.  Der  Ein- 
fachheit wegen  setzen  wir  zunächst  einmal  voraus,  diese  Expansion  ge- 
schehe, während  weder  Wärme  von  aussen  zugeführt  noch  abgegeben 
werde.  In  Wirklichkeit  ist  das  gewiss  nicht  der  Fall,  da  das  hocherhitzte 
Gas  im  Anfang  bedeutende,  im  weiteren  Verlaufe  abnehmende  Wärme- 
mengen an  die  Cylinderwände  abgiebt.  Hierauf  werden  die  Explosions- 
producte  bei  dem  Drucke  PB,  welcher  nicht  wesentlich  vom  Atmophären- 
drucke  abweicht  und  bei  der  Temperatur,  welche  sie  im  Cylinder  besassen, 
wieder  ausgestossen.  Bei  diesem  dritten  Abschnitte  findet  also  weder 
eine  wesentliche  Druck-  noch  eine  namhafte  Temperaturänderung  statt. 

Es  ist  klar,  dass  alsdann  das  Flächenstück  MNP  die  Arbeit  reprä- 
sentirt,  welche  in  der  Maschine  zur  Verfügung  steht.  —  Um  den  Wir- 


J 


528  II.    Thermochemie. 

kungsgrad  dieser  Maschine  zu  finden,   musste  man  diese  Arbeitgr« 
mit  dem  Wärmeaofwande  vergleichen. 

Bei  Bestimmang  des  Wärmeaufwandes  liegen  jedoch  bei  den  Gas- 
maschinen ebenfalls  wesentlich  andere  Verhältnisse  vor,  als  bei  allen 
anderen  Wärmemaschinen.  Bei  den  Dampf-  und  Heissluftmaschinen  ist 
nämlich  die  Wärmemenge,  welche  die  motorische  Substanz,  sei  dies  nnn 
Wasser  oder  Luft,  der  Feuerstätte  entnimmt,  nur  ein  kleiner  Brachtheil 
der  überhaupt  dort  entwickelten  Anzahl  von  Galerien.  Bei  Bestimmung 
des  Wirkungsgrades  zieht  man  nur  die  von  der  motorischen  Sabstans 
wirklich  aufgenommene  Wärmemenge  in  Betracht,  und  für  jede  Maschine 
gestalten  sich  die  Verhältnisse  ungleich  ungünstiger,  wenn  man  die  innere 
halb  einer  bestimmten  Zeit  vom  consumirten  Brennmateriale  erzengte 
Anzahl  von  Galerien  mit  den  in  nützliche  Arbeit  verwandelten  verbleichte 
Die  Bestimmung  des  Wirkungsgrades  giebt  daher  nur  einen  Anhalt  f^ 
den  Vergleich  von  Maschinen  gleicher  Art,  es  können  jedoch  auf  diese 
Weise  nicht  die  Dampf-  und  Heissluftmaschinen  mit  den  Gasmaschinen 
hinsichtlich  ihrer  Vortheilhaftigkeit  verglichen  werden.  —  Darin  liegt 
ein  wesentlicher  Vorzug  der  Gasmaschinen,  dass  bei  ihnen  die  gesammte 
überhaupt  erzeugte  Wärme  in  der  Maschine  selbst  zur  Wirknngr  ge- 
langt. —  Wenn  daher  auch  in  den  Gasmaschinen  die  zu  Arbeitsleistung 
verbrauchte  Wärme  sehr  viel  theurer  zu  stehen  kommt,  als  die  unmittelbar 
bei  Verbrennung  von  Steinkohlen  erzeugte,  so  gestalten  sich  die  wirih- 
schaftlichen  Verhältnisse  bei  diesen  Maschinen  doch  nicht  so  ungrünstig, 
weil  jene  enormen  Wärmeverluste  in  Wegfall  kommen,  welche  bei  allen 
unseren  Kesselfeuerungen  unvermeidlich  sind. 

Als  anderweite  Vorzüge  der  Gasmaschinen  und  besonders  der  Ton 
Otto  und  Langen  construirten  führt  man  an,  dass  dieselben  sehr- 
leicht in  Gang  gesetzt  werden  können  und  nur  äusserst  geringe  Bedie- 
nung für  dieselbe  erforderlich  ist.  Zum  Anlassen  derselben  bedarf  es 
nur  der  Oeffnung  des  Gaszuströmungshahnes ,  der  Entzündung  des  klei- 
nen Flämmchens,  welches  den  Eintritt  der  Explosionen  im  Cylinder  be- 
wirkt und  einer  ersten  Drehung  des  Schwungrades.  Ausserdem  sind 
diese  Maschinen  vollkommen  gefahrlos,  und  es  bedarf  zu  ihrer  Aufirf;ellung 
deshalb  keiner  besonderen  obrigkeitlichen  Genehmigung. 

In  neuerer  Zeit  ist  noch  eine  weitere  Verbesserung  angebracht 
worden,  welche  bewirkt,  dass  jederzeit  nur  so  viel  Gas  consumirt  wird, 
als  zur  Erhaltung  eines  gleichförmigen  Ganges  der  Maschine  erforderlich 
ist.  In  den  Pausen ,  in  welchen  die  Maschine  nicht  zu  arbeiten  nöthig 
hat,  wird  die  Zahl  der  Explosionen  erheblich  vermindert,  und  die  Kosten 
des  Betriebes  werden  dadurch  ausserordentlich  verringert. 

Für  gewöhnlich  verwendet  man  in  diesen  Maschinen  als  explosives 
Gemenge  eine  Mischung  von  Leuchtgas  und  Luft  (mit  circa  10  Procent 
Leuchtgasgehalt),  es  kann  jedoch  auch  Luft,  gemischt  mit  Eohlenoxydgas» 
Wasserstoffgas,  Grubengas  oder  den  Dämpfen  leichtflüchtiger  Kohlen- 
wasserstoffe benutzt  werden. 


E.   Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.  529 

Die  Anwendung  der  Entzündung  anderer  ExplosiystofiFe ,  z.  B.  des 
Polyers,  in  den  Cylindern  derartiger  Maschinen  hat  in  der  Praxis  keinen 
Cingang  finden  können,  theils  weil  die  entwickelten  Drucke  zu  gross 
waren  und  die  Cylinderwände  rasch  zerstört  wurden,  theils  weil  die  nicht 
^gasförmigen  Explosionsrückstände  den  Eolhen  hald  verschmierten  ^). 


2.    Die  direot  wirkenden  Gasmaschinen  älterer  Con- 

struotion. 

Um  die  Theorie  der  Gasmaschinen  älterer  Construction  zu  erläutern, 
genügt  es  ein  einfaches  Beispiel  zu  wählen.  Wir  hetrachten  nämlich  eine 
Maschine,  welche  mit  einem  Gemische  von  Eohlenoxydgas  und  Luft  gespeist 
livird.  Allerdings  sind  solche  Motoren  in  der  Technik  nicht  wirklich  in 
Gebrauch;  die  Theorie  gestaltet  sich  jedoch  in  diesem  Falle  wesentlich 
einfacher,  weil  die  durch  die  Explosion  gebildete  Kohlensäure  bei  ge- 
^v'ölinlichen  Temperaturen  einer  Gondensation  nicht  fähig  ist. 

Nehmen  wir  zunächst  an,  es  werde  in  die  Maschine  die  Gewichts- 
einlieit  Eohlenoxydgas,  gemischt  mit  der  zur  Verbrennung  erforderlichen 
Menge  Luft,  in  den  Cylinder  eingeführt,  und  es  betrage  beim  Eintritte 
des  Gases  der  Druck  1  Atmosphäre,  die  Temperatur  0^  Das  Volumen  Ui 
des  verwendeten  Gases  beträgt  alsdann: 

1 

wenn  man  mit  <5  das  specifische  Gewicht  des  Gases  bezeichnet.  —  Zur 
yoUständigen  Verbrennung  gehört  nunmehr  die  Hälfte  des  Volumens,  also 

rr  U\  Sauerstoff.    In  der  Volumeneinheit  Luft  befinden  sich  20,8  Volumen- 
2 

procente  Sauerstoff,  demnach  muss  die  Gewichtseinheit  Eohlenoxydgas  mit 

1  1000 

2  '  ^^  *  208 

Yolnmeneinheiten  oder  mit  tt  •  «*i  •    ^^^    .  «  Gewichtseinheiten  Luft  ge- 

2  20o 

mischt  werden,  damit  alles  Eohlenoxydgas  zu  Eohlensäure  verbrennen 

kann,  wenn  nämlich  s  das  specifische  Gewicht  der  Luft  bezeichnet.     Das 

AnfiangsYolumen  w  des  in  der  Maschine  zur  Verwendung  gelangenden 

Gasgemischee  würde  demnach: 

betragen. 


^)  Einer  der  ältesten  Motoren  dieser  Art  war  die  Scbiesspulvermaschine  von  Pap  in 
IMeselbe  bemhte  auf  dem  Principe  der  indirecten  Wirkung,  welches  späterhin  Otto 
und  Langen  ihrer  atmosphärischen  Gaskraflmaschine  zu  Grunde  legten.  Farey^ 
Treaüse  on  steam  engine,  p.  96. 

&fihlmann,  Meohao.  Wirmeiheoria.  Bd.  9.  84 


530  II.   Thermochemie. 

Entzündet  man  dieses  Gemisch  im  Gy linder  der  Maschine,  bo  erfolgt 
eine  momentane  Steigerung  des  Druckes  und  der  Temperatur  bei  con« 
stantem  Volumen. 

Gewöhnlich  hat  man  den  im  Momente  der  Explosion  erzeugten 
Druck  und  die  gleichzeitig  verursachte  Druck-  und  Temperaturerhöhung 
unter  der  Voraussetzung  berechnet,  dass  die  gesammte  entwickelte 
Wärmemenge  sofort  in  oalorische  Energie  verwandelt,  also  ausschliesslich 
zur  Temperaturerhöhung  bei  constantem  Volumen  verwendet  werde.  Be- 
zeichnet man  mit  q  die  Wärmetönung  bei  Entstehung  von  Kohlensaure 

aus  Kohlenozydgas  und  Sauerstoff,  so  ist:  —  Cal.  die  bei  der  Verbren- 

nuDg  von  einer  Gewichtseinheit  Kohlenoxydgas  zu  Kohlensäure  erzengt« 
Anzahl  von  Wärmeeinheiten.  Diese  Wärmemenge  dient  nach  den  alteren 
Anschauungen  dazu,  die  aus  einer  Gewichtseinheit  Kohlenoxydgas  ent- 

Iß         11 
stehende  Kohlensäure  d.  i.  1  -^  ^  =  —  Gewichtseinheiten  Kohlensäure, 

1 6        77 
und  die  der  Luft  beigemengten  —   •  —  Gewichtseinheiten  Stickstoff  um 

T  —  2o  zu  erwärmen.  Bezeichnen  c„  und  cj  die  specifischen  Warmen  bei 
constantem  Volumen  für  Kohlensäure  und  Stickstoff,  so  wäre  hiemach: 

|^(,_„.(».,  +  15.II.,.). 

Damit  berechnet  man  die  Temperaturerhöhung  T  —  Tq  und  findet: 

^        28     \7        "^28      23    V 

Den  Druck  bestimmte  man  nun  auf  folgende  Weise:  —  Gewichts- 
einheiten Kohlensäure  nehmen  bei  der  absoluten  Temperatur  274^ 
und  einem  Drucke   gleich  1  Atmosphäre  einen  Raum  ein  von  —  «-p^ 

Volumeneinheiten,  wenn  &'  das  specifische  Ge?richt  dieses  Gases  bei  den 

16      77 
angegebenen  Druck-  und  Temperaturverhältnissen  bezeichnet.     '^  '  -^ 

28     23 

Gewichtseinheiten    Stickstoff  erfüllen  unter   gleichen  Umständen    einen 

16      77       1 
Baum  von  tj^  •  ;7^  •  -;7  Volumeneinheiten,  wenn  ö'  das  specifische  6e- 

wicht  (bei  0^  und  760  mm)  des  Stickstoffs  ist. 

Bei  der  absoluten  Temperatur  274^  und  Atmosphärendruck  ist  dem« 
nach  das  Volumen  der  Explosionsproducte  tc^i : 

11       1     ,    16      77      1  ^, 

«'i  -  y  ^,  +  28  '  23  •  7 ^^ 


E.    Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.  531 

Aendert  sich  die  Temperatur  von  Tq  auf  T,  so  wird,  da  das  Volumen 
das  nrsprtingliche  bleibt,  also  iTi  ist,  der  Druck  pi  durch  die  Gleichung 
bestimmt: 

jPi  .  «Ol  l.Wi 


T 


To 


Benutzt  man  die  bekannten  Zahlwerthe  für  c„  und  cj,  <5,  &  und  0", 
so  findet  man  auf  diese  Weise  für  pi  die  Zahl  14,55  Atmosphären  und 
für  T  —  To  ungefähr  4400^  C.  Diese  Resultate  sind  jedoch  ganas 
unbrauchbar,  da  nach  den  bekannten  Versuchen  von  Bunsen  (man  sehe 
Bd.  II,  C,  9,  S.  424)  im  vorliegenden  Falle  der  Druck  pi  nur  ungefähr 
den  Werth  von  7,25  Atmosphären  erreicht. 

Unter  Berücksichtigung  der  von  Bunsen  beobachteten  Thatsachen 
folget  femer,  dass  es,  selbst  abgesehen  von  dem  Wärmeaustausche,  welcher 
duixh  die  Wandungen  des  Cylinders  während  der  Expansion  des  Ge- 
misches stattfindet,  absolut  unzulässig  ist,  anzunehmen,  die  Expansion 
finde  längs  einer  adiabatischen  Curve  statt.  Bei  sinkender  Temperatur 
und  abnehmendem  Drucke  wird  vielmehr  durch  die  verschwindende  Dis* 
sociation  diejenige  Wärmemenge  nachträglich  dem  Gase  noch  zugeführt, 
welche  vorher,  unmittelbar  nach  der  Entzündung  nicht  entwickelt  wurde. 
Die  Gestalt  der  Druckcurve  in  dem  von  uns  gezeichneten  Diagramm 
Fig.  32  wird  daher  wesentlich  anders  aussehen ,  als  sie  dort  auf  Grund 


Fig.  32. 


der  alten  Auffassungen 
gezeichnet  worden  war, 
sie  wird  im  vorliegenden 
Beispiele  nur  ungefähr 
beim  halben  Drucke  be- 
ginnen und  viel  lang- 
samer abfallen,  als  ur- 
sprünglich angenommen 
wurde. 

Der  Charakter  der 
Expansionscurve  wird 
überhaupt  nur  äusserst 
schwierig  theoretisch 
festgestellt  werden  kön- 

V        nen,    da    während   der 

Expansion  ein  Theil  der 
durch  den  stattfindenden  chemischen  Process  entwickelten  Wärme  zu- 
geführt und  anderntheils  ein  erheblicher  Theil  der  Wärme  durch  die 
Cy linderwände  entzogen  wird,  und  es  vollständig  unbekannt  ist,  nach 
welchen  Gesetzen  diese  Zuführung  und  diese  Ableitung  der  Wärme  statt- 
findet. Besonders  schwierig  wird  diese  Aufgabe  dadurch,  dass  diese 
Wärmeabgabe  gleichzeitig  von  der  Geschwindigkeit  abhängt,  mit  welcher 
sich  der  Kolben  im  Cylinder  bewegt. 

84* 


A 


B 


532  II.    Thermochemie. 

Auch  experimentell  dürfte  es  nicht  leicht  sein,  die  richtige  Gestalt 
der  Expansionscurve  NP  za  bestimmen.  Ist  aber  diese  Ginre  nicht 
gegeben,  so  kann  auch  die  Fläche  MNP,  welche  die  in  der  Maschine 
gewonnene  Arbeit  repräsentirt,  nicht  gefanden  werden;  damit  aber  wird 
es  überhaupt  unmöglich,  wenn  man  nicht  ganz  willkürliche  Annahmen 
machen  will,  eine  zuverlässige  Theorie  dieser  Maschinen  aufzustellen. 

Auch  die  neueren  Autoren  haben  fast  ausnahmslos  angenommen, 
dass  die  Expansion  längs  einer  Gurve  stattfinde,  deren  Gestalt  durch  die 
Gleichung: 

j)  .  e;™  =r  const. 
ausgedrückt  werden  kann. 

Nimmt  man  nun  an,  dass  der  wirklich  erreichte  Maximaldmck  P 
nur  ein  Bruchtheil  17  von  dem  sei,  der  sich  ergeben  haben  würde,  wenn 
keine  Einwirkung  der  Dissociation  stattgefunden  hätte,  so  ist  also  der 
Maximaldruck  P  1=  rj  ,  pi.  Nimmt  man  ferner  an,  dass  dieser  Druck 
erreicht  werde,  ehe  der  Kolben  merklich  seinen  Platz  verlassen  hat,  so 
ist  das  Anfangsvolumen  ic^i,  und  die  Constante  auf  der  linken  Seite  der 
Gleichung  beträgt:  P  ,  Wi^,  da  der  Anfangszustand  nach  der  Explosion 
auch  ein  Punkt  der  Expansionscurve  ist.  Es  würden  auf  dieser  Corre 
p  und  V  alsdann  durch  die  Gleichung: 

p  ,  v^  =  ri  ,  Pi  .  Wx^ 4) 

zusammenhängen. 

Nimmt  man  an,  dass  die  Expansion  fortgesetzt  wird,  bis  p  wieder 
bis  auf  den  Atmosphärendruck  po  gleich  1  gesunken  ist,  so  findet  man  das 
End Volumen  v^,  bis  zu  welchem  die  Expansion  des  Gemisches  getriebte 
wird,  durch  die  Gleichung: 

1^ 
Po  '^2  =  ^1 '(V  '  Pi)"^ 5) 

Die  absolute  Temperatur  T2,  welche  stattfindet,  wenn  das  Maximon 
der  Expansion  erreicht  ist,  findet  sich  dann  aus  der  Gleichung  (man  sehe 
Bd.  I,  III,  D,  13,  S.  346,  Gl.  39): 

m  — 1 

6) 


f  =  (S)' 


Die  von  der  Maschine  geleistete  nützliche  Arbeit  L  wird  repräsen« 
tirt  durch  die  Fläche  MNP  des  Diagramms.     Es  ist  aber: 

Fläche  MNP  =  Fläche  ANPB  —  Fläche  AMPB. 


Demnach: 


I    p  .  dv  —  Po  .  (v^  —  «7i). 


Wl 


E.    Physikalische 

Theorie  der  Gasmaschinen. 

Nun  ist  aber: 

demnach: 

V  — 

n  'Pi 

■  (?)'■ 

L  — 

1? .  Pi .  «^r  /   1 

— — r\  —  »A .  rt?Q  — 

533 


Diese  Grösse  mnss  noch  dnrch  das  mechanische  Aeqaivalent  der 
Wärme,  425  kgm,  dividirt  werden,  um  die  Quantität  der  in  Arbeit 
verwandelten  Wärmemenge  zu  bestimmen.     Diese  ist,   wenn   man   mit 

V  *  Pi  •  ^\^  ^  ^i®  Klammer  multiplicirt: 

^  —  j'  Um  —  1)  (^  •  ^1  •  ^i  ""  ^0  •  *'»)  ~  ^0  .  (^2  --  «'i)] . 

Ein  Kilogramm   Kohlenoxyd  aber  entwickelte  —  Wärmeeinheiten, 

demnach  ist  der  Yerwandlungscoefficient  ^)  einer  solchen  Maschine : 
w        ^^       /t?  .  Pi  .  tgj  —  j?o  .  v^  ,  A 


3.    Die  Anwendung  von  Leuolxtgas  in  der  älteren 
Gaskraftmascliine  von  Otto  und  Langen. 

Nach  den  zuverlässigsten  Analysen  nehmen  wir  die  volumetrische 
Zusammensetzung  gereinigten  Steinkohlengases  im  Mittel  folgender- 
maassen  an: 

1  cbm  Leuchtgas  enthält: 
Sumpfgas  (OH4)  0,42  cbm  0,3007  kg 

Aethylen  (C2H4)0,08  „  0,1003   „ 

Wasserstoff  (H^)  0,40  „  0,0358   „ 

Kohlenoxyd  (CO)  0,07  „  0,0878   „ 

Stickstoff  (N2)     0,03  „ 0,0377   „ 

1,00  cbm  wiegt  0,5623  kg  (bei  0»  und  760  mm  Druck). 

Die  Dichte  ^  eines  derartig  zusammengesetzten  Leuchtgases  beträgt 
demnach: 


*)   Man  sehe  über  diese  Bezeichnung:  die  Vorrede  zum  ersten  Bande  dieses  Werkes 
Seite  10. 


534  II.    Thermochemie. 

Nimmt  man  an,  die  V erb rennungs wärme  sei  für: 
1  kg  Sumpfgas      =  13  100  Cal. 
1    „    Aethylen       =  1 1  900    „ 
1    „    Wasserstoff  =  29  350    „ 
1    „    Kohlenoxyd  =     2  390    „ 

BO  erhält  man  für  die  bei  Verbrennung  von  1  cbm  oder  0,562  kg  Leocht- 
gas  erzeugte  Wärmemenge  6390  Calorien,  und  für  die  von  1  kg  proda- 

cirte  Wärmemenge  *): 

K=  11360  Cal 10) 

Verwendet  man  in  der  Gasmaschine  ein  Gemenge  von  a  cbm  Luft 
mit  1  cbm  Leuchtgas,  so  wiegt  1  cbm  des  Gemisches  (bei  0^  und  Atmo- 
sphärendruck) : 

a  +  0,435     ,  ^^^  ,  ,,, 

<S=  ,\      '  1,293  kg 11) 

a  -j-  1 

Die  Dichte  d  dieses  Gemisches  ist: 

^_a+_M35 12) 

a  +  1 

Wenn  bei  der  Explosion  eine  vollständige  .Verbrennung  stattfindet, 
80  entsteht  ein  Gemenge  von  Kohlensäure ,  Wasserdampf,  Stickstoff  und 
Sauerstoff  in  nachstehendem  Mischungsverhältnisse : 

Volumen  bei  0^  und  760  mm 

Sauerstoff        =  0,298  a  —  1,8842  kg 
Stickstoff         =  0,995  a  +  0,0377  „ 
Kohlensäure    =  1,2793  „ 

Wasserdampf  =  1,1295  „ 


0,2081  a  —  1,3176  cbm 
0,7919  a  4-  0,0300     „ 
+  0,6470     „ 
+  1,4013     . 


Gesammtgewicht  =  1,293  a  +  0,562  kg  |  a  +  0,7607  cbm 

.  Da  vor  der  Entzündung  das  Volumen  dieser  Gevnohtsmenge  Gas 
unter  sonst  gleichen  Umständen  a  -\-  1  cbm  betragen  hatte  und  nun- 
mebr  a  -f-  0,7607  cbm  ausmacht,  so  hat  eine  geringe  Verdichtung  statt- 
gefunden. 

Die  Dichte  der  Explosionsproducte  beträgt: 

a  +  M35 

a  +  0,761  ^ 

Die  specifischen  Wärmen  des  Gemenges  nach  der  Explosion  betragen 
nach  den  Rechnungen  von  Grashof  ^): 

_  0,2375  a  +  0,343        __  0,1684  a  +  0,286 

""'-         a  +  0,83        ''^•-         a  +  0,83  '    '    ^*^ 


^)  Grashof  (Anhang  zu Redtenbacher's  Resultaten,  6.  Aufl.,  Baasermann,  Heidelberg 
1875,  S.  538)  nimmt  die  Verbrennnngswärme  des  Leuchtgases  pro  1  kg  zu  10  430GaL; 
G.  Schmidt  (Zeitschrift  d.  Oesterr.  Ingenieurvereins  Bd.  13,  S.  90)  zn  11  400  Cal.  an. 

^  Grashof,  Resultate  ans  der  mechan.  Wärmetheorie.  Anhang  zur  6.  AuA.  von 
Bedtenbacher,  Resultate  für  d.  Maschinenbau.  Heidelberg,  Bassermann,  1875,  S.  539. 


E.   Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.  535 

Nehmen  wir  an,  dass  anfanglich  nnr  der  aie  Theil  der  Wärmemenge  K 
zar  Wirknng  im  Gasgemische  k&me,  welche  ein  Kilogramm  Leuchtgas  hei 
vollkommener  Verbrennung  zu  erzeugen  im  Stande  wäre.  —  Wir  lassen 
hierbei  unentschieden,  oh  der  Rest  der  Wärmemenge  K  durch  Wärme- 
abgabe an  die  Wände  des  Cylinders  oder  durch  Dissociationsvorgänge 
gehindert  wird,  unmittelbar  nach  der  Entzündung  bei  der  Druck-  und 
Temperaturerhöhung  des  Gases  zur  Geltung  zu  kommen  ^). 

Die  a  -\-  l  cbm  der  ursprünglichen  Mischung  wiegen  6  .(a-]-  l)kg. 
Es  werden  nun  0,562 kg  Leuchtgas  verbrannt,  also  a  ,K »  0,562  Calorien 
für  Erhöhung  des  Druckes  und  der  Temperatur  verwendbar. 

Zunächst  erfolgt  bei  der  Explosion  die  nahezu  momentane  Mitthei- 
lang  der  Wärme  bei  constantem  Volumen  an  die  <5  .  (a  -f-  1)  kg  des 
Gemenges.  Es  ist  demnach,  wenn  die  absolute  Temperatur  vor  der  Ent- 
zündung mit  To  und  unmittelbar  nach  der  Explosion  mit  Ti  bezeich- 
net wird: 

(Ti  —  To)  .c,.0  .{a  +  l)  =  u  .  K  .  0,562. 
Dies  giebt  die  Temperaturerhöhung: 

6  .(a  +  l)  .€, 

Bezeichnet  man  den  Druck  bei  Tq  mit  po  und  bei  Ti  Grad  mit  pi 
und  berücksichtigt  man,  dass  sich  das  Gas  bei  der  Explosion  im  Ver- 
hältniss  von  d  :  D  verdichtet  hat,  das  Volumen  jedoch  constant  gleich  Fq 
bleibt,  80  findet  man:  ^ 

ä  Ti  ,  ^v 

Während  der  Expansion  möge  sich  der  Zustand  des  Gases  nach 
dem  Gesetze: 

p  .  V*  =  const. 
ändern. 

Ist  nun  Fo  das  Anfangsvolumen  und  V\  das  Endvolumen,  so  ist  die 
bei  der  Expansion  vom  Gase  geleistete  Arbeit: 

n 

L=  * I    p  .  dv, 

oder,    wenn  man  ausrechnet  (die  Details  der  Rechnung  sehe  man  Bd«  1, 
in,  D,  13,  S.  346): 

.=_j_.,.....r._(^)-] 


^)  Man  sehe  die  Versuche  von  Bunsen,  dieses  Bach  Bd.  2,  II,  C,  9,  S.  424. 


536  II.  Thermochemie. 

Bezeichnet  nun  F  den'  Querschnitt  des  Gylinders,  8  den  Abstand  der 
unteren  Kolhenfläche  vom  Boden  des  Cylinders  im  Momente  der  grössteB 
Expansion  und  €i  ,  s  im  Augenhlicke  der  Explosion,  so  ist: 

Vq  =  ei  .  8  .  F  und  Fi  =  s  .  F, 
mithin : 

Fl  -  "1- 

Führt  man  die  Werthe  von  Vq  und  Vi  in  die  Formel  für  L  ein,  so 
erhält  man: 


L  = 


F  .  pi  .  8  '  ei 
n  —  1 


(' - "-')  ■■  ■■ 


II) 


Diese  Arbeit  dient  einestheils  dazu,  den  Luftdruck  um  den  Weg 
8  —  Ci  .  8  =  8  .  (l  —  Ci)  zurückzuschieben.  Die  dazu  erforderliche  ki- 
beit  Xt]  besitzt  die  Grösse: 

Li  =  F .  8  .  Pq  .  {l  —  ei). 

Ausserdem  sind  Eolbenreibung  und  sonstige  Widerstände  des  Mecfai- 
nismus  zu  überwinden;  bezeichnet  man  diesen  Widerstand  auf  der  Weg- 
einheit mit  Bj  so  ist  die  hierdurch  consumirte  Arbeit  L^i 

ia  =  JJ  .  s  .  (1  —  ei). 

Dem  Beispiele  GrashoTs  folgend  kann  man: 

B  =  Q  .F  .po 
setzen,  und  findet,  dass  die  nach  der  Expansion  disponible  Arbeit  gleich: 

Jj  —  I/i  —  i/j 

ist. 

Bei  der  Otto- Lange n'schen  Maschine  älterer  Constmction  IM 
man  nun  die  Expansion  so  weit  fortschreiten,  bis: 

X  —  ii  —  i;,  =  0 18) 

wird.  Bei  den  übrigen  Gaskraftmaschinen  wird  der  positive  Ueberschosii 
den  obige  Differenz  lässt,  unmittelbar  auf  die  Arbeitsmaschinen  über 
tragen. 

Setzt  man  in  Gl.  18)  die  Werthe  ein,  welche  man  im  Vorhergehen- 
den für  die  Arbeiten  L,  Li  und  L^  gefunden  hatte ,  so  erhält  man  die 
Gleichung : 

oder: 

ex  .pi.a-e."-')  _  (    +  1) ,  (1  -ei)  =  0  .    .   19) 

welche  zur  Bestimmung  von  n  dienen  kann. 


E.    Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen. 


537 


Bei  den  erstgenannten  Maschinen  wird  die  nützliche  Arbeit  beim 
Zurückgehen  des  Kolbens  durch  den  Luftdruck,  respective,  wenn  der 
Gylinder  nicht  horizontal  liegt,  durch  das  niedersinkende  Gewicht  des 
Kolbens  geleistet. 

Während  des  Rückganges  des  Kolbens  wird  Wärme  an  die  Gylinder- 
wandungen  und  von  diesen  an  das  diese  umfliessende  Kühlwasser  ab- 
gegeben, möglicherweise  wird  aber  auch  ein  Theil  der  wegen  eingetrete- 
ner Dissooiation  vorher  nicht  zur  Wirkung  gelangten  Wärme  nunmehr 
bei  abnehmender  Temperatur  nachträglich  noch  entwickelt.  Da  man 
nicht  bestimmen  kann,  in  welchem  Stadium  der  Zustandsänderung  der 
Theil  der  Wärme  noch  gebildet  wird,  welcher  anfänglich  nach  den 
Bnnsen' sehen  Erfahrnngsresultaten  nicht  zur  Entwickelung  gelangte, 
so  ist  es  geradezu  unmöglich,  eine  vollständige  Theorie  der  Gaskraft- 
maschinen aufzustellen. 

Wir  nehmen  an,  dass  während  des  Rückganges  des  Kolbens  die 
Zustandsänderung  des  Gases  längs  einer  Curve  erfolge,  welche  durch  die 
Gleichung : 

p  ,  v^  =  const 20) 

'  definirt  wird. 

Diese  Curve  (man  sehe  Fig.  33)  beginnt  nun  mit  einem  Zustande,  in 


Fig.  33. 


welchem  der  Druck  des  Gases  p^  und 
das  Gesammtvolumen  Vi  ist  und 
endet,  wenn  die  Spannung  des 
Gases  gleich  dem  Drucke  einer 
Atmosphäre  geworden  ist;  denn  bei 
Atmosphärendruck  werden  dieVer- 
brennungsproducte  ausgestossen. 
Wird  das  Gas  mit  der  absoluten 
Temperatur  Tg  aus  dem  Gylinder 
berausgestossen  und  war  Ti  die 
Temperatur  der  Yerbrennungs- 
producte  unmittelbar  nach  der 
Explosion,  so  kann  man  das  Vo- 
lumen des  Gases  im  Momente  sei- 
nes Austrittes  aus  dem  Gylinder 
bestimmen.  Die  Gleichung  der 
vollkommenen  Gase  giebt  nämlich, 
wenn  man  das  Volumen  Fj  beim 
Austritt: 


Fa  =  F .  s  .  es 


21) 


setzt: 


Pi  .  F  .  ei  ,  s Po  .F  .  ßj  .  8 

Ti  ~  T, 


538  II.    Thermochemie. 

und  hieraus  findet  man  den  Abstand  e^  .  s  der  unteren  Fl&che  des  Kol- 
bens vom  CylinderbodeU)  bei  welchem  der  Abflosscanal  des  Gases  geöfifnct 
werden  muss: 

^^^p.   e,.jr... 22) 

Mit  Hülfe  des  soeben  geiiindenen  e^  bestimmt  sich  hierauf  der  Ex- 
ponent m  des  Aenderungsgesetzes  beim  Niedergange  des  Kolbens  aus  der 
Gleichung: 

p^  ,  {F  .  8^"=  Po  .  (F  ,  e^  .sy^ 23) 

in  welcher  alle  Grössen  ausser  m  bekannt  sind. 

Für  Compression  der  Verbrennungsproducte  von  Fi  auf  V2  w^ird  die 
Arbeit  l  verbraucht: 


l 


=  — — —  ,  Po .  F  ,6^  .  s  .  (l  —  «2"*     M     .    .     .     24) 

Gleichzeitig  muss  die  Kolbenreibung  und  müssen  sonstige  Wider- 
stände überwunden  werden;  diese  Widerstände  mögen,  auf  die  Wegeinheit 
des  Kolbens  bezogen,  r  betragen.  Alsdann  ist  dieser  Widerstand  J^  auf 
dem  ganzen  Kolben wege: 

?3  =  r  .  (1  --  e^)  .  8. 
Setzt  man  auch  hier: 

r  =  q'  .  F  .po, 

so  erhält  man: 

l^  =  q'  .  F  .  Pq  .  s  .  (l  —  C3). 

Ferner  schiebt  beim  Rückgange  des  Kolbens  der  Luftdruck  po  seine 
Angriffsfläche  um  den  Weg  s  —  8  .  e^  vorwärts,  die  hierdurch  geleistete 
Arbeit  2i  besitzt  die  Grösse: 

li  =  F  ,  8  .  Po  .  (l  "-  62). 

Die  nützliche  Arbeit  X  ist  demnach: 

oder,  wenn  man  die  gefundenen  Werthe  einsetzt: 

X  =  F  .8  .po  .(l  —62)  — ^    ^  _  ^ [l  —  e,        j 

—  q'  ,  F  ,  Po  .  8  .  (l  —  Ca) 25) 

Hebt  man  F  .  s  .  Po  aus,  so  findet  man: 

A=F.«.jj,  .  [(1  _  «,) .  (1  _  9')  -  "ilj-^  •  e, .  (l-e«""')]- 

Pie  in  nützliche  Arbeit  verwandelte  Wärme  q  ist  demnach: 


E.    Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.  639 

wenn,  wie  gewöhnlich,  J  das  mechanische  Aeqaiyalent  der  Wärme 
hezeichnet.  —  Beachten  wir,  dass  zur  ursprünglichen  Kolhenfülluug 
Fo  =^  ^  .  S  .  «1  cbm  des  Gemisches  nöthig  waren ;  diese  wiegen : 

F.s.ei(a  4- 0,435).  1,293 


a  +  1 
tind  liefern  bei  vollkommener  Verbrennung: 


kg 


Demnach  sind: 


F.s.e,     6390^^^ ^7) 

a  +  1 


J  .  100 .28) 

V 


Procent  der  Wärme  nützlich  verwerthet  worden. 

Ein  Zahlenbeispiel  wird  den  Gang  der  Rechnung  noch  weiter  yer- 

anschaulichen. 

2 

Setzt  man  a  =  —,  a  =  8,  so  ist  nach  Gl.  14)  und  15): 

o 

c„  =  0,190 
und: 

Ti  —  To  =  1890«. 

Die  Verdichtung  -^  beträgt  alsdann : 

#  =  1,026. 
a 

Hieraus  ergiebt  sich  der  Druck  pi  nach  der  Explosion,  dtk  Pq  =  1  ist: 

Pi  =  7,3  Atmosphären. 

Bei  einer  von  Meidinger  untersuchten  Maschine  von  Otto- 
L  an  gen,  älterer  Construction ,  war  s  =  0,99  m,  F  =  0,01767  qm, 
ö  .  öl  =  0,114  m  und: 

B  =  28,8  kg. 

Hieraus  ergiebt  sich: 

Q  =  0,157. 

Substituirt  man  dies  in  die  Gleichung  19),  so  erhält  man  zur  Be- 
stimmung Yon  n  die  transcendente  Gleichung: 

1,215  n  —  2,215  =  —  el""■^ 

Diese  Gleichung  wird  nahezu  vollkommen  befriedigt  durch: 

n  =  1,6. 

Mit  dem  gefundenen  Exponenten  findet  man  die  Spannung  p^  am 
Ende  der  Expansion  durch  die  Gleichung: 


540  IL    Thermochemie, 

Demnach  ist: 


p^=pi  .ei 


1,6 


und  ausgerechnet : 

p^  r=  0,23  Atmosphären. 

Man  sieht  also,  dass  die  Spannung  in  dieser  Otto-Lange  naschen 
Maschine  am  Ende  der  Expansion  nicht  mehr  ganz  V4  Atmosphäre  be- 
trägt.    Die  Temperatur  T  am  Ende  der  Expansion  heträgt: 

r  =  5800 
oder  ungefähr: 

3060 

der  hunderttheiligen  Scala. 

Das  Volumen  des  Gases  heim  Austritte  aus  dem  Cylinder  findet 
man  durch  Bestimmung  der  Grösse  s  .  63,  und  diese  ergiebt  sich,  di 
Meidinger  die  Temperatur  der  aus  dem  Cylinder  ausströmenden  Gase 
zu  ungefähr  200»,  also  nahezu  T3  =4740,  beobachtet  hat,  nach  GL  22) 

e^  ,  8  =  0,18  m    . 

und  den  Exponenten  m  des  zweiten  Aenderungsgesetzes  beim  Rückgänge 
des  Kolbens  nach  GL  23): 

m  =  0,87. 

Beim  Rückgange  des  Kolbens  ist: 

r  ==  —  14,8,  demnach  9'  =  —  0,08  i). 

Hieraus  ergiebt  sich  alsdann  nach  Gleichung  25): 

l  =  96,6  kgm. 

Demnach  beträgt  die  für  jedes  Kolbenspiel  im  ungeschlossenen  Kreis- 
processe  in  Arbeit  verwandelte  Wärme: 

g  =  4"  =  0,227  Cal. 

Die  pro  Kolbenspiel  überhaupt  aufgewendete  Wärme  beträgt  nach 
Gleichung  27): 

Q  =  1,416  CaL 

Hiernach  würden  theoretisch  ungefähr: 

16  Proc. 

der  durch  die  Explosion  des  Leuchtgases  prodncirten  Wärme  überhaupt 
in  der  Maschine  in  nützliche  Arbeit  verwandelt  werden. 


^)  Die  älteren  Otto-Langen'schen  Maschinen  besitzen  Terticale  Cylinder  und. 
beim  Niedergänge  ist  das  Gewicht  des  Kolbens  und  der  Zahnstange  grosser,  als  der 
Beibnngswiderstand,  daher  das  negative  r. 


E.    Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.  541 

Die  Otto -Langen' sehen  Gaekraftmasohinen  älterer  Constrnction 
eonsamiren  bei  voller  Inanspruchnahme  ungefähr  1,2  cbm  Gag  (den  Gas- 
yerbranch  des  Entzündungsflämmchens  mit  eingerechnet)  pro  Stunde  und 
Pferdekraft  disponibler  Arbeit.  Eine  Pferdekraft  pro  Stunde  entspricht 
einer  Arbeit  von 

75  .  60  .  60  =  270000  kg. 

Diese  sind  aber: 

— —— —  =635  Galorien 
425 

äquivalent. 

Die  1,2  cbm  Gas  erzeugen 

1,2  X  6390  =  7668  Galorien, 
demnach  werden  thatsächlich  nur  ungefähr: 

Yöös  •  100  =  8  Procent 

der  in  der  Maschine  erzeugten  Wärme  in  wirklich  nutzbringende  Arbeit 
umgesetzt;  92  Procent  gehen  verloren. 


4.    Der  geräiisohlose  Otto-Gasmotor  i). 

Die  ausserordentlich  günstige  Aufnahme,  welche  die  nach  dem  Prin- 
cipe von  Langen  und  Otto  construirten  Maschinen  in  der  Praxis,  zumal 
för  die  Zwecke  des  Kleingewerbes,  gefunden  hatten  (in  den  zehn  Jahren 
von  1866  bis  1876  waren  4500  Maschinen  dieser  Art  inThätigkeit  gesetzt 
worden),  veranlassten  Otto,  auf  dem  einmal  betretenen  Wege  fortzu- 
schreiten und  weitere  Mängel  der  bisherigen  Einrichtung  zu  vermeiden. 
Bei  diesem  Streben,  das  bereits  Geleistete  zu  verbessern,  wurde  er  jedoch 
dazu  gefuhrt,  den  vorher  eingeschlagenen  indirecten  Weg  wiedertu  ver- 
lassen und  direct  die  durch  die  Explosion  des  Gases  erzeugte  Arbeit  auf 
die  Maschinen  welle  zu  übertragen.  Der  neue  Otto' sehe  Motor,  gewöhn- 
lich der  Geräuschlose  genannt,  hat  mit  der  älteren  atmosphärischen  Gas- 
kraftmaschine nur  den  Betrieb  durch  Leuchtgas  gemein;  im  Uebrigen 
ist  die  Constrnction  durchaus  neu  und  eigenthümlich.  Die  schädlichen 
Einflüsse  der  Explosion,  welche  bei  den  ebenfalls  direct  wirkenden 
Maschinen  von  Lenoir  und  Hugon  so  störend  waren,  sind  durch 
neue  sinnreich«  Einrichtungen  fast  vollständig  vermieden. 

Die  Maschine  ist  einfach  wirkend.  Der  Cylinder  ist  etwas  länger 
als  der  Kolbenhub,  so  dass,  wenn  der  Kolben  sich  in  der  innersten  Stel- 


^)  Man  vergleiche  den  Auszug  aus  einem  Vortrage  des  Herrn  A.  Slaby  in:  Bericht 
fiber  die  Sitzungen  des  Vereins  zur  Beförderung  des  Gewerbefleisses  in  Berlin.  Sitzung 
vom  4.  Februar  1S78,  S.  46  bis  65. 


542  II.   Thennochemie. 

long  befindet,  zwischen  ihm  und  dem  Gylinderboden  noch  ein  angemes- 
sener Raum  übrig  bleibt.  Dieser  Raum  ist  mit  einem  Theil  der  von  der 
letzten  Füllung  herrührenden  gasigen  Verbrennungsproducte  gefülltw  Das 
Gemisch  aus  Gas  und  Luft,  die  eigentliche  Ladung,  wird  in  die  Maschine 
bei  atmosphärischer  Spannung  eingeführt,  während  der  Kolben  sich  nach 
auswärts  bewegt.  Die  Maschine  hat  zu  diesem  Behufe  einen  Schieber  B 
mit  geeigneten  Oeffnungen,  dessen  Bewegung  so  regulirt  ist,  dass  wäh- 
rend der  ersten  Hälfte  des  Kolbenhubes  Luft  allein  in  den  Cjlinder  tritt, 
während  bei  dem  zweiten  Theile  dieses  Hubes  eine  Mischung  yon  Gas 
und  Luft  einströmt.  Der  Gylinder  ist  am  Schlüsse  des  ersten  Kolben- 
hubes mit  drei  Schichten  verschiedener  Gasarten  gefüllt:  zunächst  dem 
Kolben  befinden  sich  rückständige  Yerbrennungsgase ,  dann  Luft  und 
schliesslich  das  explosible  Gemisch  aus  Lufb  und  Leuchtgas.  Der  Kol- 
ben C  der  Maschine  geht  nun  zunächst  zurück  und  comprimirt  den  Inhalt 
des  Gy linders  A  bis  auf  den  zuerst  erwähnten  Raum,  wobei  die  Gase  sich 
ein  wenig  mit  einander  vermischen.  Am  Gylinderboden  bleibt  demnach 
das  Gasgemisch  am  meisten  gesättigt,  und  zwischen  dem  explosiven 
Gemisch  und  dem  Kolben  bleibt  eine  Schicht  nicht  explosiblen  Gases» 
welches  gewissermaassen  wie  ein  elastisches  Kissen  den  durch  die  Explo- 
sion erzeugten  Stoss  aufnimmt.  Durch  den  Schieber  B  der  Maschine  wird 
nun  eine  Verbindung  hergestellt  zwischen  einer  kleinen  von  aussen  her- 
eintransportirten  Vermittelungsflamme  und  dem  Inhalte  des  Gylinders. 

Die  Zündung  und  die  Explosion  der  ersten  Schichten  erfolgt,  wäh- 
rend der  Kolben  im  todten  Punkt  steht.  Eine  momentane  Verbrennung 
des  gesammten  eingeschlossenen  explosiven  Gasgemisches  kann  in  Folge 
der  Dissociation  und  auch  wegen  der  geschilderten  Anordnung  kaum 
stattfinden;  die  Verbrennung  wird  erst  ganz  allmälig  eine  vollkommene 
werden.  Die  auf  diese  Weise  hervorgerufene  allmälige  Expansion 
überträgt  nutzbare  Arbeit  auf  den  Kolben  und  weiterhin  auf  ein  Schwung- 
rad, dessen  lebendige  Kraft  den  abermaligen  Rückgang  des  Kolbens  und 
den  damit  verbundenen  Austritt  der  Verbrennungsproducte  durch  ein 
geeignetes  Ventil,  sowie  die  Gompression  bei  Beginn  der  nächsten  Arbeits- 
periode zu  leisten  hat.  Das  Ventil  &,  welches  den  Verbrennungsproducten 
den  Austritt  gestattet,  öffnet  sich  bei  Beginn  der  Rückbewegung  des 
Kolbens  und  schliesst  sich,  wenn  dieser  seine  innerste  Stellung  er- 
reicht hat. 

Wesentlich  neu  an  diesem  verbesserton  Otto'schen  Motor  ist  dem- 
nach der  Umstand,  dass  sich  zwischen  dem  explodirenden  Gasgemische 
und  dem  Kolben  eine  Schicht  unverbrennlichen  Gases  befindet,  und  dass 
die  GylinderfüUung  vor  der  Explosion  sich  in  Folge  der  vorhergegange- 
nen Gompression  bereits  unter  höherem  Drucke  befindet. 

Diese  beiden  charakteristischen  Abweichungen  des  Otto 'sehen  von 
den  früher  construirten  Gasmotoren  bewirken  thatsächlich,  dass  die  Hef- 
tigkeit des  Stosses  auf  den  Kolben  und  die  mit  demselben  verbundenen 
Maschinentheile  im  Momente  der  Explosion  ausserordentlich  abgeschwächt 


E.    Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.  543 

wird,  nnd  der  Gung  dieser  Kraftmaschinen  daher  ungemein  viel  weniger 
geräasohToll  ist,  als  der  aller  anderen  auf  dem  Explosion Bprincipe  be- 
ruhenden Motoren. 

Die  allgemeine  Disposition  der  Maschine,  F'ig.  34,  ist  ziemlich  einfach. 
Der  Cf  linder  A  liegt  horizontal  nnd  ist  mit  einem  Wassermantel  Wver- 

Fig.  34. 


sehen,  damit  einer  zn  grossen  Erhitzung  der  Cylinderwände  vorgebeugt 
werde.  Die  abzuleitende  Wärme  iat  nicht  übermässig  and  verlangt  nichtr 
wie  bei  den  Maschinen  von  L  e  n  o  i  r  und  H  n  g  o  n  ,  einen  constauten 
Durchflnss  kalten  Wassers.  Die  Anwendung  eines  gescbtossenen  Reser- 
voirs genügt,  um  die  Temperatur  der  Cylinderwände  ziemlich  niedrig  zu 
erhalten. 

Der  hintere  Theil  des  HoblranmeH  des  Cylinders  ist  rund  oder  couisch 
und  dient  dazu,  die  bei  der  Compression  im  Cjlinder  enthaltenen  Gase  auf- 
zunehmen. Der  Boden  des  Cylinders  ist  durchbohrt  nnd  hat  eine  Oeffnnng  a, 
durch  welche  die  Füllnng  der  Maschine  und  die  Zündung  der  Ladung 
erfolgt.  Die  OefFnung  a  wird  durch  einen  Schieber  £  verschlossen,  dessen 
besondere  Einrichtung  hier  nicht  beschrieben  werden  kann.  Eine  zweite 
Oeffnung  b  im  hinteren  Theile  des  Cylinders  dient  für  die  ÄUBstossnng 
der  Yerbrenunngsprodacte ;  dieselbe  mündet  in  eiaen  Caual,  der  durch 
ein  Eegelventil  mittelst  Federdmck  geschlossen  und  zu  geeigneter  Zeit 
von  der  Maschine  selbstthätig  geöffnet  wird.  C  ist  der  Kolben  der  Ma- 
Bchiue,  der  mittelst  Kreozkopf  und  Lenkstange  seine  Bewegung  auf  ein 
starkes  Sahwangrad  D  überträgt.  Die  Steuerung  der  Maschine  erfolgt 
durch  eine  Hülfswelle  E,  welche  seitlich  neben  dem  Cjlinder  liegt  und 
ihre  Drehung  von  der  Hanptwelle  aus  mittelst  conischer  Bilder  unter 
einer  Uebersetzung  2  :  1  erhält,  so  dasa  also  die  Steuerwelle  nur  eine 
Umdrehung  ausführt,  während  der  Kolben  der  Maschine  zwei  Doppelhühe 
vollzieht.  Die  Hülfswelle  E  trägt  an  ihrem  linken  Ende  eine  Kurbel  F, 
von  welcher  der  Schieber  B  seine  hin-  und  hergehenden  Bewegungen 


544  IL    IHiermochemie. 

Auf  die  höchst  sinnreichen  and  zum  Theil  sehr  complicirten  mecha- 
nischen Einrichtungen,  durch  welche  die  eigenthümlichen  Bewegungen 
und  verschiedenartigen  Functionen  des  Schiebers  und  der  Ventile  ermdg- 
licht  werden,  können  wir  uns  hier  nicht  einlassen. 

Die  Reihe  von  Zustandsanderungen,  der  das  Gas  unterworfen  wird, 
zerfällt  bei  der  eigenartigen  Functions  weise  des  Otto 'sehen  gerauschlosen 
Motors  demnach  in  fünf  Hauptperioden. 

Die  erste  Periode  zerfällt  in  drei  Unterabtheilungen.  Anfänglich 
sind  im  Gylinder,  während  der  Kolben  sich  in  der  innersten  Stellung 
befindet,  nur  Yerbrennungsproducte  der  letzten  Explosion  vorhanden,  hieiv 
auf  wird  während  der  ersten  Hälfte  der  Bewegung  des  Kolbens  nach  aus- 
wärts nur  atmosphärische  Luft  eingesaugt,  dann  während  des  Restes  der 
Kolbenbewegung  ein  Gemisch  von  Luft  und  Leuchtgas.  Während  dieser 
ganzen  ersten  Periode  der  Kolbenbewegung  bleibt  der  Druck  constant 
.gleich  dem  Atmosphärendrucke,  die  Temperatur  der  Gylinderfullung  wird 
nicht  an  allen  Stellen  dieselbe  sein,  da  die  Explosion srückstände,  welche 
anfänglich  vorhanden  wai^en,  eine  höhere  Temperatur  besitzen,  als  die 
eintretenden  Luftmengen  und  das  eintretende  Gasgemisch,  welche  an  den 
Gylinderwänden  nur  wenig  über  die  Temperatur  der  Umgebung  der  Ma- 
schine erwärmt  werden. 

Die  zweite  Periode  ist  die  der  Gompression.  Der  Kolben  macht 
seinen  ganzen  Weg  zurück,  und  da  der  Gang  der  Maschine  ein  sehr 
rascher  ist  [170  Kolbenhübe  per  Minute  ^)],  so  wird  man  annehmen  kön- 
nen, dass  di^se  Gompression  nahezu  längs  einer  adiabatischen  Gurve,  also 
ohne  Aufnahme  und  Abgabe  von  Wärme  stattfinde.  Der  Enddruck  be- 
trägt ungefähr  2  Atmosphären,  und  die  Temperatur  des  Gases  ist  während 
dieser.  Periode  erheblich  gestiegen. 

In  der  nunmehr  beginnenden  dritten  Periode,  welche  von  ausser» 
ordentlich  geringer  zeitlicher  Dauer  ist,  erfolgt  die  Explosion  der  ver- 
brennlichen  Bestandtheile  bei  nahezu  constantem  Volumen;  Temperatsr 
und  Druck  steigen  hierbei  äusserst  rapid.  Der  Druck  erreicht  beinahe 
10  Atmosphären,  die  Temperatur  erhebt  sich  beträchtlich. 

Während  der  vierten  Periode  wird  nunmehr  der  Theil  der  ver* 
brennlichen  Bestandtheile,  welcher  noch  nicht  verbrannt  war,  vollends 
verbrannt,  und  die  mit  wachsender  Expansion  abnehmende  Dissociation 
producirt  den  Rest  der  Wärmemenge,  welcher  in  der  vorhergehenden 
Periode  noch  nicht  zur  Wirkung  gelangen  konnte.  —  Die  Expansion 
wird  fortgesetzt,  bis  noch  nicht  ganz  Atmosphärendruck  erreicht  ist« 

Mit  dem  Rückgange  des  Kolbens  in  das  Innere  des  GylinderB 
beginnt  die  fünfte  und  letzte  Periode.  Da  sich  bei  Beginn  dieses 
Abschnittes  das  Ventil  bei  h  ö&et,  welches  die  Gommunication  zwischen 


^)  Dies  ist  eine  Mittelzahl,  entnommen  dem  Werke  von:  E.  Brauer  und  A.  Slsbj. 
Versuche  über  Leistung  und  Brennmaterial  verbrauch  von  Kleinmotoren.  Berlin,  J.  Sprin- 
ger, 1879.    Heft  1,  S.  29. 


E.    Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen.  545 

dem  Cylinderinhalte  und  der  freien  Atmosphäre  herstellt,  so  sinkt  der 
Draok  im  Innern  des  Cylinders  sehr  rasch  auf  Atmosphärenspannung,  und 
bei  diesem  Dmcke  entweichen  die  gasigen  Yerbrennnngsproducte  his  anf 
deige'tiigen  Rest  derselben,  der  im  halbkagelförmigen  Hohlräume  des 
Cylinders  bei  der  tie&ten  SteUung  des  Kolbens  jedesmal  zurflckbleibt. 

Damit  ist  ein  Spiel  der  Maschine  beendet,  und  es  beginnt  die  nftm- 
Hefae  Reihe  yon  Zustandsftnderungen  von  Neuem. 

Beistehende  Figur  35  gieht  ein  angenähertes  Bild,  welches  sich  auch 
siemlich  gut  an  die  yon  den  Herren  Brauer  und  Slahy  direct  beob- 
achteten Indicatordiagramme  anschliesst  ^). 

Die  erste  Periode  umfasst  die  untere  horizontale  Linie  AB;  die 
zweite  oder  Compressionsperiode  ist  dargestellt  durch  die  adiabatische 

Fig.  35. 


CurvQ  BC.  Die  nahezu  yerticale  Linie  CD  endlich  repräsentirt  die 
dritte  oder  eigentliche  Explosionsperiode.  Längs  der  Linie  DE  findet 
in  der  vierten  Periode  die  Expansion  statt;  es  ist  dies  eine  Curye  yon 
der  Art: 

p  .  v^  =  const. 

Auf  dem  zum  grossten  Theil  horizontalen  Gurvenstücke  EF  voll- 
zieht sich  endlich  die  Rückkehr  zu  dem  ursprünglichen  Zustande. 

Da  uns  nichts  hindert,  anzunehmen,  es  sei  der  unter  dem  Kolben  selbst 
bei  der  innersten  SteUung  desselben  zurückhleibende  Rest  der  Explo- 
sionsproducte  immer  die  nämliche  Gasmenge,  so  beschreibt  diese  einen 
vollständigen,  geschlossenen,  umkehrbaren  Kreisprocess.    Wir  haben  es 


^)  Ueber  Indicatoren  und  Indicatordiagramme  sehe  man  Bd.  1  dieses  Buches,  S.  17. 
Bflblmann,  Mechan.  Winnetheorie.  Bd.  2.  35 


546  II.    Thermochemie. 

in  dem  geräuschloBen  Otto 'sehen  Motor  also  eigentlich  mit  einer  Com- 
hination  dea  Principea  der  Heissluft-  und  der  EbEplosionsmaachinen 
zu  thun  ^). 

Es  mag  unterhleihen ,  hier  eine  Theorie  dieser  Maschinen  su  ent- 
wickeln. Die  Unmöglichkeit,  den  Einfluss  der  Diasociation  auf  die  dritte 
und  vierte  Periode  des  nicht  umkehrharen  Kreisprooesses  zu  überiehen, 
lässt  ohnehin  das  Fundament  eines  jeden  Yersnohes  in  dieser  Richtong 
höchst  unsicher  erscheinen ;  auch  würde  die  Theorie  dieser  Maschinen  in 
der  Hauptsache  nur  eine  Wiederholung  des  zumeist  schon  in  CSapitel  2 
und  3  Mitgetheilten  bedingen. 

Wir  theilen  nur  noch  mit,  dass  der  Grasconsum  pro  Stande  und 
Pferdest&riLe  in  diesen  Motoren  zu  ungef&hr  1,1  cbm  (circa  20  Pfennige 
im  Werthe)  beobachtet  worden  ist'). 

Eine  Pferdestärke  pro  Stunde  entspricht  einer  Arbeitsleistung  tod 
270000  kg,  welche  635  Galerien  äquivalent  sind.  Die  conBomirien 
1,1  olmi  Leuchtgas  aber  entwickeln  sehr  nahe  7029  Galerien,  demnach 
werden  nngef&hr  9  Procent  der  im  GyHnder  entwickelten  Wärme  in 
ausserhalb  der  Maschine  disponible  Arbeit  verwandelt. 

Dampfmaschinen  von  so  geringer  Pferdestärke,  dass  dieselben  hin- 
sichtlich ihrer  Leistungsfähigkeit  ungeflihr  mit  den  Gasmotoren  ver- 
glichen werden  können  (zwei-  bis  sechspferdige),  oonsamiren  pro  Stunde 
und  Pferdekraft  ungefähr  4  kg  Steinkohlen  ').  Nimmt  man  nun  an,  das 
bei  Verbrennung  von  1  kg  Steinkohlen  im  Mittel  6000  Gal.  produdit 
werden,  so  müssen  demnach  24000  Gal.  auf  dem  Eesselroste  erzeugt 
werden,  um  die  der  einstündigen  Arbeit  einer  Pferdekraft  äquivalente 
Wärmemenge  von  650  Gal«  in  nützliche  Arbeit  zu  verwandeln.  Bei  klei- 
nen Dampfmaschinen  werden  demnach  nur  ungefähr  2,7  Proc  der  auf 
dem  Koste  der  Feuerungsanlage  entwickelten  Wärme  in  ausserhalb  der 
Maschine  disponible  Arbeit  umgesetzt. 


^)  Reuleaux  hat  (Sitzongsbericht  des  Vereins  zur  Beförderung  des  GewerbefleisHs 
in  Berlin,  Sitzang  vom  4.  Februar  1878,  S.  54)  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  dk 
Ezplosionsproducte  ein  Gemisch  von  Gasen  und  Wasserdampf  sind. 

^)  Brauer  und  Slaby,  a.  a.  0.,  S.  29  fanden:  1,14  cbm,  1,07  cbm  und  l,00cbm 
pro  Stunde  und  Pferdestärke  an  drei  verschiedenen  Maschinen. 

*)  Redtenbacher,  Resultate  für  den  Maschinenbau.  Heidelberg,  Bassermsan, 
6.  Aufl.  1875,  $.  242  bis  252. 


ANHANG. 


F.    Ueber  die  Verwendung  des  Dampfes  zur  Fort- 

schleudening  yon  Geschossen. 

1.  Ableitung  der  allgemeinen  Formeln. 

Naelidem  wir  die  Anwendung  von  Explosivstoffen  zur  Arbeitsleistung 
in  Maschinen  besprochen  haben,  liegt  die  Frage  sehr  nahe,  ob  man  nicht 
ebenso,  wie  man  Maschinen  mit  Explosivstoffen  betreibt,  es  anch  nm- 
gekehrt  ermöglichen  könne,  den  Körper,  welcher  gewöhnlich  in  den  Arbeits- 
maschinen verwendet  wird,  den  Wasserdampf,  zur  Bewegung  der  Ge- 
schosse in  den  Geschützrohren  zu  gebrauchen. 

Diese  Frage  ist  bekanntlich  wiederholt  in  militärischen  Kreisen  und 
von  hervorragenden  Ingenieuren  ventilirt  worden;  alle  Versuche,  den 
Gedanken  praktisch  zu  realisiren,  sind  jedoch  ausnahmslos  ungünstig  aus- 
gefallen. Die  Behandlung  dieses  Problemes  mit  Hülfe  der  Gleichungen 
der  mechanischen  Wärmetheorie  giebt  in  einfacher  Weise  darüber  Auf- 
schluss,  warum  man  auf  diesem  Wege  zu  befriedigenden  Resultaten  bisher 
nicht  gelangen  konnte  ^). 

Nehmen  wir  an,  es  befinde  sich  in  Verbindung  mit  dem  Rohre 
eines  Geschützes  ein  Reservoir,  welches  flüssiges  und  dampfförmiges 
Wasser  von  hoher  Temperatur  enthält.  Durch  eine  geeignete  Vorrichtung 
könne  man  nach  Belieben  den  Druck  dieses  Gemisches  auf  ein  am  Boden 
des  Laufes  befindliches  Geschoss  wirken  lassen.  Gestattet  man  der  in 
der  Flüssigkeit,  respective  im  Dampfe  befindlichen  Energie  auf  das  Ge- 
schoss zu  wirken,  so  wird  Flüssigkeit  verdampfen,  und  während  der 
Bildung  und  Expansion  des  Dampfes  wird  das  Geschoss  im  Rohre  mit 
progressiver  Geschwindigkeit  vorwärts  bewegt  werden. 


>)  Man  sehe  z.B.  über  das  Pe^kin'sche  Dampfgewehr,  Engineer,  Bd.  12,  S.  390, 
und  über  Dampfartilleri«  im  Allgemeinen ,  Dingler,  Polyt.  Joam.  Bd.  199,  S.  41. 

35* 


548  Anhang  zum  IL  Abschnitt. 

Die  nächste  Aufgabe  würde  die  sein,  die  Geschwindigkeit  zu  be- 
stimmen, mit  welcher  in  diesem  Falle,  ein  Geschoss  die  Mündung  yerlasit, 
wenn  Anfangszustand,  Quantität,  YolumenverhältniBS  des  Wassers  iisd 
Dampfes,  das  Gewicht  des  Geschosses  und  die  Dimensionen  des  Rolur« 
bekannt  sind.  Ausgehend  von  der  Theorie  St.  Robert's  hatten  wir  filr 
die  Bewegung  der  Geschosse  in  den  Gesohützläufen  bekanntlich  die  Glei- 
chung gefunden  (man  sehe  Bd.  2,  II,  D,  4,  S.  474,  GL  12): 

(m+^)  '    ^=J.x.C.(T,^T,)  +  J,(i     .    .  1) 

worin  die  einzelnen  Grössen  folgende  Bedentong  hatten: 

M  =  Masse  des  Geschosses, 
m  =  Masse  der  Ladung, 

9C  das  Gewicht  des  verbrannten  Theiles  der  Ladung  im  Momente, 
in  welchem  das  Geschoss  das  Geschützrohr  verlässt. 

Hierin  ist  ferner: 

J  .  [g  +  Ä  .  C  .  (Ti  —  Ta)]  =  r/i  — ,  17,    .     .     .    .    2) 

.  die  Aenderung  der  inneren  Energie  des  Systemes  während  der  Bewegimg 
des  Geschosses  im  Geschützrohre. 

Man  kann  diese  Gleichung  fclr  den  vorliegenden  Zweck  daher  sock 
schreiben: 

da  die  Ableitung  der  linken  Seite  der  Gleichung  1)  von  der  Art  der  Sub- 
stanz,  welche  die  Fortbewegung  des  Geschosses  im  Rohre  bewirkt,  an* 
abhängig  ist. 

Vorausgesetzt  ist,  dass  es  gestattet  sei,  die  Geschwindigkeit  da 
Ruckstosses,  den  Luftwiderstand  und  auch  die  von  den  Wänden  äa 
Rohres  absorbirte  Wärme  zu  vernachlässigen,  und  dass  die  AnnakmeD 
erfüllt  seien,  welche  früher  (S.  473,  nach  Gl.  10)  von  uns  angeführt  vo^ 
den  sind. 

Es  gilt  nun  für  Ui  —  U^  die  Werthe  einzusetzen,  welche  fSr  die 
innere  Energie  eines  Gemisches  von  Wasser  in  flüssigem  und  gasförmigem 
Zustande  giltig  sind. 

Die  hierauf  bezüglichen  Formeln  sind  früher  (Bd.  1,  VI,  A,  4  und  5, 
S.  744  bis  748)  entwickelt  worden. 

Besteht  anfanglich  bei  der  Temperatur  Ti  das  Gemisch  aus  Xi  Ge- 
wichtstheilen  Flüssigkeit  und  aus  yi  Gewichtstheilen  gesättigtem  Dampt 
so  ist  die  innere  Elnergie  in  diesem  Zustande: 

Ui=J.Xi.  \rr,.dT+  tr+fc,.  dA 


T 


i 


F.    Physikalische  Theorie  der  Dampfgeschütze. 


549 


TT 


+  yi .     J 


/'• 


dT  +  t 


dT 


I» 


/' 


+  (s'.-«O.T».^l 


T=  T, 


Am  Ende  der  Znstandsänderung,  in  dem  Momente,  in  welchem  das 
GeschoBs  den  Lauf  verlässt,  sollen  x^  kg  Wasser  and  y^  kg  gesättigter 
Dampf  vorhanden  sein,  und  die  ahsolute  Temperatur  des  Gemisches  mag 
T^  hetragen.    £s  ist  ganz  entsprechend  die  innere  Energie  alsdann: 

Ui  =  J.x^.  [f  ^P  .  ^T  +  St»  4-  fc, .  d  rj 


Tf 


T* 


+  y^ '{  ^ 


[/'■ 


u 


dT  +  £ 


T  -\-     I    c,  .  dT 


T* 


+  (sj  —  Sj)  .  Tj 


T»Tt 


Hierin  hahen  die  einzelnen  Grössen  heistehende  Bedeutungen: 
J  ist  das  mechanische  Aequiyalent  der  Wärme,  r^  die  specifische 
Wärme  des  Eises,  Cp  die  des  flüssigen  Wassers  hei  constantem  Drucke, 
St'  die  latente  Schmelzwärme  des  Eises,  /  die  Spannkrafb  des  gesättigten 
Dampfes,  ^i  resp.  sl%  das  specifische  Yolomen  des  gesättigten  Dampfes, 
Si  resp.  9%  das  specifische  Volumen  des  Wassers  hei  der  absoluten  Tem- 
peratur Ti  und  1*3.     T'  endlich  ist  die  Schmelztemperatur  des  Eises. 

Es  bestehen  aber  ausserdem,  wenn  Q  das  Gewicht  des  überhaupt 
als  Flüssigkeit  und  Dampf  zur  Verwendung  gebrachten  Wassers  bezeich« 
net,  die  Gleichungen: 

iPi  +  yi  =  ^  +  y«  =  ff 4) 

Führt  man  dies  ein  und  bildet  die  Differenz  zwischen  U^  und  r/i, 
so  ist: 


r. 


ü'o 


—  Uy^=J  .    G  .  j     c,.dT  — 


yi'(s\  —  sO.T;. 


r-r» 


+  y«  .  (s'2  —  «2)  •  21? 


-T, 


550  Anhang  zum  II.  Abschnitt. 

Wenn  man  hierin  die  Factoren  von  der  Form: 


ausrechnet,  erg^eht  sich: 

g/ 

Nach  der  bekannten  Clapeyron'schen  Gleichung  (man  sehe  Bd.  1, 
V,  B,  14,  S.  614,.  Gl.  25)  ist  aber: 

y  .  (s'  —  s)  .  T  .  ^  =  J .  r  .  y, 

wenn  r  die  latente  Wärme  der  Verdampfung  bei  der  Temperatur  7  be- 
zeichnet, und  man  erhält  somit  schliesslich: 

y  .  (s'  —  «)  .  r*  .  y^  =  »  .  J- .  r  -  y  .  (s"  —  «)  .  /. 
Wenn  man  dies  in  die  Gleichung  für  ü^  —  üi  einfuhrt,  erhält  man: 

Ua—  Ui=J.Q.  I  c,,dT  +  J.y2^r2—J.yi.ri—y3.(i3f9—Si)./T, 

i 

+  y\ .  (s'i  —  Si)  ./t, 5) 

Nimmt  man  femer  an,  dass  die  Znstandsänderung  des  Dampfes  Tor 
sich  geht,  ohne  dass  Wärme  aufgenommen  oder  abgegeben  wird,  so  gilt 
bekanntlich  (man  sehe  Bd.  1,  V,  E,  2,  S.  673,  GL  14)  die  Beziehung: 

Ti 

wenn  fi  die  specifische  Wärme  des  siedenden  Wassers  bezeichnet. 

Die  nunmehr  erhaltenen  Gleichungen  genügen  zur  Lösung  des  Pro- 
blemes. 

Wir  können  als  von  Anfang  an  gegeben  ansehen  die  Ghrössen  Xu  Vu 
/tv  ^1)  ^i>  ^i>  ^*Bmer  G  und  das  Anfangsvolumen  Vy  des  Gemisches  toh 
Dampf  und  Wasser  und  das  Endvolumen  F3  =  Fi  4"  ^9  wenn  v  dtf 
Volumen  des  Geschützrohres  bezeichnet.  Femer  sind  die  Grössen  ff,  s't, 
^9  fyt  Bämmtlich  sofort  bestimmt,  sowie  die  Grösse  Tj  gefunden  ist  Vit 
letztangeführte  Gleichung  6)  enthält  demnach  zur  Zeit  noch  zwei  nn- 
aUiängige  Unbekannte,  nämlich  T9  und  ^3. 





F.  Physikalische  Theorie  der  Dampfgeschütze.  551 

Es  besteht  aber  auch  noch  eine  weitere  Gleichung.  Das  Volumen  V 
des  Gemisches  von  Dampf  und  Wasser  zu  irgend  einer  Zeit  besteht  aus 
dem  Volumen  des  Wassers  x  •  8  und  dem  Volumen  des  Dampfes  p  •  s\ 
Setzt  man  dies  in  die  Gleichnnig  Fg  =  Fi  -|~  ^  ein,  so  ergiebt  sich: 

«8  .  «2  +  y«  •  «'s  —  («1  •  «1  +  yi  .  «'i)  =  V     .     .     .     7) 
Führt  man  hierin  die  Werthe  von  x^  und  Xi  aus  GL  4)  ein: 

as,  =  ö  —  ya  »i  =  G  —  yi, 

80  erhält  man: 

Sj  .  ö^  +  y«  •  (s'i  —  Sj)  —  «1  •  ö  —  yi  .  (s'i  —  8i)  =  V. 

Da  nun  aber  das  specifische  Volumen  des  Wassers  sich  mit  der 
Temperatur  äusserst  wenig  ändert»  so  kann  man  für  eine  solche  äusserst 
rohe  Annäherungsrechnung,  wie  es  die  ist,  um  welche  es  sich  im  Yor- 
liegenden  Falle  handelt,  ohne  wesentlichen  Fehler: 

setzen;  denn  die  Dichte  des  flüssigen  Wassers  ändert  sich  mit  der  Tem- 
peratur nur  äusserst  wenig. 

Alsdann  erhält  man: 

y«  ■  (s'i  —  8,)  =  yi  .  (s'i  —  Si)  +  V 

oder:  y,  =±  ^^  '  ^^  "  ^^>  +  ^ 8) 

5^  Si 

Führt  man  dies  in  die  Gleichung  der  adiabatischen  Curve  des 
Dampf-  und  Flüssigkeitsgemisches,  GL  6),  ein,  so  enthält  dieselbe  nun- 
mehr lediglich  Functionen  von  T^  und  kann  zur  Bestimmung  von  T^ 
unmittelbar  verwendet  werden. 

Dio  Losung  der  Gleichung  nach  Tf  geschieht  alsdann  durch  Pro- 
biren unter  Anwendung  der  früher  von  uns  für  Wasser  und  gesättigten 
Dampf  mitgetheilten  Tabellen  (Bd.  1,  S.  588  bis  594)  und  Gonstanten 
(Bd.  1,  S.  620). 

Hat  man  T^  gefunden,  so  kann  hiermit  die  Grösse  U^  —  üi  und 
daraus  die  Geschwindigkeit  u  bestimmt  werden  ,^  mit  der  das  Geschoss 
die  Mündung  des  Bohres  verlässt. 


2.  Dturohrechntuig  eines  speoiellen  Falles  und  nnmeriscjien 

Beispieles. 

Setzen  wir  voraus,  es  sei  anfänglich  nur  Wasser  von  der  Tempe- 
ratur Ti,  jedoch  kein  Dampf  vorhanden^),  so  ist: 

^)  St.  Robert  behandelt  diesien  einfachen  Fall  in  seinem  trefflichen  Werke:  Prin- 
tipes  de  thermodynarnique,  2.  Auflage ,  S.  287.  Wir  entnehmen  demselben  die  nach- 
stehenden Zahlwerthe. 


552  Anhang  zum  IL  Abschnitt. 

und  die  Gleichung  der  adiabatischen  Gunre  nimmt  die  einfachere  Form  an 

ri^  =  a.ft.aT 9) 

Die  Gleichung  ftLr  U,  —  Ui  geht  über  in: 
U^—  Ui  =  J .  Q  .   je,  .  dT  +  J.r^  .yi  —  ffi    (s'a— «a)    /r,  -  10) 

Für  die  numerische  Rechnung  kann  man  die  Formeln  noch  etwas 
bequemer  machen,  wenn  man  für  y^  .  (s's  —  ^)  c^en  Werth: 

ya  .  (s'j  —  s,)  =  t? 
einfuhrt. 

Die  Grösse  r^  .  y^  wird  besser  noch  aus  der  Gleichung  9)  eliminirt. 
Dies  geschieht  mit  Hülfe  der  beiden  Gleichungen: 

V  =  y^  .  (s'a  —  Sa) 

und: 

r  _^  —  s    df 
T~     J     '  T 

Denn  hiemach  ist: 


KdTjT^T,' 


Auch  setzt  man  angenähert: 


f 


^^dT=c,.lognat^^ 


und  erhält  somit  zur  Bestimmung  von  T%  die  transcendente  Gleichaog: 

Nimmt  man  nun  an,  es  betrage  das  Gewicht  des  Wassers  6=1  kg, 
das  Gewicht  des  Geschosses  4,5  kg  und  das  Volumen  v  des  Laufes  nach 
Abzug  des  Raumes,  den  die  Ladung  ausfüllt,  0,00937  cbm  ^);  die  An- 
fangstemperatur sei  200^0.,  also  Ti  =  474;  so  ergiebt  sich,  wenn  man 
sich  der  in  den  Tafeln  und  sonst  früher  yon  uns  gegebenen  Werthe  bedient: 

Ti  =  451,80. 

^)  Diese  Zahlen   entsprechen   ungefähr   den  Dimensionen  eines   tiranzosischen   Feld- 
geschiitzes,  welches  ehedem  als  Achtpfänder  bezeichnet  wurde.. 


F.    Physikalische  Theorie  der  Dampfgeschütze.  553 

Damit  aber  findet  man: 

Ui  —  üi  =  —  1145,4  kg. 

Hierdurch  erh&lt  man  zur  Bestimmung  der- Geschwindigkeit  u,  mit 
der  das  Geschoss  die  Mündung  verlfisst,  die  Gleichung: 


(^  + 1)  •  f  =  "*'''• 


Da  nun  aber  die  Masse  des  Geschosses,  respective  der  Ladung  die 
Werthe  haben: 

M  =  —  m  =  — , 

9  9 

wenn  g  die  Acceleration  der  Schwere  bedeutet,  so  erhält  man: 


V  2^1145,4 


Diese  Geschwindigkeit  ist  aber  yerhältnissmässig  zu  gering,  da  maa 
bei  Anwendung  normaler  Pulverladungen  (0,9  kg)  durchschnittlich  400  m 
proSecunde  erreicht  und  die  Bestrebungen  der  Artilleristen  dahin  gehen, 
die  Anfangsgeschwindigkeit  noch  zu  erhöhen. 

Durch  Veränderung  der  Quantität  der  Ladung,  also  z.  B.  durch 
Verbindung  des  Geschützrohres  mit  einem  Kessel,  welcher  eine  grosse 
Menge  Wasser  enthält,  wird  das  Besultat  der  Bechnung  nicht  sehr 
erheblich  verändert,  ebenso  wenig,  wenn  von  Anfang  an  ausser  dem 
Wasser  auch  bereits  fertig  gebildeter  Dampf  vorhanden  gewesen  wäre. 

Wollte  man  bei  sonst  unveränderten  Dimensionen  des  Geschützes 
und  den  nämlichen  Gewichten  des  verwendeten  Wassers  und  Geschosses 
die  Geschwindigkeit  u  =  400  m  erreichen,  welche  man  durchschnitt- 
lich für  ein  Geschoss  beansprucht,  so  müsste  man  die  Anfangstemperatur 
2i  ausserordentlich  viel  höher,  nämlich  ungefähr  Ti  =  900^  ti  =  626« 
wählen;  dann  aber  betrüge  der  Druck,  dem  das  Beservoir,  welches  das 
Wasser  enthielte,  ausgesetzt  wäre,  beinahe  1200  Atmosphären. 

Für  ein  Gefass,  welches  von  aussen  erhitzt  werden  muss,  dürfle  sich 
aber  kein  Material  finden,  welches  bei  mindestens  620^0.  einem  der- 
artigen Drucke  noch  ausreichenden  Widerstand  leistete. 

Vergrösserte  man  die  Länge  des  Geschützrohres  (1,438  m)  bei  un- 
geändertem  Querschnitte  auf  das  Tausendfache  (1438  m),  so  erhielte  man, 
sofern  man  von  der  Beibung  absehen  darf,  die  gewünschte  Anfangs- 
geschwindigkeit von  ungefähr  400  m  bei  Anwendung  von  Wasser,  wel- 
ches eine  absolute  Temperatur  von  590^,  also  eine  Wärme  von  316®  G., 
besitzt;  aber  auch  dann  würde  der  Druck  des  Dampfes  noch  immer 
nahezu  100  Atmosphären  betragen. 

Berücksichtigt  man  ausserdem,  dass  bei  Ableitung  obiger  Formeln 
und  Zahl  werthe  insofern  wesentlich  zu  günstig  gerechnet  worden  ist,  als 
man  von  der  Mittheilung  von  Wärme  an  das  Geschützrohr  und  von  der 


554  Anhang  zum  II.  Abschnitt 

Consumtion  von  Energie  durch  Reibung  abgesehen  hat,  so  erklären 
im  Vorstehenden  mitgetheilten  Beispiele  unmittelbar,  warum  sich  Dampf 
so  wenig  zum  Fortschleudern  von  Geschossen  eignet,  und  weshalb  die 
Dampfgeschütze,  von  welchen  seiner  Zeit  so  viel  die  Rede  war,  sich  nickt 
einmal  für  ganz  besondere  Zwecke  einen  dauernden  Platz  in  der  Milit 
technik  erwerben  konnten. 


HL 

ANWENDUNGEN  DER  MECHANISCHEN 
WÄRMETHEORIE  AUF  DIE  ELECTRISCHEN 

#       ERSCHEINUNGEN. 


A.  Einleitnng. 

1.   Allgemeines  und  Hlstorisohes. 

Bei  electrisohen  Vorgängen  treten  jederzeit  Wärmeerscheiniingen  auf, 
nnd  umgekehrt  sind,  wie  das  Gebiet  der  Thermoelectricität  zeigt,  vielfach 
Wärmeprocesse  mit  Veränderungen  des  electrischen  Znstandes  verknüpft. 
Da  ausserdem  die  electrischen  Wirkungen  leicht  nach  Arbeitsmaass  ge- 
messen werden  können,  ebenso,  wie  dies  mit  Wärmemengen  der  Fall  ist, 
8o  lag  der  Gedanke  nahe,  die  eigenartigen  Betrachtungsweisen,  durch 
welche  die  mechanische  Wärmetheorie  charakterisirt  wird,  auch  in  der 
Electrieitätslehre  anzuwenden. 

Diese  Art  der  Untersuchung  hat  nicht  bloss  die  eigentlichen  Wärme- 
erscheinungen,  welche  bei  electrischen  Vorgängen  sich  zeigen,  in  wesent- 
lich helleres  Licht  gestellt,  sondern  auch  fGLr  die  Betrachtung  der  electri- 
schen Erscheinungen  selbst  wesentlich  pieue  Gesichtspunkte  eröffnet. 

Zum  ersten  Male  hat  diesen  Weg  Helmholtz  in  denjenigen  Ab- 
schnitten seiner  Abhandlung:  „Die  Erhaltung  der  Erafb^  ^)  betreten, 
welche  sich  mit  den  electrischen  Erscheinungen  und  den  damit  zusammen- 
hängenden Wärmevorgängen  beschäftigen« 

Der  Nächste,  welcher  hierauf  diese  Probleme  in  Angriff  nahm, 
war  W.  Thomson,  dessen  Abhandlungen:  „Mechanical  theory  of  electro- 
lysis^  '),  und  „On  a  mechanical  theory  of  thermo-electric-currents"  ')  aus- 
zugsweise im  Jahre  1848,  1851,  vollständig  erst  in  den  Jahren  1855^) 


][)  Berlin,  Reimer,  1847. 

^  TrauB,  of  British  Assoc.  1848,  Philos.  Mag.  (December  1851),  4.  Serie,  Bd.  2, 
S.  429  n.  551,  Bd.  3,  S.  529,  und  Rep.  of  Brit.  Assoc  (1852),  Bd.  2,  S.  16. 

^  Philos.  Mag.  4.  Serie.  Bd.  3,  S.  529  (1852). 

*)  On  the  tbermo-elastic  and  thermo-magnetic  propertiM  of  matter«  Quaterly  Journal 
pf  math.  Bd.  1,  S.  57. 


556         lU.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

und  1856^)  yerö£Pentlicbt  wurden   und  erst  im  Jahre  1875  einen  end- 
giltigen  AhscUusB  gewannen. 

Vom  Jahre  1852  an  hat  sich  alsdann  besonders  Clansius  um  diesen 
Theil  der  mechanischen  Wärmetheorie  hervorragend  verdient  gemacht 
und  in  seinen  Abhandlungen :  „lieber  das  mechanische  Aequivalent  einer 
electrischen  Entladung  und  die  dabei  stattfindende  Erwärmung  des  Lei- 
tungsdrahtes" und:  „Ueber  die  bei  einem  stationären  electrischen  Strome 
in  dem  Leiter  gethane  Arbeit  und  erzeugte  Wärme",  die  wichtigsten  da- 
mals bekannten  Wärmeprocesse  bei  Anwendung  statischer  und  galvani- 
scher Eleotricität  eingehend  behandelt,  und  zwar  sofort  in  einer  Form, 
welche  in  allen  wesentlichen  Theilen  noch  heute  mustergültig  ist.  Im 
nächsten  Jahre  1853  Yerö£fentlichte  Clansius  seine  Abhandlung:  „Ueber 
die  Anwendung  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  die  thermoeleciri- 
schen  Erscheinungen",  in  welcher  er  eine  vollständige  mechanische  Theorie 
der  Electricitätserregung  an  der  Trennungsfläche  zweier  Metalle  durch 
Temperaturdififerenzen  gab.  Diesen  Arbeiten  folgte  im  Jahre  1857  eine' 
kurze  Behandlung  der  electrolytischen  Vorgänge  unter  dem  Titel:  „Ueber 
die  Electricitätsleitung  in  Electrolyten".  Im  Jahre  1866  endlich  Hess 
Clansius  einen  Zusatz  zu  seiner  zuerst  genannten  Abhandlung  folgen, 
welcher  sich  eingehend  mit  dem  Verhalten  der  isolirenden  Zwischenschicht 
beschäftigt. 

Alle  diese  Arbeiten  hat  Clansius  gesammelt  im  zweiten  Bande 
seiner:  „Abhandlungen  über  Mechanische  Wärmetheorie**  (Braunschweig, 
Fr.  Viewegu.Sohn  1868).  In  wesentlich  umgearbeiteter  und  erweiterter 
Form  sind  dieselben  neu  erschienen  in  dem  trefflichen  Werke :  Clansius, 
Mechanische  Theorie  der  Eleotricität  (Braunschweig,  Fr.  Vieweg- 
u.  Sohn  1879). 

Unter  Anwendung  der  Methoden,  welche  der  mechanischen  Wärme- 
theorie eigenthümlich  sind,  hat  femer  schon  im  Jabre  1865  Maxwell^ 
auf  Grund  der  Annahme,  dass  die  Eleotricität  ein  überall  verbreitetes 
incompressibles  Fluidum  sei,  die  electrischen  Vorgänge  behandelt,  welche 
sich  in  der  Nähe  von  mit  freier  Eleotricität  belegten  Leitern  vollziehen; 
vollständig  entwickelte  er  jedoch  seine  Theorie  erst  im  Jahre  1873  in 
einem  besonderen  Werke:     „A  treatise  of  electricity  and  magnetism'. 

Die  neueren  überaus  bedeutungsvollen  Arbeiten  von  Helmholtz 
und  Clansius,  in  welchen  diese  hervorragenden  Forscher  ihre  von  dem 
Weber' sehen  electrischen  Grundgesetze  abweichenden  Grundgesetze  auf- 
gestellt und  auf  eine  Anzahl  electrischeir  Vorgänge  angewendet  haben, 
gehören  wesentlich  mehr  der  mathematischen  Electricitätslehre ,  als  der 
Anwendung  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  die  Behandlung  der 
electrischen  Vorgänge  an,  müssen  daher  in  diesem  Buche  unberücksich- 
tigt bleiben. 


^)  On  the  elecirodynamie  properties  of  metab.    Bakeriaii  Lecttire  Phil.  Trans.  1855. 
2)  Maxwell,  Dynaxnical  theory  of  the  electromagnetic  field.  Phil.  Trans.  1865,  p.459. 


r 


A.   Mathematische  Einleitung.  557 


2.  Die  Potentialftinotion. 

tüne  electrische  Masse  m  wirke  auf  eine  andere  electrische  Masse  fi. 
Letztere  mag  gleich  der  Einheit  sein.  Wir  bezeichnen  mit  a,  h,  c,  die 
Coordinaten  der  Masse  m,  mit  Xy  y,  0  die  Coordinaten  der  Masse  fi,  mit 
r  den  Abstand  beider  Massen.  Nach  dem  Conlo mb' sehen  ^)  Gesetze  f&llt 
die  gegenseitige  Wirkung,  welche  beide  Massen  auf  einander  ausüben,  in 
die.  Verbindungslinie  der  beiden  Theilchen  und  besitzt  die  Grösse : 

m 

sofern  es  sich  um  einä  gegenseitige  Anziehung  der  beiden  electrischen 
Massen,  also  um  das  Streben  nach  Yerkleinerung  des  Abstaodes  derselben 
handelt.  ^ 

Unter  der  Einheit  der  electrischen  Masse  versteht  man  hierbei  die- 
jenige electrische  Masse,  welche  auf  eine  gleich  grosse  von  entgegen- 
gesetztem Vorzeichen  in  der  Einheit  der  Entfernung  eine  Anziehung 
gleich  eins  ausübt. 

Die  Gomponenten  dieser  Anziehungskraft  der  beiden  Massen  m  und 
ft  =  1  nach  den  drei  Coordinatenaxen  der  x^  y  und  g  sind  alsdann  der 
Reihe  nach: 

X  —  a  y  —  h  y  —  c 

fS  r'  r  ' 

Wirkt  nicht  nur  eine  Masse  m  auf  das  Theilchen  fi,  sondern  sind 
deren  eine  Anzahl  vorhanden,  so  besitzen  die  drei  Projectionen  der  Re- 
sultante der  einzelnen  Anziehungen  und  Abstossungen,  welche  zwischen 
II  und  diesen  Massen  bestehen,  die  Grössen: 

£[ierbei  bezieht  sich  das  obere  Vorzeichen  auf  die  anziehenden ,  das 
untere  auf  die  abstossenden  Wirkungen,  welche  stattfinden.  Diese  drei 
Grössen  sind  jedoch  von  einer  einzigen  aj>hängig.     Da  bekanntlich : 

r»  =  (aj  —  a)2  +  öf  —  hy  +  (jp  —  c)« 

ist,  erhält  man  z.  B.  durch  beiderseitige  partielle  Differentiation  nach  x: 


dr 
r  .  r-        X  —  a. 
ox 

Da  nun  ferner: 

'(7) 

1        dr 
r«      dx 

X  —  0 

dx 

r^ 

^)  Coulomb,  M^moires  de  PAcad.   Paris,  1785. 


558  ni.   Anwendungen  auf  electrisehe  Erscheinungen* 

ist,  so  kann  man  den  Ausdrack  für  die  Gomponente  Z  auch  in  der  Form 
schreiben: 


X=2 


+  m 


und  analog: 


+  m 


z  =  z: 


+  m 


Die  drei  Componenten  lassen  sich  somit  als  partielle  Differenüal- 
quotienten  ein  und  derselben  Grösse  F  darstellen,  wenn  man : 


=^(±') 


2) 


setzt,  wobei  sich  das  Summationszeichen  S  auf  alle  wirkenden  electri- 
sehen  Massen  erstreckt 


Alsdann  ist; 


SF 
8a? 


=  E'  V+m 


oder: 


und  analog: 


Z  = 


Y  = 


Z=- 


8F 
87 
8F 


oz 


3) 


Kennt  man  die  Function  F  bis  auf  eine  Gonstante  genau,  so  können 
sofort  die  drei  Componenten  X,  F,  Z  bestimmt  werden.  Den  Werth  der 
Constanten  ermittelt  man,  wenn  derselbe  gebraucht  wird,  aus  dem- be- 
kannten Werth,  z.  B.  dem  Werth  Null,  welchen  die  Function  f&r  irgend 
einen  bestimmten  Punkt  besitzt.  —  Green  gab  dieser  Function  den 
Namen  Potentialfanction.  Dem  Vorgänge  vieler  Autoren,  zumal  auch  dem 
von  Clausius  folgend,  schliesse  ich  mich  dieser  Benennung  an.  Gauss 
bediente  sieb  bei  seinen  Untersuchungen  über  die  Kräfte,  welche  um- 
gekehrt proportional  dem  Quadrate  der  Entfernung  wirken,  dieser  Func- 
tion F  unter  dem  Namen  Potential ;  wir  reserviren  jedoch ,  im  Anscfalnaa 
an  Clausius,  diese  Bezeichnung  für  eine  andere  verwandte  Function. 


A.   Mathematische  Einleitimg.  559 


3.  Das  Potential. 

Nanmebr  betrachten  wir  zwei  electriscbe  Quantitäten  m  und  iHi, 
welche  fähig  sind,  ihren  Ort  zu  ändern,  nnd  ermitteln  die  elementare 
Gesammtarbeit,  welche  einer  unendlich  kleinen  Yerschiebung  beider  elec- 
trischer  Massen  entspricht.  Es  mögen  op,  y,  e  und  rcj,  yi,  Zi  die  Coor- 
dinaten  von  m  und  mi  sein.  Besitzen  beide  Electricitätsmengen  ent- 
gegengesetztes Vorzeichen,  so  hat  die  Wirkung,  welche  ni  auf  mi  ausübt, 
die  drei  Componenten: 

.m  ,  mi  .  (xi  —  x)  m  ,  mi  .  (tfi  —  y)  w  .  iwi  .  (jg|  —  g) 

IMe  Wirkung,  welche  iifi  auf  m  ausübt,  ist  gleich  gross,  jedoch  ent- 
gegengesetzt gerichtet. 

Erleiden  die  beiden  Punkte  m  und  fNi  elementare  Verschiebungen 
um  die  unendlich  kleinen  Strecken  dx,  dtf,  dß  respecüve  dxi^  dyi,  dgij 
so  besitzt  die  im  ganzen  Systeme  geleistete  Arbeit  die  Grössen 

~  *^a  ^^    •  f—  (Pi  —  a?)  .  dx^  ^{y^—y),  dyi  —  (£i  —  e)  .  dzil 

L+  («1  —  x)  >  äx  +  d^i  ^  y)  .  dy   +  (si  --  0)  .  de  J 


=  ''[=^T^]. 


wobei  das  «Zeichen  d,  wie  gewöhnlich,  eine  totale  Differentiation  andeutet. 
Betrachtet  man  nicht  bloss  zwei  electriscbe  Massen,  sondern  eine  beliebige 
Anzahl  derselben,  so  findet  man,  dass  die  Gesammtarbeit,  welche  durch 
elementare  Verschiebung  der  einzelnen  electrisohen  Massen  hervorgebracht 
wird,  gleich  dem  totalen  Differentiale  einer  Function: 


ist. 


Tr=2;(:p^) 4) 


Das  Minuszeichen  entspricht  auch  hier  den  anziehend,  das  Plus- 
zeichen den  abstossend  wirkenden  Kräften. 

Die  unendlich  kleinen  Variationen  dieser  Function  W  stellen  die 
elementaren  Arbeiten  der  Kräfte  dar;  dieselbe  kann  demnach  dazu  die- 
nen, die  bei  einer  Aenderung  des  electrischen  Zustandes  geleistete  Arbeit 
bis  auf  eine  Constante  genau  zu  ermitteln,  und  die  Grösse  dieser  Con- 
stanten kann  gewöhnlich  durch  Betrachtung  eines  speciellen  Falles  ge- 
funden werden.  Diese  Function  W  nennen  wir,  wie  bereits  erwähnt,  dem 
Vorgange  von  Clausius  folgend,  das  Potential. 


560         in.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


4.   Sätze  über  die  Potentialfunction  und  das  PotentiaL 

Pols 80 n  hat  folgenden  Satz  aufgestellt^):  „Damit  ein  System 
von  Körpern,  welche  als  vollkommene  Electricitatsleiter 
angesehen  werden  können,  seinen  electrischen  Zustand 
nnverändert  heibehalte,  istesnöthig  nnd  ausreichend,  dasB 
die  Resultante  der  Wirkungen  der  electrischen  Massen, 
welche  die  Oberflächen  bedecken,  für  einen  beliebigen  im 
Innern   eines  Körpers  gelegenen  Punkt  Null  ist.** 

Die  Richtigkeit  dieses  Satzes  ist  leicht  einzusehen.  Besässe  in  irgend 
einem  im  Innern  befindlichen  Punkte  M  die  Resultante  eine  angebbon 
Grösse,  so  würde  die  hier  vorhandene  positive  Electricität  in  dem  einen, 
die  negative  im  entgegengesetzten  Sinne  in  der  Richtung  der  ResDltanie 
verschoben  und  hierdurch  der  electrisöhe  Gleichgewichtszustand  geändert 
werden.  Dies  aber  widerspricht  der  Voraussetzung.  —  Wenn  aber  die 
Resultante  Null  sein  soll ,  muss  es  auch  jede  der  drei  Componenten  sein, 
und  demnach  müssen  folgende  drei  Gleichungen  bestehen: 

F^  =  ^'    87  =  ^'    äl=' '^ 

V  ist  aber  eine  bestimmte,  stetige  Function  der  Coordinaten  x^f/,i 
des  Punktes  M,  der  sich  im  Innern  des  betrachteten  Körpers  befindet 
Die  obigen  Gleichungen  zeigen  sofort,  dass  die  ausreichende  nnd  noth- 
wendige  Bedingung  des  Gleichgewichtes: 

F  =  const. 6) 

ist. 

Damit  ist  bewiesen,  dass  die  Potentialfiinction  Fim  Innern  einei 
jeden  der  Leiter,  auf  welchen  die  Electricität  sich  im  Gleichgewicht  be- 
findet, constant  ist;  jedoch  wird  im  Allgemeinen  der  Werth  dieser  Gon- 
stanten  von  Körper  zu  Körper  eine  verschiedene  Grösse  haben. 

Ist  Q  die  Dichte  des  wirksamen  Agens  in  dem  Punkte  Jf,  in  Bezug 
auf  welchen  die  Potentialfunction  F  genommen  ist,  so  gilt  allgemein  die 
Beziehung,  dass: 

8«F   ,    8>F   .    8«F  ,  ,, 

ist. 

Behufs  Nachweis  dieses  Satzes  ziehen  wir  eine  unendlidi  kleine 
Kngelfläche  mit  dem  Radius  B  (man  sehe  Fig.  36),  welche  den  Punkt  P 
in  sich  begreift.    Alsdann  setzt  sich  die  Potentialfunction  F  aus  zwei 


^)  M6moires  de  PAcad^mie  des  sciences  (1811),  Vol..  12,  p.  7. 


A.   Mathematische  Einleitnng.  561 

Theilen  zusammen,  aus  der  Potentialfanction  Vi  derjenigen  Menge  Elec- 
tricität,  die  sich  ausserhalb  der  Kugelfläche  befindet,  und  aus  der  Poten- 

Fig.  36. 


tialfunction  V^  ^^^  innerhalb  der  Kugel  befindlichen  £Iectricitätsmenge. 
Man  erkennt  nun  leicht,  dass,  wenn: 

ist,  auch: 

^V=^Vi  +  JV2 

sein  muss,  wenn  man  abkürzungsweise :     * 

schreibt. 

Es  ist  nun  ^  Vi  gleich  Null.  Bezeichnen  x,  y,  is  die  Goordinaten 
des  Punktes  M  und  Xiy  yi ,  ^i  die  eines  ausserhalb  der  Kugelfläche  gele- 
genen Punktes  Mi,  so  ist: 

demnach : 


d  Vi         Pxi  —  X 


dx 
und  endlich: 


=/^ 


da. 


'■-.  =/T-  i  +  3  '^^'J 


dq, 


dx^ 

wenn  dq  die  Ladung  des  im  Punkte  M  befindlichen  Raumelementes  be- 
zeichnet. ' 

Bildet  man  die    analogen  Ausdrücke  für  die   F-   und  die  Z-Axe 
und  addirt  dieselben,  so  ergiebt  sich: 

R  fl  h  1  m  a  n  n  ,   Mechan.  Wamiethcorie.    Bd.  2.  3ß 


562  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


oder  einfacher: 


^F, 


=yi-r. 


+  3 


-1 


dq, 


und  dieser  Ausdruck  ist  sichtlich  gleich  Null.     ^^  V  reducirt  sich  somit 
auf  -^  Fa.  . 

Diese  Grösse  ^  V^  kann  auf  folgende  Weise  herechnet  werden : 

Fig.  37.  Bas  Centrum  der  yorhin  ge- 

zogenen Kugelfläche  sei  Cund  £,  % 
t  seien  die  Coordinaten  dieses  Pank- 
tes,  a  ferner  der  Abstand  diesei 
Mittelpunktes  und  des  Punktes  i', 
den  die  Eugelfläche  einschliesL 
Alsdann  kann  die  Lage  eines  be- 
liebigen im  Innern  der  Kugelfläche 
befindlichen  Punktes  M^  durch  fol- 
gende Coordinatän  definirt  werden: 
1)  durch  seinen  Abstand  f]  fom 
Mittelpunkt  0,  2)  durch  denWinU 
ty  welchen  CM^  mit  CP  macht, 

und  3)  durch  den  Winkel  9,  welchen  die  Ebene  M^  CP  mit  einer  festa 

Ebene  einschliesst.     Alsdann  ist: 


r  =  PM2  =  Vr/  —  2  a  .  ra  .  cos  t  +  a^ 

und  die  in  dem  in  M^  befindlichen  Volumenelemente  enthaltene  Qiun- 
tität  Electricitat  dq  ist: 

dq  =:  Q  .  r^  .  sin  ijj  .  dq)  ,  d^  .  dr^; 

Q  bezeichnet  alsdann  die  Dichte  im  Punkte  Jf«,  und  diese  kann  nnr  Ttf- 
schwindend  wenig  von  der  Dichte  im  Punkte  P  verschieden  sein. 

Man  erhält  nunmehr  für: 


F, 


-r-^ 


nach  Einführung  der  Werthe  für  dq  nnd  r  den  Ausdruck: 

y  \    \    \    ^^  '  sin  jf .  d<p  .  dtif  .  dfj 

J  J  J    Vr^—  2a.  rj.cös^  +  a»' 


Die.  ersten  beiden  der  angedeuteten  Integrationen  können  leicht  ans- 
gefüfart  werden,  und  man  erhält: 

y^  =  ^f[(r^  +   a)  -  V[±  ir,-a)yyr,.dr,. 


A.  Mathematische  Einleitung.  563 

Das  untere  Vorzeichen  im  Radicanden  mnsa  benatzt  werden,  so  lange 
als  rj  <  a,  und  das  obere,  wenn  ^2  >  a  ist.  Wir  theilen  deshalb  die 
Integration  in  eine  solche  von  0  bis  a  und  eine  andere  von  a  bis  ^,  so 
dass  Fj  die  folgende  Form  annimmt: 

a  R 

Nach  Ausführung  der  Integration  ergiebt  sich: 

F,  =  2«9.(^  +  B'  -a«) 


oder: 


Da  nun: 


V^  =  2xQ  .(b^-j^ 


o»  =  («  -  ö»  +  iz-  f,y  +  (z-  g)* 

ist,  Bo  findet  man  weiterhin: 

-^  =  --«.p.(a;-g) 

nnd  analoge  Formeln  durch  Differentiation  nach  y  zu  z  und  schliesslich 
hieraus: 

a^Fg  _a2F2  _0»F2  4 

Und  wenn  man: 

bildet,  so  ergiebt  sich: 

und  demnach  ^  F  selbst : 

^V=  —  ^ytQ .8) 

Wir  gelangen  hiermit  zu  folgendem  wichtigen  Satze  für  die  Grösse 
^F,  welche  man  gewöhnlich  den  zweiten  Differentialparameter  der 
Potentialfunction  nennt.  Der  zweite  Differentialparameter  der 
Potentialfunction  ist  für  einen  gegebenen  Punkt  gleich 
der  mit  —  4^  multiplicirten  Dichte  des  wirksamen  Agens 
an  dem  betreffenden  Punkte^). 

Wir  hatten  im  Vorhergehenden  gefunden,  dass  im  Innern  sämmt- 
licher  mit  freier  Electricität  geladener  vollkommener  Leiter  ^^V  =  0 
«rar,   so  lange  Gleichgewicht  besteht,   und  schliessen  nunmehr  hieraus: 


8y» 

"  8 

e^ 

--.«, 

9- 

8»F, 

+ 

8»Fj 

+ 

8*F, 

^F,  : 

— -•    , 

—  4« 

Q 

^)  Für  nicht  homogene  Körper  hat  Claus  ins  die  Richtigkeit  dieses  Satzes  eben- 
falls bewiesen.  Man  sehe:  Claus  ins,  Die  Potentialfunction  und  das  Potential  (Leipzig, 
l^arth,  3.  Aufl.  1877),  S.  53.  Auch  sehe  man:  Delsaulz,  Ann  d.  1.  soc.  d.  Bnixelles  1877. 

36* 


564  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Im  Innern  yollkommener  Leiter,  auf  welchen  sich  die 
Electricität  in  einem  stationären  Zustande  hefindet,  kann 
freie  Electricität  nicht  vorhanden  sein.  Die  gesammteio 
Yollkommen  leitenden  Körpern  enthaltene  freie  Electri- 
cität bildet  nur  eine  unendlich  dünne  Schicht  an  der  Ober- 
fläche derselben. 


6.  Die  Summe  der  Wirkungen ,  welche  eine  Aendernng 
des  eleotrischen  Zustandes  herbeiführt,  ist  gleich  der 
Aenderung  des  Potentiales  der  Electricität  in  Bezug  auf 

m 

sich  selbst. 

In  den  weitaus  meisten  Fällen  wird  die  Aendernng  des  electrischen 
Zustandes  nicht  nur  in  den  gegenseitigen  Arbeiten  bestehen,  zu  welchea 
die  electrischen  Theilchen  selbst  veranlasst  werden,  sondern  es  werden 
auch  Arbeiten  äusserer  Kräfte  mit  in  Betracht  zu  ziehen  sein.  Erstreckt 
sich  die  Aenderung  des  electrischen  Zustandes  auf  Leiter ,  welche  duitji 
Nichtleiter  getrennt  sind,  so  werden  Funken  entstehen,  wenn  der  Wider- 
stand der  nicht  leitenden  Schichten  von  der  Elektricität  überwundeo 
wird.  Geht  die  Entladung  durch  eine  Flüssigkeit,  so  wird  in  den  meistes 
Fällen  ein  Theil  derselben  zersetzt  werden.  Vollzieht  sich  die  Entladiug 
in  der  Nachbarschaft  eines  Kreises  von  Leitern  oder  eines  magnetificheo 
Körpers ,  so  entwickelt  sich  daselbst  im  ersten  Falle  eine  inducirte  Eot- 
ladung,  im  anderen  Falle  eine  Magnetisirung,  welche  ihrerseits  aaf  di« 
ursprüngliche  Entladung  zurückwirkt  u.  s.  f. 

Die  Arbeit  aller  dieser  unter  verschiedenen  Umständen  in  Thätigkeit 
gesetzten  Kräfte  ist  negativ,  denn  alle  diese  Kräfte  wirken  dem  Eintreten 
und  Verlaufe  der  Entladung  entgegen.  Nennen  wir  diese  Arbeit  T,  »o 
schreibt  sich  die  bekannte  allgemeine  Gleichung  der  kinetischen  Energie: 

t 

^'Im.v'^'-  i  S  w  .  t^o^  =  2  Ax  .  da?  4-  r  .  dy  +  Z  .  rf#) 

in  ihrer  Anwendung  auf  elektrische  Kräfte  wie  folgt: 

i  V  wi  .  t;2  -  I  2  »w  .  t'o^  =  TT  -  TFo  +  T  —  To    .   .  9) 

Die  linke  Seite  dieser  Gleichung  repräsentirt  den  Zuwachs  an  leben* 
diger  Kraft  etwa  in  Bewegung  gesetzter  Körper  und  die  durch  die  elec-. 
trischen  Entladungen  herbeigeführten  Aenderungen  der  calorischen  Energit 
im  Systeme.  Bringt  man  T  —  To,  die  Summe  der  negativen  Arbeite!, 
auf  die  linke  Seite  der  Gleichung,  so  tritt  daselbst  demnach  ein  posititei 
Glied  hinzu,  welches  als  Maass  aller  durch  die  Aenderung  des  electrischet! 


i 


A.   Mathematische  Einleitung.  565 

Zustandes  herbeigeführten  Wirkungen  angesehen  werden  kann,  abgesehen 
von  den  Wärme  Wirkungen  und  abgesehen,  sofern  diese  in  Betracht  kom- 
men, von  den  Bewegungen  äusserer  Körpen 

Die  rechte  Seite  der  Gleichung  reducirt  sich  alsdann  auf  die  Arbeit 
der  gegenseitigen  Einwirkung  der  Electricität,  und  diese  bezeichneten 
wir  im  Vorstehenden  (Capitel  3,  S.  559)  mit  dem  Namen:  Potential  der 
Electricität  auf  sich  selbst.  In  dieser  Gestalt  repräsentirt  alsdann  die 
Gleichung  9)  den  wichtigen  Satz: 

Die  Summe  der  durch  eine  electrische  Entladung  her- 
vorgebrachten Wirkungen,  sämmtlich  auf  mechanisches 
Maass  bezogen,  ist  gleich  der  Aenderung  des  Potentiales 
der  Electricität  auf  sich  selbst. 


6.  Die  Potentialfunctlon  ist  proportional  der  eleotrlsohen 

Ladung. 

Nachdem  wir  im  Vorhergehenden  gesehen  haben,  dass  im  Zustande 
des  electrischen  Gleichgewichtes  die  auf  einem  Leiter  vorhandene  Electri- 
citätsmenge  nur  eine  sehr  dünne  Schicht  auf  dessen  Oberfläche  bildet, 
ist  es  erklärlich,  dass  das  Gleichgewicht  ungeändert  bestehen  bleibt, 
wenn  man  die  in  jedem  Elemente  der  Oberfläche  vorhandene  Electri- 
citätsmenge  verdoppelt,  verdreifacht,  vemfacht.  —  Die  Potentialfunction 
hat  im  Innern  des  Leiters  allerorts  die  Form: 


-f{±r}- 


wobei  dq  die  Ladung  eines  Flächenelementes  bezeichnet.  Es  wächst 
sichtlich  demnach  V  genau  in  demselben  constanten  Verhältnisse,  in 
welchem  die  Ladung  jedes  Elementes  zunimmt.    Man  kann  demnach: 

V=  Ä.  Q 10) 

setzen ,  wobei  Q  die  gesammte  Ladung  und  A  eine  Constante  bedeutet. 
Letztere  ist  gleich  der  Potentialfunction ,  die  durch  eine  Ladung  von  der 
Grösse  I  hervorgebracht  wird. 

Für  den  Gleichgewichtszustand  besteht  eine  sehr  einfache  Beziehung 
zwischen  der  Potentialfunction  und  dem  Potential.  —  Um  das  Potential 
W  für  ein  System  von  leitenden  Körpern : 


W 


dq' .  dq" 


=  -ir-^ ») 

zu  bilden,  nimmt  man  zuerst  ein  dem  ersten  Körper  des  Systems  ange- 
höriges  Element  dq'  und  nimmt  alle  Elemente  unter  dem  Integralzeichen 
zusammen,  welche  dq'  als  Factor  enthalten;  deren  Summe  ist: 


566  ni.    Anwendangen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Für  ein  zweites  Element  diq'  desselben  Körpers  nimmt  man  dieselbe 
Operation  vor,  und  die  Summe  dieser  zusammengehörigen  Glieder  des 
Integrales  ist: 

-  ^.^  •  /'t'- 

*        Da  die  beiden  Elemente  dq'  und  di  ^  demselben  Körper  angehören,  hat 

/da 
—  denselben  Werth;  es  ist  dies  der  con- 

staute  Werth,  den  die  Potentialfunction  im  Innern  des  ersten  Körpen 

des  Systemes  besitzt,  wir  wollen  denselben  Fi  nennen.     Setzt  man  diei 

Verfahren  fort  für  alle  Elemente  des  ersten  Körpers,  so  erhält  man  die 

Summe: 

-(dq'  +d^g:  +  d,q'  +  .  .  .)  •  V^. 

Der  in  der  Klammer  stehende  Ausdruck  repräsentirt  sichtlich  die 
gesammte  Ladung  des  ersten  Körpers,  und  man  erhält  daher  für  den 
Theil  des  Doppelintegrales  W,  welcher  sich  auf  den  ersten  Körper  des 
Leitersystemes  bezieht,  den  Ausdruck: 

Der  zweite  Körper  des  Systemes  liefert  in  dem  Integrale  W  em 
ähnliches  Glied: 

-  Fa  .  ft. 

Bildet  man  für  alle  Körper  des  Systemes  diese  Producte,  so  erhält 
man: 

—  (Fl  .  ft  +  F,  .  §3  +  Fs  .  ÖS  +  .  .  .  .) 

Diese  Summe  ist  jedoch  nicht  W  selbst,  sondern  das  Doppelte  von 
TF;  denn  bei  der  Art  zu  verfahren,  welche  soeben  beschrieben  wurde, 
hsit  man  jedes  Glied  zweimal  verwendet. 

Betrachtet  man  z.  B.  das  Glied  der  Summirung,  welches  sich  auf 
zwei  bestimmte  Elemente  dq*  und  dq*'  bezieht,  so  ist  dieses  Glied  einmal 

verwendet,  als  man  den  Ausdruck  —  dq'  .  /  —  bildete,  denn  das  In- 

rdq                                            dq" 
tegral  /  —  enthält  auch  das  Glied  mit;    ein    zweites  Mal  aber 

wnrde  das  nämliche  Glied  auch  in  dem  Producte  —  dg"  .  /  —  mi 

—   enthält  auch  das  Glied  — .   — 

Man  erhält  demnach  für  das  Potential  W  der  Electrioität  auf  sich  selbst 
den  Ausdruck: 

W=  —  ^1V.Q 12) 


mit' 


A.   MathematiBche  Einleitung.  567 

Diese  Samme  nmfasst  alle  Producte,  welche  man  erhält,  wenn  man 
für  jeden  Körper  den  Werth,  welchen  die  Potentialfanction  des  ganzen 
Systemes  in  diesem  Körper  besitzt,  mit  der  Ladung  des  betrachteten 
Körpers  multiplicirt. 

Aus  diesem  Satze  ergeben  sich  unmittelbar  einige  wichtige  Re- 
sultate. * 

Setzt  man  voraus,  ein  Körper  des  Systemes  sei  nicht  geladen  wor- 
den, sondern  werde  lediglich  durch  Influenzwirkungen  electrisirt.  Als- 
dann befindet  sich  zwar  eine  Electricitätsschicht  auf  der  Oberfläche  des 
Körpers,  aber  es  ist  für  denselben  Q  =  0.  Die  potentielle  Energie  eines 
Körpers,  welcher  lediglich  durch  Influenz  electrisirt  wird,  ist  demnach 
gleich  Null.  Das  Vorhandensein  eines  derartigen  Körpers  vermehrt  die 
Arbeit  nicht,  welche  dazu  nöthig  ist,  die  übrigen  Körper  des  Systemes 
zu  laden,  und  bei  der  Entladung  leisten  solche  Körper  keine  Arbeit. 

Wenn  andererseits  ein  Körper  des  Systemes  mit  dem  Erdboden  in 
leitende  Verbindung  gesetzt  wird,  so  ist  zwar  Q  von  Null  verschieden, 
hingegen  ist  in  diesem  Falle  F  ==  0.  Die  Potentialfunction  hat  nämlich 
alsdann  für  diesen  Körper  denselben  Werth,  den  sie  in  allen  Punkten 
der  Erde  hat,  d.  h.  den  Werth  Null.  Das  auf  diesen  Körper  bezügliche 
Product  F.  Q  wird  demnach  Null,  und  es  gelten  daher  für  einen  solchen 
Körper  dieselben  Schlussfolgerungen,  welche  wir  soeben  für  einen  unge- 
ladenen, nur  durch  Influenz  electrisirten  Körper  erhalten  haben. 


B.    Bestätignngen  im  Gebiete  der  Beibnngs- 

electricität 

1.  Anwendungen  auf  die  Leidener  Flasche. 

Bei  einer  Leidener  Flasche  oder  einer  Franklin 'sehen  Tafel  reprä- 
sentiren  die  beiden  Beleg^gen  das  System  leitender  Körper,  sofern  man 
von  dem  electrischen  Einflüsse  des  durch  eine  Ladung  in  seinem  Zustande 
geänderten  Dielectricums ,  der  isolirenden  Zwischenschicht,  vorlänflg  ab- 
sieht. —  Wir  nehmen  an,  das  äussere  Beleg  des  Ansammlers  sei  mit  dem 
Erdboden  in  leitender  Verbindung,  und  das  innere  Beleg  sei  geladen. 
Alsdann  ist  die  Potentialfunction  auf  dem  äusseren  Belege  Null,  da  das- 
selbe mit  dem  Erdboden  in  leitender  Verbindung  steht.  Auf  dem  inneren 
Beleg  mag  die  Potentialfunction  einen  Werth  V  besitzen ;  ist  q  die  La- 
dung, welche  diesem  Belege  mitgetheilt  worden  ist,  so  hat  man: 

W=-^ 1) 


568  III.    Anwendungen  auf  electrische' Erscheinungen. 

Die  Potentialfunction  aber  ändert  sich  proportional  der  electriacfaen 
Ladung  des  ganzen  Systemes  und  demnach  im  vorliegenden  Falle  pro- 
portional der  Ladung  des  inneren  Beleges.     Man  kann  demnach: 

V=A.q 2) 

setzen,  ;^obei  A  eine  Gonstante  ist,  welche  von  den  Dimensionen  und  der 
Gestalt  des  electrischen  Ansammlungsapparates  abhängt,  welche  jedoch 
für  durchaus  gleich  beschaffene  Flaschen  genau  denselben  Werth  haben 
wird.  Führt  man  dies  in  den  Ausdruck  für  das  Potential  W  ein,  so 
erhält  man: 

Diese  Formel  enthält  den  wichtigen  Satz:  Das  Potential  eines 
Verstärkungsapparates  (Leidener  Flasche)  ist  dem  Qaadrate 
seiner  Ladung  proportional. 

Vermindert  eine  unvollkommene  Entladung  die  Ladung  auf  q',  so  geht 
die  Potentialfunction  im  inneren  Belege  auf  den  Werth  V  zurück,  und 
das  Potential  des  Ansammlungsapparates  auf  sich  selbst  ist  nur  noch  W 

V*     a'  Ä    o'« 

Tui ^    '  ^'  ^  •  tf    . 

2  2 

Die  Zunahme  des  Potentiales  beträgt: 

W  -W=A  .  ^'  ~  ^'* 4) 

und  durch  diese  wird  bekanntlich  die  geleistete  äussere  Arbeit  gemessen. 
Ist  die  Entladung  eine  vollständige,  so  ist  W*  =  0,  und  die  Zunahme 
des  Potentiales  ist  gleich  seinem  ursprünglichen  Werthe,  jedoch  mit  ent- 
gegengesetztem Vorzeichen,  d.  h.  die  Zunahme  ist  gleich: 

Ä  .3« 


Der  Betrag  der  mechanischen  Wirkungen,  welche  von 
einer  Leidener  Flasche  hervorgebracht  werden  können, 
hängt  demnach  vom  Quadrate  der  Electricitätsmen^e  ab, 
welche  der  Flasche  mitgetheilt  worden  ist. 

Vereinigt  man  n  gleichbeschaffene  und  mit  gleichen  Ladungen  Ter- 
sehene  Leidener  Flaschen  oder  Franklin'schö  Tafeln,  so  dass  die- 
selben eine  Batterie  bilden,  IBO  kann  man  für  eine  rohe  Annäherung  den 
Einflifts  vernachlässigen,  welchen  die  einzelnen  Ansammlungsapparate 
auf  einander  ausüben  und  ebenso  den  Einfluss  der  freien  Electricität^ 
welche  auf  den  Verbindungsdrähten  vertheilt  ist.  Daraus  folgt,  dass  die 
Potentialfunction  V  dieselbe  bleibt,  das  Potential  hingegen  den  irfachen 
Werth  annimmt.  Bezeichnet  man  demnach  die  gesammte  auf  dem  inne- 
ren Belege  angehäufte  Electricitätsmenge  mit  Q,  so  ist: 


I 


B.  Bestätigungen  im  Gebiete  der  Reibungselectricität      569 

Tr=-i.  r.Q 
r  =  Ä,  ^ 

n 

^=-^-£ ^> 

Um  diese  Sätze  im  Besonderen  auf  die  Wärmeerscheinungen  anwen- 
den zu  können,  beiracliten  wii*  den  Fall,  in  welchem  alle  Yersachsanord- 
nnngen  derart  getroffen  sind,  dass  die  Entladungen  weder  magnetische, 
noch  Indu^ionswirkungen ,  noch  chemische  Wirkungen  hervorbringen 
können.  Die  Entladung  erzeugt  alsdann  nur  Wärme  und  diejenige 
Arbeit,  welche  das  Hervorbringen  der  Funken  erfordert,  die  an  den 
Stellen  entstehen,  an  welchen  der  Leiterkreis  unterbrochen  ist.  Die 
Summe  dieser  beiden  Wirkungen  muss  in  diesem  Falle  der  Zunahme  des 
Potentiales  gleich  sein.  Ist  die  Entladung  vollkommen,  so  ist  schliesslich 
das  Potential  Null;  seine  Zunahme  ist  demnach: 

A  .  Q^ 
2n 

Daraus  ergiebt  sich  der  nur  für  die  mitgetheilten  Voraussetzungen  ' 
gültige  und  daher  nie  streng  anwendbare  Satz :  Für  ein  und  dieselbe 
Batterie  und  gleich  grosse  Ladungen  derselben  muss  die 
Summe  der  Wä^rmewirkungen  und  der  auf  die  Funkenbil- 
dung verwendeten  Arbeit  constant  bleiben,  wie  auch  der 
von  der  Entladung  durchlaufene  Leiter  beschaffen  sein' mag. 


2.    Die  Potentialfunction  und  das  Potential  kugelförmig 

gestalteter  Leidener  Flaschen. 

•  Die  Bestimmung  des.  Goefficienten  Ä  und  die  Aufstellung  einer 
vollkommenen  Theorie  der  Leidener  Flaschen  überhaupt  bietet  erhebliche 
Schwierigkeiten  dar^).  Man  hat  es  jedoch  mit  einem  sehr  einfachen 
Specialfalle  zu  thun,  wenn  man  annimmt,  dass  beide  Belege  und  die 
isoHrende  Zwischenschicht  von  vollständigen  concentrischen  Kugelober- 
flächen begrenzt  werden.  Allerdings  kann  dieser  Forderung  in  Wirklich- 
keit nur  näherungsweise  genügt  werden;  jedoch  kann  man,  wenn  man 
thermometerkugelartig  construirte  Flaschen  wählt,  die  innen  mit  Queck- 
silber gefüllt  und  aussen  belegt  sind,  den  theoretischen  Voraussetzungen 
sehr  nahe  Genüge  leisten. 

^)  Ausführliche  theoretische  Untersuchungen  über  diese  Apparate  findet  man  in : 
ClausiuR,  Die  mechanische  Behandlung  der  Electricität  (Braunschweig,  Fr.  Vieweg 
u.  Sohn,  1879),  S.  39  bis  97,  und:  Kirchhoff,  Zur  Theorie  des  Condensators,  Monats- 
berichte der  Berliner  Akademie.    1877,  S.  144  bis  162. 


570  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Bezeichnet  B  den  Radius  einer  aus  einem  vollkommenen  Leiter  her- 
gestellten isolirten  Kugelfiäche,  und  theilt  man  dieser  Eugelflache  die 
Electricitätsmenge  Q  mit,  so  ist  nach  dem  fr&her  (auf  S.  560  Gl.  6)  mit- 
getheilten  Satze  die  Potentialfnnction  dieser  Electricitätsmenge  im  ganzen 
inneren  Räume  der  Eugelflache  constant.  Dieser  Werth  der  Potential- 
function  kann  leicht  für  das  Centrum  der  Kugelfläche  und  dadurch  somit 
für  jeden  beliebigen  anderen  Punkt  de|  inneren  Hohlraumes  der  Kugel 
bestimmt  werden.  Für  das  Centrum  der  Kugel  ist  der  Werth  der  Poten- 
tialfnnction: 

B 

Füi*  ^nen  ausserhalb  der  Kugel  gelegenen  Punkt,  welcher  sich  in 
einem  Abstände  B  •]-  a  vom  Kugelcentrum  befindet,  ist  der  Werth  der 
Potentialfnnction : 

F=-«-. 
B  +  a 

Die  Richtigkeit  dieser  Behauptung  ist  leicht  zu  erweisen,  denn  die 
Anziehung,  welche  die  electrische  Ladung  der  Kugel  auf  ein  in  dem 
betreffenden  Punkte  gelegenes  entgegengesetzt  electrisches  Theilchen  yon 
der  Grösse  1  ausübt,  ist  bekanntlich  gerade  so  gross,  als  ob  die  gesammte 
anziehend  wirkende  Electricitätsmenge  im  Mittelpunkte  der  Kugel  Te^ 
einigt  wäre  ^).    Die  Anziehung  beträgt  demnach : 

Q 

(.B  +  «)*' 

Die  anziehend  wirkende  Kraft  dieser  Electricitätsmenge  ist  aber 
bekanntlich  das  Differential  der  Potentialfunction  nach  B  -\-  a.  Man 
erhält  also: 

8  V       ^  Q 

8  (i?  +  a)  (Ä  +  a)2 

und  daraus  folgt,  mit  Rücksicht  darauf,  dass  für: 

«  =  «>,  F  =  | 

ist,  für  den  im  Abstände  B  ■\'  a  ausserhalb  gelegenen  Punkt: 

F=-«-. 
B  +  a 

Wir  wenden  dies  nun  auf  eine  Leidener  Flasche  an,  deren  innere 
und  äussere  Belege  Kugelflächen  mit  den  Radien  B  und  B  -^  e  sind, 
nehmen  also  an,  dass  die  Dicke  der  isolirenden  Zwischenschicht  e  betrage. 
Setzt  man  nun  ferner  voraus,  dass  die  Ladung  des  inneren  Beleges  (, 


^)  Man  sehe:    Claus ius,    Die  Potentialfunction  und  das  Potential  (Leipzig,  J.  A. 
Barth,  1877,  3.  Auflage),  S.  24. 


B.   Bestätigungen  im  Gebiete  der  Reibungselectricität      571 

die  des  äusseren  Q'  sei,  so  ist  die  Potentialfonction  in  Bezug  auf  einen 
Punkt,  welcher  sich  auf  der  Oberfläche  des  inneren  Beleges  befindet: 

^=l  +  ifi «) 

In  irgend  einem  zweiten  Punkte  jedoch,  welcher  auf  dem  äusseren 
Belege  der  kugelförmigen  Leidener  F^^Bche  liegt,  hat  die  Potentialfunc- 
tion  den  Werth: 

Da  jedoc&  das  äussere  Beleg  einer  Leidener  Flascbe  für  gewöhnlich 
mit  der  Erde  in  leitender  Yerhindnng  steht,  ist: 

7'  =  0, 
und  daraus  folgt  sofort: 

Q=-Q! 8) 

In  einer  kugelförmigen  Leidener  Flasche  besitzen  demnach  die  auf 
dem  inneren  und  äusseren  Belege  ausgebreiteten  electrischen  Ladungea 
entgegengesetzte  Vorzeichen ,  sie  sind  jedoch  ihrer  Grösse  nach  einander 
gleich. 

Setzt  man  nunmehr  Gl.  8)  in  6)  ein,  so  ergiebt  sich: 

1    "T"    "I^ 

^  B 

Führt  man  hierin  die  Oberfläche  8  des  inneren  Beleges: 

S  =  4  .  «  .  E« 
ein  und  vernachlässigt  mit  Rücksicht  darauf,  dass  e,  die  Glasdicke,  im 

Yerhältniss  zu  B  eine  sehr  kleine  Grösse  ist,  den  Quotienten  ~,  so  erhält 
man  für  die  Potentialfunction  F  den  Näherungswerth: 

F=if^.« 9) 

Der  früher  von  uns  eingeführte  Coefficient  il,  von  dem  wir  mittheil- 
ten, dass  er  von  den  Dimensionen  und  der  Beschaffenheit  der  Leidener 
Flasche  abhängig  sei,  besitzt  demnach  in  dem  speciellen  Falle  der  kugel- 
förmigen Leidener  Flasche  den  Werth: 

^=— ^«> 

Das  Potential  W  selbst  ist  allgemein  nach  den  früher  (III,  A,  6, 
61.  12,  S.  566)  von  uns  festgestellten  Sätzen: 


572  III.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen, 

und  in  dem  besonderen  Falle,  den  wir  hier  behandeln,  demnach: 

oder  wenn  wir  wiederum  die  Oberfläche  S  einführen  und  die  Glieder  von 

6' 

der  Form  -=7  und  deren  höhere  Potenzen  gegen  1  vernachlässigen: 

W=-^-Q*   .......     11) 

Im  vorliegenden  Specialfalle  ist  demnach  die  Potentialfnnction  und 
das  Potential  umgekehrt  proportional  der  Oberfläche  der  Flasche  und 
direct  proportional  der  Dicke  der  isolirenden  Zwischenschicht.  Hieraus 
folgt,  dass  wenn  verschieden  grosse  und  mit  verschieden  dicken  isoliren* 
den  Zwischenschichten  versehene  kugelförmige  Leidener  Flaschen,  w-elche 
mit  gleichen  Electricitätsm engen  geladen  sind,  entladen  wefden,  die  in 
irgend  einem  Punkte  des  Leiters  entwickelte  Wärmemenge  proportional 
^er  Dicke  der  isolirenden  Zwischenschicht  und  umgekehrt  proportional 
der  Oberfläche  der  Flasche  ist.  Riess  erkannte,  dass  auch  bei  Entladung 
von  Batterien,  welche  aus  nicht  kugelförmigen  Leidener  Flaschen  be- 
.stehen,  die  an  einer  Stelle  des  metallischen  Leiters  entwickelten  Wärme- 
mengen der  Zahl  der  gleich  beschaffenen  Flaschen  und  somit  der  Ober- 
fläche proportional  waren  (man  sehe  die  Tabelle  auf  S.  579). 


3.   Anwendbarkeit  der  grefiindenen  Formeln  auf  gevfrölmr 

liohe  Leidener  Flasohen. 

Clausius  hat  nachgewiesen,  dass  angenähert  die  im  Obigen  für 
kugelförmige  Leidener  Flaschen  gefundenen  Sätze  gültig  bleiben,  sofern 
die  Flaschendicke  verhältnissmässig  klein  ist,  sowohl  für  beliebig  geformte 
Leidener  Flaschen,  wenn  keine  plötzlichen  Krümmungsändemngren  bei 
denselben  vorkommen,  als  im  Besondem  auch  für  Franklin^sche  Tafeln 
mit  kreisförmig  gestalteten  Belegen. 

Clausius  hat  femer  gezeigt^),  dass  die  Potentialniveaudififerens, 
welche  bei  der  Ladung  einer  Franklin 'sehen  Tafel  oder  Leidener  Flaacbe 
mit  einer  bestimmten  Electricitätsmenge  wirklich  eintritt,  im  Yerbaltniss 

^^^  — ; — : ^   •   ^  kleiner  ist,  als  diejenige  Potentialniveaudifferenz, 

welche    bei  Anwendung  derselben   Electricitätsmenge   eintreten   würde, 
wenn  das  Glas  keinen  polaren  Zustand  annähme,  sondern  als  vollkomme- 


^)  Die  mechanische  Behandlung  der  Electricität  (Brannschweig,  Fr.  Vieweg  u.  Sohn, 
1879),  S.  88. 


B.    Bestätigungen  im  Gebiete  der  Reibungselectricität      573 

ner  Isolator  wirkte.  Letzteres  haben  wir  im  Vorhergehenden  stets  ange- 
nommen. Der  Werth  von  E  ist  verschieden  gross,  je  nach  der  Katnr 
des  Dielectricnms,  ans  welchem  die  trennende  Zwischenschicht  der  beiden 
Belege  des  Condensators  besteht.  E  ist  0  für, solche  Substanzen,  welche 
durch  und  durch  nichtleitend  sind,  und  Eist  gleich  oo,  wenn  die  Zwischen- 
schicht ein  yoUkommener  Electricitätsleiter  ist. 

Für  gut  isolirende  Zwischenschichten  ist  E  jedenfalls  eine  kleine 
Grosse,  und  wir  können  daher  annehmen,  dass  die  für  kugelförmige  Lei- 
dener Flaschen  mit  vollkommen  isolirender  Zwischenschicht  gefundenen 
Resultate  wenigstens  angenähert  auch  für  solche  beliebig  gestaltete  Ver- 
stärkungsapparate  gültig  sind,  welche  keine  scharfen  Kanten  besitzen, 
deren  Trennungsschicht  dünn  und  aus  sehr  gut  isolirender  Substanz  her- 
gestellt ist. 

Bei  den  messenden  Versuchen,  welche  bisher  über  die  Wirkungen 
electrischer  Entladungen  angestellt  worden  sind,  handelt  es  sich  jederzeit 
um  Resultate,  welche  mit  grossen  unvermeidlichen  Beobachtungsfehlern 
behaftet  sind.  Zur  Bestimmung  der  einer  Leidener  Flasche  oder  einer 
Batterie  solcher  Flaschen  zugeführten  Electricitätsmenge  .bedient  man 
sich  fast  ausschliesslich  der  Lane' sehen  Maassflasche.  Da  aber  notorisch 
die  zwischen  den  Kugeln  einer  solchen  Maassflasche  überspringenden 
Electricitätsmengen  nicht  immer  absolut  gleich  sind,  so  ist  schon  die 
Bestimmung  der  einer  Batterie  mitgetheiUen  Electricitätsmenge  ziemlich 
ungenau. . 

Die  Wärmewirkungen,  welche  gemessen  werden,  seien  dies  nun  Wärme- 
mengen, welche  in  den  Leitern  hervorgebracht  werden,  oder  seien  dies 
Wärme  Wirkungen  der  Entladungsfunken,  sind  bisher  meist  mit  dem  Riess'- 
schen  electrischen  Thermometer,  oder  mit  Vorrichtungen  bestimmt  worden, 
welche  dem  Kinnersley^schen  Funkenthermometer  nachgebildet  sind« 
Beide  Vorrichtungen  sind  aber  zur  Bestimmung  von  Wärmemengen  wenig 
geeignet,  und  ihre  Angaben  werden  nothwendig  durch  wesentliche  Fehler- 
quellen und  Ungenauigkeiten  beeinträchtigt.  Für  Vergleich  der  theoretischen 
Ergebnisse  der  mechanischen  Wärmetheorie  mit  den  Resultaten  der  Mes- 
sungen über  Wärmewirkung  der  Entladungen  electrischer  Batterien  wird 
es  daher  ausreichend  sein  von  der  Polarität  der  isolirenden  dielectrischen 
Zwischenschichten  abzusehen,  wie  dies  im  Vorstehenden  und  Folgenden 
stets  geschehen  ist.  Andererseits  geht  während  der  Dauer  der  Ladung 
jederzeit  ein  Theil  derselben  durch  Zerstreuung  verloren,  und  dieser  ist 
verschieden  gross,  je  nach  der  Dauer,  welche  die  Ladung  beansprucht,  je 
nach  der  Beschaffenheit  der  Atmosphäre,  und  je  nach  der  grösc^eren  oder 
geringeren  Menge  von  Staub  etc.,  welche  auf  den  Belegen  und  sonst  auf 
den  Flaschen  befindlich  ist.  Ausserdem  aber  sind  wir  nie  im  Stande  alle 
Wirkungen,  welche  die  Electricität  bei  einer  Entladung  hervorbringt,  zu 
berücksichtigen.  Selbst  die  dicksten  und  vollkommensten  Leiter,  die 
Flaschen  selbst  erwärmen  sich  bei  der  Entladung  und  erleiden  Volum en- 


_     J 


574  III.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

anderungen  ^) ,  und  die  Funken  sind  selbst  bei  thunlichst  gleicher  Be- 
schaffenheit der  £ntladung8yorrichtung  nicht  ganz  genau  einander  gleich. 
Zumal  der  Theil  der  Electricitat,  welcher  zur  Loslösung  kleiner  Metall- 
theile  der  Kugeln  und  der  Gasschichten  von  der  Oberflache  der  Kugeln 
dient,  entzieht  sich  der  Bestimmung  durch  Messung. 

4.    Bestätigung  der  ResiQtate  durcli  die  Riesa 'sehen 

Versuolie. 

Ries 8  hat  auf  experimentellem  Wege  zwei  Sätze  abgeleitet,  welche 
als  Bestätigungen  der  oben  mitgetheilten  Resultate  der  Potentialtheorie 
angesehen  werden  können. 

Er  fand,  dass  in  einem  Leiterkreise,  welcher  durch  mehrere  hinter 
einander  eingeschaltete  Drähte  gebildet  wird,  die  in  jedem  einzelnen 
Drahte  bei  einer  Entladung  entwickelte  Wäime  dem  electrischen  Wider- 
stände des  Drahtes  proportional  ist.  Wenn  man  andererseits,  ohne  an 
den  Bedingungen  des  Versuches  etwas  zu  ändern,  in  den  Schliessungs- 
bogen  einen  neuen  Draht  einschaltete,  dessen  Widerstand  l  beträgt,  so 
ändert  sich  die  in  irgend  einem  Drahte  entwickelte  Wärmemenge  um- 
gekehrt proportional  dem  Ausdrucke  1  -|-  h  .1^  wobei  5  eine  durch  Beob- 
achtungen bestimmte  Constante  ist.  —  Es  ist  klar,  dass  dieser  neu  ein- 
gefügte Draht  selbst  der  Sitz  einer  Wärmeentwickelung  ist,  welche  nach 
den  vorstehend  mitgetheilten  Gesetzen  durch: 

S     _J 

*  1  +  5.  Z 

ausgedrückt  wir|][. 

Durch  diese  neue  Wärmemenge  würde  die  im  gesammten  Schliessungs- 
bogen  entwickelte  Wärme  wachsen;  die  an  allen  anderen  Stellen  des 
Schliessungskreises  entwickelte  Wärme  nimmt  jedoch  ab,  es  tritt  eine 
Gompensation  ein,  so  dass  die  Summe  der  hervorgebrachten  Wirkungen 
immer  constant  bleibt.  —  Man  kann  ohne  eigentliche  calorimetrische 
Bestimmungen,  und  diese  liegen  in  den  Riess^ sehen  Versuchen  durchaus 
nicht  vor,  allerdings  nicht  nachweisen,,  dass  diese  Compensation  eine 
ganz  vollkommene  ist;  man  muss  sich  vielmehr  damit  begnügen  zu  con- 
statiren,  dass  der  Verlauf  der  Erscheinung  mit  der  Theorie  vollkommen 
im  Einklänge  ist.  Auch  zeigen  einige  Versuche  von  Riess,  in  vollstän- 
diger Uebereinstimmung  mit  der  Theorie,  den  Einfluss,  welchen  die  Art 
der  Unterbrechung  des  Stromes  an  den  Stellen  ausübt,  an  welchen  Fnn- 
ken  gebildet  werden  müssen.  Die  Batterie  wurde  bei  jedem  Versuche 
gleich  stark  geladen  und  dies  durch  die  gleiche  Funkenzahl  einer  mit 


^)  Man  sehe  die  Anmerkung  auf  S.  586. 


B.  Bestätigimgen  im  Gebiete  der  Reibungselectncität  5T5 
dem  Sosaeren  Belege  der  Batterie  Terbnadenen  Lane'Bchen  Maasaflucbe 
L  constatirt.  Die  Batterie  war  isolirt  nnd  das  insBere  Beleg  dnrcb  einen 
horizontalen  Draht  mit  dem  inneren  Beleg  der  Lane'schen  Maasaflasche 

Fig.  38. 


verbunden,  deren  anderes  Beleg  mit  dem  Erdboden  in  leitende  Terbin- 
dnng  gesetzt  war  (man  sehe  Fig.  38).  Gegen  den  Draht,  welcher  das 
SoBsere  Beleg  der  Batterie  mit  der  Lane'schen  Flasche  verband,  war 
ein  Kapferstreif  iT  angepresat,  der  an  einem  isolirten  Häkchen  befestigt  , 
war  and  sieb  hieraof  bis  zum  Boden  fortsetzte.  Während  der  Zeit,  welche 
daa  Laden  der  Batterie  beansprnchte,  worde  dieser  Enpferstreifen  vom 
Drahte  durch  eine  geeignete  Torrichtnng  fem  gehalten.  Ein  Metallstab 
verband  das  innere  Beleg  mit  einer  isolirten  Kngel;  diese  konnte  lArcb 
einen  hebelartig  beweglieben  AEetallstab  S  direct  mit  einem  Arme  a  eines 
Henley'schen  allgemeinen  Entladers  in  leitende  Verbindung  gesetzt 
werden.  Der  andere  Arm  des  Entladers  war  durch  isolirte  Drähte  mit 
einem  sogenannten  Riess'schen  electrisohen  Lnfttbermometer  T  verbun- 
den, so  dass  der  Entladungsstrom,  ehe  er  den  Erdboden  erreichen  konnte, 
durch  dieses  Thermometer  faiadorchgehen  musste.  Mit  dieser  Einrich- 
tung, deren  sichRiess  bei  allen  seinen  Beobachtnn gen  bediente,  konnten 
die  einzelnen  Versuche  leicht  angestellt  werden.  Er  entfernte  den  Rnpfer- 
ntreifen  E  der  Erdleitung  von  dem  Drahte,  welcher  das  äussere  Beleg 
mit  der  Lane'schen  Flasche  verband,  und  senkte  den  Hebel  S,  so  dass 
das  innere  Beleg  vollkommen  isolirt  war.  Er  lud  hierauf,  indem  er  daa 
innere  Beleg  mit  der  Electricit&tsquelle  in  Verbindung  setzte,  die  Batterie 
und  bestimmte  die  Stärke  der  Ladung  aus  der  Zahl  der  Funken,  welche 
zwischen  den  beiden  Engeln  der  Lane'schen  Flasche  L  übersprangen. 


n 


576  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Alsdann  liess  er  den  zur  Erde  abgeleiteten  Kupferstreifen  K  den  vom 
äusseren  Beleg  zur  L an  e' sehen  Flasche  führenden  Draht  berühren  und 
entlud  durch  Emporheben  des  Hebels  8  die  Batterie.  Riess  veränderte 
am  allgemeinen  Auslader  bei  einigen  Versuchen  die  Metallenden,  zwischen 
welchen  die  Funken  übersprangen.  Bei  anderen  Versuchen  brachte  er 
zwischen  die  inneren  Enden  a  und  5  des  Entladers  Platten  nicht  leiten- 
der Korper.  Auf  diese  Weise  veränderte  Riess  den  Widerstand,  wel- 
cher sich  dem  Durchgange  der  Electricitat  entgegensteUte  und  damit  die 
Arbeit,  welche  durch  die  Entstehung  eines  Funkens  consumirt  wurde. 
Es  zeigte  sich  bei  allen  Versuchen  vollkommene  Uebereinstimmang  mit 
der  Theorie.  Die  im  electrischen  Thermometer  beobachtete  Wärmemenge 
war  um  so  geringer,  je  grösser  der  Widerstand  war,  den  die  Entladung 
überwinden  musste. 

Die  entwickelten  Wärmemengen  wurden  mit  dem  Riess' sehen  elec- 
trischen Thermometer  (T  in  Fig.  38)  gemessen.  Die  Goustruction  dieses 
Apparates  setzen  wir  als  bekannt  voraus  ^). 

Die  Einiichtung  des  electrischen  Thermometers  von  Riesa  ist  derart 
getroffen ,  dass  die  Längen ,  um  welche  sich  der  gefärbte  Weingeist  im 
geneigten  Rohre  verschiebt,  den  im  Drahte  entwickelten  Wärmemengen 
sehr  nahe  proportional  sind.  Allerdings  ist  die  Proportionalität  keine 
vollkommen  strenge,  aber  die  unvermeidlichen  Beobachtungsfehler  sind 
bei  allen  Versuchen  mit  Reibungselectricität  so  gross,  dass  die  geringen 
Ungenauigkeiten,  welche  von  der  Mangelhaftigkeit  des  Luftthermometers 
als  Wärmemessinstrument  herrühren,  gegen  die  übrigen  Beobachtungs- 
fehler  vollständig  vernachlässigt  werden  können. 

Wir  theilen  im  Nachstehenden  einige  hierher  gehörige  Versuche  von 
Riess  mit.  Als  Maass  der  entwickelten  Wärmemenge  dienen  die  von 
dem  Ende  der  Flüssigkeitssäule  im  electrischen  Thermometer  durch« 
laufenen  Strecken.  Die  Neigung  der  Röhre  dieses  Instrumentes  gegen 
die  Horizontale  war  bei  allen  Versuchen  die  nämliche.  Auch  wurde 
selbstverständlich  bei  jedem  der  angefahrten  Versuche  der  Batterie  die 
nämliche  Ladung  mitgetheilt  und  die  Entladung  in  derselben  Weise  be- 
werkstelligt. Nur  an  der  Stelle,  an  welcher  die  Funken  übersprangen, 
wurden  einestheils  verschieden  gestaltete  Endflächen  verwendet,  anderen- 
theils  in  den  Weg  des  Funkens  verschiedene  Körper  gebracht,  welche 
der  electrischen  Durchbohrung  verschieden  grosse  Widerstände  entgegen- 
stellten. Der  kürzeste  Abstand  der  Leitertheile ,  zwischen  welchen  der 
Funken  überspringen  musste,  betrug  bei  allen  Versuchen  0,45  mm. 


^)  Man  sehe:    Riess,  Die  Lehre  von  der  Reibungselectricität  (Berlin,  Hirsrhwald, 
1853),  Bd.  1,  S.  386  und  462. 


B.   Bestätigungen  im  Gebiete  der  Reibungselectricität      577 


Beschaffenheit  der  Tom  Funken  durch- 
hohrten  Substanzen^) 


Erwärmung  des  Drahtes  im  electrischen 
Thermometer,    wenn    der  Funken  übersprang 

zwischen 


2  Kugeln 


2  Platten 


2  Spitzen 


Luftschicht 

Ein  Kartenblatt 

Zwei    Blätter   mit    dazwischen   gelegtem 
Stanniol 

Zwei  Kartenblätter     ...    * 

Glimmerblatt 


15,8 
11,6 

9,5 
8,5 
7,4 


15,4 
12,0 

9,3 
8,8 
4,9 


15,1 
11,6 


10,4 
6,3 


Der  Knall  der  £ntladang  war  um  so  heftiger ,  je  geringer  die  ihn 
begleitende  Erwärmung  im  Thermometer  ausfiel.  Man  erkennt  sofort, 
dasB,  je  grösser  der  Widerstand  war,  den  der  Funke  hei  der  Entladung 
zu  üherwinden  hat,  je  starker  der  Knall  war,  je  mehr  Arheit  also  hei  der 
Entstehung  des  Funkens  geleistet  wurde,  desto  geringer  die  im  Ther- 
mometer erzeugte  Wärmemenge  ausfiel. 

Lässt  man  den  gesammten  Leiterkreis,  welchen  der  Funken  durch- 
laufen muss,  ungeändert,  gieht  jedoch  der  Batterie  yerschieden  starke 
Ladungen,  und  setzt  man  die  Batterie  aus  yerschiedenen  Anzahlen  unter 
sich  gleichen  Leidener  Flaschen  zusammen,  so  muss  die  Summe  der  Wir- 
kungen, welche  eine  vollkommene  Entladung  hervorhringt,  sich  alsdann 
proportional  dem  Potentiale  der  Batterie  ändern.  Die  ganze  Anordnung 
des  Yersuches  wurde  derart  getroffen,  dass  die  einzigen  Wirkungen  der 
Entladung  soweit  thunlich  in  der  entwickelten  Wärme  und  der  für  die 
Entstehung  des  Funkens  aufgewendeten  Arheit  hestand;  mindestens  war 
dafQr  gesorgt,  dass  die  Entladung  von  keinerlei  magnetischen,  electrischen 
oder  chemischen  Nehenerscheinungen  begleitet  wurde.  Lässt  man,  indem 
man  den  Thermometerdraht  sehr  lang  und  sehr  dünn  wählt  und  aus 
sehr  schlecht  leitendem  Metalle  herstellt,  den  Widerstand  des  Schliessungs- 
kreiBes  mehr  und  mehr  wachsen,  so  wird  der  Funke  immer  schwächer, 
und  die  für  seine  Entstehung  aufgewendete  Arbeit  wird  mehr  und  mehr 
eine  verschwindende  Grösse.  Man  nähert  sich  mit  wachsendem  Wider- 
stände des  Leiterkreises  mehr  und  mehr  dem  idealen  Falle,  in  welchem 
die  im  Leitungsdrahte  entwickelte  Wärmemenge  die  einzige  Wirkung  der 
Entladung  ist  und  somit  als  Maass  des  Potentiales  dienen  kann.;  jedoch 
wird  es  niemals  möglich  sein,  diesen  idealen  Zustand  zu  erreichen. 

Obgleich  dieser  ideale  Fall  bei  den  nachstehend  mitgetheilten  Biess^- 
schen  Versuchen  ^  jedenfalls  nicht  ganz  erreicht  gewesen  ist,  so  ergeben 


^)  Man  gebe:  Riess,  Die  Lehre  von  der  Reibungselectricität,  Bd.  1,  S.  416  u.  417. 
^  Riess,  Die  Lehre  von  der  Reibungselectricität,  Bd.  1,  S.  399. 
Bfihlmann,  Mechan«  W&rmetheoTie.    Bd.  2.  37 


578         in.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

dieselben  doch  fast  genau  das  Resultat:  Die  Wärmemenge,  welche  in 
einem  Metalldrahte  des  Sohliessungsbogens  durch  eine  Entladung  erseogi 
wird,  ist  dem  Quadrate  der  Ladung  der  Batterie  direct  und  der  Ober- 
fläche der  Batterie  umgekehrt  proportional. 

Die  Ursache,  dass  es  trotz  der  erwähnten  unvermeidlichen  Mangel- 
haftigkeit  der  Yersuchsanordnung  möglich  war,  dieses  Gesets  in  so  fiber- 
raschender  Weise  experimentell  zu  constatiren,  liegt,  wie  wir  spater 
zeigen  werden,  darin,  dass  auch  der  andere  Summand,  welchen  Riesa 
nicht  maass,  die  im  Funken  erzeugte  Wärmemenge,  demselben  GesetBe 
folgt,  welches  für  die  im  metallischen  Schliessungsbogen  entwickelte 
Wärmemenge  gilt. 

Bei  Anstellung  dieser  Versuche  bediente  sich  Riess  einer  An^^kl 
thunlichst  gleich  hergesteUter  Leidener  Flaschen,  von  welchen  jedes 
Beleg  ungefähr  16  qdm  Oberfläche  besass.  Die  Ladung  wurde  durch  die 
Zahl  der  Funken  einer  Laue' sehen  Maassflasche  bestimmt,  deren  Kngebi 
sieh  in  einem  Abstände  yon  2,25  mm  befanden.  Die  erzeugte  Wärme- 
menge wurde  wiederum  direct  durch  die  Verschiebung  der  Flflasigkeits- 
säule  des  electrischen  Thermometers  gemessen«  Jede  Zahl  der  Tabdk 
ist  das  Mittel  aus  drei  Beobachtungen,  und  daneben  sind  die  nach  der 
Formel : 

fl  =  a  .  ^ 12) 

berechneten  Werthe  gesetzt,  worin  d  die  entwickelte  Wärmemenge,  Q  die 
LaduDg  (Anzahl  der  Funken  der  L  an e 'sehen  Maassflasche),  n  die  AnssW 
der  Flaschen,  a  eine  aus  den  Versuchen  bestimmte  Gonstante  bedeutet: 


R  Beetätigungen  im  Gebiete  der  BeibnngselectricitäL      579 


■2J 


II 


1  i 

1 

1 

1 

2.0 
3,2 
6,2 
7,3 
11,0 
14,1 
17,8 

n 

1 

1  5  5-  S  1  :-  5  1   1 

1 

1  S-  V  £  5  2-  g  1    1 

e.   (3 

^ 

*  5  2-  S  S  1   1   1   1 

1 

2  5  J-  S-  5  1   1   1   1 

»!.• 

•^ 

""""-■--•s 

11 

II 

9  S 

äs 

aJ 
g  w 

I! 


•1  = 
11 

ii 

11 


IS 


580         III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


10  Flaschen 

15  Flaschen 

25  Flaschen 

Ladung 

Erwärmung 

Erwärmung 

Erwärmung 

Q 

beobachtet 

berechnet 

beobachtet 

berechnet 

beobachtet 

berechnet 

10 

8,5 

8,8 

5,0 

5,9 

3,0 

3,5 

20 

-^ 

— 

25,0 

23,5 

ä 

— 

Wir  fanden  früher  ans  der  Anwendung  der  Sätae  der  mechanischea 
Theorie  der  Wärme  auf  die  electrisohen  Erscheinungen  die  Formd 
(S.  569,  GL  5): 

91 

2n 


W=  —  A 


13) 


und  diese  wird,  wie  man  erkennt,  durch  die  Riess^achen  Yersache  in 
sehr  befriedigender  Weise  bestätigt.  Die  kleinen  Abweichungen  der  Beob- 
achtungsresultate von  der  Formel  erklären  sich  minder  dadurch ,  daas 
die  zur  Hervorbringung  des  Entladungsfunkens  aufgewendete  Arbeit 
nicht  absolut  Null,  sondern  nur  eine  sehr  kleine  Grösse  ist^),  sondeni 
dadurch,  dass  die  der  Batterie  mitgetheilten  Ladungen  nicht  immer  gani 
genau  proportional  der  Zahl  der  Funken  der  Lane'schen  JfiMBBsflascbe 
sind,  dass  auch  die  Entladungen  der  Batterie  sich  nicht  immer  gleidi 
▼ollkommen  YoUsiehen,  und  dass  man  die  auf  den  VerbindungadrahteD 
aufgehäuften  Electricitätsmengen  ausser  Betracht  gelassen  hat 


Die  obige  Formel  kann  auch  in  die  Gestalt: 

2  n 

Q 


H) 


gebracht  werden.    Beachtet  man  dabei,  dass  —  der  Dichte  der  Electricität 


n 


auf  der  Batterie  proportional  ist,  so  kann  man  den  durch  Riesa  experi- 
mentell bestätigten  Satz  auch  in  folgender  Form  aussprechen:  Die  in 
einem  Punkte  des  Leiterkreises  entwickelte  Wärmemenge  ist 
proportional  der  auf  der  Batterie  aufgehäuften  Electricitäts* 
menge  und  proportional  der  Dichte  der  Electricität  auf  den 
Belegen. 


^)  Man  sehe  die  weiterhin  Cap.  5,  S.  581  mitgetheilten  Versuche  von  Villari. 


B.    Bestätigungen  im  Gebiete  der  Reibungselectricität.  ^     581 


6.  Die  Bestätigimg  der  Formeln  duroh  VlUarrs  Messun- 
gen der  Wärmewirkimg  der  Entladimgsfimken. 

Die  zur  Bestätigimg  der  Formel  14): 

A  0 

•2  n 

mitgetheilten  Yersnche  von  Riesa  leiden,  wie  bereits  erwähnt,  sfimmtlich 
an  dem  Uebelstande,  dass  die  zur  Production  des  Fankens  yerbranchte 
Menge  electrisoher  Energie  nicht  in  Rechnung  gezogen  ist  und  bei  diesen 
Untersuchungen  nor  ein  sehr  kleiner  Theil  der  überhaupt  erzeugten 
Wärmemenge  gemessen  wird,  nämlich  der,  welcher  in  einem  kleinen 
Theile  des  Leiters,  in  dem  Drahte  entwickelt  wird,  welcher  sich  in  der 
Kugel  des  electrischen  Thermometers  befindet.  Als  eine  vollkommenere 
Bestätigung  der  Formeln,  als  sie  früher  die  Riess'Bchen  Versuche 
allein  gewährten,  können  daher  die  neueren  Versuche  von  Villari  an* 
^^esehen  werden ,  bei  welchen  die  Wärm&  des  Entladungsfunkens  electri- 
scher  Batterien  gemessen  worden  ist;  zumal  aber  erhalten  letztere  in 
Verbindung  mit  den  von  Riess  erhaltenen  Resultaten  eine  sehr  hervor- 
ragende Bedeutung. 

Villari^)  trug  dafür  Sorge,  dass  bei  seinen  Versuchen  nur  ein  ein- 
ziger Funke,  nicht  wie  gewöhnlich  mehrere  entstanden,  und  stellte  alle 
übrigen  Theile  des  Schliessungskreises  aus  sehr  kurzen  und  ungewöhnlich 
dicken  Eupferdrähten  her,  so  dass  die  Erwärmung  der  metallischen 
Leiter  sehr  gering  war  und  vernachlässigt  werden  konnte. 

Die  Funken  selbst  entstanden  in  dem  Hohlräume  eines  electrischen 
Thermometers,  welches  dem  Kinn  er  sley 'sehen  nachgebildet  war.  Der 
Apparat  war  so  eingerichtet,  dass  man  keines  Entladers  bedurfte,  son- 
dern dass  einzig  im  Thermometer  ein  Entladungsfunke  übersprang.  Aus 
den  Verschiebungen  des  Flüssigkeitsniveaus  in  dem  Thermometerrohre 
schloss  er  auf  die  vom  Funken  entwickelte  Wärmemenge. 

Er  lud  eine  Batterie  von  18  und  36  nahezu  congruenten  Leidener 
Flaschen  mit  gleich  grossen  Electricitätsmengen.  Die  Quantität  der  zn,- 
gefuhrten  Electricitätsmenge  bestimmte  er,  wie  früher  schon  Riess,  auef 
der  Funkenzahl  einer  Lane' sehen  Maassflasche.  Bei  Entladung  der  aus 
36  Flaschen  bestehenden  Batterie  betrug  die  Verschiebung  des  Niveaus 
am  electHschen  Thermometer  24  Einheiten,  bei  Schluss  einer  mit  einer 
gleich  grossen  Electricitätsmenge  geladenen  Batterie  von  18  Flaschen 
durch  das  Funkenthermometer:  48  Einheiten,  so  dass  die  entwickelten 


1)  Villari,   II  nuovo  Cimento  S.Serie.  Bd.  5  (1878),  S.  49  u.  161.    Bd.  6  (1879), 
S.  115  bis  128. 


582         nL   Anwendangen  auf  electrische  ErocheiBungen. 

Wärmemengen  Oi  und  O«  sich  genau  umgekehrt  proportional  dar 
Flaschenzahl  n  verhielten. 

Liess  er  statt  eines,  mehrere  Fui^ken  entstehen,  indem  er  meluere 
Fnnkenthermometer  hinter  einander  einschaltete,  so  betrug  die  Srnnme 
der  in  s&mmÜichen  Fanken  entwickelten  W&rmemengen  immer  genan 
ebenso  viel,  als  die,  welche  er  erhielt,  wenn  unter  sonst  gleichen  um- 
ständen die  Entladung  nur  einen  Funken  erzeugt  hätte.  Auch  die  Be- 
schaffenheit der  Metallenden,  zwischen  welchen  die  Funken  überspriiigeB, 
waren  ohne  wesentlichen  Einfluss.  Man  erhielt  dieselbe  WärmemeDge, 
gleichgültig  ob  der  Funken  zwischen  Platten,  Kugeln  oder  Spitaen  über- 
gesprungen war. 

Der  Einfluss  der  Electricitätsmenge  auf  die  im  Funken  entwickelte 
Wärmequantität  wurde  in  zwei  gesonderten  Versuchsreihen  ermittelt.  Für 
alle  Versuche  einer  Reihe  wurde  eine  und  dieselbe  Batterie  mit  ungeiii- 
derter  Flaschenzahl  verwendet.  Die  Ladungen  wurden  erst  in  steigender, 
dann  in  sinkender  Reihe  verändert  und  aus  beiden  Reihen  die  Mittdr 
werthe  der  den  gleichen  Electricitätsmengen  entsprechenden  Erwärmun- 
gen genommen.  '  Aus  beiden  TabeUen  der  gewonnenen  Hittelwertke 
ergiebt  sich  zwischen  den  Wärmemengen  D  und  Ladungen  Q  die 
Formel: 

wo  a  eine  Gonstante  ist. 

Bei  den  beiden  Versuchsreihen  fand  man: 

k  =  2,02  und  Ä;  =  2,08; 

so  dass  es  mit  Rtlck9icht  auf  die  Grösse  der  unvenüeidlichen  Beobacii- 
tungsfehler  berechtigt  erscheint,  ohne  Weiteres  %  =  2  zu  setzen.  Am 
diesen  Ergebnissen  zieht  Villari  den  Schluss:  Die  Gesammtwfirme,  die 
von  einem  oder  mehreren  Funken  erzeugt  wird,  welche  die  ToUkonuneBe 
Entladung  einer  Flaschenbatterie  bewirken,  ist  proportional  dem  Qua- 
drate der  Electricitätsmenge,  welche  sie  erzengt,  und  umgekehrt  propor- 
tional der  Oberfläche  des  Gondensators. 

Damit  aber  ist  die  Formel  13)  in  aüer  Strenge  bestätigt.  Gleidi- 
zeitig  beweisen  die  Villari'schen  Versuche,  dass  es  in  der  That  zuüasig 
ist,  die  theoretische  Formel,  welche  eigentlich  nur  ftr  kugelftrmige  Lei- 
dener Flaschen  mit  absolut  isolirender  Zwischenschicht  gültig  ist,  nähe- 
rungsweise  auch  für  gute  gewöhnliche  Leidener  Flaschen  anzuwenden. 

Weiterhin  constatirte  Villari,  ebenfalls  in  vollkommenster  Ueber- 
einstimmung  mit  der  Theorie,  dass  die  Wärme  des  Funkens  um  so 
mehr  abnimmt,  je  grösser  der  Widerstand  des  metallischen  Schliessungs- 
kreises  wird. 

Bestand  der  Schliessungskreis  aus  kurzen  und  dicken  Kuplerdrälitez, 
so  betrug  die  vom  Funken  entwickelte  Wärmemenge  34,3,  wurde  jedoek 
dieselbe  Batterie  bei  gleich  starker  Ladung  durch  einen  Leiterkreis  ent- 
laden, in  welchem  13  Rollen  dünner  Messingdraht  eingeschaltet  witbd, 
so  sank  die  Erwärmung  von  34,3  auf  2  herab. 


B.  Bestätigungen  im  Gebiete  der  Reibungselectricität      583 

Diese  Yersache,  znmal  aber  ihre  ZasammensteUnng  mit  den  im 
Capitel  4  mitgetheilten  Resnltaten,  welche  Riesa  erhalten  hat,  können 
als  eine  ftberzeugende'Bestfttigung  der  theoretischen  Ergebnisse  angesehen 
-werden. 

Gelänge  es,  sowohl  die  yom  Fnnken  entwickelte,  als  die  im  ge- 
sammten  Schliessnngsbogen  freiwerdende  Wärmemenge  gleichzeitig  zn 
messen,  so  würde  die  Samme  beider  Wirkungen  jederzeit  constant  sein, 
^gleichgültig  ob  man  ein  und  dieselbe  gleich  stark  geladene  Batterie  durch 
einen  kurzen  dicken,  oder  durch  einen  langen  dünnen  Leitungsdraht 
schlösse;  Bei  verschieden  starken  Ladungen  von  verschiedenen,  aus  con- 
Cpruenten  Flaschen  bestehenden  Batterien  würde  diese  Summe  mit  grosser 
Annäherung  den  in  Gleichung  13)  enthaltenen  Gesetzen  folgen. 


6.  unvollständige  Entladung  einer  Batterie. 

Von  zwei  Batterien  H  und  8 ,  welche  ans  congruenten  Flaschen  zu- 
sammengesetzt sind,  deren  eine,  9[,  aus  r!  und  deren  andere,  9,  aus 
n''  Flaschen  besteht,  sei  die  erste  mit  einer  Electricitätsmenge  Q  geladen, 
die  andere  ungeladen. 

Die  äusseren  Belege  beider  Batterien  sollen  sich  mit  der  Erde  in 
leitender  Verbindung  befinden.  Hierauf  verbindet  man  die  inneren  Be- 
lege beider  Batterien  durch  einen  metallischen  Schliessungsbogen,  in 
welchen  ein  electrisch'es  Thermometer  eingeschaltet  ist. 

Für  die  erste  Batterie  ist  vor  der  Entladung  das  Potential  der  dort 
aufgehäuften  Electricitätsmengen  auf  sich  selbst 

^= s-l^ 1^) 

-wenn  e  die  Glasdicke,  S  die  Oberfläche  jeder  Flasche,  Q  die  zur  Ladung 
werwendete  Electricitätsmenge  und  C  eine  Constante  bedeutet. 

Für  die  zweite  Batterie  ist,  da  sie  ungeladen  ist,  anföngEch  das 
Potential  gleich  Null. 

Wenn  die  inneren  Belege  der  Batterie  %  und  S9  hierauf  verbunden 
worden  sind,  erfolgt  eine  Entladung,  und  die  beiden  Batterien  setzen  sich 
in  electrisches  Gleichgewicht.  Eine  derartige  Entladung  nennt  man  eine 
unvollständige. 

Nach  diesem  Ausgleich  ist  die  Batterie  %  mit  einer  Electricitäts- 
menge Q',  die  Batterie  9  mit  einer  Electricitätsmenge  Q"  geladen. 

Da  nach  der  Entladung  die  beiden  inneren  Belege  durch  einen  metal- 
lischen Schliessungsbogen  verbunden  sind,  besitzt  die  Potentialfunction 
auf  jeder  der  gleichen  Flaschen  beider  Batterien  denselben  Werth.  Der 
Werth  des  Potentials  ist  die  Hälfte  des  Productes  aus  dem  Werthe  der 

Potentialfunction  auf  irgend  einer  der  Flaschen       '      •  -^  und  der  ge- 


584         III.   Anwendungen  anf  electrische  Erscheinungen. 

sammten  Ladung  sämmtliolier  Batterien,  und  diese  letztere  ist,  nach  wie 
vor,  gleich  Q.  Nach  der  Entladung  hesitzt  das  Potential  auf  sich  selbst 
daher  den  Werth  Wi: 

Wi  =  -  ^^  -^-Q 16) 

Die  Grösse  Qf  kann  leicht  ermittelt  werden.  Anf  den  Flaschen 
beider  Batterien  besitzt,  nachdem  die  unvollständige  Entladung  statt* 
gefunden  hat  und  beide  inneren  Belege  in  leitender  Verbindung  stehen, 
die  Potentialfunction  den  Werth: 

C  .e     Q^  _  C_^    ^ 
S    '  n'  ~     S     *  w"  ' 

Verbindet  man  diese  Gleichung  mit  der  an  sich  selbstverständlichen: 

«=«'+«" 17) 

so  ergiebt  sich  daraus  unmittelbar: 

«' =  z^ry  •  « ''"^  «"  =  ;7^-^' •  «  •  •  .   18) 

Führt  man  diesen  Werth  von  (^  in  die  Formel  für  Wi  ein,  so  erhält 
man: 

^'  S       W  +  n" 

Die  Zunahme  des  Potentials  beträgt  demnach: 

G  .  e 


TT  —    Wi  =  — 


^'     \n'        n'  +  n") 


S 
oder: 

Dies  ist  demnach  die  Menge  electrischer  Energie,  welche  bei  der 
Entladung  unmittelbar  in  Wärme  umgesetzt  wird,  sofern  Wirkungen 
anderer  Art  vollkommen  ausgeschlossen  sind. 

Die  Richtigkeit  dieser  Formel  hatte  Riess  nachgewiesen,  schon 
lange  ehe  dieselbe  auf  theoretischem  Wege  abgeleitet  wurde. 

Wir  wollen  nunmehr  die  Voraussetzung  fallen  lassen,  dass  die  Flaschen 
beider  Batterien  congruent  sind  und  wollen  annehmen,  dass  die  Leidener 
Flaschen,  welche  zu  einer  Batterie  gehören,  zwar  unter  sich  oongment 
sind,  dass  jedoch  die  Flaschen  beider  Batterien  nach  Grosse  und  Glas- 
dicke verschieden  seien. 

Wir  haben  früher  nachgewiesen,  dass  für  kugelförmige  Leidener 
Flaschen,  deren  Belegungen  durch  vollkommen  isolirende  Zwischenschich- 
ten getrennt  sind,  die  Potentialfunctiop  auf  dem  ganzen  inneren  Belege 
den  Werth  hat  (man  sehe  GL  9,  S.  571) 


B.   Bestätigungen  im  Gebiete  der  Beibungselectricität     585 

wenn  8  die  Oberfl&che  des  inneren  Belegs,  e  die  Glasdicke  und  Q  die  dem 
inneren  Beleg  mitgetheilte  Electrioitätsmenge  bezeichnet. 

Besteht  die  Batterie  S  ans  n  congruenten  Flaschen,  und  bezeichnet 
man  die  Ladung  der  Batterie  mit  Q,  so  ist  vor  der  Entladung  das  Po- 
tential der  Batterie: 

W=-^Q* 20) 

Da  nach  der  unvollständigen  Entladung  die  Potentialfunctionen  auf 
den  inneren  Belegen  der  Flaschen  beider  Batterien  einander  gleich  sind, 
so  ist,  da  wir  die  Ladungen  beider  Batterien  am  Schlüsse  mit  (^  und  Q" 
bezeichnet  haben: 

^•"^  «'=-?^e" 21) 


W  .ff     ^  ~n"  .ff' 

-wobei  ef  und  e"  die  Dicken  der  isolirenden  Zwischenschichten  und  S'  und 
ff'  die  Oberfl&chen  der  inneren  Belege  jeder  Flasche  in  den  Batterien  % 
und  S  bezeichnen. 

Da  ausserdem: 

ö  =  ^  +  ö" 

ist,  so  findet  man  sofort: 

e"     n'     ff 
^  =  ^  ■  ^.n".si'+'e".n'.S'     •    •    •    •    28) 

und  hieraas  das  Potential  der  Gesammtbatterie  auf  sich  selbst  nach  der 
Entladnng: 

iL 

Wi  =   -    C  .</  .  Q*'  —, y^^ .    23) 


Der  Zuwachs  des  Potentials  Wi  —  W  durch  die  unvollkommene  Ent- 
ladung betr&gt  hiemach: 

TTi^  Tr=^;^V/ ,/     ,     ^      ...     24) 

n.  ff  ef'  ,  n'  .  ff 


7.  Die  Riess'sohen  und  Villari'solien  Versuche  über  die 
Wärmewirkungen  unvollständiger  Entladungen. 

Die  Richtigkeit  obiger  Formel  ist  durch  einige  Yersuchsreihen  yon 
P.  Ries  8  in  so  weit  vollkommen  bestätigt  worden,  als  die  Art  und  Weise 
der  von  diesem  Physiker  angewendeten  Untersuchungsmethode  überhaupt 
geeignet  ist,  directe  Vergleiche  zwischen  den  yon  ihm  erhaltenen  Wärme- 


586  III.   Anwendungen  auf  electiische  Erscheinungen. 

messungen  und  den  in  der  Formel  auftretenden  Grössen  xu  gestattaiL 
Riesa  yemacblässigt  vollkommen  die  im  Entladungsfunken  entwickelte 
Wärmemenge.  Die  Versuche  von  Yillari  hahen  jedoch  geseigt,  dssi 
dies  nur  dann  zulässig  ist,  wenn  der  Widerstand  des  metalliachsa 
Schliessungshogens  sehr  gross  ist 

Nennt  man  die  im  Funken  entwickelte  Wärmemeoge  Ci,  ^o  hn 
metallischen  Schliessungsbogen  entwickelte  Wärmemenge  C^,  die  auf 
anderweite  mechanische  ^)  nnd  sonstige  Wirkungen  verwendete  Energie- 
menge £1,  so  gilt  jederzeit  die  Relation: 

TTi  —  Tr=  jr.(Ci  +  C,)  +  S 25) 

Riess  misst  bei  seinen  Versuchen  jederzeit  nur  einen  fCür  jede  Yer> 
suchsreihe  constanten  Bruchtheil  von  C^.  Die  von  ihm  gefundenen  For- 
meln für  diesen  Theil  der  Wärmemenge  werden  nur  dann  richtig  aeiii, 
wenn  entweder  Ci  und  8  im  Vergleich  zu  C^  als  verschwindend  klea 
angesehen  werden  dürfen,  oder  wenn  diese  genau  in  derselben  Weise 
von  den  veränderlichen  Versucbsgrdssen  abhängen,  wie  jene.  Von  diesa 
beiden  Möglichkeiten  findet,  wie  es  scheint,  die  letztere  statt,  nnd  daher 
wird  die  überraschende  Uebereinstimmung  seiner  Beobachtungsresultsie 
mit  den  theoretischen  Formeln  erklärlich. 

Die  Versuche  von  Riess  beziehen  sich  auf  den  Fall,  dass  dieFlaschoi 
beider  Batterien  einander  nicht  gleich  sind.  Jedoch  waren  die  Glasdicken 
sehr  nahe  einander  gleich,  nämlich  3,7  und  3,3  mm.  Daraus  wird  es 
vollständig  erklärlich,  dass  die  in  der  letzten  Golonne  nachstehender  Ta- 
belle mit  Hülfe  der  Formel: 

e=^-y^^-^. ») 


(?  +  l)-« 


^)  Es  ist  z.  B.  in  neuerer  Zeit  wiederholt  constatirt  worden,  dass  Leidener  Flasdicn 

durch  die  Ladung  eine  VolumenTergrosserung  erfahrenj  welche  im  Momente  der  EnUadas; 

yerschwindet.     E.  D uteri   Comptes  rendus  Bd.  88,   S.  1260  bis  1262  und  A.  Righi, 

Comptes  rendus   Bd.   88,   S.  1262  bis   1265   kommen   aus   getrennten   VersnchsrdheB 

übereinstimmend  zu  der  Formel: 

xra 
J  =  cofiat.  — , 

wenn  J  die  Yolumeuvergrösserung,   V  der  Potentialunterschied  beider  Belege  und  e  £e 

Glasdicke  ist. 

Kosteweg,  Comptes  rendus  88,  S.  338  bis  340  glaubt  diese  VolumenTergrSsseraig 

lediglich   als  eine  Wirkung  des  electrischen  Druckes   ansehen  zu  dürfen    und  hält  llr 

kugelförmige  Leidener  Flaschen  die  Formel: 

>  ___        .«j     •      •  ''* 
^  — .  coruu       _    ■ 

e*  .  8 

für   die  richtigere.    Hierin  ist  R  der   Kugelradius   und  e   der   ElasticitStsmodulus  der 
isolirenden  Substanz. 

Die  erstgenannten  beiden  Physiker  halten  den  electrischen  Druck  nicht  für  aus- 
reichend zur  Erklärung  dieser  Erscheinungen,  sondern  glauben  auch  der  Polaritit  der 
dielectrischen  Trennungsschicht  einen  Antheil  zuschreiben  zu  müssen ,  eine  Anskiht,  die 
durch  die  Tollstandigeren  Untersuchungen  Quincke's  (Wiedemann,  Ann.  Bd.  10,  S.165) 
bestätigt  wird.  Auch  sehe  man  W.  Siemens'  Beobachtungen  über  Erwirmung  der 
Gondensatoren  bei  abwechselnder  Ladung  und  Entladang.    Pogg.  Ann.  Bd.  125,  $.138. 


B.  Bestatigangen  im  Gebiete  der  Beibungselectricität.      587 

bereehiieten  Zahlwerttie  so  gute  Uebereinstimmiuig  mit  den  RiesB'schen 
BeobaohtongBresiiltaten  ^)  Beigen: 


Erwirmnng  des  Drahtes  im  Riess'- 

Auahl  der  Flaschen 

Ladung 

schen  Thermometer 
6 

der  ersten  Batterie 

Q 

erste  Batterie 

n 

zweite  Batterie 

* 

beobachtet 

» 

berechnet  nach 

Formel  26 

112 

7,0 

6,8 

5 

7 

V* 

9,0 

9,2 

lie 

12,0 

12,0 

jio 

8,5 

8,2 

5 

5 

12 

11,4 

11,8 

lu 

15,3 

16,1 

6 

6,6 

6,6 

5 

3 

' 

8 

11.7 

11,7 

10 

17,2 

18,3 

(  8 

9,5 

8,8 

3 

3 

10 

13,3 

13,7 

ll2 

19,3 

19,7 

* 

ri2 

1 

9,3 

8,7 

1 

3 

14 

12,3 

11,9 

ll6 

15.7 

15,4 

Die  Yenuche  Ton  Yillari')  sind  in  ähnlicher  Weise  angestellt,  wie 
die  im  vorigen  Capitel  beschriebenen»  insbesondere  war  dafür  Sorge  ge- 
tragen, dass  die  in  den  metallischen  Leitungen  des  Schliessungsbogens 
entwickelte  W&rme  yerschwindend  klein  war  nnd  nur  ein  einziger  Fun- 
ken, eben  der  im  Fnnkenthermometer,  zn  Stande  kam,  dessen  Wärme 
gemessen  wurde*  Es  wurde  jedoch  vorzugsweise  oonstatirt,  dass  die 
bei  der  unvollständigen  Entladung  erzeugte  Wärmemenge  des  Funkens, 
Termehrt  um  die  Wärmemenge,  welche  bei  der  schUesslichen  Entladung 
der  durch  die  unvollkommene  Entladung  geladenen  Batterie  entwickelt 
-wlBurde,  gleich  der  Wärmemenge  war,  welche  bei  der  directen  vollstän- 
digen Entladung  der  mit  der  gleichen  Electridtätsmenge  geladenen 
ersten  Batterie  erzeugt  worden  wäre. 

M  Riess,  Lehre  Ton  der  Reibnngselectricitat,  Berlin,  Hirschwald,  1853,  S.  178. 

'j  Richerche  snlle  leggi  termiche  e  galyanometriche  deye  scintille  elettriche  pro- 
dotte  dalle  scariche  complete,  incomplete  e  pandali  dei  condensatori«  Atti  della  Accadem. 
dei  Linoei  (8)  Bd.  3.  (1879),  S.  220  bis  223. 


588  UL   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Auch  das  Reialtat  der  Yillari' sehen  Versuche  stimmt  mit  der 
Theorie  yollkommen  überein. 

Ladet  man  die  erste  Batterie  S  mit  der  Electricit&tsmenge  Q^  so 
ist  das  Potential  auf  sich  selbst  in  diesem  Falle: 

^  8        n' 

Bei  der  partiellen  Entladung  auf  eine  zweite  Batterie,  deren  Flaacheor 
zahl  n"  beträgt,  ist,  sofern  die  Flaschen  beider  Batterien  congrueat  sind, 
der  Anwachs  des  Potentials  (nach  Gleichung  19): 


(n'  +  »")  .  n' 

Das  Potential  auf  sich  selbst  der  gesammten  durch  die 
Entladung  nunmehr  geladenen  Batterie,  welche  aus  n'  -{-  n"  Flaschen 
besteht,  ist  gleich: 

"^  -  — r  W^Ti^ 

und  daraus  folgt  sofort,  dass: 

Wi  +  (TT— Tfi)=  W 

sein  muss.  Dies  aber  ist  das  Resultat,  welches  Yillari  gefunden  hat,  ds 
er  die  Grössen  TT,  TTi  —  Wund  Wi  direct  mit  Hülfe  des  Fonken- 
thermometers  gemessen  hat. 

Weitere  Vergleiche  zwischen  Erfahrung  und  Theorie  sind  leider  mit 
den  Ton  Villari  publicirten  Versuchsreihen,  soweit  dieselben  dem  Ver- 
fasser zugfinglich  waren,  bis  jetzt  nicht  möglich. 


8.  Die  Wänn6\Krirktingen  der  Casoadenbatterle  und  die 

Versuche  von  Dove  und  Biess. 

Eine  Cascadenbatterie  oder  Franklin^ sehe  Flaschens&ule  besieht 
bekanntlich  aus  einer  Anzahl  genügend  isolirt  aufgestellter  einxelDer 
Flaschen  oder  auch  aus  einer  Anzahl  Batterien,  welche  derart  yerbundeii 
sind,  dass  das  äussere  Beleg  der  ersten  mit  dem  inneren  Belege  der 
zweiten,  das  äussere  Beleg  der  zweiten  mit  dem  inneren  einer  dritten  u.8.f. 
verbunden  ist.  Das  innere  Beleg  der  ersten  und  das  äussere  der  letzten 
werden  bei  der  Ladung  und  Entladung  gerade  so  behandelt,  wie  die 
inneren  und  äusseren  Belege  einer  einzigen  Batterie. 

Nehmen  wir  an,  es  seien  nach  Art  der  Cascadenbatterie  eine  Anzahl 
Batterien  mit  einander  verbunden,  welche  sämmÜich  aus  congruenten 
Flaschen  zusammengesetzt  sind  und  die  der  Reihe  nach  aus  n\  n'\  fT^^ 
einzelnen  Flaschen  bestehen. 


Tr  =  — 


B.  Bestätigimgeii  im  Gebiete  der  Reibimgselectriciiai      589 

Wir  nehmen  der  Einfachheit  i)  wegen  an,  dass  diese  Flaschen  sehr 
d.Onn  und  überhaupt  derart  beschaffen  sind,  dass  man  ohne  wesentlichen 
Fehler  die  innere  und  ftussere  Ladung  jeder  Batterie  als  gleich  gross 
stnaeben  kann.  Alsdann  kann  man  die  Grösse  s&mmtlicher  Ladungen 
aller  Belege  als  unter  sich  gleich  betrachten.  Wir  nehmen  an,  dieselbe 
sei  ihrer  absoluten  Grösse  nach:  Q. 

Für  jede  Batterie  berechnet  sich  alsdann  das  Potential  gerade  so, 
als  ob  sie  yon  den  übrigen  getrennt  w&re,  und  man  erhält  für  alle  zusam- 
men das  Gesammtpotential : 

Hierin  bezeichnen  bekanntlich  e  und  8  die  für  alle  Flaschen  als 
g^leich  vorausgesetzte  Glasdicke  und  Oberfläche  und  n\  n!\  n!"  u.  s.  f.  die 
Anzahl  der  Flaschen,  aus  denen  die  einzelnen  zu  einer  Cascadenbatterie 
-verbundenen  Batterien  bestehen. 

Auch  die  zuletzt  gefundene  Formel  kann  leicht  durch  Versuche  con- 
trolirt  werden,  welche  von  Dove*)  und  von  Riess  ')  herrühren.  Dove 
stellte  seine  Yersuchsresultate  durch  eine  andere  Formel  dar.  Er  fand, 
dass  die  Erwärmung  &  durch  die  Gleichung: 

e  =  g>g«.     .     ^  ......    28) 

ausgedrückt  werden  könne,  wenn  Si  und  8^  die  Gesammtoberflächen 
n'  .  8  und  n"  •  8  der  beiden  zu  einer  Cascadenbatterie  verbundenen 
Batterien  9  und  93  sind.  Die  Versuche  stimmen  sowohl  mit  dieser,  als 
auch  mit  der  von  der  Electricitätstheorie  gegebenen  Formel  gleich  gut 
überein,  wie  dies  nachstehende  Tabelle  darthut. 

Die  Beobachtungsreihen  beider  Experimentatoren  zerfallen  in  zwei 
Abschnitte;  bei  der  einen  Art  von  Versuchen  wurde  nj,  die  Flaschen  zahl 
der  ersten  Batterie,  constant  gelassen  und  n^  t=i  rii^  dann  n^  =  2ni, 
9t3  r=^  3  m  etc.  gewählt.  Bei  den  Versuchen  der  zweiten  Art  wurde  hin- 
gegen n^,  die  Flaschenzahl  der  zweiten  Batterie,  constant  gelassen  und 
ni  die  der  ersteren  nach  einander  ni  =  n^,  ni  =  2  ns,  tii  =  Sn^  etc« 
gewählt.  In  jeder  von  beiden  Versuchsreihen  sind  die  Erwärmungen  im 
Falle  ni  =  n^  als  Einheit  genommen. 


^)  Den  allgemeinen  Fall  bebandelt  ClansiuB,  Mecbaniscbe  Behandlung  der  Electri' 
cität  (Braunachweig,  Fr.  Vieweg  o.  Sohn,  1879),  S.  123  n.  s.  f. 

>)  Pogg.  Ann.  Bd.  72,  S.  419. 

3)  Pogg.  Ann.  Bd.  72,  S.  417,  und  Bd.  80,  S.  356. 


590          TTI. 

Anwendungen  auf  electnsche  Erscheinnngen« 

Plascheozahl 

Erwlrmuiig 

der  1.  Batterie 

der  2.  Batterie 
«4 

beobachtet 

berechnet 

"1 

von  Dove 

Ton  Riet» 

nach  Formel  27  nach  Forviel  28 

««\ 

1 

1 

1 

1 

2», 
8iis[ 

«4 

0,72 
0,59 

0,76 
0,69 

0,71 
0,58 

0,75 
0,67 

4iiJ 

0,51 

0,66 

0,50 

0,63 

(  »1 

1 

1 

1 

1 

2iii 

0,71 

0,78 

0,71 

0,75 

»1 

Siii 

0,60 

0,72 

0,58 

0,67 

141.1 

0,50 

0,68 

0,50 

0,63 

Nimmt  man  darauf  Rücksiclit,  dass  die  Yersuchsbedingimgen  dimb- 
aus  nicht  streng  den  Yoraussetzungen  der  Formel  entsprechen,  denn 
weder  ist  es  möglich,  die  einzelnen  Batterien  yollkommen  sro.  isolireii, 
noch  ist  die  trennende  Zwischenschicht  der  einzelnen  Flaschen  abfl<dvt 
nichtleitend,  noch  sind  die  Längen  des  metallischen  Schliessungdoneises 
bei  verschiedenen  Yersuohen  genau  gleich ,  so  muss  man  die  Ueberein- 
Stimmung  zwischen  den  Ergebnissen  der  Formel  und  den  Yersuchareial- 
taten  als  eine  yollstfindig  befriedigende  bezeichnen. 


G.    Wärmeentwickelnng  dnrch  den  galYanischen 

Strom. 


1.  Allgemeines  über  den  galvanischen  Strom. 

Die  W&rmewirkungen  galvanischer  StriSme  können  von  zwei  Ge- 
sichtspunkten aus  behandelt  werden.  Entweder  man  kann  die  Beziehun- 
gen aufsuchen  zwischen  den  Bedingungen,  unter  welchen  ein  electriseher 
Strom  in  einem  Leiter  zu  Stande  kommt,  und  zwischen  der  in  einem  be- 
stimmten Theile  des  Leiters  entwickelten  Wärmemenge,  oder  man  kann 
das  Yerhältniss  ermitteln  zwischen  der  im  gesammten  vom  Strome 
durchflossenen  Systeme  entbundenen  Wärme  und  den  Grössen  der  Kräfte, 
welche  die  Entstehung  des  Stromes  bedingen.  Der  erste  Weg  ist  der, 
welchen  zuerst  Joule  und  Kirchhoff  betreten  habeui  der  zweite  ist  vor- 
zugsweise von  F.  Neumann,  Joule  und  Favre  eingeschlagen  wordsn. 


G.   Wärmeentwickelung  durch  den  galyaniBchen  Strom.     591 

Wenn  man  ein  galTaniBches  £]ement  isolirt,  00  sind  die  beiden  Pole 
mit  gleichen  Mengen  ongleiobnamiger  Eleotricit&t  geladen.  Verbindet 
man  die  beiden  Pole  durch  einen  Electricit&taleiter,  bo  vereinigen  sich 
diese  beiden  Eleotrieit&tsmengen  durch  einen  Vorgang,  welcher  dem 
ungemein  ähnlich  ist,  der  sich  in  einem  Leiter  yoUzieht,  mit  welchem 
man  beide  Belege  einer  geladenen  Leidener  Flasche  berührt.  Bei 
einem  galTanischen  Elemente  werden  jedoch  die  beiden  Ladungen  der 
Pole  sofort  wieder  hergestellt,  und  der  Vorgang,  welcher  beim  Verbinden 
beider  Belege  einer  Leidener  Flasche  fast  unmittelbar  ablftuft,  dauert 
unausgesetzt  fort,  wenn  man  die  Pole  eines  galvanischen  Elementes,  oder 
die  Pole  einer  aus  mehreren  solchen  Elementen  bestehenden  Batterie 
durch  einen  Leitungsdraht  verbunden  hat.  Für  gewöhnlich,  sofern  man 
die  Existenz  zweier  entgegengesetzter  Electricitäten  annimmt,  stellt  man 
sieh  vor,  dass  der  Verbindongsdraht  in  seiner  gesammten  Ansdehnung 
der  Heerd  einer  doppelten  Bewegung  sei.  Man  denkt  sich  nämlich,  es 
werde  positive  Electricität  in  dem  einen  Sinne,  negative  im  entgegen- 
gesetztem im  Leiter  fortbewegt.  Da,  wenn  man  den  Draht  ungeändert 
lässt  und  die  Pole  der  Kette  vertauscht,  der  Leiter  sich  in  mehreren  Be- 
ziehungen anders  verhält,  als  vorher,  so  muss  man  eine  Bichtung  des 
Stromes  annehmen,  und  dies  geschieht,  indem  man  in  demselben  Sinne, 
wie  bei  der  Entladung  einer  Leidener  Flasche,  als  Stromrichtung  die- 
jenige bezeichnet,  in  welcher  sich  die  positive  Electricität  bewegt. 

Obgleich  man  also  nicht  übersehen  darf,  dass  man  sich  vom  theo- 
retischen Gesichtspunkte  aus  eben  so  gut  vorstellen  kann,  es  bewegen 
sich  in  jedem  Leiter  zwei  entgegengesetzte*  Ströme  von  gleicher  Stärke, 
als  auch,  es  bewege  sich  nur  die  eine  Electricität  und  die  andere  sei  fest, 
80  ist  es  för  die  rein  mathematische  Behandlung  doch  gleichgültig,  ob 
man  die  Existenz  zweier  solcher  gleicher  aber  entgegengesetzt  gerich- 
teten Ströme  annimmt,  oder  ob  man  nur  einen,  den  positiven  Strom,  an- 
nimmt und  diesem  die  doppelte  Intensität  beilegt  Die  letztere  Aufias- 
snng  besitzt  den  Vorzug  der  grösseren  Einfachheit  und  wird  im  Folgenden 
durchaus  beibehalten  werden.  Aus  den  in  der  Abtheilung  A.  dieses  Ab- 
schnittes angestellten  Erörterungen  hat  sich  ergeben,  dass,  wenn  in  einem 
Leitersysteme  die  Electricität  sich  im  Gleichgewichte  befindet,  der  Werth 
der  Potentialfunction  im  Innern  des  gesammten  Leitersystemes  constant 
ist  Besteht  diese  Gonstanz  nicht,  so  findet  auch  kein  electrisches  Gleich- 
gewicht statt,  die  Electricitäten  sind  im  Leiter  in  Bewegung.  Man  muss 
demnach  voraussetzen,  dass  der  Werth  der  Potentialfunction  in  verschie- 
denen Stellen  des  Leiters  verschieden  sei  und  kann  diese  Verschiedenheit 
des  Werthes  der  Potentialfunction  als  die  Ursache  der  Bewegung  der 
Electricität  ansehen. 

Ist  der  Werth  der  Potentialfunction  ausserdem  auch  noch  von  der 
Zeit  abhängig,  d.  h.  ändert  sich  der  electrische  Zustand  nicht  nur  mit 
dem  Orte,  sondern  auch  mit  der  Zeit,  so  finden  die  Inductionserscheinun- 
gen  statt.    Diese  können  auf  theoretischem  Wege  aus  dem  Coulomb^- 


592         III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

geben  Gesetze  über  die  eleotrostatiscben  Wirkungen  der  Elecfaricität  nicht 
abgeleitet  werden,  ohne  neue  Hypothesen  eu  Hülfe  zu  nehmen.  Letzteres 
geschieht  bekanntlich  durch  die  Zugrundelegung  des  W eher ^ sehen  oder 
eines  der  anderen  Gesetze  über  die  gegenseitige  Wirkung  be'wegter 
electrisoher  Theilohen.  Die  Erfahrung  hat  jedoch  gezeigt,  dass  sieh  in 
dem  Leiter,  durch  welchen  man  die  Pole  einer  galvanischen  Kette  rer- 
bindet,  sehr  bald  ein  station&rer  Zustand  herstellt,  welcher  onabfaSagig 
von  der  Zeit  ist.  Ist  dieser  Zustand  eingetreten,  so  hören  alle  Indactions- 
erscheinungen  auf;  der  Leiter  ist  alsdann  von  einem  constanten  StnnM 
durchflössen,  und  man  kann  die  Potentialfun ction  als  unabhängig  Ton  der 
Zeit  und  lediglich  von  Punkt  zu  Punkt  des  Leiters  veränderlich  ansehcD. 
Kirchhoff  setzt  voraus,  dass  die  Bewegung  eines  Electricitätatheileheot 
in  einem  Leiter  nur  von  dem  Werthe  der  Resultante  der  augenblicklidi 
auf  dasselbe  wirkenden  Kräfte  und  von  der  Natur  der  Substanz  de 
ters  abhängig  sei. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  hat  Kirchhoff  ^)  die  Ohm'schen  Säi 
über  galvanische  Ströme  vollständig  auf  die  Principien  der  Electroetaiik, 

also  auf  das  Coulomb' sehe  Gesetz:  +  • —  zurückgeführt.  Als  Aus- 
gangspunkt dient  die  auf  experimentellem  Wege  genügend  sicher  erwie- 
sene Thatsache,  dass,  sobald  die  Ursache  zu  wirken  aufhört,  welche  auf 
den  verschiedenen  Punkten  eines  Electricitätsleiters  die  Unterschiede  der 
Potentialfunction  veranlasst,    die  Potentialfunotion  constant  wird.     In 
.einem'  Leiter,  den  man  von  den  Polen  der  galvanischen  Batterie  abzieht,. 
erlischt  der  electrische  Strom  fast  momentan.     Diese  Erscheinung  kann 
man  als  Beweis  dafär  ansehen,  dass  sich  der  Bewegung  der  Electricit&ten 
in  einem  Leiter  ein  grosser  Widerstand  entgegen  stellt.     Es  ist  leicht 
verständlich,  dass  die  Grösse  dieses  Widerstandes  von  der  Subetans  des 
Leiters  abhängig  sein  muss.     Sobald  die  äusseren  Ursachen,  welche  die 
Ungleichheiten  des  Poteptiales  veranlassen,  zu  wirken  aufhören,  wird  in 
Folge  einer  Art  von  enormem  Widerstände,  welcher  sich  der  Bewegung 
der  electrischen  Theilchen  entgegensetzt,  die  Potentialfunction  sofort  im 
ganzen  vom  Leiter  eingenommenen  Räume  constant.     Die  Voraussetzung 
der  EIxistenz  eines  solchen  Widerstandes  von  enormer  Grösse  macht  es 
erklärlich,  wie  es  möglich  sei,  dass  die  Bewegung  eines  Electricitätsth^- 
chens  im  Leiter  im  Widerspruche  mit  den  Sätzen  der  Mechanik  nur  von 
dem  Werthe  der  Resultante  der  gerade  momentan  auf  dasselbe  wirken- 
den Kräfte,  nicht  aber  von  den  Kräften  abhängig  ist,  welche  unmittelbar 
vorher  auf  dasselbe  gewirkt  haben.    Durch  diese  eigenthümliohe  Annahme 
wird  es  einigermaassen  verständlich,  dass  sich  jedes  ElectricitätstheOchen 
in  einem  die  Pole  einer  galvanischen  Kette  verbindenden  Leiter  jederzeit 
gerade  in  der  Resultante  der  momentan  auf  dasselbe  wirkenden  Kräfte 


^)  Kirchhoff,    Ueber  eine  Ableitung  der  Ohm'schen  GeseUe,  welche  sich  an  die 
Theorie  der  Electrostatik  anschliesst.     Pogg.  Ann.  Bd.  78,  S.  506  bis  513. 


C.    Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.     593 

bewegt,  dass  die  bewegten  Electricitätstheilchen  scheinbar  keine  Trägheit 
besitzen. 

Bedient  man  sich  des  Ausdruckes  Niveanfiäche  für  eine  Fläche, 
w^elche  die  neben  einander  liegenden  Punkte  mit  einander  verbindet,  in 
^welchen  die  Potentialfunction  V  denselben  Werth  hat ,  welche  also  durch 
die  Gleichung 

V  =  const 1) 

repräsentirt  wird,  so  kann  man  die  oben  charakterisirte  eigenthümliche 
Bewegung  der  Electricitätstheilchen  auch  dadurch  zum  Ausdruck  biingen, 
dass  man  sagt:  die  Electricitätstheilchen  bewegen  sich  in  jedem  Punkte 
normal  zu  der  durch  diesen  Punkt  gelegten  Niveaufläche  ^). 

Bezeichnet  man  die  Cosinus  der  Winkel,  welche  die  Normale  der 
Niveauflache  in  einem  Punkte  mit  den  drei  Coordinatenachsen  einschliesst, 
mit  a,  ß  und  y,  so  gelten  die  Gleichungen: 

'dV_       dV^        dV  .  .  .     -; 

dx         dy         dz 

Sind  X,  F,  Z  die  drei  Componenten  der  Resultante  der  Kräfte,  welche 
auf  ein  in  diesem  Punkte  befindliches  Electricitätstheilchen  wirken,  so  ist 
nach  den  soeben  mitgetheilten  Voraussetzungen: 

x-^      r-^     z-^  3) 

ox  oy  de 

nnd  demnach: 

a  ß  y 

X~^  Y~  Z 


4) 


Dies  ist  aber  nur  möglich,  wenn  der  Cosinus  des  Winkels  zwischen 
der  Normalen  und  der  Resultante  gleich  Eins,  der  Winkel  selbst  also 
Null  ist. 

Es  bezeichne  dn  den  Theil  der  Normalen,  welcher  zwischen  zwei  be- 
nachbarten Niveauflächen  liegt.  Auf  einer  derselben  möge  die  Potential- 
function den  Werth  F,  auf  der  anderen  einen  davon  etwas  verschiedenen 
Werth:  V  +  dV  haben.    Alsdann  ist: 

dx        a        dy  dz  ^. 

dn  dn       '         dn  ^ 

-wenn  au,  y,  z  die  drei  Coordinaten  des  einen,  a:  +  da?,  j^  +  dy^  z  +  dz^ 
die  Coordinaten  des  anderen  Endpunktes  der  Strecke  dn  sind. 

Für  die  bei  einer  Verschiebung  des  electrischen  Theilchens  längs  dn 
geleistete  Arbeit  gilt  die  Gleichung: 

F  .dn=X  .dx  -{-  T  ,dy  -\-  Z  .dz    .     .     .     .     6) 


^)  Die»e  Formulirang  beruht  auf  dem  bekannten  Satze  der  Potentialtheorie:  die 
Kraflrichtung  ist  normal  auf  der  Niveaufläche,  welche  man  sich  durch  den  betreffenden 
Punkt  construirt  denken  kann,  und  ist  nach  jener  Seite  gerichtet,  nach  welcher  hin  V 
abnimmt.    Man  sehe:  Clausins,  Die  Potentialfunction  und  das  Potential,  III.  Aufl.,  S.S. 

Btthlmann,  Meohan.  W&rmetheorie.  Bd.  2.  38 


594  IIL  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Setzt. man  für  X,  Y  und  Z  die  oben  in  Gleichung  3)  mitgeiheüten 
Werthe  ein,  so  ergiebt  sich: 

dx      dn         dy      dn         de      dn 
oder: 

^=8;r '^ 

Dies  ist  die  Wirkung  aller  Electricitätstheilchen  des  Sjstemes  anf 
ein  Electricitätstheilchen,  oder  um  sich  eines  correcteren  Aasdruckes  zi 
bedienen,  auf  eine  Quantität  des  electrischen  Agens  von  der  Grosse  1. 
Die  Gesammtwirkung  auf  eine  Quantität  des  negativen  electrischen  Flui- 

dums  von  der  Grösse  ^  wäre  f(  .  -^ —  *   Auf  eine  gleich  grosse  Menge  des 

positiven  electrischen  Fluidnms  würde  die  Gesammtwirkung  —  f*  .  -^ 

sein. 

Aus  der  Annahme,  dass  die  Geschwindigkeit  eines  in  einem  I^eiter 
bewegten  Electricitätstheilchens  allein  von  der  Grosse  der  gerade  anf  das- 
selbe wirkenden  Kräfte  und  von  der  Substanz  des  Leiters  abhängig  ist. 
folgt,  dass  die  Geschwindigkeit  eines  electrischen  Molecüles  proportioDal 
der  Grösse  der  Kraft  ist,  und  dass  der  Coefficient  dieser  Proportionalität 
von  der  Natur  der  Substanz  abhängig  sein  muss,  in  welcher  die  Bewe- 
gung stattfindet.     Die  Geschwindigkeit  eines  positiven  Moleoüles  würde 

9F      .  .        . 

alsdann  —  x  .  -^ —  sein.    Hierbei  wäre  x  eine  fttr  die  Natur  des  Körpers 

dn  '^ 

charakteristische   Constante    (der  Coefficient   der  electrischen    Leitnngs- 
fähigkeit). 

Die  Bewegung  einer  Quantität  Electricität  in  einem  Leiter  gebt  also 
ungefähr  so  vor  sich,  als  ob  sich  ein  Körper  in  einem  Mittel  bewege, 
dessen  Dichtigkeit  im  Verhältniss  zu  der  des  Körpers  erheblich  ist,  oder 
ungefähr  so,  als  ob  eine  Flüssigkeit  durch  enge  Röhren,  in  welchen  sie 
sich  mit  grosser  Reibung  bewegt,  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit 
durch  eine  Kraft  hindurch  getrieben  wird,  welche  gerade  ausreicht  diese 
Reibung  zu  überwinden. 

Die  Kraft,  welche  die  Verschiedenheit  des  Potentiales  in  dem  die 
Pole  einer  galvanischen  Kette  verbindenden  Leiter  veranlasst,  fikhrt  den 
Namen  electromotorische  Kraft. 

Die  bewegten  El ectrici täten  besitzen  keine  Masse,  unterliegen  daher 
nicht  dem  Gesetze  der  Trägheit. 

Das  im  Vorstehenden  Entwickelte  ist  keine  mechanische  Theorie  im 
eigentlichen  Sinne  des  Wortes;  Bewegungen,  wie  die  hier  charakterisir^ 
ten,  sind  bei  ponderablen  Massen  nicht  beobachtet  worden« 


C.   Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      595 


2.  Ausdruck  für  den  stationären  Strom,  Ohm'sches 

Gesetz. 

Setzt  man  yoraos,  dass  an  einem  bestimmten  Punkte  die  Geschwin- 

digkeit  der  Bewegung  der  Electricität  —  x  •  - —  ist,    so  fliesst  in  der 

Zeiteinheit  (Secnnde)  durch  ein  Flächenelement  da  der  durch  den  be- 
'treffenden  Punkt  gelegten  Niyeaufläche  die  Electricitätsmenge : 

on 

Nimmt  man  die  Existenz  und  Bewegung  zweier  electrischer  Fluida 
an,  so  muss  man  annehmen  diese  Quantität  der  bewegten  Electricität 
l^estehe  aus  zwei  gleichen  Hälften,  von  welchen  die  eine,  die  positive 
£lectricität,  in  dem  einen,  die  andere,  die  negative  Electricität,  im  ent- 
gegengesetzten Sinne  bewegt  wird. 

Auch  die  Electricitätsmenge,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch  ein 

beliebig  gerichtetes  Flächenelement  dö   strömt,   kann  leicht  bestimmt 

-werden.      Nimmt    man    an     die   Projection   dieses    beliebig    gerichteten 

Flächenelementes  d6  auf  die  an  dieser  Stelle  construirte  Niveaufläche 

Bei  d (9,  so  ist: 

dcj  =z  d6  *  cos  a, 

^venu  a  der  Neigungswinkel  des  Flächenelementes  d6  gegen  die  Niveau- 
fläche ist.  Weiter  setzen  wir  voraus,  durch  einen  beliebigen  Punkt 
a?,  y,  JS  des  Leiters  sei  die  Niveaufläche  V  und  durch  den  Punkt  x  -\-  dx^ 
y  +  dy^  B  '\-  dz  die  Niveaufläche  Y  ■\-  dV construirt  worden.  Alsdann 
strömt  in  jeder  Secnnde  durch  da  die  Electricitätsmenge 

—  X  • •  d6  .  cos  a. 

dn 

Nennt  man  nun  aber  ds  und  dn  die  auf  den  Normalen  zu  den 
Flächenelementen  d6  und  dio  gelegenen  Strecken,  welche  sich  zwischen 
den  beiden  benachbarten  Niveaufiächen  F  und  V  ^  dY  beflnden  (man 
aehe  Fig.  39  a.  f.  S.)i  so  ist: 

ein  =  eis  .  cos  a 

und  folglich: 

oY  dY 

——  -  cos  a  =  ■^— ■  • 
cn  OS 

Man  kann  die  in  der  Zeiteinheit  durch  ein  beliebiges  Flächenele- 
ment  dö  strömende  Electricitätsmenge  di  daher  auch  in  der  Form: 

di  =2  —  X  •  -T —  'de 8) 

da 

88* 


596  IIL   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


Fi^.  39. 


VtdV 


darstellen.    Dies  aber  ist  genau  der  nämliche  Ausdruck,  welchen  Ohra  ^) 
mit  Hülfe  der  Annahme  abgeleitet  hat,  dass  der  galvanische  Strom   die 

Folge  vorhandener  electrischer  Spannungszustände 
sei.  An  Stelle  der  Potentialfnnction  V  braucht 
man  nur  die  von  Ohm  als  electroskopische  Kraft 
bezeichnete  Grrösse  zu  setzen,  um  sofort  dessen 
Formeln  zu  erhalten. 

Hiermit  kann  sehr  leicht  die  partielle  Differen- 
tialgleichung abgeleitet  werden,  welche  den  Zn- 
stand der  Electricität  in  einem  vom  Strome  dnreh- 
flossenen  Leiter  darstellt. 

In  einer  Zeiteinheit  fliessen  durch  die  sechs 
Wände  eines  Parallelepipedes,  dessen  drei  Kanten 
durch  die  drei  den  Coordinatenaxen  panülelen 
Streckenelemente  dx,  dy^  dz  gebildet  werden, 
nachstehend  verzeichnete  Flectricitätsmengen : 


df,  =  —   X 


dv 


dy  •  de\ 


dz 

m 

di,  =  —  x 


'  dy 


'  dx  •  d2\ 


8F 
de 


dx  •  dy; 


dl 


^+.,=  -x.(—  ^  ^^'dx 


dx^ 


)  •  ^y 


de\ 


dh^H.  =  -  X  .  (—  +  —  '  dgy  dx  ,  dy. 


Soll  wirklich  ein  stationärer  Zustand  stattfinden,  so  ronss  die  alge- 
braische Summe  dieser  sechs  Electricitätsra engen  Null  sein.  Es  gilt  dem- 
nach alsdann  in  der  gesaromten  Ausdehnung  des  Leiters  für  den  statio- 
nären Zustand  die  Gleichung: 


d^V       d^V       d^V  _ 

dx^  "^  dy^  ^  dz^  ~ 


9) 


Mit  Rücksicht  auf  die  früher  von  uns  gewählte  Bezeichnung  können 
wir  diese  Gleichung  kurz  durch 

j  r^  0 

ausdrücken. 

Wir  haben  im  Vorhergebenden  (Bd.  2,  III,  A,  4,  S.  563,  Gl.  8)  ge- 
funden, dass 


^)  Ohm,  Die  galvanische  Kette  mathematisch  bearbeitet.  Berlin  (1827),  S.  96. 
Ohm  nennt  die  Grösse  V  die  electroskopische  Kraft  und  defintrt  sie  als  die  Dichtigkeit 
der  Electricität  an  dem  betreifenden  Pankte  des  Leiters. 


Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.         597 

ist,  wobei  Q  die  Dichte  des  wirksamen  Agens  an  dem  betrefifenden  Funkte 
l>ezeicbnet.    Obige  Gleichung  9): 

^i  F=  0 

bedeutet  somit,  dass  die  Dichte  der  freien  Electrioität  in  jedem  im  Innern 
des  Leiters  gelegenen  Punkte  gleich  Null  ist.  Da  nun  in  dem  Falle  eines 
Liciters,  welcher  von  einem  Strome  durchflössen  ist,  diese  die  Yerschieden- 
lieit  des  Potentiales  bedingenden  Electricitätsmengen  nicht  ausserhalb 
des  Leiters  gesucht  werden  können,  gelangt  man  zu  dem  wichtigen  Satze : 

In  einem  von  einem  stationären  galvanischen  Strome  durchflossenen 
Leiter  befindet  sich  im  Innern  des  Leiters  keine  freie  Electricität ;  die 
£reie  Electricität,  welche  die  Verschiedenheit  der  Potentialfunction  be- 
dingt, bildet  eine  unendlich  dünne  Schicht  auf  der  Oberfläche  des  Leiters. 

Bekanntlich  kann  die  Existenz  freier  Electricität  auf  der  Oberfläche 
eines  von  einem  galvanischen  Strome  durchflossenen  Leiters  mit  Hülfe 
des  Electrometers  leicht  experimentell  nachgewiesen  werden.  Es  geschah 
dies  z.  6.  zuerst  von  Kohlrausch  ^). 

Die  partielle  Differentialgleichung  9)  bestimmt  die  Potentialfunc- 
tion. Die  bei  der  Integration  auftretenden  willkürlichen  Functionen 
werden  ihrerseits  durch  die  Bedingungen  der  Aufgabe  bestimmt.  Diese 
Bedingungen  sind  selbstverständlich  im  Allgemeinen  je  nach  der  Natur 
der  Aufgabe  verschieden ;  eine  derselben  gilt  jedoch  bei  allen  gemeinsam. 
Die  Leiter,  um  die  es  sich  handelt,  sind  nämlich  in  den  weitaus  meisten 
Fällen  mit  Luft  umgeben,  und  diese  kann  ohne  wesentlichen  Fehler  als 
absolut  nicht  leitend  für  galvanische  Electricität  angesehen  werden.  Die 
für  alle  solche  von  Luft  umgebenen  Leiter  gültige  gemeinsame  Bedin- 
gungsgleichung ist  demnach: 

is=» '«) 

wenn  man  unter  dN  ein  unendlich  kleines  Element  der  nach  aussen  ge- 
richteten Normalen  der  freien  Oberfläche  versteht,  welches  an  der  Ober- 
fläche selbst  gelegen  ist. 

An  der  freien  Obei*fläche  eines  Leiters,  mit  der  er  an  ein  isolirendes 
Mittel  grenzt,  müssen  die  Strömungscurven  der  bewegten  Electricitäts- 
mengen der  Obei'fläche  parallel  laufen  und  die  zu  den  Strömungscurven 
normalen  Niveauflächen  müssen  die  freie  Oberfläche  des  Leiters  senkrecht 
schneiden. 

3.   Untersuchung  des  Specialfalles,  dass  der  Leiter  ein 

äusserst  dünner  Oylinder  ist. 

Wir  wählen  an  irgend  einem  Punkte  eines  cylindrisch  gestalteten 
Electricitätsleiters  die  Cylinderaxe  als  a;-Axe.    Da  angenommen  wird  der 

^)  Kohlransch,  Die  electroskopischen  Eigenschaften  der  geschlossenen  galvani- 
Bcheir  Kette.  Pogg.  Ann.  Bd.  78  (1849),  S.  1  bis  20,  Bd.  79,  S.  183.  Aach  sehe  man 
Gangain,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  3.  Serie.    Bd.  59,  S.  5  (1860). 


598  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Qaerschnitt  des  Cy linders  sei  aasserordentlich  klein,  so  müssen  <lie 
Niveauflächen  sehr  nahe  senkrecht  zur  Oberfläche  sein  und  die  Electri- 
cität  musB  sich  parallel  zur  Cylinderaxe  bewegen.    Alsdann  ist: 

-5-  =  0  und  -^-  ==  0 

und  die  partielle  Differentialgleichung  9)  reducirt  sich  auf: 

327 


Dieser  Gleichung  genügt: 


=  0. 


——  =  const. 

ox 

Hieraus  folgt  durch  Integration: 

F  —  Fo  =  0  .  (ä;  —  a:o) 

wobei  C  eine.Constante  bezeichnet.     Besitzt  für  x  =  Xi  die  Potential- 
function  F  den  Werth  Fi,  so  kann  die  Constante  C  aus  der  Gleichung: 

F,  —  Fo  =  C  .  (a?i  —  ajo) 
bestimmt  werden,  und  man  erhält: 

7  —  Fo  =  ^^  ""  ^^    '  {x  —  x^) 11) 

^1  —  ^0 

Die  Electricitätsmenge  di^  welche  in  der  Zeiteinheit  durch  ein  zur 
Cylinderaxe  normales  Flächenelement  d(Q  hindurch  geht,  ist  nach  Gl.  8): 

at  =  —  X  •  -;r —  •  d(a, 

ox 

Durch  den  ganzen  Normalschnitt  S  des  Leiters  fliesst  demnach  ib 
der  Zeiteinheit  die  Electricitätsmenge  i 

«  =  —  x.S-^5— 12) 

ox  ^ 

Die  Electricitätsmenge,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch  den  Qaer- 
schnitt hindurch  geht,  wird  Strominteusität  genannt;  die  durch  den 
Buchstaben  %  bezeichnete  Electricitätsmenge  ist  demnach  die  Strom- 
intensität. 

Dififerentiirt  man  die  Gleichung  11)  nach  x^  so  ergiebt  sich: 

8F^  Fl  -  V^ 

dx  Xi   —  Xq 

Setzt  man  diesen  Werth  in  12)  ein,  so  erhält  man  für  die  Strom- 
intensität i  den  Ausdruck: 

Xi   —  Xo 


C.   WärmeentwickeluDg  durch  den  galvanischen  Strom.      599 

Bezeichnet  man  ausserdem  die  Länge  Xi  —  Xq  des  Leiters  durch  l, 
so  ergieht  sich: 

X  ,  S.jVi  -  Vq) 

Die  Grösse 

^=' 13) 

ist  der  Leitungswiderstand  des  zwischen  den  beiden  begrenzenden  Niveau- 
jS.ächen  gelegenen  Theiles  des  linearen  Leiters.  Wir  finden  demnach 
schliesslich : 

i  =  --^-=:-^« 14) 

Diese  rechte  Seite  der  Gleichung  14)  ist  negativ  oder  positiv,  je 
nachdem  die  Richtung  des  positiven  Stromes  mit  der  Richtung  der  posi- 
tiven x-Axe  zusammenfällt,  oder  ihr  entgegengesetzt  ist.  Der  Strom 
der  positiven  Electricitat  fliesst  jederzeit  von  der  Gegend  der  grösseren 
Berthe  der  Potentialfunction  nach  derjenigen  Elichtung,  in  welcher  der 
Werth  der  Potentialfunction  abnimmt. 


4.    Die  Arbelt  der  Kräfte,  unter  deren  Elnflnss  sich  die 
Electricitat  im  Leiter  bewegrt;  das  Gesetz  von  Joule. 

Setzt  man  voraus,  dass  durch  die  Kraft,  welche  auf  die  im  Leiter 
befindliche  Electricitat  wirkt,  keine  andere  Erscheinung  im  Leiter  oder 
dessen  Umgebung,  sondern  nur  Wärme  hervorgebracht  wird,  so  kann 
die  entwickelte  Wärmemenge  unmittelbar  als  Maass  der  von  diesen  Kräf- 
ten im  Leiter  geleisteten  Arbeit  angesehen  werden.  Die  Grösse  dieser 
Arbeit  kann  nach  einem  zuerst  von  Clausius  angegebenen  Verfahren 
ermittelt  werden  ^). 

