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HANDBUCH
DER
VERGLEICHENDEN UND EXPERIMENTELLEN
ENTWICKELUNGSLEHRE
DER WIRBELTIERE
BEARBEITET VON
Prof. Dr. Baefurth, Rostock, Prof. Dr. Bbaus, Heidelberg, Docent Dr.
BÜBLER, Zürich, Prof. Dr. Eüd. Bijrckhardt, Basel, Prof. Dr. Felix,
Zürich, Prof. Dr. Flemmikg(7), Kiel, Prof. Dr. Froriep, Tübingen, Prof. Dr.
Gaupp, Freiburg i. Br., Prof. Dr. Goeppert, Heidelberg, Prof. Dr. Oscar
Hertwig, Berlin, Prof. Dr. Eichard Hertwig, München, Prof. Dr. HocH-
STETTER, Innsbruck, Prof. Dr. F. Keibel, Freiburg i. Br., Prof. Dr. RuD.
Krause, Berlin, Prof. Dr. Wilh. Krause, Berlin, Prof. Dr. v. Kupffer (f),
München, Prof. Dr. ]\Iaurer, Jena, Prof. Dr. Mollier, München, Docent
Dr. Neumayer, München, Prof. Dr. Peter, Greifswald, Docent Dr. H. Poll,
Berlin, Prof. Dr. Eückert, München, Prof. Dr. Schauinsland, Bremen,
Prof. Dr. StrahI;, Gießen, Prof. Dr. Waldeyer, Berlin, Prof. Dr. Ziehen, Berlin
HERAUSGEGEBEN VON
DR- OSKÄR HERT'HriG
O. Ö. PROF., DIREKTOR D. ANATOM.-BIOLOG. INSTITUTS IN BERLIN
ERSTER BAND. ERSTER TEIL. ERSTE HÄLFTE
MIT 244 ABBILDUNGEN IM TEXT
VERLAG VON GUSTAV FISCHER
1906
Uebersetzungsrecht vorbehalten.
fix
Vorwort.
Seit der vor 26 Jalireu erfolgten Herausgabe der „Treatise on
comparative embryology" des leider der Wissenschaft so früh ent-
risseneu Francis Balfour ist der Versuch, das Gesamtg-ebiet der
vergleichenden Entwickelungsgeschichte der Tiere zusammenfassend
darzustellen, nicht wieder unternommen worden. Allerdings haben
E. KoRSCHELT und K. Heider sich vereinigt, um gemeinsam ihr
vortreffliches Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte der wirbel-
losen Tiere in 3 Bänden herauszugeben, welches von 1890 — 1893
erschienen ist. Aber eine vergleichende Entwickelungsgeschichte der
Wirbeltiere, welche in Anbetracht der zahlreichen, seit 1880 er-
schienenen, über alle Klassen der Wirbeltiere sich erstreckenden Ab-
handlungen ein besonders dringendes Bedürfnis gewesen wäre, blieb
ungeschrieben. Denn auch die umfassenderen Lehrbücher der Ent-
wickelungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere, welche in
Deutschland, England, Franki^eich und Amerika neu herausgegeben
wurden, sind vorwiegend für das Studium des Studenten der Medizin
und des praktischen Arztes berechnet, und wenn in einigen von ihnen
die vergleichende Entwickelungsgeschichte als notwendig für die Dar-
stellung vieler wissenschaftlicher Fragen mit berücksichtigt wurde, so
ist es doch nirgendwo in einer auch nur einigermaßen erschöpfenden
Weise geschehen, sondern immer nur insoweit, als es sich mit den
auf einem anderen Gebiet liegenden Lehrzwecken vereinigen ließ.
Ein Handbuch der vergleichenden Entwickelungslehre der Wirbel-
tiere, welches einen treuen Spiegel vom Stande der gegenwärtigen
entwickelungsge schichtlichen Forschung mit ihren zahkeichen Pro-
blemen und noch ungelösten Streitfragen geben will, erfordert ein
sehr eingehendes Studium der in einem Menschenalter entstandenen,
umfangreichen Litteratur. Ein einzelner Forscher hätte zur Bewäl-
tigung dieser Aufgabe viele Jahre angestrengten Fleißes verwenden
müssen. Daher haben sich, um die an der Wende des
Jahrhunderts besonders wünschenswerte Herausgabe
eines zusammenfassenden Handbuchs zu ermöglichen.
IV Vorwort.
mehrere Facligeuossen, welche durch eigene Forschungen
tiefere Einblicke in einzelne Gebiete der vergleichen-
den Entwickeln ngslehre gewonnen haben, zu gemein-
samer Arbeit vereinigt.
Bei der Verteilung des zu verarbeitenden Materials in einzelne
Kapitel war von vornherein eine Entscheidung zwischen zwei Wegen
zu treffen! Einmal konnte man als Einteilungsprinzip die verschie-
denen Klassen der Wirbeltiere benutzen und ihre Entwickelungs-
geschichte unter Wahrung einheitlicher vergleichender Gesichtspunkte
für sich getrennt darstellen. In diesem Falle bestände das Handbuch
in einer Sammlung von Monographieeu des Amphioxus, der Cyclo-
stomen, der Selachier, Teleostier, Ganoiden etc. bis zu den Säuge-
tieren und dem Menschen herauf. In dieser Weise haben Korschelt
und Heider in ihrem Lehrbuch die Entwickelungsgeschichte der
Wirbellosen zusammengefaßt. Die große Verschiedenartigkeit der
einzelnen Eutwickeluugstypen und das dadurch bedingte Zurücktreten
allgemein durchgehender, vergleichender Gesichtspunkte lassen eine
solche Form der Behandlung für die Wirbellosen zur Zeit auch
als die mehr geeignete erscheinen. Dagegen ist für die Wirbeltiere
die Sachlage doch eine grundverschiedene. Denn in den einzelnen
Klassen des Wirbeltierstammes treten die gemeinsamen Grundzüge
einer typischen Organisation überall deutlich hervor und gestatten eine
auf wissenschaftlicher Basis durchgeführte Vergleichung. Daher
ist es für ein Handbuch der vergleichenden Entwickelungsgeschichte
der Wirbeltiere das richtigere und jedenfalls das wissenschaftlichere
Prinzip, nicht die Klassen des Systems, sondern die einzelnen Stadien
des Entwickeluugsprozesses und die einzelnen Organsysteme der Ein-
teilung zu Grunde zu legen. Denn nur auf diesem Wege kann eine
erschöpfende Vergleichung in übersichtlicher und kurz zusammen-
gefaßter Form gegeben werden.
So empfiehlt sich für das Handbuch dasselbe Einteilungsprinzip,
welches sich auch in der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere
bewährt hat, und welches von Balfour in seiner „Treatise on com-
parative embryology" in dem die Wirbeltiere behandelnden Band be-
folgt worden ist.
Die Aufgabe des Handbuchs besteht vor allen Dingen
darin, einen erschöpfenden, auf quellenmäßiger Dar-
stellung beruhenden lieber blick über das Gesamt-
gebiet der vergleichjenden Entwickelungslehre zu
geben. In ihm ist mit möglichster Vollständigkeit die
ganze entwickelungsgeschichtliche Litteratur durch-
gearbeitet und es sind auf solcher Grundlage die als
gesichert erscheinenden Ergebnisse, die noch strittigen
Fragen und die leitenden und sich immer mehr ver-
Vorwort. V
feinernden Probleme der Forschung zusammengefaßt
worden.
Auch haben in dem Handbuch die Ergebnisse der
experimentellen Entwickelungslehre, welche im letzten
Jahrzehnt eifriger gepflegt zu werden beginnt, ent-
sprechend ihrer großen Bedeutung für das tiefere Ver-
ständnis vieler Entwickelungsprozesse, die gebührende
Berücksichtigung gefunden.
Bei der Bearbeitung der in den einzelnen Kapiteln
behandelten Themata ist jedem Mitarbeiter volle Frei-
heit der Darstellung gewahrt worden, so daß es wohl vor-
kommt, daß über allgemeine, noch strittige Fragen in verschiedenen
Abschnitten des Lehrbuches auch entgegengesetzte Ansichten ver-
treten werden. Hierin möchte ein Nachteil kaum zu erblicken sein.
Ein einseitiger Paiteistandpunkt sollte in dem Handbuch nicht zum
Ausdruck kommen.
Da das Verständnis des Textes durch die Beigabe
guter Abbildungen sehr erleichtert wird, so ist auf die
Herstellung der Bilder nach Originalzeichnungen oder
Nachbildungen lehrreicher Figuren aus Monographieen
und Abhandlungen besondererWert gelegt worden. Die
Abbidungen erscheinen als schwarze oder mehrfarbige
Figuren im Text; von der Beigabe von Tafeln iist da-
gegen abgesehen worden.
Nachdem jetzt die letzten Manuskiipte in Druck gegeben sind,
ergreife ich mit Freuden die Gelegenheit, sowohl den Herren Mit-
arbeitern, welche so viel zum Gelingen des Werkes beigetragen haben,
als auch dem Herrn Verleger Dr. Gustav Fischer für das Entgegen-
kommen bei der oft schwierigen Drucklegung und für die glänzende
Ausstattung mit einer außerordentlich reichen Zahl von Textflgureu,
die zum großen Teil neu hergestellt werden mußten, meinen ver-
bindlichen Dank auszusprechen.
Grunewald bei Berlin, Juni 1906.
Oscar Hertwig.
Inhaltsverzeichnis
zu Band I, Teil 1.
Seite
Oscar Hertwig. Einleitung und allgemeine Littev
r a t u r ü b e r s i c h t. Erschienen im September 1 901 ... 1
I. Die Entwickelungslehre im 16. bis 18. Jahrhundert . . 1
II. Die Entwickelungslehre im 19. Jahrhundert 35
1) Die morphologische Richtung 35
2) Die physiologische Richtung in der entwickelungsge-
schichtlichen Forschung 62
Allgemeine Litter aturüber sieht 69
I. Kapitel.
W. Walde YER. Die Geschlechtszellen. Erschienen 1901 —
1903 86
I. Einleitung. Zeugungsformen. Begriffsbestimmung ... 86
II. Samen. Sperma 92
Die Spermien 99
Spermiogenese 160
III. Eier. Ova. Eimassen. Laich. Synoia 221
Morphologisches Verhalten der Eier 232
Oogenese 353
IV. Gremeinsames für beiderlei Geschlechtszellen. Spermien
und Eier 399
Anhang zum Abschnitt Sperma 429
Litteraturverzeichnis 431
II. Kapitel.
Richard Hertwig. Eireife, Befruchtung u. Furchungs-
prozeß. Erschienen im April 1903 477
I. Teil. Eireife und Befruchtung 477
II. Teil. Der Furchungsprozeß 569
LiUeraturverxeicJmis 688
III. Kapitel.
Oscar Hertwig. Die Lehre von den Keimblättern. Er-
schienen im April 1903 699
Geschichte der Blättertheorie und einige einleitende Betrach-
tungen 699
Entwickelung der Keimblätter in den einzelnen Klassen der
Wirbeltiere 713
Litteraturverzeichnis 949
Inhaltsverzeichnis. VII
IV. Kapitel. Seite
Oscar Hertwig. Mißbildungen u. Mehrfachbildungen,
die durch Störung der ersten Entwickelungspro-
zesse hervorgerufen werden. Erschienen im August 1903 967
Ldtteraturverzeiehnis 995
Zusammenfassung von Kapitel III und IV 999
Ergebnisse der Keimblattlehre 999
V. Kapitel.
RÜCKERT u. MOLLIER. Die Entstehung der Gefäße und
des Blutes bei Wirbeltieren. Erschienen im August 1906 1019
Litteraturverxeichnis 1273
Nachträge und Berichtigungen zum I. Band (1. Teil) 1279
Sachregister 1280
Einleitung und allgemeine Litteraturübersicht.
Von
Professor Oscar Hertwig-,
I. Die Entwickelungslehre im 16. bis 18. Jahrhundert.
Beim Stiidiuin entwickelimgsgeschichtlicher Abhandlungen ans dem
16. bis 18. Jahrhundert sieht sich der Leser in eine fremde Welt
natur^Yissenschaftlicher Auflassungen und Streitfragen versetzt. In
Fragen, über welche sich jetzt jedermann leicht aus eigener An-
schauung unterrichten kann und deren Erklärung seinem Denken
keine Schwierigkeiten verursacht, sieht er die größten Forscher im
Dunkel herumtappen; er sieht, wie sie sich bei mangelnder Erkennt-
nis des Thatsachenmateriales in den verschiedenartigsten Hypothesen
verlieren, die uns jetzt abenteuerlich vorkommen und. losgelöst aus
ihrem Zusammenhang, oft nicht zum Vorteil ihrer Urheber beurteilt
werden. Wohl mancher wird auch nach der Lektüre eines alten
Buches dasselbe mit dem befriedigenden Gefühle bei Seite legen,
dem Goethe mit den Worten: „Wie wir's zuletzt so herrlich weit
gebracht" einen bezeichnenden Ausdruck gegeben hat. Wer indessen
tiefer in den Werdegang der Wissenschaft einzudringen sucht, wird
es nicht immer leicht finden, sich ein billiges Urteil über die wissen-
schaftliche Bedeutung der einzelnen Hypothesen und über das Ver-
dienst der einzelnen Persönlichkeiten zu bilden , wenn uns Wahres
und Falsches in ihren Untersuchungen, ihren Wahrnehmungen und
Folgerungen oft wunderbar gemischt entgegentritt. Leicht wird be-
vorzugt, was zu Anschauungen des Kritikers am meisten Verwandt-
schaft darbietet, in ähnlicher Weise, wie zuweilen historische Schrift-
steller ihren eigenen politischen Standpunkt zum Maßstab bei der
Beurteilung von Geschichtsereignissen macheu. Auch kann dies an-
standslos geschehen bei einer Generation von Naturforschern , denen
sich wissenschaftliche Probleme noch in reichlicher Fülle darbieten,
weil das Interesse für die Historie ihrer Wissenschaft aus leicht zu
erkennenden Gründen ein relativ geringes ist und hinter dem Inter-
esse , selbst Hand an die Erforschung der Natur zu legen , zur Zeit
noch sehr zurücktritt.
Wer von einem objektiveren Standpunkt aus die Wirksamkeit
einzelner Naturforscher in früheren Jahrhunderten beurteilen will,
wird versuchen müssen, sich ein Bild von dem Gesamtzustand der
einzelnen wissenschaftlichen Perioden , von ihren Forschungsmitteln,
von ihrem geistigen Zustand zu verschaffen, um so den richtigen Hinter-
grund für das Verständnis des Einzelnen zu gewinnen.
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 1
2 Oscar Hertwig,
Wenn wir von diesem Gesichtspunlite aus unser Jahrhundert mit
seinen drei Vorgängern vergleichen, so werden wir zu dem Ergebnis
kommen , daß in diesen für ein systematisches und erfolgreich fort-
schreitendes Studium der Entwickelungslehre die Vorbedingungen noch
so gut wie ganz fehlten. Denn einmal geboten die älteren Natui--
forscher noch nicht über die technischen Hilfsmittel und Untersu(;hungs-
methoden, ohne welche erfolgreiche Untersuchungen auf entwickelungs-
geschichtlichem Gebiete nicht möglich sind. Zweitens fehlten noch
die wissenschaftlichen allgemeinen Begriffe über die feinere tierische
Organisation , welche , erst auf Grund ausgedehnter und mühsamer
Untersuchungen von mehreren Generationen von Naturforschern all-
mählich erworben , für das richtige Verständnis des Entwickelungs-
prozesses unentbehrlich sind.
Was den ersten Punkt, die Untersuchungstechnik, betrifft,
so war dieselbe in einer Richtung allerdings schon hoch ausgebildet.
Mit feinen Scheren , Messern und Nadeln verstanden die Anatomen
früherer Jahrhunderte in der Organzergliederung Vortreifliches zu
leisten. Auch die Technik der Injektion von Gefäßen mit gefärbten
Flüssigkeiten oder erstarrenden Massen oder selbst mit Luft wurde
schon von Einzelnen in meisterhafter Weise gehandhabt, wobei feine
Kanülen oder in feine Spitzen ausgezogene Glasröhren benutzt wurden.
Ein SwAMMERDAM uiuß ein wahrer Virtuos in der Anfertigung minu-
tiöser Organzergliederungen gewesen sein ; wahrscheinlich würde es ihm
kein heute lebender Anatom in der Ausübung dieses Zweiges der
Technik, sowie in beharrlicher, zur Erzielung gelungener Präparate
unentbehrlicher Ausdauer und Geduld gleich thun. Allein hiermit
ist bei entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen nur wenig zu er-
reichen. Zur Zeit, wo die einzelneu Keime schon eine solche Größe
und Konsistenz besitzen, daß sie sich mit Scheren und Nadeln, even-
tuell mit Zuhilfenahme von Lupen, zerlegen lassen, besitzen sie schon
alle einzelnen Organe in wesentlich derselben Weise wie das aus-
gebildete Gescliöi)f , so daß auf die Frage , wie entstellt das einzelne
Organ, kein Licht mehr fällt ; im Gegenteil leistet die Zergliederung
eher der Annahme Vorschub, es seien bei den Embryonen schon alle
Organe, wie bei den Erwachsenen, nur in viel kleinerem Maßstab und
in zarterer Beschaffenheit vorhanden.
Auf noch früheren Stadien, denen jetzt das Interesse bei entwicke-
lungsgeschichtlichen Untersuchungen fast ausschUeßlich zugewandt ist,
sind die Keime so weich und so klein , daß mit der gewöhnlichen
anatomischen Präparationstechnik keine besonderen Erfolge, auch bei
dem größten Geschick und der größten Ausdauer zu gewinnen sind.
Hier spielen sich aber gerade die Vorgänge ab, welche uns über das
Wesen des ganzen Entwickelungsprozesses eigentlich erst aufklären.
Um hier Fortschritte zu erzielen , mußte sich erst eine besondere
mikroskopische Technik neben der anatomischen Zergliederungskunst
ausbilden ; man mußte lernen, sich chemischer Hilfsmittel zu bedienen,
teils um die weicheai Keime zu härten und zu konservieren, damit sie
geeignet zum Schneiden und zum Zerzupfen werden, teils um in der
weichen , durchscheinenden , organischen Substanz durch Gerinnung
optische Unterschiede hervorzurufen und so verborgene Strukturen
erst sichtbar zu machen. In letzterer Hinsicht wurde ein mächtiges
Hilfsmittel die Färbetechnik. Die chemischen Methoden, um leistungs-
fähiger zu werden, mußten dann wieder mit besonderen, für mikro-
Die Entwickelungslehre im 1(J. — 18. Jahrhundert. 3
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skopische Objekte geeigneten Methoden kombiniert werden. Die ana-
tomische Zergliedei'ung mit Messer und Schere mußte durch die
Anfertigung dünner, durchsichtiger Sclmittpräparate vermittelst des
Rasiermessers oder mit Hilfe komplizierterer Schneideinstrumente (der
Mikrotome) ersetzt werden. Auch war die Technik zu erfinden, so
gewonnene mikroskopische Präparate als Sammlungsgegenstände auf-
zubewahren. Das alles aber sind zugleich mit der außerordentlichen
Vervollkommnung der Mikroskope und anderer Hilfsinstrumente der
Präzisionsmechanik im wesentlichen Errungenschaften unseres Jahr-
hunderts, durch welche die Entwickelungslehre erst eigentlich zu einer
methodisch betriebenen AYissenschaft geworden ist.
Vereinzelten Versuchen in der bezeichneten Richtung begegnen
wir freilich auch in früheren Jahrhunderten. In seiner Bibel der
Natur berichtet uns Sw^ammerdam, daß er sich „andere Kunstgriffe''
ersonnen habe, als es ihm nicht gelang, die befruchteten Froscheier
mit den gewöhnlichen Methoden „zu zerlegen''. Er machte die Frosch-
eier härter, indem er sie kochte; er legte sie auch in verschiedene
Flüssigkeiten ein, teils in der Absicht, dadurch ihre gallertige Hülle
aufzulösen, teils dem Eidotter mehr Festigkeit zu geben. In gleicher
Absicht bediente sich Haller bei der Untersuchung der Entwickelung
des Hühnchens starken Weingeistes. Ebenso berichtet uns Spallanzani,
daß er an Fliegenpuppen (1786, p. 417), die im frischen Zustand nur aus
einer schleimigen Substanz zu bestehen schienen, nachdem er sie ge-
kocht hatte, deren Flügel, Rüssel und Kopf habe unterscheiden können.
Und an einer anderen Stelle (p. 423) bemerkt er: „Gefärbte Aufgüsse
thun den Naturforschern gute Dienste, einige Organe der Pflanzen
dem Auge deutlich sichtbar zu machen", dadurch daß sie von ihnen
die Farbe annehmen. „Herr Bonnet hat durch diese Erfindung die
kleinen Gefäße, die in den Samenblättern befindlich sind und von dem
Embryo ausgehen, entdeckt."
Größere Bedeutung haben aber damals solche vereinzelte Versuche
für die Ausbildung einer rationellen embryologischen Untersuchungs-
methode nicht gewonnen. Auch wurde das Zustandekommen einer
solchen offenbar dadurch sehr erschwert, daß. während die anatomische
Zergiiederungstechnik im Interesse der ärztlichen Praxis gelehrt und
vom Lehrer dem Schüler mitgeteilt wurde, embryologische Studien
immer nur von sehr wenigen vereinzelten Forschern aus rein wissen-
schaftlichem Interesse und ausnahmsweise betrieben wurden. Daher
war jeder Forscher auf diesem Gebiete zu jener Zeit ein Autodidakt,
der erst auf eigenen Wegen sich die Erfahrungen seiner Vorgänger
wieder mühsam erwerben mußte, ehe er Eigenes hinzuzufügen über-
haupt beginnen konnte. Besser aber als durch Bücher werden gerade
Untersuchungsmethoden und Kunstgriffe, wie jeder von uns aus eigener
Erfahrung weiß, durch persönliche Anleitung verbreitet, wie denn
unsere wissenschaftlichen Institute als Pflegestätten rationeller Methodik
für die Erhaltung und Foitbildung wissenschaftlicher Arbeitsweise eine
außerordentliche Rolle spielen.
Um zu zeigen, mit wie großen Schwierigkeiten die ganz auf
sich angewiesenen, vereinzelten Forscher auf dem entwickelungs-
geschichtlichen Gebiete früher zu kämpfen hatten, mögen zwei Bei-
spiele dienen.
Caspar Friedrich Wolff, der doch ohne Frage ein ausge-
zeichneter Beobachter war, und der in der Untersuchung des Hühner-
4 Oscar IIertwig,
eies eine ganze Reihe von Vorgängern, Malpighi, Fabricius ab
Aquapendente. Harvey, PIaller, gehabt hat, suchte, als er sich
zuerst mit der Untersuchung beljrüteter Eier bescliäftigte, den Embryo
im Hagel des Eies (Clialazaej auf. „Noch jetzt hebe ich", bemerkt
er in seinem berühmten Werk über die Bildung des Darmkanals,
„zum Andenken eine sehr sorgfältige Zeichnung von einer Chalaze
auf, worin ich die Paidimente des Embrj'o gefunden zu haben glaubte.''
„Es ist unbeschreiblich, wie leicht man, auch wenn man ein Oedip
wäre, sich bei Untersuchung bebrüteter Eier irren kauM, als wäre es
unmöglich. Beobachtungen darüber anzustellen, ohne Irrtümer zu be-
gehen" (1812, p. ST).
Der große Physiologe Haller, der ebenfalls schon viele Unter-
suchungen am Hühnerei angestellt hatte, konnte bei einer großen,
mit Kuhlemann vorgenommenen Versuchsreihe, bei welcher 42 Schafe
geopfert wurden (1775, Bd. VIII, p. 98), in den ersten 2 Wochen ihrer
Trächtigkeit im Hörn und in der Trompete der Gebärmutter trotz
aller aufgewandten Mühe nichts anderes als einen weißen, zähen
Schleim auffinden. Die Eier oder jungen Embryonen, nach denen er
suchte, blieben ihm wegen ungeeigneter Untersuchungsweise verborgen.
Daher eröffnet denn auch Haller in seinen Elementen der Physio-
logie den Abschnitt über die Zeugung mit den charakteristischen
Sätzen: „Ich beginne ein höchst beschwerliches Werk und ich ver-
spreche dem Leser nicht leicht einen Ausgang, welcher ihn befriedigen
■wird. Denn es versteckt die Natur die ersten Anfänge des neuen
Menschen hinter dicken Finsternissen, und sie offenbart einige Tage
nach der Empfängnis nichts von dem wirklichen Ei, welches diese
Schöpferin brüten läßt, ja nicht einmal bei den vierfüßigen Tieren"
(1775, Bd. VIII, p. 4).
Vielleicht noch wichtiger für die richtige Beurteilung der embryo-
logisclien Arbeit im 16. — 18. Jahrhundert halte ich den zweiten oben
erwähnten Punkt: den Mangel einiger allgemeiner wissenschaftlicher
Begriffe, die für das Verständnis des Entwickelungsprozesses unent-
behrlich sind. Ich meine vor allen Dingen die grundlegenden Vor-
stellungen, daß Pflanzen und Tiere sich aus organischen elementaren
Lebenseinheiten aufbauen, daß diese sich durch Teilung fortpflanzen,
und daß sie die verschiedenartigsten Elementarstrukturen aus sich
hervorbringen können. Ohne diese Vorstellungen, welche erst durch
die mikroskoi)ischen Studien über den feineren Bau der Organismen,
verbunden mit philosophischen Betrachtungen, allmählich in der ersten
Hälfte unseres Jahrhunderts gewonnen wurden, war weder vom Aus-
gangspunkt und Anfang des Entwickelungsprozesses, noch vom Wachs-
tum der organischen Teile ein wissenschaftliches Verständnis zu ge-
winnen. Daher sehen wir bei allen Forschern, von Malpighi und
SwAMMERDAM bis Haller uud Casp. Fr. Wolff, die Frage, was ist
■der Keim der Organismen, die Klippe bilden, an welcher sie ohne
Ausnahme Schift'bruch erlitten.
Wie die Beobachtung von allgemeinen Vorstellungen beherrscht
wird, zeigt uns ein lehrreiches Beispiel. Mit Lupenvergrößerung läßt
sich der Furchuugsprozeß des Froscheies recht gut beobachten, und
ohne Frage sind einzelne Stadien desselben auch in früheren Jahr-
hunderten schon mehrfach gesehen, aber nicht beachtet und zum
Gegenstand wissenschaftlichen Nachdenkens gemacht worden, weil sich
kein Berührungspunkt mit irgend einer Allgemeinvorstellung fand.
Die Entwickelunsslehre im 16. — 18. Jahrhundert.
^fc>
SwAMMERDAM (1752, p. o21) bihlot das Stadium der Z\v(!itoiliiii,u genau
ab und beschreibt es auf Grund einer ganz vortrefflichen IJeobachtung
auch mit deu Worten: „Ferner war das Fröschchen gleichsam in zwei
Teile geteilt (Fig. 1) und das zwar vermittelst einer sehr merklichen
(irube oder Zusammenfaltung." „Aber da ich nun das Ei (das durch
Kochen gehärtet war) bei gedachter Furche voneinander trennte, so
sah ich, daß sie auf der einen Seite des Frosches beinahe bis
auf die Mitte seines Leibes ging; auf der anderen Seite war die
Furche l)ei weitem nicht so tief, sondern nur ein wenig eingekerbt."
In dem Vorstellungskreis
von Swammerda:m konnte die i b
wichtige Beobachtung nur zu
den wissenschaftlich wertlosen
Sätzen Veranlassung geben : „Die
Bemerkung der Furche oder Falte
am Leibe des Frosches, die ich
auch hernachmals an lebendigen
Fröschen entdeckte, nachdem ich
vorhin zufälligerweise darauf ge- Fig. l. Froscheier, auf dem Stadium
kommen war, gab mir ein großes der Zweiteihmg von Swammerdam be-
Licht, wie es mit dem schnellen schrieben.
Auswuchs und der ^'erlängerung
des Frosches zugehe. Er reckt sich den vierten Tag nach seiner Ge-
burt aus. Ich halte also dafür, daß aus dem einen Teile Kopf und
Brust des ausgebrüteten Frosches und aus dem anderen Bauch und
Schwanz hervorwachse.''
Es fehlte ferner den alten Naturforschern das System vergleichend-
anatomischer Vorstellungen, der Begriff von Analogie und Homologie,
der Begriff verschiedener Typen der Organisation, der Begriff' einer
stufenweisen Ausbildung und einer Umbildung der einzelnen Organe
und dergleichen mehr. Das alles sind ja erst geistige Errungen-
schaften, die wir dem Ende des 18. und dem Anfang unseres Jahr-
hunderts verdanken, Forschern, wie Cuvier, Meckel, G. S. Hilaire,
Oken, Lamarck, w^elche die Ergebnisse ausgedehnter Zergliederungen
der verschiedensten Tiere zu sichten und mit Ideen zu beleben ver-
standen. ,
Zwar verglichen die alten Naturforscher des 16. — 18. Jahrhunderts
die einzelnen Organismen in ihrem Bau und in ihrer Entwickelung
untereinander, aber ohne jede Methode. Ihr Vergleichen muß daher
noch als ein mehr oder minder unwissenschaftliches und planloses
bezeichnet werden, so wenn die Entwäckelung des Tieres mit der
Entwickelung der Pflanze, die Entwickelung des Insektes mit der-
jenigen des Menschen, oder wenn Saftröhren der Pflanzen mit den
l»lutgefäßen der Tiere verglichen und für anatomisch gleichwertige
Bildungen gehalten wurden.
Swammerdam, die Entwickelung der Insekten zum Maßstab nehmend,
zugleich auch von dem Grundsatz ausgehend, daß alle Werke Gottes in
ihrer Fortpflanzung und in ihrem Wachstum auf einem einzigen Grund
zu ruhen scheinen, findet eine Uebereinstimmung zwischen der Ent-
wickelung der Pflanzen, der Insekten, der Frösche und des Menschen.
Er läßt den Menschenkeim zuerst wie ein Würmchen in das Ei einge-
schlossen sein, dann soll sich „das Menschenwürmchen häuten" und
6 Oscar Hertwig,
schließlicli noch eine Puppenperiode durclimachen. „Der Mensch kann
also in der That" — so liest man in der Bibel der Natur — „zu der'
Zeit, wenn er im Begriff ist, in die Welt zu kommen, und so wie die
Insekten ansehnliche Teile ablegen und verlieren soll, eine Puppe ge-
nannt werden; denn er muß seine Nabelschnur, seinen Mutterkuchen,
sein Chorion und Amnion im Stich lassen und verhauten." Weil die
Säugetierembryonen mit einem Amnion, Chorion und Nabelschnur ver-
sehen sind, wurde das Vorhandensein solcher Bildungen auch bei den
Amphibienlarven vorausgesetzt. Spallanzani läßt das Proschei, wie vor
ihm auch schon Swajimerdam, von einem Amnion eingeschlossen sein ; er
deutet offenbar als solches die Dotterhaut, wenn sie sich durch peri-
vitelline Flüssigkeit vom Ei weiter abgehoben hat; ja sogar eine Nabel-
schnur beschreibt und bildet er von der Proschiarve ab, worunter wohl
die Kiemeniaden gemeint sind; denn Spallanzani hebt als Merkwürdig-
keit hervor, daß die Nabelschnur anstatt vom Bauch schon gleich am
Kopf entspringe.
Daß die einzelnen Organe, wie das Nervensystem, das Skelett, die
Sinnesorgane etc., während der Entwickelung aus einfacheren in kompli-
ziertere Formen übergehen , also eine Stufenfolge verschiedener Zu-
stände durchlaufen müssen, ist eine Vorstellung, die den alten Natur-
forschern noch durcliaus fern lag. Daher fehlte es denn in allen Fällen,
wo frühere Embryonalzustände einzelner Organe beobachtet wurden, an
einem Verständnis für sie. Wenn Unterschiede zwischen den em-
bryonalen und definitiven Verhältnissen besonders sinnenfällig hervor-
traten, suchte man sie anstatt „vergleichend-morphologisch" in irgend
einer anderen Weise zu deuten, wie durch ein zu verschiedenen Zeiten
ungleiches Wachsthum der einzelnen Organe, durch Häutungsprozesse,
vornehmlich aber durch eine Veränderung im Aggregatzustaude,
der auf frühen Stufen ein noch flüssiger sei und dann allmählich ein
festerer werde. Das sind Ideengänge, die in verschiedener Form
von SwAMMERDAM bis ZU BoNNET uud Haller immer wiederkehren.
Während der Entwickelung müssen die Flüssigkeiten im Ei, wie sich
Swammerdam ausdrückt, „verrauchen", oder es müssen die über-
flüssigen Feuchtigkeiten verzehrt werden, damit die Gliedmaßen mehr
erhärten und die Hüllen durchbrechen können (1752, p. 18).
Bei Berücksichtigung der dargelegten Momente wird man es be-
greiflich finden, daß die specielle Entwickelungsgescliichte einzelner
Organsysteme, welche in unserem Jahrhundert den Hauptgegenstand
embryologischer Untersuchungen ausmacht, noch keine Pflege finden
konnte. Man beschränkte sich fast stets auf die Zergliederung älterer
Embryonen, bei denen die hauptsächlichsten Organe schon in ihren
Umrissen angelegt sind ; man richtete sein Augenmerk auf die äußeren
Körperformen, namentlich auf die Beschaffenheit der Eihüllen, endlich
auf biologische Verhältnisse. Besonders sind es die Insekten, die
Amphibien, das Hühnchen und die Säugetiere, in deren Entwickelung
man sich einzudringen bemühte.
Ueber die Insekten erschienen die epochemachenden Abhand-
lungen von Swammerdam, Malpighi und Reaumur. Swammer-
dam (1752) teilt uns eine Fülle der feinsten Beobachtungen über
die verschiedenen Ordnungen der Insekten mit (Laus, Libelle,
Ameise, Schmetterling, P'liege) und giebt uns einen Ueberblick
Die Entwickelungslehre ina 16.— 18. Jahrhundert. 7
Über die Veränderungen, die sich bei den einzelnen Metamorphosen
vollziehen. Seine Untersuchungen, durch welche er die Bewunderung
seiner Zeitgenossen erregte, wurden zum Teil erst nach seinem
Tode von seinem Landsmann Boerhave gesammelt und als Biblia
naturae IToT herausgegeben. Nicht minder berühmt ist die Ab-
handlung von jNIarcellus Malpighi über den Seidenspinner (De
Bombyce), und die 1734 — 42 von Reaumur (1734) in G Bänden
herausgegebeneu „Memoires pour servir ä Thistoire naturelle des in-
sectes".
Mit der Amphibienentwickelung beschäftigten sich Swammerdam
(Frosch), RÖSEL von Rosenhof (1758) und noch eingehender der
Abt Spallanzani (Frosch, Laubfrosch, Erdkröte, Wassersalamander),
der zugleich seine Beobachtungen durch eine Reihe wichtiger Experi-
mente zu vertiefen wußte (178(3),
Ein bevorzugtes Objekt für embryologische Forschungen wurde
von Anfang an das Ei des Hühnchens, wahrscheinlich schon aus dem
Grunde, weil das Beobachtungsmaterial so leicht und reichlich fast
zu allen Jahreszeiten zu erhalten ist. Doch auch die Entwickelung
der Säugetiere wurde an verschiedenen Arten (Kaninchen, Hund,
Hirsch etc.) studiert, wobei allerdings am meisten nur die Eihäute be-
achtet wurden. An Fabricius ab Aquapendente (1687), der Pro-
fessor in Pavia war und 2 Schriften „De formato foetu" (1600) und „De
formatione foetus" (1604) veröffentlichte, schließt sich in England der
berühmte Harvey (1737) an mit seinen 1651 erschienenen „Exercita-
tiones de geueratione animalium'', in Holland der Anatom Regnier
DE Graaf (1677) mit seiner ausgezeichneten Abhandlung „De muli-
erum organis". Erheblich gefördert wurde die Kenntnis von der Ent-
wickelung des Hühnchens durch Marcellus Malpighi (1687),
welcher auch schon den Kunstgriff anwandte, die Keimscheibe zu
umschneiden und vom Dotter abzuheben. Seine beiden Schriften „De
formatione pulli in ovo" und „De ovo incubato" sind gleichzeitig auch
mit Abbildungen ausgestattet, welche sich durch größere Genauigkeit
in der Wiedergabe und durch bessere Ausführung auszeichnen. Einen
weiteren Fortschritt bahnen die vielgenannten und gerühmten Unter-
suchungen Haller's: ,,Sur la formation du coeur daus le poulef' (Lau-
sanne 1758) an, in welchen die Umwandlung eines Organsystems, die
Entstehung des gekammerten Herzens aus einem gekrümmten Schlauch
zum ersten Mal genauer verfolgt wurde.
Alle seine Vorgänger aber übertrifft durch Schärfe der Beobach-
tungen und durch die Tragweite der aus ihnen gezogenen Schlüsse
Casp. Friedr. Wolfe, auf dessen Abhandlung ,,De formatione in-
testinorum (1768—69) später noch genauer eingegangen werden wird.
Wie in der Entwickelung jeder Wissenschaft, so treten auch in
der Entwickelung der Embryologie einzelne Erruugenschaften durch
ihre weittragende Bedeutung gewissermaßen wie Meilensteine der Er-
kenntnis besonders hervor. Als solche betrachte ich 1) die in dem
Satze „Omne vivum ex ovo" ausgesprochene Erkenntnis, 2) die Ent-
deckung der Samenfäden, 3) die Einblicke in den Befruchtungsprozeß
durch Vornahme von Experimenten, 4) die Entdeckung der Partheno-
genese und 5. der Regeneration.
Um den Fortschritt zu verstehen, der durch den Satz „Omne vivum
ex ovo" ausgedrückt wird, muß man sich vergegenwärtigen, daß nicht
nur in Laienkreisen, sondern auch unter Aerzten und Naturforschern
8 Oscar IIertwig,
Jahrhunderte hing die Meinung herrschend war, es könnten mancherlei
Tiere, wie z. B. Insekten, direkt aus faulenden Substanzen, durch
eine Art Gärung, ihren Ursprung nehmen. Von den Einge-
weidewürmern zumal ist es sogar noch am Anfang unseres Jahr-
hunderts hier und da angenommen worden. P]s ist das große \'er-
dienst des Italieners Redi (16()8), zuerst die Unhaltbarkeit einer
solchen Generatio aequivoca dargethan zu haben. Seine in Briefform
1668 herausgegebene Schrift : „Esperience intorno alla generazione
delle insetti", welche l(i71 auch in lateinischer Sprache erschien, hat
einen großen Einfluß auf die Anschauungen seiner Zeit ausgeübt.
Durch vielfach variierte Experimente wies Redi nach, daß sich keine
Würmer an Fleischstücken, welche in sorgfältig zugeschlossenen Gläsern
aufgehoben werden , bilden können ; er verfolgte , wie die Würmer
aus Eiern entstehen, welche von verschiedenen Fliegenarten auf das
Fleisch als einen günstigen Nährboden abgelegt werden , wie die
Würmer vom Fleisch sich ernähren und sich zuletzt in Pu])pen ver-
wandeln, aus welchen dann wieder die betretfende Fliegenart hervor-
kriecht. Die Versuche Redi's wurden alsbald noch erweitert durch
die schönen Beobachtungen von Malpighi und Swammerdam, daß
auch die Insekten, welche in den Gallen der Pflanzen ihren Ursprung
nehmen, aus Eiern auskriechen, welche von Insekten, wie den Gall-
wespen, im Pflanzengewebe abgelegt werden. Zu noch allgemeinerer
Geltung wurde diese Ansicht durch Harvey (17o7) gebracht,
welcher in seiner schon genannten Abhandlung über die Er-
zeugung der Tiere zu beweisen suchte: „ovum esse primordium com-
mune Omnibus animalibus'^ ein Satz, welcher in dem Schlagwort:
„omne vivum ex ovo" von epochemachender Bedeutung geworden ist.
„Nos autem asserimus", heißt es gleich auf der zweiten Seite von
Harvey's Schrift, „omnia omnino animalia, etiam vivipara, at(|ue ho-
minem adeo ipsum ex ovo progigni , primos(j[ue eorum conceptus, e
({uibus foetus flaut, ova quaedam esse."
Freilich hat Harvey, wie seiner Zeit alle Physiologen, nicht an-
geben können, wie das Ei der Säugetiere und des Menschen vor der
Befruchtung und in den ersten Wochen nach ihr aussieht und wo es
im weiblichen Körper seinen Ursprung nimmt. Von den alten Ana-
tomen wurden die Eierstöcke für männliche Hoden (festes mulicbres)
gehalten, welche einen Saft abscheiden sollten. Den Weg zu einer
richtigeren Auffassung haben erst Hörne, Stenson und besonders
Regnier de Graaf (1677) angebahnt. Sie lenkten die Aufmerk-
samkeit auf die in der Rinde des Eierstocks liegenden Bläschen, deren
flüssiger Inhalt Ijeim Kochen zu einer weißen, festen Masse gerinnt;
sie erklärten sie für die wirklichen Eier; Stenson führte daher auch
für die festes muliebres deu Namen Ovarium ein. Das Hauptverdienst
aber in der Frage kommt Regnier de Graaf zu, welchem zu Ehren
die Eifollikel der Säugetiere denn auch mit Recht den Namen der
GRAAF'scheu Bläschen erhalten haben.
Durch eine Reihe sehr sorgfältiger Beobachtungen, die an Kanin-
chen angestellt wurden, weist Regnier de Graaf nach, daß einige
Stunden und Tage nach der Begattung an den Eierstöcken Verände-
rungen eintreten , indem eine Anzahl Bläschen geplatzt sind und
durch eine kleine Oeff'nung, in welche er mit einer Schweinsborste
eindringen konnte, ihren Inhalt entleert haben. 72 Stunden nach der
Befruchtung gelang es ihm auch in den Hörnern der Gebärmutter eine
Die Entwickelungslehre im 10. — 18. Jahrhundert. 9
Anzahl Eier aufzufinden, welche Bläschen waren und eine Flüssigkeit
enthielten, die beim Kochen wie Eiweiß gerann. Da sie somit nach
ihrer Beschaffenheit den Follikeln im Ovarium ähnlich waren, schloß er
auf die Einatur der letzteren. Als wichtigen Beweis hierfür machte
er auch die Beobachtung geltend, daß bei den getöteten Kaninchen
die in den Uterushörnern aufgefundenen Eier mit der Anzahl der
entleerten Follikel des Ovarium übereinstimmten. Zwar ließ sich hier-
gegen die auffällige Erscheinung geltend machen, daß die reifen Fol-
likel im Ovarium etwa lOmal größer waren als die entleerten und
in der Gebärmutter erst nach 72 Stunden wieder aufgefundenen Eier.
Doch sucht R. de Graaf diesen Widerspruch durch die Annahme
abzuschwächen, daß von der Hülle der Follikel außer dem Ei noch
eine zweite Substanz eingeschlossen werde, welche die Grundlage für
den sich in der Folge entwickelnden gelben Körper bilde. Ferner
stellte DE Graaf fest, daß vom 5. Tage an die Eier in der Gebär-
mutter sehr rasch größer werden, daß sie vom 8. Tag an sich von
der Uteruswand nicht mehr, ohne zu zerreißen, ablösen lassen, daß am
10. Tage zuerst eine schleimige Partie, einem „Würmlein ähnlich'',
im Inhalt der Eiblase w-ahrzunehmen ist. „Es sei zu verwundern", be-
merkt er, „wie viele Flüssigkeit die Eier in so kurzer Zeit einsaugen."
Die GRAAp'schen Entdeckungen wurden zwar von den meisten
Anatomen seiner Zeit angenommen, stießen aber auch von einigen
Seiten auf Widerspruch, da zwei Lücken in den Beobachtungen
bestanden, erstens hinsichtlich der verschiedenen Größe der Bläschen
im Eierstock und in den Uterushörnern, und zweitens hinsichtlich des
Verbleibes der Eier in den ersten 3 Tagen nach der Befruchtung,
wo sie weder in dem geplatzten Follikel, noch in den Eileitern auf-
gefunden werden konnten. Daher konnte neben der Lehre von Stenson
und Graaf sich noch längere Zeit eine zweite, zuerst von M. Malpighi
ausgesprochene Ansicht behaupten , welche mit Energie von \'alis-
NERi (1739) verfochten wurde. Nach ihr sind die gelben Körper
die Orte, in welchen die Eier verborgen sind, und die mit Flüssigkeit
gefüllten Bläschen des Ovarium sind nur Drüsen, welche mit ihrem
Safte zur Ernährung des drüsigen Körpers dienen. In letzterem nahm
man auf Durchschnitten eine kleine Höhle wahr, die sich nach außen
durch einen feinen Gang öffnete. „In diesem Kelch'', bemerkt Valis-
NERi (p. 374), „ist das ganze Kunstwerk der Zeugung enthalten: denn
es steckt in demselben, wde das ganze Geheimnis der zukünftigen Ftianze
in einem Samenkorn, aber so klein und zart, daß die Augen und
Hände eher ermüden, ehe man es findet." Zwar hat Valisneri das
Ei selbst nicht auffinden, auch seinen Uebertritt in den Eileiter nicht
wahrnehmen können , aber gleichwohl fügt er hinzu : .Jch wollte
schwören, daß es gewiß so sei, als wenn ich es wirklich gesehen
hätte" (p. 378).
So blieb in der Lehre vom Ei der Säugetiere noch mehr als ein
dunkler Punkt. Aufgeklärt wurde der wahre Sachverhalt auch erst in
unserem Jahrhundert, als Carl Ernst v. Baer (1827) nachwies,
daß nicht das GRAAF'sche Bläschen selbst das Säugetierei ist, sondern
eine außerordentlich viel kleinere Zelle, w^elche in dem Follikelepithel
seiner Wand eingebettet ist.
Neben der Erkenntnis von der Bedeutung des Eies ist das zweite
große Ereignis die E n t d e c k u n g d er Samenfäden oder der
Samenw^ürmchen, wie sie häufig genannt wurden.
10 Oscar Hertwig,
Sie geschah im Jahre 1(J77 durch den Holländer Ant. van Leeu-
WENHOEK. Dieser war durch den Studenten Ham auf kleine, beweg-
liche Körperchen in der Samentlüssigkeit eines an Gonori'hcie leidenden
Mannes, die er mit der Lupe untersucht hatte, aufmerksam gemacht
worden. Er verfolgte die Sache weiter, fand die Samen würmchen bald
auch im Samen eines Hundes und eines Kaninchens und teilte seine
Beobachtungen der Akademie in London in einem von Abbildungen
begleiteten Schreiben mit. In den nächsten Jahren gelang ihm auch
der Nachweis bei vielen anderen Tieren, wie Vögeln, Fischen, Fröschen,
Insekten. Er stellte Berechnungen über die außerordentliche Kleinheit
und Zahl der Samentierchen an und schätzte, daß sich ihrer in einer
Samenmenge vom Hahn, die etwa die Größe eines Sandkorns hat,
fünfzigtausend vorfinden, und daß in der gesamten Milchmenge eines
Stocktisches so viele Tierlein seien, daß ihre Anzahl mehr als dreißig-
mal die Anzahl aller auf der Erde lebenden Menschen übersteige.
Auch entdeckte er schon, daß in der Geschlechtsdrüse der Muscheln
Eier und Samentierchen gleichzeitig nebeneinander vorkommen.
Leeuwenhoek's Beobachtungen, die naturgemäß das größte Auf-
sehen erregten, wurden leicht bestätigt ; über ihre Bedeutung aber
entstand zwischen den Anatomen ein mehr als 100 Jahre nicht zu
schlichtender Streit. Während der Entdecker selbst die später noch
ausführlicher zu besprechende Hj'pothese aufstellte, daß die Samen-
fäden die präformierten Keime der Tiere seien, erklärten andere
Forscher sie für kleinste parasitische Geschöpfe, welche die Samen-
flüssigkeit, Infusorien vergleichbar, bevölkern. Man wies dabei auf
das Voj-kommen von kleinsten Lebewesen auch in anderen tierischen
Säften hin, auf die Infusorien im Schleim der weiblichen Vagina oder
im Mastdarme des Frosches, Valisneri wollte sogar ihren Nutzen
darin erblicken, daß sie durch ihre Bewegungen das Gerinnen der
Samenflüssigkeit verhindern. Noch in Jon. Müller's Physiologie
heißt es: „Ob die Samentierchen parasitische Tiere oder belebte Ur-
teilchen des Tieres, in welchem sie vorkommen, sind, läßt sich für
jetzt noch nicht mit Sicherheit beantworten.''
Zur Entscheidung dieses Streites trugen auch die Experimente
nicht bei, welche von dem Abt Spallanzani über den Befruchtungs-
prozeß angestellt worden sind, und welche zu den an dritter Stelle
aufgeführten wichtigen Leistungen gehören, zu deren Besprechung ich
jetzt übergehe.
Nachdem schon Malpighi ohne Erfolg den Versuch gemacht
hatte, aus dem Ovarium genommene Eier des Seidenspinners mit dem
Samen des Männchens zu befruchten und so willkürlich zur Ent-
wickelung anzuregen, hat Spallanzani, durch seinen Freund Bon-
net angeregt, die künstliche Befruchtung 1780 erfolgreich als embryo-
logische Methode ausgebildet (1786, Bd. I, p. 138). Sie gelang ihm
bei mehreren Ami)hibien (Erdkröte, Wassersalamander, Laub- und
Wasserfrosch). Er entnahm die Eier dem vom Männchen getrennten,
in Paarung begriffenen Weibchen, bestrich sie mit dem Samen, der
aus den Samenblasen des Männchens entleert wurde, und brachte sie
darauf in ein Gefäß mit Wasser. Er beobachtete an einem Teil der
so künstlich befruchteten Eier das Ausschlüpfen der Kaulquappen,
während in Kontrollversuchen andere Eier, die nicht mit Samen be-
fruchtet worden waren, in derselben Zeit unentwickelt geblieben waren.
Auch beim Seidenspinner konnten nach einigen mißglückten Vor-
Die Entwickelungslehre im 16. — 18. Jahrhundert. 11
versuchen reife Eier künstlich von ihm befruchtet und kleine Räupchen
gezüchtet werden. Durch den Erfolg ermutigt, versuchte Spallan-
ZAXi seine Methode auch l)ei Tieren, die ihre Jungen lebendig ge-
bären, zur Anwendung zu bringen. Er hielt eine Hündin mehrere
Wochen in einem Zimmer streng eingeschlossen, und als er Anzeichen
der Brunst bei ihr wahinahm, spritzte er ihr 19 Gran Samen eines
Hundes durch den inneren Muttermund in die Gebärmutter ein; sie
wurde noch einige Wochen weiter in Haft gehalten, bis sich die
Trächtigkeit genau feststellen ließ; 02 Tage nach der künstlichen Be-
fruchtung warf sie 3 Junge.
Spallanzani bemühte sich auch, durch Vermischung von Samen
und Eiern verschiedener Amphibienarten Bastarde zu züchten, doch
ohne Erfolg (1. c. p. 340). Dagegen bewies er durch zahlreiche, viel-
fach variierte Experimente, daß das befruchtende Prinzip im Samen
nicht die allgemein angenommene Aura seminalis, sondern seine
festen Teile seien (1. c. p. 2'26). Denn ein sehr kleines Tröpfchen
eines mit Wasser sehr stark verdünnten Samens befruchtete noch
ein damit betupftes Ei; ferner verliert beim Filtrieren durch mehrfach
zusammengelegtes Löschpapier besamtes Wasser seine befruchtende
Kraft, während der Filterrückstand, in Wasser ausgepreßt, auf die
Eier noch einwirkt (1. c. p. 342).
Noch tiefer als Spallanzaxi ist auf botanischem Gebiet Koel-
REUTER (1761) durch sinnreiche Experimente in das Wesen des
Befruchtungsprozesses eingedrungen in seinen 1761 — Gii erschienenen
Untersuchungen: ..Vorläufige Nachricht von einigen das Geschlecht
der Pflanzen betreffenden Versuchen und Beobachtungen". Indem er
auf künstlichem Wege durch Uebertragung des Pollens die Bestäubung
bei zahlreichen Blütenpflanzen vornahm, kam er auch auf den Ge-
danken, Bastarde auf diese Weise herzustellen und ihre Eigenschaften
zu studieren ; er bearbeitete diese Frage mit so bewunderungswürdiger
Ausdauer und Einsicht, daß nach dem Urteil von Sachs (1875, p. 440)
die von ihm vorgenommenen Bastardierungen „auch jetzt noch zu
den besten und lehrreichsten zählen, obwohl seitdem Tausende der-
artiger Experimente gemacht worden sind". Hierbei wurde er zugleich
auch auf die Bedeutung der Insekten bei der Bestäubung der Bluten-
pflanzen aufmerksam.
Eine weitere wichtige Errungenschaft des 18. Jahrhunderts auf
dem Gebiete der Zeugungslehre ist die Entdeckung der Par-
thenogenese und des mit ihr verbundenen Generations-
wechsels bei den Blattläusen.
Der Genfer Philosoph und Naturforscher Charles Bonnet
(1762) isolierte eine Blattlaus sofort nach ihrer Geburt auf das sorg-
fältigste und stellte fest, daß sie. ohne je mit einem Männchen in
Berührung gekommen zu sein, trotzdem öfters hintereinander lebendige
Junge zur Welt brachte; er trieb hierbei die (xenauigkeit soweit, daß
er Tages- und Stundenziffer über die Niederkünfte der Einsiedlerin
anfertigte. Da auf seine briefliche Mitteilung an Reaumur die Pariser
Akademie noch gewisse Bedenken äußerte gegen „eine Entdeckung,
welche einem allgemeinen und durch alle bisherigen Erfahrungen ein-
mütig bestätigten Gesetz geradezu entgegen wäre", wiederholte Bonnet
seine Experimente, und um dem Einwand zu begegnen, daß eine
früher stattgehabte Begattung noch auf mehrere spätere Geschlechter
nachwirken könne, züchtete er Blattläuse als Einsiedler unter allen
12 Oscar IIertwig,
KauTolen bis zum 10. (icschlocht. Denn „es wäre", so bcniorkt er
liierzu, ,.docli ein kaum zu begreifendes Wunder, daß Urenkel von
ilirem Urgroßältervater oder nur von ihrem Urgroßvater befruclitet
sein sollten". Bei diesen mühsamen Untersuchungen entdeckte Bonnet
gleichzeitig auch den Generationswechsel der BlattLäuse; er wies nach,
daß, während die Weibchen in der warmen Jahreszeit, ohne befruchtet
zu werden, oftmals hintereinander lebendige Junge gebären, sie bei
Beginn der kälteren Jahreszeit „Wintereier" legen, aus denen erst
im Frühjahr Junge auskriechen ; auch stellte er außerdem noch fest,
daß die Wintereier befruchtet werden, indem im Plerbst kleinere Blatt-
lausmännchen auftreten, von welchen die Weibchen vor dem Eierlegen
begattet werden (1775, Bd. II, p. 121).
Fünftens endlich ist als eine der bemerkenswerten Leistungen des
18. Jahrhunderts noch die Begründung der Lehre von der
Regeneration zu nennen. Um sie haben sich besonders Reau-
MUR, Trembley und Bonnet in ausgezeichneten Experimentalunter-
suchungen verdient gemacht. 1712 berichtet Reaumur (1712, p. 235),
daß vom Krebs abgeschnittene Beine und Scheren nach einiger Zeit
wieder wachsen, und daß diese Neuerzeugung sich immer wiederhole,
so oft man das regenerierte Bein abermals durch einen Scherenschnitt
entferne. Er knüpft hieran theoretische Betrachtungen, die, obwohl
auf dem Boden der Evolutionstheorie stehend, doch, wenn man in
ihnen das Wort Keim oder Anlage setzt, Aeußerungen ähnlich sind,
wie sie auch in unserer Zeit gethan worden sind.
Noch größeres Aufsehen erregten die 1744 veröffentlichten vor-
trefflichen Untersuchungen von Trembley über die Naturgeschichte
der Süßwasserpolypen. Die hier in reicher Fülle mitgeteilten, nach
allen Richtungen ausgeführten Experimente sind so genau und er-
schöpfend, daß sie nur in wenigen Punkten von den zahlreichen
Forschern, die später das gleiche Thema behandelt haben, erweitert
oder belichtigt worden sind. Hier wurde zum ersten Male an einem
niederen Tiere das wunderbare Vermögen nachgewiesen, jeden in Ver-
lust gekommenen Körperteil in genau entsprechender zweckmäßiger
Weise wieder herzustellen. Wie das Kopfende nach Entfernung des-
selben mit allen Tentakeln vom Fußende wiederum erzeugt wird, so
auch umgekehrt. Wenn beide Enden abgetrennt werden, so regeneriert
das allein zurückgebliebene Mittelstück an den entsprechenden Wund-
Hächen einen neuen Kopf und neuen Fuß. Beide Hälften eines der
Länge nach halbierten Polypen werden bald durch Ergänzung des
Fehlenden zu 2 neuen vollständigen Tieren ; ja sogar kleine Stückchen
eines vielfach zerteilten Polypen können ein jedes wieder nach einiger
Zeit ein Ganzes herstellen.
Bonnet hat nicht nur die Experimente an Hydra bestätigt,
sondern sie auch auf noch höher organisierte Tiere, wie Regen-
würmer, ausgedehnt, bei denen er ebenfalls feststellen konnte, daß
ein abgeschnittenes Schwanz- oder Kopfende nach längerer Zeit, be-
sonders in dem letzteren Falle, wieder ergänzt wird. Eine noch
lebhaftere Regeneration fand er bei einigen, nicht näher bestimmten
Arten kleiner Süßwasserwürmer, unter denen ein in reinem Wasser
gezüchtetes Exemplar in einem Experiment 12mal den Kopf er-
neuerte, nachdem derselbe immer wieder von neuem w^eggeschnitten
worden war.
Die Theorieen der Präformatioii. 13
Um (las 1)11(1 von den wissenschaftlichen Leistnngen des 16. Vjis
18. Jahi'hnndeits auf dem Gebiete dei- Entwickelungslehre abzu-
schließen, muß jetzt noch auf eine große Streitfrage näher eingegangen
werden, welche die Naturforscher bei ihren entwickelungsgeschicht-
lichen Untersuchungen auf das lebhafteste beschäftigt hat, ich meine
die Frage: was ist das Wesen des organischen Entwickelungsprozesses,
wodurch wird es möglich, daß aus einer winzigen Substanzmenge, aus
einem Ptlanzensamen, aus einem tierischen Ei oder aus einem Samen-
faden wieder ein hoch zusammengesetzter Organismus genau der
gleichen Art entsteht? was ist der Keim von Anfang an und wie bildet
er sich zum ausgewachsenen Geschöpf umV wie ist das Wunder zu
erklären, daß an der Wundstelle die organische Substanz die Fällig-
keit besitzt, Verlorenes in zweckmäßiger Weise wieder herzustellen V
Solche Fragen bildeten einen Gordischen Knoten, welchen die
alten Naturforscher auch bei Anwendung des größten Scharfsinns nicht
zu lösen vermochten, weil hierzu, wie schon früher (p. 2) hervor-
gehoben wurde, die "N^orbedingungen noch vollständig fehlten. Für
die gegenwärtige Generation aber, wenn sie vorurteilslos das Werden
wissenschaftlicher Erkenntnis zu verfolgen sucht, ist es lehrreich, zu
studieren, wie große Naturforscher und Philosophen, ein Swammer-
DAM, Malpighi, Harvey, Leeuwenhoek, Leibniz, Spallanzani,
Haller, Bonnet, Buffon, C. Fr. Wolff, Oken, Blumenbach
und noch manche andere aus einem ganz unzureichenden Thatsachen-
material sich ihre Theorieen aufzubauen suchten, welche ihnen die Er-
scheinungen der Zeugung und Entwickelung begreiflich machen sollten.
Die einander widersprechenden Theorieen lassen sich in zwei Haupt-
gruppen anordnen, 1) in die Theorieen der Präformation oder Evolution,
und 2) in die Theorieen der Epigenesis.
I. Die Theorieen der Präformatioii oder Eyolutioii
beherrschten das 17. und 18. Jahrhundert. Savammerdam und Mal-
pighi, LEEmvENHOEK. Spallanzani uud Valisneri, Bonnet, Re-
AUMUR und Haller, desgleichen die Philosophen Malesbranche
und Leibniz sind überzeugte Evolutionisten. Durch strenge Be-
obachtung der Naturerscheinungen und durch logische Schlüsse
glaubten sie notgedrungen zu der Annahme gezwungen zu werden,
daß im Ei oder im Samenfaden, als dieser später entdeckt wurde,
das spätere ausgewachsene Geschöjjf gewissermaßen schon als eine Art
von unendlich kleinem Miniaturbild angelegt und dabei in Hüllen ein-
geschlossen sei, die es allmählich durchbreche und abwerfe. Das Werden
eines Geschöpfes erklärten sie daher als eine Art Wachstum und
nannten es eine Evolutio oder eine Entwickelung, im Hinblick auf die
Fälle, in denen die wachsenden Teile sich durch Sprengung ein-
schließender Hüllen entfalten. Ein Paradigma bot die Entstehung einer
Phanerogamen blute aus einer Knospe oder die Entwickelung eines
Insekts aus Ei, Ptaupe und Puppe. Swammerdam hat wohl am
meisten durch seine Untersuchungen über Insektenentwickelung den
Grund zu solchen Vorstellungen gelegt. Gestützt auf seine unter
Lupenvergrößerung ausgeführten Zergliederungen hält er nichts für
gewisser, als daß alle Glieder des Schmetterlings, der Fliege oder
eines andern Insekts schon in der Puppe vorhanden sind (1752, p. 13).
t'
14 Oscar IIertwig,
Nichts erregte iiielir die Verwunderung seiner Zeitgenossen, als wenn
SwAMMERDAM vor ihnen, wie es einmal auch vor dem Großherzog
von Toscana geschah, zeigte, wie ein Schmetterling mit seinen zu-
sammengerollten und verwickelten Teilen in einer Raupe steckt, in-
dem er ihnen mit unglaublicher Geschicklichkeit und mit unbegreiflich
feinen Werkzeugen — so erzählt uns Boerhave — „seine Hülle ab-
nahm, so daß das Verborgene offenbar ward".
Seine beim Studium der Raupen und Puppen gemachten Wahr-
nehmungen übertrug Sw^ammerdam dann weiter auch auf das Ei und
veranlaßte ihn zu der Bemerkung (1752, p. 19): es verdienten die Eier
keine Eier, sondern Eierpüppchen genannt zu werden , derweil die
Tierchen in Gestalt eines Püppchens darin steckten; und es sollte das
sogenannte Ei, das das Tierchen umgiebt, besser seine Haut oder
Schale heißen. Swammerdam wandte sich gegen die Lehre, daß ein
Geschöpf sich durch „Metamorphose" in ein Geschöpf ganz anderer
Art umwandeln könne, und stellte dagegen die richtige Behauptung
auf, daß Ei, Raupe, Puppe und Insekt nur verschiedene Entwickelungs-
zustände einer und derselben Tierart sind.
In derselben Weise schloß Spallanzani bei der Untersuchung
der Froschentwickelung: weil der Frosch aus der Kaulquappe ent
steht und dieser wieder kontinuierlich aus dem Ei hervorgeht, muß
das befruchtete Ei selbst schon ein kleines Fröschchen sein ; und
da ferner das befruchtetete Ei genau so wie das unbefruchtete aus-
sieht, dieses aber schon im Eierstock eingeschlossen ist, so müssen
auch schon „die Embryonen der Frösche in ihrer Mutter lange Zeit,
ehe sie befruchtet wurden, vorhanden sein" (1786, p. 1—18, § 19).
Auch giebt er an, die Fröschchen, die erst in den nächsten Jahren
geboren werden sollen, im Eierstock gesehen zu haben ; er meint hier-
mit die kleineu Eier, welche am Ende einer Laichperiode nach Aus-
stoßung der reifen Eier im Ovarium zurückbleiben.
Wie Swammerdam und Spallanzani, so glaubten überhaupt die
alten Evolutionisten, von gleichen Ideengängen geleitet, durch die
Beobachtung d e r N a t u r selbst zu der Annahme gezwungen zu
zu sein (Bonnet, 1775, Bd. II, p. XXI), daß jeder organisierte Körper
schon vor der Befruchtung präexistiere, was in gewissem Sinne ja
auch vollkommen wahr ist, und daß die Befruchtung nichts weiter
thut, als daß sie „dem vorher schon im Samenkorn oder im Ei im
kleinen abgezeichneten, organisirten Ganzen dieEntwickelung verschaffe".
Im übrigen verhehlten sich auch überzeugte Evolutionisten, wie
Bonnet, Haller u. a., die ungeheuren Schwierigkeiten nicht, auf
welche die Durchführung der Theorie nach vielen Richtungen stieß.
So blieb ihnen keineswegs verborgen, daß die embryonalen Organe
vielfach ein ganz anderes Aussehen und eine andere Beschaffenheit
haben als im ausgebildeten Zustand, und daß das Ei selbst aus einer
flüssig-weichen , anscheinend unorganischen Substanz zu bestehen
scheine. Doch machten sie gegen Einwände, die hieraus geschöpft
wurden, nicht ohne eine gewisse Berechtigung geltend, daß die Teile^
je kleiner, um so zarter, weicher und schwieriger voneinander unter-
scheidbar werden. Sie konnten sich, wie Haller (1775, VIII, p. 247)
thut, darauf berufen, daß, während bei den meisten Insekten in der
Puppe das deutlich ausgebildete Insekt steckt, in anderen Fällen, wie
bei den Fliegen und Ameisen, nach den Untersuchungen von Swam-
merdam „die Struktur offenbar in einem Brei begraben liegt. Und
Die Theorieen der Präformation. 15
doch sei der Bau auch hier organisch, wenn auch demjenigen, der die
Sache nur so obenhin anselie, alles weich und flüssig vorkäme; und
ebenso sei in der Puppe der Ameisen schon eine wirkliche Ameise,
obschon ihr Körper nur aus IMilch und Flüssigkeit zu bestehen scheine."
Ferner hatte man auch erkannt, daß während der Entwickelung
sich die Organe wie in ihrer Konsistenz so auch in Form und gegen-
seitiger Anordnung verändern können.
„Es kommt mir höchst wahrscheinlich vor", bemerkt Haller,
von seinen Untersuchungen am Hühnchen ausgehend, ,,daß die wesent-
lichen Teile der Frucht schon längst, aber nicht als solche,
wie sie bei großen Tieren erscheinen, gebildet sind.
Gewisse und vorher dazu bereitete Ursachen beschleunigen das
Wachstum in einigen dieser Teile, in anderen hindern sie solches.
Indem sie nun die Lagen verändern, indem sie die sonst durch-
sichtigen Werkzeuge sichtbar machen und den Fluidis und der schlei-
michten Materie eine Festigkeit geben, so bilden sie zuletzt ein
Tier, welches aber von dem E m b r .y o sehr verschieden
ist, ein Tier, worin indessen kein einziger Teil ist, der nicht wesent-
lich schon im Embryo gewesen wäre." „Das Hühnchen im Ei
ist vom vollkommenen Huhn nicht weniger verschieden
als die Raupe vom Schmetterling" (1775, Bd. VIII, p. 155).
Noch bestimmter spricht sich Bonnet dahin aus, daß „man sich
nicht vorstellen müsse, als wenn alle Teile eines organisierten Körpers
im Keime ebenso genau im kleinen befindlich wären, als wie sie in
dem entwickelten Ganzen im großen erscheinen''. Nach den neuen
Entdeckungen am Hühnchen hält er es für bewiesen, „daß alle, so-
wohl äußerliche als innerliche Teile im Keime ganz andere Gestalten,
Proportionen, Festigkeit und Ordnung haben, als nachher, wenn der
Trieb der Säfte und die Auswickelung (Evolution) ihre natürlichen
Wirkungen geäußert haben". So kommt denn Bonnet sogar zu einer
so allgemein gehaltenen Fassung des Keimbegriffs, daß er auch für
unsere heutigen Vorstellungen wohl anwendbar wäre. Denn unter
Keim verstellt er „eine jegliche Vorher ordnun g, jegliche
V 0 r h e r ]) i 1 d u n g der Teile, die durch sich selbst ver-
mögend ist, das Dasein einer Pflanze oder eines Tieres
zu bestimmen". Und um keinen Zweifel an seiner Auffassung
aufkommen zu lassen, fügt er hinzu: „Ich behaupte deshalb nicht,
daß die Knöpfchen an den Ausschößliugen der Armpolypen schon an
sich selbst Polypen im kleinen und unter der Haut der Mutter ver-
steckt, sondern darin gewisse, solchergestalt präorganisierte Par-
tikelchen vorhanden sind, aus deren Entwickelung ein Polyp ent-
stehen kann" (1775, Bd. II, p. LVIII). Den Keim nennt Bonnet daher
auch ..einen Grundriß und ein i\l o d e 1 1 von dem organi-
sierten Körper", insofern er „schon wirklich im kleinen alle
wesentlichen Teile der Pflanze oder des Tieres in sich enthält, das er
vorstellt". „Der Hauptunterschied zwischen dem Keime und dem
entwickelten Tiere sei der, daß der erstere nur aus bloßen Elementar-
partikeln bestehe, und daß die Maschen, die sie formieren, darin so
enge als möglich sind, anstatt daß in dem anderen die Elementar-
partikeln mit unzähligen anderen, vermittelst der Nahrung hinzuge-
kommenen Teilen verbunden, und die Maschen der einfachen Fibern
daselbst so weit als möglich sind, als sie es auch in Absicht der
Natur und Ordnung ihrer Prinzipien sein sollen (1. c. Bd. II, p. 26).
16 Oscar IIertwig,
All einer Organisation des Keimes, in welcher gleichsam schon
das spätere Geschö])f in irgend einer Weise vorgezeichnet sei (Prä-
delineation), glanbten die Evolutionisten, auch wenn im Ei keine Si)ur
davon zu sehen sei, vor allen Dingen deswegen entschieden festhalten
zu müssen, weil sie es philosophisch für undenkl)ar hielten, daß eine
Naturkraft aus einer ungeordneten „rohen" Stoftnienge nach einfach
mechanischen Prinzipien Knochen, Muskeln, Eingeweide und Gefäße
bilden und noch dazu alle diese Dinge in einer gewissen Ordnung
zweckmäßig untereinander verbinden könne (Haller, 1775, Bd. VIII,
p. 203). Denjenigen, welcher dergleichen Hyjjothesen Gehör geben
will, glaubt Haller einzig und allein an das Auge erinnern und die
Frage vorlegen zu sollen : „Wie könnte das Auge vermittelst einer
ausdehnenden Kraft dergestalt gebaut und zu Membranen werden,
die aufeinander folgen, die alle anders gewebt sind, daß das Licht von
den durchsichtigen Teilen, welche allenthalben mit anderen sehr un-
durchsichtigen Teilen umgeben und eingefaßt sind, aufgefangen werden
kann, deren Bau so genau berechnet ist, daß in Millionen Menschen
und in Millionen Tieren die Strahlen eines Lichtpinsels von allen
Seiten auf die Netzhaut vereinigt auffallen können? Und dennoch
kannte diese körperliche Ursache weder das Licht noch die Gesetze,
wodurch dasselbe gebrochen wird, indessen daß sie alles bis auf den
hundertsten Teil einer Linie so richtig ausgemessen und zuge-
schnitten hat, als das Licht auf der Netzhaut zu sammeln erfordert
wird etc."
In ähnlichem Sinne äußert sich Bonnet, daß, „wer den mensch-
lichen Körper, dieses Meisterstück der Natur, zerlege, notwendig inne-
werden müsse, daß ein so wunderbarlich zusammengesetztes und doch
so harmonisches und so einiges Ganze nicht wie eine Uhr oder wie
eine Mosaikarbeit durch allmähliches Ansetzen unendlich vieler ver-
schiedener Stücke habe entstehen oder gebildet werden können. Er
werde zugeben müssen, daß ein derartiges Ganzes der unauslöschliche
Abdruck eines auf einmal hervorgebrachten Werkes sei."
Wenn die alten Evolutionisten Beobachtungen und Vernunftgründe,
wie ich gezeigt habe, bei dem damaligen Stande der Naturerkenntnis
zu Gunsten ihrer Theorie anführen konnten, so sahen sie sich doch
bei weiterem logischen Ausbau ihrer Theorie in einem Punkte vor
eine geradezu ungeheure Schwierigkeit gestellt. Denn jede Pflanzen-
und jede Tierart besteht ja aus einer unendlichen Folge sich aneinander
schließender Generationen, von welchen immer die eine die nächst-
folgende hervorbringt. Wenn nun bei dieser Succession keine Neu-
zeugung der jüngeren Generation in der älteren stattfindet, sondern
jene bereits fertig in dieser als Miniaturgeschöpf eingeschlossen ist,
so bleibt nichts anderes als die Annahme übrig, daß überhaupt alle
Geschöpfe, die einst gelebt haben und noch leben werden, in einem
ersten Geschöpf der entsprechenden Art durch einen allmächtigen
Schöpfer am Anfang aller Dinge geschaffen sein müssen. Die Prä-
formationstheorie führte so ganz konsequenterweise zur Einschachte-
lungslehre (emboitement), einer zwar streng logisch entwickelten, aber
trotzdem absolut unverständlichen und thörichten Hypothese, auf
welche daher das Wort des Dichters zutrifft: „ist dies schon Tollheit,
hat es doch Methode." Und dieses Gefühl sind wohl auch die alten
Evolutionisten nicht ganz los geworden, auch wenn Bonnet sagt: „die
Hypothese sei eine von den größten Siegen des Verstandes über die
Die Theorieen der Präforraation. 17
Sinne. Die verschiedenen Ordnnn^en so unendlich kleiner Dinge,
welche nach dieser Hypothese ineinander eingeschlossen sind , be-
schweren die Einbildung, ohne die Vernunft zu erschrecken".
Denn an anderen Stelleu seines Werkes läßt es Bonnet dahinge-
stellt sein, ob die Einschachtelungslehre oder die nachher zu be-
sprechende entgegengesetzte Theorie des BuFFON'schen Pansper-
matismus den Vorzug verdieut. Immerhin aber erblickt er auch hier
noch in der Einschachtelungstheorie eine erhabene Vorstellung und
er stellt sich „mit dem Gefühl einer geheimen Zufriedenheit in dem
Scholle der Aemilia den Keim des Helden vor. der nach einigen Jahr-
tausenden ein mächtiges Reich aufrichtet, oder vielmehr des Welt-
weisen, der alsdann der Welt die Ursache der Schwere, das
Geheimnis der Erzeugung und die Mechanik unseres Wesens er-
klären wird".
Wie His (1870/72) anführt, ist wohl zum erstenmale die Einschachte-
lungslehre in voller Konsequenz von dem Philosophen Malebranche
(1688) aufgestellt worden. In seinem vielgelesenen Buch : Recherche
de la verite. welches in zahlreichen Auflagen seiner Zeit erschienen
ist, führt Malebranche aus, daß unsere Sinne beschränkt und unsere
Begriffe von Größe und Ausdehnung nur relativ sind, daß, wenn die
Milbe im Verhältnis zu uns als ein unendlich kleines Tier erscheine,
es doch noch tausendmal kleinere Tiere als die Milbe gebe, die uns
sogar die Erfahrung schon kennen gelehrt habe ; daher denn auch kein
Grund vorhanden sei, daß diese dann die kleinsten von allen seien.
Denn die Materie sei ins Unendliche teilbar, und so könne es auch
unendlich kleine Tiere geben, obwohl vor diesem Gedanken unsere
Einbildung erschrecke.
Aus diesen Grundsätzen macht dann Malebranche sofort die
Nutzanwendung auf die Entwickelung der Pflanzen und der Tiere. Auf
Malpighi und Swammerdam hinweisend, die in dem Tulpenkeim
schon ein ganzes Tülpchen, im Hühnerei ein Hühnchen und im Froschei
ein Fröschchen entdeckt hätten, fügt er hinzu, daß der Verstand bei
dem, was die Augen sehen, nicht Halt machen müsse. „Gar la vue
de l'esprit a bien plus d'etendue que la vue du corps. Nous devons
donc penser outre cela, que tous les corps des hommes et des animaux
qui naitront jusqu'ä la cousommation des siecles, ont peut-etre ete
produits des la creation du monde; je veux dire que les femelles des
Premiers animaux ont peut-etre ete creees avec tous ceux de la meme
espece qu'ils out engendre et qui doivent s'engendrer dans la suite
des temps."
Eine große Schwierigkeit entstand der Präformationstheorie, als
Leeuwenhoek in der Samenflüssigkeit zahlreicher von ihm untersuchter
Tiere die Samenfäden auffand. Denn da bei der Entstehung eines
neuen Geschöpfes das männliche Geschlecht ebenso gut beteiligt ist,
wie das weibliche, so lag es jetzt nahe, die Streitfrage aufzuwerfen,
ob die Eier, wie man früher allgemein angenommen hatte, oder die
neuentdeckten Samenwürmchen die präformierten Keime sind. Haben
diese doch den Vorzug für sich, daß sie beweglich und in ihrer ge-
streckten Form mehr tierähnlich sind, als die kugeligen und unbe-
weglichen Eier. In weiterer ^'erfolgung seiner Studien über die Zu-
sammensetzung der Samenflüssigkeit zögerte denn auch Leeuwenhoek
nicht, diese Hypothese in seinen an die Londoner Akademie ge-
richteten Briefen often auszusprechen ; er glaubte später sogar männ-
Handbuch der Eatwickelungslehre. 9
18
Oscar Hertwig,
liehe und weibliche Samenfäden unterscheiden zu können: auch glückte
es ihm, durch mikroskopische Untersuchungen bei Hunden und
Kaninchen entgegen den Angaben von Harvey festzustellen, daß bei
einer Begattung die Samenfäden in die Höhle der Gebärmutter hinein-
dringen und von hier sogar in die Eileiter und l)is
gelangen.
zur Tuben Öffnung
sollten
ein
In der Mutter
Nest für
Tieren
ihre weitere Entwickelung
sie dann einen geeigneten Ort, gleichsam
finden. Bei den eierlegenden
aber, bei Vögeln, Amphibien, Fischen. In-
sekten u. s. w. sollten die Eier nur die Bedeutung
haben, den günstigen Nährboden für die Samenfäden,
die eigentlichen Keime, zu liefern. In jedes Ei,
so glaubte Leeuwenhoek annehmen zu müssen,
dringe je ein Samenfaden ein und ernähre sich hier
auf Kosten der Dottermasse; daher er denn auch
bemüht war, im Inhalt kleiner Eier den eingedrungenen
Samenfaden aufzufinden; doch wollte ihm dies mit
seinen Vergrößerungen in keinem Falle gelingen.
Auch die Ansicht von Leeuwenhoek fand bald
ihre Anhänger. Man verglich die Samenfäden mit
den Kaulquappen und ließ sie wie diese allmählich
wachsen und sich verwandeln. Der Holländer Hart-
soeker (1694), der ebenfalls in der Kunst Linsen
zu schleifen geübt war und sich sogar die Priorität
in der Entdeckung der Samenfäden auf Grund von
Beobachtungen
am Hahn zuschrieb, erklärte sie für
die präformierten Keime und gal) zu dieser Hypo-
these eine charakteristische Illustration (Fig. 2), in-
dem er in den Kopfteil eines menschlichen Samen-
fadens eine kleine menschenartige Figur mit zusam-
mengeschlagenen Armen und Beinen , von einer
dünnen Hülle eingeschlossen, einzeichnete. Ein sonst
unbekannter Schriftsteller, Dalenpatius (1699), ver-
stieg sich sogar zu der kühnen Behauptung, die Häutung
eines Samenwurmes unter dem Mikroskop gesehen
zu haben, und lieferte eine Abbildung (Fig. 3) eines
so frisch gehäuteten Menschleins, an welchem er den
noch von der Hülle bedeckten Kopf, Brust, Arm
und Beine en miniature darstellte. In England ent-
wickelte Garden ähnliche Ansichten wie Leeuwen-
hoek. Bei den Pflanzen wurde die Rolle der
den Pollenkörnern im Blütenstaub zu-
Samenfäden
geschrieben,
lag
nun die Wahrheit? Bei der Lehre, daß
bei der damit zunächst unverträglichen
der Samenfaden der präforniierte Keim
wurde Jahrhunderte lang viel hin
Wo
das Ei, oder
Lehre, daß
sei? Darüber
und her gestritten. Es entstanden die beiden Schulen
Fig. 3. der Ovisten und der Anim alculisten. Wäh-
rend unter den ersteren Forscher, wie Swammer-
DAM, Malpighi, Harvey, Spallanzani, Vallisnerius, Bonnet,
Haller u. a. aufzuführen sind, finden wir in der Reihe der letzteren
neben dem
Begründer
der Lehre, Leeuwenhoek, den
großen
Philo-
Die Theorie des Panspermatismus. 19
sophen Leibniz, ferner Boerhave, Lieutaud, Lancisius u. a.
Der Streit schien zn Gunsten der Ovisteu entschieden, als Bonnet
die Jiingfenizeu.uung der Blattläuse entdeckte und nachwies, daß die
Eier, die niemals den Einfluß des männlichen Samens erfahren hal)on,
sich trotzdem zu Blattläusen entwickeln. Haller erblickte hierin
eine der mächtigsten Stützen für die Ovisteu. Die Samenfäden wurden
von jetzt an meist für parasitische Gebilde dei- Samentiüssigkeit, den
Infusorien vergleichbar, gehalten und es hat noch bis in die zweite
Hälfte des 19. Jahrhunderts gedauert, bis der wirkliche Sachverhalt,
daß Ei- und Samenzelle als gleichwertige Elemente am Zeugungsakt
beteiligt sind, festgestellt und damit die Streitfrage der Ovisteu und
der Animalculisten zum Abschluß gebracht wurde.
2. Die Theorieeii der Epigenesis und des Panspermatismus.
Die im vorigen Abschnitt geschilderten Theorieen der Evolution
harmonierten nicht nur am besten mit dem Thatsachenmaterial, über
welches die Naturforscher zur Zeit von Swammerdam und Haller
geboten, sondern fügten sich auch am leichtesten einer doch von
christlichen Dogmen stark beeinflußten Ideenwelt ein, von welcher sich
auch die Gelehrten nicht frei machen konnten. Sie waren daher während
dreier Jahrhunderte die herrschenden in der Wissenschaft, mochten
nun die Eier oder die Samenfäden als die präformierten Keime an-
gesehen werden. Gleichwohl fehlte es auch nicht an vereinzelten
Forschern, welche den schwachen Punkt der Evolutionslehre, welcher
in der Einschachtelung der Generationen liegt, erkannten und sich
daher andere Vorstellungen von der Entstehung der Organismen zu
bilden suchten. Unter ihnen sind die bedeutendsten der berühmte
BuFFON, der Naturphilosoph Oken, namentlich aber der als scharf
beobachtender und klar denkender Forscher gleich ausgezeichnete
Caspar Friedrich Wolff.
Buffon (1749, Bd. II) hat in seiner allgemeinen Naturgeschichte,
welche durch ihre gefällige, interessante Darstellung noch heute den
Leser fesselt, seine originellen Ansichten entwickelt, welche man als
die Theorie des Panspermatismus zusammengefaßt hat. Er erblickt
in der Annahme der Einschachtelungslehre nicht nur ein Geständnis,
daß man die Entstehung eines Organismus nicht begreifen könne,
sondern auch zugleich einen Verzicht auf den Willen, sie zu begreifen.
Abgesehen davon, daß man die Aufgabe selbst nicht löse, füge man
zu ihr noch die neue Schwierigkeit, daß man zu der Annahme einer
unendlichen Zahl von Keimen, die alle in einem einzigen eingeschlossen
seien, gezwungen werde. So verliere man in dem Labyrinth des Un-
endlichen vollends den Faden der Wahrheit, und anstatt die Frage
aufzuklären und zu lösen, beginne man nur sie mehr zu verwickeln
und sich von ihrer Lösung zu entfernen. Und so versucht Buffon
nun selbst einen neuen Weg der Erklärung ausfindig zu machen.
Aus der Thatsache, daß fast an jeder Stelle eines Baumes eine Knospe
sich bilden kann, die, abgelöst von ihm, wieder einen Baum liefert,
und ebenso aus der Thatsache, daß aus einem in viele Stücke zer-
schnittenen Polypen ein jedes Stückchen sich wieder zu einem Polypen
gestaltet, zieht er den wichtigen Schluß (in welchem man eine auf
20 Oscar Hertwig,
tlieoretischeni Wej^e erfaßte Konceptioii der Zelleiitheorio erblicken
kann), daß eine Ptianze und ein Tier als eine Vereinigung zahlloser
kleiner Individuen derselben Art aufgefaßt werden muß. In diesem
Sinne läßt er die Ulme aus vielen Ulmen, die Hydra aus vielen Hydren
zusammengesetzt sein (p. 18, 19).
Eine scharfe Grenze zieht Buffon zwischen der unorganischen
Natur und der Welt der Organismen. Als die Grundlage der letzteren
nimmt er kleine, organische, lebende Einheiten an, gewissermaßen
Urteilchen der organischen Welt, welche gleich der unorganischen
Materie unzerstörbar und unveränderlich sind. Aus ihnen bauen sich
alle lebenden Wesen auf und zerfallen bei ihrem Tode wieder in sie.
Buffon nennt sie daher eine „niatiere productive et organique". Er
läßt sie überall in Wasser, Erde und Luft verbreitet sein und eine
unerschöpfliche Quelle für die Entstehung neuer Pflanzen- und Tier-
generationen bilden.
Einen Beweis für seine Ansicht findet er in den Untersuchungen
des englischen Naturforschers Needham, welcher durch Experimente
gefunden zu haben glaubte, daß die in Aufgüssen oder bei der Fäulnis
organischer Substanzen auftretenden Infusorien nicht aus Eiern, sondern
aus dem direkten Zerfall pÜanzlicher und tierischer Teile entstehen.
Buffon spricht sich hierbei nicht ganz bestimmt darüber aus, ob die
Infusorien schon selbst die letzten unzerstörbaren Urteilchen der be-
lebten Materie, oder vielmehr die ersten Vereinigungen von solchen
sind ; doch neigt er offenbar der letzteren Ansicht zu ; denn von den
Infusorien bemerkt er, daß dieselben, je länger die Infusionen stehen
bleiben, um so mehr in immer kleinere lebende Partikeln (wahr-
scheinlich die Bakterien) zerfallen und dabei zugleich immer giftigere
Eigenschaften annehmen.
Gleich den Infusorien rechnet Buffon auch die Samentierchen
zu der belebten Urmaterie; indem er sie nur wenig organisiert sein
läßt, bekämpft er die Lehre der Animalculisten : „Pour le dire plus
clairement, ces pretendus animaux ne sont que les parties organiques
Vivantes, dont nous avons parle, qui sont communs aux animaux et
aux vegetaux, ou tont au plus, ils ne sont (lue la premiere reunion
de ces parties organi({ues.''
Durch welche Kraft, läßt sich nun weiter fragen, werden die in
der Natur überall verbreiteten organischen Urteilchen , in welche
Pflanzen und Tiere schließlich zerfallen, fortwährend zu neuen Pflanzen
und Tieren wieder verbunden? — Hier hilft sich Buffon mit der
Hypothese eines beständig vor sich gehenden Kreislaufes der or-
ganischen Urteilchen. Pflanzen und Tiere nehmen sie als Nahrung
in sich auf, jene mit ihren Wurzeln aus dem Boden, diese, indem sie
entweder Pflanzen oder Tiere verzehren , welche beim Verdauungs-
prozeß im Darmkanal sich wieder in die unzerstörbaren organischen
Moleküle auflösen. Ihr Wachstum findet dadurch statt, daß die ver-
schiedenen Organe aus dem aufgenommenen Nahrungsmaterial sich
diejenigen Teilchen assimilieren, die ihnen verwandt sind, die übrigen
dagegen abstoßen.
Aus demselben Prinzip wird dann auch die Fortpflanzung erklärt.
Sie erfolgt aus dem Ueberschuß der Urteilchen, der beim Wachstum
keine Verwendung mehr findet. Daher sind Ernährung, Wachstum
und Zeugung die Wirkungen ein und derselben Ursache. Die über-
schüssigen Urteilchen sammeln sich an bestimmten Stellen zu Keimen
Die Tlieorie des Pansperinatismiis. 21
an und verbinden sich nach ihrer inneren Verwandtschaft. Um zu
erklären, daß aus einem solchen Aggregat immer die Pflanzen- und
Tierart hervorgeht , in welcher sich der Keim gebildet hat. nimmt
BuFFON eine form gebende Kraft an, ^Yelche jeder Organismenart
innewohnt und vermöge welcher sie die Urteilchen zu einer nur ihr
eigentümlichen und ihr entsprechenden Weise vereint. Insofern be-
zeichnet er jede Pflanzen- und Tierart als ein Modell, in welchem
die aufgenommenen und zur Zeugung verwandten Urteilchen der Art
gemäß neu geformt werden. Die Fortpflanzung gestaltet sich ein-
facher bei Pflanzen und solchen niederen Tieren, wie den Polypen,
bei denen ein Teil dem anderen gleicht, so daß z. B. der Polyp als
eine Vielheit von lauter kleinen Polypen aufgefaßt w^erden konnte.
Denn hier enthält jeder Teil die Gesamtheit der Urteilchen, aus denen
das Ganze besteht. Dagegen kann bei solchen Tieren, die aus vielen
ungleichen Teilen oder verschiedenartigen Organen aufgebaut sind,
nicht mehr jeder Teil das Ganze wieder erzeugen, weil er nicht alle
Urteilchen beherbergt. Die Fortpflanzung wird komplizierter, sie geht
nur von bestimmten Stellen des Körpers, von den Geschlechtsorganen
aus, welche gleichsam besondere Behälter darstellen, in welche von
jedem Organ und jedem verschiedenen Teil des Körpers der Ueber-
schuß der organischen Moleküle hingeschickt wird. Buffon ent-
wickelt hier eine Anschauung, welche uns später bei Charles
Darwin in seiner Hypothese der Pangenesis wieder entgegentritt.
Auch bei Darwin könnte der BuFFON"sche Satz stehen: „Ces mole-
cules sont absolument analogues ä chaque partie, dont elles sont
renvoyees, puisqu' elles etaient destinees ä nourrir cette partie; des
lors quand toutes les molecules renvoyees de tout le corps viennent
ä se rassembler, elles doivent former uu petit corps semblal)le au
Premier, puisque chaque molecule est seinblable ä la partie dont eile
a ete renvoyee" (p. 425).
Die Besonderheit der geschlechtlichen Zeugung wird endlich noch
dadurch erklärt, daß sich ein neuer Organismus erst dann bilden kann,
wenn sich die organischen Moleküle der Samenflüssigkeiten beider
Geschlechter miteinander vermischt haben, was an einem dazu ge-
eigneten Orte (la matrice de la femelle) geschehen muß. Wenn bei
der Vermischung sich mehr organische Moleküle des männlichen als
des weiblichen Geschlechts vorfinden, entsteht ein männliches Wesen,
und umgekehrt.
Durch solche phantastischen, zum Teil sinnreich ausgeklügelten
Konstruktionen, welche hier und da sogar Anklänge an moderne Er-
rungenschaften der Zellenlehre zeigen, aber wenig auf eigenen und
dann meist falsch gedeuteten Beobachtungen beruhen, glaubt Buffon
die Schwierigkeit der präformierten und ineinander geschachtelten
Keime umgehen zu können ; so schließt er denn seine Abhandlung
mit dem Satz : „mais il y a une inatiere organicpie toujours active,
toujours prete ä se monier, ä s'assimiler et ä [troduire des etres sem-
blables ä ceux ([ui la re(;oivent: les especes d'animaux ou de vegetaux
ne peuvent donc jamais s'epuiser d'elles memes; tant qu"il subsistera
des individus Tespece sera toujours tonte neuve: eile Test autaut au-
jourdliui ([u'elle etait il y a trois mille ans" (1749, p. 426).
Aehnlichen Ideengängen wie bei Buffon begegnen wir auch bei
Oken (1805) in seiner 1805 veröffentlichten Schrift über Zeugung, in
welcher er die „Panspermie'' als die älteste, ehrwürdigste Idee in der
22 Oscar Hertwig,
Geschichte der Naturphilosopliie l)ezeichiiet. Pflanzen und Tieie läßt er
aus zahlreichen, auf das innigste untei-einander verbundenen Infusorien
zusammengesetzt sein, derart, daß ihre Individualitäten nur noch eine
einzige Individualität bilden. Oken hat daher auch später auf Grund
solcher Aussprüche die Priorität, der Begründer der Zellentheorie zu
sein, für sich in Ansjjruch genommen.
Wie BuFFON ein entschiedener Anhänger der NEEDHAM'schen
Lehre bestreitet er auf das entschiedenste die Richtigkeit von Spallan-
ZANi's Experimenten, nach denen die Infusorien aus Sporen oder Eiern,
die im Wasser und in der Luft verbreitet sind, ihren Ursprung nehmen ;
vielmehr läßt er sie ebenfalls direkt aus einem Zerfall pflanzlicher und
tierischer Substanz in ihre Urbestandteile entstehen. In der Gärung
und Fäulnis sieht er einen Prozeß, welcher der Zeugung der höheren
Organismen entgegengesetzt ist, also eine wahre Entzeugung oder
Katagenesis. Da somit die Infusorien die Grundlage für alles
Lebendige sind, nennt er sie die Urtiere, die Ur Stoffe des Organischen,
oder die Elemente der organischen Welt , und behauptet von ihnen,
daß sie bei der Schöpfung ebenso allgemein und unvertilgbar ent-
standen seien, wie Erde, Luft und Wasser.
Oken ist durchaus ein Anhänger der BuFFON'schen Lehre, daß
ein Organismus nie aus etwas, was nicht selbst organisch ist, ent-
stehen könne. Seine ewigen „panspermitischen Infusorien" sind auf
der ganzen Erde, in der Luft und im Wasser verbreitet; ohne sie
kann es keine Zeugung, kein Wachstum geben. Aus ihrer Synthese
entstehen zuerst Pflanzen, aus diesen dann die Tiere. Ernährung und
Wachstum der letzteren beruht auf dem Zerfall der in den Darm auf-
genommenen pflanzlichen und animalischen Nährstoffe in ihre Urtiere
(Katagenesis) und auf der Assimilation derselben.
Auf dem gleichen Prinzip bei'uht die Zeugung bei Pflanzen und
bei Tieren. Denn der Zeugungsstoff" oder der Samen besteht aus nichts
anderem als aus Infusorien, die sich aus dem Körper des Zeugenden
wieder ablösen. Die Samenfäden der Tiere und die Pollenkörner der
Pflanzen sind also nicht präformierte Keime, sondern Urtiere, aus
denen sich durch eine neue S,ynthese wieder Tiere und Pflanzen der-
selben Art unter geeigneter Bedingung aufbauen. Bei der geschlecht-
lichen Zeugung ist eine solche Bedingung, daß die Urtierchen des männ-
lichen Samens sich mit einem weiblichen Bläschen vereinigen. „Dieses
liefert zum entstehenden Embryo — so führt Oken weiter aus — weder
einen Keim, noch organische Grundteilchen, noch sonst etwas Materiel-
les, sondern bloß die Form, welche die eintretenden Cercarien (anderer
Ausdruck für die Samenfäden) durch die mit den Bläschen erwachsene
organische Thätigkeit so miteinander verbindet, daß sie, auch noch
durchsichtig, schon den Typus desjenigen Tieres in Miniatur darstellen,
zu dessen Gattung sie gehören". Das Bläschen nennt Oken daher
auch schlechthin „die Typus gebende Kraft" und meint von ihr, sie
sei dem Bläschen ebenso eigentümlich, wie der Niere die harnbildende
„Funktion" oder der Leber die Gallenabsonderung. Die Hypothese
von der Typus bildenden Kraft des Bläschens vertritt bei Oken die
Rolle des Modells in der Lehre von Buffon.
Dem HARVEY'schen Satz „Omne vivum ex ovo" setzt Oken,
da die Infusorien, aus denen sich der Embryo aufbaut, nur im männ-
lichen Samen enthalten sind, die Antithese gegenüber: „Nullum vivum
Die Theorie der Epigenesis. 23
ex ovo". Dagegen wachse der Embryo durch fortdauerndes Absetzen
von Infusorien aus dem Bhite der Mutter.
Oken ist, wie Buffon, Anhänger der Lehre einer jederzeit vor
sich gehenden Generatio ae(|uivoca. allerdings nur aus dem Organischen.
"Wie Infusorien aus Zerfall von Fleisch, so läßt er auch höher orga-
nisierte parasitische Tiere, die, wie die Krätzmilbe, Erreger von Haut-
krankheiten sind, oder die verschiedenen Arten von Eingeweidewürmern
aus einem Auflösungsprozeß einzelner Organteile in ihre Urbestand-
teile und aus neuer Vereinigung derselben ihren Ursprung nehmen.
In den Wurmkrankheiten etc. erblickt er eine Tendenz des Tieres,
in seinen Ursprung zurückzusinken.
Die XEEDHAM'schen Infusionsversuche bilden, wie wir gesehen
haben, eine der wichtigsten Grundlagen sowohl für Buffon's, wie für
Okex's Zeugungslehre, durch welche die Präformationstheorie ersetzt
werden sollte. Daher richteten denn auch die Evolutionisten ihre An-
griffe gegen diesen schwachen Punkt der ihnen entgegentretenden Lehre,
mit besonderem Erfolg der Abt Spallaxzaxi. Durch sehr sorgfältige
Experimente, die Oken mit Unrecht als nicht beweiskräftig hin-
zustellen versuchte, hat Spallanzani (1786) schon 1777 die ver-
meintliche Generatio aequivoca der Infusorien und die NEEDHAM'schen
PJntdeckungen als Irrtümer klar nachgewiesen.
Wichtiger und erfolgreicher als die auf nachweisbaren Irrtümern
beruhende, phantastische Hypothese des Panspermatismus wurde die
von Caspar Friedrich Wolff 1759 zuerst entwickelte Theorie der
Epigenesis.
Aus ähnlichen allgemeinen Gesichtspunkten wie Buffox fühlte
sich Wolff schon als junger Mann von der Präformationstheorie ab-
gestoßen, weil sie seinem Denken keine Befriedigung gewährte. „Ich
muß gestehen", erzählt er selbst, ,,daß beide Meinungen, sowohl die
von der Evolution, als auch die andere von den Samentierchen, mir
immer — und auch ehe ich noch glaubte, daß ich jemals zu Beobach-
tungen kommen würde, die mich in den Stand setzten, eine Theorie
der Generation auszuarbeiten — schon unwahrscheinlich vorgekommen
sind" (1764, p. .39). Als Grund seiner Abneigung führt er an, daß es
in der ganzen Natur kein einziges Phänomen gebe, welches auch nur
einige Aehnlichkeit mit der Evolution habe, wie sie durch die
Präformatioustheorie für Pflanzen und Tiere angenommen werde.
Denn alle anderen Gebilde in der Natur entstünden und vergingen
wieder aus natürlichen Ursachen. Als Beispiel nennt er die
Wolken, welche in der Luft entstehen und sich wieder auflösen, und
er bemerkt hierzu : „Oder scheinen sie nur zu entstehen? und werden
sie eigentlich nur evolviertV Nein, wir wissen, daß sie durch natür-
liche Ursachen und zwar durch die Wärme produziert werden, und
wie sie produziert werden. Die Materie zu den Wolken war da, aber
Wolken wurden erst produziert." In demselben Sinne weist Wolff
auf die Bildung des Regenbogens, auf die durch Mischung entstehenden
chemischen Substanzen hin, an welchen allen sich zwar Veränderungen
des Weltgebäudes, aber niemals Evolutionen abspielten. Daher erklärt
er die Hypothese der Präformation von vornherein für im höchsten
Grade unwahrscheinlich ; denn man finde in der ganzen Natur kein
einziges Beispiel von einem solchen Dinge, wie die Hypothese an-
nehme. Melmehr würden alle Erscheinungen, die in der Welt statt-
finden, durch physische Ursachen im genauesten und vollständigsten
24 Oscar IIertwig,
Verstände hervorgebracht; daher sei es Aufgabe des Naturforschers^
die Kräfte in der Natur zu entdecken und irgend eine UK'igliche Art
einzusehen, wie durch jene Kräfte die organischen Körper gebihlet
werden (h c. p. 51, 56).
Am Schhiß des einleitenden Kapitels, welches über die Unwahr-
scheinlichkeit der Hyi)otliese von der Prädelineation handelt, faßt
WoLFF seinen Standpunkt gewissermaßen wie ein Glaubensljekenntnis.
in den schönen, von Ueberzeugung durchdrungenen, an seine Leser
gerichteten Worten zusammen: „Sie werden sich noch erinnern, daß
eine Evolution ein Phänomen war. welches seinem Wesen nach gleich
bei der Schr)pfung von Gott erschaffen, aber in einem unsichtbaren
Zustande erschaffen wurde, eine Zeitlang unsichtbar blieb und als-
dann sichtbar wurde. Sie sehen bald, ein entwickeltes Phänomen ist
ein Wunderwerk, welches von den gemeinen Wunderwerken nur darin
unterschieden ist, daß es erstlich zur Zeit der Schöpfung schon von
Gott produziert ist, zweitens daß es eine Zeitlang, ehe es zum Vor-
schein gekommen, unsichtbar geblieben ist. Alle organischen Körper
sind also wahre Arten von Wunderwerken. Allein wie sehr ändert
sich nicht dadurch der Begriff, den wir von der gegenwärtigen Natur
haben, und wie viel verliert er nicht von seiner Schönheit. Bishero
war sie eine lebendige Natur, die durch ihre eigenen Kräfte unendliche
Veränderungen herfürbrachte, jetzt ist sie ein Werk, welches nur Ver-
änderungen herfürzubringen scheint, in der That aber und dem Wesen
nach unverändert so liegen bleibt, wie es gebauet war, außer daß es
allmählich immer mehr und mehr abgenutzt wird. Zuvor war sie eine
Natur, die sich selbst destruierte und sich selbst von neuem wieder
schuf, um dadurch unendliche Veränderungen herfürzubringen, und
sich immer wieder auf einer neuen Seite zu zeigen. Jetzo ist sie eine
leblose Masse, von der ein Stück nach dem anderen herunterfällt, so
lange bis der Kram ein Ende hat. Eine solche elende Natur kann ich
nicht ausstehen, und die Samentierchen, in ihrer Hypothese betrachtet,
sind nicht ein Werk des unendlichen Philosophen, sondern sie sind das
Werk eines Leeuwenhoek's, eines Glasschleifers'' (1. c. p. 73).
Von so starkem Glauben durchdrungen, hat C. Fr. Wolff es
sich schon früh zur Lebensaufgabe gemacht, den Irrtum der Evolution
nachzuweisen und durch eine Theorie der Epigenesis zu ersetzen.
Es geschah in 4 Schriften (1759, 17(34, 1768, 1789), von welchen die
erste als Doktordissertation 1759, die letzte 30 Jahre später ver-
öffentlicht wurde. Die Dissertation „Theoria generationis" ist in
deutscher Uebersetzung in die von Ostwald herausgegebenen Klas-
siker der exakten Wissenschaften mit aufgenommen worden ; bedeu-
tender und interessanter ist jedenfalls die von Wolff selbst 1764 in
deutscher Sprache veröffentlichte „Theorie von der Generation"
in 2 Abhandlungen, weil er in der ersten derselben auf seine Stellung-
nahme den Theorieen der Evolution gegenüber sowie auf eine Reihe
allgemeiner Fragen und Einwürfe näher eingeht. Auf seine Erstlings-
arbeiten, welche die Theorie der Epigenesis schon fertig enthalten,
hat Wolff nach seiner Uebersiedelung als Akademiker nach Peters-
burg noch 1768 seine an ausgezeichneten Beobachtungen reiche Schrift
„De formatione intestinorum", in welcher er die empirische Grund-
lage für die Epigenesistheorie zu liefern sucht, und 1789 eine Ab-
handlung von der eigentümlichen und wesentlichen Kraft der vege-
tabilischen sowohl als auch der animalischen Substanz veröffentlicht.
Die Theorie der Epigenesis. 25
Die leitenden Gesichtspunkte zu seiner Theorie liat Wolff
offenbar durch das Studium der Pflanzen gewonnen. Er untersuchte
an ihnen die Stellen, wo neue Or.uane sich anlegen, junge Samen-
knospen. Vegetationskegel, Blattanlagen u. s. w. ; er findet, daß die
jüngsten Teile weich und flüssig sind und sich wie klebrichte Säfte
in Fäden ausziehen lassen ; daß sie ferner wie ein Tropfen Wasser
durchsichtig und klar, ohne jede Struktur seien, daß sie. durch Wein-
geist verdichtet, weiß würden und auch dann „dem besten Mikroskop
nichts als eine ebene und polierte Oberfläche zeigten" (1704, p. 18.'5,
134; 1789, p. 20). Da es nun eine wahre Unmöglichkeit sei, daß ein
flüssiger Körper zugleich organisch sein könne, hält er es für ,. geo-
metrisch bewiesen'', daß am Anfang alle neu sich bildenden Teile
nicht organisch seien. Die gleiche Ansicht äußert er für neu sich
bildende tierische Organe. „Das Gehirn beim Embryo sei so flüssig
wie Wasser."
In dem Flüssigkeitstropfen erl)lickt Wolff eine Absonderung
oder ein Sekret eines bereits vorhandenen Orgaues einer Pflanze
oder eines Tieres, ein Sekret, welches aus ihren Gefäßen und Saft-
bläschen nach außen hervorgetrieben werde, in ähnlicher Weise, wie
z. B. die yiüch aus der Milchdrüse. Das erste allgemeine Gesetz von
der natürlichen Formation organischer Körper lautet daher: „Ein
jeder organische Körper oder Teil eines solchen wird erst ohne
organische Struktur produziert."
Die weitere Entwickelung besteht dann darin, daß das zuerst
Unorganische organisch gemacht wird. Auch dieser Vorgang ist nach
C. Wolff's Theorie der Epigenese ein höchst einfacher. Einmal ver-
mehrt sich der ausgeschiedene Saft, indem immer neuer nachdrängt;
zweitens verändert er sich in seiner Beschaffenheit; denn je länger er
ausgeschieden ist, um so zäher, fester und solider Avird er. Drittens
aber bilden sich in der fester gewordenen Substanz durch den be-
ständig zufließenden neuen Saft, durch welchen sie zugleich ernährt
wird, besondere Gefäße aus als Wege für die Saftströmung: auch
lagert sich ein Teil des Saftes in Bläschen ab. Auf diese Weise er-
halten wir als zweites Gesetz (1704, p. 191) der Epigenese: das, was
erst als eine unorganische Ausscheidung produziert war, wird organisch
gemacht oder mit Organisation versehen, indem es Bläschen und Ge-
fäße erhält.
Um die hier kurz zusammengefaßten Ideengänge richtig zu ver-
stehen, muß man im Auge behalten, daß Wolff zumal von tierischer
Organisation und Struktur noch sehr primitive rohe ^'orstellungen
hat. Als Beweis diene folgender Satz (1704, p. 102): „Die Gefäße und
Bläschen macheu die innere Struktur eines Teiles aus ; sie machen
den Teil organisch, und ohne sie würde der Teil aufhören, organisch
zu sein. Nehmen Sie der Leber oder der Niere alle Gefäße weg, so
bleibet weiter nichts als ein Klumpen Materie übrig, die zwar die
Eigenschaften der tierischen Substanz halben kann, in der Sie aber
so wenig Organisation oder Struktur noch antreffen, als in einem
Klumpen Wachs." Ebenso hält er die niedersten Pflanzen und Tiere
(Polypen, Volvox, Proteus etc.) für nichts anderes als lebende oder
vegetierende Materie, nicht aber für organisierte Körper (1789, p. 39).
Die Entstehung eines tierischen Körpers denkt sich Wolff etwa
so: „Die verschiedenen Teile entstehen alle einer nach dem anderen;
sie entstehen alle so. daß immer einer von dem anderen entweder
26 Oscar Hertwig,
(an der Obertiäche) exceniiort oder deponiert (d. li. im Inneren abge-
schieden) wird." „Ein jeder Teil ist also allemal erstlich ein Etlekt
eines anderen vorhergelionden Teiles und wird alsdann wiederum die
Ursache anderer folgender Teile. Ein jeder Teil ist im Anfang, wenn
er excerniert oder deponiert wird, unorganisch, und er wird erst
organisiert, wenn er schon wieder andere Teile excerniert hat, und
diese Organisation eines Teiles geschiehet entweder durch Gefäße und
Bläschen, die in ihm formiert werden, oder durch zusammengesetzte
Teile, die innerhalb seiner Substanz deponiert werden. Jene Exkretion
des einen Teiles durch den anderen, die ich Vegetation genannt habe,
gehet auf solche Art eine Zeit lang fort, endlich aber hört sie auf,
und diejenigen Teile, welche alsdann zuletzt excerniert worden sind,
bleiben die letzten und excernieren keine anderen weiter."
Als den zuerst excernierten Teil des Embryo bezeichnet Wolff
das Rückgrat und den Kopf, der zuerst ganz unorganisiert ist; die
erste Grundlage des Tieres scheidet dann (beim Hühnchen) die Sub-
stanz zu den Flügeln und Füßen aus, die unter der Gestalt einer
Keule zum Vorschein kommt; von ihrem Rand werden wieder die
Zehen als kleine Hügelchen ausgeschieden ; gleichzeitig wird vom
Rückgrat nach innen eine Substanz deponiert, die ersten Züge der
Wirbel, in denen noch später wieder Knochensubstanz abgelagert
wird; ebenso werden in den Extremitäten die ditferenten Teile der-
selben, Muskeln, Knochen etc., abgelagert u. s. w.
Auf die Frage, woher das Rückgrat kommt, von welchem die
übrigen Organe ausgeschieden werden , giebt Wolff die Antwort
(1764, p. 221), daß es vom Ei excerniert worden, nachdem durch den
Einfluß des männlichen Samens in ihm die Vegetation wieder augeregt
worden sei. Denn die geschlechtliche Zeugung glaubt Wolff aus
demselben Prinzip erklären zu können. Die Bildung der Zeugungs-
stoffe läßt er auf einer Abnahme der Vegetationskraft beruhen. Es
werden in den Geschlechtsorgauen zwar noch Säfte abgeschieden, aber
sie werden nicht organisiert, da der Zufluß neuer Nahrungssäfte auf-
hört. Daher trennen sich auch die nicht weiter ernährten Zeugungs-
stoffe nach ihrer Sekretion vom Organismus ab. Damit nun im pflanz-
lichen Samen und im tierischen Ei die zum Stillstand gekommene
Vegetation wieder hergestellt werde, müssen ihnen von außen Nah-
rungssäfte zugeführt werden als Ersatz für den inneren Zufluß, der
ja aufgehört hat. Solchen Ersatz liefert der männliche Samen, welcher
als ein im höchsten Grade vollkommenes Nutriment bezeichnet wird.
Wolff definiert daher die Befruchtung als eine mit Hilfe des männ-
lichen Samens wieder hergestellte Vegetation, oder auch als eine von
außen geschehene Nutrition.
Daß sich im Laufe der Entwickelung verschiedenartige Organe
nacheinander bilden, erklärt Wolff durch die Annahme, daß in die
Säfte immer mehr ungleichartige Substanzen aufgenommen werden,
die dann an besonderen Stellen wieder zur Absonderung gelangen
(1789, p. 51). „Es sind gallenhafte Säfte in einer Vegetationsperiode,
welche die Leiter hervorbringen und bilden. Es sind in einer anderen
Periode wässerige, mit Salzteilen geschwängerte Säfte, welche die
Nieren produzieren." Wie in der organischen Substanz durch die
Bewegung der Säfte selbst die Gefäße und Bläschen entstehen, die
durch Erhärtung der Grenzschicht eigene Wandungen erhalten, so
entstehen an Orten, wo überflüssige, ungleichartige Säfte wieder ab-
Die Theorie der Epigenesis. 27
gesondert werden müssen , als eine neue Art von Gefäßen die
Absonderungskanäle; zugleich bilden sich dadurch auch besondere
Sekretionsbehältnisse, Gallenblase, Nierenbecken, Harnleiter, Harn-
blase.
Bei dem Versuch, eine Theorie der iiflanzlichen und tierischen
Entwickelung aufzustellen, geht Wolff auch auf die sich naturgemäß
aufdrängende Frage ein, welche Kräfte bei der Bildung eines Organismus
wirksam sind. Zum Zweck der Erklärung glaubt er „eine den Pflanzen
und Tieren eigentümliche und wesentliche Kraft" annehmen zu müssen.
Was ist Wolff's „Vis essentialis" '? Darüber hat er sich zwar
schon in seinen beiden ersten Schriften, am eingehendsten aber in
seiner nur hierüber handelnden Abhandlung aus dem Jahre T789 aus-
gesprochen.
Nach seiner Ansicht (1812, p. 125) ist die Bildung organischer Körper
im allgemeinen den bloßen Naturkräften überlassen, welche den vege-
tabilischen und tierischen Materien innewohnen ; eine Materie dieser
Art aber, die mit solcher Kraft versehen ist, wurde von Gott un-
mittelbar aus dem Nichts geschaffen ; sie ist von der Materie der un-
belel)ten Natur mit ihren Kräften verschieden, was Wolff durch die
Wahl des Namens „Vis essentialis'' zum Ausdruck gebracht hat.
Kräfte sind nur an ihren Wirkungen zu erkennen. So erkennt
man auch das Wesen der Vis essentialis an den Erscheinungen der
pflanzlichen und tierischen Nutrition und Vegetation, daher sie auch
als Vegetations- oder Nutritionskraft bezeichnet wird. Die Nutrition
aber beruht darauf, daß sowohl die festen als flüssigen vegetabilischen
und animalischen Substanzen die Eigenschaft haben, die ihnen gleichen
Teile anzuziehen, die ungleichen aber abzustoßen. Hierbei findet so-
wohl eine Anziehung statt zwischen den verschiedenen Teilen der
Säfte unter sich selbst, als auch zwischen festen und flüssigen Teilen,
insofern sie von gleichartiger Natur sind; umgekehrt stoßen sich ver-
schiedene flüssige Teile oder feste und flüssige Substanzen voneinander
ab, wenn sie ungleichartig sind. Wolff spricht daher auch den
Organismen die Fähigkeit, eine fremde Substanz in eine ihnen gleich-
artige Substanz umzuwandeln, entschieden ab und verwirft das
ihm ,,wunderlich" dünkende Wort Assimilation als eine unschickliche
Bezeichnung (1789, p. 45). Die Ernährung beruht für ihn nicht auf einer
Art Verwandlung von Stoffen, sondern auf Entwickelung einer schon
existierenden Substanz, dadurch daß die vegetabilischen und animalischen
Substanzen das ihnen Gleichartige anziehen. In diesem Sinne nimmt
Wolff auch eine Differentia specifica der besonderen anziehenden
und abstoßenden Kräfte an.
Um ein etwas komplizierteres Beispiel zur Erläuterung dieser
Ideengänge anzuführen, so stellt sich Wolff die Veränderungen in
der Leber in der Weise vor: „Wenn das Blut in der Pfortader lang-
samer fließt, äußert die Repulsion ihre Wirkung und fängt das galligte
Serum schon an, sich von dem nahrhaften Serum und den Blutkugeln
zu separieren. Und wo es nun an der Oeft'nung eines Gallenganges
vorbeikömmt, tritt es, repelliert vom Blut und angezogen von der
Oeftnung, augenblicklich und sehr zuverlässig in den Gallengang ein.
Die Blutmasse hingegen, von der sich das Galligte geschieden hat,
wenn sie an der Oeft'nung einer Wurzel der Hohlader vorbeigeht, tritt,
repelliert vom gallichten Serum und angezogen von der Hohlader,
sicher in diese hinein. Kommt sie an die Oeft'nung eines Gallenganges,
28 Oscar Hertwig,
so geht sie, repelliert von derselben und repelliert von der Galle, an
jener Oeffnung vorbei/'
Die in Anziehung gleichartiger und in Abstoßung ungleichartiger
Teile sich äußernde Nutritionskraft ist nur der vegetabilischen und
animalischen Substanz eigen und von der allgemeinen Anziehungs-
kraft, die alle Körper besitzen, verschieden; denn wäre das nicht der
Fall, so müßten diese ebenso wie die Pflanzen nutriert werden, sie
müßten wachsen und auf irgend eine Art ihr Geschlecht fortpflanzen.
Daher spricht sich Wolff auch gegen den Vergleich eines Organismus
mit einer Maschine aus. Denn wenn man auch aus irgend einer
Substanz ein Modell einer Pflanze, z. B. eines Trapogogon prat., mit
ihrer inneren Struktur genau nachbildet, so würden auch die eifrigsten
Verteidiger der mechanischen Medizin dem Modell die gleichen Ver-
richtungen wie dem natürlichen Trapogogon nicht zutrauen. Denn
es fehle seiner Substanz die „eigentümliche und wesentliche Kraft'',
die nur den organischen Substanzen innewohnt und welche für alle
Mechanik unerklärbar ist (1789, p. 70). Ohne sie könne alle Organi-
sation, auch mit den allgemeinen Kräften der Körper versehen, dennoch
nicht die geringste von den Verrichtungen hervorbringen, die wir bei
Tieren oder bei Pflanzen wahrnehmen und die, zusammengenommen,
ihr Leben ausmachen.
Wolff wendet sich daher auch gegen Versuche einer mechanischen
Erklärung des Lebensprozesses, giebt aber auf der anderen Seite auch
zu, daß sich überall, sobald Organisation stattfindet, auch Mechanismus
in die vegetabilischen Verrichtungen einschleiche, oder wie es an
anderer Stelle heißt, daß sich in wunderbarer Weise in die ersten
Wirkungen der wesentlichen Kräfte des tierischen Körpers mechanische
Ursachen und mechanische Kräfte einmischen und die Wirkungen
jener Kräfte modifizieren (1789, p. 40 u. 16). Die Vis essentialis ist
eine Grundkraft, welche nur dem Lebewesen zukommt, und von welcher
alle Wirkungen herrühren, die, zusammengenommen, das Leben eines
Dinges ausmachen, wie Digestion, Sanguifikation, Sekretion, Vege-
tation, Produktion und Bildung neuer Teile, Respiration, selbst die
Generation.
Die Vis essentialis vergleicht Wolff (1789, p. 42 u. 69) auch au
mehreren Stellen der. Kraft, deren Dasein Stahl sehr wohl erkannte,
die er aber mit Unrecht der Seele (anima) zuschrieb. Noch mehr
aber entspricht sie wohl dem, was man in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts unter „Lebenskraft" verstanden hat.
Ueber die wissenschaftliche Bedeutung von Wolff's Theorie der
Generation ein gerechtes Urteil zu fällen, ist nicht leicht. Auf der
einen Seite wird man anerkennen müssen, daß die 3 theoretischen
Schriften die Arbeit eines scharfsinnigen und logisch geschulten Natur-
forschers sind, daß er die schwachen Seiten der Einschachtelungs-
und Evolutionstheorie gleich Buffon u. a. richtig erkannte und auf
Grund von Beobachtungen bei Pflanzen und Tieren zu beweisen ver-
sucht hat. daß sich die Vorgänge bei der Entwickelung ganz anders
abspielen, als man es nach der Evolutionstheorie gewöhnlich voraus-
setzte ; auf der anderen Seite aber ist doch auch zu beachten, daß
die von Wolff an die Stelle der Präformation gesetzte neue Theorie
der Epigenesis zwar einfach und aus wenigen Grundannahmen an-
scheinend folgerichtig entwickelt, aber doch ebenfalls unrichtig ist.
Ganz verfehlt ist schon ihre Grundannahme, nach welcher die Pflanzen
Die Theorie der Epigenesis. 29
uud Tiere aus einem völlig unorganisierten Saft allein durch Wirkung
seiner Vis essentialis liervorgelicn sollen. Uel)erlegt man sich ge-
nauer, wie durch Anziehung gleichartiger und Abstoßung ungleich-
artiger Säfte aus einem wie Wasser Hüssigen Ausgangsmaterial ein
menschlicher Organismus, ein Gehirn, ein Auge, ein Ohr entstehen
soll, so heißt das doch der Vis essentialis Wirkungen zuschreiben,
die ebenso wie die Konse(iuenzen der Einschachtelungslehre an das
Wunderbare streifen. Was man später gegen den Begriff der Lebens-
kraft vorgebracht hat, das läßt sich alles ebenso auch von der eigen-
tümlichen und wesentlichen Kraft Wolff's sagen; sie hat mehr das
Wiesen einer Wunder- als einer Naturkraft.
Unsere heutigen Anschauungen über pflanzliche und tierische
Organisation und Ent Wickelung sind daher auch von denen Wolff's
grundverschieden. Daraus soll ihm kein Vorwurf gemacht, aber wohl
■gezeigt werden, daß nach dem damaligen Stande der Naturerkenntnis
in der Biologie, Physik und Chemie überhaupt die Elemente nicht
gegeben waren, auf denen sich eine rationelle Entwickelungslehre er-
richten ließ.
Wenn Wolff bei seinen Lebzeiten nicht seiner geistigen Be-
deutung und seinen Leistungen entsprechend gewürdigt wurde, so ist
man, wie mir scheint, in unseren Tagen in den entgegengesetzten
Fehler verfallen, man hat seiner Theorie der Generation eine Bedeutung
für die Wissenschaft zugeschrieben, die wieder über das gerechte Maß
hinausgeht.
So läßt sich das von Kirchhoff, dem Biographen Wolff's, ge-
fällte Urteil (1868): ,,Was Kant für die Philosophie, ist Wolff für
•die Physiologie : der kritische, d. h. der allein den Namen verdienende
Begründer", schon abgesehen von anderem allein aus dem Grunde
nicht aufrecht erhalten, weil Wolff's Schriften bekanntermaßen über-
haupt nur einen sehr geringen Einfluß auf den weiteren Entwickelungs-
gang der Wissenschaft ausgeübt haben. Ebenso ist es ein Mythus,
wenn, nach dem Vorgang von Huxley, Wolff mit der Entdeckung
der Zelleutheorie in einen, wenn auch entfernten Zusammenhang ge-
bracht wird. Denn die Vorstellung von organischen Elementarteilen,
weiche sich bei Buffon und Oken findet, ist der WoLFF'schen Ge-
dankenwelt ein fremdes Element. Nach ihr bestehen ja Pflanzen und
Tiere aus verschiedenen, mehr oder minder flüssigen und zum Teil
fest gewordenen Substanzen, in welchen durch Saftströmung Wege (die
Gefäße der Pflanzen und Tiere, die Drüsenkanäle etc.) und durch
vSaftablagerung kleine Vakuolen entstanden sind. Nur soweit dies
«ingetreten ist, schreibt Wolff den Teilen überhaupt eine Organisation
zu. Wo ist hier nur der geringste Anklang an eine Zellentheorie
zu finden?
Wenn Wolff's Theorie der Epigenesis sich aber auch in ihrer
allgemeinen Fassung als unrichtig erwiesen hat und für uns jetzt nur
noch ein historisches Interesse besitzt, in den unvergänglichen Besitz
der Wissenschaft ist eine große Anzahl seiner Beobachtungen über-
gegangen, und diese ül^ertreffen auf dem Gebiete der Embryologie an
Genauigkeit und wissenschaftlicher Bedeutung weit die Leistungen
eines Malpighi, Harvey uud Haller auf dem Gebiete der Ent-
wickelungsgeschichte. Sie sind hauptsächlich zusammengestellt in der
17()8 zuerst in lateinischer Sprache veröft'entlichten Abhandlung Wolff's
„Ueber die Bildung des Darmkanals im bebrüteten Hühnchen", von
30
Oscar Hertwig,
welcher C. E. von JUer nicht mit Unrecht sagt: „Es ist die größte
Meisterarbeit, die wir auf dein Fehle der beobachtenden Naturwissen-
schaften kennen." In ihr hat Wolff in der That den unerschütter-
hchen Beweis geliefert, daß im Ei des Hühnchens die späteren Organe
nicht als solclie in kleinerem Maßstabe vorhanden sind, sondern daß
sie sich erst allmählich l)ilden und daß insofern Entwickeln ng
auf Epi genese beruht. Er stellte zum ersten Male die wirkliche
Entwickelung des Darmes und Magens, des Nervenrohrs, der Umst-
und Bauchwand, des Nabels und des Amnion fest. Er zeigte, daß
das Bildungsmaterial für Magen und Darm anfangs eine flach ausge-
breitete Membran ist, welche er, seiner Neigung folgend, pflanzliche
und
tierische Formbildung
setzen, einem Pflanzenblatt verglich,
gründer der wichtigen
geheime
miteinander in
WcjLFF kann als der
Keimblätterlehre bezeichnet werden
Beziehungen
zu
erste Be-
Meisterhaft ist seine Beschreibung, wie aus dem Darmblatt eine
„Darmrinne" entsteht und wie schließlich die Räuder der Rinne nach
der Medianebene zusammenrücken und zu einem Rohr verwachsen ;
er nennt den Vorgang ganz richtig auch schon eine Zusammenfaltung
der Membran, wofür er an anderer Stelle (p. 173) auch das Wort Zu-
sammenschnürung gebraucht. Eine seine Darstellung erläuternde Ab-
bildung ist aus seinem Werk als Zinkographie (Fig. 4) hier reproduziert.
Fig. 4. Hühnerembryo, von unten be-
trachtet, nach K. Fe. Wolff (1768, T. XII,
Taf. VII, Fig. 5).
a Areola pellucida. h Kopfscheide, c Pars
embryonis supracardiaca. d Synciput. e Cor.
f Amnü veri primnm tentamen. g Vena ascen-
dens. h Vaginae capitis principiuni. i Lim-
bus orificii cardiaci. k Orificium cardiacum.
l, l Limbi abdominales, m, m Limbi interintesti-
nales, n Kudimenta vertebrarum. o Extremitas
Spinae dorsahs. ji Aperturae amnü primordium.
q Medulla spinalis. s Vasoruni vestigia. v In
volucri caudae prima adumbratio.
In ähnlicher Weise läßt Wolff das Nervenrohr entstehen, dessen
Entwickelung er derjenigen des Darmrohrs vergleicht. Nicht minder
treftlich ist seine Beschreibung der Nabelbildung und der Art und
Weise, wie sich die Seitenplatten des Unterleibes „in das Amnion"
umschlagen, und wie durch ihr Zusammenwachsen Brust- und Bauch-
wand zustande kommt, die anfangs nicht vorhanden ist, so daß das
Herz freiliegt.
Ahnend, daß die Zusammenfaltung von Membranen ein Vorgang
ist, der sich bei verschiedenen Organen wiederholt, thut Wolff den
bedeutungsvollen Ausspruch: „Es scheint, als würden zu verschiedenen
Zeiten und mehrere Male hintereinander nach einem und demselbeu
Typus verschiedene Systeme, aus welchen dann ein ganzes Tier zu-
sammengesetzt wird, gebildet, und als wären diese darum einander
ähnlich, wenn sie gleich ihrem Wesen nach einander verschieden sind.
Das System, welches zuerst erzeugt wird, zuerst eine bestimmte,
Die Theorie der Epigenesis. 31
eigentümliche Gestalt aniiimint, ist das Nervensystem. Ist dieses voll-
endet, so bildet sich die P'leischmasse, welche eigentlich den Embryo
ausmacht, nach demselben Tyi)iis, beinahe wie ein zweites, in Hinsicht
auf die äußere Gestalt dem ersten ähnliches Tier, durch Wiederholung
desselben Zeugungsaktes. Darauf erscheint ein drittes, das Gefäß-
system, das gewiß dem ersteren nicht so unähnlich ist, daß niclit die
als allen Systemen gemeinsam zukommend beschriebene Form in ihm
leicht erkannt würde. Auf dieses folgt das vierte, der Darmkanal,
der wieder nach demselben Typus gebildet wird und als ein voll-
endetes, in sich geschlossenes Ganze den drei ersten ähnlich erscheint'^
(1812, p. 148).
Mit gerechtem Stolz konnte Wolff von seiner Untersuchung sagen
(1812, p. 58): „Was ich hier darlege, ist der erste Versuch dieser
Art. Ich glaube, die erste Entstehung des Darmkanals dergestalt auf-
gefaßt zu haben, daß ich imstande bin, eine vollständige Darstellung
der Art und Weise zu liefern, wie er von seinem ersten Anfange an
sich bildet und sich allmäldich bis zu seiner gänzlichen Vollendung ent-
wickelt. Diese Theorie der Bildung des Darmkanals wird, wie ich
hoffe, erfahrenen Naturforschern desto angenehmer sein, da sie sich
beinahe ganz auf Beobachtungen oder wenigstens auf Schlüsse gründet,
die unmittelbar wie Folgesätze aus den Beobachtungen abgeleitet
werden." Im Gegensatz zu seinen beiden Erstlingsschriften ist Wolff
in dieser Untersuchung offenbar bemüht, alle Spekulation in den
Hintergrund treten und die Thatsachen für sich allein sprechen zu
lassen. Er will nur genau die Art und Weise beschieiben, wie Brust,
Unterleib und Becken, Magen und Darm gebildet werden; „die Ur-
sachen aber, welche dies bewirken", bemerkt er selbst an einer Stelle,
„haben wir nicht gesehen, und von diesen ist in dieser Abhandlung
auch nicht die Red'e" (1812, p. 221)).
Von seinen Zeitgenossen wurde auch diese Schrift Wolff's wenig
beachtet; erst nach seinem Tode wurde sie am Anfang des folgen-
den Jahrhunderts durch Meckel, der eine deutsche Uebersetzung
von ihr veranstaltete, der Vergessenheit entrissen.
Ein ungleich größerer Erfolg in der Bekämpfung der Evolutions-
theorie hat 30 Jahre nach dem Erscheinen von Wolff's Theoria
generationis Blumenbach (1791) gehabt mit seiner 1789 heraus-
gegebenen kleinen Broschüre „Ueber den Bilduugstrieb". In witzigem
und gefälligem Stil geschrieben, erlebte sie, obwohl sie an Tiefe und
Reichtum der Gedanken hinter Wolff's Schriften weit zurücksteht,
nach 2 Jahren eine neue Auflage, und Okex bezeichnete Blumen-
bach als den Forscher, der allen Evolutionen den ersten wahrhaft
tödlichen Streich beigebracht habe, nach dem sie sicher nicht mehr
aufleben werden außer in der Geschichte.
Ursprünglich selber ein Anhänger der HALLER'schen Evolutions-
theorie, wurde Blumenbach später ihr entschiedener Gegner, haupt-
sächlich bekehrt durch Experimente über Regeneration des Süßwasser-
polypen. Mehr als durch Gründe erschütterte er die Einschachtelungs-
lehre durch scharfen Witz und Ironie. Nach der Meinung eines Genfer
Naturforschers, erzählt er, seien alle Menschen in der Welt von gleichem
Alter, der Großvater nicht um einen Tag älter als sein neugeborener
Enkel; mit Kain und Abel und 200000 Millionen der übrigen Menschen
hätten wir 6000 Jahre zusammengesteckt, und hätten, doch nicht ganz
ohne Bewegung, brach dagelegen ; Avir seien nach und nach sachte
32 Oscar IIertwig,
gewachsen; wir konnten uns nänilich bei Kains Schwester schon ein
bischen mehr ausdehnen, als bei ihrer Mutter, wo sie selbst nebst
ihren Geschwistern noch bei uns lag und uns den Raum beengte;
und so kriegten wir mit jeder neuen Entwickelung eines unserer Vor-
fahren ein geräumiger Logis, und das that uns wohl, da streckten wir
uns immer mehr und mehr, bis endlich die Reihe der Entwickelung
auch an uns kam" (1711), p. r)S).
Den Einfall Swammerdam's und Spallanzani's, daß das schwarze
Fleckchen im Froschlaich schon die Kaulquappe sei, fertigt er ab als
„die glücklichste Anwendung von der Logik des Bruder Peter im
Märchen von der Tonne, der auch seinen P)rüdern das hausbackene
Brot für einen ex(iuisiten Hammelbraten vor demonstrieren wollte".
Gegen die Würde der Samentierchen aber wird als Argument geltend
gemacht (p. 19), daß es kaum eine größere Unähnlichkeit gäbe, als
zwischen den Samentierchen des Frosches und des Wassersalamanders,
während „die Aehnlichkeit zwischen zwei Wassertropfen nicht ähnlicher
sein kann , als zwischen den Samentierchen des Menschen und des
Esels" in den Kupfern des Herrn von Gleichen.
An die Stelle der Evolution setzt denn Blumenbach gleichfalls
die Epigenese. Darunter versteht er die allmähliche Entstehung eines
Organismus „aus dem zwar reifen, übrigens aber rohen, ungeformten
Zeugungsstoff der Eltern". Damit das Werk zustande kommt, nimmt
Blumenbach eine besondere, dem Zeugungsstoff innewohnende, bil-
dende Kraft an, die von ihm Bildungstrieb oder Nisus formativus
genannt wird, und welche bewirkt, daß der Stoff anfangs eine bestimmte
Gestalt annimmt, dann lebenslang erhält, und wenn sie ja etwa ver-
stümmelt worden ist, womöglich wieder herstellt. Er rechnet sie
in die Reihe der Lebenskräfte (Kontraktilität, Irritabilität, Sensibilität
etc.), von welchen sie aber, wie überhaupt auch von den allgemeinen
physischen Kräften des Körpers, verschieden sei. Wenn der Bildungs-
trieb eine völlig widernatürliche Richtung befolgt, entstehen Miß-
geburten. Wolff's Vis essentialis und seinen Nisus formativus hält
Blumenbach für verschiedene Lebenskräfte. —
Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts ist die Herrschaft der Evo-
lutionstheorie, welche in ihren Konsequenzen zur Einschachtelungs-
lehre geführt hatte, vorüber und an ihre Stelle die Epigenesis als die
führende Hypothese getreten. Eine neue Periode beginnt für die Ent-
wickelungslehre, welche bis in unsere Jahre reicht, eine Periode, reich
an Arbeit, reich an Ergebnissen. Ehe wir zu ihi'er Darstellung über-
gehen, werfen wir noch auf den eben betrachteten ^JOO-jährigen
Zeitraum und auf den eigentümlichen Verlauf des in ihm sich ab-
spielenden wichtigen Erkenntnisprozesses einen zusammenfassenden
Rückblick.
Die Frage, was ist Zeugung, was ist Entwickelung eines Organis-
mus, beschäftigt auf das lebhafteste tiefer denkende Forscher, um
so lebhafter vielleicht, je schwieriger es war, mit den unzureichenden
Forschuugsmitteln der früheren Zeit in das Mysterium einzudringen.
Durch geschickte Experimente und Beobachtungen gelingt es Redi,
SwAMMERDAM, Malpighi uud anderen zu zeigen, daß zahlreiche Tieie,
von denen der Laienverstand annahm, sie entständen durch Urzeugung
aus faulenden Substanzen, sich aus Eiern durch Elternzeugung ent-
wickeln. Ein großer Fortschritt der Naturerkenntnis wurde so in dem
•Satz „Omne vivum ex ovo" (Harvey) festgelegt. Ein Meister in der
Zusammenfassender Rückblick. 33
Zergliederungslainst, Swammerdam, drang erfolgreich in den Bau der
Eier, der Raupen und Puppen hei den Insekten ein und zog aus
seinen Beobachtungen den Schhiß, daß dieselben Organe, wie in der
Imago, auch schon in der Puppe, in der Raupe und im Ei voidianden
seien, daß demnach Raupe, Puppe und Imago nicht verschiedene Arten
von Geschöpfen, die durch eine Art A^erwandlung auseinander ent-
stehen, sondern nur verschiedene Entwickelungsstadien ein und der-
selben Tierart seien. Er wie Malpighi lieferten so das Thatsachen-
material für die Evolutionstheorie, von welcher daher die alten Forscher
wohl sagen konnten, sie sei aus der Beobachtung der Natur selbst
abstrahiert.
Doch in diesen vermeintlichen Thatsachen lag eine große Schwierig-
keit, wenn man die Frage aufwarf, woher stammt das kleine Geschöpf
im Ei? Hiermit war der Anstoß zur Einschachtelungstheorie gegeben;
denn wenn der werdende Organismus en miniature im Ei schon
im Eierstock der Mutter vorhanden ist, was lag näher als der Schluß,
<laß die Mutter, welche doch auch aus einem Ei sich entwickelt hat,
ebenfalls schon im Eierstock der Großmutter vorhanden war, und so
fort in endlosem Prozeß? Der Philosoph Malebraxche zog diese
Konsequenz, auf die Relativität des Begriffes ,.Größe" und auf die
unendliche Teilbarkeit der Materie hinweisend.
Eine neue Schwierigkeit entstand mit der Entdeckung der Samen-
fäden durch Leeuwenhoek, da sich jetzt recht gut die Ansicht ver-
teidigen ließ, daß eher als das Ei der Samenfaden das präformierte
Geschöpf sei; sie schien durch die Entdeckung der Parthenogenese
vorübergehend beseitigt. Doch auch so blieben der Schwierigkeiten
noch viele bestehen, mit welchen wir ernsthafte Forscher, wie Bonnet,
Haller u. a., sich abmühen sehen, die Schwierigkeit, daß vom Vater
Eigenschaften auf das Ei übertragen werden, die Thatsache der Bastard-
zeugung, die von Bonnet und Haller wohl bemerkte Thatsache, daß
eml)rvonale Organe eine vielfach andere Beschaffenheit, als im fertigen
Zustand haben, die Thatsache der Regeneration, alles Schwierigkeiten,
welche man durch Hilfshypothesen zu heben versuchte. Doch alle
diese Anstrengungen , zu einer richtigeren Auffassung des Keim-
begriffes auf dem einmal eingeschlagenen Wege zu gelangen, blieben
vergeblich. Die Vorstellung, welche wir mit dem Begriff „Anlage-
substanz" jetzt verbinden, war bei der damaligen Einsicht in die
Struktur der Organismen, und bei der Unkenntnis der Thatsachen,
aus denen wir erst diesen Begriff entwickelt haben, wohl noch nicht
an der Zeit.
Daß ein Weg der Erkenntnis, der in seinen Konsequenzen in
dunkele Finsternis führt, wie selbst Haller einräumt, Zweifel an
seiner Richtigkeit wachrufen muß, ist verständlich : daher denn zu ver-
schiedenen Zeiten neue Anstrengungen gemacht wurden, das Rätsel
der Zeugung und Entwickelung in anderer Weise zu lösen. Der
Präformation in ihren verschiedenen Formen werden Theorieen der
Epigenese in manchen Variationen gegenübergestellt. Buffon kommt
auf die Idee einer Zusammensetzung des Organismus aus kleineren
Elementarorganismen, die wieder aus lebenden organischen Molekülen
bestehen. Er betrachtet sie als eine unzerstörbare Bildungsmaterie
für Pflanzen und Tiere, die in der ganzen Natur zerstreut ist, und
welche als Nahrung von Pflanzen und Tieren aufgenommen, sowohl
Handbuch der Entwickelungslehre. 3
34 Oscar Hertwig,
zu ihrem Wachstum dient, als auch in ihnen wieder wie in einem Modell
zu neuen Individuen derselben Art vereinigt wird.
Während IJuffon, mehr Schriftsteller als Forscher, sich bei seinen
kühnen Hypothesen ohne thatsächliclie Unterlage beruhigt, wird durch
den ihn quälenden Zweifel Casp. Friede. Wolff als echte Forscher-
natur angeregt, sich in die Eutwickelung des Hühnchens zu vertiefen
mit derselben ausdauernden Entsagung, wie vor ihm Swammerdam.
Durch Thatsachen beweist er, daß im Hühnerei die Organe nicht wie
es die Evolutionisten annahmen, präformiert sind, sondern sich all-
mählich bilden ; er legt so die ersten festen Fundamente für eine
rationelle Entwickelungsgescliichte der einzelnen Organe und giebt den
Anstoß zur Keimblättertlieorie. Aber ebenfalls mit den Unzulänglich-
keiten der Beobachtungsmittel kämpfend, verfällt er bei der Frage
nach der ersten Entstehung eines Organismus in den entgegengesetzten
Fehler wie die Evolutionisten. W^ährend diese eine Organisation des
Keimes annahmen, welche zwar in der von ihnen gelehrten W^eise
falsch, aber in anderer W^eise doch wirklich vorhanden ist, leugnet
Wolff eine solche überhaupt ganz und gerät mit seiner Lehre einer
Epigenese aus einem rohen Zeugungsstoff, einem wie Wasser flüssigen
Saft, auf einen der Einschachtelungslehre entgegengesetzten Abweg.
So wird er genötigt, seine Vis essentialis das Wunderwerk verrichten
zu lassen , welches die Evolutionisten der Weisheit und Allmacht
eines Schöpfers glaubten anvertrauen zu müssen. Auch die Epi-
genesisten konnten nicht die richtige Vorstellung finden, was Anlage
eines Organismus und was Eutwickelung ist.
In eigentümlicher Mischung sehen wir so Irrtum und W^ahrheit
in den Vorstellungen der Evolutionisten und der Anhänger der
Epigenesis verteilt. Die Evolutionisten hatten vollkommen recht,
wenn sie eine Organisation des Lebenssubstrates auch im Eizustand be-
haupteten und lehrten, daß schon im Eierstock der zukünftige Orga-
nismus als Ei auf seine w^eitere Eutwickelung harre. Noch heute
können wir mit Bonnet sagen : „Können wir nicht einmal die Bildung
einer einfachen Fiber mechanisch erklären, so daß die Vernunft nichts
dagegen einzuwenden hätte, wie wollen wir denn auf gleiche Art die
Reproduktion so zusammengesetzter Organe, als die meisten Insekten
haben, erklären? Nach welcher Mechanik soll sich wohl ein Zahn,
ein Fuß, ein Auge u. s. w. bilden? „Und in Bezug auf eine Ent-
stehung aus rohem Bildungsstoff muß auch heute unser Ausspruch
lauten: Nulla est epigenesis."
Wie die Ovisten mit ihrem Ausspruch, daß das Ei der Organis-
mus sei, so hatten nicht minder auch die Animalculisten recht, wenn
sie dasselbe vom Samenfaden behaupteten. Die mangelnde Einsicht
liegt in gewissem Sinne auf Blumenbach's Seite, sowohl wo er die
Evolutionisten mit dem Peter in der Tonne vergleicht, als wo er von
der Lehre über die Samenfäden spricht: „Noch weit unbegreiflicher
ist es, wie andere Männer die in einem stagnierenden tierischen Safte
zu erwartenden Würmchen zu beseelten Keimen künftiger Menschen
und Tiere haben hinaufwttrdigen und erheben dürfen", und wo er
„Zweifel äußert, die sich gegen eine so seltsame Behauptung empören".
Dagegen fällt in dem Streite die Palme des Siegers wieder den
Anhängern der Epigenesislehre zu, sowohl wenn Wolff und Blumen-
bach das erkünstelte Wunderwerk der Einschachtelungshypothese
kritisieren, als namentlich auch wenn Wolff durch Thatsachen be-
Vergleichende Methode der Embryologie. 35
weist, daß die einzelnen Organe des ausgebildeten Geschöpfes nicht
als solche im Ei vorhanden sind, und sich an die Arbeit macht, um
zu zeigen, wie sie sich bilden.
So kommt die Wahrheit im Widerspruch der Meinungen erst
allmählich und auf Umwegen zur Erscheinung, in demselben Maße,
als durch gehäufte Beobachtungen und durch Verbesserung der
Methoden das Thatsachenmaterial zunimmt.
II. Die Entwickelungslehre im 19. Jahrhundert.
Mehr als jemals zuvor ist das Studium der Entwickelungslehre
im 19. Jahrhundert durch zahlreiche Untersuchungen und durch bahn-
brechende Entdeckungen gefördert worden. Hierbei machen sich zwei
Forschungsrichtungen geltend, die wir als morphologische und als
physiologische getrennt besprechen wollen, da ihre Methoden und
Aufgaben verschiedene sind.
I. Die morphologische Richtung.
Zur besseren Uebersichtlichkeit wird es dienen, wenn wir zwei
Perioden unterscheiden, von denen die erste bis zur Begründung der
Zelleutheorie, die zweite bis zur Gegenwart reicht.
a) Die erste Periode.
Die morphologische Richtung der Entwickelungslehre verdankt
ihren raschen Aufschwung ain Anfang unseres Jahrhunderts zum großen
Teil der vergleichenden Methode. Je mehr die Einzelkenntnisse
sich durch Untersuchungen von Tieren aus den verschiedensten Stämmen
und Klassen ins Unendliche erweiterten, um so mehr erwachte auch
bei Zoologen und Anatomen die Erkenntnis, daß die Wissenschaft sich
nicht auf die Beschreibung des einzelnen Naturobjekts beschränken
dürfe, sondern durch den Vergleich der Lebewesen und ihrer Orgaue
zur Aufstellung allgemeiner Gesetze der Formbildung und der Ent-
wickelung der Lebewelt vordringen müsse. Auf diesem Wege trat am
Ende des vorigen und am Anfang des 19. Jahrhunderts eine grund-
legende Reform des tierischen Systems durch die Ausbildung der
Typenlehre ein, um welche sich hauptsächlich Cuvier und C. E. von
Baer verdient gemacht haben ; es entstand als ein sehr verheißungs-
voller Wissenszweig die vergleichende Anatomie, die in Frankreich
durch ViCQ. d'Azyr, G. St.-Hilaire und namentlich wieder durch
CuviER, den man auch den Vater der vergleichenden Anatomie ge-
nannt hat, in Deutschland aber durch Oken und J. Fr. Meckel,
den „deutschen Cuvier", gefördert wurde.
Die Methode, die in Zoologie und Anatomie sich als fruchtbringend
erwiesen hatte, wurde es nicht minder auch auf dem Gebiete der Ent-
wickelungslehre; man verglich die Embryonen der verschiedenen Tiere
und ihre Organe sowohl untereinander als auch mit den vollendeten
niederen und höheren Formen des tierischen Systems. So brach sich
36 Oscar Hertwig,
neben der rein beschreibenden eine mehr philosophische Betrachtungs-
weise der Tierwelt Bahn, hie und da in einer etwas tumultuarischen
Weise, was sich namentlich von der naturphilosophischen Schule, die
durch Oken in Deutschland begründet wurde, sagen läßt. Allgemeine
Gesetze wurden aufgestellt, viele zwar unreif und übereilt, aber trotz-
dem nicht ohne Förderung für die weitere Entwickelung der Wissen-
schaft, weil durch sie doch in das Chaos eines sich anhäufenden, zu-
sammenhangslosen Wissensmaterials leitende und die Einzelheiten
zusammenfassende Ideen eingeführt wurden. Unter diesen verdanken
wir der Naturphilosophie auch die Einführung des Descendenzprinzips
in die morphologische Forschung, des Prinzips, daß von den zahl-
reichen Ptianzen- und Tierarten die höheren aus den niederen Formen
im Laufe der Erdentwickelung allmählich entstanden sind.
Der fruchtl)ringende Gedanke wurde in vortrefflicher Weise von
dem großen Lamarck in seiner „Philosophie zoologique" durchzu-
führen und zu begründen versucht. Auch gewann er bald eine
mächtige Stütze in der vergleichenden E m b r 3^ o 1 o g i e.
Schon mehreren Forschern (Kielmeyer, Oken, Tiedemann,
Carus, Blainville) war es aufgefallen, daß die Embryonen der
höheren Tiere eine große Aehnlichkeit und Uebereinstimmung in ihrem
Bau mit den bleibenden Formen der niederen Tiere besitzen. Besonders
aber hat sich J. Fr. Meckel am Anfang unseres Jahrhunderts be-
müht, ,,die Parallele zwischen der Entwickelung des Embryo der
höheren Tiere und der Tierreihe", also einen Kreis von Vorstellungen,
weichen Haeckel unter dem Namen des biogenetischen Grund-
gesetzes, zusammengefaßt hat, in verschiedenen Schriften eingehender
zu begründen.
In seinem System der vergleichenden Anatomie stellt Meckel
den Grundsatz auf und sucht ihn gegen Einwürfe zu verteidigen
(1821, Bd. I, p. 396), daß die Entwickelung des einzelnen Organismus
nach denselben Gesetzen als -die der ganzen Tierreihe geschehe, daß
also das höhere Tier in seiner Entwickelung dem Wesentlichen nach
die unter ihm stehenden, bleibenden Stufen durchläuft, wodurch die
periodischen und Klassenverschiedenheiten aufeinander zurückgeführt
werden. So entspreche offenbar der Embryo eines mit Gliedmaßen
versehenen Tieres, solange er ohne Gliedmaßen ist, in Bezug auf
diesen Teil seines Baues denen, welche derselben beständig entbehren;
der Embryo des warmblütigen Tieres, solange seine beiden Herz-
kammern vereinigt sind, dem kaltblütigen durch diesen Umstand u. s. w.
So lange ein gewisses Organ eine gewisse, einer niedrigeren Klasse
bleibend zukommende Form hat, gehöre offenbar der Embryo des
höheren Tieres in Bezug auf dieses Organ dieser niedrigeren Klasse
an (1. c. p. 412).
In Bezug auf den Menschen aber heißt es, „ob der menschliche
Embryo alle oder nur einige Bildungsstufen durchlaufe, sei völlig
gleichgiltig, sobald sich nur aus sicheren Thatsachen ergebe, daß er
deren mehrere und daß er sie immer durchlaufe, daß also jene Aehn-
lichkeiten nicht zufällige seien" (1. c. p. 411).
Ferner erl)lickt Meckel einen Beweis für die Richtigkeit der von
ihm aufgestellten Parallele noch in dem Umstände, „daß der Embryo
der höheren Tiere die verschiedenen Stufen in derselben Ordnung
durchläuft als sie in der Tierreihe aufwärts steigen, so daß seine
früheren Formen den niedrigeren, die späteren den höheren der unter
Meckel's Lehre. 37
seiner Art stehenden Organismen entsprechen" (1. c. p. 41 ö). ..Dieses
riesetz gelte in der That ohne Ausnahme für alle Organe und beweise,
dalJ man nicht bloß von Entwickelungsstufen, Formveränderungen
ü b e r h a u p t , sondern von einer, der E n t w i c k e 1 u n g in der
T i e r r e i h e parallel laufenden E n t w i c k e 1 u n g der ein-
zelnen 0 r g a n i s m e n r e d e n m ü s s e" (1, c. p. 41 0).
Die Mannigfaltigkeit in den Erscheinungen der Organismenwelt
sucht Meckel teils auf innere, in der Natur der Organismen be-
gründete, teils auf äußere Ursachen, welche als Einflüsse auf sie
wirken, zurückzuführen.
Auch zur Erklärung der Mißbildungen wurde das neuentdeckte
(resetz herangezogen. In den meisten derselben sah Meckel die
Folge eines Stillstandes der Entwickelung auf einer früheren Bildungs-
stufe, daher er denn auch für sie den Namen Hemmungsmißbil-
dung einführte.
Es liegt auf der H a n tl , daß der e m b r y o 1 o g i s c h e n
Forschung durch diese Lehre neue und feste Ziele klar
A' 0 r g e z e i c h n e t waren; galt es doch nun in der E n t w^ i c k e-
1 u n g jedes einzelnen Tieres die niederen und höheren
Stufen der Entwickelung genau zu untersuchen, die
eine von der anderen abzuleiten und sie mit den nie-
deren und höheren F o r m z u s t ä n d e n zu vergleichen,
welche uns das Tierreich darbietet und Gegenstand
der V e r g 1 e i c h e n d - a n a 1 0 m i s c h e n Forschung sind. E n t -
w^ i c k e 1 u n g s g e s c h i c h t e und vergleichende Anatomie
haben fortan ihren Bund geschlossen, welcher für den
Fortschritt der Wissenschaft so überaus förderlich
geworden ist.
Die Lehre von der Parallele zwischen der „individuellen Meta-
morphose'' und „der Metamorphose des Tierreiches" (C. E. v. Baer,
1828, p. 201) war am Anfang unseres Jahi'hunderts unter Anatomen
und Physiologen weit verbreitet. Als Gewährsmann hierfüi- sei C. E.
V. Baer citiert (1828, p. 199). „Wenige Darstellungen von Verhält-
nissen in der organischen Welt" erzählt er, „haben so viel Beifall
gefunden, als die, daß die höheren Tierformen in den einzelnen Stufen
der Entwickelung des Individuums vom ersten Entstehen an bis zur
erlangten Ausbildung den bleibenden Formen in der Tierreihe ent-
sprechen, und daß die Entwickelung der einzelnen Tiere nach denselben
Gesetzen, wie die der ganzen Tierreihe, erfolge, das höher organisierte
Tier also in seiner individuellen Ausbildung dem Wesentlichen nach
die unter ihm stehenden, bleibenden Stufen durchläuft, so daß die
periodischen Verschiedenheiten des Individuums sich auf die Ver-
schiedenheiten der bleibenden Tierformen zurückführen lassen." Diese
Idee, lebendig geworden zu einer Zeit, w^o außer von Malpighi und
WoLFF noch keine zusammenhängenden Untersuchugen über die
früheren Perioden der Entwickelungsgeschichte irgend eines Tieres
angestellt waren, und vorzüglich durchgeführt von einem Manne, der
über die Entwickelungsgeschichte der höheren Organismen wohl die
meisten Kenntnisse besaß (Meckel), konnte nicht umhin, große Teil-
nahme zu erregen, da sie von einer Menge specieller Beweise unter-
stützt wurde. Sie gewann noch mehr Gewicht, da sie sich fruchtbar
erwies, indem eine Reihe Mißbildungen verständlich wurde, wenn man
sie als Folge eines partiellen Stehenbleibens der Entwickelung auf
38 Oscar Hertwig,
frülicren Bildungsstufen betrachtete. — Kein Wunder also, daß sie
mit Wärme aufgenommen und schärfer durchgeführt wurde."
Welch reges Interesse zumal in Deutschland embryologischen
Untersuchungen entgegengebracht wurde, ist aus zahlreichen Aus-
sprüchen zu ersehen, welche sich aus der Litteratur der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts leicht zusammenstellen lassen. „Mit Verwunderung
sahen wir uns", erklärt Pander(1817, p. 29) in Bezug auf entwickelungs-
geschichtliche Forschungen, „auf den fremden Boden einer neuen Welt
versetzt." „Die Entwickelungsgeschichte ist der wahre Lichtträger für
Untersuchungen über organische Körper", heißt es in dem viel citierten
Ausspruch von C. E. von Baer (1828, p. 231). „Bei jedem Schritte
findet sie ihre Anwendung, und alle Vorstellungen, welche wir von
den gegenseitigen Verhältnissen der organischen Körper haben, werden
den Einfluß unserer Kenntnis der Entwickelungsgeschichte erfahren."
„Die Entwickelungsgeschichte giebt dem Philosophen, bemerkt in
ähnlicher Weise Huschke (1832, p. 1), „den Stoff zur Ausführung
eines festen Gebäudes des organischen Lebens. Man sollte jedes
Organ, jeden Stoff und auch jede Thätigkeit nur immer mit der Frage
untersuchen, wie sind sie entstanden." Seine „anatomisch-philosophischen
Untersuchungen etc." beginnt Rathke mit einem Lob der Entwickelungs-
geschichte. „Um die Gesetze, welche der tierischen Schöpfung zu
Grunde liegen, zu erforschen, müsse man nicht nur die völlig ausge-
bildeten Tiere ins Auge fassen, sondern seine Aufmerksamkeit auch
den in Bildung begriffenen zuwenden. Denn hier sehe man ein Organ
sich von einem einfachen allmählich in ein zusammengesetztes um-
wandeln. Auch müssen ja begreiflicherweise sich an dem, was noch
in der Bildung begriffen ist, die Bildungsgesetze leichter erkennen
lassen, als an dem, was schon fertig dasteht."
Endlich sei auch noch aus der Untersuchung über die Visceral-
bogen der Wirbeltiere etc. der Ausspruch von Reichert (1837) an-
geführt: „Die Entwickelungsgeschichte ist es, welche, wie mein großer
Lehrer (Joh. Müller) sagte, das Richteramt über die komparative
Anatomie zu führen hat."
Dank diesem lebendig gewordenen Interesse für das Studium der
Entwickelungsgeschichte erschien in den ersten Decennien des 19, Jahr-
hunderts eine Reihe höchst bedeutsamer Untersuchungen, unter denen
an erster Stelle die Arbeiten von Pander und C. E. von Baer zu
nennen sind. Beide Forscher, Deutschrussen von Geburt und eng
miteinander befreundet, wandten sich nach Würzburg, um sich von
DÖLLiNGER in das Studium der Biologie tiefer einführen zu lassen,
und wurden durch seinen Rat und Einfluß dazu bestimmt, die Ent-
wickelungsgeschichte des Hühnchens von neuem eingehend zu be-
arbeiten. So entstand in Würzburg, wie C. E. von Baer (1828, p. V)
uns selbst erzählt, „jene für die Naturwissenschaft ewig denkwürdige
Verbindung, in weicher ein in physiologischen Forschungen ergrauter
Veteran (Döllinger), ein von Eifer für die Wissenschaft glühender
Jüngling (Pander) und ein unvergleichlicher Künstler (Dalton) sich
verbanden, um durch vereinte Kräfte eine feste Grundlage für die
Entwickelungsgeschichte des tierischen Organismus zu gewinnen".
C. E. von Baer selbst war durch äußere Verhältnisse zunächst
verhindert, sich an den Untersuchungen zu beteiligen, doch folgte er
der Arbeit seines Jugendfreundes Pander mit solchem Interesse,
Schriften von Pander und C. E. vox Babr. 39
daß er dadurch dem Stiidiuiu der Entwickeluugsgeschichte für immer
gewonnen wurde.
Pander veröffentlichte seine Untersuchungen, die seit Caspar
Friedrich Wolff's Schrift wieder die erste bedeutende Leistung
auf dem betreffendeu Gebiete sind, 1817 als Doktordissertation in
lateinischer und gleich darauf auch in deutscher Sprache unter dem
Titel: „Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Hühnchens im Ei".
Koch in klarerer Weise, als es schon durch C. F. Wolff geschehen
war, legte er in ihnen die Grundlage für die Keimblättertheorie. Es
gelang ihm, die Keimhaut des 12 Stunden bebrüteten Eies nach
Maceration in Wasser in 2 Schichten zu trennen, welche er als seröses
Blatt und als Schleimblatt unterschied, und zwischen denen er später
noch eine dritte Schicht, das Gefäßblatt, sich anlegen ließ. „Mit der
Bildung der Keimhaut", bemerkt Pander (1817, p. 6), „ist zugleich
die ganze Entwickelung des Hühnchens im Ei begründet, welche von
nun an, rastlos fortschreitend, nur auf diese sich bezieht; denn was
auch immer Merkwürdiges in der Folge sich zutragen mag, so ist es
nie für etwas anderes als eine Metamorphose dieser mit unerschöpf-
licher Fülle des Bildungstriebes begabten Membran und ihrer Blätter
anzusehen." Er suchte festzustellen, wie sich aus den einzelnen
Blättern die späteren Organe hervorbilden, und erkannte als erster
dabei klar die so wichtige Rolle, welche fast überall bei der Organo-
genese das Prinzip der Faltenbildung, Ausstülpung und Abschnürung
spielt. Die hierauf bezüglichen Sätze sind so meisterhaft abgefaßt,
daß sie wohl im Wortlaut hier wiedergegeben zu werden verdienen
(1817, p. 6):
„Die Keimhaut selbst bildet allein durch den einfachen Mechanis-
mus des Faltens den Leib und die Eingeweide des Tieres. Ein zarter
Faden setzt sich als Rückenmark an ihr an, und kaum ist dieses ge-
schehen, so schlägt sie die ersten Falten, welche selbst dem Rücken-
mark den Sitz anweisen mußten, als Hülle über das kostbare Fädchen,
auf diese Weise die erste Grundlage des Leibes bildend. Hiernach
geht sie in neue Falten über, welche im Gegensatz zu den ersten
die Bauch- und Brusthöhle mit Inhalt gestalten. Und zum dritten Male
sendet sie Falten aus, um den aus ihr und durch sie gebildeten Foetus
in passende Hüllen einzuwickeln. Daher es denn niemand befremden
mag, wenn im Verlaufe unserer Erzählung so viel von Falten und
Umschlägen die Rede ist."
Pander hat die in so rühmlicher Weise begonnenen embiyologischeu
Untersuchungen später selbst nicht weiter fortgeführt, dagegen war
jetzt C. E. VON Baer, der Pander's Forschungen mit veranlaßt und
verfolgt hatte, mit so großem Interesse für die Entwickelungsgeschichte
erfüllt w'orden, daß er fortan ihr Studium zur Hauptaufgabe seines
Lebens machte. 1819 ging er in Königsberg an die ersten eigenen
Beobachtungen, die zunächst nur auf ein Verständnis von Pander's
Untersuchungen gerichtet waren (1828, p. VI); mit unermüdlicher Aus-
dauer setzte er sie jahrelang fort, hauptsächlich von der Idee geleitet,
„welche gleich einem leuchtenden Strahle durch seine Seele schoß,
wie der Typus im Baue der Wirbeltiere sich allmählich im Embryo
ausbildet" (1. c. p. VII). Erst im Jahre 1828 begann er den ersten
Teil seiner Untersuchungen zu veröffentlichen unter dem Titel: Ueber
Entwickelungsgeschichte der Tiere, Beobachtung und Reflexion. Der
zweite Teil, auch noch nicht ganz vollendet, erschien sogar erst 1837.
40 Oscar Hertwig,
Beide Teile l)il(leii nicht nur das Hauptwerk der wissenschaftlichen
Thätigkeit von Baer, sondern überhaupt das Fundament, auf welchem
die ganze moderne Entwickelungslehre ruht.
Mit Recht konnte daher Huxley über Baer's Buch „Entwicke-
lungsgeschichte der Tiere" den Ausspruch thun, „es enthalte die
tiefste und gesündeste Philosophie der Zoologie und der Biologie über-
haupt, die jemals der Welt geschenkt worden sei". Und ebenso muß
man Kölliker (1870, p. 14) beipÜichten, wenn er sagt: „Baer's
Werke dürfen sowohl wegen des Reichtums und der Vortrefilichkeit
der Thatsachen, als auch der Gediegenheit und Größe der allgemeinen
Betrachtungen halber unbedingt als das Beste bezeichnet werden,
was die embryologische Litteratur aller Zeiten und Völker aufzu-
weisen hat."
Unter den Entdeckungen Baer's steht obenan seine Auffindung
des Eies der Säugetiere, die in der kleinen Schrift „De ovi mamma-
lium et hominis genesi" (1827) veröffentlicht wurde. Während bis
dahin noch die auf p. 8 dargestellte Lehre von Regnier de Graaf
herrschte, zeigt er zum ersten Male auf der Naturforscherversammlung
in Berlin an Präparaten, daß erst in der Wand des GRAAP'schen
Bläschens das außerordentlich viel kleinere Ei der Säugetiere einge-
schlossen ist.
In seinem Hauptwerke über Entwickelungsgeschichte der Tiere
hat Baer am eingehendsten die Entwickelung des Hühnchens vom
Anfang der Bebrütung bis zum Ausschlüpfen aus dem Ei untersucht,
daneben aber auch zahlreiche Beobachtungen an Vertretern anderer
Wirbeltierklassen, an Säugetieren, Amphibien und Fischen angestellt.
An Pander anknüpfend, hat er die Keimblättertheorie weiter ausgebaut.
Pander's seröses und Schleimblatt bezeichnet er als das animale und
das vegetative. Jedes von ihnen läßt er sich abermals in 2 Schichten
sondern oder spalten ; das animale Keimblatt in die Hautschicht und
die Fleischschicht, und ebenso das vegetative Blatt in die Gefäßschicht
und die Schleimschicht. Durch Zusammenfalten entwickeln sich aus
den 4 Schichten Röhren, welche Baer die Primitivorgane des tierischen
Körpers nennt, da sie alle einzelnen Organe der Anlage nach enthalten
und sich allmählich aus ihrer Wand hervorbilden lassen. So geht die
Hautschicht in die Hautröhre und in die Nervenröhre über; aus der
Gefäß- und Schleimschicht formt sich zugleich mit seinem Gekröse
der Darmkanal, an dem daher auch ein Schleimhautrolir und ein Ge-
fäßrohr unterschieden werden kann. Die Fleischröhre endlich liefert
eine Doppelröhre für die Rücken- und für die Bauchwand.
Um sich die Entstehung des Körpers verständlich zu machen,
weist Baer (1828, p. 65 — 67) darauf hin. daß der Wirbeltierkörper
symmetrisch gebaut sei, und daß man sich daher alle Primitivorgane
aus 2 Hälften verwachsen denken könne. Er empfiehlt, ein Wirbel-
tier von oben herab in der Mittelebene bis in die Nervenröhre zu
spalten, ohne mit dem Schnitt die untere Wand der letzteren zu
treffen, und es dann ebenso von der unteren Fläche aus in der Mittel-
ebene bis in die Darmröhre zu spalten. Wenn man dann die durch
Spaltung erhaltenen Teile platt auseinanderlege, so bekomme man
ein Tier, zusammengesetzt aus einer plattenförmigen Rückenhälfte und
einer ebensolchen Bauchhälfte, die beide noch in der Achse untereinander
zusammenhängen. Die Platten könne man sich dann noch weiter ver-
C. E. VON Baer's Lehren. 41
eiufacht denken, und so würde man schließlich einen einfachen Keim,
wie es die Keimscheibe des Vogels sei, erhalten.
Wie aus den oben genannten Primitivortianen die zahlreichen
Organe des Wirbeltierkörpers, wie Diüsen, Sinneswerkzeuge etc. an-
gelegt werden, hat Baer ebenfalls in jahrelanger Beobachtung fest-
zustellen versucht ; daß ihm hierbei viele Vorgänge dunkel geblieben
sind, wird man begreiflich finden, wenn man die von ihm angewandten
noch einfachen Methoden der Untersuchung berücksichtigt. So ist ihm
z. B., von manchem anderen abgesehen, die Entstehung des Nerven-
rohrs nicht ganz klar geworden, und er irrte, indem er das Hör-
bläschen, in ähnlicher Weise wie das Auge, durch eine Ausstülpung
von dem letzten Hirnbläschen gebildet werden ließ. Doch das sind
untergeordnete Einzelheiten im Vergleich zu der meisterhaften Ge-
samtdarstellung, welche Baer von dem Entwickelungsprozesse zum
ersten Male gegeben hat.
Seine allgemeinen Erörterungen über das Wesen des Entwicke-
lungsprozesses hat Baer in mehreren Schollen und Korollarien der
Darstellung seiner Befunde angefügt. Drei Hauptergebnisse sind
daraus hervorzuheben. Das eine betrifft seine Stellungnahme zur
Theorie der Evolution und Epigenesis. Baer ist weder Anhänger
der einen noch der anderen, sondern nimmt eine Mittelstellung zwischen
beiden ein. Wie er nicht ansteht, die Einschachtelungslehre als eine
Hypothese zu bezeichnen, die an Unsinn grenzt, obwohl sie sehr aus-
gezeichnete Naturforscher zu Verteidigern gehabt habe (1837, p. 6),
so erklärt er sich doch ebenso entschieden gegen die Ansicht, als ob
in der Entwickelung der Organismen zu irgend einer Zeit eine wirk-
liche Neubildung stattfände. Vielmehr beruhe jede Entwickelung
auf Wachstum und Umbildung eines bereits Vorhandenen (1828, p. 156).
,,Ich will zeigen" — erklärt Baer an einer Stelle (1837, p. 8) — „daß
die organischen Körper wieder vorgebildet sind, noch auch, wie man
sich gewöhnlich denkt, aus ungeformter Masse in einem bestimmten
Momente plötzlich anschießen.'' „Aus einem Homogenen, Gemein-
samen bildet sich allmählich das Heterogene und Specielle hervor"'
(1837, p. 153), oder mit anderen Worten: „Alles Einzelne ist früher in
einem Allgemeinen mit enthalten'' (p. 156). ,,Ein jedes Organ ist
also ein modifizierter Teil eines allgemeineren Organs, und in dieser
Hinsicht kann man sagen, daß jedes Organ schon in den Fundamental-
organen enthalten ist und zwar mit seinem ganzen Umfange'' (p. 157).
So ist der Atmungsapparat z. B. ein besonders hervorgewachsener,
ursprünglich nur sehr kleiner Teil der Schleimhautröhre; er war also
in der Schleimhautröhre schon enthalten und zwar in seinem ganzen
Begriffe. „Die Entstehung eines Organes ist wie die Entstehung des
Embrj'o nur der Anfang des Wachstums und das Wachsen eine Fort-
setzung der Entstehun g, die aber nur scheinbar ist und
auf Umbildung beruht" (p. 158). Den Keim bezeichnet daher
Baer (1828, p. 224) „als das u nau s gebildete Tier selbst",
und bei niederen Tieren nennt er „das Zeugen die unmittel-
bare Verlängerung des Wachstums über die Grenzen
des Individuums hinaus" (p. 150). Ueberhaupt kann nach
seiner Auffassung „die Beobachtung die strengste materia-
listische Lehre widerlegen und den Beweis führen, daß
nicht die Materie, wie sie gerade angeordnet ist,
sondern die Wesenheit der zeugenden Tierform (die
42 Oscar Hertwig,
Idee nach der neuen Schule) die Ent Wickelung der Frucht
beherrscht" (p. 148). Mit Entschiedenheit tritt somit Baer für
die Kontinuität des Lebensprozesses in der Reihe der durch Zeugung
auseinander hervorgehenden Generationen der Geschöpfe ein.
Das zweite Hauptergebnis ist die Begründung der Typen lehre,
durch welche eine grundlegende Reform der tierischen Systematik
herbeigeführt wurde. Wie Cuvier, so erkannte auch Baer gleich-
zeitig und unabhängig von ihm, daß auf Grund der vergleichenden
Anatomie der Organe die Tiere in 4 größere Stämme, die sich durch
den Typus ihrer Organisation unterscheiden, eingeteilt werden müssen.
Unter Typus versteht er das Lageverhältnis der organischen Elemente
und der Organe (1828, p. 208). Hierbei thut er aber zugleich einen wich-
tigen Schritt über Cuvier hinaus, dadurch daß er die Typenlehre
auch entwickelungsgeschichtlich begründet und eine noch innigere
Verbindung zwischen Entwickelungslehre und vergleichender Anatomie
herbeiführt, als es schon durch Meckel geschehen war.
Durch das Studium der Entwickelung verschiedener Tiere er-
kannte Baer zum ersten Male, daß im Laufe der Entwickelung am
frühzeitigsten die typischen Unterschiede im Lageverhältnisse der
hauptsächlichen Organsysteme angelegt werden, so daß sich am
frühesten feststellen läßt, welchem Typus der einzelne Keim ange-
hört, daß dann erst die Ordnungs- und Gattungscharaktere und zuletzt
die Speciesunterschiede hervortreten.
Von seinem umfassenden Standpunkt aus unterschied C. E. von
Baer in ähnlicher Weise wie Cuvier 4 Haupttypen des Tierreiches
(p. 209), den Typus der Wirbeltiere, der Mollusken, der Gliedertiere
und der Strahltiere. Er beseitigte dadurch die weitverbreitete Vor-
stellung von einer einreihigen Anordnung der Tiere, die, vom Infusor
beginnend, bis zum höchst organisierten Endglied der Kette, dem
Menschen, fortschreitet.
Außer dem Typus der Organisation unterschied ferner Baer noch
als ein sehr wichtiges Verhältnis „den Grad der Ausbildung des
tierischen Körpers'' (p. 207). Derselbe kann wieder bestehen in
einem größeren oder geringeren Maße der morphologischen und der
histologischen Sonderung, eine ebenfalls wichtige Unterscheidung,
welche Baer zuerst in die Entwickelungslehre eingeführt hat. Die
morphologische Sonderung beruht auf der fortschreitenden Ditfe-
renzierung der Primitivorgane in ungieichwertige und verschieden
funktionierende Abschnitte, wie z. B. des Darmrohrs in Magen, Dünn-
und Dickdarm, in Lunge, Leber, Pankreas u. s. w. Die histologische
Sonderung dagegen wird dadurch herl)eigeführt, daß sich innerhalb
der zuerst gleichförmigen Substanz der embryonalen Organe die ver-
schiedenen Gewebe, Epithel-, Bindegewebe, Knorpel, Knochen, Nerven-
und Muskelfasern absondern (p. 154).
Da Typus und Stufe der Ausbildung etwas durchaus Verschiedenes
sind, so kann „derselbe Typus in mehreren Stufen der Ausbildung
bestehen und umgekehrt dieselbe Stufe der Ausbildung in mehreren
Typen erreicht werden. Das Produkt aus der Stufe der Ausbildung
mit dem Typus giebt erst die einzelnen größeren Gruppen von Tieren,
die man Klassen genannt hat" (p. 208). So glaubt denn Baer, „daß
in der That die Biene höher organisiert ist als der Fisch, obgleich
nach einem anderen Typus" (p. 208).
C. E. VON Baer's Lehren. 43
„Die Ausbildung des Lebens nach dieser oder jener Richtung
erzeugt eben die Variationen der Ilaupttypen , wie diese selbst
wesentlich in ihren Lebenserscheinungen verschieden sind" (p. 210).
Daher teilen sich die Typen in Klassen, diese wieder in geringere
„Variationen, die wir Familien nennen, welche nicht nur den Haupt-
typus, sondern auch den Typus der Klasse mit besonderen Modi-
fikationen tragen, w^odurch sich der Charakter der Familie bildet.
Modifikationen geringeren Grades in diesem Familiencharakter geben
die Gattungen. So geht es fort bis zu den Arten und Abarten."'
Den hier dargelegten Komplex von Vorstellungen hat Haeckel
mit dem Namen des „Baer' sehen Gesetzes" zusammengefaßt
(1891, p. 47).
Endlich haben wir noch näher auf die Stellung einzugehen, welche
Baer gegenüber der Lehre vom Parallelismus zwischen der indi-
viduellen Metamorphose und der Metamorphose des Tierreichs ein-
nimmt. Er hält die namentlich von Meckel ausgebildete Ansicht,
daß der Embryo höherer Tiere die bleibenden Formen der niederen
Tiere durchlaufe, für nicht berechtigt und sucht dagegen den Paral-
lelismus in folgender Weise zu erklären: Den Erklärungsgrund findet
er darin, daß sich jedes Tier durch Umwandlung aus einer allge-
meinen in eine sich immer mehr specificierende besondere Form ent-
wickelt. „Daher ist es notwendig, daß wir in der einen wirklich
historisch begründeten Folge und in der anderen genetisch gedachten
Reihe eine Uebereinstimmung der in dieser fortgehenden inneren
Sonderung finden, daß sich überhaupt eine Menge Uebereiustim-
mungen zwischen dem Embryo höherer Tiere und der bleibenden Form
niederer Tiere nachweisen lassen" (1828, p. 220). „Anstatt die anderen
bestimmten Formen zu durchlaufen, scheidet sich vielmehr jeder
Embryo einer bestimmten Tierform von ihnen. Im Grunde ist also
nie der Embryo einer höheren Tierform einer anderen Tierform gleich,
sondern nur ihrem Embryo. Nur dadurch, daß die am w^enigsten
ausgebildeten Tierformen vom Embryonenzustaud sich wenig ent-
fernen, behalten sie einige Aehnlichkeit mit den Embryonen höherer
Tierformeu. Diese Aehnlichkeit ist also, wenn unsere
Darstellung gegründet ist, auf keine Weise das Be-
dingende der Entwickelungsgeschichte höherer Tiere,
sondern nur eine Folge der Organisation der niederen"
(p. 224). „Der Embryo geht nie durch eine andere Tierform hin-
durch, sondern nur durch den Indifferenzzustand zwischen seiner
Form und einer anderen" (p. 230). „Mithin durchlaufen die
Embryonen der W i r 1) e 1 1 i e r e in ihrer E n t w i c k e 1 u n g gar
keine bekannten bleibenden Tierformen" (p. 220).
Zu diesem Gedankengang ist es als kein Widerspruch zu be-
trachten, wenn in demselben Scholion Baer auf die Frage, ob nicht
im Beginne der Entwickelung alle Tiere sich im wesentlichen gleich
sind und ob nicht für alle eine gemeinsame Urform besteht , die
öfters citierte Antwort giebt (p. 224) : „Da der Keim das unausge-
bildete Tier selbst ist, so kann man nicht ohne Grund behaupten, daß
die einfache Blasenform die gemeinschaftliche Grundform ist, aus
der sich alle Tiere nicht nur der Idee nach, sondern historisch ent-
wickeln."
Neben C. E. von Baer, der als das geistige Haupt der eut-
wäckelungsgeschichtlichen Richtung bezeichnet werden muß, sind noch
44 Oscar Hertwig,
zahlreiche andere Forscher mit Erfolg auf dorn neuerschlossenen Ge-
biete thätig. In Deutschland sind außer Oken, Meckel und Pander,
die schon genannt wurden, noch Tiedemann und Carus, der uner-
müdliche Rathke, dem wir eine Fülle der schönsten Entdeckungen
verdanken, der auf allen Gebieten der Biologie thätige Johannes
MÜLLER, der fein beobachtende Jenenser Anatom Huschke, ein
Schüler Oken's, der große Physiologe Purkinje, ferner Burdach,
Reichert, Siebold und manche anderen aufzuführen. In Frank-
reich sind thätig Dutrochet, Prevost und Dumas, Serres, Coste,
Duges etc., in England Wharton Jones und Allen Thompson,
in Italien der berühmte Rusconi.
Durch die rüstige Arbeit so vieler bewährter Forscher wurde
fast von jedem Organsystem seine Genese in Angriff genominen, und
bald eine Tierklasse nach der anderen in das Bereich der Untersuchung
hineingezogen. Es w^urden die Grundlagen für den feineren Bau des
Eies gelegt. Purkinje beschrieb 1825 in seinen Symbolae ad ovi
avium historiam das Keimbläschen im Vogelei und entdeckte, daß es
vor der Befruchtung sich auflöst und schwindet; Coste (1834) und
Wharton Jones (1838) fanden dann unabhängig voneinander das
gleiche Gebilde auch im Ei der Säugetiere auf, welches 1827 durch
Baer's glänzende Entdeckung bekannt geworden war. R. Wagner (1835)
vervollständigte den Einblick in den Bau des Eies durch die Auf-
findung des Keimfleckes. Wichtige Beobachtungen über den Furchungs-
prozeß, von welchen schon einige Andeutungen Swammerdam ge-
sehen aber nicht verstanden hatte, wurden von Prevost und Dumas
am Froschei gesammelt und gleich darauf von Rusconi und Baer (1834)
noch genauer verfolgt; doch bliel) ihnen allen die eigentliche Be-
deutung des so eigentümlichen Prozesses als eines Zellenteilungs-
vorganges noch verborgen. Baer glaubte, daß durch ihn eine größere
Berührungsfläche für die befruchtende Sanienflüssigkeit geschaffen werden
solle. Bald darauf beschrieb Rusconi (1836) den Furchungsprozeß
auch für das Fischei.
Was die Organentwickelung betrifft, so veröffentlichte Tiedemann
schon 1816 eine Schrift: Anatomie und Bildungsgeschichte des Gehirns
im Foetus des Menschen, und stellte in richtiger Erkenntnis den seit-
dem oft geäußerten Grundsatz auf, daß „die vergleichende Anatomie
und die Anatomie des Foetus den Ariadnefaden für dieses Labyrinth
bildeten''. Die Entwickeluugsgeschichte der Sinnesorgane wird durch
Huschke (1832) gefördert, der die Entstehung des Hörbläschens und
des Linsensäckchens aus grubenförmigen Einsenkungen der äußeren
Haut entdeckte. Nicht uninteressant ist es, von Huschke zu er-
fahren, auf welchen Wegen die alten Anatomen, die sich der Kunst
der Querschnitte noch nicht bedienten, zu solchen schon schwierigeren
Entdeckungen gelangten. Als er die Augenentwickelung beim Hühnchen
untersuchte, wurde er in der Mitte der Augenblase einen kleineren
Fleck gewahr, den er für die Anlage der Linse hielt. Er untersuchte
ihn mit einem feinen Haar, mit dessen Spitze er hierbei
in eine Oeffnung glitt. „Nun war ich", fährt Huschke fort,
„auf einmal aus aller Verlegenheit ; denn ich wußte jetzt, daß die
Linsenkapsel ebenso wie das ganze Auge und vorzüglich das Laby-
rinth des Ohres entsteht, d. h. daß sie eine Einstülpung des äußeren
Hautsvstems ist".
Die Zeitgenossen von C. E. vox Baek. 45
Zahlreiche Bearbeiter hat die Entwickeln ngsgeschichte des Skeletts
gefunden, berechtigtes Aufsehen erregten die glänzenden Entdeckungen
Rathke's ül)er die Metamorphose des Visceralskeletts, die Auffindung
der Kienienspalten bei Reptilien, Vögeln und Säugetieren, sowie der
Aortenbogen und ihrer Umbildung. Denn ,.durch die leisesten Ueber-
gänge sieht man hier", wie Rathke (18o2j in den anatomisch-philo-
sophischen Untersuchungen über den Kiemenapparat und das Zungen-
bein der Wirbeltiere bemerkt, „von den Grätenfischen bis zu dem
Menschen, die Formen und Typen jener Gebilde ineinander übergehen".
Ergänzend schlössen sich hieran bald die nicht minder wichtigen Unter-
suchungen Reichert's über die Entwickelung der Gehörknöchelchen
aus dem Kiefer- und Zungenbeinbogen an. Auch die Entstehung
der übrigen Teile des Kopfskeletts wurde von Rathke , Duges
und Reichert , von den beiden letzteren bei den Amphibien, be-
arbeitet.
Endlich bildet noch ein Feld der ergiebigsten Forschungen die
Entwickelung der Harn- und Geschlechtsorgane. Auch hier ist wieder
als Bahnbrecher Rathke anzuführen, der die WoLFF'schen Körper
genauer untersuchte und vieles aufklärte. Einen vorläufigen Abschluß
führte dann Johannes Müller herbei mit seiner berühmten, grund-
legenden Schrift: Bildungsgeschichte der Genitalien aus anatomischen
Untersuchungen an Embrj'onen des Menschen und der Tiere (1830).
Gleichzeitig wurde von Jon. Müller noch die Entwickelungsgeschichte
der Drüsen durch seine Schrift: De glandularum secernentium struc-
tura penitiori gefördert.
Neben den verschiedenen Klassen der Wirbeltiere wurden all-
mählich auch die AVirbellosen auf ihre Entwickelung untersucht; die
Mollusken von Carus, die Insekten von Herold, die Crustaceen und
Arachnoiden von Rathke.
Um den rasch gewachsenen Schatz des Wissens zugänglicher zu
machen, entstanden die ersten Lehrbücher der Entwickelungsgeschichte :
C. E. VON Baer, Ueber Entwickelungsgeschichte der Tiere, Beobachtung
und Reflexion, 1828—1837; Valentin, Handbuch der Entwickelungs-
geschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwickelung
der Säugetiere und Vögel, 1835; Bischoff, Entwickelungsgeschichte
der Säugetiere und des Menschen, 1842.
Die Charakteristik der vorliegenden Periode schließe ich mit
einigen Sätzen aus einer historischen Darstellung, welche Valentin
(1835, p. 581) in seinem Handbuch von den wissenschaftlichen Be-
strebungen seiner Zeit gegeben hat und welche lehrt, wie das
Studium der Entwickelungsgeschichte namentlich in Deutschland zu
einer führenden Macht geworden ist. „Fast alle in unserem Zeitalter
thätigen und ausgezeichneten Physiologen und Anatomen", heißt es
daselbst, „haben einen Teil ihrer vorzüglichsten Bestrebungen auf
die individuelle Entwickelungsgeschichte gerichtet, der gegenüber als
anderseitiges Problem die Entwickelungsgeschichte der Tierwelt, die
vergleichende Anatomie, steht. Beide zusammen sind die Grundlagen,
auf denen jede wahre und echte Erkenntnis der Natur des tierischen
Lebens basiert werden muß. So zeigt sich die Idee der genetischen
Beziehungen als das herrschende Element unserer heutigen physio-
logischen Leistungen, wie nicht minder der Gesamtheit alles wüssen-
•schaftlichen Strebens unserer Zeit,"
46 Oscar Hertwig,
b) Zweite Periode von Schwann und Charles Darwin
bis jetzt.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben vor allen Dingen
zwei Faktoren auf den sich noch weiter unaufhaltsam vollziehenden Auf-
schwung der entwickelungsgeschichtlichen Forschung einen mächtigen
Einfluß ausgeübt, der in allen wichtigen Untersuchungen hervortritt.
Der eine Faktor ist die Begründung der Zellentheorie durch Schw^ann,
der zweite Faktor die durch Darwin neubelebte Descendenztheorie.
Das Urteil, welches Joh. Müller von der Bedeutung der
ScHWANN'schen Entdeckungen für die Physiologie fällte: „Sie gehören
zu den wichtigsten Fortschritten, welche je in der Phj'siologie gemacht
worden sind: sie begründen erst eine bisher unmöglich gewesene
Theorie der Vegetation und Organisation ; die Fundamente sind nun
geliefert", es gilt in gleichem, wenn nicht in noch höherem Maße für
das Verhältnis der Zellentheorie zu der Entwickelungsgeschichte. Denn
die Zelle ist der Baustein, mit dessen Hilfe die Natur die verschiedenen
Arten der Lebewesen geschaffen hat. Was das Atom für den Chemiker,
das sind die Zellen für den Embryologen, das Material, durch dessen
Vereinigung alle Organe und Gewebe gebildet werden, gerade wie
aus der Synthese verschiedenartiger Atome alle chemischen Körper
entstellen.
Jetzt ließ sich Aufgabe und Ziel der entwickelungsgeschichtlichen
Forschung viel klarer und schärfer formulieren, als je zuvor. Die
Aufgabe lautete: Auf welchem Wege werden Schritt für Schritt aus
der Zelle als dem Elementarorganismus die verschiedenen Arten der
Lebewesen von den einfachsten bis zu den am höchsten komplizierten
gebildet V
Damit eröffnete sich ein weit ausgedehntes, ganz neues Arbeits-
feld, und zugleich bahnte sich neben der schon besprochenen Be-
ziehung zur vergleichenden Anatomie eine neue Verbindung mit einer
zweiten biologischen Schwesterdisciplin an, mit der mikroskopischen
Anatomie. Denn für die neuen Aufgaben konnten die Methoden der
älteren Embryologen, die Untersuchung der Embryonen mit Lupe und
schwacher Vergrößerung, die Zergliederung mit Schere und Messer
nicht mehr genügen. Je mehr die Zelle zum Ausgangs- und Mittel-
punkt der Untersuchung wurde, um so mehr mußte auch in der Ent-
wickelungsgeschichte der Forscher zu den verschiedenen Methoden
greifen, welche auf dem Gebiete der mikroskopischen Anatomie mit
ihren Fortschritten untrennbar verbunden sind. So wurde von Jahr-
zehnt zu Jahrzehnt die embryologische Untersuchungstechnik eine
vollkommenere und mannigfaltigere. Man begann ein immer größeres
Gewicht auf die gute Härtung und Konservierung der Embryonen zu
legen. Mau griff zu den in der Histologie ausgebildeten Färbemethoden.
Besonders wichtig aber wurde die Kunst, den Embryo in eine tadel-
lose Serie von Querschnitten zu zerlegen. Auch die geschickteste
Handhabung des Rasiermessers genügte nicht mehr für diesen Zweck.
Besondere Schneideinstrumente wurden konstruiert. Die ersten noch
unvollkommenen Versuche führten bald zu den vorzüglichen Mikro-
tomen, welche in den mechanischen Werkstätten von Jung und von
Schanz etc. ausgeführt werden und mit denen es ein leichtes ist, lücken-
lose Schnittserien durch Embryonen mit einer gleichmäßigen Schnitt-
Einfluß von Schwann und Darwin auf die Entwickelungslehre. 47
dicke von 5 /< herzustellen. Auf diese Weise ist es jetzt möglich ge-
worden, daß selbst Anfänger sich in kurzer Zeit Einblicke in den Ent-
wickelungsverlauf verschaffen können, welche friüier Forscher, wie
WoLFF, Pander und Baer, nur durch allergrößte Ausdauer und durch
langjährige Beschäftigung mit dem Gegenstand gewonnen haben. Dem-
entsprechend konnten aber auch jetzt die Ziele der Forschung viel
höher gesteckt werden.
Mit der Schneidetechnik bildeten sich besondere Methoden der
Einbettung aus, welche für den Embrj'ologen noch viel wichtiger als
für den Histologen sind. Von den verschiedenen Verfahren, die
empfohlen worden sind, Wachs mit Oel, Spermaceti mit Kakaobutter,
Flemming's Transparentseife, Paraffin, Bunge's Eiweißmasse, Gummi-
glycerin hat sich die Paraffineinbettung am meisten bewährt und in
der Embryologie als Universalmethode eingebürgert.
Da es zuweilen recht schwierig ist, sich aus einer großen Pieihe
von Schnitten ein annähernd richtiges Bild von der Form und den
Lagebeziehungen embryonaler Organe zu bilden, hat man zu einer
exakteren Lösung dieser Aufgabe besondere Rekonstruktionsmethoden
ersonnen. Zuerst hat His vermittelst einer Methode graphischer
Rekonstruktion eine Reihe vorzüglicher Modelle für den entwickelungs-
geschichtlichen Unterricht hergestellt. Ein weiterer Fortschritt wurde
hierauf durch die von Born ausgearbeitete Methode der Platten-
rekonstruktion herbeigeführt , und in ihr ein Hilfsmittel gegeben,
welches für manche Untersuchungen unentbehrlich ist und in embryo-
logischen Laboratorien häufig benutzt wird. Auch die Photographie
wurde als ein wichtiges Hilfsmittel in den Dienst der erabryologischen
Forschung gestellt.
Vermittelst der zahlreichen Hilfsmittel, von denen die voraus-
gegangene Epoche noch keine Vorstellung hatte, ist es jetzt ein leichtes
geworden, embryologische Sammlungen anzulegen, welche, wenn in
größerem Maßstabe und nach einem wohldurchdachten Prinzip durch-
geführt, wahrscheinlich für den embryologischen Forscher von noch
größerem Wert sein werden, als für den Morphologen die vergleichend-
anatomischen Museen.
Die mikroskopische Technik in ihren verschiedenen Zweigen ist
recht eigentlich ein Erzeugnis der 4 bis 5 letzten Decennien. Denn
die schon auf Seite 2 erwähnten Anfänge, die hier und da in früheren
Jahrhunderten bemerkt werden, sind kaum von Bedeutung. Auch
Pander und Baer erzielten ihre Ergebnisse auf keinem anderen
Wege als vor ihnen Haller und C. Fr. Wolff. Ein bemerkbarer
Fortschritt in der Untersuchungstechnik tritt erst bei Remak, Kölliker
und Hensen hervor, und ist dann in wenigen Jahren ein Gemeingut
aller Forscher geworden.
fe^
Außer der schon früher benutzten Essigsäure bediente man sich
einer großen Zahl von Reagentien zur Härtung der Embryonen. Eroscli-
eier wurden von Remak in einer Mischung von Kupfervitriol mit Alkohol
und Holzessig gehärtet (1850, p. 127). 0,2-proz. Sublimat und 0,3-proz.
Chromsäure wurden für Hühnerkeimscheiben angewandt (p. 181). Auch
hat Remak schon erhärtete Froscheier mit dem Messer halbiert, um in
die Keimblase und in die RuscoNi'sche Nahrungshöhle einen Einblick
zu gewinnen ip. 142 und Erklärung zu Taf. XII, p. XXXV), und auch mit
feinem Messer Durchschnitte durch frische Hühnerembryonen unter dem
48 Oscar Hertwig.
einfachen Mikroskop (also wohl nach der Guillotinenmethode) angefertigt
(Tafelerklärung, p. XXXVI).
Um die Einführung der Sclmittmethode in das embryologische Studium
haben sich besonders Hensen und Kölliker verdient gemacht, welche sie
nicht nur bei Embryonen vom Hühnchen, sondern auch vom Kaninchen
für die Keimblätterbildung anwandten. Ein Vergleich von Kölliker's
erster Auflage der Entwickelungsgeschichte des Menschen aus dem
Jahre 1861 und der zweiten 1879 erschienenen Auflage zeigt in deut-
licher Weise, wie durch die in der Zwischenzeit aufgekommene Schnitt-
methode eine genauere Darstellung vieler Verhältnisse erst möglich ge-
worden ist.
Doch nun nach diesem Exkurs auf die sich ausbildende Unter-
suchungstechnik für embryologische Zwecke zurück zur Besprechung
der Untersuchungen und Aufgaben, welche durch Schwann's Zellen-
theorie in der Entwickelungsgeschichte hervorgerufen wurden!
Obenan stehen hier die Fragen: welche Bedeutung haben das Ei
und der an ihm schon früher entdeckte Furchungsprozeß im Lichte
der Zellentheorie V Die erste Frage hat Schwann in seinen mikro-
skopischen Untersuchungen gleich selbst zu erörtern begonnen. Nach-
dem er es zuerst zweifelhaft gelassen hatte, ob das Keimbläschen nur
der Kern einer Zelle oder selbst eine im Dotter entstandene Zelle
und in diesem Falle die wesentlichste Grundlage des Embryo sei
(1839, p. 49), entschied er sich schließlich mit richtigem Takt für die
«rstere Alternative (1. c. p. 258). Doch blieb die zweite Ansicht im
Kreise der Gelehrten längere Zeit die vorherrschende und wurde von
Wagner, Valentin, Henle und Bischoff verfochten. „Das Keim-
bläschen ist in der That eine primäre Zelle'', so lautete der Schluß, zu
welchem Bischoff bei seinen Untersuchungen der Säugetiere gelangt
ist, „sein Fleck ist deren Kern und der zuerst gebildete Teil des Eies.
Der Dotter und die Dotterhaut sind sekundäre spätere Bildungen,
welche sich um diese Zelle entwickeln und ablagern'' (1845, p. 12).
Man bezeichnete sie als eine Umhüllungsmasse. Auch Kölliker
deutete vorübergehend die Kerne des Eies und der Furchungskugeln
für Eml)ryonalzellen (184.3), ging aber schon im nächsten Jahre in
seiner Entwickelungsgeschichte der Cephalopoden (1844) zu der rich-
tigeren Auffassung über. Eine allgemeinere Uebereinstimmung aber
in den Anschauungen wurde erst nach langen Debatten herbeigeführt,
als in der Histologie der Begriff' „Zelle" ül)erhaupt eine schärfere
Fassung namentlich auf Grund einer richtigeren Erkenntnis des
Zellenbildungsprozesses durch die Arbeiten von Nägeli, Kölliker,
Remak, Leydig u. a. erhielt.
Eine besondere Schwierigkeit für die Zellentheorie verursachten
die Eier mit gesondertem Bildungs- und Nahrungsdotter und mit
partieller Furchung. Sind sie ebenfalls einfache Zellen oder etwas
Zusammengesetzteres? Der Wendepunkt in dieser Frage ist wohl
erst im Jahre 1861 eingetreten, als Gegenbaur in einem kleinen
Aufsatze über den Bau der Wirbeltiereier mit partieller Dotterteilung
den Satz scharf formulierte: „Die Eier der Wirbeltiere mit partieller
Furchung sind somit keine wesentlich zusammengesetzteren Gebilde
als die der übrigen Wirbeltiere; sie sind nichts anderes als zu be-
sonderen Zwecken eigentümlich umgewandelte, kolossale Zellen, die
aber nie diesen ihren Charakter aufgeben" (Gegenbaur, 1861).
Einfluß von Schwann und Darwin auf die Entwickelungslehre. 49
Nicht miiidei- hat es langer Diskussionen bedurft, ehe die jetzt
herrschende Lehre von der Bedeutung des Furchungsprozesses klar
durchdacht und allgemein angenommen war. Zwar hatten schon vor
dem Erscheinen von Schwann's Zellentheorie Rusconi und Baer
erkannt, daß die Furchen am Froschei, welche Prevost und Dumas
(1824) beschrieben hatten, durcli den ganzen Dotter hindu)"chgehen
und ihn in kleinere, für den Aufbau der Organe bestimmte Elemente
zerlegen. Rusconi (182(3) spricht von einer „division et subdivision
de la substance du germe ou en d'autres termes, une Operation au
nioyen de laquelle la nature prepare les molecules elementaires des
principaux systemes". Besonders nahe der Wahrheit kam C. E. von
Baer (1834). Als erste Regungen des Lebens im Froschei, das er
als ein Individuum bezeichnet, beschreibt er Selbstteilungen, die sich
so lange fortsetzen, bis die zahllosen neuen Individualitäten unendlich
wenig Bedeutung haben und nur als Elementarteile eines neuen In-
dividuums erscheinen.
Rusconi und Baer vermochten ihreu vortrefflichen Beobachtungen
und Deutungen keine größere wissenschaftliche Tragweite zu geben,
weil ihnen noch die allgemeine Vorstellung von dem Aufbau der
PÜanzen uud Tiere aus lebenden Elementareinheiten, den Zellen, fehlte.
Schwann aber, der bald darauf (1839) diese Vorstellung für die Tiere
durch seine Zellentheorie begründete, wußte wieder nichts mit den
eben genannten Beobachtungen anzufangen. Hatte er doch von
ScHLEiDEN die aus falschen Beobachtungen gewonnene, unglückliche
Lehre vom Cytoblastem und von der freien Zellenbildung übernommen
und sich ganz in den Gedankengang verirrt, daß sich die Zellen nach
Art eines Krystallationsprozesses aus einer Mutterlauge, sei es inner-
halb bereits vorhandener Mutterzellen, sei es aus einer zwischen ihnen
vorhandenen Bildungssubstanz, bilden sollten. Die verfehlte Cyto-
blastemlehre ist sowohl in der histologischen als embryologischen
Litteratur eine Quelle vieljähriger Irrtümer und Streitigkeiten ge-
worden. Erst nachdem auf botanischem Gebiete Mohl den Vorgang
einer Zellteilung bei Spirogira genau beschrieben und Nägeli von
umfassenderem Staudpunkte aus reformatorisch gewirkt hatte, haben
auf tierischem Gebiete vor allen Dingen Kölliker, Remak und
Leydig sich das ^>rdienst erworben, das Verständnis der Furchung
angebahnt und gezeigt zu haben, daß eine freie Zellenbildung nicht
stattfindet, sondern alle Elementarteile in ununterbrochener Folge aus
der Eizelle durch Teilung hervorgehen.
In seiner Entwickelungsgeschichte der Cephalopoden glaubt Köl-
liker den Satz als wahrscheinlich aufstellen zu dürfen (1844, p. 140),
,,daß in der ganzen Reihe der Entwickelung der tierischen Gewebe,
ebenso wie bei den Pflanzen, keine Zellenbildung außerhalb der schon
vorhandenen sich finde, vielmehr alle Erscheinungen als die ununter-
brochene Folge von Veränderungen ursprünglich gleichbedeutender und
von einem ersten abstammender Elementarorgane aufzufassen seien".
Es scheint ihm ein Gesetz zu sein (1. c. p. 135), „daß die Gewebe in
einer unmittelbaren Reihenfolge von Veränderungen aus den Furchungs-
kugeln entstehen".
Neben der totalen wurde bald auch die partielle Eurchung des
Eies, zuerst von Rusconi, etwas später durch C. Vogt, am Fischei be-
obachtet. Genauer aufgeklärt wurde der Prozeß aber erst von Kölliker
Handbuch der Entwickelungslehre. 4
50 Oscar Hertwig,
in seiner Untersuchung der Cephalopoden (1844). 1848 erfolgte die
Entdeckung der partiellen Furchung beim Vogelei durch den franzö-
sischen Embryologen Coste. In zweckmäßiger Weise benutzte Remak
(1855, p. 82) diese Wahrnehmungen, um die Eier der Wirbeltiere in
2 große Gruppen, in die holo blastischen und die meroblastischen, einzu-
teilen. Als holoblastische bezeichnete er solche Eier, deren Inhalt sich
ganz in Embryonalzellen teilt und in den Embryo umwandelt; als
meroblastische dagegen solche, deren Inhalt nach der von Reichert
eingeführten Terminologie in Bildungsdotter und in Nahrungsdotter
gesondert ist, von denen nur der erstere durch fortschreitende Teilung
in Zellen zerfällt und den Keim liefert.
Bei der Klarlegung dieser fundamentalen Verhältnisse blieb ein
Punkt indessen noch mehrere Jahre in Dunkel gehüllt, nämlich das
Schicksal des Keimbläschens und die Rolle der Kerne beim Furchungs-
prozesse. Löst sich Keimbläschen und Kern vor jeder Teilung auf,
wie es im Anschluß an die Botaniker Reichert, Auerbach u. a.
behaupteten, oder teilt sich auch der Kern durch bisquitförmige Ein-
schnürung, wie es die meisten Forscher (Baer. J. Müller, Köl-
LiKER, Gegenbaur etc.) annahmen V Hierüber haben uns erst die
3 letzten Decennien durch eine Reihe wichtiger, weittragender mikro-
skopischer Entdeckungen belehrt, über deren Geschichte das zweite
Kapitel Näheres bringt.
Hervorgehoben sei nur der Nachweis von der Kontinuität der
Kerngenerationeu (Hertwig, Flemming), die Entdeckung des
karyokinetischen Prozesses (Strasburger, Bütschli, Flemming,
Hertwig, Fol, Van Beneden u. a.), die Umwandlung des Keim-
bläschens in die Richtungsspindel und die Entstehung der Polzelleu
(Hertwig, Bütschli u. a.).
Wie auf das tierische Ei fiel durch den Bund der Zellentheorie
mit der Entwickelungslehre jetzt auch Licht auf die Natur der Samen-
fäden. Die in früherer Zeit ohne Erfolg diskutierte Frage, ob die
Samenfäden Bestandteile des Tieres oder parasitische Infusorien seien,
wurde zu Gunsten der ersten Alternative gelöst durch den von Köl-
liker (1841) erbrachten Nachweis, daß sie sich aus Hodenzelleu ent-
wickeln. Die hieran sich anschließenden schwierigeren Fragen der
Histogenese, Umwandlung der einzelnen Bestandteile der Samenzelle in
die Bestandteile des Samenfadens, fanden ihre Beantwortung durch
die wichtigen Untersuchungen von La Valette, Flemming, Her-
mann u. a.), über welche im ersten Kapitel (Abschnitt: Spermiogenese)
ausführlicher gehandelt wird.
Durch die aus der Zellentheorie sich ergebenden neuen Gesichts-
punkte empfing das Studium der Entwickelungslehre noch nach vielen
anderen Richtungen Anregung und Vertiefung. Deutlich tritt dies
hervor in den ausgezeichneten ,,Untersuchungen über die Entwickelung
der Wirbeltiere" von Robert Remak, einem Werk, welches an Ge-
nauigkeit und Vielseitigkeit der Beobachtungen die Arbeiten Baer's
noch übertrifft, wenn es auch an Tiefe und Tragweite der allgemeinen
Gesichtspunkte hinter ihnen zurückbleibt. ,,Ich glaubte eine Ver-
pflichtung zu haben", bemerkt Remak in seinem Vorwort, „mittelst
der Erfahrungen und Fertigkeiten, welche ich mir bereits erworben,
die immer schärfer sich umschreibende, selbst von Bischoff's Arbeiten
nur wenig berührte Aufgabe, nämlich die Er grün düng des An-
Remak's Arbeiten. 51
t e i 1 e s der Keimblätter an der B i 1 d ii n j;- der Organe und
Gewebe, der Lösung entgegenzuführen."' Wie jetzt zum ersten Male
gezeigt wurde, liefern das äußere und das innere Keimblatt allein
die epithelialen Ueberzüge des Köri)ers. die Epidermis und das E])ithel
des Darmkanals, ferner die epithelialen Bestandteile der aus ihnen
sich durch Sprossung entwickehulen Drüsen. Diese werden daher
auch als Epithelial- oder Oberhautdrüsen den drüsigen Gebilden des
mittleren Keimblattes (Lymphdrüsen, Milz, Nebennieren) entgegen-
gestellt. Wegen ihrer histogenetischen Leistungen werden das äußere
und das innere Keimblatt als Darmdrüsen- und als Hautdrüsenblatt
bezeichnet. Als die wichtigsten Leistungen des mittleren Keimblattes
wurden die Bildung der Stützsubstanzen, der willkürlichen und unwill-
kürlichen Muskeln, der Blutgefäße und des Blutes, sowie der Ge-
schlechtsprodukte erkannt und in der Bezeichnung „motorisch-germina-
tives Blatt" zum Ausdruck gebracht.
Auf einzelne Beobachtungen, durch welche Remak seine Vor-
gänger übertraf, einzugehen, würde uns zu weit führen, nur zweierlei
sei hervorgehoben. Erstens wurde Remak bei der Entwickelung des
Axenskeletts auf eine Reihe eigentümlicher Erscheinungen aufmerksam,
welche er als „Umgliederung der Wirbelsäule'' zusammenfaßte, zweitens
sprach er, auf Beobachtungen am Froschei gestützt, die Vermutung
aus, daß „die Nahrungshöhle durch Einstülpung der Außenfläche des
Keimes entsteht'' (p. 183).
Remak's Versuch, die histogenetischen Leistungen der Keimblätter
festzustellen, fand großen Beifall; auch gelanges, einige Widersprüche
zu beseitigen. Man erkannte, daß im Hirn. Rückenmark und in der
Retina die Blutgefäße mit dem sie umhüllenden Bindegewebe nicht
an Ort und Stelle von Zellen des äußeren Keimblattes abstammen,
sondern von Gewebsteilen (Gefäßsprossen), die aus dem angrenzenden
mittleren Keimblatte hineingewachsen sind. Und ähnlich fand noch
in manchen anderen Punkten die REMAK'sche Lehre einen weiteren
Ausbau, zugleich aber gab sie auch vielfach zu dogmatischen Auf-
fassungen Veranlassung, indem man als ein durchgehendes Gesetz
annahm, daß bei allen Tieren die einzelnen Keimblätter nur ganz
bestimmte Gewebe sollten bilden können. Von diesem Grundgedanken
geleitet, machte His in seinem Programm (1^66), „Die Häute und
Höhlen des Körpers", den Versuch, die Beziehung der Keimblätter
zu den Geweben als Einteilungsprinzip für das System der Gewebe
zu benutzen und unterschied demgemäß die zur Auskleidung der
serösen Höhlen dienenden Zellen als „unechte Epithelien oder Endo-
thelien" von den echten Epithelien der äußeren Keimblätter. Kleinen-
berg aber glaubte, durch seine Untersuchung von Hydra dargethan
zu haben, daß die Uebereinstimmung der Entwickelung der Hydra
und der Wirbeltiere nicht nur bis zu den primären Keimblättern
reicht, „sondern daß auch die specialisierten Gewebe, die Epithelien,
die Muskeln, mit den dazugehörigen Nerven und die Geschlechts-
organe bei beiden mit Rücksicht auf die Keimblätter eine wesentlich
gleichartige Genese haben''. Ebenso setzte Van Beneden voraus, daß
die beiden Keimblätter bei allen Metazoen denselben histogenetischen
Wert besitzen.
Mit der Aufstellung eines derartigen Gesetzes war man mit den
Thatsachen in Widerspruch geraten. Namentlich bei den Cölenteraten
konnten Oscar und Richard Hertwig (1879) nachweisen, daß die
4*
52 Oscar Hertwig.
Gescliloclitsprodukte in manchen Abteilungen sich konstant im inneren
Keimbhitt, l)ei anderen dagegen ebenso konstant ektodermal entwickehi,
daß Mnskelzellen und Nervenfasern ebenso gut vom inneren wie vom
äußeren Keimblatt gebildet werden ; sie sprachen sicli daher bestimmt
gegen das Dogma aus, daß jedes Keimblatt nur die Fähigkeit habe,
eine bestimmte Reihe von Geweben hervorzubringen. Denselben Stand-
punkt vertraten auch Goette und Kölliker, von denen der letztere
erklärte (1879, p. o89), „daß alle l> Keimblätter potentia auch die
Fähigkeit zur Umbildung in alle Gewebe lial)en, jedoch infolge be-
stimmter morphologischer Gestaltungen dieses Vermögen nicht aller-
wärts bethätigen''.
Betreffs der Detailuntersuchungen über die Entstehung der ein-
zelnen Gewebe, der Muskelfasern, der Nervenfasern, der Geschlechts-
produkte, der Blutgefäße und des Blutes, der Stützsubstanzen etc.,
ist auf die geschichtlichen Abschnitte in den späteren Kapiteln in
Bd. I — III zu verweisen.
Trotz zahlreicher Arbeiten ist die Histogenese ein Gebiet, auf
welchem auch jetzt noch viele Fragen zu lösen sind. Namentlich aber
ist die Entstehung der Nervenfasern, des Blutes und der Blutgefäße
im Tierreiche mit vervollkommneteren Methoden noch genauer aufzu-
klären.
Der andere Faktor, welcher der embryologischen Forschung in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein besonderes Gepräge auf-
gedrückt hat, ist die von Darwin ausgehende Bewegung, die durch
seine Selektionshypothese wieder lebhafter angeregte Frage nach der
Entstehung und Abstammung der Organismen. Zwar hat diese Frage
schon unter der Herrschaft der Naturphilosophie am Anfang unseres
Jahrhunderts, wie oben gezeigt wurde, die Naturforscher lebhaft be-
schäftigt ; durch Verbindung vergleichend-anatomischer und vergleichend-
embryologischer Forschungen hatte man schon versucht, die Meta-
morphosen der Organe in der Tierreihe und während der individuellen
Entwickelung von genetischen Gesichtspunkten aus zu erklären. Doch
war in den 50-er Jahren die spekulative Richtung mehr zum Still-
stand gekommen; mau sah wohl ein, vielleicht auch unter dem
Einfluß von C. E. von Baer's Schriften, daß man aus der Ab-
stammungsfrage auf ein Gebiet nicht näher zu beweisender Hypo-
thesen geriet ; gleichzeitig bot sich auch der Forschung mit der
Begründung der Zelltheorie ein so unerschöpfliches und lohnendes
Feld für wichtige Detailuntersuchungen dar, daß diese eine Zeit-
lang in der Zoologie, in der mikroskopischen Anatomie und Entwicke-
lungsgeschichte mehr in den Vordergrund traten.
Mit dem Darwinismus hat die Spekulation auf dem Gebiete der
Entwickelungsgeschichte wieder neue Impulse erhalten, weniger durch
Darwin selbst als durch Haeckel. Denn Darwin ist seinem ganzen
Studiengang nach der vergleichend-anatomischen und entwickelungs-
geschichtlichen Forschung in ihren Specialproblemen nie näher ge-
treten. Dagegen hat Haeckel durch seine zahlreichen wissenschaft-
lichen und po])ulären Schriften zur raschen Verbreitung der neuen
Lehre außerordentlich beigetragen, besonders aber hat er die ver-
gleichende Anatomie und Entwickelungsgeschichte ganz in ihren
Dienst zu stellen und zu wichtigen Beweismitteln der Descendenz-
theorie zu machen gesucht, in seiner Generellen Morphologie, in seiner
Haeckels biogenetisches Grundgesetz. 53
an weitere Kreise sich wendenden Anthroi)ogenie und in seinen be-
rühmten Schriften zur Gastraeatheoric.
Wie Meckel und seine Anhänger legt Haeckel das größte
Gewicht auf die Parallele, welche sich zwischen der Stufenfolge em-
bryonaler Entwickelungsformen und der Reihe niederer und höherer
Tierformen beim Studium der vergleichenden Anatomie und Systematik
erkennen läßt. Zu beiden fügt er aber noch eine dritte Parallele
hinzu, welche man aus den Ergebnissen der paläontologischen Forschung
gewinnt, „In dem dreifachen Parallelismus der phyletischen (palä-
ontologischen), der biontischen (individuellen) und der systematischen
Entwickelung" erl^lickt Haeckel „eine der größten, merkwürdigsten
und wichtigsten allgemeinen Erscheinungsreihen der organischen Natur"
(1866, II, p. 371). Die Erklärung dieser ,,dreifachen genealogischen
Parallele" bezeichnet er als das „Grundgesetz der organischen Ent-
wickelung oder kurz das „biogenetische Grundgesetz''. Einen
kurzen Ausdruck giebt er ihm in dem Satz: „Die Ontogenie ist eine
Rekapitulation der Phylogenie, oder etwas ausführlicher : Die Formen-
reihe, welche der individuelle Organismus während seiner Entwickelung
von der Eizelle an bis zu seinem ausgebildeten Zustande durchläuft,
ist eine kurze gedrängte Wiederholung der langen Formenreihe, welche
die tierischen Vorfahren desselben Organismus oder die Stammformen
seiner Art von den ältesten Zeiten der sogenannten organischen
Schöpfung an bis auf die Gegenwart durchlaufen haben'' (181>1, p. 7).
Haeckel läßt den Parallelismus zwischen beiden Entwickelungs-
reihen allerdings „dadurch etwas verwischt sein, daß meistens in der
ontogenetischen Entwickelungsfolge vieles fehlt und verloren gegangen
ist, was in der phyletischen Entwickelungskette früher existiert und
wirklich gelebt hat". Denn „wenn der Parallelismus beider Reihen",
fügt er dem Obigen weiter hinzu, „vollständig wäre, und wenn dieses
große Grundgesetz von dem Kausalnexus der Ontogenese und Phylo-
genie im eigentlichen Sinne des Wortes volle und unbedingte Geltung
hätte, so würden wir bloß mit Hilfe des Mikroskops und des ana-
tomischen Messers die Formeureihe festzustellen haben, welche das
befruchtete Ei des Menschen bis zu seiner vollkommenen Ausbildung
durchläuft; wir würden dadurch sofort uns ein vollständiges Bild von
der merkwürdigen Formenreihe verschatfen, welche die tierischen Vor-
fahren des Menschengeschlechts von Anbeginn der organischen Schöpfung
an bis zum ersten Auftreten des Menschen durchlaufen haben. Jede
Wiederholung der Stammesgeschichte durch die Keimesgeschichte ist
eben nur in seltenen Fällen ganz vollständig und entspricht nur selten
der ganzen Buchstabenreihe des Alphabets. In den allermeisten Fällen
ist vielmehr dieser Auszug sehr unvollständig, vielfach durch Ursachen,
die wir später kennen lernen w^erden, verändert, gestört oder gefälscht.
Wir sind daher meistens nicht imstande, alle verschiedenen Form-
zustände, welche die Vorfahren jedes Organismus durchlaufen haben,
unmittelbar durch die Ontogenie im einzelnen festzustellen ; vielmehr
stoßen wir gewöhnlich auf mannigfache Lücken,"
Haeckel unterscheidet daher in der Entwickelung zwei ver-
schiedene Arten von Prozessen : 1 ) die p a 1 i n g e n e t i s c h e n und
2) die c e n 0 g e n e t i s c h e n. Die ersteren sind keimesgeschichtliche
Wiederholungen oder solche Erscheinungen in der individuellen Ent-
wickelungsgeschichte, welche durch die konservative Vererlning getreu
von Generation zu Generation übertragen werden und welche demnach
54 Oscar Hertwig.
einen unmittelbaren Rückschluß auf entsprechende Vorgänge in der
Stamniesgeschichte der entwickelten Vorfahren gestatten. „Cenogenetische
Prozesse liingegen oder keimesgeschichtliche Störungen'' nennt Haeckel
„alle jene Vorgänge in der Keimesgeschichte, welche nicht auf solche
Vererbung von uralten Stammformen zurückführbar, vielmehr erst
später durch Anpassung der Keime oder der Jugendformen an be-
stimmte Bedingungen der Keimesentwickelung hinzugekommen sind.