Bewegt  sich  eine  Quantität  Electricitat  von  der  Grösse  dq  auf  einer 
Bahn  s,  so  findet  man  die  elementare  Arbeit,  welche  von  der  beschleu- 
nigenden Kraft  auf  dem  Wegelemente  ds  geleistet  wird,  wenn  man  ds 
mit  der  Componente  der  beschleunigenden  Kraft  multiplicirt ,  welche  in 
die  bei  ds  an  die  Bahn  der  bewegten  Eleotricitätsmenge  gezogene  Tan- 
gente fallt.    Diese  Projection  der  beschleunigenden  Kraft  ist: 

,        dV   • 


^)  Zuerst  von  Clausius  veröffentlicht  (1852)  in  der  Abhandlung:  Ueber  die  bei 
einem  stationären  electrischen  Strome  in  dem  Leiter  gethane  Arbeit  und  erzeugte 
Wärme.  Poggendorff's  Annalen  Bd.  87,  S.  415  in:  Clausius,  Die  mechan.  Wärme- 
theorie.    2.  Aufl.    (Braunschweig,  Fr.  Vi e weg  u.  Sohn).    Bd.  2,   S.  131. 


600      III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 
Die  gesachte  elementare  Arheit  heträgt  demnach: 

dv 


dL  =  —  dq 


ds 


•  ds 


15) 


Die  einer  endlichen  Verschiebung  der  electrischen  Quantität  dq  ent- 
sprechende Arbeit  ist: 


=  -.«./ 


ds 


ds=  —  dq.  (Fl  —  F«)    . 


16) 


Es  ist  bemerkenswerth,  dass  diese  Arbeitsgrösse  nur  von  den  Wertfaen 
der  Potentialfunction  abhängig  ist,  welche  am  Anfange  und  Ende  des 
von  dq  durchlaufenen  Weges  gelten. 

Vorstehender  Ausdruck  bleibt  noch  gültig,  wenn  man  annimmt, 
dass  nicht  eine  einzelne  elementare  Quantität  Electricität  den  Weg  Si  —  s$ 
durchlaufen  hat,  sondern  dass  eine  unendlich  grosse  Anzahl  solcher  Elec- 
tricitätsmengen  dq^  also  eine  endliche  Electricitätsmenge  dies  wüirend 
der  nämlichen  Zeit  gethan  hat. 

Berücksichtigt  man,  dass  V  ,  dq  das  Potential  der  getrennten  EUeo- 
tricität  auf  das  Element  dq  ist,  und  dass  daher  der  Ausdruck  —  (Fi —  Vq)  .  dq 
die  Abnahme  dieses  Potentiales  auf  dem  Wege  Si  —  Sq  darstellt  und  sich 
der  Ausdruck  nach  dem  eben  Bemerkten  auch  auf  eine  endliche  Electri- 
citätsmenge ausdehnen  lässt,  so  erhält  man  den  von  Clausius  aufgestell- 
ten Satz  ^):  Die  bei  einer  Bewegung  einer  Electricitätsmenge  von  der 
im  Leiter  wirksamen  Ki*aft  gethane  Arbeit  ist  gleich  der  bei  der  Bewe- 
gung eingetretenen  Abnahme  des  Potentiales  dieser  Electricitätsmenge 
und  der  treibenden,  getrennten  Electricitäten  auf  einander. 

Wir  denken  uns  im  Innern  des  Leiters  eine  beliebige  geschlossene 
Oberfläche  construirt  und  bestimmen  die  Arbeit,  welche  an  den  im  Innern 
dieser  Fläche  sich  bewegenden  Electricitätsmengen  von  den  auf  diese 
wirkenden  Kräften  geleistet  wird. 

Bei  der  Bewegung  der  elementaren  Electricitätsmengen,  welche  sich  za 


Fig.  40. 


P— 


irgend  einer  Zeit  im 
Innern  der  construir- 
ten  Oberfläche  befinden, 
können  viele  verschie- 
dene Fälle  vorkommen, 
die  wichtigsten  deiael- 
ben  sind  folgende: 

1.  Der  Anfangspunkt 
P  (siehe  Fig.  40)  der  Be- 
wegung kann  z.B.ausser- 


^)  Clausius,  Mechanische 
Wärmetheorie.  2.  Au6.  Bd.  2, 
S.  139. 


C.   Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      601 

halb,  der  Endpunkt  Q  innerhalb  der  Fläohe  liegen ;  alsdann  braucht  man 
nur  den  Theil  der  Arbeit  in  Betracht  zu  ziehen,  welcher  auf  der  Strecke 
JdQ  geleistet  worden  ist,  wenn  M  der  Punkt  ist,  in  welchem  die  Bahn 
der  bewegten  elementaren  Electricitätsmenge  die  Oberfläche  schneidet. 
Ist  V  der  Werth  der  Potentialfunction  in  M,  und  ü  der  Werth  in  Q,  so 
ist  die  von  den  beschleunigten  Kräften  an  der  bewegten  Electricitäts- 
menge dq  geleistete  Arbeit  (man  sehe  Gl.  16): 

dX  =  (F  —  ü)  .  dq. 

2.  Ferner  kann  auch  der  Anfangspunkt  Qi  der  Bahn ,  auf  welcher 
sich  eine  elementare  Electricitätsmenge  dq  während  des  nämlichen  be- 
trachteten Zeitraumes  bewegt,  innerhalb  der  gezogenen  Oberfläche  und 
der  Endpunkt  Pi  dieses  Weges  ausserhalb  der  Fläche  S  liegen.  Ist  Vi 
der  Werth  der  Potentialfunction  im  Punkte  Mi,  in  welchem  die  Bahn 
QiPi  die  Oberfläche  8  schneidet,  und  Üi  der  Werth,  den  die  Potential- 
function in  Qi  besitzt,  so  ist  nur  die  Arbeit: 

(Ui  —  Vi)  .  dq 

für  die  vorliegende  Aufgabe  in  Betracht  zu  ziehen. 

3.  Ferner  kann  auch  der. Fall  eintreten,  dass  Anfangs-  und  End- 
punkt Q^  und  (^3  der  Bahn  einer  Electricitätsmenge  innerhalb  der  ge- 
schlossenen Fläche  liegen.  Alsdann  muss  die  gesammte  Arbeit  der  be- 
schleunigenden Kräfte: 

{ü^  —  U^)  .  dq 
in  Rechnung  gezogen  werden. 

4.  Ausser  diesen  drei  Hauptfallen  sind  selbstverständlich  noch  eine 
grosse  Anzahl  anderer  denkbar,  nämlich  solche,  bei  welchen  die  Bahn- 
curven  der  bewegten  Electricitätsmengen  die  Oberfläche  S  mehrere  Male 
durchschneiden.  Es  ist  jedoch  leicht  auch  für  diese  in  ganz  gleicher 
Weise  die  entsprechenden  Betrachtungen  anzustellen. 

Bildet  man  die  Summe  aller  derartigen  Arbeitsgrössen  für  alle 
Electncitätsmengen ,  welche  sich  während  der  Zeit,  auf  welche  sich  die 
Betrachtung  erstreckt,  innerhalb  der  geschlossenen  Fläche  bewegt  haben, 
so  findet  man  die  gesuchte  Arbeit. 

Mau  kann  diese  Summe  als  die  Differenz  zweier  Integrale  auflassen. 
Den  Minuend  bildet  ein  Integral  von  der  Form: 


±/ 


V.dg, 


wobei  das  Pluszeichen  sich  auf  die  eintretenden  und  das  Minuszeichen 
sich  auf  die  austretenden  Electricitätsmengen  bezieht.  Der  Subtrahend 
ist  ein  ganz  ähnlich  gestaltetes  Integral: 


i/"- 


dq. 


Fig.  41. 


602  III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Beide  Integrale  können  ermittelt  werden.    Von  dem  zweiten  kann 
nachgewiesen  werden,  dass  es  Null  sein  mnss. 

Denken  wir  uns  im  Innern  der  geschlossenen  Oherfläche  S  einen 
heliebigen  Raum  AB  (man  sehe  Fig.  41),  so  muss  die  algebraische  Summe 

der  in  diesen  Raum  eintretenden 
und  der  aus  demselben  aostreten- 
den  Electricitätsmengen  Null  sein; 
denn  im  stationären  Zustande  darf 
keine  Anhäufung  freier  Electricitat 
in  einem  derartigen  Räume  statt' 
finden.  Dies  muss  auch  gültig  blei- 
ben, wenn  man  um  einen  Punkt  Q 
einen  kleinen  Raum  abgrenzt,  den 
man  so  klein  wählt,  dass  die  Po- 
tentialfun ction  innerhalb  dieses 
Raumes  merklich  den  constanten 
Werth  Uq  besitzt 

Alsdann   hat  man  unter  dem   Integralzeichen  Ausdrücke   von   der 
Form  : 

und  diese  müsseu,  da  jeder  selbst  Null  ist,  auch  selbst  wieder  eine  Summe 
von  der  Grösse  Null  geben.  Jedes  Element  des  zu  ermittelnden  Inte- 
grales ist  eine  unendlich  kleine  Grösse  dritter  Ordnung,  und  man  ver- 
nachlässigt bei  der  Betrachtung,  welche  wir  soeben  anstellten,  nur  Grössen, 
welche  unendlich  klein  von  der  vierten  Ordnung  sind.  Daraus  aber 
folgt,  dass: 


+  ru  .  dq  =  0 


ist. 


Um  das  erste  Integral  zu  finden,  denken  wir  uns  um  jeden  Punkt 
M  der  Oberfläche  eine  geschlossene  Curve  gezeichnet,  welche  ein  Flächen- 
Clement  des  einschliesst.  Dieses  Flächenelement  rechnet  man  mit  posi- 
tivem Vorzeichen  für  solche  Electricitätsmengen,  welche  in  den  von  der 
Fläche  eingeschlossenen  Raum  eintreten;  man  fühi't  das  Flächenelement 
d(0  mit  dem  negativen  Vorzeichen  ein,  wenn  es  sich  um  austretende 
electrische  Quantitäten  handelt.  Bezeichnet  f'i  die  Electricitätsmenge, 
welche  in  der  Zeiteinheit  durch  die  Oberflächeneinheit  hindurchgeht,  so 
ist  das  gesuchte  Integral: 


=/ 


V  ,  ii  ,  da 


und  dies  ist  die  in  der  Zeiteinheit  geleistete  Arbeit,  wenn  der  Zustand 
des  Systemes  stationär  geworden  ist. 

Man  kann  diesem  Integrale  noch  eine  andere  Form  geben,   wenn 


C.   Wärmeentvrickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      603 

9F  .  .  . 

man  unter  ^-^  den  Bifferentialquotienten  der  Potentialfunction  nach  der 

auf  der  Oberfläche  in  M  gezogenen  Normalen  bezeichnet  und  diese  Nor- 
male positiv  rechnet,  sofern  sie  nach  dem  Innern  der  geschlossenen  Fläche 
gerichtet  ist.  Alsdann  erhält  man  für  die  Electricitätsmenge  ii,  welche 
in  der  Zeiteinheit  durch  die  Flächeneinheit  einer  in  M  construirten  Tan- 
gentialebene hindurchgeht,  den  Ausdruck: 

dV 

'  dN 

Dies  muss  man  in  obigem  Integral  für  ii  einsetzen  und  erhält  schliess- 
lich für  die  gesuchte  Arbeitsgrösse  den  Werth: 

L  =  '-)c>    Tv-^-dfo 17) 

Dies  ist  die  gesammte  Arbeit,  welche  die  im  Innern  der  geschlossenen 
Fläche  wirksamen  Ki*äfte  leisten,  sofern  diese  Kräfte  in  dem  geschlossenen 
Räume  weder  chemische,  noch  mechanische,  noch  Inductionswirkungen 
hervorbringen,  und  wenn  in  der  geschlossenen  Fläche  keinerlei  electromoto- 
rische  Kraft  thätig  ist.  Diese  Arbeit  wäre  demnach  auch  gleich  der  Zunahme 
der  lebendigen  Kraft  sämmtlicher  im  Innern  des  Raumes  bewegten  Elec- 
tricitätsmengen.  Da  man  aber  mit  Rücksicht  auf  unsere  Grundannahmen, 
auf  welche  sich  die  Kirchhoffsche  Ableitung  des  Ohm 'sehen  Gesetzes 
stützt  (man  sehe  diesen  Abschnitt  C,  1,  S.  594),  die  Massen  und  damit  auch 
die  lebendigen  Ki'äfte  der  bewegten  Electricitätsmengen  vernachlässigen 
muss,  so  kann  diese  Zunahme  der  lebendigen  Kraft  nichts  anderes  sein, 
als  eine  Zunahme  der  lebendigen  Kräfte  der  materiellen  Bestandtheile  der 
im  Innern  der  Fläche  befindlichen  Substanz  des  Leiters,  d.  h.  es  muss  die 
gefundene  Arbeit  äquivalent  der  in  der  geschlossenen  Fläche  entwickelten 
Wärmemenge  sein.  Bezeichnet  man  diese  Wärmemenge  mit  Q  und  das 
mechanische  Aequivalent  der  Wärme  mit  «7,  so  ergiebt  sich  somit: 

/dV 
V'^'d<D  =  J.Q 18) 

Diese  Gleichung  gilt  ganz  allgemein  für  jeden  homogenen  Leiter. 
Sie  gilt  sogar  nicht  ausschliesslich  nur  für  metallische  Leiter,  sondern 
auch  für  diejenigen  Theile  electrolytischer  Leiter,  in  welchen  sich  nicht 
die  durch  die  Electrolyse  freigewordenen  Molecüle  wieder  mit  der  Sub- 
stanz der  Electrode  verbinden. 

Ist  der  bei  vorstehender  Ableitung  in  Betracht  gezogene  Theil  des 
Leiters  durch  die  äussere  Oberfläche  des  Leiters  und  zwei  ebene  oder 
krumme  Querschnitte  desselben  begrenzt,  so  ist  bekanntlich  (man  sehe 
S.  597,  Zeile  27  v.  o.)  für  die  gesammte  äussere  Oberfläche  des  Leiters; 


604  III.   Anwendangen  auf  clectriscbe  ErscheinungeD. 

-  der  auf  die  äussere  Begrenzuugsfläche  des  Leiters  bezügliche  Theil  des 
Oberflächenintegrales  ist  somit  Null  und  man  hat  alsdann  nui*  nöthig, 
die  Integration  über  die  beiden  begrenzenden  Querschnitte  dos  Leiters 
auszudehnen.  Ist  der  Leiter  ausserdem  sehr  nahe  cylindrisch,  und  sind 
die  begrenzenden  Querschnitte  zur  Axe  normale,  ebene  Schnitte,  so  kann 
man  ohne  merklichen  Fehler  i  und  V  in  der  ganzen  Ausdehnung  jedes 
der  beiden  Querschnitte  conetant  voraussetzen.  Alsdann  giebt  das  In- 
tegral F  .   /  ^  .  dcD  für  den  ersten  Querschnitt: 

Fo  .  /  «1  .  dio 

und  für  den  zweiten  Querschnitt,  für  welchen  das  Integral  das  entg^egen- 
gesetzte  Vorzeichen  erhalten  muss: 


-  "■  •/'■ 


.  dco. 


Demnach  ist  die  gesammte  Arbeit,  welche  an  den  Electricitätsmen- 
gen  geleistet  wird,  die  sich  im  Leiter  zwischen -beiden  Querschnitten  be- 
wegen: 

L  =  (Fn  —  F,)  .    /  h  .  da. 


(Vo  -  V,).fH, 


einen 


Das  Integral   /   ii  .  do  ist  eben  die  in  der  Zeiteinheit  durch  eii 

Querschnitt  hindurchströmende  Electricitätsmenge,  also  die  Grösse,  welche 
wir  als  Stromintensität  bezeichnet  haben.  Bezeichnet  man  die  Strom- 
intensität mit  if  setzt  also: 

so  erhält  man: 

i  =  j  .  (Fo  -  F.) 
oder: 

i  =  -  i  .  (Fl  -  F„) 

als  schliesslichen  Ausdruck  für  die  Arbeit  der  Kräfte.  Die  Formel  18) 
schreibt  sich  mit  Rücksicht  darauf: 

J  •«  =  —  «•  (Fx  -  F„) 19) 

Wir  fanden  nun  früher  (Gl.  14),  dass  im  Falle  eines  sehr  dftnnen 
electrischen  Leiters: 

7,-  Fn 

*= J— 

ist;  wenn  man  dies  einführt,  findet  man: 

§  .  /  =  i2  .  A 
oder : 

Q  =  —r- 20) 


C.    Wärmepntwickelnng  durch  den  galvanischen  Strom.      605 
Dies  aber  ist  das  Joale'sche  Gesetz,  welches  schon  lange  auf  ezpe- 
T-imentelleiQ  Wege  gefiiDden  war,  ehe  es  gelang,  dasselbe  als  eine  noth- 
^vendige  Folge  der  Theorie  nachzuweisen. 


5.    Experimentelle  Bestätigungen  des  Jonle'sohen 


Die  Thatsache,  dass  sieb  vom  Strome  darchflosaene  Leiter  erwärmen, 
ist  schon  von  Volta  bemerkt  worden;  die  Gesetae  jedoch,  nach  welchen 
eich  die  Erscheinung  richtet,  sind  bis  za  Joule's  Arbeiten  unbekinnt 
g'eblieben.  In  der  Zwischenzeit  ist  nur  eine  Beobachtnng  von  Wolla- 
Bton  zn  erwähnen,  welche  deutlich  die  Abhängigkeit  der  Erwärmung 
von  der  Stromstärke  und  von  der  GrSsse  des  Widerstandes  des 
Leiters  zeigte. 

Wollaston  verband  die  beiden  Pole  eines  Elementes  mit  grosser 
Oberfläche  durch  einen  dicken  Draht,  der  an  einen  dünnen  Draht  von 
derselben  Substanz  geldthet  war.  Als  er  das  Plattenpaar  in  angesäuertes 
Wasser  eintauchte,  wurde  der  dünne  Draht  glähend,  während  sich  die 
Temperatur  des  dicken  Drahtes  kaum  merklich  erhöhte. 

Bekanntlich  kann  man  denselben  Versuch  auch  mit  Drähten  an- 
stellen,  welche  aus  verschiedenen  Metallen  gefertigt  sind.  Sehr  geeignet 
sind  Fiatin-  und  Silberdrähte,  welche  man  hinter  einander  verbnnden 
hat.  Lässt  man  einen  gbnügend  starken  Strom  durch  einen  derartigen 
Leiter  hindurchgehen,  so  glühen  nur  die  Platindrähte  nnd  die  Silbertheile 
des  Leiters  bleiben  dunkel,  auch  wenn  beide  gleichen  Querschnitt  haben. 
Die  er8t«n  Versuche  Joule's  waren,  obgleich  sie  ihn  auf  die  nach 
ihm  benannte  Gesetzmässigkeit  führten,  nicht  sonderlich  genau.  £^ 
wickelte  eiucn  Draht  um  das  Gefäss  eines  empfindlichen  Thermometers 
und  rührte  mit  diesem,  während  der  Strom  dnrch  den  Draht  floss,  die 
Pj     42,  Flüssigkeit  eines  Calorimeters  um. 

Beistehende  Abbildung  (Fig.  42) 
zeigt  die  Einrichtung  des  von  ihm 
angewendeten  Apparates  in  der  Form, 
wie  er  ihn  benutzte,  um  die  Erwär- 
mung flüssiger  Leiternachzuweisen*). 
Die  Enden  Ä  und  B  des  Leiters  befan- 
den sich  ansserhalb  der  Flüssigkeit, 
um  die  Störungen  fem  za  halten,  wel- 
che die  Vorgänge  an  den  Znleitungs- 
drahten  bewirkten.  Aus  den  Tem- 
peraturänderungen des  Calorimeters 

')  Man  uhe;  PhiloBophkal  Maguine 
(1841),  3.  Serie.  Bd.  19,  S.  360  und  (1852), 
i.  Sene.  Bd.  3,  S.  486. 


606  III.   Anwendungen  auf  .electrische  Eracheinungen. 

schloBB  er  auf  die  entwickelte  Wärmemenge;  die  Stromstärke  beobachtete 
an  einer  Tangentenboussole,  welche  in  den  Stromkreis  eingeschaltet 

Die  Beobachtungen,  welche  Joule  auf  diese  Weise  anstellte,  führten 
ihn  dazu,  das  Gesetz  aufzustellen:  Die  in  der  Zeiteinheit  entwickelte 
Wärmemenge  ist  proportional  dem  Quadrate  der  Stromintfensitat  und 
dem  Widerstände  des  Drahtes. 

Da  Joule  die  Abkühlung  des  Calorimeters  nicht  vollkommen  be- 
rücksichtigt hatte,  konnten  gegen  die  strenge  Gültigkeit  des  von  ihm 
aufgestellten  Gesetzes  noch  Einwendungen  erhoben  werden.  Etwas  ge- 
nauer sind  die  Messungen,  durch  welche  E.  BecquereP)  (der  Aeltere) 
wenig  später  (1843)  die  Richtigkeit  des  Joule 'sehen  Gesetzes  oonstatirt 
hat.  Der  Draht,  dessen  Wärmeabgabe  bestimmt  werden  sollte,  war,  ähn- 
lich wie  dies  früher  auch  schon  Joule  gethan  hatte,  um  einen  spiralig 
gebogenen  Glasstab  in  einer  Schraubenlinie  aufgewunden  und  in  ein 
dünnwandiges  kleines  Kupfercalorimeter  (Würfel  von  2,5  cm  Seite)  ein- 
gesenkt, welches  mit  Wasser  gefüllt  war.  Durch  zwei  stärkere  Drähte 
waren  die  Enden  des  Versuchsdrahtes  mit  einer  Batterie  und  einem 
EnallgasYoltameter  verbunden. 

Man  setzte,  während  man  die  Stromstärke  constant  erhielt,  den 
Versuch  so  lange  fort,  bis  die  an  einem  eingebrachten  Thermometer  ab- 
gelesene Temperatur  des  Calorimeters  constant  geworden  war.  Alsdann 
verlor^  das  Calorimeter  durch  Abkühlung  in  jeder  Zeiteinheit  eben  so  viel 
Wärme,  als  der  vom  Strom  durchflossene  Draht  ihm  Wärme  mittheilte.  — 
Die  Anzahl  der  Wärmeeinheiten,  welche  in  jeder  Secunde  abgegeben 
wurden,  konnte  aus  dem  Wasserwertbe  des  Calorimeters  sammt  Zubehör 
und  aus  der  Zeit  berechnet  werden,  welche  das  Calorimeter  brauchte,  um 
sich  von  einer  gegebenen  Temperatur  an  um  eine  bestimmte  Anzahl  Grade 
abzukühlen. 

Seine  Resultate  stimmen  mit  dem  Joule 'schon  Gesetze  bis  auf  wenige 
Procente  gut  überein.  Er  fand,  dass  durch  einen  Strom  in  der  Zeit, 
während  der  im  Voltameter  1  cbcm  Knallgas  entwickelt  wird,  in  einem 
Platindrahte  von  1  m  Länge  und  0,001  m  Durchmesser  eine  Wärmemenge 
von  0,0000197  Calorien  entbunden  wird. 

Eine  anderweite  höchst  beachtenswerthe  Bestätigung  des  Joule'- 
schen  Gesetzes  bieten  die  Versuche  von  Lenz').  Das  Calorimeter  des- 
selben besteht  aus  einer  verkehrt  aufgestellten  Glasfiasche  (man  sehe 
Fig.  43),  in  welches  ein  Thermometer  /  von  oben  durch  eine  eingebohrte 
Oeffnung  eintaucht.  Unten  ist  die  Mündung  der  Flasche  durch  einen 
aus  isolirender  Substanz  hergestellten  Pfropfen  B  geschlossen.  Durch 
letzteren  gehen  zwei  starke  Metalldrähte;  diese  sind  aussen  mit  Klemm- 
schrauben 8y  s  versehen,  zwischen  den  inneren  Enden  derselben  befindet  sich 


? 


£.  Becqnerel,  Ann.  de  Chem.  et  de  Phys.    3.  Serie.    Bd.  9  (1843),  S.  Sl. 
Lenz  (1844).    Ueber  die  Gesetze  der  Wärmeentwickelang  durch  den  galyanischeA 
Strom.     Poggend.  Ann.  Bd.  61,  S.  18  bis  49. 


Fig.  43. 


C.  Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      607 

ein  langer  dünner,  spiralförmig  gewundener  Draht.     Die  beiden  Klemm-, 
schrauben   s  und  8   werden    mit    den   Polen   einer   galvanischen  Kette 

in  Verbindung  gesetzt.  Der  innere  Hohl- 
raum des  Glases  ist  mit  Alkohol  gefüllt. 
Man  kühlt  nun  zunächst  das  Wasser  um  0 
Grad  unter  die  Temperatur  der  Umgebung 
ab,  so  dass  t  —  d  die  Anfangstemperatur 
des  Calorimeters  ist.  Man  lässt  hierauf  den 
Strom  hindurchgehen  und  beobachtet,  wäh- 
rend man  den  Apparat  beständig  schüttelt, 
die  Zunahme  der  Temperatur  am  Thermo- 
meter /.  Man  unterbricht  den  Strom,  so  wie 
die  Temperatur  des  Wassers  <  -f-  ö  gewor- 
den ist. 

Lenz  glaubte  auf  diese  Weise  eine  be- 
sondere Temperaturcorrection  seiner  Beob- 
achtungen entbehren  zu  können  und  stützte 
sich  dabei  auf  folgende  Betrachtang. 
Um  das  Calorimeter  von  der  Temperatur  t  auf  die  Temperatur  t  -]-  0 
zu  erwärmen,  gehört  eben  so  viel  Zeit,  r  Secunden,  als  erforderlich  ist, 
uro  dasselbe  von  t  —  0  auf  t  zu  erwärmen.  Man  bestimmte  die  Zeiten, 
zn  welchen  man  am  Thermometer  die  Temperaturen  t  —  0\  t  —  Ö", 
..,t-\-ff,t'\-  6",  .  .  .  ablas  und  bezeichnete  die  Anzahl  Secunden, 
welche  zwischen  den  Ablesungen  t  —  0'  und  t  -|-  Ö'  verflossen  sind, 
mit  2r',  die  folgende  mit  2  t''  u.  s.  f.  Vollzieht  sich  die  Erwärmung  mit 
gleichförmiger  Geschwindigkeit,  so  kann  man  die  Giltigkeit  des  Rumford'- 
schen  Principes  voraussetzen,  und  zwar  wird  dieses  Princip  nicht  nur 
für  den  Zeitraum  2r,  sondern  ebenso  gut  für  2r',  2r"  u.  s.  f.  gelten. 
Bezeichnet  m  den  Wasserwerth  des  Calorimeters  und  seines  gesammten 
Zubehörs,  so  misst  das  Product  2m  0  ohne  Correction  die  Wärmemenge, 
welche  der  Draht  während  der  Dauer  des  Versuches  in  2  t  Secunden  ent- 
wickelt hat.  Ebenso  repräsentirt  2  m  0'  die  während  der  Zeit  2  r'  ent- 
wickelte Wärmemenge  u.  s.  f. 

Demnach  ist  jeder  Ausdruck  von  der  Form:  — ' — ,  — -, — ,  — 77 — , 

...  ein  Werth  für  die  in  der  Zeiteinheit  entwickelte  Anzahl  von  Wärme- 
einheiten. Diese  Quotienten  wurden  in  der  That  gleich  gross  beobachtet, 
wenn  man  das  Gefass  vor  jeder  einzelnen  Ablesung  gehörig  umgeschüt- 
telt hatte. 

Da  sich  zeigte,  dass  man  die  Leitungsfahigkeit  des  Wassers  gegenüber 
der  des  Drahtes  nicht  vollständig  vernachlässigen  könne,  so  füllte  Lenz 
sein  Calorimeter  mit  dem  noch  schlechter  leitenden  absoluten  Alkohol 
und  nicht,  wie  die  früheren  Beobachter,  mit  Wasser.  Als  Einheit  der 
Stromintensität  diente  ihm  ein  Strom,  welcher  in  einer  Stunde  41,16  cbcm 
Knallgas  gab;  als  Widerstandseinheit  diente  der  Widerstand  eines  Kupfer- 


608  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

••drafaies  von  194,79  cm  Länge  and  0,0840  cm  Durchmesser  hei  19^  C. 
Die  Zeit  f,  welche  erforderlich  ist,  um  die  Temperatur  des  GalorimeterB 
um  einen  Grad  zu  erwärmen,  ist  der  in  der  Zeiteinheit  entwickelten 
Wärmemenge  Q  umgekehrt  proportional. 

Da  nach  dem  Joule'scben  Gesetze  (Gl.  20)  die  Wärmemenge  Q 
proportional  dem  Leitungswiderstande  k  des  Drahtes  und  proportional 
dem  Qnadrate  der  Stromintensität  ist,  so  muss 

t  .  i^  ,  l  =  const. 

sein.    In.  wie  weit  diese  Beziehung  durch  das  Experiment  hestätigt  wird, 
zeigt  nachstehende  Tahelle: 


Anzahl  Minu- 

e>c 

Substanz  des 
Drahtes 

Strom - 
Intensität  i 

Leitungs  wider- 
stand X 

ten,  die  eine 
Erwärmung 
um  1®  bean- 
sprucht, t 

Product : 
const. 

s 
o 

< 

10,1 

35,2 

1,35 

4840 

< 

+  140 

Neusilber  I.  Sorte 

15,4 
15,4 

35,2 
36,7 

0,57 
0,53 

4740 
4610 

4700 

+    40 
—    90 

h 

20,9 

35,3 

0,30 

4620 

1 

—    80 

« 

15,4 

22.1 

0,92 

4820 

+  20O 

Neusilber  II.  Sorte 

20,9 
20,9 

22,0 
22,6 

0,48 
0,46 

4610 
4510 

4620 

—  10 

—  110 

t 

26,7 

22,2 

0,29 

4560 

X 

—    60 

Neusilber  JIl.  Sorte 

26,7 

16,8 

0,38 

4590 

— 

Platin       .... 

20,8 
26,7 

19,0 
19,2 

0,55 
0,32 

4590 
4450 

14520 

4-    70 
—    70 

Eisen 

33,1   ' 

9,4 

0,44 

4480 

26,7 

5,2 

1,30 

4840 

«•>* 

-|-    80 

33,1 

5,2 

0,84 

4770 

-f   10 

Kupfer     .... 

40,1 

5.2 

0,58 

4850 

476 

+    90 

40,1 

5,4 

0,54 

4690 

—    70 

. 

48,1 

5,3 

0,38 

4660 

—  100 

Die  Constanz  der  Producte  f  .  i^  .  A  ist,  wie  man  aus  den  Result 
der  Lenz 'sehen  Versuche  erkennt,  keine  ahsolute.    Bei  grösseren  Str< 
intensitäten  fällt  das  Product  t  .  i^  .  X  meist  etwas  kleiner,  die  pro  i 
cunde  entwickelte  Wärmemenge  also  etwas  grösser  aus,  als  anscheine 
die  Joule 'sehe  Formel  fordert.     Diese  Abweichung  hat  jedoch  ihre  1 
Sache  nicht  in  einer  Ungenauigkeit  des  Joule' sehen  Gesetzes,  8ond< 


Inhaltsübersioht 

der 

zweiten  Lieferung  des  zweiten  Bandes. 

Seite 

IL   Thermocliemie. 

B.  Aequivalenz  zwischen  Wärme  und  cheraischer  Arbeit 321 

C.  Die  Dissociationserscheinnngen 365 

D.  Die  Exi)losivkörper 451 

E.  Die  Anwendung  explosiver  Gasgemische  zum  Betriebe  von  Wärme- 

maschinen (Physikalische  Theorie  der  Gasmaschinen)    .....  524 

F.  Anhang.    Ueber  die  Verwendung   des  Dampfes  zur  Fortachleude- 

rung  von  Geschossen 547 

III.   Anwendungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  die  elec- 

trischen  Erscheinungen. 

A.  Mathematische  Einleitung 555 

B.  Bestätigungen  im  Gebiete  der  Beibungselectricität 567 

C.  Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom 590 


Verlag  von  Friedrich  Vieweg  und  Sohn  in  Braunschweig. 

Handbuch    der    Soda-Industrie 

und 

ihrer   Nebenzweige 

für 

Theorie   und   Praxis. 

Von 

Dr.  Oeopg  Lunge, 

Professor  der  teclmischon  Chemie  am  eidgeuüssischcn  Polytechnikam  zu  ZQrich. 

(Zugleich  als  3.  bis  5.  Lieferung  der  ersten  Gruppe  des  zweiten  Bandes  von 
BoUey-Birnbaum's  Handbuch  der  chemischen  Technologie.) 

In  zwei  Bünden. 
l&xXi  zahlreichen  in  den  Text  eingedruckten  Holzstichen,     gr.  8.     geh. 

Erster  Band.     Preis   18   Mark. 
Zweiter  Band  (in  zwei  Abtheüungen).    Preis  zus.  28  Mark. 


Die 

Bereitung   der   Steinkohlen  -  Briquettes. 

Mit  Eücksicht 
\  auf  die 

Vefhältnisse  In  Rheinland  und  Westfalen. 

\  Von 

\  Dr.  Adolf  Qurlt, 

Bergingenieur    in    Bonn. 
\  Royal -8.     Fein  Velinpap,     geh.     Preis  2  Mark. 


ANKUNDIÖUNG. 


Das  vorliegende  Handbuch  hat  die  Aufgabe,  sowohl  die  experimentellen 
und  theoretischen  Grundlagen  der  mechanischen  Wännetheorie,  als  auch  die 
Anwendung  der  Gleichungen  und  Sätze  derselben  in  der  eigentlichen  Wärme- 
lehre und  in  den  übrigen  Theilen  der  exacten  Naturwissenschaft  in  möglich- 
ster Vollständigkeit  einheitlich  darzustellen.  Nur  die  Anwendungen  auf  rein 
technische  Aufgaben  und  auf  die  Probleme  der  Physiologie  sind  ausgeschlossen 
worden;  die  ersteren,  weil  dieses  Gebiet  in  den  trefflichen  Werken  von 
Zeuner  und  Grashof  bereits  in  mustergültiger  Weise  behandelt  worden 
ist;  die  letzteren,  weil  dieser  Abschnitt  dem  Physiker  überhaupt  ferner  hegt. 

Im  Anschluss  an  die  Behandlung  des  eigentlichen  Inhaltes  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  ist  eine  kurz  gefasste  Geschichte  dieser  Discipliii  von 
ihren  ersten  Anfängen  bis  auf  die  heutige  Zeit  hinzugefügt.  Diese  historische 
Darstellung  hat  auch  Gelegenheit  geboten,  auf  diejenigen  Ergänzungen  hin- 
zuweisen, welche  durch  Arbeiten  nothwendig  geworden  sind,  welche  seit  der 
Veröffentlichung  der  ersten  Lieferungen  dieses  Buches  erschienen  sind. 

Durch  Berücksichtigung  der  wichtigsten  Arbeiten  des  In-  und  Auslände:« 
ist  eine  thunlichst«  Vollständigkeit  angestrebt  worden.  Das  Buch  soll  jedoch 
das  Studium  der  Originalarbeiten  nicht  überflüssig  machen,  vielmehr  deren 
Stellung  im  Gesammtorganismus  der  Wissenschaft  zeigen  und  ihre  Resultate 
kritisch  gesichtet  und  nach  zusammenfassenden  Gesichtspunkt^^n  geordnet 
zur  Darstellung  bringen. 

Das  Buch  soll  dem  lehrenden  und  forschenden  Fachmannc  als  Hand- 
buch, den  Studirenden  der  exacten  Naturwissenschaften  als  Lehrbuch  dienen. 

Die  Darstellung  ist  so  gewälilt,  daas  auch  weniger  Geübte,  wenn  die- 
selben nur  einen  Cursus  der  Differential-  und  Integralrechnung  imd  die  Ein- 
leitung in  die  höhere  Mechanik,  sowie  Experimental •  Physik  mid  -Chemie 
gehört  haben,  den  Auseinandersetzungen  zu  folgen  im  Stande  sein  werden. 
Solche,  welche  eingehende  Sx>ecialBtudien  vornehmen  wollen,  finden  zusammen- 
gestellt, was  bereits  geleistet  worden  ist,  und  an  welche  Quellen  sie  sich  für 
weitere  Auskünfte  zu  wenden  haben. 

Diese  letztere  Lieferung  im  Besonderen,  mit  welcher  das  Werk  seinen 
Abschluss  erreicht  hat,  bringt  die  Anwendungen  der  mechanischen  Wärme- 
theorie auf  die  galvanischen  und  elektrochemischen  Pro<!esse,  auf  die  mit 
den  Inductionsvovgängen  zusammenhängenden  Erscheinungen  und  auf  die 
Therm oelektricität.  Ein  weiterer  Abschnitt  beschäftigt  sich  hierauf  mit  den 
Anwendungen  auf  Probleme  der  Meteorologie  und  Astronomie.  Der  letzte 
Theil  ist,  wie  bereits  erwähnt,  der  Geschichte  der  behandelten  Disoiplin 
gewidmet  und  dürfte  wohl  den  ersten  Versuch  enthalten,  die  Entwickelung 
der  mechanischen  Wärmetheorie  von  den  ersten  Anfängen  an  bis  auf  die 
heutige  Zeit  in  zusammenhängender  Weise  zur  Darstellung  zu  bringen.  Eiu 
möglichst  umfängliches  Sach-  und  Namenregister,  welches  sich  auf  beide 
Bände  erstreckt,  soll  es  ermöglichen,  das  Buch  auch  als  Nachschlagewerk 
für  die  Erledigung  einzelner  Fragen  zu  verwenden,  während  die  systemati- 
schen Inhaltsverzeichnisse  am  Anfange  jeden  Bandes  mittlieilen ,  welche 
Capitel  behandelt  worden  sind,  und  nach  welchen  Gesichtspunkten  das  Material 
eingetbeilt  worden  ist. 


1 

1 


C.  Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      609 

vielmehr  ^)  darin ,  dass  mit  zunehmender  Erwärmung  der  Widerstand  A 
eines  Drahtes  zunimmt.  Bei  stärkeren  Stromintensitäten  nimmt  die  Tem- 
peratur eines  Drahtes,  damit  sein  Widerstand  und  ebenso  die  in  gleichen 
Zeiten  entwickelte  Wärmemenge  zu. 

Ein  anderes  von  Poggendorff*)  herrührendes  Verfahren  besitzt  den 
grossen  Vorzug,  dass  es  gestattet,  den  Einfluss  der  Abkühlung  yollkom- 
men  zu  eliminiren,  ohne  dass  man  nöthig  hat,  zu  der  Compensations- 
methode  zu  greifen. 

Der  Apparat  Poggendorff  ^)  besteht  aus  einer  Art  von  Thermo- 
meter, dessen  Gefäss,  ein  Glasfläschchen,  von  zwei  starken  Silberdrähten 
durchbohrt  wird,  welche  innen  und  aussen  Klemmschrauben  tragen. 
Zwischen  den  inneren  Klemmschrauben  wird  der  Draht  ausgespannt, 
dessen  Erwärmung  beobachtet  werden  soll.  In  den  Hals  der  Flasche 
wird,  nachdem  das  Gefäss  vollständig,  mit  Alkohol  gefüllt  worden  ist,  ein 
Kork  gepresst,  welcher  von  einem  Thermometerrohre  durchbohrt  wird. 

Ist  die  Temperaturzanahme,  welche  der  Draht  durch  den  Strom  er- 
fahrt, so  gering,  dass  man  die  Aenderung  des  electrischen  Leitungs- 
vermögens desselben  mit  der  Temperatur  vernachlässigen  kann,  so  ist 
die  entwickelte  Wärmemenge  und  gleichzeitig  auch  das  Aufsteigen  des 
Alkohols  im  Thermometerrohre  der  Zeit  proportional.  Ist  Q  die  in  der 
Zeiteinheit  entbundene  Anzahl  Calorien,  so  wird  in  der  Zeit  dt  die 
Wärmemenge  Q  .  dt  entwickelt.  Ist  nun  0  die  Anzahl  Grade,  um  welche 
die  Temperatur  des  Calorimeters  höher  ist,  als  die  der  umgebenden  Luft, 
so  wird  in  der  Zeit  dt  eine  Wärmemenge:  x  .  6  .  dt  nach  aussen  ab- 
gegeben. Ist  nun  M  der  Wasserwerth  des  Calorimeters  sammt  seinem 
ganzen  Inhalte  an  Metall  und  Flüssigkeit,  so  besteht  die  Gleichung: 

(Q  —  X  .6)  .  dt  =  M  .dO 21) 

Dividirt  man  beiderseitig  durch  M  und  setzt  abkürzungsweise: 

M  M       '     ' 

Bo  erhält  man,  wenn  die  Yariabeln  getrennt  werden : 

h  —  m  .  0 
Durch  Integration  findet  man,  da  h  und  m  Constanten  sind: 

t  =  —  —  •  lognat  {h  —  w  .  0)  -\-  consf. 

Bezeichnen  nnn  Oq,  0i,  0^  ^i^   Temperaturüberschüsse   des  Calori- 
meters über  die  Umgebung  zu  den  Zeitmomenten  0,  r,  2r,  so  erhält  man: 


^)   Man  sehe  die  hierauf  bezüglichen  Versuche   von  Romney  Robison,    Transact^ 
of  tbe  Irish  Academ.  Bd.  XXII,  S.  3,  auch  Wiedemann,  Oalvanismus,  Bd.  1,  S.  893. 
2)  Pogg.  Ann.  Bd.  73  (1848)  S.  366. 
Jlühlniann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  2.  g^ 


610  III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

1      ,        ^  Ä  —  »i  .  Öo 

r  =  —  .  Jognat  t n 

m  h  —  m  .  Ol 

1  h  —  fw  .  00 

2  T  =  —  .  lognat ^ 

m  h  —  m  ,  0^ 

Hieraus  folgt,  wenn  man  t  eliminirt: 

2      ,         ,  h  —  m  .  6o         1      ,        ,  Ä  —  w  .  öo 

—  .  lognat j-  =  ~-  .  lognat — ^  • 

m  h  —  m  .  üi        tn  n  —  nt  .  u^ 

Geht  man  nunmehr  auf  die  Logarithmanden  zurück,  so  erhält  man : 

h  —  tn  ,  Oq  /h  —  m  .  Opy 

h  —■  m  .  d^i  \h  —  m  .  Öi/ 

und  hieraus: 

^j  ___  ^^  .  00   »   02  —    01 22) 

00*  +02  —  2  01 

Sofern  man  bei  einem  zweiten  Versuche  mit  einer  anderen  Strom- 
stärke oder  mit  einem  zweiten  Drahte  experimentirt,  findet  man  die  ent- 
sprechende Gleichung: 

,,  0^     »    0^2  —    0'\ 

"'"''  0'o  +  0'2  -  26\ 

Der  Quotient  beider  Gleichungen  giebt  unmittelbar  7;^,  unabhan^g 
von  der  Grösse  I9i,   von  welcher  die  Abkühlang  des  Apparates  abhäng-t. 

h  war    aber   v^  und  //  ist  rrz^.  wobei  Q  und  Q'  die  in  beiden  Yersachen 

M  M 

in   der  Zeiteinheit  entwickelten  Wärmemengen  sind.     M  und  If',   die 

Wasserwerthe  des  Galorimeters,  sind,   sofern  es  sich  um  Versuche   mit 

demselben   Drahte  handelt,    absolut  identisch,    und  dieselben   werden, 

selbst  wenn  man  verschiedene  Drähte  verwendet,  kaum  merklich   ver- 

h 
schieden  sein.    Jedenfalls  abef  gestattet  der  Quotient  -r?  leicht  das  Yer- 

h 

Q 

hältniss  ~pr,  zu  bestimmen  und  auf  diese  Weise  die  Giltigkeit  des  Jonle^- 

sehen  Gesetzes  zu  verificiren.     Die  Grossen  Q  und  Q'  sind  unmittelbar 
proportional  dem  Producte  i^  .  X, 

Wir  brauchen  kaum  besonders  zu  erwähnen,  dass  auch  das  Favre- 
Silber  mann 'sehe  Quecksilberthermometer  ^)  und  das  Bunsen'sche  Eia- 
calorimeter ')  leicht  zu  Bestätigungen  des  Joule' sehen  Gesetzes  ver- 
wendet werden  können.  Die  im  Vorstehenden  mitgetheilten  Versuche 
dürften  jedoch  vollständig  ausreichen,  um  die  Uebereinstimmung  zwischen 
Theorie  und  Erfahrung  zu  constatiren. 


^)  Man  sehe  dessen  Abbildung,  Beschreibung  und  Theorie;  dieses  Bach  Bd.  2,  II, 
B.  2,  S.  279  bis  281.  —  ^)  Auf  Verwendung  des  älteren  Eiscalorimeters  beruhen  z.  B. 
die  hierher  gehörigen  Versuche  von  Botto,  Archives  de  l'Electr.  Bd.  5.   (1845.) 


C.   Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      611 


6.     Einige  weitere  Consequenzen  des  Joule' sehen 

Gesetzes. 

Ist  der  Leiter,  welcher  vom  galvanischen  Strome  durchflosBen  wird, 
nicht  ein  sehr  dünner  Cy linder,  sondern  beliebig  gestaltet,  so  kann  man 
mit  Hülfe  des  Joule' sehen  Gesetzes  und  den  allgemeinen  Sätzen  über 
die  Bewegung  der  Electricität  die  Grösse  der  entwickelten  Wärmemenge 
bestimmen.  Man  denkt  sich  zu  dem  Zwecke  den  Leiter  durch  unendlich 
benachbarte  Niveauflächen  in  Schichten,  und  diese  durch  die  Bahnen,  in 
welchen  sich  die  electrischen  Theilchen  bewegen,  durch  die  Kraftlinien 
oder  Stromfaden,  welche  um  jedes  Flächenelement  gezogen  werden,  in 
unendlich  kleine  prismatische  Canäle  zerlegt. 

Diese  Prismen  haben  alsdann  zwei  Elemente  zweier  Niveanflächen 
als  Basen ;  die  Kanten  der  Prismen  sind  auf  diesen  Grundflächen  normal.  Der 
Widerstand  A  jedes  dieser  Prismen  berechnet  sich  dann  als  Function  der 
Leitungsfahigkeit  x,  welche  der  Leiter  im  Punkte  x^  y^  z  besitzt  und 
seiner  Länge.  In  einem  solchen  elementaren  Prisma  ist  die  Strominten- 
sität  i  entweder  unmittelbar  bekannt  oder  kann  berechnet  werden.  Mul- 
tiplicirt  man  nun  deren  Quadrate  i^  mit  dem  Widerstände  A  des  Prismas 
und  dividirt  dieses  Product  durch  das  mechanische  Aequivalent  der  Warme 
i7,  so  erhält  man  die  in  diesem  Yolumenelemente  des  Leiters  entwickelte 
elementare  Wärmemenge.  Durch  eine  Integration,  welche  sich  über  das 
ganze  Volumen  des  Leiters  erstreckt,  erhält  man  alsdann  die  überhaupt 
entwickelte  Wärmemenge. 

Einige  Experimente  sind  besonders  geeignet  den  doppelten  Einfluss 
der  Strom intensität  und  des  Widerstandes  im  Leiterkreise  überzeugend 
darzuthun. 

Schaltet  man  einen  dicken  Silberdraht  und  einen  dünnen  Platindraht 
derart  in  den  Stromkreis  einer  galvanischen  Batterie  von  grosser  Ober- 
fläche ein,  dass  der  Strom  erst  den  einen  und  dann  den  anderen  Draht 
darchfliessen  muss,  so  wird,  sofern  der  Strom  genügend  stark  ist,  der 
Platindraht,  glühend,  während  sich  der  Silberdraht  kaum  merklich  er- 
wärmt. Bildet  man  dagegen  aus  beiden  Drähten  einen  verzweigten  Lei- 
ter und  schaltet  diesen  in  den  Stromkreis  derselben  Batterie  derart  ein, 
dass  der  Strom  beide  Drähte  gleichzeitig  durchfliesst,  so  bleibt  der  Platin- 
draht kalt,  während  sich  der  Silberdraht  merklich  erwärmt.  Der  Grund 
dieser  Erscheinung  ist  an  der  Hand  des  Joule'schen  Gesetzes  leicht  zu 
erkennen.  Im  ersten  Falle  durchfliesst  der  Strom  beide  Drähte  mit  glei- 
cher Intensität,  und  deshalb  erwärmt  sich  der  Draht  mit  dem  grösseren 
Widerstände  um  so  mehr,  je  grösser  das  Verhältniss  dieser  Widerstände 
ist.  Im  zweiten  Falle  ist  die  Stromintensität  an  sich  beträchtlicher,  der 
Strom  fliesst  jedoch  vorzugsweise  durch  den  Silberdraht  und  nur  ein 

89* 


612  m    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

kleiner  Theil  desselben  durch  den  Platindraht,  so  dass  im  zweiten  Falle 
die  Erwärmung  des  Silberdrahtes  merklich,  die  des  Platindrahtes  jedocli 
gering  ist. 

Die  Temperaturerhöhung,  welche  ein  vom  Strome  dnrchflossener 
Leiter  erfahrt,  ist,  ausser  von  der  in  demselben  entbundenen  Wärme- 
menge, welche  proportional  i^ .  A  ist,  auch  abhängig  von  der  specifischen 
Wärme  des  Drahtes  und  von  dem  Grade  der  Abkühlung,  die  er  dnrcb 
seine  Umgebung  erfahrt.  In  einem  durchaus  gleichartig  beschaffenen, 
vom  Strome  durchflossenen  Drahte  ist  daher  die  Temperatur  in  gehöriger 
Entfernung  von  den  Enden  allerorts  gleich  und  daher  ist,  sofern  die 
Stromstärke  ungeändert  bleibt,  die  entwickelte  Wärmemenge  proportional 
der  Länge  des  Drahtes. 

Bei  beträchtlichen  Temperaturerhöhungen  ündet  gleichzeitig  eine 
merkliche  Aenderung  des  electrischen  Leitungsvermögens  statt,  und  diese 
erklärt  folgende  Versuche. 

Davy  ^)  Hess  den  Strom  einer  Batterie  durch  einen  Platindraht  hin- 
durchgehen, von  dem  ein  Theil  an  eine  Spirale  gewunden  war.  Bei 
geeigneter  Stromstärke  wurde  der  Draht  in  seiner  ganzen  Ausdehnung 
dunkel  rothglühend.  Wenn  man  nunmehr  den  spiralig  gewundenen 
grösseren  Theil  des  Drahtes  mit  Eis  umgab,  so  wurde  der  nicht  vom  Eis 
berührte  Theil  hellroth  glühend,  gerade  so,  als  ob  die  im  nunmehr  ab- 
gekühlten Theile  entwickelte  Wärme  auf  den  nicht  abgekühlten  über- 
tragen worden  wäre.  Durch  die  Abkühlung  des  längeren,  abgekühlten 
Theiles  vermehrt  man  die  Leitungsfahigkeit  desselben,  dadurch  nimmt 
die  Stromintensität  im  ganzen  Drahte  zu,  und  die  im  nicht  abgekühltes 
Theile  des  Leiters  entwickelte  Wärme  wächst.  —  Wenn  man  umgekehrt 
den  spiralig  gewundenen  Theil  des  Leiters  durch  eine  Flamme  besonders 
erwärmt,  vermindert  sich  die  Temperatur  im  nicht  erwärmten  Theile  des 
Leiters  aus  nunmehr  leicht  begreiflichen  Ursachen. 


7.    Die  Erklärung  des  Orove' sehen  Versuches  durch 

Clausius. 

Auch  ein  eigenthümlicher  Versuch,  welcher  zuerst  von  Grove*)  an- 
gestellt worden  ist,  kann  durch  Betrachtungen,  welche  den  vorigen  ganz 
analog  sind,  vollständig  erklärt  werden. 

Zwei  vollkommen  congruente  spiralförmig  gewundene  Platindräfai« 
waren  jeder  in  die  Mitte  eines  geschlossenen  Glasrohres  eingebracht  nnd 
wurden  von  demselben  Strome  durchflössen.  Das  eine  dieser  Glasrohre 
war  mit  Luft,    das  andere  mit  Wasserstoff  gefüllt.     Wenn  der  Strom 


1)  Davv,  Phil.  Transact.  (1821),  Bd.  1,  S.  7.    Gilbert^s  Annalen  Bd.  71,  S.  259. 
2)Grove,    Philos.  Magaz.  Ser.  3,    Bd.  27,    S.  445    (1845),    und  Bd..  35,    S.   114 
<1849),  auch  Pogg.  Ann.  Bd.  78,  S.  366. 


C.  Wänneentwickelung  durch  den  giilvanischen  Strom.  613 
^escbloBBen  ist,  kann  man  durch  ein  ThermoelemeDtleictitcODatAtiren,  daw 
im  Waseerstoff  der  Draht  sich  weniger  erwärmt,  ala  in  der  Luft.  Grove 
glaubt«  anfänglich,  dasa  die  Ursache  dieser  Erecheinang  lediglich  darin 
ZD  Buchen  Bei,  daes  der  WaeserBtofF  als  bcBBerer  Wärmeleiter  dem  Drahte 
die  Wärme  rascher  und  ToUkommener  entfahre,  ala  die  Luft.  Nachdem 
er  jedoch  jede  der  beiden  Rdbren  in  ein  beeonderee  Calorimeter  G  und  O' 
eingelegt  hatte  (man  sehe  Fig.  45),  überraschte  es  ihn,  als  er  bemerkte, 

Fig.  «. 


dasB  in  dem  Calorimeter,  welches  die  mit  WaBserstoff  gefällte  Rdbre  ent- 
hielt ,  weniger  Wärme  entwickelt  worden  war,  als  in  dem  anderen  Calo- 
rimeter. 

ClansiuB^)  hat  die  ToUständige ,  zureichende  Erklärung  dieser 
Tfaatsache  gegeben.  In  Folge  des  stärkeren  Abkablungs Vermögens  des 
Wasserstofies  erwärmt  sich  der  in  diesem  Gase  befindliche  Drabt  weniger 
stark,  ab  der  andere.  Die  Leitung sfahigkeit  dieses  Drahtes  nimmt,  da 
seine  Temperatur  sich  weniger  erhöht,  nur  um  wenig  ab,  hingegen  bat 
sich  der  Widerstand  des  in  der  Luft  befindlichen  Drahtes,  welcher  stärker 
erhitzt  wird,  erheblich  vergröseert,  und  die  dort  entwickelte  Wärmemenge 
ist  daher  nach  dem  Joule'schen  Gesetze  grösser,  als  in  dem  von  Wasser- 
■toff  umgebenen  Drahte. 

Auch  eine  Berechnung,  die  Clausius  für  den  Fall  anstellte,  daes 
die  Temperatur  des  in  Luft  befindlieben  Drahtes  300"  sei,  stimmt  mit 
den  Grove'scheu  Beobachtungen  nahe  überein.  Eine  vollkommene  Ueber- 
einstimmung  ist  nicht  zu  erwarten.  Der  in  Luft  befindliche  Draht  glühte 
bei  Grove's  Versuch,  und  für  so  hohe  Temperaturen  kann  weder  die 
Gültigkeit  des  von  Dulong  und  Petit  aufgestellten  Gesetzes  über  die 
Wärmemenge,  welche  eiu  erwärmter  Draht  tbeils  durch  Wärmestrahlung, 
theils  durch  Wärmecouvectiou  und  Wärmeleitung  in  der  Zeiteinheit  ver- 
liert, noch  die  der  empirischen  Formel,  welche  die  elektrische  Leitungs- 
föhigkeit  des  Metalles  als  Function  der  Temperatur  darstellt,  voraus- 
gesetzt werden  *). 

')  CUneias,  Pogg.  Ann.  87  (1S52)  S.  501,  auch  in  dessen  Mechan.  Wärme- 
thMrit,  2.  Aufl.  Bd.  2,  S.  144. 

*)  Clausios  glaubte  aufGrund  der  Ver»nche  von  Arndtspii  (Pogg.  Ann.  Bd.  10*, 
S.  1)  innehmeD  zu  düifeD,  da»  die  elektrische  LeituDgtfahigkeit  der  Metalle  proportio- 


614  III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen, 


8.  ^ie  Bestimmung  der  Stromintensität  und  des  "Wider- 

Standes  in  absoluten  Einheiten. 

Der  Vergleich  der  Ergehnisse  der  Theorie  mit  den  Resultaten  dcf 
Versuche  ist  jedoch  mit  dem  Nachweis  der  Proportionalität  der  Joule*- 
sehen  Formel  noch  nicht  erschöpft. 

Bekanntlich  ist  die  Proportionalitätsconstante  dieser  Formel : 

die  Grösse   ~,  der  reciproke  Werth  des  mechanischen  AequlTalenies  der 

Wärme.  Misst  man  die  Wärmemenge  Q  calorimetrisch  und  hestimmt  mai 
die  Grössen  i  und  X  in  entsprechenden  Einheiten,  so  gelangt  man  aof 
diese  Weise  zu  einer  neuen  Bestimmung  des  Werthes  tT",  des  mechanischei 
Wärmeäquiyalentes,  welche  principiell  von  den  früher  beschriebenen  Me- 
thoden (man  sehe  Bd.  1,  II,  A,  S.  185  u.  s.  f.  IL  B,  S.  200  u.  s.  f.  II,  C 
S.  218  u.  s.  f.  III,  A,  S.  235,  V,  A,  S.  558)  verschieden  ist  und  gerade 
deshalb  ein  besonderes  Interesse  darbietet. 

Eine  derartige  Bestimmung  bat  thatsächlich  von  Quintus  Icilint 
mit  grosser  Sorgfalt  durchgeführt.  Ehe  wir  jedoch  zur  Beschreibung 
dieser  Versuche  übergehen  können,  müssen  die  Grössen  t  und  k  in  Eio- 
heiten  ausgedrückt  werden,  welche  einen  unmittelbaren  Vergleich  er- 
möglichen. 

Die  Stromintensität  i  haben  wir  al^  die  algebraische  Summe  der 
Electricitätsmengen  definirt,  welche  in  der  Zeiteinheit  durch  jeden  Quei^ 
schnitt  des  Leiters  hindurchgehen. 

Die  Grösse  %  wird  demnach  bestimmt  sein,  so  wie  gefunden  worden 
ist,  nach  welcher  Einheit  die  Electricitätsmengen  gemessen  werden  müssen. 
Zu  diesem  Zwecke  bezieht  man  sich  auf  die  Definition  der  Potential- 
function. 

Bekanntlich  ist  die  Potentialfunction  für  ein  System  electrischer 
Massen  dq,  welche  auf  eine  negative  Electricitätsmenge  von  der  Grösse 

1  im  Abstände  r  wirken,  gleich    /  — ,  und  die  Wirkung  selbst,    welche 

eine  der  Massen  dq  auf  eine  Masse  von  der  Grösse  l  ausübt,  ist: 7> 

Die  anziehende  Wirkung  einer  positiven  Electricitätsmenge  1  auf  eine 
negative  Electricitätsmenge  von  derselben  Grösse  1,  welche  sich  in  einem 


nal  der   absoluten   Temperatur   abnehme.     Man   sehe   Claus ius,    Mechanische  Winnc- 
theorie,  2.  Aufl.,  Bd.  2,  S.  150. 


G.    Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.     615 

Bo  grossen  Abstände  B  von  der  letzten  befinden,  dass  der  Abstand  aller 
electrischen  Theilchen  dereinen  and  anderen  Masse  als  gleich  gross  ange- 
sehen werden  kann,  ist  demnach  —  — .     Die   Einheit    der   Electricitäts- 

menge  ist  hiernach  diejenige,  welche  in  einem  Abstände  B  auf  eine  gleich 
^osse  Electricitätsmenge  von. entgegengesetztem  Vorzeichen  die  Anziehung 

r^  ausübt. 

Dem  Vorgange  W.  Weber 's  folgend,  benutzen  wir  im  Folgenden 
den  Millimeter  als  Längeneinheit  und  als  Erafteinheit  die  Anziehung, 
welche  die  Erde  an  ihrer  Oberfläche  auf  die  dem  Millimeter  im  metrischen 
Systeme  entsprechende  Masseneinheit,  auf  das  Milligramm,  ausübt. 

Bei  dieser  Bestimmung  bleibt  nunmehr  keine  Willkürlichkeit  zu- 
rück, und  man  kann,  nachdem  auf  diese  Weise  die  Einheit  der  Electri- 
citätsmenge fest  bestimmt  ist,  die  Stromintensität  i  ausdrücken. 

y.  Quintus  Icilius  stützte  sich  hierbei  auf  zahlreiche  Versuche, 
welche  von  W.  Weber  und  Kohlrausch  angestellt  und  in  der  denk- 
würdigen Abhandlung:  „Electrodynamische  Maassbestimmungen  ^)" 
niedergelegt  worden  sind.  Zu  dem  gewünschten  Ziele  würde  z.  B.  fol- 
gende Reihe  von  Versuchen  führen. 

Ein  Condensator  wurde  mit  Hülfe  einer  gewöhnlichen  Electrisir- 
maschine  geladen.  Um  die  Ladung  dieses  Condensators  zu  bestimmen, 
berührte  man  das  innere  Beleg  mit  einer  grossen  isolirten  metallischen 
Kugel.  Diese  Kugel  entnimmt  einen  bestimmten  Theil  der  Ladung. 
Hierauf  entladet  man  den  Condensator  durch  ein  Galvanometer.  Ausser 
diesem  Galvanometer  schaltete  man  jedoch  in  den  Stromkreis  auch  noch 
eine  Wassersäule  ein,  um  auf  diese  Weise  den  Verlauf  des  Stromes  thun- 
lichst  zu  verlangsamen  und  die  Bildung  eines  Funkens  zu  verhindern. 
Die  Galvanometernadel  erleidet  durch  diese  Entladung  eine  Ablenkung; 
diese  wird  genau  beobachtet.  Hierauf  misst  man  die  Intensität  eines 
galvanischen  Stromes  mit  Hülfe  einer  Tangentenbussole  und  lässt  diesen 
nämlichen  Strom  durch  Anwendung  eines  geeigneten  Unterbrechers  eine 
sehr  kurze,  aber  genau  gemessene  Zeit  lang  durch  das  nämliche  Galvano- 
meter hindurchgehen. 

Die  Entladungszeit  ist  nur  ein  kleiner  Bruchtheil  der  Schwingungs- 
dauer der  Nadel  und  daher  die  Wirkung  des  Entladungsstromes  die  eines 
StoBses,  welcher  die  Nadel  in  der  Bahelage  trifft.  Aus  der  Beobachtung 
der  ersten  Elongation  der  Nadel  nach  der  Entladung  kann  die  durch  den 
Stoss  der  Nadel  ertheilte  anfängliche  Winkelgeschwindigkeit  berechnet 
werden.  Die  Grösse  dieser  Winkelgeschwindigkeit,  welche  der  Nadel 
durch  den  Stoss  ertheilt  wird,  hängt  ganz  allein  von  der  Electricitäts- 
menge ab,  welche  während  der  Dauer  des  Stromes  durch  jeden  Querschnitt 


^)    Electrodynamische    Maasfibestimmungen ,   Abhandlangen   der   k.   sächsischen   Ge- 
sellschaft der  WisseDschaflen.     Leipzig  1856,  Bd.  5,  S.  219  bis  292. 


616  III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

des  Multiplioatordrahtes  geflossen  ist.  Der  Einfachheit  wegen  wollen  wir 
annehmen,  man  hahe  den  Unterhrecher  derart  eingerichtet,  dass  die  Ab- 
lenkung der  Galvanometernadel,  welche  der  die  kurze  Zeit  0  wirkende 
Strom  hervorbrachte,  ebenso  gross  sei,  als  die,  welche  vorher  durch 
die  Entladung  des  Condensators  veranlasst  worden  war. 

Ist  q  die  Electricitätsmenge ,  welche  nach  der  Berührung  mit  der 
isolirten  Kugel  im  Condensator  zurückgeblieben  war,  so  ist  diese  Electri- 
citätsmenge ebenso  gross,  wie  diejenige,  welche  in  Folge  des  Stromes  von 
der  unbekannten  Intensität  i  während  der  kurzen  Zeit  0  durch  jeden  Qner- 
Bchnitt  des  Leiters  hindurchfloss. 

Die  Ldsung  der  Aufgabe  läuft  hiernach  auf  folgende  zwei  Punkte 
hinaus : 

1.  Die  Electricitätsmenge  q  in  mechanischem  Maasse  zu  messen 
und  bei  ihrer  Entladung  den  ersten  Ausschlag  der  Nadel  eines  Galvano- 
meters zu  beobachten,  und 

2.  die  kleine  Zeit  6  zu  bestimmen,  während  welcher  ein  Strom  von 
der  Intensität  i  durch  das  Galvanometer  gehen  muss,  um  einen  gleich 
grossen  ersten  Ausschlag  hervorzubringen. 

Man  hat  alsdann: 

oder: 

i  =z  q.O. 

Um  nun  q  zu  bestimmen,  bedient  man  sich  der  isolirten  Kugel, 
welche  man  dadurch  electrisirt  hatte,  dass  man  mit  ihr  das  innere  Beleg 
des  Condensators  berührte.  Diese  Kugel  hat  vom  Condensator  eine  Elec- 
tricitätsmenge q^  weggenommen. 

Diese  Electricitätsmenge  q'  selbst  bestimmt  man  nunmehr  auf  fol- 
gende Weise.  Man  berührt  mit  ihr  die  feste  Kugel  einer  Coulolnb' sehen 
Drehwage.  Die  Rechnungen  Plana's^),  welche  durch  zahlreiche  experi- 
mentelle Untersuchungen  ausreichend  bestätigt  sind,  gestatten  den  Bruch 
m  der  Ladung  q'  zu  bestimmen,  welchen  die  erste  isolirte  Kugel  bei  ihrer 
Berührung  mit  der  festen  Drehwagenkugel  an  diese  abgegeben  hat.  Die 
bewegliche  Kugel  der  Drehwage,  welche  mit  der  festen  genau  congruent 
ist,  wird  durch  Berührung  mit  der  festen  Kugel  elektrisirt,  und  man 
bringt  durch  eine  geeignete  Torsion  des  Fadens  den  beweglichen  Ann 
der  Drehwage,  der  die  eine  Kugel  trägt,  unter  einem  bestimmten  Winkel 
gegen  die  Anfangslage  zur  Einstellung  ins  Gleichgewicht.  Vorher  be- 
stimmt man  das  Drehungsmoment  der  Torsion  durch  Beobachtung  der 
Schwingungen  einer  Masse  von  einfacher  geometrischer  Gestalt  (mit  be- 
kanntem Trägheitsmoment),  die  man  an  dem  Faden  befestigt  hat. 

Da  die  Electricitätsmenge  mq*  sich  bei  Berührung  der  festen  und 


^)  Plana,  Memoire  sur  la  distribntion  de  Pclectricite  k  la  snrface  de  deux  spheres. 
Turin,  1845. 


C.    Wärmeentwickelung  durch,  den  galvanischen  Strom.      617 

der  beweglichen  Engel  in  zwei  Hälften  getheilt  hat  und  die  von  densel- 
ben ausgeübten  Kräfte  durch  ein  DrehuDgsmoment  in  mechanifichem  Maasse 
gemessen  werden,  so  kann  man  hiermit  die  Grösse  tn^'  bestimmen.  Da 
nun  nach  den  Plana'schen  Formeln  der  Bruch  m  aus  den  Dimensionen 
der  Engeln  bekannt  ist,  so  hat  man  anf  diese  Weise  q*  selbst  gefunden. 

Um  q  zu  finden,  genügt  es,  das  Yerhältniss  zwischen  der  Electri- 
citätsmenge  s',  welche  die  Kugel  entnahm  und  der  Electricitatsmeuge  q 
zu  bestimmen,  welche  auf  dem  Condensator  zurückblieb,  nachdem  die 
Electricitätsmenge  q'  weggenommen  worden  war.  Man  hat  diese 
Aufgabe  dadurch  gelöst,  dass  man  mit  dem  inneren  Beleg  des  Conden- 
sators  ein  Sinuselectrometer  in  Verbindung  setzte  und  den  Gang  der 
Nadel  desselben  einige  Zeit  vor  und  einige  Zeit  nach  der  Berührung  des 
inneren  Beleges  mit  der  isolirten  Kugel  beobachtete.  Man  konnte  auf 
diese  Weise  den  Verlust  und  ebenso  das  Verhältniss  der  Ladungen  un- 
mittelbar vor  und  nach  der  Berührung  mit  der  Kugel  ermitteln. 

Die  Verbindung  zwischen  dem  Condensator  und  dem  Messapparate 
wurde  natürlich  in  dem  Momente  unterbrochen,  in  welchem  man  das 
innere  Beleg  mit  der  Kugel  berührte  ^).  Die  Versuche  ergeben  nunmehr 
sofort  den  numerischen  Werth  der  Intensität  des  Stromes,  mit  welchem 
man  experimentirt  hat.  Die  Einheit,  auf  welche  sich  alsdann  der  Zahl- 
werth  der  Stromintensität  i  bezieht,  heisst  die  mechanische  Einheit.  Da 
aber  ausserdem  die  Intensität  dieses  Stromes  durch  ein  Galvanometer 
gemessen  worden  ist,  so  kann  man  nunmehr  leicht  die  Intensität  jedes 
beliebigen  mit  diesem  Galvanometer  gemessenen  Stromes  und  schliesslich 
auch  die  durch  andere  Messinsti'umente  gemessenen  Ströme  in  mecha- 
oischen  Einheiten  ausdrücken.  Zu  letzterem  Zwecke  würde  es  genügen, 
den  Strom,  der  uns  bei  dem  Experimente  gedient  hat,  mit  dem  Strome 
zu  vergleichen,  welcher  in  einer  Secunde  ein  Milligramm  Wasser  zersetzt. 
Auf  diese  Weise  erhält  man  die  Intensität  desjenigen  Stromes  in  mecha- 
nischen Einheiten,  welche  in  einer  Secunde  ein  Milligramm  Wasser  zer- 
letzt.  Hat  man  diesen  Zahlwerth,  so  genügt  die  Multiplication  mit  einem 
i^ahlencoefficienten ,  um  aus  jeder  Angabe  des  Galvanometers  die  Inten- 
(ität  des  betreifenden  Stromes  in  mechanische  Einheiten  umzurechnen. 

Man  kann  sich  auch  mit  Vortheil  der  von  Weber  als  absolutes 
iCaass  der  Stromintensität  vorgeschlagenen  Grösse  bedienen.  Es  ist  dies 
lerjenige  Strom,  welcher,  wenn  er  einen  geschlossenen  kreisförmigen 
Leiter,  der  die  Flächeneinheit  nmschliesst,  durchströmt  und  auf  eine  in 
fehr  grosser  Entfernung  S  befindliche  Magnetnadel  wirkt,  deren  magne- 
dsches  Moment  gleich  1  ist,  durch  seine  Wirkung  ein  Kräftepaar  hervor- 
»ringt,  welches  gleich  der  Einheit  dividirt  durch  die  dritte  Potenz  der 
Entfernung  ist.  Diese  letzte  Einheit  ist  gleichwerthig  mit  155370.10^ 
nechanischen  Einheiten,  und  der  Strom,   welcher  in  einer  Secunde  ein 


^)   Genaueres  über  diese  Versuche  sehe  man  in  der  Originalabhandlung  Kohlrausch 
tnd  Weber,  Abhandlungen  d.  sächs.  Gesellsch.  d.  Wissenschaften,  Bd.  5,  S.  235u.  s.  f. 


618  III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Milligramm  Wasser  zersetzt,  ist  das  106  V3  fache  der  ahsoluten,  also  glekl 
1067»  .  155  370 .  10«  =  16  573 .  10^  mechanischen  Einheiten. 

Es  fehlt  nunmehr  noch  der  ahsolute  Werth  des  Widerstandes  ^)  l 
Sind  Vq  und  Vi  die  Werthe  der  Potentialfunction  an  zwei  Punkten  M^ 
und  Ml  des  Leiters,  A  der  Widerstand  des  dazwischen  gelegenen  Theila 
Mq  itfi,  so  gestattet  die  früher  entwickelte  Gleichung 


den  Werth  von  A  zu  hestimmen,  sofern  die  Grösse  der  Differenz  Vi  —  Fj 
und  die  Intensität  i,  in  den  gewählten  Einheiten  ausgedrückt,  bekansl 
sind.  Dieser  Werth  kann  jedoch  ohne  Schwierigkeit  aus  einer  Versudu 
reihe  von  Eohlrausch^)  entnommen  werden,  die  behufs  Yerifieatioi 
des  Ohm 'sehen  Gesetzes  angestellt  worden  ist. 

Der  Leiter,  an  welchem  diese  Versuche  angestellt  wurden,  war  ▼« 
einem  Strome  durchflössen,  dessen  Intensität  i  auf  die  soeben  Yon  na 
auseinandergesetzte  Weise  ihrem  numerischen  Werthe  nach  ermittd 
worden  war. 

Die  beiden  Punkte  Mq  und  Mi  dieses  Leiters  sind  jeder  mit  je  einem  Bt 
leg  eines  Condensators  verbunden,  welcher  aus  zwei  Metallplatten  beatek 


Fig.  46. 


die  durch  eine  änsseiy 
dünne  Luftschicht  gi 
trennt  sind  (g.  Fig.  4l{ 
Der  Condensator,  deaa 
sich  EohlrauBch  b€ 
seinen  Versuchen  be 
diente,  war  besonders  s 
diesem  Zwecke  ooa 
strnirt,  um  die  zahlrä 
eben  Fehlerquellen  si 
beseitigen,  durch  welche  sonst  meist  der  Gebrauch  dieses  Instrumente 
beeinträchtigt  wird.  Der  Condensator  bestand  ans  zwei  Messingrplatta 
von  ungefähr  15  cm  Durchmesser  und  3  mm  Dicke.  Jede  Platte  war  m 
drei  Seidenschnüren  aufgehängt,  und  die  Schnüre,  an  welchen  die  ober 
befestigt  ist,  waren  an  einem  beweglichen  Arme  angebracht,  welcher  gc 
stattete,  beide  Platten  einander  beliebig  zu  nähern  oder  von  einander  M 


^)  Einen  sehr  einfachen  Weg  den  Widerstand  in  absoluter  Einheit  aaszudracki 
giebt  W.Thomson  an  in  seiner  Abhandlung :  Applications  of  the  prlnciple  of  mecbaaid 
effect  to  the  measnrement  of  electromotive  forces  and  of  galvanic  resistances  in  aboolal 
Units.  Phil.  Mag.  (1851)  4.  Ser.,  Bd.  2,  S.  551  bis  562.  Er  definirt  folgendermaasica 
Der  Widerstand  eines  metallischen  Leiters  in  Weber'schen  absoluten  Einheiten  ist  gläd 
dem  Producte  aus  der  Wärmemenge,  die  ein  Strom  Won  der  Intensität  Eins  in  der  Sc 
cunde  in  dem  Drahte  entwickelt,  multiplicirt  mit  dem  mechanischen  Aequivalent  di 
Wärme.  Nach  dem  Joule 'sehen  Gesetz  ist:  JH  ^=  At^,  folglich,  wenn  i  =  1  ist 
X  =:  J.  Hf  wenn  H  die  Wärmemenge  bedeutet. 

2)  Poggendorff's  Anualen,  Bd.  75,  S.  220  (1848)  und  Bd.  78,  S.  1  (1879). 


C.  Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      619 

entfernen.  Die  untere  Platte  war  mit  einer  sehr  dünnen  Schellackschicht 
überzogen  und  trug  an  drei  in  der  Nähe  des  Randes  gelegenen  Punkten 
kleine  Schellackstabchen.  Durch  diese  Einrichtung  bewirkte  man,  dass 
der  Plattenabstand  und  die  Condensationsfähigkeit  während  der  ganzen 
Dauer  des  Versuches  fast  vollkommen  constant  blieb.  Die  Art  der  Auf. 
liängung  bedingte,  dass  Störungen  durch  solche  Electricitätsmengen 
"wegüelen,  welche  sich  meist  schliesslich  auf  den  Glasunterlagen  gewöhn- 
licher Condensatoren  aufhäufen.  Der  Gondensator  ist  alsbald  geladen,  und 
nachdem  dies  geschehen  ist,  geht  die  Fortpflanzung  der  Electrioität  längs 
des  Drahtstückes  Mo  Mi  ganz  wie  vorher  weiter;  die  Potentialfunction 
nimmt  daher  in  den  Paukten  Mq  und  Mi  genau  dieselben  Werthe  an, 
welche  sie  vorher  dort  besass,  ehe  die  Verbindung  mit  dem  Gondensator 
hergestellt  wurde. 

Ist  dies  geschehen,  so  hebt  man  die  Metalldrähte,  welche  die  Platte 
des  Gondensators  mit  den  Punkten  Mq  und  Mi  verbinden,  ab  und  misst 
in  bekannter  und  bereits  besprochener  Weise  die  Grösse  der  Ladung, 
welche  der  Gondensator  empfangen  hat. 

Die  eine  der  Platten,  welche  mit  Mq  verbunden  war,  hat  alsdann 
eine  Ladung  angenommen,  deren  Potentialfunction  Vq  ist,  auf  der  anderen 
Platte  des  Gondensators  besitzt  die  Potentialfunction  den  Werth  Vi* 
Wäre  dies  nicht  der  Fall,  so  könnte  die  Electricität  sich  nicht  auf  dem 
ganzen  Systeme  im  Gleichgewichtszustande  befunden  haben.  Da  die 
Dimensionen  des  Gondensators  bekannt  sind,  kann  man  die  Differenz  der 
Potentialfunctionen  Vi  —  Vq  leicht  als  Function  der  Ladung  des  Apparates 
darstellen.  Auf  diese  Weise  bestimmt  man  den  numerischen  Werth  der 
Differenz  der  Potentialfunctionen  und  damit  die  Grösse  von  A,  in  mecha- 
nischen Einheiten  ausgedrückt. 

Diese  Operation  wurde  mit  einem  beliebigen  Leitungsdrahte  aus- 
geführt, dessen  Verhältniss  zu  einer  beliebigen  Widerstandseinheit  durch 
eine  der  bekannten  Methoden  ermittelt  worden  war,  deren  man  sich  zum 
Vergleich  von  Leitungswiderständen  bedient*).  Auf  diese  Weise  ergiebt 
sich  ein  Proportionalitätscoefficient ,  mit  dem  man  nur  den  in  einer 
anderen  Einheit  ausgedrückten  Widerstand  zu  multipliciren  braucht,  um 
ihn  in  mechanische  Einheiten  umzurechnen.  Will  man  z.B.  einen  Wider- 
stand, dessen  Grösse  in  Web  er 'sehen  absoluten  Einheiten  gegeben  ist, 
in  mechanische  Einheiten  umrechnen,  so  mnss  man  die  erste  Zahl  durch 
155370^.10*2  dividiren.  Man  erkennt  hiernach  leicht,  dass  das  Product 
aus  Stromintensität  und  Quadrat  des  Widerstandes  in  absoluten  und 
mechanischen  Einheiten  denselben  Werth  giebt.  Die  Weber' sehe  absolute 
/Widerstandseinheit  ist  der  Widerstand  eines  geschlossenen  kreisförmig 
gestalteten  Drahtes,  in  welchem  ein  Strom  von  der  Intensität  1  inducirt 
wird,  wenn  man  ihn  an  einem  Orte,  an  welchem  die  Intensität  der  mag- 


^)  Eine  sehr  vollständige    Ztisammenstellang    und  Statistik    dieser   Methoden   tiudet 
man  in:  G.  Wicdemann,  Galvanismus.    3.  Aufl.,  Bd.  1,  S.  439  u.  s.  f. 


620  III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

netischen  Erdkraft  gleich  1  ist,  in  einer  Secunde  am  90^  dreht,  nach- 
dem er  zuerst  der  Richtung  dieser  Kraft  parallel  gestanden  hat.  Die 
von  dem  Drahte  eingeschlossene  Kreisfläche  muss  hierhei  den  Flächen- 
inhalt 1  besitzen.  Sehr  viel  bequemer  herzustellen  ist  die  von  W.  Siem  en  s 
vorgeschlagene  Widerstandseinheit.  Dies  ist  der  Widerstand,  den  bei  0* 
eine  Quecksilbersäule  von  1  m  Länge  und  1  qmm  Querschnitt  darbietet. 
Die  in  Siem ens 'sehen  Einheiten  ausgedrückten  Widerstände  müssen  mit 
3745 .  10 ""  ^^  multiplicirt  werden,  um  dieselben  auf  mechanische  Einheiten 
umzurechnen. 


9.   Die  Bestimmung  der  Constanten  des  Joule'schen 
Gesetzes  durch  von  Quintus  Icilius  und  Joule. 

Allerdings  hat  v.  Quintus  Icilius^)  nicht  den  hier  beschriebenen 
Weg  eingeschlagen,  um  die  Intensität  des  von  ihm  benutzten  Stromes 
und  den  Widerstand  des  bei  seinen  Versuchen- verwendeten  Widerstandes 
in  mechanischen  Einheiten  auszudrücken.  Die  von  ihm  angewendeten  Me- 
thoden würden  ein  näheres  Eingehen  auf  die  Gesetze  gewisser  Inductions- 
erscheinungen  bedingen,  deren  Erörterung  späteren  Betrachtungen  vor- 
behalten  ist. 

Die  Versuche  wurden  mit  Kupfer-  und  Platindrähten  angestellt.    Die 
Drähte  wurden  während  des  Versuches  in  ein  Calorimeter  von  dünnem 
Kupferblech  getaucht,  welches  selbst  wieder  in  einem  zweiten  leeren  ähn- 
lich gestalteten  Gefasse  stand,  dessen  Wandungen  durch  einen  aussen 
angebrachten  Wassermantel  auf  constanter  Temperatur  erhalten  werden.  Es 
wurden  zwei  Calorimeter  von  verschiedenartiger  Gestalt  verwendet  and 
diese  mit  Wasser,  Terpentinöl  oder  absolutem  Alkohol  gefüllt.    Der  Gang 
der  Beobachtungen  war  bei  jedem  einzelnen  Experimente  der  folgende: 
Man  ermittelte  die  Gleichgewichtslage  der  Galvanometernadel  durch  Ab- 
lesung von  sieben  einzelnen  Maximal elongationen  der  Nadel.    Alsdann  Hess 
man  den  Strom  hindurchgehen,  schaltete  jedoch  an  Stelle  des  in  das  Calo- 
rimeter eingetauchten  Drahtes  einen  anderen  von  gleichem  Widerstände 
ein  und  las  die  neue  Stellung  der  Galvanometernadel  ab.     Diese  Opera- 
tionen nahmen  ungefähr  2  Minuten  in  Anspruch.     Hierauf  lässt  man  den 
Strom   durch    den   Draht  hindurchgehen,  der  sich  im  Calorimeter  be- 
6ndet,  und  liest  eine  Stunde  lang  alle  2  Minuten  den  Stand  des  in  den- 
selben  eintauchenden  Thermometers  ab.     Das  Galvanometer  wurde  zu 
den  Zeiten  12  See,  24  See,  36  See.  etc.,  96  See.  und  108  See.  abgelesen, 
und  zum  Termine  60  See.  verschob  man,  wenn  eine  Aenderung  der  Strom- 
intensität wahrnehmbar  war,  den  Rheostat.    Diese  Beobachtungen  lieferten 
nunmehr  alle  einzelnen  Daten  zur  Berechnung  der  entwickelten  Wärme- 
menge und  der  zugehörigen  Stromintensität.    Auch  wurde  die  Aenderung 
berücksichtigt,  welche  der  Widerstand  des  in  das  Calorimeter  eingetanch- 

')  V.  Quintus  Icilius,  Bd.  101,  S.  69  (1857). 


.C.  Wärmeentwickelung  durch  den  galvanischen  Strom.      621 

ten  Drahtes  in  Folge  der  Temperatarerhöhung  des  Calorimeters  erfährt. 
Die  Beschaffenheit  dieser  Abhängigkeit  war  durch  yorhergehende  besondere 
Versuche  erimittelt  worden.  Hierbei  wurde  man  auf  eine  andere  Fehler- 
quelle aufmerksam,  welche  nur  schwierig  eliminirt  werden  konnte. 

Misst  man  nämlich  den  Widerstandeines  Drahtes,  ehe  und  nachdem 
man  den  Draht  eine  grosse  Anzahl  yon  Malen  der  erwärmenden  Wirkung 
des  Stromes  ausgesetzt  hat,  so  bemerkt  man,  dass  der  Leitungswiderstand 
sich  erheblich  vergrössert  hat.  Solche  Zunahmen  wurden  gelegentlich 
von  Quintus  bis  zu  3  Proc.  des  Gesammtbetrages  beobachtet.  Wenn 
man  auch  als  Widerstand  eines  Drahtes  während  des  Versuches  das  arith- 
metische Mittel  des  Yorher  und  nachher  beobachteten  Werthes  benutzte, 
so  war  die  auf  solche  Weise  vorgenommene  Correction  doch  immerhin 
eine  ziemlich  rohe  nnd  beeinträchtigte  die  Zuverlässigkeit  des  Endresul- 
tates erheblich. 

V.  Quintus  Icilius  hat  mit  dem  Wasser calorimeter  12  verschiedene 

Versuchsreihen  angestellt  und  hat  für  die  Constante  -=.  des   Joule 'sehen 
Gesetzes  folgende  in  Zehntausendmillionsteln  ausgedrückte  Zahlen  erhalten : 


2,573              2,490 

2,860 

2,492              2,414 

2,571 

2,544              2,619 

2,761 

2,685             2,556 

2,590 

Man  erhält  somit  im  Mittel: 

1                2,551 

1 

J       10  000  000  000 

3  920  000  000 

Es  ergiebt  sich  somit  für  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  J, 
bezogen  auf  das  Milligramm  und  den  Millimeter,  der  Werth  3  920  000  000, 
oder  für  den  auf  gewöhnliche  Maasse  (Meter  und  Kilogramm)  reducirten 
Werth : 

J  =  392. 

Dies  weicht  von  dem  von  Joule  gegebenen  Mittelwerth  425  aller- 
dings nicht  unerheblich  ab,  immerhin  aber  ist  die  Uebereinstimmung  eine 
befriedigende,  wenn  man  berücksichtigt,  wie  viel  verschiedenartige,  ge- 
trennt bestimmte  Elemente  das  Endresultat  beeinflussen. 

Einen  von  dem  vorhergehenden  nicht  sehr  erheblich  verschiedenen 
Weg  schlag  Joule ^)  zur  Bestimmung  desselben  Factors  ein. 

In  einem  besonders  für  diese  Messungen  vorbereiteten  Calorimeter 
befand  sich  ein  dünner  Draht  von  bekanntem  Widerstände,  welcher  aus 
einer  Silberplatinlegirung  hergestellt  war.  Durch  diesen  Draht  wurde 
ein  Strom  geleitet,  dessen  Intensität  %  an  einer  einfachen  Tangenten- 
bussole abgelesen  wurde.  Nach  einer  besonders  für  diesen  Zweck  gewähl- 
ten Methode  wurde  gleichzeitig  die  horizontale  Componente  des  Erd- 


^)  J  0  u  1  e ,  Determination  of  the  mechnnical  equivalent  of  heat  from  eiperiments  on 
thc  heat  cvolved  by  currents  of  electricity.     Rep.  of  the  Brit.  Assoc.  (1867),  S.  512» 


622  III.  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

magnetismus  für  jeden  einzelnen  Versuch  in  mechanischem   Maasse  be- 
stimmt. 

Hiernach  erhält  man,  wenn  <p  die  Angabe  der  Tangentenbussole  and 
H  die  Grösse  der  horizontalen  Gomponente  der  Erdkraft  in  mechanischem 
Maasse  bedeutet,  die  gesuchte  Stromintensität  i  aus  der  Formel: 

i  =  H.  tang 
direct  in  mechanischem   Maasse.     Der  Widerstand  war  genau  bekannt 
(nahezu  gleich  ein   0  h  m  a  d  ^)    und    konnte    durch    Multiplication    mit 
einem  bekannten  Zahlenfactor  leicht  in  mechanische  Einheiten  umgerech- 
net werden. 

Der  Strom  ging  40  Minuten  lang  durch  den  Draht,  dann  beobach- 
tete man  ebenso  lange  die  Abkählung  des  Calorimeters  und  ermittelte 
dadurch  die  Wärmeroenge,  welche  wegen  des  Verlustes  durch  Wärme- 
leitung und  -Strahlung  ersetzt  werden  musste. 

Als  Mittel  aus  30  Versuchen  ergab  sich  für  das  mechanische  Wärme- 
äquivalent in  gewöhnlichen^  mechanischen  Einheiten : 

429,8  Kgm, 
und  dies  stimmt  mit  den  sonstigen  Bestimmungen  der  Grösse  J  vortreff- 
lich überein. 


D.    Induction. 


1.  Beziehungen  zwischen  der  erzeugten  Wärmemenere 
und  den  Kräften,  welche  den  electrischen  Strom  hervor- 
bringen (Induction). 

Anstatt,  wie  es  bisher  geschehen  ist,  die  Gesetze  der  vom  galva- 
nischen Strom  erzeugten  Wärmemengen  aus  den  Hypothesen  über  die 
Natur  des  Stromes  und  der  Art  der  Fortpflanzung  der  Electricität 
herzuleiten,  kann  man  sich  auch,  wie  wir  dies  schon  in  der  Einleitung 
dieses  Abschnittes  gethan  haben,  auf  einen  anderen  Standpunkt  stellen 
und  kann,  indem  man  die  Gesetze  über  die  Wärmeerscheinungen  als 
empirisch  gegeben  betrachtet,  die  entwickelten  Wärmemengen  als  Aequi- 
valent  der  in  anderen  Theilen  des  Systems  stattfindenden  Aenderungen 
der  Energie  ansehen.  Auf  diese  Weise  gelangt  man  zu  Beziehungen 
zwischen  diesen  Wärmemengen,  welche  vom  Strome  entwickelt  werden, 
und  den  anderen  Vorgängen,  welche  den  Strom  veranlassen,  den  chemi- 
schen Processen  und  den  Inductionserscheinungen. 


*)  1  Ohmad  =  1,0493  Siemens 'sehe   Einheiten    nach  Dehms  und  H.  Siemens. 
Siehe  Pogg.  Ann.  Bd.  148,  S.  155. 


D.    Induction.  623 

Zunächst  betrachten  wir  die  Inductions Vorgänge  und  zwar  zuerst 
die  Ströme,  welche  dadurch  entstehen,  dass  sich  ein  geschlossener  Leiter- 
^reis  bewegt,  während  er  der  Wirkung  eines  Magneten  oder,  was  dem 
»qaivalent  ist,  der  Wirkung  eines  Systemes  von  Strömen  ausgesetzt  ist. 
^Bewegt  man  unter  solchen  Umständen  einen  Leiter,  so  wird  in  ihm  ein 
Strom  entstehen,  und  dieser  erzeugt  eine  Wärmemenge  Q,  welche  nach 
dem  Joule' sehen  Gesetze  proportional  dem  Producte  i^.A  ist.  Alsdann 
musB  die  bei  der  Bewegung  aufgewendete  Energie  ebenfalls  der  Grösse 
■t*  .  A  proportional  sein. 

Wir  setzen  voraus,  dass  der  Leiter  aus  einer  homogenen  Substanz 
liergestellt  sei.  Wir  nehmen  dies  lediglich  deshalb  an,  um  von  den 
thermoelektrischen  Wirkungen  absehen  zu  können,  die  an  der  Berührungs- 
Btelle  zweier  verschiedenartiger  Substanzen  stattfinden  würden.  Wir 
machen  jedoch  keine  beschränkenden  Voraussetzungen  über  die  Gestalt  des 
Leiters.  Nennt  man  A  den  Gesammtwiderstand  dieses  beliebig  gestal- 
teten Leiters,  i  die  Intensität  des  durch  den  Inductionsprocess  in  ihm 
erzeugten  Stromes,  so  gilt  für  jede  Zeiteinheit  die  Gleichung : 

J.Q  =  m.iKX 1) 

Hierbei  ist  m  eine  Constante,  welche  von  den  Einheiten  abhängig 
ist,  die  man  für  die  Intensität  und  den  Widerstand  des  Stromes  gewählt 
hat.  Man  weiss  aber  ausserdem,  dass,  wenn  man  mit  F  die  elektro- 
motorische Kraft  eines  Stromes  bezeichnet,  nach  dem  Ohm' sehen  Gesetze 
die  Gleichung  gilt: 

F 

^  =  Ä' 2) 

so  dass  man  die  vorhergehende  Gleichung  auch  schreiben  kann: 

J.Q  =  m.Fj 3) 

Bezeichnet  man  die  der  entwickelten  Wärmemenge  Q  äquivalente 
Quantität  Energie  J.  Q  mit  H,  so  ergiebt  sich  die  einfache  Gleichung : 

H=m.F.i 4) 

Diese  Formel  entspricht  einem  Strome  von  constanter  Intensität. 
Dieselbe  ist  beispielsweise  anwendbar  in  dem  bekannten  Arago' sehen 
Experimente  (man  sehe  Fig.  47  a.  f.  S.).  Bei  diesem  wird  der  Strom 
dadurch  erzeugt,  dass  ein  fester  Magnet  AB  oder  auch  nur  der  Erd- 
magnetismus auf  eine  drehbare  Kupferscheibe  CD  wirkt.  Bringt  man 
die  beiden  Enden  eines  festen  Leiters  in  Berührung  mit  zwei  Stellen  der 
Scheibe,  so  ändern  sich  während  der-Rotation  zwar  die  vom  Leitungs- 
draht berührten  Punkte  der  Scheibe,  der  Zustand  des  Systemes  bleibt 
aber  in  Folge  der  strengen  Symmetrie  des  Systemes  constant.  Im  festen 
Leiter  circulirt  alsdann  ein  constanter  Strom.  Sind  die  electromotorische 
Kraft  und  der  Leitungswiderstand  veränderlich,  so  gilt  für  die  während 
der  Zeit  dt  entwickelte  Energiemenge  dH  die  Gleichung: 

dH=m.F.i.dt 5) 


624  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

und  fQr  die  in  dem  Zeitrasme  t  entwickelte  Energiemenge  erhält   i 


H=f... 


■.dt 


Setzt  man  voraus,  dass  der  Leiter,  auf  welchen  die  Indactionawirkanf 
anageübt  werden  eotl,  zunächst  ungeschlossen  sei,  bo  findet  bei  Bewegong 
des  Leiters  keine  Wirkung  des  Magneten  oder  des  diesem  äquivalente 
Strom Byetemea  statt.  Ist  dagegen  der  bewegliche  Leiter  geschlossen,  so 
findet  eine  Wärmeentwickelung  statt.  Daraus  können  wir  sofort  BchliMwn. 
da8B,  um  nnnmehr  nochmals  die  nämliche  Bewegung  des  beweg-lichm 
Leiters  hervorzubringen,  ein  grösserer  Aufwand  von  Energie  notbwendig 
P^     47  ist,  als  znvor.    Es  muBS  alsdann  in  Jedem 

Zeitabschnitte  eine  Arbeitamenge  dS  auf- 
gewendet werden.     Dieser  binzutretendc 
Arbeitsaufwand    rührt  daher,    dass    der 
inducirte  Strom  auf  den  Uagnet  zurück- 
wirkt, und  dadurch  eine  Kraft  eatstefat. 
welche  sich  der  Bewegung  entgegen aetit. 
Wir  sind  dadurch  auf  das  Fnudament«!- 
geaetz  der  Induction  geführt  worden,  eii 
Gesetz,  welches  zuerst  von  Lenz')  sof- 
geateUt    worden    ist    und    nach    dieeem 
seinen  Namen  flihrt. 
Aber  nicht  nur  das  Lenz'sche  Geaetz  ergiebt  sich  auf  diese  Weise, 
eondem  auch   der  Ausdruck,   welchen  seinerzeit  Nenmann^)  als   eine 
Hypothese  über  die  electromotoriache  Kraft  der  Indnction  aufgestellt  hat 
erscheint  als  eine   nothwendige  Consequenz   der   mechanischen    WSrne- 
theorie. 

Die  Arbeit  dH,  welche  in  jedem  Zeitintervalle  dt  aufgewendet  wer- 
den mnaa,  um  die  Bewegung  des  beweglichen  Leiters  gleichionnig  n 
erhalten,  ist  gleich  der  Arbeit  der  gegenaeitigen  Wirkungen  zwischen  dem 
Indnction Bstrome  und  dem  indncirenden  Magneten  oder  Strome.  Die- 
selbe kann  daher  auf  theoretischem  Wege  aus  dem  Ampere'schen  Ge- 
setze über  electromagnetische  Wirkungen  hergeleitet  werden.  Dieser 
Ausdruck  für  die  Arbeit  des  Inductlonsatromes  und  des  Magnetes  enthilt 
nothwendiger  Weise  als  gemeinschaftlichen  Factor  aller  Glieder  die  Inten- 
aität  I  dea  während  der  Zeit  dt  inducirten  Stromea.    Man  kann  demnadi 

dH=i.df 7) 

aetzen  und  erhält  aofort: 

dip  =  m.F.dt Ö) 

')  H^moireii  de  l'Acudfniie  des  Bcieaces  de  St.  Pjtersbourg  (Uathem.  |ihjsik*lische 
und  nMurwin^^nschottliche  AUhdlurig  183»,  S.  Serie,  Bd.  II,  S.  42T);  auch  Pogg.  Ann. 
Bd.  31  (1834),  S.  483. 

^  Keumnnii,  Abhandlungen  der  Berlin»  Akademie  JUb,  S.   t  d.   1S47,  S.  1. 


D.    Induction.  625 

Um  dq>  zu  berechnen,  mnBs  man  berücksichtigen,  dass  dq>  =  dH 
ist,  sofern  man  «  =  1  macht.  Die  Aufgabe  reducirt  sich  alsdann  auf  die 
ireitere,  einfachere,  die  Arbeit  zu  finden,  welche  von  der  Wirkung  des 
indacirenden  Systemes  auf  einen-  Strom  von  der  Intensität  1  herrührt, 
sofern  dieser  den  Leiter,  auf  welchen  die  Inductionswirkung  ausgeübt 
iKrird,  durchfliesst.  Ist  ds  ein  Element  dieses  letztgenannten  Leiters  und 
Ii,d$  die  Resultante  der  Wirkungen  des  inducirenden  Systemes  auf  dieses 
dement,  so  kann  im  Allgemeinen  die  Grösse  dieser  Resultante  leicht  mit 
Hülfe  der  Amp^r ersehen  Gesetze  gefunden  werden.  Dieses  Element  ds 
bewegt  sich  unter  Wirkung  einer  äusseren  mechanischen  Kraft  trotz  der 
Wirkung  B  des  inducirenden  Systemes  mit  einer  constanten  Geschwindig- 
keit V,'  Demnach  ist  v  ,dt  der  in  der  Zeit  dt  vom  Elemente  ds  durch- 
lanfene  Weg,  und  die  geleistete  elementare  Arbeit  ist,  sofern  man  mit  ^ 
den  Winkel  zwischen  der  Geschwindigkeit  v  und  der  Resultante  R  be- 
zeichnet, 

E.V. cos  ijf  .ds.dt 

Um  die  Gesammtwirkung  d(p  zu  erhalten,  bildet  man  die  Summe 
über  alle  Elemente  ds  des  Leiters  und  erhält: 


d(p  =  dt.  I  R.vcos'if  .ds  ....     9) 


Mit  Rücksicht  auf  den  in  Gleichung  8)  für  d^  gegebenen  Ausdruck 
findet  man: 


m  J 


R.v.cost'ds,     .     .     .     10) 


Dies  aber  ist  der  Ausdruck,  welchen  Neumann  hypothetisch  für  die 
eleotromotorische  Kraft  desjenigen  Inductionsstromes  gegeben  hat,  welcher 
durch  die  relative  Bewegung  eines  Leiters  und  eines  benachbarten  Mag- 
neten oder  Stromes  entsteht.  ,  Man  sieht  leicht  ein ,  dass  jeder  Fall  der 
relativen  Bewegung  auf  den  von  uns  betrachteten  zurückgeführt  werden 
kann,  in  welchem  das  inducirte  System  das  bewegte  und  das  inducirende 
das  ruhende  ist. 


2.   üeber  die  Anwendungen  der  Neumann'sclien  Formeli. 

Diese  Neu  mann' sehe  Formel  hat  auf  eine  grosse  Zahl  von  Folge- 
rungen geführt,  welche  sammtlich  durch  die  Erfahrung  bestätigt  worden 
sind. 

Selbstverständlich  ist  es  nicht  unsere  Aufgabe,  sämmtliche  Folge- 
rungen der  Neumann 'sehen  Formel  zu  entwickeln,  denn  dies  würde  es 
noth wendig  machen,  eine  vollständige  mathematische  Theorie  der  Induc- 
tionserscheinungen  zu  geben.  Wir  wollen  jedoch  die  Wichtigkeit  dieser 
Formel  an  einem  charakteristischen  Beispiele  darthun  und  gleichzeitig 

Bühlmann,  Mechan.  WftrmetlieoTie.    Bd.  ü.  4Q 


626  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

damit  zeigen  in  welcher  Weise  solche  Fälle,  in  welchen  Inductioiu- 
wirknogen  stattfinden,  behandelt  werden  können. 

Man  weiss,  dass  beispielsweise  iDductionswirknngen  stattfinden, 
wenn  die  Intensität  eines  Magneten  ,•  der  sich  in  der  Nähe  "eines  ge- 
schlossenen Leiterkreises  befindet,  geändert  wird,  oder  wenn  die  Inten- 
sität eines  benachbarten  Stromes  zu-  oder  abnimmt. 

N  e  u  m  an  n  hat  diesen  Fall  auf  folgende  Weise  anf  das  Gmndpbänomen 
zurückgeführt,  in  welchem  die  Inductionserscheinnngen  darch  die  Ter- 
schiebung  eines  Magneten  hervorgebracht  werden.  Er  betrachtet  zu- 
nächst die  Inductionserscheinnngen,  welche  in  einem  geschlossenen  festen 
Leiterkreise  durch  die  Verschiebung  eines  einzigen  Magnetpolea  erzeugt 
werden.     Die  Resultante  R  kann  leicht  mit  Hülfe  der  bekannten  'Formel 

sincD.ds 


G 


r2 


berechnet  werden,  welche  die  Wirkung  eines  Magnetpoles  A  auf  ein 
Stromelement  MM'=  ds  darstellt,  dessen  Mitte  P  sich  in  einem  Abstand 
AP  =  r  vom  Pole  befindet,  und  dessen  Richtung  mit  der  Geraden  AF 
den  Winkel  cd  einschliesst  (siehe  Fig.  48).    Diese  Wirkung  ist  nach  recbts 

Fig.  48. 


vom  Strome  aus  gerichtet,  wenn  man  einen  Nordpol  betrachtet.  Auch  die 
Bestimmung  von  P  bezieht  sich  auf  einen  Nordpol ;  man  braucht  nur  das 
Vorzeichen  zu  ändern,  um  die  electromotorische  Kraft  zu  erhalten,  welche 
unter  sonst  gleichen  Umständen  ein  Südpol  von  gleicher  Intensität  hei^ 
vorbringen  würde.  Zunächst  nimmt  Neu  mann  nunmehr  an,  dass  swei 
gleichstarke  entgegengesetzt  magnetische  Pole  in  einem  einzigen  Punkte 
N  vereinigt  wären;  alsdann  üben  dieselben  zusammen  selbstverständlich 
keine  Wirkung  auf  einen  benachbarten  geschlossenen  Leiter  aus«  Hierauf 
entfernt  er  die  gleichen  Mengen  von  entgegengesetztem  Magnetismus  in 
zwei  von  N  gleich  weit  abstehende  Punkte  A  und  B,  Er  bildet  auf 
diese  Weise  einen  Magnet,  und  diese  Entstehung  eines  Magneten  veran- 
lasst einen  Inductionsstrom,  dessen  Ursache  in  der  Bewegung  zweier  ein- 
zelner Magnetpole  zu  suchen  ist.  Indem  Neumann  diese  Pole  mehr 
oder  minder  weit  von  N  entfernt  denkt,  kann  er  auf  diese  Weise  die 
Intensitätsänderungen  des  inducirenden  Magneten  nachahmen.  Str^ig 
genommen  ist  dieses  Verfahren  eigentlich  nur  auf  einen  aus  zwei  magne- 
tischen Elementen  gebildeten  Magnet  anwendbar;  man  darf  dasselbe 
jedoch  auf  alle  Elemente  anwenden,  aus  welchen  man  sich  einen  wirk- 
lichen Magnet  zusammengesetzt  denken  kann. 


D.    Induction,  627 

Nach  dem  Bchon  vorher  von  uns  erwähnten  Principe  von  der  Aeqniva- 
lenz  zwischen  Magneten  and  Strömen  lassen  sich  die  Inductionswirkangen, 
welche  durch  Aenderang  der  Strom  Intensität  hervorgehracht  werden, 
leicht  auf  den  vorhergehenden  Fall  zurückführen.  Ampere  hat  gezeigt, 
dass  alle  Wirkungen  eines  geschlossenen  Stromes  identisch  sind  mit  den 
Wirkungen,  welche  zwei  unendlich  benachbarte,  mit  entgegengesetztem 
Magnetismus  belegte  Flächen  ausüben  würden.  Die  Gestalt  dieser  Flächen 
ist  hierbei  ganz  gleichgültig,  und  es  ist  nur  erforderlich,  dass  sie  durch 
zwei  dem  Leiter  unendlich  benachbarte  Curven  begrenzt  sind.  Ausserdem 
setzt  man  voraus,  dass  wenn  die  zwei  Punkte  M  und  M'  die  beiden 
Fasspunkte  einer  gemeinschaftlichen  Normale  beider  Flächen  sind 
(siehe  Fig.  49) ,  die  Dichtigkeiten  der  in  M  auf  der  einen  und  in  M!  auf 
der  anderen  Fläche  gelegenen  gleichen  aber  entgegengesetzten  Magne- 
tismen dem  Abstände  MM'  umgekehrt   proportional  sind.     Haben  die 

beiden  benachbarten  Flächen  durchaus  den 
nämlichen  Abstand,  so  würden  dieselben  beide 
durchaus  gleichförmig  mit  entgegengesetztem 
Magnetismus  beladen  sein.  Man  kann  sich 
leicht  eine  Vorstellung  von  der  Lage  dieser 
Oberflächen  machen,  wenn  man  sie  durch  eine 
beliebige  fibetie  schneidet.  Diese  Ebene  schneidet  den  geschlossenen 
Leiterkreis  in  zwei  Punkten  N  und  N\  und  ausserdem  erhält  man  zwei 
unendlich  benachbarte  Curven  stücke ,  von  welchen  jedes  durch  zwei  den 
Punkten  N  und  N*  unendlich  benachbarte  Punkte  begrenzt  wird.  Nach 
dieser  Methode  kann  man  jederzeit  einen  Strom  auf  ein  System  magne« 
tisch  er  Flächenelemente  zurückführen  und  auf  diese  Weise  die  auf  die 
Induction  durch  Magnete  bezüglichen  Betrachtungen  ohne  Weiteres  auch 
auf  die  Inductionswirkungen  durch  galvanische  Ströme  übertragen.  Der 
Durchführung  dieses  Gedankens  im  besonderen  Falle  setzen  sich  freilich 
nicht  selten  erhebliche  Schwierigkeiten  entgegen. 


3.   Joule's  Versuclie  über  die  Aequivalenz  der  durch  einen 

Induotionsstrom  erzeugten  Wärme  und  der  zu  seiner 

Hervorbringung  aufgewandten  Arbeit. 

Diese  Experimentaluntersuchung  Joule^s  ist,  obgleich  die  Genauig- 
keit der  Messungen  nicht  sehr  gross  war,  von  grösster  historischer  Bedeu- 
tung, denn  es  ist  die  erste  Arbeit,  mit  der  Joule  das  Gebiet  der  mecha- 
nischen Wärmetheorio  betrat  ^).  In  der  Nähe  eines  Magneten  Hess  man 
einen  Leiter  zunächst  in  un geschlossenem  Zustande  rotiren.     Um  eine 

1)  Man  sehe:  Phil.  Mag.  III.  Ser.,  Bd.  23,  S.  243,  347,  435  (1843);  in  deutscher 
Uebersetzung:  Das  mechanische  Wärmeäquivalent,  gesammelte  Abhandl.  von  J.  P.  Joale, 
deutsch  von  J.  W.  Spengel  (Braunschweig,  1872.     Vieweg  &  Sohn),  S.  2. 

40* 


628         I[I.    Anwendungen  auf  electrieche  Erscheinungen. 

gleichförmige  Rotation  Bgeschvindigkeit  za  erzielen,  war  du  Niederaiiikra 
eines  beatimmten  Gewichtes  erforderlich.  Um  die  nämliche  Rotstionr 
geschwindigkeit  za  erzielen,  wenn  der  Leiter  geschlossen  witr,  bedurft« 
ea  eines  beträchtlich  grösseren  Gewichtes.  Das  VerhältnisB  zwischen  dti 
Arbeit,  welche  beim  zweiten  Versncb,  in  welchem  der  Leiter  geschloua 
war,  mehr  gebraucht  wnrde,  and  der  dnrch  die  Indnctionsströme  toi- 
bnndenen  Wärme  gab  unmittelbar  einen  Werth  für  das  mechaniscfat 
Aeqnivalent  der  Wärrae. 

Der  bewegliche  Leiter  a  (siehe  Fig.  50)  bestand  ans  einem  UeiDn 
Electromagneten,  der  dnrch  sechs  Platten  weioheh  Eisens  Ton  28  cm  Liop 


nnd  1,6  mm  Dicke  gebildet  wurde.  Diese  Platten  lagen  neben  einander, 
aber  waren  nnter  sich  isolirt  durch  zwistifaeagefilgte  Seheiben  von  Seide,  <]ie 
mit  Schellack  getränkt  war.  Um  diese  Eisenmasse  waren  ungefähr  Idn 
Knpferdraht  gewickelt,  dessen  Dicke  1,4  mm  betrag.  Während  des  Te^ 
suches  befand  sich  der  Electromagnet  in  einem  Glasgefäes,  welches  mit 
Wasser  gefüllt  war  und  während  der  Daaer  des  EzperimenteB  dnrek 
^nen  Pfropfen  verschlossen  war.  Diesen  Apparat  befestigte  man  ii 
horizontaler  Lage  an  einem  Rotation  sapparate  b  mit  rerticaler  Drehut 
und  liess  den  kleinen  Electromagneten  iwischen  den  beiden  rertical« 
Armen  eines  grossen  festen  Electromagneten  rotiren.  Die  Enden  da 
beweglichen  Electromagneten  ragten  aas  dem  Glasgei&sse  herans  usA 
gingen  zu  einem  an  der  Aze  befindlichen  Commntator. 

Vom  Commntator  wurden  die  Inductionsströme  immer  in  gleichff 
Richtung  nach  einem  Galvanometer  gesendet.  Ehe  man  die  den  kleiDMi 
Electromagneten  enthaltende  Glasröhre  in  den  Rotationsapparat  ein* 
brachte,  beobachtet«  man  die  Temperatnr  des  Wassers  mittelst  zweier  m 


D.    Induction.  629 

cLen  Enden  des  GlasgeflisseB  befestigten  Thermometer,  welche  gestatteten, 
Fonfzigstel  eines  Grades  der  Fahrenheit'schenSoala  abzulesen.  Hieraaf 
l>rachte  man  den  Electromagnet  an  Ort  und  Stelle  und  Hess  ihn  ungefähr 
eine  Viertelstunde  lang  600  Umdrehungen  in  der  Minute  machen.  Als- 
dann nahm  man  den  Electromagneten  wieder  weg  und  las  an  den  beiden 
Thermometern  die  Temperatur  des  Wassers  ab.  Die  beobachtete  Tempe- 
iraturänderung  war  die  Differenz  zwischen  der  durch  die  Inductionsströme 
Isewirkten  Erwärmung  und  der  durch  die  äusseren  Einflüsse  hervorge- 
'brachten  Abkühlung.  Um  die  Wirkung  dieser  letzten  Ursache  zu  be- 
stimmen, begann  man  den  Versuch  sofort  von  Neuem ,  unterbrach  jedoch 
den  Strom,  welcher  um  den  festen  Electromagnet  circulirt  hatte.  Als- 
dann änderte  sich  die  Temperatur  ausschliesslich  durch  die  äusseren  Ein- 
flasse. Man  ermittelte  nunmehr  noch  die  Wärme  des  in  der  Röhre  ent- 
haltenen Wassers  (ungefähr  300  g) ,  die  Gewichte  und  specifischen  Wär- 
men des  Rohres,  des  weichen  Eisens  und  Eupferdrahtes  und  berechnete 
somit  leicht  die  Grösse  der  durch  die  Inductionsströme  überhaupt  ent- 
-wickelten  Wärmemenge. 

Joule  bediente  sich  verschiedener  fester  Electromagnete.  Der  grösste 
'vmrde  durch  eine  dicke  Eisenplatte  von  81  cm  Länge,  20cm  Breite  und 
12  cm  Dicke  gebildet.  Diese  Platte  war  wie  ein  Hufeisen  gekrümmt,  und 
um  dieselbe  war  ein  Bündel  von  21  Eupferdrähten  gewickelt,  von  welchen 
jedes  einzelne  aus  96  m  Draht  von  1,2  mm  Dicke  bestand.  Liess  man 
durch  die  Drähte  den  Strom  einer  galvanischen  Eette  von  10  DanielT- 
Bchen  Elementen  gehen,  welche  zu  5  Paaren  verbunden  waren,  so  betrug 
die  Temperaturerhöhung:  2,39^  F.,  wenn  die  Drahtenden  des  rotirenden 
Slectromagnetendrahtes  unter  einander  verbunden  waren,  und  1,84<^F., 
wenn  das  Galvanometer  in  den  Leiterkreis  eingeschaltet  war. 

Mit  der  durch  die  Inductionsströme  entwickelten  Wärmemenge  muss 
nunmehr  die  Arbeit  verglichen  werden,  die  man  aufwenden  musste,  um 
bei  geschlossenem  Leiter  dieselbe  gleichförmige  Rotationsgeschwindigkeit 
hervorzubringen,  wie  bei  offenem  Leiter.  Um  diese  Arbeit  direct  zu 
messen,  wickelte  Joule  um  die  Axe,  die  den  beweglichen  Electromagneten 
trug,  einen  Faden,  den  er  hierauf  über  eine  Rolle  laufen  liess,  und  au 
dessen  Ende  er  ein  Gewicht  befestigte.  Das  Niedersinken  des  Gewichtes 
setzte  den  Apparat  in  Bewegung,  und  durch  Veränderung  des  Gewichtes 
konnte  man  es  schliesslich  dahin  bringen,  dass  der  kleine  Electromagnet 
mit  fast  constanter  Geschwindigkeit  in  jeder  Minute  600  Umdrehungen 
machte.  Maass  man  ausserdem  die  nahezu  constante  Geschwindigkeit, 
mit  der  das  Gewicht  längs  eines  Maassstabes  niedersank,  so  konnte  man 
die  Arbeit  berechnen,  die  erforderlich  war,  um  während  einer  Viertel- 
stunde diese  constante  Rotationsgeschwindigkeit  von  600  Umdrehungen 
pro  Secunde  zu  erhalten.  Hierauf  begann  man  den  Versuch  von  Neuem, 
während  der  Electromagnet  entfernt  und  der  Leiter  geöffnet  war.  Bei 
diesem  Versuche  bestimmte  man  die  Arbeit,  welche  erforderlich  war,  um 
die  passiven  Widerstände  der  Bewegung  zu  überwinden.     Wenn  man 


630  III.    Anwendungen  anf  electrische  Erecheinungen. 

diese  Arbeit  von  der  zuerst  gafundeoen  abzog,  erhielt  man  die  Arbeits 
meoge,  welche  der  yom  isdacirteD  Strome  entwickelten  Wärme  äqui- 
valent war. 

Die  Wärmemenge,  welche  im  ersten  Theil  des  Versuches  entwickelt 
wurde,  war  jedoch  nicht  mit  ansreichender  Genauigkeit  ermittelt  wordea. 

Erstens  wurde  die  AbkOhlung  nicht  sicher  genug  hestimnU:,  und 
zweitens  ist  es  auch  wenig  wahrscheinlich,  dass  die  beiden  Themioine1<r 
die  Temperatur  des  ganzen  System  es  anzeigen;  es  wird  sich  TielmeHr  eii 
stationärer  Zustand  herstellen,  bei  welchem  die  Temperator  des  Wasaen 
symmetrisch  von  der  Axe  nach  den  Enden  zu  sich  ändert.  Die  Resultat« 
stimmen  daher  anch  nur  wenig  unter  einander  überein.  Joule  bat  im 
Ganzen  acht  Versuche  angestellt,  und  die  extremsten  Werthe,  die  er  für  daa 
mechanische  Aequivalent  der  Wärme  erhielt,  sind  322  und  672.  In 
Mittel  fand  er  460.  Ist  die  Genauigkeit  dieser  Versnche  auch  nicU  sehr 
gross,  so  kann  man  mit  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeit  der  Untersach nng 
und  den  Umstand,  dass  so  verschiedenartige  Bestimmungen  auf  das  End- 
resultat einwirken,  immerhin  in  denselben  eine  Bestätigung  des  Principcs 
erkennen. 


4.   Die  Versuche  von  Foucaiüt. 

Dem  Joale'schen  Versuche  hat  bekanntlich  Foucault  eine  bemerken«- 
werthe  Form  gegeben,  welche  besonders  für  Vorlesungsdemonstrationcn 
sehr  geeignet  ist,  nnd  Tyndall  hat  denselben  noch  etwas  abgeändert. 

Zwischen  zwei  geeignete  Anker  eines  sehr  starken  ElectromagDeten 
(siehe  Fig.    51)    bringt    mau    eine  Kupferscheibe,  welche   durch   einec 
Rotationsapparat  in   sehr  rasche  Umdrehungen  versetzt    werden    kann. 
Hat  man  die  Scheibe  in  rascheste  Umdrehungen  versetzt  und  schliest 
man  plötzlich  den  Strom  von  sechs  Ele- 
^S'  menten,  welche  mit  dem  Electromag- 

neten  verbanden  sind,  so  erlischt  die 
Bewegung  der  Scheibe  fast  momentan, 
gerade  so,  als  ob  dieselbe  von  einem 
unsichtbaren  Zaume  gebremst  wflrde. 
Wenn  man  nunmehr  die  Handhabe  des 
Rotationsapparates  dreht,  nm  die 
Scheibe  in  Umdrehtmgen  zuvervetaea, 
bemerkt  man  einen  enormen  Wider- 
stand. Um  diesen  Widerstand  in 
überwinden,  muss  man  eine  grosse 
Arbeit  aufwenden,  und  diese  Arbeit 
speichert  sich  alsdann  in  der  Form 
von  Wärme  im  Innern  der  roürenden  Scheibe  auf.  Der  Apparat  ist 
nicht  für  messende  Versuche  eingerichtet,  er  könnte  jedoch  leicht  fSr 


D.    Induction.  631 

diesen  Zweck  abgeändert  werden,  und  man  könnte  auf  diese  Weise  eine 
sehr  genaue  Bestimmung  des  meohanischen  Aequivalentes  der  Wärme 
erhalten. 


b.  Die  Gesetze  der  Induotion. 

Ist  Q  die  in  der  Zeiteinheit  in  de^;^  Kette  und  im  Leiterkreise  ent- 
bundene Wärmemenge  und  2JX  die  Summe  der  Widerstände,  die  der 
Strom  zu  überwinden  hat,  so  gilt  nach  dem  Joule 'sehen  Gesetze  die 
Gleichung : 

J,Q  =  m.i^,2X 11) 

Die  thermoelectrischen  Erscheinungen  und  deren  Wirkungen  sollen 
-▼ernachlässigt  werden;  es  kann  dies  geschehen,  da  zumeist  der  galyani- 
sche  Strom  eine  unvergleichlich  viel  grössere  Intensität  besitzt.  Be- 
zeichnet £F  die  Summe  der  eleotromotorischen  Kräfte  der  verschiedenen 
Bestandtheile  der  Kette,  so  gilt  ausserdem  nach  dem  Oh  mischen  Gesetz 
die  Gleichung: 

£F 

'  =  ^ •  •  12) 

Setzt  man  dies  in  die  vorhergehende  Gleichung  ein,  so  ergiebt  sich: 

J.Q  =  m.i.£F.     .....     13) 

Bisher  haben  wir  keine  bestimmte  Entscheidung  über  die  Wahl  der 
Einheit  getroffen,  nach  der  die  Stromintensität  gemessen  werden  soll; 
niinmehr  soll  festgesetzt  werden,  dass  als  Intensitätseinheit  derjenige 
Strom  gewählt  werden  soll,  welcher  in  der  Zeiteinheit  ein  Aequivalent 
Wasser  zersetzt.  Nach  dem  bekannten  Faraday' sehen  Gesetze  weiss 
man,  dass  alsdann  der  Strom  gleichzeitig  ein  Aequivalent  jeder  beliebigen 
Verbindung  zersetzt,  durch  die  er  hindurchgeht.  In  jedem  Bestandtheile 
der  Kette  wird  ein  Aequivalent  chemischer  Wirkung  hervorgebracht 
Nennen  wir  K  die  Wärmemenge,  welche  in  jedem  Elemente  der  Bildung 
oder  Zersetzung  eines  Aequivalentes  der  chemischen  Wirkung  entspricht, 
die  sich  dort  vollzieht,  so  ist  die  Summe  der  Arbeiten  der  chemischen 
Kräfte  in  den  Verschiedenen  Elementen  in  mechanischem  Maasse  gemessen 
gleich  J.2jK,  Andererseits  ist  die  Zunahme  der  calorischen  oder  kine- 
tischen Energie,  welche  i  Aequivalenten  chemischer  Wirkung  entspricht, 
gleich  eiT.  Q.  Die  Zunahme  der  kinetischen  oder  calorischen  Energie, 
welche  einem  Aequivalent  entspricht,  ist  hiernach: 

J.^  =  J,q 14) 

i 

wenn  man   ~  der  Einfachheit  wegen  gleich  ^  setzt,  und  man  erhält  dem- 
t 

nach  die  Gleichung: 

J,^=zJ.q=zJ.ZK 15) 


632  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

oder  mit  Rücksiclit  auf  die  Gleichung  des  Oh  mischen  Gesetzes  (GL  13): 

J.2K=fn.£F 16) 

Diese  Gleichung  zeigt,  dass  die  Wärmemenge  2JK,  welche  durch  die 
Auflösung  von  einem  Aequivalent  Metall  in  einem  Elemente  entwickelt 
wird,  proportional  der  electromotorischen  Kraft  UF  dieses  Elementes  ist; 
selbstverständlich  gilt  dies  nur,  sofern  im  Leiterkeise  keine  Wirknngen 
anderer  Art  und  keine  Inductionserscheinungen  stattfinden.  Man  kann 
folglich  anstatt  die  Wärmemengen  zu  messen,  welche  durch  die  ver- 
schiedenen  Bestandtheile  einer  Kette  entwickelt  werden,  auch  die  electro- 
motorische  Kraft  messen,  was  meist  leichter  möglich  ist,  sofern  man  nur 
die  Wärmemenge  kennt,  welche  durch  die  Auflösung  eines  Aequivalentes 
Metall  in  einem  Elemente  entwickelt  wird,  dessen  electromotorische  Kraft 
ebenfalls  genau  gemessen  ist. 

Zunächst  soll  es  unerörtert  bleiben,  ob  und  welche  Yortheile  es  dar^ 
bietet  calorimetrische  Messungen  durch  Bestimmungen  electromotorischer 
Kräfte  zu  ersetzen.  Auch  findet  diese  Frage  weiterhin  im  Abschnitt  £ 
eine  eingehende  Besprechung.  An  dieser  Stelle  interessirt  uns  vielmehr 
die  Frage,  was  sich  an  vorstehender  Gleichung  für  Abänderungen  nöthig 
machen,  wenn  in  den  Stromkreis  ein  electromagnetischer  oder  electro- 
dynamischer  Motor  eingeschaltet  ist,  der  mechanische  Arbeit  leistet.  Als- 
dann wird  eine  bestimmte  Menge  äusserer  Energie  entwickelt,  die  durch 
8  bezeichnet  werden  mag,  und  zwar  mag  in  S  die  gesammte  erzeugte 
mechanische  Energie  begriffen  sein,  sowohl  die  geleistete  nützliche  äussere 
Arbeit,  als  auch  die,  welche  zur  Ueberwindung  der  Reibung  und  Hervor- 
bringung anderweiter  Wirkungen  erforderlich  ist.  Auch  diesmal  nehmen 
wir,  wie  schon  vorher,  an,  dass  ein  Aequivalent  chemischer  Wirkungen 
im  Elemente  aufgewendet  worden  sein  soll.  Alsdann  ist  die  Energie 
der  chemischen  Wirkungen:  J.UK.  Der  erzengte  Strom  jedoch  bringt 
eine  doppelte  Wirkung  hervor:  er  setzt  die  Maschine  in  Thätigkeit,  welche 
eine  Arbeitsmenge  S  beansprucht,  und  er  entwickelt  in  dem  gesammten 
vom  Strome  überhaupt  durchflossenen  Kreise  eine  Wärmemenge  qi.  Es 
gilt  demnach  in  diesem  Falle  die  Gleichung: 

J.£K=S  +  J.qi.     ........     17) 

Nach  dem  Ohm 'sehen  und  Joul  ersehen  Gesetze  muss  man  jedoch 
annehmen,  dass  die  im  gesammten  Leiterkreise  entwickelte  Wärme  stets 
der  Summe  der  electromotorischen  Kräfte  proportional  ist.  Daraus  folgt, 
da  diese  Wärmemenge  qi  diesmal  geringer  ist,  dass  auch  die  Summe  der 
electromotorischen  Kräfte  um  einen  bestimmten  Betrag  gegen  früher 
vermindert  sein  muss.  Nennt  man  diese  Verminderung  £<p,  so  er- 
halten wir: 

J.2JK=  S  +  fn,i2:F—2Jq>) 18) 

Durch  die  Bewegung  der  electromagnetischen  Maschine  vollzieht 
sich  somit  eine  Reihe  von  Vorgängen,  welche  einer  Verminderung  der 


D.    Induction.  633 

Summe  von  electromotorischen  Kr&ften  äquivalent  ist;  za  der  Summe 27 f^ 
der  electromotorischen  Kräfte  treten  entgegengesetzt  wirkende  electromo- 
torische  Kräfte  £fp  hinzu.  Auf  diese  Weise  ist  die  Nothwendigkeit  von 
Indttctionserscheinungen  nachgewiesen.  Auch  die  Erfahrung  bestätigt 
dieses  Ergebniss  von  fundamentaler  Bedeutung  vollständig;  die  Bewegung 
einer  magnetelectrischen  Maschine  vermindert  die  Intensität  des  Stromes, 
der  durch  dieselbe  hindurchgeht.  Schaltet  man  ein  Galvanometer  in  den 
vom  Strome  durchflossenen  Leiter  ein,  so  ist  der  Ausschlag  geringer,  wenn 
die  Maschine  in  Thätigkeit  ist,  als  wenn  sich  dieselbe  in  Ruhe  befindet, 
und  die  Differenz  ist  um  so  beträchtlicher,  je  grösser  die  mechanische 
Arbeit  ist,  welche  die  Maschine  leistet,  während  ein  Aequivalent  chemi- 
scher Wirkungen  im  Elemente  verbraucht  wird. 

Zufolge  der  früher  von  uns  aufgestellten  Gleichung  16): 

ergiebt  sich  aus  der  zuletzt  mitgetheilten  Formel  18): 

S  =  m.2Jq> 19) 

Beziehen  wir  nunmehr  sämmtliche  Processe  auf  die  Zeiteinheit,  so 
müssen  beide  Seiten  der  Gleichung  durch  T  dividirt  werden,  wenn  T  die 
Zeit  ist,  welche  nothwendig  ist,  um  ein  Aequivalent  chemischer  Wirkung 
im  Elemente  zu  verbrauchen,  und  berücksichtigt  man  gleichzeitig,  dass 

^  =  1  ist,  so  ergiebt  sich: 

j,  =  m,i.Z!(p 20) 

Nennt  man  jedoch  H  die  in  der  Zeiteinheit  von  der  in  den  Strom- 
kreis eingeschalteten  Maschine  geleistete  Arbeit,  so  ist: 

H=§ 21 

H=m.i,2:(p 22) 

Ist  der  Zustand  des  Systemes  veränderlich,  so  gilt  die  Gleichung  nur 
für  ein  unendlich  kleines  Zeitintervall  und  nimmt  die  Form  an : 

H.dt  =  m.i.£ip.dt 23) 

Die  Gleichung  23)  gestattet  Zq>,  d.  i.  die  Summe  der  inducirten  elec- 
tromotorischen Kräfte,  für  einen  beliebigen  Zeitmoment  zu  berechnen. 

Zunächst  betrachten  wir  den  Fall,  dass  der  vom  Strome  durchflossene 
Leiter  im  Ganzen  oder  wenigstens  Theile  desselben  sich  unter  dem  Ein- 
flüsse äusserer  magnetischer  Kräfte  oder  unter  der  gegenseitigen  Wirkung 
seiner  verschiedenen  Theile  bewegen.  Wenn  sich  zunächst  der  gesammte 
vom  Strome  durchflossene  Leiterkreis  (die  Kette  mit  inbegriffen)  um  ein 
Stück  fortbewegt,  ohne  seine  Gestalt  zu  ändern,  während  ein  benach- 
barter Magnet  oder  ein  System  von  Strömen  auf  denselben  wirkt,  so  ist 
die  elementare  Arbeit  der  electromagnetischen  oder  electrodynamischen 
Kräfte  (man  sehe  D,  1,  GL  9,  S.  625): 


634  UL   Auwendongen  auf  electrische  Erscheinimgen. 

H.dt  =  dt .  I  E.i,v,cos^.ds 24) 

R.i,ds  ist  die  Resultante  der  Wirkungen ,  welche  im  betrachteten 
Momente  von  den  Strömen  oder  Magneten  auf  ein  Leiterelement  ds  aus- 
geübt werden,  das  von  einem  Strome  von  der  Intensität  i  durchflössen 
wird.  Die  Integration  erstreckt  sich  alsdann  auf  alle  Elemente  des  ge- 
schlossenen Stromes.  Da  somit  i  innerhalb  des  Integrales  constant  ist, 
so  erhält  man  für  U  den  Ausdruck : 

Hr=  i.  I  B,v  .cosip.ds 25) 

und  folglich  nach  Gl.  22: 

29>  =  —  I  B.v.costif.ds 26) 

mj 

Wir  sind  somit  zum  Neu  mann' sehen  Gesetze  zurückgelan^,  und 
wir  finden  von  Neuem  die  Proportionalität  zwischen  der  Intensität  des 
inducirten  Stromes  und  der  Geschwindigkeit  der  Verschiebung,  .welche 
die  Induction  veranlasst. 

Wenn  jedoch  die  Induction  lediglich  dadurch  entsteht,  dass  ein  Thefl 
des  Stromkreises  sich  verschiebt,  während  der  andere  Theil  desselben  fest 
bleibt,  so  kann  man  die  von  der  gegenseitigen  Wirkung  herrührende 
elementare  Arbeit  auch  schreiben  : 

H.dt=dt.rrR.i*.v.cost»d$.d8'.     .     27) 

R,P.d$,ds'  repräsentirt  alsdann  die  gegenseitige  Wirkung  zweier 
Stromeremente  ds  und  dsf  des  ruhenden  und  des  bewegten  Theiles  des 
Leiters. 

Hieraus  folgt  in  ähnlicher  Weise,  wie  vorhin: 


2^9?  =  — -i  /    I  R,v.cos.ifds,ds!     .     . 


28) 


ein  Ausdruck,  welcher  ebenfalls  von  Neu  mann  herrührt.  Die  Formel 
zeigt,  dass  in  diesem  Falle  die  electromotorische  Kraft  der  Induction 
proportional  dem  Producte  aus  der  Stromintensität  und  der  Geschwindig. 
keit  ist. 

Im  allgemeinen  Falle,  in  welchem  gleichzeitig  Deformation  des 
Stromkreises  und  vollständige  oder  theilweise  Verschiebung  desselben 
unter  der  Einwirkung  äusserer  electrodynamischer  oder  magnetischer 
Kraftcentren  stattfindet,  ist  die  Inductionswirkung  die  Summe  zweier  den 
rechten  Seiten  der  Gleichungen  26)  und  28)  ähnlicher  Ausdrücke. 


D.    Induction.  635 


6.    Die  electromagnetisclieii  und  eleotrodynanxisclien 

Maschinen, 

Während  man  in  früherer  Zeit  sich  fast  ausschliesslich  auf  das  Problem 
beschränkte,  mit  Hilfe  electromagnetischer  und  electrodynamischer  An- 
ziehungen und  Abstossnngen  kleine  Arbeitsmaschinen,  Motoren,  za  con- 
stmiren,  ^welche  durch  den  von  einer  galvanischen  Kette  erzeugten  Strom 
bewegt  wurden,  so  hat  sich  in  neuerer  Zeit  das  allgemeine  Interesse 
vorzugsweise  der  Umkehrung  dieses  Problems  zugewendet,  nämlich  der 
Aufgabe,  die  mechanische  Arbeit  eines  Motors  in  electrische  Energie 
umzusetzen.  Man  hat  auf  diese  Weise  Electricitätsquellen  von  ausser- 
ordentlicher Stärke  construirt,  welche  zur  Erzeugung  electrischen  Lichtes 
und  hoher  Hitzegrade,  zur  Hervorbringung  electrochemischer  Processe 
und  zur  Wiederumsetzung  in  mechanische  Arbeit,  also  zur  Uebertragung 
von  mechanischer  Energie  von  einem  Orte  zum  anderen  vielseitige  An- 
wendung gefunden  haben. 

Die  meisten  derartigen  Maschinen  können  gleichzeitig  beiden  Zwecken 
dienen.  Setzt  man  dieselbe  durch  einen  Motor  in  Bewegung,  so  entstehen 
Inductionsströme ,  welche  ausserhalb  der  Maschine  verwendet  werden 
können.  Wenn  man  dagegen  durch  die  Leitungsdrähte  einen  kräftigen 
electrischen  Strom  in  die  Maschine  eintreten  lässt,  so  wird  durch  den 
Apparat  die  electrische  Energie  in  mechanische  Arbeit  umgesetzt,  und 
die  Vorrichtung  kann  als  Motor  verwendet  werden. 

Natürlich  sind  nur  solche  Maschinen  für  beide  Zwecke,  sowohl  für 
Erzeugung  von  Strömen,  als  auch  für  mechanische  Arbeitsleistung  ver- 
wendbar, welche  einen  stets  gleichgerichteten  Strom  liefern,  nicht  aber 
solche,  welche  Inductionsströme  von  abwechselnder  Richtung  liefern 
(Wechselstrommaschinen). 

Alle  electromagnetischen  und  electrodynamischen  Maschinen  alter 
Gonstruction  lieferten  ursprünglich  alternirende  Ströme,  dieselben  wurden 
jedoch,  sofern  es  sich  nicht  um  die  Production  von  Wärme,  Licht  oder 
physiologischer  Wirkungen  handelt,  in  dem  Moment,  in  dem  sich  ihre 
Kichtung  umkehrte,  durch  einen  mit  der  Maschine  verbundenen,  selbst- 
thätigen  Commutator  in  entgegengesetzter  Richtung  durch  den  äusseren 
Leitungsdraht  gesendet,  so  dass  der  electiische  Strom  ausserhalb  der 
Maschine  immer  in  gleicher  Richtung  floss.  Die  neueren  derartigen  Vor- 
richtungen, insbesondere  die  nach  dem  Pa ein otti -Gramme 'sehen  und 
nach  dem  von  H efn er- Alteneck'schen  Principe  construirten  Maschinen 
liefern  dagegen  nur  gleichgerichtete  Ströme. 

Die  gesammten  electromagnetischen  und  electrodynamischen  Appa- 
rate, welche  zur  Production  von  Electricität  oder  zur  Erzeugung  mecha- 
nischer Arbeit  dienen,  zerfallen   hiemach   in  zwei  Classen.    Die  erste 


636  in.    Anweiidungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Classe  umfasst  alle  Maschinen,  welche,  wenn  sie  durch  einen  Motor  be- 
wegt werden,  alternirende  Ströme  liefern,  die  entweder  alternirend  zur 
Verwendnng  kommen,  oder  erst  vor  ihrer  Benutzung  durch  einen  Com- 
mutator  gleichgerichtet  werden,  dann  aher  ihre  Intensität  periodisch  ändern. 
In  diese  Classe  gehören  die  veralteten  Magnetmaschinen  von  Pixi,  Saxton, 
Clarke,  Ettinghausen,'Petrina,  Stöhrer,  die  Alliancemaschine,  die 
Maschine  von  Meritien,  der  Cylinderinductor  von  Siemens,  fernem  die 
dynamoelectrischen  Maschinen  von  Siemens,  Siemens  und  Halske, 
Ladd,  Weston,  Möhring,  Baur,  Brush  und  die  neueren  Wechsel- 
strommaschinen von  Lontin,  Gramme  und  Siemens  und  Halske. 

Die  zweite  Classe  umfasst  alle  Maschinen,  welche  bei  constanier 
Rotationsgeschwindigkeit  einen  gleichstarken,  gleichgerichteten  Strom 
liefern,  also  solche  Maschinen,  welche  keiner  Commutatoren  bedürfen, 
sondern  nur  Stromsammler,  Collectoren,  besitzen.  Die  ersten  Constructionea 
dieser  Art  waren  die  Pacinotti'sche  Ringmaschine  und  die  mit  ihr  in 
allen  wesentlichen  Theilen  übereinstimmende  Maschine  von  Gramme. 
Als  eine  weitere  Verbesserung  auf  diesem  Gebiete  kann  man  femer  die 
Hefn  er- Alte  neckische  Cy  linder-  oder  Trommelmaschine  ansehen.  In 
diese  zweite  Classe  gehören  ferner  die  den  vorgenannten  nahe  verwandten 
Maschinen  von  Schuckert,  Maxim,  Niaudet,  Bürgin  und  Anderen. 

Als  einen  anderen  Eintheilungsgrund  kann  man  die  Art  der  Her- 
stellung des  magnetischen  Feldes  benutzen,  in  wdchem  sich  diejenigen 
Theile  des  Leiterkreises  bewegen,  auf  welche  die  Inductionswirkong  aus- 
geübt wurde.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  zerfallen  die  sämmtÜchen 
hierher  gehörigen  Apparate  in  drei  Classen.  Die  erste  Classe  bilden  die- 
jenigen Apparate,  bei  welchen  die  verschiedenen  Arten  von  permanenten 
Stahlmagneten  das  magnetische  Feld  erzeugen;  diese  umfasst  alle  älteren 
Maschinen,  den  Siemens 'sehen  Läuteinductor  und  die  kleinen  Hand- 
maschinen nach  dem  Gramme' sehen  und  Siemens'schen  System,  welche 
zum  Ersätze  einer  galvanischen  Batterie  von  4  bis  12  Bunsenelementen 
dienen.  In  die  zweite  Classe  gehören  diejenigen  Maschinen,  deren 
magnetisches  Feld  durch  Electromagnete  hergestellt  wird.  Welche  von 
einer  ausserhalb  der  Maschine  angebrachten  Stromquelle  erregt  werden. 
Die  letzte  Classe  endlich  bilden  die  dynamoelectrischen  Maschinen,  bei 
welchen  der  die  Electromagnete  umkreisende  Strom  in  der  Masckine 
selbst  mit  erregt  wird.  In  den  weichen  Eisenkernen  der  Electromagnete 
bleibt,  nachdem  dieselben  einmal  kräftig  erregt  worden  sind,  stets  em 
gewisser,  schwacher  Rest  von  Magnetismus  zurück.  Der  ganze  Leitungs- 
draht der  Maschine  bildet  ein  ununterbrochen  fortlaufendes  Ganzes  and 
die  Einrichtung  des  Apparates  ist  derart  getroffen,  dass  die  Um  Windun- 
gen der  Electromagnete  stets  nur  in  demselben  Sinne  von  den  erzeugten 
Strömen  durchlaufen  werden.  Bei  einer  Beweg^g  der  InductionsroUe 
im  schwachen  magnetischen  Felde  werden  in  diesem  Ströme  erregt,  diese 
verstärken,  wenn  sie  den  Electromagneten  umkreisen,  die  Intensität  im 
magnetischen  Felde;  dadurch  wird  die  Inductionswirkung  eine  kräftigere, 


D.    Induction.  637 

und  wiederum  der  die  Electromagnete  umkreisende  Strom  verstärkt;  bei 
steigender  Umlaufsgeschwindigkeit  der  Inductionsrollen  werden  die  weichen 
Sisenkerne  der  Electromagnete  bald  bis  zur  Sättigung  magnetisirt. 

Auf  die  Beschreibung  der  constructiven  Details  und  auf  eine  ein- 
ziehende theoretische  Erörterung  der  einzelnen  Inductionswirkungen  bei 
den  verschiedenen  electrischen  Maschinen  können  wir  uns  hier  nicht 
einlassen.  Wir  verweisen  auf  die  einschlagende  Literatur,  welche  noch 
täglich  durch*  die  Beschreibung  neuer  Erfindungen  und  die  Discussion 
eingehender  Experimentaluntersuchungen  vermehrt  wird  ^). 

Die  wichtigste  Anwendung  der  mit  Hilfe  solcher  Maschinen  erzeugten 
kräftigen  electrischen  Ströme  ist  zur  Zeit  die  Hervorbringung  des  elec- 
trischen Lichtes  in  den  beiden  Formen :  als  Flammenbogen  zwischen  den 
Kohlenspitzen  der  electrischen  Lampe  oder  den  Kohlenstreifen  der  elec- 
trischen Kerze  und  als  Glühlicht  in  den  Incandescenzlampen.  Von  einer 
Maschine  aus  werden  zumeist  mehrere  Leuchtapparate  bedient,  sei  es 
durch  einfache  Einschaltung  neben  einander  oder  hinter  einander  in  dem- 
selben Stromkreise,  oder  sei  es  dadurch,  dass  die  Inductionswirküng  auf 
mehrere  neben  einander  liegende  Leitersysteme  gleichzeitig  erfolgt,  dass 
also  die  Wirkung  eine  mehrfache  ist  und  in  jedes  besondere  Leitersystem 
ein  oder  mehrere  Lichter  eingeschaltet  werden. 

Eine  andere  wichtige  Anwendung  finden  die  electrischen  Maschinen 
in  der  Galvanoplastik  und  in  der  Metallurgie;  im  ersten  Falle,  um  eiserne, 
kupferne  und  messingene  Werkstücken  mit  Ueberzügen  von  Nickel,  Silber, 
Gold  oder  anderen  Metallen  zu  überziehen,  im  anderen  Falle,  um  Metalle 
aus  ihren  Salzlösungen  in  reinem  Zustande  zu  gewinnen. 

Besondere  Aufmerksamkeit  hat  die  Verkuppelung  zweier  dynamo- 
electrischer  Maschinen  zur  Uebertragung  der  Arbeit  eines  Motors  auf 
weite  Entfernungen  erregt.  Durch  eine  stehende  Dampfmaschine  oder 
eine  Wasserkraft  wird  mit  Hilfe  einer  electrischen  Maschine  ein  kräftiger 
Strom  erregt,  dieser  wird  durch  Leitungsdrähte  in  eine  an  einem  anderen 
Orte  befindliche  derartige  electrische  Maschine  eingeführt  und  setzt  sich 
dort  in  mechanische  Arbeit  um.  Ein  besonders  interessantes  Beispiel  der 
Art  ist  die  von  der  Firma  Siemens  und  Halske^  erbaute  electrische 
Eisenbahn,  welche  den  Bahnhof  Lichterfelde  der  Anhaltischen  Bahn  mit 
der  Hauptkadettenanstalt  in  Gr.  Lichterfelde  verbindet^).    Der  im  Ma- 

^)  Die  Constmction  der  gangbarsten  magnetelectriscben  und  dynamoelectrischen 
Maschinen  nnd  ihre  Verwendung  in  der  Praxis  findet  man  übersichtlich  und  gemein- 
verständlich beschrieben  in:  H.  Schellen,  Die  magnet-  und  dynamo-electrischen  Ma- 
schinen, Cöln,  Du  Mont-Schauberg  1882*  A.  Niaudet,  Machines  Electriques  ä  Courants 
Continus.  Auch  vergleiche  man  die  betreffenden  Abschnitte  in:  O.  Fröhlich,  Die 
Lehre  von  der  ElectricitSt  und  dem  Magnetismus  (Bd.  2,  von  K.  E.  Zetzsche,  Hand- 
buch der  electrischen  Telegraphie)  Berlin,  Springer  1878,  S.  278  u.  s.  f.  und  in: 
Müller-Pfaundleri  Lehrb.  der  Physik  und  Meteorologie  (Braunschweig,  Fr.  Vieweg 
und  Sohn,  1881),  Bd.  3,  S.  503  bis  528  und  S.  671  bis  708. 

^)  Eingehende  Beschreibung  der  electrischen  Eisenbahn  sehe  man  in:  Electrotech- 
nische  Zeitschrift,  Bd.  2,  S.  124  und  S.  178. 


638  ni.    Anwendung  auf  electrische  Erscheinungen, 

schinenbause  mit  Hilfe  einer  Dampfmascliine  durch  eineelectrodynamische 
Maschine  erzeugte  Strom  wurde  der  einen  der  beiden  Eisenbahnscbienen 
mittelst  eines  Kabels  zugeführt.  Durch  das  diese  Schiene  berührende  Rad 
gelangt  der  Strom  in  die  auf  dem  zu  bewegenden  Wagen  befindliche 
electrodynamische  Maschine,  durch  die  auf  der  anderen  Schiene  laufen- 
den Räder  tritt  der  Strom  in  die  andere  Schiene  ein  und  wird  von  dieser 
nach  der  Stelle  zurückgeführt,  an  welcher  die  den  Strom  erzeugende  Ma- 
schine steht.  Ein  kurzes  Kabel  leitet  dort  den  Strom  von  der  Rückleite- 
schiene zur  festen  electrischen  Maschine  zurück. 

Auch  für  Personen  auf züge,  femer  um  Krafttransmissionen  auf  sprosse 
Entfernungen,  z.  B.  nach  den  Sohlen  yon  Bergwerken  auszuführen,  ist  die 
Verbindung  zweier  electrischer  Maschinen  bereits  mit  grossem  Erfolge 
benutzt  worden. 


7.    Die  Gesammtenergie  und  der  äusserlioli  nutzbare 

Theil  derselben. 

Der  Vorgang,  um  den  es  sich  bei  allen  electrischen  Maschinen  han- 
delt, ist  also  der,  dass  eine  Electricitätsquelle  entweder  die  potentielle 
Energie  der  chemischen  Affinität  von  Elementen  einer  galvanischen 
Batterie  oder  mechanische  Arbeit  verbraucht;  es  wird  dadurch  Electricitat 
produoirt  und  dieser  eine  gewisse  Potentialniveaudifferenz  ertheilt.  Diese 
Electricitätsmenge  repräsentirt ,  wenn  man  alles  in  mechanischen  Ein- 
heiten ausdrückt  und  auf  die  Secunde  bezieht,  eine  Energiemenge  (man 
sehe.  Gleichung  13): 

J.Q  =  i.£F, 
d.  b.  die  Energie  ist  gleich  dem  Producte  aus  der  in  der  Zeiteinheit  er- 
zeugten Electricitätsmenge,  d.  i.  der  Stromintensität  i,  multiplicirt  mit 
der  Potentialniveaudifferenz,  d.  h.  der  Summe  der  electromotorischen 
Kräfte  2  F.  Von  dieser  vom  Motor  oder  der  Batterie  gelieferten  Ge- 
sammtenergie ist  jedoch  nur  der  Theil  wirklich  nutzbar,  welcher  der  in 
dem  äusseren  Stromkreise  entwickelten  Wärme  äquivalent  ist,  wlUirend 
die  auf  Erwärmung  der  Leitungsdrähte  der  electrischen  Maschine  oder 
der  den  Strom  erzeugenden  Batterieelemente  verwendete  Energiemenge 
nutzlos  verloren  geht,  bezeichnet  man  die  Gesammtenergie  J*.  Q,  welche 
der  Generator,  also  eine  electrische  Maschine  oder  eine  Batterie  consumirt, 
mit  G,  so  ist: 

Q  =  i,£F=-£j-  =  i^,2X, 

wenn  27  A  die  Summe  sämmtlicher  Widerstände  bezeichnet. 

Nutzbar  ist  nur  der  Theil  der  Energie,  der  im  äusseren  Theile  der 
Leitung,  sei  es  als  Wärme,  sei  es  als  Arbeit  zum  Vorschein  kommt.  Be- 
zeichnen wir  die  Summe  der  vom  Strome  ausserhalb  des  Generators  durch* 


D.    Induction.  639 

fiosseDen  Widerstände  mit  21,  die  dortselbst  entwickelte,  also  für  Heiz- 
nnd  Belenchtungsz wecke  nutzbare  Energiemenge  mit  N,  so  ist: 

Besitzt  die  Stromquelle,  wie  dies  mehrfach  der  Fall  ist,  eine  constante  elec- 
trom'otorische  Kraft  JE7,  so  wird  die  nutzbare  Energiemenge  N  ein  Maximum, 

wenn  -^j^  einen  Maximalwerth  erreicht.    Dies  aber  findet  statt,  wenn: 


ist,  und  alsdann  ist: 


21  =  ^UX 


N=  ^  a. 


2 

Die  Nutzarbeit  ist  beispielsweise  nur  Wärme  bei  den  Glühlampen 
(Incandescenzlampen).  Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich,  dass  man  die 
günstigsten  Bedingungen  erhält,  wenn  der  Widerstand  der  eingeschalteten 
Lampe  gleich  der  Summe  aus  dem  Widerstände  der  Electricitätsquelle 
und  der  zur  Lampe  führenden  Leitung  ist. 

Das  Verhältniss  der  in  äussere  Arbeit  umgesetzten  zur  überhaupt 
aufgewendeten  Energiemenge  nennt  man  bekanntlich  nach  Zeuner's 
Vorgang  den  Verwandlungscoefficient  einer  Maschine.  Wir  bezeichnen 
denselben  mit  dem  Buchstaben  W.  Nach  den  von  uns  gewählten  Be- 
zeichnungen ist  hiernach  für  eine  electrische  Maschine: 

a 

8.    Die  zur  Messung  dienenden  Einheiten. 

Die  hier  in  Betracht  kommenden  Grössen:  Stromintensität,  electro- 
motorische  Kraft  und  Widerstand  werden  bei  Beurtheilung  electrischer 
Maschinen  zumeist  in  den  Einheiten  ausgedrückt,  über  welche  man  sich 
auf  dem  Internationalen  Electrischen  Congress  im  September  des  Jahres 
1881  in  Paris  geeinigt  hat,  nämlich  in  Ampere,  Volt  und  Ohm.  Es 
ist  nun  die  Stromintensität  von  1  Ampere  gleich  10~^  derW.  Thomson- 
schen  Centimeter-Gramm-Secunden-  (cm,  g,  s)  Einheit  oder  1  Ampere 
gleich  10  Gau  SS-Webe  rasche  Millimeter- Milligramm -Secunden-  (mm, 
mg,  b)  Einheiten.  1  Ampere  ist  ein  Strom,  welcher  in  einer  Minute 
10,54  Cubikcentimeter  Knallgas  (0^,  760  mm)  durch  Wasserzersetzung 
entwickelt  ^). 

1  Volt  ist  gleich  10^  der  W.  Thomson'schen  (cm,  g,  s)  und  lO^i 
der  Gauss-Web er' sehen  (mm,  mg,  s)  Einheiten.  Die  electromotorische 
Kraft  von  1  Volt  ist  ungefähr  =  0,89  von  der  electromotorischen- Kraft 

^)  1  Ampere   entwickelt    in    1  Secunde    0,0000105g  Wasserstoff   ans    verdünnter 
Schwefelsäure,  resp.  0,001134  g  Silber  ans  salpetersaurer  Silberlösung. 


J 


640  III.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

eines  Daniell  ^)  und  ungefiähr  0,54  von  der  electromotorischen  Kraft  eines 
Banse  naschen  Bechers. 

1  Ohm  ist  gleich  10^  der  W.  Thomson'schen  (cm,  g,  s)  und  lO^» 
der  Gauss-Weher'schen  (mm,  mg,  s)  oder  1,0493  Siemens-Einheiten*). 

Bei  diesen  Einheiten  gilt  immer  das  Oh  mische  Gesetz 

.,^^  ,.     .         ,        .         electromotorische  Kraft  (in  Volts) 

Strommtensitat  (in  Amperes)  =  =771 — : — TT- — tt: ^ 

^  Widerstand  (m  Ohms) 

Die  hei  electrischen  Maschinen  in  Betracht  zn  ziehenden  ArbeitsleistongeB 

werden  zumeist  in  Pferdestarken  angegehen. 

Eine  deutsche  Pferdestärke  3)  ist  eine  Arbeit  yon  75  Kilo^ammmeter 

76 
pro  Secunde  und  entspricht  einer  Wärmemenge  von  -r^  =  0,1 765  Calori« 

pro  Secunde. 

Bezeichnen  wir  die  in  Thomson'schen  (g,  cm,  s)  Einheiten  ais- 
gedrückten Grössen  durch  die  einmal  von  uns  gewählten  Buchstabeo 
t,  2r  J^,  2JA  in  runden  Klammern  und  die  in  Ampere,  Volt  nnd  Ohm 
ausgedrückten  Werthe  derselben  Grössen  durch  die  nämlichen  Bachstaba 
mit  eckigen  Klammern,  so  ist  zunächst,  nach  der  von  uns  vorhin  mit- 
getheilten  Beziehung: 

W    =    (0   .io->  («)    =    [.-]  .10'  ] 

[2;f]  =  (£J').io»  (2; f)  =  [2;f] .  10-» }    ...  29) 

[2;a]  =  (2;a).io»  (^x)  =  [za].io-'J 

\i:f\  CSFMO-«  . , ,. .  ...       (XF) 

t'l  =  [zI]     ^^ •  1«  '  =  (2:a).io-»  ^""^^^'"^  W  =  (-^ 

In  der  Gleichung: 

(«)»  .  (ZA)  =  (ff) 
ist  {ß)  die  Energie  des  Stromes  in  (g,  cm,  s)  Arbeitseinheiten,  in  Ergs, 
gegeben.  Das  Erg  aber  ist  die  Arbeit,  welche  die  (g,cm,8)  KrafteinheH, 
das  D  jn,  auf  einem  Wege  gleich  der  Längeneinheit,  gleich  1  cm  leistet 
Das  Dyn  aber  ist  die  Kraft,  welche  der  Masse  eines  Grammes  in  der 
Secunde  eine  Beschleunigung  von  1  cm  ertheilt.  Die  Kraftgrosse,  welche 
wir  gewöhnlich  mit  1  Gramm  bezeichnen,  ist  eine  Eüraft,  welche  der 
Masse  eines  Grammes  pro  Secunde  die  Beschleunigung  von  980,9  cm  er* 
theilt ,  also  ist  die  Kraft  eines  Grammes  gleich  980,9  Dyns,  eines  Kilo- 
grammes  =  980,9. 10^  Dyns.  Die  Arbeit  von  einem  Kilogrammmeter  ist 
gleich  980,9.  IOMO2  =  9,809 .  10^  Ergs.  Demnach  ist  eine  deuiscl« 
Pferdekraft  gleich  75.980,9.10*  =  735,7. 10^  Ergs  pro  Secunde.  Die 
Gesammtenergie  Ot  in  Pferdestärken  ist  also: 

735,7.107 


1)  1  Daniell  =  1,124  Volt. 

2)  Genauer :  1  01im=  1,0196.10^  Thomson' sehe  Einbeiten. 

^)  Eine  englische  Pferdestärke  ist:  76,041  Kilogrammmeter  pro  Secunde. 


D.    Induction.  641 

Wird  die  Gesammienergie  in  Amperes,  Volts  and  Ohms  ausge- 
druckt, 80  muBs  man  das  Prodnct 

mit  (10""')*.  10^  multipliciren,  um  es  in  Thomson'sclie  Einheiten  um- 
zurechnen.   Man  erhält  somit: 

(ö)  =  [t]3  .  [ZI]  .  107 
und  hiernach  die  Gesammtenergie  pro  Secunde  O  in  Pferdestärken: 

[q^.[Zk]AO^ 

735,7  .  107 

[i]'.[2:i]__[z\.[2:F] 

^  ~       735,7       ""      735,7  "^"^ 

wenn,  wie  schon  vorhin  erwähnt,  [i]  die  Stromstärke  in  Amperes,  [2^A] 
der  Gesammtwiderstand  in  Ohms  und  [ZF]  die  Summe  der  electromo- 
torischen  Kräfte  in  Volts  ist.  Statt  735,7  gebraucht  man  die  Zahl  9,81, 
wenn  man  G  in  Kilogrammmetern  pro  Secunde  erhalten  will. 

Diese  Grösse  6r  braucht  man  nur  mit  dem  Verhältniss  der  Pferde- 
stärke zum  mechanischen  Wärmeäquivalent  75:425  =  0,1765  zu  multi- 
pliciren, um  die  pro  Secunde  aufgewendete  Gesammtenergie  in  Galorien 
(1^  pro  1  kg  Wasser)  zu  erhalten.  Alsdann  ist  diese  Wärmemenge  Q, 
welche  pro  Secunde  in  Calorien  aufgewendet  wird,  gleich: 

C=  0,0002899. [f|2. [ZA]  =  0,0002399. [t].[2;F]    ...    31) 

Wählt  man  dagegen  William  Thomson' sehe  (g,  cm,  s)  Einheiten, 
80  ist  der  Coefficient  m  (man  sehe  S.  631,  Gl.  13)  =  0,0002399 .  lO-^, 
die  pro  Secunde  aufgewendete  Wärmemenge  in  Calorien  ist: 

Q  =  0,00000000002399 .  (i)^ .  (ZX)  =  0,00000000002399  (t)  .{ZF).  32) 

wenn  alle  Grössen  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  in  Thomson- 
Bcben  (cm,  g,  s)  Einheiten  ausgedrückt  sind. 


9.  Der  Verwandlungsooeffilcieiit  eleotrischer  Maschinen 

mit  permanenten  Ma^rneten. 

Alle  drei  Fälle  der  Induction,  welche  wir  im  Absatz  6  angedeutet 
haben,  kommen  bei  den  electromagnetischen  und  electrodynamischen 
Maschinen  vor.  Welche  Art  solcher  Apparate  man  immer  auch  behandeln 
mag,  80  ist  dieselbe  jederzeit  der  Sitz  gegenseitiger  Wirkungen  von 
Strömen  und  Magneten,  welche  streben  ein  bewegliches  System  in  eine 
Gleichgewichtslage  zu  bringen  oder  der  Aenderung  einer  bestehenden 
Gleichgewichtslage  sich  widersetzen.  Schon  vorher  sahen  wir,  dass  in 
jeder  electromagnetischen  Maschine,  welche  eine  mechanische  Arbeit 
leistet,  in  Wirklichkeit  ein  Verlust  an  Wärme  stattfindet.  Auch  die  elec- 
tromagnetischen und  electrodynamischen  Maschinen  gehören  daher  unter 

Bahlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  II.  4X 


642  IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

die  allgemeine  Gattung  der  Wärmemaschinen ;  ihre  Behandlang  fallt  daher 
in  das  Gehiet  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

So  wie  man  diese  Maschinen  von  diesem  Standpunkte  ans  behandelt, 
kann  auch  der  Yerwandlungscoefficient  derselben  leicht  bestimmt  werden. 
So  lange  sich  die  Maschine  in  Ruhe  befindet,  gilt  bekanntlich  für  jedes 
Zeitmoment  die  Gleichung  13)  dieses  Abschnittes: 

J.Qdt  =  m.i.I!F.dt. 

Wenn  jedoch  die  Maschine  Arbeit  leistet  und  beispielsweise  in  der 
Zeiteinheit  die  Arbeitsmenge  H  hervorbringt,  gilt  andererseits  für  ein 
beliebiges  Zeitelement  dt  die  Gleichung  (man  sehe  Gleichung  23): 

H.dt  =  m.i.£g>.df. 

Nach  der  früher  yon  uns  gewählten  Definition,  dass  der  Wirkungs- 
grad das  Verhältniss  der  in  äussere  Arbeit  umgesetzten  zur  überhaupt  auf- 
gewendeten Wärmemenge  sei,  ergiebt  sich  der  7erwandlungscoef&cient  W: 

W=Tf .     .     .     .     33) 

Dieser  Coefficient  nähert  sich,  wie  wir  nunmehr  zeigen  werden,  um 
so  mehr  der  Einheit,  je  mehr  die  Geschwindigkeit  der  Maschine  wächst 

Der  einfachste  Fall  ist  der,  in  welchem  feste  Magneten  auf  einen 
beweglichen  von  einem  Strome  durchflossenen  Leiter  wirken.  Die  Strom- 
intensität  ist,  während  die  Maschine  als  Motor  Arbeit  leistet: 

••=^^ '« 

und  ausserdem  ist  in  diesem  ersten  Falle : 

2Jw  =  —  /  B.v.costif  .ds 
m  J 

wobei  J?  lediglich  von  der  gegenseitigen  Lage  der  Magnete  und  des 
Leiterkreises  abhängig  ist.  Lässt  man  nunmehr  v  ins  Unbestimmte 
wachsen,  so  nähert  sich  2^q>  um  so  mehr  27 jP,  denn  man  kann  leicht  ein- 
sehen, dass  mit  wachsendem  v  auch  I^tp  fortwährend  wächst,  dass  aber 
ein  Wachsthum  von  21  fp  über  ZIF  hinaus  keine  physikalische  Bedeutung 
hat.     Ist  aber  die  mögliche  Grenze 

Zq)  =  SF 

erreicht,  so  ist  der  Wirkungsgrad  der  Maschine  gleich  1,  aber  gleichzeitig 
(nach  Gleichung  34): 

i  =  0. 

Der  Verwandlungscoefficient  einer  solchen  electromagnetischen  Ma- 
schine der  ersten  Art  kann  demnach  nur  unter  der  Bedingung  vergrossert 
werden,  dass  die  in  einer  gegebenen  Zeit  geleistete  Arbeit  gleichzeitig 
abnimmt;  denn  mit  wachsendem  27 g)  nimmt  gleichzeitig  die  Intensität  i 
des  Stromes  und  damit  auch  die  geleistete  Arbeit  H  (man  sehe  Gl.  21) 
ab.    Die  Arbeit,  welche  die  Maschine  wirklich  zu  liefern  im  Stande  ist. 


D.    Induction.  643 

nimmt  demnach  bis  za  Nall  ab,  wahrend  der  Brachtheil  der  aufgewende- 
ten Energie,  welcher  der  äusseren  Arbeit  der  Maschine  äquivalent  ist, 
sich  um  so  mehr  der  Einheit  nähert,  je  mehr  die  Geschwindigkeit,  mit  der 
man  die  Maschine  arbeiten  lässt,  zunimmt.  Immerhin  sieht  man  ein, 
dass  man  bei  geeignet  gewählten  Geschwindigkeiten  noch  einen  namhaf- 
ten Werth  für  die  Intensität  i  behält  und  somit  in  Wirklichkeit  noch 
eine  ansehnliche  mechanische  Arbeit  von  der  Maschine  geleistet  erhält 
and  gleichzeitig  doch  einen  Wirkungsgrad  zu  erreichen  im  Stande  ist, 
welcher  den  Wirkungsgrad,  der  bei  anderen  Maschinen  erzielt  werden 
kann,  wesentlich  übersteigt. 

Für  eine  bestimmte  Geschwindigkeit  kann  der  Wirkungsgrad  sehr 
leicht  gefunden  werden.  Ist  nämlich  io  die  ursprüngliche  Intensität  des 
Stromes,  wenn  die  Maschine  nicht  in  Thätigkeit  ist,  so  gilt  für  fo  die 
Gleichung : 

£F 

und  ist  fi  die  Intensität,  welche  bei  der  betrachteten  Geschwindigkeit 
der  Maschine  noch  stattfindet,  so  ist: 

.■.=^^i^ 35, 

Daraus  findet  man  sofort  den  Wirkungsgrad,  denn  derselbe  ist: 

^-i:F--ir ^^^ 

Aus  dem  leicht  beobachtbaren  Werthe  des  Yerhältnisses  der  Strom- 
intensitäten,  welche  während  der  Ruhe  und  während  der  Arbeit  der 
Maschine  stattfinden,  kann  man  somit  leicht  in  jedem  Falle  den  Verwand- 
Inngscoefficient  eines  electromagnetischen  Motors  berechnen.  Handelt  es 
sich  bei  einer  electromagnetischen  Maschine  nur  um  die  Leistung  irgend 
welcher  mechanischer  Arbeiten,  so  ist  die  gesaramte  Energiemenge  Ü 
nutzlos,  welche  zur  Erwärmung  des  Leitungsdrahtes  dient,  diese  ist: 

U=^  m.ii^.ZX 37) 

In  der  Praxis  wirken  natürlich  ausserdem  die  nämlichen  Umstände  ver- 
mindernd auf  den  Wirkungsgrad,  welche  sich  auch  bei  anderen  Maschinen 
geltend  machen.  Zu  diesen  allgemeinen  UnvoUkommenheiten  kommen 
jedoch  im  vorstehenden  Falle  noch  neue,  nämlich  Funkenbildungen,  Ver- 
änderungen der  Oberfläche  an  den  Stellen,  an  welchen  die  Commutation 
des  Stromes  stattfindet,  und  besonders  das  Warmwerden  des  Eisens  der 
Electromagnete. 

Von  verschiedenen  Autoren,  so  auch  besonders  von  Joule  und 
Müller,  ist  nachgewiesen  worden,  dass  der  Grad  von  Magnetismus,  den 
eine  weiche  Eisenstange  annehmen  kann,  begrenzt  ist.  Vermehrt  man 
die  Intensität  des  magnetisirenden  Stromes,  so  nimmt  der  Magnetismus 

41* 


644  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

der  Stange  minder  rasch  zu,  als  die  Stromintensität  und  streht  einen 
endlichen  Maximalwerthe  zu.  Nach  den  zuerst  von  Ampere  ausge- 
sprochenen Ansichten  denkt  man  sich,  dass  die  elementaren  Bestandtheile 
einer  weichen  Eisenstange  hereits  Magnete  sind,  die  jedoch,  so  lange  die 
Stange  unmagnetisch  ist,  regellos  durch  einander  liegen  und  in  keiner 
Weise  gerichtet  sind.  Der  Vorgang  des  Magnetisirens  wird  von  ihm  ah 
ein  gemeinsames  Richten  der  hereits  hestehenden  Magnete  aufgefaast.  Je 
vollkommener  der  Parallelismus  dieser  Elementarmagnete  ist,  am  w 
stärker  wird  die  Intensität  des  Magnetismus,  und  dieser  hat  das  möglidie 
Maximum  erreicht,  wenn  alle  Elementarmagnete  einander  gleichainnig 
parallel  sind.  Der  Vorgang  des  Magnetisirens  gestaltet  sich  hiernach  za 
einem  rein  mechanischen,  und  hekanntlich  ist  diese  Auffassung  durch  die 
Beohachtungen  G.  Wiedemann's  vollständig  bestätigt  worden,  welcher 
die  wechselseitigen  Beziehungen  zwischen  Torsion,  Stössen  etc.  eineneiti 
und  Magnetismus  andererseits  untersuchte  und  dadurch  nachwies,  das 
der  elementare  Vorgang  in  jedem  Falle  eine  'moleculare  Verschiebung  ist 
Diese  molecularen  Verschiebungen  sind  in  Eisen,  welches  nicht  ganz  weicli 
ist,  mit  Reibungen  verknüpft,  welche  durch  eine  Wärmeentwickelang  ia 
dem  der  Magnetisirung  unterworfenen  Eisen  angezeigt  wird.  Diese 
Wärmemenge  hat  aber  alsdann  ebensogut  ihre  Ursache  in  den  Vorg^ängea. 
welche  die  Bewegung  der  Maschine  veranlassen ;  sie  muss  daher  ebensogut 
als  ein  Arbeitsverlust  angesehen  werden,  und  zwar  ist  derselbe,  wie  die 
Erfahrung  gelehrt  hat,  nicht  unerheblich. 

Durch  Verwendung  von  vollkommen  weichem  Eisen,  welches  mai 
gelegentlich  besonders  für  solche  Zwecke  präparirt  hat,  vermindert  mai 
diese  Art  von  Verluste  allerdings  ausserordentlich.  Trotzdem  ist  seihst 
dann  die  Verwendung  electromagnetischer  Maschinen  f ür  ArbeitsleistimgeB 
von  rein  praktischen  Gesichtspunkten  aus  im  Allgemeinen  nicht  vortheD- 
haft,  wenn  die  chemische  Affinität,  die  in  einer  Batterie  consumirt  wird, 
die  bewegende  Kraft  der  Maschine  liefert.  Der  electrische  Strom  einer 
galvanischen  Batterie  ist  viel  zu  theuer  ^),  als  dass  die  aus  einer  galvani- 
schen Kette  stammende  Wärme  für  die  Erzeugung  von  Arbeit  in  der 
Praxis  irgend  welche  Aussicht  hätte,  andere  Arten  Arbeit  zu  erzeugen, 
zu  verdrängen,  trotz  der  Vollkommenheit,  mit  welcher  diese  Maschinen 
solche  Wärme  in  Arbeit  umzusetzen  im  Stande  sind.  Ganz  anders  freilich 
gestaltet  sich,  wie  wir  im  Folgenden  sehen  werden,  das  Verhältniss,  wenn 
der  Strom  selbst  wieder  durch  eine  electromagne tische  oder  electrody- 
namische  Maschine  erzeugt  wird,  deren  Strom  seine  Ursache  in  con- 
sumirter  mechanischer  Kraft  hat. 


1)  Man  sehe  Capitel  12,  S.  655  u.  f. 


D.    Induction.  645 


lO.    Der  Verwandlungscoefflcient  eleotrisclier  Maschinen, 
welche  als  Motoren  gebraucht  werden. 

Der  Nachweis,  dass  mit  wachsender  Grösse  der  relativen  Bewegung 
des  Inductors  nnd  des  Inducenten  der  Wirkungsgrad  sich  der  Grenze 
1  nähert,  mnss  für  alle  drei  im  Vorhergehenden  von  nns  antei*8chiedenen 
Fälle-  gefuhrt  werden. 

Der  einfachste  und  daher  zuerst  von  uns  untersuchte  Fall  war  der, 
dass  feste  Magneten  auf  einen  beweglichen  von  einem  Strome  durch- 
fiossenen  Leiter  wirken. 

Diesen  haben  wir  bereits  soeben  vollständig  erledigt. 

Zu  dieser  Art  gehören  übrigens  nicht  nur  diejenigen  Maschinen, 
welche  lediglich  feste  Stahlmagnete  besitzen,  sondern  man  muss  dahin 
auch  solche  Vorrichtungen  zählen,  in  welchen  an  Stelle  der  Stahlmagnete, 
Electromagnete  treten,  welche  durch  besondere  Batterien  oder  electrische 
Maschinen  erregt  werden,  deren  Energieconsum  für  die  vorstehenden 
Betrachtungen  nicht  in  Rechnung  gezogen  zu  werden  braucht.  Nur  ist 
hierbei  zu  beachten ,  dass  die  Theorie  solcher  Maschinen  nur  insoweit 
inbegriffen  ist,  als  die  Ströme,  welche  die  Kerne  des  Electromagneten 
umkreisen,  so  kräftig  sind,  dass  man  die  geringen  Intensitätsänderungen 
vernachlässigen  kann,  welche  in  ihnen  durch  die  Bewegung  der  von 
Strömen  durchflossenen  beweglichen  Leiter  hervorgerufen  werden. 

Wir  betrachten  den  Fall,  dass  eine  Electricitätsquelle,  der  Generator, 
einen  Strom  liefert  und  dieser  durch  eine,  electrische  Maschine  in  Arbeit 
umgesetzt  wird. 

Der  zweite  Fall,  der  von  uns  betrachtet  wurde,  war  der,  dass  die 
festen  und  die  beweglichen  Theile  der  Maschine  von  demselben  Strome 
des  Generators  durchflössen  werden.  Auch  hier  gilt  alsdann  die  Glei- 
chung 34): 

.  *_  2JF—Z!q> 

und  in  diesem  Falle  war  (man  sehe  Gleichung  28): 

2J(p  =  —.«./    I  R.v.cos^ .ds. ds'. 

Setzt  man  dies  in  die  vorhergehende  Gleichung  ein  und  reducirt  auf 
i,  so  ergiebt  sich: 

SF 

...     38) 


ZX  -\'  ""  I    1  R'V.cost'ds,ds> 


646  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Das  Doppelintegral  wächst,  sofern  v  ins  unendliche  zanimmt, 
ehenfalls  zu  einem  unendlich  grossen  Betrage,  und  man  erhält  somit  für 
einen  unendlich  grossen  Betrag  von  v  abermals  für  i  den  Werth  NolL 

Der  VerwandluDgscoefficient  W  war,  wie  wir  schon  im  vorhergehen- 
den Paragraphen  zeigten: 

Sowie  nun  t  =  0  ist,  folgt  unmittelbar  aus  Gleichung  34): 

i.£l  +  Uip  =  ZF, 

EF  "^ 
und  somit 

W=  1. 

Der  dritte  zusammengesetzteste  Fall  ist  der,  welcher  bei  electrodj- 
namischen  Maschinen  stattfindet.  Es  ist  dies  derjenige,  in  dem  ein  System 
beweglicher  Electromagneten  sich  vor  einem  System  fester  Electromagneten 
bewegt  und  beide  Systeme  von  einem  und  demselben  Strome  darchfioBBen 
werden.     Auch  hier  ist  selbstverständlich  (man  sehe  Gleichung  7): 

Hierin  repräsentirt  H  die  Arbeit  der  äusseren  Kräfte,  und  diese  be- 
steht aus  drei  verschiedenen  Theilen. 

Einen  ersten  Antheil  geben  die  gegenseitigen  Wirkungen  der  be- 
wegten und  ^er  nicht  bewegten  Theile  des  vom  Strome  durchflosaeneo 
Leiters,  dieser  besitzt  die  Grösse: 


j2 .  /    I  B.v,costlf.ds, ds'. 


Ein  zweiter  Theil  rührt  her  von  der  Wirkung  der  festen  Electro- 
magneten auf  die  beweglichen  Leitertheile.  Bezeichnet  /(f)  die  Fumctioiii 
nach  welcher  die  Kraft  des  Electromagneten  von  der  Strom  in  tensitit 
abhäogt,  so  ist  die  Arbeit,  welche  in  der  Wirkung  eines  festen  Electro- 
magneten auf  einen  beweglichen  Leitertheil  ihren  Ursprung  hat,  gleich: 


*-/W-  /  S.u.co^,%As. 


Hierin  bezeichnet  S.ds  die  Wirkung,  welche  ein  Electromagnet  von 
der  Einheit  der  Wirkung  auf  ein  Stromelement  ds  ausübt,  welches  von 
einem  Strome  durchflössen  wird,  dessen  Intensität  gleich  1  ist.  u  bedeu- 
tet die  relative  Geschwindigkeit  des  Electromagneten  in  Bezug  auf  den 
beweglichen  Leiter  und  %  den  Winkel,  den  die  Kraftrichtuug  S.ds  mit 
der  Richtung  der  Verschiebung  einschliesst.  Für  jeden  festen  Electro- 
magneten muss  ein  derartiger  Ausdruck  gebildet  werden.  Der  zweite 
Theil  der  gesuchten  Arbeit  erhält  demnach  die  Form: 


».27/(1)  .  /  S.tt.  cos^l.ds, 


D.    Induction.  647 

'^obei  die  Samination  2J  sich  auf  sämratliche  feste  Electromagneten  er- 
Btreckt.  Der  di-itte  Theil  endlich,  der  bei  weitem  beträchtlichste,  ist  der- 
jenige, welcher  sich  auf  die  gegenseitige  Wirkung  der  beweglichen  und 
festen  Electromagnete  bezieht  Jeder  bewegliche  £lectromagnet  giebt 
zwei  Ausdrücke  von  der  Form: 

fp(i).fq{i)'U.tv.€o$d. 

fp{i)  bezeichnet  die  magnetische  Intensität  des  betrachteten  beweg- 
lichen Electromagneten,  fq  (i)  die  Intensität  des  auf  ihn  wirkenden  übrigen 
magnetischen  Systems,  ü  ist  die  Wirkung,  welche  stattfinden  würd«, 
^wenn  die  magnetische  Wirkung  sowohl  des  beweglichen  als  des  übrigen 
Systemes  der  Electromagnete  gleich  1  wäre,  i/o  ist  die  relative  Geschwin- 
digkeit des  beweglichen  Electromagneten  in  Bezug  auf  das  System  und  0 
der  Winkel  dieser  Bewegung  und  der  Wirkung  ü.  Jeder  bewegliche 
Magnet  liefert  für  jeden  seiner  Pole  einen  solchen  Ausdruck«  Alle  diese 
Wirkungen  müssen  für  alle  Electromagneten  summirt  werden,  und  man 
erhält  den  dritten  Theil  der  gesuchten  Arbeit  gleich: 

Hiernach  erhält  man  zur  Bestimmung  von  Sq)  aus 

die  Gleichung: 
£q>  =  — ••.  /    /  R.v.cos^ .ds.ds* •{-  — --Smt).  f  S.u  .  cosxAds 

+  i''\  £[fp(i).M).ü.iv.md] 39) 

91}       t 

Die  Functionen /(i)  besitzen  bekanntlich  sämmtlich  die  Eigenschaft, 

dass,  je  mehr  sich  i  der  Null  nähert,  um  so  mehr/(i)  dem  Argumente  i 

f(i) 
proportional  wird.   Hiernach  nähert  sich  der  Quotient  —r-  mehr  und  mehr 

einer  bestimmten  Grenze,  je  mehr  i  selbst  der  Grenze  Null  zustrebt. 
Hiemach  kann  man  abkürznngsweise  für  IJip  schreiben: 

Z(p  =  i.M  +  i,Fi(i)  +  i.F^it)     ....     40) 
oder  noch  einfacher: 

2:(p  =  i.O(i) 41) 

wobei  O (i)  eine  Function  der  Stromiutensität  ist,  welche  für  i=0 nicht 
verschwindet,  und  die  ins  Unendliche  wächst,  wenn  die  Geschwindigkeit 
anendlich  gross  wird. 

Setzt    man     dies     in    die    schon     mehrfach    benutzte     allgemeine 
Gleichung 

•■=^^^ ") 


und  hieraus: 


648         III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

ein,  so  erhält  man: 

.^5£-^*® „, 

Hieraus  erkennt  man,  dass  der  Strom  für  wachsende  Geschwindigkeit 
mehr  und  mehr  his  ins  Unhegrenzte  zunimmt,  i  selbst  aber  nähert  sich 
dann  um  so  mehr  der  Grenze  Null. 

Für  i  =  0  aber  wird,  wie  wir  schon  vorhin  sahen, 

und  somit  der  Verwandlungscoefficient 

^  —  2F 
für  unendliche  Geschwindigkeit. 


11.    Andere  Ableitung  des  Yerwandlungscoefflcienten. 

Aus  vorstehenden  Betrachtungen  hat  sich  zunächst  ergeben,  dass, 
wenn  man  den  von  einer  galvanischen  Batterie  oder  einer  electrischen 
Maschine,  für  beide  wollen  wir  den  gemeinsamen  Namen  Generator  ge- 
brauchen, erzeugten  Strom  sich  nicht  unmittelbar  in  Wärme  umsetseo 
lässt,  sondern  ihn  zu  einer  Arbeitsleistung  verwendet,  sich  eine  electro- 
motorische  Kraft  im  Leitungskreise  entwickelt,  welche  der  des  Generators 
entgegen  wirkt.  Es  ist  dies  die  Kraft,  welche  der  electromotorischen 
Kraft  2JF  entgegengesetzt  ist,  die  wir  in  den  vorstehenden  Gapitelo 
mit  Uip  bezeichnet  haben.  Diese  Grösse  £(p  ist  die  electromotorische 
Gegenkraft,  welche  die  electrische  Maschine,  die  als  Motor  benutzt  wer- 
den soll,  entwickelt,  wenn  sie  durch  den  Strom  des  Generators  in  Be- 
wegung gesetzt  wird.  £(p  ist  die  electromotorische  Gegenkraft,  welche 
sich  im  Lichtbogen  entwickelt,  wenn  zwischen  den  Kohlenspitzen  der 
electrischen  Lampe  oder  den  Kohlen  der  electrischen  Kerze  die  Licht- 
entwickelung eintritt  ^).  Wird  jedoch  der  Strom  des  Generators  benutset, 
um  chemische  Arbeit  zu  leisten,  so  ist  die  electromotorische  Kraft  der  ent- 
stehenden Polarisation  die  Grösse  2J(pi  welche  in  Gleichung  34)  auftritt 

Nutzlos  verloren  ist  ausser  dem  Theile  der  dem  Generator  über- 
tragenen Energie,  welcher  durch  Reibung,  Stösse  und  die  den  electrischen 
Maschinen  noch  besonders  eigenthümlichen  Nachtheile  consumirt  wird. 


^)  Die  Existenz  einer  solchen  electromotorischen  Gegenkraft  im  Lichtbogen  ist  be- 
kanntlich zuerst  von  E  dl  and  nachgewiesen  worden.  Man  sehe:  Edlnnd,  Pogg.  Ann., 
Bd.  134,  S.  280.  Auch  vergleiche  man:  Wiedemann,  Galvanismus,  2.  Aufl.,  Bd.  1, 
S.  938. 


D.    Induction.  649 

-wie  bereits  erwähnt,  auch  diejenige  £nergie,  welche  in  den  Leitungsdrähten 
in  Wärme  umgesetzt  wird.  Diese  Wärmemenge  ist  poyportional  der 
Grösse  i',  dem  Quadrate  der  im  ganzen  System  herrschenden  Strom- 
stärke. Je  kleiner  also  i  wird,  um  so  geringer  ist  die  Energiemenge, 
-welche  im  Leiterkreise  nutzlos  in  Wärme  yerwandelt  wird.  Nach  61.  34, 
S.  642  aber  ist : 

2JF  —  Zw 
*  = zT—: 

und  daraus  erkennt  man  aufs  Neue,  dass  i  um  so  kleiner  wird,  je  mehr 
2(py  die  electromotorische  Gegenkraft,  sich  dem  Maximalwerthe  2jF 
nähert.  Dies  aber  ist  das  nämliche  Resultat,  zu  welchem  wir  in  dem 
vorigen  Paragraphen  auf  ganz  anderem  Wege  geführt  worden  waren. 

Die  Gesammtenergie  Q^  welche  der  Generator  aufnimmt,  ist  (in 
Pferdestärken,  wenn  i  in  Amperes,  SF  und  £(p  in  Volts  und  £k  in 
Ohms  gegeben  sind): 

^  -  735J  W  •  L-^^J  -  735J i^Ä]  ...    45) 

Der  Theil  dieser  Energiemenge  6r,  welcher  durch  Yermittelung  der 
entgegengesetzt  wirkenden  electromotorischen  Kraft  in  nützliche  Arbeit 
umgesetzt  wird,  wir  wollen  ihn  mit  ^bezeichnen,  ist  (ausgedrückt  in 
Pferdekräften  pro  Secunde): 

A/Vill  man  auf  ähnliche  Weise  auch  noch  die  nutzlos  verlorene  Energie 
O  —  ^ausdrücken,  so.  erhält  man^): 

Für  den  Verwandlungscoefficienten  W  der  Maschine  oder  der  Vor- 
richtung findet  man  wiederum: 

W  =  ^  =  ^ 

G        £F 

Diese  vorstehenden  Formeln  sind  in  vielen  Beziehungen  sehr  lehrreich. 
Man  ersieht  aus  denselben,  dass  die  in  nützliche  Arbeit  verwandelte 
^Energie  N  proportional  der  Stromintensität  und  der  electromotorischen 
Gegenkraft  ist,  während  der  nutzlos  verlorene  Theil  der  Energie  ff — N 
porportional  dem  Quadrate  der  Stromintensität  im  Systeme  ist.  Man  er- 
kennt daraus  leicht,    dass  die  Kraftübertragung  um   so  vollkommener 


^)  Will  man  die  Grossen  G  und  N  in  Kilogrammmetern    pro  Secunde   ausgedrückt 
haben )   so   braucht  man  blos  in   den  Gleichungen  44),   45)   und  46)  den  Coefßcienten 


durch  •— -—-  =  Tr:-  zu  ersetzen. 


735,7  735,7         9,81 


650  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

stattfindet,  je  hoher  die  electromotorische  Kraft  (je  grösser  die  Spannung 
der  Electricität)  27<p  und  je  geringer  die  Stromstarke  i  ist. 

Diesen  Anforderungen  wird  man  um  so  näher  kommen,  1.  je  mehr 
man  die  rela:tive  Geschwindigkeit  vergrössert,  mit  der  sich  die  iuducirten 
und  inducirenden  Theile  des  Leiters  gegen  einander  bewegen;  2.  je  mehr 
man  die  Intensität  der  magnetischen  Felder  vergrössert;  3.  je  groaser 
die  Drahtmassen  werden,  zwischen  welchen  inducirende  Wirkungen  statt- 
finden. Dies  zeigt,  dass  wir  unsere  electrischen  Maschinen  nach  wesent- 
lich anderen  Principien  bauen  müssen,  als  dies  jetzt  geschieht,  wenn  wir 
fär  die  Umsetzung  der  mechanischen  Energie  irgend  eines  Motors  in 
electrische  Energie  durch  den  Generator  und  Rückumsetzung  in  mecha- 
nische Energie  oder  chemische  Arbeit  günstige  Verhältnisse  erhalten 
wollen.  Die  der  Zeit  im  Betriebe  befindlichen  electrischen  Maschinen 
sind  Yorzugsweise  gebaut,  um  zu  zeigen,  welche  Massen  von  Wärme  und 
Licht  man  mit  verhältnissmässig  kleinen  Maschinen  hervorzubringen  im 
Stande- ist;  dergleichen  Vorrichtungen  sind  aber,  wie  die  vorstehenden 
Formeln  lehren,  für  die  Lösung  des  Problems  der  Uebertragung  von 
Kraft  auf  electrischem  Wege  im  höchsten  Grade  unwirthschaftlich.  Für 
diese  Zwecke  wird  man  in  Zukunft  grosse  electrische  Maschinen  mit 
grossem  inneren  Widerstände  construiren,  deren  Theile  sich  ungemein 
rasch  bewegen  und  wird  für  die  Fortleitung  der  Electricität  (wegen  der 
hohen  Spannung)  für  gut  isolirte  Leitungen  sorgen  müssen. 


12.    üeber  die  Wirthschaftlichkeit  der  mit  Batterien 
betriebenen  electromagnetisohen  Maschinen. 

Joule  schätzt,  dass  die  Production  einer  bestimmten  Wärmemenge 
unter  Anwendung  der  galvanischen  Kette  ungefähr  50  bis  60  Mal  so 
theuer  zu  stehen  kommt,  als  wenn  man  dieselbe  Wärmemenge  durch 
Verbrennung  von  Steinkohle  erzeugt.  Obgleich  nun  eine  Dampfmaschine 
nur  ungefähr  Ve  oder  V?  der  dem  Dampfkessel  mitgetheilten  Wärme  in 
nützliche  Arbeit  umsetzt  und  dieser  Bruch  noch  beträchtlich  kleiner 
wird,  wenn  man  die  auf  dem  Roste  erzeugte  Wärme  in  Betracht  zieht, 
so  bleiben  diese  Maschinen  doch  noch  immer  den  electromagnetischen 
Motoren  gegenüber  bedeutend  im  Vortheil. 

Nachstehende  Betrachtung  gestattet  die  Richtigkeit  seiner  Behaup- 
tung zu  prüfen.  Jacobi^)  hat  zuerst  versucht  das  Arbeit«maximum 
auf  theoretischem  Wege  zu  bestimmen,  welches  eine  electromagnetische 
Maschine  in  einer  gegebenen  Zeit  zu  liefern  im  Stande  ist.  Selbstredend 
kann  hierbei  nur  von  rotirenden  electromagnetischen  Maschinen  die  Rede 


^)  Annales  de  chimie  et  de  physique  3.  Serie,  Bd.  34,  S.  451. 


D.    Induction.  651 

sein,  nicht  aber  von  oscillirenden ,  welche  äusserlich  und  ihrer  Be- 
wegongsart  nach  den  Dampfmaschinen  nicht  unähnlich  sind.  Die  letzten 
arbeiten  mit  ungleichförmiger  Geschwindigkeit  und  können  die  theore- 
tische Mazimalarbeit  auch  nicht  annähernd  leisten. 

Bei  allen  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit  arbeitenden  Maschi- 
nen ist  die  durch  Inductionswirkungen  erzeugte  electromotorische  Gegen- 
kraft £(p: 

wobei  V  eine  Grösse  ist,  welche  mit  zunehmender  Geschwindigkeit  fort- 
während wächst.     Man  hat  aber  (siehe  Gleichung  S.  34) 

und  somit,  wenn  man  fär  Stp  obigen  Werth  einsetzt: 

£k       '■ 
hieraus  findet  man: 

2F 


48) 


V  +  2JX 

Die  in  der  Zeit  dt  geleistete  elementare  Arbeit  ist  hiemach : 

H.dt  =  tn.v.i^.dt 
oder,  wenn  man  für  i  seinen  Werth  einsetzt: 

Ist  die  Geschwindigkeit  der  Maschine  durchaus  gleichförmig  gewor- 
den, so  ist  die  in  der  Zeiteinheit  geleistete  Arbeitsmenge  H: 

^  -  (e;  +  Sky *"^ 

Man  erhält  nun  das  Maximum  der  in   der  Zeiteinheit  geleisteten 
Arbeit,  wenn 

—  =  0 

dv 

ist. 

Dies  ergiebt  ausgeführt  die  Bedingungsgleichung  des  Maximums: 

Diese  Gleichung  wird  erfüllt,  wenn  ^ 

V  -\-  2^k  =  00, 
wäre,  da  das  aber  nicht  möglich  ist,  bleibt  nur  die  andere  Wurzel  brauch- 
bar, dass  nämlich  die  Gleichung  Null  wird,  wenn: 

t;  J-  2:A  — 2t;  =  0, 
oder: 

v^Zk 50) 

ist. 


652  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Setzt  man  das  in  Gleichung  48)  ein,  so  erhält  man  die  Strominten- 
sität  i\  bei  welcher  das  Maximum  der  Arbeit  in  jeder  Zeiteinheit  geleistet 
wird.     Man  erhält  für  t': 


f 


22]X 


Da  nun  die  ursprüngliche  Intensität  (q  bei  ruhender  Maschine,  nach 

S.  643,  Zeile  14  v.  o. 

SF 


''-^k 


ist,  findet  man  auf  diese  Weise : 


«'  =  2^0 51) 


Soll  eine  electromagnetische  Maschine  also  das  Maximum  der  Arbeit 
in  einer  gegebenen  Zeit  leisten,  so  geschieht  dies,  wenn  die  ursprüngliche 
Intensität  des  galvanischen  Stromes  der  treibenden  Kette  durch  die  bei 
der  Bewegung  der  Maschine  erzeugten  Inductionsströme  auf  die  HalÜe 

herabgemindert  wird. 

•         • 

Der  UmwandluDgscoefficient  — : —  ist  alsdann  selbstverständlich: 

W=^ 52) 

Gewiss  hat  man  nicht  selten  die  Geschwindigkeit  erreicht,  welche 

erforderlich  ist,  umt=  — «q  ^^  machen,  und  trotzdem  haben  sich  für  prak- 

tische  Zwecke  die  durch  galvanische  Batterien  betriebenen  electromag* 
netischen  Motoren  als  unzweckmässig  und  zu  kostspielig  erwiesen.  Nur 
in  einigen  wenigen  besonderen  Fällen,  in  welchen  es  sich  um  Arbeits- 
leistungen von  geringer  Grösse  handelt ,  haben  dieselben  mit  Erfolg 
dauernde  Anwendung  gefunden.  Auch  haben  sich  electromagnetische 
Motoren  in  solchen  Fällen  bewährt,  in  welchen  es  sich  um  sehr  regel- 
mässige Bewegungen  handelt,  die  öfters  plötzlich  unterbrochen  und 
wieder  aufgenommen  werden  müssen. 

£s  liegen  eine  Anzahl  directer  Messungen  an  electromagnetischen 
Maschinen  vor,  welche  in  der  That  zu  beweisen  scheinen,  dass  der  Ver- 
wandlungscoefficient  dieser  Art  von  Motoren  keine  sehr  grossen  Werthe 
annimmt,  welche  also  den  geringen  wirthschaftlichen  Werth  solcher 
durch  galvanische  Maschinen  betriebenen  Motoren  darthuen.  Selbstver- 
ständlich ist  die  wirklich  an  dem  Motor  auftretende,  ausserhalb  verwend* 
bare  Nutzarbeit  noch  um  ein  Beträchtliches  geringer,  als  die  theoretische 
Nutzarbeit,  weil  ein  nicht  unerheblicher  Theil  der  Arbeit  zur  lieber- 
Windung  der  Reibungswiderstände  verwendet  wird  und  durch  Funken- 
bildung an  den  Commutatoren  in  Wärme  umgesetzt  wird. 

Als  aufgewendete  Wärmemenge  ist,  sofern  der  Motor  darch   eine 


D.    Induction. 


65ä 


galvanische  Batterie  betrieben  wird,  die  in  den  Elementen  consumirte^ 
potentielle  Energie  der  chemischen  Affinität  anzusehen. 

Die  Yon  einer  Batterie  in  der  Secunde  consumirte  Energiemenge 
ist  (man  sehe  Gl.  30,  S.  641)  in  Pferdestärken  ausgedrückt: 

^  =  w--^ •  ■  ''^ 

wenn  i  die  Stromstärke  in  Amperes,  E  die  electromotorische  Kraft 
jedes  galvanischen  Elementes  in  Volts  und  n  die  Anzahl  der  hinterein- 
ander verbundenen,  unter  sich  gleichen  Elemente  bedeutet. 

Bezeichnet  N'  die  mit  dem  Dynamometer  gemessene  wirkliche  Ar- 
beitsleistung des  Motors  in  Pferdestärken,  so  ist: 

El 

G 

der  NntzefFect  des  Motors. 

Hat  man  gleichzeitig  in  den  Leiterkreis,  welcher  Batterie  und  Motor 
mit  einander  verbindet,  einen  Strommesser  eingeschaltet,  welcher  die 
Stromstärke  abzulesen  gestattet,  so  erhält  man  aus  der  Stromstärke  t, 
während  der  Arbeitsleistui^  und  der  Stromstärke  «oi  welche  stattfindet, 
wenn  die  Maschine  sich  in  Ruhe  befindet,  den  Yerwandlungscoefficienten : 

«0  —  «1 


W  = 


♦o 


54) 


Wir  theilen  im  Nachstehenden  einige  Versuche  mit,  welche 
A.  V.  Walte nhofen  ^)  mit  einem  KrahvogFschen  Motor  angestellt  hat. 
Derselbe  ist  nicht  unähnlich  dem  Pacinotti' sehen  Ringmotor  und  hat 
selbst  bei  massiger  Umdrehungsgeschwindigkeit  im  Vergleich  zu  anderen 
Motoren  dieser  Art  relativ  sehr  günstige  Resultate  ergeben;  weiterhin 
folgen  noch  einige  Versuche iVon  Handmann  ^)  mit  einem  oscillirenden 
£gg er* sehen  Motor.  ' 


Anzahl 
der  Um- 
drehun- 
gen pro 
Secunde 

Strom- 
stärke i 

in 
Amperes 

Electro- 
motorische 
Kraft  n .  E 

in  Volts 

Aufgewen- 
dete Arbeit 
0  in  Pferde- 
stärken 

Aeusserlich 
nutzbare  Ar- 
beit N*  in 
Pferde- 
stärken 

Verhältniss 
d.  Nutisarbeit 

zur  aufge- 
wendeten Ar- 
beit in  Proc. 

Q 

»—4 

°l 

1,33 
2,17 
2,50 
5,00 
6,15 

3,79 
3,42 
3,34 
2,80 
2,47 

11,4 
11,4 
11,4 
11,4 
11,4 

0,0587 
0,0529 
0,0518 
0,0434 
0,0383 

0,00776 
0,01040 
0,01241 
0,00871 
0,00536 

13,2  Proc. 
19,7      „ 
24,0      „ 
20,0      „ 
14,0      „ 

CD 

2,74 
2,26 
2,85 
3,45 

5,7 
5,7 
7,6 
7,6 

0,0212 
0,0175 
0,0301 
0,0356 

0,00317 
0,00338 
0,00474 
0,00570 

14,9  Proc. 
19,3      . 
15,7      „ 
16,0      „ 

1)  A.  von  Walten hofen,  Dingler's  Journal,  Bd.  183,  S.  428. 
^)  R.  Handmann,  Der  neue  Egger'sche  Motor,  Münster  1879* 


654        III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

£s iBt  angenommen :  Stromstärke  inAmpereB  =  Stromstarke  in  Ja- 
cobi  10,54,  und  electromotorische  Kraft  von  einem  IBnnBen-(GroYe-) 
elemente  =  1,9  Volte. 

Man  erkennt,  dass  im  allergünstigsten  Falle  ungefähr  der  Tierte 
Theil  der  von  der  Batterie  consumirten  Energie  als  nützliche  Arbeit 
zum  Vorschein  kommt. 

Dies  wäre  kein  ungünstiges  Verhältniss,  wenn  nicht  die  HerstelloogB* 
kosten  der  aufgewendeten  Energie  G  in  diesem  Falle  ungewöhnlich  hoch 
wären. 

Aus  der  Formel  51) 

735,7 

folgt: 

735,7 .  G 
t  = • 

n.E 

Nun  entwickelt  aber  die  Stromintensität  von  1  Ampere  10,54  cbcm 

Knallgas  in    der  Minute,    also    die   Stromintensität    von    i  Amperes 

«.10,54    cbcm    Knallgas.      Ein    Molecül    (=   18  kg)    Wasser,    d.  h. 

33  515  000  cbcm  Knallgas  sind  einem  Molecüle,  d.  h.  65,2  kg  Zink  äqoi- 

i .  10  54 
valent.    Bei  einer  Stromstärke  von  i  Amperes  werden  somit  ^^'     '    . 

*^  33515000 

.  65,2  kg  Zink  pro  Minute  =  0,00002047 .  i .  kg  Zink  pro  Minute  in  jedem 

Elemente   oder  jeder   der  neben   einander  verbundenen  ZellengmppeD 

gelöst. 

Für  die  Energiemenge  G  werden  somit  in  den  n  Elementen  der 

Batterie : 

^^^^^^^,^    .            0,00002047.0.7*35,7,      ^.  ^  „.     ^ 

0,00002047  J.n  = = kg  Zink  pro  Minute 

consumirt. 

Für  eine  Pferdekraft  {G  =  1)  beträgt  somit  (wenn  E  in  Volts  ge- 
geben ist)  der  Zinkconsum  pro  Stunde: 

0,00002047 .  735,7 .  60  _  0,9035 

E  ~      E       ^' 

Das  erhaltene  Resultat  ergiebt  den  bemerken swerthen  Satz,  dass  der 
zur  Production  einer  bestimmten  Arbeitsmenge  bei  Anwendung  einer 
galvanischen  Batterie  erforderliche  Zinkconsum  der  electromotorischen 
Kraft  der  verwendeten  Elemente  umgekehrt  proportional  ist. 

Benutzt  man  Bunsen'scbe  Elemente,  deren  electromotorische  Kraft 
nahezu  gleich  1,9  Volts  ist,  so  findet  man  den  Zinkconsum  pro  Stande 
und  Pferdekraft  zu:  0,475  kg. 

Ausserdem  werden  gleichzeitig  ungefHhr  2  kg  Salpetersäure  (Dichte 
=  1,33)  verbraucht. 


D.    Induction.  655 

Nimmt  man  nun  an,  dass  die  Kosten  der  zur  Füllung  der  Elemente 
▼erwendeten  Schwefelsäure  und  der  Amalgamation  des  Zinkes,  sowie  die 
Amortisationskosten  der  Elemente  durch  die  Yerwerthung  des  entstehen- 
den Zinkvitriols  gedeckt  werden,  so  bleiben  als  Aufwand  stehen:  die' 
Kosten  von  ungefähr  0,5  kg  Zink  und  2  kg  Salpetersäure  fär  jede  der 
electromagnetischen  Maschinen  zugefiihrte  Pferdekraft  pro  Stunde. 

Nimmt  man  nun  an,  dass  im  Mittel  ungefähr  20  Proc.  der  in  der 
Batterie  consumirten  Energiemenge  am  Motor  als  Nutzarbeit  wieder 
erscheinen,  so  muss,  um  1  Pferdekraft  Nutzarbeit  zu  erhalten,  der  5  fache 
Betrag  also:  2,5  kg  Zink  und  10  kg  Salpetersäure  pro  Stunde  aufge- 
mrendet  werden.  Nimmt  man  den  Preis  von  1  kg  Zink  zu  1,5  Mark  und 
den  von  1  kg  Salpetersäure  zu  0,5  Mark  an,  so  kostet  eine  Pferdekraft, 
erzeugt  durch  eine  Bunsenbatterie  mit  Hilfe  eines  electromagnetischen 
Motors  pro  Stunde:  8,75  Mark. 

Bei  einem  guten  Gasmotor  kostet  (man  sehe  Bd.  2,  S.  546)  die 
Pferdekraft  pro  Stunde  ungefähr  0,2  Mark.  Mithin  wäre  die  Arbeit 
eines  durch  eine  Bunsenbatterie  betriebenen  EUectromotors  mehr  als 
40  Mal  so  thener,  als  die  gleiche  Arbeitsleistung  einer  Gaskraftmaschine. 


13.    Die  electrisohen  Maschinen  als  Eleotrioitätsquellen. 

Die  Erfahrung,  welche  wiederholt  gemacht  worden  war,  dass  es  im 
Allgemeinen  unwirthschaftlich  sei  durch  electrische  Ströme  Motoren  zu 
treiben,  welche  erhebliche  Mengen  mechanischer  Arbeit  zu  leisten  im 
Stande  sind ,  Hess  es  im  Voraus  als  wahrscheinlich  erscheinen ,  dass  es 
wirthschaftlich  richtiger  sein  werde  die  kostspielige  Herstellung  der 
electrisohen  Ströme  durch  Anwendung  galvanischer  Batterien  dadurch 
zu  ersetzen,  dass  man  versuchte  umgekehrt  mechanische  Arbeit  in  elec- 
trische Energie  zu  verwandeln.  Schon  die  Erfahrungen  mit  den  Influenz- 
electrisirmaschinen  zeigten,  dass  man  durch  einen  verhältnissmässig  gerin- 
gen Aufwand  von  mechanischer  Arbeit  beträchtliche  Mengen  electrischer 
Energie  produciren  könne.  Die  alten,  schon  lange  bekannten  Maschinen 
mit  permanenten  Magneten  waren  zu  schwerfällig  und  bis  zur  Einfüh- 
rung des  Siemens'schen  T- Ankers  zu  wenig  leistungsfähig,  um  eine 
für  die  Praxis  bedeutsame  Durchführung  dieses  Gedankens  zu  ermög- 
lichen. Erst  durch  die  Erfindung  ^)  und  Ausbildung  des  Principes,  wel- 
ches den  dynamoelectrischen  Maschinen  zu  Grunde  liegt,  war  der  Weg 
gefunden,  dessen  Verfolg  jetzt  zu  einer  ausgedehnten  Anwendung  der 


')  Die  Ehre  der  Erfindung  dieses  Principes  gebührt  zweifelsohne  Werner  Sie- 
mens (1866).  Ihm  folgte  erst  einige  Monate  später  Wheatstone  (1867),  welcher 
möglicherweise  den  Gedanken  selbstständig  concipirt  hatte. 


656         in.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

electriscben  Ströme  in  der  PraziB  und  zu  einer  tiefgreifenden  Umgestal- 
tung vieler  Theile  der  Technik  zu  führen  beginnt. 

Heute  ist  bereits  der  Zeitpunkt  vorauBznsehen,  von  welchem  an  die 
Erzeugung  von  E]^ctricität  durch  galvanische  Batterien  nur  auf  eine 
sehr  geringe  Zahl  von  Fällen  beschräakt  sein  wird.  Die  Theorie  der 
electrischen  Maschinen,  welche  als  Electricitätsquellen  dienen,  ist  bis  jetzt 
nur  in  sehr  rohen  Grundzügen  aufgestellt  worden.  Diese  Theorie,  welche 
wir  im  Nachfolgenden  mittheilen,  gestattet  zwar  den  Verlauf  des  Haupt- 
phänomenes  an  der  Hand  der  Rechnung  zu  übersehen,  nicht  aber  den 
Einfluss  der  zahlreichen  secundären  Erscheinungen  genau  zu  verfolgen, 
welche  bei  diesen  Maschinen  stets  mit  auftreten. 

Aus  der  Formel  des  Jonl ersehen  Gesetzes  ^) 

und  dem  Ohm'schen  Gesetze: 

folgt  unmittelbar  die  schon  mehrfach  von  uns  benutzte  Gleichung  13), 

S.  631: 

J.Q  =  mA.EF, 

d.  h.  die  zur  Erzeugung  eines  electrischen  Stromes  erforderliche  Energie- 
menge ist  proportional  dem  Producte  aus  Stromintensitat  und  electro- 
motorischer  Kraft.  In  anderen  Worten  ausgedrückt  heisst  das,  die 
Energie  eines  electrischen  Stromes  ist  gleich  dem  Producte  aus  sein«' 
Intensität  und  der  electromotorischen  Kraft  des  Stromerzeugers. 

Wird  durch  Aufwendung  äusserer  Energie  eine  electrische  Maschine 
in  Bewegung  gesetzt,  so  entsteht  durch  die  Inductionswirkang  magneti- 
scher Systeme  auf  bewegte  Theile  des  Leiters  ein  electrischer  Strom. 
Die  Inductionswirkung  ruhender,  vom  Strom  durchflossener  Leit^r- 
theile  auf  bewegte  ist  bei  fast  allen  electrischen  Maschinen«  sofern  sie 
im  Vorstehenden  nicht  bereits  mit  eingeschlossen  sind,  von  untergeord- 
neter Bedeutung, 

Die  electromotorische  Kraft  der  Inductionswirkungen  ist  proportional 
der  relativen  Geschwindigkeit,  mit  der  die  Leitertheile  ihre  gegenseitige 
Lage  ändern;  diese  aber  ist,  da  alle  derartige  Bewegungen  rotirende 
sind,  proportional  der  Umdrehungszahl  (Tourenzahl)  v.  Ausserdem  ist 
die  electromotorische  Kraft  noch  proportional  der  Länge  des  Drahtes, 
auf  welchem  die  Inductionswirkung  ausgeübt  wird,  also  proportional  der 
Windungszahl  n  der  bewegten  InductorroUen  (des  Ankers).  Endlich 
aber  ist  die  electromotorische  Kraft  proportional  einem  Coefficienten  If, 
welcher  die  electromotorische  Kraft  der  Inductionswirkung  des  gesamm- 
ten  magnetischen  Systeme  bei  der  Tourenzahl  1  auf  eine  einzige  Win- 


^)  Die  Grosse  von  m  für  die  rerschiedcoen  Einheiten  sehe  man  S.  641. 


D.    Induction. 


657 


dnng  repräsentirt.     Fröhlich  nennt  diesen  für  jede  Maschine  indivi- 
duellen Goefficienten  M  den  „wirksamen  Magnetismus". 

Wählt  man  für  M  die  geeigneten  Einheiten,  so  erhält  man  un- 
mittelbar : 

M.n,v 

*  =  -^r 55) 

Diese  Gleichung  gilt  ohne  Weiteres  für  jede  electrische  Maschine, 
deren  magnetisches  System  unveränderlich  ist. 

Die  Richtigkeit  dieser  Gleichung  ist  von  A.  v.  Waltenhofen^) 
durch  Versuche  mit  einer  Siemens^ sehen  Fünfzigmagnethandmaschine 
auch  experimentell  nachgewiesen  worden.  Das  magnetische  Feld,  in 
"welchem  die  Windungen  des  Ankers  rotiren,  wird  durch  die  Wirkung 
von  50  permanenten  Stahlmagneten  hergestellt. 

Wenn  bei  allen  Versuchen  mit  derselben  Maschine  n  und  M  unver- 
änderlich sind,  muss  nach  Gleichung  52  die  electromotorische  Kraft 
Jlf .  n .  V  der  Tourenzahl  v  proportional  sein. 

Versuche  mit  einer  Siemen Büschen  Fünfzigmagnetmaschine. 


Tourenzahl  v 

ElectromotoriBche 

des  Inductors 

Kraft  M.n  ,v 

in 

M.n 

pro  Secunde 

Amperes 

1,75 

2,0 

1,17 

3,50 

4,2 

1,19 

1 

8,2 

1,17 

14 

16,7 

1,19 

21 

24,9 

1,19 

Da  die  Windungszahl  n  eine  constante  Zahl  ist,  dürfte  damit  die 
Constanz  der  mit  dem  Namen  wirksamer  Magnetismus  bezeichneten 
Grosse  M  zur  Genüge  erwiesen  sein. 

^)  Ueber  eine  directe  Messung  der  Inductionsarbeit  and  eine  daraus  abgeleitete  Be- 
ßtimmung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme.  Wiedemann's  Annalen,  Bd.  9, 
S.  81  bis  95.  Die  Arbeit,  welche  erforderlich  war,  um  einen  electrischen  Strom  von 
bestimmter  Intensität  zu  erzeugen,  wurde  mit  einem  Federdynamometer  gemessen,  aus 
der  Stromstärke  i  und  dem  Widerstand  X  wurde  die  electromotorische  Kraft  J&,  und  aus  i .  E 
die  erzeugte  electrische  Energie  bestimmt,  welche  die  Maschine  erzeugt,  v.  Walten- 
hofen  fand,  dass,  um  in  einem  Schliessungskreise  Ton  1  S.  £.  Widerstand  die  elec- 
tromotorische Kraft  7on  1  Daniell  zu  erzeugen,  0,13  Kgm  Arbeit  pro  Secunde  erforderlich 
seien.  Nach  Thomson  und  Jenkin  wurde  angenommen,  dass  788,4  Calorien  in  der 
Da  nie  11' sehen  Kette  dem  Verbrauche  der  Gewichtseinheit  Zink  entsprechen.  Hieraus 
bestimmte  v.  Waltenhofen  aus  der  gemessenen  Inductionsarbeit  und  der  electrischen 
Energie  das  mechanische  Wärmeäquivalent  zu  I  ^  421  kg. 

Bühlmann,   Mechan.  WiLrmetheorie.    Bd.  II.  42 


658        IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Gleichzeitig  erkennt  man,  dass  die  electromotorische  Kraft  solcher 
Maschinen  der  Tourenzahl  proportional  ist. 
Der  Form  nach  wird  die  Gleichung  52) 

. M.  n,v 

auch  für  dynamoelectrische  Maschinen  gültig  hleihen  müssen ;  die  Grösse 
M  jedoch,  welche  für  Maschinen  mit  permanenten  Magneten  constant 
war,  ist  bei  den  dynamoelectrischen  Maschinen  eine  Function  der  Strom- 
intensität f.  Bei  dieser  letztgenannten  Art  von  electnschen  Maschinen 
also  ist: 

M  =  f{i). 

Man  weiss  nun,  dass  der  wirksame  Magnetismus  eines  Electromag- 
neten  nicht  einfach  der  Stromstärke  proportional  ist,  dass  man  demnach 
nicht  M  =  c,i  setzen  darf,  sondern  dass  mit  wachsender  Stromstarke 
sich  der  Magnetismus  asymptotisch  einem  Maximum,  dem  Sättigungs- 
zustande des  Electromagneten,  nähert.  Der  Magnetismus  wächst  lang- 
samer als  die  Stromstärke,  und  diese  Abweichung  von  der  Proportionali- 
tät, welche  selbst  wieder  von  i  abhängig  ist,  soll  mit  q)(t)  bezeichnet 
werden,  so  dass  sich  bei  dynamoelectrischen  Maschinen  fürilf  die  Form: 

M  =  c,i  —  g)(i) 56) 

ergiebt. 

Da  wir  die  Magnetisirungsvorgänge  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der 
Stromintensität  überhaupt  noch  nicht  vollkommen  kennen  ^  blieb  nichts 
anderes  übrig,  als  die  Constante  c  und  die  Form  der  Function  9>(f)  auf 
experimentellem  Wege  zu  bestimmen.  Dieser  Aufgabe  hat  sich  0.  Fröh- 
lich^) unterzogen.  Er  experimentirte  mit  einer  grossen  dynamoelec- 
trischen  Maschine  von  Siemens  und  Halske.  Er  veränderte  Um- 
drehungsgeschwindigkeit V  (Tourenzahl),  Windungszahl  n  und  Widerstand 
2JA  und  maass  die  auftretende  Stromintensität  i.  Diese  Versuche  haben 
gezeigt,  dass  die  Gleichung  55)  ausreichend  ist,  um  innerhalb  der  Gren- 
zen, welche  bei  der  praktischen  Verwendung  derartiger  Maschinen  in 
Betracht  kommen ,  die  Beziehung  zwischen  den  einzelnen  Grössen  aus- 
zudrücken. 

Es  ergiebt  sich,  dass  die  Stromintensität  t  sehr  nahe  als  lineare 

Function  des  Quotienten  -j^r  angesehen  werden  kann.  Es  gilt  dies  natür- 
lich nicht  erst  von  dem  Werth  von  v  an,  bei  welchem,  wie  man  sich  aus- 
drückt, die  Maschine  angeht,  d.  h.  bei  welchem  der  remanente  Magnetis- 
mus der  weichen  Eisenkerne  der  Electromagnete  durch  electromagnetische 


^)  0.  Fröhlich,  Versuche  des  EtahlisBements  von  Siemens  und  Halske  über 
dynamoelectrische  Maschinen  und  electrische  Kraftübertragung  und  theoretische  Folge- 
rungen aus  denselben.  Electrotechnische  Zeitschrift,  Bd.  2,  S.  134  und  141  und  &  170 
bis  175  (1881). 


D.     Induction. 


659 


Wirkungen  des  entstehenden  Stromes  verstärkt  za  werden  beginnt.    Den 
"Werth  des  Verhältnisses  yrfj  von  dem  aus  die   dynamoelectrische  Ma- 
schine überhaupt  erst  Strom  giebt,  nennt  Fröhlich:  „die  todten  Touren". 
Fröhlich  setzt: 


V 


2:x 


=  a  -\-  h.i 


und  erhält  hieraus: 


^'  =  i(ir~«) 


57) 


58) 


und  hierin  bedeutet  nun:  a  die  todten  Touren  und  —  den  Proportionalitäts- 

factor,  nach  welchem  sich  jenseits  der  todten  Touren  i  mit  dem  Quotienten 

•yTj   ändert.     Was  die  Abhängigkeit  des  wirksamen  Magnetismus  M  der 

dynamoelectrischen  Maschinen  von  der  Stromintensität  betrifft,  so  zeigte 
sich,  dass  anfanglich  für  geringe  Stromstärken  M  in  derThat  fast  genau 
proportional  mit  i  wächst,  bei  grösseren  Beträgen  von  i  nähert  sich 
jedoch  M  mehr  und  mehr  einem  Maximal werthe.  Statt  jedoch ,  wie  es 
nach  theoretischen  Betrachtungen  zu  erwarten  wäre,  mit  immer  grösseren 
Werthen  von  i  auf  diesem  Maximalwerthe  constant  zu  verharren,  beob- 
achteten sowohl  Meyer  und  Auerbach^)  als  auch  Fröhlich  ^  für 
noch  grössere  Werthe  von  i  wiederum  eine  geringfügige  Abnahme  von  M, 
Beistehende  Curve  (Fig.  52)  stellt  diese  beobachtete  Abhängigkeit 
der   Grösse  M  von  i  graphisch  dar.     In  horizontaler  Richtung  sind  als 

M  Fig.  52. 


Abscissen  die  Werthe  von  ?',  als  Ordinaten  die  Werthe  von  M  aufge- 
tragen. 

^)  0.  E.  Meyer  ond  F.  Auerbach,    Ueber   die  Ströme  der  Gramme'ßchen  Ma- 
schine, Wiedemann's  Annalen  Bd.  8,  S.  500. 

')  Fröhlich  a.  a.  0.,  Electrotechnische  Zeitschrift,  Bd.  2,  S.  138. 

42* 


V 

n 


ZX 


für  -yTT  den  Werth  aus  Gleichung  57)  ein,  so  ergiebt  sich: 

M= r-j—: 59) 

und  hierin  ist  —  der    Factor    der    orsprünglichen    Proportionalitat   und 

—  der  Mazimalwerth,  den  schliesslich  der  wirksame  Magnetismus  erreicht 

Die  Abhängigkeit  des  wirksamen   Magnetismus  der  Dynamomaschinen 
von   der  Stromintensität  wird  durch  diese  Formel    mit    einer    für   die 
meisten  Fälle  befriedigenden  Genauigkeit  dargestellt. 
Auch  die  Richtigkeit  der  Gleichung  44): 

ist  von  Fröhlich  experimentell  geprüft  worden.  Zu  diesem  Zwecke 
wurde  die  auf  eine  dynamoelectrische  Maschine  übertragene  Arbeitskrafl 
mit  einem  Dynamometer  von  Hefner  Alteneck  ^  direct  gemessen, 
ausserdem  wurde  die  electromotorische  Kraft  iJ  und  die  Stromintensität 
i  gemessen.     Die  Arbeit,  welche  der  Leergang  der  Maschine   bei   den 

^)  Man    sehe  Genaueres   über   diesen   ebenso    sinnreichen  als  einfachen  Apparat  im 
2.  Bande  der  Electrotechnischen  Zeitschrift  (1881),  S.  229. 


660  III.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Diese  der  Theorie  scheinbar  widersprechende  Abnahme  des  wirk- 
samen Magnetismus  ilf,  welche  stattfindet,  wenn  die  Strominten sitat  « 
eine  gewisse  Grösse  übersteigt,  erklärt  sich  dadurch,  dass,  wenn  die 
Schenkel  der  Electromagnete,  welche  das  intensive  magnetische  Feld 
bilden,  in  dem  sich  der  Anker  bewegt,  bis  zum  Sättigungspunkte  mag- 
netisirt  sind,  der  Strom,  welcher  die  Ankerdrähte  umkreist,  mit  wach- 
sender Stromintensität  in  zunehmendem  Maasse  auf  den  Magnetismus 
der  Schenkel  des  Electromagneten  schwächend  zurückwirkt  nnd  die 
magnetische  Axe  des  Ankers  mit  wachsender  Stromstärke  zunehmend 
verdreht. 

Diese  Wirkungen  veranlassen,  wenn  der  Sättigungspunkt  über- 
schritten ist,  einerseits  eine  Abnahme  des  wirksamen  Magnetismus,  \ 
andererseits  macht  diese  Verdrehung  von  Anfang  an  eine  mit  wachsender 
Stromstärke  zunehmende  kleine  Verschiebung  der  ström  sammelnden  Bor- 
sten im  Sinne  der  Bewegungsrichtung  des  Ankers  noibwendig*,  wenn 
man  das  Maximum  der  Wirksamkeit  der  Maschine  zu  erhalten  ^wünscht 
Für  den  praktischen  Gebrauch  der  Maschinen  ist  diese  Abnahme  von  IL 
für  hohe  Stromintensitäten  jedoch  ohne  wesentliche  Bedeutung. 

Setzt  man  in  dem  Werthe  von  M  (Gl.  55) 

4 


D.    luduction. 


661 


verschiedenen  GeBcbwindigkeiteu  erforderte ,  war  ebenfalls  beatimmt 
worden  und  wurde  von  der  vom  Dynamometer  angezeigten  Arbeit  in 
Abzng  gebracht. 

Die  Ergebniase  seiner  VerBuche  stehen  mit  der  Formel  in  sehr 
gutem  Einklänge,  jedoch  deateten  dieselben  darauf  bin,  dass  man,  um 
der  Erwärmung  der  Eisenkerne  der  Electromagnete  durch  die  in  den- 
selben inducirten  Ströme  Rechnung  zu  tragen,  ein  Correctionsglied  p.E^ 
hinzofOgen  müsse,  so  dass  man  erhält: 

G  =  C.i.E  +  p.E^ 60) 

Hierin  sind  C  nnd  ^  Conatante,  deren  Zablenwerthe  von  den  gewählten 
Einheiten  abhängen.  Die  Grösse  von  p  ist  ausserdem  von  der  Beschaffen- 
heit der  Eisenkerne  der  Electromagnete  abhängig  und  hat  daher  bei 
jeder  Maschine  einen  anderen  Werth. 

Es  gehören  hierher  ferner  die  Versuche,  welche  an  der  Ingenieur- 
schnle  in  Cbatham ')  Qber  die  LeiatungsiUbigkeit  dynamoelectriscber 
Maschinen  verschiedener  Construction  angestellt  worden  sind.  Nach> 
stehende  Tabelle  zeigt  die  Resultate  deraelben; 


Name  des  Strom- 
erzeuge  re 

u 

3  £ 

ii 

Ä„.S 

S  a 

lllfi 

Sutz- 
effeut 

ö 

2  Siemens  mittlerer 

Grösse  neben  ein- 

ander geechaltet 

SHO 

13,* 

i3,9 

9,8 

73 

Gramme-ModeU  D 

471 

15,1 
12,7 

'1,3 

i;i,4 

11,2 

89 
68 

■     c 

1200 

9.5 

■1,2 

M.1 

85 

2  Gramme-Modelle 

«75 

9,6 

8,8 

8,4 

A   neben   einander 

geschaltet 

Man  erkennt  aus  dieaen  Versuchen,  dass  ungefähr  73  bis  89  Procent 
der  von  den  djnamoelectrischen  Maschinen  aufgenommenen  Arbeit  als 
electrische  Energie  äusserliob  nutzbar  zum  Vorschein  kommen,  und  da- 
durch wird  die  Richtigkeit  des  am  Eingange  dieaes  Paragraphen  {S.  655, 
Z.  14  V.  n.)  ausgesprochenen  Gedankens  durch  das  Experiment  in  Über- 
zeugendster Weise  bestätigt. 


1)  Versuclie  mi 
Chatham  in  den  J: 
S.  67  liis  71    und  .« 


Iien  LItl 


662  IIL   Anwendungen  auf  electriscbe  Erscheinungen. 


14.    Die  Eraftübertragung  durch  Verbindung  zweier 

electrisclxer  Maschinen. 

Will  man  mechaniscbe  Kraft  von  einem  Orte  zam  anderen  übei^ 
tragen  und  will  lange  Seiltransmissionen  vermeiden,  so  eignet  sich  hierzu 
die  Verbindung  zweier  electriscber  Maschinen,  welche  durch  Leitungs- 
drähte mit  einander  verbunden  sind.  Durch  den  Motor,  dessen  Kraft 
übertragen  werden  soll,  setzt  man  eine  electrische  Maschine  (den  Gene- 
rator) in  Betrieb.  Den  Strom  leitet  man  an  dem  Orte,  an  welchem  die 
übertragene  Kraft  verwendet  werden  soU,  in  eine  zweite  electrische  Ma- 
schine, den  Receptor.  Alsdann  wird  durch  den  Strom  der  Anker  des 
Receptors  in  eine  entgegengesetzte  Drehung  versetzt  und  ist  im  Stande, 
Arbeit  zu  leisten. 

Nimmt  man  der  Einfachheit  wegen  an,  beide  electrische  Maschineo 
seien  einander  gleich,  so  ist  der  wirksame  Magnetismus  M  und  die  Win- 
dungszahl n  beim  Generator  und  beim  Receptor  gleich;  auch  die  Strom- 
intensität  i  ist  die  nämliche,  da  beide  Maschinen  von  demselben  Strome 
durcbflossen  werden.  Wir  bezeichnen  ferner  mit:  Ei  die  electromo- 
torische  Kraft  des  Generators,  mit  E^  die  des  Receptors,  mit  Vi  die 
Tourenzahl  des  Generators ,  mit  v^  die  des  Receptors ,  mit  W  den  Ge- 
sammtwiderstand,  mit  0  die  am  Generator  aufgenommene  Arbeit,  mit  N 
die  am  Receptor  geleistete  Nutzarbeit,  TFsei  der  NutzefiPect  desSystemes, 
A  der  Gesammt widerstand  der  ganzen  Anlage.  Alsdann  ist  zunächst 
nach  den  von  uns  gewählten  Bezeichnungen: 

El  =  n,M,Vi 

Ei  =  n.M.V2 61) 

und  nach  dem  Ohm 'sehen  Gesetze: 

El  — Ei        n.M  ,  .  ^_ 

Fem  er  ist: 

a  =  G.Ei.i 
und: 

N=  CE^A 63) 

Hierin  ist  C  eine  von  den  gewählten  Einheiten  abhängige  Constante, 

welche  =  -z^rz-z^  wird,  wenn  die  electromotorische  Kraft  in  Volts,  Strom- 
735,7 

intensität  in  Amperes  und  der  Widerstand  in  Ohms  gegeben  ist 

Erweitert  man  in  dem  Ausdrucke  für  Gr  in  Zähler  und  Nenner  mit 


D.    Induction.  663 

G=  CAKk'^ 

und  ersetzt  ^i  und  i.A  durch  ihre  Werthe  aus  Gl.  61)  und  Gl.  62),  so 
ergebt  sich: 

0=  C.i^k ^^   . 64) 

Durch  ein  analoges  Verfahren  mit  Gl.  63)  erhält  man: 

N=CA^.l"-^^— 65) 

Die  im  Leiterkreise  nutzlos  in  Wärme  umgesetzte  Energiemenge  U  ist: 

U=  CA^.l 66) 

Selbstverständlich  ist,  wie  auch  die  Gleichungen  leicht  übersehen  lassen: 

a  =  N  +  ü. 

Der  Wirkungsgrad  W  ist  in  diesem  Falle  der  Quotient  der  am 
Receptor  gewonnenen  (übertragenen)  Nutzarbeit  N  zu  der  am  Generator 
aufgewendeten  Arbeit.     Es  ist  also: 

T7=-=^  =  ?^  67) 

Um  diese  einfachen  Gleichungen  auf  ihre  Richtigkeit  zu  prüfen, 
hat  Fröhlich  in  den  Räumen  des  Siemens'schen  Etablissements  in 
Berlin  eine  Anzahl  praktischer  Versuche  über  Kraftübertragung  ange- 
stellt, bei  welchen  alle  in  Betracht  kommenden  Grössen  sorgsam  gemessen 
wurden  ^). 

Die  auf  den  Generator  übertragene  Arbeit  G  wurde  mit  Hilfe  des 
schon  fi-üher  erwähnten  v.  Hefn  er- Alten  eck' sehen  Dynamometers 
(siehe  S.  660)  gemessen;  die  vom  Receptor  geleistete  Arbeit  wurde  mit 
Hilfe  eines  Prony' sehen  Zaumes  bestimmt.  Die  Stromstärke  wurde  an 
einem  Electrodynamometer ,  die  electromotorische  Kraft  an  den  Polen 
beider  Maschinen  durch  Torsionsgalvanometer  gemessen.  Da  ausserdem 
der  Gesammtwiderstand  A  genau  bekannt  war,  konnte  man  mit  Hilfe  der 
Gleichung : 

.^E^-E, .^g^ 

die  Genauigkeit  der  einzelnen  Messungen  controliren. 

Wir  reproduciren  im  Nachstehenden  einige  von  Fröhliches  Ver- 
suchen über  electrische  Kraftübertragung. 

1)  Genaueres  sehe  man:     Electrotechnische  Zeitschrift,  Bd.  2  (1881),  S.  172. 


664        -III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


Wirkungsgrad 

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Uebertragene 
Arbeit  in  Pferde- 
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Aufgewendete 
Arbeit  in  Pferde- 
stärken 
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Stromintensität  in 
Daniell 

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D.     Induction.  665 

Die  Yersuchsergebnisse  zeigen  im  Allgemeinen  eine  befriedigende 
Uebereinstimmung  zwischen  Theorie  und  Experiment,  jedoch  erscheint 
es  aafifällig,  dass  der  Wirkungsgrad,  der  theoretisch  sehr  hohe  Werthe 
annehmen  kann,  zumeist  nur  zwischen  40  bis  60  Proc.  schwankt. 

Fröhlich  hat  daraufhingewiesen,  dass  zumeist  die  am  Dynamo- 
meter wirklich  gemessene  Nutzarbeit  des  Receptors  (N  beob.)  kleiner  als 
die  theoretisch  gefundene  (^berechn.)  und  dagegen  die  electromotorische 
Kraft  des  Receptors  E^  meist  durch  Beobachtung  grösser  gefunden  wird, 
als  sie  der  Theorie  nach  sein  sollte.  Er  vermuthet,  dass  die  Ursache 
dieser  Abweichungen  in  den  Inductionsströmen  (Foucaul tischen  Strö- 
men) zu  suchen  sei,  welche  in  dem  Eisenkerne  der  Anker  entstehen. 
Diese  Ströme  sind  im  Generator  den  Strömen  in  den  Ankerdrähten 
gleichgerichtet  und  schwächen  daher,  wie  diese,  den  wirklichen  Mag- 
netismus M  und  die  electromotorische  Kraft  Ei  und  vermehren  die  am 
Generator  aufzuwendende  Arbeit  G.  Entgegengesetzt  verhält  es  sich  im 
Receptor;  dort  sind  diese  Inductionsströme  dem  in  den  Ankerum  Windun- 
gen fliessenden  Strome  entgegengesetzt  gerichtet,  sie  verstärken  daher 
den  wirksamen  Magnetismus  und  vergrössern  damit  die  electromotorische 
Kraft  E^y  die  Nutzarbeit  N  wird  dadurch  herabgedrückt  ^). 

Um  diese  Inductionsströme  zu  vermindern  hat  man  schon  mehrfach 
die  Eisenkerne  der  beweglichen  Anker  der  electrischen  Maschine  aus 
Bündeln  von  einander  isolirter  Eisendrähte  hergestellt,  ähnlich  wie  man 
dies  schon  früher  bei  Inductionsapparaten  gethan  hat. 


16.    Reclinungsbeispiel  für  die  Kraftübertragung  in 

grössere  Entfernungen. 

Man  zweifelte  längere  Zeit,  ob  es  möglich  sein  werde,  grössere  Kraft- 
mengen  auf  weitere  Entfernungen  zu  übertragen ,  da  tnan  fürchtete ,  die 
bedeutenden  Kosten  für  eine  lange  Leitung  würden  die  voraussichtlichen 
Vortheile,  welche  die  Kraftübertragung  unter  Umständen  darbietet,  mehr 
als  aufwiegen. 

Soll  nämlich  eine  Leitung  auf  eine  nmal  grössere  Entfernung  er- 
folgen, ohne  dass  gleichzeitig  der  Widerstand  und  damit  der  nutzlos  in 
Wärme  umgesetzte Theil  der  electrischen  Energie  {Q  =  i^.k)  vergrössert 
w^ird ,  so  muss  der  Leitungsdraht  einen  n  mal  grösseren  Querschnitt 
erhalten.  Die  Leitung  würde,  weil  somit  auf  eine  n fache  Länge  ein 
^mal  grösserer  Querschnitt  erforderlich  wäre,  ein  n^mal  grösseres  Ge- 


^)  Fröhlich  hat  auch  eine  Theorie  der  electrischen  Kraftübertragung  gegeben,  in 
welcher  er  auf  diese  Ströme  Rücksicht  nimmt.  Man  sehe  dieselbe:  Electrotechnische 
Zeitschrift,  Bd.  2,  S.  194. 


666         in.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

wicht  des  leitenden  Metalles  heanspruchen  and  somit  nahezu  die  n'  fachen 
Kosten  verursachen. 

Um  ohne  Vermehrung  der  Dimensionen  des  Leiters  Kraft  auf 
grössere  Entfernungen  übertragen  zu  können,  bleibt  nichts  anderes  übrig 
als,  wie  wir  bereits  früher  erwähnten,  die  electromotorische  Kraft  sn 
erhöhen.  Dies  könnte  einerseits  dadurch  geschehen,  dass  man,  sofeni 
es  sich  um  eine  Uebertragung  a\Lf  eine  n  fache  Entfernung  handelt, 
n  Generatoren  und  n  Receptoren  verwendet.  Dieser  von  Thomson  und 
Houston  1)  angedeutete  Weg  dürfte  jedoch  in  der  Praxis  selten  betreten 
werden.  Den  anderen  Weg,  nämlich  die  electromotorische  Ejraft  dadurch 
zu  vergrössem,  dass  man  die  Windungszahl  n,  respective  die  relative 
Geschwindigkeit  der  inducirenden  Theile  der  Maschine  erhöht,  mag  noch 
folgendes  Rechnungsbeispiel  erläutern. 

Unter  Anwendung  der  im  Absatz  14,  S«  662,  dargelegten  Prind- 
pien  hat  Marcel  Duprez^)  in  einem  Beispiele  gezeigt,  dass  man  von 
16  Pferdestärken,  welche  auf  den  Generator  übertragen  werden,  unter 
geeigneten  Umständen  10  Pferdestärken  auf  10  Kilometer  Entfernung 
durch  einen  gewöhnlichen  Telegraphendraht  übertragen  könne.  Er  geht 
aus  von  den  auch  von  uns  citirten  Versuchen  in  Chatham  mit  ein«' 
Gramme' sehen  dynamoelectrischen  Maschine  (Modell  C).  Bei  dersel- 
ben war  bekanntlich  bei  1200  Touren  pro  Minute  die  Stromstärke  gleich 
81,2  Amperes,  die  electromotorische  Kraft  69,9  Volts;  die  consomirte 
Energiemenge  betrug  9,52  und  die  hiermit  erzeugte  Menge  electrischer 
Energie  8,09  Pferdestärken.  Ausserdem  betrug  der  Widerstand  der  In- 
ductoren  0,15  Ohms,  und  der  der  Ringwickelung  0,06  Ohms.  Wenn 
man  nun  dem  Drahte,  mit  welchem  die  Electromagnete,  und  dem,  mit 
welchem  der  Ring  umwickelt  ist,  den  fünfzigsten  Theil  seines  Quer- 
schnittes giebt  und  ihn  dafür  50  Mal  länger  macht,  so  wächst  der  Wi- 
derstand der  Maschine  auf  den  2500  fachen  Betrag,  würde  also  den 
Werth  von: 

0,21   X  2500  =  525  Ohms 

annehmen. 

Nimmt  man  nun  an,  man  wählt  als  Generator  und  Receptor  zwei 
gleiche  Maschinen  mit  derart  vergrössertem  Widerstände  und  verbindet 
diese  durch  eine  50  ILilometer  lange  Leitung  aus  gewöhnlichem  Tele- 
graphendraht, so  ist  alsdann  der  Gesammtwiderstand  A  des  Systems: 

Widerstand  des  Generators  =    525  Ohms 
„  „    Receptors    =    525      „ 

„     der  Leitung  50 . 9  =    450      „ 

X  =  1500  Ohms. 


^)  P.  Higgs,  Electric  Transmission  of  Power,  London  1879. 

^)  Electrotechnische  Zeitschriil,  Bd.  2,  S.  433.     In  Folge  einer  Verdrucknng  steht 
der  Schluss  dieses  Artikels  nicht  S.  434,  sondern  S.  423  a.  a.  O. 


D.    Induction.  667 

Damit  das  magnetische  Feld,  in  welchem  die  Anker  rotiren,  ebenso 
wirksam  ist,  wie  bei  den  Maschinen  der  Chatham-Versuche ,  muss  das 
Product  aus  der  Windungszahl  n  und  der  Stromintensitat  i  dasselbe 
bleiben.  Da  nunmehr  aber  50  Mal  soviel  Windungen  vorhanden  sind, 
so  braucht  die  Stromintensität  nur: 

'     =  1,624  Amperes 

zu  betragen. 

Um  in  einem  Widerstände  von  1500  Ohms  eine  Stromintensitat  von 
1,624  Amperes  hervorzurufen,  ist  nach  dem  Ohm'schen  Gesetz  eine 
electromotorische  Kraft  von: 

E  =  1500  .  1,624  =  2436  Volts 

erforderlich. 

Da  aber  der  Anker  jetzt  n  mal  so  viel  Windungen  trägt  wie  früher, 
so  ist  auch,  da  M  constant  bleibt ,  die  electromotorische  Kraft  jeder  der 
beiden  Maschinen  bei  gleicher  Tourenzahl  50  Mal  so  gross,  als  bei  den 
Chatham -Versuchen,  d.  h.  sie  ist  bei  1200  Touren  pro  Minute: 

69,9  X  50  =  3495  Volts. 

* 

Um  eine  Differenz  der  electromotorischen  Eo'äfte  von  nur  2436  Volts 
im  Leiterkreise  hervorzubringen,  kann  die  Differenz  der  Tourenzahl 
1200  im  Verhältnisse  von  2436  :  3495  reducirt  werden,  dies  giebt: 

2437 
1200-—---  =  835,5  Touren  pro  Minute. 
o495 

Die  Nutzarbeit  N  (siehe  GL  65)  ist  der  Tourenzahl  des  Receptors 
proportional,  wenn  die  Stromstärke  i  und  Differenz  der  Tourenzahl  v^  —  v^ 
constant  bleibt.  Für  jede  Tour  wurde  nun  unter  sonst  gleichen  Verhält- 
nissen bei  den  Chatham- Versuchen  eine  Arbeit  von  29  Kilogrammmetern 
geleistet^).  Um  eine  Nutzarbeit  N  von  10  Pferdestärken,  d.  h.  pro  Se- 
cunde  750  Kilogrammmeter  zu  leisten,  sind  demnach  in  der  Minute: 

750        ,^  .ee«m 

v,  =  -—-•.  60  =  1552  Touren 

des  Receptors  erforderlich.  Da  die  Differenz  der  Tourenzahl  constant 
bleiben  muss,  wenn  die  Differenz  der  electromotorischen  Kräfte  Ei  —  E^ 
nnd  somit  die  inducirende  Wirkung  in  beiden  magnetischen  Fällen  und 
die  Stromstärke  i  im  ganzen  Systeme  dieselbe  bleiben  soll,  so  muss  die 
erste  Maschine: 

Vi  =  1552  +  835  =  2387  Touren  pro  Minute 

machen.     Der  Generator  wird  dann  auch  pro  Tour  29  Kilogrammmeter 


^)  Wenn  die  Eisenkerne  der  Electromagnete  bis  zur  Sättigung  magnetisirt  sind,  ist 
ziemlich  streng  die  Arbeitsleistung  der  Tourenzahl  proportional. 


668  III.     Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

mechanische  Arbeit  consumiren  und  in  electrische  Energie  umseizen,  d.  h. 
er  wird: 

2387.29         ,^  .  r...    , 
=     fjf'  =15,4  Pferdestärken 

consumiren. 

Von  diesen  15,4  Pferdestärken,  welche  der  Generator  aofdimmt, 
werden  10  Pferdestärken  am  Receptor  als  Nutzarbeit  abgegeben,  dagegen 
5,4  Pferdestärken  gehen  verloren  und  erscheinen  als  Wärme  U  in  beiden 
Maschinen  und  im  Leitungsdrahte  wieder. 

Man  ersieht  somit,  dass  man  mit  einem  theoretischen  Nutzeffecte 
von  über  60  Proc.  im  Stande  ist  die  Arbeitsleistung  eines  Motors  mit- 
telst Verbindung  zweier  geeignet  construirter  electrischer  Maschinen 
durch  einen  gut  isolirten  gewöhnlichen  Telegraphendraht  auf  50  Kilo- 
meter Entfernung  zu  übertragen. 


E.   Die  mechanische  Theorie  der  electrochemischen 

Erscheinungen. 


1.  Die  Aequivalenz  zwischen  der  vom  Strome  entwickelten 
Wärme  und  Arbeit  und  der  Arbeit  der  obemisolien  Kräfte 

im  Elemente. 

Nehmen  wir  an,  dass  die  in  einem . geschlossenen  Leiter  wirksame 
electromotorische  Kraft  lediglich  durch  ein  galvanisches  Element  hervor- 
gebracht werde,  und  dass  gleichzeitig  keine  Inductionswirkungen  im 
Systeme  vorkommen,  so  ist  nur  die  in  diesem  Elemente  stattfindende 
chemische  Wirkung  die  Ursache  des  Stromes,  und  es  kann  zwischen  den 
Wirkungen  dieses  Stromes  und  der  im  Elemente  geleisteten  Arbeit  der 
chemischen  Kräfte  ebenfalls  eine  Beziehung  aufgestellt  werden. 

Wir  nehmen  an,  dass  der  Leiter,  der  vom  galvanischen  Strome  durch- 
flössen wird,  homogen  sei  und  unbeweglich,  damit  thermoelectrische  und 
Inductionswirkungen  ausgeschlossen  sind.  Ausserdem  soll  vorausgesetst 
werden ,  dass  keine  Unterbreohungsstelle  vorhanden  sei,  damit  kein  Fun- 
ken oder  Lichtbogen  gebildet  werde,  und  endlich  wollen  wir  zunächst 
der  Einfachheit  wegen  auch  den  Fall  ausschliessen,  dass  sich  ein  Electro- 
lyt  in  den  Leiterkreis  eingeschaltet  befinde.  Alsdann  veranlasst  der 
Strom  Wärmeentwickelungen  im  Leiterkreise,  dieselben  sind  jedoch  an 
verschiedenen  Stellen  des  Stromkreises  verschieden  gross.  Es  muss  jedoch 
die  im  gesammten  vom  Strome  durchfiossenen  Leitersysteme  entwickelte 


E.    Die  mechanisch«  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.     6G9 

'Wärmemenge  der  Arbeit  der  chemisclien  Kräfte,  welche  im  Elemente 
thätig  sind,  äquivalent  sein. 

Dieser  Gedanke  ist  im  Princip  schon  mit  nnverkennbarer  Deutlich* 
keit  von  Jonle  (1S42)  und  mit  vollkommener  Klarheit  von  Uelmholtz 
in  seiner  Schrift:  „Das  Princip  von  der  Erhaltung  der  Kraft"  (1847) 
aosgesprochen  worden. 

Experimentell  ist  dieser  Satz  zuerst  von  Joule')  and  dann  von 
Favre  bewiesen  worden.  Es  zeigen  diese  Messungen,  dass  die  Con- 
eamtion  einer  bestimmten  Summe  chemischer  Wirkungen  jederzeit  der 
Entwickelang  einer  bestimmten  Wärmemenge  entspricht,  gleichgültig  wie 
auch  immer  die  Kette  und  der  Leiterkreis  beschaffen  sein  mögen ,  in 
welchen  sich  die  beiden  Erscheinungen  gleichzeitig  vollziehen. 

Favre')  bestimmte  zunächst  die  Wärmemenge,  die  dadurch  erzengt 
wird,  dass  sich  eine  gewisse  Menge  Zink  in  verdOnnter  Saure  auflöst. 
Er  fand  diese  Wärmemenge  gleich  gross,  sowohl  wenn  diese  Auflösaug 
rasch  stattfand,  wie  dies  in  einem  WasBerstoSentwickelangsapparate  der 
Fall  ist,  als  auch  wenn  dies  langsam  vor  sich  geht,  wie  in  einem  galva- 
nischen Element,  welches  als  negativen  Pol  reines  Zink  oder  amalgamirtes 
Zink  enthielt  In  beiden  Fällen  geschieht  ancB  genau  dasselbe.  In  einem 
Wasserstoffe ntwickeluDgsapparat  bewegen  innere  Ströme  die  Flüssigkeit 
und  erwärmen  dieselbe  entsprechend  dem  Jonle'achen  Gesetze.  Wenn 
die  electro motorische  Kraft  zur  Erzeugung  eines  Stromes  ausserhalb  der 
Zeraetzungszelle  dient,  ist  die  Erwärmung  der  Zelle  genau  nm  die 
Wärmemenge  geringer,  welche  der  Strom  ausserhalb  entwickelt. 


Favre  bediente  sich  bei  seiner  Expenmentaluntersncbang  des  von 
nna  mehrfach  beschriebenen  Quecksilbercalorimeters  (man  sehe  Fig.  53) 

')  GenauerPB  dnrülicr  berkhwt  W.  Thomson  in   ncinor  vortrefflichen  AbhnndlunE: 
On  the  mechnnicnl  thforj-  of  «tertrolpe.  Phil.  Mhk-  4-  Serie,  Dd.  2,  S.  429  l.is  .S.  4M. 
")  Ann.  de  ehim.  el  de  phys.  (1854),  3.  Serie,  Bd.  40,  S.  293. 


670  in.    Anwendungen  auf  elßctrische  Erscheiniingen. 

(vergl.  Bd.  2,  S.  279).  Für  dieeo  Yereuche  t&nchten  jedoch  mehrere  Mnffelfl 
in  die  QaecksilbermaBse  hinein.  Die  Einrichtmig  and  Verbindung  zwüer 
Bolcher  neben  einander  liegender  Muffeln,  deren  eine  A  ein  Element,  deren 
andere  B  Widerstände  enthält,  zeigt  Fig.  54.  Zuerst  bracht«  Favre  in 
eine  der  Mnffeln  ein  bestimmtes  Gewicht  grannlirtes  Zink  und  eipe  eben- 
hÜB  abgewogene  Menge  verdünnter  Schwefelsäure.  Favre  bestätigte  »of 
diese  WeiBB,  was  er  schon  früher  bei  seinen  Untersuchnngen  mit  Silber- 
mann gefunden  hatte,  dass  nämlich  bei  Auflösung  von  1  Aequivalrat 
=  65,2  kg  Zink  in  verdünnter  SchwefelBäure  37  360  Calorien  entwickelt 
werden.  Als  hierauf  in  fünf  Muffeln  des  Calorimaters,  welche  dieselbe 
Menge  verdünnter  Säitre  enthielt,  fünf  Smce'sche  Elemente  eingesetit 
wurden,  die  ans  amalgamirtem  Zink  und  platinirtem  Knpfer  beet«heD 
und  durch  einen  kurzen,  dicken  Eupferdraht  geschlossen  wurden,  fand 
Favre,  dass  fQr  65,2  kg  aufgelöstes  Zink  37  350  Calorien  entwickelt 
worden  waren.  Dies  beweist  deutlich  genug  die  Gleichheit  der  in  beiden 
Fällen  entwickelten  Wärmemengen.  Auch  wenn  mit  Elementen  anderer 
Art  der  Versuch  wiederholt  wurde,  ergab  sich  jedesmal  das  Dämliche 
Resultat. 

Favre  hat  hierauf  folgenden  Versuch  angestellt.  Der  Strom  der 
nämlichen  fünf  Smee' sehen  Elemente  wurde  durch  zwei  kurze  dicke 
Drähte,  in  welchen  sich  nur  eine  ausserordentlich  gering-e  Wärmemenge 
entwickelte,  nach  einem  kleinen  electromagnetischen  Rotation sapparat. 
einem  BogenanntenFromment'schenMotor,  geleitet.  Dieser  kleine  Motor 
wurde  in  einer  sechsten  Muffel  nntergebracht.  Die 
^^'  kleinen    Electromagnete    des    Apparates    waren    etwas 

verlängert,  nm  die  Mittheilung  etwa  entwickelter  Wärme 
an    das   Quecksilber    des    CiLlorimeters    zu    erleichtern. 
Jeder  der  beiden  Electromagnete   bestand   aus    einem 
weichen  Eiaenstabe,  um  den  Kupferdraht  gewickelt  ist. 
Jede  Windung  dieses  Drahtes  hat  die  Form  eines  flachen, 
nicht   geschlossenen    Ringes    und    wurde   vom    weichen 
Eisen  durch  ein  äusserst  dünnes  Blatt  Guttapercha  ge- 
trennt.    Diese  Enpferringe  richten  ihre  offenen  Stellen 
abwechselnd  nach  oben  und  unten,  und  von  den  freien 
Enden   ist  jedesmal  eine    derselben    innig    mit    einem 
Ende  des  vorhergehenden  nnd  einem  des  folgenden  Rin- 
ges verbunden.    Wenn  man  zunächst  durch  ein  Hinder- 
niss  die  Bewegung  des  Motors  hemmt,  erhält  man  wieder- 
nm  für  die AuSosungvon  65,2kg  Zink  37330  Calorien. 
Entfernt  man  hierauf  das  Hinderniss ,  so  beginnt  die 
Maschine  zu  functioniren ,  erreicht  sehr  bald  eine  constante  Rotations- 
geschwindigkeit  und  leistet  eine  Arbeit,  welche  gleich  der  Arbeit  der 
Reibung  der  Maschine  ist.     Man  sielit  leicht  ein ,  dass  diese  für  üeber- 
windung  der  Reibung  aufgewendete  Arbeit  unmittelbar  wieder  in  Wärme 
umgesetzt  wird,  und  dass  diese  Wärmeroenge  der  Arbeit  äquivalent  sein 


E.   Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    671 

xnuss.  Da  nun  auch  diese  Wärmemenge  innerhalb  des  Calorimeters  ent- 
'wickelt  wird  nnd  sich  zu  der  in  den  Elementen  und  Zuleitungsdrähten 
entwickelten  Wärmemenge  einfach  addirt,  so  ist  es  sofort  ersichtlich,  dass 
die  durch  Auflösung  von  einem  Aequiyalent  Zink  insgesammt  entbundene 
^Wärmemenge  nicht  geändert  werden  kann.  Der  Versuch  ergab  37  310 
Oalorien. 

Die  geringe  Differenz  zwischen  dieser  Zahl  und  den  vorhergehenden 
liegt  vollständig  innerhalb  der  Grenzen  der  unvermeidlichen  Beobach- 
tungsfebler. 

Bei  einem  fünften  Versuche  war  die  Anordnung  im  Wesentlichen 
g'enau  ebenso  getroffen,  wie  beim  vierten.  An  die  Axe  des  kleinen  Mo- 
tors aber  war  diesmal  ein  Faden  befestigt,  dieser  war  über  eine  Leitrolle 
geführt  und  bewirkte,  indem  er  sich  auf  der  Axe  aufwickelte,  das  Auf- 
steigen eines  Gewichtes.  Die  Arbeit,  welche  geleistet  wurde,  während 
sich  65,2  kg  Zink  auflösten ,  betrug  262  480  Egm  und  die  gleichzeitig 
entwickelte  Wärme  nur  36  750  Galerien. 

Nachsteheode  Zusammenstellung  giebt  eine  Uebersicht  sämmtlicher 
Resultate. 

1.  Unmittelbare  Auflösung  von  65,2  kg  Zink  in  vei-dünn- 

ter  Säure  giebt 37  360  Cal. 

2.  durch  einen  kurzen,  dicken 
Draht  giebt 37  350     „ 

3.  durch  einen  ruhenden  mag- 
netelectrischen   Motor   giebt  37  330      „ 


Der  durch  diese  Auf- 
lösung entwickelte 


galvanische  Strom    1 


fliesst: 


4.  durch  den  Motor,  der  jedoch 
keine  nützliche  Arbeit  her- 
vorbringt   37  310 

5.  durch  den  Motor,  welcher 
262  480Kgm  Arbeit  leistet     .    .    . 


Mittel: 
37  340  Cal. 


36  750 


Differenz 


590  Cal. 


Die  im  letzten  Experimente  fehlende  Wärmemenge  yqu  590Calorien 

muss  als  das  Aequivalent  der  geleisteten  äusseren  Arbeit  von  262  480  Kgm 

angesehen  werden.     Hieraus  findet  man    das    mechanische  Aequiyalent 

der  Wärme: 

262  480         ,,„^ 

Die  geringe  Abweichung  von  4  Proc.  von  den  früher  von  uns  gefun- 
denen Werthen  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  erklärt  sich 
vollständig  aus  der  unvermeidlichen  Unsicherheit  der  Messungen  mit 
dem  Quecksilbercalorimeter. 

Diese  Favre'schen  Versuche  gestatten  nunmehr  folgende  Schlüsse 
zu  ziehen: 

1.  Die  durch  eine  bestimmte  Menge  chemischer  Wirkungen  erzengte 
Wärmemenge  ist  hinsichtlich  ihrer  Grösse  unabhängig  von  dem  Leiter- 
kreise, auf  welchem  sich  dieselbe  vertheilt. 


672  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

2.  Wird  durch  den  galvanischen  Strom  eine  Maschine  in  Bewegung 
gesetzt,  so  wird  die  durch  dieselbe  Quantität  (1  Aequivalent)  chemisclier 
Wirkungen  entwickelte  Wärmemenge  vermindert.  Diese  Vermindernng 
der  entwickelten  Wärmemenge  tritt  im  ganzen  vom  Strome  durchflösse- 
nen  Systeme  ein,  und  die  verschwundene  Wärme  ist  genau  das  Aeqni 
lent  der  geleisteten  äusseren  Arbeit. 


2.   Theoretische  Oonsequenzen  der  Favre'schen  Versuche. 

Auf  Grund  dieser  Untersuchungen  wird  erst  die  Richtigkeit  unserer 
früheren  Behauptung  vollkommen  ersichtlich,  dass  die  magnetelectrischen 
Maschinen  wahre  Wärmemaschinen  sind.  In  denselben  wird  ein  Theil 
der  durch  die  chemischen  Processe  in  der  Kette  entwickelten  Wärme  in 
Arbeit  umgesetzt,  genau  so  wie  bei  einer  Dampfmaschine  ein  Theil  der 
Wärme,  welche  die  unter  ihrem  Kessel  verbrennenden  Kohlen  entwickeln, 
sich  in  Arbeit  verwandelt.  Im  einen  wie  im  anderen  Falle  vollzieht  sich 
die  Umsetzung  von  Wärme  in  Arbeit  nach  bestimmten  Gesetzen,  die 
durch  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie  dictirt 
werden.  In  ähnlicher  Weise,  wie  die  Betrachtung  dieser  Umwandlung 
von  Arbeit  in  Wärme  bei  den  Dampfmaschinen  auf  das  eigenthümliche 
Verhalten  des  Dampfes  bei  seiner  Expansion  führte,  wurden  wir  durch 
die  genauere  Untersuchung  dieser  Umwandlung  von  Arbeit  in  Wärme 
bei  den  magnetelectrischen  Maschinen  ^)  auf  die  bereits  früher  gefnnde- 
nen  Sätze  über  die  Indoction  geleitet.  Bei  diesen  Betrachtungen  braucht 
man  jedoch  die  Induction  nicht  bloss,  wie  dies  früher  immer  geschehen 
ist,  als  eine  empirisch  gegebene  Thatsache  anzusehen,  sondern  die  In- 
ductionserscheinnngen  ergeben  sich  hierbei  als  eine  nothwendige  Conse- 
quenz  der  aUgemeinen  Grundsätze,  auf  welchen  die  mechanische  Wärme- 
theorie beruht. 

Um  bei  einer  solchen  Erörterung  vollkommen  streng  verfahren  zu 
können,  muss  die  Aufgabe  zunächst  specialisirt  und  beschränkt  werden. 
Man  muss  nämlich  Nebenwirkungen  jeder  Art  ausschliessen ,  wie  z.  B. 
die  Entwickelung  von  Gasen  an  den  Electroden,  Auflösungen  von  Salzen, 
Concentrationsänderungen  etc.  ^).  Zumal  der  erstgenannte  Vorgang  ist, 
wie  wir  weiterhin  sehen  werden,  eine  ziemlich  zusammengesetzte  Er- 
scheinung. Der  entwickelte  Wasserstoff,  für  den  sich  das  Zink  snbsti- 
tuirt,  legt  sich  zunächst,  wenn  wir   bei  der  Smee* sehen  Kette  stehen 


^)  Im  vorhergellenden  Abschnitte. 

^)  Eine  allgemeine  Behandlung  dieser  Vorgänge  ist  in  neuester  Zeit  von  Helm* 
holtz  angebahnt  worden  durch  den  Aufsatz:  Die  Thermodynamik  chemischer  Vorgänge. 
Mathematische  und  naturwissenschaftliche  Mittheilungen  der  Berl.  Akad.  1882,  Heft  1. 
S.  7  bis  24. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinunffen.    673 


O' 


bleiben,  deren n eine  Electrode  Zink,  deren  andere  Electrode  Platin  ist, 
an  das  Platin  an  und  befindet  sich  daselbst  in  dem  eigen thümlichen  Zu- 
stande, in  welchem  er  die  Erscheinung  der  Polarisation  hervorbringt. 
Wenn  sich  die  Gasblasen  alsdann  loslösen  und  WasserstofPgas  entweicht, 
dann  vollzieht  sich  eine  Umsetzung  aus  activen  in  gewöhnlichen  Wasser- 
stoff, und  diese  Umsetzung  ist  noth wendiger  Weise  von  einem  Wärme- 
process  begleitet,  welcher  höchst  wahrscheinlich  mit  einer  Wärmeerschei- 
nnng  verknüpft  ist. 

Dieser  Uebelstand  ist  bekanntlich  bei  den  sogenannten  constanten 
Ketten  fast  vollkommen  vermieden.  Bei  der  Daniel  rechen  Kette  z.  B. 
befindet  sich  das  Zink  in  einer  concentrirten  Zinkvitriollösung  und  ist 
durch  eine  poröse  Thonzelle  von  dem  Kupfer  getrennt,  welches  seinerseits 
in  einer  concentrirten  Kupfervitriollösung  steht.  Alsdann  wird  in  der 
Zinkvitriollösung  Zink  durch  Wasserstoff,  ersetzt  und  der  Wasserstoff  ver- 
drängt Kupfer.  Damit  die  Kupferlösung  aber  concentrirt  bleibt,  wenn 
sich  metallisches  Kupfer  von  dem  Kupferbleche  abscheidet,  taucht  in  die 
Kupferlösung  ein  mit  Kupfersulphatkrystallen  und  concentrirter  Kupfer- 
lösung gefüllter  verkehrter  Glasballon.  Auf  diese  Weise  werden  be- 
kanntlich solche  störende  secundäre  Erscheinungen  wenigstens  ausser- 
ordentlich vermindert. 


3.    Die  eleotromotorlsclie  Kraft  ist  proportional  der  im 
Elemente  produoirten  cliemisclien  Wärme. 

Wir  haben  ferner  schon  früher  S.  632  den  Satz  mitgetheilt,  der  sich 
ebenfalls  unmittelbar  aus  dem  Princip  von  der  Erhaltung  der  Energie 
ergiebt,  dass  die  bei  Auflösung  eines  Aequivalentes  eines  Metalles  in  ver- 
schiedenen Elementen  entwickelten  Wärmemengen  proportional  den  electro- 
motorischen  Kräften  dieser  Elemente  sind,  sofern  der  den  galvanischen 
Strom  erzeugende  chemische  Process  nicht  von  irgend  einem  secundären 
Vorgange  begleitet  ist,  der  eine  Wärmeentwickelung  oder  Wärmeabsorption 
in  sich  schliesst.  Von  diesem  Satze  finden  sich  Andeutungen  schon  bei 
Mohr^).  In  bestimmter  Form  wurde  er  von  Joule  ^)  im  Jahre  1841 
aufgestellt,  gelegentlich  seiner  Untersuchungen  über  die  Wärmewirkung 
electromagnetischer  Maschinen.  Unabhängig  von  letzterem  wurde  derselbe 
von  Helmholtz')  im  Jahre  1847  in  seiner  berühmten  Arbeit:  „Die 
Erhaltung  der  Kraft"  in  unzweideutiger  Weise  ausgesprochen,  als  noth- 
wendig  bewiesen  und  in  fruchtbringender  Weise  in  der  Wissenschaft  an- 
gewendet. 

^)  F.  Mohr  (1837).     Man  sehe   dieses   Forschers   Broschüre:     Allgemeine   Theorie 
der  Bewegung  und  Kraft.   Braunschweig,  Friedrich  Vieweg  u.  Sohn  (1869),  S.  102. 

2)  Joule,  Phil.  Mag.  (1842),  Bd.  20,  S.  98. 

3)  Helmholtz,  Erhaltung  der  Kraft  (1847),  Berlin,  Reimer,  S.  47. 
Bühlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.   Bd.  n.  ^3 


674  IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Findet  in  dem  gesammten  vom  Strome  durchlaufenen  LeiierBysteme 
nur  eine  chemische  Wirkung  statt,  wie  dies  z.  B.  in  dem  mit  Zinksnlphat 
gefüllten  Danie IT  sehen  Elemente  der  Fall  ist,  so  wird  die  Arbeit  der 
chemischen  Affinitäten,  welche  in  diesem  Vorgänge  wirken,  unmittelbar 
durch  die  entwickelte  electromotorische  Kraft  gemessen.  Durch  eine 
einzige  galvanometrische  Messung  könnte  demnach  diese  Arbeit  bestimmt 
werden,  welche  man  sonst  nur  durch  eine  ziemlich  complicirte  calorime- 
trische  Messung  ermitteln  kann.  Es  würde  genügen,  ein  einziges  Mal 
die  Grösse  des  Coefücienten  m  zu  bestimmen,  welcher  in  der  Gleichung 
(man  sehe  D,  4,  Gl.  16,  S.  632): 

J.2:K=m.EF 1) 

vorkommt. 

Bekanntlich  stellen  sich  jedoch  in  der  Praxis  der  Anwendung  dieser 
Methode  Schwierigkeiten  entgegen,  welche  bis  jetzt  noch  nicht  in  allen 
Fällen  glücklich  überwunden  worden  sind.  Es  sind  dies  besonders  die 
Entwickelung  von  Gasen  aus  den  Elementen,  Auflösungen  von  Salzen, 
*  Dichten  änderungen  und  die  damit .  zusammenhängende  Variabilität  der 
electromotorischen  Kraft  mit  der  Stromstärke  ^). 

Bringt  man  eine  Flüssigkeit  in  den  Stromkreis,  welche  electrolysir- 
bar  ist,  so  findet  eine  Zersetzung  derselben  statt;  es  wird  dann  eine 
negative  Arbeit  der  Affinität  geleistet  und  dazu  eine  bestimmte  Wärme- 
menge absorbirt.  Die  electromotorische  Kraft  vermindert  sich  alsdann; 
es  entwickelt  sich  eine  neue  electromotorische  Kraft,  welche  der  vorigen 
entgegenwirkt,  man  nennt  dieselbe  die  electromotorische  Kraft  der  Polari- 
sation 2).  Wenn  sich  während  der  Electrolyse  durch  Einwirkung  eines  der 
durch  die  Zersetzung  entstandenen  Bestandtheile  auf  die  entsprechende 
Electrode  die  zersetzte  Flüssigkeit  wieder  bildet,  so  ist  die  chemische 
Arbeit  in  der  electrolytischen  Zersetzungszelle  Null,  und  dann  findet-,  wie 
bekannt,  auch  keine  Polarisation  statt. 


4.    Joule's  Methode,   die   bei   ohemischen  Zersetzungen 
absorblrten  Wärmemengen  zu  messen. 

Diese  Methode  beruht  vollständig  auf  der  Anwendung  der  im  Vor- 
stehenden mitgetheilten  Grundsätze.  Joule  hatte  jedoch  seiner  Zeit 
unterlassen,  die  Berechtigung  dieses  Verfahrens  nachzuweisen  und  die 
Grenien,  innerhalb  deren  dasselbe  anwendbar  ist,  anzugeben.  Wahr- 
scheinlich ist  deshalb  dasselbe  lange  Zeit  fast  ganz  unbeachtet  geblieben. 

In  den  Strom  einer  constanten  Kette  wird  die  zu  electrolysirende 
Flüssigkeit  eingeschaltet  (wir  setzen  hierbei  voraus,  dass  die  Zersetzung 
der  Flüssigkeit  von  keinerlei  secundärer  Wirkung,  wie  z.B.  Gasentwicke- 


^)  Man  vergleiche  auch  Capitel  22,  S.  716. 
2)  Man  vergleiche  Capitel  13,  S.  696. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.     675 

lnng,  begleitet  sei).  Man  misst  die  Wärmemenge  q,  welche  in  der  Flüssig* 
keit  entwickelt  ¥drd,  während  ein  Aeqnivalent  der  chemischen  Wirkung 
stattfindet.  Dies  kann  geschehen,  entweder  indem  man  die  Flüssigkeit 
selbst  als  calorimetrische  Substanz  benutzt,  oder  indem  man  die  Zer- 
setzungszelle  in  ein  Calorimeter  einschliesst.  Hierauf  ersetzt  man  die 
Zersetzungszelle  durch  einen  Leitungsdraht,  dessen  Widerstand  gerade  so 
bemessen  ist,  dass  die  Stromstärke  genau  ebenso  gross  wird,  wie  sie  vor- 
her bei  Einschaltung  der  Zersetzungszelle  gewesen  ist'  .  Hierauf  misst 
man  ebenfalls  die  Wärmemenge  q' ,  welche  in  dem  Leitungsdrahte  durch 
ein  Aequivalent  chemischer  Wirkung  erzeugt  wird.  Diese  zweite  Wärme- 
menge ist  grösser,  als  die  vorige,  und  die  Wärmemenge  q'  —  q  misst  die 
Quantität  der  durch  die  Zersetzung  der  electrolysirten  Flüssigkeit  absor- 
birten  Wärme.  Ist  nämlich  F  die  constante  electromotorische  Kraft  der 
benutzten  Kette  und  R  der  Widerstand  der  Kette  selbst  und  der  zur 
Herstellung  des  Leiterkreises  erforderlichen  metallischen  Verbindungs- 
stücke, bezeichnet  ferner  P  die  electromotorische  Kraft  der  Polarisation 
der  electrolysirten  Flüssigkeit  und  r  den  Widerstand  der  Zersetzungs- 
zelle, so  ist  nach  dem  Ohm' sehen  Gesetze  die  Stromintensität  i  im  ersten 
Falle,  während  der  Electrolyt  eingeschaltet  war: 

'=B+-r'    ' •     '> 

und  die  Wärmemenge  g,  welche  in  diesem  Falle  in  der  Zersetzungszelle 
entwickelt  wird,  während  im  Elemente  ein  Aequivalent  chemischer  Wir- 
kung coDSumirt  wii'd,  ist  nach:  D,  Gleichung  14)  (S.  631)  bestimmt 
durch  die  Gleichung: 

J,q  =  J  ,-r* 
Nach  dem  Joule'schen  Gesetze  aber  ist: 

mithin  ergiebt  sich  im  vorliegenden  Falle: 

Im  zweiten  Falle  ist  die  Stromintensität  genau  so  gross,  wie  zuvor; 
i  genügt  diesmal  jedoch  der  Gleichung : 

t  =  :=^ 4) 

wenn  q  den  Widerstand  des  anstatt  der  Zersetzungszelle  eingeschalteten 
Drahtes  bezeichnet.  Für  die  Wärmemenge  3',  welche  im  Drahte  erzeugt 
wird,  während*  im  Element  ein  Aequivalent  chemischer  Wirkung  con- 
sumirt  wird,  erhält  man  auf  dieselbe  Weise  wie  vorhin : 

.r.2'=»..j^.9 5) 

43* 


676  in.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Der  Unterschied  dieser  beiden  Wärmemengen  ist: 

2'  — 3  =  j.».(9  — 0 6) 

Der  in  dieser  Gleichung  auftretende  Werth  Q  ist  jedoch  dadurch 
bestimmt,  dass  die  Stromintensität  bei  beiden  Experimenten  gleich  gron 
ist  und  somit  für  Q  die  Gleichung  gilt: 

— :? —  = 7) 

E  +  Q        B  +  r  ^ 

hieraus  ergiebt  sich: 

^  =      F-P         ^^ 

Setzt  man  dies  ein,  so  ergiebt  sich: 

,  m     .    /F.r  +  P.B        \ 

and  ausgerechnet: 

.  m         P.jB  +  r) 

a-g=j.t.     j,__p     • 

Hieraus  ergiebt  sich  mit  Rücksicht  auf  den  Werth  von  t  Gleichung  2] 
sofort: 

a'-2=  j.p 9) 

Die  auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung  9)  stehende  Grösse  -^.Piit 

somit  die  von  dem  in  der  Zersetzungszelle  Yollzogenen  chemischen  Procease 
während  der  Zeit  absorbirte  Wärmemenge,  während  welcher  im  Elemente 
ein  Aequivalent  chemischer  Wirkung  consumirt  wurde.  Da  nach  dem 
Faraday 'sehen  Satze  während  der  Zeit,  in  welcher  in  der  Batterie  eis 
Aequivalent  chemischer  Wirkung  consumirt  wird,  der  Strom  in  der  Ze^ 

MS 

setzungszelle  ein  Aequivalent  der  Verbindung  zersetzt,  so  ist  —.Pancb 

die  Wärmemenge,  welche  durch  die  Zersetzung  von  einem  Aequivalent 
der  electrolysirten  Flüssigkeit  consumirt  wird.  Damit  ist  die  piincipielle 
Richtigkeit  der  den  Joule' sehen  Untersuchungen  zu  Grunde  liegenden 
Methode  erwiesen. 

Dieses  Joule 'sehe  Verfahren  bleibt  sogar  anwendbar,  wenn  secnn- 
däre  Processe  den  electrol3rtischen  Vorgang  begleiten,  sofern  es  nämlicb 
möglich  ist,  die  durch  diese  secundären  Processe  entwickelten  oder  abeor- 
birten  Wärmemengen  zu  bestimmen.  Man  braucht  alsdann  diese  Wanne- 
menge  nur  mit  ihrem  Vorzeichen  zu  der  durch  den  Strom  unmittelbar 
entbundenen  Anzahl  von  Calorien  hinzuzufügen.  Die  grössten  Schwierig- 
keiten bieten,  wie  bereits  erwähnt,  in  diesen  Beziehungen  die  so  häufig 
auftretenden  Gasentwickelungen  dar,  da  es  fast  unmöglich  ist  den  calo- 
rischen  Werth  derselben  genau  zu  ermitteln. 


E,    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    677 

Auf  diese  Weise  hat  Joule  die  Wärmemenge  g'  —  q  bestimmt, 
eiche  durch  Zersetzung  von  Wasser  in  sehr  yerd&nnten  Salzlösungen 
durch  einen  Strom  mehrerer  Elemente  entwickelt  wird.  Es  wurde  nur 
ein  sehr  geringer  Säurezusatz  verwendet,  um  die  Störungen  zu  vermeiden, 
T^elche  durch  die  bei  zunehmender  Concentration  der  Säurelösung  auf- 
i;retende  Wärmeentwickelung  veranlasst  werden.  Joule  fand  auf  diese 
l^eise  fast  genau  dieselbe  Zahl,  die  vor  ihm  Dulong,  später  Favre  und 
Silbermann  und  in  neuerer  Zeit  J.  Thomson  für  die  Bildungswärme 
iron  1  Molecül  Wasser  erhalten  haben.  Joule  fand,  dass,  wenn  ein 
Aequivalent,  d.  h.  65,2 Kg,  Zink  in  der  Batterie  gelöst  worden  wai-,  im 
'Wasservoltameter  67  100  Galerien  absorbirt  wurden.  Bekanntlich  ermit- 
telte Dulong  die  Wärmetönung  des  Wassers  zu  69  200,  Favre  und 
Silbermann  zu  68  900  und  J.  Thomson  zu  68  400  Galerien.  Berück- 
sichtigt man,  dass  man  die  absolute  Genauigkeit  derartiger  Messungen 
im  Allgemeinen  kaum  gleich  1  Proc.  annehmen  darf,  so  erkennt  man 
aas  der  guten  Uebereinstimmung ,  dass  die  Joule 'sehe  Methode  in  der 
That  ganz  brauchbare  Resultate  zu  liefern  im  Stande  ist,  sofern  alle 
Vorsichtsmaassregeln  zur  Vermeidung  von  Fehlern  angewendet  werden. 


5.   Mit  einem  Daniell'solieii  Elemente  kann  Wasser  nicht 

zersetzt  werden. 

Mit  Rftcksicht  auf  das  Gresetz  von  der  Constanz  der  Energie,  welches 
fiich  in  allen  Sätzen  der  mechanischen  Wärmetheorie  wiederspiegelt,  folgt 
aus  den  im  Vorhergehenden  aufgestellten  Sätzen,  dass  die  negativen  Ar- 
beiten der  chemischen  Affinitäten,  welche  bei  der  Zersetzung  der  Electro- 
lyte  geleistet  werden,  niemals  grösser  werden  kann,  als  die  positive  Arbeit 
der  Affinitäten,  welche  sich  innerhalb  der  galvanischen  Kette  vollzieht. 
Da  im  Falle  der  Electrolyse  duryh  eine  hydroelectrische  Kette  immer 
zwei  derartig  entgegengesetzte  Vorgänge  stattfinden,  resp.  statzufinden 
streben,  so  ist  ohne  Weiteres  klar,  dass  eine  Electrolyse  nicht  eintreten 
kann,  wenn  die  negative  Arbeit,  welche  den  Eintritt  des  electrolytischen 
Processes  bedingen  würde,  grösser  ist,  als  die  positive  Arbeit,  welche 
gleichzeitig  innerhalb  des  Elementes  geleistet  werden  würde.  Ein  lehr- 
reiches Beispiel  dieser  Art  bietet  die  Wasserzersetzung  dar. 

Um  ein  Molecül  (18  kg)  Wasser  zu  zersetzen,  sind  ungefähr 
68  000  Calorien  erforderlich.  Nach  dem  von  Faraday  gefundenen 
Grundsatze  der  Electrochemie  muss  aber  während  der  Zeit,  während 
welcher  ein  Molecül  einer  Verbindung  im  electrolytischen  Zersetzungs- 
apparate zerlegt  wird,  ein  Molecül  derjenigen  Verbindung  gebildet  werden, 
welche  im  galvanischen  Elemente  entsteht.  Bei  Auflösung  von  einem 
Molecüle    Zink   in    Schwefelsäure    und  Zerlegung    von    einem  Molecül 


678  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Kupfersalphat  in  Kupfer  und  Schwefelsäure  entwickeln  sich  aber  nnr 
50130  Galorien.  Es  ist  somit  unmöglich,  mit  einem  einzigen  Da ni ein- 
sehen Elemente  eine  Wasserzersetzung  herbeizuführen.  Um  eine  Wasser- 
zersetzung herbeizuführen  würden  vielmehr  1,36  Daniel  1' sehe  Elemente 
erforderlich  sein  ^), 


6.    üeber  den  Einfluss  des  Amalgamirens  des  Zlnlca  in 

den  Elementen. 

Die  allgemein  übliche  Ersetzung  des  gewöhnlichen  Zinks  durch 
amalgamirtes  in  den  galvanischen  Ketten  hat  einen  doppelten  Zweck. 
Einmal  wird  dadurch  dem  unnützen  Verbrauche  von  Zink  in  den  Perioden 
vorgebeugt,  während  welcher  die  Kette  nicht  geschlossen  ist.  Ausserdem 
wird  die  electromotorische  Kraft  des  Elementes  dadurch  um  einen  kleinen 
Betrag  vergrössert.  Man  kann  daraus  im  Voraus  vermuthen,  dass  beim 
Uebergange  von  amalgamirtem  Zink  in  Zinksulphat  eine  etwas  g'rossere 
Wärmemenge  per  Molecül  Zinksulphat  entwickelt  wird,  als  wenn  sich  sonst 
gewöhnliches  Zink  in  verdünnter  Säure  auflöst.  Folgerichtig  ergiebt  sicli 
daraus,  dass  bei  dem  Amalgamiren  des  Zinks  eine  Wärmeabsorption  statt- 
finden muss  ^).  Diese  Schlussfolgerung  führte  Julius  Regnanld  3)  un- 
mittelbar zu  der  Beobachtung  der  experimentellen  Thatsache,  dass  sich 
Zink  beim  Amalgamiren  abkühle. 

Das  Cadmium,  welches  sonst  in  seinen  Eigenschaften  dem  Zink  be- 
kanntlich ziemlich  nahe  steht,  zeigt  in  dieser  Beziehung  ein  entgegen- 
gesetztes Verhalten.  Ersetzt  man  in  einem  Cadmiumkupferelemente  ge- 
wöhnliches Cadmium  durch  amalgamirtes,  so  nimmt  die  electromotorische 
Kraft  ab.  J.  Regnauld  schloss  daraus,  dass  bei  der  Entstehung  von 
Cadmium  amalgam  Wärme  entwickelt  werden  müsse  und  fand  auch  diese 
Consequenz  durch  den  Versuch  vollkommen  bestätigt.  Derselbe  Forscher 
hat  seine  Untersuchungen  auf  ziemlich  viele  Metalle  ausgedehnt  und  fand 


^)  W.  Thomson,  On  the  mechanical  theory  of  elecirolyse.  Phil.  Mag.  4.  Serie, 
Bd.  2  (1851),  S.  487  berechnet  W.  Thomson  das  Verhältniss  der  electromotorischen 
Kraft  der  Wasserzersetzung  zu  der  eines  Daniell-Elementes  gleich  1,318:1.  Die  schein- 
baren  Abweichungen,  dass  nämlich  schwache  Ströme  lange  Zeit  durch  Wasser  hindarvh. 
gehen,  Bnden  später  in  dem  Capitel:  „PolariBation"  ihre  Erledigung.  Man  sehe  auch 
Bd.  1,  S.  121  die  Notiz  über  electrolytische  Convection. 

^  Ob  ach  (Pogg.  Ann.  Ergbd.  7,  S.  300)  fand,  dass  Ströme  entstehen,  wenn  man 
eine  Zink-  und  eine  Platinplatte  durch  einen  Leiter  verbunden  in  Quecksilber  einsenkt. 
Diese  Ströme  sind  wohl  vorwiegend  Thermoströme ,  welche  durch  die  Wärmeabsorption 
bei  der  Amalgambildung,  vielleicht  aber  auch  Voltaströme,  welche  durch  die  chemische 
Einwirkung  veranlasst  werden.  Aehnliches  haben  neuerdings  auch  Perry  und  Ayrton 
(Proc.  of  the  Roy.  Soc.  Bd.  27,  S.  219)  und  Goosens  (Wicdem.  Ann.  Bd.  16,  S.  551) 
beim  Eintauchen  von  Magnesium  und  Platin  in  Quecksilber  beobachtet.  Beachtlich  ei^ 
scheint,  dass  sich  Amalgame  nicht  elektrolysiren  lassen. 

')  Comptes  rendns  1860,  Bd.  51,  S.  778. 


E.    Die  mechanische.  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.     679 

in   allen  diesen  Fällen  die  yorerwähnte  Schlassweise    in  vollkommener 
Uebereinstimmung  mit  den  Resultaten  experimenteller  Erfahrung  ^). 

Regnauld  glaubt  beim  Amalgamiren  der  Metalle  zweierlei  Vorgänge 
unterscheiden  zu  müssen,  einestheils  nämlich  die  Arbeit  der  chemischen 
Kräfte,  welche  bei  der  Verbindung  der  betreffenden  Metalle  mit  Queck- 
silber in  Frage  kommen,  und  anderentheils  eine  Wärmeerscheinung,  welche 
dem  Uebergange  des  Metalles  aus  dem  festen  in  den  halbflüssigen  Zustand 
oder  der  totalen  Auflösung  von  Metall  in  Quecksilber  entspricht.  Höchst 
wahrscheinlich  besitzen  beide  Wärmemengen  entgegengesetztes  Vorzeichen, 
und  in  dem  einen  Falle  überwiegt  die  eine,  in  dem  anderen  die  Wärme- 
menge, welche  dem  anderen  Processe  entspricht.  Zink  und  Cadmium 
besitzen  überdies  beispielsweise,  so  ähnlich  sich  beide  Elemen.te  sonst 
mehrfach  sind,  erheblich  verschiedene  latente  Schmelzwärme.  Man  kann 
sich  leicht  vorstellen,  dass  die  Wärmemengen,  welche  durch  die  Befriedi- 
gung der  chemischen  Affinität  der  beiden  Metalle  zum  Quecksilber  ent- 
wickelt werden,  nicht  sehr  verschieden  sein  mögen.  Da  hingegen  Zink 
ungefähr  eine  doppelt  so  grosse  latente  Schmelzwärme  besitzt,  als  das 
Cadmium,  so  wird  das  feste  Zinkamalgam  beim  Schmelzen  eine  erheblich 
grössere  Wärmeabsorption  veranlassen  als  das  Auflösen  von  festem  Cad- 
miumamalgam«  Beim  Zink  würde  alsdann  die  Wärmeabsorption  die 
entwickelte  Wärme  übertreffen,  während  beim  Cadmium  das  Entgegen- 
gesetzte stattfindet.  Die  electromotorische  Kraft  fällt  daher  auch  ver- 
schieden gross  aus,  je  nachdem  das  Metall  mit  festem  krystallinischen 
oder  mit  flüssigem  Amalgam  bedeckt  ist. 


?.  JvlL  Thomsen's  Messung  der  gesazmnten  im  Stromkreise 
des  Danieirschen  Elementes  entwickelten 

Wärmemenge. 

Durch  eine  umföngliche  Experimentaluntersuchung  J.  Thomsen's^) 
ist  überzeugend  dargethan  worden,  dass  die  gesammte  ^)  im  galvanischen 

^)  Auch  neuere  genauere  Messungen  von  Hock  in  und  Taylor,  Beiblätter  1879, 
S.  751,  und  zumal  die  Untersuchungen  von  A.  Wright,  Phil.  Mag.  5.  Serie,  Bd.  14, 
S.  87  etc.,  haben  in  der  Hauptsache  die  vorerwähnten  Schlüsse  bestätigt. 

^)  Man  vergleiche:  W.  Thomson,  Applications  of  the  principle  of  mechanical 
effect  to  the  measurement  of  electromotive  forces  and  of  galvanic  resistances  in  absolute 
Units.  Phil.  Mag.  4.  Ser.,  Bd.  2  (1851),  S.  429  bis  446  und  S.  551  bis  562.  W.  Thom- 
son, On  the  sonrce  of  heat  generated  by  the  galvanic  battery.  Rep.  of  the  British 
Assoc,  Bd.  22,  S.  16  (1852),  u.  ferner:  Raoult,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  4.  Ser., 
Bd.  4,  S.  392  (1868),  und  J.  Thomsen,  Schrift,  d.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  z.  Kopen- 
hagen (5),  Bd.  5,  S.  153,  und  Wiedem.  Ann.  Bd.  11,  S.  241  bis  269  (1880). 

»)  F.  Braun  (Wiedem.  Ann.  Bd.  5 ,  S.  182,  und  Bd.  16,  S.  563)  behauptet: 
Bei  jedem  chemischen  Processe,  welcher  innerhalb  einer  galvanischen  Kette  nach  dem 
Faraday 'sehen  Gesetze  verläuft,  geht  ein  Theil,  aber  auch  nur  ein  Theil  der  Verbin- 
duiigswärme  in  electrische  Energie  über.     Weiteres  darüber  im  Capitel  22,  S.  716. 


680  III.    Anwendungen  auf  electrieche  E^rBchemungen. 

Elemente  consumirie  potentielle  Energie  der  AfBuität  in  Wnrme  und 
Electricität  umgesetzt  wird,  sofern  das  galvaniBche  Element  derart  An- 
geordnet iat,  das8  innerhalb  deeselben  keine  chemischen  Keactionen  statt* 
finden,  Bo  lange  der  Stromkreis  nicht  geschlosBen  ist.  Die  meiBten  der 
sogenannten  constauten  Elemente  erfüllen  diese  Bedingung  nahezu  voll- 

Die  Untersuchung  erfordert  1.  die  Messung  der  Wärmemenge,  welche 
durch  einen  galvanischen  Strom  von  willkürlicher  Intensität  in  einem 
willkürlichen  Widerstands  iu  der  Zeiteinheit  entwickelt  wird,  2.  die 
Messung  der  benutzten  Stromintensität  in  absoluten  Einheiten,  3.  die 
Messung  der  electromotorischen  Kraft  eines  Daniell'schen  Elementes, 
Fig.  55.  bezogen  auf  die  vorher   benutzte    willkür- 

liche Stromintensität  und  den  verweDdeteu 
Widerstand. 

Die  durch  den  galvanischen  Strom  ent- 
wickelt« Wärmemenge  wurde  in  einem  aus 
Platinblech  hergestellten  Wassercalorimeter 
gemessen,  welches  900  g  Wasser  enthielt.    In 
diesem  Calorimeter  befanden  sich  vier  nahe* 
zu  gleich    lange  Spiralen  von  Platiiidraht, 
welche  derart  mit  einander  verbunden  'waren, 
(siehe  Fig.  55),  dass  der  Strom  gleichzeitig 
durch  die  Spiralen    1   und  2  und    hierauf 
gleichzeitig  durch   3   und  4   hindurchging. 
Der  Widerstand  der  vier  Spiralen    war  bei 
dieser  Anordnung  ungefähr  gleich  dem  einer  einzigen  Spirale,  die  Ober- 
fläche dagegen,  welche  vom  Wasser  berührt  wurde,  war  viermal  so  gross, 
als  die  einer  einzelnen  Spirale. 

Die  Stromstärke  wurde  an  einer  Sinnsbonssole  gemessen,  welche 
durch  eine  Zweigleitung  mit  dem  Hauptstrome  verbunden  war.  Um  in 
den  Leitungen  ausserhalb  des  Calorimeters  keine  erheblichen  Temperatur- 
änderungen  eintreten  zu  lassen,  wurden  dieselben  sämmtlich  aus  sehr 
dickem  Eupferdrahte  hergestellt.  Tor  dem  Versuche  ging  der  Strom 
durch  eine  andere  Platinspirale  von  genau  gleichem  Widerstände.  Wäh* 
rend  der  Dauer  des  Versuches  wurde  die  Stromintensität  durch  einen 
Regulator  auf  constanter  Höhe  erbalten. 

Bei  einer  Stromstärke,  welche  an  der  BonsBole  einen  Ausschlag  von 
40°  gab,  fand  Thomsen  die  Erwärmung  des  Galorimeters  per  Minute  im 
Mittel  zu  0,1749''C.  Da  der  Wasser werth  des  Colorimeters  sammt  Inhalt 
0,9147kg  betrug,  so  entwickelte  der  Strom  somit  per  Minute: 
0,9147.0,1749  =  0,2209  Calorien. 
Durch  eine  weitere  Versuchsreihe  wurde  constatirt,  dass  der  Strom, 
welcher  an  der  in  die  Zweigleitung  eingeschalteten  BouBSole  einen  Aus- 
schlag von  40"  gab,  pro  Minute  18,237  cbom  Knallgas  (anf  0'^  und 
760  mm  reduoirt)  entwickelte, 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    681 

Der  Einfachheit  wegen  bezog  Thomsen  die  gemessenen  Grössen 
auf  einen  Strom,  welcher  in  der  Boussole  die  Intensität  1  gehabt  hätte, 
dividirt  die  oben  gefundene  Zahl  demnach  noch  mit  stn^40^  und  findet 
die  Wärmemenge  C,  welche  durch  einen  Strom,  dessen  Intensität  in 
der  Boassole  gleich  1  wäre,  in  dem  benutzten  Widerstände  pro  Minute 
erzeugt  werden  würde, 

C  =  0,3872  Calorien. 

Der  Strom  von  der  nämlichen  Stärke  1  würde  in  der  Minute 

V  =  44,138  cbcm  Knallgas 
entwickeln. 

Die  electromotorische  Kraft  des  D an i eil' sehen  Elementes  wurde 
nach  der  Methode  von  0  h  m  ^)  bestimmt.  An  der  in  die  Zweigleitung 
eingeschalteten  Sinusboussole  wurde  der  Ausschlagwinkel  Si  beobachtet 
bei  Einschaltung  des  im  Calorimeter  befindlichen  Widerstandes;  man  las 
den  Ausschlag  8^  ab  nach  Ausschaltung  desselben;  die  Grösse  des  Wider- 
standes wurde  gleich  1  gesetzt. 

Alsdann  ist  die  electromotorische  Kraft  ^): 

^        sin  $9.  sin  81  ,^^ 

E=- r^ 10) 

stns^  —  stnsi 

bezogen  auf  die  willkürlich  gewählten  Einheiten  des  Stromes  und  des 
Widerstandes.     Es  ergab  sich  als  Mittel  aus  vielen  Beobachtungen: 

E  =  0,17245. 

Da  jedoch  diese  electromotorische  Kraft  sich  auf  den  Widerstand 
der  Platinspirale  bei  einer  Stromintensität  von  ungefähr  sin  12^  bezieht 
und  bei  der  Stromstärke  S7'n40^  der  Widerstand  infolge  der  höheren 
Temperatur  etwas  grösser  wird,  so  bedurfte  der  beobachtete  Werth  noch 
einer  Gorrection.  Das  Yerhältniss  des  Widerstandes  bei  Stromstärken, 
welche  Ausschläge  der  Boussole  bis  40^  und  16^  veranlassen,  ergab  sich 
zu  1,0082.  Hiermit  musste  die  bei  der  Stromstärke  von  12^  (statt  16^) 
gemessene  electromotorische  Kraft  des  D  an  i eil 'sehen  Elementes  dividirt 
werden,  um  dieselbe  auf  den  Widerstand  zu  reduciren,  welchen  der 
Platindraht  bei  40^  besessen  hatte.  Hiemach  wird  die  electromotorische 
Kraft  eines  D  an  i  eil 'sehen  Elementes 

^  =  0^=0.17105. 
1,0082  ' 

Nach  dem  Ohm 'sehen  Gesetze  wird  bei  der  Stromintensität  =  1 
der  Widerstand  gleich  der  electromotorischen  Kraft;  mithin  bezeichnet 
0,17105  den  Widerstand  in  einem  Daniell'schen  Elemente,  welches  in 
der  Minute  44,138 cbcm  Knallgas  entwickelt^). 


1)  Wiedemann,  Galvamsmus,  2.  Aufl.,  Bd.  2,  §.  231,  S.  345. 
3)  Dass  dies  in  Wirklichkeit  ja  nicht  möglich  ist,  hat  auf  diese  theoretische  Schluss- 
folgerung keinen  Einfluss. 


682  IIl.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Vorher  war  gefunden  worden ,  dass  ein  Strom  von  der  Intensität  1 
in  der  Bonssole  in  der  als  Widerstandseinheit  gewählten,  im  Calorimeter 
hefindlichen  Platinspirale  pro  Minute  0,3872  Galorien  entwickelt  Dem- 
nach entwickelt  dieselbe  Stromeinheit  in  dem  Gesammtwiderstande  eines 
Daniell 'sehen  Elementes,  den  wir  gleich  0,17105  fanden,  in  jeder  Minute. 

0,17105 . 0,3872  Galorien. 

Ein  Strom  von  der  Intensität  der  von  uns  verwendeten  Einheit  ent- 
wickelt aber  in  jeder  Minute  44,138  cbcm  Knallgas.  Demnach  sind  znr 
Zersetzung  von  1  Mol.  =  18kg  Wasser,  somit  zur  Bildung  der  ent- 
sprechenden Menge,  d.  h.  von  33  515  000 cbcm  Knallgas: 

.     33  615  000  ^,.     , 

Minuten 

44,138     """^*'*'" 

erforderlich,  und  in  dieser  Zeit  würden  von  der  Einheit  der  Stromstärke 
in  einem  Daniel!' sehen  Elemente 

33  515  000 
0,17105  . 0,3872  .  —rr^iirr-  Galorien  =  50  290  Galerien 

44,138 

entwickelt  werden. 

In  derselben  Zeit  aber,  in  welcher  ausserhalb  des  Elementes  1  Mol 
Wasser  zersetzt  wird,  wird  im  Elemente  selbst  ein  Aequivalent  Zink- 
sulphat  aus  Zink  und  Säure  gebildet  und  ein  Aequiyalent  Kupfersolpbt 
in  Metall  und  Säure  zerlegt» 

Nun  ist  aber  die  Differenz  der  Bildungswärme  beider  Salze  die  b 
Wärmemaass  gemessene,  im  Elemente  consumirte  potentielle  Energie  der 
Affinität  1). 

Diese  Differenz  beträgt^): 

(Zn,0,H,S04Aq)-(Gu,0,HaS04Aq)=106090-55960=50130Calorieii. 

Dieser  Werth  fällt  mit  dem  vorher  gefundenen  so  nahe  zusammen, 
dass  man  zu  dem  Schlüsse  kommt:  In  der  geschlossenen  Daniell'sdieii 
Kette  wird  die  gesammte  durch  den  im  Innern  des  Elementes  sich  voll- 
ziehenden chemischen  Process  entbundene  Energiemenge  yollständig  nnd 
ausschliesslich  zur  Bildung  des  electrischen  Stromes  verwendet^). 

Auch  für  eine  Anzahl  anderer  galvanischer  Gombinationen  l»t 
Thomsen  in  seinen  thermochemischen  Untersuchungen  die  nöthigeo 
Grundlagen  geliefert,  um  die  Wärmetönungen  der  in  den  Elementen  sich 
vollziehenden  chemischen  Reactionen  ermitteln  zu  können.  Die  Yerglei- 
chung  dieser  Wärmetönung  mit  der  des  Da  nie  11' sehen  Elementes  giebt 

^)  Im  Elemente  war  die  Knpfervitriollösung  concentrirt;  die  Wärmetönangeo  be- 
liehen sich  hingegen  auf  sehr  Terdünnte  Lösungen.  Der  hierdurch  entstehende  Fehler 
kann  jedoch  vernachlässigt  werden ,  ebenso  wohl  auch  der  Umstand,  dass  das  Ziok 
amalsramirt  war.     Vorgl.  A.  Wright,  Phil.  Mag.  5.  Ser.,  Bd.  14,  S.  87. 

2)  Mim  sehe  Bd.  2,  S.  298 ,  Z.  2  v.  u. ,  S.  300,  Z.  2  v.  o.,  S.  303,  Z.  8  r,  o.  und 
Z.  11  V.  o. 

^)  Für  andere  Gombinationen  hat  auch  Wright  (a.  a.  0.)  dasselbe  Resultat  eij** 
rimentell  bestätigt. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    683 

alsdann  einen  Quotienten,  welcher  bei  allen  solchen  galyanischen  Gombi- 
nationen  gleich  der  auf  das  DanielTsche  Element  bezogenen  electro- 
motorischen  Kraft  sein  muss,  in  welcher  ebenfalls  die  gesammte  Energie 
in  electrische  Energie  umgesetzt  wird.  In  denjenigen  Fällen,  in  welchen 
diese  Üebereinstimmnng  nicht  stattfindet,  treten  leicht  erkennbare  secun- 
däre  Vorgänge  in  den  Elementen  auf  (Gasent Wickelungen,  GoncentrationB- 
änderungen  etc.),  welche  einen  Theil  der  chemischen  Energie  in  Anspruch 
nehmen. 

^  (Siehe  TabeUe  a.  f.  8.). 


8.   Indireote  Messung  der  in  einem  Daniell'sohen  Elemente 

entwickelten  Wärmemenge. 

Aus  den  mitgetheilten  Principien  lässt  sich  auch  noch  eine  ander* 
iT^eite  Consequenz  ziehen,  die  ebenfalls  einer  Prüfong  durch  das  Experi- 
ment fähig  ist. 

Aus  dem  Joule' sehen  Gesetz  gewinnt  man  unmittelbar  die  Formel  ^): 

m,F,i  =  J.Q.     ., 11) 

und  es  ist  bekannt,  dass  diese  Formel  sowohl  für  inducirte,  als  auch  far 
bydroelectrische  Ströme  giltig  ist.  Durch  beiderseitige  Division  durch  f 
leitet  man  für  galvanische  Ströme  ab: 

m.2F=J.2K 12) 

und,  sofern  man  es  nur  mit  einem  einzelnen  Elemente  zu  thun  hat, 

m.F=J.K 13) 

Hierin  bezeichnet  F  die  electromotorische  Kraft  des  betrachteten 
Elementes  und  K  die  durch  die  Bildung  von  1  Aeq.  Zinksulphat  ent- 
wickelte Wärmemenge,  m  ist  eine  Constante,  deren  Grösse  von  der  Wahl 
der  Einheiten  abhängt.  Diese  Constante  m  kann  jedoch  durch  Betrach- 
tung von  Vorgängen  ganz  anderer  Art,  durch  Betrachtung  von  Inductions- 
erscheinungen  bestimmt  werden. 

Die  von  uns  früher  (D,  5,  S.  633,  Gleichung  23)  gegebene  Formel: 

m.F.i.dt  =  dH 14) 

gilt  bekanntlich  für  die  in  einer  unendlich  kurzen  Zeit  dt  inducirten 
Ströme.     In  einem  endlichen  Zeitabschnitte  hat  man  demnach: 

m.  fFAdt  =  n 15) 

oder,  wenn  man  die  Gleichung  des  Ohm 'sehen  Gesetzes  einführt: 

m.B.  riKdt  =  H 16) 

1)  Voi^l.  Bd.  2,  ITI,  D,  1,  S.  623. 


684         III.   Anwendungen  auf  elektrische  Erscheinungen. 


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E.  Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.     685 

Kann  man  nun  die  rechtsstehende  Grösse  H  in  Eilogrammmetern 
messen  und  misst  man  anderentheils  die  Stromintensit&t  und  den  Wider- 
stand in  heliehigen  Einheiten  (woraus  alsdann  nothwendiger  Weise  die 
Einheit  für  die  electromotorische  Kraft  folgt),  so  kann  man  aus  ohiger 
Gleichung  m  bestimmen* 

Behält  man  alsdann  die  nämlichen  Einheiten  für  %  und  jß  bei  und 
verwendet  den  diesen  entsprechenden  Werth  in  der  oben  mitgetheilten 
Gleichung : 

m.F=J.K 17) 

so  kann  man  auf  diese  Weise  K  berechnen  und  muss  für  K  wieder  nahe- 
zu die  Zahl  erhalten,  welche  durch  thermochemische  Untersuchungen  auf 
andere  Art  gefunden  worden  ist. 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollte  man  an  dieser  Stelle  alle  Methoden 
auseinander  setzen,  welche  dazu  dienen  können,  die  Grösse  m  zu  be- 
stimmen; es  ist  dies  in  ausführlicher  Weise  bekanntlich  in  den  W.Web  er '- 
sehen  Abhandlungen:  lieber  die  Messung  der  Electricität  und  des 
Magnetismus  nach  absolutem  Maasse  ^),  geschehen.  Wir  wollen  uns  hier 
damit  begnügen,  einen  nur  idealen  Vorgang  zu  beschreiben,  durch  den  es 
möglich  sein  würde  H  zu  messen,  und  dadurch  m  zu  bestimmen.  Es  kann 
dies  z.  B.  mit  Hilfe  des  Weber' sehen  Electrodynamometers  geschehen. 
Bekanntlich  unterscheiden  sich  diese  Instrumente  dadurch  von  den  Galva- 
nometern, dass  die  Magnetnadel  des  Galvanometers  beim  Dynamometer 
durch  ein  grosses  Solenoid  ersetzt  ist,  welches  von  demselben  Strome 
durchflössen  wird,  der  durch  die  Windungen  des  äusseren  festen  Drahtes 
hindurch  fliesst.  Dieses  Solenoid  ist  bifllar  an  den  beiden  Drähten  auf- 
gehängt, durch  welche  die  Zu-  und  Abführung  des  Stromes  von  einem 
beweglichen  Drahte  aus  stattfindet.  Die  Verwendung  dieser  bifllaren 
Aufhängung  gestattet  unmittelbar  und  leicht  aus  dem  Ablenkungswinkel 
die  Grösse  des  Drehungsmomentes  zu  bestimmen,  welches  strebt  das  ab- 
gelenkte Solenoid  in  seine  Gleichgewichtslage  zurück  zu  führen. 

Zunächst  lenkt  man  bei  einem  vorläufigen  Versuche  das  bewegliche 
Solenoid  aus  seiner  Gleichgewichtslage  ab  und  lässt  dasselbe  Schwin- 
gungen vollführen,  während  kein  Strom  durch  den  Apparat  hindurchgeht. 
Für  einen  gegebenen  Ausschlagswinkel  ist  die  Arbeit  N  der  Torsions- 
kräfte  während  einer  Halbschwingung  bekanntlich: 

N  =  ^ 18) 

wenn  Sl  die  Winkelgeschwindigkeit  beim  Durchgange  durch  die  Gleich- 
gewichtslage und  JÜ  das  Trägheitsmoment  der  schwingenden  Rolle 
bedeutet.  Die  Geschwindigkeit  Sl  kann  nach  den  Gesetzen  der  Torsions- 
schwingungen leicht  aus  dem  Ausschlagswinkel  und  der  Schwingungs- 
dauer berechnet  werden.     Das  Trägheitsmoment  M  kann  leicht  experi- 


^)   W,  Weber,   Abhandlungen   d.   Sfichs.  Gesellsch.    d.   Wissenschaften,   Bd.   15, 
S.  220  bis  292. 


686  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

mentell  nach  der  von  Gauss  ^)  mitgetheilten  Methode  hestimmt  werden. 
Diese  Methode  hesteht  bekanntlich  darin,  dass  man  das  Trägheitsmoment 
um  bekannte  Grössen  vermehrt  und  für  jeden  einzelnen  derartigen  Fall 
die  Schwingungsdauer  aufs  Neue  bestimmt.  Die  Trägheitsmomente  sind 
alsdann  den  Wurzeln  aus  den  Schwingungsdauern  direct  proportional,  und 
daraus  kann  das  gesuchte  unbekannte  Trägheitsmoment  unmittelbar  be- 
rechnet werden. 

Hierauf  lässt  man  nur  durch  die  Windungen  des  festen  Drahtes  einen 
Strom  hindurchgehen  und  beobachtet  von  neuem  die  Schwingungen  der 
beweglichen  Rolle.  In  dem  Drahte  der  schwingenden  Rolle  werden  als- 
dann durch  den  Strom,  der  die  feste  Rolle  durchströmt,  Inductionsströme 
erregt,  und  man  findet,  wenn  der  ursprüngliche  Ausschlag  derselbe  war 
wie  vorher: 

N-'H  =  —^ 19) 

und  dieser  Ausdruck  gestattet  H  in  Kilogrammmetem  zu  berechnen. 
Nunmehr  bleibt  noch  übrig  das  Integral:  * 


/ 


iKdt 


zu  ermitteln ,  dem  die  inducirende  Wirkung  der  festen  auf  die  beweg- 
liche Rolle  proportional  ist. 

Man  kann  diese  Grösse  bestimmen,  wenn  man  durch  die  feste  und 
bewegliche  Rolle  einen  constanten  Strom  von  der  Intensität  t'i  eine  so 
kurze  Zeit  0  hindurchgehen  lässt,  dass  der  Ablenkungsstoss  die  beweg- 
liche Rolle  genau  um  denselben  Winkel  aus  der  Gleichgewichtslage  her- 
aus bewegt,  um  den  wir  vorher  die  Dynamometerrolle  abgelenkt  hatten. 
Alsdann  ist  die  inducirende  Wirkung  der  festen  auf  die  bewegliche  RoUe 
allerdings  proportional  der  Grösse 


/ 


und  da  der  Proportioualitätscoefficient,  der  Gleichheit  der  Winkel  wegen, 
in  beiden  Fällen  derselbe  sein  muss,  haben  wir  unmittelbar: 


/ 


iKdt  =  il.O    .     .     . 20) 

Bestimmt  man  also  ii  und  d,  so  hat  man  damit  auch  das  gesuchte 
Integral  und  durch  dieses  endlich  die  gesuchte  Grösse  K, 


^)  Mittheilungen  des  magnetischen  Vereines  (1836), 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    687 


0.    Die  Bestimmimg  der  Grösse  K  durch  Bossoha. 

Gestutzt  auf  die  von  W.Weber  in  seiner  oben  citirten  Abhandlung 
mitgetheilteu  Methoden  hat  der -holländische  Physiker  Boss cha  ^)  die 
Grösse  K  bestimmt. 

Er  liess  den  Strom  von  zwei  oder  drei  Daniel  loschen  Elementen 
durch  eine  Tangentenboussole  und  durch  eine  Kupfersulphatlösung  hin- 
durchgehen, in  welche  Eupferelectroden  hineintauchten.  Er  bestimmte 
das  Gewicht  Kupfer,  das  in  einer  bestimmten  Zeit  niedergeschlagen 
wurde,  imd  ermittelte  daraus  die  Wassermenge,  welche  ein  Strom  zu  zer- 
legen im  Stande  sei,  von  dem  die  Nadel  der  Tangentenboussole  um  einen 
bestimmten  Winkel  abgelenkt  wird.  W.  Weber  hat  die  Intensität  des 
Stromes,  welcher  in  der  Zeiteinheit  1mg  Wasser  zersetzt,  auf  das  Ge- 
naueste ermittelt,  und  dies  gestattet  einen  constanten  Coefficienten  a  zu 
berechnen,  mit  dem  man  nur  die  Tangente  des  Ausschlagswinkels  der 
Nadel  der  Tangentenboussole  zu  multipliciren  braucht,  um  die  dem  Aus- 
schlage entsprechende  Stromintensität  in  absolutem  Maasse  zu  erhalten. 

Bosscha  sorgte  dafür,  dassbei  diesen  Voruntersuchungen  die  Strom - 
Intensität  verhältnissmässig  gering  war,  so  dass  der  Knpferniederschlag 
wenig  cohärent  wurde  und  leicht  gewaschen  und  getrocknet  werden  konnte. 
Er  beobachtete  die  beiden  Ablenkungen,  welche  der  Strom  hervorbrachte, 
je  nachdem  man  den  Strom  in  der  einen  oder  der  entgegengesetzten 
Bichtung  durch  die  Tangentenboussole  hindurch  gehen  liess,  und  wendete 
auf  das  Mittel  dieser  Ausschläge  die  B  ravais' sehe  ^)Correctionsformel  an. 

Ausserdem  versorgte  sich  Bosscha  einen  Messingdraht,  dessen 
Widerstand  mit  grösster  Sorgfalt  mit  einem  der  Widerstandsetaions  ver- 
glichen war,,  dessen  Widerstand  W.  Weber  auf  das  Genaueste  in  abso- 
lutem Maasse  bestimmt  hatte.  Der  Widerstand  dieses  Drahtes  war  so 
gewählt,  dass,  auf  Web  er 'sehe  Einheiten  bezogen,  die  Gonstante  tn  gleich 
1  wurde.  Hierauf  bestimmte  Bosscha  mit  der  nämlichen  Tangenten- 
boussole, welche  schon  vorher  zu  den  Versuehen  gedient  hatte,  die  Inten- 
sität des  Stromes,  den  ein  DanielTsches  Element  hervorbrachte,  wenn 
das  Element  ausser  der  Boussole  den  Normalwiderstandsdraht  enthielt. 
Ausserdem  wurde  noch  genau  der  Widerstand  des  Elementes  und  der 
Bonssole  in  Weber ^schen  Einheiten  ermittelt. 

Man  konnte  auf  diese  Weise  in  absoluten  Einheiten  den  Gesammt- 
widerstand  und  die  Stromintensität  und    daraus    die  electromotorische 


1)  Bosscha,  Pogg.  Ann.  Bd.  108,  S.  312  bis  408. 

3)  Comptcs  remlus,  Bd.  34,  S.  193  (1853).  Bekanntlich  ist  die  Bravais 'sehe 
Formel  für  die  Fehlerberechnung  nicht  streng  richtig.  Wiedemann,  Galyanismos, 
Braunschweig,  Friedrich  Vieweg  u.  Sohn,  II.  Aufl.,  Bd.  II,  S.  187. 


688  IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Kraft  F  bestimnlen.      Als  Mittel    auB    drei    sehr  voUkommen   übereiii- 
stimmenden  Versachsreihen  ergab  sich: 

F=20  500 .  10^. 

Mit  Hilfe  der  Gleichung: 

f».F=  J.K 

konnte  hieraus  K  bestimmt  werden«     Nimmt  man  «7  =  425 ,  so   ergiebt 

sich  hieraus: 

IT  =  47  920  Calorien. 

Favre  undSilbermann haben  durch  directe calorimetrische  Messon- 
gen  gefanden,  dass  die  Ersetzung  von  1  Mol.  Zink  durch  1  Mol.  Kupfer, 
welche  sich  bekanntlich  in  einem  D an ielTschen  Elemente  ToUziekt, 
eine  Wärmeentwickelung  von  47120  Galerien^)  bedingt.  Diese  Ueberein- 
stimmung  kann  als  eine  ganz  genügende  angesehen  werden ,  wenn  man 
berücksichtigt,  dass  die  erstgenannte  Zahl  aus  einer  so  grossen  Anzakl 
einzelner  Bestimmungen  gefunden  worden  ist,  deren  Durchfühmug  theil- 
weise  ziemlich  schwierig  ist. 

Nimmt  man  andererseits  jedoch  K  als  durch  calorimetrische  Be- 
stimmungen gefunden  an,  so  können  die  Bosscha' sehen  Zahlen  auch 
dazu  dienen,  einen  neuen  Werth  für  das  mechanische  Aequivalent  «7*  der 
Wärme  zu  berechnen.    Auf  diese  Weise  würde  sich  ergeben: 

'==^ - «» 

Unter  Einsetzung  der  oben  mitgetheilten  Werthe  für  F  und  K  er- 
hält man: 

/  =  428  kgm, 

und  diese  Zahl  befindet   sich   mit   den   auf   andere   Weise   gefiindeneD 
Werthen  in  befriedigender  Uebereinstimmung. 


10.  Die  eleotrolytisohe  Zersetzung  des  Wassers. 

Wenn  ein  electrisoher  Strom  durch  eine  Flüssigkeit  geht,  so  bringt 
die  Anhäufung  der  Jonen  an  den  Electroden  eine  dem  ursprünglichen 
Strome  entgegengesetzt  wirkende  electromotorische  Kraft  hervor,  die 
man  mit  dem  Namen  der  Polarisation  bezeichnet.  Neben  dieser  Polari- 
sation bilden  sich  durch  Veränderung  der  Leitungsflüssigkeiten  gelegent- 
lich neue  Widerstände  (Uebergangswiderstände) ;  diese  yergrössem  den 
Widerstand  und  nicht  die  electromotorische  Kraft,  sie  dürfen  also  nut 
der  Polarisation  nicht  verwechselt  werden» 

Die  Grösse  der  elektromotorischen  Kraft  der  Polarisation,  welche 
eine  Zersetznngszelle  mit  Wasser   hervorbringt,   ist  von  verschiedenen 

^)  Den  richtigea  Werth  bestimmte  Thomsen,  siehe  vorher  Capitel  7. 


£.   Die  mechanisclie  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinu&gen.    689 

Aatoren  häufig  hestimmt  und  fast  immer  auf  die  electromotoriscbe  Kraft 
eines  D an i eil' sehen  Elementes  bezogen  worden.  Hiernach  würde  man 
die  dieser  electromotorischen .  Kraft  entsprechende  Anzahl  von  Calorien, 
welche  bei  electrolytischer  Zerlegung  von  Wasser  in  Wasserstoff  und 
Sauerstoff  absorbirt  wird,  erhalten,  wenn  man  diese  Verhältnisszahl  mit 
dem  calorischen  Werthe  der  electromotorischen  Kraft  des  Dan ie IT  scheu 
Elementes  multiplicirte.  Diese  Zahlen  sind  oft  bestimmt  worden  und 
zwar  wurden  von  nachstehend  verzeichneten  Physikern  die  beigefügten 
Zahlen  gefunden: 

Electromotoriscbe  Kraft  der  Polarisation  von  Wasserstoff-Sauerstoff 
auf  Platinplatten: 

nach  Wheatstone 2,33 

„     Buff , 2,56 

„     Svanberg 2,31 

,,     Lenz  und  Saweljew 2,34 

„     Bosscha 2,34 

„     Poggendorff 2,33 

„     Raoult 2,09 

„     Exner 2,03 

„     Beetz 2,13 

„     Hallock 2,07 

„     Bartoli    , 2,00 

Ohne  uns  auf  eine  Discussion  der  Gründe  der  nicht  sonderlich 
guten  Uebereinstimmung  einzulassen  ^),  wollen  wir  annehmen,  die  electro- 
motoriscbe Kraft  der  Polarisation  des  electrolytischen  Wasserstoff-  und 
Sauerstoffgases  sei  2^3  mal  so  gross,  als  die  electromotoriscbe  Kraft  eines 
D an ieir sehen  Elementes.  Multiplicirt  man  hiermit  die  von  Bosscha 
gegebene  Zahl  47  920,  so  findet  man:  111  800  Calorien,  statt,  wie  man 
erwarten  sollte ,  68  400 ,  die  WSrmetönung  der  Wasserbildung .  aus  den 
Elementen.  Der  Arbeitsaufwand  bei  der  Electrolyse  ist  grösser,  als  die 
bei  der  Vereinigung  von  gewöhnlichem  Sauerstoff  und  Wasserstoff  ge- 
leistete Arbeit. 

Die  Erklärung  dieses  überraschenden  Widerspruches  dürfte  darin 
zu  suchen  sein,  dass  die  Wärmetönung  der  Wasserbildung  sich  auf  die 
Entstehung  von  Wasser  aus  gewöhnlichem  Wasserstoff  und  Sauerstoff 
bezieht,  während  sich  hingegen  bei  der  Electrolyse  die  Electroden  der 
Zersetzungszelle   mit   den   beiden  Gasen  in  activem  Zustande  beladen. 


^)  Von  Beetz  (Pogg.  Ann.  Bd.  110,  S.  62),  Crova  (Adn.  de  chim.  et  de  phys. 
3.  Serie,  Bd.  68,  S.  461)  und  neuerdings  von  F.  Einer  (Wiedem.  Ann.  Bd.  6,  S.  338) 
ist  nachgewiesen  worden,  dass,  wenn  man  die  electromotoriscbe  Kraft  des  ni*sprünglichen 
Stromes  wachsen  lässt,  auch  die  electromotorische  Kraft  des  entstehenden  Polarisations- 
stromes steigt,  und  zwar  so,  dass  sie  bis  zu  einem  Maximum  stets  gleich  der  des  pri- 
mären Stromes  bleibt;  hat  die  Polarisation  dieses  Maximum  erreicht,  so  bleibt  sie  con- 
stant  auf  demselben. 

Bühlroann,  Median,  W&rmethcorle.  Bd.  II.  44 


690         in.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Andere  suchen  jedoch  die  Ursache  der  Differenz  in  der  Bildung  you 
Wasserstoffsuperoxyd,  welches  bei  grösseren  Stromstarken  entstehen 
soll  1). 

Der  Sauerstoff  befindet  sich  im  Zustande  des  Ozons  und  der  Wasser- 
stoff ist  sogenannter  nascirender,  d.  h.  Wasserstoff,  welcher  im  Stande  ist, 
Reductionen  Torzunehmen ,  die  mit  gewöhnlichem  Wasserstoff  nicht  yoU- 
iuhrt  werden  können.  Die  Wärmemenge,  welche  bei  Verbindung  der- 
artiger activen  Gase  hervorgebracht  werden  wurde,  müsste  sonach  grosser 
sein,  als  die,  welche  man  durch  Verbrennen  von  Wasserstoff  in  Sauerstoff 
erhält.  Die  auf  der  Oberfläche  der  Electroden  der  Zersetzungszelle  ab- 
geschiedenen, resp.  daselbst  occludirten  Gase  befinden  sich  in  einem  dem 
flüssigen  Zustande  ähnlichen  Zustande  der  Verdichtung,  und  diese  Ver- 
dichtung wird  von  einer  Wärmeentwickelung  begleitet  sein.  Ausserdem 
aber  zeigen  die  Gase  im  sogenannten  activen  Zustande  eine  viel  grossere 
Fähigkeit  chemische  Verbindungen  einzugehen,  als  im  gewöhnlicheB 
Zustande;  diese  Substanzen  scheinen  somit  im  activen  Zustande  eines 
UeberschuBs  an  potentieller  Energie  zu  besitzen  im  Vergleich  zu  dem 
Energiegehalte  der  nämlichen  Substanzen  im  normalen  Verhalten. 

Dieser  Energieüberschuss  ist  es,  der  dadurch  merklich  wird,  dasi 
eine  grössere  Wärmemenge  absorbirt  wird,  wenn  Wasser  in  actirec 
Sauerstoff  und  activen  Wasserstoff  ^)  zerlegt  wird ,  als  bei  der  Verbren- 
nung von  1  Mol.  gewöhnlichem  Wasserstoff  in  Sauerstoff  wieder  zum  Voi^ 
schein  kommt. 

Dass  in  der  That  die  electrolytisch  auf  den  Platten  ausgeschiedenen 
Gase  wesentlich  andere  Eigenschaften  zeigen,  als  die  Gase  im  gewöhn- 
lichen Zustande,  zeigt  besonders  die  verschiedene  electrische  Erregung, 
welche  dieselben  hervorbringen. 

Wäre  in  beiden  Fällen  der  Wasserstoff  und  der  Sauerstoff  derselbe, 
so  müssten  die  electromotorischen  Kräfte  eines  Gaselementes,  bei  welchem 
die  eine  Platinplatte  in  Sauerstoff,  die  andere  in  Wasserstoff  tauchte, 
gleich  der  electromotorischen  Kraft  der  Polarisation  sein.  Nun  ist  aber 
nach  den  übereinstimmenden  Versuchen  von  Beetz'),  0.  Peirce'*)  und 
Anderen  die  electromotorische  Kraft  einer  mit  gewöhnlichem  reinen 
Sauerstoff  belegten  Platinplatte  gegen  reines  Platin  in  Wasser  gleich 
Null  und  die  einer  mit  reinem  Wasserstoff  beladenen  Platte  gegen  reines 
Platin  in  Wasser  gleich  0,81  Daniell  (Beetz)  bis  0,87  (Peirce).  Die 
electromotorische  Kraft  eines  Was^rstoff-Sauerstoff-Gaselementes  (in  wel- 
chem der  Sauerstoff  vielleicht  Spuren  von  Chlor  enthält)  giebt  0.  Peirce 
zu  0,92  Daniell  und  Beetz  zu  0,97  an,  wobei  die  Sperrflüssigkeit  eine 
sehr  verdünnte  Schwefelsäure  (1  ProQ.  H2SO4)  war. 


^)  Beetz,  Pogg.  Ann.  Bd.  90,  8.  64;  Exner,  Wiedem.  Ann.  Bd.  6,  S.  381. 
^)  Die  Existenz   einer  activen  Form    des  Wasserstoffs  wird  jetzt  jedoch   Tielfach  » 
Zweifel  gezogen. 

8)  Beetz,  Pogg.  Ann.  Bd.  77,  S.  493. 
*)  0.  Peirce,  Wiedem.  Ann.  Bd.  8,  S.  98. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.   691 

Ganz  anders  gestalten  sich  jedoch  die  Verhältnisse,  wenn  die  Gase« 
electrolytisch  auf  den  Platten  entwickelt  worden  sind. 

Beetz  ^)  findet  die  electromotorische  Kraft  einer  electrolytisch  mit. 
Wasserstoff  belegten  Platte  gegen  eine  in  concentrirter  Zinkvitriollösung 
befindliche  Zinkplatte  —  0,34  D.  und  die  einer  electrolytisch  mit  Saaer-* 
Stoff  belegten  Platte  gegen  Zink  in  Zinkvitriol  gleich  1,29  D.,  die  elec- 
tromotorische Kraft  der  Polarisation  also  gleich  1,29  —  ( —  0,34)  =  1,63, 
wenn  der  polarisirende  Strom  1  Groveelement  von  1,69  Daniell  electro- 
motorischer  Kraft  war.  Im  Maximum  fand  Beetz,  wenn  er  die  Polari- 
sation beider  Gase  getrennt  bestimmte,  für  die  höchsten  Stromstärken 
des  polarisirenden  Stromes  2,1 3  D.  Wenn  er  jedoch  beide  electrolytisch 
überzogene  Platten  in  demselben  Gefäsee  stehen  hatte,  fand  er  in  Ueber- 
einstimmung  mit  anderen  Experimentatoren  die  electromotorische  Kraft 
der.  Polarisation  gleich  2,3  D.  Für  stärkere  polarisirende  Ströme  fallt 
auch  die  Polarisation  erheblich  grösser  aus.     So  fand  Hallock^): 


El  ectromotorische 

Polarisation 

Kraft  der 

in  5  Proc.  H2SO4 

polarisirenden 

Lösung  zwischen 

Säule 

Platinplatten 

1,00  Daniell 

-_ 

1,72       „ 

1,46  DanieU 

3,44       „ 

1,95       „ 

5,16-       , 

2.01       „ 

6,88       „ 

2,07       „ 

Bartoli  schloss  äusserst  kurze  Zeit  (0,004  Secunde)  den  sehr  star- 
ken Strom  von  400  Zink- Kohle -Elementen  durch  ein  Yoltameter  und 
bestimmte  unmittelbar  darauf  aus  dem  ersten  Ausschlage  der  Galyano- 
metemadel  den  Betrag  der  Polarisation  zu  2,00  Daniell. 

Man  erkennt  deutlich,  dass  die  electromotorische  Kraft  der  Polari- 
sation mit  zunehmenden  Stromstärken  sich  einem  bestimmten  M^ximal- 
werthe  nähert,  der  eben  nahezu  2,3  Daniell  ist. 

Auch  die  Beschaffenheit  der  Electroden  und  der  Flüssigkeit,  in  wel- 
cher die  Polarisation  vor  sich  geht,  ist  von  Einfiuss  auf  den  Betrag  der 
Polarisation,  auch  wenn  die  Producte  der  Electrolyse  die  nämlichen  sind. 
So  ist  z.  B.  die  electromotorische  Kraft  der  durch  zwei  Bunsen'sche 
Elemente  erzeugten  Polarisation  in  sehr  verdünnter  Schwefelsäure  bei  An- 
wendung von  in  Salzsäure  gekochten  Gaskohlen  electroden  nur  1,81,  wäh* 
rend  sie  unter  sonst  gleichen  Bedingungen  an  Platinplatten  1,95  ^)  beträgt.« 

1)  Beetz,  Wiedem.  Ann.  Bd.  10,  S.  357. 

^)  W.  Hallock,    Ueber    galvanische   Polarisation    und    das    Smee'sche   Element. 
Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  74. 

»)  Hallock,  Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  74. 

44* 


692         111.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


11.    Aeltere  Anscliauung  über  die  Natur  der  Polarisation. 

Die  Thatsaclie,  dass  die  Messung  der  electromotoriscben  Kraft  der 
Polarisation  wenigstens  für  Wasserstoff  und  Sauerstoff  zu  einem  unricb- 
tigeD  Schlüsse  über  die  Wärmetönung  bei  Bildung  der  zersetzten  Ver- 
bindung fübrt,  scheint  in  einem  neuen,  unauflöslichen  Widerspruche  mit 
der  oben  (S.  674)  mitgetheilten  Beobachtung  Joule's  zu  stehen,  welcher 
auf  Grand  seiner  Messungen  einen  Werth  für  die  Bildungswärme  des 
Wassers  fand,  welcher  mit  den  aus  unmittelbaren  Verbrennungsversncben 
abgeleiteten  Zahlen  sich  in  befriedigender  Uebereinstimmung  befsuicl. 
Dieser  Widerspruch  ist  jedoch  nur  ein  scheinbarer,  denu  es  ist  eine  längst 
bekannte  Erscheinung,  dass  die  Gase,  wenn  sie  die  Electrode,  an  der  sie 
entstanden  sind,  verlassen  haben  und  durch  die  Flüssigkeit  hindurch  ent- 
weichen, nahezu  vollständig  in  den  inactiven  Zustand  zurückkehren.  Hie^ 
bei  müssen  sie,  nach  dem  Vorhergehenden  zu  urtheilen,  Wärme  entbin- 
den, und  es  muss  eine  nahezu  vollkommene  Compensation  eintreten. 

Dieser  Gesichtspunkt  gestattet  ausserdem    zu    erklären,    woher  es 
kommt,  dass  die  Grösse  der  electromotoriscben  Kraft  der  Polarisation  mit 
der  Stromstärke  zunimmt  und  auch  sonst  durch  einige  andere  Umstände 
boßinflusst  wird.     Der  Uebergang  aus  dem  activen  in  den  passiven  Zu« 
stand  wird  theilweise  an  der  Oberfläche  der  Electroden ,  theilweise  wäh" 
rend  des  Durchganges  durch  die  Flüssigkeit  stattflnden.      Durch  den 
ersten  Vorgang  wird  die  Grösse  der  Polarisation  herabgesetzt,  durch  den 
zweiten  eine  Erwärmung  der  Flüssigkeit  bewirkt.     Der  Uebergang  des 
Gases  aus  dem  activen  in  den  inactiven  Zustand  wird  um  so  vollkomme- 
ner bereits  an  der  Oberfläche  der  Electrode  vor  sich  gehen,  je  länger  du 
Gas  au  dieser  Oberfläche  verweilt.    Dies  wird  selbstverständlich  vorzugs- 
weise dann  der  Fall  sein,  wenn  die  Gasentwickelung  langsam  vor  sicli 
geht  und  es  lange  dauert,  ehe  die  Gasblasen  eine  solche  Grösse  erlangt 
haben,  dass  sie  sich  von  der  Electrode  loslösen ;  dies  aber  findet  natürlich 
stets  statt,  wenn  der  Strom  schwach  ist.     Bei  grossen  Stromintensitäten 
hingegen  findet  ein  unaufhörliches  Aufsteigen  von  Gasblasen  von  der 
Electrode  statt,  und  der  Wasserstoff  und  Sauerstoff  verweilen  nur  unge- 
mein geringe  Zeit  an  der  Oberfläche  der  Electrode.     Dies  macht  es  un- 
mittelbar verständlich,  warum  die  Grösse  der  electromotoriscben  Kraft 
der  Polarisation  mit  der  Strom  in  tensität  zunimmt.     Man  sieht  aber  auch 
leicht  ein,  dass  es  ein  Maximum  giebt,  welches  wohl  nie  erreicht  wird, 
welches  aber  dann  eintreten  würde,  wenn  das  gesammte  Gas,  welches 
die  Electrodenoberfläche  verlässt,  sich  noch  im  activen  Zustande  befindet 
Auf  analoge  Weise  erklärt  sich  auch  der  Eiufluss  der  Beschaffenheit 
der  Electroden  auf  die  Grösse  der  Polarisation.     Diesen  Einfluss  haben 
bekanntlich  die  Untersuchungen  von  Lenz  und  Saweljew  in  sehr  Ober- 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    G93 

zeugender  Weise  experimentell  erwiesen.  Man  weiss,  dass  es  eine  Anzahl 
Substanzen  giebt,  welche  die  Eigenschaft  beßitzen,  die  Umsetzung  von 
Ozon  in  gewöhnlichen  Sauerstoff  zu  beschleunigeD.  Für  nascirenden 
Wasserstoff  ist  Aehnliches  bis  jetzt  noch  nicht  bekannt;  man  darf  aber 
wohl  vermuthen,  dass  es  auch  Substanzen  giebt,  welche  diesen  in  kurzer 
Zeit  in  gewöhnlichen  Wasserstoff  überfahren.  Die  Versuche  von  Lenz 
und  Saweljew  ^)  scheinen  auch  auf  etwas  Derartiges  hinzudeuten.  Schön- 
bein führt  unter  den  Substanzen,  welche  die  Desozonisirung  des  Sauer- 
stoffs bewirken,  in  erster  Linie  mit  die  Kohle  auf.  Daraus  folgt,  dass 
wenn  man  den  Sauerstoff  sich  an  einer  Kohlenelectrode  entwickeln  lässt, 
nahezu  aller  Sauerstoff,  ehe  er  die  Electrode  verlässt,  seine  Activitat  ver- 
loren haben  wird.  Gäbe  es  nun  eine  Electrode,  an  deren  Oberfläche  auch 
aller  Wasserstoff  sofort  inacti virt  würde ,  so  müsste  die  electromotorische 
Kraft  der  Polarisation  genau  der  Wärmetönnng  des  Wassers  entsprechen. 

Leider  lässt  sich  in  dieser  Form  der  Vei*such  nicht  anstellen;  wenn 
man  jedoch  unter  Anwendung  von  zwei  Kohlenelectroden  eine  concen- 
trirte  Salpetersäure  electroly sirt ,  so  wird  die  Wasserstoffentwickelung 
durch  eine  Abscheidung  von  Untersalpetersäare  ersetzt.  Die  beobachtete 
Polarisation  ist  fast  genau  gleich  der  Bildungswärme  von  Salpetersäure 
aus  Untersalpetersäure  und  Sauerstoff. 

Es  ist  jedoch  auch  sehr  leicht  möglich,  dass  bei  der  Electrolyse  des 
Wassers  in  der  Bildung  von  Wasserstoffsuperoxyd  die  Ursache  dieser 
Differenz  zu  suchen  ist,  wenigstens  ist  bei  starken  Stromstärken  das 
Auftreten  dieses  Productes  beobachtet  worden. 


12.  Das  Gesetz  der  Wärmeentwickelung  in  Eleotrolyten 

durch  den  Strom. 

Wenn  ein  galvanischer  Strom  durch  einen  Electroly ten  hindurchgeht, 
der  bei  seiner  Zersetzung  zu  Gasentwickelungen  Veranlassung  giebt,  so 
ist,  wie  wir  soeben  gesehen  haben,  die  electromotorische  Kraft  der  Polari- 
sation immer  grösser  als  das  electromotorische  Aequivalent  der  bei  der 
Zersetzung  des  Electrolyten  absorbirten  Wärmemenge,  und  infolge  davon 
ist^die  Summe  sämmtlicher  electromotorischer  Kräfte  im  ganzen  Strom- 
kreise kleiner  als  das  Aequivalent  der  durch  sämmtliche  chemische  Pro- 
cesse,  die  sich  im  Stromkreise  vollziehen,  entwickelten  Wärmemengen. 

Nach  dem  Vorgange  Favre 's  haben  wir  diese  Erscheinung  dadurch 
erklärt,  dass  wir  annahmen,  die  electrolytisch  abgeschiedenen  Gase  befän- 
den sich  unmittelbar  nach  ihrer  Entstehung  in  einem  Zustande  grösserer 


*)  Pogg.  Ann.  Bd.  67,  S.  497,  und  Pogg.  Ann.  Bd.  90,  S.  42.  Gegen  die  Zuver- 
läsbigkeit  dieser  Resultate  sind  jedoch  ernste  Bedenken  von  Beetz  erhoben  worden. 
Wiedem.  Ana.  Bd.  10,  S.  350. 


694         in.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

chemischer  Activitat,  und  wir  schlössen  weiter  daraus,  da  diese  Gase  ans 
den  Flüssigkeiten  in  nahezu  vollkommen  normalem  Zustande  entweichen« 
dass  dieser  Uehergang  der  entwickelten  Gase  aus  dem  activen  in  den 
normalen  Zustand  mit  einer  localen  Wärmeentwickelung  verknüpft  Bein 
müsse. 

Hiernach  müssen  wir  die  gesammte  Wärmeentwickelung,  welche  ein 
galvanischer  Strom  in  einem  Electrolyten  hervorbringt,  als  Summe  zweier 
Theile  ansehen.  Der  erste  Theil  wäre  die  nach  dem  Joule' sehen  Gesetz 
in  der  ganzen  Ausdehnung  des  Electrolyten  entwickelte  Wärmemenge, 
die  dem  Quadrate  der  Stromintensität  und  dem  Widerstände  des  Electro- 
lyten  proportional  ist.  Der  zweite  Theil  ist  die  auf  der  Electrode  selbst, 
auf  der  die  Gasblasen  sich  abscheiden,  entwickelte  Wärmemenge  und 
diese  musste  unabhängig  vom  Widerstände  und  innerhalb  gewisser  Gren- 
zen der  Strom intensität  proportional  sein.  Bosscha^)  hat  einige  Beob- 
achtungen Favre' s  über  die  calorischen  Erscheinungen  bei  Anwendung 
eines  Smee 'sehen  Elementes  auf  Grund  obiger  Betrachtungen  der  Rech- 
nung unterworfen  und  eine  vollständige  Bestätigung  gefunden.  Favre') 
maass  in  der  Muffel  seines  Quecksilbercalorimeters ,  sowohl  die  in  einem 
Sm6e' sehen  Elemente  [Zink,  platinirtes  Kupfer,  verdünnte  Schwefelsäure 
1 :  50] ,  als  auch  gesondert  davon,  die  in  Platindrähten  von  verschiedener 
Länge,  mit  welchen  das  Element  geschlossen  wurde,  entvrickelte  Wärme- 
menge. Der  von  ihm  verwendete  Platin draht  besass  einen  Durchmesser 
von  0,265  mm  Dicke  und  Längen  von  25,  50,  100,  200  mm.  Die  Summe 
beider  Wärmemengen,  welche  durch  die  Consumtion  einer  bestimmten 
Menge  chemischer  Wirkung  entwickelt  wurde,  war  bei  allen  Beobachtungen 
selbstverständlich  gleich  gross. 

Wenn  beide  Wärmemengen,  wir  wollen  die  im  Elemente  entwickelte 
f(?e  und  die  im  Leitungsdrahte  entwickelte  toi  nennen,  dem  Joule' sehen 

Gesetze  folgten^  so  musste  ihr  Yerhältniss :  — -   immer    gleich   dem  Y er- 

hältnisse  des  Widerstandes  des  Elementes  R  und  des  Widerstandes  des 
Platindrahtes  sein.     Denn  dann  wäre: 

1Ve  =  -j:,i.Il 22) 

tOi  =  -j.t.r 23) 

folglich  : 

tffm  R 

—  =    - 24) 

und  hiernach: 

Wi 

*)  Bosscha,  Pogg.  Ann.  (1869)  Bd.  108,  S.  312. 
^)  Favre,  Ann.  d.  Chim.  et  de  Pbys.  3.  Serie,  Bd.  40,  S.  293  (1854). 


/2  Mol.  Wasser  zersetzt  wert 

Wärmemenge 
im  Elemente 

Wärmemenge 
im  Platindraht 

13  127 

4995 

11690 

6557 

10439 

7746 

8  992 

9030 

Nach  GL  24 

Widerstand  r 

des 

berechneter 

Flatindrabtes 

Widerstand 

des  Elementes 

25 

65 

50 

89 

100 

135 

200 

199      ' 

E.   Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem,  Erscheinungen.    695 

Nun  ist  aber  nach  Favre's  Beohacbttmgen  die  Wärmemenge,  welche 

in   der  Zeit  entwickelt  wird,  während  der  bei  gegebener  Stromstärke 
1 


We  +  fVi 


18122 
18  247 
18185 
18  02? 

Wäre  nun  die  Grundlage  obiger  Annahme  richtig,  so  müsste  man 
doch  für  jß  immer  denselben  Werth  finden  und  die  erhaltenen  Werthe 
dürften  höchstens  innerhalb  der  durch  die  unvermeidlichen  Beobach tun gs- 
fehler  bedingten  Grenzen  variiren. 

Man  sieht,  dass  dies  durchaus  nicht  der  Fall  ist,  dass  man  also  nicht 
annehmen  darf,  die  im  Elemente  entwickelte  Wärmemenge  folge  ebenfalls 
dem  Joule 'sehen  Gesetze.  Man  kann  mit  Rücksicht  auf  das  in  den 
vorhergehenden  Paragraphen  Entwickelte  aber  yoraussetzen ,  dass  ausser 
der  dem  Joule^ sehen  Gesetze  folgenden  Wärmemenge  noch  eine  zweite 
Wärmemenge  local  in  der  Nähe  der  Electroden  entwickelt  werde,  welche 
unabhängig  vom  Widerstände  und  der  Stromintensität  proportional  ist. 
Die  Grösse  dieser  in  der  Zeit,  während  der  die  Einheit  chemischer  Wir- 
kung im  Elemente  consumirt  wird,  local  entwickelten  Wärmemenge  müsste 
also  eine  constante  Grösee  K  sein.  Zieht  man  diese  von  der  im  Element 
überhaupt  entwickelten  Wärmemenge  ab,  so  wird  der  Rest  «7«  —  K  nun- 
mehr dem  Widerstände  im  Elemente  proportional  sein,  und  es  müsste 

dann  die  Gleichung  gelten: 

We  —  K        E 

i€i  r 

Aus  obigen  vier  Beobadbtungen  Favre's  findet  man  für  B  und  K 

mit  Hilfe  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  die  Werthe: 

R  =  32,3     K  =  7589. 

Berechnet  man  alsdann  rückwärts  mit  diesen,  indem  man  für  Wi  die 

durch  Rechnung  gefundenen  Werthe  einsetzt,  die  Grosse  tr«: 

R.wi  +  K.r 

We  = , 25) 

so  findet  man  eine  befriedigende  Uebereinstimmung : 


berecboet 

beobachtet 

Differenz 

13  523 

13127 

+  396 

11788 

11690 

4-     98 

10188 

10  439 

—  251 

9  048 

8  992 

+     56 

69G  IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Andere  ähnliche  Beobachtungsreihen  lassen  sich  nicht  ganz  so  gut 
durch  ohige  Formel  darstellen.  Wahrscheinlich  hat  dies  seinen  Gmnd 
darin,  dassdie  Voraussetzung,  diese  Wärmemenge,  welche  durch  die  Ein- 
heit chemischer  Wirkung  an  den  Electroden  entwickelt  wird,  sei  constant 
und  unabhängig  von  der  Stromintensität,  thatsächlicb  nicht  ganz  richtig 
ist.  Es  war  im  Vorhergehenden  ja  besonders  erwähnt  worden,  dasa  die 
Grösse  der  electro motorischen  Kraft  der  Polarisation  mit  zunehmender 
Stromstärke  wachse. 

Die^  Resultate  von  Experimentaluntersuchungen ,  in  welchen  ohne 
Weiteres  vorausgesetzt  ist,  die  electromotorische  Kraft  sei  genau  das 
therm ochemische  Aequivalent  der  gesammten  sich  im  Stromkreise  yoU- 
ziehenden  chemischen  Reactionen,  sind  nur  dann  brauchbar,  wenn  keine 
Gasentwickelungen  oder  ähnliche  localen  Processe  sich  an  den  Electroden 
vollziehen. 

Will  man  ausserdem  auf  die  in  den  Zersetzungszelleu  entwickelten 
Wärmemengen  keine  Rücksicht  nehmen,  welche  davon  herrühren,  dass 
durch  die  Zersetzungen  Concentrationsänderungen  der  Lösungen  entste* 
hen,  so  ist  dies  nur  dann  zulässig,  wei^n  man  mit  sehr  verdünnten 
Lösungen  operirt. 


13.    F.  Exner's  Untersuchungen  über  Polarisation^). 

Durch  die  Untersuchung  tler  Frage,  ob  man  berechtigt  sei,  die  elec- 
tromotorische Kraft  der  Polarisation  der  Wärmetönung  der  electroly tischen 
Zersetzung  direct  proportional  zu  setzen,  oder  ob  dies  unstatthaft  sei,  ist 
der  Kampf  zwischen  den  Anhängern  der  Contacttheorie  auf  der  einen 
und  der  elecLrochcmischen  Theorie  auf  der  anderen  Seite  aufs  Neue  auf 
das  Heftigste  entbrannt.  Besonders  F.  Exner  vertritt  in  diesem  Streite 
den  Standpunkt  der  radicalen  Electrochemiker,  während  vorzugsweise  die 
zahlreichen  Physiker  der  Helmhol tz'schen  Schule  die  Vertheidigung  und 
experimentelle  Verißcation  der  Contacttheorie  ihres  Meisters  übernommen 
haben.  Andere,  so  z.  B.  W.  Beetz,  dem  wir  so  epochemachende  Arbeiten 
über  die  electromotorische  Kraft  der  Gase  und  über  die  Polarisation  ver- 
danken, und  R.  Co  Hey  nehmen  einen  vermittelnden  Standpunkt  ein.  Von 
allen  Seiten  ist  aus  Anlasa  dieser  Discussion  ein  höchst  werthvoUes  Beobach- 
tungsraaterial  zusamraengebracht  worden,  welclies,  wenn  auch  keine  defi- 


*)  F.  Exner,  Ueber  die  tralvanische  Polarisation  de*  Platins  in  Wasser.  Wieiieni. 
Ann.  BJ.  5,  S.  3Ö8  bis  405.  Ccber  die  Electrolyse  des  Wassirs.  WieJem.  Ann.  Bd.  6. 
S.  336  bis  353.  Ueber  die  Natur  der  galvanischen  Polarisation.  WicdeiB.  Ann.  Bd.  6, 
S.  353  bis  385.  Zar  Theorie  der  inconstanten  Elemente.  Wiedem.  Ann.  Bd.  10, 
S.  265  bis  284. 


E.   Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    697 

niilye  Entscheidung,  so  doch  eine  hedeutende  Klärung  in  die  angeregte 
Streitfrage  gebracht  bat. 

Exner  behauptet,  die  electromotorische  Kraft  der  Polarisation  ist 
gleich  der  Verbindungswärme  der  ausgeschiedenen  Ionen.  Eine  Anzahl 
von  ihm  angestellter  Yersache,  die  wir  in  nachstehender  Tabelle  zusammen- 
stellen, scheinen  dies  direct  zu  bestätigen.  Er  Terwendete  zur  Erzeu- 
gung der  Polarisation  zumeist  eine  sechspaarige  Smee'sche  Säule.  Durch 
eine  Art  von  Wippe  wurden  unmittelbar  nach  Unterbrechung  des  pola« 
risirenden  Stromes  die  Electroden  mit  einem  Brau ly' sehen  Electro- 
meter  verbunden,  an  welchem  ein  Normal -Daniell  einen  Ausschlag  yon 
bekannter  Grösse  erzeugte.  Aus  dem  Ausschlage,  den  man  bei  Verbin- 
dung der  polarisirten  Electroden  mit  dem  Electrometer  beobachtete,  er- 
hielt man  sofoi-t  durch  eine  einfache  Proportion  die  electromotorische 
Kraft  der  Polarisation  in  Bruchtheilen  von  1  Daniell.  Aus  den  bekannten 
Wärmetönungen  der  electrolysirten  Verbindung  und  der  gebildeten  Ionen 
berechnete  man  unmittelbar  die  Wärmetönung  des  electroly tischen  Pro- 
cesses,  und  indem  man  diese  durch  die  Wärmetönung  von  1  Daniell  (siehe 
S.  684)  dividirte,  erhielt  man  einen  zweiten  Werth  für  die  electromoto- 
rische Kraft  des  electrolytischen  Processes. 

Ein  Beispiel  wird  die  Art  der  Berechnung  erläutern. 

Bei  Untersuchung  von  verdünnter  Jodwasserstofifsäure  ergab  sich 
ein  Ausschlag  von  16  Scalentheilen ,  als  man  die  polarisirten  Electroden 
mit  dem  Electrometer  verband.  1  Daniell  ergab  einen  Ausschlag  von 
30  Scalentheilen  am  Electrometer.     Daraus  findet  man  die  electromoto- 

Iß 
rische  Kraft  der  Polarisation  gleich  —  =  0,53  DanielL  Nach  J.  Thomsen 

ist   die  Wärmetönung  (H,  J,  aq)  =  26  400  Galerien,  die  Wärmetönung 

des  Daniell'scben  Elementes  =  50100  Galerien,  mithin  die  berechnete 

.    ,      ,r     r    26  400         ^^„ 
electromotorische  Kraft  g.  ^  _,,  =  0,53. 

öülOÜ 

Hiernach    werden    die  Zahlen   der  folgenden  Tabelle  verständlich 

sein. 


698  IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen- 


bo 

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E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    699 

Es  lässt  sich  nicht  in  Ahrede  stellen,  dass  diese  Zahlen  eine  über- 
raschende UebereiDstimmung  1)  zeigen.  'Auch  in  denjenigen  Fällen,  in 
welchen  Differenzen  zu  bemerken  sind,  können  die  Ursachen  der  Unter- 
schiede leicht  in  secnndären  Processen  gefunden  werden. 

Auch  die  Thatsachen,  welche  einer  rein  chemischen  Theorie  der 
Polarisation  zu  widersprechen  scheinen,  lassen  sich,  wie  Exner  gezeigt 
hat,  ziemlich  ungezwungen  erklären. 

Hierher  gehört  z.  B.  der  Umstand,  dass  die  Polarisation,  je  nach 
der  Beschaffenheit  der  Electroden,  verschieden  ausfallt,  auch  wenn  die 
electrolysirte  Substanz  die  nämliche  bleibt.  Dies  findet  seine  Erklärung 
darin,  dass  die  Ionen  zum  Theil  die  Electroden  angreifen.  Nur  dann, 
wenn  dies  stattfindet,  ändert  sich  die  Polarisation. 

Bei  der  Electrolyse  «v^on  Salzsäure  'zwischen  Kohlenelectroden  findet 
man  z.  B.  die  Polarisation  P  =  1,60»  Electrolysirt  man  dagegen  Salz- 
säure zwischen  Eupferelectroden,  so  wird  zwar  Salzsäure,  deren  Wärme- 
tonung  =  39  300,  zerlegt,  durch  das  ausgeschiedene  Chlor  aber  wird 
gleichzeitig  festes  Ghlorkupfer  (Cu,  Clj)  gebildet,  dessen  Wärmetönung 
=  41  360  ist.  Demnach  ist  die  Wärmetdnung  des  Processes  =  2  (H,  Gl) 

20  680 
—  (Cu,  eis)  =  20  680.     Es  ist  aber  -rrrrTTX  =  0,43  D.    Durch  Versuche 

50100 

mit  dem  Electrometer  fand  Exnor  direct  0,42  D. 

Für  Silberelectroden  in  Salzsäure  ergab  die  unmittelbare  Beobach- 
tung die  Polarisation  0,44.  Da  aber  in  diesem  Falle  nicht  nur  Salz- 
säure zerlegt,  sondern  auch  AgClj  (mit  einer  Wärmetönung  von  58800) 
gebildet  wird,  so  ist  die  Wärmetön nng  des  electroly tischen  Processes: 

2(H,Cl,aq)  —  (Ag,Cl2,aq)  =  2.39300  —  58800  =  19  800. 

Dividirt  man  dies  durch  die  Wärmetönung  der  chemischen  Vor- 
gänge im  Daniellelemente  (50100),  so  findet  man  0,41,  was  ebenfalls 
sehr  nahe  mit  dem  am  Electrometer  beobachteten  Werthe  0,44  über- 
einstimmt. 

Schwierigkeiten  bereitet  der  electrochemischen  Theorie  auch  die 
Thatsache,  dass  die  Polarisation  von  der  Stromstärke  abhängig  ist,  mit 
ihr  von  Null  an  wächst  und  nach  dem  Aufhören  des  polarisirenden 
Stromes  ebenso  wieder  bis  Null  abnimmt.  Besonders  interessant  sind  in 
dieser  Beziehung  F.  Exner's  eigene  Beobachtungen^).  Er  Hess  -z.  B. 
auf  in  reines,  ausgekochtes  Wasser  hineinragende  Platinelectroden  polari- 
sirende  Ströme  von  sehr  verschiedener  electromotori scher  Elraft  wirken 
und  bestimmte  unmittelbar  nach  Unterbrechung  des  Stromes  die  electro- 
motorische  Kraft  der  eingetretenen  Polarisation  mit  Hilfe  des  Electro- 
meters.  Wir  theilen  im  Nachstehenden  einige  von  seinen  Beobachtun- 
gen'mit. 

')  Man  vergleiche  jedoch  aach  Abschnitt  21,  S.  713. 

^)  F.  Exner,    Ueber  die  Electrolyse  des  Wassers.    Wiedem.   Ann.  Bd.  6,  S.  336 
bis  384. 


700  IIL   AuwenduBgen  auf  electrisclie  ErscheinungeiL 


Ezner's  Versuche  mit 

Exner's  Versuche  mit  Wasser 

reinem 

Wasser 

mit  Spur  HjSO« 

Electromotorische  Kraft 

Electromotorische  Kraft 

(in  Dan.) 

(in  Dan.) 

des 

polarisirenden 

Stromes 

der 
Polarisation 

des 

polarisirenden 

Stromes 

der 
Polarisation 

0,03 

0,03^ 

0,46 

0,46 

ho 

0,20 
0,37 

0,30 
0,36 

a 

0,71 
1,09    ^ 

0,71 
1,09 

«  2 

c  "2 

0,43 

0,43 

_2 

1,60 

1,59 

8  "C 

«1 

0,60 

0,60 

s 
> 

1,69 

1,69 

1 

0,90 
1,03 

0,91 
1,03 

i 

es 

1,89 
2,00 

1,80 
1,80 

4) 

V  >  b« 

■  ^  -  s 

IS- 

1,28 
1,54 

1,28 
1,53 

3,80 

l,8oJ 

1,94 

1,90 

2,11 

2,00- 

« 

2,31 

2,03 

a 

2,54 

2,03 

• 

i 

3,09 

2,03 

'  "^^  's? 

4,03 

2,03 

öl 

V) 

4,54 

2,04 

9S 

O 

Diese  Versuche  beweisen,  dass  die  electromotorische  Kraft  der  Polari- 
sation so  lange  derjenigen  des  polarisirenden  Stromes  gleich  ist,  bis  eine 
deutliche  Gasentwickelnng  an  den  Electroden  auftritt,  yon  da  an  scheint 
sie  einen  constanten  Maximalwerth  zu  behaupten.  Andere  Beobachter 
haben  jedoch  in  Uebereinstimmung  mit  den  älteren  Beobachtungen  im 
Gegensätze  zu  diesem  letzten  Ergebnisse  Exner's  gefunden,  dass  sich 
die  electromotorische  Kraft  der  Polarisation  noch  über  diejenige  Grenze 
hinaus  steigern  lässt,  welche  zum  Eintritte  einer  merklichen  Zersetziing 
erforderlich  ist^).  Vielleicht  erklärt  sich  dies  jedoch  dadurch,  dass  bei 
Strömen  von  hoher  electromotorischer  Kraft  neue  secundäre  Processe 
hinzutreten. 


*)  VtrJ.  Hailock,    Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  74,    und    A.  Bartoli,    II  Xuoto 
Cimento  3.  Serie,  Bd.  7,  S.  234. 


E.    Die  mechanische  Theorie  cL  electrochem.  Erscheinungen.    701 


14.    Die  electrolytlsclie  Oonvection  und  die  oondensato- 
risohen  Eigensohaften  der  Zersetzungszellen. 

Während  es  sich  bei  den  mitgetheilten  Versuchen  um  Polarisationen 
durch  länger  danernde  Strome  handelte,  ist  andererseits  beobachtet  wor- 
den, dass,  wenn  man  Ströme  von  sehr  starken  electromotorischen  Kräften 
auf  äusserst  kurze  Zeit  durch  eine  Zersetzungszelle  schliesst,  zwar  keine 
Gasentwickelung  eintritt,  jedoch  eine  kräftige  Polarisation  erzeugt  wird. 

W.  Thomson,  Maxwell,  Varley*),  Helmholtz*),  Herwig'), 
Golley^)  haben  daraufhingewiesen  und  experimentell  dargethan,  dass 
somit  das  Verhalten  einer  Zersetzungszelle  für  schwache  Ströme  oder  sehr 
kurze  Zeit  dauernde  starke  Ströme  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem  eines 
doppelten  Condensators  von  sehr  grosser  Oberfläche  hat.  Bei  Zuführung 
einer  Electricitätsmenge,  welche  zum  Hervorbringen  einer  Zersetzung 
unzureichend  ist,  verhält  sich  die  Oberfläche  jeder  £lectrode  wie  ein 
Condensator  von  äusserst  geringer  Dicke  des  isolirenden  Mediums.  — 
Bei  jeder  Schwankung  der  electromotorischen  Kraft  erfolgt  eine  kurze 
Zelt  dauernde  gleichförmige  Schwankung  der  Stromstärke.  Vom  Stand- 
punkte der  radicalen  electrochemischen  Theorie  aus  sollte  man  eigentlich 
vermuthen,  dass  so  lange,  bis  die  electroraotorische  Kraft  des  polarisiren- 
den  Stromes  die  zum  Eintritt  einer  Wasserzersetzung  nöthige  Höhe  er- 
reicht hat,  die  zu  eleotrolysirende  Flüssigkeit  sich  vollständig  wie  ein 
Nichtleiter  (Dielectricum)  verhielte  und  überhaupt  erst  mit  Beginn  der 
Zersetzung  des  Electrolytes  ein  Strom  durch  die  Zersetzungszelle  hin- 
durchgehen könne. 

Dem  entgegen  steht  jedoch  die  längst  bekannte  Thatsache ,  welche 
auch  die  im  Vorstehenden  mitgetheilten  Beobachtungen  Exner^s  aufs 
Neue  bestätigen,  dass  selbst  Ströme  von  äusserst  geringer  electromoto- 
rischer  Kraft  lange  Zeit  durch  eine  Zersetzungszelle  hindurchgehen  und 
die  Electroden  zu  polarisiren  im  Stande  sind. 

Nach  dem  Faraday 'sehen  Gesetze,  dass  sowohl  im  Elemente  als 
in  jeder  eingeschalteten  Zersetzungszelle  immer  äquivalente  Mengen  der 
chemischen  Processe  sich  vollziehen  sollen  und  mit  Rücksicht  darauf, 
dass  dann  die  negativen  Wärmetönungen  der  Zersetzung  grösser  wären, 
als  die  positiven  Wärmetönungen  der  in  der  Electricitätsquelle  sich  voll- 
ziehenden Verbindungen,  scheint  zunächst  in  diesen  unzweifelhaft  con- 
statirten  Thatsachen  eine  Verletzung  des  Principes  von  der  -Constanz 
der  Energie  enthalten  zu  sein. 

1)  Philos.  Transact.  Bd.  161,  S.  129. 

«)  Pogg.  Ann.  Bd.  150,  S.  483;  Wiedem    Ann.  Bd.  7,  S.  337. 

8)  Wiedem.  Ann.  Bd.  2,  S.  566;  Bd.  4,  S.  187  u.  465. 

')  Wiedem.  Ann.  Bd.  7,  S.  206  bis  246;  Bd.  15,  S.  94  bis  111. 


702         IIL   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Helmholtz  erklärt  diese  Erscheinnogen  dadurch,  dass  er  annimmt, 
der  electrolytisch  ausgeschiedene  Wasserstoff  werde  von  der  Flüssigkeit 
zum  Theil  aufgelöst  und  von  dieser  fortgeführt  und  verbinde  sich  dann 
mit  Sauerstoff,  den  er  anf  der  Platte  vorfinde,  so  dass  in  jedem  Momente 
eben  so  viel  von  dem  Electrolyten  wieder  gebildet  als  zersetzt  vrerde. 
Die  vom  Strome  geleistete  Arbeit  beschränke  sich  somit  auf  den  Trans- 
port des  einen  Ions  von  einer  Electrode  zur  anderen.  Helmholtz 
nennt  diesen  Transport  die  electrolytische  Convection.  Die  auf  diese 
Weise  erzeugte  andere  Yertheilung  der  Gase  an  der  Electrode  aber  be- 
wirke die  scheinbaren  condensatorischen  Eigenschaften  der  Zelle  und  sei 
Veranlassung  der  entstehenden  Polarisation.  Andererseits  kann  man 
gewiss  auch  annehmen,  dass  die  vom  Strome  bewirkte  Hineinpressang 
der  electrolytischen  Gase  in  die  Electroden  eine  electromotorische  £i^ 
regung  derselben  veranlasse. 

Exner  setzt,  gestützt  auf  die  allgemein  verbreitete  Meinung  von 
der  Molecularconstitution  der  Substanzen ,  voraus ,  jeder  Electrolyt  ent- 
halte bereits  eine  Anzahl  in  ihre  Bestandtheile  zerfallener,  also  dissociirter 
Molecüle,  so  dass  schon  die  geringste  Zufuhrung  electrischer  Energie 
eine  Zunahme  dieser  Dissociation  und  eine  andere  Yertheilung  der  zer- 
legten Molecüle  zu  bewirken  im  Stande  sei.  Die  Anzahl  der  zerlegten 
Molecüle  aber  sei  der  Stromstarke  proportional;  die  Polarisation  jedoch, 
und  hierin  liegt  der  unsicherste  Punkt  seiner  Erklärung,  sei,  bis  das 
Maximum  erreicht  ist,  der  Menge  der  ausgeschiedenen  Ionen  proportio- 
nal. Zu  einem  ähnlichen  Resultate  ist  jedoch  auch  Kohlransch  ge- 
legentlich seiner  Untersuchungen  über  das  Leitungsvermögen  durch 
andere  Schlüsse  geführt  worden. 

Exner  meint  nun,  so  lange  die  electromotorische  Kraft  der  polari- 
sirenden  Kette  kleiner  sei  als  der  Werth ,  welcher  der  Wärmetonung  des 
electrolytischen  Processes  entspricht,  werden  die  Ionen  in  ihrer  ganzen 
Menge  zur  Bildung  der  Polarisation  verwendet,  von  einer  sichtbaren 
Electrolyse  könne  nicht  die  Rede  sein.  Als  Ursache  der  electromotori- 
sehen  Kraft  der  Polarisation  sieht  nun  Exner  die  Rückbildung  des 
Electrolytes  aus  den  Ionen  an;  ebenso  wie  die  Verbindungswärme  der 
in  der  Kette  befriedigten  Affinitäten  die  Ursache  des  primären  Stromes 
ist.  Ist  die  electromotorische  Kraft  der  Kette  grösser  als  die  der  Pola- 
risation ,  so  geht  die  Zersetzung  des  Electrolyten  schneller  vor  sich ,  als 
die  gleichzeitige  Rückbildung  desselben,  es  tritt  daher  eine  Ausscheidung 
der  Ionen  ein. 

Durch  diese  Rückbildung  werden  nach  OefiPoung  des  primären  Stro- 
mes allmälig  die  ausgeschiedenen  Ionen  wieder  consumirt,  und  damit 
nähert  sich  die  Polarisation  asymptotisch  dem  Werthe  Null. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    703 


15.    Exner's  Ansiohteii  über  ^  die  Ursachen  der 

Eleotrioitätsentwiokelung. 

Im  coDsequenten  Verfolg  seiner  Anschauungen  ist  Exner  dazu  ge- 
führt worden  zu  behaupten ,  der  chemische  Process  sei  überhaupt  die 
einzige  Ursache  der  electromotorischen  Erregung  ^).  Er  leugnet  daher 
.die  Existenz  einer  electromotorischen  Kraft  bei  Contact  zweier  Substan- 
zen, welche  weder  auf  einander  chemisch  wirken  nnd  auf  welche  auch 
die  umgebenden  Gase  nicht  chemisch  wirken,  überhaupt.  Den  Volta'- 
sehen  Fnndamentalversuch  bringt  er  auf  folgende  Weise  in  Zusammen- 
hang mit  der  electrochemischen  Lehrmeinung  '). 

Ein  blankes  Stück  eines  oxydirbaren  Metalles  (Zink)  erfährt  in 
einer  Atmosphäre,  welche  Sauerstoff  enthält,  eine  Oxydation.  Diesem 
Yerbrennungsprocesse  entspricht  eine  Electricitätsentwickelang.  Positive 
Electricität  geht  auf  das  Oxyd,  negative  auf  das  Metall  über.  Wäre  es 
möglich,  diesen  Process  zu  einem  dauernden  zu  gestalten,  indem  man  die 
entgegengesetzten  Electiicitäten  immer  abfliessen  Hesse,  so  würde  die 
electromotorische  Kraft  der  Combination  Metall  -  Sauerstoff  sich  aus  der 
Wärmetönung  der  Verbindung  des  Metalles  mit  Sauerstoff  (aus  der  Ver- 
brennungswärme) berechnen  lassen.  Die  Abführung  der  beiden  geschie- 
denen Electricitätsmengen  ist  jedoch  nicht  möglich ,  denn  das  gebildete 
Zinkoxyd  ist  ein  Isolator  und  hält  die  positive  Electricität  zurück.  Es 
könne  somit  nur  die  negative  Electricität  dem  leitenden  Zink  entlang 
strömen,  was  nur  eine  halb  so  grosse  Stromstärke  erzeugen  könne,  als 
wenn  beide  Electricitäten  abgeführt  werden  könnten. 

Leitet  man  das  Zink  ab,  welches  in  Sauerstoff  oxydirt  wurde,  so 
kommt  dessen  Potential  auf  Null ,  aber  die  Oxydschicht  bleibt  mit  der 
Hälfte^)  der  Potentialdifferenz  geladen,  welche  der  Wärmetönung  des 
Oxydationsprocesses  des  Zinks  entspricht.  Wenn  man  nun  beim  Vol tauschen 
Fundamental  versuche  die  mit  einer  Oxydschicht  überkleidete  Zinkscheibe 
als  die  eine  Platte  eines  Luftcondensators  benutzt  nnd  ihr  im  isolirten 
Zustande  eine  isolirte  Platinplatte  nähert ,  so  wird  im  Platin  ^),  welches 
durch  den  Sauerstoff  der  Atmosphäre  selbst  nicht  afücirt  wird,  negative 
Electricität  durch  die  positive  Ladung  der  Zinkoxydschicht  inflaenzirt 


^)  Aasgenommen  sind  selbstredend  die  thermoelectrischeD  Erscheinungen. 

^)  F.  Einer,  Uebcr  die  Ursache  der  Electricitätserregung  beim  Contact  heterogener 
Metalle.     Wiedem.  Ann.  Bd.  9,  S.  591  bis  613. 

B)  Gegen  die  Richtigkeit  dieses  Schlusses  sind  sowohl  von  F.  Schulze^Berge, 
Wiedem.  Ann.  Bd.  15,  S.  442,  als  auch  von  Sto>etow,  Joum.  d.  St.  Petersburger 
Phys.-chem.  Qes.  Bd.  13,  Phys.  Theil ,  S.  135  bis  146,  berechtigte  Einwürfe  gemacht 
worden.     Auch  nach  der  Ableitung  bleibt  die  Potentialdifferenz   2e  und  nicht  e. 

*)  Einem  von  Sauerstoff  nicht  oxydirbaren  Metalle. 


704         III.   Anwendungen  auf  electriscbe  Erscheinungen. 

und  positive  Electricit&t  frei.  Werden  beide  Metal]  platten  darcb  einen 
Leiter  verbanden,  so  gleicbt  sieb  die  negative  Electricität  des  Zinks 
gegen  die  freie  positive  Electricit&t  des  Platins  aus  nnd  es  bleibt  in  den 
Platten  eine  Potcntialdifferenz  zurück,  welcbe  die  Hälfte  von  derjenigen 
ist,  welche  der  Wärmetönung  des  Oxydationsprocesses  des  Zinks  ent- 
spricht. 

Bezeichnet  man  diese  Potentialdifferenz  mit  e  und  die  Wärmetönung 
des  Oxydationsprosesses  des  Zinks  mit  to,  die  electromotorische  Kraft  des 
DanielTschen  Elementes  mit  1  und  die  Wärmetönung  der  sich  in 
einem  solchen  Elemente  vollziehenden  Beactionen  mit  TF(=50100),  so 
müsste  hiemach  die  PropoHion  gelten: 


«  :  1  =  ^  :  TT. 


Hieraus  würde  folgen: 


'  =  jw 2«^ 


Bezeichnet  man  f&r  ein  anderes  oxydirbares  Metall  die  entsprechenden 
Grössen ,  die  bei  Zink  e  und  w  hiessen,  mit  e'  und  w\  so  erhält  man  für 
dieses  Metall: 

j 


2W 


Bei  Contact  zweier  verschiedener  oxydirbarer  Metalle  erhält  man 
somit  eine  Potentialdifferenz  e  —  e': 

'-^  =  -2W- 27) 

Die  von  Exner^)  selbst  und  ebenso  die  von  Edelmann^  ange- 
stellten Versuche  bestätigen  die  Ergebnisse  dieser  Theorie  in  sehr  auf- 
fallender Weise. 


^)  F.  Einer,  Ueber  die  Ursache  der  ElectridUtserregang  beim  Contact  heterogener 
Metalle.     Ber.  d.  Wien.  Akad.  Bd.  80  und  Wiedem.  Ann.  Bd.  9,  S.  591  bia  613. 
^)  Edelmann,  Carl,  Repert.  d.  Experimentalphys.  Bd.  16,  S.  412. 


E. 

Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    705 

Potential- 

Electromotori- 

differenz, 

beobachtet  am 

Electrometer 

Verbrennnngswärmen 

sche  Kraft, 

nach 

Gleichung  26) 

berechnet 

Zink,  Platin 

0,88 

(Zn,  0)  —  42  700  (Pt,  0)  —  0 

0,88 

Kupfer,  Platin 

0,37 

(Cu,0)  —  18  600 

0,38 

Eisen,  Platin 

0,70 

(Fe,  0)  —  33000             „ 

0,70 

Silber,  Platin 

0,08 

(Ag,0)=   ,3  500             „         ' 

0,06 

•    ö 

Kupfer,  Eisen 

0,33 

{Cu,0)  =  19  000  (Fe, 0)  =  33000 

0,32 

0,  a 

Eisen,  Zink 

0,18 

(Fe,  0)       33  000  (Zn,  0)       42  700 

0,18 

Ed   S 

Kupfer,  Zink 

0,50 

(Cu,  0)  —  1 9  000  (Zn,  0)  —  42  700 

0,50 

Damit  scheint  constatirt  zu  sein,  dass  die  beiContact  zweier  Metalle 
auftretende  Electricitätsentwickelung  von  der  chemischen  Einwirkung  der 
umgehenden  Gase  auf  die  Metalle  abhfingt  ^). 


16.    Ezner's  Theorie  der  g:alvanlschen  Elemente. 


Späterhin  hat  F.  Exner  auch  eine  mit  den  vorstehenden  An- 
schauungen eng  zusammenhängende  Theorie  der  galvanischen  Elemente 
gegeben.  Auch  diese  gipfelt  darin,  dass  er  die  Existenz  von  Potential- 
differenzen an  den  Berührungsstellen  solcher  Substanzen  leugnet,  welche 
nicht  chemisch  auf  einander  wirken;  electromotorische  Kräfte  sind  nach 
Exner  nur  da  vorhanden,  wo  chemische  Veränderungen  vor  sich  gehen. 
Ein  Element  besteht  somit  in  seiner  einfachsten  Form  nur  aus  zwei  Sub- 
stanzen^), welche  chemisch  auf  einander  wirken,  z.  B*  Zink  in  Wasser. 
Ersteres  bildet  den  negativen,  letzteres  den  positiven  Pol.  Alles,  was 
sonst  noch  beigefügt  werde,  habe  lediglich  ein  practisches  Interesse. 
Zamal  sei  der  negative  Pol,  sofern  er  von  dem  electrolytischen  Processe 
in  der  Flüssigkeit  nicht  angegriffen  werde,  ohne  Einfluss  auf  die  electro- 
motorische Kraft  ^)  der  Kette. 


^)  QualiUtiv  hatte  Brown,  Phil.  Mag.  (1878)  5.  Serie,  Bd.  6,  S.  142  nnd  (1879) 
Bd.  7,  S.  411,  schon  früher  festgestellt,  dass  die  Spannungsreihe  der  Metalle  in  Ter- 
Bchiedenen  Gasen  verschieden  sei. 

>)  F.  Exner,  Die  Theorie  der  galvanischen  Elemente.  Wiedem.  Ann.  Bd.  11, S.  1036 
bis  1038. 

')  Letzteres  spricht  schon  D.  Thomson  ans:  Wiedem.  Ann.  Bd.  11,  S.  266, 
Zeile  10  v.  o. 

Bflhlmann,  Mechan.  Wirmetheorie.  Bd.  IL  45 


706  III.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinangen. 

Die  Potentialdifferenz  S  der  Pole  eines  Elementes  ist  nach  Exner 
lediglich  abhängig  yon  den  Wärmetdnungen  der  in  seinen  Ionen  sich 
▼ollziehenden  chemischen  Processe.  Die  freie  Spannnng  an  den  Polen 
ist  abhängig  von  Capacitäten  beider  Pole.  Ist  dieCapacitat  des  posiiiYen 
Poles  C,  die  des  negativen  c,  so  ist  die 

Q 

negativen  Pole  =  —  S  . 


freie  Spannung  am 


C  +  c 


positiven  Pole  =  4-  S  .  yr—, — 
l  C  +  cj 


28) 


Unstetigkeiten  des  Potentiales  findet  Exner  bei  Untersuchang  mit 
dem  Electrometer  auch  nur  da,  wo  eine  chemische  Wirkung  stattfindet, 
z.  B.  beim  Sm^e'schen  Elemente  (Zn,  H2SO4  aq,  Pt)  nur  an  der  Be- 
rühmugsstelle  zwischen  Zink  und  Schwefelsäure,  nicht  aber  an  dem  Gou- 
tacte  zwischen  Schwefelsäure  und  Platin,  oder  Zink  und  Platin. 

In  den  Elementen  mit  zwei  Flüssigkeiten  sind  jedoch  zwei  Herde 
chemischer  Wirkung  und  somit  zwei  Stellen  vorhanden,  an  welchen  das 
Potential  sich  sprungweise  ändert,  z.  B.  im  Daniell  an  der  Grenze 
Zn  —  H2SO4  und  ferner  an  der  Grenze  H2SO4  —  CUSO4.  An  der 
ersten  Stelle  wird  Zink  oxydirt  unter  Reduction  von  Wasserstoff,  der 
chemische  Process  ist  also  hier:  (ZuyHjSO^)  —  (H2,0);  an  der  zvireiteo 
Stelle  wird  H2  oxydirt  und  CUSO4  reducirt;  die  Wärmetönang'  dieses 
Vorganges  ist:  (H2,0)  —  (Gu,H2S04).  Eine  besondere  Stutze  jedoch  hat 
Exner  seiner  Theorie  dadurch  gegeben,  dass  es  ihm  neuerlich  gelungnen  ist, 
chemische  Elemente  zu  construiren,  welche  nur  aus  ßrundstoffen  bestehen, 
und  deren  electromotorische  Kraft  von  ihm  in  vollkommener  Ueberein- 
stimmung  mit  der  aus  den  Wärmetönungen  berechneten  gefunden  wor 
den  ist. 

Es  war  dieses,  Resultat  von  um  so  grösserer  Bedeutung ,  als  die 
meisten  Contacttheoretiker  galvanische  Elemente  nur  dann  für  möglich 
hielten,  wenn  mindestens  ein  Bestandtheil  derselben  ein  Electrolyt,  ein 
zersetzbarer  also  chemisch  nicht  einfacher  Leiter  sei.  Nach  der  Gontact- 
theorie  müsste  in  einer  beliebigen  Combination  von  Grundstoffen,  z.  B. 
von  Ä^  B,  C7,  die  Summe  der  Spannungsdifferenzen: 

(Ä,B)  +  (-B,C)  +  ((7,^)  =  0 
sein.     Ein  dauernder  galvanischer  Strom  wäre  hiernach  zwischen  Grund- 
stoffen nicht  möglich. 

Exner  ^)  untersuchte  besonders  Elemente,  welche  aus  den  Metallen: 
Mg,  AI,  Zn,  Pb,  Ag,  Cu,  Pt  und  Brom  oder  Jod  und  Kohle  gebildet 
waren  ^).     Da  der  Leitungswiderstand  von  Brom  und  Jod  sehr  gross  ist, 

^)  F.  Exner,  Ueber  galvanische  Elem^te,  die  nar  ans  Grandstoffen  bestehen  etc^ 
Wiedem.  Ann.  Bd.  15,  S.  412  bis  439. 

3)  Hoorweg  (Wiedem.  Ann.  Bd.  11,  S.  138  etc.)  hat  in  seiner  Abhandlong: 
Thermische  Theorie  der  Electricitätsentwickelong,  Elemente  Zn  |  S  |  Ca  und  Zn  |  C  |  Ca 
untersucht. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    707 

so  wurde  die  Grösse  der  Potentialdifferenz  untersucht,  welche  eintrat, 
wenn  man  gleichzeitig  Kohle  und  Metall  in  das  flüssige  Brom  oder  Jod 
eintauchte.  Die  Kohle  wurde  zumeist  zur  Erde  abgeleitet  und  der 
Ausschlag  beobachtet,  den  man  erhielt,  wenn  man  mit  dem  Metalle  das 
Electrometer  berührte.  Vorher  hatte  Exner  die  Grösse  des  Ausschlages 
beobachtet,  deu  ein  Daniell'sches  Element  hervorrief,  an  welchem  ein 
Pol  zur  Erde  abgeleitet  war.  Nacb  stehende  Tabelle  giebt^eine  Ueber- 
sicht  über  seine  Beobachtungsresultate: 


Ezner's 

Versuche 

Oombination  ^) 

Wärmetönung 
(1  D.  =  50130) 

Electromotorische  Kraft 

Bemerkungen 

beobachtet 

berechnet 

Mg,Br,C  .    . 

(Mg,  Bra)  —       ? 

2,36  D. 

— . 

Al,Br,C    . 

RAlj,  Bre)  =  239  300 

1,60  „ 

1,61  D. 

Zn,Br,C    . 

(ZnjBra)  —    75  930 

1,52  „ 

1,52  „ 

Pb,Br,C    , 

(Pb,Br8)  =    64400 

1,29  „ 

1,29  „ 

• 

Ag,Br,C   . 

(Ag2,Bra)=    45  400 

0,91   „ 

0,91   , 

Cu,Br,C    , 

(Ca,  Bra)  =    32  600 

0,51  „ 

0,65  „ 

Ausschlag  nicht  constant 

Pt,  Br,  C     . 

(P1^,  Bra)            ? 

0,04  , 

— 

Mg,J.C     . 

(Mg,  Ja)    =    78  700 

1,57  , 

— 

Zn,  J,  C  .    . 

(Zn,  Ja)    =   49  200 

0,96  , 

0,98  „ 

AI,  J.C  .    . 

(Al2,Je)    =140  700(?) 

0,77  „ 

0,93  , 

Letzter  Werth  unsicher 

Hg,J,C. 

(Hg,  Ja)    —    34300 

0,55  „ 

0,68  , 

Ag,J,C.    . 

(Ag2,J2)  —    27  600 

0,56  „ 

0,55  , 

Pt,  J,  C  .    . 

(Pt,Ja)      =       ? 

0,01   „ 

•— 

Die  Uebereinstimmung  in  so  vielen  F&llen  ist  in  der  That  eine  sehr 
befriedigende  und  spricht  in  der  That  sehr  zu  Gunsten  der  electro- 
ohemischen  Theorie  '). 


^)  Der  p08iti7e  Strom  ging  überall  vom  Metall  durch  das  Brom  oder  Jod  zur 
Kohle.     Die  Kohle  war  also  der  positive  Pol. 

^  Ob  auch  die  Untersuchungen  von  Palmieri  über  Zink-Quecksilber-Eisenelementc 
(Rendic.  d.  R.  Accad.  di  Napoli  Bd.  9)  und  die  schon  erwShnten  von  Ayrton  und  Perry 
(Free,  of  the  Roy.  Soc.  Bd.  27)  über  ein  Magnesium-Quecksilber-Platinelement  mit  hierher 
gehören,  ist  zweifelhaft.  Es  ist  möglich,  dass  es  sich  hier  lediglich  um  Thermoströme 
handelt,  da  man  aus  Versuchen  von  Oh  ach  (Pogg.  Ann.  Ergzgsbd.  7,  S.  270)  schlies6en 
muss,  dass  Amalgame  durch  den  Strom  nicht  rückwärts  in  Metall  und  Quecksilber  zer- 
legt werden  können.  Der  Process  des  Amalgamirens  scheint  somit  kein  reversibler  zu 
sein.  Er  unterscheidet  sich  dadurch  allerdings  erheblich  von  den  im  Text  beschriebenen 
Vorgängen,  die  sämmtlich  reversibel  sind.  Auch  die  Versuche  von  Goosens  (Wiedem. 
Ann.  Bd.  16,  S.  551)  sprechen  für  die  Ansicht  Ob  ach 's. 

45* 


708  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


17.  Die  Erklärung  der  Beobaolitungsthatsaolien  aus  der 

Contaottheorie. 

Nachdem  wir  im  Vorhergehenden  gezeigt  hahen,  in  welcher  Weise 
vom  Standpunkte  der  electrochemischen  Theorie  aas  die  YerBuche  auf- 
gefasst  werden,   soll  im  Nachstehenden  dasselbe  fär  die  Contaottheorie 

geschehen. 

Der  eigentliche  Kern  der  Contaottheorie,  wie  sie  von  Helmholtz^ 
am  klarsten  formulirt  worden  ist,  beruht  in  der  Annahme,  dass  die 
Ursache  der  Potentialdifferenz  verschiedener  Substanzen  darin  liegte«  dass 
verschiedene  Substanzen  eine  verschieden  starke  Anziehungskraft  auf  die 
beiden  Electricitätsarten  ausüben.  Man  kann  sich  das  folgendermaasen 
erklären:  Die  Nachbarmolecüle  zweier  heterogener  Stoffe  stören  ^T^gen- 
seitig  ihre  thermischen  Bewegungszustände.  Hierbei  geht  eine  ^T^wisse 
Quantität  calorischer  Energie  verloren,  und  an  deren  Stelle  kommt  eine 
äquivalente  Quantität  electrischer  Energie  zum  Vorschein. 

Ferner  wird  angenommen,  dass  da,  wo  eine  Electricitätsmeng^e  ~|-  e 
eintritt,  die  gleichgrosse  Electricitätsmenge  —  e  austritt  Man  braucht 
daher  blos  die  an  -{-  e  geleisteten  Arbeiten  in  Bechnung  zu  ziehen. 
Bezeichnet  man  den  Werth  der  Potentialfun ction  in  einem  Metalle  a  mit 
{pat  in  einem  anderen  Metalle  h  mit  9»,  und  die  Arbeit,  welche  durch  die 
Anziehungskräfte  geleistet  wird,  wenn  die  Electricitätsmenge  1,  aoB 
irgend  einem  als  Norm  dienenden  Metalle  in  das  Metall  a  beim  Gontact 
übergeht,  mit  Gat  so  findet  zwischen  den  beiden  Metallen  a  und  h  elec- 
trisches  Gleichgewicht  statt,  wenn: 

q>a  —  Ga  =  9h  —  (h 29} 

ist.  Die  Grössen  Qa  und  Ob  sind  somit  Constante,  welche  die  Stellung  der 
Metalle  in  der  Volt  ansehen  Spannungsreihe  angeben.  Helmholts 
nennt  sie  die  galvanischen  Werthe  der  Metalle.  Nimmt  man  als  daa 
Metall,  welches  als  Norm  dient,  für  welches  also  der  Werth  G  =  0  ist, 
das  Metall  an,  au?  dem  die  Quadranten  des  zur  Untersuchung  dienenden 
Quadrantenelectrometers  bestehen,  so  sind  <pa  —  Ga  und  tpb  —  G«  die 
Potentialwerthe ,  welche  die  beiden  Metalle  durch  metallische  Leitung 
den  betreffenden  Theilen  des  Electrometers  mittheilen. 

Um  das  von  Faraday  entdeckte  electrolytische  Grundgesetz  zu 
erklären,  nimmt  Helmholtz')  an,  dass  in  jeder  electrolytisch  zerleg- 
baren Verbindung  jedes  Aequivalent  des  Kation  mit  einem  Aequivalent 


^)  Helmholts,  Die  Erhaltung  der  Kraft«  Berlin,  Reimer,  1847,  S.  43,  und 
vollständiger  in  der  Abhandlung :  Ueber  Bewegungsströme  am  polarisirten  Piatina.  Wieden. 
Ann.  Bd.  11,  S.  747  ff.  1 

>)  Wiedem.  Ann.  Bd.  11,  S.  749. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    709 

i 

positiver  Electricitat  und  jedes  Aequivalent  des  Anion  mit  einem  Aeqai- 
valent  negativer  Electricitat  verbunden  sei.  Jode  Bewegung  von  Elec- 
tricitat in  einer  electrolytischen  Flüssigkeit  geschieht  nur  in  der  Weise, 
dass  die  Electricitäten  an  den  Ionen  haftend  sich  fortbewegen. 

Damit  Molecüle  des  positiven  Ions  electrisch  neutral  und  chemisch 
nnverbunden  aus  dem  Electrolyten  entweichen,  muss  die  Hälfte  davon 
ihre  Aequivalente  -f*  -^  abgeben  und  dafür  die  entsprechenden  —  E  auf- 
nehmen. Dieser  Vorgang  ist  mit  einem  grossen  Arbeitsaufwande  ver- 
banden und  bedingt  die  definitive  Trennung  der  vorher  bestandenen 
chemischen  Verbindung. 

Ist  die  electroly tische  Flüssigkeit  in  Berührung  mit  zwei  Electroden 
von  ungleichem  electrischen  Potentiale,  so  tritt  zunächst  Ansammlung 
von  Atomen  des  positiven  IoueT  an  der  negativen  Platte,  des  negativen 
an  der  positiven  ein,  bis  im  Innern  der  Flüssigkeit  die  Potentialfunction 
einen  constanten  Werth  erreicht  hat.  Wenn  sich  mit  positiver  Electri- 
citat beladene  Atome  längs  der  äusseren  Seite  der  Electrodenfläche  an- 
sammeln, werden  an  deren  innerer  Seite  die  entsprechenden  Quanta 
negativer  Electricitat  herangezogen.  Es  bildet  sich  eine  electrische 
Doppelschicht,  deren  Moment  so  lange  zunimmt,  bis  die  an  den  beiden 
Electroden  gebildeten  Doppelschichten  ausreichen,  den  zwischen  ihnen 
durch  die  electromotorische  Kraft  der  Kette  bedingten  Sprung  des  Poten- 
tialwerthes  hervorzubringen.  Eine  solche  Doppelschicht  stellt  also  einen 
Condensator  von  ausserordentlich  grosser  Gapacität  dar. 

So  lange  keine  chemischen  Processe  die  Menge  der  angesammelten 
Electricitäten  verändern,  ist  das  Potential  der  zwischen  beiden  Electroden 
befindlichen  electrolytischen  Flüssigkeit  dadurch  bestimmt,  dass  die 
gleichen  Mengen  -{~  ^  und  —  E  gebunden  an  ihre  Ionen  sich  an  den 
beiden  Electroden  angesammelt  haben. 

Ist  E  die  Menge  der  angesammelten  Electricitat,  Fi  und  F^  die 
Oberfläche  der  beiden  Electroden,  sind  ferner  Oi  und  C^  die  Gapacitäten 
der  Flächeneinheiten ,  (pi  und  (f^  die  Potentialwerthe  der  Electroden- 
platten,  g>o  die  derjenigen  der  Flüssigkeit,  so  findet  Gleichgewicht  statt, 
wenn: 

E  =  Fl  .  Gl  .  {(pi  —  9?o),     ^  =  1^2  .  Ci  .  (9o  —  9a)     •     30) 

9i  —  öl  —  q>2  +  G'2  =^ 31) 

wobei  Ä  die  electromotorische  Kraft  des  auf  den  Electrolyten  'wirkenden 
Stromes  ist.     Daraus  folgt: 

E  .  (^r^  +  |r^)  =  Ä+  Gl-  G,     .     .     .     32) 

g,,  -  90  =  (^  +  öl  -  G,)  .  ^^.^^  .     33) 

-Ti  .  K/i  -t~  -4^2  .  Oa 

<p,-<p,=iÄ+  ö.  -  (?,)  .  ^'\%         .     .     34) 

J:i   .    Lfi    -p   0*2  •  ^a 


710  UI.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen« 

Um  diesen  OleichgewichtszoBiand  herzostelleD ,  müsseii  die  Blectri- 
citätsmengen  -{-  E  and  —  E  der  Anode  zofliessen.  Da  die  eleefoüdien 
Doppelscbicbten  einander  sehr  nahe  und  in  Folge  dessen  die  Capacit&ten  C 
sehr  gross  sind,  so  erscheint  diese  Electricitätsbewegong  ab  ein  nidit 
nnbedentender,  aber  schnell  vergänglicher  Strom.  Diese  soeben  beschrie- 
bene Ladung  der  Platten  nennt  Helmholtz  die  condensatorische.  Ter- 
bindet  man  beide  Platten,  nach  Unterbrechung  des  electrolysirendea 
Stromes,  so  tritt  ein  ebenso  grosser  Rückstrom  ein. 


18.  Helmlioltz's  Theorie  der  electrolytischeii  Aus- 

soheidung  der  Ionen. 

Es  können  jedoch  auch  vorübergehende  oder  dauernde  Ströme  auf- 
treten, wenn  irgend  welche  Processe  stattfinden,  die  einen  Theil  der 
Electricität  der  Grenzschichten  beseitigen. 

Ein  Theil  der  Electricität  der  Grenzschicht  wird  beseitigt  durch 
die  electrölytische  Ausscheidung  der  Ionen.  Dabei  kommen  theils  elec- 
trische, theils  moleculare  Arbeiten  in  Betracht.  Ist  die  für  die  Einheit 
der  positiven  Electricität  hierbei  geleistete  moleculare  Arbeit  Ki^  so  ist 
die  gesammte  Arbeit,  welche  für  die  an  die  Kathode  übergehende  Ein- 
heit der  positiven  Electricität  geleistet  wird: 

9i  —  ^1  +  -Kl  —  90tli 
worin  9>0)i  den"^Werth  des  Potentiales  in  der  Flüssigkeit,  dicht   an  der 
AuBsenseite  der  electrischen  Doppelschicht  bezeichnet. 

So  lange  diese  Grösse  positiv  ist,  wird  der  Uebergang  nicht  erfolgen, 
wohl  aber,  wenn  sie  negativ  zu  werden  anfangt 

Der  grösste  Werth  der  Potentialdifferenz,  welcher  an  der  Kathoden- 
flache  eintreten  kann,  ist  also: 

9>i  —  9oii  =  01  —  2^1 35) 

Analog  gilt  für  die  Anode: 

9«  —  9oi2  =  öj  —  K2 36) 

Sobald  diese  Grenze  überschritten  wird,  fängt  die  electrölytische 
Action  an. 

Von  dem  Zeitpunkte  an,  wo  an  einer  der  Electroden  die  Dicke  der 
electrischen  Schicht  so  weit  gewachsen  ist,  dass  das  Ion  daselbst  sich 
neutralelectrisch  auszuscheiden  beginnt,  wird  an  dieser  das  Moment  der 
electrischen  Doppelschicht  und  daher  auch  die  Potentialdifferenz  nicht 
mehr  wachsen  können ,  sondern  nur  noch  an  der  anderen  Electrode ,  bis 
auch  an  dieser  die  Grenze  der  Zersetzung  erreicht  ist.  Damit  dies  ge- 
schehe, wird  (GL  31)  die  electromotorische  Kraft  der  Kette 

<Pi  —  Gl  —  (P2  +  Gi=A 


E.    Die  mechanisclie  Theorie  d.  electrochem.  ErscheinungeD.  711 

grösser  als  die  Differenz  der  Moleculararbeiten  an  den  Eleciroden  bei  der 
Zersetzung,  d.  h.  grösser  als  £3  —  Ki  sein  müssen. 

Helmholtz  wendet  dieselbe  Betrachtungsweise  auch  an,  um  die 
Stromstarken  in  den  sogenannten  constanten  Ketten  zu  bestimmen.  Zu 
dieser  Art  rechnet  er  alle  solche,  in  welchen  sich  schon  vor  Schliessung 
des  Stromes  das  während  der  Electrolyse  bestehende  electrische  Gleich« 
gewicht  zwischen  Metall  und  Flüssigkeit  hat  herstellen  können. 

Bezeichnet  i  die  Intensität  des  Stromes,  W  den  Widerstand  in 
der  metallischen,  w  den  in  der  flüssigen  Leitung,  so  ist  nach  dem  Ohm'* 
sehen  Gesetze: 

9>i  —  9>3  —  61  +  ßj  —  4  =  —  «  .  TT     .     .     .     36) 

9^0»!  —  9o»«  =  +  «.«? 37) 

Da  nun  aber  nach  Gl.  30)  und  36): 

9>2  —  9o»2  —  Ö2  =  —  -^2» 
so  folgt: 

K^  —  Kl  —  Ä  =  —  i  .{W  +  IV) 38) 

Ist,  wie  dies  bei  Elementen  der  Fall  ist,  ^  =  0,  so  ist  JBTi  —  K^ 
die  einzige  electromotorische  Kraft  im  Leiterkreise.  Die  electromotorische 
Kraft  eines  constanten  Elementes  hängt  also  nur  von  der  Differenz  der 
molecularen  Arbeit  der  electrolytischen  Zersetzung  ab,  die  durch  die 
Constanten  K  (die  Wärmetönungen  der  chemischen  Processe)  gemessen 
wird,  und  ist  unabhängig  von  den  galvanischen  Werthen  der  Electroden. 


y 


19.    Die  eleotrolytisohe  Ooiivection» 

Ist  die  zu  electrolysirende  Flüssigkeit  Wasser  mit  Spuren  von  H3SO4, 
und  ist  in  derselben  unelectrischer  Sauerstoff  (4^  0)  aufgelöst,  so  werden 
selbst  sehr  schwache  Ströme,  deren  electromotorische  Kraft  zu  einer 
Wasserzersetzung  nicht  ausreichend  ist  (auch  abgesehen  von  den  con- 
densatorischen  Ladungen  der  Zersetzungszelle),  lange  Zeit  durch. das 
Wasser  hindurchgehen  können. 

Helmholtz  erklärt  dies  dadurch,  dass  die  Kathode  ihre  negatire 
Electricität  mit  den  Aequiyalenten  -{-  E  des  Sauerstoffs  austauschen 
könne.  Der  dadurch  electrisch  negativ  gemachte  Sauerstoff  verbinde 
sich  mit  dem  durch  den  Strom  herangeführten  electrisch  positiven  Wasser* 
Stoff.  Da  nun  Sauerstoff  eine  geringere  Anziehungskraft  zur  positiven 
Electricität  hat  als  Wasserstoff,  so  wird  dadurch  die  Potentialdifferenz  an 
der  Kathode  erheblich  herabgesetzt,  und  es  wird  schon  eine  geringe  electro- 
motorische Kraft  genügen,  in  diesem  Falle  einen  dauernden  Strom  hervor- 
zubringen. '  Derselbe  wird  jedoch   in  seiner  Intensität  vollkommen  von 


712  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

der  Geschwindigkeit  ahhängen,  mit  der  durch  Diffusion  Sauerstoff  an  die 
ElatholLe  herangeführt  wird.  An  der  Kathode  verbindet  sich  dann  neu- 
traler +  0  mit  +  Hq  »  während  an  der  Anode  +  0  aus  der  Verbindung 
H3SO4  ausscheidet.  Das  Wasser  dient  somit  nur  als  Lösungsmittel  fCLr 
die  Gase  und  vermittelt  den  Transport  derselben.  —  Diese  Art  von. 
Strömen,  bei  welchen  somit  die  schwache  electromotorische  Kraft  der  auf 
den  Electrolyten  wirkenden  Kette  nur  dazu  dient,  die  gelösten  Gasmole- 
cüle  fortzubewegen,  nennt  Helmholtz^)  Convectionsströme '). 


20.  Die  Wasserstofibcclusion  des  Platins  und  Palladiiiin& 

Auch  das  von  Graham  zuerst  am  Palladium  entdeckte  Eindringen 
der  Gase  in  die  intramolecularen  Zwischenräume  der  Metalle,  die  Erschei- 
nung der  Occlusion,  bewirkt  eine  Verminderung  der  positiven  electriechen 
Grenzschicht  an  der  Kathode.  Auch  Platin  ist  im  Stande,  erhebliche 
Mengen  von  Wasserstoff  zu  occludiren,  jedoch  geschieht  di^s  nur  anter 
dem  Einflüsse  von  electromotorischen  Kräften,  welche  eine  Potentialdiffe- 
renz von  etwa  1  Daniell  gegen  die  Sauerstoff  entwickelnde  Anode  her- 
vorbringen. Das  Eintreten  von  Wasserstoff  in  Platin  geschieht  also  auch 
bei  Einwirkung  von  electromotorischen  Kräften,  welche  nicht  zur  Wasser- 
zersetzung ausreichen,  aber  es  ist  ein  langsamer  Process,  und  es  bedarf 
tagelanger  Wirkungen,  ehe  das  Platin  mit  occludirtem  Wasserstoff  ge- 
sättigt wird. 

Der  occludirte  Wasserstoff  tritt,  so  nimmt  Helmholtz  an,  als  -\-  H 
in  das  Platin  ein,  und  dort  wird  um  jedes  occludirte  H-Molecül  negative 
Electricität  angesammelt.  Das  Platin  tritt  gewissermaassen  an  Stelle 
des  Atomcomplexee  S  0^  in  eine  Verbindung  mit  dem  Wasserstpff  ein ; 
jedoch  ist  dies  nicht  eine  chemische  Verbindung  nach  festem  Gewichts- 
verhältnisse. Die  chemische  Arbeit,  die  zur  Einleitung  der  Electrolyse 
nöthig  ist,  wird  somit  durch  die  Occlusion  vermindert.  Die  Occlusion 
beginnt  übrigens  erßt  bei  einer  bestimmten  electromotorischen  Kraft 
(V5  D.),  bei  ungefähr  Ya  ^*  beginnt  dann  bereits  die  Wasserzersetzung, 
und  erst  von  dieser  Grenze  der  electromot-orischen  Kraft  an  kann  eine 
neue  Menge  Wasserstoff  zur  Occlusion  gebracht  werden.  Hat  man  durch 
jenseits  dieser  Grenze  liegende  Ströme  das  Platin  mit  Wasserstoffgas  ge- 
füllt, so  genügen,  bei  geöffnetem  primären  Strome,  geringe  Erschütte- 
rungen unter  Wasserstoffabgabe,  um  einen  entgegengesetzten  Strom  her- 
vorzubringen.     Die  bei  circa    Y5  D.  bis  höchstens   Vs  ^*   occludirten 


1)  Helmholtz,  Pogg.  A'nn.  Bd.  150,  S.  483. 

^)  Auch  die  Ströme,  welche  beim  Fliessen  von  Flüssigkeiten  darch  Röhren  und  an 
den  Electroden  vorbei  auftreten,  erklären  sich  leicht  darch  die  mechanische  Fortfuhrang 
solcher  electrisch  geladenen  Molecüle,  welche  sich  behufs  Herstellung  electrischen  Gleich- 
gewichtes an  den  Wandungen  respective  Electroden  angelagert  haben. 


E.    Die  mectanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    713 

WasBerBtoffmengen  könneD  nur  durch  die  Wirksamkeit  von  electromoto- 
rischen  Eräfteo,  welche  den  primären  entgegengesetzt  wirken,  wieder  aus 
dem  Platin  heraus  gelöst  werden. 


21.    Die  Einwendungen  gegen  Exner's  Versuohs- 

resultate. 

Die  Yorstehenden  Ausführungen  von  Helm  hol  tz  zeigen  zunächst, 
dass  auch  die  Gontacttheorie  im  Stande  ist,  die  hisher  hei  der  Electro- 
lyse  und  verwandten  electrischen  Erschein angen  heohachteten  Thatsachen 
zu  erklären.  Man  muss  hemerken,  dass  die  zahlreichen  Bestätigungen 
der  Beziehungen  zwischen  den  electromotorischen  Kräften  der  Kette  und  ' 
den  Wärmetönungen  der  sich  innerhalb  derselben  abspielenden  chemi- 
schen Processe,  welche  Exner  erbracht  hat,  insoweit  sie  sich  auf  con- 
stante  Elemente  beziehen  (und  zu  diesen  sind  auch  die  nur  aus  Grund- 
Btoffen  bestehenden  zu  rechnen),  nach  der  von  Helmholtz  abgeleiteten 
Gleichung  38)  auch  mit  der  Gontacttheorie  vollkommen  im  Einklänge 
sind.  Ferner  kann  die  Gontacttheorie  alle^  jene  electrischen  Vorgänge 
mit  in  Betracht  ziehen,  welche  in  Goncentrationsänderungen ,  Aenderun- 
gen  des  Aggregätzustandes ,  Dichtenänderungen,  Lösungserscheinungen, 
Diffusion,  Absorptionen,  Strömungen  etc.  etc.  ihre  Ursache  haben. 

Dass  es  aber  Vorgänge  nicht  chemischer  Art  glebt,  welche  ebenfalls 
£lectricität  hervorzubringen  im  Stande  sind,  dürften  selbst  die  radical- 
sten  Electrochemiker  kaum  in  Abrede  stellen.  Die  Hypothese,  dass  nur 
der  sich  vollziehende  chemische  Process  eine  electri sehe  Erregung  mög- 
lich mache,  erklärt  übrigens  nicht  im  mindesten  den  Mechanismus  dieses 
Zusammenhanges. 

Aber  auch  die  Versuche,  auf  welche  Exner  seine  Verurtheilung  der 
Gontacttheorie  stützt,  sind  nicht  ohne  Anfechtung  geblieben.  Dass  seine 
Erklärung  und  Wiederholung  des  Volta' sehen  Fundamentalversuches  ^) 
nicht  ganz  einwurfsfrei  ist,  hat  Exner  später^)  selbst  zugegeben. 

Aber  auch  die  von  ihm  gefundenen  Zahlen  der  Potentialdifferenzen, 
welche  mit  den  aus  den  Verbrennungswärmen  berechneten  so  überraschend 
übereinstimmen,  weichen  erheblich  von  denjenigen  ab,  welche  andere 
Physiker  gefunden  haben,  wie  dies  z.  B.  nachstehende  Tabelle  zeigt. 
Auch  gegen  die  Art  zu  experimentiren  (Exner  bediente  sich  eines 
Paraffincondensators)  hat  Schulze- Berge*)  beachtliche,  von  Versuchen 
unterstützte  Einwendungen  erhoben.     So  fand  z.  B.: 

^)  F.  Exner,  Zur  Theorie  des  Volta' sehen  Fundamentalversuches.  Wiener  Be- 
richte Bd.  81,  S.  1220. 

2)  F.  Exner,   Wiedem  Ann.  Bd.  15,  S.  439. 

^)  Wiedem.  Ann.  Bd.  15,  S.  442.  Man  vergleiche  auch  Ayrton  und  Perry, 
Philos.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  11,  S.  53,  und  ferner  Pellat,  Journ.  de  Phys.  Bd.  9,  S.  145 
nnd  Bd.  10,  S.  68. 


714 

ni.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Potentialdifferenzen  (in  Dan.) 

/ 

Exner^) 

Kohl- 
ransch  ^ 

beobachtet 

HankeP) 

beobachtet 

Ayrton 
und  Perry*) 

berechnet 

beobachtet 

beobachtet 

ZQ,Ca    . 

0,50 

0,50 

0,80 

— 

0,75 

Zn,  Pt    . 

0,88 

0,8& 

0,98 

0,98 

0,98 

Ca,Pt    . 

0,38 

0,38 

0,18 

0,18 

0,24 

Fe,Pt     . 

0,70 

0,70 

0,31 

0,31 

0,37 

Ag,Pt    . 

0,08 

0,06 

0,18 

0,06 

— 

Es  läset  sich  nicht  leugnen,  dass  die  Abweicbnng  der  Ex ne raschen 
Zahlen  von  den  leidlich  unter  sich  übereinstimmenden  Versuchen  der 
übrigen  Physiker  das  Vertrauen  zu  dem  Werthe  der  Zahlen  des  Erst- 
genannten einigermaassen  erschüttert  hat.  Nicht  ganz  so  schlimm  ist  es 
Exner  hinsichtlich  seiner  Behauptungen  ergangen »  dass  die  electro- 
motorische  Kraft  der  Polarisation  jederzeit  durch  die  Wärmetönung  der 
Herstellung  der  electrolysirten  Verbindung  aus  den  Ionen  gemessen 
werde,  und  dass  die  Beschaffenheit  der  negativen  Electrode  dann  ohne 
Einfluss  sei,  wenn  sie  chemisch  nicht  verändert  werde. 

Hier  sind  es  die  von  W.  Hallock^)  gefundenen  Zahlen,  welche  zum 
Theil  erhebliche  Abweichung  von  den  von  Exner  mitgetheilten  zeigen. 
Die  Tabelle  a.  f.  S.  enthält  aus  diesen  Werthen  nur  diejenigen,  welche 
unmittelbar  mit  den  von  Exner  gefundenen  vergleichbar  sind. 

Immerhin  sind  die  Abweichungen  nicht  so  bedeutend,  dass  man  die- 
selben nicKt  aus  den  verschiedenen  Beobachtungsweisen  erklären  könnte* 
Hallock  bestimmte  die  Polarisation  nämlich  bei  geschlossenem  primären 
Strome  mit  Hülfe  des  Galvanometers,  Exner  arbeitete  mit  dem  Electro- 
meter.  Auch  hat  Exner  die  Concentrationsgrade  nicht  angegeben,  bei 
starken  Strömen  ist  aber  das  Lösungsmittel  nicht  ohne  Einfluss.  Femer 
bleiben  diejenigen  seiner  Versuche  unwiderlegt,  welche  mit  geschmolze- 
nen Electrolyten  angestellt  sind  (AgJ^,  AgBr2,  AgCl). 


^)  Exner,  Wiener  Berichte  Bd.  81,  S.  1220. 

^)  Kohlrausch,  Pogg.  Ann.  Bd.  82,  S.  1,  und  Hd.  88,  S.  472. 

3)  Hanke  1,  Pogg.  Ann.  Bd.  115,  S.  57,  und  Bd.  126,  S.  286. 

*)  Ayrton  und  Perry,  Philos.  Transact.  1880',  S.  1,  und  Wiedem.  Beibl.  Bd.  4, 
S.  665. 

^)  W.  Hallock,  Ueber  galvanische  Polarisation  und  über  das  Smie'sche  Element. 
Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  56  bis  86. 


E.   Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    715 


Procent- 

Grösse der  Polarisation  in  Daniells 

Hallock's  Versuche 

Berechnet 

gehalt 
der 

Exner 
beobachtete 

aus  den 
Wärmetönungen 

Elektrolyte 

Kohle 

Platin 

Lösangen 

3  Bunsen 

2  Bunsen 

2  Bansen 

am  Electro- 
meter 

von 

von 

• 

geschl. 

geschl. 

geschl. 

Exner 

Hallock 

H2SO4    .    . 

5 

2,02 

1,92 

1,95 

1,42 

1,43 

1,36 

HCl    .    .    . 

6 

— 

1.54 

1,33 

1,60 

1,61 

1,57 

NaCl  .    .    . 

6 

2,37 

2,17 

1,97 

2,08 

2,06 

2,12 

NaJ     .    .    . 

5 

1,48 

1,43 

1,24 

1,25 

1,24 

1,07 

CuSO^   .    . 

5 

1,20 

1,18 

1,34 

1,13 

1,15 

1,12 

ZnSO^    .   . 

9,8 

2,07 

1,99 

2,26 

2,14 

2,14 

2,12 

AgNOa  :    . 

25 

0»78 

0,75 

0,75 

0,42 

0,34 

0,34 

Hallock  kann  auch  nicht  zugehen,  dass  Platin  von  Chlor,  welches 
electroly tisch  auf  demselhen  abgeschieden  wird,  angegriffen  werde,  was 
Exner  behauptet.  Eine  Platinplatte,  vor  und  nach  der  Electrolyse  von 
Salzsäure  gewogen,  zeigte  keine  Gewichtsveränderung.  Diese  aber  hätte 
doch  stattfinden  müssen,  wenn  die  Ursache  der  nahezu  constanten  Diffe- 
renz von  ungefähr  0,3  Daniell,  welche  man  beobachtet,  je  nachdem  man 
Chlor  an  Platin-  oder  Kohlenelectroden  entwickelt,  in  einer  chemischen 
Veränderung  des  Platins  gesucht  werden  sollte.  Möglicherweise  liegt  die 
Ursache  dieser  Differenz  aber  darin,  dass  die  andere  Platinelectrode  Wasser- 
stoff occludirt. 

Wenn  man  somit  auch  zugeben  muss,  dass  gegen  erhebliche  Punkte 
der  Exner 'sehen  Versuche  mit  Recht  gewichtige  Einwände  gemacht  wor- 
den sind,  so  dass  einzelne  derselben  viel  Yon  ihrem  Werthe  verlieren,  so 
muss  man  andererseits  doch  auch  bekennen,  dass  die  überraschende 
Uebereinstimmung  zwischen  Versuch  und  Rechnung  in  so  manchen  Fällen 
denselben  nach  wie  vor  eine  hervorragende  Stellung  anweist  und  zeigt, 
dass  seine  Anschauungen  nicht  zu  weit  von  der  Wahrheit  entfernt  sind. 
Gewiss  giebt  es  neben  dem  chemischen  Processe  noch  eine  Anzahl  anderer 
Vorgänge,  bei  welchen  ebenfalls  potentielle  Energie  in  electrische  Ener- 
gie umgesetzt  wird.  Hierher  gehören  vor  Allem  die  Occlusionserschei- 
nungen,  Endosmose,  Diffusion,  möglicherweise  auch  die  Aggregats-  und 
Concentrationsänderungen ,  also  Vorgänge,  bei  welchen  es  sich  nicht  um 
die  Bildung  und  Zerlegung  chemischer  Verbindungen  handelt,  die  nach 
festen  Gewichtsverhältnissen  zusammen gesezt  sind. 

Man  muss  zugeben,  dass  die  sicher  constatirten  Versuchsresnltate 
auf  diesem  Gebiete  zur  Zeit  sich  fast  ausnahmslos  ebenso  gut  nach  der 
Contacttheorie,  als  nach  der  electrochemischen   Theorie  erklären  lassen. 


716  III.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Beide  Theorien  sind  aher  üherhaupt  nicht  so  yerschieden,  als  es  erschei- 
nen mag,  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  in  ihrem  auf  Grand  sorg- 
faltiger Versuche  vollzogenen  Aushau  heide  schliesslich  vollkommen  in 
einander  verschmolzen  werden.  Die  electrochemische  Theorie  ist  ja  über- 
haupt keine  Theorie  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes,  sie  giebt  über 
den  causalen  Zusammenhang  der  electrischen  und  chemischen  Vorgänge 
keine  Aufklärung,  sondern  begnügt  sich  mit  der  Gonstatirung  der  that- 
säoblichen  Verhältnisse.  Die  Contacttheorie  macht  allerdings  eine  Anzahl 
von  Annahmen,  deren  Berechtigung  nur  durch  fortgesetzte  experimen- 
telle Prüfung  der  aus  diesen  Annahmen  sich  ergebenden  Gonseqnenzen 
geprüft  werden  kann;  sie  erhebt  aber  nur  den  Anspruch,  den  Werth  einer 
Hypothese  zu  besitzen,  welche  für  die  weitere  Erforschung  des  Erschei- 
nungsgebietes als  leitender  Faden  dienen  soll. 

Möglicherweise  lösen  sich  beide  Theorien  in  eine  dritte,  z.  B.  in 
eine  thermische  Theorie  der  electrischen  Vorgänge  auf  ^).  Da  bekannt- 
lich zwischen  Energie  der  Atombewegung  und  Energie  der  Molecalar- 
bewegung  ein  festes  Verhältniss  besteht,  würde  es  eine  solche  Theorie 
erklärlich  machen,  warum  zwischen  den  scheinbaren  Anziehungskräften 
der  verschiedenen  Substanzen  auf  die  Electricität  und  den  chemischen 
Eigenschaften  dieser  Substanzen  gewisse  Beziehungen  bestehen. 


22.    Einwendungen  gegen  die  Aequivalenz  von 
tönung  und  electromotorischer  Kraft. 

Gegen  die  Grundlage  der  mechanischen  Theorie  der  electrocbemi- 
schen  Erscheinungen  sind  neuerdings  von  F.  Braun  ^)  Bedenken  erhoben 
worden.  Dieser  behauptet  direct  *) :  „Bei  jedem  Processe,  welcher  inner- 
halb einer  Kette  (Zersetzungszelle)  nach  dem  Faraday' sehen  Gesetze 
verläuft,  geht  ein  Theil,  aber  nur  ein  Theil  der  Verbindungswänne  in 
Stromarbeit  über;  der  Rest  der  chemischen  Wärme  bleibt  als  solche  im 
Element  und  macht  einen  Bestandtheil  der  sogenannten  Wärme  durch 
secundäre  Processe  aus.**  In  dieser  Form  scheint  der  Satz  zunächst 
einen  Widerspruch  gegen  das  Princip  von  der  Aequivalenz  zwischen  den 
sich    vollziehenden    chemischen   Processen    und    der    electromotorischen 


*)  Man  sehe  z.  B.  Hoorweg,  Die  thermische  Theorie  der  Electricitätsentwicke- 
lung.     Wiedem.  Ann.  Bd.  9,  S.  590,  und  Wiedem.  Ann.  Bd.  11,  S.  133. 

^)  Die  erfite  diesen  Gegenstand  berührende  Abhandlung  Tön  F.  Braun,  lieber  die 
Electricitätsentwickelung  als  Aequivalent  chemischer  Processe  (Wiedem.  Ann.  Bd.  5, 
S.  182  bis  215)  enthält  nur  eine  Reihe  von  Betrachtungen,  welche  nicht  immer  klar 
erkennen  lassen,  wie  weit  die  Ansichten  des  Verfassers  von  den  Erfahrungen  der  übrigen 
Physiker  abweichen.  In  einer  zweiten  Abhandlung  gleichen  Namens  (Wiedem.  Ann. 
Bd.  16,  S.  562  bis  593)  theilt  Braun  eine  Anzahl  Messungen  electromotorischer  Ermfle 
und  deren  aus  den  Wärmetönungen  berechneten  Werthe  mit. 

3)  a.  a.  0.  Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  563. 


E    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    717 

Kraft  gar  nicht  zu  enthalten,  da  hisher  von  keiner  Seite  hezweifelt  wor- 
den ist,  dasB  secundäre  Processe  mit  localen  Wärmeentwickelangen  (z.  B. 
an  den  Electroden)  verhunden  sind,  und  daher  einer  hesonderen  Behand- 
lung hedürfen. 

Die  Sätze,  welche  im  Vorhergehenden  entwickelt  worden  sind, 
wurden  stets  mit  der  Einschränkung  aufgestellt,  dass  locale  positive  oder 
negative  Wärmeproductionen ,  welche  mit  dem  Strome  in  keinem  un- 
mittelharen  Zusammenhange  stehen,  ausgeschlossen  sein  sollten.  Als 
solche  locale,  secundäre  Processe  wurden  ausdrücklich:  Gasentwickelun- 
gen, zumal  Ausscheiden  von  Gasen  in  anderem  als  dem  gewöhnlichen 
Zustande,  und  Rückkehr  dieser  Gase  in  den  normalen  Zustand,  freiwilli- 
ger Zerfall  der  primären  Ionen,  Goncentrationsänderungen ,  Gasahsorp- 
tionen  etc.  hezeichnet. 

Braun  jedoch  geht  von  einer  Analogie  mit  den  Processen  hei  Um- 
wandlung von  Wärme  in  Arheit  über  und  meint,  dass  ebenso  wenig  als 
der  gesammte  Wärmeinhalt  eines  Körpers  in  Arbeit  verwandelt  werden 
könne,  es  auch  nicht  möglich  sei,  die  gesammte  potentielle  Energie  der 
Affinität  in  Electricität  umzusetzen.  Es  gehe  vielmehr  stets  nur  ein 
Theil  derselben  in  electrische  Energie  über,  ein  anderer  gehe  in  der 
Zelle  in  Wärme  über,  ähtilich  wie  bei  der  Verwandlung  von  Wärme  in 
Arbeit  stets  ein  Theil  Wärme  von  höherer  Temperatur  in  solche  niederer 
Temperatur  übergehe. 

Jedenfalls  ist  diese  Analogie  insofern  keine  richtige,  als  erstens  von 
der  überhaupt  in  einer  Substanz  vorhandenen  potenziellen  Energie  der 
Affinität  stets  nur  ein  Theil  umgesetzt  wird,  nämlich  der,  welcher  sich 
auf  eine  bestimmte  mit  ihm. in  Wirksamkeit  tretende  Substanz  bezieht, 
und  andererseits  ist  der  nutzlos  verloren  gehende,  im  Welträume  zerstreute 
Theil  der  Energie  in  der  Wärme  zu  suchen ,  welche  zur  Erwärmung  des 
gesammten  Leiterkeises  nach  dem  Joule' sehen  Gesetze  dient.  Diese 
ist,  wie  die  Behandlung  der  electrischen  Maschinen  ganz  deutlich  zeigt, 
solche  Wärme,  welche  von  höherer  in  niedere  Temperatur  übergeht. 

Während  für  constante  Ketten  von  J.  Thomsen  (siehe  S.  679)  auf 
experimentellem  Wege  und  von  Helmholtz  auf  dem  Wege  der  Rech- 
nung (Gl.  38,  S.  711)  aus  den  Grundannahmen  der  Gontacttheorie  nach- 
gewiesen worden  ist,  dass  die  gesammte  potentielle  Energie  der  Affinität 
in  electrische  Energie  umgesetzt  wird,  glaubt  Braun  nachweisen  zu 
können,  dass  für  jede  Substanz  ein  charakteristischer ,  mit  der  Dissocia- 
tionsfähigkeit  derselben  zusammenhängender  Bruch  x  oder  y  existirt, 
welcher  den  electromotorischen  Nutzeffect  des  Processes  angiebt. 

Braun  nimmt  also  an,  dass  die  electromotorische  Kraft  eines  Daniell 
nicht 

D  =  (Zn,  0,Ht80^,aq)  —  (Cu,  0,HiSOi,aq)  =  Zi  —  Äi 

sei,  sondern 

D  =  x.{Zn,0,HiSO^,aq)  —  y  .  {Cu,0,Ki80^,aq)  =  x.Ki  —y.K^, 


718  III.    Anwendungen  auf  electrische  ErscheinungeiL 

worin  x  und  y  die  für  Zinksulpliat  und  Eupfersulphat  cliarakieristiBcbeii 
Brüche  sind  i). 

Späterhin  berechnet  er  aus  solchen  Processen,  für  welche  die 
Wärmetönung  K^  der  einen  Substanz  yerhältnissmässig  klein  ist 
(Ags,  O,HNO3,aq  =  33  600),  aus  seinen  Beobachtungen  Grenzwerthe  für 
einige  Substanzen,  indem  er  für  y  die  Werthe  0,  Vs  und  1  einsetzt  und 
findet,  dass  z.  B.  für  CUSO4  im  Maximum  x  =  0,68  und  für  ZnSO^  im 
Maximum  x  =  0,83  sein  könne. 

Die  Beobachtungen  sind  zum  Theil  in  der  Weise  angestellt,  dass  die 
electromotorische  Kraft  im  offenen  Stromkreise  mit  Hilfe  des  Clectro- 
meters  gemessen  wurde.  Zum  Theil  wurde  die  electromotorische  Kraft 
der  Ketten  dadurch  gemessen,  dass  man  die  zu  untersuchende  Combina- 
tion  einmal  hinter  einander  und  daDn  gegen  einander  mit  einem  Normal- 
element  von  bekannter  electromotorischer  Kraft  durch  einen  groflsen 
Widerstand  verband  und  die  Stromstärken  t'i  und  i^  in  beiden  Fällen 
beobachtete. 

In  den  wenigen  Fällen,  in  denen  beide  Methoden  zur  Anwendmig 
kamen,  sind  häufig  sehr  beträchtliche  Differenzen  zwischen  den  Resul- 
taten beider  Methoden  bemerkbar. 

Die  Untersuchungen  ergeben  erhebliche  Differenzen  besonders  für 
die  Gombinationen  mit  Magnesium  und  mit  Silber  und  für  die  Ketten,  in 
welchen  Lösungen  von  essigsauren  und  Salpetersäuren  Salzen  oder  Ton 
Platin-  und  Goldchlorid  vorkommen. 

Es  g^ebt  einzelne  Ketten  darunter,  in  welchen  die  beobachtete  elec- 
tromotorische Kraft  grösser,  andere,  in  welchen  sie  kleiner  ist,  als  es  die 
Rechnung  aus  den  Wärmetönungen  ergiebt,  in  einigen  Fällen  verläuft 
der  Process  in  entgegengesetzter  Richtung,  als  man  nach  den  Wärme- 
tönungen erwarten  sollte. 

Wir  fügen  von  jeder  Art  einige  Bdispiele  bei: 

a.  Ketten,  deren  electromotorische  Kraft  kleiner  ist,  als  die  aus  den 

Wärmetönungen  berechnete. 


. 

Electromotorische  Kraft  (D.  =:  1) 

beobachtet  *) 

berechnet  *) 

DiiTerenz 

Zn  1  ZnS04  |  AggSO^  |  Ag     .... 

Cd  1  CdS04  1  AgjSO*  1  Ag     .... 

s  Ca  1  CUSO4  1  Ag2S04  1  Ag     .... 

f       1,374 
l       1,358 

i       1,035 
\        1,039 

f       0,336 
\       0,369 

1,712 
1,680 

1,382 
1,355 

0,712 
0,699 

—  0.344) 

—  0,322/ 

—  0,347) 

—  0,315J 

—  0,376 

—  0,330 

^)  Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  564.  Man  vergleiche  dagegen  die  Heimholte 'sehe 
Entwickelung,  nach  welcher:  t.(>f  -|-  w)  =  Ki  —  K^  (und  nicht  =  ac  .  /Tj  — y*^ 
ist,  in  unserem  Paragraph  18,  S.  711,  Gl.  38). 

*)  Die  oberen  Zahlen  rühren  von  Braun  her,  die  unteren  von  A.  Wright, 
Phil.  Mag.  Ser.  5,  Bd.  14,  S.  202  u.  s.  f. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    719 

b.  Ketten,  deren  electromotorische  Kraft  grösser  ist,  als  die  ans  den 

Wärmetonnngen  berechnete. 


Electromotorische  Erafl  (D.  —  l) 

beobachtet 

berechnet 

Differenz 

Pb  1  Pb  AI3 

,CaAl2      Cu      .... 

0,451 

« 
0,310 

+  0,141 

Cd  1  CdS04 

FeS04     Fe      .... 

0,096  (?) 

—    0,072 

+  0,17 

Zn     ZDSO4 

FeSO^  1  Fe      .... 

0,40  (?) 

0,26 

+  0,14 

Zn  1  ZnBr^ 

CaBra   1  Cu      .... 

1,06 

1,00 

+  0,06 

Ag  1  AgNOs 

HNO3  1  PtCl^  1  Pt      . 

0,073  bis  0,14 

—  30,6 

+  0,37  bis  0,44 

Hiemnter  finden  sich  auch  zwei  Beispiele,  in  welchen  die  Vorzeichen 
der  berechneten  nnd  beobachteten  electromotorischen  Kraft  entgegen- 
gesetzt sind. 

Unzweifelhaft  sind  die  Unterschiede  zwischen  beobachteten  nnd  be- 
rechneten Werthen  zumeist  zu  gross,  nm  durch  unvermeidliche  Messungs- 
fehler  erklärt  werden  zu  können.  Es  fehlt  jedoch  an  einer  genauen 
Untersuchung  der  in  den  Ketten  durch  den  chemischen  Process  gebilde- 
ten Producte,  und  es  liegt  daher  die  Vermuthung  nahe,  dass  die  chemi- 
schen Vorgänge  wesentlich  anders  verlaufen  sind,  als  bei  Berechnung 
der  electromotorischen  Kraft  aus  den  Wärmetönungen  angenommen  wor- 
den ist. 

Als  eine  wesentliche  Voraussetzung  f&r  die  Anwendbarkeit  des 
Satzes,  dass  die  von  einer  Kette  entwickelte  electrische  Energie  der  con- 
sumirten  potentiellen  Energie  der  Affinität  äquivalent  sei,  hat  J.  Thom- 
sen^)  die  Bedingung  vorangeschickt,  dass  in  der  offenen  Kette  keine 
chemischen  Reactionen  eintreten  können,  sondern  dass  dies  erst  bei 
Schluss  derselben  geschieht,  ferner  dass  Nebenwirkungen  ausgeschlossen 
seien ,  die  «wischen  den  ursprünglichen  und  den  durch  den  Strom  gebil- 
deten Körpern  stattfinden. 

Die  von  J.  Thomsen  nntersuchten  Ketten  genügen  diesem  An- 
sprüche ziemlich  gut  und  die  beobachteten  electromotorischen  Kräfte 
stimmen  mit  den  berechneten  fast  vollkommen  überein.  Die  von  Braun 
nntersuchten  Ketten,  welche  grosse  Abweichungen  zwischen  Beobachtung 
und  Rechnung  zeigen,  sind  zum  Theil  solche ,  bei  welchen  sich  der  Ver- 
lauf der  Reaction  nicht  von  vorn  herein  mit  Sicherheit  übersehen  lässt, 
zum  Theil  aber  auch  sind  es  solche,  welche  diesen  von  Thomsen  auf- 
gestellten selbstverständlichen  Bedingungen  nicht  genügen.  Jedenfalls 
ist  es  im  hohen  Grade  unwahrscheinlich  und  spricht  sehr  gegen  die 
Braun'sche  Hypothese,  dass  in  denjenigen  Fällen,  in  welchen  es  sich  um 


^)  J.  Thomsen,  Wiedem.  Ann.  Bd.  10,  S.  259. 


720  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

einfache,  leicht  übersehbare  Reactionen  handelt,  and  bei  welcben  den 
Gültigkeitsbedingnngen  der  Aequivalenz  genügt  wird,  jedesmal  gerade 
die  eigenthümliche  Beziehung  zwischen  x  und  y  exiatirt,  daas 

X  •  Kl  —  y  •  Kq  =  Kl  '—  K% 

ist,  wenn  man  mit  Ki  und  K2  die  Wärmetönungen  der  in  der  Kette  sich 
vollziehenden,  entgegengesetzt  verlaufend en  Reactionen  bezeichnet. 

*  Die  lediglich  aus  Elementen  zusammengesetzten  Ketten,  welche  wir  im 
Paragraph  16  besprochen  haben,  sind  endlich  die  überzeugendsten  Wider- 
legungen und  beweisen,  dass  wenigstens  für  die  von  Exner  untersacliteD 
Brom-  und  Jod  Verbindungen,  also  wieder  für  einfache,  leicht  übersehbare 
Reactionen,  x  =  y  =  1  ist^). 

Mindestens  ist  es  hiernach  sehr  unwahrscheinlich,  dass  die  Brau  na- 
sche Ansicht  richtig  ist,  und  man  wird  so  lange  die  Beweiskraft  seiner 
Versuche  bestreiten  können,  bis  von  ihm  nachgewiesen  worden  ist,  dass 
die  chemischen  Reactionen  in  den  untersuchten  Ketten  wirklich  auch  so 
verlaufen  sind,  wie  bei  Berechnung  der  electromotorischen  Kräfte  aus  den 
Wärmetönungen  von  ihm  angenommen  worden  ist.  Bei  genauer  Unter- 
suchung wird  sich  wohl  überall  ergeben,  dass  die  primären  Zersetznngs- 
producte  anderweite  Umsetzungen  erfahren  haben,  und  dass  dadurch  die 
electromotorische  Kraft  beeinflusst  worden  ist.  Es  ist  zumeist  ziemlich 
schwierig  sich  eine  vollständig  zutreffende  Vorstellung  von  all  den  Reac- 
tionen zu  bilden,  die  in  einem  Elemente  oder  einer  Zersetzun^rszelle 
sich  vollziehen.  Die  Thermochemie  hat  ausreichend  gezeigt,  wie  der 
Verlauf  der  chemischen  Processe  auch  in  quantitativer  Beziehung'  von 
der  relativen  Menge  der  Stoffe,  Temperatur,  Wirkungsdauer,  Goncentra- 
tion  etc.  abhängt. 

Man  kann  zugeben,  dass  die  vollständige  Umsetzung  der  poten- 
tiellen Energie  der  Affinität  in  electrische  Energie  nur  in  seltenen  Fällen 
erreichbar  sein  wird,  da  secundäre,  nicht  vollkommen  umkehrbare  Phäno- 
mene fast  nie  vollkommen  ausgeschlossen  werden  können ;  deshalb  braucht 
man  jedoch  noch  lange  nicht  der  Grundannahme  Braun's  beizustimmen, 
dass  nur  ein  für  jede  Verbindung  charakteristischer  und  für  diese  Sub- 
stanz constanter  Bruch theil  der  durch'  die  Wärmetönung  ausgedrückten 
potentiellen  Energie  in  electrische  Energie  umsetzbar  sei. 


')  Diese  Versuche  würden  auch  die  Hilfgmittel  abgegeben  haben,  um  die  Wertlic 
von  X  und  y  in  einigen  Fällen  zu  berechnen.  Dies  wäre  um  so  mehr  möglich  gewesen, 
als  die  Arbeit  Exner 's  bereits  über  ein  halbes  Jahr  vor  dem  Abschluss  der  Braun'- 
sehen  Arbeit  erschienen  war  (Exner  1.  Juli  1881  und  Braun  März  1882). 


E.   Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    721 


23.    Sclilussbetraohtungen  über  die  Beziehung  zwischen 
Arbeit  und  electromotorisoher  Kraft  0- 

Schliesst  man  eine  constante  Kette  durch  einen  Leiter,  so  yer- 
"wandelt  sich  unter  den  früher  mitgetheilten  Bedingungen  die  vom  chemi- 
schen Processe  consumirte  potentielle  Energie  yollständig  in  Wärme.  Ist 
T  die  Zeit,  welche  erforderlich  ist,  um  die  einem  Gramm  Wasserstoff 
fiquiTalente  Menge  der  reagirenden  Stoffe  (ein  Aequivalent)  in  Wechsel- 
-wirkung  treten  zu  lassen,  ferner  F  die  electromotorische  Kraft  der  Kette, 
i  die  Stromstärke  und  Q  die  in  der  Secunde  nach  dem  Joul ersehen 
Gesetze  in  Kette  und  Leiter  im  Ganzen  entwickelte  Wärmemenge  und  K 
die  algebraische  Summe  sämmtlicher  im  Elemente  geleisteten  chemischen 
Arbeiten,  so  ist 

K=  Q  .  T=F  .i  .  T 39) 

und  diese  Gleichung  ist  vollständig  identisch  mit  der  früher  von  uns 
aufgestellten  Gleichung  16),  Seite  632. 

Wird  nun  in  jeder  Secunde  im  Leiterkreise  vom  Strome  eine  Arbeit 
q  geleistet,  so  wird  die  Stromstärke  auf  «',  die  electromotorische  Kraft 
auf  F\  die  per  Secunde  nach  dem  Joule 'sehen  Gesetze  im  gesammten 
Leiterkreise  erzeugte  Wärme  auf  Q'  sinken  und  zum  Verbrauch  von  je 
einem  Aequivalente  im  Elemente  wird  nunmehr  eine  Zeit  T'  erforderlich 
sein.     Alsdann  ist: 

K=  Q'  .  r  +  q  .  r  =  F\f  .  r  +  q  .T'   .     .     40) 

und  diese  Gleichung  ist  identisch  mit  der  früher  von  uns  aufgestellten 
61.  17),  S.  632.    Setzt  man: 

q.  r  =  S, 

so  ist  8  die  Arbeit,  welche  der  Strom  leistet,  während  je  ein  Aequivalent 
der  Verbindung  im  Elemente  gebunden  und  zersetzt  wird.  Durch  Divi- 
sion der  letzten  Gleichungen  durch  K  findet  man  unter  Rücksicht  auf 
Gl.  39): 

,^r.f.r     8^  ......  41) 

F.i  .  T    ^  K  ^^ 

Da  nun  aber  (man  sehe  auch  S.  633,  Z.  21  v.  o.)  die  Zeit,  welche 
erforderlich  ist,  um  ein  Aequivalent  (Zu  zu  lösen,  Gn  niederzuschlagen 
im  Daniel  loschen  Elemente)  zu  consumiren,  immer  der  Stromstärke 
umgekehrt  proportional  ist,  so  muss  stets: 

i  .  T=i'  .  r 42) 


^)  Man  vergleiche  den  interesmiiten  Anfsata  von  Colley:  Ueber  die   in  einem  ge> 

schlossenen    Stromkreise    geleistete   Arbeit    äusserer  Kräfte.  Wiedem.    Ann.    Bd.    16, 
S.  39  bis  56. 