Diese cenogenetischen Erscheinungen sind fremde Zuthaten, welche
durchaus keinen unmittelbaren Schluß auf entsprechende Vorgänge in
der Stamniesgeschichte der Ahnenreihe erlauben, vielmehr die Er-
kenntnis der letzteren geradezu fälschen und verdecken." Hierdurch
sieht sich Haeckel auch veranlaßt, eine Palingenesis oder Auszugs-
entwickelung und eine Cenogenesis oder Störungsentwickelung anzu-
nehmen, und er giebt mit Rücksicht auf dieses Verhältnis jetzt dem
biogenetischen Grundgesetz folgende schärfere Fassung:
„Die Keimesentwickelung (Ontogenesis) ist eine gedrängte und
abgekürzte Wiederholung der Stammesentwickelung (Phylogenesis),
und zwar ist diese Wiederholung um so vollständiger, je mehr durch
beständige Vererbung die ursprüngliche Auszugsentwickelung (Palin-
genesis) beibehalten wird, hingegen ist die Wiederholung um so unvoll-
ständiger, je mehr durch wechselnde Anpassung die spätere Störungs-
entwickelung (Cenogenesis) eingeführt wird."
Vererbung und Anpassung werden als die treibenden Faktoren
des Entwickeln ngsprozesses bezeichnet. Das System ist der unendlich
verzweigte Stammbaum der Organismen und die Hauptaufgabe des
Forschers ist, die Verbindungen der heutzutage existierenden Endzweige
in richtiger Weise herzustellen. In der w'irklichen P)lutsverwandtschaft
der Organismen ist die Erklärung für die morphologischen Erscheinungen
zu suchen.
Auf der Abstammungshypothese fußend, ging man
daran,- den v e r g 1 e i c h e n d - a n a t o m i s c h e n Ergebnissen,
Sätzen und Methoden eine phylogenetische Bedeutung
unterzulegen. Wie das System zum Stammbaum, so wurde die
alte vergleichend-anatomische Bezeichnung Homologie ein Ausdruck
für Blutsverwandtschaft. Während man früher als homolog solche
Teile bezeichnete, die nach Lage, Struktur und Entwickelung mit-
einander übereinstimmen, so erklärte man sie jetzt für Erbstücke
von gemeinsamen Vorfahren. Die vergleichend morphologischen Me-
thoden wurden zu phylogenetischen, wie Strasburger (1874) in einem
Vortrag : „Ueber die Bedeutung phylogenetischer Methoden für die Er-
forschung lebender Wesen" hervorhob, allerdings nicht ohne eine Ein-
schränkung dabei zu machen. Denn er fügte hinzu : „Die von uns
angewandten phylogenetischen Methoden unterscheiden sich im übrigen,
was den Modus procedendi anbetriift, nicht von den früheren ; wir
operieren immer noch mit den nämlichen Mitteln, die nur
neu werden durch den Hintergrund, den w^ i r i h n e n
ge b en."
Die eben skizzierten Anschauungen, die in einem geschlossenen
System auftraten, haben auf eine ganze Generation von Forschern
einen großen Einfluß ausgeübt und den Eifer für entwickelungs-
geschichtliche Untersuchungen wohl noch mehr geweckt, als es
vordem schon in so hohem Maße der Fall war. Mit Rücksicht auf
phylogenetische Spekulationen wandte man sich mit besonderem
Phylogenetische Hypothesen. 55
Interesse dem Studium solcher Tiergruppen zu, in welchen man
weniger abgeänderte, gemeinsame Stammformen im System zu er-
blicken geneigt war, überliaui)t den sogenannten Verbindungsgliedern
zwischen verschiedenen Klassen oder Typen. Man suchte die Ur-
formen zu erforschen, deren Entwickelung als eine möglichst unver-
fälschte oder i)alingenetische angesehen werden konnte. Amphioxus
und die Selachier insbesondere wurden bevorzugte Objekte der Em-
bryologen, das letztere Objekt, nachdem es schon Gegenbaur zur
Grundlage für seine Arbeiten über das Skelett gemacht hatte. Während
vordem durch die Typenlehre von Cuvier und Baer der vergleichen-
den Morphologie gewisse Fesseln angelegt worden waren, so konnte
jetzt die Vergleichung wieder freier und kühner hervortreten, wie zur
Zeit, als G. St. Hilaire seine Lehre sur l'unite de composition ent-
wickelte und die These aufstellte, daß die Gliedertiere auf dem Rücken
laufende Wirbeltiere seien. Jetzt wurde die Theorie der Keimblätter
von den Wirbeltieren auch auf die Wirbellosen übertragen und in der
Gastraeatheorie eine Grundform, die Gastraea, aufgestellt, welche für
alle Tiertypen gemeinsam ist. Beziehungen der Wirbeltiere zu den
Anneliden, wie in den Segmentalorganen, ja selbst zu den Cölenteraten
wie in dem den Urmund umgebenden Nervenring wurden aufgefunden.
Bei der Charakteristik der vorliegenden Epoche ist auch des
Zuges nach dem Meere zu gedenken. Schon iu der Mitte unseres
Jahrhunderts haben Jon. Müller und seine Schüler, ferner Kölliker,
Gegenbaur, Haeckel, Leuckart die hohe W^ichtigkeit von Unter-
suchungen mariner Tierformen erkannt und daher solche an diesem
und jenem Punkte der Meeresküste vorgenommen. Zur zoologischen
Forschung am Meere kam jetzt bald auch die entwickelungsgeschicht-
liche hinzu, und so wuchs die Zahl derer, welche alljährlich mit ihrem
mikroskopischen Apparate die Meeresküste aufsuchten, so sehr, daß
der Gedanke lebendig werden konnte, für sie besondere biologische
Stationen am Meere zu errichten. Nachdem die zoologische Station zu
Neapel iu großem Stil von Dohrn gegründet worden war, folgten bald
ähnliche Anstalten nicht nur an den verschiedensten Küstenpunkten
Europas (Triest, Villafranca, Roseoff, Rovigno, Helgoland etc.), sondern
ebenso auch in Amerika und Australien. Durch diese Einrichtungen
wurden entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Meertieren
außerordentlich erleichtert. Die am meisten begehrten Untersuchungs-
objekte wurden Amphioxus und noch weit mehr die Selachier, welche
jetzt die Stelle des Hühnchens in der vorausgegangenen Periode ein-
nahmen.
Wenn ich als eine der wichtigsten treibenden Kräfte der ent-
wickelungsgeschichtlichen Forschung die phylogenetischen Hypothesen
besonders in der ihnen von Haeckel gegebenen Form aufgeführt
habe, so dürfen zur Vervollständigung des geschichtlichen Ueberblicks
auch die Einwürfe nicht unerwähnt bleiben, die den neuen Bestrebungen
von manchen Seiten gemacht worden sind. Da läßt sich als eine
Einseitigkeit der phylogenetischen Richtung das allzu große Gewicht
bezeichnen, welches von ihr auf die Abstammungsfrage, gewissermaßen
als den Mittelpunkt embryologischer Forschung, gelegt wird. Wird
doch dadurch die Hypothese zur Hauptsache in der Wissenschaft von
der Entwickelung gemacht. Denn auf alle Abstammungsfragen können
nur hypothetische Antworten der Natur der Beweismittel nach gegeben
werden. Von keiner der 3 Parallelerscheinungen, auf welchen das bio-
56 Oscar Hertwig,
genetische Grundgesetz aufgebaut ist, können wir erfahren, wie in
Wirklichkeit die entfernte Vorfahrenform irgend einer Tierart ausge-
sehen hat.
Einmal ist aus der Beschati'enheit der jetzt lebenden niederen und
höheren Organismen auf die Beschaffenheit vorausgegangener Ahnen-
formen irgend einer Tierart kein sicherer Schluß zu ziehen. Denn
hier gilt im allgemeinen, was Gegenbaur im besonderen von dem
Verhältnis des Lepidosiren zu den jetzt lebenden Amphibien sagt
(1870, p. 75): „Es ist zwar in hohem Grade wahrscheinlich, daß
Lepidosiren mit den gegenwärtig lebenden Amphibien gemeinschaft-
liche Stammeltern besaß, aber es ist ebenso sicher, daß jene Amphibien
nicht von Lepidosiren abstammen." „So wenig wir die Urahnen
einer Familie oder die Voreltern eines Volkes unter der Generation
der Lebenden suchen, so wenig dürfen wir daran denken, unter der
lebenden Tierwelt dieselben Formen in unveränderter Gestalt zu ent-
decken, die für diese oder jene Abteilung der Ausgang der Differenzierung
gewesen sind."
Ebensowenig aber ist ein sicherer Schluß auf die specielle Or-
ganisation entfernter Vorfahrenformen auf Grund der Stufenfolgen einer
individuellen Entwickelung möglich. Denn, streng genommen, ist jedes
Embryonalstadium, wenn wir der Terminologie von Haeckel folgen,
ein cenogenetisches, und nichts ist sicherer, als daß Formen, wie sie
jetzt als Stadien in einer Ontogenie beobachtet werden, in der Vor-
zeit als Ahnenformen nie existiert und nie den Abschluß einer in-
dividuellen Entwickelung gebildet haben können.
Wie Oscar Hertwig in seinem Lehrbuch : „Die Zelle", eingehen-
der durchgeführt hat, sind an der von Haeckel gegebenen Fassung des
biogenetischen Grundgesetzes einige Aenderungen vorzunehmen (LS98,
p. 273) : „Wir müssen", heißt es daselbst, „den Ausdruck : „Wiederholung
von Formen ausgestorbener Vorfahren" fallen lassen und dafür setzen:
Wiederholung von Formen, welche für die organische Entwickelung
gesetzmäßig sind und vom Einfachen zum Komi)lizierteren fortschreiten.
Wir müssen den Schwerpunkt darauf legen, daß in den embryonalen
Formen ebenso wie in den ausgebildeten Tierformen allgememe Ge-
setze der Entwickelung der organisierten Lebenssubstanz zum Aus-
druck kommen."
„Nehmen wir, um diesen Gedankengang klarer zu machen, die
Eizelle. Lulem jetzt die Entwickelung eines jeden Organismus mit
ihr beginnt, wird keineswegs der alte Urzustand rekapituliert aus der
Zeit, wo vielleicht nur einzellige Amöben auf unserem Planeten
existierten. Denn die Eizelle z. B. eines jetzt lebenden Säugetieres
ist kein einfaches und indifferentes, bestimmungsloses Gebilde, als
welches sie zuweilen hingestellt wird, sondern sie ist das außerordent-
lich komplizierte Endprodukt eines sehr langen, historischen Ent-
wickelungsprozesses , welchen die organisierte Substanz seit jener
hypothetischen Epoche der Einzelhgen durchgemacht hat. Die Eizelle
von jetzt und ihre einzelligen Vorfahren in der Stammesgeschichte
sind daher nur, insofern sie unter den gemeinsamen Begriff der Zelle
fallen, miteinander vergleichbar, im übrigen aber in ihrem eigent-
lichen Wesen außerordentlich verschieden voneinander. W^as von der
Eizelle, gilt in derselben Weise von jedem folgenden Embryonalstadium.
Es ist bei der Vergleichung ontogenetischer mit vorausgegangenen
phylogenetischen Entwickelungsstufen immer im Auge zu behalten,
Moditikation des biogenetischen Grundgesetzes. 57
laß infolge der mannigfachsten Einwirkungen äußerer und innerer
Faktoren das ontogenetisclie System in beständiger Veränderung be-
griffen ist, und zwar sich im allgemeinen in fortschreitende!' Richtung
verändert, daß daher in Wirklichkeit ein späterer Zustand niemals
mehr einem vorausgegangenen entsprechen kann."
Wenn ein Systeniatiker einen einfachen Hydroidpolypen und die
nur in geringfügigen Merkmalen unterschiedenen Gastrulaformen eines
Seesterns, eines Brachiopoden, einer Sagitta, eines Amphioxus auf
Grund ihrer Aehnlichkeit im Tiersystem zu einer Gruppe der Gasträ-
aden vereinigen wollte, so würde er handeln wie ein Chemiker, der
alle möglichen weiß aussehenden und in Xadeln krystallisierendeu
chemischen Körper zu einer Gruppe im chemischen System zusammen-
stellte, obwohl sie alle mit einer ganz verschiedenen, vom Laien aller-
dings nicht erkennbaren und auch nicht nachzuweisenden Molekular-
strnktur versehen sind. Wie in der chemischen Systematik nicht ein
grob in das Auge springendes Merkmal als Einteilungsprinzip zu
verwerten ist, so auch bei der Einordnung der äußerlich ähnlichen
Gastrulaformen. Denn die Gastrula eines Echinodermen, eines Cölen-
teraten, eines Brachiopoden, eines Amphioxus trägt trotz aller äußeren
Aehnlichkeit stets der Anlage nach und als solche für uns nicht er-
kennbar die Merkmale ihres Typus und ihrer Klasse an sich, nur noch
im unentwickelten Zustand; alle Gastrulastadien sind also in Wahrheit
ebenso weit voneinander unterschieden, wie die nach allen ihren Merk-
malen ausgebildeten Lebewesen.
Daß gewisse Formzustände in der Entwickelung der Tiere mit
so großer Konstanz und in prinzipiell übereinstimmender Weise
wiederkehren, liegt hauptsächlich daran, daß sie unter allen Verhält-
nissen die notwendigen Vorbedingungen liefern , unter denen sich
allein die folgende höhere Stufe der Ontogenese hervorbilden kann.
Der einzellige Organismus kann sich seiner ganzen Natur nach in
einen vielzelligen nur auf dem Wege der Zellenteilung umwandeln.
Daher muß bei allen Metazoen die Ontogenese mit einem Furchungs-
prozeß beginnen, und Aehnliches läßt sich von jedem folgenden Stadium
sagen.
So führt uns die Vergleichung der ontogenetischen Stadien der
verschiedenen Tiere teils untereinander, teils mit den ausgebildeten
Formen niederer Tiergruppen zur Erkenntnis allgemeiner Gesetze,
von welchen der Entwickelungsprozeß der organischen Materie be-
herrscht wird.
Es ist daher auch nicht zu billigen, wenn man den Begriff der
Homologie mit dem Begriff wirklicher Blutsverwandtschaft zu ver-
quicken und aus ihm zu erklären sucht. Denn dadurch macht man
für das ganze Lehrgebäude der vergleichenden ^lorphologie die Hypo-
these zur Grundlage; vielmehr hat die vergleichende Anatomie und
vergleichende Entwickelungsgeschichte die Organismen nur nach dem
Maßstabe ihrer größeren und geringeren Aehnlichkeit, wobei allerdings
alle Organisationsverhältnisse zu berücksichtigen sind, die Organe
nach ihren Lagebeziehungen, ihrem Bau und der Art ihrer Entwicke-
lung zu vergleichen und hieraus allgemeine Regeln zu ziehen, zu
welchen sich dann in zweiter Reihe noch die Frage nach Abstammung
und Blutsverwandtschaft als etwas Hypothetisches hinzugesellen kann.
Ebenso verbietet es sich, die vergleichend-morphologischen kurz-
weg als phylogenetische Methoden zu bezeichnen. Schon 1875 hat
58 Oscar Hertwig,
sich hierüber Alexander Braun (1875, i). 245, 246) in folgender
Weise geäußert: ,,Es ist begreiflich, daß man die Bedeutung des
neuen Standpunktes überschätzte und von der Abstanmiungslehre niehi'
erwartete, als sie zu leisten fähig ist, daß man in ihrer Anwendung
eine neue Methode gefunden zu haben glaubte, wo es sich in der That
nur um ein Resultat der früheren Methode und einen dadurch er-
weiterten Gesichtspunkt handelte."
„Nicht die Descendenz ist es, welche in der Morphologie ent-
scheidet, sondern umgekehrt, die Morphologie hat über die Möglich-
keit der Descendenz zu entscheiden." „Dieselbe Verkennung der von
der Abstammungslehre unabhängigen Bedeutung der Morphologie liegt
in der Behauptung, daß von einer Homologie der Organe nur die
Rede sein könne unter der Voraussetzung gemeinsamer Abstammung
oder, wie Strasburger sich ausdrückt, daß die Vergleichung selbst
schon Phylogenese sei, da sie nur unter der Voraussetzung gelte, daß
man es mit Dingen von gleichem Ursprung zu thun habe. Es kommt
darauf an, was man unter gleichem Ursprung versteht. Den Würfeln,
in welchen das Kochsalz krystallisiert, wird man den gleichen Ursprung
nicht absprechen, aber von einer gemeinsamen Abstammung derselben,
von einem Urwürfel des Kochsalzes wird man nicht reden können.
So könnte man auch im Gebiete des Organischen eine gleiche Art
des Ursprungs typisch übereinstimmender Formen sich denken ohne
äußeren Zusammenhang der Entwickelung" — .
An die Besprechung der führenden, auf der Zellentheorie und
auf der Descendenztheorie basierten Ideen möge sich noch eine kurze
Ueljersicht anschließen über die auf speciellere Probleme gerichtete
wissenschaftliche Arbeit, welche in keinem Zeitraum so fruchtbar
und erfolgreich wie in den letzten 50 Jahren gewesen ist. Groß wie
nie zuvor ist die Schar embryologischer Forscher in allen Staaten
Europas und Nordamerikas ; auch in Japan bildete sich unter Mitsicuri
und Ishikawa eine tüchtige Embryologenschule aus.
Aus jeder Klasse der Wirbeltiere fanden einzelne Repräsentanten
jetzt ihre monographische Bearbeitung. Mit der Entwickelung des
Amphioxus beschäftigten sich so ausgezeichnete Beobachter wie
KowALEVSKY uud Hatschek uud schufen hier eine Grundlage, auf
welche man bei der Untersuchung anderer Wirbeltierklassen immer
wieder zurückzugehen suchte. Aus der Klasse der Cyclostomen
untersuchten M. Schultze, Kupffer, Götte u. a. Petromyzon und
neuerdings Dean das so abweichende Verhältnisse darbietende Bdello-
stoma auf ihre Entwickelung. Die Teleostier und Ganoiden bearbeiteten
Lereboullet, Oellacher, Henneguy, Agassiz, His, Whitman u. a.
Von hervorragender Wichtigkeit wurde die ausgezeichnete Monographie
„On the development of Elasmobranch fishes" des so früli ver-
storbenen Balfour (1878). Sie wurde der Ausgangspunkt einer sehr
großen Reihe der wichtigsten, zu weiterer Ergänzung dienenden Unter-
suchungen. Eine Monographie der Amphibienentwickelung lieferte
GÖTTE in seinem Werk über die Unke. Das Hühnchen wurde von
His von neuem bearbeitet, verschiedene Vertreter der Reptilien wurden
von Rathke, Agassiz, Strahl, Will, Mehnert, Mitsicuri
untersucht.
Embryologische Arbeiten der letzten 50 Jahre. 59
Das schwierige, kostspielige und zeitraubende Studium der Säuge-
tierentwickelung wurde von vielen Seiten in Angriff" genommen. Auf
Bischoff, dem wir verschiedene Monographieen über Kaninchen,
Meerschweinchen, Hund und Reh verdanken, folgten Van Beneden,
welcher Kaninchen und Fledermaus, Bonnet, w^elcher Hund und Wieder-
käuer, Keibel. welcher das Schwein, Hubrecht, welcher Nagetiere,
Selenka, welcher die Beuteltiere, Caldwell und Semon, welche die
Monotremen zum Gegenstand ihrer embrj'ologischen Arbeiten machten.
Von der Entwickelung des Menschen endlich lieferte His eine grund-
legende Untersuchung in seiner Anatomie menschlicher Embryonen,
an welche sich zahlreiche Einzeldarstellungen von Embryonen aus
der 1. bis 3. Woche von Fol, Spee, Mall, Chiarugi, Phisalix
und vielen anderen anschlössen.
Noch eifriger wurde, zumal von vergleichenden Gesichtspunkten
aus, das Studium einzelner Stadien des Entwickelungsprozesses und
einzelner Organsysteme betrieben. Der Ausbau der Keiinblattlehre
stand viele Jahrzehnte hindurch im Mittelpunkt der wissenschaftlichen
Diskussion. Durch Haeckel's bahnbrechende Gastraeatheorie (1874,
1875) und durch die gleichzeitig erschienene, berühmte Planulatheorie
von Lankaster (1873, 1877) wurde es möglich, die beiden primären
Keimblätter von der einfachen Grundform der Gastrula, resp. Planula
abzuleiten. Durch die Cölomtheorie von Lankester, Oscar und
Richard Hertwig (1881) fiel Licht auf den Ursprung und die Be-
deutung des mittleren Keimblattes. Die Frage nach dem Urmund in
den verschiedenen Klassen der Wirbeltiere, nach seiner Bedeutung
und seinem Schicksal wurde von den verschiedensten Seiten zu lösen
versucht (Balfour, Rauber, Hatschek, Kowalevsky , Rabl,
DuvAL, Oscar Hertwig etc.)
Die kurzen Bemerkungen mögen hier genügen, da in dem dritten
Kapitel auf die Geschichte der Keimblattlehre noch genauer einge-
gangen werden wird. Aus demselben Grunde kann hier aus der Ge-
schichte der Organogenese ebenfalls nur eine knappe Zusammen-
stellung des Wichtigsten Platz finden.
Die Entwickelung der Eihäute und der Placenta bildet ein be-
liebtes, stets wieder von neuem in Angriff" genommenes Thema. Unter
den zahlreichen Forschern, die sich mit ihm beschäftigt haben, sind
besonders zu nennen : Turner und Ercolani, Van Beneden, Strahl,
Osborn und Duval, Waldeyer, Langhans und Sedgwick Minot,
von Gynäkologen Hofmeier, Leopold und Rüge.
Zu einer Reihe glänzender Entdeckungen führt das mit Eifer
in Angriff" genommene Studium der Ontogenese des Urogenitalsystems.
Nach den grundlegenden Arbeiten von Rathke und Jon. Müller
haben sich auf diesem Gebiete besonders ausgezeichnet : Waldeyer,
Semper, Balfour, Fürbringer, Spengel, Flemming, Rückert,
Rabl. Boveri, Semon, Felix etc.
Das Gehirn wird auf seine Entwickelung eingehend untersucht
von MiHALCOvics, von His, Kupffer u. a., das Gehörorgan von
Böttcher, das Auge von Kessler, das Geruchsorgan von Mihalco-
vics. Der Darmkanal und seine Drüsen werden bearbeitet von Toldt,
Brächet, die Derivate der Kiemenspalten von Kölliker, Stieda,
Born, Maurer, Prenant u. a., die Zähne und Zalmgebilde von
Robin und Magitot. Tomes, Hertwig, Kollmann, Rose u. a.
Das in älterer Zeit von Rathke genauer untersuchte Gefäßsystem
60 Oscar HertwiCx,
und das Herz finden neue Bearbeiter in His, Born, Hochstetter,
die Ent Wickelung des Zwerchfells und Herzbeutels klären auf:
Brächet, Uskow, Kavn, Swaen. Zahlreich sind die Forscher, die
sich mit der Entwickelung des Skeletts, besonders auch des Schädels,
beschäftigt haben: Gegenbaur, Kölliker, Parker, Jacobson,
Spöndli, Hertwig, Götte, Hasse, Rosenberg, Rüge, Stöhr,
Froriep, Mollier, Braus, Wiedersheim, Gaupp.
Durch die Genannten, denen sich noch viele andere, zum Teil
nicht minder verdiente Forscher anschließen, ist in 4 bis 5 Decennien
ein sehr umfangreiches Wissensmaterial zusammengetragen, gesichtet
und unter allgemeine Gesichts})unkte gebracht worden, so daß wir
fast in die Entwickelung eines jeden Organsystems mehr oder minder
vollständige, hier und da schon erschöpfende Einblicke gewonnen
haben. Immer schwieriger wird es, auf dem Gebiete der Organo-
genese neue, grundlegende Entdeckungen zu machen.
Auch in Lehrbüchern hat die Entwickelungsgeschichte der Wirbel-
tiere in dem letzten Zeitraum viele zusammenfassende Darstellungen
erfahren. Hier ist in erster Linie zu nennen die in erster Auflage
1S()1 erschienene Entwickelungsgeschichte des Menschen und der
höheren Tiere von Kölliker, eine Quelle der Belehrung für die
ältere Generation der Embryologen, ein Lehrl)uch, das sich durch
zahlreiche Holzschnitte auszeichnete, wie sie in gleicher Vollkommen-
heit auf diesem Gebiete vorher nicht existierten. Eine neue Be-
arbeitung desselben wurde 1897 durch Oscar Schultze veranstaltet.
Ein großes vergleichend-embryologisches Wissensmaterial wurde 18H1
zusammengestellt in dem durch eine Fülle allgemeiner Gesichtspunkte
ausgezeichneten Handbuch der vergleichenden Embryologie von Bal-
FOUR. 1886 erschien das Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte des
Menschen und der Wirbeltiere von Oscar Hertwig, in welchem der
Verfasser die vergleichend- genetische Methode zur Grundlage der
Darstellung machte und besonders die allgemeinen theoretischen
Probleme in den Vordergrund stellte. In 6 Auflagen fand es rasch
eine weite Verbreitung und wurde in die englische, französische,
italienische und russische Sprache übersetzt. Ein ähnliches Prinzip
der Darstellung befolgten hierauf Prenant. Sedg\vick Minot und
MiHALCOVics in ihren vortrefllichen Lehrbüchern : Prenant, Elements
d'embryologie de l'homme et des vertebres, 1891; Ch. S. Minot,
Human Embryology, 1892; Mihalcovics, Fejlödestan, 1899. Unter
ihnen zeichnet sich Minot's Entwickelungsgeschichte durch ein gründ-
liches Studium der einschlägigen Litteratur aus. Außerdem sind noch
hervorzuheben: Romiti's, Hoffmann's, Schäfer's, Marshall's,
Kollmann's, Bonnet's, Schenk's Lehrbücher; Haeckel's auf einen
weiteren Leserkreis berechnete, 1891 in 4. Auflage herausgegebene
Anthropogenie und Duval's Atlas d'embryologie, 18S8, Ein größeres
embryologisches Tafelwerk, das für den Forscher ein wichtiges, unent-
behrliches Hilfsmittel zur raschen und genauen Orientierung zu werden
verspricht, sind die von Keibel herausgegebenen, in Lieferungen er-
scheinenden Normentafeln der Entwickelungsgeschichte.
Die Entwickelungsph3'siologie. 61
II. Die physiologische Richtung in der entwickelungsi^eschicht-
lichen Forschung.
Auch von physiologischen Gesichtspunkten aus kann man den
Entwickelungsprozeß der Organismen in der verschiedensten Weise
zum Gegenstand wissenschaftlichen Studiums machen. Nicht zufrieden
mit der anatomischen Untersuchung und Vergleichung der entwickelten
und in Entwickelung begriffenen Formen der Lebewesen, mit den Ge-
setzen und mit dem System, das man auf diese Weise erhält, wirft
man auch noch die Frage nach den Ursachen auf, welche den Ent-
wickelungsprozeß bewirken. Man versucht, wie His sich ausdiückt,
„jede Entwickelungsstufe mit allen ihren Besonderheiten als notwendige
Folge der unmittelbar vorangegangenen" zu begreifen (1874, p. 2).
Zu der reinen Beobachtung tritt hier als wichtiges Hilfsmittel das
biologische Experiment hinzu. Man kann diese Seite der Entwickelungs-
lehre wohl am passendsten als Entwickelungsphysiologie oder
auch als experimentelle Entwickelungslehr e von der ver-
gleichend-morphologischen Richtung unterscheiden.
Schon der früher beschriebene Versuch C. Fr. Wolff's, die Ent-
wickelung eines Organismus durch die Wirkungen seiner Vis essen-
tialis, aus Strömungen eines Säftegemisches nach besonderen Wachs-
tumspunkten hin und aus Attraktion und Repulsion verschiedener
Stoffe zu erklären , läßt sich als eine entwickelungs-physiologische
Hypothese bezeichnen. Später hat sich Lotze in seiner „allgemeinen
Physiologie des körperlichen Lebens" (1851) wieder eingehender mit
den Ursachen der Gestaltbildung beschäftigt. Namentlich aber hat His
der auf der Descendenztheorie fußenden phylogenetischen Richtung die
Aufgaben einer besonderen Entwickelungsphysiologie entgegengestellt
in seinen Briefen an einen befreundeten Naturforscher : Unsere Körper-
form und das physiologische Problem ihrer Entstehung (1874). Durch
Gründung eines eigenen „Archivs für Entwickelungsmechanik der
Organismen" hat Roux die Arbeiten der physiologischen Richtung, die
bis dahin in anderen Zeitschriften zerstreut erschienen waren, in einen
Brennpunkt zu vereinigen gesucht.
Wenn wir nach den Errungenschaften auf diesem Gebiete im
19. Jahrhundert fragen, so ist an erster Stelle auf die grundlegenden
Entdeckungen hinzuweisen, durch welche die Physiologie der
Zeugung ein ganz neues Aussehen gewonnen hat. Der alte Streit
der Animalculisten und Ovisten fand jetzt erst seine befriedigende
Lösung durch die genaue Feststellung der Erscheinungen des Be-
fruchtungsprozesses. Am Echinodermenei wurde durch Oscar Hert-
wiG (1875) der Nachweis geführt, daß ein Samenfaden in den Dotter
eindringt, daß sein Kopf, welcher aus Chromatin besteht und nach
den älteren Untersuchungen von La ^'ALETTE vom Kern der Samen-
bildungszelle abstammt, zu einem Samenkern wird, daß Ei und
Samenkern einander entgegenwandern und durch ihre Vereinigung
den Keimkern liefern, von welchem die weiteren Entwickelungs-
vorgänge beherrscht werden. Somit haben sowohl die Ovisten als die
Animalculisten in gewissem Sinne recht behalten, die einen, wenn
sie das neue Geschöpf vom Ei, die anderen, wenn sie es vom Samen-
iaden herleiteten. Nur ist jetzt die Vorstellung eines Geschöpfes
62 Oscar Hertwig,
eil iiiiiiiature durch den Begriff der Anlagesubstanz ersetzt worden.
Durch den Nachweis, daß bei der Zeugung eine väterliche und eine
mütterliche Anlage sich vereinigen, war jetzt in befriedigender Weise
eine materielle Grundlage für die Thatsache gewonnen, daß das Kind
ein Mischprodukt aus den Eigenschaften seiner beiden Erzeuger dar-
stellt, und so eine Schwierigkeit beseitigt, derer Gewicht Haller,
Bonnet und andere Evolutionisten wohl empfanden, aber auch durch
Hilfshypothesen nicht zu beseitigen wußten.
Eine außerordentlich umfangreiche Litteratur ist seit 1875 über
die Befruchtung und die mit ihr in Zusammenhang stehenden Pro-
zesse entstanden. Durch zahlreiche Untersuchungen wurde die Gesetz-
mäßigkeit der Befruchtungsvorgäiige für das Pflanzenreich durch
Strasburger und Guignard etc., für das Tierreich durch Fol,
Flemming, Selenka, Van Beneden, Boveri und viele andere, für
Protozoen durch Richard Hertw^ig und Maupas festgestetlt. Ferner
wurde unsere Erkenntnis des Prozesses auch noch weiter vertieft
1) durch die von E. Van Beneden (1H83) entdeckte Thatsache, daß Ei-
und Samenkern genau äquivalente Mengen von färbbarer Kernsubstanz
zur Konstituierung des Keimkerns liefern, und 2) durch den gleichfalls
von ihm geführten Nachweis, daß bei der Teilung der Eizelle die
beiden Tochterzellen infolge der Längsspaltung der im Keimkern ent-
haltenen Chromosomen väterlicher und mütterlicher Herkunft gleich
viel Kernsubstanz von beiden Eltern erhalten. Hierzu gesellte sich
bald auch noch die Entdeckung der Reduktionsteilung, welche durch
Van Beneden, Boveri, Weismann, 0. Hertwig, vom Rath, Rückert,
Haecker, Brauer u. a. aufgeklärt wurde.
Die beim Studium des Befruchtungsprozesses neu gewonnenen
Thatsachen wurden die Grundlage für eine Theorie der Vererbung,,
welche 0. Hertwig (1884) und Strasburger (1884) gleichzeitig und
unabhängig voneinander veröffentlichten. Beide stellten die Hypo-
these auf, daß Ei- und Samenkern die Träger der mütterhchen und
väterlichen Erbmasse oder der von Nägeli „Idioplasma" genannten
Substanz sind. Als Beweise für diese Auffassung führte 0. Hert-
wig an, 1} den Verlauf des Befruchtungsprozesses, 2) die Aequivalenz
der von den beiden Erzeugern bei der Befruchtung zusammentretenden
Kernstoffe, 3) die an keiner Stelle unterbrochene Kontinuität der Kern-
generationen, 4) die komplizierten Erscheinungen der Karyokinese,.
welche auf eine gleichmäßige Verteilung der Kernsubstanzen hinaus-
laufen. In der Erbmasse erblickten Hertwig und Nägeli eine hoch-
organisierte Substanz von einer verwickelten micellaren Struktur.
Noch in vielen anderen Richtungen erfuhr die Physiologie der
Zeugung einen weiteren Ausbau. Die von Bonnet entdeckte Partheno-
genese wurde in ihrem Vorkommen und in ihrer Abhängigkeit von
äußeren Faktoren im Tierreich genauer studiert, vor allen Dingen
von Siebold und Weismann ; dabei wurde die interessante That-
sache festgestellt, daß parthenogenetische Eier nur einen Richtungs-
körper bilden (Weismann, Blochmann, Brauer etc.). Die Erschei-
nungen und Ergebnisse der Bastardbefruchtung wurden an Echinodermen
durch Oscar und Rich. Hertwig, an Amphibien durch PplItger
und Born, sowie an mehreren anderen Objekten, verfolgt. Auch in
die Geheimnisse der vegetativen Affinität , mit welcher sich bisher
fast ausschließlich Botaniker an Pflanzen beschäftigt hatten, versuchten
einzelne Forscher jetzt auf tierischem Gebiete Einblicke zu gewinnen,.
Entwickelungsphysiologie. 63
Born, indem er Teilstücke von Embryonen verschiedener Amphibien
durch Pfropfimii zu vereinigen suchte, Wetzel und Joest, von denen
der eine gleiclie Experimente mit verscliiedencn Hydraarten , der
andere mit verscliiedenen Arten von Regenwürmern ausführte, Paul
Bert, indem er die Schwanzspitze von einem Nagetier in die Haut
anderer verwandter Nager verpflanzte.
Eine besondere Aufgabe haben die Vertreter der Entwickelungs-
physiologie mit Recht in der genaueren Erforschung d e i- em-
bryonalen W a c h s t u m s V 0 r g ä n g e gesucht. In den schon er-
wähnten Briefen hat His das „Prinzip des ungleichen Wachstums"
aufgestellt, auf die Notwendigkeit hingewiesen, durch Ausführung von
Messungen sich hierüber genauer zu unterrichten, und selbst auch
mehrere solcher Untersuchungen ausgeführt. Bald nach der Ent-
deckung der Karyokinese und der Einführung verbesserter Methoden
zu ihrer Darstellung erkannte man, daß ein ausgezeichnetes Mittel
zum Studium der Orte beschleunigten Wachstums der Nachweis der
Zahl der Kernteilungsfiguren sei. Altmanx lenkte die Aufmerksam-
keit auf die Häufigkeit der Mitosen an der Innenfläche des Medullar-
rohres; Bizzozero studierte das Drüsenwachstum durch Untersuchung
der Mitosen, Keibel u. a. die Verteilung der Mitosen in der Keim-
scheibe und ihre Anhäufung in der Umgebung der Primitivrinne.
Man hat die durch ungleiches Wachstum bedingten Vorgänge,
welche zur Entstehung der verschiedensten Organe führen, in zwei
Gruppen geteilt, in die Faltenbildung (Aus- und Einstülpung) epi-
thelialer Lamellen, und in die Auswanderung von Zellen aus dem epi-
"thelialen Verbände. Nachdem schon P ander (1817) die Bedeutung
der Faltenbildung für die Entstehung der Organe klar erkannt hatte,
haben sich His, Rauber, Oscar und Richard Hertwig mit ihr ein-
gehender beschäftigt. Letztere (1.S79— 81) lenkten in ihren Schriften zur
Blättertheorie die Aufmerksamkeit auf die Cölenteraten , ein aus-
gezeichnetes Objekt, in dessen ganzer Organisation sich das Prinzip
der Faltenbildung epithelialer Lamellen bis in das kleinste Detail auf
das klarste durchgeführt zeigt. Auch läßt sich hier als physiologische
Ursache für das ungleiche Wachstum einer Zellmembran das ungleiche
Funktionieren ihrer verschiedenen Abschnitte erkennen. Es werden
nämlich Teile einer Membran stärker wachsen und sich eiufalten müssen,
w^enn sie vermöge ihrer Lage mehr als benachbarte Strecken für irgend
einen besonderen Zweck funktionell in Anspruch genommen werden.
Unter den Wachstumsvorgängen haben die überraschenden That-
sachen der Regeneration schon in früher Zeit das lebhafteste Interesse
der Physiologen auf sich gezogen. Nachdem die ersten grundlegenden
Beobachtungen durch Trembley. Bonnet, Spallanzani, Reaumur
an Hydra, an Lumbricinen und Naiden, an Amphibien, Eidechsen und
an Krebsen gesammelt worden waren, haben in der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts Blumenbach und Duges die Lehre von der Re-
generation weiter gefördert, namentlich aber ist ihr eine größere Be-
achtung wieder in den letzten Jahrzehnten zu teil gew'orden.
Als besonders erfolgreiche Forscher auf diesem Gebiet sind Loeb
und WoLFF hervorzuheben. Au experimentelle Errungenschaften der
Botaniker anknüpfend, hat Loeb (1891/92) die durch Abtrennung oder
Verletzung von Körperteilen hervorgerufenen Wachstumsvorgänge in die
Regenerationen im engeren Sinne und in die Heteromorphosen ein-
geteilt. Von einer Regeneration spricht er, wenn von der Wundstelle
64 Oscar Hertwig,
aus das verloren gegangene Organ in der früheren Weise wieder neu
gebildet, also einfach ersetzt wird, dagegen liegt eine Heteromorphose
vor, wenn infolge besonderer, meist nicht näher zu analysierender
Bedingungen neue Organe gebildet werden, welche dem betreffenden
Orte oder dem i)roduzierenden Gewebe ursprünglich fremd sind.
Durch sinnreiche Experimente hat Loeb eine größere Auswahl hoch-
interessanter Heteromorphosen bei Hydroidpolypen, bei Cerianthus, bei
Ascidien hervorzurufen verstanden. — Große Verwunderung rief in
Anatomenkreisen die von Colucci und Wolff gemachte, von Erik
Müller u. a. bestätigte Entdeckung hervor, daß im Auge der Tritonen
nach vollständiger Extraktion der Linse eine vollkommene normale
neue Linse entsteht, aber jetzt nicht von ihrem ursprünglichen Mutter-
boden, sondern von einem mit der ontogenetischen Linsenentwickelung
in gar keiner Beziehung stehenden Orte, nämlich von dem Epithel
des oberen Irisrandes.
Wenn man von einem allgemeineren Standpunkte aus nach den
Ursachen fragt, welche die Besonderheiten eines Entwickelungspro-
zesses und des Wachstums bewirken, so kann man dieselben in zwei
große Gruppen einteilen, in die äußeren und in die inneren Faktoren
der organischen Entwickelung. Eine Uebersicht über dieselben haben
Spencer (187G) in seinen Prinzipien der Biologie und Oscar Hert-
wig (1898) im zweiten Band seiner allgemeinen Anatomie und Physio-
logie gegeben. Beide Faktoren sind in gewissem Maße dem Experi-
ment zugänglich.
Ueber die äußeren Faktoren der Entwickelung liegt eine Reihe
experimenteller Untersuchungen aus den letzten Jahrzehnten vor,
nachdem zuvor schon auf botanischem Gebiete Sachs, Pfeffer u. a.
erfolgreich vorgegangen waren. Der Einfluß von Licht , Wärme,
Schwerkraft, Druck, Zug, chemischen Stoffen auf den Ablauf der
tierischen Entwickelung wurde von Roux, Schultze, Oscar Hert-
wig, Dareste, Dorfmeister, Weismann, Merisfield, Nussbaum,
Maupas, Herbst, Kassowitz, Gies, Pouchet und Chabry,
ScHMANKEWiTSCH, Wegner ctc. uutersucht.
Viel wichtiger als die äußeren sind bei den Tieren die inneren
Faktoren der organischen Entwickelung, d. h. die Ursachen, die in
der si)ecifischen Organisation der Anlagesubstanz gegeben sind und
bewirken, daß jeder Entwickelungsprozeß in artgemäßer Weise nach
einem bestimmten Ziele seinen Ablauf nimmt. Wie dies geschieht,
ist seit 10 Jahren viel diskutiert worden und hat zu einer Reihe
wichtiger Experimente sowie zur Ausarbeitung mehrerer Theorieen
geführt, in denen sich vornehmlich zwei entgegengesetzte Standpunkte
vertreten finden.
Der eine Standpunkt ist in der von Weismann (1892) veröffent-
lichten Keimplasmatheorie am schärfsten vertreten worden. Wie schon
andere Forscher vor ihm, nimmt Weismann an, daß im Ei und zwar
in seinem Zellenkern, eine besondere Substanz, das Keimplasma,
unterschieden werden muß, welches Träger der erblichen Eigenschaften
jeder Organismenart ist. Er läßt es aus sehr vielen verschiedenen
Stoffteilchen zusammengesetzt sein, da nach seiner Annahme in ihm
alle Zellen oder Zellgrupi)en, welche selbständig vom Keim aus ver-
änderlich sind, also alle einzelnen Gewebs- und Organzellen des aus-
gebildeten Organismus, durch kleine, besondere Einheiten, die Deter-
minanten, vertreten werden, deren Zahl sich auf viele Hunderttausende
Keimplasmatheorie und Theorie der Biogenesis. 65
belaufen kann. Die Determinanten sind die Träger der Zelleneigen-
schaften; sie bauen sich, da die Eigenschaften einer Zelle verschieden-
artige sein k()nnen, selbst wieder aus noch kleineren Einheiten, den
Biophoren, auf, durch welche je eine einzelne Eigenschaft der Zelle
repräsentiert wird. Ferner läßt Weismaxx die Determinanten im
Keimplasma fest lokalisiert und zu einer komjjlizierten Architektur
verbunden sein. Er nennt die so entstandene höhere Einheit ein Id.
Sie ist der InbegritT aller zum Auflmu eines Individuums der Art
nötigen Determinanten.
„Biophoren, Determinanten, Iden, Architektur des Keimplasmas
sind Annahmen, gemacht zu dem Zwecke, um mit ihnen die Frage
nach den Ursachen der morphologischen und histologischen Sonderung,
die sich im Eutwickelungsprozesse des Eies vollzieht, zu erklären.
Hierzu dient die Hypothese, daß die Determinanten beim Entwicke-
luugsprozeß durch einen im Ei ebenfalls vorausbestimmten und ge-
regelten, aber seiner Natur nach durchaus unbekannten und rätsel-
haften Mechanismus allmählich wieder auseinandergelegt und auf die
einzelnen Zellen, die sie nun in ihrem Charakter bestimmen, verteilt
werden. Nach der Vorstellung von AVeismann „spaltet sich das
Keimplasma-Id, wenn der Furchungsprozeß beginnt, wenn nicht stets,
so doch bei sehr vielen Zell- und Kernteilungen, in immer kleinere
Gruppen von Determinanten , so daß an Stelle einer Million ver-
schiedener Determinanten, die etwa das Keimplasma-Id zusammen-
setzen möge, auf der folgenden ontogenetischen Stufe jede Tochter-
zelle deren nur noch eine halbe Million, jede der darauf folgenden
Stufen nur eine viertel Million u. s. w. enthält. Zuletzt bleibt in
jeder Zelle nur noch eine Art von Determinanten übrig, welche die
betreffende Zelle oder Zelleugruppe zu bestimmen hat".
Als das Mittel, dessen sich die Natur zu dem wunderbar ver-
wickelten Zerlegungsprozesse des Keimplasmas bedient, bezeichnet
Weismann die Zell- und Kernteilung. Er unterscheidet nämlich
2 Arten derselben, eine erbgieiche oder integrelle und eine erb-
ungleiche oder ditferentielle.
Die erbgleiche Teilung beruht auf einer Verdoppelung der Deter-
minanten durch Wachstum und auf ihrer ganz gleichmäßigen Ver-
teilung auf die Idhälften, welche sich bei der Karyokiuese bilden und
voneinander trennen; sie tritt bei Embryonalzellen und später bei
Gewebezellen ein , welche Tochterzellen der gleichen Art hervor-
bringen.
Die erbungleiche Teilung dagegen wird durch ungleiche Grup-
pierung der Determinanten während ihres Wachstums eingeleitet;
infolgedessen spalten sich die Iden derartig, daß ihre Determinanten
in sehr verschiedenen Kombinationen auf die Tochteriden übertragen
werden. Diese Art der Halbierung des Keimplasmas spielt bei der
Umwandlung des Eies in den fertigen Organismus die eigentliche
Hauptrolle. Nur durch ihre richtige Funktionierung ist es möglich,
daß die im Keimplasma eingeschlossenen zahllosen Determinanten so
entwickelt werden, daß sie, zur rechten Zeit an den richtigen Ort
gebracht, die morphologische und histologische Sonderung der vom
Ei abstammenden Zellen bewirken.
Den AVEisMANN"schen verwandte Ansichten hat Roux, veranlaßt
durch Experimente am Froschei, in seiner Mosaik theo rie ausge-
sprochen.
Handbuch der Entwickelungslehre. 5
66 Oscar Hertwig,
Der entgejueiigesetzte Standpunkt wird von Nägeli, von Oscar
Hertwig (1898) und von Driesch vertreten und hat besonders in der
Theorie der Biogenesis eine eingehendere Begründung unter
Zurückweisung der WEiSMANN'schen Annahme gefunden. Der Ge-
dankengang der „Biogenesis" ist in kurzem folgender:
Da alle Organismen während ihrer Entwickelung einmal den ein-
zelligen Zustand durchlaufen, so sind in diesem alle konstanten oder
wesentlichen Merkmale, durch w^elche sich Art von Art unterscheidet,
in ihrer einfachsten Form enthalten oder gewissermaßen auf ihren
einfachsten Ausdruck gebracht. Es giebt daher überhaupt so viele
voneinander grundverschiedene Arten von Zellen, als es verschiedene
Arten von Ptianzen und Tieren giebt. Dies führt zur Annahme, daß
die Zellen eine feinere, unser Erkenntnisverm(»gen zur Zeit über-
steigende micellare Organisation besitzen müssen, vermöge welcher
sie Träger der Arteigenschaften sind. Im einzelnen sich eine Vor-
stellung von ihrer Organisation zu machen, wie es Weismann mit
seiner Id- und Determinantenlehre gethan hat, erscheint beim Fehlen
jeder em])irischen Grundlage nicht möglich, dagegen lassen sich im
Hinblick auf Erscheinungen des Befruchtungsprozesses Gründe für
die Ansicht geltend machen, daß die Substanz, welche Träger der Art-
eigenschaften ist und im Zeugungsprozesse als Erbmasse (Idioplasma)
von den Eltern auf das Kind übertragen Avird, im Zellenkern einge-
schlossen ist.
Den Hauptdifferenzpunkt zur Keimplasmatheorie von Weismann
bildet die Antwort auf die Frage, wie aus der Zelle und ihren unsicht-
baren Arteigenschaften die zusammengesetzte Organismenart oder die
Individualität höherer Ordnung mit ihren sichtbaren Arteigenschaften
hervorgeht. Die Theorie der Biogenesis verwirft die von
Weismann gemachte fundamentale Annahme von der erb-
ungleichen Teilung der Zelle und mit ihr die ganze
D e t e r m i n a n t e n 1 e h r e , weil sie mit einer der ersten
G r u n d 1 e h r e n der Zeugung in Widerspruch steht. Den n
eine physiologische G r u n d e i g e n s c h a f t eines jeden
Lebewesens ist das Vermögen, seine Art zu erhalten.
Die Zelle, welche einem übergeordneten Organismus
den Ursprung giebt, kann sich nur durch e r b g 1 e i c h e
Teilung vermehren und produziert nur auf diese m
Wege die unzähligen Generationen von Zellen, welche
alle Träger der Art eigen schaffen oder der Erbmasse
sind.
Die Erklärungsgründe, welche Weismann durch den erkünstelten
Prozeß der Auseinanderlegung der im Idioplasma vereinten Determi-
nanten zu gewinnen versucht hat, sind in dem Prozeß der sozialen
Vereinigung der Zellen mit ihrer Arbeitsteilung und Integration zu
suchen. Denn das sich vermehrende, aus artgleich organisierten Ein-
heiten zusammengesetzte Aggregat nimmt bei seinem Wachstum be-
stimmte Formen an, welche auf jeder Stufe des Wachstums die Folgen
sind 1) des Einflusses zahlloser äußerer Faktoren und 2) noch mehr
der unendlich komplizierten Wirkungen, welche die immer zahlreicher
werdenden elementaren Lebenseinheiten aufeinander ausüben. Die
einzelnen Zellen, obschon der Art nach gleich als Abkömmlinge einer
gemeinsamen Mutterzelle, geraten infolge des Wachstumsprozesses
räumlich und zeitlich unter ungleiche Bedingungen. Einmal
Theorie der Biogenesis. Experimente von Chabry, R,oux u. a. 67
nehmen sie im Aggregat verschiedene Stellungen ein, durch welche
ihre Beziehungen zueinander, zum Ganzen und zur Außenwelt be-
stimmt werden, sie erhalten gewissermaßen ein ihre Wirkungsweise
beeintlussendes Eaumzeichen ; sie werden räumlich determiniert. Die
einen werden z. B. um den aninuilen, die anderen um den vegetativen
Pol des Eies gruppiert; die einen kommen ins äußere, die anderen
ins innere Keimblatt zu liegen, die einen erhalten eine Lage in der
Umgebung des Urmundes (Nervenplatte, Chorda), die anderen in
größerer Entfernung von diesem für die Organbildung wichtigen Orte.
Somit geraten bei ihrem Zusammenwirken die artgleichen Zellen in
verschiedene Zustände gemäß ihrer verschiedenen Position. Die Zellen
werden aber auch außerdem noch dadurch determiniert, daß sie der
Zeit nach unter wechselnde räumliche Bedingungen, welche wieder
für die einzelnen Gruppen verschieden sind, geraten ; sie erhalten eine
verschiedene Geschichte. Indem in ihnen die früher durchlaufenen
Zustände nachwirken, werden sie nicht nur durch die momentan ge-
gebenen, sondern auch durch die zeitlich vorausgegangenen Beziehungen
determiniert.
In diesem Prozesse werden durch die Bedingungen, unter welche
die Zellen in der Zeitfolge und in ihrer räumlichen ^'erteilung geraten
sind, mit einem Worte durch ihre Specialentwickelungsgeschichten die
Anlagen, welche die Erbmasse einer Artzelle ausmachen, allmählich
offenbar, und zwar oifenbaren sie sich einmal darin, daß die einzelnen
Zellen die jeder Stufe entsprechende Anordnung annehmen, und zweitens
darin, daß sie auf jeder Stufe eine immer Itestimmter werdende Funk-
tion und eine ihr entsprechende, immer ausgeprägter werdende Struk-
tur gewinnen.
Zwischen den einzelnen Ontogenieen aber wird die Kontinuität
der Entwickelung dadurch gewahrt, daß aus dem Aggregat der Art-
zellen einzelne sich ablösen und wieder den Ausgangspunkt für neue
Entwickelungsprozesse abgeben.
Das ist in wenigen Worten der wesentliche Inhalt der Theorie
der Biogenesis.
Von großer Bedeutung für die Entscheidung in den strittigen
Fragen sind mehrere Experimente geworden, durch welche in den
letzten Jahren unsere Einsicht in das Wesen des organischen Ent-
wickelungsprozesses eine bedeutende Vertiefung erfahren hat; sie sind
von Chabry, Roux, Driesch, Oscar Hertavig, Wilson, Zoja,
Herlitzka. Oscar Schultze, Wetzel, Fischel u. a. ausgeführt
worden und zielen darauf ab, entweder die ersten Furchungskugeln
des Eies vollständig voneinander zu trennen und sich getrennt ent-
wickeln zu lassen, oder ihr normales Lageverhältnis durch äußere Ein-
griffe zu stören und dadurch den weiteren Eutwickelungsverlauf zu
beeinflussen, oder endlich einzelne Zellen abzutöten und dadurch aus
dem Entwickelungsverlaufe auszuschalten.
Der größte Teil der Experimente hat zu Ergebnissen geführt,
welche deutlich und entschieden für die erbgleiche Teilung der Anlage-
substanz sprechen. Denn wenn bei befruchteten Eiern des Seeigels
(Driesch) oder des Amphioxus (Wilson) oder einer Meduse (Zoja)
die Teilstücke nach der ersten oder der zweiten Teilung durch Schütteln
isoliert wurden, entstanden nicht monströse Bruchstücke eines Em-
bryos, sondern normale Ganzgebilde nur von halber oder viertel Größe
im Vergleich zu der aus dem ganzen Ei entstandenen Larve. So
68 Oscar Hertwig,
konnte der Experimentator nach Willkür aus einem Ei 2 oder 4 Larven
züchten. Wenn die beiden ersten Halbkugeln von Amphioxus sich
nur gegeneinander verschoben, so wurden die verschiedensten Arten
von Doppelmißbildungen erhalten.
Zu etwas abweichenden Ergebnissen haben ähnliche Experimente
an Ctenophoreneiern geführt. Denn die durch Zerlegung des Eies
gewonnenen 2 oder 4 Teilstücke zeigten bei ihrer Weiterentwickelung
Defekte in der Anzahl der Wimperrippen, so daß Chun und Fischel
sie zu Gunsten der Mosaiktheorie von Roux und der Keimplasma-
theorie von Weismann verwertet haben, während Driesch und
Morgan hierin ein nur scheinbar abweichendes Verhalten sahen und
mit den übrigen Ergebnissen glaubten leicht in Einklang bringen zu
können.
Wie unser kurzer Ueberblick zeigt, ist auch auf dem Gebiete der
Entwickelungsphysiologie eine erhöhte Thätigkeit nach vielen Rich-
tungen hin zu bemerken ; schon ist eine Reihe hochbedeutsamer Er-
gebnisse zu Tage gefördert worden und weitere Fortschritte werden
erfolgen, je mehr die Zahl der geeigneten Untersuchungsobjekte ver-
mehrt, die experimentellen Methoden vervollkommnet und neue Ge-
sichtspunkte gewonnen sein werden.
Auch an Versuchen, das in vielen Zeitschriften sehr zerstreute
Beobachtungsmaterial durch eine lehrl)uchmäßige Darstellung besser
zusammenzufassen und weiteren Kreisen nutzbar zu machen, hat es
nicht gefehlt. So hat Oscar Hertwig einen Teil der entwickelungs-
physiologischen Errungenschaften in seinem Lehrbuche : „Die Zelle
und die Gewebe, Grundzüge der allgemeinen Anatomie und Physio-
logie", besonders in dem 1898 erschienenen zweiten Teile zusammen-
gefaßt. Ferner sind zu nennen das nach anderen Gesichtspunkten
angeordnete, aber zum Teil auch Gegenstände der Entwickelungs-
physiologie behandelnde Werk von Charles Benedict Davenport
(1899): ,,Experimental morphology" in 2 Bänden und das kleinere,
nur über das Froschei handelnde Lehrbuch von Th. Morgan (1897) :
,,The development of the frog's egg. An introduction to experimental
embryology''.
Allgemeine Litteratnrübersicht 69
Allgemeine Litteraturübersicht.
Y o r b e m e r k 11 u g. Im Handbuch sind beim Citieren und bei der Figurenerklärung
folgende Abkürzungen in Anwendung gebracht.
A. L. = Allgemeine Litteraturübersicht.
A. L. I. A. L. II. A. L. III = Allgemeine Litteratnrübersicht. Ei-ster Teil etc.
S. = Seite, p. = pagina. T. = Tome. Vol. = Volume. Bd. = Band. Aufl. =
Auflage. Jhrg. = .Jahrgang. Taf. = Tafel. Fig. = Figur(en).
Das Jahr, in welchem eine angeführte Arbeit erschienen ist, ist in fettem Drack hervor-
gehoben. Wenn von demselben Autor in einem .Jahre 2 oder mehr Arbeiten in der
Litteraturül)ersicht aufgeführt sind, findet sich zum Zweck der Unterscheidung beim
Citiren der au zweiter, resp. dritter Stelle aufgeführten Arbeit ein Sternchen * resp.
ein Jvreuz f noch beigefügt (z. B. 1890, 1890*, 1890 f).
Die gebräuchlichsten Zeitschriften, in denen sich embryologische Litteratur findet, sind im
Anschluß an SCHWALBE's Jahresbericht in folgenden Abkürzungen citiert:
Abh. Akad. Wiss. Berlin = Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin.
Abh. math.-phys. Kl. sächs. Ges. Wiss. = Abhandlungen der mathematisch-physikalischen
Klasse der Königlich sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Leipzig. 8.
Abh. schles. Ges. vaterl. Kult. Naturw. u. Med. = Abhandlungen der schlesischen Gesell-
schaft für vaterländische Kultur. Abteilung für Naturwissenschaften und Medizin.
Breslau. 8.
Abh. Senckenberg. naturf. Ges. = Abhandlungen der Senckenbergisch. naturforschenden
Gesellschaft. Frankfurt a. M.
Amer. Journ. of mori^hol. = American Journal of moi-phology.
Amer. Natur. Phil. = The American Naturalist, a populär illustrated magazine of natural
history. Philadelphia. 8.
Amtl. Ber. Vei-s. deutseh. Naturf. u. Aerzte = Amtliche Berichte über die Versamm-
lungen deutscher Naturforscher und Aerzte. 4.
Anat. Anz. = Anatomischer Anzeiger. Centralblatt für die gesamte wissenschaftliche
Anatomie. Amtliches Organ der Anatomischen Gesellschaft. .Jena. 8.
Anat. Hefte = Anatomische Hefte, Wiesbaden. Referate und Beiträge zur Anatomie und
Eutwickeluugsgeschichte. 8.
Ann. and Mag. nat. bist. = The Aunals and Magazine of natural history.
Ann. des sc. nat. = Annales des sciences naturelles.
Anz. Akad. Wiss. Krakau = Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau.
Krakau. 8.
Arch. Anat. u. Phys. ^ Archiv für Anatomie und Physiologie. Leipzig. 8.
Areh. Anthrop. = Archiv für Anthropologie. Zeitschrift für Naturgeschichte und Ur-
geschichte des Menschen. Brauuschweig. 4.
Arch. antrop. e la etnol. = Archivio per l'antropologia e la etnologia. Organo della
Soeietä italiana di antropologia e di etnologia. Firenze. 8.
Arch. biol. = Archives de biologie. Gand. Leipzig und Paris. 8.
Arch. Entwickl.-Mech. = Archiv für Entwickelungsmechanik der Organismen. Leipzig. 8.
Arch. ges. Physiol. = Arcliiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere.
Bonn. 8.
Arch. ital. Biol. = Archives italienues de Biologie, ßome, Turin et Florence. 8.
Arch. mikr. Anat. = Archiv für mikroskopische Anatomie und Entwickelungsgeschichte.
Bonn. 8.
Arch. Physiol. Par. = Archives de physiologie normale et pathologique. Paris. 8.
Arch. pathol. Anat. = Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und klinische
Medizin, herausgegeben von Rudolph Virchow. l^erlin. 8.
Arch. de sc. biol. St. Petersb. = Archives de sciences biologiques, publiees par l'institut
imperial de medecine experimentale ä St. Petersbourg. 4.
Arch. zool. exp. et gen. = Archives de Zoologie expei'imentale et generale. Paris.
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Zoology at Harvard College.
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Bull, scient. de la France et Belgique == Bulletin scientifique de la France et de la
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der Anatomie und Entwickeluugsgeschichte, hrsg. von G. Schwalbe. Jena. 8.
Jahresber. schles. Ges. vaterl. Kultur, Naturw. Abt., Zool. Sekt. = Jahresberichte der
schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Naturwissenschaftliche Abteilung ;
zoologisch-botanische Sektion. Breslau. 8.
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der medizinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena. 8.
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et i^atbologiques de l'homme et des auimaux. Paris. 8.
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dell' Istituto di Bologna. Bologna. 4.
Mitt. zool. Stat. Nea2)el. = Mitteilungen aus der zoologischen Station zu Neapel.
Monats. -Ber. Akad. Wiss. Berlin siehe Sitz.-Ber. etc.
Monit. Zool. ital. = ]Monitore Zoologico italiano. Firenze. 8.
Morphcd. Arl). =^ Morphologische Arbeiten, hrsg. von G. Schwalbe. Jena. 8.
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über die Entwickelung vieler Organe handeln. Die Litt erat ur ist nach
den einzelnen Wirbeltierklassen geordnet. Sie findet eine Vervoll-
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welche hiermit besonders hingewiesen \v i r d.
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Erstes Kapitel.
Die Geschlechtszellen.
Von
Professor W. Walcleyer.
I. Eiiileitunj^. Zeiigungsformeii. Begriffsbestimmung.
Nach dem jetzigen Staude unseres Wissens gehen sämtliche auf
der Erde neu entstehende Lebewesen, seien es die in ilirer Organi-
sation einfachsten oder zusammengesetztesten, seien es tierische oder
pflanzliche, aus bereits bestehenden lebenden Wesen gleicher Art
hervor; man nennt diesen Vorgang: elterliche Zeugung, Toko-
g 0 n i e oder G e n e r a t i o a e q u a 1 i s. — Im Gegensatze hierzu be-
zeichnet man mit den Namen: Urzeugung, Archigonie oder
Gene ratio sp cutanea (auch aequivoca) die Entstehung neuer
Lebewesen aus unbelebtem, unorganisiertem Material. Wie l3emerkt,
ist eine solche Zeugung unter den gegenwärtigen Verhältnissen un-
seres Planeten durch nichts erwiesen.
Die einfachste Form der elterlichen Zeugung — wir werden sie
von jetzt ab schlechtweg als „Zeugung" bezeichnen — ist die Ent-
stehung eines neuen Lebewesens durch Teilung (Divisio) eines
vorhandenen Wesens gleicher Art. Als eine Unterart der Teilung ist
die S p r 0 s s u n g (G e m m a t i o) anzusehen.
Die Teilung kann eine Zweiteilung oder eine Mehrfachteilung
sein; die Zweiteilung ist die weitaus häufigere Form. Das Charakte-
ristische jeder Teilungsvermehrung ist, daß sämtliche Teilungsstücke
nach Größe und sonstiger Beschaffenheit im wesentlichen gleich sind.
Sonach geht bei der Divisio der Eiterorganismus in seine Teilstücke,
Kinderorganismen, gerade auf — nach geschehener Teilung bleibt kein
Eiterorganismus zurück.
Bei der Sprossung werden von einem Eiterorganismus ein
oder mehrere kleinere Stücke abgelöst, in denen die wesentlichen Be-
standteile des Eiterorganismus enthalten sind ; diese Stücke, Sprossen,
Gemmae, Gemmulae, wachsen zu neuen Organismen derselben
Art heran, während der Eiterorganismus als solcher bestehen bleibt
und in der Folge noch weiteren Sprossengenerationen das Dasein
geben kann.
W. Waldeyer, Die Gesclilechtszellen. 87
Diese beiden Formen der Zeugung werden vorzugsweise an den
einzelligen Organismen, den Protopliyten und Protozoen, l)eobac]itet.
Wir wissen feiner, dass man von mehrzelligen Tieren und Pflanzen,
Metazoen und Metaphyten, größere, aus vielen Zellen bestehende Stücke,
Knospen, Stecklinge, Reiser etc. abtrennen kann, oder daß solche Stücke
sich auch spontan ablösen, und daß diese unter günstigen Bedingungen
sich wieder zu einem ganzen Organismus gleicher Art entwickeln
können. Man kann mit demselben Erfolge auch manche Tiere und
Pflanzen — von Tieren z, B. die Quallen — bis zu einer gewissen
Grenze in gleichgroße Stücke zerlegen. Bei allen diesen Formen der
Zeugung — wir sprechen von ,, Zeugung" aber nur dann, wenn der
Vorgang ein natürlicher, spontaner, kein künstlich herbeigeführter ist —
ist die zeugende Thätigkeit nicht an besondere, für die Zeugung ein-
gerichtete Teile des zeugenden Organismus gebunden. Falls dieser
aus einer einzigen Zelle besteht, ein einzelliger ist, versteht sich das
bei der einfachen Teilungszeugung von selbst; bei der Sprossungs-
zeugung sieht man die Sprossen nicht aus besonders dafür bestimmten
Abschnitten der elterlichen Zellgeschöpfe hervorgehen. Falls der Or-
ganismus ein mehrzelliger ist, ist es ein Verband von ihn zusammen-
setzenden Zellen, Zellen aber, die sich durch nichts auszeichnen, welche,
als Knospe, Reiser oder Steckling abgetrennt, sich weiter entwickeln
und so die Grundlage eines neuen Wesens gleicher Art abgeben.
Diesen Formen der Zeugung, welche wir im allgemeinen als
somatogene bezeichnen können, insofern der ganze Körper des
Lebewesens oder doch ein größeres Stück desselben dabei beteiligt
ist, steht eine andere, die cytogene gegenüber. Bei der cyto-
genen Zeugung wird die Zeugungsthätigkeit im Organismus auf be-
sonders hierzu ausgebildete Zellen desselben, die Zeugungszellen
oder Geschlechtszellen, übertragen. Es verlieren dann zumeist
die übrigen Zellen des betreffenden Organismus die Fähigkeit zur
Hervorbringung eines neuen Organismus, zur Zeugung; in anderen
Fällen , z. B. bei manchen Tierstöcken und einer großen Anzahl
Pflanzen, behalten sie diese Fähigkeit insofern bei, als clie Möglichkeit,
durch Stecklinge oder Knospen sich zu vermehren, ungeschwächt er-
halten bleibt.
Es ist klar, daß von der Ausbildung besonderer Zeugungszelleu nur
bei mehrzelligen Organismen, den Metaphyten und Metazoen, die Rede
sein kann. Bei den einzelligen Lebewesen kann es nur eine somatogene
Zeugung geben, da bei der Teilung der ganze Leib des einzelligen Wesens,
nicht ein besonders dazu bestimmtes Stück desselben, sich an der Zeugung
beteiligt. Auch für die Sprossung gilt dies, wie leicht darzuthun.
Die cytogene Zeugung verdient diesen Namen mit Recht, weil
sie an einzelne Zellen, die besonders ausgebildet werden und in
einem bedeutungsvollen Gegensatze zu den übrigen Zellen des Or-
ganismus stehen, geknüpft ist und weil somit jeder neue Organismus,
der auf diesem Wege entsteht, von einer singulären besonderen Zelle
anhebt. Sie zerfällt wieder in zwei Hauptformen, in eine unge-
schlechtliche (monogene) und in eine geschlechtliche
(amphigene) Zeugung.
Bei der monocytogenen Zeugung bilden sich Zellen des elterlichen
Organismus zu Fortpflanzungskörpern indifferenter Art aus, die für
88 W. Waldeyer,
sich allein imstande sind, sich zu einem, dem elterlichen Organismus
gleichenden neuen Lebewesen zu entwickeln. Solche Fortpflanzungs-
körper nennt man Sporen, Spori'). Bei der amphicytogenen
Zeugung entstehen zwei verschiedene Fortpflanzungskörper, die, wie
die Sporen, nichts anderes als besonders für den Zweck der Zeugung
ausgebildete Zellen, Fortpflanzungszellen, Zeugungszellen
sind; aber es müssen der Regel nach zwei verschiedene Zellen zu
einer verschmelzen, Kopulation, wenn ein neues Lebewesen der
gleichen Art sich entwickeln soll; dieses entwickelt sich dann aus dem
durch die Kopulation entstandenen gepaarten Zellkörper (Zellenpaarling).
Die eine Art dieser Fortpflanzungszellen nennt man Eizellen oder
auch schlechtweg Eier, Ova, die andere Art Samenzellen,
Sanienkörper, Spermatosomata, oder, wie wir es hier nach
L. Auerbach's Vorschlage (612) thun wollen, Spermien, Spermia,
welcher Name schon eine weite Verbreitung gewonnen hat.
Indem bei den höheren Pflanzen - hier freilich nur bei wenigen
Arten — und bei weitem den meisten Tierarten, der Evertebraten
sowohl wie der Vertebraten, die Eizellen von anderen Individuen er-
zeugt werden als die Spermien, so sondern sich die einzelnen Per-
sonen jeder der betreffenden Tier- oder Pflanzen-Art in zwei Gruppen,
je nacli ihrer Beteiligung am Zeugungsgeschäft: in die weiblichen
Individuen, d. h. diejenigen, welche die Eier liefern, und in die männ-
lichen, welche die Spermien hervorbringen. So kommt es zu einer
Unterscheidung der Geschlechter, des männlichen und des weib-
lichen, und hiernach spricht man denn auch von den Eiern als den
weiblichen Fortpflanzungskörpern und von den Spermien als den
männlichen. Auch die Bezeichnung Geschlechtszellen, unter
der beiderlei Fortpflanzungsgebilde zusammengefaßt werden, geht
hierauf zurück. Insofern endlich, als zumeist die beiderlei Geschlechts-
zellen in der That auf getrennte Personen verteilt sind, hat man
(Haeckel) diese geschlechtliche Zeugungsform auch als Gonocho-
r i s m u s bezeichnet.
Daneben kommt als Ptegel bei vielen Evertebraten - Species der
Fall vor, daß ein und dasselbe Individuum beiderlei Geschlechtszellen
hervorbringt (Bandwürmer, zahlreiche Mollusken u. a.); man be-
zeichnet dieses als „Hermaphroditismus''. Außerdem kommt eine
Rückbildung der geschlechtlichen Zeugung vor derart, daß eine Art
der Geschlechtszellen, und zwar trifft dies ausschlieiUich die Eizellen,
befähigt wird, auch ohne Kopulation mit der anderen Geschlechts-
zelle, also der Samenzelle, sich zu einem neuen Individuum zu ent-
wickeln; man nennt dies „Barth eno gen esis". Soweit man aber
weiß, besteht bei keiner der betreifenden Arten eine rein partheno-
genetische Fortpflanzung ; sie ist immer mit sexueller, also Kopulations-
Fortpflanzung gemischt. Bei Wirbeltieren kommt eine Partheno-
genesis nicht vor; vgl. hierüber Bonnet (614a), dessen kritischer
Beanstandung aller als parthenogenetisch gedeuteten Vorgänge bei
Vertebraten ich durchaus zustimme.
Wenn vorhin gesagt worden ist, daß der Name „cytogene Zeugung"
deshalb passend sei, weil bei dieser Form jeder neue Organismus von
einer singulären Zelle anhebe, so scheint damit im Widerspruche zu
1) Von OTtcpo?, die Saat, der Samen.
Die Geschlechtszellen. 89
stehen, daß — abgesehen von der Parthenogenesis — der Zeugungs-
und Entwickelungsvorgang an eine Paarung zweier Zellen gebunden
ist. Morphologisch hat aber der aus der Kopulation von Ei- und Samen-
zelle hervorgegangene Zellenpaarling, die „Furchungszelle", den Wert
einer einzigen Zelle und verhält sich auch durchaas als eine solche. Sie,
die Furchungszelle, zeigt nur einen Kern, den „Farchungskern", der
aus den Bestandteilen des Kernes der Eizelle und der Samenzelle her-
vorgegangen ist (0. Hkrtwig — M. 1247 — 1251); vgl. hierzu Kapitel II.
Man pflegt nun die verschiedenen Zeugungsfornien auch schlecht-
weg einzuteilen in die geschlechtlichen (digenen oder amphi-
genen) und ungeschlechtlichen (monogenen); zu den letzteren
würden dann gehören die Teilungszeugung, die Sprossungs-
z e u g u n g , die K n o s p e n z e u g u n g und die S p o r e n z e u g u n g.
Bei allen diesen Zeugungsarten ist nur ein zeugendes Individuum
vonnöten, und, falls Fortpflanzungskörper (Sporen) gebildet werden,
genügt eine einzelne Spore zur Zeugung. Die geschlecht-
liche Zeugung begreift, außer der gewöhnlichen Form des Gono-
chorismus, auch noch den Hermaphroditismus und die Par-
thenogenesis. Denn bei dem ersteren ist, obzwar nur ein
zeugendes Individuum beiderlei P'ortpflanzungskörper hervorbringt,
doch das Zusammenwirken je zweier verschiedener Fortpflanzungs-
körper unerläßlich, und bei der letzteren liegt, obwohl sie der Form
nach monogen erscheint, dennoch ein amphigener Zeugungscharakter
zu Grunde, da sie, wie bemerkt, nur eine Rückbildung der geschlecht-
lichen Form darstellt.
Noch eine andere bis jetzt nicht erwähnte Zeugungsform gehört
hierher, der Generationswechsel, Metagenesis. Im Gene-
rationswechsel sind die geschlechtliche und ungeschlechtliche Zeugung
miteinander derart in einen Zeugungskreis verbunden, daß ein In-
dividuum einer bestimmten Art zunächst sich monogen fortpflanzt,
sei es durch Teilung, Knospung, Sprossung oder auch tlurch partheno-
genetische Eier, und daß die auf diese Weise erzeugten Nachkommen,
entweder der nächsten Generation oder auch späterer Generationen,
geschlechtlich diff'erenziert werden, indem sie die Fähigkeit zur Ei-
und Spermienbildung erhalten. Aus den befruchteten Eiern gehen
dann wieder Individuen hervor, die sich ungeschleclitlich fortpflanzen,
und so läuft der Zeugungskreis im Wechsel der Formen weiter. Wie
leicht begreiflich, kann die Metagenesis in einer Anzahl verschiedener
Abarten auftreten.
Zeigt sich hierin und in der Parthenogenesis, daß zwischen ge-
schlechtlichen und ungeschlechtlichen Zeugungsformen Uebergänge be-
stehen, so linden sich andererseits auch bei den einfachsten Geschöpfen, die
sich nur monogen fortpflanzen, Akte, die an eine Befruchtungsthätigkeit,
wie sie nur bei der Kopulation der geschlechtlich differenzierten Fortpflan-
zungskörper vorkommt, erinnern, und es scheint, daß solche Akte von
Zeit zu Zeit eingreifen müssen, damit die Art erhalten bleibe. Es ge-
hört u. a. hierher die Kopulation der Infusorien, welche neuerdings
durch die Forschungen von Maupas und R. Hertwig in diesen Be-
ziehungen klar gestellt worden ist. Ja, noch mehr: bei einigen Genera,
wie z. B. bei den Vorticelliden, ergiebt sich sogar ein Dimorphismus der
sich kopulierenden Individuen. Einzelne Individuen einer Vorticellen-
90 W. Waldeyer.
Kolonie liefern dui'ch wiederholte Teilung eine Xaclikommenschaft be-
sonders kleiner Geschöpfe, welche sich von ihren Stielen ablösen und
frei im Wasser umherschwinimen : man nennt diese kleinen Formen „Mikro-
gameten". Andere Individuen der Kolonie bleiben von normaler Größe,
es sind die „Maki'ogameten". Bei den Paarungen nun kopuliert immer
ein Mikrogamet mit einem Makrogameten, indem die ersteren fiei
schwimmend die letzteren aufsuchen. Vgl. hierzu besonders Kapitel II.
Wir sind in eine kurze Besprechung der Zeugungsformen ein-
gegangen, um den Begriff der Geschlechtszellen, d. i. der Samenzellen
und der Piizellen, mit denen wir es in Kapitel I zu thun haben, scharf
fassen zu können. Es ergiebt sich aus dem Gesagten, um kurz zu re-
kapitulieren, daß wir unter Geschlechtszellen, ganz allgemein ge-
sprochen, Zellen zu verstehen haben, welche die Fähigkeit besitzen,
auf dem Wege fortgesetzter Teilung neue Individuen aus sich hervor-
gehen zu lassen. Insbesondere si)rechen wir von Geschlechtszellen,
wenn diese Zellen einen Bef r u ch tu ngs Charakter angenommen
haben, der darin beruht, daß sie sich in zwei Arten sondern, deren
keine der Regel nach für sich allein ein neues Individuum aus sich
hervorgehen lassen kann, daß aber, wenn eine Zelle der einen Art
mit einer Zelle der zweiten Art sich zu einer neuen Zelle, einem
Paarung vereint, aus dieser neuen gepaarten Zelle heraus ein neues
Individuum sich entwickelt.
Bei dieser Paarung (Kopulation) der Geschlechtszellen vollzieht sich
der Vorgang, den wir „Befruchtung" (Foecundatio) nennen, und ich sprach
deshalb vorhin von einem Befruchtungscharakter der Zellen. Altem
Sprachgebrauche nach sieht man bei der Paarung in der nämlichen Ge-
schlechtszelle, der Spermie, das aktive, befruchtende Element, in
der weiblichen, dem Ei, das passive, befruchtete. S. Kap. II
(Hertwig).
Die Geschlechtszellen zeigen nun überall, wo sie vorkommen, einen
ausgespi'ochenen D i m o r p h i s m u s , der an den eben besprochenen
Fall der Vorticellen- Kolonien mit ihren Mikro- und Makrogameten
anschließt, obwohl — vgL hierüber 0. Hertwig (66 I S. 217 ff.) —
Unterschiede bestehen, auf die hier näher einzugehen nicht der Ort
ist. Dieser Dimorphismus, welcher wohl aus dem Prinzipe der Arbeits-
teilung zu erklären ist, wandelt die bei der ersten Entwickelung völlig
gleich erscheinenden Sexualzellen in ganz auffälliger Weise um : die
eine Art der Geschlechtszellen, die männlichen, bilden ihren proto-
plasmatischen Auteil zurück, dagegen ihren centrosomalen besonders
aus. So erlangen sie, bei geringer Größe, für gewöhnlich mit der
Form einer langschwänzigen Geißelzelle, an der man ein Kopfstück
und einen Schwanzfaden unterscheidet — s. Fig. 5 — eine große
Beweglichkeit und haben als specielle Aufgabe die, die andere Ge-
schlechtszellenart, die weiblichen, zw^ecks der Kopulation aufzusuchen
und diese Kopulation durch Eindringen in die weiblichen Zellen zu
bewerkstelligen. Die weiblichen Geschlechtszellen bilden dagegen
ihren protoplasmatischen Anteil l)esonders aus und nehmen eine unter
Umständen sehr erhebliche Menge von Nahrungsstoffen auf, während
ihr centrosomaler Anteil sich zurückzubilden scheint. So stellen die
ausgebildeten Eizellen großenteils sehr ansehnliche Elemente dar,
welche meist unbeweglich sind und vor allem einen großen Zellenleib
Die Geschlechtszellen. 91
besitzen. Sie haben die Aufgalie, l)ei dei' Entwiokelung des neuen
Individuums als materielle Unterlage zu dienen, so daß es scheint,
als gingen die neu entstehenden Wesen ausschliel^lich aus ihnen hervor.
Das ist bis zu einem gewissen Grade auch richtig: wir kommen als-
bald hierauf zurück.
Wie die männlichen Geschlechtszellen, die Spermien, bei den
völlig getrennt geschlechtlichen Wesen ausschließlich von den männ-
lichen Individuen geliefert werden, so werden die weiblichen Geschlechts-
zellen, die Eizellen, ausschließlich von den weiblichen Individuen
der betreffenden Art hervorgebracht. Es geschieht dieses bei beiden
Geschlechtern in der AVirbeltien-eihe durchweg in besonderen Organen,
die ihrem Baue nach am meisten an Drüsen erinnern und daher ge-
wöhnlich als Keimdrüsen bezeichnet werden. Die männlichen
Keimdrüsen heißen die Hoden, Testes, die weiblichen die Eier-
stöcke, Ovaria.
Wie angegeben wurde, kommt der Dimorphismus der Geschlechts-
zellen im wesentlichen durch die verschiedene Ausbildung des Proto-
plasmaleibes und des in den Centrosomen gegebenen kinetischen
Apparates der Zellen zustande. Am Kern zeigen sich, was die
Masseuverhältnisse betrifft, keine Verschiedenheiten; im Gegenteil,
Spermien wie Eizellen führen — und es ist dies ein für die Befruch-
tungs- und Entwickelungslehre besonders wichtiger Punkt — wie es
nach den bisherigen Beobachtungen scheint, stets eine äquivalente
Menge K er nsu b stanz, (Vgl. 0. Hertwig 66. I, S. 218 ff.)
Wenn also vorhin darauf hingewiesen wurde, daß bei der Ent-
wickelung eines neuen Individuums die Eizelle im wesentlichen das
Material für dasselbe abgebe, so muß dies dahin näher bestimmt
werden, daß an K e r n s u b s t a n z die männliche Geschlechtszelle eben-
so viel beisteuert wie die weibliche. Das Nahrungsmaterial für die
weitere Vermehrung der Protoplasma- und Kernmassen, sowie den
unmittelbar übergehenden Anteil an Protoi)lasma für die ersten durch
Teilung der Furchungszelle sich bildenden Zellen des jungen Organis-
mus, liefert die Eizelle,
Im Voraufgehenden ist versucht worden, in aller Kürze den Be-
griff der Fortptianzungszellen und ihre Bedeutung für die Eutwickelung
des Embryos klar zu machen.
Indem wir zu einer genaueren Besprechung der Geschlechtszellen
übergehen, ist vorab daran zu erinnei'n, daß dieselben bei den Wirbel-
tieren, welche wir hier vorzugsweise zu berücksichtigen haben, nicht
völlig isoliert, als reine Spermien und reine Eizellen zur Ver-
wendungkommen, sondern, und insbesondere trifft dies für die Spermien
zu, gemischt mit den Absonderungen verschiedener Drüsen, So er-
scheint das seitens des Mannes bei dem Begattungsakte gelieferte
Produkt als eine Flüssigkeit, welche die Spermien enthält, aber der
Hauptsache nach aus einer Mischung mehrerer Drüsensekrete besteht;
wir nennen die Flüssigkeit den „Samen", „Sperma", auch wohl
zu schärferer Bestimmung „männlichen Samen", „Sperma virile".
Die Eizellen wandeln sich, wie bemerkt, bevor sie zur Befruchtung
kommen, durch Aufnahme einer größeren oder geringeren Menge von
Nährstoffen und durch Ausbildung zum Teil sehr kompliziei't beschaf-
fener Hüllen in weiter ausgestaltete Gebilde um, die wir nun nicht
92 W. Waldeyer,
mehr ,,Eizellen'', sondern „Eier'' nennen. Unsere Darstellnng hat nun
aucli diese Biklungen, die Sanienflüssigkeit und das Sperma im ganzen,
sowie die von der Eizelle aufgenommenen Nährstoffe und die EihüUen,
kurz, die völlig ausgebildeten Eier zu behandeln. AVir beginnen mit
dem Sperma.
II. Saoicii, Sperma.
a) Physikalisches und chemisches Verhalten.
Die durch eine Ejakulation entleerte Flüssigkeit, der Samen,
Sperma, stellt sich beim Menschen unter normalen Verhältnissen
unmittelbar nach der Entleerung als eine weißlich-trübe, gelatinöse
Masse dar, schwerer als Wasser, von eigentümlichem Geruch, Samen-
geruch — man hat denselben mit dem Gerüche von Kastanien und
von Sauerdorn oder [Deutsche med. Presse, 1900, No. 20] mit dem
beim Brühen grüner Bohnen entstehenden verglichen — und schwach
alkalischer Reaktion. In kurzer Frist wird dieses gelatinöse Produkt
jedoch mehr dünntlüssig und erweist sich bei beginnender Eintrocknung
als klebrig. Vollständig eingetrocknet bildet das Sperma an Zeug-
stoff'en, Wäschestücken und dergl. gesteift sich anfühlende gelbbräun-
liclie Flecken mit dunkleren Ptändern ; dieselben lassen sich namentlich
in lauwarmem Wasser leicht wieder aufweichen, und man ist imstande
die wichtigsten morphologischen Bestandteile des Spermas, die Sper-
mien, selbst noch in Flecken älteren Datums durch solche Aufweichung
nachzuweisen.
Der ejakulierte Samen ist, wie bemerkt, ein Gemisch verschiedener
drüsiger Produkte, und zwar des Hodens, des Nebenhodens, der
Samenblasen, der Prostata, der CowPER'scher Drüsen und der Urethral-
drüsen (LiTTRE'schen Drüsen). Er enthält, abgesehen vom Wasser,
eine Reihe sehr bemerkenswerter chemischer Bestandteile in Lösung,
sowie eine ansehnliche Zahl morphologischer, durch das Mikroskop
nachweisbarer Elemente.
Chemisch ist vor allem der große Reichtum an festen Bestand-
teilen hervorzuheben, den bereits die ersten Bestimmungen von Vau-
QUELiN und KÖLLiKER (citicrt nach Kühne\s Lehrbuch der physio-
logischen Chemie, Leipzig LS68) ergeben haben: 90 Proz. Wasser auf
10 Proz. feste Bestandteile, unter diesen G verbrennliche, 4 Asche,
darin 3 phosphorsaurer Kalk. Nach Kölliker enthält der Samen
von Stieren und Hengsten nur 80—82 Proz. Wasser, jedoch auch
weniger Aschenmaterial. Als die wichtigsten besonderen Bestand-
teile sind anzuführen: die gewöhnlichen, in organischen Flüssigkeiten
sich vorfindenden Salze, als Hauptmasse ein schleimiges Nukleo-
albumin, fällbar durch Zusatz einer geringen Menge von Essigsäure
und wieder löslich in einem kleinen Ueberschusse der letzteren (Neu-
meister 182a II), ferner einen von Posner nachgewiesenen albumosen-
artigen Körper und das S per min, eine von Schreiner (232) ent-
deckte Base, die von Ladenburg und Abel für Aethjdenimin, von
KoBERT als zum polymeren Aethylenimin, dem Diäthylenimin (Piperazin)
lC.^H4(^^ TT \C.H4 1 gehörig erklärt wird. Neumeister (182aII),
dem ich diese Angaben entlehne, l:)ezweifelt die Albumosennatur des
von Posner nachgewiesenen Körpers, da sich bisher alle Angaben
Die (Teschlechtszellen.
9:}
vom Vorkommen von Albumosen in normalen K()r[)ersäfteu oder Or-
ganen als irrig erwiesen hätten : jedenfalls seien noch nähere Bestim-
nmnuen erforderlich. Anch wird von anderen Seiten (n. a. von Poehl)
wieder die Identität des Spermins, d. h. der von Schreiner nach-
gewiesenen Base [(C2H5N)2 nach Schreiner's Formel] mit dem
Piperazin bestritten (A. Poehl. Weitere Mitteilnngen über Spermin,
Berliner klin. Wochenschr.. 1891, No. 39). Wie aus diesen kurzen
Angaben ersichtlich, sind wir kaum über die Anfänge einer Chemie
der Samenflüssigkeit hinausgekommen.
Besser steht es mit unserer Kenntnis von den morphologischen
Bestandteilen des Ejakulates. Wir finden darin (Fig. 5) als weitaus
das Wichtigste 1) die Sjjermien {S, 4 w. 5). von denen weiter unten
ausführlich gehandelt werden soll , 2) sehr beständig runde, große
Zellen mit Kernen und kleineren rundlichen Einschlüssen und ähnliche
Elemente ohne Kerne (7, 1), die als „Hodenzellen" bezeichnet werden.
3) Lymphocyten (2. U), 4) cvlindrische Zellen mit und ohne Pigment-
körnchen, 5) hyaline kugelige Körper (8, 8), 6) Lecithinkörper, aus der
12
Fig. 5. Menschliches Ejakulat (Sperma hominis ejaculatum), lialb-
schematisch. Vergr. etwa 300. In einer mit feinen Körnchen — Eiweißkörnchen —
durchsetzten Flüssigkeit finden sich einzelne gröi^ere glänzende Körnchen = Fett-
kügelchen und dunkelhräunliche Pigmentkörnchen. Ferner: größere kugelige Zellen
(1) sog. Hodenzellen, Lymphocyten {2, 2), Spermien (3, 4, ö, ö). Dem
Spermium -V haftet noch ein Protoplasmarest an; man sieht dies auch noch bei zwei
anderen nicht bezeichneten Spermien ; die Spermien 4 sind gestreckt, ö und ö zeigen
eine Oesenbildung. Bei 6' zwei Cylinderzellen, davon eine mit Pigmentkörnchen.
7 kleine Lecithin-Prostatakörper, deren das Ejakulat viele enthält, s, s hyaline
Kugeln, wahrscheinlich degenerierte gequollene Zellen. 9, lU, 11, 12, 13 Spermakrystalle
verschiedener Form und Größe. 14 große Amyloidköi*per aus der Prostata.
i)4 W. Waldeyer.
Prostata stammend (7, 7), 7), mitunter Amyloidkür])er derselben Her-
kunft (14), 8) Sympexionkörper aus den Samenblasen, 9) Sperma-
krystalle verschiedener Form (.9, 10, 11, 12, IS) und endlich eine
Menge kleiner Granula verschiedener Art: Fettkügelchen, Eiweiß-
granula, freie Pigmentkörnchen u. a.
Die halbschematische Figur 5 soll die Mehrzahl dieser Bildungen
veranschaulichen und zugleich das Bild eines Ejakulates geben, wie
es sich unter dem Mikroskope bei beginnender Abkühlung und Ein-
trocknung darzustellen pflegt; es treten nämlich erst dann die Kry-
stalle auf.
Was die mit dem Namen „H o den z eilen" bezeichneten Gebilde
anlangt, so ist deren Abkunft nicht sicher. Zweifellos sind es stark
veränderte Zellen, denn keine der Zellenbestandteile der Hodenkanäl-
chen oder der samenleitenden Wege, die sich dem Sperma beimengen
könnten, hat normal die Form dieser großen runden Zellen des
Ejakulates. Mir ist es ferner überhaupt zweifelhaft, ob diese Elemente
als „Hodenzellen" zu bezeichnen sind, denn es ist sehr fraglich, ob
in einem Ejakulate Bestandteile vorhanden sind, welche noch kurz
vor Eintritt der Ejakulation in den Hodenkanälchen lagerten (s. w. u.).
Ich neige dazu, diese Elemente zum Teil als veränderte, abgestoßene
Epithelien der Harnröhrenschleimhaut anzusehen, zum Teil als ver-
änderte Lymphocyten.
P. FüRBRiNGER (89a) fand die Hodenzellen bei Azoospermie im Inhalte
von Nebenhodenkanälchen, welche chirurgisch eröffnet worden waren, und
ist geneigt, sie als „Nebenhodenzellen" zu bezeichnen. Es liegt näher, auch
hier an veränderte Lymphocyten, als an veränderte Nebenhodenepithelien
zu denken. Lymphocyten können beim Aufquellen sehr wohl solche
Formen annehmen wie die sogen. „Hodenzellen". Aehnlichkeit mit den
Spermatogonien, Spermatocyten und Spermatiden (s. w. u.) haben sie nicht :
jedenfalls müßten es stark veränderte Elemente sein. Es ist übrigens nach
den neuerdings von Aignek (1), Hammer (106), Henry (112, 113) u. a.
geschilderten Befunden von secerniereuden Zellen im Nebenhoden sehr
wohl zuzugeben, daß ein Teil der fraglichen Zellen solche Nebenhoden -
Zellen sind,
Ueber die in normalem Sperma selten vorkommenden, unver-
änderten Lymphocyten ist nicht nötig, weiter etwas zu sagen. —
Die cylindr isch en Zellen mit und ohne Pigmentkörner stammen
vom Epithel der Samenblasen und des Ductus deferens, die hyalinen
Tropfen und Kugeln aus irgend welchen hyalin oder mukoid umge-
wandelten Zellen oder Zellentrümmern der Samenwege, zum Teil sind
es auch Sekretmassen ; die Lecithin- und A m y 1 o i d k ö r p er kommen
aus der Prostata. Die Lecithinkörper sind insbesondere von P. Für-
bringer (89a) studiert worden. Sie stellen nach ihm kleine Kügelchen
von der halben Größe eines roten Blutkörperchens (im Durchschnitt)
dar: ihre chemische Reaktion — Fürbringer konnte aus diesen
Körnern das charakteristische Platindoppelsalz des Neurins darstellen —
weist auf ihre nahe Verwandtschaft zum Lecithin hin. Diese Körper
tinden sich sehr reichlich im Ejakulat.
Seltener sind die Amyloidkörper der Prostata dem Sperma zugemengt.
Wie Fürbringer mit Hecht hervorhebt, kommen diese chai-akteristischen
konzentrisch geschichteten Bildungen auch in der Harnröhrenschleimhaut,
Die Geschlecbtszellen. 95
und zwar, wie ich tinde, in den kleinen LiTTKE'schen Drüsen vor. In
der Harnblasenschleimhaut sind kleine Schleimdrüsen mit ähnlichen Kon-
krementen gleichfalls nachgewiesen worden. Auch finden sich nicht
selten konzentrisch geschichtete Epithelkörper im Harnblasenepithel; diese
könnten gelegentlich auch in ein Ejakulat hineingelangen.
Mit dem Namen „S y m p e x i o n k ö r p e r" (Sympexions) hat Robin
(Traite du microscope, Paris 1871, p. 577) rundliehe oder rundlich-läng-
liche „concretions'' von wachsartiger Konsistenz bezeichnet, welche sich
ziemlich reichlich im Sekrete der Samenblasen vorfinden und zuerst
von Valentin gesehen wurden ; sie scheinen mir Niederschlagsbildungen
zu sein ; Näheres ist darüber nicht bekannt. Die Litteratur s. bei
M. Fränkel (86a).
Die Sp er m akry stalle wurden von Böttcher entdeckt und
werden auch nach ihm als „BÖTTCHER'sche Krystalle'' bezeichnet. S.
indessen w. u. Sie treten, wie bemerkt, erst l3ei Abkühlung und bei
beginnender Eintrocknung im Samen auf. Fig. 5 zeigt einige der ge-
wöhnlichsten Formen : Prismen in Doppelpyramidenform (9), Prismen
mit Stutzliächen in langen und kurzen Stücken (10, 12, IS), Rosetten-
formen {11) und Drusen; sie gehören dem monoklinen System an, vergl.
die getreuen Abbildungen bei Fürbringer (89a). Schreiner (232)
wies nach, daß diese Krystalle das phosphorsaure Salz der von ihm
entdeckten Base, des „Spermin'' (s. vorhin) darstellen. Man hat sie
vielfach mit den ZENKER"schen Krystallen des leukämischen Blutes
oder mit den zu diesen gehörenden CnARCOT-LEYDEN'schen Asthma-
krystallen identifizieren wollen, neuerdings auch mit den Lubarsch-
REiNKE'schen Hodenkrystallen, jedoch mit Unrecht; denn die Asthma-
krystalle sind, abgesehen von chemischen Verschiedenheiten (Unlös-
lichkeit der Asthmakrystalle in Formol und in Alkalien), hexagonal,
die Sperminkrystalle tetragonal. Vergl. hierzu außer Fürbringer
insbesondere noch Tn. Cohn (70), bei welchem sich auch die übrige,
schon recht ansehnliche Litteratur findet.
Die größeren Formen der BÖTTCHER'schen Spermakrystalle sind
bereits mit freiem Auge als glänzende Flitter zu erkennen. Die-
selben sind leicht löslich in Säuren, Avie in Alkalien und in Formol,
schwer löslich in Wasser, unlöslich in Alkohol und Aether. Die von
LuBARSCH (154, 155) entdeckten Krystalle finden sich in den In-
h a 1 1 s z e 1 1 e n der H o d e n k a n ä 1 c h e n in größeren und klein eren
Formen, letztere insbesondere in den Spermatogonien. Reinke (223)
entdeckte seine Krystalle oder „Krystalloide'' in den Z wische n-
zellen des Hodens. Beides sind normale Bildungen, jedoch läßt
sich zur Zeit über sie noch nichts (ienaueres angeben ; sie sind viel
kleiner als die BÖTTCHER'schen Krystalle.
Untersucht man ein frisches Ejakulat vom Menschen, so fallen
zunächst durch ihre Menge und ihre lebhafte, durcheinander wimmelnde
Bewegung die zahlreichen Spermien auf. Die Bewegung ist so rasch,
daß man die Form der einzelnen Spermien kaum erkennen kann.
Mit der Abkühlung und beginnenden Eintrocknung verlangsamt sich
die Bewegung, und sieht man nun bei starker Vergrößerung, wie sie
der Fig. 5 entspricht, die Spermien genauer. Die abgestorbenen liegen
gestreckt (4) oder in Schlmgen- oder Oesenbildung ihres Schwanz-
stückes (5, 5); wieder andere bewegen sich bei undulierender Form
des Schwanzes im Gesichtsfelde nach verschiedenen Richtunuen mit
96 W. Waldeyer,
den Köpfen voran. An einzelnen bemerkt man noch, meist in der
Nähe des Kopfes, proto])lasmatische Anhän,u,e in Gestalt von rnndlichen
Klümi)clien (.V). Dann treten auch die übrigen Bestandteile des Si)erma
deutlicher hervor und die Krystalle beginnen anzuschießen. Nicht
allemal findet man das zusammen, was Fig. 5 zeigt; auch ist die
Zahl der gezeichneten Spermien geringer, als man sie gewöhnlich in
einem Gesichtsfelde beisammen trittt.
Kurz sollen nun noch im Nachfolgenden die einzelnen Pro-
dukte der bei der Bereitung des Sperma mitwirkenden
Drüsen charakterisiert werden.
Ho d en se k r e t. In den Tubulis contortis werden die Spermien
gebildet (s. w. u.), dabei eine zähe eiweißhaltige Flüssigkeit in geringer
Menge [v. Mihalkovics (M. ^833)]. Mau kann sagen, daß diese Flüssig-
keit w^ohl nur zur Erleichterung der Fortbewegung der Spermien dienen
möge. Ueber die in den Hodenkanälchen und in den interstitiellen
Hodenzellen vorkommenden Krystallbildungen ist bereits vorhin im An-
schlüsse an die BöTTCHEE'schen Krystalle kurz berichtet woi'den.
Neben ho de nse kr et. v. Mihalkovics (M. 2833) hat bereits die
Vermutung geäußert, daß in den Nebenhodenkanälchen ein sekretorischer
Apparat gegeben sei. Genauere Begründung haben dafür neuerdings
Schaffer, Hammar (106), Henry (112, 113) und Aigner (1) durch den
Nachweis von besonders angeordneten Zellengruppen und von Sekret-
körpern innerhalb dieser Gruppen und in vereinzelten Epitbelzellen der
Nebenhodenkanälchen geliefert. Der Inhalt dieser Kanälchen, sowie der
des Ductus deferens besteht aber bei geschlechtsthätigen Individuen ziam
größten Teile aus Spermien und erscheint wie eine dickliche, etwas
glänzend schillernde, gelblich weiße Masse, sobald er in reichlicher
Menge angehäuft ist.
Mit der Ampulle des Ductus deferens und den Samen-
blasen ist ein sekretorischer Apparat von größerer Bedeutung gegeben.
Das Sekret beider Teile des männlichen Geschlechtsweges ist, soweit wir
wissen, dasselbe; es ist eine im frischen Zustande ziemlich klare, gela-
tinöse Masse, äußerlich etwa wie gequollene Sagokörner oder Froschlaich
beschaffen. In der Leiche findet man den Inhalt meist dicklich ver-
flüssigt und trübe, vielfach von bräunlicher Färbung, welche von der
Zumischung bräunlichen Pigmentes aus zerfallenen Zellen des Ej)ithels
herrührt. Man hat von besonderen Drüsen in der Wand der Samen-
blasen gesprochen, welche vorzugsweise das Sekret liefern sollten ; neuere
Untersuchungen M. Fränkel's (86a) haben dies jedoch nicht bestätigen
können.
Fürbringer giebt an, daß das Sekret der Samenblasen vorzugs-
weise aus einer Art Globulin bestehe. Es giebt dem frisch ejakulierten
Sperma vorzugsweise seine gelatinöse Beschaffenheit. Einfache Behälter,
Receptacula seminis, worauf der Name schließen lassen könnte, sind die
Samenblasen nicht; ihre Haaptfunktion ist die Absonderung des eben
geschilderten Sekretes. Ueber die Bedeutung desselben s. w. u.
In den Samenblasen geschleclitsreifer Menschen finden sich auch meist
Spermien in reichlicher Zahl. Vgl. die Dissertation von Kavser (126a).
In den sehr großen Samenblasen mancher Nagetiere — Ratten,
Mäuse, Meerschweinchen — sind Spermien nach Kayser für gewöhnlich
sehr selten zu treffen, ebenso in der kleineren Samenblase der Kaninchen.
Brachte man aber ein Kaninchen-Männchen für mehrere Stunden in die
Die Geschlechtszellen. 97
Nähe eines brünstigen Weibchens, beide Tiere jedoch durch ein Gitter
getrennt, so daß eine Kopulation unmöglich war, so zeigten sich beim
Männchen eine große Menge von lebhaft sich bewegenden Spermien in
der Samenblase. Wir nahmen seiner Zeit das WEHER'sche Organ als
Samenblase, was ja nach PALLiN(187a) z. T. berechtigt ist. Dies Ex-
periment hat ein zweifaches Interesse. Einmal spricht es dafür, daß,
wahrscheinlich infolge der erregten Geschlechtslust, Hodeninhalt in den
Samenwegen vorwärtsbewegt wird, ohne daß es zur Ejakulation kommt
und dann, daß derselbe in den Samenblasen aufgespeichert wii'd.
Das Prostatasekret, welches neuerdings insbesondere von
P. FÜRBRiNGER (88 — 89a) studiert wurde, hat eine trübweißliche
Färbung und erscheint ähnlich einer ziemlich dünnflüssigen, milchigen
Emulsion ; seine Reaktion, frisch aus der Prostata gewonnen, ist zumeist
eine schwach saure. Das Sekret besteht aus einer Aufschwemmung der
lecithoiden Körperchen (Fürbringer) in einer eiweißreichen Flüssig-
keit, welche hauptsächlich den von Posner nachgewiesenen albumose-
artigen Körper in Lösung enthält. Auch der charakteristische Sperma-
geruch haftet am Prostatasekret und zwar an dem Spermin, welches,
wie Fürbringer nachwies, aus dem Prostatasekrete stammt, während
Hoden- Nebenhoden- und Samenblasensekret, sowie das Sekret der
CowPER'schen Drüsen geruchlos sind.
Die zur Bildung der BÖTTCHER'schen Krystalle nötige Phosphor-
säure ist in den Sekretstoften der übrigen Samenwege enthalten und
wird nicht vom Succus prostaticus geliefert. Man kann (Fürbringer)
durch Zusatz von Ammoniumphosphat zu reinem Prostatasekret als-
bald die BÖTTCHER'schen Krystalle erzeugen.
Das Sekret der Co wper 'sehen Drüsen ist ein völlig klares,
ungemein zähes, so daß es in fußlange Fäden ausgezogen werden kann;
es besteht fast ganz aus reinem Schleimstoft" (epithelialem Mucin).
Das Sekret dieser Drüsen, sowie vielleicht auch das der LixTKB'schen
Drüsen der Harnröhre liefert augenscheinlich die spärliche schleimige
Feuchtigkeit, welche bei geschlechtlicher Erregung sich in der Fossa
navicularis der Harnröhre ansammelt und selbst in Tröpfchenform aus
deren Mündung hervortreten kann. Wenn Spermien darin gefunden
werden, so beweist das nicht, daß diese unmittelbar im Anschlüsse an
die stattfindende Erregung frisch aus den eigentlichen Samenwegen
('Ductus deferens und Nebenhoden) hinaufgewandert sind ; Spermien
können sich nach stattgehabter Ejakulation noch Tage lang in der Harn-
röhre aufhalten und beweglich bleiben ; sie gelangen auch durch ihre
Eigenbewegungen bis in die Harnblase hinein.
Um die wichtigeren chemischen und physikalischen Daten im Zu-
sammenhange zu geben, schließe ich hier alsbald die Haupt-
ergebnisse der chemischen Untersuchung der Sper-
mien an. Wir verdanken dieselben vornehmlich Fr. Miescher (173)
und A. KossEL und dessen Schülern (131 u. 132).
Miescher stellte zuerst aus den Kernen der Eiterzellen, später
auch aus den Köpfen der Lachsspermien einen Stoif dar, den er und
Hoppe-Seyler mit dem Namen „Nu kl ein" belegten.
Die Nukleine gehören zur Gruppe der von Hoppe-Sfa'ler als „Pro-
teide" bezeichneten Körper, welche wiederum mit den Albuminen (echten
Haiidbucli der Eiitwickelungslehre. I. 7
98 W. Waldeyer,
Eiweißsubstanzen) und den Albuminoiden die große Abteilung der Pro-
teinstoffe bilden. — Die Nukleine wurden alsbald in echte Nukleine
und Paranukleine (Kossel) — Pseudonukleine (Hammarsten) — geschieden.
Die echten Nukleine umfassen die Nukleinsäuren (Altmann) und deren
Verbindungen mit Eiweißstoffen ; sie geben als Spaltungsprodukte die
Nukleinbasen (Basen der Harnsäuregruppe, Xanthinbasen, Purinbasen
E. Fischer); die Paranukleine geben keine Nukleinbasen. Sämtliche
Nukleine wie Paranukleine sind reich an Phosphor.
Das von Miescher in den Köpfen der Lachssi)ermien nachge-
wiesene Nuklein ist Thymo - Nukleinsäure in Verbindung mit einem
basischen Eiweißkörper, dem ebenfalls von Miescher entdeckten
Protamin. Die Köpfe der Lachsspermien enthalten 9C),0ß Proz. neu-
trales nukleinsaures Protamin, d. i. 60,5 Proz. Nukleinsäure und
35,56 Proz. Protamin. Aehnlich fand Mathews (131. J die Zu-
sammensetzung der Spermienköpfe vom Hering. Die Thymonuklein-
säure aus Lachsspermien hat nach Miescher und Schmiedeberg die
Formel C,,R,,^ ,^^,0,^.
In den Schwänzen der Lachsspermien fanden sich (Miescher)
41,9 Proz. Eiweiß, 31,83 Proz. Lecithin und 26,27 Proz. Fette und
Cholesterin. Sehr beachtenswert ist, daß nach den Untersuchungen
A. Kossel's und seiner Schüler in den Spermien anderer Tierarten
kein Protamin, sondern andere Eiweißbasen mit der Nukleinsäure
verbunden vorkommen, so beim Stör das Stur in, bei dem Seeigel-
genus Arbacia das Arbacin; ebenso verhält es sich mit den Spermien
des Stieres und des Ebers, denen gleichfalls das Protamin abgeht.
Die Spermien sind im allgemeinen gegen physikalische und che-
mische Agentien sehr resistent; sie widerstehen einigermaßen kon-
zentrierten Säuren und auch heißer Sodalösung, werden dagegen in
heißem Aetzkali schnell gelöst. Sie werden durch Macerieren oder
durch Fäulnis nur zum Teil verändert, die Köpfe quellen aber in
Kochsalzlösung stark auf (vgl. hierzu Ballowitz , 5). Nach dem
Eintrocknen lassen sie sich, wie bemerkt — am besten in 1-proz.
Kochsalzlösung oder in Ammoniakwasser — selbst nach längerer Zeit
wieder aufweichen, so daß sie gut mit dem Mikroskope erkannt werden
können. Glüht man sie vorsichtig auf dem Objektglase, so bleiben die
veraschten Spermien in ihrer Form erhalten.
Man hat sich, namentlich in forensischem Interesse, bemüht, sichere
Reaktionen auf Sperma zu erhalten. Das Sicherste bleibt immer der
Nachweis von Spermien; auch das Auffinden der BöTTCHER'schen Kry-
stalle ist von diagnostischem Wert. Neuerdings hat Florence (83, 84) an-
gegeben, daß, wenn man eine starke Jodjodkalilösung (1,65 g J-|-2,54 g KJ
auf 30 g Wasser), was ungefähr einer Lösung von Kaliumtrijodid (KJs)
entspricht, auf dem Objektträger zu einem Tropfen des wässerigen Aus-
zuges eines Spermafleckes setze, in kürzester Frist braun gefärbte mikro-
skopische Krystalle auftreten. Diese Ivrystalle ähneln den bekannten
TEiCHMAXN'schen Häminkrystallen und stellen wie diese rhombische
Täfelchen dar. Florence selbst giebt schon an, daß diese Reaktion nur
einen beschränkten Wert habe, da noch andere, und zwar basische Stoffe
dasselbe Verhalten zeigen. Posner und Vertun (252) haben nun dar-
gethan, daß zahlreiche basische Körper der Cholingruppe und der Purin-
gruppe sowie das ScnnEiNER'sche Spermin positive Reaktion geben, und
Die Geschlechtszellen. 99
daß ferner, wie auch Gon^alvez Cruz zeigte, insbesondere Zumischung
von Blut, Eiter, dann auch starke Verdünnung mit Wasser oder Harn,
die Reaktion aufheben kann. Es darf also weder aus ihrem Fehlen,
noch aus ilireni Auftreten ein sicherer Schluß gezogen werden ; höchstens
mag, wie das bereits auch Flokence betont, ein positives Ergebnis zu
weiterem Nachsuchen nach Spermatozoen Anlaß geben.
ß) Die Spermien.
Schon vorhin schilderten wir in Kürze das Verhalten der mensch-
lichen Spermien im frischen Ejakulate; wir haben nunmehr auf den Bau
der Spermien genauer ein/Ai gehen. Zunächst beschreiben wir an einer
schematischen Figur (Fig. G) die sämtlichen Teile, welche man bisher
an einem Tierspermium hat nachweisen können, mit anderen Worten
also das komplizierteste Bild, welches ein Spermium nach unserer
jetzigen Kenntnis darbieten kann, und besprechen dann diese Teile im
allgemeinen genauer, endlich im besonderen die Spermien der einzelnen
Wirbeltierklassen. Anhangsweise finden auch die Spermien der Everte-
braten und der Pflanzen kurze Berücksichtigung.
Es folgt dann die Darstellung der Spermiogenese. Einige
physiologische Daten und Daten allgemeinerer Beziehung, Technik und
Geschichte der Spermiologie bilden den Schluß des IL Abschnittes.
1. Kurze Ueber sieht des Baues der Spermien;
Teile derselben; Nomenklatur.
Wir unterscheiden an jedem Wirbeltier-Spermium — s. Fig. 6. —
den Kopf Cp. = Caput, den Hals Gl. = Collum und den Schw^anz
Cd. = Cauda. (Zu den Figureubezeiclmungen wählen wir die abge-
kürzten lateinischen Namen.) Am Kopfe muß ein Vorder stück
P.a. Pars anterior, von einem Hinter stücke P.JJ., Pars posterior,
unterschieden werden. Am Vorderstücke haben wir zumeist nach vorn
das P er f Oratorium Pf., welches verschieden ausgebildet sein kann:
als Spitze in der Form des von Retzius sogenannten Spießes, zu
dem mitunter ein Widerhaken (Hamulus = Ham. in der Figur)
tritt, oder als ein mehr beilförmig schneidendes, oder selbst knopf-
förmiges Gebilde, s. w\ u. Das Perforatorium setzt sich oft mit einer
kleinen Verdickung (a) gegen den Rest des Vorderstückes ab. — Das
Hinterstück des Kopfes ist sehr verschieden gestaltet; in der Fig. 6
ist es (rein schematisch) pfriemenförmig gehalten.
Der Hals ist meist nur ein sehr kurzer Abschnitt des Sper-
mium. Ist das nächstfolgende Stück des Schwanzes stark ausgebildet,
so erscheint der Hals wie ein deutlicher Einschnitt, fast wie eine Lücke.
Man erkennt an ihm ein oder mehrere kleine dunkle Körperchen, c. a.,
die vom Centrosoma der Spermiumbildungszelle abstammen, öfters
feine Fäden, welche diese Körper mit dem Schwänze verbinden, und
eine helle Zwischensubstanz. Näheres weiter unten.
Am Schwänze unterscheiden wir drei, mitunter auch vier Ab-
schnitte: Zuvörderst, unmittelbar auf den Hals, folgt das Verbin-
dungsstück P.c. Pars coujuuctionis; dasselbe führt ein dickeres
oder dünneres „Achsenstück", „Achsenfaden" oder. „Hauptfaden" —
Filura principale — (in der Figur nicht bezeichnet), dazu eine Hüll-
100
W. Waldeyer,
Cp.
-- P.p.
-ca.
.p.e.
%
—F. marg.
—F.princ.
—Fihrill. rnarg.
—Fihrill.princ.
^l____
.F. access.
-,M. undul.
.Gubern.
(M. int.)
P.t.
cp.
-F. term.
-Spicterm.
Fig. 6.
Substanz, in welcher häutig eine
Spiralbildung- als Faden (F.spir.=
Filuni Spirale) oder als Saum er-
kennbar ist. Dieser Hauptfaden
setzt sich in den Hauptfaden des
zweiten Abschnittes, des Haupt-
stückes des Schwanzes P.pr.
(Pars principalis), fort; mitunter
ist, wie hier in der Figur ange-
geben, eine Art Absatz zwischen
beiden Stücken vorhanden. Am
Hauptstücke des Schwanzes können
nun bei manchen Spermienarten
noch mehrere Fäden, der Rand-
faden, F. marg. (Filum margi-
nale) und der Neben faden,
F. access. (Filum accessorium) auf-
treten. Der erstere, in der Figur
rot gezeichnet, liegt am Rande
einer undulierenden Membran, der
W e 1 1 e n m e m b r a n , M. undul.
(Membrana undulatoria), der Ne-
benfaden (blau gehalten) gegen-
über dieser Membran; in Fig. 6
liegt der Nebenfaden scheinbar in
derselben. Kurz vor dem Ende
des Hauptstückes, cp., hebt sich
auf der Nebenfadenseite oft eine
besondere membranöse Bildung,
das Steuer oder die Steuer-
m e m b r a u (Ballowitz), Guhern.,
(Gubernaculum) aus dem Schwänze
heraus, um dann plötzlich, ebenso
wie der Nebenfaden, zu enden. Das
Gubernaculum ist nur ein beson-
ders deutlich hervortretender Teil
einer meist zwischen Haupt- und
Nebenfaden befindlichen feinen
Membran, der Zwischenmem-
bran, Membrana intermedia (M.
int.) — Fig. 6B — . Der Haupt-
faden , wie der Randfaden lassen
sich, wie insbesondere Ballowitz
(5_8j gezeigt hat, in eine Anzahl
feinster Elementarfibrillen zer-
legen, Fibrin, princ. und Fihrill.
marg. (Fibrillae principales und
Fibrillae marginales) in der Figur,
wo dies an je einer Stelle ange-
deutet ist.
Das dritte Stück des Schwanzes
ist das Endstück, P.t. (Pars
termiualis). Dasselbe ist vielfach
Die Geschlechtszellen.
101
Fig. G-1. Sper-
mium von A m -
phiiima means
nach Mc GRii:(iOR
(157). Pf. Perfora-
torium. a verdickte
Stelle; dahinter eine
hellere Partie h. Op
Caput (Kopf), P.c.
Pars conjunctiouis
(Verbindungsstück),
alias „Mittelstück".
1 bedeutet dasselbe,
S eine dünne hellere
Partie , welche das
Stück 1 (Mittelstück
Aut.) mit dem
rundlichen dunklen
Stücke o verbindet
(vgl. Text), a. Stelle,
durch welche der
Querschnitt a^
(Fig. 6i?) gelegt
wurde; Z», die Stelle
des Querschnittes b^
der Fig. 65; e die
Stelle des Quer-
schnittes e (Fig. 65).
F.wartj.
Cj,.
Fig. GB. <'i b^ cd
e fünf Querschnitts-
bilder des Schwan-
zes, welche proxüno-
distalwärts einander
folgen; a, unmittel-
bar am Mittelstück
e, nahe dem Ende
gelegen. F.jjr. Filum
principale (Haupt-
faden oder Achsen-
faden) erscheint wie
ein dünner Halb-
ring. F.acc. Filum ac-
cessorium (Nebenfa-
den), F.marci. Filum
marginale (Rand-
faden). J/.»/k/. Mem-
brana undulatoria.
Inv. Involucrum
(Hülle), welche in
ttj und öj den Achsen-
faden und den Ne-
benfaden umgiebt.
M. int. Membrana
intermedia. Vergr.
beim Spermium in
der Totalansicht :
Zeiss, Apochromat
2,0 mm, Apert. 1,30,
mit Kompensations-
okular No. 6, Tubus
1()0 mm.
¥
F.pv.
\^--Ec. {Aut)
a^
3-'
^
6,
Mcnii. undui.
. in arq.
ÄLujid.
F.mai
y-
■.#,
Jnv.—- ^^ . ^
I'.pr. ,' , ' ;
^ / M.int. F.
Jnv.+AjL iiit. ,,,
J!. nee.
B
102 W. Waldeyer,
(Icutlicli vom Hauptstücke abgesetzt, bei c.p. in Fig. 6, und enthält
die Fortsetzung des Hauptfadens; es läßt, wie es scheint, zuweilen
noch eine feinste Hülle eikennen, denn bei Siredon ragt noch ein weit
feineres Ende , der E n d s ]) i e J5 , Spie. term. (Spiculuni terminale),
daraus hervor (R. Fick3()3). Die meisten dieser Einzelheiten zeigen
uns die Urodelenspermien ; einige sind überhaupt bis jetzt nur bei
Siredon beobachtet worden; sie sind hier in der Art des von Böhm
und Davidoff gegebenen Schemas (47 a, S. 247) mit einigen Ab-
änderungen auf Grund der Angaben von Ballowitz und R. Fick in
einer Figur zusammengestellt worden.
Man wolle zu dieser schematischen Figur 0 noch die nächst-
folgenden, ()A und 6B, und die Figuren 10 (deutliches Perforatorium
und Spiralfaden) , 13 (Endstück des Schwanzes) , 18 (Fibrillen) , 25
(beide Centrosomen), 27 und 28 (die Teile des Kopfes und die Spirale)
sowie Figg. 36 A und 40 (Hals mit Centrosomen, Hauptstück und End-
stück) vergleichen, um den Beweis für das Vorhandensein aller in
der Fig. 6 wiedergegebenen Teile auch an getreuen Abbildungen ge-
führt zu sehen.
Was insbesondere die Figuren 6A und 6B betrifft, so lasse ich
hier gleich deren Besprechung folgen, weil sie vor allem geeignet sind,
einen großen Teil der schematisch vorgeführten Teile eines Spermium
in klarer Weise an einem Naturpräparate zu veranschaulichen und die
Anordnung und Beschaffenheit der verschiedenen vom Schwänze des
Spermium beschriebenen Fäden und Membranen darzuthun.
Wir sehen vorn am Spermium von Amphiuma das ungemein fein
auslaufende Perforatorium ( A c r o s o m a v. Lbnhossek, Spieß Gr.
Retzius) ; bei a zeigt sich die auch im Schema Fig. G angegebene Verdickung.
Das mit h bezeichnete blasse, auf a distalwärts folgende Stück könnte
als Vor der stück des Kopfes bezeichnet werden; da es sich indessen
[nach Mc Ct]{egor (157)] aus demselben Stücke entwickelt, wie der vor
a liegende Teil des Pei'foratorii^m, so muß es zu diesem gezogen werden.
Der Hauptteil des Kopfes, Q;, ist bei Amphiuma von sehr erheblicher
Länge und zeichnet sich durch eine, man könnte sagen, elegante Form
aus. Das mit 1 und P. c. bezeichnete Stück nennt Mc Gkegor in Ueber-
einstimmung mit den Autoren seit Sciiweigger- Seidel das Mittel-
stück; dieser Name ist mit dem bislang von mir gebrauchten „Ver-
bin du n gs tu ck" (Retzius) gleichbedeutend. Nun folgt eine kurze,
dünne, eingeschnürte helle Stelle, 2. Ich betrachte diese beiden Teile zu-
sammen als dem „Hals e" (Collum) der Fig. 6 entsprechend (s. weiter unten).
Darauf folgt eine dunklere Partie von ungefähr derselben Größe wie 2, mit
welcher die W e 1 1 e n m e m b r a n (Memb. undul.) beginnt. Es kommt
nunmehr der Schwanz des Spermium, an dem, wenigstens in Fig. 6 A,
abgesehen von der Wellenmembran, keine weiteren Unterabteilungen
mehr zu eikennen sind; dagegen lassen sich diese an den aufeinander
folgenden Querschnitten des Spermium 6 A erkennen, s. Fig. 6 B.
Der Querschnitt a.^ ist, wie in Fig. 6A markiert ist, etwa durch die
Stelle a^ gelegt; h^ entspricht wohl der Stelle h^ im Bilde der Spermie;
ferner ist dort auch die Querschnittsstelle für e angegeben; zwischen &j
und 6 liegen die Schnittebenen für c und d. Da diese Ebenen im Original
nicht näher angegeben sind, so muß meine Angabe nur als eine un-
gefähr stimmende angesehen werden. Bei a^ (Fig. 6B) zeigt sich ein
relativ dicker Achsenfaden (/". pr. = Filum principale, Hauptfaden), an
Die Geschlechtszellen.
103
demselben nach oben (in der Figur) ein dünner, halbkreisförmig zu-
sammengekrümmter Anhang, beides von einer dicken Hülle [Inv.) umgeben ;
aus der Rinne des Anhanges geht ein feiner Faden, der in ein kleines
Knöpfchen endet, hervor. In h^ hat sich der Anhang von dem bis dahin
als Hauptfaden gedeuteten Teile getrennt, bleibt jedoch mit diesem —
alles noch von der Hülle umgeben — durch einen feinen Faden (M. int.)
verbunden. Weiterhin schwindet die Hülle (c, d, e)\ endlich, bei e, ist
auch der untere scheinbare bisherige Hauptfaden im Schwinden be-
griifen. — Man hat die Querschnittsbilder meines Erachtens so zu
deuten, daß in F. acc. der Neben faden gegeben ist, in F. marg.
(Filum marginale) der Rand faden, der das freie Ende der Membrana
undulatoria einnimmt, welche auf dem Querschnitt ja als feine Linie
erscheinen muß. Der auf dem Durchschnitte als gekrümmtes Fädchen
erscheinende Teil stellt das Filum principale dar , welches sich
somit hier als ein halbröhrenförmiges Gebilde ausweist. Die mit tn. int.
(Membrana intermedia) bezeichnete Linie ist die Schnittlinie einer zweiten,
zwischen Haupt- und Nebenfaden ausgespannten Membran ; ich halte sie,
wie S. 100 bemerkt, für das morphologische Aequivalent des von Bal-
LOwiTZ bei Siredon beschriebenen G u b e r n a c u 1 u m (s. Fig. 6) und
komme unter ß 2 und ß 3 noch darauf zurück.
2. Genauere Schilderung des Baues der
AV i r b e 1 1 i e r s p e r m i e n.
a) Kopf. Am Kopfe der Wirbeltierspermien hal>en wir , abge-
sehen von den vorhin genannten Teilen, dem Vor derst ücke , dem
H i n t e r s t ü c k e und dem P e r f o r a t o r i u m mit Spieß und W i d e r -
haken, noch folgende Bildungen zu unterscheiden: die Kopf kappe,
den Innen körper, eine periphere und eine centrale Partie,
die Querbänder und den Mikroporus.
Die Kopfkappe, Galea capitis m., bildet einen dünnen
Ueberzug des Kopfes der Säugetierspermien , welcher am vorderen
Kopfende am stärksten ist und hier mit dem Perforatorium zusammen-
hängt. Nach hinten verdünnt sich die Kappe bis aufs feinste, und
ihre Grenze erscheint etwa am hinteren Drittel des Kopfes, nament-
lich an gefärbten Präparaten in Gestalt einer sehr feinen Linie {Gal.
und L. Gal. in den Fig. 6 D , 3G und 30 A). Deutlich sieht man
Fig. 6 C. Kopf, Hals und Anfangsteil des
Schwanzes (Verbindungsstück) eines Spermium von
Bos taurus nach Bali.owitz (7 — Taf. XIV,
Fig. 78). Cp. Caput (Kopf); 67. Collum (Hals;
Cd. Cauda (Schwanz) ; Gal. (Pf.) Galea capitis (Kopf-
kappe); das Ff soll andeuten, daß diese Kopf-
kappe mit dem Perforatorium im Zusammenhange
steht. P.a. Pars anterior capitis (Vorderstück des
Kopfes). P.cf. Pars centralis capitis (Innen körper).
P.p. Pars posterior capitis (Hinterstück des Kopfes).
P. r. Pars conjunctionis (Verbindungsstück). 5
dunkles Knöpfchen am Vorderende von P. c, Teil
des Centrosoma posterius.
.-aal(Ff)
Fig. 6 C.
mitunter am vorderen Umfange des Kopfes einen dunkleren, mehr
oder weniger scharf auftretenden Kontur, hinter dem eine hellere
Strecke folgt (Fig. 6 C und 35) ; auch dies ist auf die Kopfkappe zu
beziehen. Weiteres später bei Besprechung des Perforatorium.
104 W. Waldeyer,
MiESCHER (173), Valentin (248a), Jensen (121 — 121b) u. a., ins-
besondere neuerdings Ballowitz haben am Kopfe die verschiedenen,
vorhin genannten Abschnitte beschrieben.
Den von Ballowitz erwähnten „Innenkörper" zeigt Fig. G C
als heller erscheinenden, bikonvex linsenförmigen oder halbmondförmigen
Teil (P. et) zwischen dem dunkleren Vorderstücke (nebst der Kopf-
kai)pe) und dem gleichfalls dunklen Hinterstücke. Ballowitz selbst
(7, S. 279) giebt der Vermutung Raum, daß es sich hier nur um eine
optische Erscheinung handle, bedingt durch die beiden dunkleren
Grenzlinien der Kopfkapi)e und des Hinterstückes; mir scheint dies
die richtige Deutung zu sein.
Die von Ballowitz so benannten beiden Abteilungen des Kopfes,
das V 0 r d e r s t ü c k (P. r^.. Pars anterior capitis) und das Hinter-
stück {P.p., Pars posterior cai)itis) sind eine sehr wichtige,
fast bei allen Wirbeltierspermien nachzuweisende Struktureigentümlich-
keit und um so bemerkenswerter, als sie wahrscheinlich auf ein von
Fr. Merkel entdecktes Verhalten des Kernes der Samenbildungs-
zellen — s. w. u. Spermiogenese — zurückzuführen sind.
Diese beiden Abteilungen lassen sich durch verschiedene Färbe-
mittel deutlich macheu. Es liegen also wohl chemische Differenzen
vor, über deren Bedeutung wir freilich noch nichts Näheres wissen.
Frische Spermienköpfe, namentlich die von der dickeren, rundlichen
P'orm, erscheinen unter dem Mikroskope stark glänzend, vorn meist
mit einem dunklen Ptande, der sich an den Seiten (Kopf von der
Fläche gesehen) mehr oder weniger weit liinabzieht. Nach Färbungen,
insbesondere mit Karmin , bleibt gewöhnlich das Vorderstück das
hellere ; das Hinterstück färbt sich in vielen P'ärbemitteln sehr stark.
Bei den Spermien des Menschen ist dies sehr deutlich, u. s. w.
Von einer weiteren Differenz des Spermienkopfes berichtet zuerst
Grohe (101a), später Miescher (173), denen Jensen (121), was das
Wesentliche anlangt, zustimmt. Es soll, auch abgesehen von der
Kopfkappe, wie dies Jensen ausdrücklich sagt, eine hellere Außen-
schicht (periphere Partie) von einer dunkleren Binnen masse
(centralen Partie) zu unterscheiden sein : W a n d s c h i c h t und
Inhalt Jensen. Diese Sonderung tritt aber nur bei Färbungen
(Säurefuchsin und Goldchlorid) hervor. Miescher hat sie insbe-
sondere bei den Spermien der Teleostier beschrieben, und Ballowitz (7)
findet auch in seinen Beobachtungen Anhaltspunkte für eine solche
Unterscheidung. Miescher geht aber in seinen Detailangaben noch
w^eiter. In der Binnenmasse soll bei Teleostiern ein stäbchenförmiges
Gebilde, das „ Centralstäbchen", eingebettet sein, welches sich
von der Insertionsstelle des Schwanzes an durch den Kopf in etwa
drei Vierteln seiner Länge erstreckt; dasselbe stehe durch einen feinen
Kanal in der Bindeuschicht, den Miescher als „Mikroporus"
bezeichnet, mit dem proximalen Ende des Schwanzes in Verbindung.
Miescher will diese Bildungen auch für die Säugetiere nachgewiesen
haben. Für die letzteren habe ich mich ebensowenig wie Ballowitz
mit Sicherheit von diesen Differenzierungen überzeugen können, und
auch für die Teleostier gewinnen dieselben durch die Ballowitz-
schen Untersuchungen ein anderes Licht. Wenn auch, wie es in
Fig. 14 auf den ersten Blick erscheint, ein dunkles kleines Körper-
chen in der Mitte des Kopfes sichtbar ist, so ist diese Lage doch nur
eine scheinbar centrale. Es zieht sich nämlich an den fast kugelrunden
Die Geschlechtszellen. 105
Köpfen der Knochenfischspermien (Fig. 14 stellt eine Spermie von
Perca fluviatilis dar) an einer Stelle eine meist längliche, rinnenförmige
Delle entlang, ähnlich der Kerbe an einer Kaffeel)oline, nur nicht so
ausgedehnt. In dieser Delle, also seitlich am Kopfe, befindet sich
der Ansatz des Halses, und zwar so, daß der Achsenfaden mit dem
an seinem vorderen Ende befindlichen Endknöpfchen, welches ent-
wickelungsgeschichtlich dem vorderen Centrosom (c. a.) entspricht,
innerhalb der Delle in die Rindenschicht sich einsenkt.
Ballowitz spricht hier von einer „OefFnung", durch welche das
Endknöpfchen in die Rindenschicht des Kopfes eingelassen sei, und
meint, daß man noch eine Art Kittsubstanz annehmen dürfe, welche das
Knöpfchen an den Kopf befestige und den kleinen hellen Hof erzeuge,
den man um das dunklere Knöpfchen herum wahrnimmt. Ich meine,
daß es nicht nötig sei, von einer besonderen „Oeffnung" zu sprechen;
es handelt sich wohl um eine kleine Vertiefung der Rindenschicht, in
welcher das Knöpfchen steckt. Ist diese im Grunde einer seitlich sich
am kugeligen Kopfe heraufziehenden Delle oder Rinne gelegen, und geht
von da der Achsenfaden des Halses zum Verbindungsstücke, also seitlich
auf einer gewissen Strecke entlang, bis zum distalen Kopfpole hin, wo
er in das Verbindungsstück (P. c.) eintritt, dann muß bei der Ansicht
des Kopfes von der Dellenseite oder von der Gegenseite der Delle her
ein Bild wie in Fig. 14 erscheinen; es erklären sich auch so das Mie-
scHEß'sche Centralstäbchen und der Mikroporus.
Die Querbänder des Kopfes erscheinen als 3—4 schmale
dunkle Streifen desselben ; sie wurden von Valentin (248a), der 4
unterschied, zuerst beschrielien ; eine Abbildung derselben giebt auch
W. Krause im I. Bande der von ihm bearbeiteten 3. Auflage des
Handbuches der Anatomie seines Vaters C. Krause (p. 266, Fig. 155A).
Sie sind sowohl an frischen Spermienköpfen vieler Säuger (Ursus,
Lepus, Cavia u. a.), als auch an gefärbten Präparaten zu sehen und
am genauesten von Ballowitz (9) studiert worden. Seinen Beob-
achtungen zufolge entsteht das vorderste dunkle und kleinste Quer-
band durch eine an der betreifenden Stelle des Kopfes befindliche
Vertiefung. Das nächstfolgende ist regelmäßig bogenförmig mit vor-
derer Konvexität, wie Ballowitz fand, und wird durch die hintere
Grenzlinie der Kopfkappe und die vordere Begrenzung des Innen-
körpers erzeugt. Das dritte Band ist der Ausdruck der Grenze
zwischen Vorder- und Hinterstück des Kopfes, wie bereits v. Brunn,
Renson und Fürst angenommen haben (Litteratur s. bei Ballo-
witz). Das hinterste Querband scheint darauf zu beruhen, daß, wie
Färbungen erweisen, das Hinterstück des Kopfes wiederum aus zwei
physikalisch und chemisch differenten Zonen besteht, deren Grenze
sich in dem Bande ausdrückt.
Mit dem Namen „ P erf Oratorium " belege ich einen Apparat,
der sich am vorderen Ende des Kopfes der Spermien der meisten
Tiere und auch bei denen des Menschen findet. Sein ganzer Aufbau
und seine Lage am vorderen Kopfende, sowie die unmittelbare Be-
obachtung zeigen, daß er eine mechanische Bedeutung hat, nämlich
als Bohrapparat oder Schneideapparat beim Eindringen der Spermien
in die Eier zu wirken. Das Perforatorium ist, wie es scheint, immer
zugespitzt oder zugeschärft (Mensch), so daß man Spitzenperforatorien
und Schneideperforatorien unterscheiden kann ; beide sind von be-
106 W. Waldeyer,
sondcror Festigkeit und Widerstandsfähigkeit. Die Spitzenperforatorien
sind zuweilen (s. Fig. 0 und CA) mit einem Widerhaken ver-
sehen, der so gestellt ist, daß das über den Haken hinaus einge-
drungene Perforatorium nicht wieder zurückgleiten kann, ohne daß
der Haken abbricht. Als besonders feine Spitze, „pointe cephalique",
hat sie G. Herrmann (M. 2565 — 1882) bei Selachiern beschrieljcn ;
G. Retzius (224) unterschied es unter dem Namen „Spieß", Ballo-
wiTZ (7) als „Spitzenstück", Benda (29, 36, 37) als „Spitzenkörper".
Färberiscli unterscheidet sich das Spitzenperforatorium fast stets
von dem rückwärtig gelegenen Teile des Kopfes; frisch ist es meist
nicht scharf zu sondern. Bei den Reptilien z. B. färbt es sich dunkler
und bleil)t dunkler beim Aufhellen der Färbung (Ballowitz). Eine
Anzahl Reagentien, welche die üljrigen Teile des Kopfes stark quellen
macheu, lassen das Perforatorium intakt, und es gelang Ballowitz
auf diese Weise, durch Maceration am Perforatorium von Triton noch
eine sich stärker färbende Mantelschicht von einem blasser bleibenden,
besonders resistenten I n n e n k ö r p e r oder I n n e n f a d e n (Fig. 23)
zu isolieren. Der Widerhaken gehört der Mantelschicht an. Sehr be-
merkenswert ist bei einigen Species, Triton (wahrscheinlich auch die
übrigen Urodelen) und Bombinator, die bereits von Retzius erkannte
Verlängerung des Spießes auf den Hauptteil des Kopfes. Ballowitz
und IvAR Broman haben dies, ersterer bei Triton, letzterer bei
Bombinator, am genauesten beschrieben (vgl. Fig. 19 und 20). Bei
Triton liegt dieser „Binnenteil" des Perforatoriums (Binnenspieß,
wie ich ihn bezeichnen möchte) in der Rindenschicht des Kopfes, bei
Bombinator in der Mitte des letzteren.
An der Zusammensetzung des Perforatoriums beteiligen sich, wie
vor allem Benda (1. c.) erkannt hat — s. w. u. Spermiogenese —
die Bestandteile des Idiozoms (Meves, „Sphäre" der Autoren), deren
einer einen stärker tingierbaren lunenkörper liefert, der sich vorn
am Kern befestigt, deren zweiter die Kopfkappe erzeugt. Die Kopf-
kappe überzieht nun diesen Innenkörper (den Spitzenknopf Merkel's,
dasAkrosom v. Lenhossek's, Hakenstäbchen Jensen's — bei
der Ratte), anfangs weiter abstehend, später dicht anliegend. Das
Akrosom ist sonach der Hauptbestandteil des Spitzenperforatoriums.
An der im allgemeinen spitzigen Form dieses Perforatoriums
kommen allerlei Abweichungen und Varianten vor. So zeigt der
Spieß bei Pelobates spiralige Drehung, wie der Kopf überhaupt; bei
den Singvögeln setzt sich der dem Kopfe angehörige Spiralsaum auch
auf den Spieß fort. Bei den anderen Vögeln erscheint er als kleines
Knöpfchen, Spitzenknopf (s. Fig. 32), bei wieder anderen von der
gewöhnlichen einfachen Spitzenform. Eine hakenförmige Umbiegung,
die z. B. bei der Ratte sehr deutlich erscheint, ist sehr häufig.
Was die zweite Art der Perforatorien anlangt, die ich
die schneidende nannte, so entwickelt sich diese aus dem vor-
dersten Teile der Kopfkappe, welcher sich zuschärft und eine be-
sonders große Resistenz anzunehmen scheint. Demnach muß dieser
vordere Rand der Kopfkappe schneidend wirken. So liegen die Ver-
hältnisse z. B. beim Menschen.
Ganz eigenartig ist die Form beim Meerschweinchen, wo
das Perforatorium durch Meves neuerdings eine sehr eingehende
Beschreibung erfahren hat (s. Fig. 36—37). Der Apparat ist be-
sonders groß und erscheint wie ein hakenförmig gekrümmter Ansatz
Die Geschlechtszellen. 107
am Kopfe bei der Kantenansicht des letzteren, von der Fläche ge-
sehen einfach als etwas sich verschniälernder vorderer Kopfteil mit
Kantenkrümmung (Fig. 31 Pf.). Wie der Kopf selbst, so ist auch das
Perforatorium der Fläche noch gekrümmt, jedoch nach entgegen-
gesetzter Richtung als der Kopf, Auf dem Durchschnitt (Fig. olPf.)
gewahrt man eine dunklere Rindenschicht und eine hellere Innen-
schicht — als „Spalt", wie es Meves tliut, möchte ich diese hellere
Lage nicht bezeichnen. Weiteres darüber s. bei der Spezialbeschreibung
der Nagerspermien. Wir dürfen diese Perforationsform wohl zu den
„schneidenden'' zählen.
Die GröEe des Perforatoriums ist gleichfalls sehr verschieden,
von den kleinen Endknöpfchen der genannten Vögel, welche kaum
zu messen sind, bis zu den langen, fadenförmigen Spießen der Urodelen
oder den breiteren, löiTelförmigen Bildungen von Cavia.
Bei den Teleostiern mit ihren kleinen kugeligen Köpfen scheint
in der Regel kein Perforatorium vorhanden zu sein ; ebenso vermisse
ich es beim Amphioxus. Man kann versucht sein, das Fehlen bei den
Teleostiern mit dem Vorhandensein einer Miki'opyle am Ei — s.
Abschnitt „Ei'' — in Verbindung zu bringen ; es bedarf dann wohl
keines Perforatoriums.
b) Hals, Unter dem von Eimer eingeführten Namen „Hals"
(Collum spermii) ist der unmittelbar auf den Kopf folgende Teil
des Spermium zu verstehen, der bei manchen Spermienformen, z, B,
bei den Chiropteren, deutlich in Gestalt einer Einschnürung sich mar-
kiert (Fig. 6C und 35—38), In anderen Fällen, wie bei den Spermien
des Menschen, ist nichts von einer derartigen Einschnürung, durch
welche der Hals sich äußerlich als besonderer Abschnitt des Innen-
fadens kundgiebt, wahrzunehmen ; in einer dritten Reihe von Spermien,
z, B. von Bos taurus, ist diese Einschnürung nur unbedeutend — so
tritt sie in den Abbildungen von Retzius (224) nicht hervor, w^ährend
sie in Fig. 6 C (Ballowitz, 7 ) deutlich erscheint. Nichtsdestoweniger
muß man auf Grund entwickelungsgeschichtlicher Daten einen „Hals"
annehmen und kann ihn hiernach auch genau definieren. Es ist nach
diesen Daten unter dem Spermien halse diejenige, meist nur sehr
kurze Strecke des Spermium zu verstehen, welche das vordere
Centrosom und die zwischen diesem und dem hinteren Centrosom
befindliche durchsichtige homogene Z w ischenmasse samt den in
manchen Fällen in dieser eingelagerten „Centrosomfäden" umfaßt.
Für die Begründung dieser Erklärung muß auf den Abschnitt „Spermio-
genese" (s, w. u,) verwiesen werden.
Man könnte noch das vordere Stück des hinteren Centrosoms hierher-
ziehen; mir will es indessen richtiger erscheinen, das hintere Centrosom
dem Verbindungsstücke des Schwanzes zuzuzählen, dem es dann voll-
ständig mit seinen beiden Stücken, dem vorderen und dem hinteren,
angehörte; s. w. u. „Verbindungsstück".
An der Hand der Figuren sei der Begriff des Spermienhalses
weiter erläutert. In der schematischen Fig, 6 ist bei ca das kleine
vordere Centrosom gezeichnet, dicht dahinter ein doppeltes Knöpfchen,
entsprechend dem in 2 Stücke zerfallenen A^orderstücke des hinteren
Centrosoms ; zwischen den 3 Knöpfchen eine hellere Substanz , die
Zwischensubstanz, In dieser liegen, wie es scheint, insbesondere
bei den Säugetierspermien, noch einer oder mehrere feine Fäden,
108
W. Waldeyer,
Fa.
Cp.
Pe:{
b:
A'd. a. {oa.}
"iJiJ'. int.
"NiL. jp.ic.p.j]
- iJnv.ext.
—Jnv. int.
-Ann.lo.jp.^)
-' F.pr.
Cd.-\ p ,.^
---Jiii
welche das vordere Centrosom mit
dem Vorderstücke des hinteren Cen-
trosoms verbinden (Fig. 36 A Fe,
Fig. 6C Cl).
In Fig. 6 A, dem Spermium von
A m j) h i 11 m a m e a n s , muß das
mit 1 und auch mit P. c. (Aut.) be-
zeichnete Stück als der Hals an-
gesehen werden , nicht als Ver-
bindungsstück (Mittelstück), wie es
von Mc Gregor und von den
Autoren auch bei den sonstigen
Figuren der Urodelenspermien stets
bezeichnet w^orden ist; denn die
Entwickelungsgeschichte läßt keinen
Zweifel darüber zu, daß diese Partie
{!) aus dem vorderen Centrosom
und einer Zwischensubstanz hervor-
geht. 2 ist höchst wahrscheinlich
eine verbindende Zwischensubstanz
zwischen 1 und 5, einer dunklen
rundlichen Masse, w^elche das vor-
dere Stück des hinteren Centrosoms
darstellt.
An der von Meves gegebenen
Säuge-
vergl.
schematischen Figur eines
tierspermium (Fig. 6D)
auch das Schema vom Menschen
(Fig. 43 B) — besteht der Hals aus
den beiden Stücken Nd. a. (ca.) =
Noduli anteriores (Centrosoma an-
terius) und Ms. int. = Massa inter-
media. Nd. p. {c.pi )== Noduli poste-
riores (Centrosoma posterius i) stellt
F.t
Fig. 6 D.
Fig. 6 D. Schema eines Meerschweincheii-
spermiura nach Meves (171 — Textfigur c,
S. 360). Cp. Caput (Kopf); Cl. Collum
(Hals); Cd. Cauda (Schwanz). P.a. Pars
anterior capitis (Vorderstück: des Kopfes).
Gal. Galea capitis (Kopf kappe, Rand der-
selben). P.p. Pars posterior capitis (Hinter-
stück des Kopfes). iVrf. a. {c. «.) Noduli
anteriores (Centrosoma anterius), vordere
(Hals-)Knöpfchen. Bis. int. Massa intermedia
(Zwischenmasse des Halses). Nd.2). {<--2^i)
Nodiüi posteriores (Centrosoma posterius I,
hintere Knöpfchen). P. c. Pars conjunctionis
(Verbindungsstück des Schwanzes). Spir.
Filum Spirale (Spiralfaden). Stthst. int. Sub-
stantia intermedia (Zwischensubstanz). Ann.
(cp.-,) Annulus, ßing (Centrosoma poste-
rius"II) ; P. -pr. Pars principalis (Hauptstück
des Schwanzes). F.pr. Filum principale
(Hauptfaden, Achsenfaden). Inv. Invo-
lucrum (Hülle des Hauptfadens). P. t. Pars
terrainalis (Endstück des Schwanzes).
Die Geschleclitszellen. 109
den vorderen Teil des hinteren Centrosoms dar. Die Centrosonifäden
sind hier nicht gezeichnet, ebenso wenig die einzelnen Knöpfchen, in
welche die Stücke Nd.a. nnd Nd.p. zerlegt sind. Man wolle für dieses
die nach Meves kopierten Figg. 36, 36 A und 36 B vom Meerschwein-
chen und die dazu gegebene Erklärung vergleichen. Bei diesem Tier
erkennt man die Centrosonifäden, die sich an kleinen Knöpfchen, Noduli,
in die die Centrosomen häutig zerfallen, befestigen.
Eimer (M. 2612) und Ballowitz (7) nahmen an, daß der Hals stets
vom Achsen faden durchsetzt sei, der sich, oft mit einem deutlichen
Endknöpfchen versehen, an den hinteren Kernpol inseriere. Ballowitz
hat schon bei mehreren Säugetieren doppelte oder dreifache Eäden nach-
gewiesen ; da er aber (s. w. u.) dargethan hatte, daß der Achsenfaden
aus mehreren Fibrillen bestehe, so war die Deutung, daß diese mehr-
fachen Eäden in der That den Achsenfaden repräsentierten, sehr wohl
zulässig. Jensen zeigte dann (121b), daß bei anderen Säugetieren, z.B.
bei der Ratte, keinerlei Fäden im Halse zu finden seien, sondern nur
eine geringe Menge Zwischensubstanz in schmaler Schicht, durch welche
das vordere Centrosom mit dem Vorderstücke des hinteren Centrosoms
verbunden wird. — Meves hat schließlich die Sache geklärt, indem er
nachwies, daß, wenn Fäden vorhanden sind, sie Bildungen sui generis
seien, die die einzelnen Centrosomstücke miteinander verbinden. Ich
habe deshalb den Namen „Centrosomfäden" dafür gewählt.
Es ist nicht unwichtig, den Hals als besonderen Teil des Spermium
zu unterscheiden, einmal wegen seiner morphologischen Stellung als
an das vordere Centrosom geknüpften Teiles, dann in Bezug auf
seine ph3^siologische Bedeutung, welche wahrscheinlich nach zwei Rich-
tungen hin gesucht werden muß. Der Hals ist zweifellos als eine Art
Gelenkstelle anzusehen, in welcher der Kopf gegen den Schwanz und
umgekehrt ziemlich beträchtliche Biegungen auszuführen vermag (vgl.
Ballowitz 7), die sicherlich nicht gieichgiltig für den Einbohrungs-
oder Einschneidungsvorgang bei der Kopulation zwischen Ei und
Spermium sind. Noch wichtiger erscheint vielleicht der Umstand, daß
infolge der eigentümlichen, man muß sagen „lockeren" Befestigung
der Geißel am Kopfe in dem Halsstücke, hier Kopf und Schwanz
leicht voneinander getrennt werden können oder der Schwanz auch
vom Halse. Es liegt ja hier nur die weiche Zwischenmasse, und, sind
Centrosomfäden vorhanden, so sind diese doch sehr dünn und wohl
leicht zerreißlich.
Wie das vordere Centrosom mit der Substanz des Kopfes ver-
bunden ist, darüber wissen wir nichts Genaueres. Ballowitz (7)
nimmt eine Kittsubstanz an; nachweisen kann man aber eine solche,
die nur in minimaler Masse vorhanden sein dürfte, nicht. Eine leichte
Abtrennbarkeit des Kopfes vom Schwänze ist aber erforderlich, wenn
allein der Kopf des Samenfadens — s. Kap. Befruchtung — als männ-
liche Kernmasse (Spermakern) mit dem Eikern sich verbinden soll;
ebenso eine Abtrennung des Schwanzes vom Halse, wenn etwa das in
letzterem befindliche Centrosom , das proximale (vordere), dem be-
fruchteten Ei das Centrosom zu liefern hat. Man sieht ja auch that-
sächlich (A. Böhm 47 und R. Fick 363) alsbald nach dem Eindringen
eines Spermium in die Eizelle den Kopf vom Schwänze in der Hals-
gegend sich trennen ; das Halsstück selbst wird hier zu einer strahligen
110 W. Waldeyer,
Sphäre , in der frcnlich ein ('entrosom von Fick beim Axolotl nicht
gefunden wurde ^). Möglich, daß der Hals auch bei der merkwürdigen,
von Fick und Michaelis („Die Befruchtung des Tritoneneies", Arch.
f. mikrosk. Anat., Bd. XLVIII, l-SOT, p. 528) beobachteten Drehung der
Sperniienköi)fe so, daß das Ilalsstück zum Eikern sich wendet, in
Betracht kommt.
Wenn man mit den bisherigen Autoren den von mir bei Am-
phiuma als „Hals" bezeichneten Teil „Mittelstück" nennt, so muß man
— s. die nähere Begründung bei dem Abschnitte „Spermiogenese" —
mit Meves (109) sagen, daß das Mittelstück der Urodelen, und es gilt
dies auch für die Selachier u. a., dem Mittclstücke (Verbindungsstücke)
der Säugetiere nicht homolog sei, denn, wie wir sehen werden, besteht
eine in wesentlichen Dingen al) weichende Ent Wickelung. Ich ziehe es
aber vor, um entwickelungsgeschichtlich auf gleiche Weise entstandene
Dinge auch mit gleichen Namen zu belegen, das Mittelstück der Autoren
bei den Urodelenspermien mit der Bezeichnung „Hals" zu versehen.
Wie sich später herausstellen wird, wechselt der Hals oder das „Hals-
stück", wie man auch sagen könnte, bei den einzelnen Tierfamilien
beträchtlich in Form und Größe ab ; das sind aber ja nur unwesent-
liche Dinge.
Schon Jensen und F. Hermann (Ergebnisse der Anatomie und Ent-
wickelungsgeschiclite, herausgegeben von Merkel und Bonnet, für 1892,
p. 213) haben darauf aufmerksam gemacht, daß keine Homologie zwischen
dem Verbindungsstücke (Mittelstücke) der Urodelen und dem der Säuge-
tiere, Vögel und Reptilien bestehe. Jensen (M. 2615) schließt das aus
dem Umstände, daß man in dem sog. Mittelstücke der Urodelen keinen
Achsenfaden nachweisen könne. Baelowitz (5, III) hat zwar auch hier
nach Macerationen einen axialen Teil von einem sich unregelmäßig ab-
bröckelnden Mantelstücke trennen können und will deshalb dem Jensbn-
schen Schlüsse nicht beipflichten; indessen erkennt er sehr wohl Dif-
ferenzen an, welche zwischen den Urodelen und den übrigen Klassen be-
stehen, indem er den Achsenfaden des Mittelstückes von einem „eigent-
lichen Achsenfaden" unterscheidet und hervorhebt, daß dieser eigentliche
Achsenfaden des Hauptstückes von dem des Verbindungsstückes durch
ein Endknöpfchen getrennt sei.
Bei den Urodelenspermien ist noch einer Eigentümlichkeit des
Halsstückes zu gedenken, nämlich der, daß das vordere Ende des letzteren
in einer entsprechend ausgehöhlten Konkavität des hinteren Kopfendes
steckt, s. Fig. 6 (Retzius, 224; Levdig, 14(3; Ballowitz .5, III). Letzterer
zeigte daztt, daß von dem vorderen Ende des Halsstückes bei Triton
noch ein kleiner Zapfen sich tiefer in den Kopf hinein erstreckt (1. c.
Taf. XII, Fig. 56). Dasselbe fand R. Fick bei Siredon (.363, Taf. XXVIII,
Fig. 22), wo der Zapfen mit St. „Stachel" bezeichnet ist. Auch Fick
unterscheidet an dem Halsstücke eine dünne Mantelschicht von einem
soliden, stäbchenförmigen „Kernstücke". Den Ausdruck „Achsenfaden"
1) Centrosomen wurden aber von Sobotta bei der Maus uud Forelle festge-
stellt (vgl. Ergebnisse der Anatomie und Entwickeiungsgeschichte, herausgeg. von
Merkel u. Bonnet, Bd. V, Bericht für 1895. Wiesljaden 189G). Für Wirbellose
(bei Physa) desgl. von v. Kostanecki (Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. XL VII). Nach
den klaren Ergebnissen von Meves (171, p. 384) indessen kann man nur behaupten,
daß das in der Eizelle auftretende erste Furchungscentrosoni sich in seiner Substanz
von dem Centrosom der Spermatide herleite, nicht, daß es mit ihm identisch
sei (s. sp.).
Die Geschlechtszellen. 111
gebraucht er nicht, da er besonders betont, daß der Achsenfaden des
Hauptstückes sich vollständig von dem Halsstücke abgliedere — s. die
angezogene Fig. 22. — Die Wellenmembran erstreckt sich, wie Ballo-
wiTZ und R. FicK übereinstimmend angeben, nicht auf das Halsstück
hinauf; sie beginnt vielmehr erst an dessen hinterem Ende.
R. FiCK gebraucht ebenfalls (1. c. p. 556) den Namen „Hals", indem
er sagt: „Malbranc (158a), der zuerst beim Axolotl das Zwischenstück
zwischen Kopf und „Hals" fand, nannte es „Schaltstück". Was aber
FiCK hier mit dem Namen „Hals" meint, erklärt er nicht; augenscheinlich
versteht er darunter die Abgliederung dieses seines Zwischenstückes
gegen den Schwanz, obwohl er bald darauf fortfährt, er wolle die
E,ETZius'sche Bezeichnungsweise, die ja auch Ballowitz konsequent
durchführt, beibehalten, wenngleich der Kürze des Ausdruckes wegen
auch die Bezeichnung „Hals" ganz zweckmäßig wäre, die für die Axolotl-
spermatozoen auch sonst nicht unpassend erscheine. Hier ist offenbar
die Bezeichnung „Hals" jedesmal in einem ganz verschiedenen Sinne ge-
braucht worden.
Ich gehe auf diese Einzelheiten hier aus dem Grunde ein, weil
ich den Namen ,.Hals" oder auch „Hals stück" für einen ganz
bestimmten Abschnitt der Spermien eingeführt sehen und ihn scharf
von dem Verbindungsstücke trennen möchte. Ich hebe dazu noch-
mals hervor: 1) daß der Hals nicht vom Achsenfaden durchzogen
wird, also keinen Teil der Geißel bildet, was auch daraus hervor-
geht, daß sich die Wellenmembran nicht auf ihn fortsetzt; 2) daß
der betreffende Spermienteil auch nicht zum Kopfe gehört, wie seine
Entwickeluugsgeschichte (s. weiter unten) auf das strengste erweist,
und 3) daß er im Ei bei der Befruchtung eine Strahlung liefert, in
der wir das Centrosom oder wenigstens einen Abkömmling desselben
zu suchen haben. Hierzu kommt nun, daß bei den Selachiern
(Suzuki, 243), bei Helix pomatia (Korff, 130) und wahrscheinUch
noch bei einer nicht geringen Zahl anderer Tiere dies Halsstück,
welches aus dem vorderen Centrosom entsteht, eine bedeutende Ent-
wickelung erfährt. Grund genug nach allem dem, es durch eine be-
sondere Benennung auszuzeichnen und es nicht mit dem „Mittel-
stücke" oder „Verbindungsstücke", welches ein Teil des Schwanzes
ist, zu konfundieren.
c) Schwanz. Der Schwanz des Samenfadens, Gau da spermii,
welcher bei sämtlichen Wirbeltieren vorhanden ist, läßt nach der von
G. Retzius (224) gegebenen, zur Zeit wohl allgemein angenommenen
Einteilung drei Abschnitte unterscheiden : das V e r b i n d u n g s s t ü c k ,
Pars c 0 n j u n c t i 0 n i s , das H a u p t s t ü c k , Pars p r i n c i p a 1 i s ,
und das En d stück, Pars terminalis. Allgemeines Characteristicum
des Spermienschwanzes ist das Vorhandensein eines Achsenfadens,
dem die Bedeutung einer schwingenden Geißel, eines Motors für das
Spermium, zukommt. Im Halsstücke fehlt, wie wir gesehen haben,
ein solcher Achsenfaden, denn die dort beobachteten fadigen Bildungen
sind dem Achsenfaden des Schwanzes nicht homolog, zeigen sich auch
von ihm getrennt. Der Achsenfaden zieht ununterbrochen vom Be-
ginne des Schwanzes, unter allmählicher Verdünnung, bis zum äußer-
sten Ende des Spermium hindurch. Es würde somit durch diesen
wesentlichen Teil des Schwanzes kein Grund zur Trennung desselben
in drei gesonderte Abschnitte gegeben sein ; der Grund für diese
112 W. Waldeyer,
Trennung; liegt vielmehr in dem Verhalten der Centrosomen und
der Hüllen des Achsenfadens, wodurch bei vielen Spermien schon
mit mäßiger Vergrößerung sichtbare Absätze am Schwänze erzeugt
werden.
Das V e r b i n d u n g s s t ü c k wird vom H a u p t ü c k e des Schwanzes
abgesetzt einmal durch das letzte Stück des distalen Centrosoms,
— „Scheibe" Jensen (121b, p. 410), „Seh lu ß sehe ibe" „End-
scheibe", Ballowitz (7, p. 245) — , welches am hinteren Ende
des Verbindungsstückes gelegen ist, während das erste (vordere)
Stück dieses Centrosoms den (proximalen) Anfang des Haui)tstückes
bezeichnet. Da der Achsenfaden durch diese „Scheibe" hindurchgeht,
so stellt dieselbe in Wahrheit einen Ring vor.
Wir verdanken Meves (166 — 171) den bestimmten Nachweis, daß
es ein Stück des hinteren Centrosoms ist, welches in Form der Jensen-
schen Ringscheibe die Grenze zwischen Verbindungsstück und Haupt-
stück des Schwanzes bildet. Bei den völlig ausgebildeten Spermien der
meisten der untersuchten Tiere ist diese Scheibe nicht mehr gut wahr-
nehmbar. Sehr deutlich soll sie sich bei Didelphys virginiana erhalten,
vergl. Fig. 32.
Eine zweite Marke für das Verbindungsstück, welche ihm vielleicht
jedoch nicht ausschließlich zukommt, ist das Vorhandensein eines
Spiralfadens. Derselbe ist insbesondere durch die Untersuchungen
von Jensen (1. c), Ballowitz (5 u. 7), Benda (29 — 39) und Meves
(167 u. 171) sichergestellt worden. Derselbe windet sich in engen
Touren um den Achsenfaden herum ; er beginnt am vorderen Ende
des hinteren Centrosoms und endet an dessen hinterem Ende, falls
er sich nicht noch, wie (nach Jensen) bei einigen Species, auf das
Hauptstück fortsetzt. Zwischen seinen Windungen findet sich eine
homogene Substanz — Zwischen Substanz Ballowitz.
Außer diesen Bestandteilen sind nun noch zwei Hüllen am
Verbindungsstücke beschrieben worden. Eine innere Hülle soll
in sehr dünner Lage unmittelbar den Achsenfaden umgeben, zwischen
diesem und der Spiralhülle gelegen; sie soll sich distal in die Hülle
des Hauptstückes fortsetzen. Meves (171, p. 35'S), dem ich diese
Angabe entnehme, spricht sich jedoch nicht mit voller Bestimmtheit
über diese innere Hülle aus.
Die zweite Hülle ist die äußere; sie liegt außen auf der Spiral-
hülle und wird vom Protoplasma der Bildungszellen der Spermien,
der Spermatiden, geliefert. Sie soll nach Meves (171) vorn
am Kopfe inserieren und hinten mit dem Verbindungsstücke enden ;
sie würde demnach auch noch den Hals überziehen, wie es die von
Meves gegebene schematische Figur 6 D zeigt. Diese Hülle hat an
noch nicht völlig ausgebildeten Spermien öfters eine aufgetriebene
Stelle — Fig. 6D — ; später wird sie gleichfalls sehr dünn und legt
sich der Spiralhülle dicht an.
Die beschriebenen Teile sind in den Tigg. 6 und 6 D (Schemata),
9, 10, 27, 31, 32, 36 u. 43 dargestellt. Fig. ^6 zeigt bei P. c. das Ver-
bindungsstück mit der deutlichen Abtrennung vom Hauptstücke, dem
dick gezeichneten Achsenfaden, dem Spiralfaden und dessen homogener
hellerer Zwischensubstanz, sowie der äußeren Hülle, welche sich auf
das Hauptstück fortsetzt. Die nach Meves (171, Textfigur C, p. 360)
Die GescWechtszellen. 113
kopierte Fig. 6D zeigt bei Nd. p. (c.pi), erstes (proximales) Stück des
hinteren Centrosoms, den Beginn des Verbindungsstückes, wie ich es
fassen möchte, bei Ann. (c. p^) die JENSEN'sche Scheibe (Ring, Meves)
als zweites Stück des hinteren Centrosoms ; darauf folgt eine eingeschnürte
Stelle, mit der das Hauptstück beginnt, s. weiter unten. Am Verbindungs-
stücke haben wir in der Mitte den starken fibrillären Achsenfaden,
F. pr., bedeckt unmittelbar von der inneren sehr dünnen Hülle, Inv. int.
Auf dieser lagert die Spiralhülle, bestehend aus dem in Form heller,
runder Stellen (im scheinbaren Querschnitte) gezeichneten Spiralfaden
(Spir.) und seiner (dunkel gehaltenen) Zwischensubstanz (Subst. int). Auf
die Spiralhülle folgt dann die äußere Hülle, Involucrum externum (Inv. ext.) ;
an dieser bemerkt man eine der erwähnten Verdickungen.
Von den nach der Natur entworfenen Bildern läßt Fig. 9 ein Stück
der äußeren Hülle des Verbindungsstückes erkennen. Die Fig. 10, 27,
31 und 32 zeigen die Spiralhülle; Fig. 36 giebt das getreue Bild des
Verbindungsstückes vom Meerschweinchen ; ein Querschnitt ist in Fig. 37
(Cd. F. c) dargestellt.
Nach dem in Wort und Bild Angegebenen läßt sich
das Verbindungsstück kurz als derjenige Teil des
Spermium definieren, welcher an das hintere Centro-
s 0 m geknüpft i s t.
Aeußerlicli stellt sich das Verbindungsstück mehr oder weniger
scharf von den übrigen Teilen des Spermium abgesetzt dar, meist
als eine längliche Verdickung des vordersten Schwanzabschnittes
(s. u. a. die Fig. 35, 36 A, 36, 38, 39 und 40), welcher um so deut-
licher erscheint, je mehr die Halspartie eingeschnürt ist und je besser
der Schlußring (s. Fig. 36 A Ann.) erhalten ist. Vielfach ist eine genaue
Abgrenzung ohne Kenntnis der histogenetischen Entwickelung an den
reifen Spermien kaum vorzunehmen, und ich mag mich nicht dafür
verbürgen, ob an manchen der hier abgebildeten Samenfäden die
Bezeichnung P. c. völlig richtig angebracht ist.
Die Größe des Verbindungsstückes ist sehr verschieden. Nimmt
man dasselbe in dem Sinne, wie ich es hier verstehe, und wie es die
Säugetierspermien nach den histogenetischen Untersuchungen von
Meves klar erkennen lassen, so ist es bei den Urodelen, z. B. Sala-
mandra maculosa, sehr lang — s. Fig. 49 Wj nach Meves, wo die Stelle
des Ringes völlig sicher bestimmt ist. Ich weiche hier nach dem
vorhin Gesagten von den Autoren ab, welche dies lange Stück
zwischen den beiden Teilen des hinteren Centrosoms als „Haupt-
stück" bezeichnen. Was als Hauptstück bei den Urodelen aufzufassen
ist, darüber s. weiter unten.
Bei den F i s c h e n , Reptilien und V ö g e 1 n ist das Verbindungs-
stück im allgemeinen kurz, soweit das aus den vorliegenden Angaben
und meinen eigenen Untersuchungsergebnissen sich beurteilen läßt.
Man wolle hierzu die betreffenden Figg. 8, 12—16, 28 und 32 ver-
gleichen. Bei den Säugetieren ist es im Verhältnis zur Gesamtlänge
der Spermien ansehnlich entwickelt : mäßig lang ist es beim Menschen
(Fig. 40). Ob dasselbe in Fig. 29 (Fringilla caelebs) richtig abge-
grenzt ist, darüber wage ich keine bestimmte Meinung zu äußern.
Bei der Taube (Fig. 30) ist es nicht möglich, am unversehrten reifen
Spermium das Verbindungsstück sicher zu umgrenzen; auch Ballo-
wiTZ (5, I, p. 446) gelangt zu keinem bestimmten Ergebnisse; er
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 8
114 W. Waldeyer,
si)richt in seiner späteren Arbeit (5, III, p. 27'S) nach Befunden an
Ophidiern, welche in der äußeren P'orni ihrer Spermien manche Aehn-
licldveiten mit denen der Columliinen zeigen, die Vermutung aus, daß
das lange dickere Stück des Schwanzes das Verbindungsstück sei;
dann würde (vgl. die Figg. 30 und 27) das Hauptstück nur unbe-
deutend sein und sich vom Endstücke nicht unterscheiden lassen.
Hier kann nur eine genaue histogenetische Analyse aushelfen.
Bezüglich der Form Verhältnisse des Verbindungsstückes ist
noch mitzuteilen, daß dasselbe bei den Spermien einzelner Säugetier-
gruppen (Chiropteren, Eimer, M. 2612; Ballowitz, 7, p. 245; Beut-
ler, FÜRST, 90) leicht abgeplattet ist. Bei den übrigen unter-
suchten Säugetieren konnten Ballowitz wie Jensen (121b) keine
solche Abplattung finden.
Als Haupt stück des Schwanzes, Pars principalis, be-
zeichne ich mit Retzius- denjenigen Abschnitt, welcher aus dem
Achseufaden und einer gewöhnlich einfachen, diesen umschließenden
Hülle besteht, ohne Beteiligung des Centrosoms; dieser Abschnitt
folgt unmittelbar auf das Verbindungsstück.
Das Hauptstück zeigt somit meist eine weit einfachere Organisation
als das Verbindungsstück und ist fast immer merklich dünner als
das letztere — Ausnahmen kommen vor ; vielleicht bilden die Spermien
der Colurabinen eine solche. Zuweilen ist, wie bereits erwähnt werden
mußte, ein deutlicher Absatz gegen das Verbindungsstück vorhanden,
der wie eine Einschnürung erscheint; dieselbe liegt hinter dem Schluß-
ringe— s. die Abbildungen Jensen's von den Rattenspermien (121b),
Eimer's (M. 2612) und Ballowitz' (7) von den Chiropterenspermien,
und die schematische Figur 6D unmittelbar hinter „47*w". Hier liegt
der Achsenfaden scheinbar nackt zu Tage; nach der durch Fig. 6D
erläuterten Ansicht von Meves ist er indessen noch von der inneren
Hülle umgeben, welche in die Hülle des Hauptstückes übergeht.
Scharf ist die Grenze auch bei Didelphys (Fig. 34).
Bei den Spermien zahlreicher Species bleibt das Kaliber des
Hauptstückes in seinem ganzen ^'erlaufe nicht gleichförmig, sondern
verdünnt sich allmählich gegen das Endstück hin (s. Fig. 6 D, 36 u, 40).
Es ist dies im wesentlichen auf eine Abnahme in der Stärke der
Hülle und. der die Fibrillen, aus denen der Achsenfaden besteht, ver-
kittenden Zwäschensubstanz zurückzuführen, doch scheint auch — vgl.
die von Meves entworfene schematische Figur 6D und die An-
gaben von Ballowitz (5, I, p. 419) — eine Reduktion der Fibrillen
des Achsenfadens stattzufinden.
Sehr merkwürdig ist ein von Meves für das Meerschweinchen fest-
gestellter Befund, daß nämlich an der späteren Grenze zwischen dem
Aclisenfaden des Verbindungsstückes und des Hauptstückes im Laufe der
Entwickelung der Spermien eine Verdickung des Achsenfadens beginnt,
welche über den letzteren distal sich ausdehnt, so daß er im Hauptstücke
eine Zeit lang stärker erscheint als im Verbindungsstücke ; später gleicht
sich dies wieder aus. (Vgl. Fig. 50 f).
Ueber die Beschaifenheit der Hülle des Hauptstückes kann ich
nur sagen, daß sie eine sehr dünne und in den meisten Fällen homo-
gene ist. Ueber ihre Genese berichtet Meves (171, s. w. u.), daß
sie ein „Bildungsprodukt des Achsenfadens selbst darstellen müsse,
vielleicht ein Ausscheidungsprodukt desselben, ähnlich wie die innere
Die Geschlechtszellen. 115
Hülle des ^'erbin(hlngsstückes, in die sie sich kontinuierlich fortsetzt".
Diese Angabe bezieht sich auf das Meerschweinchen (s. Fig. (JD). Man
wird zugeben, daß hier noch weitere Nachforschungen nötig sind.
V. Brunn (M. 2604) hat nach Untersuchungen bei Vögeln die An-
sicht ausgesprochen, daß sie auf das Zell])rotoplasma zurückgeführt
werden müsse, welches sich an dem Achsenfaden entlang bis zum Ende
des Hauptstückes hinunterzieht. Für Säugetiere kann ich Meves
beipflichten, wenn er hierzu bemerkt, daß man zu keiner Zeit das
Pi-otoplasma weiter als bis zum hinteren Ende des Verbindungsstückes
verfolgen könne.
Die Grenze des Hauptstückes gegen das Endstück wird durch
das Ende der Hülle des Hauptstückes bestimmt; so nimmt man
wenigstens bis jetzt an, da es nicht gelungen ist, an dem Endstücke
mit Sicherheit noch eine Hülle aufzudecken. In vielen Fällen ist die
Grenze deutlich durch eine Art Absatz markiert — man vgl. die
Figg. 6 D (Schema), 12, 29, 34 und 40, hier mit L. P. pr. = Limes
partis principalis bezeichnet. Bei der Mehrzahl der Spermienarten ist
der Uebergang gegen das Endstück, wenigstens bei den reifen Exem-
plaren, unmerklich.
An den Spermien mancher Tiere sind auch am Hauptstücke
Querstreifen und S p i r a 1 b i 1 d u n g e n , wie am Verbindungsstücke,
beschrieben worden: Jensen (121b) von der Ratte, Ballowitz (7)
bei vielen Chiropteren. Bei den übrigen von ihm untersuchten Säuge-
tieren sah Letzterer nach Behandlung mit macerierenden Reagentien
vielfach einen Zerfall in quere Stückchen, "svill aber nicht entscheiden,
ob diese auf das Vorhandensein eines echten Spiralfadens zu beziehen
seien. Für die Chiropteren und die Ratte nimmt er, wie für das
letztere Tier auch Jensen, an, daß die hier sehr deutlich sichtbaren
Querstreifen einem echten Spiralfaden ihre Erscheinung verdanken.
Brown (62a) und Jensen zeigten außerdem, daß die Spiralbildungen
am Hauptstücke der Rattenspermien sich färberisch anders verhalten
als am Verbindungsstücke — bei 1-proz. Goldchloridbehandlung bleibt
das ganze Hauptstück ungefärbt, während sich die Spirale des Ver-
bindungsstückes sehr stark färbt (Brown) — und endlich macht Jen-
sen darauf aufmerksam, daß die beiderlei Spiralfäden nicht zusammen-
hängen, sondern durch die vorhin erwähnte kleine Einschnürung
zwischen Haupt- und Verbindungsstück völlig getrennt werden.
Bei den Vögeln zeigen nach den Untersuchungen von Schweigger-
Seidel (233), V. Brunn (M. 2(J04) und insbesondere von Ballowitz
{5, I) die Passeres einen sehr deutlichen Spiralfaden, der sich auch
leicht isolieren läßt, sowohl am Verbindungsstücke, wde am Hauptstücke.
Ballowitz gebraucht unterscliiedslos die Ausdrücke „Öpiralfaden''
und „Spiralsaum" ; es würde dies meines Eraclitens besser vermieden,
denn bei dem Worte „Saum" denkt man leicht an eine membranartige
Bildung, wie es die Wellenmembran der Urodelen ist; um eine solche
Bildung handelt es sich hier jedoch nicht, wenn ich auch nicht in x\brede
stellen will, daß sowohl homologe, wie analoge Beziehungen bestehen
mögen, s. w. u.
Bei den übrigen Ordnungen der Vögel nimmt Ballowitz nur
für das Verbindungsstück einen Spiralfaden an: am Hauptstücke
gelang es ihm hier nicht, weitere Strukturen in dessen Hülle zu er-
kennen.
8*
116 W. Waldeyer,
Auch die Se lackier und die Urodelen zeigen demselben
Autor zufolge (5, III) Andeutungen von Querstreifen, die ersteren am
Verbindungsstücke, die letzteren am Mantel des von den Autoren so
genannten Hauptstttckes, welches aber nach meiner Auffassung dem
Verbindungsstücke entspricht. Sehr deutlich sind die Querstreifen bei
den Reptilien; sie werden hier von Ballowitz als Ausdruck einer
Spiralfaser wohl mit Recht angesprochen.
Andere wichtige Bildungen, welche am Verbindungsstücke und
Hauptstücke vieler Spermienarten erscheinen, sind die in Gestalt von
flossenförniigen Säumen auftretenden Membranen. Dieselben liegen
da, wo sie außer allem Zweifel vorhanden sind, stets nur einseitig
dem Schwänze (sc. dem Achsenfaden) an, im Gegensatze zu dem
Spiralfaden, welcher den Achsenfaden umwindet. Man unterscheidet
zwei solcher Membranen , die vorhin bereits genannt wurden : die
Wellen memb ran, Membrana undulatoria, und den von
Ballowitz beim Axolotl nachgewiesenen „Steuersaum'' oder
„ K i e 1 s a u m '\ G u b e r n a c u 1 u m m.
In vollendetster Ausbildung finden wir die W e 1 1 e n m e m b r a n
bei den Urodelen; aber auch bei einzelnen Anuren, wie bei den
Bufonen und Bombinator (Fig. 19 und 20), und in geringerer
Ausbildung bei einzelnen Tel eo stiem (Esox, Perca) kommt eine
ähnliche Membran vor; Leydig (140) erwähnt einer solchen bei
Gasterosteus. Vgl. jedoch hierzu S. 123.
Bei den Urodelen insbesondere ist die Wellen memb ran —
wir wollen ihr von den mancherlei verwendeten Namen diesen von
R. FiCK herrührenden geben, wegen der wellenförmigen (undulierenden)
Bewegungen , welche an ihr beobachtet werden — eine sehr an-
sehnliche Bildung (Fig. 6, GA, 6B u. 17). Mit ihrem einen Rande
ist sie geradlinig an dem Hauptfaden befestigt, mit dem anderen,
welcher wegen seiner größeren Länge sich in krausenförmige Falten
legt, an dem Randfaden (siehe die früher schon gegebene kurze Er-
klärung der Figuren). Czermak (73a), dem Meves folgt, bezeichnet
diejenige Seite des Schwanzes, an welcher die Membran befestigt ist,
als dessen (und auch des ganzen Spermium) Rückenseite, die gegen-
überliegende als Bauchseite. (^)uerschuitte von Urodelenspermien,
welche wohl zuerst Piersol (M. 2625), später Meves (167) und
Mc Gregor (157; s. Fig. 6B) ausgeführt haben, zeigen, daß der
Achsenfaden im Verbindungsstücke und im Hauptstücke des Schwanzes
flach-hufeisenförmig (Schnittbild) gekrümmt erscheint, die Konkavität
zur Rückenseite hin gewendet, und daß ausschließlich auf der Bauch-
seite eine Hülle vorhanden ist. Die Wellenmembran ist nun in der
Konkavität des Achsenfadens wie in einer Furche eingeptlanzt
(Meves), steht also unmittelbar mit der Achsenfadensubstanz in Be-
rührung. Hieraus und auch aus anderen Gründen (1. c. p. 127)
folgert Meves, daß die Membran sich direkt vom Achsenfaclen aus
bilde, und ebenso der Rand faden, welcher bei seinem ersten Auf-
treten gleich in seiner ganzen Länge dicht neben dem Achsenfaden
gesehen wird ; die einseitig dem letzteren aufgelagerte Hülle zeigt
sich erst nach dem Auftreten der Wellenmembran.
Ueber die Bildung des Gubernaculum — dasselbe ist bis
jetzt (von Ballowitz, 5, III) sicher nur bei Siredon beobachtet worden
und beschränkt sich auf den distalen Teil des Schwanzes (Fig. 6) —
wissen Avir nichts. Ich bin der Meinung, daß es mit der membran-
Die Geschlechtszellen. 117
artigen Bildung, welche zwischen dem Nebenfaden (s. weiter unten)
und dem Hauptfaden auftritt, zusammenzustellen sei.
Von H. GiBBEs (93) und W. Krause (133 — 135) sind auch bei
Menschen- und Säugetierspermien sehr feine Membranen abgebildet und
beschrieben worden, welche aber, W. Krause zufolge, darin von den
eben besprochenen Membranen abweichen, daß sie spiralig um den
Schwanz des Samenfadens mit ihrer Anheftungslinie herumreichen.
H. GiBBES nimmt freilich einen einseitig angehefteten membranösen
Saum an, wie dies auch seine indessen nicht sehr einleuchtenden Ab-
bildungen darthun. Einen Randfaden vermag ich in den sonst voll-
kommen klaren Abbildungen W. Krause's nicht zu erkennen ; die
Membran selbst ist sehr zart dargestellt. Diese Angaben haben bis
jetzt von anderer Seite keine Bestätigung gefunden ; nur Jensen, obwohl
er über keine direkte Beobachtung verfügt, spricht sich zustimmend aus ;
s. w. u. Menschenspermien.
Das Endstück des Schwanzes besteht, so wird gewöhnlich an-
genommen, aus dem nackten, d. h. hüllenlosen Achsenfaden. Dasselbe
stellt einen kürzeren Abschnitt des Schwanzes dar, als das Haupt-
stück, variiert jedoch nicht unbedeutend in seiner Länge. Meist läuft
es so unmeßbar fein aus, daß es schwer wird, sein äußerstes Ende
mit voller Schärfe zu bestimmen. Der Absatz vom Hauptstücke ist, wie
bemerkt, mehr oder minder deutlich ausgeprägt; vielfach aber ist das
Endstück vom Hauptstücke nicht durch eine äußerlich sichtbare Marke
zu trennen. Hiermit hängt dann die weitere Frage zusammen, ob
das Endstück überhaupt völlig hüllenlos sei? Beobachtungen von
Ballowitz (5, I. p. 447) bei Tauben — es trat nach Maceration am
Endstücke ähnlicher Querzerfall auf wie beim Verbindungsstücke, und
der isolierte Achsenfaden erschien feiner als das gefärbte Endstück
des intakten Spermatosoms — lassen es als wahrscheinlich gelten,
daß auch am Endstücke noch eine feine Hülle vorhanden sei.
Einer der wichtigsten Befunde nun, dessen genaue Feststellung
und physiologische Würdigung, nach voraufgegangenen, nicht weiter
verfolgten Einzelbeobachtungen von Schweigger -Seidel und Jen-
sen, wir Ballowitz verdanken, ist die Zusammensetzung der
gröberen Fadenbildungen im Schwänze aus feinsten
Fibrillen: E 1 e m e n t a r f i 1) r i 1 1 e n.
Wir haben gesehen, daß von gröberen Fadenbildungen im Schwanz-
teile der Spermien mindestens einer vorhanden ist, der Achsen-
faden. Bei den Amphibien treten noch ein, oder, wie bei Amphiuma
und anderen Urodelen , (Tritonen) noch 2 weitere stärkere Fäden
hinzu: der Rand faden und der N ebenfaden. Nun zeigte Ballo-
witz, daß bei allen Tieren, mit Ausnahme der Amphibien, bei denen
besondere, alsbald zu besprechende Verhältnisse vorliegen, der Achsen-
faden oder Hauptfaden aus feinsten Fibrillen zusammengesetzt
ist. Häufig ergeben sich zunächst 2 dickere Fäden als Bestandteile
des Achsenfadens , diese zerfallen dann wieder in mehrere feine
Fibrillen — bis zu 9 wurden gezählt (Jensen). Die Elementar-
fibrillen lassen ihre Dicke nicht mehr bestimmen ; man vermag auch nicht
zu sagen, wie viele solcher Fibrillen in einem Achsenfaden stecken, da
man ja nicht wissen kann, ob man sämtliche Fibrillen isoliert hat.
Bei den Amphibien zerfällt nur der Pt and faden in Fibrillen;
der Neben faden läßt sich in kleine, längliche Stücke zerlegen, die
118 W. Waldeyer
hintereinander aufgereiht sind; am Achsen faden ist die Zerlegung
in Fil)rillen hier noch nicht gelungen.
Den Neben faden erklärt Ballowitz für einen kanimförmig
abgesetzten Teil der Hülle; wahrscheinlich ist, wie bemerkt, die
Steuermembran des Axolotl auch hierher zu rechnen. Weiteres
hierül)er s. später l>ei den Amphibien. Ich halte, wie ich in der vorhin
gegebenen Erklärung der Fig. G B bemerkte, dafür, daß der Nebenfaden
hier ein vom Hauptfaden abgespaltener Teil ist. Damit würde auch
stimmen, daß er nicht in Fibrillen, sondern nur in einzelne hinter-
einander gelegene Stückchen zerlegt werden kann. — Die Fibrillen sind,
wo sie vorkommen, durch eine Zwischensubstanz, die man sehr wohl
als „Kittsubstanz" bezeichnen kann, verbunden. Dieselben sind, wie
Ballow^itz gezeigt hat. bis zum äußersten Ende des Endstückes zu
verfolgen (^Fig. 38 und 39). Man vergleiche zu dem in Eede Stehenden
noch die Figg. 27 (Spiralfaden), 17, 29, 29 A, 29 B, 35 und 40.
Der Achsenfaden wird von seinem Beginne an bis zum Ende des
Endstückes immer dünner, ähnlich wie meist der ganze Schwanzteil.
Nach Ballowitz ist dies, wie bemerkt, in der Hauptsache darauf
zurückzuführen, daß die Hülle dünner und die Kittsubstanz geringer
wird; ob die Fibrillen selbst dünner werden, ist wahrscheinlich, aber
nicht sicher festzustellen (5 — I, S. 419).
3. Die Spermien der einzelnen Tierklassen und
Tierord nungen.
An der Hand von Abbildungen, welche in ihrer Mehrzahl den
sehr genauen und eingehenden Arbeiten von Ballowitz entlehnt sind,
sollen nun die Spermien der Hauptvertreter aller Wirbeltierklassen
einer kurzen Besprechung unterzogen werden:
I. Acrania. Das Sperma des A m p h i o x u s 1 a n c e o 1 a t u s er-
scheint bei seiner freiwilligen Entleerung ~ sie erfolgt stoßweise aus
dem Abdominalporus der laichenden Tierchen — als ein feiner weiß-
licher Schleim, der im Wasser alsbald zergeht. Außer den Spermien
sind bis jetzt weitere morphologische Bestandteile in
demselben nicht beobachtet worden; es fehlt über-
haupt eine genauere Untersuchung. Die Laichzeit
scheint sich vom Ende des Mai bis in den Juli hinein
zu erstrecken, und die Ausstoßung der Geschlechts-
produkte geschieht in den Abendstunden von 6 Uhr
ab an schattigen Stellen.
Fig. 7. Spermien von Am phioxus lau Ceolat US. Nach
Langerhaxs (Arch. f. mikr. Anat. , Bd. XII , Tat. XIV,
Ficr 7 Fig. 43b u. c).
Diese Spermien sind wohl die kleinsten unter denen der Verte-
braten ; ihre Köpfe sind ellipsoidisch, nahezu kuglig, mitunter sieht
man an ihnen bei gefärbten Präparaten eine Difl'erenzierung in ein
vorderes und hinteres Stück (s. Fig. 11); an der Insertion des sehr
feinen Schwanzes wurde zuweilen ein kleines sich dunkel färbendes
Knöpfchen — Sobotta vermutet in ihm das Centrosom — gesehen.
In Boraxkarmin färben die Köpfe sich dunkelrot. Weitere Gliederung
ist bislang nicht wahrgenommen worden; auch ich konnte eine solche
an Spermien, welche ich der Güte der Herren Lo Bianco und Kopsch
verdanke, nicht wahrnehmen.
Die Geschlechtszellen.
119
Ich fand die Spermien so, wie sie Fig. 7, i (nach Lanoeehaxs)
wiedergiebt. Die Form 7, 2 halte ich im Gegensatze zu Langerhans
für ein jüngeres Stadium, oder auch für eine abnorme; jedenfalls bin ich
sehr zweifelhaft darüber, ob man den relativ großen Anhang hinter dem
zugespitzten Kopfe als das Verbindungsstück (Ballowitz 5 III, S. 22ß,
SoBOTTA 561) deuten darf.
Die Spermien von Amphioxus lanceolatus wurden zuerst von A.
KöLLiKER 1843 beschrieben und gut abgebildet (Ueber das Geruchsorgan
von Amphioxus, Müller's Archiv, 1843, S. 32), später von Langeeiians
(137) und von Sobotta (5G1, S. 38).
n. Cyclostomata. Bei den Hyperotreta (Myxine, Bdello-
stoma) sind die Spermien von Myxine glutinosa durch J. T. Cuxning-
HAM (73) als kleine Gebilde beschrieben worden, mit kleinen, birn-
förmigen, stark lichtbrechenden Köpfen, hinter welchen sich ein durch-
sichtiger protoplasmatischer Körper — wahrscheinlich das Verbindungs-
stück — befindet, dem der übrige Teil des Schwanzes folgt.
Nach den Mitteilungen übrigens, welche F. Nansen und G. Retzius
(224a) gegeben haben, ist es zweifelhaft, ob man gut ausgebildete reife
Spermien von Myxine schon kennt. B. Dean (342b) teilt diese Zweifel
an den CuNxiNGHAM'schen Angaben freilich nicht. In Dean's Monographie
selbst findet sich nichts über die Spermien ; die Litteratur ist dagegen
vollständig augeführt. Nach einer brieflichen Mitteilung von Doflein
sind die Köpfe der Spermien von Bdellostoma spindelförmig, in eine Spitze
ausgezogen und von 8 — 10 ju Länge. Das Verbindungsstück hebt sich
wenig ab. Der Schwanz ist relativ stark, jedoch nicht besonders lang.
Fig.
Ich gebe in
den H y p e r 0 a r t i a
nach Calberla (64).
sind bemerkenswert
8 von der zweiten A1)teilung der Cyclostomen,
ein Spermium von P e t r 0 m y z 0 n p 1 a n e r i
Die Köpfe dieser Spermien
durch ihre langgestreckte
Walzenform : nach vorn verjüngen sie sich kaum.
Das Verbindungsstück (P.c.) ist deutlich, der übrige
Teil des Schwanzes ist sehr lang und dünn ; das
Hauptstück ist selbst bei der angewendeten be-
trächtlichen Vergrößerung vom Endstücke nicht
zu unterscheiden.
Cv.
Jon. Müllee, Arch. f. Anat. u. Phys., Jahresber.
für 1836 beschreibt bereits die Spermien von Petro-
myzon marinus. Herfort (41 3) schildert das Sperma
bei Petromyzon planeri nach den Beobacht-
ungen von Vejdovsky als eine milchweiße Flüssigkeit,
welche beim spontanen Laichen in starkem feinen
Strahle herausgespritzt wird. Eine genauere Unter-
suchung dieses Sperma fehlt noch.
R. Wagner giebt eine, augenscheinlich sehr un-
vollkommene Abbildung eines Spermium von Petro-
myzon fluviatilis (Todd's Cyclopaedia, Vol. IV, P. 1 ,
p. 483) ; dasselbe ist dem von P. planeri sehr ähnlich.
Cd:
Fig. 8.
Calberla.
Cd. Cauda,
(caudae).
Spermium von Petromyzon planeri nach
Vergr. 800. Cp. Caput, P.c. Pars conjunctionis,
F. pr. + term. Pars principalis -1- terminalis
Pj*rA te
rm.
Fig. 8.
120
W. Waldeyer,
Völlig
m. Selachü.
Formen sowohl in der
Spermien der Selachier
verschieden von den vorhin beschriebenen
Größe wie in der Struktur erweisen sich die
Sie sind über lOmal so Lang als die des
Amphioxns ; ihr Koi)f insbesondere
übertritt't den einer Amphioxus-Spermie
'Ec.(aul:
-Jnv.
\
.pr.
Cd;:
P.t.
Über 30mal an
Länge.
Derselbe zeigt
.0 -6 (bei Pristiurus nach Rückert
[534] 9) flache Spiralwindungen (Fig. 9)
und hat am vorderen Ende ein scharfes
„Spitzenstück" (Ballowitz 5 III),
welches als Perforatorium aufzufassen
ist. Dasselbe bleibt bei Färbung in
Gentianaviolet — nach voraufgegange-
ner Behandlung mit Kochsalzlösung —
hell, während der übrige Kopf sich
sehr intensiv koloriert (Fig. 10). Man
kann eine periphere oder Rindenschicht
von einer centralen oder Binnenschicht
des Kopfes unterscheiden, doch ist eine
der Kopfkappe vergleichbare Membran
nicht nachweisbar.
Der auf den Kopf folgende Ab-
schnitt erscheint in Form eines geraden
Stäbchens, an welchem man bei Fär-
bungen dicht gedrängte spiralige Strei-
fung unterscheiden kann. Am hinteren
Ende desselben beschreibt Ballowitz
ein abgestutztes, regelmäßig geformtes
dickes Stück {Inv. Fig. 9), w-elches auch
ein wenig auf das Hauptstück des
Schwanzes (P.pr.) übergreift und sich
wie eine durchsichtige Hülle aus-
nimmt. Es folgt dann die Geißel, die
aus zwei völlig einander gleichen, durch
eine durchsichtige, feine, hautartige
Zwischensubstanz verbundenen, in zier-
lichen Spiralwindungen umeinander ge-
drehten Fäden besteht. Die Windungen
werden, je näher dem distalen Ende sie
liegen, desto enger. Jeder Faden läßt
sich durch Maceration noch in Ele-
Fig. 9.
Fig. 9. Spermium von Raja clav ata. Pf.
Perforatorium, Cj). Caput (Kopf), P.p. Pars
posterior des Kopfes, Cd. Cauda (Schwanz), P. c.
(Auf.) Pars conjunctionis (Verbindungsstück),
P.pr. (Aut.) Hauptstück (Pars principalis) des
Schwanzes , P. t. Pars terminaiis (Endstück)
des Schwanzes, Inv. Hülle am hinteren Ende
des Verbindungsstückes und vorderen Ende
des Hauptstückes des Schwanzes. (Nach Bal-
lowitz 5 III, Taf. XI, Fig. 1. Winkel,
homog. Imraers. '1.,^, Mikrom. Okul. 2, Tub.
elong. (1 mm der ' Zeichnung = 0,0009 mm
des Objektes).
Die Geschlechtszellen.
121
mentarfibrillen zerlegen. Durch denselben Prozeß werden l)eide Fäden
im ganzen dünner, so daß sie wohl eine Hülle besitzen; ebenso
bröckelt die spiralige Hülle von dem Verbindungsstücke ab, und es
bleibt dann im Centrum desselben ein einziger Achsenfaden übrig,
in welchen die beiden Schwanzfäden übergehen (Fig. 11).
Ein Endstück glaubt Ballowitz, dem ich die vorstehenden
Angaben entlehne, nicht annehmen
zu sollen. An seinen Abbildungen
(Fig. 9 u. 11) erkennt man aber
deutlich einen ganz feinen End-
faden (P.t. in Fig. 9, F.i^. in / i J V-Pc. lAnt.)
Fig. 11), den ich bis auf weiteres ' »-- "^■"- « >
als das „Endstück" ansprechen
möchte.
Fig. 10. Kopfteil eines Spermium
von Raja clavata nach Maceration in
Kochsalzlösung und Färbung in Gen-
tianaviolett. Das Hinterstück des Ko2:)fes
(Cp. P.p.) stark gefärbt, während das
Vorderstück (P.a.) rüit dem Perfora-
torium (Pf.) fast farblos bleibt. Am
Verbindungsstücke (P. c.) eine schräg
gestellte Streif ung ( Spirale j. P.pr. vor-
derster Teil vom Hauptstück des
Schwanzes. Vergr. s. Fig. 9.
Fig. 11. Schwanzteil eines Sper-
mium von Raja clavata nach Mace-
ration in Kochsalzlösung. Fig. 1 1 ist aus
den Figg. 7 u. 9 von Ballowitz (5 III,
Taf. XI) kombiniert. P. c. Verbindungs-
stück, die Hülle durch die Maceration
teilweise entfernt, der Achsenfaden da-
durch freigelegt. P. pr. Hauptstück des
Schwanzes, dessen 2 Fäden zum größ-
ten Teil auseinandergelegt sind, bei 1
aber in der gewöhnlichen AVeise (s.
Fig. 9) eng umeinander geschlungen
sind. F. t. Endfaden des Schwanzes.
(Fig. 10 u. ]1 nach Ballowitz (5 III)
Tai XI. Vergr. s. die Erklärung zu
Fig. 9.)
F.pr[Äut^
Cd.[AaCt)\ %
F.t.
Fig. 10.
Fig. 11.
Ich habe — abgesehen von der eben hingestellten Annahme eines
Endstückes — zu den Figg. 9 — 11 die von Ballowitz gewählten Be-
zeichnungen nach der von mir angenommenen latinisierten Form gegeben.
Indessen bin ich nicht sicher, ob diese Bezeichnungen alle zutreffend sind,
und habe deshalb bei den mir zweifelhaft erscheinenden Benennungen den
Zusatz „Aut." gemacht. Denn jüngst hat Suzuki (243) nachgewiesen, daß
der im sogenannten Verbindungsstücke der Selachier steckende Faden
aus dem vorderen Centrosom hervorwächst und daß ein hinteres Centrosom
vorhanden ist, welches den Achsenfaden aussendet und sich zu einem
Ringe umgestaltet, durch welchen hindurch der Achsenfaden mit dem
vorderen Centrosom und dessen Faden in Verbindung tritt. Wie der
Ring sich verhält, ob er wie bei Salamandra sich in zwei Teile zerlegt,
von denen der eine nach abwärts rückt, um sich am Ende des als Ver-
bindungsstück anzusprechenden Teiles festzusetzen, wie ferner die zwei
122
W. Waldeyer,
Fäden entstehen, darüber ist nichts bekannt. Aber nach dem von mir
angenommenen Begrifi'e eines „Halses" entspriclit den Su/.uxi'schen Unter-
suchungen zufolge das Stück P.c. (Aut.) mehr einem „Halsstücke" als
einem „Verbindungsstücke", und ist, wie auch Suzuki schon angiebt, dem
in gleicher Weise entstehenden Halsstücke (Verbindungsstücke Aut.) der
Urodelenspermien homolog. Wo wir nun das Verbindungsstück und das
Hauptstück zu suchen haben, ist zur Zeit, ehe nicht eine genaue Spermio-
genese von Raja vorliegt, unmöglich festzustellen. Daß. sich um den in
Rede stehenden Teil spiralige Bildungen anlegen, kann nicht gegen meine
Auffassung ins Gewicht fallen. Wir finden diese ja, wie bereits im
vorigen Abschnitte festgestellt wurde, an verschiedenen Teilen der
Spermien. Es soll noch erwähnt sein, daß nach den Angaben von Ballo-
wiTZ das sogenannte Verbindungsstück von Raja sich färberisch anders
verhält - — ■ es bleibt hell bei der Tinktion mit Gentianaviolett — als
die gleich benannten Stücke der meisten übrigen Wirbeltiere.
Die Litteraturangaben über die Selachierspermien giebt Ballowitz
(5 III). Ich füge diesen noch hinzu die mehr entwickelungsgeschicht-
lichen Arbeiten von Swaen und Masquelin (M. 2586), Sabatier (227)
und F. Hermann (116), unter denen die letztere vortreffliche Abbildungen
der nahezu reifen Spermien, welche im Hoden in charakteristischen Längs-
bündeln zusammenliegen, liefert. S. über dieses Verhalten bei der
Spermiogenese.
IV. Ganoidei. Für die Abteilung der Ganoiden kann ich nur
auf die Beschreibung und Abbildung von Ballowitz (5 III) mich
beziehen (s. Fig. 12), welche die Spermien von Aci penser sturio
angeht. Diese Spermien gehören zu den kleinen Formen. Ihr Kopf
ist länglich - cylindrisch und trägt ein kleines, spitzes Ansatzstück,
P e r f 0 r a 1 0 r i u m ; dieses bleibt bei Färbungen unbetroffen, während
am Kopfe ein vorderer Randteil, P. «., sich stärker färbt als der hintere
Abschnitt, P. p. Den folgenden kugligen Teil
deutet Ballowitz als Verbindungsstück, P. c. ;
es schließt sich daran ein langes Hauptstück,
P. pr., von dem ein kurzes, feines Endstück, P. t,
deutlich abgesetzt ist. In dem sogenannten Ver-
bindungstücke erkennt man ein kleines Knöpfchen
dicht am Kopfe und ein größeres nahe dem hin-
teren Ende; ob das Hauptstück unmittelbar in
dieses größere Knöpfchen übergeht, läßt sich
nicht entscheiden. Zwischen beiden Knöpfchen
verläuft ein sehr feiner axialer Faden.
Cj.
Cd.
P.a
P.J..
P.c.
P.pi
P.t.
Fig. 12. Spermium vom Stör (Acipenser sturio). Cp.
Kopf (Caput), Cd. Schwanz (Cauda), P.a. Vorderstück des
Kopfes mit kleinem Stiftchen (Perforatorinm), P.p. Hinter-
stück des Kopfes, P.c. Verbindungsstück, mit heller Hülle
und Faden mit 2 Kuöpfchen , P. pr. Hauptstück des
Schwanzes, P. f. Endstück des Schwanzes. (Nach Ballo-
witz [5, III] Tai XI Figg. 11 u. 12 kombiniert.) Vergr.
s. die Angabe bei Fig. 9.
Fig. 12.
Man kann vermuten, daß das vordere Knöpfchen einem vorderen
Centrosom entspricht, das hintere einem hinteren Centrosom ; dann würde
das vordere Knöpfchen mit dem feinen Faden, der als Centrosomfaden
Die Geschleclitszellen. 123
aufzufassen wäre, zusammen ein Halsstück darstellen. Wie weit sich
dann das Verbindunijsstück erstreckte, bliebe zu untersuchen.
V. Teleostei. Reichlichere Nachrichten liabeii wir über die Sper-
mien der Knochentische, von denen eine ganze Reihe aus verschiedenen
Ordnungen untersucht ist.
Bei MiESCHER (173) und His (412) finden sich genaue Angaben über
die Spermien von Trutta salar (Lachs) — s. Fig. 72. Ballowitz unter-
suchte Clupea harengus, Esox lucius, Cyprinus carpio, von dem auch
KöLLiKER (Zeitschr. f. w. Zool. Bd. VII, Tai". XIII) eine Abbildung giebt,
Leuciscus rutilus, Scardinius erythrophthalmus, Gadus morrhua, Perca
fluviatilis, Acerina cernua, Gobius niger, Zoarces viviparus und Cyclo-
pterus lumpus. Jensen (121) beschreibt die Samenfäden von Sebastes
norvegicus, Leydig (146) von Gasterosteus.
Im allgemeinen gehören die Spermien der Knochenfische zu den
kleinsten, welche wir kennen. Sie -werden ganz passend als „steck-
nadelförmig" bezeichnet; nur muß man sich die Vergleichs-Stecknadel
mit verhältnismäßig dickem, hügligem Kopfe denken — s. Fig. 13 u.
14, Perca fluviatilis. Bei manchen Species, s. Fig. 15 u. 16, Zoarces
viviparus, hat der Kopf die Gestalt einer breitovalen Scheibe mit einer
dellenförmigen, seichten Aushöhlung an einer Seite. Am hinteren
Ende des Kopfes fand Ballowitz stets einen kleinen, besonderen
Bh
Fig. 14. Fig. 15. Fig. 16.
f>j i Fig. 13. Spermium von Perca fluviatilis. Qa. Kopf
'' (Caputl, Cd. Schwanz (Caiida), P. c. Verbindungsstück des
Schwanzes (Pars conjunctionis). P. f. Endstück des Schwan-
zes (Pars terminalis), M. Saum (Ballowitz).
Fig. 14. Vorderer Teil eines Spermium von Perca
fluviatilis. Bezeichnungen wie in Fig. 13. Man sieht,
wie das Verbindungsstück (P. c.) ein größeres Knöpf chen
trägt, welches mit ihm durch einen Faden verbunden ist;
letzterer dringt mit dem Knöpfchen C. a. scheinbar in
den Kopf ein. P pr. Hauptstück des Schwanzes (Pars prin-
cipalis).
Fig. 15 u. 16. Spermien von Zoarces viviparus.
Y'is. 13. Pip- 1^ ^'on der Kante, Fig. 16 von der Fläche gesehen.
D Delle; die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 13.
Fig. 13—15 nach Ballowitz (5 IIIj, Taf. XI, Figg. 21, 45, 50 u. 52. Vergr.
s. die Angabe zu Fig. 9.
Abschnitt, den er für das „V er bin dungsstück" ansieht. Ich habe
ihn danach auch in den hier reproduzierten Figuren mit P. c. be-
zeichnet. — Der Schwanz läßt bei manchen Species die Sonderung
in ein langes „Ha up t stück" und ein kurzes „Endstück" deutlich
erkennen (Fig. 13). Aiw Hauptstück befindet sich bei mehreren der
untersuchten Arten (Esox, Perca) ein einseitig demselben ansitzender
Saum, M, Fig. 13, welchen ich einem „Steuersaum" — s. das vorhin
S. 100 u. 116 Gesagte — vergleichen möchte ; ein „Nebenfaden", den man
124 W. Waldeyer,
erwarten sollte, fehlt; wenigstens ist er nicht erkennbar. Den Achsen-
faden vermochte Ballowitz auch hier in Fibrillen zu zerlegen, jedoch
nur in wenige; der Endfaden zertiel nicht in feinere Fibrillen.
Uebrigens ist der Achsenfaden der Teleostier schon an sich sehr dünn ;
im Haui)tstück ist er mit einer zarten, homogenen Hülle versehen.
Bei Zoarces und anderen besteht der Achsenfaden zunächst aus
zwei parallel laufenden, stärkeren Fäden, von denen übrigens jeder
sich noch einmal teilen kann.
Ob die Deutung des „Verbindungsstückes" als solches zutreffend ist,
kann nicht eher entschieden werden, als bis eine genaue entwickelungs-
geschichtliche Analyse der Knoclienfischspermien vorliegt ; bis jetzt fehlt
eine solche. In Fig. 14 (von Perca) sieht man das bereits vorhin, S. 105
besprochene Verhalten abgebildet, welches sich auf den Ansatz des
Schwanzstückes an den Kopf bezieht. Man erhält den Eindruck, als ob
von dem Verbindungsstücke ein feiner Faden in den Kopf eintrete, der
etwa in der Mitte desselben mit einem Endknöpfchen (Ca) endige. Das
ist jedoch nur scheinbar; in Wahrheit liegt, wie schon S. 105 aus-
geführt wurde, der Faden mit dem Endknöpfchen seitlich dem kugligen
Kopfe an, in einer Delle desselben. Nun ist es mir wenigstens nicht
unwahrscheinlich, daß C. a. einem vorderen Centrosom entspricht und der
Faden zwischen C. a. und P. c. den Wert eines Centrosomfadens, nicht
den eines Achsenfadens besitzt. Beides zusammen repräsentierte dann
das Halsstück und P. c. (Fig. 14) wäre in der That das Verbindungs-
stück. Bei Leuciscus erwähnt jedoch Ballowitz unterhalb dieses
dickeren Stückes P. c. noch einen länglichen, etwas verdickten Abschnitt
des Schwanzes, der sicli intensiver färbte, deutlich abgesetzt war und
sehr an die länglichen Verbindungsstücke der Säugerspermien erinnerte
(5 III, Anm. zu S. 238). Es sind auch für die Teleostier, wie gesagt,
noch weitere spermiogenetische Untersuchungen nötig, ehe man eine sichere
Deutung wird geben können.
VI. Dipnoi. Genauere Angaben über die Spermien der Lurch-
fische (Lepidosiren, Protopterus, Ceratodus) sind mir aus
der mir zugänglichen Litteratur nicht bekannt geworden. Nur W. N.
Parker (188), auf dessen Arbeit mich R. Semon aufmerksam machte,
giebt eine Abbildung und kurze Beschreibung von den Protopterus-
Spermien. Der Kopf sei möhrenformig in eine lange Spitze aus-
laufend, ähnlich wie bei Bufo cinereus. Er trage, mittels eines kleinen
Verbindungsstückes befestigt, zwei kurze dünne Schwanzfäden. Von
einer diese Fäden verbindenden Membran, wie sie die Bufonen-
spermien auszeichnet, berichtet Parker nichts. Der Kopf mißt bei
10 [X größter Dicke, 40 \i Länge. — Aus dem Hoden von Protopterus
annectens-Exemplaren, welche von Stuhlmann gesammelt und der
Berliner anatomischen Anstalt überwiesen waren, gewann Dr. Kopsch
die von ihm hier S. 127 in Fig. 17 A abgebildete Form. Der Kopf hatte
eine mehr gedrungene Gestalt als in Parker's Abbildung und es war
nur ein Schwanzfaden zu erkennen. — Aus den jüngst veröffentlichten
Untersuchungen R. Semon's (551, S. 304 Anm.) führe ich an, daß bei
Ceratodus forsteri die funktionierende Niere (i. e. die Urniere) als
Ausführungsweg (dem Nebenhoden vergleichbar) für das Sperma dient.
Zur Zeit der Geschlechtsreife sind bei den Männchen ein Teil der
MALPiGHi'schen Körperchen und der Nierenkanälchen mit Spermien
gefüllt. (Vgl. auch Zool. Auz., Bd. XXIV, No. 638, 11. März 1901.
Die Geschlechtszellen. 125
vn. Amphibia. Von keiner Tierklasse bestehen so zahlreiche
Litteraturangaben über die Si)ermien wie von den Amiihibicn; aber
auch in keiner Klasse finden wir so hochentwickelte, autiallendc und
mannigfaltige Formen, wie hier.
Die Litteratur hat Ballowitz bis 189U ziemlich vollständig gegeben,
und ich darf wohl auf ihn (5, III) verweisen; ich will nur hervorheben,
daß, außer Ballowitz selbst, insbesondere Spallanzani (238 b), J. X.
CzER-MAK (73 a), V. Siebold (238 a), Schweiggee-Seidel (233), Jensen
(121a, b), V. Valette St. George (249), Leydig (l-Iöa, 146), G. Retzius
(244), W. Flemming (82), R. Fick (363), Mc Gregor (157) und Meves
(167, 171) sich um die Kenntnis dieser merkwürdigen Spermienformen
verdient gemacht haben.
Bei den Amphibien müssen wir zunächst deren beide Unter-
abteilungen, die Urodelen und Anuren, scheiden, indem deren
Spermien große Differenzen aufweisen.
Die Urodelen (s. die Fig. 6 A u. B, Amphiuma means, und Fig. 17,
Triton marmoratus) haben jene großen Samenfäden mit langen,
pfriemenförmigen Köpfen, spießförmigen Perforatorien, großem Hals-
stücke, langen , mit einer so charakteristischen undulierenden Be-
wegungsmembran versehenen Schwänzen, wie sie in allen Einzelheiten
schon vorher beschrieben worden sind: auch das Schema Fig. 6 ist
zumeist nach dem Verhalten der Urodelenspermien entworfen. So
kann hier auf eine weitere Beschreibuug verzichtet werden. Es wäre
noch zu Fig. 17 nachzutragen, daß nach Ballow^itz bei einigen
Formen au der undulierenden Membran eine Art Verdickung sich be-
merklich macht (1. 1. 1. 1. in Fig. 17), die Ballowitz als eine proto-
plasmatische Bildung auffaßt und sie als „Plasmafaden'' bezeichnet.
Dieser Faden färbt sich ebenso intensiv wie der Randfaden.
Unter die bei der Spermiogenese mitgeteilten Figuren habe ich
dann noch eine in der Ausführung etwas veränderte halbschematische
Figur (49 »i , ) eines Spermium von S a 1 a m a n d r a m a c u 1 o s a nach
Meves (171) aufgenommen, auf welche hier gleichfalls verwiesen
werden mag
©•
Nach E. Xeu.mann (182) treten bei Salamandra maculosa, wenn man
Kochsalztrockenpräparate der Spermien mit LuGOL'scher Lösung be-
handelt, im Kopfe eine große Anzahl von dunkelrandigen, fettglänzenden
Kügelchen auf, die dichtgedrängt in einer hyalin erscheinenden Substanz
liegen ; beim Frosch werden diese Bildungen vermißt. Die Bedeutung
dieser Erscheinung ist noch nicht bekannt.
'>r>
Die Anuren zeigen noch eine größere Mannigfaltigkeit der
Formen, als die Urodelen, wie die hier mitgeteilten Figg. 18 — 23
ergeben.
Das (nach Ballowitz) in Fig. 18 dargestellte Spermium von
Felo bat es fuscus erinnert in der Bildung seines Kopfstückes an
die Selachier; dasselbe stellt einen spiralig gewundenen Cylinder dar.
Ob, wie Ballowitz meint, ein Verbindungsstück fehlt, darüber können
erst weitere spermiogenetische Untersuchungen entscheiden. Das vor-
dere Ende des Kopfes zeigt sich weit resistenter und färbt sich nicht
in Anilinfarben und in Alaunkarmin, wie es der folgende Kopfabschnitt
thut; er ist daher als Perforatorium zu bezeichnen und umfaßt wohl
auch das Vorderstück des Kopfes, wenn wir ein solches hier annehmen
126
W. Waldeyer,
Pf. -I- Harn.
Cd.
Fig. 17. Sper-
mium von Triton
marmoratus. Cp
Cajjut (Kopf),
Cd. Cauda
(Schwanz), Pf. +
Harn. Hamnlus
(Perforatorium
mit Widerhaken),
F.a. Vorderstück
(Pars anterior)
des Kopfes, P. p.
Hinterstück
(Pars posterior)
des Kopfes.
Beide sind nicht
scharf 2;etrennt.
P. c. (Avt.) Ver-
bindungsstück
(Pars conjunc-
tionis) der
Autoren,
J/.M«c?7/?. Weilen-
membran (Mem-
brana undula-
toria), F. marg.
ßandfaden (Fi-
lum marginale),
1. 1. 1. 1. Plasma-
faden (Ballo-
WITZ), F. pr.
Achsenfaden
(Filum princi-
pale) des Schwan-
zes, P. t. End-
stück (Pars ter-
minalis) des
Schwanzes.
(Nach Ballo-
WITZ [5, III],
Tat. XII, Fig.
55.) Vergr. s. die
Angabe zu Flg. 9.
Fig. 17.
Die Geschlechtszellen.
127
wollen. — Die einfache Geißel ist dünn, zerfällt aber bei der Mace-
ration in 3—4 Fibrillen, die von einer augenscheinlich nur sehr
schwachen Hülle zusammen .uehaltcn
werden. Ein Endstück hebt sich nicht ab.
In Fig.
19 gebe ich das Gesamt-
bild einer der sehr merkwürdigen
Spermien von Bom])inator igneus nach
V. LA Valette St. George (24'J, I)
und in Fig. 20 ein Schema des Vordei'-
kopfes dieses Spermium, wie ich es
nach den Angaben von Ivar Broman
(50) entworfen habe, um die eigen-
artigen Verhältnisse des Perforatorium
und der Centrosomeu zu zeigen.
W^ir tiuden bei der Feuerkröte
(Unke), obwohl sie mit Pelobates (Teich-
uuke, Wühlkröte) zu derselben Familie
(Pelobatiden) gezählt wird, eine gänzlich
abweichende Spermienform, wie sie sonst,
so weit wir wissen, bei den Vertebraten
nicht wieder vorkommt. Der Kopf hat
die Form eines gebogenen , spindel-
förmigen Stabes, in dessen Mitte ein
dünneres Stäbchen liegt, welches am
vorderen Ende als spießförmiges Per-
foratorium hervortritt — Cp und Gp.
(Pf) I, Cp {Pf) II in Fig. 19 und 20.
In Fig. 20, wo nur ein Teil des Kopfes
dargestellt ist, sieht man die Lage des
-Pf.
.Cp.
.P.c.
.Cd.
CdMlrill.
Fiff. 17 A.
Fig. 18.
Fig. 17 A. Spermium von Protoplerus annectens. Kopsch praep. et del.
Vergr. 1500. Pf. Perforatorium. Cp. Caput (Kopf). P.c. Pars conjunctionis (Ver-
bindungsstück). Cd. Cauda (Schwanz).
Fig. 18. Spermium von Pelobates fuscus. Cp. Caput (Kopf), Pf. Per-
foratorium, P. p. Hinterstück (Pars posterior) des Kopfes, Cd. FihriU. Fibrillen des
Schwanzes. (Nach Ballowitz [5, III, Taf. XII, Fig. 54].) Vergr. s. die Angabe
zu Fig. 9.
128
W. Waldeyer,
Spießes mitten im Kopfe (Binnenspieß), wie es durch Querschnitte
(I. Broman) erwiesen wird, sein hinteres abgeschnittenes Ende, Op. (Pf) 111,
und den vorn vortretenden Außenspieß (Perforatorium). Vom Kopfe
hebt sich an dessen konkaver Seite in der Mitte ein mehr nach vorn
dicht an ihm herablaufender Achsenfaden {F. prmc.) ab, indem letzterer
sich von der Mitte an stärker als der Kopf, jedoch auch nach der-
selben Seite hin krümmt ; dieser Faden trägt die Wellenmembran mit
derem Randfaden, und wurzelt vorn mit diesem zusammen in einem
kleinen, runden Knöpfchen, dem hinteren Centrosom, vor welchem dicht
c.[a ■¥]_■).]
J . wcirci.T
F. terntv.
CrW-}'
F. prijLc.I.
-rj,.(pr.)E.
F. in a rrj.
m'iivc.E.
Fio. 19.
Fig. 20.
Fig. 19. Spermium von Bombinator igneus. 6> (Pf) I freihegender Teil des
Perforatoriums (Außenspieß), Cp {Pf.) II im Kopfe liegender Teil des Perforatori ums
(Binnenspieß), c (a + p) Centrosoma anterius + posterius (vorderes und hinteres
Centrosom), Cp. Kopf, F.marg. Eandfaden, 31. mulul. Wellenmembran, F.princ. Haupt-
faden, 31. II membranöse Verbindung zwischen hinterem Ende des Kopfes und dem
Hauptfaden, Cj. F. F Vereinigungsstelle von Rand- und Hauptfaden, F. term. End-
faden, Prtpl. Protoplasmarest. Nach v. LA Valette St. George ^249, I, Taf. 24,
Fig. 4) und Ivae. Broman (59) kombiniert.
Fig. 20. Vorderes Ende eines Bombinatorspermium , halbschematisch , zur
besseren Klarstellung des Verhaltens der Fäden. Bezeichnungen wie in Fig. 19.
Außerdem F. prmc. I vorderer Teil des Hauptfadens, F. princ. II hinteres, abgeschnit-
tenes Ende desselben , F. marg. I Beginn des ßandfadens am hinteren Centrosom,
F. marg. Randfaden in der Mitte, Cp. {Pf.) III Schnittende des Binnenspießes. Ueber
die Vergrößerung der Fig. 19 fehlt die Angabe ; Fig. 20 ist bezügl. der Vergrößerung
willkürlich gezeichnet.
dabei ein zweites Knöpfchen, das vordere Centrosom, gelegen ist, mit
dem aber die Fäden direkt keine Verbindung eingehen. In dieser Lage
der Centrosomen in der Nähe des vorderen Kopfendes liegt nun die be-
merkenswerte Eigentümlichkeit des Bombinatorspermium ; sie erinnert,
s. w. unten, an das Verhalten der Pf lanzen sp ermien. Zwischen
Kopf und Achsenfaden ist (Fig. 19) eine membranöse Bildung, M II
ausgespannt, welche wohl in die Kategorie der Steuermembranen
zählen ist. Bei Cj. F. F treffen Rand- und Achsenfaden zusammen
zu
und
die
Fortsetzung
des Fadens ist als „Endfaden", F. term., aufzufassen;
Die Geschlechtszellen.
129
derselbe trägt am Ende ein Stückchen protoplasmatischer Substanz, wie
dies bei den Unkenspermien häufiger gefunden wird.
Die Spermien der Bufoniden sind genau von v. la Valette
St. George (249, S. 385), Spengel (Urogenitalsystem der Amphi-
bien, Arb. aus dem zool.-zoot. Inst, in Würzburg, Bd. III, 1876—77,
^/
Vd.
BS.
Fig. 21. Fig. 22. Fig. 23.
Fig. 21. Spermium von Hyla arborea. Ff. Perforatorium. Cp. Caput (Kopf).
P.c. Pars conjunctionis (Verbindungsstück). Cd. Cauda (Schwanz). P. pr. Pars prin-
cipalis (Hauptstück) des Schwanzes.
Fig. 22. Eiesensperraium von Hyla arborea. Bezeichnungen wie in Fig. 21.
Figg. 21 u. 22 nach v. la Valette St. George, Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXVII.
Taf. XV, Fig. 13 u. 16. Maßstab 3 : 0,001 75.
Fig. 23. Isoliertes Perforatorium (Spieß) von Triton taeniatus nach
Ballowitz (5, III). Mantelschicht des Perforatorium und des Kopfes durch Mace-
ration entfernt. Es bleiben : Pf. Perforatori um rest (Außenspieß). Yd. verdickte Stelle
am Uebergange des Außenspießes in BS., den Binnenspieß. Vergr. s. Fig. 9.
S. 100), Leydig (155a), Pflüger (Unters, über die Bastardierung
der anuren Batrachier etc., Arch. f. die ges. Physiol., Bd. XXXII, 1883,
S. 550), Jensex (121) und Ballowitz 1. c. untersucht worden, und
es ergeben sich bei Bufo vulgaris, cinereus und calamita, wenigstens
in der Gesamtform, Aehnlichkeiten sowohl mit Alytes obstet r i-
«aus, welche Art den Felo bati den näher steht, als auch, abge-
Handbnch der Eutwickelungslehre. l.
9
130 W. Walde YER,
sehen von der Schwanzmembran, mit den Rani den und den Disco-
dactylen (Hyla), s. Figg. '2i u. 22. Die Köpfe sind hing und
l)friemenförmig, indem sie in eine mehr oder weniger fein aus-
gezogene Spitze aushxufen (Pf.). Bei allen läßt sich ein deutliches
Verbindungsstück (P. c.) erkennen, dessen genauere Analyse jedoch
noch erforderlich ist, um es richtig deuten zu können. Der Schwanz-
faden, an welchem keine scharfe Abgrenzung in Haupt- und End-
stück sich zeigt, ist lang und dünn, jedoch im Verhältnis zum Kopfe
kürzer als bei den meisten übrigen Spermien. Bei Alytes und den
Bufoniden besteht er aus 2 Fäden, die durch eine dünne Membran
zusammengehalten werden und zum Ende hin miteinander verschmelzen.
Der eine Faden ist dünner und verläuft gerade, der andere ist dicker
und verläuft mit dem an ihm haftenden Abschnitte der Membran
leicht gewunden.
Ueber die Deutung dieser Teile herrscht eine Meinungsverschieden-
heit zwischen Leydig und v. la Valette St. George. Ersterer, dem
sich Ballowiz nach seinem Befunde bei Alytes anschließt, meint, daß
die Membran eine Membrana undulatoria und der stärkere Faden ein
Randfaden, der schwächere ein Achsenfaden sei. v.la Valette St. George
nimmt die beiden Fäden für gleichwertig, die Membran würde somit eher
einer Steuermembran gleichzusetzen sein. Ich muß mich bei dem Mangel
eigener ausreichender Untersuchungen eines Urteiles enthalten.
Die Spermienköpfe der Ranide n sind mehr walzenförmig, vorn
ein wenig verjüngt und mit einem Spitzenknöpfchen versehen. — Die
Spermien der Amphibien sind wohl, namentlich bei den Urodelen und
einigen Anuren, z. B. D i s c o g 1 o s s u s (Spengel), die größten Wirbel-
tierspermien.
Ueber die in Fig. 22 abgebildeten „Riesen Spermien", welche
bei den Amphibien besonders häufig zu sein scheinen, s. w. u. — In
Fig. 23 ist (nach Ballow^itz) ein isoliertes Perforatorium von Triton
abgebildet zum Vergleich mit der gleichen Bildung bei Bombinator;
es ist darüber bereits früher S. 106 gehandelt worden,
VIII. Reptilia. Ueber das Sperma der Reptilien berichten
Leuckart (Art. „Zeugung" im Handwörterbuch der Physiologie),
Leydig (145, 146), Jensen (121), Prenant (202) — Gecko communis
— Ballowitz (5 III) — Lacerta agilis und vivipara, Anguis fragilis
Psammodromus hispanicus, Coluber natrix, Vipera berus und Testudo
mauritanica, — Voeltzkow (716) — Crocodilus madagascariensis —
Gakutaro Osawa (187) — Hatteria punctata.
Nach den vorhandenen Abbildungen, von denen ich (nach Ballo-
witz) die Figg. 24—28 einschließlich wiedergebe, haben die Reptihen-
Spermien bei allen den untersuchten Arten nahezu dieselbe Form.
Die Köpfe sind länglich -pfriemenförmig mit vorderer feiner Spitze
(Perforatorium, Pf.), welches an allen deutlich ist. Es folgt darauf
ein als „Verbindungsstück" bezeichneter Abschnitt, in welchem in
einigen der BALLOWiTz'schen Figuren deutlich zwei kleine knopfartige
Gebilde hervortreten, die ich keinen Anstand nehme als vorderes und
hinteres Centrosom, ca. und c.})., anzusprechen, s. Fig. 24, 25 u. 26.
In Fig. 26 erscheint mir allerdings die Bezeichnung c.p. (Centrosoma
posterius) für das weit zurückliegende Körperchen zweifelhaft; dies
könnte auch ein Hüllenbrocken sein. In Fig. 27 sieht man eine lang
ausgezogene spiralige Bildung an der mit P.c. (Pars conjunctionis)
Die Geschlechtszellen.
131
hezeichneten Strecke. Ich hin auch hier im Zweifel, ob die Bezeich-
imiiii' P.c. für diese ganze Strecke gelten kann, da, wie wir vorhin
bemerkten, auch am Haui»tstücke Spiralbildungen vorkommen. Ein
Endfaden ist nicht immer deutlich abgesetzt : wenn vorhanden, dann
ist er sehr kurz ; icli meine, ihn auch in der Fig. 26 zu erblicken, ob-
wohl Ballowitz ihn in dieser Figur nicht besonders bezeichnet hat.
Als Besonderheiten seien noch folgende erwähnt: Die Spermien der
Crocodilinen unter den Hydrosauriern sind wohl am wenigsten bekannt.
VöLTZKOw sagt in seiner kurzen Notiz, 1. c, daß sie die Form kleiner
Nematoden hätten, in der Mitte verdickt und
nach beiden Enden hin spitz ausgezogen
seien; eine Kopfverdickung sei nicht vor-
handen (! m); sie hätten eine äiißerst leb- fjy
hafte Bewegung gezeigt. Hiernach würden
die Crocodilina eine von den übrigen Rep-
tilien abweichende Spermienform besitzen. | i^?^~~~:S<
Die Köpfe, wie auch die Verbindungs-
stücke quellen in Kochsalzlösungen stark
auf (Fig. 24 u. 25) : es erscheint dann
■ ca.
f'i-Pf-\
Cp;
Tf. I
Cf.
Cd:
'ca..
CJK
r.jin
Pf.
Cp.
o.a.
Fil.ax .
c.-p.
Fil.ax.+ Jni'öl,
F.t.
COf.
i
/
CiL.
.!
JP.pr.
\
%
F.F.
F.p,
Fig. 24.
Fig.
2.3.
Fig. 2(j.
Fig. 27.
Fig.
28.
Fig. 24. Spermium von Lacerta agilis: Hülle des Verbindungsstückes ge-
quollen. Pf. Perforatonum. Cp. Kopf. c.p. Centrosoma posterius ; von diesem zieht
zum Kopf ein feiner Faden, um beides eine feine (gequollene) Hülle. Cd. Schwanz.
Fig. 25. Spermium von Lacerta agilis: Kopf (Cp.) stark gequohen. Pf. Per-
foratorium. ca. Centrosoma anterius. c.p. Centrosoma posterius. P.pr. Hauptstück
des Schwanzes. Die Hülle um die beiden Centralkörper fehlt.
Fig. 26. Spermium von Psammodromus hispanicus. Pf. Perforatorium.
Cp. Kopf. r.u. Centrosoma anterius. Fil.ax. Achsenfaden (Filum axiale) von seiner
Hülle befreit, c.p. Centrosoma posterius (?). Fil. a.r. + Invol. Achsenfaden samt seiner
Hülle (Filum axiale + Involucrum). P.t. Endstück des Schwanzes (Pars termiualis).
Fig. 27. Spermium von Coluber natrix. Cp. Kopf. iy. Perforatorium. ca.
Centrosoma anterius. P.c Verbindungsstück (Pars conjunctionis) mit S2:>irale. P.pr.
Hauptstück des Schwanzes (Cd.). Ein Endstück ist nicht deutUch zu unterscheiden.
Fig. 28. Spermium von Testudo mauritanica. Cp. Kopf. Cd. Schwanz.
Pf. Perforatorium. ca. Centrosoma anterius. P. c. Verbindimgsstück (gequollen, mit
Querlinieu.) P.pr. Hauptstück und Endstück des Schwanzes ; das Endstück in zwei
Fibrillen (F.F.) zerfallen. (Fig. 24—28 nach Ballowitz 5 III, Taf. XII; Vergr.
vgl. die Angabe zu Fig. 9.)
9*
132 W. Waldeyer,
deutlicli der feine die beiden Knöpfchen verbindende Faden. Ferner
läßt sich, so wie auch färberisch, das Vorderstück des Kopfes mit dem
Perf Oratorium von einem Hinterstücke unterscheiden; auch eine dunklere
festere ßindenschicht von dem leichter quellenden Centrum.
Sehr bemerkenswert sind die am Verbindungsstücke bei Maceration
auftretenden Querlinien (Fig. 28), die nach Ballowitz auf einen Spiral-
faden zurückzuführen wären. Auch an der Rindenschicht der Köpfe
treten solche Querzeichnungen auf — s. die Spermien der Vögel (Leydig,
Pkenant, Ballowitz, 1. c). Einen feineren fibrillären Zerfall des
Achsenfadens konnte letzterer nicht nachweisen ; nur den Endfaden fand
er mitunter gegabelt (Fig. 28). Einen Doppelfaden (Jensen bei Vipera
berus) und einen Hautsaum (Leydig bei Lacerta agilis) stellt Ballo-
AviTZ in Abrede. Ich habe derartige Bildung gleichfalls vermißt.
IX. Aves. Die Spermien der Vögel gehören seit den um-
fassenden Untersuchungen von Ballowitz, der nicht weniger als 42
Arten aus allen Ordnungen — nur die Ratiten fehlen — bearl>eitet
hat, zu den bestgekannten Olyekten ihrer Art. Schon die älteren
Autoren haben manche gute Angaben, insbesondere über die so auf-
fallenden Formen der Singvögelspermien. Ich nenne Wagner und
Leuckart (Todd's Cyclopädia) und Leuckart in Rud. Wagner's Hand-
wörterbuch. Von neueren Forschern müssen vor allem Schweigger-
Seidel (233), Jensen (121, 121a, 221b), v. Brunn (M. 2604) und
V. LA Valette St. George (Stricker's Handl)uch der Gewebelehre)
zitiert werden.
Man kann zwei Hauptformen der Vogelspermien unter-
scheiden, die einen, und zwar von der Mehrzahl der Ordnungen,
schließen an die Reptilien an und sind hier durch die Fig. 30, 31 und
32 repräsentiert ; die anderen dürften an die Selachier und Amphibien
angereiht werden: es sind die Spermien der Singvögel (Passeres),
lieber die Spermien der Ratiten hal)e ich keine Angaben finden können.
Die Samenfäden der ersteren Form haben beider weit überwiegenden
Mehrzahl der untersuchten Arten eine geringere Größe ; der Kopf ist
entweder länglich, pfriemenförmig (Fig. .30, 31), oder stäbchenförmig
(Fig. 32), öfters mit einem deutlichen Perforatorium {Ff) versehen.
Bei V a n e 11 u s , L a r u s , Mi 1 v u s u. a. erscheint das letztere nach
Ballowitz als kleines Knöpfchen; eine genauere Untersuchung ist
für diese eigentümliche Bildung, deren Funktion nicht ersichtlich
ist, noch erforderlich. Vielfach ergiebt sich l)ei Quellungspräparaten
eine Trennung in eine Binnenmasse und eine Rindenschicht, in
welcher Q u er Schattierungen auftreten; auch ein Knöpfchen,
„Endknöpfchen", Ballowitz, wird am Beginne des Achsenfadens,
da, wo er sich an den Kopf ansetzt, sichtbar. Am Verbindungs-
stücke, P.c., treten durchweg spiralige Bildungen auf, die wegen ihrer
Zartheit und leichten Zerstörbarkeit schwierig auf ihre wahre Natur zu
untersuchen sind (Fig. 31 u. 32). Sie erscheinen als Querstreifen oder
Querriefeln, die manchmal auch deutlich als enge Spiralen erkannt
werden können. Ballo\vitz (1. c. S. 442) spricht als das Ergebnis
seiner Untersuchungen aus, „daß es sich um einen zarten, sehr
schmalen, protoplasmatischen, leicht vergänglichen, um den Achsen-
faden in engen Touren gewundenen Spiral säum handle, dessen Win-
dungen am reifen Spermatosom durch mehr weniger ausgebildete
Zwischensubstauz untereinander verbunden werden''. — An manchen
Die Creschlechtszellen.
133
Cjp.
^"X
■1^
r.
Cd:
Bt.
irillac q)rinc.
S!i
jiir.
Fig. 29 A.
Fm. 29 B.
Fig. 29. Spermium von Fringilla caelebs. Cp.
Caput (Kopf). Pf. Perf Oratorium. P.a. Vorderstück (Pars
anterior) des Kopfes. Spir. Spiralsaum des Vorderstückes.
P.p. Hinterstück (Pars posterior) des Kopfes. Cd. (Cauda)
Schiwanz. P. c. Verbindungsstück (Pars conjunctionis).
P.pr. Hauptstück (Pars principalis). Dieser Teil des Sper-
mium ist erheblich verkürzt gezeichnet, um Raum für das
Endstück P. t. zu schaffen. Abgesehen von der Länge
gelten hier dieselben Maßverhältnisse wie für Fig. 9. Mit
Ausnahme von Pf., welches Ballowitz nicht besonders
bezeichnet hat, habe ich die von ihm gewählten Bezeich-
nungen angenommen.
Fig. 29 A. Stück des Schwanzes P.pr. eines Spermium
von Fringilla caelebs; Zerfall des Achsenfadens F.jn:
(Filum principale) in zahlreiche Fibrillen. P.pr. Hauptstück
des Schwanzes. Fihrlllae princ. Fibrillen des Achsenfadens
(Fibrillae principales).
Fig. 29 B. Isolierter Spiralfaden (Spir.) von Frin-
gilla cannabina.
Fig. 29—29 B aus Ballowitz (5 I), Taf. XIV u. XVI.
Fig. 29 ist aus Fig. 1 n. 3 der Taf. XIV kombiniert,
Fig. 29 A == Fig. 24 bei Ballowitz, Fig. 29 B = Fig. 62
bei Ballowitz, aber etwa um die Hälfte verkürzt.
Fig. 29.
134
W. Waldeyer,
von IUllowitz gegebenen Aljhildungen
hinteren Ende des Verbindnngs-
Cd:
der
ist auch am
Stückes ein Knöpfchen zu sehen. Man darf
dieses Knöpfchen sowohl, wie das vorhin er-
wähnte „Endknöpfcheu^' als Centrosomen an-
sprechen.
Das Hauptstück dieser Spermien ist
verhältnismäßig lang und dabei sehr dünn,
immer aber sehr viel winziger als bei den
Singvögelspermien. Ein Endstück läßt sich
mit Sicherheit nicht abgrenzen. An allen
Geißeln gelang es Ballowitz, die Zusammen-
setzung aus feineren Fil)rillen nachzuweisen.
Eine besondere Form haben in dieser Gruppe
die Spermien der Columbinae (Fig. 30). Zu-
nächst sind sie ansehnlich groß ; ihr langer,
pfriemenförmiger Kopf ist säbelförmig gekrümmt
mit feiner Spitze. Darauf folgt als weitaus
C/n
Cd.
Fig. 30.
Fig. 31. Fig. 32.
Fig. 30. Spermium von Columba domestica. Cp. Kopf (Caput). Cd. Schwanz
(Cauda). P.-pr. Hauptstück (Pars ijrincij^alis) des Schwanzes. P. t. Endstück (Pars
terminalis) des Schwanzes. Diese Bezeichnungen sind nach Ballowitz' erster
Deutung gewählt, es sind jedoch mit Fragezeichen die späteren Deutungen P. c.f und
P.pr.f hinzugesetzt.
Fig. 31. Spermium von Caprimulgus europaeus. Qj. Caput (Kopf). P/'. Per-
foratorium. P. a. + P.p. die vereinigten beiden Stücke des Kopfes (Pars anterior +
Pars posterior). P. c. Verbindungsstück. P.pr. (Pars principalis) Hauptstück des
Schwanzes [Cd.).
Fig. 32. Spei'mium von Vanellus cristatus. Bezeichnuugen wie in Fig. 31.
Fig. 30—32 aus Ballowitz (5 I). Fig. 30 = Fig. 91, Tat. XVII, Fig. 31
kombiniert aus Fig. 85 u. 86 der Taf. XVII^ Fig. 32 kombiniert aus Fig. 117 u.
120 der Taf. XVIII. Vergrößerung s. die Angabe bei Fig. 9.
Die Geschlechtszellen. 135
längster Teil des Spermium ein dickes, sich vielfach windendes Schwanz-
stück, welches sich in Gentiana lebhaft färbt (ähnlich auch , der Kopf,
der hier nur, der Unterscheidung wegen, heller gehalten ist l Das Ende
-der Geißel beginnt mit scharfem Absatz als feiner Faden. Ueber die
Deutung der einzelnen Teile s. w. u.
Völlig abweichend und in ganz eigenartiger Form zeigen sich die
sehr großen, insbesondere sehr langen Spermien der Singvögel (Pas-
seriden) — s. die Figg. 29, 29 A u. 29 B. Der Kopf ist pfriemenförniig,
und mit einem feinen Spiralsaume versehen. Der Kopf ist entweder
selbst leicht schraubenförmig gewunden und dazu noch von dem
deutlich abgesetzten Spiralsaum umgeben (ß. Fig. 29, Fringilla), oder
aber die Windungen des Kopfes fallen mit denen des Saumes zu-
sammen (Muscicapa u. a.), und dann erscheint das Ganze wie eine —
relativ gesprochen — große Schraulje. Weiterhin lassen sich am
Kopfe ein sehr fein auslaufendes Vorderstück, P.a., dessen Spitze ich
als Perforatorium deute, und ein kürzeres Hinterstück, P.j). unter-
scheiden. Kernfärbungen treffen nur das letztere, welches sich auch
als das resistentere erweist.
Als Verbindungsstück deutet Ballowitz einen dickeren,
unmittelbar auf den Kopf folgenden Teil des Schwanzes (P. c. Fig. 29).
Bei Fringilla setzt sich dieses Stück nicht deutlich von dem folgen-
den, mit einem charakteristischen Spiralsaume umgebenen Teile des
Schwanzes ab, wohl aber bei Muscicapa u. a. Hier ist auch in
Form einer Lücke, durch welche Ballow'Itz den „Achsenfaden" zum
Kopfe hin treten sah , ein ,,Hals" vorhanden (zwischen Kopf und
Verbindungsstück). Am vorderen Ende des Achsenfadens war auch
ein „Endknöpfchen" deutlich : am hinteren Ende des Verbindungs-
stückes sieht man an den BALLOWiTz'schen Abbildungen nichts der-
gleichen ; ich habe auch nichts davon bemerkt.
Sehr merkwürdig ist nun der als „Hauptstück", P.pr., zu be-
zeichnende auffallend lange Teil der Geißel durch die ihn umwickelnde
Spiralbildung. Ballowitz bezeichnet dieselbe bald als „Spiralfaden",
bald als „Spiralsaum". Bei Macerationen löst sich diese Bildung
leicht los und schnurrt zusammen ; sie erscheint dann deutlich als
Faden. Häutig werden auch isolierte derartige Fäden bei frischen
Spermapräparaten der Singvögel gefunden. Ballowitz meint, daß der
Faden durch eine protoplasmatische Hülle an den Achsenfaden ge-
heftet sei; eine Membran zwischen Spiralfaden und Achsenfaden scheint
es nicht zu geben. Der Spiralfaden zerbröckelt leicht und zerfällt
nicht in Elementarfibrillen, wogegen letzteres am Achsenfaden sich in
seltener Deutlichkeit, s. Fig. 29 A, zeigt; 7 — 10 solcher Fibrillen — ob
es sämtlich Elementarfibrillen waren, ist natürlich nicht auszumachen —
wurden gezählt.
t^"-
Bei Oriolus, Lanius nnd Corvus ist kein Spiralfaden am
Hauptstücke zu entdecken, obw'ohl sonst die Spermien denen der übrigen
Passeriden gleichen; hier kann auch kein Endstück unterschieden
werden, welches sonst deiitlich abgesetzt ist, jedoch ohne Spirale, s. Fig. 29.
In den Figurenbezeichnungen bin ich meist den Deutungen gefolgt,
welche Ballowitz giebt. Bei den Columbinen wirft sich insbesondere
die Frage auf, ob der lange vordere, in Fig. 32 dunkel gehaltene Ab-
schnitt des Schwanzes das Verbindungsstück oder das Hauptstück sei.
Ich habe beide Bezeichnungen in der Figur hinzugesetzt. Ballowitz,
136
W. Waldeyer,
welcher in seiner früheren Abhandlung (5 I) das in Rede stehende Stück
als Hauptstück (P.pr.) aufgefaßt hatte, neigt in der späteren Veröffent-
lichung (5 III) nach den Befunden bei den Schlangens]jermien dazu, es
als Verbindungsstück P. c. anzusehen. Ich muß wiederholt darauf hin-
weisen, daß wir zu einer sicheren Deutung erst kommen, wenn für die
einzelnen Spermienformen eine histogenetische Analyse vorliegt, wie wir
sie Meves, Benda u. a. für die Säugerspermien und für Salamandra ver-
danken,
X. Mammalia. Wenn man von den gleicli zu beschreibenden
merkwürdigen Formen der Beuteltierspermien absieht, dann
zeigen
die
Samenfäden der Säuger im Gesamthabitus eine große Aehnlichkeit.
Sie sind klein; der Kopf ist, von der Fläche gesehen, meist rundlich-
scheibenförmig, vorn zugeschärft, nach hinten verdickt. Vielfach ist
ein deutlicher Hals vorhanden, dem ein eljenso klar ausgesprochenes
Verbindungsstück folgt. Auch Hauptstück und Endstück des Schwanzes
sind gut geschieden ; der Achsenfadeu ist fibrillär, auch im Endstücke
(Ballowitz). [Fig. 43 A u. B.]
Da wir in der allgemeinen Schilderung der Spermien S. 103 ff. uns
meist an die Säugetierspermien gehalten haben, so wäre es überflüssig,
hier eine eingehendere Schilderung zu geben. Es sollen deshalb die
einzelnen Ordnungen nur kurz an der Hand der Figuren besprochen
werden, wobei insbesondere bei den Spermien von Ca via cobaya
das, was noch in der früheren Schilderung
fehlte, nach den trefflichen MEVEs'schen
zu ergänzen ist.
Cv.JL.
Cu.M.
Cd:
Figuren
Ueber die Spermien der M o n o t r e m e n
vermag ich leider nichts beizubringen ; in der
mir zugängigen Litteratur fand ich nichts,
da V. Bardeleben (15 — 17) keine reifen, aus-
gebildeten Formen beschreibt und ich für
eigene Untersuchungen kein Material von
diesen seltenen Tieren zur Verfügung hatte.
Spermien von Beuteltieren sind in
den Figuren 33 A und B von Metachirus quica
(nach Fürst 90) und 34 B und A von Di-
delphys virginiana (nach Selenka — M. 914
bis 916) wiedergegeben. Außerdem beschreibt
Fürst noch die Samenfäden von P h a s -
cogale albipes (Phascologale albipes).
Die Spermien von Metachirus quica
haben einen halbkreis-scheibenförmigen Kopf^
vorn konvex , hinten konkav, und in zwei
Schenkel auslaufend. Der vordere und seit-
liche Rand, Q>. 7 in der Figur, und die beiden
Sclienkel, Q;. //, sind dunkler, stärker liclit-
Fiff. 33 A.
Spermium von Metachirus quica (Marsupialia). nach Karl
M. FÜRST (90 — Tat. XIX, Fig. 34), Seitenansicht, r>. /Vorderseitenteil des Kopfes,
Cp. II Kopfschenkel. C'p. III Mittelteil des Kopfes (Partes laterales, Crura capitis,
Pars intermedia capitis). Cd. Cauda (Schwanz), P, c. Pars conjnnctionis cum filo
spirali (Verbindungsstück mit Spirale). P-pv. Pars principalis (Hauptstück).
Fig. 33 B. Spermium von Metachirus quica (Marsupialia) nach Karl
M. FÜRST (90 — Taf. XIX, Fig. 35), Flächen an sieht. Bezeichnung wie in Fig. 33 A.
Vergr. für Fig. 33 A und B: Leitz, homog. Immers. 7,^, Okul. 4l.
Die Geschlechtszellen.
137
brechend, das Mittelstück des Kopfes ist zarter, heller, Cj). 111. Die Schenkel
sind um ihre eigene Achse nach der Medianlinie des Kopfes gedreht ; so
kommen die verschiedenen Bilder heraus, wie man sie in der Seiten-
ansicht (Fig. 33 A) und in der Flächenansicht (33 Bj wahrnimmt. Welcher
Teil als Perforatorium wirkt, ist schwer zu sagen. — Der Schwanz inseriert
mit einem fein zugespitzten A^erbindungsstücke median am Kopfe. Das
Verbindungsstück ist deutlich abgesetzt und zeigt spiralige Bildungen.
Die Zeichnungen geben weiterhin nur ein Stück des Hauptfadens wieder
B
Fig. 34 B.
Fig. 34 A.
Fig. 34A und B. Spermien von Didelphvs virginiana — Opossum —
(MarsupiaUa) nach Selexka (M. 914 — Taf. XIX, Fig. 9 und 10). Die Bezeich-
nungen sind von mir. Vergr. ^"""/j.
Fig. 34 A. Einzelspermium , durch Zerreißung eines Doppelsperm iura (34 B)
entstanden. Cp. Caput (Kopf). Cd. Cauda (Schwanz). Pf'. Perforatorium, entspricht
dem Punkte, wo die Seitenteile des Kopfes Cp. I (s. Fig. 33 B) zusammenstoßen.
Cp. 11 Crura capitis (Kopfschenkel). Cp. III Pars intermedia capitis (Mittelteil des
Kopfes). P.c. Pars conjunctionis (Verbindungsstück des Schwanzes^ P.pr. Pars
principalis (Hauptstück des Schwanzes). P. t. Pars terminalis (Endstück des
Schwanzes.
Fig. 34 B. Doppelspermium.
138
W. Waldeyer,
Die Spermien von Didelphys Virginia na sind der Mehrzahl
nacli vor völliger Reife zu je zweien verbunden (Fig. 34 B) — s. w. u.,
Z y g o s e der Spermien. — Später trennen sie sich und erscheinen dann
unter der Form der Fig. 34 A. Nach Fig. 34 B zu urteilen sieht man an
dem vorderen verdickten Kopfrande keine Marke an der Stelle, an der
später die Trennung stattfindet. Ich betrachte (Fig. 34 A) die vordere Spitze
als ein Perforatorium und habe die Teile, welche ich als gleichwertig
mit denen von Metachirus quica erachten möchte, mit denselben Buch-
staben bezeichnet. Das Verbindungsstück ist sehr eigentümlich geformt,
wie aus zwei vorn in eine Spitze zusammenlaufenden Hälften zusammen-
gefügt, zwischen welche sich das Hauptstück scheinbar einschiebt. Wahr-
scheinlich ist der starke Absatz am Ende der zwei Hälften in der That das
Ende des Verbindungsstückes ; wir hätten dann ein sehr langes, kräftiges
Hauptstück (P.pr.) und ein sehr kurzes feines Endstück (P.t.). Erst die
Erforschung der Spermiengenese kann feststellen, ob diese Deutung richtig
ist. Am Verbindungsstücke wie an dem Hauptstücke sah Selenka eine
deutliche Querstreifung.
Die Bewegung der Zwillingsspermien schildert Selenka als ein
rapides, gleichmäßiges Vorwärtsschießen ; die einzelnen Spermien bewegten
sich in großen Kreisen, und wenn die Bewegung langsamer wurde, er-
schien sie stoßend und bohrend.
Aus der Ordnung der Ungulaten gebe ich nach Ballowitz (6) ein
Spermium von Bos taurus; auch bei Retzius (224), sowie bei
MiESCiiER (173) linden wir sehr gute Abbildungen
und Beschreibungen der Stierspermien. Von der
Fläche gesehen (Fig. 35) erscheint der Kopf eiförmig
mit schmalerem, in der Mitte etwas ausgehöhltem
(Mikroporus Miescher) Hinterende. Stellt man
nicht auf die Mitte ein, so erscheint die Begrenzungs-
linie geradlinig, etwas stärker lichtbrechend; vorn
verjüngt sich der Kopf auch ein klein wenig, wie
man namentlich bei der Profilansicht wahrnimmt,
und erscheint stärker lichtbrechend ; von den Seiten
her ist der Kopf gleichmäßig abgeplattet, so daß
er nahezu stäbchenförmig sich darstellt. Man erkennt
ein deutliches Halsstück (Fig. 35 C/.), welches Ballo-
witz genauer beschreibt, ein langes Verbindungs-
stück, etwa doppelt so lang als der Kopf, ein
Hauptstück über dreimal so lang als das Ver-
bindungsstück, und ein kurzes Endstück (s. die
citierte Figur). Die Stierspermien sind fast doppelt
so lang als die des Menschen. Aus dem Artio-
dactylenstamm liegen noch Beschreibungen vor von
Ovis und Sus (Ballowitz 7); aus dem der Perisso-
dactylen von Equus caballus (Ballowitz 7,
Jensen 121b).
Fig. 35. Spermium von Bos taurus, Rind (Artio-
dkctvla) nach Ballowitz (6 — Taf. XI, Fig. 1). Cp. Caput
(Kopf). Cl. Collum (Hals). Cd. Cauda (Schwanz). P.c. Pars
conjunctionis (Verbindungsstück des Schwanzes). P. pr.
.Et. Pars principalis (Hauptstück des Schwanzes). P. t. Pars
terminalis (Endstück des Schwanzes). Vergr. Winkel,
homogene Immers. 24, Tub. exfr.
Cl:
Cd.
V.l.
Fig. 35.
Die Geschlechtszellen. 139
Am genauesten kennen wir die Spermien der Nager; namentlich die
der Muriden (Ratte, Maus), des Kaninchens und Meerschweinchens haben
genaue Beschreibungen erfahren, insbesondere durch Jensen (121, 1 21a u. b),
Ratte : Ballowitz (7), Ratte, Kaninchen, Meerschweinchen, Eichhörnchen ;
V. Brunn (M. 2604), Renson (M. 2579), Ratte; Brown (62a), Ratte;
Meves(171), Meerschweinchen; F. Hermann (115), Maus; Benda (35 — 38),
Maus (s. Fig. 46); v. Ebner (74 — 77), Ratte, u. a.
Die Form der Köpfe ist verschieden: von der Fläche gesehen, fast
hakenförmig bei der Ratte, beilförmig bei der Maus (s. Fig. 46), eiförmig,
denen des Stieres ähnlich, bei Lepus cuniculus — nur ein wenig kleiner :
in Form eines zweifach gebogenen Hakens TKantenansicht) oder einer
vorn abgerundeten und breiteiförmigen Scheibe (Flächenansicht) —
Fig. 36 — 37 — beim Meerschweinchen. Der Schwanzteil weist keine
bemerkenswerten Verschiedenheiten auf.
Ich schildere min genauer nach den Angaben und Figuren von
Meves, denen ich Besseres nicht hinzufügen kann, einige feinere
Struktur- und Formverliältnisse bei Cavia.
Von der Kopfkappe und deren hinterer Randlinie {L. Gal. Figg. 36
und 36 B), ferner von der Einteilung des Kopfes in ein Vorderstück und in
ein Hinterstück, sowie von dem großen Perforutorium der Meerschweinchen-
spermien ist schon die Rede gewesen (S. 103, 104 u. 106). Die Kanten-
ansicht des Kopfes lehrt, daß dieser, wie das Perforatorium, von vorn
nach hinten gekrümmt ist, aber in entgegengesetzter Richtung (Fig. 36 B).
Meves bezeichnet die Seite, an der die Konkavität des Kopfes liegt, als
„Bauchseite", Fac. ventr. (Facies ventralis) in der Figur, die gegenüber-
liegende, also mit der Konvexität des Kopfes und der Konkavität des
Perforatoriums versehene, als „Rückenseite", Fac. dors. (Facies dorsalis).
Diese Krümmungen treten aber erst an den reifen Samenfäden im Ductus
deferens auf.
Kopf und Perforatorium zeigen sich in gleicher Art verdickt und
verdünnt, die dickeren Theile nach hinten, die dünneren nach vorn ge-
richtet; gleichzeitig laufen auch die Seitenränder fein zugeschärft aus —
s. Fig. 37 Pf. und Cp. P. a. Die verschiedene Färbbarkeit des vorderen
und hinteren KoiDfabschnittes , welche insbesondere von Ballowitz
studiert wurde — der hintere Abschnitt, P. p., färbt sich stärker — mag
wohl zum Teil auf solchen Dickenverschiedenheiten beruhen, jedoch nicht
in allen Fällen, denn beim Kaninchen färbt sich mit Jodgrün der vor-
dere dünnere Teil, P. a., dunkler.
Der hintere Rand des Kopfes ist mit einer Querfurche versehen,
und der Hals des Spermium ist nicht in dieser Furche, sondern ven-
tralwärts davon an der entsprechenden Kopfkante angeheftet. Diese
Anheftung geschieht scheinbar mit einer griffeiförmigen Spitze, und liegt
nach den Befunden von Meves auch mehr an der rechten Seite des
Kopfes. Wir können ja, indem wir Bauch- und Rückenfläche, sowie
Vorn und Hinten beim Meerschweinchenspermium zu unterscheiden ver-
mögen, auch von einer rechten und linken Seite desselben sprechen. —
In Wahrheit geschieht die Anheftung des Schwanzes an den Kopf ver-
mittelst des Halsstückes; dieses besteht aus vier feinen Fäden, die ich
als C en tr osomf ä d en bezeichnete; dieselben beginnen an der er-
wähnten Stelle des Kopfes mit 3 Endknöpfchen. Von den beiden late-
ralen Knöpfchen geht je ein Faden aus, von dem mittleren Knöpfchen
2 Fäden; sämtliche 4 Fäden enden am Verbindungsstücke hinter dem
140
W. Waldeyer,
Beginne der Spiralhülle gleichfalls mit leichten Verdickungen. Die dor-
sale Kopf kante trägt eine stäbchenförmige Bildung, welche in der Kanten-
ansicht, rig. 50g, als dunkles Knöpfchen (K) erscheint und genetisch zu
den 3 Knötchen der ventralen Kante gehört ; wir haben bereits vorgreifend
(S. 107 If.) bemerkt, daß diese Bildungen Centrosomenabkömmlinge dar-
..-siliilifei
L.Cial.
Fig. 36 A.
Fig. 36. Spermium aus dem Nebenhoden
von Cavia cobaya, Meerschweinchen (Ro-
dentia). Gesamtbild. Nach Meves (171, Taf.
XXI, Fig. 50). Vergr. wie Fig. 36 A, jedoch
auf % verkleinert. Behandlung: Sublimat,
Eisenhämatoxylin. C'p. Caput (Kopf), Cl. Col-
lum (Hals), Cd. Cauda (Schwanz), Pf. Per-
foratorium, P. a. Pars anterior capitis (Vorder-
stück des Kopfes), L. Gal. Limes galeae (hintere
Grenze der Kopfkappe), P.j)- Pars posterior
capitis (Hinterstück des Kopfes), P. c. Pars con-
junctionis (Verbindungsstück des Schwanzes),
2 Protoplasmaklümpchen , P. pr. Pars prin-
cipalis (Hauptstück des Schwanzes), P. t. Pars
Die hinteren Knöpfchen, Nd.p., (Fig. 36 A)
fehlen in der Originalfigur, da sie an den Spermien des Nebenhodens meist nicht
mehr sichtbar sind; sie sind hier nach Fig. 36 A hinzugezeichnet worden.
Fig. 36 A. Kopf, Hals und Verbindungsstück eines Spermium von Cavia
cobaya aus dem Hoden. Starke Vergr. Zeiss, Apochr. 2 mm, Ok. 18, Tub. 16 cm.
Nach Meves (171, Taf. XXI, Fig. 45). Behandlung: HERMANN'sches Gemisch —
Eisenhämatoxylin. Pf. Perforatorium , P.a. Pars anterior capitis, L. Gal. Limes
Galeae, P.j). Pars posterior capitis, Nd.a. Noduli anteriores, vordere Halsknöpfchen,
F. c. Fibrillae centrosomatum, Centrosomfäden , Nd. p. Noduli posteriores , hintere
Knöpfchen, 2 Protoplasmaklümpchen, F. sjyir. Filum spirale, Spiralfaden. Hinzugesetzt
ist schematisch .4«». Annulus (Ring), vom distalen Stücke des hinteren Centralkörpers
abstammend. In der Originalfigur fehlt der Annulus, da er auf diesem Stadium
der Ausbildung der Spermien nicht mehr deutlich sichtbar ist. Ich habe ihn nach
einem früheren Stadium, um nicht zu viele Figuren nötig zu haben, hinzugezeichnet.
Fig. 36.
terminalis (Endstück des Schwanzes).
Die Geschlechtszellen.
141
stellen. Die beiden mittleren Fäden divergieren nach hinten ventral und
nach vorn dorsal. Sie sind durch eine anscheinend weiche, homogene
Zwischenmasse verbunden. Das ganze, von den 4 Fäden nebst ihrer
Zwischenmasse gebildete Halsstück beginnt mit rundlichem Querschnitte
am Verbindungsstücke des Spermium und setzt sich mit dorsoventral
abgeplattetem Ende an den Kopf an. hat also im großen und ganzen die
Gestalt eines Klarinettenmundstückes, s. Fig. 36 B. Die 3 vorderen Knöpf-
chen sind in den Figg. 36 u. 36 A zu sehen ; man kann hier nur 3 Fäden
F. c. fFig. 36 A und 50h) erkennen : die Zweiteilung des einen fmittlerenj
dieser Fäden ist aber in Figg. 36 B Gl und 50g F. c. m. (Filum centro-
somatis medium) zu sehen, ebenso wie sein proximales und seine beiden
distalen Endknöpfchen. Endlich zeigen die Querschnitte (Fig. 37) Gl^ und
GL-, die 4 Fäden als dunkle Punkte in ihrer gegenseitigen Anordnung ;
Fig. 36 B u. 37. Sper
niienstücke von Ca via
(.•obava. Nach Meves
(171, Taf. XXI, Fig. 48
u. 49). A''ergr. und Behand-
lung s. die Erklärung der
Fig. 3ij u. 36 A.
Fig. 36 B. Kopf teil im
Profil; Bezeichnungen wie
Fig. 36. Hinzu kommen :
Fac. rentv. Facies ventralis
(Bauchseite des Spermium),
Fac. dors. Facies dorsalis
{Rückenseite des Sper-
miums), nach der Namen-
gebung von Meves.
Fig. 37. Pf. Querschnitt
durch das Perf Oratorium
(Pf. Fig. 36 A), Cp. P.a.
Querschnitt durch das
Vorderstück des Kopfes im
Bereiche der Kopfkappe,
Cp. P. p. Querschnitt durch
das Hinterstück des Kopfes,
Cl^ Querschnitt durch den
proximalen Teil des Halses
(Xd.a. Fig. 36 A), Cl^ Quer-
schnitt mitten durch den
Hals, Cd. P. c. Querschnitt
durch das Verbindungs-
stück.
Cd. {
Cd.P.r.
Fig. 36 B.
Fig. 37.
dabei stellt sich heraus, daß die beiden mittleren Fäden etwas feiner sind.
Der Querschnitt Pf. geht durch den oberen Teil des Perforatoriums und
zeigt dessen dunklere Rinden- und hellere Binnenschicht, sowie seine
(dorsale) Flächenkrümmung. In Gp. P. a. ist bereits der Kopf des Spermium
selbst getroffen ; die beiden Ränder werden noch von der distalen Fort-
setzung des Perforatoriums eingenommen, dessen entgegengesetzte Krüm-
mung sie auch zeigen. Gp. P.p. ist ein reiner Querschnitt durch den
hinteren Kopfabschnitt ; hier laufen die Ränder nicht so dünn aus;
(7?j trifft noch den untersten Teil des Kopfes mit; auf diesen sind die
beiden wieder zugeschärften Flügel zu beziehen; die rundliche, helle,
mittlere Masse begreift die Zwischensubstanz des Halses; inmitten der-
selben bilden die 4 Fäden in Form von Punkten die eben erwähnte,
abgeplattete Figur. Gl^ geht mitten durch den Hals, Gd. P. c. durch das
proximale Ende des Verbindungsstückes.
142
W. Waldeyer,
Bezüglich der übrigen Teile der Figg. 3G — 37 und der in ihnen dar-
gestellte Meerschweinchenspermien kann ich auf das bei der allgemeinen
Formbeschreibung der Spermien Gesagte mich zurückbeziehen (s, S. 103 ff.).
Nur wäre noch hervorzuheben, daß die Meerschweinchenspermien ein
sehr langes und verhältnismäßig dickes, sich caudalwärts stark ver-
jüngendes Haupt stück und ein kurzes, feines, gut abgesetztes End-
stück besitzen.
Aus der Ordnung der Raubtiere, Carnivora, habe ich (nach
Ballowitz) die Fig. SSA u. B
u. B
Canis faniiliaris — mitgeteilt.
Felis domestica — und Fig. 39 A
Bei der Katze ist der Kopf
Cl.
P.O.
-1
Cd.
A
M
CL
-P.c.
'fM ^
FlbrÜl.
terin.
i^pr.
tcl:
B.
FihriU.
term.
,^^[ J\FihrilUerm.
B
FihrilLterm.
Fiftrill. teyiR.
Fig. 38 A.
Fig. 38 B.
A.
Fig. 39 A.
Fig. 39 B.
Fig. 38 A u. B. Spermien von Felis domestica, Hauskatze (Carnivora)
A von der Fläche, B von der Kante. Nach Ballowitz (6, Taf. XI, Figg. 8 u. 9).
Vergr. Wijtkel, homog. 1mm. 24, Tub. estr. Cp. Caput (Kopf), Cl. Colkmi (Hals),
Cd. Cauda (Schwanz), P. c. Pars conjunctionis (Verljindungsstück des Schwanzes),
P. pr. Pars principalis (Hauptstück des Schwanzes), FihriU. term. Fibrillae terminales
(Fibrillen des Endstückes), 1 Protoplasmaklümpchen.
Fig. 39 A. Spermium von Canis familiaris, Hund (Carnivora). Nach Bal-
lowitz, wie Fig. 38 (No. 35, Taf. XI). Bezeichnungen wie in Fig. 38.
Fig. 39 B. Zwei Schwanzenden von Hundesper mien , bei denen das End-
stück in mehrere Fibrillae terminales {Fibrill. term.) zerfallen ist. Nach Ballowitz,
wie Fig. 38 (No. 35 u. 36, Taf. XXI).
schmäler als beim Hunde, wo er vorn breit wird und sich nach hinten
stark verjüngt. Die Profilansicht des Spermium von Felis zeigt deut-
lich ein schneidendes Perforatorium (Fig. 38 B). Deutlich sind bei
beiden Species die Halsstücke {Cl), die Verbindungs-, Haupt- und
Endstücke; letztere zeigen die von Ballowitz nachgewiesene be-
merkenswerte Splitterung in 2—4 feinste Fibrillen.
Die Geschlechtszellen. 143
Von den hier nicht (Uirch Abltilduii.uen vertretenen Ordnungen
der Säuger liegen nucli aus folgenden Abbildungen und Beschreibungen
vor: Proboscidea. v. Widersperg, bei Elephas africanus (2<)C)) ;
Insectivora, Ballowitz (7) und Fürst (Bidrag tili kännedomen
om Sädeskropparnas struktur och utveckling. Xordiskt med. Arkiv.
Bd. XIX, 18S()) bei Talpa und Erinaceus ; C h e i r o p t e r a , Eimer
(M. 2612), Ballowitz (7), Fürst (1. c.) bei Vesperugo, Vespertilio,
Rhinolophus, Macroglossus u. a. ; Pitheci, v. Hansemann (108) bei
Pithecus satyrus Geoffr., Orang. Aus den Ordnungen der Mono-
treniata, Edentata, Cetacea, Lamnungia, Pinnipedia und Prosimii bin
ich in der mir zugänglichen Litteratur keinen Angaben begegnet.
Die Spermien des afrikanischen Elefanten sind — nach den Abbil-
dungen V. Widersperg's zu urteilen — nicht unähnlich, sowohl an Ge-
stalt, wie an Größe, denen des Menschen. Die der genannten Insekti-
voren kommen denen des Kaninchens nahe. Bei den Chiropteren
sind der verhältnismäßig kleine, kurze, cylindrische, abgeplattete, vorn
ein wenig verjüngte, hinten fast glockenförmig ausgehöhlte Kopf, das
große Halsstück, das große, breite Verbindungsstück mit dem deutlichen
Spiralfaden sehr charakteristisch. Vom Orang berichtet v. Hansemann,
daß, obwohl das betreffende Tier noch im vollen Zahnwechsel stand, doch
bereits große Mengen reifer Spermien vorhanden waren. Da es sich um
Leichenmaterial handelte, mochte v. Hansemann keine genaueren Angaben
über die Form machen; er bemerkt nur, daß die Köpfe schlanker und
spitzer als beim Menschen erschienen und daß Mittelstücke nicht beob-
achtet wurden (Leichenveränderung ?j.
XL Homo. Die Spermien des Menschen gehören zu den klei-
neren Formen und tragen durchaus den Charakter der Säugetier-
spermien. Sie lassen bei Vergrößerungen von 800— 10()0 deutlich fast
alle Hauptteile erkennen: Kopf, Verbindungsstück und Endstück des
Schwanzes ; nur ein Halsstück erscheint niclit deutlich abgesetzt, vgl.
die Figg. 40A u. B und 41. Der Kopf hat, von der Fläche gesehen,
die (xestalt eines Ovals, welches sich einer regelmäßigen Ellipse nähert.
Die längere Achse, die übrigens nur um stark ein Drittel die Quer-
achse überwiegt, steht, wie bei allen Spermien, in deren Längsrichtung.
Der hintere Pol ist infolge des geradlinigen Ansatzes des Halsstückes
— s. über dieses weiter unten — quer abgestutzt, der vordere geht
ein wenig mehr spitz zu. Das hintere Stück des Kopfes ist stärker
lichtbrechend als das vordere und ist auch färberisch von verschiedenem
Verhalten. Pappenheim (188) zeigte, daß man durch die Roma-
NOWSKY-NocHT'sche Protozoen- und Protophytenfärbung (Nocht, in :
Centralbl. f. Bakt., Bd. XXIV, 1898, S. 839 und Bd. XXV, 1899,
S. 17 u. 704 if.) das Hinterstück des Kopfes mit einer kegelförmig
sich in das Vorderstück, welches von der Kopfkappe überzogen ist,
fortsetzenden Spitze rot färben kann, während das Vorderstück mit
der Kopfkappe mattblau wird.
Fügen wir gleich hier an, daß mit derselben Färbung das Ver-
bindungsstück dunkelblau erscheint, während bei der Tinktion mit
Pappenheim's Methylgrün-Pyroningemiscli (s. Virchow's Archiv, Bd. GL VII,
1899) der gesamte Kopf grün wird, der hintere Abschnitt dunkler als
der vordere — was übrigens wahrscheinlich an der größeren Dicke liegt
— das Verbindungsstück aber eine leuchtend rote Farbe annimmt.
144
W. Waldeyer,
Bei der Kantenaiisicht zeigt der Kopf eine Birnform, das dickere
zuge-
Eiide nach hinten gerichtet: der vordere Rand ist demnach
schärft: dieses Verhalten erklärt die verschiedene Lichtbrecliung, welche
am vorderen und hinteren Abschnitte wahrgenommen wird, s. Hg.
und Fig. 41,
unter recht
nover 1876)
konvex sein
Die Querbänder (2—3),
deutlich gesehen,
soll die eine Seite
als die andere.
40,B
vorhin S. 105, werden mit-
Nach W. Krause (Allg. Anat., Ran-
des Hinterstückes nicht selten stärker
CdA
Fe
r.y
V.
L.P.pn
Ft.
B.
Fig. 40 A u. B.
Fig. 42.
Fig. 41.
Fig. 40 A u. ß. Spermien von Homo sapiens, Mensch. Nach G. EETZirs (224,
Tai X, Fig. 15 u. 16). Vergr. Zeiss, homog. Imra., 7,^,, Ok. 3, Tub. extr. Be-
handlung: frische Pi'äparate und Osmium präparate. A Profilansicht, B Fiächen-
ansicht. C'p. Caput (Kopf), Cd. Cauda (Schwanz), ff. Perforatorium (Spieß, Eetzius),
P.e. Pars conjunctionis (Verbindungsstück des Schwanzes), P. pr. Pars principalis
(Hauptstück des Schwanzes), L.P.pr. Limes partis principalis (Grenze des Haupt-
stückes gegen das Endstück des Schwanzes), P. t. Pars terminalis (Endstück des
Schwanzes).
Fig. 41. Spermium von Homo sapiens (Mensch). Nach v. Wideesperg (260,
Taf. VI, Fig. 17). Frisches Präparat ; Vergr. 1000. Cp. Caput (Kopf), Pf. Perfora-
torium, P. a. Pars anterior capitis (Vorderstück des Koj^fes), P. p. Pars posterior
capitis (Hinterstück des Kopfes), P.c. Pars conjunctionis (Verbindungsstücli), P. ;>r.
Pars principalis (Hauptstück), P. t. Pai's terminalis (Endstück des Schwanzes), letztere
3 Teile nicht scharf unterschieden.
Fig. 42. Riesenspermium vom Menschen. Nach v. Widersperg (260, Taf. VI,
Fig. 18). Frisches Präparat, Vergr. 1000.
als Vorder- und Hinterstück des Kopfes, ■;
zu deuten.
Kopf besonders groß. 1 u. 2 sind wohl
als stark vergrößertes Verbindungsstück
Das stäbchenförmige Verbindungsstück, P. c. in den Figuren, ist
ungefähr so
laug
gesetzt, als man
sehen pflegt. Bei sehr
wie der Kopf —
es, besonders in
Retzius zeichnet
der Kantenansicht,
starken Vergrößerungen
es stärker ab-
gewöhnlich zu
sieht mau zwischen
Die Geschleclitszellen. 145
Kopf und Verbindungsstück eine Einschnürung, die den ,,Hals" markiert.
Nach W. Krause, dem icli zustimme, zeigt der Kopf hier eine kleine
V^ertiefung, in welche der Hals mit dem Verbindungsstück eingelassen
ist (s. weiter unten). Das letztere ist ein wenig abgeplattet.
Der Schwanz im ganzen ist von mäßiger Länge (vgl. die Maß-
tabelle); das Ilauptstück verjüngt sich allmählich; das kurze End-
stück — kaum doi)i)elt so lang als der Kopf — ist nicht scharf ab-
gesetzt, jedoch an guten Präparaten bei starken Vergrößerungen sehr
wohl zu erkennen.
Meves hat die Güte gehabt, mir ein von ihm selbst gezeichnetes
Schema eines menschlichen Samenfadens nach seinen neuesten Unter-
suchungen, in welchen den Form- und Größenverhältnissen Rechnung
getragen ist, für die Mitteilung an dieser Stelle zu überlassen ; ich
habe dasselbe verkleinert in Fig. 43 A wiedergegeben und daneben in
Fig. 43 B in der Größe des Originals Kopf, Hals, Verbindungsstück
und den Anfang des Hauptstückes. An der ganzen Figur mag man
ein Bild von den relativen Größenverhältnissen gewinnen. Die Fig. 43 B
läßt auch beim Mensclienspermium alle die Teile wiedererkennen, wie
sie für das Meerschweinchen (s. Fig. 6 D) bestimmt wurden.
Wir gewahren am Kopfe, Q?., die hintere Grenze der Kopf kappe
(L. Gal.), wodurch ein Vorderstück, P. a., von einem Hinterstücke, P. j9.,
getrennt wird. Der Hals, C/., läßt sich nach den entwickeluugsgeschicbt-
lichen Befunden, wie beim Meerschweinchen, als das unmittelbar auf den
Kopf mit einer kleinen Einschnürung folgende Stück iinterscheiden,
welches aus den hier als dunkler Querstrich (Querscheibe) gezeichneten
vorderen Centrosomknötchen, Nd.a. (Noduli anteriores), und einer homo-
genen Zwischensubstanz, 3Is. int. (Massa intermedia), besteht. Das V e r-
bindungsstück, P.c., umfaßt den Bereich des hinteren Centrosoms,
zwischen dessen proximalem Stücke, Nd.p. (Noduli posteriores), gleichfalls
als dunkler Querstrich (Querscheibe) gezeichnet, und dem ringförmigen,
distalen Stücke, dem Schlußringe, Ann. (Annulus), oder der Endscheibe,
Jensen. Wir treffen hier als weitere Bestandteile im Centrum den aus
Fibrillen bestehenden Achsenfaden, der vom proximalen Abschnitte (des hin-
teren Centrosoms) ausgeht. Der Achsenfaden ist zunächst von einer inneren
— in der Figur blau gehaltenen — dünnen Hülle, Inv. (Involucrum) einge-
faßt; darauf folgt die Spiralhülle, bestehend aus einem durch schwarze dicke
Punkte markierten Spiralfaden, Spir., und einer dessen Windungen (8 — 9
beim Menschen nach Meves) zusammenhaltenden hellen Zwischensubstanz,
Sb. int. (Substantia intermedia). Außen lagert sich darauf eine fein-
punktiert gehaltene Schicht, Mtcli., die Mitochondrienscheide, aus welcher,
nach den Untersuchungen von Benda, der Spiralfaden seinen Ursprung
nimmt; diese Scheide entstammt dem Cytoplasma der Spermienbildungs-
zelle (Spermatide) und führt die eigentümlichen, von Benda genau charak-
terisierten und als Mitochondria bezeichneten Granula. S. w. u.
„ Spermiogenese " .
Das nun folgende Hauptstück des Schwanzes, P.pr. (Pars princi-
palis), ist vom Verbindungsstücke abgesetzt^ indem weder die Mitochon-
drienscheide noch die Spiralhülle sich auf dasselbe erstrecken. Es scheint
dagegen — Meves läßt dies noch unbestimmt — als ob die dünne
innere Hülle des Verbindungsstückes sich, erheblich verstärkt, auf das
Hauptstück fortsetze. Beide Hüllen sind, in der . Annahme ihrer Zu-
sammengehörigkeit, in derselben blauen Färbung gehalten worden.
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 1, JQ
146
W. Waldeyer,
r,i
Cp
''']"■
Jnr.
J'
'ji:
l.F.pr.
Vi.
Fig. 43 B.
Fig.
Fig. 43 A.
,. 43 A. Schema eines Menschen Sper-
mium, Originalzeichiiung von Meves, auf '/s ver-
kleinert. Cf. Caput (Kopf). Cl. Collum (Hals). Cd.
Cauda (Schwanz). P.c. Pars conjunctionis (Verbin-
dungsstück). P.'pr. Pars principalis (Hauptstück).
P. t. Pars terminalis (Endstück). Nd. p. Noduli poste-
riores (vordere Grenze des Verbindungsstückes). Ann.
Annulus, Schlußring, hintere Grenze des Verbin-
dungsstückes. L. P.2)r. Limes partis princii3alis, hintere
Grenze des Hauptstückes.
Fig. 43 B. Schema eines Menschensper-
Die Geschlechtszellen. 147
miuiu, vorderer Teil. Originalzeichnuiii^ von Mkves; Größe des Oritifinales. Cp.
Caput (Kopf). Cl. Cohura (Hals). Cd. Cauda (Schwanz). P.a. Pars anterior capitis
(Vorderstück des Kopfes). L. Gid. Limes Galeae, Grenze der Kopfkappe. P.p. Pars
posterior cajütis (Hinterstück des Kopfes). Nd. a. NoduH anteriores (vordere Centrosora-
knötchen, Halsknötchen). 3Is. int. Massa intermedia (Zwischenmasse des Halses).
^Y(/. ^;. Noduli posteriores (hintere Centrosomknötchon). Spir. Spiralfaden. Inv. In-
volucrum (Hülle des Achsenfadens im Verbindungsstück — blau^. P.c. Pars con-
junctionis (Verbindungsstück). Mtch. Mitochondria. Sb.int. Substantia intermedia
(Zwischensubstanz der Spiralhülle). Aim. Annulus (Schlußring). F.pr. Filum prin-
cijjale (Hauj^tfaden). luv. Involucrum (Hülle des Hauptfadens — blau). F.pr. Pars
principalis (Hauptstück des Schwanzes).
Ich habe absichtlich bei der Beschreibung der menschlichen
Spermien noch einmal eine detaillierte Figur mit genauer Einzell)e-
schreibung gegeben, obwohl ich mir bewußt war, daß hiermit manche
Wiederholungen von früher bereits Gesagtem unvermeidlich würden
— vgl. die Beschreil)ung der Fig. 6D und die Al)schnitte Kopf, Hals
und Verltindungsstück in der allgemeinen Beschreil)ung der Spermien
(S. 103 tf.). Es schien mir indessen wichtig, gerade von menschlichen
Spermien eine eingehende, völlig zusammenhängende Darstellung zu
liefern. Die Größenverhältnisse s. in der Maßtabelle.
Von einzelnen Beobachtern, ich nenne E. Nelson (M, 2624) und
K. V. Bardeleben (19, 20, 22), sind Befunde mitgeteilt worden, welche
auf die Anwesenheit eines besonderen Perforatoriums am Kopfe
schlieijen lassen. Beide geben sogar an, daß vorn am Kopfe lange, spieß-
förmige Fortsätze — doppelt so lang als der Kopf und mit einem Wider-
haken versehen — vorhanden wären, und bilden sie ab ; auch kleinere
spitze Ansätze werden von v. Bardeleben in mehreren seiner Figuren
abgebildet. Diese kleinen Ansätze kann man wohl bei Spermien, aus
dem Hoden entnommen, zuweilen sehen ; aber an völlig reifen Spermien,
im Ejakulat, sind sie sehr selten ; einen längeren, lanzenförmigen Anhang
habe ich überhaupt nicht gesehen ; er wird auch von keinem anderen
Beobachter erwähnt. Ich meine, wde W. Krause, daß das Perforatorium
der Menschenspermien in dem vorderen scharfen Rande der Kopfkappe
gegeben ist und schneidend, nicht bohrend wirkt.
Im übrigen beschreibt v. Bardeleben die färberischen und Re-
fraktionsunterschiede der beiden Abteilungen des Kopfes, bestätigt den
von MiEscHER und Ballowitz nachgewiesenen „Innenkörper" — derselbe
ist wohl identisch mit dem vorhin, s. S. 143, erwähnten kegelförmigen Fort-
satze des Hinterstückes — und giebt an, daß derselbe in mehrere
Stückchen zerfallen könne. Ferner schildert er die Querstreifen des
Kopfes und sagt (12), daß man unter Umständen den Achsenfaden durch
den Kopf bis zur Spitze verfolgen könne. Diesem letzteren gegenüber
kann ich meine Zweifel nicht unterdrücken.
lieber den S p i r a 1 s a u m an den menschlichen Spermien (H. Gibbes
und W. Krause) verweise ich auf das vorhin, S. 117, Gesagte und füge
hinzu, daß auch v. Bardeleben (12) diesen Spiralsaum beschreibt und
abbildet. Jensen spricht von Andeutungen eines Spiralsaumes am Ver-
bindungsstücke beim Menschen (121 u. 121b) und will einen solchen
auch für das Hauptstück nicht in Abrede steilen.
Ueber den von v. Bardeleben (17) verteidigten Dimorphismus
der menschlichen Samenfäden und sonstige abweichende Formen soll
weiter unten im Zusammenhange gehandelt werden ; nur sei hier alsbald
bemerkt, daß, wie es scheint, auch beim Menschen Spermien von be-
sonderer Größe, „Riesenspermien", v. la Valette St. George, vorkommen,
10*
148 W. Waldeyer,
s. Fio-. 42 nacli v. Wiedersperg (260). Auch v. Bardeleben (12) erwähne
solcher Exemplare ; in der von ihm gegebenen Abbildung zeigt sich jedoch
der Kopf von so abweichender Form, daß man versucht ist, an eine
abnorme Bildung zu denken.
Die „Schlußscheibe" oder „Endscheibe" bei den menschlichen
Spermien hat wohl schon Prenant gesehen (M. 2627) ; auch an den
beiden Abbildungen, welche Ballowitz (7) giebt (Taf. XIV, Eigg. 62 u.
63) ist sie zu erkennen, ebenso wie das proximale Stück des hinteren
Centrosoms, welches mit EL (Endknöpfchenj bezeichnet ist. Jensen giebt
vom Menschen dasselbe an (121b). Im Text geht Ballowitz auf die
Schlußscheibe beim Menschenspermium nicht ein; vom Endknöpfchen
stellt er (S. 267) fest, daß dasselbe so dicht dem Kopfe anliegt, daß es
erst nach Ablösung des letzteren deutlich hervortritt; demnach muß der
Kopf der menschlichen Spermien am distalen Ende eine größere Aus-
höhlung besitzen.
Angaben aus neuerer Zeit über menschliche Spermien liegen vor
von Ballowitz (7), v. Bardeleben (12, 13, 20, 22), v. Ebner (74—77),
P. Fürbringer (88— 89a), Gibbes (93), Jensen (121b), W. Krause (133
bis 135), A. Menzel (161), Fr. Merkel (162), E. Neumann (181, 182),
Pappenheim (188), G. Retziüs (224), G. Romiti (225), v. la Valette
St. George (250) und v. Wiedersperg (260). Hierzu kommen die von mir
im Text gegebenen brieflichen Mitteilungen nebst Zeichnungen von
Meves und dessen bereits gedruckte Veröffentlichungen (168, 169).
4. Spermien der Evertebraten und Pflanzen.
Obwohl wir in diesem Werl^e, streng genommen, nur die Verte-
braten zu berücksichtigen haben, können doch, namentlich in diesem
Kapitel desselben, die Evertebraten und Pflanzen nicht gänzlich
übergangen werden.
Grebilde, die man mit dem Namen „Spermien" zu belegen hat,
kommen nur bei den Metazoen und Metaphyten vor; wenn einzelne
Beobachter auch bei den Protozoen — vgl. bei v. la Valette St.
George in Stricker's Handbuch der Lehre von den Geweben, S. 521»
— von Spermatozoen gesprochen haben, so wird damit der Begriff
„Spermium" sicher zu weit ausgedehnt. Uebergänge sind ja vorhanden.
So haben wir in dem einleitenden Abschnitte festgestellt, daß, soweit
geschlechtliche Akte bei den Protozoen stattfinden, es auch Bildungen
giebt, wie den stationären und den wandernden Befruchtungskern der
Infusorien, die Mikrogameten und Makrogameten bei den sessilen Kolonien
der Vorticellen u. a., die den Geschlechtszellen analog sind ; doch dürfen
wir diese Bildungen den Spermien und den Eiern nicht als homolog er-
achten. Entweder sind es nur Teile einer Zelle, wie die Befruchtuugs-
kerne bei den Infusorien, oder es handelt sich um differenzierte Glieder
einer Tierkolonie. Dies freilich kommt den specifischen Geschlechtszellen
schon näher.
Sämtliche Metazoen unter den Evertebraten, vielleicht mit
Ausnahme der Dicyemiden, zeigen wohlausgebildete Spermien.^ die
sich bei der überwiegenden Mehrzahl der Arten auch in der Form
und in ihren einzelnen Teilen an die der Vertebraten anschließen.
Es sind hier besonders zu nennen die die Arthropoden, Pulmonaten und
Die Geschlechtszellen. 149
Xcmortinon betreffenden Untersuchungen v. Siebold's, Bütschli's,
Leyi)Ig"s. L. Landois'. v. la Valette St. (Ieorge's, (Jilson's
(La Cellule, T. I, II, I\), PlatxNEr's (Arch. f. mikr. Anat., Bd. XXV,
XXVI u. XXVII), Prenant's (La Cellule, T. III, VI), Bolles Lee's
(M. 25(39 u. 2570), Nussbaum's (ISöa), Grobben's (Arbeiten aus
dem zoolog. Institut der Wiener Universität, 1878), G. Herrmann's
(M. .')445) und vor allem die Arbeit von Ballowitz (5 II), woselbst
auch die Litteratur näher nachgewiesen ist. — Weitere, wenn auch
nur mit den Namen der Autoren citierte Litteratur giebt v. la Val-
ette St. George in Strigker's Handbuch der Gew^ebelehre.
Bei den Evertebraten wie bei den Pflanzen treten aber, im Gegen-
satze zu den \'ertebrateu, z w e i v e r s c h i e d e n e G r u n d f o r m e n de r
Spermien auf: die einfache Form oder die Zellenform und die
differenzierte Form oder die F a d e n f o r m , letztere in allem Wesent-
lichen der Vertebratenspermien-Form entsprechend.
Bei der Zellen form ist die äußere Gestaltung des Spermium
wenig oder kaum abweichend von der seiner Bildungszelle, wenn auch
in Einzelheiten allerlei Differenzierungen vorkommen. Am genauesten
sind uns aus dieser Kategorie die Spermien von Ascaris megalocephala,
insbesondere durch E. Vax Beneden (M. 1224, 1225), Boveri (M.
1235 u. 1237, 1226 u. 2542) und 0. Hertwig (M. 1252) bekannt ge-
worden. Ich verweise bezüglich der Abbildungen auf das folgende
Kapitel. Aeltere Untersuchungen über die Samenfäden der Nematoden
lieferten bereits PiEichert (222a) und H. Muxk (18(Ja). — Aus dem
Pflanzenreiche gehören hierher die Spermien der gesamten P h a -
nerogamen, die Pollenzellen, welche ebenfalls von zahlreichen
Forschern sehr genau untersucht und beschrieben sind.
Sämtliche niedere Metaphyten mit Ausnahme der Pilze, d. h. also
die Gefäßkryptogamen (Filicinen, Equisetaceen, Ophioglosseen,
Rhizocarpeen und Lycopodiaceen). ferner die Muscineen, Chara-
ceen und höheren Algen haben Spermien von Fadenform
(Fig. 52).
Allen fadenförmigen Pflanzenspermien gemeinsam ist, daß die
Geißeltaden hüllenlos und, schon ohne Präparation sichtbar, in der Melirzahl
vorhanden sind (2 — 20 und darüber) ; ferner, daß, falls nur wenige Fäden
sich finden, diese sich stets am vorderen Ende des Spermium, d. h.
an demjenigen, welches bei der Bewegung vorangeht, befestigen. Wir
sahen, daß bei den Wirbeltierspermien die Fäden meist erst durch
weitere Präparation als in der Mehrzahl vorhanden nachgewiesen werden
konnten, und daß, mit Ausnahme von Bombinator, dieselben am
hinteren Umfange der Spermien angebracht sind. Beides gilt ebenso
für die bisher untersuchten Spermien der Evertebraten, soweit sie die
Fadenform zeigen.
Die Spermien von V au c h e ria (Siphoneen, Algen) sind sehr klein und
haben zwei polar gestellte Geißeln. Bei den Fucaceen (Algen) finden
sich Spermien, welche der Zellenform näher stehen, mit zahlreicheren
Geißeln versehen. Viele Geißelfäden zeigen auch die Equisetaceen
(Fig. 51). Die Mu sei neen - Spermien haben, wie viele andere Pflanzen-
Spermien, ein leicht gewundenes Kopfstück mit 2 Geißeln vorn (Fig. 52).
Bei den Rhizocarpeen sind die Spermien schraubenförmig gewunden.
LTnter den Lycopodiaceen hat Isoetes lacustris eine besonders
interessante Form, indem der Spermienkörper — so muß man hier w^ohl
150 W. Waldeyer,
sagen — spindelförmig ist und an beiden Enden ein Bündel Geißel-
fäden trägt.
Bei allen Fadenspermien bildenden Pflanzen findet die Befruchtung
unter Wasser statt, denn nur in einem flüssigen Medium können sich die
Spermien bewegen ; öfters dauert die Bewegungsfähigkeit der pflanzlichen
Samenfäden nur kurze Zeit, bei Isoetes lacustris z. B. nur 5 Minuten.
Für weiteres verweise ich auf das weit verbreitete Lehrbuch der Botanik
von J. Sachs, in welchem die Spermieuformen eine ziemlich eingehende
Darstellung gefunden haben.
Unter den Evertebraten begegnen wir der einfacheren (Zellen-)
Form bei den Nematoden, den Dekapoden, bei einem Teile der Myrio-
poden (Chilognathen) und der Arachniden (Araneen). Alle übrigen, also
sämtliche Spongien, Cölenteraten, Echinodermen, der weitaus größte Teil
der Würmer, einschließlich der Bryozoen, Tunicaten xand der vielleicht
hierher zu rechnenden Orihonectiden, die sämtlichen Insekten, Mollusken
und Cephalopoden haben die Fadenform.
Ballowitz (5 II) hat nachgewiesen, daß man — insbesondere bei
den Coleopteren, wo er über 100 Arten untersuchte — stets deutlich
ein Kopfstück unterscheiden kann, selbst da, wo die Autoren von
spindelförmigen oder haarförmigen Spermien sprechen. Vorn am Kopfe
ließ sich ein Perforatorium (Spitzenstück Ballowitz, Segment procephalique
Gilson) feststellen. Ein „Verbindungsstück" ist bis jetzt nicht gesichert.
Die Geißel der Coleopteren, deren Spermien zu den größeren Formen
gehören, besteht bei einer Anzahl Arten aus einem steifen, wenn auch
elastisch-biegsamen Stützfaden (Ballowitz), an den sich einseitig
(nicht spiralig) ein feiner Saum anlegt. Der Rand dieses Saumes ist
etwas verdickt, als „Saumfaden", Ballowitz, und in dem Saume selbst,
näher dem Stützfaden, differenziert sich noch ein zweiter Faden, „Mittel-
faden", Ballowitz. Letztere beiden Fäden, sowie auch noch andere
Teile des Saumes selbst lassen sich in Fibrillen zerlegen, der Stützfaden
nicht. Bei einer zweiten Form von Insektenspermien ist kein Stützfaden
vorhanden ; es giebt indessen Uebergangsformen.
Andere Evertebraten, z. B. die Echinodermen, Anneliden zum Teil,
u. a. zeigen kleine Spermien mit rundlichen Köpfchen, ähnlich denen
der Fische; einzelne Echinodermenordnungen haben Spermien mit Spitzen-
stücken (FiELüSla).
üeberblicken wir nunmehr die verschiedenen Formen, unter denen
uns die Spermien im Tier- und Pflanzenreiche erscheinen, so lassen
sich folgende Hauptgruppen und Unterabteilungen aufstellen:
I. S p h ä r 0 s p e r m i e n , K u g e 1 s p e r m i e n :
1) ohne Anhänge (Sphaerospermia simplicia),
2) mit Anhängen (Sphaerospermia armata).
II. N e m a 1 0 s p e r m i e n , F a d e n s p e r m i en :
1) ohne Geißelmembranen 1 a) Kopf rundlich
(Nematospermia simplicia) J ß) Kopf länglich
2) mit Geißelmembranen 1 a) Kopf rundlich
(Nematospermia membranosa) ) ß) Kopf länglich.
Diese Einteilung geht nur von äußeren Form Verhältnissen aus ;
sie beruht nicht auf entwickelungsgeschichtlicher oder physiologischer
Basis. Wir werden auf diese nach Betraclitung der Spermiogenese
Die Geschlechtszellen. 151
ziirttckkomineu und dabei auch des Versuches von Brandes (56,57 b)
gedenken, die verschiedenen Sperniienformen auf eine Grundform oder
Gruudstruktur zurückzuführen.
Unter Kugelspermien verstehe ich alle diejenigen Formen, welche
die Form ihrer Mutterzellen, der Spermatiden — s. Spermiogenese —
mehr oder minder bewahrt haben, also iin ganzen rundliche, sphärische
oder konische Körper darstellen. Dieselben führen keine Geißel
als Lokomotionsorgan, und darin liegt ihr vornehmster Unter-
schied von den Fadenspermien. Beispiele sind vorhin aufgefüht worden :
Nematoden, Dekapoden, Araneen u. a. bei den Tieren, Phanerogamen bei
den Pflanzen. Als Unterabteilungen möchte ich die einfachen von den
mit besonderen Anhängen versehenen unterscheiden, wobei ich Kapseln
oder sonstige Hüllen nicht als Anhänge zähle. Demnach gehören zu
den Sphaerospermia simplicia die meisten Pollenzellen der Pha-
nerogamen und die Spermien der Nematoden. Als Beispiele der Sphaero-
spermia armata müssen die der Dekapoden gelten, wo wir
Perforatorien, Stacheln und andere Anhänge für besondere Zwecke finden.
Für die weitere Einteilung der Fadenspermien schien mir der
Umstand, ob die Geißel mit einer Membran, sei es nun eine undulierende
oder nicht, versehen ist, wichtig, und zu einer weiteren Gliederung die
Form des Kopfes, ob kugelig oder länglich (spieß-, walzen- oder pfriemen-
förmig). Weniger Wert möchte ich auf die Schraubenform legen. Auch
das mehr oder minder deutliche Erscheinen eines Spiralfadens kommt
hier wohl nicht in Betracht, denn derselbe ist eine sehr weit verbreitete
Bildung, welche an allen Teilen eines Spermium auftreten kann.
Was die an den Spermien beobachteten M e m b r a n b i 1 d u n g e n
anlangt, so möchte ich dieselben hier noch kurz von einem allgemeineren
Gesichtspunkte aus besprechen: Wir haben deren zwei kennen gelernt,
die un d ulier e n de n und nicht undulier enden; sowohl bei Verte-
braten (insbesondere hier bei den Amphibien) und bei den Evertebraten
(Coleopteren u. a.) kommen sie vor. Ihrer Herkunft nach stammen
beide aus derselben Quelle, dem Cytoplasma der Spermatiden. Die Be-
weglichkeit der undulierenden Membranen liegt, wie es scheint, nicht in
ihnen selbst, sondern vor allem in einem im freien Rande derselben
verlaufenden Faden, dem „Randfaden" oder „Saumfaden",
Ballowitz, welcher weiter fibrillär zerfällt werden kann. Innerhalb
der Membranen und mit ihnen im Zusammenhange können nun noch
mehrerlei Fäden dargestellt werden, die aber keine Aufkräuselung der
betreffenden Membranen erzeugen, wie das der Randfaden thut. Ich
bezeichne die nicht undulierenden Membranen allgemein als Membranae
intermediae (vgl. Fig. 6B). Hierher möchte ich nun auch die
Spiralbildungen ziehen. Ist ein Spiralfaden vorhanden, so kann
er mnerhalb einer Hüllsubstanz differenziert sein, wie beim Menschen
und Meerschweinchen (s. Fig. 6 , 6 D und 43 A und B) ; er tritt
dann äußerlich nicht hervor; oder aber er tritt äußerlich, einem Spiral-
saume gleich, mehr oder minder deutlich in die Erscheinung (Fig. 29,
Fringilla). In einem solchen Falle ist immer eine größere oder geringere
Menge Zwischensubstanz zwischen dem Hauptfaden und dem Spiralfaden
vorhanden, und wenn der letztere sich ein wenig weiter vom Hauptfaden
mit seinen Windungen entfernt, dann gelangen wir auch hier zwischen
beiden Fäden zu einer Membranbildung. Es erscheint ■ mir dabei nicht
152 W. Waldeyer,
von großem Belang, ob die Bildung eine spiralige oder einseitig ange-
heftete ist ; ich bin der Meinung, und das sollte noch einmal besonders
hervorgehoben sein, daß alle diese Bildungen als verwandte anzusehen
sind. — Vgl. hierzu die Bemerkungen auf S. 116 ff.
5. Varietäten der Spermien; Sper m at ophor en;
R e i f n n g s e r s c h e i n u n g e n.
Von wichtigeren Varianten sind bei den Spermien zu erwähnen:
die d i m o r p h e n F o r m e n , die R i e s e n s p e r m i e n , die Doppel-
spermien und die Bund eis permien. Dazu treten dann Form-
abweichungen, die als Mißbildungen aufgefaßt werden müssen. S. No. 6.
Von besonderem Interesse ist der, wie es scheint, häufiger vor-
kommende Dimorphismus der Spermien bei ein und demselben
Individuum. Insbesondere studiert ist derselbe bei Paludina vivipara,
wo ihn 1836 v. Siebold entdeckte (Fernere Beobachtungen über die
Spermatozoen der wirbellosen Tiere, Müller's Arch. für Anat. und
Physiologie, 1836, S. 232) und wo er von Max v. Brunn (M. 2605),
Auerbach (3b) und neuerdings von Meves (172a) auch genetisch
genau verfolgt wurde, s. Spermiogenese. Die beiderlei Formen werden
hier als die haar förmigen und die wurm förmigen unter-
schieden. Die ersteren haben, nach der Schilderung M. v. Brunn's,
die gewöhnliche Spermienform mit 6-fach schraubenförmig gewundenem
Kopfe, deutlichem langen Verbindungsstücke und Hauptstücke des
Schwanzes; sie messen SS u. Die anderen, wurmförmigen, sind über
doppelt so lang und mehr als doppelt so dick; ein Koi)fstück ist kaum
abgesetzt, und geht das Spermium in nahezu gleicher Stärke bis zum
Schwanzende fort, wo wie aus einer Hülse 8 — 10 feinste Fibrillen
hervorragen.
ö^
Aehnliche Dimorphismen sind noch beschrieben durch Leybig bei
Notommata Siebold ii, durch Schenk und Köhler bei M u r e x
brandaris, bei A m p u 1 1 a r i a und anderen Prosobranchiern durch
M. V. Brunn und Brock, bei Py gaera (Lepidoptera) durch Meves ('172a).
Am weitesten ist neuerdings v. Bardeleben (15 u. 17) gegangen, indem
er auch bei Säugetieren, insbesondere bei Monotremen, und auch beim
Menschen einen regelmäßigen Dimorphismus annehmen zu müssen glaubte.
Weitere spermiogenetische Untersuchungen haben indessen hier eine irr-
tümliche Deutung richtig beobachteter Vorgänge ergeben. Uebrigens hat
V. Bardeleben (12, 20, 22) mit Recht auf die zahlreichen Varianten
der gewöhnlichen Form menschlicher Spermien hingewiesen.
Ueber die Bedeutung des geschilderten Dimorphismus läßt sich bis
jetzt noch nichts Bestimmtes aussagen. Die übrige Litteratur findet
sich bei M. v. Brunn, Auerbach und Meves.
Eine weitergehende Bedeutung für den Dimorphismvis wird neuer-
dings durch Brandes (57a) geltend gemacht, indem er ihn mit den
zweierlei Zellen der Hodenkanälchen, den vegetativen und germinativen
Hodenzellen Bbnda's, in Verbindung bringt (s. w. u. Spermiogenese), und
durch seine Befunde bei der Spermiogenese der Assel. Hier sollen die
einzelnen Spermien aus je 2 Zellen entstehen, von denen die eine den
Perforationsapparat, die andere das übrige liefert. In anderer Art hatte
V. Bardeleben (1. c.) je 2 Zellen für die Bildung jedes Spermium heran-
gezogen, doch haben sich seine Deutungen nicht aufrecht erhalten lassen.
Die Geschlechtszellen. 153
Till Anschlüsse hieran ist der ,, R i e s e n s p e r m i e n " zu gedenken,
merkwürdiger, sehr großer Spermien, welche, wie es scheint, fast bei
allen Tieiarten vorkommen. Sie wurden von v. la Valette St.
George (249, Arch. m. A., Bd. XX\II, S. 394) zuerst (bei Hyla
arborea) gesehen und „Riesenspermatosomen'' benannt; vgl. Fig. 22,
Später haben sie J. Broman (bei Bombinator — (30, (31) und Regaud (212)
genauer und auch entwickelungsgeschichtlich verfolgt; ferner gehört die
hier wiedergegebene Figur 42, Menschenspermium, nach v. Wieders-
PERG (2G0), wohl hierher. Ballowitz (5 I, III) giebt für Fische
und Vögel, Bolles Lee (M. 2569) für Nemertinen Aehnliches an.
Auch hier fehlt uns noch ein Verständnis der Bedeutung; weiteres
s. unter „Spermiogenese".
Vielfach sieht man — vgl. insbesondere die Arbeiten von
F. Hermann (116) und Sabatier (227) über Selachier und die vieler
anderen Autoren über Spermiogenese bei Evertebraten — die Spermien
regelmäßig in größere Bündel zusammengeordnet. Unter den Verte-
braten trifft mau dies sehr häufig bei Ca via cobaya. Im Innern
der weiblichen Genitalien, vielfach auch schon früher in den aus-
führenden Samenwegen, gliedern sich die Bündel in die einzelnen Sper-
mien auf. Bei manchen Arten, wie insbesondere bei den Cephalo-
poden (NEEDHAM'sche Körper), manchen Arthropoden, z. B.
Astacus, u. a. wird um ein oder mehrere solche Spermienbündel
eine Art Kapsel gebildet, wodurch die Spermien zusammengehalten
werden , „ S p e r m a t o p h o r e'\ Als „ S a m e n s t ä b c h e n" bezeichnet
Leuckart (Artikel „Zeugung" in Wagner's Handwörterbuch der
Physiologie) ein durch eine Kittmasse fest verklebtes Packet Samen-
fäden ohne besondere Hülle. Die Männchen bringen beim Begattungs-
akte diese Spermatophoren oder diese Saraenstäbchen in die Ge-
schlechtsöffnung des Weibchens hinein oder befestigen sie in unmittel-
barer Nähe derselben. Nach Auflösung der Hülle der Spermatophoren
w^erden die Spermien frei und erlangen dann erst ihre volle Beweg-
lichkeit. Bei den NEEDHAM'schen Körpern sind besondere Spreng-
vorrichtungen vorhanden.
Ballowitz hat die ohne Spermatophoren bestehende gruppen-
artige Zusammenlagerung als „Spermatoz eugma" bezeichnet.
Hiervon ist die vom demselben Autor als „ Spermosyzygie"
benannte Erscheinung wohl zu trennen. Bei dieser Form handelt es
sich um eine regelmäßig vorkommende innige Verkuppelung j e
zweier Spermien zu einem Doppelgebilde eigentümlicher Art.
Beobachtet wurde diese Syzygie iubesondere bei Coleopteren, vor
allem bei Dyticiden und dann bei Beuteltieren, wo Selenka (M. 914)
sie zuerst auffand. Ballow^itz (4b u. 4c) sah sie gleichzeitig bei
Dyticiden; ihre erste genauere Schilderung bei diesen gab Auerbach
(2 u. 3), später Ballowitz (10). der auch Drillingskuppelungen
beschreibt. Auch bei Astacus fluviatilis hat G. Herrmann (M. 3445)
Doppelspermien gefunden, ebenso Broman (61) bei Bombinator, wo
sich Beziehungen "zur Riesenspermienbildung herausgestellt haben.
Nach Auerbach und Selenka sollen sich die beiden konjugierten
Spermien, bevor sie bis zur Eizelle gelangen, wieder trennen; dies ist
jedoch bei den Dyticiden nach Ballowitz' Befunden nicht immer der Fall,
da er vielfach noch im Receptaculum seminis der Weibchen Doppelspermien
fand. Ob der Fall bei Astacus und Didelphys einerseits und der von
154 W. Waldeyer,
Dyticus andererseits gleicliartig liegt, kann bezweifelt werden, denn bei
Dyticus tindet, worauf AuEKiiACii (3) aufmerksam macht, die Kuppelung
erst statt, nachdem die schon frei beweglichen Spermien fast ihre volle
Ausbildung erlangt haben ; bei Astacus und wahrscheinlich auch bei
Didelphys bleiben beide Spermien von ihrer Entwickelung an verbunden.
Eine derartige entwickelungsgeschichtliche Verkuppelung zu dreien hat
auch Saks bei Mysis [citiert nach Auerbach (3)] beobachtet.
Was die Bedeutung dieser Paarung anlangt, so hat schon Selenka
auf die dadurch erzielte Verstärkung der Bewegung hingewiesen, und
Ballowitz stimmt dem zu. Uebrigens sieht letzterer die Syzygien nur
als einfachere fälle der Zeugmen an.
Wir können passend an dieser Stelle auch der Formänderungen
gedenken, welche die Spermien noch auf dem langen Wege vom Hoden
bis zur Ejakulationsöffnung in den verschiedenen Abschnitten der
männlichen Geschlechtsorgane und während ihres Aufenthaltes im Innern
der weiblichen Geschlechtswege bis zum Eintritte in das Ei erleiden,
Formänderungen, die man zu den „R e i f u n g s e r s c li e i n u n g e n^'
zählen kann. Diese Reifungserscheinungen sind indessen wohl von
den sogenannten „Reif e teil un gen'' zu sondern, welche an den
Bildungszellen der Spermien auftreten und bei der Spermiogenese
zu besprechen sind. Den mitgeteilten Beobachtungen zufolge ist anzu-
nehmen, daß die Spermien aller Tiere, wenn sie, wie zumeist, längere
Strecken männlicher Geschlechtswege bis zur Ausstoßung zu durch-
laufen haben, solche Veränderungen aufweisen. Beim Menschen be-
stehen sie im folgenden : Die Samenfäden verlieren im Ductus deferens
meist die protoplasmatischen Anhänge, welche sie noch in den Hoden-
kanälchen und im Anfange des Nebenhodens zeigen ; sie isolieren sich
völlig voneinander, falls sie in Gruppen lagen ; sie nehmen noch ein
wenig an Länge zu, wie mir scheint, doch fehlen mir noch exakte
Messungen in ausreichender Zahl, Endlich, und das scheint besonders
wertvoll, gewinnen sie erst in den Samenblasen und nach Zutritt des
Succus prostaticus ihre volle Beweglichkeit, Aehnliches gilt auch für
die Säugetiere, Von weiteren Formänderungen, die er als Reifungs-
erscheinungen bezeichnet, berichtet Meves beim Meerschweinchen :
Hier werden die Köpfe im Nebenhoden kleiner, zum Teil, wie Meves
meint, durch Substanzverdichtung, zum Teil scheinbar, durch Aus-
bildung der vorhin (S, 139 und Figg, 36 B und 37) beschriebenen
Krümmungen, Ferner bilden sich die AlDkömmlinge des hinteren Centro-
soms, die 4 am proximalen Ende des Verbindungsstückes befindlichen
hinteren Knöpfchen (JVc?,jt>, Fig, 36 A) allmählich zurück, insbesondere
die beiden mittleren — welche in Fig, 36 B auch nicht mehr gezeichnet
sind, während sie auf dem jüngeren, in Fig, 50 g und h abgebildeten
Stadium noch hervortreten — , ebenso der am distalen Ende des Ver-
bindungsstückes befindliche Schlußring, Ann. in Fig, 36 A, Vgl, hierzu
die Bemerkung in der Erklärung dieser Figur S, 140 •). Endlich legt
sich die cytoplasmatische Hülle im Bereiche des Verbindungsstückes
der Spiralhülle dichter an.
1) Ich möchte hier sogleich auf ein Versehen aufmerksam machen, welches
S, 141 im Reindruck steheu geblieben ist: in Zeile 2 v, o. muß es statt „vorn"
heißen „hinten", so daß der betreffende Satz lautet: „Die beiden mittleren Fäden
divergieren nach hinten ventral und nach hinten dorsal". Es ergiebt dies auch die
Betrachtung der Figuren 36 B und 50 g ohne weiteres.
Die Geschlechtszellen. 155
Was die im Innern der weiblichen Gesclilechtswege noch vor sich
gehenden Veränderungen anlangt, so gedenke ich der Beobachtungen
von Ed. Van Beneden und Julin bei Ascaris megalocephala (M. 1224,
1225, 1226 u. 2542), von Selenka (M. 914). Hallez (Conipt. rend.,
T. LXXIX), Bertkau (Sitzungsberichte der Niederrheinischen (iesell-
schaft für Natur- u. Heilk. Bonn, 1881), Eimer (M. 2612) und Ballo-
WITZ (7).
Die Ascaris-Sperniien zeigen sich im Uterus der Weibchen von
sehr variabler Gestalt, sie erlangen erst hier ihre volle Ausbildung.
Die Doppelspermien von Didelphys trennen sich nach und nach im
Innern der weiblichen Geschlechtswege. Hallez fand bei Brachyuren,
daß die Spermien in der Bursa copulatrix der Weibchen eine spindel-
föi'uiige Gestalt annahmen. Wenn die Spermien, wie bei den Fleder-
mäusen, längere Zeit im Innern der weiblichen Genitalien verweilen,
ehe sie zum Ei gelangen, dann stellen sich Aenderungen an ihnen
ein, die man als Macerationserscheinungen bezeichnen könnte (Eimer,
Ballo\vitzj.
Im allgemeinen muß zu den Formverschiedenheiten der Spermien,
insbesondere auch beim Menschen, noch gesagt werden, daß, abgesehen
von den Reifeersclieinungen, Dimorphismen und Riesenformen, noch
allerlei individuelle Formvai-iationen vorkommen, die, wde vorhin berührt,
neuerdings insbesondere von v. Bardeleben angezeigt sind. Aber es
liegen auch Beobachtungen aus älterer Zeit dafür vor, unter anderen von
R. Wagner (Lehrb. d. Physiologie 1839), Lallemand (Ann. des Scienc.
natur., Ser. 2, T. XV, 1841) und von A. Kölliker (127— 129); nament-
lich führen diese Autoreu Größenunterschiede bei verschiedenen Individuen
au. Grohe (101a) meint, daß hier Kontraktionszustände der Spermien-
köpfe im Spiel sein könnten.
6, Pathologische Erscheinungen.
Was die pathologischen Veränderungen am Gesamt-
spernia anlangt, so sind die durchgreifendsten die Azoospermie,
d. i. das Fehlen von Spermien im Ejakulat, was sowohl auf Nicht-
bildung derselben, als auch auf Abschluß der samenbereitenden Kanäle
von den übrigen ausführenden Wegen beruhen kann, und der Asper-
matismus. Letzterer besteht in dem Fehlen jeglichen Ejakulates,
wobei der Ejakulationsreflex ausgelöst sein kann, oder es auch nicht
einmal zu diesem kommt, selbst wenn vollkommene Erektion besteht.
Hier ist eine große Verschiedenheit der Formen und Ursachen vor-
handen, worüjjer insbesondere P. Fürbringer (89a) eingehender
handelt. Als bemerkenswert führe ich die Fälle an. in denen das
Sperma in die Urethra posterior und von da rückwärts in die Harn-
blase ejakuliert wird, bei Hindernissen in der Gegend des Colliculus
seminalis.
Bei der Azoospermie können alle sonstigen Empfindungen und
Funktionen des männlichen Geschlechtslebens vollkommen bestehen.
Dieser Zustand kommt häufiger vor, als man früher geglaubt hat: er
ist natürlich nur durch wiederholte genaue mikroskopische Unter-
suchung des Ejakulates sicherzustellen.
Sperma mit wenig Spermien und wenig anderen körperlichen
Elementen erscheint heller und dünnflüssiger, gerinnt auch weniger
156 W. Waldeyer,
gut. FÜRiJRiNGER (1. c.) giebt an, daß auch die S])ermien selbst in
pathologischen Fällen der eben aufgeführten Art abnorm durchsichtig
erscheinen können. Endlich wäre dann noch der pathologischen
IJeiniiscluingon von Blutkör])erchen und deren Pignientabkcuiinilingen,
von Eiterköi[»erchen und Mikroben verschiedener Art (Haomospcrnia,
Pyosperma, Mikrobiosperma [mj) zu gedenken. Bezüglich der Mikroben
hat die Frage nach dem Vorkommen von Erregern der Syi)hilis und
der Tuberkulose naturgemäß das meiste Interesse erregt und eine
große Anzahl von Untersuchungen hervorgerufen. Da wir den patho-
genen Erreger der Lues nicht kennen, blieben darauf zielende tinter-
suchungen bis jetzt ohne Erfolg. Nach den Experimenten von Jäkh
(lieber den Bacillengehalt der Geschlechtsdrüsen und des Sperma
tuberkulöser Individuen, Virchow's Arch. f. pathol. Anat., Bd. CXLII,
S, 101, 1S95) scheinen Tuberkelbacillen im Inhalte der sonst nicht
veränderten Samenblasen Tuberkulöser vorzukommen und mit Erfolg
auf Meerschweinchen überimpft werden zu können.
An den Spermien selbst sind sowohl in der Formgestaltung,
wie auch in dem funktionellen Verhalten pathologische Erscheinungen
festgestellt worden. Bei den pathologischen Formen müssen wieder
die Mißbildungen -- T e r a t o s p e r m i e n — von den übrigen patho-
logischen Bildungen unterschieden werden. Regaud (212), falls ich
ihn recht verstehe, rechnet u. a. die Riesenspermien zu den terato-
logischen Formen, zu denen sicher wohl die dop])elköpfigen
Spermien mit einfachem Schwänze und die doppelschwänzigen Spermien
mit einfachem Kopfe, sowie die mehrspießigen Spermien zu rechnen
sind. Regaud fand (212) im Ejakulate eines Neurasthenikers mehr-
fach solche Doppelkopfspermien, die vollkommen beweglich waren;
die doppelschwänzigen und mehrspießigen Spermien beschreibt u. a.
Broman (61) bei Bombinator. Auch bei anderen Tieren sind ab-
weichende Spermienformen beschrieben worden, so von G. Herr-
mann (M. 3445) bei Dekapoden und von Regaud (212) bei verschie-
denen Säugetieren. Es bestehen offenbar Beziehungen zur Riesen-
und Doppelspermienbildung (Syzygie). Als einfach pathologische
Formen sind zu bezeichnen die verkrüppelten Spermien mit mangel-
haft ausgebildeten oder leicht abbrechenden Köpfen und Schwänzen ;
es kann hierbei eine gewisse Beweglichkeit bestehen bleiben. Schon
R. Wagner (Lehrbuch der Physiologie) erwähnt dieser verkrüppelten
Bildungen. Inwieweit die mißgebildeten oder sonst pathologischen
Spermienformen noch befruchtungsfähig sein mögen, darüber läßt sich
zur Zeit nichts Bestimmtes aussagen.
Störungen der Funktion geben sich kund in trag sich be-
wegenden oder gar völlig bew^egungslosen Spermien mit Oesenbildungen
ihrer Schwänze. Hierher rechnen wir wohl am besten auch das Vor-
kommen zahlreicher unausgereifter Spermien mit Protoplasmaanhängen,
und isolierter Köpfe und Schwänze im frischen Ejakulate, wie dies
einen nicht seltenen Befund bei Pollutionisten, Spermatorrhoikern und
Onanisten darstellt. Da die Bewegungen der Spermien zu normaler
Lebhaftigkeit vorzugsweise erst durch den Zutritt des Succus pro-
staticus angefacht werden (P. Fürbringer 89a), so kann in manchen
Fällen die mangelhafte Bewegung derselben auf Fehlen der Prostata-
sekretion beruhen.
Erkrankungen der Hoden beeinflussen die Spermiogenese in etwa
Die Geschlechtszellen. 157
intakt gebliel)enen Teilen des Organes nicht, wie mehrfach nachge-
wiesen worden ist (Vgl. Cordes, (71).
Akute Allgemeinerkrankungen schädigen in den meisten Fällen die
Spermatogenese in mehr oder minder lioheni Grade: entweder finden sich
bei dahin gehörenden Kranken wenige Spermien oder gar keine — es
müssen dieselben aufgelöst worden oder in Detritus zerfallen sein.
In anderen Fällen zeigen sich auch die Bildungszellen der Spermien
bis zu den Stammzellen (Spermatogonien) hinab verändert; insbe-
sondere kommen vielkernige Spermatocyten und Spermatiden vor —
vgl. hierzu die Arbeiten von Maximow (159a~-160a) und Regaud(212)
und den Abschnitt „Spermiogenese". Bei chronischen Leiden kommt
es vor allem auf die Dauer derselben und den gesamten Ernährungs-
zustand an; ist dieser ein mangelhafter, so sistiert auch die Spermio-
genese; hiermit stimmen die Versuche von Grandis (citiert bei
Cordes), der bei hungernden Tauben Ausfall der Spermiogenese schon
nach wenigen Tagen feststellen konnte. Die fertigen Spermien star])en
ab, ebenso wie die meisten Samenbildungszellen; der Detritus wurde
resorbiert; nur die w^andständigeu Zellen blieben erhalten. Die Mit-
teilung von Cordes, der ich diese Daten entnehme, enthält noch
weitere Litteratur.
Als immerhin bemerkenswerter Casus rarissimus mag der von
0. Beckmann (Viechow's Archiv für pathol. Anat., Bd. XV, S. 540, 1858)
beschriebene Fall eines erbsengroßen Konkrementes aus dem Ductus
ejaculatorius eines alten Mannes hier angereiht sein; der nach Auflösung
der Kalksalze in ursprünglicher Form und Größe verbleibende Best des
Konkrementes bestand ganz aus wohlerhaltenen Spermien, die durch ein in
Alkalien aufweichendes homogenes Bindemittel zusammengehalten wurden.
Von Interesse ist ferner der jüngst mitgeteilte Befund Plato's (Ueber
die vitale Färbbarkeit der Phagocyten des Menschen und einiger Säuge-
tiere mit Neutralrot, Arch, f. mikrosk. Anat. u, Entwickelungsgeschichte,
Bd. LVI, S. 868 [892], 1900), daß vielfach die Spermien auch von Phago-
cyten aufgenommen und verdaut werden. Nach E-egaud und Maximow
(1. 1. c. c.) werden auch von den vegetativen Hodenzellen (SERTOLi'schen
Zellen) fertige Samenfäden durch Phagocytose zum Schwinden gebracht.
Nach Regaud beträfe dies vorzugsweise Si^ei-mien, die abnorm entwickelt
oder in der Entwickelung zurückgeblieben sind.
7. Zahl und Größe der Spermien.
LoDE (148 u. M. 2623) hat die Zahl der Spermien beim Menschen und
Hunde durch ein ähnliches Zählverfiihren, wie es für die Bestimmung
der Blutkörperchenzahl angewendet wird, ermittelt. Beim Menschen
wurden auf 1 Kubikmillimeter Ejakulat 60876, beim Hunde 61795
Spermien gefunden, also, darf man sagen, fast gleiche Zahlen, die aber
bedeutend gegen die Zahl der roten Blutkörperchen in dem gleichen
Quantum Blut (bekanntlich 5 Millionen) zurückstehen. Auf das Gesamt-
Ejakulat berechnet, ergaben sich beim Hunde für dieses (= 950 mm^)
55 778000, beim Menschen, dessen Ejakulat im Mittel 3373 mm'^
beträgt, über 200 Millionen Spermien. Lode berechnet daraus, daß
ein Mann während seiner zeugungsfähigen Jahre rund 340 Billionen
Samenfäden hervorbringt. Vergleicht man damit die. 200 Eier, welche
das menschliche Weib (nach Hensen) in seinen beiden Eierstöcken
158
W. Waldeyer,
Objekt
Bezeichnung des Teiles
Länge
IJ.
Breite
IX
Dicke
u
Beobachter
Mensch und Säugetiere.
1. Spermium
vom Men-
schen
Gesamtspermium
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz
52 62
4,5
6
41—52
2-3
1-2
0,7—1
W. Krause, Handb.
der menschl. Anal.,
Tl. I , S. 259 ff.,
Hannover 1876
2. Canis fa-
miliaris
Gesamtspermium
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
66
6
10
60
3. Fehs do-
mestica
Gesamtspermi um
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
54
4
7
50
4. Erinaceus
europaeus
Gesamtspermium
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
85
5
10
80
5. Mus decu-
manus
Gesam tsperm ium
Kopf
Verbiudu ngsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
170 210
10
56
160—200
6. Mus mus-
culus
Gesamtspermium
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
107
7
24
100
7. Sciurus
vulgaris
Gesamtspermium
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
138
8
10
130
8. Cavia co-
baya
Gesamtsperm ium
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
93
13
11
80
9. Bostaurus
Gesamtspermium
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
Gesamtspermium
Kopf_
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
65
8
12
57
263
13
23
250
10. Phasco-
gale albi-
pes
2—10 FÜRST (90).
Die zu No. 7 (Sciu-
rus) angegebene
Zahl 0,013 mm als
Schwanzlänge ist
wohl ein Druck-
fehler. Ich nehme
^ 0,13 mm an.
11. Vesperugo
Hals
0,7—0,9
Ballowitz (7)
T
Vögel.
12. Fringilla
caelebs
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
259
Ballowitz (7)
Die Geschlechtszellen.
159
Objekt
Bezeichnung des Teiles
Ivänge
u
Breite
Dicke Beobachter
Reptilien.
13. Crocodilus
madagas-
cariensis
Gesanitspermium
20-27
VÖLTZKOW (716j
Amphibien.
14. Bufo cala-
mita
Gesamtspermium
Kopf
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
Membran
62—91
17—21
45-70
4
V. LA Valette St.
George (249)
15. Rana es-
culenta
Kopf
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
(Schätzung nach der
Zeichnung)
15-21
37—52
2-3
Derselbe (249)
16. Hyla ar-
borea
Kopf
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
210
52
2,5
Derselbe (249)
17. Alytes ob-
stetricans
Kopf
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
Membran
29
78
1,7
5,2
Derselbe (249)
18. Siredou
piscifor-
mis
Kopf
davon der Spieß
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
Gesamtspermium
110—130
9,6
9,6
250— 3(:m:)
360—430
1,7
1,2
R. FiCK (363)
Fische.
19. Esox lu-
cius
Kopf
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
2,2
41
Ballowitz (5 IIlj
20. Sahne sa-
lar.
Kopf
4—4,5
3—3,5
2-2,5
W. His (M 2775)
21. Acipenser
sturio
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz (einschl. des
Verbindungsstückes)
Gesamtspermium
4,5
2
45
49,5
Ballowitz (5 III)
22. Eaja cla-
vata
Kopf
Verbindungsstück
Schwanz
Gesamtspermium
50
15
150
215
Ballowitz (5 III)
Acrania. Everteb
raten.
23. Amphi-
oxus lan-
ceo latus
Kopf
Schwanz
1
15—20
Sobotta (561)
24. Paludina
vivipara
haarförmige Spermien,
Gesamtlänge
wurmförmige
88
180—190
M.V.BRirNK(M2605)
160 W. Waldeyer,
zur befruchtungsfähigen Reife bringt, so kommen auf jedes derselben
nahezu 850 IMillionen Spermien, während doch nur ein einziges Sper-
mium für jedes Ei nötig ist. Lode weist darauf hin, daß hiermit eine
Sicherung der Befruchtung gegeben sei, wie wir sie günstigei' auch
im Pflanzenreiche nicht linden.
In der Tabelle auf Seite 158 und 159 sind die Groß en Verhält-
nis s e der Spermien des Menschen und einer Anzahl Tiere zusammen-
gestellt.
Die kleinsten Spermien unter den Wirbeltieren hat wohl
Amphioxus, die größten, nach Spengel's (M. 2955) Messungen,
D i s c 0 g 1 0 s s u s p i c t u s mit 2000 /< = 2 mm, wie sich denn die
Amphibien überhaupt durch sehr große Spermien auszeichnen. Geo-
triton fuscus z. B. hat (nach Wiedersheim, Salamaudra perspicillata
und Geotriton fuscus, Würzburg 1875) Spermien von 700 // Länge.
Unter den Wirbellosen hat Cypris ovum(Ostracoda) gigantische
Spermien; sie messen ebenfalls 2 mm und darüber; sind also viel
länger als das Tier selbst, welches nur 0,5—0,6 mm Länge erreicht
(s. Zenker, Archiv f. Naturgeschichte, Bd. XX ; dort wird das Maß
der Spermien zu -j.^ — 1 Linie angegeben; 1 Linie = 2,22 mm nach
rheinländischem Fußmaß, 2,25 mm nach Pariser Fußmaß).
y) Spermiogenese.
Die Darstellung der Ent Wickelung der Spermien hat sich
in drei Teile zu gliedern : 1) die Stammesentwickelung der Spermien
bis zum ersten Auftreten eines besonderen männlichen Keimorganes
(Hoden) m it den U r s a m e n z e 1 1 e n , A r c h i s p e r m i o c y t e n darin ;
2) die Weiterentwickelung der Ursamenzellen bis zu dem Endstadium
der zelligen Entvvickelungsformen oder Vorformen der Spermien, den
Spermatiden; 3) die Umwandlung der zelligen Vorformen in die
definitive Sphären- oder Fadenform. Will man diese drei Entwicke-
lungsabschnitte mit besonderen Namen belegen, so könnten die Be-
zeichnungen : S p e r m i 0 p h y 1 0 g e n e s e , S p e r m i o c y t o g e n e s e und
Spermiohistogenese (oder, kürzer, Spermiogenese) gewählt
werden.
Während der beiden ersten Abschnitte haben wir es mit den
zelligen Vorformen der Spermien zu thun, die im wesentlichen W^achs-
tums- und Vermehrungserscheinungen — letztere durch eigenartige
Mitosen — zeigen ; im dritten Abschnitte handelt es sich nur noch
um die Ausgestaltung der definitiven, zur Kopulation mit der Eizelle
geschickten Form, zur Herstellung der Spermie aus ihrer unmittel-
baren Bildungszelle, der Spermatide. Hierbei können noch Wachstums-
vorgänge vorhanden sein; meist handelt es sich aber um eine Reduktion.
1. Sp er mio Phylogenese.
Bei der Spermioph3dogenese kommt in Frage, von welchen Furch-
ungs- bezw. Keimblattzellen die Bildungszellen der Spermien ab-
stammen, und auf welche Zellen sie in der i)hyletischen Entwickelung
der Lebewesen letztlich zurückzuführen sind.
Mehr und mehr häufen sich in den beiden letzten Jahrzehnten
Befunde, welche dafür sprechen, daß die Geschlechtszellen, wie
Die Geschlechtszellen. IGl
wir die Spermien und die Eier — einschließlich ilirer Vorstufen — im
allgemeinen bezeichnet haben, eine besondere Art von Zellen darstellen,
die bereits in den ersten Stadien der Furchung auftreten, sieh von
den übrigen Zellen, die die sonstigen Teile des neuen Individuums,
insbesondere dessen Gewebe bilden, den somatischen oder Körper-
zellen, alsbald sondern und in ununterbrochener Vermehrungsfolge
den sämtlichen Spermien oder Eiern eiues männlichen bez. weib-
lichen Individuums zur entwickelungsgeschichtlichen Grundlage dienen.
Indem sonach die Geschlechtszellen auf der einen Seite aus dem mit
einem Spermium ko])ulierten Ei unmittelbar hervorgehen, auf der
anderen Seite aber wieder neuen Eiern und Spermien zum Ursprünge
dienen, stellt sich ihre Stammesentwickelung als eine kontinuierliche
Bahn — Keim bahn V. Haecker — dar, die innerhalb einer Art
von einem Individuum in das andere ohne Unterbrechung übergeht.
Danach treten bei jedem ]\I e t a z o e u - 1 n d i v i d u u m seine
Geschlechtszellen in einen Gegensatz zu den Körper-
z eilen (Somaz eilen, somatischen Zellen).
Da die ^Verhältnisse bei der Entwickelung der Eier ganz dieselben
sind, so wird erst bei der Ovogenese näher auf die Phylogenie der
Geschlechtszellen eingegangen werden. Hier sei nur noch so viel ge-
sagt, daß die Geschlechtszellen ursprünglich keinem bestimmten Keim-
blatte angehören, was sich auch sehr wohl begreift, wenn wir erfahren,
daß wahrscheinlich schon in den beiden ersten Furchungszellen der
Gegensatz zwischen der Geschlechtszellen- und Körperzellenanlage
vorhanden ist. Bei den meisten Geschöpfen finden sich die Geschlechts-
zellen, sobald die Keimblätter ausgeprägt sind. iniMesoderm. Dort
häufen sie sich nun an bestimmten Stellen im Laufe der weiteren Ent-
wickelung an, indem sie unter Zuziehung von Körperzellen die Ge-
schlechtsdrüsen, Hoden und Eierstöcke bilden. Bis zu dem
ersten Auftreten dieser Organe, also bis zur b e s t i m m t e n L o k a 1 i-
s a t i o n der Geschlechtszellen, rechnen wir den ersten Abschnitt
der Samenkörper- und Eientwickelung.
Den Namen „Geschlechtszellen'' gebrauchen wir einmal als Sammel-
namen für sämtliche Glieder im Laufe der Keimbahn ; insbesondere
aber bedienen wir uns seiner noch als Specialbezeichnung für die-
jenigen Zellen der Keimbahn, welche keinerlei Verbindung mit den
somatischen Zellen mehr zeigen, also zuerst als reine Geschlechts-
zellen auftreten, und zwar bis zu ihrer Lokalisation in der Anlage der
Geschlechtsdrüse hin. Da hiermit ein neuer Abschnitt der Spermio-
genese beginnt, so empfiehlt sich für die weitere Generation der Ge-
schlechtszellen ein besonderer Name, und wir wählen bei den männ-
lichen Embryonen die von v. la Valette St. George (250, Arch.
f. mikr. Anat., Bd. 12, p. 801) zuerst gebrauchte Bezeichnung „Ur-
Samenzelle n", welches Wort man, um einen internationalen Aus-
druck zu haben, mit „Archisp er miocyten" wiedergeben kann^).
1) V. LA Valette St, George gebraucht den Namen „Ursamenzeilen" in
einem anderen Sinne, als es hier geschieht, nämhch als deutsche Bezeichnung für
die von ihm sonst als „Spermatogonien" bezeichneten zelligen Vorstufen der Spermien.
Da der Name ,,Ursamenzellen" in diesem Sinne (für Spermatogonien) sich aber
kaum eingebürgert hat — man liest fast stets (auch bei v. LA Valette) „Spermato-
gonien" — so darf ich ihn wohl als freigegeben ansehen und ihn anderweitig ver-
wenden.
Handbuch der Entwickelungslehre. I. H
162 W. Waldeyer,
2. S p e r in i 0 c y t o g e 11 e s e.
Indem wir unter „Ursanicnzellen" die zuerst in der embryonalen
männlichen Keimdrüse siclitl)ar wei'denden Geschlechtszellen verstehen,
müssen wir alsbald bemerken, daß es mit unseren jetzigen Hilfsmitteln
unmöglich ist, genau anzugeben, sowohl wann sie zuerst dort auftreten,
als auch auf wie viel Zellenfolgen im Hoden sich dieser Begriff aus-
dehnen darf. Die Ursamenzellen (Archispermiocyten) werden bei den
meisten W irb eitleren zuerst in dem von mir als ,, Keimepithel" be-
zeichneten Cylinderzellenbezuge der (männlichen) Keimdrüsenoberfläche
gesehen, und zwar als größere, rundliche, hellere und mehr bläschen-
förmige Zellen zwischen den deutlich cylindrischen Zellen des Keim-
epithels, von denen sie sich abheben. Beiläufig sei angeführt, daß
dies bei jungen Hühnchenembryonen von 3.-5. Tage der Bebrütung
ab der Fall ist. Aber es muß hier gleich gesagt werden, daß wir nach
unserer jetzigen Kenntnis nicht imstande sind, zur Zeit, wann bei den
Wirbeltieren die Keimdrüsenanlage zuerst als solche sicher unterscheid-
bar wird, zu sagen, ob es eine männliche oder weibliche, eine Hoden-
oder eine Eierstockanlage sei. Um diese Zeit müssen wir es also noch
unentschieden lassen, ob wir in den geschilderten rundlichen Zellen
Ursamenzellen oder Ureizelleu — dies sei die Bezeichnung für das
homologe w-eibliche Element — zu erblicken haben. Wir können
auch mit dieser Reserve noch nicht auskommen ; denn es liegt die
dritte Möglichkeit vor, daß die betreffenden Geschlechtszellen dieser
Stufe noch „ainphigen" sind, d. h. daß sie noch keinen bestimmten
Geschlechtscharakter haben. Wir wissen überhaupt nicht, wann und
wodurch die Keimzellen ihren männlichen oder weiblichen Geschlechts-
charakter bekommen, so daß sie fortab mit Fug den Namen „Geschlechts-
zellen'' führen dürfen. Man kann aber auf der anderen Seite, wie
Benda (34, p. 59) mit Recht bemerkt, die Thatsache, daß man in den
ersten Entwickelungsstadien morphologisch kein Geschlecht zu er-
kennen vermag, nicht gegen die Wahrscheinlichkeit, daß schon bei der
Befruchtung der Geschlechtscharakter bestimmt werde, anführen. (Vgl.
B. Henneberg's Referat in den „Ergebnissen der Anatomie und Ent-
wickelungsgeschichte", herausg. von Merkel und Bonnet, Bd. 7,
Wiesbaden 1898, p. (397.)
W. Nagel (M. 2930) hat insbesondere bei menschlichen Em-
bryonen sich bemüht, möglichst früh, und zwar an dem anatomischen
Verhalten der Geschlechtsdrüsenanlage die Merkmale aufzufinden, woran
man ihr Geschlecht erkennen könne. Ich habe seine Präparate von 12
bis 13 mm langen, sehr gut konservierten Embryonen (Embryonen Eund M,
1. c.) genau studiert und halte mit Nagel die Geschlechtsdrüsen dieses
Stadiums, in denen die Zellenhaufen, welche zusammen mit wenig Binde-
gewebe und Kapillaren den Hauptbestandteil der jungen Anlagen bilden,
mehr längliche, strangähnliche Eormen haben, und in denen die Ge-
schlechtszellen spärlicher zu finden sind, für männliche, diejenigen, in
denen die Zellenhaufen rundlich sind und die großen, hellen Geschlechts-
zellen reichlicher sich zeif^en, für weibliche.
Von dem Augenl)licke an, w^o wir sicher sagen können, daß die
vorliegende Keimdrüse ein Hoden sei, dürfen mit Bestimmtheit die
sich in ihr vorfindenden Geschlechtszellen als „Ursamenzellen" be-
Die Geschlechtszellen. 163
zeichnet werden. Ich würde vorschlagen, daß man sich darüber einigte,
bis zu diesem Zeit])unkte Zellen derselben Form, welche man also in
geschlechtlich noch niclit bestimml)aren Keimdrüseuanlagen tindet. als
„Geschlechtszellen" fernerhin zu benennen, so lange eben, bis die
Differenzierung klar ersichtlich ist. Von Semon (M. 2951 u. 2952)
wird der gelegentlich auch schon von v. la \'alette St. George
(Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. 27. S. 5) gebrauchte Name „Urkeim-
zellen", von C. K. Hoffmann (M. 2912, 2913) „Vorkeimzellen" für
diese hochwichtigen Gebilde verwendet.
Verfolgen wir die Entwickelung sicher als solcher bestimmbarer
Ursamenzellen weiter, so ist zunächst der Bau einer Hodenaulage —
dieselbe stellt sich bei allen Wirbeltieren als fast gleich heraus — zur
Zeit, wann wir sie als solche erkennen können, zu beschreiben : ich
folge hier der von Nagel für den Menschen gegebenen Schilderung.
Die junge Anlage erscheint als ein auf der medialen Fläche der Ur-
niere gelegener flacher, länglicher Wulst, der (bei Embryonen von 12
bis 13 mm Länge) auf dem Querschnitte 0,5 mm Breite bei 0,3 mm
Höhe aufweist. Derselbe besteht aus einem Lager ansehnlicher cylin-
drischer Zellen, welche anfänglich in das anstoßende Peritonaealepithel
— noch ohne scharfe Grenze — übergehen; es ist dies Zellenlager
das von mir sogenannte „Keim epithel". Darunter findet sich ein
vom Bindegewebe der Urniere abstammendes spärliches Stroma. Zur
Zeit, wann der männliche Charakter der Keimdrüse schon erkennbar
ist, zeigen sich in diesem Stroma längliche Zellstränge, S ex u ai-
strän ge, eingebettet, welche, auch meinen Befunden nach, mit dem
Keimepithel zusammenhängen, jedenfalls an dieser oder jener Stelle
unmittelbar an dasselbe heranreichen. Sowohl in dem Keimepithel
selbst, wie in den Sexualsträngen sind vereinzelt liegende größere,
rundliche Zellen von dem vorhin geschilderten Verhalten, die Ur-
samenzellen, eingebettet : die übrigen Zellen der im Stroma liegen-
den Stränge haben eine ähnliche Beschaffenheit und Form wie die
Cylinderzellen des Keimepithels.
In einem noch früheren Stadium, welches als ein „amphigenes"
oder „indifferentes'' bezeichnet werden muß, sieht man nur den Keim-
epithelwulst; ein Stroma darunter ist kaum entwickelt; jedenfalls
liegen noch keine Zellenstränge darin. Im Keimepithelwulst findet
man jedoch schon jene größeren rundlichen Zellen, die wir indessen,
wie bemerkt, in diesem Stadium noch nicht als Ursamenzellen be-
zeichnen können, da wir den Charakter der Keimdrüsenanlage noch
nicht zu bestimmen imstande sind. Im Anfange ihrer Entwickelung
sind also, wie wir vorgreifend bemerken, männliche wie weibliche
Keimdrüsen einander völlig gleich, und wir nennen für diese Zeit der
Entwickelung, wie gesagt, die größeren rundlichen Zellen mit ihrer
allgemeinen Bezeichnung „Geschlechtszellen"'.
Wie nun jene auf den späteren Stadien in der Hodenanlage sicht-
baren Stränge entstehen, ist für die Wirbeltiere noch nicht mit
Bestimmtheit entschieden ; sicher ist nur das Eine, allerdings das
Wichtigste : daß die Ursamenzellen, welche wir in den
Strängen finden, v o n j e n e n g r ö ß e r e u r u n d 1 i c h e n Z e 1 1 e n
abstammen, die von mir im K e i m e p i t h e 1 nachgewiesen
und seinerzeit als,,Ureier"bezeichnetw^urden, und die
ich nunmehr als „Geschechtszellen", bezw. bei sicher
als männlich erkannten Keimdrüsen, auch bereits inner-
11*
164 W. Waldeyer,
halb des Keimepithels als „Ur Samenzellen*' benenne.
Sicher ist ferner, daß diese Zellstränge die Anlage
eines T e i 1 e s d e r späteren S a m e n k a n ä 1 c h e n , aller Wahr-
scheinlichkeit nach der Tubuli contorti darstellen.
Unsicher ist noch die Art und Weise, wie die Ursamenzellen in
die Sexualstränge, d. h. die Sameukanälchen-Anlagen hiueingelaugen,
ob sie aktiv einwandern — v. la Valette St. George (250, Bd. 1)
beschreibt sehr lebhafte amöboide Bewegungen bei einem Teile der
Inhaltszellen der Samenkanälchen — , ob sie durch eine Art Durch-
wachsungsprozeß zwischen Keimepithel und Stroma aufgenommen
werden (W.Nagel, M. 2930), oder wie sonst V Unsicher bleibt ferner,
ob außer den Ursamenzellen auch noch die anderen Bestandteile des
Inhaltes der fötalen Samenkanälchen, die cylindrischen Epithelzellen,
später also deren Abkömmlinge : die verästigten Zellen Sertoli's (236)
[Follikelz eilen v. la Valette St. George's (250), Sperma to-
blasten V. Ebner's (74), vegetative Hodenzellen oder Fuß-
z eilen Benda's (34)], gleichfalls vom Keimepithel abstammen, oder
ob sie von den Urnierenkanälchen, welche sicher in das Hodenstroma
hineinwachsen und auf diese Weise die Verbindung mit den Aus-
führungswegen herstellen, abzuleiten sind? Mit anderen Worten, ob
sämtliclie Abschnitte der Hodenkanälchen : Tubuli contorti, recti und
das Rete testis, von der Urniere abstammen, abgesehen von den in
ihnen enthaltenen Ursamenzellen, oder ob etwa die Tubuli contorti
mit ihren Ursamenzellen und ihren Epithelz eilen vom Keim-
epithel abzuleiten sind, und nur die Tubuli recti und das Rete testis
vom WoLFp'schen Körper? Endlich kommen die interstitiellen
Hodenzellen in Betracht, denen man neuerdings auch eine gewisse
Rolle bei der Spermiogenese zugeschrieben hat, s. w. u.
Von einer Menge Einzelnheiten in der Darstellung der Ent-
wickeluug des Hodens, die von den Autoren noch verschieden ange-
geben werden, sehe ich hier gänzlich ab und verweise auf das Kapitel
„Entwickelung der Geschlechtsorgane" , in welchem alles Erwähnte
genauer dargelegt werden wird. Hier war nur die Genealogie der
Spermien Schritt für Schritt zu verfolgen und dies konnte bis zu den
Ursamenzellen, welche, wie sich zeigen wird, die Ahnenzellen der
Spermien sind, in befriedigender Weise geschehen. Wir haben nun-
mehr den Weg von den Ursamenzellen innerhalb der Hodenkanälchen
bis zu den Bildungszellen der Spermien, den Spermatiden, weiter zu
schildern.
Daß der samenbereitende Teil der Hodenkanälchen vom Peritonäal-
epithel abstamme, ist zuerst von Boenhaupt für das Hühnchen angegeben
worden (M. 2897). Später haben dann Semper (M. 2953), Balfour
(M. 584 — 586) und Braun (M. 2899) für die Plagiostomen und Reptilien
den sicheren Nachweis der Abstammung der Ursamenzellen in den Hoden-
kanälchen vom Keimepithel, bezw. von den darin gelegenen Geschlechts-
zellen, erbracht, für den Menschen insbesondere Janoöik (M. 2914 u. 663)
und Nagel (1. c). Von anderen besonders wichtigen Arbeiten führe ich
die großen Monographien von G. v. Mihalkovics (674) und von Richard
Semox (mit eingehender Litteraturbesprechung — M. 2951 u. 2952)
C. K. HoFFMANxX (M. 2912, 2913 u. 119a u. 662) und Jungersen (M. 2916)
an. Bei der Besprechung der Ovogenese müssen wir auf diesen Gegen-
stand zurückkommen.
Die Greschlechtszellen. 165
Die durch ein Hineinwachsen der Kanälchen der Urniere in die
Hodenanlage hergestellte Verbindung der Samenkanälchen, speciell der
Ursamenzellen und ihrer Endprodukte, der Spermien, mit den ableitenden
Wegen (Ductus deferens u. s. f.), für welche ich bereits 1870 (591) eine
Reihe von Untersuchungsergebnissen anführen konnte, fällt schon in eine
sehr frühe Periode des Embryonallebens : eine genaue Zeitbestimmung
für die Beendigung dieses Prozesses ist indessen kaum zu geben.
Im 5. bis 6. Eutwickehmgsmonate ist der Hoden beim Menschen
(und bei Säiigetierföten entsprechender Ausbildung) in seinen wesent-
lichen Teilen angelegt. Es ist eine deutliche Albuginea vorhanden,
die mit kurz-cjlindrischen Keimepithelzellen belegt ist und letztere
von dem Parenchym der Keimdrüse völlig abtrennt. Man findet
zwar noch vereinzelte Ursamenzellen zwischen den Epithelzellen der
Albuginea (Mensch und Säugetiere); diese können jedoch, der starken
Albuginea wegen, nicht mehr in das Innere des Hodens gelangen und
fallen einer Degeneration anheim. Der ganze Prozeß der Spermien-
bildung, solange er besteht, ist nunmehr in das Innere der Samen-
kanälchen verlegt.
Wenn Neubildungen von Hodenkanälchen oder Hodenampullen —
vgl. hierüber unter Anderen v. la Valette St. George (249, Bd. 28, 30,
39, und 250a), Semper (M. 2953), F. Hermann (115) und Friedmann (81) —
vorkommen, was für die niederen Vertebraten wohl anzunehmen ist, so
scheinen die Generationszellen der Spermien auch hier von bereits in die
Keimdrüsenanlage hineingeratenen Ursamenzellen auszugehen. Ueber
diese Vorgänge sind wir jedoch noch nicht hinreichend unterrichtet.
Das Hodenparenchym besteht, sobald die Samenkanälchen einmal
gebildet sind, aus diesen mit einer Tunica propria versehenen Kanäl-
chen und aus dem zwischen ihnen befindlichen bindegewebigen Stroma
nebst reichlichen Gefäßen. Ueber dieses Stroma mit den in ihm
gelegenen eigentümlichen Zellen, den ,,iuter stitiellen Hoden-
z eilen", wird später gehandelt werden. Die jungen Samen-
kanälchen enthalten zweierlei Zellen, die großen hellen, kugeligen,
mit großem, rundlichen, dunklen Kerne versehenen Ursamenzellen
und die zwischen diesen befindlichen C3dindrischen Epithelzellen.
Benda 11. cc. bezeichnet die ersteren, wie bemerkt, auch als ..ger-
minative", die anderen als „vegetative" Geschlechtszellen. Die letz-
teren sind auf den jeweiligen Schnitten in der Mehrzahl zu sehen,
wenn auch, wie Benda, soweit ich an meinen Präparaten finde, richtig
vermutet, nur in einer Lage angeordnet: etwa 4—6 Ursamenzellen
sind auf den einzelnen Schnitten von gewöhnlicher Dicke anzu-
treffen. Fr. Merkel (162), welcher wohl der Erste war. der fötale
und postfötale Samenkanälchen genauer untersuchte, v. la Valette
St. George (250, Bd. 15). F. Hermann (115a), Prenant (M. 3447)
sowie die meisten übrigen Autoren — vgl. die historische Darstellung
bei Prenant — geben ebenfalls diese lieiden Zellenformen als Inhalt
der jungen Hodenkanälchen an. Nach Merkel sollen die Epithel-
zellen ein netzförmig zusammenhängendes Syncytium bilden, in dessen
Maschen die germinativen Geschlechtszellen eingelagert sind.
Mit Ausnahme von Wachstumserscheinungen, bedingt durch mito-
tische Teilung der genannten beiderlei Zellarten (Benda, 34), sind
weitere Veränderungen bis zum Eintritte der Geschlechtsreife, d. h.
166 W. Walde YER,
in der inaktiven Periode, an den Hodenkanälehen nicht wahr-
znnehnien ; nur giebt Merkel an, daß Verschiedenheiten zwischen
Menscli und Rind einerseits und Raubtieren, Nagern, Einhufern, Dick-
häutern u. s. w. andererseits vorkämen , insofern bei Mensch und
Rind schon zu einei- frühen Zeit der Entwickehmg die Epithelialzellen
sich zu jenem netzförmigen Syncytium und weiterhin zu den ver-
ästigten Zellen Sertoli's - s. w. u. — ausbildeten, während bei den
übrigen Säugetieren dies erst zum Eintritt der ersten Brunstperiode
geschähe. Ferner macht Merkel darauf aufmerksam, daß bei neu-
geborenen Knallen die germinativen Zellen (Ursamenzeilen) sich auf-
fallend vergrößert zeigen, sowohl gegenüber der Fötalperiode als auch
gegen die späteren Zeiten der inaktiven Periode bis zur Pubertät.
Es würde also unmittelbar nach der Geburt sich eine ähnliche ge-
steigerte Thätigkeit in den Hoden einstellen, wie sie sich z. B. in den
Milchdrüsen zeigt. — Auf die Angaben Prenant's, die keine völlig
inaktive Periode zulassen (M. 3447), komme ich später zurück.
Zur Zeit der Pubertät beginnt nun die Spermienbildung;
wir wollen diese zunächst im allgemeinen betrachten und dann auf
die Unterschiede bei Mensch und Tier (Brunstperioden) eingehen.
Die Bildung der Spermien vollzieht sich bei den Vertebraten und
auch bei einem großen Teile der Evertebraten durch zwei neben-
einander herlaufende und in eigentümlicher Weise miteinander ver-
knüpfte Prozesse: 1) die Entstehung der „Si)ermatiden", d. h. der
Vorstufen der Spermien, aus den Ursamenzellen und 2) die eigen-
artige Umbildung der Hoden-Epithelzellen zu „Nährzelleu" für die
Spermatiden und für die aus diesen unter dem Einflüsse der Nährzellen
sich heranbildenden Spermien. Der Vorgang ad 1 verläuft, kurz gefaßt,
so, daß die Ursamenzellen der Hodenkanälchen durch wiederholte
Teilungen mit zwischengeschobenen Ruhepausen schließlich eine Zellen-
generation produzieren, deren einzelne Glieder, Samenzellen 4. Ordnung,
oder Spermatiden v. la Valette St. George, sich, jedes für
sich, in eine Spermie unnvandeln. Bei dem Vorgange ad 2 wandeln
sich die cylindrischen Epithelzellen bei einer großen Reihe von An-
amniern wie Amnioten in eigenartiger Weise zu besonders geformten
Zellen, den von Sertoli bei den höheren Wirbeltieren entdeckten,
von ihm als „cellule ramiticate'' bezeichneten, jetzt gewöhnlich nach
Benda „vegetative H o den z eilen" oder „Fußzellen" benann-
ten Gebilden um, die mit den neugebildeten Spermatideu in Ver-
bindung treten, um — das ist die w^ihrscheinlichste Bedeutung dieser
Verbindung („Kopulation" Benda, 34) — als „Nährzellen" (Peter, 191)
für die Spermatiden während ihrer Umfoi'mung zu den Spermien zu
dienen.
Bei anderen Tieren (Urodelen z. B. — s. w. u. — ) behalten diese
vegetativen Zellen mehr die Form der ursprünglichen Epithelzellen,
umschließen die Abkömmlinge der Ursamenzellen, so daß diese in
„Follikelgruppen" (Samencysten , Spermatocysten , v. la Valette
St. George) zusammengefaßt werden, wobei die vegetativen Zellen
das Epithel dieser Follikel bilden; v. la Valette St. George gab
deshalb diesen vegetativen Zellen den Namen „Follikelzellen". Es
sind allerlei Uebergäuge zwischen diesen Follikelzellen und den aus-
gesprochenen Fußzellen vorhanden, die, wäe insbesondere Benda (37)
nachgewiesen hat. beide auf die Epithelzellen der jungen Hoden-
Die Geschlechtszellen. 167
kanälchen und auf die cj^lindrischen Zellen des Keimepithels zurück-
zuführen sind.
In diesem zweiten Abschnitte der Spermiogenese betrachten wir
nur diejenigen Vorgänge, welche sich an den Ursamenzellen abspielen
und bis zur Entstehung der Si)ermatiden führen. Im di'itten Ab-
schnitte wird die Umwandlung der letzteren in die Spermien, sowie
die der Epithelzellen in die Fußzellen und das Verhalten der Sperma-
tiden und Spermien zu den Fußzellen besprochen.
Die Ursamenzellen erscheinen mit dem Beginn der Pubertät
und während der ganzen Lebenszeit, in welcher ein Individuum Spermien
produziert — nennen wir diese Zeit kurz die ,,aktive Geschlechts-
periode" — dicht an der Wand der Sameukauälchen gelegen. Es
sind dies diejenigen Elemente, welche Benda mit dem von Biondi
(M. 2544, M. 2545 u. No. 44) eingeführten Namen „S t am mz eilen"
(nicht „Stammmutterzellen'', wie Schönfeld sagt) belegt und die
Brown (62a) als „spore cells", Regaud (206 — 209) als „spermato-
gonies ä noyaux poussiereux'', Schönfeld (231) als „cellules indiffe-
rentes'' bezeichnet. Sie sind von v. la Valette St. George 0 i^"cl
den meisten übrigen Autoren, welche den von ersterem (250, Bd. 15)
für die Ausgangsform der innerhalb der Hodenkanälchen vorfindlicheu
samenbildenden Zellen eingeführten Namen „Spermatogonien'' an-
nahmen, zu diesen gezählt worden, und ZAvar als die erste, älteste
Generation derselben. Allein schon Broavn (62a) und Benda (29)
unterscheiden bei den Ausgangsformen der samenbildenden Zellen, den
Spermatogonien, die „spore-cells'\ Brown, oder „Stammzellen", Benda,
als besondere Arten. Letzterer sagt von Biondi"s und seinen Stamm-
zellen, die er als „Zellen mit kleinen, chromatinreicheu, ruhenden
Kernen" schildert, daß sie die Stammzellen aller der germinativen
Hodenzellen seien. Am genauesten hat sie jüngst Schönfeld (231)
beschrieben, den ich im Nachstehenden folge: Es sind die in Rede
stehenden Zellen, welche ich, wie bemerkt, als direkte Abkömmlinge
der im Keimepithel vorfindlicheu LTrsamenzelleu, „Archispermiocyten",
betrachte und auch als solche noch bezeichnen möchte, ziemlich große
Elemente (15—23 /.i lang, 9—10 ^i breit und 10-11 /< hoch), mit
einer feinen Membran (nach Schönfeld) versehen und mehr oder
weniger gegen die Membrana proi)ria der Samenkanälchen abgeplattet.
Ihr rundlicher oder ellipsoidischer Kern mißt 10 : 7 u und führt ein
deutliches Kernkörperchen ; er zeigt eine wohl ausgeprägte Chromatin-
hülle und eine sehr feine, staubförmige Verteilung von
Chromatinmolekeln , untermischt mit gröberen Brocken im Inneren,
welche Eigentümlichkeit diesen Zellen den vorhin erwähnten Regaud-
schen Namen „spermatogonies ä noyaux poussiereux" eingetragen hat.
Das Protoplasma zeigt eine deutliche Fadenstruktur ; neben dem Kerne
liegt das Idiozom (s. w. u.) mit 2 Centrosomeu.
Ich stimme dieser Beschreibung zu mit Ausnahme der Angabe
über das Vorhandensein einer Zellmembran, von der ich mich nicht,
überzeugen konnte ; jedoch bemerke ich. daß auch Benda (31, p. 72)
die scharfe Begrenzung dieser Zellen hervorhebt und bereits von der
feinen Verteilung des Chromatins im Kerne dieser Zellen spricht.
1) So sagt z. B. V. LA Valette St. George an verschiedenen Orten seiner
Abhandhingen bald „Ursamenzellen", bald „Spermatogonien" für dieselben Gebilde;
im Arch. f. mikr. Anat., Bd. 27, S. 5 gebraucht er den Ausdruck „Urkeimzellen"
als gleichwertig mit „Spermatogonien".
168 W. Waldeyer
Durch mitotische Teilungen geht — das kann mit Bestimmtheit
und in Uebcreinstimmung mit allen Autoren gesagt werden — eine
weitere Generation von Zellen aus den Arcliisi)erniiocyten hervor, die
zum Teil noch an der Wand der Samenkanälchen liegen bleibt, zum
Teil aber auch weiter zum Lumen derselben vorgeschoben wird. Ein
Teil dieser neugebildeten Zellen behält die Form der Ursamenzeilen
bei, es sind die ständigen Reservezellen für weitere Schübe von
Si)ermienbildung, so daß also die Ursamenzeilen gleichsam einen
eisernen Bestand des Inhaltes der Samenkanälchen bilden. Ein
zweiter Teil der neugebildeten Zellen ändert aber seine Beschaflenheit:
dies werden die Samenzellen 1. Generation, für die wir mit Schönfeld
die Bezeichnung v. la Valette St. George's „Spermatogonien"
festhalten.
Die Spermatogonien charakterisieren sich gegenüber den Ursamen-
zellen durch folgende Merkmale: Sie sind etwas kleiner als die Archi-
spermiocyten, ihr Protoplasma ist heller ; ihre Kernkörperchen erweisen
sich als echte Chromoblasten, indem sie Chromatiu erzeugen und in
mehrere Chromatinbröckel zerfallen, welche sich zur Oberfläche des
Kernes begeben ; zwischen diesen gröberen Bröckeln bleiben aber noch
die feineren Stäubchen, die um jedes Bröckelchen besonders orientiert
sind, erhalten. Indem die Chromatinbröckel sich an der Kernober-
fläche ansammeln und abplatten, erscheint letztere krustenförmig; dies
hat zu den Beschreibungen der „Spermatogonien mit Krustenkernen"
[F. Hermann (M. 25(i4), v. Lenhossek (142), Regaud (11. cc.)J —
„spermatogonies ä noyaux croütelleux" — Veranlassung gegeben.
Die Spermatogonien ihrerseits vermehren sich in rascher Folge
durch mitotische Teilungen, deren Zahl schwankend erscheint, jeden-
falls noch nicht genau bestimmt ist. Dabei wird der Krustencharakter
der Kerne immer deutlicher. Endlich kommt eine letzte Generation
von Tochterzellen, die sich nicht mehr teilen, um eine weitere Generation
gleich beschaffener Zellen, also neuer Spermatogonien, hervor-
zubringen, sondern sich zunächst vergrößern und dabei eine Reihe
höchst bemerkenswerter und wichtiger Veränderungen eingehen. Diese
2. Generation der Samenzellen sind v. la Valette St. George's
„Sper matocyten''. Man unterscheidet Spermatocyten 1. und
2. Ordnung.
Wegen der fortdauernden Aenderung der Gestalt und Struktur ist
es nicht möglich, eine allgemeingiltige Beschreibung der Spermato-
cyten zu geben. Schönfeld nimmt für Bos taurus nicht weniger
als neun verschiedene Formen an, Avelche ein Spermatocyt zu durch-
laufen hat, bevor er sich zur weiteren Teilung, der vorletzten in der
ganzen Reihe, anschickt. Zunächst bewahren die Spermatocyten noch
das krustige Aussehen ihrer Kerne und haben 13—14 // Durchmesser
bei 7,5 — 8 /< Kerngröße. Bald zieht sich der größte Teil des Chro-
matins gegen denjenigen Kernpol zusammen, an welchem das Idiozom
gelegen ist; Moore (176—178) hat diese charakteristische Erscheinung
mit dem Namen „Synapsis" belegt; sie bildet sich mehr und mehr
aus^). Weiterhin tritt eine neue Umformung des Chromatins ein,
indem dasselbe in kleine Körner aufgeht, welche nach und nach heran-
wachsen und, jedes für sich, in charakteristische Vierergruppen
zerfallen; diese sind anfangs noch mit dem größeren synaptischen
1) Von ouvaTtiew, sich anschließen, berühren.
Die Geschlechtszellen. 169
Centruin durch Fäden (Lininfäden) vereinigt, welche jedoch allmählich
schwinden. Nun enthalten die Spermatocytenkerne nur jene Merer-
grui)i)en, die sämtlich an der Kernperipherie lagern.
In einem folgenden Stadium treten neue Fäden auf, welche (nach
Schönfeld) nicht auf die früheren Lininfäden zurückzuführen sind.
An ihnen reihen sich die Vierergruppen auf und es entsteht unter
Verschmelzung der je 4 Granula, aus denen jene Gruppen bestehen,
ein neuer Chromatinfadenknäuel, der an der Kernobertläche gelegen
ist; die Fäden desselben haben ein rosenkranzförmiges Aussehen.
Es folgen im unmittelbaren Anschlüsse hieran Veränderungen,
welche zweifellos als mitotische aufzufassen sind: eine Längsteilung
der Knäuelfäden und (bei Bos taurus, dem von Schönfeld unter-
suchten Objekte) ein Zerfall derselben in 12 Chromosomen, welche
ellipsenähnliche Ringe bilden. Man darf annehmen, daß diese Ringe
durch nachträgliche Verschmelzung der Enden je zweier Schwester-
fäden entstehen. Darauf folgen Bildung einer Spindel mit je einem
Centrosom an den beiden Polen, Zusammeuziehung der Ringe auf
kurze, dickere Chromosomen, Anhäufung derselben zu einer Aequatorial-
platte. abermalige Teilung derselben und Metakinesis unter Bildung
einer Tonnenfigur (nach den Abbildungen Schönfeld's zu schließen),
Doppelstern und Teilung der Zelle. Die beiden Tochterzellen stellen
nun die S p e r m a t o c y t e n zweiter 0 r d n u n g oder E bn ER'schen
Zellen, nach v. Lenhossek's (142) Bezeichnung, dar.
V. Ebner führte den Nachweis, daß bei Säugetieren diese
Spermatocyten 2. Ordnung, bevor sie sich weiter teilen, erst zu einem
ausgesprocheneu Ruhestadium ihrer Kerne gelangen, während man
das von den Spermatocyten 1. Ordnung nicht sagen kann, falls sich
nicht herausstellen sollte, daß sie längere Zeit in dem Stadium der
Krustenkerne verharren. Abgesehen nämlich von dem Wachstum
dieser letzteren Zellen, welches für sie — s. w. u. Vergleichuug mit
der Oogenese — charakteristisch ist, tragen die beschriebenen Ver-
änderungen derselben alle den Charakter von Vorbereitungen zu der
eben geschilderten Teilung an sich. Man bezeichnet diese Teilung der
Spermatocyten 1. Ordnung in die der 2ten als die 1. Reifeteilung.
Mit dieser beginnt ein neues Stadium der Spermiogenese, das der
R e i f e t e i 1 u n g e n der Spermatocyten. Jeder Spermatocyt 2. Ord-
nung teilt sich alsbald zum 2. Male, und die Produkte dieser, der
letzten Teilung in der ganzen Reihe, sind die Spermatiden v. la
Valette St. George's. Diese wandeln sich durch einen histo-
genetischen Vorgang in die Spermien um. In der Reihe der Gene-
rationen von der Ursamenzelle bis zur Spermatide einschließlich stellen
die Spermatocyten 2. Ordnung die 3. und die Spermatiden die 4. Gene-
ration dar.
Die 1. Reifeteiluug geschieht unter dem Bilde der von W. Flemming
(M. 2556) nachgewiesenen heterotypischeu Mitose, die 2. nach der
homöotypischen Form desselben Autors. Ueberliaupt scheinen, wie
Flemming vermutet, sämtliche der genannten Geuerationsmitosen,
auch die der Ursamenzellen und Spermatogonien, einer dieser beiden
Teilungsformen anzugehören ^).
1) Ich erinnere daran, daß bei diesen beiden von der „typischen" Mitose ab-
weichenden Teilungsarteu schon die ruhenden Kerne eine massige, chromatinreiche
Beschaffenheit haben mit strangförmiger Anordnung des Chromatins, so daß eine
170 W. Waldeyer,
Bei Salainandra ist festgestellt, daß die Zahl der Chromosomen
sowohl bei der heterotypischen (ersten) als auch bei der liomöo-
typischeu (zweiten) Reifungsteilung nur 12 beträgt, anstatt der 2-4.
welche wir bei den übrigen Mitosen (der Körperzellen) zählen (Flem-
MING, 1. c).
Schönfeld ermittelte beim Stier zu Beginn der heterotypischen
Teilung gleichfalls 12 ringförmige Chromosomen, so daß auch hier
eine Verminderung der Chromosomenzahl besteht, was nach v. Ebner
(76) auch bei der Ratte der Fall ist, obwohl er nicht durchweg genaue
Zählungen anstellen konnte.
Bei der zweiten homöotypisch verlaufenden Reifeteilung fand
V. Ebner bei der Ratte auch Ringcliromosomen, während Schönfeld
für den Stier solche in Abrede stellt; auch bei Salamandra fehlen nach
Meves (166) hier die Ringe. Die aus dieser Teilung hervorgehenden
Spermatiden bleiben kleiner als ihre Mutterzellen, die Spermatocyten
2. Ordnung. Fernere Unterschiede der 2. Reifeteilung gegen die 1.
beim Stier sind (nach Schönfeld) die kurze Stäbchenform der
12 Chromosomen der Aequatorialplatte , welche nur etwa ^/g der
Breite der 1. Reifeteilungsplatte hat, und die Länge der Spindel, so
daß die Centrosonien dicht an der Zelloberfläche liegen. Bei der
Metakinese sollen hier die Stäbchen sich quer teilen.
Der Kern der jungen Spermatiden ist anfangs kleiner als der der
Spermatocyten 2. Ordnung und zeigt sich in gewöhnlicher Weise netz-
förmig strukturiert. Der chromatoide Nebenkörper (Benda)
— s. w. u. — fehlt; dagegen tritt alsbald ein deutliches Kernkörper-
chen auf, welches den Spermatocyten 2. Ordnung abgeht; der Kern
vergrößert sich durch Vermehrung des Kernsaftes.
Im Zellprotoplasma der Spermatogonien wie der Spermato-
cyten tritt die Fadenstruktur etwas zurück, indem helle Stellen sich
zeigen, so daß dasselbe fast wie vakuolisiert erscheint. Sehr deutlich
nimmt man in allen Zellen bei der Spermiogenese — auch in den
später zu besprechenden Fußzellen Benda's — kleine Granula wahr,
deren eigenartige Natur Benda durch eine besondere Färbemethode,
gewisse Aehulichkeit mit dem Anfang des Knäuelstadiums einer typischen Mitose
besteht, und daß die Knäuel dann sehr locker erscheinen.
Bei der heterotypischen Mitose findet nun eine doppelte Teilung der
Chromosomen statt, einmal als entschiedene Längsteilung während des Knäuelstadiums
und dann — nach Flemmixg ebenfalls als Längsteilung — eine Teilung der ge-
trennten Fäden im Dyasterstadium. Ferner ist bei der heterotyi^ischen Mitose
bemerkenswert, daß nach der 1. Teilung die Schwesterfädeu nicht alsbald sich voll-
kommen trennen, sondern nur, Ringe oder Ellipsen bildend, auseinander weichen,
wie dies E. Vax Beneden bei Ascaris zuerst feststellte; auch die 2. Teilung fand
dieser Forscher und vermutete bereits, daß sie normal sei, was dann von Flemming
sicher erwiesen wurde. Die Ringe oder langgezogenen Ellipsen bilden eine charak-
teristische Tonnenfigur, worauf im Aequator die Durchtrennung der Ellii^sen als
Beginn der Metakinese, dann das Wandern der Hälften zu den beiden Spindeipolen
und hierbei, wie gesagt, eine abermalige Teilung der Chromosomen erfolgt. Die
1. Teilung im Spiremstadium wird als die wesentliche Chromatinhalbierung zur
Bildung gleichwertiger Tochterkerne angesehen ; was die zweite bedeutet, ist noch
unsicher.
Bei der homöotypischen Form findet nur eine einmalige (Längs-)Teilimg
der Chromosomen statt, und es bilden sich keine Ringe. Von der typischen Teilung
unterscheidet sie sich, wie bemerkt, durch die Beschaffenheit der ruhenden Kerne
und die sehr lockeren Knäuel, sowie durch eine ungewöhnUch lange Dauer der
Metakinese, indem die Schwesterchromosomen lange in der Nähe des Aequators vei'-
weilen, ehe sie zu den Polen abrücken.
Die Geschlechtszellen. 171
die sie schön blau erscheinen läßt, nachgewiesen hat. Da die Granula
meist fadenförmig aneinander gereiht erscheinen, indem sie innerhalb
der C3'toi)lasmafäden gelegen sind, hat sie Benda als Mitochondria
(.äxog Faden, xovöqiov Körnchen) bezeichnet. Wenn sie in den Fäden
so dicht verschmolzen sind, daß man die einzelnen Körnchen nicht
mehr unterscheiden kann, so nennt Benda solche Fäden Chondrio-
miten. Die Mitochondria spielen, wie wir im nächsten Kapitel sehen
werden, bei der Spermiogenese eine wichtige Rolle ^).
Das Idiozom wird während der Periode der ausgesprochenen
Synapsis weniger deutlich gesehen; sobald letztere Erscheinung, wie
es unmittelbar vor der 1. Teilung der Spermatocyten der Fall ist,
zurückgeht, wird es nebst seinen beiden Centrosomen wieder sehr
deutlich in kugliger Form, während es vorher halbmondförmig alj-
geplattet dem Kern angeschmiegt lag. Gleichzeitig tritt dann wieder
die iibrilläre Struktur des Protoplasmas voll in die Erscheinung.
Ueberblicken wir die Gesamtheit des Ablaufes der Spermiocyto-
genese, der namentlich bei den Nematoden — vergl. die Arbeiten
E. Van Beneden's (M. 2542), 0. FIertwig's (M. 1252), Brauer"s
(57 a) u. a. — sich weit übersichtlicher darstellt, so können wir mit
0. Hertwig drei Stadien oder Perioden unterscheiden: 1) das
Vermehrungsstadium oder das Stadium der Spermato-
go n i e n ; 2) das W a c h s t u m s s t a d i u m oder das Stadium der
Spermatocyten erster Ordnung und 3) das Reifestadium
oder das Stadium der Spermatocyten 2. Ordnung und Sperma -
tiden, in welchem 2 charakteristische Teilungen, die ,,Reifungsteilungen",
rasch aufeinander folgen, die die Spermatocyten 1. Ordnung, unter
Verminderung der Chromosomenzahl auf die Hälfte, in die reifen,
befruchtungsfähigen Samenzellen, die Spermatiden,
überführen. Denn das, was nun weiter folgt, die Spermiohistogenese,
ändert an dem Bestände der Spermatide nichts mehr, wie wir sehen
werden, sondern formt sie nur in der Weise um, daß sie befähigt
wird, in die Eizelle einzudringen.
'O^
Die Namengebung würde vereinfacht werden und damit die Ueber-
sichtliclikeit der Einteilung gewinnen, wenn man statt der Bezeichnung
„Spermatocyten 2. Ordnung" eine andere einführte. Daß ein Bedürfnis
dafür vorliegt, kann aus dem schon mehrfach angenommenen Vorschlage
V. Lenhoss^k's (142) entnommen werden, diese Spermatocyten „v. Ebner-
sche Zellen" zu nennen. Wenn wir dem Grundsatze der Nomenklatur,
wie er bei der Baseler Anatomenversammlung 1895 angenommen wurde,
folgen wollen, Personennamen thunlichst zu vermeiden, so dürfte viel-
leicht die Benennung „Präspermatiden", statt „Spermatocyten
2, Ordnung", sich empfehlen; er hat zugleich den Vorzug der Kürze.
Wir hätten dann: Vermehrungsstadium = Stadium der Spermatogonien,
Wachstumsstadium = Stadium der Spermatocyten, und Reifungsstadium =:
Stadium der Präspermatiden und Spermatiden.
1) Offenbar gehören, wie das auch Benda (37, 88) selbst anerkennt, die Mito-
chondria zu den als .,Cytomikrosomen" schon lange bekannten Gebilden und mögen
zum Teil mit iinter den ALTMAXN'schen Granula einbegriffen sein (?). Das Verdienst
Benda's ist es, durch seine ausgezeichnete Färbemethode diese Mitochondria als eine
besondere Art der Cytomikrosoraen festgestellt zu haben. Man hat diese Körnchen
bei der Spermiogenese schon früher erwähnt, insbesondere haben dies v'. LA Valette
St. George und v. BRrXN gethan. Vergl. hierzu Meves (172).
172 W. Waldeyer,
Das zweite Element, welches bei der Speiiiiiogenese eine Rolle
spielt, sind die Fußzellen oder vegetativen Ilodenzellen Benda's.
Dieselben sitzen, wie die Ursamenzellen, der Wand der Hodenkanäl-
clien mit breiter Basis, die den Kern enthält, unmittelbar auf, ragen
mit einem langen Protoplasmaleibe radiär bis zur Lichtung vor, zeigen
aber im übrigen, je nach der Funktionsphase der betreffenden Hoden-
kanälchen, sehr verschiedene Gestaltungen. Ihr Protoplasmaleib ist
niembranlos, sehr Aveich und plastisch, so daß er von den allseitig
sich anlegenden germinativen Hodenzellen Eindrücke empfängt, die
ihn, namentlich gegen die Lichtung der Samenkanälchen hin, verzweigt
und lappig erscheinen lassen („cellule ramihcate" Sertoli).
Wichtig ist die von v. Ebner (75) aufgedeckte und von Benda (37)
bestätigte Fettablagerung und Fett Wanderung im Protoplasma
dieser Zellen, Das Fett liegt in länglichen Pieihen, entsprechend der
deutlichen Fadenstruktur des Protoplasmas ; es wandert während der
Umwandlung der Spermien zu Spermatiden in den Fuß der Zelle
zurück. Das meiste Fett der Samenkanälchen liegt, wie Benda (1. c),
LuBARSCH und Hansemann (107) gegen Plato (197) angeben, und
zwar mit Recht, wie ich glaube sagen zu dürfen, intracellulär im
Protoplasma der Fußzellen. Uebrigens bestehen große Verschieden-
heiten in der Menge dieses Fettes bei den einzelnen Tieren; der
Mensch hat einen reichlichen Fettgehalt.
Weiterhin enthalten diese Zellen ebenso wie die germinativen
Hodenzellen sehr deuthche Mitochondria in Längszügen angeordnet
(s. Fig. 45 A und B und Fig. 47), ferner die von Lubarsch (154) ent-
deckten Hodenkanälchenkrystalle, beim Menschen nach Benda (.37)
ausschließlich hier gelegen .
Sehr deutlich, namentlich in der Fußplatte, zeigen sich Fäden im
Protoplasma; während des Kopulationsstadiums (Symphorese m. —
s. w. u.) w^erden dieselben auch im Zellkörper und dessen Ausläufern
gut sichtbar. Benda konnte mit seiner Mitochondrienfärbung Fäden
bis in die unmittelbare Nähe der kopulierten Spermatiden und jungen
Spermien verfolgen. Daß eine wirkliche Verbindung der Fäden (Kopu-
lationsfäden) mit den Spermatiden existiere, wird von anderer Seite
(v. Lenhossek, 142, und Tellyesnitzki, 244 — 247) bestritten. Benda
möchte eine solche erschließen aus dem „richtenden" Einflüsse, den
die Fußzellen offenbar auf die polare Anordnung der Spermien zu
d^en Fußzellen haben, wenigstens bei Säugetieren.
Sehr sonderbare Formen zeigen die Kerne: sie erscheinen sack-
artig, wie schlaff, und mit tiefen Einbuchtungen versehen, was auch
Schönfeld (1. c.) hervorhebt. Sie haben ein Liningerüst mit reich-
lich an ihm aufgereihten Chromatinkörnchen ; manche zeigen das Chro-
matin aber auch größtenteils im Nucleolus konzentriert. Diese Ver-
hältnisse als Zeichen beginnender Degeneration anzusehen, wie es
unter anderen v. la Valette St. George will, wird von Benda (37)
zurückgewiesen. Ich muß ebenfalls die Fußzellen, wenn sie einmal
gebildet sind, als sehr dauerhafte Gebilde bezeichnen. Dafür sprechen
auch ihre entwickelungsgeschichtlichen Verhältnisse.
Die Herkunft der Fußzellen (vegetativen Hodenzellen) ist ebenso-
wenig wie ihre Bedeutung festgestellt. Ich neige mich mit Benda (1. c),
der diese Frage sehr eingehend behandelt, auf die Seite derer, welche
sie von den fötalen cylindrischen Zellen des Keimepithels, bezw.
später der Hodenkanälchen, den Follikelzellen v. la Valette St.
Die Geschlechtszellen. 173
George's ableiten, Haben sie durch allinähliches Heranwachsen einmal
ihre volle Ausbildung erlangt, so scheinen sie (Benda) dauernd er-
halten zu bleiben : höchstens, daß sie sich, nachdem sie einen Schub
kopulierender Si)ermien abgestoßen haben, in ihrem verzweigten Proto-
plasmaleibe zurückbilden bis auf den kernhaltigen Fuß, von dem aus
sie dann zur Aufnahme einer weiteren Generation von Spermatiden
wieder heranwachsen. Mitosen wurden bis jetzt bei ihnen nicht be-
obachtet. Sonach lindet schon eine frühzeitige Scheidung dei- ger-
miuativen und vegetativen Zellen — im Stadium des Keimepithels —
statt.
Benda (37) schüdert die Mutterzellen der Fußzellen, d. h. die
fötalen Cylinderzellen, als membranlos mit dichtem Protoplasma, spär-
lichen Mitochondria und ellii)soidischen chromatinreichen Kernen : in
den unreifen Hodenkanälchen überwiegen sie bei weitem an Zahl. Ihre
mitotischen, im Salamauderhoden von Drüner, (Jeuaische Zeitschr. f.
Naturw.. Bd. 29. 1.S94) zuerst studierten Teilungen zeigen allerlei
Besonderes: gedrungene Mitosenfigur, Mangel eines ,,Teilungsraumes".
häufig asymmetrische Stellung der Spindel. Die Teilungen findet man
bei Anamniern nur in denjenigen Abschnitten des Hodens, wo die
jüngsten Stufen der germiuativen Zellen (Ursamenzeilen und Spermato-
gonien) lagern, bei Amnioten in allen Kanälchen, jedoch nur bis zum
Beginne der Pul)ertät, wo sie von der epithelialen Grundform zur
Fußzellenform auswachsen. Benda bezeichnet diese Metamorphose
der vegetativen Cylinderzellen zu den Fußzellen als eines der sichersten
Zeichen der beginnenden Geschlechtsreife.
Die Frage, ob in der That eine Fußzelle der Regel nach so lange
bestehen bleibe, als der betrefl:ende Hoden funktioniert, kann indessen
doch noch nicht sicher beantwortet werden. Den Dualisteu, welche
wie Benda zweierlei sich schon frühzeitig scheidende Zellen in den
Hodenkanälchen annehmen, stehen die Monisten gegenüber (Prenant.
Schönfeld, Regaud u. a.). Prenant (202a und M. 2834) führt
alle Hodenzellen auf die ursprüngliche cylindrische Epithelzelle zurück.
Regaud"s Annahme (20G— 209), daß die Fußzellen auch in ihrer ent-
wickelten Form noch proliferieren und daß von ihnen alle übrigen
Hodenzellen abstammen, schließt sich der PRENANT'chen insofern an,
als auch die Fußzellen ursprünglich aus Cylinderzellen hervorgehen.
Die SERTOLi'schen Zellen sollen, so meint Regaud (208), ein Plas-
modium ohne bestimmte Zellengrenzen bilden und sich durch ami-
totische Teilungen lebhaft und andauernd vermehren und auf diesem
Wege die vorhin erwähnten „cellules ä noyaux poussiereux" liefern.
„La cellule de Sertoli", sagt Regaud, „est donc la cellule generatrice
et nourriciere des elements de la lignee seminale."
Schönfeld (1. c.) hat, wde bemerkt, die Meinung aufgestellt, daß
die Ursamenzeilen, seine „cellules indifferentes", durch mitotische
Teilung sowohl die Spermatogonien als auch junge Fußzellen lieferten.
Ich habe mich, wie gesagt, bis jetzt nicht davon überzeugen können
und muß mich mit Benda den Dualisteu anschließen. Bezüglich der
Funktion der Fußzellen vgl. weiter unten den Abschnitt: ,.Physiologische
Bemerkungen".
Da nähere Beziehungen zwischen den Fußzellen und den „inter-
stitiellen H 0 den z eilen", „Z wischen z eilen", zu bestehen
scheinen, so sollen letztere, so w^eit es erforderlich ist, an dieser Stelle
174 W. Waldeyer,
besprochen werden. Dieselben sind große, rundlich-eckige, weiche,
nienibraulose Zellen mit einem ansehnlichen Proto])lasmaleibe und
mittelgroßem runden Kerne. Sie ähneln einigermaßen den Leber-
zellen, insbesondere auch durch ihren (ielialt an Fettkörnchen und
feinen Pigmentgranulis. Auch Krystalloide , ähnlich denen in den
SERTOLi'schen Hodenzellen, sind in ihnen von Reinke (223) nach-
gewiesen worden. Sie liegen zwischen den Samenkanälchen im inter-
stitiellen Bindegewebe und schließen sich enge an die Blutgefäße an,
weswegen ich sie seiner Zeit zu den von mir in eine besondere Gruppe
zusammengelegten „perivaskulären" Zellen gestellt habe (s. „Die Ent-
wicklung der Carcinome", Virchow's Arch. f. path. Anat, Bd. 55).
Plato (197) und Friedmann (87), denen ich nach meinen Er-
fahrungen und in Rücksicht auf den interessanten Befund v. Hanse-
mann's (107), der bei winterschlafenden Murmeltieren die Zwischen-
zellen völlig vermißte, während sie bei einem kräftigen Frühjahr stiere
sehr reichlich entwickelt waren, zustimme, haben gezeigt, daß die
interstitiellen Zellen eine durch OSO4 leicht reduzierbare Substanz —
wahrscheinlich Fett — in Menge aufspeichern , von wo es in die
Fußzellen der Samenkanälchen gelangt. Die Zellen haben also wichtige
Beziehungen als „Nährzellen" für die Spermiogenese.
Friedmann erwies, daß zwar dasjenige Fett, w^elches zuerst im
Hodengewebe auftritt, stets intratubulär gelegen ist, zu einer Zeit,
in welcher interstitielle Zellen kaum entwickelt sind ; später aber liefern
diese das intratubuläre Fett. — Die Zwischenzellen fehlen von den Ui'o-
delen an abwärts bei Vertebraten und Evertebraten ; nur bei Paludina
fand Auerbach (3b) analoge Zellen. Das Fett liegt indessen bei diesen
Tieren (Urodelen, Fischen etc.) vom Beginne der Hodentliätigkeit an
reichlich intraampullär bezw^ intratubulär. Nach Plato sollen in der
Membrana propria der Samenkanälchen besondere Porenkanälchen vor-
handen sein, welche das Fett durchlassen. — Beissner (23) stützt wiederum
die Ansicht Nussbaum's, der die interstitiellen Zellen von rudimentär ge-
bliebenen Sexualsträngen herleitet. Ich schließe mich bezüglich der ge-
weblichen Zugehörigkeit der Zellen denen an, welche sie, wie Friedmann
und Plato, für bindegewebige erklären. — v. Bardeleben (18) geht noch
einen Schritt weiter als Plato, indem er die Zwischenzellen in die Hoden-
kanälchen einwandern und sich dort zu Fußzellen umbilden läßt.
Leydig (Zur Anatomie der männlichen Geschlechtsorgane und Anal-
drüsen der Säugetiere, Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 2, 1852) war, wie
Stieda mit Recht in Erinnerung gebracht hat, der Entdecker der Zwischen-
zellen des Hodens.
In kurzer Darstellung schildere ich im folgenden noch die Sperniio-
cytogenese bei einem Vertreter des anamnischen Wirbeltierkreises,
Salamandra maculosa, der am häufigsten zur Untersuchung ge-
dient hat; ich folge der sehr genauen Beschreibung von Meves (166).
Wir können hier ebenso wie bei den Amnioteu die vorhin ge-
nannten drei Abschnitte der Spermiocytogenese unterscheiden :
1) das Vermehr ungsstadium , 2) das Wachstumsstadium ,
3) das R e i f u n g s s t a d i u m , Stadium der Reifeteilungeu. Hierzu
käme wohl ein Vorstadium oder Anfangs Stadium. Dies Anfaugs-
stadium bleibt bei Salamandra dauernd, so möchte ich es wenigstens
auffassen, erhalten in den beiden Zipfeln des Salamanderhodens,
wo sich sehr große, in ihrer Form an Eizellen erinnernde Ursamen-
Die Geschlechtszellen. 175
Zellen, untermischt mit kleinen, zum Teil gegen die Ursamenzellen
abgeplatteten Cylinderzellen (Randzellen, s. Fig. 2 bei Meves, 1. c).
finden. Dies Zellenlager fasse ich als gleichwertig auf mit dem Keim-
epithel der Amniotenembryonen und dem noch inaktiven Samenkanäl-
cheninhalte vor Eintritt der Geschlechtsreife.
Meves beschreibt bei den Kernen der großen Zellen ein feinkörniges
Aussehen, wie bei den vorhin geschilderten Staubkernzellen Regaud's,
glaubt indessen dies auf Einwirkung der härtenden Reagentien (Nieder-
schläge im Kernsaft) beziehen zu sollen.
In den an die Hodenzipfel angrenzenden Hodeulappen vermehren
sich bei den geschlechtsreifen Tieren die Ursamenzellen durch schnell
aufeinander folgende mitotische Teilungen und liefern so die S p e r -
matogonien (zweites oder Vermehrungsstadium). Zunächst entstehen
große Spermatogonien , die jede für sich von den Cylinderzellen
(Fol likelz eilen, v. la Valette St. George) umgeben sind.
Mehrere große Spermatogonien mit ihren Follikelzellen liegen in einem
von Bindegewebe abgekammerten „Neste'' zusammen. Aus den
großen Spermatogonien gehen durch fortgesetzte Teilungen kleinere
hervor; die Abkömmlinge jeder großen Gonie bleiben in einem Haufen
(Nest) zusammenliegen und sind im ganzen — nicht mehr die ein-
zelnen kleinen Gonien — von Follikelzellen umgeben ; so entstehen die
zellenhaltigen Cysten, Spermatocy sten, Samen Cysten v. la
Valette St. George's. Alle Spermatogonien haben vor der Längs-
teilung der Chromatinfäden 24 Chromosomen.
Es folgt nun eine Ruhepause, in welcher die zuletzt gebildete
Generation der kleinen Spermatogonien längere Zeit verharrt, indem
die einzelnen Gonien heranwachsen und eine Reihe von Keruverände-
rungen durchmachen. Wir nennen diese Zellen jetzt Spermato-
cy teu 1. Ordnung und befinden uns im zweiten oder Wachstum s-
stadium. Das Kernchromatin, welches bislang bei den ruhenden
Zellen in dickeren Klumpen, an Lininfäden befestigt, unter der Ober-
tläche des Kernes angeordnet war, verteilt sich mehr und mehr auf
die Lininfäden, und so kommt das Bild eines ruhenden Kerns, der
sich dem Knäuelstadium nähert, heraus ; die Chromatinfäden sind mit
vielen Zacken versehen.
Es folgt dann das dritte, das Reifungsstadium , mit den für
Salamandra zuerst von Meves nachgewiesenen beiden charakteristi-
schen Reifeteilungen. Aus der ersten, heterotypischen, Reifeteilung
gehen, wie bei den Amnioten, die S permatocyten 2. Ordnung
(Präspermatiden m.) hervor, aus diesen durch homöotypische Mitose
die Sper matiden, welche sich in die Spermien direkt unwandeln
— s. den folgenden Abschnitt. — Während aller dieser Vorgänge
bleiben sämtliche Elemente: Spermatogonien, Spermatocyten , Prä-
spermatiden, Spermatiden, Spermien nebst den Follikelzellen, in den
erwähnten Cysten zusammenliegen. Auf welchem Wege die Spermien
schließlich in die Ausführungskanäle gelangen, ist noch nicht sicher
ausgemacht.
Der Vorgang der ersten Reifeteilung beginnt mit der Bildung eines
feinfädigen Knäuels, dem ein grobfädiger, lockerer folgt. Früh kommt
es zur ersten Längsteilung; statt der früheren 24 Chromosomen erscheinen
nur 12 unter der Bildung von Reifen (Ringen). Abweichend vom Ab-
176 W. Waldeyer,
laufe der Dinge bei Bos taurus und Mus decumanus stellt sich zwischen
der ersten und zweiten Reifeteilung kein Ruhestand ein. Bei der zweiten,
homöotypischen Mitose erfolgt die Längsteilung der wieder in der Zwölf-
zahl zur Teilung sich stellenden Chromosomen gleichfalls früh. Meves
fand auch Bildungen, die an die vorhin erwähnten und später (bei der
Oogenese) noch zu besprechenden „Vierergruppen" erinnern, jedoch nicht
i'egelmäßig. — Bemerkenswert ist das Verhalten des Cytomitoms der
Spermatocyten, indem dessen Fäden, w^ie Rawitz (204) fand, konzen-
trisch zur Sphäre angeordnet sind.
Es ist offenbar von hohem Interesse, daß die Vorgänge, welche
von den Ursanienzellen zur Bildung der Spermatiden führen, wie es
scheint, in der gesamten Lebewelt — denn auch bei den Evertebraten
und Pflanzen stoßen wir auf die gleichen Erscheinungen — dieselben
sind und in den genannten Phasen der Vermehrungs-, Wachstums-
und Reifungserscheinuugen sich abspielen. Um so höhere Beachtung
verdienen diese Prozesse, als sie bei der Heranbildung einer zur Be-
fruchtung reifen Eizelle in gleicher Weise nachweisbar sind. Wir
kommen infolgedessen bei der Ovogenese hierauf zurück und werden
dort auch ihre Bedeutung besprechen.
Der Ablauf der gesamten Spermiogenese, d. h. der Spermiocyto-
genese nebst der Spermiohistogenese, vollzieht sich auf einer be-
stimmten Strecke eines Samenkanälchens. Man kann also von
einem wellenförmigen Ablaufe der Spermiogenese in den Samen-
kanälchen sprechen, indem auf einem Querschnitte eines solchen
Kanälchens nur ein Umwandlungsstadium der Samenzellen gefunden
wird, während auf Längsansichten sämtliche Stadien nebenein-
ander zu sehen sind: „Samenbildungswelle", „unda spermiogenetica".
— Regaud (217, 218) bezeichnet die Form dieser Welle als eine
spiralige.
Benda (28b und 29) hat aus dem Verhalten der Quer- und Längs-
schnittsbilder zuerst den Schluß auf den wellenförmigen Ablauf der
Spermiogenese gezogen ; fast gleichzeitig v. Ebner (75) und FijKST (90).
V. Ebner wies nach, daß die Länge einer solchen Samenwelle im Ratten-
hoden 32 mm beträgt.
Von Einzelheiten, welche die Spermiocytogenese betreffen, sind
noch folgende anzuführen:
Bedeutung der Synapsis (Moore). Moore (176) meinte, daß
es sich im wesentlichen um eine dichte Zusammenlagerung der Chromo-
somen handle; die meisten Autoren indessen, darunter auch Schönfeld
(1. c), sind der Ansicht, daß eine Anziehung von selten der beiden
Centrosomen dabei im Spiele sei. Er macht darauf aufmerksam, daß die
Synapsis dann eintrete, wann die beiden Centrosomen zusammen dicht
am Kerne liegen und sich von dem Lininnetze freigemacht haben. Bei
Salamandra, wo die Chromosomen immer an einem Lininnetze befestigt
bleiben, zeigt sich keine Synapsis. Daraus, daß sie nicht beständig ist,
geht übrigens meines Erachtens auch hervor, daß der Erscheinung keine
besondere Bedeutung innewohnt.
Zahlenverhältnisse der Chromosomen. Die Untersuchungen
von Elemming (81b), Boveri (622b, Heft 3, 1890) und Haecker (653)
haben ergeben, daß bei den Körperzellen (Gewebszellen) jedes Tieres
eine bestimmte Zahl, Normalzahl, von Chromosomen besteht, z. B.
Die Geschlechtszellen. 177
für die Epithel- und Bindegewebszellen von Salamandra 24 Mutter-
chromosomen. Bei den Geschlechtszellen ist das anders, indem eine
oder mehrere normal sonst vorkommende Chromosomenteilungen aus-
bleiben können ; die ungeteilten Chromosomen haben also dann den
Wert von mehreren : bivalente oder plurivalente Chromosomen,
wie sie Haecker (653) bezeichnet. Diese Vorgänge können eine Reduktion
der Chromosomenzahl vortäuschen und werden von Rückert (Merkel
und Bonnet, Ergebnisse, Bd. 3) und Haecker (Ueber generative und
embryonale Mitosen, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 43, 1894) als „Pseudo-
reduktion" oder „Scheinreduktion" bezeichnet. — Häufig sind bei
den Geschlechtszellen die Zahlen der Potenzen von 2, also 4, 8, 12 und
32 (BovERi'sche Reihe); auch Multiplikationen von 2, 4, 8 mit 3, also
12 und 24 z. B. kommen häufiger vor. Potenzen von 3 sind selten;
beim Echinus- (Boveri) und Thj-sanozoon-Ei (Van der Stricht) werden
9 Chromosomen gezählt. Ich verweise für weitere Angaben auf Haecker's
Werk (653).
Nebenkörper. Mit dem Ausdrucke Nebenkörper, den v. la
Valette St. George zuerst für den alsdann zu schildernden ..Neben-
kern" gebraucht, will ich eine Anzahl Gebilde zusammenfassen, welche
zum Teil bei Mitosen überhaupt auftreten, zum Teil bis jetzt nur bei
der Mitose der Geschlechtszellen, insbesondere bei den Sperraato-
mitosen, beobachtet wurden. Dahin gehören: 1) die Idiozome.
Meves. 2) die Neben kerne (Mitochondrienkörper , Meves),
3) die Spindelrestkörper, Meves, 4) die chromatoiden Nebeu-
körper, Benda, 5) die Intranuklearkörper, v. Lenhossek,
6) die t in gl er baren Körner, v. Ebner.
Idiozomi), Meves (166a). Meves hat den allgemein angenommenen
Vorschlag gemacht, die kompakten Hüllen, welche bei den Geschlechts-
zellen und ihren Teilprodukten bei vielen Tierarten die Centrosomen
umschließen und gegenüber den Sphären der übrigen Zellen einige be-
merkenswerte Besonderheiten aufweisen, mit einem besonderen Namen,
„Idiozoma", zu belegen. Vor allem sind diese Hüllen sehr deutlich
und dick und zerfallen bei den Teilungen der Spermiocj-togenese in
einzelne Brocken [Rawitz (204 u. 205 I), Meves (166), v. Erlanger (79a)].
Meves hebt ausdrücklich hervor, daß die Centrosomen nicht an dem
Zerfalle teilnehmen, sondern zwischen den Idiozombröckeln deutlich
erkennbar bleiben. Zu beachten ist ferner, daß die Idiozome sich
wiederherstellen, wenn in den Mitosenfolgen ein Ruhezustand eintritt, daß
sie aber desaggregiert bleiben, wenn, wie z. B. bei Salamandra, zwischen
der 1. und 2. Reifeteilung kein Ruhezustand vorkommt. Scharf läßt sich
das Idiozom durch seine Verwendung bei der Spermiohistogenese de-
finieren, und hierdurch schützt man sich auch am besten vor Verwechs-
lungen mit einem der anderen Nebenkörper , Verwechslungen , welche
sich nicht selten in der Litteratur finden, so mit dem Mitochondrien-
körper (Nebenkern) und mit dem Spindelrestkörper. x\us dem Idiozom
geht hervor das Perforatorium, insbesondere, wenn dasselbe unter der
Form eines Spitzenkörpers, Akrosoma (v. Lenhossek), vorkommt. —
Renson (M. 2579) war wohl der erste, der das Idiozom gut unterschied
und gut beschrieb (als „corpuscule accessoire"); Niesixg (184) giebt
eine genaue Besprechung desselben.
1) Von l'Sio? (eigenartig) und CwjJiat (Gürtel, Hülle).
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 12
178 W. Waldeyer,
N e b e 11 k e r n , M i t o c h o u cl r i e n k ö r p e r. Unter der von Büt,schi,i
gegebenen Bezeichnung „Nebenkern" sind vielfach sehr verschiedene
Dinge bezeichnet worden, v. la Valette 8t. George entdeckte ihn
1867 bei den Insekten (250, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 3) und nennt ihn
(250, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 10, p. 502) ganz beiläufig ,,Nebenkörper".
Später (249, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 27) nahm er dafür die 1871
(Zeitschr. f. wiss. Zool.) von Bütschli verwendete Benennung „Neben-
kern" an. Der Mitochondrienkörper erscheint ungefähr von der Größe
eines Kernkörpers neben dem Kern als vielfach glänzendes und aus
kleineren Granulis bestehendes Gebilde. Verwechslungen sind , wie
Meves gezeigt hat, vorgekommen mit dem Idiozom und dem Spindel-
restkörper. Schon V. LA Valette St. George (Arch. f. mikr. Anat.,
Bd. 27) giebt indessen richtig an, daß er aus Cytomikrosomen bestehe.
Durch die Untersuchungen von Benda (35 — 38) und insbesondere von
Meves (172) ist nun mit Bestimmtheit nachgewiesen worden, daß der
Nebenkörper oder Nebenkern v. la Valette St. George's im wesentlichen
aus der BsNDA'schen Mitochondria besteht und — s. w. u. — beim Auf-
bau des Spiralfadens der Spermien in bestimmter Weise seine Ver-
wendung findet und sonach jetzt gleichfalls wohl charakterisiert ist.
Spindelrestkörper. Die Spindelrestkörper gehen aus den
ELEMMiNG'schen Zwischenkörperchen hervor, welche zu einem soliden
homogenen Körper verschmelzen, der bei der Trennung beider Tochter-
zellen in zwei Körper zerlegt wird, die später schwinden. Von einer be-
sonderen Bedeutung derselben ist nichts bekannt. Platner (M. 2576)
scheint der erste gewesen zu sein, der ihn (bei den Spermatocyten von
Helix) beschrieb und zwar als „Nebenkern".
Chromatoider Nebenkörper. Benda (34) bezeichnet mit diesem
Namen ein aus zwei Stücken, einem Körnchen und einem Ringe, be-
stehendes, sich stark färbendes Gebilde, welches von F. Hermann (M. 2564)
zuerst beschrieben wurde (bei Salamandra und bei der Maus). F. Hermann
ließ ganz richtig aus diesem, seinem „Nebenkörper" das Mittelstück der
Spermien hervorgehen, aber auch (aus dem Ringe) den Flossensaum ;
außerdem zog er noch einen großen rundlichen blassen Körper hinzu, den
er später sich abtrennen und im Protoplasma verschwinden ließ; er
nannte alles das zusammen einfach „Nebenkörper" (117). Benda sah
ebenfalls völlig richtig den Geißelfaden von einem Körnchen des von ihm
„chromatoider Nebenkörper" genannten Gebildes ausgehen und, wie das
auch Hermann, der sich über den Ursprung der Geißel noch nicht be-
stimmt äußert, sah, durch den Ring hindurchtreten. Wir wissen jetzt,
daß wir hierin Teile des Centrosoms vor uns haben, und so erschiene
denn eine besondere Bezeichnung überflüssig, nachdem auch Benda seine
Benennung „chromatoider Nebenkörper" für diese centrosomalen Bil-
dungen aufgegeben hat.
Indessen haben insbesondere Niessing (184), v. Lenhossek (142),
Moore (175 — 177) und Meves (171) ein anderes, bereits in den Spermato-
cyten vorfindliches Gebilde mit diesem Namen belegt. Es handelt sich
um einen oder mehrere (Meerschweinchen), bei Ratte und Maus sehr
ansehnliche, lebhaft färbbare Körper, welche sich während der Spermio-
histogenese wieder verlieren. In der BioNDi'schen Mischung färbt dieser
Körper, welcher meist in der Nähe des hinteren Kernpoles zu finden ist,
sich lebhaft rot. Seine Substanz stimmt nach Meves weder mit Chro-
matin, noch mit der Nukleolensubstanz überein. Das Endschicksal dieser
Bildung, sowie seine Abkunft sind noch unbekannt.
Die Geschlechtszellen. 179
T i n g i e r b a r e Körner. Mit diesem Namen bezeichnet v. Ebner (75)
größere oder kleinere Granula, welche gegen das Ende der Spermio-
histogenese in den meist am Mittelstücke haften bleibenden protoplasma-
tischen Anhängen, s. Fig. 36 A 2, Fig. 38 A, 1, Fig. 50 g und 50 k (Ctpl),
auftreten. Bei einem Teile derselben handelt es sich wohl um Fett-
körnchen ; andere Granula werden aber lebhaft durch Kernfärbemittel
tingiert. Vgl. hierüber insbesondere Brown (62a), v. Ebner (75) und
Meves (171).
Intranuklear kör per. Der Intranuklearkörper wurde von v. Lbn-
HOSSEK (142) zuerst genau beschrieben und benannt. Er schildert den
später auch von Schönfeld (231) kurz erwähnten Körper bei Mus decu-
manus als eine 2 — 2,5 fi große, elliptische, linsenförmige Bildung, die in
einer Art Kernvakuole gelegen ist. In Flemming's Dreifachgemisch färbt
er sich schwach rosa, während die Nukleolen stark rotviolett erscheinen.
In Eisenhämatoxylin-Präparaten werden an ihm eine Anzahl schwarzer
Oberflächen-Mikrosomen sichtbar. Wahrscheinlich besteht er aus viel
Linin und wenig; Chromatinmikrosomen. Er findet sich nach v. Lenhossek
bei der Ratte nur in den mittelgroßen Spermatocyten; seine Bedeutung
ist unbekannt. — v. Ebner ist wohl der Erste, der diese Bildung gesehen,
derzeit sie aber als Kernköx'perchen angesprochen hat; Moore (177) wurde
darauf aufmerksam, daß es sich um etwas Besonderes handle ; er nennt
sie jedoch auch „a curious secondary nucleolus".
Zur Yeranschaulichuug des S. 167—178 zur Spermiocytogenese
Gesagten diene das Schema Fig. 44, welches einer von Benda (29b
u. 34) gegebenen, gleichfalls schematischen Zeichnung, nach Art der
zuerst von Bioxdi entworfenen (M. 2544), nachgebildet ist.
Die Figur stellt den Querschnitt eines Hodenkanälchens dar, wobei
angenommen ist, daß in verschiedenen aufeinander folgenden Segmenten
dieses Querschnittes , / — /7 , der ganze Turnus einer Spermiogenese
seinen Ablauf nehme, was freilich, wie bemerkt, den Thatsachen nicht
entspricht: In Segment / liegen an der Wand Zellen von der Art der
Zellen Spg.ll in Segment Fl und die Zellen F.Z.^ Spermatogonien
und Fußzellen (Benda) ; letztere sind nicht voll entwickelt und haben
ein streifiges Protoplasma. In einer 2. Reihe, näher zur Lichtung des
Kanälchens hin, liegen 5 Spermatocyten 1. Ordnung ^e; sie sind
größer als ihre Vorgänger. Der Rest des Segments ist mit Spermatiden,
Spt.^ ausgefüllt, welche bereits durch Anlage der Spermienschwänze ihre
beginnende Umbildung zu Spermien erkennen lassen.
In Segment // sind die Fußzellen {JE.Z.) zu voller Entwickelung
gelangt und sind in die Kopulation mit den Spermatiden, Spt., einge-
treten. Die letzteren zeigen alle am distalen, zum Lumen gewendeten
Pole die Geißelanlage, welche von einem kleinen dunklen Körperchen,
neben dem ein größeres dunkles liegt, ausgeht; dies sind die Centrosomen
(die Nebenkörper F. Hermann's — chromatoide Nebenkörper Benda's
nach der früheren Auffassung der beiden Autoren). In der Nähe ist bei
manchen Spermatiden ein etwas heller gehaltener rundlicher Körper ge-
zeichnet, der chromatoide Nebenkörper nach jetziger Auffassung.
Am proximalen Pole des hellen, großen, zum Teil mit Kernkörperchen
gezeichneten Kernes liegt, in derselben Tönung wie der echte chroma-
toide Nebenkörper gehalten, das I d i o z o m. Man sieht das Geschilderte
zum Teil auch bei den Spermatiden in / und bei den Spermatocyten in
/ und //.
12*
180
W. Waldeyer,
In Abschnitt III erblickt man die unveränderten Fußzellen, F.Z.^
in fortdauernder Kopulation mit den bereits weiter umgewandelten
Spermatiden, bei welchen an der Anheftungsstelle des Schwanzes die
sogen. „Schwanzmanschette" in Gestalt einer hellen Blase ('"Röhre), durch
welche der Schwanzfaden hindurchzieht, erscheint. Die Spermatocyten,
Spc. in / und /i, sind weiter gegen das Lumen vorgeschoben und ver-
größert — Wachstumszone — ; an der Kanälchenwand liegen eine Ursamen-
zeile [Spg.I) und zwei Spermatogonien (Spg.lJ). Dasselbe zeigt der
^^dQ ^_J^^ '^^Q
Sektor //^; nur sind die Spermatocyten, Spc, noch weiter gewachsen. In V
sind die Spermatocyten, von denen noch einige erhalten blieben (Spc),
in Teilung eingetreten; man sieht 4 Mitosen, 3 gleiche (Aequatorial-
platte) und eine im Beginne der Tochtersternbildung; unter letzterer,
rein schematiscb gehalten, 2 Präspermatiden (Spermatocyten 2. Ordnung)
im Ruhezustande, an denen noch keine weitere Umbildung zu sehen ist.
Die verschiedenen Mitosen sollen die 2 Reifeteilungen anzeigen. Unten
an der Kanälchenwand, dicht an der Grenze gegen FJ liegt eine Ursamen-
zelle. Die Spermatiden haben ihre Umformung zu Spermien fast vollendet;
Die Geschlechtszellen. 181
doch zeigen sie sämtlicli noch den Protoplasmaanhanf^, welcher sich ver-
längert hat, und die gleichfalls verlängerte iSchwanzmanschette. Eine
junge Spermie ist tief in den Stamm einer Faßzelle hinabgerückt, andere
Spermien beginnen Irei zu werden ; fast sämtliche sind jedoch noch in
der Kopulation.
Im Abschnitt FI sind die jungen Spermien mit Kopf, Hals nnd
Mittelstück fertig ausgebildet und meist frei: nur wenige sieht man noch
mit dem Stamme der Fußzellen, die in teilweiser Rückbildung begriffen
sind, verbunden. Nun beginnt aber schon ein neuer Nachschub, indem sich
alle Spermatocyten 2. Ordnung zu einem neuen Spermatidenlager (Spt.),
ähnlich dem in /, umgeteilt haben ; in einzelnen Spermatiden fängt bereits
'.•■,.'■ • (SU Jä» *?'> E'V'.V . . • ' "^ \ ••• "A. «■•^^-Tr5'«/
^
'•^.^jü^-^'
Fig. 45 A. Fig. 45 B.
Fig. 45 A. Stück des Inhaltes eines Samenkanäk-heus von Mus musculus,
nach einher Orisinalzoichnung von Benda. Vergr. 1400. Näheres im Text. F.Z.(v.Z.)
Fußzelle (vegetative Hodenzelle, Bexda). S.Z.I. (y.Z.l.) Samenzelle 1. Ordnung
(germinative Hodenzelle 1. Ordnung, Stammzelle, Benda, Spermatogonie v. LA
Valette St. George). S.Z.II. {g.Z.lI.) Samenzelle 2. Ordnung (germinative Hoden-
zelle 2. Ordnung, Samenmutterzelle, Benda, Spermatocyte v. LA Valette St.
George). S.Z.III. {g.Z.III.) (Samenzelle, germinative Hodenzelle 3. Ordnung Benda,
Sperraatide v. LA Valette St. George). Die Zeichnung erläutert vor allem das
Verhalten der Kerne und der Mitochondria.
Fig. 45 B. S.Z.II. zwei Samenzellen 2. Ordnung (Samenmutterzellen, Benda,
Spermat'ocyten v. LA Valette St. George), isoUert in genauerer Ausführung. Kern
mit Chromatinnetzen und dickeren Chromatinstücken, Idiozora mit kleinem Centro-
som, Cytoplasma mit Mitochondria. Mus musculus. Vergr. 1400. Originalzeichnung
von Benda.
182
W. Waldeyer,
die Geißelbildung wieder an. Unter den Öpermatiden liegt eine Reihe von
Zellen mit Knilael kernen, die man zum Teil als S])ormatogonien, z. T. als
ISpermatocyten l. Ordnung zu betrachten hat. Man erblickt ferner 2 Fuß-
zellen mit ihrem basalen Kerne und von einer dritten den Stamm ; dazu
kommen 3 junge Spermatogonien [Spg.ll, eine rechts gelegen), eine Ur-
samenzelle (SpgJ) und eine solche in der Mitose begriffen {Spg.l. Th).
8o beginnt dann die Samenbildungswelle aufs neue.
In den Figuren 45 A und 45 R sind, nach Originalzeichnungen
Benda's, Samenbildungszellen von Mus niusculus getreu wieder-
gegeben. In Fig. 45 A sind die Spermatogonien, Spermatocyten und
Spermatiden wie es sich wohl empfiehlt, als Samenzellen 1., 2. und
3. Ordnung bezeichnet worden. Die von Benda gebrauchten Namen:
„Stam mzellen" für Samenzellen 1. Ordnung, „Samenmutter-
zellen" für Samenzellen 2. Ordnung sind in der Figurenerklärung
beigefügt; die Samenzellen 3. Ordnung werden von Benda schlechthin
als „Samenzellen" bezeichnet. Man bemerkt die großen helleren
Kerne der Fußzellen, F.Z. (v.Z.), mit ihren Kernkörpern. Die (nicht be-
zeichnete) Spermatogonie links neben der nur teilweise erhaltenen
Fußzelle möchte ich als Ur Samenzelle ansprechen; die beiden Zellen
S.Z.i.{g.Z.i) als junge Spermatogonien. Darüber die großen Zellen
mit ihren eigenartigen Kernen sind Spermatocyten im Heranwachsen
der Figur). Be-
reihenweisen An-
soll hier-
begrift'en ; dann folgen Spermatiden (s. d.
sonders schön tritt Benda's Mitochondria in ihrer
Erklärung
Ordnung innerhalb des Fußzellenstammes hervor
über
vorzugsweise Aufklärung geben.
die Figur
f^J'y^:-::
A^^m
i
Fig. 46a — e. Um-
bildung einer Sperma-
tide a, durch die ver-
schiedenen Entwicke-
lungsstufen b, c, d zum
fertigen Spermium e
bei Mus m u s c u 1 u s ,
nach einer Original-
zeichnung von Benda.
Vergröß. 1400. Ent-
stehung der Spiralhülle
(in e) aus der Mito-
chondria. Näheres im
Text.
/
Fig. 46.
In Fig. 45 B haben wir 2 junge Spermatocyten mit Kern im
Detail, Mitochondria und dem Idiozom, in welchem ein kleines Centro-
som sichtbar ist. Die Kerne
matinverteilung.
zeigen
noch die Krustenform der Chro-
Die Geachlechtszellen.
jsa
Das weitere Verhalten der Mitocliondriamasse zeigt Fig. 46a— e
von ]\Iiis ninsculns; dieselbe wird wesentlich hei der Bildung des Ver-
bindungsstückes verwendet, vor allem zur Spirale. Darauf kommen
wir im Abschnitt „Spermiohistogenese" zurück.
In Fig. 47 A und 4715 kommt gleichfalls die eigenartige Anordnung
der Mitochondria bei den Spermatogonien und Si)ermatocvten von
Salamandra maculosa zur Schau. Fig. 47 A, Vermehiungsteilung einer
Spermatogonie, läßt die Chromosomen und die Spindelfigur mit den
beiden Centrosomen sehr gut erkennen. Die Mitochondria knüjjft sich
an die Fadenstruktur des Protoi)lasmas und läßt einen i)erinuklearen
Fig. 47 A. Mitose
einer Spermatogonie
von Salamandra
maculosa. Original -
Zeichnung nach Benda.
Mitochondria. Vergr.
1400. Näheres im Text.
Fig. 47 B. Hetero-
typische Mitose eines
Spennatocyten von Sa-
lamandra macu-
losa (1. Eeifungs-
teilung). Originalzeich-
nung von Benda.
chondria. Vergr.
Näheres im Text.
Mito-
1400.
Fig. 47 A.
Raum frei. In Fig. 47 B, der heterotypischen 1. Reifungsteilung ent-
sprechend, rückt die ausgiebig vorhanclene Mitochondria dicht an den
Kern heran, an welchem nur ein paar Chromosomen sichtbar sind.
3. Spermiohistogenese.
Die Spermiohistogenese begreift die Umwandlung der Sper-
matiden in die reifen befruchtuugsfähigen Spermien. Obwohl, wie wir
bei der Formbeschreibung der Spermien gesehen haben, letztere, ihrer
verschiedenen Gestalt wegen , auch Verschiedenheiten der Spermio-
histogenese aufweisen müssen, so vollzieht sich im großen und ganzen
der in Rede stehende Prozeß doch auf dieselbe Weise, und zwar in
folgenden Grundzügen : Aus dem Chromatin des Kernes der
Spermatide wird der Kopf des Spermium; ein Teil des Idio-
z 0 m s bildet das P e r f o r a t o r i u m ; das C e n t r o s o m beteiligt sich
an der Bildung des Halses, des Verbindungsstückes und des
Achsenfadens. Das C }' t o p 1 a s m a liefert hauptsächlich den Achsen-
faden, mit seiner Mitochondria die S p i r a 1 b i 1 d u n g e n und beteiligt
sich im übrigen an der
Bildung der Hüllen des Schwanzes.
Ich folge im wesentlichen den Darstellungen von Benda und
Meves, welche Ersterer für verschiedene Tierklassen , insbesondere
aber für Mus musculus. Letzterer für Salamandra maculosa , Cavia
cobaja und auch für den Menschen gegeben hat.
Ich schildere die Spermiohistogenese, um eine einheitliche
Darstellung zu gewinnen, zunächst nach
den Angaben von Meves für
184 W. Waldeyer.
S u 1 a 111 a 11 d v ii iii :i c u 1 o s a und für C a v i a c o Ij a y a ; darauf seien
die zur Zeit bestellenden, zum Teil abweichenden Angaben der anderen
Autoren besprochen.
Wie Flemming (Beiträge zur Kenntnis der Zeih; und ihrer
Lebenserscheinungen IL Arch. für niikr. Anat., Bd. 1<S, 18>)0) zuerst
gezeigt und Meves (1()7 und 171) bestätigt hat, wandelt sich bei
Salamandra nur das Chromatin des Spermatidenkerns unter Zu-
sammensintern in den Spermienkopf um.
Das P e r f 0 r a 1 0 r i u in in it dem H a m u 1 u s ward vom I d i o z o in
gebildet. Dasselbe rückt (Figg. 48 d und 49 h— mj allmählich über
die Peripherie des proximalen Zellpoles hinaus, verlängert sich, spitzt
sich zu und bekommt am äußersten Ende den Widerhaken. Genaueres
s. weiter unten bei Cavia cobaya.
Eine Kopf kappe ist bei Salamandra bis jetzt nicht sicher nach-
gewiesen ; bestände eine solche, so würde sie vom Protoplasma der
Spermatide abzuleiten sein, wie denn Mc Gregor (157) bei Amphi-
uma von einem dauernd bleibenden dünnen Cytoplasmabezuge des
Kopfes spricht.
Bei der Bildung des Sp ermium-Halses sind vorzugsweise die
Central kör per beteiligt. Es sind deren zwei vorhanden, welche
sich (Fig. 48 a) zu Beginn der Spermiohistogenese, nachdem sie schon
früher das Idiozom verlassen haben, an den distalen Zellenpol begeben.
Hier wächst der vordere Centralkörper (c. a.) bedeutend heran,
während der hintere kleiner bleibt, dicht an der Zellperipherie liegt
und scheinbar den späteren Achsenfaden aus sich hervorwachsen
läßt. Jedenfalls bildet sich nach der in Wort und Bild nicht miß-
zuverstehenden Darstellung von Meves der Achsenfaden in Ver-
bindung mit dem hinteren Centralkörper. Wir kommen weiter
unten hierauf zurück.
Nun erfolgt (s. Fig. 48 b) eine Art Einstülpung des hinteren Zell-
poles durch den hinteren Centralkörper, so daß der Achsenfaden von
Seiten der Zellsubstanz in eine Röhre eingeschlossen wird. Diese
Einstülpung erstreckt sich bis in die Nähe des Kernes, dem sich als-
bald der vordere Centralkörper derart anlegt, daß ein sich stark ver-
größernder proximaler Abschnitt desselben knopfförmig in die hintere
Kernpartie hineinwächst, während der mit dem Knopf verbundene Rest
sich sichelförmig dieser Partie anlegt (Fig. 48 d). ' Gleichzeitig gehen
am hinteren Centralkörper sehr wichtige Veränderungen vor. Derselbe
gewinnt die Gestalt einer kleinen Kreisscheibe, erscheint also im Pro-
hl als ein zur Zellläugsachse quergestellter Strich (Fig. 48 b). Aus
der Scheibe wird dann ein Ring, in dessen Mitte das vordere Ende
des Achsenfadens steckt. Man kann demnach w^ohl die Sache so auf-
fassen, als ob sich die mittlere Partie der Kreisscheibe, von der der
Achsenfaden distalwärts ausgeht, von den Randteilen loslöse. Dies
ist auch die Meinung von Meves bezüglich der Spermiogenese von
Mensch und Säugetier (171, p. 378).
In den Figg. 48 a — d sieht man den Achsenfaden nicht durch den
Ring zum vorderen Centrosom hindurchwacbsen ; dagegen erscheint dies
so in den Figg. 49 h — 1, während in 49 mj^ der Achsenfaden wieder
nur mit dem Teile des hinteren Centrosoms verbvinden dargestellt ist,
welcher aus der mit dem vorderen Centrosom verschmelzenden Ringhälfte
Die Geschlechtszellen.
185
a
Nucl.
Nucl.
Vg.caud.
F.princ.
Cl
Nucl.
Ctpl.
ca.
Ann. fc.p.)
- - Vagxaud.
F.princ.
Fig. 48 (a— d).
Fig. 48 a — d. Vier schematische Figuren nach Meves (Arch. f. mikroskop. Anat.,
Bd. 54, p. 364) zur Erläuterung der Spermiogenese von Salamandra maculosa.
Nucl. Xucleus (Kern). Ctpl. Cytoplasma (Zellleib j. c. a. Centrosoma anterius (vorderes,
proximales Centrosom). c. p. Centrosoma posterius (hinteres, distales Centrosom).
F. princ. Filum principale (Hauptfaden) in allen Figuren. Vg. caud. Vagina caudahs
Schwanzscheide (Figg. b, c, d). c. p. (Ann.). Centrosoma posterius (Annulus), Ring
des hinteren Centrosoms (Fig. c und d). Jdz. Idiozoma (Sphäre), (Fig. dj. Näheres
im Text.
hervorgeht. Wir werden alsbald sehen, daß nach der eigenen Darstellung
von Meves bei Säugetieren der Achsenfaden selbst niemals das vordere
Centrosom erreicht, sondern nur durch die zwischen vorderem und hin-
terem Centrosom sich entwickelnden Centrosomfäden (s. p. 107). Für
Salamandra bestehen etwas abweichende Verhältnisse s. w. u.
Mit Rücksicht auf das Verhalten der Säugetiere, wo das vordere
Centrosom das wesentliche Stück des Spe rmienhalses abgiebt,
müssen wir auch bei Salamandra dasselbe, welches hier allerdings zu
186
W. Waldeyer,
nu
Harn.
Pf.(Jd%)
Nucl.(Gp.)
ca.
c.p.ffÄnn.IJ
M. undul. - -
F.princ. - -
F.marg. ■ -
P.t.fFü.marg.)
P.pr.(Fil.j)rinc.)
c. 2). II (Ann. 11)
M. undiil.
Inv.
Fqwinc.
M.undul.
:f
F.marg. '''
Fig. 49 m,
Centrosoras (Ringes), c
hinteren Centrosoms (Ringes), in Fig. 49 1
Membrana undulatoria (Wellenmembran)<
__ Inv.
(M.int. + Fil.acccss..
Fig. 49 h — m,.
Fig. 49 h, i, k, 1, lUi. Fünf schematische Zeichnungen nach
Meves (Arch. f. mikr. Anat., Bd. 54, ]). 36ö) zur Erläuterung
der Spermiogenese von Salaraandra maculosa. Pf. (.I<h.). Per-
foratoriura. Der Zusatz .Tdz deutet dessen Abstammung vom
Idiozoma an. Micl. (Cp.). Nucleus, späterer Kopf, C';j., des
Spermium. Ctj)!. Cytoplasma (Zellleib), c. a. Centrosoma an-
terius (vorderes , proximales Centrosom =■ Mittelstückanlage
der Autoren). Ann. (c. p.). Annulus (Centrosoma posterius),
Ring. Vg. caud. Vagina caudalis (Schwanzscheide). F. jjrinc.
Filum principale (Hauptfaden) in Fig. 49 h und m,. c. p. I.
Centrosoma posterius I, proximales Teilstück des hinteren
p. IL Centrosoma posterius II, distales Teilstück des
' Ham. Hamulus, Widerhaken. 31. undul.
F. marg. Filum marginale (Randfaden).
Die Geschlechtszellen. 187
luv. (M. int. + Fil. access.). Involucriim (Hülle), aus der sich die Membrana inter-
media (31. Int.), sowie das Filum accessorium (Nebenfaden), falls sie vorhanden sind,
entwickeln; bei Salamandra fehlen sie. P.pr. (Fil. princ.j Pars principalis (Haupt-
stück des Schwanzes) mit der Fortsetzung des Filum principale. P. t. (Fil. inorg.)
Pars terminalis (Endstück des Schwanzes) mit der Fortsetzung des Filum marginale.
— Für Fig. 4!l m„, Querschnitt durch das Verbindungsstück eines Spermium von
Salamandra maculosa, gelten dieselben Bezeichnungen.
einem großen Gebilde {Cl. in Fig. 49 mj) auswächst, als „Halsstück"
bezeichnen. Es wird, wie erwähnt (p. 108), von den Autoren bis jetzt
„Mittelstück" benannt.
Was die histogenetische Bildung des Schwanzes der Salamander-
sperinien betrifft, so wissen wir über den Achsen faden, wie eben
bemerkt, sicher nur so viel, daß er in Verbindung mit dem hinteren
Centrosom hervorwächst, oder, um nur das unmittelbar Feststellbare
zu sagen, von seinem ersten Erscheinen an mit dem letzteren in
Verbindung steht.
Die Hülle des Achsen fadens liegt letzterem, wie Quer-
schnitte lehren (s. Fig. 49 nig Inv.) nur einseitig auf, und zwar an
der „Bauchseite'' nach der von Czermak eingeführten Bezeichnungsweise
s. S. 116. Diese Seite ist konvex, die gegenüberliegende „Rückenseite"
ist rinnenartig ausgetieft {F. 2Jrinc. Fig. 49 m J, und aus dieser Rinne
erhebt sich die Membrana undulatoria (M. undul.) mit dem Randfaden
{F. marg.) an ihrem freien Rande. Die Hülle leitet Meves vom Cyto-
plasma der Spermatide ab, und zwar in folgender Weise : Wie zuerst
F. Hermann (115) zeigte, nimmt der Ring {Ann., Fig. 49 h — nii) eine
pessarförmige Gestalt an und legt sich mit seiner Längsachse in die
Längsrichtung der Spermatide, derart, daß der proximale Halbring
des Pessars zur Rückenseite des sich bildenden Spermium, der distale
zu dessen Bauchseite gewendet ist; der Achsenfaden zieht durch die
Mitte der Pessarlichtung hindurch (Fig. 49 k). Nun trennen sich die
beiden Hälften des Pessars von einander: die proximale bleibt am
Halsstücke, d. h. am vorderen Centrosom, liegen und verschmilzt als-
bald mit ihm, die distale wandert an der Bauchseite des Achsenfadens
eine beträchtliche Strecke weit entlang, wobei ihre beiden freien Riß-
enden auf dem Achsenfaden gleiten (Fig. 49 1 und mJ. Sie nimmt
auf ihrem Wege Zellprotoplasma mit, welches nach Meves die in Rede
stehende ventrale Hülle des Achsenfadens liefert. Wie sich die Um-
bildung des Protoplasmas zur Hüllsubstanz des Näheren gestaltet,
wissen wir nicht.
Verbindungsstück. Die Genese des Verbindungsstückes ist
auf das genaueste mit dem eben Besprochenen verknüpft. Vs'w haben
schon — s. p. 113 — vorweggenommen, daß als Verbindungsstück
derjenige Teil des Spermium zu betrachten sei, welcher zwischen den
beiden Teil-Stücken des hinteren (distalen) Centrosoms gelegen ist und
noch diese beiden Centrosomstücke einbegreift. Indem wir das Ver-
bindungsstück so annehmen, entspricht es völlig dem, was Retzius
am ausgereiften Spermium darunter verstanden wissen wollte. Wie
nun dieses Stück histogenetisch entsteht, ist in der eben gegebenen
Beschreibung der Bildung der Achsenfadenhülle bereits dargelegt
worden ; die Schilderung von Meves läßt an Klarheit und Bestimmtheit
nichts zu wünschen übrig. Bemerkenswert ist, wie nochmals hervor-
gehoben werden soll, daß das vordere Stück des distalen Centrosoms
(der vordere Halbpessarring) fest mit dem Halsstücke, dem proximalen
188 W. Waldeyer,
Centrosom, verschmilzt; eine Zwischensubstanz, wie wir sie beim
Säugetiere und beim Menschen finden werden, scheint hier nicht vor-
handen ; demnach ist es auch nicht möglich, eine scliarfe Grenze
zwischen Halsstück und Verbindungsstück bei den Urodelen anzugeben,
lieber die Histogenese der Membrana undulatoria ist zur
Zeit noch nichts Näheres zu berichten; ihr Rand faden läßt sich nach
Meves (171, p. 365) bis zum Halsstücke verfolgen (Fig. 49 k und l).
Schon im beschreibenden Teile sahen wir, daß das Verbindungs-
stück der Urodelen eine beträchtliche Länge hat — zwischen c.p.I.
und c.j).II (Ann. I und Ann. II) in Fig. 49 m,. — Soweit wie von
c.p.II (Fig. 49 m^) die Meml)rana undulatoria noch reicht, ist das
H a u ]) t s t ü c k , von da ab das Endstück zu rechnen ; histogeuetisch
ist speziell über diese Teile nichts Genaueres bekannt.
Wie die Fibrillen des Randfadens sich bilden und wann,
wde ihre Zwischen- oder Kittsubstanz, darüber wissen wir zur Zeit
gleichfalls noch nichts. Nur der Randfaden hat, wie seinerzeit an-
gegeben wurde, bei den Amphibien Fibrillen, der Achsenfaden nicht.
Bei den Säugetieren gestaltet sich die Spermiogenese im
wesentlichen gleich; ich gebe zunächst die Spermiogenese bei Cavia
cobaya nach Meves (171), indem ich von der Einteilung in be-
stimmte Abschnitte, Perioden, (3 nach Meves, 5 nach Benda, 7 nach
V. Bardeleben) glaube absehen zu dürfen.
Die fertige Meerschweinchenspermatide zeigt außer Zell leib
und Kern, mit deutlichem Faden werk in ersterem und gröberen
Chromatinbrocken nebst verbindenden Lininfäden in letzterem, ein
verhältnismäßig großes Idiozom mit Körnern, die in Eisenhämatoxylin
sich schwärzen, und zwei deutliche, hanteiförmige C e n t r o s o m e n ,
welche aber schon außerhalb des Idiozoms dicht an der Zellperipherie
gelegen sind. Ferner finden sich ein oder mehrere „chromatoide
Nebenkörper" in Gestalt unregelmäßiger Brocken. Siehe das vorhin,
p. 178, über diese Bildungen Gesagte.
Mit Beginn der Spermiohistogenese wird der K e r n excentrisch
verlagert, während sich sein Chromatin zunächst in der Mitte zu-
sammenklumpt, um später sich in einem grobbalkigen Chromatinnetze
au der Kernperipherie auszubreiten.
Im Idiozom sammeln sich die in Eisenhämatoxylin dunkelnden
Körner, deren jedes einen lichten Hof erhält, zu einem einzigen
großen Korne, Archosoma, Moore (175), an, welches, umgeben
von einem größeren Lichthofe, sich dem Kerne nähert; der Rest des
Idiozoms erscheint halbmondförmig dem Lichthofe angeschmiegt. Das
Archosom nebst seinem Lichthofe geht in das Perforator ium und
in die Kopf kappe auf, und zwar in folgender Weise:
Zunächst sondert sich das Archosom in eine hellere Außen- und
dunklere Binnenzone, welch letztere wie eine dunkle Kugel in der
Außenzone erscheint; um diese wieder liegt der Lichthof, an diesem
endlich der Idiozomrest. Dann lagert sich das Ganze an den pro-
ximalen Kernpol dicht an; die Wand des nunmehr deutlich als Um-
hüllungsbläschen erscheinenden Lichthofes verschmilzt mit der Kern-
wand, jedoch nur zu den Seiten des dunklen Innenkörpers, welcher,
unter halbkugeliger Abplattung, mit der Kernwand ebenfalls verschmilzt.
Die hellere Außenzone wird dadurch auf den proximalen Umfang des
Innenkörpers beschränkt. Indem nun die Membran des Lichthofbläs-
Die Geschlechtszellen. 189
chens sich über die Kernmembran bis jenseits des Kernäciuators hin
ausbreitet, liefert sie die K opf kappe. Das Archosoma wird, indem
es (beim Meerschweinchen) die früher beschriebene abgeplattet-löffel-
förmige Gestalt annimmt (Fig. 50 g und 50 h Pf.), zum P er f Ora-
torium (Akrosom v. Lenhossek) und ist natürlich auch von der
Kopfkappe überzogen. Der Idiozomrest gleitet an der Seite des
Kernes hinab zu dessen distalem Pole hin; er verschwindet gegen
das Ende der Spei-mienbildung. — Die definitive Krümmung, sowie
die Trennung in die zwei Blätter mit Zwischensubstanz (p. 141)
kommen beim Perforatorium von Ca via erst nach Abstoßung der
Spermien in das Samenkanälchenlumen zustande.
Verhalten der C e n t r a 1 k ö r p e r. — Fig. 50. — Vom distalen
(hinteren) Centralkörper nimmt wie bei Salamandra rasch ein feiner Faden,
die Anlage des Achsenfadens, seinen Ausgang. Dann nimmt der vordere,
dem Kerne dicht angeschmiegte Centralkörper eine Lage ein, welche ihn
in einen rechten Winkel zum hinteren stellt, der mit seiner Längs-
achse in der Längsachse der Zelle gerichtet bleibt. (Dieses Stadium ist
in Fig. 50 nicht gezeichnet.) Nunmehr krümmt sich der hintere Central-
körper hakenförmig um ; der eine, näher dem Kerne gelegene Haken-
schenkel kommt nahezu parallel mit dem vorderen Centrosom zu
stehen, der andere behält die ursprüngliche Richtung (die der Geißel)
bei und zeigt sich beim Uebergange in die letztere durch ein Knöpfchen
verdickt, während das freie Ende des anderen Hakenschenkels gleich-
falls anschwillt. Auch der vordere Centralkörper, der mit der Kern-
wand verschmilzt, ändert seine Gestalt, indem er nach der Seite hin,
an welcher die beiden Hakenschenkel des hinteren Centrosoms ineinander
übergehen, einen kleinen, stielförmigen Ansatz bekommt. Das am
Stielchen sitzende dickere Stück ist das, welches mit der Kernwand
verschmilzt und nunmehr wie in den Kern eingedrückt erscheint.
Ich füge hier sofort die späteren Veränderungen der Centralkörper an :
Der senkrecht zur hinteren Zellenwand gestellte, in die Geißel übergehende
Hakenschenkel ic.p.I) des hinteren Centrosoms zerfällt in zwei Knötcher.;
von denen das eine (distale) jenes eben erwähnte Geißelknöpfchen (c.p.ll)
ist (Fig. 50 c), das andere {c.p.I [et] Fig. 50 d) gerade dem Uebergange
in den proximalen (queren) Hakenschenkel entspricht. Das distale
stärkere Knötchen, von dem die Geißel ausgeht, wandelt sich in einen
Ring um (cp. 11, Fig. 50 d), durch den die Geißel hinduxxhtritt, um sich
mit dem Knötchen c.p.I («) zu verbinden. Ich betone hier sofort, daß,
W'ie wir aus dem Gesagten entnehmen müssen, dieses Knötchen gleichfalls
ein Stück des ursprünglichen hinteren Centrosoms ist. Der Rest des
vorderen Hakenschenkels schwillt unterdessen stark keulenförmig an.
Der vordere Centralkörper (ca.) zerfällt nunmehr in eine ventrale
und in eine dorsale Hälfte; erstere, die ventrale, weiter in drei neben-
einander gelegene Knötchen, vordere Centrosomknötchen (Hals-
knötchen, Nd. a., Fig. 50 e und f). — Die Bezeichnungen „ventral"
und „dorsal" sind in dem p. 139 erklärten Sinne zu nehmen. —
Ebenso zerfällt der horizontale, keulenförmig verdickte Hakenschenkel
in drei entsprechende Knötchen, hintere Centrosomknötchen
(cp. 1, Nd. p.), von denen das der Verdickung entsprechende das größte
ist. Diese drei hinteren Knötchen treten nun mit den drei vorderen
durch feine Fäden, Centrosomfädenm., in Verbindung, und es er-
scheint zwischen allen diesen Dingen eine homogene Zwischensubstanz.
190
W. Waldeyer,
Der feine Stiel, der vom vorderen Centrosom (Fig. 50 c und d) abging,
schwindet, desgleichen die dorsale Längsspalthälfte dieses Centrosoms,
von der soeben die Rede war; wenigstens ist an den von Meves abge-
bildeten reifen Spermien nichts mehr davon zu entdecken, während sie
in der Profilansicht eines noch nicht voll entwickelten Spermium als
Punkt an der distal-dorsalen Kopfkante erscheint (Je in Fig. 50 g).
Vgl. hierzu auch p. 139/140.
a.
b.
c.p. I (Nd.pJ
c.p.i(cC)\ °^~'\-c.p.ji /:.^-\ -ap.jr JX-^'c.p./fa-'J
-Fprinc. i.
'---c.p.JTfAnn.)
-'Vg. caud.
—F.princ IT.
Fig. 50 (a— f).
Fig. 50 a— f. 6 Schemata zur Erläuterung der Si^ermiogenese beim Menschen
und bei Cavia cobaya, entworfen nach Zeichnunoen und Angaben von Meves
(Arch. f. mikr. Anat., Bd. 54). Figg. a und b nach dem Verhalten beim Menschen
(Textfiguren n — p Meves), die übrigen nach den Befunden bei Cavia cobaya. ca.