Bflhlmann,  Meehan.  Wftrmetheorie.    Bd.  IL  ^ 


722         III. ,  Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 
Bein.     Mit  Rücksicht  darauf  folgt  aus  Gl.  41): 

A=E.^ZJ1 43) 

Alsdann  ist  F  —  F*  die  electromotorische  Gegenkraft  9)^  welche 
die  vom  Strome  geleistete  Arheit  im  Leiterkreise  erzengt. 

Die  Grösse  9  ist  negativ,  wenn  eine  positive  Arheit  vom  Strome  ge- 
leistet wird;  hingegen  ist  q>  positiv,  wenn  im  Leiterkreise  eine  Arbeit 
von  äusseren  Kräften  geleistet  wird. 

Die  Richtigkeit  dieses  Satzes,  der  eine  einfache  Conseqaenz  des 
Satzes  von  der  Constanz  der  Energie  ist,  wurde  durch  die  vorhergehen- 
den Abschnitte  bereits  in  mehreren  Fällen  sicher  constatirt.  Wir  haben 
ihn  bewiesen  für  den  Fall,  dass  es  sich  um  das  Treiben  eines  electro- 
magnetischen  Motors  handelt,  in  dem  Abschnitte  D  (Induction).  Wir 
haben  dessen  Gültigkeit  femer  gezeigt,  wenn  es  sich  um  die  Zersetzung 
eines  Electrolyten  handelt;  es  geschah  dies  nahezu  in  jedem  der  vorher- 
gehenden Paragraphen  des  Abschnittes  E.  Handelt  es  sich  um  eine 
electrische  Endosmose,  bei  welcher  Niveauveränderungen  schwerer  Flüs- 
sigkeiten eintreten,  so  ist  die  electrische  Energie  der  von  Quincke  ent- 
deckten Diaphragmenströme  der  Vorgang,  welcher  der  Arbeitsleiatong 
äquivalent  ist^). 

Die  Gleichung  43)  können  wir  auch  in  der  Form  schreiben: 

l  =  -| ^*) 

Dann  liegt  es  nahe,  nach  der  physikalischen  Bedeutung  dieser  con- 

F  w 

stauten  Quotienten  -=  und  -^  zu  fragen. 

Es  ist  nun  K  eine  Arbeits-,  eine  Energiemenge,  F  eine  Potential- 
differenz und  bekanntlich: 

K  =  F  .  M 45) 

wenn  M  die  Electricitätsmenge  bezeichnet,  welche  den  Leiterkreis  dnrch- 
fliesst,  während  die  Arbeitsmenge  K  im  Elemente  consumirt  wird. 
Betrachten  wir  die  in  der  Zeiteinheit  durch  den  Leiterkreis  fliesaende 
Electricitätsmenge,  so  ist  Jlf  identisch  mit  der  Stromstärke  i,  denn  Strom- 
stärke ist  die  durch  jeden  Querschnitt  des  Leiterkreises  per  Secnnde 
fiiessende  Electricitätsmenge  '). 

Treten  mehrere  Arbeitsleistungen,  Su  Sj,  S3  etc.,  in  dem  Leiterkreise 
auf  und  sind  die  entsprechenden  electromotorischen  Kräfte  qpi,  9>2,  ^^etc^ 
so  ist  auch: 

—  =:  —  =  —  =  ...=Af 
F        9i         Vi 

^)  Man  sehe  Quincke,  Pogg.  Ann.  Bd.  113,  S.  513;  vergl.  aach  CoUev,  Po«. 
Ann.  Bd.  157,  S.  405. 

^)  Diese  Gleichung  45)  ist  demnach  identisch  mit  Gl.  13),  S.  631,  wobei  m  =  / 
gesetzt  ist,  weil  wir  annehmen,  dass  alles  in  gleichartigen  Einheiten  (g,  em,  «ee)  aus- 
gedrückt ist. 


E.    Die  mechanische  Theorie  d.  electrochem.  Erscheinungen.    723 
somit  auchr 

^  i  9i  i  Va  i  9^3  i  *  •  • 


wof&r  wir  kürzer  Bchreiben: 

ZK 
ZF 


=  M 46) 


Da  wir  nun  bei  unseren  Betrachtungen  stets  annehmen,  dass  eine 
bestimmte  constante  Electricitätsmenge  M  den  Leiterkreis  durchwandert 
(zumeist  setzt  man  der  Einfachheit  wegen  M  =  1),  so  folgt  daraus, 
dass  jede  Aenderung  von  2K  eine  entsprechende  Aendemng  des  Poten- 
tialniveaus  £F  bedingt. 

Sind  die  ursprünglich  von  uns  betrachteten  Grössen  F  und  K  beide 
Null,  so  bleibt  die  Gleichung  46)  ungeändert,  man  erkennt  daraus,  dass 
die  electromotorische  Kraft  (p  eine  durchaus  selbstständige,  von  der  An- 
wesenheit oder  Abwesenheit  von  K  und  F  unabhängige  Existenz  hat, 
deren  Grosse  und  Vorzeichen  lediglich  durch  S  bedingt  wird.  Die  in  der 
Zeiteinheit  geleistete  Arbeit  q  hängt  wesentlich  von  der  electromotori- 
sehen  Erafb  der  ursprünglich  wirkenden  Kette,  von  F  ah]  8  jedoch  ist 
davon  ganz  unabhängig.     Es  ist  nämlich: 

TP  ^—    tn 

q  =  q>.i'=(p — 47) 

Da  nun: 

S  =  g  .  T'  =  9)  .  t'  .  T' 48) 

nnd  ^  ,  T'  =  M  und  M  eine  constante  Electricitätsmenge  ist,  so  wird 
aus  der  Formel  für  S  somit  F  und  B  ganz  eliminirt. 

Auf  alle  Fälle  muss  man  annehmen,  dass  £K  eine  positive  Grösse 
sei.  Wäre  2JK  negativ,  so  handelte  es  sich  also  in  einer  Kette  um  eine 
freiwillige  (endothermische)  Reaction ,  bei  der  Wärme  absorbirt  würde  ^). 
Wäre  eine  solche  im. Stande,  einen  Strom  zu  erzeugen,  so  müsste  der 
Strom  im  gesammten  Schliessungskreise  von  einer  Wärmeabsorption  be- 
gleitet sein.     Das  ist  nach  dem  Joule 'sehen  Gesetze  aber  unmöglich. 

Als  ein  Beispiel,  dass  2K  nicht  negativ  sein  kann,  haben  wir  z.  B. 
(in  Paragraph  5,  S.  677)  schon  den  Fall  erwähnt,  dass  ohne  Mithülfe 
secundärer  Processe  (Occlusion,  Convection)  Wasser  nicht  durch  eine 
Kette  zersetzt  werden  kann,  deren  electromotorische  Kraft  kleiner  als 
1,36  Daniell  ist. 

Auf  Grund  der  Formel  46): 

SK 


£F 


=  Cond, 


kann  man  behaupten,  dass  jede  Aenderung  des  Arbeitswerthes  SK,  die 
sich  im  geschlossenen  Leiterkreise  vollzieht,  einer  Aenderung  von  SF 

^)  Braun  glaubt  solche  gefunden  zu  haben.     Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  570. 

46* 


724  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

entsprechen  muss,  und  es  liegt  kein  Grund  vor,  aus  dem  man  BcblieBaen 
müBste,  dasB  nur  chemische  Arheiten  allein  Aenderungen  von  2^F  bewir- 
ken können.  Jede  Arbeit,  die  sich  an  der  Berührungsfläche  zweier 
Substanzen  vollzieht,  mag  diese  Arbeit  eine  rein  chemiscbe,  oder  mag 
diese  Arbeit  eine  physikalische  sein,  mag  sie  z.  B.  6ine  Gasverdich- 
tung oder  Occlusion,  eine  Dichtenändernng ,  eine  Arbeit  von  Capillar- 
kräften  oder  die  Losreissungsarbeit  electrischer  Schichten  durch  Flüssig- 
keitsströme  sein,  wird  Ursache  einer  electromotorischen  Kraft  sein  können. 
Jedesmal  wenn  bewegliche  Theile  eines  dielectrischen  Mittels,  gleichviel 
ob  dies  eine  Electrolyt  ist  oder  ein  Element,  als  Trager  getrennter 
Electricitaten  auftreten  und  diese  fortführen,  kann  ein  dauernder  Strom 
entstehen.  Jede  Ursache,  welche  den  Körperatomen  eine  gewisse,  mit 
einer  bestimmten  bevorzugten  Richtung  zusammenhängende  Beweg^nng 
ertheilt,  gleichviel  welcher  Natur  die  Bewegungsursache  ist,  bringt  eine 
der  consumirten  Arbeit  äquivalente  electromotorische  Kraft  hervor  ^). 

Wir  sehen  aber  auch  andererseits  aus  obiger  Gleichung,  dass  keine 
electromotorische  Kraft  bestehen  kann,  die  nicht  einer  stetigen  Arbeit 
irgend  welcher  Kräfte  entspricht. 

Ist  der  Leiterkreis,  auf  den  sich  unsere  Betrachtungen  bezieben,  ge- 
schlossen, so  tritt  in  dem  offenen  Leiterkreise  an  Stelle  des  Stromes  eine 
Potentialdifferenz  auf. 

Als  Schluss  der  gesammten  vorstehenden  Betrachtungen  können  wir 
einen  Satz  aufstellen,  welcher  nur  ein  specieller  Fall  des  allgemeinen 
mechanischen  Principes  ist,  dass  jedes  materielle  System,  in  welchem 
Kräfte  thätig  sind,  stets  strebt,  unter  gleichzeitiger  Verrichtung  positiver 
Arbeit  in  eine  stabile  Gleichgewichtslage  überzugehen.  Dieser  Sati 
lautot:  Wenn  in  einem  geschlossenen  Leiterkreise  chemische  oder  andere 
Kräfte  eine  Arbeit  leisten  können ,  so  ist  das  Vorzeichen  der  entstehen- 
den electromotorischen  Kraft  so  beschaffen,  dass  die  Gesammtarbeit 
positiv  ausfällt.  Die  Grösse  der  electromotorischen  Kraft  ist  dieser 
Arbeit  proportional  *). 


F.    Thermoelectricität. 


1.  Allgemeines  und  Hlstorlsohes. 

Bisher  ist  von  uns  angenommen  worden,  dass  der  vom  Strome  dorch- 
floBsene  Leiter  homogen  sei,  und  es  fragt  sich,  was  geschieht,  wenn  diese 
Homogeneität  nicht  mehr  stattfindet?    Die  Antwort  hierauf  ist  durch  den 


^)  Hierher   gehören   auch  die  Versuche  von  Colley  über  electriAche  Strome,    her- 
vorgebracht durch  beschleunigte  Bewegung  der  Elektrolyten.    Wiedem.  Ann.  Bd.  17,  S.  53. 
3)  Colley,  Wiedem.  Ann.  Bd.  16,  S.  53. 


F.    Thermoelectricität.  725 

Versucli  zuerst  von  Peltier^)  gegeben  worden.  Peltier  liess  einen  aas 
zwei  verschiedenen  Metallen  zusammengelötheten  Leiter  von  einem  Strome 
durchfliessen  und  beobachtete,  dass  die  Temperatur  der  Lothstelle  minder 
hoch  sei,  als  die  der  benachbarten  Stellen,  wenn  man  den  Strom  in  einer 
bestimmten  Richtung  hatte  hindurchgehen  lassen.  Die  Lothstelle  erwärmt 
sich  hingegen  mehr  als  die  Umgebung,  wenn  der  Strom  in  entgegen- 
gesetztem Sinne  durch  den  Leiter  strömt.  Diese  Thatsache  steht  nun  in 
ursächlichem  Zusammenhang  mit  der  schon  früher  (1823)  von  Seebeok') 
entdeckten  Thatsache,  dass  wenn  die  beiden  Löthstellen  eines  aus  zwei 
verschiedenen  Metallen  zusammengesetzten  geschlossenen  Leiterkreises 
verschiedene  Temperatur  haben,  in  diesem  Leiterkreise  ein  eleotrischer 
Strom  circulirt,  dessen  Richtung  und  Intensität  von  der  Qualität  der 
beiden  Metalle  und  von  der  TemperaturdifTerenz  der  Löthstellen  abhängt. 
Für  geringe  Temperaturdifferenzen  sind  die  Grössen  dieser  thermoelec- 
tromotorischen  Kräfte  der  Temperaturdifferenzen  der  Löthstellen  nahezu 
proportional.  Für  grössere  Temperaturdifferenzen  hört  diese  Proportio- 
nalität jedoch  bei  allen  Metallcombinationen  vollständig  auf. 

Man  bezeichnet  als  thermoelectrisch  positiv  bekanntlich  dasjenige 
Metall,  zu  welchem  durch  die  auf  der  höheren  Temperatur  befindlichen 
Löthstellen  der  positivelectrische  Strom  hinströmt.  Als  positivstes  Metall 
in  diesem  Sinne  ist  nahezu  übereinstimmend  Wismuth  gefunden  worden« 
In  ihm  ffiesstder  positive  thermoelectrische  Strom  somit  von  der  wärme- 
ren zur  kälteren  Lothstelle.  Am  entgegengesetzten  Ende  der  thermo- 
electrischen  Reihe  steht  Antimon.  Die  relative  Stellung  der  Metalle  und 
Legirungen  für  sehr  kleine  Temperaturdifferenzen  ist  jedoch  je  nach 
der  Höhe  der  Temperatur  sehr  verschieden  ^). 

Ganz  analog  den  bei  der  electrischen  Spannungsreihe  beobachteten 
Erscheinungen  hat  man  auch  bezüglich  der  thermoelectrischen  Reihe  ge- 
funden, dass  die  electro motorische  Kraft  irgend  zweier  Metalle  der  Reihe 
gleich  der  Summe  der  electromotori sehen  Kräfte  aller  Zwischenglieder 
ist,  vorausgesetzt,  dass  die  Temperaturen  der  Löthstellen  dieselben  sind. 

Durch  das  Peltier'sche  Phänomen  wird  an  der  wärmeren  Lothstelle 
Wärme  absorbirt  und  an  der  kälteren  Lothstelle  W^rme  entwickelt. 

Man  kann  beide  Erscheinungen  in  einen  Satz  zusammenfassen,  wenn 
man  sagt:  Die  Wärmeentwickelungs-  und  Absorptionsprocesse,  welche  an 
den  Löthstellen  zweier  zu  einem  Leiterkreise  verbundenen  und  von  einem 
Strome  durchflossenen  Metalle  stattfinden,  sind  stets  derart,  dass  sie  einen 
Thermostrom  hervorzurufen  streben,  welcher  dem  Hauptstrome  entgegen- 

1)  Peltier  (1834),  Ann.  de  cbim.  et  de  phys.  Bd.  56,  S.  371  und  Pogg.  Ann. 
Bd.  43,  S.  324.     Bei  Peltier  ist  jedoch  die  Stromricbtung  verkehrt  angegeben. 

3)  Seebeck,  Denkschriften  der  Berliner  Academie,  1822  u.  1823;  auch  Qilbert'g 
Ann.  Bd.  73,  S.  115  n.  430;  Pogg.  Ann.  Bd.  6,  S.  1,  133  u.  253. 

^)  Eine  sehr  vollständige  Zasammenstellung  aller  auf  die  thermoelectrische  Reihe 
bezüglichen  Versuche  findet  man  in:  G.  Wiedemann,  Electricit&t  Bd.  2,  S.  247 
u.  415  (Friedrich  Vieweg  u.  Sohn,  Braunschweig,  3.  Aufl.,  1883). 


726  lU.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

wirkt  und  diesen  Bchwächt.  Nicht  unzweokmässiger  Weise  hat  daher 
Budde  ^)  für  diese  Vorgänge  den  Ausdrack  thermoelecirische  Polari- 
sation in  Yorsohlag  gehracht. 

Die  thermoelectrischen  Erscheinungen  und  ihr  Zusammenhang  mit 
den  Grundanschauungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  liegt  auf  der 
Hand.  Wenn  die  Löthstellen  zweier  verschiedenen  Electricitätsleiter  auf 
ungleiche  Temperatur  gehracht  werden,  circulirt  durch  den  gesammten 
Leiter  ein  Strom,  dieser  aher  ist  an  der  höher  erwärmten  Löthstelle  fort- 
dauernd mit  einem  Verbrauch  yon  Wärme  verbunden.  Gleichzeitig  strebt 
der  erzeugte  thermoelectrische  Strom  die  kältere  Löthstelle  zu  erwärmeo. 
Es  findet  also  ein  Verbrauch  von  Wärme  statt,  und  für  dieselbe  tritt  als 
Aequivalent  ein  electrischer  Strom  auf.  Man  kann  hiernach  auf  die 
thermoelectrischen  Vorgänge  den  ersten  Hauptsatz  anwenden.  Ausser- 
dem aber  findet  ein  Uebergang  von  Wärme  von  höherer  Temperatur  in 
Wärme,  von  niederer  Temperatur  statt,  da  an  der  kälteren  Löthstelle 
fortwährend  Wärme  absorbirt  wird.  Da  mit  Rucksicht  auf  das  P eitler '- 
sehe  Phänomen  der  Vorgang  ausserdem  als  ein  umkehrbarer  angesehen  wer- 
den kann ,  so  darf  auch  der  zweite  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärme- 
theorie, der  Satz  von  der  Aequivalenz  der  Verwandlungen,  auf  die  thermo- 
electrischen Vorgänge  angewendet  werden. 

•Die  erste  Behandlung  der  Angelegenheit  rührt  von  Thomson') 
(1851)  her;  unabhängig  von  ihm  und  selbstständig  hat  wenig  später 
(1854)  Clausius')  die  Aufgabe  in  Angriff  genommen.  Wir  werden 
zuerst  die  ältere  Theorie  von  Thomson  folgen  lassen  und  hierauf  die 
abweichende  Methode  darlegen,  durch  welche  es  Clausius  gelungen  ist, 
eine  befriedigende  Darstellung  der  durch  die  Erfahrung  gegebenen  That- 
sache  zu  gewinnen. 


2.   Der  experimentelle  Nachweis  des  Peltier'schen 

Phänomens. 

Bekanntlich  gelingt  es  leicht,  die  thermoelectrischen  Vorgänge  zu 
zeigen  und  deren  Gesetze  zu  beweisen.  Schwieriger  ist  es  hingegen,  die 
Umkehrung  derselben,  die  thermoelectrische  Polarisation  und  deren  Ab- 
hängigkeit von  Stromstärke  und  Qualität  der  sich  berührenden  Metalle 
zu  ermitteln,  da  infolge  der  beträchtlichen  Erwärmung  des  gesammten 
Leiters  nach  dem  Joule 'sehen  Gesetze  die  geringen  Temperaturdifferenzen 
der  beiden  Löthstellen  schwer  nachzuweisen  sind. 


J)  Pogg.  Ann.,  Bd.  153,  S.  343. 

^)  Thomson,  Proceedings  of  the  Roy.  Soc.  of  Edinbarg,  Decemberhetl  1851,  and 
Philos.  Mag.  (1852);  ferner  Philos.  Transact.  1856,  Bd.  146,  S.  649,  4.  Ser.,  Bd.  HI, 
S.  529  bis  535.  Auch  On  a  mechanical  theory  of  thermoelectric  cuiTents.  Phil.  Mag. 
4.  Ser.,  Bd.  3,  S.  529. 

')  Clausius,  Pogg.  Ann.  Bd.  90,  S.  513. 


F.  Thennoelectricität  727 

Peltier  bedien^te  aich,  niu  zunächst  venigateoB  qnolitotiT  iaa  Ton 
ihm  entdeckte  Phänomen  n achza weise d  ,  mit  Vortheil  seiner  thermoeleo- 
triachen  Zange  (siehe  Fig.  55)  und  wendete  dieselbe  bei  den  zu  nnter- 
Fig.  55,  Bacheuden   Lettern    an.      Diese 

Z&nge  besteht  ans    zwei    Wis- 
mathantimon-Paaren,  von  duuen 
die     beiden     Wismuthelemente 
.  Bi,  Si  durch  einen  Draht  verbnn- 
den  sind  nnd  die  beiden  Antimon- 
elemente  86,  Sb  mit  einem  Gal- 
vanometer G  in  leitender  Ver- 
bindung    stehea.       Wenn    der 
zwischen  beiden  Paaren  befind- 
liche Leiter  AB  sich  zo  erwär- 
men beginnt,  so  üben  die  beiden 
tbermoelectriBchen  Paare  eine  gleichsinnige  Wirkung  aus,  und  die  Ab- 
lenkang  der  Galranometemadel  misst  die  Intensität  der  Erwärmung  an 
der  Stelle,  an  welcher  sich  die  tliermoelectriaclie  Zange  gerade  befindet. 
Auch  hat  sich  Peltier  bei  seinen  UnterBuchungen  eines  Apparates 
bedient,  der  dem  Rnmford'Ecben  Difierentislthermometer  sehr  ähnlich 
ist.     In  jede  der  beiden  Kugeln  hinein  ragte  eine  Löthsteile  eines  Wis- 
muthantimonpaares.    Der  Strom  trat  ein  in  eine  Wisrauth-Antimon-Löth- 
stejle  (siehe  Fig.  56)  nnd  ging  dann  zu  einer  Antimon- Wismuth-Löth- 
atelle    des    anderen    Elementes. 
^'S-  ^^-  An  der  einen  Stelle  fand  daher 

Abkühlung  und  am  anderen 
Elemente  Erwärmung  statt,  und 
beide  Wirkungen  veranlasBten 
eine  Verschiebung  dea  Iudex  a 
des  Differeutialthermometera  in 
dem  gleichen  Sinne. 

Man  kann  ohne  Besohran- 

'  kung  annehuen,  dass  der  einen 

heterogenen    Leiter    durchäiea- 

sende  Stcom   durch  Indactions- 

wirknngen  erzeugt  sei.  Die  während  eines  unendlich,kleinen  Zeitabachnittes 

dt  aufgewendete  mechanische  Energie  ist  aladann  (man  aehe  Bd.  2,  D., 

S.  623,  Gl.  4): 

m.F.i.dt. 

Hierin  iat  F  die  electromotoriache  Kraft  der  Inductionavrirkung, 
t  die  erzeugte  Stromstärke,  m  eine  tou  den  gewählten  Einheiten  abhängige 
Con  staute. 

Dies  iat  auch  daa  mechanieche  Aeqnivaleut  der  entwickelten  Wärme- 
menge.     In  dieser  Wärmemenge  aber  hat  mau  zwei  Theile  zu  unter- 


728  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

scheiden,  einen  Theil  Q-dt^  welcher  nach  dem  Joule 'sehen  Gesetze  ent- 
wickelt worden  ist,  und  einen  anderen  Theil  £q.dij  das  sind  die  posi- 
tiyen  und  negativen  Wärmemengen,  welche  an  den  Berührungastellen 
der  verschiedenen  Metalle  frei  werden. 

Lässt  man  beiderseitig  dt  weg,  so  gelangt  man  zu  der  Gleich ongf: 

J.(Q  +  i:q)  =  m.F.i 1) 

Andererseits  entsteht  an  jeder  Berührungsstelle  yerschiedenartiger 
Metalle  infolge  der  Temperaturänderungen  eine  therm oelectromotorische 
Kraft,  welche  entweder  positiv  oder  negativ  gerechnet  werden  nmss,  je 
nachdem  sie  mit  F  gleichsinnig  oder  dieser  entgegengesetzt  ist.  Wir 
wollen  diese  thermoelectrischen  Kräfte  unter  der  symbolischen  Bezeich- 
nung £h  zusammenfassen.  Bezeichnet  ausserdem  2JX  den  gesanamten 
Widerstand  des  vom  Strome  durchflossenen  Leiterkreises,  so  hat  man 
nach  dem  Ohm' sehen  Gesetze: 

Da  Q  die  nach  dem  Joule' sehen  Gesetze  entwickelte  Wärmemenge 
ist,  so  gilt  für  diese  Grösse  die  Gleichung: 

J.Qz=m.iKi:X 3) 

oder  wenn  man  für  einen  der  Factoren  i  in  t*  seinen  Werth  aus  der 
vorhergehenden  Gleichung  einsetzt: 

J.Qz=m.i.(F  +  Zh) 4) 

Setzt  man  dies  in  die  Gleichung  1)  ein,  so  findet  man: 

J.Uq  +  m.i.£h=:0 5) 

Diese  Gleichung  gestattet  zwei  wichtige  Schlussfolgernngen : 

1)  Nimmt  man  an,  der  gesammte  Leiterkreis  sei  in  ein  Calorimeter 
eingetaucht,  dessen  Wassermasse  genügend  gross  ist,  so  dass  keine  er- 
heblichen Temperaturveränderungen  eintreten  und  kein  Theil  des  Leiters 
eine  merklich  höhere  Temperatur  besitzen  kann,  als  der  andere,  so  muss 

sein.     Daraus  aber  folgt  alsdann  sofort: 

2a  =  0. 

So  lange  also  die  Temperatur  der  verschiedeneu  Theile  des  Leiters 
sehr  nahe  constant  ist,  findet  zwischen  der  von  den  Löthstellen  entwickel- 
ten und  absorbirten  Wärmemenge  eine  vollständige  Compensation  statt. 
Daraus  kann  man  den  für  die  experimentelle  Praxis  wichtigen  Schluss 
ziehen,  dass  bei  jedem  richtig  angestellten  calorimetrisohen  Versncfae 
zur  Demonstration  des  Joule 'sehen  Gesetzes  von  den  thermoelectrischen 
Wirkungen  an  den  Berührungsstellen  verschiedener  Metalle  abgesehen 
werden  kann. 


F.    Thermoelectricität.  729 

2)  In  der  Gleichung: 

m.F.i  =  mJ.(F  +  £h)  +  J.Zq 6) 

kann  die  Grösse  £h  gegen  ^  auf  der  rechten  Seite  vernachlässigt  werden, 
da  die  thermoelectrischen  Ströme  jederzeit  nur  schwach  sind.  Daraus 
-würde  dann  näherungsweise: 

2:^  =  0 

folgen.  Also  auch  in  diesem  Falle  «würde  man  ohne  wesentlichen  Fehler 
von  den  Thermoströmen  absehen  können.  Nehmen  wir  im  Besonderen 
an,  dasB  der  Leiter  nur  aus  zwei  verschiedenen  Metallen  zusammengesetzt 
sei  und  dass  die  Bedingungen  der  einen  oder  der  anderen  Voraussetzung 
genügen,  nach  welcher  ZJq  =  0  sein  muss,  so  findet  man: 

«  +  3'  =  0, 

wobei  q  die  Erwärmung  der  einen  und  g'  die  Abkühlung  der  anderen 
Löthstelle  bedeuten  würde.  Man  erkennt,  dass  dann  die  an  den  beiden 
Löthfitellen  beobachteten  Erscheinungen  einander  gerade  entgegengesetzt 
sein  würden. 

Berücksichtigt  man,  dass  die  beiden  Löthstellen  vom  Strome  bezüg- 
lich der  Aufeinanderfolge  der  an  der  Löthstelle  znsammenstossenden  Metalle 
gerade  in  entgegengesetzter  Richtung  durchflössen  werden,  so  wird 
diese  theoretische  Folgerung  durch  den  Versuch  vollkommen  bestätigt. 
Schon  Peltier  beobachtete  nämlich,  dass  wenn  ein  Strom  von  constanter 
Intensität  die  Löthstelle  eines  Thermoelementes  das  eine  Mal  in  dem 
einen.,  das  andere  Mal  in  entgegengesetztem  Sinne  durchfliesse,  Tempe- 
raturänderungen von  gleicher  Grösse,  aber  entgegengesetztem  Vorzeichen 
an  dieser  Löthstelle  hervorgebracht  werden. 


3.   Die  Versuche  von  Quintus  Icllius. 

^  Auf  experimentellem  Wege  ist  von  v.  Quintus  Icilius  ^)  der  zweite 

für  die  Theorie  der  thermoelectrischen  Erscheinungen  wichtige  Satz 
bewiesen  worden,  welcher  sich  aus  Gleichung  5)  ergiebt,  derselbe  lautet: 
„ein  electrischer  Strom,  der  einen  aus  zwei  verschiedenen  Metallen  gebil- 
\  deten  Leiterkreis  durchströmt,  bringt  zwischen  den  beiden  Löthstellen 
'vTemperaturdifferenzen  hervor,  welche  der  Intensität  dieses  Stromes  pro- 
portional sind^. 

Die  eingeschlagene  Beobachtungsmethode  beruht  auf  der  Ausführung 
folgenden  Gedankens.  Zwei  Stücke  ein  und  desselben  Metalles  werden 
mit  je  einem  Ende  mit  einer  Stange  eines  anderen  Metalles  verlöthet. 
Lässt  man  zunächst  einen  galvanischen  Strom  durch  dieses  Leitersystem 


*)  V.  Quintus  Icilius,  Pogg.  Ann.  Bd.  89,  S.  377  (1853). 


730  IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

hindarobgehen ,  so  nehmen  die  heiden  Löthstellen  yenchiedene  Temperm- 
turen  an.  Unterbricht  man  nun  plötzlich  den  Strom  und  verhindet  un- 
mittelbar darauf  das  aus  den  verschiedenen  Metallen  hestehende  System 
mit  einem  Galvanometer,  so  entsteht  infolge  der  ungleichen  Temperatur, 
welche  die  Löthstellen  angenommen  haben,  ein  Thermostrom,  dessen 
Richtang  und  Intensität  die  Art  und  Grösse  der  Tempei:atnrdiffereni 
beider  Löthstellen  zu  erkennen  gestattet. 

Um  Erscheinungen  von  grösserer  Intensität  zu  erzielen,  wählte 
V.  Quintus  Icilius  bei  seinen  Versuchen  nicht  ein  so  einfaches,  aus 
drei  Metallstücken  bestehendes  Leitersystem ,  sondern  er  verwendete  eine 
Thermosäole  von  32  Wismuthantimonpaaren.  Ein  Gommutator  gestattete 
die  Thermosäule  bald  mit  einem  Bunse naschen  Elemente,  bald  mit 
einem  Galvanometer  in  Verbindung  zu  setzen« 

Der  grosse  Vorzug  der  eingeschlagenen  Methode  lag  darin,  dass  die 
Beobachtung  der  Temperaturdifferenzen  der  Löthstellen  ganz  unabh&ngig 
von  der  Erwärmung  war,  welche  der  Leiter  als  Ganzes  nach  dem  Joui er- 
sehen Gesetze  erfahren  musste.  Immerhin  zeigte  sich  jedoch  bei  den 
Versuchen  eine  eigenartige  Schwierigkeit.  Obgleich  man  nämlich  die 
Thermosäule,  unmittelbar  nachdem  sie  vom  Strome  durchflössen  worden 
war,  mit  dem  Galvanometer  verband,  so  musste  doch  der  Strom,  welchen 
nunmehr  die  Thermosäule  hervorbrachte,  sehr  rasch  an  Intensität  ab- 
nehmen, da  sich  die  durch  den  galvanischen  Strom  erzeugte  Temperatur- 
differenz alsbald  auszugleichen  begann.  Es  handelte  sich  im  vorliegenden 
Falle  demnach  darum,  die  anföngliche  Intensität  eines  unausgesetzt  ab- 
nehmenden Stromes  zu  messen.  Die  üblichen  Methoden  gestatten  jedoch 
nur  entweder  Ströme  von  constanter  Intensität  oder  die  Electricit&ts- 
mengen  zu  bestimmen,  welche  sich  bei  Strömen  von  ausserordentlich  ge- 
ringer Dauer  ausgleichen,  v.  Quintus  Icilius  hat  diese  Schwierigkeit 
auf  folgendem  Wege  geschickt  umgangen.  Er  bestimmte  zunächst  die 
Gleichgewichtslage  der  Nadel  eines  Galvanometers  mit  Hilfe  von  vier 
Beobachtungen,  die  durch  den  Zeitraum  von  9  Secunden,  der  zu  einer 
vollständigen  Schwingung  erforderlich  war,  von  einander  abstanden. 
Hierauf  wurde  zu  einem  durch  das  Pendel  einer  astronomischen  Uhr 
markirten  Zeitpunkte  die  galvanische  Kette  mit  dem  Thermoelemente 
und  einer  Tangenten boussole  in  Verbindung  gesetzt.  Der  Ausschlag"  der 
Tangentenboussole  wurde  beobachtet  und  diente  zur  Beurtheilung  der 
Stromstärke  der  Batterie.  30  Secunden  später  wurde  durch  eine  plötzliche 
Bewegung  des  Gommutators  die  Thermosäule  mit  dem  Galvanometer  ver- 
bunden, dann  wurden  sechs  Ausschläge  der  Nadel  beobachtet.  Hierauf 
führte  man  die  Nadel  durch  die  Wirkung  eines  Magneten  in  die  Ruhelage 
zurück  und  stellte  eine  zweite  Beobachtungsreihe,  an ,  bei  welcher  man 
den  galvanischen  Strom  in  einer  der  vorigen  entgegengesetzten  Richtung^ 
durch  das  Thermoelement  hindurch  gehen  Hess.  Dieser  Hess  man  eine 
dritte  Beubachtungsreihe  folgen,  bei  welcher  der  Strom  abermals  diese 
letzte  Richtung  hatte.    Bei  einer  vierten  und  fünften  Beobachtuugsreihe 


F.   Thermoelectricität  731 

gab  man  dem  Strome  wieder  die  nrsprfingliche  RicEtung  u.  8.  f.  Nahm 
man  nun  das  Mittel  aus  einer  sehr  grossen  Anzahl  solcher  Beobachtungs- 
reihen, so  eliminirte  man  den  Einfluss,  den  ein  kleiner  Rest  der  Torher- 
gehenden  Erwärmung  ausüben  konnte.  £&  ist  leicht  einzusehen,  dass 
wenn  die  Beobachtungen  der  zweiten  Reihe  durch  Nachwirkungen  des 
ersten  galvanischen  Stromes  zu  klein  ausgefallen  waren ,  die  Beobachtun- 
gen der  dritten  Reihe  aus  den  nämlichen  Gründen  um  beinahe  ebensoviel 
zu  gross  ausfallen  mussten. 

Aus  den  auf  diese  Weise  erhaltenen  ZahTen  konnte  man  nach  Metho- 
den, welche  von  W.  Weber  herrühren,  die  mittlere  Intensität  des 
Stromes  berechnen,  welche  zwischen  zwei  aufeinander  folgenden  Maximal- 
ausschlägen der  Nadel  stattgefunden  hatte.  Man  erhielt  auf  diese  Weise 
sechs  Werthe  für  die  mittlere  Intensität  von  abnehmender  Grösse  und 
konnte  daraus  die  Strtmintensität  unmittelbar  nach  Ausschaltung  der 
Kette  und  Einschaltung  des  Galvanometers  berechnen.  Es  wurde  dadurch 
auf  das  Deutlichste  gezeigt,  dass  wenn  ein  galvanischer  Strom  durch  eine 
Thermosäule  hindui'chgeht ,  derselbe  zwischen  den  abwechselnden  Löth- 
stellen  Temperaturdifferenzen  hervorbringt,  die  seiner  eigenen  Strom- 
intensität proportional  sind. 

Die  Ungleichheit  der  Erwärmung  der  abwechselnden  Löthstellen, 
welche  ein  galvanischer  Strom  hervorbringt,  ändert  sich  also  proportional 
der  Stromintensität,  die  Erwärmung  der  von  den  Löthstellen  entfernteren 
Querschnitte  nimmt  dagegen  propoi*tional  dem  Quadrate  der  Stromintensität 
zu.  Beide  Erscheinungen  zeigen  somit  einen  vollständig  getrennten  Verlauf, 
und  es  ist  leicht  ersichtlich,  dass  in  dem  Maasse,  in  welchem  die  Strom- 
intensität zunimmt,  die  Ungleichheit  in  der  Temperatur  der  Löthstellen 
mehr  und  mehr  unmerklich  werden  muss.  Auf  diese  Weise  ist  leicht  ein- 
zusehen, warum  man  die  Abkühlung  der  Löthstellen  eines  Thermoelementes 
nur  mit  sehr  schwachen  Strömen  sicher  nachzuweisen  im  Stande  ist. 

Es  ist  inzwischen  nachgewiesen  worden,  dass  die  Proportionalität, 
welche  v.  Quintus  Icilius  experimentell  bestätigt  hat,  nur  für  Ströme 
von  geringer  Intensität  streng  besteht  ^). 


4.   Die  ältere  Thomson'sche  Theorie. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Versuche  von  v.  Quintus  Icilius,  welche  für 
schwache  Ströme  den  Satz  ergeben  haben,  dass  die  bei  dem  Peltier' sehen 
Phänomen  entwickelten  und  absorbirten  Wärmemengen  der  Strominten- 
sität proportional  sind,  kann  man  nunmehr  für  die  Grösse  27g  schreiben: 

i:q  =  ^.i 7) 

Hierin  ist  9  die  electromotorische  Kraft  des  Thermoelementes. 


^)  Man  vergleiche:  Le  Roux,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.,  Serie  3,  Bd.  10,  S.  248  u.  ff. 
Edlund,  Pogg.  Ann.  Bd.  141,  S.  404  u.  534.    Sundeil,  Pogg.  Ann.  Bd.  149,  S.  144. 


732  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Bekanntlich  hezog  sich  dies  auf  die  Annahme,  dass  der  schwacha 
Strom  einer  roagnetelectrischen  Maschine  durch  einen  aus  Tersohieden. 
artigen  Metallen  zusammengesetzten  Leiterkreis  fliesse. 

Ist  J^  die  electromotorische  Kraft  der  Indnction  und  i  wie  gewöhn« 
lieh  die  Stromintensität,  so  ist,  wenn  die  Maschine  in  Thätigkeit  ist  und 
das  ganze  System  einen  stationären  Zustand  erreicht  hat  (man  sehe 
Gleichung  1,  S.  728): 

m.F.i  =  J.(Q  —  i:q) 6) 

Diesmal  ist  £q  mit  negativem  Vorzeichen  gehraucht,  da  ¥rir  ia 
dieser  Summe  mit  positivem  Vorzeichen  Wärmemengen  einführen,  weld» 
ahsorbirt  werden. 

Ausserdem  gilt  nach  dem  Jo  nie 'sehen  Gesetze: 

J .  Q  =  9lt.t*.^A.- •       .       .      9) 

wenn  £X  den  gesammten  Leitungswiderstand   aes   ganzen  Sjstemea  be- 
zeichnet. 

Wenn  man  nunmehr  diese  Werthe  aus  Gl.  7)  und  9)  in  8)  einsetzt, 

findet  man: 

m.F  =  fn,SX.i  —  J.% 10) 

und  hieraus  ergiebt  sich: 

.  ^     m 11) 


Die  therm oelectromotoriscbe  Kraft  für  die  man  früher  .(Gleichung  2, 
S.  728)  das  Zeichen  £h  benutzte,  ist  somit: 

i:h==  — 12) 

m 

Nimmt  man  Rücksicht  darauf,  dass  an  jeder  Löthstelle  eine  der 
electromotorischen  Kraft  der  magnetelectrischen  Maschine  entgegen- 
wirkende  electromotorische  Kraft  auftritt,  so  kann  man  für  die  beiden 
Seiten  der  vorstehenden  Gleichung  schreiben: 

^.«=^.(«,  +  «,  +  ^3+  •••)    •      .      .      13) 

wenn  man  mit  sTi,  sr^,  n^  die  Wärmemengen  bezeichnet,  welche  an  den 
verschiedenen  Löthstellen  bei  den  absoluten  Temperaturen  Ti,  T^,  T3  ... 
absorbirt  werden,  wenn  die  Intensität  des  Stromes,  welcher  das  Leiter- 
system durchfliesst,  gleich  der  Einheit  ist.    Somit  ist: 

a  ==  TTi  +  »3  +  :ar3  + 14) 

und  zwar  werden  hierin  die  absorbirten  Wärmemengen  positiv  gerechnet 
und  die  abgegebenen  Wärmemengen  mit  negativen  Vorzeichen  eingeführt. 
Die  Betrachtung  der  thermoelectrischen  Vorgänge  vom  Standpunkte 
des  ersten  Hauptsatzes  aus  führt  somit  auf  den  ursächlichen  Zosammen- 
hang  zwischen  den  Gesetzen  der  eigentlich  thermoelectrischen  Erschei- 
nungen und  den  Gesetzen  der  vonPeltier  entdeckten  thermoelectrischen 
Polarisation. 


F.    Thermoelectricität.  '  733 

Die  Anwendbarkeit  des  aweiten  Hauptsatzes  auf  diese  Erscheinungen 
fordert  vor  allen  Dingen  den  strengen  Nachweis  der  Umkehrbarkeit 
Bämmtlioher  in  Betracht  zu  ziehenden  Processe. 

Ehe  wir  den  Versuch  machen  zu-  untersuchen,  auf  welche  neue 
£igenthümlichkeit  auf  thermoelectrischem  Gebiete  uns  der  zweite  Haupt- 
satz fährt,  vergegenwärtigen  wir  uns  zunächst  den  Vorgang,  durch  den 
wir  an  der  Hand  der  Thomson'schen  Entwickelung ')  die  thermoelec- 
trischen  Erscheinungen  theoretisch  zu  betrachten  begonnen  haben. 

Wir  dachten  uns  als  Electricitätsquelle  eine  um  eine  verticale  Axe 
drehbare  Kapferscheibe  SS^  auf  welcher  die  verticale  Componente  der  erd- 
xnagnetischen  Kraft  Inductionswirkungen  hervorbringt  (man  sehe  Fig.  57). 
Diese  Scheibe  wird  durch  eine  äussere  Kraft  in  Bewegung  gesetzt.   1.  Ein 

■p^^   gy  Leiterkreis  berührt  dieselbe  mit 

seinen  beiden  Enden  derart,  dass 

ein  Ende  mit  dem  Mittelpunkte 

des  anderen  mit  der  Peripherie 

in  leitender  Verbindung  ist. 

2.  Ausserdem  möge  der  Leiter- 
kreis ein  oder  mehrere  Thermo- 
elemente   enthalten.      Es    sollen 

3.  leitende  Verbindungsstücke 
vorhanden  sein,  welche  weder  ein 
inneres  noch  äusseres  Wärme- 
leitungsvermögen besitzen,    was 

übrigens  bekanntlich  in  Wirklichkeit  nicht  hergestellt  Verden  kann. 
Alsdann  haben  wir  eine  vollständig  umkehrbare  Vorrichtung  vor  uns. 
Entweder  man  setzt  durch  die  Wirkung  einer  äusseren  Kraft  die  Maschine, 
welche  den  Inductionsstrom  liefert,  in  Thätigkeit,  oder  man  erzeugt  un- 
mittelbar einen  Thermostrom  dadurch,  dass  man  die  Löthstellen  erwärmt, 
so  ist  der  Strom,  welcher  den  Leiterkreis  durchströmt  und  der  herrührt 
von  den  einander  entgegengesetzten  Wirkungen  der  electromotorischen 
Kraft  der  Induction  und  der  electromotorischen  Kraft  der  Thermoelemente, 
jederzeit  von  selbst  nur  wenig  intensiv.  Unter  diesen  Umständen  ist  der 
Vorgang  vollkommen  umkehrbar,  und  man  kann  auf  denselben  wirklich 
den  zweiten  Hauptsatz  anwenden.  Man  kann  alsdann  die  gewonnenen 
Sätze,  wenn  auch  nur  hypothetisch,  auf  den  Fall  anwenden,  der  in  der 
Wirklichkeit  allein  vorkommt,  dass  die  Leiter  Wärmeleitungsfahigkeit 
besitzen,  wenn  man  sich  auf  den  Theil  des  Vorganges  beschränkt,  welcher 
unabhängig  ist  von  der  Zerstreuung  der  Wärme  durch  Leitung. 

Ueber  die  Zulässigkeit  der  Annahme,  dass  man  bei  Behaudlung  der 
thermoelectrischen  Vorgänge  die  Wärmebewegung  durch  Leitung  ver- 
nachlässigen dürfe,  kann  nur  das  Experiment  entscheiden.     Insbesondere 


^)  Ea  ist  hierbei  vorzugsweise  die  Abhandlang :    On  a  mechanical  theory  of  thcrmo- 
electric  currenU.     Phil.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  3,  S.  529  zu  Grunde  gelegt. 


734  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

hat  in  neuerer  Zeit  F.  Kohlr^usch^)  darauf  aufmerkflam  gemacht,  dan 
man  durch  die  Annahme:  jede  Yermittelung  von  Wärme  durch  Lfeitnng  ist 
mit  einem  electrischen  Strome  noth wendig  verknüpfb  und  jeder  electrisehe 
Strom  hewegt  Wärme,  die  sämmtlichen  Erfahrungsthatsachen  über  thermo- 
electrische  Vorgänge  erklären  könne.  Freilich  hat  Glausius')  mit 
Recht  gegen  diese  Hypothese  eingewendet,  dass  Kohlrausch  für  jede 
einzelne  der  zu  erklärenden  Erscheinungen  eigentlich  eine  bisher  nocb 
unbekannte  Eigenschaft  der  Wärme  und  Electricität  anzunehmen  ge- 
nöthigt  sei,  dass  aber  eine  derselben,  nämlich  die  Voranssetzung* ,  das 
Wärme  durch  ihren  Uebergang  von  höherer  zu  niederer  Temperatur  auch 
im  Falle  der  Wärmeleitang  Arbeit  zu  leisten  im  Stande  sei,  den  bewährten 
Grundsätzen  und  Erfahrungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  wider» 
spricht. 

Nach  dem  zweiten  Hauptsätze  muss  nun: 

^f  =  0 15) 

sein. 

Betrachtet  man  nun  zunächst  den  einfachen  Fall,  dass  der  Leiter- 
kreis nur  aus  zwei  Metallen  bestehe.  Die  rotirende  Scheibe  SS^  (siehe 
Fig.  57),  welche  infolge  der  Inductionswirkungen  der  yerticalen  Compo- 
nente  des  Erdmagnetismus  eine  electromotorische  Kraft  hervorbringt, 
werde  in  ihrem  Centrum  C  und  am  Rande  D  von  Leitungsdrähten  aus 
demselben  Metalle  berührt,  aus  dem  auch  die  Scheibe  hergestellt  ist 
Diese  Leitungsdrähte  seien  bei  A  und  bei  B  mit  den  Enden  einer  Stange 
aus  einem  anderen  Metalle  verlöthet.  Die  absolute  Temperatur  sei  in  Ä 
gleich  T*  und  in  JB  gleich  T". 

Nimmt  man  zunächst  an,  die  Rotationsgeschwindigkeit  der  Scheibe 
sei  so  gewählt,  dass  die  Stromstärke  im  ganzen  Systeme  gleich  1  ist 
Alsdann  findet  an  der  ersten  Löthstelle  eine  Wärmeabsorption  statt,  und 
diese  kann  in  der  Form : 

n'  =  n{T) 16) 

dargestellt  werden,  wobei  yc{T)  eine  unbekannte  Function  der  absoluten 
Temperatur  vorstellt. 

An  der  zweiten  Löthstelle  findet  dann  eine  Wärmeentwickelung  i^' 
statt,  und  diese  muss  nunmehr  gleich: 

Ä"  =  jr(T") 17) 

sein. 

Der  Ausdruck  für  die  electromotorische  Kraft  des  entstehenden 
thermoelectrischen  Gegenstromes  besitzt  alsdann  die  Form: 

L%  =  ^\nir)-«{T")] 18) 


^)  F.  Kohlrausch,  Ueber  Thermoelectricität ,  Wärme-  und  ElectricitStsleitang. 
Pogg.  Ann.  Bd.  156,  S.  601  bis  618. 

^)  Claus  ins,  Die  mecbanische  Bebandlung  der  ElectricitiCi  (Friedrich  Yieweg 
a.  Sohn.    Braunschweig,  1879),  S.  337. 


F.    Thermoelectricität.  735 

Nach  dem  zweiten  Hauptsätze  ronss  die  Gleichung  gelten: 

'-P-'-!p  =  o ..,.,„ 

Für  jeden  beliebigen  Werth  von  T  wird  diese  Gleichung  befriedigt, 
wenn  die  unbekannte  Function  yc{T)  die  Form  hat: 

n(T)=  CT 20) 

worin  C  eine  Constante  ist.    Damit  erhielte  man  für  die  electromotorische 
Kraft  der  thermoelectrischen  Wirkungen  den  Ausdruck: 

-.«  =  -.C.(2^-.  T") 21) 

mm  ' 

Hiernach  müsste  die  electromotorische  Kraft  der  Thermostrome  pro- 
portional der  Differenz  der  absoluten  Temperatur  der  Löthstellen  für  alle 
Temperaturdiffei*enzen  und  bei  jeder  beliebigen  Metallcombination  sein. 


5.  Widerspruch  mit  der  Erfahrung,  Cumming'scher 

Versuch. 

Diese  letzte  Consequenz  wird  jedoch  durch  das  Experiment  nur  fär 
sehr  kleine  Temperaturdifferenzen  bestätigt;  hingegen  findet  man  schon 
für  massige  Temperaturunterschiede  bei  den  meisten  Metallcombination en 
erhebliche  Abweichungen.  Man  kann  nun  annehmen,  dass  die  einfache 
Annahme  (Gleichung  20): 

%(T)  =  G.T 
falsch  oder  nur  sehr  angenähert  richtig  sei  ^). 

W.  Thomson^)  jedoch  schloss  aus  diesem  Widerspruche  zwischen 
Theorie  und  Erfahrung,  dass  bei  der  formell  richtigen  Anwendung  des 
zweiten   Hauptsatzes   ein  anderweiter  umkehrbarer  Vorgang  übersehen 
sein  müsse.      Er  wurde  also  dazu  geführt    anzunehmen,  dass  in   dem 
Systeme  noch  ein  anderer  umkehrbarer  Vorgang  vorhanden  sein  müsse, 
welcher  ebenfalls  den  Sinn  seiner  Wirkung  mit  der  Richtung  des  Stromes 
wechsele.     Aus  diesem  Schlüsse  folgt  schon  an  sich,  dass  dies  nicht  die 
thermischen  Wirkungen  sein  konnten,  welche  dem  Joule' sehen  Gesetze 
folgen,  da  diese  Wirkungen  dem  Quadrate  der  Stromintensität  folgen  und 
somit  vom  Vorzeichen  der  Stromintensität  unabhängig  sind.    Thomson 
schloss,  es  müsse  somit  noch  ein  bis  dahin  noch  unbeachteter  Vorgang 
bestehen,  der  sich  vollzieht,  wenn  ein  Strom  durch  einen  Leiter  hindurch- 
geht, dessen  aufeinander  folgende  Querschnitte  verschiedene  Temperatur 
besitzen.     Dadurch  wurde  Thomson  veranlasst,  die  Existenz  eines  Vor- 
ganges zu  bestätigen,  den  man,  wie  er  selbst  schon  anderweit  gezeigt 
hat,  auch  durch  einfache  Betrachtungen  ganz  anderer  Art  hätte  voraus- 


^)  Vergl.  Capitel  13  dieses  Abschnittes. 

^)  Man  sehe:     W.  Thomson,   Ona  mechanical  theory  of  thermoelectric  currents. 
Phil.  Mag.  4.  Ser.,  Bd.  3,  S.  529  bis  535. 


736  UI.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

sehen  können.    Diese  letzterwähnten  Erwägungen  beruhen  auf  fol^^enden 
experimentellen  Thatsachen. 

Cnmm.ing^)  beobachtete,  dass  bei  manchen  Metallcombinationai 
die  Erhöhung  der  Temperatur  der  heissen  Löthstelle  genüge,   um   eine 
Umkehrung  der  Richtung  des  thermoelectrischen  Stromes  heryorzubringeiL 
Hat  man  z.  B.  einen  aus  Eisen  und  Kupfer  bestehenden  Leiterkreis  und 
erhält  eine  der  Löthstellen  auf  constanter  Temperatur ,  während  man  die 
andere  mehr  und  mehr .  erwärmt ,  so  nimmt  anfanglich  der  thermoeleo- 
trische  Strom  an  Intensität  zu,  erreicht  alsdann  ein  Maximum ,   nimmt 
hierauf  wieder  ab,  wird  Null   und  geht  schliesslich  in  einen  entg^egeo- 
gesetzt  verlaufenden  Strom  über.     Es  folgt  hieraus,  dass  die  electro- 
motorische  Kraft,  deren  Sitz  die  heisse  Löthstelle  ist,  das  Yorzeichea 
wechselt  und  bei  einer  gewissen  Temperatur  Null  ist.    Bei  dieser  Tempe- 
ratur sind  beide  Metalle  thermoelectrisch  neutral,  und  ein  Strom,  welcher 
durch  die  heisse  Löthstelle  hindurchgeht,  bewirkt  daselbst  weder  eine 
Absorption  noch  eipe  Entbindung  von  Wärme.    An  allen  übrigen  Stellen 
des  Leiterkreises  und  besonders  an  der  kühleren  Löthstelle  bewirkt  der 
Strom  eine  Wärmeentwickelung.     Es  scheint  somit«  als  ob  unter  diesen 
Umständen  an  der  kalten  Löthstelle  eine  Wärmeentwickelung  ohne   eine 
äquivalente  Verwandlung  stattfände,  und  dies  würde  dem  zweiten  Haupt- 
sätze widersprechen.    Um  diesem  Widerspruche  zu  entgehen,  hat  Thom» 
son  angenommen,  es  bestehe  eine  Wärmeabsorption,  welche  davon  her- 
rühre, dass  der  Strom  durch  einen  Draht  hindurchgehe,  dessen  Tempe^ 
ratur  ungleich  ist^).     Er  nimmt  also  an,  dass  in  einem  Leiter,  welcher 
an  verschiedenen  Stellen  verschiedene  Temperatur  besitzt^  ein  thermo- 
electrischer  Strom  bestehe,  welcher  ausser  der  allgemeinen  Wärmeent- 
wickelung,  die  allerorts  Wärmemengen  proportional  dem  Quadrate  der 
Stromintensität  entbindet,  ausserdem  eine  Wärmeabsorption  bewirkt,  die 
der  Stromintensität  einfach  proportional  ist,  ähnlich  wie  solche  an   ef 
wärmten  Berührungsstellen  verschiedener  Metalle  auftreten.    Diese  letzte 
Wirkung,    welche    der  ersten  Potenz  der  Stromintensität  proportional 
ist,  muss  mit  der  Stromrichtnng  auch  ihr  Vorzeichen  wechseln,  wie  alle 
Vorgänge,  welche  diesem  Gesetze  unterworfen  sind. 

Die  Wärmemenge,  welche  in  einem  Stücke  eines  an  verschiedenen 
Stellen  ungleich  hoch  erwärmten  Drahtes  entwickelt  wird,  ist  somit  '): 

W=tt.i^  +  ß.i. 
Das  zweite  Glied  ändert  sichtlich  mit  der  Stromrichtung  sein  Vorzeichen. 

Nur  der  Versuch  kann  entscheiden,  ob  die  Wärmeabsorption  statt- 
findet, wenn  der  Strom  von  den  wärmeren  Stellen  des  Leiters  nach  den 
kälteren  hinfliesst,  oder  ob  das  Entgegengesetzte  stattfindet. 

*)  Annais  of  Philosophy  1823.  Juniheft,  S.  427. 

3)  Man  sehe  Phil.  Hag.  (1852),  4.  Serie,  Bd.  3,  S.  532. 

^)  Man  vergl.  W.  Thomson,  On  a  mechanical  theory  of  thermo-electric  currenU. 
Phil.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  3,  S.  529.  Hierher  gehören  aach  v.  Waltenhofen's  Ver- 
suche.    Ber.  d.  Wiener  Akademie  Bd.  75,  S.  245. 


F.   Thermoelectricität. 


737 


6.  Die  zweite  Thomson'solie  Theorie  der  thermoeleo- 

trisohen  Vorgänge. 

Wir  wollen  nnnmelir  in  die  Reclinang  einen  Ansdmck  einfahren, 
welcher  dieser  neuen  Eigenschaft  der  thermoelectrischen  Processe  ent- 
spricht. Wir  bezeichnen  mit  i.6,dt  die  Wärmemenge,  welche  in  der 
Zeiteinheit  in  einem  Theile  des  Leiters  absorbirt  wird,  in  welchem  die 
Temperatur  von  f  bis  ^  -\-  dt  sich  ändert,  wenn  der  Leiter  von  einem 
Strome  von  der  Intensität  1  durchflössen  wird.  Es  bezeichnen  Tq  die 
absolute  Temperatur  der  rotirenden  Scheibe,  von  welcher  der  Inductions- 
ström  ausgeht,  und  Ti,  T2,  .  .  .  die  Temperaturen  der  Löthstellen  der 
verschiedenen  Metalle,  aus  welchen  sich  das  vom  Strome  durchflossene 
Leitersystem  zusammensetzt.     Alsdann  erhält  man: 


%  +  ^a  +  Ä3H +  1  (5i.dT-\-  I  ö^,dT  + 


22) 


Wir  haben  hierbei  angenommen,  dass  das  letzte  Metallstück  des 
Systemes,  welches  wiederum  an  der  rotirenden  Scheibe  des  magnetelec- 
trischen  Apparates  anliegt,  aus  derselben  Substanz  bestehe,  wie  die  Scheibe 
selbst  und  wie  das  andere  Stück,  welches  die  Scheibe  berührt. 

Der  zweite  Hauptsatz  fährt  alsdann  auf  die  Gleichung : 

I  +  I  +  I  +  ...+  /k;^+  A#+-+  /°%|?=o.  23) 


Fig.  58. 


Wenden  wir  nun  diese  For- 
mel wiederum  auf  den  schon 
vorher  von  uns  behandelten  ganz 
einfachen  Fall  an,  in  welchem 
das  gesammtevom  Strome  durch- 
flossene   System    nur    aus   zwei 

Metallen  besteht  (man  sehe 
Fig.  58),  nämlich  einerseits  aus 
dem  Stücke  AB  und  andererseits 
aus  BSMA. 

Alsdann  hat  man: 


a  =  jr(D  — 


7t{T)  —  7c(r)+r6i.dT+rö<t.dT+f6i.dT  .    24) 

Nimmt  man  das  erste  und  letzte  Integral  zusammen  und  vereinigt 
die  beiden  dann  entstandenen  Integrale^  welche  dieselben  Grenzen  be- 

Bühlmann,  Mechan.  Wärraetheorie.    Bd.  II.  47 


738         IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

sitzen,  nachdem  man  in  dem  einen  Vorzeichen  nnd  Grenzen  ▼ertaiiseht 
hat,  80  ergiebt  sich: 

T 

<lt  =  n(T)  —  7t{r)+  r(6i—6^).dT  .     ...     25] 

Verfährt  man  in  gleicher  Weise  mit  der  Gleichung  des  zweitei 
Hauptsatzes,  nachdem  man  dieselbe  auf  den  vorliegenden  einfachen  FsE 
angewendet  hat,  so  findet  man  femer: 

r 


T  T     \^        T 


26) 


Nimmt  man  an,  dass  der  unterschied  der  beiden  Temperatnren  Tund 
T'  unendlich  klein,  also  T —  T'  =  (2 T  ist,  so  geht  die  yorhergehende 
Gleichung  in  nachstehende  Über: 


m 


T 

und  diese  gpiebt  ausgerechnet: 


+  ^:L^::i  =  o. 


y  •- ^2^.  -  ^T-  +   -^r- -  0  .     ...     27) 
Daraus  schliesst  man: 

tfi-ö,-    2,   --^r- 28) 

Wendet  man  dieses  Resultat  auf  die  Gleichung  f&r  S  an,  so  e^ 
giebt  sich: 

T 

oder: 

T 

n^f'^.dT 29) 


-r-^ 


Für  eine  endliche,  aber  sehr  kleine  Temperaturänderung  z  berechnet 
man  hiemach  die  electromotorische  Kraft: 

vn  m      T  ' 

Diese  Formel  bedeutet,  dass  man  zunächst  electromotorische  Kr&fU 
erhält,  welche  der  Temperaturdifferenz  der  beiden  Löthstellen  nahes« 
proportional  sind,  und  dies  ist  bekanntlich  mit  den  Versuchsresultaten  ia 
(Jebereinstimmang. 

Für  jeden  beliebigen  Leiterkreis  ist  demnach  die  gesammte  thermo^i 
electrische  Wirkung  Null,  wenn  die  Temperatur  des  ganzen  Leitersjstemei 


L  F.   Thermoelectricität  739 

m  constant  ist.  Dieser  allgemeine  Satz  ist  für  alle  calorimetrischen  Messun- 
gen über  electrische  Wärmeersclieinangen  insofeFn  von  Bedeutung,  als, 
trotz  aUer  Gomplication  der  Erscheinung,  es  bei  richtig  angestellten 
calorimetrischen  Messungen  nicht  nöthig  ist,  auf  andere  Wärmeyorgänge 
Rücksicht  zu  nehmen,  als  auf  die,  welche  dem  Joule 'sehen  Gesetze 
gehorchen.   Früher  hatten  wir  diese  Voraussetzung  bereits  gemacht,  dann 

iK  an  der  Hand  der  älteren  Theorie  bewiesen ;  nunmehr  ist.  ihre  Berechtigung 

d£  aufs  Neue  ersichtlich. 


7.    Die  Becquerersclien  Versuolie  über  die  thermoeleo- 

trisohe  Wirkung  von  Knoten  in  Drähten. 

I. 

^  Dieser  eigenthümliche ,   von  W.  Thomson    entdeckte    electrische 

Wärmetransport  steht  in  keiner  Beziehung  zu  der  Theorie  des  älteren 
Becquerel,  die  sich  auf  einen  vermeintlichen  Zusammenhang  zwischen 
der  Fortpflanzung  der  Electricität  auf  thermoelectrischem  Wege  und  der 
Verbreitung  von  Wärme  durch  Leitung  bezieht. 

Becquerel^)  knüpfte  einen  Knoten  in  einen  Metalldraht  oder  drehte 
ein  Stück  desselben  in  eine  Spirale  zusammen  und  erwärmte  diesen  Draht 
vor  dem  Knoten  oder  dem  tortirten  Stücke.  £s  entstand  alsdann  ein 
electrischer  Strom,  den  er  der  ungleichen  Fortpflanzung  der  Wärme  nach 
beiden  Seiten  rechts  und  links  vom  Knoten  oder  der  Spirale  zuschrieb. 

Diese  Ungleichheit,  meinte  er,  rühre  von  der  Verschiedenheit  der 
Querschnitte  zu  beiden  Seiten  des  Knotens*  her,  denn  er  war  der  Ansicht, 
dass  die  am  Drahte  vorgenommene  Operation  nur  eine  Veränderung  der 
Querschnitte  bewirke. 

Magnus  hat  durch  sorgfältige  Versuche^)  gezeigt,  dass  die  von 
Becquerel  beobachteten  thermoelectrischen  Ströme  lediglich  ihre  Ursache 
in  der  Störung  der  Homogene'ität  des  Metalles  haben,  welche  durch  die 
Torsion  des  Drahtes  bewirkt  wird,  und  hat  gezeigt,  wie  beträchtlich  und 
verschiedenartig  die  Erscheinungen  dieser  Art  sind.  Die  auf  diese  Weise 
durch  Magnus  widerlegte  BocquereTsche  Theorie  flndet  auch  nicht, 
wie  es  anfanglich  schien,  eine  Unterstützung  durch  die  Arbeiten  von 
Thomson.  Esergiebt  sich  vielmehr  aus  dem  von  diesem  Forscher  für  die 
electromotorische  Kraft  thermoelectrischer  Wirkung  gegebenen  Ausdruck, 
dass  wenn  die  beiden  Enden  eines  Metalldrahtes  mit  den  beiden  Enden 
eines  Galvanometerdrahtes  verbunden  sind,  die  thermoelectromotorisohe 
Kraft  des  Systemes  Null  ist,  wenn  beide  Verbindungsstellen  sich  auf  der- 
selben Temperatur  befinden.  Denn  alsdann  stimmen  die  obere  und  untere 

Grenze  der  Integrale  /  ö.dt,  die  sich  auf  beide  Drähte  beziehen,  überein. 


? 


Beequerel,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.   2.  Serie.   Bd.  31,  S.  359. 
Magnus,  Pogg.  Ann.   Bd.  83,  S.  469. 

47* 


740         IIL   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Eine  Abhängigkeit  vom  Querschnitt  ist  hier  nicht  bemerkbar,  und  das 
von  W.  Thomson  entdeckte  Phänomen  ist  demnach  thatsächlich  ein 
neues. 


8.  Die  Versuche,  welche  die  Fortführung  von  Wärme 
durch  den  electrischcn  Strom  beweisen. 

Die  Existenz  einer  solchen  electrischen  Fortführung  der  Wärme,  wie 
Thomson  dieses  Phänomen  nennt,  zu  constatiren  ist  nicht  leicht,  da  beim 
Durchgange  eines  Stromes  durch  einen  Leiter  jederzeit  eine  Wärmeent- 
wickelung proportional  dem  Quadrate  der  Stromintensität  stattfindet.  Der 
Versuch  kann  nur  eine  Differenz  zwischen  der  absoluten  Wärmemenge 
nachweisen,  welche  stattfindet,  wenn  ein  Strom  von  constanter  Intensität 
in  den  beiden  entgegengesetzten 'Richtungen  einen  Leiter  durchströmt, 
der  an  verschiedenen  Stellen  ungleich  erwärmt  ist.  Diese  Differenz  be- 
mühte sich  Thomson  zu  constatiren. 

Die  Untersuchungsmethode  Thomson^s  ging  von  dem  Gedanken 
aus,  einen  Draht  in  der  Mitte  zu  erwärmen  nnd  in  gleichen  Abständen 
von  der  erwärmten  Stelle  abzukühlen.  Alsdann  floss  in  der  einen  Hälfte 
der  Strom  von  kalten  Querschnitten  zu  warmen  und  in  der  anderen  von 
den  warmen  Querschnitten  zu  kalten.  Waren  die  Grundlagen  derThom- 
8 on^ sehen  Theorie  richtig,  so  mussten  beide  Hälften  des  Leiters  ungleich 
erwärmt  werden ,  und  der  Unterschied  ihrer  Temperaturen  musste  mit 
der  Stromrichtung  sein  Vorzeichen  wechseln.  Beobachtete  man  die 
Temperaturunterschiede  zweier  symmetrisch  gegen  die  Mitte  gelegenen 
Stellen,  so  war  man  unabhängig  von  der  Erwärmung  des  ganzen  Drahtes, 
welche  dem  Joule^schen  Gesetze  zufolge  eintrat. 

Brachte  man  je  ein  Thermometer  in  die  Mitte  jeder  der  beiden 
Leiterhälften,  so  zeigten  dieselben  allerdings  einen  sehr  bemerklichen 
Temperaturunterschied  an,  wenn  man  den  Strom  durch  den  in  der  Mitte 
erwärmten  Leiter  strömen  liess;  als  man  jedoch  die  Stromrichtimg 
wechselte,  so  wechselte  der  Temperaturunterschied  sein  Vorzeichen  nicht, 
sondern  änderte  lediglich  seine  Grösse.  Man  war  demnach  genöthigt, 
den  grössten  Theil  der  beobachteten  Temperaturunterschiede  dem  Mangel 
an  Homogenel'tät  in  der  Beschaffenheit  des  Leiters  zuzuschreiben,  und  nur 
der  bei  Umkehrung  des  Stromes  auftretende  Unterschied  der  Differenz 
konnte  als  Beweis  für  die  neue  Thomson'sche  Grundannahme  seiner 
abgeänderten  Theorie  der  thermoelectrischen  Vorgänge  angesehen  werden. 
An  diese  Wirkung  muss  man  sich  halten ;  bleibt  sie  so  lange  constant,  als 
die  allgemeinen  Bedingungen  der  Versuche  nicht  geändert  werden,  so 
kann  dieselbe  als  experimenteller  Beweis  filr  die  von  Thomson  ver- 
muthete  Eigenthümlichkeit  angesehen  werden,  und  es  kann  entschieden 
werden,  ob  ein  Strom,  abgesehen  von  seiner  Wärmewirkung  nach  dem 


F.    Thermoelectricität  741 

Joale'scben  Gesetze,  Wärme  eotwickeli  oder  absorbirt,  wenn  er  von 
dem  warmen  Theile  nach  dem  kalten  Tbeile  einea  Leiten  hinfliesBt. 

Auf  die  veracbiedenen  Vorreranche,  welche  Thomson  anstellen 
BanBste,  ehe  er  znm  gewüneehten  Ziele  kam,  soll  hier  nicht  eingegangen 
^rerden,  nnr  diejenigen  Versuche,  welche  zuerst  wirklich  bindende  Schlüsse 
gestatteten,  wollen  wir  mittheilen. 

,  Die  Natnr  der  zu  beobachtenden  Temperaturantersehiede  erforderte, 
daea  man  fär  die  Leiter  eine  Gestalt  und  Dimension  wählte,  welche 
C^estattete,  in  ihr  Inneres  mindestens  an  zwei  Punkten  Thermometer  ein- 
zuführen. Vorversuche  zeigten  bald,  dass  Metalletangen  von  wenig 
beträchtlichem  Querschnitt  keine  ;!UTerlässigen Resultate  lieferten.  Thom- 
son') wählte  daher  Leiter,  welche  aus  einzelnen  Metallstreifen  zusammen- 
gesetzt waren,  wie  dies  Fig.  59  zeigt.  Dieselben  entfernten  sich  tou 
einander  in  den  Theilen  AB,  CD,  EF  und  waren  dafür  in  den  Theilen 
Fig.  58. 


S  C,  DE  einander  ausserordentlich  genähert.  In  der  Mitte  dieser  beiden 
Stellen  wurden  die  Streifen  durch  zwei  kleine  Eorkscheiben  etwas  ans- 
eiiiander  gehalten,  so  dass  zwei  cjlindriscbe  Zwischenräume  h  und  e  ent- 
standen, in  welche  die  Gefasse  zweier  Thermometer  t^  und  t^  eingefühlt 
vr erden  konnten.  DieuntereKorkscheibe  war  massiv,  am  dem  Thermometer- 
gefSsH  als  Unterstützung  zu  dienen,  die  obere  war  durchbohrt,  um  dorn  Ther- 
Pig.  60. 


mometer  den  Durchgang  zu  gestatten.  DerTheil  CD  befand  sich  in  einem 
Geiaaae,  in  dem  Wasser  im  Kochen  erhalten  wurde,  die  Theile  AB,  EF 

')  W.  Thomson,  On  the  electtodynamio  quslities  of  melalli.  Philos.  TrsDMCt.  of 
Ihe  Roy.  Soc.,  Bd.  14«  (1856),  3.  849  bia  751. 


742  ni.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

andererseits  waren  von  Gefässen  umgeben,  durch  welche  unansgeeetn 
ein  Strom  kaltes  Wasser  floss.  Die  Anordnung  des  Apparates  zeigi 
Fig.  60  (a.  Y.  S.).  Die  galvanische  Kette,  durch  welche  der  das  LeiterBysteo 
durchfliessende  sehr  kräftige  galvanische  Strom  hervorgebracht  wuHe. 
bestand  aus  einigen  Elementen  mit  grosser  Oberfläche,  bei  welchen  Zisk 
in  verdünnte  Schwefelsäure  und  passives  Eisen  in  concentrirte  Salpeto^ 
säure  eintauchte. 

Die  Versuche  wurden  zuerst  sowohl  mit  Kupfer-  als  mit  Eisenbledn 
angestellt.  Jeder  Leiter  bestand  aus  ungefähr  30  einzelnen  Bleehea. 
Die  Stromrichtung  wurde  11  mal  gewechselt^  und  nach  jeder  ümschaltiiif 
Hess  man  den  Strom  acht  Minuten  lang  dnrch  den  Leiter  hindurchgehe 
Auf  diese  Weise  erhielt  man  die  in  umstehender  Tabelle  enthaltend 
Zahlen.  Die  Buchstaben  a  und  b  bezeichnen  die  Temperaturen,  weld» 
man  an  den  Thermometern  ablas,  die  an  den  Stellen  in  den  Lieiter  eis- 
geschaltet  waren,  die  in  der  Fig.  59  mit  den  Buchstaben  a  und  5  U- 
zeichnet  sind. 

Versuche  mit  Eisen. 


Nummer 

des 
Versuches 


Der  positive  Strom  geht 
von  a  nach  6 


Temperatur 


m  a 


in  b 


h  —  a 


Der  positive  Strom  geht 
von  b  nach  a 


Temperatur 


m  a 


in  h 


h—9 


1 
2 
3 
4 
5 


Mittel 


51,62 
51,78 
52,01 
51,30 
51,14 


53,30 
53,26 
53,80 
53,00 
52,98 


51,56 


53,27 


1,68 
1,53 
1,79 
1,70 
1,84 


51,41 
52,03 
51,32 
51,00 
50,69 


1,71 


51,29 


53,21 
53,87 
53,42 
52,95 
52,80 


53,25 


1,80 
1,84 
2,10 
1,95 
2,11 


1,97 


Man  erkennt  zunächst,  dass  die  Temperatur  in  h  unter  aUen  Um- 
ständen grösser  war  als  in  a.  Die  Temperaturdififerenz  ist  jedoch  immer 
grösser,  wenn  der  Strom  von  h  nach  a,  als  wenn  er  von  a  nach  h  geht 
allerdings  ist  der  Unterschied  sehr  gering;  immerhin  jedoch  scheint  C6 
unzweifelhaft,  dass  im  Eisen  der  electrische  Strom  Wärme  prodncirt, 
wenn  er  von  einer  kalten  Stelle  des  Leiters  zu  einer  heissen  geht,  und 
umgekehrt  Wärme  absorbirt,  wenn  der  Strom  von  einer  heissen  zu  einer 
kalten  Stelle  strömt. 

Derjenige  Theil  des  Apparates,  welcher  dazu  dient,  die  Mitte  des 
Leiters  zu  erwärmen,  kann  auch  ganz  weggelassen  werden;  infolge  des 


F.   Thermoelectricität. 


743 


IXurchganges  des  Stromes  findet  daselbst  ohnehin  eine  Erwärmung  nach 
dem  Joule 'sehen  Gesetze  statt. 

Bei  späteren  Versuchen  hat  Thomson  die  Quecksilberthermometer, 
deren  Gebrauch  mit  erheblichen  Unzuträglichkeiten  verknüpft  war,  durch 
Laflkthermometer  ersetzt;  als  deren  Gefösswände  diente  unmittelbar  die 
Substanz  des  Metalles  selbst.  Der  Apparat  wurde  dadurch  ausserdem 
'wesentlich  empfindlicher. 

Mit  Platin  wurden  die  Versuche  z.  B.  in  folgender  Weise  angeord- 
net^). Eine  Platinröhre  EU  (man  sehe  Fig.  61)  ist  auf  einem  Brettchen 
C  C  befestigt  und  geht  mit  ihren  Enden  durch  Holzblöcke  B  B  und  B'  Bf 
hindurch.  In  die  lifitte  hat  man  einen  mit  Baumwolle  umwickelten 
Glasstab  aa*  eingeschoben  und  daselbst  luftdicht  eingekittet.  Bis  zu  den 
Stellen  5  und  h'  sind  ausserdem  dünne  Thermometerröhren  eingeführt, 
deren  Enden  ebenfalls  mit  Fäden  umwickelt  und  luftdicht  eingekittet 
sind.  Die  beiden  Thermometerröhren  waren  aussen  rechtwinklig  umge- 
bogen und  tauchten  in  zwei  kleine,  mit  gefärbtem  Alkohol  gefüllte  Gefässe. 
Cs  entstanden  auf  diese  Weise  zwei  kleine  Luftthermometer,  deren  Ge- 
fässe von  den  Zwischenräumen  ab  und  a'V  gebildet  wurden,  die  zwischen 
den  offenen  Röhrenenden  h  und  V  und  den  Enden  a  und  a'  des  Pfropfens 


Fig.  61. 


geblieben  waren.  Zwei  Eühl- 
gefasse  A  uild  A*  aus  Gutta- 
percha, durch  welche  unaufhör- 
lich ein  Strom  von  kaltem  Wasser 
floss,  kühlten  die  beiden  Enden 
der  Platinröhre  ab.  Ein  darch 
die  beiden  Klemmschrauben  JD 
und  D'  hindurch  geführter  Strom 
erwärmt  die  Platinröhre  und 
veranlasst  die  Ausdehnung  der 
Luft  in  den  Gefassen  ah  und  a*l/. 
Mit  Hülfe  eines  Quecksilberrheo- 
states  brachte  man  die  Alkohol- 
säule  in  den  Thermometerröhren  auf  eine  angemessene  Höhe  und  kehrte, 
nachdem  dies  geschehen  und  vollständiges  Gleichgewicht  eingetreten  war, 
den  Strom  um.  Sowie  dies  geschah,  verschob  sich  die  Flüssigkeitssäule 
in  den  Thermometerröhren  und  zeigte  eine  Zunahme  der  Temperatur  an 
der  Seite  an,  an  welcher  der  positive  Strom  eintrat,  und  eine  Abnahme 
an  der  Austritifistelle  des  Stromes.  Man  mnss  daraus  im  Sinne  der  Thom- 
son'sehen  Auffassung  schliessen,  dass  im  Platin  die  Wärme  in  der  Be- 
wegungsrichtung der  negativen  Electricität  mit  fortgeführt  wird. 

In  ähnlicher  Weise  angestellte  Versuche  haben  es  möglich  gemacht 
zu  constatiren,  dass  im  Kupfer  Wärme  im  Sinne  der  Richtung  der  posi- 
tiven Electricität  mit  fortgeführt  wird. 


^)  Man  sehe  a.  a.  0.  S.  694. 


744  in.    Anwendungen  auf  electriscbe  Erscheinimgen. 

Immerhin  schien  Manchen  das  £rgebnias  der  ThomBon'Bchen  Vei^ 
suche  nicht  zweifelloa,  da  selbst  bei  Anwendung  sehr  starker  Ströme  dock 
nur  ungemein  geringe  Temperaturdifferenzen  sich  ergeben  haben  (0,22*C| 
ao  dass  man  das  Vorhandensein  einer  FortfQhrung  von  Wärme  dnrcb 
den  Strom  von  heissen  za  kalten  Stellen  eines  Leiters  ood  umgek^uä 
noch  nicht  als  genügend  sicher  constatirt  glaubte,  ansehen  zn  müasen  ',L 
Neaere  Versuche  haben  jedoch  äie  Richtigkeit  der  von  ThomsoD  be- 
haupteten Tbatsache  ebenfalls  bestätigt. 

Le  Roux^)  verwendete  zuerst  (man  Bebe  Fig.  62)  zwei  tliDB- 
liehst  gleich  hergestellte  Nensilberatäbe  AB  and  A'B",  welche  in  ihr« 
Mitte  gegen  die  beiden  entgegengesetzten  LQthstellen  einer  Thermos&nlc 
dnrcb  zwei  Elfenbein  zwingen  gepresst  wurden.  Zwei  nebeneinander 
liegende  Enden  A  und  A'  der  Stäbe  waren  durch  ein  federndes  Metaü- 
stück  mit  einander  verbunden,  und  diese  Enden  befanden  sich  in  einen 
Wasserbade  M,  welches  dnrcch  Dampf  erhitzt  wurde.  Die  Stäbe  ragten 
auf  eine  Länge  von  7  cm  in  den  Heizapparat  hinein.  Die  anderen  Endes 
der  Stäbe  B  und  B'  befanden  sich  ebenfalls  auf  7  cm  Länge  in  einen 
zweiten  Wasserbade  M",  welches  Eisstücke  enthielt.  Um  eine  BerOhroiif 
Pig.  82. 


der  Eisstücke  mit  den  Stäben  zu  verhindern,  wurden  die  Eisstücke  dnrcb 
einen  Kasten  von  Drahtgeflecht  von  den  Stäben  ferngehalten.  Die  beides 
Enden  B  und-B'  können  durch  die  Dräbte  JE  und  F  mit  den  Polen  einer 
Batterie  in  Verbindung  gesetzt  werden.  Die  Thermosäule  war  durch 
einen  Kasten  gegen  die  Wärmestrahlung  von  aussen  und  dieser  vieda 
durch  eine  Schiene  G  8  gegen  eine  Erhitzung  durch  den  Heizapparat 
geachütet. 

■]  Man  sehe  z.B.  dae  Urtheil  Wlcdemann';^,  dessen  OslvaniBiiiui,  2.  Aufl.  [Bnmi- 
Birhffeig,  Friedrich  Vieweg  u.  Sohn),  Bd.  1,  S.  919,  Z.  11   r.  o. 
^  Ann.  d.  ehim.  et  de  phya.,  4.  S.,  Bd.  X,  S.  258. 


F.    Thermoelectricität.  745 

Trotz  aller  Vorsichtsmaassregeln,  welche  Yon  Anüang  an  getroffen 
waren,  um  die  Erwärmung  der  Stäbe  an  den  Stellen,  welche  die  Thermo« 
säalen  berührten,  möglichst  gleichförmig  zu  machen,  fand  diese  Gleichheit 
doch  zumeist  auch  vor  Durchgang  des  galvanischen  Stromes  durch  die 
Stäbe  nicht  vollkommen  statt,  so  dass  die  Nadel  des  Galvanometers, 
-welches  in  den  Leiterkreis  der  Thermosaule  eingeschaltet  worden  war, 
nicht  vollständig  auf  Null  zeigte.  Durch  Verschieben  der  Thermosaule 
an  eine  andere  Stelle,  seitliches  Anlegen  eines  kupfernen  Ansatzes, 
oder  gar  durch  Yerminderung  des  Querschnittes  (!)  des  heissen  Stabes  0 
wurde  die  Gleichheit  hergestellt. 

Wegen  der  Dicke  der  verwendeten  Stäbe  war  die  dem  Joule' sehen 
Gesetze  folgende  Temperaturerhöhung  in  denselben  nicht  sehr  erheblich« 
Dadurch,  dass  man  den  Strom  in  verschiedenen  Richtungen  durch  die 
Stäbe  hindurch  gehen  Hess  und  das  Mittel  aus  den  Ausschlägen  der 
Thermosaule  benutzte,  eliminirte  man  den  Einfluss  der  meisten  Ungleich- 
heiten. Als  Einheit  der  Stromintensität  diente  ein  Strom,  den  sechs 
Bunsen'sche  Becher,  welche  zu  je  dreien  nebeneinander  und  je  zweien 
nacheinander  verbunden  waren ,  in  einem  Eupferdrahte  von  3  m  Länge 
und  1  mm  Querschnitt  hervorbringen. 

Nachstehende  Tabelle  zeigt  die  VersuchBresultate  bei  verschiedenen 
Stromintensitäten: 

A 

234 

228 
217 
240 

Hierbei  wurde  durch  den  Strom  diejenige  Neusilberstange  erwärmt, 
in  welcher  der  galvanische  Strom  von  dem  kalten  zum  warmen  Ende 
fliesst. 

Die  letzte  Columne  der  Tabelle  zeigt,  dass  die  Thomson' sehe  Wir- 
kung der  Stromintensität  proportional  ist.  Um  dem  Einwurfe  auszu- 
weichen, dass  die  hier  beobachteten  Wirkungen  lediglich  Peltier'sche 
Phänomene^)  seien,  hervorgebracht  durch  von  Anfang  an  vorhandene, 
nicht  erst  durch  die  Erwärmung  erzeugte  Ungleichheiten  in  der  Structur 
der  Stangen,  hat  Le  Roux  auch  die  Stange  um  180^  verwandt,  so  dass 
während  einmal  die  Enden  A  und  Ä'  durch  den  federnden   Bügel  ver- 


ßtrom- 

Temperaturuntersobied 

intensität 

der  Stäbe 

• 

A 

0,783 

183 

0,567 

129 

0,456 

99 

0,287 

67 

1)  A.  a.  0.  S.  265,  Z.  5  v.  o. 

^)  Das  Peltier'sche  PhäDomen  ist  ein  Vorgang,  der  an  der  Berühmngsstelle  hete- 
rogener Substanzen  stattfindet,  welche  gleiche  Temperatur  haben;  das  Thomson' sehe 
Phänomen  dagegen  tritt  in  einer  homogenen  Substanz  ein,  zwischen  benachbarten  Schich- 
ten, welche  verschiedene  Temperatur  haben. 


746  III.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

banden  und  erhitzt  wurden,  bei  einem  anderen  Versuche  die  Enden  B  und 
B'  durch  den  Bügel  verbunden  waren  und  sich  im  Heizkasten  M  befanden, 
während  die  Enden  A  und  Ä'  in  üf  abgekühlt  und  mit  der  Batterie  ia 
Verbindung  gesetzt  wurden.  Das  Mittel  aus  allen  Ablesungen  wurde 
alsdann  als  Wirkung  des  Thomson 'sehen  Phänomens  angesehen. 

Um  einen  Anhalt  über  die  Grösse  des  Thomson'scheu  Phänomens 
bei  verschiedenen  Substanzen  zu  erhalten,  bemühte  sich  Le  Roux  id 
gleich  langen  Stäben  genau  dieselbe  Temperaturvertheilnng  im  nicht  vom 
Strome  durchflossenen  Leiter  zu  erhalten  und  schloss  aus  der  Verände- 
rung dieser  Temperaturvertheilnng  beim  Durchgange  des  Stromes  asf 
den  Betrag  der  untersuchten  Grösse.  Er  setzte  zu  diesem  Zwecke  die 
Enden  aller  Stäbe  nach  und  nach  genau  denselben  Temperaturen  in  den 
vorher  beschriebenen  Apparate  aus,  überzog,  um  die  Oberflächenstrahlnog 
bei  allen  gleich  zu  machen ,  jeden  Stab  mit  Russ.  Da  die  Temperatur  ( 
in  verschiedenen  Abständen  vom  Ende  durch  die  Gleichung: 

bestimmt  wird  ^) ,  worin  M  und  N  lediglich  von  den  EndtelnperatoRB 
abhängen,  so  konnte  die  Gleichheit  der  Temperaturvertheilnng  sehr  an- 
genähert dadurch  hergestellt  werden,  dass  man  sich  bemühte,  in  allen 
Versuchen  der  Grösse  a  denselben  Werth  zu  geben.  Nun  ist  aber  in  der 
vorhergehenden  Formel: 


-w. 


I 31) 


worin  h  den  Ausstrahlungscoefficienten,  p  den  Umfang,  8  den  Querschnitt 
und  k  den  Wärmeleitungscoefficienten  der  Stange  bedeutet,  h  ist  wegen 
des  Russüberzuges  bei  allen  Stäben  gleich.  Die  Grösse  und  Form  der 
Querschnitte  sämmtlicher  Stäbe  wurde  alsdann  derart  gewählt,  dass  bei 
allen  die  Umfange  p  constant  waren  und  der  Flächeninhalt  s  dem  QQe^ 
schnitte  der  Grösse  k  umgekehrt  proportional  war. 

Die  Einheit,  in  welcher  in  nachstehender  Tabelle  die  Grösse  des 
Thomson*schen  Phänomens  ausgedrückt  wird,  ist  eine  willkürliche.  Das 
positive  Vorzeichen  bedeutet,  dass  der  positive  Strom  Wärme  in  der 
Richtung  von  warm  zu  kalt  fortführt,  das  Minuszeichen  deutet  an,  dass 
der  positive  Strom  die  wärmeren  Theile  des  Stabes  mehr  erwärmt,  all 
die  kälteren. 


^)   Die  Ableitang   dieser  Gleich ang   sehe    man    weiterhio   III,   F,  9,   S.  749  dieicf 
Bandes. 


F.   Thermoelectricität  747 

Name  Belaüver  Betrag 

der  des  Thomaon'Bclieu 

Bubstanz  Phänomens  ^) 

10  Wiamuth,  1  Antimon    .     .     .  +73 

Antimon 4~  64 

Cadmiam +31 

Zink +11 

Alnmininmbronze +     6 

Silber +     6 

Kupfer +2 

Messing +     0,3 

Blei 0 

Zinn —    0,1 

Aluminium —    0,1 

Platin —  18 

1  Aeq.  Antimon,  1  Aeq.  Cadmium, 
Vs  des  Gewichtes  des  Gemisches 

Wismuth —  24 

Neusilber —  25 

Beines  Wismuth —  31 

Eisen —  31 

In  neuester  Zeit  sind  auch  noch  einige  hierher  gehörige  Versuche 
vonHoorweg^)  yeröfifentiücht  worden,  welche  ebenfalls  die  Thatsächlich- 
keit  der  von  Thomson  behaupteten  Erscheinungen  bestätigt  haben.  Ein 
Neusilberdraht  von  2  mm  Dicke  und  1,75  m  Länge  wurde  in  einer  Länge 
von  0,75  m  horizontal  befestigt  Bei  D  und  D  (s.  Fig.  63  a.  f.  S.)  waren 
die  Enden  des  Neusilberdrahtes  umgebogen  und  die  Enden  Ä  und  E 
tauchten  in  zwei  neben  einander  stehende  Gläser  mit  kaltem  Wasser. 
Diese  Enden  Ä  und  E  waren  mit  dem  kupfernen  Leitungsdrahte  ver- 
lothet,  weldier  zum  Commutator  (7,  zur  Tangentenboussole  T  und  der 
Batterie  B  führten.  Auf  den  horizontalen  Theil  DE  des  Drahtes  waren 
vier  Schirme  a,  b,  c,  d  befestigt.  Zwischen  h  und  c  fiel  auf  den  Draht  aus 
dem  Wasserausfluss  K  ein  kräftiger  Strahl  kalten  Wassers;  jenseits  a  und 
d  wurde  der  Draht  durch  zwei  Gasflammen  F  und  F  erwärmt.  Zwischen 
a  und  h  und  zwischen  c  und  d  waren  bei  u  und  v  mit  Seide  fest  auf  den 
Draht,  aber  von  ihm  isolirt,  die  beiden  Löthstellen  eines  Eupfer-Eisen- 
Thermoelementes  aufgebunden,  dessen  Ströme  durch  ein  Galvanometer  Q 
gemessen  wurden. 

Durch  vorsichtiges  Reguliren  der  Flammengrösse  und  desAbstandes 
der  beiden  Gasflammen  konnte  man  es  leicht  dahin  bringen,  dass  die 


^)  Le  Roax,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  4.  Serie,  Bd.  10,  S.  277. 
^)  Thermische  Theorie  des  galvanischen   Stromes;   Wiedem.  Ann.  Bd.  9,  S.  555 
(1880). 


748  III.   Anwendungen  auf  electiische  Erscheinungen. 

beiden  Löthstellen  des  Eupfer-Eisen-Thermoelementes  yollständig  gleiche 
Temperatur  besassen,  so  lange  als  der  Neusilberdraht  nicht  von  einem 
galvanischen  Strome  durchflössen  war.     Auch   der   galvanische  Strom 

rig.  63. 


k    X 


allein  brachte,  so  lange  weder  eine  Abkühlung  noch  eine  Erwärmung  des 
Neusilberdrahtes  stattfand,  keinen  merklichen  Strom  hervor.  Ging  jedoch 
der  galvanische  Strom  durch  den  Neusilberdraht,  während  derselbe  in 
der  Mitte  abgekühlt  und  zu  beiden  Seiten  erwärmt  wurde,  so  zeigte  das 
Galvanometer  deutlich  an,  dass  eine  geringere  Erwärmung  an  der  Stelle 
stattfand,  an  welcher  der  positive  Strom  vom  warmen  Querschnitte  nach 
dem  kälteren  floss,  als  auf  der  Seite,  auf  welcher  der  positive  Strom  von 
kälteren  zu  wärmeren  Querschnitten  ging.  Bei  Wechsel  der  Richtung 
des  galvanischen  Stromes  änderte  sich  auch  der  Ausschlag  des  Galvano- 
meters in  den  entgegengesetzten  um. 

In  ähnlicher  Weise  untersuchte  Hoorweg  noch  mehrere  andere 
Metalle  und  fand,  dass  das  Thomson' sehe  Phänomen  besonders  stark 
bei  Wismuth  aufbrat.  Im  Uebrigen  zeigte  das  Vorzeichen  der  von  ihm 
beobachteten  Erscheinungen  gute  Uebereinstimmung  mit  den  Yersuchs- 
ergebnissen  von  Le  Roux.  Bezüglich  der  Grösse  der  beobachteten 
Werthe  sind  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  seine  Zahlen  nicht  direct 
unter  einander  vergleichbar. 


F.   Thermoelectricität  749 


9.  Die  Temperaturvertlieilung  In  einem  erwärmten  Strom- 
leiter mit  Rücksicht  auf  das  Thomson'sche  Phänomen. 

Der  EinfluBS,  den  die  von  Thomson  experimentell  constatirte  Er- 
scheinung anf  die  Wärmevertheilnng  in  einem  von  einem  Strome  doroh- 
flossenen  Leiter  ansübt,  kann  auch  ohne  Schwierigkeit  analytisch  dar- 
gestellt werden.  Eine  derartige  Untersuchung  gestattet  den  wahren 
Sinn  des  Thomson' sehen  Ausdrucks  „Wärmetransport  Im  Sinne  der 
positiven  oder  der  negativen  Electricitat''  vollständig  klar  zu  machen. 
Wir  betrachten  zunächst  den  Fall,  dass  die  beiden  Enden  eines  von  einem 
Strome  durchflossenen  und  von  diesem  erwärmten  Leiters  auf  einer  con- 
stanten  niederen  Temperatur  erhalten  werden.  Der  Einfachheit  wegen 
soll  vorausgesetzt  werden,  dass  die  constante  Temperatur  der  Enden  des 
Drahtes  identisch  sei  mit  der  Temperatur  der  umgebenden  Luft.  Mit  x 
bezeichnen  wir  den  positiven  oder  negativen  Abstand  von  dem  Mittel- 
punkte des  Drahtes,  mit  u  den  Temperaturüberschuss  des  im  Abstände  x 
von  der  Mitte  gelegenen  Querschnittes  über  die  Umgebung,  mit  s  seinen 
Flächeninhalt ,  mit  p  seinen  Umfang  und  mit  k  die  innere  und  mit  h  die 
äussere  Wärmeleitungsfahigkeit  der .  Substanz  des  Drahtes.  Nach  den 
bekannten  Sätzen  über  Wärmeleitung  (man  sehe  z.  B.  WüUner,  Experi- 
mentalphysik, 2.  Aufl.,  Bd.  ni,  S.  266)  strömt  alsdann  in  der  unendlich 
kleinen  Zeit  dt  durch  einen  Querschnitt,  welcher  um  x  von  der  Mitte 
absteht,  eine  Wärmemenge,  welche  gleich : 

du 

—  k.S'TT-  'dt 

dx 

ist.    Durch  einen  Querschnitt,  der  um  x  -\-  dx  von  der  Mitte  absteht, 
fliesst  demnach  die  Wärmemenge: 


,       /du    .    d^u    .\    .^ 


Gleichzeitig  verliert  das  zwischen  beiden  Querschnitten  liegende 
Cytinderstück  durch  Wärmestrahlung  an  die  Umgebung  die  Wärme- 
menge : 

h.p.u.dx.dt. 

Der  electrische  Strom,  der  den  Leiter  durchfliesst,  entwickelt  in  der 
nämlichen  Zeit  dt    eine  Wärmemenge,  die  dem  Quadrate  der  Strom- 
intensität und  dem  Widerstände  des  Abschnittes  proportional  ist.     Der 
»  Betrag  dieser  Wärmemenge  ist: 

jiA^.dx.dt 
y.s       ' 


750  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

wenn  y  die  electrische  Leitongsfahigkeit  der  Sahstanz  des  Drahtes  ondfi 
eine  Constante  ist ,  die  sich  auf  die  Wahl  der  Einheiten  für  i  und  f 
hezieht. 

Existirte  die  von  W.  Thomson  entdeckte  Eigenschaft  des  Wärme; 
transportes  nicht,  so  würde  das  Temperatargleichgewicht  durch  die  par- 
tielle Differentialgleichung  : 

Ä-S-^-r  —  Ä.i^.w +^— -=  0 32) 

bestimmt  werden. 

Diese  Gleichung  kann  integrirt  werden,  wenn  man  für  tf  den  Aus- 
druck: 

M  =  v  +  — i- 38) 

substituirt  und  beachtet,  dass  innerhalb  nicht  zu  weiter  Temperatar- 
grenzen die  Grösse: 

als  eine  Constante  betrachtet  werden  kann.  Führt  man  den  oben  ange- 
gebenen Werth  färu  ein,  so  nimmt  die  Gleichung  die  folgende  Gestalt  an: 

Setzt  man,  wie  das  üblich  ist, 

^  =  a« 34) 

so  lautet  das  allgemeine  Integral  obiger  Gleichung: 

v  = -Af.e«-«  +  JV.e-«-* 35) 

und  'man  erhält  somit  für  u  den  Werth : 

M=^r^^ —  +  ifef.c«-*  +  JV.c-«-«   .     .      .     36) 
Ä.p.y.s 

M  und  1^  kann  man  bestimmen,  wenn  man  die  Gleichungen  auf  die 
beiden  Enden  des  Drahtes  anwendet.  An  diesen  ist  nach  unserer  Vor- 
aussetzung t«  =  0,  und  dies  giebt  zwei  neue  Bedingungsgleichungen  fmr 
M  und  ^,  da  an  dem  einen  Ende  x  -=.  ^  l  und  u  =  0  und  an  dem 
anderen  o;  =  —  l  und  u  •=■  ^  sein  muss. 

Diese  beiden  Gleichungen  heissen: 

und 

0  =  ^  ^'^^      +  itf" .c-»'  +  I[.e^\ 
h.p  ,y.8 


F.   Thermoelectricität. 


751 


Hieraas  ergiebt  sieb: 


^.t 


•  2 


1 


37) 


Fübrt  man  diese  für  M  und  N  gefundenen  Wertbe  in  die  Gleicbnng 
für  u  ein,  so  erbält  man: 


—      ^'^^      (i  _  e^"^  +  g~^\ 


38) 


Man  siebt  leicbt  ein,  dass  diese  Gleicbnng,  sofern  man  x  als  Abscisse 
nnd  u  als  Ordinate  eines  recbtwinkligen  Goordinatensystemes  benutzt, 

Fig.  64. 


dnrcb  eine  zur  Mitte  streng  symmetriscbe  Curve  dargestellt  wird.  Die 
gröBste  Ordinate  ist  die  mittelste.  Fig.  64  zeigt  ungefibr  den  Cbarakter 
dieser  Curve. 

Nnnmebr  wollen  wir  bei  einer  Wiederbolung  der  Untersucbung  an- 
nebmen,  der  electriscbe  Strom  entwickele,  wenn  er  von  einem  kälteren 
zu  einem  wärmeren  Querscbnitte  übergebt,  Wärme;  der  Strom  absorbire 
Wärme,  beides  proportional  seiner  Intensität,  wenn  er  von  einem  warmen 
zu  einem  minder  warmen  Querscbnitte 'strömt.  Wir  betracbten  also  einen 
derartigen  Fall,  wie  er  bei  Eisen,  Wismutb,  Neusilber  vorkommt.  Die 
durcb  diesen  besonderen  Vorgang  in  einer  unendlicb  kurzen  Zeit  dt  ent- 
bundene Wärmemenge  wäre  demnacb: 

J ,  0*  -^ — 'dx.dt 
ox 

wobei  die  Grösse  6  im  vorliegenden  Falle  eine  positive  Constante  be- 
zeicbnete.  Die  Gleichung  des  Temperaturgleicbgewicbtes  würde  alsdann 
folgendermaassen  lauten: 

ox^  dx  y,s  ' 


752  in.   Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Um  die  Integration  aasführen  zu  können,  setzen  wir  auch  diesmal: 


II.  i^ 


h.p.y.s 
Dadurch  nimmt  die  Gleichung  nachstehende  Gestalt  an: 

oder,  wenn  wir  wiederum,  wie  schon  vorhin,  die  Ahkürzung  durch  den 
Gebrauch  des  Buchstaben  a  einfahren: 

cx^        k.s  ox 
Es  ist  sichtlich: 

ein  particuläres  Integral,  wenn 

aa+^.a  —  a2  =  0 41) 

'    k.s 

ist.  Diese  Gleichung  nach  a  hat  zwei  reelle  Wurzeln  von  entgegen- 
gesetztem Vorzeichen,  nennen  wir  deren  absolute  Werthe  a'  und  a'\  so  ist: 

eine  Lösung  der  partiellen  Di£ferentialgleichang  40).  Man  kann  jedoch 
leicht  zeigen,  dass  dies  die  allgemeine  Lösung  ist. 

Wie  zuvor,  werden  M  und  N  durch  die  Bedingungen  besümmt, 
welche  für  die  beiden  Enden  des  Leiters  gelten. 

Man  erhält  nämlich  f&r  die  beiden  Enden  die  Gleichangen : 

0  =  zr^^ —  +  M.^'-^  +  i^.e— "•* 
,  h.p.y.s 

und  »2 

0='r-^^-^^ —  +  itf.e— '•*  +  i^.e*"-*. 
h.p.y.s 

Hieraus  findet  man: 


M=  — 


und,  wenn  man  von    diesem  Ausdrucke  Gebrauch  macht,  findet  man 
schliesslich : 

^^h.p.y.sV  e<»'  +  *")»-er-(«'+-">-^  J  '      ^ 

Diese  Gleichung  entspricht  sichtlich  einer  Gurve,   welche  in  Bezug 

auf  die  Mitte  des  Drahtes  nicht  symmetrisch  ist.    Der  Maximal werth  von 

du 
u  findet  statt,  wenn  r—  =  0,  d.  h.  wenn: 

ox 


F.    Thermoelectricität. 


753 


ist.    Diese  Bedingangsgleicbung  für  den  Werth  von  x,  welcher  u  zu  einem 
Maximum  macht,  kann  auch  in  folgender  Weise  geschrieben  werden: 

g-«".a.,[-a'.(g«".i— e-a'M)g(«'+a"):r_oj"    (g.M_g-aM)],,^0     ...   43) 

Da  im  vorliegenden  Prodacte  nar  die  Klammer  gleich  Null  werden 
kann,  ergiebt  sich  für  X  die  Gleichung: 


a'  +  a").x  «     .(g^  •    -—e      *'•  )  __ 


a'.(e» 


ga' .  l  ß —  a' .  l 


44) 


Da  wir  <S  positiv  angenommen  haben,  ist  somit  die  negative  Wurzel, 
deren  absoluter  Werth  a"  war,  die  grössere.     Die  Function 


wächst  aber  bekanntlich  mit  £^,  wenn  j?  positiv  ist;  daraus  folgt,  dass  in 
obiger  Gleichung  der  Nenner  grösser  ist,  als  der  Zähler.  Der  Werth  von 
X,  der  u  zu  einem  Maximum  macht,  ist  somit  ein  solcher,  für  den 

ß(a'  +  a")  .  35  <^    1 

wird.  Dies  ist  aber,  da  a'  und  a^'  absolute  Grössen  sind,  nur  möglich, 
wenn  x  negativ  ist.  Daraus  folgt,  dass  der  Scheitel  der  Gurve,  welche 
die  Wärmevertheilung  im  Leiter  darstellt,  sich   nach   der  linken  Seite, 

Pjg:  65. 


also  in  dem  Sinne  verschoben  hat,  in  dem  sich  die  negative  Electricität 
bewegt.  Die  Temperaturvertheilung  wird  also  in  diesem  Falle,  in  den^ 
Ö  positiv  ist,  durch  eine  Curve  dargestellt,  welche  ungefähr  die  beiste- 
hende Gestalt  hat  (siehe  Fig.  65). 

Bllhlmsnn,  Mechan.  Wftrmetheorie.   Bd.  n,  4Q 


754         III.     Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Thomson  bezeichnet  diese  VerschiebuDg  der  Lage  des  Wänne- 
maximnms  mit  dem  Kamen:  Wärmetranaport.  Die  Verschiebung  des 
Maximums  findet  in  entgegengesetzter  Richtung  statt,  wenn  6  negativ  ist 

Ob  die  stillschweigende  Annahme,  dass  C  unabhängig  von  der  Ten- 
peratnr  sei,  zutreffend  ist,  könnte  nur  durch  sehr  sorgsame  Untersncliiiih 
gen  festgestellt  werden.  Aus  zwei  beobachteten  Temperaturen  an  zwei 
Stellen,  welche  bestimmten  Werthen  von  x  entsprechen,  kann  man  die 
Grösse  der  Coefficienten  a*  und  oi'  ermitteln;  da  aber  6  und  die  absoU- 
ten  Werthe  der  beiden  Wurzeln  der  Gleichung  40)  durch  die  Relation 

r^'        „ff  _  ^ '*  it\ 

Jc.s 

zusammenhängen,  könnte  man   dann  ans  den  Werthen  a'  und  a!'  aocli 
die  Grösse  des  Coefficienten  s  selbst  bestimmen. 


10.   Die  Glausius'sche  Theorie  der  thermoeleotrischeii 

Erscheinungen. 

Clausius  geht  von  der  Annahme  ans,  dass  die  Potentialdiffereni, 
welche  an  der  Grenzfläche  zweier  Mittel  entsteht  und  besteht,  wenig- 
stens zum  Theil  ihre  Ursache  in  der  Verschiedenheit  der  Molecularbe- 
wegung  habe,  welche  wir  Wärme  nennen.  Er  stellt  sich  vor,  dass  die 
Wärme  die  electrischen  Theil  eben  von  dem  einen  Stoffe  zum  anderen 
zu  treiben  strebt.  An  der  Berührungsstelle ,  an  der  man  die  EziBt«ox 
einer  Potentialniveaudifferenz  mit  dem  Electrometer  constatiren  kau). 
muss  man  zu  beiden  Seiten  der  Trennungsfläche  entgegengesetzt  dee- 
trische  Schichten  annehmen,  also  eine  ähnliche  Anordnung  wie  bei  einer 
Leydener  Flasche.  Die  Wärme  wird  nun  so  lange  Electricität  von  dem 
einen  der  beiden  Stoffe  durch  die  Trenuungsfläche  hindurch  zum  anderes 
treiben,  bis  sie  durch  die  entgegenwirkende  Kraft  der  beiden  dadarcli 
gebildeten  electrischen  Schichten  daran  verhindert  wird,  wenn  die 
Electricitäten  in  diesen  Schichten  eine  gewisse  Dichtigkeit  erreidit 
haben  0*  Befindet  sich  der  gesammte  aus  zwei  verschiedenen  Metalles 
a  und  h  bestehende  Stromkreis  auf  gleicher  Temperatur,  so  wird  die- 
ses Streben  der  Wärmebewegung,  die  electrischen  Theilchen  zu  bewegen, 
nach  sehr  kurzer  Zeit  zu  einem  Gleichgewichtszustand  fuhren,  in  wel' 
chem  an  den  beiden  Berührungsstellen  gleiche,  aber  entgegengesetzte 
Potentialniveaudifferenzen  stattfinden, '  während  auf  jedem  der  beiden 
durchaus  gleichartig  gedachten  Metalle,  aus  welchen  der  Leiterkreis 
besteht,  ein   constantes    Potentialniveau    stattfindet.      Ist    dagegen  die 

*)  Man  vergleiche :    Clausius,    Die    mechaDische    Behandlung    der    Electricitit. 
Braunschweig,  Fr.  Vieweg  und  Sohn,  1879,  S.  173. 


r. 


F.    Thermoelectricität.  755 

Temperatur  der  beiden  Berührnngsstellen  der  Bestandtheile  des  Leiter- 
kreises  verschieden,  so  wird  auch  die  Potentialniveandifferenz  an  beiden 
Berührnngsstellen  ungleich  sein ;  weil  dann  die  Potentialfanction  in  jeder 
Substanz  nicht  constant  sein  kann,  mnss  ein  continuirlicher  electrischer 
Strom,  d.  h.  der  thermoelectrische  Strom  stattfinden. 

Leitet  man  durch  einen  aus  zwei  ungleichen  Substanzen  gebildeten 
Leiter  einen  Strom,  so  wird  die  Kraft  der  Wärme,  welche  Electricität 
durch  die  Uebergangsschicht  zu  transportiren  strebt,  etwas  vergrössert 
oder  verkleinert  Wurde  vorher  im  Gleichgewichtszustande  dieses  Streben 
durch  die  Wirkung  der .  Uebergangsschicht  gerade  compensirt,  so  wird 
nunmehr  ein  Uebergang  der  Electricität  in  der  einen  oder  anderen  Rieh* 
tung  veranlasst.  Dabei  thut  oder  erleidet  die  electrische  Kraft  eine  ge- 
wisse Arbeit  ^),  und  diese  kann  nicht  durch  eine  entgegengesetzte  Arbeit 
einer  anderen  Kraft  aufgehoben  werden,  sondern  muss  durch  einen  Ge- 
winn oder  Verlust  an  kinetischer  Energie  der  Molecüle,  also  durch  eine 
Entwickelung  oder  Absorption  von  Wärme  ausgeglichen  werden ;  dies  aber 
ist  das  Peltier^sche  Phänomen. 


:  11.    Anwendung  des  ersten  Hauptsatzes  auf  die  Glausius*- 

'  sehe  Hypothese. 

> 

Auch  hier  wollen  wir  uns  zunächst  auf  den  einfachen  Fall  be- 
schränken, dass  der  Leiterkreis  aus  zwei  verschiedenen  durchaus  homogenen 
Sabstanzen  a  und  h  besteht,  deren  Verbindungsstellen  P'  und  P"  sich 
aaf  den  absoluten  Temperaturen  T'  und  T''  befindet.  Die  Einwirkung 
jeder  Art  inducirender  Wirkungen  auf  den  Leiterkreis  soll  vollkommen 
ausgeschlossen  sein.  Als  positiv  soll  die  Stromrichtung  von  P'  über  a 
zu  P    angenommen  werden. 

Die  Werthe  der  Potentialfunction  auf  der  Substanz  a  mögen  in  P' 
und  P ',  Va  und  V'd  und  entsprechend  auf  der  Substanz  h  in  P'  und  P" 
gleich  Vb  und  V'i  sein.  Der  Leitungswiderstand  von  a  mag  h,  der  von 
b  soll  Jh,  die  imganzen  Leiterkreis  constante Stromstärke  mag  i  betragen. 
Alsdann  ist: 

V'  —  F" 

w  a  '  a 

'  =  —77— 

im  Leiter  a,  und 

.     n  -  n 
'  =  —ir- 

m  Leiter  h.    Hieraus  ergiebt  sich: 

i.(i,  4-  h)  =  ra-r;  +  Vi  -n 46) 


1)  Claasins  a.  a.  0.  S.  176. 

48' 


756         III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Nennt  man  nun  ferner  den  Leitungswiderstand  des  gesammten  Ldi 
kreises  L  und  bezeichnet  man  die  im  Sinne  des  positiven  Stroms  i 
nommene  Potentialniveandifferenz  am  Pankte  P'  mit  E'ha  und  in  . 
mit  E'ai^  BD  erhält  man: 

'"=-■ 1 ' 

An  der  Uebergangsschicht  P"  gelangt  ein  in  der  Richtung  des  pt 
tiven  Stromes  fliessendes  electrisches  Theilchen  dq  vom  Potent ialnin 
Va  zum  Potentialniveau  V'i,  Die  hierdurch  an  dq  geleistete  Arbeit  i 
(man  sehe  Bd.  2,  III,  C,  S.  600): 

{Vi  -V'{).dn  =  -^Kh.dq i 

An  der  gesammten  in  der  Zeiteinheit  durch  die  bei  I*"  gelefc 
Zwischenschicht  strömende  Electricitätsmenge  t  wird  somit  die  Arbeit; 

■tjah  •  *  =  J^ab  "    J 

geleistet.  Ebenso  findet  man ,  dass  in  der  Zeiteinheit  an  der  Ueberga^ 
schiebt  P'  die  Arbeit: 

■jptt        |_      -rpl 

xp/  •  t;,!  -^ab    -T    -i^bn 

—    Jfjba  •  *  -fjhn   •   J 

geleistet  wird.    Die  gesammte  an  beiden  Uebergangsschichten  zusama 
geleistete  Arbeit  ist  somit  gleich: 

—    iSaft   •   f J^^ba f 

Jj  1j 

(Eab    +   Eba)'  . 


—  L 

Dieser  Ausdruck  ist  negativ,  da  der  Durchgang  der  Electridi 
entgegen   der  Wirkung   der  electrischeu/  Kräfte  stattfindet. 

Die  in  den  Leitern  n  und  h  nach  dem  Joule 'sehen  Gesetze  R 
wickelte  Wärmemenge  beträgt: 

J^  ,  t^  =^  = I 

Die  Summe  sämmtlicher  in  der  Therm okette  von  den  electrise^ 
Kräften  gethanen  Arbeiten  ist  somit  Null. 


12.    Anwendung  des  zweiten  Hauptsatzes  auf  die 

Clausius'sclie  Hypothese. 

Es  lässt  sich  nun  ferner  nachweisen,  dass  in  der  Thermokette,  im 
die  Löthstellen  verschiedene  Temperaturen  haben,    ein  Uebergang  tt 


F.    Thermoelectricität.  757 

Wärme  vom  wärmeren  zum  kälteren  Körper  stattfindet.  Im  Vorstehen- 
den ist  zwar  gezeigt  worden,  dass  die  an  beiden  Uebergangsschichten 
zusammen  entwickelte  Arbeit,  also  auch  die  daselbst  in  Summa  eut* 
wickelte  Wärme  negativ  sei.  Daraus  folgt  aber  nicht,  dass  auch  beide 
Bestandtheile  der  Summe  negative  Grössen  sein  müssen.  Bei  gleichen 
Temperaturen  der  Löthstellen  sind  nämlich  die  in  den  beiden  Ueber- 
gangsschichten stattfindenden  PotentialdifiPerenzen  gleich,  aber  von  ent- 
gegengesetztem Vorzeichen.  Für  geringe  Temper aturdififerenzen  müssen 
demnach,  wenn  die  absoluten  Werthe  der  PotentialdifiPerenzen  verschie- 
den werden,  zunächst  die  Vorzeichen  derselben  entgegengesetzte  bleibend 
Ist  dieses  aber  der  Fall,  so  findet  an  der  einen  Löthstelle  der  Ueber- 
gang  im  Sinne  der  electrischen  Kräfte  und  an  der  anderen  im  entgegen- 
gesetzten Sinne  statt.  Alsdann  wird  an  der  ersten  Stelle  eine  positive 
Arbeit  geleistet,  Wärme  entwickelt,  an  der  anderen  aber  eine  ihrem  Be- 
trage na^h  grössere  negative  Arbeit  geleistet,  somit  eine  grössere  Wärme- 
menge consumirt.  Um  nun  die  Temperatur  an  den  Löthstellen  P'  und 
P''  des  Thermoelementes  constant  zu  erhalten,  wollen  wir  annehmen,  in 
P'  berühre  die  Löthstelle  einen  genügend  grossen  Körper  von  der  ab- 
soluten Temperatur  T'  und  in  P"  einen  anderen  von  der  Temperatur  T". 
Um  zu  entscheiden,  ob  die  Wärme  dem  kälteren  oder  dem  wärmeren  der 
beiden  Körper  entzogen  wird,  müssen  wir  ein  sicher  experimentell  nnter- 
Buchtes  Beispiel  betrachten.  Clausius  wählt  hierzu  die  Combination 
Wismuth  (a)  Antimon  (b).  Bei  diesen  geht  der  positive  electrische  Thermo- 
strom bekanntlich  an  der  höher  erwärmten  Löthstelle  vom  Wismuth  zum 
Antimon.  Ebenso  weiss  man,  dass  ein  in  dieser  Richtung  verlaufender 
electrischer  Strom  an  dieser  Stelle  Wärme  absorbirt,  an  der  kalten  Löth- 
stelle Wärme  abgiebt.  Es  wird  durch  Vermittelung  des  Thermostromes 
also  in  der  That  Wärme  dem  heisseren  Körper  entzogen  und  an  den  käl- 
teren Körper  abgegeben.  In  ganz  gleicher  Weise  aber  verhalten  sich 
erfahrungsmässig  alle  bekannten  thermoelectrischen  Combinationen. 

Nimmt  man  zunächst  an,  dass  die  Temperaturdififercnz  der  beiden 
Löthstellen  unendlich  klein  sei.  Die  Temperatur  T"  der  heissen  Löth- 
stelle JP"  mag  T  sein,  alsdann  ist  für  T'  zu  setzen :  T  —  dT.  Bezeichnet 
man  für  diesen  Fall  ferner  die  PotentialdifiPerenz  Eäb  in  P"  mit  JE,  so 

dE 
ist    die   Differenz  E'ba   in    P^  gleich   —  E  -{■  •;—;  •  dT.    Die  electro- 

öl 

motorische  Kraft  ist  somit: 

dE        , 
Eah  +  Eia  =  ^-j,  •  dT, 

Hieraus  folgt,  dass  die  iu  mechanischem  Maasse  gemessene  an  der 
Löthstelle  P"  in  der  Zeiteinheit  erzeugte  Wärme  (nach  S.  756,  Z.  13  v.o.): 

_  E    cE 

L'  dT 
und  die  an  der  Löthstelle  JP'  erzeugte  Wärme: 


758         III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

^  L      dT  L     KdTj 

ist.    Die  Summe  der  bei  P"  und  P'  zusammen  erzeugten  Wärmemesge 
ist  somit: 


L  KdTj    ' 


dTK 


Das  negative  Vorzeichen  bedeutet,  dass  eine  Wärmemenge  verbraudd 
wird.  Die  nun  frisch  zum  kalten  Körper  übergegangene  Wärmemeiifi 
beträgt  somit: 

E     dE  1  (dE\^ 

Nach  dem  zweiten  Hauptsatze  der  mechanischen  Wärmeiheorie  aba 
gilt  die  Gleichung: 

Verbrauchte  Wärme  T"  —  T' 

^»^—     ■■■■■■  I  I      ^^^  ■    ■  —       ■  • 

Uebergegangene  Wärme  T' 

Wendet  man  dies  auf  den  Torliegendeu  Fall  an,  so  ergiebt  sich: 

1      /dE\^ 
L     \dTj dT 

^.^aT^^^C^Y^dT^^    ^    ' 
L     dT  L     \dLj 

Hier  kann  im  Nenner  das  nach  d  T  quadratische  zweite  Glied  ak 
im  Vergleich  zum  ersten  Gliede  sehr  klein  vernachlässigt  werden  und 
man  erhält: 

dE         dT 

-E-  =  ^ ^'^ 

Hieraus  folgt  durch  Integration: 

log  not  E  =  log  nat  T  +  Consi 52 1 

und  daraus: 

E=  £  ,  T 53) 

worin  s  eine  von  der  Natur  der  sich  berührenden  Substanzen  abhängige 
Constante  bedeutet. 

Dies  führt  zu  dem  Satze:  Die  PotentialniveaudifPerenz  zweier  Sub- 
stanzen ist  der  absoluten  Temperatur  derselben  proportional.  Clausius 
macht  aber  gleich  bei  Formulirung  seines  Satzes  ^)  darauf  aufmerksam, 
dass  diese  Entwickelung  nur  insoweit  gültig  sei,  als  die  VoraossetzuDg 
richtig  ist,  dass  jede  Substanz  a  und  &,  aus  denen  die  Thermokette  be- 
steht, auch  dann  durchaus  homogen  bleiben,  wenn  ihre  Temperatur  an 
verschiedenen  Stellen  eine  ungleiche  ist.  Da  man  dies  für  geringe  Tem- 
peraturdifferenzen der  Löthstellen  annehmen  darf,  gilt  die  Ableitung 
auch  nur  mit  dieser  Beschränkung. 

*)  A.  a.  0.,  S.  189. 


F.    Thermoelectricität.  759 

Gälte  obige  Formel  allgemein,  so  müsste,  wenn  an  P'  die  Tempe- 
ratur T"  stattfindet,  dort  die  PotentialdifiPerenz  Eah'- 

sein.     Die  Potentialniveaadifferenz  Eia  am  Punkte  P'  wäre: 

Eha  =  Bba   '   T    =  —   Bah    '    T  . 

Hierdurch  ergiebt  sich,  dass  die  electromotorische  Kraft  F  der  ther- 
moelectrischen  Combination  ah 

F=  Sai  .  (T"  -  T') 54) 

ist. 

Für  geringe  Temperaturdifferenzen  wird  dieser  Satz  bekanntlich 
auch  durch  die  Erfahrung  bestätigt 

Aus  der  Gleichung  53)  folgt,  wenn  man  sie  auf  zwei  verschiedene 
Gombinationen  ah  und  eine  andere  cd  anwendet: 

Fab  =  fo&  .  ^  und  Ecd  ==  fcd   •  T' 
Durch  Differentiation  ergiebt  sich: 

^jf    =  ^ob  und     ^y    =  Bcd 
und  damit  erhält  man: 

^Fgb  dEcd     TP  TP  fCK\ 

^jy      •   "^Y    —   -^^^    '   ^<^^ ^^) 

Auch  dieser  Schluss  wird  insofern  bestätigt,  als  diejenigen  thermo- 
electrischen  Gombinationen,  welche  bei  einem  bestimmten  Temperatur- 
unterschiede die  stärksten  Ströme  geben,  wie  z.  6.  Wismuth  und  Antimon, 
sich  auch  dadurch  auszeichnen,  dass  ein  hindurchfliessender  Strom  an  den 
Löthstellen  die  grösste  Wärmemenge  entbindet  oder  absorbirt. 


18.    Die  Budde'sohe  Erweiterung  der  Clausius'sohen 

Theorie. 

Mit  dem  Ergebnisse  der  G 1  au sius^ sehen  Theorie,  zumal  mit  dem 
auf  S.  758  reproducirten  Satze  schien  nun  der  G um m Ingusche  Versuch 
und  die  inzwischen  vielfach  beobachtete  Thatsache  im  Widerspruche  zu 
stehen,  dass  mit  zunehmender  Temperatur  der  einen  Löthstelle,  sofern 
die  Temperatur  der  anderen  constant  erhalten  wird,  die  Grösse  der 
thermoelectromotori sehen  Kraft  nicht  fortwährend  proportional  der  Tem- 
peraturdifferenz zunimmt,  sondern  bei  manchen  Metallcombinationen  ab- 
nimmt und  schliesslich  sogar  ihr  Vorzeichen  ändert.  Glausius  hatte 
schon  selbst  in  seiner  1853  ^)  erschienenen  Abhandlung  darauf  hin- 
gewiesen, worin  die  Ursache  dieser  scheiubaren  Abweichung  zu  suchen 


^)  Abhandlungen  über  mechanische  Wärmetheorie.     Bd.  2,  S.  197. 


760         ni.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

sei.  Er  sagt  darüber^):  „Diese  Abweichungen  lassen  darauf  schliesaen, 
dass  die  unserer  obigen  Entwickelung  zu  Grunde  gelegte  Vorausseizang, 
dass  die  in'  einer  Thermokette  vorkommenden  electromotorischen  Kräfte 
nur  an  den  Verbindungsstellen  verschiedener  Stoffe  ihren  Sitz  haben, 
während  im  Inneren  eines  einzelnen  Stoffes,  auch  wenn  seine  Theile  ver- 
schiedene Temperaturen  haben,  keine  electromotorische  Kräfte  vorkommen, 
ungenau  sein  muss.** 

Die  Thatsache,  dass  im  Inneren  eines  Drahtes,  der  aus  einem  ein- 
zigen Metalle  besteht,  durch  Erwärmung  electromotorische  Kräfte  ent- 
stehen können,  ist  allgemein  bekannt.  Diese  electromotorischen  Kräfte 
haben  nur  zum  Theil  ihren  Grund  in  dauernden  Ungleichheiten  der 
Structur,  die  in  dem  Drahte  vorhanden  sind  und  beim  Erwärmen  als 
thermoelectrische  Differenz  zum  Vorschein  kommen,  und  zum  Theil  rühren 
sie  her  von  Verschiedenheiten  der  durchaus  gleichartigen  Substanzen, 
die  lediglich  in  der  verschiedenen  Temperatur  der  Theile  selbst  ihre 
Ursache  haben. 

Electromotorische  Kräfte,  welche  härtere  Stellen  eines  Drahtes  gegen 
weichere,  krystallinische  gegen  amorphe,  gedehnte  gegen  ungedebnte, 
gebogene  gegen  ungebogene,  lackirte  gegen  nicht  lackirte  zeigen,  das 
alles  sind  solche  der  ersten  Art,  welche  ausführlich  von  Franz'), 
Gaugain  ^),  Magnus^),  BecquereP),  Le  Roux^),  Thomson^)  unter- 
sucht worden  sind,  von  diesen  soll  zunächst  abgesehen  werden.  So  wie 
man  zugiebt,  dass  in  sonst  durchaus  gleichartigen  und  im  Uebrigen  gleich- 
artig bleibenden  Substanzen  durch  Temperaturungleichheiten  thermo- 
electrische Kräfte  entstehen  können,  ist  damit  auch  die  von  Thomson 
zuerst  beobachtete  Thatsache  erklärt,  dass  durch  das  Pel tierische  Phäno- 
men AenderuDgen  in  der  Tempera turvertheilung  auf  dem  Drahte  hervor- 
gebracht werden  müssen,  welche  lediglich  Folge  des  durch  den  ungleich 
erwärmten  Draht  fliessenden  electrischen  Stromes  sind  und  welche 
Thomson  mit  dem  Namen  electrischer  Transport  der  Wärme  bezeichnet 
hat.  Als  Beispiel  macht  Budde  auf  den  von  Gummin g  zuerst  boob- 
achteten  Fall  Kupfer-Eisen  aufmerksam. 

Die  in  einer  derartigen  Thermokette  auftretenden  thermoelectrischen 
Wirkungen  sind: 

1)  kaltes  Eisen,  heisses  Eisen, 

2)  heisses  Eisen,  heisses  Kupfer, 

3)  heisses  Kupfer,  kaltes  Kupfer, 

4)  kaltes  Kupfer,  kaltes  Eisen. 

^)  Die  mechanische  Behandlung  der  Eiectricität,  S.  190.     Z.  20  v.  o. 
3)  Franz,  Pogg.  Ann.  Bd.  83,  S.  374  u.  Bd.  97,  S.  34. 
^)  Gaugain,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  3.  Serie,  Bd.  65,  S.  5. 
*)  Magnus,  Pogg.  Ann.  Bd.  83,  S.  469. 

^)  Becquerel,    Ann.  d.  chim.    et  de  phys.  2.  Seiie,   Bd.  10,    S.  201  u.    4.  Serie, 
Bd.  8,  S.  403. 

^)  Le  Roui,  Ann.  d.  chim.  et  de  phys.  4.  Serie,  Bd.  10,  S.  221. 
')  Thomson,  Phil.  Trans.  1856,  Bd.  3,  S.  711. 


F.    Thermoelectricität.  761 

So  lange  die  Temperatardifferenz  der  beiden  Löthstellen  gering  ist, 
sind  die  Kräfte  1)  und  3)  sehr  gering  und  die  Kräfte  2)  und  4),  welche 
entgegengesetztes  Vorzeichen  haben,  überwiegen.  Bei  grösseren  Tempe- 
raturunterschieden der  Löthstellen  wachsen  2)  und  4)  stärker  als  1)  und 
3),  und  in  Folge  dessen ^nimmt  die  Stromstärke  ab  und  die  Stromrichtung 
verkehrt  sich  schliesslich  in  die  entgegengesetzte.  Nimmt  man  aber  ein- 
mal thermoelectrische  Wirkungen  zwischen  Theilen  eines  gleichartigen 
Leiters  an,  so  sind  auch  Consumptionen  und  Entwicklungen  von  Wärme 
nach  dem  sogenannten  Peltier- Phänomen  erklärlich,  und  diese  sind  als- 
dann die  von  Thomson  entdeckte  Erscheinung  des  Wärmetransportes 
durch  den  electrischen  Strom. 

Jedenfalls  beweist  die  Thatsache  der  Umkehrung  der  Stromesrich- 
tung bei  wachsenden  Temperaturdifferenzen,  dass  in  der  Clausius^ sehen 
Gleichung  53) 

E=  6,T 

s  nicht  eine  Constante  sein  kann,  sondern  eine  complicirtere  Temperatur- 
fanction  sein  muss. 

Tait  nimmt  an,  dass  £  die  Form  hat: 

s  =  a  +  b.T 

und  dies  wird  in  der  Hauptsache  durch  die  Beobachtung  gut  bestätigt. 
Nur  für  Eisen  und  Nickel  scheint  es  nothwendig  zu  sein,  noch  Glieder 
höherer  Ordnung  hinzuzufügen. 

Budde  betrachtet  nun  auf  einem  gleichartigen  linearen  Draht  ein 
Stück,  dessen  Endpunkte  Ä  und  B  von  einem  beliebig  gewählten  Aus- 
gangspunkte um  x'  und  x'^  entfernt  sind.  Die  Temperatur  soll  sich  längs 
des  Drahtes  stetig  ändern  und  in  Ä  gleich  T'  und  in  B  gleich  T''  sein. 
Die  Potentialfunction  V  der  Electricität  muss  alsdann,  da  zwischen  ver- 
schieden warmen  Theilen  desselben  Metalles  thermoelectrische  Wirkungen 
stattfinden,  längs  des  Drahtes  einen  verschiedenen  Werth  haben.  Die 
thermoelectromotorische  Kraft  zwischen  zwei  benachbarten  Querschnitten, 
welche  um  x  und  c^  -\-  dx  vom  willkührlich  gewählten  Ausgangspunkte 
abstehen,  sei  dE,  sofern  daselbst  die  Temperaturen  T  und  T-]-  dT  sind. 
Nennt  man  JE  die  Potentialniveaudifferenz  der  Substanz  des  Drahtes 
gegen  irgend  eine  andere  Substanz,  z.  B.  Quecksilber  oder  Blei,  welche 
die  Eigenschaft  besitzt,  dass  verschieden  warme  Theile  derselben  keine 
thermoelectrische  Wirkungen  auf  einander  ausüben,  so  ist  die  Aenderung, 
welche  diese  Potentialniveaudifferenz  E  erfahrt,  wenn  man  einen  auf 
T-^-  dT  erwärmten  Querschnitt  mit  dieser  Substanz  in  Berührung  bringt: 

f^.dT=T.f^.dT     .......     56) 

Dies  ist  somit  auch  die  Potentialniveaudifferenz  zwischen  zwei  un- 
endlich benachbarten  Querschnitten  des  betrachteten  Drahtes,  wenn  die 
Temperaturen  derselben  T  und  T  -\-  dT  sind. 


762         III.     Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

Demnach  ist  der  Unterschied  des  Potentialniveaus  in  den  Pankteo 
Ä  und  B  des  Drahtes  gleich: 


Ex"  —  ■Ec'  —  /  T'  ^-= '  d  T 


t£lt 

57) 


^  ist  eine  Temperaturfiinction,  wahrscheinlich  von  der  Form: 

1^  =  a  +  &.T  +  c.T»  +■  d.T3      ....    58) 

worin  a,  b,  c,  d  etc.  für  die  betreffende  Substanz  charakteristische  Cob- 
stauten  sind. 


Der  Werth  des  Integrales: 


r 


n-^^ 


ist  jedenfalls  durch  die  Grenzen  eindeutig  bestimmt,  und  daraus  folgt 
dass  die  Summe  der  thermoelectrischen  Kräfte,  weiche  in  einem  Draht« 
durch  Temperaturdifferenzen  entstehen  können,  bloss  von  der  Temperatur 
der  beiden  Enden,  «nicht  aber  von  der  Yertheilung  der  Wärme  auf  der 
Strecke  abhängt. 

Der  Werth  des  Integrales  muss  verschwinden,  wenn  T"  =  T  wiri 
und  daraus  folgt  der  bekanntlich  durch  Mousson^)  für  asymmetrüofc 
erwärmte  Drähte  experimentell  gefundene  Satz:  In  einem  in  sich  g^ 
schlossenen  gleichartigen  Drahte  kann  durch  keine  Yertheilung  der 
Temperatur  auf  demselben  ein  Strom  entstehen. 

Bringt  man  an  irgend  einer  Stelle  der  Strecke  x*  ixl*  eines  Draht« 
ander  weite  Störungen  der  Gleichartigkeit,  der  Structur  des  Drahtes  herror, 
indem  man  z.  B.  den  Draht  in  der  Nähe  des  Temperaturmaximums  tordiii, 
einen  Knoten  schlingt,  comprimirt  oder  dehnt,  so  wird  die  Temperatur- 
function  ni  der  Substanz  in  dieser  Gegend  geändert,  es  ist  gerade  so,  ah 
hätte  man  in  die  Strecke  7^  oi\  auf  welcher  die  Haupttemperatu^ulte^ 
schiede  liegen,  eine  fremdartige  Substanz  eingeschaltet. 

Die  Gleichung: 


J        dT 

T' 


verliert  alsdann  ihre  Gültigkeit.    Man  erhält  demnach  dievonBecqnerel, 
Thomson,  Magnus  und  Anderen  beobachteten  Ströme. 

Nunmehr  betrachten  wir  wiederum  zwei  Drähte  a  und  b ,  welche  in 
den  Punkten  P'  und  P"  zu  einer  geschlossenen  Thermokette  verlöthet 
sind.  Die  Temperaturen  mögen  in  P'  respective  P"  gleich  T'  und  T" 
sein.  Die  Werthe  der  Potential niveaudifferenz  der  Substanz  des  Drahtesa 
gegen  die  gedachte  Substanz  (Blei,   Quecksilber),   deren   Theile  durch 

^)  Mousson,  Archiven  de  l'61ectric.  Bd.  IV,  S.  5. 


F.    Themoelectricität.  763 

> 

Temperaturunterschiede  keine  thermoelectrischen  Spannungen  annehmen, 
seien  bei  der  Temperatur  T  i}«  und  die  der  Substanz  h  bei  der  Temperatur 
T  entsprechend  ^b. 

Bei  der  Temperatur  T'  mögen  die  Werthe  dieser  Grössen  ij  mit 
tja  und  1^5  und  bei  der  Temperatur  T*'  mit  r/a  und  iji'  bezeichnet 
werden. 

An  der  Löthstelle  P'  und  P"  wirken  an  sich  alsdann  die  electro- 
motorischen  Kräfte: 

Durch  die  thermoelectrischen  Wirkungen  der  auf  verschiedenen 
Temperaturen  befindlichen  Theile  des  Drahtes  a  ergiebt  sich  die  electro- 
motorische  Kraft: 


/ 


T' 


Für    die    electromotorische    Wirkung    der    verschieden    erwärmten 
Theile  des  Drahtes  b  findet  man  analog : 

Durch  Addition  ergiebt  sich   die  thermoelectrische  Kraft    der  ge- 
sammten  Kette  gleich: 

y  2»// 

+  r.(na-  n'h) 59) 

Wenn  man  in  jedem  der  Integrale  die  Integration  ausführt,  so  erhält 
man,  da: 

^tt  2»»/ 


und: 


T' 

l 


T' 
T'  T' 


i^t: 


fT~^dT=  T'-n\-T".r{i-Jrir,.dT 


jfft  j<t 


F=  —  jria.dT—Jrii.dT. 


Vereinigt  man  beide  Integrale  und  setzt: 

^a  —  ^6  =  —  «oft» 

so  erhält  man: 


764         in.     Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

F=feai,.dT 60) 

T' 

denselben  Werth,  den  Clausias  schon  früher  (S.  759)  abgeleitet  hatte. 
Nor  weiss  man,  dass 

_dF 

nicht  eine  Constante,  sondern  eine  complicirtere  Temperatarfnnction  ist 
Setzt  man  hierin  Sab  gleich  einer  Constanten,  so  sieht  man  ab  yob 
den  thermoelectrischen  Wirkungen,  welche  zwischen  den  verschieden  hoch 
erwärmten  Theilen  desselben  Metalles  stattfinden,  was  im  Allgemeinen 
nur  für  äusserst  geringe  Temperaturdifferenzen  statthaft  ist. 

Betrachtet  man  ein  unendlich  kleines  Stück  des  Drahtes  a,  an  dessen 
Enden  die  Temperaturen  T  und  T  -\-  dT  stattfinden ,  so  ist  die  durch 
einen  Strom  von  der  Intensität  i  daselbst  entwickelte  Wärmemenge  dHi 

und  die  auf  dem  ganzen  Drahte  a  durch  das  Thomson' sehe  Phänomen 
entwickelte  Wärmemenge  ist  somit: 


H«=  -if.T^y^'dT^    . .    . 


61) 


Analog  erhält  man  für  die  auf  dem  Drahte  h  entwickelte  Wärme- 
menge den  Ausdruck: 

ai==  -ifT.y^.dT.- 

Man  erkennt  leicht,  dass  auch  der  Betrag  dieser  Wärmemengen 
lediglich  von  den  Endtemperaturen  T  und  T",  nicht  aber  von  deren 
Vertheilung  längs  der  Drähte  abhängig  ist. 

Die  an  den  Löthstellen  stattfindenden  electromotorischen  Kräfte 
sind:  T\  (ly«  —  ^i)  respective  T".  (ly?  —  i?«),  mithin  die  dort  entwickelten 
Wäi'memengen,  die  Peltier'schen  Phänomene: 

n{r)  =-i.  T'.(i?;-i?i)  und  ^(T")  =  —«. 2"'. (lyi'—VJ)  ...  62) 

Bezüglich  dieser  Wärmemenge  lässt  sich  auch  leicht  erweisen,  dass 
der  zweite  Hauptsatz 

erfüllt  ist. 

Man  erhält  nämlich: 


/ 


F.    Thermoelectricität.  765 

J  T.dT  ^        J^  T.cT  T" 

-iSA:zJl^.r  =  0 63) 

Rechnet  man  ans,  so  ergiebt  sich: 

and  dies  ist  identisch  gleich  Null. 


13.  Die  empirisclie  Formel  von  Avenarius. 

Aus  Versuchen  von  Avenarius^),  von  Gaugain^),  von  F.  Eohl- 
rausch  und  Amman  ^),  von  Tidblom^)  und  von  Naccari  und 
Bellati  ^)  kann  man  schliessen,  dass  für  die  electro motorische  Kraft  F 
einer  Metallcombination,  deren  Löthstellen  sich  auf  den  Temperaturen  T' 
und  T"  befinden,  die  empirische  Formel: 

F=  h .  (T"  —  T')  +  c .  (T"«  —  r ») ...     64) 
genügt. 

Daraus  folgt,  dass  £«&  die  Form  hat : 

Sai  =  h  +  2c.T 65) 

Die  Formel  64)  gestattet  eine  kleine  Umgestaltung,  wenn  man 
r"  —  T'  aushebt ;  alsdann  ist : 

F  =  (r"  —  r)-{&  +  C'(T"  +  r)\'   .   66) 

Man  erkennt,  dass  die  electromotorische  Kraft  der  Combination  so- 
wohl gleich  Null  wird,  wenn  T"  —  T'  =  0,  d.  h.  T"  =  T'  die  Tempe- 
ratur der  Löthstellen  einander  gleich  sind,  als  auch  wenn 

h  +  c.(r"  +  r)  =  o 

T"  4-  2^'=  —  - •     •     .     67) 

c 

£rhält  man  also  die  eine  Löthstelle  eines  Thermoelementes  auf  einer 
Constanten  Temperatur  T\  so  giebt  es  jederzeit  eine  andere  Temperatur 
To"  i  aufweiche  man  die  andere  Löthstelle  erhitzen  muss,  um  die  elec- 


1)  Avenarius,  Pogg.  Ann.  Bd.  119,  S.  406,  1863. 

^)  Gaugain,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  4.  Serie  Bd.  8,  S.  426.      . 

^)  F.  Kohl  rausch  u.  Amman,  Pogg.  Ann.  Bd.  141,  S.  456. 

*)  Tidblom,  vergl.  Wiedemann,  die  Lehre  von  der  Electricität  Bd.  2,  S.  297. 
Daselbst  fmdet  man  eine  äusserst  vollständige  Zusammenstellung  aller  einschlagenden 
Versuchsresultate. 

^)  Naccari  und  Bellati,  UEIlectricita  (November  und  December  1871),  Bd.  1, 
S.  329  u.  362. 


76G  IIL    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 

tromotorische  Kraft  zum  Yerschwinden  zu  bringen.  Entfernt  man  sich 
mit  T"  nocb  weiter  von  dieser  Temperatur  To\  so  ändert  die  electro- 
motorische  Kraft  ihr  Vorzeichen. 

Wählt  man  T"  —  T'  =  1,  also  T"  =  T'  -}-  1,  so  ist  die  electio- 
motorische  Kraft  für  die  Temperaturdifferenz  von  1  Grad,  wir  ^wollen 
dieselbe  Fi  nennen: 

Fi=h  +  c'(2  T'  +  1) 
Fi  =  (c  +  h)  +  2,cr. 

Diese  wird  Null,  wenn  das  arithmetische  Mittel  zwischen  T'  and  T'* 
T'  -|-  —  deii  Werth  2  annimmt  und  zwar  ist: 

,     ^  =  -^ «^) 

Diese  Temperatur  %  führt  den  Namen  neutraler  Punkt. 

Giebt  man  den  Temperaturen  T'  und  T"  der  Löthstellen  Werthe. 
welche  um  gleichviel  über  und  unter  dem  neutralen  Punkte  der  Gombi- 
nation  liegen,  setzt  man  also: 

T'  =  S:  —  T  und  T"  =  J  +  r, 

so  wird: 

F=  2%.\h  +  0.22}. 

Führt  man  hierin  für  %  seinen  Werth  aus  Gleichung  68)  ein,  so 
wird  die  Klammer  gleich  Null.  Erhitzt  man  also  die  eine  Löthstelle  am 
ebenso  viele  Grade  unter,  als  die  andere  über  die  Temperatnr  des 
neutralen  Punktes,  so  giebt  die  thermoelectrische  Combination  keinen 
Strom. 

Hebt  man  in  der  Formel  für  F,  Gleichung  64),  —  2c .  (T"  —  T')  ans; 
so  nimmt  dieselbe  die  Gestalt  an: 

F=-  2c. (T"-  r).(-  -^-  Il±Jl!j. 

^  M       2c  2        J 

Wenn  man  nun  hierin  den  Werth  von  I  einsetzt,  erhält  man  die 
bemerk enswerthe  Form : 

F=—  2c. (T"—  TO     £  —  I  ■  •  69) 

Die  Constanten  dieser  Formeln  sind  von  oben  genannten  Experi- 
mentatoren (siehe  die  Anmerkungen  zu  S.  765)  für  viMe  Combinationen 
bestimmt  worden.  Nachstehende  kleine  Tabelle  giebt  eine  Uebersicht 
über  einige.  Messungsresultate. 


F.    Thennoelectricität. 


767 


ZasammenaetzuDg 

Temperatur 

Namen 

des 

2c 

des  neutralen 

der 

Thermoelementes 

Punktes  % 

Beobachter 

Silber  —  Eisen 

—     0,01474 

223,5 

' 

Silber  —  Zink 

Kupfer  —  Eisen    .... 

0,004286 
0,00350 

69,7 
275,8 

-    Avenarius 

I»latin  —  Blei 

0,0092 

(—  23,0?) 

< 

Slei  —  Neusilber     .    .    . 

2,7646 

—  92,3 

Antimon  —  Neusilber     . 

Zinn  —  Neusilber    .    .    . 
Slei  —  Natrium    .... 

—  10,963 
11,689 

4,821 

—  3828,3 

—     0,551 
9,9  1 
92,9 
211,0 

Naccari  und 
Bellati 

ßlei  —  Kalium     .... 

—  4126,3 

60,6 

I*latin  —  Kalium      .    .    . 

+  2529,9 

80,8 

Man  erkennt  leicht,  dass  die  electromotorische  Kraft  F  eines  Thermo- 
elementes, dessen  eine  Löthstelle  anf  einer  constanten  Temperatur  T'  er- 
halten wird,  während  die  Temperatur  T"  der  anderen  geändert  wird, 
eine  Function  zweiten  Grades  der  Variabein  T"  ist.  Diese  Beziehung 
zwischen  F  und  T  wird  geometrisch  dargestellt  durch  eine  Parabel,  deren 
Scheit-el  im  neutralen  Punkte  liegt  und  deren  Hauptaxe  die  Ordinate  des 
neutralen  Punktes  ist. 

Will  man  bei  gegebenem  T'  also  das  Maximum  der  electromoto- 
rischen  Kraft  erreichen,  so  muss  man  für  T"  die  Temperatur  des  neu- 
tralen Punktes  wählen. 

Berücksichtigt  man,  dass  in  Gleichung  65)  die  Grösse   Sah  gleich 

Nnll  wird  für 

h 


T=Z  =  — 


2c' 


und  sübtrahirt  die  Gleichung: 

0  =  5  +  2c.Z 

von  65),  so  findet  man : 

f«5  =  -  2c. (S—  T) 70) 

Hierin  repräsentirt  sichtlich  das  Glied  —  2c»  T  die  Abweichung 
von  dem  einfachsten  Falle,  in  welchem  Sah  als  constant  angenommen 
wnrde.  Solche  Fälle,  in  welchen  €ah  als  constant  anzusehen  ist,  würden 
z.  B.  Combinationen  flüssiger  Metalle  unter  einander  oder  flüssiger 
Metalle  mit  Blei  sein,  wenn  die  hierbei  Ton  der  Bildung  von  Legirungen 
und  Amalgamen  herrührenden  secnndären  Phänomene  vermieden  werden. 


768         III.    Anwendungen  Auf  electrische  Erscheinungen. 

Die  Abweichung  von  der  Constanz  aber  rührt,  wie  wir  £feseha 
haben,  davon  her,  dass  eine  Terschieden  hoch  erwärmte  Substanz  nick 
homogen  bleibt,  sondern  dass  benachbarte  Querschnitte  von  verschiedeiL? 
Temperatur  zur  Entwickelung  einer  electromotorischen  Kraft  Yeranlasew 
werden.  Das  dieser  electromotorischen  Kraft  entsprechende  Phänoss 
war  das  Thomson^ sehe  Phänomen,  der  sogenannte  electrische  Transp:*: 
der  Wärme,  mit  dem  wir  uns  in  Kapitel  8  ausführlich  beschäftigt  hak« 

Nach  den  Versuchen  von  Le  Roux  ist  dieser  Wärmetransport  e 
einigen  Substanzen,  so  z.  B.  in  Blei ,  Null.  Auch  in  Flüssigkeiten  ist  a 
noch  nicht  gelungen  und  wird  es  voraussichtlich  nicht  gelingen,  denselba 
nachzuweisen. 

Wählt  man  nun  eine  thermoelectrische  Gombination ,  in  wel^ 
eines  der  Metalle  ein  solches  ist,  für  welches  dieses  Thomson'seb- 
Phänomen  Null,  so  wird  bei  einem  solchen  Thermoelemente  di«  i: 
Gleichung  65)  auftretende  Abweichung  —  2c.  T  lediglich  auf  Rechnof 
des  anderen  Metalles  zu  setzen  sein.  Man  wird  also  bei  einer  Comli- 
nation  mit  Blei  diese  Constante  —  2  c  als  ein  Maass  für  die  AbweichES 
des  anderen  Metalles  von  dem  einfachsten  Falle,  als  ein  Maaas  für  d^ 
Thomson^ sehe  Phänomen  ansehen  können.  Nehmen  wir  nun  an,  v? 
finden  für  ein  Metall  a  in  Verbindung  mit  Blei: 

f  P6,a  =  Ka  .  (Xa  —    T) 7. 

und  für  ein  anderes  Metall  h  mit  Blei  durch  Experimente 

so  ergiebt  sich  für  ein  Thermoelement,  welches  aus  den  beiden  Elemes- 
ten  a  und  h  zusammengesetzt  ist: 

Dieser  Gleichung  kann  man  auch  die  mit  70)  übereinstimmend 
Gestalt  geben: 


73) 


Hieraus  ergiebt  sich  für  das  Thermoelement,  welches  aus  den  MeUl- 
len  a  und  h  besteht: 

—  2cz=z  K„  —  Kb 74} 

und  die  Temperatur  des  neutralen  Punktes  %: 

^  Ka  .Xa    —   Kb  .%b  „,. 

^  =  ^ TP '5) 

Art  —  Aft 

Hat  man  also  für  irgend  ein  Metall  a  bei  seiner  Combination  mit 
Blei  zu  einem  Thermoelemente  die  Constanten  Ka  und  %a  bestimmt,  nnd 
ausserdem  für  das  Thermoelement  ans  den  Metallen  a  und  h  die  Cod' 
stauten  —  2  c  und  2^,  so  kann  man  daraus  auch  die  Constanten  K^  undZi 


F.    Thermoelectricität.  769 

fmden ,  die  für  dieses  Metall  h  bei  seiner  Gombination  mit  Blei  gelten 
-würden  ^). 

Blei,  Qnecksilber  etc.  sind  also  solche  Metalle,  für  welche  die  von 
uns  mit  Jl  bezeichnete  Grösse  0  ist. 


14.  Das  tlieniioeleotrisclie  Diagramm. 

Thomson  hat  hierauf  die  Constrnction  eines  interessanten 
Diagramms  gegründet. 

Er  zeichnet  in  ein  Coordinatenkreuz ,  auf  dessen  Abscissenaxe  abso- 
lute Temperaturen  abgetragen  sind,  als  Ordinaten  für  jedes  Metall  a  die 
Grössen  Sp^^a  eiu«  Für  jedes  Metall  a  ist  die  Curve,  welche  den  Zu- 
sammenhang von  £pb,  a  uiit  der  absoluten  Temperatur  ausdrückt,  sichtlich 
eine  Gerade,  da  die  Gleichung  71)  für  £pb,a  nach  T  linear  ist. 

Die  Grösse  Ka  ist  offenbar  die  Tangente  des  Neigungswinkels,  den 
die  Gerade  Spt^a  mit  der  Abscissenaxe  einschliesst. 

Zieht  man  ausserdem  die  Gerade  (vergl.  Fig.  66),  welche  der 
Gleichung: 

€P6,6  =  JSTft.CJft   —   T) 

entspricht,  so  lassen  sich  nunmehr  die  thermoelectrischen  Beziehungen 
zwischen  den  beiden  Metallen  a  und  h  auf  einfache  Weise  geometrisch 
darstellen. 

Errichtet  man  bei  der  Temperatur  T  =i  T'  eine  Parallele  zur 
Ordinatenaxe,  so  schneidet  diese  die  Gerade  des  Metallesa  im  Punkte  P', 
die  Gerade  des  Metalles  h  im  Punkte  Q\ 

Sichtlich  repräsentirt  die  Gerade  P'Q'i 

die  Grösse  «a,  h  für  die  Temperatur  2",  Der  Schnittpunkt  N  der  beiden 
Geraden  ist  der  Punkt,  für  den  «ö^i,  z=  0  wird,  er  entspricht  somit  dem 
neutralen  Punkte;  senkrecht  unter  N  liegt  somit  die  von  uns  mit  X  be- 
zeichnete Temperatur  des  neutralen  Punktes.  Die  electromotorische 
Kraft  F  der  Metallcombination  a  und  h,  wenn  die  eine  Löthstelle  auf 
der  Temperatur  T',  die  andere  auf  T"  erhalten  wird,  ist  (siehe  Gleichung  60): 

Dieses  Integral  aber  wird  in  Fig.  66  (a.  f.  S.)  dargestellt  durch  den 
Flächeninhalt  des  Trapezes  P  P' Q' Q'\ 


')  Messungen    der    Grosse    K  sind    Ton  Tait   (Transactions    of   the    Koy.    Soc.  of 
Edinburgh,  Bd.  27,  S.  125)  und  von  Knott  und  Mac  Gregor  (a.a.O.  Bd.  28,  8.321) 
publicirt  worden.     Vergl.  auch  Wiedemann,  Electricität,  Bd.  2,  S.  301. 
Rahlmann,  Mechan«  Wärmetheorie.   Bd.  II.  49 


770         lU.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 
Auch  die  ührigen  Glieder  der  Gleichung  59): 

TV/  ip 


ni) 


Fig.  66. 


können  in  der  Figur  nachgewiesen  werden,  sofern  man   annimmt,  dasi 
der  Coordinatonnrsprung  0  der  ahsolute  Nullpunkt  ist. 
Es  ist: 


I 


das  Flächenstück  zwischen  den  Punkten  SaPP'  Ba>  Es  ist  dies  die  yod 
dem  Thomson' sehen  Phänomen  längs  des  Metalles  a  herrührende 
electromotorische  Kraft.     Entsprechend  ist: 

T.||.dT=Fläche£?e"(?'£i 


T 


der  Theil  der  electromotorischen  Kraft,  welcher  von  dem  innerhalb  des 
Metalles  h  auftretenden  Thomson' sehen  Phänomen  herrührt. 


F.    Thermoelectricität.  771 

Ferner  ist  sichtlich: 

T' .  (12?  ~  n'a)  =  Fläche  eü  Q"  P"  b'^ 

der  Tbeil  der  electromotorischen  Kraft ,  welche  in  der  Wärmeabsorption 
ihre  Ursache  hat,  die  an  der  auf  die  Temperatur  T^  erhitzten  Löthstelle 
stattfindet,  entspricht  also  dem  an  der  heissen  Löthstelle  auftretenden 
Phänomen. 

Analog  ist: 

T'.ina  —  Vb)  =  Fläche  fiP'^fJ 

und  ist  derTheil  der  electromotorischen  Kraft,  welcher  der  Peltier' sehen 
Wärmeentwickelung  an  der  kalten  Löthstelle  entspricht. 

Wir  haben  nur  nöthig  hinzuzufügen,  dass  diese  geometrischen  Be- 
ziehungen und  ihre  physikalische  Bedeutung  auch  erhalten  bleiben,  wenn 
die  Cur  Yen,  welche  den  Metallen  a  und  h  entsprechen,  nicht  Gerade,  son- 
dern Curyen  sind.  Versuche  Yon  Tait  haben  gezeigt,  dass  bei  Eisen 
und  Nickel  erhebliche  Abweichungen  von  der  Geraden  stattfinden.  Bei 
Combinationen  mit  diesen  Metallen  würde  also  die  Ave narius^ sehe 
Gleichung,  welche  einer  Parabel  entspricht,  deren  Scheitel  im  neutralen 
Punkte  liegt,  und  welche  zu  einer  durch  diesen  Punkt  gezogenen  Ordinate 
symmetrisch  liegt,  nicht  mehr  ausreichen.  Es  müssen  dann  noch  Glieder 
höherer  Ordnung  hinzugefügt  werden. 

Gewöhnlich  deutet  man  dies  dahin,  dass  solche  Metalle  bei  den 
Temperaturen,  bei  welchen  derartige  Abweichungen  von  der  Geraden 
eintreten,  wesentlich  andere  Molecularstructur  annehmen,  also  gewisser- 
maassen  in  andere  allotrope  Modificationen  übergehen  ^). 

Bei  Thermoelementen,  welche  aus  solchen  Metallen  bestehen,  für 
welche  die  Gurre 

von  der  Geraden  abweicht,  können  alsdann  auch  mehrere  neutrale  Punkte 
auftreten. 

Erhitzt  man  bei  einem  solchen  Thermoelemente  die  eine  Löthstelle 
auf  den  einen ,  die  andere  auf  einen  zweiten  neutralen  Punkt ,  so  haben 
wir  alsdann  einen  thermoelectrischen  Strom,  der  lediglich  von  dem  längs 
3eider  Drähte  stattfindenden  Thomson 'sehen  Phänomen  herrührt,  da 
ilsdann  an  keiner  Löthstelle  eine  Wärmeentwickelung  oder  -Absorption 
Inrch  das  Pel tierische  Phänomen  stattfinden  kann^). 


^)  Beobachtungen  an  Eisen  von  Gore  fPhil.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  37,  S.  59)  und 
Jarett  (Phil.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  26,  S.  472)  deuten  in  der  That  darauf  hin.  Weiss- 
lühendes  Eisen  zieht  sich  beim  Abkühlen  bis  zur  Kirschrothgluth  zusammen,  dehnt 
ich  jedoch  dann  unter  Wärmeeotwickelung  vorübergehend  aus,  ehe  es  bei  weiterer 
^bkühlung  wieder  regelmässig  sein  Volumen  verringert. 

*)  Man  vergleiche  Tait,  die  Thermoelectricität,  Pogg.  Ann.  Bd.  152,  S.  443, 
1873)  und  Proceed.  of  the  Roy.  See.  of  Edinburgh  Bd.  7,  S.  773. 


49 


772  III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


15.    Experimentelle  Bestätigungen  der  erweiterten 

Theorie. 

Das  Diagramm  Fig.  ßß^  welches  unseren  Betrachtangen  zu  Grunde 
liegt,  zeigt  sofort,  dass  wenn  man  T"  =  Z  wählt,  alsdann  das  Flächen- 
stück e^Q'^P^sä  gleich  Null  wird.  Dieses  Flächenstück  aher  hedeutete 
den  Antheil  der  electromotorischen  Kraft,  welcher  von  dem  an  der  heissen 
Löthstelle  stattfindenden  P  e  1 1  i  e  r '  sehen  Phänomen  herrührt.  Dieses  Flächen- 
stück kann  nur  dann  Null  werden,  wenn  das  an  der  heissen  Löthstelle 
auftretende  Phänomen  verschwindet.  Wir  werden  somit  durch  Betrach- 
tung des, Diagramms  zu  dem  Schlüsse  geführt:  Gieht  man  einer  Löth* 
stelle  die  Temperatur  des  neutralen  Punktes,  so  findet  an  dieser  Löth- 
stelle weder  eine  Wärmeahsorption  noch  eine  Wärmeentwickelun^   statt 

Auch  die  von  uns  aufgestellten  Gleichungen  führen  zu  demselhen 
Resultate.  Wir  erhielten  nämlich  (Gleichung  60,  S.  764)  für  die 
electromotorische  Kraft  den  Ausdruck: 

Differentiirt  man  diese  Gleichung  nach  T,  so  erhält  man: 

dF 
dT 

Nimmt  man   nun   für  T"  die  Temperatur  des  neutralen  Punktes, 

also  die  Temperatur,  bei  welcher  für  ein  constantes   1*  das  Maximum 

der  electromotorischen  Kraft  stattfindet,  so  muss  der  erste  Differential- 

dF       .    . 
quotient        „  bei  dieser  Temperatur  verschwinden,  mithin: 

1}',;  -  iji'  =  0 

sein. 

Die   Di£Perenz  des  Potentialniveaus   an  einer  Löthstelle  war    nun 

dF 
allgemein  (siehe  Gleichung  67,  S.  762)  gleich  T---=r,    mithin    ist   auch 

Qr  J. 

diese  PotentialdiflPerenz  an  der  Löthstelle  für  die  Temperatur  F^  =  % 
des  Maximums  der  electromotorischen  Kraft  gleich  Null.  Findet  aber 
bei  der  Temperatur  %  an  der  Löthstelle  keine  DiflFerenz  des  Potential- 
niveaus statt,  so  kann  dort  auch  das  Peltier'sche  Phänomen  der  Pro- 
duction  oder  Gonsumption  von  Wärme  nicht  stattfinden. 

Budde^  verfuhr,  um  dies  Resultat  zu  prüfen,   nach  folgendem 


=  1^6   —  '^a* 


^)  E.  Budde,  Thennoelectrische  Studien,  Pogg.  Ann.  Bd.  153,  S.  343  bis  S.  372 
(1874).     Die  Beschreibung  der  Versuche  findet  sich  a.  a.  0.  S.  362  u.  s.  f. 


F.    Thermoelectricität.  773 

Gedankengange.  Ein  Eisendrabt  CiC^  war  zwischen  zwei  Knpferdrähte 
€i  V  und  c^i  w  gelöthet.  Die  Enden  v  und  w  wurden  durch  eine  selbst- 
thätige  Foucaul tische  Wippe  abwechselnd  einerseits  mit  den  Poldrähten 
p  und  n  einer  galvanischen  Batterie  und  anderseits  mit  den  Enden  des 
Leitungsdrahtes  eines  Galvanometers  in  Contact  gebracht. 

Die  Partie,  welche  die  Löthstellen  enthielt,  wurde  in  einem  Heiz- 
apparate mehr  und  mehr  erhitzt.  Stellte  man  die  Verbindung  mit  der 
Batterie  her,  so  wurde  durch  den  Strom  an  der  einen  Löthstelle,  sagen 
wir  z.  B.  an  Ci,  eine  Temperaturerhöhung  A,  und  an  C3  eine  Tempe- 
raturemiedrigung  um  A  hervorgebracht.  Verbindet  man  nun  unmittel- 
bar darauf  w  und  v  mit  dem  Galvanometer,  so  wirkt  auf  dasselbe  ein 
Kupfereisenthermoelement,  dessen  eine  Löthstelle  die  Temperatur  T-|-  A, 
dessen  andere  die  Temperatur  T  —  A  hat.  Bei  der  Temperatur  %  des 
Maximums  der  electromotorischen  Kraft  konnte  nun  der  Strom  weder 
an  Ci  noch  C2  Wärmeerscheinungen  hervorbringen,  demnach  musste  bei 
dieser  das  Galvanometer,  wenn  es  mit  v  und  to  verbunden  war,  keinen 
Strom  geben.  Erhitzte  man  jedoch  die  heisse  Löthstelle  über  die  Tempe- 
ratur  %  des  neutralen  Punktes  hinaus,  so  musste  das  Peltier'sche 
Phänomen  wieder  auftreten,  und  an  den  Löthstellen  mussten  sich  wieder 
Temperaturunterschiede  zeigen. 

Der  Versuch  selbst  wurde  nun  auf  die  Weise  ausgeführt,  dass 
zwischen  zwei  Kupferdrähte  11  Eisen-  und  10  Kupferdrahtstücke  von 
5  cm  Länge  abwechselnd  eingelöthet  wurden,  so  dass  man  je  11  wirksame 
Löthstellen  Ci  und  ebenso  viele  Löthstellen  c^  erhielt.  Dieser  aus  beiden 
Metallen  zusammengesetzte  Theil  des  Leiters  wurde  in  eine  Spirale  zu- 
sammengewickelt und  in  einem  Luftbade  erhitzt. 

Die  Unterbrechung  des  Stromes  und  Verbindung  des  Thermoelemen- 
tes mit  dem  Galvanometer  wurde  durch  die  Foucault'sche  Wippe 
automatisch  bewerkstelligt.  Die  langsam  bewegliche  Galvanometernadel 
nahm  in  Folge  der  nur  kurze  Zeit  dauernden,  aber  rasch  sich  folgenden 
Thermoströme  eine  für  jede  Temperatur  des  Thermoelementes  ziemlich 
stationäre  Stellung  ein. 

Da  bei  der  angewendeten  Heizvorrichtung  die  Temperatur  der 
Bämmtlichen  gleichartigen  Löthstellen  nicht  ganz  genau  gleich  war,  so 
erreichten  nie  alle  Löthstellen  gleichzeitig  die  Temperatur  des  Strom- 
maximums, und  infolge  davon  erreichte  der  Ausschlag  am  Galvanometer 
zwar  ein* Minimum,  wurde  aber  nicht  absolut  Null.  Jenseits  dieses 
Punktes  zeigten  sich  wieder  am  Galvanometer  Thermoströme  von  zu- 
nehmender Intensität,  ein  Beweis  dafür,  dass  jenseits  des  Maximums  der 
electromotorischen  Ejraft  auch  das  Peltier'sche  Phänomen  sich  an  dgn 
Löthstellen  wieder  merklich  machte. 

Budde  fand  im  Mittel  nachstehend  reduoirte  Ausschläge  am  Gal- 
vanometer, welche  als  Maass  der  vom  Strom  an  entgegengesetzten  Löth- 
stellen producirten  und  consumirten  Wärmemengen  dienen  können: 


774         III.    Anwendungen  auf  electrische  Erscheinungen. 


Temperatur 

2A 

in  Galvanometer- 

beider 

ausschlägen 

Löthstellen 

240 

24,5 

1380 

9,5 

2000 

3,5 

240« 

0,5 

270« 

5,0 

3000 

.      7,0 

3500 

14,0 

Soweit  die  nicht  unerhehlichen  YerBachsschwierigkeiten  dies  ge- 
statten, darf  man  daher  wohl  dieses  Resultat  Bndde's  als  eine  unzweifel* 
hafte  experimentelle  Bestätigung  der  theoretischen  Folgerung  ansebeB. 
dass  an  einer  Löthstelle,  welche  auf  die  Temperatur  X  des  neniaralca 
Punktes  erhitzt  ist,  keine  P eitler' sehe  Wirkung  stattfindet.  Badde 
findet  den  neutralen  Punkt  heim  Kupfereisenelemente  ungefähr  bei  245*. 
Gaugain^)  hei  236o,  Avenarius  hei  2760.  Diese  grossen  DifferenscB 
werden  jedoch  hei  der  individuellen  Verschiedenheit  der  Beschaffenheit 
der  Eisendrähte  und  Kupferdrähte  kaum  üherraschen. 

Auf  etwas  anderem  Wege  hahen  auch  Naccari  und  Bellati')  die- 
selbe Consequenz  der  Theorie  experimentell  hestätigt. 

Dieselben  maassen  in  Calorimetern  die  Grösse  der  Wärmemengen, 
welche  durch  das  Pel tierische  Phänomen  an  der  einen  Löthstelle  einei 
Kupferwismuththermoelementes  absorhirt  und  an  der  anderen  entwickelt 
wurden,  wenn  ein  Strom  von  der  Intensität  Eins  durch  beide  Löthstellen 
hindurchging.  Die  Grösse  dieser  Wärmemengen  wurde  aus  den  Tempe- 
raturunterschieden und  den  Wasserwerthen  der  Calorimeter  bestimmt 
Die  Temperaturunterschiede  der  Calorimeter  aber  wurden  mit  Hilfe  eines 
Eisenneusilberthermoelementes  gemessen,  welches  mit  einem  Thermometer 
sorgfältig  verglichen  worden  war. 

Auf  diese  Weise  fand  sich  für  das  Peltier'sche  Phänomen  ar  (J) 
als  Function  der  Temperatur  die  Formel: 

n(T)  =  0,02022  +  8,0908. 10-ß.(r  —   18)  —  0,01888  (T  —  18)1 

Hiernach  wird: 

7t(T)  =  0{iXr  !r  =  Z  —  896,4. 

Für  die  electromotorische  Kraft  F  des  Knpferwismuthelementes  aber 
fanden  sie: 

F  =  0,12309 .  10-  5 .  (IT  —  T") .  |877,8  —  ^  '^  ^'\  • 


1)  Gaagain,  Ano.  de  chim.  et  de  phys.  3.  Serie  Bd.  65,  S.  62. 

2)  Naccari    uod  Bellati,  Atti  dcl  Instit.  Vencto,  5.  Serie,  Bd.  4,  S.  1,  «ach: 
Beiblätter  Bd.  2,  S.  638. 


F.    Thermoelectricität.  7  7  5 

Aus  dieser  Formel  findet  man  anf  ganz  anderem  Wege  %  =  877,8, 
einen  Werth,  der  sehr  gut  mit  896,4  übereinstimmt.  Man  erkennt  also, 
dass  das  Pelti er' sehe  Phänomen  an  einer  Löthstelle  verschwindet,  deren 
Temperatur  gleich  der  des  neutralen  Punktes  ist. 


16.  Erklärung  des  Thomson'sclien  Phänomens. 

Anstatt  mit  Thomson  eine  neue  Eigenschaft  der  die  Electricität 
leitenden  Substanzen:  einen  Transport  von  Wärme  durch  den  Strom  an- 
zunehmen, kann  man  auch  imAnschluss  an  die  einfachere  von  Glausius 
angebahnte  Auffassung,  in  Uebereinstimmung  mit  Bndde  und  Hoorweg 
die  Ursache  der  von  Becquerelund  Magnus  beobachteten  Erschei- 
nungen und  des  T  h  o  m  s  o  n '  sehen  Phänomens  in  der  durch  Temperatur- 
Verschiedenheiten  hervorgebrachten  Heterogeneität  suchen.  Man  ist  be- 
rechtigt zu  behaupten,  dass  durch  die  Erwärmung  einer  Substanz  die 
Structur  derselben  sich  ändert.  Diese  Structurverschiedenheit  bedingt 
eine  gewisse  Heterogeneität  der  sonst  gleichartigen  Theile,  und  diese 
Heterogeneität  äussert  sich  durch  das  Auftreten  thermoelectrischer  Ströme. 

Will  man  den  Vorgang  ganz  äusserlich  auffassen,  so  kann  man  sagen, 
dass  diese  Heterogeneität  darin  ihre  Ursache  habe,  dass  benachbarte  Theile 
des  Leiters  eine  verschieden  starke  Yolumenänderung  erfahren,  da  sie 
verschiedene  Temperatur  haben.  Diese  verschiedenartige  Ausdehnung 
aber  bewirkt  eine  Spannung.  Stärker  gedehnte  oder  gepresste  Stücke 
desselben  Metalles  aber  geben  bekanntlich  thermoelectrische  Ströme  gegen 
minder  gedehnte  oder  minder  gepresste. 

Locale  Erwärmung  und  zur  Erwärmungsstelle  symmetrische  Ab- 
kühlung eines  homogenen . Drahtes  kann  keinen  Strom  liefern,  da  die 
Structurverschiedenheiten  zu  beiden  Seiten  der  Erwärmung  in  derselben 
Aufeinanderfolge  entstehen  und  daher  Tbermoströme  erzeugen,  die  sich 
gegenseitig  aufheben.  Wenn  dagegen  ein  Strom  hindurchfliesst,  so  muss 
eine  der  Pelti  er 'sehen  Erscheinung  analoge  eintreten,  die  eine  Seite 
muss  etwas  stärker  erwärmt  werden,  als  die  andere;  genau  so,  wie  die 
auf  gleicher  Temperatur  befindlichen  beiden  Löthstellen  einer  Thermo- 
säule  verschiedene  Temperaturen  annehmen,  wenn  ein  galvanischer  Strom 
durch  dieselbe  hindurch  geleitet  wird.  Es  repräsentirt  dann  aber  jeder 
Querschnitt  mit  seinem  Nachbarquerschnitt,  der  eine  andere  Temperatur 
besitzt,  die  Löthstelle  eines  Thermoelementes.  Es  treten  daher  zwischen 
benachbarten  Querschnitten  electromotorische  Kräfte  und  Peltier'sche 
Wärmeerscheinungen  auf,  wenn  die  Temperatur  des  Drahtes  an  verschie- 
denen Stellen  verschieden  hoch  ist.  Diese  Auffassung,  nach  welcher  man 
das  Thomson'sche  Phänomen  als  eine  unendlich  häufige  Wiederholung 
des  Pelti  er'  sehen  Wärmeprocesses  zwischen  unendlich  benachbarten  Quer- 
schnitten betrachtet,  erklärt  dann  ebensogut  auclv  JVe^o^  ^•^^®^^®^®^» 


776  III.    Anwendungen  auf  electnsche  Erscheinungen. 

Magnus  und  neuerdings  von  Le  Rouz  beobachtete  Thatsache,  daes  in 
manchen  Drähten  thermoelectrische  Ströme  entstehen,  wenn  sie  einseitig 
neben  einem  geschlungenen  Knoten  oder  einer  merklichen  Qaerschnitt» 
Veränderung  erwärmt  werden,  die  einen  symmetrischen  Abüall  der 
Temperaturcurre  unmöglich  machen  und  die  Homogeneitat  der  Subatani 
geändert  haben. 

Auch  die  von  Cumming  zuerst  beobachtete  und  späterhin  allseitig 
constatirte  Thatsache,  dass  die  electromotorische  ^aft  eines  Thenno- 
elementes  mit  wachsender  Temperatur  bei  constanter  Temperaturdifferesi 
der  Löthstellen  in  ziemlich  verwickelter  Weise  sich  ändert,  lasst  sich  vn 
diesem  Gesichtspunkte  aus  leicht  erklären. 

Als  Ursache  des  thermoelectrischen  Stromes  hat  man  die  Störungen 
der  Molecularbewegungen  anzusehen,  welche  an  den  Berübrongsstella 
heterogener  Substanzen  auftreten.  An  Stelle  der  Verluste  an  kinetischer 
(calorischer)  Energie  der  sich  in  ihren  Bewegungen  störenden  Molecöli: 
treten  äquivalente  Mengen  electrischer  Energie  auf.  Dass  diese  Ver 
schiedenheit  der  Molecularbewegung  bei  verschiedenen  Temperatira 
auch  dadurch  geändert  werden  kann,  dass  die  Substanzen  ihre  BeschaffeE- 
heit  mit  der  Temperatur  ändern,  ist  wohl  verständlich. 


IV. 

ANWENDUNGEN 

DEB 

MECHANISCHEN  WÄRMETHEORIE 

AUF 

PROBLEME  DER  METEOROLOGIE  UND 

ASTRONOMIE. 


A.  Der  indifferente  Gleichgewichtszustand  der 

Atmosphäre. 

1.    Der  indifTerente  Oleichgewlolitsziistand  einer  Atmo- 
sphäre,  die  aus  trockener  Luft  besteht. 

In  der  Atmospliäre  besteht  der  indifiPerente  Gleichgewichtszustand^) 
dann,  wenn  die  Temperatnrabnahme  nach  der  Höhe  genau  nach  dem  Gesetze 
stattfindet,  nach  welchem  die  Temperatur  einer  aufsteigenden  Luftmasse 
abnehmen  würdoi  welcher  beim  Aufsteigen  weder  Wärme  zugeführt  noch 
entzogen  wird. 

Der  Gleichgewichtszustand  in  der  Atmosphäre  ist  labil,  wenn  die  Tem- 
peratur mit  der  Höhe  rascher  abnimmt,  er  ist  stabil,  wenn  die  Abnahme 
langsamer  stattfindet,  als  beim  indifferenten  Gleichgewichtszustande.  Die 
Stabilität  des  Gleichgewichtszustandes  der  Atmosphäre  hängt  nämlich 
ausser  von  ihrer  Beschaffenheit  (ob  trocken  oder  feucht),  hauptsächlich  von 
dem  Gesetze  ab,  nach  welchem  sich  die  Temperatur  mit  der  Höhe  ändert. 


^)  Auf  diesen  Zustand  der  Atmosphäre  bat  zuerst  W.  Thomson,  später  ausführ- 
licher Reye  hingewiesen;  Letzterer  in  seiner  wichtigen  Schrift:  Die  Wirbel  stürme, 
Tornados  und  Wettersäulen ,  Hannover  1872.  Weiter  theoretisch  verfolgt  wurden  diese 
Ideen  neuerdings  von  A.  Ritter:  Anwendungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf 
kosmologische  Probleme,  Hannover  1879.  Auch  vergleiche  man  die  äusserst  werthvolle 
Abhandlung  von  Hann:  Oesterreichische  Zeitschrift  für  Meteorologie,  lid.  IX  (1874), 
S.  195 :  Die  Gesetze  der  Temperaturänderungen  in  aufsteigenden  Luilströmungen.  Eine 
sehr  präcise  und  elegante  mathematische  Darstellung  der  hier  in  Betracht  kommenden 
Verhältnisse  findet  man  auch  in  der  klassischen  Arbeit  von  Mohn  und  Guldberg: 
Etudes  sur  les  mouvements  de  Patmosph^re.  Christiania  (üniversitätsprogramm)  1876 
und  1880. 


778       IV.     Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

Eriheilt  man  einer  Lufbmenge  eine  kleine  Geschwindigkeit  Tertiol 
nach  oben  oder  vertioal  nach  unten,  so  kann  die  Temperatur  dieser  Lofr 
menge  sich  in  Folge  ihrer  Bewegung  rascher  oder  langsamer  ändm, 
als  die  Temperatur  der  umgebenden  Atmosphäre.  Wenn  die  Tempentnr 
einer  aufsteigenden  Lufbmenge  rascher  abnimmt,  als  die  Temperatur  der 
umgebenden  Atmosphäre,  so  wird  die  aufsteigende  Luftmenge  ein  gröBKra 
specifisches  Gewicht  bekommen,  als  die  umgebende  Luft,  und  sie  viri 
deshalb  wieder  nieder  sinken,  wenn  die  ertheilte  yerticale  Anfangs- 
geschwindigkeit consumirt  ist.  Ein  derartiger  GleichgewicbtszusiaQd  k 
demnach  ein  stabiler.  Nimmt  die  Temperatur  eines  aufsteigenden  Luft- 
partikelchens  langsamer  ab,  als  die  Temperatur  der  Umgebung,  so  erksgi 
das  Lnftpartikelchen  ein  geringeres  specifisches  Gewicht,  als  die  nn* 
gebende  Luft,  und  es  wird  seine  aufsteigende  Bewegung  daher  mit  n- 
nehmender  Geschwindigkeit  fortsetzen;  es  würde  durch  den  geringstei 
Anstoss  ein  aufsteigender  Luftstrom  entstehen,  das  Gleichgevricht  der 
Atmosphäre  ist  dann  labil.  Ertheilt  man  einer  Luftmenge  eine  abster 
gende  Geschwindigkeit,  so  findet  man  in  gleicher  Weise,  dass  das  Gleick- 
gewicht  stabil  ist,  wenn  die  Temperatur  der  niedersinkenden  Luftmengi 
rascher  zunimmt,  als  die  der  umgebenden  Lufb  und  ebenso,  dass  dv 
Gleichgewicht  labil  ist,  wenn  die  Temperatur  des  sinkenden  Lufttheü- 
chens  langsamer  wächst,  als  die  der  umgebenden  Atmosphäre.  Die 
Atmosphäre  ist  somit  stabil  für  einen  aufsteigenden  Luftstrom,  wenn  « 
labil'  für  einen  absteigenden  ist,  und  umgekehrt. 

Das  Gesetz  der  Temperaturabnahme  kann  für  den  Fall  des  indifi- 
renten  Gleichgewichts  der  Atmosphäre  leicht  mit  Hülfe  der  Gleichanga 
der  mechanischen  Wärmetheorie  aufgefunden  werden.  Wir  ermitteln  dis- 
selbe  zunächst  unter  den  Voraussetzungen ,  dass  wir  es  mit  einer  Atmo- 
sphäre von  trockener  Luft  zu  thun  haben,  und  dass  trockene  Luft  der 
Zustandsgieichung  eines  idealen  Gases: 


p.v 


m 


=  E l) 


bei  allen  vorkommenden  Drücken  und  Temperaturen  streng  folge. 

Bezeichnet  nun  p  den  Druck,  v  das  specifische  YolumeD,  T  die 
absolute  Temperatur  in  der  Höhe  x  über  der  Meeresoberfläche,  so  id 
p  -]-  dp,  V  -}-  dVf  T  -{-  dT  die  entsprechenden  Grössen  in  der  Höie 
X  -^  dx.  Alsdann  ist  die  Druckänderung  dp  negativ  und  zwar  gleich 
dem  Gewichte  des  Luftvolumens ,  dessen  Basis  die  Flächeneinheit  m 
dessen  Höhe  dx  ist.  Man  erhält  somit,  unter  VemachlässiguDg  der 
unendlich  kleinen  Grössen  höherer  Ordnung: 

dp  =1 .  dx, ^) 

V 

weil  —  das  Gewicht  der  VolumeDeinheit  Luft  in  der  Höhe  x  ist. 

V 


A.     Das  indifferente  Gleichgewicht  der  Atmosphäre.        779 

Erhebt  man  1  kg  Luft  von  der  Höhe  X  auf  die  Höhe  x  •\'  dx,  so 
^eht  das  Volumen  dieser  Luftmenge  von  v  in  v  '\-  dv  über.  Hierbei 
wird   eine    Arbeitsmenge   v  •  dp    geleistet,    welche    der   Wärmemenge 

--•vdp  äquivalent  ist.  Diese  Wärmemenge  müsste  Yon  aussen  der  Luft- 

menge  zugeführt  werden,  wenn  die  Temperatur  der  Luft  bei  diesem 
Processe  ungeändert  gleich  T  bleiben  sollte.  Erwärmt  man  nunmehr, 
ohne  das  Volumen  des  Gases  sich  ändern  zu  lassen,  dasselbe  in  der  Höhe 
X  -^  dx  um  d  T,  so  ist  dazu  die  Wärmemenge  CvdT  erforderlich. 

Im  Ganzen  müsste  also,  damit  in  der  Höhe  x  -{-  dx  das  Kilogramm 
Liufb  das  Volumen  v  -{■  dv  und  die  Temperatur  T  -^r  dT  habe,  eine 
Wärmemenge  dQi 

dQ  =  j  -  p  •  dv  -i-  Cv'dT 3) 

zugeführt  werden. 

Die  zur  Hebung  des  Luftgewichtes  um  die  Höhe  dx  erforderliche 
Arbeit  ist  Null,  da  im  vorausgesetzten  Gleichgewichtszustande  der  Atmo- 
sphäre das  Gewicht  der  Luft  durch  einen  genau  gleich  grossen  Auftrieb 
aufgehoben  wird. 

Im  indifferenten  Gleichgewichtszustande  soll  nun  die  obengenannte 

Wärmemenge  dQ  gleich  Null  sein,  die  Zustandsänderung  der  Lufb  nach 

der  Höhe  soll  längs  einer  adiabatischen  Curve  erfolgen.     Dies  führt  zu 

der  Gleichung: 

p.dv  =  —  J.Cv.dT. 

Addirt  man  hierzu  die  Gleichung  2)  in  der  Form: 

V .  dp  =  —  dXf 
80  erhält  man: 

p,dv  -f-  v,dp  =  —  dx  —  J.Cv.dT 
oder: 

d(v.p)  =  —  dx  —  J.Cff.dT. 

Nun  ist  aber  nach  der  Znstandsgleichung  vollkommener  Gase  (Glei- 
chung 1): 

d(v.p)  =  B.dT, 

80  dass  man  schliesslich  erhält: 

R.'dT=  —  dx  —  J.c^.dT. 

Trennt  man  die  Veränderlichen  und  berücksichtigt,  dass  (Bd.  1,  III, 
A.  2,  S.  236,  Gleichung  6): 

B  =  J.(cp  —  Cv) 

ist,  so  ergiebt  sich: 

J.Cp.dT—  —  dx 
oder: 


780       IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

dT  1    1) 


4) 


dx  J  .Cp 

lutegrirt  man  und  setzt  die  Temperatur  an  der  Erdoberfläche,  d.  b.  in 
der  Höhe  o?  =  0  gleich  Tq,  so  findet  man  für  die  Temperatur  in  der 
Höhe  X  den  Ausdruck: 

^=^«-7^-^ '■ 

Eliminirt  man  x  statt  |>,  so  kommt  man  auf  die  Thomson^eclK 
Gleichung  ^) : 

T=  To  -(l -'  X), 

worin  Tq,  ^oi  l'o  die  Werthe  der  absoluten  Temperatur,  der  Dichte  und 
des  Druckes  der  Luft  in  der  Höhe  Xq  sind,  und  x  den  Quotienten  der 
specifischen  Wärme  bezeichnet. 

£Iiminirt  man  in  der  Gleichung  2)  v  mit  Hilfe  der  Formel : 

P 
so  erhält  man: 

dp  dx     ' 


p  B.T 

Substituirt  man  hierin  für   T  den  Ausdruck,   durch   den    wir  am 
Gleichung  5)  geführt  wurden,  so  findet  man: 

dp  _  J.Cp     dT 
p   ~     B     '    T 

und  hieraus  durch  Integration: 


Po        \ToJ 


6i 
Po 

oder 

i_^^.,)V ,) 

J.Cp.To      J 

Hierin  bezeichnet  p  den  Druck  in  der  Höhe  x^  p^  den  Druck  an  der 
Erdoberfläche. 

Der  Exponent  ist  seinem  numerischen  Werthe  nach: 

B     -^'^*- 


^)  Dieselbe  Formel,  etwas  anders  abgeleitet,  giebt  Mendeleeff  in  dem  Aai&.itzc: 
Sur  la  temp^rature  des  couches  ^lev^es  de  Patmosph^re.  CompUrend.  Bd.  81,  S.  10^ 
Die  dort  entwickelte  Formel  lautet: 

4^  =  - ^^-::ii .  i  =  - 0,00984. 

^)  W.  Thomson,  On  the  convective  Equilibrium  of  temperature  in  tbe  JVtmo- 
spbcre.     Mem.  of  the  Phil.  Soc.  of  Manchester.     III.  Ser.,  Bd.  II,  S.  126. 


A.    Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.    781 


2«  Folgerungen,  die  sioli  aus  den  Formeln  für  den  indifi^- 
renten  Gleioligewlclitszustand  ergeben. 

Die  Formel  5)  gestattet  einige  bemerkenswerthe  Schlüsse.  Zunächst 
siebt  man,  dass  die  Temperaturabnahme  der  Höhe  proportional  ist.  Die 
Temperatur  nimmt  im  indifferenten  Gleichgewichtszustande  mit  der  Höhe 
gleichförmig  ab.  Ferner  ist  beachtenswerth,  dass  T  =  0  werden  würde, 
d.  h.  dass  die  Temperatur  des  absoluten  Nullpunktes  für  einen  Werth 
von  X  stattfinden  würde,  welcher  der  Gleichung: 

0  =  To  —  -Y^  .  X 

genügt.  Nimmt  man  die  Temperatur  an  der  Erdoberfläche  gleich  lO^C, 
also  Tq  =  283  an,  so  findet  man  diesen  besonderen  Werth  von  o;,  den 
wir  mit  H  bezeichnen  wollen : 

H  =  28S  .  J .  Cp  =  28564w^. 

Dies  würde  ungefähr  die  Höhe  der  Erdatmosphäre  sein,  wenn  die- 
selbe aus  trockener  Luft  bestände,  wenn  die  Temperatur  des  Weltraumes 
die  des  absoluten  Nullpunktes  wäre,  und  die  Luft  bis  zum  absoluten 
Nullpunkte  dem  Ausdehnungsgesetze  vollkommener  Gase  folgte^). 

Wahrscheinlich  ist  jedoch  keine  dieser  Voraussetzungen  auch  nur 
angenähert  erfüllt,  ausgenommen  vielleicht  die  zweite.  Insbesondere 
wissen  wir  gar  nicht,  nach  welchen  Gesetzen  Druck  und  Volumen  von 
Sauerstoff  und  Stickstoff  bei  sehr  niedrigen  Temperaturen  zusammen- 
hängen, und  wie  man  sich  den  Aggregatzustand  dieser  Gase  in  der  Nähe 
des  absoluten  Nullpunktes  vorstellen  soll. 

Man  darf  daher  nicht  überrascht  sein,  dass  dieses  Bechnungsresultat 
mit  bekannten  Thatsachen  durchaus  nicht  vereinbar  ist.  Noch  in  einer 
Höhe  von  200  km  besitzt  z.  B.  die  Atmosphäre  eine  solche  Dichte ,  dass 
sie  die  Bewegung  der  sich  mit  planetarischen  Geschwindigkeiten  bewegen- 
den Meteorite  merklich  beeinflusst  ^).  Nicht  selten  beginnen  Stern- 
schnuppen schon  in  beträchtlich  grösserer  Entfernung  von  der  Erdober- 
fläche durch  ihr  Leuchten  sichtbar  zu  werden.  Als  einzige  zutreffende 
Erklärung  dieser  Licht-  und  Wärmeentwickelung  gilt  zur  Zeit  die  An- 
nahme, dass  die  Verluste  an  kinetischer  Energie,  welche  diese  Himmels- 
körper durch  Reibung  an  der  Erdatmosphäre  erfahren,  die  Ursache  dieser 
Wärme-  und  Lichtentwickelung  seien. 


^)  Berücksichtigt  man  die  Abnahme  der  Schwere  mit  der  Höhe,  so  ist  man  über- 
haupt nicht  mehr  im  Stande,  einen  bestimmten  Abstand  vom  Erdmittelpunkt  anzugeben, 
in  welchem  das  Luflmcer  aufhört. 

^)  Man  vergleiche  Schiaparelli:  Entwurf*  einer  astronomischen  Theorie  der 
Sternsohnuppen.     Deutsch  von  G.  v.  Boguslawski.     S.  4. 


782       IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

In  einer  aus  trockener  atmosphärischer  Luft  bestehenden,  im  indiffe- 
renten Gleichgewichte  befindlichen  Atmosphäre  würde  für  je  100  m  Hohe 
die  Temperatur  um 

-;?—.  100  =  0,9900. 8) 

abnehmen  ^). 

Eine  in  einem  aufsteigenden  oder  herabsinkenden  Strome  befindlidke 
trockne  Luftmenge  würde  für  je  100  m  Erhebung  oder  Senkung  sich  nn 
nahezu  l^G.  abkühlen  resp.  erwärmen,  welches  auch  der  Anfangszastand 
dieser  Luftmenge  gewesen  sein  mag. 


3.    Oleichgewiclitszustaiid,  wenn  die  Luft  nicht  mit 

Wasserdampf  gesättigt  ist. 

Wenn  es  möglich  wäre,  den  Gleichgewichtszustand  einer  aus  feachter 
Luft  bestehenden  Atmosphäre  genauer  mathematisch  festzustellen,  w 
müsste  man  damit  jedenfalls  wenigstens  für  den  mittleren  Zustand  unterer 
Schichten  der  Atmosphäre  der  Wahrheit  erheblich  näher  kommen,  als 
durch  die  Gleichungen  des  vorhergehenden  Paragraphen. 

Leider  ist  eine  allgemeine  Behandlung  der  Frage  deshalb  unmöglich, 
weil  der  Wassergehalt  der  Luft  in  verschiedenen  Höhen  und  zu  ver^ 
schiedenen  Zeiten  nach  Beschaffenheit  und  Quantität  ausserordentiich 
verschieden  ist.  Bald  enthält  die  Luft  ungesättigten  Wasserdampf,  ist 
also  relativ  trocken;  bald  ist  die  Luft  mit  Wasserdampf  nahezu  oder 
ganz  gesättigt;  zu  anderer  Zeit  ist  sie  nicht  nur  gesättigt,  sondern  trägt 
nicht  unbeträchtliche  Mengen  von  flüssigem  Wasser  in  der  Form  feiner 
Nebelbläschen  mit  sich  herum.  Bald  enthält  die  Luft  als  Regen  nieder- 
fallende Wassertropfen,  zu  anderen  Zeiten  feine  Schneekrystalle  oder 
dicke  Schneeflocken.  Am  einfachsten  gestalten  sich  die  Verhältnisse  im 
ersten  Falle,  wenn  die  Luft  nur  sehr  wenig  Wasserdampf  enthält,  wenn 
die  Luft  nicht  mit  Wasserdampf  gesättigt  ist.  Alsdann  verhält 
sich  die  feuchte  Luft  so  lange  nicht  wesentlich  anders  als  trockne  Luft, 
bis  die  Temperatur  derselben  so  niedrig  geworden  ist,  dass  eine  Conden- 
sation  eintreten  würde. 

Nimmt  man  z.  B«  an,  dass  in  einem  Kilogramm  Luft  q^  Kilogramm 
Wasser  als  Dampf  enthalten  sind  und  an  dem  gegebenen  Punkte  der 
Atmosphäre  g  sehr  viel  kleiner  als  das  Gewicht  ist,  welches  bei  dem 
gegebenen  Zustande  zur  Sättigung  der  Luft  mit  Wasserdampf  genügen 
würde,  so  ist  die  specifische  Wärme  der  feuchten  Luft  (bei  constantem 
Drucke)  CpX 

Cp  =  Cp  .  (1  —  5)  +  yp  .  (?  =  0;  +  (yp  —  cp)  .  9     .    .    3) 


*)  Man  vergleiche  Reye:  Wirbelstiirme  etc.,  S.  224. 


Ä.    Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.    783 

ivenn  Cp  die  specifische  Wärme  der  trockenen  Luft,  yp  die  des  ungesättig- 
.en  Wasserdampfes  bedeutet. 

q  ist  stets  ein  sehr  kleiner  echter  Bruch  ^). 

Das  Gewicht  M  der  trockenen  Luft,  welche  bei  dem  Barometer- 
stande jp,  der  Temperatur  T  und  bei  einer  Dunstspannung  /  in  einem 
Kubikmeter  feuchter  Luft  enthalten  ist,  beträgt  (weil  v  =  1): 

B.T 

und  das  Gewicht  m  des  in  dem  Kubikmeter  feuchter  Luft  enthaltenen 
Wasserdampfes  beträgt: 

Somit  ist  M  -\-  m  das  Gewicht  von  einem  Kubikmeter  feuchter 
Luft,  welche  m  Kilogramm  Wasserdampf  enthält.     Ein  Kilogramm  Luft 

m 

enthalt  somit j — —  =  q  Kilogramm  Wasserdampf,  wenn  die  Dunst- 

m  -f-  M 

Spannung  unter  den  angegebenen  Verhältnissen  /beträgt.    Hiernach  ist: 

/ 

ü  = 


M  +  m       p—f  f 

B.T   "^  WTt 

Berücksichtigt  man,  dass,  insoweit  man  ungesättigten  Wasserdampf 
als  ein  vollkommenes  Gas  ansehen  darf,  für  Luft  i2  ==  et  .  |)o  .  vo ,  für 
Wasserdampf  i2'  =  a  .  po  •  ^o  ist,  so  folgt: 

:?.'  _  üo  _  ?o  _      1     . 
22  ~  ro         6  ~  0,623 ' 

somit  ergiebt  sich,  dass  -^  gleich  dem  reciproken  Verhältniss  der  Gas- 

dichten  ist.     Man  erhält  demnach: 

_  0,623  .  /  _       0,623  .  /      «) 

^  ""  i? —/+  0,623  ./ ~"  1?  —  0,377  ./ 
und 

f  ^         g 

p         0,623  +  0,377  .  q 


10) 


11) 


>)  Man  sehe  die  Tal>e1le  für  9  auf  S.  785. 
^)  Näherungsweise  Itann  man  setzen: 

5  ./ 


ff  = 


8  •!>  — 3./ 
oder  auch,  da  3/  immer  im  Vergleich  zu  8^  sehr  klein  ist: 

8      t 


784       IV.   Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

Setzt  man  in  der  Gleichung  5)  für  Cp  nunmehr  Cp,  so  erhält  mtn: 

T=To  —  j^'X 12) 

oder: 

^  =  -yV ^5) 

dx  J .  Cp 

Bei  Einführung  sämmtlicher  numerischen  Werthe  ergeben  sich  for 
Cp  Werthe,  welche  selbst  bei  ziemlich  hohen  relativen  FenchtigkeitB- 
gehalten  so  wenig  von  Cp,  der  specifischen  Wärme  trockener  Luft,  abwei- 
chen, dass  sich  der  Coefficient  für  die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe 
nur  unmerklich  ändert.  Ist  z.  B.  die  Temperatur  an  der  Erdoberfläche 
30^  also  T  =  3030,  p  =  760mm,  der  Dunstdruck  /=  19  mm,  w» 
einem  relativen  Feuchtigkeitsgehalte  von  ungeföhr  60  Proc.  entspricht 
so  ist^): 

fl  =  0,0156,  Cp  =  0,241  und  -3-  =  —  0,00975 

ax 

statt  —  0,0990,  was  wir  Gleichung  8)  für  vollständig  trockne  Loft 
gefunden  hatten.  Freilich  ist  diese  Formel  nur  auf  einen  kleinen  Tbeü 
der  Atmosphäre  anwendbar,  denn  schon  in  geringer  Höhe  (im  vorliegen- 
den Beispiele  bei  circa  900  m  Erhebung)  würde  wegen  des  Sinkens  da 
Temperatur  der  Luft  der  in  ihr  enthaltene  Wasserdampf  seinen  Condea- 
sationspunkt  erreicht  haben,  die  aus  höheren  Regionen  niedersinkendeB 
Condensationsprodücte  würden  aber  alsdann  den  Gleichgewichtszustand 
der  darunter  liegenden  Luftschichten  stören.  Für  die  Aendemng  dei 
Druckes  erhalten  wir  im  vorliegenden  Falle  durch  das  im  §.  1  angewen- 
dete Verfahren  in  diesem  Falle 

.)■ - 


Der  Exponent  m  hat  in  diesem  Falle  den  Werth: 

^_j.o,..  ■+'(g-')  ,„ 

Vfl   ^I^   .  • :^ •         «         ■         •         .        1  •Jl 

B*  ö  +  (l  —  ö).^ 

Nach  Einsetzung   der   numerischen   Werthe  erhält   man    sehr  an- 
genähert : 

*"  -  ^'^^     0.623  +  0.377  .  q  * 
wofür  mit  genügender  Annäherung: 

3,44 

"^1+0,6. g ''^ 

gesetzt  werden  kann. 

^)  Dieses  Beispiel  rührt  von  Hann  her,    Zeitschrift  f.  Meteorologie,  Bd.  9  (1874), 
S.  324. 


A.    Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.    785 


4.   Olelohgewlöhtszustand  einer  mit  Wasserdampf 

gesättigten  Atmosphäre. 

Denken  wir  uns  nun,  wir  haben  in  der  Höhe  rr  1  kg  Luft  vor  uns, 
und  zwar  sei  die  Luft  mit  WaBserdampf  vollkommen  gesättigt, 
und  es  wird,  während  sich  diese  Luftmasse  um  dx  erhebt,  die  kleine 
Dampfinenge  d  q  condensirt.  Durch  diese  Condeusation  wird  die  Wärme- 
menge r  .  dq  frei,  wenn  man  mit  r  die  latente  Dampfwärme  des  Wassers 
bei  der  Temperatur  T  bezeichnet  und  voraussetzt,  dass  der  Wasserdampf 
als  flüssiges  Wasser  condensirt  wird. 

Wird  der  Wasserdampf  jedoch  als  Eis  ausgeschieden,  so  wird  die 
Wärmemenge  (r  -[-  L)  .  dq  entbunden,  wobei  L  die  latente  Schmelz- 
wärme des  Eises  79,25  bezeichnet.  Denkt  man  sich  den  Wasserdampf 
als  Eis  ausgeschieden,  so  ist  in  den  nachstehenden  Formeln  überall  statt 
r  die  Klammer  (r  -|-  L)  zu  setzen.  Soll  wiederum  bei  einer  Erhebung 
eines  Kilogramms  Luft  um  die  Höhe  dx  weder  Wärme  von  aussen  zu« 
geführt  noch  abgeführt  werden,  so  erhält  man  diesmal: 

0  =  r  '  dq  +  Cv  '  dT  -\-  -rz  '  p  *  dv^ 

weil  bei  der  Erhebung  der  Luftmenge  um  die  Höhe  dx  die  Wasser- 
dampfmenge dq  condensirt  und  die  Wärmemenge  r  .  dq  dadurch  ent- 
bunden wird. 

Mit  Rücksicht  auf  die  bekannte  Relation : 

J  .  (Cp  —  Cv)  =  R 

kann  man  hierfür  schreiben: 

Hierin  ist  für  Cp  wiederum  Cp  gebraucht,  da  es  sich  um  die  spe- 
cifische  Wärme  feuchter  Luft  handelt. 

Differenzirt  man,  um  diesem  Ausdruck  eine  etwas  andere  Grestalt 
zu  geben,  die  Zustandsgieichung  vollkommener  Gase,  so  findet  man: 

p  ,  dv  -]-  V  .  dp  =  R  .  dT, 
somit: 

—  .(p.rft;  —  B  -  dT)  = =-r-  dp, 

d  tß 

Wenn  man  dies  oben  einsetzt,  erhält  man: 

—  r  '  dq^=  Cp  '  dT =•!;•  dp. 

Rflhlmann,  Mecfaaniiche  Wärmetheorie.    Bd.  II.  50 


-r.äq=C,-dT-^-dT+-^.p.dv. 


786       IV..  Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

Sabstituirt  man  hierin  wieder  die  Gleichung  2),  welche  die  Drack* 
abnähme  nach  der  Höhe  darstellt  : 

V  .  dp  ^=  —  dx, 
so  erhält  man: 

-^  r  '  dq=  Cp'  dT  +  \  '  dx 1 


/ 


t. 


Nunmehr  muss  noch  dq  eliminirt  werden.  Zu  diesem  Z'wecke  vird 
der  Ausdruck  q  (Gleichung  10,  S.  783)  logarithmirt  und  hierauf  diffe- 
renzirt.     Dadurch  findet  man: 


oder: 


dq  _ 

df       dp    ^    ^'^"     \p       '     i>V 

a 

f          ^                 1  —  0,377  .  ^ 

df       dp 
dq             f          p 

^          1  —  0,377  .  ^ 

P 

Berücksichtigt  man,  dass  nach  2): 


dP_  1        .,_  1         ., 

p  p ,v  B.T 


ist,  so  ergiebt  sich : 


— T  -r-  •  dx 

dq  =  q-  -^ - 

1  —  0,377  .  ^ 
P 


Wenn  man  dies  in  die  Hauptgleichung  17)  einführt  und  die  Glieds 
mit  dx  auf  die  eine,  die  mit  dT  multiplicirten  auf  die  andere  Seite 
setzt,  findet  man: 

dT.JQ,.(l-0,377.D+r.,.i.^j 
=  -...(i. (.-0.377. 0  +  l^J 


dT 

1  —  0,377  .  ^ 

P    ,     r.q 

J              '    I^.T 

dx 

Gp  • 

(,_o,a77.A  +  ..,.).^ 

IS) 


Hier  ist  Jff  für  B  gesetzt,  weil  die  Formel  für  feuchte  Luft  and  dk 
Grösse  B  deshalb  einen  anderen,  als  den  für  trockene  Luft  giltigen  Werth 
annimmt.     Berücksichtigt  man,  dass  alsdann: 


A.    Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.    787 

B 


B'  = 


1  —  0,377  .  ^ 

1> 


st,  so  erhält  man  schliesBlich  ^) : 


dT  _ 
dx 

Hierin  ist: 


C,  •  (l  -  0,377  .  ^  + 


I«   .   g  .    _   . 


df 


19) 


/     dT 


Q  = 


0,623  •  ^ 
£__ 

1  —  0,377  .  - 

P 


r  =  606,5  —  0,708  .  (T  —  274), 


Cp  =  0,2375  +  0,2430  .  g 

md  zwar   hedentet  p   den   Barometerstand,  /   den  Druck  gesättigten 

)ampfe8  hei   T,  nnd   T  die  ahsolnte  Temperatur  in   der  Höhe  x.      Die 

1      df 
rrössen  /  und  —  *  -r=-  können  aus  den  Spannkraftstafeln  gefunden  wer- 

•/  » 

:en  und  zwar  ist  (vergl.  Bd.  I,  V,  S.  588  u.  s.  f.) : 


bei  T  —  274 

.  / 

1  df 
f       dt 

—  15«  C. 

1,40  mm 

0,0799 

—  iqo 

2,09 

0,0770 

~  50 

3,13 

0,0742 

0« 

4,60 

0,0715 

+  50 

6,53 

0,0699 

+  10« 

9,17 

0,0664 

+  15« 

12,70 

0,0640 

+  20« 

17,39 

0,0617 

+  25« 

23,55 

0,0595 

+  30« 

31,55 

0,0574 

*)  Mit  dem  hier  behandelten  Problem  hat  sich  zuerst  W.  Thomson  in  der  Ab- 
ndlung  beschäftigt:  On  the  convective  equilibrium  of  temperature  in  the  atmosphere; 
;m.  of  the  Literary  and  Philos.  Soc.  of  Manchester  (1862)  III.  Ser.,  Bd.  2,  S.  125 
i  131.  Die  von  ihm  abgeleitete  Formel  lautet  in  den  von  uns  gewählten  Bezeich- 
ngen: 

de 
J  •  cv  —  J '  —  ■  t» 

8 


dx  


p  +  J.r 


—  Ä, 


50* 


788        IV.  Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

Wird  der  Wasserdampf  als  Eis  ausgeschieden,  so  ist  statt    r   zu 
setzen  r  +  X  oder: 

r  4-  i^  =  607  4-  79,25  —  0,708  .  {T  —  274), 
r  +  i  =  686  —  0,708  .  (T  —  274). 

dT     ,         , 
Der  Quotient  -t —  giebt  die  Wärmeabnahme  nach  der  Höhe  in  einer 

Ct  QU 

mit  Wasserdampf  gesättigten  Atmosphäre.  Hann  hat  hieraus  eine 
Tabelle  berechnet,  welche  über  die  wichtigsten  Fragen,  die  den  prakti- 
schen Meteorologen  interessiren ,  Auskunft  giebt.  SelbstTerstandlieh  ist 
von  Null  an  abwärts  darauf  Rücksicht  genommen,  dass  der  Wasserdampf 
nicht  als  Wasser,  sondern  als  Eis  ausgeschieden  wird. 


Tabelle  über  die  Grösse  g. 

^  ist  das  Gewicht  Wasserdampf  (in  Grammen),  welches  in  1  kg  gesättigt 

feuchter  Luft  enthalten  ist. 


—  10° 

—  50 

00 

50 

10^ 

15'> 

20^' 

25« 

30« 

p 

/=2,09 

3,11 

4,60 

6,53 

9,17 

12,70 

17,29 

23,55 

31,55 

760 

?  =  1,72 

2,56 

—  3,79 

5,39 

=  7,58 

—  10,5 

—  14,3 

—  19,6 

=  26,4 

700 

1,87 

2,78 

4,12 

5,85 

8,23 

11,4 

15,6 

21,3 

28,7 

600 

2,18 

3,25 

4,81 

6,83 

9,61 

13,3 

18,2 

24,9 

— 

500 

2,62 

3,90 

5,77 

8,20 

11,5 

16,0 

21,9 

— 

— 

400 

3,27 

4,87 

7,22 

10,3 

14,5 

20,1 

— 

— 

— 

300 

4,37 

6,50 

9,64 

13,7 

19,3 

— 

— 

— 

— 

200 

6,56 

9,78 

~"^ 

^— 

•— 

— 

■' 

"^— 

worin  v  das  specifische  Volumen  der  feuchten  Luft   und  s  das  specifiache  Volnmen  dei 
gesättigten  Dampfes  bezeichnet. 

Die  oben  mitgetheilte  Formel  ist  in  ihren  wesentlichen  Elementen  zuerst  you 
Peslin  entwickelt  worden.  Man  vergleiche  dessen  Abhandlung:  Sur  les  moarement« 
g^n^raux  de  l'atmosph^re.  Bull.  hebd.  de  PAsboc.  scientif.  de  France.  Bd.  III,  1868. 
Die  hier  gegebene  Ableitung  folgt  in  der  Hauptsache  Hann.  Man  sehe  dessen  epoche> 
machende  Arbeit :  Die  Gesetze  der  TemperaturSnderung  in  aufsteigenden  LufUtromangeik 
Oesterr.  Zeitschria  f.  Meteorologie.  Bd.  IX  (1874),  S.  326.  Gleichzeitig  sind  einig» 
Correctionen  berücksichtigt,  welche  L.  Sohnke  in  derselben  Zeitschrift  Bd.  XV,  ä.  41 
bis  53  gegeben  hat. 


A.    Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.     789 


iXann's  Tabelle^)   über   die  Wärmeabnahme  nach  der  Höhe  in  einer 

mit  Wasserdampf  gesättigten  Atmosphäre. 


>eehöhe  in 

Anfang- 

Hetem 

licher 

Anfangstei 

mperatur 

(bei  0») 

Druck 

Meter 

Mm 

—  10« 

50 

0« 

+  00 

50 

lOO 

150 

20O 

250 

300 

20 

760 

0,76 

0,69 

0,63 

0.65 

0,60 

0,54 

0,49 

0,45 

0,41 

0,38 

680 

700 

0,74 

0,68 

0,62 

0,64 

0,59 

0,53 

0,48 

0,44 

0,40 

0,37 

1910 

600 

0,71 

0,65 

0,58 

0,60 

0,55 

0,49 

0,44 

0,40 

0,37 

3360 

500 

0,68 

0,62 

0,55 

0,57 

0,52 

0,46 

0,41 

0,38 

— 

5150 

400 

0,63 

0,57 

0,50 

0,52 

0,47 

0,42 

0,38 

— 

— 

— 

7430 

300 

0,57 

0,51 

0,44 

0,46 

0,42 

— 

— 

— 

10670 

200 

0,49 

0,43 

0,38 

0,40 

— 

■^~» 

5.    Die  Formeln  von  Ouldberg  und  Mohn^  für  den 
indifi^renten  Zustand  der  mit  Wasserdampf  gesättigten 

Atmosphäre. 

In  etwas  anderer  Weise  haben  die  oben  genannten  Autoren  mit 
grösserer  mathematischer  Strenge  die  vorliegenden  Aufgaben  behandelt. 
Dieselben  betrachten  zuerst  ein  Gemenge  von  der  Beschaffenheit  eines 
feuchten  Nebels,  welches  aus  1  kg  trockener  Luft,  }  kg  Wasserdampf  und 
^  kg  flüssigem  Wasser  besteht,  und  denken  sich  dieses  um  die  Höhe  dx 
gehoben,  ohne  dass  Wärme  zu-  oder  abgeführt  wird. 

Bezeichnet  man  die  inneren  Energien  der  Gewichtseinheiten  Luft, 
Wasserdampf,  flüssiges  Wasser,  der  Reihe  nach  mit  ü\  ü'\  17"',  so  ist 
die  innere  Energie  U  der  ganzen  Mischung : 

U=  U'  +  i.U"  +  y.ü''' 20) 

Die  Summe  )  H~  ^  bleibt  constant,  so  lange  nicht  ein  Theil  des 
flüssigen  Wassers  als  Regen  ausfällt. 

^)  Diese  Tabelle  Uann's  ist  nach  etwas  vereinfachten  Formeln  berechnet.  Die 
durch  die  Abkürzungen  der  Rechnungen  entstandenen  Abweichungen  sind  aber  für 
praktische  Anwendungen  ohne  Belang. 

^)  ^tudes  sur  les  mouvements  de  l'atmosphere.  Christiania  (Universitätsprogramm) 
1876,  S.  10.  Der  zweite  Theil  dieser  für  die  theoretische  Meteorologie  grundlegenden 
Abhandlung  erschien  1880. 


790        IV.   Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

Setzt  man : 

i  +  y  =  ^y 

80  ist: 

dU=dü^  +  S,  dU"'  +  d(i  .  [?/"  —  r"'])     ...      21 

Bezeichnen  ferner  «;'  und  v"  die  specifischen  Volumina  der  trockenez 
Luft  und  des  gesättigten  Wasserdampfes  und  setzt  man  t/"  das  Volume 
des  Wassers  gleich  Null,  so  ist  das  Volumen  V  des  Gemisches : 

F  =  r'  +  a  .  v" 22  i 

Man  kann  somit  schreiben: 

p.dr  =  (p—/).dv'  +  f.d(,i.  t/')- 

Mit  Racksicht  auf  die  früher  von  nns  für  U',  ü"  und  U'"  gegebenen 
Ausdrücke  (vergl.  Bd.  I,  B,  S.  752  u.  s.  f.)  kann  man  schreiben: 

r=i(U"—U"')  +  ^-f-t/' 23j 

Ferner : 

T  .  d  j^j  =  d  [j  .  [U"  -   O)  +  J'f'  Hi-n  '     '     24) 


Cp.dT=  dU'  +  '^'  dT 25) 


B 
J 

c'.dT=dü"' 26) 

wenn  Cp  die  specifische  Wärme  der  trockenen  Luft  und  (/  die  des  flüssigen 
Wassers  bezeichnet.  Ferner  ist  nach  dem  Ausdehnungsgesetze  voll* 
kommener  Gase: 

(p  —f)  ,v'  =  B.  T. 

Diese  Grössen  setzt  man  in  die  Bedingangsgleichnng  ein,  welche  aus- 
drückt, dass  die Zastandsänderuug  eine  adiabatische  sein  soll;  diese  lautet: 

0  r=  du  ^  \'  p  '  dV 27) 

Dann  ergiebt  sich: 

d(p  - /) 
/ 

Bezeichnet  man  die  Grössen,  welche  an  der  Erdoberfläche  in  der 
Höhe  X  =  0  stattfinden,  durch  angehängte  Indices  Null,  so  findet  man 
durch  Integration  und  Einsetzung  der  numerischen  Werthe: 


0=c,-dT  +  i-c'  -dT  +  T-  <i(4r)  -7  •  ^  -^4^  •    2?») 


lognat  (p^)  =  3.44  •  Fl  +  4,21 11  •  lognat  ^ 


Hierin  ist: 


+  6,29  .  jä-Ü^  -  i^"} 29) 

j  =  0.623.^=^ 30) 


A.  Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.     791 

Die  GleichuDg  1),  welche  die  Abhängigkeit  des  .Druckes  von  der 
Höhe  ausdrückt,  nimmt  im  vorliegenden  Falle  die  Gestalt: 

1  +i 
dp  = ^  .  d  X 

an.     Verbindet  man  diese  Gleichung  mit  27)  durch  die  Identität: 

d{p  .  V)=p  .dV+V.dp, 
BO  erhält  man: 

0  =  dü+  j'd(p'V)  +  ^'(l  +  ^)'dx  '     '     .     31) 

Näherungsweise  kann  man  aber  bekanntlich 

p.r=(p-f).i/  +f.i.v"  =  B.T  -\-i.f.v"    .     32) 

einführen.  Setzt  man  dies  in  die  vorstehende  Gleichung  ein  und  berück- 
sichtigt den  im  Vorhergehenden  für  dU  entwickelten  Werth,  so  ergiebt 
sich: 


0  =  (cp  -\-  ^'c')'dT  +  d(i'r)  +  ^'(l  +  ^)'dx     .    33) 


oder : 

Wenn  man  jedoch  die  vorletzte  Gleichung  integrirt  und  die  Integra- 
tionsconstante  aus  dem  Anfangsznstande  bestimmt,  ergiebt  sich  für  die 
in  der  Höhe  x  stattfindende  Temperatur  T  die  Gleichung : 

0=(ep  +  ^■c')-(T-n)  +  i-r-jo-^o  +  ^-(1  ■\- i)  •  ^    35) 

Af  ohn  und  Guldberg  geben  hierzu  folgendes  numerisches  Beispiel: 

y  =  0,      I  =  iTo  =  0,0125,       To  =  274  +  17»,       T  =  274  +  0«, 
/o  =  14,42mra,    /=  4,60mm,     |>o  =  733,42  mm. 