Centrosoma anterius (vorderes, proximales Centrosom). cp. Centrosoma posterius
(hintei'es, distales Centrosom, in sämtlichen Figuren). cp.I Vorderstück des hinteren
Centrosoms. c.jo. // Hinterstück des hinteren Centrosoms (Figg. c — f). c.p. I (a) Teil
vom Vorderstücke des hinteren Centrosoms, welcher sich später mit dem Hauptfaden
verbindet (Figg. d — f). c.a.(Nd.a.) Centrosoma anterius (Noduli anteriores), vordere
Endknöpfchen, aus dem vorderen Centrosom entstanden. cp.I (Nd.j).) Centrosoma
posterius (Noduli posteriores), hintere Endknöpfchen, aus dem hinteren Centrosom
entstanden. F.princ. I vorderer, bei der ersten Anlage dünnerer Teil des Filum
principale (Hauptfadens), c.p. II(Ann.) Ceutrosoma i^osterius (Annulus), distales
Stück, Ring, Schlußring. Vg.cand. Vagina caudalis (Schwanzblase). F.princ. II
hinterer, bei der ersten Anlage dickerer Teil des Hauptfadens.
Der vom hinteren Gentralkörper ausgegangene Ring (c.p. II, Fig. 50
d und e, und c.p. II, Ann., Fig. 50 f) rückt an das distale Ende des um
den Anfangsteil des Achsenfadens (F. princ. /, Fig. 50 f ) in länglicher Form
sich ansammelnden Cytoplasmas bis an die Schwanzblase, s. weiter
Die Geschlechtszellen. 191
unten (Vg. caud., Fig. 50 f)') heran; nach und nacli wird er immer un-
deutlicher und ist am reifen Spermium nicht mehr zu entdecken; in
Fig. 50 h ist seine Stelle angedeutet.
Aehnlich ergeht es dem mittleren, aus dem horizontalen (vorderen)
Hakenschenkel des hinteren Centrosoms entstandenen Knötchen ; nur er-
halten sich von ihm ein oder zwei Fädchen, die zum mittleren Knötchen
des vorderen ventralen Centralkörpers ziehen.
Die beiden seitlichen, aus diesem Hakenschenkel hervorgegangenen
Knötchen bilden sich ein wenig zurück und werden schließlich in das
vordere Ende der Spirale des Verbindungssttickes aufgenommen ; ihre
Verbindungsfäden mit den Knötchen des vorderen Centrosoms bleiben
bestehen. Vgl. p. 139—141.
Bei der Ratte und beim Menschen vollziehen sich nach Meves
die Umbildungen der Centralkörper im wesentlichen in derselben
Weise, wie beim Meerschweinchen. Jedoch sind folgende Abweichungen
zu bemerken : Der Kern sendet dem vorderen Centralkörper einen Fort-
satz entgegen, an welchen dieser Körper sich anheftet und nun durch
den sich wieder einziehenden Fortsatz an den Kern herangebracht
wird. Der Centralkörper wächst dabei in ein Stäbchen aus, welches einen
stielförmigen Fortsatz in das Cytoplasma entsendet und quer zur Achse
der Zelle dem Kerne angelagert ist. Der hintere Centralkörper, von dem
der Achsenfaden ausgeht, wird stumpf-kegelförmig, mit der Spitze zum
Kern hin gewendet (vgl. Fig. 50 b) ; er zerfällt später in einen (vorderen)
Knopf, von dem der Faden ausgeht, und in einen Ring, durch den der
Faden hindurchtritt. Der Knopf, welcher dem jEXSEx'schen Endknöpf-
chen entspricht, verbindet sich durch eine Zwischenmasse mit dem vor-
deren Centralkörperchen ; dies verschmilzt nunmehr innig mit dem Kerne,
insbesondere bei der Ratte; beim Menschen erscheint es an den reifen
Spermien häufiger als kleine Erhebung am hinteren Kernpole. Centro-
somfäden bilden sich nicht.^
Die im Vorigen mitgeteilten Befunde erweisen, daß bei Säugetieren
(nach Meves) nur der hintere Centralkörper mit der Bildung des
Achsenfadens, also des Spermienschwanzes, zu thun hat. Ferner zeigt
sich, daß auch der vordere Centralkörper nebst einer Zwischensubstanz
und nebst Fäden (Meerschweinchen) sich, wenn auch eng mit dem Kerne
verbunden, erhält. Sonach l)erechtigt uns die Entwickelungsgeschichte,
außer Kopf und Schwanz noch einen dritten Teil bei den Spermien
zu unterscheiden, den Hals. Siehe das p. 109 ff. Gesagte.
Wie vorhin bemerkt, bestehen bei Salamandra in dem Verhalten
der Centrosomen zum Achsenfaden einige Besonderheiten, welche ich hier
nach einer brieflichen Mitteilung von Meves und nach seiner Darstellung
im Archiv für mikroskop. Anat., Bd. 50, 1897, pp. 119, 130 und 131,
wiedergebe : Der neugebildete Achsenfaden, den wir zunächst — siehe
Figg. 48a und b — mit dem hinteren Centrosom in Verbindung finden,
tritt später durch den Ring, in welchen der ganze hintere Central-
körper übergeht, hindurch bis zum vorderen Centralkörper hin, an
welchen er nunmehr angeheftet erscheint. In der Folge, sobald der Ring
sich pessarförmig umzugestalten beginnt, sieht man das hintere Ende des
1) Statt Vg. caud. (Vagina caudalis) sollte in der Figurenbezeichnung „Ves.
ccmd." (Vesica caudalis) stehen, um eine Verwechselung mit der Schwanzscheide,
für welche Vg. caud. gebraucht wurde, zu vermeiden. Es handelt sich um zwei
verschiedene Bildungen.
192 W. Waldeyer,
vorderen Centralkörpers, an welchem der Achsenfaden sitzt, sich auf-
liellen, welcher Vorgang von Mrves als eine Einschmelzung dieses Endes
aufgefaßt wird. Hierdurch trennt sich der Achsenfaden vom vorderen
Centralkörper wieder ab. Jetzt verschmilzt das vordere Halbpessar
des hinteren Centralkörpers mit dem Reste des vorderen Centro-
soms und bildet so dessen distales (hinteres) Ende ; mit diesem Ende,
welches also endgiltig dem hinteren Centrosom angehört, verbindet
sich (sekundär) auf die Dauer der Achsenfaden.
Weitere Umwandlungen des Kernes. Wir sahen, daß
der Kern zunächst eine excentrische Lage angenommen hatte; später
zieht sich der Zellleib nacli hinten bis zum distalen Rande der Kopf-
kappe vom Kerne zurück. Letzterer streckt sich in die Länge, plattet
sich ab und spitzt sich am proximalen (vorderen) Ende ein wenig zu.
Das grobmaschige Chromatinnetz wandelt sich in ein feinmaschiges,
aus dünnen Netzfäden bestehendes um. Später nimmt mit (namentlich
vorn) sich steigernder Abplattung der Kern an Volumen ab und ge-
winnt ein homogenes Aussehen, indem das Chromatinmaschenwerk
immer enger wird und der Kernsaft sich eindickt. Am Schlüsse der
dritten Periode hat der Kern seine Lötfeiform (beim Meerschweinchen)
erreicht und ist zum Kopfe der Spermie geworden.
Verhalten des C y t o p 1 a s m a s und Bildung der Schwanz-
manschette. Im Cytoplasma treten nach und nach zahlreiche Fett-
körnchen auf. Um den Ursprung des Achsenfadens herum bilden
sich dann, den Angaben von Meves zufolge, feine Fäden im Cyto-
plasma, die sich zu einem -- verstehe ich die Beschreibung und
Zeichnung von Meves recht — sanduhrförmigen Faserkorbe zusammen-
fügen. Dann verschmelzen die Fäden miteinander, und der Korb wird
zu einem hyalinen Rohre, der Seh w a n z m a n s c h e 1 1 e . welche die
Centrosomenabkömmlinge, den Beginn des Achsenfadens und anfangs
auch den hinteren Kernpol umgiebt. Indem sich später das Cyto-
plasma, dem die Schwauzmanschette angehört, gänzlich vom Kerne
zurückzieht und nur noch denjenigen Teil des Achsenfadens, welcher
später dem Verbindungsstücke angehört, einscheidet — s. weiter unten —
wird der hintere Kernpol frei. Gegen Ende der Spermiohistogenese
soll nach Meves die Schwanzmanschette schon wieder schwinden;
ihre Bedeutung ist noch unaufgeklärt.
In dieser Periode treten dann auch im Cj^toplasma die zuerst von
V. Ebner (75) bei der Ratte beschriebenen, von ihm ihrer Neigung zu
Farbstoffen wegen als „t i n g i e r b a r e Körner" bezeichneten Bildungen
auf. Da sie mit dem betreffenden Teile des Cytoplasmas, nachdem sie
sich vorher zu größeren Ballen zusammengeklumpt haben — Fig. 50 g —
zu Grunde gehen, kann ihnen eine besondere Bedeutung bei der
Spermiogenese wohl nicht zugesprochen werden.
Ein Teil des Cytoplasmas beteiligt sich indessen in hervorragender
Weise an der Spermienbildung, und zwar insbesondere bei der Her-
stellung des Verbindungsstückes und der Hüllen des
Achsenfadens; wir besprechen den letzteren an dieser Stelle mit.
Die erste Anlage des Achsen faden s erscheint, wie wir sahen,
an der Spermatide gleich zu Beginn ihrer Umformung zur Spermie.
Schon bevor das hintere Centrosom auf seiner Wanderung die hintere
Zellperipherie erreicht hat, beginnt aus ihm, oder sagen wir „in steter
Die Geschleclitszellen. 193
Verlnndung mit ilim", ein feines Fädclien hervorzuwachsen, welches
bald eine ansehnliche Länge erreicht. Dieses Fädchen ist schon deut-
lich erkennbar und ragt bereits aus der Spermatide hervor, während
diese noch ihre rundliche, gewöhnliche Zellenforni bewahrt hat. Vgl,
Fig. 44. 46 und 50 a. Sobald das hintere Centrosoni dicht an die
Zellperipherie gerückt ist, ragt die Geißel gänzlich aus der Zelle
heraus. Mit der Wanderung der Centrosomengruppe zum Kerne hin,
dessen hinterem Pole sie zustrebt, wird ein bei verschiedenen Tieren
verschieden langer Teil des primitiven Achsenfadens wieder von dem
Cytoplasma umschlossen ; immer aber bleibt ein ansehnlicher Teil, der
sich mit der weiteren Entwickelung bedeutend verlängert, frei. Ich
sehe hier von der bei Salamandra — und nach Benda in einem ähn-
lichen Prozesse auch bei Säugetieren — zur Schwanzmanschetten-
bildung führenden Einstülpung der Zelle (Figg. 48 b, c, d) einmal
ab. Es ist somit ein intracellu lärer Teil des Achsenfadens
schon frühzeitig von einem extra cell ulären zu unterscheiden.
Auf diese Unterscheidung ist Gewicht zu legen, da nach den Unter-
suchungen von Meves (167 und 171) und Benda (36, 37 und
briefliche Mitteilung), denen ich mich anschließe — vgl. p. 114/115 — ,
das Cytoplasma der Spermatide, wenigstens bei den Säugetieren, sich
nicht weiter über den Achsenfaden distal hinüberzieht, als der Pting
an letzterem entlang wandert. Dies fanden wir, s. das vorhin Ge-
sagte, auch bei Salamandra. Da nun durch den Ring die distale
Grenze des Verbindungsstückes bezeichnet wird, so darf man sagen,
daß der intracellulär e (oder der innerhalb der Schw'anz-
manschette gelegene) Teil des Achsenfadens derjenige
sei, der dem späteren Verbindungsstücke entspreche.
Wie Meves gefunden hat, ist dieser Teil des Achsenfadens {F.
princ. I, Fig. 50 f) anfangs auch dünner als der extracelluläre.
Frühzeitig erscheint um den intracellulären Teil des Achsenfadens
herumgelagert eine kleine, spindelförmige oder länglich ellipsoidische
Blase, welche alsbald mit dem Ringe an die Zellperipherie rückt,
während der Zellenleib sich streckt (Vg.caud., Fig. 50 f). Diese Blase,
Schwanzblase, geht bei der gemeinsamen Wanderung dem Ringe
um eine Strecke vorauf, entfernt sich aber nicht von der Zellperipherie,
sondern bleibt hier (distal) dicht am Ringe liegen, wie dies Fig. 50 f
zeigt. Der Achsenfaden behält innerhalb dieser Blase seinen geringeren
Durchmesser.
Die Blase ist von v. Bardelebex bei menschlichen Spermien zuerst
gesehen worden, jedoch irrtümlicherweise als hinteres Centrosom gedeutet,
was begreiflich wird, da sie beim Menschen einen in OsO^ sich bräunenden,
in Eisenhämatoxylin sich schwärzenden Inhalt hat. Meves erkannte zuerst
die Blasenform und deutete sie als durch eine partielle Abhebung der
inneren Hülle des Achsenfadens entstanden. Die Blase schwindet
später; was sie bei der Spermiohistogenese zu leisten habe, ist noch nicht
aufgeklärt. Sie ist wohl von der Schwanzmanschette zu unter-
scheiden; die Bezeichnung Vag. caud. bedeutet in den Figg. 48 und 50
nicht dasselbe; s. die Anm. zu p. 191.
Wie V. Brunn (Arch. f. mikr. Anat., Bd. 23) gezeigt hat. erreicht
der Achsenfaden schon früh seine definitive Länge ; Meves fand, daß
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 13
194
W. Waldeyer,
er mit der Ausbildung der üln-igen Sperniienteile auch seine endgiltige
Dicke erreicht, und zwar zunächst im Bereiche des Hauptstückes.
Die Hüllen des Spermienschwanzes entwickeln sich in
folgender Weise: Dicht um den Achsenfaden legt sich im Bereiche
des Verbindungsstückes zunächst eine dünne innere Hülle, Invo-
lucrum in fern um (s. Fig. 6 D Inv. int. und 4o B iwv.), an. Einen
Beweis für ihr Vorhandensein erblickt Meves in der von ihm ent-
deckten, eben beschriebenen Blase {Vg. caud.). Diese innere Hülle
geht ohne Unterbrechung in die Hülle des Hauptstückes über, welche
Meves für ein Eigenprodukt (vielleicht „Ausscheidung") des Achsen-
fadens hält; demnach dürfte dem Involucrum internum des Verbin-
dungsstückes dieselbe Entstehungsweise zugeschrieben werden. —
Falls auch, wie vermutet wird, der Endfaden noch eine Hülle besäße,
würde diese gleichfalls hierherzurechuen sein.
Aus dem Cytoplasma gehen dann, insbesondere am Halsstücke
und am Verbindungsstücke, zw^ei weitere Hüllen hervor, die äußere
Hülle, Involucrum e x t e r n u m (Fig. 6 D Inv. ext.) und die
Ctpl.
F.c.m.
- Pf-
Pa. + P.p.
Ctpl.
Nd.a.
F.c.
Nd.p.
P.c.
Cd\%
P.pr.
Fig. 50 g.
Fig. 50 h.
Fig. 50 g und h. Ein in der Entwickelung fast fertiggestelltes Spermium von
Ca via cobaya (nach Meves, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 54), 50 g von der Kante,
50 h von der Fläche gesehen. Ctpl. Cytoplasmarest, vom Kopfe des Spermium
getrennt. Pf. Per f Oratorium. P.a. Pars anterior (Vorderstück) des Kopfes. P.p. Pars
posterior (Hinterstück) des Kopfes. F.c.m. Filum centrosomatum medium (mittlerer
Centrosomfaden). Ä-. hinteres (dorsales) Längsspaltstück des proximalen Centro-
soms, hier (im Profil) als Knötchen erscheinend. Cl. Collum (Hals). P.c. Pars
conjunctionis (Verbindungsstück). P.pr. Pars principalis (Hauptstück). Cd. Cauda
(Schwanz). P.a. + P.p. Stück des Kopfes, welches Teile von der Pars anterior und
auch von der Pars i^osterior umfaßt. j\\La. Noduli anteriores (vordere Centrosom-
kuötchen). F.c p'ila centrosomatum (Centrosomfaden). Nd.p. Noduli posteriores
(hintere Centrosomknötchen). Näheres im Text.
Die Geschlechtszellen. 195
Spiral hülle (Fig. 6 D und Fig. 43, S2>ir. -|- Sbst int.), welche zwischen
der inneren und äußeren Hülle gelegen ist. Die letztere schmiegt
sich bei reifen Si)erniien der Spiralhülle so dicht an, daß sie mit ihr
zusammenzufallen scheint.
Erst durch Meves ist die Herkunft dieser äußeren Hülle aus dem
Cytoplasma klargestellt worden. Sie bildet auch die an jungen Samen-
fäden vorhandene, bereits von Dujardin und Köllikeu wahrgenommene
spindelförmige Auftreibung im Bereiche des Verbindungsstückes.
Die Si)iralhülle anlangend, so zeigte zuerst v. Brunn (Arch. f.
mikr. Anat., 1884), daß dieselbe aus dunkelglänzenden Körnchen
des Cy toplas mas hervorgehe, welche dem Achsenfaden sich auf-
lagern und der Quere nach zu einem spiraligen Faden verschmelzen.
Später wollte sie G. Niessixg (Würzburger Verhandl., 1889), ebenso
wie die Schwanzmanschette und im Zusammenhange mit der letzteren,
auf die röhrenförmig ausgezogene Kernmembran, die der Quere nach
zerfalle, zurückführen, F. Hermann dagegen und Benda (in frühereu
Mitteilungen — vgl. No. 35) auf den auswachsenden „Ring". Diese
Ansicht ist auch von dem neuesten Autor auf diesem Gebiete, Schön-
feld (231), wieder aufgenommen worden.
Ich zweifle jedoch nicht, daß die Ansicht v. Brunn's in der
Fassung und Erweiterung, welche sie durch die jüngsten, ausgezeich-
neten Untersuchungen Benda's (37 und 38) erhalten hat, das Richtige
ti-ifft. Der Zuvorkommenheit Benda's verdanke ich Einsicht in seine
Originalpräparate und die Originalzeichuungen, welche in Fig. 46 wieder-
gegeben sind ; diesen zufolge muß ich Benda zustimmen, wenn er
die Spiralhülle auf die von ihm nachgewiesene Mitochondria zu-
rückführt (vgl. p. 145 und p. 182, 183). Die Mitochondriakörner ver-
schmelzen, wie es v, Brunn angegeben hat, und bilden dann bei
den Spermien verschiedener Tiere einen homogen erscheinenden
Spiralfaden, dessen Windungen später meist so eng zusammenliegen,
daß man sie nicht gut mehr als spiralige unterscheiden kann. In
anderen Fällen, z. B. beim Sperling, kommt es nicht zur Bildung
einer Spirale, sondern nur zu der eines lockeren Fadens. Die Spirale
kann eng (dicht) gewunden sein (Mus musculus), s. Fig. 46, oder locker
(Columba, Lacerta) ; sie kann starkfädig oder feinfädig sein, endlich
zu einer Art homogener Röhre sich umbilden. Benda verlegt sie
da, wo sie in das Bereich der Schwanzmanschette kommt, auf die
Außenfläche derselben; so hängt sie in ihrer Breite von der
letzteren ab, in ihrer Länge von der Ausdehnung des Cytoplasmas
auf die einzelnen Teile der Spermie.
So beschränkt sich die Spiralhülle bei Säugern auf das Verbindungs-
stück; bei der Taube und bei Lacerta umfaßt sie den Kopf und den
Halsteil der Spermie (Benda 37). Bei den A n u r e n findet sie sich am
Halsteile und am proximalen Geißelteile (Verbindungsstücke) ; bei Bom-
binator erkennt man chondriogene Bildungen an Kopf und Geißel, jedoch
sah Benda hier keine deutliche Spirale. Bei Urodelen fand er eine enge
Spirale, soweit sich das Protoplasma mit dem Ringe vorschiebt, also in
der ganzen Länge des Verbindungsstückes. Bei den Selachiern und Pul-
monaten hinwieder bekleidet die Mitochondrienhülle, bezw. Spirale, das
hier langgestreckte Halsstück.
c In Fig. 46 ist die allmähliche Entwickelung der Mitochondrienspirale
von Mus musculus deutlich zu verfolgen.
13
*
196 W. Waldeyer,
Ebensowenig wie über die Histogenese der P'ibrillen des Rand-
fadens nnd der der Wellen membran — s. das vorhin bei Salamandra
Gesagte — wissen wir über die Fibrillen des Achsen fad ens,
deren Kittsnbstanz und über die Zwischen Substanzen am
Halsstücke und an der Spiralhülle. (Vgl. die Figg. 6 D und 43, wo
diese Dinge bezeichnet und erklärt sind.)
Im Nachfolgenden sollen noch neben wichtigeren geschichtlichen
Daten einige von der MEVEs'schen Darstellung abweichende Angaben an-
geführt werden.
Bbnda, dem wir neben Meves, v. Lenhossek und F, Hermann die
eingehendsten Untersuchungen über die Spermiohistogenese verdanken,
hatte die Umbildung des Kernes in den Spermienkopf derart beschrieben,
daß sich das Chromatin der Spermatide zunächst an der Kernperipherie
kapselartig ansammle und darauf der Kern sich zur Herstellung der
Kopfform abplatte. Für das Meerschweinchen trifft dies nach Meves
nicht zu ; neuerdings hält auch Benda diese seine Darstellung nur noch
für die Sauropsiden aufrecht (37).
Für die Entstehung des Halsstückes bestehen verschiedene Dif-
ferenzen zwischen Meves einerseits und F. Hermann, sowie Bertacchini
(40 — 43) andererseits, auf welche hier jedoch nicht näher eingegangen
werden kann. Ich verweise auf die betreffenden Angaben von Meves
(171).
Benda (37), Suzuki (243) und v. Korff (130) haben gleichzeitig
das wichtige Ergebnis gewonnen, daß das sogenannte „Mittelstück" der
Selachier und der Pulmonaten — nach meiner Auffassung das Hals-
stück — nichts als das besonders stark in die Länge gewachsene
vordere Centrosom sei. Das stimmt mit dem Verhalten der Urodelen;
nur daß hier das vordere Centrosom, wenn auch ansehnlich sich ver-
größernd, doch nicht ein so auffallendes Längenwachstum zeigt. Benda
möchte (briefliche Mitteilung) das Stück als „Mittelstück", oder „centro-
korpuskuläres Spermienstück" benennen. Ich würde am liebsten den
Namen „Mittelstück" ganz fallen lassen, da er zu Verwechslungen mit
dem Verbindungsstück führen kann. (Vgl. das p. 110 und 111 Gesagte.)
Interessant scheint mir insbesondere der von Benda und v. Korff ge-
führte Nachweis, daß bei Evertebraten (Pulmonaten) dieselbe außerordent-
liche Entwickelung des Halsstückes vorkommt, wie bei einzelnen Verte-
bratenklassen.
Die wahren Centrosomen der Säugetierspermatiden und ihr Verhalten
bei der Spermiohistogenese wurden als solche ungefähr gleichzeitig von
Meves und von v. Lenhossek, denen später Benda sich anschloß, er-
kannt; Meves hat ihre Umwandlungen am genauesten verfolgt.
Meves giebt an, daß sich ein ansehnliches Stück des Cytoplasmas
bei der Spermiogenese des Meerschweinchens abstoße, nachdem es sich
vorher, samt den in ihm enthaltenen tingierbaren Körpern, eventuell auch
dem chromatoiden Nebenkörper, vom Verbindungsstücke der jungen
Spermie abgeschnürt habe (s. Figg. 50 g und h). Dies Stück Cytoplasma
werde dann von einer Fußzelle aufgenommen und resorbiert. Schon bei
Brown (62a) und bei v. Ebner (75) linden wir eine ähnliche Angabe
von der Ratte; Regaud (222, I) scheint diesen Vorgang für die Säuge-
tiere zu verallgemeinern; die abgestoßenen Stücke bezeichnet er als
„Corps residuels". Benda, welcher früher ein Zugrundegehen des Cyto-
plasmas angenommen hatte, spricht sich neuerdings (briefliche Mitteilung)
Die Geschlechtszellen. 197
gegen ein solches aus; es handle sich vielmehr um eine Reduktion, Zu-
sammenschrumpfung des Cytoplasmas; kein Teil des Spermatidencyto-
plasmas gehe der 8permie, streng genommen, verloren.
Die S c h w a n z ra a n s c h e 1 1 e , welche Bexda auch bei Säugetieren
durch des scheideuförmige Vordringen des Zellleibes, im Zusammen-
hange mit dem Ringe (Centroporus), im wesentlichen sich bilden läßt
(Fig. 48), geht nach seiner neuerdings mir brieflich mitgeteilten Ansicht
(während er früher für ein Zugrundegehen derselben eingetreten war),
gleichfalls nicht verloren. Ebenso äußern sich E. Klein (126 a), Bioxdi
(M. 4544), G. und C. Niessing (1. c. und No. 184 und 185), F. Her-
mann (115) und V. Lenhossek (142). Sonach wäre der Mantel des Ver-
bindungsstückes aus dem gesamten cytoplasmatischen Material der Sper-
matide abzuleiten. Den Namen „Schwanzmanschette" führte v. Len-
hossek (142) für die älteren Bezeichnungen „Schwanzblase", „Schwanz-
kappe" ein. Seit v. Kolliker, der sie zuerst bespricht (127 — 129), haben
die meisten Autoren sie von der Kernmembran abgeleitet. Renson (M. 2579)
war der erste, welcher die Bildung der Manschette aus dem Cytoplasma
erkannte und v. Lenhossek (142) zeigte, daß es sich nicht um eine
geschlossene Blase, sondern um eine offene „Röhre" handle.
Benda (30 ) hat als erster die Umbildung des I d i o z o m s zum Per-
foratorium und zur Kopfkappe richtig dargestellt, nachdem ältere Angaben
von V. LA Valette St. George, Merkel, v. Brunn, Brown und insbe-
sondere von Renson (1. c.) voraufgegangen waren. Benda bezeichnet den
Lichthof als Vakuole, den dunklen Körper, das Archosom Moore's (176),
welches die Anlage des „Spitzenkörpers", „Spitzenknopfes", „Akrosoms"
darstellt, ahs „Korn". Weitere genavie und eingehende Angaben finden
wir bei Niessing (184, 185) und v. Lenhossek (142).
Soweit ich sehe, ist die Histogenese der Spermiengeißel, das
ist des Achsen fadens und seiner Nebenbildungen: Rand faden,
Neben faden, Membrana und u lato ria und intermedia, noch
keineswegs völlig aufgeklärt. Die ältere Angabe, der Achsenfaden sei
ein Kernprodukt, welche auf von Kolliker zurückgeht und neuer-
dings noch u. a. von Brissaud (58 a), Bioxdi (M. 2544) und C. Niessing (1. c.)
aufrecht erhalten wurde, mviß zwar endgiltig aufgegeben werden; wir
können indessen nur so viel Bestimmtes an deren Stelle setzen, daß die
Achsenfadenbildung in inniger Verknüpfung mit dem Centrosom erfolgt.
Unentschieden ist es noch, ob der Faden eine reine Centrosom-
bildung ist oder nur unter Mitwirkung des letzteren aus dem Protoplasma
hervorgeht. Ohne von den Beziehungen zu den Centralkörpern zu wissen,
hatten schon Henle (Splanchnologie), v. la Valette St. George (250),
Fr. Merkel (162), Sertoli (237) u. a. den Faden für ein Cytoplasma-
produkt erklärt. Meves faßt das so, daß er (171, p. 385) sagt, die An-
gaben der eben genannten Autoren seien die richtigeren und nur dahin
zu ergänzen, daß am Ursprungspunkte des Schwanzfadens aus der Zell-
substanz die Centralkörper gelegen seien, welche später die Verbindung
mit dem Kerne vermittelten. Es stimmt aber damit wxnig die Thatsache,
daß der Faden (nach Meves) vom hinteren Centrosom ausgeht, sobald
dieses die Peripherie derSpermatide erreicht hat, vgl. die
Aeußerung von Meves selbst (171, p. 363/364) und Figg. 48, 49 und 50 a.
Man sollte eher erwarten, daß der Faden, wenn er eine Cytoplasma-
bildung wäre, schon erschiene, bevor das betreffende Centrosom an die
Zellperipherie gerückt wäre.
Es kommt hinzu, daß von Meves selbst (168 und 168 a) wie vor
198 W. Waldeyer
ilim schon von K. W. Zimmermann (260) an Centi-osomen ruhender
Zellen feine Greißelfäden beobachtet wurden, sowie, daß durch v. Lbn-
HOsSEK(142a) und Henneguy (115) mit guten Gründen die Ansicht ver-
fochten wurde, es seien die Basalkörperchen der Wimperhaare in den
Flimmerzellen Abkömmlinge der Centrosomen. Bexda, auf dessen ein-
gehende Darstellung (39 a) verwiesen sei, hat den Beweis hierfür, so
scheint mir, durch seine neuen Färbungsverfahren ein wandsfrei erbracht
und zugleich gezeigt, daß die Wimperwurzeln Mitochondriabildungen sind.
Es kann also auch das Centrosom selbst als das Muttergebilde des
Achsenfadens angesehen werden.
F. Hermann (115) zeigte ziierst klar und bestimmt, daß die Spermien-
geißel nicht vom Kerne aus entstehe, sondern getrennt von letzterem
an der Peripherie der Spermatide in Verbindung mit einem kleinen
Doppelkörper (Ring und Korn), über dessen Natur er aber nicht ins
Klare kam, ebensowenig wie Bbnda, der das Ganze, anschließend an
Hermann's Bezeichnung „Nebenkörper", als „chromatoiden Nebenkörper"
benannte. (S. das vorhin p. 178 Gesagte.) Hermann zeigte ferner, daß
der Geißelfaden mit dem Korne, aus welchem er hervorwächst, zur
(späteren) distalen Kernperipherie wandert und dort sekundär mit dem
Kerne verschmilzt. Es ist dies zweifellos einer der wichtigsten Fort-
schritte in der Erkenntnis der Spermiohistogenese. Moore (177) und
Benda (34) bestätigten zum Teil Hermann's Entdeckung, worauf dann
Meves (167) den nicht minder bedeutsamen Nachweis lieferte, daß die
genannten Ursprungskörperchen der Spermiengeißel die Spermatiden-
centrosomen seien, welcher Deutung bald darauf v. Lenhossek (142) und
Benda (37) sich anschlössen. Zwischen Benda und Meves besteht aber
zur Zeit (briefliche Mitteilungen) noch die erhebliche Differenz, daß
Ersterer die Geißel stets mit dem vorderen Centrosom in Verbindung
sieht, während, wie das p. 191 eingehend mitgeteilt wurde, Letzterer sie
an das hintere Centrosom anschließt.
Aus den Angaben von Mc Gregor über Amphiuma möge hier noch
folgendes mitgeteilt sein : Bei der Umformung der Sphäre zum Perfora-
torium durchbricht die Wandung der Idiozomblase die Zellmembran der
Spermatide. Die Insertion des MooRE'schen Archosoms an den Kern ist
durch eine Hervorragung von dessen entsprechendem Pole, sowie durch
eine kragenförmig die Insertionsstelle umgebende Chromatinanhäufung
markiert ; dies wird auch von Benda angegeben (37). Dieselbe Chromatin-
anhäufung ündet sich an dem gegenüberliegenden Centrosomenpole des
Kernes.
Die erheblichste Abweichung von den MEVEs'schen Angaben bei
Salamandra hat Mc Gregor bei der Bildung des Halsstückes. Bei
Amphiuma soll dasselbe nicht nur vom vorderen Centrosom, sondern der
Hauptsache nach von dem Idiozomreste, der nach Meves zu Grunde geht,
gebildet werden. Ich glaube, daß hier seitens Mc Gregor's ein Irrtum
vorliegt. Mit letzterem stimmt freilich die Darstellung von Calkins,
beti-effend die Spermiogenese von Lumbricus.
Der dorsale Halbring des pessarförmigen Körpers soll nach Mc Gregor
nicht mit dem Halsstücke, sondern mit dem Achsenfaden verschmelzen.
Mit ein paar Worten gehe ich noch auf die merkwürdigen Ab-
weichungen ein, welche die Spermiohistogenese von Bombinator darbietet
(Ivar Broman, 59). Das Bemerkenswerteste liegt darin, daß die Centro-
somen sich nicht vom Idiozom trennen, sondern zusammen am Kopf-
ende des Kernes der späteren Spermie liegen bleiben ; dieses Ende ist
Die Geschlechtszellen. 199
anfangs der Austrittsstelle der jungen Geißel aus dem hinteren Centrosom
nahe gelegen. Später rotiert der Kern 90*^ um seinen Mittelpunkt der-
art, daß das Kernkopfende nunmehr an die richtige Stelle (vorn) zu
liegen kommt: so gerät denn der Geißelursprung an das vordere Kopf-
ende der Spermie (s. Fig. 19). Der „Spieß" wächst von dem immer
mit den Centrosomen in Verbindung bleibenden Idiozombläschen mitten
durch den Kern hindurch nach hinten. Broman giebt in Ueberein-
stimmung mit Meves an, daß bei der Bombinatorspermiogenese sich
Cytoplasmaballen abschnüren, die zu Grunde gehen.
Was die Entstehung der wurm förmigen Spermien von
Paludina anlangt, auf welche p. 152 verwiesen wurde, so verdanken
sie ihre eigenartige Form, mit den vielen isoliert in ein Bündel zusammen-
gefaßten Achsenfä.den des Schwanzteiles, der Zerteilung der Centrosomen
in 12 Einzelkörperchen, zu denen je ein Achsenfaden sich bildet. Es
sei hierzu bemerkt, daß bereits G. Niessing die Centralkörper der
Spermatocyten von Salamandra aus einer Anzahl Körnchen zusammen-
gesetzt fand. Auch tritt eine sehr bemerkenswerte Reduktion der
Chromosomen ein, indem nur ein Chromosom von 14 in die fertige
Spermie gelangt und bei Pygaera — s. p. 152 — gar keines. Nimmt
man die Chromosomen als die Träger der Vererbungspotenzen an, wofür
sehr vieles spricht, dann würde eine Befruchtung mit den wurmförmigen
Samenfäden wenig oder gar keine männlichen Eigenschaften übertragen.
Somit haben diese Formen aller VV'ahrscheinlichkeit nach ein hohes In-
teresse (Meves, 172a).
Der Bildung von Riese nspermien liegen, soweit wir wissen —
Maximow (160, 160a), Regaud (212), I. Bromax (60, 61) — bereits
Riesenspermatiden zu Grunde, die z. B. bei Bombinator ein normales
Vorkommnis sind. Sie entstehen hier (Regaud und Broman) auf dem
Wege pluripolarer Mitose aus Riesenspermatocyten oder Riesenspermato-
gonien, während Maxijiow sie auf Verschmelzung von normalen
Spermatiden und in anderen Fällen auf amitotische Kernvermehrung in
normalen Spermatiden ohne nachfolgende Zellteilung zurückbezieht und
sie in letzter Instanz als Degenerationserscheiniingen auffaßt. So weit
sehen Regaud und Ivae Brüman nicht ; sie lassen vielmehr einzelne von
diesen vielkernigen Riesenspermatiden sich zu „Riesenspermien" oder zu
anderen monströsen Formen weiter entwickeln ; eine große Anzahl sollen
allerdings auch nach ihren Untersuchungen degenerieren. Vgl. hierzu
auch Pauljiier (189).
Die Spermiogenese der Everteb raten bietet, soweit sie bekannt
ist — ich erwähne die Arbeiten von v. la Valette St. George (11. cc),
V. KoRFF, Benda und Meves bei den Pulmonaten (11. cc), de Bruyxe
'Verhandl. d. Anat. Gesellsch. in Tübingen 1899), Hevmoxs (661b), Paul-
iiiER (Journ. of Morphology, Vol. XV), P. et M. Boiix (Bibliographie ana-
tomique, T. VII) und Verson (Arch. ital. de Biol., T. XXXII, 1899) bei
Arthropoden — im ganzen die gleichen Grundzüge. Der schon sehr
weit in Anspruch genommene Raum gestattet indessen ein weiteres Ein-
gehen hierauf in einem der Entwickelung der Vertebraten vorzugsweise
gewidmeten Werke nicht. Außerdem ist auf das soeben erschienene
,.Lehrbuch der vergleichenden Entwickelungsgeschichte der wirbellosen
Tiere" von Korschelt und Heider, Jena, Gustav Fischer, 1902, p. 399 ff.
zu verweisen.
Wir kehren nach dieser Darlegung der Spermiohistogenese der
Tiere und des Menschen zurück zur Bedeutung der p. 172 ff.
200 W. Waldeyer,
bescliricbeneii Fuß/ellcu und zur Eutw i ekel uugs w eile der
Spenniogenese. Wir sahen bereits — s. die Erklärung der Fig. 44 — ,
daß die Spermiohistogenese unter einer wichtigen, besonders von Benda
betonten und studierten Beteiligung der vegetativen Hodenzellen
(Fußzellen) ihren Ablauf nimmt, indem die Spermatiden sich zwischen
die Protoplasmaausläufer der Fußzellen wie in Nischen hineinlegen und
in dieser nahen Verbindung mit den Fußzellen ihre ganze histo-
genetische Umformung durchmachen. Erst wenn aus der Spermatide
eine nahezu fertige Spermie geworden ist, w^erden die von je einer
Fußzelle getragenen jungen Spermien bündelweise in das Hoden-
kanälchenlumen abgestoßen. Die geringen weiteren Umwandlungen,
die sogenannten „Reifungserscheinungen", welche die Spermien bei
ihrem Aufenthalte in den Ausführungskanälen der Männchen und im
Innern der weiblichen Genitalien noch erleiden, sind bereits besprochen
worden.
Es wurde ferner schon erwähnt, daß die Hauptbedeutung der
Kopulation in der gesicherten Ernährung der Spermatiden während ihrer
Umbildung, wobei sie von den Blut- und Lymphgefäßen des Hodens
möglichst weit entfernt liegen, gesucht werden müsse ; hieiün stimmen
Benda, v. Ebner und Peter (11. cc.) überein. So stellen sich diese
Zellen denn auch in dieser Beziehung den Follikel- oder Epithelzellen
im Hoden derjenigen Tiere, wo keine Fußzellen vorkommen (z. B. bei
Salamandra) und, wie wir später sehen werden, den Epithelzellen der
Eifollikel gleich. — Was den von Benda (o7) in einem durch besondere
Protoplasmafäden, ,, Kopulationsfäden" ausgeübten „richtenden" Einfluß
auf die in der Entwickelung begriffenen Spermien anlangt, durch welchen
die letzteren in Gruppen oder Bündel zusammengelegt werden, so
macht Grobben (101) auf morphologische und physiologische Gründe
aufmerksam, die hierbei in Frage kämen: Die Spermien seien Geißel-
zellen und als solche den Flimmerzellen homolog; Flimmerhaare seien
aber stets der Lichtung der betreffenden Kanäle zugewendet; so ver-
stehe sich das auch für die Spermiengeißeln. Der physiologische Grund
sei das Nahrungsbedürfnis, dem durch die Fußzellen (durch Kern-
attraktion) genügt werde. Zweifelhaft sei es, ob die P\ißzellen auch
die ausstoßenden Kräfte für die Spermien hätten. Regaud (207,
209, 219, 220) und Loisel (153c) schreiben den Fußzellen eine be-
sondere Sekretion sthätigkeit zu. Letztere stehe zu der richten-
den, die Spermien bündelweise anziehenden Kraft, die als chemo-
taktische anzusehen sei, in Beziehung. Der phagocyti sehen
Thätigkeit der Fußzellen wurde p. 196 gedacht. — Gelegentlich
verzehren sie nach Regaud (222, I) auch Spermien, insbesondere ab-
gestorbene und fehlerhaft gebildete, so Avie auch abgestorbene und
degenerierte Samenbildungszellen. — In vielen Fällen, Beispiele bieten
die Evertebraten, ist die Zusammenlagerung der Spermien in Bündel
ohne Weiteres darauf zurückzuführen, daß das Bündel in letzter
Instanz aus einer einzigen Bildungszelle, deren Teilprodukte dicht
zusammen liegen bleiben, entsteht. Bei den Evertebraten kommen
vielerlei Variationen von Zellen vor. die im allgemeinen als Aequi-
valente der Fußzellen zu deuten sind. Es gehören dahin die „Follikel-
zellen", die „Basalzellen", „Nährzellen" (der Arthropoden z. B.), die
Cytophoren- (Blastophoren-) und Rhachisbildungen (bei Nematoden),
ferner die großen VERSON'sehen Zellen (bei Insekten). Alle diese
Einrichtungen dienen im Wesentlichen zur Ernährung der sich bildenden
Die Geschlechtszellen.
201
Speriiiien, zu ihrer Gruppierung und zur Spcrniatophorenbildung.
KoRSCHELT und Heider haben sie, soweit es sich dabei um Zellen
handelt, unter der Bezeichnung ,,Hi Ifsz eilen " zusammengefaßt
(6G6a). — Vgl. hierzu den Abschnitt „Oogenese".
Die Samenentwickelungswelle verläuft bei den Tieren,
die eine deutliche Brunstperiode auch im männlichen Geschlechte
zeigen, wie die weitaus größte Zahl der nicht domestizierten Tiere
~--Ctpt.
Nacleol.
Niid.
-.\ufi1. (Cp.)
F'
,- c.
W
— c
(Kucl)
CM
Fig. 51 I-
-V.
Fig. b'l
Fig. 51. I Mutterzelle von Gymiiogramm e sulfurea mit rundem färb-
baren Körperchen neben dem Kerne, c färbbares Körperchen. Nud. Kern. Ctpl. Zell-
leib. Ntideol. Nucleolus.
Fig. 51. II Mutterzelle von Equisetum arvense. c. mehr gestreckt als
in Fig. 51 1 ; die Bezeichnungen sonst dieselben.
Fig. 51. III, IV, V. Weitere Entwickelungs&tadien von Fig. 51 II; Bezeich-
nungen dieselben. Nud.(Cp.) in Fig. 51 V deutet an, daß der Kern (nucleus) zum
Kopf (caput) der Spermie geworden ist.
Alle Figuren nach Belajeff (28, 29); Vergr. 950.
Fig. 52. Spermium (Antherozoid) von Sphagnum fimbriatum nach GuiG-
NARD (102), PI. III, Fig. 63. Vergr. 1400. — Man darf wohl das kleine Kn()pfchen
c dem mit c bezeichneten Körper der Figuren 51 I — V gleichsetzen. Cp. würde dem
Kopfe der tierischen Spermien entsprechen, F den Geißelfäden.
dies thut, in etwas anderer Form als beim Menschen, wo eine solche
Periode, wenigstens beim Manne, nicht besteht. Bei den Tieren mit Brunst
sind während derselben alle Samenkanälchenabschnitte, welche sich
überhaupt an der Spermiogenese beteiligen, also die Tubuli contorti,
in ihrer ganzen Ausdehnung mit den vorhin beschriebenen verschie-
denen Phasen der Spermienbilduug ausgestattet ; zwischen zwei Brunst-
perioden jedoch findet sich ein interimistischer Ruhezustand, während
dessen man nach Benda (34) nur mehr oder weniger rückgebiklete
202 W. Waldeyer,
Fußzellen, Ursanieiizellen, Spermatogonien, Spermatocyten und Sper-
niatiden, aber keine Spermien sieht. Beim Menschen tritt ein solcher
interimistisclier Ruhezustand, während dessen keine Spermiohistogenese
stattfindet, während der ganzen geschlechtsreifen Lebenszeit für sämt-
liche Samenkanälchen oder selbst für ein einzelnes Kanälchen nicht
ein ; immer finden sich hier gewisse Strecken mit Spermieubildung,
Bei winterschlafenden Tieren oder solchen mit langen Intermis-
sionen zwischen den Brunstperioden, desgleichen auch bei Menschen
in den Vorstadien seniler Rückbildung und während längeren Siech-
tums kehren die Hodenkanälchen in den von Benda so genannten
primären P u 1) e r t ä t s z u s t a n d zurück, in welchem wir nu r
zweierlei Zellen, die Ursamenzellen und mehr oder weniger zur ur-
sprünglichen C}dinderzellenform zurückgebildete Fußzellen antretfeu.
Vgl. hierüber insbesondere Benda (34).
Prenant (202a) geht noch weiter, indem er behauptet, daß während
der interimistischen Ruhezustände und auch vor Eintritt der Pubertät
Perioden vorkämen, wo nur eine Zellenform, und zwar die der cyHn-
drischen Epithelzelle in den Samenkanälchen gefunden werde. Daneben
finde man aber vor der Pubertät bis zu einem gewissen Grade schon An-
sätze zur Erzeugung von Spermien (PräSpermatogenese).
LoisEL (150 — 153) erhob ähnliche Befunde bei Sperlingen und Pinken;
auch hier soll während der Winterszeit nur eine einzige Zellenart in
den Hodenkanälchen gesehen werden. Als „PräSpermatogenese" bezeichnet
er dann die zum Ende des Winters in den Hoden dieser Tiere auf-
tretende reichliche Zellenvermehrung, die aber noch nicht zur Spermien-
bildung führt.
Kurz mag hier noch die Spermiogenese bei den Pflanzen
berührt sein. Die Erklärung der Figg. 51 I — V ist so genau ge-
geben, daß wenige Bemerkungen hier genügen können.
Eine Pflanzen spermatide, wenn der Ausdruck gestattet ist, hat
bei den Farnen (Fig. 511 von G y m n o g r a m m e s u 1 f u r e a) die
Form einer gewöhnlichen Zelle, enthält aber, und darauf sei besonders
hingewiesen, neben Kern und Kernkörperchen, nach den Unter-
suchungen von Belajeff (24—28) u. A. ein Körperchen — in den
Figg. 51 I — V rot dargestellt — welches man wohl als einCentral-
körperchen ansprechen darf; man wolle hierzu die Bemerkungen
von Meves (172a) vergleichen. Im Verlaufe der Spermiohistogenese,
welche in den Figg. 51 II — V von E q u i s e t u m a r v e n s e dargestellt
ist, sieht man das fragliche Körperchen sich verlängern, desgleichen den
Kern unter Schrumpfung (Reduktion) des Cytoplasmas; schließlich
wird der Kern zum Kopfe der Spermie (Fig. 51 Vj und deren zahl-
reiche Geißelfäden entwickeln sich vom Centralkörperchen ^) aus. Im
wesentlichen zeigt sich hier also derselbe Bildungsmodus wie bei den
tierischen Spermien.
1) Im bisherigen Texte sind die Namen „Sphäre", „Idiozom", „Centrosom",
„Centrallförper", „Centralkörperchen" ohne besondere Erklärungen über ihre Be-
deutung gebraucht worden. „Centrosom" und „Centralkörper" wurden unterschiedslos
verwendet; der Ausdruck „Centriolen" (Boveri) = „Centralkörner" überhaupt noch
nicht. Nach den neueren Angaben von Boveri (G22b— 4) und Meves (Verhand-
lungen der Anatomischen Gesellschaft in Halle a/S., 1902) ist eine strengere Schei-
dung notwendig geworden; ich werde daher beim Abschnitte ,, Oogenese" hierauf
zurückkommen.
Die Geschlechtszellen. 203
Fig. 52 soll mir ein fertiges Spermium (von Sphagnum) illu-
strieren; dasselbe ist bereits früher (p. 14'J) besprochen worden. Die
den Centralkörperchen zu vergleichenden Bildungen werden von den
Botanikern als „B 1 e p h a r o p 1 a s t e n"' bezeichnet ^). Eingehende Mit-
teilungen über die PHanzenspermien mit Angabe der Litteratur linden
sich bei E. Zacharias (2G4, 2(10. 265a), welcher die Gleichwertig-
keit des bei manchen Arten ptlanzlicher Spermien vorhandenen
Schraubenbandes mit dem Kopfe der Tierspermien und die der Geißeln
mit dem Schwanzfaden sicher erwiesen hat (Botan. Zeit. 1881 und 1899).
Indem die Spermien, selbst in der Fadenform, als Zellen mit
allen Attributen solcher nachgewiesen sind , drängt sich iinabweislich
ihre Aehnlichkeit mit niederen Protozoen auf, insbesondere mit Fla-
gellaten und Sporozoen. Dangeard (73a I) vergleicht neuerdings
die Selachier- und Pulmonaten-Spermien, indem er sich auf die histo-
genetischen Arbeiten von SuzrKi (243) und v. Koeff (130) bezieht, mit
den Zoosporen von Flagellateii, insbesondere von Polytoma ixvella
Ehr. — Die Bombinator-Spermien haben eine merkwürdige Aehnlichkeit
mit den einzelnen Individuen von Herpetomonas Lewisi, einer
im Rattenblute lebenden Flagellate. Xach Präparaten, welche mir Dr.
V. Wasielewski zur Verfügung stellte, zeigen die Herpetomonaden des
Rattenblutes am Zellleibe eine undulierende Membran mit einem Rand-
faden; da, wo letzterer mit seinem einen Ende in das Zellprotoplasma
eintritt, gewahrt man eine Verdickung, ähnlich einem Ringknopfe, mit
durchgestecktem Stäbchen; v. Wasielewski (257 a Ij vergleicht die Ver-
dickung mit einem Cilienträger (Blepharoplasten). Beim Beginne der
Bildung neuer Individuen liegt diese Verdickung dicht dem einen Kern-
pole an, löst sich aber später ab.
Nichtsdestoweniger ist es nicht zulässig, die Spermien als selb-
ständige „Animalcula" aufzufassen; dazu fehlt ihnen eines, die Fort-
pflanzungsfähigkeit durch Erzeugung gleicher Wesen von sich
aus, etwa durch Teilung oder Sprossung, wie sie die ihnen ähnlichen
Protozoen besitzen.
In Ergänzung und teihveiser Berichtigung des p. 148, zu Ein-
gang von Abschnitt 4 Gesagten sei hervorgehoben, daß wir bei Sporo-
zoen, z.B. bei Coccidium Schubergi Schaud., Bildungen finden,
die aus der Teilung von männlichen Befruchtungsindividuen, Mikro-
gametoblasten, hervorgehen und sich in allen wesentlichen Dingen wie
fadenförmige Spermien verhalten. Aus einem Mikrogametoblasten ent-
wickeln sich hier durch Teilung des Kernes eine größere Anzahl
solcher spermienähnlicher Mikrogameten. wie sie für gewöhnlich ge-
nannt werden. Die Tochterkerne schnüren sich, mit ein wenig Zell-
protoplasma versehen, von den Mikrogametoblasten ab. strecken sich
in die Länge, erhalten zwei Geisselfädeu und nehmen völlige Spermien-
form an. Ein Rest des Mikrogametoblasten und dessen Kerns geht
zu Grunde. Die Befruchtung geschieht ganz wie bei den Sexualzellen
höherer Tiere, indem je ein Mikrogamet in ein weibliches Befruch-
tungsindividuum, den Makrogameten, eindringt und Kernkopulation
erfolgt. Vorher stößt der Makrogamet eine Anzahl Kernstücke aus,
1) Das Wort „Blepharoplast = Wimperbildner" — Einige sagen „Blepharo-
blast" — wurde zuerst von Webber (257a 11) gebraucht. Richtiger wäre „Blephari-
doplast", gebildet von ßXtqsapL; = Wimper und TiXacjTOs, wie AeTuSoTiiepa, von XsTtic.
AErtiöo; und Tirspov.
204 W. Waldeyer,
so daß auch eine Reduktionsteilunff. wie bei einer Richtungskörperclien-
bildung (vgl. Abschnitte „Ei" und „Ijefruchtung") bestellt (230b).
Eine rationelle Benennung der einzelnen Spermien-
teile, und damit eine Vergleichung der verschiedenen Si)ermienfornien
in der gesamten Lebewelt, hätte nach Brandes (56, 57b) vor allem
zu berücksichtigen, wie sich die mechanisch wirksamen Teile zu den
genetisch funktionierenden verhalten. Um aber eine solche Ver-
gleichung richtig durchführen zu können, müßten wir erst wissen,
welches bei den einzelnen Spermienformen die mechanischen und
welches die genetischen Stücke derselben sind. Daß das Nuklein zu
den letzteren gehört, wird von Niemandem bezweifelt; jedenfalls wird
darin die männliche Erbmasse gesucht — vergl. insbesondere die
Arbeiten von 0. Hertwig (661, mit Litt.). Wie verhält es sich aber
mit dem i)rotoi)lasmatischen Anteile des Spermiums, wie mit den
Centralkörperchen V Was sind die sogenannten Nebenkerne V Ich bin
mit NUSSBAUM, Brandes u. a. der Ansicht, daß wir auch den proto-
plasmatischen Teilen des Spermiums, welches, wie soeben noch her-
vorgehoben wurde, eine zwar für besondere Zwecke adaptierte Zelle,
immer aber eine Zelle mit allen ihren Bestandteilen darstellt, eine
genetische Funktion beilegen müssen. Wenn ich dabei den Ausdruck
von Brandes, daß eine Eizelle nur eine „winzige" Menge von Proto-
plasma enthalte, als für zu weit gehend erachte, so ist es doch un-
streitig wichtig, einmal darauf aufmerksam gemacht zu sehen, daß ein
so großes Mißverhältnis zwischen dem Protoplasma der Eizellen und
dem der Spermien, wie man es gewöhnlich annimmt, gar nicht be-
steht, und daß sehr wahrscheinlich das Protoplasma ebenso wie der
Kernstotf der Spermien in einer Art konzentrierten Zustaudes sich
befindet. Daß die Perforatoriumsvorrichtungen, die Fäden und Fi-
brillen, die radiären Fortsätze l^ei den Deka})oden, die Wellen- und
Zw'ischenmembranen mechanisch wirksame Teile sind, ist klar ; nichts-
destoweniger können sie, da sie sich im Inneren des Eies, soweit sie
eindringen, auflösen, doch noch anderweitig wirksam sein.
Es stehen uns drei Mittel zur Verfügung, um die Bedeutung der
einzelnen Teile eines Spermiums zu erkennen: die färberische Reaktion,
die genaue Verfolgung der Spermiogenese und das Verhalten der
Spermien nach dem Eintritte in das Ei. Die färberische Reaktion darf
nicht zu hoch bewertet werden, wie ich Brandes gegenüber bemerken
möchte; Auerbach's (612) kyanophiler und erythrophiler Färbung
für männliche und weibliche Geschlechtszellen kann man die Tragweite,
welche ihr Autor ihr beigemessen hat, nicht zugestehen. Der zweite
und dritte Weg sind sicherer und versprechen mehr Erfolg, sind aber
sehr schwierig zu beschreiten, und es fehlen uns auch für den dritten
Weg, für den insbesondere E. van Beneden. Kostanecki und
R. FiCK (s. Kap. „Befruchtung") Musteruntersuchungen geliefert
haben, trotz allen diesen, noch die notwendigen feineren Methoden,
welche uns über den Verl)leib und die Wirksamkeit jedes einzelnen
Spermiumteiles in der Eizelle Aufschluß geben könnten. Hier liegt
ein zur Zeit noch unübersehbares, aber hoch lohnendes Arbeitsfeld vor.
Man kann versucht sein, an jedem Spermium ein Karyomer,
Centrom er und Cytomerzu unterscheiden, wobei ich unter Cyto-
mer den protoplasmatischen Anteil verstanden wissen möchte. Der Kopf
würde dann im wesentlichen dem Karyomer, der Hals als wesentliches
Centrosomenstück, dem Centromer. der Rest dem Cytomer entsprechen.
Die Geschlechtszellen. 205
Diese Einteilung hat aber insofern wenig Wert, als cytoplasniatische Teile
über das ganze Spermium sich erstrecken können und Centrosonien-
teile auch im Verbindungsstücke sich finden. Wir müssen daher vor-
läufig auf eine Einteilung der Spermien auf Grund ihrer ^vesentlich
wirksamen Teile verzichten und uns mit einer weniger wertvollen be-
gnügen, die sich fürs erste nur an die äul^eren Formen hält, wie ich
es (p. 150/151) versucht habe. Hoffentlich kann bald etwas mehr Be-
friedigendes geboten werden !
£. Physiologische Bemerkungen.
Der bisherigen fast rein anatomischen Darstellung haben sich
einige physiologische Auseinandersetzungen anzuschließen. Wir be-
trachten : 1 ) die Leistungen der fertigen Spermien selbst, ins-
besondere deren Bewegungserscheinungen, 2) die wichtigsten
bei der tierischen und menschlichen Samenbildung im ganzen zu ver-
zeichnenden physiologischen Geschehnisse. Hierbei kommt auch die
Bedeutung der übrigen Bestandteile des Sperma (Prostata-
sekret u. s. w.) und die normale Entleerung des Sperma, die Ejaku-
lation, zur Sprache.
Jede Spermie hat, wie bereits wiederholt hervorgehoben ist, die
Hauptaufgabe, bei der Entstehung eines neuen Individuums auf dem
Wege bisexueller Fortpflanzung den männlichen Anteil zu liefern.
Wir nannten schon diejenigen Teile eines Spermiums, welche ins-
besondere hierzu bestimmt sind, die genetischen. Daneben besitzt
aber, wie wir sahen, jede Spermie rein mechanische Vorrichtungen,
welche sie zum Aufsuchen des weiblichen Fortpfianzungskörpers, des
Eies, und zum Eindringen in dasselbe befähigen.
Vorhin, bei der Besprechung einer rationellen Einteilung der
Spermien, wurde schon auf die großen Lücken hingewiesen, welche in
der Deutung der einzelnen Teile noch bestehen. Nach den Unter-
suchungen von BovERi und 0. und R. Hertwig spricht alles dafür,
daß wir in dem C h r o m a t i n a n t e i 1 e des S p e r m i u m k o p f e s sicher
den m ä n n 1 i c h e n V e r e r b u n g s t r ä g e r zu suchen haben. Boveri
erblickt aber auch in dem Centrosom der Spermien einen wichtigen
Bestandteil, von dem es freilich schwer zu sagen ist, ob war ihn zu den
genetisch oder mechanisch wirksamen rechnen müssen. Boveri's, wie
mir scheint, durch die beobachteten Thatsachen wohl begründeter Lehre
zufolge (622b und 622d) fehlt der befruchtungsreifen Eizelle
allermeist das Centrosom; dieses soll ihr durch die Spermie wieder
zugeführt werden. Soweit wir wissen, spielt aber das Centrosom bei
den Zellteilungsvorgängen eine wichtige Rolle, die wir allerdings noch
nicht genauer zu bestimmen vermögen. Es steht jedoch nichts im
Wege, anzunehmen, daß durcli das Centrosom der mit Dotter be-
ladenen trägen Eizelle der Anreiz zur Furchung, welche ja die regel-
mäßige Folge der Kopulation von Ei und Spermium ist, gegeben wird.
Wir komnien nach der Besprechung der Eizelle auf diesen Punkt
zurück; vergl. auch das Kapitel „Befruchtung". — Die etwaige gene-
tische Bedeutung der protoplasmatischen Bestandteile ist vorhin bereits
so weit, als es in diesem Kapitel nötig erscheint, berührt worden.
Die mechanischen Funktionen der Spermien gliedern sich
im wesentlichen in zwei verschiedene Leistungen : den Perf Ora-
torien kommt die Aufgabe zu, diejenigen Eizellen, welche ohne vor-
c
206 W. Waldeyer,
gebildete Eintrittskanäle (Mikropylen) sind , zu eiöftnen , um den
Spermien den Weg in das Innere frei zu machen (vgl. p. 105). In
dem Achsenfaden , bezw. dem Randfaden und der undulierenden
Membran haben wir jedenfalls einen Teil des kinetischen Ap-
parates der Spermien zu ei'blicken , wahrscheinlich auch (s. p. Dl)
in dem hinteren Centrosoni und in dem Spiralfaden des Verbindungs-
stückes. Es ist noch nicht ausgemacht, in welcher Weise diese Teile
kinetisch wirksam sind, welcher von ihnen der reizemjjfängliche Teil
ist, welcher der aktiv bewegende? Ferner ist zu erwägen, ob wir bei
den Sjtermien, außer einem aktiven Motor, nicht noch einen passiven
Motor, der wie eine Treibstange für den Kopf und das Perforatorium
wirkt, zu unterscheiden haben V Dies könnte sehr gut eine Aufgabe
der Cauda si)ermii sein. Benda (38 und 39a) ist geneigt, dem
Centrosom — und ich meine, daß hierbei dann das hintere Centrosom
in Frage komme, während das vordere dasjenige ist, welches wir
vorhin nach Boveri als für den Furchungsvorgaug wirksam bezeich-
neten — vorzugsweise die R ei z em pfän glich keit zuzuweisen, den
Spiralfaden als den aktiven, den Achsenfaden als den passiven Motor
anzusehen. Ballowitz tritt entschieden für die von ihm und Jensen
nachgewiesenen Fibrillen als aktiven Motor ein (8). Es würden
damit der aktive und i)assive Motor im wesentlichen zusammenfallen.
Wir müssen in dieser Beziehung daran erinnern , daß bei den
Amphibien mit undulierenden Membranen und Randfaden letzterer die
fibrilläre Struktur zeigt und daß auch Fibrillen in der genannten Membran
auftreten. Für Benda spricht das A'^on ihm aufgedeckte Verhalten der
Mitochondria (38, • 39a), die, seinen Befunden zufolge, sowohl bei der
Bildung der Spiralhülle, wie auch bei der der Wimperwui'zeln und der
sarcous elements der gestreiften Muskelfasern beteiligt sind. Ich bin
geneigt, mich auf Benda's Seite zu stellen. Die vielfach angestellten
Versuche mit abgeschnittenen Geißeln, die sich selbständig weiter be-
wegten , sind, meines Erachtens, noch nicht in beweiskräftiger Weise
durchgeführt worden, da man nicht bestimmt sagen kann, ob das Ver-
bindungsstück vollständig von dem beweglich gebliebenen Geißelreste
abgetrennt worden war.
Ueber die Form der Spermienbewegung haben v. Bkunn, Eimer
(11. cc. Minot) und insbesondere Ballowitz Studien gemacht. Die Ver-
gleichung mit der Bewegung der Flimmerhaare hat durch Benda's Be-
funde sehr an Boden gewonnen, v. Brunn läßt die Bewegung der Geißel
nur in einer Ebene erfolgen, Eimer bei manchen Spermienarten in
einem doppelten Kegelmantel. Im ersteren Falle würde die Bahn eines
sich bewegenden Spermiums eine Wellenlinie, im zweiten eine Spirale
darstellen. Sind Membranen vorhanden , so sieht man diese lebhafte
undulierende Bewegungen ausführen (Urodelen, Insekten), wodurch dem
ganzen Gebilde eine rasche geradlinige Vorwärtsbewegung erteilt wird.
Aehnlich bewegen sich diejenigen Vogelspermien, die mit einem Spiralsaume
versehen sind. Die Form des Kopfes muß übrigens auch auf die Form
der Bewegung von Einfluß sein, z. B. die Schraubenform, wie sie bei
Fringilla und Raja besteht ; solche Spermien müssen bei der Vorwärts-
bewegung um ihre Längsachse rotieren.
Bei den Kugelsp ermi en (Myriopoden, Dekapoden, Nematoden)
sind Einziehen und Ausstrecken der Fortsätze sowie amöboide Be-
wegungen beobachtet Avorden (A. Schneider 705a, 0. Zacharias (265b)
u. a.). Diese Bewegungen sind aber nur wenig ausgiebig. Sie scheinen
Die Geschlechtszellen. 207
indessen nach einigen Beobachtungen (Gang 67a) bei Dromiden im Innern
der weiblichen Genitalien sich zu größerer Lebhaftigkeit zu steigern.
Die Ursachen der Bewegung der Sperinien sind in letzter
Instanz wohl automatische, die in Wirksamkeit treten, sobald die
Spermien völlig ausgebildet sind und in einem geeigneten Medium
sich befinden. Leichte Alkaleszenz des letzteren ist der Bewegung
günstig, doch hält sie auch bei geringen Säuregraden lange an. Schon
Henle (Allgemeine Anatomie) empfiehlt die Untersuchung der Spermien
in adä([naten Flüssigkeiten (Speichel, Serum, Eiweißlösungen). Köl-
LiKER (129) verdanken wii- eine eingehende methodische Untersuchung
über diese Dinge.
Interesse bieten vor allem die Versuche, welche sich auf die Ur-
sachen des Eintrittes der Spermien in die Eier, das Aufsuchen der
letzteren, das Eindringen mehrerer Spermien in ein einziges Ei (Poly-
spermie) — in der Regel dringt nur ein Spermium in ein Ei ein,
und nur ein Spermium genügt stets der Befruchtung — und Aehn-
liches beziehen. Doch werden diese Dinge am besten erst nach Dar-
stellung der Lehre vom Ei besprochen.
Die Dauer der n o r m a 1 e n B e w e g 1 i c h k e i t d e r S p e r m i e n
ist bei denjenigen Geschöpfen, deren Eier außerhalb des mütterlichen
Organismus befruchtet werden (z. B. im Wasser), wie bei Fischen
und vielen Wasserevertebraten, meist kurz.
Bei der Forelle erhält sieb die normale lebhafte Bewegung im Wasser
nur 30 Sekunden, Hexxeguv (110a). Gemmill (644) fand für Echiniden-
spermien 3 Stunden bis 72 Stunden und darüber. Je geringer die Wasser-
menge im Verhältnis zum Sperma war, desto länger hielt die normale
Beweglichkeit an; auch dauerte sie länger, wenn die Spermien zur Brunst-
zeit den Tieren entnommen waren, als später, wenn letztere erschöpft
waren. Auch HexxeitUy stellte fest, daß unverdünntes Sperma von Fo-
rellen, die sogenannte „Milch" dieser Tiere, mehrere Tage lang aufbe-
wahrt werden kann, ohne daß die Bew^egungsfähigkeit aufhört. In der
unverdünnten Samenmilch bewegen sich allerdings die Spermien nicht,
auch wenn die Milch ganz frisch den Tieren entnommen wird; die Be-
w^egung trat aber sofort ein bei hinreichender Verdünnung mit Wasser,
hielt jedoch in jedem Falle nur die eben genannte kurze Zeit von einer
halben Minute an. Die in die Eier eingedrungenen Spermien des Härings
wurden noch mehrere Stunden innerhalb der Eier beweglich gefunden
(KuPFFER, Litt-Uebersicht, Bd. L p. 77. 1878).
Ganz anders steht es bei der inneren Befruchtung. Schon
Leeuwenhoeck, später Prevost und Dumas und Th. W. Bischoff
(1. c. Litt.-Uebersicht. Bd. I. p. 72; 1845. S. 73, 1677 und 1824) fanden
in den inneren weiblichen Geschlechtswegen von Hündinnen und Ka-
ninchen noch 8 Tage nach der Begattung sich bewegende Spermien.
Auch wenn letztere sich nicht mehr bewegen, erhalten sie sich noch
lange Zeit in ihrer Form; so sah Bonnet (614a) 17^/, Tage nach der
Begattung auf der Oberfläche einer von ihm untersuchten Hunde-
keimblase noch wohl erhaltene Spermien. Im Eileiter der Hühner
bleiben die Spermien mindestens 24 Tage bewegungs- und befruch-
tungsfähig (Barfurth, 280b),
Bei Fledermäusen findet die Begattung im Herbst statt, die Spermien
treten zu den Eiern erst im nächsten Frühjahr; sie erhalten sich also
208 W. Waldeyer,
ein lialbes Jahr laug im Uterus der Weibchen in voller Integrität, wenn
auch einige Veränderungen an ihnen sichtbar werden, s. p. 155 '). (Vgl.
darüber Ballowitz, 7 u. 9a.) Bei der besamten Bienenkönigin erhalten
sich die Spermien in deren Samentasche bis zu 4 — 5 Jahren beweglich
und befruchtungsfähig, bei verschiedenen anderen Insekten bis zu einem
halben Jahre im Inneren der Weibchen. (C. Th. v. Siebold: „Fernere
Beobachtungen über die Spermatozoen wirbelloser Tiere". 3 u. 4.
Müller's Archiv. 1837. p. 381. — „Lange Lebensdauer der Spermato-
zoen in Vespa." Wiegmann's Archiv. 1839. Bd. IV. p. 107. — „Wahre
Parthenogenesis bei Schmetterlingen und Bienen." Leipzig 1856.) Wie
lange dies beim Menschen der Fall zu sein pflegt, wissen wir nicht
auf Tag und Stunde, doch dürfte eine Frist von 8 — 10 Tagen als nicht
zu lang angenommen erscheinen. Festgestellt ist — man vgl. die An-
gaben bei F. Strassmann, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin. 1895.
p. 61 — daß man in männlichen Leichen noch am 3. Tage nach dem
Eintritte des Todes sich bewegende Spermien gefunden hat. Herr P.
Strassmann, Privatdocent der Gynäkologie an der Berliner Universität,
machte mich darauf aufmerksam, daß keine der bekannten hierher ge-
hörigen Thatsachen gegen die Annahme spricht, es könne sich das in
der Tube und im Uterus befindliche Sperma eine Woche lang be-
fruchtungsfähig erhalten. Aus der mir von P. Strassmann mitge-
teilten Litteratur erwähne ich: Bossi, Etüde clinique et experimentale
de l'epoque la plus favorable ä la fecondation de la femme et de la vi-
talite des spermatozoides sejournant dans le nidus seminis, Rivista di
ostetr. e ginecol. 1891. No. 10, und Noav. Arch. d'obstetr. et de gynecol.
Avril 1891 ; ferner Dührssen, Sitzungsb. der Gesellsch. f. Gebiirtsh. und
Gynäkologie in Berlin vom 19. Mai 1893, und Zweifel, Lehrbuch der
Geburtshülfe. 3. Aufl. 1902. Bossi, dessen Angaben nicht allseitig an-
erkannt sind, will noch 12 — 17 Tage nach der letzten Kohabitation
lebende Spermien in der Scheide und 5 — l^j^ Tage im Canalis cervicis
uteri gefunden haben. Dührssen konstatierte bei der Operation einer
Pyosalpinx lebende Spermien in der flinken) weniger erkrankten Tube
einer Patientin, welche seit 9 Tagen in der Klinik sich befand und den
letzten Beischlaf 'd^j^ Wochen zurückdatierte. Zweifel teilt einen Be-
fund von Birch-Hirschfeld mit, welcher nicht sowohl wegen der Lebens-
dauer der Spermien von Interesse ist, als betreffs der Schnelligkeit der
Wanderung derselben auch in der Leiche des Weibes: es wurden 16
Stunden nach dem Tode bei einer Puella publica, welche während der
Kohabitation verstorben war, lebende Spermien in den Eileitern gefunden.
Es bleibt hier allerdings der Zweifel bestehen, ob die betreffenden Sper-
mien gerade von der letzten Kohabitation herstammten. Uebrigens ge-
langen, nach den Beobachtungen bei Kühen von Frank und bei Ka-
1) BezügHch dieser Veränderungen erwähne ich noch der merkwürdigen Ergeb-
nisse einer bereits 1889 angestellten \Tntersuchung von Rossi (M. 2637) bei Mäusen.
Bei diesen Tieren wird schon in den ersten Tagen die größte Menge der in den
Uterus ejakulierten Spermien dortselbst wieder durch Phagocytose vernichtet. Die
phagocytischen Lymphzellen wandern aus der Uteruswand in die Spermienmasse
ein, nehmen die Spermien auf und verdauen sie binnen kurzer Frist. Es dürfte
dies wohl die erste Beobachtung der Aufnahme von Spermien in Phagocyten sein.
Vorhin, p, 157, ist bereits der gleichen Beobachtungen von Plato gedacht worden.
Die Angaben Rossi's stimmen 'mit denen von Sobotta (ööö) insofern überein, als
Letzterer die größte Menge der Spermien im Uterus schon 24—36 Stunden post
coitum wieder geschwunden fand ; nur sehr wenige gelangen ihm zufolge bis in den
Eileiter. Von phagocytischem Zugrundegeheu der "Spermien erwähnt Sobotta nichts.
Die Greschlechtszellen. 209
ninchen von Henskn zu schließen, die Sj^ermien schon etwa 2 Stunden
nach der Begattung am Eierstocke an ; wahrscheinlich also, wie ich
meine, auch beim Menschen — P. Strassmann (241a). — Für weitere
Litteraturangaben wolle man die ausgezeichnete Arbeit Sobotta's (556)
vergleichen. — Endlich mache ich noch auf Ahlfeld's Mitteiluni;: „Die
neueren Anschauungen über den Zusammenhang von Menstruation, Ovu-
lation und Befruchtung, und die praktischen Konsequenzen derselben",
Deutsche mediz. Wochenschr. 1880, aufmerksam : Ahlfeld vermochte bei
Körpertemperatur im Brütschranke »Spermien über 8 Tage lebend zu
erhalten. In dei' wohlbekannten, 1840 erschienenen Arbeit von Hausmanx
(M. 1974) wird bereits von einer 7-tägigen Lebensdauer der Spermien
innerhalb der weiblichen Scheide gesprochen.
Ob die Befruchtungsfähigkeit der Sj^ermien ebensolange an-
hält wie ihre Bewegungsfähigkeit, ist noch fraglich. Vernon (713a)
stellte für Echinideneier sowohl wie für Echinidenspermien fest, daß die
Befruchtimgsfähigkeit erheblich abnimmt, wenn sie längere Zeit in dem
sonst für sie adäquaten Seewasser aufbewahrt werden, ehe sie zur Be-
fruchtung kommen. Mit denselben Fragen beschäftigt sich auch Gemmill
bei denselben Objecten ((344). — Man darf im allgemeinen wohl an-
nehmen, daß die Befruchtungsfähigkeit so lange besteht, als die Be-
wegungsfähigkeit ungeschwächt erhalten bleibt. Wie vorhin schon be-
merkt, spricht nach P. Strassmann keine bisher bekannt gewordene
Thatsache dagegen, daß die menschlichen Spermien eine Woche lang
im Innern der weiblichen Oenitalien befruchtungsfähig bleiben.
Gewissen Reagentien gegenüber , welche Zellen und manche Proto-
zoen in einer bestimmten Konzentration schnell abtöten, zeigten sich nach
Henneguy's Versuchen (110 a) die Forellenspermien sehr widerstands-
fähig. So blieben sie in 5 — 10-proz. Alkohol (100 Wasser, 5 — 10 Alkohol)
und in gleichen Mischungen von Aether und Chloroform in demselben
Grade befruchtungsfähig wie in reinem Flußwasser. Langsames Gefrieren-
lassen tötet die Spermien nicht, und sie ertragen bis zu 50" Wärme.
Mancherlei interessante Angaben über diese Dinge bringen uns bereits
Spallanzani, Newport, Prevost und Dumas u. a. (S. No. 255, 255a u. 669.)
Schon Henle (Allgem. Anat. p. 954) hat die Geschwindigkeit
und Kraft der Spermienbewegung untersucht; in l^j^ Minuten legen
sie etwa 1 Zoll = 21 mm Wegstrecke zurück; das wäre für mensch-
liche Spermien, ihre Länge zu 50 \). angenommen, das 550-fache (rund)
dieser Länge. Ein Mensch von 160 cm Körperlänge müßte, um die-
selbe Geschwindigkeit relativ zu seiner Körperläuge zu erreichen, 1 km
in 9 Minuten zurücklegen, also im Geschwindschritt marschieren. Die
vorhin mitgeteilten Angaben von Frank und Hensen setzen eine
gleiche Geschwindigkeit voraus. Bei ihren Bewegungen schoben nach
Henle's Beobachtung die Spermien Körper zur Seite, welche das
Zehnfache ihrer Größe hatten. Leber die verschiedenen Einflüsse,
welche die Bewegung der Spermien gegen das Ei hin und den Eintritt
in dasselbe anfachen und beherrschen, soll später beim Abschnitt „Ei"
gehandelt werden.
Bewegungserscheinungen verschiedenster Art werden auch während
der Spermiogenese beobachtet. Eine der wichtigsten ist die von
Benda als „Kopulation", von mir als „Sy mphorese" ^) bezeich-
1) Da Benda selbst den von ihm nach einem Vorschlage von G. Fritsch ein-
geführten Namen „Kopulation" für das Verhältnis der Spermatiden und Spermien
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 1. ]^4:
210 W. Waldeyer,
nete Vcrbiiidiiiig der Pi'äsperiiiatiden, Sperniatidcn und Spermien mit
den SERTOLischen Zellen. Ich verweise darüber auf das ]). lOG, 171
und 179 ff., Fig. 44 Gesagte und Abgebildete. Als wirksame Momente
für die Herbeiführung der Symphorese werden cytotaktisch e und
trophotaktische Einflüsse genannt (Ivar Broman [ßla], Roux,
Grobben, Benda). Auf Cytotaxis führt Roux auch die Doppel-
spermien der Dyticiden zurück. Für J. Broman l)leibt es zweifelhaft,
ob man dies auch zur Erklärung der Doppelspermien von Didelphys
anführen könne ').
Was die Bewegungserscheinungen bei der Spermiohistogenese
anlangt, so führt Brojian die Wanderung der Centralkörper und der
Idiozome auf karyotaktische Einflüsse zurück ; diese Körper suchen z. B.
bei der Bildung von Riesenspermatiden mit mehreren Kernen die grö-
ßeren Kerne auf, wandern dagegen an degenerierenden Kernen vorbei. —
Broman führt hier auch die hakenförmigen Umbiegungen der stabförmigen
Centralkörper an, sowie die bei Meerschweinchen und Ratten von Meves
gemachte Beobachtung, daß vom Kerne aus ein kleiner Stift dem Central-
körper entgegenwächst, was Broman bei Rana fusca bestätigen konnte.
In den Hodenkanälchen selber nimmt man kaum Bewegungen an
den Spermien wahr ; lebhafter bewegen sich schon die aus den Neben-
hodenkanälchen und aus dem Ductus deferens entnommenen Spermien ;
volle Beweglichkeit erlangen die letzteren aber erst nach Zutritt des
Sekretes der Samenblasen und insbesondere des Succus prostaticus.
Die Zumischung dieser beiden Flüssigkeiten ist es wenigstens, was in
der Norm die lebhafte und andauernde Bewegung der Spermien zu-
nächst zu Wege bringt und unterhält. Hierüber sind insbesondere
die Untersuchungen Fürbringer's (89a) und Steinach's (239) zu
vergleichen.
zu den SERTOLischen Zellen als nicht ganz geeiguet erklärt, so gestatte ich mir,
die Bezeichnung „Symphorese" dafür vorzuschlagen. Das Wort 'SuacpöpTiaic
= Zusammentragen, Authäufen, dürfte, da es nur der Thatsache des Zusammen-
liegens Ausdruck giebt und höchstens noch eme Andeutung auf die Gruppierung
enthält, wohl als passend erscheinen.
1) In der citierten Arbeit von J. Broman (61a) findet man die weitere Litte-
ratur und eine gute Uebersicht der insbesondere von den Botanikern, ferner von
Roux, Verw^orn, Driesch, J. Loeb u. a. eingeführten und ausgebauten Begriffe
„Taxis" und ,, Tropismus". Beides sind Vorgänge und Erscheinungen, welche durch
von außen kommende Anreize, Eichtungsreize, an lebenden Dingen (Protoplasma,
Kernen, Kernkörperchen , Zellen, Tieren, Pflanzen) hervorgerufen und l)estimmt
werden; sie werden als ,,paratouische" Vorgänge den ,,spontanen'' oder
„autonomen" gegenüber gestellt, die auf innere, den betreffenden lebenden
Dingen inhärierende Ursachen zurückzuführen sind. Unter „Taxis" wird eine
paratonische Bewegung, unter „Tropismus" eine ebensolche Wachstums-
richtung verstanden. Die, soweit bis jetzt angenommen wird, bei der Bildung
der Spermien und ihrer Bewegung in Frage kommenden Taxis- und Tropismen-
formen sind: die Cytotaxis und die Karyotaxis, ein von einer Zelle bezw.
einem Kerne ausgehender auf andere Zellen oder Kerne wirkender Bewegungsimpuls
(Cytotropismus Eoux), die Trophotaxis = Einfluß von Nährmaterial und von
Nährströmungen, die Thigmotaxis = Einfluß des Kontaktes, insbesondere von
Oberflächen, die Rheotaxis ^ Einfluß von Flüssigkeitsströnnmgen, und die
Chemotaxis = der die Richtung einer Bewegung bestimmenden chemischen Stoff-
wirkuug. Ist die Bewegung oder das Wachstum zur Reizquelle hin gerichtet, so
wird das als positive Taxis bezw. positiver Tropismus bezeichnet, umgekehrt als
negative Taxis, negativer Tropismus. — Es ist gewiß nützüch, diese Begriffe auf-
zustellen und weiter auf ihre Berechtigung zu prüfen; nur ist nicht zu vergessen,
daß wir damit der Erkenntnis des Wesens aller dieser Erscheinungen nicht viel näher
gekommen sind.
Die Geschlechtszelleu. 211
Auf die längere Unterhaltung der Bewegung wird hier
wohl das größere Gewicht zu legen sein; wenigstens lieferten Ratten,
denen Steinach Samenblasen und Prostata exstirpiert hatte, Spermien,
die sich bei der Entnahme noch gut beweglich zeigten. Uebrigens
wirkt jede Flüssigkeit vom Charakter der physiologischen Koch-
salzlösung, namentlich bei Körpertemperatur, günstig ein; auch der
Harn des betretfeuden Geschöpfes ist hierher zu zählen. Besonders
beweisend, daß die Sekrete der Prostata und der Samenblasen es
nicht allein sind, welche für längere Zeit die P)eweglichkeit der Sper-
mien unterhalten, sind die schon wiederholt mitgeteilten Fälle von
lebhaft sich bewegenden Spermien in dem flüssigen Inhalte von Sper-
matocelen. Es mag dazu noch hervorgehoben sein, daß Vertun (251)
in einem neuerdings von ihm beobachteten Falle weder Spermin,
noch Cholin, noch die PosNER'sche Hemialbumose nachweisen konnte.
Zwischen dem Sekrete der Samenblasen und dem der Pro-
stata besteht der Unterschied, daß das erstere in Wasser schwimmende
troddelförmige Tropfen (gouttes flottantes) bildet, während der Saccus
prostaticus sich leicht darin vierteilt (Schlagint weit 230b). Schon
p. 96/97 wurde hervorgehoben, daß sich die Spermien im Samenblasen-
inhalte lebhaft bewegen. Ich füge dem hinzu, daß ich mich nicht
entschließen kann, auch nach Kenntnisnahme der gründlichen Arbeit von
Felix (80), noch besondere Drüsen in den Samenblasen anzunehmen.
Felix beschreibt in der Pars ampullaris ductus deferentis und in den
Samenblasen, besondere größere blasige Buchten, deren mehrere unter-
einander in Verbindung stehen und gemeinsam mit einem Ausführungs-
gange in den Hauptraum der Vesicula seminalis münden; auch von
tubulöseu Formen der Art spricht Felix. Ob man nun solche Bildungen,
die im feineren Baue ihres Epithels ganz mit dem Hauptraume und
dessen zahlreichen kleineren, mehr offenen Buchten übereinstimmen, als
„Drüsen" bezeichnen will, das ist lediglich Ansichtssache. Ich meine, daß
man von Drüsen bei einem Organe, wie es die Samenblasen sind, nur
sprechen sollte, wenn man Bildungen trifft, die in ihrem Bau etwas Beson-
deres, direkt auf Erzeugung eines eigenartigen Sekretes deutendes aufweisen.
So, meine ich, sind weder die HENLE'schen Buchten der Conjunctiva,
noch die LiEBERKtJHN'schen Schläuche des Darmes, noch die von Felix
beschriebenen Buchten der Vesiculae seminales als Drüsen aufzufassen.
Das Samenblasensekret wie die spärliche Hoden- und Nebenhoden-
flüssigkeit ist leicht alkalisch. VVie schon erwähnt, fand P. Für-
BRixGER das Sekret der gesunden Prostata fast stets sauer. Bei Pro-
statitis, s. insbesondere Lohxstkin (149), zeigt sich nicht selten neutrale
oder selbst alkalische Reaktion; in etwa 1/3 der Fälle ergab sich bei
Prostatitis Nekrospermie, in der großen Mehrzahl der Fälle bheb
die Beweglichkeit der Spermien erhalten, ob auch ihre Befruchtungs-
fähigkeit ? das ist eine andere Frage. Bewegungsunfähige Spermien können
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr befruchtend wirken, selbst
wenn es gelänge, sie in ein befruchtungsfähiges Ei einzuführen; auf der
anderen Seite darf aber nicht gefolgert werden, daß noch so lebhaft
sich bewegende Spermien, auch wenn sie in ganz regelrechter Weise in
ein normales reifes Ei eindringen, allemal auch befruchtungsfähig seien.
Sicher aber ist — man wolle insbesondere die wertvollen Unter-
suchungen von P. FüRBßixGER (89a), Steixach (239) und G. Walker
(257 und 257a) vergleichen — daß das normale Samenblasen- und Pro-
14*
212 W. Waldeyer,
statasekret einen wesentlichen Einiluü auf die Befruclitungsfähigkeit der
Spermien hat. Bei Ratten fand Steinach, daß Exstirpation der Samen-
blasen eine Verminderung, Exstirpation der Samenblasen und der Pro-
stata aber einen Verlust der Befruchtungsfähigkeit zur Folge hatte,
während die Libido, die Potentia coeundi und die Produktion normal
erscheinender Spermien unvermindert erhalten blieben. Nach Walker
hebt auch die Exstirpation der Prostata allein die Befruchtungsfähig-
keit auf.
Nicht geringes Interesse bieten auch die Experimente Metschnikow's
und Moxter's (179). Letzterer bestätigte zunächst die Angaben von
Rossi (M. 2631) und Plato, daß die Spermien von Leukocyten auf-
gezehrt werden, und zwar, indem er Spermien in die Baiichhöhle von
Kaninchen brachte. Wurden ferner Spermien eines anderen Tieres
(MoxTEK nahm Spermien von Schafböcken) in die Bauchhöhle von Kanin-
chen eingebracht, so erlangte das Blutserum dieses Kaninchens eine
spermiocide und agglutinierende Eigenschaft frischen lebenden Schaf-
bockspermien gegenüber ; es bildet sich also eine Art Immunserum.
Die Bildung befruclitimgsfähiger Samenfäden beim Menschen be-
ginnt bekanntlich mit Eintritt der Pubertät ; der Veränderungen, welche
dabei der Inhalt der Hodenkanälchen erfährt, wurde bereits früher
gedacht (p. 165 ftV); hier sei noch nachgetragen, daß mit Beginn der
Pubertät in der Wand der Kanälchen ein dichtes Netzwerk elastischer
Fasern auftritt, während vorher solclie Fasern fast gänzlich fehlen
(Benda, o9). Leprince (144) stellte am Pariser Leichenmateriale
fest, daß für Paris 13' /2 Jahr der früheste Pubertäts-Termin sei. Das
stimmt auch mit den Beobachtungen von Cordes (71) am Berliner
Leichenmateriale. Fälle von früherer Geschlechtsreife mit Bereitung
befruchtungsfähiger Spermien sind indessen genugsam bekannt. Eine
Altersgrenze nach oben für die Spermiogenese mit Bildung befruchtungs-
fähiger Spermien scheint es , solange der allgemeine Gesundheits-
zustand ein guter ist und die Körperkraft sonst erhalten bleibt, also
keine Altersschwäche eintritt, nicht zu geben. Dafür giebt es nicht
anzuzweifelnde Belege genug. So fand u. a. Cordes (71) bei einem
92-jährigen Greise noch zahlreiche normale Spermien. Eine Abnahme
der Massenproduktion der Spermien tritt aber auch bei gesunden,
lebenskräftigen Greisen wohl immer ein.
Außer ungünstigen Ernährungs- und Schwächezuständen wirken
einer normalen Samenbildung entgegen abnorme Lagerung des Hoden
und Behinderung der Entleerung der Spermien, wie durch. Unterbindung
oder Evulsion des Ductus deferens oder Obliteration der Nebenhoden-
kanäle. S. Näheres hierüber bei Gripfith (96 — 100) und Ribbert (224b),
nach welchem bei Obliteration des Ausführungsganges ein völliges Ver-
siegen der Spermienproduktion jedoch erst nach Monaten, selbst erst nach
Jahren, eintritt.
Eine regelmäßige, ohne Ueberreizung ausgeübte Geschlechtsthätigkeit
wirkt günstig, während ein Uebermaß, sonstige üeberanstrengung, schlechte
Ernährung und ungünstige Lebensverhältnisse im allgemeinen , sowie
Geschlechtskrankheiten die Spermienproduktion schnell herabsetzen, ja
gänzlich aufheben ; die letztere steht eben in innigem physiologischen
Konnex mit dem Gesamtverhalten des Organismus ; wie und wodurch ? ist
im Näheren noch nicht bekannt.
Die Geschlechtszellen. 213
Die Produktion und das Vorhandensein reichlicher normaler Spermien
in den männlichen Geschlechtsorganen regt reflektorisch die Libido
sexualis an ; auch hier sind die Wege noch nicht bekannt. Beim Men-
schen scheint starke Füllung der Samenblasen und Druck auf letztere
seitens der gefüllten Harnblase oder des liectum gleichfalls stimulierend
zu wirken. Indessen hängen von der Spermienproduktion die Libido
und die Potentia nicht allein ab, wie weitere Versuche Steinach's bei
Ratten zeigten. Kastrierte er Rattoi vor Eintritt der Pubertät, so zeigte
sich zur Zeit, wann letztere hätte eintreten müssen, starke Libido, aber
verminderte Potenz. Später freilich nahm auch die Libido ab, ebenso
wie bei Individuen, welche nach dem Eintritte der Pubertät kastriert
worden waren. Bei Menschen hat man dieselben Erfahruno;en gemacht.
Es muß also im Centralnervensystem eine Geschlechtssinnanlage
vorhanden sein, die sich zunächst unabhängig entwickelt. Bei den vor
der Pubertät Kastriei'ten bleiben die accessorischßn Geschlechtsdrüsen
rudimentär.
Die Dormale Entleerung des Sperma erfolgt durch einen
höchst komplizierten Reflexakt, die Ejakulation. Es scheint mir
sicher, daß mit einer Ejakulation nicht derjenige Teil der Spermien
herausbefördert wird, der noch im Hoden oder Nebenhoden sich be-
fand, sondern der, welcher vorher schon und während der geschlecht-
lichen Erregung bis zu den accessorischen Drüsen, Samenblasen und
der Pars prostatica urethrae durch die Peristaltik der muskulösen
Nebenhodengänge und des Ductus deferens heraulbefördert worden war.
In dieser Beziehung scheint mir die p. 96/97 erwähnte Beobachtung
von H. Kays ER wichtig.
Bei denjenigen Vertebraten, welche eine Nachniere (Metanephros) ent-
wickeln, wie bei Reptilien, Vögeln und Säugetieren, gelangen die
Spermien durch einen besonderen Ausführungsgang, den Ductus deferens
in die Harnröhre, bezw. Kloake (Reptilien, Vögel); dieser Gang ist
aber der ursprüngliche Ausführungsgang der Urniere (Mesonephros). Da,
wo die Urniere erhalten bleibt, gelangen die Spermien vom Hoden in die
Harnkanalkapseln (MüLLEu'schen Kapseln) der Urniere und werden durch
die Harnkanälchen in den gemeinsamen Harnsamengang — • WoLFF'schen
Gang — geleitet : Ganoiden, Amphibien (zum größten Teile),
(NUSSBAUM 185c und d), Eraxkl (86). Die Mehrzahl der Selachier
schließt sich an die Reptilien und Vögel an ; kurz vor der Mündung in die
Kloake fließen jedoch Harnleiter (Ureter) und Samengang (Ductus deferens)
zu einem gemeinsamen Harnsamengange zusammen. Die Knochen-
fische zeigen meist eine ähnliche Einrichtung. Bei den Cyclo-
stomen wird das Sperma in das Cölom entleert und durch die Pori
abdominales nach außen befördert. Eine Sonderstellung, die an Einrich-
tungen bei den Würmern erinnert, nimmt Amphioxus ein.
Während der gewöhnliche Weg zur Einführung des Sperma
in die weiblichen Geschlechtsteile bei Säugetieren und beim
Menschen die Scheide ist, wo die Spermien auch deponiert werden,
kommt es bei anderen, wie z. B. beim Schafe, direkt zur Einführung
in den Uterus (s. Marshall 158c). Der Penis des Schafbockes hat an
seinem vorderen Ende einen von der Harnröhre durch])ohrten wurm-
förmigen dünnen, jedoch erektionsfähigen Anhang, der bei der Begat-
tung in den Uterus eindringt. Beachtenswert ist, daß, wenn den Böcken
214 W. Waldeyer,
(lieser Anhang abgeschnitten wird, die Begattung meist erfolglos bleibt»
obwohl eine Ejakulation in die Scheide stattfindet.
Berücksichtigen wir auch die übrige Lebewelt, so werden die Pollen-
körner durch die Luft und vielfach durch Honig suchende Insekten über-
tragen, die beweglichen Fadenspermien der früher genannten Pflanzen
meist durch das Wasser. So geschieht es auch bei den meisten der im
Wasser lebenden Tiere. Eine erhebliche Anzahl der Wasserbewohner, wie
viele Crustaceen, die Knorpelfische, Wasser-Reptilien, -Vögel und -.Säuge-
tiere, befruchten sich jedoch durch kopulative Begattung. Bei der Be-
samung im Wasser sammeln sich beiderlei Geschlechter meist in größeren
Haufen an und ergießen ihre Geschlechtsprodvikte, Eier und Spermien,
gleichzeitig in das umgebende Medium. Hierher gehört auch wohl der
Besamungsmodus der Anuren, wenngleich bei diesen eine Kopulation der
Männchen und Weibchen stattfindet. In anderen Fällen — para-
vaginale Besamung — bringen die Männchen mit ihren Extremi-
täten die Spermien, welche in Paketen, den vorhin (p. 153) kurz be-
sprochenen Spermatophoren, eingeschlossen sind, in die Nähe der
weiblichen Geschlechtsöffnung, in welche dann die aus den Spermato-
phoren sich entleerenden Spermien eindringen, oder aber die Spermato-
phoren werden unmittelbar in die weibliche Geschlechtsöffnung eingeführt.
Sehr merkwürdig ist eine letzte Art der Einverleibung, die hypoder-
male. Fr. Müller fand zuerst (1844) bei Clepsine anf der Haut fest-
sitzende Spei-matophoren. Daß dies ein normaler Kopulationsweg sei, in-
dem die Spermatophoren vom Männchen, die eine Art Stilet an
ihrem Penis besitzen, bis unter das Integument eingeführt werden, dann
die darin enthaltenden Spermien in die Leibeshöhle und die Ovarien bis
zu den Eiern vordringen und diese befruchten, haben insbesondere Arn.
Lang 1882 und 1884 bei Turbellarieu, L. Plate 1885 bei Rotatorien
und 1891 Whitmax (257b) in hohem Grade wahrscheinlich gemacht.
Brandes (55a) konstatierte bei Nephelis auch direkt das Eindringen der
hypodermatisch injizierten Spermien in die Ovarialsäcke. Ferner meint
er, daß die angeklebten Spermiophoren bei diesen Tieren im strengen
Wortsinne nicht solche wären, sondern von den männlichen Individuen
gebildete Röhren, durch welche die Spermien eingespiützt würden, also „In-
jektionskanülen" für Spermien; er nennt sie deshalb auch eine Art „Pseudo-
spermatophoren". Brumpt (62e) hat dann bei Hirudineen durch hvpoderma-
tische Einspritzung von Sperma künstliche Befruchtung zu erzielen ver-
sucht, wobei es ihm gelang, die Spermien bis in die Eisäcke zu den
Eiern vordringen zu sehen. Die sogenannte „künstliche Befruchtung"
durch Vermischung von Eiern und Sperma im Wasser und durch künst-
liche Einführung von Sperma in die Scheide auch bei höheren Tieren
ist zur Erzielung reicher Brut in den Fischbrutanstalten und zu ent-
wicklungsphysiologischen Experimenten seit Spallanzani's Zeiten un-
zählige Male mit Erfolg ausgeführt worden. Bekannt ist, daß sie Mariox
Sims auch beim Menschen zur Hebung gewisser Fälle von Sterilitas fe-
minina versucht hat. Nach den mir von P. Strassmann zugestellten
Litteraturangaben will Bossi, 1. c. s., wiederholt hierbei Erfolg gehabt
haben; weitere Litteratur s. bei Chrobak und Rosthorn : „Erkrankungen
der weiblichen Geschlechtsorgane", Wien, 1900. — Ueber die Besamung
durch Spermatophoren, welche in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
bei Wirbellosen vorkommt — bei den Wirbeltieren wohl niir bei einigen
Urodelen — verweise ich auf die eingehende Darstellung bei Korschelt-
Heider (666a), p. 426 ff.
Die Geschlechtszellen. 215
Neuere Untersuchungen von Ballowitz (Ha) und Jvau Bkomax
(61d u. f) lehren uns das sehr häufige Vorkommen von allerhand
atypischen Formen der Spermien (mehrschwänzigen und mehrköpfigen
Spermien, Spermien mit abweichenden Kopfformen und mit winkligem,
exceutrischem Ansatz der Schwänze) bei Menschen und Säugetieren kennen.
Wahrscheinlich sind auch solche Formen nicht ohne physiologische oder
pathologische Bedeutung.
Zum Beschluß dieses kurzen physiologischen Kapitels sei noch der
sehr bemerkenswerten Thatsache gedacht, daß Bastardraännchen,
z. B. männliche Maultiere oder männliche Maulesel, männliche Bastarde
von Kanarienvögeln und anderen Finkenarten, nur sehr selten befruchtungs-
fähige Spermien erzeugen, jedenfalls sich mit den gleichartigen Weibchen
nicht fortpflanzen. Angaben darüber finden sich in Bukdach's und R.
W.\gxer's Handbüchern der Physiologie.
t) Geschichtliche Bemerkungen.
Bei einer ausführlichen Darstellung der Lehre vom Sperma dürfen
auch einige geschichtliche Angaben nicht fehlen, und es mag ent-
schuldigt werden, wenn ich zunächst die Geschichte der Entdeckung
der Spermien, unzweifelhaft eine der wichtigsten Entdeckungen in der
Biologie, genauer angebe. Leeuwenhoeck berichtet darüber zuerst
in zwei Mitteilungen, abgedruckt im XIII. Jahrgange der Londoner
Philosophical transactions, Vol. IV. No. 142, welche Nummer die Zeit
vom Dezember 1677 bis Februar 1678 umfaßt. Am Schlüsse der No. 142
steht: Printed John Martin 1679. Die Ueberschrift der ersten Mit-
teilung lautet:
Observationes D. Anthonii Leuwenhoeck, de natis e semine genitali
animalculis.
(Observatoris epistola Honoratiss. D. D. Vicecomiti Beouncker, La-
tine conscripta; Dat. Nov. 1677, quam ipsissimis huc transmissis verbis
inserendam autor censuit.)
Die betreffende Stelle des hier von Leeuwenhoeck zum Abdruck
eingesendeten Briefes sei mitgeteilt: „Postquam Exe. Dominus Professor
Granen, me visitatione sua saepius honorarat, literis rogavit, Domino Ham
cognato suo quasdam observationvim mearum videndas darem. Hie Do-
minus Ham me secundo invisens, secum in laguncula vitrea semen viri,
Gonorrhoea laborantis sponte destillatum, attulit, dicens, se post paucis-
simas temporis minutias (cum materia illa jam in tantum esset resoluta,
ut fistulae vitreae immitti posset) animalcula viva in eo observasse, quae
caudata, et ultra 24 horas non viventia judicabat: Idem referebat se
animalcula observasse mortua post sumtam ab aegroto Terebinthinam.
Materiam praedictam fistulae vitreae immissam praesente Domino HA^f
observavi, quasdamque in ea creaturas viventes; at post decursum 2 aut
3 horarum eandem solus materiam observans, mortuas vidi."
In demselben Briefe berichtet Leeuwenhoeck schon von seinen
weiteren Untersuchungen über menschliches Sperma und erwähnt bereits
darin der S per m akry stalle, die er auch dort in 3 Figui-en abbildet,
und zwar in den Formen, wie sie wirklich vorkommen. „Et cum prae-
dicta materia paucillum temporis steterat, in ea observabantur trilaterales
figurae ab utraque parte in aculeum desinentes ; quibusdam longitudo
minutissimae arenae (Gesichtsfeld), aliquae aliquantulum majores, nt fig. A.
Praeterea, adeo nitidae ac pellucidae, ac si crystallinae fuissent."
216
W. Waldeyer,
In einem zweiten Briefe vom 18. März 1078 giebt er dann schon
Abbildungen, von denen 2 hier wiedergegeben sein mögen ; er nennt als
Teile der Spermien in seinem ersten Briefe : Corpus und Cauda, im
zweiten bereits Capitulum cum
trunco und cauda, oder Caput cum
trunco und cauda, so daß seit
dieser Zeit die wichtigsten Namen
schon feststehen. In diesem Schrei-
ben berichtet er auch über die
Spermien von verschiedenen Säuge-
tieren, später dann von Fröschen
und Evertebraten. Ueberhaupt hat
er viele Jahre seine Untersuchungen
über diese Dinge aufs eifrigste
fortgesetzt.
Die Entdeckung der Sperma-
krystalle nimmt A. Boettcher
(47 b) für sich in Anspruch, wenig-
stens spricht er nicht davon, daß
sie schon jemand vor ihm gesehen
habe ; allgemein hat man ihm auch
diese Entdeckung zugeschrieben
und die Kry stalle nach ihm be-
nannt (S. FüRBKINGER, 88 u. 89a).
Wir erwähnten eben, daß sie schon
Leeuwenhoeck beschrieben und
abgebildet hat. Sehr eingehend
und mit mehreren Abbildungen be-
handelt sie die Schrift des Frei-
herrn W. v. Gleichen, genannt
ßusswoRM : „Abhandlung über die
Samen- und Infusionstierchen, oder
über die Erzeugung nebst mikro-
skopischen Beobachtungen des
Samens der Tiere'-, Nürnberg 1778,
Fig. 53a. Fig.
Fig. 53a und b. Kopien menschlicher
Spermien nach Leeuwenhoeck, Größe des
Originals.
4*^ ; ferner erwähnt ihrer R. Wag-
ner in seinem schätzbaren Lehr-
buche der Physiologie , Leipzig,
L. Voss, 1842 [1838 — 1841] (p. 29), woselbst auch eine gute Zusammen-
stellung der älteren Litteratur über unseren Gegenstand zu linden ist.
In der auf Leeuwenhoeck folgenden Zeit spann sich die Diskussion
hauptsächlich darüber hin, ob die Spermien Tiere seien oder nicht.
Leeuwenhoeck selbst hält sie für „animalcula". Der Streit darüber
hat ungefähr bis zum Erscheinen von Schwann's berühmtem Werke,
worin er die Zellenlehre begründet, gewährt (1839). Ehkenberg in
seinem großen Infusorienwerke, 1838, und Valentin (1837, Repertorium)
möchten sie noch für Tiere erklären, Ehrenberg mit Hill (1751) für
Cercarien, weil man stiletförmige Anhänge am Kopfe fand (Perforatorien)
und die „Delle" am Kopfe für eine Sauggrube hielt. Auch bei Ehrex-
berg findet sich eine reiche Litteratur. R. Wagner 1. c. drückt sich
noch etwas zweifelnd aus. v. Siebold (Wiegmann's Archiv, 1838) sprach
sich gegen die tierische Natur aus, und Henle, nachdem er anfangs auch
mit Johannes Müller wegen der vermeintlichen Sauggrube für die
Die Geschlechtszellen. 217
tierische Natur der S]>ermien eingetreten war, erkannte bald, daß es
sich dabei um eine „Delle", also um eine optische Erscheinung handle.
Schon früher hatten sich Linne, Buffon, Caspak Fk. Wolff, Spallan-
ZAXi und Treviranus gegen die Auffassung, die Spermien seien animal-
cula, ausgesprochen. Richtig führt Lalle.mand in einer beachtenswerten
Abhandlung „Observations sur le role des zoospermes dans la generation",
Ann. des Sc. natur. T. XV. Zool. 1841, gegen die Tiernatur an, daß sie
im Hoden in derselben Weise bereitet würden, wie die Eier in den
Eierstöcken.
Der Xame „Sperma tozoa" rührt von K. E. von Baer her, vgl.
Acta Acad. Caes. Leopold. Vol. XIII. 2. p. 64 ff. — Ich eitlere aus
dieser Zeit wegen zahlreicher geschichtlicher Bemerkungen, Abbildungen
und Litteratur - Nachweise noch das sonst ziemlich kritiklos gehaltene
Buch Josef Julius Czermak's (nicht mit J. X. Czermak, einem der besten
Förderer der Spermatologie, zu verwechseln) „Beiträge zur Lehre von den
Spermatozoen", Vortrag auf der 2. allgem. Vers, deutscher Naturforscher
u. Aerzte in Wien 1832, Wien 1833, Beck's Buchhandlung. Die aben-
teuerlichen Vorstellungen, wie sie von Dalenpat, 1699, Anbry, Gerber
(^Allgemeine Anatomie) und selbst von einem Nathanael Lieberkühn über
die Spermien als „homunculi" genährt wurden, deute ich nur an.
Weiteres darüber s. bei J. J. Czermak. — Die Vorstellungen über die Be-
deutung der Spermien waren lange Zeit ebenso unklar wie die über ihre
Natur. Nach Leeuwenhoeck sollten sie die Geschlechtslust erregen.
J. J. Czermak hielt sie schon für das befruchtende Prinzip, sie sollten
den weiblichen Zeugungsstoff", den er für ein Fluidum ansah (noch 1832,
nachdem v. Baer längst das Säugetierei entdeckt hatte!), zur Gestalt-
bildung befähigen. Allen voran hatte schon der Freiherr v. Gleichen-
Bussworm sich dahin geäußert, daß die Spermien in die Eier eindringen
müßten, um sie zu befruchten.
Die Samenfäden bei Pflanzen wurden bereits 1834 durch Unger und
Wbrneck beschrieben (bei Sphagnum — Regensburger botanische Zeitung.
1834. p. 145). Meyen erwähnt solche Bildungen bei Oenothera und Mer-
chantia.
Eine neue Epoche für die Spermatologie beginnt mit den Unter-
suchungen Kölliker's, die auch der Ansicht von der tierischen Natur
der Spermien ein- für allemal ein Ende machten. Wir verdanken
KÖLLiKER (127 — 129 j die ersten genauen Angaben über die Spermio-
genese; zwei Thatsachen. die noch heute Geltung haben, hat er mit
Bestimmtheit erkannt: die mehrfache Schichtung verschieden geformter
Zellen im Inneren der Samenkanälchen und die Bildung des Kopfes
der Spermien aus dem Kern der Bildungszellen. Henle (Handbuch der
systematischen Anatomie. Bd. IL Braunschweig 1866. Kap. „Hoden")
beschrieb die verschiedenen Zellformen genauer und ließ den Schwanz
der Spermien aus dem Zellkörper hervorgehen, womit er der Wahr-
heit näher kam als Kölliker, der ihn gleichfalls vom Kern ableitete.
Sertoli's wichtige Arbeiten (236, 237) leiten einen ferneren
neuen Abschnitt in der Geschichte unserer Kenntnis der Spermato-
genese ein, indem er die vegetativen Hodenzellen, Nährzellen Peter
oder Fußzellen (Benda) [SERTOLrscheu Zellen Autt.] entdeckte und sie
von vornherein als ein Element bezeichnete, welches mit der Spermien-
bildung direkt nichts zu thun habe. Bei den sameubildenden Zellen
unterschied er drei Gererationen, deren Schilderung auch noch heute
218 W. Waldeyer,
recht gut in den erweiterten Rahmen unserer Kenntnisse hineinpaßt.
V. Ebner liat eine Zeit hing in seiner mit Recht hochgeschätzten
Arbeit (74) den SERTOLi'schen Zellen die Rolle der Spermienbildung
zugeschrieben und sie deshalb als „Spermatoblasten'' bezeichnet, worin
er viele Anhänger fand, andererseits aber auch bald eine entschiedene
Reaktion hervorrief, der Riondi, dessen Präparate auch mich seiner
Zeit überzeugten, in einer gleichfalls wertvoll bleibenden Arbeit zum
Opfer fiel, indem er die v. EßNER'schen Si)ermatoblasten, d, h. Sertoli-
schen Zellen, nicht als Zellen, sondern als Ueberreste sich umbildenden
Zellprotoplasmas ansah. Merkel betrat mit Sertoli wieder den
richtigen Weg (162). In seiner sjjätereu Arbeit {lö} berichtigte
V. Ebner seinen Irrtum und erweiterte unsere Kenntnis über die
Bedeutung der SsRTOLi'schen Zellen durch den Nachweis, daß sie
Fett leiten.
V. LA Valette St. George (s. insbesondere No. 250 und Arch.
f. mikr. Anat. Bd. XV) legte in der Schilderung tler Generationsfolge
der Samenbildungszellen die Grundlage für die heutige Auffassung:
die fast allgemein angenommenen Namen Spe rmatogo nien und
Spermatocy ten rühren von ihm her, den von Ph. Semper zuerst
gebrauchten Namen „Spermatiden'' fügte er in passender Weise ein.
Den von ihm sogenannten „Spermatogemmen" liegen augenscheinlich
dieselben Bilder zu Grunde, wie den v. EßNER'schen Spermatoblasten;
doch ist V. LA Valette St. George über die Entstehung dieser
Gebilde und die Bedeutung der Fußzellen nicht völlig ins Reine ge-
kommen. Seine Schilderungen von den zweierlei Zellen in den jungen
Hodenkanälchen sind zutreffend; die einen, runden, bezeichnet er als
ürsam en z eil en , die anderen, welche diese einhüllen, als Fol-
likelzellen, um die Aehnlichkeit mit den zweierlei Zellen der
jungen weiblichen Keimdrüsen darzulegen ; wie sich aber diese Fol-
likelzellen im Hoden erwachsener Tiere verhalten, wird von v. la
Valette für die Hoden höherer Vertebraten nicht mit Bestimmtheit
ausgesprochen.
Vor allen haben Brown (62a) und Benda (29) das Verdienst,
indem sie in richtiger Erkenntnis der Dinge auf Sertoli und Merkel
zurückgingen, sowohl Sertoli's „cellule ramificati" gegen Biondi's
Angriff dauernd zur Anerkennung gebracht, als auch ein neues Moment
in die Sache hineingetragen zu haben, welches den v. EßNER'schen
Vorstellungen einigermaßen entgegen kam. Insbesondere betonte es
Benda, daß eine zeitweise Verbindung zwischen den Spermatiden,
hez^Y. den jungen Spermien und den vegetativen Hodenzellen erforder-
lich sei und als normaler Vorgang in den Rahmen der Spermiogenese
hineingehöre; er bezeichnete, wie angegeben, diesen Vorgang als
„Kopulation". Grobben schlug später „Plasmafusion" vor; mir
schien ein völlig indifferenter Name der richtige, den ich in dem
Worte „Symphorese" gefunden zu haben glaube.
Ballow^itz (4 — 11), Flemming (M. 2556), F. Hermann (115
—116), Meves (165— 172a), v. Lenhossek (142), Moore (175
— 178), Brown (62a), v. Ebner in seinen neueren Publikationen
(75, 76), Benda (29 -:39a), J. Broman (59— 62f). Regaud (2U(;)— 222
VIII), Loisel (151— 153e), Bouin (48—55 I) und Schönfeld (231)
haben wohl in der neueren Zeit die Sache, insbesondere unsere Kennt-
nisse von der Spermiogenese, am meisten gefördert. Im Texte ist
Die Geschlechtszellen. 219
bereits des Anteils der Meisten der Genannten an neneren wichtigen
Entdeckungen gedacht worden.
Von Einzelheiten sei noch folgendes angeführt:
Der Name „Samenfaden" wurde zuerst von Kölliker (1. c.) in
Vorschlag gebracht, der Name „Sper m atide", wie bemerkt, von Pii.
Semi'er (707a). J. N. Czekmak unterschied in hergebrachter Weise Kopf
und Schwanz und an letzterem wieder das Kopfstück, das Mittel-
stück und das Endstück. Schweigger-Seidel bezeichnete später das
CzERMAK'sche Kopfstück des Schwanzes als „Mittelstück". Um die damit
gegebene Verwirrung zu vermeiden, schlug Retzius die Namen vor, die
wir hier gebraucht haben : „Verbindungsstück" für Czeumak's Kopf-
stück des Schwanzes (Schweigger-Seidel's Mittelstück), „Hauptstück"
für Czermak's Mittelstück und behielt nur den Namen „Endstück" in der
CzERMAK'schen Bedeutung bei. Auch gab er die Benennungen „Spieß"
und „Randfaden". Letzteren hatte Gibbes (93) unter dem Namen
„iilament" bei Salamandra und Triton zuerst beschrieben und Flemming
(M. 2613) bei Salamandra bestätigt. Um die Auffindung und Beschrei-
bung der Membraubildungen an den Spermien : Spiralsäume , Wellen-
membran, Steuermembran, haben sich insbesondere K. Th. v. Siebold
(Müller's Arch. 1836 und 1837 , Valentix's Repertorium. 1837 und
Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. L), J. N. Czermak (73a) und Ballo-
wiTZ (4a — 8) verdient gemacht; Jensen (121 — 121c) und Ballowitz
um die fibrilläre Struktur der Schwanzfäden. Jensen giebt auch
geschichtliche Notizen über den Spiralsaum der Säugetierspermien
(121b). Ballowitz (5 III) entdeckte und benannte den „Neben-
faden", sowie die Steuermembran, s. p. 99, 117 und 125.
Die Histogenese des Spiralfadens aus kleinen körnigen Bildungen
beschreibt zuerst v. Brunn; sicher erwiesen hat sie Benda (35 — 38).
Die Bildung des Achsenfadens unabhängig vom Kern haben zuerst wohl
Moore und v. Bardeleben gesehen ; genau in allen bis jetzt bekannten
Einzelheiten festgestellt hat sie Meves. Bei v. Lenhossek (142) finden
sich darüber eingehende geschichtliche Angaben fp. 304). Swaen und
Masqiielin (M. 2586) beschreiben zuerst die fibrilläre Struktur der Fuß-
zellen (1883). Die ernährende Thätigkeit der letzteren ist wohl zuerst
von Renson (M. 2579) erwähnt, dann von Gilson (M. 2561), von Regaud
(218a, 219, 220, 2221, 232V) von Loisel (152 und 153e), und insbe-
sondere von Peter (191), von dem auch der Name „Nähr z eilen"
herrührt, eingehender besprochen worden. Die Arbeit Peter's enthält
eingehende geschichtliche Nachweise. Ich bemerke noch, daß Regaud
seine hier p. 173 erwähnte Ansicht, die samenbildenden Zellen ent-
stammten den SERTOLi'schen Zellen, inzwischen aufgegeben hat und sich
der Meinung der Dualisten anschließt. Er beschreibt ferner in den Nähr-
zellen bläschenförmige Gebilde, vesicules de secretion, die er als Sekret-
massen ansieht; ähnliche Dinge bespricht J. Bro.man bei den mensch-
lichen Nährzellen unter dem Namen „Korbbläschen" wegen ihres gittei--
förmigen Aussehens. Loisel hält für die Vögel an der Einheit der im
Frühjahr zu Beginn der Spermatogenese in den Hodeukanälchen vor-
handenen Zellen fest; die Differenzierung in spermienbildende und
SERTOLi'sche Zellen sei eine sekundäre. Bouin hat sich insbesondere
mit den Involutions- und Degenerationserscheinungen bei der Spermio-
genese beschäftigt und neuerdings schöne Untersuchungen über die
Spermiogenese bei Wirbellosen (Lithobius) angestellt. Die ausführliche
220 W. Waldeyer,
Arbeit von Janssexs (120a) konnte hier leider keine Berücksichtigung
mehr finden, da sie mir erst zu Händen kam, als die betreffenden
Abschnitte bereits gedruckt waren. Ebensowenig konnte ich noch die
neueren Publikationen von Regaid (222 1 — VIII), von Loisel (152 und
153e), so wie von v. Kokff (130a) eingehender in Betracht ziehen; ich
mußte mich mit kurzen Bemerkungen und dem Citat begnügen.
Treffliche Abbildungen von Spermien giebt in reichster Zahl Ballo-
wiTZ (4a — 10); aus älterer Zeit sind die von E,. Wagner in seinen Icones
physiologicae und in Todd's Cyclopsedia, Artikel „Semen", anzuführen.
Von kappenartigen Ueberzügen des Kopfes der Samenfäden spricht
wohl zuerst Köllikek (127, 128). Später widmet Guohk ihnen eine ein-
gehendere Besprechung; er nimmt eine elastische Membran um das ganze
Spermium, insbesondere auch um den Kopf an, welche das Spermium be-
fähige, nach jeder Gestaltveränderung in die Ruhelage zurückzukehren
(101a). Schweiggek-Seidel (233j gab (1865) den Namen „Kopfkappe"
und beschrieb mit guten Abbildungen dies Gebilde richtig als nur einen
vorderen Teil des Kopfes überziehend. Später haben sich noch v. Brunn
(M. 2550), Jensen (121 — 121c), Fürst (90, 91, 91a) und insbesondere
Ballowitz des näheren mit der Kopfkappe beschäftigt. Während
V. Brunn zu der Annahme gelangte, daß die Kappe nur ein bei der
Entwickelung auftretendes Gebilde sei, welches später abgeworfen werde,
worin ihm Fürst für eine Reihe Säugetiere beistimmte, haben der Letz-
tere und Jensen für die Ratte und den Igel (Fürst) ihren Fortbestand
auch bei den völlig ausgebildeten Spermien erwiesen ; nach den Unter-
suchungen von Ballowitz scheint dies überhaupt für alle Säugetiere an-
genommen werden zu müssen. Weitere Untersuchungen sind indessen
über dies Gebilde noch erforderlich.
Die beiden Abteilungen des Spermiumk o pfes, das
V 0 r d er- und H i n t e r s t ü c k , haben bereits Grohe und Schweigger-
Seidel (auch abgesehen von der Kopfkappe) bemerkt ; desgleichen
FÜRST (bei der Ratte) und Jensen, v. Brunn (M. 2550) hat sie als
allgemeine Erscheinung in den früheren Entwickelungsstadien der
Spermienköpfe beschrieben, läßt sie jedoch später wieder schwinden ;
ihre Grenze bedinge das mittlere VALENTiN'sche Querband; er führt
sie auf die von Fr. Merkel nachgewiesenen beiden Abteilungen
des Kernes der Spermatiden zurück. Ballowitz wies das, wie es
scheint, wenigstens bei den Säugetierspermien allgemein verbreitete
Vorkommen eines Vorder- und Hinterstückes an den reifen Spermien
nach; auch die Namen rühren von ihm her.
Eimer entdeckte den Achsen faden (bei Fledermäusen).
V. Brunn gab den Namen und wies ihn auch bei andern Wirbeltieren
nach (M. 2604, 1883). Der Name „Hals" für einen körperlichen
Bestandteil des Spermiums wurde zuerst von Th. Eimer gebraucht
(M. 2612, 1874). Er verstand darunter dasjenige kurze Stück des Achsen-
fadens (v. Brunn), welches vom Verbindungsstücke des Schwanzes zum
Kopfe zieht, um sich au diesen anzuheften. Eimer war der Meinung,
daß hier der Achsenfaden nackt zu Tage liege. Dann hat Ballowitz
(M. 2591, 1886) diesen Namen mit der Aenderung aufgenommen, daß er
den betreffenden Achsenfadenteil als ,,Halsstück des Achsenfadens" —
schlechtweg „Halsstück" — bezeichnete. Zugleich wies er nach, daß
bei vielen Säugetieren nicht ein, sondern 2 feine Fäden dies Halsstück
bilden, und daß sie am Kopfe mit je einem Endknöpfchen befestigt
Die Geschlechtszellen. 221
seien. Er ist auch dafür, daß diese Fäden nackt zu Tage lägen.
Später (7, p. 260 if., is<ii) nimmt I^>allowitz noch den Namen ..Hals"
auf und bezeichnet damit die „Lücke", welche zwischen Kopf und
Schwanz erscheint, die aber von dem „Halsstücke" durchsetzt wird.
Die (scheinbare) Lücke zwischen Kopf und Schwanz wurde zuerst
von Grohe erwähnt, dann von Schweigger- Seidel. Meves
(171 , p. 334, 1899j schließt sich zunächst dieser Auffassung des Halses
als einer Lücke an. Nun zeigte aber bereits Jensen, dem Ballowitz
folgte, so wie später Meves, daß in dieser Lücke auch eine ..durch-
sichtige verbindende Substanz" liege — Ballowitz nennt sie Kitt-
substanz — , und daß z. B. bei der Ratte diese Sul)stanz es sei, welche
das proximale Ende des Achsenfadens mit dem distalen Kopfende
verbindet. Die weiteren genauen Angaben von Meves sind im Texte
mitgeteilt worden.
Kurz kann ich hier zur Ergänzung des p. 148 Alinea 3 Gesagten,
unter den geschichtlichen Angaben nur noch der neuesten Mitteilungen
von J. Broman (61e und f) über die Spermien von Pelobates und vom
Menschen gedenken, bei welchen beiden er im Halsstücke je 2 kleine
Centralkörpercheu, ähnlich wie Meves beim Meerschweinchen nach-
zuweisen vermochte (61d und 61 e). S. auch Wilgox (261). Für die
verschiedenen im Spermienschwanze beobachteten Fadenbildungen
schlägt Broman die Namen vor: „Bewegungsfaden" für den aktiv
beweglichen „Stützfaden" und „Nebenstützfaden" (s. bei Amphiuma)
für die passiv beweglichen. Er geht dabei von der Voraussetzung
aus, daß einer der Fäden in der That aktiv beweglich sei; s. das
p. 206 Gesagte.
Für weitere geschichtliche Notizen sei noch auf No. 256 ver-
wiesen.
III. Eier, Ova. Einlassen (Laich), Synoia.
a) Namengebung. Begriffsbestimmung. Uebersicht der Hauptteile
der Eier. Bildung des Laichs.
Mit dem Namen „Eier", „Ova" belegen wir in der Regel die
vollständig ausgebildeten, zur Befruchtung reifen weiblichen Geschlechts-
zellen. Aber wir gehen mit dieser Bezeichnung noch weiter, in-
dem wir sie einerseits auf Bildungen anwenden, die, wie die Eier
der Vögel, Reptilien, Selachier und anderer Tiere, nicht mehr als
„Zellen" angesehen werden können, sondern durch Anbildung be-
sonderer Hüllen, wie Eiweißmassen, Kalkschalen und anderer Dinge,
Körper von sehr verwickelter Zusammensetzung geworden sind,
andererseits auf weibliche Geschlechtszellen, welche noch nicht voll-
ständig ausgebildet sind, insbesondere noch nicht ihre Befruchtungs-
fähigkeit erlangt haben. Endlich wird bei den Viviparen auch die
aus dem Ei entwickelte Frucht mitsamt ihren Hüllen (Eihüllen),
namentlich in den früheren Entwickeluugsstadien, als „Ei" bezeichnet,
ähnlich wie man fortfährt, von einem Vogel- oder Reptilien-Ei zu
reden, selbst wenn schon das darin entwickelte Junge unmittelbar
vor dem Ausschlüpfen steht. Den Ausdruck „Eier", „Ova" werden
wir, dem vorstehend dargelegten Sprachgebrauche gemäß, ohne strenge
Begriifsfassung im allgemeinen verwenden, von „Eizellen", „Cytova"
aber nur sprechen, wenn das bestehende Gebilde unzweideutig als
222
W. Waldeyer.
Vogeleiei ,
Zelle ersclieiut und nur „Zellineniliranen" als Hüllen besitzt, also
solche, die von der betreffenden Zelle selbst gebildet wurden. Dienach
außen abgelegten weil)lichen Fortpflanzungskörper werden wir, gleich-
falls dem Sprachgebrauche folgend, stets als „Eier" bezeichnen, z. B.
Insekteneier u. a.
Für eine wissenschaftliche Betrachtung i.^t aber bei den Eiern,
ebenso wie es bei den Spermien und deren verschiedenen Ent-
wickelungsstufen der Fall war (vergl. S. 162ff.j, eine weitere Namen-
gebung mit streng festgestellten Begriffen unljedingt erforderlich. Es
wird von Nutzen sein, wenn wir hier, gleich zu Anfang unserer Dar-
stellung vom Ei, diese Nomenklatur in kurzer üebersicht bringen ;
beim Kapitel „Oogenese" kommen wir eingehender darauf zurück.
Wir werden beim Stammbaume der Eier unterscheiden :
1) die Stammzellen, Fr otogon ocyten, 2) die Ur ge-
schlecht sz eilen , Ar chigonocyten, 3) die Geschlechts-
zellen, Gon ocyten, 4) die Ureier, Archiova, wofür wir auch
die Namen Ureizellen, Archicytova verwenden. Darauf folgen
5) die Primordialeier . Oogonien, 6) die Voreier, 0 ocyten
I. Ordnung, 7) die Eim utt er z eilen, 0 ocyten IL Ord-
dann die Pteifeier, Ovia; vielfach wird für diese schlecht-
Ova. Ovula verwendet.
n u n g ,
weg auch der
allgemeine Name Eier
Soma
W \l 1/1/ ///////.
O O o o
j- Oviiin) - •!
iSperrnLurri' •/
OospermiumJ
TT Orniim;'-' -
Spermium. _
^ Urg^sthlfrhtszell/'X
fAnJä/^onoa/feJ
P.
On^jermiumH
Fj " fArr/M/wtoa/feJ
Fig. 54. Schema der Geschlechts- und Körperzellenbildung bei Ascaris megalo-
cephala nach Boveri. Bei I treten ein Ovium und ein Spermium zusammen, um ein
befruchtetes Ei, ein Oospermium, zu bilden; dieses liefert bei der ersten Teilung
eine Stammzelle P^ und eine Somazelle »S',. P, teilt sich wieder in P.^ und >% und
P. liefert bei ihrer weiteren Teilung nur noch Geschlechtszellen,
selbst wird als
so fort bis zu P.,.
entweder männliche oder weibliche; sie
Urgeschlechtszelle, Archi-
gonocyte, bezeichnet,
von neuem.
Bei II beginnt derselbe Prozeß mit einem anderen Individuum
Die drei ersten Glieder des Stammbaumes, „Stammzellen", „Ur-
geschlechtszellen" uud „Geschlechtszellen" haben die Eier mit den
Spermien
gemeinsam
(vergl. Abschnitt Spermiogenese, p. 160 ff.) ;
Die Geschlechtszellen. 223
Fig. 54, welche ich mit unbedeutender Aenderung Boveri's wichtigem
Werke (622 a) entlehne, giebt über dieselben einen vorläufigen Auf-
schluß: Aus der Verbindung eines Reifeies, Oviuni, mit einem Sper-
mium, dem Oospcrmium. geht durch den Furchungsprozeß die junge
Embryonalanlage hervor. Bei Ascaris megalocepliala, auf Avelchen
Nematoden sich die Figur Ijezieht, enthält die eine (Pj) der beiden
ersten Fui'chungszellen, S^ und P^, neben der Anlage von weiteren
Körperzellen, *S., . . . Sj, . . . , auch die Anlage von Geschlechtszellen ;
die andere Furchungszelle (S,), liefert nur Küri)erzellen. welche in
der Figur als einfache helle Kreise bezeichnet sind. Bei einer be-
stimmten Anzahl der folgenden Teilungen bleibt dasselbe Verhalten.
BovERi nennt diejenigen vier ersten Furchungszcllen. welche, neben
Körperzellenanlagen, die Geschlechtszellenanlagen führen, „Stamm-
zellen" = Pi~P^ in Fig. 54. Von der 5. Teilung an liefert der eine
Abkömmling, P5, der letzten Stammzelle (PJ nur noch Geschlechts-
zeilen. Dieser Abkömmling (P^) wird von Boveri als „Urge-
s c h 1 e c h t s z e 1 1 e'' bezeichnet ; die von ihm in den nächsten Folgen
gelieferten Zellen sind die „Geschlechtszellen" Xussbaum (683).
Sie sind hier nicht gezeichnet, können aber leicht als fortlaufende
Abkömmlinge in der Reihe der Zellen Pj, P^, Pg, P^, P^ . . . gedacht
werden, bis sie wieder ein Ovium oder ein Spermium liefern. Bei II
treten solche zu einem neuen Individuum zusammen. — Diejenigen
Körperzellen, /S,, ä^ u. s. f., welche aus dem Oospermium und aus
den Stammzellen hervorgehen und ihrerseits nur wieder Körperzellen
erzeugen, haben noch etwas besonderes und sind daher durch vier
kurze kreuzförmig stehende Striche in der Figur ausgezeichnet; von
dieser Besonderheit wird später gehandelt werden. Die übrigen Körper-
zellen sind, wie bemerkt , als einfache helle Kreise gehalten ; sie
bilden durch ihre weiteren Vermehrungen alle sonstigen Gewebe und
Organe des Individuums.
Die Geschlechtszellen der drei ersten Generationen — den Namen
„Geschlechtszellen" ganz allgemein gebraucht also die Stammzellen,
Urgeschlechtszellen und Geschlechtszelle im engeren Sinne, sind ihrem
Charakter nach, ob männlich oder weiblich, noch nicht zu bestimmen.
Bei irgend einer Generation der Geschlechtszellen — der wievielten? ist
ebenfalls nicht bestimmbar — ist dies aber möglich ; wir nennen diese
zuerst als solche bestimml^aren Geschlechtszellen, je nach ihrem Sexual-
charakter. U r s a m e n z e 1 1 e n oder U r e i e r (Ureizellen ). Die Abkömm-
linge der Ureier werden — wahrscheinlich liegen dabei mehrere Ge-
nerationen vor — Primordial ei er, Oogonien genannt. Mit
einer (der letzten) dieser Generationen l^eginnen die betreffenden Zellen
stark zu wachsen und die dehnitive Größe des späteren Reifeies zu
erlangen; diese Zellen sind Boveri's Oocyten (auch „Ovocyten)
I. Ordnung, die Voreier, wie ich sie nenne. Durch einen, was
die Massen anlangt, sehr ungleichen Teilungsprozeß zerfallen sie in die
kaum verkleinert erscheinenden Oocyten II. Ordnung, die E i -
mutter Zellen, und die ersten Polzellen (Polocyten I). Die
Oocyten IL Ordnung teilen sich endlich je in das R ei fei, Ovium
und die zweite Polzelle. Vielfach teilt sich dabei auch die erste
Polzelle noch einmal in zwei Tochterzellen ^).
1) Ebenso, wie der Name ,,Ei", wird auch der Name „Geschlechtszelle", der
schon lange im Gebrauch ist, in mehrfacher Bedeutung verwendet. Es läßt sich
dies nicht umeehen, bringt aber wohl kaum Schwierigkeiten mit sich. Wie
224 W. Waldeyer,
Aus der Fig. 55 — kopiert nach den Angaben von Boveri (306)
und 0. Hertwig (Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte, 7. Aufl.) —
wird man sich leicht über diese Dinge orientieren.
Ich habe bei den vorhin angefühi'ten Namen einige Aenderungen mir
gestattet. Zunächst habe ich überall Namen, welche bequem international
zu verwenden sein dürften, hinzugefügt: Protogonocyte, Archigonocyte,
Cytovum, Archicytovum ; letztere beiden Ausdrücke wurden gewählt, um
Verwechslungen mit „Oocyte" zu vermeiden. Ferner bildete ich neu
„Reifei" und dessen internationalen Terminus „Ovium". Da, wie eingangs
dieses Abschnittes bemerkt, der Ausdruck „Ei" ungemein vieldeutig ist, so
sind wir gezwungen, für den Fall, daß wir mit bestimmten Begriffen in
kurzer Form operieren wollen, ein neues Wort zu schaffen. Ovium,
welches an das griechische wtov, Ei, (statt aov) und zugleich an „Spermium"
anlehnt, schien mir brauchbar. Es soll darunter also das reife, regulär be-
fruchtungsbereite Ei verstanden werden, dessen Begriifserklärung Boxnet
(297) trefflich mit folgenden Worten giebt: „Reif ist das Ei nur
dann, wenn es eine bestimmte für die Species nur in un-
wesentlichen Varianten schwankende Größe erreicht,
eine bestimmte Masse Dotter (s. darüber w. u.) im Eileib
meist mit mehr oder weniger auffallender peripherer
Verlagerung des Keimbläschens aufgespeichert und die
Richtungskörperchen oder Polzellen abgeschnürt hat."
— Der Name „Urei" rührt von PflitCtER (517), „Primordialei" von His
(418) her; sie wurden aber von ihren Urhebern in etwas anderem Sinne
gebraucht als hier. Indem ich „Oogonien" und „Primordialeier" gleich-
setze, folge ich Boxnet (296).
Wie Boveri (306) richtig darlegt, enii)fiehlt es sich nicht, bei den
Jetzten, mit der Bildung der Polzellen einhergehenden Teilungen die
Namen „Eimutterzelle", „Eitochterzelle" „Eienkelzelle'' zu verwenden
(für bezw. Oocyte I. Ordnung, Oocyte IL Ordung und Ei [ReifeiJ).
Will man, wie zu wünschen, einen guten deutschen Ausdruck haben,
so erweist sich wohl „Vorei" als passend (für Oocyte L Ordnung),
Auch der Ausdruck „Polocyte" dürfte brauchbar sein. Da es sich bei
den Polocyten um „Zellen" handelt, und da dies mit Rücksicht auf
das Verständnis dieser Bildungen zu betonen wichtig ist, so wünsche
ich den Namen „Richtungskörperchen" durch den später gebräuchlich
gewordenen „Polzellen" oder „Polocyten" durchweg zu ersetzen.
Das Reifei entspricht — vergl. die Fig. 55 — streng genommen
der Spermatide und nicht dem Spermium; Korschelt und Heider
(1. c. p. 294) haben auch deshalb für „Reifei" den Ausdruck „Oide"
gewählt. Da jedoch das Spermium nur auf dem Wege einer Um-
formung direkt aus der Spermatide hervorgeht, besteht auch eine
Homologie zwischen Ovium und Spermium. In der Ausbildung
sekundärer und tertiärer Hüllen — freilich erst nach der Befruchtung —
erleidet übrigens auch das Reifei noch allerlei Veränderungen.
In allen den genannten Stadien ihres Bestehens stellen nun die
Eier im wesentlichen Zellen dar mit einem meist schon anfangs großen
schon der Seitentitel dieses ganzen Kapitels zeigt, wird einmal die Bezeichnung
„Geschlechtszellen" ganz allgemein gebraucht für männliche und weibliche Fort-
pflanzungskörper jeglicher Art und jeglicher Entwickelungsstufe, dann aber — seit
NussBAUM (683) — verstehen wir darunter, im engeren Sinne, die nächsten Ab-
kömmlinge der Urgeschlechtszelleu BovERi's, so lange diese Abkömmlinge noch
keinen Geschlechtscharakter, ob männlich oder weiblich, erkennen lassen.
Die Geschlechtszellen.
225
Protoplasmaleibe, großem Kern und Kernkörperchen. Dazu kommen
fast in allen Fällen Hüllen, die man als eigene und fremde
bezeichnen kann. Die ersteren sind vom Zellenleibe, dem Eiproto-
plasma selbst geliefert, haben also, Avie vorhin bereits bemerkt, den
Charakter von Zellmembranen; die anderen sind von außenhei-, von
den das Ei umgebenden Organen abgeschieden und dem Ei aufgelagert
worden. Die eigenen Hüllen sind die „Dotterhaut", „Oolemma"
Keimzoiie.
Waehstiims-
zone.
ßeifezone.
I. n. III.
Generation von
Spermatogonien
und Oogonieu.
Spermatoeyten I
und Oocyteu I.
I. II. III.
( > eueration von
Zellen der
Reifezone.
Fig. 55. Schema der Entwickehing der Urgeschlech tszellen (I in der
Keimzone) — Ursamenzeilen link.s, Ureier rechts — zu den Spermatiden imd Spermien,
bezw. Ovien: II u. /// in der Keimzone bedeuten die Spermatogonien und Oogonien.
Die obere kleine Zelle in der Wachstumszone wächst zu einer Spermatocyte I. Ord-
nung oder zu einer Oocyte I. Ordnung (e;') heran. Durch die Teilung dieser ZeUen
(/ in der Eeifezone) entstehen (links) je 2 Spermatoeyten II. Ordnung (Präsperma-
tiden), rechsts je eine Oocyte II. Ordnung, Eimutterzelle (et^) und eine erste Pol-
zelle (j52i). Die folgende Teilung bei // in der Eeifezone ergiebt die Spermatiden
(hnks 1, 2. 3, 4) und ein Reifei, Ovium (ei^), nebst der zweiten Polzelle {pz% Auch
pz^ kann sich noch einmal teilen und dann ergeben sich rechts wie links 4 Abkömm-
hnge von / (Eeifezone), die links alle gleichwertig sind, rechts aber un gleichwertig,
indem nur ei^ befruchtungsfähig wird. — Nach BovERi und O. Hertwig (Lehrbuch
der Entwickelungsgeschichte, 7. Aufl., Fig. 26, p. 41, 1902).
oder die „Dotterhäute''; die fremden werden als „Zona", ..Cho-
rion", als Schalenhaut, als „Eiweißhüll e'\ als „Eischale".
Kalk schale u. a. unterschieden und sind jedermann vom Vogelei.
wenigstens oberflächlich, bekannt.
Noch ein weiteres Stück gehört zu dem Bestände der Reifeier, der
Dotter. Vitellus (Xahrungsdotter, Reichert). Während das Ei
bis zum Ende des Stadiums der Oogonien nur einen aus reinem gewöhn-
lichen Zellprotoplasma aufgebauten Leib besitzt, beginnt es später,
namentlich im Stadium der Oocyte I. Ordnung, im Wachstums-
stadium 0. Hertwig's, aus Nahrungsmaterial, welches ihm durch
verschiedene Einrichtungen reichlich geboten wird, in seinem Innern
eine zur Ernährung des künftigen Embryo bestimmte eigentümliche Sub-
stanz von höchstem Nährwerte auszubilden, den Dotter, welcher
sich in Form von glänzenden Kügelchen oder in krystallähnlichen
Bildungen „Dotterplättcheu" (? s. w. u.) in das Eiprotöplasma einlagert
Handbuch der Entwickelungslehre. F. 15
226 W. Waldeyer,
und darin oft bis zu großen Mengen - vergl. die Eier der Vögel,
Reptilien, Haifische — aufspeichert. Die erhebliche Größe der genann-
ten Eier liihrt zum Teil von diesem meist gelblich gefärbten „Dotter"
{'/Jyudng, vitellus) hör. Aber auch die kleinsten Reifeier besitzen fast
ausnahmslos eine im Verhältnis ansehnliche Menge Dotter. Da man
nun in früherer Zeit den Dotter nicht streng vom Eii)rotoplasnia
schied, so wurde derzeit der Name „Dotter" auch für den ge-
samten Eileib (abgesehen vom Kern und Kernkör])er) gebraucht,
und man thut dies da, wo es auf eine strenge Scheidung nicht an-
kommt, wohl noch heute. Reichert unterschied zuerst beim Reifei
genauer zwischen dem Eiprotoplasma, welches er als „Bildungs-
d 0 1 1 e r" bezeichnete und dem N a h r u n g s d o 1 1 e r (D e u t o p 1 a s m a
Ed. van Beneden).
Der Ausdruck ,,Bildungsdotter" hat seine vielfachen Mängel; vor
allem ist er kein „Dotter", Schon aus diesem Grunde und der Kürze
wegen gebraucht man jetzt das Wort „Dotter" nur für den Begriff
des im Ei enthaltenen Ernährungsmaterials, welches bei der Em-
bryonalentwickelung sich direkt nicht an der Leibesbildung des Embryo
beteihgt. Für das Eiprotoplasma, welches später zur Leibessubstanz
des Embryo sich umformt, schlägt Bonnet (296) vor, das Wort
„Keim'', ßlaovog, zu gebrauchen, welchen Vorschlag ich für sehr
annehmbar erachte. Das i)aßt denn auch gut zu dem Sprachgebrauch,
der mit dem Worte „Keim" auch den bereits in Furchung begriffenen
oder abgefurchten Bildungsdotter, also die erste Embryoualanlage zu
bezeichnen pflegt. Man kann auf diese Weise für die verschiedenen
Stadien sich der Ausdrücke „ungefurchter", „furchender, abgefurchter"
Keim u. a. bedienen.
Bezüglich des Dotters muß schon hier eines für das Verständnis der
Eier sehr wichtigen Umstaudes gedacht werden. Ist der Dotter in ver-
hältnismäßig geringer Menge im Ei vorhanden, so wird bei dem Teilungs-
prozesse, der die Bildung des Embryo einleitet, dem F u r ch u n g s p r o -
z e s s e (S e g m e n t a t i o), der Dotter mit in die Teilung hineingerissen ;
die erste Furche zerlegt das ganze Ei in zwei Teile und jeder Teil,
Elastomer, F u r c h u n g s k u g e 1 , F u r c h u n g z e 1 1 e , enthält etwa
die Hälfte des Dotters ; so geht es auch beim weiteren Teilungsprozesse
fort; Beispiel: Eier der Säugetiere. Ist aber der Dotter in großer
Masse vorhanden, so sammelt sich der verhältnismäßig kleine Keim
an einer Stelle des Dotters, gleichsam auf der Dottermasse schwim-
mend. Bei der Furchung vermag er die große schwere Dottermasse
nicht mit in den Teilungsprozeß hineinzuziehen; letztere bleibt un-
gefurcht als träge Nahrungsmasse unter dem sich zum Embryo fort-
bildenden Keime liegen; Beispiele: Vögel, Reptilien u. a. Die erstere
Eiform geht durch mancherlei Zwischenformen in die zweite über.
Die Eier der ersten Art werden als „holo blas tische", die der
zweiten als „meroblastische" bezeichnet.
Da die Eier längst bekannt waren, bevor man die Zellen und
deren Teile kennen lernte, so waren die gleichartigen Teile bei ihnen
mit anderen Namen benannt worden , als sie später für die übrigen
Zellen üblich wurden : Dotter = Z e 1 1 1 e i b , Keimbläschen,
V e s i c u 1 a g e r m i n a t i v a = Zellkern, K e i m f 1 e c k , ]\I a c u 1 a
g e r m i n a t i V a = K e r n k ö r p e r , D o 1 1 e r h a u t , Membrana
V i t e 1 1 i n a = Z e 1 1 m e m 1) r a n. Hierher gehört nach manchen Autoreu
auch die dicke glänzende Hülle vieler Eier, wie die der Säugetiere und
Die Geschlechtszellen.
227
des Menschen, die als Z o n a oder Z o n a p e 1 1 n c i d a , Z o n a r a d i a t a
bezeichnet wird. Da die genannten Stücke bei den Eiern manche
Besonderheiten anfweisen, empfiehlt es sich, die alten überall ein-
gebürgerten Namen l)eiznbehalten. Xnr sollte, wie bemerkt, der Ans-
(^.^
4>
m
i
^ Ä.
y
■ß
r
ß
S-.
Fig.
56.
Fig. 57.
Fig. 58.
Fig. 56. Holoblastisches Ei eines
Säugetiers (Tarsius spectrum, Prosimii)
nach Stratz (570), Taf. VII, Fig. 8.
Das junge, von einem Teile der zu-
gehörigen FolUiielzellen umgebene Ei
zeigt die helle dünne Dotterhaut (Zona)
noch nicht völlig ausgebildet, den
Eileib (üoplasma) mit wenig (dunk-
leren) Dotterelementen, das helle Keim-
bläschen und darin den dunklen Keim-
fleck.
Fig. 57. Kleines meroblastisches
Ei eines Irisches (Esox lucius) nach
His (419). Die feine dunkle äußere
Linie stellt die Dotterhaut dar, die
zweite etwas breitere dunkle Linie die
(optische) Grenze des Eileibes, die hel-
lere Schicht zwischen beiden ist ein-
gedrungenes Wasser. Nach oben, ein wenig vorgewölbt, befindet sich der Keim,
darunter der Dotter. An der Grenze beider dunkle Fetttropfen in der Eindenschicht.
Fig. 58. Halbschematischer Durchschnitt eines leroßen meroblastischen Eies
(Gallina
Fig. 11,
Kalkschale dar. Darunter zwei feine dunkle Linien bezeichnen die Schalen -
haut, Membrana testacea; rechts weichen sie auseinander, um einen linsen-
förmigen helleren Eaum, die Luft kämm er, einzuschließen. In der Mitte der
große dunkle, mit hellen konzentrischen Streifen durchsetzte Körper ist die fast ganz
aus Dotter bestehende Eizelle (Gelbei). Die Streifen bedeuten dünne Schichten des
sogenannten weißen Dotters, welche zwischen die Masse des hier dunkel gehaltenen
gelben Dotters eiugeschaltet sind. Die flaschenförmige helle^ Figur in der Mitte
bezeichnet ebenfalls eine Masse weißen Dotters, die PuRKYNE'sche L a t e b r a ;
nach oben wird sie von dem kleinen (dunklen) linsenförmigen Keime, der Cicatri-
cula (Narbe) gedeckt. Der Raum zwischen Schalenhaut und Eizelle, Gelbei, ist mit
dem Eiweiß (Albumen) ausgefüllt; in demselben erstrecken sich links und
rechts je ein dunkler gedreht verlaufender Strang, die Chalazae, Hagelschnüre,
von der Dotterhaut zur Schalenhaut.
15*
Jgroßen
domestica) nach Allen Thomson aus O. Hertwig's Lehrbuch, 7. Aufl.
S. 16. Die dickere äußerste dunkle Linie stellt den Durchschnitt der
228 W. Waldeyer,
druck ..Dotter'' nur für den „Nahrunusdotter"' verwendet werden, für
den ,J)il(lungsdotter" der Name „Keim". Korschelt-Heider (66()a)
nennen den Zellleib des Eies, einerlei ob mit oder ohne Dotter,
„0 oplasma''.
An den Figuren 50 — 5S wird man sich leicht über die hier be-
nannten übersichtlich beschriebenen Teile der meroblastischen und
holoblastischen Eier orientieren.
Bei den männlichen Geschlechtszellen mußten wir zwischen den
Spermien und dem Sperma unterscheiden. Etwas ähnliches ist
auch bei den Eiern vieler Tiere nötig, indem dieselben durch Hüllen
verschiedener Bildung und Konsistenz in größerer Zahl zu einem
Packet zusammengebracht werden. Vielleicht emptiehlt es sich, um
die Aehnlichkeit anzudeuten, die zwischen dem Sperma, i.e. der
Samenmasse mit den Spermien darin, und diesen Einlassen besteht,
eine besondere allgemeine Bezeichnung einzuführen, die für alle die
verschiedenen Formen verwendet werden könnte; ich schlage das
Wort „Synoion" (ocr und coiom dafür vor. Am ähnlichsten dem
Sperma sind in dieser Beziehung wohl die Gallertnuissen, welche den
Froschlaich, Krötenlaich und den Laich mancher Fische bilden. Der
Fischlaich wird freilich meist sofort nach der Entleerung in das Wasser
zerteilt, so daß die einzelnen Eier mit ihren Hüllenresten isoliert
werden; aber das geschieht ja auch mit dem. Fischsperma, der so-
genannten „Fischmilch", und es werden doch von den brünstigen
Weibchen bei der Berührung mit den Männchen eine Menge Eier mit
gallertigen dünnen Hüllen in der Art eines Ejakulates ausgestoßen.
Die schleimigen oder gallertigen Massen sind, ebenso wie beim Sperma,
Produkte von Drüsen der ausführenden Wege.
Auch bei Wirbellosen kommen ähnliche Einrichtungen vielfach
vor. Wenn die die Eier einhüllenden Massen von außen erhärten, so
daß sie Kapselform annehmen, so werden sie Cocons genannt.
Bei den Lumbriciden und den Hirudineen werden solche Cocons, die
mehrere Eier umschließen, von den Hautdrüsen dieser Tiere geliefert ;
bei anderen, z. B. bei Hydrophilus, werden die Eier in eine Gespinnst-
kapsel eingeschlossen, ähnlich vfie dies bei den Spinnen der Fall ist.
Derlei Einrichtungen erinnern an die Sp er niatop hören. Damit
verlassen wir aber schon den Boden , der einen Vergleich mit dem
Sperma zuließ. Wir werden weiter unten bei den Kapiteln „Morpho-
logisches Verhalten der Eier" und „Physiologische Bemerkungen" auf
diese Dinge zurückkommen und sehen, daß auch die um die ein-
zelnen Eier der Oviparen Tiere sich lagernden Hüllen an die in
Rede stehenden Bildungen sich anschließen.
ß) Physikalisches und chemisches Verhalten der Eimassen (Synoia)
und der Eier.
Ueber das physikalische Verhalten der Eimassen ist kaum
mehr etwas dem eben Gesagten hinzuzufügen. Auch die einzelnen
Eier zeigen in physikalischer Beziehung, wie in Konsistenz, Farbe
u. a. , eine so große Verschiedenheit, daß wir auf die Beschrei-
bungen bei den Tierklassen verweisen müssen. Erwähnt mag noch
sein, daß die mit dickerer Dotterhaut versehenen Eier eine große
Elastizität aufweisen. Bei den Fisch eiern und den Eiern anderer im
Wasser laichenden Tiere dringt nach der Befruchtung vielfach Wasser
Die Gresclilechtszellen. 229
durch die Eihaut eiu. Besonders interessant sind die Einflüsse,
welche die verschiedenen p h }' s i k a 1 i s c h e n Energien a u f
die Eier ausüben. So stellen sich infolge der Schwerkraft die
Eier der Vögel so wie die der Anurcn — Beobachtungen besitzen
wir bei Hühnern und Fröschen — in bestinmiter Weise ein. Das
Hühnerei dreht sicli dabei in seiner Schale (im Albumen) um die
durch die Chalazen gehende Achse so, daß der Keim nach oben zu liegen
kommt; die Froscheier drehen sich in ihrer Gallerthülle in gleicher
Weise.
Die Froscheier haben bekanntlich eine größere schwarze und eine
kleinere helle Kalotte. In der Mitte der schwarzen Kalotte findet sich
an der Oberfläche die größere Menge des spezifisch leichteren Keims, in der
Gegend der helleren der schwerere Nahrungsdotter angehäuft. Die Eiachse
bei Rana fusca, dem braunen Grasfrosche, d.h. die Linie, welche die
Scheitelpunkte beider Kalotten verbindet, stellt sich demgemäß unter dem
Einfluß der Schwere senkrecht ein. Beim Wasserfrosche, der Rana es-
c u 1 e n t a , fand Roux (699 a), daß die Eiachse sich schief stellt. Daß dies
eine rein physikalische Erscheinung sei. bewies Roux dadurch, daß er
sie auch an Eiern, die durch Kochen erhärtet und aus ihrer Gallert-
hülle ausgeschält waren, zeigen konnte. W^as die Einstellung der Hühner-
eier anlangt, so hat Waldeyer (591, S. 67) die Vermutung ausgesprochen,
daß der weiße Dotter der Latebra (s. Fig. 58) spezifisch schwerer sei
und daher wie ein Senkblei wirke ; daselbst wird auch der abw^eichenden
Ansichten Purkyne's und v. Baer's gedacht. Daß auch solche kleine
Körper wie die Nucleolen in den Eiern in ihrer Lagerung durch die
Schwerkraft beeinflußt werden können, zeigt die hübsche Beobachtung
von Hereick (416).
Durch PflIjger's bahnbrechende Untersuchungen (M. 23-42) wurde
die Aufmerksamkeit zuerst auf diese Dinge und auf ihre W'ichtigkeit
für gewisse Fragen der Entwickelungsgeschichte gelenkt.
Ueber die Einflüsse anderer physikalischer Agentien : Temperatur,
Licht, Magnetismus, Elektrizität sind insbesondere in der letzten Zeit,
vorzüglich von Roux, Driesch, den Brüdern Hertwig, 0. Schultze,
Born u. a. zahlreiche Versuche angestellt worden, welche die Ab-
änderungen der Entwickelungsvorgänge durch diese Energieformen
zum Gegenstande hatten. Auf das unbefruchtete Ei ist dal)ei kaum
Rücksicht genommen worden. Einzelnes siehe noch unter „Physio-
logische Bemerkungen".
Genauere Kenntnis der chemischen Bestandteile der
Eier haben wir nur bei den Vögeln. Reptilien, Amphil)ien
und Fischen, da die Eier der Säugetiere wegen ihrer Kleinheit und
der fast unmöglich erscheinenden Beschattung einer genügenden Zahl
bislang chemisch nicht untersucht worden sind. Auch für die Wirbel-
losen fehlen uns genaue Analysen.
Die Eischalen der Vögel sowie die kalkhaltigen Schalen der
Saurier und Hydrosaurier, soweit sie vorkommen, enthalten Calcium,
Magnesium und Spuren von Eisen, dazu Kohlensäure, P h o s -
p h o r s ä u r e , Schwefelsäure und Kieselsäure, letztere auch
nur in Spuren. Im allgemeinen finden sich 3 — 6 Proz. organischer
Substanz und 90 Proz. Calciumcarbonat. Die übrigen 4 — 7 Proz. ver-
teilen sich auf die anderen genannten Stoffe. Phosphorsaure Magnesia
fehlt oft. - In der organischen Grundlage der harten Eischale und
230 W. Waldeyer,
insbesondere in der Schalenhaut findet sicli ])ei Vögeln, Sauriern,
Hydrosauriern und Selachiern Keratin. Bei Tropidonotus natrix
und Mustelus laevis wird Elastin als Bestandteil angegeben. Mucin
enthält die Gallerthülle der Amphibieneier.
Neumeister fand in der Eischale von Echidna aculeata eine
von den echten Keratinen abweichende Substanz, insofern als sie vom
Magensaft, allerdings sehr schwer, verdaut wurde.
Unter den Pigmenten der Vogeleierschalen sind ver-
schiedene Arten mit besonderem Namen belegt worden: Oocyanin,
als Farbstotf der blauen bis grünen Schalen, das Oorhodein in
den dunklen und rötlichen Eierschalen. In den Schalen der Strauß-
und Kasuareier hat man einen besonderen grünen Farbstoff, das
0 0 c h 1 0 r i n und in den Eiern der Krypturiden das gelbe 0 o x a n t h i n
nachgewiesen.
Die I n h a 1 1 s s u b s t an z e n der Eier sind am besten beim Huhn
bekannt und beziehen sich die folgenden Angaben auf Hühnereier :
Das Durchschnittsgewicht eines Hühnereies beläuft sich auf
40—50 g, doch kommen sehr viel kleinere Eier (Zwergeier) und
weit schwerere und größere (Rieseneier), welche bis zu 70 g und dar-
über wiegen, vor. Diese Angaben beziehen sich aber offenbar auf
kleinere Hühnerrassen. Von einer größeren Hühnerrasse, der sog.
Ulmerrasse, teilt mir Dr. F. Hein, Assistent des Berliner anatomischen
Institutes, mit, daß hier meist 90 g als Gewicht gefunden wird, jedoch
kam die Gewichtszunahme vorzugsweise auf das Albumen, nicht auf
den gelben Dotter. Die Schale wiegt meist 12 g.
Im Eier ei weiß finden sich, abgesehen von den aus Keratin
bestehenden, dassell)e durchsetzenden Sttttzhäutchen, der Hauptsache
nach Proteinstoff'e: Ovalbumin, mehrere Globuline und das
Ovomukoid (Mörner); außerdem eine alkalisch reagierende
Flüssigkeit, welche man durch Auspressen gewinnt und die sich gut
filtrieren läßt. Sie besteht aus Sß Proz. Wasser, 0,5 Proz. Salzen
(Chlornatrium und Chlorkalium), Traubenzucker, Fett, Seifen, Lecithin
und Cholesterin in geringen Mengen und Spuren eines Lipochroms,
des L utein s.
Die Lipochrome finden sich hauptsächlich in den Fettgeweben, sind
aber auch in Pflanzen (Möhren und Tomaten) gefunden worden. Sie
(vergl. weiter unten) bilden im wesentlichen auch den gelben Farbstoff
des Dotters.
Das Ovalbumin koaguliert in dünnen Lösungen schon bei
56^ C. Es löst sich in verdünntem schwefelsauren Ammoniak und
scheidet sich bei langsamem Verdunsten daraus in Krystallen ab,
welche etwa ^/g Proz. phosphorsauren Kalk enthalten.
Die Globuline machen 7 Proz. der Gesamteiweißmenge aus.
Sie werden zum größten Teil durch Kohlensäure, wenig Essigsäure
oder verdünnte Salzsäure ausgefällt. Sie koagulieren erst bei höheren
Temperaturen.
Das Ovomukoid wurde zuerst von Neumeister dargestellt
und von ihm als Pseudopepton beschrieben. Da es beim Kochen mit
verdünnten Säuren eine reduzierende Substanz abspaltet, nimmt
Neumeister nunmehr den von Mörner vorgeschlagenen Namen
„Ovomukoid'^ an.
Die Gesclilechtszellen. 231
Es ist bekannt, daß das Eiweiß der sog. Nestflüchter,
zu denen ja die Hühner ,u:ehören — nur die Kibitzeier machen hier
eine Ausnahme — beim Koagulieren durch Erwärmen zu einer festen,
weißen, undurchsichtigen ^Nlasse erstarrt, während das Eiweiß
der nacktgeborenen Nesthocker (Sciiwalben, Krähen, Finken) beim
Sieden nur eine vollkommen durchsichtige und Huorescierende (iallerte
bildet. Tarchanoff hat dieses durchsichtig bleibende Eierweiß als
„Tataeiweiß'' bezeichnet. Dieses Verhalten beruht wahrscheinlich nur
auf einem größeren Reichtum an basischen Salzen (Kalisalzen).
Der hell bis dunkel gelb erscheinende Dotter der Vogel ei er
wird von einem dünnen Häutchen, der Dotter haut, umhüllt, welche
aus einem Keratin besteht, das sich allmählich in Pankreassaft löst;
also ähnlich abweichende Eigenschaften besitzt, wie die Eischale von
Echidna (s. vorhin).
Die Dottersubstanz selbst reagiert schwach alkalisch und stellt eine
Emulsion dar, von der in Wasser nur wenig löslich ist; sie enthält
überhaupt kaum 6 Proz. Wasser. Aether giebt eine gelbe Lösung von
Fetten, Cholestearin und Pigment, sowie von Lecithinen. Als Rück-
stand bleiben Eiweißstoffe, die durch wiederholte Aetherextraktionen
völlig farblos sich darstellen lassen, sich in 10 Proz. Kochsalzlösung
selbst leicht lösen, bei Verdünnung dieser Lösung mit Wasser aber
wieder ausfallen. Diese Proteinstofflösung koaguliert beim Erwärmen
und enthält auf einen Hühnereidotter etwas über 1 Proz. Salz (Chlo-
ride, Magnesiasalze, Kalksalze und etwas Kieselsäure), dazu noch
Traubenzucker. Die Eiweißstoffe selbst sind teils einfache Vitellin-
körper, insbesondere aber Lecithalbumin, die lockere Verbindung
eines Lecithins mit Vitellin. Wichtig ist ein eisenhaltiges Nuklein.
das Haematogen, aus welchem sich bei der Bebrütung das Haenio-
globin des jungen Vogels bilden soll. Dasselbe ist wie das Lecithin
im Dotter an einen Vitellinkörper gebunden und wie Lecithalbumin
in salzhaltigem Wasser lösHch.
Ein gelbes Li[)ochrom, L u t e i n (V i t e 1 1 o 1 u t e i n) , bildet neben
einem in geringerer Menge vorkommenden roten Farbstoffe, Vi teil o-
rhoidein, die Ursache der Färbung des Dotters. Einige specielle
Angaben findet man noch w^eiter unten bei Besprechung der morpho-
logischen Verhältnisse des Dotters.
Wie mir Dr. Hein mitteilt, ändert sich mit verschiedener Fütterung
der Hühner die Farbe des von ihnen produzierten Eidotters. Bei trockener
Körnernähruns werden hellgelbe Dotter ei'zielt. Grüne Pflanzenkost er-
zeugt dunklere gelbe Farbentöne. Reichlicher Fleischzusatz (Schnecken,
Würmer) giebt dunklere rötlich gefärbte Dotter.
Der Dotter des Kn och en fisch eies hat im ganzen dieselbe
Zusammensetzung wie der Vogeleidotter; das aus demselben darzu-
stellende besonders benannte Ichthulin ist eine mit Lecithin und
eisenhaltigem Nuklein besetzte Vitellinbildung.
Bezüglich der Wirbellosen mag erwähnt sein, daß deren Ei-
hüllen meist aus Chitin- und Skeletinsubstanzen bestehen; Kruken-
berg und W. Engel landen indessen bei Murex keratinähnliche
Stoffe.
Die vorstehenden Angaben sind dem Lehrbuche der physiologischen
Chemie von R. Neujieister, 2. Auflage 1897, Jena, Fischer, soweit nicht
232 W. Waldeyer,
eine andere Quelle angegeben ist, entlehnt. Für weitere Angaben seien
genannt: Boxdzinski und Zoja (295a), Bun(;e (315), Dillner (345),
R. DuBOis (634), Gl^cosa (381) — Froschei und Eihüllen — , Gross
(389), Hammarsten und Lind wall (398), Hofmeister (421) — Kiystalli-
sation des Eieralbumins — Ivobert (447a und b) — Giftstoffe in Eiern
— König (452) — Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genuß-
mittel — IvuuKENBEG (455), LiERERiMANx (460 Und 461), Malt (470) —
Dotterpigment — Miescher (479), Mörner (488), Neumeister (500),
Raspail (524), Salkowski (538), Taroiiaxofp (577), Thudichum (581)
— Lutein — , Walter (593) — Ichthulin — und Wickmann (603).
Auch ist auf die aus dem Laboratorium A. Kossel's hervorgegangenen
Arbeiten (Zeitschrift für physiologische Chemie) aufmerksam zu machen.
Schließlich soll hier, da es Jedermann bekannt ist, nur kurz an-
gedeutet werden, daß die Eier, namentlich die der Vögel und Reptilien
(Schildkröten), aber auch die der Fische (Rogen vom Hering, Karpfen.
Hecht u. a., Kaviar) und mancher Wirbellosen (Krebse, Seeigel) äußerst
wichtige und geschätzte Nahrungsmittel darstellen. Bei
den Eiern der Vögel und Reptilien ist es vor allem der Dotter, der in
Betracht kommt. Die Eier der Haushühner, Gänse und Enten, sowie
der Rogen gewisser Störarten (Acipenser glaber, ruthenus, stellatus,
Güldenstädtii, huso) sind von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung,
indem sich der Handelswert dieser Produkte auf einige Hundert Millionen
Mark beziffert. Nimmt man die Samen und Früchte der Pflanzen hinzu,
welche mit gutem Recht an dieser Stelle genannt ^verden können, so
sieht man, daß die Natur mit denselben Dingen, die sie zur Heran-
bildung ihrer neu entstehenden Lebewesen schafft, zum großen Teile
auch das Leben der bereits entwickelten Menschen und Tiere unterhält.
y) Morphologisches Verhalten der Eier.
Mit dem folgenden beginnen wir einen der für die Entwickelungs-
geschichte wichtigsten Teile unserer Darstellung. Wir zerlegen die-
selbe in nachstehende Unterabteilungen : 1) eine eingehende Schilde-
rung des anatomischen Baues der Eier im allgemeinen, 2) eine
Schilderung der Eier der einzelnen W i r b e 1 1 i e r k 1 a s s e n , event,
auch einzelner Ordnungen, woran eine kurze Besprechung der Eier
der Evertebraten und Pflanzen sich anschließt.
Es folgt dann 3) eine Besprechung der inneren Struktur der
Eier im Verhältnisse zum Gange ihrer Entwicklung. Kürzere Ab-
schnitte über Varietäten und Besonderheiten, über Rückbil-
dungen und pathologische Erscheinungen, über Zahlen- und
(Größen Verhältnisse, sowie eine Angabe über die bisher ver-
suchten Klassifikationen der Eier bilden den Schluß dieses Teiles.
1. Allgemeine Darstellung des Baues der Eier.
Wir haben bereits angegeben, daß die Eier in jeder Form und
Ausbildung, in der sie uns in der gesamten Lebewelt, bei Pflanzen
wie bei Tieren, begegnen, im wesentlichen Zellen sind. Dies
geht ganz streng aus dem Anfang und Ende ihres Daseins, aus ihrer
frühesten Entwicklung und aus ihrer AYeiterbildung zum Embryo eines
neuen Lidividuums hervor. Die LTreier sämtlicher Tiere sind ohne
Ausnahme Zellen von einfachem typischen Bau, an denen man nur
Die Geschlechtszellen. 233
die charakteristischen Bestandteile: den aus Protoplasma bestehenden
Zellenleib, den Kern und in der weitaus größten Mehrzahl der Fälle
auch einen Kernkörper unterscheiden kann. Wenn nun auch im Laufe
der weiteren Ausgestaltung der Ureier zu den Keifeiern bei vielen
Tierordnungen und Pflanzen sehr komplizierte, zum Teil schwer ver-
ständliche P>ildungen herauskommen, so läßt sich eines unter allen
Umständen nachweisen, daß nändicli der Teil der Reifeier, w^elcher
dem üreie entspricht und von ihm klar und bestimmt abgeleitet
werden kann, einzig und allein es ist, der durch seine fortgesetzte
Teilung, den sogenannten Furchungsprozeß, in den Leib des jungen
Embryo übergeht, diesen Leib bildet. Wenn dem Urei bei seiner Um-
gestaltung zum Reifei allerlei Dinge sich zugesellen, wie Nahrungs-
bestandteile (Dotter), Hüllen, Befestigungsstücke u. s. w., so werden
diese entweder bei der Entwicklung des Eies zum Embryo wieder
abgeworfen oder aufgelöst, oder von dem „Keime", von der Eizelle,
wie wir das weiter ausgebildete Urei wohl am passendsten nennen,
l)assiv mit in den Embryonalkörper hinübergenommen ; der aktive
Teil des Furchungsvorganges wird ausschließlich von dem geleistet,
was an dem befruchteten (oder parthenogenetisch sich entwickelnden)
Reifei die ursprüngliche Zelle, das Urei, darstellt. Der Dotter, sei er
nun ganz oder zum Teil mit in die Furchungselemente hinüber-
genonimen worden, schwindet später ganz, indem er von den jungen
Embryonalzellen, beziehungsweise dem schon weiter entwickelten
jungen Embryo oder Fötus als Nahrung aufgebraucht wird. Dies
muß von vornherein besonders betont und hervorgehoben werden,
wenn wir ein Verständnis des Baues der Eier in ihren mannigfaltigen
Gestaltungen gewinnen wollen.
Wir betrachten demgemäß zunächst den Bau der Ureier, als
derjenigen Gebilde, welche sich in der Eutwicklungsreihe der Eier
zuerst als solche erkennen lassen und das Wesentlichste sind, dann
den der Eier im allgemeinen, ohne bei den letzteren darauf
Gewicht zu legen, ob wir es mit Oocyten oder Reifeiern zu thun
haben, da vielfach in der Tierwelt die Oocyten schon eine solche Aus-
bildung erlangen, daß sie von den Reifeiern kaum zu unterscheiden
sind. Auf die Oogonien brauchen wir hier, bei der allgemeinen Be-
schreibung, nicht einzugehen, da sie in ihrer äußeren Erscheinung
meist sich kaum von den Ureiern unterscheiden.
Die Ureier aller Geschöpfe — wir können wohl auch bei den
Pflanzen von solchen reden — sind in der Regel ansehnliche, große,
membranlose Zellen von kugliger oder doch sphäroider Gestalt mit
großem, bläschenförmigem Kern und gut entwickeltem Kernkörperchen.
Wahrscheinlich sind sie alle mit amöboider und lokomotorischer Be-
wegungsfähigkeit begabt, wie das von den Ureiern der S p o n g i e n und
C öl enteraten festgestellt ist. In Fig. 59 erkennt man (bei ,.ei")
Zellen, die sicher als Ureier anzusprechen sind, da sie sich als w^eibliche
Geschlechtszellen unzweifelhaft ausweisen und zugleich die einfach-
sten Formen zeigen, denen man begegnet. Diese Zellen zeigen ver-
schiedene Gestalt und sind auch in Bewegung begriffen gesehen worden,
s. Haeckel's Monographie der Kalkschwämme. Berlin LS72. Reimer,
und F. E. Schulze (No. 706a, p. 260). Bei Cölenteraten machen
derartige Zellen, von denen man sicher weiß, daß sie weibliche Keim-
zellen sind, Wanderungen auf verhältnismäßig große Strecken durch,
bis sie zu ihrer endgiltigen „Reifungsstätte" — Weismann (723a) — ,
234
W. Waldeyer,
der weiblichen „Gonade", d. h. dem „Ovariunr' (Oophoron) gelangen,
wo sie fortab seßhaft bleiben und sich weiter entwickeln.
Es ist natürlich ein scharfer Unterschied zwischen Geschlechts-
zellen in dem vorhin festgehaltenen Sinne — als noch nicht nach der
männlichen oder weiblichen Seite hin sicher bestimmbarer Zellen —
und Ureiern, der äußeren Form nach, nicht zu machen. Man kann
erst von Ureiern, ebenso wie von Ursamenzeilen (s. S. 160 ft".), sprechen,
Fig. 59. Schnitt durch Sycandra raphaniis Haeckel. Aus Korschelt-Heider
(666a), Fig. 151, S. 295 nach F. E. Schulze (706a). Der Schnitt trifft einige Eadial-
tuben mit dazwischen liegendem Mesoderm nebst Eizellen verschiedener Ansbildung.
<:i Ureier (ra.); ein Teil davon zeigt Formen, wie sie bei amöboiden Zellen vorkommen.
Außerdem zwei größere Eizellen (Oogonien oder Oocyten). Kg Kragengeißelzellen
der Radialtuben, n Nadeln.
wenn man weiß, daß es sich um weibliche oder männliche Individuen
handelt. Auch von gewissen Körperzellen sind bei den Poriferen
die jüngsten Geschlechtszellen, oder auch die Ureier bez. die Ursamen-
zellen, nicht sicher zu unterscheiden, so daß man, wie u. a. F. E. Schulze
es thut, die Ureier von Körperzellen der genannten Art abgeleitet hat.
Wir müssen jetzt Zweifel darüber hegen, ob diese Auffassung zu
Recht besteht, denn es ist in hohem Grade wahrscheinlich, daß überall
die Ureier und die Ursamenzeilen von „Geschlechtszellen'' abstammen.
Die Greschlechtszellen.
235
Bei den Würni ern werden die ersten sicher als Ureier bestinim-
l)aren Zellen vielfach in der epithelialen Wand bcklei düng
des Cöloms gefunden, wo sie sich durch ihre Größe und rundliche
Form auszeichnen. Bei einer großen Zahl anderer Würmer und bei
den meisten Arthropoden liegen sie in dem blinden Ende der schlauch-
förmigen Eierstöcke, s. Fig. 60.
Alan erkennt hier meist nur schwer die Zellengrenzen und Manche
haben daher diese Stelle des Ovariums, das „Keimlager'' oder ..Keim-
polster'', für eine syncytiale Bildung angesprochen^). Dasselbe
gilt auch für den Hoden dieser Tiere. Ich muß, so weit meine eigenen
Erfahrungen reichen, mich gegen die Annahme eines Keim-Syncytiums
g Kp ^r
I
eiTiv
Fig. 6(). Längsschnitt durch das Ovariuui von Canthocamptus staphylinus
(Copepoda) nach V. Haecker (053), Fig. 61, S. 96. g. Gelenk zwischen Cephalo-
thorax und erstem freien Thorakalringe. Kp. Keimpolster, *//• Zone der ruhenden
Ureizellen (Haecker) — nach meiner Auffassung Oogonien — sy. Synapsis-Zone,
eim. Eimutterzellen (Haecker) -Oocyten, w. — ab. abortive Eizellen, d. Darmwandung.
aussprechen. In Fig. 60 gehören die fünf kleinsten dunklen Kerne
Zellgrenzen
sind nicht
ge-
im blinden Ovarialende Ureieru an ; die
zeichnet.
Wenden wir uns zu den Vertebraten, so haben für Am-
phioxus BovERi (621) und Legros (667c) die Ureier beschrieben:
sie erscheinen zuerst, wie bei allen Wirbeltieren, im Cölomepithel, und
zwar in der wiederholt erwähnten charakteristischen Form.
Genaue Angaben haben wir über die Ureier der Selachier,
insbesondere von Balfour (M 584—58(5), H. Ludwig (467j, Semper
1) Das in neuerer Zeit vielfach gebrauchte Wort „Syncytium" rührt von
E. Haeckel her. Er schlägt vor (in seiner Schrift „Ueber den Organismus der
Schwämme und ihre Verwandtschaft mit den Korallen", Jen. Zeitschr. f. Medizin
u. Naturw., Bd. 5, S. 207 |227j) das aus sekundär verschmolzenen Zellen be-
stehende Ektoderm der Kalkschwämme mit diesem oder mit dem Namen „Sarko-
dine" zu bezeichnen, zum Unterschiede von „Sarkode".
236 W. Waldeyer,
(M 2953), SwAEN (M 590), A. Schultz (594 und 595), und vor allem
neuerdings von A. IL Schmidt (542 und 543).
Man sieht in den beiden Abbildungen, welche hier aus Schmidt's
Werk (nach Korschelt-Heider) wiedergegeben sind, in Fig. Gl D
links ein unzweifelhaftes Urei zwischen den Ovarialepithelzellen liegen ;
rechts davon zwei größere Eizellen, von denen es zweifelhaft ist, ob
man sie noch „Ureier" nennen darf; sie sind im Begritfe, tiefer in das
Eierstocksgewebe hineinzuwandern. Fig. Gl C zeigt ebenfalls eine schon
ansehnlich große Eizelle, die jedoch noch im Epithel gelegen ist und
um welche die Zellen des letzteren sich in der Weise gruppieren,
wie es bei der Follikelbildung geschieht. Auch hier muß ich es,
mangels bestinnnter Charaktere, unentschieden lassen, ob noch ein
Urei oder schon eine Oogonie vorliegt.
Fig. 61. C. Schnitt durch das Ovarium von Raja punctata; junge Eizelle
(Urei? oder Oogonie?) im Keimepithel. D. Schnitt durch das Ovarium von Raja
asterias; links ein Urei im Epithel, rechts zwei in die Tiefe rückende Oogonien.
Beide Abbildungen aus Koeschelt-Heider ((JGßa), Fig. 187, p. 331 nach
A. H. SCHMIDT,"l. c.
Für die Teleo stier führe ich insbesondere die Abhandlung von
JuNGERSEN an (M 2619); die Ureier sind hier anfangs auch isoliert
zwischen den Cölomepithelzellen gelegen.
Die Ureier der Amphibien schildern neuerdings Gemmill (377)
und BouiN (301. 302. 304); sie treten schon sehr frühzeitig in der
jungen Geschlechtsdrttsenanlage auf, und zwar in unmittelbarem An-
schlüsse an das Cölomepithel (Keimepithel), von dem sie auch viele
Autoren, wie s. Z. Waldeyer (591), Kolessnikow (447a), CK. Hoff-
mann (M 2912) und neuerdings Bouin ableiten. Hier, wie fast überall,
tritt aber die seit Nussbaum's Untersuchungen — s. w. u. „Geschlechts-
zellen" — so wichtig gewordene Frage auf, ob sie nicht von beson-
deren Zellen, den Geschlechtszellen, abstammen. Von anderen Autoren,
bei denen sich die Ureier der Amphibien besprochen finden, erwähne
ich noch vor allem Götte, in dessen großem Werke über die Ent-
Fig. 62. Fig. 63. Fig. 64.
Fig. 62. Teil des Ovarialepithels von Hatteria punctata nach OsAWA (507)
Taf. XXIII, Fig. ö. Fünf Ureier verschiedener Größe; vielleicht sind die drei
größeren auch Oogonien.
Fig. 03. Ovarialepithel von Tarsius spectrum nach Stratz (570), Taf. VII,
Fig. 1. Links ein Urei; rechts unter dem Epithel einige zusammengelegene Oogonien.
Fig. 64. Ein Urei aus dem Ovarialepithel von einem neugeborenen Mädchen.
Originalpräijarat. Starke Vergrößerung.
Die Geschlechtszellen.
237
wiclduni>sgeschichte der Unke (^I G2 und 63), ferner Spengel (M 2955)
und Semon (M 2i)ll und 2952).
Von Ureiern der Aninioteu mögen noch einige Abbildungen
gegeben sein , so Fig. 62 von H a 1 1 e r i a , Fig. 63 von T a r s i u s
spectrum und in Fig. 64 vom Menschen.
Die Ureier der Reptilien besprechen insbesondere Braun
(M. 2899), C. K. Hoffmann (M. 2913) und neuerdings (i. Osawa (507)
von Hatteria punctata. Von letzterer Art hatte ich gleichfalls
Gelegenheit mehrere von Thilenius sehr gut konservierte Eierstöcke
zu untersuchen. Ich kann die Schilderung Osawa's, demzufolge die
jüngsten Ureier sich in der Größe nur wenig von den Ijenachbarten
Ovarial-Epithelzellen unterscheiden, bestätigen. Sie fallen durch ihre
rundliche Form, und, wie ich finde, auch durch ihre größere Helligkeit
auf. Der Kern zeigt nach Osawa's Angabe in Hämatoxylin eine
gute Färbbarkeit. und man sieht an Hämatoxylin-Eosinpräparaten in
der Nähe des Kernes (Keimbläschens) ein etwas stärker gefärl)tes
A
8
st WhSäm st
c
Fig. OSA — D. Schnitte vom Ovarium eines neugeborenen Kaninchens nach Bl'HLEK
(313). ke Keimepithel, H Stroma des Eierstockes. A zeigt eine mitotische Figur inner-
halb des Keimepithels. In B sieht man an zwei Stellen übereinandergeschichtete Zellen
im Keimepithel, an einer Stelle ist die untere Zelle, Urei, größer als die obere, da-
neben eine gleichgestaltete, in die Tiefe gerückte Zelle. In C eine größere Eizelle,
mit herabgerückten Keiraepithelzellen , in D eine Reihe in die Tiefe gewanderter
Zellen.
Protoplasma. Ein sicher als solches anzusprechendes Kernkörperchen
habe ich in den Ureiern nicht gesehen; auch bildet Osawa keine
Nucleolen aus diesem Stadium ab (vgl. weiter unten, Ureier von
Säugetieren). Fig. 62 zeigt rechts zwei Ureier, links drei größere
Eier, um welche die Epithelzellen sich bereits follikelartig zu gruppieren
beginnen ; man kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob auch diese
noch Ureier sind.
Die Vei'hältnisse bei den Vögeln erweisen sich als ganz ähnlich.
Man w^olle hier die Arbeiten von Bornhaupt (620), Borsenkow
(M. 2898), His (418), C. K. Hoffmann (M. 3521), Janosik (663),
Waldeyer (591) und insbesondere von v. Mihalkovics ((574 u. (574 a)
und Semon (M. 2951 u. 2952) vergleichen. Für Abbildungen ver-
238
W. Waldeyer,
weise ich auf Fig. 50, Taf. V (oül) = Fig. ü6 hier, welche Zeichnung
auch in Stricker's Handbuch der Gewebelehre, (p. 566) und in
0. Hertwig's weitverbreitetes Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte,
7. Aufl. (p. 41*.») aufgenommen worden ist.
lieber die Ureier der Säugetiere finden wir Angaben bei
E. VAN Beneden (288), Born (2!)8a), Bühler (31;5), Coert (627),
FouLis (M. 1874.
''•''^' '"-^ ''-" 1875),Harz(M. 1879),
V. Kölliker (448
— 451), V. MlHALKO-
vics
(M.
M.
492-
e.sch
Fig. 66. Teil eines Schnittes durch das Ovarium
eines neugeborenen Kindes nach Waldeyer in Stri-
cker's Handbuch der Gewebelehre, Artikel : „Eierstock
und Nebeneierstock"). X-.e Keimepithel, e.sch Eischläuche,
w.e Ureier, ei.b Eiballen , / jüngste isolierte Follikel,
(j Gefäße.
(1. c), Nagel
1.S97, M. 2929,
2930 , ferner
-495), Pflüger
(517), Stratz (569,
570), Waldeyer (1. c.)
und insbesondere
jüngst bei v. Wini-
WARTER (609). lieber
die Ureier des Men-
schen äußern sich
am eingehendsten W.
Nagel (11. cc), und
neuerdings Wende-
ler (596) und v. Wini-
WARTER (1. C).
Ich bilde in Fig. (63)
nach Stratz ein Urei
von Tar siu s spec-
trum ab und in
Fig 64 ein solches
vom Menschen isohert, nach eigenem Präparat. Andere Abbildungen
von menschlichen Ureiern geben Nagel und Wendeler (1. c).
Bis auf V. Winiwarter's bedeutsame Mitteilung stimmen für die
Ureier der Säugetiere und des Menschen sämtliche Angaben mit den
vorhin über die Ureier der niederen Vertebraten gebrachten überein,
wie sich aus den Figuren, insbesondere auch aus den hier mitgeteilten
(63 — 66) ergiebt. Beim Kaninchen schildert Bühler eingehend unter
Mitteilung klarer Abbildungen, wie durch Teilung von Zellen des
Eierstocksepithels bei neugeborenen Tieren einerseits neue Zellen
entstehen, deren Kerne größer werden und eine mehr rundliche Form
annehmen. Andererseits behalten die neugebildeten Zellen die Form
und Größe der Keimepithelzellen bei, d. h. sie erscheinen cylindrisch,
mit ihrer Längsachse radiär (senkrecht) zur Oberfläche des Ovariums
gestellt; ebenso stellen sich die länglichen Kerne dieser Zellen ein.
Aus den neu entstehenden Zellen der ersteren Art mit den größeren
rundlichen Kernen werden in ihrer weiteren Entwickelung unzweifel-
hafte Eizellen, wie sich aus der hier wiedergegebenen Figur Bühler's
(Fig. 65) klar ergiebt. Besonders beachtenswert erscheint hierzu die
Angabe Bühler's, daß bei denjenigen Teilungen, welche zur Bildung
von Ureiern führen, die Teilungsebene parallel zur Eierstocksober-
fläche liegt, so daß die beiden Tochterzellen sich übereinander
schichten ; die untere, unmittelbar dem Eierstocke autliegende Zelle
Die Geschlechtszellen. 239
ist es dann, welche zum Ureie auswächst (s. Fig. 65 B. u. D). "Wenn
die Teilungen so erfolgen, daß die Tochterzellen nebeneinander
zu stehen kommen. (Umn behalten letztere ihre Eigenschaft als Keim-
epithelzellen.
Da man irgend einer Keime})itlielzelle es noch nicht ansehen
kann, ob sie einmal durch Teilung eine jüngste Eizelle, ein Urei,
liefern wird , so sind Avir gezwungen , erst jene etwas größeren
helleren Zellen mit den mehr rundlichen Kernen als .,Ureier" anzu-
sjirechen. Das ist auch meine Auflassung gewesen, wie es aus
Fig. 6(3, sich ergiebt. Auch v. Kölliker , Nagel, Wendeler
und Coert bilden die Ureier so ab und beschreiben sie in
derselben Weise , wie sie hier geschildert worden sind. Be-
sonders gute Abbildungen liefern v. Kölliker (451) , Nagel
(1. c.) und Wendeler (1. c. Fig. 15). Alle Autoren leiten ohne
Ausnahme die Ureier vom Keimepithel ab ; die Frage , ob beim
Menschen und 1)ei den Säugetieren nicht auch besondere „Geschlechts-
zellen" vorhanden wären, die sich zu den Ursamenzeilen einerseits,
zu den Ureiern andererseits fortentwickelten, ist bis jetzt kaum be-
rührt w^ordeu ; jedenfalls liegen noch keine Befunde und speciell
hierauf gerichtete Untersuchungen vor. Nur Coert streift kurz
diesen wichtigen Punkt, indem er sagt (p. 179) : „Er bestaat geen
aanleiding om te meenen, dat reeds in een zeer vroeg ontwickeliugs-
stadium enkele weinige cellen van het, den geslachtsklieraanleg be-
dekkend, coeloomepithelium zouden zijn aangewezeu, waruit uit-
sluitend alle later optredende geslachtsproducten hun oorsprong
zouden uemen."
Ich habe s. Z., obwohl ich im allgemeinen die Zellen des Keim-
epithels sich durch Teilung vermehren ließ, nicht angenommen, daß die
Bildung eines U r e i e s jedesmal mit einem T e i 1 u n g s p r o z e s s e
einer Keimepithelzelle beginne; vielmehr war ich der Meinung, daß
irgend eine beliebige Keimepithelzelle durch einfaches Auswachsen
und durch einfache Umformung sich zu einem Urei ausbilden könne.
In gleicher Weise sprechen sich Nagel (vgl. z. B. No. 493, S. 46).
Wendeler (1. c, s. p. 24 u. 26) und v. Kölliker (1. c.) aus, wobei
ja nicht ausgeschlossen ist, daß ein oder das andere Mal ein Urei
sich direkt im Anschlüsse an einen Teilungsvorgang entwickelt.
Verstehe ich Coert recht, so ist er derselben Meinung: seine Ureier
(oereierj sind nichts anderes, als weiter ausgebildete, differenzierte
Keimepithelzellen.
Nach den Beschreibungen Bühler's (313) hingegen scheint es,
daß die Bildung eines Ureies jedesmal durch einen Teilungs-
vorgang einer Keimepithelzelle eingeleitet wird: vgl. das vorher
Gesagte und Fig. 65. Alle Autoren stimmen ferner darin überein, daß die
Bildung der Ureier insbesondere im Keimepithel und in den unmittelbar
unterhalb des Keimepithels gelegenen Zellenmassen des Eierstocks,
den PFLÜGER'schen Schläuchen oder den Eiballen (Waldeyer,
s. Fig. 66 e. seh. und ei. h.) statthat , indem auch die im Ovarial-
epithel vorfindlichen Ureier alsbald in die Tiefe sich versenken (Fig. 65).
Wendeler (1. c.) schildert die menschlichen Ureier als rund-
liche, einer Kugel vergleichliare, auffällig durchsichtige Zellen. Auch
die Ureikerne haben eine kuglige Gestalt, sie erscheinen durch starke
Vermehrung des Kernsaftes wie aufgebläht. Das Kerngerüst ist
w^eitmaschig, dessen Gerüstfäden und die Netzknoten färben sich
240 W. Waldeyer,
intensiv, während der Kernsaft meist völlig farblos und durchsiclitig
bleibt.
Sehr beachtenswert ist die von vielen Autoren ausdi'ücklich an-
gegebene Thatsache, daß den Ur eiern die Kernkör perchen
fehlen.
So nenne ich Balfour (M. 1866), der wohl zuerst hierauf hinge-
wiesen hat, und insbesondere Nagel (M. 2930). Auch den Keimepithel-
zellen fehlen die Kernkörperchen. In Fig. 66 sind in den im Keim-
epithel gelegenen Ureiern keine Kernkörper abgebildet; AVendeler er-
wähnt ihrer auch nicht. Wir kommen auf diesen Punkt zurück.
Durch die wichtige Arbeit v. Winiwarter's (609) ist es neuer-
dings zweifelhaft geworden, ob die im Vorigen beschriebenen Bildungen
in der That als die Ureier der Säugetiere anzusehen sind V Zur
Beantwortung dieser wichtigen Frage müssen wir Folgendes in Er-
wägung ziehen :
Wir definierten (p. 225) die Ureier als jene Geschlechtszellen, welche
zuerst sicher als weibliche erkannt werden können. Wir nahmen ferner
an, daß von den Ureiern sich durch Teilungen weitere Generationen
von Eizellen entwickeln, die wir mit Boveri Oogonien nennen;
wie viele Oogoniengenerationen es giebt, wissen wir nicht. Genug, es
sind an solchen Zellen, wie die beschriebenen, in der That Teilungen
mitotischer Form nachgewiesen worden.
So giebt PflüCtER (517) an, bei der Katze die Teilung von Eizellen
direkt beobachtet zu haben ; Kölliker (Lehrbuch der Entwickelungs-
geschichte), Klebs (M. 1883, 1884), E. van Beneden (287) und Balfour
(M. 1866) sprechen sich gleichfalls für Teilungen an den jüngsten Eiern
aus. Man könnte diesen älteren Beobachtungen gegenüber Zweifel
hegen, wie denn auch Bischoff (M. 1948), Waldeyer (591) und Xagel
(M. 1996) sich gegen eine derartige Vermehrung ausgesprochen haben.
Nach den Beobachtungen von Büthler (313) aber — vgl. insbesondere
dessen Fig. 9 — von H. Rabl (523 b) und Wendeler (596) müssen
alle Zweifel gegenüber einer Vermehrung der bis jetzt als Ureier ange-
nommenen Zellen schwinden.
Man kann nun, dem Gesagten zufolge, das ,,Urei" auch definieren
als die erste Oogonie. Die Abkömmlinge der letzten Teilungsgene-
ration, die sich fortab nicht mehr teilen, nannten wir mit Boveri
Oocyten I. Ordnung (Voreier m.). Dies alles bringe ich in kurze
Erinnerung, um die durch v. Winiwarter's Befunde aufgeworfene
Frage verständlich erörtern zu können.
V. WiNiwARTER (609) geht bei seiner Schilderung des Kaniuchen-
eierstockes aus von einem 18 - tägigen Embryo. Der Eierstock eines
solchen Embryos zeigt auf seiner Oberfiäche ein mehrschichtiges —
mindestens zweischichtiges — epitheliales Zellenlager, Keimepithel,
von dem nach der Unterlage hin zapfeuförmige Fortsätze von Zell-
massen vordringen, die netzartig untereinander verbunden sind i Ei-
ballen, Waldeyer).
Bei Kaninchenembryonen vom 23. Tage erscheint das Ober-
Üächenepithel deutlich zweischichtig. Die Kerne der oberen Zellen-
lage färben sich im ganzen dunkler , sind von ellipsoider Form,
stehen meist senkrecht auf der Eierstocksoberfläche und haben ihren
längsten Durchmesser auch in dieser Richtung. Eine Kernmembran
Die Geschlechtszellen. 241
ist kaiiin zu erkennen, das Kerngerüst ist von äußerster Feinheit:
darin liegen, unregelmäßig angeordnet, einige größere Chroniatin-
brocken, die sich dunkel färben. Kernkörper sind nicht vor-
handen. Man sieht in dieser Lage, welche dem Keimepithel ent-
spricht, schon bei den jüngeren Embryonen von If^ Tagen und Ijei
neugeborenen Tieren bis zum 2. Tage nach der Geburt mitotische
Teilungstiguren. Die Kerne der zweiten, tieferen Zellenlage, welche
übrigens von der ersten nicht linear geschieden ist, sind etwas kleiner
als die eben geschilderten, von mehr rundlicher Form und im ganzen
heller. Ihre Kerumembran tritt deutlicher hervor, ebenso das Kern-
gerüst, in dessen Knotenpunkten Chromatinanhäufungen sich finden,
insbesondere in der peripheren Kernzone; auch vereinzelte größej-e
Chromatinbrocken nimmt man noch wahr. Im Inneren der von den
Kerngerüstfäden umschlossenen Maschenräume findet sich noch das
äußerst feine Gerüst der Kerne der ersten Lage. Nucleolen sind
auch in diesen Z e 1 1 e n k e r n e n nicht nachzuweisen. Mito-
tische Figuren sind in der tieferen Zelleuschicht zahlreich vorhanden.
Unmittelbar an diese tiefe Zellenlage schließen sich die rund-
lichen oder mehr länglichen Zellenmassen an, welche sich in das
Innere des Eierstocksstromas einsenken. In diesen Massen finden
wir nur noch nahe der Oberfläche einzelne mitotische Figuren, weiter
in der Tiefe nicht mehr; dagegen treten hier an den Kernen, die wir
als die Kerne von Eizellen ansprechen müssen, sowie an den Leibern
dieser Zellen selbst Wachstumserscheinungen auf mit Umformungen
des Kernchromatins, wobei zugleich Xucleoli sichtbar werden.
Es ist sonach klar, daß in diesen tieferen Schichten schon diejenigen
Eizellen gebildet sind, die sich nur noch durch Wachstum verändern,
die Oocyten I. Ordnung, daß also die Ureier in den beiden obersten
epithelialen Zellenlagern gesucht werden müssen, v. Winiwarter
bezeichnet die Kerne der obersten Zellenlage als „pro tob röche
Kerne a" , die der zweiten als „protobroche Kerne &" , die
tiefer gelegenen nucleolenführenden Kerne als „deu tob röche
Kerne" ^). Da nun, wie erwähnt wurde, die Ureier keine Kern-
körperchen haben, so lautet die Frage : Siud die Zellen mit den proto-
brochen Kernen a, oder die mit den protobrochen Kernen h als Ureier
anzusehen V
V. Winiwarter ist der Ansicht, daß das, was bisher von den
Autoren als Ureier (bei den Säugetieren und beim Menschen,
denn für einen von ihm untersuchten menschlichen Embryo hat er
dieselben Ergebnisse zu verzeichnen) angesehen worden ist, und im
vorhergehenden auch von uns so gedeutet wurde, daß das Zellen mit
deutob rochen Kernen seien, die sich nicht mehr vermehren, sondern
zu Reifeiern heranwachsen, mit anderen Worten, daß die bislang
als Ureier gedeuteten Bildungen als Voreier, i. e. Ovo-
cyten I. Ordnung, angesehen werden müßten (1. c. p. 114).
Seine Schlüsse baut v. Winiwarter in folgender Weise: Die
Zellen mit protobrochen Kernen a und b sind die ersten, welche im
Eierstocksepithel erscheinen. In den von der oberflächlichen Keim-
epithellage ausgehenden Zelleuzapfen (Eiballen, Waldeyer) findet
1) Vom TipwTo? und ßpoxo?, Schlinge, Strick, Netz oder auch Netzmasche.
„Noyaux protobroques" a et b, „Noyaux deutobroques" v. Wixiwaetek. Seuto;
ist eine willkürlich gebildete Abkürzung von Ssytepoc.
Handboch der Entwickelungslehre. I. '[Q
242 W. Waldeyer,
man nur Zellen mit jirotobrochen Kernen a nnd Zellen mit dento-
broclien Kernen. Die letzteren erleiden keine Teilungen mehr, und
es läßt sich zeigen (durch Verfolgung der älteren Stadien), daß sie
zu Reifeiern heranwachsen . wobei ihr Kci-n noch eine ganze Reihe
successiver Aenderungen erleidet, worüber si)äter (Kap. Eientwickelung)
zu handeln sein wird. Die Zellen der Eiballen mit den protoljrochen
Kei'nen 1) werden , wie sich gleichfalls einwandsfrei zeigen läßt, zu
Follikelepithelzellen. Da wir nun unter Oogonien diejenigen Eizellen
verstehen , welche sich noch durch T e i 1 u n g v e r m ehren, so
müssen dieselben unter den Zellen mit den i)rotobrochen Kernen a und
b gesucht werden, denn nur bei diesen linden mitotische Teilungen
statt. Da die Zellen mit den deutobrochen Kernen sich nicht mehr
teilen, sondern zu Eiern heranwachsen, so stellen sie, wie bemerkt,
die Ovocyten I. Ordnung dar. Nun aber sind ferner diese deuto-
brochen Zellenkerne größer, rundlich von Gestalt und heller als die
protobrochen, stimmen also mehr mit denjenigen Kerncharakteren
überein . welche den Ureikernen der Autoren von allen Seiten zu-
geschrieben werden (p. 113 — 114 1. c). Dazu kommt, daß nach
Balfour und Coert die ,,Ureier" bei Kaninchen-Embryonen des-
selben Alters (21 — 24 Tagen) erscheinen, bei denen v. Winiwarter
die Zellen mit den deutobrochen Kernen auftreten sah.
Angesichts der vorhin mitgeteilten Angaben der Teilungen von
Ureiern muß, so scheint es mir, v. Winiavaeter zu dem Auswege greifen,
daß es sich hier um ungewöhnlich große und helle protobroche Kerne
gehandelt habe. Insbesondere verweise ich noch einmal auf H. Rabl's
Befunde bei der Katze (1. c). Rabl beschreibt in den hellen, rundlichen
Zellen, welche er sowohl im Eierstocksepithel, als auch in den Eiballen,
zahlreich fand, und als Ureier , Oogonien bezeichnet, unzweifelhafte
Mitosen ; es giebt also in der That junge Eizellen, welche die bisher
von den Autoren den Ureiern zugeschriebenen Form aufweisen und die
sich durch Teilung vermehren, wie es den Oogonien zukommt. Ist es
richtig, w^as v. Winiw" arter meint, so muß man diejenigen Bildungen,
welche man den Ursamenzellen zu homologisieren hat and zweckmäßig
als Ureier benennt, unter den Zellen mit den protobrochen Kernen
wahrscheinlich unter den Zellen mit den protobrochen Kernen a suchen:
aber darunter wären sie dann nicht zu erkennen, wenn man mit
V. Wixi WÄRTER jene rundlichen helleren Elemente im Keimepithel schon
als „Oocyten" deuten will.
Es ergeben sich also in der sicheren Deutung derjenigen Zellen,
welche man beim Eierstocke den Ursamenzellen zu homologisieren
hätte, den ersten Oogonien oder Ureiern, noch mancherlei Schwierig-
keiten, die nur durch wiederholte und verfeinerte Untersuchungen zu
überwinden sein werden. Die Frage nach der Existenz besonderer
Geschlechtszellen spielt natürlich auch hierhinein, und müssen
wir daher bei Besprechung dieser letzteren und bei dem Vergleiche
zwischen Spermiogenese und Oogenese nochmals auf diese Dinge
zurückkommen. — Hier sei nur noch kurz bemerkt, daß nach Regaud
(222 I, p. 353) die „cellules a noyau poussiereux'', welche ich für die
Ursamenzellen ansehe , sich in Bezug auf die Struktur ihrer Kerne
genau so verhalten, wie die Zellen mit den protobrochen Kernen a;
auch entbehren sie eines Nucleolus. — Schönfeld (231) hingegen
schreibt diesen Zellen ein deutliches Kernkür])erchen zu und l.iildet
es wiederholt al). — Es ist endlich klar, daß, wenn die Wini-
Die Geschlechtszellen. 243
WARTER'sche Ansicht für die Ureier der Säugetiere richtig ist, sie
auch für die übrigen Ureier, wenigstens für die der "Wirbeltiere,
gel ton düi'fte.
Bau der weiter entwickelten Eier: Oocyten nnd Reif-
eier. Indem die Ureier durch die verschiedenen Generationen der
Oogonien sich zu den Oocyten entwickeln , treten sie mit diesen in
ihre AVaclistumsperiode ein und erlangen mit dem Ende derselben
ihre endgültige Größe und Ausbildung. Mit der Ausstoßung der
beiden Polocyten gewinnen sie ihre Befruchtungsfähigkeit, ändern aber
damit an ihren erreichten Form-, Größen- und Bauverhältnisseu, kurz
an ihrem Gesamthabitus kaum noch etwas. Handelt es sich um abzu-
legende Eier, so gewinnen diese, wie schon vorhin bemerkt, Ijeim Lege-
vorgange noch eine Reihe von Hüllen und sonstigen Vorrichtungen,
die zum Schutze und zur Befestigung dienen. So nehmen wir in
diesen Abschnitt, welcher den Bau der zur Befruchtung entwickelten,
völlig ausgebildeten Eier zu schildern hat, alles dieses auf und be-
sprechen die reifen Eier in ihrer äußeren Erscheinung, wie in ihrem
Bau im allgemeinen, unter Einschluß der genannten Legehüllen.
Weitaus die meisten Eier haben, wie gleichfalls erwähnt wurde, eine
K u g e 1 f 0 r m , oder eine der Kugelgestalt genäherte s p h ä r i s c h e
Form; insbesondere trilft dies zu für alle kleinen Eier und für
solche, welche im Mutterkörper verbleiben ; die letzteren werden ja,
wie begreiflich, stets auch zu den kleinen Formen gehören, da sie
nicht mit viel Dotter und Hüllen bei)ackt zu werden brauchen. Die
größeren Eier, welche abgelegt werden, nehmen eine verlängerte,
ellipsoidische oder diejenige charakteristische Form an, welche
wir zumeist beim Vogelei finden, und die von daher ihren Namen
hat, die ovoide, mit einem spitzeren und einem stumpferen Pole
versehene. Hierbei dürfte es sich in beiden Fällen um eine An-
passung an das Legegeschäft handeln. Die ellipsoidischen Eier finden
wir vor allem bei den Insekten ; ich verweise u. a. hier auf die all-
gemein bekannten Eier der Dipteren.
Sehen wir von den Hüllen ab, so ist das darin steckende Ei, Oo-
cyte oder Reifei, von weicher Konsistenz, entsprechend seiner Zell-
natur ; die dotterreichen Eier sind, wie bekannt, fast zerfließlich weich.
Eine stärker entwickelte Zellmembran (Dotterhaut) giebt aber den
Eiern, namentlich den kleinen, oft eine große Elastizität und Wider-
standsfähigkeit.
Die sehr verschiedene F ä r b u n g der Eier beruht entweder im
Dotter, der meist gelblich in hellerer oder dunklerer Schattierung
ist — siehe Abschnitt : Chemische und physikalische Beschaftenheit der
Eier — , aber auch bläulich oder blaugrünlich erscheinen kann, wie bei
der Teil er seh necke, Patella, selbst violett, wie bei einem von
Grexacher beschriebenen Cephalopodenlaich (Teuthisart?), oder sie
liegt in einem dem Ooplasma beigegebenen Pigmente (dunkle Eier
vieler Batrachier, Frösche z. B. und mancher Fische (Störe), oder endlich
sie liegt in der Schale, wie wir das von den so mannigfaltig gefärbten
Vogeleiern wissen. Vgl. hierzu den soeben angezogenen Abschnitt.
Die Größe der Eier ist eine sehr verschiedene, wie einleuchtet,
wenn wir die Ausmaße eines Menscheneies mit dem eines Straußen-
oder Aepyornis-Eies vergleichen, selbst wenn wir bei den letzteren
Eiern nur das nehmen, was vergleichbar ist, das Gelbei in seiner
Dotterhaut. Genauere Angaben geben wir am Schlüsse dieses
16*
244 W. Waldeyer,
Kapitels. Hier sei nur noch erwähnt, daß die Reifeier im allgemeinen
weitaus die größten tierischen Zellen darstellen.
Es giebt indessen auch gewisse Nervenzellen, die den Säugetiereiern
und Menscheneiern an Größe nicht nachstehen. So hat, nach den
Messungen von G. Fritsch, Lophius piscatorius Nervenzellen von 0,1 —
0,2 mm Durchmesser mit Kernen von 70 /n und Nukleolen von 35 f.i ;
die beiden elektrischen Nervenzellen von Malopterurus electricus stehen
diesen kaum nach (G. Fritsch). Größere Zellen noch von 1 — 1,5 mm
Durchmesser fand Chun in den blinddarmförmigen Anhängen der Luft-
säcke bei den Siphonophoren ; die Kerne dieser Zellen sind , wenn sie
gefärbt sind, leicht mit freiem Auge zu sehen.
Die nunmehr genauer zu schildernden morphologischen Bestandteile
der Eier, welche S. 225 schon kurz aufgeführt wurden, geben wir zu-
nächst in einer tabellarischen Zusammenstellung, um die Uebersicht
über den Gang der Beschreibung zu erleichtern. Wir haben am Ei:
a) Den Eileib, Ooplasma (Korschelt-Heider) mit a) dem
Keim oder Eiprotoplasma und ß) dem Den toplas ma
(Dotter, vitellus),
b) das Keimbläschen, v e s i c u 1 a g e r m i n a t i v a (Eikern ) mit
dem K e i m f 1 e c k , m a c u 1 a g e r m i n a t i v a (Kernkörper),
c) den Dotterkern, nucleus viteUinus, (Sphaere, Centro-
som) nebst den Centriolen (Centralkörperchen).
d) die E i h ü 1 1 e n , i n v 0 1 u c r a 0 v 0 r u m und Befestigungsstücke.
Die Hüllen zerfallen (nach Korschelt-Heider) in «) p rimäre
D 0 1 1 e r h a u t , membrana vitellina), (i) s e c u n d ä r e (C h o r i o n)
y) tertiäre (Eiweißhüllen , Gallerthüllen , Schaleubildungen,
Coconbildungen).
a) Eileib, Ooplasma. Der Eileib ist, wie wir gesehen haben,
bei den jüngsten als solche erkennbaren Eiern, den Ureiern, ein
echtes, reines Zellprotoplasma und von dem Protoplasmaleibe anderer
Zellen mit unseren jetzigen Hilfsmitteln nicht zu unterscheiden. Bei
denjenigen Eiern, welche wenig Dotter ausbilden und aufspeichern,
behält er diese Beschaffenheit im großen und ganzen bei.
Solche Eier mit wenig Deutoplasma finden wir bei den Poriferen,
bei den Tricladen,Rhabd ocölen und gewissen Trematoden, bei den
Orthonectiden, bei einigen Oligochäten (Lumbricus z. B.), bei den
meisten Echinodermen, bei den viviparen Aphiden und bei einigen Ovi-
paren Hymenopteren, wie den Ptero malinen, die ihre Eier in
die Leibeshöhle anderer Lisekten ablegen und bei den A s c i d i e n.
Die Eier vieler Säugetiere sind im Verhältnisse zu ihrer Größe ziemlich
dotterreich. Das Ei des Menschen ist ein dotterarmes, aber protoplasma-
reiches. Die Tricladen, Rhabdocölen und die betreffenden Trematoden,
so wie die Pteromalinen dürften die dotterärmsten Eier liefern. Bei den
genannten Plattwürmern, liegen 1 oder 2 Eizellen, von vielen dotterführen-
den Zellen, Do t terzeilen, umgeben, in einer Hülle; das ganze stellt
also einen Cocon dar und man kann das Gebilde füglich nicht mehr
ein Ei nennen , wie es indessen auch wohl üblich ist. Erst wenn die
Entwickelung beginnt, zerfallen die Dotterzellen und werden von dem
sich entwickelnden Embryo verzehrt. So lange die Eizellen dieser Tiere,
obwohl sie Reifeier darstellen, nicht zur Entwickelung gelangen, er-
halten sich auch die Dotterzellen intakt; solche Eizellen sind nrni fast
ganz frei von Dotter. Auch bleiben die hier aufgezählten Eier stets
Die Geschlechtszellen. 245
klein, so daß sie sich, wenn man von Kernveräuderungen absieht , nur
wenig von Ui^eiern unterscheiden.
Eine einsclnieideiule Aendenin.u" erfährt das Ooi)lasina durch die
Aufnahme größerer Dottermasseu. Die Dottersubstanzeu erscheiueu
als körperliche Elemente, Dotterkörper, zuerst in Form sehr
kleiner Kügelchen von mehr oder minder starker Lichtbrechung, und
zwar häutig in der Nähe des Kerns; diese Kügelchen wachsen heran
und können eine recht ansehnliche Größe erreichen. Es ist klar, daß
infolge dieser Einlagerung das ursprüngliche Protoplasma eine netz-
förmige, oder wabenförniige Anordnung erhalten wird, die je nach Zahl,
Größe und A'erteilung der Dotterelemente verschieden ist.
Die Dotterkörper sind im wesentlichen — vgl. die chemischen
Angaben S. 231 — aus Eiweißstoffen gebildet und zeigen eine ver-
schiedene Konsistenz vom Zähflüssigen bis zum Festen. Dazu treten
fettartige Substanzen und, namentlich bei den Knochenfischen (s. Fig. 57)
und verschiedenen Wirbellosen, echte Fetttropfen, sogenannte Oel-
tropfen, die mitunter eine bedeutende Größe erreichen; so liegt
u. a. bei vielen Entomostraken inmitten des Dotters eine auffallend
große Fettkugel. Die chemische Be-
schaffenheit der Dotterkörper ist nicht
immer, vom Beginne ihrer Entwickelung -'" ^^
an, die endgiltige; es gehen öfter Vor-
stufen voraus, welche als „Vitellogene'' o^^
oder „Prolecithe" bezeichnet werden. Wei- ~ "\
tere Angaben über das chemische Verhal- ■' :. , ^^
ten der Dotterkörper lasse ich noch folgen. - " ^
Abgesehen von der Kugelform , wie ~3
wir sie insbesondere im Vogeldotter finden,
zeigen die Dotterkörper sich in der Ge-
stalt von Schollen, Cylindern und rundlich-
eckigen Figuren, insbesondere in den Eiern
von Selachiern , einigen Knochenfischen ^^ " «.^ ' ' '
(Cyprinoiden) in jüngeren Stadien und Fig. 67. Dotterelemente von
Amphil.)ien. Vielfach wird auch, insbeson- Torpedo oceUata (nach J. Rü-
dere für Amphibien und Fische, eine Platt- CKERT [534] Fig. 20). Grobe
chen- oder Täfeichenform, die an Krystalle Dotterkörper und ferne Dotter-
1 ^ V, /- 1- N korner; Zerraü der srroben Dot-
erinnert, angegeben. 0. Schultze (o4<a) terkörper in feine. ""
und R. FiCK (363) stellen dies aber für
Ami)hibien in Abrede; die Dotterkörper
sind hier ähnlich gestaltet, wie bei den Selachiern (Fig. 67); diese
Körper können aber in Plättchen zerfallen.
Krystalloide oder gar Krystalle, wofür sie Radlkofer (523 d)
erklärt hat, sind die krystallähnlicheu Dotterplättchen, falls sie über-
haupt vorkommen, aus dem Grunde nicht, weil sie keine Doppel-
brechung zeigen, was bei echter Krystallnatur der Fall sein müßte,
da ihre Form sie zu den irregulären Krystallen stellen würde.
Nur die regulären Krystalle zeigen bekanntlich keine Doppelbrechung.
Vgl. hierzu v. Ebner (351) und Rückert (534).
v. Ebxer hat jüngst (351) den interessanten Befund von Krystallen
des regulären Systems (ohne Doppelbrechung) im Ooplasma von
Cervus capreolus mitgeteilt, die aus einer Globulinsubstanz bestehen. Es
handelt sich hier also um echte Eiweißkrystalle. In Eiern anderer Säuge-
tiere wurden solche bis jetzt noch nicht gefunden.
246
W. Waldeyer,
Krystalloide Körper, ähnlich denen von Reinke u. A. im
Hoden beschriebenen Bildungen, erwähnt van Bambeke in den Eiern von
Pholcus phalangioides Puessl (Araneinen), und zwar sowohl
im Ooplasma wie auch, allerdings nur in geringerer Zahl, im Keim-
bläschen und Keimflecke. 0. Hehtwig (416b) beschreibt eigentümliche
spindelförmige Körper im Dotter, 0. Schl'Ltze bei Amphibien hämatoidin-
ähnliche Krystalle.
Eingehend schildert Rückert die Dotterkörper der Selachier, haupt-
sächlich bei P r i s t i u r u s und Torpedo. Es ist hier ein grober und
feiner Dotter zu unterscheiden. Die großen Körper des groben Dotters
sind niedrige prismenähnliche oder cylindroide kurze Scheiben, welche
scheinbar von einer Art hellerer Hüllsubstanz umgeben werden. Dieses
die eine schmalere Fläche der kurzen
lichtbrechend ist als das gegenüber-
die so beschaffenen Dotterplättchen,
schwimmen, immer das stärker lichtbrechende Ende nach
sehe man nun
Teile, und
kommt nach Puckert daher, daß
Cylinderstücke sehr viel stärker
liegende breitere Ende und daß
wenn sie frei
oben kehren. Beim Blick auf diese schmaleren Enden
stets auch die überragenden schwächer lichtbrechenden
so
wurde der Anschein eines helleren Mantels erweckt. Der feinkörnige
Dotter besteht aus viel feineren rundlichen Elementen, den „Dotter-
körnei'n", wie Rückert sie im Gegensatze zu den groben „Dotterplätt-
chen" nennt : die letzteren gehen aber durch Zerfall in die Körner über.
Der feine Dotter umgiebt zunächst den Keim ringförmig, dann aber
schiebt er sich zugeschärft von allen Seiten her unter den Keim und
in Porm eines Cylinders oder Kegels, der ein Stück groben Dotters um-
schließt, in den letzteren nach unten (die Keimscheibe oben gedacht)
hinein. Feiner Dotter wird auch im Innern des Keimes selbst gefunden,
indem eine dichte Durchsetzung des Keimprotoplasmas mit feinsten
Dotterkörnern — die noch meßbaren haben 1 — 2 fi — besteht, so daß das
Protoplasma fast ganz verdeckt wird. Bei der Furchung werden diese
letztgenannten Dottermassen mit in den Furchungsprozeß einbezogen.
Abweichend von Ritckert nimmt His (420 a) um die groben Dotter-
körper der Selachier thatsächlich eine HiQlsubstanz an, und zwar eine
doppelte, eine innere resistente Haut und eine äußere hyaline Substanz.
Auch darin diiferiert His von der vorstehend mitgeteilten Beschreibung,
daß er den feinkörnigen Dotter Rückert's, der den Keim zunächst um-
giebt, noch mit Keimprotoplasma durchsetzt sein läßt.
Anders verhalten sich die Dotterelemente bei den Vögeln, wo
sie insbesondere von Foster und Balfour (639a) "und W. His
(418 u. 420a) genau beschrieben sind. Auch hier sind zweierlei
Dottermodifikationen zu unterscheiden, der gelbe und der weiße
Dotter, von denen man
^ B den ersteren dem groben
Dotter der Selachier, den
zweiten dem feinen ver-
gleichen kann. Der gelbe
Dotter besteht aus großen
25 — 100 /< messenden
Kugeln, die wieder un-
zählige feinste Körnchen
enthalten, so daß sie wie
bestaubt aussehen (s.
m Ä).
Fig. 68. Dotterkörper vom Hühnerei nach
Balfour aus O. Hertwig's Lehrbuch der Ent-
wickelungsgeschichte, 7. Aufl., Fig. 10: .1 Dotter-
kugel des gelben Dotters. 7> JJotterkugeln des
weißen Dotters verschiedener Größe und Entwicke-
hmg mit ihren Inhaltskörperu.
Fio-
Die Geschlechtszellen. 247
Die Kugeln des weißen Dotters (s. Fig. 68 B) sind sehr ver-
schiedener Größe, von allcrfeinsten punktförmigen Körpern an bis zu
Köri)ern fast von der Größe der gelben Dotterkugeln ; sie sind heller
als die gelben Dotterkugeln und führen je nach ihrer Größe ein oder
mehrere stark lichtbrechende kugelige Gebilde als Inhaltskörper. Die
Haupt- oder Hüllmasse der Kugeln ist eine zähflüssige Eiweiß-
(Vitellin-) Lösung, die Inhaltskörper dagegen sind festere Massen von
strahligem Bruch und enthalten vakuolenartige Innengebilde.
His (420a), dem ich diese und die folgenden Angaben entlehne,
bringt für die Kugeln des weißen Dotters, sowie für alle im Eidotter
auftretenden hellen Kugeln, ob mit oder ohne Einschlüsse, den Namen
„D o t tercy toi de" im Vorschlagt). — Salzsäure löst die Hüllmasse
und läßt die Inhaltskörper aufquellen. Es giebt auch leere Cytoide, die,
wenn sie zwischen trüben Dottermassen gelegen sind, den Anschein heller
Vakuolen bieten. Daß sie zu den festeren Inhaltskörpern in genetischer
Beziehung stehen, ist wohl sicher; nur wissen wir nicht, ob letztere der
hellen Cytoidhülle den Ursprung geben oder ob sie sich umgekehrt aus
dieser Hüllmasse bilden. Wichtig ist, daß die Inhaltskörper, namentlich
bei sich entwickelnden Eiern, in kleinere Körner zerfallen, und daß auch
die Hüllmassen sich lösen, so daß die Körner frei werden und nun
massenweise von den jungen Zellen des Keimes aufgenommen werden.