Man  erkennt,  dass,  um  die  Gleichung  29)  anwenden  zu  können,  die 
Endtemperatur  T  bekannt  sein  muss.  Bei  den  meisten  meteorologischen 
Fragen  aber  kommt  es  gerade  darauf  an,  T  zu  ermitteln.  Den  Druck 
bestimmt  man  im  vorstehenden  Falle  aus  der  Gleichung: 

log  (p -/)  =  2,6005 .+  *^y 

Gleichungen  von  solcher  Form  aber  müssen  nach  einer  der  Nähe- 
rungsmethoden gelöst  werden,  und  das  ist  unter  allen  Umständen  un- 
bequem. Man  findet  hierdurch  p  =  487,2  und  damit  dann  j  =  0,00594 1). 


^)  An  denselben  Unbequemlichkeiten  leidet  auch  die  von  Reye  gegebene  Formel, 
welche  in  ähnlicher  Weise  abgeleitet  ist  wie  die  vorstehende.  Vergl.  Reye,  Die 
WirbelBtürme,  Tornados  und  Wettersäulen.     Hannover  1872.     S.  215  u.  s.  f. 


792       IV.  Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

Damit  findet  man  dann  h  =  3384  m.  Die  mittlere  Temperatnrabnabai 
nach  der  Höhe  beträgt  somit  für  100  m  0,50^.  Die  Hann'Bche  Tabdi 
ergiebt  für  17®  bei  733  mm  zunächst  0,4 7<)  und  für  0^  und  487  m 
0,55^  oder  im  Mittel  mit  befriedigender  Uebereinstimmung  0,51®  G. 

Hat  man  den  Fall  vor  sich,  dass  das  condensirte  Wasser  all 
Eis  ausgeschieden  wird,  so  setzt  man  auch  hier  statt  r  überall  & 
Grösse  r  -|-  L  ein,  wenn  L  die  latente  Schmelzwärme  des  Eiaa 
bedeutet,  und  statt  c'  setzt  man  die  Grösse  c",  die  specifische  Wärat 
des  Eises  (=  0,5). 

Dadurch  nehmen  die  Constanten  der  Formel  29)  in  diesem  Falk 
etwas  andere  Werthe  an,  und  die'Gleichung,  welche  zur  Bestimomng  da 
Druckes  dient,  lautet,  wenn  das  Wasser  als  Eis  ausgeschieden  wird: 

log  (^^4)  =  3.44  .  (1  +  2,105  {)  .  lognat(^^ 

+  6.29  ■  f '  •  y  ^)  -  '-^^]     ■     ■     .     ■    3«, 

und  X  bestimmt  man  alsdann  aus  der  Formel: 

0  =  («i  +  c"-|).(T-ro)  +  j-(r  +  L)-j,.(ro  +  X)  +  j-(H-|)-«  37, 

Auch  für  diesen  Fall  geben  die  vorgenannten  Autoren  ein  Beispiel 
welches  wir  hier  reproduciren.  Angenommen  ist:  Tq  =  274  +  öi 
r=  274  — 200,  /o  =  4,6,  /  =  0,93,  po  =  476,5,  |  =  0,0125. 
Daraus  findet  man  zunächst :  )o  =  0,00607 ;  p  wird  durch  Probiren  aa 
der  transscendenten  Gleichung: 

%(!>-/)  =  2,4309  +i^ 

bestimmt,  und  zwar  genügt  derselben  der  Werth  p  =  292^73.      Daniu 

ergieht  sich:  j  =  0,00198  and  h  =  3206  m.    Die  mittlere  Temperatar- 

20  .  100 
abnähme  fUr  100m  Höhe  beträgt  in  diesem  Falle:      -_,,      ==  0,62« C 

Die  H  a  n  n  ^  sehe  Tafel  giebt  zunächst  bei  j^o  =  476,5  mm  und  0®  des 
Werth  0,54  und  bei  p  =  292,7  mm  und  —  20^  dagegen  0,69.  Im  Mittd 
findet  man  0,61<^C.,  abermals  in  befriedigender  Uebereinstimmung  mit 
dem  Ergebnisse  der  vollständigen  Formel  ^). 


^)  Bei   Mohn    uod   Guldberg    ist    ausserdem    noch    der    Fall    ontereucht,    dis» 
gerade  bei  0^  Eis  und  Wasser  gleichzeitig  vorhanden  sind.     A.  a.  O.  S.  11  and  13. 


A.    Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.     793 


6.    Oonsequenzen  der  vorstehenden  Formeln. 

Die  in  den  vorhergehenden  Capiteln  mitgetheilten  Formeln  und 
zumal  die  H an n' sehe  Tahelle  S.  789  gestatten  eine  Anzahl  Folgerungen, 
deren  Anwendung  auf  Probleme  der  praktischen  Meteorologie  sieh  un- 
mittelbar ergiebt.  '  Nimmt  man  z.  B.  an,  es  werde  trockene  gesättigte 
Luffc,  deren  Anfangstemperatur  10^0.  betrage,  von  der  Höhe  Xq  =  680  m 
auf  die  Höhe  x  =  2680  m,  also  um  2000  m  gehoben.  Die  Tabelle 
giebt  in  diesem  Falle  eine  Temperatnrabnahme  für  100  m  von  0,53^  C, 
d.  i.  von  0,53  x  20  =  10,6^  C,  demnach  wäre  die  Endtemperatur 
—  0,6«  C.  In  2680  m  aber  beträgt  bei  —  0,6«  C.  die  Temperaturabnahme 
für  100  m  0,57«,  im  Mittel  hätte  man  somit  mit  einer  Temperaturabnahme 
von  0,55  rechnen  müssen  und  hätte  0,55  .  20  =  11«  als  gesammte 
Temperaturabnahme  und  —  1«  C.  als  Endtemperatur  des  Luftstromes 
erhalten,  wenn  derselbe  auf  der  Höhe  ankommt. 

Ein  trockener  Luftstrom  würde  sich  bei  gleicher  Erhebung  nach 
Formel  6)  um  0,99  X  20,  um  19,8«,  also  bis  auf  —  9,8«  abgekühlt 
haben. 

Sänke  nunmehr  dieselbe  Luftmasse,  vielleicht  jenseits  eines  Gebirgs* 
kammes,  den  sie  zu  überschreiten  genöthigt  gewesen  war,  in  das  alte 
Niveau  zurück,  so  würde  sie  comprimirt  und  dadurch  erwärmt  werden, 
der  in  der  Luft  enthaltene  Dampf,  durch  den  dieselbe  bei  —  1«  gesättigt 
wurde,  müsste  aus  dem  gesättigten  in  den  ungesättigten  Zustand  über- 
gehen. Die  Luft  würde  sich  für  je  100  m  Senkung  um  durchschnittlich 
ungefähr  0,97  erwärmen,  somit  als  relativ  sehr  trockene  Luft  im  gleichen 
Niveau  von  680  m  mit  einer  Temperatur  von  —  1  4*  0,97  x  20  =  18,7« 
vorkommen. 

Durch  ähnliche  Vorgänge  erklärte  Hann,  wie  wir  später  noch  aus- 
führlich zeigen  werden,  die  relativ  hohe  Temperatur  und  Ti*ockenheit 
des  Föhnwindes  der  Alpen. 

Die  Hann 'sehe  Tabelle  zeigt  sehr  deutlich,  dass  der  Wasserdampf, 
indem  er  die  bei  seiner  Condensation  frei  werdende  Wärme  an  die  Luft 
abgiebt,  die  Abkühlung,  welche  infolge  der  Expansion  in  aufsteigenden 
Luftströmen  stattfindet,  sehr  beträchtlich  vermindert.  Ueberhaupt  stim- 
men die  beobachteten  Temperaturabnahmen  mit  der  Höhe  mit  den  aus 
den  Formeln  berechneten  recht  gut  überein. 

Durch  die  Condensation,  welche  eintritt,  wenn  mit  Wasserdampf 
unvollkommen  gesättigte  Luft  auch  nur  um  massige  Höhen  in  die  Höhe 
steigt,  erklären  sich  wahrscheinlich  ein  grosser  Tbeil  der  Niederschläge. 
Wenn  Luft  sich  aus  irgend  welchem  Grunde  in  die  Höhe  erhebt,  kühlt 
sie  sich  ab,  der  in  ihr  enthaltene  ungesättigte  Wasserdampf  nähert  sich 
dabei  mehr  und  mehr  seinem  Sättigungspunkte.  Schliesslich  wird  der 
Gondensationspunkt  erreicht;  die  vorher  klar  durchsichtige  Luft  wird 


794        IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

durch  Nebel-  und  Wolkenbildung  getrübt.    Erhebt  sich  nunmehr  die  Li 
zu  nogh  grösseren  Höhen,  so  wird  nach  den  Ergebnissen  der  ▼orstebi 
den  Tabelle  eine  immer  grössere  Wassermenge  condensirt,  so   dass  di 
selbe  schliesslich   als  Regentropfen  oder  in  der  Form  Ton  Eiakrystal 
ausgeschieden  wird  und  endlich  als  solche  zur  Erde  niedersinkt. 


7.  Auf-  und  absteigende  Strömungen  in  der  Atmosphäre 

Ist  der  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre  nicht  der  in 
Yorhergehenden  Paragraphen  behandelte  indifferente,  ändert  sich 
man  in  der  Luft  in  die  Höhe  steigt,  der  Zustand  der  Atmosphäre 
längs  einer  adiabatischen  H^lurve,  so  hat  man  es  mit  einem  labilen,  resfil 
stabilen  Gleichgewichtszustände  zu  thuD,  und  zwar  ist  der  Zustand  Btalfll 
für  eine  aufsteigende  Bewegung,  wenn  er  labil  für  eine  absteigende  i4! 
und  umgekehrt.  Beim  indifferenten  Gleichgewichtszustande  lässt  eiek 
der  Zusammenhang  zwischen  Druck  und  Temperatur  durch  die  Formel: 

38) 


Po        \T,, 


Po        \ToJ 
darstellen. 

Wird  nun  aber  die  Zustandsänderung  in  yerschiedenen  Höhen  nickt 

durch  diese  Formel,  sondern  durch  den  Ausdruck: 


Po        \ToJ 


39; 


dargestellt,  so  ist: 

wenn  /t  >  m,  die  Atmosphäre  stabil  für  eine  aufsteigende,  labil  for 

eine  absteigende  Bewegung  der  Luft^ 

wenn  ft  <  m,  die  Atmosphäre  labil  für  eine  aufsteigende,  stabil  for 

eine  absteigende  Bewegung  der  Luft. 

Ohne   wesentlichen  Fehler  kann   man   die   absolute  Temperatur  T, 

die  in  der  Höhe  x  stattfindet,  durch  die  Formel: 

rj 

T=  To X 401 

/* 

darstellen,  wenn  obige  Gleichung  39)  gilt,  worin  C  eine  Constante  be- 
deutet, die  nur  vom  Zustande  der  Atmosphäre  in  der  Höhe  ^  =  0 
abhängt.  Ist  fi  >  m,  so  nimmt  somit  die  Temperatur  langi^amer  nach 
der  Höhe  ab,  und  wenn  ft  <  m  ist,  vermindert  sich  die  Temperatur 
rascher  mit  der  Höhe,  als  im  indifferenten  Gleichgewichts  zustande. 
Wenn  ft  >  m  ist,  werden  demnach  bei  der  geringfügigsten  Störung 
abwärts  gerichtete  Strömungen  in  der  Atmosphäre  eintreten,  dagegen 
wird  das  Zustandekommen  aufsteigender  Luftströmungen  begünstigt  sein, 
wenn  ft  <  m  ist. 


A.  IndiflFerenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.      795 

Jede  Ursache,  welche  eine  Aenderang  der  Temperaturvertheüung 
in  der  Atmosphäre  he  wirkt,  yeranlasst  somit  StÖrangen  des  normalen, 
des  indifferenten  Gleichgewichtszastandes  derselben.  Tbatsächlich  wird 
wohl  nur, sehr  selten,  und  auch  dann  nur  höchstens  ganz  local  der  Zu- 
stand der  Atmosphäre  der  indifferente  sein.  Ist  der  indifferente  Gleich- 
gewichtszustand aber  nicht  vorhanden,  so  werden  alle  Bewegungsvor- 
gänge  der  Atmosphäre  die  Tendenz  haben,  denselben  herzustellen. 

Die  bewegende  Kraft  bei  den  Störungen  des  Gleichgewichts  der 
Atmosphäre  rührt  von  der  Sonnen  wärme  her,  welche  der  Erdoberfläche 
zugestrahlt  wird.  Die  Sonnenwärme  ändert  zumal  die  Temperatur  der 
untersten  Schichten  des  Luftmeeres.  Die  Sonnenwärme  ändert  jedoch 
auch  die  Masse  der  Atmosphäre,  weil  durch  die  absorbirte  Wärme  Wasser 
verdampft  wird.  In  den  Wirbelstürmen.  Tornados  etc.  haben  wir  es 
wahrscheinlich  mit  solchen  aufsteigenden,  seltener  wohl  mit  absteigenden 
Luftströmungen  im  grossen  Maassstabe  zu  thun,  welche  dann  eintreten, 
wenn  ein  labiler  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre  aufgehoben  wird, 
der  sehr  wesentlich  vom  indifferenten,  adiabatischen  Gleichgewichts- 
zustande verschieden  war^). 

Schon  Lamont^)  hat  übrigens  darauf  hingewiesen,  dass  die  land- 
läufige Ansicht  unrichtig  ist,  welche  dahin  geht,  dass  man  sich  unter 
den  durch  Erwärmung  und  Abkühlung  des  Erdbodens  hervorgerufenen 
Luftströmungen  Auf-  und  Niederbewegungen  der  ganzen  Luftmassen  um 
beträchtliche  Höhen  vorstellt.  —  Neuerdings  hat  dies  besonders  Hann') 
noch  weiter  ausgeführt.  Derselbe  hat  darauf  hingewiesen ,  dass  die 
erwärmten  Lufttheilchen  abwechselnd  emporsteigen,  sich  dadurch  ab- 
kühlen und  dann  wieder  etwas  herabsinken,  ohne  sich  dabei  weit  von 
ihrer  ursprünglichen  Lage  zu  entfernen.  Dadurch  wird  die  Wärme  nach 
und  nach  in  die  höheren  Schichten  hinaufgetragen  und  allmälig  die 
ganze  Luftmasse  durch  die  Warme  ausgedehnt.  Da  die  Atmosphäre  in 
ihren  untersten  Schichten  sehr  ungleichmässig  erwärmt  wird  und  die 
aufsteigende  Bewegung  von  Luftmassen  sehr  bald  durch  die  Abkühlung 
und  die  dadurch  erzeugte  Verminderung  des  Auftriebes  und  durch  die 
innere  Reibung  der  Luft  gehemmt  wird,  so  werden  hauptsächlich  durch 
horizontal  gerichtete  Luftströmungen,  die  Winde,  die  Störungen  des 
Gleichgewichts  unseres  Luftmeeres,  aufgehoben. 

Abgesehen  von  den  localen  Differenzen  wird  aber  die  Erdoberfläche 
und,  wie  wir  im  Vorstehenden  gezeigt  haben,  dadurch  das  über  derselben 
stehende  Luftmeer  am  Aequator  am  stärksten  erwärmt,  während  die 


*)  Dies  ist  in  auRgedehnter  Weise  von  Reye  in  seinem  trefflichen  Werke:  Die 
Wirbelstürme,  Tornados  und  Wettersäulen,  Hannover,  Rümpler  1872,  nachgewiesen 
worden. 

*)  Lamont,  Ueber  die  täglichen  Oscillationen  des  Barometers,  Sitzungsber.  der 
Manch.  Akad.  1862,  I,  S.  95. 

^)  J.  Hann,  Einige  Bemerkungen  zur  Lehre  von  den  allgemeinen  atmosphärischen 
Strömungen.     Zeitschr.  f.  Meteorologie  Bd.  XIII,  S.  33  bis  41. 


796        IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astrononüe. 

Erwärmung  nach  beiden  Polen  hin  abnimmt.  Dadurch  wird  sich  die 
Atmosphäre  über  dem  Aequator  mehr  ausdehnen,  als  an  den  Polen.  Die 
Folge  hiervon  ist  eine  Hebung  der  Flächen  gleichen  Druckes  am 
Aequator  im  Vergleich  zur  Höhe  derselben  an  den  Polen  ^). 

Dadurch  hört  der  Parallelismus  zwischen  den  Flächen  gleichen 
Druckes  und  den  Niveauflächen  der  Gravitation  auf.  Die  Richtung  der 
Schwerkraft  schneidet  die  Flächen  gleichen  Druckes  unter  einem  schiefen 
statt  unter  einem  rechten  Winkel,  und  daraus  resultirt  eine  nach  dem 
Polen  zu  gerichtete  Kraftcomponente.  Es  entstehen  daher  in  dem  äqua- 
torialen Gürtel  und  auf  der  ganzen  Erde  in  der  Hohe  Luftstromangeo 
nach  den  Polen,  welche  den  gestörten  Parallelismus  zwischen  FLächeo 
gleichen  Druckes  und  Niveauflächen  der  Schwerkraft  wieder  herzusteUea 
bestrebt  sind.  Durch  diese  oberen  Strömungen  nach  höheren  Breiten 
nimmt  aber  der  Druck  am  Boden  des  Luftmeeres  daselbst  zu,  ^rährend 
dagegen  der  Luftdruck  auf  der  Erdoberfläche  am  Aequator  wegen  der 
Verminderung  des  über  demselben  lastenden  Luftgewichtes  abnimmt. 
Auf  diese  Weise  wird  an  der  Erdoberfläche  eine  Gegenströmung  Ton  den 
Regionen  höherer  Breite  nach  der  äquatorialen  Zone  hervorgerufen. 

Da  die  Pole  der  Erde  blos  Punkte  sind,  sinkt  die  obere  äquatoriale 
Strömung  schon  zwischen  30^  und  40^  Breite  herab,  es  entsteht  hier 
eine  Zone  maximalen  Barometerdruckes,  und  auch  die  Passate  finden 
hier  ihre  polare  Grenze,  weil  ein  Theil  der  niedersinkenden  Luft  sofort 
wieder  in  den  unteren  Theil  des  Kreislaufes  eintritt.  Am  Aequator  wird 
sich  ein  Gürtel  niedrigen  Luftdruckes  bilden,  der  sich  mit  den  Jahres- 
zeiten, zögernd  der  Sonne  folgend,  verschiebt. 

Somit  ist  nicht,  wie  man  vielfach  annahm,  die  Temperatur  an  der 
Oberfläche  der  Erde,  sondern  die  mittlere  Temperatur  der  Luftsäule,  das 
mittlere  specifische  Gewicht  der  Luft  die  Ursache  dieser  allgemeinen  nach 
den  Polen  zu  gerichteten  und  durch  die  Erdrotation  nach  Westen  zn  ab- 
gelenkten Strömungen  der  höher  gelegenen  Ijuftschichten. 

Auch  der  'Wasserdampfgehalt  der  Atmosphäre  spielt  neben  ihrer 
Temperatur  mittelbar  und  unmittelbar  eine  wichtige  Rolle.  Einmal  ver- 
mindert der  Wasserdampfgehalt  das  specifische  Gewicht  der  Atmosphäre, 
weil  Wasserdampf  relativ  leichter  ist  als  Luft.  Ausserdem  aber  musg 
sich  ein  Theil  des  Wasserdampfes  beim  Aufsteigen  condensiren,  dadorth 
die  durch  das  Emporsteigen  eintretende  Abkühlung  vermindern  nnd  ein 
weiteres  Emporheben  der  Flächen  gleichen  Druckes  veranlassen.  Diese 
Flächen  gleichen  Druckes  werden  deshalb  über  grossen  zusammen- 
hängenden Meeresflächen  mehr  gehoben  werden  v  als  über  den  grossen 
Gontinenten,  trotzdem  die  Temperatur  an  der  Erdoberfläche  auf  den 
Continenten  höher  ist,  als  auf  dem  Meere. 


^)  Dass  durch  eine  Erwärmanfr  eines  grösseren  Theiles  der  Erde  ¥rirklich  die 
Flächen  gleichen  Druckes  gehoben  werden,  beweist  der  Umstand,  dass  der  mittlere  Ban»- 
meterstand  auf  meteorologischen  Hochgebirgsstationen  im  Sommer  ein  Maximum,  in 
Winter  ein  Minimum  hat. 


A.    Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.    797 

Die  an  den  Küsten  periodisch  wechselnden  Land-  und  Seewinde 
widersprechen  dieser  Behauptung  nicht,  diese  sind  nur  auf  die  nächsten 
Orenzgehiete  des  Meeres  heschränkt  und  erstrecken  sich  erfahrungs- 
gemäss  nicht  in  grössere  Höhen. 

Die  von  dem  Aequator  nach  den  Polen  zu  ahnehmende  Mittel- 
temperatur und  der  in  derselhen  Richtung  ahnehmende  Dampfgehalt  der 
Atmosphäre  veranlasst  somit  einen  allgemeinen  Gradienten  ^)  des  Baro- 
meterstandes nach  den  Polen  zu  und  eine  allgemein  westliche  Strömung 
der  oheren  Luftschicht  vom  Aequator  nach  den  Polen  zu. 

Die  neue  Meteorologie  sucht  den  Ursprung  dieser  oheren  west- 
lichen Strömung  nicht  mehr  hlos  in  dem  äquatorialen  Gärtel  oder  der 
Calmenzone  unserer  Erde,  sondern  nimmt  eine  üher  die  ganze  Erde 
wirksame  Ursache  für  dieselhe  an. 


8.  Die  Ursache  der  Barometermazixna. 

Auch  jenseits  des  30.  his  40.  Grades,  des  Gürtels  hohen  Luftdrucks, 
welchen  die  polare  Grenze  der  Passate  bildet,  muss  die  allgemeine  West- 
strömung der  oheren  Luftschichten  doch  wieder  zur  Erde  niedersinken 
und  seitlich,  zumeist  aber  in  polaröstlicher  Richtung  zurückströmen. 
In  den  höheren  Breiten  erfolgt  dieses  Niedersteigen  der  oheren  West- 
strömungen wegen  der  Ungleichförmigkeit  und  Yeränderlichkeit  der  mitt- 
leren £lrwärmung  der  Atmosphäre  und  der  geringeren  Intensität  der 
oberen  Strömung  nicht  immer  an  den  nämlichen  Orten,  sondern  findet 
gleichzeitig  in  verschiedenen,  je  nach  den  Umständen  wechselnden  Ge- 
genden statt. 

Diese  Gegenden  des  Niedersteigens  der  oberen  Westströmungen  sind 
aller  Wahrscheinlichkeit  die  Orte  barometrischer  Maxima  ^), 

Im  Winter  werden  zweifelsohne  die  Flächen  gleichen  Druckes  aus 
den  oben  entwickelten  Gründen  eine  starke  Neigung  von  den  Oceanen 
gegen  den  Gontinent  hin  haben,  deshalb  treten  im  Winter  barometrische 
Maxima,  Stellen  an  welchen  die  Luft  niedersteigt,  vorzugsweise  auf  den 
Continenten  auf.  —  Nur  im  Winter  kommen  in  den  aussertropischen 
Theilen   der  Atmosphäre  intensivere,   obere  nach   den  Polen  gerichtete 


')  Gradient    ist    die    in  Millimetern  gemessene  Druckänderung    normal    zur  Isobare, 
bezogen  auf  einen  Grad  des  mittleren  Meridians.    Die  vom  Drackunterschiede  herrührende 

bewegende  Kraft  --  ist  daher,  wenn   G  der  Gradient  ist,  gleich: 

dp_   __    10333  90 

dv    '~      760    '  10000000  * 
^)   Zuerst   hat   J.  Hann    darauf  hingewiesen    in    seiner  hier   mehrfach   benutzten 
Abhandlung:     Einige    Bemerkungen   zur    Lehre   von   den    allgemeinen    atmosphärischen 
Strömungen.     Zeitschrift  f.  Meteorologie  Bd.  XIII,  S.  39. 


798        IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

WeßtstrÖmungen  zustande,  weil  in  dieser  Jahreszeit  Wärme-  und  Fench- 
tigkeitsabnahme  nach  den  Polen  hin  besonders  intensiv  ist.  Daher  treten 
vorzugsweise  in  dieser  Jahreszeit  Gebiete  deutlich  ausgesprochen  auf^ 
in  welchen  bei  hohem  Barometerstände  verhältnissmässig  ruhige  Lnü 
nnd  an  der  Erdoberfläche  niedrige  Temperatur  herrscht. 

Allem  Vermuthen  nach  ist  unsere  Atmosphäre  ein  im  Verhältniss 
zu  seiner  Oberfläche  sehr  seichtes  Luftmeer,  deshalb  können  Diemals  in 
demselben  verticale  Strömungscomponenten  von  grösserer  Energie  auf- 
treten. Da  ausserdem  in  verticaler  Richtung  keine  wesentlichen  Be- 
wegungshindernisse vorkommen ,  wie  sie  in  horizontaler  Richtung  die 
Gebirge  darbieten,  so  können  in  verticalem  Sinne  nur  sehr  selten  erheb- 
liche Abweichungen  vom  stabilen  Gleichgewichtszustande  nnd  somit 
auch  keine  energischen  Verticalbewegungen  auftreten.  Man  darf  sich 
daher  die  absteigende  Bewegung  der  oberen  westlichen  Strömnngeii 
nicht  als  einen  verticalen  von  oben  nach  unten  wehenden  Wind  vor- 
stellen. Es  wird  in  den  barometrischen  Maxima  vielmehr  fast  immer 
absolute  Windstille  herrschen  nnd  nur  ein  langsames  seitliches  Ab- 
fliessen  bemerkbar  sein. 

Die  verticale  Abwärtsbewegung  der  Luft  wird  zumal  an  der  Erd- 
oberfläche absolut  unmerklich  sein. 

Die  Yermuthung,  dass  die  Barometermaxim a  über  denjenigen  Ge- 
genden stattfinden,  in  welchen  die  Luft  der  westlichen  PolarstrÖmungen 
zur  Erdoberfläche  niedersteigt,  wird  aber  auch  durch  eine  grössere  Zahl 
von  Erfahrungsthatsachen  bestätigt. 

Ueber  einem  Luftdruckmaximum  herrscht  meist  ruhiges,  klares 
Wetter;  die  Temperaturabnahme  nach  der  Höhe  ist  sehr  gering,  nicht 
selten  sogar  negativ,  wenn  nämlich  die  durch  Berührung  mit  dem  durch 
Ausstrahlung  erkalteten  Erdboden  abgekühlte  Luft  in  Thalmulden  und 
kleineren  Bodenvertiefungen  sich  angesammelt  hat.  Die  Luft  ist  ausser- 
ordentlich trocken  und  höchstens  die  sehr  niedere  Temperatur  der  aller- 
p  untersten   Schichten   der   Atmosphäre   veranlasst  Bodennebel  von   ganz 

geringer   Höhe,   aus   welchen  sich  Eiskrystalle  als  Reif  oder  Rauchfrost 
ausscheiden. 

Das  räumliche  Zusammenfallen  der  barometrischen  Maxima  im  Win- 
ter mit  den  Temperatur  minima  hat  darin  seinen  Grund,  dass  die  Erd- 
oberfläche in  den  reinen,  wegen  der  Trockenheit  der  Luft  wolkenlosen 
[.  Himmelsraum  erheblich  viel  mehr  Wärme  ausstrahlt,  als  die  schiefauffallen- 

den wenig  wirksamen  Strahlen  der  Wintersonne  in  den  wenigen  Tagen  zu 
ersetzen  im  Stande   sind.     Die  durch  Berührung  mit  dem  kalten  Erd- 
boden   abgekühlte   Luft    fliesst  in   den   Thälern   zusammen.      Die  ver- 
f  hältnissmässig  hohe   Wärme   und    Trockenheit  der    Luft    etwas   höher, 

*  frei   gelegener  Punkte  rührt  davon  her,   dass  die  Luft,  welche  in  den 

J  Baroraetermaxima  niedersteigt,  sich  erwärmt  und  da  sie  während  ihrer 

*i  Abwärtsbewegung  keine  neuen  Wassermengen  aufnehmen  kann,  sich  in 


A.  Indifferenter  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre.     799 

Folge  ihrer  Temperaturerhöhung  mehr  und  mehr  von  ihrem  Sättigungs- 
punkte entfernt. 

Im  Sommer,  in  welchem  heträohtlich  mehr  Wärme  von  der  Sonne 
dem  Erdhoden  zugestrahlt,  als-  nachts  in  den  Himmelsraum  ausgestrahlt 
-wird,  muss  die  wolkenlose  Beschaffenheit  des  Himmels  üher  den  Baro- 
metermaxima  seihst  verständlich  leicht  Veranlassung  zu  ahnorm  hohen 
Temperaturen  werden.  Diese  seihst  sind  dann  aber  wieder  Veranlassung 
zu  einer  Auflockerung  der  darüber  stehenden  Luftsäule,  welche  noth- 
-wendig  eine  baldige  Vernichtung  des  Barometermaximums  und  seiner 
Folgen  nach  sich  zieht.  Auf  den  Continenten  werden  sich  im  Sommer 
daher  nur  selten  intensive  Barometermaxima  von  grösserer  Dauer  und  be- 
trächtlicher räumlicher  Ausdehnung  bilden  können. 

Um  barometrische  Maxima  entwickeln  sich  wirbelnde  Bewegungen 
der  Luft,  dieselben  werden  auticyklonische  genannt.  Die  Luft  wird  näm- 
lich in  Folge  der  Mitwirkung  der  Axendrehung  der  Erde  um  die  Maxima 
auf  der  Nordhemisphäre  in  der  Richtung  des  Uhrzeigers  (mit  dem  Sonnen- 
laufe) auf  der  südlichen  Halbkugel  entgegen  der  Bichtung  des  Uhrzeigers 
bewegt.  Da  die  barometrischen  Maxima  jedoch  dem  stabilen  Gleich- 
gewichtszustande der  Atmosphäre  entsprechen,  besitzen  dieselben  ver- 
hältnissmässig  grosse  Ausbreitung,  längere  Dauer  und  sehr  geringe 
Gradienten,  deshalb  sind  die  Wirbelbewegungen  um  dieselben  herum  zu- 
meist schwach  und  werden  leicht  durch  locale  Luftströmungen  zur  Un- 
kenntlichkeit entstellt. 


9.   Die  barometrisohen  Minima,  Oyklonen,  Wlpbelstürme, 

Tornados  etc. 

Nicht  selten  wird  das  indifferente  Gleichgewicht  der  Atmosphäre, 
welches  herzustellen  das  Streben  aller  Luftbewegungen  ist,  dadurch 
gestört,  dass  untere,  der  Erdoberfläche  nahe  gelegene  Luftschichten  durch 
Berührung  mit  dem  durch  die  Wirkung  der  Sonnenstrahlen  stark  erhitzten 
Erdboden  erheblich  erwärmt  werden.  Alsdann  entwickelt  sich,  wenn 
nicht  durch  bereits  vorhandene  horizontale  Luftströmungen  eine  Mischung 
mit  kälterer  Luft  erfolgt,  ein  labiler  Gleichgewichtszustand,  d.  h.  die 
Lufttemperatur  nimmt  mit  der  Höhe  rascher  ab,  als  dem  Feuchtigkeits- 
gehalte der  Atmosphäre  in  dem  indifferenten  Gleichgewichtszustande 
entspricht. 

Alsdann  heben  sich  einestheils  die  Flächen  gleichen  Druckes,  wie 
es  einer  Zunahme  der  mittleren  Lufttemperator  überhaupt  entspricht, 
und  da  ein  Theil  der  gehobenen  Luftsäule  in  der  Höhe  abströmt,  sinkt 
der  Barometerstand.  Nicht  selten  wird  aber  auch,  nachdem  er  längere 
Zeit  hindurch  bestanden  hat,  der  labile  Gleichgewichtszustand  aufgehoben ; 


und  kühlt  eich  dadorch  ab.  Die  Aoascheidung  des  Waaeerdampfes  mber. 
welcher  in  den  unteren  Regiouen  reichlicher  als  in  höberen  entbalta 
ist,  bewirkt  eine  langsamere  Abküblang  des  aufsteigenden  feuchten  Laft- 
Stromes,  als  der  Erhebnng  einer  trockenen  LnitmaBse  entspricht.  Dadonk 
behält  die  Luft  länger  eine  aufsteigende  Tendenz,  als  ihr  sonst  ziikomiMt 
würde.  Die  in  die  Höhe  geführte  Luft  strömt  in  oberen  Schichten,  der 
in  den  vorh ergehenden  Capiteln  bereits  erwähnten  allgemeinen  Wert- 
strSmung  folgend,  ab.  Diese  in  der  Höhe  abströmende  Bewegung  iit 
bekanntlich  in  der  Bewegung  der  Cirruswolken  zu  erkennen,  welche  nt 
den  Orten  ausgehen ,  an  welchen  ein  barometrisches  Minimam  herrsdA, 
r,g.  67. 


Von  allen  Seiten  strömt  nun  aber  die  Luft  längs  der  Erdoberflicb« 
zu,  um  das  ans  der  Aufhebnng  des  labilen  Gleichgewichtes  folgende  bwv- 
metriache  Minimum  zu  zerstören,  die  entstandene  Luftrerdünnang  anf- 
zuheben.  Die  Wirkung  der  Erdumdrehung  ist  nun  auf  der  udrdlicbee 
Hemisphäre  bestrebt  die  über  die  Erdoberfläche  hinströmenden  Luft- 
theilcben,  gleichviel  ans  welcher  Richtung  sie  kommen,  nach  rechts  au 
ihrer  Bahn  abzulenken;  dies  bewirkt,  dass  auf  unserer  Halbkugel  die 
Luft  um  die  barometrischen  Minima  herum  in  eitler  dem  ührzei^^r  ent- 


laetzte.  Auf  dieser  bewegen  sieb  die  Lufttheilchen  auf  einer  spiraligen 
ihn  dem  Minimum  zu,  velche  iu  der  Richtung  des  Uhrzeigers,  also  im 
nne  der  echeinbnren  Bewegung  der  Sonne,  um  den  Ort  tiefsten  Luft- 
■nckea  herumläuft. 

Beistehende  Figur  67  bietet  ein  ideales  Bild  einer  Cyldone,  eines 
'irbels  um  ein  Minimum,  auf  der  nördlichen  Hemisphftre  dar.  Die  Pfeile 
:uten  die  Bahn  nnd  Richtung  der  Lufttbeilchen ,  die  feineren  Linien 
e  Isobaren  an.  Die  Figur  63  repräsentirt  eine  sogenannte  Anticyklone, 
e  Bewegung  der  Luft  um  ein  barometrisches  Maximum ,  ebenfalls  auf 
iserer  nördlichen  Halbkugel. 

Flg.  68. 


Im  Centntm  eines  Wirbels  herrscht  nahezu  Tollkommene  Windstille, 
tLbrend  in  zwei  diametrial  gleich  weit  vom  Mittelpunkt  entfernten 
i«lleu  meist  nahezu  entgegengesetzte  Windrichtungen  herrschen.  Die 
irbelnde  Bewegung  in  der  Atmosphäre  selbst  ist  meist  ein  den  Ort 
ecbselnder  Bewegungszustand,  nnd  zwar  wandern,  wenigstens  ausser- 
üb  der  äquatorialen  Zone,  jedenfalls  nnter  dem  Einfluss  der  allgemeinen 
leren  Westströmnng  und   aus  weiterbin  nocb  zu  erörternden  Qründen 

BOblamnn,  Ueobu.  W»rm«Ui*oil».  Bd.  U.  ei 


ifie  üeaiD^aDgeu  lur  aie  finiiaieniiiig  eines  Daromeinscnen  »miBn 
Bind  nie  auf  allen  Seiten  des  Wirbele  gleicbmfissig  vorhanden.  1 
unserer  nördlichen  Erdhälfte  bringen  Winde,  welche  aas  eddlicber  { 
legenen  Gegenden  weben,  warme  und  mit  Wasserdampf  reichlich  « 
sebene  Luft;  diese  tritt  vorzugsweiBe  anf  der  nach  Osten  za  gelega 
Seite  des  Wirbels  in  diesen  ein.  Dagegen  wird  anf  der  noch  Wea 
gewendeten  Hftlfte  des  Wirbels  faaupt«fichlicb  kältere,  minder  wim 
dampfbaltige ,  also  relativ  schwerere  Laft  angesaugt,  welche  aas  döi 
liehen  Gegenden  herbeiströmt.  Aach  aus  diesem  Gnade  werdea  i 
Minima  Torzugsweise  nach  Osten  zn  TorrQcken,  denn  die  leichtm 
dampfreichen  Luftmengen,  welche  auf  der  Ostseite  des  Wirbels  eintnu 
sind  vielmebr  geneigt  kräftig  aufzusteigen,  als  die  auf  der  RCickaeite  i 
Fortbewegnng  des  Wirbels  eintretenden.  Die  Winde  ftof  der  Vordi 
eeite  des  Wirbels  bringen  das  Barometer  znm  Fallen  nnd  veranlMi 
somit  gewissermaassen  die  Bildung  eines  neuen  barometriachen  Hiniaa 
vor  dem  Wirbetstnrm,  während  die  auf  der  Westseite  eintrvttai 
Winde,  welche  k&ltere,  trockene  Luft  bringen,  die  LuftverdOnnung  h 
füllen  und  das  Barometer  zum  Steigen  bringen. 

Je  nach  der  BescbaSenheit  der  Lnftmassen,  welche  in  einen  Voll 
eintreten,  wird  das  Uimmnm  immer  dahin  wandern,  woher  darebxU 
lieh  die  wärmste  und  fenchteate  Luft  in  den  Wirbel  eingeoangt  rd 
Daraus  erklärt  es  sich  aucb,  dass,  wenn  bei  ungewöhnlichen  Tempenv 
und  Fenobtigkeits  Verhältnissen  oder  bei  ansserge  wohn  lieh  heftign  i* 
tationen  die  meiste  feuchte  und  warme  Lnft  auf  einer  anderen  ak  k 
Ostseite  des  Wirbels  zum  Aufsteigen  gebracht  wird,  die  Bahn  des  Tt 
bels  von  der  allgemeinen  Ostrichtung  abweichen  wird. 

Nähert  sieb  der  Wirbel  Gegenden,  in  welchen  ein  indifiTereuter  tk 
stabiler  Gleichgewichtszustand  herrsobt,  so  wird  das  barometrische  ILi 
mum  mehr  nnd  mehr  an  Tiefe  verlieren  und  schliesslich  gans  n 
schwinden  *). 

Die  Wirbelstärme  «der  Cyklouen  der  tropischen  Zone  entsteheii  fc 
engsweise  in  den  Gegenden  des  10.  Grades  nördlicher  nnd  sädlidt 
Breite,  wandern  anfangs  meist  nach  Westen  und  wenden  sich  dann  äa 
nächst  liegenden  Wendekreise  zn.  Am  häufigsten  sind  dieselben  b  ie 
Jahreszeiten,  in  welchen  sich  der  Wechsel  der  Uonsune  vollzieht,  «k 
zn  der  Zeit,  in  welcher  die  Auflockerung  der  Lnft  durch  die  hohe  Tca 
peratur  nnd  den  hohen  Feuchtigkeitsgehalt  am  stärksten  wirksam  p 
worden  ist.  Da  es  sich  in  diesen  Gegenden  um  viel  energischere  'Ld 
Terdünnongen  handelt,  sind  die  bsrome  tri  sehen  Gradienten  meist  cd 
gross  und  die  Stürme  nicht  selten  von  ausserordentlicher  Heftigkä 
Die   aufsteigende  Bewegung  ist  dabei  nicht  selten  so  bedeutend,  Jm 


>)  MsD  vergleiche;  Mohn,  Grundzüge  der  HeteorolDgie,  3.  Aufl.,   1883,  S.  3&1 


IV.    Anwendung  auf  Meteorologie  und  Astronomie.        803 

Haasdäcber  und  andere  schwere  Gegenstände  hoch  mit  in  die  Höhe 
gerissen  werden. 

Die  Tornados ,  noch  mehr  aber  Tromben ,  Wasser-  und  Sandhosen 
sind  Wirbel  aufsteigender  Luftmassen  von  geringerem  Umfange,  welche 
von  mehr  local  auftretenden  labilen  Gleichgewichtszuständen  in  der  Luft 
herrühren. 

Bei  allen  derartigen  Erscheinungen  aber  ist  die  Wärme  die  treibende 
Kraft,  durch  welche  die  Bewegungezustände  der  Atmosphäre  erzeugt 
werden.  Geringfügige  lopale  Ursachen  können  die  Veranlassung  zur 
Aufhebang  der  mehr  oder  weniger  weit  verbreiteten  Zustände  einer  zu 
raschen  Abnahme  der  Temperatur  mit  der  Höhe  des  labilen  Gleich- 
gewichtes werden.  Die  Bewegungen  werden  um  so  intensiver  ausfallen, 
je  grösser  die  Abweichung  der  Atmosphäre  vom  indifferenten  Gleich- 
gewichtszustande ist.  Auf  um  so  weitere  Gebiete  wird  sich  der  Vorgang 
erstrecken,  eine  je  grössere  Verbreitung  in  horizontaler  oder  verticaler 
Richtung  der  vom  indifferenten  Gleichgewichtszustand  abweichende  Zu- 
stand der  Atmosphäre  besitzt. 

In  den  Minima  der  Barometerstände  haben  wir  es  mit  der  von  unten 
lach  oben  wirkenden  Ursache  eines  labilen  Gleichgewichtes,  in  den  baro* 
netrischen  Maxima  mit  Aufhebung  stabiler  Gleichgewichtszustände  durch 
Bewegungen  der  Luft  von  oben  nach  unten  zu  thun. 

Die  barometrischen  Minima,  welche  viel  ausgesprochener  und  ener- 
gischer auftreten  als  die  Maxima,  sind  wahrscheinlich  von  mehr  ursprüng- 
icher  Art.  In  den  barometrischen  Maxima  steigt  dagegen  wahrschein- 
ich  für  die  in  den  Wirbeln  in  die  Höhe  geführte  Luft  der  erforderliche 
!>satz  wieder  zur  Erde  nieder. 


0.   Die  au&telgende  Bewegung  der  Luft  als  Ursache  von 

wässerigen  NledersoMägen. 

In  früherer  Zeit  suchte  man  mehrfach  die  Ursache  der  barometri- 
iben  Minima  in  den  Niederschlägen.  Man  ging  dabei  von  der  falschen 
niiahme  aus,  dass  die  durch  die  Gondensation  des  Wasserdampfes  frei 
erdende  latente  Dampfwärme  die  Lufl  erwärme  und  ein  Emporwirbeln 
»rselben  veranlasse.  Zunächst  aber  widerlegen  die  meteorologischen 
rfahrungen  diese  Vermuthung,  denn  es  hat  sich  gezeigt,  dass  Ent- 
shung  und  Verlauf  energischer  Regenfalle  keinen  erheblichen  Einfiuss 
[£  das  Barometer  ausübt.  Man  nimmt  nicht  ein  Sinken  des  Barometers 
Ihrend  des  Regenfalles  wahr,  sondern  gegen  Ende  steht  im  Allgemeinen 
.8  Barometer  etwas  höher ,  als  zu  Anfang  ^).     Andererseits  liegt  es  auf 


^)  Vergleiche  :  H  a  n  n ,  lieber  den  Einfluss  des  Regens  aaf  den  Barometerstand  und  über 
Entstehung-  der  Nicdereichläge  im  Allgemeinen.    Zeitschr.  f.  Meteorologie,  Bd.  IX,  S.  291 . 

51* 


804    A.   Der  indifferente  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre. 

der  Hand,  dass  ohne  besondere  YeranlaBsnng  eine  Condensation  von 
Wasserdampf  und  eine  damit  zusammenhängende  Erwärmung  der  Luft 
nicht  eintreten  kann.  Eine  Ausscheidung  von  Wasserdampf  wird  viel- 
mehr stets  nur  die  Folge  einer  vorausgehenden  Wärmeentziehun^  sein 
und  höchstens  dazu  beitragen  können,  dass  die  Wärmeentziehung  nicht 
mit  einer  eotsprechenden  Abkühlung  verknüpft  ist. 

Wenn  es  zu  Niederschlägen  kommt,  haben  dieselben  wohl  in  den 
meisten  Fällen  darin  ihre  Ursache,  dass  kältere  Luftmassen  heran- 
geweht werden ,  durch  welche  die  wärmeren  vorhandenen  Luftmassen, 
wenn  eine  Mischung  stattfindet,  abgekühlt  werden,  oder,  und  das  ist 
wahrscheinlich  die  bei  weitem  häufigste  Ursache,  dass  warme,  reichlich 
Wasserdampf  enthaltende  Luft  in  die  Höhe  geführt  wird.  Bewirkt  ein- 
dringende kalte  Luft,  dass  warme  Luft,  welche  feucht  war,  zum  Aof- 
steigen  gebracht,  abgekühlt  wird,  so  tritt  eine  Condensation  von  Was* 
serdampf  ein,  alsdann  muss  dies  mit  einem  Steigen  des  Barometers  ver- 
knüpft sein.  Ausserdem  bringen  die  aus  der  Höhe  niederfallenden 
Wassertropfen  die  niedrige  Temperatur  der  oberen  Luftschichten  mit 
und  bewirken  schon  dadurch  eine  Abkühlung  der  unteren  Luftschichten. 
Ferner  wird  die  Verdampfung  eines  Theiles  des  herabfallenden  W&ssea 
die  Temperatur  der  unteren  Luftschichten  erniedrigen,  und  diese  Yei^ 
dampfnng  wird  stets  eintreten,  wenn  die  unteren  Luftschichten  nicht 
bereits  volUcommen  mit  Wasserdampf  gesättigt  sind.  Diese  beiaen  im 
gleichen  Sinne  wirkenden  Ursachen,  welche  gewiss  bei  den  kalten  Regen- 
fällen znsammeni reffen,  werden  eine  Abkühlung  der  unteren  Partien  der 
Atmosphäre  und  damit  schliesslich  ein  geringfügiges  Wachsen  des  Baro- 
meterstandes nach  sich  ziehen. 

Strudelt  dagegen  in  einer  Gegend,  in  welcher  sich  ein  labiler  Gleich- 
gewichtszustand mit  zu  rascher  Abnahme  der  Temperatur  nach  der  Höhe 
gebildet  hatte,  die  feuchte  warme  Luft  in  die  Höhe,  so  wird  in  Folge 
der  Hebung  der  Luft  alsbald  eine  Abkühlung  derselben,  weiterhin  eine 
Condensation  des  Wasserdampfes,  demnach  Wolkenbildang  und  endlich, 
je  nach  der  Temperatur,  Regen-  oder  Schneefall  stattfinden. 

Die  barometrischen  Minima  und  Wirbelcentra  unserer  Atmosphäre 
sind  daher  stets  von  dichten  Wolkenbildungen  und  heftigen  Nieder* 
schlagen  begleitet,  und  zumal  um  das  Centrum  der  Cyklonen  herom 
finden  intensive  Niederschläge  statt. 

Werden  bei  intensiven  Aufwärtsbewegungen  warme  und  dabei  sehr 
wasserdampfhaltige  Lufbmassen  im  Innern  eines  Wirbels  mechanisch  so 
rasch  in  die  Höhe  gehoben,  dass  die  Abkühlung  und  Condensation  nicht 
in  dem  Maasse  erfolgen  kann,  als  die  Hebung  stattfindet,  so  wird,  wenai 
alsdann  die  aufsteigende  Bewegung  erst  in  Luftschichten  erlahmt,  derea 
Temperatur  erheblich  unter  Null  ist,  plötzlich  eine  energische  Abküblnni 
und  eine  starke  Condensation  zu  Eis  eintreten ;  die  so  gebildeten  ConglQpjj 
merate  von  Eiskrystallen  werden  als  Graupeln  oder  Hagel  zum  Erdbodelj 
niederfallen. 


IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie.      805 

Wird  durch  ein  kräftig  saugend  wirkendes  barometrisches  MiDimnm 
die  Luft  jenseits  eines  Gebirges  verdünnt,  so  strömt  Luft  aus  den  dies- 
seits des  Gebirges  liegenden  Gegenden  zu  und  die  unmittelbar  am  Ge- 
birge befindlichen  Luftschichten  werden  beim  Uoberschreiten  des  Kam- 
mes genöthigt,  am  Gebirge  aufzusteigen.  Derartige  Hebungen  der  Luft 
über  die  Gebirgsrücken  bei  Ausgleichung  von  Druckdifferenzen,  welche 
zu  beiden  Seiten  des  Gebirges  stattfinden,  sind  die  Ursache  der  zahl- 
reichen Regenfälle,  welche  in  gebirgigen  Gegenden  stattfinden.  Ebenso 
bringen  die  Winde  beim  Auftreffen  auf  Gebirge  die  Luft  zum  Aufsteigen 
und  wirken  in  gleichem  Sinne,  wenn  man  überhaupt  berechtigt  ist,  diese 
Ursache  von  der  vorigen  zu  trennen. 

Nicht  selten  wird  die  Luft  der  atmosphärischen  Strömung  beim  An- 
nähern an  den  Gebirgskamm  zwar  etwas  gehoben,  dadurch  abgekühlt  und 
ein  Theil  des  Wasserdampfes  zu  Dunstbläschen  verdichtet,  unmittelbar 
hinter  dem  Kamme  aber  hört  diese  aufsteigende  Bewegung  wieder  auf. 
Alsdann  sehen  wir  nur  die  Gipfel  und  Gebirgsrücken  mit  Nebelkappen 
bedeckt,  während  sonst  vielleicht  überall  die  Luft  klar  ist. 

Da  aber  nur  dann  eine  geringfügige  Hebung  und  dadurch  bewirkte 
kleine  Wärmeentziehung  schon  eine  Ausscheidung  von  Wasserdampf  in 
Form  von  Dunstbläschen  bewirken  kann,  wenn  der  in  der  Luft  enthaltene 
Wasserdampf  nicht  weit  von  seinem  Condensationspunkt  entfernt  ist,  so 
sind  diese  Nebelkappen  der  Berge  immer  ein  Zeichen,  dass  die  höheren 
Luftschichten  nur  einer  geringen  Abkühlung  bedürfen,  um  zu  Nieder- 
schlägen Veranlassung  zu  geben. 

Durch  neuere  Untersuchungen  ist  ferner  dargethan  worden,  dass 
der  Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  mit  der  Höhe  viel  rascher  abnimmt, 
als  dies  in  einer  freien  Dampfatmosphäre  der  Fall  sein  würde  ^).  In  den 
untersten  2000  m  der  Atmosphäre  ist  schon  die  Hälfte  des  gesammten 
Wasserdampfes,  in  den  untersten  4600  m  sind  Vio  ^°d  in  den  untersten 
6500  m  schon  ^/^q  des  gesammten  Wasserdampfgehaltes  der  Atmosphäre 
enthalten.  —  Diese  Thatsache  zusammengehalten  mit  den  oben  erwähn- 
ten auf  die  Ausscheidung  von  Wasser  und  Bildung  von  Niederschlägen 
binwirkenden  Eigenschaften  der  Gebirge  erklärt  zur  Genüge,  warum  in 
1er  Th'at.  selbst  massige  Gebirgskämme  als  deutlich  erkennbare  Wetter- 
scheiden wirken  können. 


!!•  Der  Fölin  und  verwandte  Luftströmungen. 

Der  Föhn  der  Nordseite  der  Alpen  und  der  Scirocco  des  Südabhanges 
lesselben    Gebirges,    sowie    eine  Menge  von   heissen  Winden,    welche 


*)  Vergleiche:  Strachey,  Proceedings  of  the  Roy.  Soc.  of  London  1861.  Früher 
latte  schon  L  a  m  o  n  t  darauf  hingewieften,  dass  der  Wasserdampf  sich  in  der  Atmosphäre 
liemals  in  einem  Gleichgewichtszustände  be6ndet,  wie  ihn  das  Dalton'sche  Gesetz 
x)rdert.     Vergleiche  Zeitschr.  f.  Meteorologie  Bd.  111,  S.  271. 


806    A.  Der  indifferente  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphü 

gelegentlich  zu  beiden  Seiten  an  dem  steil  abfallenden  Hochgebirge  'wehen, 
sind  durch  ihre  hohe  Temperatur  und  durch  die  ausnehmende  Trocken- 
heit der  Luft  deutlich  charakterisirt  und  tou  Luftströmungen  anderer 
Art  merklich  verschieden. 

Diese  Winde  bieten  das  auffallende  Beispiel,  dass  Luft,  welcbe  ans 
den  vergletscherten  Gipfeln  des  Gebirges  herzukommen  scheint,  eine 
ermattende  Wärme  und  auffallende  Trockenheit  mit  sich  bringt,  wäh- 
rend gleichzeitig  oder  bald  nachher  auf  den  Gipfeln  und  Kämmen  da- 
Gebirge  schneidend  kalte  Lnft  in  nahe  derselben  Richtung  weht,  und  jen- 
seits des  Gebirges  bis  zum  Kamme  dichte  Niederschläge  etattfinden. 

Man  ist  jetzt  nach  den  eingehenden  Untersuchungen  Hannos  nicht 
mehr  im  Zweifel  darüber,  dass  der  Föhn  und  die  ihm  verwandten  Winde 
ihre  Ursache   darin  haben,  dass  auf  der  einen  Seite  des  Gehirns  ein 
barometrisches  Minimum  sich  entwickelt  bat  oder  vorüberzieht  und  die 
Luft,  welche  zwischen  dem  Wirbel  und  dem  Gebirge  liegt,  kräftig  ansaugt. 
Der  Ersatz  der  abgeführten  Luft  kann  alsdann  nur  dadurch   erfolgen, 
dass  über  den  Gebirgskamm  her  Lnft  herangeführt  wird  und  diese  Luft 
niedersteigt,  um  die  entstandene  Lufbverdünnung  auszufüllen.     Die  Lall 
aber,  welche  auf  diese  Weise  gezwungen  wird,  vom  Gebirgskamme  zun 
Thale  niederzusteigen,  muss,  sobald  sie  sich  senkt,  zusammengepresst, 
dadurch  erwärmt  und  relativ  trocken  werden.     Da  die  Luft  sehr  bald 
kein  verdunstbares  flüssiges  Wasser  mehr  enthalten  und  sich  trockener 
Luft  in  ihrem  Verhalten  mehr  und  mehr  nähern  muss,  so  müsste,  aofeni 
Hannos  Hypothese  richtig  ist,  alsdann  auch  in  einer  vom  Föhn  über- 
flutheten  Gegend  die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  ziemlich  geau 
die  sein,  die  in  einem  absteigenden  trockenen  Lufbstrome  stattfindes 
muss. 

Auf  der  abgewendeten  Seite  des  Gebirges  jedoch  wird  die  Luft  naeb 
und  nach  zum  Aufsteigen  genöthigt,  der  Wasserdampf  condensirt  sieh, 
dies  bewirkt  eine  sehr  geringe  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe,  kühle 
Temperatur  und  Niederschläge. 

Auf  den  Gobirgskämmen  selbst  weht  alsdann  ein  schneidend  kalter 
Wind,  dessen  niedere  Temperatur  davon  herrührt,  dass  die  Luft  merklieh 
gehoben  und  ausgedehnt  werden  musste,  ehe  sie  im  Stande  war,  die 
Kamm  höhe  zu  überschreiten. 

£ine  Zusammenstellung  der  Witternngsverhältnisse  während  einiger 
ausgesprochenen  Föhnperioden  lässt  deutlich  den  wesentlichen  Unter- 
schied des  Süd-  und  Nordabhanges  der  Alpen  erkennen  ^). 


^)  Hann,  Ueber  den  Föhn  in  Blndenz.     Sitzungsber.  der  Wiener  Akad.,  Ü.  AbtU. 
Bd.  86,  S.  416  bis  440. 


2480 
2060 


SSdseite  der  Alpen 

llinzona,   Lnguo,  S.  Victore 

stasegDS,  Brasio 

■ttbard.  Julier,  BernhiiniiQ 

Ncrdiieite  der  Alpen 

.    Bernhard 

>tthBiil,  Simplon,  Jalier,  Bcmhiintin,  GrimBel  ■  . 
&VO«,  Orichen,  ADdermstt,  Spionen,  PlatU  .  .  . 
harwalden,  Grindelwsld,  Trogen,  Anen,  nellfberfi 
Imr,  HarachliD),  Ragati,  AllttSHen,  Altdorf    .   . 


Diese  Zahlen  gestatten  die  Abnalims  der  Temperatur  t  mit  der 
iahe  X  (x  in  Hnnderten  toh  Ilfetern  snsgedrQckt)  dorch  folgende  For- 
leln  darznstellen : 

SQdabhang    4=     4,4»— 0,34  a: 
Nordabhang  f,  =  16,7  —0,92«. 
Ebenso  diarakteristiach  ist    die    Zusammen atellung    einer   zweiten 
Sngeren 

FShnperiode  rom  I.,  4.,  7.,  8^  9.  Jannar  1677. 


Seeböbe         Tempersti 


;  der  Alpen 
1.  Vittarc,  Lugano 

lils 

lemhardin 

Nonlnbhang  der  Alpen 

Jemliai^ln,  St.  BernbarJ 

[)bvd«,  Qrichen 

Spliigen,  Platta,  Andermatt 

Eiig«1b«rg,  GSlria 

Auen,  Trogen 

Ragati,  Cbor,  Marechlin 

Altdorf,  Altstitten,  GUrus 


+    8,2' 
+    4,1 


—  3,S 
+  1,9 
+  *,2 
+  Ifi 
+  10,4 


808    A.  Der  indifferente  Gleichgewichtszustand  der  Atmosphäre. 

Die  TemperaturabDahme  nach  der  Höhe  wird  durch  nacliBtehendc 
Gleichungen  mit  befriedigender  Genauigkeit  wiedergegeben: 

Südabhang:     <«  =     7,4 — 0,46 -a? 
Nordabhang:  tx  =  17,9  —  0,95-x. 
{x  in  Hunderten  von  Metern  auBgedrückt.) 

Die  Temperatnrabnahme  ist  somit  auf  dem  Sädabhange  im  Mitte] 
ungefähr  %o^^*  ^nr  100  m  Erhebung  in  yerticaler  Richtung,  während  die 
gleichzeitige  Temperaturabnahme  auf  dem  Nordabhange  ungefähr  0,94®  C 
beträgt.  Die  erste  Zahl  entspricht  der  langsamen  Wärmeahn&hme  in 
einem  aufsteigenden  Luflstrome,  dessen  Wasserdampf  beim  Emporheben 
der  Luft  zum  grössten  Theile  condensirt  wird;  die  zweite  Zahl  stimmt 
fast  absolut  genau  mit  der  theoretischen  Temperaturabnahme  in  einem 
niedersteigenden  Luftstrome  überein.  Man  kann  somit  mit  ziemlicher 
Sicherheit  behaupten :  der  Föhn  mit  seiner  hohen  Temperatur  and  seinem 
geringen  Feuchtigkeitsgehalte  ist  Luft,  welche  über  die  Alpenkamme 
kommend,  nach  der  Tiefe  angesaugt  worden  ist.  Das  Gefalle  der  Luft- 
strömungen wird  dabei  zumeist  so  gering  sein,  dass  man  die  ▼ertacal 
nach  abwärts  gerichtete  Componente  kaum  bemerkt^). 

Das  plötzliche  Auftreten  des  Föhns  erklärt  Billweiler^)  dadnrcli, 
dass  die  Barometerminima ,  welche  im  Westen  des  europäischen  Fest- 
landes auftreten,  zunächst  die  über  Frankreich  und  Mitteleuropa  g^egenem 
Luftmassen  in  den  Wirbelsturm  hineinziehen.  Durch  die  so  entstehende 
Luftverdännung  wird  alsdann  aber  auch  Luft  aus  den  Niederangen  der 
Nordschweiz  und  den  Alpenthälern  zum  Abfluss  gebracht.  Die  Alpen 
selbst  aber  bilden  eine  Scheidewand,  welche  den  Luftaustausch  in  den 
unteren  Schichten  hemmt.  Während  die  Luft  des  Alpenvorlandes  und 
der  Alpenthäler  schon  in  die  Barometerdepression  der  atlantiseben 
Cyklonen  hinein  gezogen  werden,  wird  die  jenseits  des  Gebirges  gelegene 
Luftmasse  noch  in  Ruhe  bleiben.  Im  Gebirge  selbst,  zumal  in  den 
Thälern,  werden  sich  daher  beträchtliche  barometrische  Gradienten  ent- 
wickeln. Für  die  abgeführte  Luft  der  Alpenthäler  kann  aber  nur  durch 
Luft  Ersatz  gebracht  werden,  welche  vom  Elamme  herabkommt. 

Die  einzelnen  Stösse  des  Föhns  entsprechen  dem  Yorübersiebec 
kleinerer  secundärer  Minima,  von  welchen  eine  grössere  Anzahl  bekannt- 
lich zumeist  die  grossen  Depressionscentra  seitlich  begleiten. 

Anfänglich  beim  Beginne  des  Föhns  stammt  daher  die  Luft  gar 
nicht  yon  der  Südseite  der  Alpen,  sondern  es  ist  Luft,  welche  ron  der 
Kammhöhe  herabgefahrt  worden  ist;  später  wird  jedoch  auch  die  jenseits 
des  Gebirges  befindliche  Luftmasse  in  Bewegung  gesetzt  und  allmählich 
auf  den  Kamm  heran fg^sogen.  Daher  bemerkt  man  auf  der  Südseite 
der  Alpen  das  Auftreten  von  Südwestwinden  meist  erst,  wenn  der  Föhn 


^)  Der  Neigungswinkel  der  Linie  Gotthard- Altdorf  beträgt  2^21',  Gottlurd- Bellt»- 
zona  2»1',  Martigny  -  St.  Beruhard  3<^44',  Bellinzona-Bcrnhardin  2«  45'. 
^)  Zeitschrift  für  Meteorologie  1878,  Bd.  XIII,  S.  319. 


bereits  längere  Zeit  hindurch  in  den  nördlich  liegenden  Alpen 
gehaust  hat.  Der  Regenfall  auf  der  Südseite  der  Alpen  folgt  da 
meist  erst  dem  Föhn  und  geht  ihm  nicht  voraus.  —  Der  Regen  s 
Südabhange  der  Alpen  aber  müsste  in  den  nördlich  von  den  AI] 
genden  Thälern  dem  Föhn  vorausgehen,  wenn  ein  von  Süde 
kommender,  die  Alpen  überwehender  Wind,  welcher  die  Luffc  ül 
Kamm  hinübergetrieben  hätte,  die  Ursache  des  Föhns  wäre,  w 
dies  früher  annahm. 

Da  im  Winter  die  Temperatur  in  der  Höhe  weniger  stark  ^ 
Th  altemperatur  abweicht,  als  im  Sommer,  so  muss,  weil  die  Temp 
erböhung  für  eine  gleiche  Senkung  immer  um  dieselbe  Anzahl  von  < 
erfolgt,  der  Winterföhn  eine  aufi^lligere  Erwärmung  bringen  ; 
Sommerföhn.  Dies  wird  in  der  That  zumal  durch  die  sorgsan: 
obacbtungen  des  Baron  von  Sternbach  iu  Bludenz,  in  dem  durc 
reiche  Föhnstürme  ausgezeichneten  Ulthale  auffallend  bestätigt. 

Selbstverständlich  werden  Föhnstürme  auf  beiden  Seiten  jedee 
lang  gestreckten  Gebirgskammes  auftreten  können,  und  zwar  wen 
immer  auf  der  Seite  des  Gebirges  entstehen,  auf  welcher  ein 
barometrisches  Minimum  in  nicht  zu  grosser  Entfernung  vorüb( 
So  ist  z.  B.  der  trockene,  heisse  Nordwind  der  Südseite  der  Alpe 
Scirocco,  nichts  weiter  als  der  Föhn  des  Südabhanges  dieses  Gebii 

II  a  n  n  0  ^^^  durch  eingehende  Untersuchungen  nachgewiesei 
bei  Scirocco  die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  auf  der  Südse 
norm  rasch  ist,  nahezu  l^G.  für  100m  beträgt;  auf  der  Nordsei 
Gebii'ges  ist  sie  dagegen  entweder  normal  oder  wegen  des  daselb 
steigenden  Luftsti'omes  und  der  Goudensation  des  Wasserdampfes  m 
lieh  verzögert;  die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  beträgt  n 
bei  im  Süden  des  Gebirges  wehendem  Scirocco  auf  der  Nordseii 
0,46  bis  0,240  C.  auf  100  m. 

M  0  h  n  ^)  berichtet,  dass  auch  Grönland  das  überraschende  Phä 
eines  Windes  darbietet,  welcher,  aus  dem  vergletscherten  Hochg 
im  Norden  kommend,  auffallende  Wärme  und  Trockenheit  mit  sich 

Das  Gegenstück  des  Föhns  sind  wahrscheinlich  die  kalten  Winc 
z.  B.  die  Bora  des  Earsts,  welche  auf  manchen.  Gebirgszügen  so  se 
fürchtet  werden.  Diese  rühren  wahrscheinlich  von  Luft  her,  welc 
das  Gebirge  heraufgesaugt  worden  ist,  um  grössere  luftverdünnte  1 
auszufüllen ,  die  sich  jenseits  des  Gebirges  gebildet  und  bereite 
gewisse  Intensität  erlangt  hatten,  ehe  sich  die  Luft  den  Bergabhan, 
auf  in  Bewegung  gesetzt  hatte. 

Wir  hatten  bereits  früher  (S.  784)  für  die  Temperaturabnal 
einem  absteigenden  Luftstrome  die  Formel 


^)  Hann,   Der  Scirocco  der  Südalpcn.     Zeitschrift  f.  Meteorologie  (1868), 
S.  561  bis  574. 

^)  Mohn,  Meteorologie.     Dritte  Aufl.,  1883,  S.  182. 


entwickelt.     Hans  ■)  hat  die  nittlere  bei  F6hn  beobachtete  Temperstar- 

dT 
abnähme  mit  der  Höhe  -;—  =  —  0,97°  C.  benutzt  nnd  ans  dieser  Tormd 

das  mechaniache  Aequivalent  der  Warme  berechnet: 

Ea  ergiebt  aich,  da  Cy  =  0,238  iat: 

J  =  433  kgm, 
was  sehr  wenig  von  den  anderen,  besten  Bestimmnngea  dieser  CoDstsnUa 
abveicht. 


B.  Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 
1.  Sie  Bedeutung  der  sonne  Vax  die  Erde. 

Die  Methode  der  mechaniBchen  Theorie  der  Wärme  ist  mit  bestem  Er- 
folge anch  auf  einige  andere  Probleme  der  kosmischen  Physik  angewssdet 
worden.  Aaf  diesem  Gebiete  sind,  wie  anch  auf  vielen  anderen,  dadord 
neue,  früher  ungeahnte  GesichtBpunMe  eröffnet  worden,  welche  ee  ermfig- 
licht  haben,  tiefere  Einblicke  in  den  Zaaammenhang  gewiaeer  Natnr- 
erscheinnngen  zu  gewinnen,  welche  vordem  scheinbar  beziehnngalo«  nebca 
einander  standen. 

Durch  die  Unteranchnuges  der  neueren  PfiaDEenphyriologen  istObei^ 
zeugend  dargethan  worden,  daas  das  Wachsen  sämmtlicher  Pflanzen  [mit 
verschwindenden  Ausnahmen ,  welche  von  einigen  parasitiaehen  Formen 
gebildet  werden')]  auf  einem  Zersetznngsprocesse  der  KohlenaäDre  der 
Atmosphäre  nnd  des  Wassers  dnrch  die  Einwirkung  des  Sonnenlichtes 
beruht.  Von  den  grflnen  Pflanzenzellen  werden  gewisse  Partieo  *)  dn 
strahlenden  Energie,  welche  die  Sonne  nns  zusendet,  absorbirt  und  dan 
verwendet,  ans  Eohlensänre  nnd  Wasser  unter  Ahseheidnng  von  Saser- 
Stoff  Eohlenwaasersteffe  zu  bilden ,  welche  alsdann  neben  Wasaer  nnd 
wenigen  mineralischen  Boatandtheilen  den  Pflanaenkörper  aufbaoeo. 


1)  Hinn,  SitiDDgsbcr.  d.  Wiener  Akad.,  IL  Abthl.  (1882),  Bd.  LXKXV,  S.  430. 
*)  Vergl.  Bd.  I,  S.  127. 


Sutane  hsaptsSchlich  kIb  künstliche  Wärme-  und  Lichtquellen  dienen, 
itammen,  soweit  es  atoh  nm  die  enormen  Energie vorräthe  handelt,  welche 
n  ihnen  »afgespeichert  sind,  von  der  Sonne  ah;  denn  es  sind  die  Ueber- 
■eete  einer  Pflanzenwelt,  welche  ehemals  die  Erdoberflftohe  bedeckte. 

Von  den  Pflanzen  wiederam  entnehmen  &Ile  thierisohen  Organis- 
uen  diejenigen  Energiemengen,  welche  theils  als  Eigenwärme  des  thieri- 
ichen  Körpers,  theils  als  Muskelarbeit  zur  Erscheinung  kommen.  Alle 
[jebens-  nnd  BewegungserBcbeinnngeu  der  die  Erdoberfläche  bedeckenden 
Fhierwelt  sind  somit  nar  in  andere  Formen  umgesetzte  Energie  der 
^n  Den  strahlen. 

Aber  nicht  nur  alles  organische  Leben  auf  der  Erdoberfläche,  sondern 
auch  alle  abrigen  Bewegungsersoheianngen,  mit  alleiniger  Ausnahme  der 
vulcanischen  Vorgänge  und  der  Bewegung  der  Wassermassen  des  Meeres 
iD  £bbe  nnd  Fluth,  sind  umgesetzte  Formen  der  strahlenden  Energie  des 
SonoenlichteB.  Die  Bewegungen  des  Lnftmeeres,  sowohl  die  regelmässig 
auftretenden  Passate  als  die  See-  und  Landwinde  und  die  Wirbelstarme, 
welche  die  atmosphärischen  Schichten  gewaltig  durch  einander  schOtteln, 
kurz,  alle  Loftbewegungen  von  den  alles  verheerenden  Cyklonen  bie  zum 
leisesten  Lufthanch,  der  kaum  das  zarteste  Blatt  des  Baumes  bewegt,  sind 
veranlasst  durch  die  gewaltigen  .^rbeitsvorräthe,  welche  die  Sonne  durch 
ihre  Strahlen  unserem  Planeten  unausgesetzt  zusendet. 

Auch  die  gewaltigen  Strömungen  des  Weltmeeres,  durch  welche  in 
jeder  Secande  Millionen  von  Cubikmetern  Wasser  bewegt  werden,  ver- 
danken der  verschiedenen  Erwärmung  des  Wassers  dnrch  die  Sonnen- 
strahlen ihre  Entstehung. 

Die  Sonnenwärme  vordampft  femer  unausgesetzt  einen  Tbeil  des  an 
der  Erdoberfläche  befladlichen  Wassers  und  hebt  dasselbe,  die  Anziehungs- 
kraft der  Erde  Qberwindead,  in  dieH5he.  Die  auis teigenden,  mit  Wasser- 
dampf reichlich  versebenen  Luftmassen  kühlen  sich  in  demselben  Haasse 
ab ,  als  sie  bei  weiterer  Erhebung  von  der  Erdoberfläche  sich  mehr  und 
mehr  in  den  ddnneren  Luftschichten  ausdehnen.  Der  in  der  Luft  enthal- 
tene Wasaerdampf  nähert  sich  bei  fortdauernder  Abkühlung  allmählich 
Boinetn  Sättigangspnnkte,  er  wird  schliesslich  flüssig  nnd  fällt  als  Regen, 
Schnee  und  in  den  mancherlei  anderen  Formen  des  Niederschlages  wieder 
auf  die  Erdoberfläche  nieder.  Das  Wasser  wird  dadurch  auf  die  Berge 
getragen  und  strömt  von  diesen,  dem  Gesetze  der  Schwere  folgend,  den 
Niederungen  und  Bchliesslich  dem  Weltmeere  wieder  zu. 

Das  auf  die  Gipfel  der  Berge  jenseits  der  Grenzen  des  ewigen  Schnees 
niedergefallene  krystallisirte  Wasser  wird  durch  den  Druck  der  sich  ftber 
einander  lagernden  Schichten  in  das  Eis  der  Gletscher  verwandelt,  und 
diese  steigen  langsamen  Schrittes  in  dos  Thal  hinab,  bis  die  auflösende 
Kraft  der  in  den  Niederungen  zunehmenden  Wärme  ihrem  weiteren  Vor- 


812  B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 

driDgen  ein  Ziel  setzt.  Anf  ihrem  Wege  arbeiten  sie,  gewaltigen  Hobeln 
gleich,  die  Mulden  derXhäler,  welche  sie  darchwanderD,  immer  tiefer  aus. 

Wohin  wir  in  der  uns  umgebenden  Natur  anch  blicken,  überall  er- 
kennen wir  die  Wirkungen  der  Sonnenstrahlen.  Bald  sind  es  Wirkungen 
von  Strahlen,  welche  jetzt  eben  zu  uns  kommen  oder  vor  Kurzem  zu  ans 
gekommen  sind,  bald  solche  Yon  Strahlen,  welche  vor  Jahrtausenden  Yoa 
unserer  Erde  aufgenommen  wurden. 

In  der  Sonnen  an betüng  der  Völker  des  Orients  und  den  Mythen 
unserer  Altvorderen  liegt  somit  eine  reiche  Fülle  von  richtigem  Ahnen 
der  Bedeutung  der  Sonne  für  die  Erde  und  ihre  Bewohner. 

Wunderbarer  Weise  hat  schon  der  Begründer  der  mechanischen 
Wärmetheorie ,  der  deutsche  Arzt  Julius  Robert  Mayer ^),  beim  Be- 
ginn seiner  Betrachtungen  diese  wichtigen  Beziehungen  der  Sonne  zor 
Erde  vollständig  klar  erkannt.  Manche  Gonsequenz  seiner  kühnen  Speca* 
lationen  ist  erst  in  neuerer  und  neuester  Zeit  durch  genauere  Beobach- 
tungen bestätigt  worden. 


2.   Die  Energiemenge,  welche  die  Sonne  der  Erde 

zusendet. 

Die  Messung  des  Betrages  der  Energie  oder  Arbeitsgrösse ,  welche 
die  Erde  von  der  Sonne  in  einem  gegebenen  Zeiträume  empfangt,  ge- 
schieht dadurch,  dass  man  eine  mit  Rnss  vollständig  geschwärzte  Fläche 
den  senkrechten  Strahlen  der  Sonne  aussetzt  und  die  Wärmemenge  misst, 
welche  auf  diese  Weise  in  einem  bestimmten  Zeiträume  an  Stelle  der 
vollständig  aufgesaugten  Sonnenstrahlen  erzeugt  wird. 

Die  Messung  dieser  Wärmemenge  ist  deshalb  mit  grossen  Schwierig- 
keiten verknüpft,  weil  die  Sonnenstrahlen,  ehe  sie  die  absorbirende  Fläche 
erreichen,  durch  das  Luftmeer  hindurchgehen  müssen  und  dort  bereits 
eine  beträchtliche  Absorption  erfahren. 

Insbesondere  sind  es  die  verschiedenen  Formen  des  Wassers  und  der 
geringe  Antheil  Kohlensäure,  welche  in  der  Atmosphäre  enthalten  sind, 
die  vorzugsweise  einen  beträchtlichen  Theil  der  Sonnenstrahlen  ver- 
schlucken, ehe  das  Sonnenlicht  die  Erdoberfläche  erreicht.  Ausserdem 
setzt  sich  die  Temperaturerhöhung,  welche  ein  solches  zur  Messung  der 
Sonnenwärme  bestimmtes  Instrument  erfährt,  aus  zwei  entgegengesetzt 
wirkenden  Theilen  zusammen.  Die  vom  Instrumente  aufgenommene 
Energie  der  Sonnenstrahlen  veranlasst  eine  Temperaturerhöhung;  die 
unvermeidliche  Wärmestrahlung,  die  Leitung  und  die  Fortführung  yon 
Wärme  durch  Luftströmungen  (Wärmeconvection)  bewirkt  unausgesetzt 
Wärmeverluste. 


')  Mnyer,  Beiträge  zur  Dynamik  des  Himmels.    Ucilbronn  1848. 


io  einer  Minute  von  derSonne  EOgestrahlt  werden,  zu  beatimtnen,  rttbren 
▼on  John  Herschel  (1838  am  C&p  der  guten  Haffnnng)  und  von 
Pouilleti)  her. 

In  Deuerer  Zeit  aind  unter  Zuhülfenabme  der  bedeutenden  Fortschritte 
der  physikalischen  Methodik  diese  Versuche  in  sehr  grossem  Umfange 
von  Crova*)  nod  von  Violle')  wiederholt  worden.  Der  Einfluse  der 
Absorption  in  der  AtmoBphäre  ist  dadurch  berücksichtigt  worden,  dass 
die  Versuche  bei  verschiedenen  Sonnenhöhen  angestellt  worden  sind.  Die 
verschiedenen  Längen  der  von  den  Strahlen  in  der  Atmosphäre  durch- 
laufenen Wege  sind  nach  einer  bekannten  von  Lambert  gegebenen 
Formel  und  die  Grösse  der  Absorption  schUesslicb  unter  Berücksichtigung 
der  Siebte  der  einzelnen  absorbirenden  Schichten  bestimmt  worden.  Da 
Bicb  jedoch  auf  diese  Weise  der  Einfluss  des  schwankenden  Wasserdampf- 
gehaltes  der  Atmosphäre  nicht  ausreichend  ermitteln  liess,  so  hat  Violle 
Yersuche  in  verschiedenen  Höhen  Über  der  Erdoberfläche  itngest«]It,  und 
zwar  auf  dem  Gipfel  des  Montblanc  (4810  m),  anf  dem  Plateau  des 
Grsnds-Mnieta  (3050  in),  am  Fnsse  des  Glacier  de  Boason  (1200m)  und 
in  der  Nabe  von  Paris  in  der  Ilöhe  von  60  m  über  dem  Meeresspiegel. 
Auch  die  Wärmeverluste  durch  Strahlung,  Leitung,  Wärmeoonvection  etc.i 
sowie  die  Menge  der  wirklich  aufgenommenen  Wärme  wurden  sorgfältig 
gemessen.  Auf  diese  Weise  erhielt  Violle  für  die  Solare onstante  S  den 
Werth : 

S  =  0,00254  Calorien  *), 
d.  h.  an  der  Grenze  der  AtmosphSre  wird  in  jeder  Minnte  von  einer 
Fläche  von  einem  Qnadratcentimeter  Grösse  eine  Wärmemenge  aufgenom- 
men, welche  genügen  würde,  um  2,54  g  Wasser  um  1"  Celsius  an  er- 
wärmen. Von  dieser  Wärmemenge  gelangen  nur  94  Proc.  bis  auf  den 
Gipfel  des  Montblanc,  89  Proc.  bis  zu  den  Grands  -  Maleta ,  79  Proc.  bis 
in  eine  Höbe  von  1200  m  und  68  Proc.  bis  in  eine  Höhe  von  60  m  über 
dem  Meeresspiegel.  Der  Rest  wird  von  der  Atmosphäre  und  zwar,  wie 
man  sieht,  hauptsächlich  von  den  unteren  wasserdampf  haltigen  Schichten 
derselben  ahaorbirt.  Diese  hier  mitgetheilten  Zahlen  gelten  für  auagewählt 
schöne  wolkenfreie  Tage.     Wenn  die  Sonnenstrahlen  von  Wolken  auf- 


und  VII. 

')  Crovi  (IBTT),  Mesure  de  l'intenaiU  cBlorißqne  in  ndintiaiiB  Bolairee 
d«  chicn.  et  de  php.  5.  S«r.  Bd.  XI,  8.  433  bie  äSO. 

')  Violle  (1S77),  M£ro.  snr  Is  temp.  mofeuDe  de  1>  surface  da  saleil 
chim.  et  de  ph;s.  5.  Ser.  Bd.  X,  S.  38S  bis  361   und  (1BT9)  Bd.  XVII,  S.  3° 

*)  pDaillet  hatte  Fat  dieselbe  Grotte  S  den  Werth  0,0(nT6  Calorien 
CroTi  fuid  0,0033a,  Korbes  sogar  0,00382. 


814  B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 

gehalten  werden ,  gelangt  ein  viel  kleinerer  Bruchtheil  his  an  die  Ober- 
fläche der  Erde. 

Auch  diese  zur  Zeit  heste  Bestimmung  der  Solarconstante  dardi 
Vi  olle  kann  jedoch  nur  als  ein  angenäherter  Mittelwerth  gelten,  da 
es  neuerdings  durch  Versuche  von  0.  Frölich^)  wahrscheinlich  gewor 
den  ist,  dass  die  von  der  Sonne  der  Erde  zugestrahlte  Energiemenge 
durchaus  nicht  constant,' sondern  zu  verschiedenen  Zeiten,  vielleicht  je 
nach  der  Zahl  der  Sonnenflecke,  verschieden  gross  ist  ^). 

Diese  der  EIrde  zugesendete  Wärmemenge  ist  in  der  That  aas9e^ 
ordentlich  gross.  Dieselbe  würde  genügen,  um  in  jeder  Minute  eine  Eis- 
schicht von  0,337  mm  Dicke  zu  schmelzen. 

Ein  Eisparallelepiped  von  1  qcm  Grundfläche  und  x  cm  Dicke  wiegt 
z .  0,95  g ,  da  0,95  das  speciflsche  Gewicht  des  Eises  ist.  Um  diese  Eis- 
menge  zu  schmelzen,  sind: 

x.0,95  X  79,25  Grammcalorien 

erforderlich.  Auf  1  qcm  Fläche  fallen  in  einer  Minute  2,54  Grammcalorien, 
demnach  wäre  die  Sonne  an  der  Grenze  der  Atmosphäre  im  Stande,  in 
jeder  Minute  eine  Eisschicht  von 

2,54  2,54  X  10 

cm    oder    — — WTTT^  ^^^  0,337  mm 


0,95  X  79,25  0,95  X  79,25 

Dicke  zu  schmelzen. 

Nach  Herschel  sollte  diese  Eisschicht  0,192  mm  und  nach  Ponil- 
let^s  Messungen  0,179  mm  dick  sein. 

«  Die  Erde  wendet  der  Sonne  eine  Fläche  zu,  welche  man  nahen 
gleich  dem  Inhalte  eines  grössten  Kreises  der  Erde  setzen  kann.  Der 
Inhalt  eines  solchen  Kreises  beträgt  nngef&hr 

12750  X   101*  qcm. 

Demnach  empfängt  die  Erde  in  einem  Jahre  von  der  Sonne 

12750  X  10»*  X  60  X  24  X  365,25  X  0,00254  Galerien 

=  1,703 .  10"  Calorien. 

Diese  Wärmemenge  ist: 

12  750  X  10"  X  0,00254  X  425 


60.75 


=  305900000000000 


continuirlich  wirkenden  Pferdestärken  äquivalent.  Angesichts  dieser 
enormen  Zahlen  darf  man  sich  über  die  mannigfaltigen  und  gewaltigen 
Wirkungen  des  Sonnenlichtes  auf  der  Erdoberfläche  nicht  mehr  wundern. 


^)  0.  Frölich  (1884),  Messangen  der  Sonnen  wärme.  Ann.  der  Phys.  and  Cbem. 
Bd.  XXI,  S.  1  bis  3. 

^)  Vergl.  auch  Förster,  Ueber  den  Einfluss  der  elfjährigen  Sonnenileckenperiode 
auf  telluriiiche  ErBcbeinungen.     Astr.  Nachr.  Nr.  2545. 


IV.   Anwendungeu  auf  Meteorologie  und  Astronomie.      815 


3.  Die  von  der  Sonne  überhaupt  ausgesendete 

Energiemenge. 

Wir  haben  keine  UrBache  anzunehmen,  dass  die  Sonne  bei  Aussen- 
dung  ihrer  Strahlen  die  Erde  irgendwie  bevorzuge.  Die  Sonne  wird  viel- 
mehr nach  allen  Richtungen  im  Räume  genau  dieselbe  Wärmemenge 
senden.  Denken  wir  uns  nun  vom  Sonnenmittelpunkte  aus  durch  den 
Erdmittelpunkt  eine  Hohlkugel  constmirt,  so  bildet  der  Durchschnitt  dieser 
Kugel  mit  der  Erde  einen  Kreis,  dessen  Fläche  nur  den  2173million8ten 
Theil  dieser  ganzen  Hohlkugel  ausmacht  ^).  Dieser  nahezu  verschwindende 
Bruchtheil  der  fortdauernd  von  der  Sonne  ausgegebenen  Energie  ist  es 
nun,  welcher  fast  ausschliessliche  Ursache  aller  Lebens-  und  Bewegungs- 
erscheinuDgen  ist,  die  sich  auf  der  Oberßäche  unseres  Planeten  abspielen. 

Die  von  der  Sonne  unausgesetzt  abgegebene  Wärmemenge  ist  eine 
geradezu  ungeheuerliche.  Jeder  Quadratmeter  der  Sonnenfläche  strahlt 
nämlich,  wenn  man  die  Violle'sche  Angabe  über  die Solarconstante  be- 
nutzt, in  jeder  Minute 

1159000  Calorien 

aus,  und  diese  Wärmeausgabe  ist  der  fortwährenden  Arbeitsleistung  von 

109  500  Pferdestärken 
äquivalent. 

Man  findet  diese  Grösse,  wenn  man  die  auf  den  Meter  reducirte 
Solarconstante  mit  dem  Quadrate  der  Entfernung  beider  Oberflächen,  aus- 
gedruckt in  Sonnenhalbmessern,  multiplicirt.  Die  mittlere  Entfernung 
des  Sonnen-  und  Erdmittelpunktes  beträgt  23  307  Erdradien,  der  Duroh- 
messer der  Sonne  108,«  Erdradien,  die  Entfernung  beider  Oberflächen 

23  198 
in  Sonnenradien  gemessen,  somit:  — -^r — • 

Demnach  strahlt  jeder  Quadratmeter  der  Sonnenoberfläche  in  einer 
Minute : 

^^^)   =  1159  000  Calorien 

ans« 

Eine  1  m  dicke  Wasserschicht,  welche  pro  1  qm  Bodenfläche  1000  kg 
wiegt,  würde  in  einer  Minute  um  ungefähr  1160^  C.  erwärmt  werden.  Diese 


^)  Die  FlSche  eines  grÖMten  Kreises  der  als  Kugel  gedachten  Erde  TerhiUt  sich  zur 
Fläche  einer  Hohlkugel,  deren  Radius  der  mittlere  Abstand  des  Sonnenmittelpuoktes  vom 
Erdmittelpunkte  ist,  wie: 

r»7i     _  1  _  1 

4R».ff  ~  4.23307^  "~  2173  000000* 


816  B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 

Wärmemenge  würde  ausreichen,  um  in  jeder  Minute  eine  ungefähr  Ion 
dicke  Eisschicht  zu  schmelzen.  Die  von  jedem  Quadratmeter  der  Sonnen- 

oherfläche  in  einer  Secunde  ausgegebene  Energiemenge  betragt  hierron  — 

6ü 

Nun  ist  aber  eine  in  einer  Secunde  abgegebene  Calorie  der  Arbeit  toq 

-ZT-  Pferdestärken  äquivalent. 

Demnach  entspricht  der  Energie  Verlust,  welchen  jeder  Quadratmeter 

der  Sonnenoberfläche  durch  Strahlung  erleidet,  der  unausgesetzten  Thätig- 

keit  von : 

1159000  X  425        ,^^,,^^^,    ,    ,    , 

— — t=  109500  Pferdestärken. 

60  X   75 

Die  Sonnenoberfläche  ist  11 940  mal  so  gross  als  die  der  Erde,  die 
Erdoberfläche  beträgt:  5,1  X  10"qm,  ein  Jahr  enthält:  60  X  24  X  365^5 
Minuten.  Die  Sonne  giebt  somit  überhaupt  in  einem  Jahre  die  unerme» 
liehe  Wärmemenge  von: 

1 159000X 11 940X  5,1  XlOJ*X  60X24X365,25  =  3,71  X  10»<>Calorieii 

ab. 

Ein  anderer  immerhin  ebenfalls  verschwindender  Brucbtheil  der  tob 
der  Sonne  in  ihren  Strahlen  fortwährend  ausgesendeten  Arbeitsgrösse  wird 
von  den  anderen  Planeten,  den  Asteroiden,  den  Cometen  und  sonstiges 
Gliedern  unseres  Sonnensystem  es  aufgefangen.  Der  Gesammtbetrag  diesa 
Theiles  dürfte  jedoch  kaum  zehnmal  so  gross  sein,  als  der,  welcher  die 

Erde  trifft. 

Der  weitaus  grösste  Theil   dieser  über  alle  menschlichen  Begriffe 

grossen  Arbeitsmenge  wird  anscheinend  in  den  Weltraum  zerstreut  and 
scheint  unserem  Sonnensystem  verloren  zu  gehen.  Da  nun  die  tagtägliek 
Erfahrung  uns  unausgesetzt  darauf  hinweist,  für  jede  Ursache  eine  ent- 
sprechende Wirkung  zu  suchen,  so  liegt  einerseits  die  Frage  nahe:  ^Val 
geschieht  im  grossen  Gesammthaushalte  des  Weltalls  mit  dieser  von  der 
Sonne  zerstreuten  ungeheuren  Menge  von  Energie?  Geht  sie  nutzlos  ii 
den  unendlichen  Raum  hinaus?  Kehrt  dieser  Kraftstrom  endlos  aaf  irgend 
einem  Wege  zu  seiner  Quelle  zurück? 

Ebenso  drängt  sich  die  Frage  mit  zwingender  Gewalt  auf:  Mw 
bei  solch  einer  ungeheuerlichen  Verschwendung  von  Wärme  und  Liebt 
die  Sonne  nicht  allmählich  erkalten,  weil  selbst  der  grösste  Vorratb  tu 
Energie  doch  endlich  einmal  erschöpft  werden  würde? 

Die  nothwendige  Folge  einer  Abnahme  der  unserer  Erde  von  der 
Sonne  zugesendeten  Energiemengen  würde  es  sein ,  dass  die  ewigen  £i^ 
f eider  der  arctischen  Zonen  allmählich  sich  mehr  und  mehr  ausbreites 
und,  unwiderstehlich  vorrückend ,  alles  Leben  auf  der  Erde  immer  enger 
am  Aequator  zusammendrängen  müssten,  um  es  schliesslich,  noch  ehe  mit 
dem  Erlöschen  der  Sonnenstrahlen  die  ewige  Nacht  begonnen,  unter  eiaer 
eisigen  Decke  zu  begraben. 


4.    Ist  eine  Abnahme  der  Sonnenwäxme  naohweisba    ! 

Leicht  könnte  nach  dem  im  vorhergehenden  Ahschnitte  Auseina 
ST^setsten  die  Yermuthong  entstehen,  dass  eine  so  ausserordentlich  s 
Elnergieassgahe  der  Sonne  in  nicht  zn  langer  Zeit  eine  merkliche  Abn 
der  unserer  £rde  von  der  Sonne  zugesendeten  Energiemenge  nacl:  i 
aiehen  müssen  dass  also  das  Ende  alles  Lebens  anf  der  Erdoberfläc 
absehbarer  Zeit  bevorstehe. 

Ob  die  Menge  der  unserer  Erde  von  der  Sonne  zugesendeten  Wi  i 
menge  in  historischen  Zeiten  sieh  geändert  habe,  kann  jedoch  nicht  ( 
g^e wiesen  werden. 

Vielfach  hat  man  geglaubt,  dass  die  Unveränderlichkeit  der  ' 
tationsgrenzen   ein  Beweis   dafür   sei,    dass  die   Temperatur   der      i 
oberfiäche  sich  nicht  geändert  habe.     Es  ist  ziemlich  sicher,  dass     i 
wesentliche  Verschiebung  der  geographischen  Verbreitung  der  Pfli 
und  Thiere  nicht  stattgefunden  hat,  seitdem  wir  zuverlässige  Nachri*     ; 
darüber  haben.    Die  Grenze  des  Weines  und  Oelbaumes  und  die  der 
men  liegt  in  der  Hauptsache  noch  heute  da,  wo  sie  sich  zur  Zeit  Hon     i 
befunden  hat,  und  ebenso  liegt  in  Frankreich  und  Deutschland  die  Gj     i 
des  Weinstocks  noeh  in  denselben  Gegenden,  wo  sie  vor  tausend  Js 
Bioh  befand.    Aber  selbst  diese  scheinbare  Unveränderlichkeit,  für  d 
übrigens  sehr  sehwer  ist  ganz  zuverlässige  Beweise  beizubringen,  ge\     i 
leistet  die  Unveränderlichkeit  der  Oberflächentemperatur  der  Erde  n     i 
denn  wir  wissen  aus  den  Untersuchungen  Darwin's  und  der  Vert 
seiner  Richtung,  dass  alle  Organismen  die  Fähigkeit  besitzen»  sich 
änderten  Lebensbedingungen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  anzupa     > 
Allerdings  könnte  man  darauf  verweisen,  und  dies  ist  z«  B.     [ 
Blandet^)  geschehen,  dass  auch  in  den  arktischen  Regionen^  v<     I 
beute  vollständig  vergletschert  sind,  Fossilien  gefunden  werden,  w(     I 
andeuten ,  dass  ehemals  auch  in  jenen  Gegenden  eine  Flora  und  F     [ 
existirt  habe,  wie  sie  jetzt  nur  in  beträchtlich  wärmeren  Theilen  um     i 
£rde  vorkommt.    Die  Kohle,  welche  in  Grönland  gefunden  wordei 
scheint  aus  denselben  Baumfarren  entstanden  zu  sein,  welchen  die  K 
unserer  Gegenden  ihre  Entstehung  verdankt.     Bland  et  glaubt,       i 
ehemals  eine  Sonne   von    erheblich   grösserem    Durchmesser  auch       i 
polaren  Regionen  unserer  Erde  beträchtliche  Wärmemengen  zugese     i 
habe.  Mit  der  allmäligen  Verkleinerung  des  Sonnen  durch  messers  wüj 
jene  Gegenden  immer  weniger  Wärme  empfangen  haben.  Während  s* 
früher  die  Tbier-  nnd  Pflanzenwelt  auf  der  Erdoberfläche  eine  gröt     i 
Gleichförmigkeit  gezeigt  habe,  fanden  jetzt  die  Pflanzen,  welche  ehei 
die  ganze  Erde  bedecken  konnten,  nur  noch  in  der  heissesten,  äquatori     ! 


1)  B landet,  Compt.  rend.  Bd.  95,  S.  981. 
B  «  h  1  n  a  n  n ,  Meoban.  Wftrmetheoile.    Bd.  II.  52 

r 


BU  weeeDtlich  anderen,  neuen  Formen  entwickelt. 

Ea  Iftsat  eich  gegen  dieee  Aasf&hrnng  jedooh  einwenden,  du 
jenen  angemein  fern  liegenden  Zeiten  aaeh  die  Eigen tempmtu  i 
Erde  mfigliob  erweise  eine  höhere  gewesen  ist  und  daher  noch  tob  Eid 
anf  die  W&rmeTerhältniBBe  an  ihrer  Oberfläche  sein  konnte. 

Es  Bind  jedoch  auch  Vermuthungen  laut  geworden,  da»  die  Eii 
oder  Erdbahn  ehemals  eine  andere  Richtung  gehabt  habe  and  difaw 
Theile  der  Erde,  welche  jetzt  nur  unter  einem  sehr  spitaen  Winkd' 
den  Sonnen atrablen  getroffen  werden,  vordem  grössere  W&rmemeDgNi 
der  Sonne  empfangen  h&tten. 

Anch  aus  der  Constanz  der  Bauer  der  Zeit,  welche  nuten  l 
braacht,  nm  sich  einmal  am  ihre  Axe  zu  drehen,  also  aas  der  onTaniJ 
ten  L&nge  eines  Tages,  hat  man  anf  die  Unver&nderlicbkeit  derd 
flächentemperator  aneeree  Planeten  bu  sohliessen  gesucht.  HitU  i 
Temperatur  eine  Erniedrigung  erlitten,  eo  masste  eine  VohnDTtraa 
rang  unseres  Planeten  und  dadurch  eine  Abnahme  seiner  Rotaliou^ 
eingetreten  sein. 

Durch  die  Reibung  der  Flnthwellan  an  der  Erdoberfläche  gcki 
aufhörl ich  kinetische  Energie  der  Erde  verloren  >) ,  nnd  hierdurch  ■ 
eine  Vergrösaerung  der  Uotationsdaaer  der  Erde  bewirkt  werden,  h 
Vorgänge,  Abkühlung  der  Erde  nad  Fluthreibung,  wirken  somit  ätd 
entgegen,  und  aus  den  Veränderangeu  der  Lftnge  dee  Tages  kinia 
somit  nicht  schlieseen,  daas  eine  Abkühlung  der  Erde  stattgclaA 
habe  oder  nicht  eingetreten  sei. 

Aus  alten  Sonnen finstemissen  hatte  Laplace*)  berechnMi  > 
sich  die  LSnge  eines  siderischen  Tages  seit  720  t,  Chr.  Geb.  nicfci 

seiner  Länge  geändert  habe.    Der  grosse   Aatronom  ^ 

diesen  Schluss  aus  der  Uebereinatimmung  seiner  Dynamik  der  vaäa 
Bewegung  des  Mondes  mit  den  Beobachtungen  ziehen  zu  dBritc  ^ 
Jahre  18Ö3  jedoch  wies  Adams  in  diesem  Theile  des  Laplaec'i^ 
Werkes  einen  Fehler  nach.  Im  Jahre  1S59  theilte  er  Delsnoir« 
dass  der  Mond  in  einem  Jahrhnndert  um  5,7"  in  seiner  Bahn  nr^ 
theoretisch  berechneten  Orte  in  Bezug  auf  einen  Erdmeridian  neb  betf 
Delaonay ■)  bestätigte  dieses Ergebnias  und  erklärte  diese Eracboi" 
durch  eine  Yerlangsamnng  der  Erdrotation  durch  die  Ebbe-  und  m 
bewegang.    Adams  berechnete  nunmehr  den  Einflusa  der  Flatlmi^ 


I)  Msy«T,  UMhiDib  der  Wirm«,  S.  SlO. 

>)  Lkplace,   H^Diqae  UUmU  ,  Bd.  U,  8.  34T,  Bd.  Ul,  S.  I7S,  Bd.  V,S.)t 

*)  DelauDay,  Compt.  read.  Bd.  LXl,  S.  1033  bla  1032.    Zucnt  hu  R- )>■;' 

in  irincT  Abhandlang:   „B«llräge  zur  Dynamik  dei  Himraels,  1846"  aa(  dtcMo  Di*> 

anfmerkum  gemacfat. 


tiben  wOrde,  22  Secanden  betragen  müsse').  HanBen*)  berecliDete 
B  aeiaer  Theorie  der  Mondbewegnng  für  die  Abnahme  derDaner  einer 
ndrehnng  der  Erde  um  ihre  Axe  einen  um  die  Hälfte  geringeren  Be- 

ig;  nach  ihm  hat  seit  Hipparch  die  Dauer  jedes  Sterntages  nm  — 

iteecnnde,  die  Bauer  einea  Jahrhunderts  nm  eine  h&lbe  Viertelstande 
genommen. 

Diese  Zunahme  der  Dauer  einer  Umdrehung  der  Erde  um  ihre  Axe 
nn  aber  ausser  in  der  Wirkung  von  Ebbe  und  Flnth  auch  in  einer 
ibang  an  einem  widerstehenden  Mittel,  welches  im  Weltraums  vorhan- 
Q  ist,  znmXheil  begründet  sein,  worauf  schoaHansen  hingewiesen  hat. 

Thomson')  hat  gezeigt,  dass  die  Zunahme  der  Erdrotation  durch 
t  B&cnlare  Abkühlung  der  Ei'de  dieser  Verlangsam ung  durch  Flath- 
bnng  nur  in  untergeordneter  Weise  entgegenwirkt. 

So  viel  allerdings  erkennt  man  leicht,  dass  jedenfalls  kein  merklicher 
ckgang  der  Sonnenw^me  in  historischen  Zeiten  stattgefunden  hat,  dass 
nit  eine  nahezu  vollkommene  Unreränderliehkeit  der  bestehenden  Ver* 
tnisse  auf  Jahrtausende  hinaus  gesichert  ist. 

Diese  Thatsache  hat  viele  Naturforscher  veranlasst,  die  Frage  anf- 
verfen,  ob  nicht  in  der  Natur  Vorkehrungen  getroffen  seien,  durch 
lohe  die  Abnahme  der  Sonnenenergie  verhindert  werde.  In  den  nach- 
benden  Capiteln  beschäftigen  wir  uns  mit  denjenigen  Untersnchungen, 
lebe  behufs  Beantwortung  dieser  Frage  von  einer  Anzahl  der  hervor- 
;endsteQ  Gelehrten  angestellt  worden  sind. 

b.   Die  Hypothese  von  Newton,  Bufibn,  Mayer  und 
Waterston. 


In  früheren  Zeiten  betrachtete  man  di«  Sonne  als  eine  ungeheure 
Flammen  stehende  Masse;  man  hielt  demnach  das  Centralgestirn  unteres 
rtems  für  den  Herd  nnaosgesetat  wirkender  chemisoher  Procease  von 
laerordentlicher  Heftigkeit.  Es  iat  jedoch  wiederholt  darauf  aufmerk- 
d  g'emaoht  worden,  dass,  wenn  es  nur  ohemisohe  Vorginge,  Verbrennun- 
1  wären,  die  unausgesetzt  die  enormen  Energiemengen  lieferten,  welche 
roh  die  Sonnenatrahlen  in  den  Weltraum  zerstreut  werden,  alsdann  in 
hSltnissmäsBig  kurzer  Zeit  die  Sonne  ausgebrannt  und  ihre  Energie- 
■rtlthe  erschfipft  sein  mtlBsten.  Von  allen  uns  bekannten  Körpern  liefert 

1)  Vergl.  TboDDon  und  Tait,  Theorttuche  Pbysik.    DenWch  von  HelmhoUi 
L  Wertbsim,  BmQDKhweig,  Friedrich  Vi«weg  u.  Sohn.  §§'276,  405,  830. 
«)  Verjl.  H*aiteD,  Ber.  d.  Kgl.  Sieb».  Gestllich.  d.  W.  1863,  Bd.  15,  S.  1  bis  9. 
')  Tliomaan,  a.  B.  0.  S.  402. 


nao  au ,  die  gaiiBe  U&sBe  der  Sonne  >beBtfinde  ana  in  riditig««  Vcdil 
nitee  g«roiMbtem  EnaUgase,  bo  findet  man  durch  eine  .TertdllmaMi 
einfache  Reohnong,  dua  diese  dorch  die  VerbrennDQg'UiaigtBlIä 
nnr  1720  Jahre  aaareichen  würde,  den  £nergi»7erluat  derSoaitb 
Strahlung  W  deckeo. 

Wenn  iicfa  nSmlich  18  kg  Knallgas  zu  'Wasserdampf  idni 
werden  58200  Calorien  entwit^elt. 

Die  Maase  der  Senne  ist  324  400  mal  so  gross,  ab  die  det^i 
die  Erdnutsee  beträgt: 

1,0828413  X  10"  X  5,6  X  1000kg. 

Demnach  wäre  die  Wärmemenge,  welche  entwickdt  wirf,  wmi 
KnaUgastnenge  von  der  Offtsee  der  "Sonnen maiae  .-zur  Verbramuii 
langte,  |fleich: 
324400  X  1.083  XM  X  10"  X  =,8  200  ^  ^^^  ^  .,„„ ^^ 

In  einem  Jahre  giebt  die -Senne  ein«  gesammte  W&menNcj 
welche  (vergl.  Seite  815)  gleich 

1159000  X  60  X  24  X  366,35  x  I1Ö40  X  50995  XW 
=  3,71   x  lü"Calorien  ist 

Dividirt  man  das  obere  Product  durch  dos  untere,  bo  finditac 
Anzahl  Jahre,  fllr  .welche  die  durch  Varbrannung.  des  Knallguesia* 
Wänuemenge  auaretcben  würde,  und  diese  ist  1720  Jtthie. 

Eine  Ähnliche  Heohnung  hat  W.  Tha.mB:On  angettellt,  bnn 
er  Toraaseetzte,  die  Maate  der  Sonne  beatöke  aus  Kohlenatoff;  bm», 
alsdann,  daas  der  Energivvorrath  unseres Centcalgeatirues  in  d>eM> 
in  ungefähr  4200  Jahren  erachöpft  sein  würde.  Wenn  mao  nv' 
leicht  aioh  vorstellen  könnte,  deas  auf  der  SonHe-niofat  nur  alte  VoM 
gen  in  ihre  Elemente,  -aonderu  in  Folg«  der  auaserordentlich  bobali 
peratur,  welche  Toraussichtlich  das  Innere  der  Sonne  beiittt,  t» 
Stoffe,  welche  wir  jetst  als  Elemente  ansehen,  in  nooli  einhehenlM 
theile  zersetzt  würden  und  demgem&as  nodi  beträchtlich  grfin«lM 
potentieller  Energie  in  der  Form  von  chemiaeher  Verwandtachifti* 
den  w&ren,  ao  würde  doch  immerhiu-schon  in  historiachen  Zcitai 
betr&chtliche  Abnahme  des  Energievorrathei  atattfinden  müMu')- 

SchonNewton'),  welcher  bekanntlich  annahm,  daaa  dieLid'' 
len  ans  materiellen  Theilchen  heatfinden,  welche  von  dem  leu^ 
Körper  ansgeaendet  warden ,  glaubte,  daas  die  Kometen  mit  i" 
in  die   Sonnenmasae    hineinatürzten   and   daae  dadurch  der  din 

')  Diest  letite  Ansicht  hiit  i.  B.  TorBberKcheiMl  iB  Sccchi  tJDU  Vstiwl 
dm.     llan  vergl.  Secchi,  Diu  Sans*,  1.  Auf).  1882,  8.  600. 

*)  Newton,   PhiloHphiM   nataralia  principia   mMhcmatica,   Üb.  Dl,  Fi^ 

EdiUo   Dria»l>i.   T.nnd.    1  HHT.   R    .M^.%    IT. 


^■oimUO    lunriBUUCV    IWIlSBIf  TUlIÜHHIUIg     VeiCBBBCUeiU«  »b  BjnHVIUlll 

ich  TOD  dem  fnnzaeiBoheD  Nattn-forscber  Baffon  wieder  anegeeprochea 
orden,  welcher  eich  ebenfalle  dieSomne  bIb  den  Herd  eines  ^rouartdgen 
erbrennungaproceeBes  dachte;  welchem  darch-in  die  Sonne  hiaeinstdrzende 
ometen  fortwährend  oeaee  Btennmatenal  zugeführt  werde. 

Späterhin  hat  Mayer'),  der  berühmte Begrfln der  der  mechaniacben 
^finoetheorie,  nad  eini^Zeit  nach  ihm  Wateraton*)  denselben Grond- 
adanben  in  aioer  anderen  etwa»  annebrnbarereQ*  Form  wieder  tov- 
»bracht.  Mayer  nud  Waterston  eetsten  einen.  nnanffaörHi^en  Stnrz 
311  Meteoreteinen  and  anderen  HimmelHkftrpem  in>dieSonnenniaa>e  Tor- 
OB  und'  wiesen  darauf  hin,  das«  der  Terlust  von  Soanenwänne  darcb-  die 
eträchtlfchen  W&nnemengen  gedeckt  werden  kSnne,  welche- entsteh eu, 
-enn  die  Idnetiscfae  Energi»  der  mit  fabelhafter  Öeaebwindigkeit  aof  der 
onnenoberflädie  aakommeBden  Meteoriten   dort  in  Whttoo  umgesetEt 

Dasa  unvergleichlich  viel  mehr  Meteorsteine  auf  lUe  Sonne  fallen 
lassen,  alfl  auf  die- Erde,  Jet  wohl  begi«iflioh,  da  die  Sonne  in  Folge  ihrer 
röseeren Hasae  eine  viel  gTSsaereAneiehungskraft aasabt.  Die Reebnang 
ber  lebrt,  daas«  wenn  man  den  geaaiDintea  EnergieTerlnst  der  Sonne  anf 
ieBdWeiae  decken  wollte,  es  erforderlicb  wire,  daas  io  jeder  Seconde  anf 
eden  Quadratmeter  der  SminenoberSftcbe  3  g  Marne  fielen. 

Gegen  dieae  Hypothesa  rauss  znnäcbat  eingewendet  weeden,  daw, 
^enn  so  anseerordentlickiTiel  kosmisobe  Masse  nnaoegeaetzt  auf  die  Sonne 
iele,  der  ganze  Weltraum  von  aolchen  nach  allen  Rijifatungen  bin.  aioh 
>eivegenden  kleinen  Weltkörpem  erfüllt  sein  mfisste.  In  eitler  bin- 
'eichend  grossen  Entfernung  von  der  Sonne,  in  wekbpr  ihre  Anzieknngs- 
craft  noch  nichtinLeBklich.wäre,  mAaeten  sich  ebenf^ls  solche  K5rper  be- 
luden,  von  ihnen  könnten  aber  nur  diejenigen  in  das  Äbaiehnngabereieh 
1er  Sonne  gelangen  und  apKter  auf  dieselbe  fallen,  welche  sich  in  einer 
lassenden  Richtung  bewegen.  Da  man  aber  die  Masse  berechnet  hat, 
ivcicbe  in  einer  Bestimmten  Zeit  auf  die  Sonne  fallen  musE,  nm  durch  die 
Umsetzung  ihrer  lebendigen  Kraft  den  jährlichen  Energie veritaet  dftr  Sonne 
GU  decken  0.  bo  kann  man  nach  den  Gesetzen  der  Wahrscbeinlicbkeit  ancli 
jiejenigeaMassenqnantitäten, berechnen,  welche  sich  in  einer  bestimmten 
anderen  Richtung,  z.  B.  nach  der  Erde  bin,  bewegen^  Man  findet  anf 
diese  Weise,,,  dass  alsdann  ancb  anf  unsere  Erde  naausgesetzt  ein  fSrm* 

>1  Hajer,  Bcitri^e  7nr  D)Tninik  des  Hiniinel«,  1848. 

')  »«tersion,  TrariMPtion«  or.theRoy..  Sae.  of  Edinhorgb,  1853,  Dd.  20, 

>)  Vgl.  WateritoD,  Od  certain  indactioni  witb  rcspMt  tg  the  heid  «Dgeodercd 
by  the  poMible  fall  of  a  metcor  into  tbe  inn  etc.  Phil.  Hag.  4.  S«r.  Bd.  Ifi,  S.  338 
(1860). 

*)  Et  ist  diea  asgeflihT  —  ron  der  Maue  der  Erde. 


822       IV.   Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

lieber  Hagel  kosmischer  Massen  niederfallen  müsste.  Und  zwar  wüH 
derselbe  alsdann  so  stark  sein,  dass  die  bierdurcb  entwickelte  Wära 
genügte,  nm  die  Temperatur  der  Erdoberfl&cbe  bis  ziemlich  sar  Sieik 
hitze  des  Wassers  zu  erwärmen^).  Wenn  nun  auch  yermutblich  dieZal 
der  im  Laufe  eines  Tages  auf  die  Erde  niederfallenden  Meteoriten  un 
die  Menge  des  niederfallenden  kosmischen  Staubes  viel  beträchtlicher  iä 
als  man  bisher  gedacht  hat,  so  berechtigt  uns  doch  nichts,  eine  solek 
H&ufigkeit  derartiger  Sendboten  aus  dem  Welträume  anzunehmen,  wi 
man  sie  zulassen  müsste,  wenn  der  Ersatz  der  ausgestrahlten  Cner^e  de 
Sonne  ausschliesslich  auf  die  Weise  stattfinden  sollte,  in  welcher  M&jei 
und  Waterston  sich  dies  vorstellen. 

Durch  diesen  Sturz  so  beträchtlicher  Mengen  kosmischer  Masse  ad 
die  Sonne  würde  auch  fortwährend  die  Masse  unseres  Gentral^^estims  eise 
Vergrösser  ung  erfahren;  dadurch  würde  ihre  Anziehungskraft  vergrofiseit 
und  die  Umlauf Bzeit  der  Planeten  verringert  werden.  W«  Tlkomson  hat 
berechnet,  dass  die  hierdurch  bewirkte  Abnahme  des  tropischen  Jabra 

ungefähr  betragen  würde.    Ein  Zeitraum  von  4000  Jahren,  gerne»- 

4000  • 

sen  nach  der  Länge  unseres  jetzigen  Jahres,  würde  nur  3999  Jahre  oni 

6  Monate  enthalten  haben.     Dies  ist  aber  im  höchsten  Grade   anwalir' 

scheinlich,  da  sich  sonst  erheblichere  Differenzen  bei  der  Nachrechnusf 

von  Finsternissen  ergeben  müssten,  über  die  man  in  den  Berichten  de 

ältesten  Culturvölker ,  z.  B.  der  Chinesen,  noch  zuverlässige  Nacfarichtas 

findet.     Es  ist  vielmehr  (vergl.  Anmerkung  zu  S.  818)  naohgewieKs 

worden ,  dass  die  Lange  des  Jahres  um  einen  geringfügigen  Betrag  sa- 

genommen  hat. 


6.    Die  Theorie  von  W,  Thomson. 

Um  diese  doppelte  Schwierigkeit  zu  umgehen,  hat  Thomson^  an* 
genommen,  dass  die  kosmischen  Massen,  welche  auf  die  Sonnenoberfiäche 
fallen,  nicht  im  ganzen  Welträume  gleichmassig  vertheilt  seien ,  aondcra 
hauptsächlich  von  der  sehr  verdünnten  kosmischen  Masse  herrühren,  welcbe 
nach  Art  einer  vorzagsweise  in  der  Richtung  des  Sonnenäqaators  aus- 
gedehnten Linse  die  Sonne  umgiebt,  und  welche  von  uns  als  Thierkreis- 
oder  Zodiakallicht  wahrgenommen  wird.  Man  muss  sich  alsdann  diese 
linsenförmige  Masse  als  aus  einer  grossen  Menge  getrennter  einzelner 
Körper  bestehend  vorstellen  und  annehmen,  dass  dieselben  entweder 
durch  gegenseitige  Zusammenstösse  plötzliche,  oder  durch  Reibang  an 
einem  widerstehenden  Mittel  allmähliche  Verminderungen   ihrer  Bahn- 

^)  Die   betreffenden  Rcchnunfiren  findet   man  in  einer  Abhandlung  von  Thomson, 
Transact.  of  the  Roy.  Soc.  of  Edinburgh,  Bd.  21,  S.  57  und  S.  63. 
^)  Thomson,  Edinburgh  Transact.  Bd.  21  (1854),  S.  63. 


ohliesBlich  ia  dieeelbe  hineinfallen.  Auf  der  Sonnenoberfl&oke  Migel«ngt, 
vQrdeD  sie  nur  die  GeBchvindigkeit  behalten,  welche  die  SonneuoberflSche 
vm  Kintrittspankte  besitzt.  Da  nun  aber  ein  in  der  Nabe  der  Sonnen- 
iberfi&che  kreisender  kleiner  Planet  eine  viel  grossere  B&bngeachwindig* 
Eeit  besitaen  mnea,  als  ein  Punkt  der  SoonenoberflScba ,  bo  v^rde  der 
;ro8ete  Tbeil  der  kinetischen  Energie  eines  solchen  kleinen  Planeten  eich 
>ei  der  Vereinigung  mit  der  Sonnenmasse  in  WArme  umsetzen. 

Die  Einwände,  welche  man  der  vorher  erwähnten  Hypothese  von 
llayer  und  Waterston  entgegenstellen  konnte,  lassen  sich  allerdings 
fegen  die  Thomson'sche  Theorie  nicht  mit  gleichem  Gewichte  vorbrin- 
fen;  and  die  beiden  £iaweDdangen,  welche  man  machen  könnte,  dasa 
lämlich  in  Folge  einer  allmählichen  Vermehrung  der  Maese  der  Sonnen- 
larchmesBer  sich  vergrÖBsern  und  wegen  der  Zunahme  des  Trägheita* 
nomenteB  die  Dauer  einer  Rotation  der  Sonne  um  ihre  Axe  zunehmen 
nüsete,  können  beide  dnrch  Beobachtungen  nicht  kontrollirt  werden. 

In  4000  Jahren   würde  der  DurchmesBer  der  Sonne  um  ungefähr 

—  BogenHecunden  zunehmen;  genaue  Beobachtungen  des  sobeinbaraD 
Durchmessers  der  Sonne  besitzen  wir  aber  seit  kaum  länger  als  100  Jahren, 
^och  sind  in  Folge  der  eigentbümlich  wallenden  Beschaffenheit  des  Sonnen- 
'andes  kleine  Veränderungen  des  Durchmessers  überhaupt  nicht  leicht 
wahrnehmbar. 

Die  Botationsdauer  der  Sonne  um  ihre  Ase  ist  Überhaupt  noch  nicht 
lieber  bestimmt,  da  sie  nur  aus  der  Bewegung  der  Sonnenflecken  ab* 
geleitet  werden  kann  und  diese  selbst  wieder  eine  erhebliche,  in  ver- 
lobiedenen  Abständen  vom  Aequator  verschiedene  Eigenbewegnng  haben. 
Selbst  wenn  also  die  Veränderung  derRotationsdauer  der  Sonne  in  einem 
'eitraume  von  einem  Jahrhundert  2  bis  3  Stunden  betrflge,  so  wQrde 
lieae  Zunahme  fOr  uns  noch  nicht  bemerklich  sein. 

Ein  gewichtiges  Bedenken  gegen  die  Thomson'sobe  Hypothese 
lat  sich  jedoch  aus  den  Unter  Buchungen  ergeben,  welche  Leverrier*) 
Iber  die  Ursache  gewisser  Störungen  des  Planeten  Mercur  angestellt  hat. 
Ür  prüfte  bei  dieser  Gelegenheit,  ob  diese  Störungen  nicht  von  Asteroiden 
lerrQhren  könnten,  welche  in  der  Zone  dea  Zodiakallichtes  vorhanden 
rftren.  Die  Rechnung  ergab  jedoch,  dass  man  dem  Zodiakallioht  keine 
ehr  beträchtliche  Masse  Eusobreiben  dürfe,  dass  jedoch  ein  einzelner 
wischen  Sonne  und  Mercur  befindlicher  Planet,  wenn  er  existirte,  diese 
'törnngen  erklären  würde ^).  Damit  darf  man  wohl  auch  dieThomson'- 
cbe  Anschauung  als  unzulänglich  bei  Seite  legen. 

1)  Etüde  dea  pertnrbstians  de  1«  pluiJt«  Mercare.    Add.  d.  l'Obsen'.  Bd.  V. 

^)  Knch  den  Beobachtangea,  wekbe  wXhreDd  der  letzten  SeDnenüniteniisBe  angestellt 
forden  aind,  iit  e<  nehr  HDwahrKheinlkh  geworden,  äut  iwinchen  Mercur  und  Sonn« 
loch  ein  PInnet  von  Bedentung  vorhnnden  ist. 


?■   Die  Heimnoitz'solie  Contraotionstneorie. 

Gelegentlich  seiner  Unteraucliangeii  Ober  die  saecoUre  AbkübloBg  dp 
Erde  hatte  W.  Thomaon*)  vom  Standpunkte  der  meehamschenWinir 
theorie  aas  sorgfältig  nnteTBacht,  welche  Wärraemen^  bei  dem  B&lltmp- 
acte  der  Sonne  entwickelt  worden  ist. 

Er  setzt,  der  Eant-Laplaoe^aehen  Hypothese  folgend,  arspriu- 
lieh  eine  kosmische  Masse  Toraos,  welche  sieb  weit  über  die  Gtoomb  ia 
heutigen  Sonnen Bystems,  also  bis  Aber  die  Neptun sb&bn  binana,  entredlt 
und  nimmt  an,  dass  in  diesem  Vertbeitungsztntande  die  Masae,  dm 
Grösse  er  gleich  der  Sonnenmasse  annimmt,  die  Temperatur  des  absolo» 
Nullpunktes  (—  274»  C.)  besessen  babe. 

Er  bestimmt  hierauf  die  Wärmemenge,  welche  der  Arbeit  derOnii- 
tatiou  äquivalent  ist,  die  geleistet  wird,  wenn  «ch  diese  SCaaae  bii  U 
das  beutige  Volumen  der  Sonne  zusammenzieht.  Er  findet  aoT  dieaeWcii 
eine  enorme  Wärmemenge,  durch  welche  die  Sonnenmaase,  «elbst  «w 
ihre  apecifieche  Wärme  sehr  beträchtlich  wäre,  auf  eine  fabelhafte  Teape 
ratnr  gebracht  werden  müaste. 

Diese  Betrachtungsweise  bat  Helmboltz*)  angewendet  nad  i^ 
dieselbe  eine  neue  und  nngemein  ansprechende  Theorie  Ton  einem  tbä- 
weisen  Ersätze  der  durch  Strahlnng  verloren  gebenden  Sonneoeocrp 
gegründet.  Wenn  die  Sonne  nämlich  durch  Strahlung  Wärme  Terür. 
muBB  ihre  Masse  sich  zusammenziehen.  Während  die  Molekeln  derSou 
bei  dieser  Znaammenziebung,  dem  Gesetze  der  Schwere  folgend,  sidi  dn 
Sonnenmittelpunkte  nähern,  leisten  sie  eine  positive  Arbeit.  Diese  AAä» 
grosse  muBS  sich  in  eine  äquivalente  Wärmemenge  umsetzen ,  und  diar 
wird  die  durch  StrabWog  verloren  gehende  Wärme  entweder  theihras 
ersetzen,  oder  ihr  gleich  sein,  oder  gar  sie  QbertreSeu. 

Bezeichnet  ^  die  Sonixenmasse,  dQ  den  Wärmererlnst,  welebenA 
Sonnenraasse  in  der  unendlich  feinen  Zelt  dt  erleidet,  und  d  T  die  Tcnif 
ratur Verminderung,  welche  di^, 'Sonne  in  der  Zeit  dt  er^hrt,  ao  ist 


ot 
der  Wärmeverlast  der  Sonne  in  der  Zeit  di. 

Nun  entspricht  aber  einer  Temperaturemiedrigang  d  T  der  Ssuc 
eine  unendlich  kleine  Contractionsarbeit,  dieselbe  sei 


')  Thomson,  Phyiipal  con*iderationii  regarding  the  possiblc  iige  of  the  hob»  ta*i 
Phil.  Mag.  (1881),  4.  Scr,  Bd.  XXIII,  S.  153. 

*)  Die  betreflenden  Rechnangea  ßndvt  man  in:  Helmholtx,  Wiswiucban].  Tv 
träge,  Heft  2  (1876),  S.  134. 


Ä 


■    ■  •  ff  •  — ^~  •  dt 

j        dt 

W&rmeeinbeiten  äquivalent. 

Die  Aendemng  des  Wärmeinhalts  der  Sonne  dQ  m  der  Zeit  dt  ist 
somit : 

8T  1  8T 

dO  =  M  '  -;r-  '  dt T  '  ^  '  "7^  '  dt 1) 

^  8t  /  8t  ' 

Je  nach  dem  numerischen  Betrage  der  Grösse  et  kann  hiernach  dQ 
positiv,  Null  oder  negativ  sein. 

Helmholtz  hat  berechnet,  dass  selbst  unter  den  ungünstigsten  Vor- 
aussetzungen eine  Verminderung  des  Sonnendurohmessers  um  75  m  im 
Jahre,  also  um  eine  Meile  in  ungefähr  100  Jahren,  gen&gen  würde,  um 
den  gesammten  durch  Strahlung  herbeigeführten  Wärmeverlust  zu  er- 
setzen ^).  Da  einer  Bogensecunde  in  dem  mittleren  Abstände  der  Sonne 
ungefähr  eine  Strecke  von  98  Meilen  entspricht,  würde  erst  in  10000 
Jahren  diese  Verminderung  des  Sonnendurchmessers  einen  merklichen 
Betrag  annehmen.  Mit  dieser  Zusammenziehung  Hand  in  Hand  würde 
eine  sehr  langsame  Zunahme  der  Rotationsgeschwindigkeit  der  Sonne 
gehen,  weil  das  Trägheitsmoment  eine  Verminderung  erführe.  Aber 
diese  würden  wir  aus  den  bei  Besprechung  der  Thomson' sehen  Theorie') 
schon  angeführten  Gründen  erst  recht  nicht  wahrzunehmen  im  Stande  sein. 

Diese  von  Helmholtz  aufgestellte  Erklärung  für  die  Erhaltung 
der  Strahlungsenergie  der  Sonne  kann  kaum  mehr  eine  Hypothese  ge- 
nannt werden;  sie  ist  vielmehr  eine  nothwendige  Folgerung  aus  Grund- 
sätzen der  mechanischen  Wärmetheorie,  deren  Allgemeing^ltigkeit  niemand 
bezweifelt. 

New  comb  hat  im  Anschlüsse  hieran  daraufhingewiesen,  dass  als- 
dann die  Sonne,  wenn  ihre  Wärmeausstrahlung  ungeändert  bliebe,  in 
5  Millionen  Jahren  auf  die  Hälfte  ihres  jetzigen  Durchmessers  zusammen- 
geschrumpft sein  würde. 


8.  Die  Hypothese  von  William  Siemens  9). 

In  allerneuester  Zeit  hat  ein  Versuch,  die  Erhaltung  der  Sonnen- 
energie zu  erklären,  in  den  Kreisen  der  Astronomen  und  Physiker  die 


^)  Diese  Zahl  bezieht  sich  jedoch  noch  auf  den  Pouillet'schen  Werth  der  Solar» 
constante. 

3)  VergL  S.  823. 

^)  Die  Abhandlung:  .On  the  Conservation  of  Solar  Energy"  wurde  der  Roy.  Soc. 
of  London  am  20.  Februar  1882  vorgelegt.  Wir  folgen  hier  hauptsächlich  der  Dar- 
stellung in  der  gleichnamigen  Schrift,  London,  Macmillan  1883. 


826      .  IV.   Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie. 

Geister  lebhaft  bewegt.  Nicht  nur  der  Umstand,  dass  diese  Hypothese 
▼on  einem  der  hervorragendsten  Ingenieure  und  praktischen  Physiker, 
Sir  William  Siemens,  ausging,  welcher  sich  durch  eine  grosse  Zahl 
wichtiger  Erfindungen  und  werthvoller  Beobachtungen  ausgex^chnet 
hatte,  sondern  auch  die  Neuheit  und  Originalität  der  seiner  Hypothese  zi 
Grunde  liegenden  Annahmen  lenkte  sofort  die  Aufmerksamkeit  aUer  be 
theiligten  wissenschaftlichen  Kreise  auf  diesen  neuen  Versuch,  den  scheis- 
baren  Widerspruch  zu  lösen,  welcher  zwischen  dem  Satze  von  der  Cou- 
stauz  der  Energie  einerseits  uud  der  enormen  Energieverschwendung  des 
Centralgestirnes  unseres  Planetensystems  andererseits  besteht. 

Die  Sie  mens*  sehe  Hypothese  beruht  auf  folgenden  Annahmen: 

Erstens:  Der  zwischen  den  Weltkörpem  befindliche  Raum  ist 
nicht  leer,  sondern  mit  ausserordentlich  verdünnten  Gasen  und  D&mpfa 
ausgefüllt,  unter  welchen  sich  Wasserdampf  und  dessen  BestMidtheile» 
Stickstoff  und  verschiedene  Kohlenwasserstoffe  befinden. 

Zweitens:  Im  Zustande  ausserordentlicher  Verdünnung  werden 
diese  Dämpfe  durch  strahlende  Energie  der  Sonne  in  ihre  Bestandtheik 
zerlegt  (dissociirt). 

Drittens:  Die  Umdrehung  der  Sonne  um  ihre  Axe  bewirkt,  das 
in  die  polaren  Gebiete  der  Sonnenoberfläche  derartige  im  Räume  durd 
das  Sonnenlicht  dissociirte  gasformige  Substanzen  einströmen,  und  dsa 
dieselben,  nachdem  sie  an  der  Sonnenoberfläche  verbrannt  sind,  in  des 
äquatorialen  Zonen  wieder  ausgeschleudert  werden. 

So  überraschend  anfanglich  diese  Forderungen  erscheinen «  so  liegt 
doch  keine  derart  ausserhalb  der  Grenzen  der  Möglichkeit,  dass  sie  ohae 
Weiteres  zurückgewiesen  werden  müsste. 

Siemens  ist  auf  seine  Theorie  durch  die  Beobachtungen  gefühlt 
worden,  dass  die  Sonnenfiecken  nicht  auf  allen  Theilen  der  Sonne  glack- 
massig,  sondern  besonders  häufig  nur  in  zwei  Zonen  auftreten,  weld» 
rechts  und  links  vom  Aequator  in  nicht  unbeträchtlichem  Abstände  vw 
den  Polen  gelegen  sind. 

Nur  selten  treten  Sonnenflecken  auf  in  dem  Räume  von  0^  fais  i* 
heliocentrischer  Breite  auf  beiden  Hemisphären,  am  häufigsten  sind  die- 
selben in  den  Zonen,  welche  sich  von  5^  bis  15^  heliocentrischer  Breite 
erstrecken.  In  den  breiten  Bäumen  zwischen  dem  25.  heliocentrischea 
Breitengrade  und  den  Polen  werden  fast  nie  Sonnenflecken  wahrgenon- 
men.  Diese  Thatsache  und  das  eigenthümliche  Bild,  welches  uns  die 
Sonnenflecken  in  stark  vergrössemden  Femröhren  darbieten,  sowie  eigen* 
thümliche  seitliche  Verschiebungen,  welche  die  Spectrallinien  inneriudb 
der  Sonnenflecken  erfahren,  haben  mehr  und  mehr  bei  den  Astronomen 
und  Physikern  die  Meinung  befestigt,  dass  man  es  in  den  Sonnenfledrea 
mit  Wirbelstürmen  in  der  Sonnenatmosphäre  zu  thun  habe,  ähnlich  den- 
jenigen, durch  welche  in  unregelmässigen  Zwischenräumen  die  Schichten 
unseres  Luftmeeres  durch  einander  geschüttelt  werden. 


anu  aoBSBruem  otromaageii  bui  aer  oonDSuoDunitioiie  BDMDeii,  weicae  Tom 
Pole  zuiQ  Aequator  oder  Knoh  umgekehrt  gerichtet  Bind. 

Fftr  Störungen  des  WärmegleiohgewichteB  aber  einander  lagernder 
Schicht«n  würde  die  ÄuBBtrahlang  der  Sonne  in  den  Weltraum  einen  sn- 
reiohenden  Omnd  geben;  fär  StrSmungen  auf  der  Sonnenoberfläche,  deren 
Existenz  kanm  mehr  bezweifelt  werden  kann  ^,  musa  irgend  ein  anderer 
ErklärnngBgrund  gesncht  werden,  und  diesen  glaubte  Siemens  in  einer 
Einttrdmung  tob  Gasmassen  an  den  Polen  und  AoBschleudernng  derselben 
am  Aeqoator  ermittelt  zu  haben. 

Die  Sonne  vollendet  eine  Umdrehung  nm  ihre  Axe  in  einer  Zeit  tob 
nngeföhr  25  Tagen  4*/}  Stunden,  und  da  ihr  Durchmesser  nahezu  108  Yj- 
mal  so  gross  ist  als  der  unserer  Erde,  so  ist  die  GesohTindigkeit,  mit  der 
sich  Puakte  der  SoDDenoberfl£ohe  am  die  Axe  bewegen,  nahezu  4,41  mal 
so  gross,  als  in  gleichen  Breiten  die  Tan  gentialgeach windigkeit  eines  an 
der  Erdoberätche  gelegenen  Pnnktes. 

Diese  Geschwindigkeit,  welche  am  Aequator  der  Sonne  angelSbr 
2  km  pro  Secunde  hetr&gt  und  am  Pole  gleich  Null  ist,  wird  nicht  ohne 
Wirkung  auf  die  in  der  Nähe  der  Sonne  befindlichen  GasmasBen  bleiben, 
von  welchen  Siemens  annimmt,  dasB  sie  den  zwischen  den  Himmels- 
kdrpem  befindlichen  Weltraam  ansfüllen.  Diese  Wirkung  der  Rotation 
der  Sonne  am  ihre  Axe  soll  non  nach  Siemens  darin  besteben,  dasB 
diese  verdünnten  Gase  aus  dem  Welträume  nach  dem  Pole  bin  angeeaugt 
■werden. 

Während  diese  Gase  im  Welträume  vermuthlich  eine  Temperatur 
besitzen,  die  sich  wenig  Ober  den  absalnten  Nullpunkt  ( — 274*0.)  er- 
hebt'), werden  sich  dieselben,  je  mehr  eie  sieb  der  Sonnenoberfläcfae 
nähern,  in  Folge  der  Anziehnng  der  Sonnenmasse  mehr  nnd  mehr  ver- 
dichten und  dadurch  ihre  Temperatur  erhoben.  Schliesslich  wird  eine 
Temperatur  erreicht  werden,  bei  welcher  die  Wiedervereioigmig  der  bis 
dahin  in  ihre  elementaren  Bestandtheile  verlegten  Verbindungen  beginnt. 
Von  diesem  wirklichen  Verbrenn ungsprocesse  nimmt  Siemens  an,  dass 
er  in  der  leuchtenden  Hülle  der  Sonne,  in  der  sogenannten  Photosphäre, 
stattfinde. 

Die  Temperatur  dieser  Lichthülle  wird  daher  ungefähr  gleich  der 
Dissociationstemperatur  des  Waseerdampfea,  also  ungeiähr  gleich  2600**  C. 

')  Vergleiche:  ^eje,  Wirbelstfirme,  Tomadoi  and  Wetteniulen.  Hannoier,  Kamp- 
ier, 1B7T,  S.  161  und  Ritter,  Anwendangea  der  mecbu.  Winnetheorie  aef  koBmol. 
Probleme.    HerDoirer,  Rümpler,  1879,  S.   1  u.  i.  f. 

^  Die  EiUUni  solcher  SCrömungen  wird  i^nz  nenerdingi  tdd  PHjie  In  Abrede  geatellt. 

')  Ans  der  lebhallen  Auwtrnhluiig  der  ErdoberflSche ,  welche  troti  der  »chütienden 
Atmoephlire  atattfindet,  und  aus  den  tiefen  Temperaturen,  welche  gelegentlich  atatt- 
getuoden  haben,  achliesst  man  auf  eine  lefar  niedere  Temperatur  des  Weltraumee.  Nach 
GuTschow  tind  in  Sibirien  am  SO.  üov.  1871  z.  B.  — eS^C.  beobachtet  worden. 


durch  die  bei  der  VereiDigtiiig  der  Elemente  ftm  werdcokd«  Terbindmg» 
wirme  einen  Eruts  für  die  EnergieTerlnstn  bilden,  veldi«  die  Sonne  fcit- 
vUirend  darcb  ihre  Strafalnng  in  den  W«ltraiini  erf&hi4i 

kl  der  EiohtoDg  des  Aeqoators  würdeni  didann  diese  dan^  Tr> 
brvnnHng  auf  der  Sonnenoberflftcbe  gebildeten  Terbindnsgen  imder  in 
deffWeHnrambinansgescbleudert  und  aerstreat  werden.  Siemens  ninot 
an,  dssa  dnrcb  dieae  äquatorialen  Auistr6muDgen  ancb  einaelae  Partilal- 
cben  der  epeeifiecb  schwereren  Bestandtheile  der  Sonne,  welche  den  «igot- 
liehen  Kern  der  Sonne  bilden,  mechanisch  mit  fortgerinen  werden  tti 
erklärt  anf  diese  Weise  einen  Tbeil  jenes  kasmiscben  Stanbes,  welcher,  wie 
inait  senerdnige  bemerkt  bat,  nicht  zv  selten  auf  unsere  Erde  niadeiWIt'l 
DaaZodiakal-  oder Thierkreislioht  glaubt  Siemens  eben&lls  diesem  br  1 
mischen  Staube  zaschreiben  bu  sollen  and'  h&lt  das  Leuchten  dioa  | 
StanBes  tbeils  fflr  die  Wirkung  reflectirten  Sonnenlichtes,  theils  fär  tat 
Pbosphorescenz  dieser  kosmischen  Sabstani^  oder  fQr  das  Licht  elektriMte 
Entladungen,  welche  von  diesem  dnrcb  lUibnng  ekktrisirten.  Steak 
rfickwürts  nach  der  Sonue  hin  statt6nden. 

Dnrchi  die  Energie  der  Sonnenstrahlen  werde  alsdann  eine  ZuäteUmf  1 
der  Ton  der  Sonne  ansgeschlenderten  nnd  im  Ranme  dnrcb  ibre  Au- 
breitmg  sehr  stark  Terdünnten  VerbindoDgan  v  des  Wssaerdampfe»,  is  \ 
Kohlensäure  nnd  der  Kohlenwasserstoffe,  bewirkt.  Dieser  oeaen  Hjpotbot  1 
liegt  somit  der  Gedsnke  zn  Grunde,  das«  die  den  Weltranm  erfOUesdt 
Masse  einen  Kreisprocess  durchlaufe.  Die  toD' der  Sonne  in  ibram.S4nUa  I 
ausgesendete  Energie  werde  im  Weltraum«  znm  Tbeil  absorbirt  nod  sar 
Zerlegung  ohemischer  Verbindungen  verwendeb 

hl  Form  von  gegenseitiger  Ansiehang  chemisch  getrennter  ElemMA 
gelange  in'  den  polaren  Einströmungen  ein  grosser  Theil  dar  früher  m 
der  Senne  in  ihren  Strahlen  ausgesendeten  Energie  wieder  atr  Sotw 
Eurflck.  Auf  der  Sonnenoberfläahe  werde  die  potentielle  Energie  ekesi- 
Bcher  Affinität  wieder  in  Wärme  umgesetzt.  Die  erseugte  Warna«  w«dt 
anfs  Neue  als  strahlende  Energie  in  den  Weltraum  abgegeben^  die  Mf 
der  Sonn»  gebildeten  chemischen  Verbindungen  aber  werden  als  etdcbt  i 
durch  die  äquatorial»  Ansatrömong  in  den  zwischen  den-Hinunelnkfirpen 
befindlichen  Raum  zurückgel^hrt.  ' 

Zur  Unterstützung  der  Hauptpunkte  seiner  Theorie  besieht  li^ 
Siemens  anf  mehrere  zum  Theil  ganz  neue,  noch  wenig  bekannte  Beob- 
achtungen. Als  eine  Bestätigung  seiner  Anschannogen  betrachtet  er  «s. 
dass  mehrere  bis  jetzt  anverständUch  gebliebene  Thateachen  TcrstäxuOicfc 
werden  würden,  wenn  man  die  Grundlagen  seiner  Theorie  zngiebt. 

■)  Bnonden  hat  SchwedorC  in  den  SUabdeckrn    iit  Sehne«!    iiaSf  Sabdn^ 

gefoDden,  welche  et  für  koKaiEcben  Uraprunges  hSlU 


B.   Die  Erbaltimg  der  Sonnenenergie.  829 


0.   Ist  der  WeltrauiDL  mtt  verdünnteii  Oasen  erfüllt  f 


Die  ei»te  der  Siemens'  sehen  Voraussetzungen ,  dass  der  zwisdien 
den  Gestirnen  befindliche  Baum  nicht  leer  sei,  sondern  von  sehr  yerdUnn- 
ten  Gasen  .erfüllt  werde^  ist  von  Newton^)  an  bis  auf  die  neueste  JZeit 
Yon  vielen  Naturforschem  als  richtig  angesehen  worden.  Sofern  man  die 
Grundlagen  der  kinetischen  Gastheorie,  wie  sie  von  Clausius  »und  Max- 
well begrftndet  vund  von  Boltzmahn,  O.E.  Meyer,  von  der  W^ials 
und  Anderen  mit  so  viel  Erfolg  ausgeführt  worden  ist,  als  richtig  an« 
erkennt ,  ist  ein  leerer  Raum  neben  den  Atmosphären  der  Planeten  ^ar 
nicht  denkbar.  Dazu  kommt,  dass  die  spectroskopischen  UnterBuchangen, 
welche  in  neuerer  Zeit  wiederholt  auf  den  Gipfeln  der  höchsten  Bei:ge 
angestellt  worden  «ind,  es  sehr  wahrscheinlich  machen,  dass  gewisse  von 
den  Himmelskörpern  ausgesendete  Strahlen,  welche  beträchtlich  jenseits 
des  violetten  Endes  des  ^sichtbaren  Spectrums  liegen  würden,  in  dem 
zwischen  den  Uimmelskönpern  befindlichen  Räume  absorbirt  werden,  wäh- 
rend vermuthlich  hauptsächlich  Strahlen,  welche  jenseits  des  rothen  sieht" 
baren  Endes  des  Spectrums  liegen,  in  der  Atmosphätre^  unserer  Erde 
zurackgehakeu  werden.  Insbesondere  hat  Abney^)  imd  ausserdem 
Langley^)  durch  Yersache  mit  den  von  Rowland  hergestellten  con- 
caven  Diffractiousgittern ,  deren  über  einander  liegende  Spectra  sie 
durch  Steinsalzprismen  von  einander  sonderten ,  nachgewiesen^  daas  die 
Länge  des  Spectnums  der  Sonnenstrahlen  eine  ungefähr  neunmal  so  grosse 
Ausdehnui^g  besitzt,  als  das  für  gewöhnlich  unserem  Auge  sichtbare  Spec- 
trum. Bei  Beobachtungen  «auf  sehr  hohen  Bergen,  z.  B.  auf  dem  beinahe 
4000  m  hohen  Mouut  Whitney,  konnten  noch  Partien  des  Spectrums  ,ge- 
sehen  werden,  <7on  welchen  man  gewöhulich  annahm,  dass  £ie  nahezu 
vollständig  von  der  Augensubstanz  absorbirt  würden  und  deshalb  die 
Netzhaut  nicht  mehr  erregen  könnten.  Obgleich  auch  eine  nicht  unerheb- 
liche Ausdehnung  des  Spectrums  über  das  ultraviolette  Ende  hinaus 
wahrgenommen  wurde ,  zeigte  sich  doch  dort  das  Spectram  so  scharf  be- 
grenzt, dass  man  glaubte,  die  Ursache  nur  der  Anwesenheit  absorbirender 
Kohlenwasserstoffe  in  dem  Baume  zwischen  der  leuchtenden  Sonne  und 
der  Erde  zuschreiben  zu  müssen.  Freilich  dürfte  damit  die  Frage  noch 
nicht  entschieden   sein,   ob  diese  Absorption  durch  Kohlenwasserstofife 


M  Newton,  Principia  Üb.  III,  prqpos.  12,  vergl.  auch  Sterry  Hnnt,  Celestial 
chemistrj  from  the  time  of  Newton.    Americ.  .Journ.  of  Science,  Febr.  1882. 

^)  Abney  und  Langlev,  Sunlight  and  skyJight  at  bigh  altitudes,  Nature  (1882) 
Bd.  XXVI,  S.  586. 

^)  Langley,  Die  auswählende  Absorption  der  Energie  der  Sonne,  Ann.  d.  Phys. 
u.  Chem.  1883,  Bd.  XIX,  S.  226  u.  S.  384. 


830       IV.   Anwendungen  anf  Meteorologie  und  Astronomie. 

allein  in  der  Sonnenatmospbäre ,  oder  auch  merklich  in  dem  dazwisehea 
liegenden  Räume  stattfinde.  Durch  Messungen  von  H.  Vogel ^)  (Pots- 
dam) und  spectrophotometrische  Untersuchungen  von  Gouy  und  Tfaol- 
1 0  n  ')  ist  nachgewiesen  worden,  dass  ultraviolette  Strahlen  um  so  weniger 
von  der  Sonne  ausgesendet  werden,  je  mehr  die  strahlenden  Stellen  sich 
dem  Bande  nähern. 

Dies  ist  nur  dadurch  erklärlich,  dass  die  Bandstrahlen  der  Sonite 
durch  eine  dickere  Schicht  einer  lichtabsorbirenden  Sonnenatmosphlre 
hindurchgehen,  als  die  centralen  Strahlen.  Die  Art  der  Absorption  macht 
es  sehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Atmosphäre  Kohlenwasserstoffe  ent^ 
hält.  Wird  aber  die  Sonne  von  einer  GashfiUe  umgeben ,  in  weldier 
solche  Stoffe  enthalten  sind,  so  müssen  in  Folge  der  Difiosion  anck 
in  dem  zwischen  den  Gestirnen  befindlichen  Baume  derartige  Gase  vor> 
kommen. 

Ist  im  Welträume  sehr  vei*d&nntes  Gas  irgend  welcher  Art  vorhan- 
den, so  müsste  sich  an  der  Oberfläche  der  Planeten  und  aach  derea 
Trabanten  eine  verdichtete  Schicht  derselben  Gase  finden.  In  der  Thst 
hat  man  bei  der  letzten  Sonnenfinsterniss  in  der  nächsten  Nähe  des  Mond- 
randes  eine  auffällige  Verbreiterung  der  Frauenhof  er 'sehen  Linie  B 
beobachtet,  und  dieser  Umstand  deutet  auf  die  Existenz  einer  Wasserstoff- 
haltigen  Atmosphäre  am  Mondrande  hin.  Nicht  minder  kann  es  als  eise 
Unterstützung  der  Sie  mens' sehen  Hypothese  angesehen  werden,  dasi 
nach  Beobachtungen  von  Huggins'),  YogeH),  Tacchini^)  and  Yiekn 
Anderen  mindestens  die  Kerne  der  Kometen  mit  eigenem  Lichte  leuchten 
und  deutlich  die  Bandenspectren  von  Kohlenwasserstoffen  erkennen  lassen, 
wie  sie  ungefähr  Petroleum  und  verwandte  Körper  zeigen.  Auch  die  An- 
wesenheit von  Stickstoff  ist  in  einigen  Kometen  erkannt  worden,  da  man 
deutlich  das  Spectrum  des  Cyangases  gesehen  hat.  Nach  den  Untere 
suchungen  von  Schiapparelli^)  ist  es  sehr  wahrscheinlich  geworden, 
dass  die  Hauptmasse  der  Kometen  aus  einzelnen  festen  Meteorateinen 
besteht.  Ein  neuerdings  niedergefallener  und  von  Flight^)  unmittelbar 
nach  seinem  Auftreffen  untersuchter  Meteorstein  hatte  eine  Gasmengs 
eingeschlossen,  welche  bei  Atmosphärendruck  ein  sechsmal  so  grossei 
Volumen  einnahm,  als  der  Stein  selbst.  Die  Analyse  des  Gases  ergab 
nachstehendes,  überraschendes  Besultat: 


1)  H.  C.  Vogel,  Monateber.  d.  Berl.  Akad.  1877,  S.  104. 
*)  Gouy  und  T  hol  Ion,  Compt.  rend.  Bd.  XCV,  S.  834. 
8)  Huggins,  Nature  1882,  Bd.  XXVI,  S.  179. 
*)  H.  C.  Vogel,  Astronom.  Nachr.  Bd.  CII,  S.  159  und  S.  201. 
B)  Tacchini,  Compt.  rend.  Bd.  XCIII,  S.  849. 

^)  Schiapparelli,   Entwurf  einer   astronomischen   Theorie   der   Stemscbnappn. 
Uebersetzt  von  G.  v.  Boguslawski. 

^)  Siemens,  On  the  Conserv.  of  Solar  Energy,  London,  Mncmillan,  1883,  S.  9. 


Äethylen        C,H, 4,55 

Stickstoff         N        .    .    ;    .    ■    17,66 
100,00 

Das  Speotrnni  eines  glfibendea  Gaagemisohes,  welches  die  vorBtebeode 
ZaBammenBetznng  hatte,  wftrde  ToUetändig  mit  den  beobachteten  Kometen- 
Bpeotren  abereiuBtimmeD.  Siemens  yermnthet,  dass  der  Meteorit  in  dem 
mit  solchen  Gasen  erfüllten  Weltraame  dieselben  in  seine  intromolecnlaren 
Zniechenraume  aufgenommen,  sie  occludirt  habe.  Das  Glühen  nndSelbst- 
leuchtend werden  der  Kometenkeme  wflrde  sich  dann  in  der  Weise  er- 
klären, dass,  weil  bei  Anu&herung  an  die  Soddo  die  Bahngesohwiadigkeit 
der  Kometen  zunimmt,  durch  lleibung  an  der  in  der  N&he  der  Sonne 
dietiteren  Auefflllnog  des  Weltraumes  die  Ueteorateinschw&rme  glühend 
werden  und  dann  die  occludirten  Gase  abgeben ,  walche  ihrerseita  zur 
Bildung  des  Schweifes  heitragen.  Berficksiobtigt  man,  dass  bei  derartigen 
Beibungspbanomenen  jedenfalls  nicht  nnbeträebtliche  ElektricitAtsmengen 
erzeugt  werden,  und  dass  aller  Wahrsoheinlichkeit  nach  die  Sonne  ein 
erhebliches  elektrisches  Potential  besitzt,  so  wflrde,  sofern  die  Sonne  und 
der  Kometenschweif  gleichnamige  elektrische  Polarität  h«i&sseii,  die  eigen- 
thftmliche  Form  und  Bichtang  der  Kometenschweife  ihre  natttrliche  Er- 
klärung finden  kQnnen '). 

Man  muss  doch  jedenfalls  nach  Analogie  irdischer  Vorgänge  an- 
nehraen,  dass  ein  Komet,  wenn  die  Siemens'sche  Ansicht  richtig  ist, 
wthrend  eines  Durchganges  durch  das  Peribel  den  grössten  Tbeil  des 
occladirten  Gases  dnrch  Zerstreuung  in  den  Weltranm  Terliert;  dennoch 
flehen  wir  seihst  solche  Kometen,  wie  z.  B.  den  Encke'sohen,  deren  Bahnen 
ToUstftndig  innerhalb  unaerea  Sonnen  Systems  liegen,  bei  ihrer  Rftckkehr 
in  die  Sonnennähe  immer  wieder  in  alter  Weise  leuchten.  Dies  würde 
Dar  dadnrch  erklftrlich  sein,  dasa  die  den  Kometen  zasammenaetzeiiden 
Heteorsteine  in  grösserer  Entfernung  Ton  der  Sonoe  eich  anfa  Nene  ab- 
gekühlt und  die  im  Waltraume  enthaltenen  Gase  wieder  absorhirt  haben. 

Dem  Einwände,  dasa  auch  unsere  ErdatmosphKre  diese  Gase  enthal- 
ten müseei  wenn  der  Weltraam  mit  WasBeratofF  nnd  Kahlen wasserstofi'en 
erfüllt  wäre,  glaubt  Siemens  dadurch  begegnen  zu  können,  dass  er  be- 
hauptet: an  der  Oberfläche  eines  Tsrhättniag massig  kalten,  stark  anziehend 
wirkenden  Planeten  würden  nur  merkliche  Quantitäten  der  achweraten 
Gase  grÖBsere  Dichte  annehmen. 

')  BeUontlicti  hit  achoo  ZEIlber  io  der  Schrifl:  „Ucbn-  dia  Natur  der  KometeD, 
Leipzig  1872",  dem  Vorging«  von  Olberi  folgtsd,  Tenacht,  die  eigenthümlichea  an 
Kometen   beobachteten   Emheinangen  durch   elektriiche  Fenurlitangcn   iwiMheo  Saune 

und  Komet eumaibe  t\i  eiklärfn. 


092       lY.   Anwendungen  am  Meieoroiogie  una  Astronomie. 

10.  Werden  hoohverdünnte  Oase  dnroh  Sonnenstralilen 

dissociirt? 

Die  zweite  Voraassetzung  der  Siemens' sehen  Hypothese  hat  liupl- 
sächlich  nur  hinsichtlich  ihrer  physikalischen  Seite  Einwendangen  erfiik- 
ren,  hingegen  auffälliger  Weise  wenig  von  Seiten  der  Chemiker.  Die  tm 
Einwendung,  welche  yonFitzgerald^)  gemacht  wurde:  «Wie  man  ä 
Sterne  sehen  könne ,  wenn  die  Energie  der  Strahlen  derselben  durch  da 
den  Weltraum  erfüllendes  Medium  absorbirt  und  in  chemiBche  Enerpt 
umgesetzt  würde?"  hat  Siemens  dadurch  zurückgewiesen,  dasa  er  dv- 
auf  aufmerksam  machte,  dass  es  wohl  Torzugsweise  die  nltraTioktUt. 
also  uns  unsichtbaren  Strahlen  wären,  welche  im  Welträume  zuritt- 
gehalten  würden^). 

Um  die  Möglichkeit  einer  Dissociation  hochverdünnter  Gase  dani 
Sonnenlicht  und  elektrisches  Licht  darzuthun,  hat  William  Siemeti 
G  ei  8  sl  er 'sehe  Röhren,  in  welchen  verschwindende  Spuren  von  W 
dampf,  Yon  Kohlensäure  oder  von  Kohlenwasserstoffen  enthalten 
theil weise  mit  Kältemischungen  bedeckt,  so  dass  die  Röhren  bis  u: 
-—  82^0.  abgekühlt  wurden.  Der  Gasdruck  in  diesen  Röhren  wmi 
dadurch  so  beträchtlich  vermindert,  dass  der  elektrische  Funken  niÄ 
mehr  hindurchgingt). 

Wenn  er  alsdann  auf  den  nicht  von  der  Kältemischnng  bedeckte 
Theil  die  Strahlen  der  Sonne  oder  einer  kräftigen  elektrischen  Bogea* 
lampe  wirken  liess,  trat  nach  einiger  Zeit  der  elektrische  Fanken  i.n  de 
Geissler 'sehen  Röhre  wieder  auf.  Siemens  glaubt,  daas  die  mt 
^  getretene  Dissociation  der  verdünnten  Gase  die  Yeranlassung  hiem  f^ 
wesen  sei.  Eine  quantitative  Bestätigung  seiner  Yermuthung  iatSiemeu 
schuldig  geblieben,  weil  sich  derselben,  wie  leicht  begreiflich,  fast  unäba- 
steigliche  Hindernisse  in  den  Weg  stellen.  Dass  durch  strahlende  Elnergv 
von  hoher  Temperatur  gasförmige  chemische  Verbindungen  zersetxt 
den  können,  hat  Siemens  durch  ein  interessantes  Experiment  bewi< 
Er  lenkte  die  durch  einen  guten  parabolischen  Reflector  concentriitK 
Sonnenstrahlen  auf  eine  brennende  Leuchtgasflamme  und  fand ,  dass  & 
Verbrennung  durch  die  eintretende  Dissociation  der  Gase  erheblich  nr- 
zögert,  wenn  auch  nicht  ganz  aufgehoben  wurde  ^). 

^)  Dr.  Siemens*  Solar  Hypothesis.  Natore,  1882,  Bd.  XXVI,  S.  80. 

^)  Werner  Siemens,  der  Bruder  von  Will.  Siemens,  bat  m  seiner  Abb««' 
Innf^:  „Ueber  die  Zalässigkeit  eines  elektrischen  Sonnenpotentiales  and  dessen  BedevtsK 
zur  Erklärung^  terrestrischer  Phänomene",  Ann.  d.  Pbys.  u.  Chem.  Neue  Folge,  Bd.IXr 
S.  108,  darauf  hingewiesen,  dass  möglicher  Weise  die  Dissociationsarbeit  bereits  ia  ^ 
Hauptsache  ToUendet  sei  und  jetzt  nur  die  geringen  Mengen  zu  zerlegen  seien ,  wek^« 
fortwährend  aufs  Neue  von  der  Sonne  ausgesendet  werden. 

^)  Siemens,  Conserv.  of  Sol.  Energy,  S.  22  bis  27. 

*)  Ebend.  S.  77. 


B.     Die  Erhaltung  der  Sontiönenergie.  833 

DasB  auch  Andere  nicht  ohne  Bedenken  gegen  die  von  Siemens  yor- 
ansgesetzte  Dissociation  hoch  verdünnter  Gase  durch  Sonnenstrahlen  ge- 
wesen sind,  heweist  der  UmstAud,  dass  Naturforscher,  welche  sonst  mit  den 
(rrnndlagen  der  Siemens'schen  Theorie  einverstanden  sind,  versucht 
hahen,  die  Theorie  von  dieser  Hypothese  unabhängig  zu  machen.  So  hat 
z.  B.  Ch.  Mor  r  i  s  ^)  die  Dissociation  durch  das  Sonnenlicht  in  Abrede  gestellt 
und  darauf  hingewiesen,  dass  in  dem  Maasse,  als  die  Sonnenenergie  durch 
Ausstrahlung  verliert,  durch  Bildung  chembcher  Verbindungen,  welche 
vorher  dissociirt  waren,  neue  Energiemengen  frei  werden  ^).  Da  auf  diese 
Weise  allmählich  der  Vorrath  der  Sonne  an  potentieller  Energie,  und 
wäre  derselbe  auch  noch  so  gross,  in  strahlende  Energie  umgesetzt  und 
verloren  gehen  würde,  so  acceptirt  Morris  die  Einströmung  von  Gas- 
massen an  den  Polen  und  die  Abschleuderung  gasiger  Bestandtheile  in 
der  Richtung  des  Sonnen äquators.  Er  weist  nur  darauf  hin ,  dass ,  wäh- 
rend der  Energieinhalt  der  in  der  Sonne  zusammengeballten  Masse 
durch  Strahlung  fortwährend  vermindert  wird,  der  Ehergievorrath  der 
ausserhalb  der  Sonne  im  Welträume  zerstreuten  Masse  um  den  von  der 
Sonne  verlorenen  Betrag  zunehmen  müsse.  Während  die  Sonne  am 
Aequator  Masse  von  verhältnissmässig  geringem  Energieinhalte  ab- 
schleudere, ströme  am  Pole  Masse  ein,  welche  einen  relativ  grösseren 
Energieinhalt  besitze. 


11.  Die  Temperatur  der  Sonnenoberfläohe. 

Einen  auffalligen  Contrast  zu  den  früheren  Ansichten  über  die 
Temperatur  der  Sonne  bildete  der  durch  die  Siemens^sche  Hypothese 
geforderte,  verhältnissmässig  geringe  Betrag  der  Temperatur  der  Sonnen- 
oberfläche. Man  war  bisher  gewöhnt,  für  die  Temperatur  der  Sonne 
ausserordentlich  grosse  Zahlwerthe  anzunehmen,  un.d  zwar  wurde  man 
auf  diese  durch  die  Wärmemengen  geführt,  welche  bei  dem  Zusammen- 
ballen und  allmählichen  Verdichten  der  heutigen  Sonnenmasse  aus  dem 
Urnebel  frei  geworden  sein  müssen.  Secchi^)  nimmt  z.B.  für  die  Sonnen- 
temperatur 5  bis  10  Millionen  Grade  an,  Newton^)  und  später  Wat er- 
sten^) und  Eriosson^)  halten  auch  die  Temperatur  der  Sonne  über 


1)  Morris,  Nature,  Bd.  XXV,  S.  601. 

^)  Diese  Meinung,  der  Vorratli  der  Sonnenmasse  an  potentieller  Energie  sei  derart 
über  alle  Begriffe  gross,  dass  man  den  jährlichen  Verlust  nicht  bemerke,  findet  sich 
auch  bei  Secchi;  vergleiche  dessen  Buch,  Die  Sonne,  1.  Aufl.  S.  600,  Westermann, 
Braunschweig. 

5)  Secchi,  Die  Sonne,  1.  Aufl.  S.  595. 

^)  Newton,  Principia,  üb.  III,  propos.  12. 

6)  Waterston,  Phil.  Mag.  4.  Ser.  Bd.  XXIII,  S.  497. 

^)  Ericsson,  Solar  investigations,  Nature,  Bd.  XII  u.  Xlll. 
B  ü  h  I  m  a  n  n ,  Mechan.  Wärmetheorie,  Bd.  II.  53 


834        IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  u.  Astronomie. 

Millionen  Grad  gelegen.  Rossetti^)  glaubt  auf  Grund  seiner  Yergleiclmn- 
gen  der  Strahlen  des  Sonnen-  und  des  elektrischen  Lichtes  die  Tempe- 
ratur der  Sonnenoberfläche  in  der  Nähe  von  lOOOO^C.  gelegen.  Kad 
der  Siemens^ sehen  Hypothese  sind  Sonneutemperatur  und  Sounenliclit 
wesentlich  Erscheinungen,  die  ihren  Ursprung  in  den  chemischen  Vor- 
gängen haben,  welche  sich  in  der  Sonnenatmosphäre  vollziehen.  Die  au 
dem  Welträume  nach  den  Polen  hinströmenden  dissociirten  Gase  werden, 
je  mehr  sie  sich  der  Sonnenoberfläche  nähern,  um  so  mehr  verdichtet  aod 
dadurch  erwärmt.  Wenn  die  Dissociationstemperatur  erreicht  worden  ist 
wird  die  Verbindung,  d.  h.  die  Verbrennung  der  Gase  beginnen.  Die« 
Verbrennung  wird,  während  die  Gase  nach  dem  Aequator  hinwanden, 
fortdauern,  und  zwar  wird  immer  der  Wärmeverlust  in  Folge  von  StnJi- 
lung  und  Expansion  der  wieder  aufsteigenden  Gase  durch  Wärmeeot- 
Wickelung  bei  der  Bildung  chemischer  Verbindungen  ausgeglichen  werden. 
Die  Temperatur  der  Sonnenatmosphäre  wird  daher  sehr  nahe  gleich  der 
Dissociationstemperatur  derjenigen  Verbindung  sein,  welche  die  grösste 
Wärmetönung  besitzt.  Diese  Verbindung  dürfte  wohl  unzweifelhaft  du 
Wasser  sein,  dessen  Bestandtheile  in  der  grössten  Höhe  verbrennen  wir 
den.  Die  specifisch  schwereren  Verbindungen  besitzen  zumeist  höhere 
Dissociationstemperaturen  und  werden  schon  iui  tiefer  liegenden,  also 
heisseren  Regionen  der  Sonne  verbrennen. 

Durch  diese  Betrachtung  wird  Siemens  veranlasst,  die  Temperatsr 
der  Sonnenoberfläche  gleich,  oder,  weil  uns  der  Druck  nicht  bekannt  in 
unter  welchem  sich  die  Verbrennungsvorgänge  auf  der  Sonne  vollzieheo. 
wenig  höher  als  die  Dissociationstemperatur  des  Wasserdampfes ,  das  ist 
ungefähr  gleich  2800  bis  3000<^C.,  zu  setzen. 

Alle  neueren,  sorgfältig  ausgeführten  Messungen  über  den  Zusammen- 
hang zwischen  Strahlung  und  Temperatur  führen  für  die  Oberflächei* 
temperatur  der  Sonne  auf  Zahlwerthe,  welche  vollständig  oder  sehr  Dibe 
mit  dem  von  Siemens  theoretisch  abgeleiteten  Werthe  überein stimmee. 
VioUe^)  wird  durch  seine  bereits  im  Vorhergehenden  erwähnten  unter 
suchungen  auf  eine  Temperatur  von  ungefähr  2000®  gefuhrt.  Durck 
Einwendungen,  welche  man  später  gegen  die  Methode  seiner  Rechnung 
gemacht  hat,  ist  er  veranlasst  worden,  ungefähr  3000^  für  den  wahr 
scheinlichsten  Werth  anzugeben.  Langley')  hat  dieselbe  Methode 
eingeschlagen ,  deren  sich  V  i  o  1 1  e  bedient  hat.  Er  verglich  nämlich  die 
Strahlung  einer  in  einem  Bessern er-Converter  glühend  flüssigen  Metall- 
masse,  deren  Temperatur  bekannt  war,  mit  der  Strahlung  eines  gleich 
grossen  Flächenstücks  der  Sonne  und  wurde  dadurch  zu  einem  Werthe 
von  2800<^  für  die  Temperatur  der  Sonnenoberfläche  geführt.  Einen  etir« 

1)  Rossetti,  Nuovo  Cim.  3.  Ser.  Bd.  111,  S.  238. 

8)  Violle,  Ann.  de  chim.  et  de  plm.  5.  Ser.  Bd.  X,  S.  289  bis  361  u.  Bd.XVÜ, 
S.  391  bis  429. 

')  Langley,  Proceedings  of  the  American  Acadeniy  of  Arts  and  Sciences,  1^78, 
S.   106. 


B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 


835 


höheren  Werth,  nämlich  5500^,  hat  Stefan^)  ans  einer  sorgfältigen Dis- 
cnssion  der  Messungen  abgeleitet,  welche  Soret^)  über  die  Ausstrahlung 
einer  im  Enallgasgebläse  glühenden  Zirkonscheibe  und  deren  Vergleich 
mit  der  Strahlung  der  Sonne  angestellt  hatte. 

Anch  Siemens^)  ist  durch  Messungen  auf  einen  Werth  geführt 
worden,  welcher  vollständig  mit  den  Consequenzen  seiner  Theorie  überein- 
stimmt. Er  geht  von  dem  Gedanken  aus,  dessen  Bichtigkeit  man  schwer- 
lich wird  bestreiten  können,  dass,  wenn  die  Temperatur  zweier  Körper 
dieselbe  sei,  auch  das  Verhältniss  des  sichtbaren  Theiles  und  des  unsicht- 
baren Theiles  der  Strahlen  dasselbe  sein  müsse.    Er  fand  nun: 


Name  der  Lichtquelle 


Temperatur 


Verhältniss  der 

leuchtenden  zu  den 

nichtleuchtenden 

Strahlen 


yasflamme 

Uektrisch  glühend  gemachter  Platindraht  .    .    .    . 

lektrisches  Bogenlicht  von  5  Amperes  hei  36  Volts 
Spannung     

Ilektrisches  Bogenlicht  von  42  Amperes  bei  43  Volts 
Spannung     

onnenstrahlen 


1700°C. 

2100'*  C. 
2500«»  C. 


25 

l_ 
24 

10 

_1_ 

4 

-L 

4 


Man  könnte  nun  leicht  in  diesem  verhaltnissmässig  niedrigen  Werthe 
er  Temperatur  der  Sonnenoberfläche  einen  Widerspruch  mit  dei\jenigen 
onsequenzen  der  mechanischen  Wärmetheorie  yermuthen,  welche  für 
ie  Temperatur  des  Sonneninnern  zu  unvergleichlich  viel  höheren  Wer- 
len  führen.  Dieser  Widerspruch  ist  jedoch  nur  ein  scheinbarer;  denn 
e  Dicke  der  Schicht,  welche  uns  vorzugsweise  Licht  und  Wärme  zü- 
ndet, ist  jedenfalls  nicht  unbeträchtlich^),  wenn  sie  auch  vermuthlich 
i  Vergleich  zum  Sonnendurchmesser  ausserordentlich  dünn  ist.  Schon 
isere  gewöhnlichen  Flammen  geben,  wenn  man  Sonnenlicht  oder  elek- 
Isches  Licht  auf  sie  fallen  lässt,  deutliche  Schatten.    Es  ist  daher  ganz 


*)  Stefan,   Berichte   der   Wiener  Akademie.     Math.-Naturw.   Abth.    Bd.    LXXIX, 
jaratabdruck. 

*)  Soret,  Archives  de  Genive.  3.  Ser.  Bd.  I,  1878,  S.  79. 

8)  Siemens,  Conserv.  of  Solar  Energy,  S.  58. 

*)   Nach  Ritter*8    Rechnungen    würde   die  Dicke  der  Photosphäre  ungefähr  25km 
ragen. 

53* 


836        IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  u.  Astronomie. 

unwabrscbeinlicb,  dass  viele  von  den  aus  den  heisseren,  tieferen  Sodu 
schichten  herrührenden  Strahlen  die  mehrere  Meilen  dicke  Photofpk 
zu  durchdringen  vermögen.  Für  unsere  Erde  ist  nur  die  Oberfl&d 
temperatur  der  Sonne  von  Belang,  und  diese  kann  sehr  gut  verbältH 
massig  niedrig  sein. 

Hirn,  welcher  sich  durch  schöne  Experimentalarbeiten  hobeV 
dienste  um  die  mechanische  Wärmetheorie  erworben  hat,  gehört  ni 
entschiedensten  Gegnern  der  Siemens^schen  Hypothese  von  derl 
haltung  der  Sonnenenergie.  Er  bestreitet  auch,  dass  die  Tempentori 
Sonnenoberiläche  zwischen  2800  und  3000^  liege,  and  zwar  weist« 
daraufhin,  dass  Körper,  welche  im  Brennpunkte  grosser  Hohlspiegel  di 
Sonnenstrahlen  zum  Glühen  und  Verdampfen  gebracht  werden,  hA 
Temperaturen  als  die  angegebenen  annehmen.  Nach  einem  von  Cli 
sius^)  wohlbegründeten  Satze  kann  aber  ein  Körper  im  Breonpa 
eines  Hohlspiegels  niemals  eine  höhere  Temperatur  annehmen,  ab  kl 
stens  die  Temperatur  der  Wärmequelle ,  deren  Strahlen  im  Focos  t 
einigt  wurden.  Stets  wird  wegen  unvermeidlicher  Wärmeverloste  £ 
Temperatur  beträchtlich  niedriger  sein.  Hirn  giebt  nicht  an,  oben 
auf  eigene  Versuche  über  die  durch  Hohlspiegel  erzeugten  Tempenti 
stützt.  Siemens^)  aber  theilt  mit ,  dass  die  Gluth  von  Kohleoftteki 
auf  welche  er  die  durch  seinen  Hohlspiegel  concentrirten  Sonnenstnii 
lenkte,  niemals  die  Temperatur  erreicht  habe,  welche  im  Flammeiüiui 
sehr  starker  elektrischer  Lichter  oder  in  seinem  elektrischen  SdiK 
apparat  hergestellt  werden  kann^). 


12.  Einwendungen  aus  der  hinmilisohen  Bleolianik  fff 

die  Siemens'solie  Hypothese. 

Die  zweifellos  schwerwiegendsten  Bedenken  gegen  die  Sienefi^ 
sehe  Sonnenhypothese  sind  vom  Standpunkte  der  Mechanik  aus  erU 
worden.  Von  Seiten  der  Astronomen  wird  vielfach  behauptet,  dfta^ 
selben  genöthigt  wären,  einen  absolut  leeren  Weltraum  anzoneboeo,  * 
sonst  merkliche  Störungen  der  Bewegungen  der  Himmelskörper  eioti^ 
müssten  ^).  Ein  im  Welträume  enthaltenes  gasförmiges  Mittel  Ton  iif 
welcher  merklichen  Dichte  müsste  den  mit  ausserordentlicher  Ge«li* 


1)  Hirn,  Compt.  rend.  Bd.  XCV,  S.  812  und  S.  1015. 

2)  C 1  a  u  s i  US  ,  Mechanische  Wärmetheorie.  Friedrich  Vieweg  u.  Sohn,  Braoo*'^ 
2.  Aufl.  1874,  Bd.  I,  S.  314. 

3)  Siemens,  Conserv.  of  Sol.  Energy,  S.  V7. 
*)  Siemens,  Conserv.  of  Sol.  Energy,  S.  91. 

^)  Vergl.  Faye,  Compt.  rend.  Bd.  XCV,  S.  615  und  Hirn,  Compt. reni  Bi^^ 
S.  812  und  S,  1195. 


15.    JJie  trnaltung  der  Sonnenenergie.  837 

Li^keit  in  ihren  Bahnen  sich  bewegenden  Weltkörpern  einen  Beibungs- 
viderstand  entgegenstellen;  dieser  würde  bewirken,  dass  die  Bahnen  der 
limmelskörper  nicht  mehr  Ellipsen  blieben,  sondern  dass  sich  Planeten 
ind  Kometen  in  spiraligen  Curven  und  mit  wachsender  Geschwindigkeit 
nelir  und  mehr  der  Sonne  näherten.  Unzweifelhaft  könnten  derartige 
^Veränderungen  nicht  unbemerkt  bleiben,  da  beispielsweise  die  Umlaufs- 
seit  unserer  Erde  um  die  Sonne  mit  solcher  Genauigkeit  bestimmt  ist, 
laBs  ein  Unterschied  von  +  90  Secunden  auf  den  Zeitraum  von  3000  Jah- 
ren bereits  die  durch  die  Beobachtungsfehler  bedingte  Grenze  überschrei- 
ben würde.    Hirn  behauptet,   dass  schon   1  kg  Masse  in  700  Millionen 

Gnbikmetern,  also  eine  Dichte,  welche  gleich  r-r^  von  der  ist,  welche  die 

Luft  bei  Atmosphärendruck  besitzt,  in  Veränderungen  der  Umlaufszeiten 
eich  merklich  machen  müsste.  Eine  derartige  Verdünnung  würde  aber 
viel  geringeren  Dichten  entsprechen,  als  die  sind,  welche  wir  mit  den 
besten  Luftpumpen  in  sogenannten  Vacuumröhren  zu  erreichen  im  Stande 
sind.  Auch  behauptet  Hirn^)  weiter,  dass  selbst  so  geringfügige  Dich- 
ten der  Masse  in  dem  bisher  für  leer  gehaltenen  Welträume  genügen 
würden,  jede  Atmosphäre  von  den  Planeten  hinwegzufegen.  Siemens 
wendet  zwar  hiergegen  ein,  dass  selbst  eine  so  ausserordentlich  geringe 
Dichte  für  seine  Hypothese  ausreichen  würde,  und  dass  es  falsch  sei,  den 
Keibungs widerstand,  welchen  ein  Körper  von  der  Grösse  und  Bewegungs- 
geschwindigkeit eines  Planeten  in  einem  unbegrenzten  Mittel  von  ausser- 
ordentlich geringer  Dichte  erfahre,  nach  den  Formeln  zu  berechnen,  nach . 
welchen  die  Geschwindigkeitsverluste  von  Geschossen  in  der  Atmosphäre 
dargestellt  werden  können.  Er  stützt  sich  hierbei  auf  die  Theorie  der 
Stromlinien  von  Fronde  und  auf  Versuche,  welche  die  Ingenieure  Fow- 
1er  und  Baker ^  angestellt  haben. 

Besonders  wichtig  erscheint  es,  dass  schon  im  Jahre  1863,  also  lange 
vor  der  Aufstellung  der  Siemens'  sehen  Hypothese,  die  grösste  Autorität 
auf  diesem  Gebiete,  Hansen'),  den  Widerstand  der  im  Welträume  ver- 
breiteten Materie  für  eine  der  Ursachen  der  Säcularänderung  der  mittle- 
ren Länge  des  Mondes  angesehen  hat.  Er  weist  darauf  hin ,  dass  der 
Laplace'sche^)  Beweis  für  die  Unveränderlichkeit  der  Bewegungen  in 
unserem  Planetensysteme,  auf  welchen  sich  Hirn's  Einwurf  stützt,  nicht 
richtig  sein  könne,  denn  der  von  Laplace  aus  dieser  Annahme  berech- 
nete Werth  des  Coefficienten  der  Säcularänderungen  der  mittleren  Länge 


*)  Hirn,  Compt.  reod.  Bd.  XCV,  S.  1197. 

^)  Vergl.  Conserr.  of  Solar  Energy  S.  61.  Neben  einander  aufgestellte  Anemometer, 
von  welchen  das  eine  Platten  von  27  qm,  ein  anderes  solche  von  0,18  qm  besass,  er- 
gaben Winddrucke  von  35  resp.  65  kg  pro  qm  und  nicht,  wie  man  nach  den  bisherigen 
Theorien  annehmen  sollte,  gleiche  Werthe. 

8)  Hansen,   Ber.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wissensch.,  Math.-Phys.  Classe  Bd.  XV,  S.  1. 

*)  Laplace,  M6canique  Celeste,  Tome  II,  S.  347,  Tome  III,  S.  17«,  Tome  V, 
S.  72  u.  S.  361. 


des  Mondes  zeige  für  die  alten  FiDsternisse  nicht  die  wünscheDswertli 
VebereioBtimmung  (vergleicbe   auub  den  SchlusB  des  näcbsteD  C«[utdi| 

Von  anderer  Seite*)  ist  eingewendet  worden,  dam,  wenn  ancli  4 
Centrifugalkraft  an  der  Oberfläche  der  Sonne  betr&cbUich  grösser  ist,  ij 
die  an  der  Erdoberfläche,  doch  andererBeita  die  AcceleratioQ  der  Sehn 
an  der  Sonnen  Oberfläche  27,625  mal  so  gross  ist,  als  die  am  Aeqnator  i 
Erdoberfläche-,  dasa  somit  die  Rotation  der  Sonne  nm  ihre  Axe  eine  il 
schleuderaog  von  Masse  am  Aequator  nnd  ein  Einsangen  von  dergteidi 
am  Pole  nicht  hervorbringen  könne. 

Wäre  dies  jedoch  der  Fall,  so  inÜBsten  ancb  in  der  Atmospliii 
welche  nnseren  Planeten  nmgiebt,  heftige  aufsteigende  Winde  zu  bddi 
Seifen  des  Aequators  in  der  tropischen  Zone  nnd  kr&ftige  niederBteignt 
Lnftströinnngen  in  den  arctischen  Regionen  wahrnehmbar  sein. 

Hiergegen  hat  Siemens*)  nicht  mit  Unrecht  eingewendet,  daai 
nicht  anf  die  absolute  Grösse  der  von  der  Sonne  ansge&bten  Annebug 
sondern  nur  darauf  ankomme,  dass  eine  Differenz  zwischen  der  am  Aeqm 
tor  durch  die  Centrifugalkraft  verminderten  und  der  am  Pole  angeachvidq 
wirkenden  Anziehungskraft  bestehe.  | 

Betrachtet  man  zwei  gleich  groese  Massen  mp  nnd  »•„,  tod  weldn 
sich  die  erste  am  Pole,  die  andere  am  Aequator,  beide  im  Abstaade  R  ra 
Sonnenmittelpunkte,  befindet,  so  wird  die  von  der  Sonne  auf  beide  Vw- 
sen  ausgeübte  Anziehungskraft  gleich  gross  und  zwar,  wenn  wir  miif 
die  Acceleration  der  Massenanziehung  bezeichnen,  gleich : 

sein.  Auf  die  Masse  n>a  wirkt  nun  aber  noch  eine  zweite  Kraft,  nämlÄ 
die  Centrifugalkraft,  und  diese  ist,  wenn  v  die  Geschwindigkeit  beicxi- 
net,  mit  der  sich  m„  bewegt,  gleich: 


Diese  Kraft  ist  der  Anziehung  entgegengesetzt  gerichtet  Darana  ergieb; 
eich,  dass  schliesslich  die  aaf  beide  Massen  wirkenden  Kräfte  oicbt  ndr 
gleich,  sondern: 

g.Wp  g.ffl.  ffl„.c'  ^ 

S*     -^     R^  R •' 

ist.    Das  zweite  Glied  der  rechten  Seite  ist  nur  von  dem  Betragt 

des  ersten.  lo  Folge  dieses  Unterschiedes,  behauptet  Siemens,  mütib 
am  Pole  eine  Einströmung  (polar  inflow)  und   am  Aeqnator   eine  Ak- 

strömUDir  ('aeanatorial  nnl.flnw'l  ntAtfRnHnn. 


B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie.  839 

Wenn  man  eine  grössere  Kugel  (z.  B.  einen  Globus)  mit  einem  Drahte 
an  die  Axe  eines  Kotationsapparates  anhängt  und  in  rasche  Umdrehun- 
gen versetzt ,  so  wird  die  den  rotirenden  Globus  umgebende  Luft  in  der 
That  in  der  Richtung  der  Botationsaxe  angesaugt  und  in  einem  ziemlich 
schmalen  Streifen  am  Aequator  abgeschleudert.  Diese  Bewegung  der 
Luft  erkennt  man  leicht,  wenn  man  das  Experiment  in  einem  mit  Bauch 
erfüllten  Zimmer  anstellt  und  die  Contouren  der  rotirenden  Kugel  in  dem 
sonst  massig  erhellten  Baume  durch  ein  breites  Bündel  heller  Lichtstrah- 
len erleuchtet. 

Eine  wesentliche  Bestätigung  glaubte  Siemens^)  auch  in  den  Be- 
obachtungen über  die  eigenartige  Ausdehnung  der  Corona  erblicken  zu 
dürfen,  welche  bei  den  letzten  Sonnenfinsternissen  wiederholt  wahrgenom- 
men worden  ist. 

Bei  totalen  Sonnenfinsternissen  erblickt  man  nämlich  neben  dem 
dunklen  Mondrande  nach  allen  Seiten  Strahlen  eines  perlenglänzenden 
Lichtes»  welches  in  unmittelbarer  Nähe  des  Randes  von  blendender  Hellig- 
keit ist,  ohne  jedoch  die  Helligkeit  der  rothen  Protuberanzen  ganz  zu  er- 
reichen. Während  die  innere  Corona  nur  einen  Ring  -  von  ungefähr 
vier  Bogenmiuuten  Breite  bildet,  erstrecken  sich  Strahlen  der  äusseren 
Corona  oft  bis  auf  eine  Entfernung  von  mehreren  Graden  vom  Sonnen- 
rande. Zumeist  besteht  die  äussere  Corona  aus  zwei  auf  einander  senk- 
rechten breiten  Strahlenbündeln,  deren  Richtungen  nahezu  mit  der  des 
Aequators  und  der  Axe  der  Sonne  zusammenfallen.  Wäre  die  Richtung 
dieser  Coronastrahlen  genau  die  des  Aequators  und  der  Axe  der  Sonne, 
so  würde  man  mit  Siemens  berechtigt  sein,  in  diesen  Strahlen  Ströme 
von  an  den  Polen  eingesaugten  und  am  Aequator  abgeschleudf^rten  Mas- 
sen zu  erkennen.  Man  würde  hierzu  um  so  mehr  berechtigt  erscheinen, 
als  die  Corona  nicht  nur  das  Spectrum  eines  selbstleuchtenden  glühenden 
Gases  zeigt,  sondern  ihr  Licht  auch  deutliche  Spuren  einer  Polarisation 
erkennen  lässt,  woraus  man  sohliessen  muss,  dass  ein  Theil  ihres  Lichtes 
reflectirtes  Sonnenlicht  ist.  Leider  zeigt  jedoch  eine  genaue  Betrachtung 
der  bei  den  letzten  grossen  Sonnenfinsternissen  beobachteten  Coronastreifen 
eine  nicht  unerhebliche  Abweichung  von  der  äquatorialen  und  der  dazu 
senkrechten  Richtung  ^),  so  dass  mau  meiner  Ansicht  nach  nicht  berechtigt 
ist,  diese  streifenförmigen  Vergrösserungen  der  Corona  mit  den  Sie  mens' - 
sehen  Aus-  und  Einströmungen  zu  identificiren. 


^)  Siemens,  Conscrv.  of  Solar  Energy,  S.  17. 

^)  Vergl.  Ranyard's   Zeichuuogen    in  Mem.    of  the    Britt.  Koy.    Aötronom.   Soc. 

Bd.  XLI,  ferner:  Report  and  Observations  upon  the  Total  Eclipse  of  the  Sun,  July  29. 

1878  in  Annual  Report   of  the  Chief  Signal  Officer.  Jahrg.  1881.  Washington,  S.  800. 


840       IV.    Anwendungea  auf  Meteorologie  u.  Astronomie. 


13.  Elektrische  Vorgänge,  welche  für  die  Siemens'sclie 

Hypothese  sprechen. 

Werner  Siemens^)  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Ai- 
nahme,  die  Sonne  hesitze  eine  elektrische  Fernewirkung  (ein-  elektriscki 
Potential)  nur  dann  zulässig  ist,  wenn  man  voraussetzt,  dass  nicht  nr 
unausgesetzt  auf  der  Sonnenoberfläche  Scheidungaprocesse  der  bdda 
Elektricitäten  stattfinden,  sondern  dass  die  eine  der  beiden  EUektricititei 
durch  einen  Vorgang  nach  aussen  abgeführt  wird,  während  die  andere 
Elektricität  in  der  Sonnenmasse  zurückbleibt.  Dass  bei  den.  fortdanenl 
mit  ausserordentlicher  Stärke  in  der  Sonnenatmosphäre  sich  YollzieheDdei 
chemischen  Processen  grosse  Mengen  von  Elektricität  entwickelt  werda 
müssen,  kann  bei  dem  nahen  und  ursächlichen  Zusammenhange  zwiBeha 
chemischer  Thätigkeit  und  Elektricitätsentwickelung  wohl  kaum  bezweifeä 
werden.  Bekanntlich  werden  aber  immer  gleiche  Mengen  beider  Buk- 
tricitätsarten  gebildet.  Wäre  keine  isolirende  Zwischenschicht  yorhuidei. 
wären  also  alle  Theile  der  Sonne  elektrische  Leiter ,  so  würden  die  ebei 
getrennten  Elektricitäten  sich  sofort  unter  Wärmeentwickelung  wieder 
yereinigen.  Nun  kann  man  sich  zwar  sehr  wohl  denken,  dass  diejenigi 
Schicht  der  Sonne,  in  welcher  sich  die  chemischen  Processe  hanptsachbd 
abspielen,  eine  dauernde  Trennung  beider  Elektricitätsarten  beviiit, 
derart,  dass  die  eine  Elektricitätsart  nach  der  dem  Sonnenmittelpiiiikie 
zugewendeten  Seite,  die  andere  nach  aussen  getrieben  würde.  Auch  dasi 
aber  würde  eine  elektrische  Femwirkung  nicht  möglich  sein,  ebensowemf 
wie  eine  geladene  Leydener  Flasche  eine  solche  ausübt. 

Nur  wenn  die  in  den  äusseren  Schichten  vorhandene  Elektricitätiait 
dadurch  abgeführt  wird,  dass  die  mit  einer  Art  Elektricität  geladesa 
Massentheilchen  in  einer  ähnlichen  Weise  von  der  Sonne  entfernt  werdet, 
wie  dies  William  Siemens  in  seiner  Hypothese  voraussetzt ,  ist  ea 
Ueberwiegen  der  einen  der  beiden  Elektricitäten  über  die  andere  auf  der 
Sonne ,  und  dadurch  eine  elektrische  Femwirkung  der  Sonne ,  ein  elek- 
trisches Potential  derselben,  möglich. 

Die  Annahme  eines  elektrischen  Potentials  der  Sonne  gestattet  aber 
eine  Menge  von  eigenthümlichen  Naturerscheinungen  zu  begreifen,  welebe 
bisher  vollständig  unverständlich  waren;  deshalb  haben  von  jeher  ebe 
grosse  Zahl  hervorragender  Naturforscher  die  Existenz  eines  elektrischei 
Sonnenpotentials  vorausgesetzt ').    Diese  Naturerscheinungen  sind  enteD« 

^)  Werner  Siemens,  Ueber  die  Zulässigkeit  der  Annahme  eines  elekthscbn 
Sonnenpotentials  und  dessen  Bedeutung  zur  Erklärung  terrestrischer  Phänomene  (l9A^\ 
Wiedem.  Ann.  Bd.  20,  S.  108. 

^)  Wir  nennen  hier  blos  Olbers,  J.  Herschel,  Lamont,  Secchi,  ZolUt'< 
Näheres  findet  man  in  Zolin  er,  Ueber  die  Natur  der  Kometen,  Leipzig,  Engelmaon  29^' 


B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie.  841 

die  Lnftelektricität  und  die  damit  zusammenhängende  Erklärung  der 
Gewitter,  ferner  die  Nordlichter  und  Südlichter,  deren  genaues  Zusammen- 
fallen mit  Störungen  des  magnetischen  Zustandes  unserer  Erde,  die 
magnetischen  Vorgänge  auf  der  Erde  üherhaupt  und  das  genaue  Ueberein» 
stimmen  der  elfjährigen  Periode  der  Häufigkeit  der  Sonnenflecken  mit 
der  Häufigkeit  der  Polarlichter.  Leider  gestattet  der  begrenzte  Raum 
dieses  Buches  nicht  näher  auf  diese  hochinteressanten  Beziehungen  ein- 
zugehen; wir  verweisen  deshalb  auf  den  ausserordentlich  reichen  Inhalt 
der  Originalabhandlung. 

Werner  Siemens  scheint  ebenfalls  das  Gewicht  der  Gründe  an- 
zuerkennen, welche  von  Seiten  der  Astronomen  gegen  die  Anwesenheit 
eines  widerstehenden  Mittels  im  Welträume  Yorgebracht  worden  sind. 
Da  er  jedoch  in  der  Annahme  eines  elektrischen  Potentiales  der  Sonne 
einen  so  ausserordentlich  brauchbaren  Erklärungsgrund  für  viele  sonst 
unverständliche  Naturerscheinungen  und  deren  Zusammenhang  gefunden 
hat,  und  die  Annahme  einer  elektrischen  Fern  Wirkung  der  Sonne  nur 
zulässig  erscheint,  wenn  man  die  Convectionstheorie  seines  Bruders  accep- 
tirt,  so  hält  er  es,  wie  vor  ihm  schon  Olbers^),  für  wahrscheinlich,  dass 
jede  Molekel  der  im  Welträume  vertheilten  Massen,  den  Eepp  1er 'sehen 
Regeln  folgend,  sich  wie  ein  kleiner  Planet  um  die  Sonne  bewegt.  Dann 
würde  das  im  Welträume  befindliche  Medium  der  Bewegung  der  Planeten 
einen  Reibungswiderstand  nicht  entgegensetzen.  Freilich  müsste  sich 
iann  dieser  Reibungswiderstand  bei  solchen  Kometen  doppelt  fühlbar 
machen,  deren  Bahn  oder  Bewegungsrichtung  erheblich  von  der  des  wider- 
stehenden Mittels  abweicht^). 

Bei  der  Axendrehung  der  Planeten  und  bei  der  Bewegung  der  Satel- 
liten um  die  Planeten  müsste  sich  jedoch  dieser  Reibungs  widerst  and  eben- 
falls bemerklioh  machen.  Man  könnte  als  Bestätigung  anführen,  dass 
s.  B.  beim  Monde  eine  Atmosphäre  kaum  wahrnehmbar  ist,  dass  dieselbe 
>i8  auf  einen  kleinen  Rest  von  dem  widerstehenden  Mittel  weggefegt 
KTorden  ist^),  und  dass  der  grösste  Kenner  der  Mondbewegung,  Hansen^), 
iine  geringfügige  Verzögerung  des  Mondes  nicht  für  ausgeschlossen  hält. 


^)  Olbers,  Bode's  Astronom.  Jahrb.  f.  1826,  S.  110. 

^)  Die  Untersachangen  darüber,  ob  der  Encke'sche  Komet  sich  in  spiraliger  Bahn 
er  Sonne  nähert,  wie  vielfach  behauptet  wird,  sind  noch  nicht  deßnitiv  abgeschlossen. 
!benso  wenig  ist  sicher  nachgewiesen,  dass  die  eigenthämlichen  Störungen,  welche  in 
er  Bewegung  dieses  and  anderer  Kometen  beobachtet  worden  sind,  nur  durch  den  Ein- 
iass  eines  im  Welträume  vorhandenen  widerstehenden  Mittels  erklärt  werden  können. 
>rgleiche  die  Inauguraldissert.  von  Rebeur-Paschwitz,  Ueber  die  Bewegung  der 
[ometen  im  widerstehenden  Mittel,  und  Backlund,  Astronom.  Nachr.  Nr.  2539. 

^)  Vergleiche  über  die  Mondatmosphäre  auch  die  Betrachtungen  im  Schlusskapitei 
IV.  Bd.,  10)  dieses  Abschnittes. 

^)  Einige  Bemerkungen  über  die  Säcularänderung  der  mittleren  Länge  des  Mondes. 
Berichte  der  K.  S.  Gesellsch.  der  Wissensch.  1863,  Math.-Phys.  Cl.  Bd.  XV,  S.  1. 


§42      IV,    Anwendungen  auf  Meteorologie  u.  Astronomie. 


14*  Sohlussbetraohtung  über  die  Siemens'sohe  Hypotliesa 

Obgleich  die  Siemens^  sehe  Hypothese  den  grossen  Vorzu§^  besiixt 
dass  sie  eine  Menge  von  Eigenscbaften  der  Sonne  und  die  Abh&ngigk«t 
gewisser  Naturerscheinungen  von  derselben  yerst&ndlich  macht,  so  lisst 
sich  andererseits  doch  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  sie  bis  jetzt  noch  nickt 
alle  bekannten  Eigenschaften  befriedigend  erklärt  hat.  Im  Liebte  eii» 
richtigen,  vollständigen  Theorie  aber  mQssten  alle  Erscheinon^en  md 
Beziehungen  ohne  Ausnahme  verständlich  erscheinen. 

Zwar  hat  William  Siemens  mit  fast  jagendlicher  Lebbaftigkext 
und  wirklich  ritterlichem  Anstände  seine  Hypothese  nicht  ohne  GIfiek 
gegen  alle  Einwendungen  vertheidigt,  immerhin  aber  giebt  es,  "«renn  mu 
diese  geistvolle /Theorie  ohne  Voreingenommenheit  einer  gewissenhaft^! 
Prüfang  unterzieht,  noch  erhebliche  principielle  Bedenken  zu  beseitigec 
ehe  man  sich  zu  ihrer  rückhaltlosen  Annahme  entschliessen  könnte. 

Zunächst  scheint  es  mir  ein  erheblicher  Einwand  zu  sein,  dass  n«^ 
der  Sie  mens' sehen  Hypothese  doch  immerhin  ein  Theil  der  Energif 
der  Sonne  verloren  gehen  wQrde,  nämlich  der,  welcher  nicht  von  dem  dei 
Weltraum  erfüllenden  Mittel  absorbirt  würde.  Gerade  darin  aber  sehies 
doch  ein  wesentlicher  Vortheil  der  Sie  mens' sehen  Theorie  zn  liegen, 
dass  sie  nicht  bloss  einen  Ersatz  für  thatsächlich  verlorengehende  £nei|nc 
bot,  sondern  dass  sie  zeigte,  wie  es  möglich  sei,  dass  die  aus^^egebeac 
Energie  unausgesetzt  zurückgewonnen  werde. 

Auch  die  Versuche,  durch  welche  Siemens  die  Dissociation  voi 
Wasserdampf,  Kohlensäure  etc.  durch  Sonnenlicht  für  bewiesen  bält^  siod 
nicht  einwnrfsfrei.  Zweifellos  verhalten  sich  die  Molekeln  unter  demEiB- 
flusse  starker  elektrischer  Potentiale,  wie  man  dieselben  in  VacuumröhreB 
anwendet,  wesentlich  anders  als  im  Weltranme.  Auch  ist  es  eine  bekanvt^ 
Thatsache,  dass  alle  Yacuumröhren  nach  einiger  Zeit  den  elektrischea 
Entladungen  wieder  den  Durchgang  gestatten  ^)  und  zumeist  ein  Wasser» 
stoffspectrum  geben,  vermuthllch  deshalb,  weil  an  der  Glasoberfläche 
haftende  oder  im  Glase  oder  in  dem  Metall  der  Elektroden  occlndirte 
Gasmolecüle  nach  und  nach  in  den  gut  ausgepumpten  Raum  eintreten. 

Femer  müssten  meiner  Ansicht  nach,  wenn  die  von  Siemens  ver- 
muthete  Dissociation  im  Welträume  stattfände,  doch  mindestens  die  ober^ 
sten  uns  zugänglichen  Schichten  der  Atmosphäre  Spuren  von  Wasserttof 
oder  mindestens  von  Kohlenwasserstoffen  und  von  Kohlenoxyd  wahr- 
nehmen lassen.  Denn,  wenn  man  auch  zugeben  könnte,  dass  das  auswr- 
ordentlich  dünne  Wasserstoffgas  erst  jenseits  der  für  uns  bei  Loflfahitea 


^)PiazzySmyth,   Od  ihe  gaseoas  spectra  in  vacuum  tubes.     Edioborgh  TrAB»- 
»ct.  Bd.  XXX,  S.  93. 


B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie.  843 

erreichbaren  Höhen  in  merklichen  Mengen  auftreten  könnte,  so  müssten 
doch  Stoffe  wie  Sumpfgas,  Kohlenoxyd,  Aethylen,  deren  Dichten  0,568, 
0,969  und  0,978 ,  also  nicht  erheblich  von  der  Dichte  1  der  Luft  ver- 
schieden sind,  in  merklichen  Quantitäten  auftreten.  Niemals  aber  sind 
bei  der  Analyse  von  Luftproben,  welche  beträchtlichen  Höhen  entnommen 
waren,  auch  nur  Spuren  dieser  Gase  gefunden  worden.  Ein  anderes  ge- 
wichtiges Bedenken  aber  liegt  in  der  Frage ,  warum  denn  die  den  Welt- 
raum jetzt  erfüllende  Masse  nicht  an  dem  Ballungsacte  mit  tbeil  genommen 
habe,  durch  welchen  nach  der  Kant-Laplace' sehen  Hypothese  die 
Sonne  und  unser  Sonnensystem  aus  einem  Urnebel  entstanden  ist. 

Auch  würde,  selbst  wenn  wir  eine  ganz  ausserordentliche  Verdünnung 
der  kosmischen  Materie  annehmen,  die  Gesammtmasse  derselben  doch 
eine  Grösse  besitzen,  welche  die  Sonnenmasse  nicht  unerheblich  überträfe ; 
alsdann  müsste  aber  die  Graviti^tionswirkung  dieser  Masse  einen  Einfluss 
auf  die  Bewegung  der  Himmelskörper  ausüben ;  von  einem  solchen  ist  aber 
bis  jetzt  nichts  bemerkt  worden  ^).  Existirte  aber  für  dieses  interstellare 
Medium  kein  Gravitationscentrum,  so  müsste  sich  die  gasartige  Masse  in 
den  unendlichen  Baum  des  ganzen  Weltsystems  allmählich  zerstreuen  3). 


16.    Die  XJntersucliiingen  von  Ritter. 

Bitter  3)  hat  nachgewiesen,  dass  die  Existenz  gasförmiger  Weltkör- 
per mit  den  Gesetzen  der  Mechanik  nicht  in  Widerspruch  steht  ^).  Die 
Dichtigkeit  und  die  absolute  Temperatur  derselben  würde  im  Centrum 
alsdann  sehr  hoch,  an  der  Oberfläche  von  Null  nicht  wesentlich  ver- 
schieden sein.  Die  Temperatur-  und  Massenvertheilung  würde,  sofern 
man  voraussetzt,  dass  das  Gay-Lussac'sche  und  Mariotte'sche  Ge- 
setz für  alle  Temperaturen  und  Drucke  gültig  bliebe,  eine  sogenannte 
adiabatische  sein. 


^)  Oder  sollte  vielleicht  die  bekannte  Eigenbewegung  des  gesammten  Sonnensystems 
im  Welträume,  welche  jetzt  nach  einem  Punkte  im  Sternbilde  des  Herkules  (259^  30' 
Rectascension  und  32^  nördl.  Declination)  gerichtet  ist,  von  einer  Bewegung  um  dieses 
noch  unbekannte  Attractionscentrum  herrühren? 

*)  Vcrgl.  Zöllner,  Die  Natur  der  Kometen,  2.  Aufl.,  S.91  und  Poisson,  Theorie 
mathem.  de  chaleur,  Supplem.  S.  21 ;  vergl.  auch  Ritter,  Wiedem.  Ann.  Bd.  XI,  S.  344. 

^)  Anwendungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  kosmologische  Probleme. 
Hannover,  Rümpler,  1879.  Fortsetzung  in  verschiedenen  Abhandlungen  in  Wiedem.  Ann. 
Bd.  X,  S.  130;  Bd.  XI,  S.  332;  Bd.  XI,  S.  978;  Bd.  XU,  S.  445;  Bd.  XIII,  S.  360; 
Bd.  XIV,  S.  16;  Bd.  XVI,  S.  166;  Bd.  XVII,  S.  322;  Bd.  XVIII,  S.  488;  Bd.  XX, 
S.  137  u.  S.  897.  Ebenso  vergl.  Ritter,  Untersuchungen  über  die  Constitution  gas- 
tormiger  Weltkörper,  Exner's  Repertorium  der  Physik,  Bd.  XX,  S.  379. 

^)  Schon  im  Jahre  1864  hat  Secchi  die  Vermuthung  ausgesprochen,  dass  die 
Sonnenmasse  sich  in  gasförmigem  Aggregatzustande  befinde.  Im  folgenden  Jahre  hat 
iich  auch  Faye  dieser  Hypothese  angeschlossen. 


844       IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  u.  Astronomie. 

Adiabatifich  ist  der  Zustand  einer  der  Gravitation  nnterwcffÜBDeo 
Gasmasse  dann,  wenn  Temperatur  und  Dichte  mit  dem  Abstände  von  den 
Gravitationscentrum  sich  genau  nach  dem  Gesetze  ändern,  nach  welchen 
Temperatur  und  Dichte  einer  aufsteigenden  oder  absteigenden  Gasmasse 
sich  ändern  würden,  wenn  ihr  bei  dieser  Ortsveränderung  weder  Wime 
Ton  aussen  zugeführt  noch  entzogen  wird. 

Für  eine  solche  Gaskugel  findet  Ritter  das  Gesetz,  dass  die  Mittel- 
punktstemperatur dem  Halbmesser  der  Kugel  umgekehrt  proportioDtl  ü 
dass  also  die  Kugel ,  je  mehr  sie  sich  zusammenzieht ,  um  so  mehr  adt 
erwärmt. 

Da  jede  Wärmeentziehung,  z.  B.  Wärmeverluste  durch  Ausstrahlosg. 
eine  Volumyerminderung  nach  sich  ziehen  würde,  so  ergiebt  sich  t« 
dem  vorigen  Satze  die  Folgerung,  dass  die  specifische  Wärme  eioer 
frei  im  Weltraum  schwebenden  Gaskugel  negativ  ist  ^).  Bei  der  dmek 
Wärmeverluste  hervorgebrachten  Contraction  verrichten  die  GravitatM» 
kräfte,  wie  bereits  früher  erwähnt,  eine  positive  Arbeit,  welche  eichst 
gleich  in  Wärme  umsetzt.  Der  eine  Theil  (18,7  Proc.)  der  auf  die« 
Weise  erzeugten  Wärme  dient  bei  einer  im  adiabatischen  Gleichgewichti 
befindlichen  Gaskugel  zum  Ersätze  der  durch  Strahlung  nach  tofls 
abgegebenen  Wärme,  während  der  bei  W^eitem  grossere  Theil  (81,3  Pro&i 
zur  Temperaturerhöhung  verwendet  wird.  Selbstverständlich  gelten  diev 
Folgerungen  nur,  wenn  durch  die  Strahlung  und  Contraction  der  Gif 
kugel  die  adiabatische  Temperatur-  und  Massenvertheilung  nicht  ge- 
ändert wird  und  das  Gas  streng  dem  Gay-Lussac-Mariotte'sdxn 
Gesetze  genügt,  also  n  den  Werth  1,41  hat.  Wenn  es  erlaubt  w&re,  die 
Sonne  als  eine  aus  einem  vollkommenen  Gase  bestehende  Kugel  aon- 
sehen,  welche  sich  im  adiabatischen  Gleichgewichtszustände  beftode, « 
würde  daraus  folgen,  dass  trotz  des  ausserordentlich  grossen  Energie' 
Verlustes,  welchen  die  Sonne  durch  Strahlung  fortwährend  erfihrt,  die 
Temperatur  im  Innern  der  Sonne  nicht  ab-,  sondern  unausgesetzt  bqiubb^ 

Da  nach  Violle  im  Laufe  eines  Jahres  durchschnittlich  jedes  Kik' 
gramm  der  Sonnenmasse  beinahe  2  Wärmeeinheiten  verliert,  so  wirdi 
der  Sonnenhalbmesser  jährlich  ungefähr  um  130  m  abnehmen.  Die  Mittel* 
punktstemperatur  der  Sonne  würde  alsdann,  wenn  man  sie  sich  auBreJueii 
Wasserstoff  zusammengesetzt  denkt,  31  Millionen  Grade  betragen,  und  diese 
Temperatur  würde  jährlich  um  4,2<>  wachsen.  Nach  dieser  soeben  elt- 
wickelten Theorie  würde  somit  die  Temperatur  der  Sonne  mit  derZdt 
nicht  abnehmen,  sondern  im  Wachsen  begriffen  sein,  mögUcherweiae  würde 
alsdann  auch  die  der  Erde  zugestrahlte  Wärme  sich  stetig  vermehren. 

Eine  solche  in  einen  kalten  Weltraum  Wärme  ausstrahlende  Gm- 
kugel  würde  alsdann  in  unendlich  ferner  Zeit,  wenn  dies  möglieh  wiit 
während  ihre  Temperatur  ins  Unendliche  zunähme,  auf  ein  nneodlkk 
kleines  Volumen  zusammenschrumpfen. 


^)  Auch  Lane  war  schon  früher  (1870)  zu  demselben  BesulUte  gekonunen. 


B.    Die  Erhaltung  der  Sonüenönörgie.  845 

Bei  einer  Contraction  der  Oaskugel  auf  —  ihres  Durchmessers  wächst 

n 

die  Temperatur  an  jeder  Stelle  auf  den  n fachen  Betrag,  die  strahlende 

Oberfläche  aber  vermindert  sich  auf  -^  des  früheren  Werthes.    Da  wir 

durchaus  noch  nicht  sicher  wissen,  in  welchem  Maasse  die  Ausstrahlung 
mit  der  Temperatur  wächst,  können  wir  auch  nicht  angeben,  ob  die  aus- 
grestrahlte  Wärmemenge  in  Folge  der  Contraction  zu-  oder  abnimmt. 
Nach  neueren  Untersuchungen  ist  es  jedoch  sehr  wahrscheinlich,  dass  sie 
zunimmt,  da  man  yoraussetzen  kann,  dass  die  Wärmestrahlung  ungefähr 
der  vierten  Pqtenz  der  absoluten  Temperatur  proportional  wächst^). 
Möglicherweise  aber  hängen  Wärmestrahlung  und  Temperatur  nach  einem 
ziemlich  complicirten  Gesetze  zusammen.  Unter  Annahme  des  Stefan' - 
sehen  Strahlungsgesetzes  und  der  äusserst  wahrscheinlichen  weiteren 
Voraussetzung,  dass  an  der  Wärmeausstrahlung  nach  aussen  nur  eine 
Terhältnissmässig  dünne  Oberflächenschicht  theil  nimmt,  folgt,  dass  die 
gesammte  jährlich  yon  der  Sonne  ausgestrahlte  Wärmemenge  gegen- 
wärtig schon  in  der  Abnahme  begriffen  ist. 


16.    Das  Verhältniss  der  inneren  Wärme  zur 

Oravltationsarbeit. 

In  einer  aus  homogenen,  concentrischen  Schichten  zusammengesetzten 
Kugel  erfährt  ein  im  Abstände  Q  vom  Eugelmittelpunkte  befindliches 
Massenelement  dM  bekanntlich  nur  von  demjenigen  Theile  der  Masse 
anziehende  Wirkungen,  welcher  sich  im  Inneren  der  mit  dem  Radius  q 
construirten  Eugelschale  befindet.  Mit  Rücksicht  hierauf  erhält  man  für 
das  Potential  Ä  der  Kugel  auf  sich  selbst,  oder  für  die  Arbeit,  welche 
geleistet  wurde,  als  die  Masse  der  Kugel  aus  unendlicher  Verdünnung  in 
ihren  jetzigen  Zustand  gebracht  wurde,  den  Ausdruck : 

Ä  =  f  x>,g.Q.dM 3) 

Hierin  ist  \)g  die  Beschleunigung,  welche  die  anziehenden  Kräfte  einem 
im  Abstände  g  vom  Mittelpunkte  befindlichen  Theilchen  im  betrachteten 
Zustande  ertheilen.  Die  Grösse  t)  wird  bestimmt  durch  die  Gleichung 
des  GrayitationBgesetzes : 

(P'9)'9  =  -Tj'-j;^ *) 

in  welcher  g  die  Acceleration  an  der  Erdoberfläche,  E  die  Erdmasse,  M 
die  innerhalb  des  Kugelradius  Q  liegende  Masse  bezeichnet. 

Wenn  man  ferner  unter  0  die  Dichte  im  Abstände  q  yorsteht,  so 


')  Stefan,  Berichte  d.  Wien.  Akademie  d.  Wissensch.    Math.  Phys,  Classe,  Bd.  79, 


846        IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  u.  Astronomie. 

erhält  man  für  das  zwischen  den  Halbmessern  Q  und  Q  -\-  dg  befindliche 

Massenelement  dM  der  Kugel  die  Gleichung: 

dM  =  4.Q^.7c,0,dQ 5» 

Setzt  man  dies  ein,  so  ergiebt  sich: 

Ar 

A  =  4«  y  0.\).g.Q^.dQ, 

0 

wenn  man  annimmt,  dass  der  Radius  der  betrachteten  Kug^el  A.r,  ak 

Amal  so  gros^  als  der  Erdradius  r  sei. 

Für  die  Druckänderung  dp,  welche  beim  Uebergange  vom  Abstand» 

Q  zum  Abstände  q  -\-  dQ  stattfindet,  erhält  man  (vergl.  IV,  A»  1,  S.  78?. 

Gl.  2) : 

dp  =  —  ®.)d.g,dQ. 

Daraus  aber  findet  man  für  0,X>.g  einen  Werth,  den  man  in  den  Air 
druck  für  Ä  einsetzen  kann.    Alsdann  nimmt  derselbe  die  Geat&lt  an: 

A=  —  An  J*  Q^.dp. 

0 

Durch  partielle  Integration  ergiebt  sich: 


Ar 


—  4«  {[p'.p]  -'s    A).ß».dß| 


0 

Berücksichtigt  man,  dass  für  q  =  kr,  d.  h.  an  der  Kageloberfläcbf 
der  Druck  p  =  0^  und  im  Mittelpunkte  der  Kugel  p  =  0  ist,  so  lallt  dt: 
Minuend  in  der  Klammer  weg,  und  man  findet  für  das  Potential  der  Gts- 
kugel  auf  sich  selbst- 

Ar 

A  =  I2,n  ,f  p.Q^.dg t, 

0 

Die  innere  Wärme   ü  der  Gaskugel  in   Arbeitsmaass  gemessen,    wurde 
aber  betragen: 

Ar 

U=J.c^.fdM.g.T 7 

0 

Hierin  bezeichnet  T  die  absolute  Temperatur  im  Abstände  Q  tos 
Mittelpunkte  der  Gaskugel. 

In  die  letzte  Formel  für  dM  setzt  man  wieder  den  Ausdruck  an: 
Gl.  5)  ein.  Unter  der  Annahme,  dass  die  Substanz  der  Kugel  ein  roll- 
kommenes  ist  und  0,g  das  Gewicht  der  Volumeneiuheit  des  Gases  im 
Abstände  Q  vom  Kugelmittelpunkte  bezeichnet,  ist  nach  dem  Gaj- 
Lussac-Mariotte'schen  Gesetze: 

&.9.T=^ S) 

Berücksichtigt  man  dies ,  so  nimmt  der  Werth  von  U  folgende  Gestalt 

an: 


B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie.  847 


Kr 

_- J".  4  Ä.c, 


I  p.Q^*dQ. 


B 

0 

Wenn  man  ferner  berücksichtigt,  dass  bei  yoUkommenen  Gasen  (vergl. 
1.  1,  III,  A,  2,  S.  236,  Gl.  2) : 


Cn    '~~    C» 


Cp 


t,  und  den  Buchstaben  x  für  —  einführt,  erhält  man  endlich: 

Ar 

U=-^^.Jp.ff*.dQ 9) 

0 

ieraus  ergiebt  sich  durch  Division  der  beiden  Gleichungen  6)  und  9): 

A  =  3.(x_  1) 10) 

5 
Bekanntlich  kann  x  für  kein  Gas  grösser  als  -r  sein,  demnach  kann 

ö 

3  in  mechanischem  Maasse  gemessene  innere  Wärme  der  Gaskugel  nie* 

A      ,  4   . 

ils  kleiner  als  -^  sein.  Wenn  x<^  -■  ist,  würde  der  obiger  Gleichung 

2  o 

(^sprechende  Gleichgewichtszustand  labil  sein,    er    könnte  also   nicht 

aernd  bestehen. 


.?•    Adiabatisoher  Qleioligrewiolitszustand  gasförmiger 

Weltkörper. 

Die  vorigen  Gleichungen  gelten  ganz  allgemein  für  jede  beliebige 
ussenyerth eilung  innerhalb  der  Kugel,  sofern  nur  immer  die  concen- 
scben  Schichten  homogen  sind.  Eine  solche  Gaskugel  kann  bei  jedem 
iebigen  Gesetze  der  Massenvertheilung  im  Gleichgewichte  sein.  Bei 
du  Gaskugeln,  in  welchen  yerticale  Strömungen  vorkommen,  wird  der 
abatisahe  Gleichgewichtszustand  immer  der  des  indifferenten  Gleich- 
^ichts  sein  und,  sofern  Abweichungen  von  diesem  Zustande  vorkommen, 
rden  alle  Gleichgewichtsstörungen  nur  dazu  beitragen,  dass  der  augeh- 
skliche  Zustand  der  Gaskugel  sich  mehr  und  mehr  einem  adiabatischen 
»icbgewichtszustande  nähert.  Man  wird  daher  den  wirklich  bestehen- 
i  Zustand  gasförmiger  Weltkörper  näherungsweise  als  einen  adiabati- 
en  betrachten  dürfen. 

Für  den  Fall,  dass  die  Massenvertheilung  in  der  Gaskugel  den 
iingungsgleichungen  des  adiabatischen  Gleichgewichts  genügt,  die 
• .  §.  15  aus  einander  gesetzt  haben ,  lässt  sich  das  Potential  der  Gas- 
a^el  auf  sich  selbst  in  folgender  Weise  berechnen. 


848        B.    Anwendungen  auf  Meteorologie  u-  Astronomie. 

Bezeichnet  wiederum  t) .  g  die  Bescbleanigung,    welche   dorek  h 
Massenanziehung  im  Abstände  Q  Tom  Mittelpunkte  ertheilt  wird,  soi 


dp  =^ '  ^.g.d^ 


V 


wenn  jp  den  Druck  und  v  das  specifische  Yolnmen  des  Gases  im  Abstii> 
Q  vom  Mittelpunkte  bezeichnet. 

Aus  der  Gleichung  des  adiabatischen  Znstandes: 


Po 
folgt  durch  Differentiation: 

dp  =|)o 


Po      \tJ 


jy-i 


li 


X 


T'^-^.dT 


oder,  wenn  man  für 


i>o 


To'^-" 


den  Werth einsetzt  und  ausreeluMt: 


J^K  — 


^        X  — 1    T 

Nach  dem  Gay-Lussac-Mariotte'schenCresetze  kann  man  b 
für  schreiben:  * 

X —  l     V 


Setzt  man  diesen  Werth  für  dp  in  die  Gleichung  1 1)  ein,  so 


sich: 


and  daraus: 


-'  —  'dT= dg 

X  —  1    r  V      ^ 


dT  =  — ?L_l.t,.(ip- 


■     •     ■     • 


x.JB 
Nach  dem  Newton*  sehen  Grayitationsgesetze  (vergl.  Gl.  4,  S.  845)  «■ 

wenn  üf  die  im  Kugelraume  vom  Halbmesser  Q  befindliche  Masse,  £  > 
Erdmasse  und  r  den  Erdradius  bezeichnet 
Ferner  ist  bekanntlich: 


_  B 


b 


somit : 


X  — 1 
x.JB 


t7".r. 


^ 


IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie.      849 

Wenn  man  diese  beiden  Aasdrücke  in  die  Gleichung  13)  einsetzt, 
BD  ergiebt  sich: 

J,Cp    Q^    E       ^ 

Schon  früher  diente  zur  Berechnung  der  in  Arbeitsmaass  gemessenen 
inneren  Wärme  die  Formel  7): 

ü  =  J.c^.J'T.g.dM. 

p-O 

In  derselben  ist  Ar  der  Radius  der  gesammten  betrachteten  Gaskugel. 

Zunächst   erhält   man  aus  vorstehender  Gleichung  durch   partielle 
Integration : 

[jg.M.rf^^  -^  fg.M.dl], 

p  =  0  To 


Ü=J.C^ 


wobei  Tq   die  Mittelpunktstemperatur  des  gasförmigen  Weltkörpers  be- 
zeichnet. 

Da  MT  sowohl  für  p  =  0,  als  auch  für  p  =  Ar  gleich  Null  wird, 
verschwindet  das  erste  Glied  in  der  Klammer.  Somit  erhält  man,  wenn 
der  oben  für  d  T  entwickelte  Ausdruck  eingesetzt  wird : 

kr 

U=—=;'  ^ ^ 15) 

0 

Durch  nochmalige  partielle  Integration  ergiebt  sich  hieraus: 

p«=«A.r 

27  = 


x.js; 


p«0 


Für  das  Potential  A  der  Gaskugel  auf  sich  selbst  hatten  wir  dio 
Gleichung  aufgestellt  (S.  845,  GL  3): 

p  SS  Ar 

-4  =    /    ü.^.  Q .dM. 

p-O 

Setzt  man  hienn  für  t)  seinen  Werth  aus  Gleichung  4)  ein: 
80  ergiebt  sich: 

p  =  Ar 

dM 


E   J  Q 


p=:0 

Damit  aber  lässt  sich  in  der  für  ü  erhaltenen  Gleichung  der  Werth 
des  Integrales  ausdrücken;  es  ist: 

Bühlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  U.  54 


Sno  B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 


/ 


%.M,dM       E.A 


Führt  man  dies  ein,  so  wird: 

^=--^+ii 16) 

Früher  hatten  wir  aber  für  das  Verhältniss  von  Ä  und  U  (S.  847, 
Gleichang  10)  den  Ausdruck  ermittelt: 

^  =  3.(x-l). 

Wenn  man  den  Ausdruck,  welcher  sich  hieraus  für  ü  ergiebt,  einftlhrt, 
erhält  man  eine  lineare  Gleichung  für  A^  ans  welcher 

^—  (5x-6).ii;.A ^^ 

berechnet  wird  i). 


18.    Folgerungen  aus  dem  gefundenen  Ausdrucke. 

Man  erkennt  leicht,  daas  die  ganze  Torstehende  Rechnung  ungeändot 
bleibt,  wenn  man  unter  x,  anstatt  des  Quotienten  der  specifischen  W&rmes. 
eine  beliebige  Zahl  versteht.  Dann  würde  aber  der  Gleicbgewichto- 
zustand  nicht  mehr  ein  adiabatischer  sein,  sondern  nur  ein  solcher,  welch« 
einer  Zustandsgieichung  des  Gases  von  der  Form: 

Po        \vj         \tJ 
genügt 

Der  Werth  x  =  oo  würde  dem  Falle  entsprechen,  daas  die  ge> 
sammte  Gasmasse,  aus  welcher  die  Kugel  besteht,  überall  gleiche  Dickte 
hätte. 

Für  X  =  -•  aber  würde  Ä  =  cd  werden.     Die  für  A  gewönnest 

Gleichung  zeigt  somit,  dass  ein  obigen  Bedingungsgleichungen  entsprechei^ 

der  Gleichgewichtszustand  nur  möglich  ist,  so  lange  x;>>  --  isL     Ab 

5 

5 

oberen  zulässigen  Werth  für  x  hat  aber  die  kinetische  Gastlieorie  ~  er^ 

geben. 

Es  ergiebt  sich  somit,  dass  wenn  x  zwischen  den  Grenz wertiben  - 

')  Vergl.  Ritter,  Wied.  Ann.  Bd.  11,  S.  341. 


IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie.        851 

4    . 
und  —  liegt,  der  adiabatiscbe  Gleichgewichtszustand  zugleich  ein  indiffe- 

renter  Gleichgewichtszustand  ist.     Liegt  jedoch   das  Yerhältniss  x  der 

.'46 
specifischen  Wärmen  zwischen  -r  und  •-,  so  ist  der  adiabatische  Gleich- 

3  5 

gewichtszustand  ein  labiler  und  kann  somit  nicht  auf  die  Daner  bestehen. 

Die  in  Arbeitsmaass  gemessene  innere  Wärme  ü  der  Gaskugel  hat 

mit  Rücksicht  auf  den  in  Gleichung  17)  für  das  Potential  Ä  gefundenen 

Werth  (vergl.  Gleichung  10)  die  Grösse: 

^^N^ljr^ ; 

53C  — 6  ^ 

Die  in  jedem  Kilogramm  Masse  enthaltene  Wärmemenge  Q  in  Galerien 
beträgt  somit: 

^      j.s 

oder: 

g  =  J.(5x-6) 1»> 

Setzt  man  hierin  die  auf  die  Sonne  bezüglichen  Werthe,  nämlich : 
N  ==  27,4  Ar  ==  688  000  000  Meter, 

30  findet  man: 

wenn  x  =  —  1,41  ■-  gesetzt  wird, 

3  ö 

für  Ö  =  66  600  000  42  300  000  19  040  000  Galerien. 

Wäre  demnach  die  Sonne  eine  im  adiabatischen  Gleichgewichts- 
zustande befindliche,  aus  einem  vollkommenen  Gase  bestehende  Engel,  so 
vvürde  der  durchschnittliche  Wärmeinhalt  jedes  Massenkilogrammes  der- 
lelben  höchstens  66,6  Millionen  Calorien  sein  nnd  müsste  mindestens 
L9  Millionen  Calorien  betragen. 


19.    Die  von  der  Sonne  nach  aussen  abgegebene 

Wärmemenge. 

Wenn  Ä  das  Potential  einer  Gaskugel  auf  sich  selbst  nnd  ü  ihren 
n  Arbeitsmaass  gemessenen  Wärmeinhalt  bezeichnet,  so  ist: 

W=\'{A  —  Ü) 20) 

lie  Wärmemenge,  welche  während  der  Contraction  der  Gaskugel  seit 
hrer  Entstehung  überhaupt  nach  aussen  abgegeben  worden  ist.  Mit 
[lücksicht  auf  die  in  den  Gleichungen  10)  und  18)  für  Ä  und  U  mit- 
l^etheiHen  Werthe  ergiebt  sich  somit: 

54* 


852  B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 

W=\4^^^^'N.X.r.S 21) 

J  5x  —  6 

Bezeichnet  man  die  auf  den  Zeitpunkt  t  =^  ^o  hezüglichen  Werthe  mit 
dem  Index  „Null*,  so  ist  nach  dem  New  tonischen  (hnvitationsgesetse: 

da  N  die  Beschleunigung  bedeutet,  welche  die  Massenanziehung  einem 
an  der  Oberfläche  der  Gaskugel  gelegenen  Theilchen  ertheilt 

Bestimmt  man  N  aus  dieser  Beziehung  und  führt  dies  in  der  vor- 
angehenden Gleichung  ein,  so  ergiebt  sich: 

Differenziirt  man  diese  Gleichung  nach  der  Zeit,  so  erhält  man  für 
die  von  dem  Himmelskörper  durchschnittlich  während  der  Zeiteinheit 
abgegebene  Wärmemenge  den  Ausdruck: 

dt  /   öx  — 6       ^       k     ^  H    dt  ^ 

Die  auf  der  linken  Seite  stehende  Grösse,  das  ist  die  in  der  Zeiteinheit 
vom  Himmelskörper  ausgestrahlte  Wärmemenge,  ist  aber  für  die  Sonne  ans 
den  Versuchen  von  Grova,  YioUe  etc.  annähernd  bekannt.    Die  Yor- 

fliehende  Gleichung  kann  daher  dazu  dienen,  die  Abnahme  -^  des  Halb- 
messers in  der  Zeiteinheit  zu  berechnen. 

Nimmt  man  an,  dass  sich  die  mit  dem  Index  „Null"  bezeichneten 
Grössen  auf  den  derzeitigen  Zustand  der  Sonne  beziehen,  so  findet  maa 
für  die  derzeitige  Abnahme  des  Sonnenhalbmessers  in  der  Zeiteinheit: 

\dtJo  3x  — 4   \dt  Jo   JVo.Ao.ro*  ' 


Führt  man  hierin  die  auf  die  Sonne  bezüglichen  Grössen  ein,  so 
giebt  sich,  sofern  die  Sonne  eine  im  adiabatischen  Gleichgewichtszastaade 
befindliche  und  aus  einem  vollkommenen  Gase  bestehende  Kugel  ist, 

5 

wenn  x        =1,41  ^^  T  ^*» 

o 

für  ( -^^  =  141  Meter        72  Meter. 


V  dt  )- 


Demnach  müsste,  sofern  die  der  Entwickelung  zu  Grunde  liegenden 
Voraussetzungen  erf&llt  wären,  der  Sonnenradius  jährlich  mindestens  am 
72  Meter  abnehmen  ^). 


1)  Vergl.  Ritter,  Wied.  Ann.,  Bd.  20,  S.  143. 


20.    Weitere  SoMüsse  über  den  derzeitigen  Zustand 

der  Sonne. 

Späterhin  hat  Ritter^)  darauf  aufmerksam  gemacht,  dasB  die  An- 
lahme  angemessener  isei,  es  gäbe  für  die  Dichtigkeit  der  Sonnensabstanz 
)ine  obere  Grenze,  über  welche  hinaus  die  Dichte  nicht  mehr  zunehmen 
cann.  Daraus  würde  alsdann  folgen,  dass  die  Sonnentemperatur  während 
)iner  ersten  Periode  ihrer  Existenz  'bis  zu  einem  Maxiroalwerthe  zu- 
sehmen,  dass  aber,  nachdem  dieser  Zustand  erreicht  worden  ist,  die  Tem- 
peratur wieder  abnehmen  müsse. 

In  welchen  von  beiden  Stadien  die  Sonne  sich  jetzt  befindet,  lässt 
sich  nach  dem  im  Abschnitte  I,  Cap.  4  Mitgetheilten  zur  Zeit  nicht  be- 
itimmen. 

Ritter  macht  ferner  darauf  aufmerksam,  dass  in  Folge  der  hohen 
Temperatur,  welche  alle  Rechnungen  für  im  Inneren  der  Sonne  gelegene 
Blassen theilchen  ergeben,  es  sehr  wahrscheinlich  sei,  dass  im  Inneren  der 
Sonne  alle  Elemente  bis  zu  dem  Zustande  einatomiger  Gase  dissociirt 
sein  müssten.  Hiernach  würde  man  zu  dem  Schlüsse  geführt  werden, 
dass  das  Innere  der  Sonnenmasse  aus  einem  einatomigen  Gase  bestehe, 
welches  als  Dissociationsproduct  der  chemischen  Elemente  den  Grund- 
oder Urstoff  des  Weltalles  vorstellen  würde. 

Die  Spectralbeobachtnngen  aber  beweisen,  dass  die  Sonnensubstanz 
sich  an  der  Oberfläche  jedenfalls  in  der  Zustandsform  chemischer  Ele- 
mente, vielleicht  sogar  im  Zustande  chemischer  Verbindungen  befindet. 
Die  sichtbare,  scheinbar  sdiarf  begrenzte  Oberfläche  der  Sonne  wäre  viel- 
leicht dadurch  zu  erklären,  dass  dies  die  Grenze  sei  zwischen  dem  aus 
einatomigen  Gasen  bestehenden  Kerne  und  der  aus  zusammengesetzten 
Molekeln  bestehenden  Hülle.  Die  Gurve,  durch  welche  man  die  Dichtig- 
keit der  Sonnen masse  als  Function  des  Abstandes  vom  Mittelpunkte  dar- 
stellen könnte,  würde  an  dieser  Stelle  eine  Spitze  zeigen. 

Auch  Ritter  hält  die  Sonnenflecken  für  abwärts  gerichtete  Strömun- 
gen, durch  welche  grosse  Massen,  die  aus  complicirten  Molekeln  bestehen, 
in  grössere  Tiefen  der  Sonnenmasse  hineingeführt  werden,  während  viel- 
leicht die  Sonnenfackeln  als  diejenigen  Stellen  zu  deuten  wären,  in 
welchen  durch  aufsteigende  Strömungen  Massen  einatomiger  Substanzen 
des  Sonnenkernes  an  die  Oberfläche  geführt  würden. 

Die  Entstehung  der  Sonnenflecken  könnte  man  sich  dann,  wie  dies 
auch  Reye,  Zöllner,  Faye  gethan  haben,  in  ähnlicher  Weise  vor- 
stellen, wie  die  Entstehung  eines  Wirbelsturmes  in  der  Erdatmosphäre. 

Wenn  sich  in  der  oberen  Gegend  der  Sonnenatmosphäre  durch  Aus- 


1)  Wicd.  Ann.  Bd.  11,  S.  992. 


5     LUBllWeiBO     r  eCUlVULUUtj    lU     TI  UIILBU     VUU   HUtUUlUI  U1I((     ICBlSn 

oder  von  nebelartig  äQssigea  Körpern  eingetretea  ist '),  ao  befindeo  sich 
diese  dicbteren  Massca  in  einem  labilen  Gleicbgewichtszustaude ;  sie 
werden  in  einem  Strome  nach  dem  Sonnenmittelpunkte  binabstürsen  und 
erst  in  einiger  Tiefe  unter  der  Oberfläche  zar  Rabe  kommen.  Das  ge- 
i-ipgere  Leuchten  der  Flecken  wäre  dann  eineatbeils  in  der  geringeren 
Durcbeichtigkeit  der  condensirten  Substanz,  anderentbeile  darin  begrAndet, 
daes  diebinabstürzenden  Massen  einen  Theil  ibres  totalen  £nergieinhaJt«s 
bei  der  Qetregung  in  kinetische  Energie  ninsetzen. 

Die  VertbeiluDg  der  Sonnenflecke  und  ihre  Eigen bevegnng  erkl&rt 
Ritter  (Inrch  eine  Circulation  innerhalb  der  Sonnenmasse,  welcbe  darcb 
eine  ungleiche  Ansstrablung  veranlasst  wird.  Er  nimmt  an,  dass  die 
Planeten  nnd  die  fibrigen  die  Sonne  vorzugsweise  in  der  Aequatorialebene 
ninkreisenden  Weltkörper  in  ihrer  Gesammtheit  eine  Art  Scbirmfläcbe 
bilden,  durch  welcbe  die  Aeqaatorialscbicht  vor  Wärmestrab  long  snio 
Thcil  geschützt  wird.  Möglieberweise  ist  in  früheren  Zeiten  diese  Sckirm- 
fiäcbe  noch  wirksamer  gewesen,  als  sie  es  jetzt  ist.  In  einer  Kugel  Ton 
der  Grösse  und  Masse  der  Sonne  aber  würde  eine  vorhandene  Strömung 
noch  Millionen  von  JaLren  hiodnrch  fortbestehen  können,  nachdem  die 
Ursache,  welcbe  dieselbe  veranlasste,  bereit«  längst  sa  wirken  &afgehört 
bat,  £iue  geringere  Wärmeausstrahlnng  in  der  äquatorialen  Zone  sb«r 
würde  ein  rascheres  Sinken  der  Oberflächen  schiebt  im  PoUrgebiet«  alt 
am  Aequator  verursachen.  In  Folge  dessen  wQrde  an  der  Oberfläche 
eine  Strömung  vom  Aequator  nach  den  Polen  entstehen,  und  diese  wiedernn 
würde  im  loneren  der  Sonneumasse  eine  GegeuströmuDg  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  veranlassen. 

In  der  Aequatorialzone  würden  Sonnenflecken  nicht  zu  Stande  kom- 
men, weil  dort  der  ganze  Massencomplex,  in  welchem  der  Process,  walcbcr 
zur  Entstehung  eines  Fleckens  YeraolasHung  gicbt,  noch  vor  Beendigung 
derselben  an  die  Oberfläche  getrieben  und  von  dort  weiter  ntich  den 
Polen  hin  fortgetrieben  sein  würde.  In  den  Polargebieten  würden  Sonnen* 
flecken  nicht  entstehen,  weil  dort  der  Massencomplex ,  in  welchem  der 
Entsteh uDgsprocess  stattflndet,  noch  vor  Beendigung  desselben  in  die 
Tiefe  gesunken  und  dem  Auge  des  Beobachters  entzogen  sein  wOrde. 

In  Folge  der  Rotation  des  Sonnenkörpers  werden  die  sinkendeD  nnd 
steigenden  Massen  von  ihren  radialen  Bewegungsrichtungen  abgelenkt, 
und  auch  diese  Ursache  wörde  die  oben  erwähnte  Strömung  begOnstigeD. 

')  Hüitings  in  seiaer  lerühiüteD  Theorie  von  der  Ober«iich«it>*6cli«fftnbeil  Ort 
Sonne  );liiubl,  ilic  am  schwersten  TcrdtuiprbiirfD  SulK.tanzen,  vie  KohlenebiB',  Bor.  SLIi- 
riuin,  seien  in  festem  A|:^regatzustiinile  an  der  SanoeDobertiücbe  rorbaoden,  and  iwar  ^UalA 
er,  dass  diese  Sto0e  deu  glülieaden  (jusen  nie  eine  Art  toq  Staub  beigemcnp  'ein. 
Vercl.  Haatings,  l'rafeeilinKB  of  the  AmcricHii  Atademii  of  Arls  and  Scieoi-e«  Nui. 
1880  uiid  Sillimaa  Juura.  Bd.  20,  S.  33.  !scuerdingt  iit  aui'h  Fsje  la  iUiDli'.-btB 
ADBi;liauuDgcn  übergegangen. 


IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie.       855 

Die  verzögernde  Wirkung,  welche  von  Innen  aufsteigende,  also  mit 
geringeren  Geschwindigkeiten  rotirende  Massen  aaf  die  Oherflachenschicht 
ausüben,  muss  da  am  stärksten  sein,  wo  die  grösste  Massencirculation 
stattfindet,  also  in  den  Polargebieten,  weil  hier  die  grösste  Wärmeaus- 
strahlung Torhanden  ist.  Die  in  der  Oberflächenschicht  der  Sonne  be- 
findlichen Sonnenflecke  werden  somit  in  der  Nähe  des  Aequators  eine 
grössere  Eotationsgeschwindigkeit  besitzen,  als  in  höheren  Breiten. 

Die  Ritter'sche  Hypothese  würde  somit  im  Stande  sein,  sowohl 
das  Yertheilungsgesetz  als  auch  das  Kotationsgesetz  der  Sonnenflecken 
ungezwungen  zu  erklären  ^). 


21.    Bitter's  BetraclitxLngen  über  veränderliolie  Sterne 

und  Nebelflecken. 

Wenn  die  innere  Wärmemenge  einer  im  stabilen  Gleichgewichte  be- 
findlichen Gaskugel,  welche  wir  früher  mit  IJ  bezeichnet  haben,  durch 
irgend  eine  Ursache,  z.  B.  durch  einen  Meteoritensturz  oder  das  Zusammen- 
stossen  zweier  Gaskugeln,  plötzlich  zunähme,  so  würde  dadurch  eine  be- 
schleunigte ExpansionsbeweguDg  eintreten.  Diese  Expausionsbewegung 
würde  bei  längerem  Bestehen  eine  Abnahme  der  plötzlich  vermehrten 
inneren  Wärme  veranlassen.  Diese  Expansionsbewegung  würde  mit  ab- 
nehmender Geschwindigkeit  sich  fortsetzen,  wenn  in  Folge  der  Trägheit 
das  Volumen  überschritten  würde,  bei  welchem  für  die  vermehrte  Masse 
das  Gleichgewicht  zwischen  den  Gravitationskräften  und  der  Expansions- 
wirkung der  inneren  Wärme  erreicht  wäre. 

Wenn  schliesslich  die  Expausionsbewegung  sich  erschöpft  hätte, 
würde  die  innere  Wärme,  welche  ursprünglich  zu  gruss  war,  nunmehr 
zu  klein  geworden  sein,  die  Gravitationswirkung  würde  überwiegen  und 
das  Volumen  würde  abzunehmen  beginnen.  Diese  Contractionsbewegung 
würde  so  lange  mit  Beschleunigung  vor  sich  gehen,  bis  wieder  das 
Volumen  erreicht  wäre,  bei  welchem  die  vermehrte  Masse  sich  abermals  in 
stabilem  Gleichgewichte  befände.  In  Folge  der  Trägheit  aber  würde  mit 
abnehmender  Geschwindigkeit  die  Contractionsbewegung  sich  fortsetzen, 
und  wenn  dieselbe  schliesslich  erloschen  wäre,  würde  wiederum  die  innere 
Wärme  zu  gross  sein  und  eine  erneute  Expansion  beginnen. 

Ans  grosser  Entfernung  würde  eine  solche  Gaskugel,  die  sich  ab- 
wechselnd ausdehnt  und  zusammenzieht,  den  Eindruck  eines  veränder- 
lichen Sternes  machen,  da  der  periodische  Temperaturwechsel  einen  perio- 
dischen Wechsel  der  Helligkeit  des  Gestirnes  veranlassen  würde  ^). 

Denkbar  ist  andererseits  auch  der  Fall,  dass  zwei  kosmische  Gebilde 


')  Vergl.  Ritter,  Wied.  Ann.  Bd.  17,  S.  322  u.  s.  f. 
2)  Vergl.  Ritter,  Wied.  Ann.  Bd.  13,  S.  3ö0  u.  ».  f. 


856  B.    Die  Erhaltuug  der  Sonnenenergie. 

mit  erheblich  grosseren  Geschwindigkeiten  zusammenstossen ,  als  ikrer 
gegenseitigen  G-ravitationswirkang  entspricht.  Dieser  Fall  kann  eintreten, 
wenn  beide  Weltkörper  bereits  ansehnliche,  passend  gerichtete  Eigen* 
bewegungen  besassen,  ehe  sie  sich  gegenseitig  merklich  anzumehen  be- 
gannen. 

Dann  wird  nach  der  Vereinigung  beider  Massen  die  innere  Wärme  T 
der  Gesammtmasse  einen  solchen  Werth  annehmen,  dass  es  keinVolameB 
mehr  giebt,  bei  welchem  eine  Umkehr  der  Expansionsbewegnng  einttitt, 
die  durch  die  Vergrösserung  von  U  eingeleitet  wird. 

Je  nachdem  das  Arbeitsäquivalent  ü  der  Wärmemenge,  welche  der 
durch  die  Vereinigung  beider  neugebildeten  Weltkörper  unmittelbar  nadi 
dem  Zusammenstosse  enthält,  grösser  oder  kleiner  ist,  als  der  Potentiil- 
werth  Ä  der  Masse  des  neuen  Himmelskörpers,  wird  die  Masse  sich  ent- 
weder in  den  Weltraum  zerstreuen,  oder  es  wird  ein  kosmisches  Gebikk 
entstehen,  welches  sein  Volumen  periodisch  Tergrössert  and  YerkleiBeit 
Auf  Grund  dieser  Betrachtung  theilt  Ritter  die  Himmelskörper  ia 
zwei  Hauptclasseu  ein.  Die  erste  Classe  enthält  die  centripettlec 
Gebilde,  bei  welchen  der  Bildungsprocess  in  einer  allgemeinen  Annilw- 
rungsbewegung  der  Massentheilchen  gegen  das  Attractionscentmm  Im 
seinen  Abschluss  findet;  zu  dieser  Classe  gehören  jedenfalls  die  Sonne, 
die  Planeten,  alle  Fixsterne  und  manche  Nebelflecken. 

Die  zweite  Classe  umfasst  die  centrifugalen  Gebilde,  bei  weichet 
der  durch  einen  Zusammenstoss  eingeleitete  Process  mit  einer  allgemeioeE 
Zerstreuung  der  Massentheile  im  unendlichen  Räume  endet;  zu  dieiff 
Classe  gehören  vielleicht  manche  weit  ausgedehnte  Nebelflecken  ni 
manche  Kometen  ^). 

Jedenfalls  ist  dieser  Gesichtspunkt,  die  nebelartigen  Himmelskörpe 
zu  betrachten,  neu;  er  ist  aber  besonders  deshalb  beachtüch,  weil  es  sois 
schwierig  erscheint,  die  zum  Leuchten  solcher  Himmelskörper  erforder 
liehe  Wärme  zu  erklären.  Ein  einfacher  Verdichtungsprocess,  ähDl»^ 
dem  Ballungsacte,  durch  den  wir  uns  nach  der  Kant-LaplaceVk: 
Hypothese  unser  Sonnensystem  entstanden  denken,  würde  bei  Gebildes 
von  so  geringer  Dichte  kaum  zur  Erklärung  so  hoher  Temperaturen  a»- 
reichen,  wie  wir  sie  nach  den  Spectralbeobachtungen  für  manche  Neb^ 
flecken  anzunehmen  geneigt  sind. 


22.    Die  Zulässigkeit  der  Grundlagen  der  Ritter'schen 

Hypothese, 

Man  kann  zunächst  zugeben,  dass  es  äusserst  wahrscheinlich  ist,  & 
Sonne  befinde  sich  im  gasformigen  Zustande.  Ferner  wird  eine  im  Welt- 
räume befindliche  Gaskugel,  welche  durch  Strahlung  Wärme  abgiebt 

^)  Vergl.  Ritter,  Wicd.  Ann.  Bd.  12,  S.  460  u.  s.  f.  und  Bd.  13,  S.  375  u.*.^ 


IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie.       857 

sich  zwar  nicht  yollständig  im  adiabatiachen  Wftrmegleicbgewichte  be- 
finden, es  werden  aber,  wie  anoh  in  unserer  Erdatmosphäre,  in  den  ober- 
flächlichen Schichten  einer  solchen  Gaskngel  unausgesetzt  Strömungen 
entstehen,  durch  welche  erhebliche  Abweichungen  Yom  adiabatischen 
Zustande  fortwährend  wieder  ausgeglichen  werden.  Man  kann  sich  dem-, 
nach  sehr  wohl  vorteilen*  dass  der  durchschnittliche  Zustand  unserer 
Sonne,  zumal  aber  der  Zustand  der  inneren  Masse  derselben,  welcher 
nicht  wesentlich  mehr  an  dem  Energie  Verluste  durch  Strahlung  theil- 
nimmt,  sehr  nahe  mit  dem  adiabatischen  Gleichgewichte  übereinstimmen 
muss. 

Ganz  erhebliche  Bedenken  muss  man  jedoch  gegen  die  Annahme 
geltend  machen,  dass  bei  Temperaturen  von  Millionen  von  Graden  und 
bei  Drucken  von  Millionen  Atmosphären  eine  Substanz  sich  auch  nur 
annähernd  so  verhalte,  wie  ein  vollkommenes  Gas.  Wir  wissen  vielmehr, 
dass  schon  innerhalb  der  sehr  engen  Grenzen  von  wenigen  hundert 
Graden  und  der  geringen  Druckunterschiede,  welche  wir  in  unseren 
Laboratorien  hervorzubringen  im  Stande  sind,  alle  Gase  bereits  sehr  er- 
heblich vom  Gay-LuBsac^schen  und  Mariott  ersehen  Gesetze  ab- 
weichen. 

Da  wir  die  Zustandsänderungen  der  Gase  nur  auf  eine  sehr  enge 
Strecke  hin  messend  verfolgen  können,  sind  wir  durchaus  nicht  berech- 
tigt aus  der  Beschaffenheit  der  für  ein  so  enges  Gebiet  gültigen  empiri- 
schen Formeln  Schlüsse  zu  ziehen^  wie  sich  Körper  bei  ausserordentlich 
hohen  Drucken  und  Temperaturen  verhalten  werden.  Ebenso  erscheint 
es  kaum  zulässig,  die  fOr  niedrigere  Temperaturen  gefundenen  Gesetze 
der  Wärmestrahlung  auch  nur  näherungsweise  für  gültig  zu  halten,  wenn 
es  sich  um  Temperaturen  handelt,  die  wir  bei  keiner  irdischen  Wärme- 
quelle zu  erreichen  im  Stande  sind.  So  hochinteressant  die  Resultate  der 
Kitt  er 'scheu  Rechnungen  auch  sind,  und  so  sehr  man  auch  Ursache 
hat,  die  geistvolle  Art  zu  bewundem,  mit  der  Ritter  seine  Anschauun- 
gen bis  zu  den  äussersten  Consequenzen  rechnend  verfolgt  und  für  eine 
Erklärung  der  Einzelheiten  der  Sonnenphysik  dienstbar  gemacht  hat,  so 
würde  es  doch  wohl  ungemein  gewagt  sein,  aus  seinen  Rechnungsresul- 
taten Schlüsse  über  den  wirklichen  Sachverhalt  ziehen  zu  wollen. 


23.    Schlussbetraohtung  über  die  Erhaltung  der 

Sonnenenergie. 

Nachdem  die  verschiedenen  Theorien  zusammengestellt  worden  sind, 
nach  welchen  man  sich  einen  Wiederersatz,  eine  Wiederherstellung  oder 
nahezu  unbegrenzte  Dauer  der  von  der  Sonne  unserer  Erde  zugesendeten 
Warme-  und  Lichtstrahlen  vorstellen  kann,  geziemt  es  sich' wohl,  das 


858  B.    Die  Erhaltung  der  Sonnenenergie. 

ErgebnisB  der  einzelnen  Paragraphen  nochmals  zn  überblicken  und  hit* 
sichtlich  ihres  Inhaltes  an  Wahrheit  za  yergleichen. 

Man  wird  auch  bei  der  Behandlung  dieser  Fragen  streng  die  ßegd 
innehalten  müssen,  dass  wir  nur  berechtigt  sind,  mit  solchen  Kräften  osd 
"Wirkungen  zn  rechnen,  welche  uns  durch  die  Erfahrung  bereits  soT«r- 
l&ssig  bekannt  sind.  Da,  wo  es  sich  um  di6  Anwendung  empiriteher 
Formeln  handelt,  werden  wir  im  Allgemeinen  nicht  berechtigt  sein,  dii 
Gültigkeit  dieser  Formeln  über  diejenigen  Grenzen  auszudehnen,  inner 
halb  welcher  die  Erfahrungsresultate  lagen,  die  zur  Au&tellung  der 
Formeln  geführt  haben. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  muss  man  die  von  Helmhol ts  ge- 
gebene Erklärung  der  Erhaltung  der  Sonnenstrahlung  für  diejenige  as> 
sehen,  gegen  welche  sich  die  wenigsten  Einwürfe  machen  lassen.  Anderer 
seits  befriedigt  dieselbe  allerdings  insofern  nicht,  als  sie  keine  AufklaroBf 
darüber  giebt,  welche  Wirkungen  die  in  den  Weltraum  zerstreuten  on- 
ermesslichen  Energiemengen  dort  hervorbringen.  Dieses  Schicksal  theth 
die  Hei mholtz' sehe  Theorie  übrigens  mit  derjenigen,  welche  Majer, 
Waterston  und  Thomson  aufgestellt  haben,  nach  welcher  die  Sonnen- 
strahlung  durch  in  das  Centralgestirn  hineinstürzende  Meteoriten  a- 
halten  werden  soll.  Diese  beiden  Theorien  ergänzen  sich  sonst  geges* 
seitig  ausserordentlich  vortheilhaft;  die  eine  lehrt,  dass  durch  Zosammer 
Ziehung  der  Sonnenmasse  eine  Verkleinerung  ihres  Durchmessers  md 
eine  Abnahme  der  Rotationsdauer  eintrete;  aus  der  anderen  hingegei 
folgt,  dass  durch  eine  Zunahme  der  Sonnenmasse  eine  Vergrössemng  da 
Durchmessers  und  ein  Anwachsen  der  Rotationsdauer  stattfindet  Dia 
Meteorsteine  in  nicht  unbeträchtlicher  i^ahl  auf  die  Sonnenoberflsche 
niederfallen,  kann  nach  Analogie  derartiger  auf  der  Erde  beobachteta 
Vorgänge  nicht  bezweifelt  werden.  Ob  freilich  dieser  Meteoritenstan 
auf  der  Sonnenoberfläche  ein  derart  häufiges  Ereigniss  ist,  dass  eejoi 
Wirkungen  gegen  die  einer  fortgesetzten  Schrumpfung  der  Sonnenmiae 
als  sehr  wesentlich  in  Betracht  zu  ziehen  sind,  muss  bezweifelt  werda. 

Auch  die  Ritter'  sehe  Hypothese,  nach  der  es  ungewiss  erscheint,  ob 
eine  Wärmeausstrahlung  der  Sonue  wirklich  eine  merkliche  Temperato^ 
erniedrigung  derselben  nach  sich  zieht,  lässt  die  Frage  unbeantwortit, 
was  aus  jenen  ungeheuerlichen  Energiemengen  wird,  welche  die  Soue 
unausgesetzt  in  den  Weltraum  hinaussendet. 

Man  kann  sich  zwar  vorstellen,  dass  das  gesammte  Weltall  so  grM 
sei,  dass  unser  Sonnensystem  sich  zu  demselben  nur  verhält,  wie  eii 
Atom  zu  einem  Körper  von  beträchtlicher  Ausdehnung.  Alsdann  wörde 
schliesslich  jeder  Strahl,  welchen  die  Sonne  aussendet,  wenn  auch  mancher 
vielleicht  erst  in  undenkbar  weiter  Ferne,  auf  einen  Himmelskörper  treffei* 
der  den  Strahl  hinderte,  sich  mit  seinem  Euergieinhalte  in  die  Unend- 
lichkeit hinaus  zu  verlieren  ^).    Verfolgt  man  diese  Ideenrichtung  tihet 

1)  Olbers  (Bode,  Astron.  Jahrb.  f.  1826,  S.  110  bis  12l)  behauptet:   pd««  i:c 
Annahme  einer  unendlichen  Zahl   von   Licht   und  Wärme   au&strahlender  Körper  (Fix' 


IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie.       869 

weiter,  so  wird  man  durch  dieselbe  zu  der  metaphysischen  Frage  geführt^ 
aaf  welche  naturwissenschaftliche  Erkenntniss  niemals  Antwort  geben 
wird:  ist  unser  Weltsystem  hinsichtlich  seiner  Masse  und  räumlichen 
Ausdehnang  unendlich?  oder  existirt  irgendwo  eine  Begrenzung?  und 
wodurch  wird  dieselbe  gegeben? 

Ist  das  Weltsystem  aber  unendlich,  so  ist  es  auch  sein  Energie- 
inhalt, und  die  Frage  danach,  was  ans  den  in  das  Weltall  zerstreuten 
Energiemengen  der  Sonne  wird,  ist  eine  ziemlich  massige,  da  deren 
Wirkungen  yielleicht  erst  in  endloser  Ferne  erfolgen. 

Genau  betrachtet,  kehren  die  beim  Ballungsacte  mit  der  Sonneur 
masse  concentrirten  Energiemengen,  welche  urspr&nglich  im  Welträume 
yertheilt  waren,  doch  nur  wieder  dahin  zurück,  woher  sie  gekommen 
waren,  so  dass  man  es  mit  einer  Art  Kreislauf  zu  thun  hat. 

Die  einzige  Theorie,  nach  welcher  die  durch  Strahlung  ausgegebene 
Energie  der  Sonne  nicht  nur  ersetzt,  sondern  thatsächlich  aufs  Neue 
zurückgewonnen  würde,  ist  die,  welche  William  Siemens  entwickelt 
hat.  Es 'ist  auch  die  Hypothese,  welche  verhältnissmässig  von  den  meisten 
Eigenschaften  der  Sonne  und  von  deren  Einfluss  auf  andere  Natur- 
erscheinungen Rechenschaft  zu  geben  im  Stande  ist.  Ihre  wissenschaft- 
lichen Grundlagen  sind  jedoch  keine  festen  So  grossartig  diese  Theorie 
auch  concipirt,  so  meisterhaft  sie  ins  Einzelne  durchgeführt  ist,  vertritt 
sie  doch  immerhin  insofern  einen  einigermaassen  beschränkten,  naiven 
Standpunkt,  als  sie  zu  sehr  das  Sonnensystem  für  sich  allein,  losgelöst 
▼on  seinem  Zusamm'enhange  mit  dem  ganzen  Weltall,  betrachtet. 

Gewiss  hat  der  Gedanke  etwas  ungemein  Verführerisches  sich  vor- 
zustellen, dass  in  der  Natur  Vorkehrungen  getroffen  seien,  um  die  Wärme 
der  Sonne  für  lange  oder  gar  ewige  Dauer  zu  erhalten,  so  dass  dadurch 
den  Zuständen  auf  unserer  Erde  ein  nahezu  unbegrenzte^  Beetehen  ge- 
sichert sei.  Wer  wollte  leugnen,  dass,  wenn  man  an  der  üand  der  Me- 
chanik des  Himmels  das  Weltsystem  durchmustert,  dieses  den  Eindruck 
macht,  als  sei  es  stabil  und  unveränderlich!  —  Ist  diese  Unveränderlich- 
keit  aber  nicht  nur  ein  Schein«  der  uns  trügt,  weil  wir  von  unserem  zeit- 
lich und  räumlich  so  beschränkten  irdischen  Standpunkte  aus  urtheilen? 
Giebt  es  nicht  Anzeichen  genug  in  der  Physik  des  Himmels,  welche 
andererseits  dafür  sprechen,  dass  nicht  nur  alles  Irdische,  sondern  auch 
das  ganze  Weltall  einem  grossen  Werdeprocesse  unterliegt,  in  welchem 
nichts  ewig  ist,  als  die  Veränderlichkeit  und  der  Wechsel? 

Kann  man  sich  nicht  auch  damit  trösten,  dass  auf  alle  Fälle  die 
definitive  Erkaltung  unserer  Sonne  eine  noch  sehr  ferne  Katastrophe  ist, 
und  dass  auch  die  schönsten  Dinge  dieser  Welt  nicht  für  eine  ewige 
Dauer  gemacht  zu  sein  scheinen,  dass  vielmehr  Alles  einem  ewigen  Wer- 
den, gleichzeitig  aber  auch  einer  ewigen  Vervollkommnung  unterliegt? 


Sternen)  nothwendig  zu  dem  Schlüsse  fnhi-t,    dass  das  ganze  HimnCielsgewölbe  überall  in 
einem  Glänze  und  in  einer  "Wärme  strahlen  müsse,  wie  gegenwärtig  die  Sonnenscheibe.^ 


860  B.    Die  ErhaltuDg  der  Sonnenenergie. 

So  anziehend  solche  Excnrse  über  den  AnfSng  und  das  Ende  der 
Dinge  auch  sein  mögen ,  so  viel  sie  auch  dazu  beitragen  mögen  nns  vd- 
zuklären  über  die  Bescheidenheit,  mit  welcher  der  Mensch  über  Beine 
Stellung  im  Weltall  zu  denken  hat:  zu  zuverlässigen  Resultaten  werden 
solche  Betrachtungen  niemals  fuhren  können,  weil  sie  uns  nöthigen,  tob 
dem  engen  Räume,  welcher  unserer  directen  Erfahrung  zugänglich  iit, 
auf  Verhältnisse  zu  schliessen,  welche  weit  über  die  Grenzen  hinausragen, 
innerhalb  welcher  unsere  Erfahrungssätze  gültig  sind;  dann  sind  wir  aber 
nicht  mehr  im  Stande  zu  beurtheilen,  wie  weit  solche  Schlüsse  dniek 
unvollkommene  Analogie  in  Folge  der  unvermeidlichen  Fehler,  die  allen 
unseren  Beobachtungen  anhaften,  von  der  Wahrheit  abweichen. 


Anhang. 
24.    XTeber  die  Atmosphären  fester  Weltkörper. 

Die  eigenthümliche  Betrachtungsweise  Ritter' s  kann  mit  Erfolg 
auch  auf  den  Fall  angewendet  werden,  dass  man  es  mit  einem  Himmdb- 
körper  zu  thun  hat,  welcher  einen  festen  Kern  und  eine  gasförmige  HüDe, 
also  eine  Atmosphäre,  besitzt. 

Ist  die  Gravitationsbeschleunigung  ^).  an  der  Oberfläche  des  festa 
Kernes  N.  g  und  der  Halbmesser  desselben  k .  r  (wobei  r  der  Erdradiu), 
so  nimmt  die  bekannte  Differentialgleichung,  welche  den  Formeln  for 
barometrische  Höhenmessungen  zu  Grunde  liegt  (vgl.Bd,  2,  S.  778,  GLS)* 
die  Form  an: 

V  Q' 

Hierin  bedeutet  p  den  Druck  innerhalb  der  Atmosphäre  im  Ahstaodc 
Q  vom  Mittelpunkte  des  Himmelskörpers,  v  das  specifische  Volumen  d« 
Gases  seiner  Atmosphäre  an  jener  Stelle.  Multiplicirt  man  beiderseitig 
mit  — t?,-so  nimmt  die  Gleichung  die  Form  an: 

dg 

Berücksichtigt  man,  dass  beim  adiabatischen  Gleichgewichte  der  Aübö' 
Sphäre: 

0  =  Cp  .  dT  --  -j  '  V  '  dp 

und  somit  in  diesem  Falle: 

V  .  dp  =  J ,  Cp  ,  d  T 26» 

ist,  so  erhält  man: 

dg 


rfj>  =  — -.  JV^.;L«.r«~ 25) 


—  v  dp  =  N '  l^ '  r^ '     j 


—  J'  Cp'dT  =  N'  l^  -r^ 


^)  Vergl.  Ritter,  Wied.  Ann.  Bd.  10,  S.  135. 


IV.    Anwendungen  auf  Meteorologie  und  Astronomie.       8G1 

Durch  Integration  ergiebt  sich,  wenn  man  annimmt,  dass  an  der 
Oberfläche  des  festen  Kernes  die  Temperatur  Tq  herrscht,  und  an  der 
Grenze  der  Atmosphäre,  in  einer  Höhe  H  über  dem  festen  Kerne,  die  Tem- 
peratur den  absoluten  Nullpunkt  erreicht: 

0  \.r  +  H 

—  J.Cp  ,   CdT=N.l^  .r^  f  %' 
Durch  Ausführung  der  an  gedeuteten  Integi*ation  erhält  man: 

Hieraus  kann  man  die  Höhe  der  Atmosphäre  berechnen  und  findet: 

J   ,  Cp    ,    JLq' 

N 
S  = T^—T- 2'> 

y  •  Cp  ,  J.Q 

N  .k  .r 

Diese  Gleichung  zeigt,  dass  die  Höhe  der  im  adiabatischen  Gleich- 
gewichtszustande befindlichen  Atmosphäre  eines  Weltkörpers  nur  ab- 
hängig ist  Yon  der  Temperatur  ihrer  untersten  Schicht  und  ganz  unab- 
hängig yon  der  Dichtigkeit  des  Gases,  aus  welchem  die  Atmosphäre  besteht. 

Führt  man  in  diese  Formel  die  für  trockene  atmosphärische  Luft 
und  die  Erde  gültigen  Werthe  eiu,  nämlich: 

Cp  =  0,2375    J^  =  1    A  =  1, 

80  findet  man,  wenn  man  J=  425  setzt  und  die  absolute  Temperatur 
an  der  Erdoberfläche  =  273^  also  Null  Grad  Celsius  annimmt, 

jffzzr  27500  Meter  1). 

Man  erkennt  leicht,  dass  die  Atmosphärenhöhe  n=  co  wird,  wenn 
die  Temperatur  To  an  der  Oberfläche  des  festen  Kernes  den  Werth: 

T,=^^ 28) 

J  .  Cp 

annimmt. 

Diesen  Grenzwerth  der  Oberflächentemperatur  des  festen  Kernes,  für 
welchen  die  Höhe  IT  der  Atmosphäre  unendlich  gross  wird,  nennt  Ritter 
die  Dispersionstemperatur  des  betreffenden  Weltkörpers.  Ueber- 
schreitet  die  Temperatur  an  der  Oberfläche  des  festen  Kernes  diese  Grenze, 
80  würde  die  Gravitationskraft  des  Himmelskörpers  nicht  mehr  genügen, 
eine  Zerstreuung  der  Atmosphäre  in  den  unendlichen  Weltraum  zu  ver- 
hüten. 

Für  eine  reine  Wasserstoifatmosphäre  (Cp  =  3,409)  erhält  man: 


^)  Vergleiche  Seite  781. 


862 


Anhang. 


Name  des  Weltkörpers 


Erde  . 
Mars  • 
M  er  cur 
Mond   . 


'    Dispersions- 
temperatnr  Tq 


X 
0,382 
0,521 
0,164 


1 
0,540 
0,378 
0,273 


4404 
908 
867 
197 


Bei  einem  mbenden  Weltkorper  von  der  Grösse  und  Masse  d« 
Mondes  würde  also  eine  Wasserstoffatmosphäre  nicht  mehr  bestehen  könno, 
wenn  die  Oberflächen temperatnr  desselben  höher  wäre  als  minna  76*  C 

Führt  man  für  den  Mond  die  Rechnung  durch  unter  der  Annahiee. 
dass  die  Atmosphäre  desselben  aus  gesättigtem  Wasserdampf  bestehe']. 
und  setzt  man  ausserdem  voraus,  dass  Wasserdampf  unter  Nall  Gnd 
sich  wie  ein  vollkommenes  Gas  verhalte ,  so  findet  man ,  dass  eine  da- 
artige  Atmosphäre  nur  bestehen  könne,  wenn  die  Oberflächentempentir 
derselben  niedriger  als  —  50^  C.  wäre. 

Nimmt  man  Rücksicht  auf  die  Drehbewegung  des  Mondes,  dura 
welche  bedingt  ist,  dass  die  Mondatmosphäre  nicht  höher  als  21  Ho»!' 
radien  sein  kann,  setzt  man  %^o: 

H  =  21  .  A  .  r, 

so  ergiebt  sich  für  eine  Atmosphäre  von  gesättigtem  Wasserdampf  die 
Dispersionstemperatur  der  Mondoberfläch«  zu  —  60^  C.  Das  Fehlen  eiao 
Mondatmosphäre  dürfte  hierdurch  erklärt  werden  können. 

Wahrscheinlicherweise  hängt  das  Zunehmen  der  Schweiflän^  ^ 
Kometen  bei  deren  Annäherung  an  die  Sonne  damit  zusammen,  dsss  nc 
wachsender  Annäherung  an  die  Sonne  die  Oberflächentemperatar  der 
Meteoriten,  aus  welchen  die  Kometen  vermuthlich  zusammengesetzt  sisi 
in  Folge  der  zunehmenden  Strahlung  sich  mehr  und  mehr  der  Diip 
sionstemperatur  nähert  und  in  Folge  dessen  die  flüchtigen  Bestandtheilt 
der  Oberfläche  eine  Gasatniosphäre  von  beträchtlicher  Ausdehnung  bildei. 

Nach  einem  kleinen  Planeten  in  grösserer  Nähe  der  Sonne  bat  nn 
deshalb  vielleicht  bis  jetzt  vergeblich  gesucht,  weil  bei  sehr  kleinem  Ab- 
stände von  der  Sonne  die  Oberflächentemperatur  eines  solchen  Himm^ 
körpers  in  Folge  der  energischen  Wärmeznstrahlung  höher  als  stiv 
Dispersionstemperatur  sein  würde. 


1)  Vergl.  Ritter,  Wied.  Ann.  Bd.  10,  S.  139. 


V. 


DIE  GESCHICHTE 

DEB 

MECHANISCHEN  WÄKMETHEORIE 


A.  Die  Vorgeschichte. 

1.  Der  Zusamxnenliang  der  mechanisolieii  Wärmetheorie 
mit  den  Vorstellimgen  vom  Wesen  der  Wärme. 

Man  halt  neaerdiDgs  vielfach  die  mechaniche  Theorie  der  Wftrme 
för  untrennbar  yon  der  Hypothese,  dass  das  Wesen  der  Wärme  in  einer 
Bewegung  der  MolecÜle  zu  suchen  sei.  Dies  ist  jedoch  insofern  un- 
richtig, als  vielmehr  der  charakteristische  Gedanke  dieser  neuen  Disci- 
plin  nur  darin  zu  suchen  ist,  dass  jede  Eraftäusserung  irgend  welcher 
Art,  sei  dieselbe  nun  Wärme,  Licht,  Elektricität,  Magnetismus,  ein 
chemischer  oder  physiologischer  Vorgang,  ihrer  Quantität  nach  in  mecha- 
nischem Arbeitsmaasse  gemessen  werden,  und  dass  nur  Transformationen 
vorhandener  Kraftgrössen,  niemals  aber  NeuschÖpfangen  oder  Vernichtung 
von  Kraft  stattfinden  kann.  Die  Hypothese,  dass  Wärme  stets  Molecular- 
Bewegung  sei,  hat  sich  zwar  Hand  in  Hand  mit  der  allgemeinen  atomi- 
stischen  Auffassung  der  Naturvorgänge  äusserst  fruchtbar  erwiesen,  die 
Formeln  und  zumal  die  Methoden  der  mechanischen  Wärmetheorie  sind 
jedoch  von  dieser  Art  der  Auffassung  ganz  unabhängig. 

Der  Grundgedanke,  dass  Wärme  eine  Eräfteform  ist,  dass  Wärme 
nach  bestimmten  Maassverhältnissen  in  andere  Eräfteformen  umgesetzt 
werden  kann,  ist  ganz  modern  und  in  klarer  Conception  zuerst  durch 
Robert  Mayer  ausgesprochen  worden. 

Für  die  Anschauung  jedoch,  dass  Eraftmengen  weder  geschaffen 
noch  vernichtet  werden  können,  finden  sich  Andeutungen  schon  in  ziem- 


864  A.    Die  Vorgeschichte. 

lieh  früher  Zeit.  Die  Vorstellung  aher,  dass  Wärme  eine  Bewegung 
kleinster  Theile  sei,  lässt  sich  bereits  im  Alterthume  nachweisen,  wenn- 
gleich die  Meinung,  dass  Wärme  ein  Stoff  sei,  bis  über  den  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  hinaus  die  herrschende  geblieben  und  erst  darch  Rom* 
ford  und  Davy  überwunden  worden  ist. 

Die  Vorgeschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie  beschäftigt  sich 
zunächst  mit  der  allmählichen  Umgestaltung  der  Anschauungen  über  das 
Wesen  der  Wärme  und  dann  mit  der  Entwickelung  des  Satzes  von  der 
Erhaltung  der  Energie  zu  immer  grösserer  Klarheit.  Die  Vorgeschichte 
endet  hiernach  mit  dem  Beginne  der  Arbeiten  Runiford's,  Davy*«  nnd 
deren  Zusammenfassung  durch  Joung  am  Anfange  dieses  Jahr b änderte. 


2.    Die  Vorstellungen  der  Alten  von  der  Warme- 

Die  älteste  Vorstellung,  welche  wir  in  den  ersten  Anfangen  gpriechi- 
scher  Philosophie  finden,  war  die,  das  Feuer  als  einen  Urstoff,  als  ein 
Element  anzusehen.  Auch  die  Pythagoreer  halten  alle  Elemente,  somit 
auch  das  Feuer,  für  einen  Stoffe). 

Heraklit,  dem  Dunklen,  war  das  Feuer  das  Princip  aller  Dinge, 
das  Bild  selbstwirkender  Kraft  und  Thätigkeit.  Nach  ihm  ist  daa  Feaer 
durch  eine  unwiderstehliche  Begierde  getrieben,  sich  in  eine  bestimmte 
Existenz  umzuwandeln.  Bei  ihm  zuerst  entwickelte  sich  der  Begriff  ▼on 
der  ewigen  Veränderlichkeit  der  Natur  und  einer  ewigen  harmonisches 
Gesetzmässigkeit  im  Wechsel. 

Bei  Anaxagoras  findet  sich  schon  der  schöne  Gedanke,  desseo 
consequenter  Durchführung  unsere  Zeit  so  grosse  fruchtreiche  Entdeckun- 
gen verdankt:  „Nichts  tritt  ins  Sein  oder  wird  zerstört,  sondern  Alles  ist 
eine  Zusammenstellung  oder  Aussonderung  Ton  Dingen,  die  schon  Torfaer 
existirten.^  Diese  Idee,  welche  so  lebhaft  an  unsere  Vorstellungen  tob 
der  Constanz  der  Masse  und  der  Energie  erinnert,  klingen  lebhaft  -wieder 
bei  Empedokles,  welcher  sagt: 

„Thoren  denken,  ett  könne  zu  sein  beginnen,  was  nie  war, 
Oder  es  könne,  was  ist,  vergehen  und  gänzlich  verschwinden!** 

Empedokles  lehrte  jedoch  wieder,  es  gäbe  vier  Urelemente,  Crde, 
Luft,  Feuer  und  Wasser;  alle  Dinge  seien  nur  Mischungen  dieser  vier 
Stoffe. 

Nach  Demokritos  existiren  bloss  Atome  und  Raum;  das  Heisse, 
das  Kalte,  wie  alle  Qualitäten  der  Dinge  bestehen  nach  ihm  nur  in  der 
Form.  Die  Atome  sind  ihm  die  Urelemente,  aus  welchen  durch  2^bl, 
Grösse,   Gestalt  und  Lage  alle  Dinge  hervorgehen.    Er  schrieb   seines 


*)  Aristoteles,  Metaphysik,  erstes  Buch,  fünftes  Capitel. 


A.    Vorgeschichte.  865 

Atomen  Bewegung  zu;  und  behauptete,  jede  Bewegung  werde  durch  eine 
oder  mehrere  frühere  Bewegungen  bestimmt.  Die  Atome  des  Feuers  sind 
nach  ihm  fein,  glatt  und  rund  und  können  daher  alle  Körper  durch- 
dringen, sie  warm  machen. 

Am  ausgebildetsten  erscheinen  die  Vorstellungen  über  das  Wesen 
der  Wärme  in  der  Atomistik  des  Demokrit.  Er  nimmt  besondere 
Wärmeatome  von  kugeliger  Gestalt  an  und  schreibt  deren  Bewegung 
die  damals  bekannten  Wärmeerscheinungen  zu.  Bei  ihm  zuerst  auch 
findet  sich  eine  Vorstellung  von  den  Grundsätzen  moderner  Wissenschaft, 
denn  von  ihm  rührt  der  Satz  her:  »Aub  Nichts  wird  Nichts  und  Nichts 
kann  zu  Nichts  vergehen  **  ^). 

Beachtlich  ist,  dass  wenigstens  in  Anwendung  auf  Astronomie  die 
Vorstellung  von  einer  Ewigkeit  der  Bewegung  auch  schon  bei  Plato 
und  Aristoteles  angetroffen  wird. 

Während  die  grossen  Philosophenschulen  des  Alterthums  mit  ihrer 
deductiven  Methode  wenig  oder  gar  nichts  Neues  an  Ansichten  über  die 
Wärme  gebracht  haben,  beschäftigte  sich  Epikur,  welcher  die  demo- 
kritische Atomistik  wieder  aufnahm,  aufs  Neue  eingehender  mit  diesen 
Fragen,  ohne  jedoch  scheinbar  wesentHch  über  dieselbe  hinaus  zu  gehen. 
Wichtig  erscheint  jedoch  bei  ihm  die  Wiederkehr  des  demokritischen 
Satzes:  „Aus  Nichts  wird  Nichts,  denn  sonst  könnte  aus  Allem  Alles 
werden." 

J^in  Theil  seiner  Anschauungen  ist  uns  durch  Lucretius  in  dessen 
Lehrgedicht:  „De  rerum  natura"  übermittelt  worden  und  zeigt  auch  in 
diesem  vielleicht  nicht  ganz  ungetrübten  Spiegel  eine  überraschende 
Richtigkeit  der  Naturauffassung,  die  wunderbar  mit  der  Unklarheit  der 
übrigen  philosophischen  Schulen  contrastirt. 

Die  Sätze  von  der  Constanz  der  Materie  und  der  Erhaltung  der 
Kraft  wurden  nach  Lucretius  von  Epikur  dadurch  begründet,  dass 
er  darauf  hinwies,  es  gäbe  keinen  Ort,  wohin  aus  dem  Universum  Atome 
entfliehen  könnten  oder  aus  welchem  neue  Kraftwirkungen  in  das  Uni- 
versum eindringen  könnten.  Bekanntlich  hat  späterhin  auch  Leibniz 
in  ganz  ähnlicher  Weise  geschlossen  (vergl.  S.  877). 

Die  interessante  Stelle  bei  Lucretius^)  lautet  nach  M.  Se^deTs 
metrischer  Uebersetzung: 

„Niemals  war  auch  dichter  vorher  noch  lockrer  der  ürstoff; 

Dann  er  vermehrt  sich  nie,  noch  yermindert  er  sich  durch  Zerstörung, 

Deshalb  war  die  Bewegung,  die  jetzt  in  den  TJrelementen 

Herrscht,  schon  von  jeher  da,  und  so  wird  sie  auch  künftig  noch  dasein.** 

„Was  bisher  schon  entstand,  wird  unter  der  gleichen  Bedingung 
Femer  entstehen  und  bestehen,  wird  wachsen  und  blüh'n  und  erstarken 
Je  nach  dem  Maass,  das  jedem  verliehen  durch  natürliche  Satzung." 


')  Nach  Diogenes  Laertius,  IX,  44;  Aristoteles,  Phys.  I,  4. 
^)  T.  Lncreti  Cari,  De  rerum  natura  libri  sex,  Üb.  U,  v.  294  —  307. 
Btthlmann,  Mechan.  WAnnetbeorie.    Bd.  U.  2>5 


866  V.    Geschichte  der  mechaDischen  Wärmetheorie. 

„Denu  kein  Platz  ist  vorhanden,  nach  welchem  die  Theile  des  UrstofTs 
Könnten  entflieh'n,  kein  Platz,  von  wo  aus  erneuerte  Krftfte 
Brächen  herein,  die  Bewegung  und  Natur  der  Dinge  zu  ändern." 

Mehrfach  ist  auch  auf  eine  Stelle  in  Cicero's  Tnscalanen  ^)  hin- 
gewiesen worden,  als  Beweis  dafür,  dass  den  römischen  Philosophen  die 
Ideen  yon  der  Constanz  der  Kraft  nicht  fremd  gewesen  seien.  Die  be- 
treffende Stelle  ist  dem  Pbaidros  des  Plato  entlehnt  und  es  erscheint 
mir  daher  von  höherer  Bedeutung,  dass  auch  in  den  Lehren  der  Philo- 
sophenschule der  Akademiker  das  wichtige  Princip  einen  Platz  gehabt 
hat.  Bekannt  genug  ist  es  ja,  dass  der  Gedanke  von  der  Ewigkeit  der 
Materie  einer  der  Grundpfeiler  antiker  Weisheit  gewesen  ist. 

Da  hinsichtlich  der  ciceronianischen  Stelle  mehrfach  Zweifel  laut  ge- 
worden sind,  ob  die  bemerkenswerthe  Schlussfolgernng  nicht  bloss 
auf  geistige  Bewegungs-  und  Lebenserscheinungen  zu  beziehen  sei, 
gebe  ich  die  platonische  Stelle  in  ganzer  Ausdehnung.  Mir  erscheint  es 
nicht  zweifelhaft,  dass  Plato  seine  Betrachtungen  ganz  allgemein  auf 
Bewegung  erstreckt  und  aus  dem  allgemeinen  Satze  alsdann  nur  für  den 
speciellen  Fall  seine  Folgerungen  zieht.  Es  handelt  sich  nämlich  an 
dieser  Stelle,  welche  wir  im  Folgenden  mittheilen,  um  einen  Beweis  fär 
die  Unsterblichkeit  der  Seele.    Plato  ^)  sagt: 

„Jede  Seele  ist  unsterblich;  denn  das  immer  in  Bewegung  Befind- 
liche ist  unsterblich.  Dasjenige  aber,  welches  ein  Anderes  bewegt  und 
von  einem  Anderen  bewegt  wird,  hört  auf  zu  leben,  sobald  seine  Be- 
wegung aufhört.  Nur  das,  was  sich  selbst  bewegt,  hört,  weil  es  sich  ja 
nicht  selbst  yerlässt,  niemals  auf  in  Bewegung  zu  sein,  sondern  auch  für 
alles  Andere,  was  in  Bewegung  ist,  ist  dieses  die  Quelle  und  der  Anfang 
der  Bewegung.  Der  Anfang  aber  ist  ungeworden.  Denn  aus  dem  An- 
fange muss  alles  Werdende  werden,  er  selbst  aber  nicht  aus  irgend 
Einem.  Denn  wenn  der  Anfang  aus  etwas  würde,  so  würde  er  nicht  aus 
dem  Anfange  werden.  Da  er  also  ein  Ungewordenes  ist,  so  muss  der- 
selbe auch  unvergänglich  sein.  Denn  wenn  der  Anfang  weggefallen  ist, 
so  wird  weder  er  selbst  jemals  aus  Etwas,  noch  sonst  etwas  Anderes 
aus  ihm  werden,  da  ja  doch  alles  aus  dem  Anfange  werden  muss.  So  ist 
denn  der  Anfang  der  Bewegung  das,  was  sich  selbst  in  Bewegung  setzt. 
Dies  kann  aber  weder  vergehen  noch  werden  oder  es  muss  der  ganze 
Himmel  und  die  ganze  Natur  zusammenstürzen  und  stillstehen,  ohne 
jemals  wieder  einen  Anlass  zur  Bewegung  zu  haben.  Da  sich  aber  das 
durch  sich  selbst  Bewegte  als  unsterblich  erwiesen  hat,  so  wird  man 
gerade  dies  mit  Recht  als  Begriff  und  Wesen  der  Seele  bezeichnen  u.  s.  f.** 


^)  ToBcul.  disput.  I,  23. 

')Phaedra8,   p.   245.   e.     Die  thunlichst   wort-    und   sinngetreue   Ueberseizung 
der  Stelle  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Prof.  Dr.  Johnson,  Chemnitz. 


A.    Vorgeschichte.  867 


3.    Die  Scholastik  und  die  Renaissance. 

Die  naive  Anschauung,  dass  Wärme  ein  Stoff  sei,  war  sämmtlichen 
Sintiken  naturphilosophischen  Anfangen  gemeinsam;  selbst  die  yerhält- 
lissmässig  am  meisten  fortgeschrittene  atomistische  Schule  glaubte  die 
^ärmeerscheinungen  auf  die  Wirkung  von  Wärmeatomen  zurückfuhren 
(u  müssen. 

Es  ist  leicht  begreiflich,  dass  das  Mittelalter  nicht  zu  einer  höheren 
Auffassung  zu  gelangen  im  Stande  war,  da  das  wissenschaftliche  Denken  der 
abendländischen  Culturvölker  in  jener  Zeit  durch  die  Religion  vollständig 
ausgefüllt  war  und  die  Beschäftigung  mit  der  Natur  für  gottlos  ^),  für  eine 
Untfremdung  von  Christus  gehalten  wurde.  Statt  sich  an  die  Erschei- 
Lungswelt  zu  wenden,  glaubte  man  alle  Weisheit  in  der  Bibel  oder  in 
Lristoteles  vereinigt  zu  finden.  Das  Wesen  der  Dinge  suchte  man 
icht  durch  Beobachtungen  zu  erkennen ,  sondern  meinte  dasselbe  durch 
>gische  und  wörtliche  Unterscheidungen  ergründen  zu  können.  Erst 
achdem  im  Zeitalter  der  Renaissance  sich  das  Bewusstsein  mehr  und 
lehr  Bahn  zu  brechen  begonnen  hatte,  dass  das  Denken  frei  sein  müsse,  an 
eine  religiösen  oder  philosophischen  Schulschranken  gebunden  sein  dürfe, 
ehrte  man  zur  Natur  und  zur  Betrachtung  derselben  zurück.  In  diesem 
eistesfrühling  finden  sich  auch  die  ersten  Anfänge  zu  einer  den  That- 
ichen  mehr  entsprechenden  Auffassung  über  das  Wesen  der  Wärme, 
ad  ebenso  können  hier  schon  die  deutlichen  Spuren  jener  Gedanken  er- 
uint  werden,  welche  jetzt  als  leitende  Grundsätze  an  der  Spitze  der 
ethode  der  exacten  Naturwissenschaften  stehen. 

An  erster  Stelle  ist  hier  Gassendi')  zu  nennen,  welcher  die  ato- 
istischen  Lehren  Epikur^s  dadurch  wieder  zugänglich  machte,  dass 
das  zehnte  Buch  des  Sammelwerkes  des  Diogenes  Laertius, 
liebes  von  Epikur  und  dessen  Lehrgebäude  handelt,  einer  ausführ- 
(hen  Betrachtung  unterzog.  Die  Atomistik  wurde  von  Gassendi  aus 
m  Schutt  des  Alterthnms  hervorgesucht  und  der  mit  aristotelischer 
lilosophie  verwachsenen  Scholastik  gegenüber  gestellt» 

Der  Wärme  schrieb  er  eine  ganz  besondere  Bedeutung  zu;  er  be- 
uptete,  die  Wärme  sei  durch  die  ganze  Welt  ausgegossen,  die  Wärme 
nne  auch  die  Seele  der  Welt  genannt  werden.  Das  Wesen  der  Wärme 
sht  er  in  bewegten,  kugelförmig  gestalteten  Wärmeatomen,  während  er 
a  Kälteatomen  pyramidale  oder  tetraedrale  Gestalt  zuschrieb  ^).  Auch 
>  Gesetze  von  der  Constanz  der  Materie  und  der  Energie  dämmerten 


1)  Eine  Meinung,  die  übrigens  auch  Sokrates  schon  vertreten  haben  soll. 

2)  Gassendi,   Animadversiones   in   decimum   librum   Diogenis  Laertii   qni  est  de 
moribus  placitisqae  Epicuri.     Ed.  test.  Lugdnni  1649. 

8)    Gassendi,  Syntagma  philos.  lib.  VI,  c.  6.     Hagae  1655. 

55* 


868  V«    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

bereits  in  dem  klaren  Kopfe  ^).  Das  Entstehen  and  Vergehen  der  Dba 
ist  nach  ihm  nichts  als  Verbindung  und  Trennung  der  Atome.  Alle  T» 
änderung  ist  ihm  nur  Bewegung  der  Theile  eines  Dinges.  Mit  edt 
wissenschaftlicher  Gewissenhaftigkeit  vermied  er  Probleme,  die  vom  Bodo 
der  Erfahrung  hinweg  fähren.  Gassendi's  Vorstellungen  von  derE^ 
schaffenheit  der  Gase  enthalten  schon  wesentliche  Anklänge  an  vom 
moderne  kinetische  Theorie  der  Gase  '). 

Nicht  wesentlich  hinter  dem  Vorgenannten  steht  Magnenos  zariÄ 
welcher  sich  grosse  Verdienste  um  die  Wiederbelebung  der  Atonkä 
und  Verbreitung  der  demokritischen  Lehre  hauptsächlich  in  Italien  e- 
werben  hat.  Auch  ihm  ist  es  jedoch  nicht  gelungen  sich  von  den  mgs 
Meinungen  der  herrschenden  aristotelischen  Lehre  hinsichtlieh  des  Wns 
der  Wärme  ganz  frei  zu  machen.  Zwar  bekämpft  er  die  Meinnaf  k 
grossen  Stagiriten,  dass  die  Wärme  ein  Element^)  sei,  aber  andc 
spricht  von  kugelförmigen  Wärmeatomen  ^).  Er  schreibt  der  Wännta 
auflösende  Kraft  zu,  aber  seine  „spirüus  ignei'^  ^)  erinnern  doch  sdii 
die  Lehre  vom  Wärmestoff. 

Neben,  eigentlich  sogar  vor  Gassendi,  istBacon  t.  Vernlu 
2U  nennen,  welcher  aUgemein,  obgleich  nicht  mit  vollem  Rechte,  akii 
alleinige  Begründer  der  naturwissenschaftlichen  Methode  angesehen  vs 
Obgleich  er  die  Wärme  mit  Vorliebe  behandelt  und  dentlich  auaspni 
dass  Wärme  eine  Art  der  Bewegung  sei,  waren  seine  AnscluuioDga  ii 
derselben  doch  höchst  unklar;  so  stellt  er  z.B.  die  mystische  astrologifl 
„  Wärme **  eines  Metalles,  Sternbildes  etc.  ohne  Bedenken  mit  der  p^ 
kaiischen  Wärme  in  eine  Reihe  ^). 


4.    Cartesius,  Hobbes,  Locke,  Spinoza,  Toland. 

Der  erste,  welcher  in  seinen  Ansichten  über  das  Wesen  der  ^ia 
sich  von  der  Vorstellung  eines  Wärmestoffes  frei  gemacht  hat,  i 
Descartes.  Derselbe  sagt,  nachdem  er  ausgeführt  hat,  dass  die  M 
aus  getrennten  Molecülen  bestehen,  welche  sich  unabhängig  Ton 


^)  Gassendi  sagt  z.  B.  (Animadv.  etc.  Bd.  I,  S.  241):  „Ich  bemerke,  4i»J 
die  eingeborene  Kraft  der  Atome  weder  verloren  geht,  wenn  die  concreto  Kicfei 
rahen  anfangen,  sondern  nur  gehemmt  wird,  noch  erzeugt  wird,  wenn  die  Eoi^* 
fangen  sich  zu  bewegen,  sondern  nur  ihre  Freiheit  wieder  erlangt,  man  sages  tf 
gleich  viel  Trieb  (impetus)  bleibe  beständig  in  den  Körpern,  wie  viel  von  Amhm  < 
dagewesen."     Vergl.  Bert  hold,  Ber.  d«  Berl.  Akademie,  Jahrg.  1875,  S.  579. 

^  Gassendi,  Animadversiones  in  X.  libr.  Biogenis  Laertii.  Lngdoci  l^ 
Bd.  I,  S.  232. 

^  Vergl.   Magnenus,   Democritus  reviviscens,   Hagae-Comitis  1646, 
Cap.  II,  S.  121. 

*)  A.  a.  0.  S.  232. 

**)  A.  a.  0.  S.  305. 

^)  Lange,  Geschichte  des  Materialismus,  Bd.  I,  IIL  Aufl.,  S.  197. 


A.    Vorgeschichte.  869 

bewegen:  „dass  hier  unter  Wärme  nichts  anderes  verstanden  werden 
muss,  als  eine  Beschleunigung  der  Bewegung  in  jenen  Moiecülen,  und 
unter  Kälte  eine  Yerlangsamung  derselben*'  ^). 

Sehr  nahe  dieser  AufiPassnng  steht  die  Meinung  Hobbes'^),  welcher 
bereits  sorgsam  zwischen  dem  Zustande  des  erregenden  Objectes  und 
ier  Empfindung  im  wahrnehmenden  Subjecte  unterscheidet;  er  sagt  unter 
anderem:  „Licht  und  Farbe  haben  Bezug  aufs  Auge,  der  Schall  aufs  Ohr, 
1er  Geruch  auf  die  Nase,  der  Geschmack  auf  den  Gaumen,  Wärme,  Kälte, 
Särte,  Weichheit  und  die  übrigen  Sinnesqualitäten  auf  den  übrigen 
Körper.  Alle  diese  Qualitäten  pflegen  Sinnesqualitäten  genannt  zu  wer- 
ien,  und  sie  sind  im  Objecte  selbst  nichts  anderes  als  eine  Bewegung  der 
tfaterie,  durch  welche  das  Object  auf  die  Sinnesorgane  auf  verschiedene 
Weise  wirkt."  In  seinen  Elementen  der  Philosophie')  spricht  er  sich  über 
lenselben  Gegenstand  noch  deutlicher  aus.  Er  äussert  sich  nämlich 
blgendermaassen :  „Wärme  wird  dadurch  erzeugt,  dass  in  der  einfachen 
Bewegung  des  Mediums  die  Theile  gegenseitig  den  Ort  wechseln,  das 
Licht  aber  dadurch,  dass  in  derselben  einfachen  Bewegung  die  Action 
dch  in  einer  geraden  Linie  fortpflanzt."  Sogar  die  Identität  von  Licht 
md  Wärme,  welche  erst  soviel  später  mit  Sicherheit  erkannt  worden  ist, 
>ehauptet  Hob b es  mit  unzweifelhafter  Klarheit^):  „Wärme  ist  nicht 
He  Ursache  des  Lichtes,  sondern  in  vielen  Körpern  ist  dieselbe  Yeran- 
assung  (nämlich  dieselbe  Bewegung)  die  Ursache  sowohl  des  Lichtes 
ils  auch  .der  Wärme.  Es  verhalten  sich  also  Wärme  und  Licht  nicht  wie 
Jrsache  und  Wirkung,  sondern  es  sind  verschwisterte  Wirkungen  ein 
ind  derselben  Ursache." 

Mit  besonderer  Klarheit  hat  sich  L  o  c  k  e  ^)  über  das  Wesen  der 
Wärme  ausgesprochen,  so  dass  z.  B.  Joule  seiner  denkwürdigen  Abband- 
ung  über  das  mechanische  Wärmeäquivalent  ein  Citat  aus  einer  wenig 
gekannten  Schrift  dieses  Philosophen  vorausschickte.  An  verschiedenen 
{teilen  seiner  Abhandlung  über  den  menschlichen  Verstand  ^)  spricht  er 
>8  klar  aus,  dass  er  das  Wesen  der  Wärme  in  einer  Bewegung  der  klein- 
sten Theile  der  Körper  zu  finden  glaubt.  Den  Unterschied  zwischen 
V'arm  und  kalt,  den  unser  Gefühl  nachweist,  sucht  er  in  einer  heftigeren 
>der  minder  lebhaften  Bewegung  der  Molecüle  der  Empfindungsnerven, 
i^elche  durch  die  entsprechenden  Bewegungen  in  den  unsichtbaren  klein- 
sten Theilen  der  Körper  veranlasst  werden. 

Am  deutlichsten  jedoch  spricht  sich  Locke  in  jener  von  Joule 


^)  R.  Descartes,  Principia  philosophiae.    Amstelodami  1677.   Pars  quarta,  p.  157. 

^)  Thom.  Hobbes,  Levlathan.    Amstelodami  1668.    Pars  prima,  cap.  I,  de  sensu. 

^)  Hobbes,  Elementarum  philosophiae  Sectio  prima  de  corpore.  Londini  1655. 
Qdit.  princ.  pars  IV,  cap.  XXVII,  §.  3,  S.  258. 

*)  Hobbes,  Problemata  physica,  cap.  IV,  S.  22.     Amstelodami  1668. 

^)  John  Locke,  geb.  1632,  gest.  1704. 

^)  An  essay  concerning  haman  nnterstanding.  London  1731.  10.  Aufl.  S.  93,  98, 
>9,  101,  285. 


870         V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

und  nach  diesem  von  vielen  Anderen  citirten  SteUe  ans,  welche  einer 
weniger  hekannten  Arbeit  i)  des  Philosophen  entnommen  ist,  die  er  zum 
Gebrauche  eines  jungen  Edelmannes  dictirt  haben  soll,  dessen  Erziebong 
ihm  anvertraut  war.    Diese  Stelle  lautet  yollst&ndig: 

„Wärme  ist  eine  sehr  lebhafte  Bewegung  der  anwahmehmbareB 
TheUe  eines  Gegenstandes,  welche  in  uns  diejenige  Empfindong  erregt, 
wonach  wir  den  Gegenstand  als  warm  bezeichnen:  was  in  unserer  Em- 
pfindung als  Wärme  erscheint,  ist  am  Gegenstande  nur  Bewegung.  Vm 
erhellt  aus  der  Art,  wie  Wärme  hervorgebracht  wird;  denn  wir  sehen, 
dass  das  Reiben  eines  metallenen  Nagels  auf  einem  Brette  denselben  sehr 
heiss  macht;  und  die  Wagenachsen  von  Karren  und  Kutschen  sind  oft 
heiss  und  bisweilen  in  einem  Grade,  dass  sie  in  Feuer  geratfaen,  dorc^ 
das  Reiben  der  Nabe  des  Rades  auf  denselben.  Auf  der  anderen  Seite 
besteht  der  äusserste  Grad  von  Kälte  in  dem  Aufhören  dieser  Bewegung 
der  unwahmehmbaren  Molecüle,  welche  für  unser  Gefühl  Wärme  bedeutet^ 

Während  wir  somit  bei  diesen  drei  Philosophen  einzelne  Aeasseningen 
finden,  welche  eine  sehr  fortgeschrittene,  unbefangene  Einsicht  in  dis 
Wesen  der  Wärme  nachzuweisen  gestatten,  bemerken  wir  einen  aaffiüligei 
Rückschritt  in  dem,  was  Spinoza  über  die  Natur  der  Wärme  sagt.  Die 
Erklärung  dieses  auffiilligen  Umstandes  ist  wohl  darin  zu  snchen,  dass  es 
nicht  die  Absicht  Spinoza^s  war,  die  Körperwelt  zum  Hauptgegenstande 
seiner  Untersuchungen  zu  machen').  In  einem  Briefe  an  Oldenburg') 
nimmt  der  berühmte  Philosoph  deutlich  för  die  Materialit&t  der  Warme 
Partei,  indem  er  über  einige  Experimente  Boyle's  mit  Salpeter  nnd  Ssl- 
petersäure sich  in  folgender  Weise  ausspricht:  „Wie  willer(Bo7le)  aeiga 
können,  dass  die  Hitze  nicht  durch  einen  ganz  feinen  Stoff  erzengt  wor- 
den ist?  Etwa  daraus,  dass  das  alte  Gewicht  nur  um  ein  Weniges  ver- 
ändert sei?  etc.  etc.*'  und  weiterhin:  ,,ja  ich  bin  überzeugt,  dass  die  Hits» 
und.  jenes  Auflodern,  was  der  berühmte  Mann  erwähnt,  von  einem  fremdes 
Stoffe  ausgegangen  sind.'' 

Auch  den  ersten  Versuch  zu  einer  klaren  Formolinmg  des  Satzes 
von  der  Erhaltung  der  Energie  treffen  wir  bei  Descartes  an.  Derselbe 
stellte  den  Satz^)  auf,  dass  die  Quantität  der  Bewegung  im  UniTersnis 
constant  bleibe.  Wenn  auch  die  Klarheit  des  Inhaltes  des  Sataes  etwas 
durch  falsche  Vorstellungen  über  das  Maass  der  Kräfte  beeinträchtigt  wird, 
so  gebührt  Descartes  immerhin  das  Verdienst,  die  Aufmerksamkeit 
zuerst  auf  dieses  wichtige  Princip  gelenkt  zu  haben. 


^)  Elements  of  natural  philosophy.  A  collection  of  several  pieces  of  J.  Locke. 
London  1722.  S.  224.  Das  Verdienst,  die  Originalstelle  gefanden  zu  haben,  gebibtt 
wohl  G.  Berthold,  Ramford  und  die  mechan.  Wärmetheorie.  Heidelberg  1875, 
nach  dem  wir  auch  obige  Uebersetzung  mittheilen. 

^)  Vergl.  Spinoza,  Ethik,  Kirch  mann 'sehe  uebersetzung,  Berlin  1868,  S.  M. 

^)  Spinoza,  Briefe,  Kirchmann's  Philo».  Bibliothek,  Bd.  46,  S.  36. 

*)  Cartesius,  Principia  philosophiae,  Amstelodami  1677,  F.  II,  S.  37  and  S.  41 
und  P.  III,  $.  65. 


A.    Vorgeschichte.  871 

Während  Spinoza  unzweifelhaft  darüher  sich  im  Unklaren  be- 
fanden hat,  dasB  die  Wärme  eine  Form  der  Energie  sei,  so  liegt  es 
jedoch  andererseits  in  der  Natur  seines  philosophischen  Systems,  dass  er 
von  der  Un Veränderlichkeit  der  in  der  Welt  vorhandenen  Kraft-  und  Arbeits- 
yorräthe  überzeugt  war.  Unzweifelhaft  wenigstens  ist  ihm  die  Substanz 
unendlich  und  ihrer  Quantität  nach  unveränderlich;  zwischen  Substanz 
und  Kraft  aber  nimmt  er  eine  Wesensidentität  an  und  hält  Materie  und 
Kraft  nur  für  zwei  verschiedene  Modi  der  Auffassung  des  Seienden  ^). 

Ausführlicher  und  klarer  spricht  sich  Spinoza  über  das  Princip 
von  der  Erhaltung  der  Kraft  in  der  weniger  bekannten  Abhandlung: 
„Von  Gott,  dem  Menschen  und  dessen  Glück ')"  aus.  In  dem  Gapitel,  in 
welchem  es  „Von  der  geschaffenen  Natur"  handelt,  heisst  es:  „Was  nun 
die  allgemeine  geschaffene  Natur  anbetrifft  oder  die  Modi  oder  Ge- 
schöpfe, die  unmittelbar  von  Gott  abhängen  oder  geschaffen  sind,  so 
kennen  wir  von  diesen  nicht  mehr  als  zwei,  nämlich  die  Bewegung  im 
Stoff  und  den  Verstand  im  denkenden  Dinge.  Von  ihnen  sagen  wir,  dass 
sie  von  aller  Ewigkeit  gewesen  sind  und  in  alle  Ewigkeit  unverändert 
bleiben  werden.  Wahrlich  ein  Werk  so  gross,  wie  es  der  (Jrösse  des 
Werkmeisters  geziemte. 

Was  nun  insbesondere  die  Bewegung  anbetrifft,  da  diese  eigentlich 
mehr  in  die  Abhandlung  von  der  Naturwissenschaft  als  hierher  gehört, 
dass  sie  von  aller  Ewigkeit  her  dagewesen  ist  und  in  Ewigkeit  un- 
verändert bleiben  wird,  dass  sie  in  ihrer  Art  unendlich  ist  und  dass  sie 
durch  sich  selbst  nicht  bestehen  oder  begriffen  werden  kann,  sondern 
allein  mittelst  der  Ausdehnung  —  von  dem  Allem,  sage  ich,  werden  wir 
hier  nicht  handeln  etc.'' 

Es  ist  nach  solchen  Aeusserungen  nicht  ohne  Weiteres  zu  verwerfen, 
wenn  einzelne  begeisterte  Anhänger  der  spinozistischen  Lehre,  welchen 
es  unbekannt  war,  auf  wie  früher  Stufe  menschlicher  Erkenntniss  be- 
reits deutlichere  Spuren  dieses  wichtigen  Princips  zu  finden  sind,  den 
grossen  Philosophen  als  den  eigentlichen  Entdecker  des  Princips  von  der 
Erhaltung  der  Kraft  bezeichnet  haben  ^). 

Schon  mit  grösserer  Klarheit  finden  wir  ähnliche  Gedanken  bei  John 
T o  1  a n d ^)  wieder,  welcher  das  System  Spinoza's  einer  eingehenden 
Kritik  unterzogen  hat.  In  zwei  werthvoUen  Abhandlungen,  welche  den 
„Letters  toSerena"  angehängt  sind,  wird  freilich  in  der*  verkehrten  Auf- 
fassung des  Kräftemaasses  von  Cartesius  deutlich  ausgesprochen,  dass 
die  Actionsmenge  im  Universum  constant  sei.  Es  finden  sich  bei  Toland 


1)  Vergl.   Spinoza,   Ethik,  I.   Thl.:    Von   Gott.     Lehrsatz   28    und    36.     In    der 
Kirchmann'schen  Ausg.  S.  83  u.  41. 

2)  Üebersetzung  von  Schaarschmidt.    Berlin  1874.     2.  Aufl.,  Cap.  9,  S.  38. 

3)  Vergl.  F.  Cohn,  Die  Entwickelung  der  Naturwissenschaft  in  den  letzten  25  Jahren. 
Breslau  1872.     2.  Aufl.,  S.  15. 

*)  Vergl.  G.  Berthold,   Notizen  zur  Geschichte   des  Princips   von  der  Erhaltung 
der  Kraft.    Pogg.  Ann.  Bd.  157,  S.  397  und  Berl.  Ber.  Jahrg.  1875,  S.  583, 


872  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

einige  Stellen  ^),  welche  deutlich  auf  die  YorstelluDg  von  der  Einheit  <k 
Naturkräfte  hinweisen.  Wir  reproduciren  eine  andere,  welche  klar  genug 
den  Satz  yoh  der  Erhaltung  der  Energie  erkennen  lässt.  Dieselhe  lautet^: 
„Sowie  diese  hesonderen  oder  hegrenzten  Quantitäten,  welche  wir  di» 
oder  jene  Körper  nennen,  nur  die  yerschiedenen  Modificationen  der  aD- 
gemeinen  Ausdehnung  der  Materie  sind,  in  welcher  sie  alle  enthalten  änd, 
und  welche  sie  weder  vermehren  noch  verringem :  so  sind  als  eine  adä- 
quate Parallele,  alle  hesonderen  oder  Localbewegungen  der  Materie  nsi 
die  verschiedenen  Determinationen  'ihrer  allgemeinen  Action,  welche  ne 
hierhin  oder  dorthin  durch  diese  oder  jene  Ursache,  auf  diese  oder  je&« 
Weise  dirigiren,  ohne  sie  irgendwie  zu  vermehren  oder  zu  vermindern." 


5.    Die  Vorstellungen  von  der  Wärme  im  Zeitalter 

Newton's. 

Bei  den  Männern,  welche  dem  grossen  Newton  vorhergingen,  Oui 
gleichzeitig  waren  und  folgten,  macht  sich  eine  eigenthümliche  Ver 
mischung  solcher  Vorstellungen  bemerkbar,  welche  mit  den  unseren  fi1)e^ 
einstimmen,  und  solchen  Meinungen,  welche  mit  der  alten  Anschauiu; 
zusammenhängen,  dass  die  Wärme  ein  Stoff  sei.  Erst  Hocke  erhdrf 
sich  über  diese  Fragen  zur  vollen  Klarheit. 

Dem  grossen,  durch  seine  Verdienste  um  die  Physik  wie  um  dk 
Chemie  gleich  ausgezeichneten  Boyle  (geb.  1627,  gest.  1691)  ist  z.& 
die  Wärme  nur  eine  Bewegung,  das  Feuer  hingegen  ist  ihm  eine  Sub- 
stanz, welche  Gewicht  besitzt.  Er  sagt  z.  B.  '):  „Wärme  wird  erzeugt, 
wenn  nur  die  Eörpermolecüle  hinreichend  bewegt  werden."  DieGewiehlx* 
Vermehrung  des  Bleies,  welches  in  einer  verschlossenen  gläsernen  Seiorte 
erhitzt  wird,  schreibt  er  dem  Eindringen  von  Feuerkügelchen  durch  die 
Poren  des  Glases  zu^),  obgleich  seiner  scharfen  Beobachtungsgabe  (& 
Volumenverminderung  der  mit  eingeschlossenen  Luft,  in  Folge  des  Ter* 
brauches  des  Sauerstoffs  nicht  entgangen  war. 

In  einer  besonderen  Abhandlung :  De  mechanica  caloris  origine  sei 
productione  ^)  sagt  er:  „Das  Wesen  der  Wärme  besteht  entweder  übe^ 
haupt  oder  doch  an  erster  Stelle  in  derjenigen  Eigenschaft  der  Wärme, 
welche   wir  eine  mechanisch  modificirte  Localbewegung  nennen.**    & 


^)  Toland,  Letters  to  Serena  etc.     London  1704.     S.  159  n.  193. 

2)  A.  a.  0.  S.  176. 

^)  Rob.  Boyle,  Opera  varia  de  absoluta  quiete  in  corporibus,  Colonniae  AJV* 
brogae  1680,  p.  6. 

*)  Rob.  Boyle,  Opera  varia,  Detecta  penetrabilitas  vitri  a  ponderabilibus  pr 
tibus  flammaei  p.  4. 

^)  Rob.  Boyle,  Experimenta  et  not-ae  circa  caloris  et  frigoris  originem  sea  pw 
ductionem  tnechanicam.     Genevae  1694,  S.  12. 


I 


A.    Vorgeschichte.  873 

sprioht  eich  unzweifelhaft  darüher  auB,  dass  die  Geschwindigkeit  der  Be- 
wegung der  kleinsten  Theile  der  Körper  den  Wärmegrad  hedinge,  dass 
diese  Wärmebewegnngen  nach  allen  möglichen  Richtungen  hin  sich  voll- 
ziehen, und  dass  es  die  unwahrnehmbaren,  kleinsten  Theile  sind,  welche 
bewegt  werden. 

Zum  Beweise  seiner  Ansicht  weist  er  darauf  hin,  dass  beim  Reiben 
von  Körpern  an  einander,  beim  Hämmern  und  ähnlichen  Vorgängen 
Wärme  erzeugt  werde,  ohne  dass  ein  Verbrauch  von  irgend  welcher  Art 
von  Substanz  stattfinde.  Er  sagt  ganz  deutlich  über  die  Thatsache,  dass 
ein  Nagel  und  der  Hammer  beim  Schlagen  heiss  werden,  „die  Kraft  des 
Hammers  wird  dazu  aufgewendet,  die  inneren  Molecüle  des  Nagels  heftig 
in  schwingende  Bewegung  zu  setzen*^  und  weiterhin:  „dass  eben  in  die- 
ser Bewegung  das  Wesen  der  Wärme  beruhe^. 

Wie  die  oben  mitgetheilte  Ansicht  Boyle's  über  das  Wesen  des 
Feuers  zeigt,  sind  die  Theorien  dieses  hervorragenden  Naturforschers 
noch  nicht  ganz  frei  von  den  mystischen  Vorstellungen  der  Alchemie, 
deren  kräftige  Bekämpfung  gerade  er  sich  vorzugsweise  zur  Aufgabe 
gestellt  hatte.  Seine  hohe  Bedeutung  für  die  Geschichte  der  exacten 
Naturwissenschaften  liegt  besonders  in  seiner  gewissenhaften  Art  zu  experi- 
mentiren  und  darin,  dass  er  lehrte,  die  aus  den  Experimenten  gezogenen 
Schlüsse  durch  Controlexperimente  zu  prüfen. 

Newton,  (geb.  1642,  gest.  1727),  der  bekanntlich  bis  zuletzt  mit 
grosser  Zähigkeit  daran  festgehalten  hat,  dass  das  Wesen  des  Lichtes 
iauf  der  Anssendung  einer  feinen  Substanz  durch  den  leuchtenden  Körper 
bestehe,  hielt  im  Gegensatze  dazu  die  Wärme  für  eine  Bewegung  der 
Körpermolecüle.  Von  den  seiner  Optik  ^)  angehängten  Fragen  lautet  die 
fünfte :  „Wirken  nicht  Körper  und  Licht  gegenseitig  auf  einander,  d.  h. 
die  Körper  auf  das  Licht,  indem  sie  dasselbe  aussenden,  brechen  und 
beugen  und  das  Licht  auf  die  Körper,  indem  es  sie  erwärmt  und  deren 
lüiolecüle  in  eine  vibrirende  Bewegung  versetzt,  worin  die  Wärme  be- 
iteht?**  In  der  neunten  Frage  aber  sagt  er:  „Ist  das  Feuer  nicht  ein 
Körper,  der  so  stark  erwärmt  ist,  dass  er  reichlich  Licht  auszusenden 
vermag?" 

Der  Versuch  englischer  Schriftsteller,  für  Newton  das  Verdienst 
n  Ansprach  zu  nehmen,  das  Princip  von  der  Erhaltung  der  Kraft  ent- 
leckt zu  haben,  muss,  worauf  schon  Berthold  ^)  aufmerksam  gemacht 
lat,  als  verfehlt  angesehen  werden.  Wenn  man  auch  zugeben  kann,  dass 
Newton  gelegentlich  von  diesem  Principe  bei  seinen  mechanischen  Be- 
rachtnngen  Anwendung  gemacht  hat,  so  hat  es  ihm  doch  ganz  fern  ge- 
egen,  demselben  eine  universelle  Bedeutung  beizulegen.    Wie  hätte  er 


^)  Newton,  Optics,  or  a  treatise  of  tlic  reflexions,  refractions,  inflexions  and 
>lours  of  light.     London  1704.     S.  133. 

*)  Berthold,  Notizen  zur  Geschichte  v.  d.  Erh.  d.  Kraft.  Pogg.  Ann.  Bd.  157, 
,    348. 


874  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

sonst  auf  den Oedanken  kommen  können,  aof  den  schon  Leibniz^)  hin- 
weist, dass  die  göttliche  Maschine:  Natur,  so  anyollkommen  sei,  dass  se 
von  Zeit  zu  Zeit  ansgehessert  und  gereinigt  werden  müsse. 

Der  grosse  Rivale  und  Zeitgenosse  Newton's,  den  letsterer  sdUk 
immer  nur  als  „Summus  Huyghenius^  hezeichnete,  Hayg^hens  (geb. 
1629,  gest.  1695),  hat  sich  minder  mit  dem  Wesen  der  Wärme  beschäftigt 
dafür  aber  hat  er  bei  seinen  mechanischen  Betrachtungen  über  Ponktt 
und  starre  Systeme,  insbesondere  bei  Ableitung  seiner  S&tze  über  dei 
Stoss^)  wiederholt  sich  auf  das  Princip  berufen,  dass  unmöglich  Knfi 
aus  nichts  entstehen  könne.  Ihm  mit  zu  allererst  scheint  der  Inbah 
und  die  Tragweite  dieses  Fundamentalsatzes  zu  klarem  Bewasstaein  ge- 
kommen zu  sein,  jedenfalls  ist  er  es  zuerst  gewesen,  der  denselben  wk 
Bewusstsein  seiner  Bedeutung  als  methodisches  Hilfsmittel  mit  Erfolg, 
wenn  zunächst  auch  nur  auf  dem  Gebiete  der  Mechanik,  yerwendet  hit 
Er  wohl  zuerst  zeigte  auch  die  Unmöglichkeit  ein  Perpetaam  mobile 
herzustellen '). 

Neben  den  eben  Angeführten  muss  wegen  der  besonderen  Klarbat 
seiner  Anschauungen  über  das  Wesen  der  Wärme  Robert  Hookc 
(geb.  1635,  gest.  1703)  genannt  werden.  Seine  Aussprüche  lauten  der 
art,  dass  man  stellenweise  glaubt,  einen  Physiker  der  heutigen  Zeit  n 
hören;  bei  ihm  heisst  es  z.  B.^),  „dass  die  Wärme  nichts  weiter  sei  als 
eine  sehr  lebhafte  und  heftige  Bewegung  derKörpermolecü^e"  und  weiter- 
hin :  „Meiner  Ansicht  nach  ist  die  Ursache*  des  flüssigen  Aggregatsustao- 
des  nichts  anderes  als  eine  bestimmte  Schwingung  oder  Erschfittenug 
der  Wärme,  denn  da  die  Wärme  nichts  anderes  ist  als  eine  sehr  lebhaft« 
Bewegung  der  Körpermolecüle,  werden  die  Molecüle  eines  Körpers  da- 
durch so  Yon  einander  frei  gemacht,  dass  sie  sehr  leicht  sich  nach  jeder 
Richtung  bewegen  und  flüssig  werden.^  Etwas  weiterhin  bemeilt 
Hooke^)  femer:  „Dass  die  Molecüle  aller  Körper,  so  solid  diese  aa^ 
sein  mögen,  doch  yibriren,  dazu  braucht  es  meines  Erachtens  keinei 
anderen  Beweises  als  den,  dass  alle  Körper  einen  gewissen  Grad  Wänse 
in  sich  haben,  und  dass  noch  niemals  ein  absolut  kalter  Körper  ^efos* 
den  ist.** 

Diese  letzte  Aeusserung  behauptet  doch  genau  dasselbe,  was  man  jetflt 
als  den  Satz  von  der  Unerreichbarkeit  des  absoluten  Nullpunktes  be- 
zeichnen würde. 

Auch  das  Princip  von  der  Erhaltung  der  Kraft  Endet  sich  bei  Hocke 
bereits  in  einer  eigentbümlichen,  ziemlich  klaren  Fassung.  Nachdem  er^l 

^)  L e i b n i t i i    opera  philosophica.    Ed.  J.  E.  E r d m a n n ,  Berottni  1840.  S.  747. 

^)  Huyghens,  Opuscnla  posthuma  1703,  de  motu  corporum  ex  percn^««« 
Prop.  XI.     Vergl.  Dühring,  Principien  der  Mechanik.     2.  Aufl.,  S.   166  etc. 

8)  Huyghens,  Opera  varia  1724.     Bd.  1,  S.  123. 

^)  R.  Hooke,  MicTOgraphia,  S.  12.     London  1667. 

^)  A.  a.  0.,  S.  16. 

*)  The  posthnmous  works  of  R.  Hooke.  Published  by  R.  Waller.  London  1703, 
S.  171. 


A.    Vorgeschichte.  875 

die  Behauptung  aufgestellt  hat,  dass  „das  Oanze  der  Realitäten,  welche 
unsere  Sinne  afficiren,  Materie  und  Bewegung  sei"  fahrt  er  fort:  „sie 
sind,  was  sie  sind,  Mächte  geschaffen  vom  Allmächtigen  zu  sein,  was  sie 
sind  und  zu  wirken,  wie  sie  thun,  welche  unveränderlich  im  Gan- 
zen sind,  weder  durch  Vermehrung  noch  durch  Verminderung.^ 

Auch  Hooke's  Bemerkungen  über  die  Erscheinungen,  welche  sich 
an  rasch  gekühlten  Glastropfen,  den  sogenannten  Glasthränen  zeigen, 
und  seine  Erklärung  des  Funkensprühens  beim  Feuerschlagen  mit  Stahl 
und  Quarz  lauten  derart,  dass  man  nicht  darüber  im  Zweifel  sein  kann, 
ihm  war  die  Umsetzung  von  Arbeit  und  kinetischer  Energie  in  Wärme 
ein  selbstverständlicher  Vorgang.  Bei  Hooke's  Eigenart  und  seiner 
Neigung,  sich  die  Verdienste  Anderer  zu  eigen  zu  machen,  bleibt  es  viel- 
leicht zweifelhaft,  in  wie  weit  seine  fortgeschrittenen  Anschauungen  ganz 
sein  eigenes  geistiges  Product  gewesen  sind,  jedenfalls  aber  muss  man 
anerkennen,  dass  er  zuerst  dem  richtigen  Gedanken  in  so  treffender  Weise 
Ausdruck  gegeben  hat. 

Es  erscheint  uns  heute  fast  unbegreiflich,  wie  es  möglich  gewesen 
ist,  dass,  nachdem  bereits  in  ihrer  Zeit  so  allseitig  anerkannte  Autori- 
täten, wie  die  vol*genannten  Boyle,  Newton,  Hooke,  sich  in  so  un- 
zweifelhafter Weise  darüber  ausgesprochen  hatten,  dass  die  Wärme  ein 
Bewegungszustand,  also  eine  Eräfteform  sei,  die  Ansicht  von  der  Exi- 
stenz eines  Wärmestoffes  späterhin  wiederum  hat  Platz  greifen  und  bis 
in  den  Anfang  unseres  Jahrhunderts  hinein  die  maassgebende  hat  bleiben 
können. 

Ueber  die  Stellung  der  vorgenannten  Männer  zu  dem  wichtigen 
Gesetze,  welches  wir  jetzt  die  Erhaltung  der  Energie  nennen,  lässt  sich 
zusammenfassend  soviel  sagen,  dass,  nachdem  Galilei  bereits  bei  seinen 
Betrachtungen  gelegentlich  von  Vorstellungen  ausgegangen  war,  welche 
diesem  Gesetze  sehr  ähnlich  sind  ^),  es  nahe  liegt,  dass  die  grossen 
Mechaniker  und  Physiker  dieser  Periode,  die  alle  auf  den  Schultern  dieses 
Meisters  stehen,  wiederholt  in  ihren  Werken  Aussprüche  gethan  haben, 
welche  als  Belege  angesehen  werden  können,  dass  auch  ihnen  der  Inhalt 
dieses  Gesetzes  nicht  ganz  fremd  gewesen  ist. 

Einen  wesentlichen  Fortschritt  zu  grösserer  Klarheit  und  bewusster 
Anwendung  scheint  jedoch  nur,  wie  bereits  erwähnt,  hinsichtlich  der  An- 
wendung durch  Huyghens  und  hinsichtlich  der  Formulirung  durch 
Hooke  vollzogen  worden  zu  sein. 


S.    171.     Vergl.  Berthold,  Notizen  «.  Gesch.  d.  Princ.  v.  d,  Erhalt,  d.  K.,  Berl.  Ber. 
1875,  S.  583. 

1)  Vergl.  Du  bring,  Principien  d.  Mechanik.  2.  Aufl.,  S.  52.  Leipzig,  Fues,  1877 
und  Mach,  Die  Geschichte  und  die  Wurzel  des  Satzes  von  der  Erhaltung  der  Arbeit. 
Prag   1872,  S.  7. 


876  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 


6.    Lelbnizens  Stellung  zur  meclianisohen 

Den  AnBchaunngen  unserer  Zeit  steht  schon  die  Ansicht  wesentüdi 
näher,  welche  Leihniz  (geh.  1646,  gest  1716)  von  dem  Wesen  der 
Wärme  hatte.  Dieser  Philosoph  hSit  die  Wärme  für  ähnlich,  wenn  anch 
nicht  identisch  mit  dem  Lichte.  Er  sagt  z.  B.  ^):  „Die  Wärme  hat  die- 
selbe Ursache  wie  das  Licht,  nnr  mit  dem  Unterschiede  der  Feinheit 
Beides  entsteht  sowohl  darch  eine  innerliche,  in  sich  zurückkehrende 
Bewegung,  welche  das  Feinere  ausstösst,  als  es  auch  eine  solche  Bewegung 
bewirkt.^  Vom  Lichte  aber  sagt  er  vorher'),  es  sei  „eine  Bewegung 
des  Aethers  zum  Sinnesorgan,  welche  geradlinig  und  sehr  schnell  sich 
rings  umher  nach  allen  wahrnehmbaren  Punkten  verbreitet^. 

Von  manchen  Schriftstellern  wird  das  Verdienst,  den  Satz  von  der 
Erhaltung  der  Energie  aufgestellt  zu  haben,  Leihniz  zuerkannt.  Wir 
haben  jedoch  im  Vorstehenden  deutlich  gezeigt,  dass  ähnliche  Ansichten 
bereits  in  viel  früherer  Zeit  zu  finden  sind.  Vielfach  wird  zur  Begrün- 
dung dieser  Behauptung  auf  den  bekannten  Streit  zwischen  Leibnii^) 
und  den  Anhängern  des  Cartesius  über  das  Maass  der  Kr&fte  hin- 
gewiesen, von  welchen  bekanntlich  späterhin  d'Alerabert^)  gezeigt  hat, 
dass  es  sich  dabei  wesentlich  um  einen  Wertstreit  gehandelt  habe.  In 
Wirklichkeit  liegt  die  Sache  aber  so,  dass,  während  Gartesias  be- 
hauptet hat,  die  im  Weltall  vorhandene  Bewegungsgrösse  (27  mc)  bleibe 
constant,  Leihniz  den  Vorrath  an  lebendiger  Kraft  (nach  Leibnii 
2Jmv^)  im  Welträume  fär  unveränderlich  hält. 

In  Wirklichkeit  hat  aber  damit  keiner  Recht,  da  weder  die  eine 
noch  die  andere,  sondern  nur  die  Summe  aus  potentieller  und  kineüaeher 
Energie  unveränderlich  ist,  und  zwar  auch  nur  in  sofern,  als  beide  Be 
griffe  in  einer  ganz  allgemeinen  Bedeutung  verstanden  werden,  derea 
Verständniss  erst  erschlossen  wurde,  als  R.  Mayer  darauf  hingewiesen 
hatte,  dass  auch  Wärme,  chemische  Differenz,  elektrische  und  magnetische 
Wirkungen  als  Energieformen  anzusehen  seien,  welche  in  die  rein  meeha- 
nischen  nach  bestimmten  Aequivalentverhältnissen  umsetzbar  sind. 

Eine  Bemerkung  ist  von  Bedeutung,  welche  sich  in  dem  ans  der 
Zeit  des  Streites  mit  den  Cartesianern  herrührenden  Essai  de  dyna- 
mique  ^)  findet.  Dieselbe  bezieht  sich  auf  die  scheinbaren  ElnergieTerluste 
beim  Stosse  und  lautet:    „Was  durch   die  kleinen  Theile  absorbiri  wxrä. 


^)  Leibniz,  Mathem.  Schriften,  herauBgegeben  von  Gerhardt.     2.  Abth.,  2.  Bi. 
Seite  36. 

2)  A.  a.  0.,  S.  34. 

8)  A.  a.  O.,  S.  117  und  S.  234. 

^)  d'AIembert,  Trait^  de  dynamique.     Paris  1743.     Vorrede,  S.  XVI. 

*)  Leihniz,  Mathem.  Werke.     Ausg.  von  Pertz-Gerhardt,  Bd.  VI,  S,  231. 


A.    Vorgeschichte.  877 

geht  keinesfalls  absolat  für  das  Uniyersam  yerloren,  obwohl  es  für  die 
Gesammtkraft  der  zasammenstossenden  Körper  yerloren  geht.*' 

Yon  Wichtigkeit  igt  auch  die  Stellung,  welche  dieses  wichtige  Prineip 
in  der  Betrachtungsweise  yon  Leibniz  einnimmt.  Er  schliesst  z.  B.  in 
folgender  Weise  ^):  „Die  Körper  des  Uniyersnms  können  mit  anderen 
Körpern,  welche  in  dem  Uniyersnm  nicht  enthalten  sind,  nicht  communi« 
.  ciren.  Das  Uniyersam  ist  also  ein  System  yon  Körpern,  welche  mit  an- 
deren nicht  communiciren,  und  daher  erhält  sich  in  ihm  immer  dieselbe 
Kraft." 

Bereits  bei  Gelegenheit  der  Erwähnung  des  Streites  zwischen  Leib- 
niz und  den  Cartesianern  über  das  Maass  der  Kräfte  war  darauf 
hingewiesen  worden,  dass  der  Erstgenannte  bereits  ziemlich  richtige 
Vorstellungen  yon  dem  Inhalte  und  der  grundlegenden  Bedeutung  des 
Satzes  yon  der  Energie  hatte,  soweit  es  sich  um  Anwendungen  dieses 
Satzes  innerhalb  des  Bereiches  der  Mechanik  handelte.  Es  liegen  Be- 
weise dafür  yor,  dass  diesem  grossen  yielseitigen  Gelehrten  der  Ueber- 
gang  der  kinetischen  Energie  bewegter  Körper  in  das,  was  win  heute 
als  Molecularbewegung  zu  bezeichnen  pflegen,  yoU ständig  bekannt  war. 
Er  yergleicht  z.  B.  diese  Umsetzung  sehr  treffend  mit  dem  Wechseln 
eines  grossen  Geldstückes  in  Scheidemünze  '). 

Es  gelang  ihm  jedoch  nicht  zu  erkennen,  dass  Arbeit  und  Wärme 
nach  feststehenden  quantitatiyen  Verhältnissen  in  einander  umsetzbar  sind; 
er  hat,  obgleich  er  dem  Ziele  nicht  mehr  fern  war,  in  dieser  Richtung 
den  letzten  wichtigen  Schritt  nicht  gethan.  Die  erforderlichen  Grundlagen 
waren  jedoch  für  ihn  zum  grössten  Theile  yorhanden,  denn  in  Bezug  auf 
die  Wärme  sagt  er,  worauf  wir  schon  yorher  (S.  876)  hingewiesen  haben, 
dass  sie  eine  innerliche  in  sich  zurückkehrende  Bewegung  sei  ^).  Was 
kann  er  unter  diesen  Worten  anderes  yerstanden  haben  als:  eine  schwin- 
gende Bewegung?  Ferner  musste  dem  Begründer  der  Lehre  yon  den 
Monaden  ein  Aufbau  des  Stoffes  aus  einzelnen  Molecülen  etwas  Selbst- 
yerständliches  sein.  Er  yergleicht  z.  B.^)  die  weichen  Körper  mit  einem 
Sack  yoU  elastischer  Kugeln,  welche  bei  einem  massigen  Stoss  nicht 
wieder  die  frühere  Form  annehmen,  weil  die  Theile  nicht  genug  mit 
einander  yerbunden  sind  und  fährt  weiter  fort :  „Hieryon  kommt  es,  dass 
bei  dem  Stosse  solcher  Körper  ein  Theil  der  Kraft  durch  die  kleinen 
Theile  absorbirt  wird,  welche  die  Masse  zusammensetzen,  ohne  dass  diese 
Kraft  dem  Ganzen  zurückgegeben  wird.  —  Indessen  ist  dieser  Abzug 
der  Totalkraft  durchaus  kein  Verstoss  gegen  das  Gesetz  der  Erhal- 


^)  LeibDiz,  Mathem.  Schriften.  Herausgegeben  von  Gerhardt.  Halle  1860. 
Abth.  2.     Bd.  2,  S.  434.     Vergl.  auch  S.  865  die  Beweisführung  Epikur's. 

^)  Leibniz,  Opera  philosophica  etc.  S.  775.  Vergl.  auch  G.  Berthold,  Notizen 
zur  Geschichte   des  Principes   der  Erhaltung   der  Kraft.     Pogg.  Ann.   Bd.  157,  S.  342. 

^)  Leibniz,  Mathem.  Schriften.  Herausgegeben  v.  Gerhardt.  2.  Abtheilung, 
2.  Bd.     Halle  1760.     S.  34. 

*)  A.  a.  0.,  S.  230. 


878  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

tung  der  Kraft  in  der  Welt.  Denn  was  durch  die  kleinen  Thak 
ahsorbirt  wird,  ist  keineswegs  für  das  Universum  verloren,  obgldde« 
für  die  Totalkrafb  der  stossenden  Körper  verloren  ist"  Man  sieht  \aik 
ein,  dass  der  nächste  wichtige  Schritt,  welcher  bei  Anderen,  wie  z.& 
bei  Hooke,  bereits  gethan  ist,  und  welcher  lauten  würde:  diese  B^ 
weguDg  der  kleinsten  Theile  ist  das,  was  wir  Wärme  nennen,  bei  Leib- 
niz  fehlt.  Hätte  er  ihn  gethan,  so  würde  er,  da  er  in  obigem  Gitat  aof  & 
Quantitätsbeziehungen  deutlich  hinweist,  naturgemäss  dazu  gefahrt  wot- 
den  sein,  auszusprechen,  dass  die  erzeugte  Wärme  der  scheinbar  tv 
lorenen  Arbeit  entspreche.  —  Leibniz  wurde  an  diesem  Schritte  dft> 
durch  gehindert,  dass  bei  ihm  die  Begriffe  Kraft  und  Arbeit  noch  nids: 
zu  genügend  klarer  Unterscheidung  gediehen  waren,  und  weil  ihm  der 
Begriff  der  Wärmemenge  noch  fremd  war,  der  bekanntlich  erst  dord 
J.  Black  ^)  und  Wilcke^)  in  die  Wissenschaft  eingeführt  worden  ist 


7.    Die  Bemoulli's. 

Schon  Johann  Bernoulli^)  hatte  die  Wärme  für  einen  Be- 
wegungszustand  der  Körpermolecüle  angesehen^),  jedoch  war  es  eni 
seinem  Sohne  Daniel  Bernoulli^)  vorbehalten,  aus  diesem  Gedanka 
diejenigen  fruchtbaren  Folgerungen  zu  ziehen,  welche  ihn  zum  eigesi- 
lichen  Begründer  der  kinetischen  Gastheorie  gemacht  haben.  —  Möglich£^ 
weise  stammt  jedoch  die  erste  Anregung  zu  dieser  eigenthümlichen  B^ 
trachtungsweise  schon  von  Jacob  Bernoulli,  dem  Bruder  des  JoIibbi 
Bernoulli.  Bei  einem  Schüler  desselben,  Jacob  Hermann^)  (g^ 
boren  1678,  gestorben  1733),  findet  sich  nämlich  schon  zwei  Jahnebir 
früher,  als  bei  DanieJ  Bernoulli  der  Satz,  dass  die  Wärme  eins 
Körpers  dem  Producte  aus  der  Dichte  und  dem  Quadrate  der  mittlera 
Geschwindigkeit  seiner  kleinsten  Theile  proportional  sei.  —  Bemerkesr 
werth  ist,  dass  schon  Johann  Bernoulli  den  Namen  £nergie  fv 
Arbeit  gebraucht.      Er  sagt  z.  B.   in   einem   1717   an  Yarignon  g^ 


1)  J.  Black  (geb.  1728,  gest.  1799). 

2)  J.  K.  Wilcke,  geb.  1732,  gest.  1796. 

3)  Job.  Bernoulli,  geb.  1667,  gest.  1748. 

^)  Vergl.  S.  Hagenbach,  Die  Zielpunkte  der  pbysik.  Wissenschaften.  I/eipac 
1871.     S.  32. 

*)  Daniel  Bernoulli,  geb.  1700,  gest.  1782.  Vergl.  die  Verdienste  dcssdte 
um  die  Begründung  der  kinetischen  Gastheorie  im  Abschnitte  I,  B,  dieses  Bandes;  ^G^ 
scbichtliches  über  die  Moleculartheorie,  im  Besonderen  über  die  der  Gase",  S.  12ii.$-i 
Vergl.  auch  die  Ueberseizung  der  ersten  sechs  Paragraphen  des  10.  Baches  der  Hjdn- 
dynamik,  welche  P.  du  Bois-Reymond  in  Pogg.  Ann*  Bd.  107,  S.  490  mitgetheilt iit. 

^)  J.  Hermann,  Phoronomia  sive  de  viribus  et  motibus  corporum  solidonun  et 
fluidorum  libri  duo.  Amstelodami  1716,  S.  376.  Vergl.  E.  Oehler,  Beitrag  rv 
Geschichte  der  mechan.  Wärmetheorie,  Wiedem.  Ann.  Bd.  IX,  S.  512. 


A.    Vorgeschichte.  879 

richteten   Briefe^):    „Unter  Energie  ist  zu  verstehen  das  Product  der 
Kraft  in  die  Projection  der  Yerschiehong  anf  die  Krafbrichtung  etc/i 
während  sich  hei  seinem  Sohne  Daniel  hereits  der  Unterschied  zwischen 
actneller  und  potentieller  Energie  TorfindeL  Von  diesen  Begriffen  machte 
Letzterer  z.  B.  Anwendung  hei  Ahleitnng  der  nach  ihm  henannten  Formel 
für  die  Ansflussgeschwindigkeit  von  Gasen  aus  engen  Gefössmündungen. 
Selbstredend  gehraucht  auch  er,  wie  sein  Vater,  den  Begriff  Energie  nur 
in  Anwendung  auf  rein  mechanische  Vorgänge.    Wenn  er  die  W&rme 
bei  Gasen  als  einen  rein  mechanischen  Vorgang  auffasste,  lag  ihm  eigent- 
lich der  Gedanke  sehr  nahe,  die  zur  Zusammenpressung  eines  Gases  auf- 
gewendete Arbeit  mit  der  durch  diesen  Vorgang  erzeugten  Wärmemenge 
in  Verbindung  zu  setzen,  aber  auch  ihm  fehlte,  da  seine  Hydrodynamik, 
in  der  er  die  kinetische  Theorie  der  Gase  abhandelt,  schon  im  Jahre  1738 
erschienen  ist,  der  für  eine  solche  Gedankenverbindung  nothwendige  Be- 
griff der  Wärmemenge.  —  Es  findet  sich  jedoch  insofern  bei  Daniel 
Bernoulli  ein  wesentlicher  Fortschritt,  als  er  einestheils  klar  die Mole- 
cularbewegungen  für  die  Ursache  der  Wärme  erklärt  und  andererseits 
die  in  dieser  Molecularbewegung  vorhandene  Energie  als  solche  klar  be- 
zeichnete.    Gleich  im  Anfange  seiner  Hydromechanik^)  sagt  er  z.  B. : 
„Alle  stimmen  darin  überein,  dass  alle  Fluida  eine  innere  Bewegung 

haben. Aus  diesem  Grunde  werden  selbst  die  meisten  Körper  von 

festester  Constitution  flüssig  durch  einen  hinreichenden  Grad  von  Wärme, 
welche  alles  in  Bewegung  bringt.  —  Diese  innere  Bewegung  bewirkt 
aber,  dass  die  Molecüle  einander  nicht  berühren,  sondern  gleichsam 
fliegen,  wodurch  es  geschieht,  dass  sie  ohne  Reibung  durch  den  gering- 
sten Stoss  von  ihrem  Platze  weichen,  was  keineswegs  geschehen  würde, 
wenn  diese  Molecüle  wie  bei  einem  Haufen  Sand  in  Berührung  lägen. 
Je  intensiver  aber  die  Wärme  ist,  desto  heftiger  ist  auch  die  Bewegung 

1er  Molecüle ." 

An  einer  anderen  Stelle  ^)  desselben  Werkes  sagt  er :  „Ein  Punkt 
et  nicht  zu  vernachlässigen,  in  welchem  sich  die  elastischen  Fluida  von 
len  nicht  elastischen  unterscheiden,  nämlich  darin,  dass  ein  elastisches 

^luidum  auch  im  ruhenden  Zustande  lebendige  Kraft  besitzt 

nsofern  durch  seine  Spannkraft  in  anderen  Körpern,  welche  ein  Gewicht 
>e8itzen,  ein  solches  Aufsteigen  (entgegen  der  Wirkung  der  Schwerkraft) 
bewirken  kann.  Hoffentlich  wird  es  gestattet  sein,  im  Folgenden  den 
Lusdrack:  lebendige  Kraft,  welche  einem  comprimirten  elastischen  Körper 
ingepflanzt  ist,  zu  gebrauchen,  wenn  man  nichts  anderes  darunter  ver- 
teht,  als  den  potentiellen  Auftrieb,  welchen  ein  elastischer  Körper  einem 
nderen  mittheilen  kann,  so  lange  seine  gesammte  elastische  Kraft  noch 
icht  ersdiöpft  ist."    Im  weiteren  Verlaufe  spricht  er  alsdann  einen  Satz 


1)  Vergl.  Moritz  Rühlmann,   Vorträge  aus  d.  Geschichte  d.  theoret.  Maschinen- 
hre,  S.   149. 

^)  Dan.  Berooulli,  Hydrodynamica.    Argentorati  1788.  Sectio  prima,  §.  24,  S.  14. 
^)  HydrodyD.  Sect.  decima,  §.  43,  S.  231. 


'    880  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

aus,  welcher  allerdings  bereits  den  Gedanken  von  der  Umsetsbarkest  n 
Wärme  in  Arbeit,  ja  sogar  von  der  Ueberführang  von  potentieller Ebsb 
in  chemische  Verwandtschaft  in  Arbeit  deutlich  zum  Ansdmck  briir. 
Man  kann  daher  behaupten,  dass  Dan.  Bernoulli  zuerst  den^Gedaik 
von  einer  Umsetzbarkeit  der  verschiedenen  Naturkräfte  in  einander  m 
weit  concipirt  hatte,  als  dies  bei  dem  damaligen  Zustande  pfaysikaÜKk 
Kenntnisse  möglich  war.  Ein  wesentlicher  Mangel  ist  es  jedodi,  im 
auch  bei  ihm  die  Nothwendigkeit  quantitativer  Beziehungen  niifoi 
Erwähnung  findet.  Die  charakteristische  Stelle,  auf  welche  wir  »\t 
Werth  legen,  heisst*): 

„Aus  dieser  Uebereinstimmung  zwischen  der  Erhaltnng  der,  k 
comprimirten  Luft  und  einem  von  einer  gegebenen  Höhe  herabgefiülac 
Körper  innehaftenden ,  lebendigen  Kräfte  erhellt,  dass  zum  Maa^Baff 
gebrauche  kein  Yortheil  von  dem  Princip  der  ZusammenpresBung 
Luft  zu  hoffen  ist.  —  Da  aber  auf  vielerlei  Art  die  Luft  nicht 
Verwendung  von  Kraft,  sondern  von  Natur  comprimirt  ist  oder 
aussergewöhnlichen  Grad  von  Spannkraft  erlangt,  steht  sicher  zu  kS 
dass  von  diesem  natürlichen  Zustande  der  Dinge  grosse  Yortheik  s 
die  Bewegung  von  Maschinen  erdacht  werden  können,  wie  denn  hen 
D.  Amontons  einen  Modus  für  die  Bewegung  von  Maschinen  ( 
die  Kraft  der  Wärme  gelehrt  hat.  Ich  hege  die  Ueberzeugnng, 
wenn  alle  lebendige  Kraft,  welche  in  einem  Cubikfuss  Kohle  v 
ist,  auf  vortheilhafte  Weise  zur  Bewegung  einer  Maschine  v 
wird,  mehr  damit  erreicht  werden  kann,  als  durch  die  tägliche 
von  acht  oder  zehn  Menschen.^ 

In  seiner  wenig  bekannten  Abhandlung  „Bemerkungen  über  d» 
einem  allgemeinen  Sinne  genommene  Princip  von  der  Erhaltung  kia 
diger  Kräfte^)"  bezeichnet  er  dieses  Gesetz  selbst  als  ein  grosses Piie 
der  Natur.  Schwer  vereinbar  mit  so  fortgeschrittenen  Anschas 
aber  bleibt  es ,  dass  Daniel  Bernoulli')  den  Theil  der  lebes* 
Kraft,  welcher  beim  Stosse  unelastischer  Körper  scheinbar  verloren  g^ 
eine  „materia  subtilis^  übergehen   und  derselben  inhärent  bleiben  I 

Merkwürdigerweise  ist  auch  der  Anlauf,  den  Daniel  Bersot 
machte,  um  die  Eigenschaften  der  Körper  lediglich  aus  einer  Be 
der  Atome,  statt  wie  Bor  eil  i  und  Andere  aus  der  Gestalt  und  den 
Schäften  der  Atome  zu  erklären,  ohne  unmittelbare  Conseqnenzen  far 
Physik  geblieben.  Erst  der  neueren  Zeit  war  es  beschieden  sich  vob 
alten  Corpusculartheorie  erfolgreich  zur  kinetischen  Atomistik*^)  n 
heben. 


^)  Hydrodyn.  S.   231.     Zuerst   hat   Berthold  anf  diese   bemerkenswertbe 
aufmerksam  gemacht,  vergl.  dessen  Schrift:  Ramford  etc.,  S.  16. 

^)  Memoiren  d.  Berl.  Akad.  d.  Wissenschaften  vom  Jahre  1748,  S.  356. 

^)  Hydrodynamica,  Sect.  I,  §.  20,  Argentorati  1738,  S.  13. 

^)  Vergl.  Lasswitz,  Der  Verfall   der  kinetischen  Atomistik   im  17.  Jahrhcsia 
Pogg.  Ann.  Bd.  153,  S.  371. 


A.    Vorgeschichte.  881 

8.    Die  hemöheiidexi  Meinimgen  zu  Ende  des  vorigen 

Jalirbnnderts. 

Obgleich  der  Satz  von  der  Erhaltang  der  Kraft  durch  immer  aus* 
gedehntere  Anwendung  auf  mechanische  Probleme  sieb  mehr  und  mehr 
einbürgerte  und  grösserer  Klarheit  entgegenreifte,  so  lässt  sich  doch  kein 
herrorstechender  Einfluss  desselben   auf  die  Entwickelung    der  übrigen 
exacten  Naturwissenschaften  von  der  Mitte  bis  zum  Ende  des   18.  Jahr- 
hunderts nachweisen.   Auffallig  bleibt  es,  dass  während  dieses  Gesetz  den 
Mathematikern  und  Philosophen  der  ersten  Hälfte  des   18.  Jahrhunderts 
noch  ganz  geläufig  war,  dasselbe  gegen  Ende  desselben  mehr  und  mehr 
aus  dem  Bewusstsein  der  Nichtmechaniker  entschwindet.    Immanuel 
Kant  (geb.  1724,  gest.  1804)  z.B.,  welcher  über  einen  diesem  Gedanken- 
kreise   nahestehenden    Gegenstand   seine  Doctordissertation    „De  igne^ 
schrieb*),  hatte  schon  im  Jahre  1746  eine  kurze  Abhandlung  über  das* 
Cartesianische  und  Leib niz' sehe  Kräftemaass  verfasst;  er  war  auch 
sonst  im  naturwissenschaftlichen  Wissen  seiner  Zeit  vollständig  zu  Hause, 
dennoch  findet  man  in  seinen  ^Metaphysischen  Anfangsgründen  der  Natur- 
wissenschaft **  den  Satz  von  der  Erhaltung  der  Kraft  nicht  einmal  erwähnt^). 
Auch  die  bis  dahin  schon  zu  ziemlicher  Klarheit  entwickelten  Vor- 
stellungen über  die  Beschaffenheit  der  Wärme,  nach  welchen  man  es  in 
derselben  nur  mit  einer  Bewegung  der  kleinsten  Theile  der  Materie  zu  thun 
hat,  werden  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  mehr  und  mehr 
verdunkelt  und  machen  schliesslich  fast  ganz  der  irrigen  Meinung  Platz, 
dass  Wärme  ein  feiner  Stoff  sei,  der  sich  ähnlich  wie  andere  Elemente 
mit  den  übrigen  Körpern  in  wechselnden  Verhältnissen  verbinden  könne. 
Im  Besonderen  war  es  der  Philosoph  Christian  Wolff  (geb.  1679, 
gest.  1754),  der  zur  Verbreitung  der  Vorstellung  beitrug,  dass  man  es 
in  der  Wärme  mit  etwas  Stofflichem  zu  thun  habe.  In  seiner  Kosmologie, 
und  zwar  in  der  Abtheilung  „Vernünftige  Gedanken  von  den  Wirkungen 
der  Natur^   unterscheidet  er  in  jedem  Körper  eine  eigenthümliche  und 
fremde  Materie  und  rechnet  zu  der  fremden,  neben  der  magnetischen 
Materie,  auch  den  Wärmestoff. 

Wenn  man  sich  an  den  maassgebenden  Elinfluss  erinnert,  den  Wolf f^s 
Philosophie  nicht  nur  während  der  Lebenszeit  ihres  Begründers,  sondern 
bis  zum  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  besessen  hat,  so  wird  man  sich 
nicht  wundern,  dass  die  von  ihm  ausgesprochene  Meinung  über  das  Wesen 
der  Wärme  auf  fast  allen  Lehrstühlen  und  in  den  weitaus  meisten  Schrif- 
ten wiederholt  wurde. 


^)  Iram.  Kant,  Einige  kurzgefasste  Betncktatigen  über  das  Feuer,  17.  April  1755. 
Kirchmann'sche  Aasgahe  Ton  Kant'a  kleiaeren  Schriften  zar  Natarphiloaophie,  2.  AuB. 

^)  Im  Jahre  1775  beschloss  die  Pariser  Akademie  LÖsnngeu  der  Aufgabe  des  Per- 
petanm  mobile  nicht  mehr  anzunehmen.  Man  morste  sich  doch  somit  in  maassgeben- 
den  Kreisen  schon  damals  Uar  sein,  dass  es  unmöglich  sei  auf  irgend  eine  Weise  Be- 
wegung aus  nichts  zu  erzeugen. 

Rfihlmann,  Mechan.  Wftrmelheoric.    Bd.  II.  5ß 


882  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Im  Jahre  1738  hatte  die  Pariaer  Akademie  eine  Preisaafgabe  ge- 
stellt über  das  Thema:  »I^  '^  nature  dufeu  et  sa  propagiaiion'^ ^  was  man 
mit  £.  Da  Bois-Reymond  wohl  am  treffendsten  mit:  „Das  Wesen  der 
Wärme  und  ihre  Fortpflanzung^  ^)  übersetzt.  Nach  Mittheilangen  N ol- 
le t's  war  die  Veranlassung  für  das  Aufwerfen  dieser  Frage  der  Wider- 
spruch, welcher  scheinbar  zwischen  dem  Gesetze  von  der  Erhaltang  der 
Kraft  und  der  Thatsache  bestand,  dass  ein  einziges  Fünkchen  einen 
grossen  Waldbrand  veranlassen  könne. 

Von  dem,  was  wir  heute  mit  dem  Namen  „Auslösungen"  belegen, 
hatte  man  in  jener  Zeit  ja  noch  keine  Vorstellung.  Bekanntlich  siegte 
in  dem  Wettstreite,  an  welchem  auch  Voltaire  und  seine  Freundin,  die 
Marquise  du  Ghatelet,  theilgenommen  hatten,  Leonhard  Cnler 
mit  zwei  Anderen  '),  während  den  beiden  Erstgenannten  nur  eine  ehren- 
Tolle  Erwähnung  zuerkannt  wurde.  Euler  vertritt  in  dieser  prds- 
gekrönten  Abhandlung  y^Disseriaiio  de  igne^  die  Hypothese  von  der 
'Stofflichkeit  der  Wärme.  In  den  Theilchen  brennbarer  Körper,  sagt  er, 
sei  der  vom  Aether  verschiedene  Feuerstoff  enthalten.  Er  vergleicht  diese 
Theilchen,  welche  den  Wärmestoff  enthalten,  mit  kleinen  hohlen  Glas- 
kugeln, welche  mit  comprimirter  Luft  gefüllt  sind  und  beidemg^etingsten 
Stosse  zerbrechen,  und  deren  Scherben  durch  die  sich  ausdehnende  Lnit 
gegen  die  benachbarten  Glaskugeln  geschleudert  werden  und  diese  zer- 
trümmern. Ein  dem  letztangedeuteten  ähnlicher  Process  soll  die  Fort- 
pflanzung der  Wärme  veranlassen. 

Voltaire  experimentirte  fleissig  über  die  Natur  der  Wärme  and 
konnte  keinen  Gewichtsunterschied  für  denselben  Körper  finden,  je  nachdem 
er  ihn  heiss  oder  warm  wog.  Da  er  aber  die  Wärme  für  einerlei  mit  dem 
Lichte  hielt  und  als  leidenschaftlicher  Verehrer  und  Anhänger  Newton*i 
vollständig  von  der  Emanationstheorie  des  grossen  Mathematikers  über- 
zeugt war,  hielt  er  es  nicht  für  ausgeschlossen,  dass  die  Gewichtsdifferens 
zwischen  einem  und  demselben  Körper  im  kalten  und  heissen  Znstande  an  ge- 
ring sei,  um  mit  Sicherheit  durch  die  Wage  nachgewiesen  werden  zu  können. 

In  der  für  die  Preisbewerbung  eingereichten  Arbeit  der  Marquise 
du  Ghatelet  kommt  die  bemerkenswerthe  Stelle  vor,  nach  welcher  sie 
eine  gelegentliche  Entstehung  von  Waldbränden  durch  gegenseitig  Rei- 
bung der  Zweige  bei  heftigem  Winde  nicht  für  ausgeschlossen  hält.  Diese 
Ansicht  ist  ihr  später  von  Friedrich  dem  Grossen,  mit  dem  die 
Marquise  in  Briefwechsel  stand,  widerlegt  worden  '). 


^)  Du  Bois-Keymond,  Voltaire  in  seiner  Beziehung  tur  Naiurwieteaach«fL 
Monatsber.  d.  Berliner  Akademie  1868,  S.  45. 

^)  Dieselben  waren  der  Jesuit  Lozeran  deFieac,  nach  welchem  die  Waraae 
AUS  in  heftigem  Wirbel  begriffenen  „flüchtigen  und  wesentlichen  Salzen,  ans  SchweM« 
Luft,  AetherKtofi''  zusammengesetct  ist,  und  Comfte  Cr^quj,  welcher  sich  ganz  ia 
C ar t esi an i sehen  Sinne  ausgesprochen  hatte. 

^)  Oeuvres  de  FrM^ric  le  Grand.  Bd.  21,  S.  7  etc.  Vergl.  Du  Bois-Refnos^. 
Voltaire  in  seiner  Beziehung  zar  Natur wisseuBchafb,  Monatsber.  d.  Berl.  Akad.  f.  d. 
Juhr  1868,  S.  53. 


A.    Vorgeschichte.  883 

Man  erkennt  aus  dem  Angeführten  zur  Genüge,  welehe  Unklarheit 
an  Stelle  jener  überraBchend  richtigen  YorBtellnn gen  getreten  war,  welche 
man  z.  B.  schon  bei  den  Zeitgenossen  Newton's  nnd  bei  Daniel 
BernouUi  findet. 

Voltaire^)  schreibt  zwar  die  Wirkungen  der  Wärme  ihrer  Be- 
wegung zu;  die  Wärme  hält  nach  seiner  Meinung  der  gegenseitigen  An- 
'ziehung  der  kleinsten  Körpertheilchen  das  Gleichgewicht,  sie  bedingt  den 
flüssigen  Zustand,  ertheilt  der  Luft  die  Elasticität  and  zerlegt  bei 
'grosser  Heftigkeit  die  Körper  in  ihreBestandtheile;  immerhin  aber  denkt 
!er  dabei  an  die  Existenz  eines  Wärmestoffes. 

Aehulich  äussert  sich  später  auch  H  o  1  b  a  c  h ,  dessen  in  dem  „  Systeme 
de  la  nature^  niedergelegte  Meinungen  man  vielfach  als  typische  Form 
der  materialistischen  Anschauungen  der  französischen  Eucyklopädisteu 
anführt.  Er  3)  sagt,  die  Wärmematerie  habe  die  besondere  Eigenschaft, 
^af  eine  Art  bewegt  zu  werden,  welche  auf  unsere  Organe  das  Gefühl  der 
Wärme  hervorbringt. 

Auch  Diderot,  dessen  Fensies  sur  Vinterjpretation  de  la  nature 
bereits  eine  ziemlich  richtige  Vorstellung  von  der  Einheit  der  Natur- 
cräfte  erkennen  lassen,  hält  die  Wärme  noch  für  einen  Stoff.  Deshalb 
^öhrt  er  die  Wärme  nicht  mit  an,  wenn  er')  Schwere,  Elasticität,  An« 
äehung,  Magnetismus,  Elektricität  als  Wirkungen  derselben  Ursache 
bezeichnet. 

Auch  Boscovich  (geb.  1711,  gest.  1787),  dessen  Bedeutung  für 
\ie  Wiederbelebung  der  Atomistik  von  Fechner^)  in  das  rechte  Licht 
''eatellt  geworden  ist,  steht'mit  seinen  Anschauungen  über  das  Wesen 
•er  Wärme  noch  ganz  auf  dem  Standpunkte,  dass  Wärme  ein  Stoff  sei. 
fach  der  Meinung  von  Boscowich^)  wird  die  Wärme  durch  eine  heftige 
Bewegung  einer  feurigen  oder  schwefligen  Substanz  verursacht,  welche 
orzüglich  mit  den  Lichtmolecülen  in  Gährung  gerät h;  die  Kälte  soll  in 
em  Fehlen  dieser  Wärmesubstanz  oder  dem  Aufhören  der  Bewegung  in 
erselben  ihre  Ursache  haben.  —  Von  dem  Begriffe  der  Auslösungen, 
an  welchem ,  wie  wir  sahen ,  die  Pariser  Akademie  bei  der  Aufstellung 
irer  vorhin  erwähnten  Preisaufgabe  noch  keine  Ahnung  hatte,  findet 
ch  jedoch  in  dem  citirten  Werke  bereits  eine  sehr  ansprechende  Vor- 
;elluug  in  Gestalt  eines  treffenden  Bildes  ^). 

Charakteristisch  für  die  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  herr- 
iliende  Geistesströmung  ist  es,  dass  man  sich  zwar  durchaus  bemühte, 

^)  E.  da  Bois-Reymond,  Voltaire  in  seiner.  Beziehung  zur  Naturwissenschaft. 
t>iiat8her.  d.  Berl.  Akad.,  Jahrg.  1868,  S.  47. 

^)  (J.  Berthold,  Rumford  und  die  naechan.  Wärmetheorie.  Heidelberg  1875. 
6. 

8)   A.  a.  0.  S.  61. 

*)   Fechner,  Ai omenlehre.     2.  Aufl.     Leipzig  1864.     S.  153  und  231. 

^)  Bo  8  COT  ich,  Philosophiae  nuturalis  theoria.  Vlennae  Aastriae  1759.  8.  TUl. 
502,  S.  297. 

«*)  A.  a.  0.,  §.  463,  S.  243. 

56* 


884  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

die  Wirkangen  der  Wärme  durch  die  Yorstellung  von  einer  Bevegan^ 
der  Molecüle  hegreiflich  zu  machen ;  man  sah  jedoch  nicht  die  kiäiuta 
Theile  der  Körper  selbst  als  das  Bewegte  an,  sondern  blieb  an  der  doK- 
kritischen  Vorstellung  haften,  dass  es  eine  besondere  Wärmesubstaiugd» 
und  dass  die  Bewegung  der  Atome  dieses  Wftrmestoffes  das  Wesen  der 
Wärme  ausmache. 

Ein  sehr  charakteristisches  Beispiel  dieser  Denkweise  liefert  du 
spätere  Conventsmitglied  Marat  in  einer  physikalischen  Abhandhi; 
Eecherches  physiques  sur  le  feu.  Wärme  und  Feuer  erklärte  er^)^ 
Wirkungen  derselben  Ursache,  welche  nur  dem  Grade  nach  verscbiedc! 
seien.  Er  Terwirft  die  Annahme,  dass  nur  die  grössere  oder  geriagm 
Anhäufung  eines  Wärmestoffes  den  Wärmezustand  eines  Körpen  bedii^ 
Eine  besondere  Substanz,  „fluide  ign^''  genannt,  bewirke  nicht  darch  ib 
Anwesenheit,  sondern  durch  ihre  Bewegung  die  Erscheinungen  der  Wir« 
nnd  des  Feuers;  ebenso  werde  die  Kälte  durch  die  Yermindenuf  der 
Bewegung  des  „fluide  igne**  hervorgebracht.  Wird  die  Bewegung bo gna 
dass  die  Kraft  des  Feuers  diejenige  der  Adhäsion  übersteigt,  so  wird  de 
Körper  flüssig.  In  der  Flüssigkeit  sind  die  Theilchen  befreit  tod  d? 
Cohärenz,  bei  der  Verdampfung  werden  die  Molecüle  aus  der  Spbit 
ihrer  Anziehung  hinausgestossen.  Das  Feuerfluidum,  weit  davon  eoto 
sich  in  den  Körpern  zu  flxiren,  verhindert  lediglich  durch  seine  Beiregssr 
die  absolute  Cohärenz  der  Körpermolecüle,  —  eine  Cohärenz,  welche  80i$ 
alsbald  das  Universum  zu  einer  unbeweglichen  Masse  machen  undje^ 
Bewegung  vernichten  würde. 

Wenn  wir  vorher  darauf  aufmerksam  machten  (vergl.  S.  8dl),  d» 
Kant's  Schriften  ein  Beweis  dafür  seien,  dass  der  Satz  von  derEr^ 
tung  der  Energie  in  jener  Zeit  nahezu  vollständig  aus  dem  YorBtelliif 
kreise  deijenigen  entschwunden  war,  welche  sich  sonst  angelefestÜ^ 
mit  theoretischen  naturwissenschaftlichen  Betrachtungen  befasstea.  > 
sind  auch  andererseits  seine  Aeusserungen  ein  weiterer  Beweis  difi^ 
wie  fest  sich  der  Gedanke  eingebürgert  hatte,  dass  die  Wärme  eioer  V 
sonderen  Substanz  zuzuschreiben  sei.  Auch  dem  grossen  Philosopba. 
der  schon  vor  Laplace  die  noch  heute  in  den  Hauptzügen  ah  ^ 
angesehene  Kosmogenie  entwickelte,  der  bereits  das  Drehnngsgeseti  ^ 
Winde,  welches  jetzt  als  das  Do  versehe  bezeichnet  wird,  suigfl^ 
hatte,  und  durch  eine  Menge  treffender  Bemerkungen  bewiesen  hitt  ^ 
tief  er  in  den  Geist  der  Natur  eingedrungen  war,  und  wie  vorzügliche  Ee^ 
nisse  er  in  diesem  Gebiete  besass,  konnte  sich  nicht  von  der  Yont^ 
eines  Wärmestoffes  frei  machen.  —  Er  war  kein  Anhänger  der  dtfi^ 
noch  allgemein  giltigen  Newton' sehen  Corpusculartheorie  des  Lx^ 
aber  auch  die  von  Uuyghens  nnd  Euler  aufgestellte  Schwingt!^ 
hypothese  konnte  er  nur  in  einer  Anwendung  auf  einen  Wärmestoff  sfis* 
Anschauungen  dienstbar  machen. 


>)  G.  Berthold,  Ramford  u.  d.  mechan.  Wärmetheorie.  Heidelberg  1875.  S^ 


A.    Vorgeschichte.  855 

In  seiner  Doctordissertation  y,De  igne*^  hemerkt  Kant^):  „Wenn 
man  der  Hypothese  heitritt,  die  den  Gesetzen  *der  Natur  am  meisten  ent 
spricht,  und  kürslich  durch  den  herühmten  Eni  er  in  neuer  Weise  ver- 
stärkt  worden  ist,  wonach  das  Licht  kein  Ausfluss  der  leuchtenden  Körper 
ist,  sondern  ein  sich  fortpflanzender  Druck  eines  üherall  verhreiteten 
Aethers, so  wird  man  einräumen  müssen,  dass  dieser  Aether  offen- 
bar mit  dem  Stoffe  des  Feuers  verwandt  oder  vielmehr  identisch  ist.  — 
Per  Stoff  des  Feuers  ist  nur  ein  elastischer  Stoff,  welcher  die  Elemente  jed- 
weden Körpers,  mit  dem  er  vermengt  ist,  zusammenhält;  seine  wellen- 
förmige oder  zitternde  Bewegung  ist  das,  was  man  Wärme  nennt  ^/  In 
den  „metaphysischen  Anfangsgründen  der  Naturwissenschaft')**  äussert 
er,  Bezug  nehmend  auf  eine  beiläufig  von  Newton  ausgesprochene  Mei- 
nung über  die  Beschaffenheit  der  Gase:  „Allein  man  kann  die  Ausspan- 
nungskraft der  letzteren  (nämlich  der  Theile  der  Luft)  auch  nicht  als  die 
Wirkung  ursprünglich  zurückstossender  Kräfte  ansehen,  sondern  sie 
beruht  auf  der  Wärme,  die  nicht  bloss  als  eine  in  sie  eingedrungene 
Materie,  sondern  allem  Anschein  nach  durch  ihre  Erschütterungen  die 
eigentlichen  Lufttheile  (denen  man  überdem  wirkliche  Entfernungen  von 
einander  zugestehen  kann)  nöthigt,  einander  zu  fliehen.  Dass  aber  diese 
Bebungen  der  einander  nächsten  Theile  eine  Fliehkraft,  die  in  umgekehr- 
tem Verhältnisse  ihrer  Entfernungen  steht,  ertheilen  müssen,  lässt  sich 
nach  den  Gesetzen  der  Mittheilung  der  Bewegung  durch  Schwingung 
elastischer  Materien  wohl  begreiflich  machen. ** 

Der  grosse  Astronom  und  Physiker  Laplace  befasste  sich,  obgleich 
er  auf  dem  Gebiete  der  Wärmelehre  eine  Menge  trefflicher  Arbeiten  ge- 
liefert hat,  nicht  mit  der  Frage,  worin  das  Wesen  der  Wärme  eigentlich 
zu  suchen  seL  Er  lässt  es  vielmehr  unentschieden,  wie  man  sich  die  Wärme- 
vorgänge vorstellen  soll,  schreibt  jedoch  ebenfalls,  wie  vor  ihm  bereits 
Marat  und  Kant,  der  Wärme  eine  Repulsivkraft  zu,  welche  beispiels- 
weise beim  Schmelzprocease  den  flüssigen  Molecülen  mitgetheilt  wird^. 
Er  sagt,  wenn  diese  Repulsivkraft  der  Wärme  den  Druck  der  Atmosphäre 
überwinde,  dann  gerathe  das  Wasser  ins  Kochen  und  verwandele  sich  in 
Dampf.  * 

Unterdessen  war  bereits  jene  Zeit  herangekommen,  in  welcher  in 
der  damals  mit  der  Physik  eng  verschwesterten  Chemie  ein  neuer  Morgen 
zu  dämmern  begann.  Aber  selbst  als  durch  Lavoisier's  Verdienste 
es  endlich  gelang  die  Stahl' sehe  Lehre  von  dem  Phlogiston  zu  über- 


^)  Einige  kurzgefaMte  Betrachtnngeii  über  das  Feaer.  Königsberg,  den  17.  April 
1755.  Immanuel  Kant's  kleinere  Schriften  zur  Katurphilosophie.  Heraasgegeben 
von  Kirchmann.     Berlin.     2.  Abth.  1873.     8^     S.  282. 

*)  1.  c.  pag.  279. 

')  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft,  1786.  Immanuel  Kant's 
kleinere  Schriften  zur  Naturphilosophie.  Herausgegeben  von  Kirchmann.  Berlin  1872. 
8^     1.  Abth.  S.  248. 

^)  Laplace,  Exposition  du  Systeme  du  monde.     Paris.     Bd.  1,  S.  165.    ' 


886  V.    Geschichte  der  mechanischen  W&rmetheorie. 

winden,  konnte  man  sich  noch  nicht  von  der  Ansicht  losmachen ,  dass 
man  es  in  der  Wärme  mit  einem  Stoffe  zu  thnn  hahe.  Der  anftnglieh 
ohne  eine  hestiromte  Voreingenommenheit  üher  das  Wesen  der  W&rme 
gebrauchte  Ausdruck  ^cälorique^  gewann  unter  der  Herrschaft  der  allgemein 
gültigen  Lehrmeinung  bald  die  Bedeutung,  als  ob  der  damit  bezeichnete 
Wärmestoff  eine  ähnliche  Substanz  sei,  wie  andere  chemische  Ghrandstofie, 
eine  Substanz,  welche  mit  anderen  in  wechselnden  Verhältnissen  Verbin- 
dungen eingehen  könne. 

Unter  solchen  Verhältnissen  gewinnt  die  siegreiche  Ueberwindnng 
der  Lehre  von  der  Existenz  eines  Wärmestoffes  durch  Rumford  and 
Davy  auf  experimentellem  Wege  in  der  That  den  Werth  einer  herror- 
ragenden  wissenschaftlichen  Entdeckung,  obgleich  es  sich  in  theoretischer 
Beziehung  eigentlich  nur  um  die  Neubelebung  von  Vorstellungen  han- 
delte, welche  bereits  wiederholt  in  7 iel  früheren  Perioden  der  Wissenschaft 
maassgebende  Bedeutung  gehabt  hatten. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer. 


1.     Rumford. 

Die  Lehre  von  der  Existenz  eines  Wärmestoffes  wurde  endgültig 
erst  durch  die  Versuche  von  Rumford  widerlegt.  Man  beobachtet  auch 
in  diesem  Falle  die  lehrreiche  Thatsache,  dass  ein  an  sich  richtiger  Ge- 
danke, wie  der,  dass  die  Wärme  eine  Kräfteform  sei,  so  lange  auf  die 
Weiterentwickclung  der  Wissenschaft  unwirksam  bleibt,  als  er  nur  auf 
dem  Wege  der  philosophischen  Speculation  oder  theoretischen  Abstrac- 
tion  gefunden  worden  ist.  Erst  dann  gewinnt  in  den  empirischen  Wissen- 
schaften ein  neuer  Gedanke  Einfluss  auf  die  fernere  Gestaltung  der  An- 
6ch(^uungen,  erst  dann  wird  er  in  den  Organismus  der  betreffenden  Dis- 
ciplin  aufgenommen,  wenn  er  auf  empirischem  Wege  gewonnen  oder 
mindestens  durch  unzweifelhafte  Versuche  bestätigt  wird. 

Benjamin  Thompson  (geb.  1753,  gest.  1814)  wurde  wegen  seiner 
grossen  Verdienste,  welche  er  sich  um  Bayern  erwarb,  während  er  10 
diesem  Lande  verschiedene  hohe  Staatsämter,  unter  anderen  das  eines 
Kriegsministers  bekleidete,  vom  Churfursten  Carl  Theodor,  der  da- 
mals gerade  Reichsvicar  war,  in  den  Reichsgrafenstand  erhoben  nnd 
führte  daher  nach  seinem  Geburtsorte  Rumford  (jetzt  Goncord,  New 
Hampshire,  in  Nordamerika)  den  Titel  Graf  von  Rumford.  Unter 
dem  Namen  Rumford  sind  seine  zahlreichen,  äusserst  werthvollen 
Untersuchungen,  welche  sich  über  beinahe  alle  Theile  der  Wärmelehre, 
einzelne  Gebiete  der  Optik,  viele  Zweige  der  Artillerie  Wissenschaften  und 
eine  Menge  technologische  Fragen  erstrecken,  bekannt  geworden.     Er 


B.    Von  Ramford  bis  zu  R.  Mayer.  887 

sagt  selbst:  „Versuche  über  die  Wärme  anzustellen,  war  von  jeher  eine 
meiner  angenehmsten  Beschftfbigang^n  ^)'^j  und  fihrt  dann  fort:  „Diese 
yiey ährige  Gewohnheit,  vermöge  welcher  ich  alle  und  jede  Phänomene, 
die  zu  meiner  Kenntniss  gelangen  und  mit  der  Wärme  und  deren  Wir- 
kungen nnr  auf  die  entfernteste  Art  in  Verbindung  stehen ,  sogleich  mit 
der  grössten  Begierde  auffasse  und  sie  zu  ergründen  strebe,  hat  mir  fast 
alle  jene  Versuche  an  die  Hand  gegeben,  die  ich  in  Betreff  dieses  Gegen- 
standes angestellt  habe." 

Bei  Gelegenheit  von  Versuchen  über  die  Wirksamkeit  des  Schiesspulyers 
machte  er  die  Beobachtung,  ^ass  ein  Gewehrlauf  sich  stärker  erwärmte, 
wenn  die  Pulverladung  allein  entzündet  wurde,  als  wenn  die  nämliche 
Menge  Pnlver  dazu  gedient  hatte,  eine  oder  mehrere  Geschosse  von  he- 
trächtlichem  Gewichte  fortzuschleudern').  Diese  Wahrnehmung  führte 
Rumford  dazu,  sich  näher  mit  der  Meinung  zu  beschäftigen,  „dass  die 
Wärme  nichts  Anderes  sei,  als  eine  ununterbrochene,  bald  mehr,  bald 
wenig  schnelle,  vibrirende  Bewegung,  die  in  den  Bestaodtheilen  fester 
Körper  vorgeht"  '). 

Zunächst  beschäftigte  sich  Rnmford  längere  Zeit^)  damit,  fest- 
zustellen, dass  Wasser  in  flüssigem  und  festem  Zustande  gleich  schwer 
bleibe,  dass  zwei  gleich  schwere  Mengen  solcher  Körper,  wie  z.  B.  Wasser 
und  Quecksilber,  deren  specifische  Wärmen  sehr  verschieden  sind,  gleiche 
Gewichte  behalten,  je  nachdem  sie  hohe  oder  niedere  gleiche  Temperatur 
besitzen.  Ferner  wog  Rumford  (1784)  Eisen  und  Goldkugeln  iu  weiss- 
glühendem  und  stark  abgekühltem  Zustande  und  fand,  sofern  er  alle 
Ursachen,  welche  störend  wirken  konnten,  ausschloss,  innerhalb  der 
Grenzen  der  unvermeidlichen  Wägnngsfehler  immer  die  nämlichen  Ge- 
wichte. 

Rumford  berichtet  selbst  über  diese  Beobachtungen^):  „Alle  diese 
Versuche  überzeugten  mich,  dass  das  Gewicht  eines  Körpers  durch  die 
Wärme  nicht  im  Geringsten  verändert  wird."  Er  fählte  jedoch  selbst, 
dass  damit  der  wesentlichste  Punkt  des  Streites  noch  nicht  erledigt  sei. 
Die  Vertheidiger  des  Wärmestoffes  konnten  noch  immer  einwenden  und 
wendeten  auch  ein,  dass  die  Wärmesubstanz  viel  zu  fein  sei,  zu  geringe 
Dichte  besitze,  als  dass  man  ihr  Gewicht  mit  der  Wage  nachweisen  könne. 

Es  ist  interessant  zu  verfolgen,  in  welch  logischer  Weise  Rnm- 
ford die  begonnene  Gedankenkette  wBiter  fQhrte,  und  durch  welche  Er- 
wägungen er  schliesslich  dazu  gelangte,  jene  Versuche  anzustellen,  die 
ihm  einen  dauernden  Ehrenplatz  in  der  Geschichte  der  inductiven  Wissen- 


^)  Benj.  Graf  V.  Rumford,  Kleine  Schriften,  Bd.  IV,  1.  Abthl.,  S.  4.  Weimar 
1805. 

3)  Vergl.  Bd.  II  dieses  Buches  11,  D,  4,  S.  468. 

•)  A.  a.  0.,  S.  7. 

^)  Verg].  Rumford)  Kleine  Schriften,  Bd.  4,  S.  552.  In  der  Roy.  Soc.  vorge- 
tragen am  2.  Mai  1799. 

*)  A.  a.  0.,  S.  41. 


888  V.    Creschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Schäften   gesichert  hahen.    Er  erzählt  dayon  selbst  in  der  Abhandliing: 
„Historische  Uebersicht  der  Experimente  über  die  W&rme"  Folgendes  i): 

„loh  stellte  mir  nämlich  vor,  wenn  es  mit  der  Existens  des  Wärme- 
Stoffes  seine  Richtigkeit  hätte,  so  sei  es  schlechterdings  nicht  mögbck, 
dass  ein  Körper  oder  mehrere  isolirte  Körper,  die  zusammen  ein  Ganset 
ausmachen,  diese  Substanz  mehreren  anderen  Körpern,  von  welchen  sit 
umgeben  wären,  ununterbrochen  mittheilen  könnten,  ohne  daas  ihnen 
diese  Sabstauz  nach  und  nach  gänzlich  entginge. **  Weiterhin  ilLhrl  er 
fort:  „Es  ist  bekannt,  dass  zwei  harte  Körper,  wenn  man  sie  an  einander 
reibt,  viel  Hitze  von  sich  geben.  Können  sie  diese  geben,  ohne  eodÜfik 
erschöpft  zu  werden?    Hierüber  muss  die  Erfahrung  entscheiden.' 

Diese  maassgebenden  Versuche  theilte  Rumford  in  einer  Abband* 
lung  mit,  welche  er  in  der  Sitzung  am  25.  Januar  1798  der  Boys! 
Society  in  London  vorlas,  und  welche  den  Titel  führt:  nUntersnchnng 
über  den  Ursprung  der  Wärme,  welche  durch  Reibung  hervorgebracht 
wird  «)." 

Rumford  Hess  einen  stumpfen  Stahlbohrer,  der  durch  einen 
Pferdegöpel  32  mal  in  der  Minute  um  seine  Aze  gedreht  worde,  mit  be- 
trächtlichem Drucke  gegen  den  Boden  eines  cylindrisch  ausgebohTtea 
Kanonenrohres  reiben.  Die  Menge  der  Wärme,  welche  durch  dsts  un- 
aufhörliche Aneinanderreihen  erzeugt  wurde,  war  ausserordentlich  gross. 
Die  erzeugte  Wärmemenge  blieb  immer  dieselbe,  sowohl,  wenn  der 
Kasten,  in  welchem  sich  das  Kanonenrohr  befand,  mit  Wasser  gefällt  war. 
als  aucb,  wenn  der  Apparat,  in  welchem  die  Reibung  bewirkt  wurde,  n«- 
von  Luft  umgeben  war.  Wenn  er  den  umgebenden  Kasten  mit  Wasser 
anfüllte,  so  wurde  dasselbe  immer  wärmer  und  fing  schliesslich  zu  koehea 
an.  Der  Apparat  erzeugte  Wärme,  so  lange  er  in  Thätigkeit  war.  Die 
Quelle  der  Wärme,  welche  mit  dem  Apparate  erzeugt  werden  konntet 
erschien  somit  unerschöpflich. 

Durch  unzweifelhafte  Versuche  wies  Rumford  nach,  dass  diese 
Wärme  weder  von  einer  Zersetzung  des  Wassers,  noch  von  einer  Ein- 
wirkung der  Luft  herrühren  konnte.  Ebenso  zeigte  er,  dass  die  Warmc- 
entwickelung  nicht  in  einer  Aenderung  der  Wärmecapacität  der  loegesr- 
beiteten  Metallspäne  o^^r  der  durch  die  Reibung  etwas  veränderten 
Metalloberflächen  ihre  Ursache  haben  könne.  Er  überzeugte  sich  am 
dem  davon,  dass  die  Wärmequelle  nicht  in  irgend  einem  anderen 
der  maschinellen  Anordnung  gesucht  werden  könne. 

Die  gesammte  angezogene  Abhandlung  zeigt  deutlich,  wie  mnster- 
haft  schon  auf  dem  damaligen  Standpunkte  physikalischer  Methodik 
Rumford  zu  experimentiren  verstand;  sie  ist  besonders  lehrreich  auch 


1)  Ramford,  Kleine  Schriften,  Weimar  1805,  S.  42. 

3)  Phil.  Transactions  1798,  S.  80  bis  102.  An  ingoing  concerning  the  aoiirc«  ai 
the  heat  which  is  excited  by  friction.  Rumford,  Kleine  Schriften,  Bd.  2,  AbtU.  2^ 
S.  353  bis  388.  Auch  abgedruckt  in:  G.  Berthold,  Ramford  und  die 
Wärmetheorie.     Heidelberg  1875,  S.  48  bis  70. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  889 

dadurch,  diMS  sie  erkennen  lasat,  welobe  einfache  logische  Operation  bei 
Geschick  in  der  Anordnung  und  Ausf&hrung  von  Versuchen  su  den 
wichtigsten  Ergebnissen  führen  können. 

Wir  lassen  hier  die  Resultate  eines  solchen  Versuches  folgen,  welche 
zeigen,  mit  welcher  Gewissenhaftigkeit  sich  Rumford  von  der  Menge 
der  erzeugten  Wärme  bereits  Rechenschaft  gegeben  hat.  Es  ist  dies  der 
Versuch,  bei  welchem  das  Wasser  zum  Kochen  kam,  nachdem  das  Reiben 
2Vs  Stunden  lang  fortgesetzt  worden  war.  Die  anföngliche  Temperatur 
der  ganzen  Vorrichtung,  wie  die  der  umgebenden  Luft,  hatte  60^  F.  be- 
tragen. Die  Endtemperatur  war  die  des  siedenden  Wassers,  wird  also 
nahezu  gleich  210^  F.  gewesen  sein. 

Doch  lassen  wir  Rumford  selbst  reden: 

„Die  ganze  Quantität  der  erzeugten  Wärme  kann  mit  ziemlicher 

Genauigkeit  auf  folgende  Art  geschätzt  werden.      Von   der  erzeugten 

Wärme  scheint  sich  wirklich  angehäuft  zu  haben: 

Wsssermenge,  welche  durch  die 
gegebene  Quantität  Warme  vom 
Eispunkte  bis  zum  Sieden  erhitzt 
worden  wäre. 

In  dem  im  hölzernen  Kasten  enthaltenen  Wasser,  I8V4  I^fd. 
avoirdupois,  erwärmt  um  150®,  nämlich  von  60  bi8L210* 
Fahrenheit Pfund  16,2 

In  113,13  Pfd.  Kanonenmetall  (der  hohle  Cylinder)  150®  er* 
hitzt,  und  da  die  Wärmecapacität  dieses  Metalls  sich  zu 
der  des  Wassers  verhält  wie  0,1100  zu  1,0000,  so  würde 
diese  Quantität  Wärme  I2V2  Pfund  Wasser  bis  zu  dem- 
selben Grade  erhitzt  haben .         „10,37 

In  36,75  GubikzoU  Eisen  (der  Theil  der  eisernen  Stange^  an 
der  der  Bohrer  befestigt  war  und  die  sich  im  Kasten  be- 
fand) 150®  erhitzt,  welches  in  Ansehung  der  Wärme- 
capacität 1,21  Pfund  Wasser  gleich  gerechnet  werden 
kann „        1,01 

(NB.  Sowohl  die  in  dem  hölzernen  Kasten  angehäufte  Wärme» 
als  die,  welche  während  des  Versuches  verloren  ging,  ist 
hier  nicht  mitgerechnet  worden.) 

Gesammtmenge  des  eiskalten  Wassers,  die  durch  die  durch 
Reiben  erzeugte  und  während  2  Stunden  30  Minuten  an- 
gesammelte Wärme  hätte  bis  zu  ISO'^  erhitzt  oder  bis 
zum  Kochen  gebracht  werden  können Pfund  26,58 

Etwas  weiterhin  bemerkt  Bumford  hinsichtlich  der  für  die  Er- 
zeugung dieser  Wärmemenge  erforderlichen  Arbeit  Folgendes: 

pDa  die  bei  dem  obigen  Versuche  angewandte  Maschinerie  sehr 
leicht  durch  ein  Pferd  in  Bewegung  erhalten  werden  konnte  (ob  ich 
gleich  zur  Erleichterung  zwei  Pferde  angewandt  hatte),  so  zeigen  diese 


890  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Berechnungen  femev,  welch  eine  Quantität  von  Wärme  durch  eine^ 
paesende  mechanische  Vorrichtung  bloss  durch  die  Kräfte  emes  PMa 
ohne  Licht,  Feuer,  Verbrennung  oder  chemische  Deeomposition,  henv- 
gebracht  werden  könne,  so  dass  man  im  Nothfall  die  auf  dieMlitr 
regte  Wärme  selbst  zum  Kochen  von  Lebensmitteln  brauchen  köaste. 

Doch  lassen  sich  keine  Bedingungen  denken,  in  denen  diese  Art  Win 
zu  schaffen  vortheilhaft  sein  wurde,  denn  selbst  aas  dem  Futter  fürdi 
eine  Pferd,  als  Feuerung  gebraucht,  würde  man  mehr  Wärme  eriuHa* 

Diese  hier  mitgetheilte  Stelle  ist  Veranlassung  geworden,  dantpilff- 
hin  von  Joule  ^)  und  Anderen')  dem  Grafen  Rumford  das  Yeniiai 
zugesprochen  worden  ist,  das  mechanische  Aequivalent  der  WinM(at> 
deckt  zu  haben.  So  sagt  z.  B.  Joule  in  der  historischen  EinleitaBfn 
seiner  im  Jahre  1850  erschienenen  Abhandlung:  „Ueber  das  meehaniadi 
Aequivalent  der  Wärme**: 

„Einer  der  wichtigsten  Punkte  in  Graf  Rumford^s  Schrift,  ek- 
gleich  man  demselben  bis  jetzt  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt  k 
ist  der,  wo  er  die  Menge  mechanischer  Kraft  berechnet,  welche  erfofd» 
lieh  ist,  um  eine  bestimmte  Wärmemenge  hervorzubringen.**  Indear 
sich  auf  seinen  dritten  Versuch  bezieht,  bemerkt  er,  dass  ,,di6  Gesuist* 
menge  eiskalten  Wassers,  welche  im  Laufe  von  2  Stunden  und  30  Mis- 
ten auf  180^  F.  erwärmt  werden  könne,  26,58  Pfund  betrage**.  Aofde 
nächsten  Seite  sagt  er,  „die  Maschine,  welche  bei  den  Versncben  » 
gewandt  sei,  könne  leicht  durch  ein  Pferd  getrieben  werden,  ohgleiei: 
Wirklichkeit  zwei  Pferde  angewandt  seien,  um  die  Arbeit  zu  erleieht«' 
Nun  ist  eine  Pferdekraft  nach  Watt  33000  Fusspfund  per  Minute,« 
für  2  Stunden  30  Minuten  4  950  000  Fusspfund  giebt;  diese  soUea  oa 
Graf  Rumford^s  Versuch  das  Aequivalent  der  Erwärmung  Ton  2(^ 
Pfund  Wasser  um  180<>  F.  sein.  Folglich  muss  die  Wärme,  wcldufr 
forderlich  ist,  um  1  Pfund  Wasser  um  1®  zu  erwärmen,  der  Kraft  i« 
1034  Fusspfund  äquivalent  sein.  Dies  Resultat  stimmt  siemlich  thnrn 
mit  denen,  welche  ich  aus  meinen  eigenen  Versuchen  gewonnen  btx 
welche  nämlich  772  Fusspfund  ergaben;  dabei  ist  zu  bemerken,  ^ 
Graf  Rumford^s  Aequivalent  gerade  um  so  yiel  zu  grom  ist,  wie  sä 
aus  dem  Umstände  schliessen  lässt,  den  er  selbst  angiebt,  dass  nisSs 
y,  weder  die  Wärme,  welche  in  dem  hölzernen  Kasten  angehäuft  war,  ui 
die,  welche  während  des  Versuches  verloren  ging,  berechnet  wnrde*. 

Joule  irrt  jedoch  insofern  nicht  unwesentlich,  als  Rumfor(l.*si 
lediglich  mit  der  genauen  Bestimmung  der  durch  den  Reibcngsproof 
erzeugten  Wärmemenge  beschäftigt  hat,  hingegen  selbst  jedwede  Meaat 
oder  genaue  Schätzung  der  dazu  erforderlichen  Arbeitsmenge  onteriii^ 


1)  Phil.  TranRact.  of  the  Roy.  Soc.  of  London  1850.  S.  61  u.  s.  f.  rts^  nä- 
Jonle,  Das  mechanische  Aequivalent  der  Wirroe,  Deutsch  von  Spengel.  I^' 
schweig,  Vieweg  &  Sohn  1872,  S.  88,  Zeile  20  von  oben. 

*)  Vergleiche  G.  Berthold,  Rumford  und  die  mechan.  Wirmetheorie.  5.**^ 
Ferner  P.  G.  Tait,  Sketsch  of  Thermodynamics,  Edingburgh  1868,  8.  8. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  891 

Keine  einzige  Bemerkung  in  Rnmford's  Schriften  ist  mir  bekannt, 
welche  darauf  hindeutet  oder  so  verstanden  werden  könnte,  als  hfttte 
derselbe  eine  feste  quantitative  Beziehung  zwischen  der  Menge  der  pro- 
dncirten  Wärme  und  der  Menge  der  dazu  aufgewendeten  Arbeit  ver- 
muthet  oder  gesucht. 

Es  lag  auch  in  der  Natur  der  Sache,  dasses  Rum  ford  nur  darum  zu 
thun  war,  die  Ansicht  von  der  Existenz  eines  Wärmestofies  endgültig  zu 
widerlegen.  Dies  hat  er  in  meisterhafter  Weise  gethan.  Darüber  hinaus- 
zugehen, lag  ihm  hingegen  fem;  dazu  fehlten  ihm  vor  Allem  noch  scharfe 
Begriffe  von  dem  Wesen  und  dem  Maasse  der  Arbeit.  Die  historische  Ge- 
rechtigkeit fordert,  dass  ausdrücklich  hierauf  hingewiesen  wird.  Es  unter- 
liegt keinem  Zweifel,  dass  das  hohe  Verdienst,  eine  feste  quantitative  Bezie- 
hung zwischen  W&rmemenge  und  der  zu  ihrer  Erzeugung  erforderlichen  Ar- 
beitsmenge zuerst  vermuthetund  annähernd  bestimmt  zuhaben,  R.  Mayer 
gebührt.  Dass  sich  Rumford  darüber  klar  gewesen  ist,  dass  seine  Ver- 
suche die  Lehre  von  der  Existenz  eines  Wärmestoffes  endgültig  wider- 
legt haben,  geht  aus  einigen  Bemerkungen  hervor,  die  sieh  am  Schlüsse 
seiner  mehrfach  erwähnten,  oben  citirten  Abhandlung  finden,  aber  aus 
diesen  Schlussbemerkungen,  denen  nur  allgemeine  Betrachtungen  folgen, 
welche  zu  der  soeben  behandelten  Streitfrage  in  keiner  Beziehung  stehen, 
geht  auch  klar  hervor,  dass  es  nicht  entfernt  in  Rumford's  Absicht  gele- 
gen hat,  die  gemessene  Wärmemenge  zur  aufgewendeten  Arbeit  in  Beziehung 
zu  setzen.    Rumford  sagt  nämlich  über  das  Ergebniss  seiner  Versuche: 

„Wenn  wir  über  diesen  Gegenstand  Schlüsse  machen,  so  dürfen  wir 
den  merkwürdigen  Umstand  nicht  vergessen,  dass  die  Quelle  der  durch 
Reibung  erzeugten  Wärme  bei  allen  diesen  Versuchen  offenbar  als  uner- 
schöpflich erschien. 

Kaum  ist  es  nöthig  zu  bemerken,  dass  ein  Etwas,  welches  von 
einem  isolirten  Körper  oder  einem  System  von  Körpern  ohne  Grenzen 
mitgetheilt  wird,  unmöglich  eine  materielle  Substanz  sein  kann, 
und  es  scheint  mir  sehr  schwer,  wo  nicht  ganz  unmöglich  zu  sein,  sich 
eine  bestimmte  Idee  von  einem  Etwas  zu  machen,  das  fähig  wäre,  so  wie 
die  Wärme  in  den  vorigen  Versuchen  erregt  und  mitgetheilt  zu  werden, 
efl  müsste  denn  die  Bewegung  sein.*' 

Selbstverständlich  blieben  die  Arbeiten  Rumford's  nicht  ohne 
Anfechtung.  Die  bedeutendsten  Chemiker  jener  Zeit,  wie  Lavoisier, 
Berthollet  hielten  auch  trotz  der  so  entschiedenen  Versuche  an  der 
Liebre  fest,  dass  die  Wärme  ein  Stoff  sei.  So  hatte  z.  B.  Berthollet 
in  seinem  bekannten  Werke:  „Versuch  einer  chemischen  Statik^  sich  be- 
müht, die  Schlussfolgerungen  zu  widerlegen,  welche  Rumford  an  seine 
zahlreichen  Experimente  geknüpft  hatte.  Der  berühmte  Chemiker  suchte 
die  Ursache  der  Wärmeentwickelung  durch  Reibung  in  den  Verände- 
rungen, welche  das  Metall  bei  der  Zusammendrückung  erfahre. 

Rumford  widerlegte  ihn  auf  das  Schlagendste,  indem  er  darauf 
hinwies,  dasses  dann  unbegreiflich  sei,  wie  die  geriebenen  Körper  Wärme 


892  V.    Gescliichte  der  i^echauischon  Wärmetheorie. 

in  nahezu  unerschöpflicher  Menge  entwickeln  und  nach  Aussen  al^geben 
könnten.  Er  zeigte,  dass  die  Wärmemenge,  welche  in  der  ganzen  Zeit 
entwickelt  worden  wäre,  die  erforderlich  gewesen  sein  würde,  um  das 
gesammte  Metall  des  zum  Versuche  dienenden  Geschützrohres  in  Dreh- 
späne zu  verwandeln,  ausgereicht  hätte,  um  die  16 fache  Gewichtamenge 
dieses  Metalles  zu  schmelzen.    Er  fügt  hinzu  ^) : 

„Ist  es  wohl  denkbar,  dass  diese  ungeheure  Menge  Wärmeatoff  in 
dem  Körper  vorhanden  gewesen  sein  konnte?  —  Aber  selbst  diese  Yot^ 
aussetzung  würde  nicht  genügen,  um  die  Thatsache  zu  erklären,  da  idi 
durch  ein  entscheidendes  Experiment  bewiesen  habe,  dass  die  Wärme- 
oapacität  des  Metalles  nicht  merklich  verändert  wurde. 

Woher  kam  nun  der  Wärmestoff,  welchen  der  Apparat  in  so  reich- 
licher Fülle  geliefert  haben  soll? 

Es  ist  Sache  Derer,  welche  an  das  wirkliche  Dasein  eines  Wärme- 
stoffes glauben,  diese  Frage  zu  beantworten.^ 

In  seinen  zahlreichen  Abhandlungen  über  Wärmestrahlung  hat 
Bumford  auch  keinen  Zweifel  darüber  gelassen,  dass  er  der  Ansicht 
war,  das  Wesen  der  Wärme  sei  in  einer  Bewegung  der  Molecfiie  der 
Körper  zu  suchen.  Seine  Vorstellungen  über  die  Molecularverhältniase, 
aufweichen  der  Unterschied  zwischen  festem  und  flüssigem  Aggregatzoatand 
beruht,  kommen  den  heutigen  Meinungen  schon  ziemlich  nahe.  Am  Schlüsse 
der  nachstehend  citirten  Stelle  findet  sich  sogar  eine  Aeusserung  über 
die  latente  Schmelzwärme.  So  beachtlich  diese  Bemerkung  aber  aoch 
erscheint,  so  kann  man  dieselbe  doch  nicht  als  den  Versuch  zn  einer 
Erklärung  ansehen.  Dass  sich  keine  Andeutung  darin  findet,  daaa  die 
sogen,  latente  Wärme  bei  dem  Schmelzprocesse  für  Molecnlararbeit  auf- 
gewendet worden  ist,  dürfte  ein  weiterer  überzeugender  Beweis  dafür  sein, 
dass  es  Bumford  noch  nicht  gelungen  war,  sich  zu  einer  halbwegs 
klaren  Vorstellung  davon  hindurch  zu  arbeiten,  dass  zwischen  Wärme 
und  Arbeit  ein  Aequivalenzverhältniss  bestehe.  Diese  charakteristische 
Stelle  ^)  findet  sich  in  der  Abhandlung:  „Untersuchung  über  die  Be- 
schaffenheit der  Wärme  und  die  Art,  wie  sich  dieselbe  verbreitet. **  Die- 
selbe lautet:  „Während  der  Zeit  und  gerade  so  lange,  als  die  Partikeln 
eines  festen  Körpers,  welche  sich  an  seiner  Oberfläche  befinden,  in  ihren 
Bewegungen  sich  nicht  gegenseitig  überschreiten,  muss  der  Körper  noth« 
wendig  seine  Form  behalten,  wie  schnell  auch  diese  Vibrationen  sein 
mögen;  wenn  aber  diese  Bewegung  derart  zunimmt-,  dass  diese  Theilehen 
nicht  mehr  in  ihren  Grenzen  bleiben  können,  so  wird  allmählich  die 
regelmässige  Vertheilung,  welche  sie  bei  der  Krystallisation  erlangt  hatten, 
zerstört  —  die  so  von  der  festen  Masse  getrennten  Partikeln  bilden 
neue  von  einander  unabhängige  Systeme  —  und  die  Masse  wird  zu 
einer  Flüssigkeit. 


1)  Rumford,  Kleine  Schriften,  S.  64. 

>)  Rutniord,  Kleine  Schriften,  Bd.  4,  S.  254. 


B.    Von  Riunford  bis  zu  R.  Mayer.  893 

Wie  auch  die  Figuren  der  Bahnen  beschaffen  sein  mögen,  welche 
die  Theilchen  einer  Flüssigkeit  beschreiben,  so  bleiben  doch  die  mittleren 
Entfernungen  dieser  Molecüle  so  ziemlich  dieselben,  wie  damals,  als  sie 
noch  ein  Ganzes  bildeten:  man  kann  dies  aus  der  geringen  Yerftnde- 
rung  schliessen,  welche  in  der  specifischen  Schwere  eines  flüssig  ge- 
^ewordenen  festen  Körpers  stattfindet;  und  wenn  man  voraussetzt,  dass 
ihre  Bewegungen  denselben  Gesetzen  unterworfen  sind,  nach  welchen 
Hich  das  Sonnensystem  richten  muss,  so  folgt,  dass  die  additioneile 
Bewegung,  welche  sie  annehmen  müssen,  um  in  den  flüssi- 
gen Zustand  überzugehen,  nicht  verloren  gehen  kann, 
sondern  fortdauernd  bei  dieser  Flüssigkeit  bleiben  und 
wieder  erscheinen  muss,  sobald  die  Flüssigkeit  ihre  Form 
findert  und  wieder  fest  wird.  —  Man  weiss,  dass  eine  bestimmte 
Quantit&t  Wärme  erforderlich  ist,  um  einen  festen  Körper  zu  schmelzen, 
und  dass  diese  Quantität  in  der  Flüssigkeit,  welche  sich  gebildet  hat, 
verschwindet  oder  latent  bleibt,  nachher,  wenn  die  Flüssigkeit  gerinnt, 
wieder  zum  Vorschein  kommt.^ 

Auch  in  der  berühmten  Abhandlung:  „Memoire  sur  la  chaleur^,  in 
welcher  Rumford  nochmals  seine  Ansichten  von  dem  Wesen  der  Wärme 
und  der  Art  ihrer  Fortpflanzung  durch  Leitung  und  Strahlung  zusammen- 
fasst,  kommen  charakteristische  Stellen  vor,  welche  erkennen  lassen,  dass 
sich  der  grosse  Physiker  die  Wärmestrahlung  genau  so  denkt,  wie  die 
Fortpflanzung  des  Lichtes,  nämlich  durch  Aetherwellen.  Auch  über  die 
wechselseitige  Beziehung  zwischen  den  Körpermolecülen  und  diesem 
räthselhaften  Etwas,  welches  noch  heute  von  vielen  Physikern  unter  dem 
Worte  „Aether**  verstanden  wird,  spricht  sich  Rumford  in  einer  Weise 
aus,  welche  ebenso  gut  in  unserer  heutigen  Zeit  geschrieben  sein  könnte. 
£s  heisst  z.  B.  ^):  „So  ist  leicht  zu  begreifen,  dass  die  Bewegungen  der 
Bestandtheile  der  wahrnehmbaren  Körper  in  dieser  Flüssigkeit  (dem 
Aether)  wellenförmige  Bewegungen  verursachen  müssen,  und  dass  die 
wellenförmigen  Bewegungen  dieser  Flüssigkeit  wiederum  auf  die  Be- 
wegungen der  Bestandtheile  jener  Körper  sehr  merklich  wirken  und  sie 
modificiren/ 

Fast  unmittelbar  daran  schliesst  sich  ein  anderweiter  Satz,  welcher 
mehrfach  in  einem  Sinne  ausgelegt  worden  ist,  dass  man  geglaubt  hat, 
es  müsse  Rumford  das  Verdienst  zugeschrieben  werden,  das  Princip 
von  der  Erhaltung  der  Kraft  zuerst  ausgesprochen  zu  haben.  Er  sagt 
nämlich'):  „Wenn  nun  die  Dinge  wirklich  sich  in  dem  Zustande  befänden, 
welchen  die  Hypothese,  von  der  hier  die  Rede  ist,  voraussetzt,  würde 
nothwendig  folgen:  erstens,  dass  die  Summe  der  lebendigen 
Kräfte  im  Universum  immer  dieselbe  beiben  muss,  unge- 
achtet    aller    Actionen    und    Reactionen    der    Körper    („II 


')  Ramford,  Kleine  SchriUen,  Bd.  4,  S.  304. 
«)  A.  a.  0,  S..  305. 


894  V.    Geschiebte  der  mechaDischen  Wärmetbeorie. 

suivrait  nScessairement  de  Vetat  des  choses  que  l'hgpothhi 
en  question  suppose:  P  que  la  somme  des  forces  vires  dam 
Vunivers  doit  rester  toujours  la  memey  non  obstant  touin 
les  actions  et  riactions  des  corps^)^  und  zweitens,  dass  die  lldt- 
cüle  aller  ponderablen  Körper  noth  wendig  strahlend  sein  masseD. 

Wenn  wir  hierin  auch  nooh  keinen  AuBsprach  des  wichtigen  pb^a- 
kalischen  Grundprincips  in  seiner  universellen  Ausdehnung  auf  s& 
Energieformen  anzuerkennen  im  Stande  sind,  so  muss  man  doch  » 
gestehen,  dass  Rumford  insofern  einen  we8entli<;hen  Fortschritt  ia 
Vergleich  zu  seinen  Vorgängern  Leibniz,  Bernoulli  und  Huygheti 
gemacht  hat ,  als  er  zuerst  erkannt  hat ,  dass  die  Gültigkeit  dieses  Ge> 
setzes  nicht  auf  das  Gebiet  der  reinen  Mechanik  beschränkt,  sondern 
auf  die  Wärmephänomene  anwendbar  sei. 


2.    Das  Ende  der  Lehre  von  der  Wärmesubstanz. 

Die  damals  maassgebenden  Chemiker  und  Physiker  hielten  nsd 
einige  Zeit  hindurch  beharrlich  an  der  Lehre  vom  Wärmestofife  fest,  soc^ 
nachdem  die  Rumfof  d'schen  Versuche  und  Abhandlungen  bekannt  gf 
worden  waren.  £s  ist  dies  um  so  auffalliger,  als  zum  Theil  Männer  dir 
unter  sind,  wie  Lavoisier,  welche  selbst  Bahnbrecher  für  neue,  richtigen 
Anschauungen  auf  anderen  Gebieten  gewesen  sind.  Es  mag,  um  cd 
Ansobauung  Lavoisier^s  und  der  mit  ihm  zusammenhängenden  G«- 
lehrten  zu  charakterisiren,  gestattet  sein,  eine  Stelle  aus  dem  berühnier 
„Traite  elementaire  de  chimie^  dieses  grossen  Chemikers  hier  wieds- 
zugeben : 

„Als  ich  mit  de  Morveau,  Berthollet  und  de  Fourcc'oy  iads 
Absicht  gemeinschaftliche  Sache  machte,  die  Sprache  der  Chemiker  is 
verbessern,  waren  wir  der  Meinung,  man  müsse  vor  allen  Dingen  je» 
Umschreibungen  daraus  yerbanneu,  die  den  Vortrag  unnöthiger  Ww 
verlängern,  ihn  schleppend,  weniger  kernig,  weniger  deutlich  macba 
und  oft  nicht  einmal  auf  Begriffe  führen,  die  klar  und  deutlich  bestimst 
sind.  Dem  zu  Folge  bezeichneten  wir  die  Ursache  der  Wärme,  jene  le 
ausserordentlich  elastische  Flüssigkeit,  wodurch  dieselbe  erzengt  wird, 
mit  der  Benennung  Wärmestoff  {cälorique).  Dieser  Ausdmck  entspiickt 
nicht  nur  dem  Zwecke,  welchen  wir  vermittelst  unseres  Systems  beahsk^ 
tigen,  sondern  verschafft  uns  noch  überdies  den  Vortheil,  dass  er  za  alkt 
Arten  von  Meinungen  passt;  denn  nimmt  man  die  Sache  in  strengster 
Auffassung,  so  haben  wir  nicht  einmal  nöthig  vorauszusetzen,  dass  d« 
Wärmestoff  eine  wirklich  existireude  Materie  ist.** 

In  England  waren  die  Früchte  der  Arbeiten  Rumford' s  bes^r 
gewürdigt  worden;  besonders  H  u  m  p  h  r  e  y  Davy  (geb.  1778,  gest.  18iäK 
welcher  sofort  das   Ueberzeugende   der  Rn  in  for duschen    Versuche  er- 


B.    Von  Rumford  bis  zu  II.  Mayer.  895 

kannte,  sprach  dies  in  seiner  ersten  grösseren  Abhandlung  ^)  aus,  welche 
kurz  vor  dem  Schlüsse  des  Yorigei^  Jahrhunderts  erschien.  Er  fügte  ein 
tlberraschendes  weiteres  Experiment  zu  der  Rumford' sehen  Beweis- 
f Abrang  hinzu.  Er  rieb  zwei  Stücke  Eis  im  Yacnum  unter  dem  Reci- 
pienten  der  Luftpumpe  an  einander,  und  obgleich  die  Temperatur  des 
Recipienten  unter  dem  Gefrierpunkte  erhalten  wurde,  schmolz  ein  Theil 
des  Eises.  —  Da  die  specifische  Wärme  des  Eises  viel  kleiner  ist,  als 
die  des  Wassers,  so  konnte  man  die  durch  den  Reibungsprocess  ent- 
wickelte Wärmemenge  nicht,  wie  dies  den  Rumford' scheu  Versuchen 
gegenüber  eingewendet  worden  war,  der  Veränderung  der  specifischen 
Wärme  zuschreiben.  Da  der  Versuch  im  Vacuum  angestellt  worden, 
konnte  auch  der  Luit  kein  Einfluss  zugeschrieben  werden.  Dayy  schloss 
daraas,  dass^):  „die  unmittelbare  Ursache  der  Wärmeerscheinung  Be« 
wegung  ist,  und  dass  die  Gesetze  ihrer  Fortpflanzung  genau  dieselben 
sind,  wie  die  für  die  Fortpflanzung  der  Bewegung^.  Auch  über  die  Art 
der  Bewegung,  welche  Wärme  sein  soll,  spricht  sich  Davy  in  den  oben 
bereits  citirten  Elements  of  chemical  philosophy  (1812')  in  einer  so 
klaren  und  bündigen  Weise  aus,  dass  beispielsweise  Fr.  Mohr  demselben 
die  Priorität  hinsichtlich  der  Begründung  der  Elemente  der  kinetischen 
Gastheorie  vor  Krön  ig  zuweist.  Diese  charakteristische  Stelle  lautet 
folgendermaassen : 

„Es  scheint  möglich  alle  Phänomene  der  Wärme  zu  erklären,  wenn 
man  anuimmt,  dass  bei  festen  Körperu  die  Theilchen  sich  in  einem  be- 
ständigen Zustande  der  Vibration  befluden,  dass  die  Theilchen  der  heisse* 
sten  Körper  sich  mit  der  grössten  Geschwindigkeit  und  durch  die 
grössten  Räume  bewegen;  dass  bei  Flüssigkeiten  und  Gasen  neben  der 
vibratorischen  Bewegung,  welche  bei  den  Gasen  als  am  grössten  an- 
genommen werden  muss,  die  Theilchen  auch  eine  Bewegung  um  ihre 
Axen  (have  a  moHon  round  their  oton  axes)  haben,  welche  bei  den  Gasen 
ebenfalls  als  am  grössten  angenommen  werden  muss,  und  dass  bei  äthe- 
rischen Stoffen  (etherial  substaTices  =  elastisch-flüssigen)  die  Theilchen 
sich  rund  um  ihre  Axen  und  getrennt  Ton  einander  bewegen,  und  dass 
sie  den  Raum  in  geraden  Linien  durchdringen  („and  that  in  eUierial 
suhstances  the  purticles  move  round  ilieir  own  aies  and  separate  from  euch 
other^  penetrating  in  right  Hnea  tharough  space*^).^ 

Wie  klar  überhaupt  Davy  dachte,  geht  fernerhin  aus  einer  Be- 
merkung hervor,  welche  sich  in  jener  vorher  erwähnten  im  Jahre  1799 
erschienenen  Arbeit  befand,  welche  der  vorsichtige  Gelehrte  jedoch  wegen 
der  j^tagueness  of  generaliecUion^  vor  dem  Drucke  selbst  beseitigt  hatte; 
dieselbe  lautet*^): 


^)  An  essay  on  heat,  light  aud  the  combinations  of  liglit  1799.  In:  The  collected 
works  of  H.  Davy.  London  1839,  Bd.  II,  S.  29.  —  ^)  Uumphrey  Davy,  Elements 
of  Chemical  Philodophy,  S.  94.  —  ^)  Ebendaselbst,  S.  95.  —  *)  Vergl.  G.  Bert  hold, 
Notizen  zur  Oeschicbte  des  Principes  der  Erhaltung  der  Kraft.  Berl.  Ber.  Jahrg.  1875, 
S.   585. 


896  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

„Man  kann  sich  von  den  Bewegungen  der  Materie  keine  böl» 
Yorstellung  machen  als  die,  anzunehmen,  dass  die  Terschiedeneii  Arte 
derselben  unaufhöriich  in  einander  übergehen.  Die  Gravitati<m,  n«l» 
nische  und  Wärmebewegung  scheinen  sich  fortwährend  gegenaeitif  ■ 
erzeugen,  und  von  diesen  Umwandlungen  kommen  wahrachemlieh  lü 
Erscheinungen  der  Veränderungen  der  Materie  her/ 

Unzweifelhaft  ist  hier  die  wechselseitige  Umsetzharkeit  der  Kiifir 
formen  bereits  deutlich  zum  Ausdruck  gebracht.  Da  jedoch  nirgeiuii  e^ 
wähnt  ist,  dass  bei  diesen. Umsetzungen  die  Menge  der  Energie  ufa" 
ändert  bleibt,  und  Davy  selbst  die  Stelle  beim  Drucke  unterdräcktk 
so  halte  ich  es  nicht  für  richtig,  wenn  man  denselben  mit  unter  diek- 
decker  des  Gesetzes  von  der  Erhaltung  der  Energie  ssählt.  In  ununtt» 
barem  Anschluss  an  den  Vorgenannten  muss  auch  der  geniale  TkoDu 
Young^),  der  Wiederbegründer  der  Vibrationshypothese  des  U^n, 
genannt  werden,  welcher  in  seinem  trefflichen  Werke:  Äeouneoflf' 
tures  an  natural  philosophy  and  the  mechanical  arts ')  entschied»  k 
die  Immaterialität  der  Wärme  Partei  ergriff;  derselbe  -hat  dadurch,  du 
seine  gesammte  lichtvolle  Darstellung  von  diesem  Gedanken  durcbdrufi 
war,  namentlich  dazu  beigetragen,  der  neuen  Anschauung  wenigBkai'i 
England  festen  Boden  zu  gewinnen. 

Es  finden  sich  in  dem  vorgenannten  Werke  eine  grössere  ZaU  n 
Stellen,  nach  welchen  es  nahezu  unbegreiflich  scheint,  wie  bis  tief  in  ii 
erste  Drittel  unseres  Jahrhunderts  hinein  die  Lehre  von  der  Stoili^ 
keit  der  Wärme  auch  in  den  Kreisen  tüchtiger  Naturforscher  noehb 
Anhänger  finden  können.  Es  kann  dieser  aufiallige  Umstand  höcbt« 
dadurch  erklärt  werden,  dass  die  Mitglieder  der  damals  maassgebos 
französischen  Akademie,  unter  ihnen  Leute  wie  Lavoisier,  Be^ 
thollet.  Biet,  Gay-Lussac  sich  wenigstens  noch  des  irrefohrei^ 
Ausdruckes:  y^calorique^  Wärmestoff"  bedienten,  dass  damals  wenigem 
jetzt  von  den  gleichzeitigen  geistigen  Erzeugnissen  anderer  Völker  Kas>' 
niss  genommen  wurde,  und  dass  es  ferner  wenig  gebräuchlich  wü 
heute,  in  einem  geordneten  Studium  der  Vorgeschichte  der  naturvia» 
schaftlichen  Disciplinen  die  beachtlichen  Gedanken  aufzusuchen,  v# 
bereits  früher  von  hervorragenden  Geistern  ausgesprochen  worden  wa 

Eine  der  charakteristischen  Bemerkungen  Toung'a,  welche  gicif 
zeitig  die  überlegene  Schärfe  seiner  Schlussfolgerungen  zeigt,  lautet  ir 
gendermaassen ') : 

„Die  Umstände,  welche  in  Betreff  der  Wärmeerzeagang  dank  I» 
bung  bereits  dargelegt  sind,'  scheinen  eine  bündige  Widerlegung^ 
ganzen  Lehre  vom  Wärmestoff  zu  liefern.    Wenn  die  Wärme  weder  ff 

^)  Thomas  TouBg,  geb.  1773,  gest.  1829. 

')  Neae  Aufl.  besorgt  darch  Kell  and,  London  1845. 

^  Th.  Young,  A  course  of  lectures  of  natural  philosophy  etc.  LottJv  l^^ 
Bd.  I,  S.  502.  (Die  erste,  jetzt  seltene  Ausgabe  dieses  hervorragenden  Boches  vir  Vf 
erfolgt.) 


B.    Von  Rutnford  bis  zu  R.  Mayer.  897 

den  umgebenden  Körpern  empfangen  ist,  was  ohne  Erniedrigung  ihrer 
Temperatur  nicht  geschehen  kann,  noch  von  der  bereits  in  den  Körpern 
selbst  angehäuften  Quantität  abgeleitet  werden  kann,  was  nicht  ge- 
schehen konnte,  ohne  dass  ihre  Capacitäten  in  irgend  einem  erdenklichen 
Grade  sich  verminderten,  so  giebt  es  keine  Alternative,  als  anzuerkennen, 
dass  Wärme  wirklich  durch  Reibung  erzeugt  wird;  und  wenn  sie  aus 
Nichts  erzeugt  ist,  so  kann  sie  keine  Materie  sein,  noch  selbst  eine  im- 
materielle oder  halbmaterielle  Substanz.  —  Wenn  Wftrme  keine  Sub- 
stanz ist,  so  muss  sie  eine  Qualität  sein,  und  diese  Qualität  kann  bloss 
Bewegung  sein." 


3.    Die  Prioritätsansprüche  Fr.  Mohr's. 

Mit  vollem  Rechte  hat  Fr.  Mohr  darauf  hingewiesen,  dass  er  als 
einer  der  Ersten  in  Deutschland  auf  die  Kraftnatur  der  Wärme,  die  Ein- 
heit der  Naturkräfte  und  die  Möglichkeit  ihrer  wechselseitigen  Umsetzung 
in  einander  aufmerksam  gemacht  hat.  —  Leider  enthalten  aber  seine 
Darstellungen  neben  vielem  Richtigen  manche  groben  Missverständnisse, 
Unrichtigkeiten  und  Unklarheiten,  so  dass  es  nicht  zu  verwundern  ist, 
dass  man  auch  den  richtigen  Grundgedanken  seiner  Ausführungen  lange 
Zeit  hindurch  nicht  die  Bedeutung  beigelegt  hat,  welche  dieselben  doch 
mit  Recht  verdient  hätten.  —  Auch  war  diese  Abhandlung,  betitelt: 
^Ueber  die  Natur  der  Wärme",  in  einer  wenig  gelesenen  Zeitschrift, 
nämlich  in  Baumgarten's  und  v.  Holger's  Zeitschrift  für  Physik 
und  verwandte  Wissenschaften^),  erschienen,  so  dass  dem  Verfasser  selbst 
erst  Mitte  der  sechziger  Jahre  bekannt  wurde,  dass  seine  Jugendarbeit 
seiner  Zeit  wirklich  zum  Abdrucke  gelangt  war.  Da  jedoch  die  Abband*' 
lung  wirklich  schon  im  Jahre  1837  veröffentlicht  worden  ist,  hat  Mohr 
in  der  That  Anspruch  darauf,  in  der  Geschichte  der  mechanischen 
Wärmetheorie  genannt  zu  werden.  —  Schon  die  Einleitungsworte  seiner 
A^rbeit  werfen  ein  ziemlich  helles  Licht  auf  den  damaligen  Stand  der 
Dinge  und  sind  daher  nicht  ohne  Interesse.    Mohr  beginnt  wie  folgt: 

„Die  Erscheinungen  der  Wärme  sind  immer  durch  Annahme  eines 
3-fcoffes,  den  man  Wärmestoff,  Caloricnm,  nannte,  erklärt  worden.  Das 
Sutreten  und  Entweichen  dieses  Stoffes  musste  die  Verschiedenheit  der 
Srscheinungen  bedingen.  Alles  nöthigte,  diesem  Stoffe  eine  absolute  Im- 
>onderabilität  zuzugestehen." 

Mohr  weist  im  Weiteren  darauf  hin,  dass  die  Erscheinungen  der 
V^ärmestrahlung,  zumal  die  der  Polarisation  der  Wärmestrahlen,  nöthigen, 
inen  Bewegungszustand,   Schwingungen,  für  die  wahre  Ursache  der 


1)  A.  a.  O.   Jahrg.  5   (1837),  S.  419.     Auch  abgedruckt  in  F.  Mohr,  Allgemeine 
Itcoric  der  Bewegung  und  Kraft.     Braunschweig,  Vieweg  u.  Sohn  1869,  S.  84. 
Hahlmannt  MacTtan.  Wirmeihcorie.    Bd.  IT.  57 


898  V.    Geschichte  der  mechanischen  "Wärmetheorie. 

Wärmeerscfaeinungen,  zumal  der  Fortpflanzung  der  Wärme,  anzusehen  ^). 
Er  fährt  dann  fort: 

„Es  ist  bekannt,  dass  diese  Ansicht  im  Allgemeinen  schon  yielfiftch 
geäussert  worden  ist,  und  dass  namentlich  Graf  Rumford  dieselbe  mit 
der  grössten  Bestimmtheit  aussprach,  ohne  jedoch  mit  seiner  sehr  ge- 
wichtigen Stimme  durchzudringen.  Die  folgenden  Zeilen  sollen  nur  die 
Uebercinstimmung  dieser  Ansicht  mit  den  Erscheinungen  der  geleiteten 
Wärme  als  noth^endige  Consequenz  der  ersten  Idee  erscheinen  lassen 
und  darauf  hinwirken,  in  der  Wissenschaft  eine  schwankende  unrichtige 
Nomenclatur  durch  eine  passendere  zu  ersetzen. 

Indem  man  also  von  vorn  herein  den  Begriff  einer  unwägbaren  Sub- 
stanz nicht  statuirt,  wird  die  Ursache  der  Wärme  einer  Kraft  bei- 
gemessen, welche  die  ponderablen  Stoffe  in  eine  besondere  Vibrations- 
bewegung versetzt,  die  unseren  Sinnen  als  Wärme  erscheint.  Diese  Kraft 
ist  aber  ihrer  Natur  nach  durchaus  nicht  von  der  gemeinen  mechani- 
schen oder  virtuellen  Kraft  verschieden. 

Nach  dieser  Ansicht  ist  nun 

1)  ein  warmer  Körper  ein  solcher,  dessen  einzelne  kleinste  Theil- 
clien  sich  in  einer  bestimmten  Vibration  befinden.** 

Nach  einigen  Auseinandersetzungen  über  die  Art  dieser  Warme- 
schwingungen  sagt  er  ferner: 

2)  „Die  Fortpflanzung  der  Wärme  durch  Continuität  ist  danach  eine 
Mittheilung  einer  Bewegung  durch  Anstoss  und  das  Abkühlen  ein  rela- 
tives Zurruhekommen. 

Was  die  Anzahl  der  Wärmevibrationen  betrifft,  so  müssen  sie  den 
Licht  Vibrationen  nahe  kommen,  weil  sie  bei  der  Glühhitze  in  einander 
übergehen;  sie  geht  also  in  die  Billionen  für  die  Secunde. 

3)  Die  Imponderabilität  der  Wärme,  welche  so  grosse  Schwierig- 
keiten veranlasst,  fallt  nun  ganz  weg;  denn  da  die  Wärme  nur  eine  Be- 
wegung, ein  vorübergehender  Zustand  ist,  und  ein  vibrirender  Körper 
eben  so  schwer  wie  ein  ruhender  sein  muss,  so  ist  auch  ein  warmer  ao 
schwer  wie  ein  kalter. 

4)  Der  sogenannte  absolute  Nullpunkt  ist  demnach  absolute  Ruhe 
der  kleinsten  Theilchen,  zwar  in  Wirklichkeit  uns  nicht  bekannt,  aber 
im  Begriffe  keine  Schwierigkeiten  darbietend.  Nach  aufwärts  hat  die 
Wärme  keine  Grenze. 

5)  Die  Wärme  erscheint  in  unzähligen  Fällen  als  eine 
Kraft. 

Die  Gohäsion  der  Körper  ist  eine  Kraft;  wir  bedürfen  einer  Kraft^ 
um  die  Gohäsion  aufzuheben,  durch  Feilen,  Sägen,  Reiben  etc.  Die 
Wärme  hebt  ebenfalls  die  Gohäsion  der  Körper  auf,  was  aber  eine 


^)  Schon  vor  Mohr  hatten  in  Italien:  Par2otti,  Pesaro,  Posinieri  und 
Bizio  Aehnliches  ausgesprochen.  Dorrh  die  Anregung  dieser  Manner  ist  wahrs^beiB* 
lieh  Avogadro  auf  seine  moleculartheoretischen  Speculationen  geführt  worden.  Verfl. 
Gelin  in  Les  Mondes,  Bd.  62,  S.  154. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  899 

Kraft  aufhebt,  muss  selbst  eine  Kraft  sein.  Dieser  Scblass  ist 
sehr  wichtig,  denn  es  giebt  keinen  einzigen  Fall  in  der  Natur,  wo  man 
eine  Kraft  anders  als  durch  Entgegenstellung  einer  anderen  Kraft  auf- 
höbe. 

6)  Die  Ausdehnung  starrer,  flüssiger  und  gasförmiger  Körper  durch 
Wärme;  diese  sind  Krafterscheinungen  von  der  ungeheuersten  Grösse 
und  durch  die  Wärme  veranlasst,  was  aber  eine  Kraft  hervor- 
bringt, muss  selbst  eine  Kraft  sein. 

7)  Die  Ausdehnung  der  festen  Körper  durch  Wärme  ist  demnach 
nichts  als  eine  vergrösserte  Yibrations-Amplitude,  ohne  dass  die  Theile 

ans  der  Anziehungssphäre  der  Cohäsion  kommen. „Es  dehnen 

sich  also  durch  Erwärmen  die  Körper  selbst  nicht  aus, 
sondern  ihr  Umfang  vermehrt  sich  nur  durch  erweiterte 
Wärmevibrationen." 

Die  hier  wiedergegebenen  Sätze  enthalten  in  der  That  bereits  die 
wesentlichsten  Oedanken,  welche  noch  heute  der  meehanischen  Theorie 
der  Wärme  zu  Grunde  liegen.  Dieselben  sind  allerdings  nicht  neu,  da 
bereits  vor  Mohr  von  vielen  Anderen,  wie  wir  gesehen  haben,  Aehnliches 
gesagt  worden  war;  allem  Anscheine  nach  hat  aber  Mohr  damals  von 
seinen  Vorgängern  keine  Kenntniss  gehabt,  es  liegt  somit  in  der  That 
eine  selbstständig^  Conception  des  richtigen  Gedankens  vor,  so  dass  es 
Pflicht  der  historischen  Gerechtigkeit  erscheint,  Mohr  unter  den  Be- 
gründern der  modernen  Anschauung  mit  zu  nennen. 

Für  minder  berechtigt  muss  es  jedoch  erklärt  werden,  wenn  Mohr 
auf  eine  selbstständige  Aufstellung  des  Satzes  von  der  Constanz  der 
Energie  Anspruch  erhoben  hat.  Die  fragliche  Stelle,  auf  welche  er  diesen 
Anspruch  begründet,  lautet:  „denn  von  einer  Kraft  lässt  sicli  eben- 
falls Bechensehaft  geben  wie  von  einem  wägbaren  Stoffe;  man 
kann  sie  theilen,  davon  abziehen,  dazu  fügen,  ohne  dass  die  ur- 
sprüngliohe  Kraft  verloren  ginge,  oder  sich  in  ihrer  Quantität 
änderte,  und  dies  ist  auch  der  Grund,  warum  alle  Wä^eerscheinungen 
ohne  absoluten  Widerspruch  auch  durch  Annahme  einer  Materie  er- 
klärt werden  können.^ 

Zunächst  ist  an  dieser  Stelle,  wie  Mohr  später  selbst  zugegeben 
hat,  nur  von  der  Wärme,  nicht  von  anderen  Formen  der  Energie  die 
Rede,  und  anderntheils  ist  nicht  klar  genug  hervorgehoben,  dass  es  über- 
haupt unmöglich  sei,  Energie  zu  vernichten  oder  aus  Nichts  zu  schaffen, 
and  gerade  hierin  ist  doch  das  hauptsächliche  Gewicht  dieses  Princips 
zu  Buchen. 

Beachtlich  ist  jedoch  unter  Anderem  auch  das,  was  Mohr  in  jener 
Abhandlung  über  die  Aggregatzustände  sagt.  Man  erkennt  deutlich  dar- 
aus ,  dass  er  sich  bereits  zu  jener  Zeit  richtige  Vorstellungen  gemacht 
lat,  ähnlich  denjenigen,  welche  späterhin  von  Clausius  unabhängig 
ron  seinen  Vorgängern  und  viel  eingehender  ausgeführt  worden  sind. 
Diese  Stelle  lautet: 

57* 


1 


I 


900  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

13)  „Die  Definition  der  drei  Aggregatformen  ist  bei  diesem  Zu- 
sammenhange folgende: 

Ein  fester  Körper  ist  ein  solcher,  bei  dem  die  Grösse  der  Vibra- 
tionen die  einzelnen  Theilchen  nicht  aus  der  Anziehungssphäre  der 
Cohäsion  bringt. 

Ein  flüssiger  Körper  ist  ein  solcher,  wo  die  in  Vibration  begriffenen 
Theile  sich  so  weit  von  einander  entfernen,  dass  sie  nur  zu  einem  sehr 
geringen  Theile  innerhalb  dieser  Grenze  kommen. 

Ein  gasförmiger  Körper  ist  ein  solcher,  bei  welchem  die  Vibration 
so  erweitert  ist,  dass  die  Theile  gar  nicht  mehr  innerhalb  dieser  An- 
ziehnngsgrenze  kommen  und  sich  nur  abstossen.  Zwingt  man  sie  aber 
dennoch,  innerhalb  der  Grenze  zu  kommen,  so  ziehen  sie  sich  wieder  an 
und  erscheinen  wieder  als  Flüssigkeit;  dies  ist  die  Liquidifaction  der 
Gasarten  durch  Druck." 

Hervorzuheben  ist  jedoch,  dass  sich  nirgends  in  jener  für  die  Ge- 
schichte der  mechanischen  Wärmetheorie  beachtlichen  Abhandlang  auch 
nur  eine  Hindeutung  auf  die  Existenz  eines  festen  AequiYalentTerb&lt- 
nisses  zwischen  Wärme  und  Arbeit  findet.  Mohr  ist  somit  nicht  aber 
das  hinausgegangen,  was  andere  schon  vor  ihm  geleistet  hatten.  Die 
richtigen  Gedanken  jedoch  finden  bei  ihm  bereits  einen  zutreffenderen, 
unserer  modernen  Terminologie  näher  kommenden  Ausdruck,  als  bei  den 
meisten  seiner  Vorgänger,  weil  ihm  bereits  damals  eine  grössere  Somme  von 
Erfahrungsthatsachcn  zu  Gebote  stand,  als  denjenigen,  welche  früher  sieb 
über  dieselben  Gegenstände  ausgesprochen  hatten,  zu  einer  Zeit,  wo  die 
Kenntnisse  über  die  Wärmevorgänge  noch  äusserst  mangelhaft  waren. 

Irgend  welchen  Einfiuss  auf  die  Gestaltung  der  allgemeinen  wissen« 
schaftlichen  Anschauungen  über  die  Wärme  hat  jedoch  die  Mohr 'sehe 
Abhandlung  nicht  ausgeübt,  einestheils  weil  sie  in  einer  wenig  gelesenen 
Zeitschrift  erschienen  war,  anderntheils  weil  wirklich  neue  Thatsaches 
oder  Anschauungen  nicht  darin  beigebracht  sind ,  welche  wesentUch 
über  das  hinausgingen,  was  bereits  von  Hooke,  Rumford,  Davy, 
Young  ausgesprochen  worden  war. 


4.    Robert  Mayer,  der  Entdeoker  des  ersten  Hauptsatzes. 

Als  der  Entdecker  des  ersten  Hauptsatzes  der  mechanischen  W&rme- 
theorie,  d.  h.  des  Satzes,  dass  Wärme  und  Arbeit  nach  einem  festen 
Aequivalentverhältnisse  gegenseitig  in  einander  verwandelbar  sind,  kann 
nur  RobortMayer  angesehen  werden.  Er  hat  sich  nicht  damit  be- 
gnügt, darauf  hinzuweisen,  dass  ein  solches  festes  Aequivalentverhält- 
niss  besteht,  sondern  er  hat  auch  den  Versuch  gemacht,  die  Zahl  des 
mechanischen  Aequivalentes  selbst  zu  ermitteln, 

In  der  Aufstellung  dieses  Aequivalentverhftltnisses  liegt  der  grosste 
Fortschritt,  welcher  seit  Jahrhunderten  auf  diesem  Gebiete  gemacht  wor- 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  901 

den  ist,  von  hier  an  ist  eigentlich  erst  die  Begründang  der  mechanischen 
Theorie  der  Wärme  im  engeren  Sinne  za  zählen. 

Die  endgültige  Ermittelung  des  mechanischen  Aequivalentes  der 
Wärme  ist  freilich  nicht  Mayer  boschieden  gewesen;  es  fehlten  ihm  da- 
mals die  erforderlichen  Beobachtungsdaten,  um  dasselbe  nach  seinem 
durchaus  richtigen  Gedankengange  berechnen  zu  können;  auch  gebrach 
es  ihm  an  den  Hilfsmitteln ,  vielleicht  seiner  ganzen  'Anlage  nach  auch 
an  der  Neigung ,  dasselbe  auf  expenmentellem  Wege  zu  finden.  Diese 
Zahl  mit  Zuverlässigkeit  ermittelt  zu  haben,  ist  das  grosse  unbestreit- 
bare Verdienst  von  James  Prescott  Joule. 

Wir  halten  es  für  Unrecht,  wenn  von  verschiedener  Seite  versucht 
worden  ist,  das  Verdienst  des  einen  der  beiden  grossen  Männer  auf 
Kosten  des  anderen  zu  schmälern.  Jeder  für  sich  hat  für  das,  was  er  ge- 
leistet hat,  das  unangreifbare  Anrecht  erworben,  für  alle  Zeiten  unter 
den  besten  Namen  in  der  Geschichte  der  empirischen  Wissenschaften 
genannt  zu  werden. 


5.    Leben  und  Werke  Robert  Mayer's. 

Das  Leben  dieses  grossen  Mannes  ist  reich  an  Dornen  gewesen,  wie 
das  der  meisten,  welche  die  Welt  mit  neuen,  grundlegenden  Fortschritten 
beglückt  haben.  Es  war  ihm  jedoch  vergönnt,  zu  sehen,  nicht  nur  wie 
die  von  ihm  begründete  Lehre  immer  mehr  Boden*  gewann,  sondern 
auch  endgültig  als  Grundlage  weiterer  wissenschaftlicher  Forschung  an- 
erkannt und  mit  grösstem  Erfolge  verwendet  wurde. 

So  war  ihm  wenigstens  am  Abend  seines  Lebens  das  Glück  beschie- 
den, sein  Haupt  mit  dem  Lorbeerkranze  geschmückt  zu  sehen,  den  seine 
Geistesthaten  reichlich  verdient  hatten. 

Jul.  Rob.  Mayer  wurde  am  25.  Nov.  1814  im  Schwabenlande  und 
zwar  zu  Heilbronn  am  lieblichen  Ufer  des  Neckars  geboren.  Sein  Vater 
war  der  Apotheker  des  Städtchens  und  erfreute  sich  bei  seinen  Mitbürgern 
hohen  Ansehens.  Der  Knabe  Robert  war  ein  träumerisches  Kind  und  seine 
jugendliche  Phantasie  war  oft  mit  Gedanken  beschäftigt,  welche  sonst  nur 
ausnahmsweise  in  dem  Kopfe  eines  jungen  Menschenkindes  Platz  finden. 
Die  Betrachtung  der  zahlreichen  Mühlen  am  Ufer  des  heimathlichen 
Flusses  führten  ihn  auf  die  Frage,  warum  es  wohl  nicht  möglich  sein 
solle,  auch  mit  kleineren  Wasserrädern  grosse  Werke  in  Thätigkeit  zu 
setzen,  wenn  man  durch  eine  Schraube  ohne  Ende  die  Kraft  vorvielfache 
und  dann  durch  passend  gewählte  Zahnräder  die  verlorene  Geschwindig- 
keit der  Bewegung  wieder  herstelle.  Durch  fortgesetzte  Beobachtungen 
der  wirklichen  Verhältnisse  aber  und  durch  die  Beschäftigung  mit  einer 
populären  Naturlehre:  „Poppers  physikalischer  Jugendfreund,  Wien 
1815",  welchen  er  von  seinem  Vater  geschenkt  erhalten  hatte,  befestigte 
sich  in  seinem  Kopfe  mehr  und  mehr  die  Ueberzeugung,  dass  man  durch 


902  V,    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

sogenannte  mechanische  Uebersetzungen  die  Arbeitsfähigkeit  eines  W 
rades  nicht  vergrössern  könne. 