So gestaltet sich denn die Ernährung des jungen Embryo durch den
Dotter zu einer phagocytischen.
Bemerkt mag noch werden, daß es oft Schwierigkeiten macht, eine
mit Dotterkörnern vollgeladene Keimzelle und ein stark körniges Dotter-
cytoid zu unterscheiden. Man wird insbesondere auf die Anwesenheit,
bezw. das Kehlen eines Kerns zu achten haben.
Die großen gelben Dotter kugeln sind viel empfindlicher
gegen Reagentien als die Dottercytoide. Bei Wasserzusatz zerfallen sie
sofort in feine dichte Körnermassen; in stärkeren Kochsalzlösungen
(über 1 Proz.) lösen sie sich auf; da die Cytoide erhalten bleiben,
kann man so den gelben von dem weißen Dotter trennen.
Es wurde bereits bemerkt, daß die Hüllmasse der Cj'toide eine
Vitellinlösung sei ; auch die Dotterkörper der Amphibien u. a. be-
stehen aus Vitellin und verhalten sich ganz wie die gelben Dotter-
kugeln, indem sie in Kochsalzlösungen gelöst werden. Die Vitellin-
substanz der Cytoide muß jedoch nicht völlig die gleiche sein, da sie
sich in Kochsalzlösung nicht löst. Das Vitellin enthält nun das be-
treifende Lecithin und einen nucleinähnlichen phosphorreichen Körper,
wozu noch ein Teil des Fettes mit den früher genannten Salzen tritt;
alles dieses ist im Vitellin zusammen gebunden.
Schon MiESCHER machte darauf aufmerksam, daß das „Eiernuclein"
nicht identisch sei mit dem Nuclein der Zellkerne ; neuerdings haben
1) His wählt diesen Ausdruct, weil diese Gebilde, der Einschlußkörper wegen,
die an Kerne und Kernkörper erinnern, mehrfach für ZeUen gehalten worden sind,
so von Schwann, Reichert, Coste und seiner Zeit von His selbst. Letzterer hat
jetzt diese Ansicht aufgegeben. Neuerdings ist sie in etwas abgeänderter Weise von
Lavdowsky und Tischutkin- (457) wieder aufgenommen worden. Die weißen
Dotterelemente werden von ihnen „Dottercyten", ihre Inhaltskörper „Dotter-
kugeln", die gelben Dotterelemente „Dottersegmente" genannt. Die Dotter-
cyten sollen aus den Dottersegmenten hervorgehen und, obwohl, selbst keine voll-
kommenen Zellen, doch den Zellen der jungen Embryonalanlage ihren Ursprung
geben.
248
W. AValdeyer.
KossEL und seine Schüler darüber weitere Untersuchungen angestellt
und gezeigt, daß das Eiernuclein zu den von Kossel sog. „Para-
nucleinen" gehört; während der Entwickelung geht aber höchst wahr-
scheinlich das echte Nuclein der Kerne der Embryonalzellen aus dem
Dotterparanuclein hervor. Die eisenhaltige Substanz, von der
vorhin bei Aufzählung der chemischen Bestandteile der Eier die Rede
war, gehört auch zu diesen Para-
nucleinen und ist von Buxge (315)
gefunden worden. Beim Zerfalle
der Dotterkörper, welcher zur
Bildung von Scheiben und Körn-
chen führt oder durch Vacuolen-
bildung eingeleitet wird , zeigt
sich unter Umständen ein gelb-
rötlicher Farbstoff; man hat die-
sen, wie S. 231 bemerkt, sowie
das Eisen mit der Bildung von
Blutfarbstoff in Verbindung ge-
bracht.
Es fragt sich, ob die Dotter-
körper Membranen haben
oder nicht? His (420a) scheint
Membranen anzunehmen : er
spricht wiederholt von ..Blasen",
von mit ..Flüssigkeit gefüllten
Blasen", vom ..Platzen" dieser
Blasen, von einer .,resistenteren
Haut" als innerer Hülle der
Dotterkörper der Selachier und
von einer ..zarten membranösen
Hülle" bei den Yogeldotter-
körpern, Foster und Balfour
(639a) sprechen den letzteren
eine Membran mit Bestimmt-
heit ab. Ich vermag mich gleich-
falls nicht von dem Vorhanden-
sein einer solchen zu über-
zeugen : es lassen sich auch alle
Erscheinungen an den Dotter-
I körpern. selbst das ..Platzen",
" ohne Annahme einer Membran
erklären.
^i:)-'--'-: y.yV' J ■\..^'- . ' ■-'■'M'. Fig. 60. Segment eines Eies von
WU: ':: -^ ; • ' - '- ^ Triton laeniatusr (Bexda präp., Frl.
%,■;:-;: ■ E. Magex del.) Zeiss V12 homog.
^^' ;/:■■: Immers. Oc. 4. — Von oben nach unten
folgen: 1. das abgeplattete FoUikel-
ü- . epithel, 2. die Dotterhaut, 3. die deut-
lich aus Stäbchen zusammengesetzte
Zona radiata, 4. eine hellere ßtndenschicht^ 5. eingesprengte dunklere Dotter-
massen, C). Zone mit (gefärbten) Dotterkörpern, .. Zone ohne solche Körper, 8. das von
einem hellen Hofe umgebene Keimbläschen mit 3 größeren dunklen Körpern (Keuu-
f lecken), feinen Körnchen imd fadenförmigen, aus strich- und punktförmigen Kor-
perchen zitsammengesetzten Gebilden, Gerüststrängen. Die fernen blauen
Pünktchen, namentlich in der Eindenlage des Dotters sind Mitochondria. Die
Körnchen im Keimbläschen gehören nicht dahin.
"^^te^^^fe
Die Geschlechtszellen.
249
Die Dotterelemente der Reptilien sind ähnlich den Dotter-
cytoiden der Vögel; nur zeigen die Inhaltskörper eine schwächere
Lichtbrechung.
Bei den Knochenfischen finden wir, insbesondere bei Cypri-
noiden, in jungen Eiern sogenannte Dotterplättchen (His 419 u. 420a) ;
bei den reifen Eiern stellt der Dotter eine klare, konzentrierte Vitellin-
lösung — so darf man wohl
sagen
dar. His setzt diese Dotter-
fiüssigkeit einer Salzlösung von Dotterplättchen gleich.
Die Dotterkörper der Amphibien wurden schon vorhin nach den
Angaben von 0. Schultze und R. Fick erwähnt. Ich verweise auf die
Die Körper sind dort (künstlich) gefärbt.
Abbildungen Fig. 69 und 70.
•*<
Die Stellung dieser sämtlichen Dotterkörper zur Eizelle kann w^ohl
mit der von Aleuronkörnern oder Stärkekörnern im Pflanzen-
reiche verglichen wer-
den (His 420a); sie
sind „organische" Bil-
dungen, denen eine er-
nährende Funktion zu-
kommt, die sich wäh-
rend der Entwicklung
geltend macht ; sie
sind jedoch nicht or-
ganisiert, führen kein
eigenes Leben. Schon
Johannes Müllek hat
den Vergleich mit den
Stärkekörnern hinge-
stellt (s. bei Leydig,
Lehrbuch der Histo-
logie, S. 509).
Bei den übrigen
Tieren , insbesondere
den Säugetieren,
Stelleu die Dotterele-
mente kleine , stark
lichtbrechende Körn-
chen oder Kügelchen
dar, die bei der Unter-
suchuuij mit durch-
Fig. 70. Elastomere von Triton taeniatus aus der
ersten Furchungszeit. In der Mitte der helle Kern mit
Gerüststrängen, zu beiden Seiten je eine Sphäre mit
einem Centriol und Strahlung, rings umgeben von blau
gefärbter Mitochondria. Weiter peripher das Ooplasma
mit den gelbgrünlichen Dotterkörpern und osmierten
Fettpartikeln dazwischen. Benda praep. et delin.
Vergr. 800.
fallendem Licht das ganze Ei dunkelkörnig erscheinen lassen.
so
a.
daß
, oft
dadurch andere Teile des Eies, wie z. B. das Keimbläschen u.
gänzlich verdeckt werden.
Bei manchen Insektenarten finden sich auch schollenähnliche
Körper.
Meist zeigt sich der Dotter gefärbt (vergl. das S. 231 und S. 243
Gesagte). Nur selten ist er farblos ; seine Elemente, die Dotterkörper,
sehen dann wie Vakuolen aus. Uebrigens trifft man auch zwischen
gefärbten Dottermassen ungefärbte Dotterelemente an.
Wohl müssen von diesen Dotterfärbungen die echten Pignien-
tierungen des Ooplasma unterschieden werden, wie wir sie bei
vielen Amphibieueiern finden, aber auch bei Ganoiden (Stör) u. a.
Hier liegt ein körniges Pigment zwischen den Dotterelementen
250
W. Waldeyer,
und ist bei manchen Arten, z. B. beim Frosch, in der sogenannten
animalen Hälfte, d. i. der, in welcher der Embryo zuerst sich anlegt,
besonders stark angehäuft, so daß diese ein schwarzes Aussehen ge-
winnt und ohne weiteres unterschieden werden kann. Vgl. hierzu ins-
besondere 0. ScHULTZE (547a) und R. Fick (363).
Von nicht geringem Interesse ist der von Benda (38 u. 616 b)
gelieferte Nachweis, daß die bei der Spermiogenese in so bedeutsamer
Weise eintretende Mitochondria (s. S. 171, 172, 178, 181, 182 und
195) auch in den Eizellen reichlich vertreten ist ; ebenso findet sie sich
in den Zellen der GRAAF'schen Follikel, Zellen, die bei der Ei])ildung
zweifellos eine wichtige Rolle spielen. In den hier folgenden Figuren
69, 70 und 71, nach Originalpräparaten Benda's gezeichnet, ist die-
selbe in Form feinster blauer Körnchen, so wie sie an den Präparaten
erscheint, dargestellt; in Fig. 71 sieht man auch einige Chondriomitome,
d. h. zu fadenähnlichen Bildungen aneinandergereihte Mitochondria ;
sie sind im Originalpräparat weit deutlicher.
Fig. 71. Ei von Mus musculus in seinem GRAAF'schen Follikel, dessen binde-
gewebige Thecae nicht mit abgebildet sind. Zu äußerst die aus den Follikelepithel-
zellen gebildete Membrana granulös a, links ein heller Raum mit Liquor
folliculi erfüllt. Auf dem Ei dicht an dessen Zona ijellucida, das Eiepithel,
zu ^/^ (rechts) erhalten mit blaukörniger Mitochondria. Das Ei mit Keimbläschen
und Keimfleck des Keimbläschens ist in der Zeichnung nicht besonders scharf aus-
gefallen. Im Dotter, insbesondere an der Peripherie, Mitochondria. Benda
präp., Frl. Magen del. Zeiss '/12 ^o^^- Inimers. Oc. 4.
An den Figuren 69 und 70 sind auch in ausgezeichneter Weise
die Dotter kör per zu sehen, welche (künstlich) gelblich und bräun-
lich gefärbt erscheinen. Die größeren dunkleren Körner zwischen den
gelblichen Dotterplättchen in Fig. 70 sind osmiertes Fett. In Fig. 71
(Maus) liegt die Eizelle in ihrem Follikel; in den sie zunächst um-
gebenden Zellen, dem Eiepithel, wie Waldeyer diese benannt hat,
ist die Mitochondria gut gefärbt worden, desgleichen in der Eizelle
selbst, namentlich dicht unter der hellen dicken Hülle, der Zona
pellucida.
Von weiteren Strukturen im Ooplasma sind noch die von
Die Geschlechtszellen.
251
W. Flemming (366) nachgewiesenen Fäden zu erwähnen. Sie
jiehöreii dem Protoplasma an, sind, wie (his E. Klein in seinem Atlas
der Histologie für das Eiprotoplasma schon angegeben hatte, netz-
förmig untereinander verbunden und es liegen in (liesen Fäden, dem
Mitom des Ooplasmas, ursprünglich die Dotterkörner , wenn sie
zuerst entstehen. Später, wenn sie größer werden, rücken sie aus den
Fäden heraus und füllen deren interlilare Maschen. Somit kommt dem
Eiprotoplasma dieselbe elementare Struktur zu,
wie sie insbesondere von Flemming auch für
andere Zellen nachgewiesen worden war. (S. hierzu
Fig. 72.)
Fig. 72.
Xetzgerüst aus dem Ooplasma eines Ovarial-
eies vom Kaninchen. Chromosmiumessigsäure, Eisenhäma-
toxylin. Die dunkle Wandung oijen ist die Zona pellucida.
Nach W. Flemming (366, Fig. Ij.
gen.
Das Netzwerk im Dotter mit seinen knotenförmigen Verdickun
die von Edw. A. Schaefer (Proc. royal Soc, Vok XXX) als „Pseudo
nuclei'' beschrieben worden sind, ist wiederholt untersucht worden,
neuerdings noch von Kohlbrugge (447 a), der die jüngsten Dotter-
elemente gleichfalls innerhalb der Xetzfäden sich heranbilden sieht. Beim
Kapitel „Oogenese", namentlich bei Besprechung der Dotterbildung,
müssen wir auf diese feineren Strukturverhältnisse zurückkommen.
Eigentümlich ist die Schichtung, welche in den großen, dotter-
reichen Eiern der Sauropsiden zu Tage tritt, s. die Figuren 58 und 73.
Beim Vogelei (Fig. 58) sieht man inmitten des gelben Dotters kon-
zentrische helle Linien, welche die
Latebra umkreisen, in ziemlich regel- „-.'-'■'••"
mäßigen Abständen aufeinander fol- ,■■""
gen ; ähnlich ist es beim Selachier-
dotter, der hier nach der uaturge- /
treuen Abbildung von Rückert (534)
in Fig. 73 wiedergegeben ist. Die
Zeichnung vom Vogelei ist halb-
schematisch ; es ist hierauf die große
Regelmäßigkeit im Abstände und in
der Breite der Linien zurückzuführen.
Die Schichtung beruht hier darauf, y
daß abwechselnd gelber Dotter (die . y'
breiten dunklen Bänder in der Figur)
und weißer Dotter (die schmalen ---~-__.:i,.i;.^-''
hellen Bänder) das Gelbei zusammen-
setzen. Zum weißen Dotter gehört
auch die Substanz der Latebra und
des Pander 'sehen K e r n s i). Beim
Selachierei bestehen die schmaleren,
grobkörniger gezeichneten Zonen aus-
grobem Dotter mit recht großen
Dotterkörpern, die breiteren, helleren
Fig. 73. Meridionalschnitt durch
ein reifes Ovarialei von Torpedo
marmorata nach Rückert (534,
Taf. LH, Fig. 23). Oben der kleine,
linsenförmige Keim mit dem (dunk-
leren) Keimbläschen darin. Der Dotter
zeigt abwechselnd grobkörnige, dunkler
gezeichnete und feinkörnige, hellere
Schichten.
1) Unter dem Namen „PAXDER'scher Kern"' wird die weiße Dottermasse dicht
unter dem Keime verstanden, welche sich nach abwärts, ein wenig sich verschmälernd,
in die Latebramasse fortsetzt.
252 W. Waldeyer,
Zonen gleichfalls aus grobem Dotter, in dem aber kleinere Dotter-
körpei- vorherrschen. Aus großen Dotterkörpern besteht auch die der
Latebra vergleichbare centrale Masse, die nach oben zum Keim und
zu dem diesen umgcljenden feinkörnigen Dotter sich erstreckt. Bei
auffallendem Lichte erscheinen die schmaleren, grobkörnigen Zonen
dunkler, die breiten heller, so wie sie die Zeichnung wiedergiebt.
Der Reptiliendotter zeigt eine ähnliche Schichtung. Nach
C. F. iSauasin (M. 2354) kommt sie hier dadurch zustande, daß Lagen
von großen, glänzenden Dotterkörpern mit kleineren, dichter gedrängten
abwechseln. Alle Schichten konvergieren gegen den Keim hin und
zeigen in dessen Nähe die kleineren Dotterkörper. Sarasix ist der An-
sicht, daß die Zeichnung der Dotterschichtung beim Vogelei, wie sie
V. KöLLiKER in seinem Werke ülser Entwickelungsgeschichte der Tiere
giebt, wo man die Zonen des weißen Dotters sich sämtlich gegen die
Latebra zurück biegen sieht, der AVirklichkeit nicht entspreche; aber
auch das THOJisoN'sche Schema, welches hier in Fig. 58 aufgenommen
ist, sei vielleicht nicht richtig. Wahrscheinlich würden die Linien des
weißen Dotters sich nicht vom Keim abbiegen, wie in Fig. 58, sondern
alle dem Keime zustreben, wie Sakasin es bei Reptilien fand und wie
es auch aus Fig. 73 einigermaßen ersichtlich ist. Sarasin sieht eine
Stütze für diese Meinung am Dotter von Melopsittacus undulatus,
den er gleichfalls untersuchte.
Eine der wichtigsten Fragen beim Bau des Ooplasmas ist die
nach dem Vorkommen bezw. nach der Erhaltung von Proto-
p 1 a s m a innerhalb desselben bei den dotterreichen Eiern. Die dotter-
reichen holoblastischen Eier, z. B. die der Amphibien, zeigen es üljerall
auch zwischen den stärksten Anhäufungen von Dotterelementen ; siehe
u. a. R. FiCK (363) und Michaelis (479a). Daß in den jungen
meroblastischen Eiern überall Protoplasma zwischen den Dotter-
elemeuten befindlich sein muß, lehrt ohne weiteres die schon an-
gedeutete und später eingehend zu behandelnde Entwickelungs-
geschichte des Dotters. Waldeyer hat die Meinung vertreten
(M. 1021), daß, wenigstens in der unmittelbaren Nachbarschaft des
Keimes, Protoplasma in Form von Fortsätzen, die immer feiner und
feiner würden, je weiter sie in den Dotter vordrängen, sich zwischen
den Elementen des letzteren befände. Auch die Darlegung von His
(420a) ist dieser Auffassung günstig; ferner stimmt ihr Sarasin (1. c.)
für das Reptilienei zu. Demgegenüber betont H. Virchow (586 und
586a), daß es bis jetzt noch an dem bestimmten Nachweise von Proto-
plasma im Ooplasma meroblastischer Eier außerhalb des Keimes fehle.
Es sei sehr wohl möglich, daß beim reifen meroblastischen Ei alles
Protoplasma sich aus dem Dotter zurückziehe und im Keime sich
vereinige. Er verweist dabei auf eine interessante Beobachtung von
M. V. KowALEWSKi (M. 2786), der zufolge beim Einbringen von reifen
Goldfischeiern in Wasser sich das Protoplasma rasch in einer Art
Strömung aus dem Ooplasma herauszieht, um sich an einer Stelle in
Gestalt des Keimes zusammenzuballen. Freilich bleiben gerade hier
in der Nähe des Keimes noch ,,Keimf ort Sätze" (Waldeyer) be-
stehen, die bis zu einer gewissen Tiefe im Dotter stecken; aber, so
meint H. Virchow, es sei hiermit thatsächlich erwiesen , daß das
Protoplasma sich vom Dotter zu trennen vermöge, und nichts stehe
im Wege, anzunehmen, daß dies auch vollständig geschehen könne.
Die Geschlechtszellen. 253
Dies ist gewiß zuzugeben, aber meines Erachtens wenig wahrscheinlich.
Gern sei indessen zugestanden, daß noch weitere Untersuchungen über
diesen Punkt nötig sind; die BENDA'sche Mitochondrienfärbung dürfte
hier gute Dienste leisten.
Der Annahme v. Köllikeu's (Lehrbuch, p. 46), daß im gelben Vogel-
dotter eine „Zwischenflüssigkeit" vorhanden sei, tritt H. Virchow
gleichfalls entgegen.
Bei vielen Eiern namentlich Wirbelloser (Geryoniden, Ktenophoren,
Siplionophoren) lassen sich am Ooplasma zwei deutlich gesonderte
Schichten unterscheiden, die man passend als Exoplasma und
Endoplasma bezeichnen kann. Das Exoplasma, in Form einer
Fig. 74. Reifei von ^^^:::^:^^^^^^^^^^^^^^:::::>-^
Petromvzon fluviatilis *,. " . r.,^
nach Herfort (413), ,-<^ ..«::;>• v:v :•■!;:::?■ ^ ; "--,
Taf. IV, Fig. 1. Oben z^r; :: ::;■;;: ^.U
der sehr feinkörnige, auf z^ '■- ' ^: ^' ^^^
dem (optischen) Durch- /^^
schnitte sichelförmiger- .; ,
scheinende Keim. An - -' i:.--;;:;-.cvH:>--^-:-.:;/;^::-;.v.
der Peripherie eine \:l^-^^-^f^^^
Schicht vakuolisier- /• :>■ 'r^^^ \
ten Ooplasmas; un- /i ■ ■■ ' ^ A
mittelbar unter der ' .v^tt^y^^^j^^^^
Dotterhaut liegt noch ; :{:^^:yh^^^^!^K^^X-<0^^^^::. ^
eine äußerst dünne ^^^^ ' W -V^
Lage feinkörnigen
Ooplasmas. — In
der Mitte ein grob- i
körniges und grob- ■ ':/:'-';:;l
vakuoiisiertes Oo- ^ ^
plasma. Zwischen die- V
sem und den Rinden- , ' ' '-^^ ■..„'....
Vakuolen eme mehr tem- v •,.:•**.•*;••?*;>/.''{ jH*"".*.':::?--* •*. :". *
ornige blasse. Rechts r.l:'^V'V?r:;!'"*v'jv"y.Vv/.:;;:,>^;;"^^^^^
oben eine Polocyte mit ^ '•^M''^^^^^^'^^ '^''■:i^^!'<-'i^- ^
daruntergelegener Spi n- \V
d el. Um letztere herum
eine radiäre Anord- , "^
nung der Dotter- ^>^ ^>"'-
kü gelchen. Reichert, ^^^~ _ - '.r;^^
Obj. 4, Ok. B. ^ — -~^^^ -
..'• •*'t^?,*v'^'V
Rindenschicht dicht unter der Dotterhaut gelegen, zeigt sich fein-
körnig und dicht granuliert; das Exoplasma im Innern sieht zuweilen
wie eine schaumige, vakuolisierte Masse aus. die Ziegler (610a) bei
Iv t e n 0 p h 0 r e n aus dichtgedrängten klaren Dotterkugeln bestehen läßt.
Ueberhaupt muß als eine fast allen Eiern zukommende Eigentümlich-
keit des Ooplasma das abweichende Verhalten der peri-
pheren Lagen bezeichnet werden, so daß man von einer „Rinden-
schicht", „Zonoidschichf- (His419) desselben sprechen kann. Meist
ist hier der eingelagerte Dotter feinkörniger ; wahrscheinlich findet sich
in der Mehrzahl der Fälle hier auch mehr Protoplasma als sonst. Das
schließt jedoch nicht aus, daß vielfach in dieser Rindenschicht größere
Fetttropfen, die bei Knochenfischen farbig erscheinen (His 419). ein-
gelagert sind. Immer aber kann man eine sehr feinkörnige Schicht
an der äußersten Peripherie des Eies, dicht unter der Dotterhaut
antreffen. Diese alleräußerste feine Schicht pflegt selbst dann nicht
254 W. Waldeyer
zu fehlen, wenn nahe der Rinde gr()l)ere Dotterkürner und Vakuolen
gelegen sind. Ob diese Schicht überall protoplasniatische Sub-
stanzen führt oder nur in der Nähe des Keimes, darül»er läßt sich
zur Zeit nichts Bestimmtes aussagen. Vergi. hierzu die Figg. 74 u. 70.
Als Gegensatz zu dem ebenerwähnteu Verhalten der Eier von
Greryoniden, Ktenophoren und 8iphonoplioren mit vakuolisiertem Endo-
plasma zeigen viele Eier von Lingula anatina (Brachiopoda) ein
schaumiges, vakuolisiertes Exoplasma bei einem feinkörnigen Endoplasma
(N. Yatsu, 609b).
Vielfach begegnet man in unmittelbarer Nähe des Kernes einer
lichteren, feiner granulierten Ooplasmazone; so beschreiben dies
JanosIk (433a) von Säugetiereiern, Eimer (M. 1963) und Osawa (507)
von Reptilien, vgl. Fig. 79. Letzterer giebt auch färberische Eigen-
tümlichkeiten dieser Schicht an.
Fig. 75. Keim pol eines Reifeies von Petrorayzon fluviatilis nach Hee-
FORT (418), Taf. IV, Fig. 2. Der Keim zeigt eine fein areoläre Struktur und setzt
sich in die äußerste feinkörnige Üoplasmaschiclit , ebenso wie nach
unten zwischen die dunkel gezeichneten Dotterkörper fort. Dem Keime entsprechend
lagert auf den Eihäuten die „Flocke" s. w. u., Eihäute. Eeichert, Obj. S, ük. 3.
Hier ist auch wohl der Platz, der größeren Spalträume zu
gedenken, die beim Ei an mehrfacher Stelle gesehen und beschrieben
worden sind. Wenn wir diese Bildungen als „Spalträume'' bezeichnen,
so soll damit nicht gesagt sein, daß sie etwa Kunstprodukte wären,
die durch Druck oder sonstige äußere Einwirkungen auf die Eier
entstanden seien ; es handelt sich vielmehr um meist schmale, spalten-
förmige, mit Flüssigkeit gefüllte Räume, von denen ich namhaft mache
den perivitellinen Spaltraum, den perinukleären und
den subgerminalen.
Einen sehr schmalen perivitellinen, mit Flüssigkeit gefüllten
Spalt räum zwischen Dotterhaut und Ooplasmaoberfläche hat W.
Nagel in seiner wohlbekannten Abhandlung über das menschliche Ei
(490) beschrieben und abgebildet. Die Existenz eines solchen Raumes
ist physiologisch nicht unwichtig, insofern dadurch das Ooplasma be-
fähigt wird, sich innerhalb der Dotterhaut zu drehen. Bei den Eiern,
welche ins W^asser entleert werden, sieht man meist sehr schnell, und
oft in beträchtlicher Menge Wasser (intrakapsuläre Flüssigkeit His)
durch Diffusion eintreten und einen solchen Spaltraum füllen, ihn
Die Geschlechtszellen. 255
vielleicht dabei auch erst erzeugen. Vgl. hierüber besonders His (419j.
Den NAGEL'schen Spaltrauni halben die meisten, welche nach ihm
menschliche Eier untersuchten, nicht wieder gefunden. An den hier
abgebildeten beiden menschlichen Eiern (s. w. u.), ist er auch nicht
zu sehen ; aber es ist zu bemerken, daß diese beiden Eier noch nicht
völlig ausgebildet sind. Die Angelegenheit vordient weitere Beachtung.
Aehnliche, mit heller Flüssigkeit gefüllte Spalträume um den
Kern haben Leydig (M. 198G und M. 1987), ferner Götte (M. 62, 63)
o
Fig. 76. Oocyte vom Menschen, nahe dem Eeifeziistande, frisch einem noch
lebenswarmen Eierstocke entnommen. Außen das Eiepithel mit der Zona
pellucida, darunter eine breite he llere Protoplasmaschicht, in der Mitte
ein dunklerer Herd von eingelagerten Dotterkörpern; hnks oben Keim-
bläschen mit Keimfleck. Bei k und k subzonale Kerne. Frl. E. Magen del.
und KoHLBRUGGE (447 d) erwähnt. Es wäre dies indessen keine Be-
sonderheit der Eier, denn derartige ., Kerntaschen", wie sie Leydig
nennt, finden sich auch bei anderen Zellen: bei den Eizellen sind sie
nur in besonderer Deutlichkeit entwickelt. Es kommt in Frage, ob nicht
der in Fig 79 um den Kern gelegene helle Hof ein solcher Spaltraum
ist. Ein „subgerminale'r" Spalt räum findet sich bei mero-
r^.
256 W. Waldeyer,
blastischen Eiern häutig zwischen Keim und Dotter; meist wird er
erst bei der Embryonalentwickelung deutlicli.
In der Rindenschicht der Eier von Knochenfischen sind
von His (419) Kerne beschrieben worden, die er als ,, Rinden -
kerne" bezeichnet; er leitete sie seiner Zeit von Wanderzellen
(Leukocyten) ab , die in das heranwachsende Ei hineingelangten.
KoHLBRUGGE meint sie auf Kerne von Follikelepithelzellen zurück-
führen zu sollen, deren Zellleiber von der Eizelle aufgenommen
und assimiliert worden seien. Aehnliches tindet sich bei Hydra,
wo die Eizelle sich eine ganze Anzahl ihr ursprünglich gleich-
wertiger Zellen, die sie umgeben, einverleibt, um auf deren Kosten
heranzureifen. Die Kerne dieser phagocytisch aufgenommenen ,,Nähr-
zellen" bleiben noch längere Zeit im Ooplasma des Hydraeies er-
halten, bis auch sie schließlich verdaut werden. Kleinenberg hat
sie seiner Zeit unter dem Namen „Pseudozellen" beschrieben. S.
DoFLEiN (348 a). Ich will bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam
machen, daß ich auch bei menschlichen Eiern dicht unter der Dotter-
haut kernähnliche Gebilde wiederholt angetroffen habe. Daß sie ge-
legentlich von eingewanderten Leukocyten abstammen können, ist
durchaus nicht in Abrede zu stellen ; ebenso gut können sie aber auch
nach Kohlbrugge's Annahme erklärt werden. S. Fig. 76.
Wiederholt ist der „V a k u o 1 e n '' im Ooplasma und der ,, V a k u o -
lisierung" desselben gedacht worden ; dasselbe gewinnt dadurch ein
eigentümlich „schaumiges" Aussehen. Wir wissen, daß der Ausdruck
„Vakuole" nur in dem Sinne gebraucht wird, um einen kughgen, mit
einer ganz hellen, durchsichtigen, flüssigen Substanz erfüllten Raum
zu bezeichnen. Es fragt sich, was das für Substanzen seien, die das
Bild einer natürlichen Vakuolisierung erscheinen lassen ? Wir wissen
darüber noch wenig; doch darf wohl gesagt werden, daß es sich dabei
um verflüssigte Eiweißmassen, vielleicht auch um farblose VitelHnsub-
stanz handelt. Künstlich werden Vakuolen vielfach durch einge-
drungenes Wasser hervorgebracht.
Es können auch noch Einschlüsse anderer Art im Ooplasma
vorkommen ; so zeigen sich im Eie von Hydra viridis nach Kleinen-
berg's Angabe Chlorophyllkörner.
Topographie des Eidotters. Zu den wichtigsten Punkten
der Eianatomie gehört die V e r t e i 1 u n g d e s D o 1 1 e r s i m Ooplasma,
die D 0 1 1 e r 1 0 p 0 g r a p h i e. Sie steht in einem unverkennbaren Zu-
sammenhange mit der Masse des Dotters, welche uns zu der
Einteilung der Eier in holoblastische und meroblastische
führte (s. S. 226). Der Dotter kann 1) im ganzen Eie ziemlich gleich-
mäßig verteilt sein, 2) kann er sich an dem einen Ende des Eies,
dem Dotterpole, vorzugsweise anhäufen und endlich 3) die Mitte
des Eies einnehmen , während die protoplasmatischen Teile des
Ooplasmas bei 2 sich am anderen Pole, dem Keim pole, sammeln
und bei 3 einen peripheren Mantel um den centralen Dotterherd
bilden. F. M. Balfour, von dem diese Einteilung aufgestellt worden
ist, gab die Namen: alecithale Eier für den ersten Typus, telo-
lecithale für den zweiten und cent r olecithale für den dritten.
Diese Namengebung ist keine gute, denn „alecithale" Eier im
strengen Wortsinne dürfte es kaum geben. Vgl. die Aufzählung der
dotterarmen Eier S. 224. Höchstens könnte man von „oligolecithalen"
Eiern reden. Aber auch das würde gegenüber den beiden anderen
Die Geschlechtszellen. 257
Begriffen keinen Gegensatz bedeuten, da es sich nicht um die Massen
an sich, sondern um deren Verteilung handelt, wenn auch hier, wie
wir soeben noch bemerkten, ein gewisser Zusammenhang unverkenn-
bar ist. Der Ausdruck ,, is olecithal ", den ich für ,,alecithal" vor-
schlage, würde jedenfalls logisch richtiger sein. Denn auf die gleich-
mäßige oder ungleichmäßige Verteilung des Dotters im Ooplasma
kommt es an, wenn es sich um die Beurteilung der Furchungsform
handelt, die man von den betreffenden Eiern erwarten darf. Ist
der Dotter gleichmäßig im Eiprotoplasma verteilt, so kann die
Furchung immer nur eine totale sein, das betreffende Ei muß ein
holoblastisches sein; ist dagegen die Verteilung eine ungleich-
mäßige, so wird es bei einem gewissen Grade der Ungleichmäßigkeit
zu einer meroblastischen Eiform mit partieller Furchung kommen.
Selbstverständlich ist. daß bei relativ geringen Dottermengen eher
eine gleichmäßige Verteilung stattfinden wird als bei großen Massen.
Demgemäß seien die Eier nach ihrer Dottertopographie eingeteilt in
a) isolecithale und
1 .., , f«) telolecithale
b) an isolecithale ^^^, centrolecithale.
0. Heetwig (Lehrbuch, 7. Aufl., S. 12j teilt richtig in diesem Sinne
ein in: 1; dotterarme Eier mit gleichmäßig verteilten
Reserv estoffen, 2) Eier mit polständigem Dotter material,
3) Eier mit mittelständigem Dottermaterial; 2 und 3 nennt
er polar und central differenzierte Eier. — Edm. B. Wilson (607a) nennt
die alecithalen Eier Balfour's „homolecithale".
Die isolecithalen Eier umfassen einmal fast sämtliche d o 1 1 e r -
armen Eier, wie sie ziemlich in allen Tierklassen vorkommen; vgl.
die Zusammenstellung S. 244. Diese Eier sind die kleinsten, welche
überhaupt gefunden werden, meist nur von 60 — ^200 jx Größe und
nahezu durchsichtig. Das Ei des Menschen muß zu ihnen gezählt
werden. Bei diesen Eiern ist die Furchung eine sogenannte
äquale, d. h. die beiden ersten Furchungskugeln, und meist auch
noch die nächstfolgenden, sind gleich groß. Die Furchung des Menschen-
eies ist noch unbekannt.
Es giebt aber eine zweite große Abteilung der isolecithalen Eier,
welche sich durch verhältnismäßigen Dotterreichtum auszeichnen ; da-
hin gehören die Eier einiger P o r i f e r e n , mancher Cölenteraten,
einzelner Echinodermen (Ophiura nach Wilson 607a), die Eier
von Chiton unter den Mollusken, die von Amphioxus (Sobotta
Ö6l) und die der meisten Säugetiere, soweit sie bekannt sind.
Die Furchung dieser Eier weicht schon ein wenig von dem äqualen
Tj'pus ab, indem in der Regel die eine der beiden ersten Furchungs-
zelleu etwas größer ist als die andere ; man darf daraus schließen, daß
bereits eine Hinneigung zur anisolecithalen Anordnung des Dotters
besteht. Einige haben eine derartige Furchung mit dem besonderen
Namen einer „adäqualen" belegt.
Außerordentlich verbreitet sind die Eier mit tel olecithal er
D Ott er lagern ug: sie finden sich in fast allen Tierklassen mit Aus-
nahme der Säugetiere, wenn man diese, wie es wohl die Meisten auch
halten, ungeachtet des geringen Unterschiedes in den beiden ersten
Furchungskugeln nicht von den Geschöpfen mit isolecithalem Dotter
trennen will. Die Eier der Mollusken, vieler W ü r m e r . der G a -
n 0 i d e n , Amphibien und der P e t r o m y z o n t e n (s. Fig. 74), ferner
Haodbuch der Entwickelungslehre. I. 17
258
W. Waldeyer,
die der Knochenfische, S e 1 a c h i e r , Reptilien und Vögel ge-
hören hierher. Aus sonst im Allgemeinen nicht hierher zu zählenden
Klassen müssen unter den Arthropode n noch S c o r p i o, 0 n i s c u s ,
M y s i s , C u m a , unter den Tunicaten Pyrosoma genannt werden.
Auch hier haben wir zwei Unterabteilungen. Die eine, die meisten
Mollusken, \V ü r m e r , P e t r o m y z o n , die meisten Amphibien
und die Ganoiden umfassend, zeigt noch eine totale, jedoch in-
äquale Furchung, indem die Dottermasse noch nicht so groß ist, als
daß sie nicht von dem sich furchenden Keime mit einbezogen werden
könnte. Diese Eier schließen zunächst an die zweite Abteilung der
Furchung) an. Bei den Se-
den
Ce-
s. w.)
nicht
isolecithalen Eier (Eier mit ädäqualer
lachiern, den Knochenfischen, den Cöcilien (unter
Amphibien), den Reptilien und den Vögeln, ferner bei den
phalopoden und den eben genannten Arthropoden (Scorpio u.
furcht sich nur der Keim, da die stark entwickelte Dottermasse
bl
in die Furchung einbezogen werden kann. Dies
sind dann die meroblastischen Eier.
Die centr olecithal en Eier gehören,
genau genommen, mit den partiell sich
furchenden telolecithalen zusammen. Wahr-
scheinlich müssen die letzteren aus den centro-
lecithalen abgeleitet werden.
Wir erwähnten bereits, daß der Dotter bei
zahlreichen Tierarten sich zunächst in der Um-
gebung des Keimbläschens zu bilden beginnt.
Bei
muß
■f
zu
stärkerer Dotterentwickelung dieser Art
ein centrolecithales Ei herauskommen.
sich die Dotterbilduns; noch weiter.
Steigert
so liegt es nahe,
anzunehmen,
daß
der Dotter
sich anhäufen
welche dem Keimbläschen entgegengesetzt
insbesondere nach der Seite hin
wird
ist ; da wird dann die stark sich verdünnende
Keimrinde gesprengt und der Keim zieht sich
an den entgegengesetzten Pol zurück. Daß bei
einigen Anthropoden (siehe das vorhin Er-
wähnte) meroblastische Eier mit telolecithalem
Bau vorkommen, spricht für diese Ableitung.
Indessen kann man sich die telolecithalen
meroblastischen Eier auch aus den telolecithalen
holoblastischen Eiern hervorgegangen denken.
Fig. 77. Centrolecithales Ei eines Dipteren im
Längsschnitt, bl Keim, welcher das Ei rings umgiebt.
d Dotter, dh Dotterhaut, kbl Keimbläschen, m Mikro-
pyle. ch Chorion. Aus Korschelt-Heider 666a, Fig. V2i.
Die centrolecithalen Eier sind fast ausschliesslich auf die Arthro-
poden beschränkt. Nur Cucumaria (Holothuria) und ein paar
Anthozoen (Reuilla und C 1 a v u 1 a r i a) werden sonst noch genannt.
Interessant ist, daß die Furchung bei Renilla nicht immer nach dem
bei solchen Eiern vorkommenden Typus, der sog. „sup er fi ci eilen
Furchung" erfolgt, das heißt, sich auf die Keimrinde beschränkt und
das dotterreiche Ooplasma im Innern des Eies nicht mit ergreift, sondern
unter Umständen eine totale ist. Das Renilla-Ei stellt somit ein Ueber-
gangsstadium dar.
Die Geschlechtszellen.
259
In Fig. 77 ist ein Dipteren-Ei als Muster der centrolecithalen
Form wiedergegeljen.
b) Keimbläschen und Keim fleck. Das Keimbläschen,
V e s i c u 1 a g e r m i n a t i v a , ist der Kern der Eizelle. Wie sich aus den
bei der Befruchtung abspielenden Erscheinungen ergiebt, kommt ihm eine
besonders wichtige Rolle für die Eutwickelungsvorgänge zu. Der Name
„Keimbläschen'' drückt schon aus, daß wir es mit einem rundlichen,
hell erscheinenden blasigen Gebilde zu thun haben , welches durch
diese Beschatfenheit auffällt; dazu kommt eine im Verhältnis zum Ei-
protoplasma — ich betone hier das „Protoplasma"' , um auch die
großen Eier mit viel Deutoplasma heranziehen zu können — ansehn-
liche Größe.
Alle Keimbläschen haben, insbesondere im völlig ausgebildeten
Zustande, eine deutliche Membran, die wohl von der häufig vor-
kommenden inneren Zellmembran unterschieden werden muß;
s. Fig. 78.
Fig. 78. Fig. 79.
Fig. 78. Kaninchenei aus einem geschlechtsreifen Ovarium. Außen die hier in
Folge der Behandlung dunkel erscheinende Zona pellucida, dann das Ooplasma, gegen
die "Kernhöhle durch eine gleichfalls dunklere Schicht (innere Zellmembran nach
Flemmixg's Auffassung) abgegrenzt. Das herausgetretene Keimbläschen ist deutlich
von einer mehrfach eingefalteten Membran begrenzt. Nach Flemming (366) Taf.
XXXII, Fig. 4.
Fig. 70. Ei von Hatteria punctata in seinem Follikel. Außen die
bindegewebige Follikel wand, die gegen das Ei hin die abgeplatteten Kerne der
Follikelepithelzellen trägt. Nach oben ist die Follikelwand nebst Epithel
von der Zona radiata abgehoben, unten liegen beide in natürlicher Lage dicht
aneinander. Es folgt eine äußere heUere Ooplasmaschicht, dann ein dunkles stark
deutoplasmahaltiges Ooplasma, dann ein heller Hof um den mit vielen dunklen
Körnchen, Nucleolen (Keimflecken) durchsetzten Kern (Keimbläschen). Gegen
den hellen Hof sind sowohl der Kern wie das Ooplasma scharf abgegrenzt.
Unter der „innereren Zellmembran" (W. Pfitzner, Arch. f. mikr.
Anat., Bd. 22, p. 681) versteht man eine zuweilen deutlich membranöse,
meist jedoch mehr einer „Crusta" (F. E. Schulze) entsprechende dünne
Schicht, welche bei manchen Zellen das Protoplasma gegen den Iveru
hin abschlieljt ; es bleibt dabei meist ein schmaler schalenförmig den
Kern umgebender Raum zwischen dieser inneren Zellmembran und der
echten Kernmembran erhalten, der mit einer hellen, homogenen, wie es
17*
260 W. Waldeyer,
scheint mehr Aussigen Masse gefüllt ist. (Pfitzner, 1. c, Leydig, Zelle
und Gewebe, Bonn, 1885, p. 21).
Bei manchen Eiern wird in dieser Weise gleichfalls das Ooplasnia
von einem hellen , das Keimbläschen umgebenden Hofe gesondert ;
so in Fig. 79. Die Grenzschicht des Ooplasma gegen den hellen
l)erinucleären Hof wäre hier als innere Zellmembran (innere Dotter-
haut) zu bezeichnen.
Wie der helle Hof selbst zu deuten sei, ist noch fraglich. Osawa
faßt denselben als eine zum Dotter gehörige Substanz auf: besser wird
er wohl als eine besondere Substanz augesehen; keinesfalls ist er als
„Dotter" (Deutoplasma) zu bezeichnen. Auch kann Kernsaft dai'in ver-
treten sein. Eigentümlich ist allerdings die Aehulichkeit mit der äußeren
schmalen hellen Schicht. Diese Aehulichkeit tritt auch in Fig. 78, wo
die innere und äußere Zone in gleicher Weise dunkel erscheinen, hervor.
In der Originalfigur Flemming's haben beide gleichfalls denselben Farben-
ton (dunkelgelb). Flemming deutet die ganze innere dunkle Zone als
innere Zellmembran ; sie würde alsdann beinahe so dick sein, wie die
Zona pellucida.
Die Gestalt der Keimbläschen ist nicht immer kuglig, wie
in den Fig. 79, 88 und 89; dies trifft in der Regel nur zu, wenn die
Bläschen in der Mitte der Oocyten liegen, wie dies bei jungen Oocyten
meist der Fall ist. Bei den reifen Oocyten, namentlich zur Zeit der
Polzellenbildung, rücken die Keimbläschen dicht unter die Zellober-
fläche, s. Fig. 80
und platten sich
^.-' '' ' . --. - - - , ....^-- _.- .--- 7 dann oft bedeutend
, . .'A- -■',?'■•■ ' ab. Vielfach begeg-
net mau auch ellip-
-^ soidischen Formen,
, s. Fig. 85. Beson-
ders interessant
sind die Keimbläs-
chen mit amöboiden
Fortsätzen, wie sie
VAN Bambeke bei
Pholcus phalangio-
Fig. 80. Peripheres Stück eines reifenden Ovaria!- id^S (Arcll. de Bio-
eies von Tori^edo ocellata, Meridionalschnitt , mittlere Vor- logie, T. X\ , 1897)
größerung. Nach oben die Follikelwand , darimter der und KORSCHELT
Keim mit dem dicht unter die Dotterhaut emporgerückten „„,i W^IDER (666a^
ellipsoidischen Keimbläschen. An Stelle des Xucleolus ein , . j-, . ^ _ y
Häufchen Chromosomen. Rings um den Keim der Dotter ÖCI UytlCUS Uiaigl-
ohae scharfe Grenze aegen den Keim. Nach RiJCKERT ualis, 0. SCHULTZE
(534) Taf. LH, Fig. 24 (547a) bei Amphi-
bien beschreiben.
Einfaltungen sieht man häufig; s. Fig. 81; es ist nur zu fragen in
wie weit sie durch die Einwirkung der Reagentieu hervorgebracht sind.
Das Keimbläschen ändert während der Ausbildung der Eizellen
in eigenartiger Weise seine Lage. Bei den Ureiern und jungen
Oogonien und Oocyten nimmt es gewöhnlich eine centrale Lage ein ;
wie schon bemerkt, rückt es später dicht unter die Eimembran und
plattet sich dort ab. Sind Nährz eilen (s. w. u., Oogenese) vor-
handen, so wandert das Keimbläschen meist gegen diese hin.
Die Geschlechtszellen.
261
Die Größe der Keimbläschen — Daten s. später in der Maß-
tabelle — kann so l)edeutend werden, daß mau die Bläschen, wie u. a.
bei Amphibien, leicht mit bloßem Auge sehen und mit Nadeln iso-
lieren kann. Auch dieser letztere Umstand beweist wohl das Vor-
handensein einer
eigenen
Membran.
Frische Keimblächen erscheinen mehrfach
weitere Struktur; nur der Keimfleck, s. w. u.,
schildert sie Flemming
(366a) bei den Ascidien
und neuerdings LuBOSCH
(brieÜiche Mitteilung) bei
den Petromyzonten, Nach
und Anwen-
von Färbemitteln
linden sich dieselben
Strukturen, wie in son-
ist
anz homogen, ohne jede
in ihnen sichtbar. So
/
Härtungen
düng
'■^r
t -j
•:.'T
stigen Zellkernen : C h r o -
; *• .
m a t i n n e t z e , die mit
der Kernmembran und
den Karyosomen
(Netzknoten) s. w. u.,
zusammenhängen, Li-
u in netze u. a. Da-
zwischen in den Maschen
dieser Netze eine mehr
flüssige homogene Masse,
der Kernsaft (Nucleo-
hyaloplasma, Strasbur-'
ger), endlich die K e i m -
flecke, die man in
Karyosomen und Plas-
mosomen einteilt und
von denen alsbald die
Rede sein soll.
Bei jungen Eiern (Amphibien,
Born (297), Selachier, Rückert
(M. 2008), Säugetiere, Gurwitsch,
s. Fig. 82), füllt das Chromatiu-
Fig. 82. Ei (Oocyte) eines 12-tägigen
Meerschweinchens (Cavia cobaya).
1. Ooplasma. 2. Zwei sich in Eisenhäma-
toxyhn stark färbende kleine Körper un-
bestimmter Art ^). 3. Idiozom, Dotterkern,
mit 4. zwei Centralkörperchen. Außerdem
der verhältnismäßig große Kern (Keim-
bläschen) mit den ihn ganz erfüllenden
Chromatinfäden, Netzknoten und einem
größeren Karyosom. Seibeet Apochromat
2 mm, Comp. Oc. 12. Nach Guewitsch
(393), Taf. XVI, Fig 1.
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Fig. 81. Junges Tritonei. Keimbläschen von
unregelmäßig begrenzter Form mit Einfaltungen ;
dasselbe hat sich teilweise von der inneren Dotter-
haut zurückgezogen. Zahlreiche Nucleolen. Schwache
Vergrößerung.
— - 2
\
/
1) Guewitsch meint, daß sie vielleicht den „chromatoiden Neben kör pern",
wie sie von Niessixg, v. Lexhossek (112, S. 259), Mooee und Meves beschrieben
wurden, vgl. S. 178 letzte Alinea, entsprechen dürften.
262
W, Waldeyer,
gerttst den Kernraum fast völlig aus; nachher zieht es sich mehr
zurück zum Centrum und mehr zusammen. S. w. u. Oogenese.
Sehr eigentümlich sind die Formen, welche die Chromatinstränge
bei Amphibien, Selachiern, Vögeln und Reptilien wäh-
^^%^SS^S^^^s.
Fig. 83. Junges Eierstockei (Oocyte) von Siredon pisciformis, nach
Flemming (M. 390), p. 13-4, Textfig. G. Quergestrichelte Gerüststränge (Chromo-
somen) im sehr großen Kern (Keimbläschen). Kernmembran deutlich. Zahlreiche
blasser gefärbte Nucleoli (Keimflecke) in Gestalt kleiner heller Kreise gezeichnet.
Sie liegen theils in den Gerüststräugen , theils zwischen denselben im Kernsaft.
Zeiss Vis» schwaches Ocular.
Fig. 84. Federstrang aus dem Keimbläschen von Pristiurus. Zeiss.
Apochrom. Homog. Imm. 2" mm. Ocul. 6. Zeichnung auf das Doppelte vergrößert.
Nach J. EüCKEET (534) Anat. Anz. VII, 1892, S. 115, Fig. 1.
Die CTeschlechtszellen. 263
rend der Ausbildung der Oocyten zum Reifei vielfach annehmen.
Insbesondere fallen gewundene federfahnenförniige Figuren auf, s. Figg.
83, 84 und 85, die sogenannten „Gerüststränge". Flemming
beschreibt sie als Erster bei Siredon, s. Fig. 83, und anderen Am-
phibien, RÜCKERT, Fig. 84, bei Selachiern. Born (297, 298) und Car-
NOY mit Lebrun (321 — 323) sehr eingehend bei Amphibien, Mll.
LoYEZ (46r)b) bei Reptdien, unter denen jedoch die Ophidier eine
bemerkenswerte Ausnahme abgeben. Ich bringe hier, Fig. 85, bei
schwächerer \'ergrößerung eine Abbildung vom Keimbläschen eines
Hatteriaeies, worin man vier solcher Gerüststränge erkennt.
HoLL (M. 1976) fand die gleichen Bildungen beim Hühnerei,
konnte sie jedoch bei Menschen- und Säugetiereiern nicht nachweisen.
Hier scheinen sie in der That zu
fehlen. Andeutungen solcher Formen
finden sich in einzelnen Figuren v.
WiNiWARTERS (609), z. B. Taf. VII,
Fig. 84, unter seinen „noyaux di-
plotenes. Sie gehören stets dem ry;;Jv>ir^;^t-^^'^7^ *^ \
Oocytenstadium an. 1 • - ' J'^ . •; ; • ■. .*
Carnoy und Lebrun bezeichnen \*.K;'''^ "^ .■i-.:;^^ .. ;/
diese Bildungen als „goupillons" oder '^ ." ■^' .^ii^^-'%V^^/-^ ,
auch „goupillons barbeles", indem "'~^- *e *^»^' '
sie sie mit gewissen langen, dünnen
Flaschenbürsten vergleichen; Mlle. |
LoYEZ gebraucht den Ausdruck
„Chromosomes barbeles" oder „Chro- . Fig. 85 Keimbläschen von Hatte -
" , PI ^1 , -r, na punctata mit vier Jbederstran gen,
mosomes a filaments plumeux". Born zahlreichen feinen punktförmigen In-
erklärt sie als lange feine, in einer haltskörpern und größeren peripher,
eigentümlichen Weise zusammenge- dicht an der Kernmembran gelegenen
legte Fäden, derart, daß eine Folge Keimflecken. Dr. F. Kopsch praep.
. ^ . et dehn
von quergerichteten Schleifen sich
bilde, wie etwa beim Ductus epidi-
dymidis. Bei Besprechung der Oogenese kommen wir auf ihre Entstehung
und Bedeutung zurück.
Der Kernsaft, das Nucleohyaloplasma Strasburger's
ist in den Keimbläschen in so reichlicher Menge vorhanden, daß da-
durch dessen Bläschennatur herauskommt; es ist dies ziemlich cha-
rakteristisch gegenüber den Kernen der meisten sonstigen Zellen.
Wie aus dem leichten Heraustreten von Kernsaft in den umgebenden
Kernhof und in das Ooplasma hervorgeht, muß der Kernsaft einen
ziemlich dünnflüssigen Aggregatzustand besitzen, wie er denn am
frischen Präparat völlig wasserhell erscheint. Erst nach Zusatz er-
härtender Reagentien oder nach Behandlung mit Eisenhämatoxyliu
erscheinen feinste punktförmige Granula, die man wohl als Nieder-
schläge auffassen darf. Der Kernsaft ist als eine Eiweißlösung an-
zusehen, hat aber noch das Vermögen, andere Bestandteile des Keim-
bläschens, wie Gerüstteile, Teile von Nukleolen aufzulösen. Ins-
besondere haben Carnoy und Lebrun (321 — 323) in sehr weitgehender
Weise von der Auflösung solcher Teile im Kernsaft, aber auch von
der Wiederausbildung derselben aus dem Kernsafte gesprochen.
Bei manchen Tieren ganz verschiedener Ordnungen sind noch
besondere vom Keimbläschen ausgehende Bildungen beobachtet worden,
264 W. Waldeyer,
die in Gestalt von zarten niemb ran Ösen Trichtern zur Peripherie
des betreffenden Eies ziehen, wo sie bei Ivnochenfischen (Leuciscus)
mit einem (lotterkernartit;en Gebikle in Verbindung stehen, van Bam-
BEKE (M. 1937), bei Holotliurien (Caudina arenata) sich zur Mikro-
phyle — s. w, u. — hin erstrecken, Gerould (G44a).
Keimfleck, macula germinativa. Es kann nicht zweifel-
haft sein, daß der Keimfieck der Eizellen deren Kernkörper entspricht.
Nun müssen aber mit Flemming zweierlei Keimflecke, oder nukleolen-
artige Gebilde, wie bei vielen Körperzellen, so auch bei den Eizellen
unterschieden werden: die Netz knoten, Pseudonu cl eoli, wie
ich sie zu nennen vorschlage, und die echten Kern kör per, Nu-
cleoli^). Die Unterschiede beruhen im wesentlichen darauf, daß die
echten Kernkörper, Nucleoli Flemming's und K, Rabl's (Morpholog.
Jahrbuch Bd. X, S. 316) kein Nuklein, sondern Py renin (Paranuklein),
Frank Schwarz (Morph, u. ehem. Zusammensetzung des Protoplasmas,
Breslau 1887) — nach E. Zacharias, Botan. Zeitung 1885, auch
Plastin — enthalten, und infolge dessen auch andere färberische
Eigenschaften haben: sie sind basophil (safranophil), während die Netz-
Imoten Flemming's, die Pseudonucleoli, aus Nuklein bestehen
und acidophil (hämatoxylinophil) sind. Durch Doppelfärbungen mit
Fuchsin und Solidgrün, mit Hämatoxylin und Eosin, oder mit dem
BiONDi'schen Gemisch, lassen sie sich daher, wenn sie nebeneinander
im selben Kerne vorkommen, leicht unterscheiden. Ob indessen die
Netzknoten nur größere Ansammlungen von Chromatin (Nuklein), der-
selben Substanz, welche den wesentlichen Bestandtheil der Kern-
gerüstfäden ausmacht, darstellen, ist noch eine unerledigte Frage.
Mikroskopisch erscheinen die Plasmosomen bald unabhängig von dem
Kernnetzwerk, frei im Kern, bald trifft man sie jedoch in einer
breiteren Ansammlung des nukleinhaltigen Kerngerüstes eingelagert ;
die Karyosomen alier sind stets mit dem Gerüst innig ver1)unden,
weshalb ihnen Flemming auch den Namen „Netzknoten" gegeben hat.
Als eine weitere und sehr bemerkenswerte Nukleolenform sind
die gemischten N u k 1 e o 1 e n , A m p h i n u c 1 e o 1 i m., zu bezeich-
nen, welche sehr häufig in den Eizellen vorkommen. Sie zeigen einen
meist größeren blassen und einen damit verbundenen, stärker licht-
brechenden kleineren Teil, der sich auch intensiver färbt. Der letztere
liegt entweder inmitten des ersteren, wie ein abermaliger Einschluß,
oder liegt ihm an irgend einer Stelle an, entweder dicht wie eine
Knospe, oder durch einen Stiel hantelartig verbunden, oder endlich
kappenförmig aufsitzend. Der eine Teil besteht dann vorherrschend
aus nukleolärer, der andere aus pseudonukleolärer Substanz.
Als „Neb ennukle ölen" , Paranucleoli bezeichnete Flem-
ming (390) Nukleolen von erheblich geringerem Ausmaße, die in
manchen Fällen außer einem großen ,,Haup tnucleolu s", „Archi-
nucleolus" m., in Kernen verschiedener Art, insbesondere wieder
in Keimbläschen gefunden werden. Bei den Eiern von Wirbeltieren
kommt dies besonders häufig vor (Flemming). Uebrigens haben
schon R. Wagner beim Maikäfer, cit. bei v. la Valette St.
George (584), und Letzterer selbst bei einer Libellenlarve zwei un-
1) Andere Bezeichnungen sind für Pseudonucleoli: nucleoles nucleiniens Caexoy
(321—323), Karyosomen Platxer (M. 1274, S. 53), Gaule, ügata, Lukjaxow,
s. Arch. für Anat. und Physiol. 1883 und 1887, für Nucleoli : nucleoles plasmatiques
Carnoy, Plasmosomen Gaule u. s. f.
Die Geschlechtszellen. 2(55
gleich große KeiiuHecke als beständigen r)efnn(l festgestellt. Fig. f<ß
zeigt einen Aniiihinucleolus, der zugleich Ilauptnucleulus ist, mit
einigen (drei) Nebennukleolen vom Menschen.
Lacaze-Dutiuers (Recherches snr les organea genitaux des Acephales
lamellibranches Ann. 8c. natur. 1854) hat wolil als erster die Amphi-
nnkleolen beschrieben, bald nach ihm LEVDia bei Cyclas Cornea (Arch.
f. Anat. u. Physiol. 1855). Ele.m-
MiNG (390) und 0. Hertwig (416 a)
haben den Gegenstand eingehender
behandelt. Neuerdings haben wir
sehr genaue Untersuchungen von
Stephan (566 a) zu verzeichnen,
Fig. 86. Stück einer nahezu reifen
Oocyte vom Mensehen frisch in Liquor
folliculi untersucht. Amphinucleolus _/
mit einem schwächer lichtbrechenden
großen und stärker Uchtbrechendeu
kleinen Anteile. Rechts einige Neben-
nukleolen (Paranucleoli). Keimbläschen
hell, ohne jede Spur eines wahrnehm-
baren Gerüstes, umgeben von einem
Stück Ooplasraa mit leichter Dotter-
kömung. Starke Vergrößerung. Frl.
E. Magex del.
welcher die Amphinucleoli zuerst bei Wirbeltieren nachwies. Interessante
Beobachtungen teilt er über S e r r a n u s mit : Hier vermehrt sich die nukleo-
läre Kernsubstanz (Plasmosomen) durch eine Art Sprossungsvorgang und
tritt in Form eines Netzwerkes an die Oberfläche des Keimbläschens :
innerhalb des Netzwerkes liegen dann an dessen breiteren Knotenpunkten
die Pseudonucleoli (Karyosomen). Weiterhin giebt Stephan an, daß auch
eine förmliche innige Mischung der beiden Substanzen, des Pyrenins und
des Nukleins, in den Kernkörperchen verschiedener Knochenfische vor-
kommt ; solche Kerne verdienen dann in erster Linie den Namen „Misch-
nukleolen". Die gemischten Pja-enin- und Nukleinmassen können sich
nach Stephan (bei Knochenfischen) wieder trennen und es können so
aus Mischnukleolen Nukleolen und Pseudonukleolen hervorgehen. Stephan
neigt übrigens der Ansicht zu, daß die Substanz der Nukleolen, das
Pyrenin, ein Produkt der Pseudonukleolensubstanz, i. e. des Nukleins
(Chromatins) sei. Weiteres über diese Dinge bieten Haecker (653),
Michel (479 b), Montgomeey (678 a), Obst (505) und Vigiee (713 b).
In vielen Fällen findet sich in den dann fast gerüstfrei und
homogen erscheinenden Keimbläschen ein einziger sehr großer
Xucleolus, der alles Niiklein des Keimbläschens gleichsam in sich
aufgesogen hat. und sonach im wesentlichen als ein Pseudonucleoliis
erscheint. Indessen ist es wohl richtiger ihn als Amphinucleolus auf-
zufassen, da er zweifellos auch das etwa vorhandene Pyrenin mit
umfaßt.
Sehr genau hat jüngst Lubosch diese Verhältnisse bei Petromyzou
fluviatilis studiert und mir darüber briefliche, mit Zeichnungen
illustrierte Mitteilungen gemacht. Vorhin wurde schon der ganz helle
Kern der Petromyzonten erwähnt, dessen Nuklein sich bei jungen Eiern
in dem großen rundlichen Nucleolus aufgespeichert hat. Lubosch konnte
266 W. Waldeyer,
ihn in 3 — 4 Schnitte zu 6 |ii zerlegen und es zeigte sich (an Sublimat-
präparaten) eine dunklere stärker lichtbrechende Hülle von ungleicher
Dicke, die einen grobkörnigen Inhalt von ähnlichem Gefüge, wie das
Karyoplasma umschloß. Meiner Meinung nach haben wir es hier mit
einem echten Amphinucleolus zu thuu.
Solche großen Nukleoleu „Riesennukleolen" , „Nukleinkörper" 0.
Hertwig (661, S. 42) hat schon Leydig beschrieben (M. 885). Wenn
sich nun beim Wachstum und bei den Umformungen der Zellen, ins-
besondere bei den Vorbereitungen zur Teilung, das Kerngerüst neu
bildet, so geht die Nukleolenmasse wieder in dasselbe auf und der Kucle-
olus verschwindet völlig. Diese Veränderungen sind aus den Vorgängen
der mitotischen Zellteilung, wie sie unter anderen von Flemming (390)
und Rabl (1. c.) in meisterhafter Weise beschrieben sind, sattsam
bekannt. Reiches Detail bieten darüber vor allem die Arbeiten von
Carnoy und Lebrun (321 — 323). Aus jüngster Zeit berichtet MUe,
LoYEz von einem Entwickelungsmaximum der Nukleolen, während
die Chromosomen zurückgehen. Ich möchte auch, obwohl sie nicht
direkt zu dem hier bearbeiteten Gegenstande gehört, auf die Arbeit
Meunier's, „Les nucleoles des Spirogyra", Lierre 1887, verweisen.
Es wurde bereits bei der Besprechung der Ureier gesagt, daß
sie keine Nucleoli haben; nur Pseudonucleoli kommen vor; das spricht
für die vorhin erwähnte Meinung Stephan's, daß das Pyrenin sich
aus dem Nuklein bilde, und somit Nucleoli erst später entstehen
könnten.
Die Form des Nucleolus und des Amphinucleolus ist meist eine
kugelige; doch kommen allerlei Abweichungen vor. Die Pseudo-
'■*».
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V
Fig. 87. Ei von Ceratodus forsteri (Ganoiden) nach E. Semox (551)
T. XXX, Fig. 2. Außen abgeplattetes Follikelepithel, der helle, elHpsoidische Kern
mit wenig Gerüstfäden zeigt zahlreiche uniforme Keimflecke an^der Perijjherie.
Die Geschlechtszellen.
267
inicleoli zeigen ihre Form weniger klar, da sie mit den Gerüstfäden
zusammenhängen. Von verschiedenen Seiten werden amöboide
B e \v e g u n g e u der N u k 1 e o 1 e n angezeigt, so unter anderen von
W. Nagel (490) beim Eie des Menschen, von Auerbach, Orgauo-
logische Studien I, Breslau 1874 (S. IßO) und Stephan (56r3 a).
Hier sind auch die Teilungen und Sprossuugen zu erwähnen,
welche man vielfach an den Kernkörpercheu beobachtet hat, und die
mit lokomotorischen Veränderungen verbunden sind, indem die Keim-
flecke sowohl nach der Peripherie, wie nach dem Centrum rücken.
Ein U e ]j e r t r e t e n von N u k 1 e o 1 e n in das 0 o p 1 a s m a wurde
von Mll. LoYEZ (1. c.) und anderen beobachtet, während Stephan (1. c.)
es bei seinen Objekten vermißte.
Vielfach sind in den Keimflecken sogen. Vakuolen beobachtet
worden ; auch das von Schrön, „Ueber das Korn im Keimflecke und
in den Kernkörpercheu der Ganglienzellen. Moleschott's Unter-
suchungen zur Naturlehre Bd. 9'', entdeckte von ihm als „Korn''
Einschlußgebilde hat meist diese Deutung erfahren.
V. LA Valette St. George (584).
zeichnete
anderen von
ob auch die
die zu dem
Mir
scheint
be-
unter
es, als
zwei Substanzen eines
Jvorn" Schrön's
Nucleoius Bilder geben könnten.
gehören.
Die meisten Eier weisen in ihren Keimbläschen nur 1 — 2 Keim-
flecke auf, wieder andere mehrere, 3—16, endlich giebt es Keim-
bläschen mit viel größeren Zahlen bis zu 100 und darüber. Auer-
bach (1. c.) unterscheidet demnach uni- und binukleoläre,
(o 1 i g 0 n u k 1 e 0 1 ä r e), p 1 u r i n u k 1 e o 1 ä r e und m u 1 1 i n u k 1 e o 1 ä r e
Kerne. Die Säugetiereier und die der meisten Wirbellosen, im all-
gemeinen gesprochen die kleineren Eier, gehören zu den oligo- und
höchstens plurinukleolären, während die großen meroblastischen Eier
der Reptilien, ferner insbesondere die der A m p h i b i e n , sowie
vieler Knochenfische und Ganoiden zu den multinukleolären zu
rechnen sind.
Fig. 88.
Fig. 88. Junges Ei von A n -
guilla vulgaris. Keimbläschen
kugelig mit zahlreichen, verhältnis-
mäßig großen Keimflecken an der
Peripherie. Die hellen Stelleu im
Ooplasma entsprechen Oeltropfen.
Nach OwsjAxxiKOW (M. 2799),
Tai III, Fig. 2ü.
Fig. 89.
Fig. 89. Ei von Barbus vulgaris Flem. Außen Dotterhaut, dann,
helle Zonoidschicht, dann schwach getrübte Innenschicht des Ooplasmas. Darin
das große helle Keimbläschen mit zahlreichen Keimflecken. Nach. His (419) Taf. II
Fig. 1.
268 W. Waldeyer,
Man vergleiche hierzu die Figuren 7(5, 79, 81, 87, 88 und 89. Was
die Eier der Vögel anlangt, so zeigt sich in denselben bis zu Keim-
bläschengrößen von 80—117 /< noch ein einfaches Kernkörpercheii ;
von da ab scheint es einem Zerfalle in feinste Körnchen zu unter-
liegen, HoLL (M. 197()). Vielleicht ist das nur ein noch weiteres
Fortschreiten auf dem Wege der Zerteilung, wie ihn uns die Reptilien,
Ganoiden u. s. w. aufweisen.
Ueber die Größen Verhältnisse von Keimbläschen und Kcim-
Üeck wolle man, wie bemerkt, die Tabelle, s. w. u., vergleichen.
Es kann schließlich nicht genug betont werden, worauf insbeson-
dere auch 0. Hertwig (661, p. 45) aufmerksam macht, daß man kaum
eine allgemein zutreffende Beschreibung von Kern und Kernköri)e]"chen
einer lebenden Eizelle wird geben können, da dieselbe in einem dauernd
fortschreitenden Entwickelungsgange begriffen ist, in welchem sich
Schritt für Schritt vor allem das Bild von Keimbläschen und Keim-
Hecken ändert. Wir werden das beim Kapitel „Oogenese" näher dar-
zulegen haben.
Wir verweisen zu eingehender Information über diesen Abschnitt,
außer auf die p. 265 genannten Autoren : Haecker, Michel, Mont-
GOMERY, ViGiER und ÜBST, uoch auf die zum Teil schon mehrfach
citierten Arbeiten von Born (297), van Bambeke (M. 1936. 1937,
1939), Carnoy ET Lebrun (321—323), Durante (M. 1962), R. Fick
(363, 364), Flemming (36(m), Frommann (M. 1967), Gurwitsch
(393), Leydig (M. 1986, 1987), Löwenthal (M. 1989), Loyez (466a),
Oellagher (M. 1919), Purkyne (M. 2005), Rein (M. 1276)), Rückert
(M. 3371), Stephan (566a), van der Stricht (573) und Ziegler (610).
Ueber die Bedeutung der Keimflecke vermögen wir wohl
noch wenig Sicheres auszusagen. Haecker (653) diskutiert die drei
bis jetzt geäußerten Meinungen, die er als Tran sportations-,
Reservestoff- und Sekreti onstheorie bezeichnet. Die Trans-
portationslehre sieht die Nukleolen als Organe an, welche ihre Sul)-
stanz bei Beginn der Zellteilung auf die sich bildenden Chromosomen
übertragen, und sie später bei der Wiederbildung der Tochterkerne
den Tochterchromosomen wieder entnehmen. Strasburger sieht die
Nukleolensubstanz als einen Reservestoff' an, aus dem das Kinoplasma
der Zelle nach Bedarf entnehme. Haecker selbst huldigt der Se-
kretion st heorie, der zufolge die Nukleolen sich durch eine Art
Abscheidung oder Abspaltung von dem Chromatiugerüst des Kernes
aus bildeten, und später, sei es in gelöster oder ungelöster Form, in
das Cytoplasma überzutreten hätten. Wilson und Wheeler haben
sich dieser Ansicht angeschlossen. Am weitesten geht neuerdings
Poljakoff (519), der die Nukleolen als trophische Centren der Zellen
betrachtet und sogar den Befruchtungsvorgang im wesentlichen als eine
Vereinigung von Kernkörpern auffaßt.
Der Keimfleck wurde von Rudolf Wagner (588a) entdeckt. Er
beschreibt ihn bei Säugetieren als ein beständig vorkommendes gelblich
schimmerndes, dunkleres Gebilde Auch bildet er schon die öfters vor-
kommenden zwei Substanzen, eine hellere und dunklere ab und beschreibt
sie bei Unio und Anodonta. Die mehrfachen Keimflecke bei Krebsen,
Fischen und Batrachiern beschreibt Wagxer gleichfalls bereits in seiner
ersten Mitteilung. Beim Menschen hat Wagner den Keimfleck selbst
nicht gesehen, vermutet aber richtig, daß er auch dort nicht fehle.
Valentin endeckte ein Jahr später den Keimfleck beim Menschen (.582b).
Die Geschlechtszellen. 26!»
Auf die neuesten Angaben V. Haecker's (396a) und Conklin's (331a),
welche das regelmäßige Auftreten von mehrfachen und insbesondere von
Doppelnukleolen bei den jungen Gesclilechtszellen mancher Wirbel-
loser (Copepodeu , Mollusken) betreffen , wird später (Oogenese) ein-
zugehen sein.
Die Namen „H auptn u cleolus" und „Nebennucleolus" (Ad-
ventiv-Kernkörper) sind von den Autoren in verschiedenem Sinne ge-
braucht worden. Haecker, auf dessen eingehende Darstellung (653, insbes.
p. 105 ff.) ich wiederholt verweise, unterscheidet drei Typen von Eiern
nach der Beschaffenheit ihrer Keimflecke : den ersten mit einem einzigen
großen, central gelegenen ,,Hauptnucleolus'' = E c h i n o d e r m e n - T }' p u s
(hierher gehört auch C ant ho c amp t us), den zweiten mit zahlreichen
kleineren, meist wandständigen ,,Nebennukleolen" = Vertebraten-
Tyj)us — (s. Figg. 85, 87, 88, 89), und den dritten mit einem aus zwei
verschieden sich verhaltenden Stücken zusammengesetzten Doppelnucleolus
(Amphinucleolus) = La m el 1 ibr an chi a t en -T y p us. Hierzu ist —
siehe das vorhin Mitgeteilte — zu bemerken, daß manche Säugetiere und
der Mensch dem 3. Typus angehören.
Daß die Xukleolen bei manchen Eiern in gewissen Stadien ihrer
Entwickelung aus dem Keimbläschen in das Ooplasma austreten, wiarde
bereits S. 267 kurz erwähnt. Solche ausgetretene Nucleoli können sich
längere Zeit noch unversehrt erhalten, und man hat sie dann als Meta-
nucleoli bezeichnet. Insbesondere ist dies während des Reifeprozesses
der Eier beobachtet worden. Vergl. u. a. Haecker, Die Eurchung des
Eies von Aequorea forskalea, Arch. f. mikr. Anat., Bd. XL, 1892 und
No. 653, S. 111 ff., ferner W. M. Wheeler, The maturation, fecondation
and earlv cleavage of Myzostoma glabrum Leuckart, Arch. de Biologie,
T. XV. p. 1—77, 1898.
Die Bedeutung der Xukleolen anlangend, so scheint mir die
Ansicht Strasburger's (Reservestofflehre), jedoch in der Eorm, wie sie R.
EiCK (364) vorgetragen hat, die richtige zu sein. Demnach stellen die Keim-
fiecke Xukleinspeicher oder auch Xukl ein-L abor a tori en vor.
In ihnen befinde sich das Chromatin in einer Art Ruhezustand, während
es in den Eedersträngen imd Chromosomen in aktiver Form auftrete.
Strasser (708a) hält die Federstrangbildung für einen Reinigungsprozeß
der Chromatinsubstanz.
Schon seit längerer Zeit sind mehreiige GRAAP'sche Fol-
likel und zwei- und mehrkernige Eizellen bei Wirbellosen
und Wirbeltieren bekannt gewesen. Ich will erst später, im Anschlüsse
an das Kapitel „Oogenese'', auf diese in mehrfacher Beziehung inter-
essanten Bildungen eingehen.
Kerne in Dotter, wie sie (s. S. 256) Kohlbrugge von Rep-
tilien beschreibt, fand jüngst Wetzel (599a) bei Pelias berus: er
leitet sie auch von den Kernen der Granulosazellen ab, die in den Dotter
gelangen (einwandern) und dort zerfallen, während die Kerne noch längere
Zeit erhalten bleiben, jedoch größer werden und blasig erscheinen, mit
wenig Chromatin. Auch Chromatinbröckel, die von zerfallenen und assi-
milierten Kernen noch übrig blieben, sind im Dotter von Pelias zu
finden.
Die Lage des Keimbläschens anlangend, sei der kurzen Be-
merkung S. 260 hinzugefügt, daß man als Gesetz für dieselbe aufstellen
kann (HERTWio'sche Regel), es suche stets die Mitte des Ei-
270 W. Waldeyer,
Protoplasmas einzunehmen. Demnach wird es sich bei den Ur-
eiern und jungen Öocyten aller Geschöpfe in der Eimitte halten müssen,
ebenso bei den streng isolecithalen Eiern bis zum Eintritte der Reifungs-
erscheinungen. Bei den polar differenzierten Eiern, z. B. bei den Am-
])hibien und bei den meroblastischen Eiern, rückt es mit dem Eiproto-
]ilasma, d. i. mit dem Keime, an den Keimpol und nimmt hier auch
wieder dessen Mitte ein bis zum Eintritt der Reifung, wo es dicht unter
die Oberfläche gelangt. Bei den centrolecithalen Eiern muß es nach der
angegebenen Regel dauernd in der Mitte liegen, da es nur auf diese
Weise die Mitte des als periphere Schale vorhandenen Keimes einnehmen
kann.
Bezüglich weiterer Einzelheiten über Kern und Kernkörjoer sei noch
besonders auf die Abhandlung von Korschelt : Beiträge zur Morphologie
und Phvsiologie des Zellkeimes. Zoolog. Jahrbücher, Abt. für Anatomie
und Ontogenie, 1889, verwiesen.
Ueber den feineren Bau des Dotters finden wir noch genauere
Angaben, betreffend Krokodilinen und Schildkröten, bei Völtzkow (716
IV, S. 354) und Mehnert (M. 3405), auf die ich noch ausdrücklich ver-
wiesen haben möchte.
Die Namen „Subgerminalschichf' und ,,Subger minalhöhle"
rühren von Mehnert her (1. c.) ; die letztere Höhle (Spalt) ist wohl von
der „Furchungshöhle" zu unterscheiden.
Beim Abschnitte ,.Dotter und Keimbläschen" ist schließlich noch
einer neueren Angabe JHolmgren's zu gedenken. Außer den bereits
vielfach beschriebenen fadenförmigen und netzähnlichen Bildungen
(Pseudochromosomen), die mit dem Dotterkerne zusammenhängen (s.
w. u.), erwähnt Holmgren (424), daß von außen her kanalförmige
Bildungen in die Oocyten (bis jetzt nur bei Katzen untersucht) ein-
dringen und mit den genannten Formationen des Dotterkernes in V^er-
bindung stehen sollen. Holmgren selbst erinnert an die seit Golgi
bekannten Bildungen in den Nervenzellen (apparato reticolare), welche
er selbst eingehend untersucht hat und bezüglich derer jüngst Kopsch
in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie der Wissenschaften
(1902) eine neue vortreffliche Untersuchungsmethode mit erschöpfendem
Litteraturnachweise gegeben hat. Die betreffenden Aussagen Holm-
gren's über die Katzen-Oocyten sind, wie ich finde, noch unbestimmt
gehalten, so daß man weitere Untersuchungen wird abzuwarten haben,
ehe ein bestimmtes Urteil über diese Dinge gefaßt werden kann.
c) Dotter kern (Nucleus vitellinus), Sphäre (Idiozom), Cen-
trosom, Gen tri ölen und Verwandtes. Die hier unter c auf-
geführten Bildungen fassen wir zusammen, weil sich durch neuere Un-
tersuchungen, insbesondere seit Balbiani, nahe Beziehungen zwischen
ihnen, d. h. dem Dotterkern einerseits und der Sphäre mit Centrosomen
und Centriolen andererseits, ergeben haben. Wir schließen hier unter
der Rubrik „Verwandtes", gleich noch andere im Ooplasma gefundene
und beschriebene Dinge an, die teils ebenfalls Beziehungen zu dem
Dotterkern erkennen lassen, teils in ihrer Stellung und Bedeutung
noch unaufgeklärt sind. Es sind das: 1) Ausgetretene Kern-
und Kern kör per chen teile, 2) eigentümliche, stäbchen-
förmige und spindelförmige Bild ungen, 3) die Polarringe,
4) die Arcli i pl asm a schleifen, Pseudochromosomen und
Central kapseln und 5) die Nebenkerne (Paranuclei).
Die Geschlechtszellen.
271
Der Dottorliorii, nucleus vitellinus, wurde von v. Wit-
Ticii 1845 ((iü!» II) bei Araneen entdeckt. Carus (323a) gab bald
darauf den Xanien ,.Dotterkern". Es folgten dann die Untersucliungen
von Gramer (ooob). Gegenbaur (M. 1968 u, 1969) fand das Ge-
bilde bei Vögeln, Lubbock (466c) bei Myriopoden. Die eingehend-
sten Studien machten Balbiani (M. 1982, M. 843, 273 a u. b und 274)
und Henneguy (405). Bei Letzterem, dann bei Jordan (437) und
bei Schütz (M. 2011) finden sich weitere geschichtliche Mitteilungen.
Auf die neueren Arbeiten wird alsbald einzugehen sein.
Nach den Befunden des Entdeckers und der ersten Beschreiber:
V. Wittich. Carus und Gramer, muß unter Dotter kern ein relativ
großes, gewöhnlich sphärisches Gebilde von dunklem Aussehen (bei
(lurchfallendem Licht unter dem Mikroskope) verstanden werden,
welches ne])en dem Kerne im Oojjlasma gelegen ist und häufig eine
feine konzentrische Streifung zeigt. Hierzu kommt, daß das Gebilde
in seinem charakteristischen Hauptbestandteile mit der Ausbildung
des Dotters in den nahezu reifen Eiern (größeren Oocyten) und in
den Reifeiern zu schwinden pflegt. Ausnahmen sind
banden, jedoch selten.
Andere Bezeichnungen sind
„Corps de Balbiani".
In den Eiern der meisten Tiere und auch beim Menschen sind
Gebilde nachzuweisen, auf welche man die Bezeichnung „Dotterkern''
anwenden kann; immer mehr schmelzen die Fälle zusammen, in denen
allerdings
vor-
„BALBiAxi'scher Kern", „corps vitellin'
Fig. !)0. Fig. 91. Fig. 92.
Fig. 90. Oocyte eines neugeborenen Mädchens. Um das helle Keimbläschen
herum findet sich ringförmig das dunkel granulierte Dotterkernlager Couche
vitellogene). Nach unten (in der Figur) ist dasselbe am stärksten ausgebildet. Im
Keimbläschen ein dunkler Keimfleck.
Fig. 91. Oocyte aus dem Ovarium einer Erwachsenen, umgeben von den
zugehörigen abgeplatteten Follikelepithelzellcn mit ihren dunklen, gleichfalls abge-
platteten Kernen. Das helle, mit Gerüstfäden und zwei rundlichen, keimfleckähn-
lichen Körpern versehene Keimbläschen ist von einem starkentwickelten Dotter-
kernlager (Couche vitellogene) umgeben. Letzteres ist nach der rechten Seite der
Figur am stärksten entwickelt und zeigt dort (ein wenig mehr nach oben) innerhalb
einer helleren Zoneden dunkleren Dotterkern. Außerdem eine Anzahl in der Figur
dunkel erscheinende Fett tropfen. Bei c erscheint ein kleiner Spin delkörper
hart am rechten Rande des Dotterkernlagers.
Fig. 92. Oocyte einer erwachsenen Frau. Der Dotterkern, umgeben von
seiner helleren Zone, tritt innerhalb des ansehnlichen Dotter kern lagers sehr
deutlich hervor. In letzterem außerdem dunkle Fetttropfen, ähnlich wie in
Fig. 91. Das (helle) Keimbläschen läßt deutlich mehrere ringförmige Chro-
matink örjier, welche durch Chromatin fäden verbunden sind, erkennen.
Fig. 90, 91, 92 Obj. 'Z,, homogene Immersion Leitz, Ocul. No. 2 Zeiß. — Aus
VA2f DER Stricht 572, Figg. 1, 3 u. Fig. p. 141.
272
W. Waldeyer,
mau ihn nicht antrifft, obwohl er noch unter verwandten Arten bei
der einen vorkommen, bei der andern fehlen soll. Insl)esondere ist
dies verwunderlich bei den Araneen, wo er z.B. bei Tegenaria,
Lycosa u. A. in so auffälliger Form vorhanden ist — s. Fig. ÜS — ,
während er bei Epeira und Meta bis jetzt nicht vorgefunden
wurde.
Die Formverhältnisse und die Bestandteile des Dotterkerns, wie
sie uns vor allen die neueren Untersuchungen van der Stricht's
(572, 574), VAN Bambeke's (276) und Henneguy's (1. c.) ergeben,
Fig. 93.
Fig. 94. Fig. 95.
Fig. 93. Isolierter Dotterkern aus einer Oocyte eines 3-jährigen Mädchens
samt der ihn umgebenden helleren Zone und dem auf einem dünnen, konzentrisch
gestreiften Ring reduzierten Dotterkern lagen Vom Dotterkern gehen einige
Strahlen aus. Ringsum dunkle Fe tl körn che n.
Fig. 94. Oocyte einer Erwachsenen. Keimbläschen und Protoplas-
manetz des Ooplasma. Das Dotterkern iager beginnt zu schwinden. Der
Dotterkern selbst nebst einigen kleinen Strahlen und der helleren ihn zunächst
umgebenden Substanz ist noch deutlich. Kleinere und größere dunkle Fett-
tröpfchen.
Fig. 95. Größere Oocyte einer Erwachsenen, umgeben vom Follikelcpi-
thel. Netzwerk des Ooplasma mit einigen Fettkörnchen. Links zwischen
dem hellen Keimbläschen und dem Follikelepithel liegt in gleichem Abstände
von beiden im Ooplasmanetze der nackte Dolterkern. Das gesamte Dotter-
kernlager ist im Ooplasma aufgegangen.
Figg. 93, 94, 95 Vergrößerung wie bei den Figg. 90—92. Aus van der
Stricht (572), Figg. 6, 7, 8.
zeigen
die Figuren 90 — 95 vom Menschen und 96, 97 und 98 von
Tegenaria domestica. Dieselben sind sämtlich van der Stricht
(572) entnommen, dessen für den Dotterkern des Menschen ge-
gebenen Darstellung ich zunächst hier folge:
In jungen Oocyten von Neugeborenen tritt um den Kern als
erstes eine nach Fixierung mit HERMANN'scher Flüssigkeit und Fär-
bung mit Safranin dunkel erscheinende Substanz auf, welche den Kern
(Keimbläschen) ringförmig umgiebt, so jedoch, daß der Kern exzen-
trisch gelagert ist (Fig. 90 vom Neugeborenen). Van Bambeke (275)
bezeichnet sie nach dem Vorgange von Leydig als ,,Couche pal-
o
Die Geschlechtszellen. 27o
leale" (Mantelschicht), Mertens (477) geradezu als „Sphere at-
tractive", van der Stricht als ,,Couche vitellogen e", dem
wohl die von mir (in den Figurenhezeichnungen) gewählte Benennung:
,,D Ott erkernlager" entsi)rechen dürfte. In älteren Oocyten, Figg.
91, 92 und 93, tritt in diesem Lager da, wo dasselbe am stärksten ent-
wickelt ist, eine sphärische, hellere Stelle auf — Zone pale, van der
Stricht — , inmitten derer dann als ein in Safranin sich sehr stark
färbender kugliger, homogener, zuweilen granulierter Köi'per, der
Dotter kern, erscheint. Inmitten dieses, von van der Stricht als
solchen angesehenen Dotterkerns finden sich zuweilen 1 — 2 kleinere,
sich noch lebhafter färbende Körperchen („Granulations" van der
Stricht). Bei Neugeborenen erscheint der hier seltener als bei Er-
wachsenen ausgebildete Dotterkern bläschenförmig. Die sich stark
färbenden Binnenkörperchen (Granulations) fand van der Stricht
hin und wieder durch eine zarte Brücke verbunden. Die ,,Zone pale''
möchte er zum Dotterkern selbst gerechnet wissen.
Von dem Dotterkerne aus sieht mau öfters feine radiäre Strahlen
sich in die blasse Zone hineinerstrecken.
Die Mantelschicht oder das Dotterkernlager läßt eine
Netzstruktur, ähnlich dem umgebenden Ooplasma, erkennen, nur viel
dichtmaschiger, mit safranophilen Granula in den Maschen. Oefters
sind die Maschenfäden konzentrisch, entweder zum Keimbläschen odei'
zum Dotterkern (Fig. 98) angeordnet.
Im weitereu Entwickelungsverlaufe treten nun in dem Dotter-
kernlager sphärische, in der HERMANN'schen Flüssigkeit fast schwarz
gefärbte Körper auf, die van der Stricht als „boules graisseu-
ses" bezeichnet und deren Erscheinen er als Beginn der Dotterbil-
dung ansieht. Stehen sie in der That zur Dotterbildung, wie ich
gleichfalls anzunehmen geneigt bin, in Beziehung, so fragt es sich, ob
ihre Bezeichnung als „Fettkügelchen" ohne weiteres zuzugeben ist.
Es wäre wohl zu erwägen, ob man sie nicht besser als „Dotterkügel-
chen" benennen müßte. Ihr Auftreten ist zuerst vorzugsweise au eine
ringförmige Zone geknüpft, welche die „Zone päle" unmittelbar um-
giebt; später treten diese „Dotterelemente", so wollen wir sie einmal
hier aufführen, auch im übrigen, mehr peripherisch gelegenen Teile
des Dotterkernlagers auf.
Oft begegneten die Autoren, ich nenne vor Allem Balbiani und
VAN DER Stricht. — aber auch Schütz (M. 2011 und Mertens
477) sprechen davon — mehrfachen (doppelten bis vierfachen)
Dotter kernen innerhalb entweder einer einzigen oder für jeden
Dotterkern besonderen „Zone päle''.
Mit dem weiteren Wachstum der menschlichen Oocyte beginnt,
unter zunehmender Ausbildung von Dotterkügelchen, das Dotterkern-
lager zu schwinden (Fig. 94). Es ist schwer zu sagen, in welcher
Weise dies geschieht. Van der Stricht spricht von einer „Des-
agregation" oder auch von einer „Umformung" der Substanz des Dotter-
kernlagers in Dottersubstanz unter weiterer Dotterkügelchenbildung.
Man könnte somit sagen, die Masse des Dotterkernlagers gehe in
das Ooplasma auf, indem wir das W'ort „ 0 o p 1 a s m a" , welches
bereits 1>^87 von Whitman (M. 1295) gebraucht wird, im Sinne
von Korschelt und Heider (vergl. hier p. 22S) verwenden. Denn
bei diesem „Aufgehen" kommt sehr wahrscheinlich nicht nur eine
Umformung in Deutoplasma , sondern auch in Keimsubstanz des
Handbuch der Entwickelungslehre. I. ]^g
274
W. Waldeyer,
Eies, in Eiprotoplasma, in Betracht. Schließlich, bei Oocyten, deren
Follikclo])ithel schon kubische Form angenommen hat (s. Fig. 95) und
mehischichtig zu werden l)eginnt, ist nur noch der Dotterkern selbst,
der gleichsam nackt im Ooplasma gelegen ist, erhalten. Van der
Fig. 96.
t'^
Fig. 97.
n/.ir
Fig. 98.
Fig. 96. Junge Oocyte von Tegenaria (domestica? — die Art ist von
VAN DER Stricht nicht ausdrücklich angegeben). Das helle mit Keimfleck und
Gerüst versehene Keimbläschen (o) ist halbmondförmig von einem dunkei-
granulierten Hofe = Dotterkern lager (cv) umgeben.
Fig. 97. Weiter entwickelte Oocyte derselben Species. Bei nv sieht man
im Dotterkernlager (c«) einen Dotterkern mit einem tiefdunklen Granulum
auftreten, v Keimbläschen.
Fig. 98. Noch vreiter vorgeschrittene Oocyte von Tegenaria; der Dotter -
kern («*•) hat seine größte Ausbildung erlangt. Bei d sieht man das „Aufgehen"
der Dotterkernlagersubstanz in das Ooplasma. v Keimbläschen, n Dotter-
kern lag er.
Nach einer Bemerkung des Autors sind die Figuren 90—98 — s. a^an der
Stricht 572, S. 131 — mit derselben Vergrößerung: Leitz, homog. Inmi. 7i-2>
Oc. 2, Zeiß, wiedergegeben.
Die Geschlechtszellen. 275
Stricht vermochte es nicht zu entscheiden, ob derselbe noch vor
Ausstoßung der ersten Polocyte gänzlich schwindet. — Ich bemerke,
daß in den hier kopierten Figuren van der Stricht's, die im Inneren
der wirklichen Dotterkerne vortindHchen „Granulations" nicht mit
wünschbarer Deutlichkeit zum Abdrucke gekommen sind. —
Vergleichen wir nun mit dieser Beschreibung die Befunde, wie
sie VAN der Stricht selbst beim Tegenaria-Ei, dem klassischen
Objekte für die Untersuchung eines echten unbezweifelten Dotter-
kernes, erheben konnte, so ist eine Uebereinstimmung bis in Einzel-
heiten hinein unverkennbar, (vergl. die Fig. 96, 97 und 9S.) Fig. 90
entspricht durchaus Fig. 90 (Mensch), Fig. 97 gleicht Fig. 91 (Mensch),
abgesehen vom Fehlen der Dotterkügelchen im Dotterkernlager; aber
wir linden in Fig. 12 van der Stricht's, die hier nicht mit auf-
genommen ist , auch diese „boules graisseuses" ; Fig. 98 endlich
zeigt den vollentwickelten Dotterkern, wie er bei den Spinnen
vorkommt. Daß derselbe so bedeutend an Masse den menschlichen
Dotterkern übertrifft, kann selbstverständlich nicht gegen eine Ver-
gleichung angeführt werden. Uebrigens wurden, wie im Vorhergehenden
mitgeteilt, die konzentrischen Streifungen auch beim Menschen ge-
funden.
Aehnliche Bilder vom Dotterkern bei anderen Tierklassen sind von
verschiedenen Autoren gezeichnet und beschrieben worden. Wir nennen
hier noch : Balbiani (11. cc), He^neguy (1. c), d'Hollaxder (423a), Mun-
sox (489a) und Gurwitsch (393).
In einigen Beziehungen abweichende Befunde ergeben die neu-
esten Beobachtungen van der Stricht's über den Bau der Oocyten
bei Fledermäusen (574 V), auf welche wir gleichfalls näher eingehen
müssen.
Hier sieht man zuerst bei den jüngeren Oocyten eine exzentrisch
zum Kern gelagerte dichtere Dottermasse, in ^velcher ein durch Eisen-
hämatoxylin gut färbbarer rundlicher Körper (Centrosoma, van
DER Stricht), der inmitten noch ein kleines „Centralkörperchen"
enthält, erscheint. Beides zusammen, Centrosom und Centralkörper-
chen, nimmt van der Stricht für den Dotterkern (noyau de Bal-
BiANi). Um diesen herum findet man, von einer zarten Membran
umgeben, eine ,,Zone claire" ; dieses sei die Sphere attractive
E. VAN Beneden's. Später treten rings um die Sphäre fadenförmige,
verschlungene, in Safranin lebhaft rot, in Eisenhämatoxylin stark blau
sich färbende Fäden auf, die eine Art Korb um dieselbe bilden. Diese
Fäden sind die zuerst von F.Hermann als Archoplasmaschleif en
und jüngst von M. Heidenhain (109). insbesondere bei den Samen-
bildungszellen von Proteus beschriebenen „P seudochromosom en"
s. w. u. Ich möchte nicht bezweifeln, daß auch die von H. v. Wini-
warter (609) an der Peripherie der Sphären (Idiozome) menschlicher
Oocyten abgebildeten Fäden (609, p. 131, Figg. 94—96) hierher zu
rechnen sind.
Van der Stricht beschreibt nun weiter, daß diese Fäden sich
dichter zusammenlagern und sich vom Dotterkern ein wenig ent-
fernen (oder daß der letztere irgendwie aus diesem Faserkorbe, der
mehr und mehr eine kompakte Masse darstellt, heraustritt). In dieser
Gestalt bildet die Fadeumasse ein kernähnliches Gebilde, welches van
DER Stricht als „P seu don ucleus'' bezeichnet; dies Gebilde hat
niemals eine Membran und unterscheidet sich dadurch scharf vom
18*
276 W. Waldeyer,
Keimbläschen. In einem folgenden Stadium zerfällt der Pseudonucleus
wieder in seine Fäden, die nun aber kürzer und dicker erscheinen
und sich im ganzen Ooplasnia verbreiten, sich auch weniger intensiv
färben. Endlich schwellen die im Ooi)lasma verteilten Pseudochromo-
somen zu unregelmäßig geformten Massen (amas ou boyaux vitello-
genes, van der Stricht) an. Sie zeigen sich dann aus feinsten Mi-
krosomen zusammengesetzt, die van der Stricht mit der „Mito-
chondria" Benda's (p. 171) vergleicht, ohne sie jedoch identifizieren
zu wollen. Nach und nach zerfallen die „amas vitellogenes", also die
ursprünglichen Pseudochromosomen, in diese Mikrosomen, welche sich
in den Wabenwänden*) des Ooplasma verteilen.
Van der Stricht ist der Ansicht, daß wenigstens ein Teil des
Deutoplasmas von den Mikrosomen der Pseudochromosomen gebildet
werde ; über die Bildungsweise selbst vermag er aber nichts auszu-
sagen. Das, was er selbst als „Dotterkerulager'' (couche vitellogene)
beim M e n s c h e n und bei T e g e n a r i a , van Bambeke in gleicher
Weise bei Pholcus, beschrieben hat, homologisiert er mit dem
Pseudochromosomenfadenwerk der Fledermäuse, welches hier ja ebenso
den Dotterkern umgiebt, wie das Dotterkernlager dieselben Bildungen
bei den Oocyten des Menschen und denen der Spinnen.
Ist dem aber so, dann ist doch noch ein Unterschied zu kon-
statieren. Nach der vorhin wiedergegebenen Schilderung van der
Stricht's entsteht beim Menschen und bei Tegenaria zueist das
Dotterkernlager , dann erst der Dotterkern ; bei den Fledermäusen
würde das Umgekehrte der Fall sein.
Hier ist noch zu erwähnen, daß nach Boum (299a) u. A. — s. die
Diskussion zum Vortrage van der Stricht's (574 V, p. 7) — die Pseudo-
chromosomen sich auch ganz unab-
hängig von einem Dotterkern im (oo-
plasma, meist allerdings zunächst um
das Keimbläschen herum, bilden können.
; Nach der hier wesentlich auf
Grund der Beobachtungen van der
Fig. 99. Ei (Oocyte) eines 12-tägigen
Meerschweinchens (Caviacobaya). 1. Oo-
plasma. 2. Zwei sich in Eisenhämatoxyliii
r-— 2 stark färbende kleine Körper unbestimmter
Art ^). 3. Idiozom, Dotterkern, mit 4. zwei
Centralkörpercbcn. Außerdem der verhältnis-
g mäßig große Kern (Keimbläschen) mit den
ihn ganz erfüllenden Chromatinfäden, Netz-
knoten und einem größeren Karyosom. Sei-
/ bert, Apochromat 2 mm, Comp. Oc. 12.
4 Nach GuRWiTSCH (393), Taf. XVI, Fig. 1.
Stricht's gegebenen Darstellung zeigt der Dotterkern eine Verbindung
mit denjenigen Bildungen, welche wir unter dem Namen Sphären,
C e n t r 0 s 0 m e n und C e n t r i o 1 e n kennen und von denen alsbald
genauer die Rede sein wird. Ganz anders lautet indessen die neueste
/
/
1 ) Van der Stricht schreibt dem Oo])lasma der Fledermauseier einen wabigen
Bau zu (structure pseudoalveolaire).
2) GuRWiTSCH meint, daß sie vielleicht den „chromatischen Neben kör pern"-,
wie sie von Niessing, v. Lenhossek (142, p. 258), Moore und Meves beschrieben
wurden, vergl. p. 178 letzte Alinea, entsprechen dürften.
Die Geschlechtszellen.
Z( i
Angabe v. Winiwarter's (609 I) über den D o 1 1 e r k e r n des Kanin-
chens.
Dieser zufolge ist in fast allen Oocyten des Kaninchens etwa
vom 10. Tage der Geburt an bis zur 6. — 7. Woche ein unzweifel-
haftes Idiozom mit Centrosom und Cciitriolen vorhanden, s. Fig. 100.
Am Rande des Idiozoms finden sich zahlreiche dunkle Granula. In
den Oocyten der 4. Woche zeigt sich aber noch ein zweiter sphä-
rischer Körper mit heller Peripherie und tief dunklem Centrum ; diesen
erklärt v. Winiwarter für den BALBiANi'schen Kern, den Dotter-
kern. Offenbar ist dieser Körper dasselbe, man vergleiche Fig. 99
und Fig. 100, was Gurwitsch (o93) als einen nicht näher bestimm-
baren chromatoiden Körper bezeichnet hat.
Für den Menschen, s. 1. c. p. 402, stimmt — dies sei besonders
hervorgehoben — v. Winiwarter mit van der Stricht bezüglich
dessen, was als Dotterkern anzusehen sei, ganz überein, indem er
Fig. 100. GRAAF'scher Follikel eines 4
Wochen alten Ovariums von Lepus cu-
niculus. Links und ein wenig nach oben
vom Keimbläschen ein dunklerer zackiger
Körper mit 2 kleinen Granulis, je in einem
etwas lichteren Hofe = Sphäre (Idiozom)
mit 2 Centrosomen und Centriolen. Un-
terhalb des Keimbläschens nahe der Peri-
pherie des Ooplasmas ein dunkler kugliger
Körper mit hellem Hofe, nach v. Wini-
warter =^ dem Dotterkern. Zeiß, Apo-
chrom. Obj. 2,0 mm; Apert. 1,30; Ocul.
compens. 8; Tub. 160 mm. Fig. 3 (aus
Y. Winiwarter [609 I]).
v//
m
hier das Idiozom als den Dotterkern annimmt. So wären denn der
Dotterkern des Menschen und der des Kaninchens zwei gänzlich ver-
schiedene Gebilde, was anzunehmen doch sein Bedenken hat. Piichtig
ist ja, daß E. van Beneden, der den fraglichen Körper der Kaninchen-
oocyte zuerst sah, dann Balbiani, Henneguy u. A. dasselbe Gebilde
für den Dotterkern nahmen, was jetzt auch Winiwarter dafür er-
klärt. Aber es fragt sich doch, ist denn dieser Körper, der in der
GuRwiTSCH'schen Abbildung doppelt vorhanden ist, in der That ein
Dotterkern V Ist er dem Dotterkern der Araueen homolog zu setzen,
oder ist er etwas ganz anderes, z. Z. noch nicht sicher bestimmbares'
bei der Spermiogenese so mancherlei
Bezeichnung ,,Xebenkörper" zusammen-
AVir haben — vgl. p. 177 ff.
Bildungen, die ich unter der
gefaßt habe, in den Samenzellen auftreten gesehen, daß es nicht
Wunder nehmen könnte, auch bei den homologen Zellen, den Eizellen,
noch derartige Dinge, die weder ein Idiozom noch ein Dotterkern
sind, anzutreffen. — Nicht unerwähnt soll indessen bleiben, daß Mer-
tens (476, 477) bei Vogeleiern auch zwei Körper ganz ähnlichen
Verhaltens wie sie Gurwitsch und v. Winiwarter abbilden, aufge-
funden hat und sie so deutet wie der Letztere: den größeren mit dem
Centriol als Sphaere (Idiozom), den kleineren als Dotterkern.
278 W. Waldeyer,
Es ist zur Zeit schwierig, einen Entscheid zu treffen ; wir werden
auf diese wichtige Frage zurückkommen, wenn wir das Centrosom
der Eizelle besprochen haben ; vorher sollen noch einige Thatsachen
bezüglich der Dotterkerne angeführt werden.
Die Größe der Dotterkerne ist sehr verschieden, und es läßt
sich um so weniger darüber sagen, als der Begriff' dessen, was wir
Dotterkern nennen sollen, keineswegs feststeht.
Unter der Bezeichnung „noyaux vitellins accessoires''
— accessorische Dotterkerne — beschreibt van der Stricht bei
Spinneneiern kleinere, konzentrisch geschichtete Dotterkerne, welche
sich in Fragmenten der couche vitellogene, die im Ooplasma sich ver-
teilt haben, entwickeln. Mehrfache Dotterkerne haben auch Munson
(1. c.) bei Limulus, Blochmann bei Ameisen (M. 1951), Stuhl-
mann (M. 2010) und Jordan (437) bei Diemyctylus viridescens
(Batrachier) sowie Korschelt und Heider — s. darüber 666a,
]). 268 — angetroffen ; dieselben sind gewöhnlich an der Peripherie
der Eizelle gelegen. Von einzelnen Beobachtern, Blochmann (1. c),
Leydig (M. 1987). und Balbiani (11. cc), sind sie auf sprossenartig
am Kern entwickelte und abgeschnürte Stücke zurückgeführt worden.
S. w. u. unter „Ausgetretene Kernstücke".
In dem großen, glänzenden, in so charakteristischer Weise kon-
zentrisch geschichteten Dotterkerne von Tegenaria sind noch dich-
tere Ceutren zu sehen, die zuweilen als Zwillingsbildungen auftreten.
Das ganze Gebilde zeigt gelbliche Färbung, quillt in gewöhnlichem
kalkhaltigen Wasser und Essigsäure bedeutend auf, löst sich dagegen
in kurzer Zeit in Mineralsäuren sowie in destilliertem Wasser. Seine
Substanz steht der des Leu eins offenbar nahe, Schütz (M. 2011).
Lediglich, um vor einer Verwechslung zu warnen, sei darauf hin-
gewiesen, daß man mit dem Namen „D o 1 1 er kerne" auch diejenigen
echten Kerne bezeichnet, welche bei der Turchung meroblastischer
Eier, aber auch bei Amphibien (Brai'S, Jenaische Zeitschr. f. Naturw.,
Bd. 9), in den subgerminalen Schichten des Dotters („Dottersyncytium"
H. ViRCHOw) auftreten und in diesen scheinbar nackt liegen : Merocyten-
kerne (Rückert), Nebenspermakerne (Oppel, Braus). Vgl. 0. Hertwig,
Lehrb. d. Entwickelungsgeschichte, 7. Aufl., p. 76 u. 78.
Die physiologische Bedeutung des Balbiani 'sehen
Dotterkerns anlangend, so ist derselbe, wie auch sein Name an-
deutet, meist, und zwar schon bald nach seiner Entdeckung, mit der
Bildung des Dotters (Deutoplasmas) in Verbindung gebracht worden,
so von Carus, Leydig, Gegenbaur, und neuerdings insbesondere
von VAN Bambeke in seiner wertvollen Arbeit über den Dotterkern
von Pholcus (276) und von van der Stricht; vgl. das vorhin Mit-
geteilte. Wenn wir auch über das ,,Wie" dieser Bildung noch nicht
im Klaren sind, so sprechen doch das Auftreten von dotterköri)er-
ähnlichen Kügelchen innerhalb des Dotterkernlagers, verbunden mit
der Verteilung und schließlichen Auflösung desselben und des Dotter-
kernes selbst im Ooplasma, wobei letzteres wächst und mit Dotter-
elementen durchsetzt wird, sehr eindringlich für diese Auffassung.
0. Hertwig (416a) hat den Dotterkern von Rana unter der Be-
zeichnung „Dotterkonkrement" geradezu als eine Ansammlung von
Nährstoffen bezeichnet.
Die Geschlechtszellen.
279
Es kann bei verschiedenen Tieren sehr lange Zeit vergehen, bis
der Dotterkern völlig aufgelöst ist, wie denn Balhiani nachwies, daß die
jungen, eben ausgeschlüpften T e g e n a r i e n noch einen Rest des Dotter-
kerns ihres Muttereies in der in ihrem Hinterleibe befindlichen Dotter-
masse tragen.
SphäiMMinpparat. Mit der Bezeichnung ,,Si)härenap parat,,
möchte ich für die Geschlechtszellen . wie für die Zellen überhaupt,
diejenige komplizierte Bildung bezeichnen, deren Mitteli)unkt die
„Centralköri)erchen" — den Namen ganz allgemein gebraucht — dar-
stellen. Nehmen wir alles übersichtlich zusammen, was dazu gehört,
so ist zu unterscheiden — vgl. Fig. 101 — 1) das Centralkorn
( C e n t r i 0 1 u m . C e n t r i o 1), 2) das C e n t r o s o m (C e n t r o s o m a),
3) die Sphäre (Sphaera\ welche neuerdings aus den p. 177 an-
Fig. 101. Fig. 102.
Fig. 101. Schema des Sphärenapparates der Eizelle von Ascaris megalocephala,
wie sie sich bei der ersten Furchungsteilung darstellt, nach BovERi. Man sieht die
erste Furchungsspin del mit 4 Chromosomen in deren Aequator. In der
Nähe beider Pole befindet sieh der Sphärenapparat mit Centriol, Centro-
soma und Sphäre. Näheres im Text.
Fig. 102. Dasselbe nach E. VAN Bexeden. Näheres im Text. Beide Figuren
entlehnt aus Haecker (653), p. 63, Fig. 44 u. 45.
gegebenen Gründen von Meves bei den Geschlechtszellen mit dem
allgemein angenommenen Terminus Idiozom (Idiozoma) benannt
worden ist.
Wir sehen in der Fig. 101, welche die Auffassung des Sphären-
apparates nach BovERi (622 b) wiedergiebt, den dunkel gehaltenen
Sphärenapparat an jedem Pole der in der ersten Furchungsteilung
begriffenen Eizelle. Von ihm geht eine doppelte Strahlung aus, und
zwar die Asterstrahlun g (Sternstrahlung) radienförmig nach allen
Seiten in das Ooplasma hinein, und die Furchungsspindelstrahlung,
kurzweg Spindelstrahlun g, von einem Sphäreuapparate zum an-
deren.
Im „Aequator" der Spindelstrahlung sieht man 4 Chromo-
somen. Der Sphärenapparat selbst zeigt zu äußerst einen größeren
dunkelkörnigen Ring, worauf ein kleinerer heller Ring folgt. Beides
zusammen bildet die Sphäre, sphere attractive E. van Be-
xeden's, welcher die dunkle Partie als ..zone corticale" (Rindenschicht),
die helle als „zone medullaire" (Markschicht der Sphäre) benannt hat.
Die hellere Schicht zeigt fast gar keine Körnelung und nur eine un-
deutliche Strahlung; doch lassen sich nach Boveri die Strahlen bis
zu dem von dem hellen Ringe umschlossenen, dunkleren Scheibchen
280 W. Waldeyer,
oder Kügclchen verfolgen; letzteres ist das von I)Overi genau prii-
cisierte und unterschiedene Centrosom. Innerhalb dieses Centru-
sonis sieht man nun (Fig. 101), am besten nach Färbungen mit Sa-
franin oder mit dem Eisenhämatoxylin M. Heidenhain's, ein schart
begrenztes, sich sehr intensiv färbendes, kleines kugeliges Körperchen,
das Centralkorn (Centriol) Boveri's.
E. VAN Beneden, der mit Neyt (288a) die erste genaue Schilderung
des Apparates gegeben hat, weicht insofern von Bovbhi ab, als bei ihm
eine Unterscheidung von Centrosom und Centriol noch nicht vorkommt.
Das in Fig. 102 inmitten der hellen zone medullaire gelegene dunkle
Centralgebilde, an vv^elches sich die Spindelstrahlen ansetzen, ist von
VAN Bbneden zuerst als Polkörperchen, „corpuscule polaire", be-
zeichnet worden; si:)äter nannte er es (288a, p. 52) „corpuscule central".
Außerdem unterscheidet er nur noch die Sphäre mit ihrer Rinden- und
Markschicht.
Die Figur 102 ist von Haecker, dem ich sie entlehnt habe, in-
sofern nicht völlig getreu wiedergegeben, als bei E. vax Beneden die
ßindenschicht der Sphäre auch einen dunklen Ton, freilich ohne Granu-
lation, hat (288a, Taf. VI, Fig. 2).
Solche Sphärenapparate werden in mehr oder minder vollständiger
Ausbildung, indem öfters nur Centrosomen mit Centriolen erkennbar
sind und die Sphäre selbst verschieden deutlich hervortritt, viel-
fach bei den in Teilung begriffenen Oogonien, aber auch bei den
Oocyten, wo sie bei vielen Tieren mit der Oocyte selbst bedeutend
heranzuwachsen pflegen, gefunden. Ich nenne die Arbeiten von F. M.
Mac Farland (s. bei Boveri, ()22b), betreffend die Oocyten von Diau-
lula sandiegensis (Opisthobranchia), von van der Stricht (570a
u. 574) und Schokaert (543a) bei Thysanozoon Er occhi (Plana-
rien) und bei Echiniden, von Fürst (G42a), ferner die Oogonien von
A s c a r i s m e g a 1 o c e p h a 1 a , Moszkowski (488a) und ihr Vorkommen
bei demselben Nematoden an den Richtungsspindeln, wo sie von Fürst
und Boveri als regelrechter Befund in Abrede gestellt wurden. Auch
Lebrun (M. 3152) fand sie hier. Sonst sind Carnoy und Lebrun der
Meinung, daß die Centrosomen keine besonderen und dauernden Zell-
bestandteile seien, sondern sich bei jeder Zellteilung neu, und zwar
aus dem Kern heraus l)ilden, um nach geschehener Teilung wieder zu
verschwinden. Sphärenapparate bei den Oogonien und Oocyten von
Wirbeltieren und dem Menschen beschreiben Gurwitsch (s.
Fig. 99), VAN der Stricht (572) als Dotterkern, ferner Meves (478)
Sobotta (561, Anm. p. 26) und v. Winiwarter (609 u. 6091). Nach
Petrunkewitsch (514b) haben auch die parthenogenetischen Oocyten
von Artemia sali na (Crustacea) ein Centrosom; ob mit Centriol,
wird nicht angegeben und ist auch aus den Abbildungen nicht ersichtlich.
Was die Struktur der einzelnen Teile des Sphärenappa-
rates anlangt, so ist von den kleinen Centriolen kaum etwas
bekannt; nur w'äre zu erwähnen, daß v. Erlanger (Arch. f. mikr.
Anat. u. Entw.-Gesch., Bd. LIX, 1897) und Haecker (653, p. 90 ff.)
dieselben als „bläschenförmig'' darstellen. Das Centrosom ist Bo-
veri meist homogen erschienen, in anderen Fällen feinschaumig, wie
es auch v. Erlanger 1. c, ferner R. Hertwig (bei Actinosphaerium),
Griffin (bei Thalassema), Sobotta (bei Amphioxus) schildern.
Die Geschlechtszellen. 281
An der Sjjhäre, d. i. der Centrosoiiienhülle, dem Idiozoma
von i\lEVES, müssen, wenn wir von einer Trennung in eine Rinden-
nnd Markschicht, die nicht immer dnrchznführen ist, einmal abseilen,
jedenfalls zwei substantielle Dinge unterschieden werden: die Strahlen
und eine zwischen den Strahlen liegende Substanz. Nur
sind wir darüber noch nicht sicher, ob die Substanz, aus der die Strahlen
bestehen, nicht etwa dieselbe ist wie die zwischen den Strahlen befind-
liche. So giebt E. van Beneden (288a, p. 55), der stets den strahligen
Bau der Sphäre hervorhebt und von einer besonderen Sphärensubstanz
nicht spricht, an, daß nach Behandlang mit starker Essigsäure, wahr-
scheinlich durch Zerstörung der Strahleniibrillen und Zerfall derselben
in Granula, die Sphäre als ein granulierter Körper erscheine. Boveri
nimmt außer den Strahlenfäden noch eine besondere Sphärensubstanz,
die er „Arch oplasma'' (richtiger: „Archiplasma^', Benda) nennt,
an, läßt es jedoch in seiner neuesten Publikation (622b, Anm. zu
p. IIG) unentschieden, ob diese Substanz etwas Besonderes, von der
des übrigen Zellenleibes Unterschiedenes sei, oder ob sie aus dem
übrigen Protoplasma unter dem Einflüsse der Centrosomen + Centri-
olen sich erst bilde. „Unter allen Umständen aber", sagt Boveri,
„findet eine Ansammlung dichterer Zellsubstanz um die Centrosomeu
und Zurückdrängung von Zwdschensubstanz statt."
In dem Sphärenapparate der Samenzellen und der Eizellen sind
die Centrosomenhüllen, d. i. die Sphären, substantiell deutlich
zu unterscheiden; wir wissen, worauf schon E. van Beneden (1. c.)
hinweist, daß sie besondere Farbaffinitäten haben und daß sie bei
den Samenzellen in Bröckel zerfallen, die sich im Zellprotoplasma
verteilen, daß hier die Strahlen vielfach zurücktreten, und daß diese
Substanz bei der Bildung des Perforationsapparates der Spermien
eine Hauptrolle spielt (p. 177 u. 188). Wir werden alsbald sehen,
w^orauf schon bei der Betrachtung des Dotterkerns kurz hingewiesen
wurde, daß dieselbe Substanz es ist, welche im wesentlichen bei den
Eizellen die Dotterkernmasse darstellt.
Dies besondere Verhalten der Sphären bei den Geschlechtszellen
ist die Ursache gewiesen, weshalb v. Erlaxger (1, c.) unter dem
Xamen „Centrodeutoplasma"' und bald darauf Meves unter der gangbar
gewordenen Bezeichnung „Idioplasma", die wir hier ebenfalls verwenden,
die Sphärensubstanz dieser Zellen besonders ausgezeichnet hat. In
Kürze ist schon p. 177 daraiif hingewiesen worden; für eine eingehendere
Kenntnisnahme dieser Gründe verweise ich auf den Bericht von Meves
(166a).
Eine der wichtigsten Fragen beim Sphärenapparat ist die nach
dem Verhalten des Centriols (Centralkorns) zum Cen-
trosom. Wir haben gesehen, daß Boveri beide Gebilde scharf unter-
scheidet; auch verwahrt er sich dagegen, daß etwa E. van Beneden"s
„corpuscule polaire" oder „corpuscule central" seinem Centriol ent-
spreche. Die Sache ist deshalb so wichtig, weil es darauf ankommt,
ob das Cen triol es ist, dem die physiologischen Leistungen des Sphären-
apparates im wesentlichen zugeschrieben werden müssen, oder das
Centrosoma.
Boveri selbst ((322b, p. 119, 129 ff., 159 u. a.) vindiziert offenbar
seinem Centrosom die Bedeutung, auf die Sphärenradien und damit
unmittelbar auf den Ablauf der Zellteilung einzuwirken. Ueberall. wo
282 W. Waldeyer,
er von der Beziehung des Si)härena])parates zur Zellteilung si)riclit,
ist das Centrosoni als der die Teilung energetisch beherrschende
Körper hingestellt; das Centriol aber ist Teilungsorgan des Centro-
soms. Es heißt u. a. p. 119: „Das Centriol kann weder als Insertions-
]ninkt der Radien (der Sphäre) noch als Erregungscentruin für dieselben
angesehen werden. Die ganze Beziehung zur Sphäre liegt dem Centro-
som ob ; das Centriol dagegen hat in diesem die Funktion eines
Central- und Teilungsorgans".
BovERi sieht demzufolge die Centrosomen als allgemein den
Zellen zukommende und dauernde Organe derselben an.
Nun hat aber jüngst Meves (67ob), wie mir scheint, mit triftigen
Gründen, die Behauptung aufgestellt, daß die von Flemming (6391) in
den tierischen Gewebszellen entdeckten D o p p e 1 k ö r n c h e n , die später
von M. Heidenhain, Meves selbst u. A. bestätigt wurden, und die
BovERi als Centrosomen ansehen möchte, nicht als solche, sondern
als Cen tri ölen zu betrachten seien. Nach Meves wären in den
meisten Zellen, und darunter auch in den männlichen Geschlechtszellen,
überhaupt keine Centrosomen im Sinne Boveri's vorhanden. Mit
Rücksicht darauf hat denn auch Meves in seinen letzten Arbeiten
über die Spermiogenese nicht mehr die Bezeichnung „Centrosoni'',
sondern „Centralkörperchen" verwendet. Meves giebt dabei zu, daß
Boveri recht hat, wenn er es ablehnt, daß das, was E. van Beneden
„Centralkörperchen'' genannt hat. von ihm (Boveri) als Centriol ge-
nommen worden sei. Meves wird deshalb überall da, wo jene
charakteristischen „Doppelkörnchen" Flemming's in Frage kommen, sie
fortan mit den BovERi'schen Namen „Centralkörner" oder „Centriolen"
bezeichnen. Ich führe das hier ausdrücklich an, weil demzufolge alles
das, was im Abschnitte „Sperma" von den Umbildungen der „Centro-
somen" zu Halsstücken und Teilen am Achsenfaden gesagt ist, streng
genommen, auf „Centriolen" bezogen werden muß. Ich habe die
Namen „Centrosom", „Centralkörper", „Centralkörperchen" bei der
Abfassung der betreffenden Absätze, ebenso wie die Meisten, noch
unterschiedslos gebraucht. Die Notwendigkeit einer strengeren
Scheidung stellt sich nunmehr heraus. Das ist das eine, was
hier zu bemerken wäre. Zum anderen wirft sich die Frage auf: Sind
denn nun die echten Centrosomen Boveri's da, wo sie, wie z. B. bei
den Oocyten von Diaulula, bei Sida u. a., vorkommen, dauernde
und für die Zellteilung wertvolle Zellorgane V Muß nicht auch hier
die ihnen zugewiesene Ijedeutung auf die gleichfalls stets vorhandenen
Centriolen übertragen werden? Müßte das geschehen, dann bleibt
kaum etwas anderers übrig, als die Centrosomen Boveri's noch zu
den Sphären, bezw. Idiozomen zu zählen. Irre ich mich nicht, so
geht das auch aus der Beschreibung van der Stricht's (572) hervor.
Ich übergehe hier, da wir ja keine vollständige Geschichte des
Sphärenapparates zu geben haben, die so sehr verschiedenen einander
widersprechenden Meinungen über die Entstehung der einzelnen
Bestandteile desselben, möchte aber doch zweierlei anführen : Einmal,
daß Boveri (1. c. p. 78) das Centriol als eine durchaus selbständige
Bildung betrachtet, das nicht etwa durch Wachstum zu einem Centro-
som werden könnte, in welchem dann wieder auf endogenem Wege
neue Centrioleu entstünden. Zum anderen ist von verschiedenen
Seiten eine spontane und sogar eine künstliche Neubildung
von „Centralkörpern" — ich gebrauche diesmal das Wort ganz all-
Die Geschlechtszellen. 283
gemein, nicht in scharf umschriebenem Sinne — inmitten des Ooplasma
beobachtet und experimentell zu Wege gebracht worden, wofür auf
die Angaben Carnoy's {y>2i — .^28), Mead"s (475a), de Morgan's
(4b5c u. d) und Loeb's (403a- e) verwiesen sein soll. Auch das Auf-
treten von eigentümlichen Strahlungsfiguren , welches die Brüder
Hektwig als die ersten gesehen haben bei Eiern, die mit verschie-
denen giftig wirkenden Lösungen behandelt worden waren, gehört
wohl hierher (41Gc; M. 1255).
Ich kann hinsichtlich der experimentellen Hervorbringung von Cen-
triolen oder Centrosomen, wie sie insbesondere Morgan beschreibt, meine
Bedenken nicht unterdrücken und schließe mich dem an, was Boveri
(622f) und Meves (673b) darüber gesagt haben. Ebenso bestehen noch
Zweifel darüber, ob das, was Carxov imd Mead als Centralkörper
(Centrosomen oder Centriolen) angesprochen haben, solche sind ; Boveri
(622f) hält, gestützt aixf die neuesten hochinteressanten Versuche
Wilson's (605b u. 607b), eine spontane Neubildung von Centrosomen
im Zellprotoplasma, speciell auch im Ooplasma, für möglich. Der sehr
berechtigten Kritik Meves' unterliegen aber auch die Befunde Wilsox's
(607b).
Der Sphärenapparat gehört unzweifelhaft zu den wichtigsten
Bestandteilen der Geschlechtszellen, wie der Zellen überhaupt. In
erster Linie übt er eine bedeutungsvolle Funktion bei der mitotischen
Zellteilung, indem er, wie wohl allseitig zugestanden wird, dabei als
der kinetische Apparat wirksam ist. Für die Geschlechtszellen
erscheint es von besonderem Interesse, daß die Reifeier durchweg ihr
„Ovocentrum'', d. i. ihren ,, Sphärenapparat", insbesondere aber das
Centriol, verlieren, also ihren kinetischen Apparat einbüßen.
Bei den Reifeteilungen (s. vorhin p. 223 — 225 und Fig. 55, Reife-
zone) finden sich zwar in manchen Fällen an den Richtungs-
spindeln noch Centriolen. in anderen fehlen sie auch hier. So nach
SoBOTTA (465) beim Mäuseei. Am verbleibenden Eikern wurden
Ovocentren bezw. Centriolen bis jetzt noch nicht gefunden: sie
müssen also jedenfalls bei der zweiten Polzellenbildung zu Grunde
gehen. Mit dem eindringenden Spermium erhalten, durch dessen
Hals stück, die Reifeier ein neues Centriol, welches sich alsbald
mit einer Sternstrahlung, Aster, umgiebt. Es ist in dieser Be-
ziehung nicht unwichtig die Detailarbeit zu verfolgen, mit der das
Spermatiden-Ceutriol bei der Spermiohistogenese zu einem fein-
konstruierten Apparate der Spermie ausgearbeitet wird. Mag das auch
in einer Beziehung der Spermienbewegung selbst zu gute kommen,
gleichgiltig für den der Eizelle zu gebenden kinetischen Antrieb scheint
es mir aber auch nicht zu sein. Ich habe es mir deshalb angelegen
sein lassen, diese Dinge, insbesondere nach den ausgezeichneten
Arbeiten von Meves — s. Abschnitt Sperma — ausführlich zu be-
sprechen. Betrachtet es doch Boveri (622f) als die Aufgabe des
Spermium bei der Befruchtung, der Eizelle das ihr verloren
gegangene kinetische Centrum , ihr „0 v o c e n t r u nr", durch das
„Spermocentr um" wieder zu ersetzen und damit die für die
Furchung notwendigen auslösenden Kräfte zu liefern. Doch hierfür
habe ich auf das nächstfolgende Kapitel: „Befruchtung" zu ver-
w^eiseu.
284 W. Waldeyer,
Was nun die Cen tri ölen li üUen, die wir mit Meves als
„Idiozoni'' zusammenfassen, anlangt, so haben wir schon darauf hin-
gewiesen, daß sie bei der Spermiogenese zur Bildung des Perfora-
torium und bei der Oogenese, indem sie die Dotterkerne herstellen,
zur Bildung des Deutoplasma in Beziehung treten. Darüber s.
noch w. u.
Nebcilkörper. Wie Lei den Spermien und bei der Spermiogenese,
so treten auch bei den Eiern und speziell bei der Oogenese allerlei be-
sondere Neben kör per auf, die wir am besten an dieser Stelle be-
schreiben, da sie zumeist mit dem Spliärenapparate in Beziehung stehen :
Ausgetretene Kern- und Ker nk ör p er ch en t eil e. Zahl-
reich sind die Angaben, daß im Laufe der Oogenese Bestandteile der
Kerne oder auch der Kernkörper sich entweder vom Kerne oder vom
Nucleolus abschnüren, um in das Ooplasma bezw. in den Kernleib ein-
zutreten, oder daß aus dem Kernleibe, sei es Chromatin oder Kernsaft
oder endlich Nukleolarsubstanz in das Ooplasma auswandere oder aus-
gestoßen werde. Welche Kräfte dabei thätig sind, ob etwa chemotaktische,
wie es neuerdings für die Sphärenbildung A. Giardixa (382c) ausspricht,
darüber ist kaum etwas Zuverlässiges bekannt. Die genaueste Dar-
stellung solcher Vorgänge liefert van Bambeke (275) bei Scorpaena scrofa
(Teleostei, Acanthopteri), woselbst sich weitere Litteratur (Boule, Fol,
Weismann u. Ishikawa, Will, Scharff, Blochmann, Leydig und Bal-
BiANi) findet. Daß aus solchen ausgetretenen Kernbestandteilen gewisse
Sphärenbestandteile werden sollen, haben wir erwähnt.
Stäbchenförmige Bildungen. Wir gedachten bereits spin-
deliger Formationen, welche 0. Hbrtwig auffand (p. 246). Dieselben, bis
jetzt nach unerklärten Dinge sah 0. Schultze (547a) beim gleichen Objekte.
Von van der Stricht (572) ist auch ein eigentümlicher spindeliger oder
stäbchenförmiger Körper bei der Si^härenbildung erwähnt und abge-
bildet worden (s. Fig. 91). Schokaert (543a) sah bei Thj'sanozoon
Brocchi das Centrosom (Centriol?) aus einem fadenförmigen Gebilde
des Kernes hervorgehen.
Polarringe. Whitman (M. 1353) beschrieb unter dem Namen
,,polar rings" bei Clepsine Ansammlungen von einer dotterkern-
ähnlichen Substanz um die Eipole herum ; vgl. darüber insbesondere
K. FooT (369a).
Ps endo Chromosomen, Archoplasmaschleifen, Central-
kapseln. Von F.Hermann sind bereits 1891 (Arch. f. mikrosk. Anat.,
Bd. XXXVII) unter dem Namen,, A r ch o p 1 a s m a s ch 1 e i f e n"fadenförmige,
sich intensiver färbende Bildungen bei den Spermatocyten von Pi'oteus
in der Idiozomsubstanz um das Centralkörperchen herum beschrieben
worden; vergl. auch No. 116. Meves (166) und Metzner (Beiträge zur
Granulalehre, Arch. f. Anat. u. Phj'siologie, Physiol. Abt., 1894) iden-
tifizierten hiermit ähnliche Fäden , die sie bei der Spermiogenese von
Salamandra fanden. M. Heidenhain belegte mit dem Namen „Pseudo-
chromosomen" Bildungen von demselben Aussehen, welche er gleich-
falls bei Samenzellen von Proteus fand. Da Hermann seine Archoplasma-
schleifen auch mit den von Platner gefundenen Stäbchen des Neben-
kerns der Pulmonaten identifiziert , von denen aber die Heidenhain-
schen „Pseudochromosomen" verschiedene Dinge sind, so war es nicht
mit Sicherheit zu sagen, ob Hermann's Archoplasmaschleifen und die von
M. Heidexhain gefundenen Fäden in der That dasselbe seien. Heiden -
HAIN bezweifelt es indessen nicht und stellt diese Bildungen mit den
Die Geschlechtszellen. 285
Chondriomiten Bexda's in eine Reihe. Wir haben schon vorhin (p. 275)
gesehen, daß dieselben merkwürdigen Bildungen auch bei denOocyten
des Menschen und verschiedener Wirbeltiere vorkommen, und daß sie
mit der Dotterbildung in einer sehr bemerkenswerten Verbindung zu
stehen scheinen. Bestätigt sich dies, so würde Benda's Mitochondria
noch an Bedeutung gewinnen.
Die von Ballowitz am Epithel der DESCEMEx'schen Haut zum ersten
Male beschriebenen korbgetlechtähnlichen oder sich wie eine durchlöcherte
Kapsel, die in der Form an die Centralkapseln der Radiolarien erinnert, aus-
nehmenden Bildungen (Centrophormien Ballowitz) fand M. Heiden-
HAix auch um die Sphären der Samenzellen von Proteus gelagert. Sie
bestehen ihm zufolge aus dichtgedrängten Mikrosomen, unter denen sich
auch BENDA'sche Mitochondria verbirgt. Ich erwähne sie hier, obwohl
bei Eizellen von diesen Bildungen noch nichts bekannt geworden ist, da
kaum zu zweifeln sein dürfte, daß sie auch an den Sphären dieser oder
jener Eizellen sich zeigen werden. Für alles Weitere verweise ich auf
die Darstellungen von Meves (172) und M. Heidexhaix (109j.
N e b e n k e r n e , P a r a n u c 1 e i. Ueber die ,.n o _\^ a u x a c c e s -
soires" und ,,Ps e u do uu c 1 ei" Vax der Stricht's ist schon p. 275
und 278 das Nötige gesagt worden. Als „Nebenkerne" oder „chromatoide
Körper'' wären wohl bis auf weiteres am besten die von Gurwitsch (393j
Fig. 99 abgebildeten und kurz beschriebenen Körper zu benennen, über
deren Bedeutung wir nichts Näheres wissen. AVie bereits angegeben,
neiee ich dazu, auch die von v. Wixiwarter beim Kaninchen als Dotter-
kerne angesprochenen Körper in diese Kategorie unbestimmter „Neben-
kerne" vorläufig einzustellen.
Wir können nimmehr auf die Beziehungen der Dotter-
kerne zum Sphärenap parate zurückkommen. Mit aller Ent-
schiedenheit hat schon Balbiani (11. cc.) erklärt, daß diese Bildungen
zusammengehören : der Dotterkern sei ein „hypertrophisches Centro-
som" (No. 274). Mit dem Centrosom bringen ihn auch Janosik (433a)
und JuLiN (436) zusammen, ebenso Henneguy (405). Van der Stricht
(472) glaubt den centralen dunkleren Teil des Dotterkerns, in welchem
sich ja auch centriolenähnliche Körperchen finden, Figg. 92 u. 94 — sie
sind, wie erwähnt, in den Figuren Van der Stricht's, die ich be-
nutzen konnte, nur nicht so gut zum Ausdrucke gekommen - als
Centrosom Boveri's + der „zone medullaire" Van Beneden's an-
sprechen zu können. Die helle um den centralen Teil des Dotter-
kerns gelegene Zone entspreche der Rindenschicht der Sphäre, das
Dotterkerniager (couche vitellogene) dem Gebiete der Spliärenstrahlung.
Vielleicht ist es besser, diesen letzten Vergleich auszuschalten und,
indem wir einzig das Centriol als Centralstück unterscheiden und
alles darum Gelegene, sich noch besonders Heraushebende als „Idio-
zom" fassen, zu sagen, der Dotterkern mit seiner couche
vitellogene entspreche dem Idiozom, welches für den
besonderen Zweck der Dotter bildung besonders ausge-
bildet sei. Dann kann es kleinere Dotterkerne geben oder größere,
und die Deutung bleibt bestehen. Ebenso kann es Eier geben, deren
Sphäre den gewöhnlichen Charakter bewahrt und sich nicht zu einem
Dotterkern ausbildet. Gewiß bleibt es richtig, was Van der Stricht
hervorhebt, daß diese Deutungen so lange noch nicht feststehen, als
es nicht gelungen ist, den Dotterkern von dem Sphärenapparat der
286 W. Waldeyer,
letzten Oogoiiienteilung al)ziileitcn, oder zu zeigen, daß er in den
Si)liärenapparat der ersten Polzellenteilung übergehe.
Es sei verstattet, noch einige Termini technici, die in so reicher
Fülle bei der Litteratur des Sphärenapparates eingeführt sind und noch
nicht erklärt wurden, hier aufznfüliren : C e n t r o p 1 a s m a = Substanz
der Centrosomen, Boveri =;= Substanz der Sphären, v. Erlanger. Ver-
dichtungszone der Sphäre, Boveri = einer sich besonders dunkel
färbenden, dichter gefügten Zone der Sphäre nahe dem Centrosom.
C en t r 0 sp h är en = Centrosomen, Strasburger, Wilsox. Sphäro-
plasma oder Kinoplasma, Strasburger = Archiplasma. Ovo-
centrum und Sp ermo c e n tr um, Pol = dem Sphärenapparate der
Eizelle, bezw. der Samenzelle, Cytocentrum = dein Sphärenapparate
einer beliebigen Zelle. Ich möchte die Erklärung dieser drei Namen
jetzt so zu fassen vorschlagen. Ich weiß sehr wohl, daß man die Sphären
ursprünglich nicht mit darin einbegriffen hat, sondern nur die Central-
körperchen. Aber was verstand man seiner Zeit darunter? Waren dies
die Centrosomen ? Waren es die Centriolen ? War es beides zusammen ?
Und die Radien der Sphäre gehören doch auch zu diesem Centrum.
Oder aber man müßte den von M. Heidenhain vorgeschlagenen Namen
„Mi kr o c en trum" jetzt in diesem allgemeinen Sinne, d. h. also =
Cytocentrum gebrauchen. M. Heidenhain selbst versteht darunter die
einzeln oder in der Mehrzahl inmitten einer Astrophäre befindlichen
Körnchen (Centriolen?), die zu einem als Centralkörper fungierenden
Gebilde zusammentreten. (Vergl. Heidenhain, 1. c. i. jj. 463 u. Anm. 2
zu p. 489.)
Die Namen : M u 1 1 e r c e n t r o s o m , T o c h t e r c e n t r o s o m ,
Doppel centrosom. Seh wester centriolen erklären sich von
selbst. Diplosoma (Zimmei-mann) = Doppelcentrosom, Tri-
pelcentrosom sind gleichfalls selbstverständlich. Netrum, Boveri
= einer Spindelfigur, welche aus der Substanz der Centrosomen hervor-
geht. Centronuclei, Boveri = Kernen, welche in sich noch undiffe-
renziert das Material zu einem Cytocentrum enthalten ; es soll dies
bei den Protozoen der Fall sein. Astrocentrum, Fol, Peri blast,
Vejdovsky = C 5^ t 0 c e n t r u m oder auch Centrosom — diese Namen
sind nicht in bestimmtem Sinne gebraucht.
Bezüglich der Geschichte der Sphärenapparate hat Boveri
(653) alles Wichtige gegeben. Nur weil ich selbst früher in meinen viel
citierten zusammenfassenden Berichten über Kaiyokinese, Befruchtung
und Vererbung Boveri's Anteile an der Feststellung der wichtigen
Thatsache der Centriolenteilung (Centrosomenteilung) und der Aner-
kennung dieser Bildungen als dauernder Zellorgane durch ein mir selbst
unbegreifliches Uebersehen seiner betreffenden Veröffentlichung nicht
gerecht geworden bin, benutze ich gern diese Gelegenheit, um ausdrück-
lich anzuerkennen, daß Boveri's (653) geschichtliche Darstellung den
Sachverhalt völlig richtig wiedergiebt ; Boveri's betreffende Mitteilung :
„Ueber die Befruchtung der Eier von Ascaris megalocephala" wurde
in der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie zu München am
3. Mai 1887 gemacht und gelangte im Separatabdrucke am 14. August
1887 im E. VAN Beneden's Hände; Letzterer hatte inzwischen am 7. August
1887 seine Ergebnisse der belgischen Akademie der Wissenschaften vor-
gelegt. Vergl. 288a.
Außer auf Boveri's Buch wolle man für eine geschichtliche Dai-
stellung noch auf die Schriften von Henneguy (658a), v. Kostanecki
Die Geschlechtszellen. 287
und SiEDLECKi (666b), Wilson (726a) und M. Heidexhaix („Neue Unter-
suchungen über die Centralkör])er und ihre Beziehungen zum Kern und
Zellenprotoplasma", Arch. f. mikroskopische Anatomie, Bd. XLIII, 1804 i
ferner M. Heidenh.\ix und Tu. Cohx: „Ueber die Mikrocentren in den
Geweben des Vogelembryos", Schwalbe's Morpholog. Arbeiten, Bd. VII,
1 897, zurückgehen.
Von weiteren Schriften über Dotter kerne und Ovo-
centruni (abgesehen von den bereits citierten) seien angeführt:
Burger (M. 425), Barberio (280), Child (325), Dantu (628c),
Eismond (638a), Fürst (642a). Herfort (413), Hubbard (431),
HoLMGREN (622a), London (669e). C. Rabl (M. 449 u. 450), Ron-
DiNO (530), Weismann (M. 2024—2029), Watase (M. 3155) und
H. E. Ziegler (M. 460 u. 461).
d) Eihüllen (Involucra ovorum) und Befestigungsstücke.
Mikropyle.
Unter ..Eihüllen"' verstehen wir, ganz allgemein genommen, sämt-
liche häutige oder kapselartige oder schalenartige Gebilde, die im
Laufe der Oogenese bis zum Eintritte der Embryoeutwickelung bei
Viviparen. bis zur Eiablage bei den Oviparen um die nackten, d. h,
hüllenlosen Ureier auftreten.
Mit dieser Begriffsbestimmung scheiden wir diejenigen Hüllen,
welche sich im Eileiter oder im Uterus bei den lebendiggebärenden Ge-
schöpfen um das zum Embryo sich umgestaltende Ei bilden (Amnios,
Chorion, Decidua u. s. f.), hier aus, obwohl, wie bereits bemerkt wurde,
es nicht ungewöhnlich ist, auch einen in der Entwickelung nicht
zu w^eit fortgeschrittenen Embryo samt diesen ihn einschließenden Hüllen
noch als „Ei"' zu bezeichnen. Auch soll nicht verschwiegen sein, daß
es nicht ganz folgerichtig ist, das Eiweiß, die Kalkschale und die Schalen-
haut des Vogel- und Reptilieneies zu den „Eihüllen" zu zählen, während
mau die Deciduae ausschließt, denn wie diese wird die Kalkschale des
Vogeleies im Uteras der Vögel gebildet und umschließt samt der Schalen-
haut den jungen Vogel, bis er zum Ausschlüpfen reif ist. Diese Hüllen
sind also nicht nur Eihüllen, sondern auch Embryonalhüllen. Es hieße
aber dem Sprachgebrauche zu sehr Gewalt anthun, wenn man anders
verfahren wollte. Außerdem sind Eiweiß, Schalenhaut und Kalkschale
A b s c h e i d u n g e n des Vogel- bezw. Reptilieneileiters und -uterus,
während die Deciduae die g e w u c h e r t e U t e r i n s c h 1 e i m h a u t selbst
darstellen und Chorion wie Amnios vom Embryo aus gebildet werden,
also im strikten Wortsinne „Embryonalhüllen'' benannt werden müssen.
Als allgemeine Ausdrücke für irgend eine der primären oder sekundären
Eihüllen sind auch die ISTamen : Eihaut, Eikapsel (His) und Oolemma
(Boxxet) gebräuchlich.
Während sämtliche Wirbeltiereier mit mindestens einer E i -
liülle versehen werden, treffen wir bei den Wirbellosen auch dau-
ernd nackt bleibende Eier an: Poriferen, manche Coelen-
terata — Hydrozoen, Siphonop hören und Anthozoen — ,
selbst einige Lam eil ibranchiaten. wie Dreissensia, wo (nach
Meisenheimer, Entwickelungsgescliichte von Dreissensia polymorpha.
Zeitschrift für wiss. ZooL, Bd. 69, p. 1, 1901) die Eier nackt ins
AVasser abgelegt werden. Barrois und Giard (citiert bei Kor-
schelt-Heider 666a), denen ich diese Angaben entlehne, geben an,
288 W. Waldeyer,
daß bei Mytilus und Lain ellaria sich zuerst eine Hülle bilde, die
S])äter jedoch abgeworfen werde. Umgekehrt ist von Fol (M. 1242) bei
E chinoderin en (Asterias z. B.) die Bildung einer feinen Dotter-
haut an den nur mit einer dünnen Gallerthülle versehenen Eiern
unmittelbar nach dem Eindringen des befruchtenden Spermium be-
obachtet worden; ähnliches auch bei anderen Eiern (s. Kap. „Be-
fruchtung"). Wahrscheinlich handelt es sich hierbei jedoch nur um
die Abhebung einer schon vorher gebildeten membranähnlichen Gienz-
schicht des Ooplasma durch Bildung einer Flüssigkeit in dessen
äußeren Lagen. Die Flüssigkeit wiederum entwickelt sich durch
dilfusen Verkehr zwischen eindringendem Wasser und dem Ooplasma.
Mit Ludwig (467) und Korschelt-Heider (1. c.) sollen pri-
inHre, sekiiiidäre und tertiäre Eiliiilleii unterschieden werden.
Unter primären Eihüllen werden solche verstanden, die vom
Ooplasma, also von der Eizelle selbst, gebildet werden; sekun-
däre sind diejenigen, welche vom Follikel epithel abstammen,
also noch, ebenso wie die primären, im Eierstocke entstehen. Unter
tertiären Eihüllen begreifen wir endlich diejenigen, welche sich
erst in den ableitenden Wegen, Eileiter, Uterus, u. s. w. bilden.
Primäre Eihüllen, Die primären Eihüllen treten in zwei
Formen auf, als dünne, strukturlose H ä u t c h e n = D o 1 1 e r h a u t
(Membrana vitellina) und als meist stärkere, radiär gestreifte
Häute, Zonae, Zonae radiatae, Zonae pellucidae. Die
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Fig. 104.
Fig. 103. Schnitt durch die Wandung eines 4 mm großen H ühnerf oJlikels
und die anliegenden Teile des eingeschlossenen Eies. ep. O varialepithel. th,
ext. Theca folliculi externa, th. int. Theca folliculi interna. ^.Tunica
propria folliculi, f. Follikelepithel, z. Zoua radiata. /(/. fein-
körniger Dotter (weißer Dotter), gd. grobkörniger Dotter (gelber Dotter).
Aus Waldeyer (591), Taf. III, Fig. 25. Hartnack Ok. 3, System 7.
Fig. 104. Schnitt durch die Wandung eines jungen Eifollikes von Hatteria
punctata Gray. Oben die bindegewebige Theca folliculi, darunter das
Follikelepithel mit dunkelgeschwärzten Kernen, dann ein Zwischenraum (Er-
härtungsproclukt), dann eine dünnere, tief geschwärzte Eihaut, darauf nach
unten die starke, sehr zierlich radiär gestreifte Zona radiata, darauf wieder ein
Zwischenraum (Ei'härtungsprodukt), dann äußerste feine Granula- Seh ieht
des Dotters in Gestalt einer Pu nktr ei he, darauf hellere äußere Dotterlage,
endlich die tiefe dunklere Dottermasse. Dr. Kopsch fec. Eisenhämatoxylin-
färbung. Frl. E. JMagen del. Starke Vergrößerung.
Die Geschlechtszellen.
281)
Zonae können jedoch, namentlich l)eim Wachstunie der Eier, sich er-
hoblicli verdünnen und dann .uloiclifalls als zarte, strukturlose ITäutchen
erscheinen, so bei den Reifeiern der Vögel, Rejjtilien und Aui])hibien.
Beispiele dünner, einfacher Dotterhäute liefern Aniphioxus und
numche Wirbellose. Außerordentlich dünn ist auch die Eihaut des
Keifeies von S a 1 a m a n d r a maculosa Laur. nacli nRöxRoos (8^8).
Es ist aber noch unsicher, ob diese Haut eine MemVu-ana vitellina
oder eine stark verdünnte Zona radiata + Membrana vitellina ist.
Die Zonae radiatae, s. Figg. 103 — 105, stellen bei den meisten
Wirbeltieren die charakteristische Eihülle dar. Bei Aniphioxus fehlt
dieselbe ; bei den Cyclostomen zeigen sie die M y x i n o i d e n , während mir
bei den Petromyz outen eine radiär streifige Membran nicht sicher
nachgewiesen erscheint. Vergl. die Angaben weiter unten im speciellen
Teile, Abschnitt „Cyclostomen''. Alle übrigen Wirbeltiere haben sie
in guter Ausbildung. Bei den Amphibien, Reptilien und Vögeln wird
sie mit dem steigenden Wachstum des Eies stark verdünnt und läßt
die radiäre Struktur kaum mehr erkennen, während sie bei den jungen
Eiern sehr gut ausgebildet und als starke Hülle deutlich wahrnehmbar
ist. Die Monotremen zeigen eigenartige Verhältnisse, über welche
man den speziellen Teil — Eier der Mammalia — nachsehen wolle.
Bei den übrigen Säugetieren und dem Menschen ist sie als Zona
pellucida seit Entdeckung des Säugetiereies bekannt. Ihre Radiär-
Fig. 105. A— C Schnitte durch Ei-
follikel von Scyllium canicula, D
von Raja. A jüngstes Stadium, C äl-
testes Stadium, D ein Stadium wie B,
/. Follikelepithel. Was die nach
oben davon gelegenen Schichten be-
deuten, ist nicht völlig klar; jedenfalls
bilden sie die Follikelwand. dh.
äußere Eihaut (Dotterhaut Balfour).
zr. Zona radiata. d. Ooplasma. In
C und D sind eigentümliche große
Zellen im Follikelepithel aufgetreten,
s. darüber Abschnitt : Oogenese. Nach
F. M. Balfour (M. 1866).
D
-zr
d-M
Streifung sah hier bereits 1854 Remak (Ueber Eihüllen und Sper-
matozoen, J. Müller"s Arch. f. Anat. und Physiol. 1854).
(591) gab 1870 den Namen „Zona radiata".
Waldeyer
Selbst da, wo diese Hülle eine ansehnliche Dicke erreicht, wie bei
Knochenfischen und Säugetieren, bleibt sie biegsam, faltbar
und bis zu einem gewissen Grade quellungsfähig. Bei Knochenfischen,
wo sie His als „Eikapsel" bezeichnet, erhält sie eine beträchtliche Stärke
und Resistenz, nicht selten auch eine mehrfache Schichtung, s. w. u.
Teleostei. In den Figuren 103 — 105 sind Zonae radiatae von Vögeln.
Reptilien und Selachieren dargestellt, zugleich auch die bei diesen
Ordnungen stets in derselben Weise vorkommende ungestreifte Dotter-
haut; nur in Fig. 103 ist diese noch nicht zu sehen. Für die übrigen
Vertebraten s. w. u. eine Anzahl Abbildungen.
Handbuch der Entwickelungslehre. I.
19
290 W. Waldeyer,
Die Streifung der Zona muß auf feine Porenkanäle zu-
rückgeführt werden; bei Teleostiern sind diese schon von Jo-
hannes Müller (Ueber zahh-eiche Porenkanäle in der Eikapsel
der Fische, Arch. f. Anat. 1854, p. 186) sicher nachgewiesen. Für die
Säugetiere haben wir, abgesehen von älteren Andeutungen von
Pflüger (517), jüngst von Flemming (M. o90), PiEtzius (M. 1902) und
V. Ebner (850) sehr bestimmt lautende Angaben darüber, daß Fort-
sätze des Eiepithels (s. w. u.) durch die Porenkanälchen der Zona
hindurch zur Rindenschiclit des Ooplasma dringen. Auch Fig. 133
von Caldwell (von Phascolarctos cinereus) zeigt deutlich die Ver-
bindungen. Ich füge hier an, daß Waldeyer 1871 in Stricker's
Handbuch der Gewebelehre, p. 553, solche Fortsätze für Knochen-
fische, insbesondere für Perca beschrieben hat. Bezüglich eines
gleichen Verhaltens bei Wirbellosen sei die umfassende Monographie
Leydig's, Eierstock und Samentasche der Insekten, Nova Acta Acad.
Caesar. Leoi)old, T. XXXIII, 1867 citiert. Ob die von Lindgren
(M. 1988), V. Sehlen (M. 1587) und H. Virchow (M. 2021) be-
schriebenen, durch die Zona tretenden Zellen präformierte Zona-
kanälchen benutzten oder sich eigene Wege bahnten, ist kaum zu
entscheiden. Daß die Spermien die Zonakanälcheu zum Eintritte
wählen sollten, ist sehr unwahrscheinlich, da die Spermienköpfe un-
gleich größere Ausmaße haben. Keinesfalls haben die Radiärkanälchen
irgend etwas mit einer Mikropylenbilduug zu tliun.
Ich habe hier die Zona radiata als eine vom Ooplasma aus-
gehende Bildung aufgefaßt und damit Korschelt und Heider mich
angeschlossen. Meine frühere Ansicht (591) gebe ich hiermit auf. Ich
bin hauptsächlich durch Befunde am Tritonei nach Präparaten Benda's,
dann an den Eiern von Hatteria und durch den Vergleich meiner
Präparate mit den Abbildungen und Befunden F. M. Balfour's (M.
1866) zu dieser jetzigen Ansicht gekommen. Man sieht bei jüngeren
Eiern von Triton, s. Fig. 69 u. 123, dicht unter dem Follikelepithel zu-
nächst eine deutliche homogene Schicht, die wahrscheinlich eine Dotter-
haut ist, doch weiß man über ihre Entstehung nichts Sicheres. Erst
unter dieser Schicht sieht man die Zona radiata. die aus deutlich er-
kennbaren Stäbchen besteht, wie dies bereits Gegenbaur in seiner
grundlegenden Arbeit (M. 1968) dargestellt hat. Ganz dasselbe fand
Balfour bei Selachiern, s. Fig. 105. Man kann dies am unge-
zwungensten so deuten, daß die Zona radiata vom Eie aus gebildet
wird. Eigenmann (M. 1585) konnte bei Fun du Ins (Teleostei,
Cyprinodontidae) nachweisen, daß hier thatsächlich zuerst eine Ei-
hülle gebildet wird, die mehr nach außen liegt, näher dem Follikel-
epithel als die später erscheinende, unter dieser ersten Eihülle ge-
legene Zona radiata, die also bei ihrer Bildung vom Follikelepithel
getrennt ist. — Für die Selachier giebt Balfour (M. 1866) an, daß
hier zuerst eine zarte Dotterhaut gebildet werde, ehe noch das Follikel-
epithel ausgebildet sei, daß diese zarte Haut somit eine echte Dotter-
haut sein müsse. Diese Haut liegt aber stets zwischen Follikelepithel
und Zona radiata; später wird sie auch stärker, s. Fig. 105.
Für die Säugetiere und den Menschen hat Retzius (1. c), dem
die Befunde Flemming's (1. c.) und v. Ebner's (1. c.) zur Seite
stehen , zeigen können , daß sich zuerst von den zum Ooplasma
tretenden Fortsätzen der Follikelepithelzellen ein feiner Fasertilz
bildet, der dicht der Eioberfläche anliegt; dieser Faserfilz ist die erste
Die Geschlechtszellen. 291
Anlage der Zona pellucida. Zwischen den Filzfäden tritt nun nach
Retzius später eine homogene Substanz auf; beides zusammen, die
Filzfä(h'ii und die homogene Substanz bilden die Zona. Ein Teil der
ursprünglich von den Follikelepithelzellen zum Ooplasma hinüber-
ziehenden Zellausläufer bleibt im protoplasmatischen Zustande inner-
halb der sich bildenden Zonasubstanz erhalten. So erklärt sich das
Bestehenbleiben von feinen Verbindungen zwischen Epitlielzellen und
Ooplasma. Woher nun die homogene Substanz kommt, ist fraglich.
Sie kann sehr wohl vom Ooplasma stammen. Dann wäre die Zona
radiata der Säugetiere ein Doppelprodukt, aus dem Follikelepithel und
dem Ooplasma sich bildend.
Bemerkenswert ist das Verhalten der Zona pellucida gegen Eisen-
hämatoxylin. Wie schon v. Ebner (350) angiebt, schwärzt sie sich darin
intensiv, und man sieht die Follikelepithelzellen mit deutlichen Fortsätzen
A^ersehen, die in eine Art syncytiale Masse, dicht auf der Zona gelegen,
übergehen (s. Fig. 130). Bei Hatteria wird die außen auf der Zona
liegende Eihaut geschwärzt (Fig. 104).
Sonach sind wir über die Herkunft und die Bildungsweise dieser
so wichtigen Hülle noch keineswegs im Fteinen, obwohl, wie mir
scheint, der Ursprung aus dem Ooplasma dar wahrscheinlichere ist.
Wenn indessen Ft. Hertwig indem von ihm verfaßten Teile dieses
Kapitels — s. Anm. zu p. 293 — und mit ihm manche Andere die
Zona radiata (pellucida) als ein .,Chorion" i. e. als ein Produkt des
Follikelepithels auffassen, so ist diese Ansicht, wie die Sachen augen-
blicklich liegen, gleichfalls als berechtigt anzusehen. Es sei nochmals
hervorgehoben, daß insbesondere bei den großen Eiern der Amphibien,
Selachier, Reptilien und Vögel die beschriebenen Verhältnisse,
also 2 Häute, von denen die äußere homogen, die innere radiär ge-
streift (kanalisiert) erscheint, nur an jungen, noch in Ausbildung be-
griftenen Eiern gut zu sehen sind. Später atroph! er en beide
Häute, und zwar zunächst die Zona radiata. Schließlich bleibt, so-
weit wir uns sicher aussprechen können, um das Ei (Gelbei) an-
scheinend nur eine einzige, meist sehr feine Eihaut — gewöhn-
lich „Dotterhaut'' genannt — zurück. Zuweilen, wie beim Vogelei,
erscheint diese wie aus feinen verfilzten Fasern zusammengesetzt.
Die Radiärkanälcheu der Zona verhalten sich bei den verschiedenen
Eiern verschieden, indem sie bald mehr, bald weniger deutlich her-
vortreten ; unter Umständen , namentlich bei den stark verdünnten
Zonae (Vögel, Reptilien i. dürften sie gänzlich schwinden. Ihre Be-
deutung kann eine sehr wichtige sein ; es soll nur an das Eindringen
von Flüssigkeiten, wie es bei den Knochenfischen sicher besteht, s.
w. u., und an die durch sie vermittelten Beziehungen zwischen Oo-
plasma und Follikelepithel erinnert werden.
Sekundäre Hüllen — Chorion. Wenn wir die Zona radiata
zu den Dotterhäuten, d. h. zu den primären Eihüllen rechnen, dann
ist, soweit mir bekannt, der sichere Nachweis von Hüllen, die vom
Follikelepithel ausgehen, also von „sekundären Hüllen", bei
Wirbeltieren nicht gegeben. Für eine Follikelepithelhülle bedienen
wir uns der Bezeichnung „Chorion", welche bei In sekten eiern
für Hüllen dieser Herkunft auch seit langem in Gebrauch ist. Bei
Insekten kommt ein Chorion im vorstehenden Sinne in der größten
Verbreitung vor, ferner bei Cephalopoden nach Ussow (Arch. de
19*
292 W. Waldeyer,
Biol., T. II, issi) und Vialleton (Ann. scieiic. nat. Paris, 1S88) und
l)ei Chitonen (Käfersclinecken) nach Garnault (Arch. de Zool. gen.
et experim., T. VI, 1888) und Plate (Zool. .Jahrb., Suppl. 1897).
Bei allen diesen Chorionbildungen schwebt die Streitfrage, ob es
sich um anfangs ungefornite, später erhärtende Ausscheidungen
des Follikelepithels handle, oder, und zwar insbesondere für gewisse
Bildungen, wie Stacheln, Fortsätze und Aehnliches, um direkte chitinöse
Umwandlung von Follikelzellen. Korschelt und Heider, auf deren
ansführliche Darstellung zu verweisen ist, sprechen sich für eine cuti-
culare Abscheidung seitens des Follikelepithels aus.
Tertiäre Ei hüllen. Hierher gehören Gallerthüllen, Ei-
weißhüllen, Schalen häute, Kalkschalen, Hornschalen,
Cocons und Aehnliches, kurz alles, was in den die Eier ableitenden
Wegen gebildet wird. Es soll hierfür, soweit es die Wirbeltiere
angeht, auf die w^eiter unten folgende Darstellung der Eier der ein-
zelnen Vertebratenklassen verwiesen werden. Was die Everte-
braten anlangt, so würde es hier zu weit führen, besonders auf sie
einzugehen ; ich gebe für sie das öfters genannnte Werk Korschelt-
Heider's an.
Eine der verbreitetsten Hüllen dieser Art ist eine mehr oder
minder dicke, klare Gallert hülle, vielfach von großer Klebekraft,
womit die Eier vieler im Wasser lebender Tiere, Ganoiden,
Knochenfische, Amphibien und vieler Wirbelloser an
allerlei Gegenstände, die sich im Wasser finden : Wasserpflanzen, ab-
gebrochene Zweige, Steine u, s. f., angeklebt werden ; sie halten sehr
fest. Auch dienen die Gallerthüllen offenbar noch zum Schutze; viel-
leicht ermöglichen sie auch das Schwimmen mancher pelagischer Eier.
Letzteres kommt vielfach auch dadurch zu Stande, daß sich, wie schon
erwähnt, zwischen Ooplasma und Dotterhaut, sowie die Eier ins
Wasser gelangen, eine Flüssigkeitsschicht bildet; hierdurch wird das
Ei einmal vergrößert und es wird eine specifisch leichtere Schicht, als
das Ooplasma und das umgebende Wasser es ist, geschaffen, denn
die sich bihlende Flüssigkeit ist nicht reines Wasser. Siehe darüber
noch den Abschnitt „Teleostier-Eier".
Wenn mehrere Eier zusammen in einer kapselartigen Bildung
eingeschlossen werden, so nennt man das, wie schon Eingangs dieses
Kapitels angegeben (p. 228) einen Cocon. Solche kommen vor bei
Haifischen (gelegentlich), dann bei L u m b r i c i d e n , H i r u d i n e e n
u. a. Bei vielen P 1 a 1 1 w ü r m e r n wird in eine Coconkapsel eine Eizelle
mit einer Anzahl Dotterzellen, die anfangs, solange das Ei noch un-
entwickelt bleibt, ihre Selbständigkeit bewahren, eingeschlossen. Es
giebt aber auch Fälle, z. B. bei Polykladen, wo 2 und mehrere
Eizellen inmitten einer Anzahl Dotterzellen in einem Cocon liegen.
Vielfach nennt man die Cocons dieser Art auch noch schlechtweg
„Eier"; dann wären dies „zusammengesetzte Eier". Besser ist
es aber, den Ausdruck „Cocon" zu verwenden.
Auch zur Herstellung eines Laiches werden nur die tertiären
Eihüllen, wie bereits bemerkt, verwendet. Siehe p. 228.
Zur Erzeugung der tertiären Hüllen, namentlich der Cocoubildungen,
der festeren Schalen , aber auch der Gallertmassen und der Eiweiß-
hüllen, dienen gewöhnlich besondere Drüsen, die mit den ableitenden
Wegen, indessen auch mit der Haut (Lumbricideni verbunden sind:
Schalendrüsen, Eiweißdrüsen u. s. w.
Die Geschlechtszellen. 293
An die Eihüllen schließen sich noch zweierlei Bildungen an: die
B ef estiguu gsap j)arate und die Mikro p3len.
Befestigungsap parate. Als einfachstes Befestigungsmittel,
aber auch als das verbi-eitetste, dienen die als solche bereits erwähnten
klebrigen Gallertmassen: weiterhin bilden sich sowohl bei Chorion-
hüllen, als vornehmlich bei den tertiären Hüllen besondere Befestigungs-
api)arate in Gestalt von Haken. Fäden. Schnüren, Stacheln
und anders geformten Fortsätzen aus. Die wichtigsten derselben
werden weiter unten im speciellen Teile ihre Erledigung finden.
Mikropylen. Unter Mikropylen versteht man besondere Kanäle
der Eihäute, die dazu bestimmt sind, bei Eiern mit dicken Häuten den
Spermien den Zutritt zum Ooplasma zu ermöglichen. Sie kommen
vor in den Zonae und in den Chorionliüllen, denn die tertiären Hüllen
werden erst dann angelegt, wenn die Befruchtung erfolgt ist. Mikro-
pylen finden sich unter den Vertebraten bei den Cyclostomen.
den G a n 0 i d e n und T e 1 e o s t i e r n , unter den Wirbellosen ins-
besondere bei den Insekten und Holothurien. Ich verweise
für eine nähere Beschreibung der Wirbellosen-Mikropylen auf Kor-
schelt-Heider, der Vertebraten-Mikropylen auf die folgende Spezial-
darstellung.
Eine eigenartige Vorrichtung zur Begünstigung des Eintrittes der
Spermien bildet die „Flocke" der Petromyzonten, wovon gleichfalls
w. u. die ßede sein wird.
2. Die Eier der einzelnen Wirbeltierklassen und
- 0 r d n u n g e n.
Im folgenden soll eine Beschreibung der Eier der einzelnen
Wirbeltierklasseu und, wenn erforderlich, auch der -Ordnungen, nach
Form und Bau gegeben werden, wie dies für die Spermien, s.
p. 118 ff. geschehen ist. Da die Ureier bereits eine eingehende
Darstellung erfahren haben (p. 233 ff.) und die Oogonien und
Oocyten im Abschnitte „Oogenese" abzuhandeln sind, so haben
wir jetzt vor allem die ausgebildeten Eier, die Reif ei er, seien sie
nun befruchtet oder nicht, zu betrachten. Insbesondere wird hier
Rücksicht auf die Eihüllen und deren Nebenapparate genommen
werden, die vorhin nur in kurzer mehr klassifizierender Uebersicht
zur Sprache gekommen sind').
I. Acrania. Die Amphioxus- Weib chen laichen immer mit
den Männchen zusammen — vergl. das darüber p. lls Bemerkte.
So treffen sich die Eier, welche in wiederholten Ejakulationen aus
dem Abdominalporus entleert werden, im Meerw'asser sofort mit dem
Sperma, und die Befruchtung erfolgt unmittelbar. Der Laich er-
scheint beim Ausstoßen als weißliche Flüssigkeit, ähnlich wie das
Sperma (die Milch); doch erkennt man alsbald die einzelnen Eier
schon mit bloßem Auge als sandkorngroße, rundliche Körperchen.
1) Die Beschreibung von den Cyclostomen an bis zu den Säugetieren
einschließlich rührt von R. Hertwig her. Sie wurde aus dein von ihm bearbeiteten
Kapitel „Befruchtung" hierher übernommen. Nur wenige Zusätze und einige Ab-
bildungen sind von mir gegeben worden. Uie von R. Hertwig herrührenden Teile
sind mit (R. H.j, die mir zufallenden mit (W.) bezeichnet. Waldeyer.
294
W. Waldeyer,
Das eben ausgestoßene, noch nicht befruchtete Amphioxus-Ei,
s. Fig. 106, ist kugelig und zeigt an einem seiner Pole vielfach ein
llichtungskörperchen (s. darüber Kapitel „Befruchtung"), um-
geben von einer geringen Menge feingranulierten Protoplasmas, welches
fast frei von Dotterkörperchen erscheint. Das erste Richtungskör])erchen
bildet sich aus dem Keimbläs-
chen noch in den Gonaden
(Ovarialkammern), und zwar un-
mittelbar vor der Entleerung der
Eier. Ein Sphärenapparat ist
Flg. 106. Eben entleertes Ei von
A m p h i 0 X II s 1 a n c eo 1 a t u s nach So-
BOTTxi (561, Aiiat. Anz., Fig. 1). Zu
äußerst die (dunkel gezeichnete) äußere
Dotterhavit; dieselbe ist noch nicht
abgehoben. Darauf folgt eine dünne
Rindenzone dotterfreien Ooplasmas.
Die Hauptmasse des letzteren ist gleich-
mäßig mit Deutoplasmakügelchen durch-
setzt. Oben eine vertikal gestellte
Richtungsspindel mit den äqua-
torial angeordneten Chromosomen in-
mitten des fast dotterfreien Keimes.
Vergr. 500.
an den ersten Richtungsspindelpolen nicht nachzuweisen ; weder Strah-
lung noch Ceutriolen sind zu sehen. Eine feine Strahlung findet sich
dagegen an den Polen der zweiten Richtungsspindeln ; aber ein Cen-
triol war auch hier nicht zu erkennen.
Das Ei ist von einer strukturlosen, dünnen (0,5 /<) Membran um-
geben und zeigt darunter eine schmale, dotterarme Zone. Die Haupt-
masse des Ooplasma aber ist sehr reich an kleinen Dotterkörpern
von kugeliger Form und durchschnittlich 1 ^t« Größe (Dotterkügelchen),
welche sich in OsO^ nur bräunen und nach der Osmiumbehandlung
sich noch in gewissen Farbstotfen, wie unter anderen in Hämatoxyliu,
lebhaft färben.
Es verdient, nach Sobotta (561),
wörtlich entlehne, hervorgehoben zu
nach seinem Gehalt an Deutoplasma,
sich zu den Eiern der Cyclostomen
an die dotterärmeren, protoplasmareichen Eier der Säugetiere und des
Menschen sich anschließt. Nur muß betont werden, daß die Ver-
und es ist darauf wohl
dem ich diese Beschreibung fast
werden, daß das Amphioxus-Ei
abgesehen von seiner Kleinheit,
und Amphibien stellt und nicht
teilunff des Dotters eine sehr
gleichmäßige
ist.
die (nach Sobotta) gleiche Größe der beiden ersten Furchungs-
ad aqua 1 —
Furchung
Segmente zurückzuführen. Später wird die
s. p. 257.
Ueber die Hüllen des Amphioxus-Eies besteht bei den beiden
Autoren, die ihrer hauptsächlich gedenken, Sobotta (561) und Van
DER Stricht (571), keine Uebereinstimmung. Wie bemerkt, nimmt
Sobotta um das frisch gelegte Ei eine zarte Hülle (Membran) an,
die sich im Wasser sofort abheben soll und sich bereits an den
Ovarialeiern findet; das sah auch Van der Stricht.
Bei Sobotta ist, so scheint mir, keine volle Sicherheit vorhanden,
wenn er (p. 25)
sagt :
,Das ganze Ovarialei ist umgeben von einer
Die Geschlechtszellen. 295
deutlichen Membran", und später (p. 36) : „Ob das Ei eine eigene
Zellincmbian besitzt, wird schwer zu entscheiden sein, jedenfalls be-
steht eine membranartige äußere Schicht der Eisubstanz, die aber
schwerlich eine isolierbare Hülle darstellt. Das gilt noch mehr für das
Ovarialei."
Wenn nun die Eier in das Wasser entleert sind, so bildet sich
nach SoBOTTA binnen kurzem, namentlich um die besamten Eier, im
Wasser eine zweite stärkere Membran, „H a u p t m e m b r a n" Sobotta,
aus der erstarrenden deutoplasmaarmen Rindenschicht des Eies. So-
nach besitzt das besamte Ei zwei Hüllen, eine äußere schwächere,
die schon im Ovarium augelegt ist und eine innere stärkere; beide
heben sich nach längerem Verweilen des Eies im Wasser von dem
zum Embryo sich entwickelnden Ooplasma mehr oder minder ab.
Van der Stricht beschreibt au den entleerten Eiern nur eine
Hülle, dieselbe, nach seiner Ansicht, die schon an den Ovarialeiern
sichtbar ist. Sobotta möchte dagegen die Meinung vertreten, daß
die von Van der Stricht abgebildete Hülle seiner (Sobotta's)
inneren Membran, der Hauptmembran, entspreche.
II. Cyclostomata. a) P e t r 0 m y z o n t e n. (R. H.) Die Eier
der Petroniyzonten zeichnen sich durch einen mittleren Grad von
Dotterreichtum und demgemäß auch durch mäßige Größe aus.
Letztere wurde von Max Schultze (M. 1559) für Petromyzou
Plan er i auf '/., Linie (-=2 mm) bestimmt. Calberla und spätere
Untersucher fanden, daß die Hauptachse länger ist als die übrigen,
das gesamte Ei die Form eines Piotationsellipsoids hat. Nach Cal-
berla (M. 1238) mißt der Längsdurchmesser 1,0—1,2, der Quer-
durchmesser 0,9—1,0 mm, während nach v. Kupffer (M. 1252) und
BÖHM (M. 1233) die betreffenden Maße 0,95—1,0 und 0,S5— 0,9 mm
betragen. Aehnlich scheinen die Größenverhältnisse bei P. fluvia-
tilis zu sein (Shipley) (M. 1563), während über P. marin us keine
Angaben vorliegen. Die mattgelbliche Farbe der Eier rührt von den
Dotterplättchen her, während Pigment fehlt. Damit hängt es zu-
sammen, daß der dotterärmere animale Pol lichter aussieht als der
vegetative.
Schon innerhalb des Ovarium s ist das Ei der Neunaugen von
einem Chorion umgeben, welches in zwei Schichten differenziert
ist, eine äußere, die weicher ist und wie die Zapfenschicht bei Te-
leostiern und Ganoiden, (s. w. u.) im Wasser zu einer gallertigen,
klebrigen, allmählich sich abstreifenden Masse anquillt, und eine innere
härtere. Die innere Schicht ist Sitz einer feinen radialen Streifung,
die nach Calberla auch in die Außenschicht verfolgbar sein soll und
wahrscheinlich der Ausdruck feinster Porenkanäle ist. — (^V.) Bei
BÖHM, Herfort und (s. w. u.) bei Lubosch werden indessen
Streifen oder Porenkanäle nicht erwähnt. — (ß. H.) Am einen Pol
des Eies, der innerhalb des Ovars etwas birnförmig ausgezogen
ist — Fig. 107 oben — und jetzt schon der animale Pol mit Rück-
sicht auf sein späteres Schicksal genannt werden kann, ist das
Chorion im Bereich einer scharf umschriebenen Partie modifiziert,
die innere Schicht ist verdickt und uhrglasartig stärker gewölbt, die
Stelle der äußeren Schicht ist von der „Flocke" (A. Müller) einge-
nommen, einer wasserklaren, daher von den meisten Forschern über-
sehenen dicken Lage, welche wohl nur eine Modifikation der äußeren
296
W. Waldeyer,
Chorionscliicht ist. — (W.) Herfort (41;5) beschreibt nach außen
von der do[)])elscliichtigen Eihaut noch einen in Wasser quellenden
besonderen
Eihaut aufsitzen ;
Eigg. 107 u. 108.
Schleiniüberzug
und läßt die Flocke der äußeren
sie solle aus mehreren Läi)])chen bestehen. Vergl.
■ — (11. H.j Strittig sind bezüglich der Beschaffen-
heit der Eihüllen zwei
weitere Punkte. Nur
M. ScHULTZE be-
schreibt nach innen
> vom Chorion eine
dünne, erst bei der Be-
fruchtung deutlicher
werdende Dotterhaut,
Calberla eine von
V\\ M. SCHULTZE u. A.
vergebens gesuchte
M i k r 0 p y 1 e. Letztere
soll die höchste Stelle
Fig. 107. ß ei fei von
Petrorayzon flu via -
tilis nach Herfort (413),
Taf. IV, Fig. 1. Oben
der birnförmig verjüngte
aniniale Pol mit dem
Keime. Doppelte Ei-
haut, am Pole etwas ver-
dickt und uhrglasförmig
gehoben. Peripherisch das
vakuolisierte O o p I a s m a ,
vergl. ferner die Erklärung
zu Fig. 74, p. 2.53. (Rei-
chert, Obj. 4. Ok. 3.)
des uhr glasartig differenzierten Abschnittes der inneren Chorionschicht
in Form eines trichterförmigen Kanals durchbohren. Böhm und Her-
fort haben die Mikropyle auf Schnittpräparaten vergebens gesucht
Die Geschlechtszellen. 297
und stellen daher ihre Existenz auf das bestimmteste in Abrede. Auch
KuPFFER und Benecke, welche frisches Material untersuchten, haben
das von Calberla gegebene Bild nicht bestätigen können. Nach
ihren Angal)en soll jedoch eine miki-opylenartige Stelle in dem inneren
Chorion ausgespart sein; sie sei aber nicht an eine bestimmte Stelle
des uhrglasförmigen Aufsatzes lokalisiert und durch die gallertige
Außenschicht so ausgefüllt, daß man sie nicht direkt beobachten könne.
p]rst durch das eindringende Spermatozoon werde der Kanal w'egsam
und nun auch sichtbar gemacht. — (W.) Durch die Freundlichkeit von
Dr. LuBOSCH, Assistenten an der anatomischen Anstalt in Jena, bin
ich in den Stand gesetzt, noch einiges über die jüngeren Eistadien
bei Petromyzon fluviatilis mitteilen zu können.
Die der nachfolgenden Beschreibung zu Grunde liegenden Präparate
stammen von einem Weibchen, das Ende November in Memel gefangen
worden war und 14 Tage in Gefangenschaft gelebt hatte. Bis zur
Laichzeit fehlten noch 5 Monate.
Die in einem Ovarium befindlichen Eier stehen sämtlich auf der-
selben Entwickelungsstufe. Sie sind länglich-oval und zwischen 625
und 750 (i lang ; ihre Farbe ist weißlicli-gelb. Sie liegen im Ovarium
regellos; eine Orientierung des Keimbläschens nach einer Richtung (etwa
nach dorsal) ist nicht zu beobachten. Die Eier sind außen von einer
Eollikelepithellage umhüllt, die meist dem Ei dicht anliegt. Nach innen
von ihr ist es von einer starken Eihaut umgeben. Bei schwacher
Vergrößerung erscheint diese Hülle als doj^pelt konturierte, stark glänzende
Membran. Bei stäi'kerer Vergrößerung erweist sie sich als zusammen-
gesetzt aus einer äußeren homogenen Zone und einer stark lichtbrechenden
schmalen inneren Zone. Beide zusammen sind bis zu 6 ,a dick, die
innere allein 1,5 (u. Dieser sehr resistenten Kapsel ist offenbar der
häufige Mißerfolg bei der Fixation zuzuschreiben. Sublimatgemische,
FLEMJiiNG'sche Flüssigkeit, Pikrinschwefelsäure reißen das Ei innen ent-
zw^ei, d. h. die Eeagentien sind noch nicht eingedrungen, während das
Objekt außen schon fixiert ist. Zur Erhaltung der Formen ist heiße
(85") ^/g — ^/2-proz. Chromsäure unerläßlich.
Das Keimbläschen liegt in diesem Entwickelungsstadium der Eier
bereits unter dem spitzen Pol des Eies.
Das Cytoplasma ist zum allergrößten Teil durch Dotter über-
deckt. Auffällig ist folgende Struktur : Bei schwacher Vergrößerung ist
das Protoplasma über dem Keimbläschen feingekörnt und fast frei von
Dotter. Bei stärkerem System sieht man, daß hier eine Cytoplasma-
schicht liegt, die dem Keimbläschen zunächst fast kompakt ist, sich
dann aber nach dem Pol zu strahlenförmig ausbreitet und dabei zunächst
engere, dann gröbere Maschen bildet. Schließlich umzieht ein feinerer
Saum von Plasma das Ei dicht nach innen von der Hülle. In jenen
Maschen liegen nur feine Dotterkörner. Trifft man das Keimbläschen
nicht in der Längsachse des Eies, sondern quer, und zwar durch seinen
obersten Teil, so erscheint es von solchem Plasmastrahlennetz rings
umgeben.
Auffällig ist die konstant beobachtete Anordnung der Dotter-
elemente. Diese sind an der Peripherie des Eies am feinsten und
werden am größten gegen die Mitte des Eies. Am Eande sind kleine
runde Fleckchen des Cytojdasmas ausgespart, wodurch der Anschein
einer Vakuolisierung der peripherischen Schicht entsteht. Diese Vakuolen
sind außen am kleinsten und nehmen nach innen an Größe zu.
298
W. Waldeyer,
b) Myxinoiden. (R. H.) Die Eier der Myxiiioiden unterscheiden
sich von den Eiern der Petromy zonten in einein Grade, der zu
der nahen \'erwandtschaft beider Grui)pen in gar keinem Verhältnis
steht; sie sind von ganz außerordentlicher Größe, demgemäß dottei-
reich und mesoblastisch. Die Eizelle ist langgestreckt, auf einer der
Längsseiten geradlinig begrenzt oder sogar schwach konkav eingezogen,
auf der gegenüberliegenden Seite konvex gekrümmt; an dem einen
Ende, welches dem animalen Pol entspricht, ist sie etwas dicker als
am anderen. Der Längsdurchmesser schwankt bei Bdellostoma
Stouti (Bashford Dean) nach zahlreichen Messungen zwischen
14 — 29 mm, der Querdurchmesser zwischen 7 — 10,5 mm. Die Eier
von Myxine glutinosa sind ungefähr von gleicher Größe.
Ueber den Bau des Eies sind wir am besten füi- Bdellostoma
Stouti orientiei^t (Bashford Deax, Doflein). Die bräunlich gefärbte
Eischale dieser Tiere ist unzweifelhaft ein Produkt des Eollikelepitliels
und daher als C h o r i o n zu bezeichnen ; sie besteht wde bei vielen
Teleostiern und Ganoiden aus zwei Lagen. Die äußere entspricht
c^~i ' ^r~i /r-^- er^ "^^ . err\ .r— -, «r^:^ . '
Fig. 109. Eischale von Bdellostoma (Dofleix und Bahsford DEÄ^').
A Längsschnitt. /" Foüikel. e FoUikelepithel. ch^ Prismenschicht, c/i^ der Zona
radiata entsprechende Schicht des Chorion. B Längsschnitt durch das Mikropjdende.
?» Mikropyle. d Deckel. C Einer der die Mikropyle umstehenden Haken bei stärkerer
Vergrößerung.
der Zapfenseilicht der genannten Eische : sie zeigt auf Querschnitten eine
radiale Streifung , auf Elächenschnitten und bei der Betrachtung von
der Oberfläche ein äußerst zierliches Mosaik ; sie besteht daher aus
dicht gefügten prismatischen Stäbchen, welche an die kernhaltigen Enden
der äußerst feinen und langausgezogenen EoUikelzellen in der Weise an-
stoßen, daß jedes Stäbchen einer Zelle entspricht. Aus dieser Ueber-
einstimmung kann man schließen, daß die Stäbchen Ausscheidungs-
produkte der Zellen sind. An ihrem dem Ei zugewandten Ende gehen
die Stäbchen in die innere Schicht über, welche ihrer Lage nach der
Die Geschlechtszellen. 299
Zona racliata der Teleo stier entspricht, wenn sie sich auch in ihrei^
Struktur ganz erheblich unterscheidet. Auf Schnitten, die senkrecht zur
Längsachse des Eies geführt werden, gewahrt man eine undeutliche
Schichtung parallel der Oberfläche, als wäre die betreffende Lage aus
8_-10 feinen Häuten zusammengesetzt. Die innerste Lage dieser ge-
schichteten Hülle ist besonders stark lichtbrechend und von homogenem
Aussehen, so daß sie von B. Dean als eine dritte besondere Lage auf-
gefaßt wird.
Eine merkwürdige Struktur der inneren Schalenschicht wird auf
Schnitten bemerkbar, welche parallel zur Oberfläche oder senkrecht zu ihr in
der Eichtung der Längsachse des Eies geführt werden. Auf Längsschnitten
sieht die Eischale aus, als wäre sie in regelmäßigen Abständen in
einzelne Stücke zerklüftet. Man könnte versucht sein, dieses Bild durch
die Annahme zu deuten , daß die Schale aus einzelnen aufeinander
folgenden Eingen sich zusammensetze. So regelmäßig ist jedoch die
Anordnung nicht.' Denn wie die Tangentialschnitte lehren, sind immer
nur kurze Stücke, Teile von Eingen, gegeben, die dann in benachbarte
Stücke übergehen, so daß ein cirkulär um das Ei gelegtes Maschenwerk
entsteht. Auch hängen zwei hintereinander folgende Eingabschnitte
durch zahlreiche Querbrücken untereinander zusammen.
Die Eischalen der Myxinoiden sind gedeckelt. d. h. durch eine
scharf eingeschnittene cirkuläre Unterbrechung in geringer Entfernung
vom animalen Pol ist ein kleiner Teil der Schale als Deckel von dem
Rest der Schale abgegrenzt. Vielleicht ist die Sonderung so zu er-
klären, daß cirkulär angeordnete Spalten sich zu einem einheitlichen
Spalt vereinigt haben, welcher den Deckel vom Schalenrest sondert.
Inmitten des Deckels findet sich die Mikropyle, sie ist ein in
seinem Verlauf etwas ausgeweiteter Kanal, welcher am Grunde einer
becherförmigen Einsenkung der Schalendecke liegt. Umstellt wird die
Mikroi)yle von einem Schopf von Haken (s. Fig. 109), deren Zahl ge-
wöhnlich zwischen 35 und 45 beträgt, selten mehr (bis zu 60). selten
weniger (20). Die Haken sind fadenförmige Auswüchse der inneren
Schaienschicht und stehen in mehreren konzentrischen Kreisen um die
Mikropyle herum. An ihrem peripheren Ende laufen sie in 2— 4 blatt-
artige Fortsätze aus, welche wie die Ausläufer eines Ankers nach rück-
wärts gekrümmt sind. Ein gleicher Schopf von Haken findet sich am
entgegengesetzten Ende des Eies. Indem 2 aufeinander folgende
Eier mit den Haken ungleichnamiger Enden aneinander verankert sind,
entstehen lange, ab und zu verästelte Ketten von Eiern.
Dicht unter der Mikropyle liegt eine dotterarme Partie des
Eies wie eine Art Keim Scheibe. In ihr ist beim unreifen Ei
das Keimbläschen eingeschlossen, in welchem lange Zeit über ein ein-
ziger ansehnlicher Nucleolus enthalten ist; später findet man hier den
Eikern.
ni. Selachii. (W.) Die abgelegten Eier der S elachier gehören mit
denen der Reptilien und Vögel zu den großen, dotterreichen,
meroblastischen Typen. Ihre Form ist aber vielfach von der rundlichen
oder ovalen, für die Reptilien- oder Vogeleier charakteristischen ab-
weichend. Die große, dotterreiche, dem Gelbei der Vögel entsprechende
orange oder gelb gefärbte Eizelle schimmert, von dem hellen Eiweiß
umgeben, durch die äußere hornige Schale hindurch, ist kugelförmig,
oder abgeplattet rundlich, oder ellipsoidisch und zeigt deutlich einen
300 W. Waldeyer,
meist noch intensiver gefärbten Keim (Keimscheibe, Blastodiscus),
welcher in Furchung begritfen ist, da die Befruchtung, wie bei allen
den mit Schale versehenen Wirbeltiereicrn, schon stattfindet, ehe das
Eiweiß und die Schale sich gebildet haben, zur Zeit,
wann das Gelbei, d. i. die reife Eizelle, sich eben von
dem Eierstocke losgelöst hat und sich im Anfange der
Tube befindet. Das Furchungsstadiuni, in welchem man
den Keim unmittelbar nach der Ablage des Eies an-
trifft, ist das der Morula (Kopsch, 453). Das Gelbei
ist im frischen Zustande äußerst weich und zerfließ-
lich, demgemäß, wenn es freipräpariert ist, da auch
Dotterhaut und Chorion (?) rudimentär sind, nicht form-
Fig. 110. Abgelegtes Ei von Pristiurus melanosto-
mus. Der vordere Pol (Keimscheibenpol) nach ol)en gerichtet.
Am hinteren abgeplatteten Pole zwei in kurze Fäden ausgezogene
Ecken. Hornschale dunkelbraun, Eiweiß hell; darin, nur
zum Teil sichtbar, vorn das Gelbei. Nach Rückert, I'ig. 1,
Taf. LH (534).
beständig. Wie beim Vogelei, schwimmt es in seinem Eiweiß mit dem
Keimscheibenpole nach oben gewendet, zeigt indessen (Ivopsch, 1. c.)
in Bezug auf die Hauptachsen des ganzen Eies keine konstante Lagerung.
Das Keimbläschen des reifen Ovarialeies rückt dicht unter
die Dotterhaut (s. Fig. 80) und kann eben noch mit freiem Auge (bei
Torpedo ocellata) als dunkler Fleck in dem gelblichen Iveime erkannt
werden (Rückert, 534).
Die Form der abgelegten Eier wird wesentlich durch die Horn-
schale bedingt und ist meist länglich- viereckig, an den Ecken sehr
häufig in lange spiralig gewundene Fäden ausgezogen. Mit diesen Fäden
Averden die Eier an allerlei festen Gegenständen, wie sie sich im Meer-
wassei- an den Aufenthaltsorten der Tiere finden, Felsvorsprüngen, Steinen,
Wasserpflanzen, Zweigen u. s. f. gleichsam angebunden oder aufgehängt.
Finden die Tiere — einige, z. B. Scyllium, laichen auch in den Aquarien
— solche Gegenstände nicht, so lassen sie auch die Eier auf den Boden
fallen. Für die Weiterentwickelung der Eier ist es aber günstig, wenn
sie derart aufgehängt sind. Es scheint auch, daß dabei eine bestimmte
Stellung des Eies bevorzugt wird , indem man die Scyllium-Eier nach
KossEL (s. bei Kopsch, 1. c), wenn sie unter den gewöhnlichen Be-
dingungen im Freien abgelegt werden, immer mit dem stumpfen Ende,
an welchem sich das Gelbei befindet, nach unten gerichtet antrifft.
Fig. 111 zeigt nach einer von Ivopsch gefertigten Zeichnung das
Scyllium-Ei in dieser Stellung. Das dunkle, durchschimmernde Gelbei
liegt nach unten am stumpfen Pole, w^o sich auch die kürzeren Schnüre
befinden, mit denen das Ei an dem dickeren Zweige befestigt ist. Die
beiden längeren und dünneren Fäden am schmalen Elende sind so stark
um zwei dünnere Nebenzweige herumgeschlungen , daß diese sich über-
kreuzt haben.
Gewöhnlich legen die Sc3'lliumweibchen 2 Eier bald nacheinander;
dann tritt eine längere Pause ein ; man kann annehmen, daß etwa alle
10 Tage 2 Eier abgelegt werden. Der stumpfere Eipol erscheint beim
Legen zuerst ; die längeren Schnüre bleiben noch einige Zeit im Körper
des Tieres, welches somit im Schwämmen das Ei nach sich zieht. Bleiben
Die Geschlechtszellen.
301
die kurzen
Ei vollends
freien Schnüre
herausffezoofen.
nun irgendwo hangen, so wird dadurch das
Oefters werden auch mehrere Eier an dem-
1. c).
selben Gregenstande befestigt (Kopsch,
Die Selachier sind zum Teil vivipar (Carchariidae, Muste-
lidae — unter diesen der sogenannte „glatte Hai des Aristoteles",
Mustelus laevis, bei dem sich selbst eine Art Placentarbildung
Fig. 111. Ei von Scyllium canicula, in gewöhnlicher Lage an einem
Olivenzweige befestigt. (Nach Fr. Kopsch, No. 453.)
zeigt — Lamna, Acanthias, ein Teil der Rochen [Myliobatidae
u. a.]), zum Teil ovipar (Scylliidae, Notidanidae, Scj^mnus,
Cestracion. Bei C e s t r a c i o n sind die Eier kegelförmig mit zwei
Spiralleisten. Auch der größere Teil der Rochen ist ovipar.
Daß man die Hörn schale mit Recht so nennen darf, zeigt der
Befund von Keratin in derselben (S. 230). — Ueber das Verhalten
der sonstigen Eihüllen sei einmal auf die Angaben im allgemeinen
Teile und die dort wiedergegebenen Figuren Balfour's zurückver-
wiesen und dann auf die Befunde Rückert's (534), welche mir als
die genauesten und bestgestützten erscheinen.
RüCKERT unterscheidet wie Balfour am jungen Pristiurus- und
Torpedo -Ei die zwei p. 298 (Fig. 105) beschriebenen Hüllen. Bei
älteren Eiern, insbesondere Reifeiern, tritt die auch von Balfour und den
übrigen Beschreibern des Selachiereies — Citate bei Rückert — erwähnte
Verdünnung und Atrophie dieser beiden Häute in hohem Grade ein.
Interessant ist aber die Angabe Rückert's, daß sich an einzelnen Stellen,
so vornehmlich oberhalb des Keimes, an diesen dann als eine einzige
erscheinenden dünnen Hüllen noch eine Querstreifung erkennen lasse. Vgl.
die Bemerkung zu den Angaben R. Fick's bei den Amphibien. Rückert
will diese einfach erscheinende Hülle des reifen Selachiereies „K e i m -
hülle" nennen. Ich glaube, daß man hier ohne neuen Namen mit „Eihaut''
oder „Oolemma" auskäme. Nun beschreibt aber Rückert als eine zweite
Hülle unter dem Namen „Dotterhaut" eine deutlich sichtbare feine Grenz-
lamelle des Ooplasma, die sich indessen nicht vom Dotter (Ooplasma) ab-
302
W. Waldeyer,
lösen lasse. Das wäre dann eine Art „Crusta" im Sinne F. E. Schulze's,
Biol. Centralbl., Bd. XVI, 1896. Aehnliclies findet sich meines Wissens
an allen großen meroblastischen Eiern nnd ist auch von diesem oder jenem
Autor an solchen Eiern beschrieben worden. Ueber das Verhalten des
Sei ac hierd 0 tters ist p. 246 und 251 das Nötige gesagt worden.
IV. Dipnoi, Ganoidei. (ß. H.) Die Linch fische und die
Schmelz seh Upper besitzen im Bau und in der Entwickelung ihrer
Eier, so\Yie in ihrer gesamten Fortpflanzungsweise große Aehnliclikeit
untereinander, so daß wir sie getrennt von den übrigen P'ischen und
gemeinsam besprechen können. Hinsichtlich ihrer Eibildung schließen
sie sich den Amphibien an. während sie den Teleostiern und Se-
lachiern ferner stehen.
Zum Unterschied von allen ül)rigen Fischen sind die Eier von
Ganoiden und Dipneusten holoblas tisch ; für solche haben
sie aber im allgemeinen eine enorme Größe. Die kleinsten Eier be-
sitzen nach Salensky (M. 8o5) der Sterlet, Acipenser ruthenus,
2 mm; nächstdem kommen der amerikanische Stör Lepidosteus
osseus mit o,o mm (Bashford Dean :Mla), 3,5 mm (Fülleborn
371a), Lepitlosiren paradoxa mit 6,5-7 mm (Kerr 4401).
Bei Amia calva ist das Ei in der Richtung vom animalen zum
vegetativen Pol etwas verlängert, so daß der Längsdurchmesser 2,5—3
mm, der Querdurchmesser 2 — 2.5 mm mißt.
Umhüllt werden die Eier von einem festen Chorion, auf welches
einwärts noch eine Dotter haut folgt (Kowalewski, Owsiannikoff
(M. 829) und Salensky 1. c. i. Das Chorion besteht bei Ganoiden
aus 2 Lagen, einer inneren radialstreitigen Zona radiata (Mark.
Bull. Mus. Comp. ZooL, Voh 19, 1899, Balfour M. 827, Bashford
Dean 1. c.) und einer äußeren Zotten schiebt, welche vermöge ihrer
Quellbarkeit zur Befestigung der Eier an Fremdkörpern dient: es be-
sitzt am animalen Pol einen Mikropylapparat, und zwar einen einzigen
Kanal bei Amia (Whitman and Eycleshymer 600) und Lepid-
osteus, bei A c i p e n s e r i d e n eine Gruppe von Kanälen, deren Zahl
von Kowalew^ski auf 7, von Salensky auf 5—13 für den Sterlet
angegeben wird. Bei den
Dipneusten hat man bis-
her noch keine Mikropjlen ge-
funden. Auch werden hier
die Eier nach außen vom
Fig. 112. A Querschnitt durch
die Mikropyle von Lepidosteus.
B ein Stück der Eihaut, stärker
vergrößert, m Mikropyle mit ein-
gelagerter FoUikelzelle. s Zotten-
schicht, r radialstreifiges Chorion.
rsp Richtungsspindel. Nach Mark
1. c.
Chorion nach Art der Amphibieneier mit einer aus dem Eileiter
stammenden Gallertschicht umhüllt, welche zum Ankleben an Fremd-
körper dient, wenn auch die Klebkraft keine sehr große ist. Bei
Ceratodus erreicht die Gallertschicht beim Quellen im Wasser eine
gewaltige Mächtigkeit.
Die Geschlechtszellen. 303
Die einzige genauere Schilderung, welche vom Chorion gegeben
worden ist, stammt von Mark (1899j und bezieht sich anf L e p i d o s t eii s.
Die schon im Ovar gebildete Umhüllung besteht aus einer inneren und
äußeren Schicht. Die innere ist die mächtigere und wird von Mark
Zona radiata genannt, weil sie von feinen Porenkanälen in radialer
Richtung durchsetzt wird. Die äußere oder Zottenschicht besteht aus
prismatischen, radial angeordneten, dicht aneinander gefügten Stäbchen
mit keulenförmigen verdickten Außenenden, während die inneren Enden
sich in mehrere Wurzelausläufer verlängern, die in die Zona radiata eine
Strecke weit eindringen. Die Mikropyle entsteht, indem das Chorion
trichterförmig in die Richtung des Dotters eingesenkt ist und beide
Schichten sich gleichzeitig nach dem Grund des Trichters verdünnen.
Am Grund liegt die kleine Oeffnung. Nach Mark sollen übrigens beide
Schichten vom Ei selbst gebildet werden, zuerst die Zottenschicht, dann
erst die Zona radiata. Da wir oben den Ausdruck Chorion auf Produk-
tionen des Eollikelepithels eingeschränkt haben , würde diese Bezeich-
nung — die Richtigkeit der MARiv'schen Darstellung vorausgesetzt — für
die Eihülle von Lepidosteus nicht passen. — Bei den übrigen Ga-
n 0 i d e n scheint die Eihülle im wesentlichen denselben Bau zu besitzen.
Am Körper des Eies selbst kann man deutlich, wie beim Ei vom
Salamandra maculosa, eine dotterarme Keimschicht von der
dotterreichen Hauptmasse des Eies unterscheiden. Da der Dotter
gefärbt ist, gelblich z. B. bei Lepidosiren, bräunlich bei Amia,
so macht sich gewöhnlich der Unterschied in
einer erheblich lichteren Färbung der Keim-
schiclit bemerkbar. Bei den Eiern von Cera-
todus und den Stören ist wie bei den
Eiern der meisten Amphibien reichliches
Pigment vorhanden ; es bildet eine Schicht
unmittelbar unter einer dünnen oberflächlichen
Lage homogenen Plasmas, die am Hauptpol
stärker entwickelt ist als nach dem entgegen-
Fi^. 113. Frisch abgelegtes Ei von Amia calva
nach Whitmax und Eycleshymer (600).
gesetzten Ende, so daß die dunkle Abschattierung des Eies umgekehrt
ausfällt als bei den übrigen Arten, dunkel der animale Pol, heller der
vegetative. Bei den Stören ist die Pigmentlage am oberen Elende
derart verteilt, daß eine starke genau polare Anhäufung durch eine
lichtere ringförmige Zone von einem dichten Pigmentwulst am Baude
der Keim Schicht getrennt wird.
V. Teleostei. (W.) Die Eier der Knochenfische wechseln in der
Größe zumeist von der eines Mohnkornes bis zu der einer Erbse.
Wir haben bereits erwähnt, daß sie bei manchen Fischen, namentlich
die kleinen Eier, durch schleimige Substanz in Massen vereinigt, als
Laich, Synoion, ausgestoßen werden (p. 228); in anderen Fällen
werden die Eier einzeln abgelegt. Solange die Eier in den Eier-
stöcken vereinigt liegen , bezeichnet man ihre Masse insgesamt als
Rogen. Die Knochenfische und die zu den Ganoiden ge-
Iförigen Störe legen unter den Wirbeltieren wohl die größte Zahl
von Eiern. Ueber 100 wird bei den Teleostiern wohl stets die mindeste
304 W. Waldeyer,
Zahl betragen; sie kann aber, wie beim Hecht und Karpfen,
der Schleie u, a., auf 100000 und weit darüber steigen, um bei den
Störfischen mehrere Millionen zu erreichen. Vergl. hierüber die
weiter unten zu machenden Angaben.
Der Form nach sind die Eier der Knochenfische in der Regel
kugelig, seltener, wie bei verschiedenen Gobius- Arten, länglich, ähn-
lich Dipteren-Eiern und auch kaum größer als diese. Sie sind meist
von heller, gelblicher, grauer oder grauweißlicher Färbung, andere
wieder, namentlich die pelagischen Eier, völlig wasserklar und durch-
scheinend : B e 1 0 n e , L a b r i d e n , C r i s t i c e p s a r g e n t a t u s u. a.
Von Ctenolabrus geben A. Agassiz und VVhitman (M. 2758) an.
daß die Reifeier beim Ablegen leicht getrübt sind durch eine feine
Granulierung, s. Fig. 114, daß sie sich aber im Meerwasser binnen
wenigen Sekunden völlig klären. Fast immer ist die äußere „Ei-
kapsel", um den allgemein gefaßten Namen von His (419) zu ge-
brauchen, etwas durchsichtig. Diese Eikapsel ist durchweg sehr resi-
stent und elastisch, so daß man die Eier auf den Boden werfen kann,
ohne daß sie platzen. — Die Knochenfischeier gehören, wie wir gesehen
haben (p. 258), zu den meroblastischen.
Den im allgemeinen Teile gegebenen kurzen Bemerkungen über
das chemische Verhalten (p. 231), über den Dotter (p. 245.
249), über das Eindringen von Wasser zwischen Eikapsel und
Rindenschicht des Dotters, sobald die frisch gelegten Eier in das Wasser
gelangen, und das völlige Heraustreten des Keimes bei dieser Gelegen-
heit (p. 252, 254 und 255) und über die Kerne und Kernkörperchen
(p. 267) mag noch Nachstehendes, welches ich den Abhandlungen von
His (419 und 420a) entnehme, hinzugefügt werden:
Nach den Untersuchungen Miescher's bestehen die Eikapseln der
Lachseier aus einer im Wasser unlöslichen Eiweißmodifikation, lösen
\
/
'/■
Fig. 114. Fig. 115.
Fig. 114. Reifei von Ctenolabrus, spec. vor der Berührung mit Seewasser.
Ooplasma leicht granuHert. Eikapsel. Nach Agassiz und Whitmax (M. 27.ö8).
50 : 1.
Fig. 115. Reifei von Esox lucius nach His (419). Die feine dunkle äußere
Linie = Eikapsel. Die breitere helle Schicht = eingedrungenem Wasser. Die
folgende dunklere schmale Zone = dem äußeren Ooplasma-Kontur + der Rind en,-
schicht. Oben die hellere kugelförmig vorgewölbte Partie = Keim. Darunter
die sogenannten „Oelkugeln" der Rindenschicht, dann der flüssige Dotter. 15 : 1.
Die Geschlechtszellen. 305
sich auch nur schwei" in Kalilauge; sie sind aber verdaulich und liefern
eine zuckerfreie Peptonlösung ; ferner enthalten sie 0,76 Proz. Schwefel
und Spuren von Phosphor, der aber auch von anhaftender Dotterrinde
abgeleitet werden könnte.
Der Eiinhalt besteht aus dem Keime, der Rindenschicht und
der Dotter masse. (Die Ausdrücke „Hauptdotter" für „Keim" und
,,Nebendotter" für „Rindenschicht -\- Dottermasse", die von His noch ver-
wendet werden, sind entbehrlich.) Ueber den Keim, s. Fig. 115, ist dem
Gesagten nichts mehr hinzuzufügen. Die Rindenschicht ist im wesent-
lichen ein dünner, dicht unter der Eikapsel gelegener Protoplasmamantel,
der mit der Peripherie des Keimes zusammenhängt, mit anderen Worten
von dieser ausgeht und die centrale Dottermasse einschließt. Diese Schicht
bildet insofern eine Uebergangsbildung zwischen dem rein protoplasma-
tischen, von Dotterbestandteilen fast vollständig freien Keime und der cen-
tralen Dottermasse, als sie zahlreiche größere und kleinere, glänzende, zum
Teil gefärbte, Fetttropfen ähnliche, kugelige Gebilde enthält, die vielfach
als „0 elkug ein" bezeichnet werden. Aber His macht mit Recht darauf
aufmerksam, daß sie kein reines Fett sein können, da sie in Wasser
stark quellen. Sie bestehen aber auch nicht reinweg aus derselben Sub-
stanz wie die centrale flüssige Dottermasse, denn sie mischen sich nicht
mit dieser und bilden bei manchen Eiern, indem sie größtenteils zu-
sammenfließen , eine große sogenannte „Oelkugel" von starker Licht-
brechung, die sich neben der Dotterflüssigkeit selbständig erhält.
Letztere nimmt als eine klare, flüssige Masse konzentrierten Gehaltes
den größten Teil des Eikörpers ein, umschlossen vom Keime und der
mit diesem zusamenhängenden Rindenschicht. Wir sahen schon, daß bei den
Cvprinoiden auch feste Dotterkörper vorkommen. Bei den meisten
Teleostiern ist aber der Dotter in gelöstem Zustande vorhanden.
Das unmittelbar nach dem Entleeren der Eier in das umgebende
Wasser erfolgende Eindringen des letzteren ist für die Knochenfischeier
ein normales Vorkommnis und ist zur Entwickelung der Eier nötig ; die
in der Eikapsel vorhandenen Radiär kanälchen bilden wohl den
Weg. Der Keim, der beim eben gelegten Ei, wenn auch öfters gefärbt,
durchscheinend ist, trübt sich im Wasser leicht ; ebenso, und zwar stärker
und unter einer Art Gerinnung , die Dotterflüssigkeit. Soll die Ent-
wickelung der Eier ungestört vor sich gehen , so darf indessen kein
Wasser zu der Dotterflüssigkeit selbst gelangen. Ich bin mit His der
Meinuno-, daß der Keim zusammen mit der Rindenschicht den Zutritt
des eingedrungenen Wassers zur centralen Dottermasse verhindert. Das
eingedruno-ene Wasser befähigt den Eiinhalt zu Beweo-ungen namentlich
Rotationen, welche auch vielfach beobachtet werden. Fraglos mischt
sich das eingedrungene Wasser diffusiv auch sofort mit Ooplasmabestand-
teilen, so daß die Flüssigkeit, welche man zwischen Eikapsel und Rinden-
schicht antrifft, schon bald nach ihrem Auftreten nicht mehr als „Wasser"
bezeichnet werden kann. Siehe darüber weiteres zu Ende des Ab-
schnittes V. „Teleostier".
Die größten Schwierigkeiten bieten die Hüllen der Fischeier,
insbesondere das, was wir vorerst mit His (419), zusammenfassend,
die Eikapsel genannt haben. Es lassen sich öfters mehrere Schichten
gut unterscheiden.
R. H.) Das Chorion des Teleostiereies erinnert bei vielen Arten
an die ^'erhältnisse, welche wir bei Ganoiden kennen gelernt haben.
HaBdbuch der Entwickelungslehre. 1. 20
306 W. Waldeyer,
Bei C r e n i 1 a b r u s p a v o (List 46 1 d), L e u c i s c u s r u t i 1 u s (Hoff-
mann M. 2779), Alburnus lucidus (Brock M. 2900j, Cobitis bar-
batula (KöLLiKEU, Würzburger Verhandl., Bd. 8) und wahrscheinlich
bei den meisten Cyprinoiden und vielen anderen Teleostiern be-
steht es aus der Zona radiata und der Zottenschicht (Pig. 116).
9 ^^^&^^aäie^^5g^^_^ Fig. 116. Durchschnitt durch die ober-
z WMSMlMMlISmrm^^ flächlichste Dotterschicht und die LihüUeu
r ~' --^MMM/ von Alburnus lucidus (nach Brock), g
(i ~^'^^S^[ bindegewebige Hülle mit FoUikel-
'^Vl^^^'^*"©?^ä^^ ^'1^ epithel. z Zottenschicht. r Zona
■^^ '%?**^'^^'''-^ >^^S'^^--^ radiata des Chorion. </ äußere radial-
streitige Lage des hies.
Erstere liegt nach innen und ist von feinen Porenkanälen durchsetzt,
welche bei der Plächenansicht eine feine Punktierung, auf optischen oder
wirklichen Durchschnitten die bekannte radialstreilige Struktur verursachen.
Oefters ist an ihr eine äußere Schicht durch eine deutlich ausgeprägte
Grenze von dem Rest unterschieden und auch durch verschiedenes Pärbe-
verinögen ausgezeichnet. Neben der radialen Streifung kann noch eine
konzentrische Schichtung vorhanden sein. Wenn die Eier in das Wasser
gelangen, kann die radiale Streifung infolge von Quellung undeutlich
werden, so daß dann die konzentrische Streifung allein auffällt. So er-
klären sich wohl die Angaben v. Kupffbr's (Die Entwickelung des
Herings im Ei. Jahresber. der Kommission zur wissenschaftl. Untersuchung
der deutschen Meere in Kiel, 1874 — 1876. Berlin, Wiegandt, Hempel
und Parey, 1878), daß das Chorion des Herings in seiner äußeren Lage
konzentrisch, in seiner inneren Lage radiär gestreift sei, und die Angaben
Ryder's (M. 2808) und List's, daß die der Zona radiata der übrigen
Pisclie entsprechende Schalenschiclit bei Gadus morrhua und Creni-
labrus pavo nur konzentrische Streifung erkennen lasse.
Die Z 0 1 1 ens clii cht besteht bei Leuciscus rutilus (Hoff-
MANX 1. c.) und Alburnus lucidus (Brock 1. c.) aus keulenförmigen
Zapfen, welche palissadenartig nebeneinander gestellt sind, bei C r e n i -
labrus pavo (List 1. c.) aus kleinen, äußerst regelmäßig" geformten
hexagonalen Prismen ; sie quillt beim Uebertragen in das Wasser und
verleiht den Eiern eine beträchtliche Klebkraft, vermöge deren sie au
Premdkörpern haften oder untereinander zu Gallertklumpen zusammen-
backen. Man hat daher Ursache, bei Eiern, welche von klebriger Be-
schaffenheit sind, die Existenz einer Zottenschicht zu vermuten. Für
das Heringsei, welches nach Kupffer (1. c.) mit einer homogenen kleb-
rigen Schicht umhüllt ist, hat Hoffmaxx (1. c.) in der That nachgewiesen,
daß dieselbe durch Verquellung einer radialstreifigen Schicht entsteht,
die von der eigentlichen Zona radiata scharf unterschieden ist und offen-
bar wie bei L e ]3 i d o s t e u s von palissadenartig zusammengefügten Zotten
gebildet wird.
Sehr häufig ist die Zottenschicht rudimentär oder fehlt sogar ganz,
z. B. beim Hecht, Salmoniden etc.: in anderen Pällen ist sie modi-
fiziert oder vielleicht auch durch anderweitige Strukturen ersetzt, so bei
den durch starke Klebkraft ausgezeichneten Eiern des Stichlings,
vielen Scomberesociden, verschiedenen Arten von Gobius, Blen-
n i u s u. s. w. Hier finden sich auf der Oberfläche der Zona radiata
Portsätze von mannigfacher Gestalt, die gewöhnlich als modifizierte Zotten
gedeutet werden. Bei den Scomberesociden (Haeckel, Arch. f.
Die Geschlechtszellen.
307
Anat. u. Phys. 1855,
gesamte
Cho
rion
Länge.
KöLT.iKKU 1. c.) sind sie über das
verbreitet und bilden wurmförinig gewundene Fäden von enormer
Bei Belone sind die Fäden kürzer, in geringerer Zahl und auf den Um-
kreis der Mikrop3'le (s. w. u.) beschränkt. In gleicherweise ist bei
den Stichlingsarten das Chorion im Umkreis der Mikropjde mit kleinen
gestielten pilzförmigen Aufsätzen bedeckt (ca. 300 auf einem Eij. Ob
die große Klebki-aft des Eies von. den beschriebenen Fortsätzen ausgeht,
oder ob nicht etwa noch zwischen ihnen eine aus verquollenen Zotten
hervorgehende Gallertschicht liegt, ist nicht genügend sichergestellt. Im
letzteren Falle werden die Aufsätze nicht ohne weiteres den Zotten der
Fische vergleichbar sein,
übrigen
renzierungen derselben aufgefaßt
sondern höchstens als besondere Diffe-
werden können.
Die merkwürdigsten Verhältnisse zeigt jedoch die äußere Eihaut
des Barscheies (Fig. 117), welche so sehr von allem Bekannten ab-
weicht, daß sie für eine eigentümliche, dem Knorpel am nächsten stehende
Gewebsform hat gehalten werden können (His 419). Leider ist die
Deutung der Schicht trotz zahlreicher über sie erschienener Untersuchungen
noch strittig. Die Zona radiata ist bei Perca fluviatilis besonders
deutlich in eine schmalere äußere und breite innere Lage gesondert ; sie
ist außerdem nach außen von einer gewaltigen Gallertschicht umhüllt,
welche von ihrem Entdecker Jon. Müller (M. 1995) mit Unrecht der
von C. Vogt (M. 2818) beschriebenen Zona radiata
verglichen wurde. Jon. Müller schreibt der Ober-
vorhei'
Coregonus
an reifen, aber dem Eierstock entnommenen
einige Zeit
von
fläche der Schicht
Eiern eine hexagonale Felderung zu. Vom Mittelpunkt eines jeden Feldes
soll mit tromjoetenartig verbreitertem Ende ein Pöhrchen ausgehen, welches
wie ein Zahnbeinröhrchen aussehe und die Dicke der Gallerte durchsetze.
Die betreffende Felderung wurde später in unzutreffender Weise von
Raxsom (M. 2803) wieder abgebildet und besctrieben ; sie ist durch das
zierliche Mosaik des Follikelepithels hervorgerufen und fehlt daher an
abgelegten Eiern. Die sogenannten Röhrchen sind durch Ausläufer der
Follikelzellen bedingt, welche breit an jeder Zelle beginnen (daher die
trompetenartige Verbreiterung der Eöhrchen), oft einen korkzieherartig
gewundenen Verlauf einhalten und bis zur Zona radiata vordringen
(Waldeyer 591, Brock 1. c). Nach dem Untergang der Follikelzellen
und ihrer Ausläufer erhalten sich die von letzteren in die Gallerte ein-
gegrabenen Röhrchen. In der Deutung der Gallertschicht stehen sich
zwei Auffassungen gegenüber: 1) sie ist eine den übrigen Fischen fehlende
Eika])sel, also eine Bildung eigener Art (Mark [M. 830], Kölliker 1. c),
2) sie ist eine modifizierte Zött-
chenschicht. Letztere Auffassung
wäre berechtigt, wenn sich Hoff-
maxn's (1. c.) Angabe bestätigte,
daß sich die Schicht als eine Lage
kleiner Zöttchen bildet.
Fig. 117. Querschnitt durch Fol-
likel, Chorion und angrenzenden Dotter
des Barscheies (nach Brock), g
faserige FoUikelwand. z Gallertschicht
mit Zellen des Follikelepithels, welche
Fortsätze in die Schicht entsenden, r
Zona radiata, aus 2 Teilen gebildet, d
Dotter.
20*
308
W. Waldeyer,
Die Unsicherheit, welche in der Deutung der EihüUen der Fische
besteht, hat ihren Grund darin, daß wir über ihre Entwickelungsweise
nicht genügend orientiert sind. Auch hier begegnen wir zweierlei
Angaben, Nach der einen (Kölliker, Mark 11. cc.) bildet sich im
Follikel zunächst die Zottenschicht und später erst, zwischen ihr und
der Eiobertläche, die Zona radiata, welche demgemäß kein Produkt der
Granulosazellen wäre, sondern vom Ei ausgeschieden würde. Dann
wird die Zona radiata „Dotterhaut'' genannt. Nach der herrschenden
Auffassung dagegen ist das Verhältnis umgekehrt (Brock 1. c); die
Zona radiata ist wie bei anderen Wirbeltiereiern ein Produkt der
Granulosa, ebenso auch die Zöttchenschicht ; die ganze Eikapsel der
Fische wäre dann, wie es hier geschehen ist, als Chorion zu deuten.
Die interessanteste Struktur des Chorion endlich ist die von
DoYERE und Bruch unabhängig voneinander entdeckte Mikropyle,
welche bei allen Teleostiereiern in Einzahl vorkommt (vergl. Ganoiden,
Fig. 112 und Figg. 118 — 122, ferner die geschichtlichen Bemerkungen
am Schlüsse dieses Kapitels). An der Stelle, wo die Mikropyle liegt,
ist das gesamte Chorion trichterförmig eingezogen, so daß es sogar
etwas in den Dotter hineinragt. An den noch im Eierstocke befind-
lichen Eiern wird der Trichter von einer besonders großen FoUikel-
zelle ausgefüllt (s. Fig. 112). Am Grunde des Trichters findet sich
ein feiner, die Dicke des Chorion durchsetzender Kanal, dessen Durch-
messer etwa der Breite eines Spermienkopfes der betreffenden Fisch-
art entspricht. Bei der Flächenansicht der Mikropyle bekommt man
konzentrische Kreise, ein innerer kleiner Kreis ist der Mikropylkanal
selbst, ein weiterer äußerer Kreis entspricht der äußeren Umrandung
der trichterförmigen Einsenkung des Chorion.
(W.) In den Figg. 118 — 122 lasse ich noch einige Bilder von Fisch-
His und OwsjANNiKOW zu näherer Erläuterung des
Bei der Forelle (Fig. 118) folgt auf eine tiache
„Mulde'' der Eikapsel ein
gangstricht er'' (His 419)
feine „M i k r o p y 1 e n k a n a 1" .
mikropylen nach
folgen.
Gesagten
/-
engerer „Zu-
und dann der
An dessen Mün-
Fig. 118. Mikropyle von Salmo fario L. (Fo-
relle) nach His (419). tat. I, Fig. 10. Hartnack Obj.
IX. Näheres im Text.
Fig. 119. i?tück eines Eies von Salmo salar L. (Lachs). Mikropyle.
Unter der Kapsel ein heller Zwischenraum, dann der Keim und die Rindenschicht.
Nach His (419), Taf. I, Fig. 7. Hartnack Obj. V. S. Text.
dung gegen das Ooplasma hin (s. a. Fig. 119), vom Lach sei, bildet die
Eikapsel einen kleinen Vorsprung. — Beim Lachsei (Fig. 119) finden
wir eine flache Mulde, auf welche sofort der Mikropylenkanal folgt.
Die Gesclilechtszellen.
309
In Fig. 120 ist bei stärkerer Vergrößerung die Mikropyle eines Lachs-
eies und bei derselben Vergrößerung ein Lachsspermiuni dazu ge-
zeichnet: man sieht, daß die Mikrojnle nur ein eni ein zi gen Sper-
mium zur selben Zeit den Durchtritt gewähren kann.
Fig. 121.
Fig. 120.
Fig. 122.
Fig. 120. Mikropyle von SaJiiio salar bei stärkerer Vergrößerung nebst
einem dazu gezeichneten Spermium derselben Fischspecies. Nach His (419),
Taf. I, Fig. 8. Hartnack, Syst. XII.
Fig. 121. Mikropylenpol von Gasterosteus aculeatus. Mikro-
pylengrube (Mulde) von einer Schleimmasse mit Kernen ausgefüllt. Zöttchen
auf der äußeren Eihaut fZona radiata), welche zur Bildung der Grube stark einge-
buchtet ist. Unter der Zona radiata noch eine helle Schicht (eingedrungene Flüssig-
keit? W.). Dann die Rindenschicht und der Dotter, beides nur recbterseits ge-
zeichnet. Oc. I, Obj. 2, Seibekt. Nach Owsjannikow [M. 2799), Taf. III, Fig. 35.
Fig. 122. Mikropyle von Gasterosteus (spec.) von der äußeren Ober-
fläche des Eirs gesehen. Faltungen der Eikapsel um die Mulde herum. Nach
His (419).
Bildungsweise
der Mikrop3de bei
Fig. 121) der der Salmoniden mikropyle
einer schleimigen Masse
Im ganzen schließt sich die
Gasterosteus (aculeatus) f s
an. Nur ist die Mulde hier größer und mit
ausgefüllt. Der Mikropylenkanal wird gegen das Keimbläschen,
welches unmittelbar unter ihm gelegen ist, wieder etwas weiter, was
bei der Forelle und dem Lachs nicht der Fall ist. Auch ist die Ei-
kapsel im Bereiche der Mikropyle etwas verdickt. Von der P'läche ge-
sehen zeigt sich die Eikapsel um die äußere Mikropylenötfnung herum
in radiäre Falten gelegt (Fig. 122).
(R. H.) Nach innen vom Chorion wird von vielen Forschern,
Vogt und Agassiz (M. 2818), Whitmann und Eycleshymer (600),
Hoffmann. 1. c, Oellacher (M. 279(3), Foulton (373) und anderen
noch eine weitere äußerst zarte Membran angenommen und als
Dotterhaut bezeichnet. Ihre Existenz muß mindestens als im
hohen Grade zweifelhaft angesehen werden, da insbesondere die neueren
310 W. Walde YER,
Untersuchungen nichts über sie zu l)erichten wissen, Nveder an un-
befruchteten noch an befruchteten Eiern. Viele Forscher wurden zur
Annahme einer Dotterhaut geführt, durch die beim Eindringen des
Wassers — siehe vorhin — zu beobachtenden Erscheinungen, daß das
Wasser sich zwischen EioberÜäche und Dotter sammelt, und daß der
Dotter, wenn man ihn durch Anstechen des Eies entleert, bei Be-
rührung mit Wasser gerinnt. So kam man zur Vorstellung, es müsse
zwischen Dotter und dem durch das Cliorion eingedrungenen Wasser
eine trennende und die Gei'innung verhindernde Membran vorhanden
sein. Die ganze Schlußfolge ist unbegründet, da, wie wir sahen, die
Rinden Schicht den Dotter genügend gegen die Einwirkung des
Wassers schützt.
In vielen Fällen (Obllacher, 1. c.) ist es unzweifelhaft diese
protoplasmatische Rindenscliiclit gewesen, welche zur Annahme einer
Dottermembran geführt hat. Denn in diesen Fällen wird angegeben,
daß die Dottermembran die unmittelbare Fortsetzung des Keims sei,
was für die Rindenschicht zutrifft, mit dem Wesen einer Dottermembran
dagegen unvereinbar wäre, daß ferner in ihr die für die Rindenschicht
des Eies charakteristischen „Oelkugeln" lagern. Auch ist es vollkommen
willkürlich, das homogene Material, welches bei im Wasser liegenden
Eiern das Chorion von der Dotteroberfläche trennt, für reines Wasser
zu erldären. Viel wahrscheinlicher ist, daß die Flüssigkeit Beimengungen
enthält. Schon geringe Beimengungen von Salzen würden hinreichen,
die Dottergerinnung zu verhüten, welche z. B. in physiologischer Koch-
salzlösung, selbst wenn man sie auf die Hälfte verdünnt, nicht zu stände
kommt. Wahrscheinlich ist aber der betreffende Raum gar nicht von
Flüssigkeit eingenommen, sondern von einer weichen, flüssigkeitsreichen
Gallerte, wie sie bei den Eiern wirbelloser Tiere angetroffen wird.
VI. Amphibia. Was die Beschaffenheit der Eier der Am-
phibien anlangt, so sind dieselben ziemlich dotterreich und dem-
gemäß von ansehnlicher Größe. Die kleinsten Eier findet mau im
allgemeinen bei Anuren. Ihr Durchmesser beträgt bei Pelobates
fuscus 1,5 mm (Van Bambeke. M. 59), bei Rana temporaria
2 (1,80—2,12) mm (Born 296a).
Den Anuren schließen sich zunächst die Triton en an, deren
Eier 1,6 — 2 mm messen. Der Durchmesser des Eies schwankt l)eim
Axolotl zwischen 1,5 — 3 mm (meist 2 mm), bei Am bly Stoma
puuctatum beträgt er 2 mm (Eycleshymer 357a), bei Sala-
m a n d !■ a maculosa nach Carno y (321 -«323) 3,5 mm, nach
Kupffer (M. 12) sogar 5 mm, nach Grönroos (388) meist 4 mm
(3,8 — 5 mm) bei Necturus sogar 6 mm (Fülleborn). Die größten
Eier finden sich bei den Gy m nophion en , auf die ich wegen ihrer
Besonderheiten später noch einmal zurückkommen w^erde. Der in
den bekannten „Dotterplättchen" abgelagerte Dotter ist im ganzen
Ei verbreitet, am spärlichsten jedoch in der Umgebung des animalen
Poles, wo sogar bei Salamandra maculosa eine nahezu dotter-
freie Partie entstehen kann, welche an die Keimscheibe der Vögel
erinnert. In ihr liegt das Keimbläschen, auf späteren Stadien der
Ei- und Furchungskern. Bei Salamandra fällt die dotterfreie
Region durch weißliche Farbe auf und unterscheidet sich ähnlich wie
bei den P e t r o m y z o n t e n hierdurch von der gelblichen Haupt-
masse des Eies. Diese für ein Amphibien -Ei auffallende Eigen-
Die Geschlechtszellen. 311
tümliclikeit ist eine Folge des gänzlichen Pigmentmangels, welcher
seinerseits wieder wohl mit dem Umstand, daß die Eier nicht ins
Freie abgesetzt werden und so nicht an das Licht gelangen, in Zu-
sammenhang zu bringen ist. Sonst gilt für die Amphibieneier als
Regel, daß die animale Seite des Eies dunkler gefärbt ist als die
vegetative, und zwar infolge Ablagerung reichlichen Pigments. Das
Pigment findet sich vornehmlich in der Rindenschicht des Eies und
breitet sich von der animalen Hälfte über den Aequator hinweg auch
auf die vegetative Seite aus, wo es mit einer wenig scharf markierten
Grenze aufhört. Von der Rinde aus erstreckt sich öfters ein zartes
Pigmentnetz auch in die inneren Partien des Eies. Häufig findet sich
ein Pigmentstrang im unreifen Ei, der, am animalen Pol beginnend,
ein Stück weit nach dem Innern des Eies bis zum Keimbläschen
reicht, welches er umhüllt. Er erzeugt eine als „figure claviforme''
(Van Bambeke M. 1936) beschriebene Zeichnung, welche auch nach
dem Untergang des Keimbläschens noch eine Zeit lang bestehen
bleibt. Am intensivsten ist die Pigmentierung bei den Anuren,
am schwächsten bei den Triton en. Noch deutlicher als bei un-
befruchteten Eiern ist die Pigmentverteilung nach der Befruchtung;
vergl. das betreffende Kapitel.
Ueber die Eihüllen der Amphibieneier ist noch immer keine
Einigung erzielt. Sicher ist, daß schon im Ovar vom Follikelepithel
eine Hülle ausgeschieden wird, das Chorion, welches sehr häufig
(RoBiN, Jouru. Anat. Phys. 1874, 0. Schultze 547a) auch „Dotter-
membran" genannt wird. Manche Autoren (Newport 6H2 I, Van Bam-
beke 274a, FiCK 363) sprechen dann noch von einer weiteren
zarteren Hülle einwärts vom Chorion, der Dotterhaut, andere be-
streiten deren Existenz. Van Bambeke (274a) und andere, welche
für eine Dotterhaut eingetreten sind, lassen dieselbe so dicht der
Oberfläche des Eies aufliegen, daß sie nur schwierig von Pigment-
körnchen gereinigt werden könne und bei dem Furchungsprozeß mit-
eingefaltet werde, was dafür sprechen würde, daß unter „Dotterhaut"
nur eine Grenzlage des Rindenprotoplasma, keine besondere Membran
zu verstehen wäre.
Eine weitere Kontroverse ist (Fick), ob die Dotterhaut schon v o r
der Befruchtung vorhanden ist und infolge derselben nur deutlicher
wird, oder ob sie überhaupt erst nach der Befruchtung in die Er-
scheinung tritt.
Stets wird das Amphibienei beim Passieren der Eiwege noch
von weiteren Hüllen umgeben, die von den Eileiterdrüsen aus erzeugt
werden. Van Bambeke (274a) unterscheidet 3 derartige Hüllen, 1)
eine innere Kapsel, innerhalb welcher das Ei die später (s. Kapitel
„Befruchtung") zu besprechenden Rotationen ausführt, sie enthält beim
Axolotl hell glänzende Kügelchen, hat ein faseriges Aussehen und
entspricht wahrscheinlich der Lage, welche von Robin „Chorion'' ge-
nannt wird; 2) eine äußere Kapsel von krystallartiger Durchsichtig-
keit und großer Festigkeit; 3) eine mächtige, in Wasser stark quellende,
klebrige und daher zum Befestigen der Eier an Fremdkörper dienende
Gallertschicht (couche agglutinante ou adhesive). (W.) Diese äußerste
Hülle ist es denn auch, welche die Amphibieneier bei sehr vielen
Arten zu einem Synoion, Laich, verbindet. Dieser Laich kann
klumpig (Frösche) oder schnurförmig sein (Alytes, Pelobates, Bufo).
312
W. Waldeyer,
Bezüglich
der Eihäute der Amphibien stimmt der Befund an den
Eiern von Triton taeniatus, den
s. Eig. 123, erheben konnte, mit den
ich an einem Präparate Bbnda's,
Angaben O. Schultzk's (547a)
überein. Man sieht unmittelbar
unter dem Eollikelepithel mit
seinen abgeplatteten Kernen eine
(dunkel gezeichnete) homo-
gene Haut = Dotter haut 0.
ScHULTZE, darunter deutliche,
radiär gestellte Stäbchen, welche
offenbar der äußersten Ooplasma-
lage angehören und das dar-
man als „Zona
bezeichnet. Jeden-
stellen, was
radiata"
falls liegt
nehmen.
es
nahe.
Betrachtet
das anzu-
man die
Zeichnungen E,. Fick's (363),
will es mich bedünken, als
so
ob
man
6
bis
10
unter anderem in den
Eig^
30,
'"s
11, 12, 13, 17a, 17b, 26
an den vorzüglich aus-
geführten Bildern gut erkennen
könne, daß Eick's äußere Dotter-
haut (Chorion oder auch Zona
pellucida), wie er sie zu nennen
vorschlägt, noch aus zwei Schich-
ten, einer äußeren homogenen
und inneren radiär gestreiften,
bestehe. So kurz die radiären
Streifen auch sind, so lassen sie
sich stellenweise doch deutlich
wahrnehmen. Allerdings muß
man dann zugeben, unter Berück-
sichtigung der Eiguren 10 und
30 bei EiCK,
innerste dritte,
daß noch eine
sehr feine Dotter-
ist, die zumeist
haut vorhanden
als Grenzschicht des Ooplasma
erscheint, aber, wie in Eig. 10
und 30 (1. c.) sich auch einmal
isoliert zeigt. Sonach würde bei
den Amphibien eine Zona ra-
diata vorhanden sein — die
Eig. 123 gestattet wohl kaum
eine andere Deutung — die vom
Ooplasma ihren Ursprung nähme.
Oder aber man müßte zur Er-
klärung von Eig. 123 sagen :
zuerst habe das Eollikelepithel
die Zona radiata gebildet, dann
darüber peripherisch noch eine
homogene Lage. Unter Umständen könne auch noch, wie beim A x o 1 o 1 1
nach EiCK, eine feine Dotterhaut sensu strictiore gebildet werden. Diese
Fig. 123. Segment eines Eies von Tri-
ton taeniatus, nach einem Präparate von
Benda. Zeiß, homog. Imm. Vi», Ok. 4. —
Erklänmg im Text.
Die Geschlechtszellen. 313
Dotterhaut Fick's ist ohne Zweifel identisch mit der „membrane vitelline"
Vax Bambkke's (274a) , sowie mit der bei den Selachieni erwähnten
Grenzmembran Rückekt's. Ob sie in Fig. 123 vorhanden ist, oder in
dem Stadium, in welchem sich das gezeichnete Triton-Ei befand, über-
haupt noch nicht vorhanden war, will ich nicht entscheiden. Das letztere
ist mir in Rücksicht auf die Befunde R. Fick's das Wahrscheinlichere.
Vgl. hierzu das vorhin bei der allgemeinen Besprechung der Eihüllen
Gesagte, p. 288 ff.
VII. Reptilia. (ß. H.) Die Eier der Reptilien sind nächst den
Vogeleiern die größten bei den Wirbeltieren vorkommenden Eier;
sie sind daher zur Untersuchung der Reifungs- und Befruchtungser-
scheinungen wenig geeignet, woraus es sich erklärt, daß wir über die
ersteren gar nicht, über die letzteren sehr unvollkommen orientiert sind.
Wie beim Vogelei hat das als „Gelbei" aus dem Ovar austretende
Ei der Reptilien meist eine gelbliche oder orange Färbung; es erinnert
auch an dasselbe in seiner feineren Struktur. Bei den Eidechsen
besteht es nach Sarasin aus konzentrischen dunkleren und helleren
Schichten, welche um eine der Latebra vergleichbare Stelle (Dotter-
organ) gruppiert sind, nur daß diese nicht im Centrum der Eikugel
lagert, sondern an wechselnden Stelleu angebracht ist. An einem Pol
sind die Schichten sehr dünn und fließen zu einer linsenförmigen, das
Keimbläschen enthaltenden Masse zusammen, der Keimscheibe. Sicher
festgestellt ist nur die Existenz einer Hülle, über deren Entstehung,
ob vom Dotter oder vom Follikel, die Ansichten der Forscher geteilt
sind. Sie entspricht der Zona radiata der bisher betrachteten Wirbel-
tiereier und soll im folgenden „Chorion" genannt werden. Sie zeigt
bei allen Reptilien eine deutliche radiale Streifung, eine Struktur,
die ja meist auf Porenkanäle zurückgeführt wird. Bei Schildkröten-
Eiern glauben freilich Agassiz und Clark (M. 2279) sich überzeugt
zu haben, daß die Schicht in kleine Prismen zerlegt werden kann.
Xach Ei.MEK (M. 1963) soll nach innen von der Zona radiata ein
feines Häutchen, die Dotterhaut vorhanden sein und ein gleiches nach
außen, das „Chorion". Völlig unverständlich und von keinem neueren
Forscher bestätigt sind die Angaben, daß zwischen der Dotterkugel und
der Dnttei-haut ein besonderes Epithel lagere, wie das Follikelepithel außer-
halb des Chorion (Agassiz u. Clark, Eimer).
Allen Reptilien gemeinsam ist die fibröse Eihaut (Schalen-
liaut), eine Membran, welche aus mehreren Lagen besteht, die oft durch
Präparation voneinander getrennt werden können. Jede Membran
wird von feinen Fasern gebildet, welche in ihrer Beschaffenheit am
meisten an elastische Fasern erinnern. Sie beginnen mit Verdickungen,
oft mit deutlichen Kolben und verlaufen im großen und ganzen mit
der Oberfläche des Eies parallel. Bei den Eidechsen sind sie
namentlich in den oberflächlichen Lagen wirr angeordnet und machen
dadurch den Eindruck einer körnigen Schicht. Bei den Schildkröten
beschreiben Agassiz und Clark eine sehr regelmäßige Anordnung:
innerhalb einer und derselben Schicht sollen die Fasern parallel verlaufen,
die Faserrichtungen zweier auf einander folgenden Schicjiten sollen sich
dagegen unter rechten Winkeln kreuzen. Auch bei den Krokodilen
sind zwei im allgemeinen senkrecht zu einander gestellte Fasersysteme
314
W. Waldeyer,
vorhanden, von denen das eine im wesentlichen in der Kichtiing der
Längsachse, das andere der Quere nach angeordnet ist.
Zwischen den Fasern finden sich auch isolierte Kolben, für die
ein Zusammenhang mit Fasern nicht hat erwiesen werden können.
Ferner ist der Zwischenraum zwischen ihnen von einem homogenen
Bindemittel erfüllt, welches um so mehr hervortritt, je spärlicher die
Fasern sind. Dies gilt im allgemeinen für die obertiächlichste Lage.
Für Schlangen beschreibt Nathusius (Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 21
und 38) hier eine homogene Schicht, die nach außen durch eine trübe
Cuticula abgeschlossen werde.
Die äußerste Schicht der Schalenhaut ist meist mit
Kalk imprägniert. Die Verkalkung fehlt bei den durchsichtigen
Schalen lebendig gebärender Formen (Lacerta vivipara), sie ist bei
den meisten Lepido säur lern nicht sehr stark entwickelt und ebenso
bei manchen Seeschildkröten (Chelone), denen man eine lederartige
Schale zuschreibt. Dagegen ist eine harte Kalkschale nach außen von
der fibrösen Eihaut entwickelt bei manchen Schlangen, vor allem aber
l)ei den meisten Schildkröten und allen Krokodilen; bei Schlangen
besteht sie entweder aus lockeren, rosettenförmigen, pflasterartig an-
einander gefügten Plättchen oder dichtgefügten, an die Mamillarschicht
der Vogeleischale erinnernden Säulchen (Nathusius) ; bei Schild-
kröten und Kroko dilen ist sie eine dicke Kalkkruste, dicker selbst
als die Schale des Vogeleies. Von letzterer unterscheidet sie sich
durch ihre rauhe Oberfläche (s, Fig. 124), weil die für das Vogelei
charakteristische glatte cuticula-artige äußere Schicht fehlt. Die Rauhig-
keiten der Oberfläche erzeugen bei Krokodileiern eine zierhche Zeich-
nung, indem sie zu Riffen aneinander schließen, welche wie die Win-
dungen einer Hirnkoralle mäandrisch angeordnet sind (Voeltzkow).
Bei Schildkröten und Krokodilen ist die Schalendicke von
Porenkanälen durchsetzt.
Bei Eidechsen und Schlangen liegt die Schale dem Chorion
direkt auf; es fehlt eine ernährende Ei weiß schiebt. Gleich-
wohl findet in manchen Fällen — ob in allen, ist fraglich — eine
Ernährung des Eies durch die Schale hindurch statt, wahrscheinlich,
indem das Eiweiß,
welches von den
Wandungen des
LTterus stammt, so-
fort vom Ei auf-
genommen wird
(Leuckart). Sa-
RASiN (M. 2354)
fand, daß das Ei
von Lacertaagi-
lis nach Abzug der
Schale in der Zeit
vom Eintritt in den
Eileiter bis zur Ge-
burt um ^3 seines
Gewichts zunimmt.
Fig. 124. Ei von Crocodilus americanus Seba. Reichlichere Aus-
Rauhe Oberfläche der Eischale. Natürliche Größe. Nach SCheidung von El-
Clarke (328), Taf. IX, Fig. 3. weiß führt bei vielen
Die Geschlechtszellen.
315
Re])tilien zur Bildung einer besonderen Eiweißschicht zwischen Chorion
und Schalenhaut. Dieselbe findet sich andeutungsweise bei Hatteria,
ist stärker entwickelt bei Krokodilen, am mächtigsten aber bei
Fis. 121
0.
Alligator
Ei von
m i s s i s -
sipiensis Daudin,
von oben her eröffnet.
Die Kalkschale, so-
weit sie erhalten, zeigt
zackige Ränder; unter
diesen kommt rechts
und links die weiße
S c h a 1 e n h a u t vor.
In der Mitte sieht man
das verhältnismäßig
große kugelige Gelb-
ei, in dessen Mitte
wiederum die kleine
helle Keim Scheibe,
links davon als weiße,
etwas unregelmäßige Linie den E a n d der Keimhaut (am Gelbei). Die dunklere,
das Gelbei zunächst umgebende Masse ist das Eiweiß. Nach Clärke (328), Taf.
IX, Fig. 7. Natürl. Größe.
Fig. 126. Ei von
Alligator missis-
s i p i e n s i s Daudik.
Ein großer Teil der
Kalkschale ist wegge-
brochen ; man sieht die
große mittlere kreide-
weiße Zone der
Schalenhaut. Nach
Clarke (328), Taf. IX,
Fig. 5. Natürl. Größe.
/
V
V
\
Schildkröten; bei K r o k o d i 1 i e r n und Cheloniern hat sie auf-
fallende Konsistenz, so daß man Schale und Schalenhaut entfernen
kann, ohne daß die nunmehr durch die Eiweißlage gegebene Form des Eies
verändert wird. Noch bezeichnender für die Konsistenz ist eine andere
Wahrnehmung. Die Eiweißschicht besteht aus einzelnen Lagen. Man
kann die einzelnen Lagen abziehen, ohne das Ausfließen des Restes
zu bewirken.
Die Untersuchungen von Agassiz und Clark (1. c.) machen es
wahrscheinlich, daß die Eiweißmassen in die inneren Lagen der Schalen-
haut abgelagert werden. Man findet nämlich bei Schildkröten Eier
im oberen Abschnitt des Oviducts, bei denen die Schalenhaut schon
entwickelt ist, die Eiweißschicht aber noch nicht ihi^e definitive Mächtig-
keit erreicht hat. Man muß daher annehmen, daß das Eiweiß durch die
Dicke der Sclialenhaut hindurch auf den Dotter abgelagert wird. Die
genannten Autoren fanden ferner, daß in den Eiweißschichten sich feine
ovale Körner finden, die in parallelen Reihen angeordnet sind ; je mehr
man nach außen kommt, um so mehr schließen die Körner zu Easern zu-
sammen, die den Fasern der Eihaut entsprechen. Dazu kommt als
316
W. Waldeyer,
zwei aufeinander folgende
Es
liegt
weiteres Moment der Uebereinstimmung, daß
.Schichten die Körnerreihen in gekreuzter Anordnuna'
daher nahe, anzunehmen, daß die Eiweißschicht,
dilen, Schildkröten und, wie ich gleich hinzufügen will,
durch faserige Zwischenlager gestützt, zwischen Schale und Choi4on des
Eies findet, sich auf die Nährflüssigkeit zurückführen läßt, welche zur
Ernährung des Embryo bei L epi dos aur iern durch die fibröse Schale
hindiirch abgeschieden wird. Da die L ep ido saurier ihre Eier im
6 zeigen,
welche man bei K r o k o -
Vögeln,
allgemeinen
länger
im Muttei'leib behalten, kann
Scheidung eine kontinuierliche und allmähliche sein,
Anhäufung
hier die Eiweißaus-
bei der es zu keiner
kommt. Die Abscheidung muß dagegen eine energischere
werden, wenn die Eier rascher den Eileiter und Uterus passieren. Das
Ei kann daher das Nährmaterial nicht bewältigen, und so bildet sich
die Anhäufung in den inneren Lagen der Faserhaut aus.
(W.) Die Untersuchungen von Clarke (328) ergaben noch eine
eigenartige Besonderheit am Ei von Alligator mississipiensis
Daudin. Hier tritt in der Mitte des Eies bald nach der Ablage des-
selben in der Schalenhaut eine quer zur Längsachse desselben gestellte,
kreideweiß erscheinende Zone auf (Eig. 126), welche auch durch,
die Kalkschale hindurch zu erkennen ist und sich mit fortschreitender
Entwickelung des Embryo noch weiter nach den Polen hin ausdehnt.
In Fig. 125 ist ein völlig geöffnetes Ei dei\selben Species wieder-
gegeben, bei welchem die Entwickelung der Keimhaut schon ziemlich
weit vorgeschritten ist; man sieht — vgl. die Erklärung der Figur — ,
daß die anatomischen Vei'hältnisse hier ganz ähnlich denen eines Vogel-
eies, speciell eines Hühnereies sind (s. w. u. Fig. 128). Nur ist vom
Eiweiß des Alligatoreies noch zu bemerken, daß dasselbe in der Gegend
der Ränder der kreideweißen Zone an der Schalenhaut befestigt ist, so
daß es nicht ohne weiteres ausfließt.
schmale
p 1 a s m
Um das
hellere Üop
a. Etwas nach
Keimbläschen
asmaschicht, dann die
links das Keimbläschen
eine helle Schicht. Nach
Fig. 127. Junges Ei
von Hatteria punc-
tata in seinem Fol-
likel (1 mm Durch-
messer). Außen die
bi n dgewebige F o I -
likeiwand, mit den
an ihren abgeplatteten
Kernen kenntlichen
Follikelepithel-
z eilen. Oben (in der
Figur) ist die FolUkel-
wand vom Ei abge-
hoben, unten liegt sie
ihm dicht an in natür-
licher Lage. Am Ei
erkennt man die Zona
r ad lata als äußerste
Hülle, darunter eine
dunkle Hauptmasse des üo-
mit zahlreichen Nukleolen.
G. OsAWA (507).
Li Fig. 127
wiederhole ich die
ge-
kommene Fig
zur Ansicht
übersehen zu
erinnere ich in
p. 259 bereits zum Abdrucke
79, die ein junges Ei von Hatteria jiunctata Gray
ringt, um alle Teile eines jungen Reptilieneies mitsammen
können. Va'l. dazu auch das p. 259/260 Gesagte. Ferner
Bezug
auf die E i li ü 1 1 e n , insonderheit die Zona
Die Geschlechtszellen. 317
radiata, an Fig. 1U4, aus der hervorgeht, daß an jungen Eiern außen
auf der Zona radiata noch eine sich in Eisenhiuaatoxylin schwärzende
dünne, homogen erscheinende Haut vorhanden ist, so daß die Hüllen
solcher Eier sich genau verhalten wie bei Triton (Fig. 123). Vgl. das
p. 312 Gesagte.
VIII. Aves. Die sämtlich mit einer äußeren harten verkalkten
Schale versehenen Vogel ei er sind so gut in ihrer äußeren Er-
scheinung, nach Gestalt. Färbung und sonstigem i)hysikalischen Ver-
halten bekannt, daß es kaum nötig erscheint, hier noch vieles darüber
mitzuteilen. Ohnehin ist bereits in den Abschnitten ff. /:?, y über den
allgemeinen Aufbau, das chemische Verhalten und den Bau des Dotters
der Vogeleier manches dargelegt worden.
Das gelegte Vogelei, was wir meinen, wenn wir den Namen
„Vogelei" schlechtweg gebrauchen, setzt sich in verschiedenen Ab-
schnitten des weiblichen Geschlechtstractus zusammen. Im Eierstocke
bilden sich die Vogeleier, wie die Eier aller übrigen Tiere, aus den
Geschlechtszellen und erscheinen dort zunächst im Keimepithel unter
der Form rundlicher, bläschenförmiger Freier. Später werden sie
in ihre GRAAF"schen Follikel eingeschlossen und wachsen darin unter
einer Massenproduktion von Dotter zu den „Gelbeiern" (reifen Eier-
stockseiern) heran, zu den Bildungen, die wir im gewöhnlichen Sprach-
gebrauche beim gelegten \'ogelei als das „Eigelb" oder den „Eidotter"
zu bezeichnen ptlegen. Ein Gelbei besteht aus einer, wenn auch
zarten, so doch verhältnismäßig widerstandsfähigen Dotter haut,
dem Keime und dem Dotter. Da unter den natürlichen Verhält-
nissen sämtliche Vogeleier in dem oberen Teile des Eileiters, bevor
sich die festen Hüllen gebildet haben, also noch als „Gelbeier" bereits
befruchtet zu werden ptlegen, so haben die gelegten Eier keinen un-
veränderten „Keim" (s. p. 226) mehr, wie er noch in den reifen Eier-
stockseiern vorkommt, sondern seine Stelle wird von einem mehr oder
weniger weit zum Morulastadium fortgeschrittenen jungen Embryo oder,
wenn man lieber will, „gefurchten Keime" eingenommen, und es be-
ginnt sich die Keimhaut zu bilden. Das sich darbietende Bild ist
ähnlich dem der Fig. 125 vom Alligator. Dieser „Morula-Keim" wird
als die „Keim seh ei be'' Discus proligerus, im täglichen Leben auch
als „Narbe" (Cicatricula) oder „Hahnentritt" bezeichnet^). Im reifen
Eierstocksei liegt der hier noch unveränderte Keim als abgeplattete
Protoplasmamasse dicht unter der Dotterhaut und enthält, wieder
peripher, also unmittelbar an der Dotterhaut gelegen, das gleichfalls
abgeplattete Keimbläschen. Die Reifungsteilungen unter Bildung
der Folzellen scheinen im oberen Teile des Eileiters stattzufinden.
Seltsamerweise ist über diese Vorgänge, so wie über das Eindringen
der Spermien und flie Befruchtungserscheinungen bei dem so häufig
untersuchten Vogelei kaum etwas bekannt.
1) Die Namen „Keimscheibe", „Cicatricula", „Narbe", „Hahnentritt" pflegen
sowohl für den ungefurchten Keim des Reptilien- und Vogeleies — das Wort
„Keim" im Sinne Bonxet's (p. 226) verstanden ~ gebraucht zu werden, als auch
für die kleine scheibenförmige Embryonalanlage, wie sie sich an der Stelle des Keimes
im befruchteten gelegten Ei findet (vergl. Fig. 125), also für den „Morula-Keim",
wie er im Texte bezeichnet wurde. Ich halte dafür, daß man das Eiprotoplasma,
wie es im unbefruchteten Ei, im Eierstocksei, vorkommt, und welches das „Keim-
bläschen" enthält, stets mit Bonnet als „Keim" schlechtweg bezeichnen sollte und
daß man den Namen „Keimscheibe" nur für den gefurchten Bildungsdotter des
gelegten Eies zu verwenden hätte.
318 W. Waldeyer,
Niclit alle Vo^eleier gelangen zur Reife; viele werden im Eier-
stocke znrückgebildet und dann resorbiert (s. w. u.) Gelaugt ein
reifes Eierstocksei in die Tube, (was so voi- sich geht, daß es, frei
über die Oberfläche des Eierstockes hervorragend, von dein großen,
weiten, muskulösen Tul)entrichter umfaßt wird, der Follikel sich er-
öffnet und das austretende Ei von dem Trichter aufgenommen wird),
dann gleitet das Ei weiterhin unter spiraliger Drehung in dem Ei-
leiter hinab, wird in dessen oberem Teile befruchtet und erhält dort
die Ei weiß hülle mit den Chalazen. Im unteren Abschnitte wird
es von der Schalen haut und endlich im Uterus des Tieres von
der Kalkschale umgeben. Die Zeit, in der sämtliche Hüllen sich
fertig bilden, beträgt kaum 2 Tage. Wir besitzen hierüber insbesondere
Untersuchungen von Coste (M. 850, 851) und Oellacher (M. 2000).
Beim Legen scheint das Hühnerei mit dem stumpfen Pole voran-
zugehen. S. darüber die näheren Angaben bei Gadow (Bkoxx's Klassen
und Ordnungen des Tierreichs, Bd. 6, Abt. 4, -p. 881).
Die Form der Vogeleier ist, wenn auch zumeist, doch nicht immer
die bekannte „ovoide", die ja daher ihren Namen hat: wir finden in-
dessen auch walzenförmige, gleichpolige Vogeleier (Tinamus, Cryp-
turtis, Apteryx, die Megapodidae, Caprimulgidae, Macro-
pterygidae und Trochilidae) und solche, die sich der Kugelgestalt
nähei'n (C h a 1 c o p h a p s [Columbiformes]), die Alcedinidae und M e r o -
pidae. Völlig kugelförmig sind die meisten der sogenannten „Spar-
eier", d. h. Eier ohne Dotter, wie sie gelegentlich in den JSTestern der
verschiedensten Vogelarten gefunden werden. Die Eier der S c o 1 o -
pacidae und Charadridae können als „kr ei s elf ö rmig" be-
zeichnet werden.
Sehr wechselnd ist bekanntlich die Größe der Eier von dem kleinen
Ei der Ko Hb r i ar t en bis zum Straußenei (Länge bis 15 cm, Breite
bis 12 cm, Gewicht 1,5 kg) und den fast kopfgroßen Eiern der neusee-
ländischen und madagassischen vorweltlichen Riesenvögel — Dinornis-
und Aepyornis arten. Die Eier von Aepyornis rhaximus Geoffr.
sind Gmal so groß wie Straußeneier und kommen in ihrer Masse, wie
leicht zu berechnen ist, etwa 150 Hühnereiern gleich. Im Verhältnis
zu seiner Körpergröße erzeugt aber der Kiwi (Apteryx, Shaw) die
voluminösesten Eier, die die Größe von Schwaneneiern besitzen, während
das Tier selbst nur einem Cochinchinahuhne gleichkommt ^).
Die Zahl der Eier, welche die Vögel legen, bis sie zu bebrüten
anfangen, das Gelege, schwankt gleichfalls, aber in engeren Grenzen
== 1 — 18; sie ist bei den einzelnen Arten für das jedesmalige Gelege
fast genau dieselbe. Aus nur einem Ei besteht das Gelege bei den
Spheniscidae (Pinguinen), aus 2 bei den zahlreichen Arten der
Tauben; es bestehen nur wenige Ausnahmen; aus 7 — 12 — 18 bei den
Enten und Hühnervögeln ; die Gattung P e r d i x scheint das reichste
Gelege zu haben. Die Zahlen 3 — 6 treten am häufigsten auf.
Die so bemerkenswerte Färbung der Vogeleier ist wissenschaft-
lich in allen Beziehungen noch nicht völlig aufgeklärt. Es kommt hier
sowohl der Schutz für das Ei selbst (gegen Entdeckung) als auch der
Schutz des sich entwickelnden Embryos gegen Licht und Sonnenwärme
in Betracht. Bemerkt zu werden verdient, daß die Eier aller Rep-
1) Eine Anzahl der vorstehenden Daten teilte mir Professor Dr. Reichenow,
Kustos am Berliner zoologischen Museum, gütigst mit.
Die Geschlechtszellen. 31iJ
tilien weiß sind; sie werden ja auch dem Sonnenlichte während der
Entwickehmg entzogen. Aber auch viele Vögel haben, wie bekannt,
gänzlich weiße Eier.
B a u V e r h ä 1 1 11 i s s e d e r V o g e 1 e i e r , i n s b e s o n d e r e d i e d e r
Eihüllen. (K. H.) Wie die Vögel systematisch nur einen hoch
entwickelten, einseitig spezialisierten Ausläufer der Klasse der Rep-
tilien darstellen, so läßt sich die gleiche Betrachtungsweise auch
auf die Beschaffenheit der Eier ausdehnen. Wir hatten bei den Rep-
tilien gesehen, daß im allgemeinen die Komplikation der sekundären
Eihüllen im gleichen Maße zunimmt, wie die Zeit des intrauterinen
Fie. 128. Halbschematischer
Durchscnnitt eines Hühner- Eies
(Gallina domestica) nach Allen
Thomson aus 0. Hertwig's Lehi--
buch, 7. Aufl. Fig. 11, p. IG. Die
dickere äußerste dunkle Linie stellt
den Durchschnitt der Kalkschale
dar. Darunter zwei feine dunkle
Linien bezeichnen die Schalen -
haut, Membrana testacea;
rechts weichen sie auseinander, um
einen linsenförmigen helleren Raum,
die Luft kämm er, einzuschließen.
In der Mitte der große dunkle, ^ ■"'
mit hellen konzentrischen Streifen
durchsetzte Körper ist die fast ganz '^~
aus Dotter bestehende Eizelle (Gelb-
ei). Die Streifen bedeuten dünne Schichten des sogenannten weißen Dotters, welche
zwischen die Masse des hier dunkel gehaltenen gelben Dotters eingeschaltet sind.
Die flaschenförmige helle Figur in der Mitte bezeichnet ebenfalls eine Masse weißen
Dotters, die PuKKYNE'sche Latebra; nach oben wird sie von dem kleinen (dunklen)
linsenförmigen Keime, der Cicatricula (Narbej gedeckt. Der Raum zwischen Schalen-
haut und Eizelle, dem Gelbei, ist mit dem Eiweiß (Albumen) ausgefüllt; in
demselben erstrecken sich links und rechts je ein dunkler gedreht verlaufender
Strang, die Chalazae, Hagelschnüre, in der Richtung von der Dotterhaut zur
Schalenhaut.
Daseins sich verkürzt. Die fibröse Schale sondert sich immer mehr
in eine äußere verkalkende Lage, die Schale im engeren Sinne, eine
fibrös bleibende Lage, die Schalenhaut, und die vom Eiweiß durch-
setzten Schichten. Da nun die Zeit, in welcher die Eier im Uterus
verbleiben, bei den Vögeln abermals eine Abkürzung erfahren hat,
selbst im Vergleich zu den Schildkröten, ist es begreiflich, daß
die erwähnten Differenzierungen bei ihnen ihren Höhepunkt erreicht
haben.
Das eigentliche Vogelei, das sogenannte Gelbei, besteht, wie be-
merkt, im Eierstocke aus dem Keime und dem Dotter. Letzterer bildet
zur Zeit, wo die Entwickelung noch nicht begonnen hat, fast die ge-
samte Masse des Ooplasma. Der Keim liegt auf der Dotterkugel als
eine dünne Scheibe dotterarmen Protoplasmas ausgebreitet, welche bei
jeder Lage des Eies nach aufwärts schaut, weil analog den Eiern
der Amphibien eine gesetzmäßige Verteilung der schwereren und
leichteren Bestandteile Platz gegriffen hat. Da der Keim und auch
die Keimscheibe leichter sind, muß die im Eiw^eiß suspendierte Dotter-
kugel beim Wechsel der Lage sich so lauge drehen, bis der Keim
(Keimscheibe) die ihm zukommende Lage wieder eingenommen hat.
320 W. Waldeyer,
Der Dotter besteht aus dem gelben und weißen Dotter, zwei Moditika-
tionen dos Dotternmterials, welrhe, ab.uesehon von der Färbung, durch
verschiedene Struktur der Dotterkugehi unterschieden sind (s. ]>. 245,
Fig. (38). Beim gekochten Ei behält der weiße Dotter eine weichere
Konsistenz als der hart gerinnende gelbe Dotter. Beide Ai'ten des
Dotters zeigen eine ganz bestimmte Verteilung. Im Centrum des Eies
Hegt eine Anhäufung weißen Dotters, die „Latebra". Von hier aus
erstreckt sich ein Strang gleicher Substanz bis an die Keimscheibe
heran. So entsteht unter der Keimscheibe eine flaschenförmige Masse
weißen Dotters, um w^elche die übrigen Dottermassen konzentrisch ab-
gelagert sind derart, daß weißliche und gelbliche Schichten miteinander
alternieren. Stets wird dabei die Oberfläche des Eies von einer Lage
weißen Dotters eingenommen (s. Fig. 128).
Auch der Keim, bezw. die Keimscheibe läßt eine Zeichnung er-
kennen : eine weißliche Randschicht umschließt eine durchscheinende
mittlere Partie, deren Centrum wieder weißlicher erscheint. Das Aus-
sehen ist durch eine Flüssigkeitsansammlung unter der Keimscheibe
bedingt. Die weißliche Randschicht bezeichnet die Ausdehnung, in
welcher die Keimscheibe dem Dotter aufliegt, die durchscheinende
Partie die Gegend der Flüssigkeit, das weiße Centrum, welches auch
als PANDER'scher Kern bezeichnet wird, deutet die durchscheinende
Latebra mit ihrem Strange an. Das Gelbei wird von einer faserigen
Hülle, der ,,D otterhaut", umgeben, deren morphologische Deutung
trotz vielfältiger Untersuchung unklar ist. Am natürlichsten würde
es scheinen, die Hülle als die modifizierte Zona radiata aufzufassen,
wie wir sie bei allen Wirbeltieren bisher gefunden und als Chorion
gedeutet haben. Dieser Ansicht wird aber widersprochen ; es sei die
faserige Lage eine Neubildung, eine „Adventitia", während die vor-
übergehend nachweisbare Zona radiata gänzlich schwinde oder zu einer
dünnen innersten Lage reduziert werde, Holl (M. 1976). Ganz neuer-
dings ist die Auffassung noch weiter kompliziert worden. Die Dotter-
haut, wie sie aus dem Follikel stamme, soll nach dem üebertritt in
den Eileiter eine Verstärkung erfahren durch eine dünne fibröse Lage,
welche der Eiweißschicht zuzurechnen sei (Mitrophanow^). Die
neuere Auffassung gründet sich auf die Beobachtung von Eiern mit
kleinen Blutergüssen , welche wie rote Flecke auf dem Gelbei er-
scheinen und sich nicht durch Pinseln entfernen lassen, w^eil sie in
der „Dotterhaut" selbst liegen. Untersuchung auf Schnitten ergiebt
dann, daß au der Dotterhaut durch die eingelagerten Blutkörperchen
2 Lagen unterscheidbar werden, eine innere Lage, welche der Zona
radiata -f Adventitia entspricht, und eine äußere Lage, welche als die
innerste zur „Dotterhaut" hinzugeschlagene fibröse Eiweißschicht ge-
deutet werden müßte.
Wir kommen zu den vorhin aufgezählten Umhüllungen, welche
nach der Befruchtung innerhalb der weiblichen Ausführwege ge-
bildet w^erden. An den Ausführwegen unterscheidet man wie bei den
Reptilien drei Abschnitte: den Trichter, den Eileiter und den Uterus.
Sehr häufig wird dann noch das kurze vom Uterus in die Kloake
überleitende Stück als ein besonderer 4. Abschnitt bezeichnet. Die
Bedeutung dieser Teile für die Hüllenbildung wurde gleichfalls vorhin
schon angegeben. Wir beginnen mit der Kalkschale.
Die Kalk schale besteht aus 3 wenig schaj'f voneinander ab
gesetzten Lagen. Die innerste derselben ist die Mamillensc hiebt-
Die Greschlechtszellen.
321
sie besteht aus Kalksäulchen, die senkrecht zur Schalenoberfläche ge-
stellt sind und mit abgerundeten Enden — daher der Name „Mamillen"
— gegen die Schalenhaut vorspringen; benachbarte Mamillen können in
ihrem Verlauf untereinander
verschmelzen, so daß das o
Bild verästelter Säulen ent-
steht ; die einzelnen Säulchen
sind um einen organischen
Kern entwickelt und zeigen
eine Schichtung parallel der
Oberfläche Fig. 129.
Nach außen gehen die
Kalksäulchen in eine dich-
tere Kalkschicht über,
die aus netzförmig verbun-
denen der Oberfläche paral-
lelen Taserzügen sich auf-
baut und unter den drei
Schichten bei weitem die
größte Mächtigkeit hat. Nach
außen schließt dann eine
glatte Cuticula an, eine
oft unvollkommen verkalkte
und dann weiche, oft auch
feinkörnig verkalkte und
dann kreidige Lage, welche
für die Glätte der Eiober-
fläche Ursache ist.
a -
Fig. 129. Querschliff durch
die Schale des Straußeneies nach
NATHusirs KöxiGSBORX. a ver-
ästelte Kanäle. ■- a' Stellen, wo
dieselben angeschliffen sind, o
ihre Mündungen auf der Schalen-
oberfläche, r Schalencuticula. b
geschichtete Kalkschale, d fibröse
Schalen haut.
§l^^§ «#
:*:i;^^ic;vj
Auch die Schale des Vogeleies ist von Porenkanälen durchsetzt.
Dieselben sind einfache Röhren bei den meisten Eiern ; bei den Eiern
der Ratiten sind sie verästelt, s. Fig. 129; ein auf der Innenseite
beginnender einheitlicher Stamm giebt zahlreiche feine Kanälchen ab,
deren Mündungen sämtlich am Grund einer gemeinsamen gnibenförmigen
Vertiefung der Schalenoberfläche lieo-en. Da zahlreiche solcher Stämme
vorhanden sind, sind auch zahlreiche Gruppen von Oeffnungen über die
Schalenoberfläche verbreitet. Die Substanz der Cuticula dringt eine
Strecke weit in die Porenkanäle ein, vielleicht schließt sie sogar die
Oeffnungen derselben ; sie ist in Wasser quellbar. Trockene Eischalen
sind daher für Luft und Wasser leicht durchgängig. Die Permeabilität
hört aber sofort auf, wenn man zuvor die Cuticula längere Zeit an-
gefeuchtet und zur Quellung gebracht hat. Schabt man die Cuticula ab,
so wii'd damit der Einfluß der Befeuchtung auf die Durchgängigkeit der
Schale sofort aufgehoben.
Handbuch der Entwickelungslehre. I.
21
322 W. Waldeyer,
(W.) Ueber die Zahl und die Verteilung der Porenkanälchen in
der Kalkschale des Hühnereies haben wir jüngst interessante Mitteilungen
von Rizzo (529) erhalten. Man hat im Mittel rund 7600 äußere Poren-
öffnungen anzunehmen ; von diesen kommen am spitzen Eipole auf 1 qmm
0,90, am stumpfen Eipole, da, wo die Luftkammer sich befindet, 1,49
und in der äquatorialen Eizone 1,31. Die Stellung der Porenöifnungen
ist ziemlich regelmäßig, an einigen Regionen in Halbkreisen, an anderen
geradlinig.
(R. H.j Die Färbung der Schale hat öfters nur in der äußersten
Schicht, der Cuticula, ihren Sitz und erstreckt sich von hier aus in die
Porenkanäle hinein. Häufiger verbreitet sich die Färbuno; in die übrio^en
Teile der Schale ; sie kann sogar die ganze Schalendecke durchsetzen.
Die nach innen von der Schale folgende Schalenhaut ist aus
derselben Art Fasern gebildet, wie die Schalenhaut der Reptilien:
doch fehlen die terminalen Anschwellungen. Die Fasern sind nach allen
Richtungen hin gekreuzt. Wie es schon bei manchen Reptilien zu-
trifft, kann man an der Schalenhaut 2 Lamellen unterscheiden und auch
durch Präparation von einander trennen. An einem Ende des Eies
Aveichen die Lamellen auch unter natürlichen Verhältnissen auseinander
und umschließen einen von Luft erfüllten Raum, die Luft kämm er des
Eies. Man kann an den meisten Vogeleiern ein stumpfes und ein
spitzeres Ende unterscheiden. Die Luftkammer liegt stets am stumpfen
Pole (s. Fig. 128).
Die zwischen Chorion und Schalenhaut gelegene Eiweißschicht
besteht vornehmlich aus flüssigem, wasserreichem Albumin, das durch
faserige Membranen auch am entleerten Ei etwas zusammengehalten wird.
Zerschneidet man die letzteren, so fließt das Eiweiß ab. Die Verteilung
der faserigen Membranen in Lagen, welche der Oberfläche parallel ver-
laufen, ist Ursache, daß auch das Eiweiß im gekochten Zustand eine
deutliche Schichtung erkennen läßt. Auf einem Durchschnitt wechseln
dunklere und lichtere Partien ; erstere entsj^rechen der Lage der Faser-
züge, innei'halb deren das Eiweiß nicht so homogen gerinnt wie in den
Zwischenlagen. An das Gelbei grenzt zunächst eine Lage flüssigen Ei-
weißes, dann eine von Faserzügen durchsetzte Schicht, die Membrana
chalazifera, deren Namen auf den Umstand zurückzuführen ist, daß
von ihr die Chalazen oder „Hagelschnüre" ausgehen.
Unter Chalazen versteht man zwei faserige Stränge, welche von
den beiden den Schalenenden zugewendeten Seiten des Gelbeies ausgehen
und eine Strecke weit in der Eiweißmasse verlaufen, ohne aber die
Schalenhaut zu erreichen (Fig. 128). Sie können daher nicht das Ei in
seiner Lage befestigen, sondern nur wie Puffer wirken und bei stärkeren
Erschütterungen das Ei gegen Stoß schützen. Sie entspringen nicht von
der Dotterhaut, sondern von der nächsten Faserlage der Eiweißschicht,
so daß ihr Ursprung von der Oberfläche des Gelbeies durch eine dünne
Lage flüssigen Eiweißes getrennt bleibt. In ihi-em Verlauf sind die
Chalazen spiralig gedreht, und zwar die Chalaze der Seite des stumpfen
Pols im entgegengesetzten Sinne als die andere. Man erklärt diese
Eigentümlichkeit durch die Annahme, daß das Ei beim Passieren des
Eileiters um seine Längsachse gedreht wird und mit seiner Oberfläche
daher eine Spirale beschreibt, daß gleichzeitig die Enden der beiden
Chalazen fest liegen und die Drehung nicht mitmachen.
Auch am Eiweiß hat man versucht, den Einfluß der Spiraldrehung
des Eies nachzuweisen. Die Schichtung des Eiweiß soll nicht konzentrisch,
Die Geschlechtszellen. 323
sondern spiral angeordnet sein ; bei vorsichtiger Präparation soll man die
Lagen in Spiraltoin^en abwickeln können (Meckel v. Hemsbach, M. 1893).
Doch haben diese Angaben Widerspruch erfahren (v. Natiiusius).
(W.) Beziehungen des feineren Baues der Eihüllen, namentlich der
Kalkschalen der Vogeleier zur Systematik des Ordo avium, hat zuerst
H. Landois (455a) aufzudecken unternommen ; ihm zufolge können die
Species häufig aus der mikroskopischen Struktur der Eischale erkannt
und bestimmt werden. Doch sind über diese interessante Frage noch
weit eingehendere Untersuchungen nötig.
Der eifrigste Erforscher der Eihüllen der Vögel und Reptilien ist
W. V. Xathusu-s ; seine jüngsten Schriften über diesen Gegenstand sind
unter den Nrn. 496, 498 und 499 aufgeführt. Für die älteren verweise
ich auf H. Gadow's Litteraturverzeichnis (1. c.) Broxx's Klassen und
Ordnungen des Tierreichs.
Als größere und zusammenfassende Werke über die Eier der Vögel
nenne ich noch die folgenden: Baedeker (271a), E.. Blasius (294a),
Des Murs (343 a), Hewitson (416 1), Lefevre (458 c), Morris (4881),
A. Xewton (500 b), v. Eeichenau (526 a), Taczanowski (575 a), Tvzexhauz
(582 I) und besonders den im Jahre 1901 mit einer ersten Lieferung, be-
treffend die Raditae und von den Carinatae die Tinamiformes, Galliformes,
Hemipodii, Pteroclidiformes, Columbiformes, Opisthocomiformes, Ralliformes,
Podicipedidiformes, Colymbiformes, Sphenisciformes, Procellariiformes, Alci-
formes und Lariformes, erschienenen „Catalogue of the Collection of
Birds eggs in the British Museum (natural history) — London, Long-
mans & Co., dessen Abbildungen und kurze prägnante Beschreibungen
vortreiflich sind. Verfasser ist E. W. Gates, welcher auch die 2. Auflage
von Allan Hume's „Nests and Eggs of Indian Birds" besorgt hat. Das
British Museum besitzt zur Zeit eine Sammlung von über 50 000 Vogel-
eiern, das Berliner zoologische Museum rund 25 000.
IX. Mammalia. (R. H.) Nachdem man lange Zeit angenommen
hatte, daß alle Säugetiere lebendige Junge gebären, wurde indem
letzten Viertel des verflossenen Jahrhunderts durch Haacke (394) und
Caldwell (M. 1472 und No. 318 u. 319), später auch durch R. Semon
(707) festgestellt, was schon früher wiederholt vermutet worden war,
daß die Monotremen (Echidna, Ornithorhynchus, voraus-
sichtlich auch Pro echidna) Eier legen. Von den äußerst kleinen,
dotterarmen Eiern der placentalen Säugetiere unterscheiden sich
die Eier der Monotremen durch ihren Dotterreichtum und ihre an-
sehnliche Größe, womit weiter zusammenhängt, daß sie nach Art der
Reptilien- und Vogel -Eier eine partielle diskoidale Furchung
haben. Die Eier der placentalen Säugetiere einerseits, der
Monotremen andererseits bilden somit zwei Extreme, zwischen denen
die Eier der Beuteltiere vermitteln, wenn sie auch im allgemeinen
den ersteren näher stehen.
Die reifen Eier der placentalen Säugetiere sind ungefähr
0,1 — 0,2 mm groß (0,06 bei Igel und Maus, 0,9 beim Meer-
schweinchen, 0,18 bei Hund und Kaninchen), sie sind mit
einer verhältnismäßig starken, durch ihre Helligkeit (gegenüber dem
bei durchfallendem Licht dunkel erscheinenden Ooplasma) ausge-
zeichneten und deshalb Zona pellucida genannten Hülle ausge-
rüstet; diese Hülle wird wegen ihrer oft allerdings nicht nachweis-
baren radialen Struktur auch als Z. radiata bezeichnet. Wir wollen
sie im folgenden „Chorion" nennen, wenn es auch keineswegs fest-
21*
324
W. Waldeyer,
steht, daß sie vom Follikelepithel erzeugt wird. Eine Mikropyle ist
sicher nicht vorhanden, bei der weichen Beschaffenheit des Chorions
auch überMüssig'. Ob unterhalb des Chorions noch eine weitere, den
Dotter nach außen abgrenzende Membran vorkommt, ist zweifelhaft:
ihre Existenz wird von Reichert und E. Van Beneden mit Be-
stimmtheit behauptet, von den meisten Forschern aber in Abrede ge-
stellt. Sehi' auffallend ist die lange Persistenz eines Teiles des Follikel-
epithels. Schon innerhalb des GRAAF'schen Follikels grupi)ieren sich
die direkt an das Ei grenzenden Follikelzellen äußerst regelmäßig um
das Chorion herum, indem sie sich zu langen, radial gestellten Cy-
lindern ausziehen, deren Kern am peripheren Ende der Zelle unter-
gebracht ist. Ausgerüstet mit diesen Follikelzellen, der
Corona radiata (Eiepithel, Waldeyer) treten die
Oviduct über; sie können ihre zellige Umhüllung selbst
nach der Befruchtung bewahren. (VT.) Nach E. Van Beneden i)e-
steht bei den Chiropteren eine besonders starke Zona pellucida,
sogenannten
Eier in den
längere Zeit
Fig. 130. Nahezu ausgewachsene O o c y t e von L e p u s c u n i c u 1 u s. Be-
hancUung mit Eiseuhämatoxylin nach M. Heidenhain. Die Epithelz eilen
zeigen deutlich ihren Zusammenhang durch Fortsätze und gehen in eine unmittelbar
auf der tief geschwärzten Zona pellucida lagernde, scheinbar syncytiale
Masse über. Das Ooplasma gewinnt bei dieser Behandlung ein hellgeflecktes
Aussehen. Keimbläschen nicht sichtbar. Dr. Kopsch praep. ; Frl. E. Magen del.
Die Geschlechtszellen.
325
an der man, wie auch
uraiiulieite Lage und
Waldeyer angegeben hat, eine äußere dünne
;.,^ ..X.W eine stärkere innere homogene unterscheiden
kann: die radiären Streifen finden sich in dieser, sind jedoch nicht
immer deutlich. Nach Beliandlung mit Eisenhämatoxylin schwärzt sich
die Zona intensiv, s. die betreffende Angabe bei v. Ebner (350,
p. 59), und die Zellen der Corona radiata erscheinen unmittelbar
auf der Zona pellucida wie in einem syncytialen Zusammenhange, s.
Fig. 130. Letzteres soll damit nicht als intra vitam bestehend hin-
gestellt sein.
(R. H.) Außerordentlich viel größer sind die Eier der Mono-
tremen: schon beim Uebertritt vom Ovar in den Oviduct mißt
ihr Durchmesser bei Or nithorhynchus 2,5 mm (Caldwell, 1. c),
bei Echidna 3 mm i Caldwell) oder sogar 3,5 — 4 mm (R. Semon,
1. c.) In ihrer Struktur erinnern sie noch an die Eier der Vögel
und Reptilien; ihr Dotter besteht aus gelblichen und weißlichen
Teilen, welche konzentrisch geschichtet sind. Ein Centrum der Schieb-
ung
ist in einer centralen, weißlichen Masse gegeben, welche der
Latebra des Vogeleies verglichen werden kann. Die weißliche
Masse ist nach dem Ende, an welchem der Bildungsdotter in Form
einer Keimscheibe lagert, zu einem flaschenhalsartigen Fortsatze aus-
gezogen.
Wenn die Eier abgelegt werden, sind sie bei Echidna 15 mm
(nach Semox 1(3,5 mm) lang und 12 mm (nach Semon 13 mm) breit.
Sie haben somit, während sie Eileiter und Uterus passierten, d. h.
nach der Befruchtung und während der ersten Stadien der disko-
idalen Furchung, durch Nahrungsaufnahme ähnlich den Eidechseneiern
eine gewaltige Vergrößerung erfahren.
^-^ ' ■-'.j~
Fig. 131. Stück des Durchschnittes eines ungefurchten Echidna -Eies
(Species?) aus dem Eileiter. Zu äußerst die Schale, dann das Proalbumin
(Eiweißschicht), darunter das dunkle Chorion (viteUine membran Caldwell).
In der Mitte dicht am Chorion der Durchschnitt des abgeplatteten Keimbläschens,
zunächst umgeben, wie beim Vogelei, von einem flach ausgebreiteten, fast dotter-
freien Keime. Von diesem aus senkt sich nach abwärts, ähnlich einer Latebra,
weißer Dotter mit kleineren Dotterkörpern; ringsherum gelber Dotter mit größeren
Dotterkörpern. Nach Caldwell (318, 319) Taf. XXXI, Fig. 1.
Zum Teil freilich ist die Größenzunahme auch auf die Bildung
sekundärer Eihüllen zurückzuführen. Im Ovar sind die Eier
von einem Chorion umgeben, an dem man bisher noch keine radiale
Streifung hat nachweisen können, ferner von einer dünnen, eiweiß-
326
W. Walde Y ER,
haltigen Schicht, dem P r o a 1 b ii m i n Caldwell's. Die Eierstocks -
eier von E Chi (Ina hat G. A. Guldberg (892a) genauer beschrieben.
In den Eileitern wächst das Proalbumin zu einer nicht unbeträcht-
lichen Eiweißlage heran ; auf ihrer Obertläche wird dann die aus
Keratin bestehende Eischale abgelagert, welche bei Ornitho-
rhynchus sogar verkalkt. Während das Ei den Uterus passiert,
wird die Eiweißschicht resorbiert, so daß nun Chorion und Schale
wie bei Eidechsen direkt aneinander grenzen. Dagegen hebt sich
jetzt das Chorion vom Dotter ab, und es entsteht so ein Zwischenraum,
welcher von einer in Reagentien koagulierenden, oHenbar eiweiß-
haltigen
Flüssigkeit
erfüllt wird.
Echidna besteht aus 2 Schichten,
einer äußeren radialstreiiigen.
Die Eischale von
homogenen Lage und
verdünnt sich beim W-'achstum des
noch ein zartes Häutchen darstellt.
ü-ew altig: an Masse zu : Ihre Struktur wird von Caldweli.
schildert als von Semon. Nach Caldwell besteht sie aus
Eies immer
Die äußere
Lage
einer inneren
innere Lage
sie nur
dagegen
Die
mehi-, bis
nimmt
anders ge-
radialen
Stäbchen oder Zotten, nach Semon
dagegen
ist sie eine zusammen-
hängende Lage, von radialen Kanälen durchsetzt, die in ihrem Verlauf
bauchig erweitert sind. Die äußere Lage ist es, welche an Masse zu-
nimmt und so die Verdickung der gesamten Schale verursacht. Dabei
w^erden die radialen Kanäle in ein anastomosierendes Lückensystem um-
gewandelt, welches in unregelmäßiger Weise die Schalendicke durchsetzt.
Kurz vor der Eiablage wird schließlich die Schale noch von einer dritten
Lage, einer bräunlichen Cuticula, überzogen.
Die Eier der Beuteltiere sind zur Zeit, wo sie in den Oviduct
übertreten, von sehr verschiedener Größe, bei Phascolarctus
cinereus 0,17 mm (Caldwell), also eher kleiner, jedenfalls nicht
größer als das menschhche Ei, bei Didelphys virginiana (Se-
lenka) 0,5 mm.
Sichergestellt
für dieselben ist nur die Existenz
eines Chorion; dagegen ist es zweifelhaft, ob eine als Proalbumen
zu bezeichnende Lage vorhanden ist. Im Uterus findet sich später
eine beim Opossum
sogar ganz gewaltige Eiweißschicht, welche von
^M
emer besonderen äußerlichen
Lage umhüllt wird (s. Fig. 132).
In letzterer erblickt Selenka
eine mit dem Ei entleerte all-
mählich faserig umgewandelte
Lage von Follikelzellen, wäh-
rend Caldwell und Semon
Ungefurchtes
Ei
von
virginiana (Mar-
Fig. 132.
Didelphys
supialia) aus der oberen Hälfte des
Eileiters. Zu äußerst eine Zellen -
läge (mitgenommenes Folhkelepi-
thel Selenka), darunter eine dicke
Eiweißschicht. Dann ein heller Raum
(perivitelliner Raum Selexka), dann
das üoplasma mit Keimbläschen.
Alb Zona (Rest) müßte wohl der
dunkle innere Kontur der Eiweiß -
Schicht angesehen werden. Selexka
meint, daß die Zona frühzeitig
schwinde. Nach Selenka (M. 914,
915), Taf. XVII, Fig. 1.
Die Geschlechtszellen.
327
sie als Aequivalont
Follikelepithels nach
schwindet auch bei
Chorion und Schale direkt aufeinander
der Mouotrenienschale deuten und Reste des
innen von der Schale zeichnen. Nacli ihnen
den Beuteltieren die Eiweißschicht, so daß
folgen.
if
I
■e
'' "H.
Fig. 133. Nahezu ausgewachsene Oocyte von Phascolarctus cinereus
( Marsupialia) aus einem EierstocksfoUikel. Nach außen die Corona radiata mit
Fortsätzen der Zellen, welche einen hellen Zwischenraum durchsetzen und dann
durch eine dickere dunkle Hülle bis zum üoplasma vordrmgen. Diese dunkle
Hülle nennt Caldwell „vi teil ine membran". Richtiger wird sie, s. Text, als
„Chorion" (Zona pellucida) bezeichnet. Im Ooplasma ist eine (gelbe) dott er-
reiche (nach unten gelegene) halbmondförmige Schicht und eine hellgraue
Masse, in der das Keimbläschen liegt (weißer Dotter) zu unterscheiden. Nach
Caldwell (318, 319), Taf. XXIX, Fig. 5.
( W.) Die Eier der place ntalen Säugetiere bewahren nach
Größe, — • s. die vorhin angegebenen Maße — • Bau und Form noch
am meisten den Charakter der Ureier, d. i. den einfacher Zellen.
Von den Eiern der übrigen Vertebraten kommen ihnen die der
Acrania am nächsten (s. S. 293). Vorhin wurde bereits darauf hinge-
wiesen, daß es Gewebszellen giebt, die größer sind als die placentalen
Säugetiereier (S. 244). In der Form durchweg kugelig, zeigen sie im
Bau ziemlich getreu auch noch die Charaktere gewöhnlicher membran-
328 AV. Waldeyer,
führender Zellen. Immerhin verdient aber hervorgehoben zu werden,
daß die Reifeier der Säuiietiere, ja aucli bereits deren im Wachstnme ans-
gebihlete Oocyten, keineswegs alle als „dotterarm" bezeichnet werden
düifen, jedenfalls nicht im Verhältnis zu ihrer Grciße, Bei den meisten
der gewühnlicn zur Untersuchung gelangenden Säugereier aus diesem
Stadium sind die Dotterk()rper doch so reichlich entwickelt, daß sie,
wie bemerkt, dem Oo])lasma ein bei durchfallendem Lichte dunkel-
körniges Aussehen verleihen und das Keiml)läschen nebst den rein
l)rotoi)lasmatischen Teilen vielfach verdecken.
Wenn vcniiin die Eier der placentalen Säugetiere „dotterarm" ge-
nannt wurden, so geschah das im Gegensatze zu den Eiern der Mono-
tremen und hatte insofern seine volle Berechtigung. ■
Indem die Dotterkörper ziemlich gleichmäßig das Ooplasma durch-
setzen, gewinnt dessen Protoplasma einen pseudowabigen Bau. Um
das Keimbläschen, welches im Verhältnisse zum Eivolumen als sehr
groß bezeichnet werden muß, ist jedoch ein dotterfreies Ooplasma als
hellere Schicht stets ein wenig reichlicher angehäuft. E. Pflüger (517).
Mit dem Beginne der Pieifeteilungen rückt die Vesicula germinativa wie
bei den übrigen Eiern dicht an die Oberfläche; sie ist auch bereits bei
den nahezu reifen Eiern exzentrisch gelegen, nach E. van Beneden
bei den Fledermauseiern schon in jungen Oocyten.
Bei den Eiern der Chiropteren beschreibt E. van Bexbden (288)
in der Mitte ein helleres dotterarmes Ooplasma und eine ebensolche dünne
Rindenschicht dicht unter der Zona pellucida. Zwischen beiden Schichten
liegt dann wie eine Ringschale eine dotterreiche Schicht : in dieser lagert
das Keimbläschen, welches mit seinem peripheren Umfange die Rinden-
schicht, mit seinem zentralen die helle innere Schicht berührt. Der
Dotterreichtum der Fledermauseier ist indessen verschieden; fast völlig
frei von den glänzenden charakteristischen Dotterkörpern ist nach E. van
Bbneden (1. c ) das Ei von Vesper tilio mystacinus.
Die intermediäre, gewöhnlich dotterreiche Schicht erscheint an den
Ovarialeiern der Fledermäuse, welche mit Osmium oder mit Kleinen-
BBRG'scher Elüssigkeit fixiert waren , im Gegensatze zu dem obenge-
schilderten Bilde des frischen Eies heller als die beiden anderen Schichten
und von deutlich netzförmiger Textur.
X. Homo. Die Eier des Menschen stimmen in allen wesent-
lichen Punkten mit denen der Säugetiere überein. Ueber die mensch-
lichen Ureier möge das S. 238 if. Gesagte verglichen werden. Im
Nachstehenden wird besonders von den herangereiften Oo-
cyten die Rede sein; ein Reifei und der Prozeß der Reife-
teilungen ist beim Menschen noch niemals mit Sicherheit beobachtet
worden. Das, was man gewöhnlich als ausgebildete menschliche Eier
beschrieben hat und was auch wir der nachstehenden Schilderung,
im w^esentlichen nach den Befunden W. Nagel's und neueren eigenen,
zu Grunde legen, sind eben die den nahezu sprungreifen Follikeln
menschlicher Ovarien entnommenen Oocyten.
Waldeyer hat (s. bei Nagel, 490) unterschieden: fertige Eier
und reife Eier; W. Nagel fügt diesen hinzu die „reifenden" Eier.
Unter „fertigen" Eiern sind diejenigen zu verstehen, bei denen die
D e u t 0 p 1 a s m a b i 1 cl u n g vollendet, die Zona pellucida gänzlich aus-
gebildet und das Keimbläschen dicht an die Peripherie gerückt ist,
Die Geschlechtszellen. 329
ohne jedoch weitere Veränderungen erlitten zu haben. Das fertige Ei
hat die definitive Größe erreicht; wenigstens darf man sagen, daß es
während des Prozesses der Reifung und nach geschehener Befruchtung
bis zur ersten Turchungsteilung bei Säugetieren keine irgendwie
erhebliche Größenzunahme mehr erleidet, und dies dürfte auch für den
Menschen zutreffen.
Unter einem reifenden Ei versteht Nagel das Ei in dem Zustande,
in welchem es sich während der Richtungsteilungen befindet. Reif ist
das Ei (Reifei), sobald aus dem Keimbläschen nach der letzten Richtungs-
teilung und Ausstoßung der zweiten Poloc^-te der Eikern im Sinne
0. Heutwig's geworden ist. Vergi. das p. 224 ff. Gesagte. In der hier
o-eo-ebenen Begriffsbestimmung eines Reifeies ist eine noch etwas schärfere
Fassung versucht worden, als sie Bonnet (s. p. 224) gegeben hat.
Letzterer spricht noch von einem „Keimbläschen" bei einem Reifei, wenn
die Richtungskörperchen abgeschnürt sind. Ich erachte es nicht für einen
Fehler, dies zu thun, denn wenn, wie es doch der Fall ist, das Keim-
bläschen den Kern der Eizelle darstellt, und wenn die Polzellenbildung
eine echte Zellteilung ist, dann ist auch der nach Ausstoßung der Pol-
zellen im Ei verbleibende Kern doch ein Enkelstück des Keimbläschens
und kann weiterhin so benannt werden. Da dieser Kern aber vom
Keimbläschen sich in allerlei Eigenschaften unterscheidet, s. Kap. „Be-
fruchtung", so kann man, um das Reifei möglichst scharf zu definieren,
den Namen „Eikern" statt Keimbläschen mit Vorteil zit verwenden.
Nach der Meinitng Nagel's müßten die reifenden Eier des Menschen
noch in den Eierstocksfollikeln gesucht werden, die Reifeier dagegen
im Anfangsteile der Tube. V^ie gesagt, kennen wir diese beiden Stufen
des menschlichen Eies noch nicht. Wir wissen auch nicht, zu welcher
Periode der Ausbilditng des Ovulum humanuni das Eindringen der
Spermien erfolgt und wie dies geschieht.
Von dem gewöhnlich sogenannten reifen Ei des Menschen,
d. i. also von der ausgewachsenen Oocyte, dem fertigen
Ei, giebt in der neuesten (7.) Auflage seines Lehrbuches 0. Hert-
wiG p. 13, im wesentlichen nach W. Nagel, folgende übersichtliche
Beschreibung, die ich fast wörtlich übernehme, da ich dieselbe durch-
aus zutreffend finde und nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen ver-
mag:
„Das menschliche Ei behält auf allen Entwickelungsstufen seine
Durchsichtigkeit, so daß man auch am überlebenden Objekt alle ana-
tomischen Einzelheiten auf das genaueste erkennen kann. Der Dotter,
s. Fig. 134, ist in 2 Schichten gesondert. In der inneren (centralen)
Schicht liegt vornehmlich das Deutoplasma; es veranlaßt hier im
Gegensätze zu den meisten Säugetiereieru , nur eine geringfügige
Trübung, da es teils aus mattglänzenden, teils aus stark lichtbrechenden
Krümelchen gröberer und feinerer Natur besteht; doch kann man eine
so deutliche Abgrenzung der einzelnen Dotterelemente, wie dies bei
vielen Säugetieren und niederen V^ertebraten der Fall ist, nicht er-
kennen. Die äußere Schicht, die Pvandzone des Ooplasmas ist
weit feinkörniger und durchsichtiger und schließt das Keimbläschen
samt dessen großen Keim flecke ein (s. Fig. 134 und 135). Die
Zona pellucida ist auffallend breit, s. Fig. 70, fein radiär gestreift
und bei Eiern in nahezu völliger Ausbildung vom Dotter durch einen
schmalen perivitellinen Spaltraum getrennt (vgl. darüber w. u.).
Die menschlichen ohne Läsion aus den Ovarialfollikeln ausgetretenen
330
W. Waldeyre,
Eier zeigen stets ein mehrschichtiges Epithel, Corona radiata
(Bischoff). Das Durchschnittsmaß solcher Oocyten (fertiger Eier) ist
0,17 mm."
)-i^ —
_>^1 ^ {
Fig. 134. Nahezu reifes Ei vom Menschen (ausgewachsene Oocyte), frisch dem
noch lebenswarmen Eierstocke entnommen. Außen das Epithel mit der hellen
Zona pellucida, darunter eine breite Schicht dotierarmen Ooplasmas, in
der Mitte das dott er reiche Ooplasraa. Links oben Keimbläschen mit Keim-
fleck. Einige subzonale Kerne. Frl. E. MACiEX del. 500 : 1. I
Dieser übersichtlichen Schilderung fügen wir nun noch einige
Angaben zur Erläuterung und eingehenderen Darstellung hinzu.
Eiepithel. Das von W. Nagel (400) abgebildete Ei, welches
ich selbst mit Nagel stundenlang unter dem Mikroskope beobachtet habe,
zeigte die Corona radiata genau so, wie sie in der Abbildung Nagel's
(Taf. XX, Fig. 5) wiedergegeben ist, mit 3 — 4 Schichten, deren tiefste
in sehr regelmäßiger Weise radiär zur Zona sich stellte. An dem Ei
der Eig. 76 hier waren nicht so viele Schichten erhalten; an einigen
Stellen sieht man 2 Lagen, meist nur eine ; nur an einem kleinen Be-
zirke (rechts) sind mehrere Zellen aufeinander gehäuft ; doch ist es kaum
zu bestimmen, ob dies eine natürliche Lagerung ist. Das Eiepithel in
Eig. 134 ist halbschematisch, wie es an einem Eisenhämatoxylin-Präparate
Die Geschlechtszellen. 331
erscheint, wiedergegeben. In Fig. 135, einer weit jüngeren Oocyte eines
neugeborenen Mädchens , ist noch gar keine Corona radiata gebildet.
Bemerkenswert sind die abgej^latteten Kerne, welche hier der Eiober-
fläche dicht anlagern. Alles dieses spricht für die Ansicht Bischoff's
(M. 1950), daß eine gut ausgebildete Corona ein Zeichen der nahenden
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Fig. 135. Ei eines neugeborenen Mädchens in situ inmitten des Discus pro-
ligerus. An der Peripherie des Eies ein deutlicher Grenzkontur; darauf liegen
abgeflachte Kerne. Oben ein Stück der Follikelwand mit Kernen und roten
Blutkörperchen. Gefäßwaudungen nicht sichtbar. Xach einem Präparate W. Nagel's.
Frl. E. Magen del. Vergr. 500/1.
Reife des Eies sei ; denn ich muß auch das von Nagel (1. c.) abgebildete
Ei, seiner besser ausgebildeten Dotterbestandteile halber, für älter als
das der Eig. 76, p. 255 erklären.
Daß indessen eine deutliche Corona ein völlig reifes Ei anzeige,
wie es wohl Bischoff gemeint hat, soll nicht gesagt sein. Es ist hier
deshalb auch nur von der „nahenden" Reife gesprochen worden. E. Vax
Bexedex (288) und Nagel (490) haben sich in diesem Sinne schon
gegen Bischoff geäußert.
332 W. Waldeyer,
Zoiia pell u cid a. Beim Ei des Menschen ist nur eine Eihülle,
die Zona pellucida, vorhanden. W. Nagel bildet sie auch an
jüngeren Eiern stets als fein radiär gestreift ab, was ich für das von
ihm abgebildete nahezu reife Ei einer 30-jährigen Frau (Taf. XX, Eig. 5)
auch als richtig anerkennen muß. An dem von mir in Fig. 76 ab-
gebildeten frischen Ei ist die Streifung nicht deutlich wahrzunehmen ; an
anderen gleicher Entwickelungsstufe habe ich sie indessen auch gesehen.
Auch V. Ebner sieht die Streifung an frischen Präparaten nur selten. Den
Abbildungen Nagel's zufolge, die größtenteils von erhärteten Eiern ent-
nommen sind, scheint die Streifung an solchen deutlicher zu werden. —
Daß sich die Zona in Falten legen kann, ohne zu reißen, habe ich mehr-
fach beobachtet. Die äußere Fläche der Zona zum Eiepithel hin ist
stets uneben. Wenn es in der Abbildung Fig. 76 den Anschein hat,
als ob Fortsätze der Zellen des Eiepithels tief in die Zona eingedrungen
wären, so ist das in diesem besonderen Falle, soweit das am betreffenden
Präparate zur Entscheidung zu bringen war, augenscheinlich nur darauf
zurückzuführen, daß wir hier eine Flächenansicht des Eies, welches mit
seinem Aequator eingestellt ist, vor uns haben. Fortsätze von Zellen,
welche über oder unter der gerade eingestellten Ebene liegen, können
sich dann leicht so ausnehmen, als steckten sie in der Zona selbst. Daß
aber letzteres thatsächlich vorkommt, wurde bereits p. 290 anerkannt.
Die Zona ist elastisch, wasserreich, quellungsfähig, nicht doppelbrechend
(v. Ebner 1. c).
P eri vit el li n e r Eaum. Der von W. Nagel abg-ebiklete und
als konstant bei menschlichen Eiern, deren Zona einigermaßen ausgebildet
ist, angenommene schmale p er i vi t e lline Sp al t r aum , s. p 254 ist in
neuerer Zeit, insbesondere von v. Ebner (350), bei Eiern dieses Stadiums
bestritten worden. Daß er in der mehrfach citierten von Nagel be-
schriebenen und abgebildeten großen Ooc3'te einer 30-jährigen Frau vor-
handen war, davon habe ich mich selbst überzeugen können. Dagegen
habe ich ihn an den für die Darstellung dieses Kapitels neu und in
frischem Zustande untersuchten menschlichen Eiern, wie unter anderem in
den der Figg. 76 u. 134 zu Grunde liegenden, nicht sehen können. Diese
Eier waren aber alle augenscheinlich auch noch weniger ausgebildet, als
das eben angezogene Ei der NAGEL'schen Tafel XX (490). v. Ebner
giebt indessen selbst zu, daß sich ein perivitelliner S])altraum zur Zeit
der Ausstoßung der Eichtungskörper und bei dei- Befruchtung bilde. Er
sagt nicht, ob er dies beim Menschen oder bei Säugetieren beobachtet
hat ; ich darf aber wohl aniiehmen bei letzteren ; beim Menschen könnte
sich ein solcher Spaltraum auch etwas früher zeigen, imd es bildete
dann Nagel's Angabe, wenigstens für das frisch beobachtete Ei seiner
Fig. 5, Taf. XX, 1. c, welches ich für ein dicht vor der Reifung stehendes
halte, keinen Gegensatz. An den erhärteten Pi'äparaten Nagel's dürfte
indessen der als perivitelliner Spaltraum gedeutete subzonale Raum auf
die Härtung zurückzuführen sein.
Dem Spaltraum schreibt Nagel deshalb eine solche Bedeutung zu,
weil er eine Drehung des Ooplasmas mitsamt dem Keimbläschen inner-
halb der Zona ermögliche und es auf diese Weise verständlich Averde,
daß auch bei den menschlichen (und Säugetier-) Eiern das Keimbläschen
im frischen freiliegenden Ei immer nach oben dem Beschauer zugewendet
liege. Ich stimme hier v. Ebner bei, daß diese Thatsache sich ebenso
leicht dadurch erklären lasse, daß das specifisch leichtere Keimbläschen
in dem nahezu flüssigen Ooplasma nach aufwärts steige.
Die Greschlechtszellen. 333
Ooplasma. Dicht unterhalb der Zona findet sich eine sehr
schmale, fein])iiiiktiert erscheinende Substanz, die ,.f e i n k ü r n i g e D o 1 1 e r -
rinde'' v. Ehnku's („Ooplasmarinde" würde ich vorziehen zu sagen),
die ich gleichfalls stets deutlich wahrnehmen konnte ; darauf folgt eine
breitere hellere Ooplasmazone, in welcher bei den nahezu reifen Eiern
das Keimbläschen lagert, und dann die centrale dunklere Ooplasmamasse.
Es wurde erwähnt, daß die hier eingelagerten Deutoplasmamassen viel
blasser, kleiner und weniger scharf begrenzt sind als bei denjenigen
Säugetiereiern, die am meisten untersucht zu werden pflegen, das sind
die Eier unserer Hausnager und Zuchttiere. Daß es aber auch ähnliche
dotterarme Säugetiereier, wie es das menschliche Ei ist, geben dürfte,
ist wohl nicht abzulehnen. Wir erwähnten dies bereits nach E. Vax
Bexedex bei einer Eledermausart. Erwähnt wurden ferner, s. Fig. 76
und p. 256, die subzonalen Kerne. Xicht gar selten sah ich regel-
mäßige Bröckel xmd bräunliche Körper im Ooplasma, über deren Natur
ich nichts aussagen kann. Von größeren scholligen Dotterkörpern berichten
V. KöLLiKER und V. Ebxeu. Nagel beschreibt, 1. c. Taf. XXI, Fig. 7,
zwei solcher Bröckel in einem menschlichen Ei, welche er für ßichtungs-
körperreste halten möchte. Mir scheint diese Deutung angesichts des
in derselben Eizelle abgebildeten völlig unveränderten Keimbläschens
nicht zulässig.
Keimbläschen und Keim fleck. Dem früher im allgemeinen
Gesagten (p. 259 ff.) braucht für das Ovulum humanuni nichts mehr hin-
zugefügt zu werden. Hervorheben wollen wir nur noch einmal, daß die
Vesicula germinativa samt Keimfleck des menschlichen Eies verhältnis-
mäßig groß ist und in dem lichten Ooplasma meist sehr schön und deut-
lich hervortritt.
In Eig. 135 habe ich noch eine jüngere menschliche Oocj'te
von einem neugeborenen Mädchen inmitten ihres Discus proligerus ab-
bilden lassen. Man sieht hier noch nichts von einer Zona pellucida.
Zwar findet sich am Ooplasma ein deutlicher, fast wie eine Dotterhaut
sich ausnehmender Grenzkontur, ob das aber eine solche Haut oder
die erste Spur einer Zona ist, kann nicht entschieden werden. Das
Ooplasma erscheint noch fast rein protoplasmatisch.
3. Eier der E v e rtebrateu.
Ueber die allgemein bedeutsamen Teile der Eier der Wirbellosen
ist bereits im Vorhergehenden an vielen Stellen das Wesentlichste
mitgeteilt worden.
P. 222 besprachen wir nach Boveri die Abstammung der Ge-
schlechtszellen bei Ascaris, p. 228 die Bildung von Laich und
Cocons bei Wirbellosen, p. 231 findet sich eine kurze chemische
Notiz. P. 233 ff. sind die Ü r e i e r der Cölenteraten und Poriferen
(mit Abbildungen) dargestellt, p. 243 die Eier von Dipteren, Abbildung
Fig. 77. Ueber Färbung der Eier von Patella und Teuthis
liegt ebendaselbst eine Angabe vor; p. 244 über dotterarme Eier
Wirbelloser. Dotter kör per bei Insekteneiern wm-den p. 249 er-
wähnt ; das Endoplasma und Exoplasma bei Cölenteraten und
Lingula anatina p. 254, das Chlorophyll, die Nährzellen
und Pseudozellen vom Hydra-Ei p. 256. Die Einteilung der
Eier der Wirbellosen nach ihrem Dotter gehalt wurde p. 257 ge-
geben. Das Keimbläschen findet sich abgehandelt p. 260, der
Keimfleck p. 264, 265, 267 und 269, der Dotter kern, insbe-
334
W. Waldeyer,
sondere bei Spinnen, p. 271 ff. mit den Figg. 96, 97 und 98 von
Tegeneria, der Sph äre n appar a t p. 279 IT. und endlich die
Nebenkörper Wirbelloser p. 284.
Da wir ferner in dem jüngst erschienenen allgemeinen Teile des
KoRSCHELT-HEiDER'schen Werkes (GGOa) eine sehr eingehende Schil-
derung der Eier der Wirbellosen erhalten haben, so sind an dieser
Stelle nur noch wenige, das Gesamtverhalten dieser Eier in den ein-
zelnen Klassen betreffende Bemerkungen hinzuzufügen.
Die Eier der Wirbellosen sind, wenn auch als „Zellen" groß, so
doch als „Eier" im allgemeinen klein; die größten, etwa vom Um-
fange einer Haselnuß (die Kapselbildungen eingerechnet), finden sich bei
den Cephalopoden (Sepia, Eledone). Ihre Form ist sphärisch,
oder walzenförmig, auch stumpfspindlig (S e p i a), oder eine kleinere regel-
mäßigere Spindelform (E chino rhy n chu s). Die nackten Eier der
C ö 1 e n t e r a t e n und P o r i f e r e n zeigen amöboide Bewegungen mit
sehr wechselnder Form, insbesondere bei Hydra. S. Fig. 59 u. 136.
Fig. 136. A Ei von
Hydra viridis weiter
entwickelt. Die Einschlü.'ise
stellen nach Kleinenberg
teils Pse udozellen (s. p.
256), teils Chi orophyll ,
teils Dotterkörper dar ;
die letzteren zerfallen als-
bald in feine Granula. Das
Ei selbst befindet sich im
amöboiden Zustande, gv
das Keim blase h en. Ein
Keimfleck war nach der
Angabe Kleinenberg's
vorhanden, tritt aber in
der Figur nicht hervor. B
P s e u d o z e 11 e. Nach
Kleinenberg (M- 1328,
Taf. II, Fig. 10).
Die Farbe ist gewöhnlich weißlich — man vergleiche die allge-
mein bekannten Eier der Oviparen Dipteren, insbesondere der Fliegen-
arten — Stubenfliege, Schmeißfliege (Musca vomitoria) — aber
es kommen auch Eier in allerlei Farben vor: bräunlich (PI at t w ürm er),
gelblich ( L i n g u 1 a a n a t i n a) , schwarz (Sepia), bläulich T h e u t i s -
arten (s. p. 243).
Nackte Eier wechseln ab mit anderen, die mit harten Schalen
und Kapseln vei'sehen sind ; bei den letzteren trifft man M i k r o -
p y 1 e n a p p a r a t e von oft sehr verwickelter und zierlich gezeichneter Aus-
bildung (Insekten). Von den nackt bleibenden Eizellen erscheinen
manche in recht ansehnlicher Größe mit großem klaren Keimbläschen
und Keimfleck : auch nutritive Einschlüsse, wie Dotterkörper u. a., können
sich in diesen Eiern in erheblichen Mengen ausbilden fs. Fig. 136).
Reich an Dotterkörpern sind insbesondere die Eier der meisten
Arthropoden und vor allem die der Cephalopoden (s. w. u.).
Die Eihüllen der Wirbellosen sind sehr mannigfaltig strukturiert,
folgen abei' den vorhin im allgemeinen dargestellten Entwickelungs wegen.
Wir haben Eier mit einfacher zarter Dotterhaut, dann solche
mit einer dicken Z o n a r a d i a t a (H o 1 o t h u r i e n) , dann solche mit
echten, vom Follikelepithel abzuleitenden C h o r i o n (Insekten, C e -
Die Geschlechtszellen. 335
I^halopoden); hierzu kann noch eine echte Dotterhaut vorhanden sein
(In seiften) oder sie kann fehlen (C eph alo poden). Endlich kommen
nun noch bei vielen tertiäre E i h ü 1 1 e u vor, die von den ableitenden
Wegen und auch von besonderen Drüsen, z. B. den Nidamental-
drüsen bei den Cephalopoden gebildet werden. Vielfach sind sie mit
allerlei Anhängen, Haken, Stacheln, Buckeln u. a. , zur Befestigung
versehen ; in anderen Fällen werden sie durch eine Klebegallerte be-
festigt, oder sind durch solche zu einem Laich vereinigt. Von diesen
und von den Coconbildungen war schon die Rede (p. 228).
Einzelne Eier (D i s t o m e u , T ä n i e n) zeigen an einem Pole einen
abhebbaren (?) Deckel.
Mancher interessanter Eigentümlichkeiten halber sollen die Eier der
A seidien und der Cephalopoden noch besonders besprochen werden.
Die Eier der A s c i d i e n zeigen an der Innenseite der sie um-
schließenden Eihülle eine Schicht epithelioider Zellen, zwischen Hülle
und Ooplasma, die v. Kupffer in der (irrigen) Annahme, daß daraus der
„Mantel" (Testa) der Ascidien hervorginge, mit dem Namen Testa-
z eilen belegt hat.
Die reifen Eier von Ascidia canina lassen, sobald sie frei
werden, das anhaftende Follikelepithel — dieses wäre der Corona radiata
der Säugetiereier zu vergleichen — zu sehr regelmäßig angeordneten,
papillenähnlichen Zöttchen auswachsen, und zwar wächst jede Zelle zu
einem solchen zottenförmigen Gebilde heran. Diese Zottenzellen haben
ein schaumiges Aussehen (Schaumzellen i : ihr Kern bleibt als dunklerer
kugeliger Körper erhalten (s. Eig. 137). Eine äußere Lage des Follikel-
epithels bleibt im Follikel zurück und kann sich zu einer Art Corpus
luteum, (s. später) ausbilden. Nach innen von dem Zottenepithel liegt
(als dunkle Linie in der Figurj eine Membran, das Chorion; an dessen
Innenfläche findet sich die einschichtige Lage der Testazellen; darauf
folgt die (hell gehaltene) Gallertschicht, dann das Ooplasma der Eizelle,
deren Kern in den Eiern dieses Stadiums wegen der dunklen Beschaifen-
heit des Ooplasmas niu- schwer sichtbar ist; in Fig. 137 ist er gar nicht
zu erkennen. Eine Dotterhaut giebt es nicht.
Ueber die Genese der Testa-
zellen ist viel Streit gefühi't worden.
Fig. 137. Reifes Ei aus dem Ovidukt
von Ascidia canina. c Follikelzellen
(Schaurazellen). rf Chorion. eTestazellen.
/Ooplasma. .c Gallertschich t. Nach
V. KuPFFEE, Arch. mikrosk. Anat., Bd. VI,
p. 115, Taf. VIII, Fig. 4. (Die Fig. 1.37 ist
der Fig. 182 von Korschelt-Heider [666a]
nachgedruckt; sie stellt aber keine getreue
Kopie der v. KuPFFER'schen Originalfigur dar,
die nicht als Durchschnittsbild', sondern als
Flächenbild gezeichnet ist, so daß man den
hellen Raum .-• noch ganz wie mit Zellen aus-
tapeziert sieht.)
KoRSCHELT und Heider sprechen sich für die Ansicht, der auch die
Mehrzahl der neueren Forscher huldigt, aus, daß die Testazellen Ab-
kömmlinge des Follikelepithels sind, die zum Ooplasma hin verschoben
werden, teilweise in dasselbe hineindringen und sich dort auflösen, teil-
weise aber eine vollständige zweite Zellenschicht zwischen dem ursprüng-
lichen Follikelepithel und dem Ooplasma bilden. Sind die Testazellen
in hinreichender Menge entwickelt, dann erst entsteht zwischen ihnen
336 W. Waldeyer,
und dem Follikelej)itliel die Membran d (Fig. 137), die also nur ein
Produkt von FoUikelepithelzellen — oder, was dasselbe sagen wiu-de,
der Testazellen — sein kann, sonach mit dem Namen „Chorion" bedacht
Averden mulJ. Wahrscheinlich bilden, wie ich meine, die Testazellen die
Gallertschicht und dienen auch sonst zur Ernährung des Eies. Ist dem
so, dann stellen die Testazellen der Ascidieneier nur einen speziellen,
ganz besonders ausgebildeten Fall eines, wie es scheint, allgemeinen
Vorkommnisses bei der follikulären Eibildung dar. Vgl. das über die
Befunde von KoiiLP.urGGE und Wetzel p. 256 und 269 Gesagte.
Außer durch ihre Größe, Färbung, Laich- und Kapselbildung fallen
die Cephalopodeneier durch ihren Dotterreichtum auf, der sie zu
echten meroblastischen Eiern stempelt, wie insbesondere v. Kol-
LiKER 1844 in seiner aiisgezeichneten Arbeit (M. 1332) gezeigt hat. Bei
keiner anderen Eiart ergiebt sich eine so scharfe Trennung zwischen
dem sich furchenden Keime und dem dotterhaltigen Ooplasma. Die
Gattung Argonauta scheint mit Eiern von 1,3 mm die kleinsten,
Eledone mit Eiern von 15 mm und darüber die größten Eier dieser
merkwürdigen Tierklasse zu haben. Bei den Oktopoden fehlen die
äußeren Kapsel- oder Gallertmassen ; hier besitzen die Eier nur ein
Chorion. Dieses ist mit einer klar ausgebildeten, unmittelbar über dem zu
ihr gewendeten Keime mündenden M i k r o p y 1 e versehen. Vom Keime
geht ein dünner Protoplasmamantel rings um das ganze Ei : zwischen
diesem i;nd dem Chorion liegt eine ansehnliche Menge einer hellen, eiweiß-
haltigen Flüssigkeit. Diese Verhältnisse erinnern an den Bau der
Teleostiereier. Der Dotter der Cephalopodeneier hat eine feinkörnige
Beschaffenheit.
Als besonders bemerkensAvert muß beim Cephalopodenei dessen
sicher ausgesprochene polare und bilaterale Differenzierung
hervorgehoben werden ; wir kommen dai'auf später zurück.
In einzelnen Fällen stellt der Cephalopodenlaich sehr be-
deutende Massen dar. So fischte Guenacher, wie ich aus Korschelt-
Heider entlehne, bei den Kapverdischen Inseln eine wahrscheinlich einer
•Teuthid en- Art angehörige Laichmasse auf von 75 cm Länge und
15 cm Breite, in der die Eier zu Tausenden eingebettet lagen. Unter
den Teuthiden kommen allerdings Exemplare, insbesondere der Gattung
Architeuthis vor von mehreren Metern KörjDcr- und bis zu 10 bis
lim Fangarmlänge, so daß solche große Laichmassen wohl erklärbar sind.
Auf einige andere Verhältnisse, insbesondere auf die z u s a m m e n -
gesetzten Eier der P 1 a t h e 1 m i n t h e n mit Eizellen und Dotterzellen
kommen wir bei den Abschnitten „Klassifikation" und „Oogenese" zurück.
4. Eier der Pflanzen.
Bei den niederen Pflanzen mit sexueller Fortpflanzung, wie
wir unter den Kryptogamen zahlreiche Beispiele haben, sind häufig die
kopulierenden Zellen einander gleich und sind im Bau einfachen Zellen
ähnlich, so bei dem jüngst von Juel (Ueber Zellinhalt, Befruchtung und
Sporenbildung bei Dipodascus ; Flora, Allgemeine botanische Zeitung,
Ergänzungsband, 1902) bearbeiteten, in Pflanzensäften vegetierenden
Fadenpilze, Dipodascus. Zwei Zellen, je mit 10 — 12 Kernen, erweisen
sich als Geschlechtszellen, können jedoch noch nicht als $ oder S unter-
schieden werden. Bei der Kopulation sieht man von der einen Zelle, dem
P ollin od, die Kerne in die andere, das Karpogon, hinüberwan-
dern; das P oll in od ist die Samenzelle, das Karpo gon die Eizelle.
Die Geschlechtszellen. 337
Nach der so vollzogenen T'efruchtung entwickelt sich das Karpogon
weiter, wächst stark und liefert die jungen Sporen, während das
Pollinod nicht an Größe zunimmt.
Bis zu den höchsten Pflanzen hinauf erscheint durchweg das Ei
unter der Form einer einfachen Zelle, der Eizelle, entweder nackt
oder doch nur mit feiner Hülle, Kern, Kernkörper und Protojjlasma.
Unsicher ist noch das Vorkommen von Sphärenapparaten.
Die insbesondere auf GririxAED's frühere Untersuchungen (bei
Lilium Martagon) zurückzuführenden Angaben von Centrosomen- und
Centriolen - ähnlichen Körpern in den Eizellen der Pflanzen haben
durch die neueren Forschungen keine Bestätigung erfahren. Erst nach
der Befruchtung treten an den Spind eljoolen der ersten Teilungsfigur sehr
kleine Centralkörperchen auf, die man als Centriolen ansehen darf. Wo-
her sie stammen, ist noch nicht aufgeklärt. In der unbefruchteten Ei-
zelle fehlen sie ; ob sie mit dem Spermium eingeführt werden, geht aus
den vorhandenen Angaben bis jetzt nicht hervor. Daß indessen an den
Pfianzenspermien Centralkörperchen ähnliche Bildungen ( Blepharoplasten)
vorkommen, haben wir p. 202 &. gesehen. In den Gewebszellen der
niederen Pflanzen fehlen Centralkörperchen nicht. Vgl. Strasburger,
XoLL etc., Lehrbuch der Botanik, 5. Aufl., 1902, p. 50, ferner Stras-
BURGBR, Botanisches Praktikum, 4. Aufl., 1902, p. 609, dann P. B.
Farmer und Williams (638d), Strasburger (708 III) und Guignard
(650a).
Die Befruchtung geschieht, wie wir sahen (p. 148), bei den
Pflanzen entweder durch Spermien, oder in Schläuche auswachsende
Pollenzellen, indem diese mit der Eizelle kopulieren.
Die zarten, an sich nicht geschützten Eizellen der Phanerogamen
liegen von verschiedenen Hüllen (Embryosack mit Endosperm-
g e w e b e und Archegonium, Nucellus und Integumente) ein-
geschlossen und bilden mit diesen Hüllen zusammen die Samenanlage.
Die Eizelle selbst wird unmittelbar vom Archegonium, einer schlauch-
oder sackförmigen zelligen Hülle, umgeben. Die Integumente lassen am
oberen Ende der Anlage eine kleine Oeffnung, die Mikropyle, frei,
durch welche der Pollenschlauch bis zum Nucellus und Endosperm, dann
durch den „Halskanal" des Archegonium zur Eizelle selbst vordringt.
Nach der Befruchtung entwickelt sich durch einen Fui'chungsprozeß
die Eizelle zum Keim und die Samenanlage zum Samen. Nährmassen,
die man dem Dotter und den Eiweißhüllen der tierischen Eier ver-
gleichen könnte, sind selten in nennenswertem Maße in der Eizelle selbst
aufgespeichert — und darin liegt ein bemerkenswerter Unterschied
zwischen der tierischen und pflanzlichen Eizelle — wohl aber können
sie in den Zellen des Keimes sich ansammeln und insbesondere in den
Hüllen der Samenanlage, wo bei vielen Samen ein besonderes Nähr-
gewebe, entweder aus dem Nucellus oder dem Endospermgewebe sich
bildet.
Ich füge hinzu, daß vom „Samen" die „Frucht" wohl unter-
schieden werden muß, die nach der Befruchtung aus anderen, den Samen
tragenden und einhüllenden Blütenteilen entsteht.
Der Name „Ei" wird bei Pflanzen nur für die nackte „Eizelle" ver-
wendet, nicht auch für die mit ihren oben genannten Hüllen versehene Ei-
zelle, wie dies bei den Tieren üblich ist. Füi' die Pflanzeneizelle zu-
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 22
338 W. Waldeyer,
saminen mit ihren Hüllen bestanden ja seit langem die Bezeichnungen
„Samen" und auch „Frucht", ehe man die Eizelle selbst kannte.
Auf einige andere, erst in der neuesten Zeit ermittelte merkwürdige
Dinge, wie die Unterschiede zwischen Geschlechtszellen und Körper-
zellen bei den Pflanzen, auf die Bedeutung der sogenannten S 3^1 e r -
giden als abortiver Eizellen, sowie auf die Doppelbefruchtung
soll später (0 0 g e n e s e) eingegangen werden.
Einen Vergleich zwischen den Greschlechtszellen der Tiere und
Pflanzen hat V. Haecker unternommen (652, 653, p. 136 &.). Hier
findet sich auch die neuere Litteratur i).
5. P r 0 s 1) e k t i V e E i s t r u k t u r.
Ohne uns hier in eine Diskussion über die verschiedenen Theo-
rieen des Wesens der Entwickeluny;, ob Präformat Ion oder Epi-
genesis, ob organbildende K ei m bezirke, ob Isotropie
des Eies, einzulassen, ohne ferner die WEiSMANN'sche „Determi-
nantenlehre'' und Ptoux' „Mosaiktheorie" sowie 0. Hertwig's
„Biogenesis" zu erörtern — man wolle darüber 0. Hertwig's Ein-
leitungskapitel dieses Handbuches vergleichen — müssen wir doch die-
jenigen Thatsachen hervorheben, welche zweifellos zeigen, daß in der
Eizelle eine bestimmte Struktur vorhanden sein muß, welche den Ent-
wickelungsgang. sobald er einmal ausgelöst ist, in seinem Wege und
Ziele wesentlich mitbestimmt. Wir wollen diese Struktur in Anlehnung
an Driesch die p r 0 s p e k t i v e E i s t r u k t u r nennen ; auch der Name
„Eistruktur" schlechtweg wird hierfür verwendet.
Wenn wir hier der Eizelle eine solche Struktur vindizieren , so
werden wir hauptsächlich darauf geführt durch den Umstand, daß die
Furchungszellen und damit der Leib der jungen Embryonen ihr Material
unmittelbar zunächst aus der Eizelle nehmen, ferner dadurch, daß wii-
viele parthenogenetisch sich entwickelnde Eier haben, bei denen ein Einfluß
des Spermium ausgeschlossen ist. Indessen ist wohl zu bedenken, daß der
prospektiven Eistruktur nicht alles zugewiesen werden kann, wie ja die
Vererbung ganz sinnfälliger väterlicher Eigenschaften erweist. Ist es
jetzt doch unbestritten, daß (). Hektwio's Lehre, die Erbmasse für die
jungen Embryonen müsse in den beiderlei Ivernsubstanzen gesucht
werden, im wesentlichen zutrifft. Daß aber durch die Einführung väter-
licher Erbmasse auch der Ent wickelungsgang der Eizelle beeinflußt
werden muß, ist klar. Vgl. hierüber besonders Boveri's neueste Mit-
teilungen (622g). Diese Anerkenntnis thut jedoch der Annahme einer
prospektiven Eistruktur keinen Eintrag.
Als sicher erwiesene Eistrukturen können wir folgende aufführen :
die Polarität, die S y m m e t r i e , und für manche Eier eine lie-
stimmte topographische Anordnung der 0 rgan an lagen,
die „organbildenden Keimbezirke'" von His. Hierher gehören ferner
meines Erachtens die . Fälle, in denen gewisse Eiformen, die auch
äußerlich bereits ausgezeichnet sind, nur Embryonen eines bestimmten
Geschlechtes entwickeln, entweder männliche oder weibliche.
Unter der Polarität der Eier verstehen wir eine derartige An-
ordnung der Eizellenbestandteile, daß an zwei entgegengesetzten Enden
1) Für einige hier benutzte Litteraturimchweise bin ich Herrn Professor Dr.
E, Zacharias sehr dankbar.
Die Geschlechtszellen. 339
„Polen", des Ovuluiii sich füi' die Eiitwickelung verschiedenwertige
Bestandteile anhäufen, und damit eine Hauptachse des Eies er-
zeugt wird. An dem einen Pole, dem ,.a n i m a le n '' , finden wir dann
vorzugsweise das protoplasmatische Material, den Keim mit dem Keim-
bläschen, an dem anderen, dem „vegetativen", das deutoplasma-
tische (s. ]). 256 ff.).
Jüngst hat Boveri (3H6a) die bereits von Selenka und Driesch
(citiert nach Boveri) nachgewiesene Polarität des Seeigeleies (Ei von
S t r 0 n g y 1 0 c e n t r 0 t u s 1 i v i d u s) genau dargelegt und eingehend
behandelt. Das Ei von S t r o n g y 1 o c e n t r o t u s 1 i v i d u s hat in der
Nähe des einen Poles, des vegetativen, einen Pigment ring, dessen
breiter Rand ziemlich mit einem größten Kreise des kugeligen Eies
zusammenfällt und daher annähernd eine Eihälfte als helles Stück
über sich hinausragen hat, während an der engeren Ringseite nur ein
kleines, kuppenförmiges, helles Segment außerhalb des Ringes sicht-
bar wird. Durch den Ring wird eine Achse bestimmt, diese ist die
Eiachse. Im größeren Segmente liegt das Keimbläschen, jedoch
excentrisch zur Achse; an dem einen Ende derselben findet sich in
der Gallerthülle des Eies ein einer Mikropyle vergleichbarer Kanal, der
Gallertkanal, durch den die Richtungskörper ausgestoßen werden
und durch den gewöhnlich auch das befruchtende Spermium eintritt.
Hier ist, wie die weitere Entwickelung zeigt, der au i male Pol zu
suchen.
Längs der Achse zeigt das Strongylocentrotus-Ei nun eine sehr
merkwürdige Schieb tun gs st ruk tu r, insofern eine erste Zone,
das ist die kleinere, vegetative, unpigmentierte Ivui)pe, das primäre
Mesenchym und somit das Larvenskelet liefert, die Pigmentringzone
den Darm und dessen Abkömmlinge , die größere unpigmentierte
animale Eihälfte den Ektoblasten nebst Zubehör. Beachtenswert ist,
(laß diese Polarität und Schichtungsstruktur schon in den Oocyten
erster Ordnung auftritt.
Selenka fand bereits, daß während der Oogenese die Echiniden-
eier mit einem Ende an der Ovarialwand wie mit einem sich länger
und länger ausziehenden Stiele haften bleiben, während sie in das
Ovariallumen mit dem dickeren Ende vorragen. An dem Stielende bildet
sich nun höchst wahrscheinlich der Gallertkanal ; so kann denn die Pola-
rität des Seeigeleies mit seiner Entwäckelungsweise in Verbindung ge-
bracht werden.
Zu den polar ditferenzierten Eiern zählen die anisolecithalen
Eier (s. p. 257), wie das Eroschei, das Neunaugenei und viele
andere.
Von nicht geringerer Bedeutung als die Polarität ist die bila-
terale S y m m e t r i e , die sich an vielen Eiern nachweisen läßt, so an
den Insekten- und C e p h a 1 o p o d e n e i e r n (Watase, M. 3257, und
Studies from Biol. Laboratory John Hopkins Univers. Baltimore, 1888,
Vol. VI). Aber auch bei Wirbeltieren, Amphibien, Vögeln
(Kölliker beim Huhn), Torpedo (Sobotta) ist dies der Fall, wie
sich aus der Anordnung der ersten Blastomeren sofort ergiebt. Bei
Rana fällt in der Regel, wie Newport, Pflüger und Roux experi-
mentell feststellten und 0. Schultze (547) an Schnittreihen bestätigte,
die erste Furche beim Segmentationsprozesse des Eies in die Median-
ebene. Auch ist, wie Van Bambeke zeigte, beim Amphibienei
99*
840 W. Waldeyer,
der Weg, den das befruchtende Spennium im Ei nimmt, immer der-
selbe; er kann an einer sich bildenden Pigmeiitieriing (Pigmentstraße)
erkannt werden, so daß auch für diesen Vorgang eine besondere regu-
läre Organisation des Eies vorhanden sein muß. Experimentell hat
allerdings Roux nachgewiesen, daß die Spermien auch gezwungen
werden können, andere Wege einzuschlagen (lokalisierte Befruchtung).
E. Van Bexedex war einer der ersten, welcher, und zwar im be-
sonderen für das Ascaris-Ei, die Polarität sowohl, als die bilaterale Sym-
metrie genauer untersucht hat; ich verweise hier aufsein unter No. 616a
citiei'tes gru.ndlegendes Werk , vgl. insbesondere p. 352. Ich möchte
mich der schon von Van Bbxbdbn ausgesjDrochenen Meinung anschließen,
daß wahrscheinlich sämtliche Eier eine polare und bilateral-symmetrische
Struktur besitzen , letztere wenigstens für die bilateral-symmetrischen
Geschöpfe.
Ob nun die bilateral-symmetrische Struktur des unbefruchteten
Eies allein ausreicht, um dem sich entwickelnden Embryo seine bila-
terale Symmetrie zu geben, oder ob noch äußere Kräfte, wie ins-
besondere die Schwerkraft, dabei mitwirken müssen, das ist ein in den
letzten Jahren insbesondere von Ptoux auf der einen und Schultze
auf der anderen Seite lebhaft diskutiertes Problem geworden , zu
welchem 0. Hertwig und Born eine vermittelnde Stellung einnehmen;
ich verweise zu einer Orientierung über den jetzigen Stand der Frage
auf die jüngst erschienene Arbeit M. Moszkowski's (488b), woselbst
die neuere Litteratur vollständig gegeben ist, insbesondere die für
diese Frage wichtigen Arbeiten von Born, 0. Hertwig, Kathariner,
Fr. Kopsch, Morgan und Tsuda, Pflüger, Roux und 0. Schultze.
MoszKOWSKi selbst kommt zu der Ansicht, daß die Schwerkraft allein
dem Amphibien-Eie die kurz nach der Befruchtung auftretende Sj'mmetrie-
ebene schaffe und damit die künftige Medianebene des Embryo be-
stimme ; die Substanz des Amphibieneies sei unbedingt isotrop und
seine Entwickelung eine rein epigenetische. Innerhalb des Mutterkörpers
befinden sich die Eier in einer Zwangslage (Roux) und kann dort der
Einfluß der Schwerkraft nicht hervortreten. S. hierzu indessen das
Kapitel „ B e f r u c h t u n g " .
An anderen Eiern, z. B. bei Musca, sind, wie insbesondere
Henking (M. 3397 und Zeitschrift für wiss. ZooL, Bd. 4(3, 1888) und
Blochmann (M. 1952) gezeigt haben, noch weitere Anlagen prospek-
tivisch festzulegen. Wir sehen in Fig. 77 p. 258 ein Ei von Musca
im wesentlichen nach den Befunden der eben Genannten. Als vor-
derer Pol des länglichen Eies wird derjenige bezeichnet, welcher
bei seiner Lage in der Eiröhre des Muttertieres gegen dessen Kopf-
ende hin gewendet ist. Hier — bei m in der Figur — befindet sich
zumeist die Mikropyle, und stets bildet sich hier das Kopfende
(orales Ende) des künftigen Embryo, das aborale Ende am entgegen-
gesetzten Pole. Ferner legt sich an der mehr konvexen Fläche des
Eies die Ventralseite des Embryo mit dem „Keimstreifen" an, an der
mehr planen {hl n. d in der Figur) die Ptückenpartie. Aehnliche
Unterscheidungen konnte Watase (1. c.) beim Cephalopoden-Eie
machen.
Noch weiter gehende Differenzierungen im Sinne organbildender
Keimbezirke sind bei manchen Gasteropoden, Ilyanassa z. B., ferner
bei M y z 0 s 1 0 m a und bei den K t e n o p h o r e n nachzuweisen. (Cramp-
Die Geschlechtszellen. 341
TON (383c), Driesch (349 und 349a), Chun (326a), Driesch und
Morgan (349b, c u. d), Fischel (364a), Roux (532a u. b) und H.
E. Ziegler (610a). Ich erinnero auch an die ältere Darstellun,ii des
Furchungsprozesses bei den Gasteiopoden von Bobretzky (Ardi. f.
mikr. Anat., Jkl. 13, 1877).
Die Nachweise für diese Angaben werden teils so geführt, daß
man entweder durch direkte Beobachtung zeigen kann, wie eine lUa-
stomere, die bestimmten Organanlagen den Ursprung giebt, von einer
bestimmten Stelle des Eies aus entsteht, oder daß man experimentell
darlegt, wie mit der Zerstörung einer solchen Blastomere immer be-
stimmte Teile eines Embryonalleibes nicht zur Ausbildung gelangen.
Ich glaube hierher auch die Fälle von einer bestimmten ge-
schlechtlichen Charakterisierung gewisser Eizellen ziehen
zu dürfen. Weitbekannt seit langem ist die Thatsache, daß unbe-
fruchtete Eier von H}' men opter en , der Bienen z. B., nur
Männchen (Drohnen) entwickeln lassen, die befruchteten Eier
Weibchen; wir hätten also eine für männliche Entwickelung be-
stimmte Eistruktur anzunehmen. Besonders bemerkenswert sind aber
die Verhältnisse bei den Rotatorien, bei den Aphiden und bei
der von Korschelt genauer untersuchten Species Dinophilus
apatris'). Bei letzterer sind Eier verschiedener Größe in einem
und demselben Cocon eingeschlossen ; aus den kleineren gehen die
ebenfalls kleineren Männchen, aus den größeren die Weibchen hervor.
Besondere kleine, nur zur Entwickelung von Männchen befähigte Eier
liefern neben zwei anderen Formen, sogenannten Winter- (Dauer-) und
Sonimer-(Subitan-)Eiern, die R äd e r t i e r e. Bei den Ap h i d e n kommen
gleichfalls verschieden große, zur Entwickelung verschiedener Ge-
schlechter bestimmte Eier vor. Auch bei Phylloxera findet man
Aehnliches. Hierbei ist besonders zu bemerken, daß bei Dino-
philus beiderlei Eier der Befruchtung bedürfen, daß also hier im
Ei das Ausschlaggebende unzweifelhaft zu suchen ist.
Mancherlei Bemerkenswertes über das Verhältnis des Baues der
Geschlechtszellen, männlicher wie weiblicher, zur Erzeugung der Ge-
schlechter bringt auch Rauber in seinem jüngst erschienenen Buche be-
treffend den „Ueberschuß an Knabengeburten" (692).
Anhangsweise sei bemerkt, daß, wie begreiflich, zwischen der Größe
der meroblastischen Eier und der ihrer Keimscheiben eine gewisse
Proportionalität besteht; Ch. L. Edwards (351a) fand dies für
Hühnereier.
Die Betrachtungen und Untersuchungen über die Eistruktur sind
vor allem auf Pflüger's mit Recht hochgehaltene Arbeit über den
Einfluß der Schwerkraft auf die Entwickelung des Eies (M. 2342, 2343)
zurückzuführen. Pflüger selbst kam damals zu der Ansicht von
der gleichartigen Struktur des Eies, Isotropie des Eies. Seit
dieser Zeit ist die Erforschung der Eistruktur eine der bedeutsamsten
Aufgaben der Entwickelungsgeschichte geworden, deren Lösung ins-
besondere durch Chabry, Driesch, die Brüder Hertwig, Morgan,
Roux, Wilson, Ziegler u. a. gefördert worden ist. Daß bei einem
1) Die Gattung „Dinophilus" nimmt eine besondere Stellung in der großen
Abteilung der Würmer ein; gewisse Verhältnisse erinnern an die Rädertiere, andere
stimmen nicht. Im ganzen finden sich Organisationsverhältnisse wie bei den Anne-
lidenlarven.
342 W. Waldeyer
so weitgreifendcn Probleme nocli vielfache Meinungsverschiedenheiten
bestehen , darf nicht wunder nehmen. Vor allen haben Nägeli
((>s()a) und jüngst K. Rabl (()*,)1 I) betont, daß wir die Ursachen für
die eigenartige Entwickelung der verschiedenen Arten der Tier- und
Pflanzenwelt (Roux' „specifische Ursachen") schon in der Struktur der
Eizelle zu suchen haben. Was für die Eizelle gilt, muß nach
0. Hertwig's Ausspruch (OGl) auch für jede genetische Zelle oder
jeden genetischen Zellenkomplex (Sporen oder Knospen) angenommen
werden. Dies schließt natürlich nicht aus, daß im weiteren Ver-
laufe der Entwickelung auch der Einfluß äußerer Faktoren mehr und
mehr zur Geltung kommt. Wissen wir ja doch, daß sich gewisse
Eier in diesen Medien und Temperaturen, andere nur in jenen
entwickeln, und sind erst mehrere Zellen durch den Furchungsprozeß
entstanden, so muß ja die eine auf die andere einwirken. Boveri,
(306a) hat sich dahin ausgesprochen, daß der Einfluß der protoplasma-
tischen Eistruktur dirigierend hauptsächlich sich auf die ersten Ent-
wickelungsvorgänge beziehen dürfte. Die Struktur des Eiplasniäs be-
sorge das rein P r o m o r p h o 1 o g i s c h e , gebe die allgemeine Grund-
form, den Rahmen ; alles weitere Specifische werde vom Kern aus-
gefüllt.
Daß dem Kerne eine bedeutsame Rolle bei der Determiniermig
der Entwickelungsformen zufalle , haben wir schon vorhin anerkannt.
Hier sei weiter ausgeführt, daß, abgesehen von der Thatsache, daß der
Kern die Erbmasse im wesentlichen in sich faßt, er hochbedeutend
für den Stoffwechsel der Zellen ist (s. insbesondere Korschelt,
Beiträge zur Morphologie und Ph3^siologie des Zellkernes 1. c. p. 270),
ebenso für die Regeneration, wie Versuche an einzelligen Tieren, die
man in kernlose und kernhaltige Stücke zerschnitt, erweisen. S. insbeson-
dere Gruber, „Ueber künstliche Teilung bei Infusorien", Biol. CentralbL,
Bd. IV u. V. Vor allem möchte ich aber auf Boveri's Beobachtungen
der Differenzen z-wischen den Geschlechtszellen und den K(:)r})erzellen
bei Ascaris megal ocephala (622a) hingewiesen haben, welche
wesentlich im Kern gefunden werden. Hierauf wird weiter unten näher
eingegangen werden. S. auch das schon p. 222 kurz Berichtete. Weismann
(724 u. 725) hat die Ansicht aufgestellt, daß in den Kernchromosomen
mehrere selbständige Vererbungsträger (Träger verschiedener sich ver-
erbender Eigenschaften), sogenannte „ I s o d o n t e n " aufgespeichert seien,
so daß jedes Chromosom sämtliche zu vererbende Quali-
täten enthalte. Auch Boveri (622g) ist in einer jüngst erschienenen
Arbeit zu der Auffassung gekommen, daß die einzelnen Chromo-
somen verschiedene Qualitäten, die vererbungsfähig seien,
hätten; er unterscheidet sich jedoch darin erheblich von Weismann,
daß er jedem einzelnen Chromosom verschiedene Qualitäten zuspricht.
Wir sehen in diesen Meinungen die Lehre von der prospektiven Ei-
struktur bereits bis in die einzelneu Kernelemente hineingetragen. Den
Kernen aber für das in Rede Stehende eine „Totipotenz" nach der
Bezeichnung von Driesch einzuräumen, kann ich mich nicht entschließen.
Wenn man, wie es einige (Doflein, zur Strassen und Ziegler)
gethan haben, auch den Centrosomen einen determinierenden Einfluß
auf die formgestaltenden Kräfte bei der Entwickelung zusprechen will,
so kann man sicherlich dem von vornherein nicht entgegentreten, um so
weniger, als die Angaben Morgan's, Mead's u, a., die der Annahme
einer höheren Bedeutung der Centralkörperchen entgegenstehen, sowohl
Die Geschlechtszellen. 343
von BovERi, als insbesondere von Meves als mMih nicht beweisend
WTC
dargethan sind. Vgl. p, 2S3, Indessen müssen Weh weitere Begrün-
dungen abgewartet werden.
Aus der Litteratur über die prospektive Struktur der Eizelle
seien außer den genannten Werken noch angeführt: Bütschli (815b),
CuAMPTox (333c), DuiEscii (349 — 349d), Eyclbshvmer (357a), Heider
(G57a), Hekbst (G59a), Lillie (461a), Loeb (463), Morgan (485b), Robix
(698), Rorx (699a), Samassa (540), Oskar Schultze (547), Whitmax
(7261) und Wilson (605 und 726b). — Vor allern ist auf den grund-
legenden Bericht von Driescu in Meukel's und Boxxet's „Ergebnissen"
(349a) aufmerksam zu machen. Die Abhandlungen von Driescu ('349d),
Herbst (659a) und Moszkowski iL c.) hat jüngst Rorx im Archiv für
Entwickelungsmechanik, Bd. XIII, p. 610—662, und Bd. XIV (c. Mosz-
KowsKi) einer eingehenden kritischen Besprechung unterzogen, auf welche
noch hingeM'iesen sein soll. Bezüglich der Stellungnahme Roux' gegen
JMoszKOwsKi ist übrigens Keibel's, auf dessen Anregung Moszkow.ski's
Arbeit unternommen worden war, Antikritik zu vergleichen (Anatom. Anz.,
Bd. XXI, p. 581, 1902).
6. Varietäten der Eier.
Die zahlreichen, insbesondere bei den Eiern der Vögel, vor allem
bei unseren Zuchtvögeln beobachteten Varietäten beziehen sich
meist auf die Größe, Form und Färbung. Man unterscheidet
nach der Größe Riesen- und Zwergeier; in der Form kommen
Varietäten durch kugelige oder cylindrische Gestalten vor,
wo wir die gewöhnliche Eiform erwarten sollten. Bei den gefärbten
Eiern sind Farbspielarten nach den verschiedensten Richtungen
hin zahlreich ausgebildet; wir sind jedoch wissenschaftlich diesen an
sich nicht uninteressanten Dingen bislang nicht näher gekommen.
Bemerkenswerter sind die Doppeleier und die Einschluß-
eier, lieber diese wie über die Ries an ei er sei noch einiges an-
geführt.
Ungewöhnlich große Eier, Rieseneier, sind, außer bei den Vögeln,
jüngst noch bei A s c a r i s m e g a 1 o c e p h a 1 a von L. Sala (537b), R. Zo.ja
(727; und zur Strassex (568b) beschrieben worden. Die Rieseneier bei
den Vögeln sind meist D o p p e 1 e i e r oder E i n s c h 1 u ß e i e r. Unter
einem D o p p e 1 e i versteht man ein Ei mit 2 Gelbeiern in einer und
derselben Schale ; sie haben neben ihrer erheblichen Größe häufig eine
walzenförmige Gestalt. Die beiden Gelbeier können entweder nur eine
gemeinsame Dotterhaut haben, oder es hat ein jedes seine besondere.
In beiden Fällen sind aber das Eiweiß, die Schalenhaut und Kalkschale
gemeinsam. Oft ist der eine Dotter kleiner als der andere. Bei ge-
trennten Dotterhäuten können die beiden Gelbeier getrennten Follikeln
entstammen ; falls sie kurz nacheinander in den Eileiter geraten, können
sie darin leicht mit gemeinsamen tertiären Hüllen umkleidet werden.
Doppelgelbeier mit gemeinsamer Dotterhaut entstammen wohl stets ein und
demselben Follikel : bei ihrer weiteren Entwickelung legen sie sich dicht
aneinander ; an dei- Berührungsfläche verschmelzen dann beide Dotterhäute
in ein gemeinsames Septum fiü- beide Gelbeier. Ich möchte diese Mei-
nung vertreten, muß jedoch hervorheben, daß wir nichts Bestimmtes
aussagen können, bevor wir keine sichere Kenntnis von der Bildung
der Dotterhaut haben. Embr3^onen entwickeln sich bei der Bebrütung,
344 W. Waldeyer,
t
falls beide Keime Jagfruclitet waren, wohl stets; indem aber der eine
den andern beliind^| kommen beide nicht zur Reife. Auch Eier mit
3 Gelbeiern hat man gefunden. Vgl. über die Doppeleier Lmmekmann
(434).
Bei den Einschlußeiern, Ova in ovo, liegt in einem Ei
(Vogelei) eingeschlossen ein anderes, oder auch mehrere, welche selbst
wenigstens von der Schalenhaut oder, im extremsten Ealle, auch noch
von einer Kalkschale umschlossen sind, also Gelbei, Eiweiß und Schalen-
haut oder dazu noch die Kalkschale haben. Mitunter kommen hier patho-
logische Fälle vor, bei denen das eingeschlossene Ei ganz rudimentär ist,
oder ihm das Gelbei fehlt. Jüngst beschrieb Francis H. Hekrick (415)
einen bislang wohl als Unikum dastehenden Fall, in dem das einge-
schlossene Ei mit Kalkschale, Schalenhaut und Dotter innerhalb des
Gelbeies des umhüllenden Eies lag. Immermann und Herrick geben
ein reichhaltiges Litteraturverzeichnis.
Die zuerst von LuiGi Sala bei Ascaris megalocephala beschriebenen
Rieseneier entstehen durch Verschmelzung zweier Eier. Sie ent-
wickeln die doppelte Anzahl Chromosomen' und verhalten sich dem ein-
dringenden Spermium gegenüber wie ein einziges Ei.
Auf eine der bemerkenswertesten Varietäten ist bereits beim Ab-
schnitte „Eistruktur" hingewiesen worden; es ist dieses die Pro-
duktion verschieden großer, zu verschiedenen Zeiten
s i c li entwickelnder und verschiedene Geschlechter her-
vorbringender Eier. Solche kommen vorzugsweise bei den Ro-
tatorien und Crustaceen — Daphnoiden und einigen Cope-
poden, wie Diaptomus denticornis nach Haecker (654a) —
vor. Diese Tiere erzeugen einmal Eier, welche dünnschalig und dotter-
arm sind und alsbakl in der wärmeren Jahreszeit parthenogenetisch zur
Entwickelung kommen: Sommereier (Subitaueier), das andere
Mal, in der vorgerücken Jahreszeit, dickschalige und dotterreiche Eier,
deren Entwickelung erst später erfolgt: Wintereier (Dan er ei er);
letztere Eier sind auch befruchtungsbedürftig.
Im Abschnitt „Eistruktur'' wurde bereits erwähnt, daß bei den
Rotatorien — auch bei Phylloxera kommt dies vor - gewisse,
meist kleinere Eier nur männliche Junge, andere, größere, nur
weibliche hervorgehen lassen.
■&'■
7. Pathologische Er schein un gen an Eiern. Mißbildungen.
Abnorme Einschlüsse. Rückbildung von Eiern.
Mit einigen Worten muß hier gewisser Erscheinungen an den
Eiern gedacht werden, die man zum Teil als „pathologische'' an-
sehen muß. Da sie häufig vorkommen und zum anderen Teile, wie
die „Rückbildung" von Eiern, als regelmäßige Vorgänge anzusehen
sind, dürfen sie nicht übergangen werden.
In erster Linie gehören hierher unvollkommen gebildete
Eier und förmliche Mißbildungen von Eiern, die sich am
nächsten an die soeben erwähnten Doppeleier und Einschlußeier an-
lehnen. Wir rechnen hierzu die bei Vögeln nicht selten angetroffenen
Eier ohne Kalkschale und Eier ohne Gelbei, „Windeier" und „Spar-
eier". Ist dabei auch die Form der Eier in auffallender Weise ver-
ändert, kugelig oder cylindrisch, der Längsachse nach gekrümmt
u. a. m., so kann man von mißgebildeten Eiern sprechen.
Die Geschlechtszellen. 345
Solche Abweichungen von der Norm mögen wohl bei den Eiern aller
Tiere vorkommen : begreiflicherweise sind sie aber am häufigsten bei
den Hausvögeln gefunden und untersucht worden.
Bei den Hausvögeln hndct man auch nicht selten fremde Ein-
schlüsse verschiedenster Art innerhalb des AUnimens oder des Gelb-
eies, die in ähnlicher Weise in ein Ei gelangen, d. h. während dasselbe
im Eileiter und Uterus von seineu tertiären Hüllen unüagert wird, wie
ein Ei selbst in das andere. Wir verzichten auf eine genauere Be-
sprechung dieser oft sehr seltsamen Fälle, indem wir auf die hier
folgenden Litteraturcitate aus der neueren Zeit verweisen ; auch hier
müssen wir uns auf weniges beschränken, obwohl die Menge des all-
jährlich auf diesem Felde Gebotenen sehr reichlich ist.
Insbesondere sei auf die Mitteilung von v. Nathusius (497) ver-
wiesen; sonst seien genannt Van Bambekb (M. 1938), M. Bartels (281),
Baueb (283), Britcher (311 — albinotische Eier bei Amphibien), Cho-
baut (326), CoLLiN (331), G. Fritsch i371), Mitrophanow (483), K.
MöBius (485) und Supixo (575). Uebrigens behandeln eine Anzahl der
hier genannten Autoren Fälle von Doppel- und Einschlußeiern.
Wichtiger als dieses sind die Rückbildungserscheinungen
an Eiern, die, wie schon bemerkt, zu den regelmäßigen Vorkomm-
nissen zu rechnen sind und zum Teil wenigstens nicht als itatholo-
gisch betrachtet werden können. Da es sich empfehlen dürfte, die
Rückbildungserscheinungen an den Eiern zugleich mit den korre-
spondierenden ähnlichen Vorgängen an den Eierstocksfollikeln
zu besprechen, so sei hier eine kurze Schilderung der letzteren, die
eingehender erst bei der Oogenese zur Behandlung kommen werden,
vorweggenommen.
Ebenso wie die Spermien bei ihrer Entwickelung in den Hoden-
kanälchen von besonderen Zellen umgeben und beeinflußt werden, so ist
dies auch überall da, wo sich die Eier in bestimmten Organen, den Ei-
Gonaden (Ovarien, Oophoren, Eierstöcken), vom Urei zum ßeifei aus-
bilden, der Fall. Innerhalb der Eierstöcke liegen die heranreifenden
Eier in Kammern oder Säckchen, die man, wenn sie voneinander abge-
schlossen sind, als Follikel, Eifollikel, GRAAF'sche Follikel
bezeichnet. Dieselben bestehen zu äußerst aus einer bindegewebigen
Wandschicht, Theca folliculi, der ein Lager epithelialer Zellen,
das Follikelepithel, aufsitzt, von welchem die Eizellen selbst un-
mittelbar umgeben sind; s. u. a. die Fig. 100 (p. 277), wo eine junge
Eizelle vom Kaninchen inmitten des zugehörigen, noch nicht regelmäßig
angeordneten Foliikelepithels abgebildet ist, Fig. 95 (p. 272), welche eine
ältere Oocyte vom Menschen, von regelmäßig aufgebautem Follikelepithel
umgeben, zeigt, Fig. 87, Ei von Ceratodus mit stark abgeplattetem Fol-
likelepithel, und Fig. 79 und 80, wo auch die bindegewebige Follikel-
wand zu sehen ist.
Man hat nun sowohl bei Wirbellosen, wie insbesondere bei Wirbel-
tieren als ein fast regelmäßiges ^'orkommnis die Rückbildung von
Follikeln samt den in ihnen eingeschlossenen Eiern wie auch
von Eiern allein bei erhalten bleibenden Follikeln, wenn, wie es
nicht selten vorkommt, mehrere Eier in einem Follikel lagern, be-
obachtet. Man hat in diesem merkwürdigen Vorgange wohl eine
Kompensation der Ueberproduktion von Eiern in den Gonaden zu
erblicken. Daher finden wir diese Prozesse am weitesten ver-
346 W. Waldeyer,
breitet bei den höiieren Wirboltieron, deren Geschlechtshanshalt anf
die Erzengnnji' einer geringen Zahl von endgiltig zur vollen Ent-
"wickelnng gelangenden Nachkommen eingerichtet ist, während in ihren
Eierstöcken viele Tausende von Ureiern angelegt sind, so u. a. beim
Menschen. Hier geht eine ganz unverhältnismäßig große Zahl von
Eiern schon als Ureier, Oogonien und junge Oocyten zu Gründe. Bei
manchen Geschöpfen, u. a. bei Insekten, dienen, wie weiter unten —
Oogenese — dargethan werden soll, die degenerierenden Eier den zur
vollen Ausbildung gelangenden zur Nahrung. Ob nicht noch an die
Resorption der Eisubstanzen andere Funktionen geknüpft sind, müssen
weitere Untersuchungen lehren.
Da die Rückbildung der Eier und der zugehörigen Follikel bei ge-
schlossen bleibenden Follikeln vor sich geht, so hat man nach W.
Flemmixg (M. 1964) diese Vorgänge als „Follikel atre sie" bezeichnet
und spricht von „at retischen Follikeln" (Folliculi atretici).
Weniger zu billigen ist es, M^enn Van der Stricht (574 II) auch von
einer „Atresie ovulaire" handelt. Die aus solchen atretischen Fol-
likeln hervorgehenden, den echten Corpora lutea, s. w. u., ähnlichen
Bildungen hat endlich v. Kölliker (448a) als Corpora lutea atre-
tica benannt, womit man sich eher einverstanden erklären kann.
■^j
Wenn kleine Follikel, bei denen die Hüllen und das Epithel noch
nicht ordentlich ausgebildet sind, zu Grunde gehen, so geschieht das
nach Paladino (M. 1899 u. M. 1900 u. No. 509) in der Weise, daß
zuerst das noch ganz flache Epithel abstirbt, körnig zerfällt und re-
sorbiert wird, wobei das alsbald gleichfalls degenerierende, der Zona
noch entbehrende Ei nackt in das Ovarialstroma zu liegen kommt.
Die darauf folgende Degeneration des Eies muß als eine ,,hyaline"
bezeichnet werden. Der Kern löst sich auf, und der Eirest wandelt
sich in eine matt glänzende, in verschiedenen Farbstoffen, insl)eson-
dere Eosin, stark färbbare homogene Masse um, die dann allmählich
aufgesogen wird. Solche Follikel gehen mit ihrem Ei spurlos zu
Grunde.
Ist der Follikel größer mit deutlich entwickelten Hüllen und zona-
führendem größerem Ei, dann greifen mannigfaltigere Erscheinungen
Platz. Zuerst wird wie bei den kleinen Follikeln das Follikelepithel
verändert, an dessen Kernen die von W. Flemming als Chrom ato-
lyse geschilderten Vorgänge sich abspielen. Hierbei zerfällt das
Kernchromatin in Körnchen und Klümpchen, die sich nach der Kern-
oberfläche verlagern und zum Teil in den Zellleib austreten. Die
dann homogen erscheinenden Kerne verlieren ihre Färl)barkeit und
werden samt den Chromatinbröckeln und den Zellenleibern unter
fettiger Degeneration der letzteren (H. Rabl, 52oa), die in-
dessen, wie Van der Stricht (575 II) bei Fledermäusen fand, auch
fehlen oder unbedeutend sein kann, aufgelöst. Unter Resorption des
Liquor folliculi beginnt eine Wucherung der Tunica interna fol-
liculi, insbesondere ihrer Zellen, die den Follikelbinnenraum allmählich
ausfüllen und das gleichzeitig der Degeneration anheimfallende Ei
dicht umschließen. Hierdurch wird das vorhin genannte „Corpus
luteum atreticum" erzeugt.
Beim Ei tritt eine Einfaltung der Zona auf, doch bleibt
die Zona sehr lange sichtbar. Wanderzellen dringen in Masse in die
Eizelle ein und bringen sie nach und nach zur Resorption. Sehr be-
Die Geschlechtszellen. 347
luerkenswert ist hierbei das von Flemming (M. 1964) festgestellte
Auftreten von Sjjindeltiiiuren in der Eizelle, ähnlich wie bei der Bil-
dung der Polzellen.
Beim Menschen und bei den daraufhin untersuchten Affen
ist die Wucherung der Tunica interna folliculi viel geringer als bei
den übrigen Säugetieren. Es bildet sich hier, unter \'erö(lung des
Follikelinnern und Resorption des Eies, an der Innentläche der Tunica
interna eine sehr auffallend erscheinende dicke, hellglänzende Glas-
haut, die sich vielfach einfaltet und das Ei, solange es sich noch
erhält, samt einer gallei-tigen, von Leukocyten durchsetzten Masse
einschließt. Von dei- dünnen, bei normalen Follikeln an der ent-
sprechenden Stelle bestehenden Basalmembran läßt sich die Glashaut
schwerlich ableiten. H. Rabl (523a) führt sie auf eine Abscheidung
hyaliner Masse seitens der Tunica interna zurück. Solche faltige, an
ihrem Glänze leicht erkennbare Bildungen, d. i. also Reste der größeren
atretischeu Follikel, erhalten sich in den Ovarien sehr lange und
werden in jedem älteren menschlichen Ovarium in größerer Zahl an-
getroffen.
In den großen atretischeu Follikeln findet man zu Anfang
der Degeneration stets die eigentünilicheu, von Call und Exner
(M. 1871) beschriebenen Bildungen, Call-Exner 'sehen Körper.
Sie erscheinen als helle kughge Stellen inmitten der Granulosa oder
des Cumulus oophorus. um welche sich die Granulosazellen ganz in
derselben Weise wie die Zellen der Corona radiata um die Eier her-
um gruppieren. So ist es dann gekommen, daß man diese Dinge
mehrfach für Eier, normale oder degenerierende, gehalten hat. Das
Fehlen einer Zona, eines Keimbläschens und granulierten Proto])lasmas
klärt bei genauerem Zusehen bald den Stand der Dinge auf. Flem-
ming (1. c.) nahm sie als Epithelvakuolen, wobei es sich um Ver-
änderungen und Untergang einer Gruppe von Granulosazellen handle
(H. Rabl, 523). Honore (428) meint, daß sie auf die Bildung eines
eigentümlichen Sekretes seitens der Granulosazellen herauskämen ; die
Flüssigkeit dieser ^^akuolen ist in der That vom Liquor folliculi ver-
schieden. Mir scheint es sich um denselben Prozeß wie bei der
Liquorbildung zu handeln, wobei es zunächst zur Erzeugung einer
konzentriertereu Vorstufe des Liquor kommt. Irgend eine besondere
Bedeutung kann diesen Dingen schwerlich zugeschrieben werden.
Beim Igel und bei Fledermäusen vermochte Van der Stricht
(575 II) um das der Degeneration verfallende Ei herum vielkernige
Riesenzellen nachzuweisen, über deren Entstehungsweise jedoch noch
nichts Bestimmtes zu ermitteln war.
Aus den Schilderungen Van der Stricht's geht ferner hervor,
daß sich diese Vorgänge der Follikel- und Eibilduug mit zahlreichen
Varianten in den Einzelheiten abspielen können.
In der Darstellung von Bühlek (313a) über die Vorgänge bei der
Follikelatresie der Cyclostomen und Fische wird darauf auf-
merksam gemacht, daß man die Gesamtheit dieser Prozesse unter dem
Gesichtspunkte einer Beseitigung des für den Untergang bestimmten
Eies sowohl w'ie des Follikels zu betrachten habe. Deshalb sei dies
alles bei der Follikelatresie viel verwickelter als beim Corpus lu-
teum (s. später), wo nur noch der Follikel auszugleichen und zur Rück-
bildung zu bi-ingen sei, während bei der Atresie auch noch das Ei zur
Resorption kommen müsse.
348 W. Waldeyer,
Was insbesondere die Cyclostomen und Fische anlange, so
unterlägen die Follikelhüllen nach der regelrechten Ausstoßung der Eier
nur einer einfachen Atrophie, bei der Atresie aber hätten diese
Hüllen in aktiver Thätigkeit noch bei der Resorption des Eies mitzu-
wirken. Diese Resorption vollzieht sich nun nach Bühler auf zweifache
Weise, und zwar zunächst ohne Mitwirkung phagocytischer Zellen durch ein-
fachen Zerfall des Kernes und einzelner protoplasmatischer Dotterbestand-
teile mit nachfolgender Auflösung der Zerfallsstücke und Resorption dieser
Lösungen durch das Eollikelepithel, die Thecazellen und die Follikel-
gefäße, dann aber durch eine phagocytische Thätigkeit der inzwischen
stark gewucherten Follikel epithelz eilen. Bühler weicht hier von
der gangbaren, auch vorhin eingehaltenen Annahme, daß es Leukocj^ten
seien, welche in die Eizelle eindrängen und sie phagocy tisch zur Re-
sorption brächten, ab ; diese Thätigkeit falle vielmehr den Follikelepithel-
zellen, den Gr anulosaze 1 1 en zu. Nach Schwand der Eizelle bildet
sich dann auch der nunmehr überflüssig gewordene Follikel selbst zurück.
Das gewucherte Epithel gehe seinerseits durch Zerfall und Resorption
spurlos zu Grunde, und die Theca folliculi werde wieder zu einem Teil
des Stroma ovarii, aus dem sie entstanden ist (vergl. hierzu den Ab-
schnitt „Corpus luteum").
Ist die Angabe Bühler's von der vorzugsweisen Beteiligung der
Granulosazellen bei der Eiresorption unter Einwanderung derselben
in das Ei richtig, so sind die früher (p. 256 u. 269) mitgeteilten An-
gaben Kohlbkugge's, Wetzel's u. a. über die Rolle der in die Eier ein-
wandernden Granulosazellen möglicherweise auch von diesem Gesichts-
punkte aus zu betrachten.
Am längsten hält sich nach Bühler auch bei den Fischen das
0 o 1 e m m a ; Reste desselben als glänzende, sich stark färbende Massen
findet man oft noch in den schon längst wieder zum Ovarialstroma zu-
rückverwandelten Thecae.
Wichtig ist die Thatsache, daß es nicht bloß bei der Bildung von
Richtungsspindelfiguren in den Eiern degenerierender Follikel bleibt,
sondern nach den Angaben von H. Rabl (523), Henneguy (406 u.
407), GuRwiTSCH (393), Van der Stricht (574 II), Janoöik (M.
1881, 433 u. 433c), Spuler (566) u. A. zu regelrechten Teilungen
der Eizelle — Van der Stricht beobachtete bis zu 10 Segmente
— kommt, die von den Genannten als Beginn einer echten par-
thenogen e tischen Furchung angesprochen werden. Sobotta
(556) und Bonnet (614a) haben dieser Auffassung widersprochen;
ich ersehe auch aus der mir soeben zugehenden ausgezeichneten Dar-
stellung der Oologie durch v. Ebner in der Schlußlieferung der
6. Auflage von A. Kölliker's Handbuch der Gewebelehre (665a),
daß V. Ebner den Standpunkt Sobotta's und Bonnet's teilt (vergl.
auch das p. 88 Bemerkte).
Die erste Beschreibung der Rückbildung von Eiern, und zwar bei
Fröschen, geht auf Savammerdaji's „Biblia naturae" (citiert nach Bühler,
313a) zurück. Für die Säugetiere gaben B. Reinhardt im I. Bande
von R. ViRCHOw's Archiv („Ueber die Entstehung der Körnchenzellen"),
später (1860) F. Grohe im XXVI. Bande derselben Zeitschrift in ein-
gehenderer Untersuchung auch bei Ovarien von Kindern, dann E. Pflüger
(1868) in seinem bekannten Werke (517) und wiederum in ausgedehnter
Untersuchung 1870 (Virchow's Archiv, Bd. LI) Slaviansky die ersten
Die Geschlechtszellen. 349
Mitteilungen. Bis dahin bezogen sich, soweit mir bekannt, diese Be-
funde, abgesehen von der Notiz Swammeüdam's, vorwiegend auf die
Säugetiere und den Menschen. Ich hatte Gelegenheit, bei meinen
auf alle Wirbeltierklassen sich erstreckenden Untersuchungen über den
Eierstock (591) derartige Degenerationsvorgänge überall in großer Zahl
festzustellen, und habe dem 1871 in 8tuicker's Handbuch der Gewebe-
lehre, p. 573, kurzen Ausdruck gegeben. Gegenwärtig verfügen wir
schon über mehrere monographische Arbeiten: bei den Vögeln von
V. Brunn (316), bei den Amphibien unter kurzer Ausdehnung auf alle
Wirbeltierklassen von G. Rüge (536), bei den Eidechsen von Strahl
(568) und J. A. Meyer (478a) und insbesondere neuerdings bei den
Cyclostomen und Teleostiern (Coregonus) von Bühler (313a), der damit
eine auf alle Wirbeltierklassen sich erstreckende, auch das Corpus lu-
teum, ein begreifende sehr eingehende Untersuchungsreihe eröffnet hat.
Weitere Litteratur haben wir, abgesehen von der schon citierten, in den
Arbeiten von Barfurth (280a), Bouix (300), Crety (335), Matschinsky
(473), Maximow (474), Mingazzini (481), Nussbaum (M. 1143), Pfister
(515 u. 516), Rossi (531), Schneider (705b), Schmidt (542), Schott-
Länder (544) und Williamson (605).
8. Zahlen- und G r ö ß e n v e r h ä 1 1 n i s s e der Eier.
Wir haben bereits im Vorigen eine Reihe von Angaben über die
Zahlen- und Größenverhältnisse der Eier gemacht; insbesondere ist
dies beim Abschnitte : Eier d e r e i n z e 1 n e n W i r b e It i e r k 1 a s s e n ,
p. 293 ff., der Fall gewesen. Ferner ist auf die pp. 243, 244, 257,
261 (Keimbläschen), 266 (Riesennuldeolen) und 267 (Zahl der Nukle-
olen) zu verweisen.
Was die Zahlen im allgemeinen anlangt, so ist hervorzuheben,
daß diese, ebenso wie auch die Größen, innerhalb viel weiter zu
ziehender Grenzen schwanken, als die der Spermien, was ja auch den
korrekten sonstigen Verhältnissen in durchsichtiger Weise entspricht.
Im besonderen seien noch die wichtigeren Zahlen aus der von
Leuckart gegebenen Tabelle mitgeteilt, welche die jährlich zur Be-
fruchtung und Entwickelung, bezw. Befruchtungsfähigkeit gelangenden
Eier der aufgeführten Tierspecies betreffen :
E c h i n u s a r t e n bis 1 Million Eier
Würmer:
Ascaris lumbricoides mehrere Millionen Eier
Bothriocephalvis latus über 1 Million Eier
Clepsine 5—7 Gelege zu 20 — 40 Eiern
Arthropoden:
Apis mellifica 6000—10000 Eier
Melolontha vulgaris 25—40 Eier
Bombyx mori 300 Eier
Scorpione (vivipar) 30 — 50 Junge
Epeiradiademata 1 600 Eier
Carcinus maenas 300000 Eier
Mollusken:
ArcaNoae 2 Millionen Eier
Ostreaedulis 1 Million und darüber
350 W. Walde YER,
Helix pomatia und
Helix horten sis 30 — 80 Eier
0 c 1 0 p Lx s spec. 600 — 1 000 Eier
Selachier:
Acanthias vulgaris 2 — 3 Gelege zu je 4 — 6 Jungen
(vivipar)
Ganoiden:
Acipenser huso bis zu 3 Millionen Eier
Teleostier:
G a d u s m o r r li u a bis 4 Millionen Eier
Esox lucius 130 000 Eier
Cyprinus carpio 330 000 „
Syngnath US viridis 1 50 — 200 Eier
Am
ph]
L b i e n :
Triton- Arten
bis 300 Eier]
E-ana esculenta
2500 1) „
Re
p ti
lien :
T e s t u d 0 - Arten
8 12 Eier
Pelias berus
8-15 „
Lacerta- Arten
8-12 „
(Lacerta vivipara ist
lebendig gebärend)
Krokodile
40 — 70 Eier
Vögel:
Raubvögel 2 — 5 Eier
Papageien 3 — 4 Eier
Passer domesticus 2 — 3 Gelege zu 4 — 6 Eiern
Hirundo rustica desgleichen
Gallina domestica bis zu 100 Eiern
Perdix cinerea 15 — 20 Eier
Columba domestica 6 — 8 Gelege zu je 2 Eiern
Scolopax rusticola 4^5 Eier
Ping uin- Arten (Spheniscidae) 1 — 2 „
Säugetiere:
Pithecus satyrus (Orang) 1 Junges,
Felis leo 3 — 4 Junge
Felis domestica 2mal 3 — 6 Junge
Canis familiaris 2mal 3 — 7 „
E 1 e p h a s alle 3 Jahre 1 Junges
Sus scrofa domest. 2mal 6 — 12 Junge
B 0 s t a u r u s 1 Junges
Lepus cuniculus 5 — 8mal 4 — 7 Junge
Mus musculus 4 — 6mal 4 — 10 „
Cavia cobaya 6mal 3 — 5 Junge
1) O. ScHULTZE (547a) zählte im Durchschnitt bei ßana fusca 1724 (1326
bis 2565). Die Zahl in beiden Eierstöcken kann um mehrere Hunderte verschieden sein.
Die Geschlechtszellen. o51
Diese Zahlen sind, was die größeren anlangt, nnr gute Schätzungs-
werte. Nimmt man hinzu, daß, wie wir sahen, stets eine ansehnliche
Menge Eier durch Ilückhildung zu Grunde geht, so erhöhen sich die
Ziffern nicht unbeträchtlich.
AVas die Säugetiere anlangt, so wurde nur die Zahl der unter
gewöhnlichen \'orhältnissen zur \Velt gebrachten Jungen gerechnet;
wahrscheinlich lösen sich noch viel mehr reife Eier vom Ovarium
jährlich ab. ohne aber befruchtet zu werden.
Für den Menschen darf man für die Zeit der Geschlechts-
thätigkeit auch als Regel hinstellen, daß das Weib jährlich ein ge-
sundes Kind zur Welt bringen und ernähren kann. Unter unseren
gegenwärtigen Lebensverhältnissen wird diese Zahl aber bei weitem
nicht erreicht. In Deutschland kommen jetzt durchschnittlich 4 Kinder
auf die Ehe. Sicher werden aber jährlich mindestens 12 Eier als
befruchtungsfähig vom Ovarium ausgestoßen. Die Zahl der in einem
Ovarium eines 18-jährigen Mädchens befindlichen Eier bestimmte Henle
(Handbuch der Anatomie des Menschen, Bd. II, 2, Aufl., 1873, p. 504)
zu rund 36000, Heyse bei einem 17-jährigen Mädchen jedoch nur auf
die Hälfte (rund 17 500). Nehmen wir auch diese letztere Zahl als
die richtige an, so darf man doch behaupten, daß beim mensch-
lichen Foetus in jedem Eierstocke mindestens 50000 Eier angelegt
werden, da die Zahl der in 17 — 18 Jahren normalerweise — s. den
vorigen Abschnitt — zu Grunde gehenden Eier eine sehr große ist.
Nach Hensen (M. 863) soll das menschliche Weib während seines
Lebens rund 200 Eier zur Reife bringen. Vergleichen wir hiermit
die Zahlen bei den Spermien, s. p. 157 tf., so ist sofort ersichtlich,
daß die letzteren unvergleichlich viel größer sind, wie auch leicht er-
klärlich ist. Dem früher Angegebenen sei noch hinzugefügt, daß die
Zahl der Pollenkörner noch weit erheblicher ist, insbesondere bei
den Koniferen, wo rund eine Milliarde Pollen körn er auf
ein befruchtetes Ei kommen (s. R. von Lendenfeld, „Ueber das
Wesen des Lebens", „Himmel und Erde", Jahrg. XV. 1902, p. 75).
Diese außerordentlich hohen Zahlen erklären sich daraus, daß die Be-
fruchtung der Eier, die von den S])ermien bezw. Pollenelementen auf-
gesucht werden müssen, möglichst gesichert werden soll. Die Koni-
feren-Pollen werden dem Spiel des Windes überlassen, und so erscheint
ihre ungeheure Zahl als eine Notwendigkeit.
Den bereits mitgeteilten Maßangaben seien noch nachstehende
hinzugefügt :
Das Ei von Torpedo ocellata mißt 2 — 2,5 cm bei einem Gewicht
von 5 — 8 g; der im gelegten Ei vorhandene Keim 1,5 — 2 mm. Das
Keimbläschen ist eben noch mit freiem Auge zu sehen. Das Ei von
Pristinrus melanostomus hat eine Länge von 15 — 17 mm, dessen
Keim 2 mm. (Beide Angaben nach Eückert, 534.)
Die Eier des Ostsee-Herings erweisen sich schon in einer Größe
von 0,85 mm als entwickelungsfähig ; die meisten der abgelegten Eeif-
eier hatten 0,9 — 1 mm Durchmesser. Die Eier des norwegischen Nordsee-
Herings messen 1,5 mm. Die Eikapsel der Heringseier hat eine Stärke von
6 — 8 ft. (v. KuPFFER, Die Entwickelung des Herings im Ei, Jahres-
bericht der Kommission zur wissenschaftlichen UntersvTchung der deutschen
Meere in Kiel für die Jahre 1874—1876, IV— VI, Berlin, W^iegand,
Hempel und Parey, 1878, p. 175.)
352 W. Waldeyer,
Wie früher bemerkt, sind die Keimbläschen der Amphibien-
eier meist noch mit bloßem Auge zu sehen, die Ker nkörper chen
messen nach 0. Schultzb (547a) bis 20 |i*. Die Dotterkörper des
Axolotl-Eies schwanken vom unmeßbar feinen bis zu 13 |u. (li. Fick
363).
Von Säugetier eiern seien außer den mitgeteilten Maßen noch
die der Reh ei er nach v. Ebner (351) angeführt: Das ganze Ei =
0,07 — 0,1 mm, dessen Zona pellucida 4 — 12 u, dessen Keim-
bläschen 30 — 36 ,u, Keimfleck 9 ju.
Die Kerne der Ureier der Katze messen nach H. Rabl (523b)
10 — 11 |W, die der jungen Oogonien (in den Primärfollikeln) 16 — 18 (i.
Die Ureier des Menschen haben nach W. Nagel (490) ein
Ausmaß von 10 — 16 |it, ihre Kerne 8 ,u. Die Keimepithelzellen
fand derselbe Autor 8 (.i groß mit 5 ju großen Kernen.
Weitere Maße von hierher gehörigen Bildungen beim Menschen
sind (nach Kölliker und y. Ebner, 665a) :
Reifeier ( ), 22— 0,32 mm i)
deren Keimbläschen 30 — 45 |tt
„ Keimfleck 7 — 10 f*
„ Zona 7 — 11 fJL
„ Dotterkörper 2 — 3 fi
Außerdem kommen noch in geringerer Zahl große, s choll ige Dotter-
körper vor. Die Zona tritt nach v. Ebner zuerst an Eiern von
0,06—0,08 mm auf.
Eben gebildete „Primärfollikel" 42 — 45 (u
Reife Follikel 9—14 mm
Aeußere rundliche Zellen des Eiepithels 6 — 9 (i
Innere cylindrische „ „ „' bis 30 (i
9. Klassifikation der Eier. Namen.
Dem praktischen Bedürfnisse genügt sehr wohl die im Grunde
auf die älteren Einteilungen von Reichert, E. Van Beneden,
H. Ludwig und Balfour zurückzuführende Klassifikation, welche
hier p. 256 ff. nach der Topographie des Dotters gegeben worden ist.
Den wissenschaftlichen Anforderungen in aller Strenge entspricht sie
jedoch nicht. Auch können noch andere Gesichtspunkte für die Klassi-
fikation herangezogen werden. So haben wir in neuerer Zeit noch
andere Einteilungen der Eier in der gesamten Tierwelt erhalten, von
denen ich die von E. Haeckel, Biologische Studien, Heft II, Jena
1877, dann von Henneguy (403) und von Eternod (856) namhaft
mache, um darauf zu verweisen. Es würde bei dem ohnehin schon
über das ursprünglich vorgesehene Maß des Kapitels „Geschlechts-
zellen" hinausgewachsenen Umfange unserer Darstellung zu weit
führen, wenn diese Dinge hier noch eingehender besprochen werden
sollten, zumal die aufgestellten neuen Namen erklärt werden müßten.
In den Arbeiten von Eternod und Henneguy ist auch die weitere
Litteratur dieses Gegenstandes angegeben.
Was die Nomenklatur der Eier anlangt, so haben wir schon
eingangs (p. 222 ff.) und. wo es erforderlich war, im Texte das hier
in Gebrauch Gezogene mitgeteilt und erklärt. Weiteres findet man
ebenfalls bei Eternod und Henneguy.
1) Mir sind menschliche Eier von über 0,25 mm nicht begegnet.
Die Geschlechtszellen. 353
Nur auf eine Bezeichnung soll hier noch eingegangen werden,
auf die Unterscheidung von einfachen und zusammengesetzten
Eiern. Ich selbst habe früher (591) die meisten gelegten Eier, auch ab-
gesehen von den Schalenbildungen u. s. f., für zusammengesetzte
Bildungen erklärt, da ich den Dotter als eine von anderen Zellen her
hinzukommende und der Eizelle fremd bleibende Bildung ansah. Ich möchte
mich nunmehr der Ansicht Gegexbaur's (M. 1968) anschließen und alles
das, was von dem Urei ausgeht, in dasselbe aufgenommen, von ihm ver-
arbeitet und von einer Dotterhaut umschlossen wird, also u. a. auch das
Gelbei eines Vogels, als ein einfaches Ei A'om Werte nur einer ein-
zigen, wenn auch enorm herangewachsenen Zelle auffassen.
Das ist auch in neuerer Zeit fast allgemein so angenommen worden.
Nun aber giebt es, wie bereits angemerkt wurde (p. 292 u. 336), bei ge-
wissen Platt Würmern Eier, die äußerlich genau so beschaffen sind
wie andere Eier, die aber in einer und derselben Schale mehrere
Zellen herbergen. Unter diesen ist zumeist nur eine, die Eizelle,
im Eierstock entstanden, die anderen, die Dotterzellen, in be-
sonderen Organen, den sogenannten Dotterstöcken. Wenn die Ei-
zelle auf dem Wege zur Ablage die Mündungen der Dotterstöcke passiert,
so gesellen sich diese Dotterzellen hinzu und werden auf dem weiteren
Wege mit der Eizelle von denselben Hüllen eingeschlossen. Das ab-
gelegte Gebilde besteht also aus mehreren völlig voneinander getrennten
Zellen. Im äußersten Ealle geht es in der Weise weiter, daß die
Dotterzellen sich so lange selbständig erhalten, bis der aus der Ei-
zelle hervorgegangene Embryo sie aufzehrt ; in anderen Fällen, U e b e r -
gangs formen, zerfallen die Dotterzellen schon während der Eifurchung
oder kurz vor derselben, also mit beginnender Embryonal bildung, zu einer
Dottermasse, von der dann die noch ungefurchte Eizelle umgeben ist.
Nennen wir, wie es üblich ist, das abgelegte Gebilde dieser Art, bei
dem sich also in einer und derselben Hülle eine Eizelle und Dotterzellen
bis zum Beginne der Embryonalbildung selbständig erhalten, „Ei", so ist
dieses Ei aus mehreren, vollkommen voneinander getrennten Zellen
zusammengesetzt und muß als ein zusammengesetztes aufgeführt
werden. Man hat vorgeschlagen, s. p. 292, diese Dinge als „Cocons" zu
bezeichnen ; das ist jedoch, streng genommen, nur in denjenigen Fällen
angängig, wo zwei und mehr Eizellen samt den zugehörigen Dotter-
zellen in einer Kapsel eingeschlossen sind, da unter „Cocon" eine
Mehrzahl echter Eizellen, die von einer gemeinsamen Hülle umgeben
sind, verstanden wird. Hier sollten wir, wenigstens für die Fälle, in denen
nur eine Eizelle vorhanden ist, den Begriff „zusammengesetzte
Eier" aufrecht erhalten, oder aber man müßte die Dotterzellen als
modifizierte, abortive Eizellen ansehen. Hexneguy bezeichnet solche Eier
und die angeführten Uebergangsformen als „oeufs ectolecithes"
(ektolecithale Eier).
d) Oogenese.
Nach der im Vorigen, p. 232 — 342, gegebeuen genauen Schilderung
des Baues der Eier ist nunmehr ihre E n t w i c k e 1 u n g , die Oogenese,
zu -besprechen. Wir können diese Besprechung wie beim Abschnitt
„Sperma" (p. 160 ff.) in drei Abteilungen gliedern: 1) Die Stammes-
entwickelung der Eier = Oophylo genese, 2) die Ausbildung der
Eier zu den reifen, befruclitungsfähigen Gebilden, die wir „Keifeier"'
nannten, = Oocytogenese, und 3) die Oohistogen ese, d. h.
Handbuch der Entwickelnngslehre. I. 23
354 W. Waldeyer,
die histologische Ausbildung der einzelnen Teile einer Eizelle, ihres
Kernes und Kernkörperchens, ihres Dotters und ilirer verschiedenen
Hüllen, insoweit solche vorhanden sind. r]s ist aber sofort hervor-
zuheben, daß die Oocytogenese und Oohistogenese zusammenfallen.
Während die junge Eizelle vom Stadium des p. 283 betrachteten „Ureies"
durch das Stadium der Oogonien hindurch sich zur Oocyte umbildet,
unter verschiedenen charakteristischen Veränderungen ihres Kernes zu
ihrer endgiltigen Größe heranwächst und durch die Reifeteilungen unter
Ausstoßung der Polocyten sich zum „Reifei" umbildet — Oocyto-
genese — , gehen gleichzeitig die eben erwähnten histogenetischen
Veränderungen — wenn wir von den tertiären Eihüllen absehen —
an ihr vor, die wir unter den Begriff der Oohistogenese fassen. Bei
der Spermiogenese folgen die histogenetischen Vorgänge nach,
indem durch sie die Spermatide zum Spermium umgebildet wird. Es
entspricht nämlich, wie bereits p. 224 If. und durch Fig. 55 dargelegt
w^urde, streng genommen, dem Reifei die Spermatide; das Spermium
ist nur eine zu Be^^^egungszwecken histogenetisch umgeformte Sperma-
tide. KoRSCHELT- Heider haben daher für das Reifei den Namen
„ 0 i d e " gebildet.
Man kann übrigens, vgl. das p. 224 Bemerkte, auch den von mir
vorgeschlagenen Namen „Ovium" wählen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher in der Tierwelt zur Beob-
achtung kommenden Verhältnisse kann man mit Korschelt-Heider,
denen ich mich gern anschließe, in erster Linie nach der Oertlich-
keit, in welcher sich die Oogenese abspielt, eine lokalisierte und
eine diffuse Eibildung unterscheiden. Bei der ersteren gelangen
die Ureier, s. p. 233 ff., in besonders dafür hergerichteten Organen,
den weiblichen Gonaden, Ovarien (Eierstöcken) zur definitiven
Ausbildung; bei der diffusen Eibildung fehlen solche Orgaue; die Ei-
bildung findet im ganzen Körper oder wenigstens in einem größeren
Bezirke desselben ihre Stätte.
Vollzieht sich — und es kann dies der Fall sowohl bei der diffusen
wie bei der solitären Eibildung sein — die Oogenese unter der Mit-
wirkung hierzu besonders ausgebildeter Zellen, Hilfszellen Kor-
schelt-Heider, so ist dieses die alimentäre Eibild un g (K.-H.),
indem diese Zellen der Dotterbildung dienen ; fehlen solche Zellen, dann
liegt eine solitäre Oogenese vor. Die alimentäre Eibildung
wird endlich in eine follikuläre und eine n u t r i m e n t ä r e (K.-H.)
eingeteilt; bei der ersteren umgel)en die Hilfszellen unter Bildung
eines abgeschlossenen sackartigen Raumes, des Eifollike Is. die Ei-
zelle von allen Seiten; bei der nutrimentären liegen sie einzeln oder
in Gruppen der Eizelle an, ohne daß es zur Bildung eines Follikels
kommt.
Abgesehen von diesen Verschiedenheiten vollzieht sich nun, wie
bereits eingangs, p. 222 ff., unter Beihilfe der Figuren 54 und 55 aus-
einandergesetzt worden ist, jede Eibildung vom Stadium des Ureies
ab in denselben drei Abschnitten, wie die Spermiogenese, dem
der Vermehrung, dem des Wachstums und dem der Reifung.
Man nennt die während der Vermehrungs- oder Keimperiode aus den
Ureiern in mehreren Generationen hervorgehenden jungen Eizellen
..Oogonien''; mit dem Eintritte in die Wachstumsperiode werden
die Oogonien der letzten Generation zu den ,. Oocyten"; letztere
Die Geschleclitszelleii. 355
vermehren sich während dieser Periode nicht weiter, sondern wachsen
langsam zu ihrer endgiltigen Größe heran : gleichzeitig spielen sich
an ihnen aucli die histogenetischcii Vorgänge der Kern- und Kern-
kcirpeichenumbildung. der Dotterbilduug und eines Teiles der Hüllen-
biiduiigen ab. Die Reifungsperiode umfaßt wieder zwei höchst
charakteristische Teilungsvorgänge mit sehr ungleichen Teilungspro-
dukten, derart, daß es den Anschein hat, als stoße die Eizelle, i. e.
die völlig ausgewachsene Oocyte, nach einander zwei kleine Körper-
chen, die Richtun gskörperchen , aus, während sie selbst un-
verändert erhalten bliebe. Wir wissen jetzt, daß die scheinbar aus-
gestoßenen Kör])erchen echte Zellen sind, Polz eilen, Polocyten,
und daß der ganze Vorgang vollkommen der zweimaligen Teilung
einer reifen Spermatocyte (Spermatocyte I, Ordnung) in je zwei
Präspermatiden (Spermatocyten II. Ordnung) und jeder Prä-
spermatide in z^wei Spermatiden entspricht. So wird bei der
ersten Reifungsteilung aus der ausgebildeten Oocyte I. Ordnung, oder
.Oocyte schlechtweg, eine Oocyte IL Ordnung und eine erste
Polocyte, aus der Oocyte II. Ordnung, die wir auch Präoide
nennen könnten, eine Oide (Reifei, Ovium) und eine zweite Polo-
cyte. Morphologisch sind die genannten Teilprodukte der Spermato-
cyten und Oocyten ganz gleichwertig, physiologisch nicht, insofern,
als nur die Oiden (Ovien) befruchtungsfähig und entwickelungsfähig
sind, während die Polocyten zu Grunde gehen. Als beiläufiges \'or-
kommnis ist indessen ab und zu das Eindringen eines Spermium
in eine Polocyte beobachtet worden , freilich ohne entwickelungs-
geschichtlichen Erfolg.
Au der Hand der Fig. 55 sind bereits zu Eingang des Abschnittes
„Ei" diese Dinge auseinandergesetzt worden, um für die Nomenklatur
und die nachfolgende Beschreibung deu Boden zu gewinnen. Diese Dar-
legung mußte hier in Kürze wiederholt werden, um die Oogenese im
Zusammenhange zu schildern.
Im Folgenden werden wir uns vorzugsweise mit der Oocyto-
genese und Oohisto genese in den beiden ersten Perioden, der
der Vermehrung und des Wachstums, beschäftigen, während die Rei-
fungsteilnngen, sowie die eigentümlichen Kernveränderuugen während
der Oocytogenese im Kapitel ,, Befr uchtu ng" ihre volle Erledigung
finden. Auf die 0 ophylo genese kommen wir nach Abschluß des
Abschnittes Oogenese zurück, indem wir sie im Zusammenhange mit
der S p e r m i o p h y 1 o g e n e s e einer vergleichenden Betrachtung unter-
ziehen. Für clas erste Verständnis der Oophylogenese ist durch die
kurze Besprechung p. 222 ff. und Figur 54, sowie durch das p. 160
und 161 über die Spermiophylogenese Vorgebrachte gesorgt worden.
Wir beginnen mit der ausführlichen Darstellung der Oocytohisto-
genese des Menschen und der Säugetiere, knüpfen daran in
kürzerer Fassung die der übrigen Vertebraten und werfen zum
Schluß einen Blick auf diese Vorgänge bei den E vertebraten und
den Pflanzen,
1. Oogenese des Menschen und der Säugetiere.
Die Oogenese beim Menschen und bei den Säugetieren ist eine
lokalisierte, alimentär- follikuläre. Es sind wohlausgebil-
dete, als besondere Organe sich deutlich heraushebende Eierstöcke,
23*
356
W. Waldeyer,
Ovarien (Oo]) hören) vorhanden, in denen die weiblichen Ge-
schlechtszellen, wenn sie als solche, als „Ureier'\ erkennbar werden,
schon fast sämtlich angesammelt sind, s. p. 2H3 insbesondere 238.
In einzelnen Fällen trifft man bei jüngeren Embiyonen auch Ureier
in der Nachbarschaft der Eierstöcke im Peritonaealepithel ; s. darüber
insbesondere W. Nagel (M. 1897) und Mixot (675a) ; ich habe selbst
wiederholt solche Gebilde bei Säugetierembr3^onen gefunden, die ich für
Geschlechtszellen, die auf ihrer Wanderung zur Gonade aufgehalten
worden sind, erklären möchte.
Die Eierstöcke des Menschen, s. Fig. 138,7, sind abgeplattet
walzenförmige Organe, mit einem geraden, durch das „Mesovarium"
angewachsenen und mit einem konvex abgerundeten freien
Rande. Sie haben bei guter und voller Ausbildung ungefähr die
Dicke und Länge der beiden distalen Fingerglieder der Hand einer
Erwachsenen zusammengenommen, (3 — 4 cm Länge, 2 — 3 cm Höhe
Fig. 138. Stück des menschlichen Uterus (ünks), mit dem Eierstocke,
der der Länge nach aufgeschnittenen und entfalteten Tiibe, einem Teile des Ligamen-
tum latum uteri und des Ligamentum teres uteri, nach Richakd-Sappey, ent-
nommen aus W. Nagel, „Harn- und Geschlechtsorgane, Bd. VII, T. 11, Abt. 1 des
Handbuchs der Anatomie des Menschen", herausg. von K. v. Bardelebex. Jena,
G. Fischer, 1896, Fig. 43, p. 08. l Eierstock, ^ Fimbria ovarica. ä Ligamentum
teres uteri. Nahezu natürliche Größe.
von einem Rande zum anderen und 7 — 12 mm Dicke). Die Ober-
fläche der Ovarien ist graurötlich und von mattem Aussehen, ähnlich
einer Schleimhaut. Am geraden Rande beginnt, ziemlich scharf ab-
gesetzt, mit einer weißlichen Linie (FARRE'sche Linie) das helle glän-
zende Peritonaeum des Mesovarium — es entspricht diese Stelle
der dunklen Linie in Fig. 138, welche an der Grenze des
und des Eierstockes den letzteren umgreift.
Auf der Schleimhautfläche des Eierstockes schimmern
von Hirsekorn- bis Erbsengröße und darüber durch, die
0 0 p h o r i V e s i c u 1 0 s i (G r a a f i), siehe die hellen Stellen in der
angezogenen Figur.
Der Durchschnitt eines geschlechtsreifen und geschlechtstätigen
Eierstockes zeigt, daß derselbe, sow^eit er das mattgraue, schleimhaut-
ähnliche Aussehen hat, von einem kurzcylindrischen Epithel bekleidet
Mesovarium
Bläsch en
Folliculi
Die Geschlechtszellen. 357
wird, dem Keim epithel (Waldeyer). An der FAiiRE'schen Linie
geht dasselbe mit scharfer Grenze in das ganz niedrige Plattenepithel
des Peritonaeum (des Mesovarium) über. Es besteht jedoch eine sehr
bemerkenswerte Ausnahme: eine der Fimbrien der Tuba uterina, die
Fimbria ovarica, Fig. 138. ;2, geht direkt in die Sclileimhautober-
fläclie des Ovarium über, und an der Uebergangsstelle setzt sich das
cylindrische Keimepithel in das Flimmerepithel der Schleimhaut der
Fimbrienrinne und somit in das der Tuba uterina fort.
Sehr klar erkennt man auf Durchschnittspräi)araten, welche quer
durch die FARRE'sche Linie gelegt werden, daß die Serosa des Pori-
tonaeums sich nicht über das Ovarium hinzieht. Sonach ist man völlig
berechtigt, die Obertiäche des Ovarium einer Schleimhaut zu ver-
gleichen und sie eher an die Tubenschleimhaut. als an das Peritonaeum
anzugliedern.
Die G e w e b s s u 1) s t a n z des Eierstockes unterhalb des Keim-
epithels läßt sich in eine Pii nd en schiebt und Mark schiebt zer-
legen.
Will man mit der gangbaren Beschreibung der Handbücher un-
mittelbar unter dem Eierstocksepithel noch eine besondere zellen- und
follikelärmere Schicht als „Albuginea" unterscheiden, so darf dabei
nicht übersehen Averden, daß die sogenannte AI bugin ea des Ovarium
keinesW'Cgs eine weiße, als besondere Hülle abpräparierbare Schicht des
Eierstockes darstellt, wie die Albuginea des Hodens, der zuliebe die
Ovarialalbuginea überhaupt wohl in die Lehrbücher gekommen ist.
Die Pi i n d e n s c h i c h t , Z o n a p a r e n c h y m a t o s a , enthält die
meisten kleineren Follikel, Rindenfollikel. Die größeren liegen
zum Teil tiefer in der Markschicht, an deren Grenze gegen die Rinden-
schicht, zum Teil ragen sie an der Obertiäche mehr oder weniger her-
vor. Das Gewebe der Piindenschicht besteht zumeist aus platten, ge-
wöhnlich spindlig auslaufenden, mitunter auch sparsam verästigten
Bindegewebszellen, mit heller, geringer, weicher Grundsubstanz.
Zwischen den Zellen finden sich leimgebende Fibrillen in mäßiger
Menge, Elastische Fasern fehlen. Wegen der auf Schnittpräparaten
uniformen spindelförmigen Gestalt der Eindenstromazellen sind diese
von manchen Autoren irrtümlich für glatte Muskelfasern gehalten
worden.
Die Markschicht des Eierstockes, Zona vasculosä, besteht
aus bündligem leimgebenden Gewebe mit vielen elastischen Fasern
und auch Bündeln glatter Muskelfasern ; sie ist die Trägei'in der
stärkeren Blutgefäße, Lymphgefäße und Nerven, deren
feinere Verzweigungen in der Rindenschicht liegen, insbesondere um
die reifenden größeren Follikel herum.
Die Follikel, von denen bereits eine kurze orientierende Be-
schreibung gelegentlich der Besprechung der Rückbild ungs Vor-
gänge p. 345 gegeben werden mußte, erscheinen zuerst unter dem
Bilde einer die Eizellen umlagernden einfachen Schicht platter epi-
thelialer Zellen , die von den Keimepithelzellen abgeleitet werden
müssen; vergl. die Besprechung der Ureier, insbesondere p. 242, wo
(nach V. Winiwarter) angegeben worden ist, daß sich aus den in
das Innere des Eierstocksstromes gelangten Keimepithelzellen die Fol-
likelepithelzellen entwickelten ; sowie die Figuren Gl D. p. 2oi), (]').
p. 237 und 66, p. 238. Später werden diese Zellen höher und um-
358 W. Waldeyer,
geben in einfacher cylindrisclier Schicht, als Follikel epithel das
Ei (s. Fi,i>-. 95. p. 272). Frühere Stadien, die eines noch nicht völlig aus-
gebildeten abgeplatteten Follikelepithels, zeigen die z. Tl. schon p. ;)45
citierten Figuren 87, 91 u. 100. Zuletzt wandelt sich das einschichtige
kurzcvlindrische Ei)ithel durch mitotische Teilungen in ein 3 bis 4-
schichtiges um, welches an einer Stelle sich unter weiterer Schichtung
zu einem stumpfspitzigen Hügel, E i h ü g e 1 (Kölliker), C u m u 1 u s
oophorus B. N. A. erhebt, der in seiner Mitte die durch ihre weit
bedeutendere Größe und kuglige Form ausgezeichnete heranreifende
Eizelle, das „Ei'' umschließt. Nach außen, zu der gleich zu be-
sprechenden Follikelwand hin, so wie unmittelbar um die Eizelle her-
um, bewahren die Epithelzellen ihre cylindrische Form und wachsen
in älteren Follikeln zu langcylindrischen Zellen von 20 — 25 /< Höhe
heran. Die das Ei direkt umgebenden Cylinderzellen nebst den nächst
benachbarten bleiben am Ei, wenn dasselbe den Follikel verläßt, haften
und bilden dessen schon mehrfach genannte Corona radiata
(Bischoff), Eiepithel (Waldeyer). Die übrigen Follikelepiihel-
zellen haben eine mehr rundliche Form ; sie erschienen den älteren
Beobachtern aus der Zeit vor der Begründung der Zellenlehre wie
„Körner", „granula'' und es schreibt sich daher der ältere Name
„Membrana granulosa" oder einfacher „Granulosa" — Stratum
granulosum (B. N. A.).
Die Namen „Membrana granulosa", ,,Discus pr öliger us"
und „Cumulus" rühren von K. E. v. Baer her (272); Membrana gra-
milosa und Cumulus sind in der neueren anatomischen Nomenklatur
(Baseler Nomina anatomica = B. N. A.) durch „Stratum granu-
losum" und „Cumulus oophorus" ersetzt worden, v. Baeü unter-
schied den „Cumulus", zu dem er kein Beiwort hat, als Teil seines „Discus
loroligerus", den die jetzige Namengebung fallen gelassen hat. Auch sind
bei V. Baer Discus proligerus und Cumulus nicht Teile der Membrana
granulosa, sondern er faßt sie, wie bei ihm Text und Figuren zeigen, als
selbständige Bildungen auf.
Zu diesen vom Keimepithel abstammenden und unmittelbar zum
Ei gehörenden Teilen gesellen sich nun mit weiterem Wachstum
des Eies die p. 345 kurz erwähnten beiden äußeren bindege-
webigen Hüllen, die Tunica externa und die ■ T u n i c a in-
terna folliculi, welche beide unter dem Namen Theca folliculi
zusammengefaßt werden (s. v. Baer, k c). Beide stammen vom
Ovarialstroma her. Die Tunica externa hat ganz den Bau des-
selben und schließt sich auch unmittelbar an dasselbe an : daß sie zum
Follikel gehört, giebt sich nur durch die zu letzterem konzentrisch
gefügte Gewebsbildung kund. Die Tunica interna zeigt in einem
zarten Bindegewebsgerüste eine größere Menge eigentümlicher Zellen
von rundlicher oder polygonaler Form, die seiner Zeit von His als „Korn-
zellen'' beschrieben wurden und sich auch im Ovarialstroma zerstreut
finden. Sie gleichen ganz den interstitiellen Hodenzellen und werden
auch von Tourneux als solche bezeichnet. Neuerdings haben Manche
(vergl. Abschnitt „Corpus luteum") sie als „Luteinzellen'' aufge-
führt. Zwischen Tunica interna und Stratum granulosum schiebt sich
noch ein dünnes strukturloses Häutchen, die B a s a 1 m e m b ran, ein
In Fig. 139 ist ein junger Follikel einer Maus mit dem in
ihm enthaltenen Eie dargestellt, und zwar nur das Follikelepithel mit
Die Gesclilechtszellen. 359
der dasselbe nacli außen begrenzenden zarten Basalmembran. Man
sieht die Granulosazellon sieh an der I)asaliHeiiiI)ran und dicht um
das Ei, dessen Zona pellucida (radiata) schon gebildet ist, epitlielartig
anordnen ; rechts in der Lücke ist die Stelle der ersten liildung des
Li(iuor folliculi. Einzelne Zellen des Eiepithels sieht man durch feine
Fortsätze mit der Zona in Verbindung.
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Fig. 139. Junger Follikel aus einem Mäuseeierstocke. Präi^arat von Benda.
Erklärung im Text. Frl. E. Magen del.
In Fig. 140 liegt ein junges menschliches Ei in seinem Cu-
mulus oophorus. Die Zona ist noch nicht gebildet und es fehlt
die epithelartige Anordnung der Gi'anulosazellen um das Ei. Ferner
ist ein Stück der Tunica interna folliculi daj'gestellt, in der man zahl-
reiche Kerne von Luteiuzellen und Blutgefäße wahrnimmt.
Als eine bei S e 1 a c h i e rn und Reptilien vorkommende Besonder-
heit des Follikelepitbels, die aber auch anderwärts bei genauerem Zu-
sehen sich finden dürfte, ist das Vorhandensein besonders großer
Zellen zu bezeichnen (s. p. 289, Fig. 105 C u. D). Vielleicht haben
sie die Bedeutung von „Nährzellen". Hin und wieder sind solche auf-
fallend große Zellen auch beim Menschen beobachtet worden. Nagel (490)
hat sie seiner Zeit als „Nährzellen", Scpiottländer (545) als rudimen-
täre Eier, „N e b e n e i e r", angesprochen ; neuerdings (493) hält sie Nagel
für die Vorläufer der CALL-ExxER'schen Körper (s. p. 347).
Für die Follikel des Menschen und der Säugetiere cha-
rakteristisch ist die Bildung einer ansehnlichen Menge dünner seröser
Flüssigkeit, des Liquor folliculi, innerhalb derselben. Lieber die
Bildungsweise selbst ist nichts Näheres bekannt, doch findet dabei eine
Auflösung von Granulosazellen statt, wie die ÜALL-ExxER'schen Körper
(Epithelvakuolen) zeigen.
Die Ovarien der Säugetiere gleichen in den wesentlichen
Stücken den vorhin beschriebenen des Menschen. Nur bei den Mono-
tremen nehmen sie, der zahlreichen, großen, stark vorspringenden
360 W. Waldeyer,
Follikel wegen, ein an die Ovarien der Vögel nnd Reptilien erinnerndes
traubige.s Aussehen an. Nahezu traubig erscheinen auch wegen zahl-
reicher stark vorspringender Follikel die Eierstöcke der Schweine.
Die Ovarien der übrigen Wirbeltiere und der Wirbellosen werden
weiter unten im einzelnen beschrieben.
:<S.
^'-''^.''-^..p<;i^^m'^:^
- ^^%€^.
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V -.
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^^^■.
si/ 'S-'
Sl'
Fig. 14Ü. Cumulus oophorus aus dem Eierstocke eines Kindes nach einem
Präparate von W. Nagel. Erklärung im Text.
Als eine allgemeine, noch vorher zu besprechende Frage muß bei
den Wirbeltiereierstöcken das Verhalten der Urniere zu ihnen
angesehen werden; hierbei zeigen sich Verschiedenheiten bei den ein-
zelnen Klassen. Sicher findet weder bei den Acraniern noch bei den
Teleostiern und Sei ach lern eine Beteiligung der Urniere an der
Bildung des Eierstockes statt. Bei den A m ]) h i b i e n war von C. K. H off-
mann (M. 2912), R. Semon (M. 2952) und Gemmill (377) eine solche
Beteiligung angenommen worden. Es sollten von den Urnierenkanälchen
aus epitheliale Zellstränge, die „Sexualstränge" der Autoien. die
anfangs solide wären, in das sehr spärliche und zarte bindegewebige
Stroma der Peritonaealleiste, als welche sich die erste Anlage des Ova-
Die Geschlechtszellen.
361
riiims erweist, von deren Basis aus eindringen und, indem sie holil
würden und untereinander verscliniölzen, diese Leiste zu einem Hohl-
organe umgestalten. In der Tliat zeigt sich das Amphibienovarium bei
seiner vollen Ausbildung als ein abge])lattetcr Sack, dessen sehr zarte
Wand außen vom Keimepithel (Peritonäalepithel), innen von einem
epithelähnlichen Zellenbelage ausgekleidet ist; diesen letzteren leiten
die genannten Autoren vom Epithel der Urnierenkanäle her.
r
Fig. 141. Querschnitt durch eiu junges Ovarium von Pelobates fuscus
nach Gemmill. Ke Keimepithel mit jungen Eiern, i Innenepithel des Ovarialsackes,
nach Gemmill von den Sexualsträiigen herrührend. Die Sackhöhle besteht aus
mehreren verschieden großen Kammern. Nach oben bei A ist die Basis der Peri-
touäalieiste gelegen, von wo aus die Sexualstränge eindringen sollen. B Eine An-
zahl junger Eier aus demselben Ovarium mit Follikelepithel (/) und Theca {th).
Anderer und meinen eigenen Erfahrungen mehr entsprechender
Ansicht ist Bouin (301 u. 302); er hält die Zellenstränge, welche an
der Basis des Ovarium der Amphibien in das zarte Stroma desselben
eindringen , für mesencliymatösen Ursprunges. Ich fasse die sack-
förmigen Hohlräume des Amphibieneierstockes als Lymph räume
auf; die BeschaÖ'enheit ihrer zelligen Auskleidung spricht nicht da-
gegen. Die Eier mitsamt den Follikeln liegen in den Sackwänden und
springen gegen den Lymph räum vor.
Obwohl bei den Reptilien die von der Urniere ausgehenden
Sexualstränge in die noch indifferenten Anlagen der Keimdrüsen stets
hineinwachsen und bis zu dem Keimepithel vordringen sollen, so würden
sie nach ]\I. Braun (M. 2899) doch nur bei den später als Hoden sich
ausweisenden Anlagen in Funktion treten und zu den gewundenen
Samenkanälchen werden, bei den Ovarialanlagen indessen schwinden,
so daß auch hier keine dauernde Beteiligung der LTrniere nachgewiesen
wäre. Dasselbe gilt für die Vögel; es sei hier auf die Arbeiten von
R. Semon (M. 2951) und Born (Merkel - Bonnet : „Ergebnisse'',
Bd. IV, 1894), welche die bis 1894 erschienene Litteratur vollständig
besprechen, hingewiesen.
Für die Säugetiere und den Menschen muß ich nach er-
neuten Untersuchungen ebenso wie früher bestreiten, daß Zellen-
komplexe, die von der Urniere abzuleiten sind, also „Sexualstränge'',
362 W. Waldeyer,
an der P'oUikel- oder gar Eibildung teilnehmen, Wohl findet man
im Menschen-, Sängetier-, Vogel- und Reptilieneierstocke in den tieferen
Schichten der Zona parenchymatosa und in der Zona vasculosa epi-
theliale Zellstränge, die v. Kölliki<:r zuerst als „Marksträn ge" be-
zeichnet hat (da sie vorzugsweise in der Zona vasculosa, der „Mark-
schicht" des Ovarium angetroffen werden). Aber es ist nach den
neueren, weiter unten anzuführenden Untersnchungen von Coert (627)
und V. WiNiWARTER (609) als sehr zweifelhaft zu erachten, einmal,
ob diese Stränge von der Urniere stammen, und zum anderen, ob sie,
wie es v. Kölliker (449 u. 451), Bühler (313) und H. Rabl (523a,
p. 165) vertreten, in nennenswerter Weise bei der Oogenese beteiligt
sind, indem sie einen Teil der jungen Oocyten oder selbst Oogonien
in sich aufnehmen und für diese das Follikelepithel liefern, s. w. u.
Oocyto genese undOohistogenese des Menschen und
der Säugetiere. Nach dem, was wir im Vorigen über den Bau
der Eierstöcke angegeben haben, kann die Besprechung der Oocyto-
genese und Oohistogenese füglich nicht von der der Follikel genes e
getrennt werden. Wir behandeln deshalb beides. im Zusammenhange.
Wir verließen p. 235 ff. die Eier als „Ureier" im Keimepithel
lagernd und gaben unter Bezugnahme auf die schematische Figur 55,
p. 225 eine kurze übersichtliche Darstellung des Ganges der Oogenese.
Indem wir zunächst den Untersuchungsergebnissen v. Winiwarter's
folgen, ist für das Kaninchen und den Menschen dieser Gang
im Genaueren folgender:
Die "Zellen der beiden Schichten des Keimepithels, welche v. Wini-
warter fand (s. die Beschreibung p. 240), vermehren sich reichlich
durch mitotische Teilung. Sie unterscheiden sich durch die Beschaffen-
heit ihrer Kerne, die v. Winiwarter als protobroche Kernea
und protobroche Kerne 1) aufführt. Wir sahen schon (vergl.
p. 240 ff.) daß wir die Ureier unter diesen Zellformen suchen mußten,
falls wir die Ureier mit den „Oogonien'' identifizieren.
Unterhalb der genannten beiden oberen Zellenlagen, die das
Keim epithel repräsentieren, und zwar das primäre Keimepithel,
wie V. Winiwarter es ausdrücklich bezeichnet, sind nun bei fort-
schreitender Oogenese die verschiedenen Stadien der Entwickelung der
Oocyten sowohl wie der Ovarien zu sehen.
Was die Entwickelung der Ovarien anlangt, so übergehen wir
hier das Stroma, die Blut- und Lymphgefäße und beschränken
uns auf die epithelialen (parenchymatösen) Bestandteile. v. Wi-
niwarter (1.1. c.c.) folgt den wichtigen zuerst 1885 von v. Mihal-
Kovics (674 u. 674a) und Janosik (M. 2914) gegebenen Daten. Dem-
gemäß müssen verschiedene Einwucherungen des primären Keim-
epithels in das darunter gelegene primitive Ovarialstroma zu verschie-
denen Zeiten angenommen werden. Die erste Ein Wucherung
liefert nach Coert das von ihm so benannte Rete-B last em. Aus
den einwuchernden anfangs soliden, netzförmig zusammenhängenden
Zellen inassen, die bis in die Nähe des späteren Hilus ovarii vor-
geschoben werden, sollen in der Folge die Hohlkanälchen des Rete
ovarii, einei- dem Rete testis homologen Bildung hervorgehen.
Die Retekanälchen sollen wiederum mit den vom WoLFP'schen Körper
herrührenden Epoophoron-Kanälen sekundär in Verbindung treten.
Durch eine zweite Ein Wucherung entstehen die Mark-
stränge. Diese bleiben solide Zellenstränge; nur selten und dann
Die Geschlechtszellen.
363
1. Keiraepithel
2. Verbindiingsgang
Keimschlauch
Markstrang
in der Nachbarschaft der Retekanälchen, mit denen sie in Verbindung
treten, werden sie teilweise hohl.
Die wichtigste Ein-
wucherung ist die dritte;
sie liefert die Keim-
schlauche, b o y a u x
germinatifs v, Wini-
WARTER. Diese treten
einerseits mit den Mark-
strängen in Verbindung,
andererseits eröffnen sie
sich durch kurze, halsartig
eingeschnürte V e r b i n -
d u n g s g ä n g e , welche die
Reste der Einwucherungs-
wege darstellen, zur Ober-
fläche des Eierstockes, zum
Keimepithel hin. Fig. 142,
welche im Anschlüsse an
eine Zeiclinung von v. Wi-
NiWARTER (mit gering-
fügigen Aenderungen) her-
gestellt ist, mag zur Er-
läuterung dienen :
Bei 1. sieht man nach
beiden Seiten von der
Oeffnung des (2) Verbin-
dungsganges, I n V a g i -
n a t i 0 n epitheliale v.
Vv^iNiwARTER, ein Stück
des später einschichtigen
K e i m e p i t h e 1 s. In die-
sem wie in dem Verbin-
dungsstücke haben die
Zellen eine bestimmte
Stellung, und zwar mit
ihrer Längsachse senkrecht
zur Unterlage. 3. be-
deutet einen K e i m -
schlauch; in diesem
liegen anfangs die größeren
Zellen, die 0 o c y t e n . und
die kleineren, die späteren Follikelepithelien, noch ziemlich regellos;
auch in 4, den Mark strän gen . wo sich fast nur Zellen, die den
Follikelzellen gleichen, finden, ist keine strenge Regelmäßigkeit in der
Lagerung vorhanden. 5. stellt die Kanälchen des Rete ovarii in
ihrer \'erbindung mit den Marksträngen und mit zwei Epoophoral-
kanälchen (6) dar. Letztere liegen außerhalb des Eierstockes und
stellen Reste der Urniere dar.
Die Oogenese anlangend, so finden sich nach v. Winiwarter's
Ermittelungen diejenigen Keimzellen, welche wir als Oogonien
bezeichnen, und die sich noch durch Teilung vermehren, nur in
dem primären Keim epithel; wenigstens sagt v. WiNi\yARTER nichts
Rete ovarii
Fig. 142.
parenchyms.
6. Epoophoron
Schema der Bildung des Eierstocks-
Erklärung im Test.
364 W. Waldeyer,
davon, ob sich OojAonien auch in den Maikstiängen fänden. Junge
Oocyten zeigen sich ab und zu in diesen, und es können namentlich
an der Grenze gegen die Keinischläuche hin sich auch Follikel aus
den Marksträngen bilden. Doch meint v. Winiwarter, daß die auf
Kosten der Markstränge gebildeten Follikel fast durchweg atretisch zu
Grunde gingen.
Die K eim schlau che, welche in der Form am meisten an die
„Eiballen" Waldeyer's erinnern, und Avie diese auch untereinander
in Verbindung stehen, enthalten die F o 1 1 i k e 1 e p i t h e 1 z e 1 1 e n , welche
sonach vom Keimepithel abstammen, und die jungen Oocyten I. Die
Folli kelepithelzellen haben den Charakter der Zellen
mit den p r o t o b r o c h e n Kernen \). Die Kerne der j ungen Oo-
cyten I, Vor eier (m.) bezeichnet v. Winiwarter als deutobroch;
sie wurden gleichfalls bereits p. 241 u. 242 geschildeit und als nukleolen-
haltig bezeichnet.
V. Ebner schreibt übrigens auch den von ihm als „Ureier", „Oo-
gonien", bezeichneten Zellen Nukleolen zu, von denen allerdings nicht
näher angegeben wird, ob es Nucleoli oder Psei;donucleoli sind
(665a, p. 536).
Indem sich anfangs niedrige, später höher und cylindrisch werdende
Zellen um die einzelnen Oocyten zusammenschließen, beginnt die Fol-
likelbildung von den Keimschläuchen aus nach dem schon von
Pflüger geschilderten Ablaufe. Weiter legen sich vom Stroma her
die Elemente der Tunica externa, dann die der Tunica interna um die
einzelnen Eier mit samt ihrem Ei)ithel herum und isolieren so den
Follikel von den übrigen Bildungen. Oefter kann man (Waldeyer)
noch einen jungen Follikel durch den Verbindungsstrang mit dem
Keimepithel in Verbindung stehen sehen, wenigstens darf P^ig. 17,
Taf. II (591) wohl so gedeutet werden; auch habe ich die Verbindung
direkt gesehen. Auf den Prozeß der Follikelldldung näher einzugehen,
wo wir es hier insbesondere mit dem Ei zu thun haben, erscheint
unnötig.
Während der Follikelbildung vollziehen sich an der Oocyte
eine Reihe von verwickelten Vorgängen, welche im allgemeinen als
Kernveränderungen bezeichnet werden müssen; dazu kommen als eine
zweite Reihe Wachstums vor gäuge und Hüllenbil d un gen,
d. i. der primären und sekundären Hüllen. Alle diese Vorgänge tragen
den Charakter histogenetischer Prozess e und wurden bereits
vorhin unter dem Namen der Oohisto genese zusammengefaßt
Wenn auch die Reifungsvorgänge im strengen Sinne in der Bil-
dung der Polocyten gesucht werden müssen, so ist es doch unver-
kennbar, daß auch die merkwürdigen Veränderungen an Kern und
K e r n k ö r p e r c h e n , die jüngst insbesondere von Holl (42o), H. Rabl
(52oc), Van der Stricht (573), Rückert (534 u. 534a), Haecker
(394a— 396a), Carnoy und Lebrun (321—323) und durch v. Wini-
warter (1. c.) geschildert sind, auf die Polzellenbildung und die Her-
stellung der Befruchtungsfähigkeit der Eizelle, insbesondere ihres
Keimbläschens vorbereiten. Teilungen finden, wie bereits wiederholt
hervorgehoben wurde, im Voreierstadium nicht mehr statt (s. w. u.),
wohl aber Veräuderungen an den vorhandenen chromatischen Kern-
substanzeu, den N u k 1 e o 1 e n und S p h ä r e n a p p a r a t e n. Unter
Die Geschlechtszellen. 365
anderen gehören die bereits erwähnten sonderbaren Bildungen der
Federstrangfiguren hierher (s. p. 262, Figg. 83—85).
V. WiNiWARTER beschreibt eine Reihe von Kernfiguren bei den
sich entwickelnden Oocyten, die er als Folgeformen ansieht und mit
besonderen Namen belegt: auf die Form der deu tobrochen Kerne
folge die der lej) to tä n en {lencög dünn, raiviu, Strang. Faden, Rand),
dann der s )^ n a p t ä n e n , welche an die S y n a p s i s f o r m der Kerne bei
der Spermiogenese (p. 168 u. 176) erinnern. Es folgen dann Kerne
mit dicken Chromosomen, pachytäne Kerne, dann solche mit Teilung
der Fäden, diplotäne Kerne, endlich Kerne mit netzförmig angeord-
netem Chromatin und 1 bis mehreren Nukleolen, diktyo tische Kerne
{di/.cvov Netz). Da indessen alle diese Vorgänge im folgenden Ka-
pitel (Eireife und Refruchtung) ihre Hauptdarstellung finden werden,
so mag diese kurze Erwähnung, die nur im Interesse einer zusammen-
hängenden Darstellung gegeben wurde, genügend erscheinen.
Mit wenigen Worten soll aber noch auf zwei weitere Fragen ein-
gegangen werden : auf die Individualität oder Kontinuität der
Chromosomen und auf die Bedeutung der eben erwähnten
K e r n u m 1) i 1 d u n g e n.
Unter der Individualität oder der Kontinuität d e r C h r o -
m 0 s 0 m e n , welche von K. Rabl (M. 449) und Roveri (306) be-
gründet wurde, versteht man ihre morphologische und substanzielle
Erhaltung auch während des Zustandes der Kernruhe, während dessen
sie scheinbar in dem dann auftretenden Chromatinnetze sich verlieren.
Resteht eine solche Erhaltung, so ist es klar, daß die Chromosomen
als Individuen von der Mutterzelle zur Tochterzelle und so weiter
übergehen. Dies kommt allerdings auch bei den Körperzellen (Ge-
webszellen) in Frage, insbesondere aber bei den Geschlechtszellen und
gilt sowohl für Samenzellen, wie für Eizellen. Da die Geschlechts-
zellen im Fortgange des Lebens eine kontinuierliche Reihe darstellen,
so hat hier die Individualität der Chromosomen ihre besondere Re-
deutung.
Carnoy und Lebrun (321 — 323) haben sich vor allem mit dieser
Frage beschäftigt; durch ihre wichtigen Untersuchungen ist insbeson-
dere für die Geschlechtszellen dieselbe zu einer brennenden geworden
und es sind dabei auch die Nukleolen weit in den Vordergrund
der Retrachtungeu gerückt worden. Die beiden Relgischen Forscher
kamen zu einem zu Rabl und Roveri entgegengesetzten Standpunkte,
indem sie eine Kontinuität der Chromosomen läugneten. Während der
vorhin berührten Kern Umbildungen sollten sowohl die Nukleolen, wie
die Centrosomen und Chromosomen teilweise unter Rildung der p. 262
beschriebenen Federstraugfiguren zu Grunde gehen und sich in den
Tochterkernen neubilden; eine Kontinuität der Chromosomen bestehe
nicht. Insbesondere sollten Federstrangsfiguren aus den Nukleolen
hervorgehen. Früher hatte schon 0. Schultze (547a) die Chromo-
somen der ersten Polzellenteilung von den Nukleolen des Keim-
bläschens abgeleitet; neuerdings stellt sich R. Fick (364) auf die
Seite Carnoy's und Lebrun's. — Für die Kontinuität der Chromo-
somen sind vor allen Rückert (M. 2008 u. 534a), Rorn (297, 298)
und noch jüngst wieder V. Haecker (654a) eingetreten, auf dessen
nach vielen Seiten für die Oogenese wichtiges Werk besonders auf-
merksam gemacht werden soll. Einen mehr vermittelnden Standpunkt
nimmt Lubosch in seiner Habilitationsschrift (466) ein, in der ein-
366 W. Waldeyer,
gehend die Veränderungen der Nuklcolcn l)ei der Eireifung behandelt
werden. Lubosch giebt zu, daß Nukleolarsubstanz aus dem Kern-
gerüst und daß- fadenförmige Elemente aus den Nukleolen thatsächlich
entstehen, wie das Carnoy behauptet hatte, hält aber das einmal
bestehende chromatische Kerngerüst im reifenden Ei jederzeit für
nachweisbar, wenn auch in äußerst fein verteilter Form. Die Er-
scheinungen an den Nukleolen seien bis zu einem ge\nssen Grade
unabhängig von den Zuständen des Kerngerüstes.
Wenn in jüngster Zeit so viel Clewicht auf die Nukleolen bei
der Oogenese gelegt wird, so soll nicht unerwähnt bleiben, daß als der
Erste Hüll (423 III) diese Bedeutung für die menschliche Eizelle hervor-
gehoben hat. Der Nucleolus soll gegen das Ende der Oogenese, indem das
Chromatin des Kerngerüstes in den Zellenleib- auswandert und das Gerüste
gänzlich schwindet, allein in der Oocyte zurückbleiben, wo er in einen
Haufen fast gleicher chi^omatischer Kugeln verwandelt werde ; er stelle
so den wesentlichsten und für die Befruchtung wichtigsten Teil der Ei-
zelle dar. Dasselbe fand Holl für die Säugetieroogenese. Beiläufig sei
bemerkt, daß Holl eine K e r nköp e r chenmemb r a n bei den Eizellen
annimmt.
Für die Individualität der Chromosomen, aber auch für
ihre Beziehungen zu den Nukleolen sprechen vor allen die Erfahrungen
von RÜCKERT (1. c.) und Haecker (654a), denen zufolge in den
K eim b ah n Zellen von Cyclops die mütterlichen und väterlichen
Chromosomen sich selbst für mehrere Generationen getrennt erhalten,
Gonomerie der Kerne. Dieser Zustand finde in den p. 269 er-
wähnten Doppelnukle ölen seinen sichtbaren Ausdruck. Schon
Boveri (306) hatte aus seiner Hypothese der Chromosomen-Indivi-
dualität den Schluß auf eine Gonomerie sämtlicher von einem befruch-
teten Eie abstammenden Zellen gezogen, ^'gl. auch Conklin (331a).
Was die Bedeutung der Kern- und Ker nkörpe r chen-
Umbildungen während der Oogenese (und wir m üssen hin-
zufügen „Spermiogenese") betrifft, so ist nichts Sicheres darüber
auszusagen; die etwa dabei in Betracht kommenden Reduktions-
vorgänge am Kern chromatin werden im folgenden Kapitel ,,Eireife
und Befruchtung" behandelt werden. Lubosch hält funktionell die
betreffenden Vorgänge für Anpassungserscheinungen des Kerns an
seine veränderten Lebensbedingungen, weist aber unter Besprechung
der geringen in dieser Beziehung bis jetzt nur vorhandenen Litteratur
auch auf die morphologischen Bedingungen hin, die in Be-
tracht kommen dürften, wie auf die in der Eiablage - mehrfach und
periodisch für die Teleostier und Am[»hibien, einmalig für das ganze
Leben bei den Petromyzonten — , oder bei erst- und mehrgebärenden
Weibchen gegebenen , wo nach Haecker (395) Unterscniede bei
Copepoden vorhanden sind. Es würde hier zu weit führen, dies zu
diskutieren und verweise ich auf die Originalarbeit.
Daß das Centriol (Centrosom) den Oocyten bei der 2. Reife-
teilung (Polzellenteilung) verloren geht, so daß es dem Reifei fehlt,
wurde erwähnt.
Die Zeit der Bildung von Oocyten anlangend, so finden
sich diese bereits vor der Geburt — beim Kaninchen etwa um die
dritte Fötalwoche.
Die Geschlechtszellen.
367
An der Ilaiid zweier Figuren, 143 und 144, seien die Befunde
an jungen Ovarien von Säugetieren und vom Menschen zur Erläute-
rung der Grundzüge der Ovarial- und Eibildung vor Augen geführt :
Fig. 143. Senkrechter Schnitt durch den Eierstock und das Mesovarium
einer neugeborenen Katze. Leitz Obj. 3, Ok. I. Am Uebergange des Mesovarium
in das Ovarium eine Gruppe von kleinen Schläuchen mit hell gehaltenem Lumen
= Rete ovarii. Darauf folgt nach oben die 3Iarksubs t a nz. In dieser helle
Räume = leere Blutgefäße, und dunkle, teils strangförmig, teils rundlich oder in
anderen Formen erscheinende Haufen kleinerer Zellen = Markstränge; an der
Rindengrenze liegen einzelne größere inmitten kleinerer. Solche Stränge sind zum
Teil auch in der Rindeuschicht erkennbar. In der Rinde oben zahlreiche schlauch-
förmige (PFLÜGER'sche Schläuche), mehr nach unten ballenförmige (Eiballen)
Haufen von größeren Zellen, untermischt mit kleineren, welche sich au das gleich-
falls aus solchen kleineren Zellen bestehende Keimepithel anschließen. Aus v. Koel-
liker's „Erinnerungen", Leijizig, W. Engelmann, Fig. 4, p. 301.
Die nach einem Präparate und einer Abbildung v. Koelliker's
(s. a. Fig. 1214 bei v. Ebner [(365a]) wiedergegebene Fig. 143 zeigt
in vortretflicher Weise die verschiedenen Bestandteile eines in der Aus-
bildung begriffenen Säugetier -Eier stock es. Bei der schwachen
Vergrößerung der Zeichnung lassen sich in den Eiballen und Schläuchen
die späteren Follikelzellen von den jungen Oocyten nicht durchweg
unterscheiden. An der Grenze von Rinden- und Markschicht sielit
man einzelne Oocyten in Marksträngen lagern. Wei1;eres ergiebt die
Erklärung der Figur.
Die Fig. 144 (nach W. Nagel) zeigt in den Eiballen kleinere
und größere Zellen. Welche von den kleineren Zellen zu Follikel-
368
W. Waldeyer,
Zellen werden dürften, läßt sich noch nicht sicher erkennen. Im Keini-
epithel zeigen sich ähnliche Stellen mit zwei Lagen, wie sie v. Wini-
WARTER schildert (protobroche Zellen a und 6). Das Stroma reicht.
' "■ litt*
Fig. 144. Stück eines Schnittes durch den Eierstock eines menschlichen
Embryo von 11cm Rumpf länge aus FLEMMiNG'scher Lösung, l Keimepithel
(primäres). 2 Eiballen, bestehend aus den Parenchymzellen , und zwar
kleineren = Follikelzellen und größeren = jungen Oocyten in verschiedenen
Stadien ihrer Ausbildung. S Stärkerer Stromabalken mit Blutgefäßen, welche Blut-
körperchen enthalten. Weiteres im Text. Aus W. JSIagel (493), Fig. 29, p. 47.
wie es bereits von Waldeyer beschrieben und abgebildet wurde föOl,
Taf. II, Fig. 11), bis in das Keimepithellager hinein. Die Kerne der
größeren Zellen in den Eiballen, oder Eifächern (Nagel) zeigen un-
zweifelhaft Bilder, die v. Winiwarter's „noyaux dentobroques" und
,,leptotenes" entsprechen; in dem unteren Abschnitte der Figur sind
einige Synapsis-Kerne bestimmt zu erkennen.
Zu den Arbeiten, in welchen die Veränderungen der Kerustruktur
beim Menschen berücksichtigt ist, gehört auch die eingehende Dar-
stellung Wendeler's (596). Vgl. daselbst Figg. 15, IV u. V, 16 und
Fig. 16 werden Synapsisformen abgebildet, jedoch als zu
gehende Eiformen gedeutet.
Ich muß bekennen, daß mir die Frage nach der Herkunft der
Zellen der Markstränge und des Eete ovarii, wenn wir ein
solches überall annehmen wollen, als noch näherer Prüfung bedürftig
erscheint. Es wird mir w^ohl Jeder zugeben, daß die Annahme ver-
schiedener zeitlich auseinanderliegender Etappen von Einwanderungen der
Keimepithelzellen etwas Unwahrscheinliches hat ; weitere Untersuchungen
sind jedenfalls noch nötig. — Holl hat s. Z. (423 I, p. 56) die Mark-
stränge als Nebennieren-Rindensubstanz gedeutet. Dem kann man nicht
zustimmen.
17. In
Grunde
Die Geschlechtszellen. o69
Es sei hierzu weiter bemerkt, daß, vgl. v. Ebner (665a p. 558), sehr
verschiedene Bildungen in den Eierstöcken vorkommen, die den echten
Marksträngen ähneln: Stränge des Rete ovarii, Stränge von Lutein-
z eilen (interstitiellen Zellen Tourxeux, Kornzellen His, s. vorhin), Zell-
stränge, welche aus den Luteinzellen atretischer Follikel hervorgehen
und andere, welche aus den Epithelzellen solcher Follikel abstammen.
Eine sorgfältige Erwägung ist also bei der Frage, ob irgend ein im Ova-
rium vorkommender Zellstrang ein Markstrang sei, durchaus erforderlich.
In Abschnitt IV: Gemeinsames für Spermium und Ei
müssen wir zum Vergleich der Spermiogenese mit der Oogenese noch
einmal auf das p. 362 — 369 Besprochene zurückkommen.
lieber die Ausbildung der Follikel ist noch folgendes an-
zugeben : Nähert sich der Follikel seiner vollständigen Reife, so treten
zwischen Cumulus oophorus und der Follikelwand zahlreiche Epithel-
vakuolen, d. h. nichts anderes als Herde neuer Liquorbildung auf, so
daß dadurch die Verbindung des Eiepithels mit der übrigen Granu-
losa bis auf einzelne Zellstränge ,,Retinacula" (Barry) gelöst wird.
Hierdurch wird offenbar die Ausstoßung des Eies beim Follikelsprunge
erleichtert. Ueber Liquorbildung und die CALL-ExNER^schen
Körper vgl. noch Simon (461b). Ueber GRAAF'sche Follikel,
]\I e m b r a n a g r a n u 1 o s a , Cumulus oophorus, M a r k s t r ä n g e
handeln Crety (334), Gastel (375), Schottländer (544. 545).
Lachi (M. 1888), Laulanie (M. 1889), Legge (M. 1890) und Slav-
JANSKI (M. 1908.)
Ovulation. Zusammentreffen von Spermien und Ei,
ek topische Schwangerschaften, Corpora lutea. Um das
Schicksal einer zu ihrer natürlichen Bestimmung gelangenden mensch-
lichen und Säugetier-Eizelle bis zu Ende, d. h. bis zum Beginn ihrer
Entwickelung zum Embryo zu führen, müssen wir noch anf den Vor-
gang der Ovulation eingehen ; dabei sei in wenigen AVorten der damit
verknüpften Dinge, insbesondere der Bildung der gelben Körper.
Corpora lutea gedacht.
Unter „Ovulation" versteht man den Austritt eines Reifeies aus
dem eröifneten Follikel samt der Aufnahme desselben in den zur nor-
malen Entwickelungsstätte, den Uterus, führenden Weg, in den Eileiter.
Die Eröffnung der reifen Follikel wird gewöhnlich als „Follikel-
sprung" bezeichnet; doch ist es mir unwahrscheinlich, daß der Vor-
gang — Ausnahmen zugestanden — ein plötzlicher, sprunghaft ab-
laufender sei. Der am meisten vorragende Teil der Follikelwand ver-
dünnt sich immer mehr, und man sieht auch bei guten Injektionspräpa-
raten diese Stelle, Stigma, mit weniger Blutgefäßen durchsetzt. Steigert
sich nun der Druck durch fortgesetzte Liquorbildung, so muß in der Regel
an der genannten Stelle eine Eröffnung des Follikels, welche ganz all-
mählich erfolgen kann, stattfinden. Das nur noch an den schwachen Re-
tinaculis hängende Ei tritt, vom , Liquor getragen, heraus, und wenn
sich die Tubenglocke an ihrem richtigen Platze, d. h. auf der Oberfläche
des Ovarium befindet, so wird das Ei, welches, wie Versuche Lode's
lehren, von der Kraft der Flimmerbewegung leicht bewegt werden kann,
in die abdominale Tubenöffnung hineingetrieben. Es- ist wahrschein-
lich, daß die Fimbria ovarica (Fig. 138 5) hierbei eine Rolle spielt.
Nach den Befunden bei Tieren — ich verweise auf die sehr sorg-
fältigen Untersuchungen Reix's (M. 1276) — und nach den so zahlreich
Handbuch der Entwickelungslehre. 1. 24
370
W. Waldeyer,
vorkommenden Tubenschwangerschaften,' wird als der normale Ort, an
dem Eier und Spermien zusammentreffen und in welchem auch das Ein-
dringen der Spermien in das Ovulum erfolgt, die Tubenampulle an-
zusehen sein. Dieselbe erscheint schon durch ihren Bau (Tubenlaby-
rinth) dazu besonders eingerichtet. Indessen kann nicht geläugnet
werden, daß eine Befruchtung unter Umständen auch erst im Uterus
erfolgt, oder schon, während sich das Ei noch auf dem Ovarium befindet.
Ovarialschwan gerschaften sind in hinreichender Zahl i) und genau
genug beobachtet worden, um das letztere zu erweisen. Da bei diesen
wiederholt die Untersuchung zu der Annahme führen mußte, daß das
Ei den Anfang seiner Entwickelung in dem betreffenden Eollikelraume
genommen habe, so wird es wahrscheinlich, daß hie und da ein Reifei bei
der Eröffnung des Eollikels denselben nicht verläßt und innerhalb des-
selben befruchtet wird.
Unmittelbar nach der Entleerung des Follikels beginnt in seinen
inneren Wandschichten ein Zellenwucherungsprozeß eigentümlicher Art,
der an denselben Vorgang bei der Rückbildung der atretischen Eollikel
erinnert (s. p. 345 ff.) und schließlich zur Entstehung des Corpus luteum
führt. Im ausgebildeten Zustande ist das letztere ein rundlicher Körper,
an welchem man einen weichen grauen durchscheinenden Kern und
\
1-,
\
f
4
Fig. 145. Stück eines menschlichen Eierstockes mit einem kurz vor dem Tode
des_ betreffenden Weibes geplatzten EifoUikel. 1, l Stark gewucherte Tunica interna
folIicuU mit zahlreichen Blutgefäßen. 2 Oeffnung des Follikels. Präparat der Ber-
hner anatomischen Anstalt. Aus W. Nagel, 1. c.
1) Vgl. die Mitteilung von Fyth in der Sitzimg der Leipziger medizinischen
Gesellschaft vom 11. November 1902 ; es werden 21 in der Litteratur nachgewiesene
Fälle erwähnt. Vgl. auch Franz (370a).
Die Geschlechtszellen. 371
eine dicke, beim Menschen braungelbliche, bei manchen Tieren ockergelb
erscheinende Rindenmasse unterscheiden kann. Der Kern besteht aus
zellenreichem jungen Bindegewebe mit Blutgefäßen, zuweilen auch aus
Blutresten in der Form von Blutpigmentschollen oder Hämatoidin- (Bili-
rubin-) Krystallen (R. Virchow). Diesem mischen sich Derivate de-
generierter Zellen, verfettete Zellen, Fibrinfäden und andere gewebliche
Umwandlungsprodukte zu. Die gelbliche Rinde besteht, neben einem
meist feinfasrigen bindegewebigen Stroma, dessen stärkere Züge Blut-
gefäße führen, aus sehr charakteristischen, rundlich-polj'gonalen Zellen, den
L u t e i n z e 1 1 e n ; sie enthalten große rundliche Kerne mit Nucleolis und
Kerngerüst, ferner ein Lipochrom, welches in feinen Körnchen das
Protoplasma durchsetzt und dem Ganzen die charakteristische Farbe
verleiht. Seit Bischoff's Untersuchungen wird darüber gestritten, wo-
her diese Luteinzellen stammen. Auf der einen Seite steht unter
den neueren Untersuchern Sobotta (558, 560, 562 — 564), der für die
Maus und das Kaninchen, so weit ich an seinen eigenen Präparaten
dies beurteilen konnte, einwandsfrei nachweist, daß die Luteinzellen von
den Follikelepithelzellen abstammen. An Sobotta schließen sich
Stratz (569 u. 570) für Halbaifen und Insektivoren, Vax Bexeden und
HoxoRE (427 u. 428) für das Kaninchen und endlich Vax der Stricht
(574 I, 574 III), der insofern eine vermittelnde Stellung einnimmt, als bei
V e s p e r u g 0 n o c t u 1 a auch die eigentümlichen, vorhin erwähnten Lu-
teinzellen der Tunica interna des Follikels einen Teil der Luteinzellen
des gelben Körpers erzeugen sollen. Diesen Angaben gegenüber be-
haupten J. G. Clark (327), W. Nagel (493) und Bühler (314), daß die
Follikelepithelzellen zu Grunde gingen und die Luteinzellen von den
ebengenannten eigenartigen Zellen der Tunica interna abstammten. Dem
schließt sich auch Stoeckel an (567a). H. Rabl (523a), der neuerdings
mehrere junge menschliche Corpora lutea untersucht hat, konnte, da ihm
die ersten Stadien fehlten, zu einer bestimmten Stellung nicht gelangen.