Von  dem  Vater,  der  nicht  nur  ein  tüchtiger  Gesohäftsmaiui  vc 
sondern  sich  auch  mit  den  damals  nenen  Fortschritten  aof  dem  Msta 
der  Chemie  vertraut  gemacht  hatte,  hörte  Robert  schon  Irahzeitig  Xu- 
cherlei,  was  seine  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete  Yermehrte  uide 
Interesse  für  naturwissenschaftliche  Dinge  rege  machte.  Die  E3te 
vernachlässigten  nichts ,  um  dem  Sohne  eine  sorgfaltige  Erziehuif  t 
geben.  Da  ihm  aber  die  Beschäftigung  mit  der  Natar  sichtlidi  m& 
zusagte,  als  das  Erlernen  der  alten  Sprachen  in  der  StudienansUli  c 
Schönthal,  so  bestimmte  man  den  zum  Jünglinge  heran  gewnchaoB 
Robert,  seinen  eigenen  Neigungen  entsprechend,  für  das  Stadium  k 
Medicin.  Während  seiner  Studentenjahre  auf  der  Universität  Tül»sf: 
(von  1832  bis  1837)  beschäftigte  er  sich  eifrig  nicht  nur  mit  dem  Ft^ 
Studium,  sondern  er  sammelte,  soweit  dies  die  damaligen  dürftigen  Bi> 
mittel  der  deutschen  Hochschulen  gestatteten,  auch  gründlicbe  Ken 
nisse  auf  dem  Gebiete  der  exaoten  Naturwissenschaften.  Gegen  £•: 
seiner  Studienzeit  wurde  er,  weil  er  Leiter  einer  unerlaubten  stodc::- 
sehen  Verbindung  gewesen  war,  zu  einer  längeren  Garoerstrafe  r* 
urtheilt.  Er  war  seiner  Meinung  nach  unschuldig  bestraft  worden,  ud  i 
gelang  ihm,  seine  Haft  dadurch  abzukürzen,  dass  er  beharrlich  diei^ 
nähme  jeder  Nahrung  verweigerte.  Er  wurde  hierauf,  seiner  Wnit 
spenstigkeit  wegen,  von  der  Universität  relegirt.  Er  beendete  m 
Studien  durch  kürzere  Aufenthalte  an  den  Universitäten  München  c 
Wien  und  besuchte,  nachdem  er  die  letzten  üblichen  Ehcamina  hiss 
sich  hatte,  zu  seiner  weiteren  Ausbildung  auch  noch  die  Kliniken  o 
Hospitäler  in  Paris. 

Der  Vater,  welcher  die  hervorragende  Begabung  seines  Söhnest 
naturwissenschaftliche  Studien  wohl  erkannt  hatte ,  gab  gern  seine  JJt 
willigung,  als  der  junge  Doctor  der  Medicin  den  Wunsch  äusserte,  mc 
ein  Stück  Welt  sehen  zu  wollen ,  ehe  er  sich  durch  Uebemahme  ea 
medicinischen  Praxis  dauernd  an  die  Scholle  fessele.  £^  nahm  Dstf 
als  Schiffsarzt  auf  einem  Ostindienfahrer  und  schiffte  sich  im  I 
des  Jahres  1840  in  Rotterdam  ein.  Da  derCapitain  ein  wenig  gebüddc 
und  nicht  sonderlich  umgänglicher  Mann  war,  so.  sah  sich  der 
Mayer  während  der  langen  Fahrt  durch  das  Weltmeer  in  der  Htaf 
Sache  auf  sich  selbst  angewiesen.  Er  benutzte  die  vielen  Mossestnsds 
um  sich  gründlich  in  das  Studium  des  Handbuches  der  Physiologie  r.i 
Johannes  Müller  zu  vertiefen.  Dieses  Studium  und  MayerU  gro^ 
liehe  Kenntniss  der  Chemie,  in  welcher  sich  damals  noch  immer  k 
wesentliche  Interesse  um  den  von  Lavoisier  in  den  VordergroDd  k 
Betrachtung  gestellten  Verbrennungsprocess  bewegte,  befähigten  ia 
jungen  Arzt,  aus  einer  gelegentlichen  Beobachtung  die  weittragendrta 
Folgerungen  zu  ziehen,  welche  das  Ferment  zu  einer  vollkommenen  IV 
gestaltung  der  naturwissenschaftlichen  Methode  geworden  sind. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  903 

Mayer  erzählt  darüber  selbst  Folgendes  ^) :  „ Während  eiuerbundert- 
tägigen  Seereise  war  bei  der  aus  28  Köpfen  bestehenden  Equipage  kein 
erheblicher  Krankheitsfall  vorgekommen;  wenige  Tage  aber  nach  der 
Ankunft  auf  der  Rhede  von  Batavia  verbreitete  sich  epidemisch  eine  acute 
(katarrhalisch  -  entzündliche)  Affection  der  Lunge.  Bei  den  reichlichen 
Aderlässen,  welche  ich  machte,  hatte  das  aus  der  Armvene  gelassene 
Blut  eine  ungemeine  Röthe,  so  dass  ich  der  Farbe  nach  glauben  konnte, 
eine  Arterie  getroffen  zu  haben.''  An  einer  anderen  Stelle  ^)  berichtet 
er  weiter  darüber  Folgendes:  „Diese  Erscheinung  fesselte  meine  volle 
Aufmerksamkeit.  Von  der  Theorie  Lavoisier's  ausgehend,  nach  welcher 
die  animalische  Wärme  das  Resultat  eines  Verbrennungsprocesses  ist, 
betrachtete  ich  die  doppelte  Farbenveränderung,  welche  das  Blut  in  den 
Haargefässen  des  kleinen  und  grossen  Blutlaufes  erleidet^),  als  ein  sinn- 
lich wahrnehmbares  Zeichen,  als  den  sichtbaren  Reflex  einer  mit  dem 
Blute  vor  sich  gehenden  Oxydation.  Zur  Erhaltung  einer  gleichförmigen 
Temperatur  des  menschlichen  Körpers  muss  die  Wärmeentwickelung  in 
demselben  mit  einem  Wärmeverluste,  also  auch  mit  der  Temperatur  des 
umgebenden  Mediums  nothwendig  in  einer  Grössenbeziehung  stehen,  und 
es  muss  daher  sowohl  die  Wärmeproduction  und  der  Oxydationsprocess, 
als  auch  der  Farbenunterschied  beider  Blutarten  im  Ganzen  in  der  heissen 
Zone  geringer  sein,  als  in  kälteren  Gegenden.^ 

Die  Betrachtungen,  welche  Mayer  an  diese  Beobachtung  knüpfte, 
haben  ihn,  wie  er  selbst^)  berichtet,  auf  die  Entdeckung  des  wichtigen 
Satzes  geführt,  dass  zwischen  Wärme  und  Arbeit  ein  fest  bestimmtes 
Aequivalentverhältniss  bestehen  müsse. 

Mayer  blieb  nämlich  nicht  dabei  stehen,  die  Wärmeproduction  der 
lebenden  Organismen  der  Verbrennung  der  Nahrungsmittel  zuzuschreiben, 
sondern  er  that  dies  auch  bezüglich  der  Arbeitsleistung  der  Muskeln  der 
Thiere  und  gelangte  dadurch  zu  dem  Schlüsse^):  „Es  bleibt  also  der 
Yerbrennungstheorie,  wenn  sie  sich  nicht  von  vornherein  selbst  aufgeben 
will,  nichts  übrig,  als  anzunehmen :  dass  die  gesammte  theils  unmittelbar, 
theils  auf  mechanischem  Wege  vom  Organismus  entwickelte  Wärme  dem 
Yerbrennungseffecte  quantitativ  entspricht  oder  gleich  ist.^ 

„Daraus  folgt  nun  aber  mit  derselben  Nothwendigkeit ,  dass  die 
vom  lebenden  Körper  ert&ugte  mechanische  Wärme  mit  der  dazu  ver- 
brauchten Arbeit  in  einem  unveränderlichen  Grösseuverhältnisse  stehen 
muss/    Schliesslich  kam  er  zu  dem  Ergebnisse^):   „Es  ist  folglich  eine 


1)  Mayer,  Mechanik  der  Wärme,  Stuttgart,  Cotta,  1867.     S.  95. 

«)  A.  a.  0.  S.  249. 

«)  Für  solche  Leser,  welche  mit  den  Elementen  der  Physiologie  wenig  bekannt 
sind,  verweise  ich  auf  die  kurze  Darstellung  des  Blutlaufes  und  seiner  Bedeutung  für 
den  Organismus,  welche  ich  im  ersten  Bande  dieses  Buches,  S.  133,  gegeben  habe. 

*)  Mayer,  Mechanik  der  Wärme,  1867,  S.  249  u.  s.  f. 

^)  Mayer,  Mechanik  der  Wärme,  1867,  S.  252. 

«)  A.  a.  0.  S.  253. 


904  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

unveränderliche   Grössen beziehong   zwischen    der  Wärme  and   der 
beit  ein  Postulat  der  physiologischen  Yerbrennungstheorie.^ 

Heimgekehrt,  theilte  Robert  Mayer  dasErgebniss  seiner  Bebrach- 
tungen  verschiedenen  Fachgelehrten  mit;  nirgend  jedoch  fand  er  Yer- 
ständniss  für  seine  Gedanken.  Er  legte  hierauf  seine  neuen  Ideen  in 
einer  Abhandlung  nieder:  „Bemerkungen  über  die  Kräfte  der  unbelebten 
Natur/  Er  sendete  dieselbe  an  Poggendorff  mit  der  Bitte,  dieselbe 
in  dem  von  ihm  redigirten,  gelesensten  deutseben  Fachjoamale,  den  be- 
kannten Annalen  der  Physik  und  Chemie,  zum  Abdrucke  zu  bringen. 
Die  Arbeit  wurde  ihm  jedoch  mit  dem  Bemerken  zurückgesendet,  es 
seien  neue  experimentelle  Daten  darin  nicht  enthalten.  Justus  Ton 
L  i  e  b  i  g  jedoch  acceptirte  die  Arbeit  und  druckte  dieselbe  im  Jahre  1 842 
im  Maihefte  des  42.  Bandes  der  von  ihm  gemeinsam  mit  Wohl  er  her- 
ausgegebenen Annalen  der  Chemie  und  Pharmacie  ab. 

Es  ist  unbegreiflich,  wie  einem  auf  allen  Gebieten  der  Physik   so 
wohl  orientirten  und  so  durchaus  wohlmeinenden  Manne  wie  Poggen- 
dorff der  Werth  des  Inhaltes  der  May  er 'sehen  Abhandlung  hat  ver« 
borgen  bleiben  könneu.  Schreckte  ihn  die  von  der  üblichen  Schulsprache 
der  Physik  nicht  unwesentlich  abweichende  Ausdrucksweise   ab?    oder 
hat  er  nicht  Zeit  gefunden,  sich  genügend  eingehend  mit  dem  Inhalte  eu 
beschäftigen?    Wahrscheinlich  hat  er  nach  den  mehr  philosophisch  ge» 
haltenen  ersten  Seiten  gemeint,  er  habe  es  mit  einer  jener  leeren  Specn- 
lationen  zu  thun,  mit  welchen  die  Philosophen  gelegentlich  das  Gebiet 
der  Naturwissenschaften  heimsuchen.     JedenfaUs  hatte  Poggendorff 
nicht  beachtet,  dass  in  der  May  er  ^  sehen  Abhandlung  etwas  auch  filr 
den  experimentellen  Theil  der  Physik  sehr  Wichtiges  steckte,  nämlich 
die  erste  Berechnung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme.    Diese 
wichtige  Stelle  in  May  er 's  Abhandlung  lautet^):  „Wir  müssen  aasfindig 
machen,  wie  hoch  ein  bestimmtes  Gewicht  über  den  Erdboden  erhoben 
werden  müsse,  dass  seine  Fallkraft  äquivalent  sei  der  Erwärmung  eines 
gleichen  Gewichtes  Wasser  von  0^  auf  PC.     Dass  eine  solche  Gleichung 
wirklich  in  der  Natur  begründet  sei,  kann  als  das  Kesume  des  Bisherigen 
betrachtet  werden."- 

„Unter  Anwendung  der  aufgestellten  Sätze  auf  die  Wärme-  and 
Volumverhältnisse  der  Gasarten  findet  man  die  Senkung  einer  ein  Gas 
comprimirenden  Quecksilbersäule  gleich  der  durch  die  Compression  ent- 
bundenen Wärmemenge,  und  es  ergiebt  sich  hieraus  —  den  Verhaltniss- 
exponenten  der  Capacitäten  der  atmosphärischen  Luft  unter  gleichem 
Drucke  und  unter  gleichem  Volumen  =  1,421  gesetzt  —  dass  dem 
Herabsinken  eines  Gewichtstheiles  von  einer  Höhe  von  circa  365  m  die 
Erwärmung  eines  gleichen  Gewichtstheiles  Wasser  von  0^  auf  l^  ent- 
spreche.*^ 

Der  Gedankengang,   durch  welchen  Mayer  an  dieser   Stelle   das 

*)  Mayer,  Mechanik  der  Wärme,  S.  11. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  905 

mechanische  Wärmeäquivalent  ableitet,  ist  ganz  richtig;  denn  ihm  war, 
urie  er  später  auf  Einwendungen  Joule's^)  diesem  entgegnete,  der  Gay- 
XiUBsac'sche  Versuch^)  bekannt,  nach  welchem  sich  die  mittlere  Tem- 
peratur einer  Gasmasse  nicht  ändert,  wenn  das  Volumen  des  Gases  ver- 
grössert  wird,  ohne  dass  gleichseitig  eine  äussere  Arbeitsleistung  statt- 
findet. Der  von  Mayer  gefundene  numerische  Werth  des  mechanischen 
Wärmeäquivalentes,  365  kgm,  weicht  jedoch  nicht  unerheblich  von  dem 
durch  Joule  gefundenen  und  durch  alle  neueren  Untersuchungen  be- 
stätigten wahren  Werth  e,  ungefähr  425 kgm,  ab;  Mayer  konnte  nar  die 
damals  bekannten  ungenauen  Zahlen  für  den  Ausdehnungscoefficienten  und 
die  specifische  Wärme  seiner  Rechnung  zu  Grunde  legen.  Verwendet 
man  die  inzwischen  gefundenen  genaueren  Bestimmungen  dieser  physika- 
lischen Constanten,  so  gelangt  man  genau  zu  dem  von  Joule  gefunde- 
nen Zahlwerthe  ^). 

Es  kann  jetzt  kein  Zweifel  mehr  darüber  herrschen,  dass  sowohl 
hinsichtlich  der  klaren  Erfassung  des  richtigen  Gedankens,  als  auch  hin- 
sichtlich der  correcten  Durchführung  desselben  bis  zum  Endresultat 
Mayer  die  Priorität  vor  Joule  gebührt.  Mayer  hat  zuerst  ausge- 
sprochen, dass  es  ein  mechanisches  Aequivalent  der  Wärme  giebt  und 
den  richtigen  Weg  gezeigt,  dasselbe  aufzufinden.  Die  genaue  Bestimmung 
des  wahren  Werthes  nach  einer  anderen,  wesentlich  mühevolleren,  aber 
auch  einwurf^eien  Methode  ist  das  grosse,  unbestreitbare  Verdienst 
J  o  u  1  e '  s. 

In  dieser  ersten  Publication  May  er 's  ist  auch  die  gegenseitige 
Verwandelbarkeit  der  verschiedenen  Naturkräfte,  sowie  die  Unzerstörbar- 
keit der  Kraft  und  die  Unmöglichkeit,  Kraft  aus  Nichts  zu  schaffen,  also 
der  Satz  von  der  Gonstanz  der  Energie,  auf  das  Klarste  auseinander- 
gresetzt. 

May  er 's  Arbeit  fand  damals  durchaus  nicht  die  Beachtung,  die  ihr 
apochemachender  Inhalt  verdient  hätte.  Die  Ursache  hiervon  ist  gewiss 
7or  Allem  darin  zu  suchen,  dass  die  Darstellung  in  der  Abhandlung  „Be- 
merkungen über  die  Kräfte  der  unbelebten  Natur ^  den  Eindruck  macht, 
ÜB  sei  Mayer  auf  deductivem  Wege  zu  den  Ergebnissen,  die  er  mit- 
bheilte,  gelangt.  Gegen  diese  Methode  aber  haben  die  Naturforscher  eine 
[>e rechtigte  Abneigung,  da  die  wesentlichen  Fortschritte  auf  dem  Ge- 
t:>iete  des  Naturerkennens  fast  ausschliesslich  durch  consequentes  Ver- 
folgen des  indnctiven  Weges  gewonnen  worden  sind.  Hätte  Mayer 
3infach  die  Beobachtungen  beschrieben,  welche  ihn,  wie  wir  oben  mit- 
^heilten,  thatsächlich  auf  seine  Entdeckung  geführt  haben,  und  den  Ge- 
iankengang  klar  gelegt,  welcher  ihn  zu  seinen  Ergebnissen  führte,  so 


^)  Joule,  Comptes  rendus  28,  S.  132.  Mayer,  R^clamation  de  priorite  contre 
kl.  Joule,  relativement  i  la  loi  d^^quivalence  du  calorique,  Comptci«  rendus,  27,  S.  385, 
S8,   S.  132;  29,  S.  534. 

2)  M6moires  d'Arcueil,  1,  S.  180. 
.     3)  Vergl.  Bd.  1  dieses  Buches,  III,  A,  2,  S.  235.  ' 


906  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wännetheorie. 

würde  man  seine  Leistung  mit  grösserem  Vertrauen  aufgenommen  usd 
sorgfUtiger  hinsichtlich  ihres  Werthes  geprüft  hahen. 

Entschieden  falsch  ist  es,  wenn  Dühring^)  den  SachTerhalt  so  dar- 
stellt, als  hahe  man  den  Werth  der  May  er' sehen  Arbeit  zwar  schoa 
damals  erkannt,  aber  es  habe  zwischen  den  Fachgelehrten  eine  Art  tob 
Complott  bestanden  zu  dem  Zwecke,  die  Ergebnisse  der  neuen  Est- 
deckung  zwar  zu  eigenem  Ruhme  auszubeuten,  den  Entdecker  selbst  aber, 
weil  er  ein  Nichtfachmann  gewesen  sei,  zu  unterdrtlcken. 

Heimgekehrt  von  seiner  Seereise,  liess  sich  Mayer  im  Jahre  1841 
in  seiner  Vaterstadt  Heilbronn  als  praktischer  Arzt  nieder.  Er  erwarh 
sich  bald  das  Vertrauen  seiner  Mitbürger  und  damit  eine  steüg*  wachsende 
Praxis.    Im  folgenden  Jahre  gründete  er  sich  einen  eigenen  Haasstand. 

Trotzdem  Mayer  mit  seiner  Erstlingsarbelit  nicht  entfernt  die  An- 
erkennung fand ,  auf  welche  er  wohl  mit  Recht  gehoflt  hatte ,  verfolgte 
er  unentwegt  den  einmal  betretenen  Pfad  weiter.  Als  Fracht  seiner 
weiteren  Studien  erschien  im  Jahre  1846  eine  kleine  Broschüre,  betiteh: 
„Die  organische  Bewegung  im  Zusammenhange  mit  dem  Stoffwechsel.** 
Dieselbe  beschäftigte  sich  mit  den  Anwendungen  des  neuen  Principe  auf 
die  Physiologie.  Diese  Arbeit  zeigt  deutlich,  dass  Mayer  sich  der  Trag- 
weite und  universellen  Bedeutung  seiner  Entdeckung  voll  bevmsst  war; 
sie  gehört  zu  den  classischen  Werken  auf  naturwissenschaftlichem  Ge- 
biete und  documentirt  hinsichtlich  der  Darstellung  nnd^osseren  Form 
im  Vergleich  zur  ersten  Publication  einen  gewaltigen  Fortschritt. 

Kurze  Zeit  darauf,  im  Jahre  1848,  veröffentlichte  Mayer  eine  nicht 
minder  bedeutsame  Abhandlung:  „Beiträge  zur  Dynamik  des  Himmels^  xd 
populärer  Darstellung"'),  in  welcher  zahlreiche  Anwendungen  seiner 
Principien  auf  kosmologische  Probleme  niedergelegt  sind,  und  wclcbe 
einen  erneuten  Beweis  für  die  Genialität  und  durchdringende  Schärfe 
seines  Denkens  abgiebt.  Er  entwickelte  in  dieser  Abhandlung  die  bereits 


^)  E.  Dühring,    Robert  Mayer,  der  Galilei  des  19.  Jahrhunderts.     Chemnitz 
1880.     Das  Dühring' sehe  Buch  verdankt   seinen  Ursprung  sichtlich  minder  dem  Be- 
dürfnisse, den  längere  2Seit  nicht  genügend  gewürdigten  Verdiensten  May  er 's  Gercchti^ 
keit  widerfahren  zu  lassen,  als  vielmehr  dem  Drange  eines  verbitterten  Gemüthes,  dem 
Grimme  über  persönliche    üble  Erfahrungen   im  Kreise   der   akademischen  FachgcBae^cs 
Ausdimck  zu   geben.     Dühring   war   nämlich  wegen   ganz  unqualificlrbarer,   von  ILl<« 
and  Bosheit  strotzender  persönlicher  Angriffe  in  Rede  und  Schrift  gegen  eüuelne  ^diicr 
Collegen  an  der  Berliner  Universität  im  Jahre  1877  gezwungen  worden,    seine  Utitis- 
keit  als  Privatdocent  an   dieser  Hochschule   einzustellen.  —  Dem    über   alles  Mjum  I«- 
scheidenen,  gegen  Jeden  freundlichen  Mayer  würde  gewiss,  wenn  er  noch  gelebt  hatte, 
das  Erscheinen  der  hasscrfüllten  Dühring» sehen  SchritY  keine  Freude  bereitet    hat««. 
Die  Dühring* sehe  Darstellung   der  Lebensschicksale,   sowie   der  Bedeutung    der  Eat- 
deckungen  Robert  Mayer's,  machen  nicht  den  Eindruck  historischer,  objectirer  Wor* 
digung ;  Thatsachen  und  Motive  erscheinen  in  augenfälliger  tendenziöser  Verxerrung.    Is 
ist  dies  um  so  mehr  zu  beklagen,  als  man  gern  anerkennen  kann,  dass  Dühring  skli 
durch   andere  Arbeiten  auf  philosophischem,   staatswissenschaftlichem   und  histortsrhen 
Gebiete  Verdienste  erworben  hat. 

*)  Mayer,  Mechanik  d.  Wärme,  S.  147  bis  234.     Heilbronn  1848. 


B.    Von  ßumford  bis  jju  R.  Mayer.  907 

früher  (S.  819)  von  uns  mitgetheilte  Theorie,  nach  welcher  die  unaoB- 
gesetzten,  durch  die  Wärme-  und  Lichtausstrahlung  der  Sonne  veran- 
lassten Energieverluste  dadurch  ersetzt  würden,  dass  die  auf  die  Sonnen- 
oberfläche niederfallenden  Meteoriten  dort  ihre  enormen  Mengen  kineti- 
scher Energie,  die  sie  mit  sich  führten,  verlieren  und  in  Wärme  um- 
setzen. Ferner  zeigte  Mayer,  dass  die  Reibung  der  Ebbe  und  Fluth 
an  der  Erdoberfläche  eine  kleine  Verzögerung  der  Rotationsgeschwindig- 
keit der  Erde  um  ihre  Axe  zur  Folge  haben  müsse.  Obgleich  dieselbe 
zum  Theil  durch  die  allmähliche  C!ontraction  compensirt  wird,  welche 
die  Erde  in  Folge  ihrer  Abkühlung  erfährt,  so  scheint  es  doch,  als  ob 
die  erstgenannte  Wirkung  einen  nicht  zu  vernachlässigenden  Betrag 
besässe  ^). 

Zum  ersten  Mal^  wird  hier  die  Sonne  und  ihre  Beziehung  zur  Erde 
in  mustergültiger  Weise  von  einem  weitblickenden  Standpunkte  aus  be- 
trachtet, welcher  eine  klare  Auffassung  einer  ganzen  Reihe  wichtiger 
kosmischer  Probleme  ermöglicht  hat.  Auch  diese  Abhandlung  muss 
daher  zu  den  werth vollsten  geschichtlichen  Documenten  gerechnet  werden, 
welche  unsere  Wissenschaft  besitzt. 

Merkwürdiger  Weise  fanden  aber  auch  diese  Schriften  so  gut  wie 
keine  Beachtung  und  kaum  Verständniss  in  den^  Kreisen  der  Naturforscher. 
Die  Enttäuschung  über  diesen  Misserfolg,  Anfeindungen  von  Gegnern 
der  neuen  Gedanken,  vielleicht  auch  häusliche  Differenzen,  welche  durch 
die  Unkosten  des  Druckes  der  Abhandlungen  veranlasst  worden  sein 
mögen,  wirkten  ungemein  niederdrückend  auf  das  empflndsame,  zu  ener- 
gischer Gegenwirkung  nicht  veranlagte  Gemüth  des  grossen  Mannes. 

Um  dem  ungerechten  Todtschweigen  seiner  Entdeckung  entgegen- 
zutreten und  um  zu  verhüten,  dass  mau  nicht  Anderen,  die  erst  nach 
ihm  gekommen  waren,  die  Entdeckung  des  mechanischen  Wärmeäqui- 
valentes  zuschreibe,  veröffentlichte  er  1850  eine  kleine  Reclamations- 
Bchrift  „Ueber  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme ^  ^).  Aber  auch 
diese  blieb  ohne  Wirkung. 

In  Folge  dieser  schmerzlichen  Erfahrungen,  vielleicht  unterstützt 
durch  eine  angeerbte  körperliche  Disposition,  kam  ein  ernstes  Nerven- 
leiden bei  Mayer  zum  Ausbruch;  zu  spät  durch  Ruhe  und  Erholung 
bekämpft,  steigerte  sich  dasselbe  bis  zur  Gemüthskrankheit  und  zog  einen 
fünfzehnmonatlichen  Aufenthalt  in  den  Irrenheilanstalten  zu  Göppingen 
und  Winnenthal  nach  sich.  Ob  Mayer  in  jener  Periode  wirklich  im 
eigentlichen  Sinne  des  Wortes  geisteskrank  gewesen  ist,  oder  ob  nicht 
durch  ungeschickte  Behandlung  sein  Gemüthsleiden  nur  zu  gelegent- 
lichen Paroxismen  gesteigert  worden  ist,  kann  jetzt  kaum  mehr  mit 
Sicherheit  constatirt  werden.    Mayer  selbst  hat,   soviel  mir  bekannt, 


*)  Wir  verweisen  hier  auf  das,   was  wir   im   vorigen  Abschnitte  IV,  B.  4,  S.  819 
desselben  Bandes  dieses  Baches  mitgetheilt  haben. 

^  Heilbronn  1850.    Mechanik  der  W&rme,  S.  235  bis  294.    Als  Broschüre  erschienen. 


908  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

selbst  nie  zugegeben ,  dass  er  geisteskrank  gewesen  sei ,  wohl-  aber  et 
zeitlebens  bitter  über  die  schlechte  Behandlung  ausgesprochen,  die  er  = 
den  oben  genannten  Anstalten  erfahren.  Zur  Ehre  der  Irrenftrzie,  wdck 
Mayer  behandelt  haben,  darf  man  yielleicht  annehmen,  dass  demkn^; 
haft  überreizten  Manne  manches  damals  schlimmer  erschienen,  nnd  k 
auch  in  seiner  Erinnerung  geblieben  ist,  als  es  in  Wirklichkeit  n  j 
D  ü  h  r  i  n  g  stellt  M  a  y  e  r '  s  Aufenthalt  in  der  Irrenheilanstalt  all  ä 
Märtyrerthum  für  seine  Ueberzeugung  dar.  Die  treibende  Unadwe 
der  Neid  der  Fachgelehrten  gewesen,  die  Familie  habe  zur  Unschadlid- 
machung  willig  die  Hand  geboten,  und  die  Irrenärzte  hätten  geinsk> 
maassen  die  Ausführung  des  Attentates  übernommen,  dessen  Zvecka 
gewesen  sei,  den  grossen  Mann  entweder  zu  vernichten  oder  dock  dub^ 
stens  um  den  Lohn  seiner  geistigen  Schöpfungen  zu  betrügen.  la 
kann  es  der  Zukunft  überlassen,  darüber  zu  entscheiden,  ob  sieäneiolQi 
Potenzirung  von  Gemeinheit  und  Niedertracht  bei  sonst  achtbaren,  ^Saä:,- 
treuen  und  wohlmeinenden  Menschen  für  möglich  hält,  oder  ob  es  m^ 
für  wahrscheinlicher  gehalten  werden  wird,  anzunehmen,  dass  Maje: 
wirklich  vorübergehend  gemüthsleidend  gewesen  sei,  und  dass  nur  ooem 
Bosheit  und  Hass  erfüllte  Phantasie  einen  Zusammenhang  and  Motive  eiga- 
m  ächtig  erdichtet  hat,  um  May  er 's  Aufenthalt  in  der  Irrenanstalt  ■ 
die  Leiden  eines  modernen  Galilei  erscheinen  lassen,  und  dabei  Giftni 
Galle  über  die  Gelehrtenzunft  ausspeien  zu  können. 

Nachdem  Mayer  im  Jahre  1854  die  Irrenanstalt  verlassoi  hat 
scheint  er  lange  Zeit  eine  begreifliche  Niedergedrücktheit  nicht  bik 
los  werden  zu  können.  Man  hatte  ihn  inzwischen  auch  bereits  todt  p* 
sagt.  Er  litt  schwer  unter  dem  Odium ,  was  ja  leider  lange  Zeit  Boiai 
Unglückliche  verfolgt,  von  welchen  es  bekannt  ist,  dass  ihr  Geist  getrik 
gewesen.  Doppelt  schwer  lastete  dieses  Gefühl,  auf  einem  Manne,  der  et 
Ueberzeugung  hatte,  er  sei  nicht  geisteskrank  gewesen,  der  bia  dikb 
vergeblich  nach  Anerkennung  seiner  Verdienste  sich  gesehnt  hatte  oi 
wahrnehmen  musste,  dass  inzwischen  andere,  die  nach  ihm  gekoasa 
waren,  mit  denselben  Gedanken,  die  er  zuerst  ausgesprochen  hatte,  Bei&S 
fanden,  während  man  ihn  vergessen  zu  haben  schien.  Doppelt  aAn 
musste  ein  solches  Schicksal  für  einen  Arzt  sein,  dessen  Wirkanke^ 
doch  vor  Allem  sich  auf  dem  Vertrauen  seiner  Klienten  aufbaut  NV 
mand  wird  so  tragischem  Geschicke  des  grossen  Mannes  innigste  Tbeü* 
nähme  versagen! 

Diese  schwere  Last,  welche  das  verdüsterte  Gemüih  des  grons 
Mannes  bedrückte,  ist  wohl  auch  die  richtige  Erklärung  fftr  die  Itf? 
Pause,  welche  nach  jener  Erkrankung  in  seinen  Publicationen  eingeticis 
ist.  Ein  Glück  war  es,  dass  Mayer  auch  als  Arzt  ohne  lohnende Pmi 
wenigstens  vor  äusserem  Mangel  bewahrt  blieb.  Erst  im  Jahre  1^ 
veröffentlichte  er  in  Wunderliches  Archiv  der  Heilkunde  wieder  eis 
Abhandlung:  „Ueber  das  Fieber.  Ein  iatromechanischer  Versack^  ^ 
yr&r  dies    eine  Anwendung    seiner   eigenthümlichen    Betrachtungsve* 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  909 

und  des  vou  ihm  entdeckten  Principes  auf  die  Losung  pathologischer 
Fragen. 

Das  Verdienst,  zuerst  auf  Mayer  hingewiesen  zu  haben,  gebührt 
unzweifelhaft  Glausius,  welcher  schon  in  seiner  ersten  1850  erschie- 
nenen Abhandlung:  „Ueber  die  bewegende  Kraft  der  Warme"  diesen 
citirte^).  Auch  tou  Uelmholtz  hat,  seitdem  er  die  Arbeiten  Mayer's 
kennen  gelernt  hatte,  niemals  unterlassen,  dessen  Prioritätsrechte  voll- 
ständig anzuerkennen^)  und  wiederholt  Mayer  gegen  die  Verkleine- 
rungsyersuche  gewisser  englischer  Physiker  in  Schutz  genommen. 

Aber  erst  durch  die  Vorträge  und  Schriften  des  Engländers  Tyn- 
dall  ist  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  die  Bedeutsamkeit  der 
May  er 'sehen  Entdeckungen  gelenkt  worden,  und  man  begann  nunmehr 
auch  in  Deutschland  und  anderwärts  die  grossen  Verdienste  Mayer' s 
voll  zu  würdigen,  nachdem  nahezu  ein  Vierte^jahrhundert  lang  sich  nur 
ganz  Wenige  darum  gekümmert  hatten,  dass  von  Mayer  die  neuen  Fun- 
damente geschaffen  worden  waren,  auf  welchen  sich  die  neueste,  glänzende 
Epoche  naturwissenschaftlicher  Entdeckungen  und  technischer  Erfindun- 
gen aufbauen  konnte. 

Im  Jahre  1867  veröffentlichte  er  im  Cot  tauschen  Verlage  eine  Samm- 
lung seiner  sämmtlichen  auf  mechanische  Wärmetheorie  bezüglichen  Ab- 
handlungen unter  dem  Titel:  „Die  Mechanik  der  Wärme."  Dieses  Bänd- 
chen, welches  über  May  er 's  An theil  an  der  Begründung  der  mechanischen 
Wärmetheorie  genügend  Auskunft  giebt,  fand  bald  rasche  und  vielseitige 
Anerkennung,  so  dass  schon  nach  wenigen  Jahren  eine  neue  Auflage 
nöthig  wurde.  Während  die  erste  Auflage  nur  eine  wortgetreue  Wieder- 
gabe der  inzwischen  zum  Theil  fast  unerreichbaren  Originalabhandlungen 
und  -Broschüren  war,  acceptirte  Mayer  in  der  zweiten  Auflage  von 
1874  die  Joule' sehe  2iahl  für  das  mechanische  Wärmeäquivalent  und 
rechnete  alle  numerischen  Beispiele,  in  welchen  diese  Zahl  vorkommt, 
um.  Für  die  Consequenzen,  welche  Mayer  aus  dieser  Zahl  gezogen  hat, 
blieb  die  Differenz  zwischen  dem  von  ihm  angenommenen  Werthe  367 
und  dem  von  Joule  gefundenen  423  Meterkilogramm  ohne  jeden  Einfluss. 

Abgesehen  von  einigen  öffentlichen  Vorträgen,  die  Mayer  hielt,  ist 
nur  noch  wenig  über  seine  weitere  Thätigkeit  bekannt  geworden.  Am 
19.  October  1869  hielt  er  auf  der  Naturforscherversammlang  in  Inns- 
bruck einen  Vortrag.  Er  sprach  über  das  mechanische  Wärmeäquivalent 
and  entwickelte  einen  neuen  originellen  Erklärungsversuch  der  Er- 
scheinungen der  Polarlichter.  Er  glaubte,  dass  die  Ursache  der  zeit- 
weiligen Störungen  des  elektrischen  Gleichgewichtes  darin  zu  suchen  sei, 
dass  die  Reibung  der  Luft  der  unteren  Passatwinde  an  der  Erdoberfläche 
einen  Scheidungsprocess    der    beiden  Elektricitäten  bewirke;    die    eine 


^)  Clansius,  Abhandlungen  über  mechanische  Wärmetheorie.  1.  Aufl.  ßraun- 
ftchweig  1864.     S.  75. 

^)  Vergl.  Helmholtz,  Populäre  wiwenschaftliche  Vorträge.  1.  Aufl.  1854.  Hft.  2. 
S.  112. 


910  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Elektricitätsart  wird  der  Erdoberfläche,  die  andere  der  Luft  mitgetbeüt. 
Die  in  der  heissen  Zone  aufsteigende  Luft  führe  ihre  elektrische  Ladung 
den  Polen  zu  und  bnuge  dort  die  Polarlichter  hervor.  —  Wir  TerzichteB 
darauf,  diese  Hypothese  an  dieser  Stelle  auf  das  Maass  ihrer  Wahrscheia- 
lichkeit  zu  prüfen,  weisen  jedoch  darauf  hin,  dass  dieselbe  mindesUas 
nicht  unbeachtlich  ist,  wenn  sie  auch  kaum  im  Stande  sein  dürfte,  alle 
Erscheinungen  des  Erdmagnetismus  und  der  Luftelektricität  in  ihren 
Zusammenhange  zu  erklären. 

Zwei  Jahre  vor  seinem  Tode  (1876)  veröffentlichte  er  eine  Ideiae 
Broschüre:  „Die  Toricelli'sche  Leere  und  über  Auslosang.'^  In  der 
ersten  ganz  kurzen  Notiz  weist  er  darauf  hin,  dass  das  sogenannte 
Yacuum  der  Barometer  jederzeit  noch  erhebliche  Gasmengen  enthalteD 
müsse,  was  später  durch  zahlreiche  Untersuchungen  über  den  Darcfagang 
der  Elektricität  durch  verdünnte  Gase  vielseitig  bestätigt  worden  ist. 
In  der  zweiten  Abhandlung  erörtert  er  die  Bedeutung  jener  ersten  An- 
stösse,  durch  welche  der  Eintritt  gewisser  Naturprocesse  eingeleitet  wird, 
und  welche  scheinbar  dem  Grundsatze  „causa  aequat  effectum^  wider- 
sprechen. Der  verschwindend  kleine  Druck  auf  den  Abzug*  d^  ge- 
stochenen Büchse  bringt  die  in  dem  Pulver  enthaltene  grosse  Menge 
potentieller  Energie  chemischer  Affinität  zur  Wirkung.  Dieser  Drack 
auf  den  Abzug  ist  die  Auslösung  und  steht  in  keiner  quantitativen  Be- 
ziehung zu  der  bei  der  Entladung  des  Geschosses  entwickelten  Menge 
calorischer  und  kinetischer  Energie.  Vorzugsweise  behandelt  er  in  jener 
Schrift  die  Bedeutung  des  Auslösnngsvorganges  für  physiologische  nad 
psychologische  Vorgänge. 

Am  20.  März  1878  endete  eine  Lungenentzündung  nach  kwaen 
Krankenlager  das  Leben  des  bedeutenden  Mannes. 

Unaufgeklärt  ist  es  geblieben,  warum  Mayer  in  den  lotsten  Jahr- 
zehnten seines  Lebens  sich  minder  lebhaft  an  dem  neuen  Aufbau  der 
exacten  Wissenschaften  betheiligt  hat,  für  den  seine  Entdeckungen  das 
Fundament  abgegeben  haben.  Das  aber,  was  Mayer  geleistet  hat,  ist 
so  originell  und  von  so  grundlegender  Bedeutung  gewesen,  dass  die 
Wissenschaft  zu  allen  Zeiten  seiner  als  einer  Grösse  ersten  Ranges  ge- 
denken wird. 


6.    Sadi  Oarnot. 

Dem  Mitgliede  des  Directoriums  der  ersten  Republik,  dem  Genen! 
Carnot,  wurde  am  1.  Juni  1796  ein  dritter  Sohn  geboren,  dem  er  in 
der  Taufe  nach  einem  persischen  Weisen,  dessen  Dichtungen  und  Moral- 
anschauungen er  sehr  schätzte,  den  Vornamen  Sadi  beilegte.  Nach  den 
18.  Fructidor  gehörte  auch  der  General  Carnot  zu  den  ProacribirieB 
und  flüchtete  zunächst  nach  der  Schweiz,  fipäter  nach  Deutschland.  Seine 


B,    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  911 

Gattin  hatte  sich  mit  ihrem  Sohne  Sadi  nach  St.  Omer  gewendet,  und 
dort  yerlebte  der  Knabe  seine  erste  Jugendzeit.  Dem  Directorinm  war 
dasGonsnlat  gefolgt;  dasselbe  führte  den  vertriebenen  General  nach  zwei- 
jährigem Exil  in  sein  Vaterland  zurück,  und  derselbe  gelangte  zu  dem 
wichtigen  Amte  eines  Kriegsministers.  Trotz  seiner  umfänglichen  dienst- 
lichen Verpflichtungen  leitete  der  Vater  mit  grosser  Sorgfalt  persönlich 
die  Erziehung  seines  Sohnes.  Der  kleine  Sadi,  welcher  oft  seinen  Vater 
nach  Malmaison  begleitete,  erfreute  sich  der  besonderen  Liebe  Josephinens, 
der  späteren  Kaiserin,  und  verbrachte  oft  halbe  Tage  in  der  Gesellschaft 
der  liebenswördigen,  geistvollen  Frau.  Auf  dem  Lycee  Charlemagne  be- 
reitete sich  der  heranwachsende  Knabe  für  die  polytechnische  Schule 
vor.  Durch  energische* körperliche  Uebungen  wurde  der  zarte  Körper 
gestählt  und  das  erforderliche  Gleichgewicht  zwischen  der  Ausbildung 
des  Geistes  und  des  Körpers  bewahrt.  Im  September  des  Jahres  1812 
trat  der  nunmehr  sechzehnjährige  Sadi  in  die  polytechnische  Schule 
selbst  ein.  Obgleich  er  bereits  nach  einem  Jahre  auf  Grund  seiner  her- 
vorragenden Leistungen  zum  Eintritt  in  die  Artillerie  für  reif  erklärt 
wurde,  blieb  er  mit  Rücksicht  auf  seine  Jugend  und  seine  zarte  Körper- 
beschaffenheit noch  ein  weiteres  Jahr  auf  der  Schule  und  trat  im  Jahre 
1814  als  Genieofficier  in  die  Armee  ein.  Unmittelbar  darauf  kam  er 
auch  im  Bataillon  der  Polytechniker  während  des  AngrifiFes  der  Alliirten 
auf  Paris  an  dem  Thore  von  Vinoennes  zum  ersten  Male  ins  Feuer. 

Sadi  Carnot  besuchte  nunmehr  im  Jahre  1814  und  1815  zunächst 
als  Unterlieutenant  die  Kriegsschule  in  Metz.  Obgleich  er  sich  bereits 
hier  durch  hervorragende  wissenschaftliche  Leistungen  ausgezeichnet 
hatte  und  sich  jederzeit  des  vollsten  Vertrauens  seiner  nächsten  Vor^ 
gesetzten  erfreute,  wurde  der  junge  Genieofflcier  vom  neuen  Bourboni- 
Bchen  Regime,  wahrscheinlich  seines  an  die  republikanischen  und  napoleo- 
niflchen  Traditionen  erinnernden  Namens  wegen ,  von  einer  Garnison  in 
die  andere  versetzt  und  meist  in  kleinen  Festungen  mit  rein  mechani- 
schen Arbeiten  beschäftigt,  die  ihm  seinen  Dienst  mehr  und  mehr  ver- 
leideten. Er  trat  deshalb  1819  bei  der  Bildung  des  Generalstabes  als 
Lieutenant  in  diesen  ein,  fand  jedoch  auch  hier  keine  seinen  Fähigkeiten 
entsprechende  Verwendung.  In  Folge  dieses  Umstandes  wendete  er  seine 
Aufmerksamkeit  anderen,  seinem  Berufe  ziemlich  fem  liegenden  Dingen 
zu,  und  als  Frucht  dieser  Studien  veröffentlichte  er  im  Jahre  1824  die 
Abhandlung :  „Reflexions  sur  la  puissance  motrice  du  feu  et  sur  les  machines 
propres  k  d^^elopper  cette  puissance. **  Diese  Abhandlung  enthält,  ob- 
gleich Carnot^)  in  derselben  von  der  Annahme  eines  unzerstörbaren, 
un verwandelbaren  Wärmestoffes  ausgeht,  eine  eigenthümliche  Betrach- 


1)  Carnot,  R^flexions  etc.  Paris  1824.  Bachelier.  Nen  abgedruckt:  Annales 
scientifique«  de  Vtco\e  Normale  sup^rieure,  2.  Ser.,  Bd.  1,  1872.  Neu  herausgegeben, 
mit  einer  Biographie  und  Abdrücken  aus  den  unedirt  gebliebenen  Manuscripten  ver- 
sehen von  Hypolite  Carnot,  dem  Bruder  Sadi  Carnot's,  im  Jahre  1878.  Paris. 
Gauthier  Villars. 


912  V.     Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

tungsweise  über  die  Vorgänge  bei  Maschinen,  durch  die  vermiHelst 
Wärme  Kraft  erzengt  wird ,  welche  die  Gmndlage  "des  zweiten  Haapt- 
satzes  der  mechanischen  Wärmetheori&  geworden  ist. 

Ehe  wir  auf  den  wesentlichen  Inhalt  dieser  Abhandlung  eingeben, 
berichten  wir  kurz  über  die  weiteren  Lebensschicksale  Carnot^B.  In 
Jahre  1828  nahm  er,  um  sich  seinem  Lieblingsstudinm,  der  Theorie  dff 
technischen  Verwendungen  der  Wärme,  ungestörter  zuwenden  zu  köBDen 
seinen  Abschied.  Die  Manuscripte,  welche  Carnot  unvollendet  lliote^ 
lassen  hat,  beweisen  auf  das  Deutlichste,  dass  derselbe  nach  Publicatioe 
seiner  ^Reflexions"  die  Meinung:  Wärme  sei  ein  unverwandelbarer  Stoff, 
gänzlich  verlassen  hat.  Er  war  vielmehr  zur  vollen  Klarheit  über  die 
Kraftnatnr  der  Wärme  gelangt  und  hat  sogar  eine  angenäherte  Bestin- 
mung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  und  zwar  zu  370  Meter- 
kilogramm^) hinterlassen.  Da  diese  Notizen  jedoch  erst  1878  vonseixieiB 
Bruder  Hypolite  Carnot  veröffentlicht  worden,  können  hierauf  keine 
Prioritätsansprüche  gegründet  werden. 

Späterhin  wendete  sich  S.  Garnot  vorzugsweise  nationalökoDoini' 
sehen  Studien  zu.  Diese  wurden  Veranlassung,  dass  er  im  Jahre  183(i 
mit  anderen  ehemaligen  Schülern  der  polytechnischen  Schule  die  Assocu- 
tion  polytechnique, -eine  Gesellschaft  zur  Gewinnung  und  Verbreitosg 
gemeinnützlicher  Kenntnisse,  gründete.  Mitte  Juni  1832  erkranl[te  er 
am  Scharlachfieber,  dasselbe  nahm  später  einen  typhösen  Charakter  u. 
Sein  hierdurch  ohnehin  sehr  geschwächter  Körper  erfag  am  24.  Kupsk 
desselben  Jahres  einem  Choleraanfalle  in  wenig  Stunden. 

Er  hinterliess  nur  Anfange  zu  weiteren  Arbeiten,  von  welchen  ein- 
zelne der  neuen  Auflage  ')  seines  berühmten  Abhandlung  beigefagt  siiii 
Der  Inhalt  der  Carno  tischen  Abhandlung  ist  ungefähr  der  folgende - 
Der  Gedankengang  knüpft  an  die  Beobachtung  an ,  dass  überall  da,  vo 
Arbeit  mittelst  Wärme  erzeugt  wird,  gleichzeitig  ein  Uebergang  von 
Wärme  von  einem  heissen  zu  einem  minder  warmen  Körper  stattfiodet 


^)  A.  a.  0.  S.  95  heisst  es:  „Nach  einigen  Vorstellungen,  welche  ich  mir  ii« 
die  Theorie  der  Wärme  gebildet  habe,  erfordert  die  Entstehung  einer  Krafteinheit"  (fc^ 
hebung  eines  Cubikmeters  Wasser  una  einen  Meter)  „die  Zerstörung  von  2,70  Wiraw 
einheiten."     Nun  ist  aber 

^""V^g"    =  370  kgm. 
2,70  * 

Der  von  Carnot  vermuthete  Werth  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  stimmt  dikr 
so  ziemlich  mit  dem  überein,  welchen  späterhin  Mayer  aufstellte.  Auch  dem  Sita 
von  der  Erhaltung  der  Kraft  begegnet  man  in  dieser  Sammlung  eintelner  Kotiia  tt* 
S.  Carnot^s  hinterlassenen  Manuscripten,  und  zwar  in  folgender  Perm  (a. a. 0.  S, 95): 
„Man  kann  daher  den  allgemeinen  Satz  aufstellen,  dass  die  bewegende  Kraft"  (pm«»« 
motrice)  „in  der  Natur  eine  unveränderliche  Grösse  ist,  dass  sie  im  eigentiicken  Sine 
des  Wortes  weder  geschaffen  noch  zerstört  wird.  Sie  wechselt  in  Wirklichkeil  6k  G^ 
stalt,  d.  h.  sie  bringt  bald  die  eine,  bald  die  andere  Art  Bewegung  hervor,  aber  st 
verschwindet  niemals." 

2)  Reflexions  etc.     Paris  1878.     S.   89  bis  102. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R,  Mayer,  913 

Bei  jeder  durch  Wärme  getriebenen  Maschine  ist  einerseits  eine  Wärme- 
quelle vorhanden  (bei  einer  Dampfmaschine  z.  B.  die  Kesselfeuerung), 
andererseits  eine  Abkühlungsvorrichtung  (der  Condensator) ,  und  femer 
gieht  es  einen  anderen  Körper  (den  Wasserdampf),  welcher,  abwechselnd 
mit  der  Wärmequelle  und  der  Kühlvorrichtung  in  Berührung  gebracht, 
durch  seine  Yolumveränderungen  die  Arbeit  erzeugt,  welche  die  Ma- 
schine leistet. 

Carnot  behandelt  zuerst  die  Frage,  ob  die  durch  die  Wärme  er- 
zeugte Arbeitsmenge  von  der  Qualität  der  dritten  Substanz  abhängig 
sei,    welche    durch   ihre   Volum  Veränderungen    diiö   Arbeitsleistung   be- 
wirkt.   Ausgehend  von  der  üeberzeugung,  dass  ein  Perpetuum  mobile 
.  unmöglich  sei,  zeigt  er,  dass  die  erzeugte  Arbeitsmenge  unabhängig  von 
der  Qualität  des  Zwischenmittels  ist  und  lediglich  von  den  Temperaturen 
der  beiden  Körper  abhängt,  zwischen  welchen  sich  dieser  Wärmetransport 
vollzieht.    Er  2eigt  weiter,  dass,  sofern  die  Temperaturen  der  Wärme- 
quelle und  der  Abkühlungsvorrichtung  gegeben  sind  und    die  grösste 
mögliche  Arbeitsleistung  erzielt  werden  soll,  man  jede  Temperaturände- 
ruDg  der  vermittelnden  Substanz  vermeiden  muss,  welche  nicht  mit  einer 
entsprechenden  Volumenänderung    verbunden    sei.      Jede    Temperatur- 
änderung,  welche  nicht  mit  einer  gleichzeitigen  Volumen änderung  ver- 
knüpft ist,  muss  nothwendig  mit  einem  unmittelbaren  Uebergange  von 
Wärme  von  einem  heissen  auf  einen  kalten  Körper  verbunden  sein.    Ein 
solcher  schädlicher   Uebergang  findet  z.  B.  jederzeit  statt,  wenn  sich 
Körper  von  verschiedener  Temperatur  berühren,  und  das  muss  demnach 
soviel  als  möglich  vermieden  werden.     Zum  mindesten  sollen,  da  der- 
artige Verschiedenheiten  in  der  Praxis  nicht  gänzlich  zu  umgehen  sind, 
dieselben  so  gering  als  möglich  gemacht  werden.    Sadi  Carnot  zeigt, 
-wie  es  mit  Hilfe  von  Hüllen,  welche  für  Wärme  undurchdringlich  sind, 
möglich  sein  würde,  Maschinen  zu  construiren,  welche  dieser  Bedingung 
vollständig  entsprächen.    Er  macht  darauf  aufmerksam,  dass  solche  Pro- 
cesse,  bei  welchen  auf  die  angedeutete  Weise  die  Substanz,  durch  welche 
die  Wärme  von  der  Wärmequelle  auf  die  Abkühlungsvorrichtung  über- 
tragen wird,   in   den  Anfangs^stand  zurückgebracht  wird,  ohne   dass 
jemals  sich  Körper  von  ungleicher  Temperatur  berührt  haben,  auch  um- 
kehrbar sind,  d.  h.  ebenso  gut  in  entgegengesetzter  Hichtung  vollzogen 
irerden  können. 

Hierauf  versucht  Sadi  Carnot  zu  bestimmen,  wie  gross  dieMaximal- 
arl>eit  sei,  welche  eine  bestimmte  Wärmemenge  zu  erzeugen  im  Stande 
ist,  wenn  sie  von  einer  Wärmequelle  auf  einen  kälteren  Körper  über- 
tragnen wird.  Dass  ein  Theil  der  Wärme  dabei  wirklich  verschwinde. 
Lind  gerade  dieser  in  Arbeit  umgesetzt  wird,  entging  ihm,  da  er  von 
}er  Annahme  ausging,  die  Wärme  sei  ein  Stoff  und  deshalb  ihre 
^Qftntität  unveränderlich.  Er  haftete  mit  seinen  Vorstellungen  an  dem 
Silde  des  Wassers,  welches  Arbeit  zu  leisten  im  Stande  ist,  wenn  es  von 
änem  höheren  zu  einem  tieferen  Niveau  herabsinkt.    £r  spricht  daher 

Sühlmaiin,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  II.  5g 


914         V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

auch  Yon  einem  Falle  der  Wärme.  Es  fehlten  ihm  BarBeantwoitmigder 
Frage  nach  dem  möglichen  Arheitsroaxiinam^  die  experimentellen  Grud- 
lagen, und  er  konnte  nur  den  Satz  aafstellen,  dass  ein  Wärmefall  om  di^ 
seihe  Anzahl  von  Graden  eine  grössere  Arheitsleistang  in  den  tiefiena, 
als  in  den  höheren  Temperatarregionen  bewirke.  Er  zeigte  nim,  daa 
hei  einer  Maschine,  in  welcher  die  Arbeitssnbstanz  (Lufb,  Dampf)  eba 
vollkommen  umkehrbaren  Ereisprocess  durchläuft,  das  Yerhältaiai  kt 
erzeugten  Arbeit  zu  der  yon  der  Wärmequelle  abgegebenen  Winae- 
menge  lediglich  eine  Function  der  Teroperaturdifferenz  zwischen  Wärae- 
quelle  und  abkühlender  Substanz  ist.  Carnot  bewies,  dass  bei  «nn^ 
lieh  kleinen  Kreisprocessen  die  erzeugte  Arbeitsmenge  der  Tempentl^ 
differenz  zwischen  der  Wärmequelle  und  dem  kalten  Körper,  auf  wdcki 
die  Wärme  übertragen  wird,  und  einer  unbekannten  Temperatarfanetki 
proportional  sei;  aber  es  gelang  ihm  nicht,  das  Gesetz  für  YollkomiBae 
Kreisprocesse  von  endlicher  Ausdehnung  vollständig  aufzustellen,  md 
welchem  die  durch  die  Wärme  erzeugte  Arbeitsmenge  zwischen  des  tv- 
schiedenen  Temperaturgrenzen  sich  ändert,  da  er  die  Natur  der  erwib- 
ten  unbekannten  Temperatnrfunction ,  der  sogenannten  Cärnot^scWt 
Function,  nicht  zu  bestimmen  vermochte. 

Erst  Holmholtz  und  Clausius  zeigten,  dass  die  erzeugte Arlwitr 
menge  proportional  der  Temperaturdifferenz  und  umgekehrt  propertkafc 
der  absoluten  Temperatur  der  Wärmequelle  ist.  Dieser  Satz,  wal^ 
den  Ausgang  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  WärmeÜMow 
bildet,  ist  zusammen  mit  dem  Mayer' sehen  Satze  von  dem  Arboi» 
äquivalente  der  Wärme  das  Fundament  geworden,  worauf  die  neoeB^ 
handlungsweise  naturwissenschaftlicher  Probleme  ruht,  welche  nakn 
in  alle  Gebiete  der  Kräfteverwandlung  eingreift  und  in  den  letztes  Jak* 
zehnten  einen  vollständigen  Umschwung  der  Naturauffassnng  bewiri^t  ^ 

Obgleich  Carnot  schon  in  der  eben  besprochenen  Abhs&dliiif 
wiederholt  Bemerkungen  einstreute,  welche  darauf  hindeuten,  dan  er  ik 
Annahme  von  der  Existenz  eines  unzerstörbaren  WärmeetcfPes  niebtüt 
unangreifbar  halte,  hat  er  doch  seine  ganze  Abhandlung  in  diesem  Siiat 
durchgeführt.  Er  stellt  die  theoretische  Grundlage  der  Wärmemasetiia 
so  dar,  als  ob  die  Wärmemenge ,  welche  der  Dampf  beim  Eintritt  is  £> 
Maschine  vom  Dampfkessel  mitbringt,  vollständig  im  (Jondensator  vii^ 
zum  Vorschein  käme  und  lediglich  ihre  Temperatur  geändert  hkt 
Trotzdem  ihm  somit  entging,  dass  die  vom  Dampfe  in  der  Maschine  gr 
leistete  Arbeit  der  Wärmemenge  gleich  ist,  welche  während  des  Tr 
ganges  verschwindet,  also  nicht  wieder  im  Condensator  auftritt,  so  bM 
doch  der  Gar  not' sehe  Satz,  dass  die  erzeugte  Arbeit  der  Tempera»* 
differenz  zwischen  dem  heissen  und  kalten  Körper  proportional  ist,  fi* 
sehen  denen  der  Wärmeübergang  stattfindet,  yon  diesem  Irrthume  «* 
berührt. 

Ich  halte  es  daher  för  ungerecht,  wenn  einzelne  Physiker  mit  Bb^ 
sieht  auf  den  sachlichen  Irrthum  die  Bedeutung  Garnot'z  f^  dieG^ 


B.    Von  Bumford  bis  zu  R.  Mayer.  915 

sobichte  der  mechanischen  W&rmetheorie  gering  erachten.  Dieselben 
stützen  sich  immer  auf  die  Stelle  (Eleflexions,  Aasgabe  vom  Jahre  1878, 
S.  6),  welche  in  Uebersetzung  folgendermaasseu  lautet:  „Die  Erzeugung 
bewegender  Kraft  in  den  Dampfmaschinen  rührt  somit  nicht  von  einem 
wirklichen  Verbrauche  von  Wärme  her,  sondern  von  ihrem  Uebergan^e 
Yon  einem  heissen  auf  einen  kalten  Körper,  d.  h.  Yon  der  Wiederher- 
stellung des  Gleichgewichtes,  eines  Gleichgewichtes,  welches  durch  irgend 
welche  Ursache,  etwa  durch  einen  chemischen  Process,  wie  z.  B.  dieVer* 
brennung,  gestört  worden  ist.*'  Es  wird  dabei  aber  vergessep,  dass 
Carnot's  Verdienst  in  der  neuen  Behandlungsweise  der  Wärmevorgänge 
liegt,  und  dass  es  ihm  durch  dieselbe  gelungen  ist,  gewisse  Wahrheiten 
der  mechanischen  Wärmetheorie  zu  finden,  welche  von  den  Vorstellungen 
über  das  Wesen  der  Wärme  ganz  unabhängig  sind. 

Glausius  ging  später,  statt  von  der  Unmöglichkeit  des  Perpetuum 
mobile,  von  dem  an  sich  einleuchtenden  Satze  aus:  Wärme  geht  nicht  von 
selbst  von  einem  kälteren  auf  einen  heisseren  Körper  über  und  gelangt  auf 
diese  Weise  durch  Vervollständigung  und  Richtigstellung  des  C  a  r  n  o  t^  sehen 
Satzes  zur  Aufstellung  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärme- 
theorie. Nur  kurze  Zeit  später  gelangte  W.  Thomson  zu  demselben 
Ergebnisse,  indem  er  von  dem  Axiome  ausging:  Es  ist  unmöglich,  mit 
Hilfe  unbeseelter  Körper  irgend  welche  mechanische  Leistung  durch 
irgend  eine  Substanz  zu  erzielen,  wenn  ihre  Temperatur  niedriger  ist, 
als  die  tiefste  aller  ihn  umgebenden  Körper. 

Sadi  Garnot  gelangte,  indem  er  seine  Betrachtungsweise  auf  per- 
manente Gase  anwendete,  bereits  zu  den  wichtigsten  derjenigen  Sätze, 
welche  sich  jetzt  unmittelbar  aus  der  Erwägung  ergeben,  dass  die  innere 
Arbeit  bei  Gasen  nahezu  verschwindend  klein  ist.  Es  sind  dies  Sätze  ^), 
welche  zum  Theil  erst  später  durch  die  Experi mentalarbeiten  von 
Dulong  und  von  Joule  und  Thomson  auf  dem  Erfahrungswege  be- 
stätigt worden  sind. 

Die  Abhandlung  von  Sadi  Carnot  schliesst  mit  einer  Erörterung 
der  verschiedenen  Mittel,  welche  Verwendung  finden  können,  um  die  be- 
wegende Kraft  der  Wärme  thunlichst  auszunutzen.  Er  gelangt  dabei 
zu  drei  wesentlichen  Gesichtspunkten,  welche  auch  heute  noch  für  die 
Maschinenconstructeure   von    der  höchsten  Bedeutung  sind.     Dieselben 


^)  Diese  Sätze  lauten: 

1.  Wenn  eine  gegebene  Gasmenge  bei  constanter  Temperatur  Vol  amen  und  Druck 
ändert,  so  ist  die  vom  Gase  absorbirte  oder  abgegebene  Wärmemenge  von  der  Natur 
des  Gases  unabhängig  (Carnot,  R6flexions  S.  25). 

2.  Die  Differenz  zwischen  der  specifischen  Wärme  eines  Gases  bei  constantem 
Drucke  und  bei  constantem  Volumen  ist  für  alle  Gase  bei  jeder  Dichte  gleich  gross 
(Carnot,  B^flexions  S.  32). 

3.  Wenn  ein  Gas  sein  Volumen  bei  constanter  Temperatur  ändert,  so  stehen  die 
Tom  Gase  absorbirten  oder  abgegebenen  Wärmemengen  in  arithmetischer  Progression, 
wenn  die  Vergrösser angen  oder  Verringerungen  des  Gasvolumens  eine  geometrische  Pro- 
gression bilden  (Carnot,  R^flexions  S.  28). 

58* 


91G  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

lauten:  Um  einen  möglichst  starken  Wärmefall  zu  erzielen,  musadkii 
der  Maschine  zur  Wärmeühertragong  verwendete  Substanz  anlaagM 
mögliebst  hoch  erwärmt  und  schliesslich  thunlichst  tief  abgekühlt  wo- 
den.  Man  inuss  so  verfahren ,  dass  der  Uebergang  von  dieser  bödula 
zur  tiefsten  Temperatur,  soweit  als  irgend  möglich,  von  einer  allmablidn 
Yolumenvergrösserung  der  Arbeitssubstanz  herrührt.  Um  dieee  Anfgik 
lösen  zu  können,  erdachte  Carnot  zuerst  jene  bereits  erwähnten,  ab- 
wechselnden Zustandsänderungen  der  Körper,  welche  den  Namen  der 
Kreisprocesse  führen  und  noch  heute  als  ein  unentbehrliches  Hilfnoittii 
für  Demonstrationen  auf  dem  Gebiete  der  Theorie  der  WärmemaadiiDei 
geschätzt  werden. 

Auch  S.  Garnot  fand,  ähnlich  wie  Mayer,  bei  seinen  Zeitgenonei 
wenig  Yerständniss  und  Anerkennung.  Bezüglich  der  C am o tischen  A^ 
beit  mag  dies  unter  Anderem  darin  begründet  sein,  dass  bereits  zu  der  Zet 
als  er  seine  Abhandlung  veröffentlichte,  die  Thatsachen,  welche  geget 
die  Stofflichkeit  der  Wärme. und  für  die  Kraftnatur  derselben  spimebe^ 
sich  zu  häufen  begannen.  Selbst  Carnot  hatte  sich,  wie  bennti  c^ 
wähnt,  später  davon  überzeugt,  dass  die  zu  Grunde  gelegte  Annihw 
von  der  Unzerstörbarkeit  der  Wärme  falsch  sei.  Lieider  ereilte  ihn  <iff 
Tod  zu  irüh  im  besten  Mannesalter,  so  dass  es  ihm  nicht  mehr  vergöis 
war,  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen  in  geschlossene  Form  zubiioga 
und  dadurch  den  von  ihm  aufgestellten  Satz  zur  vollen  Höhe  einer  n- 
mittelbar  überzeugenden,  unanfechtbaren  Wahrheit  zu  erheben.  Aber 
auch  das,  was  Garnot  geleistet  hat,  genügt,  um  ihm  einen  daaenda 
Ehrenplatz  in  der  Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie  zu  siebes. 


7.     Olapeypon. 

Sadi  Garnot  hatte  in  seiner  Abhandlung  nahezu  ^eflisBentlidi  d» 
Gebrauch  von  Formeln  vermieden,  um  dadurch  den  Inhalt  thaoliete 
einem  Jeden,  auch  demjenigen  zugänglich  zu  machen,  welcher  mit  (iff 
Sprache  der  Mathematik  nicht  vertraut  ist.  Trotz  der  hervorrageada 
Klarheit  und  Anmuth  der  Schreibweise  Gar  not 's  ist  dadurch  immeriui 
das  Eindringen  in  die  Sache  dem  Leser  nicht  erleichtert  worden,  rter 
mehr  musste  der  Verfasser  oftmals  auf  künstlichem  Wege  den  Leser 
durch  schwierige  Betrachtungen  hindurchleiten,  welche  ermüden  und  & 
Aufmerksamkeit  von  den  Hauptpunkten  ablenken. 

Auch  dieser  Umstand  ist  gewiss  nicht  zum  mindesten  mit  die  Ü^ 
Sache  gewesen,  dass  Garnot's  Arbeiten  zu  seiner  Zeit  in  den  maw 
gebenden  Kreisen  wenig  Beachtung  gefunden  haben. 

Im  Jahre   1834   gab  Benoit  Pierre  Emile  Glapeyron^)  ia 


^)  B.  P.  E.  Clapeyron,    geb.  26.  Januar  1799    in  Paris,    studirt«  anf  der  tr« 
Polytechnique   und    auf  der  Ecole   des  Mines    und    folgte    bereits  1820   gemeittfav  ^ 


B.    Von  Rumford  bis  zu  B.  Mayen  917 

23.  Hefte  des:  „Jonroal  de  T&ole  Polytechnique''  nnter  dem  Titel: 
„Memoire  sur  la  puissance  motrice  de  la  cbaleur''  eine  Barstellnng  der 
Garno tischen  Betrachtungsweise  in  analytischer  Form  nnd  bediente 
sich  dabei  der  durch  Watt's  Diagramm  begründeten  Methode  der 
graphischen  Darstellung  der  von  Garnot  ei'fundenen  Kreisprooesse, 
welche  noch  jetzt  allgemeine  Verwendung  findet  und  späterhin  zumal 
von  Macquorne  Bankine  weiter  ausgebildet  worden  ist.  Aber  auch 
dieser  Abhandlung,  welche  nunmehr  den  Inhalt  der  Carnot'schen  Be- 
trachtungen in  der  allgemein  üblichen  Form,  in  der  Sprache  der  Wissen« 
Schaft  zur  Darstellung  brachte,  gelang  es  anfänglich  nicht,  die  Theil- 
Bahme  weiter  Kreise  für  den  wichtigen  wissenschaftlichen  Fortschritt  zu 
gewinnen,  welchen  die  Garn ot' sehe  Arbeit  repräsentirte. 

Neun  Jahre  später  (1843)  wurde  eine  Uebersetzung  derClapeyron'- 
schen  Arbeit  im  59.  Bande  von  Poggendorff's  Annalen  abgedruckt 
und  dadurch  aufs  Neue  das  allgemeine  Interesse  auf  die  hervorragende  Ar- 
beit gelenkt.  —  Späterhin  (1847)  wurde  die  Arbeit  auch  in  England 
bekannt  und  gewürdigt. 

Man  muss  Glapeyron  direct  als  den  Begründer  der  noch  heute 
in  der  mechanischen  Wärmetheorie  üblichen  Schreibweise  und  Nomen- 
clatur  betrachten.  Er  spricht  zuerst  von  umkehrbaren  Kreisprocessen, 
bei  ihm  zuerst  erscheint  die  Zustandsgi eichung  der  Gase  in  der  Form: 


267  +  t 


=  J2, 


wobei  p  den  Druck,  v  das  specifische  Volumen,  t  die  Temperatur  des  Gases 
und  22  eine  für  das  Gas  charakteristische  Gonstante  ist. 

Bei  ihm  zuerst  findet  man  für  das  Differential  einer  Wärmemenge 
die  Entwickelung 

cv  dp 

unter  Verwendung  von  genau  denselben  Buchstaben,  deren  wir  uns  noch 
heute  bedienen. 

£r  zuerst  gebrauchte  für  die  Darstellung  des  maximalen  Wirkungs- 

grades  eines  unendlich  kleinen,  umkehrbaren  Ereisprocesses  die  Form -r^, 

worin  C  eine  stets  positive,  lediglich  von  der  Temperatur  abhängige 
Function,  die  sogenannte  Gar  not' sehe  Function  ist.  Später  hat  auch 
William  Thomson  %och  lange  mit  dieser  Garnot*schen  Function 


Lame  eioem  Rufe  nach  Petersburg.  Hier  war  er  als  Professor  und  praktischer  Ingenieur 
bis  zum  Jahre  1830  thätig.  Nach  Frankreich  zurückgekehrt,  widmete  er  sich  zunächst 
clem  Staatsdienste  und  wurde  Ingenieur  en  chef  des  mines  und  Oberst  im  Wegebaucorps. 
Zuletzt  war  Glapeyron  bis  zu  seinem  Tode  berathender  Ingenieur  der  Nord-Eisenbahn- 
gesellschaft. Schon  im  Jahre  1858  wurde  er  als  Nachfolger  Cauchy's  Mitglied  der 
Pariser  Akademie  und  starb  1864  in  Paris.  Auch  auf  dem  Gebiete  der  Elasticitäts- 
and  Festigkeitslehre  hat  er  mehrere  werthvolle  Abhandlungen  veröfientlicht. 


918  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

operirt,  während  Glausias  gleich  im  Anfange  seiner  ünterauclinDgea^i 
auf  diesem  Gebiete  durch  Beirachtnng  eines  idealen  Gases  und  ZohSie- 
nahme  des  ersten  Hauptsatzes  nachwies,  dass  die  Gar no tische  Fluc- 
ti on  einfach  die  vom  absoluten  Nullpunkte  aus  gesählte  Temperatur,  din* 
dirt  durch  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme,  ist. 

Die  analytischen  Entwickelungen  Glapeyron's  nntersch^dea m 
äusserlich  yon  den  später  von  Clausius  gegebenen  besonders  dadnrdt. 
dass  ersterer  meistentheils  p  und  v  als  unabhängige  Veränderliche  wtUte, 
letzterer  dagegen  wenigstens  im  Anfange  Yorzugsweise  v  uud  t 

Durch  Anwendung  der  Gar  not*  sehen  Betrachtungsweise  aufDiapfii 
gelangte  Glapeyron  bereits  zu  der  nach  ihm  benannten  Gleichung: 

welche  sofort  die  Form  der  früher  von  uns  (Bd.  I,  V,  B,  13,  S.  614)  adi- 
getheilten  wichtigen ' Gleichung : 

annimmt,  wenn  man  für  die  Garnot'sche  Function  C  ihren  ToihiADÜ- 
getheilten  Werth  einsetzt. 

Ebenso  gelangt  Glapeyron  späterhin  zu  der  allgemeinen  GleiduDg 

und  drückt  deren  Inhalt  durch  den  Satz  aus:  Erhöht  man,  während ii 
Temperatur  constant  bleibt,  den  Druck  um  einen  kleinen  Betrag  df  m 
werden  Wärmemengen  entwickelt,  welche  dem  Ausdehnungscoefficieota 
der  Substanz  proportional  sind. 

Es  ist  diese  Gleichung ,  wie  man  leicht  erkennt ,  identisch  mit  d«r. 
welche  W.  Thomson  späterhin  auf  etwas  anderem  Wege  eoiwiekt: 
hat,  und  die  man  jetzt  zumeist  die  Thomson^sche  nennt.  Mfirbibo 
früher  (Bd.  1,  V,  A,  5,  S.  481)  diese  Gleichung  in  der  Form: 

C  = n 

mitgetheilt.  Bekanntlich  hat  sich  zumal  Joule  eingehend  mit  der  ex- 
perimentellen Verification  derselben  beschäftigt,  indem  er  die  Wirw- 
entwickelung  bei  plötzlichen  Gompressionen  von  Flüssigkeiten  und  M- 
nungen  fester  Körper  beobachtete.  Auch  den  Werth  der  Carnot'Bci* 
Function  hat  Glapeyron  aus  den  für  Dämpfe  gewonnenen  Gleiehutg* 
zu  ermitteln  gesucht.  Die  damals  bekannten  experimentellen  ünterliia 
waren  jedoch  noch  nicht  genau  genug,  um  den  wahren  Gharakter  der 
selben  erkennen  zu  lassen.   Auch  stützte  sich  Glapeyron  noch  immff» 


^)  Vergl.  Clausiusj  Ueber  die  bewegende  Kraft  der  Wärme  etc.    1850. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  R.  Mayer.  919 

die  fehlerhafte  Annahme ,  dass,  wenn  irgend  eine  Substans  einem  Kreis- 
processe  unterworfen  wird,  lediglich  der  Wärmefall,  d.  h.  die  Verwand- 
lung einer  Wärmemenge  von  höherer  Temperatur  in  eine  solche  von 
niedrigerer  Temperatur  die  Ursache  der  Arbeitsentwickelung  oder  des 
ArbeitsYerbrauches  sei.  Schon  damals  wäre  die  mechanische  Wfirme- 
theorie,  für  welche  Glapeyron  die  analytische  Grundlage  gegeben  hat, 
geschaffen  gewesen,  wenn  er  nicht  den  Grundirrthum  der  Carno tischen 
Entwickelungen  beibehalten  hätte,  dass  die  Wärme  eine  Substanz  und 
daher  hinsichtlich  ihrer  Menge  unveränderlich  sei  ^). 

Die  Glapeyron'sche  Arbeit  ist  unzweifelhaft  die  Anregung  für 
die  ersten  Untersuchungen  sowohl  von  Glausius  als  auch  von  Will. 
Thomson  gewesen;  beide  sind  freilich  wesentlich  über  ihren  Vorgänger 
hitiaasgegangen,  weil  sie  von  Anfang  an  auf  den  von  Mayer  und  Joule 
gewonnenen  Gedanken  fussten,  dass  die  Wärme  eine  Kräfteform  sei,  und 
dass  sich  dieselbe  nach  festen  Aequivalentverhältnissen  in  Arbeit  umsetze. 
Dadurch  gewann  erst  bei  diesen  der  von  Gar  not  eigentlich  nur  in 
genialem  Vorausblick  vermuthete,  nicht  aber  streng  abgeleitete  Satz  so- 
fort die  Bedeutung  eines  Axiomes,  und  die  von  ihnen  abgeleiteten  Re- 
sultate erhielten  die  volle  Sicherheit. 

Obgleich  Glapeyron  nicht  principiell  Neues  zu  den  von  Garnot 
entwickelten  Gedanken  hinzugefügt  hat,  so  ist  er  für  die  Geschichte  der 
mechanischen  Wärmetheorie  doch  dadurch  von  Bedeutung,  dass  er  die 
algebraische  Symbolik  und  geometrische  Veranschaulichungsweise ,  also 
gewissermaassen  die  Sprache  dieser  Wissenschaft  geschaffen  hat,  in  welcher 
sich  die  Wahrheiten  derselben  in  einfacher  Weise  ausdrücken  lassen. 


8.    Söguin,  Colding,  Holtzmann. 

Wenn  auf  Grund  der  gesammelten  Erfahrungen  und  Erkenntnisse 
der  Zeitpunkt  heranrückt,  in  weichein  die  Wissenschaft  reif  wird,  auf 
eine  höhere  Stufe  der  Vollkommenheit  erhoben  zu  werden,  von  welcher 
aus  eine  grössere  Zahl  von  Thatsachen  unter  einheitlichen  Gesichts- 
punkten zusammengefasst  werden  können,  so  tritt  gewöhnlich  dieser 
Fortschritt  nicht  plötzlich  ein,  sondern  man  bemerkt,  dass  an  verschie- 
denen Stellen  wiederholt,  anfänglich  schüchtern  und  dann  mit  immer 
wachsender  Energie,  Versuche  gemacht  werden,  diese  höhere  Stufe  der 
Einsicht  zu  erklimmen,  bis  dann  endlich,  veranlasst  durch  die  über- 
raschenden Erfolge,  welche  solche  erringen,  die  bereits  den  höheren  Staud- 


*)  Die  erste  Berichtigung  des  Carno tischen  Kreisprocesses  scheint  im  Jahre  1849 
von  James  Thomson  gegeben  worden  zu  sein,  in  seiner  Abhandlung:  Theoretical 
con^iiiierations  on  the  efifect  of  pressure  in  lowering  the  frcezing  poiut  oi'  water.  Traus. 
of  the  Roy.  Soc.  of  Edingburgh  (1849).     Vol.  XVI,  p.  575. 


920         V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

puukt  einnehmen,  die  Gesammtheit  edgemd  sich  entschliesat,  den  Bahi- 
brechem  zu  folgen. 

Aehnlich  verhält  es  sich  auch  mit  dem  Satze  von  der  AeqniTslnz 
von  Wärme  and  Arbeit  und  dem  Principe  von  der  Erhaltung  der  Energie. 

Noch'  vor  Mayer  hat  z.  B.  R.  Sega  in  in  einem  merkwärdigen 
Werke  mehr  nationalökonomischen  Inhaltes  über  Eisenbahnwesen  ^)  sdni 
im  Jahre  1839  Ideen  über  die  Arbeitsleistung  von  Dampfmaschinen  mt- 
getheilt ,  aus  welchen  man  für  das  mechanische  Aeqaiyalent  der  Wim« 
einen  Betrag  von  ungefähr  650  Meterkilogrammen  berechnen  kann.  Seiae 
Art  zu  schliessen  ist  jedoch  nicht  ein  warfsfrei '),  der  nach  ihm  für  das 
Arbeitsäquivalent  der  Wärme  sich  ergebende  Werth  ist  erheblich  zu  gn», 
aber  der  Gedanke  von  der  Existenz  eines  quantitativen  Verhaltniaei 
zwischen  Arbeit  und  Wärme  kann  bei  ihm  schon  nachgewiesen  werdea. 
Der  Grundgedanke  der  Entwickelung  Seguin's  ist  der,  dass  ein  Körpfr, 
wenn  er  sich  ausdehnt,  kälter  wird,  Wärme  verliert,  und  dass  die  ver 
lorene  Wärme  das  Aequivalent  der  während  der  Ausdehnung  verrichteia 
Arbeit  sei. 

Segoin  gab  sich  viel  Mühe  zu  ergründen,  ob  die  WännemeBge, 
welche  mit  dem  Dampfe  einer  Dampfmaschine  den  Kessel  verlasse,  toli- 
ständig  im  Gondensator  wieder  erscheine.  Es  gelang  ihm  in  Folge  der 
unzureichenden  Hilfsmittel  und  Versucbsmethoden  nicht,  zu  einem  sicliercB 
Resultate  zu  gelangen,  und  er  fand  nur,  dass,  wenn  die  DampfmaiehiBe 
Arbeit  leistete,  z.  B.  eine  Anzahl  Spindeln  drehte,  der  Unterschied  iwi- 
sehen  der  dem  Kessel  entnommenen  und  der  im  Condensator  wieder  g^ 
wonnenen  Wärmemenge  grösser  sei,  als  wenn  der  Dampf  ohne  Arbdt 
zu  leisten  durch  die  Maschine  gehe.  Ohne  Zweifel  ist  somit  Segais 
auf  dem  richtigen  Wege  gewesen,  ohne  jedoch  auf  diesem  Wege  eil 
brauchbares  Ziel  zu  erreichen. 

Einen  wesentlichen  Schritt  weiter  hatte  schon  der  dänische  logeniei: 
Colding  gethan.  Derselbe  legte  im  Jahre  1843  der  Akademie  inKopafi- 
hagen  eine  Abhandlung  vor,  betitelt;  „Nogle  Saetninger  om  Kraefteree' 
(Sätze  über  die  Kräfte),  in  welchen  er  das  Gesetz  von  der  Erhaltni 
der  Energie  ziemlich  deutlich  ausspricht  und  auch  einen  aus  ziemika 
rohen  Reibungsversuchen  abgeleiteten  näherungsweisen  Werth  far  d« 
Arbeitsäquivalent  der  Wärme  (350  Meterkilogramm)  mittheilt 

In  seiner  Abhandlung  geht  Colding  von  wesentlich  meUpfaTa* 
sehen  Betrachtungen  aus  und  gelangt  dadurch  zu  dem  Gedanken,  ^ 
die  Kraft  unvergänglich  und  unsterblich  sei,  und  dass,  wo  auch  ifflser 
eine  Kraft  bei  Verrichtung  einer  mechanischen,  chemischen  oder  aat 
stigen  Arbeit  zu  verschwinden  scheint,  sie  bloss  eine  Umformang  er- 
fährt und  in  einer  neuen  Form  wieder  auftritt,  in  welcher  sie  aber  tos 
derselben  Grösse  ist,  die  sie  zuvor  als  wirksame  Kraft  hatte.    Coldis^ 


^)  S6gain,  iSltudes  sur  l'influence  des  chemins  de  fer.     Paris  1839. 

2)  Vergl.  Bd.  1,  S.  133.     üeber  eine  fehlerhafte  Beweisführung  Seguio's. 


B.    Von  Rumford  bis  zu  E,  Mayer.  921 

hat  spllter  seine  Prioritätsrechte  geltend  zu  machen  gesucht  und  dabei  be- 
hauptet, er  habe  schon  früher  ^s  Robert  Mayer,  nämlich  im  Jahre 
1840,  diese  Gedanken  concipirt  gehabt,  er  sei  durch  „das  d'Alambert'- 
sche  Princip  Ton  den  wirksamen  und  verlorenen  Kräften^  auf  dieselben 
geführt  worden;  aber  er  habe  Bedenken  getragen,  seine  Vorstellungen 
bekannt  zu  geben,  ohne  eine  experimentelle  Bestätigung  derselben  hin- 
zufügen zu  können. 

Da  nach  allgemeinem  Gebrauche  der  Termin  der  Veröffentlichung 
über  die  Priorität  entscheidet,  kann  Golding  nicht  mehr  beansprachen, 
als  neben  und  nach  Ma'yer  als  selbständiger  Entdecker  des  Principes 
von  der  Erhaltung  der  Kraft  und  des  Arbeitsäquivalentes  der  Wärme 
genannt  zu  werden. 

Uebrigens  ist  bei  Golding  weder  die  durchsichtige  Klarheit  der  Be- 
griffe wie  bei  Mayer  zu  finden,  noch  hat  derselbe,  wie  dies  Mayer  doch 
in  seinen  späteren  Abhandlungen  in  so  umfänglicher  Weise  gethan  hat, 
gezeigt,  dass  er  die  universelle  Bedeutung  des  Principes  begriffen  und  zur 
Erweiterung  unserer  Erkenntnisse  zu  verwenden  gewusst  habe. 

Golding  hat  später  behauptet,  er  habe  sich  gemeinsam  mit  0 er- 
st edt  zu  derselben  Zeit  wie  Joule  auch  mit  Versuchen  über  die  Er- 
wärmungen bei  Gorapression  von  Flüssigkeiten  beschäftigt,  veröffentlicht 
scheint  er  jedoch  dieselben  nicht  zu  haben.  Es  wird  wohl  Niemandem 
beifallen,  auf  Grund  dieser  Behauptung  ihm  Prioritätsrechte  hinsichtlich 
dieser  wichtigen  Frage  neben  Joule  einzuräumen^). 

Als  einer  der  ersten,  welche  die  Form  der  Garn o tischen  Tempe- 
raturfunction  in  der  Hauptsache  richtig  erkannt  und  kurze  Zeit  nach 
R.  Mayer  eine  näherungsweise  Bestimmung  des  mechanischen  Wärme- 
äquivalents gegeben  haben,  ist  Hol tz mann  zu  nennen. 

Derselbe  veröffentlichte  im  Jahre  1845  ein  Schriftchen,  betitelt: 
„lieber  die  Wärme  und  Elasticität  der  Gase  und  Dämpfe",  von  welchem 
im  übernächsten  Jahre  ein  Auszug  in  Poggendorff's  Annalen  ^)  er- 
schienen ist.  Holtzmann  weist  zunächst  darauf  hin,  dass  die  von 
Glapeyron  für  Gase  abgeleiteten  Resultate  nur  insoweit  richtig  sind, 
als  das  Gay -Lussac^ sehe  und  Mar iotte' sehe  Gesetz  gültig  bleiben. 

Hierauf  zeigt  er,  dass  unter  der  Annahme,  das  Verhältniss  der  specifi- 
schen  Wärme  sei  unabhängig  von  der  Temperatur,  die  Form  der  von 

^)  Besonders  Tait  hat  die  Bedeutung  der  Colding'schen  Schrift  sefer  tiber- 
schätzt, utn  dadurch  Mayer 's  Verdienste  im  Vergleich  zu  denen  Joule's  zu  ver- 
kleinern. Ebenso  hat  er  die  Bedeutung  Carnot's  und  Thomson's  unbillig  betont, 
um  dadurch  den  heryorragenden  Antheil ,  welchen  Clausius  an  der  Begründung  des 
zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  Wärmetheorie  hat,  als  etwas  ganz  Untergeordnetes 
erscheinen  zu  lassen.  Man  vergleiche,  um  ein  Bild  von  dieser  tendenziös  einseitigen, 
an  historischen  Darstellungsweise  der  Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie  zu  er- 
halten:  Tait,  Sketch  ofThermodynamics.  London  1868.  S.  17  und  Tait,  Vorlesungen 
über  einige  neuere  Fortschritte  der  Physik.  Deutsch  von  Wertheim,  Vorrede  S.  VIIT, 
und  S.  38  u.  s.  f.,  besonders  auch  S.  50. 

^)  ^ogS*  ^°n*  Ergänzungsband  II,  S.  183  bis  191. 


922  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

ClApeyron  eingeführten,  unbekannten  Temperaturf anction  sieh  be- 
stimmen lasse.  Er  beweist  zwar  nicht/  dass  der  reciproke  Werth  dieser 
Function  die  durch  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  dividirte 
absolute  Temperatur  sei,  aber  er  zeigt,  dass  diese  unbekannte  FanctioB 
die  Form 

'   Ä 

a  +  b,t 

habe,  worin  Ä  das  mechanische  Aequivalent,  a  und  h  constante  Zahlern 
und  t  die  Temperatur  ist. 

Er  bestimmte  auf  dieselbe  Weise,  wie  schon  Yorihm  R.  Mayer,  au 
dem  Verhältnisse  der  specifischen  Wärme  eines  Gases  nach  der  Ton 
früher  (Bd.  I,  III,  A  2,  S.  235)  mitgetheilten  Formel: 


J  = 


Cp  "~~  0% 


den  Werth  des  Arbeitsäquivalentes  der  Wärme  und  fand,  weil  ihm  eis 
genauerer  Werth  für  oe  zur  Verfügung  stand  als  seiner  Zeit  Mayer,  &r 
das  mechanische  Wärmeäquivalent  374  Meterkilogramm,  einen  der  Wahr- 
heit etwas  näher  kommenden  Werth.  Charakteristisch  ist  jedenfalls,  das 
er  zuerst  die  Gestalt  der  Carnot' sehen  Function  unter  der  Voraas- 
Setzung  bestimmt  hat,  dass  Wärme  nach  einem  fest  beetiramten  Aeqai- 
yalentverhältnisse  in  Arbeit  und  umgekehrt  umgesetzt  werden  könne. 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechanischen 

Wärmetheorie. 


1.    James  Presoott  Joule. 

Wenn  die  Koryphäen  der  mechanischen  Wärmetheorie  genannt 
den,  wird  alle  Zeit  der  Name  Joule' s  als  einer  der  heryorrmgendsiea 
aufgeführt  werden.  Derselbe  hat  durch  die  Sorgsamkeit  und  Gewisses- 
haftigkeit,  mit  welcher  er  seine  Messungen  angestellt  hat,  und  durch  den 
Scharfsinn,  mit  welchem  er  die  besten  Versucbsanordnungen  aufsufiaufii 
wuaste,  zahlreiche  leuchtende  Beispiele  streng  wissenschaftlicher  erpttt- 
menteller  Forschung  gegeben.  Die  Sicherheit,  mit  welcher  er  es 
stand,  die  Ergebnisse  seiner  Beobachtungen  zu  interpretiren,  hat  ihn 
Entdeckung  einer  Anzahl  wichtiger  Gesetze  gefuhrt,  welche  die 
lässige  Grundlage  für  die  weitere  Entwickelung  der  exacten  Naturwissea- 
Schaft  und  für  die  Auffindung  zahlreicher  technischer  Anwendangea 
geworden  ist.     Doppelt  anzuerkennen  aber  sind  solche  Leistungen,  cii 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.       923 

Joule  nicht  eigentlich  Gelehrter  von  Beruf,  sondern  Besitzer  einer 
grösseren  Bierbrauerei  ist  und  sich  nur  aus  Liebe  zur  Wissenschaft  mit 
der  Physik  beschäftigt. 

Joule  ist  am  24.  Decerober  1818  bei  Manchester  geboren  und  be- 
schäftigte sich  schon  als  junger  Mann  mit  physikalischen  Problemen. 
Anfänglich  wendete  er  sein  Interesse  der  Benutzung  der  elektrischen 
und  magnetischen  Kräfte  für  dio  Leistung  mechanischer  Arbeit  zu  und 
veröffentlichte  die  Resultate  seiner  Beobachtungen  in  einer  Reihe  von 
Aufsätzen,  weichein  St urgeon's:  „Annalsof  Electricity*'  erschienen  sind. 
£r  gelangte  dadurch  zu  der  Ueberzeugung ,  dass  zwischen  der  im 
Schliessungsbogen  einer  Batterie  erzeugten  Wärmemenge  und  der  Menge 
des  in  den  Elementen  verbrauchten  Zinks  eine  bestimmte  Beziehung  be* 
stehen  müsse«  Die  hierauf  bezQglicheu  Messungen  führten  ihn  auf  das 
nach  ihm  benannte  Gesetz,  dass  die  Wärmemenge,  welche  in  einem  vom 
elektrischen  Strome  durchflossenen  Leiter  entwickelt  wird,  proportional 
dem  Producte  aus  dem  Quadrate  der  Stromstärke  und  dem  Widerstände 
des  Leiters  sei,  und  dass  die  Strom  Intensität  mit  dem  Zink  verbrauch  in 
der  Batterie  sich  in  gleichem  Verhältnisse  ändere. 

Die  Entdeckung  der  Inductionserscheinungen  durch  Faraday  ver- 
anlasste ihn  der  Frage  näher  zu  treten,  welche  mechanische  Arbeit  auf- 
gewendet werden  müsse,  um  auf  dem  Wege  der  Induction  in  einem  Leiter 
von  bekanntem  Widerstände  einen  Strom  von  vorgeschriebener  Stärke 
zu  erzeugen.  Er  bestimmte  die  zum  Treiben  einer  kleinen  elektrischen 
Maschine  erforderliche  Arbeit,  Hess  die  erzengte  elektrische  Energie  sich 
direct  in  Wärme  umsetzen  und  maass  die  so  erzengte  Wärmemenge.  Er 
veröffentlichte  die  Ergebnisse  dieser  interessanten  Untersuchung  am 
21.  August  1843  in  einem  Vortrage,  den  er  vor  der  mathematisch- 
physikalischen Section  der  British  Association  bei  einer  Versammlung  in 
Cork  hielt  i).  Er  giebt  in  dieser  Arbeit  für  das  mechanische  Wärme* 
äquivalent  die  Zahl  460  Meterkilogramm  an  undtheilt  in  einer  Nachschrift 
mit,  er  habe  schon  vorher  diese  wichtige  Zahl  dadurch  zu  bestimmen 
gesucht,  dass  er  die  Wärmemenge,  welche  entsteht,  wenn  man  Wasser 
durch  enge  Röhren  presst  und  gleichzeitig  die  dazu  erforderliche  Arbeit 
gemessen  habe.  Auf  diese  Weise  haben  sich  438  Meterkilogramm  ergeben. 

Während  dieser  Untersuchungen, war  Joule  darauf  aufmerksam  ge- 
worden, dass  es  ganz  gleichgültig  sei,  ob  Arbeit  direct  in  Wärme  oder 
erst  in  Elektricität  und  dann  in  Wärdie  umgesetzt  werde,  und  er  wen- 
dete sich  daher  nunmehr  der  genauen  experimentellen  Bestimmung  des 
Arbeitsäquivalentes  der  Wärme  und  der  Untersuchung  zu,  ob  der  Process, 
durch  den  Arbeit  in  Wärme  verwandelt  wird,  von  Einfluss  auf  die  Grösse 
des  mechanischen  Wärmeäquivaleutes  sei.    Er  erledigte  diese  Frage,  so- 

1)  Die  Abhandlung  wurde  abgedruckt  in  Philos.  Mag.  3.  Ser.,  Bd.  23,  S.  263, 
347  und  435  u.  a.  f.  (1843).  Die  deutsche  Uebersetzung  findet  sich  in:  Joule,  Das 
mechanische  Wärnieäquiyalent,  deutsch  von  S  p  e  n  g  e  I ,  Braunschweig,  Fr.  Vieweg  u.  Sohn, 
1872,  S.  1  bis  40. 


924         V.    Geschichte  der  mechftnischen  Wärmetheorie. 

weit  sie  einer  experimentellen  Beantwortung  fähig  ist,  Yollständig^  dnrck 
seine  herühmten  Reibungsversuche ,  welche  wir  im  ersten  Bande  dieses 
Baches  (II,  A,  S.  186  ff.)  ausführlich  beschrieben  und  besprochen  haboL 
Diese  Reibungsversuche  hat  Joule  mit  immer  zunehmender  Genauigkeit 
bis  in  die  neueste  Zeit  fortgesetzt,  und  danach  hält  er  jetzt  423,7  Kilo- 
grammmeter für  den  zuverlässigsten  Werth  dieser  wichtigen  Conatante, 
mit  einem  wahrscheinlichen  Fehler  von  höchstens  db  0,5  Kilogramm* 
meter. 

Allem  Anscheine  nach  ist  Joule  auch  schon  ziemlich  früh  aaf  Gnud 
seiner  experimentellen  Forschungen  zu  Vorstellungen   geführt   worden, 
welche  dem   Principe  von    der  Erhaltung    der  Energie  ziemlich   nahe 
stehen,  obgleich  er  erst  später  als  Mayer,  nämlich  im  Jahre  1845,  dieaea 
Ideen  öffentlich  einen  deutlichen  Ausdruck  gegeben  hat.  In  der  Abhand- 
lung:   „Ueber  Teroperaturveränderungen    durch  Verdünnung    und  Ver- 
dichtung der  Luft^  ^)  weist  Joule  zunächst  die  von  Carnot  and  Gla- 
peyron  vertretene  Ansicht  als  unrichtig  zurück,  dass  bei  den  Kreis- 
Processen  einer  Wärmemaschine  alle  von  einem  heissen  Körper  abgegebene 
Wärme  vollständig  wieder  an  den  kalten  Körper  übertragen  werde,  wenn 
die  Maschine  Arbeit  leistet  und  fahrt  dann  mit  einem  Satze  fort,  welcbec 
man  für  eine  Formulirung  des  Principes  von  der  Erhaltung  der  £nergit 
ansprechen  kann:    „Da  ich  der  Ansicht  bin,  dass  nur  der  Schopfer  die 
Macht  zu  zerstören  besitzt,  so  stimme  ich  mit  Rojet  und  Faraday 
darin  überein,  dass  jede  Theorie,  welche  in  ihren  Gonseqaenzen  xur  Ver- 
nichtung  von  Kraft  gelangt,   nothwendig  falsch   ist.     Die  Grundsalze. 
welche  ich  in  dieser  Abhandlung  entwickelt  habe^  sind  frei  von  dieser 
Schwierigkeit.    Aus  ihnen  können  wir  schliessen,  dass  der  Dampf,  wäh- 
rend er  sich  im  Gylinder  ausdehnt,  eine  Wärmemenge  verliert,   welche 
genau  der  auf  den  Kolben  übertragenen  Kraft  proportional  iat^  und  da» 
bei  der  Verdichtung  des  Dampfes  die  so  in  Kraft  umgesetzte  Wärme  nicht 
wieder  frei  wird." 

Ausser  .den  oben  erwähnten  classischen  Versuchsreihen ,  welche  dei 
Zweck  hatten,  den  numerischen  Werth  des  mechanischen  Aequivalentes 
der  Wärme  festzustellen,  hat  Joule  eine  grosse  Menge  von  VersochcD 
angestellt,  durch  welche  er  dargethan  hat,  dass  die  innere  Arbeit,  welche 
bei  Zustandsänderungen  von  Gasen  stattfindet,  verhältnissmässig  sehr 
klein  ist  und  man  daher  aus  den  bei  Compressionen  oder  Auadehniingini 
eines  Gases  entwickelten  oder  absorbirten  Wärmemengen  sehr  angenähert 
richtige  Schlüsse  auf  die  Grösse  des  Wärmeäquivalentes  ziehen  konnf. 

Wir  haben  über  den  Inhalt  dieser  Untersuchungen  bereits  fräb^ 
umf&nglich  berichtet  (vergl.  Bd.  I,  III,  A,  4,  S.  238  ff.).  Späterhin  hat 
sich  alsdann  Joule  gemeinsam, mit  W.  Thomson  auch  mit  denjenigen 
Eigenthümlichkeiten  beschäftigt,  welche  vorzugsweise  mit  den  Abweichao- 


')  Philos.  Mag.  3.  Ser.  (1845),  Bd.  23,  S.  263,  347,  435  und  in  der  Spender, 
sehen  Sammlung:  Joule,  Das  mechanische  Wärmeäquivalent,  S.  75. 


C.    Die  moderne-  Periode  der  mechan.  Wärmetbeorie.       925 

gen  der  wirklichen  Gase  vom  Zustande  eines  idealen  Gases  zosammen- 
hängen  und  dadurch  zum  ersten  Male  ein  Urtheil  über  die  bei  Zustandst 
änderungen  eines  Gases  auftretenden  Aenderungen  der  inneren  Energie 
ermöglicht  (vergl.  Bd.  I,  III,  B,  8,  S.  254  ff.). 

Alle  Arbeiten,  welche  Joule  yeröffentlicht  hat,  zeigen  das  Bestreben, 
auf  dem  Wege  des  gewissenhaften  Experimentes  der  Natur  ihre  Geheim* 
nisse  zu  entlocken;  was  die  Geschicklichkeit  in  der  Anordnung  der  Ver- 
suche und  die  Zuverlässigkeit  hinsichtlich  ihrer  Durchführung  und  der 
Auslegung  der  Resultate  anbetrifft,  ist  Joule  unzweifelhaft  als  einer  der 
ersten  Meister  aller  Zeiten  zu  nennen.  Seine  geringe  Neigung  zu  kühnen 
Speculationen  hat  ihn  vielleicht  verhindert,  von  Anfang  an  die  volle  Trag- 
weite der  Ideen  zu  erkennen,  welche  ihn  geleitet  haben;  die  gewissen- 
hafte und  gewissermaassen  nüchterne  Art  seiner  Forschung  aber  hat 
von  Anfang  an  allseitiges  Vertrauen  eiugeflösst  und  ihn  zu  Ergebnissen 
geführt,  auf  welchen  mit  Sicherheit  weiter  gebaut  werden  kann. 

Seine  Untersuchungen  vor  Allem  sind  es  gewesen,  eben  weil  sie  von 
Anfang  an  exact  und  leicht  controUirbar  waren,  welche  der  modernen 
Anschauung  von  der  Wärme  zum  entscheidenden  Siege  verholfen  haben. 
Nichts  überzeugt  eben  rascher  und  vollkommener  als  ein  Resultat,  welches 
auf  dem  Wege  sorgsamer  Experimente  gewonnen  worden  ist. 


2.  Die  Entdeckung  des  zweiten  Hauptsatzes  durcli  Clausius 
und  die  Prioritätsansprüolie  von  Rankine  und  W.  Thomson, 

Im  Jahre  1849  veröffentlichte  W.  T  h  o  m  s  o  n  eine  Abhandlung  unter 
dem  Titel:  „An  account  of  Garnot^s  theory  of  the  motive  power  of  heat; 
with  numerical  results  deduced  from  Regnault^s  expenments  on  steam  ^y, 
in  welcher  er  seine  Landsleute  auf  die  ei  gen  thüm  liehe  Betrachtungsweise 
Carnot^s  aufmerksam  machte.  sEr  weist  auch  bei  dieser  Gelegenheit 
auf  den  Widerspruch  hin,  welcher  zwischen  der  Carnot'schen  Annahme 
von  der  Unveränderlichkeit  der  im  Ereisprocesse  wirksamen  Wärme  und 
den  damals  bereits  in  England  allgemein  bekannten  Resultaten  der 
Joule 'sehen  Experimente  bestand,  nach  welchen  Arbeit  nach  einem 
festen  Aequivalentverhältnisse  in  Wärme  umsetzbar  sei.  Er  sagt  z.  B.^): 
„Es  möchte  scheinen,  dass  die  Schwierigkeit  ganz  vermieden  werden 
könne,  wenn  man  Carnot's  Fundamental- Axiom  verliesse,  eine  Ansicht, 
welche  besonders  von  Herrn  Joule  vertreten  wird."  Thomson  konnte 
sich  damals  jedoch  noch  nicht  entschliessen ,  die  irrige  Grundlage  der 
Carnot'schen  Entwickelung  aufzugeben,  denn  er  fährt  weiterhin  fort: 
„Wenn  wir  dieses  jedoch  thun,   so  begegnen  wir  unzähligen  anderen 

^)  Transact.  of  the  Roy.  Soc.  of  Edinburgh,  Bd.  16,  S.  541. 
2)  A.  a.  0.  S.  545.      '     . 


926  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Schwierigkeiten,  welche  ohne  fernere  experimentelle  UnteTBodmiig  nnd 
einen  ToUständigen  Neuhan  der  Wärmetheorie  Ton  Grund  aus  unüber- 
windlich sind." 

Zu  jener  Zeit  war  aber  ClanBiaB  bereits  damit  beach&fti^  dieeea 
Nenban  der  Wärmetheorie  aufsurichten.  Die  Ergebnisse  seiner  Cnier- 
snchnngen  theilte  er  im  Februar  des  Jahres  1850  der  Berliner  Ahadewk 
mit  nnd  veröffentlichte  dieselben  in  der  grundlegenden  Abliandlsiif: 
„lieber  die  bewegende  Kraft  der  Wärme  und  die  Gesetze ,  welche  sidi 
daraus  für  die  Wärmelehre  selbst  ableiten  lassen  **,  im  April  deaselhca 
Jahres  ^). 

Diese  Arbeit   formulirt   zunächst    den    ersten  Hauptsatz    nnd  est- 
wickelt  hierauf  eine  Reihe  von  Gleichungen  für  Gase  und  I>anipfe  unter 
Benutzung  der  analytischen  Methoden  und  Formeln,  welche  bereits  tob 
Carnot  und  Clapeyron  gegeben  waren.    Clausius  leitet  dabei  die 
schon  früher    yon   jenen  MäDuem    gefundenen  Sätze    über   Gase    und 
Dämpfe  aus  der  richtigen  Beziehung  zwischen  Arbeit  und  Wärme  aon 
ersten  Male  ab.    Weiterhin  theilt  er  die  Carnot'sche  Theorie   mit  vad 
zeigt,  dasB  es  genüge,  yon  dem  Satze  auszugehen,  dass  Wärme  nidit 
Ton  selbst  aus  einem  kälteren  in  einen  wärmeren  Körper  über^he,  um 
den  ersten  Theil  des  Carnot'schen  Satzes  beibehalten  zu   können  und 
denselben  mit  dem  Principe  von  der  Aequivalenz  von  Arbeit  und  Wiime 
in  Einklang  zu  bringen.    Er  sagt  darüber ') :   „Demnach  scheint  es  ge- 
rechtfertigt zu  sein,  den  ersten  und  eigentlich  wesentlichen  TbeO  der 
Garn  ot'schen  Annahme  beizubehalten,  und  als  zweiten  Grundsatz  nebea 
dem    früher    aufgestellten    (dem    Mayer- Joule* sehen)    anzuwenden.' 
Clausius  leitet  hierauf  die  Yon  Clapeyron  gegebenen  Ausdrficke  für 
Dämpfe,  wie  sich  dieselben  aus  dem  Ca rn ot'schen  Satze  ergeben,  ab, 
wobei  er  auf  den  Grundirrthum   der  Clapeyron 'sehen  Behandlungi- 
weise  aufmerksam  macht.     Er  verwendet  anfänglich  ebenfalls   die  itm 
Clapeyron    eingeführte    unbekannte    Temperaturfunction ,    entwickelt 
aber  unmittelbar  darauf  deren  wirklichen  Werth.     Damit  aber  ist  dai, 
was  wir  jetzt  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie 
nennen,  thatsächlich  formulirt.    Es  ist  sp&terhin,  zumal  yon  englischen 
Physikern'),  der  Versuch  gemacht  worden,  Clausius  die  Priorität  ia 
der  Aufstellung    des    zweiten  Hauptsatzes    zu  bestreiten    und  dieselbe 
Thomson,  resp.  Rankine  zu  yindiciren« 

Von  Seiten  einzelner  französischer  Schriftsteller  aber  ist  man  be- 
müht gewesen,  die  Sache  so  darzustellen,  als  ob  eigentlich  Carnot  be- 
reits den  zweiten  Hauptsatz  yollständig  richtig  gefunden  gehabt  habe 
und  das,  was  Clausius  hinzugebracht,  nur  unwesentlich  sei. 

Der  Wahrheit  gemftss  aber  liegt  die  Sache  folgendermaasaen. 


1)  Pogg.  Ann.  Bd.  79,  S.  368  und  S.  500. 

^)  Clausius,  Abhandlungen   über  die   mechanische  Wärmetheorie,   Dd.  1,  &  hl. 
Braunschweig,  Fr.  Vieweg  u.  Sohn,  1864. 
^)  Besonders  von  Tait. 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.       927 

Zu  der  nfimlichen  Zeit  (Febmar  1850),  za  welcher  Clausias  seine 
epochemachende  Abhandlang  bekannt  machte,  las  Rank  ine  Yor  der 
Edinburger  Royal  Society  eine  sehr  werthvoUe  Abhandlung:  On  the 
mechanical  aotion  of  heat,  espeoially  in  gases  and  yaponrs  ^).  Rankine 
führt  darin  die  bereits  früher  Ton  ihm  begründete  Annahme  durch,  das« 
das  Wesen  der  Wärme  in  einer  wirbelnden  Bewegung  der  Molecüle  be- 
stehe. Er  gelangt  dadurch  mehrfach  zu  den  nftmlichen  Schlüssen,  auf 
welche  Clausius  in  dem  ersten  Theile  seiner  vorher  erwähnten  Ab- 
handlung durch  den  ersten  Hauptsatz  geführt  worden  war. 

Der  Vorzug  der  Ableitnngsweise  des  deutschen  Gelehrten  liegt  hier 
augenfällig  darin,  dass  er  irgend  welche  Voraussetzungen  über  das 
Wesen  der  Wärme  nicht  macht. 

In  dieser  Arbeit  erwähnt  jedoch  Rankine  den  zweiten  Hauptsatz 
noch  nicht.  In  einer  später  veröffentlichten  Arbeit ')  jedoch  macht  er 
darauf  aufmerksam,  dass  dieses  Princip  aus  Gleichungen  hergeleitet  wer* 
den  könne,  welche  in  dem  ersten  Abschnitte  seiner  früheren  Abhandlung 
mitgetheilt  sind.  Zwar  theilt  nunmehr  Rankine  eine  selbständige 
Beweisführung  für  den  zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärme- 
theorie mit,  aber  dieser  Beweis  ist  weder  an  sich  einwnrfsfrei,  noch  steht 
er  mit  den  sonstigen  Anschauungen  dieses  Gelehrten  in  Einklang  '). 

Auf  alle  Fälle  aber  giebt  Rankine  selbst  zu^),  dass  er  anfänglich, 
als  ihm  der  zweite  Hauptsatz  in  der  Clausius'schen  Formulirung  be- 
kannt geworden  sei,  Zweifel  gehegt  habe,  die  ihm  erst  später  von 
W.  Thomson  widerlegt  worden  seien. 

Daraus  geht  doch  unzweifelhaft  hervor,  dass  man  Rankine  nicht 
die  Priorität  vor  Clausius  zuschreiben  kann. 

Im  März  des  Jahres  1851  erschien  nunmehr  auch  eine  zweite  Ab- 
handlung von  W.  Thomson,  betitelt:  On  the  dynamioal  theory  of  heat, 
with  numerical  results  deduced  from  Joule' s  aequivalent  and  Reg- 
nault's  experiments  on  steam^),  in  welcher  eine  von  der  Clausins'- 
schen  abweichende  selbständige  Ableitung  des  zweiten  Hauptsatzes  ge- 
geben ist.  Er  stützt  sich  dabei  auf  ein  mehr  mechairisches  Axiom  (vergl. 
S.  915)  und  giebt  der  Entwickelung  einen  allgemeinen,  vom  Aggregat^ 
zustande  unabhängigen  Charakter.  Er  macht  bei  dieser  Gelegenheit  *) 
Einwendungen  gegen  einzelne  auf  das  Verhalten  gesättigter  Dämpfe  be- 
zügliche Annahmen  von  Clausius,  woraus  auch  für  diesen  Fall  zur 


^)  Edinb.  Transact,  Bd.  20,  S.  147  (1851)  a.  später  (1854)  in  Phil.  Mag.,  4.  Ser., 
Bd.  7,  S.  1,  111  und  172. 

^)  Rankine,  On  the  power  and  oeconomy  of  aingleacting  steame  engine.  Edinb. 
Transact.,  Bd.  20,  S.  205  und  Phil.  Mag.,  4.  Ser.,  Bd.  7,  S.  249. 

')  Vergl.  Clausias,  Die  mechanische  Wärmetheorie.  Braunschweig,  Fr.  Viewegu. 
Sohn,  1876,  Bd.  1,  S.  369  u.  s.  f. 

^)  Rankine,  Phil.  Mag.,  4.  Ser.,  Bd.  7,  S.  250. 

B)  Edinb.  Transact.,  Bd.  20,  S.  261  und  Phil.  Mag.,  4.  Ser.,  Bd.  4,  S.  8,  105 
und  S.  168. 

«)  A.  a.  O.,  S.  277. 


928  y.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Genüge  erhellt,  dasB  ihm  keine  Priorität  vor  Glaasius  gebührt.  — 
Aach  hat  übrigens,  wenigstens  damals,  Thomson  dies  vollständig  aa- 
erkannt.  So  sagt  Tli  o  m  s  o  n  z.  B.  ^) :  Die  gesammte  Theorie  der  bewegen- 
den Kraft  der  Wärme  gründet  sich  auf  jene  beiden  Sätae,  welche  be- 
ziehentlich von  Joule  und  von  Carnot  und  Gl  ans  ins  herrühren.'' 

Nachdem  Thomson  den  Ton  ihm  gegebenen  Beweis  des  zweites 
Hauptsatzes  mitgetheilt  hat,  fahrt  er  fort^):  „Es  ist  nicht  mit  des 
Wunsche,  eine  Priorität  zu  reclamiren,  dass  ich  diese  Darlegung  gebe, 
da  das  Verdienst,  den  Satz  zuerst  auf  richtige  Principien  gegründet  sn 
haben,  vollständig  Clausius  gebührt,  welcher  seinen  Beweis  desselbeii 
im  Monat  Mai  des  vorigen  Jahres  im  zweiten  Theile  seines  AnfwtsM 
über  die  bewegende  Kraft  der  Wärme  veröffentlichte." 

Als  man  später  in  England  das  Bedürfniss  fühlte,  trotz  dieses  Usrs 
Standes  der  Dinge  an  den  Clausius' sehen  Prioritätsrechten  za  mäkeln, 
wendete  man  sich  vorzugsweise  gegen  den  Satz,  auf  welchen  Glanaist 
seine  Entwickelung  des  zweiten  Hauptsatzes  gegründet  hatte. 

Alle  diese  Einwürfe  sind  jedoch  als  unhaltbar  widerlegt  worden. 
und  noch  heute  hält  man  die  von  Clausius  gegebene  Ableitung  far 
genau  ebenso  zulässig,  als  die  von  Thomson  herrührende.  Den  hervor- 
ragenden Verdiensten  des  letzteren  an  dem  Ausbau  der  mechanischeB 
Wärmetheorie  werden  wir  jedoch  im  Weiteren  noch  eine  eingdiende 
Würdigung  angedeihen  lassen. 

In  den  vorher  angezogenen  Abhandlungen  von  Glansius')  nsi 
Rankine^)  findet  sich  auch  zum  ersten  Male  der  Satz  dargelegt,  das 
gesättigter  Wasserdampf,  welcher  comprimirt  wird,  ohne  dass  eine  Wärme- 
zufuhr oder  Abführung  stattfindet,  überhitzt  wird,  und  dass  bei  einer 
Expansion  desselben  ohne  gleichzeitige  Wärmezufuhr  von  aussen  eis 
Theil  des  Dampfes  sich  als  Flüssigkeit  niederschlägt. 

Ueberhaupt  findet  sich  eine  grössere  Anzahl  von  Sätzen  und  Tor^ 
aussagen,  welche  zuerst  aus  den  Principien  der  mechanischen  Wärme- 
theorie hergeleitet  worden  waren  und  erst  später  experimentell  bestätigt 
worden  sind,  nahezu  gleichzeitig  bei  Clausius  und  Bankine,  so  z.E 
die  Behauptung,  dass  der  damals  allgemein  als  gültig  angenommene  Wertk 
der  specifischen  Wärme  der  Luft  bei  constantem  Drucke  {Cp  =  0,267)  falsch 
sein  müsse ^).  Rankine  schloss  sogar  aus  den  Joule'schen  Yersuchci 
über  das  mechanische  Aequivälent  der  Wärme,  dass  diese  Grösse  Cp  nur  gleich 
0,24  sein  könne  ^).  .  In  den  im  Jahre  1853  veröffentlichten  genaues 
Zahlen  Regnault's  findet  man  alsdann  den  noch  heute  für  richtig  s&- 

1)  Kdinb.  Transact.,  Bd.  20,  S.  264,  Phil.  Mag.,  Bd.  4,  S.  11. 

*)  Edinb.  Transact.,  Bd.  20,  S.  261,  Phil.  Mag.,  Bd.  4,  S.  14. 

8)  Poggend.  Ann.,  Bd.  79  (1850). 

*)  Edinb.  Transact.,  Bd.  20,  S.  147  (1851). 

^)  Clausius,  Abhandlungen,  Bd.  1  (Ausg.  von  1864),  S.  75,  Publication  n^ 
Februar  1850. 

^)  Rank  ine,  Transact.  of  the  Edinb.  Roy.  Soc,  Bd.  20,  S.  191.  Poblirirt  iv 
1.  December  1850. 


C;    Die  moderne  Periode  der  mechan.  WärmetÜeorie.      929 

genommenen  Wertb  0,2375,  Auch  in  diesen  Fällen  aber  gebührt  Gl  an  8  i  u  s 
insofern  der  Vorzug,  als  er  seine  Resultate  nicht  aus  einer  bestreitbaren 
Hypothese  über  die  Art  der  Molecularbewegung,  welche  die  Ursache  der 
Wärme  sein  sollte,  herleitete,  wie  dies  bei  Rankine  der  Fall  ist. 

Man  muss  somit  Clausius  das  Verdienst  zusprechen,  dass  er  den 
von  Gar  not  in  seinem  Hauptinhalte  bereits  angedeuteten  zweiten  Haupt- 
satz der  mechanischen  Wärmetheorie  zuerst  in  diejenige  Form  gebracht 
hat,  in  welcher  dieser  Satz  noch  heute  allgemeine  Gültigkeit  hat  und 
eine  der  wichtigsten  Grundlagen  der  neueren  Wärmelehre  geworden  ist.  Der 
von  ihm  gegebene  Beweis  dieses  Satzes  beruht  auf  einem  Axiom,  gegen 
dessen  Richtigkeit  bis  jetzt  beachtliche  Einwürfe  nicht  erhoben  worden 
sind.  Alle  scheinbaren  Widerlegungen  oder  Ausnahmen  von  diesem 
Grundsätze,  welche  vielfach  vorgebracht  wurden,  sind  stets  als  auf  Miss- 
verständnissen beruhend  zurückgewiesen  worden. 

Trotz  mannigfacher  Versuche,  den  zweiten  Hauptsatz  &ub  allgemeinen 
mechanischen  Principien  herzuleiten  ^)  (vgl.  Bd.  I,  Abschn.  IV,  S.  424u.ff.), 
ist  das  Ergebniss  dieser  Bemühungen  doch  nicht  sonderlich  erfolgreich 
gewesen.  Eine  Verallgemeinerung  des  Qrundgedankens  des  zweiten 
Hauptsatzes  hinsichtlich  seiner  Anwendung  auf  andere  Formen  der 
Energie,  als  die.  Wärme,  ist  zwar  wiederholt  versucht,  aber  noch  nicht 
in  überzeugender  Weise  fruchtbringend  durchgeführt  worden  ^). 

Einen  wesentlichen  Fortschritt  in  der  Anwendbarkeit  dieses  Satzes 
hat  jedoch  ebenfalls  zuerst  Glausius  bewirkt  durch  Einführung  einer 

Q 

Denen  thermodynamischen  Function  ~,  welcher  er  den  Namen  Verwand- 

nngswerth  oder  Aequivalenzwerth  der  Verwandlung  beilegte;  später 
wählte  er  für  die  nämliche  Grosse  den  Ausdruck  Entropie.  Er  zeigte, 
lass  in  einem  umkehrbaren  Ereisprocesse  der  Gesammtwerth  aller  Ver- 
handlungen gleich  Null  sei;  in  nicht  umkejirbaren  Processen  aber  ist 
üe  algebraische  Summe  der  vorkommenden  Verwandlungen  immer  positiv. 
SIb  positiv  aber  bezeichnet  Glausius  z.  B.  die  Verwandlung  von  Wärme 
löherer  Temperatur  in  solche  von  niedrigerer  Temperatur,  den  üeber- 
j^ang  von  Arbeit  in  Wärme  etc. 

^)  Man  sehe  auch  die  neueren  derartigen  Versuche  von  Boltzmann,  Ber.  d.  Wien. 
Akademie,  Bd.  88,  S.  861. 

^)  Beachtlich  sind  jedenfalls  die  von  v.  Helmholtz  und  dessen  Schülern  und 
on  Braun  herrührenden  Untersuchungen  über  die  bei  electrischen  Vorgängen  in  Ele- 
lenten  und  Zersetzungszellen  verbrauchten  Mengen  Energie  der  chemischen  Aflßnität  und 
er  erzeugten  electromotorischcn  Kraft,  zumal  aber  die  neueren  Untersuchungen  von 
.  Helmholtz  über  monocyklische  Systeme,  ^uf  welche  wir  in  Cap.  6  dieses  Ab- 
chnittes  zurückkommen. 


Bühlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  II.  59 


930  V,    Geschichte  der  mechanischen  Wannetheorie. 


3.    Maoquorne  Rankine. 

Wir  haben  im  Vorhergehenden  bereits  erwähnt,  dass  Rankiae^) 
mehrfach  selbständig  nnd  ganz  unabhängig  durch  seine  BetrachtoBga 
zu  den  wichtigsten  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  der  mechaninchfr 
Wärmetheorie  geführt  worden  war.  —  Bei  seinen  Betrachtungen  giig 
er  von  der  Annahme  sogenannter  Molecularwirbel  aus.  Er  setzte  tot 
aus,  die  wirbelnde  Materie  umgebe  wie  eine  Art  von  Atmosphäre  dicfaicn 
Kerne  und  lässt  dabei  unentschieden,  ob  man  sich  unter  diesen  Eeraa 
kleine  Eörperchen  besonderer  Art,  oder  nur  Condensationsprodncte  dff 
wirbelnden  Substanz  selbst,  oder  aber  lediglich  Attractionaoentren  tct 
stellen  wolle.  Strahlende  Energie,  also  Wärme-  und  Lichtstrahlen,  be- 
stehe in  der  Fortpflanzung  einer  -  schwingenden  Bewegung  der  Kem 
durch  Kräfte,  welche  diese  auf  einander  ausüben.  Unter  Wärmemeng» 
eines  Körpers  dachte  er  sich  die  Energie  der  in  ihm  enthaltenen  Wirbei* 
atome,  die  absolute  Temperatur  eines  Körpers  sollte  der  Quotient  diee 
Energie  und  eines  für  jede  Substanz  charakteristischen  Coefficientet 
sein.  Bei  einem  vollkommenen  Gase  ändere  sich  dessen  ielastiBcher  Drack 
lediglich  mit  der  Gentrifugalkraft  dieser  Molecularwirbel;  daraus  eigielt 
sich  alsdann  sofort  aus  bekannten  mechanischen  Sätzen,  dass  der  Drack 
proportional  der  Energie  der  Wirbelatome  und  umgekehrt  proxKntksal 
dem  Baume  sein  müsse,  welcher  Ton  diesen  Wirbeln  erfällt  ist.  In  ai- 
deren  Substanzen  als  den  vollkommenen  Gasen  werde  die  Elaatidät 
jedoch  noch  durch  anziehende  oder  Gohäsionskräfte  beeinflnsst.  Ist  & 
Abweichung  vom  Zustande  vollkommener  Gase,  wie  bei  wirklichen  Gasn 
und  Dämpfen,  nur  gering,  so  lässt  sich  die  Wirkung  solcher  anxiehesdB 
Kräfte  näherungsweise  dureh  Reihen  darstellen,  welche  nach  reciprobs 
Werthen  der  absoluten  Temperatur  fortschreiten«  Auf  Terschiedcsf 
Dämpfe  hat  er  dieses  Verfahren  mit  ziemlichem  Erfolge  angewendsC 

Fühlbare  Wärme  war  ihm  Energie,  welche  dazu  gedient  hat,  & 
Geschwindigkeit  der  wirbelnden  Bewegung  zu  erhöhen,  latente  Wmtm 
die  Arbeit,  welche  geleistet  wird,  wenn  die  Ausdehnung  der  Wirbel  w- 
grössert  oder  verringert  werden  muss,  weil  die  Yolumina  und  Gestsita 
der  von  den  Wirbeln  erfüllten  Räume  sich  ändern« 


^)  William  John  Macquorne  Rankine  wurde  am  5.  Juli  1820  in  E£^ 
burgh  geboren  und  machte  daselbst  auch  seine  Studien.  Er  war  längere  Zeit 
Professor  der  Ingenieurwissenschaften  und  Mechanik  in  Glasgow.  Ausser  den  in 
Buche  erwähnten  zahlreichen  Arbeiten  über  mechanische  Wärmetheorie  yeKSemii^^ 
er  noch:  „Manual  of  civil  engineering",  welches  elf  Auflagen  erlebte,  ferner:  ^üj 
rules  and  tables",  „Ship-building"  und  „Manual  of  machinery  and  millwork*'.  Er 
am  24.  December  1872. 

*)  Vergl.  Rankine,  Elasticity  of  vapours.    Edinb.  Philos.  Joum.  July  1849; 
auch  dieses  Buch  Bd.  I,  Abschn.  V,  A.,  S.  546.       ^ 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.     931 

DieErafb,  durch  welche  ein  Theilchen  in  seiner  Wirheihahn  erhalten 
wird,  ist  immer  gleich  der  Centrifugalkraft  desselben,  aber  entgegen- 
gesetzt gerichtet;  deshalb  ist  die  Arbeit,  welche  bei  Veränderungen  der 
Wirbelbahnen  geleistet  wird,  der  Centrifugalkraft,  somit  der  Energie,  d.  h. 
der  absoluten  Temperatur  proportional  Will  man  diese  Arbeitsgrösse 
oder  latente  Wfirme  berechnen,  welche  bei  einer  gegebenen  Aenderuog 
der  nämlichen  Ausdehnung  aufzuwenden  ist,  so  muss  die  absolute  Tempe- 
ratur mit  einer  entsprechenden  Aenderung  einer  Function  der  Dimensionen 
und  der  Elasticität  des  Körpers  mnltiplicirt  werden.  —  Diese  Function, 
deren  Variation  mit  der  absoluten  Temperatur  mnltiplicirt  werden  muss, 
ist  somit  eine  Art  latenter  Wärme,  welche  einer  gegebenen  Dimensions- 
änderung bei  dieser  Temperatur  unter  den  entsprechenden  Umständen 
zugehört  (vergl.  Bd  I,  Abschn.  V,  A.,  S.  472  etc.).  - 

R  a  n  k  i  n  e  bezeichnete  diese  Grösse  anfänglich  ^)  nur  durch  ein  Symbol, 
später  ')  nannte  er  sie  Wärmepotential ,  und  schliesslich  ^)  fugte  er  no<fh 
ein  auf  die  Temperaturänderung  bezügliches  Glied  hinzu  und  nannte 
dieselbe  Grösse :  „Thermodynamische  Function^,  eine  Bezeichnung,  welche 
noch  heute  gelegentlich  zur  Anwendung  kommt.  Rankine  brachte 
ferner  auch  wieder  die  Ausdrücke  actuelle  und  potentielle  Energie  in  Auf- 
nahme, nachdem  vor  ibm  bereits  Young  dem  Worte  Energie  allge- 
meine Geltung  verschafft  hatte. 

Von  besonderer  Bedeutung  aber  sind  die  Verdienste,  welche  sich 
Rankine  dadurch  erworben  hat,  dass  er  die  eigenthümlichen  Methoden 
der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  verschiedenartige  Probleme  der 
Technik  anwendete«  Er  ist  der  Erste  gewesen,  welcher  die  Lehre  von 
den  verschiedenen  Wärmemaschinen  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  be- 
handelte^) und  dieselbe  späterhin  einheitlich  in  einem  geschlossenen 
Werke  zusammengefasst  hat;  es  ist  dies  Rankine's  Buch:  „A  Manual 
of  the  Steam- Engine  and  other  Prime  Movers"  1859,  welches  mehrere 
Auflagen  erlebt  hat  und  noch  heute  als  ein  classisches  Werk  von  Theo- 
retikern und  Praktikern  hoch  geschätzt  wird. 


4.    William  Thomson. 

Wir  wenden  uns  nun  zn  William  Thomson^),  dessen  Name  jeder- 
Bseit  als  einer  der  ersten  unter  den  Koryphäen  der  mechanischen  Wärme- 

>)  Edinb.  Transact.,  Bd.  26,  S.  U7. 

2)  Ebendas.  S.  569. 

^)  Philos.  Transact.  of  the  Roy.  Soc.  of  London.     Jahrg.  1854,  S.  1^0. 

*)  Rankine,  On  the  geometrical  repreaentation  of  the  expansive  action  of  heat 
&nd   the  theory  of  thennodynamic  engines.     Philos.  Transact.  of  Lond.  1854. 

^)  Sir  William  Thomson  ist  1824  in  Belfast  geboren.  Sein  Vater  war  damals 
Lehrer  daselbst  and  warde  später  als  Professor  der  Mathematik  an  die  Universität 
Grlasgow  bernfen.    Schon  während  seiner  Stadienzeit  in  Cambridge  verrieth  William 

59* 


932  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

theorie  neben  nnd  in  gleicher  Linie  mit  Mayer,  Jonle,  Carnotvid 
Clansias  genannt  werden  wird. 

Wir  erwähnten  bereits,  dass  derselbe  zuerst,  freilich  ohne  die  h> 
thümer  derselben  zu  corrigiren,  auf  die  Bedeutung  der  Arbeiten  t« 
Garnot  und  Glapeyron  hingewiesen  hat.  Selbst&ndig,  wenn  Mck 
etwas  später  als  Glausius,  hat  er  den  zweiten  Hauptsatz  richtig  aa 
den  von  Gar  not  gegebenen  Grundlagen  entwickelt  und  auf  änem  etVM 
anderen  Wege  als  jener  bewiesen.  Zuerst  hat  er  eine  Anzahl  Gleidin- 
gen  der  mechanischen  Wärmetheorie  in  einer  sehr  allgeoieinen  Form 
entwickelt  und  die  rein  physikalische  Interpretation  derselben  gegebea 

Schon  im  Jahre  1849  hatte  James  Thomson,  der  Bruder  des 
Genannten,  durch  Anwendung  von  Garnot's  Kreisprocess  (resp.  aa 
Glapeyron's  Gleichungen)  auf  den  Gefrierprocess  des  Wassers  unter 
Zuhilfenahme  des  Satzes  von  der  Unmöglichkeit  des  Perpetamn  mol£« 
geschlossen,  dass  der  Gefrierpunkt  des  Wassers  vom  Drucke  abhäsgif 
sein  müsse  ^).  William  Thomson^)  bestätigte  dieses  tbeoretisd» 
Ergebniss  durch  den  berühmten  Versuch  mit  dem  0 er sted' scheu  Pk- 
zometer,  welcher  früher  (Bd.  I,  Abschn.  Y,  D.,  S.  658)  von  uns  aosfok- 
lieh  beschrieben  worden  ist.  Thomson  behandelte  in  seiner  origineEa 
Weise  den  Fall,  dass  Mischungen  einer  Substanz  im  festen  und  flössigfli 
Zustande  gegeben  sind,  allgemeiner  und  zeigte,  dass  bei  solchen  S^ 
stanzen,  deren  Volumen  beim  Uebergange  aus  dem  flüssigen  in  den  feitn 
Aggregatzustand  vergrössert  wird,  die  Schmelztemperatur  sinkt,  in 
solchen  hingegen  steigt,  welche  im  festen  Zustande  dichter  sind,  als  ia 
flüssigen.  Ebenso  formte  er  die  Glapeyron' sehe  Gleichung,  wekhe  te 
Zusammenhang  zwischen  dem  Ausdehnungscoefficienten  und  der  Tempe- 
raturänderung bei  einer  adiabatischen  Volumenändemng  darstellt,  dem; 


Thomson  ganz  ungewöhnliche  Anlagen  und  wurde,  nachdem  er  1845 
mit  Auszeichnung  abgelegt  hatte,  schon  im  folgenden  Jahre  zum  Professor  der 
in  Glasgow  ernannt.  Unmittelbar  darauf  übernahm  er  die  Redaction  des  „Caaiböd^v 
and  Dublin  mathematical  Journal^  und  Teröifentliehte  darin  im  Jahre  1848  £e  bv 
rühmte  Abhandlung :  „On  the  distribution  of  electricity  on  spedal  condactors*'»  in  vricte 
er  die  nach  ihm  benannte  Methode  zur  Bestimmung  der  Electricititsrertlieilaks  iz 
sich  gegenseitig  influenzirenden  Leitern  entwickelte.  Auf  seine  epochemacheBde  Bc^ 
theiligung  an  der  Schöpfung  der  mechanischen  Wärmetheori«  und  dem  Ansb««  ie 
angrenzenden  Gebiete  der  Electricitätslehre  wird  oben  im  Texte  ausführlich 
werden.  Wegen  seiner  hervorragenden  Verdienste  um  die  Legung  des  eniea 
atlantischen  Kabels  wurde  er  1866  von  der  Konigin  von  England  in  < 
erhoben.  Seine  zahlreichen  Entdeckungen  und  Erfindungen  nnd  seine  Werke:  J 
matical  theory  of  elasticity**  und  vor  Allem  sein  unter  Mitwirkung  von  Tai! 
gegebenes  Hauptwerk:  Elements  of  natural  philosophy  (deutsch  von  Hebaholtz 
Wertheim.  2  Bde.,  1871  bis  1874,  Braunschweigi  Fr.  Yieweg  u.  Sohn)  sidhem  i) 
Unsterblichkeit  seines  Ruhmes. 

^)  James  Thomson,  Theoretical  considerations  on  the  effect  of  preesnie  in 
ring  the  freezing  point  of  water.    Transact.  of  the  hoy.  Soc  of  Edinb.,  Bd.  16  (IMd; 
S.  5  u.  S.  575. 

^)  William   Thomson,   Experiments   on   the   effect   of  pressure   in  loweii^  tx 
freezing  point  of  water.     Phil.  Mag.  (1850)  3.  Ser.,  Bd.  37,  S.  123. 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.       933 

um,  dass  der  physikalische  Sinn  derselben  sofort  erkennbar  war.  Joule 
hat  bald  darauf  diese  theoretische  Vorhersage  experimentell  durch  jene 
Versuche  bestätigt,  welche  wir  Bd.  I,  Abschn.  V,  A.,  S.  517  ausführlich 
beschrieben  haben  ^). 

Eine  andere  nicht  minder  interessante  Consequenz  der  mechanischen 
Wärmetheorie  hat  Thomson  unter  dem  Namen  der  Zerstreuung  der 
Energie  entwickelt^).  Es  ist  dies  eine  andere  Form  jenes  Satzes  von 
den  Verwandlungswerthen,  welchen  wir  bereits  bei  Clausius  (S.  929) 
erwähnt  haben.  Die  Form  der  Darstellung  ist  bei  beiden  wesentlich  ver- 
schieden, jedoch  gebührt  auf  diesem  Gebiete  W.Thomson  die  Priorität. 
Thomson  wies  darauf  hin,  dass  durch  Wärmeleitung  und  Strahlung 
immer  freiwillig  eine  Zerstreuung,  niemals  aber  eine  Concentration  der 
Wärme  stattfinde,  und  dass  bei  Erzeugung  von  Wärme  durch  Arbeit 
immer  eine  grössere  Wärmemenge  von  höherer  Temperatur  in  solche 
von  niederer  Temperatur  verwandelt  werde.  Bei  allen  nicht  umkehrbaren 
Kreisprocessen  finde  immer  eine  Zerstreuung  von  Energie  statt,  und  in 
Wirklichkeit  sind  doch  nahezu  alle  in  der  Natur  vorkommenden  Vor-, 
gange  nicht  streng  umkehrbar« 

Bei  solchen  Processen  ist  es  unmöglich  den  ursprünglichen  Zustand 
ohne  Hinzunahme  neuer  Energiemengen  wieder  herzustellen.  Die  uni- 
versellen Consequenzen,  welche  späterhin  sowohl  von  Thomson  als 
auch  von  Clausius,  von  jedem  in  der  ihm  eigenthümlichen  Ausdrucks- 
weise, gezogen  wmrden  sind,  nach  welchen  das  Weltall  mit  Rücksicht  auf 
diese  in  der  Natur  gültige  Gesetzmässigkeit  einem  allmählichen  Gleich- 
gewichtszustande entgegengeht,  in  welchem  alle  Bewegungs-  und  Lebens- 
erscheinungen erloschen  sein  werden,  weil  alle  anderen  Energieformen  so 
weit  als  möglich  in  Wärme  von  gleicher  Temperatur  verwandelt  sind, 
greifen  so  weit  in  das  Gebiet  der  Metaphysik  ein,  dass  sie  nicht  ohue 
Weiteres  als  bindende  Ergebnisse  streng  naturwissenschaftlicher  Methodik 
angenommen  zu  werden  brauchen. 

In  der  berühmten  Abhandlung :  „Mechanical  Theory  of  Electrolysis''  ^), 
gab  Thomson  in  Verfolg  der  Ideen,  welche  wir  bereits  bei  Joule  ge- 
fanden haben,  zuerst  eine  theoretische  Auseinandersetzung  über  den  Zu- 
sammenhang zwischen  electromotorischer  Erafb  und  chemischer  Affinität. 
£r  wies  bei  dieser  Gelegenheit  zuerst  darauf  hin ,  dass  zur  Einleitung 
eines  electrolytischen  Processes  eine  höhere,  mindestens  gleiche  Potential- 
difiPerenz  nöthig  sei,  als  dem  einzuleitenden  Zersetzungsprocesse  entspricht. 
Thomson  zuerst  lehrte  die  scheinbar  disparaten  Qualitäten  der  electro- 
motorischen  Kraft  und  chemischen  Affinität  quantitativ  in  einander  um- 

^)  Minder  bekannt  scheint  zu.  sein,  dass  y.  Helmhol tz  bereits  im  Jahre  1847  in 
seiner  berühmten  Abhandlung:  Die  Erhaltung  der  Kraft,  S.  35,  das  wesentliche  Er- 
f^ebniss  der  späteren  Joule 'sehen  Versuche  ans  der  Clapeyron 'sehen  Gleichung 
Torhergesagt  hatte. 

^)  W.  Thomson,  On  an  universal  tendency  in  nature  to  the  dissipation  of  me- 
chanical  energy,  Phil.  Mag.  1852,  Bd.  2. 

»)  W.  Thomson,  Philos.  Mag.  1851. 


934  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

rechnen.  Erst  in  neaeBier  Zeit,  inshesondeve  durch  die  Arbeiten  im 
Y.  Helmholtz  und  seinen  Schülern  ist  gezeigt  worden,  dass  die  eb- 
fache,  von  Thomson  damals  dem  Stande  der  Erfahmng  entepredieBd 
entwickelte  Theorie  wegen  der  Einwirkung  gleichzeitiger  secundiier 
Processe  noch  mancherlei  Ahänderungen  hedurfte. 

Von  nicht  geringerer  Bedeutung  war  jene  Experimentalarhat 
welche  Thomson  mit  Joule  gemeinsam  unternahm,  um  den  Betng 
der  inneren  Arheit  bei  Gasen  und  Dämpfen  (vergl.  Bd.  I,  Abechn.  IQ, 
C,  S.  255),  wie  dieselben  in  der  Natur  wirklich  vorkommen,  zu  bestimm^L 
Hervorzuheben  sind  ferner  Thomson's  Verdienste  um  Nenformulirimf 
und  strenge  Durchbildung  der  Dynamik  und  seine  zahlreichen  geraden 
epochemachenden  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  Potentialtheorie.  Er 
zuerst  wies  auf  die  Wichtigkeit  der  ganz  in  Vergessenheit  geradieaeB 
Arbeiten  von  Green  auf  dem  Gebiete  der  Potentialtheorie  hin,  und  et 
ist  wohl  kaum  zu  bezweifeln,,  dass  er  das  sogenannte  Dirichlet'sek 
Princip  selbständig  und  etwas  früher  gefunden  hat  (1848)  alsDirichlei, 
nach  dem  es  jetzt  allgemein  benannt  wird. 

Auch  hinsichtlich  der  Ausbildung  und  Klärung  der  unseren  theore- 
tischen Speculationen  vielfach  zu  Grunde  liegenden  Hypothese  eiaer 
atomistischen  Zusammensetzung  der  Materie  hat  William  Thomsoi 
Wesentliches  beigetragen«  Späterhin  hat  er,  ausgehend  von  Faradaj's 
Entdeckung  der  electromagnetischen  Drehung  der  PolarisationfiebcK 
des  Lichtes,  die  wesentlichen  Fundamente  zu  der  sogenannten  eketid- 
magnetischen  Theorie  des  Lichtes  geliefert,  welche  späterhin  vomgs- 
weise  von  Maxwell ^  in  eine  Form  gebracht  worden  ist,  in  der  mm 
Stande  ist,  nicht  nur  die  optischen  und  magnetisch -electriachen  & 
scheinungen  zu  verknüpfen,  sondern  auch  den  eigenartigen  Crflchaim- 
gen  auf  jedem  der  beiden  Gebiete  vollständig  Bechnung  zn  tragen. 
Thomson  wies  zuerst  darauf  hin,  dass  die  Energie  eines  electrischeE 
Stromes  sowohl  von  der  Form  der  Leiter  und  den  in  der  Nähe  derselbeB 
befindlichen  Medien,  als  von  der  Beschaffenheit,  Länge  and  Dicke  d« 
vom  Strome  durchflossenen  Drahtes  abhängig  ist. 

Er  zeigte,  dass  man  sich  die  electromagnetischen  Femewirkufci 
durch  rotatorische  Bewegungen  erklären  könne,  welche  in  der  Nachbar 
Schaft  eines  Stromleiters  um  die  sogenannten  magnetischen  Krafttiaia 
herum  stattfinden. 

Thomson  betrachtet  somit  das  Medium,  welches  Magnete  vaä 
Electricitätsleiter  umgiebt,  als  den  Sitz  rotatorischer  Bewegangoi  vb 
grosser  Energie,  welche  durch  ihre  Gentrifugalkrafk  die  magnetiidie 
und  electrischen  Anziehungen  veranlassen.  Indem  Thomson  diesen 
bewegten  Medium  eine  gewisse  Masse  und  somit  auch  Trägheit  suschRibc 
hat  er  unter  Anwendung  der  Lagrang  ersehen  dynamischen  Gleichua- 

^)  Od  Faraday's  lines  of  force,  Cambr.  Phil.  Transact.  1857;  ferner:  Od  phrsicx 
lines  of  force,  Phil.  Mag.  1862,  II,  Dynamical  theory  of  the  eleetromagnetk  fieMi  Pbü». 
Transact.  1865. 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan,  Wärmetheorie.       935 

gen  die  bekannten  Gesetze  der  Indactions-  and  Anziehungserscheinungen 
zwischen  Strömen  aus  seiner  Annahme  solcher  Wirbel  abgeleitet.  Auch 
auf  dem  Gebiete  der  Thermoelectricität  hat  Thomson^)  durch  experi- 
mentelle und  theoretische  Untersuchungen  unter  Zuhülfenahme  der  bei- 
den Hauptsätze  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  einen  eigentham- 
lichen  Vorgang  aufmerksam  gemacht,  welchen  er  „  Wärmetransport  durch 
den  Strom"  nennt,  und  welcher  in  Deutschland  zumeist  als  das  Thom- 
son'sche  Phänomen  bezeichnet  wird. 

Auch  durch  die  Anwendung  der  Methode  der  mechanischen  Wärme- 
theorie auf  kosmologische  Probleme  hat  W.  Thomson  sehr  wesentliche 
Fortschritte  herbeigeführt.  Er  beschäftigte  sich  zunächst  mit  der  Wate r - 
8  ton 'sehen  Hypothese  der  Erhaltung  der  Sonnen  wärme  durch  Meteo- 
ritenfölle  auf  die  Sonnenoberfläche  und  suchte  unter  Zuhülfenahme  der 
ihm  bekannten  Daten  über  Sonnenstrahlung,  Ausstrahlung  der  Erde  und 
Wärmeleitung  vom  Erdinneren  einen  Zeitpunkt  für  den  Beginn  der  jetzigen 
Vertheilung  der  Massen  in  unserem  Sonnensysteme  und  des  derzeitigen 
Zustandes  unserer  Erdoberfläche  aufzufinden.  Er  zuerst  wies  auf  die 
Bedeutung  der  Wärmeerzeugung  durch  Contraction  der  Sonnenmasse  hin, 
eine  Theorie,  die  bekanntlich  (vergl.  dieses  Buch,  Bd.  II,  Abschn.  lY, 
B., S. 824)  weiterhin  besonders  von  v.  Helmholtz  durchgeführt  worden 
ist.  Gelegentlich  derartiger  Untersuchungen  wies  Thomson  darauf  hin, 
dass  die  landläufige  Meinung,  das  Erdinnere  müsse  in  der  Hauptsache 
noch  feuerflüssig  sein,  sowohl  aus  rein  dynamischen  als  auch  aus  physi- 
kalischen Gründen  höchst  unwahrscheinlich  sei.  Er  zeigte  vielmehr,  dass 
die  durchschnittliche  Starrheit  der  Erdmasse  bereits  zwischen  der  des 
Stahles  und  der  des  Glases  stehe.  Von  rein  physikalischem  Stand- 
punkte aus  wies  er  mit  Becht  darauf  hin,  dass  die  Geologen  bisher  ganz 
übersehen  hatten,  dass  die  Gesteine  ausnahmslos  zu  denjenigen  Substan- 
zen gehören,  deren  Schmelzpunkt  durch  Druck  erhöht  wird,  weü  dieselben 
bei  gleicher  Temperatur  im  festen  Zustande  wesentlich  dichter  sind  als 
im  flüssigen.  Die  Zunahme  der  Temperatur  nach  dem  Erdinneren  kann 
somit  nicht  als  entscheidender  Grund  dafür  angerufen  werden,  dass  sich 
im  Erdinneren  noch  Alles  im  flüssigen  Zustande  befinde. 

Auf  die  übrigen  grossen  Verdienste  Thomson's  um  die  Wissen- 
schaft, welche  er  sich  durch  Erfindung  einer  grossen  Anzahl  wichtiger 
Instrumente,  wir  erinnern  nur  an  das  Quadrantelectrometer,  um  die 
Theorie  und  Praxis  des  Telegraphen wesens,  insbesondere  die  submarine 
Telegraphie  erworben  hat,  brauchen  wir  an  dieser  Stelle  nicht  hin- 
zuweisen, ebenso  wenig  auf  den  wesentlichen  Fortschritt,  den  er  da* 
durch  eingeleitet  hat,  dass  er  die  Einführung  absoluter  Maasseinheiten 
und  die  Beachtung  der  Dimensionen  der  physikalischen  Grössen,  d.  h. 
des  Zusammenhanges  physikalischer  Grössen  mit  den  absoluten  Einheiten, 
hauptsächlich  veranlasst  und  durchgeführt  hat. 


^)  Philo«.  Transact.  Jahrg.  1855.     Vergl.  dieses  Buch,  Bd.  II,  Ahschn.  III,  F. 


936  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Das  Angeführte  wird  genügen,  um  den  Ausspruch  zu  rechtfertige% 
dass  W.  Thomson  einer  der  grössten  schöpferischen  Geister  anaerer 
Zeit  ist,  dem  alle  Nationen  hedingungslose  Anerkennung  und  Dank  Etdka 
können. 


5.    Rudolph  Olausius^). 

Nachdem  wir  im  Vorhergehenden  die  Prioritätsfrage  hinsichilieh  der 
Entdeckung  des  zweiten  Hauptsatzes  der  mechanischen  W&rmetheorie 
erörtert  und  auch  Rankine's  und  Thomson's  Yerdiensten  die  ge- 
rechte Anerkennung  hahen  zu  Theil  werden  lassen,  dürfte  es  wohl  eint 
Pflicht  der  geschichtlichen  Gerechtigkeit  sein,  auch  die  weiteren  Arbeitn 
von  Clausius  anzuführen  und  in  kurzen  Worten  zu  charakterisireB, 
durch  welche  derselben  er  die  mechanische  W&rmetheorie  b^rründet 
und  deren  Entwickelung  in  hervorragender  Weise  gefördert  hat^ 

Clausius  wendete  sich,  nachdem  er  die  theoretischen  GrundlageD 
und  den  mathematischen  Apparat  auf  Grund  der  neuen  Anschamuigen  toh 
der  Wärme  in  seiner  Abhaijdlung:  „Ueber  die  bewegende  Kraft  der 
Wärme  etc.^,  festgestellt  hatte,  dazu,  die  Frage  zu  erörtern,  welche  Ab- 
änderungen die  Lehre  von  den  Dampfmaschinen  ')  erfahren  müsse.  Jeda- 
falls  war  ihm  diese  Frage  durch  seine  damalige  Thätigkeit  an  dem  Pdj- 
technicum  oftmals  nahe  gelegt  worden.  Pambour,  dessen  Theorie  der 
Dampfmaschine  damals  ausschliesslich  allgemeine  Gültigkeit  hatte,  m 
von  der  Annahme  Watt's  ausgegangen,  dass  gesättigter  Dampf  1« 
einer  adiabatischen  Aenderung  eines  Volumens  gesättigt  bleibe.  Gtndi 
über  diesen  Punkt  aber  hatten  die  Untersuchungen  von  Clausius  und 
Rankine  zu  ganz  abweichenden  Resultaten  geführt.  Einige  Formeln, 
zu  welchen  Clausius  gelangt  war,  hatte  zwar  schon  etwas  vor  ihm 
Rankine  ^)  gefunden,  jedoch  waren  die  Ableitungen  von  Glausiai 


^)  Rudolph  Clausias  iet  am  2.  Januar  1822.  zu  Koslin  in  Pommern  geboea. 
Er  studlrte  in  den  Jahren  1840  his  1844  in  Berlin  und  war  nach  rühmlicbst  bestM- 
denem  Examen  hierauf  einige  Jahre  hindurch  als  Lehrer  an  dem  Wer  der' sehen  (^n»> 
näsium  in  Berlin  thätig.  Im  Jahre  1850  wurde  er  zum  Lehrer  der  Phjstk  an  der 
Ebnigl.  Artillerie-  und  Ingenieurschule  ernannt.  Unmittelbar  darauf  habilitirte  er  ski 
auch  als  Privatdocent  an  der  Universität.  Bei  Neubegründung  des  eidgenossischeB  Pdf- 
technicums  in  Zürich  wurde  er  dorthin  als  Professor  der  Physik,  sowohl  für  diese  Hed- 
schule} als  für  die  Universität  berufen.  Hier  war  es  vorzugsweise,  wo  er  die  Gnza^ 
lagen  der  heutigen  mechanischen  Wärmetheorie  schuf.  Nach  zwölQähriger  Wirksaaihrn 
in  dieser  Doppelstellung  folgte  er  einem  ehrenvollen  Rufe  an  die  UniversitiLt  Winbiin;: 
im  Jahre  1869  endlich  vertauschte  Clausius  diesen  Lehrstuhl  mit  der  Prolessiir  is 
Physik  an  der  Universität  Bonn ,  woselbst  er  noch  heute  in  segensreichster  Wttse  ab 
Forscher  und  Lehrer  thätig  ist. 

^)  Clausius,  Ueber  die  Anwendung  der  mechanischen  Wärmetheorie  auf  <& 
Dampfmaschine,  Pogg.  Ann.  (1856),  S.  441  u.  513. 

^)  Rankine,  On  the  geometrical  representation  of  the  expansive  actien  of  heat  sd 
the  theory  of  thermodynamic  engines.     Pfailos.  Transact.  of  the  Roy.  Soc  of  London  IS54 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.       937 

sirenger,   da  dieser  auf  das  vom  Dampfe  mitgefülirte  flüssige  Wasser 
Rücksicht  nahm,  was  jener  unterlassen  hatte. 

Die  für  das  Maximum  der  Arbeit  W  einer  beliebigen  Wärmemaschine 
gültige  Gleichung: 

•ar Ol  .  ^^  "^  ^0 

J  Ti 

(wo  Qi  die  von  der  Arbeit8Bubstan2s  bei  der  Temperatur  Ti  des  heisseren 
Körpers  aufgenommene  Wärme,  Tq  die  Temperatur  des  abkühlenden 
Körpers  und  J  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  bedeutet)  war 
•allerdings  schon  früher  (1851)  yon  W.  Thomson  und  Bankine  ab- 
geleitet worden. 

Femer  beschäftigte  sich  Glausius  mit  Erweiterungen  des  zweiten 
Hauptsatzes,  insbesondere  mit  der  Anwendung  desselben  auf  die  bei  Zu- 
standsänderungen  auftretende  innere  Arbeit  ^),  indem  er  eine  neue 
Grösse,  die  Disgregation,  einführte,  welche  ein  Maass  für  die  Zertheilung 
des  Körpers  abgiebt,  also  lediglich  von  der  Anordnung  der  Bestandtheile 
des  Körpers  abhängig  ist.  £lr  wies  hier  zuerst  darauf  hin,  dass  auch  die 
rein  chemischen  Vorgänge  einer  Behandlung  vom  Standpunkte  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  aus  zugänglich  seien.  Im  Anschluss  hieran  zeigte 
er,  dass  es  möglich  sein  müsse,  die  auf  die  Yolumeneinheit  bezogene 
speciflsche  Wärme  eines  zusammengesetzten  Gases  zu  berechnen,  wenn 
die  Wärmecapacität  der  einfachen  Oase  und  die  bei  der  Verbindung  ein- 
tretende Volumenänderung  bekannt  sind.  Die  von  W.  Thomson  zuerst 
aufgestellte  Lehre  von  der  Zerstreuung  der  Energie  hatte  Bankine 
▼eranlasst,  eine  Hypothese  aufzustellen,  nach  weicheres  möglich  erschien, 
dass  es  auch  Vorgänge  geben  könne,  wie  z.  B.  die  Concentrirung  der 
Wärmestrahlung  durch  Beflezion  und  Brechung,  durch  welche  eine 
Wiederherstellung  der  entarteten  Energie,  also  eine  Erhebung  von  Wärme 
niederer  Temperatur  zu  solcher  höherer  Temperatur,  ohne  Zerstreuung 
weiterer  Energiemengen  möglich  sei.  In  einer  äusserst  lichtvollen  Ent- 
wickelung^)  zeigte  Glausius,  dass  diese  Annahme,  welche  einen  Wider- 
spruch gegen  den  Grundsatz  enthielt,  auf  welchem  der  Glausius' sehe 
Beweis  des  zweiten  Hauptsatzes  ruhte,  irrig  sei.  Er  wies  nach,  dass  es 
nie  möglich  sei,  durch  Goncentration  von  Wärme  und  Lichtstrahlen  die 
Temperatur  des  Korpers,  welcher  anfanglich  niedere  Temperatur  besass, 
über  die  Temperatur  des  Körpers  zu  erheben,  welcher  anfänglich  der 
wärmere  gewesen  war. 

Weiterhin  hat  Glausius  die  ganz  allgemeinen  Gleichungen  der 
mechanischen  Wärmetheorie  für  die  verschiedenen  speciellen  Voraus- 
setzungen umgestaltet,  in  welchen  dieselben  bei  Lösung  bestimmter  Auf- 
gaben zur  Anwendung  kommen.     Für  den  gesammten  Verwandlungs- 

^)  R.  Clausius,  Ueber  die  Anwendung  des  Satzes  von  der  Aequivalenz  der  Ver- 
-wandlungen  auf  die  innere  Arbeit.    Pogg.  Ann.  Bd.  116  (1862),  S.  73. 

^)  Clausius,  Ueber  die  Goncentration  von  Wärme-  Und  Lichtstrahlen  und  die 
Orenzen  ihrer  Wirkung.    Pogg.  Ann.  Bd.  121  (1864),  S.  1.' 


938  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie- 

inhalt, also  die  Summe  ans  dem  Yerwandlongswerthe  des  W&rmeiiiliBttei 
eines  Körpers  und  dem  Yerwandlungswerthe  der  in  der  Anordnnng  der 
Körpertheile  enthaltenen  potentiellen  Energie,  welchen  GlanBins  Dit- 
gregation  nennt,  führt  derselhe  den  Namen  Entropie  ein.  Er  steOt  a& 
Schlüsse  dieser  Betrachtungen  die  Sätze  auf:  die  Energie  der  Welt  ist 
constant,  die  Entropie  der  Welt  streht  einem  Maximum  zu. 

Vom  Beginne  seiner  Untersuchungen  über  die  mechanische  Winae- 
theorie  anhatte  sichClausius  mit  der  Anwendung  der  in  der  TorBtebesd 
erwähnten  Abhandlung  gewonnenen  Gleichuugen  und  Methoden  auf  dk 
Electricitätslehre  beschäftigt.  Die  ersten  derartigen  Arbeiten  datirt« 
schon  vom  Jahre  1852^),  die  erste  ist  den  Erwärmungen  dee  Leiterkreisa 
durch  Batterieentladungen,  die  zweite')  der  Erwärmung  durch  eina 
stationären  galvanischen  Strom  gewidmet.  —  Unmittelbar  darauf  (1853) 
behandelte  er  auch  die  thermoelectrischen  Erscheinungen  und  zeigte^), 
dass  das  Peltier^sche  Phänomen  eine  einfache  Consequenz  der  Anwn- 
duDg  des  ersten  und  zweiten  Hauptsatzes  sei  und  eine  thermoelectrisckc 
Kette  genau  wie  eine  andere  Wärmemaschine  behandelt  werden  köniie. 
.Auf  das  nämliche  Resultat  war  v.  Helmholtz^)  auf  wesentlich  anderem 
Wege  allerdings  schon  vor  Clausius  in  seiner  Schrift:  Ueber  die  Erhal- 
tung der  Kraft  und  W.  Thomson  bei  einer  Untersuchung  gekommeB, 
welche  nur  lückenhaft  im  Jahre  18Ö1  ^)  veröffentlicht  worden  war. 

Durch  seine  Untersuchungen  auf  electrischem  Gebiete  ist  später 
Clausius  dazu  geführt  worden,  ein  neues  electrodynamisches  Grnsd- 
gesetz  aufzustellen,  welches  nicht  nur  alle  experimentell  ^ewonneoa 
Resultate  auf  diesem  Gebiete  zu  erklären  gestattet,  sondern  auch  dedialb 
von  besonderer  Bedeutung  ist,  weil  es,  obgleich  in  ihm  £[räfte  TorkonmieB. 
die  von  der  Geschwindigkeit  und  den  Beschleunigungen  und  nicht  hkm 
von  den  Entfernungen  abhängen,  doch  mit  dem  Satze  von  der  ErhaUaBf 
der  Energie  in  Uebereinstimmung  ist^). 

Zu  diesem  neuen  Gesetze  gelangte  Clausius  durch  folgende  Er- 
wägungen. Das  Weber' sehe  electrodynamiBche  Grundgesetz  giebt  Isr 
das  Potential  F,  welches  zwei  bewegte  Electricitätstheilchen  ^  und  ^ 


^)  Clausius,  Ueber  das  mecbaDische  Aequivalent  einer  electrischen  EnUadaaf  n4 
die  dabei  stattfindende  Erwärmung  des  Leitungsdrahtes.  Pogg.  Ann.,  Juli  1852,  Bd.  M, 
S.  337. 

^)  Ueber  die  bei  einem  stationären  electrischen  Strome  in  dem  Leiter  gethane  A^ 
beit  und  erzeugte  Wärme,  November  1852.     Pogg.  Ann.,  Bd.  87,  S.  415. 

3)  Clausius,  Ueber  die  Anwendung  der  mechanischen  Wärmet-heorie  auf  die  tkenw 
electrischen  Erscheinungen.     November  1853.     Pogg.  Ann.,  Bd.  90,  S.  513. 

*)  V.  Helmholtz,  Die  Erhaltung  der  Kraft.  Berlin,  Reimer,  1847.  S.  59.  Ansik 
in  V.  Helmholtz,  Wissenschaftliche  Abhandlungen.    Leipzig,  Barth,  1882.    Bd.!,  S.5T. 

*>)  W.  Thomson,  Proceed.  of  the  Roy.  Soc.  of  Edinb.  1851. 

ö)  Vergl.    dieses  Buch,   Bd.  I,   Vorbegriffe,   S.  152.     Das   dort  Mitgetheihe 
sich  nur  auf  den  Satz  von  der  lebendigen  Kraft,   während  der  Satz  von  der 
der  Energie   viel  allgemeiner  ist   und   auch  für  nach   ganz  anderen  Gesetzen 
Kräfte  bestehen  bleibt.     Vergleiche   darüber  Weyrauch,   Das  Princip   von    der  Erkal- 
tung der  Energie  seit  Robert  Mayer,  Leipzig,  Teubner,  1885,  S.  31, 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.       939 

aaf  einander  ausüben,  die  sich  im  Abstände  r  von  einander  befinden,  den 
Ausdruck: 

r     ■  \dt)  ' 


Die  Folgerungen  ans  der  Formel  stimmen  jedoch  nur  unter  der  An- 
nahme mit  der  Erfahrung  überein,  dass  jeder  galvanische  Strom  aus  zwei 
gleichen,  aber  entgegengesetzt  gerichteten  Strömen  von  positiver  und 
negativer  Electricität  besteht.  Dieser  Annahme  aber  widerstrebt  der 
Umstand,  dass  es  äusserst  schwierig  ist,  sich  hiervon  eine  anschauliche 
Vorstellung  zu  machen,  und  die  Thatsache,  dass  die  beiden  Electri- 
cit&tsarten  verschiedene  Eigenschaften  haben.  Nimmt  man  jedoch  an, 
dass  bei  di^m  electrischen  Strome  die  beiden  ElectricitSten  sich  mit  un- 
gleicher Geschwindigkeit  bewegen,  oder  nur  eine  einzige  Electricitätsart 
vorhanden  ist  und  bewegt  wird,  so  führt  das  Web  er  ^  sehe  Gesetz  auf  die 
mit  der  Erfahrung  nicht  übereinstimmende  Folgerung,  dass  ein  in  einem 
ruhenden  geschlossenen  Leiter  fliessender  electrischer  Strom  auf  jede 
ausserhalb  des  Leiters  befindliche  ruhende  Eiectricitätsmenge  eine  be- 
wegende Kraft  ausüben  müsse. 

Clausius  hat  sich  in  Folge  dessen  veranlasst  gesehen,  ein  neues 
Grundgesetz  für  die  gegenseitige  Einwirkung  bewegter  Electricitäts- 
mengen  aufzusuchen,  welches  von  jeder  Annahme  über  die  wechselseitige 
Bewegung  der  beiden  Electricitätsarten  im  Strome  unabhängig  ist. 

Nach  dem  Clausius'schen  Grundgesetze  ist  das  Potential  F zweier 
bewegter  Electricitätstheilchen  auf  einander: 

F=  i  •  — ^ —  •  v\i/\co8S. 
r 

wobei  1?'  und  t;"  die  Geschwindigkeiten  von  e'  und  e"  und  £  den  Winkel 
zwischen  diesen  Bewegungsrichtungen  bedeutet.  Die  Constante  steht  zu 
der  des  Web  er 'sehen  Gesetzes  in  dem  Yerhältniss,  dass: 

ist. 

Bezeichnet  man  die  rechtwinkligen  Coordinaten  von  e'  mit  x\  y\  ti 

und  die  von  e"  analog  mit  ^\  y,  ii\  so  kann  man  in  obiger  Formel 
den  Factor  t/.t/\cos€  auch  durch  den  gleichwerthigen  Ausdruck: 


t?'.  v",  cos  £ 


_  /d^  d^       d£  d^       d^  ^\ 
~\dt'  dt    '^  dt'  dt    '^   dt'  dt) 


ersetzen. 

Aus  dieser  für  das  Potential  zweier  bewegter  Electricitätsmengen 
erhaltenen  Gleichung  kann  man  die  auf  irgend  eine  Kichtung  bezügliche 
Componente  der  electrodynamischen  Kraft  auf  die  bekannte  Weise  erhal- 
ten, welche  Lagrange  in  Bezug  auf  die  in  allgemeinen  Coordinaten 
ausgedrückte  lebendige  Kraft  angewendet  hat.    Ist  nämlich  Fy .  e\  e"  die 


940  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

betreffende  Eraftcomponente   in  einer  beliebigen  Bichtong  v,  n  eiliih 
man  Py  aus  folgender  Gleichung: 

äV  _^  £  läV 
dv        dt 


In  Bezug  auf  die  nach  der  X-Axe  der  Coordinaten  gerichtete  Knft- 
componente  X  erhält  man  hiernach: 


X=  Ä-e -e 


;    jt 


d^ 


dxf 


r      ,    „  d  n    daf'' 


d  n    d;£\ 
''''  -  dt[r"dt) 


Aus  dem  Ausdrucke  f&r  die  Kraft,  welche  zwischen  zwei  bewegten 
Electricitätsmengen  e'  und  e"  wirksam  ist,  hat  Clausius  alsdann  Mck 
für  die  Kräfte,  welche  zwei  von  den  Stromintensitäten  »'  und  t*'  doreb* 
flossene  Leiter  demente  dsf  und  ds"  auf  einander  ausüben,  Formeln  her 
geleitet. 

Für  die  Kraft,  welche  das  Stromelement  d^  vom  Stromelemente  if 
erfahrt,  findet  er: 


h.iJ'.ds'.ds" 


dl 
r 

57 


C08(sf 


wobei  (s'.s")  der  Winkel  zwischen  den  Stromelementen  und  a/,y,/res[i. 
ic",  y",  J8?"  deren  Coordinaten  sind. 

Formell  stimmt  dieser  Ausdruck  mit  dem  von  H.  GraBsmannia 
Jahre  1845  gefundenen, überein.  Die  Grassmann'sche  Formel  besek 
sich  jedoch  nur  auf  die  zwischen  den  Leitertheilen  wirksamen  Krifie. 
die  ponderomotorischen,  wie  sie  Clausius  nennt,  während  dieClanains'- 
sche  Form  des  electrodynamischen  Potentials  auch  die  electromotorisebeB 
Kräfte  mit  bestimmt,  welche  bei  Lagen-  und  Intensitataändemngen  der 
Ströme  eintreten. 

Späterhin  hat  Clausius  auch  diese  electromotorischen  Kräfte  vod 
die  yon  den  electromotorischen  und  ponderomotorischen  Kräften  geleiiteta 
Arbeiten  ermittelt.  Der  grosse  Vorzug  seiner  Entmckelnngen  ^ 
darin ,  dass  dieselben  Ton  jeder  besonderen  Annahme  über  die  Ge- 
schwindigkeiten,  mit  welchen  sich  im  Strome  die  positive  und  fiegstire 
Electricität  bewegt,  ganz  unabhängig  sind. 

Aus  den  gefundenen  Grundlagen  hat  Clausius  endlich  zuenieitf 
wirkliche  Theorie  der  Vorgänge  bei  dynamoelectrischen  Maschinen  0  P" 
geben  und  ebenso  eine  Theorie  der  Kraftübertragung')  auf  electnscheii 
Wege  entwickelt. 


1)  Wied.  Ann.,  Bd.  20  (1883),  S.  353. 

2)  Wied.  Ann.,  Bd.  21  (1884),  S.  385. 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.       941 

Von  besonderer  Bedeutung  sind  femer  die  Abhandlungen  über  die 
Art  der  Molecularbewegnng,  welche  wir  Wärme  nennen.  —  Obgleich  wir 
schon  früher  darauf  hingewiesen  haben,  dass  verwandte  Vorstellungen 
sich  schon  ziemlich  frühe,  z.  B.  bei  den  Bernoulli's  und  späterhin 
bei  Joule  und  bei  Erönig  fanden,  so  sind  doch  erst  die  Arbeiten  von 
Glausius  der  Anstoss  und  der  Grand  gewesen,  auf  welchem  sich  die 
moderne  kinetische  Atomistik  entwickelt  hat. 

Wir  übergehen  jedoch  an  dieser  Stelle  diese  Arbeiten,  obgleich  sie 
für  Würdigung  der  hohen  Verdienste,  welche  sich  Glausius  um  die 
mechanische  Wärmetheorie  erworben  hat,  sehr  hoch  anzuschlagen  sind, 
da  wir  die  neueste  Geschichte  der  kinetischen  Atomistik  besonders  be- 
handeln wollen  (Abschn.  D)  und  dann  Wiederholungen  durch  nothwen- 
dige  Hinweise  auf  den  Antheil  yon  Glausius  unvermeidlich  sein  würden. 

Zum  ersten  Male  gab  Glausius  eine  Sammlung  seiner  bis  dahin 
erschienenen  Abhandlungen  in  den  Jahren  1864  bis  1867  heraus,  unter 
dem  Titel :  Abhandlungen  über  die  mechanische  Wärmetheorie  0. 

Da  das  werthvolle  Werk  bald  vergriffen  war  und  als  wichtigste 
Quelle  fortwährend  neu  begehrt  wurde,  so  liess  er  im  Jahre  1876  eine 
systematisch  durchgearbeitete  Neubearbeitung  unter  dem  Titel:  „Die 
mechanische  Wärmetheorie"  folgen  ^).  Den  zweiten Theil,  welcher  im  Jahre 
1879  erschien,  widmete  er  ganz  der  Electricitätslehra  und  gab  ihm  den 
Titel:  „Die  mechanische  Behandlung  der  Electricität**.  In  diesem  letzten 
Bande  findet  man  auch  die  Resultate  der  vorher  kurz  skizzirten  neuen 
Electricitätstheorie  vollständig  niedergelegt.  Leider  sind  jedoch  in  der 
neuen  Auflage  die  sämmtlichen  Abhandlungen  über  die  Moleculartheorie 
weggelassen;  hoffentlich  folgt  eine  Neubearbeitung  derselben  recht  bald 
als  dritter  Band  des  classischen  Werkes. 


6.    Hermann  von  Helmholtz. 

Nachdem  wir  bisher  der  Entwickelung  der  mechanischen  Wärme- 
theorie bis  zu  ihrem  jetzigen  Stande  gefolgt  sind,  ist  es  nöthig,  auf 
das  so  eng  mit  dieser  Disciplin  zusammenhängende  Princip  von  der  Er- 
haltung der  £[raft  zurück  zu  kommen,  und  dies  nothigt  jetzt,  unsere  Auf- 
merksamkeit dem  grossten  Meister  exacter  Naturforschung  unserer  Zeit, 
nämlich  Hermann  von  Helmholtz^)  zuzuwenden. 


*)  Braunschweig,  Friedrich  Vieweg  und  Sohn. 

^)  Derselbe  Verlag. 

')  Herrn,  von  Helmholtz  wurde  am  31.  August  1821  «Is  Sohn  des  Potsdamer 
Gymnasiallehrers  gleichen  Namens  geboren.  In  seinem  17.  Lebensjahre  trat  er  als 
Schüler  in  das  militärärztliche  Friedrich- Wilhelms-Insti tut  in  Berlin  ein,  um  Medicin  zu 
Studiren.  Im  Jahre  1842  hatte  er  seine  Studien  beendet  und  erwarb  sich  den  Doctor- 
titel.  Nach  kurzer  Thätigkeit  an  der  Berliner  Charit^  wurde  er  1843  Militärarzt  in 
Potsdam.     Nunmehr   wendete  sich   der  junge  Arzt  mit  der  ihm  eigenthümlichen  That- 


942  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Man  kann  behaupten,  dass  das  Gesetz  von  der  Erhaltonf^  derEnetfie, 
welches  gewissermaassen  latent  bereits  seit  ondenklichen  Zeiten  Toriiaa- 
den  war,  zwar  von  Robert  Mayer  zuerst  mit  yoUer  Elarfaeit  mid  in 
Yollem  Umfange  ausgesprochen  ist,  jedoch  erst  durch  die  He  Imh  ölte's^ 
Abhandlung:  „Die  Erhaltung  der  Kraft*'  für  die  gesammte  Natnrwiss»- 
Bchaft  fruchtbar  gemacht  worden  ist.  Helmhol tz  trag  das  widitige 
Gesetz  zuerst  in  der  in  der  Wissenschaft  üblichen  Sprache  tot  und  wn- 
dete  dasselbe  nahezu  auf  alle  Gebiete  der  Physik  und  einzelne  TheOe  der 
Physiologie  in  durchaus  neuer  und  origineller  Weise  an. 


kraft  der  Vertiefung  seiner  Kenntnisse  auf  physikalischem  und  physiologisdiem  CebiA 
zu.  Durch  einen :  „Bericht  über  die  Theorie  der  physiologischen  ¥nrmea9cbcmvBges*, 
welchen  er  im  Jahre  1846  für  die  Fortschritte  der  Physik  anfertigte,  wmr  er  auf  & 
Arbeiten  von  Carnot,  Clapeyron  und  Holtzmann  aufmerksam  geworden,  und  da- 
durch veranlasst,  versuchte  er  die  damals  bekannten  Naturvorginge,  die  uao 
sowohl  als  die  organischen,  unter  einheitlichem  Gesichtspunkte  nach  den  Ocsetcen 
wissenschaftlichen  Denkens  zusammenzufassen.  Das  Ergebniss  dieser  Studien  war  die  U> 
rühmte,  für  die  Entwickelung  der  Wissenschaft  geradezu  bahnbrechende  Abhandluaf ; 
„lieber  die  Erhaltung  der  Kraft*',  welche  er  am  23.  Juli  1847  in  der  physikaÜscheE 
Gesellschaft  in  Berlin  vortrug  und  bald  darauf  als  Broschüre  bei  Reimer  in  B<f& 
erscheinen  Hess.  Im  Herbst  des  Jahres  1848  kehrte  Helmholtz  als  Lelira-  iet 
Anatomie  an  der  Kunstakademie  nach  Berlin  zurück,  vertauschte  aber  schon  im  fo^en* 
den  Jahre  seine  neue  Tbätigkeit  mit  der  ordentlichen  Professur  der  Physiologie  an  der 
Universität  Königsberg.  Von  hier  datiren  hauptsachlich  seine  Erfindung  des  Ag^cb- 
spicgels  und  zahlreiche  weitere  epochemachende  Arbeiten  auf  ophtalmologischem  Ge- 
biete, welche  er  spater  (1856  bis  1866)  in  dem  classischen  Werke:  „^ndbudi  der 
physiologischen  Optik''  niederlegte.  Im  Herbste  1855  siedelte  Helmholtz  aa£» 
Bonner  Universität  und  1858  von  da  nach  Heidelberg  über.  Inzwischen  hatte  er,  «*> 
bei  ihm  seine  gründlichen  musikalischen  Kenntnisse  sehr  zu  statten  kamen,  sich  snch 
akustischen  Studien  zugewendet,  deren  Frucht,  ausser  zahlreichen  Abhandlungen  ibcr 
die  mathematisch-physikalischen  Grundlagen  dieser  Disciplin,  das  berühmte  Werk 
Lehre  von  den  Tonempfindungen''  war. 

In  Folge  der  nahen  Beziehungen  zu  Kirchhoff,  Bunsen  und  Kopp 
Helmholtz  mehr  und  mehr  auf  das  rein  physikalische  Gebiet  gefuhrt,  so  das»  e* 
Niemand  erstaunlich  fand,  als  er  sich  Im  Jahre  1871  entschloss,  als  Nachfolger  toc 
Magnus  die  Professur  für  Physik  an  der  Berliner  Universität  zu  übernehmen. 

Von  hier  vorzugsweise  rühren  seine  classischen  Arbeiten  auf  erkenntni^tlieoceti> 
schem  Gebiete,  seine  Abhandlungen  über  die  Electrodynamik ,  seine  £zperimcsta^ 
arbeiten  und  theoretischen  Betrachtungen  über  die  mit  der  Electricitätslehre 
hängenden  thermo-chemi  sehen  Vorgänge  her.  —  Im  Jahre  1883  wurde  Helmholtz 
Kaiser  von  Deutschland  geadelt ;  seine  nahen  Beziehungen  zu  den  höchsten  Kreisen  Bcr* 
lins  und  die  Belastung  mit  allerhand  officiellen  Aufträgen  haben  den  unermadlk^cn 
Forscher  jedoch  nicht  gehindert,  unentwegt  seiner  Wissenschaft  zu  leben,  wovon  (ort* 
währende  neue  Publicationen  Kenntniss  geben. 

Eine    grosse   Zahl   begabter   Schüler   wird   in    seinem  Laboratorium   zn   trefilkha 
Physikern  herangebildet. 

Den  grössten  Theil  seiner  streng  wissenschaftlichen  Arbeiten,  so  weit  sie  nkht  ts 
den  erwähnten  geschlossenen  Arbeiten  enthalten  sind,  hat  v.  Helmholtz  neuerdis^ 
gesammelt  erscheinen  lassen  (Wissenschaftliche  Abhandlungen,  Barth,  Leipzig,  3  Bde. 
1882  und  188S).  Die  zahlreichen  Vorträge  und  Reden,  welche  sich  an  dasV 
tvpiterer  Kreise  des  wissenschaftlich  gebildeten  Publicums  wenden,  sind  bereits  in 
holten  Auflagen  früher  unter  dem  Titel:  „Populäre  Vorträge",  jetzt  aber:  .Vortrag 
und  Reden'^  (Braunschweig,  Fr.  Vieweg  und  Sohn,  1884)  herausgegeben  worden. 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.      943 

Der  häsBliche  Verdacht»  welchen  Dühring  wiederholt  ausgesprochen 
hat,  y.  Helmholtz  hahe  nicht  selhstandig  das  Gesetz  gefdnden,  son- 
dern er  habe  die  May  er' sehen  Arbeiten:  „Bemerkungen  über  die  Kräfte 
der  unbelebten  Natur  (1842)*'  und :  ^Die  organische  Bewegung  in  ihrem 
Zusammenhange  mit  dem  Stoffwechsel  **  bei  Abfassung  seiner  Schrift  be- 
reits gekannt  und  absichtlich  diese  Kenntniss  verschwiegen,  ist  durch 
nichts  begründet.  Die  Helmholtz 'sehe  Behandlung  ist  eine  durch- 
aus andere,  als  die  May  er' s,  die  Schlussfolgerungen  ruhen  bei  Helm- 
lioltz  wesentlich  auf  mathematischem  und  exaot  naturwissenschaftlichem 
Grunde,  bei  Mayer  hingegen  entstammt  dieselbe  mehr  philosophischen 
^Erwägungen,  so  dass  schon  die  Betrachtung  der  Arbeiten  selbst  es  über- 
aus unwahrscheinlich  erscheinen  lässt,  es  habe  ein  ursächlicher  Zusammen- 
Lang  irgend  welcher  Art  zwischen  den  beiderseitigen  Publicationen  be- 
standen. 

Dazu  aber  kommt,  dass  Helmholtz  diese  erste  grössere  Arbeit  in 
Potsdam  in  Verhältnissen  schrieb,  in  welchen  ihm  nur  sehr  bescheidene 
literarische  Hülfsmittel  zugänglich  waren.  Dadurch  aber,  dass  die  M  a  y  e  r '  - 
sehen  Veröffentlichungen  gar  keine  Beachtung  in  wissenschaftlichen 
Kreisen  gefunden  hatten,  wird  es  vollständig  verständlich,  wie  es  gekommen 
ist,  dass  Helmholtz,  als  er  über  den  nämlichen  Gegenstand  schrieb, 
Ton  der  Existenz  eines  Vorgängers  auf  diesem  Gebiete  keine  Ahnung 
hatte.  Ueberdies  hat  Helmholtz  später  in  unzweideutiger,  bestimmter 
Weise  die  Erklärung  abgegeben,  dass  ihm  zur  Zeit  der  Abfassung  seiner 
Schrift  die  May  er' sehen  Veröffentlichungen  vollständig  unbekannt  ge- 
wesen sind  ^).  An  sich  ist  es  unter  ehrlichen  Leuten  nicht  üblich,  an  dem 
Worte  eines  Mannes  zu  zweifeln,  so  lange  demselben  nicht  Mangel  an 
Wahrheitsliebe  nachgewiesen  worden  ist;  wie  sollte  man  nun  mit  Düh- 
ring dazu  kommen,  an  Helmholtz's  Aufrichtigkeit  zu  zweifeln,  eines 
Mannes,  dessen  goldreine  Zuverlässigkeit  in  der  Erkenntniss  und  Mit- 
theilung der  Wahrheit  in  allen  seinen  Arbeiten  wohl  selbst  seine  Gegner 
nicht  zu  bestreiten  wagen. 

Ausserdem  aber  muss,  um  dem  von  Dühring  so  mit  Unrecht  Ver- 
dächtigten volle  Gerechtigkeit  wiederfahren  zu  lassen,  hervorgehoben 
werden,  dass  gerade  Clausius  und  v.  Helmholtz,  die  von  Dühring 
am  heftigsten  geschmäht  worden  sind,  wohl  die  ersten  in  Deutschland 
gewesen  sind,  welche  auf  die  Prioritätsrechte  von  Mayer  hinsichtlich 
des  Satzes  von  der  Erhaltung  der  Energie  und  der  Entdeckung  des  Ar- 
beitsäquivalentes der  Wärme  hingewiesen  haben,  lange  ehe  Dühring 
Veranlassung  gefunden  hatte,  sich  mit  der  Frage  zu  beschäftigen  ^). 


1)  Vergl.  V.  Helmholtz,  Wissenschaftl.  Abhandlungen,  Bd.  1,  S.  71  und  Vor- 
träge und  Reden,  Bd.  1,  S.  61. 

*)  Vergleiche  die  Vorträge  von  v.  Helmholtz,  üeber  die  Wechselwirkung  der 
Naturkräfte,  1854.  Vorträge  und  Reden,  Bd.  1,  S.  38  und  Ueber  die  Erhaltung  der 
Kraft,  1862.  Vorträge  und  Reden,  Bd.  1,  S.  151.  Bezüglich  Clausius  rergleiche 
man  dessen  Abhandlung  vom  Jahre  1850.    Abhandlungen,  Bd.  1,  S.  19. 


944  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wännetheorie. 

Obgleich  neuere  UnterBuchnngen  gezeigt  haben,  dass  die  Ton  t.  Helm* 
holtz  in  seiner  „Erhaltung  der  Kraft*'  gegebenen  Entwickelungen  übo' 
die  Wirkungsweise  der  Kräfte,  welche  angenommen  werden  mnas,  u 
die  allgemeine  Gültigkeit  dieses  Gesetzes  Yoraussetzen  zn  dürfen,  einiger 
Einschränkungen  bedürfen,  so  gehen  die  in  dieser  Abhandlung  gegebcnei 
Entwickelungen  doch  viel  tiefer  in  die  Sache  ein  als  Mayer'i 
einandersetzungen  und  umfassen  eine  Menge  von  Erscheinangen, 
von  jenem  gar  nicht  berührt  oder  nur  oberflächlich  erwähnt  sind. 

Erst  in  Folge  des  durch  t.  Helmholtz  gegebenen  Ansiosses  k«t 
sich  jene  vollständige  Umwandlung  der  Art,  die  Naturerscheinongeti  n 
betrachten ,  vollzogen ,  durch  welche  sich  die  heutige  NatnranachainiBg 
von  der  Betrachtungsweise,  welche  in  der  ersten  Hälfte  anzereB  Jilir* 
hunderts  im  Gebrauche  war,  vollständig  unterscheidet 

Es  kann  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  an  dieser  Stelle  den  ansserordeBt* 
liehen  Verdiensten  des  grossen  Meisters  um  die  übrigen  Gebiete  der  Phjck 
und  um  die  Physiologie  eine  eingehende  Würdigung  angedeihen  za  lasKi. 
Wir  erwähnen  nur,  dass  v.  Helmholtz  überall,  wo  er  mit  eigenen  Ai^ 
beiten  eingetreten  ist,  Epochemachendes  geliefert  und  vollatändig  rdoT' 
matorisch  auf  die  vorhandenen  Anschauungen  eingewirkt  bat.  Wir  «- 
wähnen  in  diesem  Sinne  die  Abhandlungen:  „Ueber  WirbelbewegungCB^. 
welche  die  Grundlage  zuW.  Thomson's  Hypothese  von  den 
atomen  geworden  ist,  die  Arbeiten  über  discontinuirliche 
und  Reibungsvorgänge  in  Flüssigkeiten,  femer  die  akostLschen  Unter- 
suchungen über  Gombinationstöne,  Schwingungen  von  Lnftsäolen,  die 
Theorie  der  Zungenpfeifen,  die  Entdeckung  des  Wesens  der  Klang£vbe 
und  die  Theorie  der  Saitenschwingnngen. 

Auf  electrischem  Gebiete  hat  v.  Helmholtz  nahezu  das  gai« 
Gebiet  der  Yertheilung  und  Fernewirkung  einer  erschöpfenden  Umarbei- 
tung unterworfen  und  eine  neue  Theorie  derElectrodynamikO  aufgezteDt 
Seine  Abhandlungen  über  Galvanismus,  insbesondere  die  Arbeiten:  Uebp 
galvanische  Ströme,  verursacht  durch  Goncentrationsunterschiede,  Folge- 
rungen aus  der  mechanischen  Wärmetheorie  ^),  femer  über  Electrisdie 
Grenzschichten  3),  Bewegungsströme  ^),  Galvanische  Polarisation  ^)  stehes 
mit  der  mechanischen  Wärmetheorie  in  engem  Zusammenhange.  In  der 
erstgenannten  Abhandlung  wird  der  zweite  Hauptsatz  mit  Erfolg  auf 
umkehrbare  Kreisprocesse  angewendet,  bei  welchen  ausser  Yerdampfuiigr 
erscheinungen  auch  electrochemische  und  electromotorische  Wirknngez 
mit  in  Betracht  kommen. 


^)  Crelle's  Journ.,  Bd.  55,  S.  25  bis  55  (1855).  v.  Helmholtz,  Ahha^i- 
langen,  S.  107. 

^  Wied.  Ann.,  Bd.  8,  S.  201  bis  216.     Abbandlungen,  S.  840. 

8)  Wied.  Ann.,  Bd.  7,  S.  387  bis  382  (1879). 

*)  Wied.  Ann.,  Bd.  11,  S.  737  bis  759  (1880).    Abhandlungen,  S.  899. 

^)  Pogg.  Ann.,  Bd.  150,  S.  483  bis  495  (1873).  Abhandlungen,  S.  822.  Pof;. 
Ann.,  Bd.  159,  S.  416  bis  420  (1876).     Abhandlungen,  S.  835. 


C.    Die  moderne  Periode  der  mechan.  Wärmetheorie.      945 

Die  zablreichen  AbhandluDgen  über:  Physikalisohe  und  physiologi- 
sche Optik,  physiologische  Akustik,  Erkenntnisstheorie  und  Physiologie 
abergehen  wir  ganz,  da  dieselben  mit  dem  von  uns  behandelten 'Gebiete 
in  keiner  Beziehung  stehen. 

In  neuester  Zeit  hat  jedoch  y.  Helmholtz  wiederum  sich  beson* 
ders  dem  Gebiete  der  mechanischen  Wärmetheorie  zugewendet.  Es  ist 
iies  geschehen  durch  die  Abhandlungen:  „Die  Thermodynamik  chemi- 
scher Vorgänge*'  ^).  In  denselben  wird  der  zweite  Hauptsatz  auf  die 
chemischen  Processe  angewendet  und  zwar  nicht  nur  auf  die  mit  dem- 
selben yerknüpfken  Wärmeerscheinungen,  sondern  auch  auf  die  damit 
Busammenh äugenden  Aenderungen  der  Dichte  und  des  Aggregatzustandes 
bei  AuflösungSYorgängen.  Es  wird  auf  die  bekannte  Thatsache  hin- 
gewiesen, dass  es  chemische  Processe  giebt,  welche  ohne  Aufwand  äusserer 
Triebkraft  fortschreiten,  während  gleichzeitig  Kälte  erzeugt  wird  ^).  Diese 
Erscheinungen  nöthigen  bei  chemischen  Vorgängen  zu  einer  Unterscheidung 
zwischen  den  Theilen  der  potentiellen  Energie  chemischer  Verwandtschaft, 
welche  nur  einer  Verwandlung  in  Wärme  fähig  sind  und  solchen,  welche 
auch  in  andere  Energieformen  umgesetzt  werden  können.  Den  ersten 
Theil  nennt  v.  Helmholtz  gebundene,  den  anderen  freie  Energie,  Nur 
die  ersten  entscheiden  über  den  Sinn,  in  welchem  ein  chemischer  Vorgang 
verläuft.  Um  dieser  nothwendig  gewordenen  Unterscheidung  Rechnung  zu 
tragen,  hat  v.  Helmholtz  den  Grundgleichungen  der  Thermodynamik 
ßine  neue  Form  gegeben,  welche  diesen  Umstand  berCLcksichtigt.  Er 
F&brt  zu  diesem  Zwecke  in  die  Formeln,  welche  die  beiden  Haupt- 
sätze repräsentiren«  nicht  nur  ausser  der  absoluten  Temperatur  noch 
einen  zweiten  Parameter  ein,  von  welchem  der  Zustand  des  Systemes  ab- 
hängt, wie  dies  bereits  Clausius  gethan  hatte,  sondern  beliebig  viele 
von  der  Temperatur  und  von  einander  unabhängige  Parameter.  Alsdann 
srfordern  die  Gleichungen  nicht  mehr  zwei  von  einander  abhängige 
Functionen  der  Parameter  (Energie  und  Entropie),  sondern  eine  einzige 
;das  Ergal  8). 

Um  die  Richtigkeit  seiner  theoretischen  Folgerungen  messend  durch 
ien  Versuch  zu  prüfen,  behandelte  v.  Helmholtz  die  Aenderungen  der 
Z/oncentration  von  Lösungen  einmal  durch  Verdunstung,  ein  anderes  Mal 
lurch  Electrolyse.  Bei  beiden  Zustandsänderungen  hat  man  es  mit  genau 
xiessbaren,  umkehrbaren  Arbeitsleistungen  zu  thun.  Die  Betrachtung 
les  V.  Helmholtz' sehen  Chlorzink -Calomel- Normalelementes  hat  eine 
rollständige  Bestätigung  seiner  theoretischen  Resultate  ergeben. 


^)  Sitzungsber.  der  Berl.  Akademie.  Febr.  u.  Jali  1882.  Abhandlungen,  Bd.  2, 
$.  958  bis  992. 

^)  Vergl.  B.  Rathke,  Ueber  die  Principien  der  Thermochemie.  Abhandlangen 
ler  Natnrforsch.  Gesellsch.  zu  Halle,  Bd.  15. 

^)  Auf  diese  wichtige  Beziehung  hatte  schon  früher  Massieu  (Journ.  de  Physique 
>ar  d'Almeida,  Bd.  6,  S.  216)  und  Gibbs,  Transact.  of  the  Connecticut  Acad.  Bd.  3, 
$.    108  bis  248  und  S.  343  bis  524  hingewiesen. 

Bablmann,  Mechan.  Wännetheorie.    Bd.  II.  QQ 


946      V.    Die  Geschichte  der  mechaniBchen  Wärmetheoiie. 

Neuerdings  hat  sich  v.  Helmholtz  mit  der  Frage  besehäfligt,  bd 
welchen  mechanischen  und  anderweiten  Vorgängen  Gleichungen  bestehes. 
welche  denen  der  mechanischen  Wärmetheorie,  inshesondere  dem  zweita 
Hauptsätze,  analog  sind.  Es  kann  sich  dahei  nur  um  eine  hohe  Analogie, 
nicht  um  eine  vollkommene  Gongmenz  handeln.  Solche  SyBtane,  ii 
welchen  eine  oder  mehrere  in  sich  zurücklaufende  Bewegungen  tot- 
kommen,  welche  also  yollkommen  umkehrbare  Ereisprocesse  zukan. 
nennt  er  monocyklische,  wenn  die  auftretenden  Geschwindigkctes 
immer  nur  von  einem  Parameter  (bei  den  Wärmeerscheinnngeii  voo  der 
absoluten  Temperatur)  abhängen. 

Diesen  monocyklischen  Systemen  kommt  die  wesentliche  dnrck  da 
zweiten  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheorie  ausgedruckte  figc^ 
thümlichkeit  zu,  dass  gewisse  in  bestimmte  Formen  übergegangene  i^ 
beitswerthe  (z.  6.  bei  Wärmekreisprocessen  die  Wärmemengen,  wekbe  & 
tiefste  im  Ereisprocesse  yorkommende  Temperatur  angenommen  haba) 
nur  eine  beschränkte  Verwandlungsfahigkeit  besitzen. 

Im  weiteren  Verlaufe  der  Untersuchung  ^)  wird  darauf  hin£[evieM:. 
dass  die  physikalische  Eigenthümlichkeit  der  Wärmebewegn&g  dsm 
liegt,  dass  einer  (d.  i.  die  absolute  Temperatur)  unter  den  möglidia 
integrirenden  Nennern  der  Gleichung  d  Q  =  0  gleichen  Werth  for  iwi 
Körper  haben  muss,  die  sich  im  Wärmegleichgewicht  befinden. 

An  dieser  vorzugsweise  historischen  Betrachtungen  gewidmeten  Sl^ 
können  wir  auf  den  Inhalt  der  wichtigen  Abhandlungen  seihst  mckt 
näher  eingehen  und  müssen  uns  damit  begnügen  anzudeuten,  dass  eiso- 
seits  dadurch  der  zweite  Hauptsatz  der  mechanischen  Wärmetheoiie  jm 
einem  ganz  allgemeinen  Gesiottspunkte  aus  mit  den  Principien  da 
Mechanik  in  Beziehung  gebracht  wird  und  andererseits  die  GmndlifBi 
für  eine  viel  weitere  Gültigkeit  einer  dem  zweiten  Hauptsatze  analoges 
Beziehung  auch  für  andere  Naturkräfte  geschaffen  worden  isi 


^)  Vergl.  V.  Helmholtz,   Principien   der  Statik   monocykliscber  Systeme. 
f.  reine  und  angewandte  Mathematik  1884.     Bd.  97,  S.  111  bis  145  a.  S.  317  btsS^ 


D.    Die  neuere  Geschichte  der  Theorie  der  Gase. 


1.    Die  Vorstellungen  über  die  zwischen  den  Molekeln 

thätigen  Kräfte. 

Eine  höclist  bedeutsame  StelluDg  in  der  heutigen  theoretischen  Physik 
nehmen  die  Versuche  ein,  die  Wärmeerscheinungen  lediglich  durch  die 
Bewegungen  der  Molekeln  zu  erklären. 

Die  Vorgeschichte  dieser  Theorie  haben  wir  bereits  früher  (vergl. 
Bd.  11,  I,  B.  S.  12  bis  30)  besprochen,  ebenso  den  wesentlichen  Inhalt 
der  Untersuchungen,  welche  auf  diesem  Gebiete  yon  Clausius,  Max- 
well^), Boltzmann  und  0.  £.  Meyer  angestellt  worden  sind,  in  den 
sich  anschliessenden  Paragraphen  mitgetheilt.  Es  erübrigt  noch,  den 
historischen  Zusammenhang  der  Untersuchungen  bis  auf  die  neueste  Zeit 
fortzuführen. 

Die  Begründer  der  modernen  kinetischen  Gastheorie,  insbesondere 
Clausius,  fassten  die  Gasmolecüle  als  feste,  unendlich  wenig  deformirbare, 
elastische  Kugeln  auf,  welche  sich  mit  grosser  Geschwindigkeit  im  Räume 
gleichförmig  in  geradlinigen  Bahnen  bewegen  und  ausserordentlich  häufig 
anter   einander   und    mit  den  Gefässwandungen  zusammenstossen  und 


^)  James  Clerk  Maxwell  wurde  1831  in  Edinburgh  geboren.  Seine  Studien 
ibsolvirte  er  auf  der  Hochschule  seiner  Vaterstadt  und  in  Cambridge.  Schon  im  Jahre 
1856,  nach  Fublication  seiner  ei^^ten  Untersuchungen  über  die  Faraday' sehen  Kraft- 
inien,  wurde  er  zum  Professor  der  Physik  am  Marishai  -  College  in  Aberdeen  ernannt. 
lier  arbeitete  er  seine  Theorie  der  Zusammensetzung  der  Farben  aus,  welche  er  im 
Fahre  1860  veröflTentlichte.  Den  Lehrstuhl  von  Aberdeen  vertauschte  er  1860  mit  dem 
ler  Physik  und  Astronomie  am  Kings-College  in  London.  Von  1865  an  lebte  er  längere 
Seit  als  Privatmann  vollständig  seinen  Studien.  Erst  im  Jahre  1871  nahm  er  die 
ikademische  Lehrthätigkeit  und  zwar  als  Professor  der  Physik  in  Cambridge  wieder 
luf.  Ausser  seinen  hervorragenden  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der  kinetischen  Ato- 
aistik  sind  hier  vorzugsweise  seine  Verdienste  um  die  Begründung  der  electromagne- 
ischen  Lichttheorie  zu  erwähnen.  Auch  bei  der  Aufstellung  und  Durchführung  des 
.bsolnten  Maasssystems  ist  er  vielfach  thätig  gewesen.  —  Ausser  den  Elementarbüchern : 
jTheory  of  heat",  London  1872  und  „An  elementary  treatise  on  electricity",  London  1881, 
tat  er  auch  ein  grösseres  zusammenhängendes  wissenschaftliches  Werk  veröflfentlicht ; 
,A  treatise  onelectricity  andmagnetisme",  2  Bde.,  London  1877  und  1881  (deutsch  von 
)r.   Weinstein,  Berlin  1883).     Maxwell  starb  am  5.  November  1879  zu  Cambridge. 

60* 


948       V.    Die  Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

nach  dem  ZnsammenstosBe  wieder  ahprallen.  —  Maxwell^)  behandelte 
auch  den  Fall,  dass  sich  die  Gasmolekeln  wie  Eraltoentren  veiiialtea, 
welche  sich  umgekehrt  proportional  der  fünften  Potenz  ihrer  Entfenumg 
abstoBsen. 

Keine  der  Annahmen  führt,  nach  den  Gesetzen  der  Wahrschönh^ 
keitsrechnung  durchgerechnet,  auf  Resultate,  welche  mehr  als  eine  zioi' 
lieh  genäherte  Uebereinstimmung  mit  den  BeobachtungsresnltateB  9- 
kennen  lassen. 

Die  früher  Ton  uns  mitgetheilten  Versuche  von  Thomson  nd 
Joule ^)  über  die  Arbeitsleistung  bei  der  Ausdehnung  von  Gasen  habe 
jedoch  zur  Genüge  dargethan,  dass  die  bei  Ausdehnung  eines  Gases  g^ 
leistete  innere  Arbeit  zwar  sehr  klein ,  aber  doch  nicht  Null  ist ,  dass  a 
somit  nicht  zulässig  ist,  von  anziehenden  Kräften,  welche  zwischen  da 
Molekeln  thätig  sind,  ganz  zu  abstrahiren. 

Van  der  Waals  ^)  hat  seine  Theorie  der  tropfbaren  Flassigkuta 
wesentlich  nur  auf  anziehende  Kräfte  gegründet,  jedoch  behalt  er  sock 
immer  die  Annahme  bei,  dass  die  Molekeln  einen  festen  elastischen  Eoi 
besitzen.  Er  fand  jedoch  die  Distanz,  in  welcher  die  Ansiehnng  a 
grössten  ist,  kleiner  als  den  Durchmesser  des  Molecülkemes. 

Boltzmann  hat  später  einmal  versucht,  eine  Gastheorie  unter  Ab 
Voraussetzung  durchzuführen,  dass  nur  anziehende  Kräfte  zwischen  ds 
sich  auf  dem  grössten  Theile  ihrer  Bahn  gleichförmig  und  geradlinig  be- 
wegenden Molekeln  thätig  sind^).   Er  nahm  dabei  an,  dass  die  Mokbä 
unausgedehnte  Massenpunkte  seien,  und  dass  die  Anziehungskraft  ecä 
dann  in  ausserordentlicher  Stärke  wirksam  werde,  wenn  der  Afastu^ 
der  Molekeln  eine  gewisse  Distanz  d  unterschreitet,  dagegen  wied»*  m 
wirken  aufhöre,    wenn   die  Distanz    gleich  oder  kleiner  als  ein 
kleinerer  Abstand  s  geworden  ist.     Es  zeigte  sich,  dass  dann  die 
molekeln  sich  durchschnittlich  genau  so  bewegen,  als  ob  man 
Molekeln  angenommen  hätte. 

Auch  der  Fall,  dass  die  Molekeln  sich  umgekehrt  proportional  d« 
fünften  Potenz  ihres  Abstandes  anziehen,  statt  sich  abstossen,  wie 
Maxwell  angenommen  hatte,  ist  von  Boltzmann^)  untersucht 
und  es  hat  sich  herausgestellt,  dass  die  wesentlichen  Grundlagen  der 
Max  well 'sehen  kinetischen  Gastheorie  auch  dann  bestehen  bleiben 
nur  die  numerischen  Werthe  einiger  Integrale  sich  etwas  ändern.  Fro- 
lieh  ist  diese  Annahme  nicht  durchfuhrbar,  ohne   wiederum 


1)  Maxwell,  Phil.  Mag.,  4.  Serie,  Bd.  35,  S.  129  und  185  (1869). 

a)  Vergl.  Bd.  1,  UI,  B.  S.  256  u.  s.  f. 

^)  Van   der   Waals,    Die   Continuität  des   gasförmigen   und  flüssigen 
Deutsch  von  Fr.  Roth.     Leipzig,  Ambr.  Barth,  1881. 

*)  Vergl.  L.  Boltzmann,  Ueber   die  Möglichkeit  der  Begrondong 
sehen  Gastheorie  auf  anziehende  Kräfte  allein.    Exner's  Repertorium  d.  Phjrak,  B4.£l 
S.  1  bis  7. 

^)  Boltzmann,   Weitere  Studien   über   das  Wärmegleichgewicht  iwtscbea 
atomigen  Gasmolecülen.     Wiener  Ben,  Bd.  66,  Abth.  2,  S.  275. 


D.    Neuere  Geschichte  der  Theorie  der  Gase.  949 

Moleoüle  vorauszusetzen,  oder  anzunehmen,  dass  die  Wirkung  plötzlich 
Null  wird,  wenn  punktförmige  Molekeln  sich  his  auf  eine  Minimaldistanz 
einander  genähert  hahen. 

Mit  Recht  hat  Boltzmann  daraufhingewiesen,  dass  die  Annahme 
nnr  anziehender  Kräfte  zwischen  den  Molekeln  den  Vorzug  hat,  dass  es 
möglich  ist,  die  Erscheinungen  der  Dissociation  von  Yerhindungen,  sowie 
die  Vorgänge  des  Verdampfens  und  Verflüssigens  aus  denselben  An- 
nahmen zu  erklären,  welche  für  die  Vorgänge  bei  den  Bewegungen  und 
Znsammenstdssen  freier  Molekeln  ausreichen. 

So  lange  Zusammenstösse  von  nur  zwei  Molekeln  in  Betracht  ge* 
zogen  werden,  ist  auch  bei  der  Annahme  nur  anziehender  Kräfte  das 
dauernde  Zusammenbleiben  zweier  Molekeln  nach  dem  Zusammenstossen 
ausgeschlossen.  Durch  die  Mitwirkung  noch  anderer  Molekeln  aber  ist 
es  möglich,  dass  zwei  oder  mehr  Molekeln  eine  solche  Verminderung 
ihrer  kinetischen  Energie  erfahren,  dass  sie  nach  dem  Zusammenstösse 
zusammenbleiben  und  sich  als  Ganzes  weiter  bewegen. 

Boltzmann  hat  die  Anzahl  solcher  Doppelmolekeln  nach  der 
Wahrscheinlichkeitsrechnung  bestimmt  ^)  und  findet  ein  Resultat,  welches 
nicht  nur  qualitativ,  sondern  auch  quantitativ  vollkommen  mit  den  em- 
pirisch ermittelten  Gesetzen  der  Dissociation  übereinstimmt.  —  Bei  hoher 
Temperatur  und  grosser  Verdünnung  sind  solche  Doppelmolekeln  selten, 
sie  werden  um  so  häufiger,  je  niedriger  die  Temperatur  und  je  grösser 
die  Dichte  wird. 

Ganz  analog  verhält  es  sich  beim  Gondensationsprocesse,  nur  han- 
delt es  sich  alsdann  nicht  um  die  Bildung  von  Doppelmolekeln,  sondern 
um  Aggregate,  welche  aus  sehr  vielen  Molekeln  gleicher  Art  bestehen. 
•Auch  für  diesen  Fall  giebt  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung  Resultate, 
mrelche  ganz  befriedigend  mit  der  Erfahrung  übereinstimmen. 

Uebrigens  hatte  früher  auch  schon  van  der  Waals  in  seiner  im 
Vorhergehenden  erwähnten  Schrift  nur  anziehende  Kräfte  zwischen  den 
Molekeln  angenommen  und  deren' Grösse  nach  einer  Methode  berechnet, 
-welche  schon  Laplace  in  seiner  Theorie  der  Capillarität  gegeben  hat. 
Van  der  Waals  hatte  dabei  angenommen,  dafes  die  zwischen  den  sich 
frei  bewegenden  Molekeln  der  Gase  und  Dämpfe  bei  den  Zusammen- 
stossen zur  Wirkung  kommenden  Kräfte  mit  jenen  identisch  seien,  auf 
^welchen  die  Cohäsionserscheinungen  derselben  Substanzen  im  flüssigen 
Zustande  beruhen. 


^)  L.  Boltzmann,   Ueber   die  Arbeit,   welche  bei   chemischen  Verbindungen  ge- 
wonnen werden  kann.    Wiener  Sitzungsber.,  Bd.  88,  S.  861  (1883). 


950  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 


2.    Die  Begründung  der  kinetisclien  GaBtheorie  durch 
Olausius  und  Maxwell  und  die  neueren  Kinetiker. 

Trotzdem  die  VorBtellnng,  dass  das  Wesen  der  Wärme  in  MoleenUr- 
bewegnngen  zu  suchen  sei,  und  dass  insbesondere  die  Gase  aus  getrenntei. 
sich  in  der  Hauptsache  frei  und  geradlinig  bewegenden  Molekeln  bestehe. 
sehr  alt  ist  und  wie  bereits  erwähnt,  schon  vor  Krön  ig  and  Clansiui 
durchHermann,  Daniel  Bernonlli  neuerdings  durch  Herapath,  Jomlc 
und  Erönig  wiederholt  durchgeführt  worden  war,  kann  man  die  modene 
kinetische  Moleculartheorie  doch  erst  Von  der  Arbeit  von  Glaasiai: 
„Ueber  die  Art  der  Bewegung,  welche  wir  Wärme  nennen^  datiren'l 
In  dieser  Abhandlung  wird  zuerst  ein  Näherungswerth  für  die  mittlenB 
Geschwindigkeiten  der  sich  frei  bewegenden  Molekeln  berechnet  nnd  dae 
Yerhältniss  der  kinetischen  Energie  der  fortschreitenden  Bewe^ong  n 
der  in  einem  Gase  im  Ganzen  enthaltenen  kinetischen  Energie,  d.  h.  n 
der  im  Gase  enthaltenen  Wärme  berechnet.  Für  die  mittlere  Molecnkr 
gesch windigkeit  in  Metern  wird  die  Formel: 


u  =  485  l/-; 


T 


273.  p 

aufgestellt,  worin  T  die  absolute  Temperatur  und  q  das  specifische  Ge» 
wicht  des  Gases  bezeichnet.  Den  Weg  zu  einer  solchen  Berechnimg  hatte 
übrigens  vor  Clausius  schon  Joule ^)  angedeutet.  Für  das  YeiteiM- 
niss  der  kinetischen  Energien  aber  wird  die  Formel: 

aufgestellt.  Diese  Gleichung  enthält  den  wichtigen  Satz:  dass  bei  eioea 
vollkommenen  Gase  die  kinetische  Energie  f  der  fortschreitenden  Bewegnnf 
in  einem  von  der  Temperatur  unabhängigen  Verhältnisse  zur  Gesammt- 
energie  H  und  somit  auch  zur  Energie  der  übrigen  an  und  in  den  Moie 
keln  denkbaren  Bewegungen  stehen  müsse.  Erst  dann  kann  von  eines 
stationären  Zustande  eines  Gases  gesprochen  werden,  wenn  die  Eneipe- 
werthe  aller  Bewegungen,  die  entstehen  können,  ein  constantes,  nur  tq£ 
der  Beschaffenheit  der  Molekeln  abhängiges  Yerhältniss  besitzen. 

Clausius  hatte  seine  mittlere  Geschwindigkeit  u  derart  defiairt 
dass  das  Gas,  wenn  sich  alle  seine  Molekeln  mit  dieser  gleichen  Geschwind!^ 
keit  bewegten,  dieselbe  Energie  enthält  und  denselben  Druck  ausübt,  wie 
bei  der  thatsächlich  bestehenden  ausserordentlichen  Yerschiedenheii  d«r 


1)  Pogg.  Ann.  (Marzheft  1857),  Bd.  100,  S.  353. 

2)  Joule,  Mem.  of  thg  Manch,  lit.  and  phil.  Soc.  (1851),    2.  Ser.,  Bd-  9,  S.  WT 
und  Phü,  mag.  1857,  4.  Ser.,  Bd.  14,  S.  211. 


D.    Neuere  Geschichte  der  Theorie  der  Gase.  951 

wirklioh  vorhandenen  Geschwindigkeiten.  Für  weitere  Untersuchnngen  üher 
das  Wesen  des  gasförmigen  Gaszustandes  war  es  aher  dringend  erfovderlich, 
das  Gesetz  der  Häufigkeit  zu  kennen,  nach  welchem  die  verschiedenen  Ge- 
schwindigkeiten vorkommen«  Diese  Aufgabe  hat  zuerst  J.  Cl.  Max» 
well^)  gelöst.  Er  nahm  dabei  an,  dass  nach  den  Gesetzen  der  Wahr- 
scheinlichkeitsrechnung die  Abweichungen  der  wirklichen  Geschwindig- 
keiten der  Molekeln  von  der  mittleren  nach  demselben  Gesetze  vertheilt 
sind,  wie  in  der  Methode  der  kleinsten  Quadrate  die  zufalligen  Beob- 
achtungsfehler. Hierdurch  wird  die  Wahrscheinlichkeit  eines  bestimmten 
Werthes  der  Geschwindigkeit  und  damit  seine  Häufigkeit  ausreichend 
definirt,  ausserdem  aber  wird  dadurch  bestimmt,  wie  oft  ein  und  dasselbe 
Theilchen  im  Laufe  der  Zeit  durch  die  erlittenen  Stösse  eine  gewisse 
Geschwindigkeit  erlangt. 

Maxwell  leitete  dieses  Gesetz  zuerst  unter  der  Annahme  eines  Satzes 
ab,  der  zwar,  wie  später  0.  E.  Meyer  ^)  gezeigt  hat,  richtig  ist,  aber 
selbst  erst  eines  Beweises  bedurfte.  Auf  diesen  Uebelstand  aufmerksam 
gemacht,  hat  Maxwell  späterhin  ^)  einen  anderen  Beweis  gegeben.  Auch 
dieser  war  jedoch  nicht  einwurfsfrei,  denn  es  hatten  sich  nicht  nur  einige 
Fehler  eingeschlichen,  sondern  Maxwell  hatte  auch  angenommen,  dass 
jede  Gasmolekel  nur  ein  materieller  Punkt  sei.  Letztere  Annahme  ist 
aber  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich  und  höchstens  für  hochüber- 
hitzte einatomige  Gase  ganz  weniger  Substanzen  (Hg,  Zn,  Cd)  zulässig. 
Boltzmann  hat  diese  Beschränkung  fallen  lassen  und,  lediglich  aus- 
gehend von  den  unanfechtbaren  Lehrsätzen  der  analytischen  Mechanik, 
zuerst  einen  strengen,  allgemeinen  Beweis  des  Maxwell^ sehen  Verthei- 
lungsgesetzes  der  Geschwindigkeiten  der  Molekeln  geliefert^). 

Nach  dem  von  Maxwell  aufgestellten  Gesetze  ist  die  Anzahl  der 
unter  N  überhaupt  vorhandenen  Molekeln ,  deren  Geschwindigkeit  zwi- 
schen V  und  V  •\-  dv  liegt,  gleich: 


■V?- 


N'€'^"^'V^'dv, 


wobei  h  eine  die  Temperatur  bestimmende  Constante  ist. 

Eine  besondere  Eigenthümlichkeit  dieses  Gesetzes  liegt  darin,  dass 
es  unabhängig  von  den  Voraussetzungen  ist,  welche  man  über  die  Vor- 
gänge beim  Zusammenstosse  zweier  Molekeln  macht.  Es  gilt  ebenso- 
"wohl,  wenn  man  annimmt,  die  Molekeln  verhielten  sich  wie  harte,  elasti- 


^)  Maxwell,  Illastrations  of  the  dynamical  theory  of  gases.  Phil.  Mag.,  4.  Ser,, 
1860,  Bd.  20,  S.  21. 

2)  O.  E.  Meyer,  Kinetische  Theorie   der  Gase.     Breslau  1877,   S.  36  u.  S.  266. 

^)  Maxwell,  On  the  dynamical  theory  of  gases.  Phil.  Mag.,  4.  Ser.,  Bd.  35, 
g.  129 'nnd  S.  185.     1868. 

*)  Vergl.  L.  Boltzmann,  Studien  über  das  Gleichgewicht  der  lebendigen  Kraft 
zwischen  bewegten  materiellen  Punkten.  1868.  Wien.  Bor.,  Bd.  58,  S.  517.  üeber 
da«  Gleichgewicht  zwischen  mehratomigen  Gasmolecülen.  1871.  Wien.  Ber.,  Bd.  63, 
S.  397  und  S.  679. 


952  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

sehe  Kngeln ,  als  auch  wenn  man  zwischen  denselhen  ansiebende  odv 
abstoBsende  Kräfte  wirkend  annimmt. 

Das  Maxwell 'sehe  Gesetz  bedarf  gewisser  Abänderongen,  vcn 
das  Gas  der  Einwirkung  äusserer  Kräfte  unteiüegt,  z.  B.  der  Sebm» 
kraft,  magnetischen  oder  electrischen  Anziehungen  und  AbstomiBges. 
Diese  Fälle  hatte  andeutungsweise  schon  Maxwell^)  selbst,  spater  aber 
eingehender  Boltzmann^)  und  Loschmidt')  einer  DiscnssioB  nat» 
zogen. 

Das  Vertheilungsgesetz  der  Geschwindigkeiten  gilt  übrigen,  yh 
Maxwell  und  Boltzmann  gezeigt  haben,  für  Gasgemische  ebow- 
wohl  wie  für  einfache  Gase.  Aus  dem  Maxwell' sehen  Gesetae  {olft 
ohne  weitere  Hilfsannahmen  die  bekannte  Avogadro'sche  Regel:  gisk^ 
Volumina  zweier  yerschiedener  Gase  enthalten,  wenn  sie  gleiche  Tsap 
ratur  haben  und  unter  gleichem  Drucke  stehen,  gleichYiel  Molekdn. 


3.   Die  Zustandsgleicliimg  wirklicher  Oase. 

Die  ursprüngliche  einfache  kinetische  Theorie  der  Gase  hatte  nO- 
ständig  davon  abgesehen,  dass  mit  Rücksicht  auf  die  Thomson-Jonle- 
sehen  Versuche  und  mit  Rücksicht  auf  die  bedeutenden  Abweiclrangea 
welche  nach  den  Versuchen  von  Regnault,  Cailletet,  Natterer 
und  Anderen  die  Dämpfe  von  dem  Verhalten  vollkommener  Gase  leigo. 
je  mehr  sie  sich  ihrem  Condensationspunkte  nähern  oder  auch  nar» 
sammengepresst  werden,  es  nothwendig  sei,  auch  die  Existens  dieser 
Kräfte  und  die  Grösse  der  Molekeln  selbst  mit  in  Rechnung  zu  ziehen.- 
Besonders  dringend  aber  wurde  diese  Forderung,  als  es  durch  die  Tff* 
suche  Cailletet' 8,  Pictet's,  v.  Wroblewski's  gelungen  war,  sndidie 
früher  für  permanent  gehaltenen  Gase  zu  Flüssigkeiten  zu  verdichten 
und  als  die  schönen  Versuche  von  Andrews  es  unzweifelhaft  geoMM 
hatten,  dass  der  Flüssigkeits-  und  Gaszustand  continuirlich  mit  einaa^ 
zusammenhängen. 