In Fis. 145, welche W. Nagel nach einem im Berliner anatomischen
Institute befindlichen Präparate hat zeichnen lassen, sieht man eine die
Follikelhöhle zu innerst begrenzende dünnere Schicht, welche nur Ge-
rinnselmassen und Reste der Membrana granulosa enthält ; die darauf
folgende dicke Schicht mit zahlreichen Blutgefäßen stellt die stark ver-
dickte Tunica interna dar, in der man bereits große, den Luteinzellen
ähnliche Zellen wahrnimmt. Das Präparat spräche also, was den Menschen
anlangt, für die Ansicht Clark's, Nagel's und BChler's, kann aber als
einzelnes Stück nichts beweisen. Es ist auch nicht zu diesem Zwecke
hier aufgenommen worden.
Daß bei ein- und derselben Bildung so differente Entstehungsweisen
obwalten sollen, befriedigt nicht; weitere Untersuchungen werden abzu-
warten sein.
Die Bedeutung der Corpora lutea ist noch nicht aufgeklärt.
Vielleicht dienen sie anfangs dazu, die Masse des Ovarium wieder her-
zustellen. Nach einer von G. Borx aufgestellten Ansicht, die neuer-
dings durch Fräxkel und Cohn (369c) gestützt worden ist, sollen sie durch
eine innere Sekretion Stoffe in den Blutki-eislauf gelangen lassen, welche
auf die Befestigung des Eies im Uterus begünstigend einwirken.
Die gelben Körj^er erreichen eine verschiedene Ausbildung, jenachdem
das ausgetretene Ei zu einer Schwangerschaft führt oder nicht. Im
ersteren Falle werden sie größer und bleiben länger in ihi-er ausgebildeten
24*
372 W. Waldeyer,
Form erhalten, in letzterem gehen sie bald zu Grrunde; an ihre Stelle
tritt im wesentlichen in beiden Fällen ein festeres Bindegewebe, welches
narbig einschrumpft: Corpora fibrosa albicantia. Als eine Abart
derselben, Corpora fibrosa sim])licia, bezeichnet H. Rabl die-
jenigen Eestkörper, welche wesentlich nur aus dem eingeschrumjDften
Bindegew^ebskerne der Corpora lutea bestehen. Von „Corpora
nigritia" spricht man, wenn die Restkörper durch reichliches Blut-
pigment gefärbt erscheinen.
Es mag hier gleich die Besprechung der Bezi ehungen der Ovu-
lation zur Menstruation mit einigen Worten angeschlossen sein.
Daß die für gewöhnlich in 28-tägigen Zwischenräumen erscheinende
Menstruation des menschlichen Weibes das Analogen der tierischen Brunst
bedeutet, darüber besteht kein Zweifel. Bei den Tieren fallen nun Ovu-
lation und Brunst stets zusammen ; beim Menschen kann man es nur
als Regel bezeichnen, daß die menstruelle Blutung mit der Eröffnung
eines Follikels zusammentrifft. Sicher aber ist es, daß die Men-
struation durch die Ovulation bedingt wird. Frauen, deren Ovarien
nicht zur vollen Entwickelung kamen, oder angeboren gänzlich fehlten,
oder denen sie operativ vollständig entfernt wurden, menstruieren nicht.
Das Aufhören der Ivatamenien gegen Ende der vierziger Jahre bei den
Frauen beruht auf dem Ausfallen der Ovulation. Vgl. hierzu Feis (639)
und LoviOT (670).
Eine letzte Frage, an die wir am besten an dieser Stelle heran-
treten, betrifft die Bestimmung des Zeitpunk t e s , wann ein Ei und
welches Ei nach stattgehabtem Geschlechtsverkehr befruchtet wird"?
Wird das Ei befruchtet, welches sich während cl e r Mensti'uation löste, die
dem fruchtbaren Beischlafe vorausging, oder das Ei, welches der nächst-
folgenden Menstruation angehört '? Beide Ansichten haben ihre Vertreter und
ihre Berechtigung, da, wie wir sahen, p. 2<.)7 ff. die Spermien sich lange im
Innern der weiblichen Genitalien befruchtungsfähig erhalten können und
da auch die reifen Eier nach geschehener Ovulation nicht sofort absterben,
falls sie nicht befruchtet werden; bei Echinodermen bleiben sie
allerdings nur kurze Zeit leben — s. w. u. — . Wielange ausgetretene
unbefruchtete Eier von Säugetieren und vom Menschen leben bleiben,
darüber wissen wir nichts Sicheres, ebensowenig über die aufgeworfene
Befruchtungszeitfrage ; infolgedessen kennen wir bis jetzt auch nicht die
Dauer der Schwangerschaft auf den Tag genau; es bleibt in maximo
immer ein Mondesmonat mehr oder weniger zweifelhaft. Ich begnüge
mich hier mit diesem Wenigen und verweise für Weiteres auf P. Strass-
MANN (709) und L. Gerlach (M. 1922). Ferner: Leopold (M. 1511),
Veit (M. 3365), Mironoff (677), Steffeck (708), Sobotta (556) und
Thayer (712).
Als besondere Arbeiten über das Corpus luteum seien noch an-
geführt: Bellov (286), CoRNiL (332), Doerikg(346), Gastel (375), Giacomini
(379), HöLZL (426), Krels (454), Luquet (468), Marshall and Ewart (472),
Mlngazzini (480), Paladixo (512, 513), Prexant (520), Stoeckel r567a\
Tait (576), Waldeyer (592) und Zschokke (611). Ein Teil dieser
Arbeiten behandeln die Corpora lutea bei verschiedenen Wirbeltieren ;
sie werden in allen Klassen derselben beobachtet. Auf die im Erscheinen
begriffenen Veröffentlichungen BChlers wurde beim Abschnitte: „Rück-
bildung von Eiern" hingewiesen.
Die Geschlechtszellen. 373
Mehreiige Follikel und mehr kern ige Im er. Schon
S. LV) ist auf (las Vorkommen mehreiiger Follikel und mehi-
kerniger Eizellen hingewiesen worden mit dem Bemerken, daß
dieser Punkt im Anschlüsse an die Oogenese besprochen werden
solle. Sehen wir von älteren Beobachtungen ab, die sowohl bei
Tieren wie beim Menschen gemacht worden sind, so heben sich unter
den neuereu Arbeiten insbesondere die Mitteilungen Stöckel's (5G7a)
und H. Rabl's (523c) heraus, welche Beide sowohl bei jungen ge-
schlechtsreifeu Frauen als auch Stöckel) bei einem neugeborenen
Mädchen zahlreiche Follikel mit mehreren Eiern dann, sowie auch
Eier mit mehreren Kernen fanden. Stöckel spricht zur Erklärung
dieser Befunde die Meinung aus, daß sich, da er keine Mitosen fand,
die Oocyten, denn um solche mußte es sich nach dem sonstigen Ver-
halten der Eizellen und der Sachlage überhaupt handeln, noch ami-
totisch zu teilen vermöchten. Das würde aber die bisherige Lehre
von dem Gange der Oocytogenese, der zufolge die Oocyten sich nicht
mehr teilen, umstoßen. H. Rabl zeigt nun im Anschlüsse an Schott-
länder (545) — und es sind auch Balfour M. 1866j und E. Vax
Beneden (2.*^8) (für die Chiropteren) zu nennen — daß es sich bei den
zwei- und m e h r k e r n i g e n Eiern um ^^ e r s c h m e 1 z u n g s -
Vorgänge von 2 oder mehreren Oocyten handelt, wobei er noch auf
gleiche Beobachtungen von Götte (M. (52 u. 63) und Blanc (293 u.
294) verweist. Eismond beobachtete sogar noch eine nachträgliche Ver-
schmelzung der Kerne (353 u. 354). Sehr einfach erklären sich die
mehreiigen Follikel daraus, daß der Inhalt eines Eiballens nicht
vollständig in Einzelfollikel zerlegt wird, wie Schottländer (545)
klar nachgewiesen hat.
Der Erklärung H. Rabl's, betreffend die mehrkeruigen Eier,
schließen sich Schwarz und v. Schumacher (549) an, Avährend Falcone
(3()1) auf Stöckel"s Meinung hinauskommt. ]\Ian kann übrigens auch
annehmen, daß bei der regelrechten mitotischen Teilung von Oogonien
die Zellteilung ausblieb und so eine 2-kernige Oocyte entstand. Die
Sache hat auch für die Frage der Zwillingsschwangerschaften Interesse.
Vgl. über mehrkernige Eier auch v. Skrobansky. Stzber. der
Milit. mediz. Akad. zu St. Petersburg. 1901 (Russisch).
Zeitdauer und Perioden der Oogenese. Eine der wich-
tigsten bei der allgemeinen Darstellung der Oogenese zu besprechenden
Punkte ist die Frage nach den Zeitverhältnissen derselben.
Hierbei ist Verschiedenes auseinander zu halten. Wir haben schon
gesehen, wenn wir uns der NussBAUM'schen Lehre von den Ge-
schlechtszellen anschließen, daß die Oocyten wie die Spermiocyten
streng genommen nicht datiert werden können, sondern daß die Ge-
schlechtszellen der Metazoen eine ununterbrochene Kette bilden.
Ferner sahen wir, daß bei Säugetieren nach v. Winhyarter die
ersten sicheren L^reier im Ovarium um die dritte Woche des fötalen
Lebens auftreten. Wir dürfen sie auch wohl beim Menschen auf
diese Zeit oder etwas später verlegen. Nun fragt sich weiter, wie
lange treten neue Ureier im Ovarium auf? Ich habe mit Anderen
die Meinung vertreten (591) und verteidige sie auch noch heute, daß
mit dem Eintritte der Geburt, oder doch nur wenig später, die sämt-
lichen Oogonien, welche überhaupt bei dem betreffendem Individuum
vorhanden sind und angelegt waren, sich in Oocyten I (Voreier) um-
374 W. Waldeyer,
gewandelt haben nnd nun nacli und nach der Eireifung entgegengehen.
So muß jetzt wohl, mit Rücksicht auf die Lehre von den Geschlechts-
zellen, meine damalige Behauptung gefaßt werden. Daraus ergiebt
sich, daß gewisse Oocyten, d. h. diejenigen, welche erst mit dem Auf-
hören der Ovulation zur Reife und zum Austritte aus dem Follikel
kommen, bis zu iX) Jahren alt werden könnten. Unter den Gegnern
dieser Lehre ragt vor allen Paladino (509,510,511) hervor, welcher
in einer Reihe von Abhandlungen die Ansicht vertritt, daß auch bei
den Erwachsenen noch Ureier im Keime])ithel entständen. Ich muß
aber bemerken, daß ich dui'ch seine Abbildungen und Argumente bis
jetzt nicht überzeugt worden bin und befinde mich hier in Ueberein-
stimmuDg mit v. Ebner (6()5a). obwohl Letzterer die Möglichkeit, daß
auch während der Geschlechtsreife beim Menschen Eier aus dem Keim-
epithel neu entstehen könnten, nicht ganz abweisen will und einige
dafürsprechende Abbildungen giebt. Auch für Nagetiere will v. Ebner
eine solche Spätbildung zugestehen, v. Winiwarter vertritt dagegen
mit voller Schärfe den von mir eingenommenen Standpunkt. Ich
verfüge nicht über neuere Untersuchungen auf diesem sehr schwierig
zu entscheidenden Gebiete, darf aber wohl sagen, daß 1) die Lehre
von der Kontinuität der Geschlechtszellen, die ich gern gelten lasse,
der Spätneul)ilduug von Eiern gewisse Schwierigkeiten in den Weg
stellt und daß eine solche Neubildung 2) auch nach v. Ebner's An-
gaben, falls sie thatsächlich vorkäme, doch nur in beschränkter Aus-
dehnung nachgewiesen worden ist.
Eine weitere Frage ist, wie lange beim Menschen oder bei Tieren
Follikel, bezw. die eingeschlossenen Oocyten zur Reife überhaupt
gebracht w' er den? Beim Menschen ist als die Regel anzusehen,
daß das etwa bis zum Ende der vierziger Jahre andauert ; doch sind
Fälle von längerer Dauer der Ovulation bekannt. (Amann [270].) —
Endlich ist zu untersuchen, ob während der Dauer der Gravidität die
Oocytenreifung gänzlich aufhört, wie das fast allgemein angenommen
wird? Ich begnüge mich mit der Aufstellung der Frage und ver-
weise auf die Mitteilungen von Cosentino (33H) und Vitanza (588).
Ueber frühreife Eibildung beim Menschen handelt u. A.
C. Hennig (407b). Man trifft auch nach meinen Erfahrungen in den
Eierstöcken von Neugeborenen und jungen Kindern erbsengroße Fol-
likel mit normal entwickelten Eiern. S. auch Stoeckel, p. 373.
2. 0 ohistogenese: Einzelnes.
Wir gehen nun noch in Kürze auf die Vorgänge der Dotter-
und Hüllen bildung ein, soweit sie nicht schon zur Erledigung
gebracht worden sind, da für die Sphärenapparate. Dotterkerne, Kerne
und Kernkörperchen das Nötige bereits abgehandelt wurde.
Bei den Wirbeltieren tritt das Deutoplasma in Form von anfangs
kleinen, später zu größeren zusammenfließenden Tröpfchen und
Körnchen stets in der unmittelbaren Umgebung des Kernes auf; es
ist in dem p. 271 beschriebenen Dotter kerne, in welchem diese
Elemente zuerst erscheinen. Sie breiten sich von da, je nach dem
Dotterreichtum, den das Ei erhalten soll, unter Zugrundegehen des
Dotterkerns, im Eiprotoplasma immer weiter aus. Es darf ange-
nommen werden, daß zuerst die Substanz des Dotterkerns das Material
Die Geschlechtszellen. 375
für (las Deutoplasnia liefert, welches sie vielleicht in konzentrierter
Form enthält. Woher nun der Dotterkern sein Material bezieht, ob direkt
aus dem Protoplasma der Eizelle oder von außen her, sei es mit
oder ohne Vermittelung des Zellkerns, ist noch nicht festgestellt.
Es ist klar, daß alles weitere Material des Deutoplasmas von
außen her durch die Blutgefäße oder durch die Follikelzellen oder
durch Leukocyten zugeführt werden muß. Es kommt darauf an. zu
entscheiden, ol) einer dieser Faktoren allein, oder ob sie zusammen-
wirken und weiterhin, ob schon fertige Dotterbestandteile von der
Eizelle nur aufgenommen werden, oder ol) sie das Fiohmaterial in
sich zu Deutoplasma verarbeitet. Das letztere ist nach Annahme der
meisten Autoren das Wahrscheinliche, während Kohlbrugge (447d)
sehr die Beihilfe des Follikelepithels betont, wobei aber doch eine
Umarbeitung des aus zerfallenen Granulosazellen gewonnenen Materials
seitens der Eizelle noch nötig wäre. Die Angaben von Wetzel
über Pelias berus (599a) gehören gleichfalls hierher. Die Anteil-
nahme von Leukocyten als Materialzuträger ist in neuerer Zeit
sehr zweifelhaft geworden. Ebenso zweifelhaft ist es noch, ob die
aus dem Kern in das Eiprotoplasma übertretenden Bestandteile s.
p. 284, etwas zur Dotterbildung beitragen.
Es sei an dieser Stelle aufmerksam gemacht auf eigentümliche, viel-
leicht vom Kern ausgehende c li r o m a t o p h i 1 e Körper im Dotter
von Säugetiereiern, welche Lowexthal zuerst nachwies (Internationale
Monatsschr. f. Anat. und PliYsioL, Bd. VI, p. 110) und Holl bestätigte.
— Ueber das erste Auftreten von Nebendotterelementen in Oogonien
berichten schon Romiti (Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. X) und
Löwenthal, 1. c.
"?
Was die H i s t o g e n e s e des K e r n s anlangt , so muß hervor-
gehoben werden, daß sein Gehalt an N u k 1 e i n k ö r p e r n sich erst
mit fortschreitender Entwickelung wesentlich ausbildet, und daß diese
nicht im Dotter vorgebildet sind, welcher nur Paranukleinkörper ent-
hält (KossEL, Liebreich's Encyklopädie der Therapie, 1898).
Die Dotterhaut, Membrana vi t ellin a, ist eine echte
Zellenmembran , und wir wissen so viel und so wenig über ihre
Bildung W'ie über die der Zellhäute überhaupt : hierzu sei auf die
Abhandlung F. E. Schulze's, Biolog. Centralblatt, 1896, B. 16. p. 849
verwiesen.
Schwierig ist die Herleitung und Histiogenese der Zona radiata.
Nach der Ansicht der Meisten soll sie dem Ei von außen und wahr-
scheinlich vom Follikelepithel her an gebildet werden und ist sie hier
deshalb auch zu den sog ..fremden Hüllen" gezählt worden (p. 225,
226, 227). Auch R. Hertwig stimmt dem in den von ihm be-
arl)eiteten Abschnitten dieses Kapitels bei. Ich selbst neige neuer-
dings der Meinung zu. daß man ihre Bildung doch auf das Ooplasma
zurückführen müsse, in dessen äußerster Lage sie zuerst in Form
kleiner, radiär gestellter Stäbchen erscheint, s. p. 289/290. Die Zona
pellucida der Säugetiere (s. p. 291) w^äre den Angaben von Retzius
und V. Ebner zufolge ein Mischprodukt. Ueber alles weitere, die
Bildung von Eihüllen der Wirbeltiere betreffende ist schon p. 287 — 333
gehandelt worden.
;)7G W. Waldeyer,
3. Oogenese und Oophoro genese der übrigen
Ver te braten.
I. Acrauia. lieber die Bildung der weiblichen Gonaden
und der Eier bei Aniphioxus haben uns Boveri (621) und Legros
(667c) Aufschluß gegeben. Die Gonaden stellen doppelreihig symmetrisch
und segmental alternierend gelegene Säckchen dar, die aus dem Cölom-
epithel ihren Ursprung nehmen. Man sieht hier an der vorderen
Urwirbehvand in diesem Epithel einige größere Zellen erscheinen, die
wir als „Ureier" ansprechen dürfen (s. p. 235). Aus einer regen
Vermehrung dieser Zellen entsteht ein hinter das Cölomepithel sich
verschiebender Zellenhaufen, der bald eine Höhlung erhält. Die mediale
Wand des so hergestellten Säckchens: „G eni tal sack che n'' oder
„Genitalkammer'' im allgemeinen, „0 varialsäckchen", „Ova-
rialkammer'' für die $ Tiere, schwindet später und es bildet hier
das Cölomepithel den Ersatz. An der lateralen Wand geht die Ver-
mehrung der Zellen weiter, wobei sich die Wand auch einfaltet.
Während ein Teil der Zellen zu Eiern, Oocyten, heranwächst —
die Detailvorgänge sind noch nicht bekannt — bleiben andere in ab-
geplatteter Eorm um die Eier als deren Follikelepithel erhalten. Mit
zahlreichen weiten Blutgefäßen tritt auch mesenchymatöses Gewebe
au die Kammern heran. Die Eier werden in den medialwärts an-
liegenden Peribr anchialrau m entleert und gelangen von diesem
durch den Abdominalporus (Porus branchialis) nach außen
(p. 293).
II. Cyclostoiiiata. Die Ovarien der Petr oniy zonten und
Myxinoiden erscheinen als lange, gefaltet bandartige und un-
paare Organe, welche bei Petromyzon durch eine Peritonäalfalte
Mesovarium, an der dorsalen Fläche des Darmes befestigt sind
und in der Mittellinie liegen. Dieselben sind vom Cölomepithel über-
zogen, in welchem auch die „Ureier'' angetroifen werden. Die reifenden
Eier liegen, von einem wohlausgebildeten Follikelepithel in gew^öhn-
licher Weise umgeben, in den Ovarien dicht gedrängt. Sie treten in
die Bauchhöhle aus und werden von dieser durch die beiden Pori
genitales in den Sinus urogenitalis und von diesem aus durch die
hinter dem After auf der Urogenitalpapille belindliche Oeffnung nach
außen entleert. Bei den Myxinoiden, wo wir ein Mesenterium
haben, liegt das ebenfalls gefaltete bandförmige Geschlechtsorgan an
der rechten Seite des Mesenterium und ist an diesem befestigt. Es
besteht hier in der Regel ein sehr merkwürdiger Hermaphrodi-
tisnius, indem zuerst bei ein und demselben Tiere im distalen Ab-
schnitte Samen und später im proximalen Eier erzeugt werden. Doch
kommen auch weibliche und männliche Individuen vor. Die Ge-
schlechtsprodukte gelangen wie bei Petromyzon in die Bauchhöhle
und von da in einen Endabschnitt, Sinus urogenitalis, derselben, in
die auch die beiden am Ende vereinigten Ureteren münden. Der
Sinus mündet alsbald durch eine unpaare, als „Porus abdominalis''
bezeichnete Oeflfnung hinter dem After aus.
Ueber die noch unreifen Oocyten von Petromyzon Planeri
macht neuerdings Lubosch (466d) einige bemerkenswerte Angaben. An
der Keimbläschenmembran liegen kleine Chromatinkörnchen, von diesen
gehen feine, netzartig verbundene Päden aus, welche andererseits mit
Die Geschlechtszellen. 377
einem centralwärts gelegenen ungeheuren Xucleolus in Verbindung
stehen, an seiner Oberfläche eine besondere zarte Lage bilden, aber auch
in sein Inneres zu einer vaknolenförmig erscheinenden Substanz treten.
Hämatoxylin färbt alles, Thionin, ohne jede Differenzierung angewendet,
nur den Xucleolus i;nd die Körnchen an der Peripherie; die vakuolen-
artigen Einschlüsse des Nucleolus und das Netzwerk bleiben ungefärbt.
Kombination von Eisenhämatoxylin mit Pikrorubin färbt Fäden und Ein-
schlüsse rosa, den Xucleolus schwarz. So bleibt nun die Struktur
des Keimbläschens während der mehrere Jahre dauern-
den Eireifung unverändert! Bekanntlich laicht Petromyzon nur
einmal und geht dann zu Grunde. Vgl. noch das p. 297 Angegebene.
LuBOScH macht darauf aufmerksam, daß die Petromyzonten-Eier sonst
den Amphibieneiern nahe stehen, sich aber durch die Dauer ihrer Reifung
und die nur einmalige Ablage unterscheiden ; er erblickt einen Zusammen-
hang zwischen dean differenten Verhalten des Keimbläschens bei beiden
Tierklassen und diesen verschiedenen biologischen Faktoren. S. p. 366.
III. Selachier. Die Eierstöcke der Selachier erscheinen bei
ihrem ersten Auftreten als eine Peritonäalfalte, deren Epithel sich
durch erheblichere Größe und deutliche Cylindertbrm der Zellen nebst
dem Auftreten von Ureiern darin (s. p. 235, 236 und Fig. 61) wie ein
Keimepithel verhält. Bei einigen Arten, wie bei Scyllium, nimmt
das Epithel nur anf der einen, und zwar der lateralen Seite den
Keimepithelcharakter an. Das Stroma der Falte gehört dem binde-
gewebigen G r u n d g e w e b e der Serosa an und ist stark ausgebildet.
Die voll entwickelten Eierstöcke sind kompakte Körper . ver-
hältnismäßig klein. Sie liegen in der Abdominalhöhle weit nach vorn
dicht unter dem Herzen ; bei einigen Species, Scyllium, Galeus u. a.,
ist nur das rechte Ovarium voll entwickelt, das linke oft gänzlich
zurückgebildet. Da die Eier nur in geringerer Zahl jährlich zur Ab-
lage kommen, aber alle Zwischenstufen in der Heranreifung der meist
großen Eier vertreten sind, so haben die Ovarien durch die verschieden
stark vorspringenden Follikel ein ungleichförmig traubiges Aussehen,
ähnlich wie bei den Vögeln. Die Eier werden von den beiden Eileitern
durch eine diesen gemeinsame abdominale Mündung aufgenommen und
gelangen bis zu der etwa in der Mitte der Gänge gelegenen Schalen-
drüse, wo sie mit der Hornschale versehen werden, falls solche vor-
handen ist, und nun in den uterinen Abschnitt kommen. Hier ent-
wickeln sich bei den lebendig gebärenden Haien die Embryonen. Beide
Ovidukte münden mit einer gemeinsamen Oeffnung in die Kloake aus.
Die Befruchtung findet, wie bei den Vögeln, im Ovidukt statt.
Eine sehr bemerkenswerte Ausnahme finden wii' bei dem großen
Grönland-Hai, Laemargus borealis, indem nach W. Turxer's Be-
funden (A contribution to the visceral anatomy of the Greenlaiid Shark
[Laemargus borealis]. Journ. of Anatomy and Phvs., Vol. VIT, p. 233,
1873 and Vol. VIII, p. 285, 1874) hier bei beiden Geschlechtern keine
besonderen Geschlechts - Ausführungsgänge vorhanden sind ; Eier wie
Spermien gelangen in das Cölom und werden durch zwei Pori abdomi-
nales entleert.
IV. Dipnoi. Die Ovarien der Dipnoer sind doppelseitige,
sich lang in der Bauchhöhle hin erstreckende Organe, zur Zeit der
Geschlechtsreife mit zahlreichen, denen der Anuren ähnlichen, jedoch
378 W. Waldeyer,
größeren riiiidlichen Eiern besetzt. Bei Ceratodns (K. Semon 551)
ist das Ovarium in zahlreiche P^alten gelegt; auf dem Durchschnitte
sieht man eine Art Marksubstanz und Rindensubstanz, in welcher
letzteren die jungen Eier lagern. Vgl. ferner A. («ünther, Description
of Ceratodus, Philos. Transact. London 1872, Vol. 161. — An der
medialen Seite jedes Eierstockes verläuft ein geschlän gelter Ovidukt
mit abdominaler Oetfnung am oberen Ende. Ueber Protopterus
handelt W. N. Parker, On the Anatomy and Physiology of Pro-
topterus annectens, Transact. R. Irish Acad., Vol. XXX, P. 3, 1892,
and Proceed. Royal Soc. London, 1801. Ueber Lepidosiren
J. Hyrtl, Lepidosiren paradoxa, Abhandl. der Königl. Böhm. Ges.
d. Wissensch., Prag 1845, und E. Ehlers. Zur Kenntnis der Ein-
geweide von Lepidosiren, Nachr. d. Königl. Ges. d. Wiss. in Göttingen,
Math.-phys. Klasse, 1805. Es ist hier einige Litteratur mitgeteilt
worden, weil die in den gangbaren Handbüchern vorhandenen Mit-
teilungen nur sehr kurz sind.
V. OanoideL Das äußere Aussehen der Eierstöcke ist sehr
verschieden bei den einzelnen Abteilungen. Die Sturionen mit
ihren großen Mengen von Eiern haben breite, plattenförmige, stark in
Falten gelegte Ovarien, die dicht mit den verhältnismäßig kleinen
Ovula besetzt sind, welche zunächst in die Bauchhöhle und von da
in einen ziemlich kurzen Ovidukt gelangen.
Bei L e p i d 0 s t e u s ist der Eierstock klein, walzenförmig, mit
rundlichen verjüngten Enden. Er stellt wie bei den meisten Teleostiern
einen Hohlsack vor, an dessen Innenfläche die Eier liegen, die sich
durch einen direkt von der Höhlung des Eierstockes nach außen
führenden Ovidukt entleeren. Auch die erste Entwickelung des Ovarium
schließt an die betreffenden Teleostier an. Wir finden im Cölom eine
Falte erhoben, die auf ihrer lateralen Seite ein Keimepithel mit Ei-
bildung trägt; ein geschlossener Sack bildet sich erst sekundär, wie
es scheint, in ähnlicher Weise wie bei den meisten Knochenfischen
aus. Vergl. die Angaben von F. M. Balfour und W. N. Parker,
On the structure and Development of Lepidosteus. Philos. Transact.
of the Royal Soc. London, P. II, 1882. Amia schließt sich bezüglich
der Ausfuhr der Eier an die Sturionen an.
Bezüglich der Oogenese liegen, so weit wir wissen, dieselben
Verhältnisse vor wie bei den Teleostiern und Amphibien.
VI. Teleostei. Es kommen bei den Knochenfischen zwei Zu-
stände vor. Niedere Formen werden durch die Salmoniden,
Muraenoiden und wenige andere Arten gegeben. Hier sind die
paarigen Eierstöcke lang sich durch die Bauchhöhle erstreckende
iDandförmige Organe, die gefaltet oder an der eibildenden lateralen
Fläche mit Platten besetzt sind. Diese Fläche , zeigt ein gut ausge-
bildetes Keimepithel; die Eier gelangen in Follikel, die bei völliger
Ausbildung sich gestielt aus dem Ovarium herausheben. Durch Er-
öffnung der Theca folliculi werden die Eier in die Bauchhöhle befördert
und dann durch den Porus abdominalis entleert.
Bei den höheren durch die meisten Teleostier repräsentierten
Formen besteht bei der ersten Entwickelung derselbe Zustand, wie
bei den niederen ; sekundär wird durch furchen- oder rinnenförmige
Die Geschlechtszellen, 379
Austiefung der Platte und Verwachsung der Ränder unter sich
und mit der Cöloniwand die Eierstocksanlage in einen Sack ver-
wandelt, der au seinem distalen Ende sich in einen kurzen Gang, den
Ovidukt, fortsetzt, durch den die Eier entleert werden. Beide Ovidukte
vereinigen sich mehr oder weniger nahe an der unpaaren, zwischen
After und Harnröhrenmündung getrennt gelegenen Ausmündung,
Geni talporus. In anderen Fällen münden Harn- und Geschlechts-
wege gemeinsam (Kloake. Es bestehen allerlei Varianten in der Aus-
bildung des Eisackes und in der Größe der eibildenden Fläche, die
mehr oder weniger vom Umfange des Sackes einnehmen und in Quer-
oder Längsfalten und sonstige Vorsprünge gelegt sein kann. Die
eibildende Fläche, die bei der ersten Anlage des Eierstockes nach dem
otfeuen Cölom hin gewendet war, kehrt sich später, wie unmittelbar
aus dem Gesagten hervorgeht, dem Binnenraum des Eisackes zu.
Die Eier sieht man unter den die innere Sackwand auskleidenden
Zellen in Form der früher beschriebenen Ureier zuerst erscheinen.
Bisher nahm man, wie für alle Wirbeltiere, an, daß sie weiter ent-
wickelte derartige Zellen, Keimepithelzellen, wären. Nunmehr kommt
gerade für die Knochenfische die Frage nach den „Geschlechtszellen"
im Sinne Nussbaum's in Betracht. Bei der großen Menge von Eiern,
welche viele Knochentische jährlich hervorbringen, müßte man annehmen,
daß die Ureier, Oogonien, sich in Jahresschüben unter starker Ver-
mehrung in Oocyten umwandeln. Im Uebrigen werden die Oocyten,
wie bei den Vertebraten sonst, mit einem Teile des begleitenden
Epithels, Follikelepithels, in Follikel eingeschlossen und machen darin
ihre weitere Eutwickelung durch.
Bei vollendeter Eibildung einer Laichperiode ist der ganze Hohl-
raum des Sackes mit Eiern strafF gefüllt und die Eierstöcke erscheinen
fast wie dicht zusammengepackte Einlassen, da die Eier, zumal bei
den lebhaften Farben, die sie vielfach zeigen, durch die dünnen Wan-
dungen hindurchschimmern: Rogen.
Bei einigen Teleostieru (Zoarces, Anableps) besteht innere
Befruchtung, welche ebenso wie die Entwickelung der Embryonen in
der Eierstockshöhle stattfindet.
Bemerkenswert sind hermaphroditische Geschlechtsdrüsen,
welche sich bei Serranus und Chrysophrys regelmäßig, beim
Karpfen und einigen anderen Arten hin und wieder finden. Bei den
beiden erstgenannten Arten liegt der Hoden in der Wand des Eier-
stockes.
Ueber die Entwickelung des Eierstockes der Teleostier und die
Deutung seines Ausführungsganges vergl. W'aldeyer (591) und ins-
besondere Brock (Beiträge zur Anatomie und Histologie der Ge-
schlechtsorgane der Knochenfische, Morphol. Jahrbuch. Bd. l\. p. 505,
1878) sowie die Darstellung Gegen baur"s (Vergleichende Anatomie
der Wirbeltiere, II, Leipzig, 1901). Auf die Eientwickelung selbst
gehen näher ein Jungersen (M. 2916) und Schneider (543 I u. II).
VII. Amphibia. Die Entwickelung des Eierstockes der Amphibien
ist in ihren (jrundzügen bereits angegeben worden. Ueber die Ent-
wickelung der Eier giebt Bouin (301 u. 302) die neuesten Angaben.
Wie bei den übrigen Vertebraten sieht man die Ureier, Oogonien,
zunächst in dem die jungen Gonaden überkleidenden Cölomepithel
38U
W. Walde YER,
(Keimoi»itliel) liegen; sie vermehren sich durch Teilung und die Teil-
produkte bleiben zu Ureinestern meist zusammenliegen. Eine Zelle
eines solchen Nestes wird in der Regel zu einer weiter ausreifenden
Oocyte, während die anderen degenerieren und wahrscheinlich für die
heranwachsende Oocyte Nährmaterial abgeben (nutrimentäre Eibildung.
Korschelt-Heider). Die Keimei)ithelzellen liefern das Follikel-
epithel. Die Reifungserscheinungen werden eingehend im folgenden
Kapitel (Eireifung und Befruchtung) beschrieben ; ich will nur er-
wähnen, daß bald nach Flemming's Entdeckung der Gerüststränge
(s. p. 262) bei Amphibien, dieselben auch von K. Rabl (M. 449, 450)
bei Proteus aufgefunden worden sind. Ueber die Häute der Am-
phibieneier s. p. 288 und
310.
VIII. Reptilia. Die erste Anlage der Rep tilien eier stö cke
geht gleichfalls vom Cölomei)ithel aus, welches mit dem unterliegenden
Stroma, ähnlich wie bei den Vögeln, sich zu beiden Seiten des Mesen-
terium zu einem verdickten Streifen und bald zu einer höheren Leiste
erhebt (s. Fig. 140). Das Keiniei)ithel erscheint als verdicktes Cölom-
epithel und in dem Keimepithel zeichnen sich bald einzelne Zellen
durch Größe und kugelige Form aus — s. a. Fig. 62, p. 236. Auch
dicht unterhalb des Keimepitliels werden diese auffallenden Zellen
gefunden, die wir bis auf weiteres als ,,Oogonieu" nehmen. Hoden-
und Eierstocksanlage sind anfangs gleich. In beide sollen nun nach
Braun Urnierenstränge hineinwachsen, vergl. das darüber p. 361 Ge-
sagte. Jedenfalls beteiligen sich diese fraglichen Stränge nicht bei
der Oogenese. Die Follikelbildung vollzieht sich so, wie sie vorher
im allgemeinen geschildert wurde. Sehr auffallend sind die bei älteren
Follikeln auftretenden großen Zellen im Follikelepithel zwischen den
gewöhnlichen, wie sie schon bei Selachiern (Fig. 105 D) p. 289 abge-
bildet und vorhin besprochen wurden ; man wird wohl in ihrer Be-
ms
Fig. 146. Durchschnitt der Keimdrüsen-
anlage eines Embryo von Lacerta agilis.
ao Aorta, V Cardinalvene, ms Mesenterium.
Zu beiden Seiten auf dem Urnierenpolster
die Durchschnitte der an der Kante vor-
springenden G e n i t a 11 e i s t e ü. Verdicktes
Keimepithel, darin und darunter Ge-
schlechtszellen , entweder Ursamenzeilen
oder Ureier. Nach M. Braun (M. 2899).
Aus Kokschelt-Heider (666a), Fig. 193 A.
p. 337.
anspruchuug als ,,Näh]zellen" nicht fehl gehen. Die weiteren Ver-
änderungen der Eizelle bei ihrer Ausreifung sind nach den Angaben
von Mlle Loyez (466b), s. p. 263, ähnlich, wie sie vorhin (p. 365)
kurz
geschildert wurden.
IX. Aves. Die erste Anlage der Vögelovarien erscheint ganz so,
wie sie eben für die Reptilien dargestellt worden ist, und vollzieht sich
auch die p]i- und Follikelbildung in gleicher Weise; nur fehlen die eben
Die Geschlechtszellen. 381
j^enannteii großen Zellen. Eine Beteiligung von Urnierensträngen
< Sexualsträngen) ist für die Oogenese auszuschließen, lieber die
Bildung der Membranen ist p. 288 und 319 gehandelt worden.
Die Kern differenzier un g während des Heranwachsens der
Oocyten bei den Vögeln beschrieb zuerst eingehend Holl (M. 1976);
es sei hier erwähnt, daß er sowohl den Dotterkern wie die Verände-
rungen des Kerngerüsts. insbesondere auch die FLEMMiNü'schen Ge-
rüststränge, genau schildert. Weiteres darüber giebt, w'ie wiederholt
erwähnt, das nächste Kapitel.
Bei Reptilien (Schlangen und zuweilen auch bei Sauriern) ist
oft der linke Eierstock rudimentär entwickelt; umgekehrt pflegt
(mit wenigen Ausnahmen, Schwimmvögel, Habichte) bei den Vögeln
der rechte Eierstock zu schwänden. Nach E. Vax Benedex (574 I,
p. 4<)) liefert bei der Gattung Rhinolophus (Cheiropteren) niu- der
rechte Eierstock reife Eollikel und Eier. S. auch p. 377, Selachier.
4. Oogenese und 0 o p h o r o g e n e s e der E v e r t e b r a t e n.
I. Bei den Poriferen ist die diffuse Eibil düng vertreten,
indem die Oogonien (üreier) — s. Fig. 59, p. 233, 234 — bei vielen
Species in der mittleren mesenchyraatösen Köi'perschicht überall ver-
teilt gefunden werden. Ihre Gestalt läßt annehmen, daß sie zu amö-
boiden Bewegungen fähig sind. Dendy (Studies on the comparative
Anatomy of Sponges, Quart. Journ. micr. Science, Vol. XXXV, 1893) hat
angegeben, daß sie auf diese Weise in die epithelialen Einströmungs-
kanäle des Schwammkörpers eindrängen und dort durch die mit dem
einströmenden Wasser zugeführten Spermien befruchtet würden. Sie
müssen aber wieder in das Mesenchymgewebe zurückwandern, denn
ihre Weitereutwickeluug erfahren sie dort. Bei manchen Arten findet
man sie von großen und zum Teil mit körnigem Material gefüllten,
w^ahrscheinlich mesenchymatösen Zellen w'ie von einer Membrana
granulosa umlagert — das Wort „Follikelepithel" möchte ich hier
lieber vermeiden — und sieht dann zahlreiche glänzende, kugelige
Dotterkörper im heranwachsenden Ooplasma auftreten. Hellere Außen-
schichten in Form einer „Crusta" (F. Eilh. Schulze, 1, c, p, 375) sind
wohl beobachtet und abgebildet worden, z, B, bei Plakina trilopha,
jedoch keine Membranbildung im strengen Wortsinne, Die Reife-
erscheinungen sind noch nicht genau studiert, Pdchtungskörper sind
beobachtet worden.
Es zeigen sich außer diesen Uebergängen zu follikulärer
Eibildung auch solche zu lokalisierter, indem, wie bei Plakina
monolopha, die Geschlechtsprodukte nur in einer bestimmten
Körperregion angetroffen werden, bei anderen Formen (Aplysilla
und Euspongia) gruppenweise zusammenliegen.
IL Die zahlreichen, insbesondere von Weismann (Ueber den Ur-
sprung der Geschlechtszellen bei den Hydroiden, Zool, Anz„ Bd, III n. IV,
1880, 1881, und „Die Entstehung de/ Sexualzellen bei den Hydroiden,"
Bd, IV, Jena 1883) ausgeführten Untersuchungen an Cölenteraten
haben ergeben, daß auch hier zum Teil noch eine diffuse Eibildung
vorhanden ist, so bei den Hy droidp oly pen. Die Ureier. vergl, das
p, 233 und 234 Gesagte, zeigen sich als hüllenlose Zellen sowohl im
382 W. Waldeyer,
Ektodenii, wie im Entodenii, sollen aber si)äter zu einer „Reifiings-
stätte" (Weismann), der weil) liehen (1 o n a d e , hin wandern. Uebrigens
ist von verschiedenen Pjeobachtern bald das Ektoderni, bald das Ento-
derni als das Keimblatt, in welchem man die Oogonien zuerst auftreten
sähe, genannt worden. Die merkwürdigen Wanderungen junger Eizellen
bei den Cölenteraten sind unter anderen von Hartlaub (Ueber die
Entstehung der Sexualzellen bei Obelia, Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XLI.
1884) bei Obelia und von Chun bei ben S iphonophoren (Die
Siphonophoren der Plankton - Expedition , Ergebnisse der Plankton-
Expedition , Bd. II, 1897) beobachtet worden ; vergl. auch die be-
stätigenden Angaben von Brooks und Conklin (On the structure
and development of the Gonophores of a certain Siphonophore, John
Hopkins ünivers. Circ, Vol. X, 1891).
Andere Cölenteraten haben lokalisierte Gonaden, so unter
dem Schirme an der Magenwand oder an den Radiärkanälen. Die
H y d r o m e d u s e n und Siphonophore n zeigen die. Keimzellen
zuerst im Ektoderm , die S c y p h o m e d u s e n und A n t h o z o e n im
Entoderm. Bei den Scyphomedusen gelangen die herangewachsenen
Oocyten, unter Durchbrechung der betreffenden Gonadenwand, in den
Gastrovascularraum und werden durch die Gastralöffnung (Mund-
öffnung) entleert.
Bei den Anthozoen, wo wir durch die Brüder Hertwig („Die
Aktinien" und „Der Organismus der Medusen", Jenaische Zeitschr. f.
Naturw., Bd. XIII, 1879. und Denkschr. d. Med.-naturw. Gesellsch. in
Jena, Bd. II, 1880) genauere Auskunft über die Oogenese erlangt
haben, rücken die heranwachsenden Oocyten aus dem Entoderm in
das unterliegende mesenchymatöse Gewebe der „Stützlamelle" hinein,
wobei sie jedoch durch einen stielförmigen Fortsatz mit der freien
Oberfläche des Gastralentoderms in Verbindung bleiben ; wir dürfen
hierin eine p] r n ä h r u n g s v o r r i c h t u n g erlilicken.
Die verschiedenen, einander entgegengesetzten Angaben über die
Ensteliung der Keimzellen bei den Cölenteraten , entweder Ektoderm
oder Entoderm, erklären sich wohl am einfachsten daraus, daß man mit
Maas (Die Medusen, Reports on an exploration of the West coast etc.,
Memoirs of the Museum of Comp. Zool. Harvard Coli. Boston Mass.,
Vol. XXIII, 1897) auf Geschlechtszellen im Sinne Nussbai'm's zurückgeht.
S. w. u.
Für die weiteren Stadien der Oogenese bei den Cölenteraten ist
folgendes anzumerken : Bei den H y d r o i d p o 1 y p e n bilden sich
Zellen, welche anfangs den Oogonien ähnlich sehen, zu „Nährzellen"
aus, die die Oogonien und später die Oocyten, ohne besondere
Follikel zu bilden, dicht umgeben. Unterschiede zwischen den jungen
Eizellen und deren Nährzellen zeigen sich vor allem im Kern, welcher
bei der Eizelle größer, chromatinärmer und dadurch heller wird.
DoFLEiN und Labbe haben auch eine phagocytische Einverleibung
der Nährzellen in die Eizelle nachgewiesen, wie es jüngst Kohl-
BRUGGE (1. c. p. 255) als ein allgemeines Vorkommnis bei der
Oogenese ansehen will. Doflein (Die Eibildung bei Tubularia, Zeit-
schr. f. wiss. Zoologie, Bd. LXII, 1896) nahm hierbei Eizellen und Nähr-
zellen noch als gleichwertige Zellen, so daß die fertige Oocyte als ein
Plasmodium anzusehen wäre. Dieser plasmodiale Zustand ist aber
Die CTescblechtszellen.
383
die Kerne der
„Pseudozellen"
,,Z eilen pol st er"
Brüdern Hertwig
nur etwas Vorübergehendes, denn später schwinden
Nährzellen, die sich anfangs noch unter der Form der
erhalten (s. p. 250), und nur
der eine heranwachsende Kern
der Eizelle bleibt. Eine gleiche
Erscheinung treften wir bei
vielen Plattvairmern, s. w. u.
Fig. 147. Aeltere Oocyte von
A d a m s i a r o n d e 1 e t i. Im Ooi)lasrua
Dottereleniente. Um das Ei eine
dünne bindegewebige Follikelwand,
darauf die aus cylindrischeu Zellen
bestehende Entodermlamelle. Dicht
oberhalb des Keimbläschens eine be-
sondere Lage cylindrischer Zellen,
das „Zellenpolster". Original-
tigur nach Korschelt - Heider
(tibßa), Fig. 202 B, p. 347.
Interessante Bildungen sind die sogenannten
der Cöleuterateu (s. Fig. 147), wie sie von den
(1. c), Claus (Untersuchungen über die Organisation und Entwickeluug
der Medusen, Prag und Leipzig 1883) und Korschelt beschrieben
wurden: man muß dieselben als „Nährzellen" ansehen. Beachtens-
wert ist. daß sich das Keimbläschen in der Nähe dieses Polsters hält.
Ueber die specielle Ausbildung der Dotterelemente (siehe
Fig. 147) und die Umformungen des Keimbläschens bei den Cölen-
teraten ist nichts Näheres bekannt.
IIL Würmer. In dem großen und mannigfach gegliederten
Tierkreise der Würmer wiederholen sich dieselben Abstufungen in
der Entwickelung der Gonaden, wie bei den Cölenteraten. Während
bei gewissen acölenTurbellarien, bei den P oly claden, selbst
bei einzelnen Anneliden und anderen Sippen eine lokalisierte Ei-
bildung vermißt wird, und die Eier bei ihrem ersten Auftreten ent-
weder diffus im Körperparenchjm oder im Darmepithel zerstreut
gefunden werden, bilden sich bei der Mehrzahl der Würmer verschieden
geformte Eierstöcke aus. Sehr bemerkenswert ist dabei die Ent-
stehung der Gonaden und Eier vom P e r i t o n ä a 1 e p i t h e 1 .
wobei sie segmentweise gelagert sind. Es bestehen hierin An-
lehnungen an die Verteb raten. Die überwiegende Mehrzahl der
Anneliden zeigt diese Oophoro- und Oogenese; in der einfachsten
Form die Polychäten, weiter ausgebildet Bryozoen, Oligo-
chäten und Hirudineen.
Bei den Polychäten z. B. sieht man zur Brunstzeit segmental an
Stelle der gewöhnlichen flachen Cölomepithelzellen an einer umschriebenen
Partie größere rundliche Zellen, zu einem sogenannten Keimlager vereinigt,
auftreten. Die Zellen wachsen heran, ihr Protoplasma füllt sich mit
Dotterbestandteilen, sie lösen sich ab und fallen frei in die Bauchhöhle,
wo sie erst ihre letzten Reifungsveränderungen durchmachen.
Bei den höherenAnneliden bilden sich zum Teil verwickelt ge-
baute Ovarien aus. In solchen Ovarien, die gewöhnlich schlauchförmig
gebaut sind, stellt das blinde Ende und der daran stoßende nächste Ab-
schnitt das „Keimlager" oder „Keim p ölst er" dar. In diesem
384
W. Waldeyer,
gezogen werden
liegt in der Figur nach
liegen die jungen Eizellen so dicht, gedrängt, daß man sie vielfach als ein
Syncytiuni aufgefaßt hat, welche Auflassung jedoch l)ereclitigten Zweifeln
begegnet; ich mußte seiner Zeit (592) diese Frage unentschieden lassen.
Fig. 148 von Canthocamptus staphylinus (Copepoda), s. folg.
Seite, kann zur Verdeutlichung der Vorgänge bei den Anneliden heran-
Das blinde Ende des länglich-sackförmigen Eierstockes
links-oben dicht unter dem mit g bezeichneten
Gelenk zwischen Cephalothorax und erstem freien Thorakalringe; man
sieht hier 5 dunkel gezeichnete Kerne ; die Grenzen der dazu gehörigen
Zellen sind nicht mitgezeichnet. Nach V, Haecker sieht man selten
Teilungsfiguren in dieser mit Kp bezeichneten Region ; er nimmt nichts-
destoweniger an, daß hier zur Zeit der beginnenden Eibildung lebhafte
Teilungsvorgänge stattfinden müßten, von denen man nur deshalb so
wenig wahrnehme, weil sie periodisch und alle auf einmal rasch ab-
liefen. Darauf kommt in der Figur die Zone ur, in der sich größere
ruhende Kerne befinden ; auch hier sind die Zellumrisse nicht dazu
gezeichnet, wohl aber in der folgenden mit sp bezeichneten „Syna])sis-
zone". Außer der Synapsis-Lagerung der dunklen Kerne findet man
hier nach Haecker gelegentlich Teilungsfigureu, während solche in
dem ganzen folgenden Abschnitte, von dem Bezirke eint an, fehlen
und nur Wachstumserscheinungen, neben einigen gleich zu beschreiben-
den Aenderungen an Kern und Kernkörperchen, zu beobachten sind.
Links von den Zellen <(h beginnt der Eileiter, Ovidukt.
Dürfen wir Haecker zustimmen, so muß man die Zellen in Kp,
ur und sp als Oogonien, Ureier ansehen und alle drei Abschnitte zu-
sammen als „Keimzone", wie dies auch Korschelt und Heider
thun ; der ganze übrige Abschnitt mit dem Ovidukt enthielte dann die
anv-
Fig. 148. Längsschnitt durch das Ovarium von Chan thoca mlp-
tus staphylinus. S. Fig. 60 und Text.
Oocyten und repräsentierte die Wachstumszone ; auch die Reifeteilungen
finden bei den Copepoden in demselben, und zwar im Ovidukt, statt.
Ob etwa im hintersten blinden Ende der Eiröhren noch Geschlechts-
Die Geschlechtszellen. 385
zeileil im Sinne Nussbaum's angenommen werden müssen, läßt sich
zur Zeit nicht unterscheiden.
Eine Schwierigkeit der HAECKEit'schen Deutung liegt darin, daß die
Synapsis-Figuren sich in der Keimzone finden, während sie nach v. Wixi-
WARTKK für die [Säugetiere den Oocyten angehören. Eine erneute Unter-
suchung scheint demnach noch erforderlich.
Für die Eibildung bei den Würmern liegen schon aus älterer Zeit,
insbesondere für die Nematoden, gute Untersuchungen von Meissner,
(Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. V u. VII, 1854 u. 185(j, bei Mermis) und
H. Mi'NK (ebendas., Bd. IX, 1858) vor, und dieselbe Tierabteilung hat
auch an dem von E. Van Beneden als Hauptuntersuchungsobjekt ein-
geführten Pferdespulwurm, Ascaris m egal o c e pha 1 a uns die
eingehendsten Untersuchungen und Ergebnisse über die Eibildung bei
den Wirbellosen — vgl. die betreifenden Arbeiten von E. Van Beneden t
(616a, 288a, M. 2542) mit Julin und Neyt) und 0. Hertwig (M. 1252)
— geliefert. In den Grrundzügen stimmen sie mit dem von Canthocamp-
tus hier Geschilderten überein, und die Namen ,,region forma tive",
„region de maturation", ..region de mult iplicati on", E. Van
Beneden und Julin ^ K e i m z o n e , Wachstums- und Reifezone,
0. Hertwig, sind auf Grund der Untersuchungen an Ascaris mega-
locephala eingeführt worden. Ich habe hier zur Erläuterung die
HAECKER'sche Figur von C an t ho c amp t us gew'ählt, obwohl sie einem
anderen Evertebratenkreise, dem der Arthropoden, angehört, weil
sie die Zonen übersichtlich erkennen läßt (abgesehen von der Polocj-ten-
Bildungj und daneben noch das merkwürdige Faktum, daß die Dotter-
bildung in den Uocyten ziemlich plötzlich einsetzt, an der Stelle des
Ovidukts, wo derselbe unmittelbar über das Darmrohr zu liegen kommt
[cl in der Figur).
Von w^eiteren Veränderungen der Oocyten in der Wachstumszone
seien noch genannt - s. Fig. 148 — die Umbildung des chromatinreichen
Kernes zu der großen klaren Keimbläschenform, die Anordnung des
Chromatins in eine einzige große Doppelfadenschlinge, die Ausbildung
eines großen kugligen Nucleolus, sowie die Rückl)ildung eines Teiles
der Oocyten zu Abortiveiern ah, die wahrscheinlich mit zui" Ernährung
der bestehen bleibenden Eier dienen. Die Doppelfädeu treten in den
4 letzten Eizellen (oberhali) d) deutlich hervor : daß man dieselben
nicht als zu einer einzigen Doppelfadenschlinge gehörig erkennt, liegt
daran, daß wir Schnittbilder vor uns haben.
Auch follikuläre Eibildung kommt liei den Würmern vor,
mit oder ohne Ausbildung besonderer Nährz eilen, so vor allem bei
den Gephyreen (Bonellia).
Erwähnt wurde bereits die eigentümhche Ausbildung von beson-
deren „Nährzelleu" in den Dotterstö ckeu der Plathelminthen
(p. 292, 336 u. 353); dasselbe kommt bei den Rädertieren vor.
Hierin sind die besten Beispiele von Korschelt-Heider's „nutri-
m e n t ä r e r E i b i 1 d u n g'' gegeben.
Abortive Eizellen als Nährzellen sind vielfach nachgewiesen, in be-
sonders interessanter Weise bei einigen Anneliden, z. B. 0 phry o t r o ch a
puerilis (F. Braem, Zur Entwickelungsgeschichte von Ophryotrocha
puerilis. Zeitschr. f. wiss. Zool., LVII. Bd. 1893). Die in den Ovarien
sich entwickelnden Zellen lösen sich paarweise ab und werden so zu-
sammengekuppelt in der Leibeshöhle gefunden. Während die Entwicke-
lung sie anfangs als morphologisch gleichwertig erw'eist, zeigt später der
Handbuch der Entwickelungskhre. I. 25
386
W. Waldeyer,
eine Paarung, die Nährzelle, einen abweichenden, sich dunkler färbenden
Kern und wird von dem anderen, der Oocyte, allmählich aufgesautit.
Auch die s o 1 i t ä r e E i b i 1 d u n g ist in dem vielgestaltigen Kreise
der W ü r m e r vertreten, entweder so, wie bei vielen Echinodermen,
daß die von den Wänden der Gonade aus heranwachsenden Eizellen
durch Stiele, an denen sie isoliert aufgehängt sind, einzeln mit der
Wand befestigt bleiben, s. Fig. 149, oder daß sie durch die Stiele,
welche dann kürzer sind, mit einem in der Eiröhre (Ovarium) central
gelegenen Protoplasmastrange, der Rhachis, verbunden bleiben, um
den sie sich dann als um eine mittlere Achse, nach allen Richtungen
rosettenförmig divergierend, gruppieren (Nematoden).
IV. Mollusca. Wir werden die Mollusken, da viele von ihnen
(Pteropoda, Pulmonata, Opisthobranchiata und einige
Lamellibranchiaten, wie Cyclas. Pecten, Ostrea u. a.)
Zwölfter sind, zum Teil weiter unten unter dem Abschnitte ..Zwitter"
und „Zwitterdrüse'' besprechen. G onochorism us besteht bei den
meisten Lamellibranchiaten, Pro so br an chiaten und Hetero-
poden. Hier sei erwähnt, daß manche Lamellibranchiaten in
ausgezeichneter Weise die Stielbildung bei ihrer Oogenese zeigen,
so Scrobicularia (s. Fig. 149).
Andere Mollusken zeigen auch F o 1 1 i k e 1 b i 1 d u n g mit flachem
Epithel.
V. Arthropoda. Indem wir die Abteilungen der Echinodermen,
Brachiopoden, A sei dien und Cephalopoden übergehen —
einzelnes Hierher gehörige wurde bereits bei der Besprechung der
Eier der Evertebraten angeführt — soll noch in Kürze das Wichtigste
über die Arthropoden mitgeteilt werden, wobei für Eingehenderes
auch auf die vorhin gegebene Beschreibung
-^- — -^ des Ovarium von Canthocamp tus ver-
wiesen wird.
Im allgemeinen zeigen die Arthropoden
die alimentäre Eibildung, sowohl die
follikuläre als auch die nutrimen-
täre. Eine Oogenese, welche zwischen
einer follikulären und solitären (mit Stiel-
form) die Mitte hält, zeigen die Arach-
noiden. Eine Anzahl Epithelzellen des
Ovariums folgen stielförmig der bei ihrem
Wachstum sich nach außen aus dem Ova-
rium herausdrängenden Eizelle. Für ein-
zelnes sei noch auf die Besprechung des
D 0 1 1 e r k e r n e s bei T e g e n a r i a (p. 274 ff.)
verwiesen. Vollkommenere Follikel ohne
Nährzellen zeigen schon die Scorpioni-
den, Acarinen, Myriopoden und von
den Insekten die Apterygoten, Or-
thopteren und Aphanipteren. Bei
J'ig. 149. Ein Acinus des Ovariums von Scro-
bicularia biper ata. Oogenese mit Stielbildung.
Aus Korschelt-Heider, 1. c. Fig. 109, p. 312, nach
H. VON Jhertng.
den letzteren bestehen röhrenförmige Ovarien mit einem Keim-
polster am blinden Ende, wie bei C a n t h o c a m p t u s ; aber diese Röhren
Die Geschlechtszellen. 387
sind von einem Ei)ithel ausgekleidet, welches die einzelnen vom Keim-
l)()lstoi- aus heranwachsenden Eier umschließt und ihnen unzweifelhaft
auch das Nährmaterial liefert, ohne sich jedoch als „Nährzellen" heraus-
zustellen. Angenommen wird, daß diese Follikelepithelzellen auch das
Chorion der Insekteueier abscheiden. Indem feine Protoplasmafort-
sätze der Follikelzelleu sich mit der Oocyte dauernd oder zeitweise
verbinden, entstehen bei der Abscheidung des Chorion dessen Poren-
kanäle oder Grü bchen. Hier ist der Ort, auch der Mikropylen -
b i 1 d u n g zu gedenken. Es scheint, daß überall — auch bei den
Wirbeltieren — für jeden Mikropylenkanal eine Follikelei)i th el-
zelle mit einem zur Oocyte sich erstreckenden Fortsatze, oder eine
Stielbildung mit im Spiele ist. Wenn nach Bildung des Chorion
odei' der Zona radiata der Zellfortsatz oder der Stiel verkümmert
oder sich zurückzieht, so muß dann ein Kanal entstehen, vergl, p. 290,
p, 302, Fig, 112 und p, 308,
Jedes Ei mit dem umgebenden Folllkelepithel bildet innerhalb der
Eiröhre, die infolgedessen ein rosenkranzförmiges Aussehen zeigt, ein
besonderes Fach, Eifach.
Bei den Crustaceen und zahlreichen Insekten kommen viel-
fach noch besondere Nährzellen hinzu, die, wie gesagt, mit großer
Wahrscheinlichkeit als abortive Eizellen anzusprechen sind. Entweder
liegen die Nährzellen zwischen den einzelnen Eifächern (Nährfächer) ;
sie berühren dann zwei benachbarte Eier, oder aber eine einzige Nähr-
kammer befindet sich, zusammen mit dem Keimfache, am Ende der
Eiröhre, da, wo diese in den sogenannten „Faden"" sich auszieht. In
diesem Falle bleiben die einzelnen in die aufeinander folgenden Eifächer
abgeschobenen Oocyten durch lange Stiele mit einer im Centrum der
Nährkammer gebildeten Sekretmasse in Verbindung (Orthopteren),
Wie beim Hodeu von Bombyx Verson (M, 2588), so fanden neuer-
dings ToYAMA (On the spermatogenesis of the silk worm. Bull. Colleg.
Agriculture, Tokyo, Vol. II, 1894) und v. La Valette St. George,
(Zur Samen- und Eibildung beim Seidenspinner, Arch. f, mikr, Anat.,
Bd, L, 1897) in der einzigen Nährkammer des Ovarium desselben
Insekts (Raupe) eine einzige große Zelle, VERSON'sche Zelle, die man
als Nährzelle betrachten muß.
Wiederholt haben wir schon die Frage gestreift, ob die Oogonien
und Oocyteu von den NussBAUM'schen Geschlechtszellen abzuleiten
seien, oder ob man sie, dem äußeren Anscheine nach, auf „Keimepithel-
zellen'' zurückführen müsse, diese wieder etwa auf Cölomepithelzellen
oder auf andere. Noch l)ei Besprechung der diffusen Eibildung war
die Rede davon. Was für Oocyten gilt, das gilt wahrscheinlich auch
für die Nährz eilen. Weiterhin fragt es sich, ob es auch für das
Follikelepithel Geltung hätte, Ueber alles dieses wird alsbald
im Zusammenhange bei einer vergleichenden Schlußbesprechung der
Spermie- und Oogenese gehandelt werden. Ich will indessen im
Anschlüsse an das Vorstehende nicht verfehlen, auf die Arbeit von
A, GiARDiNA : Origine dell' oocite e delle cellule nutrici nel Dy-
tiscus, Internationale Monatsschrift für Anatomie und Physiologie,
Bd. XVIII, p. 417, 1901, zu verweisen. Sie enthält manches auch
für die Oogenese im allgemeinen Wichtige. Als Hauptergebnis führe
ich mit den eigenen Worten Giardina's (1, c. p, 471) an: „Questo
processo dimostra l'assoluta indipendenza reciproca tra le cellule so-
matiche e le cellule germinali e indica inoltre, cherinsieme delle cel-
25*
388 W. Waldeyer,
lule nutrici e del rispettivo oocite constituiscono im gruppo armonico,
quasi un organisino dentro rorganisino ; iin gruppo che possiamo chia-
niare gruppo germinale".
Anhangsweise sei kurz erwähnt, daß von Einigen auch Eibildungen
unter ungewöhnlichen und pathologischen Verhältnissen beobachtet und zum
Gegenstande eingehender Studien gemacht worden sind. So von Kxauer
(443 und 447) in transplantierten Ovarien, während Anderen
eine Transplantation mit Erhaltung der Funktion nicht gelang. Es be-
steht schon eine verhältnismäßig ansehnliche Litteratur über derartige
Versuche: Foa (368a), Glass (383), Gkigorieff (387), Haymib (399),
Hbape (400), Herlitzka (414), Marchese (471), Ribbert (696), Eubin-
STEiN (533), Shrady (553), W. Schultz (548). — Emanuel (355a) be-
obachtete Primordialeier in malignen Ovarialtumoren [Maxi-
Mow untersuchte die Eibildung nach Eierstocksverletzungen] ; Pfister
(516) und E,ossi (532) beschäftigten sich mit der Einwirkung entzündungs-
erregender Agentien auf Eierstockseier.
5) Oogenese der Pflanzen.
Die Oogenese der Pflanzen, zusammengehalten mit den
Befruchtungs vor gangen bei denselben, bietet so viel Be-
merkenswertes, daß ein etwas weiteres Eingehen auf diese Dinge, in
Ergänzung des bereits p. 148 (Spermien der Evertebraten und Pflanzen)
und p. 336 (Eier der Pflanzen) Gesagten am Platze sein dürfte.
Abgesehen von einer Anzahl Tall ophyten -Familien , den
Flageliaten, Myxom yceten, Schizomyceten (Bakterien)
C y a n 0 p h y c e e n , Diatomeen und P e r i d i n e e n , die man als die
niederen Pilze (Zellenpilze und Schleimpilze) nnd die niederen
Algen zu bezeichnen pflegt, besitzen alle übrigen Pflanzen, also die
höheren Algen und die Fadenpilze (Hyphomyceten), ferner die
Flechten, als Symbiosenformen von Algen und Pilzen, dann die
Moose und Farne, wie endlich die Ph an erogam en, Sexuat-
zellen und sexuelle Fortpflanzung. Selbst bei der Hefe hat man in
neuerer Zeit unzweifelhafte geschlechtliche Fortpflanzungserscheinungen
unter der Form der „Karyogamie" (Kern-Zy gose) entdeckt.
(ScHiÖNNiNG, Hoffmeister, Guilliermonds und Barker, vergl.
E. Jahn, die Morphologie der Hefe und die Entdeckung ihrer Sexua-
lität, Naturw. Rundschau 1902, No. 22.
Es treiben zwei benachbarte Hefezellen Fortsätze, welche sich in-
einander öffnen, so daß ein Kanal zwischen den beiden Zellen entsteht.
Man sieht dann, daß die Kerne dieser Zellen in den Fortsatz wandern
und dort miteinander verschmelzen. Darauf teilt sich der so entstandene
Verschmelzungskern wieder und eines der beiden Teüstücke wandert zur
einen, das andere zur anderen Zelle zurück. Hier kann zwar nach unserem
jetzigen Wissen von einer Eizelle oder einer Samenzelle keine Rede sein ;
unzweifelhaft liegt aber ein geschlechtlicher Akt vor, wir haben es mit
„Gameten" wie man diejenigen Sexualzellen nennt, welche noch keine
Differenzierung erkennen lassen, zu thun.
Es sei hier zunächst eine Erklärung der üblichen Termini
technici für die Fortpflanzungsvorgänge bei den Pflanzen angeschlossen:
Wie wir sahen (p. 90), wird der Name „Gameten" auch für die kopu-
lierenden einzelligen Tiere verwendet, und es werden, falls dabei ein
Dimorphismus hervortritt, Makrogameten und M i k r o g a m e t e n unter-
Die Geschlechtszellen. 389
schieden. Die aus der Kopulation zweier Pfianzen-Gameten hervorgegangene
Zelle wird Zygospore oder Zygote genannt. Für die männlichen
Befruchtungszellen wird, außer „Spermien" oder Spermatozoiden,
auch der Name „ A ntherozoiden" gebraucht. Die weiblichen Zellen
heißen: Eizellen, Eier, Ovula oder Oosphären. Eine befruchtete
Eizelle wird, falls sie später „Sporen" liefert, als Oospore
bezeichnet. Die Eortpflanzung durch Gameten heißt Isogamie, die
durch dimorphe Geschlechtszellen Oogamie. Die Organe, in denen sich
die Eier bilden, werden bei den niederen Pflanzen als 0 o g o -
nien bezeichnet; es besteht also eine wohl zu beachtende Differenz in
der Bedeutung dieses Namens im Tier- und Pflanzenreiche. Bei den-
selben Pflanzen heißen die Bildungsstätten der S^jermien Antheridien.
Bei Pilzen und Flechten sind auch die Namen Karpogon ($) und
Spermogonium ((J"), soAvie Pollinod. ((J) (de Bary) in Gebravich.
„Karpogon" und. „Pollinod" hat Juel, s. das p. 33G Mitgeteilte, auch
für die weiblichen, bezw. männlichen Geschlechtszellen selbst verwendet i).
Die Oogouien gehen aus einer einzigen Zelle hervor, deren
Protoplasmaleib mit Kern selbst zur Eizelle werden kann. Indem
diese Zelle sich dabei mit einer stärkeren Membran umgiebt, an der
noch weitere Besonderheiten auftreten können, wird aus ihr das Oogo-
nium. In anderen Fällen enthalten die Oogonien viele Zellen. Letzteres
ist bei den A n t h e r i d i e n stets der Fall.
Von den Moosen und Farnen (Bryophvten und Pterido-
p h y t e n) an bis zu den Gymnospermen einschließlich hinauf, heißen
diejenigen Organe, welche die Eizellen bergen, Arche gonien, während
für die männlichen Organe der Name Antheridien bei den Moosen
und Farnen bleibt. Bei den Phanerogamen (Gymnospermen wie Angio-
spermen) kann man nicht mehr von Antheridien sprechen.
Wir müssen bei der Betrachtung der Oogenese der Pflanzen
unterscheiden 1) die Oogenese der Thallophyte n, 2) die der
Brvophyten und P terid ophy ten, welche man auch als Ar che -
goniaten den Thallophyten gegenüber zu stellen pflegt, und 3) die
Oogenese der Phanerogamen. Bei den Thallophyten 2) ent-
steht, wie vorhin kurz angedeutet, eine Eizelle entweder so, daß ge-
wisse Zellen der Fäden, aus denen das Pflänzchen besteht — zuweilen
sind es die endständigen Zellen — heranwachsen, ihre Membran
verstärken, und gewöhnlich eine sphärische Form annehmen. Auch
der Kern vergrößert sich mit dem Kernkörperchen unter deutlicherer
Entw^ickelung des chromatischen Kerngerüstes. Weiterhin findet bei
1) Richtiger ist es, Karpogonien und. Polinodien als weibliche bezw. männhche
Organe zu bezeichnen, wie das Juel, Anm. zu p. 48 1. c, wo er die Namen de-
finiert, auch thut: „Ich nenne, heißt es, Pollinodien und Karpogonien solche Ge-
schlechtsorgane, die keine individualisierten oder begrenzten "Geschlechtskörper
(Spermatozoon-Eier) erzeugen." — Da die Geschlechtsorgane von „Dipodascus", s.
p. 336, indessen den Formenwert vielkerniger „Zellen" haben, kann man hier Kar-
pogon und Pollinod auch „Geschlechtszellen" nennen.
2) Wir sehen hier ab von der Kopulation durch Zygose, welche sich, ähn-
lich wie bei der Hefe, bei den Conj ugaten-A Igen, Closterium, Spirogyra
u, a. abspielt. Nur tritt hier nicht nur der Kern einer Zelle zum Kern der anderen,
sondern die eine ganze Zelle (Gamet) wandert nach Eesorption der Scheidewand in
die CellulosehüUe der anderen hinüber. Die wandernde Zelle verliert dabei diese oder
jene Bestandteile, wie z. B. bei Spirogyra ihre Chlorophyllbänder, die der ruhenden
verbleiben. Letztere muß wohl als der weibliche Gamet angesehen werden, die
wandernde Zelle als der männliche.
390
W. Waldeyer,
manchen Zellen dieser Art eine stärkere Ablagerung von Substanzen,
die wir als Nährstoffe ansehen dürfen, im Protoplasma der jungen Ei-
zelle statt, wie insbesondere beiden Characeen, wo Oeltropfen und
Stärkekörner sich ansammeln, s. a. Fig. 150. Auch Anhäufungen von
Chlorophyll treten auf. Es mag jedoch daran erinnert sein, daß das
nie in dem Maße der Fall ist, wie bei vielen Tieren und daß es bei
den Archegoniaten und Phanerogamen fehlt.
Vergl
die Bemerkung
p. 337.
;_. Fig. 150 zeigt diese einfachste Form der Oogenese und Oogonio-
genese und zugleich die Spermiogenese in dem unmittelbar unter dem
Oogonium gelegenen Antheridium, so wie den Weg, den die Spermien
zur Kopulation nehmen. In anderen Fällen, z. B. bei der gleich-
falls zu den Phykomyceten gehörenden Sippe der Saprolegniaceen,
teilt sich der Zellkörper innerhalb der späteren Oogoniumhülle,
wiederholt, so daß dann eine größere Anzahl Eizellen sich in dem
betreffenden Oogonium befinden.
Aus der Oospore, 3 osp Fig. 150, geht bei den Thallophyten auf
ungeschlechtlichem Wege, indem sie entweder direkt ein
neues Mycelium hervorsprossen läßt, oder durch Vermittlung von
Fig. 150. Monoble-
pliaris-sphaerica(Phy-
comycetes, Algenpilze).
Ende eines Fadens mit
einem Oogonium o und
dem darunter liegenden
Antheridium a. In 1
vor völliger Ausbildung
der Eizelle und der
Spermien, in 2 die letz-
teren austretend und nach
der offenen Mündung des
Oogonium hinkriechend,
in 3 reife Oospore, osj),
das Antheridium entleert.
Vergr. 800. (Nach Corntj,
aus Strasburger, Noll,
ScHENCK, ScHiMPER, Bo-
tanik, 5, Auflage, p. 291,
Fig. 270. 1002.
in ihr entwickelten Sporen, ein neues Pflänzchen hervor, so daß wir auf
einen im Pflanzenreiche weit verbeiteten Generationswechsel
stoßen.
Als Beispiel der Oogenese bei den Moosen und Farnen
diene Fig. 151.
Auch hier muß zum Verständnisse der Oogenese der Generations-
wechsel betont werden.
Au einer Moospflanze entwickeln sich an besonderen Organen, die
kapseiförmig oder schirmförmig an kleinen Stielen sitzen, direkt aus den
Gewebszellen dieser Organe, die Archegonien. Letztere, s. Fig. 151,
sind schlauchförmige, aus Zellen aufgebaute Bildungen, an denen man
den Hals mit dem Halskanale und den Bauch mit einem Ueber-
gangsstücke vom Hals zum Bauch, dem Bauchkanale, unterscheidet.
In jedem Abschnitte liegen Zellen, die Halskanalzellen, die Bauch-
kanalzelle und die Eizelle. Die Spermien entstehen in beson-
Die Geschlechtszellen,
391
deren, ähnlichen Organen, den Antheridien. Die Befruchtung findet
im Wasser oder nach Benetzung der Moospflanze durch Begen,, Tau
u. s. w. statt. Es entwickelt
sich dann ein Embryo — s.
den Anfang der Entwickelung,
Eie;. 151 C — ohne daß es
vorher zur Bildung einer Oo-
spore käme.
Aus dem Embryo nun,
der nicht direkt zu einer
Moospflanze auswächst, geht
durch weitere Teilung seiner
Zellen und Hüllenbildung zu-
nächst das Sporogon her-
vor. Indem die zahlreichen
Sporen, die sich in diesem
Sporogon entwickeln, sobald
sie reif sind, aus ihrem Be-
Fig. 151. Marchantia po-
lymorpha, (Hepaticae, Leber-
moose). A junges, B geöffnetes
Archegonium, C befruchtetes Ar-
chegonium mit Beginn der Keim-
bildung, k^ Halskanalzellen, k-
Bauchkanalzelle, 0 Ei. jn' Pseudo-
perianth. Vergr. ö4Ü. Aus Steas-
BUEGER, NOLL, SCHENCK, ÖCHIM-
PEE, Botanik, 5. Aufl. 1902. p. 319,
Fig. 315.
hälter entleert werden, bilden sich aus ihnen auf ungeschlechtlichem Wege,
durch Keimung, neue Moospflänzchen. Vom Archegonium gehen auch
Teile direkt in die Sporogonien über, so daß beide Generationen, die
o-eschlechtliche und uno;eschlechtliche, verbunden bleiben.
Grundsätzlich gleich verläuft die Oogenese und der gesamte Ent-
wickelungsgang bei den Farnen.
Aus den keimenden Sporen geht hier die geschlechtliche, d.h.
die später sich geschlechtlich fortpflanzende Generation in Gestalt von
unscheinbaren, am Boden oder auf sonstigen geeigneten Unterlagen vege-
tierenden Pflänzchen, Gametophyten oder Prothallien, hervor;
zum Teil im
sie
sind bald fadenförmig.
bald thallusförmig, bald knollig,
Boden geborgen.
Diese Prothallien entwickeln Archegonien und
Antheridien. Die Archegonien führen je eine Eizelle, die nach
der Befruchtung zu einem Embryo sich ausbildet, der dann zu der
großen, allgemein bekannten Farnenpflanze heranwächst. An den Blättern
derselben, vielfach auf der Unterseite, entwickeln sich ungeschlechtlich
die gleichfalls wohl bekannten Sporangien. Bei manchen Farnen
unterscheidet man Makros porangien, in denen Makrosporen
ausgebildet werden, von den Mikr o sp or angien mit Mikrosporen.
Die Makrosporen liefern durch Keimung weibliche Prothallien,
die nur Archegonien mit ihren Eizellen erzeugen, die Mikrosporen
nur männliche Prothallien mit ihren Antheridien und Sper-
mien.
392
W. Waldeyer,
Die Verhältnisse bei den Moosen und Farnen p;eben, \vie uns zuerst
die fundamentalen Arbeiten W. Hofmeister'« (Vergleichende Unter-
suchungen der Keimung, Entfaltung und Fruchtbildung höherer Kryp-
togamen und der Samenbildung der Koniferen, 1851) gelehrt haben,
den Schlüssel zum Verständnisse der Oogenese und Entwickelung der
Phanerogam en. Was man bei den Phanerogamen die „Pollen-
säcke" benennt, entspricht den Mikrosporangien der höheren Farne.
Die in den Säcken entstehenden „Pollenm utt er z eilen", welche
durch Vierteilung die ,,Pollenkörner" liefern, sind zwei Gene-
rationen von „Mikro Sporen" ; namentlich die Pollenkörner sind
solchen Mikrosporen gleichwertig zu erachten. Bei den Phanerogamen
findet nun die Keimung dieser Mikrosporen oder Pollenkörner, welche
im Wesentlichen kernhaltige Zellen sind, nicht auf dem Erdboden
oder auf einer sonstigen fremden Unterlage statt, sondern auf der so-
genannten „Narbe" (Stigma) des weiblichen Blütenapparates, des
„Gynoeceum". Das Ergebnis der Keimung, also der ungeschlecht-
lichen Zeugungsphase im (ienerationswechselkreise der Phanerogamen,
ist die Bildung eines sehr reduzierten männlichen P r o t h a 1 -
lium, p. 392, Figg. 152 und 153.
-<6»^^i&
PER: Lehrbuch der Botanik, Jena,
p. 371 und 373.
Fig. 153.
G. Fischer,
Aufl.
Fig. 152. Tradescan-
t i a V i r g i n i c a. P r o -
t h a 11 i u m aus ei n em
Pollenkorn durch Teilung
in eine antheridiale Zelle
(links), welche uhrglasför-
mig abgegrenzt ist, und
eine vegetativeZelle(rechts)
gebildet ; oben und unten
je eine Vakuole. Vergr.
540.
Fig. 153. Fruchtknoten
von Polygon um con-
volvulus wähi'end der
Befruchtung, fs Stiel, fu
Funiculus. fw Frucht-
knotenwand , aus den
P>uchtblättern gebildet.
cha Chalaza. im. Niicellus.
Uli Mikropjde. i.i und i.c
Integumentuni internum
und externum. e Embryo-
sack, ck Kern desselben.
ei Eiai^parat. an Anti-
poden. (/ Griffel. ;; Narbe.
j) Pollenkörner, ps Pollen-
schläuche. Vergr. 48. Beide
Figuren ausSxRASBUKGER,
SCHENCK,NOLL U. SCHTM-
1902, Fig. 391 und 394,
und
Dasselbe besteht aus zwei Zellen, einer kleineren antheridialen
vegetativen; die kleinere ist vielfach durch eine
einer
größeren
mit der Konvexität zur größeren sich wendende uhi-glasförmige Scheide-
wand von der letzteren (vegetativen) Zelle geschieden. In diesem rudi-
mentären Prothallimn entstehen nun durch Teilung der antheridialen
Zelle ZAvei neue Zellen, die Samenzellen oder Pollenzellen, wie
Die Geschlechtszellen. 393
wir sie nannteu (p. 149). Die antheridiale Zelle muß als die rudimentäre
Anlage eines Antheridium aufgefaßt werden.
Dieser ganze Apparat nun wächst unter Vortreibung einer inneren,
ihn umhüllenden Haut, I n t i n e , wobei, falls sie vorhanden, eine äußere
Haitt, Exine, durchbrochen wird, zu einem langen Schlauche, dem
Pollenschlauche aus, in den die beiden Samenzellen mit ihren
Kernen und Protoplasma hineingelangen. Der Schlauch bohrt sich, vgl.
Pig. 153, durch das Gewebe der Narbe und des Griifels, ferner durch
die Miki'opyle zmn Nucellusgewebe und durch dieses bis zum Embryo-
sacke mit der Eizelle vor und es folgt die befruchtende Kernkopulation.
lieber die Oogenese wissen wir auszusagen, daß sie in dem
als Erabryosack bezeichneten Teile erfolgt.
Man kann, vgl. hierzu Fig. 153, die Samenanlage der Phanerogamen
mit dem Makrosporangium eines Moos- oder Farngewächses ver-
gleichen. Die Fig. 153 stellt den Längsdurchschnitt eines Frucht-
knotens von Polygonum convolvulus vor. Unten, bei fs ist die
Basis des Fruchtknotens, der in seinen äußeren Teilen aus den Frucht-
blättern ifw) entsteht und im Inneren die Samenanlage enthält. Von
letzterer geht ein Gewebsstrang, die Chalaza {cha), durch den Stiel,
Funiculus, der Samenanlage zur Basis (fs) des Fruchtknotens. Ueber
der Chalaza erhebt sich der Nucellus nw, der wiederum von den beiden
I n t e g u m e n t b 1 ä 1 1 e r n , dem inneren, i.i^ und dem äußeren, i.e, um-
hüllt wird. Die Spitze des Xucellus setzt sich in den Mi kr opy len-
kanal, mi^ der die Integumente durchbricht, fort. Im Inneren, des aus
einem weichen Zellengewebe bestehenden Nucellus liegt der Embryo-
sack, e, der bei den Angiosj^ermen gewöhnlich aus acht Zellen besteht,
einer großen centralen, deren Kern, ek^ in der Mitte liegt nnd aus 2
Kernen zusammengeschmolzen ist, so daß in der Figur nur 7 Zellen,
bezw. Kerne erscheinen, aus 3 am oberen Pole befindlichen, e^, der Ei-
zelle mit 2 darüber liegenden Zellen, den Svnergiden, und aus 3
Zellen am entgegengesetzten Ende, den Antipoden, an. Die 3 oberen
Zellen zusammen, d. h. also die Eizelle mit den Synergiden, werden der
Eiapi)arat, ei, genannt. Die Spitze des Fruchtknotens verlängert sich
zum Griffel, g, dessen oberes verbreitertes Ende bekanntlich die
Narbe, n, bildet.
Für die Oogenese kommt nun das Nucellusgewebe und
im Wesentlichen die E m b r y o s a c k m u 1 1 e r z e 11 e in Betracht. Letz-
tere entwickelt sich aus einer unmittelbar unter dem Scheitel des Nu-
cellus gelegenen Zelle desselben und rückt später mehr in die Tiefe.
Bei den Teilungen der die Spitze des Nucellus bildenden Zellen, welche
der Differenzierung der Embryosackmutterzelle voraufgehen, zählt man
bei den Liliaceen 24 Chromosomen („Maximalzahl", Guignard). Die
junge Embryosackmutterzelle kennzeichnet sich als solche durch ihr
stärkeres Wachstum, dichteres Protoplasma und den Maugel an Vaku-
olen. Auch der Kern wird größer und nimmt eine kugelige Form au.
Anfangs ist die chromatische Substanz im Kern in Gestalt größerer
oder kleinerer Körnchen verteilt. Bei den nun eintretenden mito-
tischen Teilungen gehen bei der ersten Teilung am Kern der Embryo-
sackmutterzelle der Bildung der Aequatorialplatte und der Tochter-
kerne Formenfolgen der sich ausbildenden Chromosomen vorauf, die
an die von Haecker, PtücKERT, Holl. Vax der Stricht, v. Wini-
WARTER u, A. bei den tierischen Eizellen beobachteten erinnern, wo-
bei zugleich eine Reduktion der Chromosomenzahl eintritt. Unter
394 W. Waldeyer,
anderen wird auch die Sy napsisform beobachtet. Das Kernkörper-
chen schwindet. Diese erste Teilung bezeichnet A. Ernst (355b), an
dessen eingehende Darstellung ich mich hier anschließe, als eine
hetero typische. Die zweite Kernteilung, welche eine hö-
rn öotypis che ist, ist von keiner Zellteilung gefolgt und giebt 2 zwei-
kernigen Enibryosackzellen den Ursprung. Die eine dieser beiden
zweikernigen Teilzellen, welche in vielen Fällen schon kleiner angelegt
erscheint, fällt der Degeneration und späteren Resorption anheim, ein
Vorgang, der sich au die Bildung von Richtungskörperchen anlehnt.
Gewöhnlich bleibt die untere zweikernige Zelle erhalten.
In dieser übrigbleibenden zweikernigen Embryosackzelle entsteht
dann eine große centrale Vakuole, welche den einen Kern mit
einer zugehörigen Protoplasniaportiou an das eine Polende, den anderen
gleichfalls mit Protoplasma an das andere Ende drängt; längs der Wand
der zweikernigen Embryosackzelle hängen beide polaren, kernführenden
Protoplasmamassen durch eine dünne Schicht Protoplasma zusammen.
Die Kernkörper haben sich in den beiden Kernen neu gebildet. Das
Wie? ist fraglich. Die beiden Kerne, welche völlig gleich sind, ruhen
nun eine Zeit lang, während der ganze Embryosack, d. h. zunächst
die doppelkernige Embryosackzelle, wächst.
Bei dem nächsten Teilungsschritte werden die beiden oberen
Tochterkerne und die beiden unteren, welche die An tip öden -Kerne
liefern, ungleich; letztere sind größer, chromatinreicher als die
oberen und haben auch eine größere Chromosomenzahl ; die oberen
weisen bei den Liliaceen die auf die Hälfte reduzierte Zahl 12 auf.
Bei der letzten Teilung wird, wie Ernst angiebt, am oberen Pole,
dem Eipole, von der gemeinschaftlichen Protoplasmamasse durch eine
feine Linie eine untere kleinere abgetrennt. Die oben verbleibende größere
Masse enthält drei Kerne, d, i, die Kerne der beiden Synergiden und den
Kern der Eizelle, die kleinere einen Kern; die Teilung selbst erfolgt
so, daß die beiden Synergiden, die nun ebenso wie der Eikern besondere
Protoplasmaleiber erhalten, S c h w e s t e r k e r n e führen, während der
Eikern mit dem oberen Pol kern — so bezeichnet man den Kern
der unteren kleineren Protoplasmamasse — schwesterlich zusammen-
gehört. Die Ausbildung der Antipodenkerue und des mit ihnen
entstehenden unteren Polkerns weist größere Unregelmäßigkeiten
auf. Häufig erfolgt bei den Antipoden gar keine Zellbildung, die Kerne
wachsen nicht weiter und führen auch keine N u k 1 e o 1 e n ! Dagegen
haben der untere Polkern wie der obere, die Synergiden-
kerne und der Eikern, je ein großes Kernkörperchen,
Der untere Polkern wandert später dem oberen entgegen und
zwar in dem seitlichen protoplasmatischen Wandbelage; meistens ver-
schmelzen beide Polkerne vor der Befruchtung mitsammen zu einem
Kerne, elc, den man als den Kern des E m b r y o s a c k e s bezeichnet,
wie dies in Fig, 153 dargestellt ist, wo nur 7 Zellen bezw. Kerne
sichtbar sind. Ernst sieht, wie s. Z. Hofmeister, die Antipoden
als in Pteduktion begriffene Zellen eines weiblichen Pro thallium
an. Uebrigens kann es wohl nicht verkannt werden, daß alle die 8
Zellen, welche aus der Embryosackmutterzelle hervorgehen, zusammen-
gehören und wohl als abortive Eizellen aufzufassen sind. Dafür
sprechen u. a, die merkwürdigen Befunde Nawaschin's und Guig-
nard's bei den Liliaceen, die Ernst bestätigt, daß nämlich regelmäßig
die eine Samenzelle, oder besser der eine Samenkern, mit dem
Die Geschlechtszellen. 395
Eikern, der andere mit den vereinigten Polkernen kopuliert, also eine
D 0 p p e 1 b e f r u c h t u n g stattfindet, deren Sinn noch nicht klar ist, wenn
wir auch wissen, daß nacli dieser Befruchtung des Eniljryosackkernes
ausfihin und dem zugehörigen Protoplasma sich das Endosperm
(Albunien) entwickelt. Ferner spricht für die Auffassung der Zu-
sammengehörigkeit dieser Zellen, daß auch der Schwesterkern des
unteren Polzellenkerns mitunter dem oberen eine Strecke weit ent-
gegen rückt.
Die Eizelle liegt vor der Befruchtung unter den beiden Synergiden
oder seitlich an der Wand ; sie ist plasmaärmer als die Synergiden
und führt entweder eine typische große Vakuole oder mehrere kleinere ;
ihr Kern hat. wie der der beiden Polkerne, eine kugelige Form; die
Synergidenkerne sind leicht gestreckt. Es sei besonders betont, daß
die Bildung der Pollenkörner und Pollenzellen (Samenzellen) aus den
Pollenmutterzellen in ähnlicher Weise ihren Ablauf nimmt.
Es darf gewiß als im hohen Grade beachtenswert angesprochen
werden, daß zwischen den Vorgängen der Oogenese der Pflanzen und
der Tiere so manche ähnliche Erscheinungen obwalten, wenn auch das
vollständige Verständnis erst noch gefunden werden soll. Sehr auf-
fallend ist sicherlich die Doppelbefruchtung. Alles dieses möge das
weitere Eingehen auf die Eibildung bei den Pflanzen gerechtfertigt
erscheinen lassen.
Pur die neuere Litteratur verweise ich auf die hier benutzte Arbeit
von A. Ernst (355b). Ich citiere ferner besonders Nawaschix : Resultate
einer Revision der Befruchtungsvorgänge bei Lilium Martagon und Fri-
tillaria tenella, Bull. acad. imper. de St-Petersbourg, T. IX, Xo. 4, 1899)
und L. GuiGXARD : Les decouvertes recents sur la fecondation chez les
vegetaux angiospermes. Cinquantenaire de la Societe de Biologie. Volume
jubilaire. Paris, Massen, 1899. Compt. rend. 4 a^TÜ 1899, ferner im Joiu--
nal de Botanique, T. XV, 1901 — Doppelbefruchtung bei Ranunkulaceen
— . Für die Eientwicklungsvorgänge und dei-en Homologien mit der Pollen-
zellenentwicklung vgl. Körnicke : Studien an Embryosackmutterzellen.
Sitzungsber. d. Niederrhein. Ges. für Xatui-- und Heilkunde, Bonn, 1901.
€. Physiologische Bemerkiingen.
Aus den beim Ei zu berücksichtigenden physiologischen
Verhältnissen sollen hervorgehoben sein: 1. die Bewegungen
am Ei, 2. die für die Eier bestehenden Schutzvorrichtungen,
einschliesslich der Sorge der Eltern für die abgelegten Eier, und end-
lich 3. die E n t w i c k 1 u n g s p h a s e n , welche die Eier im T i e r k ö r p e r
durchlaufen, bis sie zur Ablage kommen.
1. Bewegungserscheinungen am Ei.
B e w e g u n g e u bei den Eiern sind beobachtet worden an ihrem
Ooplasma, am Keimbläschen und am Kernkörperchen. Ueber die
Ooplasmabewegungen. die sowohl amöboide und phagocytische
als wandernde sein können, sind wir am besten unterrichtet bei
den Eiern von Hydra (S. 334) und denen der niederen Wirbel-
losen überhaupt. Unter den Wirbeltieren sind es die der Knochen-
fische, an derem Ooplasma, Keim, sowie Rindeuschicht. man die amö-
boiden Bewegungen am besten wahrgenommen hat.
396 W. Waldeyer,
Die ersten Beschreibungen für den Forellenkeim lieferte Sti:iciceu
(Wiener Akad. Berichte 1865, niath.-naturw. KL, Bd. 51), jedoch nach
gehärteten Präparaten. Am Hechteie wurden von Reichert und
AuBBRT eigentümliche Rotationen des Dotters nachgewiesen, die His
(419) auch bei der A es che (Thymallus vulgaris) auffand und mit
Recht auf amöboide Bewegungen oder Kontraktionen des Rindenproto-
plasmas bezieht.
Stellt man sich auf den Standpunkt der allgemeinen Annahme Nrss-
BAUM'scher Geschlechtszellen als Vorläufer der späteren Eier, so muss
man für die ersteren durchweg ein Wanderungs vermögen annehmen,
mit dessen Hilfe sie zu ihren Gonaden gelangen.
Auch an den Keimbläschen und Nukleolen sind Bewe-
gungen wahrgenommen worden, vgl. die betreffenden Abschnitte, ins-
besondere S. 207. Es dürfen hierher auch die Ausstoßung der
Richtungskörperchen und die Einwanderung von Granulosazellen ge-
zogen werden (S. 269).
Eine letzte Kategorie von Bewegungen am Ei hängt mit den
Reifungs- und Befruchtungserscheinungen zusammen. Besonders zu
erwähnen ist von diesen die Erhebung einer kleinen Ooplasinamasse
an derjenigen Stelle, der das zum Eindringen kommende Spermium
sich nähert; „Dotterhügel", „Empfängnishügel", „cone d'impregnation"
Fol. Die anderen Erscheinungen fallen mit denen, die bei der mito-
tischen Zellteilung überhaupt beobachtet werden, zusammen, oder be-
ziehen sich auf das Gegeneinanderrücken von Eikern und Spermakern,
worüber im nächsten Kapitel gehandelt werden wird. (Vgl. hierzu noch
Whitman [M, 1295J und Giardina [382] — Keimbläschen.)
2. Schutzvorrichtungen.
Ueber die für die Eier bestehenden Schutzvorrichtungen
hat jüngst Loisel (465) eine dankenswerte Zusammenstellung gegeben,
aus der einiges mitgeteilt sein mag. Es lassen sich unterscheiden :
Schutzmittel gegen Austr ocknung, Schutz gegen ein
Uebermaß von Feuchtigkeit, gegen Temperatur Schwan-
kung e n , gegen Mikroben, gegen A u f z e h r u n g durch Tiere und
gegen mechanische und chemische Insulte.
Der Schutz gegen Mangel oder Uebermass von Feuchtigkeit, gegen
Temperaturschwankungen, sowie gegen mechanische und chemische Insulte
wird im allgemeinen durch die Beschaffenheit der Eihüllen geleistet.
So sind diese bei manchen Eiern für Wasser undurchlässig. Certes
konnte Eier von Artemia salina 3 Jahre, Semper Eier von B r a n -
chipus 10, Brauer solche von Apus gar 12 Jahre trocken auf-
bewahren, ohne daß ihre Entwicklungsfähigkeit vernichtet gewesen wäre.
Hierher gehört auch eine bei vielen Eiern (Batrachiern, Gasteropoden,
Hirudineen, Gordiaceen, Phryganiden) bestehende Hygro skopie der
Hülle; dies verhindert sowohl das Austrocknen, als auch den Zutritt
von überflüssigem Wasser. Die Schalen der Eier mancher Wasservögel
enthalten eine fettige Siabstanz, welche s<ihützend wirkt.
Gegen KälteeinAvirkung sind sehr viele Eier recht widerstandsfähig
und hier muß der Schutz nicht allein in der Schale liegen, da man die
Eier gefrieren lassen kann, ohne daß sie in ihrer Entwicklungsfähigkeit
Schaden nehmen. Colasanti stellte fest, daß Hühnereier 2 Stunden lang
bei — 4^, und Ya Stunde lang bei — 10" ungestört aushalten können.
Die Gesclilechtszellen. 397
0. SciiULTZE erhielt Proscheier 14 Tage lang in gefrorenem Zustande,
ohne daß ihre Entwicklungsfähigkei*: aufgehoben wurde. Aehnliches gilt
nach vielfachen Erfahrungen für Fischeier ; man hat dies bereits praktisch
verwertet (Versendung von Salraonideneiern auf Eis). Gegen Tempe-
ratur Schwankungen und übermäßige Belichtung schützen
meistens die Eltern die Eier durch die Wahl des Ortes der Ablage,
Gespinnste u. dgl. Aber auch die Färbung der Schale und die Gallert-
hüllen kommen hier in Betracht.
Für Pflanzensamen teilt Dixox (3-45a) mit, daß vorsichtig getrock-
nete Samen verschiedener Pflanzen, z. B. Avena sativa, Medicago sativa,
Papaver somniferum u. a.) einer Temperatur von über 100" C. mindestens
eine Stunde lang widerstehen, Thiseltox Dyer und Dewar stellten
fest, daß der Widerstand gegen Kälte bei mehreren Pflanzensamen noch
viel größer ist, indem sie schadlos der Temperatur des flüssigen Wasser-
stoffes (unter — 200" C.) ausgesetzt werden können.
Gelatinöse oder schleimige, sowie elastische Hüllen ('Fischeier z. B.,
s. S. 304) schützen gegen mechanische Insulte; vielleicht darf
hierher die Thatsache, daß die Eier erdbrütender Vögel eine härtere
Schale haben, gezogen werden.
Erstaunlich ist der Schutz, den die Schalen mancher Eier gegen
chemische Einwirkungen gewähren ; vor allen gehören hierher die
Schalen der Askariden und anderer Nematoden, wie dies zuerst
H. MuNK (1. c. Zeitschr. f wiss. Zool.) feststellte. Bataillon fand, daß
sich befruchtete Askariseier, nachdem sie 24 Stunden, unter Fixierung
in FLEMMixG'scher Lösung, einer Temperatur von 35" C. ausgesetzt
worden waren, im Canadabalsam-Einschlusse entwickelten. M. Nussbauji
(M. 1143) sah die Eier von Ascaris megalocephala sich in 30-proz.
Alkohol, wenn sie mit den Uteris eingelegt worden waren, 14 Tage lang
weiterentwickeln; in 80-proz. Alkohol blieben sie 2 — .3 Stunden, in
70-proz. 2 Tage am Leben ; auch kann man diese Eier ohne Schaden
1 — 2 Tage eintrocknen lassen. — Aehnliches berichten Giglioli und Dixox
von Pflanzensamen. Wurden diese Samen aber mit Nadeln angestochen,
so erlosch die Keimfähigkeit bei Behandlung mit Sublimat-Alkohol und
Pikrinsäure-Alkohol sehr rasch, ein Beweis, daß die Schutzwehr in der
Hülle gesucht worden mußte.
Aber auch die die Eier von Vögeln u. a. umgebenden Nähr Sub-
stanzen geben einen gewissen Schutz. Hühnereier ■ entwickeln sich
weiter, wenn auch ein Teil ihrer Schale entfernt wird. Hierauf stützt
sich z. T. das von L. Gerlach ersonnene „ Embry o skop''. (Die neueren
Methoden auf dem Gebiete der experimentellen Embryologie. Anat. Anz.,
Bd. II, 1887, No. 18 u. 19.) Lolsbl und Fere sahen Hühnereier nach
Entfernung der Kalkschale sich bis zum 6. Tage weiterentwickeln.
Weiteres über Schutz gegen Temperaturen imd gegen chemische Einflüsse
bei Gemmill (644), Percoxx-ito (514a) und Salvioli (539).
Eine Schutz wii-kung muß auch der Zona pellucida der Säuge-
tier- und Menschen eier zugewiesen werden, da letztere sich mindestens
bis zum Ablaufe de • Furchung erhält. Vgl. u. a. hierzu Keibel (439a).
Gegen Mikroben können sich die Eier eine Zeitlang, wie Ver-
suche von Fraxcotte (cit. bei Loisel) lehren, durch phagocytische Auf-
nahme und Verdauen derselben schützen. Vielleicht spielen die bei
einigen Eiern, z. B. Fischeiern, beobachteten Giftstoffe iKobert 447c)
eine Schutzrolle gegen das Verzelirtwerden ; hierbei kämen auch wieder
harte Schalen, Besetzung derselben mit Stacheln u. a. mehr, in Betracht.
398 W. Waldeyer,
Von großem Interesse sind die Beobachtungen von His (420) und
J. LoEB (4G3b, e, f) über die Einwirkung der Reifung und
Befruchtung auf die Erhaltung der Eier. His stellte fest,
daß unbefruchtete Salnionideneier sich mindestens 4 Wochen lang
in fließendem Wasser entwickelungsfähig erhalten. Loeb fand, daß
unreife, unbefruchtete Eier von Asterias forbesii in See-
wasser längere Zeit frisch sich erhalten, während reife Eier derselben
Species, wenn sie unbefruchtet bleiben, in demselben Seewasser rasch
absterben. In gewöhnlichem Seewasser tritt die in den Eierstöcken
von Asterias ausbleibende Reifung, d. h. die Bildung des Eikerns aus
dem Keimbläschen unter Ausstoßung der Polzellen, binnen wenigen
Stunden ein ; entzieht man dem Seewasser aber den Sauerstoff oder
die in ihm enthalteneu freien Hydroxylionen, was durch Zusatz einer
geringen Menge Säure geschehen kann, so unterbleibt der Reifungs-
vorgang, ohne daß dies der späteren Reifungsfähigkeit oder der Be-
fruchtungsfähigkeit durch Spermien Eintrag thut. Hierdurch konnte
das nötige Yersuchsmaterial an unreifen unbefruchteten Eiern be-
schafft werden. Werden die reifen Eier „s p e r m i s c h" befruchte t,
so bleiben sie, wie bekannt, in dem Seewasser der überwiegenden
iMehrzahl nach leben und entwickeln sich weiter. Aber auch „asper-
mische" (parthenogenetische) Befruchtung ^) wirkt gleich (s. über diese
den Abschnitt: ,,Parthenogenesis" und das nächste Kai)itel). Der na-
türliche Tod, dem die gereiften Seesterneier rasch entgegengehen,
wird daher durch die Befruchtung, sei sie durch Spermien oder z. B.
nach Loeb, durch Zusatz einer geringen Menge von HNO ..-Lösung
zum Seewasser bei reifen unbefruchteten Eiern erreicht, liintangehalten.
Loeb macht mit Recht darauf aufmerksam, daß große Verschieden-
heiten in der Lebensdauer des unbefruchteten Eies bestehen ; nament-
lich mache es den Eindruck, als ob das Ei bei höheren Tieren wenn
es einmal seinen Follikel verlassen habe und Reifei geworden sei,
nicht lange mehr lebe, ganz verschieden von den Spermien, s. S. 207 ff.,
und daß es, falls es sich überhaupt entwickeln solle, unmittelbar nach
dem Verlassen des Ovarium befruchtet werden müsse. Er weist auf
Versuche Harper's (unter C. 0. Whitman's Leitung) bei Tauben
hin, welche zeigen, daß die Spermien dieser Tiere in einem gelatinösen
Ueberzuge des Ovarium längere Zeit leben bleiben und das Ei gleich-
sam erwarten, welches in dem Augenblicke befruchtet wird, wenn es
seinen Follikel verläßt. Es sind dies offenbar sehr wichtige Dinge,
auch in praktischer Beziehung, insonderheit für die Sterilitätsfrage.
Was die Sorge der Eltern für die abgelegten Eier anlaugt, so fällt
sie mit der Sorge für die junge Brut, die Brutpflege, zusammen:
Nestbau, Festkleben und Einscharren der Eier, Ablage
derselben in andere Tiere, in Früchte, und an Stellen, wo
sich günstige Bedingungen für die Erhaltun g der Eier sowie
für die Entwickelung der ausschlüpfenden Embryonen finden, Herum-
tragen der Eier auf dem eigenen Körper (auf der Rückenhaut — Weib-
chen von Pipa americana Lavr. — oder auf der Bauchhaut des
Männchens — Aspredo batrachus, L. Siluridae — oder im Maule
des Männchens — verschiedene Siluridae wie Bagrus C. V. und
1) Ich möchte, angesichts der sich immer wichtiger gestaltenden Untersuchungen
über die Anregung der Eier zur Entwickching ohne Mitwirkung von Sperma, die
Ausdrücke „spermische" und ., asper mische" Befruchtung vorschlagen.
Die Geschlechtszellen. 399
Arius C. V. und Chromisarten Günther. Phaiyngognathi) bis
zum Ausschlüpfen der Embryonen gehören hierher.
So hochinteressant viele der betretieuden Maßnahmen sind, müssen
wir uns es doch versagen hier in weitere Einzelheiten uns zu verlieren.
Es seien nur noch aus der älteren Litteratur die Mitteilungen Siii Wm.
Turners in Quart. Journ. of Science III, 1866 und Journ. of Anat. and
Physiol., 1866, p. 78, und aus der neueren die beiden Abhandlungen von
WiEDERSHEiM (603 a) uud Brandes (307 aj, welche auch weitere Nach-
weise für die Wirbeltiere enthalten, angeführt. Die vollkommenste Brut-
pflege ist ja die der Säugetiere, insbesondere die der Place n-
t a 1 i e r , welche nicht nur, wie die übrigen viviparen Tiere, ihre Eier
und die sich aus diesen entwickelnden Embryonen im eigenen Leibe be-
halten, bis sie hinreichend entwickelt sind, sondern sie auch bis zur Ge-
burt direkt mit dem eigenen Blute, und nach der Geburt mit einem be-
sonders dazu bestimmten Integumentsekrete, der Milch, ernähren.
lieber die Ei- und Brutpflege bei Wirbellosen verweise ich auf
Korschelt-Heider (666 a).
Im Anschlüsse an das Vorige gedenken wir kurz der Einteilung
der gesamten Tierwelt in o v i p a r e , v i v i p a r e , o v o v i v i p a r e und
pupipare Arten (Familien, Ordnungen, selbst Klassen), je nachdem
die Tiere unbefruchtete Eier legen, die erst nachher, oder während
des Legens befruchtet werden, oder lebendige Junge gebären, welche
die ursprünglichen EihüUen nicht mehr besitzen, oder mehr oder min-
der entwickelte Embryonen, von den ursprünglichen Eihüllen noch
umgeben, zur Welt bringen.
Pupipar nennt man diejenigen Tiere, in deren Ablagen Puppen-
zustände der Jungen entwickelt sind.
Streng freilich wird diese Scheidung nicht durchgeführt, denn sonst
müßte man die Tiere mit den großen meroblastischen Eiern, z. B. die
Vögel ,,ovovivipar" nennen, da, wie bekannt, die ersten Erscheinungen
der Entwickelung des jungen Embryo im gelegten Ei, falls dasselbe, wie
gewöhnlich, befruchtet war, schon abgelaufen sind.
Merkwürdig sind die vereinzelten Vorkommnisse viviparer Arten in-
mitten oviparer und ovoviviparer Tierkreise, und umgekehrt. Teleo stier
wie Selachier haben mehrere vivipare Arten, bei denen denn auch
eine Begattung und innere Befruchtung stattfindet. Für Teleostier vex-gl.
u. a. Blake in Journ. of Anat. and Physich, Vol. II, p. 280 und Vol. III,
p. 30, 1868. Unter den P^ep tili en sind einige Arten, wie die Blind-
schleiche (Anguis fragilis), die Kreuzotter (Pelias berus)
und Lacerta vivipara lebendig gebärend, bei den Amphibien
einige Salamander art en u. a. Niu- bei den Vögeln kommt keine
Ausnahme vor, während wir in den M o n o t r e m e n Avieder eierlegende
Säugetiere haben.
IV. Gemeinsames für beiderlei Geschlechtszellen, Spermien und
Eier.
Am Ende unserer Darstellung des gegenwärtigen Standes der
Lehre von den Geschlechtszellen angelangt, müssen wir noch einige
Verhältnisse zur Sprache bringen, die den Spermien und den Eiern
gemeinsam sind: 1) Die Abkunft derselben von den Stamm -
Zellen uud Urgeschlechtsz eilen Boveri's und die Frage
ihrer Homologie. 2) Die Unterschiede der männlichen
400 W. Waldeyer,
und weiblichen Geschlechtszellen. 3) Der Einfluß der
Geschlechtszellen auf die Besti m ni u n g' des Geschlechts
u n d d er äußere n G e s c h 1 e c h t s c h a r a k t e r e. 4) D e r Her m a -
p h r 0 d i t i s ni u s. 5) Die P a r t h e n o g e n e s i s. G) Die K o p u 1 a t i o n
von Spermium und Ei, und die verschiedenen Befruch-
tungsformen und 7) Die Abhängigkeit der Geschlechts-
bestimmung von den Geschlechtszellen.
Wir gehen nur der Vollständigkeit und Abrundung der Darstel-
lung wegen, um nichts zu übergehen, was sich auf die Geschlechts-
zellen bezieht, auf diese Dinge ein. An anderen Orten, insbesondere
im nachfolgenden Kapitel, kann erst manches seine vollständige Er-
ledigung finden.
a. Die Abkunft und Homologie der Geschlechtszellen.
Die Entstehung der Gonaden.
Es war nicht zu vermeiden, daß wir bei der voraufgegangenen
Darstellung zu wiederholten Malen die Frage nach der Herkunft der
Geschlechtszellen streifen mußten. Vergl. p. 160 ff.. 222 ff., 355 und 387.
Die Frage nach der Herkunft der Geschlechtszellen lautet, wie
sie an den genannten Orten bereits gestellt ist: Entstehen die Ge-
schlechtszellen in jedem Embryo als den übrigen Körperzelleu gleich-
wertige Bildungen, die sich später ebenso zu Spermien und Eiern
weiter differenzieren, wie eine andere Zelle zu einer Nervenzelle, wieder
eine andere zu einer Epithel- bezw. Muskelzelle, oder aber, ist ihre
Anlage schon bei der ersten Teilung der Eizelle in einer der beiden
Furchungszellen vorgebildet, so daß sich die erste Geschlechtszelle
direkt aus der Eizelle — oder bei der geschlechtlich l)efruchteten Ei-
zelle aus einem Oospermium — wieder also direkt aus einer Ge-
schlechtszelle entwickelt?
Kann diese Frage bejaht werden, so folgt unmittelbar, daß Ei-
zellen und Spermatiden bezw. Spermien homologe Bildungen sind.
Zur näheren Feststellung dieser Homologie und der Beziehungen
von Samen und Ei sind noch einmal die Spermiophylogenese und die
Oophylogenese in ihren Grundzügen nebeneinander zu stellen. Daran
schließen sich kurze Betrachtungen über das Keimepithci und Follikel-
epithel, sowie über die Entwickelung der beiderlei Geschlechtsdrüsen,
die Orchiogenese und Oophorogenese. Nach diesen drei Richtungen
hin soll im Folgenden ein kurzer Ueberblick versucht werden.
Es mußte schon auffallen, daß bei den Poriferen, s. Fig. 59,
die Geschlechtszellen zerstreut im Körperparenchym liegen und daß
sie bei den Cölenteraten in verschiedenen Keimblättern zu finden
sind (p. 381 II). Indessen haben diese Erfahrungen ihrer Zeit noch
keinen Anlaß gegeben, die Geschlechtszellen den Körperzellen gegen-
über zu stellen.
M. NUSSBAUM ist wohl der Erste, welcher (M. 2395 u. 683 u. 684)
1879, auf Grund eigener that sächlich er Befunde^) es klar
1) Ohne eigene Befunde als Unterlage zu haben, sprechen sich schon 187i:'
Galtox (On Blood relationship. Proc. roy. Soc. XX, 1872), G. Jaegek, Physio-
logische Briefe über Vererbung, abgedruckt im Lehrbuch der allgemeinen Zoologie,
Bd. II, 1878, E. Haeckel und A. Räuber, Personalteil und Germinalteil des In-
dividuums, Zool. Anz. IX, 1886, worin auf eine frühere einschlägige Aeußerung
Eauber's verwiesen wird, für die Trennung des Metazoenleibes in einen somatischen
Die Geschlechtszellen. 401
ausgesprochen hat, daß von vornherein bei der Furchnng der Eizelle
sich zweierlei Zellen sondern, die er als „Geschlechtszellen" und
Zellen, aus denen sich der Leib des Embryo aufbaut,
schied. Für die letzteren führt Nussbaum keinen besonderen Namen
ein, der Name „Geschlechtszellen^' wird von ihm ausdrücklich in dieser
Beziehung gebraucht. Ich fülire zwei Sätze Nussbaum's (683) hier
wörtlich an:
1) „Die Geschlechtszellen der Forelle lassen sich als solche zu einer
Zeit nachweisen, wo der WoLFF'sche Gang sich noch nicht abgeschnürt
hat; bei Fröschen kann man diese Zellen, von denen alle Geschlechts-
stoflfe, sow^ohl im männlichen als im weiblichen Geschlecht, ihren Ur-
sprung nehmen, auf Fiu'chungskugeln zurückführen, aus denen die Dotter-
plättchen erst zu einer Zeit schwinden, wenn die Anlage der bleibenden
Batrachierniere (Urniere) schon einen hohen Entwäckelungsgrad erreicht
hat und im ganzen übrigen Leibe der Larve ähnliche Zellen nicht mehr
vorkommen".
2) „Demgemäß kann man sagen, daß bei den Tieren, die zur Er-
haltung ihrer Art besondere Geschlechtsstoffe ausbilden und sich nicht
durch einfache Teilung oder Sprossung vermehren, das befruchtete Ei in
zwei Teile sich sondert, von denen der eine den Leib des Individuums
aufbaut, der andere dagegen die Keime der kommenden Generation
darstellt und durch einen wohl zu charakterisierenden histologischen
Vorgang entweder den männlichen oder den w^eiblichen Typus erhält.
Die Befruchtung ist die Copula zweier homologer Zellen".
Semper (IL 2953) und Braun (M. 2899) w^aren für die Wirbeltiere
die Ersten, welche entwäckelungsgeschichtlich die Homologie der
männlichen und weiblichen Geschlechtszellen darthaten.
Mir (591) war es nicht gelungen, die Entwickelung des Hodens imd
damit die Herkunft der Samenbildungszellen aufzuklären; ich kam viel-
mehr irriger Weise auf einen Unterschied in der Herloitung der männ-
lichen und w^eiblichen Geschlechtszellen hinaus, obwohl ich festzustellen
vermochte, daß in der Anlage des Keimepithels bei beiden Ge-
schlechtern dieselben Geschlechtszellen — ich hielt sie durchweg
für Ureier — vorhanden wären. Ich verwertete seiner Zeit diesen Be-
fund zu Gunsten der Erklärung des Hermaphroditismus.
Bei Wirbellosen (Nematoden) hat zuerst Reichert (695a) Eizellen
und Samenmutterzellen als durch ihre Bildimg gleichwertige Elemente
angesprochen. Bald darauf kamen die zahlreichen Beobachtungen an
Insekten, w^elche sowohl die gleiche Bildungsweise der männlichen und
weiblichen Geschlechsprodukte darthaten, als auch das frühzeitige Auf-
treten der Geschlechtszellen in gesonderter Anlage erwiesen. Ich be-
ziehe mich hierfür vorzugsw^eise auf die gründlichen Untersuchungen von
Heymoxs (661, a u. b).
Für die Dipteren und Aphiden war es durch Weismann
(Zeitschr. f. wiss. ZooL, Bd. 13), Metschnikoff (ibid. Bd. 16), Bal-
BiANi (Corapt. rend., T. 95) und Witlacil (Zeitschr. f. wiss. Zool.,
Bd. 40) seit längerer Zeit bekannt, daß schon während der ersten
Furchungsstadien sich Zellen hervorheben, die man Polzellen
(Robin) "nannte und aus denen sich die Keimdrüsen und Keimzellen
und sexuellen Anteil aus. NUSSBAUM gab die ersten thatsächlichen Daten und
Weismann's eingehende Darstellungen und kritische Erörterungen lenkten die all-
gemeine Aufmerksamkeit auf dies große Problem.
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 26
402 W. Waldeyer,
herausbilden. Ritter (Zeitsclir. f. wiss. Zool.) bestätigte dies ueiier-
dings für Chiron omus, während die Untersuchungen Noack's (ibid.
Bd. 70, 1901) bei Dii)tereii Zweifel lassen. Frühanlagen von Ge-
schlechtsorganen zeigen auch die Arachniden, z. B. die Skorpi-
oniden nach Brauer (ibid. Bd. 57 u. 59). Wichtig für diese Frage
sind vor allem die Crustaceen durch die Untersuchungen Grobben's
(Arb. d. zool. Inst, zu Wien, 1879), bei Moina und LIaecker's (652a,
654a) bei Cyclops geworden; auf die Untersuchungen Haecker's,
sowie auf Boveri's Arbeit komme ich weiter unten noch zurück. Es
sind hiermit die einschlägigen Angaben betreffend die Wirbellosen
keineswegs erschöpft. Eine erste zusammenfassende Besprechung gab
0. Hamann: „Die Urkeimzellen im Tierreich und ihre Bedeutung''.
Für Wirbeltiere haben die Beobachtungen von Eigenmann (636) und
Beard (615a, 616, 616 I, II, III) die Sonderung der Geschlechts-
zellen bis zu noch früheren Stadien der Entwicklung geführt als es
NUSSBAUM gelungen war. In dem Objecte Eigenmann's, dem Tele-
ostier „Micro m e t r u s a g g r e g a t u s " liegen sie zu früher Zeit
zerstreut im Ektoderm wie im Entoderm. Beard wies sie in größerer
Zahl bei jungen Embryonen von Raja batis nach und verfolgte ihre
Wanderung vom Dottersack zwischen Splanchnopleura und Darm-
anlage zur Geschlechtsleiste hin ; er meint, daß die RücKERT'schen
„Megasphären" zu den Geschlechtszellen gehörten. Schon vorher
hatten Balfour (M. 584, 586), Rückert (M. 2946 u. 2947) und
K. Rabl (691) bei Selachiern frühzeitig auftretende Geschlechtszellen
beschrieben.
Die wichtigsten Beobachtungen auf diesem Gebiete verdanken wir
jedoch Boveri bei Ascaris m egalocephala (306 u. 622a — c,
ferner M. 3246). Er vermochte den positiven Nachweis zu führen,
das hier schon bei der ersten Zweiteilung des Eies eine Trennung
der Art eintritt, daß ausschließlich in der einen Furchungszelle, der
Stamm zelle I. Ordnung, Boveri, die Anlage der späteren Ge-
schlechtszellen, der männlichen wie der weiblichen, ihren Sitz hat.
Die andere Zelle, Boveri's somatische Urzelle I. Ordnung,
giebt nur Gewebszellen des betreffenden Embryo den Ursprung. Ich
verweise auf die S. 222 und 223 an der Hand einer schematischen
Figur Boveri's gegebene Darstellung.
Bei Ascaris megalo cephala sind die Stammz eilen,
Urgeschlechtszellen und Geschlechtszellen gegenüber den
somatischen Zellen im wesen tlichen charakterisiert 1 ) durch
einen reicheren Gehalt an Chromatin, 2) durch eine ausgesprochen
heterotypische Kinese, 3) durch eine geringere Größe bei den ersten
Stammzellen, durch eine bedeutendere Größe bei den späteren Stamm-
zellen, Urgeschlechts- und Geschlechtszellen. Bei Cyclops nennt
V. Haegker (653), abgesehen von der heterotypischen Kinese und der
dauernden Trennung der väterlichen und mütterlichen Chromosomen,
welches beides den ersten Furchungszellen überhaupt zukommt, als
Charakteristikum das Auftreten der von ihm so genannten ,,Ekto-
soraen" (Aussenkörperchen) und eine Verlangsamung des Teilungs-
vorganges. Die Ektosomen sind kleine Körnchen, welche jeweilig an
dem einen Pole der Spindelfigur bei den kinetischen Teilungen auf-
treten, später sich zu gröberen Brocken zusammenballen, in den
ruhenden Kernen aber schwinden.
Die Geschlechtszellen.
403
Die Ungleichheit in dem Chroinatingehalte der Somazellen und
Keimzellen wird bei Ascaris dadurch herbeigeführt, daß die Chromo-
somen der ersten Somazelle sowohl, wie die der aus den Teilungen
der Stammzellen neuentstandenen Somazellen während des Ablaufes
ihrer ersten Teilung in 2 Tochtersomazellen einen Teil ihres Chromatins
abstoßen. Die abgestoßenen Stückchen schwinden allmählich in dem
Protoplasma der Tochterzellen, indem sie sich aufzulösen scheinen
(Diminutionsprozeß Herla, 658a).
In der nachfolgenden Figur Boveri's ist der Unterschied der
beiden ersten Furchungskugeln ersichtlich.
Fig. 154. Die beiden ersten Furchungskugeln
von Ascaris megalocephala. S^ die erste Ur-
isomazelle ; dieselbe giebt nur Somazellen den Urej^rung
und zeigt an den beiden Chromatinschleifen (Chro-
mosomen) einen teilweisen Zerfall in kleine Bröckel
(Chromatinreduktion). Die untere Zelle, Pj, ist die
erste Stammzelle. Sie zeigt im Aequator der kine-
tischen Figur die beiden Chromosomen unver-
ändert. Von ihr gehen alle Geschlechtszellen aus.
r.K. Richtungskörj^erchen.
Ob die zuerst auftretenden fertig gebildeten Geschlechtszellen
schon geschlechtliche Charaktere haben, d. h. ob sie männliche oder
weibliche Keimzellen sind, ist bis jetzt nicht zu entscheiden gewesen.
Für die Geschlechtszellen sind schon eine ganze Anzahl Xamen
herangezogen worden: ,, Genitalzellen", „Sexualzellen"', „Fortpflanzungs-
zellen'' Semox (M. 2951 und 2952), „Keimzellen", „Urkeimzellen"
(0. ScHULTZE , Grundriß der Entwickelungsgeschichte , Leipzig 1897,
p. 425), „Vorkeimzellen" C. K. Hoffmann (M. 2912, 2913), „Polzellen"
(s. p. 401) und „Germ-cells" Beard.
Eine Hauptfrage ist, was denn die Geschlechtszellen liefern?
Liefern sie in letzter Instanz nur die Spermien und die Eier oder
auch die vegetativen Hodenzellen, das Epithel der Ausführungswege
und die interstitiellen Hodenzellen Leydig's beim Manne, bezw. außer
den Eizellen die Epithelzellen der GRAAF"schen Follikel und die der
ausführenden Wege beim Weibe? Damit hängt denn auch die weitere
Frage zusammen, ob
wir
fürderhin noch ein Keim epithel in dem
wie es von Bornhaupt und Waldeyer
begründet
Beide
Heymons
Zellen der
Sinne anzunehmen haben,
worden ist?
Fragen lassen sich zur Zeit noch nicht sicher beantworten.
stellte für Phy llodromia fest, daß die Follikelepithel-
Eiröhren, vom Beginn ihrer Unterscheidungsmöglichkeit
an, sich als unabhängig von den Geschlechtszellen auftretend er-
wiesen (661a). Giardina läßt die „Nährzellen" und die Eizellen ge-
meinsamen Ursprunges sein, s. p. 387. Boveri, welcher diese Frage
bei Ascaris megalocephala experimentell zu lösen suchte, gelangte
zu keinem verwertbaren Ergebnisse. Daß die muskulösen, binde-
gewebigen und nervösen Bestandteile der Geschlechtsorgane nebst
deren Gefäßen nicht von den Geschlechtszellen abzuleiten sind, bedarf
2(3*
404 W. Waldeyer,
keines Beweises ; es handelt sich hier um die E p i th e 1 i e n , Follikel-
epithel und SERTOLi'sche Zellen, und vielleicht noch um die
interstitiellen Zellen.
Wie ist nun das \' e r h a 1 1 e n der Geschlechtszellen zu de m
Keimepithel anzusehen'? Man kann der Meinung sein, daß, wie
unter anderen Beard meint, die Geschlechtszellen nur örtlich mit den
Epithelzellen der Geschlechtsdrüsen, dem Keimepithel, zusammenliegen,
mit anderen Worten, ihm beigemengt sind, ohne aber aus ihm hervor-
zugehen. Das würde also heißen, da fraglos bei der Bildung der
GRAAF'schen Follikel oder der gewundenen Hodenkanälchen deren
Epithelzellen, sowie die Ureier bezw. die Ursamenzeilen — sicher ein
Teil derselben — aus dem Keimei)itliel in das Innere der Follikel
(Hodenkanälchen) gelangen, daß das bisher als einheitlich aufgefaßte
Keim epithel aus zwei verschiedenen Bestandteilen sich zusammen-
setzte, aus den Geschlechtszellen und aus den zugehörigen Epithelzellen.
Die eben erwähnten Befunde von Heymons bei Phyllodromia
sprechen dafür. Die Sache kann aber auch anders liegen. Es könnten
die Geschlechtszellen durch wiederholte Teilung soweit sich in der
Form abändern, daß sie von den späteren Keimepithelzellen sich im
äußeren nicht unterschieden, und daß diese selbst aus ihnen hervor-
gingen. Dann bliebe der Begriff' „Keimepither', wie ihn W'aldeyer
aufgestellt hat, zu Recht bestehen ; denn es könnten im weiteren
individuellen Eutwickelungsgange einzelne Zellen dieses aus den Ge-
schlechtszellen hervorgegangenen Keimepithels, durch Form- und
Wachstumsänderungen, sich aufs neue vor den übrigen zu charakte-
ristischen Geschlechtszellen herausbilden.
Indem man anerkennen muß, daß der zuerst durch M. Nussbaum
in bestimmter Weise ausgesprochene und durch Boveri sicher begrün-
dete Begriff' und Nachweis der Geschlechtszellen einen großen Fort-
schritt auf dem Wege unseres biologischen Wissens bedeutet, ist die
Frage nach der Bedeutung des Keimepithels naturgemäß in den Hinter-
grund getreten. Immerhin wird man diesen Namen als passend für
den Epithelüberzug der Geschlechtsdrüsen beibehalten können, insofern
dieses Zellenlager sicher die Quelle der Epithelzellen der Keimstätten
(GRAAP'schen Follikel und gewundenen Hodenröhren) bleibt. Aber
ungleich wesentlicher ist die Frage, ob die Ursprungszellen der Ge-
schlechtsprodukte in einer von Geschlecht zu Geschlecht gesondert fort-
laufenden Keim bahn sich bewegen und in einem ausgesprochenen
Gegensatze zu sämtlichen Zellen des übrigen Körpers stehen, ob mit
kurzen Worten jedes Metazoen- und Metaphyten-Individuum eine Art
Doppelwesen ist, in welchem die Geschlechtszellen allein die Kontinui-
täts-Kette mit den Ahnen herstellen und für die Zukunft aufrecht er-
halten, während den einzelneu Kettengliedern die Leiber der Indivi-
duen gleichsam aufgepfropft sind.
In dieser Fassung stimme ich meinerseits gern der "WEiSMANN'schen
Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas zu, d. h. also in der An-
nahme besonderer Keimzellen; sie ist auch diejenige, welche durch
BovEKi, ZUR Strassen (568a) u. a. eine thatsächliche Unterlage erhalten
hat. Auf die Abweichungen, welche in der von Weismann selbst durch-
gearbeiteten Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas liegen — s.
No. 724, 725 — gegenüber der einfachen Annahme einer Kette von
Geschlechtszellen, kann hier unmöglich eingegangen werden; ich habe
Die GescliJechtszellen. 405
sicherlich nicht nötig, auf die hohe Bedeutung der Auseinandersetzungen
Weismaxx's noch besonders hinzuweisen.
Die Aufstellung des Keimepithels war eine Etappe auf dem
Wege der Erkenntnis, die der Staniniz eilen (Geschlechtszellen)
ist ein ^Yeiterer P^ortschritt.
Freilich fehlt noch eine ausgiebigere Begründung für die Existenz
derselben im Kreise der Lebewesen ; es sind bis jetzt nur einzelne
Geschöi)fe — streng genommen, wohl nur Ascaris megalocephala —
für welche der Beweis primordialer Sonderung der Geschlechts-
zellen geliefert ist; aber man darf doch wohl sagen, daß in solchen
grundlegenden Dingen eine wesentliche Differenz schwerlich anzunehmen
ist. Es fehlt ferner der ununterbrochene Nachweis vom Uebergange
der ersten Stammzelle durch deren Abkömmlinge bis zu einer Ei-
oder Samenzelle unter Berücksichtigung des Verhaltens der Keim-
epithelzellen zu den Geschlechtszellen. Immerhin scheint die Annahme
besonderer Geschlechtszellen im Sinne M. Nussbaum's mir hinreichend
begründet, um sie eingehender zu besprechen.
Beard, das sei hier noch zugefügt, glaubt die Germ-cells auch
mit der Entstehung der neuerdings von Wilms als ,,Embryome"' be-
zeichneten Bildungen (Teratome, R. Virchow) in Verbindung bringen
zu sollen.
Aus dem Schema Boveri's p. 222, Fig. 54 erhellt, wie die
Keimzellen oder Geschlechtszellen — eingeschlossen die Stammzellen
— durch die ganze Reihe der genetisch mit einander verbundenen
Lebewesen eine kontinuierliche Kette, die „Keim bahn" bilden. Wir
sehen in der Figur eine der Geschlechtszellen zu einem Reifei 0^
heranwachsen; zu diesem gesellt sich ein Spermium (<Sy>,), von einem
Individuum gleicher Art in derselben Weise abstammend, und der
Vorgang beginnt von neuem. So geht die Keimbahn gleichsam in
gerader Linie ununterlirochen weiter, so lange die Art überhaupt be-
steht, einer langgestreckten Wurzel gleich, von der in gewissen Ab-
ständen die einzelnen Individuen wie Schößlinge oder Seitensprossen
ihren Ursprung nehmen. P)ei der geschlechtlichen Fortpflanzung wird
jedesmal am Ursprünge eines solchen Seitensprosses eine Geschlechts-
zelle aus einer andern Keimbahn eingeschoben.
Die Folgerungen aus dieser Lehre von der Kontinuität der Ge-
schlechtszellen sind fast unabsehbar für die gesamte Biologie; ich ver-
weise hier insbesondere auf die veiscliiedenen, diesem Gegenstande
gewidmeten Abhandlungen Weismann"s (M. 1150 1153, 3255, 2024
— 2027, 2402, 2403). Um nur einiges anzudeuten, so ergiebt sich in
erster Linie, wie schon Eingangs dieses Abschnittes, p. 400, bemerkt,
die H 0 m 0 1 0 g i e d e r b e i d e r 1 e i Geschlechtszellen, der männ-
lichen und der weiblichen; ferner kann eine aussichtsvolle Theorie
der B e f r u c h t u n g und \' e r e r b u n g erst auf Grund der Keim-
bahnlehre aufgebaut werden; endlich übt diese Lehre einen unver-
kennbaren Einfluß auf die Descendenztheorie; sie verknüpft die
Metazoen mit den Protozoen, indem die Stammzellen der Metazoen
an die Protozoen sich anschließen.
Nachdem wir im Vorhergehenden die Aufgabe dieses Abschnittes
(IV«) nach zwei der p. 4u0 angeführten Richtungen behandelt haben,
erübrigt noch die zusammenfassende und vergleichende Besprechung
nach der dritten hin, nach der En t steh ung der Gonaden, der
406 W. Waldeyer,
Hoden und der Eierstöcke, die Darstellung der Orchio genese
und Oophorogenese. Wir beschränken uns hierbei auf die Wirbel-
tiere.
Indem wir bez üglich der Geschichte der Lehre von der
Entstehung und Ausbildung der Geschlechtsdrüsen auf
die sehr vollständige Darstellung Coert's (627) verweisen, gliedern
wir unsere Besprechung in folgende Abschnitte :
1) Die erste Anlage der Geschlechtsdrüsen, welche
deshalb besonders besprochen werden muß, weil sie noch keine
Differenzierung, weder nach der männlichen, noch nach der weib-
lichen Seite hin erkennen läßt.
2) Die Entwickelung der männlichen Geschlechts-
drüse, die Orchiogenese.
3) Die Entwickelung der weiblichen Geschlechts-
drüse, die Oophorogenese.
Wir werden bei dieser Darstellung besonders ins Auge fassen, in-
wieweit etwa die mitzuteilenden Entwickelungsvorgänge der Annahme
besonderer Geschlechtszellen im NussBAUM'schen Sinne
günstig sind, und müssen auch in einzelnen Punkten wieder auf die
das Keim- und Follikelepithel betreffenden Fragen zurückkommen. Erst
nach der Darstellung der Orchio- und Oophorogenese werden sich
auch die homologen Beziehungen der Geschlechtszellen, sowie die
ihrer Bildungsstätten genauer bestimmen lassen, als das bislang mög-
lich war.
1, Die erste Anlage der Geschlechtsdrüsen.
Die bisher noch nicht besprochene erste Anlage der Geschlechts-
drüsen erscheint bei den Säugetieren, Vögeln und Reptilien
(s. Fig. 146) äußerlich in Form eines leicht erhabenen, wenig scharf
abgegrenzten Streifens an der medialen Fläche der Urniere. Man
unterscheidet an ihm ein proximales und distales Ende, eine freie,
zur Cölomhöhle gewendete Fläche und eine in das Stroma der Urniere
übergehende Basis.
Ich vermochte seiner Zeit nachzuweisen, daß diese Anlage ebenso
wie die der Urniere in letzter Instanz, soweit wir dies bis jetzt sagen
können, auf diejenigen Zellen der REMAii'schen Mittel platte zurück-
zuführen ist, welche den medialen Winkel der Cölomspalte begrenzen.
Ein feiner Durchschnitt durch die Gonade aus einer Zeit, in
welcher noch keine Unterscheidung von Hoden und Ovarium möglich
ist (Kaninchen-Embryonen von 10 — 12 Tagen), zeigt eine meist ein-
schichtige, nach Art eines Epithels dieselbe deckende Zellenlage, welche
sich allseitig ohne scharfe Grenze in das Cölomepithel fortsetzt, darunter
ein zartes Gewebe vom Charakter eines Mesenchyms (Coert, 627),
welches in das Stroma der Urniere übergeht. Die Zellen dieses Ge-
webes sind meist nicht von den deckenden „Epithelz eilen" — wir
wollen sie gleich so nennen — zu unterscheiden. In dem Epithel und
dicht darunter finden sich schon jetzt jene großen, hellen, kugeligen
Zellen mit großen Kernen, welche man gewöhnlich als „Ureier'' oder
„Ursamenzeilen" bezeichnet hat — Fig. 146.
Bei einem Kauinchenembryo von 13 oder noch besser von 14 Tagen
ist die Geschlechtsuuterscheidung gleichfalls noch nicht möglich; man
findet bei solchen Embryonen aber die unter dem Epithel liegende,
nun bereits ziemlich dicke Gewebslage aus zwei deutlich differenzierten
Die Geschlechtszellen. 407
Schichten bestehend, aus einer oberflächlichen mit dem Ei)ithel konti-
nuierlichen Schicht etwas größerer Zellen mit helleren Kernen und aus
einer basalen Schicht kleinerer Zellen mit dunkleren Kernen (Coert).
Letzterer giebt an, gestützt auf den Befund reichlicher Mitosen im
Epithel, daß beide Schichten aus einer Wucherung dieses Epithels
hervorgegangen seien, erst die untere, dann die obere ohne scharfe
zeitliche Trennung, wenigstens sagt er nichts darüber, v. Winiwarter
beschreibt, Avie angegeben, p. 3G2, die Sache ähnlich wie Coert, be-
tont aber mehr eine zeitliche und räumliche Trennung der beiden
AYucherungsprodukte. Beide Autoren stimmen darin überein, daß aus
dem basalen kleinzelligem Gewebe das Rete testis (nach Coert
auch die Tubuli recti testis), bezw. das Rete ovarii hervorgehe, aus
dem oberflächlichen, größerzelligen und helleren Gewebe, unter weiterer
Beteiligung des Epithels, die übrigen parenchymatösen Bestandteile
der Geschlechtsdrüsen.
2. Die Ent Wickelung der männlichen Geschlechtsdrüse,
0 r c h i 0 g e n e s e.
Nach den Angaben Coert's findet bei den Geschlechtsdrüsen-
anlagen, welche sich zu Hoden entwickeln, eine weitere Beteibgung
des Oberflächenepithels, welches wir von jetzt ab als Keim epithel
bezeichnen wollen, nicht mehr statt. Aus der subepithelialen groß-
zelligen Anlageschicht entstehen durch eigenes Proliferationswachstum
ihrer charakteristischen Zellen, unter Beteiligung des mehr und mehr
deutlich werdenden Stromagewebes, die Tubuli contorti, mit ihrem
gesamten Bestände an Zellen, Ursamenzeilen und SERTOLischen Zellen.
Ein Untei'schied zwischen diesen beiderlei Zellen hinsichtlich ihrer
Herkunft kann mit unseren jetzigen Hilfsmitteln , soweit ich sehe,
nicht gemacht werden. Später bildet sich die Sam en kau äl eben -
membran, zuerst als sehr feine Membrana propria, aus. Die pri-
mären Tubuli contorti sind noch volle Zellenstränge, keine hohlen
Tul)uli. Sobald die Bildung der gewundenen Samenkanälchen aus
ihrem zelligeu Blastem beginnt , wuchern bindegewebige Elemente
zwischen dieses Blastem und das Oberflächenepithel hinein und trennen
beides voneinander, so daß bei der männlichen Keimdrüse keine
weitere Einwucherung des Epithels und Bildung neuer Samenkanälchen
von hier aus mehr staltfinden kann. Das Rete testis gliedert sich
nach CoERT in einen e x t r a g 1 a n d u 1 ä r e n und intra glandulären
Teil ; letzterer liefert, wie bemerkt, auch die Tubuli recti, welche sich
mit den Anlagen der Tubuli contorti in oftene Verbindung setzen ;
wie sich letzteres im feineren Geschehen vollzieht, ist bis jetzt nicht
aufgeklärt. Dasselbe gilt von der später eintretenden Verbindung
des extraglandulären Teiles mit demjenigen Teile der Urnierenkanälchen,
welche ich seiner Zeit als Sexualteil der Urniere unterschieden habe.
Nach diesen Befunden Coert's, deren Deutung ich nach der Ein-
sicht von Präparaten v. Skrobansky's von Schweineembryonen zu-
stimmen möchte, geht also kein Teil der Kanälchen des Hodens aus
der Urniere hervor, alle vielmehr aus dem Cölomepithel (Keimepithel).
Ich hebe dies wiederholt hervor, weil — siehe die Darstellung
p. 162 ft\ und die p. 3(30 11'. mitgeteilten Angaben über die Beteiligung
von Urnierenkanälchen an der Bildung des Hodenparenchyms — eine
solche Beteiligung von verschiedenen Seiten angenommen worden ist.
408 W. Waldeyer,
3. Die Ent Wickelung der weiblichen Geschlechtsdrüse,
Oophorogenese.
Nach CoERT vollzieht sich beim Kaninchen und der Katze die
Oophorogenese im Prinzipe zwar gleich wie die Orchiogenese,
im einzelnen jedoch verschieden. Zunächst haben wir, wie bei der
Hodenanlage und aus der inditi'erenten Anlage hervorgegangen, das
Keim epithel, darunter das periphere Blastem und unter
diesem wieder das kleinzellige, basale, das E,ete-Blastem Coert's.
Letzteres liefert die Kanälchen des Rete ovarii und setzt sich auch
mit einigen Ductuli eti'erentes des Epoophoron in oft'ene Verbindung.
Das periphere (subepitheliale), aus größeren Zellen bestehende Bla-
stem wird durch einwucherndes Bindegewebe unvollkommen in zwei Teile
zerlegt ; der zum Rete-Blastem gewendete tiefere liefert unter weiterem
Proliferationswachstum und unter Mitwirkung des Bindegewebes die
Markstränge, der oberflächlichere bleibt mit dem Keimepithel stets
in Verbindung bis zum Aufhören der Follikel- und Eibildung und
liefert die v. Winiwarter's c h e n K e i m s c h 1 ä u c h e (Pflügers che
Schläuche, E i b a 1 1 e n). In diesen erscheinen die Generationen
der Eier von den Oogonien an, welche v. Winiwarter geschildert hat
(s. p. 240 u. 362). Aus dem dort über v. Winiwarter's Ergebnisse
Mitgeteilten folgt, daß dieselben in den Hauptpunkten mit Coert's
Darstellung stimmen; nur läßt, wie bemerkt, v. Winiwarter die An-
lage der Markstränge und der Keimschläuche in zwei verschiedenen
Zeiten nacheinander erfolgen.
Während nun bei der Orchiogenese die einzelnen Anlagen ver-
bunden bleiben, löst sich dieser Zusammenhang bei der Ovarialanlage
in deren weiterer Ausbildung wieder auf, und zwar durch Atrophie und
anderweite Ptückbildung, insbesondere der Markstränge und des Rete
ovarii. Damit trennen sich die etwa verbleibenden Reste des letzteren
vom Epoophoron und von den Marksträngen. Von letzteren verbleiben
gleichfalls Reste, bei einigen Tieren, z. B. Hund und Katze, mehr,
bei anderen ( Kaninchen) weniger. Die Trennung der K e i m s c h 1 ä u c h e
von den Marksträngen vollzieht sich im wesentlichen durch die Um-
bildung der ersteren in die geschlossenen Follikel. Nach Aufhören
der Follikel- und Eibildung erfolgt auch die Trennung des Keim-
epithels von der Follikelzone unter Schwund der Verbindungsstränge,
invaginations epitheliales v. Winiwarter's. (S. Fig. 142.)
Ich verweise noch auf die bei Besprechung der Oogenese der ein-
zelnen Wirbeltierklassen über deren Ovarialanlage gemachten Angaben,
p. 375.
Die Arbeiten Coert's und v. Winiwaetee's sind dieser kurzen Rekapi-
tulation der Genese der Geschlechtsdrüsen zu Grunde gelegt worden, weil
sie die neuesten und weitaus eingehendsten Darstellungen dieses Gegen-
standes sind und weil sie sich auf die Säugetiere beziehen. Was andere
Species von Säugetieren anlangt, so kenne ich aus v. Skrobaxsky's dem-
nächst mitzuteilenden Untersuchungen die das Hausschwein betreifenden
Präparate ; von anderen Wirbeltieren genauer die Gonadengenese beim
Huhn, in den thatsächlichen Befunden stimmen sie mit den Angaben
und Abbildungen der beiden genannten Autoren so w^eit überein, daß ich
auch aus diesem Grunde deren Darstellung hier gefolgt bin.
Die Geschlechtszellen. 409
Von den Angaben anderer Untersucher soll hier noch auf Boksex-
Kow (M. 2898), Prenaxt (2834 u. 2835) Schclin (M. 1907) und Lau-
LANiE (M. 1889) verwiesen sein. Nagel's und Wexdelek's Unter-
suchungen wurde bereits gedacht. Bohsexkow, Prexaxt, 8cnui.ix und
Lailaxie finden bei der ersten Anlage der Geschlechtsdrüsen keinen
Unterschied zwischen deckenden epithelialen Zellen und den übrigen
mehr in der Tiefe liegenden Zellen ; die ganze primitive Geschlechtsdrüse
sei aus gleichartig erscheinenden Zellen zusammengesetzt; dieselben
sollen sich weiterhin in die späteren parenchymatösen und desmoiden
Bestandteile der Gonaden differenzieren.
CoERT und V. WiNiWARTER Stimmen in nachstehenden Haupt-
punkten überein: 1) Die parenchymatösen Bestandteile der
männlichen und weiblichen Gonaden stammen sämtlich in letzter
Instanz vom Cülomepithel ab, sowohl die Zellen, welclie den Inhalt
der Samenkanälchen bilden , Ursamenzellen und deren weitere Ab-
kömmlinge, die Spermien, mit den sie umgebenden Samenepithelzellen,
d. i. den Anlagen der vegetativen Hodenzellen (Fußzellen, SERTOLi'schen
Zellen), s. p. 164 ff., ats auch die Oogonien und dei-en Abkömmlinge,
die Oocyten und die Reifeier mit ihren Follikelepithelzellen. ^Yeiterhin
gehören hierher die F.pithelzellen der Tubuli recti und des Rete testis
einerseits wie die der Markstränge und des Rete ovarii andererseits.
Beide Autoren nehmen hierbei an, daß aus einer Cölomepithelzelle
(Keimepithelzelle) d u r c h d i r e k t e n U e b e r g a n g eine Spermatogonie
odei- eine Oogonie werde, während andere Keimepithelzellen direkt in
Follikelepithelzellen übergingen. Durch mitotische Teilungen ist für
ausreichendes Zellenmaterial gesorgt.
Was insbesondere die Stellung der Follikelepithelzellen an-
langt, so führe ich noch folgenden Satz aus v. Wixiwartek's Abhandlung
hier an (1. c. p. 76) : „II en resulte aussi que les cellules folliculeuses
ont une structure analogue aux oogonies, quelles ont la meme provenance
et que morphologiquement il est impossible de distinguer l'oogonie de
la future cellule folliculeuse."
CoERT ist nicht geneigt, denjenigen Abschnitt des Cölomepithels, der
zur Keimdrüsenanlage gehört und den Geschlechtszellen den Ursprung
giebt, als etwas Besonderes, als ein „Keimepithel" in dem Sinne Wal-
deyer's anzusehen ; wiederholt betont er, daß es ganz gleich sei dem
übrigen Cölomepithel, daß es höchst wahrscheinlich auch an der Bildung
des mesenchymatösen Stromagewebes teilnehme, und daß, vergl. die An-
gaben p. 239 u. 356, vielfach Ureier in dem Cölomepithel außerhalb der
Embryonalanlage, insbesondere am Mesovarium, gefunden würden.
2 ) Keinerlei parenchymatöser Bestandteil der Go-
naden stammt von Urnier enkanälchen ab. Es wurde be-
reits vorhin betont, daß die früher so vielfach angenommene Beteiligung
von Urnierenkanälchen am Aufbau der Geschlechtsdrüsen, namentlich
an dem der weiblichen, durch die neueren Untersuchungen sehr frag-
lich geworden sei. Ich bin auf Grund meiner jetzigeh Erfahrungen
gleichfalls zu dieser Ansicht gekommen.
3) Die Bildungen der Spermien und der Eier erfolgt
in ganz bestimmten Abschnitten des Gonadenparenchyms,
die" der Spermien ausschließlich in den Tubulis contortis, die der
Eier so gut wie ausschließlich in dem subepithelialen Parenchymlager
und dessen Abkömmlingen, den Keimschläucheu (boyaux germinatifs)
410 W. Waldeyer,
V. Winiwarter's — Rinden st rängen Coert's — Pflüger 'sehen
Schläuchen, Eib allen Walde yer's. Wenn, wie p. 364 an-
gegeben, vereinzelte Ureier- und Follikelbildungen auch in anderen
Teilen des Ovarialparenchyms, insbesondere in den Marksträngen ge-
funden werden (v. Kölliker, Rouget, Bühler u. a.), so scheinen
diese nicht zur endgiltigen Reife zu kommen. Auch in diesem Punkte
stimme ich Coert und Winiwarter völlig bei.
Nach dieser übersichtlichen Zusammenfassung der thatsächlichen
Ergebnisse lassen sich nunmehr die Homologieen zwischen den
männlichen und den weiblichen Gonaden aufstellen.
Daß im großen und ganzen zwischen beiden Gonaden eine fast
vollständige Homologie besteht, geht hervor aus ihrer bis in das
Einzelne gehenden gleichen Entwickelung von derselben Anlage aus,
wird unterstützt durch ihre gleichwertige topographische Lagerung
und ihr deskriptiv-anatomisches Verhalten, vor allem endlich durch
die so häufig als normale Vorkommnisse beobachteten hermaphroditischen
Zustände, insbesondere diejenigen Fälle, in denen ein und dieselbe
Geschlechtsdrüse zu einer bestimmten Zeit aus denselben zu ihr ge-
hörigen Zellen Spermien, zu einer anderen Zeit Eier hervorbringt.
Siehe darüber weiter unten. Läßt sich zeigen, daß die die Spermien
und Eier bildenden Zellen durchweg schon in den Furchungszellen
als Stammeszellen Boveri's angelegt sind, dann ist damit ein
w^eiterer Stützpunkt für die Homologie gewonnen. Wir kommen darauf
gleich zurück.
E. Van Benedbn hat für die einzelnen Abschnitte des Gonaden-
parenchyms bei Fledermänsen folgende Beziehimgen angenommen, ohne
jedoch streng homologe Begründung damit geben zn wollen :
Ovarinm: Testis:
1) cordons medullaires pleins Tiibuli contorti
2) cordons medullaires tubulaires Tubuli recti
3) Corps reticule Eete testis
Die cordons medullaires jDleins entsjirechen den Eindensträngen
(Keimschläuchen, boyaux germinatifs), die cordons tubulaires den Mark-
strängen, das Corps reticule dem Eete ovarii der vorhin angewendeten
Namengebung.
Coert macht darauf aufmerksam, daß sich der Annahme dieser Be-
ziehungen als streng homologer die Thatsache in den Weg stellt, daß
die Eindenstränge des Eierstockes sowohl zeitlich als räumlich sich nicht
in gleicher Weise entwickeln wde die Tubuli contorti. Es bestehe dem-
nach zwischen beiden keine vollständige Homologie. Ebensowenig be-
stehe eine solche zwischen den Marksträngen und den Tubulis rectis.
Er ist geneigt, die ovarialen Marksti'änge phylogenetisch zu erklären
aus der Annahme, daß bei den früheren Formen der Säugetiere dieselben
Ausführungswege für die Eier bestanden hätten wie für die Spermien,
wie dies noch die Acranier, Knochenfische u. a. zeigen; d. h. die Eier
w^ären vom Eierstocke aus durch ein Kanalsystem derselben Art, wie es
beim Hoden besteht, ausgeführt werden ; die Markstränge seien als ein
übrig gebliebener Teil eines solchen Kanalsystems zu deuten. Für die
nähere Begründung muß auf das Original verwiesen werden.
Ueber die homologen Beziehungen zwischen männlichen und weib-
lichen Keimzellen handeln noch Janssen's (120a, 120b) und für die
Pflanzen Goebel.
Die Geschlechtszellen. 411
P. 200 wurde bereits bemerkt, daß physiologisch die Epithelzellen
der Samenkanälchen und deren Abkömmlinge, die Fußzellen (SEUTOn'schen
Zellen) den Follikelzellen der Eiröhren und GEAAF'schen Follikel gleich
zu achten wären. Indem wir die Herkunft beiderlei Zellen zu Grunde
legen, dürfen wir sie auch für homologe Bildungen in demselben Grade
erklären, wie er für die Ei- und Samenzellen besteht.
Lassen sich nun aus den mitgeteilten Angaben über die Ent-
wickelung der Gonaden Anhaltspunkte für eine frühe Vor-
bildung der G e s c h 1 e c h t s z e 11 e n a u c h bei den li ö li e r e n
Wirbeltieren, insbesondere bei den Säugetieren, gewinnen?
Wenn man die Angaben von Nussbaum (683, 683d, 684) für Am-
phibien und neuerdings für das Huhn, von C. K. Hoffmann
(M. 1113 u. 3521) für Vögel und Selachier, von Beard (11, cc.) für
die Selachier, und von Eigenmann (1. c.) für Knochenfische —
vergl. auch die übrigen p. 401 u. 402 genannten Autoren — heranzieht,
so haben wir bereits eine stattliche Reihe von guten Beobachtungen,
welche für die Existenz NussBAUM'scher Geschlechtszellen bei den
Wirbeltieren sprechen. Nur für Säugetiere ist meines Wissens nichts
dergleichen beigebracht worden, s. das p. 239 Gesagte. Aus den hier
mitgel eilten Angaben läßt sich für diese Tierklasse auch nur w^enig
entnehmen, was zu Gunsten der frühen Entstehung der Geschlechts-
zellen spräche. Ich rechne indessen dahin die Angaben von Borsen-
Kow, Prenant, Schulin und Laulanie, betreffend die indifferente Be-
schaffenheit der Zellen der ersten Anlage ; dieselbe kann in einem für die
Annahme früh auftretender Geschlechtszellen günstigen Sinne gedeutet
werden, insofern sie für diese erste Zeit einen Gegensatz zwischen
einem als Quelle für die Spermien und Eier fungierenden Keimepithel
und den darunter gelegenen Zellen beseitigt. In demselben Sinne
kann die Bemerkung Coert's, daß es anfänglich schwierig sei, das
Cölomepithel von der übrigen Gonadenanlage abzugrenzen, heran-
gezogen werden und endlich das wiederholt erwähnte \'orkommen
von Zellen, die den Urgeschlechtszellen ähnlich sehen, an anderen
Bezirken des Cölomepithels. Das ist bis jetzt für die Säugetiere alles.
Manche weitere Untersuchungen werden hier noch nötig sein , um
diese kapitale Frage zum Austrage zu bringen.
ß) Unterschiede zwischen den männlichen und weiblichen Ge-
schlechtszellen.
Nachdem wir diejenigen Verhältnisse hervorgehoben haben, welche
den beiderlei Geschlechtszellen, männlichen und weiblichen, gemeinsam
sind, gleiche Entstehungsweise, gleiche Entwickelung bis zur reifen
Form u. a., muß auch von ihren Unterschieden die Piede sein. Wir
sprechen hier natürlich nicht von den gröberen Unterschieden zwischen
einem Reifei und einem Spermium, oder richtiger einer Spermatide,
sondern von etwaigen feineren Unterschieden bei den zarteren Struk-
turverhältnisseu und von solchen, die etwa bereits zwischen den Ur-
samenzellen und den Ureiern, oder gar bei den Stammzellen Boveri's
bestehen. Wir können gleich sagen, daß für die letzteren bis jetzt
keine Unterschiede bekannt geworden sind.
Auf einen Punkt bei den gröberen Unterschieden ist hier
jedoch nochmals zurückzukommen, und zwar auf das Verhältnis der Masse
des Protoplasmas in einer reifen Eizelle und in einer Spermatide,
412 . W. Walde YER,
s. ]). 90. Bei vielen Eiern, z. B. denen der Selacliier, Vögel,
Reptilien und Aini)hibien, ist die Protoplasmamenge des Ooplasma
ungleich viel größer; nichtsdestoweniger möchte ich jedoch an dieser
Stelle nochmals auf die p. 204 erwähnte Betrachtung von Brandes
hinweisen.
Von feineren Unterschieden wären hier zu nennen die p. 177,
188 u. 279 besprochenen Verhältnisse der Sphärenaj) parate, vor
allem die Ausbildung derselben zu Dotterkernen mit ünter'gang der
Centrioleu bei den Oocyten, während sie bei den Spermien einesteils zu
den Perforatorien sich umgestalten, anderenteils die Centriolen in be-
merkenswerter Ausbildung als „Halsknötchen" (Centrosomknötchen)
fortbestehen. Weiterhin wäre auf die AuERBACH'schen Untersuchungen
(612) über ein verschiedenes färberisches Verhalten der männlichen
und w'eiblichen Kernsubstanz hinzuweisen. Es sollen (untersucht
wurden verschiedene Fische, Amphibien und Gallus domesticus) die
chromatophilen Bestandteile der Keimbläschen und die Dotterkörper
bei Dopi)elfärbungen sich vorzugsweise mit roten Farbstoffen färben
— Ery thr ophilie — während der Kopf der Spermien die blaue
Farbe wählt — Ky an ophilie. Erythrophil ist dagegen der Sper-
mienschwanz ; das Protoplasma der Eizellen zeigt keine ausgesprochene
färberische Neigung, ist, wie Auerbach sich ausdrückt, amphichro-
matisch, jedoch häufiger erythrophil.
Ich teile zwar die Bedenken, welche Pappenheim (188) u. A. gegen diese
Unterscheidungen Aüerbach's ausgesprochen haben, kann jedoch nicht
umhin zu bemerken, daß ich mich an des letzteren eigenen Präparaten
von der Richtigkeit seiner Angaben für die betreffenden Species über-
zeugt habe. Uebrigens haben Wilson und Matthews (605a) und
Watase (M. 3428) für Spermien Aüerbach's Ergebnisse bestätigt,
letzterer mit der interessanten Einschränkung , die sich auch aus
Befunden Lukjanow's (Einige Bemerkungen über sexuelle Elemente beim
Spulwurme des Hundes, Arch. f. mikr. Anat., Bd. XXXIV, p. 397, 1889)
ergiebt, daß nach erfolgter Kojoulation Eikern und Spermakern gleiche
färberische Reaktion zeigen. So scheint mir eine ausgedehntere Nach-
prüfung nicht wertlos ; insbesondere sollten dabei Oogonien und Spermato-
gonien, junge Oocyten und Spermatocyten, so wie Stammzellen, z. B.
von Ascaris megalocephala, berücksichtigt werden.
Wichtiger als die noch unsicheren färberischen Verschiedenheiten
sind die Angaben von E. Zacharias (265, wo auch weitere Litteratur),
welche darthun, daß der Kern der männlichen Sexualzellen bei ge-
wissen Pflanzen viel reicher an Nuklein ist als der betreffende
weibliche Kern, sowohl der Kern der Eizelle, als auch der nach
Nawaschin bei der Doppelbefruchtung befruchtete Polzellenkern.
Nach den bisherigen Ermittelungen, vergl. darüber unter anderen
Schönfeld (231), lassen die Vorgänge, welche an den Kernen der
Spermatocyten und Oocyten in deren Wachstumsperiode ablaufen, im
großen und ganzen einen Vergleich zwar zu, doch wäre es verfrüht,
diesen schon jetzt im einzelnen ziehen zu wollen. Ob namentlich
die flaschenbürstenförmigen Gerüststränge auch bei der Spermiogenese
ein Homologon finden, ist mir zweifelhaft.
Die Geschlechtszellen. 413
Y) Der Einfluß der Geschlechtszellen auf die Bestimmung des Ge-
schlechts und seiner äußeren Charaktere.
Wir fassen in diesem Abschnitte zweierlei zusammen, eines steht
aber dem anderen nahe. Das erste zur Erörterung zu Stellende ist
die Frage, ob die Geschlechtszellen selbst es sind, welche
das künftige Geschlecht des aus einem Oospermium
hervorgehenden Embryo bestimmen. Diese Frage hängt
mit der prospektiven Ei- bezw. Spermiumstruktur zusammen und
wurde bei Erörterung der ersteren, p. 341, schon berülirt. Sie kann,
im Bejahungsfalle, weiter in die folgenden zerlegt werden:
1) Liegt es in der E i z e 1 1 e a 1 1 e i n , das Geschlecht im Oospermium
zu bestimmen oder im Spermium allem, mit anderen Worten:
giebt es, kurz ausgedrückt, männliche und w eil) liehe Reif -
ei er, oder, umgekehrt, männliche und weibliche Spermien?
2) Haben die Eizellen und die Spermien nur eine
geschlechtliche Potenz und welche?
Die Beantwortung dieser Frage ist begreiflicherweise vom
größten biologischen Interesse, wie überhaupt das ganze Gebiet von
der Bestimmung des Geschlechts. Doch haben war uns hier auf den
etwaigen Anteil der Geschlechtszellen zu beschränken. Ich werde
mich hier kurz fassen und mit Hinweis auf die neuen Erörterungen
von Beard (616 IV), V. Haecker (654a), Petrunkewitsch (687b),
0. ScHULTZE (706 I) und Watase (M. 3428) nur bemerken, daß alle
Genannten den Beginn der Geschlechtsbestim mung in irgend
ein Stadium der Heranbildung der Geschlechtszellen
selbst verlegen. Beard geht am weitesten zurück, indem er diese
Bestimmung bereits in den von ihm sogenannten „germ-cells^' des
betreffenden weiblichen Organismus bestehen läßt: „The deter-
mination of sex for the next generation thus lies with the germ-cells
of the female Metazoon organism"', — 1. c. p. 762.
Im übrigen schließt Beard's Erklärung der Geschlechtsbestimmung
manche Verwickelung ein, zumal er, wie es ja nötig ist, auch den
Hermaphroditismus und die Parthenogenesis mit berück-
sichtigen muß. So nimmt er an, daß bei der Ueberfübrung der Lebe-
wesen aus dem ursprünglichen geschlechtslosen zum geschlechtlichen Zu-
stande 4 Geschlechtsgameten entstanden seien: zwei Formen von Eiern,
männliche und \veibliche, und zwei Formen von Spermien. Die Beweise
hierfür erblickt Beard in dem ziemlich häufigen Vorkommen eines
Dimorphismus bei den Eiern und in den parthenogenetischen Zu-
ständen mit verschiedener Geschlechtsbestimmung der Eier, s. p. 341
und weiter unten, unter Abschnitt „Parthenogenesis". Für die Spermien
verweist er auf die Arbeiten von M. v. Brunx, Brock, Auerbach und
insbesondere von Mbves (172a und 172c), sowie auf die gleichfalls
ziemlich zahlreichen Befunde von geringerem Dimorphismus bei Samen-
fäden, s. p. 152.
Haecker hält die Möglichkeit der viererlei Geschlechtszellen Beard's
offen ; bei gewissen ßädertieren (D i n o p h i 1 u s) und bei einigen Pflanzen-
läusen (Phylloxera) sei der Fall von zweierlei Eiern: Männcheneiern
und Weibcheneiern und entweder indifferenten oder gar hermaphrodi-
tischen Spermien realisiert Er sowohl wie Petbuxkewitsch und be-
sonders 0. ScHLTLTZE diskutieren eingehender die sonstigen Möglichkeiten
414 W. "Waldeyer,
i;nd Theorien' der Geschleclitsbestimmung, welche letztere man in eine
progame, syngame und epigame unterscheiden kann. Bei der
progamen Bestimmung hat das Ei dieselbe in sich, bei der syngamen
wird das Geschlecht im Augenblicke der Befruchtung entschieden, sei
es durch das Spermium allein, oder durch das Zusammenwirken von
Ovium und Spermium; bei der epigamen werden noch die früheren
Embryonalstadien als indifferent angenommen und damit vielen Ein-
flüssen, die während der ersten Entwickelung noch einwirken können,
Thür und Thor geöffnet. Die progame Geschlechtsbestimmuug durch
das Ei hat die meisten Anhänger; sie ist bereits von B. S. Sciiultze
und Pflüger vor vielen Jahren aufgestellt und experimentell (Pflüger)
verteidigt worden. Vgl. die neueste Mitteilung B. S. Sciiultze's Central-
blatt für Gynäkologie, 1903, No. 1. — Ihr stimmen A. Räuber (692) und
Beard, wie für die Mehrzahl der Eälle auch 0. Schultze bei, wie mir
scheint, auch Petrunkewitsch, der jedoch außerdem eine syngame
Bestimmung zuläßt. Für letztere war Düsing in seiner bekannten grund-
legenden Abhandlung (Jenaische Zeitschr., Bd. XVII, 1884) im wesent-
lichen eino-etreten. 0. Schultze hält die svngame Bestimmung; für völlio;
unerwiesen. Die Lehre von der Epigamie, die seiner Zeit kein
Geringerer Is Leuckart (Art. Zeugung in R. Wagner's Handwörterbuch,
Bd. IV) verfocht, findet unter den neueren ernst zu nehmenden Arbeiten
über diesen Gegenstand keine Verteidigung mehr.
Schließlich seien noch einige nackte Thatsachen angeführt, welche für
die eine oder andere Annahme sprechen. Pur progame Bestimmung
ist anzuführen, daß einige Zwillinge und Doppelmißbildungen stets das-
selbe Geschlecht haben ; doch ist dies Pactum nicht absolut zwingend';
es kann auch syngam aufgefaßt werden. Progam müssen aber die
Erfahrungen bei der Parthenogenesis gedeutet werden ; parthenogene-
tische Eier können sich sowohl zu männlichen wie weiblichen Individuen
entwickeln. Eine syngame Deutung lässt die bei den Hymenopteren
festgestellte Thatsache zu, daß unbefruchtete Eier männliche, befruchtete
aber weibliche Nachkommen liefern. Vergl. übrigens hierzu noch die
neueren Veröffentlichungen von Petrunkewitsch (687a, 687b), Weis-
mann (722) und Dickel (631b), welcher letztere der von Petrunke-
witsch und Weismann energisch verteidigten Lehre von dem geschlechts-
bestimmenden Einflüsse der Befruchtung bei den Bienen entgegentritt
und einen solchen vielmehr in der Einwirkung von Drüsensekreten der
die Eier pflegenden Arbeitsbienen sucht, wie dies nach den Beobach-
tungen Grassi's bei den Termiten der Pall zu sein scheint (B. Grassi
e A. Sandias, Costituzione e sviluppo della Societä dei Termitidi, Atti
dell' Accademia Gioenia delle Sc. nat., (4) Vol. VI e VII, Catania 1893).
Weismann macht (722) mit Recht darauf aufmerksam, daß sehr wohl
die erwähnten Drüsensekrete (Speichel und Aehnliches) einen Einfluß
auf die Ges chl e cht sen t Wickelung haben können, während die
Geschlechtsbestimmung einzig und allein von der Befruchtung
(oder Nichtbefruchtung) abhängig sei. Bei den Termiten können sowohl
die Arbeiter, wie die Soldaten und Geschlechtstiere männlich oder weib-
lich sein, und dies wird durch die Befruchtung bestimmt ; ob aber ein
Individuum Arbeiter, Soldat oder Geschlechtstier wird, das hängt dann
von der Ernährung, bezw. Bespeichelung ab.
Daß auf die Eizelle während der Oogenese geschlechtsbestimmend
eingewirkt werden kann, lehrt das schlagende Experiment Nussbaum's
(684) bei dem bekannten Rädertiere H y d a t i n a] s e n t a. Jedes $ legt
Die Geschlechtszellen. 415
entweder nur weibliche oder nur männliche Eier, welche weder durch die
Befruchtung noch nach geschehener Befruchtung geschlechtlich mehr Le-
eintiußt werden können. Wohl aber können die Weibchen selbst progam,
und zwar durch ihre Ernährung, bestimmt werden: alle schlecht er-
nährten Weibchen liefern männliche, alle gut ernährten weibliche Eier.
Bei Hydra viridis, welcher Polyp der Regel nach Hermaphrodit
ist, aber auch eingeschlechtliche Individuen zeitigt, erzielte Nussbaum
durch den Wechsel der Ernährung bald die ausschließliche Bildung männ-
licher, bald die weiblicher Gonaden.
Versuche , welche 0. Schultze 2 Jahre hindurch bei Mäusen
nach verschiedenen Richtungen hin anstellte, ergaben keinen Anhalts-
punkt für eine Beeinflussung der Geschlechtszellencharaktere, wohl aber
zeigten sie, daß die Hypothesen, welche über einen Einfluß des Alters
der Zeugenden oder des Alters der Geschlechts^^rodukte, wie über einen
Einfluß der geschlechtlichen Inanspruchnahme, der Inzucht und Incestzucht
u. a. aufgestellt worden sind, für die Maus nicht zu verteidigen sind,
sicher also keine allgemeine Geltung haben.
Weitere Nachweise über diese Fragen und die umfangreiche betr.
Litteratur finden sich in dem Referate Hexxeberg's (Ergebnisse der
Anatomie und Entwickelungsgeschichte, herausg. von Merkel und Boxxet,
Bd. VII, 1898, p. 697) und in dem Werke Orchansky's, Etüde sur
l'heredite normal et morbide, St-Petersburg. 4. 1894.
Daß das Vorhandensein von thätigen Geschlechtsdrüsen die Ent-
wickelung der äußeren Geschlechtscharaktere beeinflußt,
welchen Punkt wir als den zweiten in diesem Abschnitte zu
besprechenden hinstellen, ist eine uralte Erfahrung, die das bei
Haustieren und sicher seit vorgeschichtlichen Zeiten auch beim Menschen
geübte „Kastrieren" (Verschneiden) gelehrt hat, so wie die Er-
scheinungen beim Auftreten der Pubertät. Diese letzteren sprechen
dafür, daß es vorzugsweise die Anwesenheit und Ausbildung der Ge-
schlechtszellen selbst ist, durch welche in einer uns noch nicht ver-
ständlichen Weise dieser so mächtige und mannigfache Einfluß, der
sich bis auf die Gehiruthätigkeit erstreckt, ausgeübt wird. ludessen
kann es nicht von vornherein bestritten werden, daß etwa auch die
Sekretionsthätigkeit der SERTOLi'schen Zellen im Hoden, über welche
neuerdings insbesondere Regaud (222 IX) und Loisel (153k) weitere
Mitteilungen gebracht haben, sowie die Thätigkeit der Follikelepithelien
(Regaud et Policard 525a — d), selbst vielleicht die der interstitiellen
Zellen, hier mit in Frage kommen. Als neueste Publikation auf diesem
Gebiete sei die Mitteilung von Foges (639b) erwähnt.
Eine scheinbare Ausnahme von der Bestimmung der äußeren
Geschlechtscharaktere durch die Geschlechtsdrüsen (Geschlechtspro-
dukte) bildet der P send ober maphroditismu s (s. unter d).
d) Hermaphroditismus.
Unter Hermaphroditismus wird, ganz allgemein gefaßt,
das Vorkommen von beiderlei Geschlechtsorganen und Geschlechts-
charakteren bei einem und demselben Individuum verstanden, gleich-
gültig, ob diese Organe oder Charaktere vollkommen oder unvoll-
kommen ausgebildet sind.
Nach Klebs (Handbuch der pathologischen Anatomie, I, 1876),
der einen schon von J. Fr. Meckel verfolgten Einteilungsplan auf-
nahm und durchführte, pflegt man gewöhnlich einen Hermaphro-
416 AV. Waldeyer,
(litis m US verus und spurius, oder P seudoherm aphrodi-
tismus zu unterscheiden. Beim ersteren sind bei demselben Indivi-
duum Keimorgane vorhanden, welche beiderlei Sexualzellen, S wie ?
hervorbringen. Entweder sind nun diese Keimorgane gesondert oder
in einem Organe vereinigt, welches dann als „ZAvitterdrüse" be-
zeichnet wird.
Der Pse udoh er maphroditi smus wird als masculinus
benannt, wenn die Geschlechtsdrüsen männlich, die übrigen Geschlechts-
organe und der äußere Habitus ganz oder zum Teil weiblich sind, im
umgekehrten Falle spricht man von einem P s e u d o h e r m a j) h r o -
d i t i s m u s f e m i n i n u s.
Die vorstehende Einteilung genügt dem praktischen Bedürfnisse,
reicht jedoch für eine wissenschaftliche Fassung nicht aus. Stephan
(708 I) hat jüngst nach dieser ßichtung hin eine neue gegeben :
autogamus
Hermaphroditismus effectivus < reciprocus
successivus
. .. ,. , ,. X f foecundus
potentiahs (s. potis) | g^gj.-^-^
{glandularis
tubularis
externus.
Beim effektiven Hermaphroditismus handelt es sich um eine Form,
bei der wirklich befruchtungsfähige Keimzellen gebildet werden und zu
bestimmungsgemäßer Verwendung kommen. Findet Selbstbefruchtung statt,
wie man sie bei isoliert lebenden parasitischen Hermaphroditen annehmen
darf (Bandwurmglieder sollen sich jedoch gegenseitig befruchten), so
haben wir die autogame Form, bei wechselseitiger Befruchtung (Lum-
bricinen, Schnecken u. a.), die reciproke; bringt die vorhandene Zwitter-
drüse zuerst nur Keimzellen einer Art, dann nur die der anderen hervor,
die successive (Myxine). Hierbei können erst Spermien im d darauf
die Eier gebildet werden, oder es geschieht umgekehi-t — Proterandrie,
Protogynie.
Der Potentiale Hermaphroditismus (Hermajohroditismus „potis" wäre
wohl der richtige lateinische Ausdruck) will besagen, daß alle Anlagen für
eine doppelte Geschlechtsthätigkeit thatsächlich vorhanden sind, daß sie
aber aus irgend einem Grunde nicht zu regelrechter Funktion kommen.
Kommt nur e i n Apparat nicht zur Thätigkeit, dann funktioniert das
hermaphroditische Wesen nicht hermaphroditisch, sondei-n unisexuel,
es handelt sich dann um einen Hermaphroditismus potentialis foecundus;
fehlt die Funktion beiden sonst gut ausgebildeten Apparaten, dann
handelt es sich um einen Hermaphroditismus potentialis sterilis.
Die Zunamen glandularis, tubularis und externus zum
H er map hr odi t ismu s ru dim en t ar ius wollen besagen, daß im
ersteren Falle die Keimdrüsen , im zweiten die ausführenden Wege,
im dritten die äußeren Genitalien oder auch nur der Gesamthabitus
hermaphroditische Verhältnisse in mehr oder minder ausgeprägter Weise
zeigen. Unter die Rubrik des Hermaphroditismus rudimentarius fallen
die meisten der bei den höheren Vertebraten und beim Menschen be-
obachteten Fälle. Dies und die Thatsache, daß die Protozoen und Proto-
phyten, wenn auch Konjugation, so doch keine individuelle Sexualität
zeigen, ferner der Umstand, daß zwischen den Keimdrüsen und den Ge-
Die Geschlechtszellen. 417
schlechtszelleu Homologie besteht, fuhrt, abgesehen von manchen anderen
Erwägungen, zu dem Schlüsse, daß der Hermaphroditismus nicht der
primäre Zustand der Bisexualität ist, sondern ihr als die einfachere
Form höchstens in Parallele gesetzt werden kann, wenn er nicht aus ihr
abgeleitet werden muß. Vgl. darüber A. Lang, Lehrbuch der vergl. Ana-
tomie der wirbellosen Tiere, 2. Aufl. (Mollusca), p. 373, Jena, G. Fischer,
1900, ferner Benda und Stephan, 1. c, 1. c. w. u. Besondere Verhält-
nisse, wie singulare Lebensweise, Befestigung am Wohnplatze, Parasi-
tismus, langsame Fortbewegung, wie bei den Schnecken u. a., spielen
bei der Enstehung des Hermaphroditismus als entferntere Ursachen mit,
und so erklärt es sich, daß er bei den Wirbeltieren, je höher sie ent-
wickelt sind, als effektive Form gar nicht mehr vorkommt. Die meisten
Beispiele der letzteren Form liefern die Wirbellosen. Fakultativ und
rudimentär findet er sich bei den Amphibien und bei wenigen Teleostiern,
bei einzelnen derselben und Myxine auch effektiv, s. p. 376 und 379.
Als primären Hermaphroditismus sieht Haecker die Fort-
pflanzungsweise der Volvox-Kolonieen an; vielleicht gehören auch
Spongien und Ctenophoren zu den Geschöpfen mit primärem
Hermaphroditismus (654a).
Unter den Wirbellosen zeigen den regelmäßigen effektiven Hermaphro-
ditismus außer den p. 385 aufgeführten Mollusken die wenigen noch
lebenden Arten der E c a r d i n e s (B r a c h i o p o d a), z. B. die Entenmuschel,
Lingula anatina, die B r y o z o a , die Tardigraden (Arachnoi-
dea), die Cirrhipedia (Crustacea), unter den W^ürmern die
Oligochaeta und einzelne P o 1 y c h a e t a (Anneliden), die H i r u -
dinea, einige ßhab diti s- Arten (Nematoda), die meisten Plathel-
m i n t h e s und einige Xemertini, unter den Echinodermen einige
lebendig gebärende 0 p h i u r e n , wie A m p h i ur a , und die M o 1 p a d i d a
und Synaptida, ferner die Ctenophora, die Gattung Hydra i;nd
einige andere Polypomedusen, einige Anthozoa, wie Cerianthus,
und manche Porifera (Coelenterata).
Z Witt er dr US eil finden sich bei dem ganzen Kreise der Herm-
aphroditen doch nur in den selteneren Fällen, am verbreitetsten noch
bei den Mollusken, Lainellibranchiaten wie Gasteroi)oden. In solchen
Drüsen können, wie bemerkt, die Eier und Spermien gleichzeitig und in
allen Abteilungen der Drüse d u r c h e i n a n d e r oder n a c h e i n a n d e r
entstehen, endlich in verschiedenen Abteilungen der Drüse neben-
einander (Pteropoda); dies führt dann über zu der häufigeren
Form der Zwitter mit getrennten Keimdrüsen. Bei Nacktschnecken
stellte Babor den merkwürdigen Fall fest, daß ein und dasselbe Tier
temporärer Zwitter sein kann, indem es sowohl vor wie nach der
Zwitterperiode eingeschlechtlich ist.
Bei den Phalangiden (Arachnoidea) bilden sich in einzelneu
Fällen Eier in den Hoden aus, die jedoch nicht zur Verwendung ge-
langen, sondern sich zurückbilden. Solche Verhältnisse finden sich
nicht selten bei den Amphibien, insbesondere bei den Rani den
und Bufonen. Bei diesen letzteren findet sich noch ein nicht sicher
zu deutendes Organ, BiDDER'sches Organ, in Form eines rudimen-
tären Eierstocks am oberen Ende der Keimdrüse bei beiden Ge-
schlechtern; es bilden sich auch Eier in demselben aus, die sich
jedoch nur bis zu einer gewissen Stufe entwickeln und dann regel-
mäßig degenerieren. Von den Ovarien ist es nicht so scharf ge-
Handbueh der Entwickelungslehre. 1. 27
418 W. Waldeyer,
schieden, wie von den Hoden; zuweilen entstehen in ihm auch Spermien.
Bei den gesclilechtsreifen Weibchen bildet sich das Organ zurück.
Es zeigt eine auffallend starke Vaskularisation, welche die der Keim-
drüsen weit übertrifft. Stephan meint, im Anschlüsse an die meisten
anderen Beobachter, unter denen vor allen noch Knappe (442b) zu
nennen ist, daß es morphologisch einem rudimentären Eierstocke ent-
spreche, indessen durch eine innere Sekretion (Zerfallsprodukte der
rudimentären Eier) eine bedeutsame, allerdings noch unbekannte
Funktion zu erfüllen habe. Policard (C. r. Soc. de Biologie, 1901,
citiert bei Stephan) sah nach Exstirpation des Organs die Tiere zu
Grunde gehen.
Bei denselben S Kröten, die ein BiDDEP'sches Organ besitzen,
findet sich übrigens außerdem noch hermaphroditische Eibildung in
den Hoden. Man bezeichnet solche Hoden als „Ovotestes". Daß
bei den geschlechtsreifen ? Bufonen sich das BiDDER'sche Organ
zurückbildet, stimmt sehr wohl mit der angenommenen Funktion des-
selben; denn dann werden im funktionierenden Ovarium selbst reich-
lich Eier, die zur Regression kommen, erzeugt.
Tür Weiteres und für Litteraturangaben ist bezügiicli der Vertebraten
auf die Abhandlung von Stephan (708 II), den Bericht Bonnet's (Ö18), die
Mitteilungen von K. Benda (Ergebnisse der allgemeinen Pathologie und
l^athologischen Anatomie, herausgegeben vonLuBARSCH und Ostertag, Bd. I,
Wiesbaden 1897) und Fr. Friedmaxn (642) zu verweisen; ferner siehe be-
züglich der Evertebraten Korschelt-Heider (666a). Einzelnes Bemerkens-
werte geben noch Boswald (617), G. Brühl (625), Cole (627a), Delitzin
(631), DöRRWÄCHTBR (633), Düchaxek (635), J. Frank (641), Garth
(643), Guericolas (649), Guinard (651), Ivopsch und Szy.monowski (666),
Messner (673, Fall von Hermaphroditismus verus beim Menschen), Sälen
(701, dasselbe), W. Nagel (681, Kritik der beim Menschen als Herm-
aphroditismus verus beschriebenen Fälle), Sangalli (702), Sumner (710),
Taruffi (711), V. La Valette St. George (713) iind Ward (720). Ueber
die bisher beim Menschen und bei den höheren Wirbeltieren
beobachteten Fälle sei noch besonders bemerkt, daß, wenn auch beiderlei
Keimdrüsenanlagen vorhanden waren, dieselben doch niemals beide zur
vollen funktionellen Ausbildung gediehen sich erwiesen.
e) Parthenogenesis, Ephebogenesis. Chreozygie. Apogamie.
Merogonie.
Mit dem von B. Owen (On Parthenogenesis or the successive pro-
duction of procreating individuals from a Single ovum, London 1849)
aufgestellten und von C. Th. v. Siebold (Wahre Parthenogenesis bei
Schmetterlingen und Bienen, Leipzig 1856) zuerst auf die richtigen Fälle
eingeschränkten Namen ,,Partheno genesis" oder „Jungfern-
zeugung^' bezeichnet man denjenigen Vorgang, bei dem sich ein
unbefruchtetes Ei normal entwickelungsfähig erweist: der von Ver-
WORN (Die physiologische Bedeutung des Zellkerns, Pflüger's Archiv
für die gesamte Physiologie, Bd. LI, p. 81) vorgesehene umgekehrte
Fall, daß sich ein Spermium embryonal weiterentwickelte, wird von
Rawitz als „Ephebogenesis", „Jünglingszeugung" benannt.
Als normales Vorkommnis, welches in regelrechter Weise zum
Entwickelungsgange gehört, ist die Parthenogenesis, sowohl bei
Tieren wie bei Pflanzen, eine seltene Erscheinung, viel seltener als
der Hermaphroditismus. Bei Tieren finden wir sie hauptsächlich unter
Die Geschlechtszellen. 419
den Würmern (Rotatorien) und Arthropoden (Phyllopoden, Ostra-
koden, Aphiden, Hymenopteren und Lepidopteren). Bei Wirbel-
tieren ist normale Parthenogenesis durch nichts bestimmt erwiesen,
siehe das p. SS Gesajite. Unter den Pflanzen zeigen sie die zu den
Fadenpilzen gehörenden Sa]) rolegn ien , Ohara crinita (Chara-
ceen), Marsilia (Pteridopliyta), ja auch Phanerogamen, wie Anten-
naria alpina, Alche milla- Arten nach Juel und Murbeck,
und in besonders interessanter Weise nach Solms- Laubach und
Treub Ficus hirta (Annales du Jardin botani(|ue de Buitenzorg,
Ser. 2, Vol. III, p. 124, 1902).
Nach allem, was wir wissen, stellt die Parthenogenesis einen von
der Amphigonie sekundär erworbenen Zustand dar, der den be-
treiTenden Lebewesen zur Eihaltuug ihrer Art gewisse Vorteile bringt,
ähnlich dem Hermaphroditismus. Weismann (M. 2403, p. 94) giebt
als solchen Vorteil die möglichst intensive Vermehrung an, welche
offenbar durch die Parthenogenesis gesetzt wird.
Die Parthenogenesis kann als dauernde oder als fakultative Ein-
richtung bestehen. Ein besonderes Interesse hat sie in letzter Zeit
dadurch gewonnen, daß, wie es scheint, allen Eiern die Fähigkeit
innewohnt, sich ohne spermische Befruchtung, oder, wie man
sagen kann, „a s p e r m i s c h^' zu entwickeln : k ü u s 1 1 i c h e P a r t h e n o-
genesis (Loeb), deren gegenwärtiger Ausbau sich auf die bahn-
brechenden Versuche der Brüder Hertwig (M. 1255) stützt.
Es handelt sich, so scheint es, darum, einen für das betreffende
spermisch unbefruchtete Ei adäquaten Reiz zu finden, der den
normalen Befruchtungsreiz des Spermium zu ersetzen vermag. Erprobt
sind insbesondere von Loeb: Herabsetzung des osmotischen Druckes bei
geeigneter Temperatur (für Seeigeleier), Zusatz von geringen Mengen
eines Kaliumsalzes zum Seewasser (für Eier von C ha et op t erus), eines
Calciumsalzes (für Eier von Amphitrite) — K-, Na-, Li-, Sr- und Mg-Salze
erwiesen sich hier wirkungslos — . Eier von Asterias konnten durch
n
Einwirkung; von Wasserstofifionen (erzielt durch geringen Zusatz einer — -
anorganischen Säure zum Seewasser) zur Eurchung angeregt werden,
welche Prozedur wieder bei anderen Eiern wirkungslos blieb. Bei dem
vorhin erwähnten Objekte Tkeub's, der Ficus hirta Vahl, scheinen
Insektenstiche den erforderlichen Reiz abzugeben. A. Mathews
(472b) erzielte parthenogenetische Entwickelung durch Schütteln der
Eier bei Seesternen. -
Loeb meint, daß, wie bemerkt, vielleicht alle Eier ein partheno-
genetisches Vermögen haben, daß aber unter normalen Bedingungen
die parthenogenetische Entwickelung so langsam ablaufe, daß das Ei
absterbe, ehe es ihm möglich ist ein vorgeschritteneres Eutwickelungs-
stadium zu erreichen. Durch die künstlichen Mittel werde der Prozeß
beschleunigt.
Bis jetzt ist es in keinem Falle gelungen, die Entwickelung bei
der künstlichen Parthenogenesis so weit zu treiben, wie bei der natür-
lichen ; man hat jedoch bei Wirbellosen schon vorgeschrittene Larven-
formen zu Wege gebracht. Daß man bei eingehenderen Studien
noch weiter kommen werde, darf mau wohl voraussetzen. Bei Wirbel-
tieren (Amphibien) ist noch nicht viel erreicht worden. Die neuesten
bei Rana temporaria von Henneguy (407a) unternommenen Ver-
27*
420 W. Waldeyer,
suche mit Salzlösungen erjiiaben eine Art Zerklüftung der Eier; die
Segmente enthielten aber keine Kerne. Henneguy spricht deshalb nur
von einer P send osegm en tation und von P seudo Segmenten.
Bald liefert die Parthenogenesis ausschließlich männliche
Nachkommen — Arrenotokie (Leuckart - Bienen), bald,
wenigstens in einer ganzen Reihe von Generationen, nur weibliche
— Thely tokie (v. Siebold, Beiträge zur Parthenogenesis der Arthro-
poden , Leipzig 1871, p. 225 — manche Phyllopoden, wie die
Cladoceren u. a.), Blattwespen vergl. Blochmann (M. 1952); end-
lich geht, wie es scheint, bei den meisten derjenigen Schmetter-
linge, wo fakultative Parthenogenesis besteht (z.B. Bombyx) sowohl
S wie 2 Nachkommenschaft aus den unbefruchteten Eiern desselben
Weibchens hervor.
Im großen und ganzen zeigen die Eier bei regulärer Partheno-
genesis keine Besonderheiten, doch sind solche in Bezug auf die
Größe und Beschaffenheit der Schale bei den Rädertieren und bei
Phylloxera beobachtet worden, hängen indessen wohl kaum mit
der Parthenogenesis selbst zusammen. Es muß aber hervorgehoben
werden, daß es sich durchaus um regelrecht gebildete, mit allen
Attributen versehene Eier handelt, nicht um „Pseudova'', wie man
die parthenogenetischen weiblichen Sexualzellen früher wohl angesehen
und benannt hat.
Weitaus die meisten untersuchten parthenogenetisch sich ent-
wickelnden Eier bilden nur ein Rieh tun gskör per cheu bei ihren
Reifeteilungen, für andere (bei Apis, Blochmann, bei Liparis, Platner)
werden zwei angegeben.
Schon Blochmann (M. 1952 u. 1953) war es aufgefallen, daß bei
parthenogenetisch sich entwickelnden Eiern, wie es Weismann 1885
(724) für Daphniden, ohne jedoch die Einzahl besonders zu betonen,
und Blochmann 1887 (M. 1952) für die Aphiden festgestellt hatte,
nur ein Richtungskörper auftrete. Blochmann suchte die Bedeutung
dieser Einzahl bei parthenogenetischen Eiern gegenüber der Zweizahl
bei den amphigonen oifenbar nach einer anderen Richtung hin als Wels-
mann, der kurz darauf 1887 (M. 2025) das von ihm sogenannte „Zahlen-
gesetz der Richtungskörperchen" aufstellte. Dies Gesetz stützt sich
nach der neueren Fassung Weismann's (M. 2403) insbesondere auf die von
0. Hektwig bei den Reifeteilungen von Ascaris megalocephala
ermittelten Thatsachen und will besagen, daß bei parthenogenetischen
Eiern die zweite Reifeteilung, bezw. die Ausstoßung des zweiten Rich-
tungskörpercbens wegfallen muß (s. Eig. 55), weil ihnen durch Spermium-
befruchtung keine ' neuen Chromosomen zugeführt werden und sie sich
somit ihre:i Cliromosomenbestand erhalten müssen. Bei spermisch be-
fruchteten Eiern wird durch den Spermakern neue Chromosomenmasse
hinzugeführt ; der sich ergebende Ueberschuß soll durch die Abstoßung
des 2. Richtungskörperchens ausgeglichen werden. Siehe jedoch hierzu
das Kapitel „E i r e i f u n g und Befruchtung".
Wenn Blochmann (1. c.) und Platner (M. 2344) neuerdings auch
bei parthenogenetischen Eiern (bei Apis und Liparis) 2 Polzellen beob-
achtet haben, so hat Brauer (307b) gezeigt, daß diese Befunde einer-
seits (bei Blochmann) noch nicht hinreichend sicher gestellt sind, anderer-
seits (bei Platner) die Möglichkeit besteht, daß die Eier seines Objektes
(Liparis) nicht zur weiteren Entwickelung kamen.
Die Geschlechtszellen. 421
Wertvoll ist der jüngst erhobene Befund von Petrunkewitsch (514b),
daß die parthenogetischen Eier von Artemia sali na ein Centrosom
(Centriol) besitzen. Dies spricht für die Lehre Boveiu's von der Rolle
der Spermien bei der Befruchtung, daß sie nämlich der Eizelle das Cen-
triol zuzuführen hätten, da, wie wir sahen, der befruchtungsbedürftigen
Eizelle das Centriol fehlt.
Die an sich sehr beachtens\verten Versuche von Rawitz (692b)
beweisen meines Erachtens nicht das X'orkonnnen einer Epheboseiiesis
in dem Sinne, wie Rawitz mit Verworn (siehe vorhin) diesen Begriff
gefaßt hat. (Siehe auch Boveri 622e, Anm. zu p. 165.) Thatsächlich er-
reichte Rawitz, indem er Spermien von Sphaer echinus granula-
r i s zu entkernten, aber sonst ganzen Eiern von H o 1 o t h u r i a t u b u -
losa — nicht kernlosen Eistücken wie Boveri und Belage — brachte,
Furchungsvorgänge und Entwickelung bis zur Blastulabildung unter
gleichzeitiger Teilung des eingedrungenen in einen Spermakern ver-
wandelten Spermienkopfes. Es gelang dies auch bei Verwendung von
unreifen Eiern, wie bemerkt werden mag, da angegeben worden ist
(s. 666a, p. 208). daß man bis jetzt nur bei reifen Eiern an über-
zählig eingedrungenen Spermienköpfen, die sich zu Kernen umbildeten,
Teilungen beobachtet habe. Ueberhaupt erinnert der ganze von Ra-
witz beschriebene Vorgang an das Verhalten der Nebenspermien bei
polyspermisch befruchteten Eiern, vergl. insbesondere Rückert (534).
Ephebogenesis im strengen Wortsinne als Gegenstück zur Par-
thenogenesis würde aber nur dann vorliegen, wenn man ein Sper-
mium auf irgend eine Weise allein zu einer Teilung, die mindestens
an Furcliung erinnerte, bringen könnte; auch müßte das Ooplasma
nicht an der Furchung teilnehmen. Man hätte sich wohl an die Spernia-
tiden oder an Spermien von Zellenform zu wenden. Daß im Sinne
Verworn's eine Ephebogenesis möglich wäre, soll nicht bestritten
sein. Ich füge noch hinzu , daß das Zerteilen des eingebrachten
Spermienkopfes in immer kleinere Stücke, bis sie kaum mehr
entdeckt werden konnten, wie dies Rawitz beschreibt, nicht dem nor-
malen Verhalten eines Furch ungsprozesses entspricht, sondern eher
einem Zerfalle gleicht. Wichtig ist an den Versuchen das auch von
Rawitz betonte Ergebnis, daß zu jeder Ooplasmamasse eine bestimmte
Menge Kernsubstanz gehört, um sie zur Entwickelung zu bringen.
Auch bei Pflanzen (Fucaceen) ist es gelungen, eine mero-
gonische Befruchtung und Entwickelung zu erzielen (Winkler 726e).
RosTAFixsKY hat dies bereits 1877 gleichfalls bei Pucaceen gezeigt, war
somit überhaupt der erste, welcher Teilbefruchtungen versucht und
festgestellt hat. Vergl. Giakd (645a).
0. Hertwig (661) hat mit dem Namen „B e f r u c h t u n g s-
bed ür ftigkeit" eine weitere Eigentümlichkeit der Gameten (Ge-
schlechtsweseu und Geschlechtszellen) gekennzeichnet, die eine Dis-
position für den Befruchtungsakt bedeutet. Als technischen Ausdruck
könnte man dafür das Wort „Chreozygie'' M verwenden. Hertwig
unterscheidet eine absolute und relative Befruchtungs-
bedürftigkeit. Absolut befruchtungsbedürftige Gameten, selbst
Infusorien oder Schwärms^joren von Algen, gehen alsbald nach Ein-
tritt dieses Zustandes zu Grunde, falls keine Befruchtung stattfindet,
1) Von -^ /^pEO) „Bedürfnis" und i^-zu^'^iJ-t „zusammenpaaren".
422 W. Waldeyer,
s. p. 398. Relative Chreozygie bedeutet, daß der Gamet nur vorüber-
gehend oder fakultativ befruchtungsbedürftig ist, wie z. B. die
B i e n e n e i e r.
Einen interessanten Fall von fakultativer Chreozg3de fand Berthold
(Die geschlechtliche Fortpflanzung der eigentlichen Phäosporen, Mitt. d.
zool. Stat. Neapel, 1881, Bd. II.) bei der Algenform Ectocarpus; hier
bleibt der weibliche Gamet nur wenige Minuten befruchtungsfähig, geht
aber, wenn unbefruchtet geblieben, nicht zu Grunde, sondern entwickelt
sich als Oospore weiter.
Der Vollständigkeit halber wollen wir nur kurz noch erklären,
daß Zustände bei Ptianzen beobachtet werden, wo die betreffenden
Arten ganz das Vermögen, was ihre Vorfahren besaßen und ihre Ver-
wandten besitzen, Geschlechtszellen (Gameten) zu bilden, eingebüßt
haben. Man bezeichnet dies Verhalten im allgemeinen als Apogamie,
und insbesondere dann, wenn der Verlust beiderlei Geschlechts-
zellen betrifft; sonst wird noch eine Apandrie von einer Apogynie
unterschieden. Findet (bei Pflanzen) auch keine Sporenbildung mehr
statt, dann spricht man von Aposporie. (Vergl. über Apogamie
unter anderen A. de Bary, lieber apogame Farne und die Erscheinungen
der Apogamie im allgemeinen. Botanische Zeitung, 36. Jahrgang).
Eine neuere geschichtliche Darstellung über Partheno"
g e n e s i s gab Taschexbbkg, Historische Entwickelung der Lehre von
der Parthenogenesis, Halle 1892. Weitere Arbeiten über die in diesem
Abschnitte behandelten Dinge aus neuerer Zeit lieferten Barfurth (280b),
Bataillon (615), Bonnet (618), Boveri (622e), Yves Delage (342a),
GiARD (381a u. 645), Grusdew (391), Henneguy (404), Janosik (433),
Leuckart (669a), J. Loeb (463— 463fj, Nussbaum (683b), Wilson (726c),
Winkler (726d, 726e) und Woltereck (609a).
C) Gametozygie.
P. 205 ff. ist mitgeteilt worden, auf welchen Wegen die Spermien
zu den Eizellen gelangen; es erübrigt, was auf p. 207 in Aussicht
gestellt wurde, anzugeben, wie sie in dieselben eindringen. Die
Gesamtheit aller der hier in Betracht kommenden Vorgänge und Er-
scheinungen bezeichnen wir als Gametozygie.
In erster Linie ist an die früher erörterten mechanischen Ein-
richtungen und Vorgänge der Spermien, welche sie zum Eindringen
in das Ei überhaupt befähigen, zu erinnern, an die Per f Oratorien
(p. 105) und an das aktive Bewegungsvermögen der Spermien
(p. 205 ff.); letzteres kommt, wie es insbesondere zuerst A. Schneider
(705a) und M. Nussbaum (M. 1143), dann E. Van Beneden (61(3a,
p. 138) gezeigt haben, auch den sonst meist unbeweglich gefundenen
Kugelspermien zu, sobald sie in Berührung mit der Eizelle getreten sind.
In zweiter Linie muß derselben Verhältnisse bei der Eizelle,
insbesondere der Mikropy lenapparate (p. 293, 295, 299 u. 308)
gedacht werden.
Zu bisher nicht Besprochenem übergehend, würde zunächst der
0 r t des Eindringens der Spermien in die Eizelle zu erörtern sein.
Ist eine Mikropyle oder eine ähnliche Einrichtung, wie z. B. die
Flocke des Petromyzonteneis, vorhanden, so ist der Ort genau be-
stimmt; es ist hierbei hervorzuheben, daß der Keim der Eizelle mit
Die Geschlechtszellen. 423
dem Keimbläschen oder dem Eikern immer in der Nähe der Mikro-
pyle gelegen ist.
Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß die Angaben E. Van Bene-
den's (616a) über eine eigenartige niikrop3denähnliche Einrichtung am
Ei von Ascaris megalocephala sich nicht bestätigen lassen (Boveei,
0. Zacharias).
Bei den Eiern von Anuren dringen die Spermien fast regel-
mäßig am dnnklen (oberen) Eipole ein (Xewport, Roux), bei den
Urodelen wird wenigstens der obere Pol bevorzugt. Die Stellen, an
denen Spermien eingetreten sind, lassen sich als hellere, leicht vertiefte
Marken, Empfängnisflecke, erkennen (Michaelis 479a). Bei
Amphioxus sieht man die Eintrittsstelle meist dem Eii)ole, an
welchem sich die Richtungskörperchen bilden, gegenüber liegen. In
anderen Fällen, z. B. beim Mäuse ei (nach Sobotta) und bei V es-
per ugo noctula (nach Van der Stricht 7ü9a), kann von einem
bestimmten Orte nicht die Rede sein, wenigstens ist nicht zu entdecken,
ob da, wo das Spermium eintritt, irgend etwas besonderes den Eintritt
Erleichterndes vorhanden war.
Weiterhin ist der Hilfs Vorgänge zu gedenken, durch welche
das Ei dem Spermium beim Eintritte entgegenkommt. Dahin gehören
der cöne d'attraction Fol's (Empfängnishügel). Man versteht dar-
unter das Hervortreten eines kleinen kegelförmigen Stückes des
Ooplasma an der Stelle, wo sich das erste befruchtungsreife Spermium
dem Ei bis zu einem gewissen Grade nähert; in diesen Ooplasmahügel
tritt das betreffende Spermium ein und wird mit ihm in das Ooplasma
hineingezogen; dieser Vorgang ist bei Seesterneiern (Asterias giacialis)
beobachtet worden. Vom cöne d'attraction ist der cöne d'ex-
sudation (Fol) zu unterscheiden. Dieser tritt (bei Seeigeln) als
kleine Erhebung nach Eintritt des Spermium an der Eintrittsstelle
auf. Seine Bedeutung ist unbekannt. Beiderlei Coni scheinen nach
denj Beobachtungen von A. Müller, Calberla, v. Kupffer und
Benecke auch bei der Befruchtung von Petromyzon-Eiern vorzu-
kommen. Näheres s. Kap. „Eireifung und Befruchtung".
Eine andere Frage der G a m e t o z y g i e betrifft d i e j e n i g en
Teile der Spermien, welche t hat sächlich in die Eizellen
eindringen. Fol u. a. haben für die Echinodermen-Eier angegeben,
daß nur der Kopf und der Hals eindrängen, der Schwanz
draußen bleibe und abgeworfen werde. Sobotta nimmt dasselbe für
das Mäuseei an. Umgekehrt hat jüngst Van der Stricht 1. c.) bei
Vesper ugo noctula den Eintritt des gesamten Spermium
nachgewiesen. Ebenso Rein (M. 1276) für Kaninchen, R. Fick (363),
als erster bei einem Wirbeltiere (für den Axolotl), und Michaelis
(L c.) für Triton, E. Van Beneden für Ascaris megalocephala.
Bemerkenswert ist die stärkere Färbbarkeit, welche den Angaben der
Beobachter zufolge an den eingedrungenen und eindringenden Sper-
mien sich herausstellt (E. Van Beneden).
Endlich handelt es sich um die Kräfte, durch die das begünstigte
Spermium, nachdem es infolge der förderlichen Bedingungen, welche
ihm die Kopulation der Geschlechter und seine Zahlenverhältnisse
(s. p. 157 u. 351) darboten, in die unmittelbare Nähe einer Eizelle ge-
kommen ist, nun zur Gametozygie gebracht wird. Hier spielen chemo-
taktische und vielleicht auch thigmotaktische, cytotaktische
424 W. Waldeyer,
(sexuelle Cytotaxis) und rlieotak tische Einwirkungen eine
Rolle. Bei Pfianzensperniien (Farnen) wissen wir durch die mit Recht
berühmt gewordenen V^ersuche von Pfeffer, daß geringe Mengen von
Aepfelsäure die betreffenden Spermien anziehen, und daß in den Arclie-
gonien derselben Farne Ae])felsäure gebildet wird (GS7c). Für Th igm o-
taxis (bei anderen Spermien) sprechen Beobachtungen von Dewitz
(M. 1239, 1240).
Lebende Spermien bewegen sich zu den Flächen des Objektglases
oder Deckglases oder eines zAvischenliegenden Gegenstandes hin und
verlassen dieselben nicht mehr , wenn sie sie erreicht haben ; sie sollen
sich an solchen Gegenständen regehnäßig, und zwar umgekekrt wie der
Zeiger einer Uhr, bewegen. — Massaht (M. 1266 und 158b) sah, daß
in Gallertschicliten von verschiedener Dichtigkeit Froschspermien den
dichteren Schichten zustrebten ; nun sind aber die Gallerthüllen beim
Froscheie desto dichter, je näher sie an der Dotterhaut liegen.
Verwohn (714) weist auf die rheotaktischen Einflüsse hin, welche
sich durch den Wimperstrom der Tubenflüssigkeit äußern können.
Solche und andere bestimmende Einflüsse müssen notwendig bei
Wasserbefruchtungen angenommen werden, wo Eier und Sperma ver-
schiedener Arten leicht gemischt werden können und wo doch die
zusammengehörigen sich flnden.
In dieser Beziehung sind besonders interessant die Beobachtungen
v. Dungern's (634a). Ihm zufolge produzieren gewisse Eier Giftstoffe
für die Spermien anderer Tierarten, so Seesterneier für die Seeigel-
spermien , jedoch nicht umgekehrt. Andere Substanzen bringen die
Spermien fremder Arten in den Gallerthüllen der Eier zur Agglutination,
so daß ihre Bewegung gehemmt wird. Wieder andere in den Eiern
erzeugte Stoffe, wirken auf die Artspermien hemmend und anziehend,
so daß sie sich in die zum Eindringen günstige Radiärrichtung ein-
stellen, für fremde Spermien wirken sie reizend, so daß die Bewegung
nicht in der zur Einstellung nötigen Weise gehemmt wird. Zum Be-
weise mischte v. Dunoern Gelatinelösung mit Eiextrakten und konnte
feststellen, daß sich die zu den betrefiPenden Eiern gehörenden Spermien
auch auf diese Gelatineschicht senkrecht stellten, während fremde ab-
gelenkt wurden. — Sehr bemerkenswert ist die Angabe von Schai'dixx
(230b), daß beiden Sporozoen die von den Makrogameten ausgestoßenen
Kernstückchen (s. p. 203/204) anlockend auf die spermienförmigen Mikro-
gameten wirken.
Es scheint übrigens, daß Samenfäden in alle möglichen Proto-
plasmastücke eindringen können, was ja auch nicht zu verwundern
ist; ich erwähne: eigene und fremde Spermien in kernlose Eistücke
und kernlose Eier, in reife und unreife Eier (Boveri), Rawitz (1. c),
in PJchtungskörperchen (vergl. die Angaben Platner's Arch. f. mikr.
Anat., Bd. XXVII, p. 35 über Arion, und Francotte's, Bull. Acad.
de Belgique, 1897, p. 278 über Prostheceraeus ; ferner diskutieren die
Möglichkeit einer Art Befruchtung der Richtungskörperchen Sobotta
und V. Kostanecki — Arch. f. mikr. Anat., Bd. XLVII, p. 330 — ), in
E n d 0 1 h e 1 z e 1 1 e n , s. Barjon und Cade, Cytologie des hydroceles etc.,
(Bullet, de la Societe des hopitaux de Lyon, No 6, 1902) in Leuko-
cyten, s. p. 157 u. a. In den letzten beiden Fällen kann es sich auch
um einen Phagocytismus seitens der genannten Zellen handeln.
Die Geschlechtszellen. . 425
Den größten Phagoc3'tismus sollen nach Iwaxzoff (438) die un-
reifen Eier der Holothurien an ihren Artspermien üben. Gab er zu sol-
chen unreifen Eiern Sperma, so drangen die Spermien scharenweise in die
Eier eines gewissen Entwickelungsstadiums — weder ganz junge, noch
reife eignen sich — ein, wobei ihnen das Ei durch Aussendung zahl-
reicher pseudopodienähnlicher Empfängnishügel nachhalf. Etwa nach
2 Stunden ist das Ei mit Spermien gesättigt und bildet nun keine Em-
pfängnishügel mehr ; es dringen dann auch keine weiteren Spermien
mehr ein ; am folgenden und übernächsten Tage konnte jedoch Iwaxzoff
die Spermienfütterung bei demselben Eie wiederholen. Die Spermien-
schwänze verschwinden alsbald im Ooplasma ; die Köpfe quellen, jedoch
ohne die charakteristische Strahlung, ein wenig auf und dringen in die
Kerne der Eizellen ein, woselbst sie einem feinkörnigen Zerfalle unter-
liegen ; die feinen Granula mengen sich, so scheint es, den Chromatin-
granulis des Kernes bei. Iwaxzoff knüpft hieran die Folgerung, daß die
Vorgänge der Eireifung das Ei unfähig machten, die eingedrungenen
Spermien zu verdauen, die dann zu regelrechter Kopulation mit der Ei-
zelle gelangen könnten.
Was die Zahl der in eine reife Eizelle normalerweise ein-
dringenden Spermien anlangt, so ist bei den meisten normalen Eiern
nnr ein penetrierendes Spermium vorhanden, Mono Spermie. Wenn
die Eier irgendwie geschwächt sind: durch längeres Warten auf die
Befruchtung, ungünstige Medien, Zusatz abändernder Reagentien,
Chloroformieren u. a. (0. und R. Hertwig) , dann treten auch
in monosperme Eier mehrere Spermien ein. Bleiben diese über-
befruchteteu Eier am Leben, so furchen sie sich in abnormer Weise
— pathologische Polyspermie Rückert (534). Nun giebt es
auch Eier, in welche mehrere Spermien eintreten können, die aber bis
auf das mit dem Eikern kopulierende „Hauptspermium" im Ei
schließlich phagocytisch verschwinden, ohne an demselben irgend einen
irregulären Prozeß hervorzurufen, „N e b e n s p e r m ie n''. Andere Eier
wieder — und dahin wären nach Rückert die Selachiereier zu rechnen
— haben eine regelmäßige Polyspermie. Aus den Köpfen der
eingedrungenen Nebenspermien gehen in diesem Falle Kerne hervor, die
sich teilen und, indem sie sich mit einem Teile des Protoplasmas der
Eier umgeben, echte Zellenkerne werden können, sogenannte Mero-
cyten und Mer ocy tenkerne. Obwohl die Bedeutung dieses Vor-
ganges noch nicht aufgehellt ist, hält Rückert ihn für einen zur
normalen Entwickelung solcher Eier gehörenden physiologischen, phy-
siologische Polyspermie. Wir haben es hier offenbar mit
wichtigen Erscheinungen zu thun.
In allen Fällen von Polyspermie kopuliert stets nur e i n Sper-
mium, das H a u p t s p e r m i u m , mit dem Eikerne, die G a m e t o z y g i e
bleibt eine mon os per mische. Vergl. unter anderem Rein, I.e.
Nur bei R i e s e n e i er n , die wahrscheinlich aber aus zwei verschmolzen
waren, beobachteten zur Strassen (568a) und Boveri (622a) eine
d i s p e r m e B e f r u c h t u n g.
Schließlich wäre noch der besonderen Einrichtung an den bei ver-
schiedenen $ Tieren (Urodelen, Evertebraten) vorkommenden Recepta-
cula seminis zu erwähnen, daß diese Oi-gane von den Muttertieren,
z. B. der Bienenkönigin, willkürlich geöffnet und geschlossen werden
können, so daß ein vorbeigleitendes Ei entweder befruchtet wird oder nichf.
426 W. Waldeyer,
Ich bemerke, daß sich bei E. Van Beneden (1. c.) eine sehr ein-
gehende Besprechung der Vorgänge der Penetration des Spermium, ins-
besondere für Ascaris mag al o c ephal a findet, die in vielen Punkten
ihren Wert behalten wird, wenn sich auch die vorhin berührten Angaben
Van Beneden's über einen Mikropylenapparat beim Ascaris-Ei als hin-
fällig erweisen sollten. Ferner ist hervorzuheben, daß Puckert (534)
noch weitere Erörterungen von größtem Interesse über die Annahme
eines Abstoßungsvorganges zwischen den Nebenspermien giebt. Doch wir
befinden uns hier auf der Grenze zwischen den Kapiteln „Geschlechts-
zellen" und „Eireifung und Befruchtung", welchem letzteren eine genauere
Erörterung der hier nur kurz zu berührenden Vorgänge vorbehalten,
werden muß.
Außer der schon citierten Litteratur seien noch erAvähnt : Van Bam-
BEKE (M. 1934), E. Van Beneden (M. 1223—1230), Blanchakd (M. 1231),
Böhm (M. 1232), Bonnet (296) — Spermien im Oolemma bei der Katze
— , Braus 310 (Polyspermie bei Urodelen), Calberla (1238), Dahl (628b),
GuiGNARD (M. 1244), 0. Hertwig (M. 1247—1253), Keber (M. 1250 u.
439), V. KuPFFER (M. 1263), Mark (M. 1265), Nicolas (682a). Nighoff
(M. 1270), RuscoNi (M. 1280), Schenk (M. 1281), 0. Schultze (M. 1287),
SoBOTTA (Bericht über Reifung und Befruchtung des Wirbeltiereies in
„Merkel-Bonnet, Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte",
Bd. V, p. 507, Wiesbaden 1896), Tafani (M. 1289), Whitman (M. 1295),
Waldeyer (M. 1290) — Referat.
O i^i) Greschichtliche Bemerkungen zu Abschnitt III und IV.
Für die Entwickelung unserer Kenntnisse vom Ei und vom Ver-
hältnis zwischen Samen und Ei verweise ich in erster Linie auf das
erste von 0. Hertwig bearbeitete Kapitel dieses Werkes, worin die
bemerkenswerten Umgestaltungen und Fortschritte unserer Kenntnis
dieser Dinge in ihren Hauptzügen dargestellt sind. Ferner ist, ebenso
wie im Abschnitt II (Samen), eine Anzahl hierhergehöriger Daten,
insbesondere auch die Erklärung der üblichen technischen Ausdrücke
mit Angabe ihres Urhebers in den Abschnitten III und IV dem Texte
einverleibt worden. Ich habe im folgenden nur noch einige Nach-
träge zu liefern:
Was für die Kenntnis des Anteils des männlichen Geschlechtes
an den Entwickelungsvorgängen die Entdeckung der Spermien durch
Ham und Leeuv^enhoeck^) bedeutete (s. p. 215), das bedeutet für
die des weiblichen Anteils die genau 150 Jahre später erfolgte Auf-
findung des unbefruchteten Säugetiereies innerhalb der GRAAP'schen
Bläschen des Ovarium (beim Hunde) durch K. E. von Baer, d. Z.
Professor der Zoologie zu Königsberg i. Pr. Es sei gestattet auch
hier den betreffenden Absatz der Originalmitteilung anzuführen.
Nachdem v. Baer geschildert hat, wie er in der Tube von Hündinnen
die Eier als weißliche Pünktchen aufgefunden hatte, und zw^ar in viel
jüngeren Stadien, als es vor ihm Regnerus de Graaf, Crt'ikshank und
Prevost et Dumas gelungen war, fährt er fort, p. 12 § 3 (Ovula in
ovario canino) :
1) Der Name wird bald „Leeuwenhoeck", bald „Leeuwenhoek" geschrieben.
Ich habe mich an diejenige Schreibweise gehalteü, welche sich in dem p. 215 citierten
Bande der Londoner Philos. Transactions findet. Sie ist auch in das von August
Hirsch herausgegebene „Bibliographische Lexikon", Bd. III, p. 651 übernommen
worden.
Die Geschlechtszellen, 427
„Restabat ut de ovorum conditione iu ovario certiorem me facerem ;
nam ova tarn parva (bezieht sich auf die kleinen, eben erwähnten punkt-
förmigen Tubeneier) vesiculas Graafianas ipsas ex ovario expulsas non
sistere luce clarius visum est, nee verisimile habui tarn solida corpuscula
in tubis ex vesicularum fiuiditate modo coagulata esse. Ovaria contemplans
jam ante omnem incisionem in quacumque fere vesicula punctum luteo-
album clare distinxi, quod velamentis vesiculae nullo modo affixum libere
liquore innatare jDressio, specillo in vesiculam facta, manifeste docuit.
Curiositate quadam potius seductus, quam spe motus me nudis oculis per
omnes vesicularum Graafianarum tunicas ovula in ovariis vidisse, vesi-
culam aperui, de quo dixi punctum cultelli lamina (tam distincte illud
vidi et a muco circumdante discrevi) arripui et microscopio subjeci.
Obstupui profecto, cum oviilum ex tubis jam cognitum tam clare viderem,
ut coecus vix negaret. Mirum sane est et inexspectatum, rem tam perti-
naciter quaesitam, ad nauseam usque in quocunque compendio physio-
logico uti inextricabilem tractatam, tam facillimo negotio ante oculos
poni posse."
War die Entdeckung der Spermien zum guten Teile ein Werk
des Zufalls, wobei es allerdings von nicht zu unterschätzender Be-
deutung blieb, daß dieser Zufall die Angelegenheit alsbald unter die
Augen "eines Leeuwenhoeck gelangen ließ, so ist auf der anderen
Seite selten die Entdeckung eines wichtigen naturwissenschaftlichen
Objektes auf so vorbedachte und methodische Weise zu Wege ge-
kommen, wie die des Ovulum mammalium. v. Baer wandte sich,
wie seine genannten drei berühmten Vorgänger, zuerst an den Uterus
und die Tube, und es gelang seinem überlegten Vorgehen und seinem
scharfen Auge die Eier in der Tube aufzufinden, so wie sie die Ovarien
eben verlassen hatten. Damit war für einen geübten Untersucher die
Entdeckung der Ovarialeier gegeben, wie v. Baer das selbst so klar und
packend beschreibt. Das, was die Auffindung erst so spät hatte ge-
lingen lassen, ist offenbar die enorme Größendifferenz zwischen den seit
langem bekannten Eiern der übrigen Tiere und dem Säugetierei gewesen,
verbunden mit dem Einschlüsse in einen Follikel, der selbst einem
Ei so ähnlich sah.
Seltsam, daß ein so scharfer Beobachter und Denker wie v. Baer
in der Deutung seines Fundes wieder in den schweren Irrtum verfiel,
das von ihm gefundene Ovulum als das Homologon des kurz vorher
von PuRKYNE beim Hühnerei entdeckten Keimbläschens (522) anzu-
sprechen, und dann gezwungenermaßen den GRAAp'schen Follikel
doch als das Homologon des Vogelgelbeies anzusehen, eine Verwechs-
lung, welche alsbald von Purkyne richtiggestellt wurde. Merkwürdig
ist aber wiederum, ich möchte sagen, die Divinationsgabe mit der
V. Baer um 50 Jahre seiner Zeit vorausschaut, wenn er, p. 29 seiner
Abhandlung, schreibt: „Vesiculam Purkinjii partem ovi efficacem esse
credo, qua facultas feminina vim exerceat, ut facultas masculina semini
inest virili" (!).