Alle  diese  Thatsachen  wiesen  auf  die  Aufgabe  hin ,  nicht  mehr,  tk 
bisher,  jeden  Aggregatzustand  für  sich  durch  besondere  Zustandsgleidnn- 
gen ,  sondern  das  ganze  Gebiet  durch  eine  einheitliche  Gleichoiig  iv 
Darstellung  zu  bringen. 

Einen  ersten  Versuch  in  dieser  Richtung  hat  Recknagel^)  gemadl 

^)  Maxwell,  Report  of  the  43th  meeting  of  the  Brit.  Assoc.  at  Bridfort  1^ 
S.  29. 

^  Boltzmann,  Wien.  Ber.  1875,  Bd.  72,  2.  Abth.  S.  427. 

')  J.  Loschmidt,  Ueber  den  Zustand  des  Wärmegleicbgewichtes  einei  Stitoi 
von  Körpern  mit  Rücksicht  auf  die  Schwerkraft.  Wien.  Ber.,  2.  Abth.  187$,  Bi  '^ 
S.  128  und  S.  366. 

^)  Recknagel,  Bas  physikalische  Verhalten  der  Kohlensinrc.  Pogg.  Ana.  iSil 
Ergänxgsbd.  5,  S.    563  und  Bd.  145,   S.  469.     Schon  früher   hatten  Rankiie  {^ 


D.    Neuere  Geschichte  der  Theorie  der  Gase.  963 

Er  berücksichtigte  die  gegenseitigen  anziehenden  Wirkungen  der  Molekeln, 
durch  welche  die  geradlinigen  Bahnen  mannigfache  Krümmungen  er- 
&hren  müssen,  dadurch,  dass  er  bei  Berechnung  des  Gasdruckes  aus  den 
Molecularstössen  eine  zeitliche  Verzögerung  der  geradlinigen  Bewegungen 
beim  Zusammenstosse  annahm.  Dadurch  wird  die  Anzahl  der  in  gleicher 
Zeit  auf  die  Wand  erfolgenden  Stösse  verringert.  Dieser  Abzug  wächst 
direct  proportional  der  Dichte,  und  dadurch  kommt  Recknagel  an 
Stelle  des  Gay-Lussac-Mariotte'schen  Gesetzes  auf  die  Form: 


p.v= B.T  .(i  — ^y 


worin  Bt  eine  Temperaturfunction  bedeutet.  —  Für  Kohlensäure  zeigt 
diese  Formel  sehr  gute  Uebereinstimmung  mit  den  Regnault' sehen 
Versuchen. 

Neuerdings  hat  van  der  Waals^)  diese  Betrachtungsweise  von 
einem  allgemeineren  Gesichtspunkte  aus  wiederaufgenommen.  Er  berück- 
sichtigt nicht  nur  die  zwischen  den  Molekeln  thatigen  Anziehungskräfte, 
sondern  er  nimmt  auch,  wie  vor  ihm  schon  Clausius,  Rücksicht  darauf, 
dass  die  Molekeln  nicht  ausdehnungslose  Punkte  sind,  sondern  einen  be- 
stimmten Theil  des  Raumes  wirklich  mit  ihren  Massen  erfüllen. 

Die  Abänderungen,  welche  in  Folge  dessen  van  der  Wa als  an  dem 
bisher  als  für  vollkommene  Gase  gültig  betrachteten  Gay-Lussac- 
Mariotte'schen  Gesetze  anbringt,  lassen  sich  in  folgender  Weise  physi- 
kalisch deuten  '). 

Clausius  hatte  für  den  Druck  einer  Gasmasse,  weichein  derRaum- 
einheit  N  Molekeln  enthält,  deren  jede  die  Masse  m  besitzt,  die  Formel 
aufgestellt: 

p  =  —  N .  m  .u\ 

3  » 

worin  u  der  aus  der  kinetischen  Energie  der  Wärmebewegung  berechnete 
BCittelwerth  der  Geschwindigkeit  der  Molekeln  ist.  —  Nennt  man  n  die 
Anzahl  der  im  Volumen  v  vorhandenen  Molekeln,  so  kann  man  vor- 
stehender Gleichung  auch  die  Gestalt  geben: 

--  n  .  m  .  u*  =  —  •  ü  .  V. 
2  2    ^ 

In  dieser  Gleichung  steht  linker  Hand  die  kinetische  Energie  der 
Bewegung  der  Molekeln,  und  die  Formel  sagt,  dass  diese  ihr  Aequivalent 

fransact.  1854,  S.  336)  und  nach  ihm  Thomson  und  Joule  (Phil.  Trans.  1862, 
3.   579)  die  ähnliche  Form: 

p,v  =  R,T  --  -^ 
^  T.v 

rerw  endet. 

^)  Die  Continnität  des  gasförmigen  und  flüssigen  Zustandes.  Deutsch  von  Roth. 
Leipzig,  Barth  1881. 

^  Wir  folgen  hier,  wie  auch  schon  mehrfach  im  Vorhergehenden,  der  lichtvollen  Dar- 
stellung 0.  E.  Meyer 's,  Kinetfsche  Theorie  der  Gase.    Breslau  1877,  S.  67. 


954  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

in  der  Arbeitsgrösse  p  .  v  hat.  Nan  ist  aber  in  Wirklichkeit  nicht  der 
Druck  p  allein,  sondern  ausserdem  ein  von  Molecnlarwirknngen  her- 
rührender Druck  K  wirksam.  Es  muss  deshalb  p  am  diese  GrSsK  f 
vermehrt  werden.  Da  aber  ausserdem  die  Bewegung  der  Molekeln  iir 
in  den  von  ihnen  selbst  nichterfüllten  Raum  möglich  ist,  so  hangt  die  Ziki 
der  Molecularstösse  nur  von  dem  wirklich  zwischen  den  Molekeln  befind- 
lichen  freien  Räume  ab.  Es  ist  somit  statt  v  die  Grösse  v  —  6  zu  aeUes. 
Hierbei  braucht  übrigens  h  nicht  die  Summe  der  Molecularvolumina  w&^ 
zu  sein,^  sondern  es  ist  die  Summe  der  Wirkungssphären^)  sammtüdxr 
Molekeln ,  daher  wahrscheinlich  keine  Constante ,  sondern  eine  mit  a- 
nehmender  Temperatur,  also  wachsender  Geschwindigkeit,  abnehmeade 
Grösse.  Die  Formel  von  van  der  Waals  nimmt  hiemach  die  Gestalt  ai: 

1  3 

-n.m.u^  =  -'{p-\-K).{v  —  h). 

Die  Grösse  K^  der  von  den  Molecularkräfken  herrührende  Dmck,  eit- 
steht aus  der  Wechselwirkung  der  anziehenden  und  der  angesogeocc 
Theilchen,  ist  also  dem  Quadrate  der  Anzahl  der  den  Raum  v  erfäUeodfE 
Molekeln  oder  dem  Quadrate  der  Dichte  direct,  somit  der  zweiten  Poteai 
des  Volumens  v  umgekehrt  proportional.    Hiernach  kann  man: 

setzen  und  erhält  alsdann,  wenn  man  andererseits  fOr  ^l^,n,m,u'^  vit- 
derum  den  Werth  jß  .  (1  4-^*0  einführt,  die  Gleichung,  welche  tik 
der  Waals  für  wirkliche  Gase  und  Flüssigkeiten  an  Stelle  des  für  voC- 
kommene  Gase  gültigen  Gay-Lussac-Mariotte'schen  GesetaBea  seist 
und  welche  lautet: 

Da  in  dieser  Formel  vier  Grössen  enthalten  sind,  nämlich  2^  oe,  a,  6,  wdck 
aus  Yersuchsresultaten  bestimmt  werden  müssen,  so  zeigte  diese  TormÄ 
selbstverständlich  eine  viel  grössere  Uebereinstimmung  mit  der£r£abrGi|. 
als  das  für  ideale  Gase  gültige  Gesetz. 

Auf  dem  hier  besprochenen  Wege  ist  neuerdings  Glausius  aoa 
etwas  weiter  gegangen ,  indem  er  darauf  hinweist,  dass  die  Annahmca. 
welche  der  van  der  Waals' sehen  Formel  zu  Grunde  liegen,  nicht  sb- 
anfechtbar  sind.  Er  macht  aufmerksam,  dass  aller  Wahrscheinlicfakeix 
nach  die  anziehende  Wirkung  der  Molecüle  bei  wachsender  Tempenter 
abnehmen  muss  und  giebt  nicht  zu,  dass  auch  für  die  kleinsten  Volnmi&a 
die  Anziehung  dem  Quadrate  der  Dichte  proportional  seL 


1)  Unter  Wirkungssphäre  eines  Molecüles  (vergl.  Bd.  2,   1,   C,  6.,  &  46) 
man  eine  nm  den  Schwerpankt  der  Molekel  constrairte  Kagelflache,  bis  eq  «rickcr  ^ 
der  Schwerpunkt  einer  anderen  Molekel  nähern  kann,  ohne  dass  ein  Abprallen 


D.    Neuere  Geschichte  der  Theorie  der  Gase.  955 

Gestützt  auf  diese  Bemerkungen  hat  Glausius^)  ein  noch  com" 
plicirteres  Gesetz  vermuthet,  welches  sowohl  die  Flüssigkeiten,  als  die 
Grase  umfasst,  and  diesem  die  folgende  Gestalt  gegehen; 

p     _      1  27    _1^       a  +  ß 

B.T~  v-^n        8  '  ö-  *  (t;  •\- ß^' 

Hierin  hahen  j?,  v,  T  und  B  die  gewöhnlichen  Bedentungen,  wie  im 
Gray-Lussac-Mariotte'schen Gesetze,  aundjS  sind  Constante,  und'8' 
ist  eine  Temperaturfunction,  welche  für  r=  0  den  Werth  Null  und  bei  der 
britischen  Temperatur  der  Substanz  den  Werth  1  annimmt.  Im  weiteren 
Verlaufe  hat  Clausius  auch  die  Form  dieser  Temperaturfunction  er- 
mittelt und  gelangt  dadurch,  unter  Einführung  dreier  neuer  Constanten 
A^  B  und  n,  zu  der  Form: 

p    _     1        a.t''''—b 

B.T~v—a  {v  +  ßy 

Für  Aether  und  Wasser  hat  Clausius  die  Werthe  der  Constanten 
drmittelt  und  zwar: 

AB  n  B  a  ß 

Aether:   15,607    0,0044968    1,19233    11,4318    0,0010876    0,0006476 
Wasser:  45,17      0,00737        1,24  47,05        0,000754      0,001815. 

Die  Uebereinstimmung  zwischen  den  beobachteten  und  den  aus  der 
Forme}  berechneten  Werthen  ist  für  Aether  zwischen  —  20^  und  +  190<* 
und  für  Wasser  zwischen  0^  und  -|-~  220^  eine  vortreffliche.  Die  kriti- 
sche Temperatur  des  Wassers  würde  hiernach  bei  332,3^  C.  liegen  und 
der  entsprechende  Druck  134  Atmosphären  betragen. 


4.    Oasreibung,  Difftision  und  Wänneleitung  der  Oase. 

Gegen  die  kinetische  Gastheorie  wurden  alsbald  von  Hoppe,  Joch- 
uann,  Puschl  und  Anderen  Einwendungen  erhoben,  welche  auf  einer 
falschen  Auffassung  der  Grundlagen  der  Theorie  beruhten.  Wegen  der 
bohen  Moleculargesch windigkeiten ,  meinten  jene,  müssten  locale  Tem* 
peraturunterschiede  sich  fast  momentan  ausbreiten.  Buys-Ballot 
iber  sprach  die  Ansicht  aus,  dass  aus  demselben  Grunde  ungleichartige 
iJase  mit  ausserordentlicher  Geschwindigkeit  sich  durch  Diffusion  durch« 
Iringen  und  mengen  müssten. 

Diese  Einwendungen  bestimmten  Clausius  in  seiner  bahnbrechen* 
ien  Abhandlung:   „lieber  die  mittlere  Länge  der  von  den  Molecülen 


^)  Clausius,  Ueber  die  theoretische  Bestimmuug  des  Dampfdruckes  und  der 
Volumina  des  Dampfes  und  der  Flüssigkeit.  Wiedem.  Ann.  1881,  Bd.  14,  S.  279  und 
5.  692.  Vergl.  auch:  üeber  das  Verhalten  der  Kohlensäure  in  Bezug  auf  Druck,  Vol. 
ind  Temp.     Wied.  Ann.  1879,  Bd.  9,  S.  337. 


956         V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

durcUanfenen  Wege''  ^  darzathon,  dass  der  Ton  einer  Mokkel  doick- 
schnittlich  zwischen  zwei  auf  einander  folgenden  ZasammenstoBBeadordb- 
lanfene  Weg  ganz  ausserordentlich  klein  sei.  —  Er  ging  hierbei  siis  m 
der  vereinfachenden  Annahme,  dass  die  Molecüle  sich  zwar  aEe  oad 
verschiedenen  Richtungen,  aber  mit  der  bereits  oben  erwähnten  gleicki 
Durchschnittsgeschwindigkeit  u  bewegten. 

Von  dem  Maxwell' sehen  Gesetze  fär  die  Yertheilmig  der  Gt- 
schwindigkeiten  unter  den  Molekeln  ausgehend,  hat  alsdann  nenl 
0.  E.  Meyer')  von  der  Clausius'schen  nur  in  den  Gonstantan  etwii 
abweichende  Formeln  für  die  mittlere  freie  Weglänge  abgeleitet 

Im  Jahre  1860  hat  alsdann  Maxwell')  die  Gesetze  der  laoeRi 
Reibung  aus  der  kinetischen  Gastheorie  hergeleitet  und  wurde  dabei  i^ 
das  überraschende  Resultat  geführt,  dass  diese  innere  Reibung  Ton  dv 
Dichte  des  Gases  unabhängig  sei.  Dieses  Ergebniss  ist  alsdann  dord 
experimentelle  Untersuchungen  von  0.  E.  Meyer^)  und  vop  Maxwell'- 
selbst  in  ziemlich  weiten  Grenzen  bestätigt  worden. 

Die  kinetische  Gastheorie  hatte  jedoch  zu  dem  Ergebnisse  geföbrt, 
dass  der  Reibungscoefficient  der  Y^ten  Potenz  der  absoluten  Tempentir 
proportional  sei,  während  die  Versuche  von  Puluj,Kundt  und  War birf . 
V.  Obermayer  und  Anderen *)  eine  complicirtere  und  von  Sabsiau n 
Substanz  verschiedene  Abhängigkeit  ergeben.  Maxwell^  wurde  di- 
durch  veranlasst,  die  einfache  Grundlage  seiner  Theorie  auSEugeben  ui 
jene  schon  oben  von  uns  erwähnte  Annahme  zu  machen,  dass  dieG«* 
molekeln  sich  umgekehrt  proportional  den  fünften  Potenzen  ihrer  A^ 
stände  abstiessen.  Diese  Annahme  hat  jedoch  vielseitig  Bedenken  entft 
da  sie  nicht  nur  das  ganze  Fundament  der  Gastheorie  verschiebt,  eoaden 
auch  den  Joule-Thomson'schen  Erfahrungsresnltaten  direct  vidff- 
spricht. 

Bereits  in  seiner  ersten  Abhandlung  vom  Jahre  1860  hatte  M&i- 
well  auch  die  DifFusionserscheinungen  der  Gase  benutzt,  um  numense^ 
Werthe  für  die  mittleren  Weglängen  der  Molekeln  zu  berechnen,  h 
hatten  sich  aber  bei  der  Behandlung  dieser  Erscheinungen  Fehler  ea* 
geschlichen.  Auch  auf  Grund  seiner  veränderten  Annahmen  über  da 
Wirkungsgesetz  der  Molekeln  hat  er  neue  Formeln  für  die  Diflusiott  ber 
geleitet.  Späterhin  hat  Stefan  ^)  die  Werthe  der  Diffnsionscoeffieieita 
unmittelbar  aus  den  Reibungsconstanten  numerisch  berechnet  und  ZiUs 


^)  Pogg.  Ann.  1858,  Bd.  105,  S.  239.  AbhandluDgen  über  Mecban.  WaraetliM^ 
1.  Aufl.,  2.  Abthl.  1867,  S.  260. 

^)  0.  E.  Meyer,  De  gasoraro  tbeoria.     Breslau  1866. 

^)  Maxwell,  lUustrations  of  tbe  dynamical  theory  of  gases.  Phil.  Kaf.  l?^ 
Bd.  19,  S.  19;  Bd.  20,  S.  21. 

*)  Pogg.  Ann.  1865,  Bd.  125,  S.  177  und  583. 

^)  Phil.  Transact.,  Bd.  156  (1866),  S.  249. 

«)  Vergleiche  Bd.  2,  I,  D,  8.,  S.  119  u.  b.  f. 

7)  PhU.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  35,  S.  129  und  185  (1869). 

^  Wien.  Ber.  1872,  Bd.  65,  Abthl.  2,  S.  323. 


D.    Neuere  Geschichte  der  Theorie  der  Gase.  957 

g^efanden ,  welche  trefflich  mit  den  VersachBresultaten  Loschmidt^s^) 
öbereinstiinmten. 

Boltzmann^  hat  aLsdann  gezeigt,  dass  das  MaxwelTsche  Ver- 
theilaBgagesetz  der  Geschwindigkeit  ahgeändert  werden  mnss,  wenn  man 
annimmt,  dass  sich  die  Molekehi  umgekehrt  proportional  der  fünften 
Potenz  der  Entfernung  ahstossen,  was  Maxwell  übersehen  hatte,  und 
daraus  eine  neue  Theorie  der  Diffusion  hergeleitet. 

Die  Wärmeleitung  der  Gase,  welche  ebenso  wie  die  Diffusion  einige 
Zeit  hindurch  missversUndlich  als  ein  Einwurf  gegen  die  kinetische  Gas- 
theorie  betrachtet  wurde,  ist  zuerst  von  Maxwell  in  seiner  oft  erwähn- 
ten Abhandlung  vom  Jahre  1860  und  unmittelbar  darauf  wesentlich  voll- 
ständiger  und  genauer  von  Clausius^)  einer  eingehenden  Behandlung 
unterworfen  worden.  Es  ergab  sich,  dass  auch  die  Wärmeleitungsfähig- 
Iceit  eines  Gases  vom  Drucke  unabhängig  sei  und  direct  proportional  der 
zweiten  Wurzel  aus  der  absoluten  Temperatur  wachsen  müsse.  Zahlreiche 
Versuche  von  Stefan,  Plank,  Winkelmann,  Eundt  und  War- 
burg ^)  haben  die  Richtigkeit  des  auf  die  Abhängigkeit  vom  Drucke  be- 
züglichen Theiles  des  Satzes  erwiesen;  hingegen  für  den  Einfluss  von 
der  Temperatur  dieselben  Abweichungen  ergeben,  welche  wir  schon  be- 
züglich der  Reibungsconstanten  erwähnten.  Auch  die  neueren  Unter- 
suchungen von  0.  E.  Meyer,  welcher  in  seiner  mehrerwähnten  Schrift: 
„Kinetische  Theorie  der  Gase"  die  erste  MaxwelTsche  Theorie  con- 
sequent  durchgeführt  hat,  haben  über  diese  Abweichung  keine  weitere 
Aufklärung  gegeben. 


6.    Die  üntersuclmiigen  über  die  Eigensohaften  der 

Molekeln. 

Nachdem  auf  experimentellem  Wege  die  numerischen  Werthe  der 
Constanten  der  Reibung,  der  Diffusion  und  der  Wärmeleitung  gefunden 
worden,  war  es  auch  möglich,  Schlüsse  auf  die  absoluten  Dimensionen 
and  Anzahl  der  Molekeln  eines  Gases  zu  ziehen.  Den  ersten  Versuch  in 
dieser  Richtung  hat  Loschmidt^)  gemacht.  Diesem  folgten  Unter- 
suchungen von  Lothar  Meyer ß),  von  William  Thomson^)  und  von 

1)  Vergl.  Bd.  2,  I,  E,  2.,  S.  137. 

^  Wien.  Ber.  1872,  Bd.  66,  Abthl.  2,  S.  325. 

^)  ClaasiuB,  Ueber  die  Wärmeleitung  gasförmiger  Körper.  Pogg.  Ann.  1862, 
Bd.  115,  S.  1  and  Abhandlungen  über  Mechanische  Wärmetfaeorie,  1.  Aufl.,  2.  Abthl., 
S.  277  bis  326. 

*)  Vergleiche  Bd.  2,  I,  F,  4.,  S.  161. 

^)  Losch mi dt,  Zur  Grösse  der  Luftmolecüle.  Wien.  Ber.  1865,  Bd.  52,  Abthl.  2, 
S.  395. 

^  Ann.  der  Physik  und  Chemie  1865,  5.  Suppl.-Bd.  S.  252. 

^)  Silliman  Joum.,  On  the  size  of  atoms  und  On  the  size  of  molecules,  Bd.  50, 
S.  38  und  258. 


968         V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

MazwelP).  Insbesondere  aber  hat  sich  O.E.Meyer  in  seinem 
holt  erwähnten  Buche  eingebend  mit  dieser  Frage  beschäftigt,  zmui 
auch  den  Znsammenhang  mit  chemischen  Begriffen  erörtert.   £b  crgebeE 
sich  für  die  Grösse  der  Volumina  der  Molekeln  ganz  ansBerordenffid 
kleine  Werthe,  ungefähr  von  der  Ordnung  Va  Cubik-MülionteUMillinwfar. 

Einen  etwas  anderen  Weg  hat  van  der  Waals*)  betreten.  Er 
leitet  aus  der  in  seiner  Formel  vorkommenden  Constante  b,  welche  cic 
Maass  für  die  Grösse  des  von  den  Molekeln  selbst  erfüllten  Theiles  ^ 
Raumes  ist,  das  Volumen  der  Molekeln  selbst  her. 

Auch  0.  E.  Meyer  hat  denselben  Weg  eingeschlagen  ^,  und  htA 
finden  für  den  Durchmesser  der  Gasmolekeln  bei  verschiedenen  Snbstansi 
zwar  verschiedene  Werthe,  dieselben  sind  jedocb  sanuntlich  von  ia 
Ordnung  0,3  Milliontel -Millimeter.  Die  mittlere  Entfemnng  sweier  be- 
nachbarter Gasmolekeln  und  ibre  Anzahl  muss  nach  der  Avogadro*- 
sehen  Regel  für  alle  Gase  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  gleich  grm 
sein,  die  mittlere  Entfernung  beträgt  ungefähr  3  bis  4  Mill]ontel-3G& 
meter  und  die  Anzahl,  welche  in  einem  Gubikcentimeter  enthalten  iit 
nahezu  20  Trillionen. 

Hiernach  würden  die  Molekeln  selbst  ungefähr  Vsooo  ^^  ^^^  ^^ 
eingenommenen  Raumes  ausfüllen.  —  Glausius  hatte  schon  im  Jaki 
1858  in  seiner  berühmten  Abhandlung:  „Ueber  die  mittlere  Wegliacc 
der  Molecüle''  für  den  von  der  Wirkungssphäre  eingenommenen  Raum,  abc 
den  achtfachen  Betrag  des  eigentlichen  Volumens  der  Molekeln,  wi 
scharfem  Blicke  Viooo  gewählt.  Rechnungen,  welche  Boltzmann^)»- 
gestellt  hat,  haben  ergeben,  dass  die  zwischen  dfen  Molekeln  wirksam  auf 
tretenden  Kräfte  von  ausserordentlicher  Intensität  sind,  und  dass  beispid«- 
weise  zwei  Wassermolekeln,  welche  beide  ihre  mittlere  kinetische  Enerpf 
besitzen  und  in  centralem  Stosse  zusammentreffen,  sich  bis  za  ''3  da* 
jenigen  Entfernung  nähern,  welche  diese  Molekeln  im  Mittel  in  flossiga 
Wasser  von  4^C.  besitzen. 

Um  das  flüssige  Wasser  so  weit  zusammenzudrücken,  dass  aidi  £f 
Molekeln  auf  Vs  ihres  Abstandes  näherten,  würde  ein  Druck  von  2000>' 
Atmosphären  erforderlich  sein. 

Der  überraschenden  Thatsache,  dass  die  untheilbaren,  physikaha^ 
einfachen  Atome  so  mannigfache,  je  nach  der  Substanz  von  einiiider 
abweichende  Eigenschaften  besitzen  und  doch  immerhin  durchaus  nickt 
undenkbar  klein  sind,  hat  zuerst  Rankine ■'^)  und  später  Willi ic 


^)  Phil.  mag.  1873,  4.  Ser.,  Bd.  46,  S.  453. 

^)  Van  der  Waals,    Die   Continuität   des    gasfonnigen   und    flüssigen 
Leipzig  1871,  S.  108. 

^)  0.  E.  Meyer,  Kinetische  Theorie  der  Gase.     1877,  S.  230. 

*■)  Ueher   das   Wirkongsgesetz   der   Molecularkräfte.     Wiener  Ser.   1872,   hA.  U, 
2.  Abthl.,  S.  213. 

^)   Rankine,   On   the  h3rpothesi8   of  molecnlar  vortices.      Phil.  Mag.  4.  Sen^ 
Bd.  10,  S.  354  und  S.  411. 


D.    Neuere  Geschiclite  der  Theorie  der  Gase.  959 

rhomson^)  durch  die  Annahme  Rechnung  zu  tragen  gesucht,  die 
^tome  seien  Wirbelfaden. 

Diese  Annahme  hat  den  Vortheil,  dass  sie  manche  philosophische 
Bedenken  beseitigt,  welche  mit  Recht  gegen  eine  atomistische  Vorstellung 
ron  der  Beschafifenheit  der  Materie  erhoben  werden  können,  und  dass 
iie  ebenso  gut  mit  einer  continuirlichen  Raumerfüllung  durch  die  Materie, 
ftls  mit  den  atomistischen  Anschauungen  vereinigt  werden  kann.  Be- 
kanntlich hatten  übrigens  schon  Descartes  und  Daniel  Bernoulli 
ähnlichen  Vorstellungen  gehuldigt. 

W.  Thomson  knüpft  seine  Theorie  an  gewisse  Lehrsätze,  aufweiche 
r.  Helmholtz^)  gelegentlich  seiner  hydrodynamischen  Untersuchung 
aber  die  Wirbelbewegungen  in  ohne  Reibung  sich  bewegenden  Flüssig- 
keiten geführt  worden  war.  Unter  Wirbellinien  sind  dort  in  sich  zurück- 
laufende krumme  Linien  verstanden,  welche  stets  auf  der  Rotationsrichtung 
des  Wirbels  senkrecht  sind,  und  v.  Helmholtz  zeigte,  dass  unter  ge- 
wissen, nicht  unwahrscheinlichen  Voraussetzungen  diese  Wirbellinien  stets 
ans  denselben  Flüssigkeitstheilchen  zusammengesetzt  bleiben.  Da  solche 
Wirbelfaden  undurchdringlich,  aber  biegsam  sind,  und  weil  die  zwischen 
ihnen  liegende  Masse,  welche  an  der  Wirbelbewegung  nicht  theilnimmt, 
die  Uebertragung  der  Kraft  bewirkt,  die  Wirbelatome  auch  scheinbare 
Femewirkangen  auszuüben  im  Stande  sind,  so  besitzen  dieselben  allerdings 
jene  wesentlichen  Eigenschaften,  welche  man  in  der  kinetischen  Gastheorie 
den  Molekeln  beilegen  muss.  Ausserdem  aber  gestattet  diese  Vorstellung 
auch  für  die  chemischen  Eigenschaften  der  Molekeln  und  gewisse  opti- 
sche, electrische  und  magnetische  Erscheinungen  plausible  Erklärun- 
gren aufzustellen ').  Wir  wollen  aber  nicht  verschweigen ,  dass  diese 
Thomson' sehe  Annahme  zumal  hinsichtlich  der  Erfahrungssätze  über 
Wärmecapacität  auf  schwer  zu  beseitigende  Schwierigkeiten  führt. 


^)  W.  Thomson,  On  vortex  atoms.     Phil.  Mag.  4.  Serie,  Bd.  37,  S.  15. 
2)  V.  Helmholtz,  Crelle's  Journ.  1858,  Bd.  55,  Abhandlungen,  Bd.  1,  S.  101. 
*)  Wir  yerweisen  fiir  Weiteres   auf  W.  Thomson's  Schrift:    Lectures  on  molc- 
GUlar  dynamics.     London  1885. 


E.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen  d« 

Thermodynamik. 


1.    Die  ersten  Anwendungen  auf  die  Dampfoiasclüiieib 

theorie. 

Bereits  am  Anfange  der  wissenscliaftlichen  Begründung  der  me^ 
nischen  Wärmetheorie  begegnen  wir  zahlreichen  Yersnchen,  die  Pnoopie 
der  nenen  Disciplin  auch  für  die  Theorie  der  Wärmemaschinen  nntsb 
zu  machen.  Die  erste  Entdeckung  des  zweiten  EUtuptsatses  in  noch  u* 
vollkommener  Form  durch  Sadi  Carnot  wurde,  wie  bereits  mit^jetiieOL 
dadurch  herbeigeführt,  dass  dieser  sich  eingehend  mit  den  Yorgioga 
beschäftigte,  welche  stattfinden,  wenn  mit  Hülfe  von  Wärme  Arbeit (^ 
zeugt  wird. 

Am  frühesten  scheint  sich  eingehend  mit  diesen  Fragen  Maeqnorte 
Rankine  abgegeben  zu  haben,  und  ihm  besonders  ist  die  Anwenduf  ^ 
ersten  Hauptsatzes  auf  die  Lehre  von  den  Dampf-  und  Heisslnftmascbiia 
zu  danken.  Schon  in  der  im  Jahre  1850  erschienenen  Abhandlang:  Oi 
the  mechanical  action  of  heat,  especially  in  gases  and  vaponn  ^)  fii^ 
sich  im  vierten  Abschnitt  eine,  wenn  auch  noch  unvollkommene  TWv 
der  Dampfmaschine,  welche  unter  der  Annahme  durchgeführt  ist,  ^ 
sich  der  Wasserdampf  durchaus,  auch  wenn  er  gesättigt  ist,  wie  es 
vollkommenes  Gas  verhalte. 

Dieser  folgte  im  Jahre  1854  eine  wesentlich  verbesserte,  TenIl|^ 
meinerte  und  eingehendere  Behandlung  desselben  Gegenstandes  unterdes 
Titel:  On  the  geometrical  representation  of  the  expansive  action  ofbei^ 
and  the  theory  of  thermodynamic  engines^).  In  dieser  AbhaadloDg  i^ 
besonders  die  graphische  Darstellung  der  Kreisprocesse,  welche  in  da 
verschiedenen  Wärmemaschinen  auftreten,  bereits  zu  hoher  Tollkofluna' 
heit  entwickelt.  Bei  den  Untersuchungen  wird  hier  bereits  von  bdda 
Hauptsätzen  Gebrauch  gemacht;  die  Darstellung  .leidet  jedoch  an  cae 


1)  Edinburgh  TransActions,  Bd.  20,  S.  147  bis  190. 

2)  Philos.  Transact.,  Bd.  144  (1854),  S.  115  bis  175. 


E.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen.  961 

grossen  Schwerfälligkeit,  weil  die  thermodynamische  Fanction,  d.  i.  der 
reciproke  Werth  der  ahsolaten  Temperatur  (vergl.  Bd.  II,  S.  922),  durch 
die  meisten  Rechnungen  hindurch  geschleppt  wird,  was  die  Durchsichtig- 
keit der  Resultate  sehr  heeinträchtigt. 

Die  umfangreichste  Behandlung  des  Gegenstandes  hat  jedoch  Rank  i  n  e 
in  seinem  grösseren  Werke:  „On  steam  engine  and  other  prime  movers^ 
1860  und  in  den  späteren  Auflagen  dieses  Baches  gegehen,  welche  den 
Titel  führen:  „A  manual  of  the  steam  engine.^ 

Ausser  den  verschiedenen  Dampfmaschinen  sind  daselbst  auch  die 

.   Theorien  und  Constructionen  der  Heissluftmaschinen  eingehend  besprochen. 

^-  Gewisse  Partien  dieses  Rank  in  ersehen  Werkes  sind  nach  dem  Ur- 

theile  maassgebender  Fachleute  noch  nicht  durch  neuere  Darstellungen 

übertroflfen. 

Zur  vollen  Klarheit  wurde  die  Frage  durch  die  Clausius'sche 
^  Abhandlung  (1856):   „lieber  die  Anwendung  der  mechanischen  Wärme- 
theorie auf  die  Dampfmaschine"  ^)  gebracht.    Durch  die  Ergebnisse  der 
thermodynamischen  Untersuchungen  wurden  die  Grundlagen  der  bis  dahin 
gültigen  Dampfmaschinen theorie,    z.   B.    der  früher  allgemein  als  aus- 
. reichende  Näherang   angesehene  Watt'sche   Satz  beseitigt,    dass    der 
"  Wasserdampf  bei  seiner  Expansion  in  einer  für  Wärme  undurchdring- 
"  liehen  Hülle  gesättigt  bleibe.  Auf  diesem  Satze  aber  und  auf  der  Annahme, 
dass  es  zulässig  sei,  das  Volumen  der  Gewichtseinheit  gesättigten  Dampfes 
unter  der  Annahme  zu  berechnen,  dass  das  Gay-Lussac-Mariotte'- 
'  sehe  Gesetz  für  Wasserdampf  auch  im  Maximum  seiner  Dichte  gelte,  be- 
^  ruhte  die  alte  Dampfmaschinentheorie,  wie  sie  von  Pambour  und  Pon- 
celet  entwickelt  worden  war.  —  Von  Rankine  und  Clausius  war 
'  aber  unabhängig  von  einander  der  Nachweis  geführt  worden,  dass,  wenn 
*  sich'  gesättigter  Wasserdampf  in  einer  für  Wärme  undurchlässigen  Hülle 
'  expandirt,    derselbe  eine  theil weise  Condensation  erfährt.     Clausius 
^  aber  hatte  ausserdem  darauf  hingewiesen,  dass  es  unzulässig  sei,  die  für 
'*  vollkommene  Gase  gültigen  Gesetze  auch  auf  gesättigten  Wasserdampf 
anzuwenden  und  zeigte,   wie  man  auf  anderem  Wege,   mit  Hülfe  der 
Formeln  der  mechanischen  Wärmetheorie  (vergl.  Bd.  I,  V.,  B,  S.  616, 
Gl.  30),  das  specifische  Volumen  des  gesättigten  Dampfes  bei  verschie- 
denen Temperaturen  berechnen  könne.    Endlich  aber  giebt  Clausius 
noch  den  Satz,  dass,  wenn  der  Dampf  aus  dem  Kessel  in  den  Cylinder 
strömt,  in  Folge  der  Druckdifferenz  ein  Theil  des  vom  gesättigten  Dampfe 
mechanisch  fortgerissenen  Wassers  verdampfen  müsse  oder  dass,  wenn 
trockener  Dampf  einströme,  dieser  während  der  Admission  in  überhitzten 
abergehe. 

Das  wichtigste  Resultat  aber,  welches  die  neuere  auf  dem  Boden  der 
mechanischen  Wärmetheorie  ruhende    Dampfmaschinentheorie    von  den 


^)  ^^SS*  Ann.,  Bd.  97,  S.  441  und  513.     Clausius,  Abhandlungen  über  mecha^ 
niscbe  Wärmetbeorie,  1.  Aufl.,  S.  154  bis  233. 

BUhlmaun,  Mechan.  Wftrmetheorie.    Bd.  II.  Q\ 


962  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

älteren  YerBacben,  eine  Theorie  der  Wärmemaschinen  anfinutdieD,  mt» 
scheidet,  ist  der  Nachweis,  dass  ein  Theil  der  Ton  den  Feaergasen  geüefir 
ten  Wärmemenge  während  des  Ereisprocesses,  den  der  Dampf  dnreklMÜ, 
nach  dem  ersten  Hauptsatze  yersch windet  und  in  Arbeit  omgeaetit  wirf, 
und  dass  eine  andere  Wärmemenge  gleichzeitig  nach  dem  zweiten  Hisft- 
Satze  Ton  höherer  zu  niedriger  Temperatur  übergehen  man. 

Besonders  in  der  Darstellung  von  Clausius  tritt  dieser  piiach 
pielle  Unterschied  der  älteren  und  neueren  Auffassung  klar  zu  Tige. 


2.    Gustav  Adolpli  Hirn^). 

Unter  Denjenigen ,  welche  für  die  weitere  AusbildoDg  und  Dird- 
führung  der  Dampfmaschinentheorie  das  Meiste  gethan  habeoi  min 
in  erster  Linie  Hirn  und  Zeuner  genannt  werden.  Der  erstere  tu 
beiden  hat  an  der  Begründung  und  Entwickelung  der  mechanisclien  Wir» 
theorie  von  Anfang  an  den  lebhaftesten  Antheil  genommen,  so  dis  ib 
für  alle  Zeit  in  der  Geschichte  dieser  wissenschaftlichen  Diaeiplin  co 
hervorragender  Platz  angewiesen  werden  muss. 

Zum  ersten  Male  begegnen  wir  dem  Namen  des  noch  heute  nneni^ 
liehen  Forschers  im  Jahre  1855.  Er  veröffentlichte  damals  im  BaQeta 
de  la  Bociete  industrielle  de  Mulhouse  ^)  eine  Abhandlnng  über  die  Vc^ 
Züge  des  Dampfmantels.  Er  glaubte  die  von  Rankine  und  Clamiii 
erwiesene  theilweise  Gondensation  gesättigten  Dampfes  während  aur 
adiabatischen  Expansion  durch  die  Anwendung  des  DampfnuntdiW 
seitigen  zu  können.  Er  wusste  damals  noch  nicht,  dass  der  weseotHdt 
Yortheil  des  Dampfmantels  darin  besteht,  dass  er  die  Condensatioo  da 
Admissionsdampfes  an  den  Cylinder Wandungen  vermindert  und  eu  fort- 
währendes Verdampfen  der  anfänglich  an  den  Wandungen  befindlieha 
Wassermengen  begünstigt. 

Im  Jahre  1857  beschäftigte  er  sich  besonders  mit  der  AnweDdof 
überhitzten  Wasserdampfes  in  den  Dampfmaschinen  ')  und  stellte  beraü 
eingehende  Betrachtungen  über  die  Grösse,  Bedeutung  und  YenrendiBi 
der  Wärmemengen  an,    welche  den  verschiedenen  Theilen  der  Dia;^ 

')  Gustav  Adolph  Hirn  wurde  1815  in  Logelbach  bei  Colmar  geboren  vd* 
Mitbesitzer  der  daselbst  befindlichen  Spinnerei.  Jetzt  lebt  derselbe  In  Golnur.  Sa» 
äusserst  zahlreichen  und  werthvoUen  experimentellen  Arbeiten  haben  ihm  aadi  TidU 
äussere  Ehren  eingetragen.  Derselbe  ist  Hitglied  der  französischen  AktJeniic  ui  er 
respondirendes  Mitglied  der  preussischen  Akademie  der  Wissenschaften.  Ausicrdaii^ 
Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie  zu  nennenden  Arbeiten  hat  sich  Hira  mb 
besonders  durch  die  in  seinem  Etablissement  gemeinsam  mit  seinem  Bruder  Ferdii"* 
ausgeführte  grosse  Kraftübertragung  durch  Drahtseil,  wohl  die  erste  ihrer  Art,  bofi^ 
gemacht. 

^)  Sur  l'utilite  des  envellopes  k  vapeurs.     Nr.  133,  &  105. 

*)  G.  A.  Hirn,  Memoire  sur  la  theorie  de  la  vapeor  sur-chaoffte  daot  les 
i  vapeur.     Bullet,  de  ia  soc.  industr.  de  Mulhouse,  Nr.  138  und  139. 


£•    Geschichte  der  technischen  Anwendungen.  963 

naschine  zugefiihrt  werden.  Er  macht  in  dieser  Abhandlung  zuerst  darauf 
Gtufmerksam,  dass  der  Vorgang  in  den  wirklichen  Dampfmaschinen  nicht 
unwesentlich  von  den  Zustandsanderungen  abweicht,  welche  man  anfang- 
lich den  theoretischen  Betrachtungen  zu  Grunde  gelegt  hatte.  —  Er 
sagt  z.  B.:  „Die  Wärmemenge,  welche  (während  der  Admission)  sich  in 
den  Wänden  (des  Cylinders)  angehäuft  hat  und  jene,  welche  die  Kolben- 
reibung hervorruft,  werden  theil weise  dem  sich  ezpandirenden  Dampfe 
überlassen.  Daraus  folgt,  dass  in  keiner  Maschine  sich  der  Dampf  ex- 
pandiren  kann,  ohne  Wärme  zu  empfangen,  und  dass  deshalb  die  rein 
physikalischen  Expansionsgesetze  des  gesättigten  oder  überhitzten  Dampfes 
niemals  auf  die  Berechnung  der  Expansionsarbeit  in  einer  wirklichen 
Maschine  unverändert  angewendet  werden  können."  Er  fährt  mit  Rück- 
sicht darauf  später  fort:  „Die  Cy linder  unserer  Maschinen  müssen  eben 
sowohl  als  Wärmereservoirs  wie  als  Wärmequellen  betrachtet  werden." 
Gerade  der  in  dieser  letzten  Bemerkung  niedergelegte  Gedanke  ist  später 
Veranlassung  zu  ernsten  Auseinandersetzungen  zwischen  Hirn  und  seinen 
Schülern  Hallauer  und  Leloutre  einerseits  und  Zeuner  andererseits 
geworden.  Auf  S.  84  dieser  werthyoUen  Abhandlung  finden  sich  auch 
zum  ersten  Male  jene  Formeln,  welche  über  die  Verwendung  der  vom 
Kesseldampfe  mitgeführten  Wärme  in  der  Dampfmaschine  quantitativ 
Auskunft  geben.  In  diesen  Formeln,  welche  die  Grundlage  -  der  denk- 
würdigen, calorimetrischen  Untersuchungen  Hirn 's  über  die  Dampf- 
maschine geworden  sind,  fehlt  in  diesdr  Abhandlung  vom  Jahre  1857 
noch  das  Glied,  welches  die  in  die  äussere  Arbeit  L  umgesetzte  Wärme- 
menge LJJ  enthält.  Das  Verdienst,  auf  diesen  Mangel  hingewiesen  und 
dadurch  erst  die  Hirn 'sehen  Formeln  brauchbar  gemacht  zu  haben,  ge- 
bührt Grashof  0. 

Durch  zahlreiche,  zum  Theil  äusserst  mühsame  Versuche  hat  Hirn 
auf  sehr  verschiedenen  Wegen  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme 
bestimmt.  Besonders  werthvoll  sind  seine  Versuche  mit  Dampfmaschinen, 
welche  er  in  Logelbach  bei  Colmar  anstellte  ').  Ausserdem  aber  hat  er 
noch  durch  Versuche  über  die  Wärmeentwickelung  beim  Zusammen? 
drücken  des  Bleies  durch  den  Energieverlust  beim  Stosse  eines  mit. be- 
kannter Geschwindigkeit  auftrefiPenden  schweren  Klotzes,  über  die  Wärme- 
entwickelung bei  der  Reibung  verschiedener  Flüssigkeiten  und  bei  Aus- 
strömung von  Wasser  durch  enge  Röhren,  auf  dem  Wege  der  Rechnung 
aus  dem  specifischen  Volumen  überhitzter  Dämpfe  und  aus  Versuchen 
Über  die  Ausdehnung  von  Gasen  der  Wahrheit  ausserordentlich  nahe 
kommende  Werthe  für  das  mechanische  Aequivalent  der  Wärme  ermittelt. 
Die  meisten  der  hierher  gehörigen  Versuche  hat  er  später  zusammen- 
gefasst  und  1858  in  einer  Schrift:  Recherches  sur  l'^quivalent  mecanique 
de  la  chaleur ')  mitgetheilt. 


1)  Vgl.  G.  Schmidt,  Techn.  Blätter,  1880,  Heft  2.  —  ^)  Eine  Beschreibung  dieser 
Vemuthc  findet  sich  Bd.  1,  II,  B,,  U,  15,  16,  S.  200  u.  s.  f.  —  »)  Colmar  1858, 

61^' 


964  '  ^     V.    Geschichte  der  mechanisclien  Wärmetheorie. 

Ein  Theil  der  hier  erwähnten  Yersnche,  anmal  die,  bei  welchen  m 
den  Werth  des  WärmeäqoiYalentes  aus  der  Menge  der  bei  einer  groeMi 
Dampfmaschine  in  Arbeit  umgesetzten  Wärmemenge  bestimmte,  gciiöra 
zu  den  werthvollsten  experimentellen  Grundlagen  der  ThermodynaBJk 
und  gewährleisten,  dass  der  Name  Hirnes  immer  neben  denjenigen  im 
Mayer  und  Joule  genannt  werden  wird. 

Die  hervorragende  Bedeutung  Hirn's  liegt  überhaupt  in  der  geäl- 
yollen  Erfindung  und  scharfsinnigen  Durchführung  experimenteller  Aar 
Ordnungen  und  der  gewissenhaften  Durchführung  der  Beobachtnnga; 
seine  Untersuchungen  über  die  überhitzten  Dämpfe,  die  BestimmaBgei 
der  specifischen  Wärmen  der  Flüssigkeiten^),  Gase  und  Dämpfe^  tni 
vortreffliche  Beweise  dafür,  während  seine  theoretischen  SpeculatioiKS 
sich  nicht  selten  ins  Unbestimmte  und  Nebelhafte  verloren  haben  '). 

Die  Ergebnisse  der  zahlreichen  Beobachtungen  und  der  theoretiscfaa 
Speculationen,  welche  Hirn  an  seine  Versuche  anknüpfte,  legte  er  in  ge- 
schlossener Form  in  dem  höchst  werthvollen  Werke  nieder:  £xp08itioi 
anal3rtique  et  experimentale  de  la  theorie  mecanique  de  la  chalev^ 
welches  bereits  drei  Auflagen  (1862,  1865,  1875)  erlebt  hat  und  ba 
jedem  neuen  Erscheinen  an  Inhalt  und  Umfang  beträchtlich  gewacbsa 
ist.  Ausser  Hirn's  sehr  werthvollen  Untersuchungen  über  den  Belnf 
des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  ist  der  hervorragendste  Tka 
dieses  Werkes  der  Abschnitt,  welcher  betitelt  ist:  Theorie  pratiqne  de 
la  machine  ä  vapeur.  Mit  Recht  ist  von  G.  Schmidt  und  Zenn er  be- 
merkt worden,  dass  es  richtiger  sei,  diesen  Gegenstand  mit  dem  Nans 
^Galorimetrische  Untersuchungsmethode  der  Dampfmaschinen"  ni  be- 
zeichnen. —  Erst  durch  diese  Methode,  welche  von  den  Schülern  lad 
Mitarbeitern  Hirnes,  G.  Leloutre^)  und  0.  Hallauer^,  auf  viek 
praktische  Beispiele  angewendet  worden  ist,  hat  man  über  die  WäAie- 
verluste  und  dadurch  über  den  Werth  der  einzelnen  Systeme  und  £e 
Stellen,  an  welchen  die  Dampfmaschine  verbesserungsfahig  ist,  ein  richtiges 
Urtheil  gewonnen.  Das  wichtigste  Ergebniss,  auf  welches  diese  Unter 
suchungen  führten,  war:  „dass  der  Cy linder  während  der  AnsstrÖmoif 
des  Dampfes  in  den  Gondensator  eine  gewisse  Wärmemenge  abgiebt  obse 
irgend  welchen  Nutzen  für  die  Arbeit,  und  dass  dieser  WärmeTerioit 
durchaus  nicht  als  unbedeutend  betrachtet  werden  darf,  vielmehr  maadt- 


^)  Hirn,  Ann.  de  cbim.  et  de  phys.,  4.  Ser.,  Bd.  10. 

^)  Hirn,  Theorie  m6caniqae  de  U  chalear,  Bd.  1,  S.  69. 

^)  Zamal  der  zweite  Theil  seiner  Theorie  mecanique  de  la  chaleor,  betitelt:  Cos* 
B^quences  philosopbiques  et  metaphysiqaes  de  la  Th^rmodjnamiqae.  Analyse  eleincaiaBc 
de  l'ünivers,  Paris  1868,  ist  ein  überraschendes  Beispiel  für  diese  bedenkliche  Ncifsii 
Hirn 's. 

^)  Paris,  2  Bde,  Gauthier-Villars.    Neaerdings  unter  dem  Titel:  Theorie 
de  la  chaleor,  2  Bde. 

^)  Leloatre,  Recherches  experimentales  et  analytiqaes  sar  les  machines i ti 
Ballet,  de  la  Soc.  indust.  du  Nord  de  la  France  1874. 

^)  Hai  lau  er,  Moteurs  ä  rapeur,  Mühlhausen  1879. 


E.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen.  965 

mal  sogar  der  Wärmemenge,  welche  die  Gesammtarheit  verbraucht,  gleich- 
kommt, oder  diese  noch  übertrifiPt." 

Zuerst  h^t  Hirn  1857  auf  den  Einfluss  derCylinderwandungen  und 
ausführlicher  in  einem  Briefe  an  Leloutre  im  Jahre  1871  auf  diesen 
wichtigen  Wärmeverlust  aufmerksam  gemacht.  Da  eich  im  Beharruugs- 
Eustande  keine  Wärme  in  den  Cylinderwandungen  ansammeln  kann,  so  muss 
bei  jedem  Kolbenhub  diese  während  der  Admission  aufgenommene  Wärme- 
menge vom  Gylinder  wieder  an  den  auspuffenden  Dampf  abgegeben  wer- 
den; sie  wird  verwendet,  um  den  grössten  Theil  der  an  den  Gylinder- 
wanden  befindlichen  Wassermenge  in  der  Auspuffperiode  zu  verdampfen, 
gleichgültig  ob  der  Auspuff  in  die  freie  Luft  oder  in  den  Gondensator 
erfolgt.    Deshalb  nennt  6.  Schmidt  diese  Grösse  die  Auspuffwärme. 

Die  theoretischen  Arbeiten  Hirn 's  und  Anderer  über  überhitzte 
Dämpfe  sind  jetzt  als  veraltet  zu  betrachten,  weil  die  neueren  Er- 
Tahrungen  über  den  unmittelbaren  Zusammenhang  zwischen  über- 
hitzten und  gesättigten  Dämpfen  einerseits  und  den  Flüssigkeiten 
andererseits  eine  viel  allgemeinere  Behandlung  der  Aufgabe  fordern. 
Gerade  für  Wasser,  den  für  die  Technik  wichtigsten  Stoff,  hat  bekannt- 
lich (vergl.  S.  955)  Glausius  eine  Formel  gegeben,  welche  allen  An- 
sprüchen in  be£riedigender  Weise  genügt.  Die  von  Hirn  theils  allein,  theils 
mit  Gazin^)  gemeinsam  ausgeführten  Experimentaluntersuchungen  über 
Zustandsändernngen  überhitzter  Dämpfe  werden  jedoch  allezeit  ihren 
hohen  Werth  behalten  und  waren  bis  vor  Kurzem  die  einzigen  Grand- 
lagen ,  auf  welche  sich  die  theoretischen  Betrachtungen  stützen  konnten. 

Hirn  war  durch  theoretische  Speculationen  dazu  geführt  worden 
vorauszusetzen,  dass  bei  beliebigen  Zustandsändernngen  eines  überhitzten 
Dampfes  die  Aenderung  der  inneren  Energie  (innere  Arbeit)  den  Aende- 
rangen  dös  Productes  j? .  v  proportional  sei.  Seine  Yersuche  schienen  diesen 
Satz  zu  bestätigen.  Von  diesem  Gesetze,  welches  immer  das  Hirn 'sehe 
B^enannt  wird,  sind  später  Zeuner  und  auch  Schmidt  bei  ihren 
Untersuchungen  über  die  ungesättigten  Dämpfe  ausgegangen.  Es  ist  je- 
loch  neuerdings  nachgewiesen  worden,  dass  dieses  Gesetz  bei  keinem 
Dampfe,  auch  nicht  beim  überhitzten  Wasserdampfe,  genau  erfüllt  ist, 
sondern  nur  eine  ziemlich  rohe,  auch  theoretisch  nur  schwer  zu  recht- 
fertigende Annäherung  ist^).  Für  die  Zustandsänderung  überhitzter 
Dämpfe  nach  der  adiabatischen  Gurve  führten  die  Versuche  von  Hirn  und 
[];azin  auf  die  Formel: 

T  =  C.p'^, 

worm  C  und  m  Gonstante  sind. 


^)  Hirn  und  Cazin,  Memoire  sor  la  d^tente  de  la  vapenr  sar-chauff6e.  Ann.  de 
:hiiD.  et  de  phys.,  4.  Serie,  Bd.  lo. 

^  Weyrauch,  Von  den  überhitzten  Dämpfen,  Zeitschrifb  des  Vereins  Deutscher 
ngenieore  1876,  Bd.  20,  S.  50  und  Bd.  21,  S.  271. 


966 


V.    Geschichte  der  mechanischen  Wännetheorie. 


8.    Der  Werth  des  meclianisolieii  Wärmeäqnivalentes 

nacli  Hirn  und  Anderen. 


Die  Besprechang  der  Hirn' sehen  Arbeiten  fQhrt  ans 
dazu,  die  von  ihm  für  das  mechanische  Wärmeäquivalent  gefondeiMi 
Werthe  mitzutheilen  und  mit  den  besten  Bestimmungen  anderer  FonAm 
zu  vergleichen.  Nachstehende  Tabelle  giebt  hierüber  Ansknnft;  dieaelbi 
enthält  die  wichtigsten  Bestimmungen  der  Zahl  J  in 
einanderfolge. 


Name  des 
Beobachten 


Jahreszahl 

der 

Bestimmangen 


Methode  der  Bestimmang 


R.  Mayer 

Colding 
Joale 
Joule 

Joale 


1842 

1843 
1843 
1843 

1843 


fioltzmann 

Joule 
Joule 
Joule 
Joule 
Joule 
Joule 
Joule 
Hirn 

Hirn 

T.  Quintus- 
IciliuB 

Weber 


FaTre  und 
Silbennann 


1845 

1845 
1845 
1845 
1847 
1850 
1850 
1850 
1857 

1857 
1857 

1857 


1857 


Aus  der  Warmeentwickelung  bei  Com- 
pressioD  der  Luft  theoret 

Reibungsversuche 

Reibung  von  Wasser  in  engen  Rohren    • 

Erwärmung  durch  electromagnetische  In- 
ductionsströme 

Verminderung  der  in  einem  Stromkreise 
entwickelten  Wärme,  wenn  Arbeit  ge- 
leistet wird 

Cp 

Aus  dem  Verhältnisse  -=- 

Cv 

Luftcompression  ezperim 

Ausdehnung  der  Luft  desgl.      .    .    .    ,    . 
Reibung  von  Wasser  in  Calorimetem  •    . 

desgl. 

desgl. 

Reibung  von  Quecksilber  in  Calorimetem 

Reibung  von  Eisenplatten  in  Calorimetem 

Calorimetrische  Untersuchung  der  Dampf* 
maschine 

Reibung  Ton  Metallplatten  im  Calorimeter 

Warmeentwickelung  durch  den  Strom  in 
einem  Leiter   .    . ' 

Warmeentwickelung  durch  den  Strom. 
Electrochem.  Aequivalent  des  Wassers 
=  0,009879.  Widerstand  in  absolu- 
tem Maasse 

Einwirkung  von  Zink  auf  KupfersulfiA    . 


365 
350 
424,6 

460 

499 

374 

443,8 
437,8 
4«8^ 
429,0 
423,9 
424,7 
425,3 

413,0 
371,6 

399,7 


432,1 
432,1 


K    Geschichte  der  technischen  Anwendungen. 


967 


Name  des 
Beobachters 


Bosscba 
Hirn 
Hirn 
Favre 

Joule  und 
Bosscha 

Hirn 

Hirn 

Hirn 
Hirn 

Hirn 

Edlund 
Joule 

VioUe 

Pnluj 

Joule 

H.  F.  Weber 

Rowland 


Kowland 
Kann 


Jahreszahl 

der 

Bestimmongen 


Methode  der  Bestimmung 


1857 
1858 
1858 
1858 

1859 

1861 

1861 

1861 
1861 
1861 

1865 
1867 

1870 

1876 
1878 
1878 
1880 
1880 


1880 
1882 


Elcctrom.  Kraft  d.  Daniell'schen  Kette    . 

Reibung  von  Metallen  im  Calorimeter 

Beiben  von  Metall 

Verminderung  d.  WSrmeentwickelang  in 
einem  Leiter,  wenn  d.  Strom  Arbeit  leistet 

Wärmeentwickeiung  u.  electromotorische 
Kraft  im  Daniellelement   • 

Calorinietrische  Versuche  mit  d.  Dampf- 
maschine       


Berechnet  aus  dem  Volumen  überhitzter 
Dämpfe 

Reibung  von  Wasser  in  engen  Röhren    . 

Reibung  von  Wasser  in  d.  Reibungswage 

Wärmeent Wickelung  im  Blei  beim  Stosse 

Dehnen  und  Zusammen pressung  von  Me- 
tallen   

Wärmeentwickelung  in  einem  vom  Strome 
durchflossenen  Leiter 


Wärmeentwickelung  durch  Foucault'sche 
Ströme 


Reibung  von  Metallen 

Reibung  von  Wasser  in  Calorimetern  .    . 

Wärmeent  Wickelung  durch  d.  electr.  Strom 

Desgl.  nach  Correctionen  von  Rowland    . 

Berechnet  aus  d.  Wärmeentwickeiung  bei 

Compression  d.  Luft  unter  Benutzung 

Cp 
d.  neuesten  Zahlwerthe  für  —  und  Cp 

Cv  ^ 

Reibungsversuche 

Temperaturabnahme  mit  d.  Höhe  bei  Föhn 


Werth  des 

mechanischen 

Wärmeäqui- 

valentes  (Breite 

von  Berlin)  in 

kgm 


419,5 
400  bis  450 
425 

443 

419,5 

420  bis  432 

432 

432 

432 

425 

443,6 

-  430,1 

428,3 

429,5 

[435,2 
1434,9 
1435,8 
^437,4 

426,6 

423,9 

428,1 

428,4 


430,2 

426,9 
433 


Unter  Beräckaichtigung  des  Gewichtes  der  einzelnen  Bestimmangen, 
resp.  nach  Correctur  der  Joule' sehen  Werthe  wegen  Gebrauches  einer 
zu  grossen  Zahl  für  die  specifische  Wärme  des  Kupfers  giebt,  bezogen 
auf  die  absolute  Temperaturscala,  Rowland^)  nachstehende  Tabelle: 


^)  H.  A.  Rowland,  On  the  mechanical  equivalent  of  heat,  Cambridge  (Amerika) 


1880. 


968  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

kgm  i.  d.  Breite      Absolute  C.-G.-S.- 
Temperatur  ^^^  ^^^j.^  Einheiten 

50  c.  429,3  4212.107 

10  428,0  4200. 10' 

15  426,9  4189.107 

20  425,9  4179 .  10' 

25  425,3  4173.107 

30  425,1  4171 .  107 

Correction  für  die  Aenderang  der  Acceleration  der  Schwere  mit  dff 
Breite,  wenn  J  in  Rilogrammmetern  gegehen  ist. 

Additive  Correction  _    .^  Additive  Correctim 

ß^*^^  •  in  kgm  ^^'^  in  kgm 

0«  +  0,89  400  +  0,08 

10«  +  0,82  500  —  0,41 

200  4.  0,63  600  —  0,77 

300  ^-  0,34  700  —  1,06 

£s  geht  daraas  hervor,  dass,  wenn  man,  wozu  man  wohl  bereditift 
sein  dürfte,  den  Ton  Joule  gegebenen  Werthen  ein  etwas  höheres  Ge- 
wicht beilegt,  als  den  von  Rowland  mitgetheilten  Zahlen,  nach  wie  tgt 
in  unseren  Breiten: 

J  =  42§  Kilogrammmeter  oder  =  41700000000  Erg 

als  der  zur  Zeit    wahrscheinlichste  Werth   des  mechaniBchen   Wänae- 
äquiyalentes  verwendet  werden  kann. 


4.    Gustav  Zeuneri). 

a 

Wahrscheinlich  würde  die  Technik  längere  Zeit  gebraucht  habei* 
ehe  sie  aus  den  Ergebnissen  der  mechanischen  Wärmetheorie  für  dii 
Praxis  in  umfänglicher  Weise  Nutzen  gezogen  hätte,  wenn  sich  ni^ 
Z  e  u  n  e  r  durch  zahlreiche  werth  volle  Untersuchungen  und  Schriften  du 
Verdienst  erworben  hätte,  den  Weg  zu  zeigen,  auf  welchem  dies  gr 
schehen  könne,  und  wenn  es  ihm  nicht  gelungen  wäre,  einfaohe  Foraea 
aufzufinden,  welche  sich  bei  Lösung  praktischer  Aufgaben  leicht  v«^ 
wenden  lassen. 


^)  Gustav  Zeuner  ist  am  30.  November  1828  in  Chemnitz  geboren. 
studirte  vom  Jahre  1848  bis  1851  an  der  Bergakademie  in  Freiberg.  1853  fibenabi 
er  nach  mehrfachen  Studienreisen  die  Redaction  der  neugegründeten  Zeiiscbrift  .ChiV 
ingenieur''  und  führte  diese  Redaction  bis  zum  Jahre  1857  fort.  Bei  Eniclitiaf  ie« 
Zäricher  Polytechnicums  wurde  er  als  Professor  der  technischen  Mechanik  und  thcer- 
tischen  Maschinenlehre  dorthin  berufen;  in  den  Jahren  1865  bis  1867  war  er  Diitcte 
dieser  Hochschule.  Im  Jahre  1871  folgte  er  einem  Rufe  als  erster  ständiger  DirccSff 
der  Bergakademie  Freiberg  in  Sachsen,  an  welcher  bis  dahin,  trotz  ihres  lOOjikiigea 
Bestehens  ein  ständiges  Directorat  nicht  bestanden  hatte.  Im  Jahre  1873  wvtie  e 
zum  Director   des  Dresdener  Polytechnicums  ernannt  und  legte,   nachdem  die  Resr|ur> 


E.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen.  969 

In  seiner  ersten  unseren  Gegenstand  betreffenden  Publioation:  „Grund- 
züge  der  meohanischen  Wärmetheorie*',  deren  erste  Auflage  im  Jahre 
1860  erschien,  gab  Zeuner  zunächst  eine  etwas  abweichende  Herleitong 
des  zweiten  Hauptsatzes,  welche  darauf  hinauskommt,  dass  er  nachweist, 
wenn  für  irgend  zwei  Körper  der  zweite  Hauptsatz  nicht  gültig  sei,  so 
würde  es  durch  zwei  mit  diesen  beiden  Körpern  in  entgegengesetzter 
Folge  durchgeführten  Kreisprocessen  möglich  sein,  Wärme  aus  dem  käl- 
teren in  den  wärmeren  Körper  zu  übertragen,  und  dies  widerspreche  der 
Erfahrung.  Gegen  die  Strenge  dieser  Schlussfolgerung  wurden  von 
Clausius  nicht  unberechtigte  Einwendungen^)  erhoben. 

Der  grösseren  Anschaulichkeit  wegen  yergleicbt  Zeuner  Wärme- 


satlon  der  Bergakademie  1875  vollzogen  war,  das  bis  dahin  gleichzeitig  mit  verwaltete 
Directorat  dieser  Anstalt  nieder,  am  sich  vollständig  den  Aufgaben  zuzuwenden,  welche 
an  der  Dresdener  Hochschule  seiner  unermüdlichen  Thatkraft  gestellt  waren.  Durch 
die  Vorlesungen  über  theoretische  Maschinenlehre,  welche  er  am  Züricher  Polytechnicum 
zu.  halten  hatte,  und  durch  das  Zusammenleben  und  -Wirken  mit  Clausius  an  der- 
selben Hochschule  war  Zeuner  sehr  bald  zum  Studium  der  mechanischen  Wärme- 
theorie  und  zur  Mitarbeit  auf  dem  neuen  Gebiete  angeregt  worden. 

Im  Jahre  1860  erschienen  die  „Qrundzüge  der  mechanischen  Wärmetheorie";  eine 
▼oUständig  umgearbeitete  und  speciell  für  technische  Studien  bestimmte  zweite  Auflage 
erschien  1866.  Eine  französische  Uebersetzung  dieses  Werkes  von  Cazin  und  Arn- 
thal  wurde  1869  veröffentlicht,  und  1877  machte  sich  ein  neuer  Abdruck  der  deutschen 
vollständig  vergriffenen  Ausgabe  nöthig.  Aagenblicklich  ist  Zeuner  mit  einer  aber- 
maligen vollständigen  Neubearbeitung  seines  berühmten  Werkes  beschäftigt.  Eine  weitere 
Anwendung  der  Pnncipien  der  Thermodynamik  machte  er  in  dem  Buche:  Das  Locomo- 
tivblasrohr  (Zürich  1863),  welches  sich  vorzugsweise  mit  den  Erscheinungen  beim  Aus- 
fluss  von  Gasen  und  Dämpfen  beschäftigt. 

Ausser  zahlreichen  Broschüren  und  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  theoretischen 
Maschinenlehre  und  der  mathematischen  Statistik  sind  es  vorzugsweise  die  nachstehend 
verzeichneten  Abhandlungen,  in  welchen  sich  Zeuner's  Antheil  an  der  Ausbildung 
der  mechanischen  Wärmetheorie  und  deren  Anwendung  auf  die  Technik  niedergelegt  findet. 

Beiträge  zur  Theorie  der  Dämpfe,  Pogff.  Ann.  Bd.  20  (1860);  Theorie  des  Giffard*- 
schen  Injectors,  Civilingenieur,  Bd.  6  (1860);  Neue  Tabelle  für  gesättigte  Wasserdämpfe, 
Schweiz,  polyt.  Zeitschrift,  Bd.  8  (1863);  Verhalten  verschiedener  Dämpfe  bei  der  Ex- 
pansion und  Compression,  Vierteljahrsschrift  der  Naturf.  Gesellschaft  in  Zürich  (1863). 
Tabelle  für  gesättigte  Aetherdämpfe,  ebendas.  (1863);  Ausfluss  von  Dämpfen  und  hoch- 
erhitzten Flüssigkeiten,  Civilingenieur,  Bd.  10  (1864). 

Theorie  der  überhitzten  Wasserdämpfe,  Zeitschrift  d.  Ver.  Deutscher  Ingenieure, 
Bd.  11  (1866);  lieber  das  Verhalten  der  überhitzten  und  gemischten  Wasserdämpfe, 
CiriliDgenieur,  Bd.  13  (1867);  Neue  Darstellang  der  Vorgänge  beim  Ausströmen  der 
Gase  und  Dämpfe,  Civilingenieur,  Bd.  17  (1871). 

Resultate  experimenteller  Untersuchungen  über  das  Ausströmen  der  Luft  bei  starkem 
Ueberdruck,  Civilingenieur,  Bd.  20  (1874);  Ueber  die  Wirkung  dßs  Drosselns  und  den 
Einfluss  des  schädlichen  Raumes  auf  die  bei  Dampfmaschinen  verbrauchte  Daropfmenge, 
Civilingenieur,  Bd.  21  (1875). 

Calorimetrische  Untersuchung  der  Dampfmaschine,  Civilingenieur,  Bd.  27  (1881) 
and  Bd.  28(1882);  Zur  Theorie  der  Ealtdampfmaschinen,  Civilingenieur,  Bd.  27  (1881), 

Ueber  die  Wirkung  des  Verdrängers  bei  Heiss-  und  Kaltluftmaschinen,  Civilingenieur, 
Bd.  29  (1883). 

^)  Clausius,  Abhandlungen  über  die  mechanische  Wärmetheorie,  1.  Aufl.,  Bd.  1, 
S.  302;  2.  Aufl.,  Bd.  1,  S.  366. 


970  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

mengen  mit  Oewiohten,  welche,  wenn  sie  von  einem  höheren  sn  eiaai 
tieferen  Niveau  sinken,  Arheit  zu  leisten  im  Stande  sind.  Die  Ten^ie- 
denen  Höhen  entsprechen  alsdann  den  verschiedenen  Temperaturen*  Wir 
hahen  uns  mit  dieser  Analogie,  welche  sich  schon  hei  Garnot  findet 
nie  hefrennden  können,  weil  dadurch  der  wesentliche  Gedanke  ver- 
schleiert wird,  dass  ein  Theil  der  Wärme  verhrancht  wird,  wemu  & 
Wärme  Arheit  leistet.  Das  Gewicht  hingegen  hleiht,  wenn  es  Arbdt  ki- 
stend  zum  niederen  Niveau  herabsinkt,  ungeändert 

In  der  im  Jahre  1866  erschienenen  zweiten  Auflage  des  Werka 
schlägt  Z  e  u  n  e  r  für  die  Herleitung  des  zweiten  Hauptsatzes  einen  andern 
Weg  ein.  Er  geht,  indem  er  den  Zustand  des  Körpers  als  durch  Dnck 
und  Volumen  definirt  ansieht,  von  der  Gleichung  aus: 

m 

worin  d  Q  die  bei  der  unendlich  kleinen  Zustandsänderung  anfgenonneK 
Wärmemenge,  X  und  T  Functionen  von  p  und  v  sind.  Hierauf  dividirt 
er  beide  Seiten  mit  einer  anderweiten,  noch  unbekannten  Function  S  der 
Grössen  v  und  p  und  wählt  S  derart,  dass  es  der  integrirende  Drrisor 
des  rechts  in  der  Klammer  stehenden  Ausdruckes  ist,  d.  h.  er  bestimBt 
8  so,  dass  die  rechte  Seite  in  ein  vollständiges  Differential  verwaadctt 
wird. 

Für  einen  geschlossenen  Kreisprocess  wird  alsdann: 


/ 


dO 

--^  =  0 


Hierauf  zeigt  Zeuner,  dass  es  ungemein  wahrscheinlich  sei,  die  Fme- 
tion  8  sei  lediglich  eine  Temperaturfunction. 

Gegen  diese  einfache  Form  der  Ableitung  des  zweiten  Hauptsstm 
ist  nicht  mit  Unrecht  eingewendet  worden  ^),  dass  der  Nachweis  fcUi, 
8  sei  für  alle  Substanzen  dieselbe  Temperaturfunction  und  deshalb  ider 
tisch  mit  der  absoluten  Temperatur. 

Man  muss  jedoch  dem  Umstände  Rechnung  tragen,  dass  es  Zeuner 
minder  darauf  ankommt,  die  grösste  wissenschaftliche  Strenge  zu  er- 
reichen, als  vielmehr  darauf,  eine  möglichst  einfache,  leicht  übers^hiit 
Ableitung  zu  geben,  welche  immerhin  die  Richtigkeit  des  zu  beweisendn 
Satzes  plausibel  macht.  Auch  hat  die  Methode,  die  TemperaturfaDcties 
als  integrirenden  Divisor  zu  definiren,  welche  schon  vor  Zeuner  tob 
Reech^)  angewendet  worden  war,  neuerdings  wieder,  so  z.  B.  in  da 
neuesten  Arbeiten  von  Helmholtzfür  Erweiterungen  des  zweiten Hsnpt- 
satzes  auf  andere  Processe  als  Wärmevorgänge,  Anwendungen  gefondes  ^ 

^)  Clausius,  Mechanische  Wärmetheorie.  Braonschweig,  Friedr.  Tieweg  k  Sthm, 
1876,  Bd.  1,  S.  367. 

*)  Reech,  Journ.  de  Liouville,  2.  Ser.,  Bd.  1,  S.  58. 

>)  Vergl.   aach:   J.   J.  Weyrauch,   Das  Prinrip   von  der  Erhaltong  der 
seit  R.  Mayer,  Leipzig,  A.  G.  Teubner,  1885,  S.  37. 


E.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen.  971 

Durch  iänfährung  des  inneren  specifisohen  ArbeitevermögenB  ü  ge- 
langt Z  e  n  n  e  r  zu  den  .Gleichungen : 


und  daraus  zu: 


ov  dp 

dp         dv  ' 


X  =  tT '  c^  '  -^—  Y  ^=  J  •  Cp 


welche  er  die  erste  Hauptgleichung  nennt,  und  wird,  indem  er  8  durch 
27  ersetzt,  auf  die  Formel: 

dT  dT 

dp  ov 

geführt,  welcher  er  den  Namen  zweite  Hauptgleiohung  giebt.  Berück- 
sichtigt man,  dass: 

dT  ^        ^  dT 

■5—  X  ^=  J  '  Cp  *  -5—, 

dp  ^     dv 

BO  kommt  man  auf  die  bekannten,  früher  Ton  uns  mitgetheilten,  zuerst 
von  Clausius  abgeleiteten  Gleichungen  zurück. 

Besondere  Verdienste  hat  sich  Zeuner  dadurch  erworben,  dass  er 
die  zum  Theil  complicirten  Gleichungen  für  das  Verhalten  der  Dämpfe, 
auf  welche  die  Versuche  und  die  mechanische  W&rmetheorie  führten, 
durch  einfache,  für  die  praktische  Rechnung  bequemere  Näherungsformeln 
ersetzt  hat.  Einzelne  Probleme  sind  auf  diese  Weise  überhaupt  erst  einer 
rechnerischen  Behandlung  zugänglich  geworden. 

Allgemein  bedient  man  sich  der  von  Zeuner  für  die  gesättigten 
I>ämpfe  verschiedener  Substanzen  berechneten  Tabellen^);  dieselben  ent- 
halten alle  jene  Grössen,  welche  bei  Lösung  technischer  Aufgaben  häufig 
Verwendung  finden. 

Von  hervorragender  Bedeutung  sind  Zeuner 's  Untersuchungen  über 
die  Vorgänge  beim  Ausströmen  von  Gasen  un'd  Dämpfen,  mit  welchen 
sich  derselbe  sowohl  experimentell  als  theoretisch  vielfach  beschäftigt  hat. 

Besondere  Beachtung  haben  auch  Zeuner 's  Untersuchungen  über 
die  Zustandsgieichung  überhitzter  Dämpfe  gefunden.  Dieselben  stützen  sich 
auf  die  von  ihm  als  Hirn'sches  Gesetz  benannte  Annahme,  dass  die 
Aenderung  der  inneren  Energie  bei  diesen  Dämpfen  dem  Producte  p  .  v 
proportional  sei.  Ausserdem  macht  er  die  Annahme,  dass  die  specifische 
Wärme  Cp  bei  constantem  Drucke  constant  und  der  Ausdehnungscoefficient 
cCp==.conat  Unabhängig  von  v  sei^). 

Diese  Annahmen  stimmen,  wie  Grashof')  gezeigt  hat,  mit  dem 
durch  die  Versuche  von  Hirn  und  Cazin^)  als  nähemngsweise  richtig 


^)  Vergl.  Zenner,  Grandzüge  der  mechan.  Wlirmetheorie,  2.  Aufl.,  S.  253  a.  s.  f. 
^)  Zeuner,    Zeitschrift   des  Vereins  Deutscher   Ingenieure,    Bd.    11,    1866   und 
Bd.   12,  1867. 

^  Grashof,  Theoret.  Maschinenlehre.   Leipzig,  Voss,  1875,  Bd.  1,  S.  198  u.8.f. 
^)  Hirn  und  Cazin,  Ann.  de  Chim.  et  de  Phys.,  4.  Serie,  Bd.  10. 


972  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie 

erwiesenen  Satze  überein,  dass  bei  ZostandBanderongen  öberhitster  Diiipfi 
nach  der  adiabatischen  Carve  die  Gleichung: 

T=  Constplir 

gelte,  wobei  n  nicht  den  Quotienten  der  specifischen  Wärmeoi  ■onden 
eine  andere  aus  den  Versuchen  zu  bestimmende  Constante  bedeutet 

Als  Zusii^ndsgleiohung  ffir  die  überhitzten  D&mpfe  ergiebi  sich  nf 
diese  Weise  i): 

worin  p^  v  und  T  die  gewöhnliche  Bedeutung  haben, 

B  =  ü^  ■  <i  uBd  S  und  . 

<^.U  d.d. 

In  Wirklichkeit  ist  allerdings  S  nicht  ganz  constant.  Wird  dar 
Druck  p  in  Atmosphären  ausgedruckt,  so  genügt  es,  wenn  man : 

n  =  T ,  S  =  0,186  und  B  =  0,004924 
4 

setzt  ^). 

Für  die  Wärmemenge,  welche  erforderlich  ist,  um  1  kg  Wasser  Toa 
0^  bei  dem  con stauten  Drucke  p  in  überhitzten  Wasserdampf  toh  der 
absoluten  Temperatur  T  überzuführen,  wobei  er  das  specifische  Yolona 
V  besitzt,  hat  Zeuner: 

A  =  476,11  +  4.  .J.p  .V 
gefunden. 

Vom  rein  physikalischen  Standpunkte  aus  haben  diese  UnterBiidia&- 
gen  jetzt  insofern  geringere  Bedeutung ,  als  man  aus  den  neueren  os* 
fanglicheren  Untersuchungen  von  van  der  Waals,  Glausias  u.  A.  (fjl 
S.  856  u.  s.  f.)  erkennen  kann,  dass  die  zu  Grunde  gelegte  Annahme  tb 
der  Gültigkeit  des  Hirn' sehen  Gesetzes  nicht  richtig  ist.  Für  dieLöeimf 
praktischer  Aufgaben  behalten  jedoch  die  Zeuner 'sehen  ein£acki 
Näherungsformeln,  welche  innerhalb  der  den  Techniker  interessirenda 
Grenzen  keine  zu  grossen  Abweichungen  Ton  den  experimentell  g^u- 
denen  Zahlen  zeigen,  ihren  vollen  Werth. 

Die  calorimetrischen  Untersuchungen  der  Dampfmaschine  benrtheSl 
Zeuner  nicht  unwesentlich  anders,  (ils  dies  Hirn  und  seine  Geno»« 
thun.  Zunächst  hält  er  die  Expansionscurve  der  Indicatordiagramme  fir 


^)  Zeuner,  Civilingenienr,  Bd.  13,  8.  Heft. 

^)  Ueber  die  ZaISssigkeit  der  Zenn er' sehen  Annahmen  hat  sich  besonders  J.  J. 
Weyrauch  in  seiner  Abhandlung:  Neue  Theorie  der  überhitzten  Dimpfe,  Zcttsc^nft 
des  Vereins  Deutscher  Ingenieure,  Bd.  20  und  Bd.  21,  abfällig  ansgesprodien  and  dir 
auf  hingewiesen ,  dass  diese  Annahmen  gelegentlich  auf  einander  widersprecheDde  Ec- 
suitate  fuhren.  Zeuner  hat  wiederum  ziemlich  scharf  im  21.  Bande  der  Zcitscinä 
d.  Vereins  Deutscher  Ingenieure  entgegnet,  was  eine  abermalige  Erwiderung  Weyrauch*! 
auf  S.  241  desselben  Bandes  veranlasst  hat. 


E.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen.  973 

keine  Gleichgewichtscunre,  weil  der  Zutritt  des  Dampfes  während  der 
Admissionsperiode  stürmisohe  Bewegungen  des  Dampfes  veranlasst,  welche 
sich  nicht  sobald  vollstfindig  verlieren.  Er  gläubig  daher,  dass  die  In- 
dicatordiagramme  für  den  Yorderdruck  -  in  der  Mitte  des  Kolbenlaufes 
bei  calorimetrischen  Untersuchungen  der  Dampfmaschine  keine  Verwendung 
finden  können.  Femer  ist  Zeuner  der  Meinung,  dass  die  Erscheinungen, 
welche  Hirn  und  Genossen  ausschliesslich  der  Einwirkung  der  in  den 
Wandungen  der  Cylinder  zurückbleibenden  positiven  oder  negativen 
Wännemengen  zuschreiben  (vergl.  S.  963),  atych  dadurch  erklärt  werden 
könnten,  dass  man  annimmt,  es  sei  auf  den  Cylinderwandungen  und  im 
Gjlinderraume  eine  nicht  unbeträchtliche  Wassermenge  ^)  vorhanden. 

Hirn  und  Hailauer ^)  haben  in  ihrer  Erwiderung  nicht  gerade 
die  Sache  selbst,  wohl  aber  die  Grösse  des  Einflusses  dieser  Vorgänge 
entschieden  bestritten.  Jedenfalls  ist  durch  die  aus  dieser  Differenz  sich 
ergebende  Discussion  die  Einsicht  in  die  Vorgänge,  welche  sich  in  der 
Dampfmaschine  vollziehen,  wesentlich  gefördert  worden. 

Zuerst  hat  Zeuner  in  seiner  Abhandlung:  Ueber  die  Wirkung  des 
Drosseins  etc. ')  auf  die .  UnwirthschafÜichkeit  dieses  Verfahrens  vom 
Standpunkte  der  mechanischen  Wärmetheorie  aus,  sowie  auf  die  Bedeu- 
tung der  im  schädlichen  Baume  auftretenden  Gompressionen  hingewiesen. 

Ein  ganz  neues  Untersuchungsgebiet  hat  Zeuner  mit  seiner  Ab- 
handlung über  die  Wirkung  des  Verdrängers  bei  Luftmaschinen  ^)  er- 
öffnet. Die  Frage  selbst  hat  aber  wesentlich  technisches  Interesse,  so  dass 
wir  hier  auf  eine  nähere  £k*örterung  der  Natur  des  Problems  verzichten 
müssen. 

5.    Qrashof,  O.  Sohmidt  und  Weyrauoli. 

In  der  Discussion  zwischen  Zeuner  einerseits  und  den  Elsässern 
andererseits  hat  sich  Grashof  ^)  das  Verdienst  erworben,  mit  voller  Ob- 
jectivität  den  wissenschaftlichen  Werth  der  beiderseitig  gegenüber  ge- 
stellten Behauptungen,  soweit  dies  irgend  angänglich  war,  durch  eine  mathe- 
matische Behandlung  der  einzelnen  Fragen  klar  zu  stellen.  Er  zeigte, 
dass  zwar  die  Energiemenge  der  wirbelnden  Bewegung  des  in  den  Cylin- 


^)  Vergl.  Zeuner,  Civilingenieur,  Bd.  1881,  S.  385  und  Bd.  1882,  S.  353. 

^)  Hirn  und  Hallauer,  Bulletin  de  la  Soci^t^  industr.  de  Mulhouse  1881, 
3.   313  und  360. 

^  Zeuner,  Civilingenieur  1875,  Bd.  21. 

*)  Zeuner,  Civilingenieur  1883,  Bd.  29. 

*)  F.  Grashof  wurde  in  Düsseldorf  geboren.  Er  besuchte  bis  1843  das  Gym- 
nasium zu  Düsseldorf  und  bis  Ostern  1847  das  Gewerbe-Institut  in  Berlin,  arbeitete  im 
Sommer  desselben  Jahres  praktisch  in  einer  Giesserei  und  diente  im  Jahre  1848  sein 
Preiwilligenjahr  ab.  Von  1849  bis  1851  war  er  als  Volontair  auf  einem  Hamburger 
ECauffahrteischiffe  in  Ostindien  und  Australien,  besuchte  von  Ostern  1852  an  das  Ge- 
werbe-Institut in  Berlin  als  Lehramtscandidat  und  wurde  schon  1854  nach  abgelegter 
Staatsprüfung   Lehrer   der  Mathematik  und  Mechanik   an  derselben  Anstalt.     Im  Jahre 


974  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wännetheorie. 

der  einströmenden  Dampfes  ohne  wesentlichen  Fehler  ▼emarMSMft 
werden  könne,  dass  aber  wegen  der  Unsicherheit,  welche  hinsiGlitikb 
des  Wärmeaustaasches  zwischen  Cylinderwandangen  und  Dampf  in  Ter 
Bchiedenen  Stadien  der  Zustandsänderong  des  Dampfes  besteht,  die  Ib- 
dicatordiagramme  nur  mit  grosser  Vorsicht  far  die  BeurtheOnng  d« 
calorimetrisch     yerfolgbaren    Vorgänge     verwendet    werden     duHa'^ 

Gestützt  auf  die  Untersuchungen  von  Forbes  und  Angstrom  Int 
Grashof  ^)  neuerdings  mit  der  ihm  charakteristisehen  Feinhät  im 
mathematischen  Analyse  dis  Wärmeleitung  in  den  Gylinderwandvigfi 
einer  näheren  Untersuchung  unterworfen,  wonach  man  über  den  Be 
trag  dieser  periodischen  Wärmezu-  und  Abfuhr  sieh  ein  nngefikn 
Bild  zu  machen  im  Stande  ist. 

Besondere  Verdienste  hatte  sich  Grashof  ausserdem  Bchoo  frikr 
durch  die  Abfassung  seiner  „Resultate  der  mechanischen  Warmetheoiie^ 
erworben  (1870),  welche  er  als  Anhang  der  von  ihm  beBorj^n  Augibe 
Yon  Redtenbacher's  Resultate  für  den  Maschinenbaii  binzufiigte. 
Neuerdings  hat  Grashof  im  ersten  Bande  seines  vierbändigen  Wecket: 
„Theoretische  Maschinenlehre"  ')  auch  die  sämmtlichen  AnwendioifB 
der  mechanischen  Wärmetheorie  in  der  Maschinenlehre  in  miuterifdlt^ 
Weise  zusammengestellt.  In  diesem  Werke  findet  sich  auch  jene  UaUr 
suchung,  durch  welche  die  gemeinsame  Wurzel  und  der  Ziuammenhaig 
der  von  Zeuner  einerseits  und  von  G.  Schmidt  andererseits  herrahr«* 
den  Behandlungen  der  Theorie  der  überhitzten  Dämpfe  nachgewiesen  wiri 

Obgleich  viel  weniger  schöpferisch  als  Zeuner,  hat  doch  cur  Yerim- 
tung  der  mechanischen  Wärmetheorie  in  den  Kreisen  der  Techniker 
G.  Schmidt^)  nicht  wenig  beigetragen.  Er  war,  zumal  was 


1855  übernahm  er  die  Leitung  der  Berliner  Aichämter,  wurde  1860  von  der  rniTe«> 
sität  Rostock  zum  Doctor  philosophiae  honoris  causa  ernannt  und  wurde  184^3  <äer 
Nachfolger  Bedtenbacher's  in  der  Professur  für  Maschinenbau  am  Karismlia'  PaSr^ 
technicum,  woselbst  er  noch  heute  sehr  segensreich  wirkt. 

^)  Vergl.  Grashof,  Calorimetrische  Untersuchung  der  Dampfmaachinen.    Zeitsc^. 
d.  Vereins  Deutscher  Ingenieure,  Bd.  27,  S.  161. 

^)  Grashof,  Ueber  die  Wärmeleitung  in  den  Cylinderwinden  Ton  Dunpfmasckiaa. 
Zeitschr.  d.  Vereins  Deutscher  Ingenieure,  Bd.  28,  S.  292. 

*)  Leipzig,  Verlag  von  Voss,  1875  bis  1884. 

*)  Gustav  Schmidt  wurde  am  16.  September  1826  in  Wien  geboren,  erkicä 
seine  Schulbildung  auf  der  Realschule  seiner  Vaterstadt,  studirte  hierauf  an  der  Pth^ 
technischen  Schule  in  Wien  und  absolvirte  dieselbe,  als  Vorzugs  schul  er,  1^45, 
Schmidt  besuchte  in  den  Jahren  1848  und  1849  die  Bergakademie  in  Leobcn,  er- 
hielt schon  1849  die  Stelle  eines  Aasistenten  daselbst  und  wurde  1853  wiiküdv 
Knnstmeister  in  Joachimsthal.  Von  1856  bis  1858  besuchte  Schmidt  (mit  Cila«^ 
die  Polytechnische  Schule  in  Karlsruhe  um  Redtenbacher's  berühmte 
thode  der  Verhältnisszahlen  im  rationellen  Maschinenbaue  etc.  gründlich  ki 
lernen  und  wurde  bei  seiner  Rückkehr  erst  Docent  an  der  Bei^gakademie  zu  PniInK 
und  dann  in  Leoben.  Im  Jahre  1862  folgte  er  einem  Rufe  als  Professor  der 
an  die  Polytechnische  Schule  in  Riga,  nahm  aber  schon  1864  die  Stelle  als 
des  Maschinenbaues  am  Polytechnicum  in  Prag  an,  in  welcher  Stellung  tf  bis  an 
Tode  höchst  verdienstlich  wirkte.     Er  starb  am  25.  Januar  188^. 


E.    Geschichte  der  technischen  Anwendungen.  975 

g'en  und  Referate  anbetrifft,  von  einer  geradezu  erstaunlichen  Fruchtbar- 
keit. Durch  diese  unermüdliche  Arbeit  lenkte  er  die  Aufmerksamkeit 
der  Techniker  immer  aufs  Neue  wieder  auf  die  Anwendungen,  welche  die 
Methoden  und  Gleichungen  der  mechanischen  Wärmetheorie  in  der 
Maschinenlehre  finden  können,  und  gab,  indem  er  das  fär  den  Praktiker 
Wichtigste  heraushob  und  mit  eigenen  treffenden,  kritischen  Bemerkungen 
begleitete,  Anregung  zu  anderweiten  Behandlungen  der  einzelnen  Auf- 
gaben. 

Seine  „Theorie  der  Dampfmaschinen **  und  die  Abhandlungen:  „Die 
Gesetze  und  Kräfte  der  relativen  Bewegung",  „Ueberblick  der  verschie- 
denen Turbinentheorien"  haben  mit  der  von  uns  hier  behandelten  Dis- 
Giplin  minder  zu  thun.  —  Von  Werth  sind  jedoch  seine  kritischen  Be- 
merkungen und  Beiträge  über  die  calorimetriscbe  Untersuchung  der 
Dampfmaschine  ^).  Von  ihm  rührt  auch  diese  treffende  Bezeichnung  her, 
"Während  Hirn  und  seine  Genossen  denselben  Gegenstand  mit  dem  Namen 
„Praktische  Theorie  der  Dampfmaschine"  bezeichnen. 

Vielseitige  Beachtung  hat  jedoch  die  Abhandlung :  „Ueberdie  innere 
Pressung  und  Energie  überhitzter  Dämpfe"  ')  gefunden.  Die  Voraus- 
setzungen, aufweichen  die  Schmidt 'sehe  Untersuchung  ben:(ht,  sind 
denjenigen  sehr  ähnlich,  von- welchen  Zeuner  ausgegangen  ist,  und 
bilden  in  gewissem  Sinne  das  Gegenstück  zu  denselben.  Auch  Schmidt 
erkennt  das  Hirn* sehe  Gesetz  für  überhitzte  Dämpfe  als  richtig  an,  dass 
die  Aenderung  der  inneren  Energie  bei  Zustandsänderungen  dem  Pro- 
ducte  p .  V  proportional  sei. 

Während  aber  Zeuner  Cp  als  constant  für  alle  Drucke  und  Tem- 
peraturen annimmt,  setzt  Schmidt  c«  als  constant  voraus,  und  während 
Zeuner  den  Ausdehnungscoefficienten  cCp^oonH  als  vom  Volumen  v  unab- 
hängig betrachtet,  nimmt  Schmidt  an,  der  Spannungscoefficient  (^^chfigt 
habe  für  alle  Drucke  denselben  Werth.  Auch  Schmidt  geht  davon  aus, 
dass  die  Gleichung  der  Zustandsänderung  nach  der  adiabatischen  Curve 
die  schon  von  Rankine  vermuthete  allgemeine  Form: 

T  =  Const  p  * 

habe,  wo  h  eine  Constante  bedeutet.    Auf  diese  Weise  gelangt  Schmidt 
für  die  Zustandsgieichung  überhitzter  Dämpfe  auf  die  Form : 

c 
p.v  =  B.T  '-'  v*-\ 

worin  Bj  C,  k  Constante  sind. 

Auch  diese  Schmidt' sehe  Formel  ist  für  praktische  Zwecke  als 
Näherungsformel  anwendbar;   sie   ist   jedoch  weniger   genau    als    die 


1)  G.  Schmidt,  Dingl.  Joorn.  Bd.  244,  S.  1,  S.  89  und  S.  257;  Bd. 246,  S.  105. 
Technische  Blätter,  1880,  2.  Heft.     Maschinenbaner,  Bd.  17,  Heft  7,  S.  119. 

2)  G.  Schmidt,  Sitznnfcsber.  d.  Wien.  Akad.  2.  Abthl.,  Bd.  86  (1882). 


976  V.    Geschichte  der  mechanischen  Wännetheorie. 

Zeuner'sohe,  und  die  gegen  jene  erhobenen  Einwendungen  gM&k 
f&r  diese  ^). 

Anknüpfend  an  die  beiden  eben  genannten  Behandlongen  dee  Pro- 
blemes  der  überhitzten  Dämpfe  hat  später  Weyrauch  eine  auf  wenifer 
Annahmen  begründete  Theorie  der  überhitzten  Dämpfe  gegeben.  DerBdbt 
glaubt  aus  den  Hirn 'sehen  directen  Wägungen  des  überhitsten  Wi 
dampfes  den  Erfahrungssatz  ablesen  zu  dürfen:  DasProduct  ans 
und  Volumendifferenz  des  überhitzten  und  gesättigten  Dampfes  ist  direct 
proportional  der  Ueberhitzung. 

Diese  Annahme  führt   für  die  überhitzten  Dämpfe  auf  eine  dem 

Gay-Lussac-Mariotte'schen  Gesetze  sehr  ähnliche  Zustandsgleickng, 

welche  lautet: 

p  .  (e;  —  8)  =  B  .  r, 

worin  s  das  dem  Drucke  p  entsprechende  specifische  Volumen  des  reina 
gesättigten  Dampfes,  v  die  in  Graden  angegebene  üeberhitzuiig  und  S 
eine  Gonstante  =  0,004924  ist  (vorausgesetzt,  dass  p  in  Atmosphäres 
gegeben  wird). 

Diese  Art  der  Behandlung  des  Problemes  hat  vor  der  Ton  Zeuner 
und  Schmidt  gewählten  den  grossen  Vorzug,  dass  sie  von  inneres 
Widersprüchen  frei  ist  und  jene  beiden  als  specielle  Fälle  in  sich  schlicset. 
wenn  man  weitere,  allerdings  nicht  ohne  Bedenken  zulässige  Annahmes 
über  die  specifischen  Wärmen  Cp  oder  Cv  hinzufugt.  —  Da  die  Wey- 
rauch'sehe  Gleichung  nur  eine  verfügbare  Gonstante  enthält,  istne  ent- 
schieden einfacher,  als  die  von  Zeuner  und  Schmidt  gegebenen  Gks- 
chungen,  sie  schliesst  sich  aber  in  Folge  dessen  auch  minder  eng  an  dk 
Versuchsergebnisse  an,  als  es  jene  thun  können,  wenn  man  die  Constur 
ten  passend  wählt.  Keine  dieser  Formeln  stellt  die  wirkliche  Znstandr 
gleichung  der  überhitzten  Dämpfe  dar,  und  erst  die  Untersuchungen  m 
van  der  Waals  und  Glausius,  welche  sich  auf  die  kinetische  Mole- 
culartheorie  stützen ,  haben  uns  der  wahren  Form  derselben  näher  ge- 
bracht, leider  aber  auch  zu  der  Ueberzeugung  gefuhrt,  dass  diese  Z>- 
standsgleichung  wahrscheinlich  viel  zu  complicirt  ist,  um  für  die  Löosf 
praktischer  Aufgaben,  wie  sie  die  Technik  stellt,  unmittelbar  ohne  Ter- 
einfachungen  Anwendung  finden  zu  können. 

^)  Yergl.  Weyrauch,   Neae  Theorie  der  überhitzten  Dämpfe,   Zeitschrift  d.  Yc- 
eins  Deutscher  Ingenieure,  Bd.  20  und  21. 


ALPHABETISCHES 

3ACH-  UlfD  NAMEN-REGISTER 

zun 

ERSTEN  UND  ZWEITEN  BANDE. 


A. 

A.bel,  Bestandtheile  und  Zersetzung  des  Sohiesspulvers  n,  457;  Theorie  der 
Bewegung  derGescboaee  in  den  Kanonenrohren  II,  477;  Yersnehe  über  den 
Brack  der  Palvergase  n,  483 ;  Einfloss  der  Beimengung  indifferenter  Stoffe 
zu  Explosivkörpem  II,  501;  Versuch  mit  Knallquecksilbern,  512;  Einfluss 
der  Art  der  Entzündung  von  Explosivkörpem  auf  die  Wirkung  derselben 
n,  514;  Hypothese  von  den  synchronen  Schwingungen  II,  521. 
Absolute  Einheiten  s.  Einheiten. 
Absoluter  Nullpunkt,  Unerreichbarbeit  desselben  I,   107;  n,  11;  Bedeutung 

desselben  I,  464;  Lage  desselben  I,  464. 
absolute  Temperatur  I,  403,  463;  II,  11,  35.    Yergl.  mit  Luftthermometer  I, 

555;  n,  1000. 
Absorption,  Spectrum  des  Chlorophylls  I,  127;  der  Gase  I,  750  bi9  763. 
Abweichungen  der  Gase  vom  Mariotte'schen  Gesetze  I,  263,  541,  547; 
II,  243;  der  Dämpfe  vom  Mariotte-  tmd  Gay-Lussac'schen  Gesetze  I, 
698  bis  705 ;  II,  952. 
\dams,  Veränderung  in  der  Daner  der  Erdrotation  n,  818. 
Adiabatische  Coefficienten  I,  503. 

&.equivalent,  mechanisches,  der  Wärme  I,   11,  30,  59,   61,  74,  93,  115,  186 
bis  193,  196,  209,  218,  232,  235,  558,  618;  II,  621,  622,  630,  671,  688,  810, 
890,  900,  905,  912,  920  bis  924,  943,  963;  Zusammenstellung  aller  Werthe 
n,  966  bis  968;   Unveränderlichkeit  desselben  I,  212;  thermodynamisches 
II,  357. 
Aequi Valenz  der  Verwandlungen  I,   137,  405;  der  Wärmeerscheinungen  I, 
174;  von  Wärme  und  chemischer  Arbeit  II,  274;  von  Wärme  und  Arbeit 
bei  Inductionsströmen  II,  627;  do.  in  galvan.  Elementen  n,  668;  Einwände 
gegen  die  Aequivalenz  von  Wärmetönung  und  electromotorischer  Kraft 
U,  716. 
^equivalenzwerth  I,  405;  II,  929. 
^ether,  physik.  Gonst.  desselben  I,   490,  560,  582,   584,   587,   595,  623,  685; 

Verbindungswärmen  derselben  n,  330. 
^ffinitätscoefficient  H,  433. 

^Sfi»T®8&tzustand,  Aenderung  desselben  I,  559;  derselbe  vom  Standpunkte 
der  Cl au sius' sehen  Moleculartheorie  aus  betrachtet n,  39;  Einfluss  des- 
selben auf  die  Verbindungswärmen  II,  284. 
Rflhlmftnn,  Mechan.  W&rmetheorle.    Bd.  II.  Q2 


978  Alphabetisches  Sach-  und  NamenregiBter. 

Alkohol,  spedfische  Wärme  desselben  I,  490;  Ausdehnungsooefficieiit  I,  4f&; 
CompressioDSCoefficient  I,  490;  kritische  Temperatur  ^  560,  685;  Bgaasr 
kraft  eto.  I,  595;  specifische  Wärme  des  Dampfes  I,  622;  innere  IsteB» 
Wärme  I,  685;  YerbindungHwärmen  derselben  II,  330. 

Amalgame,  electromotorische  Kraft  derselben  I,  65. 

Amalgamiren  des  Zinks  in  den  galvanischen  Elementen  II,  678. 

Amagat,  Verhalten  verdünilter  Gase  I,  547. 

Ammoniak,  mittlere  Moleculargeschwindigkeit,  Wegl&nge  der  Molecik 
Beibungscoefiicient  II,  227;  Transspirationscoefflcient  n»  126;  Wirae* 
leitungscoefficient  Ü,  202,  207;  Beschaffenheit  der  Molecöle  IE,  227  faa 
239;  WärmetönuDgen  II,  293. 

Andrews,  kritische  Temperatur  I,  561;  Bestimmungen  von 
II,  290 ff.;  Sätze  über  dieselben  II,  357. 

Arbeit,  Definition  I,  2 ;  gleich  Aenderung  der  lebendigen  Kraft  I,  S,  150; 

derselben  I,  3;  innere  und  äussere  I,  24;  innere  in  KzystaÜoD  etc.  I,  §$; 
Yerhältnlss  der  inneren  und  äusseren  Arbeit  bei  Gasen  I,  265;  ijjaphjsrtt 
Darstellung  der  äusseren  Arbeit  I,  207,  412;  desgl.  der  inneren  Arbeü  1,413. 
Arbeit  der  chemischen  Kräfte  bei  der  Bildimg  von  Verbindungen  II,  274;  4a 
ßchlesspulvers  bei  der  Explosion  II,  467,  476,  481;  bei  galvaninchfiP  Cti6Meü 
II,  604,  721;  bei  Inductionsströmen  ^,  629,  631;  bei  ElectiamotarcD  E 
650;  bei  der  Kraftübertragung  durch  dieselben  n,  664. 

Atmosphäre,  Erklärung  des  Druckes  derselben  aus  der  Mölaciüaztfateci 
(nach  Krön  ig)  II,  26;  indifferentes  Gleichgewicht  derselben  im  trockeMi 
Zustande  11,  777;  do.  in  dem  mit  Wass^ampf  ungesattigiten  Zmteaii 
II,  782;  do.  im  gesättigten  Zustande  II,  785,  789;  Formel  for  die  TeiE|B- 
raturabnahme  mit  der  Höhe  in  derselben  im  1.  Falle  II,  780,  im  2.  Mi 
II,  784,  im  1  Falle  U,  787;  labiler  und  stabUer  GleichgewichtmB&cd 
derselben  11,  794;  die  barometrischen  Mazima  n,  797,  lOnima  n,  TM. 
Cy klonen  II,  801 ;  Toiiiados  II,  803 ;  Ursache  der  atmosphäriacben  Niedv- 
schlage  n,  803;  Föhn  und  verwandte  LuftstrOmnngen  U,  805;  ferts 
Weltkörper  nach  Bitter  II,  860. 

Atomgewichte,  Allgemeines  II,  -256 ;  Beadehung  zur  speciflaclien  WlnK  H 
259;  Tabellen  derselben  n,  260;  Bestimmungsweise  derselben  n,  262. 

Atomverbindungen  11,  276. 

Atomwärme  II,  260. 

Auflösung  von  Gasen  in  Flüssigkeiten  I,  751  bis  764;  fester  Salsel,  7641»  713^ 

Ausdehnung  der  Gase  I,  265,  Aiudehnung  längs  einer  adiabatiscfaen  Carve I,  f*^ 

Ausdehnungscoefficient  des  Wassers  ^  487;  des  Alkohols   I,   490;  4b 
Aethers  I,  490;  des  Quecksilbers  I,  '491;  des  Kautschuks  I,   532; 
Metalle  I,   495,  519;   adiabatischer  I,   504;   Beziehungen   deBsetben 
Elasticitätscoefficienten  I,  524. 

Ausdehnungsgesetz,  der  Gase  I,  88;  II,   242,   952  bis  955; 
desselben  I,  559;  der  überhitzten  Dämpfe  II,  953  bis  955,  978. 

Ausfluss  von  Flüssigkeiten I,  196;  Poiseuille's  GesetzU,  113;  von 

(Hirn)  I,  217;  neue  Darstellung  des  Ausflusses  der  Gase  darch  Zeaaer 
I,  304;  Ausflussexponent  I,  310. 

Auspuffwärme  n,  965. 

Ausströmen  von  Gasen  I,  283,  aus  einem  Grefässe  in  ein  anderes  I,  296;  IL 
112;  von  Luft  in  die  Atmosphäre  I,  301;  Einströmen  in  ein  Geftssl,  301; 
von  Dämpfen  I,  631. 

Avenarius,  kritische  Temperatur  I,  564,  685;  empirische  Fomid  ifir  £• 
electromotorische  Kraft  eines  Thermoelementes  II,  765. 

Avogadro's  Hypothese  n,  24,  228,  256,  262,  266,  952,  958. 

Axiom,  Clausius'sches,  vom  Uebergange  der  Wärme  I,  109,  869;  II,  931; 
vonNewton  I,  152;  Thomson'sches,  welches  dem  zweiten  Haaptsü* 
zu  Grunde  liegt  II,  937. 

B. 

V.  Babo,  Damp/bpannungen  der  Salzlösungen  I,  769. 
Barometer-Maxima  II,  797;  -Minima  II,  799. 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  979 

Kauschinger,  Ueberströmen  von  Gasen  zwischen  zwei  Oefässen  I,  296. 
^öclard,  Versucbe  über  Erw&rmang  arbeitender  Muskeln  I,  67. 
kecquerel,  Bestätigung  des  Joule'  sehen  Gesetzes  (über  die  Wftrmeentwicke- 

Inng  durch  den  galvanischen  Strom)  II,   606;  thermoeleotrische  Wirkung 

von  Kno.ten  in  Drähten  II,  739,  775. 
\  Beetz,  electromotorische  Kraft  der  Gase  II,  690,  696. 
^ellati,  Formel  für  das  Peltier'sche  Phänomen  II,  774. 
lernoulli,  Jacob,  Anfänge  der  kinetischen  Gastheorie  II,  878. 

—  Johann,  Wärme  ein  Bewegungszustand  II,   878;  gebraucht  das  Wort 
£nergie  zuerst  II,  878. 

—  Daniel,  Gastheorie  I,  72;  n,  12  bis  16;  Wirbeltheorie  U,  251,  959;  Be- 
deutung für  die  mechanische  Wärmetheorie  n,  879. 

Berthelot,  Satz  über  die  Wärmeentwiokelung  bei  physikalischen  und  chemi- 
schen Vorgängen  II,  275;  Prindp  der  Maximalarbelt  II,  277;  Einfluss  von 
Aggregatzustand  und  Temperatur  auf  die  Yerbindungswärme  II,  284; 
Bestimmung  von  Wärmetönungen  II,  290  £f.;  Wärmeabsorption  bei 
liösungenll,  406,  408;  Dissociation  durch  *den  electrischen  Funken  II,  486, 
445;  über  Schiesspulver  n,  456;  explosive  Gasgemische  II,  496;  Nitro- 
glycerin II,  500,  514;  Schiessbaumwolle  II,  505;  Pikrinsäure  und  Pikrate 
II,  510. 

Be^weis  des  zweiten  Hauptsatzes,  Allgemeines  I,  391;  von  Carnot  und 
Clausius  I,  368;  aus  allgemeinen  mechanischen  Grundprincipien  I,  425; 
*  Geschichtliches  darüber  II,  937. 

Billweiler,  über  den  Föhn  U,  808. 

Blaserna,  physikalisches  Verhalten  der  Kohlensäure  I,  548. 

Blei,  physikalische  Constanten  1, 519;  Atomwärme  II,  260;  Verbindungswärmen 
n,  300. 

Blut,  Beziehungen  der  Farbe  desselben  zur  mechanischen  Wärmetheorie  I,  133. 

Boltzmann,  Herleitung  des  zweiten  Hauptsatzes  aus  mechanischen  Prinoi- 
pienl,  425,  452;  Wärmeleitung  der  Gase  II,  169,  200,  203;  Natur  derGas- 
molecüle  II,  231,  249;  die  Avogadro'sche  Hypothese  für  mehratomige 
Gase  II,  263;  die  speciflsche  Wärme  fester  Körper  ist  doppelt  so  gross 
als  die  wahre  Wärmecapacität  n,  271;  Gastheorie  n,  231,  248  bis  250; 
Bedeutung  für  die  Geschichte  der  kinetischen  Atomistik  n,  948,  949,  951, 
957,  958. 

Bosscha,  Wärmeentwickelung  in  einem  Daniel!' sehen  Elemente  II,  687; 
Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  II,  688,  967. 

Boyle,  über  das  Wesen  der  Wärme  II,  872. 

Braun,  Einwendungen  gegen  die  mechanische  Theorie  der  electrochemischen 
Erscheinungen  n,  716. 

Bromwasserstoffamylen,  Dissociation  desselben  II,  373. 

Budde,  Erweiterung  der  Clausius' sehen  Theorie  der  Thermoelectricität  II, 
761;  experimentelle  Bestätigung  n,  .773;  Erklärung  des  Thomson'schen 
Phänomens  n,  775. 

Bnffon,  Erhaltung  der  Sonnen  wärme  I,  69;  n,  821. 

Bujs-Ballot,  Einwände  gegen  die  Clausius'sche  GastheorieH,  44,  46,  955. 

Bnnsen,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  654;  Absorptions- 
coeffident  der  Gase  I,  762;  Diffusion  der  Gase  II,  142;  Dissociation  in 
Flammen  II,  419;  über  Schiesspulver  II,  455,  463. 

0. 

Daignard  Latour,  kritische  Temperaturen  I,  560. 

Oailletet,  Verflüssigung  der  Gase  n,  952. 

Dalorimetrie  I,  177,  230,  II,  279. 

kalorimetrische  Untersuchung  der  Dampfmaschinen II,  963,  964,  972 bis  975. 

Carbaminsaures  Ammoniak,  Dissociation  desselben  II,  401. 

Carius,  Dissociation  der  Salpetersäure  II,  374. 

Carnot,  Beweis  des  zweiten  Hauptsatzes  I,  366;  Entdeckung  des  zweiten 
Hauptsatzes  I,  358,  366;  Carnot'sche  Function I,  403,  468;  II,  917,  918, 
921,   922;   Einführung  der  Kreisprocesse  I,   25;  II,   916;  Irrthum  seiner 

62* 


980  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

Theorie  I,  75;  H,   913,  914,  916;  KreiBprooess  des  Carnot  I,   320,  SS£. 
324;  eines  beliebigen  Körpers  I,  360;  Dampfmaschinentheorie  II,  914;  Bia- 
graphisches    II,    910;    Bedentong   für  die   Geschichte   der   meehaniKhea 
Wärmetheorie  II,  912  bis  916. 
Cascadeubatterie,  Wärmewirknngen  derselben  II,  588. 

C  a  z  i  n ,  Bestimmung  von  —  bei  Gasen  1, 273, 282 ;  Zastandsandemng  aberfaötztff 

Dämpfe  I,  709;  II,  965,  972. 

Gentralkräfte  I,  153. 

Charles,  Priorität  gegen  Gay-Lussac  I,  88. 

Chemische  Verbindungen,  die  Bildungen  derselben  sind  Wärmequellen  L  C. 

Chlor.  Beschaffenheit  der  Molecüle  II,  227  bis  239;  WännetoDongeii  II,  SK 

ChlorKohlenstoff,  physikalische  Const.  desselben  I,  595,  625,  6S5. 

Chloroform,  physikalische  Const.  desselben  I,  595,  625,  685. 

Chlorophyll,  Spectrum  desselben  I,  127. 

Chlorschwefel,  Dissociation  desselben  II,  378. 

Chlorstickstoff,  explosive  Eigenschaften  n,  498,  525. 

Chorwasserstoff,  Beschaffenheit  der  Molecüle  n,  227  bis  235;  Kentnüi- 
sationswärmen  II,  302;  Electrolyse  desselben  II,  698. 

Clapeyron,  Bedeutung  desselben  für  die  Geschichte  der  mechanischen  Wiin«- 
theorie  I,  75;  U,  917;  Biographisches  II,  917;  Gleichung  desselben  I,  €I4 
II,  918,  932. 

Clausius,  Axiom  desselben I,  109,  369;  II,  937;  Besprechung  der  Hirn'tda 
Versuche  I,  83 ;  Beweis  des  zweiten  Hauptsatzes  I,  368 ;  VerallgemeiBcnaf 
dieses  Beweises  I,  395  bis  403 ;  Entdeckung  des  zweiten  Hauptsatzes  1, 144 
358,  452;  Herleitung  des  zweiten  Hauptsatzes  aus  allgemeinen  medissi- 
schen  Principien  I,  425,  436,  452;  Condensation  des  Wasserdampfa  bb 
Expansion:  Entdeckung  I,  102;  Berechnung  ders.  I,  217,  606;  Sotropse  I. 
136;  II,  9,  929, 938;  Disgregation  1, 138;  II,  6,  937,  938;  Formel  bei  nidit  \mr 
kehrbaren  Kreisprocessen  I,  416 ;  allgemeine  Formeln  aus  den  Hanptntaa  I 
469  etc.;  Formeln  für  Verdampfiing  I,  579;  Dampfdichte  I,  617;  thermh 
sche  Curven  der  Dämpfe  I,  677 ;  Dampfinaschinentheorie  I,  720 ;  n,  936, 961; 
Moleculartheorie  der  Gase  I,  98;  II,  31,  947,  950;  Einwände  gega  ^ 
selbe  n,  44,  142,  955;  Widerlegung  der  letzteren  n,  46,  57,  63,  168,  §53; 
Bestimmung  der  mittleren  Weglänge  der  Ga^molecüle  n,  47,  58;  Aiiwa- 
dung  der  Moleculartheorie  auf  die  übrigen  Aggregatzostände  D,  3>: 
Virial  I,  437;  variirende  Bewegung  eines  Punktes  C  446;  WideriopDf 
der  Bank  in  ersehen  Hvpothese  I,  383;  Strahlung  zwischen  zwei  Fiidtti 
I,  384  bis  388;  Theorie  der  Wärmeleitung  in  Gasen  U,  169,  957;  Wäinc- 
capacität  der  Verbindungen  U,  273;  Potentialfunction  und  Potential  ek^ 
trischer  Massen  II,  558,  569;  über  die  bei  einem  galvanischen  StrcHneis 
einem  Leiter  gethane  Arbeit  und  erzeugte  Wärme  II,  599;  BrUämng  im 
Grove' sehen  Versuches  II,  613;  Theorie  der  thermoelectriscfaen  Ei^Mi- 
nungen  II,  754,  938 ;  neues  electrodynamisches  Grundgesetz  H,  938 ;  Biogn- 
phisches  II,  936;  Bedeutung  für  die  Geschichte  der  mechanischen  Wira»- 
theorie  n,  926,  936  bis  941;  Ausdehnungsgesetz  für  wirkliche  Gase  si^i 
Flüssigkeiten  n,  955. 

Clement  und  Desormes,    Bestimmung    des   Verhältnisses  der 
Wärmen  I,  274. 

Coefficient  der  Diffusion,  Wärmeleitung  etc.  s.  Diffusionscoefßcient,  Wii 
leitungscoefAcient  etc. 

Colding,  Bedeutung  für  die  mechanische  Wärmetheorie  I,  77;  n,  920;  Be- 
stimmung des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  II,  920,  966. 

Colladon,    Bestimmung    der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit    des  Schalles  a 

Wasser  I,  507. 
Committee  on  Explosives,  Versuche  über  den  Druck  der  Pnlvergase  in  G«- 

schützen  II,  485. 
Compression   entwickelt  Wärme  in  Flüssigkeiten  I,  484,   in  Gasen  I,  24*. 

in  festen  Körpern  I,  517. 
Compressionsooefficient,  Definition  desselben  I,  447,  499; 

I,  504;  einiger  Flüssigkeiten  I,  488  bis  491. 
Condensation  des  Wasserdampfes  bei  Expansion  I,  102,  216,  606. 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  981 

*onden8ation8coefficient  II,  238. 

^ondensatorische   Eigenschaften   der   Zeraetznngszellen   II,   701 ;    Ladung 

von  ZenetzungszeUen  II,  710. 
i^onstanten  der  Wärmelehre  I,  178;  gastheoretische  II,  227  bis  239 ^  thermo- 

chemische  der  Orandstoffe  U,  260. 
I?  ou  tacttheorie,  electrische  nach  v.  Helmholtz  II,  708. 
L>  on  tractionscoeffioient  I,  311. 

cf  ontractionstheorie  der  Sonne  von  v.  Helmholtz  II,  824. 
C^onvection  der  Wärme  II,  144;  electrolytische  I,  121;  II,  702,  711. 
C/onvections ströme  IT,  712. 
Doriolis,  mechanisches  Theorem  desselben  I,  87. 
D  nmming,  thermoelectrische  Versuche  II,  736,  774. 

C  y  a  n ,  Eigenschaften  der  Molecüle  II,  227  bis  239 ;  Wärmetönungen  II,  295. 
Cyklonen  und  Anticyklonen  n,  801 . 


D. 

I>ahlander,  Beziehung  zwischen  Ausdehnungscoefflcient  und  Elasticitäts- 
coefficient  I,  525. 

Dalton's  Princip  I,  751;  II,  130. 

Dämpfe,  Arbeitsleistung  derselben  I,  99;  Dichte  derselben  I,  597,  670;  II,  227, 
258;  s.  überhitzter  Dampf,  s.  Spannkraft. 

I>ampfgeschütze  II,  547. 

Dampfmantel  I,  724;  II,  962. 

Dampfmaschine,  Vorgänge  in  derselben  I,  199;  Bestimmung  des  mechani- 
schen Aequivalentes  der  Wärme  durch  dieselbe  I,  14,  17,  200  bis  203;  II, 
963;  Garnot 's  Theorie  derselben  I,  82;  II,  914;  Hirn 's  Versuche  I, 
200;  Dampfmaschinentheorie  I,  716  bis  734;  II,  936,  960  bis  965,  973  bis 
976;  calorimetrische  üntersuchungsmethode  ders.  II,  963,  964,  972  bis  975. 

Dampf  menge,  Curven  constanter,  I,  684. 

Dampf  wärme  I,  569,  584;  innere  I,  685;  Formel  von  Zeuner  II,  972. 

DanielVs  Element,  warum  ein  solches  nicht  Wasser  zersetzt  I,  64;  II,  677; 
Wärmeentwickelung  in  demselben  II,  682. 

Davy,  Beiben  von  Eis  I,  74,  198;  Gastheorie  II,  18;  Bedeutung  für  die  mech. 
Wärmetheorie  II,  895. 

Debray,  Dissociation  des  kohlensauren  Kalks  II,  382. 

Dehnung,  Wärmeerscheinung  bei  derselben  I,  512. 

Descartes,  Wärme  ist  Bewegung  II,  868;  Erhaltung  der  Energie  II,  870; 
Wirbeltheorie  II,  251,  959. 

Cf> 

Desormes,  Bestimmung  von  —  I,  274. 

Cv 

Detonation  von  Ezplosivkörpern  II,  515. 

Deville,   Dissociation  der  Untersalpetereaure   II,   372;   des  Wassers  II,   375; 

in  Flammen  II,  416. 
Diagramm,  thermoelectrisches  von  Thomson  II,  769. 
Dibbits,  Dissociation  wässeriger  Lösungen  II,  380. 
Dichte  von  Gasen  II,  227,  238;   von  Dämpfen  II,  258;   des  Wasserdampfes  I, 

597,  615. 
Diffusion  von  Gasen,  Bedeutung  II,   130;   Formeln   von  Stefan  II,    134;   Ex- 

perimentaluntersuchungen  von  Loschmidtll,  138;  Geschichtliches  II,  956. 
Diffusionscoefficient  II,  131,  134,  137,  140. 
Dirichlet's  Princip  II,  934. 
Disgregation  I,  138;  II,  6,  937,  938. 
Dispersionstemperatur  eines  Weltkörpers  II,  861. 
Dissociation,  Bedeutung  und  Theorie  U,  367;   Versuche  mit  gasförmigen 

Substanzen  II,  370;  mit  flüssigen  und  festen  Körpern  II,  376;  von  Lösuu- 

gen  II,  406;  in  Flammen  II,  415;  durch  Sonnenstrahlen  II,  832. 
Donny,  Siedeverzug  I,  567. 

Dove,  Wärme  Wirkung  der  Cascadenbatterie  II,  589. 
Drehstürme  II,  795,  802. 


982  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

Druck,  Mazimalwerth  bei  Dämpfen  I,  565;  der  Atmosphäre  ans  der  Moieeolir- 

theorie  (nach  Krönig)  erklart  n,  26;  der  Gase  aaf  eine  Fläche  (i 

MaxwelTs  Gesetz)  II,  78;  der  Pulvergase  n,  4S2. 
Dulong-Petit*8  Gesetz  flir  die  specifische  Wärme  der  chemischen 

n,  259;  physikalische  Begründung  desselben  II,  269;  Yerhalten  von 

Stoff,  Bor  und  Siiicinm  zu  demselben  II,  262,  272. 
Dynamit  H,  501,  525. 
Dynamoelectrisohes  Prindp  II,  655. 
Dynamomaschinen,  Allgemeines  11,  635;  Theorie  derselben  IE,   656,  94C; 

Versuche  über  dieselben  ü,  658. 


E. 

Edlund,  Wärmeerscheinungen  bei  Dehnungen  I,  222,  522;  Bestirnnmag  da 
mechanischen  Wärmeäqnivalentes  £1,  967. 

Einheiten,  absolute  von  Weber  II,  615,  617,  619;  von  Thomson  H,  C3I: 
vom  Pariser  Congress  II,  639;  praktische  II,  620. 

Einströmen  von  Luft  in  ein  Gefäss  I,  301;  in  das  Yaeunm  I,  303. 

Eis,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  659;  PlasticitiU  nsd 
Begelatlon  I,  663;  Wärme  durch  Beibung  des  Eises  I,  74. 

Eisen,  physikalische  Constanten  desselben  I,  495,  519,521;  Atomwärm«  E 
260;  Wärmetönungen  II,  298. 

Elasticitätscoefficient,  Definition  I,  494;  einiger  Metalle  I,  495,  MI. 
522;  adiabatischer  I,  503;  Beziehung  zum  Ausdehnongscoefficienten  1  Stf. 

Electrischer  Funken,  dissociirende  Wirkung  auf  Gase  II ,  435;  Warne 
entwickelung  durch  denselben  n,  573. 

Electrische  Kräfte,  Natur  derselben  I,  116. 

Electrische  Maschinen,  dieselben  sind  Wärmemaschinen  I,  52,  55;  EiDth» 
lung  derselben  I,  52;  n,  635;  Bestimmung  des  mechanischen  Aeqmvalciitei 
der  Wärme  an  denscdben  I,  54,  115;  Wärmeentwickelung  an  denadbea  I, 
59;  vollständige  Umsetzung  der  Wärme  I,  113;  Gesammtenergie  nnd  vmt 
bare  Energie  derselben  II,  638;  Yerwandlungscoefficient  II,  641;  Win^ 
schafblichkeit  der  mit  Batterien  betriebenen  electromagneüflcheo  Ms- 
schinen  II,  650;  electr.  Maschinen  als  ElectricitätsqueUen  II,  655;  Kraft- 
übertragung durch  Verbindung  zweier  electrischer  Maschinen  H,  662,  Hk. 

Electrochemische  Erscheinungen,  Beziehungen  zwischen  WärmetÖBiDi^ 
chemischer  Arbeit  und  electromotorischer  Kraft  II,  668,  673,  696,  716,  TSi 
933;  Favre's  Versuche  U,  669;  Joule' s  Messnngsmethode  der  WinK- 
absorption  bei  Electrolysen  n,  674;  Wärmeentwickelung  in  galvsniscket 
Elementen  II,  680  ff.;  in  Electrolyten  II,  693;  electrochemiMbe  Thecce 
vonExnerll,  702  ff.;  Contacttheorie nach  Helmhol tzll,  708;  SiBwiaie 
gegen  Exner*s  Resultate  n,  713. 

Electrodynamisches  Grundgesetz  von  Webern,  939;  neues  von  Ol  amiai 
II,  938. 

Electrolyse,  des  Wassers  n,  689;  Wärmetönungen  bei  der  Electrolyse  Ter- 
schiedener  Bubstanzen  (nach  Ezner)  II,  698;  Polarisation  bei  denelbs 
n,  698,  715. 

Electrolyten,  Wärmeentwickelung  in  denselben  durch  den  galvanisckM 
Strom  n,  693. 

Electrolytische  Convection  I,  121;  U,  702,  711. 

Electroly tisches  Grundgesetz  von  Paraday  n,  676,  677,  701,  706. 

Electromotorische  Kraft,  Bedeutung  U,  594;  Beziehung  derselbeD  sv 
Wärmetönung  I,  64;  II,  632,  673,  716;  Grösse  derselben  für  verschiedear 
galvanische  Elemente  n,  684,  707;  der  Polarisation  II,  674,  689,  715;  t» 
Gasen  II,  690;  bei  Berührung  von  Metallen  n,  705,  708;  der  ThenK* 
electricität  n,  728,  732,  735,  738,  759,  765;  der  Induction  n,  625;  eiaetn- 
scher  Maschinen  11,  653,  657,  661,  664. 

Elemente,  chemische,  Atomgewichte,  Atomwärmen  n,  260;  YerbindoBir 
wärmen  II,  290;  galvanische,  Zahlwerthe  für  dieselben  n,  684;  Tbeccit 
derselben  nach  Exner  n,  705. 


Aiphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  983 

Energie*  Definition  und  Eintheilung  I,  157,  158,  216;  innere  der  Gase  I,  256; 
II,  31,  741;  Aenderong  der8ell)en  beim  Ansflussel,  263;  Tendenz  derselben 
zu  entartenl,  143, 379;  Bi^nkine's  Hypothese  über  die  Wiederherstellung 
der  äusseren  Energie  I,  381;  Uutersudinngen  über  innere  Energie  I,  735 
bis  750;  innere  der  Flüssigkeiten  I,  744;  desgleichen  der  Dämpfe  I,  745; 
innere  kinetische,  Function  der  Temperatur  IX,  8 ;  Energie  der  fortschreiten- 
den Bewegung  der  Molecüle  eines  Gases  H,  35;  äussere  kinetische  eines 
Gases  U,  62;  Energie  chemischer  Wirkungen  II,  357;  der  Induction  II, 
624,  631;  electrisoher  Maschinen  II,  638,  661;  chemische  in  den  galvani- 
schen Elementen  II,  684;  der  Sonne  II,  814;  Hypothesen  über  die  Er- 
haltung der  Sonnenenergie  II,  819;  Tendenz  der  Zersti*euung  derselben  II, 
933,  937;  Historisches  zum  Principe  von  der  Erhaltung  ders.  II,  865,  867, 
870  bis  876,  880,  881,  884,  893,  894,  896,  899,  905,  912,  920,  921,  924,  942. 

Sntropie  I,  136;  II,  9,  929,  938. 

ISrdrotation,  Veränderung  in  der  Dauer  derselben  I,  182;  II,  818. 

JBrgal  II,  945. 

Ericsson,  Verwand! ungscoefficient  seiner  Maschine  I,  105,  343. 

^Essigsäure,  Neutralisationswärmen  II,  302. 

£ixner,  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Schalles  im  Kautschuk  I,  538; 
Untersuchungen  über  galvan.  Polarisation  II,  696 ;  Ursachen  der  Electricitäts- 
entwickelung  IE,  703;  Theorie  der  galvanischen  Elemente  II,  705;  galva- 
nische Elemente,  die  nur  ans  Grundstoffen  bestehen  II,  706,  720. 

Sxplosive  Gasgemische  n,  496;  Anwendung  derselben  zum  Betriebe  von 
Wärmemaschinen  n,  524. 

Xixplosivkörper,  Allgemeines  II,  451;  Behandlung  der  hauptsächlichsten 
derselben  II,  455;  Einfluss  von  Beimengungen  indifferenter  Stoffe  zu  den- 
selben II,  501;  Einfluss  der  Entzündungsweise  auf  Zersetzung  und  Wirkung 
derselben  II,  513;  Zahlwerthe  n,  525. 

F. 

Fairbairn,  Dampfdichte  I,  597. 

Falb,  Erdbebentheorie  I,  132. 

Faraday,  Entdeckung  der  electrischen  Induction  I,  110;  Grundgesetz  der 
Electrochemie  II,  676,  677,  701,  708. 

Favre,  Bestimmung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  I,  54,  195; 
n,  671,  966,  967;  Erklärung,  warum  ein  Daniellelement  nicht  Wasser 
zersetzt  I,  64;  Calorimeter  zu  ^hermochemischen  Versuchen  II,  279;  Be- 
stimmung von  Wärmetönungen  11,  290 ff.;  Satz  über  dieselben  II,  351; 
Wänneentwickelung  in  Electrolyten  durch  den  galvanischen  Strom  II,  694. 

Fedorow,  Verbrennung  des  Schiesspulvers  II,  458. 

Fizeau,  Interferenz  der  Wärmestrahlen  I,  9. 

Flammen,  Dissociationserscheinungen  in  denselben  11,  415. 

Flüssigkeiten,  Erwärmung  bei  Oompression  dersellaen  I,  485;  Gesammt- 
wärme  I,  582;  specifische  Wärme  I,  583;  Verdampfungswärme  I,  584; 
kritische  Temperatur  I,  560,  685;  Poiseuille's  Gesetz  II,  112;  Dlsso- 
ciation  derselben  II,  376;  Ausdehnungsgesetz  II,  953. 

Flüssigkeitswärme  I,  571. 

Fluth  verzögert  die  Erdrotation  I,  131;  II,  818. 

Föhn  n,  806. 

Fortpflanzung  des  Schalles  in  Gasen  n,  209;  Ableitung  der  Fundamental- 
gleichungen dafür  n,  211;  Intensität  derselben  n,  220. 

Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Schalles;  Laplace'sche  Correc- 
tion  derselben  I,  211,  279;  Bestimmung  derselben  I,  279,  506;  Ableitung 
aus  der  kinetischen  Gastheorie  II,  210,  223,  225. 

Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Verbrennung  von  Explosivkörpern 
n,  525. 

Foucault,  Interferenz  der  Wärmestrahlen  I,  9;  Versuch  über  Erwärmung 
durch  Induction  I,  60;  II,  630. 

Frölich,  O.,  Versnche  über  dynamoelectrische  Maschinen  II,  658  und  electri- 
sche  Ei*aftübertragung  II,  663;  über  Sonnenwärme  II,  814. 


984  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

Fulminate,  explosive  Eigenschaften  II,  511. 

Function,  Kräftefunction  I,  155;  Wirkungsfonction  I,  736;  II,  5;  Carnot*- 
sehe  I,  403,  468;   H,  917,   918,   921,  922;  thermodynamische  II,  931,  Ml. 

a. 

Galvanische  Elemente,  Polarisation  s.  Elemente,  Polarisatioii. 

Galvanischer  Strom,  Allgemeines  H,  590;  Ohm'sches  Geaets  II,  595;  Ar- 
beit desselben  in  einem  Leiter  n,  599;  Joule 's  Gesetz  H,  604;  cxpciv 
mentelle  Bestätigungen  desselben  II,  605;  Bestimmung  der  StramiirteBBtit 
und  des  Widerstandes  in  absoluten  Einheiten  II ,  614.  (Siehe  aodi  U- 
duction,  electrochemische  Erscheinungen.) 

Gase,  Arbeitsleistung  derselben  I,  99;  Definition  der  vollkommenen  Qmm  l. 
173,  204,  238;  Constanten  der  Gasel,  253;  mechanisches  Wärmeftqmvikift 
aus  denselben  1 ,  209 ,  235  bis  249 ,  558 ;  Wänneentwickelung  derselbea  L 
204;  Temperaturemiedrigung  derselben  bei  Expansion  I,  29;  Abweiebn^gM 
derselben  vom  Mar iotte 'sehen  etc.  Gesetz  I,  265,  541,  547;  BesUmmnr 
der  specifischen  Wärme  bei  constantem  Volumen  1, 274;  innere  Enei^gie  den. 
I,  251,  741;  Auflösung  den.  inFlüssigkeiten  1,750  bis  763;  Mc^ecolMtheone 
ders.  1, 28, 72, 95 ;  Ausdehnung  ders.  1, 265 ;  Ausdehnung  längs  einer  adiabasi- 
schen  Curve  I,  270;  Ausfluss  derselben  I,  287  bis  291;  Kreiaprocease  der- 
selben I,  215;  adiabatische  Curven  derselben  I,  321;  isothermiscfae  Cmra 

I,  321;  geschichtlicher  Abriss  der  Moleculartheorie  derselben  II,  12;  Theorie 
derselben  von  Krönig  II,  19;  von  Clausius  II,  31,  947,  950  (B.dieMBt. 
von  Maxwell  n,  63,  948  (s.  diesen);  von  Boltzmann  II,  948  (mAt 
diesen),  von  van  der  Waals  II,  949;  innere  Reibung  derselben  II,  7), 
956;  Diffusion  derselben  II,  130,  956;  Wärmeleitung  dermlben  II,  lü, 
957;  Fortpflanzung  des  Schalles  in  denselben  n,  209;  Beschaffenheit  ds 
Molecüle  ders.  U,  226,  957  (Genaueres  s.  unter  den  einzelnen  ArtikeiB>, 
Ausdehnungsgesetz  ders.  II,  242,  917,  952  bis  955 ; .  Wärmetönnngen  den. 

II,  290,  343;  Dissociätion  ders.  II,  370;  do.  durch  Sonnenstrahlen  H,  S3S; 
Einwirkung  electrischer  Funken  auf  dieselben  11,  435;  explosive  GeBoisefae 
II,  496;  electromotorische  Kraft  ders^ben  11,689;  Vorhandensein  dendba 
im  Welträume  n,  829;  neuere  Geschichte  der  Theorie  derselben  II,  947. 

Gasmaschinen  (ältere)  II,  524;   Erläuterung  der  Theorie  derselben  n,  529. 

Gasmotor,  geräuschloser,  von  Otto,  II,  541. 

Gassendi,  über  das  Wesen  der  Wärme  II,  867. 

Gay-Lussac,  Historisches  über  dessen  Gesetz  I,  88;  Bestimmung  der  specü 
Wärme  der  Gase  bei  constantem  Volumen  I,  274;  Auflösungswärmen  I,  78L 

Generator  II,  662. 

Gerländ,  Verhalten  des  Chlorophylls  I,  129. 

Gesammt wärme,  Definition  I,  579;  einiger  Flüssigkeiten  I,  582. 

Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie;  kurzer  Abriss  derselben  I,  72 
147;  eingehendere  Behandlung  derselben:  Vorstellungen  über  die  Wanv 
im  Alterthum  II,  864;  im  Mittelalter  II,  867;  Gassendi  II,  867;  Xaf> 
nenuB,  Bacon  von  Verulam,  Descartes  H,  868;  Hobbes,  I«ock« 
II,  869;  Spinoza  II,  870;  Toland  II,  871;  Boyle  n,  872;  Newtos 
II,  873;  Huyghens,  Hooke  II,  874;  Leibniz  II,  876;  die  Ber- 
noulli's  n,  878;  Ansichten  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  n,  881; 
Bumford  II,  886;  Davy  II,  895;  Young  II,  896;  Mohr  II,  897;  R. 
Mayer  II,  900;  Carnot  II,  910;  Glapeyron  II,  916;  Segain,  Col; 
ding  II,  920;  Holtzmann  II,  921;  Joule  H,  922;  Bankine  II,  930* 
Will.  Thomson  H,  931;  Clausius  II,  936;  v.  Helmholtz  II«  941; 
Maxwell  II,  947;  neuere  Geschichte  der  Gastheorie  II,  947;  Geschieh» 
der  technischen  Anwendungen  der  Thermodynamik  II,  960;  Hirn  II,  9€2; 
ZeunerII,968;  Grashof II, 973;  SchmidtII,974;  Weyrauch II, 971. 

Geschosse,  Theorie  derselben  von  St.  Bobert  H,  468;  von  Noble  und 
Abel  II,  477;  Verwendung  des  Wasserdampfes  zur  Fortschleudening  der- 
selben n,  547. 

Geschütze,  St.  Bobert* s  Theorie  der  Wirkung  des  Schiesspulven  in  den- 
selben II,  468;  Noble* 8  und  AbeTs  Theorie  der   Bewegrnng  der  Ge> 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  985 

Bohosse  in  denselben  11,  477;  Versuche  über  die  Drucke  in  denselben  II, 
485;  Dampfgeschütze  II,  547. 

ifriffard,  Injecior  I,  647. 

Gleichgewicht  der  Temperatur  I,  167,  173;  adiabatisches  in  der  Atmosphäre 
U,  777. 

Gleitungscoefficient  der  Gase,  Bedeutung  II,  92;  Bestimmung  desselben 
durch  Kundt  und  Warburg  II,  106. 

G^ongh,  abnormes  Verhalten  des  Kautschuks  I,  94,  533. 

3^0  vi,  tische  Erklärung  des  abnormen  Verhaltens  des  Kautschuks  Ij  94. 

atradient  II,  797. 

3t  r  ah  am,  Versuche  über  den  Beibungscoefficienten  der  Gase  II,  111;  über 
Diffusion  derselben  II,  38,  142;  Beobachtung  der  Wasserstoffocdusion  am 
PaUadium  U,  712. 

Gt ramme,  Dynamomaschine  mit  Bingarmatur  II,  636. 

Graphische  Darstellung  der  thermischen  Curven  I,  406;  der  äusseren  und 
inneren  Arbeit  1, 412 ;  des  Wärmegewichtes  oder  Verwandlungswerthes  1, 421; 

GIrrashof,  Ausfluss  der  Gase  I,  284;  adiabatisoherElasUcitätscoefficient  I,  507; 
adiabatische  Curve  der  Dämpfe  I,  674;  Zustandsgieichung  der  überhitzten 
Dämpfe  I,  711;  Biographisches  und  Bedeutung  für  die  Geschichte  der 
mechanischen  Wärmetheorie  II,  973. 

Qrassi,  Compressionscoefflcienten  von  Flüssigkeiten  I,  487  bis  492. 

Qrenzcurven,  Definition  I,  667. 

QroTe,  Dissociation  von  Wasser  II,  375;  Versuch  über  die  verschiedene  Er- 
wärmung eines  Drahtes  in  Luft  und  Wasserstoff  durch  den  galvanischen 
Strom  II,  612. 

Guldberg  und  Mohn,  Formeln  für  den  indifferenten  Zustand  der  mit  Wasser- 
dampf gesättigten  Atmosphäre  II,  789. 

H. 

Hailauer,  calorimetrische  Untersuchung  der  Dampfmaschinell,  963,964,973. 

Hailock,  galvanische  Polarisation  11,  691,  714. 

Hamilton 'sehen  Princip  I,  427;  Beziehungen  desselben  zum  zweiten  Haupt- 
satze I,  431. 

Handmann,  Versuche  mit  einem  Egg  er' sehen  Motor  IT,  653. 

Hann,  Wasserdampfgehalt  der  Atmosphäre  und  Wärmeabnahme  in  derselben 
mit  der  Höhe  II,  788;  über  den  FÖhn  n,  806;  Bestimmung  des  mechani- 
schen Wärmeäquivalentes  n,  810,  967. 

Hansen,  Veränderung  in  der  Daner  der  Erdrotation  n,  819;  über  Materie 
im  Weltraum  II,  819,  837. 

Hauptsatz,  erster  der  mechanischen  Wärmetheorie.  Allgemeine  Form  des- 
selben I,  216,  467;  Anwendung  auf  vollkommene  Gase  £  204;  Anwendung 
auf  wirkliche  Gase  I,  254  etc.;  Ableitung  allgemeiner  Formeln  aus  dem- 
selben I,  467;  Anwendung  auf  Schmelzung  I,  609;  Anwendung  auf  Ver- 
dampfung I,  753;  Anwendung  desselben  aiS  die  Theorie  der  Geschosse  n, 
468;  do.  auf  die  Thermoelectricität  II,  726,  732,  755;  Historisches  II,  900, 
926,  943,  960,  962. 

Hauptsatz,  zweiter  der  mechanischen  Wärmetheorie.  Einfache  Form  des- 
selben I,  358;  vorläufige  Formulirung  desselben  I,  365;  Besprechung  des 
Claus  ins' sehen  Beweises  desselben,  Entdeckung  desselben  etc.  I,  358, 
366;  Beweis  von  Gar  not  I,  366;  Abänderung  des  Gar  not 'scheu  Be- 
weises I,  369;  Einwendungen:  von  Hirn  I,  83,  371,  374,  von  Bank  ine 
I,  384,  von  Wand  I,  389;  Verallgemeinerung  des  Beweises  I,  391;  allge- 
meiner Ausdruck  desselben  durch  eine  Formel  I,  414;  Herleitung  des- 
selben ans  mechanischen  Prindpien  I,  425  bis  465;  Beziehungen  desselben 
zum  Hamilton'  sehen  Princip  I,  43 1 ;  Anwendung  desselben  auf  Volumen- 
änderungen I,  474;  Anwendung  auf  Verdampfung  I,  612;  Anwendung 
dess.  auf  Schmelzung  I,  653;  Anwendung  dess.  auf  die  Theorie  der  Ge- 
schosse II,  477;  do.  auf  die  Thermoelectricität  II,  726,734,737,758;  Histo- 
risches II,  912,  914,  915,  921,  926,  927,  928,  929,  932,  937,  944,  945,  946, 
960,  962,  969,  970;  Erweiterung  dess.  durch  v.  HelmholtzII,  946,  970. 


986  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

V.  Hefner- Alteneck,  dynamoelectrische  Hasohine  mit  TramnailanBtuj 
II,.  636. 

HeisBluftmaschine,  ob  der  Dampfinascliine  überlegen  I,  30,  51;  Kn» 
processe  derselben  I,  313  bis  357;  Yerwandlangscoefficient  dendlMB  ca 
Maximum  I,  335;  von  Stirling  I,  339  bis  343;  von  SricstonI,  34$: 
von  Joule  I,  354. 

V.  Helmholtz,  Beziehungen  der  mechcmischen  W&rmetbeorie  xa  eleetriicbei 
Erscheinungen  I,  65;  electrolytische  Gonvection  .1,  121;  H,  702,  711;  d»> 
trische  Contacttheorie  II,  708;  Theorie  der  electrolytischen  AuasclkeidiiBf  iv 
Ionen  II,  710;  Erklärung  der  Wasserstoffocclusion  dea  Platäna  II,  TU: 
Contractionstheorie  der  Sonne  n,  824;  Centralkräfte  I,  153;  Teoden  Cf 
äussere  Energie  zu  zerstreuen  I,  379;  Carnot's  Functicm  I,  403^  4e3; 
Wirbeltheorie  II,  251,  944,  959;  Erweiterung  des  zweiten  Hmaptaates  ds 
mechanischen  Wärmetheorie  n,  946,  970;  Biographisches  II,  941;  B«i» 
tung  desselben  für  die  mechanische  Wärmetheorie  I,  75;    H,  942  bis  Ml 

Herapath,  Moleculartheorie  der  Gase  I,  98;  II,  18,  950. 

Herwig,  Verhalten  überhitzter  Dämpfe  I,  698  bis  705. 

He%s,  Satz  von  der  Thermoneutralität  II,  357. 

Hirn,  Bestimmung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  an  Daaif' 
maschinen  I,  17,  200  bis  203,  II,  963 ;  desgl.  an  arbeitenden  Menschen  I,  6t 
desgl.  durch  Btossversuche  I,  218  bis  221;  II,  963;  Zusammenstellang  seas 
Bestimmungen  desselben  H,  966,  967 ;  scheinbare  Widersprüche  gegea  da 
Glausi  US 'sehen  Grundsatz  I,  83,  371,  374;  Ausströmen  von  sänpf  1, 
217,  610;  Modification  der  Joule 'sehen  Versuche  I,  249;  äbeiitiate 
Dämpfe  I,  705  bis  710;  thermische  Gurren  überhitzter  DSmpfe  I,  715, 
Hirn's  Gesetz  für  überhitzte  Dämpfe  I,  706;  n,  965,  971,  973,  fTi; 
specifische  Wärme  von  Flüssigkeiten  I,  583 ;  Dampfimaech i nentbeorie  H. 
962,  963,  973;  Gegner  der  Siemens 'sehen  Hypothese  von  der  &lislti^ 
der  Sonnenenergie  II,  836;  Biographisches  II,  962;  Bedentong  fär  ^ 
mechanische  Wärmetheorie  II,  962  bis  965. 

Hobbes,  über  das  Wesen  der  Wärme  II,  869. 

Holman,  Bestimmung  des  BeibungscoefBicienten  der  Gase  II,  123. 

Holtzmann,  Formel  für  Gase  undDämpfe  I,  403;  Bedeutung  for  die  meekia 
Wärmetheorie  II,  921;  Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeaquivakila 
II,  922,  966. 

Hooke,  Stellang  zur  mechanischen  Wärmetheorie  II,  874. 

Hoorweg,  Forti>flanzung  des  SchaUes  II,  211,  222;  über  das  ThomsOB'sde 
thermoelectrische  Phänomen  II,  747,  775. 

Hopkins,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktee  vom  Drucke  I,  657. 

Hoppe,  Gegner  der  kinetischen  Gastheorie  II,  142,  955. 

Horstmann,  Dampfdichten  I,  696;   Theorie  der  partiellen 

gen  II,  395;  Versuche  über  die  relative  Verwandtschaft  di 
zu  Wasserstoff  und  Kohlenoxyd  II,  429. 

Hugon,  Gasmaschine  II,  524. 

Huyghens,  Stellung  zur  mechanischen  Wärmetheorie  II,  874. 


Indicator  I,  17. 

Induction,  electrische,  Entdeckung  derselben  I,  57,  110;  Beaehüng 

zur  mechanischen  Wärmetheorie  I,  57;  Foucault's  Versnch  aber  fr- 
wärmung  durch  Induction  I,  60;  n,  630;  Lenz'sches  FundamentalgafB 
II,  624;  Formel  von  Neumann  für  die  electromotoriache  Kraft  n,  I3§. 
Versuche  von  Joule  II,  627;  Ableitung  der  Gesetze  I,  111;  n,  631;  Eh 
Zeugung  von  Inductionsströmen  durch  electrische  Maschinen  II,  635,  6»^ 

Injector  I,  647. 

Ionen,  v.  Helmholtz's  Theorie  der  electroly tischen  Aussoheiduns  dene& 
n,  710. 

Isodyname  Substanzen  II,  357. 

Isodynamische   Gurve,   Eigenschaften  derselben  I,   407,   der 
Dämpfe  I,  681;  überhitzter  Dämpfe  I,  714. 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  987 

IsothermiBohe  Curyen  im  Allgemeinen  I,  406;  der  Gaae  I,  321;  Wärme- 
abgabe beim  Uebergange  von  einer  isothermischen  Corve  auf  eine  andere 
I,  358;  der  gesättigten  Dämpfe  I,  680;  überhitzter  Dämpfe  I,  714. 


J. 

Jacobi,  Bestimmuig  des  Arbeitsmazimums  einer  electromagnetisohen  Ma- 
schine n,  650. 

Jochmann,  Abweichungen  der  Gase  vom  Mariotte'  sehen  Gesetze  I,  541  etc. ; 
Einwände  gegen  die  Clansius'sche  Gastheorie  II,  44,  142,  955. 

Jodstickstoff,  explosive  Eigenschaften  n,  499,  525. 

Joule,  Bestimmung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  I,  11,  30,  59, 
115,  242;  n,  622,  630,  923,  924,  966,  967;  Ausdehnung  eines  Gases  ohne 
Abkühlung  I,  29;  Versuche  mit  Gasen  I,  239  bis  244;  Beziehung  der 
electrischen  Erscheinungen  zur  mechanischen  Wärmetheorie  I,  65;  ab- 
normes Verhalten  des  Kautschuks  I,  93,  531;  Moleculartheorie  der  Gase 
I,  98;  n,  18,  950;  Ausfluss  von  Gasen  I,  101;  Heissluftmaschine  desselben 

I,  354;  Wärmeentwickelung  bei  Compression  von  Flüssigkeiten  I,  481; 
Wärmeentwickelung  bei  Dehnung  und  Pressung  fester  Körper  I,  517  bis 
521;  Gesetz  über  die  durch  einen  galvanischen  Strom  entwickelte  Wärme- 
menge II,  604,  923;  Versuche  über  die  Aequivalenz  von  W$rme  und  Ar- 
beit bei  Inductionsströmen  n,  627;  Methode  der  Messung  der  Wärme- 
absorption bei  Electrolysen  n,  674;  Biographisches  und  SteUung  dess.  in 
der  Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie  II,  923. 

Janker,  hydraulische  Maschine  I,  5. 

K. 

Kalk,  kohlensaurer,  Dissociation  desselben  II,  382. 
Kant,  Stellung  zur  mechanischen  Wärmetheorie  II,  881,  885. 
Karolyi,  Schiessbaum  wolle  II,  504,  514. 
•  Kautschuk,  abnormes  Verhalten  desselben  I,  93,   530  bis  540;  phys.  Gonst. 

desselben  I,  534. 
Kirchhoff,   Untersuchungen  über  Schallgeschwindigkeit  I,   280;   über  Com- 

pressionscoefücienten^I,  493;   Untersuchungen  über  innere  Energie  I,  735; 

Spannkräfte  der  Schwefelsäurehydrate  I,  787;  Wirkungsftmction  I,   736; 

II,  5;  Ableitung  des  Ohm* sehen  Gesetzes  aus  electrostatischen  Piincipien 
n,  592. 

Knallquecksilber  und  Knallsilber  H,  511. 

Kohlensäure,  Bestimmung  des  mechanischen  Aequivalentes  der  Wärme  durch 
dieselbe  I,  100,  558;  specifische  Wärme  I,  211;  Constanten  derselben  I, 
253,  541,  558;  Thomson's  und  Joule's  Ausflussversuche  mit  derselben 
I,  261;  Abweichungen  des  Kohlensäurethermometers  von  der  absoluten 
Scala  I,  556 ;  mittlere  Moleculargeschwindigkeit  n,  38,  227 ;  mittlere  Weg- 
länge der  Molecüle  II,  106,  136,  227,  245;  Beibungscoefßcient  II,  106,  122, 
227;  Transspirationscoefflcient  II,  126;  DifFusionscoefficlent  H,  137,  140; 
Wärmeleitungscoefücient  II,  158,  199,  202,  207;  Beschaffenheit  der  Mole- 
cüle n,  227  bis  247;  Wärmetönung  n,  294. 

Kohlenwasserstoffverbindungen,  Einwirkung  des  electrischen  Fun- 
kens auf  dieselben  n,  442. 

Kohlrausch,  Bestimmung  von  ^  I,  275;  Abhängigkeit  der  ElasticitätscoefÜ- 

cienten  von  der  Temperatur  I,   528;  Bestimmung  der  Stromintensität  in 

absolutem' Maasse  II,  615;' do.  des  Leitungswiderstandes  II,  618;  Erklärung 

der  thermoelectrischen  Erscheinungen  n,  734. 
Kolster,  Bemerkung  über  Ausflussersoheinungen  I,  313. 
Kopp,  Ausdehnung  der  Flüssigkeiten  I,   487    bis  491;   über  die  Molecular- 

volumina  der  Körper  II,  235. 


988  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

Kraft,  lebendige,   gleich  Arbeit  I,  3;  Säte  von  der  lebendigen  Knft  I,  lal,| 
155;  Anwendung  desselben  auf  Centralkräfte  I,  153. 

Kräftefnnction  I,  155. 

Kraftübertragung  durch  electrische  Maschinen  II,  662,  940. 

Krebs,  Biedeyerzug  I,  568. 

Kreisprocess,  Definition  I,  313;  graphische  Darstellang  denelben  I,  317; 
Carnot'scher  I,   320;   Carnot'scher   eines  beliebigen   Körpen  I,  3$»; 
Yerwandlungscoefficient  des  Garnot'schen  I,  322,    324,    352;  bc]jrti|v| 
einer  Heisslufbuiaschine  I,  328,  335;  Zeuner 'scher   Kreisproce«  1,  343i{ 
bis  354;  umkehrbarer  I,  414;  nicht  umkehrbarer  I,  417. 

Kritische  Temperatur  I,  560,  685. 

Krön  ig,  Gastheorie  II,  19. 

Kundt,  Bestimmung  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit   des  Bctuüles  ra  t9^\ 
schiedenen  Gasen  I,  281 ;  über  den  Reibungscoefficienten  d.  Gase  II,  102,9a<;| 
über  den   GleitungscoefHcienten  ders.  11,   107;   über   l^anneleitnog 
II,  158,  162,  957;  die  specifische  Wärme  des  Quecksilberdampfes  II,  sr. 

Kupfer,  physikallBche  Constauten  desselben  I,  495,  519,  522,  528;  Atamwitm 
n,  260;  Wärmetönungeu  II,  300. 

Kupffer,  falsche  Bestimmung  des  mechanischen  WärmeaqulTslentes  I,  93. 


Langen  and  Otto,  Gasmaschine  (älterer  Gonstruction)  U,  526. 

Laplace  und  Lavoisier,  Stellung  derselben  zur  mechanischen  WämwÜitcrit 

I,  73,    184;    II,  885,   894;    Laplace 'sehe  Gorrection    der   Formel  for  & 

Fortpflanzungsgeschwindigkeit  I,  210,  279,  507. 
Latente  Wärme  der  Ausdehnung,  Definition  I,  178. 

Latente  Wärme  der  Verdampfung,  Definition  ders.  I,  569,  584;  innere  1,^9: 
Leibniz,  Stellung  zur  mechanischen  Wärmetheorie  H,  876. 
Leydener  Flasche,  Sätze  über  dieselbe  II,  567. 

Leloutre,  calorimetrisohe  Untersuchung  der  Dampfmaschine  H,  963,  9$4. 
Lenoir,  Gasmaschine  11,  524. 
Lenz,  Bestätigung  des  Joule 'sehen  Gesetzes  über  die   Wärmeentwickete 

durch  den  galvanischen  Strom  II,  606;  Fundamentalgesetz  der  Indocä» 

n,  624. 
Le  Boux,  Bestimmung  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Schalk]?  I,  ?TS. 

Versuche  über  das  Thomson*  sehe  thermoelectrische  Phänomen  IL  TU 
Le  Sage,  Gastheorie  II,  17. 
Leuchtgas,  Anwendung  desselben  in  den  Gasmaschinen  U,  526;   Zosimwi' 

Setzung  desselben  U,  533. 
Licht,   Identität  mit  Wärme  1,8;   Beziehung  zur  Vegetation  I,  66,  125,  ITT. 
Locke,  über  das  Wesen  der  Wärme  II,  869. 
Lommel,  Verhalten  des  Chlorophylls  I,  129. 
Loschmidt,  über  den  zweiten  Hauptsatz  I,  459;  ExperimentaluntersachiiBga 

über  Diffusion  der  Gase  II,  138,  957. 
Lösungen,  Dissociatiou  derselben  II,  406 ;  Lösungswärmen  II.  309. 
Luft,  mechanisches  Aequivalent  der  Wärme  I,  209,  558;  specifioche  WiiaeL 

253,  278;  Constanten  ders.  I,   253,  541,  558;   Thomson's   and  Joale'i 

Versuche  mit  ders.  I,  260;  Ausströmen  in  die  Atmosphäre  I,  3O0;  Jtait- 

cul^rgeschwindigkeit  II ,  79,  227 ;   mittlere  Weglänge  der  M decnle  II.  t^ 

106,    136,   227,  245;   Beibungscoefficient  II,   88,  95,   106,    122,  227;  Tn» 

spirationscoefficient  II,   126;    Difl'usionscoefficient  II,    137,    140;    y^itat 

leitungscoefficient  II,  158,  199,  202,  207. 
Luftthermometer,  Abweichungen  dess.  von  der  absoL Scala  1, 555 ;  n, K<C( 

M. 

Magnetelectrische  Maschinen,  siehe  electrische  Maschinen. 
Magnus,   Versuche  über  Wärmeleitung  in  Gasen   II,    145;   thermoelectmk 
Versuche  II,  739,  776. 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  989 

tf  arcet,  Siedeverzag  I,  568. 

Mtariotte'sches  Gesetz,  Abweichungen  der  GaSe  von  demselben  I,   263,  548; 
n,  243;  desgleichen  der  Dämpfe  I,  698  bis  705. 

Harly,  Wasserhebungsmaschine,  daselbst  I,  5. 

Itf  asson,  falsche  Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  I,  93;  Be- 
stimmung d.  Verh.  ~  I,  282. 

Cv 

Katthiessen,  Ausdehnungscoefßcient  des  Wassers  I,  488;  einiger  Metalle 

I,  495. 
Bffaximalarbeit,  Princip  derselben  von  Berthelot  n,  277. 
Bfaximalspannung  des  Dampfes  I,  565. 

BCazwell,  adiabatischer  Elasticitätscoefficient  I,  506;  Moleculartheorie  der 
Gase  U,  32,  63,  118,  127,  131,  948,  956,  957;  Gesetz  über  die  Vertheilung 
der  Geschwindigkeiten  der  Molecüle  II,  68,  951,  957;  Formeln  fttr  die 
innere  Reibung  der  Gase  n,  82,  956;  Versuche  über  dieselbe  II,  98,  956; 
Diifusion  der  Gase  II,  131,  956;  Theorie  der  Wärmeleitung  in  Gasen  II, 
143,  169,  200,  957;  Fortpflanzung  des  Schalles  in  Gasen  II,  224;  Biographi- 
sches II,  947. 
Mayer,  B.,  Bedeutung  der  mechanischen  Wärmetheorie  für  die  organische 
Natur  I,  66;  Erhaltung  der  Sonnenwärme  I,  69;  II,  821;  Ebbe  und  Fluth 
I,  131;  Farbenunterschied  der  Blutarten  I,  133;  May  er' sehe  Annahme 
bei  Gasen  I,  540;  Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeäquivalentea  n, 
966;  Biographisches  II,  901;  Stellung  dess.  in  der  Geschichte  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  I,  75;  II,  863,  900,  905. 
Mechanisches  Wärmeäquivalent,  Bestimmung  desselben  durch  Bumford 
I,  74;  falsche  Bestimmung  desselben  durch  Masson  und  Kupffer  I, 
93;  Bestimmungen  desselben  dufch  Joule  I,  11,  30,  59,  115,  186  bis  193, 
235;  II,  621,  630;  durch  Edlund  I,  232;  durch  Hirn  I,  196,  203,  218, 
558;  II,  963;  durch  v.  Quintus-Icilius  II,  621;  durch  Favre  n,  671; 
durch  Bosscha  II,  688;  durch  Hann  11,  810;  durch  Bowland,  II,  967; 
Bestimmungen  anderer  Art  I,  558,  618;  Unveränderlichkeit  I,  212;  Tabelle 
verschiedener  Bestimmimgen  desselben  I,  61,  209;  II,  966  bis  968;  Histori- 
sches II,  890,  900,  905,  912,  920  bis  924,  943,  963. 
Mechanische  Wärmetheorie,  Grenzen  derselben  I,  71;  kurze  Geschichte  der- 
selben I,  148;  Methode  derselben  I,  149;  Anwendungen  derselben  auf  die 
Chemie  s.  Thermochemie;  auf  die  electrischen  Erscheinungen  II,  555  (s. 
Reibungselectricität,  galvanischer  Strom,  Induction,  electrochemische  Er- 
scheinungen, Thermoelectricität);  auf  die  Meteorologie  II,  777  (s.  Atmo- 
sphäre); auf  die  Astronomie  II,  810  (s.  Sonne,  Weltkörper);  Historisches  s. 
Geschichte  der  mechanischen  Wärmetheorie;  Erweiterung  derselben  durch 
V.  Helmholtz  II,  946,  970. 
Melloni,  Wärmestrahlung  I,  8. 

Mendelejeff,  Abweichungen  der  Gase  vom  MariotteUchen  Gesetze  1,548; 
Formel  für  die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  in  der  Atmosphäre  II, 
780. 
Messing,  physikalische  Constanten  I,  512,  528. 
Meyer,  Lothar,  über  Molecular-  und  Atomvolumen  II,  234,  957. 
Meyer,  O.  £.,  Ableitung  der  mittleren  Weglänge  der  Gasmolecüle  ans  dem 
Maxwell 'sehen   Gesetze   II,    74,   956;   Ableitung   der  Formeln   für  die 
innere  Beibung  der  Gase  II,  83,  234;  Bestimmung  des  Beibungscoefdcien- 
ten  der  Gase  aus  Pendelschwingungen  II,  89;  nach  Coulomb's  Methode 
n,  93;  nach  Maxwell's  Methode  II,   100;   nach  der  Transspirations- 
methode  n,    115,   120;  Wärmeleitung  der  Gase  II,  205,  957;  Beschaffen- 
heit der  Molecüle  n,  229,  245,  246,  248,  958. 
Michaelis,  Dissociation  des  Chlorschwefels  II,  378. 

Mohn  und  Guldberg,  Formeln  für  den  indifferenten  Zustand  der  mit  Wasser- 
dampf gesättigten  Atmosphäre  II,  789. 
Mohr,  Bedeutung  desselben  für  die  mechanische  Wärmetheorie  I,  78;  II,  897. 
Moleculartheorie,  allgemeine  II,  2;  der  Gase  I,  28;  II,  12  (s.  Gase). 
Molecularwärme  II,  272. 

Molecüle,   mittlere   Geschwindigkeit   derselben    bei   Gasen  II,   38,   79,    227; 
mittlere  Weglänge  derselben  U,  47,  61,  77,  83,  86,  106,  136,  227,  238,  241, 


990  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

245;   Qaerschnitte  derselben  n,   226,  245;  YerhältDiisBe  der  Völiimiii*  joi 

Durchmesser  derselben  11,   232;   absolute  Grösse  derselben  ü,   237,  248; 

WirkungBSphäre  derselben  ü,  46,   954,  958;   Wirkungsweise  denelbeB  H, 

248;  Beschaffenheit  derselben  vom  chemischen  Standpunkte   aus  n,  SM; 

Geschichtliches  über  die  Eigenschaften  derselben  n,  957. 
Molecülverbindungen  U,  276. 
Honocyklische  Systeme  n,  946. 
M  o  u  s  B  o  n ,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke.  I,   66 1 ;  Satz  äte 

Thermoelectricität  n,  762. 
Montier,  Bestätigung  der  Kirchhoff 'sehen  Formeln  über  ladmangBWMima. 

I,  779  bis  782. 
Müller,  J.  J.,  über  adiabatische  Goefficienten  I,  503;  über  die  speciil  Wime 

der  Dämpfe  bei  constantem  Dampfvolumen  I,  629. 
Muskelfaser,  abnormes  Verhalten  derselben  I,  540. 
Muskelarbeit,  Erklärung  derselben  aus  der  mechanischen  Wärmetheorie L <7. 


N. 

Naccari,  s.  unter  Bellati. 

Napier,  Versuche  über  Ausfluss  der  Dämpfe  I,  313. 

Narr,  Wärmeleitungsy ermögen  der  Gase  n,  149. 

N  a  u  m  a  n  n ,  A.,  Satz  über  die  Zersetzungstemperatur  eines  Gases  II,  366 ;  Diso- 

ciation  flüssiger  und  fester  Körper  II,  377,  381,  388. 
Neumann,  0.,  mechanische  Energie  der  Schwefelsäure  I,  784. 
Neu  mann,  F.,  Satz  über  die  speciflsclie  Wärme  chemiseher  Yerbindongen  n. 

259;  physikalische  Begründung  desselben  II,  271;  Formel  für  die  electro» 

motorische  Kraft  eines  Inductionsstromes  n,  625,  634. 
Neutraler  Punkt  eines  Thermoelementes  II,  736,  772,  774. 
Neutralisationswärmen  n,  302. 
Newton,  mechanische  Axiome  I,   152;  Erhaltung  der  Sonnenenei^gie  II,  8CA: 

Stellung  zur  mechanischen  Wärmetheorie  n,  873. 
Niederschläge,  atmosphärische,  Ursache  derselben  n,  803. 
Nitroglycerin  II,  499,  525. 
Niveaufläche,  Definition  n,  593. 
Noble  und  Abel,  Bestandtheile  und  Zersetzung  des  Schiesspulvers  H,  A>7;  < 

Theorie  der  Bewegung  der  Geschosse  in  den  Kanonenrohren  n,  477;  Ter-     ■ 

suche  über  den  Druck  der  Pulyergase  II,  483. 


y.  Obermayer,  Bestimmung  des  Beibungscoefficienten  der  Gase  H,  118,  190, 

122,  956. 
y.  Oettingen,  Kreisprocess  der  Gase  I,  315,  Verwandlungscoefficient  I,  317. 
Ohm'sches  Gesetz  für  den  galvanischen  Strom  n,  592,  595. 
Organische  Natur  in  ihrer  Stellung  zur  mechanischen Wärmetheorie  I,  64; 

Einwendungen  aus  Vorgängen  in  derselben  gegen  den  zweiten  Uaaptmti 

I,  389. 
Otto,  geräuschloser  Gasmotor  11,  541. 
Otto  und  Langen,  Gasmaschine  älterer  Construction  II,  526. 


P. 

Palladium,  Wasserstoffocclusion  desselben  II,  712. 

Pap  in,  Schiesspulvermaschine  n,  529. 

Paraffin,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  656. 

Pasteur,  Alkoholg&rung  I,  126. 

P^clet,  Wärmeleitung  in  Gasen  II,  144. 

Peirce,  electromotorische  Kraft  der  Gase  II,  690. 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  991 

i*eltier*s  thermoeleotmcheB  Phänomen  U,  725,  727,  755,  772,  938;  Formel 
fiir  dasselbe  von  Nacoari  und  Bellati  U,  774. 

Perpetuum  mobile,  Unmöglichkeit  desselben  I,  4,  80,  154. 

i^erson,  AuflÖsungswärmen  I,  775. 

^  e  tit,  siehe  Dulong. 

Pfaundler,  Theorie  der  Dissociation  II,  367;  Dissociation  einiger  Bubstanzen 
II,  383;  Theorie  der  partiellen  Wechselzersetzungen  n,  889. 

Pliänomen  von  Peltier,  von  Thomson  siehe  unter  diesen  Nainen. 

Pliysikalische  Chemie  II,  254. 

Pictet,  Verflüssigung  der  Gase  II,  952. 

Pikrinsäure  und  Pikrate  II,  509,  525. 

P  1  a  n  k ,  Versuche  über  das  Wärmeleitungsvermögen  einiger  Gase  II,  155,  208,  957. 

Plasticität  des  Sises  I,  «63. 

Platin,  physikalische  Oonstanten  desselben  I,  495;  Atomwärme  n,  261;  Ver- 
bindungswärmen  II,  301;  Wasserstoffocdusion  desselben  II,  712. 

Poggendorff,  Bestätigung  des  Joule' sehen  Gesetzes  über  die  durch  den 
galvanischen  Btrom  entwickelte  Wärmemenge  n,  609. 

Poiseuille's  Gesetz  über  die  Ansflussmenge  von  Flüssigkeiten  II,  112. 

PoisBon's  Satz  über  die  Wirkung  electrischer  Hassen  auf  einen  inneren  Punkt 
n,  560. 

PoisBou'sche  Gleichung  für  Gase  I,  297;  Annahme  über  den  cubischen  Gom- 
pressionscoefücienten  I,  493. 

Polarisation,  galvanische,  der  Electroden  I,  122;  II,  674,  688;  bei  der  Elec- 
trolyse  des  Wassers  II,  689;  ältere  Ansicht  über  die  Natur  ders.  II,  692; 
V.  Beetz' 8  und  Ex  n  er 's  Untersuchungen  über  dies.  II,  690,  696;  Einwände 
gegen  die  Resultate  des  letzteren  II,  714;  thermoeleotrische  n,  726. 

Potential  electrischer  Massen  II,  559;  auf  sich  selbst  n,  564,  566;  von  Lei- 
dener Flaschen  n,  568,  572;  electrisches  der  Sonne  II,  840. 

Potentialfunction  electrischer  Massen,  Bedeutung II,  558 ;  allgemeine  Sätze 
n,  560,  565;  von  Leydener  Flaschen  II,  570. 

Pressung,  Wärmeerscheinung  bei  derselben  I,  517  bis  522. 

Pressungscoefficient,  thermischer,  Definition  I,  499;  adiabatisoher I,  504. 

Preston,  Verbreitung  des  Schalles  II,  224. 

Prevost,  Moleculartheorie  der  Gase  II,  18. 

Prlncip  der  Erhaltung  der  Energie  s.  Energie. 

Princip  von  Hamilton  I,  427,  von  DaltonI,  751;  11,130,  von  Dirichlet 
n,   934;  der  Maximalarbeit  von  Berthelot  II,   277;  dynamoelectrisches 
n,  655. 
Puluj,  Bestimmung  des  Beibungscoefficienten  der  Gase  II,  106,  120,  956;  Be- 
stimmung des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  II,  967. 
P  US  Chi,  Gegner  der  kinetischen  Gastheorie  n,  142,  955. 
Pyroxylin  siehe  Schiessbaum  wolle. 

Q. 

Quecksilber,  Atomwärme II, 261 ;  Wärmetönungen  11, 300 ;  specifische Wärme 

des  Quecksilberdampfes  II,  267. 
V.  Quintus-Icilius,  Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  I, 

61;  n,  621,  966;  Versuche  über  Thermoelectricität  II,  729. 


Bank  ine,  Entdeckung  der  Oondensation  des  Wasserdampfes  bei  Expansion  I, 
41,  102;  zu  allgemeine  Auffassung  der  mechanischen  Wärmetheorie  I,  148; 
Wirbeltheorie  I,  214;  II,  251,  930,  958;  Bemerkungen  über  Ausfluss- 
erscheinxmgen  I,  313;  Hypothese  über  die  Wiederherstellung  der  äusseren 
Energie  I,  381;  Widerlegung  dieser  Hypothese  I,  382;  Abweichungen  der 
Gase  vom  Mar iotte' sehen  Gesetze  I,  546;  II,  953;  Spannkraftsformeln 
I,  596;  Dampfmaschinentheorie  H,  960;  wahre  speciflsche  Wärme  II,  10; 


992  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

Biographiflcheg  H,  030;  Bedeutung  für  die  mecbaniiclie  Wännetbeovie  n, 
927,  928,  931. 

BeceptOT  tl,  662. 

Becknagel,  Zastandsgleichnng  wirklicher  Gtase  IL,  953. 

Begeneratoren  I,  103. 

Begelation  I,  663. 

Begnauld,  electxomotoriscbe  Kraft  der  Amalgame  I,  65;  EiniloflB  da  Amil- 
gamirens  der  Metalle  11,  678. 

Begnault,  Wiederholung  der  Joule* sehen  Qasversuche I,  32 ;  Yervociie  öter 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Schalles  I,  279;  Abweiebangen  derGa« 
vom  Mariotte' sehen  Gesetze I,  264, 541 ;  n,  243;  Mesrangen  der  Spana- 
kräfte  I,  585  bis  595;  Messungen  der  Verdampfungawärmeii  I,  582;  sped- 
flsche  Wärmen  von  Flüssigkeiten  I,  583;  Spannkräfte  Ton  Flnasigkeito- 
gemischen  I,  586. 

Beibung,  Definition  derselben  I,  6,  185;  des  Blutes  in  den  Oefiaeen  I,  124: 
Erklärung  derselben  nach  alter  Anschauung  I,  197;  innere,  der  Qa«: 
Bedeutung  und  Ableitung  der  Formeln  für  dieselbe  n,  80;  HiatoritclMi 
n,  956. 

Beibungscoefficient,  Definition  11,  82;  experimentelle  Beetüninimg  daa 
bei  Gasen  durch  O.E.Meyer  II,  88,  93,  99,  115,  120;  Maxwell  fi,  96; 
Kundt  und  Warburg  Ö,  102;  Puluj  n,  106,  118,  120;  Abbiagi^sit 
desselben  von  der  Dichte  und  dem  Drucke  des  Gases  H,  86,  96,  103,  111. 
118;  do.  von  der  Temperatur  n,  86,  97,  118,  122;  Erklfirnng  denelbai  IL 
.  128;  Grösse  des  Beibungscoefficienten  der  Gase  II,  86,  88,  91,  96,  99,  10t 
105,  106,  122,  127. 

Beibungselectricität,  Ableitung  der  wichtigsten  Formeln  II,  567;  Be- 
stätigung derselben  durch  die  Versuche  Yon  Biess  11,  574,  von  Villari 
n,  581;  unvollständige  Entladung  einer  Batterie  n,  583;  CaeeadeBbatlene 
n,  588. 

Beibungsversuche,  yon  Bumfor'd  I,  74,  197;  II,  888;  von  Joule  I,  W 
bis  195;  von  Favre  I,  195;  von  Hirn  I,  196;  II,  966;  von  Yiolle  uad 
Laboulaye  I,  558;  von  Bowland  II,  967. 

Beichenbach,  Wasserhebungsmaschine  I,  5. 

Beusch,  abnormes  Verhalten  der  Guttapercha  I,  94,  540. 

Beye,  Abweichungen  der  Gase  vom  Mariotte' sehen  und  Qay-Lussac*- 
schen  Gesetze  I,  263;  über  Drehstürme  II,  795. 

Biess,  Versuche  über  die  Wärmeentwickelung  durch  Beibungeeleetneitit  n. 
574;  do.  bei  unvollständigen  Entladungen  II,  586;  do.  bei  der  Caaesdo- 
batterie  II,  589. 

Bitter,  Untersuchungen  über  gasförmige  Weltkörper  n,  843;  Anwendung  der 
mechanischen  Wärmetheorie  auf  die  Sonnenphysik  II,  851;  über  ver- 
änderliche Sterne  und  Nebelflecke  n,  855;  über  die  Atmosphären  ftstv 
Weltkörper  U,  860. 

St.  Bober t,  Theorie  der  Wirkung  des  Schiesspulvers  in  den  GeachützrohrcB 
II,  468. 

Böntgen,  Quotient  der  specifischen  Wärmen  bei  Luft  I,  211,  277;  IL  2SS, 
266;  bei  Kohlensäure  I,  211,  277;  bei  Wasserstoff  I,  277;  bei  Sanentoi^ 
Stickstoff  II,  223. 

Boux,  Bestimmung  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  SchaUes  I,  279; 
Versuche  über  das  Thomson'sche  thermoelectrische  Phänomen  H,  744. 

Bowland,  Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  II,  967,  968. 

Büdorf,  Auflösungswärmen  I,  769. 

Bumford,  Beibungsversuche  desselben  I,  74,  197;  II,  888;  Bedeutung  für  die 
mechanische  Wärmetheorie  II,  886. 

s. 

Salpetersäure,  Neutralisationswärmen n,  302 ;  Dissociation derMlben Ü, 374. 

Salze,  Auflösungserscheinungen  derselben  I,  764  bis  783;  Wftrmeentwickehnig 
bei  der  Bildung  und  chemischen  Zersetzung  derselben  II,  320;  do.  bei  der 
Electrolyse  II,   698;   Dissociation  derselben   ü,    385;   Beschaffmheit  der 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  998 

liösnngen  derselben  II,  406;  eleotromotorisobe  Kraft  der  Polarisation  bei 
denselben  II,  698,  715. 

alziösangen,  Dampfspannungen  derselben  I,  763  bis  782;  Mischung  der- 
selben I,  763  bis  782 ;  Eigenschaften  derselben  bei  der  Dissociation  II,  406. 

auerstoff,  mechaniBcheB  Aequivalent  der  Wärme  aus  demselben  bestimmt 
I,  209,  235;  physikalische  Constanten  desselben  I,  211,  253;  mittlere  Mole- 
culargeschwindigkeit  n,  38,  79,  227;  mittlere  Weglänge  der  Holecüle  II, 
136,  227;  Beibungscoefficient  II,  122,  227;  Diffasionsooefflcient  II,  137; 
Wärmeleitungsooefficient  H,  158,  199,  202,  207;  Beschaffenheit  der  Hole- 
cüle II,  227  bis  236;  Versuche  über  die  relative  Verwandtschaft  desselben 
zu  Wasserstoff  und  Kohlenozyd  II,  429. 

oalen,  thermische  I,  167  bis  170;  II,  1000. 

Chemnitz,  Lnftcompressionsmaschine  I,  30. 

•  chiessbaumwolle  II,  503,  525. 

ichiesspulver,  BestandtheUe  \fnä  Zersetzung II,  455,  525 ;  Theorie  desselben 
nach  Bunsen  und  Schischkoff  II,  463;  do.  der  Wirkung  desselben 
nach  St.  Bober t  II,  468;  do.  nach  Noble  und  Abel  II,  477;  Versuche 
über  den  Druck  der  Pulvergase  II,  482;  Vergleichung  der  Versuchsresultate 
mit  d^r  Theorie  II,  490;  Schiesspulver  mit  abweichenden  Zusammen- 
setzungen n,  494. 

Ichischkoff,  BestandtheUe  und  Zersetzung  des  Schiesspulvers  IX,  455 ;  Theorie 
desselben  II,  463. 

Ichmelzen,  Anwendung  des  ersten  Hauptsatzes  auf  dasselbe  I,  609;  An- 
wendung des  zweiten  Hauptsatzes  auf  dasselbe  I,  653. 

Schmelztemperatur,  Abhängigkeit  vom  Drucke  I,  653;  II,  932;  einiger 
Substanzen  I,  655  bis  657. 

Schmelzwärmen  II,  336. 

Schmidt,  G.,  Zustandsgieichung  für  überhitzte  Dampfe  I,  708;  II,  975;  Bio- 
graphisches II,  974;  Bedeutung  für  die  mechanische  Wärmetheorie  II,  975. 

Schmulewitsch,  abnormes  Verhalten  des  Kautschuks  I,  537;  desgleichen  der 
Muskel^er  I,  540. 

tchröder  van  der  Kolk,  Satz  über  die  Energie  der  chemischen  Wirkungen 
n,  359. 

Ichwefel,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  657. 

Schwefelkohlenstoff,  physikalische  Constanten  I,  626,  685. 

Ichwefelsäure,  Spannkräfte  der  Gemische  derselben  I,  788,  Neutralisations- 
wärmen derselben  II,  302. 

Schwefelwasserstoff,  Beschaffenheit  der  Molecüle  II,  227  bis  239;  Neu- 
tralisationswämien  n,  303. 

Schweflige  Säure,  Beschaffenheit  der  Molecüle II,  227  bis  239;  Neutralisations- 
wärmen ders.  II,  304. 

Schwingungen,  Sätze  von  den  kleinsten  I,  162. 

Scily,  Beziehungen  des  zweiten  Hauptsatzes  zum  Hamilton* sehen  Principe 
I,  431  bis  433. 

»ieden  I,  566. 

liedetemperatur  I,  565  bis  572. 

Siedeverzug  I,  566. 

Seguin,  zur  Theorie  der  Dampfmaschinen  I,  133;  Bedeutung  für  die  mecha- 
nische Wärmetheorie  II,  920. 

Siemens,  Werner,  Entdeckung  des  dynamoelectrischen  Prinoips  II,  655;  elec- 
irisches  Sonnenpotential  II,  840;  electrische  Widerstandseinheit  II,  620. 

Siemens,  Will.,  Ausdehnung  überhitzten  Wasserdampfes  I,  698;  Wassergas- 
maschine I,  734;  Hypothese  über  die  Erhaltung  der  Sonnenenergie  II, 
825;  Einwände  gegen  dieselbe  n,  836. 

Silber,  physikalische  Constanten  desselben  I,  495;  Atomwärme  II,  261;  Ver- 
bindungswärmen U,  300. 

Silbermann,  Calorimeter  zu  thermochemischen  Versuchen  II,  279;  Bestimmung 
von  Wärmetönungen  n,  290;  Satz  über  dieselben  II,  351;  Bestimmung  des 
mechanischen  Wärmeäquivalentes  II,  966. 

Solarconstante  II,  813. 

Sonne,  Bedeutung  derselben  für  die  Erde  n,  810;  ausgestrahlte  Wärmemenge 
derselben  n,  812;  ältere  Hypothesen  über  die  Erhaltung  der  Energie  der- 

Bühlmann,  Mechan.  Wärmetheorie.    Bd.  II.  ^3 


994  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

selben  I,  69;  II,  819;  Theorie  von  W.  Thomson  I,  70;  EL,  8S2,  935;  Gn- 
tractionstheorie  von  v.  HelmholtzII,  824;  Hypothese  von  WilL  8 iemeiJ 
II,  826;  Einwände  aus  der  Mechanik  g;eg;en  diese  letztere  n.  83«;  Tmr 
peratur  der  Oberfläche  derselben  II,  833;  electrisches  Potential  denelbei 
U,  840;  Betrachtungen  von  Ritter  über  dieselbe  II,  851. 

Spannkräfte,  Begnault's  Messungen  derselben  I,  585;  einiger  FUu8i|;keit<i 
I,  587,  595;  Bankine's  Formeln  I,  596;  der  Salzlösungen  I,  764  bis  7ti: 
der  FlüBsigkeitsgemisohe  I,  787. 

Speoifische  Wärme  im  Allgemeinen»  allgemeine  Aoffassiin^  denelbeadird 
Zeuner  I,  308,  345. 

Specifische  Wärme,  wahre,  Definition  II,  10;  Gesetz  für  dieselbe  II,  270;  da 
Verbindungen  II,  272. 

Specifische  Wärme  bei  constantem  Drucke,  Definition  I,  181;  ^aig« 
Gase  I,  204;  einiger  Flüssigkeiten  I,  491,  583;  einiger  Metalle  I,  495;  ds 
gesättigten  Dämpfe  I,  579,  604,  619;  überhitzter  Dampfe  I,  693;  der  Bi- 
mente  II,  260. 

Specifische  Wärme   bei   constantem   Volumen,   Definition  I,    178;  4k 

Gase  I,  204;  Bestimmung  des  Verhältnisses  ^  I,  273,   282,  506;  U,  SM; 

Cv 

einiger  Flüssigkeiten  I,  489  bis  491;  einiger  Metalle  I,  495,  512,  523;  ia 
Dämpfe  bei  constantem  Dampfvolumen  I,  629. 

Spectrum  des  Chlorophylls  I,  127. 

Spinoza,  über  das  Wesen  der  Wärme  II,  870. 

Stationäre  Bewegung  I,  437. 

Stearin,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  657. 

Stefan,  Beibungscoefficient  der  Gase  II,  106,  128;  Ergänzung  zn  dem  Daltoi- 
schen  Principe  II,  130;  Diffusion  der  Gase  II,  131, 141,  956;  Wänneieitaif 
der  Gase  II,  150,  208,  957. 

Stickstoff,  mechanisches  Wärmeäquivalent  aus  demselben  bestimmt  I,  9Cf. 
235;  specifische  Wärme  dess.  I,  211;  physikalische  Gonstanten  dess.  L  tiS, 
mittlere  Moleculargeschwindigkeit  II,  38,  79,  227 ;  mittlere  Weglänfe  dsr 
Molecüle  11,  227,  245;  Beibimgscoefficient  II,  122,  227;  TrannpiiaooM- 
coefficient  II,  126;  Wärmeleitungscoefficient  n,  158,  199,  202,  207;  Bt- 
schaffenheit  der  Molecüle  II,  227  bis  245;  Wärmetonungen  11,  293. 

Stickstoffv  erbindun  gen,  Einwirkung  des  electriachen  Funkens  auf 
n,  443. 

Stirling,  Heissluftmaschine  I,  43,  339  bi9  343. 

Stokes,  Bestimmung  des  Beibungscoefficienten  der  Gase  n,  87. 

Strahlung  zwischen  zwei  Flächen  I,  384  bis  388. 

Sturm,  Bestimmung  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  desSchallee  imWi 
I,  507. 

Sturmtheorie  von  Beye  II,  795. 

Synchrone  Schwingungen,  Abers  Hypothese  von  denselben  £1,  521. 


T. 

Tait,    Unrichtigkeiten  bez.  der  Geschichte  der  mechanischen 
II,  921. 

Täte,  Dampfdichte  I,  597. 

Temperatur,  Definition  I,  166,  459;  Gleichgewicht  derselben  I,  167,  ITI; 
Scalen  ders.  I,  167;  II,  1000;  Einfluss  ders.  auf  die  innere  Beibang  Ai 
Gase  II,  118;  auf  die  Diffusion  derselben  n,  134,  140;  auf  das  Want 
leitungsvermögen  derselben  II,  164;  auf  die  Verbindungswärmen  II,  M 
der  Pulvergase  II,  473,  479;  Abnahme  derselben  in  der  Atmosphäre  m 
der  Höhe  11,  780,  784;  der  Sonnenoberfläche  II,  833;  absolute  s.  absoiM 
Temperatur.  i 

Tendenz  der  Wärme  von  heisseren  Körpern  auf  kältere  überzugeben  I,  Sl 
109;  der  Zerstreuung  der  Energie  II,  933,  937.  J 

Thermochemie,  Allgemeines II,  254 ;  Fimdamental8&tzeII,274;  experimentdl 
Grundlagen  II,  279  (fl.auchDi8Sociation,Exploaivk5rper,  Wärmetdnangelfll 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  995 

Thermochemische  Bestimmnng  der  electromotorischen  Kraft  I»  123. 

Thermodynamik  siehe  mechaDische  Wärmetheorie. 

Thermodynamisches  Aequivalent  ü,  357. 

ThermodynamiBche  Fonction  II,  931,  961. 

Thermoelectricität,  Allgemeines  nnd  Historisches  II,  724;  experimenteller 
Nachweis  des  P e  1 1 i e r ' sehen  Phänomens  II,  726 ;  Versuche  von  v.  Quintus 
Icilins  II,  729;  ältere  Thomson'sche  Theorien,  731;  die  zweite  II,  737 ; 
Thomson's  Phänomen  II,  735,736,  740,  775,935;  Theorie  von  Clansius 
II,  754,  938;  Erweiterung  derselben  von  Buddelt,  761;  experimentelle  Be- 
stätigungen II,  773;  thermoelectromotorische  Kraft  II,  735,  738,  759,  764; 
empirische  Formel  für  dieselbe  von  Avenarius  II,  765. 

Thermoelectrische  Polarisation  II,  726. 

Thermoelectrisches  Diagramm  II,  769;  Phänomen  von  Peltier  II,  725, 
727,  755,  772,  938 ;.  Phänomen  von  Thomson  II,  735,  736,  740,  935. 

Thermoelectromotorische  Kraft  n,  735,  738,  759,  764,  765. 

Thermometer,  Erfindung  desselben  I,  170. 

Thermoneutralität,  Satz  von  Hess  über  dieselbe  n,  357. 

Thompson,  Benj.,  s.  Bumford. 

Thomsen,  J.,  calorimetrische  Untersuchungen  I,  762,  779,  786;  II,  283;  Be- 
stimmungen von  Wärmetdnungen  II,  290 ff.;  Sätze  über  dieselben  II,  357; 
Wärmetönungen  der  chemischen  Beactionen  in  galvanischen  Elementen 
n,  682. 

Thomson,  J.,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  658;  II,  932. 

Thomson,  W.,  Versuche  mit  Joule  über  Oasausfluss  1,34, 256  bis 270;  Princip 
dieser  Versuche  I,  101,  254;  Tendenz  der  Zerstreuung  der  Energie  I,  143, 
379;  n,  933,  987;  Definition  der  Temperatur  I,  463;  Abhängigkeit  des 
Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  659;  11,  932;  Untersuchungen  über  innere 
Energie  I,  735;  Wirbeltlieorie  II,  252,  944,  959;  absolute  Einheiten  II, 
639;  Theorie  der  Thermoelectricität  11,  731,  737;  thermoelectrisches  Phä- 
nomen II,  735,  736,  740,  775,  935;  thermoelectrisches  Diagramm  n,  769; 
Formel  für  die  Temperaturabnahme  in  der  Atmosphäre  mit  der  Höhe 
II,  780,  787;  Theorie  der  Erhaltung  der  Sonnenenergie  I,  70;  H,  822,  935; 
Biographisches  II,  931;  Bedeutung  für  die  mechanische  Wärmetheorie  11; 
925,  927,  928,  932  bis  935. 

Thomson'sche  Gleichung  Z  =  -=•  •  -^  I,  475;   II,   918;  Anwendung  dieser 

Gleichung  auf  feste  Körper  I,  492;  unvollständige  Bestätigung  derselben 
I,  524. 

Toland,  Stellung  zur  mechanischen  Wärmetheorie  II,  871. 

Tornados  II,  795,  803. 

Transspirationscoefficient  der  Gase  II,  126. 

Troost,  Dissociation  der  Unt«r8alpetersänre  II,  372;  Bestimmung  von  Wärme- 
tönungen n,  295. 

Tyndall,  Gletschertheorie  I,  666. 

u. 

tJeberhitzter  Dampf,  Abweichungen  vom  Mariotte'schen  Gesetze  I,  692, 
699;  specifische  Wärme  desselben  I,  693;  Volumen  I,  698;  thermische 
Curven  desselben  I,  705  bis  710;  Zustandsgleichung  desselben  I,  711;  II, 
953  his  955,  965,  972,  975,  976;  isodynamische  Curve  desselben  I,  714;  iso- 
thermische Gurve  desselben  I,   714;   Haschinen  mit  überhitztem  Dampfe 

I,  729  bis  734;  11,  962;  Hirn's  Gesetz  für  denselben  I,  706;  H,  965,  971, 
972,  975;  Darstellung  der  Theorie  dess.  von  Hirn  I,  706,  von  Zeuner 
n,  972,  von  Grashof  II,  974,  von  Schmidt  II,  975,  von  Weyrauch 

II,  976. 
Ueherschmelzen  I,  611. 

Ueberströmen  eines  Gases  zwischen  zwei  Gefässen  I,  296. 
Untersalpeter  säure,  Dissociation  derselben  II,  372. 


996  Alphabetische«  Sach-  and  Namenregnter. 


V. 

Variirende  Bewegung  eines  Punktes  I,  441. 
Yegetationi  Beziehung  zum  Lichte  I,  66;  ohne  Lidht  I,  125. 
Vetbrennungswärmen  der  Explosivkörper  11«  525. 
Verbindungswärmen,  Abhängigkeit  derselben  von  Temperatur  und  Aggre^- 

zustand  n,  284;  Grösse  derselben  ü,  290  (s.  auch  Wärmetdnoiigcn^ 
Verdampfung,  Anwendung  des  ersten  Hauptsatzes  auf  dieselbe  I«   57S;  i»- 

wenduug  des  zweiten  Hauptsatzes  auf  dieselbe  I,  612. 
Ver dam pfungs wärme  einiger  Flüssigkeiten  I,  584;  des  WasMis  I,  58S;  Q. 

336,  972;  verschiedener  Substanzen  n,  336,  337. 
Verdichtungscoefficient  n,  238. 
Vertheilungsgesetz  der  Gheschwindigkeiten  der  Molecüle  von  M mzwell  IL 

68,  951,  957. 
Verwandlungscoefficient,  Definition,  Vorwort I,  47, 315;  11,639;  MaTTW 

desselben  I,  47;  der  Erics  so  naschen  Maschine  I,  104;  des  Carnot*ffheE 

Kreisprocesses  I,  322;  Maximum  desselben  bei  HeiBsluitmaecfaiiieo  I,  3& 

beliebiger  Maschinen  I,  422 ;  einer  Bampftnaschine  mit  ToUatändiger  Ei- 

pansion  I,  717;  desgleichen  mit  unvollständiger  Expansion  I,  722;  efectn 

scher  Maschinen  II,  642. 
Verwandlungen,  Aequivalenz  derselben  I,  137,  405. 
Verwandlungswerth  I,  405;  II,  929;  Formel  desselben  I,  420;  graphisefer 

Darstellung  desselben  I,  420. 
Villari,  abnormes  Verhalten  des  Kautschuks  I,  535;  Versuche  über  die  Wäis» 

Wirkung  der  electrischen  Funken  U,  581,  587. 
Violle,  Bestimmung  der  Solaroonstante  II,  813;  Messung  der  Temperator  is 

Sonnenoberfläohe  II,    834;    Bestimmung  des   medumischen   WSnneiqSr 

valentes  n,  967. 
Virial,  Beziehung  zur  lebendigen  Kraft  I,  437. 
Volta' scher  Fundamentalversuch  erklärt  von  Exner  n,  703. 
Volumenänderungen,  Wärmeerscheinungen  bei  denselben  (Edlnnd)  I,  Ci 

bis  232,  Joule  I,  481;  Anwendung  des  zweiten  Ebraptaaties  auf  diesielba 

I,  474;  Thomson*s  Formel  für  die  Erwärmung  bei  derselben  I,  481. 


w. 

van  der  Waals,  Formel  für  die  mittlere  Weglänge  der  Molecüle  n,  241;  Aia- 
dehnungsgesetz  für  wirkliche  Gase  H,  242,  954;  Grösse  der  Moleeöle  H 
245,  958;  Moleculartheorie  n,  948,  949. 

Wachs,  Abhängigkeit  des  Schmelzpunktes  vom  Drucke  I,  657. 

Wallrath,  Erwärmung  desselben  durch  Compression  I,  484;  Abhängigkeit  da 
Schmelzpunktes  desselben  vom  Drucke  I,  657. 

V.  Walten hofen.  Versuche  über  electrische  Maschinen  n,  653,  657. 

Wand,  Einwendungen  gegen  den  zweiten  Hauptsatz  I,  389. 

War  bürg,  über  den  Beibnngscoefficienten  der  Gase  II,  102,956;  den  Oleitang*- 
coefflcienten  derselben  II,  107;  über  Wärmeleitung  derselben  H,  158,  IC 
957;  über  die  specifische  Wärme  des  Quecksilberdampfes  n,  267. 

Wärme  durch  Auflösung  von  Zink  I,  54;  siehe  latente,  specifiache  T€^ 
dampfungs-  etc.  Wärme;  Entwicklung  derselben  I,  20;  Entziehung  ätr- 
selben  I,  23;  strahlende  I,  214. 

Wärmeäquivalent  I,  177;  siehe  Mechanisches  Aequivalent,  Aequivalent. 

Wärmeausstrahlung  der  Sonne  n,  813. 

Wärmecapacität  si^e  specifische  Wärme,  wahre. 

Wärmeconvection  II,  144. 

Wärmeentwickelung,  Definition  I,  20;  bei  Compression  von  Gasen  I,  2^ 
bei  Compression  von  Flüssigkeiten  I,  481;  bei  Dehnung  fester  Korptr  l 
513;  durch  chemische  Processe  II,  274,  338;  Grösse  derselben  H,  SSO  ff: 
bei  Lösungen  II,   406;    durch  Explosivkörper  n,   525;   durch  den  eWctir 


Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister.  997 

Bchen  Funken  II,  579,  587,  590;  durch  den  galvanischen  Strom  11,  590; 
Joule *8  Gesetz  dafür  II,  604,  923;  durch  iDductionsströme  II,  627;  in 
den  galvanischen  Elementen  II,  680;  in  Electrolyten  n,  694;  durch  das 
Peltier'sche  Phänomen  II,  729,  731,  764;  durch  das  Thomson'sche 
Phänomen  n,  740,  764. 

"Wärmegewicht  I,  420. 

^Wärmeleitung  derGasell,  142;  Versuche  von  Pöclet  II,  144;  von  Magnus 
n,  145;  von  Narr  II,  149;  Stefan  II,  160;  Plank  II,  155;  Winkel- 
mann n,  156;  Kundt  und  War  hur  g  II,  158;  Ahhängigkeit  derselben 
vom  Drucke  n,  162,  200,  von  der  Temperatur  II,  164;  Theorie  derselben 
nach  Clausius  II,  169,  Maxwell  II,  199;  von  Gasgemischen  II,  208; 
Geschichtliches  n,  957. 

l^ärmeleitungscoefficient,  Definition  11,  148;  Grösse  II,  158,  161,  199, 
202,  207. 

^Wärmemenge,  Definition  I,  177;  Ermittelung  derselben  I,  215. 

^Wärmepotential  II,  931. 

mr  arme  quellen,  Reibung  I,  11,  30,  187,  195;  electrischer  Strom  I,  62;  In- 
duction  I,  60;  chemischer  Process  I,  62;  Yolumenänderung  I,  222,  481. 

VTärmetönung  (gleich  Yerbindungs wärme  bei  Entstehung  eines  Molecüles), 
bei  Verbindungen  von  Metalloiden  II,  290;  von  Metallen  mit  Metalloiden 
II,  296 ;  bei  der  Neutralisation  von  Säuren  und  Basen  II,  302 ;  bei  Lösun- 
gen in  Wasser  11,  309;  bei  ein&chen  und  doppelten  Zersetzungen  n,  320; 
bei  der  Bildung  organischer  Verbindungen  n,  326;  Multiple  bei  ders.  11, 
841;  Sätze  über  dieselbe  II,  351;  von  Explosivkörpem  II,  509,  525;  bei 
der  Electrolyse  des  Wassers  n,  677,  689;  in  galvanischen  Elementen  II, 
684,  707;  bei  Electrolysen  II,  698;  Beziehung  zur  electromotorischen  Kraft 
n,  632,  673,  716. 

Wärmetransport,  electrischer  (nach  Thomson)  n,  749,  935. 

Wasser,  Wärmeentwickelung  desselben  durch  Compression  I,  485;  physika- 
lische Gonstanten  desselben  I,  487,  560,  588  bis  595,  685;  Dissociation  des- 
selben II,  357;  Wärmetönung  desselben  II,  290,  677,  689;  Electrolyse  des- 
selben n,  688. 

^Wasserdampf,  Tabelle  für  denselben  I,  588  bis  595;  Dichte  desselben  I,  597, 
670;  specifische  Wärme  des  gesättigten  I,  604;  specifische  Wärme  des  über- 
hitzten I,  694 ;  specifisches  Volumen  des  überhitzten  I,  697 ;  Ausdehnungs- 
coefficient  desselben  I,  698;  Beschaffenheit  der  Molecüle  desselben  n,  227 
bis  239;  Verwendung  desselben  zur  Fortschleuderung  von  Geschossen  II, 
547;  Gehalt  der  Atmosphäre  an  demselben  11^  788;  Geschichtliches  über 
die  Anwendung  desselben  in  Dampftnaschinen  II,  960. 

Wasserstoff,  mechanisches  Wärmeäquivalent  mit  demselben  bestimmt  I, 
209,  285;  physikalische  Constanten  desselben  I,  211,253,  278;  Verbrennungs- 
wärme desselben  I,  63;  n,  290;  Thomson's  und  Joule' s  Versuch  mit 
demselben  I,  263;  mittlere  Moleculargeschwindigkeit  II,  38,  79,  227; 
mittlere  Weglänge  der  Molecüle  II,  106,  136,  227,  245;  Beibungscoefßcient 
n,  106,  122,  227;  Transspirationscoeffioient  II,  126;  Diffusionscoefßcient  II, 
140;  Wärmeleitungscoefficient  II,  158,  199,  202,  207;  Beschaffenheit  der 
Molecüle  n,  227  bis  247;  Occlusion  desselben  in  Platin  und  Palladium 
n,  712. 

Waterston,  Erhaltung  der  Sonnenwärme  I,  70;  H,  821. 

Watt,  Indicator  I,  17;  Dampfmantel  I,  724;  Satz  über  die  Expansion  des  ge- 
sättigten Wasserdampfes  II,  936,  961. 

Weber,  H.  F.,  Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  II,  967. 

Weber,  W.,  absolute  Einheiten  II,  615,  617,  619;  Bestimmung  der  Strom- 
intensität in  absolutem  Maasse  II,  615;  electrodynamisches  Grundgesetz 
II,  939;  Bestimmung  des  mechanischen  Wärmeäquivalentes  II,  966. 

Wechselzersetzungen,  partielle,  Theorie  derselben  von  Pfaundler  II, 
389,  von  Horstmann  n,  395. 

Weinstein,  B.,  Abweichungen  der  Gasthermometer  von  der  absoluten  Tem- 
peratur II,  1000. 

Weisbach,  Ausflussformel  für  Gase  I,  294. 

Weltkörper,  gasförmige,  Untersuchungen  von  Ritter  über  dieselben  II, 
843;  adiabatiKcher  Gleichgewichtszustand  derselben  II,  847;   Bitteres  Be- 


998  Alphabetisches  Sach-  und  Namenregister. 

trachtuugen  über  veränderliche  Sterne  und  Nebelflecken   II,   -S»5:   £e 

AtmoepMren  fester  Weltkörper  (na<^  Bitter)  II,  860. 
Wertheim,  Annahme  über  den  GompresnonBcoefficaenten  I,  493;  Bcatinnmi 

einiger  Elasticit&tscoefficienten  I,  528. 
Weyrauch,  Theorie  der  überhitzten  Dämpfe  U,  976. 
Wiedemann,  G.,  Dissociation  wasserhaltiger  Balze  II,  385. 
Wie  dem  an n,  £.,  specifische  Wärme  der  Gase  n,  1000. 
Windhausen,  Eismaschine  I,  301. 

Winkelmann,  Wärmeleitong  der  Gase  H,  156,  162,  164,  203,  957. 
Wirbelstürme  II,  795,  802. 

Wirbeltheorie  n,  251  bis  253,  930,  944,  958,  959. 
Wirksamer  Magnetismus  einer  electrischen  Haschine  II,  657. 
Wirkungsfunction  eines  Körpers  (nach  Kirehhoff)  I,  736;  II,  5. 
Wirkungsgrad  nach  Zeuner  I,  315;  siehe  Vorrede  zum  ersten  Bande. 
Wirkungssphäre  der  Molekeln  II,  46,  954,  958. 
Witte,  Methode  zur  Bestimmung  der  specifischen  Wärme  bei  constaiilm  T*> 

lumen  I,  279. 
Wolff,  Chr.,  über  das  Wesen  der  Wärme  II,  881. 
WoUaston,  Beobachtung  über  die  Wärmewirkuog  des  galTaniachen  Strana 

n,  605. 
Wretschko,  Diffusion  von  Gasgemengen  II,  141. 
V.  Wroblewsky,  Verflüssigung  der  Gase  n,  952. 
Wüllner,  Dampfspannungen  der  Salzlösungen  I,  769;  desgleichen  TonfliuBr- 

keitsgemischen  I,  789. 
Wurtz,  Dissociation  des  Bromwasserstoffamylens  II,  373. 

Y. 

Young,   Stellimg  zur  mechanischen  Wärmetheorie  I,  74;   II,  896;  Terrbtf 
dem  Worte  Energie  allgemeine  Geltung  II,  931. 

z. 

Zersetzungscoefficient  der  Ezplosivkörper  n,  515. 

Zersetzungstemperatur  eines  Gases  II,  366. 

Zerstreuung  der  Energie  I,  143,  379;  II,  933.  937. 

Zeuner,  Ausfluss  der  Gase  I,  283 ;  neuere  Darstellung  der  Augfluasci  m  Iwiim- 
gen  I,  304;  allgemeinere  Auffassung  der  specifischen  Wärme  I,  308;  A» 
flussexponent  I,  310;  Kreissprocess  desselben  I,  345;  grai^iische  Dantefiof 
des  Wärmegewichtes  I,  420;  Definition  der  absoluten  Temperatur  L46; 
Ausströmen  von  Dämpfen  I,  631;  Theorie  des  Injectora  I,  647;  Thajir 
dichte  I,  670;  adiabatische  Curve  der  Dämpfe  I,  674;  iaodynamische  Cnnt 
der  Dämpfe  I,  683 ;  Curve  constanterDampfioienge  1,684;  innere  latente lOm 
I,  685;  Verwandlungscoefficient  einer  Maschäell,  639;  BiographischeilL 
968;  Bedeutung  für  die  mechanische  Wärmetheorie  H,  968  bis  973:  ^ 
Standsgleichung  der  überhitzten  Dämpfe  I,  708;  n,  972;  Formel  firAt 
Verdampfungswärme  des  Wassers  II,  972. 

Zink,  Verbindungswärme  desselben  I,  54;  II ,  298;  Auflösiing  in  Säsrao  1| 
123;  Atomwärme  II,  261;  Einfluss  des  Amalgamirena  deaaelbeii  ii  ^ 
galvanischen  Elementen  II,  678. 


Druckfehl  er  Verbesserungen. 


Bd.  I,  Seite  70,  Zeile  19  von  oben  moss  es  heissenWaterBton  statt  Waterson. 
Bd.  I,  Seite  165,  Zeile  9  von  unten  muBS  es  heiasen  X  -^  x  statt  X  ~\-  z. 
Bd.  I,  Seite  225,  Zeile  7  von  oben  moss  es  heissen  Fig.  22  statt  Fig.  20. 

Bd.  I,  Seite  268,  Formel  29,  mnsi  es  heissen  ^  statt  -^  • 

Bd.  I,  Seite  297,  Zeile  7  von  oben  mosB  es  heissen  vollkommener  statt  vollkommenen. 
Bd.  I,  Seite  305,  Zeile  12  von  oben  moss  es  heissen  Beschleonigung  statt  be- 
schleunigende Kraft  y. 
Bd.  I,  Seite  306,  Zeile  3  von  unten  muss  es  heissen  Gl.  3)  statt  Gl.  2). 

Bd.  I,  Seite  350.  Herr  Prof.  O.  Ghwolson  in  Petersburg,  der  die  Güte 
hatte  mich  auf  eine  Beihe  von  Druckfehlern  aufmerksam  zn  machen,  war  so 
liebenswürdig  mir  einen  anderen  Beweis  für  die  letzte  Gleichung  auf  S.  350 

mitzatheilen,  der  vor  dem  dort  gegebenen  den  Vorzug  hat,  dass  es  bei  dem- 
selben nicht  nöthig  ist,  den  zweiten  Hauptsatz  zu  benutzen,  dessen  Verwendung 
an  dieser  Stelle  in  der  That  misslich  ist.    Dieser  neue  Beweis  lautet: 
MultipUcirt  man  die  Gleichungen: 


so  ergiebt  sich: 

Dividirt  man  femer  die  Gleichungen: 


Ps  \V2/ 

Sl  —  f^X 

'  Pi  _.  /üaLLülY 


und 


80  findet  man: 


j/  \V2/ 

Pl  V^8/ 

.  p'  \»2  •  ^U 


iL 
Pü 

Da  nun  die  linken  Seiten  der  beiden  gewonnenen  Gleichungen  überein- 

stimmen  und  x  nicht  gleich  —  sein  kann  (denn  sonst  würde  B  C  mit  CD  zü- 
rn ^ 


1000 


Druckfehlerverbesserungen. 


sammenfallen),  so  ist  das  gleichzeitige  Besteben  beider  Gleichangen  nur  mÖfbA, 
wenn: 


«« 


1/ 


ist. 


t?a  .  Vi 


=  1    und 


PZ'P' 


Hieraus  ergiebt  sieb  durch  Division  der  beiden  letzten  Gleichongen  «>£Drt: 


(t?8  .  j?8)  .{f/.p^) 

(V2P2)  .  (ViPi) 


=  1. 


was  zu  beweisen  war. 

Damit  ist  dann  gezeigt,  dass  unter  allen  in  diese  ganz  allgemeine  CbiM 
fallenden  Arten  von  Kreisproceesen  der  Garnot 'sehe  den  grGasten  Wiikonp- 
grad  besitzt. 

Bd.  I,  Seite  372  in  Formel  3  muss  es  im  Nenner  heissen  x  statt  t 
Bd.  I,  Seite  376,  Zeile  7  von  oben  muss  es  heissen  Vq  statt  Vj. 
Bd.  I,  Seite  377,  Zeile  5  von  unten  müssen  die  Worte  gestrichen  werden:  v«kk 
gleich  Cv  +  dB,n  ist. 

Q  0 

Bd.  I,  Seite  401,  Zeile  4  von  oben  GL  12  muss  es  heissen  -—-  statt  •^• 

pdo         \q 

Bd.  I,  Seite  414,  Anmerkung,  muss  es  heissen   /  -^  statt   /  ■—• 

Bd.  I,  Seite  428,  Gl.  4,  muss  es  vor  dem  zweiten  Summationtzeichen  —  itu 
-|-  heissen. 

Bd.  I,  Seite  429,  Zeile  5  von  unten  muss  es  Gl.  4  statt  GL  7  heissen. 

Bd.  I,  Seite  443,  Formel  30)  und  33)  muss  es  rechter  ELand  lauten: 
Sh  -{-  2 ^ . (f .  lognat i  statt  h  ■\-  2h. lognai u 

Bd.  I,  Seite  515,  Zeile  3  von  oben  muss  ea  dP  statt  dP  heissen. 

Bd.  I,  Seite  515,  Zeile  9  von  unten  muss  es  (f  P  statt  d'  P  heissen. 

Bd.  I,  Seite  554,  Zeile  3  von  oben  muss  es  heissen:  &  =  —  0,00093243  ittf: 
—  0,00003243,  ein  Fehler,  der  aus  der  benutzten  JochmanD'scha 
Originalarbeit  herrührt.  Dadurch  wird  auch  die  Tabelle  auf  6.  Ui  tv- 
ändert;  und  nach  B.  Weinstein,  Üeber  die  Beduotion  der  Aagite 
von  Gasthermometem  auf  absolute  Temperaturen,  Berlin  1881,  Batet 
lautet  die  dritte  Spalte:  «  —  (T  —  273,89): 


Nach  J 

ochmann 

Nach  Weinsuil 

Cp  nach  Begnault 

Cp  nach  £.  Wiedemann 

0» 

0 

0 

0 

10» 

—  0,0l5 

—  0,018 

—  0,020 

20« 

—  0,026 

—  0,031 

—  0,034 

30<> 

—  0,034 

—  0,040 

—  0,045 

40« 

—  0,040 

—  0,046 

-  0,051 

50» 

—  0,041 

—  0,047 

—  0,053 

60^ 

—  0,039 

—  0,045 

-0.050 

70« 

—  0,033 

—  0.039 

—  0,043 

80« 

—  0,025 

—  0,029 

—  0,032 

90« 

—  0,013 

—  0,016 

—  0,01« 

100« 

0 

0 

0 

J 


Drückfehlerverbesserungen.  1001 

Bd.  I,  Seite  637,  Zeile  9  von  unten  muss  es  heissen  8.  636  statt  S.  634. 

Bd.  I,  Seite  641,  Zeile  4  von  oben  muss  ee  heissen  die  Gewichtseinheit  des  Ge- 
misches statt  das  Gemisch. 

Bd.  I,  Seite  686,  Zeile  12  von  oben  fehlen  nach:  „so  folgt"  die  Worte:  „aas 
GL  28)  und  29),  wenn  man  x  =  con$t  setzt". 

Bd.  I,  Seite  698,  Zeile  9  von  oben  muss  es  0,003902  statt  0,002902  heissen. 

Bd.  I,  Seite  698,  Zeile  10  von  oben  muss  es  0,003959  statt  0,003059  heissen. 

Bd.  I,  Seite  707,  GL  13  mnss  es  im  Nenner  des  ersten  Braches  in  der  Klammer 
J .  c«  .  (x  —  1)  statt  Cü  .  (x  —  1)  heissen. 

Bd.  I,  Seite  713,  Zeile  5  von  oben,  mass  es  heissen: 

Cp  1  ,  Ä     *  x^  «iP  1  12 

-£.  =  X  :=  und  Cd  —  Ct>  =  -X  statt  -s-  =  x  = =  ^  • 

Cv  1  —  m  ^  J  Cv  1  —  m       J 

Bd.  I,  Seite  713,  Zeile  7  von  oben  mass  J  im  Zähler  statt  im  Nenner  stehen. 

Bd.  I,  Seite  7ia,  Zeile  6  von  unten  muss  es  r^  statt  r  heissen. 

Bd.  I,  Seite  722,  Zeile  11  von  unten  muss  es  29,7  statt  25,7  heissen. 

Bd.  I,  Seite  723,  Zeile  11  von  oben  muss  es  Druckabnahme  statt  Druckzunahme 

heissen. 

Bd.  I,  Seite  741,  Zeile  4  von  oben  muss  es  T  statt  Tq  heissen. 

Bd.  I,  Seite  753,  Gl.  2)  Im  ersten  Gliede  muss  /  statt  p  stehen. 

Bd.  I,  Seite  759,  Zeile  4  von  oben  muss  es  in  beiden  Integralen  heissen 

Bd.  I,  Seite  765,  GL  2) 

Bd.  I,  Seite  766,  GL  6)  >  muss  unter  dem  Integrale  p  statt  /  stehen. 

Bd.  I,  Seite  767,  GL  7)J 

Bd.  I,  Seite  767,  GL  9)  muss  /  statt  p  und  in  GL  10)  p  statt  /  stehen  und  es 

^  fp  TT 

Vorher  heissen:  ff  •  -r-rtr  =  Ä'  •  -tt  •  rppi* 


Bd.  n,  Seite  65,  Zeile  11  von  oben  muss  es  f(x)  statt  f(x^  heissen. 

Bd.  n,  Seite  84,  Zeile  8  von  oben   muss  es  im  Exponenten  —  statt  -|-  heissen. 

Bd.  n,  Seite  235,  Zeile  14  von  unten  muss  es  heissen  14,6  statt  4,6. 

Bd.  n,  Seite  236,  Zeile  12  von  oben  muss es.heissen :  „Auf  die  den  Kopp' sehen 

ähnlichen  Zahlenreihen*'  etc. 
Bd.  II,  Seite  238  auf  Zeile  11  von  unten  muss  es  heissen  Hg  0  statt  H2. 
Bd.  n,  Seite  271,  Zeile  5  von  oben  muss  es  heissen  .erstere"  statt  letztere. 
Bd.  n,  Seite  291,  Zeile  14  von  oben  muss  es  heissen  28380  statt  23380. 
Bd.  n,  Seite  298,  Zeile  11  v.  oben  muss  es  heissen  (Al2Gl^,Aq)  =  153690  und 

darunter  (Al^,  Cl<j,  Aq)  =  475560  und  (Ala,08,  3S08,Aq)  =  451770. 
Bd.  n,  Seite  657  und  663  u.  s.  f.  muss  es  überall  Frölich  statt  Fröhlich 

heissen. 
Bd.  II,  Seite  780,  Anm.  1)  muss  es  heissen  Mendelejeff  statt  Mendeleeff. 
Bd.  II,  Seite  783  muss  es  in  Anmerkung  1)  heissen  788  statt  785. 
Bd.  n,  Seite  784,  Zeile  14  von  oben  muss  es  —  0,00990  statt  —  0,0990  heissen. 
Bd.  n,  Seite  955,   Zeile   10   von  unten  muss  es    heissen  Bujs-Ballot  statt 

Buys-Ballot. 


Verlag  von  Friedrich  Vieweg  nnd  Sohn  in  Brannschweig. 


Faraday  und  seine  Entdeckungen. 

Eine  Gedenkschrift  von 
John  Tyndall, 

ProfeiBor  der  Physik  >an  der  Boyal  Institution 

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Professor  der  Physik  an  der  Royal  Institution  zn  London. 

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Professor  der  Physik  an  der  Royal  Institution  ku  London. 

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Zweite  Auflage.    Mit  Holzstichen.     8.    geh.    Preis  6  M. 


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