Das Keimbläschen der Säugetiereier wurde 10 Jahre später
gleichzeitig durch Coste {6-2S) und Wharton Jones (435a) nach-
ge\Yiesen; bezüglich der Entdeckung des Keimfleckes siehe das
p. 2G8 Gesagte. Th. Schwann gab in seinem khtssischen Werke
..Mikroskopische Untersuchungen u. s. f." die richtige Deutung aller
dieser Teile nach Maßgabe der Zellenlehre.
428 . W. Waldeyer,
Es sei beziiglicli der Namengebimg hierzu noch angemerkt, daß
V. Baek die Bezeichnung „Zona pellucida", C. Krau.se die Termini
„Oolemma" und „Discus oophorus" (statt Discus proligerus v. Babr) gab.
Siehe auch }>. 358.
Mit dem Jahre 1839, in welchem die Teile des Eies richtig ge-
deutet waren, schließt die erste Epoche der hier zu betrachtenden
geschichtlichen Entvvickelung ab. Nicht ganz 25 Jahre später, mit dem
Erscheinen der PPLÜGER'schen Monographie (517), an welche sich die
Arbeiten von Bornhaupt, Waldeyer, v. Mihalkovics und Janosik
anschlössen, beginnt die Erkenntnis der 0 o gen es e, nachdem Valen-
tin (Müller's Archiv, 1838, p. 52(')) und Th. Billroth (ebendaselbst,
p. 144) die ersten Spuren der Follikelbildung bei Säugetieren richtig
erkannt hatten. Weitere 10 Jahre darauf wird mit den Untersuchungen
von BtJTSCHLi, von 0. Hertwig, E. Van Beneden, Fol und Boveri
unsere Kenntnis von den unmittelbaren Beziehungen zwischen
Samen und Ei eröffnet, mit welchen die Studien über die feineren
Vorgänge bei der Eireifung und Spermienreifung von Balbiani, Van
Bambeke, Van Beneden, Benda, Carnoy et Lebrun, Coert,
V. Ebner, Flemming, Haecker, Henneguy, F. Hermann, 0. Hert-
v^iG, Meves, Rückert, Strasburger, Van der Stricht, v. Wini-
warter Hand in Hand laufen.
Diese Vorgänge stehen gegenwärtig noch im Vordergrunde der
Forschung. Als jüngstes Forschungsobjekt ist, seit M. Nussbaum's
Weismann's, Haecker's und Boveri's Untersuchungen die Frage
nach der Entstehung der Gameten durch die Lehre von besonde-
ren, eine Keim bahn herstellenden Geschlechtszellen
vertieft worden.
An diese Erweiterung unseres Gesichtskreises schließen sich die
Untersuchungen über a s p e r m i s c h e Befruchtung an , deren
Tragweite noch nicht abzusehen ist.
Die näheren Daten über diese seit 1839 erfolgten Fortschritte
sind teils im Texte dieses Kapitels angegeben, teils fallen sie in das
folgende (Eireifung und Befruchtung).
Einzelnes anlangend, so sei noch Nachstehendes angemei'kt :
E. Van Bexedex nimmt (wie seiner Zeit schon C. Krause) bei Kaninchen-
eiern noch eine feine Dotterhaut unmitttelbar am Ooplasma an (288).
Ebendaselbst (p. 522) gebraucht er den Namen „Pseud onu cleol i"
für das, was Elemming als Netzknoten bezeichnete.
Die Mikropyle beschrieben zuerst bei Pischeiern (Syngnathus)
und bei Loligo Doyere (L'Institut, 18. Jahrgang, I. Sect., Sciences
mathem., ph3^siq. et naturelles, 1850, p. 12, Seance 15 decembre 1849)
und Bruch (Zeitschrift für wissensch. Zool., Bd. VII, 1856, p. 172).
Die Bedeutung der Eier sämtlicher Tiere als Zellen wurde
vornehmlich von Gegenbaur, Mcller's Arch., 1861 erwiesen und darf
jetzt als allgemein angenommen betrachtet werden. Vergl. dazu das auf
p. 353 Gesagte. An dieser Stelle ist auch v. la Valette St. Gborge's
die Deutung der Eiteile abschließender Arbeit (584) zu gedenken.
Die Namen „ho lob las tische" und „meroblastische" Eier
sind schon von Remak gebraucht worden. Den neuerdings mehrfach
verwendeten Ausdruck „Geschlechtskerne" führte M. Nussbaum
(M. 3252, p. 132) zuerst ein.
Die Geschlechtszellen. 429
Daß die Spermien zur Befruchtung in die Eier eindringen, ist, irre
ich nicht, zuerst von Boxxet („Contemplations de la Nature" und
„Oeuvres d'Hist. naturelle, T. III, ]). 454, 1779j angenommen worden;
wenige Jahre später sprach sich v. Gleichex-Russworm in demselben
Sinne aus: ,,Abhaudluugen über Samen und Infusionstierchen", Nürnberg
1788. Die oft citierten Arbeiten von Barry (Proceedings Royal Soc,
Vol. IV, p. 432, Phil. Transact. London, 1843, p. 33) G. Neavport, On
the Impregnation of the Ovum in the Amphibia, Phil. Transact. IL Ser.
1853, Part. II) und H. Nelsox, (681b), sowie auch von Bischoff und
Keber (439) und alle späteren bis auf 0. Hertt^tcg (416a) und Fol (M. 1242
u. 1243) haben nur die Anwesenheit von Spermien in den
Eiern, und das auch nicht immer einwandsfrei, dargethan, nicht aber
ihren zur Befruchtung notwendigen Eintritt erwiesen oder
thatsächlich festgestellt. Erst 0. Hertwig's Arbeiten (416a)
brechen hier Bahn, und Fol (M. 1242, u. 1243) konnte die erste Be-
schreibung vom Akte des Eindringens (bei Wirbellosen — Echinodermen)
geben; Tafaxi (M. 1289j und Sobotta (556) lieferten sie für ein Säuge-
tier — Mus musculus.
Ueber die Bildung der Geschlechtszellen bei Bastardtieren, sowie
über die allgemeinen Verhältnisse der letzteren giebt eine eingehende
Zusammenstellung K. Ackermaxx: Tierbastarde, Kassel 1898. (Selbst-
verlag des Verfassers).
Die jüngsten menschlichen Eier in den Tuben sah wohl Le-
THEBY, Philos. Transact. Royal Soc. London, 1852, Vol. 57, P. I; ihre Unter-
suchung hat jedoch keine besonders bemerkenswerten Ergebnisse geliefert.
G. Platxer (M. 2004) war der erste, welcher feststellte, dass die
beiden letzten Reifetheilungen bei der Spermiogenese und Oogenese einander
entsprechen, daß also Oiden und Spermatiden homologe Bildungen sind.
Aiiliaiig zum Abschnitt Sperma.
Seit der Bearbeitung des Abschnittes „Ei" sind noch eine Reihe
wichtiger Arbeiten über Sperma erschienen, welche einen kurzen Kach-
trag erwünscht machen. In erster Linie sind die Abhandlungen von
G. Retzius (1. Weitere Beiträge zur Kenntnis der Spermien des Men-
schen und einiger Säugetiere, Biolog. Untersuchungen, Neue Folge,
Bd. X, 1902, p. 45, und 2. Ueber einen Spiralfaserapparat am Kopfe
der Spermien der Selachier, ebend. p. 61) anzuführen, in welchen
wichtige Beobachtungen über normale und abweichende Formen von
menschlichen Spermien, sowie die besten Abbildungen normaler
menschlicher Spermien gegeben werden. Retzius war so freundlich,
mir die Gliche s zur Verfügung zu stellen, so daß ich hier noch einige
Figuren normaler menschlicher Spermien zur Ansicht bringen kann.
Ferner entdeckte Retzius eigentümliche, bis jetzt noch nicht
beschriebene Spiralfädeu am Kopfe der Selachierspermien. Retzius
ist auch als der Entdecker der doppelschwänzigen Spermien beim
Menschen anzusehen, s. dessen Mitteilung vom Jahre 1881 (224). Ueber
die atypischen Formen der Spermien sind inzwischen auch ausführliche
Mitteilungen von J. Broman erschienen (61c. d, f), auf welche gleich-
falls noch ausdrücklich verwiesen werden soll. Nach den neueren Er-
fahrungen muß es zweifelhaft erscheinen, ob diese Formen schlecht-
weg als „pathologische'" zu bezeichnen sind.
Weiterhin gedenke ich der ausführlichen Arbeit von Meves (172c)
über die doppeiförmigen Spermien von Paludina und Pygaera und
430
W. Waldeyer,
u.
fülire daraus an , daß Meves Re-
duktionsteilungen im Sinne Weis-
mann's abweist, den Ausdruck Gen-
tr 0 s p h ären, welchen Strasburger
einführte, für die Hüllen um die
Centriolen gewöhnhcher Zellen an-
nimmt und den wiederholt mißver-
ständlich gebrauchten Ausdruck .,Idio-
zom" für die ,,Centrosphären" ruhen-
der Samenzellen, welche Sphären Be-
sonderheiten zeigen (p. 177), durch
die Bezeichnung „Cen trothecae"
ersetzt. Bezüglich des sachlichen In-
haltes kann auf p. 199 verwiesen
werden. Nur das wäre hinzuzu-
fügen, daß, wie die Entwickelung der
ungewöhnlichen (oligopyrenen und
apyrenen) Form dieser Spermien es
klar darthut, bei dieser Form das
Kernchromatin ganz oder fast ganz
fehlt. Nimmt man die Chromosomen
für die Vererbungsträger, so würde
also durch solche Spermien keine
oder nur eine unbedeutende väter-
liche Erbmasse übertragen werden
können. S. a. A. Schneider (705b).
Die Rückbildung nicht entleerter
Spermien wird eingehend von Bar-
FURTH besprochen (Biologische Un-
tersuchungen über die Bachforelle,
Arch. f. mikr. Anat., Bd. XXVII,
p. 160, 1886).
Endlich sei noch auf den in prak-
tischer Beziehung wichtigen dift'eren-
tiellen Nachweis von Sperma durch
das P räcipit in verfahren ver-
wiesen, welches in neuester Zeit von
Uhlenhuth und A. Schütze zu
unserer Kenntnis gebracht worden
ist. S. A. Schütze, lieber weitere
Anwendung der Präcipitine. Deutsche
mediz. Wochenschr., No. 45, S. 804,
1902.
Fig.
_ -p. 155. Zwei Spermien vom Menschen.
A von der KopffJäche, B von der Kopfkante
gesehen. Man erkennt das Vorderstück und
das Hinterstück des Kopfes, die Ziischärfung
des ersteren zum Perforatori um, den Hals
den zwei Halsknötchen (in Fig. A) und
Centrosomfäden, das Verbindungsstück,
Hauptteil und den Endteil des Schvvan-
Nach G. Eetzius (1. c). Gezeich, bei
mit
den
den
zes.
Zeiss, Apochrom. 2 mm. Ap. 1,30, Tub. IGO.
Ocul. 12, die Zeichnung dann 3X vergr.
B
Die Geschlechtszellen. 431
Litteraturverzeichnis.
Die nachstehend anfgot'ührten Schriften umfassen mit der für mich zur Zeit er-
reichbaren Vollständigkeit die (Vertebraten-lLitteratur vom Jahre 1893 bis Dezember
li)02 einschheßlich. Von älteren Werken sind diejenigen aufgenommen worden, welche
eine geschichtliche Bedeutung erlangt haben und größere zusammenfassende Dar-
stellungen bieten. Ferner führe ich solche an, welche in Mr^'OT's Bibliography of
Vertebrate Embryology (67.5) aus den letzten Jahren fehlen — alle Jahrgänge, die in
der „Bibliography" vertreten sind, habe ich nicht ergänzen können. Endlich wurden
auch einzelne Schriften geringeren Umfanges und älteren Datums citiert, welche im
Text gerade besonders berücksichtigt worden sind. Das Verzeichnis ist in drei Ab-
schnitte nach den 3 Kapiteln, in welchen die Lehre von den Befruchtungskörpern
hier abgehandelt ist, eingeteilt worden, jedoch läuft die Numerierung fort. Die
Litteratur des dritten Kapitels ist nicht vollständig gegeben worden, namentlich
nicht in den Werken, welche die hier nur in Kürze besprochenen Gegenstände:
Hermaphroditisraus, Ovulation, Menstruation und Parthenogenesis
betreffen. Doch sind die neueren Veröffentlichungen angeführt worden, sowie solche,
aus denen die fehlende Litteratur geschöpft werden kann. Bei den im Text gege-
benen Citaten aus Minot's Bibliography ist ein M. der Nummer beigefügt worden.
A, Sperma.
1, Aigner, A. Ueber das Epithel im Nebenhoden einiger Säugetiere und seine se-
kretorische Thätigkeit. Sitzb. d. K. Akad. d. Wiss. in Wien. Bd. CIX. Abt. III.
Okt. 1900.
1'. Andrain, J. Note sur Ic groupement des spermatozoides dans les tubes sernini-
föres sur les cellules de Sertoli. C. R. Soc. de Biologie. T. LIII. 1901.
la. B'Anna, E. Sulla spermatolisi nei Vertebrati. Ricerche Labor. Anat. di Roma.
Vol. in. p. 1-27. 1893.
Ib. Arthaucl, G. Etüde sur le testicule senile. These de Paris. 1885.
2, Auerbach, L. Ueber merkwürdige Vorgänge am Sperma voti Dytiscus marginalis.
Sitzungsb. d. K. PreuJ's. Akad. d. Wiss. p. 185. 1893.
3, — Zu den Bemerkungen des Herrn Ballowitz, betreffend das Sperma von Dytiscus
marginalis. Anat. Anz. 8. Jahrg. p. 627. 1893. (Auch über Doppelspermien von
Didelphi/s.)
3a. _ Spermatologische Mitteilungen. Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für
Vaterland. Kultur. Zool.-bot. Sektion. Sitzimg vom. 1. März 1894.
3b. — Untersuchungen über die Spermatogenese von Paludina vivipara. Jenaische
Zlschr. f. Naturiciss. Bd. XXX. p. 405. 1896.
4, BalUe, P. Zur Kenntnis der Xanthinkorper. Journ. f. prakt. Chemie. N. F.
Bd. XL VII. p. 559. 1893. (Bivretreaktion des Protamins.)
4a. Ballowitz, E. Die innere Zu^samviensetzung des Spermatozoenkopfes der Säugetiere.
Centralbl. für Physiologie. Hft. S. 1891.
4b, — Zur Lehre von der Struktur der Spermatozoen. Anat. Anzeiger. Bd. I. p. 363.
1886.
4c. — Zu der Mitteilung des Herrn Professor L. Auerbach in Breslau über „Merk-
würdige Vorgänge am Sperma von Dytiscus marginalis". Anat. Anz. Bd. VIII.
p. 505. 1893.
4d. — Zur Kenntnis der Samenkörper der Arthropoden. Internat. Monatsschr. f.
Anat. und Physiol. Bd. XL 1894.
5, — Untersuchtmgen über die Struktur der Spermatozoen etc. I. Die Spermatozoen
der VögeL Arch. f. mikr. . Anat. Bd. XXXIl. p. ^02. 1888. (IL behandelt die
Spermatozoen von Insekten [Coleopteren] . Zeitschr. f. u\ Zool. Bd. L. p. 317.)
III. Fische, Amphibien und Reptilien. Arch. f. mikr. Anat. Bd. A'XVTT. p. 225.
1890.
ß. — j)as Retzius'sche Endstück der Säugetier-Spermatozoen. Internat. Monatsschr.
f. Anat. u. Phys. Bd. VIL p. 211. 1890.
7. _ Weitere Beobachtungen über den feineren Bau der Säugetier-Spermatozoen.
Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. LH. p. 217. 1891.
8. — Fibrilläre Struktur und Kontraktilität. Pfliiger's Arch. f. d. gesamte Physiol.
Bd. XLVL 1890.
Qa. — Ueber das Vorkommen des Miniopterus Schreibersii Natterer in Deutschland
nebst einigen Bemerkungen über die Fortpflanzung deutscher Chiropteren. Zool.
Anz. Bd. XIII. p. 345. Jahrg. 1890.
9. — Die Bedeutung der Valentin' sehen Querbänder am Spermatozoenkopfe der
Säugetiere. Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abt. p. 193. 1891.
432 W. Waldeyer,
10. Balloiritz, E. Die Doppelspermatozocn der Dyticiden. Zeitschr. f. wis.s: Zool.
Bd. LX. p. 458. 1895.
11. -^ Bemerkungen zu der Arbeit von Karl Niessing über: Die „Beteiligung von
Centralkörper %md Sphäre am Aufbau des Samenfadens hei Säugetieren''. Arch. f.
mikr. Anat. u. Entw.-Oesch. Bd. XLVIII. p. 686. 1S97.
IIa. — lieber das regelmäfsige Vorkoimnen zweischwämiger Spermien im normalen
Sperma der Säugetiere. Anatom. Anzeiger. Bd. XX. p. 561. 1902.
12. Bardelehen, K. v. lieber den feineren Bau der menschlichen Spermatozoen.
Verhdl. d. Anat. Ges. (5. Vers.) in 3Iünchen 1891. p. 157. Jena, Fischer, 1891.
13. — lieber Spermatogenese bei Säiigetieren, besonders beim Menschen. Verhandlungen
der Anat. Ges. 6. Versamml. in Wien 1892. p. 202. Jena, Fischer, 1892.
14. — Präparate von Spermatogenese. Anat. Anz. Jahrg. 8. Ergänzungsheft. p. 206.
1893.
15. — Die Spermatogenese bei Monotremen und Beuteltieren. Verhdl. der Anatom.
Gesellsch. 10. Vers, zu Berlin, p. 88. Jena, Fischer. 1896. — S. a. Verhdl. der
Gesellsch. deutscher Naturf. m. Aerzte in Frankfurt a. M. Abt. f. Anatomie, p. 489.
1896.
16. - — Die Entstehung der Samenkörper. Anatom. Anz. Bd. XL p. 697. 1896.
17. — Dimorphismus der männlichen Geschlechtszellen bei Säugetieren. Anat. Am.
Bd. XIII. p. 564. 1897.
18. — Die Zwischenzellen des Säugetierhodens. (5. Beitrag zur Spermatologie.) Anat.
Anz. Bd. XIII. p. 529. 1897.
19. — lieber die Entstehung der Achsenfäden im menschlichen und Säugetiersperma-
tozoon. Anat. Anz. Bd. XIV. p. I45. 1898.
20. — Beiträge zur Histologie des Hodens und zur Spermatogenese beim 3Ienschen.
(7. Bettrag zur Spermatologie.) Arch. f. Anat. w. Entw.-Gesch. Supplementband,
p. 198. 1897.
21. — Eine neue Theorie der Spermatogenese. Verhdl. d. deutschen Naturf. u. Aerzte.
68. Vers. Frankfurt a. 31. Teil II. 2. Hälfte, p. 489. 1897.
22. — Weitere Beiträge zur Spermatogenese beim Menschen. (8. Beitrag zur Sperma-
tologie.) Jenaische Ztschr. f. Naturw. Bd. XXXI. 1898.
221. Battelli. Proprietes rheotactiques des spermatozoides. Arch. des Sc. pures et natur.
Genh-e. No. 12. p. 650. 1901.
22a. Bedt'taga, J. v. lieber die Begattung bei einigen geschwänzten Amphibien.
Zool. Anz. Bd. V, XIV u. XVL 1882. 1891 und 1893.
23. Beissner, H. Die Zwischensubstanz des Hodens und ihre Bedeutung. Arch. f.
mikr. Anat. und Entw.-Gesch. Bd. LI. p. 794. 1898.
24. Belajeff, Wl. Ueber Bau und Entwickelung der Spermatozoiden der Pflanzen.
Flora. Bd. LXXLX. p. 1. Ergänzungsband zu .Jahrg. 1894.
25. — Ueber den Nebenkern in spermatogenen Zellen und die Spermatogenese bei den
Farnkräutern. (Vorl. 3Iitt.) Ber. d. Deutschen botan. Gesellschaft. Bd. XV. 1897.
26. • — Ueber die Aehnlichkeiten einiger Erscheinungen in der Spermatogenese bei
Tieren und Pflanzen. (Vorl. 3Iitt.) Ber. der Deutschen botan. Gesellsch. Bd. XV.
1897. S. a. Compt. rend. de la Soc. des Naturalistes de St. Petersbourg. Vol. XXVII.
p. 16. 1896.
27. — Ueber die Spermatogenese bei den Schachtelhalmen. Ber. der Deutschen botan.
Gesellsch. Bd. XV. 1897.
28. — lieber die Cilienbildner in den spermatogenen Zellen. Berichte der Deutschen
botan. Gesellschaft. 16. Jahrg. Bd. XVI. p. I40. 1898.
28l. — Ueber die Centrosome in den spermatogenen Zellen. Ber. der Deutschen bot.
Ges. Bd. XVII. p. 199. 1899.
28a. Benda, C. Ueber die Spermatogenese der Säugetiere und ,, Weitere 3Iilteilungen
über die Sjyermatogenese der Säugetiere" und „Ueber Spermatogenese bei Vögeln,
Reptilien und Amphibien". Verhdl. der Physiölog. Gesellsch. Berlin. III. LV.
VLL VIIL XVIL XVIII. — Arch. /. Anat. u. Physiologie. Phys. Abt. 1885 u.
1886.
28b. — Ueber die Spermatogenese der Säugetiere und des 3Ienschen. Berliner klin.
Wochenschrift. No. 36. 1886.
28c. — Zur Spermatogenese und Hodenstruktur der Wirbeltiere. Anatom. Anzeiger,
2. Jahrg. p. 368. 1887.
29. — Unter su,chungen über den Bau des funktionierenden Samenkanälchens einiger
Säugetiere und Folgerungen für die Spermatogenese dieser Wirbeltierklasse. Arch.
f. mikr. Anat. Bd. XXX. p. 49. 1887.
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Gesellsch. zu Berlin 1889. p. 125. Jena 1889.
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Die Geschlechtszellen. 433
Internationales Centralblatt f. Physiol. it. Pathologie der Harn- u. Sexualorgane.
18S9.
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die Metamorphose der Samenzellen. (Histiogenese der Sjiermntozoen.) Verhandl. d.
Physiol. Gesellschajt zu Berlin 1891/9^. 18. Dezember 1891. S. Arch. f. Anatomie
u. Physiol. Physiolog. Abt. p. 549. 1891.
31. — Veber die Histiogenese des Saiiropsidenspermatozoons. Verhandl. der Anat.
Gescllsch. 6. Vers, in Wien 1892. p. 195. Jena, Fischer, 1892.
32. — Zellstrukturen und Zellteilungen des Salamanderhode7is. Verhandl. der Anat.
Gesellsch. 7. Vers, in Göttingen, p. 161. 189.3.
33. — Eine Mitteilung zur Samenbildung. Internat. Centralbl. f. Physiol. u. Pathol. der
Harn- und Sextialorgane. Bd. IV. p. 23. 1893,
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Sexualorgane von W. Zülzer. Abt. 1. j). 58. Leipzig. F. C. W. Vogel, 1894.
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spermien. Verhdl. der Anat. Gesellsch. Kieler Vers. p. 20^. 1898,
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d. Physiol. Gesellsch, in Berlin. 1896/97. Arch. f. Anat. u. Phys. Physiol. Abt.
p. 406. 1897.
37. — Ueber die Spermatogenese der Vertebraten und höheren Evertebraten. I. Ueber
die vegetativen Geschlechtszellen. II. Die Histiogenese der Spermien. Arch. f.
Anat. u. Phys. Physiol. Abt, p. 385 ti. 393. 1898, (Verhdl. der Physiol. Gesellsch.
in Berlin 1897/980
38. — Weitere Mitteilungen über die 3Iitochondria. Verhdl. d. Physiol. Gesellsch. in
Berlin 1898/99. Arch. f. Anat. n. Physiol. Physiol. Abt. 1899.
39. — und Perutz, F, Ueber ein noch nicht beachtetes Strukturverhültnis des mensch-
lichen Hodens. Verhdl. der Phys. Gesellsch. in Berlin 1898/99, Arch. f. Anat.
und Phys. Physiol. Abt. 1899.
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Berlin 1900-1901, Arch. f. Anat. und Phys. Physiol. Abt, 1900.
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47. Böhm, A, A, Ueber Reifung und Befruchtung des Eies von Petromyzon Planen.
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47 aa. Bot l es Lee, A, Nouvelles recherches sur le Nebenkern et la regression dufusceau
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berücksichtigt tverden.)
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1) No. 46 fällt aus.
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 28
434 W. Waldeyer,
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d' Anatomie microscopique. T. I. 1897.
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III. Session. Lyon 1901. Bibliographie anatomique. Supplement. 1901.
551 '. — et M. Sur le developpement precoce de filaments axiles dans les sperma-
tocytes de jyremier ordre chez Lithobius forficatus L. Bibliographie anat. T. IX.
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Paris. Sect. Histol, et Embryol. p. 46. 1900.
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Berlin. Bd. XVI 1897.
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28*
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119. HiS) W. Les travaux scientißqices du Prof. F. Mi es eher. Jiibliotki.quc iini-
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logie ztrischen chemischer und j)hysikalischer Thätiqkeit der Zelle. Anatom. Anz.
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121a. — lieber die Struktur der Samenkörper bei Säugetieren, Vögeln und Amphibien.
Anat. Anz. Bd. I. 1880.
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122. Ikeno, S. Vorläufige Mitteilung über die Sjiermatozoiden bei Cycas revoluta.
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123. tTohnston, IVycitt. On the jodine test for semen. Boston med. .turg. .lourn.
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124. Jordan, Ediv. O. The sjyermatophores of Diemyctylus (Diemyclylus viridescens).
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125. Ishikawa, C. Die Entivickelung der PuUenkörner von Allium fistulosum. Ein
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(Fehlt bei 3Iinot.)
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flüssigkeit wirbelloser Tiere nebst einem Versuche über das Wesen und die Bedeu-
tung der sogenannten Samentiere. SS p. 3 Taf. 4. Berlin 1841. (Philos. Lnaug.
Diss. der Univ. Zürich.)
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Xeue Denk.schrift.en der Schweizerischen Gesellsch. f. d. Naturwissensch. Bd. VILL.
p. 1. 184:7.
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Reports, p. 125. 1855.
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,,Kolosson" citiert.)
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und Entw. Gesch. Bd. LX. p. 233. April 1902.
130b. — Weitere Beobachttingen über des Vorkommen \r -förmiger Centralkörper. Anat.
Anz. Bd. XLX. p. 490. 1901.
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132. — Ueber die Nucleinsäure. Arch. f. Anat. und Phys. Phys. Abt. p. 157. 1893.
(In der ZeiUschrift für p>hysi alogische Chemie finden sich zahlreiche Originalarbeiten
Kossel's und seiner Schüler über die Chemie des Sperma, welche hier nicht sämt-
lich aufgezählt werden können. Es seien u. a. genannt: 1. A. Kossei. Ueber
die basischen Stoffe des Zellkerns. — 2. A. Kos sei. Ueber die Bildung des Thymin
aus Fischsperma [1 u. 2 in Bd. XXI u. XXII der Zeitschr. f. phys. Chemie. 1897
u. 189SJ. — 3. A. 3Iatthews. Zur Chemie der Spermatozoen. Zeitschr. f. phys.
Die Geschlechtszellen. 439
Ch. 1897. — 4- ^l- Kos sei. lieber die Konstitution der einfachsten Eitveifsstoße.
Ebd. 18US. — 5. D. KurajefJ. lieber das Protamin aus den Spermatotoen der
Makrele. Ebd. 1898. — 6. Wl. Guleioitsch. lieber das Arginin. Ebd, 1899. —
7. Wl. Gule IV tisch, lieber das Thymin. Ebd. 1899, — Eine kurze Zusammen-
stellung über die „ Nu cl einst off e " giebt A . Ko ssel in Lieb reich 's
EncykJopädie d. Therapie. Bd. IIT. 1900. — In allen diesen Artikeln weitere Lit-
teratur.)
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matozoa. Biol. Centralbl. Bd. T. p. 25. 1881.
134. — Der Spiralsaum der Samenfäden. Internat. Jlonatsschr. f. Anat. u. Physiol.
Bd. IL p. 170. 1885.
134a. — Die Spermatogenese bei den Säugern. Centralbl. f. die med. Wissensch. p. 3ö6
u. 401. 1881.
135. — Handbuch der menschlichen Anatomie. (3. Aufl. von C. Fr. Th. Krause's Hand-
buch.) Nachträge zur allgem. und mikrosk. Anatomie, p. 86. Hannover, Hahn'sche
Buchhandl, 1881.
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GeseUsch. Bd. XXIIL p. 3740. 1890.
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im Text nicht mehr berücksichtigt werden.)
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Den Herren Prof. Dr. K. Benda, Dr. F. Hein, Dr. Fr. Kopsch,
Dr. Fr. Meves nnd Geh. Rat Prof. Dr. Kny spreche ich für freundliche
Unterstützung durch Präparate. Zeichnungen, Litteratur - Nachweise,
sowie Hilfe bei den Korrekturen (Dr. F. Hein) besten Dank aus!
W.
Inhalts Verzeichnis .
pag.
I. Einleitung. Zeugungsformen. Begriffsbestimmung .... 86
II, Samen, Sperma.
a) Physikalisches und chemisches Verhalten . . 92
/?) Die Spermien 99
1) Kurze Uebersicht des Baues der Spermien; Teile derselben;
Nomenklatur 99
2) Grenauere Schilderung des Baues der Wirbeltierspermien 103
a) Kopf 103
b) Hals 107
c) Schwanz 111
3) Die Spermien der einzelnen Tierklassen und Tierordnungen 118
I. Acrania 118
II. Cyclostomata 119
III. Selachii 120
IV. Ganoidei 122
V. Teleostei 123
VI. Dipnoi 124
VII. Amphibia 125
VIII. Eeptilia 130
IX. Aves 132
X. Mammalia 136
XI. Homo 143
4) Spermien der Evertebraten und Pflanzen 148
Ueberblick der verschiedenen Sp)ermienformen .... 150
5) Varietäten der Spermien; Spermatophoren ; Reifungser-
scheinungen 152
6) Pathologische Ei'scheinungen 155
7) Zahl und Größe der SjDermien 157
Die Geschlechtszellen. 475
pag.
/) S p e r m i 0 g e n e s e 1 60
1) Spermioph3-logenese IHO
2) Spenniocytogenese 162
Die bei der Spermioc3'togenese auftretenden „N e b e n -
körper" 177
3) Spermiohistogenese 183
Spermiogenese der Pflanzen 202
ö) Rationelle Benennung der einzelnen Teile der
Spermien 204
f) Physiologische Bemerkungen 205
C) Greschi eh tliche Bemerkungen 215
m. Eier, Ova. Eimassen (Laich), Synoia 221
a) N a m e n g e b u n g , B e g r i f f s b e s t i m m u n g. U e b e r s i c h t
der Hauptteile der Eier. Bildung des Laichs 221
ß) Physikalisches und chemisches Verhalten der
Eimassen (Synoia)undder Eier 228
y) Morphologisches Verhalten der Eier 232
1) Allgemeine Darstellung des Baues der Eier 232
Ureier 233
Bau der weiter entwickelten Eier : Oocyte undE-eifeier 243
a) Ooplasma. Dotter 244
b) Keimbläschen und Keimfleck 259
c) Dotterkern 270. 271
Sphärenapparat (Centrosom, Centi'iolen) 279
Nebenkörper 284
d) Eihüllen (Involucra ovorum) und Befestigungsstücke.
Mikropyle 287
2) Die Eier der einzelnen Wirbeltierklassen und -Ordnungen 293
I. Acrania 293
II. Cvclostomata 295
III. Selachii 299
IV. Dipnoi, Ganoidei 302
V. Teleostei 303
VI. Amphibia 310
VII. Reptilia 313
VIII. Aves 317
IX. Mammalia 323
X. Homo 328
3) Eier der Evertebraten 333
4) Eier der Pflanzen 336
5) Prospektive Eistruktur 338
6) Varietäten der Eier 343
7) Pathologische Erscheinungen an Eiern. Mißbildungen.
Abnorme Einschlüsse. Rückbildung von Eiern . . . 344
8) Zahlen- und Größenverhältnisse der Eier 349
(5) Oogenese 353
1) Oogenese des Menschen und der Säugetiere 355
Eierstöcke 356
GRAAF'sche Follikel 357
Oocytogenese und Oohistogenese des Menschen und der
Säugetiere 362
Ovulation. Zusammentreffen von Spermien und Ei, ekto-
pische Schwangerschaften, Corpora lutea 369
47G W. Waldeyer, Die G-eschlechtszellen.
Mehreiige Follikel und mehrkernige Eier 372
Zeitdauer und Perioden der Oogenese 373
2) Oohistogenese : Einzelnes 374
3) Oogenese und Oophorogenese der übrigen Vertebraten . 375
I. Acrania 375
II. Cyclostomata 21(\
III. Selacliii 37G
IV. Dipnoi 377
V. Ganoidei 377
VI. Teleostei 378
VII. Amphibia 37U
VIII. Reptilia 379
IX. Aves 380
4) Oogenese und Oophorogenese der Evertebraten .... 380
I. Porifera 380
II. Coelenterata 381
III. Vermes 382
IV. Mollusca 385
V. Arthropoda 386
5) Oogenese der Pflanzen 388
f) Phy si ol 0 gis ch e B enie r kun gen 395
1) Bewegungserscheinungen am Ei 395
2) Schutzvorrichtungen 396
Brutpflege 398
IV. Gemeinsames für beiderlei Geschlechtszellen, Spermien und Eier 399
a) Die Abkunft und Homologie der Geschlechts-
zellen. D i e E n t s t e h u n g d e r G on a d e n . . . . 400
1) Die erste Anlage der Geschlechtsdrüsen 406
2) Die Entwickelung der männlichen Geschlechtsdrüse, Orchio-
genese 407
3) Die Entwickelung der weiblichen Geschlechtsdrüse, Oo-
phorogenese 408
ß) Unterschiede zwischen den männlichen und
weiblichen Geschlechtszellen 411
y) Der Einfluß der Geschlechtszellen auf die Be-
stimmung d e s G e s c h 1 e c h t s u n d s e i n e r äußeren
Charaktere 413
(5) Hermaphr 0 ditismu s 415
e) Parthenogenesis, Ephebogenesis, Chreozygie,
A p 0 g a m i e , M e r 0 g 0 n i e 418
C)Gametozygie 422
Monospermie, Polyspermie 425
tf) Geschichtliche Bemerkungen zu Abschnitt III
und IV 426
AnhangzumAbschnittSperma 429
Litteraturverzeichnis 431
A. Sperma 431
B. Ova 447
C. Ova et Sperma. Allgemeines 466
Inhaltsverzeichnis 474
Zweites Kapitel.
Eireife und Befruchtung.
Von
Professor Richard Hertwig.
I. Einleitung,
Die vielerlei Schwierigkeiten, welche der Untersuchung von Ei-
reife und Befruchtung bei Wirheitieren entgegenstehen, sind Ursache,
daß wir von keiner einzigen Art eine erschöpfende, zusammen-
hängende Darstelhing dieser so wichtigen Entwickelungsprozesse be-
sitzen. Unsere Auffassungen, welche im Laufe der letzten 30 Jahre
vom Wesen beider Vorgänge gewonnen worden sind, sind fast aus-
schließlich das Produkt von Beobachtungen und Experimenten, welche
an wirbellosen Tieren, besonders an Echinodrrmen und Würmern an-
gestellt wurden. Unter diesen Umständen empfiehlt es sich, ehe wir
uns den an Wirbeltieren angestellten, mehr oder minder lückenhaften
Untersuchungen zuwenden, eine zusammenhängende Darstellung vor-
auszuschicken, welche sich auf das Studium wirbelloser Tiere stützt.
Eireife und Befruchtung sind Prozesse, welche theoretisch
scharf auseinandergehalten werden müssen ; sie sind auch in der
Natur öfters zeitlich in der Weise getrennt, daß die Eireife zu ihrem
völligen Abschluß gelangt, ehe die Befruchtung einsetzt. Noch häufiger
greifen jedoch beide Prozesse in ihrem Verlauf ineinander, indem
die letzten Phasen der Eireife sich erst nach der Vereinigung von
Ei und Spermatozoon abspielen, woraus es sich erklärt, daß man
vorübergehend irrtümlich in der Auslösung der Eireife Zweck und
Aufgabe der Befruchtung erblickte.
Das zu seiner vollen Größe herangewachsene Ei (Eimutterzelle, 0.
Hertavig ; Oocyte I. Ordnung, Boveri ; Vorei, Waldeyer) ist so lange
noch als unreifes Ei zu betrachten, als es seinen ursprünglichen Kern,
das Keimbläschen, enthält. Das Keimbläschen (Vesicula germi-
nativa, PuRKiNjE'sches Bläschen) (Fig. 1561) ist ein Kern von ungewöhn-
licher Größe, reich an Flüssigkeit (Kernsaft), durchsetzt von einem
Netzwerk feiner Fäden, dem Liningerüst, umschlossen von einer festen
Membran. Der wichtigste Bestandteil des Kernes, das Nu dein oder
478
R. Hertwig,
C b i'o 111 a t in , ist hei Eiern verscliiedener Tiere oder auf verschiedenen
Entwickelimgszuständen desselben Eies in sehr verschiedener Weise
angeordnet. Als einfachsten Fall können wir betrachten, daß das
Chromatin zu einem einheitlichen Körper, einem Nucleolus, zusammen-
geballt ist (vielfach Pseudonucleolus oder Karvosom genannt). An
demselben muß man dann eine Grundlage, das Plastin Carnoy's, Py-
renin Schwarz's, Paranuclein 0. Hertwig's, von dem in die Grund-
lage eingebetteten eigentlichen Chromatin unterscheiden. Denn nicht
selten sind beiderlei Substanzen räumlich gesondert, indem ein chro-
matisches Körperchen dem Plastin angefügt oder von ihm umschlossen
ist. So entsteht der gemischte Nucleolus, Amphinucleolus Waldeyer's.
Ein anderes Extrem der Kernbeschaffenheit ist gegeben, wenn das Chro-
Fig. 156. Eier von Strongylocentrofiis lividus (Seeigel),
nucleolärem Keimbläschen, II. reif mit Eikern. Vergr. 350.
I. unreif mit-uni-
matin in Form feinster Körnchen dem Liningerüst zur Bildung eines
„chromatischen Reticulum'' eingelagert ist. Im Gerüst können dann
noch größere, schwach färbbare Körperchen liegen, chromatinfreie, reine
Plastinnucleoli, vielfach auch Nucleoli im engeren Sinne genannt. Bei
großen dotterreichen Eiern endlich findet man viele, oft nach Hun-
derten zählende Nucleoli, welche durch große Färbbarkeit ausgezeichnet
sind. Es ist noch immer strittig, ob bei diesen pluriuucleolären Keim-
bläschen das Chromatin nur in den Nucleoli oder zum Teil in den Nu-
cleoli, zum Teil im Kerngerüst enthalten ist (vergl. hierüber auch
p. 2(54 u. f.)
Vergleichen wir mit dem unreifen Ei das reife (Fig. 156 II), so finden
wir in ihm das Keimbläschen durch den Eikern (weiblichen Vor-
kern, pronucleus femelle) ersetzt, ein außerordentlich viel kleineres
Bläschen, welches schwierig in
zu finden ist, zumal als es sich
konnte man lange Zeit an der
der ansehnlichen Masse der Eizelle
so gut wie gar nicht färbt. Daher
Ansicht festhalten, daß das reife Ei
das Stadium kernloser Organismen
die relativen (Trößenverhältnisse von
)läschen können die ein reifes und ein unreifes Seeigelei
kernlos sei und phylogenetisch
(Moneren) rekapituliere. Ueber
Eikern und Keim
bei gleicher Vergrößerung darstellenden Figuren 156 I u. II orientieren.
Am Eikern unterscheidet man, al)gesehen vom Kernsaft, ein Reticulum
und Nucleoli. Trotz der geringen Färbl^arkeit des Reticulums muß man
annehmen, daß ausschließlich in ihm alles Chromatin in feinster Ver-
teilung enthalten ist.
Die Umbildung des unreifen in das reife Ei erfolgt auf dem
Wege der „R i c h t u n g s k ö r p e r b i 1 d u n g" . Das Keimbläschen rückt
an die Oberfiäche des Eies; seine Hauptmasse schwindet, wahrscheinlich
Eireife und Befruchtung.
479
indem sie dem um^Liebendeii Protoplasma beigemengt wird. Daß dabei
Bestandteile nach anßen entleei-t werden, ist nicht sehi' wahrscheinlich.
Was vom Keimbläschen erhalten bleibt, liefert die charakteristische
Figur des in Teilung begriffenen Kernes, die Spindel (Fig. 157). Diese,
die Hichtuugsspindel genannt (fuseau de maturation), tritt in
zwei Modifikationen auf. Bei vielen Eiern (den Eiern der MullubJcen,
J?;gvf4'jÄ^'
Fig. 157. Eichtungskörperbildung von Ascaris mecjaloccphala. I. — III. Bildung
des eröten Richtungskörpers.. IV. — VI. Bildung des zweiten Eichtungskörpers.
1 erster, 2 zweiter ßichtungskörper (nach BovERi).
Seesterne, vieler Würmer) sind die Spindeljjole durch kleine Kör-
perchen, die Centrosomen, bezeichnet; nach denselben konver-
gieren die Spindelfasern; sie sind zugleich Ausgangspunkt von Proto-
plasmastrahlung. Bei anderen Eiern (z. B. den viel untersuchten
Eiern von Äscaris megalocephala) fehlen die Centrosomen und mit
ihnen die Strahlungen (Fig. 157). Die Spindelfasern verlaufen einander
im wesentlichen parallel und verleihen dem Körper der Spindel eine
tonnenförmige Gestalt. Die Richtungsspindel zeichnet sich außerdem
aus durch eigentümliche Zahl und Beschaffenheit der C h r o m o -
somen, jener bald stab-, bald schleifenförmigen Körjter, in denen
das gesamte für die Weiterentwickelung bedeutungsvolle Chromatin
enthalten ist.
der Chromosomen anlangt, so weicht
Chromosomen in den (xewebszellen ab.
im Laufe der Kernteilungen auftretenden
Gewebszellen einer bestimmten Tierart
Was zunächst die Zahl
dieselbe von der Zahl der
Wir wissen, daß die Zahl der
Chromosomen für sämtliche
die gleiche ist, z. B. für manche Seeigel 36, für Artemia, eine branchio-
pode Crustacee, 16<S. In der Rieh tun gs spindel dagegen sind
i m m e r nur halb so viel C h r o m o s o m e u vorhanden (in den
erwähnten Fällen 18, 84).
Die Gestalt der Chromosomen ist öfters die gewöhnliche
schleifenförmige. Sehr häufig findet man aber die so charakteristischen
T e t r a d e n oder V i e r e r k u g e 1 n (Fig. 157 1. Von den 2 Chromo-
somen der Ascaris meqalocejjhala z. B. besteht ein jedes aus 4
kugeligen Teilen, die in der Weise angeordnet sind, daß sie die Ecken
eines Quadrats einnehmen. Die Viererkugeln lassen von vornherein
zwei Auffassungen zu : die eine — welche hier angenommen worden
ist — faßt jede Viererkugel als ein Chromosom auf, bei welchem
eine Teilung in 4 Stücke vorbereitet ist; die andere erklärt jede ein-
zelne Kugel für ein Chromosom, die Viererkugel für einen Komplex
480 R. IIertwig,
von 4 Cliroinosomen. Die erstere Auffassung ist vorzuziclicii. weil
durch sie Uebereinstininiung erzielt wird mit den Fällen, in denen
keine Viererkugeln, sondern gewöhnliche Chromosomen wie bei anderen
Karyokinesen gebildet werden. Nur wenn man sie annimmt, gilt der
oben aufgestellte Satz, daß die Zahl der Chromosomen in der Rich-
tungsspindel nur halb so groß ist wie die Chromosomenzahl bei ge-
wöhnlichen Karyokinesen. Die Viererkugeln sind dann als Produkte
einer verfrühten Teilung aufzufassen. Wie es vorkommt, daß in
einer Zelle die Kerne sich mehrmals teilen, ehe die Zellteilung erfolgt,
so haben sich die Chromosomen zweimal hintereinander geteilt, ehe
die Kernspindel die zugehörigen zwei Teilungen zu Ende durchgeführt
hat. Der Verlauf der Richtungskörperbildung erweist die Berechti-
gung dieser Auffassung.
Wenn die Richtungsspindel in allen Teilen fertig ist, stellt sie
sich in einen Eiradius derart ein, daß das eine Ende der Spindel in
der Rindenschicht des Eies befestigt ist, das andere Ende nach dem
Eicentrum schaut. Dann kommt es zu einer normalen Kernteilung
und zugleich auch zur Zellteilung, welch letztere jedoch das Besondere
hat, daß das eine Teilprodukt, der Richtungskörper, ganz außerordent-
lich klein ist, das andere Teilprodukt, für welches man gewöhnlich
den Namen „Eizelle'' bewahrt (I— III), fast alles Material der Mutter-
zelle für sich behält (Eitochterzelle. 0. Hertwig, Ovocyte II. Ord-
nung BovERi). Auf die erste Richtungsteilung folgt ohne Ruhepause
die zweite. Der nach Abschnürung des ersten Richtungskörpers im Ei
verbleibende Rest der Spindel reorganisiert sich zur zweiten Richtungs-
spindel, welche genau die Anordnung der ersten Richtungsspindel
gewinnt und die Bildung eines zweiten ebenfalls ungemein dotter-
und plasmaarmen Richtungskörpers veranlaßt (IV — VI). Ist letzterer
abgeschnüi't, so reorganisiert sich aus dem Rest der zweiten Rich-
tungsspindel der Eikern. Da in vielen Fällen sich inzwischen auch der
erste Richtungskörper geteilt hat, so haben wir jetzt im ganzen 4
Zellen von ungleicher Größe, die reife Eizelle mit Eikern (Reifei, Ovium
Waldeyer's) und 3 kleine Richtungskörper.
P'ragen wir nun nach dem Schicksal der Chromosomen,
w'elche gewöhnlich während der Richtungskörperbildung den Charakter
leicht nachweisbarer selbständiger Elemente nicht verlieren, so wird
das Material derselben vollkommen gleichmäßig auf die 4 Zellen un-
abhängig von deren Größe verteilt. Am schönsten ist dies zu er-
kennen bei den Pflanzen und Tieren, welche die charakteristischen
Viererkugeln besitzen; in diesen Fällen hat zum Schluß jede Zelle
eine der 4 Kugeln jedes Ausgangschromosoms. Bei der ersten Rich-
tungsteilung war ein Paar Kugeln dem ersten Richtungskörper, das
andere Paar der Eizelle zugeteilt worden. Bei der nächsten Teilung
hatten sich die Paarlinge so eingestellt, daß ihre Trennungsebene mit
der Aequatorialebene der Spindel zusammenfiel, d. h. sie hatten eine
Drehung um 90*^ erfahren, so daß sie jetzt nach ihrer Orientierung
im Vergleich zur Spindelachse nicht mehr neben-, sondern hintereinander
gestellt waren. Damit wird bei der neu einsetzenden Karyokinese ihre
Verteilung auf die Tochterzellen ermöglicht.
Das merkwürdige Verhalten der zu Viererkugeln differenzierten
Chromosomen während der Richtungskörperbildung kehrt in glei-
cher Weise bei den Reifeteilungen der Samenbildun gs-
zellen wieder (vergl. p. 168) und ist somit ein den Sexual-
Eiieife und Befruchtunir. 481
Zellen eigen tu in lieh er Charakter. Derselbe würde nichts
Anffälliges haben, wenn man die oben schon ausgesprochene Ansicht
vertritt, daß es sich nni einen beschleunigten, der Kernteilung voraus-
eilenden, im übrigen aber vom gewöhnlichen nicht abweichenden
Teilungsi)rozeß der Chromosomen handelt. Von vielen Seiten wird
in der That der Erscheinung auch keine größere Bedeutung bei-
gemessen. Von anderer Seite jedoch wird sie in Zusammenhang
mit der zweiten Eigentümlichkeit, daß die Chromosomen in der Ricli-
tungsspindel in der Hälfte der Normalzahl auftreten, zum Ausgangs-
punkt wichtiger Theorien gemacht, welche viele Kontroversen hervor-
gerufen haben. Daß die Chromosomen der ersten Richtungsspindel,
mögen sie nun zu Viererkugeln differenziert oder vollkommen ein-
heitlich sein, sich stets nur in der Hälfte der sonst für die Species
charakteristischen Zahl vorfinden, ist ein notwendiges Korrelat zu den
Vorgängen bei der Befruchtung, bei welchen, wie wir sehen w^erden,
2 Kerne sich vereinen und so ihre Chromosomen addieren. Damit nun
die Befruchtung nicht zu einer schließlich ins Endlose anwachsenden
Vermehrung der Chromosomen führe, darf jeder Geschlechtskern bei
dem Befruchtungsakt nur die Hälfte der Chromosomen mitbringen.
M.an nennt das die Reduktion der Chromosomenzahl.
Weismann bringt diese Zahlenreduktion in folgender eigentümlicher
Weise mit der Richtungskörperbildung in Zusammenhang. Die bei
Beginn der Reifung vorhandene, auf die Hälfte reduzierte Chromo-
somenzahl bedeute eine Pseudoreduktion. Jedes Chromosom sei hier
ein Doi)pelchromosom und sei durch laterale Verschmelzung zweier
einfacher Chromosomen entstanden. Die Bildung der Viererkugeln
sei durch zwei Teilungen von ganz verschiedenem morphologischem
und physiologischem Wert bewirkt : 1) durch eine Längsteilung, welche,
wie bei den gewöhnlichen Zellteilungen, die Trennung eines Mutter-
chromosoms in 2 gleichwertige Tochterchromosomen veranlasse
(Aequation Stellung); 2) durch eine Querteilung, durch welche
jedes Doppelchromosom wieder in seine zwei Einzelchromosomen zer-
legt würde (R e d u k t i o n s t e i 1 u n g). Demnach würde die erste Rich-
tungskörpertdlung eine Zellteilung wie jede andere sein, dagegen
nicht die zweite. Bei dieser würde eine Reduktionsteilung zu Ende
geführt werden, indem in den zweiten Richtungskörper nicht Teil-
hälften von Chromosomen, sondern ganze Chromosomen übertreten
würden und zwar die halbe Zahl aller vorhandenen Welche Konse-
quenzen diese Lehre von der Reduktionsteilung für die Theorie der
Vererbung hat, kann erst nach Besprechung der Befruchtungsvorgänge
erörtert werden. Die gesamte Theorie steht und fällt mit dem durch
genaue Beobachtung zu erbringenden Eintscheid, ob zur Bildung von
Viererkugeln 2 zweigeteilte Chromosomen miteinander verkleben,
oder ob ein einheitliches Chromosom sich zweimal geteilt hat. Noch
leichter wird wahrscheinlich der Entscheid in den Fällen zu erbringen
sein, in denen keine Viererkugeln gebildet werden, sondern schleifen-
förmige Chromosomen, die sich zweimal hintereinander teilen. Leider
widersprechen in dieser Hinsicht die Beobachtungen einander, selbst
Beobachtungen, welche an einem und demselben Üntersuchungsobjekt
angestellt wurden.
Die Reife er seh einungen der Eier bilden, wie schon her-
vorgehoben wurde, ein Seitenstück zu den z\Vei rasch aufeinander
folgenden Teilungen, welche aus einer Samenmutterzelle oder Sperma-
Handbuch dfr Entwickeluiigslehre. I. 3]^
482 li. Hertwig,
cyte 4 Spermatideii und später 4 Spermatozoen hervorgehen lassen. Die
vorhandenen Unterschiede sind Folgeerscheinungen der verschiedenen
Aufgaben, welche den beiderlei Sexualzellen mit Kücksicht auf die Er-
fordernisse der Befruchtung und der Enibryonalentwickelung zugewiesen
sind. Ein erster Unterschied, zugleich der am meisten in die
Augen fallende, ist darin gegeben, daß bei der Spermatogenese
alle 4 T e i 1 p r 0 d u k t e als Spermatozoen V e r w e n d u n g fin-
den, bei der 0 v o g e n e s e dagegen )> r u d i m e n t ä r werden
und zu Grunde gehen und nur eines zur Eizelle wird. Man kann daher
die Richtungskörper als r u d i m e n t ä r e Eier autfassen ; sie sind rudi-
mentär, damit das eigentliche Ei die zu einer länger dauernden Ent-
wickelung nötige Substanzmasse erhält. Diese Konzentration der
Substanzmasse auf eines der 4 Teilprodukte ist um so notwendiger,
als in der Befruchtung Momente gegeben sind, welche bei der Sper-
matogenese einen Einfluß im entgegengesetzten Sinne ausüben. Die
Befruchtung setzt das Zusammentreffen von beiderlei Sexualzellen
voraus; letzteres wiederum setzt voraus, daß mindestens eine der
beiden Sexualzellen leicht beweglich ist, was am einfachsten durch
kompendiöse Beschaffenheit zu erreichen ist. Die verschiedene
E ntwickelu n gs weise und Beschaffenheit der männ-
lichen und weiblichen Sexualzellen und damit weiter
die Differenzierung der beiden Geschlechter erweisen
sich somit als Folgeerscheinungen e i n e r A r b e i t s t e i 1 u n g,
welche sich auf accide n teile Vorgänge der Befruchtung
bezieht, daß dem einen Komponenten die Beschaffung der für die Ent-
wickelung nötigen Masse, dem anderen die Sorge für das Zustande-
kommen der Vereinigung der Sexualzellen zugewiesen wurde. Dagegen
hat der Vorgang der Vereinigung der S ex ualz eilen, die
Befruchtung selbst, wie wir später noch sehen werden, mit der
Differenzierung des Geschlechts nichts zu thun. Zu
dem gleichen Resultat haben auch die reichen Erfahrungen der Neu-
zeit über Befruchtung bei Protozoen geführt. Auf dieser niedersten
Stufe organischer Entwickelung fehlt in der Regel der Gegensatz von
„männlich'^ und „weiblich" ; bei der Befruchtung vereinigen sich Indivi-
duen, welche sexuell indifferent sind, d. h. noch keine specifisch männ-
lichen und weiblichen Eigenschaften haben. Dagegen bildet sich ein
sexueller Dimorphismus sofort aus, wenn besondere Lebensbedingungen
— z. B. festsitzende Lebensweise bei Vorticellinen — es mit sich
bringen, daß, um die Vereinigung zu ermöglichen, eine der beiden
konjugirenden Zellen einen besonderen Grad der Beweglichkeit erlangen
muß. Bei allen Uor^2ce//mew bleiben gewisse Individuen, die Makro-
gameten, auf ihren Stielen seßhaft; andere teilen sich mehrmals
rasch hintereinander und liefern Mikro gameten, welche sich ab-
lösen, frei herumschwimmen und mit den Makrogameten behufs Be-
fruchtung verschmelzen.
Ein zweiter Unterschied zwischen Ovogenese und Spermato-
genese bezieht sich auf die Centrosomen. Diese „Teilorgane'' der
Zelle sind während der zwei Reifeteilungen im Hoden vorhanden und
werden schließlich in die Spermatozoen mit hinübergenommen, wo sie
im Mittelstück oder Hals zu suchen sind (Sper macentr u m). Da-
gegen fehlt dem reifen Ei unter gewöhnlichen Verhältnissen das Centro-
soma (0 vo cen trum). Das ist in den Fällen, in denen auch die Rich-
tuugsspindeln die Centrosomen vermissen lassen, nicht wundeibar. In-
Eireife und Befruchtung.
483
sogar vorkommen
i
1^.^-
B
dessen auch da wo die Richtiingsspindeln Centrosomen besitzen, fehlt am
Eikern das Ovocentrum, was nur so verstanden werden kann, daß die
Centrosomen nach Abkuf der zweiten Richtungsteilung zu Grunde gehen.
Ein dritter Unterschied hat einige praktische Bedeutung,
weil er modifizierend auf den Verlauf der Befruchtuiis: einwirkt, auf
deren Besprechung wir hierdurch übergeleitet werden. Die Reife-
teilungen der Spermatocyten werden noch im Hoden zu Ende geführt ;
meist nehmen die Samenzellen auch schon im Hoden die Form der
Spermatozoen an, und nur selten wird dieser letzte Reifungsakt in
den weiblichen Geschlechtswegen vorgenommen, wie z. B. bei den
Samenzellen der Äscariden, welche die charakteristische Zuckerhutform
erst in den Oviducten des Weibchens erreichen. Dagegen wird die
Eireife nur selten {Seeigel) im Ovarium beendet; gewöhnlich wird sie
hier nur vorbereitet, macht dann Halt und bedarf des Anreizes der
Befruchtung, um abgeschlossen zu werden. Bei Wirbeltieren fällt diese
Ruhepause, in welclier die Besamung vollzogen wird, in die Zeit
zwischen Bildung des ersten und zweiten Richtungskörpers, bei Mollus-
ken, Insekten und manchen Würmern in die Zeit nach Bildung und
Einstellung der ersten Richtungsspindel; ja, es kann
(Nereis, Äscaris), daß zur Zeit,
in welcher die Spermatozoen in
das Ei gelangen, noch das Keim-
bläschen besteht. Eine merk-
würdige Anpassungsfähigkeit be-
kundet das Ei von Asterias gla-
cialis, insofern man es hier in der
Hand hat, die Besamung zu ganz
verschiedenen Zeiten der Eireife
auszuführen. Mögen die Sper-
matozoen auf dem Keimbläschen-
stadium, dem Stadium der Rich-
tungsspindel oder des Eikerus
in das Ei eindringen, stets re-
sultiert eine normale Entwicke-
lung. Dagegen ergeben sich dann
Unterschiede im Verhalten des
Samenkerns. Man kann hier
an demselben Objekt Unter-
Fig. 158. Befruchtung des Eies
von Strongylocentrotus lividus (nach WIL-
SON). A— E Vergr. 1200, F, G Vergr.
600. A Spermatozoon, u Kopf, m Mittel-
stück, Schwanzfaden nur zum Teil dar-
gestellt. B — E oberflächlichste Eischicht
mit eingedrungenem Spermatozoon,
welches eine Drehung um 180" erfährt
und um dessen Mittelstück sich Strah-
lung entwickelt. F, G allmähliche An-
näherung und Vereinigung von Sperma-
kern und Eikern, Zunahme der Strahlung.
schiede im Aussehen des Samenkerns hervorrufen, wie sie
bei verschiedenen Objekten vorkommen und durch den wechselnden
Zeitpunkt der Befruchtung hervorgerufen werden, Unterschiede, welche
wir bei der folgenden Darstellung des Befruchtungsprozesses berück-
sichtigen müssen.
31*
484 R. Hertwig,
Bei den Eiern der Seeigel, bei welchen beide Richtungskörper
noch im Ovar gebiklet werden und bei der Eiablage in demselben
zurückbleiben, verläuft die Befruchtung in folgender Weise. Die
Eier sind von einer zarten, der Oberfläche dicht anschließenden Gallert-
hülle umgeben. Wir wollen dieselbe, da sie im Ovar als ein Aus-
scheidungsprodukt des Follikelepithels entsteht, „Chorion" nennen
im Gegensatz zu der Dotterhaut, die wir sogleich noch als eine Aus-
scheidung des Eies kennen lernen werden. Wenn Eier und Sper-
matozoen im Meerwasser zusammentreffen, so dringen letztere in
großer Menge in das Chorion an beliebigen Stellen ein ; in d a s E 1
selbst g e 1 a n g t j e d 0 c h nur 1 Samenfaden und von dem-
selben auch nur Kopf und Mittel stück (Hals), während der
SchW'anzfaden draußen zurückbleibt. Das Eindringen weiterer Sperma-
tozoeu wird schon dadurch unmöglich gemacht, daß, sowie ein Samen-
faden die Verbindung mit der Eizelle bewirkt hat, diese auf ihrer gesamten
Oberfläche eine feste Hülle, die für weitere Spermatozoen undurch-
dringliche Dottermembran, ausscheidet. Von der Dottermembran zieht
sich das Ei zurück, indem es sein Volumen nicht unerheblich ver-
kleinert und zugleich eine weiche, durch Wasseraufnahme quellende Sub-
stanz, wahrscheinlich Gallerte in den Zwischenraum ausscheidet. Das
E iplasma erfährt somit eine Veränderung, welche auch darin
zum Ausdruck kommt, daß es sich intensiver färbt als das Plasma nicht
befruchteter, im übrigen aber gleich behandelter Eier. Diese qualitative
Veränderung der Eizelle würde für sich allein schon genügen, um
das Eindringen weiterer Spermatozoen zu verhindern, was dadurch
bewiesen wird, daß Spermatozoen in ein befruchtetes Ei nicht ein-
dringen, auch wenn sie zwischen die Oberfläche und die Dottermem-
bran gelangt sind, oder wenn ihnen durch mechanische Zerstörung der
letzteren der Zugang eröffnet worden ist. Alle diese Vorkehrungen sind
Ursache, daß die normale Befruchtung des Seeigeleies
„monosperm" ist, d. h. nur von einem Spermatozoon be-
wirkt wird.
Die Stelle, an welcher das befruchtende Spermatozoon eingedrungen
ist, markiert sich durch einen kleinen, zungenförmigen Protoplasma-
fortsatz, welcher Befruchtuugshügel (cone d'exsudation Fol) heißt, aber
eine vorübergehende Bildung ist, indem er sehr bald wieder eingezogen
wird. Er muß von einer anderen Struktur unterschieden werden,
welche beim Seeigelei nicht beobachtet werden konnte, wohl aber
beim Ei eines Seesterns, Asterias glacialis, dem „cöne d'attraction".
Dieser geht dem Eindringen des Spermatozoon voraus und ist eine
Protoplasmazunge, welche vom Ei dem befruchtenden Spermatozoon
entgegengesandt wird und ihm als Eintrittspforte dient. Die Lage
der letzteren wird vom Zufall bestimmt, da jede Stelle der Eiober-
fläche für den Eintritt von Spermatozoen gleichmäßig geeignet ist.
Die Eintrittsstelle wird ferner dadurch deutlich, daß unter ihr der Kopf
des Spermatozoons durch Reagentien nachgewiesen werden kann und daß
am lebenden Ei die Spermastrahlung auftritt. Die Sperma-
strahlung entsteht im Umkreis des Mittelstückes, indem zu ihm das Proto-
plasma eine radiale Anordnung gewinnt. Beim Eindringen lag das
Mittelstück hinter dem Kopf, dem Sper-makern (0. Hertwig). Wäh-
rend die Strahlung sich entwickelte, ist es, indem der gesamte Sper-
makomplex eine Drehung um 180" erfuhr, vor den Sperraakern zu liegen
gekommen, und in dieser Anordnung — Mittelstück mit Strahlung
Eireife und Befruchtung. 485
nach dem Centrum, der Samenkern nach der Peripherie gewandt —
rückt das Spermatozoon in die Tiefe, bis es nahe dem Eicentriim mit
dem Eikern zusammenstößt, welcher bis dahin seine peripiiere
Lagerung lieibehalten hatte, durch die Wanderung des Spermakerns nun
aber ebenfalls zur Ortsveränderung veranlaßt wird. Straße des Ei-
kerns und Straße des Samenkerns sind nicht gerade Linien, sondern
beschreiben konvergierende Bogen (Wilson). Wenn Ei- und Sperma-
kern sich vereinigt haben, ist die Befruchtung vollzogen.
Der Eikern ist vor der Vereinigung und während derselben ein
sich so gut wie gar nicht färbendes Bläschen mit mehreren Nucle-
oli, der Spermakern ein kompakter, stark färbbarer, außerordent-
lich viel kleinerer Körper. Nach ihrer Vereinigung sind die Sub-
stanzen beider eine Zeit lang noch deutlich unterscheidbar. Später
schwindet der Unterschied ; es entsteht ein einheitlicher Für chun gs-
kern, und dieser wandelt sich zur Furchungsspindel um, an welcher
man nicht mehr erkennen kann, was von derselben auf den Samen-
kern, was auf den Eikern zurückftthrbar ist. Die mit dem Sperma-
kern herangetretene Strahlung hat sich in zwei Strahlungen gesondert,
die an zwei opponierte Punkte des Furchungskerns getreten sind, um
hier die Pole der allmählich sich entwickelnden Kernspindel zu liefern.
Es ist sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht durcli Beobachtung außer
Zweifel gestellt, daß ein im Centrum der Samenstrahlung von Anfang
an vorhandenes Centrosoma, das Sperniacentrum, durch seine
eigene Teilung die Teilung der Samenstrahlung verursacht hat, daß
die beiden Centrosomen, welche man au den Enden der Spindel findet,
Abkömmlinge des Spermacentrums sind. Dagegen kann es jetzt als
ausgeschlossen bezeichnet werden, was vor längerer Zeit Fol behauptet
hat und was damals großes Aufsehen erregte, daß auch ein Ovocentrum
vorhanden- ist, welches sich unabhängig vom Spermacentrum teilt,
so daß erst durch Verschmelzung der Teilprodukte von Sperma-
und Ovocentrum die einheitlichen Centrosomen der Furchungsspindel
entstehen würden.
Das hier entworfene Bild des Befruchtungsprozesses
wird erheblich vervollständigt durch unsere Erfah-
rungen an Eiern, bei welchen die S p e r m a t o z o e n ein-
dringen, sei es vor, sei es während der R i c h t u n g s k ö r p e r -
bildung. Allen diesen Fällen ist gemeinsam, daß der Samenkern
eine längere oder kürzere Zeit, nämlich die Zeit über, in welcher die
Eireife zu Ende geführt wird, im Eiplasma verweilen muß, ehe er
sich mit dem Eikern vereinigen oder in die Bildung der Furchungs-
spindel einbezogen werden kann. Dies hat zur Folge, daß er zu
einem Bläschen anschwillt, oft'enbar nur durch Aufnahme von Flüssig-
keit. Denn in gleichem Maße, als er sich vergrößert, nimmt seine
Färbefähigkeit ab. Wenn schließlich der Eikern nach Abschnürung
der Piichtungskörper fertiggestellt ist, sind beide Kerne, soweit
unsere Hilfsmittel der Erkenntnis uns eine Einsicht ermöglichen,
prinzipiell vollkommen gleich groß und von gleicher
Struktur, Bläschen mit Kernnetz und einigen Nucleoli. Nur die
intimste Kenntnis der Lageverschiebungen kann dann ermöglichen,
an besonderen Merkmalen der Lagerung, dagegen nicht der Struktur
Ei- und Samenkern von einander zu unterscheiden. Auch dann kann
noch Verschmelzung beider Kerne eintreten, ehe die Furchungsspindel
entsteht. In extremen Fällen jedoch, wie ein solcher durch die Eier von
486
R. Hertwig,
Äscarfs megalocephala .gegeben ist, kann das Stadium der Kornver-
sclinielzung übersprungen werden : bei Ascarls megalocephala, bei
welcher zur Zeit der Befruchtung noch das Keimbläschen vorhanden
ist, wird das Material der beiden unverschmolzenen Kerne direkt in
die Furchungsspindel aufgearbeitet. Das gilt vor allem für die
Chromosomen, welche in einem jeden Kern getrennt
entstehen, in gleicher Anzahl und Größe im Samen- wie
Ei kern, in einem jeden halb so viel, als in der Fur-
chungsspindel angetroffen werden. Die Chromosomen der
Furchungsspindel stammen somit zur Hälfte vom Ei-
kern, zur anderen Hälfte vom Samenkern ab(v. Beneden.
BOVERI).
Das Studium der Ascaris-Eier ist noch nach einer anderen
Richtung für unsere Anschauungen vom Befruchtungsprozeß von
Bedeutung geworden. Beim Seeigelei läßt sich gut verfolgen, daß
mit dem Spermatozoon eine Strahlungen auslösende
Substanz dem Ei einverleibt wird. Diese Substanz stammt
vom Mittelstück des Spermatozoons ab und enthält wahrscheinlich ein
Centrosoma , dessen w^eiteres Schicksal noch nicht ganz klar ist.
Das Äscaris-Ei liefert in gewisser Hinsicht auch hier wieder eine Er-
gänzung. Zur Zeit, wo die beiden Geschlechtskerne zu Bläschen von
gleicher Größe und Beschaffenheit geworden sind, tritt im Ei ein Cen-
trosoma auf, dessen Rückführung auf das Spermatozoon bisher noch
nicht geglückt ist. Auch hat man im Spermatozoon vor dem Ein-
dringen in das Ei bisher noch kein Centrosoma finden können. Da-
gegen ist das weitere Schicksal des Centrosoma von dem Moment ab.
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Fig. 159. Befruchtung vou Ascaris megalooephala (nach Boveri). A Centro-
soma in Teilung, daneben Eikern und Samenkern. B Die beiden Tochtercentrosomen
rücken auseinander, in Eikern und Samenkern entwickeln sich die Chromosomen. C
Eikern und Samenkern lösen sich auf, in jedem 2 Chromosomen. D Furchungs-
spindel mit 4 Chromosomen. In B und C ist ein Richtungskörper sichtbar.
Eireife und Befruchtung. 487
wo es im Ei sichtbar wird, völlig klargelegt: es teilt sich in
zwei Tochtercentro somen, welche, auseinanderweichend, Proto-
plasmastrahliing und die Spindelbildung veranlassen, wobei sie selbst
die Spindelpole bezeichnen.
Die in ihren Grundzügen hier referierten Beobachtungen über
die Befruchtung wirbelloser Tiere haben ein sicheres P'undament für
unsere Auffassungen vom AVesen der Befruchtung geliefert. In erster
Linie müssen wir betonen, daß bei der Befruchtung zweierlei Er-
scheinungen kombiniert sind, die nicht notwendig zu-
sammengehören und daher auch getrennt vorkommen
und in den feineren Vorgängen des Befruchtungspro-
zesses auch auseinander gehalten werden können.
1) Die Befruchtung ist E n t w i c k e 1 u n g s e r r e g u n g. Die
bis dahin teilungsunfähigen Eier werden durch den Zutritt des Sper-
matozoons zu Teilung-en angeregt und liefern so ein neues Tier.
2) Die Befruchtung ist die Verschmelzung zweier
bis dahin getrennter Zellor ganisa tion en, des Eies und des
Spermatozoons, zu einer kombinierten Zelle, welche die Eigenschaften
beider Zellen in sich vereinigt.
Je nachdem man bei der Definition der Befruchtung auf den
einen oder den anderen A'organg den Nachdruck legt, kommt man zu
ganz verschiedenen Definitionen. Die eine Definition erblickt das
Wesentliche der Befruchtung in der durch das Spermatozoon
bewirkten Einführung einesTeilungsorgans, des „Cen-
trosoma", in das Ei, die andere dagegen definiert die Be-
fruchtung als die Vereinigung zweier G e s c h 1 e c h t s k e r u e
(0. Hertwig).
Die er'stere Definition entspricht der üblichen Vorstellung, daß die Be-
fruchtung die Aufgabe habe, das Ei zur Entwickelung anzuregen und so
die Bildung eines jungen Tieres zu ermöglichen. In der That scheint
auch unter normalen Verhältnissen der Anreiz z u r E n t w i c k e 1 u n g
bei der geschlechtlichen Fortpflanzung nur dadurch herbeigeführt zu
werden, daß in das Ei, welches kein Teilungsorgan, kein Centrosoma
besitzt und daher teilungsunfähig geworden ist, ein neues Centrosoma
durch das Spermatozoon eingeführt wird. Beim Studium der Seeigel-
befruchtung hat man nämlich ab und zu beobachtet, daß die beiden in
das Ei gelangenden Bestandteile des Spermatozoons, der Samenkern
und das die Strahlung verursachende Mittelstück (Spermacentrum),
sich voneinander trennten und nur letzteres die Verbindung mit dem
Eikern erreichte (Boveri). Dann trat, zunächst wenigstens, ohne Be-
teiligung des Samenkerns eine normale Entwickelung ein. Dies zeigt,
daß eine Vereinigung der beiden Kerne zur A u s 1 ö s u n g
d e r E n t w i c k e 1 u n g n i c h t n o t w e n d i g i s t. Zu demselben Resultat
wird man durch ein zweites Experiment geführt. Man kann ein reifes
aber noch nicht befruchtetes Seeigelei künstlich in zwei oder mehr
Stücke teilen, ein den Eikern enthaltendes und ein oder mehrere
kernlose Stücke. Beide Stücke sind befruchtungsfähig und beginnen
sich zu teilen (Hertwig). Setzt man nun vorsichtig Samen hinzu,
so daß in jedes Stück nur je ein Spermatozoon eindringen kann, so
entwickeln sich beiderlei Stücke zu normalen Larven weiter, sowohl das
eine, bei dem es zur Vereinigung von Ei- und Spermakern gekommen
ist, als auch das oder die anderen, welche nur einen Spermakern besitzen
(Boveri). Für die Erscheinung wurde der Name M e r o g o n i e eingeführt
488 R. Hertwig,
(D klage). Den beiden auf experimentellem Wege hervorgerufenen Ent-
wickchingRvorgäugen ist gemeinsam, daß das Ei sich normal weiterent-
wickeln kann, auch wenn an der Eifurchung sich nur ein Geschlechts-
kern beteiligt, sei es der Eikern, sei es der Samenkern. Es ist nur
nötig, daß in das Ei ein Centrosoma eingeführt wird. Daraus muß
man folgern, daß Eikern und Samenkern Voll kerne sind. d.h.
Kerne, welche — ein jeder für sich — alle zum Entwickelungsleben
nötigen Grundeigenschaften besitzen, daß sie keine Halb kerne sind,
welche sich erst bei der Befruchtung zu einem Vollkern ergänzen
(Van Beneden). Daher ist auch die noch immer in der entwickelungs-
geschichtlichen Litteratur weit verbreitete Bezeichnung, welcher die
Lehre von den Halbkernen zu Grunde liegt, „pronucleus male,
männlicherVorkern" und „pronucleus f e m e II e , weiblicher
Vorkern" (Van Beneden) zu beanstanden. Unsere bisherigen Er-
fahrungen geben uns nicht einmal das Recht, von geschlechtlich
d iff er en zierten Kernen, von männlichen und weiblichen Kernen
zu reden, sondern nur von Kernen, Eikern und Samenkern, welche
von sexuell differenzierten Zellen, meist auch von sexuell differenzierten
Individuen stammen.
Nachdem wir gesehen haben, daß die Entwickelungserregung von
der Konjugation des Ei- und Samenkerns unabhängig ist und nur
durch die Einführung des Spermacentrums veranlaßt wird, gilt es,
zu entscheiden, ob in ihr das Charakteristische der Befruchtung,
durch welche sie sich von anderen Formen der Entwickelung unter-
scheidet, gegeben ist. Hier muß nun betont werden, daß die bei der
Befruchtung durch das Spermacentrum ausgelöste Entwickelungs-
erregung anderweitig vermittelt werden kann. Das ist bei der Pai'-
thenogenesis der Fall; bei derselben entwickelt sich das Ei ohne
jeden Bestandteil des Spermatozoons aus eigenem innerem Antrieb.
Leider wissen wir nichts Sicheres darüber, was dann die Wirkung des
Spermacentrums ersetzt. Wir wissen zwar, daß in den meisten
Fällen von P a r t h e n o g e n e s i s nur ein R i c h t u n g s k ö r p e r
abgeschnürt wird, daß das Kernmaterial des zweiten sich entweder
überhaupt nicht vom Eikern sondert, oder, wenn es geschehen sein
sollte, wieder mit dem Eikern verschmilzt. Indessen diese Einrichtung
hat nur den Zweck, den mit der Richtungskörperbildung einherge-
henden Substanzverlust des Eikerns, die bei der Befruchtung mit
Rücksicht auf die Einführung eines neuen Kernes nötige, ohnedem
aber überflüssige Chromatinreduktion zu vermeiden ; sie steht mit
der für die Parthenogenese charakteristischen spontanen Entwickelungs-
fähigkeit des Eies in keinem engeren ursächlichen Zusammenhang.
Es werden demgemäß auch Fälle von Parthenogenesis beschrieben,
bei denen es zur Bildung eines zweiten Richtungskörpers kommt.
Aehuliche Vorgänge, wie man sie in der Natur bei der Partheno-
genesis beobachtet, kann man auch künstlich hervorrufen. In der Neu-
zeit ist durch ganz überraschende Experimente bewiesen worden, daß
Eier, welche vollkommen ausgereift sind, alle R i c h -
t u n g s k ö r p e r g e 1) i 1 d e t haben und d e m g e m ä ß den Eikern
e n.t h a 1 1 e n , welche in der Natur sich nicht weiter ent-
wickeln würden, durch R e a g e n t i e n zu Teilungen a n -
geregt w^ er den können. Eine geringe Teilfähigkeit findet sich
bei Seeigel-Eiern, welche mit Strychninlösung behandelt wurden
(R. Hertwig); sie wird gesteigert, so daß das Morulastadium erreicht
wird, wenn an Stelle der Strychninlösung Extraktivstoffe des Sperma
Eireife und Befruchtung. 489
benutzt werden (Pieri, Winkler). Die Entwickelung führt zur
Bildung- von ganz normalen Plutei (Seeigellarven), wenn Seeigeleier
2 Stunden lang in einer Mischung von gleichen Teilen Meerwasser
und einer Chlorniagnesiunilösung I -^n | verweilen und dann in reinem
Seewasser weiter kultiviert werden (Loeb). Die feineren Vorgänge
bei der durch Chlormagnesium hervorgerufenen künstlichen
Parthenogenese sind noch nicht bekannt. Untersuchung der
mit Strychniu behandelten Eier macht es wahrscheinlich, daß der
Eikern zuvor behufs Einleitung des Furchungsprozesses ein Centro-
soma neu bildet. Wie dem auch sei, die Erfahrungen lehren, daß
der Anreiz zur Entwickelung, wie er gewöhnlich d u ]■ c h
die Befruchtung hervorgerufen wird, durch rein che-
mische Einwirkungen ersetzt werden kann. Dieses Re-
sultat hat bei genauer Ueberlegung nichts Ueberraschendes. Die
Entwickelung eines Organismus aus dem Ei ist nichts anderes als
eine Succession zahlloser Zellteilungen. Es liegt daher kein Grund
vor, für dieselbe wesentlich andere Bedingungen zu erwarten als bei
jeder Zellteilung. Xun wissen wir aber, daß zur Zellteilung die An-
wesenheit eines Centrosoma weder in allen Fällen nötig ist — das
lehren die meisten Protozoen — noch daß seine Anwesenheit allein
genügt, um Teilung hervorzurufen — das lehrt uns jede trotz vorhande-
nem Centrosoma im Ruhezustand befindliche Zelle. Vielmehr muß ein
bestimmter Gleichgewichtszustand der Zelle, ihres Kernes und Proto-
plasmas erreicht sein, ein Zustand, der bei Gewebszellen in hohem
Grade von der Ernährung, also von chemischen Veränderungen ab-
hängt. Warum sollte nicht in gleicher Weise auch die Teilfähigkeit
der Eizelle durch chemische Agentien herbeigeführt werden können ?
Das Manusln-ipt -.ti den) die Befntclitimg behandelnden Kapitel
u-urde im Frühjahr 1901 abgeliefert niid im Herbst der Satx begonnen,
Da der Satz in Fahnen stehen bleiben mußte, habe ich Gelegenheit,
hier noch vor der Drucklegung neuere Untersuchungen über die künst-
liche Parthenogenese des Seeigeleies ein^uschaUen'^). Dieselben stammen
xum Teil von Wilso n (1901), xum Teil luurden sie von Herrn Wassi-
lieff im zoologischen Institut der Universität München angestellt.
Durch sie wurde bewiesen, daß bei der Chlornmgnesiunibehandlung
Centrosojnen rom Fi nrngebildet werden (Wilson, Wassilieff).
Die Teilung der Fier erfolgt daher in derselben Weise wie bei der Be-
fruchtung, nur mit dem Unterschied, daß die Spindeln die Jwdbe
Zahl der Chromosomen des befruchteten Eies enthalten. Man kann
nun aber auch regelmäßige Zwei-, Vier- und Achtteilungen durch
anderu-eitige Agentien erhalten, abgesehen von dem schon erwähnten
Strgchnin noch durch Hgoscgamin wul Nikotin (Wassilieff) . In
allen diesen Fällen ivird die Spindel ohne Cent?'OSomen gebildet, wie
etwa bei viele?) ReifungsLarjiokinesen. Bei den strgchnisierten Fiern,
e)itstehen schließlich noch während der Metaphase Centrosomen an den
Spindelpolen; bei den mit Xikotin und Hgoscgami)i behandelten Fiern.
unterbleibt dieser Bildungsproxeß und die Teilungen werden ganz ohne
Centrosomen zu Fnde geführt.
Wenn man die Fälle von künstlicher und natürlicher Partheno-
genesis berücksichtigt, gelangt man zu dem Satz, daß die Ent-
1 ) Nachträgliche Einschahungen in das ^lanuskript sind durch Hegende Schrift,
noch spätere durch Klaninieni gekemizeichnet.
490 R. Hertwig,
Wickel u n g s e r i' e g u n g k e i u in o r p h o 1 o g i s c li e r \' o r g a n g i s t ^
d.h. kein Vorgang, der an ganz best im mte, nur bei ihr vor-
kommende m 0 r p li 0 1 0 g i s c h e E i n r i c h t u n g e n geknüpft ist.
Daraus folgt aber nicht, daß auch die Befruchtung kein mori)ho-
logischer Vorgang ist, vielmehr kann daraus nur gefolgert werden,
daß in den bisher besprochenen, bei der Befruchtungslehre lange Zeit
in den Vordergrund gestellten Erscheinungen nicht das Wesentliche
der Befruchtung gegeben ist. Wir werden so zu der zweiten Auf-
fassung der Befruchtung geführt, welche das Charakteristische des
Vorganges in der Verschmelzung zweier Z e 1 1 o r g a n i s a t i o n e n
zu einer neuen Organisation erblickt, eine Verschmel-
zung, die in der Vereinigung von Ei- und Samen kern
i h r e n A b s c h 1 u ß findet. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet
ist die Befruchtung ein morphologischer Vorgang in dem
Sinne, wie oben dieser Begriff erläutert wurde, zugleich ein Vorgang
von ebenso fundamentaler wie eigenartiger Bedeutung.
Daß die an zweiter Stelle gegebene Definition der Befruchtung die
einzig mögliche ist, lehren vor allem unsere Erfahrungen an einzelligen
Pflanzen und Tieren. Wir begegnen hier besonders bei Protozoen vielen
typischen Befruchtungsvorgängen, welchen sogar die der ßichtungsköi'per-
bildung vergleichbaren Reifeteilungen vorangehen, ohne daß mit ihnen
ein Anreiz zur Entwickelung verbunden wäre. So endet die Konjugation
der Infusorien mit einer echten Befruchtung ; sie hat aber keinen unmittel-
baren Einfluß auf die Vermehrung der Tiere, so daß man trotz des Nach-
weises der Befruchtung nicht von geschlechtlicher Fortpflanzung reden
kann. Die Befruchtung vieler Algen und Rhizopoden führt zur Bildung
von Dauersporen und damit zum Stillstand der Vermehrung. W'ie es
Entwickelungserregung ohne Befruchtung giebt (Parthenogenesis), so
giebt es Befruchtung ohne Entwickelungserregung.
Indem wir die Befruchtung als Kernverschmelzung definieren,
bringen wir sie mit einer anderen hochwichtigen, die geschlechtliche
Fortpflanzung charakterisierenden Erscheinung in Zusammenhang, mit
der U e b e r t r a g u n g der väterlichen und mütterlichen
Eigenschaften auf das Kind, mit der Vererbung. Auch
für die Vererbungslehre wurde durch die neueren Untersuchungen über
Befruchtung eine sichere Grundlage gewonnen.
Wir wissen, daß die Kinder, im großen und ganzen genommen,
in gleichem Maße dem Vater wde der Mutter gleichen, daß sie somit
gleichviel väterliche wie mütterliche Eigenschaften besitzen. Bei allen
Tieren ist der einzige materielle Zusammenhang zwischen Vater und
Nachkommenschaft durch die Sexualzellen gegeben. Das Gleiche gilt
für das weibliche Geschlecht bei allen Eier legenden und sich dann
um die Eier nicht mehr kümmernden Tieren. So kann die Ueber-
tragung der elterlichen Eigenschaften auf das Kind nur durch die
Zeugungsprodnkte vermittelt werden. — Die ganz gew^altigen Größen-
unterschiede, welche allgemein zwischen Ei und Samenfaden existieren,
lassen es ganz ausgeschlossen erscheinen, daß die gesamte Substanz
der Sexualzellen die Uebertragung vermittelt. Denn dann müßte die
Vererbung ganz erheblich von der Diagonale zwischen väterlichen und
mütterlichen Eigenschaften zu Gunsten der letzteren abweichen. Es
muß in den Sexüalzellen eine besondere Vererbungssubstanz vor-
handen sein, welche in gleichen Mengen im Ei und Spermatozoon
enthalten ist und für welche man den von Nägeli vorgeschlagenen
Namen „Idioplasina" angenommen hat.
Eireife und Befruchtung. 491
Fragen wir Dun , welche in den Zeujuungsstoffen enthaltenen
morphologischen Strnktnren dem hier theoretisch konstrnierten Idio-
plasma entsprechen, so werden wir auf die Kerne geführt, deren
Größe vollkommen dieselbe ist, sofern sie sich auf gleichem Stadium
der Entwickelung befinden. In den Kernen wiederum sind es deren
wichtigste Bestandteile, die Chromosomen, welche hierbei allein
in Frage kommen können. Denn abgesehen von einigen als Ab-
normitäten zu deutenden Fällen, treten, wie wir gesehen haben, die
Chromosomen in vollkommen gleicher Größe und Zahl im Eikern und
Samenkern auf. So ist die Forschung dazu geführt worden, mit
einer ganz überwältigenden Wahrscheinlichkeit die Substanz der
Chromosomen als die Vererbungssubstanz, als das
Idioplasma zu deuten.
Aus diesen Ideengängen folgt von selbst als notwendige Konsequenz,,
daß bezüglich in der Zahl der zur Befruchtung verw^andten Spermatozoen
in der Natur keine Willkür herrschen kann, daß dem einzelnen Ei
bei der Befruchtung stets ein Spermatozoon entsprechen muß, daß
jede normale Befruchtung monosperm ist. jedes Ein-
dringen vieler Spermatozoen, jede Polyspermie, a 1) n o r m
sein muß. Damit stimmen denn auch alle Beobachtungen überein.
Fast bei allen daraufhin untersuchten Tieren dringt in gesunde, lebens-
kräftige Eier nur ein Spermatozoon ein. Polyspermie entsteht, wenn
Eier zu lange gelegen haben, ehe sie befruchtet wurden, und daher
gelitten haben, oder wenn sie mit chemischen Agentien (Morphium.
Chloral, Chloroform etc.) behandelt worden sind (Hertwig). In
diesen Fällen von „pathologischer Polyspermie" kommt es zu
keiner normalen Entwickelung. Vorübergehend schien zwar die Lehre
von dem pathologischen Charakter der Polyspermie erschüttert zu sein,
indem bei manchen dotterreichen Eiern es sich herausstellte, daß
auch unter normalen Verhältnissen zahlreiche Spermatozoen eindringen.
Es hat sich aber weiter herausgestellt, daß in diesen Fällen von
..physiologischer Polyspermie'' immer nur ein Samenkern
mit dem Eikern verschmilzt und die eigentliche Befruchtung nur von
einem Spermatozoon vollzogen wird, während die übrigen Sper-
matozoen entweder zu Grunde gehen oder sich nur vorübergehend
weiter entwickeln, ohne sich am Aufbau des Embryos zu beteiligen.
Bei der großen Bedeutung, welche man den Chromosomen als
Trägern des „Idioplasma" bei der Vererbungslehre zuschreibt, Avird
es verständlich, warum man so viel Mühe aufgewandt hat, um ihr
Verhalten bei der Reife der Sexualzellen genau zu erforschen. Wir
sahen, daß die Reifeteilungen zweierlei Deutungen erfahren haben.
1) Beide Reifeteilungen sind Teilungen , wie wir sie auch sonst in
der Histologie beobachten ; es sind Aequationsteilungen, bei welchen
die Chromosomen in Teile gleicher Beschaffenheit halbiert werden. 2)
Von den Reifeteilungen ist nur eine eine Aequationsteilung (zumeist
die erste), die andere eine Reduktionsteilung (zumeist die zweite) ; bei
letzterer werden die Chromosomen, welche Paarlinge sind, d. h. aus
zwei seitlich verklebten Chromosomen bestehen, nicht in Tochterchro-
mosomen geteilt, sondern wieder in Einzelchromosomen zerlegt, von
denen die eine Hälfte dem Richtungskörper, die andere dem Ei zuerteilt
wird. Verbindet man mit der zweiten Annahme die Hypothese, daß die
einzelneu Chromosomen eines Kernes für die organologische Ditferen-
zierung zwar gleichen Wert besitzen, gleichwohl aber untereinander
492 R. Hertwig.
nicht voUkoniiiieii gleich sind , daß das eine Chromosom bestimmte
individuelle Charaktere besitzt, welche dem anderen fehlen, dann würde
durch eine Reifeteilung, welche Reduktionsteilung ist, der Verlauf der
Vererbung beeinflußt werden. Eine Geschlechtszelle würde, je nach-
dem bei ihr die einen oder die anderen Chromosomen entfernt werden,
mit einem verschiedenen Bestände von Eigentümlichkeiten am Aufbau
des neuen Organismus beteiligt sein ^).
So würde sich die Möglichkeit ergeben, daß zwei von demselben
Elternpaar stammende Organismen sich voneinander mehr oder minder
unterscheiden, je nachdem bei den Reduktionsteilungen die Elimination
von Chromosomen sich in ähnlicher oder verschiedener Weise voll-
zogen hat. Die Reduktionsteilung würde eine Quelle der Variabilität
werden und damit auch der Auslese mittels des Kampfes ums Dasein
wichtige Angriffspunkte liefern. Hier ist der Punkt gegeben, durch
den die Lehre vom Verlauf der Befruchtung und der Reife der Ge-
schlechtszellen Bedeutung für die Lehre von der Umbildung der Arten
gewonnen hat.
Ehe war die Besprechung der Chromosomen verlassen, müssen
wir noch zwei weitere Theorien erörtern , zu denen ihr Verhalten
Veranlassung gegeben hat. Die eine dieser Theorien ist die In-
dividualitätslehre der Chromosomen, die andere die
Lehre von der A m p h i m i x i s oder der C o n j u g a t i o n der
Chromosomen. Erstere bezieht sich nicht nur auf die Reifeteilungeu,
sondern alle Karyokinesen vielzelliger Organismen. Bei der Vermehrung
der Keimzellen, bei der Teilung aller Gewebszellen und Furchuugszellen
alternieren Zustände des Kernes, in welchen die Chromosomen entwickelt
sind (Zeit der Karyokinese), und solche, in denen man sie nicht mehr
erkennen kann (Zeit zwischen zwei Karyokinesen). Die Frage ist : was
ist das Schicksal der Chromosomen in der Zwischenzeit zwischen zwei
Karyokinesen? Hier sind im Extrem zwei Möglichkeiten gegeben : 1) D ie
Chromosomen erhalten sich so, wie sie als Tochter-
chromosomen aus der letzten Teilung hervorgegangen
sind, während der Zeit der Kern ruhe und liefern die
M u 1 1 e r c h r 0 m o s 0 m e n der nächsten Karyokinese; ihre
einzige Veränderung ist ihr Wachstum. Wenn man sie nicht nach-
weisen kann, so erklärt sich das aus der Auflockerung ihrer Struktur,
welche Ursache ist. daß sie sich nicht mehr gut färben lassen. 2) Die
Chromosomen lösen sich nach Ablauf jeder Teilung
auf, ihr Material mischt sich mit dem Material anderer
Chromosomen so vollständig, daß bei jedem Teilungs-
akt neue Chromosomen organisiert werden müssen. In
diesem Falle ist es sehr wohl denkbar, man kann sogar sagen wahr-
scheinlich, daß die neu entstehenden Chromosomen nicht genau die
gleiche Zusammensetzung wie die alten haben werden, daß Teilchen,
welche ursprünglich in einem Chromosom waren, in ein anderes über-
treten werden.
Abgesehen von den Reifeteilungen des Eies und der Spermatozoen,
bei welchen für sehr viele Fälle die Persistenz der Chromosomen
1) Durch das Studium mehrpoliger Mitosen ist neuerdings Boveri (Verh.
Phys. med. Ges. Würzburg, N. F., Bd. 35) zu dem Eesultat gekommen, daß im
Seeigelei die einzelnen Chromosomen für die organologische Differenzierung ver-
schiedenen Wert besitzen, daß daher das Ausfallen bestimmter Chromosomen ent-
sprechende Defekte in der Organbildung zur Folge haben muß. Hiermit würde sich
die Lehre von der Reduktionsteilung schwerlich vereinigen lassen.
Eireife und Befruchtung. 493
erwiesen ist, welche aber zu viele Besonderlieitoii haben, als daß man
von ihnen aus allgemein giltige Schlüsse ziehen könnte, liegen be-
weisende Beobachtungen weder für die eine noch fiir die andere der
beiden besi)rochenen Möglichkeiten vor. Unmittelbar vor und nach
den Pteifeteilungen begegnen wir Ruhezuständen der Kerne (Stadium
des Keimbläschens, Stadium des Eikerns für das weibliche. Kern
der Spermatocyten , Spermakern für das männliche (leschlecht),
während deren wir über das Schicksal der Chromosomen im Unge-
wissen sind. Für den Eikern und Samenkern gilt das Gesagte all-
gemein, für das Keimbläschen einiger Wirbeltiere glauben manche
Forscher den Zusammenhang zwischen den Chromosomen der durch
Teilung sich vermehrenden Ureier und den Chromosomen der ersten
Richtungsspindel nachgewiesen zu haben, andere stellen diesen Zu-
sammenhang auf das bestimmteste in Abrede.
• Wie wichtig es ist, die Lehre von der Individualität der Chromo-
somen zum Entscheid zu bringen, fällt besonders in die Augen, wenn
wir uns auf den Standpunkt der Reduktionshypothese stellen. Die
Reduktionshypothese lehrt, daß ganze Chromosomen ausgestoßen
w^erden müssen, damit bei der Befruchtung keine Steigerung der
Chromosomenzahl eintritt. Sind die zurückbleibenden Chromosomen
Individualitäten von dauerndem Bestand, so müssen sie — von gering-
fügigen Variationen abgesehen — in gleicher Konstitution in der
Ahnenreihe des betreffenden Tieres existiert haben. Je mehr wir in
der Ahnenreihe zurückgehen, um so mehr wächst die Zahl der Vor-
fahren, von denen ein Tier abstammt (2 Eltern, 4 Großeltern, S Ur-
großeltern etc.). Berücksichtigt man, daß die Zahl der Chromosomen
eine beschränkte ist, daß manche Oi-ganismen nur 4 oder sogar nur
2 Chromosomen haben, so kommt man beim Zurückverfolgen der
Generationen sehr l)ald an einen Punkt, w^o — die Richtigkeit der
Individualitäts- und Reduktionslehre vorausgesetzt — es ganz ausge-
schlossen erscheint, daß Idioplasma von sämtlichen Ahnen sich in der
Nachkommenschaft erhalten habe. Bei einem Tiere mit 2 Chromo-
somen müßten schon 2 von den 4 Großeltern bei der Vererbung gar-
nicht mehr in Frage kommen können, da ihre Chromosomen bei den
mehrfachen Reduktionsteilungen eliminiert sein müßten ; ihre individu-
ellen Eigenschaften würden daher nie mehr in der Nachkommenschaft
zur Wiederbelebung kommen können. Derartige Konsequenzen wider-
sprechen allen Erfahrungen über Erblichkeit. So wurden die Forscher,
welche sowohl die Individualitätslehre als auch die Reduktionstheorie
annahmen, zu einer neuen Hypothese geführt, zur Hypothese von der
,, Konj ugation der Chromosomen" (Amphimixis der Chro-
mosomen). In den ruhenden Keimzellen sollen die Chromosomen
lange, bevor die Richtungskörperbildung einsetzt, sich teilen, die
Teilprodukte auseinander weichen und dann von neuem verschmelzen.
Bei dieser Verschmelzung soll nun die Konjugation der Chromo-
somen vor sich gehen, indem die Teilprodukte mancher Chromosomen
nicht wieder mit den ihnen entsprechenden Teilstücken verschmel-
zen, sondern mit den Teilprodukten anderer Chromosomen. Wie
bei der Befruchtung 2 Zellen durch Verschmelzung ein neues Indivi-
duum erzeugen , so würden durch vollkommene Verschmelzung von
zwei verschieden gebauten Chromosomen koml)inierte Chromosomen
gebildet werden, welche nunmehr zweierlei Idioplasma enthielten. Auf
die Beobachtungen , welche dieser Lehre zur Stütze dienen sollen,
werden war liei der Besprechung der Eireife der Selachier zurückzu-
494 R. Hertwig,
komnion haben. Doch sei schon hier hervorgehoben, daß die Kon-
jugationshypothese zweierlei Verschiebungen der Teilstücke der
Chromosomen annimmt, die beide wenig wahrscheinlich sind. Zunächst
müssen zwei zusammengehörige Teilstücke ganz wie bei der Karyo-
kinese auseinanderweichen. ohne daß eine Spindelbildung vorhanden
wäre. Zweitens müßten sich Chromosomen vereinigen, ohne daß man
bisher ii'gend welche Begleiterscheinungen im Kernnetz wahrgenommen
hätte, wie sie bei der Konjugation der Kerne in den charakteri-
stischen Strahlungserscheinungen lieobachtet werden.
Wir werden hiermit auf eine letzte Frage von allgemeinem
Interesse, die weniger als die bisher besprochenen Beachtung gefunden
hat, hingeleitet. Was ist die Ursache, daß in dem relativ
großen Ei Eikern und Spermakern einander treffen,
gl eich giltig, ob das Spermatozoon weit entfernt vom
Eikern oder in seiner u n m i 1 1 e 1 b a r e n Nachbarschaft ein-
dringt. Vielfach hat man an eine Anziehung gedacht, welche die
beiderlei Kerne aufeinander ausüben. Diese Erklärung ist zum min-
desten unzureichend. Denn bei ihr bleibt es unverständlich, warum
die Kerne nicht direkt aufeinander zurücken, sondern sich zugleich
auch nach dem Centrum des Eies hin bewegen, so daß ihre Bahnen
nach einem dritten Punkt konvergiei'en, der dem Mittelpunkt der
Protoplasmamasse des Eies mehr genähert ist als Eikern und Sperma-
kern am Anfang der Befruchtung (Wilson). Auch hört die Bewegung
der Kerne mit der Kopulation nicht auf, sondern hält die Richtung
nach dem Eicentrum weiterhin ein. Sehr interessant für die uns be-
schäftigende Frage ist auch die Beobachtung, daß sich beim be-
fruchteten Seeigelei das Centrosoma vom Samenkern
entfernen und allein an den Eikern herantreten kann,
daß dann die Kernkonjugation unterbleibt und der Eikern mit dem
Centrosoma allein in die Gegend der Eimitte rückt (Boveri), ein un-
trügliches Zeichen, daß die Kerne als solche keine Anziehung aufein-
ander ausüben.
Offenbar spielt die K o n t r a k t i 1 i t ä t d e s P r o t o p 1 a s m a für das
Zustandekommen dieses Abschnittes der Befruchtung eine bedeutsame
Rolle. Die Kerne werden einander durch die Bewegungen des Proto-
plasma genähert. Dadurch wird es auch verständlich, daß die Vereinigung
der Geschlechtskerne unterbleibt, wenn man das Protoplasma lähmt,
sei es durch Kälte oder Wärme oder durch Behandlung mit lähmen-
den Substanzen (Chinin, Chloral, Chloroform). Ausgelöst werden die
Bewegungen des Protoplasma durch die Einwirkung des Centrosoma.
wie wir ja auch bei der Eifurchung sehen, daß die zur Teilung
!n
führenden Bewegungserscheinungen des Eies von dem sich teilenden
Centrosoma ausgelöst werden. Die nach den Centrosomen orientierten
Strahlungsfiguren sind der Ausdruck der Kontraktionsvorgänge.
Eine vollkommen befriedigende Erklärung ist freilich durch die
Zurückführung der Erscheinungen auf die Kontraktilität des Proto-
idasma auch nicht gegeben. Denn wie sollte es sich dann erklären,
daß bei Eiern, welche zur Zeit der Befruchtung noch das Keim-
bläschen besitzen, dieses zur Bildung der Richtungsspindel nach der
Peripherie wandert und daß erst der Eikern wieder zurückkehrt.
Einen modifizierenden Einfluß der Kerne auf die Bewegungen des
Protoplasma muß man daher annehmen.
Eireit'e und Befruchtung. 495
Grescliichtliches.
Verständnis für die Reifungs- und Bef r uchtungserscheinungen
des Eies wurde erst in den letzten Decenuien des verflossenen Jahr-
hunderts gewonnen, nachdem schon einzelne mehr oder minder bedeutsame
Vorgänge, herausgerissen aus ihrem Zusammenhang, vorher beobachtet
worden waren.
Schon frühzeitig wurde von zahlreichen Beobachtern festgestellt, daß
das Keimbläschen im reifen Ei schwinde, so von Purkinje für das
Hühnex-ei, von Bischoff und Reichert für das Ei vieler Säugetiere^ von
Oellacher und Gtötte für die Eier der Amphibien und Fische, von
Kleinenbekg für das Ei von Hydra, C. E. v. Baee und Derbes für Eier
der Seeigel u. s. w. Diese Angaben gelangten aber erst ganz allmählich
zur Anerkennung, weil von vielen Seiten der Fortbestand des Keim-
bläschens behauptet wurde, selbst von hochverdienten Forschern, wie
JoH. Müller bei Entoconcha tnirabilis, Barry bei Säugetieren, Gegenbaur
bei Medusen, Pteropoden and Heteropoden, Vax Benedex für das gesamte
Tierreich, u. s. w. Als schließlich die Ansicht vom Schwunde des Keim-
bläschens die. Oberhand gewann, führte sie zur Lehre Haeckel's vom
„Mo n erulastadiu m" des Eies, daß die Eizelle ihr Leben als Gewebs-
element des Eierstockes mit der Auflösung des Keimbläschens abschließe,
daß sie das Dasein eines neuen, selbständigen Organismus als kernloser
Köi'per beginne, als „Cytode", welche das phylogenetisch wichtige Stadium
kernloser Organismen, der Moneren, rekapituliere.
In eine neue Phase trat die Lehre von den Umbildungen des reifen-
den Eies durch die Entdeckung der Richtungsspindel und ihrer Bedeutung
für die Entstehung der Richtungskörper durch Bütschli. Die Richtungs-
körper oder Polkörper waren au Molluskeneiern schon von Carus (1824)
und E. Müller (1841) beobachtet worden; sie wurden wiedergefunden
bei den Eiern der Säugetiere von Bischoff, Barry und Reichert. Lovex
il848) stellte fest, daß sie vom Ei aus durch Abschnürung erzeugt
werden. Die Namen „Richtungsbläschen" (F. Müller) , „Richtungs-
köx'perchen" (Flemming), „Polkörperchen" (Robin) wurden gewählt, weil
die Körperchen bei Mollusken an demjenigen Pole des Eies, den man den
animalen nennt, in welchem die ersten Furchungsebenen sich schneiden,
lagern. BCtschli bewies nun den schon von Loven vermuteten gene-
tischen Zusammenhang der Richtungskörper mit dem Keimbläschen.
Letzteres soll sich in die Richtungsspindel umwandeln, welche durch
Teilung die beiden Richtuiigskörper liefere. So seien die Richtungskörper
nichts anderes als das zu einer Spindel umgewandelte und schließlich in
seiner Totalität ausgestoßene Keimbläschen. Bütschli erklärte die Er-
scheinung für eine Folge der Befruchtung. Bei letzterer soll das Ei
seinen Kern, das Keimbläschen, auf dem Wege der Richtungskörperbil-
dung verlieren und durch das in das Ei eindringende Spermatozoon mit
einem neuen Kerne versehen werden.
Gleichzeitig mit Bütschli's Untersuchungen war festgestellt worden,
daß das unbefruchtete Ei der Seeigel nach dem Verlust des Keimbläschens
noch seinen eigenen Kern habe, den 0. Heetwig (1875) Eikern nannte und
als den bei der Auflösung des Keimbläschens zurückgebliebenen Keim-
fleck deutete. Dieselbe Umbildung des Keimfleckes in einen Eikern
hatten schon früher C. E. v. Baer und Derbes für das gleiche Objekt,
Fol für das Ei einer Meduse. Leydig für das Ei von Piscicola vermutet.
Der Widerspruch dieser Befunde mit den Befunden Bütschli's ver-
anlaßte 0. Hertwig zu erneuten Untersuchungen, die nun zu dem Resultat
führten, daß sowohl die Untersuchungen Bütschli's wie die eigenen nur
496 R. Hertwig,
zum Teil richtig seien, daß in der That das Keimbläschen sich in die
.Richtungsspindel verwandele und der KeimHeck somit nicht direkt in
den Eikern übergehe, daß die Richtungskörper durch eine doppelte
karyokinetische Teilung entständen, bei der die Besonderheit vorliege,
daß die eine Tocliterzelle, der Richtungskörper, klein, die andere, das
Ei, groß sei ; wie bei jeder Kernteilung liefere auch die Richtungsspindel
bei ihren beiden Teilungen jedesmal 2 Kerne, bei der letzten Richtungs-
teilung den Kern des zweiten Richtungskörpers und den Eikern.
Durch diese von Giard, BiJTsciiLi, Fol bestätigte Darstellung war
die Reife der Eier nach ihrer histologischen Seite aufgeklärt worden.
Die gegen sie erhobenen Einwände Carnov's wurden von Boveei u. A.
als unzutreffend nachgewiesen. Es galt nun, für den morphologischen
Charakter der Vorgänge Verständnis zu gewinnen. Die Deutung, daß
die Richtungskörperbildung eine Art Parthenogenese des Eies sei, welche
zum Stillstand gelange und durch die geschlechtliche Entwickelung ab-
gelöst werde, wurde von verschiedenen Forschern versucht, bald aber
als unhaltbar wieder verlassen, als man die in vieler Hinsicht mit der
Eireife übereinstimmende Reife der Spermatozoen kennen lernte ; sie
wurde unbegreiflicherweise in der neuesten Zeit wieder von Kollmann
(1900) aufgefrischt. Ebenso unhaltbar erwies sich die von Balfour,
MiNOT, Van Beneden aufgestellte Theorie vom „Hermaphroditismus der
Zelle" ; jede Eizelle enthalte männliche und weibliche Teile und sei
daher zu parthenogenetischer Entwickelung befähigt. Bei der Richtungs-
körperbildung würden die männlichen Kernteile ausgestoßen und das
Ei Somit auf die Entwickelung durch Befruchtung angewiesen, durch
welche d;e verloren gegangenen männlichen Qualitäten wieder erworben
würden. Eine dritte, von Mark ausgehende, gleichzeitig von Bütschli
und BovERi vertretene Auffassung gelangte dagegen bald zu allgemeiner
Anerkennung, daß nämlich die Richtungskörper abortive Eier seien, deren
Masse reduziert sei, damit das Ei das zu seiner Weiterentwickelung
nötige Material erhalte. Diese Auffassung begründete 0. Hertwig durch
einen genauen Vergleich der Ei- und Samenbildung von Äscaris megalo-
cephala und durch den Nachweis , daß die charakteristischen Reife-
teilungen auch in der Entwickelung der Spermatozoen vorkommen, nur
mit dem Unterschiede, daß hier alle 4 Teilprodukte zu Spermatozoen
werden, weil für die Spermatozoen reichliche Materialanhäufung nicht
nur nicht nötig, sondern für ihre freie Beweglichkeit sogar hinderlich
sein würde.
Das Problem der Befruchtung hat viel früher als die Ei-
reife die Forschung beschäftigt. Die ersten wissenschaftlichen Grund-
lagen wurde schon durch die Experimente Spallanzani's gewonnen,
welche zeigten, daß der männliche Samen für die Entwickelung der Eier
nötig sei, da letztere sich nicht entwickeln, wenn sie von der Berührung
mit dem Samen ausgeschlossen sind. Die Frage, welche Teile des Samens
befruchtend wirken, ob die in der Samenflüssigkeit gelösten Stoffe oder die
in ihr suspendierten durch Van Hamm und Leeuwenhoeck 1677 entdeckten
Spermatozoen, wurde zu Gunsten der letzteren durch die Experimente
Spallanzani's, Prevost's und die morphologischen Untersuchungen v. Sie-
bold's, R. Wagener's und vor Allen v. Koelliker's entschieden, welche
nach zwei Richtungen wichtig wurden : 1) sie bewiesen , daß bei vielen im
Meere lebenden Tieren der Samen nur aus Spermatozoen besteht, welche im
Meerwasser, nicht in einer besonderen Flüssigkeit suspendiert sind und
daß die Spermatozoen bei allen Tieren vorkommen und in Zellen der-
selben gebildet werden ; 2) sie bewiesen, daß filtriertes Sperma, welches
Eireife und Befruchtung. 497
nur die flüssigen Bestandteile enthält, während die Spermatozoen auf dem
Filter zurückgehalten wurden, keine befruchtende Wirkung ausübt. Damit
ließ sich das Problem der Befruchtung genauer formulieren: Wie wirken
die Spermatozoen auf das Ei?
Es wurden hierüber verschiedene Anschauungen aufgestellt: 1) Die
Substanz der Spermatozoen wird in löslichen Zustand übergeführt, und
in diesem Zustand eindringend, macht sie die Eier entwickelungsfähig.
2) Die Spermatozoen wirken durch Kontakt. 3) Sie dringen als geformte
Elemente in das Ei ein. Was das Eindringen der Spermatozoen anlangt,
so behaupteten schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere
Forscher, den Vorgang direkt beobachtet zu haben, Barry beim Kaninchenei,
Nelson und Meissner bei Äscaris mystax, Kebee bei Flußmuscheln, New-
PORT bei Amphibien. Auch Bischoff, der lange Zeit sich gegen die Lehre
vom Eindringen der Spermatozoen in das Ei ausgesprochen hatte, erklärte
sich schließlich , gestützt auf Beobachtungen an Amphibien und Säuge-
tieren, iwc die Lehre. Alle diese Angaben haben keinen nachhaltigen
Einfluß auf die Entwickelang der Befruchtungslehre gehabt, und mit
Recht. Denn viele derselben, wie die von Barry, Keber, gründeten sich
auf Beobachtungen, welche mehr als fragwürdig sind. Auch die besseren
Beobachtungen Newport's und Bischoff's sind für einen zuverlässigen
Beweis völlig unzureichend.
Unsere moderne Auffassung der Befruchtungsvorgänge gründet sich
auf den durch 0. Hertwig geführten Nachweis, daß bei künstlicher
Befruchtung der Seeigeleier wenige Minuten nach dem
Zusatz des Samens eine Strahlung erscheint, die von einem
durch Färbung als Kern erkennbaren kleinen Körperchen ausgeht. Den
betreffenden Kern nannte 0. Hertwig Spermakern, indem er ihn mit dem
Kopfe eines eingedrungenen Spermatozoons identifizierte. Da normaler-
weise immer nur 1 Spermakern vorhanden war und dieser in die Tiefe
rückte, um mit dem Eikern zum Furchungskern zu verschmelzen, wurde
die Befruchtung definiert als die Vereinigung von Eikern und
Samenkern und zwar nur eines Spermatozoons. In gleichem Sinne
deutete 0. Hertwig die an verschiedenen Objekten gemachten Beob-
achtungen Auerbach's, BtJTSCHLi's Und Strasburger's über die Vereinigung
zweier Kerne im frisch befruchteten Ei.
W'enige Monate später veröffentlichte E. Vax Beneden Beobach-
tungen an Säugetiereiern , daß der Kern des sich furchenden Eies
aus der Verschmelzung von 2 Kernen entsteht. Einer dieser Kerne, der
anfänglich peripher gelagert sei, bilde sich wahrscheinlich aus der
Substanz von Spermatozoen, welche in größerer Zahl mit dem Dotter des
Eies verschmelzen. Bald darauf wurde von Fol, das Eindringen des
Spermatozoons in das Seeigelei direkt beobachtet und durch Nussbaum,
Van Beneden, Boveri in den Ascariseiern ein Objekt entdeckt, an welchem
man die einzelnen Stadien des Eindringens der Spermatozoen genau
verfolgen kann.
Von großer Bedeutung für das Verständnis der die Befruchtung
begleitenden Strahlungserscheinungen und des Zusammenhanges der Ei-
furchung mit der Befruchtung war die Entdeckung des Centro-
soma durch Van Beneden und Boveri. Letzterer stellte den Satz auf,
daß das die Eiteilung veranlassende Centrosoma nur von dem Spermatozoon
stamme, und behielt hiermit Recht gegen die Quadrillenlehre Fül's,
welche besagte, daß die beiden Centrosomen der Furchungsspindel durch
Verschmelzung von je 2 Centrosomen entständen, von denen das eine aus
Handbuch der Entwickelungslehre. \. 32
498 R. Hertwig,
der Teilung eines Eicentrosoma, das andere aus der Teilung eines Sperma-
centrosoma entstände.
Mit der Befruchtungslehre steht im Zusanunenhang die Ver-
erbungslehre, daß die Samen- und Eizellen die Träger der Sub-
stanzen sind, welche die Vererbung vermitteln. Nägeli legte durch
seine Idioplasmatheorie die theoretischea Grundlagen für eine
Theorie der Vererbung. Er wies nach, daß man in den Sexualzellen
•eine besondere Vererbungssubstanz annehmen müsse, welche gemäß der
gleichen Vererbbarkeit väterlicher und mütterlicher Eigenschaften in
gleichen Mengen in den Eiern und Spermatozoen vorhanden sein müsse.
0. Hertwig erklärte auf Grund seiner oben erwähnten Untersuchungen
über die Befruchtung der Seeigeleier sowie weiterer Untersuchungen an
den Eiern anderer Tiere die Kerne für die Träger der Vererbung, eine
Auftassung, welche gleichzeitig auch von Strasburgeh für die Pflanzen
ausgesprochen wurde. Für die weitere Ausbildung der Vererbungstheorie
wurde der durch Van Benbden geführte Nachweis, daß bei Ascaris megalo-
cephala Eikern und Spermakern gleich viel Chromosomen für die Fur-
chungsspindel liefern, von fundamentaler Bedeutung. Durch diese wie
durch die anschließenden Untersuchungen Carnoy's und Boveri's wurde
das Problem abermals präciser gefaßt, so daß jetzt die von der über-
wiegenden Mehrzahl der Biologen angenommene Formulierixng aufgestellt
werden konnte : die Vererbungssubstanz ist in dem Chromatin der Kerne
gegeben. Schließlich konnte sogar Boveri versuchen, für diesen Satz die
■experimentelle Begründung zu geben. Er bastardierte kernlose Eistücke
von Sphaerechinus granularis mit Samen von Echinus microtuberculatus
und suchte zu beweisen, daß die hierbei sich entwickelnden Larven aus-
schließlich väterliche Eigenschaften besäßen, ein Satz, der allerdings von
verschiedenen Seiten, vor Allem von Seeliger angegriffen wurde.
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I. Acraiiier.
Das Laicligeschäft des Amphioxiis {Branchiostoma lanceolatum)
ist von den zahlreichen Forscliern, welche sich mit dem hochinter-
essanten Ent^Yickelungsgang■ dieses niedersten Wirbeltieres beschäftigt
haben, ausführlich beschrieben worden. Es beginnt spät im Frühjahr
(im südlichen Mittelmeer Anfang April) und fällt stets in die Al)end-
stunden, wenn die Sonne aufhört den Meeresspiegel zu bescheinen.
Gegenüber den älteren Angaben Kowalevski's, M. Marshall's und
Hatschek's, daß die Geschlechtsprodukte durch den Mund entleert
werden, stimmen alle neueren Beobachter ( Wille y, Wilson, Van der
Stricht, Sobotta) darin überein, daß sie die Peribranchialhöhle, in
deren Seitenwand die Geschlechtsfollikel eingebettet sind, direkt durch
den Porus branchialis verlassen, die Eier einzeln und nur bei gestörtem
Laichgeschäft zu Klumpen zusammengeballt. Da die Männchen durch
Ausspritzen des sich rasch im Wasser ausbreitenden Samens das Laich-
geschäft beginnen, werden die Eier in der Natur sofort nach ihrer
Entleerung befruchtet, oft schon innerhalb des Peribranchialraumes.
EiroilV. Zur Zeit ihrer Entleerung haben die 0,1 mm großen Eier
schon den ersten Richtungskörper gebildet. Die An fangs Stadien
der Eireife laufen somit im Ovar ab, sind aber bisher noch nicht
genügend untersucht worden. Sichere Beobachtungen liegen zur Zeit
nur über Eier mit Keimbläschen und Eier mit ausgebildeten Rich-
tungsspindeln vor. Jene sind schon von einer deutlich doppelt kon-
turierten Hülle umgeben, dem Chorion(?), unter welchem nach Van
DER Stricht noch eine äußerst feine Dotterhaut liegen soll, während
dieselbe nach Sobotta erst bei der Entleerung der reifenden Eier
entstehe. Abgesehen von feinkörnigem, das Keimbläschen umgebendem
Protoplasma sind deutlich 2 Schichten am Eikörper zu unterscheiden,
32*
500
R. Hertwig,
eine dünne Rindenschicht und eine innere Hauptmasse. Beide ent-
halten rundliche Einschlüsse, in deren Deutung Sobotta und Van der
Stricht voneinander abweichen. Ersterer erklärt die kleineren Kör-
perchen der Hauptmasse für Dotterkörner (Fig. IHOA), die größeren
Elemente der Rinde (Ä r) für vakuolenartige Bildungen, während
Van der Stricht die letzteren für Dotterplättchen hält.
Die gleiche Struktur des Eidotters findet sich bei den Eiern mit
Richtungsspindeln, solange sie im Ovar enthalten sind. Genaueres
wissen wir nur von der zweiten Richtungsspindel (Fig. IGOA). Dieselbe
ist mit ihrem peripheren Ende unter der Rindenschicht eingepflanzt;
ihre von Pol zu Pol reichenden Fasern verlaufen anfänglich einander
- c
♦ *
••. /Ii' il" - • •••■
* • • •? •• .i^
A
Fig. 160. Bildung de? zweiten Riclitungskörpers von Amphi'oxus {nach Sobotta).
A zweite Richtungsspindel eines Ovarialeies mit Rindenschicht (/•) und Chorion (c).
B, C Bildung des zweiten Richtungskörpers von einem in das Wasser entleerten und
befruchteten Ei, Rindenschicht geschwunden, Dotterhaut (d) gebildet. / und 2 erster
und zweiter Richungskörper. Vergr. 900.
parallel (Sobotta), so daß die ganze Spindel breit abgestutzte Enden
hat, später konvergieren sie zur Bildung von spitzen Spindelpolen (B).
Auch tritt schon innerhalb des Ovariums Strahlung auf, welche aber
erst auf späteren Stadien (nach der Entleerung) deutlicher wird (von
Sobotta als „Zugfasern" gedeutet). Die Zahl der in der Aequatorial-
platte vereinten Chromosomen beträgt zwischen 10 und 15, wahr-
scheinlich 12. Oberhalb der Spindel findet sich der 1. Richtungs-
körper ; er liegt nach außen vom C h o r i o u (nach Van der Stricht
von einem abgeschnürten Teil des Chorion umgeben), woraus es sich
erklärt, daß er bei der Entleerung gewöhnlich abgestreift wird und
nur selten an Eiern des Peribranchialraumes, noch seltener an ab-
gelegten Eiern (Van der Stricht) zu finden ist.
Ueber die Umbildung des Keimbläschens zur ersten Richtungsspindel
ist nichts bekannt. Auch sind die Beobachtungen Soisotta's über Be-
funde von ersten Richtungsspindehi nicht einwandfrei. Seine Angaben und
seine Abbildung passen auf die m Fig. 160A reproduzierte Darstellung
der zweiten Richtungsspindel, nur daß der 1. Richtungskörper an den be-
treffenden Eiern fehlte. Es ist daher die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
daß die wenigen Präparate, welche Sobotta auf erste Richtungsspindeln
bezog, Eier mit zweiten Richtungsspindeln waren, an denen der Richtungs-
körper abgestreift war. Präcise Angaben über etwaige Unterschiede
zwischen 1. und 2. Richtungsspindel fehlen.
Von den reifenden Ovarialeiern unterscheiden sich die entleerten
Eier sofort durch den Mangel der R i n d e n s c h i c h t (Fig. 1(30, B, C ;
Fig. 161; Fig. 162). Dieselbe soll nach Sobotta zur Bildung einer zweiten
inneren Hülle (Hauptmembran Sobotta's) verbraucht werden, welcher
somit die Bedeutung einer Dotterhaut zukommen würde. Die Umwand-
lung der Rindenschicht zur Dotterhaut soll durch den Kontakt mit dem
Eireife und Befruchtung,
501
Seevvasser bewirkt werden und von der Befruchtung una])liängig verlaufen.
Die Membran sei für Sperniatozoen zunächst noch durchgängig, hebe sich
aber, sowie ein Spermatozoon in das Ei eindringt, blitzschnell von der
Eiobertläche ab und entferne sich allmählich von ihr, wie schon Kowa-
LEVSKY und Hatschek es beschrieben haben; dabei erhärte sie und
werde nunmehr für weitere Spermatozoen undurchgängig. Nach Hat-
schek ist eine Stelle — wahrscheinlich die Eintrittsstelle des Spermato-
zoons dadurch bezeichnet, daß die Dottermembran mit der Eiobertläche
einige Zeit noch im Kontakt bleibt und daher vorübergehend trichter-
förmig eingezogen ist. Verzögert sich die Besamung, so bleibt die frisch
gebildete Dotterhaut der Eiobertläche anhaften und ist noch längere
Zeit für Spermatozoen durchgängig, wodurch sich günstige Vorbedin-
gungen für Rolyspermie ergeben. Die Abhebung der Membran ist
dann verzögert. (Nach Van der Stricht, dessen Angaben zufolge die
Dottermembran schon im Ovar gebildet wird, schwindet die Rinden-
schicht, indem ihr Material sich mit dem übrigen Eidotter vermengt.)
Nach dem Eindringen des Spermatozoons beginnt die Bildung des
2. Richtungskörpers indem sich die Spaltung der Aequatorialplatte in
die beiden Seitenplatten vollzieht. Unter Zunahme der Strahlung an
den Polen der sich streckenden Spindel wird der 2. Richtungskörper
abgeschnürt, der schon von Hatschek beobachtet wurde; er bleibt, da
er innerhalb der Eihüllen zu liegen kommt, während der Furchung
dem Ei anhaften.
Befruchtung-. Das Eindringen des S p e r m a t o z o o n s ist am
lebenden Material noch nicht beobachtet worden. Wenn es auch beim
Mangel einer Mikropyle an jeder Stelle der Eiobertläche erfolgen kann,
so scheinen doch die Be-
größerer
dingungen hierfür in
Entfernung von der Gegend
der
günstiger
Richtungskörperbildung
zu sein, so daß man
am häufigsten das eingedrun-
gene Spermatozoon in dem von
der Richtungsspindel abge-
wandten Abschnitt des Eies
findet. Es stellt an frisch be-
samten Eiern einen auft'allend
grollen, langgestreckten, der
Eioberfiäche parallel gestell-
ten, unregelmäßig aufquellen-
den Körper dar, über dessen
morphologische Deutung, wie
auch über seine Umbildung
zum Spermakern zwei ver-
schiedene Ansichten aufgestellt
wurden.
Van der Stricht hält den Körper für das gesamte Spermatozoon
einschließlich des Schwanzfadens ; sein Kern werde durch Abbröckeln
der übrigen Bestandteile frei und schwelle allmählich zum bläschen-
förmigen Spermakern an. Sobotta dagegen deutet den Körper als
den gequollenen Spermakopf, welcher sich zunächst wieder zu einem
kleineren Körper zusammenziehe, ehe er zum bläschenförmigen Sperma-
kern werde. Beide Forscher stimmen darin überein, daß der betreffende
Körper zunächst ohne jede Asterenbildung in einem Hof dotterfreien
Fig. 161. Ei von Arnphioxus mit frisch
eingedrungenem Spermatozoon {sp). Eihüllen
weggelassen (nach Sobotta). Vergr. 500.
502 R. Hertwig,
Protoplasmas lagert, daß während der Verkleinerung und der darauf
folgenden bläschenförmigen Umgestaltung eine Si)ermastrahlung auf-
tritt, in deren Centrum ein Centrosoma erkennbar ist (Sobotta).
Inzwischen ist der 2. Richtungskörper gebildet und der Eikern rekon-
struiert worden, ein zunächst noch allseitig von Strahlung umgebenes
Bläschen, das aber beim Wandern in die Tiefe des Eies seine Strah-
lung vollkommen einbüßt (Sobotta), Während Ei- und Samenkern
aufeinander zuwandern, aber noch bevor sie sich aneinander legen
und verschmelzen, hat das Centrosoma des Samenkerns sich ver-
doppelt. Man findet daher zur Zeit, wo Ei- und Spermakern sich
vereinigen, schon zwei Tochtercentrosomen, die Pole der späteren
Furchungsspindel , entwickelt und an opponierte Punkte der Ge-
schlechtskerne gerückt. Da die Vereinigung der Geschlechtskerne
Fig. 162. Befruchtung des Äniphioxus-E,ies (nach Sobotta). I Samenkern mit
Ceutrosoma, Eikern m Bildung. II Centrosoma verdoppelt. III Kopulation der
Geschlechtskerne. IV Furchungskern gebildet, c Chorion, d Dotterhaut, sp Sperma-
kern, ei Eikern, 3 zweiter Richtungskörper. Vergr. 600.
meist in beträchtlicher Entfernung vom Mittelpunkt des Eies 'er-
folgt, besitzt auch die Furchungsspindel eine excentrische Lage; sie
ist aber auf vorgerückten Stadien in der Weise gebogen, daß ihre
die Enden einnehmenden Centrosomen in die Mitte der sich vonein-
ander trennenden Furchungskugeln zu liegen kommen, wodurch es
den sich bildenden Tochterkeruen ermöglicht wird, in den Furchungs-
kugeln eine centrale Stellung zu gewinnen. Die noch zur Zeit der
Verdoppelung kleinen, punktförmigen Centrosomen schwellen während
der Karyokinese zu großen, fein granulierten Körpern an. In ihnen
können sich kleine Körnchen entwickeln, denen Sobotta keine größere
Bedeutung beimißt, während sie Van der Stricht, indem er die großen,
fein granulierten Körper als „spheres attractives" im Sinne Van Bene-
den's deutet, Centralkörperchen nennt.
Nach Van der ötiucht soll die Strahlung sich auch am Eikern erhalten
und allmählich auf •«inen Punkt desselben (Centrosoma) centrieren.
Wie am Samenkern verdoppele sich auch am Eikern die Strahlung, ehe
Eireife und Befruchtung. 503
es zur Bildung des Furchungskerns komme. Demnach würde Amphioxus
die FoL'sche Lehre von der Quadrille der Centrosomen bestätigen. Mit
Recht hält SoBOTTA dem entgegen, daß der vermeintliche Eikern wohl
ein zweiter Samenkern sei. Offenbar befanden sich im Material
Van per Stricht's viele polysperme Eier, was Sobotta daraus erklärt, daß
der belgische Forscher die laichenden Weibchen isolierte, die Eier sam-
melte und künstlich befruchtete. Indem die Eier so längere Zeit im
Wasser verweilten, ehe sie besamt wurden, wurden die oben besprochenen
Bedingungen für Polyspermie geschaffen. Was Van der Stricht über auf-
fallende oft multiple Spindelbildungen in Ovarialeiern schreibt, ist wohl
ebenfalls eher auf Polyspermie als auf parthenogenetische Entwickelung
zu beziehen. Die Eier des Amphioxus scheinen überhaupt ein sehr
empfindliches Objekt zu bilden, bei welchem pathologische Polyspermie
mehr als bei anderen Tieren zu befürchten ist.
II. Cyclo stomen.
a) Hjperoartien (Petromyzonten).
Das Laichgeschäft der Neunaugen drängt sich für Tiere desselben
Aufenthaltsortes auf wenige Tage zusammen. So fanden Kupffer
und Benecke (1878), daß in einem Bache bei Königsberg i. Pr.
sämtliclie Peiromyzon Planen in der Zeit vom 12. — 17. April, die
P. fluviatüis in der Zeit vom 5. — 20. Mai laichten. Nach A. Müller
(1864) soll es sogar vorkommen, daß das Laichgeschäft sämtlicher Tiere
eines Flusses an einem Tage beendet wird. Nach Abschluß desselben
sterben bekanntlich die Neunaugen ab, so daß man nach der Fort-
pflanzungszeit die Tiere massenhaft tot im Wasser treiben sieht. Die
reifen oder in Reife begriffenen Geschlechtsprodukte gelangen in die
Leibeshöhle und werden von hier durch die Pori abdominales nach
außen entleert. Freiwillig geschieht die Eiablage von selten des Weib-
chens nur, wenn ein Männchen zugegen ist, welches sich im Nacken
des Weibchens festsaugt, gewärtig, auf die in das Wasser ausgetretenen
Eier seinen Samen auszuspritzen. (Genaueres darüber teilt Herfort
1901 mit.) Wie bei Fischen kann man Eier und Samen durch Streichen
reifer Tiere entleeren und so künstliche Befruchtung ermöglichen.
Eireife. Die Substanz des Eies ist ziemlich gleichförmig von
Dotterplättchen durchsetzt, mit Ausnahme eines lockerer gebauten
Centrums und einer schmalen Rindeuschicht von alveolärer Struktur,
welche nach dem auimalen Pol allmählich dünner wird (Fig. 16;^ I u. IIa).
Am Pol selbst lagert einige Zeit, bevor die Eier in die Bauchhöhle
übertreten, das mit einem Keimfleck ausgerüstete Keimbläschen (Ur-
bläschen, Müller), von der Oberfläche des Eies zunächst noch durch
eine scharf umschriebene Masse homogenen Plasmas getrennt (den
„Deckel des Urbläschens", A. Müller). Noch innerhalb des Ovars
steigt das Keimbläschen bis an das äußerste Polende empor, um hier
sich — mit Ausnahme natürlich der für den Aufbau der Richtungs-
spindel dienenden Teile — aufzulösen. Bei Eiern in der Bauchhöhle
findet man daher höchstens noch Reste des Keimfleckes, im übrigen
das Polende des Eies von einer dünnen Lage homogenen Plasmas
eingenommen. Dieses „Polplasma'' muß wohl entgegen den wider-
sprechenden Angaben Böhm's auf das ursprünglich hier vorhandene
homogene Plasma („Deckel des Urbläschens") bezogen werden.
504
R. Hertwig,
lieber die Umwandlung des Keimbläschens in die Richtungsspindel
und die Bildung des ersten Richtungskörpers liegen zur Zeit noch keine
Beobachtungen vor. Frisch entleerte, aber noch nicht befruchtete
Eier besitzen schon den ersten
Richtungskörper und in desscm
Nachbarschaft die zweite Ricli-
tungsspindel. Beide Gebilde
wurden von Herfort (isi).'))
entdeckt, sind dagegen von allen
Forschern, die sich mit Reifung
und Befruchtung der Neunaugen-
eier befaßt haben, übersehen
worden. Dafür wurden als Rich-
tungskörper wiederholt andere
Strukturen, die im Gefolge der
auftreten, beschrie-
Befruchtung
ben.
Fig.
163. Oberes Ende von Längs-
schnitten durch Pctroiiiy\o)i-¥Äer. I
Ovarialei mit Hülle (nach Boehm). II
unbefruchtetes entleertes Ki mit Weg-
lassen der Hüllen (nai-h Herfort), a
alveoläre Schicht, c Chorion, / Follikel-
epithel, kh Keimbläschen, /j l*o[|)lasma,
1 erster Richtungskörper, 2 zweite Rich-
tungsspindel.
Nach Herfort liegt in einiger Entfernung vom Polplasma ein
heller Fleck. Untersucht man denselben genauer, so findet man eine
kleine Vertiefung und in derselben einen ziemlich ansehnlichen kern-
haltigen Körper, den Herfort als 1. Rieh tun gskör per deutet
(Fig. 14 II 1). In der Umgebung der Vertiefung liegt die auf dem
Stadium der Aequatorialplatte verharrende 2. Richtungsspindel. Da sich
in der Grube oft nur geringfügige Reste eines brockenartigen Detritus
finden, scheint der 1. Richtungskörper bald zu schwinden, schließlich
auch die durch ihn bedingte Grube, was zur Folge hat, daß die
erst
2. Richtungsspindel wieder tiefer zu liegen
kommt.
Sie tritt
wieder an die Oberfläche, wenn das Ei befruchtet wird, '^j ^ Stunde
nach der Befruchtung beginnt dann die Abschnürung des
2. Ri cht un gskör per s, welcher sich lange Zeit erhält und noch
während der Eifurchung aufgefunden werden kann. Eine weitere Folge
der Befruchtung ist der Schwund der alveolären Rindenschicht (Böhm,
Herfort), was an ähnliche Vorgänge bei Amphioxus erinnert.
Befruchtung. Was nun den Befr u ch tun gs vor gang selbst
anlangt, so spielt bei ihm die zarte Gallerte am auimalen Pol, welche von
A. MÜLLER „Flocke" genannt wurde (vergl. das Kapitel über das Ei,
S. 296), eine gewisse Rolle, indem in ihr sich die Spermatozoen an-
sammeln und radial einstellen wie „Eisenfeilspäne zur Spitze des Mag-
neten". Das Vordringen der Spermatozoon durch das Chorion erfolgt —
darin sind alle Beobachter einig — nur im Bereich eines besonderen Be-
zirks, des „uhrglasförmigen Aufsatzes" des Chorions, sei es an verschie-
denen Stellen desselben (Kupffer und Benecke, Böhm), sei es durch
Eireife und Befruchtung.
505
eine besondere, central gelegene Mikropyle (Calberla). Nun bildet sich
zwischen Chorion und Eiobertiäche ein allmählich sich vergrößernder
Zwischenraum aus. Denselben erklärte M. Schultze schon aus einer
Zusammenziehung des Dotters ; ihm haben sich Kupffer und Benecke,
Shipley und Nüel (1881) angeschlossen. Letzterer hat die Existenz
einer Kontraktion durch genaue Zeichnung eines und desselben Eies auf
verschiedenen Stadien der Befruchtung bewiesen und zugleich dargethan,
daß die Zusammenziehung in Form einer Kontraktionsw^elle verläuft,
die am animalen Pol beginnt und nach dem vegetativen Pol fort-
schreitet, so daß der Spalt zwischen Eioberfläche und Eihüllen zu-
nächst an ersterem erscheint, sich hier erweitert, dann nach dem
Aequator vordringt, vorübergehend da-
selbst eine sauduhrförmige Einschnürung
verursacht und schließlich auch den vege-
tativen Pol erreicht. An letzterem bleibt
das Ei noch am längsten vermöge eines
birnförmigen Fortsatzes mit dem Cho-
rion in Kontakt. Calberla dagegen
sucht den Spaltraum durch Endosmose
zu erklären, durch Eindringen von Flüssig-
keit zwischen Eioberfläche und Eihüllen ;
er suchte für seine Ansicht den Beweis
zu erbringen, indem er die Eier w^ährend
der Zeit, in welcher der Spaltraum sich
entwickelt, abwechselnd in reines und
mit
I
E
Indulin gefärbtes Wasser
übertrug.
Fig. 164. Befruchtung des Neiomicc/en-^ies
(nach Calberla). I Eindringen des Spermato-
zoon durch die Mikropyle (??), die mitten im uhr-
glasförmigen Teil des Chorions liegt. II— III
Retraktion des Dotters unter Bildung von Ver-
bindungsfäden, darunter ein besonders deutlicher
Strang, der dem Spermatozoon als Weg dient.
IV Auftauchen des Befruchtungshügels. Die
äußere Schicht des Chorions (die Flocke) ist nicht
dargestellt.
Es stellte sich heraus, daß innerhalb des Spaltraumes gefärbte und
ungefärbte Schichten miteinander abwechselten. Offenbar bestehen
beide Erklärungsversuche zu Recht, und verläuft die Abhebung der
Eihüllen, wie bei den Seeigeleiern, 1) durch Kontraktion des Eidotters,
2) durch Ausscheidung einer gallertigen, durch Aufnahme von Flüssig-
keit von außen anquellenden Substanz. Eine derartige bei Seeigel-
eiern durch Karminfärbung nachweisbare Substanz würde allein die
von Calberla beobachtete Abgrenzung verschiedenfarbiger Schichten
verständlich machen.
Mit der Abhebung der Eihäute geht Hand in Hand eine zweite Serie
von Erscheinungen, die von A. Müller, Calberla, Kupffer und
Benecke, Nüel in ziemlich übereinstimmender Weise geschildert
wurden, aber eine verschiedene Deutung erfahren haben. Wenn im
Umkreis des Hauptpoles die Retraktion des Dotters beginnt, spannen
sich zunächst noch feine Fäden vom Polplasma zwischen Innenseite
des Chorions und Dotterobertiäche aus. Unter ihnen befindet sich ein
506 R. Hertwig,
besonders starker Plasmacylindei', der j^enaii polständig ist und
zwischen der von Calberla als Mikropyle gedeuteten Stelle des
Cliorions und der EioberHäche eine Vorbindung herstellt. Es ist der
„Achsenstrang" Kupffer's, das „Leitband des Spermatozoons'' Cal-
berla's, der „hyaline Zapfen" Herfort's; nach Kupffer ist er
nicht immer vorhanden, während dm Calberla als eine konstante,
wenn auch in einigen Fällen nur kurze Zeit bestehende Bildung be-
schreibt. Der „Achsenstrang" wird, wie die übrigen Verbindungsfäden,
allmählich in den Eidotter zurückgezogen ; er kann sich dabei sand-
uhrförmig einschnüren und so am peripheren Ende einen Teil seiner
Substanz ablösen, welcher an der inneren Seite des Cliorions als ein
rundliches Körperchen zurückbleibt. Auch von den übrigen Fäden er-
halten sich kleine Tropfen isoliert auf der Innenseite des Chorion.
Wenn der Achsenstrang sich zum größten Teil oder ganz in den
Dotter zurückgezogen hat, beginnt eine neue Erscheinung. An der
Stelle, wo früher sein basales Ende war, wölbt sich homogenes Plasma
als ein rundlicher Körper empor, der über die Eioberfiäche aufsteigt
wie „ein aufgehender Mond" (Müller), einige Zeit lebhafte Be-
wegungen ausführt und dann in den trüben Eidotter zurücksinkt.
Während seines Bestandes soll in ihm ein granuliertes Körperchen
entstehen, welches ausgestoßen wird.
Die beschriebenen Erscheinungen wurden von den meisten Forschern
mit der Richtimgskörperbildung in Zusammenhang gebracht, das abge-
löste Ende des Achsenstranges von Müller als ein erster, das granuHerte
Körperchen im lebhaft beweglichen Protoplasmafortsatz von Kupffer,
Benecke, Böhm als zweiter Richtungskörper gedeutet. Diese Deutungen sind
unhaltbar, da die Richtungskörperbildung, wie wir durch Herfort wissen,
abseits vom animalen Pol in ganz anderer Weise abläuft. Vielmehr
sind die merkwürdigen Vorgänge Begleiterscheinungen der Befruchtung.
Calberla's Leitband des Spermatozoons erinnert am meisten an den
Fortsatz, den das Ei von Asterias glacialis dem eindringenden Spermato-
zoon entgegensendet und der von diesem als Eintrittsweg benutzt wird
— cöne d'attraction Fol's — ; der später neu aufsteigende Fortsatz
ist unzweifelhaft dasselbe Gebilde, welches an dem Punkt, wo das
Spermatozoon eingedrungen ist, bei Seeigel- und Seesterneiern neu auf-
taucht und von Fol „cone d'exsudation", von anderen Autoren
B e f r u c h t u n g s h ü g e 1 genannt wird. Wenn dadurch Calberla's
Angabe, daß das Spermatozoon durch den Achsenstrang in das Ei ein-
dringt, an innerer Wahrscheinlichkeit gewinnt, so verdient doch Be-
achtung, daß ihr von Kupffer und Benrcke widersprochen worden ist,
welche angeben, daß das befruclitende Spermatozoon auch an anderen
Stellen, sei es zwischen den feinen Protoplasmafäden oder längs einem
derselben, in den Dotter gelangen könne. Nach Kupffer und Benecke
soll der Achsenstrang eine andere Bedeutung haben ; er soll die an den
Hüllen hängen gebliebenen Protoplasmatröpfchen gleichsam ablecken,
auch anderweitige Tropfen, die durch Umwandlung verspätet einge-
drungener Spermatozoen entstehen, ja selbst in den Zwischenraum ge-
langte unveränderte Spermatozoen aufnehmen, und so eine Art „Nach-
befruchtung" herbeiführen. Daß in dieser Weise noch nachträglich
Spermatozoen oder auch nur Teile derselben in das Ei sollten auf-
genommen werden, scheint nach allen neueren Erfahrungen über Be-
fruchtung gänzlich ausgeschlossen.
Eireife und Befruchtung.
507
Darin stimmen alle neueren Autoren überein, daß die Be-
fruchtung nur durch ein Spermatozoon bewirkt wird.
Man hndet den Kopf desselben schon bald nach der Besamung im
Polplasma, am Grund defs sich zurückziehenden Achsenstranges als
ein gebogenes, intensiv gefärbtes Stäbchen, zunächst noch ohne
Strahlung. Nach Böhm soll das Polplasma infolge der Befruchtung
eine doppelte Membran abgeschieden haben : 1) auf seiner Oberfläche
eine Dotterhaut; 2) zur Abgrenzung gegen die dotterhaltigen Partien
des Eikörpers eine dickere, wellig verlaufende Hülle. Letztere, deren
III
11
rrpK-;-Wj 4 '■ * l;> "7^*"^ -^^ t
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Fig. 165. Befruchtung von Petromyxon Planeri (nach Boehm), Chorion und
Gallertschicht in II und III weggelassen. I Polplasma mit Befruchtungshügel, ent-
hält den Spermakern zunächst noch ohne Strahlung. II Befruchtungshügel zurück-
gezogen, Spermakern mit Strahlung. III hnks Spermakern mit Strahlung, rechts
Eikern; Polplasma zieht sich ins Innere des Dotters zurück. Vergr. SOO.
Existenz auch von Herfort bestätigt wurde, ist wohl nichts anderes
als eine Lage homogenen Protoplasmas, wie sie auch bei der Be-
fruchtung der Teleostier vorkommt. Wenn der Befruchtungshügel
gebildet und wieder in das Ei zurückgezogen ist (15 Minuten nach
der Besamung), beginnt das Stäbchen des Spermakernes sich in
Körner aufzulösen und an einem Ende die Strahlung zu entwickeln.
Während die Auflockerung in Körner (Spermatomeriten, Böhm) und
die Ausbreitung der Strahlung, die um die ganze Reihe der Spermato-
meriten gleichmäßig (?) angeordnet sein soll, Fortschritte macht, be-
ginnt eine Verlagerung des Polplasma, welches allmählich in das
einige Zeit lang mit der Oberfläche durch
Strang zusammenhängt, schließlich aber
von Dotterkugeln allseitig umgeben ist. Der dünne, dotterfreie Strang
kann als Spermagang bezeichnet werden, da er den Weg, welchen
das Spermatozoon genommen hat, bezeichnet, ähnlich wie wir es noch
Amphibien kennen lernen werden. Er ist noch 4 Stunden nach
Besamung zu erkennen.
Spermakern enthaltenden Polplasma haben die
auch den Eikern gesucht; Calberla und Böhm
auch gefunden zu haben. Böhm beschreibt ihn als
im Polplasma,
Innere des Dotters einsinkt,
einen dünnen , dotterfreien
bei
der
In dem den
früheren Autoren
glaubten ihn hier
eine undeutlich
welche anfänglich oberflächlich,
begrenzte, schwach gefärbte Partie
päter nach der Abschnürung des
2. Richtungskörpers in den tieferen Schichten gelagert sei. Seine
Bilder haben jedoch keinerlei Aehnlichkeit mit den Figuren, welche
der sich nach der Richtungskörperbildung rekonstruierende Eikern
bietet. Calberla dagegen findet den Eikern am Ende eines Stranges
homogenen Plasmas, welcher von dem Polplasma aus eine Strecke
508 K Hertwig,
weit nach dem Eicentrum zu in den üotter vordringen soll, aber von
keinem anderen Forscher hat wiedergefunden werden können. Cal-
BERLA nennt den betreffenden Strang „Sperniagang^', weil er der
Wanderung des Spermatozoons dienen soll. Sein oberes Ende soll
bei der Polansicht des lebenden Eies dem Beobachter inmitten des
Dotters als eine scharf umschriebene lichte Stelle, die „innere Mikro-
pyle", in die Augen fallen.
Nach Herfort's Untersuchungen kann es kaum zweifelhaft sein,
daß der Eikern abseits vom Polende des Eies und außerhalb des
Polplasma, an der Stelle, wo die Richtungskörper gebildet werden,
entsteht und erst später vom Polplasma aufgenommen wird. Doch ist
er in letzterem schon angelangt, noch ehe es sich von der Obertiäche
abschnürt und in die Tiefe rückt. Wie bei anderen Wirbeltieren,
vereinigen sich auch bei den Neunaugen die Geschlechtskerne zu einer
Zeit, in welcher sie schon zu Bläschen umgewandelt sind. Das Pol-
plasma ist um diese Zeit schon allseitig von Dotter umschlossen.
b) Ilyperotreten (Myxinoiden).
Die Fortpflanzung der Mtjxinoiden war bis in die Neuzeit in
tiefes Dunkel gehüllt. Man kannte lange Zeit über nur die merk-
würdig gebauten Ovarialeier und einige wenige abgelegte Eier von
Myxine glutinosa; doch war der Erhaltungsgrad der letzteren für
genaue Untersuchungen des Inhaltes völlig unzureichend. Erst im
letzten Decennium des verflossenen Jahrhunderts glückte es, in
größerer Menge abgesetzte Eier von Btliilostoma Stouti (Price,
Bashford Dean, Doflein) und einer Myxinoide der Küste von
Peru (Plate) zu erhalten. Schließlich wurden auch die Fundstätten
der abgelegten Eier von Miixinc. glutmosa entdeckt (Jensen, Hjort).
Aus den Befunden, welche für Mi/xine (Jensen), besonders aber für
Bdellostoma Stouti (Doflein, Bashford Dean) gemacht wurden,
läßt sich mit Sicherheit entnehmen, daß die Eier nach ihrer Ent-
leerung befruchtet, mittels ihrer terminalen Hakenapparate in Reihen
angeordnet und von den lateralen Schleimsäcken aus in Schleimmasse
eingehüllt werden. Die Eier von Bdellostoma wurden auf sandigem
Grunde, die von Myxine auf felsigem Boden, an Fremdkörpern {Bryo-
zoni) befestigt, in großer Tiefe (125 Faden) gefischt. Doch ist es
bisher nicht geglückt, Reifungs- und Befruchtungserscheinungen zu
beobachten.
ADiphibicn.
Von allen Wirbeltieren wurden in dei- Neuzeit die Amphibien am
meisten zu Untersuchungen über Reifung und Befruchtung der Eier be-
nutzt, weil ihre Eier ein besonders günstiges Material darstellen, für
alle im Binnenland lebenden Zoologen bei weitem das günstigste.
Abgesehen von der weiten Verbreitung der Tiere kommen hierbei
zwei Momente in Betracht, 1) die schon günstige Beschaffenheit
der Eier, 2) die Fortpflanz un gs Verhältnisse.
Mit Ausnahme der beiden lebendig gebärenden Formen Salamandra
atra und S. maculosa sind alle Atnphihien eierlegend. Bei den Anuren
wird die Befruchtung im Moment der Eiablage bewirkt, indem das
Eireife und Befruchtung. 509
Männchen, welches auf dem Weibchen hockt und es hinter den Vorder-
pfoten umklammert, seinen Samen über die Eier ausspritzt, wenn die-
selben aus der Kloake entleert werden. Man kann daher ohne Schwierig-
keit künstliche Befrachtung bewirken. Auch ohne Umarmung des Männ-
chens lösen sich die Eier aus dem Ovar, treten durch die Bauchhöhle
in den Eileiter und Uterus; sie werden sogar nach außen abgesetzt, auch
wenn die Weibchen von den Männchen getrennt gehalten werden (Pk^;-
vosT u. Dumas, Newport, Nussbaum). Freilich erfolgt dann die Ent-
leerung verspätet und nicht auf einmal, wie es der Fall sein sollte.
Ebenso kommt es bei den Urodelen meist zu keiner echten Begattung,
wenn auch zu einem der inneren Befruchtung vorausgehenden Liebes-
spiel. Die Urodelenmännchen schwimmen zur Zeit der Fortpflanzung an
die Weibchen heran, packen sie mit ihrem Maul, schlängeln sich um sie
herum und schlagen sie mit ihrem Schwanz. Dabei wird aber nicht, wie
man lange Zeit fälschlich annahm, die Kloake nach Art der Vögel auf
die Kloake des Weibchens gepreßt; vielmehr entleert das Männchen vor
den Augen des Weibchens mehrere mit Spermatozoen gefüllte Samen-
kapseln, welche dann von dem durch das vorangegangene Spiel in ge-
schlechtliche Erregung versetzten Weibchen in die Kloake eingeführt werden.
So wurden wenigstens die Vorgänge bei Tritonen (Gasco 1880, Zeller 1889),
^xoZo^^ (GrASCO 1881), Diemydylus (Jordan 1893) beobachtet, während die Be-
gattungsvorgänge für andere Arten, so besonders die Perennibranchiaten tmd
Salama ndrinen, noch unbekannt sind, desgleichen auch für die in unserer
Gegend nicht vertretenen Gymnophionen. Von den Samenkapseln aus
werden die Receptacula seminis des Weibchens gefüllt und aus diesen
wiederum die Eier im Moment der Ablage mit Samen versehen. Letzteres
ist ein willkürlich ausgeführter Akt, wie aus folgendem hervorgeht.
Die bei der Eiablage mit Sperma versehenen Eier werden mit Sorgfalt
an Wasserpflanzen befestigt. Nun kommt es aber vor, daß Eier aus der
Kloake des Weibchens, auf den Boden des Wasserbehälters herausfallen.
Solche Eier sind gewöhnlich nicht befruchtet. Offenbar sind sie ohne
aktive Beteiligung des Weibchens herausgekommen, infolge eines zu-
fälligen Druckes auf die Eileiter. Wenn es bei ihnen zur Befruchtung
kommt, so ist die Ursache wohl in der zufälligen Anwesenheit von Sperma
in der Kloake zu suchen (Jordan). Wenn somit die Besamung der Eier
bei den Urodelen auch eine innere ist, so gelingt doch auch hier die
künstliche Befruchtung, man schneidet die Eier aus den Eileitern und
tibergießt sie mit dem aus den Hoden gewonnenen Samen.
Nach den Angaben Lebrun's (1902) macht Diemyctylus torosus (Ca-
lifornien) eine Ausnahme von den übrigen Urodelen, auch von D. viri-
descens (Jordan), indem eine echte Begattung stattfindet, bei welcher das
Männchen das Weibchen hinter den Armen umgreift und seine Cloake
auf die weibliche Cloake preßt.
Eireife. Ausführliche Besprechung verlangen die K e r n v e r h ä 1 1 -
n is s e und — was damit zusammenhängt — dieR e i f e e r s c h e i n u n g e n
des Eies. Schon den Forschern in der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts (C. E. V. Baer 1834, RuscoNiA. L. I) war es aufgefallen, daß
das Keimbläschen des Froscheies am Ende der Ovarialperiode nach dem
pigmentierten Pol aufsteigt und dabei schwindet, daß dann an dem be-
treffenden Pol eine lichte Stelle inmitten der pigmentierten Umgebung
entsteht, der „Keimpunkf C. E. v. Baer's, die „Cicatricula" von
Prevost und Dumas (A L. I 1^24), die „Fovea germinativa" Max
Schultze's (18<33), die „fossette germinative^' Bambeke's (1876), der
„Richtungsfleck'' Fick's. Aber erst durch die Untersuchungen Oscar
510 R. Hertwig.
Schultze's (fl886) und später Ficks (1893) wurde dargethan. daß
die betreffenden Vorgänge mit der Bildung der Riebtun gskörper im
Zusammenbang stehen. Die Ableitung der Richtungsspindel vom
Keimbläschen gelang endlich den Untersuchungen C.vrnoy's und Le-
BRrTf's (1897—1899) und Borx's (1894). Letzterer kam dabei zu
wesentlich anderen Resultaten als die beiden belgischen Forscher.
Die Unterschiede betreffen besonders die wichtige Frage, ob die
Chromosomen der Richtungsspindel auf die Chromosomen der Oo-
gonien zurückgeführt werden können . oder ob das Keimbläschen
einen Zustand des Kernes darstellt, in welchem die Chromosomen den
Charakter individualisierter Bestandteile verlieren. Mit Rücksicht auf
die große theoretische Bedeutung der aufgeworfenen Streitfrage für die
^-
/
III
^ ~ • ■ • . '^^ r"'
Fig. 166. Keimbläschen von 3 heranwachsenden Eiern von Triton (nach Borx).
I Kern mit chromatischem Kerngerüst. Eigröße ca. 0,05 mra. 11 Kerngerüst in Auf-
heilung begriffen, Nudeoli in Bildung. Eigröße ca. 0,07 mm. III Kerngerüst auf-
gehellt, zahlreiche oberflächhche Xucfeoli. Eigröße ca. 0,15 mm. Vergr." 600.
Lehre von der Individualität der Chromosomen und mit Rücksicht
darauf, daß die Am}ihtbicn neben den Sehichiem die einzigen "Wirbel-
tiere sind, bei denen mau bisher die Eutwickelung der Richtungsspiudel
bis auf die Anfangsstadien der Eizelle zurückzuführen versucht hat.
ist eine ausführlichere Darstellung der Streitfrage hier am Platz.
In den Ureiern von Tritonen (Molge taeniatus) beschreibt
BoRX ein chromatisches Kerngerüst mit spärlichen Xukleolen und
eine deutlich chromatische Kernmembran. Wenn dann cüe Ureier die
Teilunu einstellen und somit zu iunsen Eiern werden, ehe aber noch
die Dotterablagerung beginnt, wird das Kerngerüst in einen Faden-
knäuel verwandelt, bei dem es zweifelhaft ist. ob er aus einem ein-
zigen vielfach gewundenen Stück oder vielen einzelnen Stücken zu-
sammengesetzt ist (Fig. 166 I). Gleichzeitig vermehren sich die Xukleolen
und sammeln sich unter der nunmehr farblosen Kernmembran au (II).
Während das Keimbläschen wächst und die wandständigen Xukleolen
sich weiterhin vermehren, werden die Chromatinfäden immer undeut-
licher und lassen sich schließlich nicht mehr nachweisen (HD. Zugleich
hellt sich das Kerninnere auf. Dasselbe ist von körnigen, wolkigen, sich
nicht mehr färbenden Massen (Karyoplasma Borx) eingenommen, wo-
runter man wohl das nach Schwund des Chromatins nunmehr zu Tage
tretende achromatische Kernserüst zu verstehen hat. In ihm liefen ein-
Eireife und notViK'luung. M I
zelne Nucleoli. Born erklärt ilio Autliolliinu, dos KtMiumuMtMi nu-lii durrli
eine Auflösung der ChroniatinfädiMi. sondiMu durch eine fein»^ Vor-
teilung der Chromatinkörnclien im Knryoplasnia. In l>es(»nders rlirouia-
tinreichen Eiern soll dalior auch zur /eil der ur("»Bt<Mi WMttMluu!', riu
gewisser Grad von Färlti)arkeit der ("lironiosonuMi crlialttMi lt|("il»<>n.
Wenn nun die Dotterbilduuu in den l'.iciii lM>giniil, sollcit in den
centralen Partien von neuem Cliromatiiiräden aultrcMiMi, oder vidmolir
die undeutlich gewordenen wieder waliniclimhar werden, und /.w.w iiU
verschwommene Stränge, die aus einem l''il/,werk {'einer, itlasser ('lim-
matinfäden bestehen (Fig. 1(57). Man kann dann am Keiml)l;iselitMi 'A Zonen
unterscheiden: 1) eine Rinden/oiui mit stark sich ^ärlt(<ll(l(^n Nuch^di,
2) eine intermediäre Zone von lielhMU Kai yoplasma, die in der l''ol|-':e
sich nicht nur entsjjrechend dem Waclistnm des Keimiiläschen:. wv-
größert, sondern auch auf Kosten der drittcin nächsten Schicht wIIcIihI
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Fig. 167. Keimbläschen eine« 0,0 rnrn j^roßcn 7W'<<;'/*-Ki<s«, \'.'f)uiii\ v(trirr<)Uf!n;
daneben ein Teil 600mal vergrößert Tnach iVjü.v;.
3) ein mehr oder weniger kugeligen Ccntrurn der „Centni.lk/irper'*
— welches die neu aufgetretenen Chrom atin «trän ge und 'Aw'i/.chcu
ihnen eine wechselnde Zahl verkleinerter und häufig ahgehla(it>5r Nu-
cleoli enthält. Da auch in der intermediären Zone vereinzelt/? vcr-
kleinerte und abgeblaßte Nucleoli auftreten, hält Bo/i.v en für w;jhr-
scheinlich. daß die peripheren Xncleoli schon auf dem bev;hrJef^e;/en
Stadium von der Peripherie nach dem Centrum wandern und hiw rv/ch
auflösen.
^yäh^end der Centralkörper eir'-'^^"'^'ff'f-^ vvr Irr. d'^ f'firy.rf.riffn-
stränge in ihm deatlicher nnd ö- r
-Flaschenbürsten"" ein Aussahen, da« fjoux darch die ^-
klärt, daß ein einziger feiner
gelest '-- ^elehe in ihre» V*...^, . ;
:ii~2'r? i ^eder zn ihr zur . ' >
üeser Äiihxe v-
O. SchijXtze
da- Peiif
CcsBtraIfcl
512
,R. Hertwig,
und verschwinden. Auch das Keiniljläschen wird aufjuelöst mit Aus-
nahme des Centralkörpers, der zwar ebenfalls an Masse abnimmt, in ansehn-
lichen Resten aber erhalten bleibt und einen körnigen Körper liefert,
die Anlage der Richtu ngsspindel. Dabei werden aus den in
ihrer Form mit Flaschenbürsten verglichenen Chromatinsträngen immer
schärfer konturierte Fäden, schließlich die Chromosomen der Spindel.
Wie die Umwandlung der Chromatinstränge in Chromosomen vor sich
geht, konnte Born nicht genau verfolgen; immerhin teilt er darüber
Einiges mit. Frühzeitig zeigen die Chromatinfäden eine paarige Grup-
pierung, indem 2 feine Fäden sich umeinander winden, wie es auch
von FiCK für den Axolotl beobachtet wurde; wahrscheinlich ver-
schmelzen die Stücke eines Paares später untereinander. Da nun aber
die Zahl der Paare größer ist als die der Chromosomen der Ptichtungs-
spindel, müssen noch anderweitige, weiterer Erforschung harrende
Prozesse bei der Umbildung der einen in die andere vorkommen.
Alle bisher besprochenen Veränderungen verlaufen im Ovarium.
In Bauchhöhleneiern findet man den Rest des Centralkörpers in eine
deutliche Spindel mit Polstrahlung verwandelt. Die Polstrahlung ist
wahrscheinlich aus Resten des Keimbläschenmaterials hervorgegangen.
11^
.• •
111
Fig. 168. Umwandlung des Keimbläschens des Triton - Eies nach Carnoy
und Lebrltn. I Eigröße 0,07 mm, Chroraatingerüst beginnt sich in Nucleoli umzu-
wandeln. II Eigröße 0,09 mm, Umbildung des Chromaüngerüstes in sekundäre Nu-
cleoli. in Eigröße 0,11 mm, Kerngerüst völlig aufgehellt, Chromatin ausschheßhch in
den Nucleoli enthalten. Verer. öOO.
Wesentlich anders lauten die Angaben Carnoy's und Lebrun's über
die Eireife der Urodelen, Angaben für welche sich auch Fick (1899) neuer-
dings mit aller Bestimmtheit ausgesprochen hat. Aus dem anfangs einheit-
lichen Chromatingerüst der Kerne der jungen Eizellen (Fig. 1681) sollen
hie und da einzelne Chromatinanhäufungen (II) hervorgehen, die „p r i m ä -
ren Nucleoli" (=Karyosomen). Ausnahmsweise soll sogar der ganze
Faden in Nucleoli umgewandelt werden. Die Regel jedoch ist, daß, nach-
dem die primären Nucleoli nach der Peripherie gewandert sind, der Rest
des Chromatingerüstes sich in eine feinkörnige Masse verwandelt (Magma).
Die Züge dieser feinkörnigen Masse sind es, welche von Born als
Chromatinstränge gedeutet werden ; sie gehen ganz verloren, indem
ihre Körnchen zum Teil sich auflösen, zum anderen Teil nach der
Peripherie wandern und hier kleine Anhäufungen bilden, die sich zu
sekundären Nucleoli verdichten (III). Schließlich ist alles Chromatin in
Eireife und
Befruchtung.
513
den Xucleoli (primären und sekundären N.) enthalten, während die
inneren Partien des Kernes von einem durchaus achromatischen Kern-
eingenommen
lange
gerüst
an vorhanden,
Zeit aber durch das
in ihm ausgebreitete
Chromatin mehr oder
minder verdeckt ge-
wesen. Chromosomen
sind um diese Zeit
nicht zu finden, die
Kontinuität der Chro-
mosomen somit sicher
unterbrochen ; alles
Chromatin des Kernes
ist in den Kucleoli
enthalten.
Die von Born
auf späteren Stadien
beschriebenen und als
persistierende Chro-
mosomen gedeuteten
Figuren wurden von
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Fig. 169. Keimbläschen eines 0,S mm großen Eies.
NucleoH wandern in das Centrum und wandeln sich
m chromatische Fäden um, Vergr. 180; daneben einer
der l'laschenbürstenartigen Fäden stärker vergrößert.
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Carnoy auch 1)eobach-
tet, aber für Abkömm-
linge der Nucleoli er-
klärt. Letztere sollen
von der Peripherie in
die inneren Partien des
Keimbläschens über-
wandern und hier eine
merkwürdige Um-
wandlung erfahren, die
nach den einzelnen
Species und je nach
den Entwickelungszu-
ständen in einer prin-
zipiell bedeutungs-
losen Weise modifi-
ziert sein kann. Bald
soll das Chromatin auf dem Kernnetz in mehreren breiten Fortsätzen
(pattes d'oie), oder in schlaugenartigen Fäden (Chroraatinfäden Born's),
oder in Form der oben schon besprochenen Flaschenbürsten (goupillons)
auswachsen. Dadurch wird immer dasselbe erreicht, Verteilung der
Nukleolensubstanz in feine Chromatinkörnchen, die zum Teil aufgelöst
werden, zum Teil in der Kernperipherie sich von neuem sammeln
und abermals zu Nucleoli werden, welche heranwachsen, um nach
einiger Zeit das Schicksal der früheren Nucleoli zu erleiden. So sollen
mehrere Generationen von Nukleolen entstehen und immer wieder
aufgelöst werden. Demnach sind auch die Chromatinfäden Born's
keine dauernden Gebilde, sondern Organisationen, die periodisch
kommen und gehen. Häufig entwickeln sich aus einem Nucleolus
2 Fäden, die dann sich umeinander schlingen, ohne daß man jedoch
Fig. 170.
Ansammlung
zu einem
Lebrux.
Keimbläschen eines 1,0 mm großen Eies.
der Nucleoli im Innern des Keimbläschens
Haufen. Beide Figuren nach Caexoy und
ein Recht hätte, dieser
Handbuch der üntwickelungslehre.
keinesw'egs
konstanten
Paarung
der Fäden
33
514
R. Hertwig,
besondere Bedeutung zuzuschreiben. Wenn nun die Eireife naht und
das Keimbläschen die schon von früheren Forschern beobachtete Ver-
lagerung nach dem animalen Pol erfährt, erfolgt die centripetale Wan-
derung der letzten Generation von Nucleoli . die einen centralen
Haufen bilden. Von den vielen hundert Nucleoli werden auch
jetzt wieder- die meisten aufgelöst, ein verhältnismäßig kleiner Teil
— derjenige, welcher in die Wirkungsphäre der neu entstehenden
Richtungsspindel gerät — wird zum Aufbau von Chromosomen ver-
wandt, welche ähnlich, wie es schon Oscar Schultze (lH8(i) gethan
hatte, aus den Nucleoli abgeleitet werden. Die Umformung der Nu-
cleoli beginnt im Centrum des Haufens und schreitet von da nach
der Peripherie vor.
4fr
Fig. 171. Verschiedene Stadien der Umbildung des Keimbläschens zur Richtungs-
spindel von Tritoneieru (nach Carnoy und Lebrün).
Eireife und Befruchtung. 515
Noch bevor es zur Bildung der Spindel kommt, wird die Membran
des Keimbläschens aufgelöst; ein Teil des Kernnetzes verdichtet sich —
Centralkör])er Born's — was oft in unmittelbarer Nachbarschaft einer
Vakuole sich vollzieht, wie solche überhauj)! im Material des Keim-
bläschen zur Entwickeluug kommen. Die verdichtete Partie des Kern-
netzes wird zur Spindel, indem die Faserzüge zum Teil nach zwei
entgegengesetzten Enden orientiert werden, zum Teil — die zu den
ersteren quer gerichteten — resorbiert werden. An den Enden der
Spindel entstehen Strahlungen, auch diese aus Umbildung des Kern-
netzes. Centrosomen sind nicht vorhanden.
[Seit der Drucklegung des vorliegenden Manuskriptes sind Carnoy
und Lebrun (1000) noch einmal ausführlich auf die Besprechung des
Amphibieneies zurückgekommen und nach dem Tode Carnoy's in
allerneuester Zeit Lebrun (1902) allein in zwei weiteren Veröffent-
Hchungen. Die von den belgischen Gelehrten gemeinsam verfaßte Ab-
handlung, welche aber auch erst nach dem Tode Carnoy's erschienen
ist, behandelt Alytcs obstetricims, Bomhinator igneus, Biifo calamita und
Bufo vulgaris, ferner liana temporaria ; die beiden anderen Abhand-
lungen beziehen sich auf die kalifornische Tritonform Biemyciylus
torosiis und bringen Nachträge zu den früheren Untersuchungen über
Rana tempornria, Bufo vulgaris ; zeitlich fällt die erste Abhandlung
früher als die weiter unten im Nachtrag referierte Untersuchung
Helen King's, die beiden anderen später.
In allen wesentlichen Punkten, namentlich in allen Differenz-
punkten zu Born, halten die belgischen Forscher ihre frühere Auf-
fassung aufrecht; die neueren Untersuchungen haben hauptsächlich
den Zweck, die Modifikationen, welche der Reifungsprozeß je nach den
einzelnen Arten erfährt, klar zu macheu. Dieselben beziehen sich auf das
Verhalten der Nucleinbestandteile und des Kerngerüsts. Bei Bufo
vulgaris unterbleibt die Auflösung des chromatischen Knäuels in das
feinkörnige Magma; es bildet sich vielmehr sofort eine einheitliche, nuk-
leolenartige Masse. Bei den der Richtungsspindel unmittelbar voraus-
gehenden Reifeerscheinungen werden bei allen Krötenarten die um
diese Zeit in großer Zahl vorhandenen Nucleoli frühzeitig aufgelöst,
seltener in das Protoplasma ausgestoßen, so daß nur die für die 8
Chromosomen bestimmten übrig sind (Fig. 172—174). Umgekehrt
yerschmelzen bei den Fröschen die Nucleoli zu großen, vakuolisierten
Chromatinklumpen, welche zur Zeit der Reifung noch alle vorhanden
sind und entweder infolge der Auflösung der Kernmembran in das
Protoplasma geraten, um resorbiert zu werden, oder, was seltener
vorkommt, aus dem Keimbläschen ausgestoßen werden. Die Tri-
tonen vermitteln zwischen diesen Extremen, indem zwar ein Teil
der Nucleoli frühzeitig resorbiert wird, andere dagegen zu vakuoli-
sierten Massen verschmelzen, welche ausgestoßen werden. Lebrun
bringt dieses verschiedene Verhalten mit der weiter unten zu besprechen-
den verschiedenen Geschwindigkeit der Eireife in Zusammenhang und
erklärt diese wieder aus der Struktur der Ausführwege, welche bei
Tritonen, besonders aber bei Kröten ungeeignet seien, die Eier länger
zu beherbergen, bei Fröschen und Unken dagegen eine für längeren
Aufenthalt berechnete Ausweitung (Uterus) besitzen.
Bei der Schilderung der Umldlduug des Keimbläschengerüsts
legt Lebrun (1902) großen Wert darauf, in welcher Weise die Kern-
niembran zur Auflösung gelangt: bei den Fröschen soll die Re-
sorption auf der nach dem Centrum gew^andten Seite beginnen, bei
33*
516
R. Hertwig,
Kröten und Tritonen am peripheren Ende. Vor allem aber erfahren
wir in den hier referierten 3 belgischen Arbeiten einige, wenn auch
ungenügende, so doch etwas ausführlichere Angaben über merkwüi'dige
Strahlungserscheinungen, welche kurz vor der Auflösung des Keim-
bläschens an diesem bemerkbar werden. Sie wurden auch von Helen
■ "'■■?. ■ ■ ■ A- .-
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-^■'Ä-Är^:äy'5,^^;;;:S'iy^^fe«
Fig. 172.
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Fig. 173.
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Fig. 174.
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Fig. 172. Axialschnitt eines Ovarialeies eines gepaarten Tieres von Bufo vul-
garis.
Fig. 173. Aequatorialschnitt durch das in Auflösung begriffene Keimbläschen.
Fig. 174. Schnitt durch das Ovarialei eines gepaarten Tieres, Kern in Auf-
lösung, mo Eimern bran. n Chromatin-Nukleolen. r strahUg angeordnetes^Kern-
netz. ev Dotterhohlräume. (Fig. 172—174 nach Lebrun.)
King (cfr. unten) an den Eiern von Bufo lentiginosus beschrieben.
An den Eiern von Rana temporaria und Bufo vulgaris wurde von
Lebrun eine starke Strahlung aufgefunden, welche auf der nach dem
Centrum gewandten Seite des Keimbläschens ihren Sitz hat und bei
den Fröschen von einer der Kernmembran dicht angefügten lichten
Partie aus wie ein Nordlicht in die Umgebung, also nach den inneren
Partieen des Eiplasmas ausstrahlt. Anfangs ist das Kernreticulum in
Eireife und Befruchtung. 517
seiner Anordnung unverändert, später aber konverfjieren seine Fasern
nach dem Strahlencentruni, und dehnt sicli die Strahlung sogar auf das
zwisclien Eiobertiäche und Kern gelegene Plasma aus. Wie bei den
Fröschen, so muß auch bei den Kröten ein Zustand, auf welchem das sub-
nukleäre Protoplasma an der Strahlenfigur Anteil hat, sicher existieren, er
scheint Carnoy und Lebrun entgangen zu sein; sie bilden Figuren ab,
die wohl sicher zum Teil früher, zum Teil später in die Entwickelung
einzureihen sind, als das vom Frosch soeben besprochene Stadium. Ein
früheres Stadium erblicke ich in bruchsackartigen Ausstülpungen des
Kernes, welche mit auf-
gelöster Nukleolarmasse „^i^^^-Tr^r..- .^ ^ .--^'^^
erfüllt sein sollen und an ^^0^:o;:':\' ;•- >^?^?^5^^^"x ; .
der Stelle liegen, welche |?^;? •• ■ ■■^■" -l"^^- W^
dem Ausstrahlungscen- .j ^ »■'■"
trum beim Frosch ent- .;., " '^ ® ,
spricht. In dieser Weise .■^H■V) " -^ ^% c»^ 5
scheint eine die Ausstrah- ^ • ; v^ J9m^ n, ®
hing hervorrufende Masse
pf.--
erzeugt zu werden, ahn- ^'^^^i ; o »
lieh wie das Centrosoma - v ö -0 o^ fl* ^fl'i^
in den Cysten von Actino- ^.mA''-^^':W-'-';^^
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sphaerium und am Keim-
bläSChen von Asteracau- pig. 175. j^^na temporaria. Schnitt durch
thion entsteht. Auf spä- das Keimbläschen eines Leibeshöhleneies, pf Si^in-
teren Stadien bilden auch delankge. n Nukleolen. ;• Dottereinschlüsse (nach
Carnoy und Lebrun eine Lebeun).
derartige Masse in Form
einer bikonvexen Linse ab, welche aber merkwürdigerweise nur auf
die strahlige Anordnung des Kernnetzes Einfluß gewinnt, aber nicht
auf das Protoplasma (Fig. 172 — 174).
Aus dem strahlig angeordneten Kernnetz entsteht allmählich die
Spindelanlage, die „plage fusoriale''. Sie wird für Rana temporaria
— abweichend von anderen Amphibien — als ein scharf abgegrenzter
ovaler Körper abgebildet, in welchem die für die Entwickelung der
Chromosomen bestimmten Nucleoli eingeschlossen sind. Die Fasern
der Spindel sollen an den Polen umkehren und in rückläufige Fasern
übergehen, so daß mau fast an einen einzigen aufgewickelten Faden
denken könnte. Bei allen Richtungsspindeln der Amphibien sollen
Strahlungen nur vorübergehend auftreten, zur Zeit der Aequatorial-
platte; später sollen sie wieder schwinden (Fig. 175).
Bei den L^rodelen scheint die von Frosch und Kröte beschriebene
Plasraastrahlung nie so ausgeprägt zu sein, sofern sie nicht etwa über-
sehen worden ist. Wenn auch Lebrun von analogen Zuständen bei
Ur od eleu spricht, so beziehen sich doch seine Hinweise immer
auf vorgerücktere Stadien, auf denen zwar Andeutungen von Strah-
lungen zu erkennen sind, das Keimbläschen aber sich schon in voller
Auflösung befindet.
In dem Streit zwischen Born und Carnoy über die Persistenz der
Chromosomen hat in allerletzter Zeit Lubbosch (1902) eine Entscheidung
herbeizuführen versucht. Da er von der Ansicht ausging, daß die erheb-
lichen Differenzen, welche im Beobachtungsteil der Arbeiten zwischen
Carnoy und Lebrun einerseits, Born andererseits bestehen, nur durch
die Verschiedenheit der von ihnen benutzten Untersuchungstechnik be-
dingt sein könne, prüfte er die Zuverlässigkeit der zur Verwendung
518 . R. Hertwig,
gelangten Konservierungs- und Farbe-Verfahren und kam dabei zu
dem Resultat, daß die von Born seiner Zeit angewandte Chromsäure
die Strukturen zwar ausgezeichnet konserviert, aber ihre Färbbarkeit
in hohem Grade beeinträchtigt, so daß man namentlich vom Schicksal
der Nukleolen nur sehr unvollständige Kunde erhält. Bei Anwendung
sicher wirkender Färbemethoden konnte Lubbosch wie schon früher
FiCK die CARNOY-LEBRUN'scheu Befunde von Nukleolen, welche sich
in der verschiedensten Weise in Fäden, Stränge und Gerüste auflösen,
bestätigen. Er konnte ferner bestätigen, daß die Nukleolen einen
großen Teil des dem Keimbläschen zukommenden Chromatins ent-
halten und daß auch zur Zeit der Genese der Richtungsspindel
Nukleolen am Aufbau der Chromosomen beteiligt sind. Dagegen
konnte er keine Stadien finden, auf denen alles Chromatin in den
Nucleolen festgelegt und keine Chromosomen vorhanden gewesen
wären. Damit wird die Persistenz der Chromosomen, wie sie Rückert
und Born behauptet haben, wahrscheinlich, in der Weise, daß „zu
Zeiten die in ihnen enthaltene Substanz teilweise in Nukleolen über-
geht, um nach bestimmten Umwandlungen wieder in fädiger Form
dem Kerninhalt zugeführt zu werden''. Lubbosch unterscheidet dem-
gemäß in der chromatischen Substanz „zwei Bestandteile, von denen
der eine der zu ernährende, der andere der ernährende ist und die man
als idioch romatische und trophochr omatische Substanz be-
zeichnen könnte, die jedoch flüssig ineinander übergehen."]
Wenn das Keimbläschen der Amphibien an die Obertläche empor-
steigt, bildet sich an gehärtetem Material in der Nachbarschaft desselben
ein von körniger Masse erfüllter Raum. Derselbe wird vielfach nur für
ein Kunstprodukt erklärt, hervorgerufen durch Schri;mpfung infolge der
Reagentienbehandlung (0. Hertwig, Bambeke, Carnoy). Andere halten den
Raum für ein natürliches Vorkommnis, die körnige Masse für geronne-
nen Kernsaft, der aus dem schrumpfenden Keimbläschen ausgetreten sei
(GoETTE, Oscar Schultze, Fick, Helen King). Lbbrun, der Mitarbeiter
Caknoy's, ist von der 1900 (p. 255) noch aufrecht erhaltenen Auffassung, daß
der von 0. Schultze im Umkreis des Keimbläschens beschriebene Kernsaft
ein Kunstprodukt sei, durch seine Untersuchungen an Dierriyctylus (1902,
p. 19) zurückgekommen. Er nimmt an, daß bei der Nukleolenauflösung
während der Reife Paranukleinsäuren frei würden, welche 'durch eine
Kontraktion des Kernnetzes samt dem Kernsaft ausgestoßen würden.
Dieses Enchylem erstarre beim Kontakt mit dem Protdplasma zu einer
homogenen in Reagentien stark gerinnenden perinukleären Masse. —
Auf frühen Stadien der Entwickelung zeigt der Kern oft Fortsätze,
die in den Dotter ausstrahlen. Auch diese werden vielfach als Kunst-
produkte gedeutet, von anderen als amöboide Ausläufer, welche das Keim-
bläschen in den umgebenden Dotter aussendet. — Was den Inhalt des
Keimbläschens anlangt, so wird keineswegs die Existenz eines Karyo-
plasmas oder achromatischen Kernnetzes allgemein zugegeben. Vielfach
wird außer den Nukleolen und Chromosomen nur noch eine bei Rea-
gentienbehandlung Gerinnungsfiguren liefernde Flüssigkeit angenommen
(Oscar Schultze, Grünroos 1805, Jordan, Eycleshymer 1895). — Für
die Forscher, welche keinen Zusammenhang der Chromosomen mit den
Nucleoli annehmen, ergeben sich Schwierigkeiten, die enorme Entwickelung
derselben an Masse und Zahl zu erklären. Jordan vergleicht sie den
Macronuclei der Infusorien und deutet sie somit als Teile, welche dem
lebhaften Stoffwechsel der Eizelle vorstehen, gleichsam als „somatische
oder ovogene Kerne". Die gleiche Erklärungsweise verwendet Born, um
Eireife und Befruchtung. 519
■■&
die starke Entwickelung der Chromatinschleifen verständlich zn machen;
er führt die mit ihr zusammenhängende i'einere Verteilung des Chromatins
darauf zurück, daß sie den Stoffwechsel der Zelle beherrschen. Die Art,
in welcher Carnov das Chromatin seine Anordnung wechseln und bald
in Form von Nukleolen, bald in feiner Verteilung auftreten läßt, würde
Born's und Jokdan's Anschauungen vereinen und Aussicht eröffnen, für
die eigentümlichen Umwandlungen des Keimbläschens in dotterreichen
Eiern Verständnis zu gewinnen.
Wir sind jetzt bei dem Zeitpunkt angelangt,
auf welclieni die Eier aus dem Ovar in die Leibes- "~
höhle übertreten. Wenigstens hat man bei allen
Ürodehu {Tritonen: Born, Carnoy und Lebrun, „
Fig. 17G. Äxolotl-YÄ, vom oberen Pol gesehen, a Fovea
germinativa (nach Van Bambeke). Vergr. l.ö.
AxoloÜ: Fick), die man bisher untersucht hat, die Bauclihöhleneier
auf dem Stadium der 1. Richtungsspindel angetroffen. Ueber die
Anuren ist nichts bekannt, mit Ausnahme einer Angabe von Oscar
ScHULTZE, der in Eierstockseiern einer vom Männchen umklammerten
Biifo variahilis eine sehr kleine Richtungsspindel fand, eine Angabe,
die es wahrscheinlich macht, daß bei Änunn dieselben Verhältnisse,
jedenfalls keine großen Differenzen im Vergleich zu den Urodelen
bestehen.
Alle Leibeshöhleneier zeigen, besonders deutlich bei Urodelen, die
oben schon kurz erwähnte lichte Stelle inmitten der dunkel pigmen-
tierten Eihäute. Innerhalb der hellen Stelle ist ein scharf umschriebener
weißer Fleck (die Fovea germinativa M. Schultzens) und inmitten
dieses wieder ein mit bloßem Auge kaum wahrnehmbarer schwärzlicher
Punkt. Letzterer bezeichnet den peripheren Pol der Piichtungsspindel,
um den sich spärliches Pigment angehäuft hat. Der weiße Fleck muß
auf die Spindel selbst und das die Spindel umhüllende pigment- und
dotterfreie Protoplasma bezogen werden. Die lichte Stelle ist wohl
noch eine Folge davon, daß das aufsteigende Keimbläschen das Pig-
ment auseinander drängte, daß nach der Auflösung des Keimbläschens
die Dotterplättchen, nicht aber das Pigment in das früher vom Kern
eingenommene Gebiet eindringen konnten (0. Schultze).
Etwas einfacher verhält sich die Fovea germinativa der Anuren.
Bei Rana escidenta ist sie eine lichte, ziemlich umfangreiche Stelle.
Bei Eiern, welche sich durch besonders starke Pigmentierung aus-
zeichnen, ist die lichte Pai'tie in entsprechendem Maße eingeengt, so
daß sie z. B. bei Bana tempornria (0. Schultze) und Pelohates fuscus
(v. Bambeke) wie ein weißer, nur mit der Lupe erkennbarer Punkt
aussieht.
[Den Ausdruck „Fovea germinativa" gebrauchen Carnoy und Le-
brun (1900) und später Lebrun (1902) in einem ganz anderen Sinne
als M. Schultze und die oben genannten Autoren. Der Ausdruck
dient ihnen zur Bezeichnung einer Vertiefung, welche in der letzten
Periode der Eireifung am animalen Pol auftritt und in einer korre-
spondierenden Vertiefung des Keimbläschens zum Ausdruck kommt;
sie ist eine mit der Eireife schwindende Struktur, während die Ci-
catricula von Prevost und Dumas, die Fovea M. Schultze's erst
bei der Reifung auftritt und bis in die ersten Stadien der Furchung
sich erhalten kann.]
520 R. Hertwig,
In der geschilderten Beschaffenheit gelangt das Ei in den Ovidukt.
Während es denselben passiert, wird der erste Riclitun gskörper
abgeschnürt. Bei Tritouen und wahrscheinlich allen ürodtkn erfolgt
dieser Vorgang in der ersten Hälfte des Oviduktes und ist in der Mitte
desselben abgeschlossen (Carnoy und Lebrun). Da individuelle Ver-
schiedenheiten bei Eiern eines und desselben Tieres vorkommen, ist
eine genauere Zeitangabe nicht möglich. Dagegen ist es unwahr-
scheinlich, daß unter normalen Verhältnissen die Variationsbreite so
bedeutend ist, um Born's Angaben zu erklären, welcher die Bildung
des 1. Richtungskörpers bei Tritonen in die untere Hälfte des
Oviduktes verlegt. Es ist das um so unwahrscheinlicher, als die über
andere Urodeleu vorliegenden Angaben die Darstellung Carnoy's be-
stätigen. So kam Jordan bei Biemyctylus virideseens zum Resultat,
daß die Bildung der 2. Richtungsspindel in der Mitte des Oviduktes
schon abgeschlossen ist. Nach Fick sollen die Eier des AxoloÜ ihren
1. Richtungskörper im oberen Abschnitt des Eileiters, vielleicht sogar
schon beim Passieren der Leibeshöhle, abschnüren.
Eine weitere Teilung des 1. Richtungskörpers in zwei Stücke, wie sie
bei wirbellosen Tieren öfters vorkommt, ist bei den Amphibien Skui^erst selten.
EiCK beobachtete sie einmal bei Äxolotl-'Eiievn. Dagegen scheint es öfters
vorzukommen, daß der Kern allein sich teilt und so ein zweikeruiger
Richtungskörper entsteht.
Wie beim Ampliioxus und den Cyclostomen tritt nach Abschnüruug
des 1. Richtungskörpers und Regeneration der Richtungsspindel eine
Ruhepause ein. Die Bildung des zweiten Richtungskörpers
vollzieht sich erst nach Eintritt der Befruchtung; sie erfolgt daher kurze
Zeit nach der Ablage des Eies. Die gleichen Verhältnisse, wie wir
sie hier für die eierlegenden Urodeleu kennen gelernt haben, scheinen
auch allen Anuren zuzukommen. Dafür spricht die Beobachtung
0. Schultzens, daß man V2 Stunde nach der Befruchtung der Eier
bei Rana temporarid mit der Lupe verfolgen kann, wie der 2. Rich-
tungskörper abgeschnürt wird, so daß nunmehr auf dem schwarzen
Grunde des animalen Poles 2 w^eiße Körperchen liegen. Das sind
die Richtungskörperchen, welche von manchen Autoren, wie z. B.
VAN Bambeke (1870), mit den später zu besprechenden Befruchtungs-
fiecken verwechselt worden sind.
Wenn nach der Bildung des 2. Richtungskörpers der Eikern
entsteht und in die Tiefe rückt, schwinden die Bedingungen für die
charakteristische Zeichnung, welche das in die Oberfläche des Eies
eingefügte periphere Ende der Richtungsspindel hervorruft. Bei
Urodeleri schwindet daher der intensiv w^eiße Fleck mit seinem pig-
mentierten Centrum. Dagegen kann sich der umgel)eude lichte Hof,
welcher durch Verdrängung des Pigments beim Aufsteigen des Keim-
bläschens hervorgerufen wurde, eine Zeit lang noch erhalten, bis die
Pigmentierung' das verloren gegangene Areal zurückerobert. Bei
Diermjctylus (Jordan) ist letzteres schon 2 Stunden nach der Be-
samung der Eier geschehen. In anderen Fällen erhält sich die Fovea
länger. Reste von ihr können bei Tritonen bis zur Zeit der Zwei-
teilung (van Bambeke 1S80), bei Rana esculenta auf 4 geteilten (M.
Schultze), ja sogar 8 — 16 geteilten Eiern (van Bambeke) erkenn-
bar sein. Bei unbefruchteten Eiern unterbleibt die Rückbildung.
Während wir lange Zeit rüclsichtlich des xeiÜiclieii Verlaufs der
Reifungserscheinungen auf die wenigen oben referierten Angaben ange-
wiesen ivaren, sind wir neuerdings durch die ausgedehnten Unter-
Eireife und Befruchtung. 521
suclmugcn Lehrun's über diese Frage in ausführlicher Welse orien-
tiert. Denselben xufolge sind die Unterschiede zwischen den einzelnen
Species viel größer, als die obige Darstellung vermuten ließ.
Bei Rana temporaria und Bombinat o r igneus ver-
,schirindet der Kern um die Zeit des Platzens der Follikel. Der erste
Bichtungskörper wird auf dem Weg zum Uterus gebildet. Bei den
Triton en, bei denen die Eier nicht solange im unteren Abschnitt der
Geschlecht.'^ n-ege veru-eilen, ver.'ichirindet die Kernmembran etwas früher;
schon bei der Passage durch die Leibeshöhle ist die erste Richtungs-
spindel fertig gestellt. Bei der Eiablage, mit ivelcher die Befruchtung
zusammenfällt, ivird der zweite Richtungskörper abgeschnürt. Bei
Bu fo V u l g a r i s w e r d en be / de Rieht u n g s k ö rp e r noch i m
Ovar gebildet; die reifen Eier passieren dann rasch die
Leibeshöhle und die Aus führ wege. Diese letxtere Angabe
lautet sehr befremdlich ; sie steht nicht nur in Widerspruch mit unseren
Kcnutni.^soi über den Zeitpunkt der Richtungsmitose bei allen übrigen
Wirbel fierkla.s.se?i, sondern auch mit den von anderen Forschern an
Kröten gemachten Erfahrungen. Es wurde schon erwähnt, daß Schnitze
bei KrÖteneierm ans der Leibeshöhle die erste Richtungspindel fand ; dieser
Beobachtung ist hinzuzufügen, daß Helen King (1901) bei der ameri-
kanischen Kröte B. lentiginosus im unteren Ab.schnitte des Ociducts
Eier mit der ziveiten Richfungsspindel fand und 10 — 15 Minuten nach
der Befruchtung die Abschnürung des ziveiten Richtungkörpers fest-
stellen konnte.
Wen}i es somit als Norm befrachtet werden ka/ti/, daß der zweite
Richtungskörper erst nach der Befruchtung gebildet wird, so scheint es
doch vorzukommen, daß es beim Ausbleiben der Befruchtung gleich-
wohl zur Abschnürung kommi, wenn auch verspätet. Moszko wski
(1901) berichtet, daß bei unbefruchteten Froscheievn der zweite Richtungs-
körper 5 — 6 Stunden nach der Eiablage auftritt. Auch 0. Schnitze
schildert die Bildung des zweitot Richtungskörpers von Axolotleiern,
bei denen nach seiner Ansicht die Befruchtung ausgeschlossen ivar,
}vährend Fick ähnliche von ihm beobachtete Fälle darauf zurüch führt,
daß die Sperumtozoen i)i die unpigmentierte Seite des Eies eingedrungen
ivaren, tvo sie ohne befruchtende Wirkung abstarben. Bei Diemgc-
tylus fand Jordan an unhefruchteten Eiern, welche 48 Stunden
vorher oitleert waren, den zurifen Rieht uiigskörper noch nicht gebildet.
Nachdem wir so in allgemeinen Zügen die Reifeersclieinungeu
kennen gelernt haben, müssen wir etwas genauer auf die Struktur
der Richtungsspindeln eingehen. Für beide Spmdeln gilt
folgendes. Kurz nach ihrer Bildung liegen sie zunächst tangential
und Stelleu sich erst später — die 1. Riclitungsspindel ungefähr um
die Zeit, in welcher der Austritt der Eier aus dem Ovar vorbereitet
oder vollzogen wird, nach Born sogar erst im Eileiter — in einen
Radius ein.. An ihren Enden wurden bisher noch von keinem Forscher
Centrosomen beobachtet, wohl aber bei den Tritonen wenigstens
zur Zeit der Aequatorialplatte deutliche Polstrahlungen (Carnoy,
Born, Lebrun), während beim Axolotl auch diese vermißt wurden
(0. ScHULTZE, Fick). Ueber das Verhalten der Chromosomen haben
Carnoy und Lebrun genauere Angaben gemacht. Denselben
zufolge würde bei Tritonen ein merkwürdiger Fall von Tetraden-
bildung gegeben sein. Die Chromosomen der ersten Rich-
tungsspindel sind anfänglich gedrungene Stäbe, die senkrecht
zum Faserverlauf der Spindel orientiert sind; sie werden zunächst
522
R. Hertwig,
durch eine äquatoriale Spalte geteilt, welche von der axialen Seite aus
einschneidet, das nach auswärts gewandte Ende aber nicht erreicht. Die
biegen von
Teilprodukte
Spindelenden um und
an. Es entstehen so
ausgehende longitudinale
ersten senkrechte Teilung,
angeordnet ist und daher
das ungeteilte Stück in 2 i
die nach den Spindelpolen zu
über, ohne aber deren Enden zu
dem ungeteilten Stück aus nach den beiden
schließen sich dem Verlauf der Spindelfasern
2 von einer gemeinsamen
Schenkel. Nun beginnt
welche in der Richtung
axial genannt wird. Sie
äquatoriale Schenkel und
gerichteten longitudinalen
durchschneiden.
Chromatinmasse
eine zweite zur
der Spindelachse
trennt zunächst
greift dann auf
Schenkel
Beide geschilderte
Teilungen sind in Bezug auf das ursprünglich gedrungene Chromosom
longitudinal angeordnet. Bei der ersten Richtungskörperbildung kommt
zunächst die in zweiter Linie entstandene axiale Teilung zum
Austrag,
III
X-
Fig. 177. Erste Eichtungssi^indel des Tritoneies auf verschiedenen Stadien der
Ausbildung. I Aequatoriale Spaltung der Chromosomen. II Zweite longitudinale
oder axiale Spaltung der Chromosomen. III Axiale Spaltung zum Abschluß ge-
langt, Tochterchromosomen gekreuzt (nach Carnoy und Lebrun).
indem die äquatorialen Schenkel auf Kosten der longitudinalen wachsen,
bis diese schließlich ganz in erstere einbezogen werden. Ist das der
Fall, dann schneidet die axiale Teilung an den bisher verbunden ge-
bliebenen Enden durch. Die Teilprodukte, in denen die äquatoriale
Spalte nicht mehr zu sehen ist, nehmen vorübergehend die Anordnung
gekreuzter Schwerter an, ehe sie sich zu V-förmigen Chromosomen
strecken und auseinanderweichen. In der Spindel des zweiten
R i c h t u n g s k ö r p e r s tritt dann
von neuem die äquatoriale Spal-
tung auf. Im weiteren Verlaufe
der zweiten Richtungsmitose
wiederholen sich dieselben Bilder
wie bei der ersten : man findet
gekreuzte, stabförmige und später
auseinanderw^eichende, V-förmige
Tochterchromosomen. Damit
w ä r e z u m ersten i\I a 1 e f ü r
Wirbeltiere bewiesen, daß
in der ersten R i c h t u n g s -
Spindel die Chromosomen
Teilung erfahren, eine, welche der
Fig. 178. Zweite Eichtungsspindel und
erster Richtungskörper (nach Carxoy und
Lebruxj.
eine zweifache
Eireife und Befrachtung. 523
ersten R e i f e t e i 1 u n g entspricht, eine weitere, welche
verfrüht auftritt und der zweiten Reifeteilung ange-
hört; zugleich wäre aber auch bewiesen, daß beide Spaltungen longi-
tudinal, die zugehörigen Teilungen somit Aequationsteilungen seien.
(Die hier wiedergegebene, von Carnoy und Lebrun gemeinsam
entwickelte Auffassung der Chromosomenteilung hat Lebrun in seinen
späteren Verötfentlichungen wieder preisgegeben. Was zunächst die
Entstehung der Chromosomen aus den Nukleolen anlangt, so soll die-
selbe in sehr mannigfacher Weise varieren. Häufig seien so viel Nu-
kleolen vorhanden, als später Chromosomen, deren Zahl für Bombi-
iiator auf 6, bei Biifo vulgaris auf 8, bei Bana temporaria auf 10, bei
den Tritoneri auf 12 angegeben wird, so daß jeder Nukleolus ein Chro-
mosom liefere, sei es, indem er sich in die Länge auszieht, sei es,
daß er sich zu einem Ring aushöhlt und durch Oeffneu des Ringes zu
einem U-förmigen Stück wird. Bei Tritouen und Fröschen komme es
aber auch vor, daß die Nukleoli zu größeren Massen verschmolzen
sind, aus denen dann die Chromosomen nach einander herauswachsen.
Die vielen Formen, welche die Chromosomen auf dem Spiudel-
stadium entwickeln, bringt Lebrun nunmehr in folgende Reihenfolge.
Zunächst streckt sich das Chromosom in der Richtung der Spindelfasern
zu einem schlanken Stäbchen ; dieses entwickelt im Spindeläquator nach
links und rechts flügelartige Fortsätze, die sich auf Kosten des Haupt-
körpers vergrößern, bis sie alle Substanz desselben aufgebraucht haben.
Dabei entstehen die schon früher beschriebenen Figuren (die „oiselles",
die Andreaskreuzfiguren) als Zwischenstadien, schließlich als p]nd-
stadium ein horizontal gestellter, sich U-förmig biegender Stab, der
durch Längsspaltung zwei Tochterchromosomen liefert. Demnach
würde die verfrühte Anlage der zweiten Teilung fehlen. Auch bei
der zweiten Richtuugsmitose, soll gewöhnlich eine Längsspaltung, selten
eine Querteilung eintreten, Unterschiede, denen Lebrun keinen Wert
beimißt.]
Weitere neue Untersuchungen über die Eireife der Amphibien stam-
men von Helen Dean King (1901) und behandeln das Ei der
amerikanischen Kröte (Bufo lentiginosus) . Die Verfasserin, welche
merkwürdiger weise die umfangreichen Arbeiten Carnoy's und L e-
brun's nicht kennt, schließt sich im Großen und Ganzen der Dar-
stellung, welche Born von der Reifung des Tritoneies gegeben Jiat,
an, hat aber nicht die gleiche Vollständigkeit der Stadien erzielt; sie
beginnt mit dem Ei des zur Wintcrruiie sich anschickenden Tieres.
Dasselbe hat schon nahezu seine definitive Größe (ca. 1 mm) erreicht
Fig. 179. Querschnitt durch das pigmentierte Ende eines Kröteneies; Keim-
bläschen im Aufsteigen begriffen mit der merkwürdigen Strahlungsfigur (hne of ra-
diation) nach Helen King.
524 R. Hertwig,
lind soll schon im Zirischcm-fnnn •.ir/srliPii Ohi'r/läclip um] Iliillr Pm-
vitclliu hesitxrii und Airar in (jlclchcn Mmi/en iric das reife Ei, sodaß
es nicht zulässig sein würde, das Peririfel/in auf den ausgesto/jeneii
Kernsaft des schwindenden Keimbläschens xurückxiifühj'en. Auf seiner
dem Ki^eninnu \u<irurindfrn Seife ist das Keimhläselien durch eine
sicJielförmigc Masse, die wa/irschcinlich von modifi-.icrtem Protoplasma
gebildet wird, vom Dotter get?rjint; es besitzt im Zentrum einen von
zahlreichen Nucleoli umlagerten Haufen gewundener Chromosomen, die
aus stabformigen, hinter einander gereihten cliromatischen Mikrosomen
bestellen und am Ende oft in klumpige Masse übergehen, ivie es auch
Carnoy beschreibt. Im Frühjahr sind die Chromosomen aufgelockert,
kaum 7ioch färbbar und zeigen die von Born genauer beschriebene
,, Flaschenbürsten" struktur. Auf diesem wie dem vorigen Stadium sind
die Clironwsomen öfters,
jedocJi nicht stets, paar-
iveis verschlu ngen . Deut-
liche paarige Gruppie-
rung tritt erst ein, wenn
die Chromosomen sich zu
stark färbbaren gedrun-
genen Fäden verkürzt
haben; sie sind dann in
der ZaJil von 12 Paaren
durch das Keimbläschen
zerstreut, während die
Nucleoli, welche nur zum
Teil Chromatin ent-
lialten, der Rückbildung
verfallen. Indem die
Kernmembraii aufgelöst
wird, dringen Granula
Fig. 180. Strahhingsfigur (line of radiation) eines des Protoplasma in das
aufsteigenden Keimbläschens eines Kröteneies, stärker Keimblä'<chen ein Dies
vergrößert, (nach Helen King). vollzieht sich sehr früh-
zeitig zu einer Zeit, in
der das Keimbläschen nur die Hälfte seines Wegs zur Obe?-fläche zu-
rückgelegt hat.
Für die Beobaclitung der folgenden Reifestadien hat sich als wiclitig
die Erfahrung heran sgesteblt, daß die Eier von Kröten, welche die
Winterquartiere verlassen hatten, in frischem Wasser heranreiften, auch
wenn sie noch nicht aus dem Ovarium ausgetreten waren. Zu Beginn
der Auflösung des Keimbläschens macht sich eine äußerst merkwürdige
Structur bemerkbar, die „line of radiation" : das von unten und innen
an das Keimbläschen rvngrenzende Protoplasma differenxier't sich zu
einem Band von faseriger Struktur. Das Band verkürzt sich und
bildet einen in das Keimbläschen vorgeirölbten Bogen, irelcher Aus-
gangspunkt einer intensiven, in das Keimbläschen hinein sicJi ver-
lierenden Strahlung ivird (Fig. 179, 180). Auch a7i jedem einzelnen
Chromosomenpaare tritt Strahlung auf, in deren Ce?itrum jedoch kein
Centrosoma nachtveisbar war. Zuglei cli verschmelzen die Centrosomeu
eitles Paares zu einem Ring.
Aus der Radiatio7islinie entsteht in eijier nicht genauer verfolgten
Weise die erste Richtungsspindel, deren Enden durch Strahlung, aber
keine Centrosomen ausgezeichnet sind. Beim Aufsteigen nach der Ei-
Eireife und Befruchtung. 525
ohrrflächr rorUrron sirjf dir Pohtrnlilunfjen; rlie S]nnrJrl2 lirf/f (hi-
Ix'i mit ihrer Länijmchsc der ()be//U(clie jjarallel ; sie i)eirinnt erst
später ihre radiale Einstellung. Inzivischen Jmben die Chromo-
Fie. 181. Strahlungsfigur (line of radiation) eines Kröteneies in Umbildung zur
Richtun'gsspindel nach Helen King.
Fig. 182. Chromosomen mit Strahhing aus einem im Aufsteigen und in Auf-
ösung begriffenen Keimbläschens eines Kröteneies nach Helen King.
somenringe eben falls ihre Strahlung eingebüßt; sie spalten sich der
Länge nach in Tochterringe und jeder Tochterring xerfällt in xivei
Halbringe, so daß vorübergehend 48 Chromosomen vorhanden sind.
Die Zahl ivird aber bald wieder reduziert, indem sich die Hälften eines
526 R. Hertwig,
Halbringes ivieder innig vereinigen. Bei der Bildung des ersten Rich-
fffi/gskörprrs, irelrhe bei der Dnrchirandening des Kileiiers erfolgt, r Viele a
die nuniiielir V-fünnig gestcdtetcn beiden iStiiclie eines Ctironuilinringes
nach den Spindeljjolen auseinander. Da die zu einem Ring verschmol-
zenen Chi^omosomen ivahrsc^ieinlieli Teilprodukte eines MtittercJiro-
mosoms sind, uiire die erste RirJ/tuiu/stril//ug eine Aequntionsteiluug.
Derselbe Charaldei' würde der ;. weiten Rieht u ngshur gohinese .\uho)nnien,
da bei ihr die vorüber gehe nel rüchgängig gemachte äquatoriale Teilung
der Chromosomen zum Austrug kommt. Diese Darstellung erinnert
sehr an die Darstellung, welche Carnog von der Teilung der (hromo-
somen giebt; wenn auch manche Abweichungoi im Eijrxelnen vor-
handen sind, welche sich ans der Verschiedenartigkeit des ünter-
suchungsmaterials erklären, so herrscht doch im PiinxipieUen Ueber-
einstiiiruiung. — Die Bildung des zireiten Ricl/tungskörpers erfolgt
10 Minuten nach dem Eindringen des Sper))iatoxoons.
[Wie Lebrun , so hat auch Helen King (1902) ihre Auffassung
vom Verhedten der Chromosomen erheblich modi fixiert. Die ringför-
7nigen Chromosomen mit ihren Streüilungen sollen rollkon/nw// ver-
schwinden; da auch die Nucleoli sich aufgelöst haben, sei es auf einem
bestimmten Staeli um unmöglich, sich von der Amvesenheit von Chromatin
im Kei)nbläsche){ zu überzeugen. Erst ivoui die „line of radicdion"
sich zur Spindel unurundele, ejttwickeln sich aus schwach färblxrroi
Körnchen 8 — 20 unregelmäßige Körper, aus denen die 12 CJtro)/iosoi/wn
hervorgehen. Diese strecken sich m der Richtung der Spindelachse,
wie es Lebrun angegeben hat, dessen tveitere Schilderung der Chro-
mosomenteilung von der Verfasserin bestätigt wird.]
Wie schon erwähnt wurde, fällt in der Natur die IJef'ruclituiig der
Ainpliil>ieiieier in die Zeit zwischen erste und zweite Richtungskörper-
bildung. Versuche, die künstliche Befruchtung zu einer frühei'en
Periode vorzunehmen, ergaben im großen und ganzen negative
Resultate (Born). Eier, welche oftenbar ei"st kürzlich in den Uterus
übergetreten waren, — die Hauptmasse befand sich nämlich in den be-
treffenden Fällen noch in den Tuben oder der Leibeshöhle — ließen
sich bei Rana temporaria und Rana esculenta nicht befruchten; bei
Pelohates fuscus dagegen erfuhren sie — offenbar infolge von Poly-
spermie — eine Zerklüftung in unregelmäßige Stücke, die sog. „Ba-
rockfurchung'', und gingen zu Grunde. Bei Tritonen entwickeln
sich zwar sowohl Bauchhöhleneier als auch Eier aus den oberen Ei-
leiterabschnitten, aber nur bei Zusatz von konzentriertem Sperma,
und auch dann trat die Eifurchung um einige Stunden verspätet ein.
Wahrscheinlich blieben die Spermatozoen in diesen Fällen infolge der
konzentrierten Anwendung lange am Leben und drangen erst ein, als
der 1. Richtungsköri)er gebildet worden war.
Bekanntlich sind die Amphibieneier die ersten Eier, für welche
das Eindringen der Spermatozoen beim Befruchtungsakt, wenn auch
nicht bewiesen, so doch wahrscheinlich gemacht wurde (Newport 1854.)
Die Eintrittsstellen werden bei vielen Arten durch charakteristische
Pigmentfiguren bezeichnet, die vielleicht schon von Remak gesehen
worden sind, unter dem Namen „trous vitellins" jedoch zuerst von
VAN Bambeke (1870) genauer beschrieben und zu den eintretenden
Spermatozoen in Beziehung gebracht wurden. Die „Empfängnis-
flecke", wie man die in Rede stehenden Bildungen zweckmäßig
nennt, da sie keineswegs Löcher im Dotter sind, werden bei den
Eireife und Befruchtung. 527
meisten Urodelen leicht erkannt, entweder mit bloßem Auge oder bei
schwacher Lupenvergrößerung'. Gewr)]inlich findet man sie nur im
olleren pigmentierten Abschnitte des Eies als dunkle Pigmentflecke,
welche durch einen hellen Hof vom umgebenden lichteren Pigment
getrennt werden. Seltener kommen sie auch in der unpigmentierten
Eihemisphäre vor; sie sind hier schwieriger zu erkennen, da sie nur
durch eine undeutliche mattgraue Verfärbung charakterisiert sind. Bei
allen genauer untersuchten Urodelen hat sich herausgestellt, daß die
Empfängnisflecke in größerer Zahl vorhanden sind.
Beim Axolotl fand Fick als höchste Zahl 9, van
1 ^^^^^Bk Bambeke sogar 12. Bei Diempctylus, der nord-
amerikanischen Tritonart, schwankt die Zahl nach
Fig. 183. Befruchtetes Ei vom Axolotl mit EmpfängDis-
f lecken, 1 innerhalb der pigmentierten, 2 innerhalb der weißen
Hälfte des Eies (nach Bambeke). Vergr. 15.
Jordan zwischen 1 — 13, das Gewöhnliche ist 6^8; bei unseren einhei-
mischen Tritonen scheint die Zahl gewöhnlich geringer zu sein (2 — 3)
und selten auf 12 zu steigen. Genaue Untersuchungen haben
zum Resultat geführt, daß jedem Empfängnisfleck ein
eingedrungenes Spermatozoon entspricht, daß von den
eingedrungenen Spermatozoen immer nur eines, das
H a u p t s p e r m a 1 0 z 0 0 n , die Vereinigung mit dem E i -
kern bewirkt, die anderen zu Grunde gehen. Es liegt kein
Grund vor, Eier mit vielen Empfängnisflecken für pathologisch zu er-
klären (Michaelis 1897). Denn sie entwickeln sich in ganz normaler
Weise zu Larven und finden sich nicht nur bei künstlicher Befruch-
tung, sondern auch bei Material, welches unter natürlichen Be-
dingungen abgesetzt wurde. Da durch die Untersuchungen von Grön-
, Roos (1895) das Eindringen vieler Spermatozoon auch für Salamandra
maculosa wahrscheinlich gemacht worden ist, scheint bei Urodelen
Polyspermie weit verbreitet, wenn nicht allgemein,
V orzukomm en.
Anders verhalten sich die Änuren. Die Eintrittsstellen der
Spermatozoen sind hier gewöhnlich nicht als Empfängnisflecke äußerlich
gekennzeichnet. Zwar beschreiben Remak und van Bambeke für die
Eier von Rana esculentn und Pelobntes fuscus außerordentlich viel
kleinere lichte Stellen, welche Bambeke den Empfängnisflecken der
Urodelen vergleicht. Es scheint hier aber eine Verwechslung mit
den Richtungskörperchen vorzuliegen, welche auf dem dunklen Unter-
grund der stark pigmentierten Eier als weißliche Körperchen trotz
ihrer geringen Größe auffallend deutlich sind (0. Schultze). Wahr-
scheinlich ist der starke Pigmentreichtum der Eier Ursache, daß Ab-
schattierungen, wie sie den Empfängnisflecken der Urodelen zu Grunde
liegen, nicht zustande kommen. Hiermit steht in Einklang, daß
Born, welcher vergeblich bei vielen Änuren nach „Empfäugnisflecken"'
suchte, Andeutungen von ihnen bei den Eiern von Pelobates fuscus
fand, welche schwächer pigmentiert sind, als es sonst h&i Änuren zutrifft;
es waren ,,intensiv schwarze, unregelmäßig begrenzte Flecke im dunklen
Felde, nicht am oberen Pole".
Weiterhin scheint bei den Änuren unter normalen Verhältnissen
auch keine Polyspermie v o r z u k o m m e n. Für die am meisten
zu Untersuchungen benutzten Arten (Rana esculenta, Rana arvalis,
528 R. Hertwig,
Unna temporaria, ferner für Pelobates fuscus) kann es als erwiesen
gelten, daß Polyspermie eine krankhafte Erscheinung ist, welche zu
einer charakteristischen abnormen Entwickelung der Eier, dei' oben
schon erwähnten Barockfurchung führt.
Für die Kröten dagegen liegen Angaben über physiologische
P oly sp er mi e vor. Kupfper (1882) hat an den Eiern von Bufo vulgaris
nnd B. variabilis unter dem Mikroskop verfolgen können, daß anfangs einige
Spermatozoen mit großer Leichtigkeit eindringen, daß dann später noch
einige weitere unter großen Anstrengungen sich einbohren, daß schließlich
in den Eihüllen Spermatozoen zurückbleiben, denen sich Dotterhügel bis
zur Berührung entgegen wölben, ohne ihnen jedoch den Eintritt zu er-
möglichen. Auf einem kleinen Teil der Eioberfläche konnten bis zu 5
eindringende Spermatozoen beobachtet werden ; demnach müßte die Poly-
spermie — normale Verhältnisse vorausgesetzt — eine ganz enorme sein.
Da indessen die Beobachtungen an Eiern, die mit dem Deckglas bedeckt
worden waren, angestellt wurden und über ihre Weiterentwickelung
nichts mitgeteilt wird, muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß
die Eier gelitten hatten. Diese Vermutung liegt um so näher, als die
Untersuchung der inneren Befruchtungsvorgänge bei Kröten in 6 Eällen
monosperme Befruchtung ergeben hat (Born 1886). Ebenso konnte festge-
stellt werden, daß, wenn man Bufo vulgaris (^cinereus) mitÄ variabilis kr enzt,
in der Regel nur ein Spermatozoon eindringt. Bei einem Teil der Eier
konnten allerdings auch mehrere Spermatozoen im Dotter nachgewiesen
werden. Dies Ergebnis hat jedoch nichts Ueberraschendes, da es sich
allgemein bei Anuren herausgestellt hat, daß Bastardierung Poh^spermie
begünstigt. Wenn man nun weiter berücksichtigt, daß von den bastar-
dierten Kröteneiern ein Teil sich normal entwickelte, ein anderer Teil
dagegen unregelmäßige Mehrfaclifui'chung erlitt, wie sie im Gefolge von
Polyspermie auftritt, so wird es sehr wahi'Scheinlich, daß das Ein-
dringen von mehreren Spermatozoen bei Kröteneiern
eine normale Entwickelung verhindert.
Helen Dean Kuig (1901) ist bei ihrer Untersuchuiu) der cnueri-
kanischen Kröte Bnfo le iiti(/inosiis ebenfalls zu dem Besultat ge-
kommen, daß unter normalen Verliältnissen nur ein Spernmtoxoon
eindringt und hält Polgspermie bei den Kröten für eine pathologische
Krscheifiung .
Die Verbreitung der Empfängnisflecke läßt erkennen, daß bei
lirodelen die Spermatozoen in die Eier an jedem Punkt
der Oberfläche eindringen können, wenn auch durch zur
Zeit noch unbekannte Verhältnisse der Eintritt in die obere Eihälfte
begünstigt ist. Auch hier verhalten sich die Anuren abweichend. Unter
gewöhnlichen Bedingungen hat man Spermatozoen immer nur in der
oberen Eihälfte nachweisen können. Ob der Bezirk der Befruchtungs-
möglichkeit so w^eit reicht wie die pigmentierte Partie, ist dabei frag-
lich; von mancher Seite wird behauptet, daß bei normalen Froscheiern
immer nur eine beschränkte Region im Umkreis des oberen Poles be-
nutzt werde (Michaelis); die Gegend sei dadurch bezeichnet, daß
hier die Pigmentschicht ringförmig verdickt ist ; sie liegt unmittelbar
nach außen von einer hellen Partie, die unter dem Pol des Eies
sich findet, an der Stelle, wo die „Figure claviforme" nach dem
Eicentrum vordringt. Keinen falls ist es möglich, von
der unteren hellen Hälfte aus ein Frosch ei zu be-
Eireife und Befruchtung. 529
fruchten. Schon Newport hat die „lokalisierte Befruchtung" aus-
geübt, eine Methode, die neuerdings wieder besonders durch Roux
Anwendung gefunden hat. Er impfte mit einer Glaskanüle Sperma
bis in die unmittelbare Nähe der Oberfläche des Dotters in die Eihüllen
ein und verhinderte zugleich, daß sich letztere vom Ei abhoben und zu
quellen antingen (vergl. S. 0:55). Wurde die lokalisierte Befruchtung
am schwarzen Pol vorgenommen, so entwickelte sich das Ei; es blieb
dagegen ungeteilt, wenn der weiße Pol gewählt wurde. Das Experiment
ist öfters bestätigt worden ; doch ist es unbekannt, ob und warum die
Spermatozoen nicht eindringen oder ob etw^a eindringende Spermato-
zoen keine befruchtende Wirkung ausüben.
Gehen wir nun zur Besprechung der inneren Befruelitun^s-
erscheinunireii über, so haben wir mit gewissen Pigmentverschie-
bungen zu beginnen, welche durch die eindringenden Spermatozoen
hervorgerufen werden (van Bambeke); sie sind bei den pigmentreichen
Eiern der Anuren besonders auffällig, in ihrem Bau dagegen am besten
zu verstehen bei Eiern, welche wie die Eier des Axolotls und der
Tritonen einen mittleren Grad von Pigmentierung zeigen. Beim Axolotl
dringt vom Empfänguisfleck aus eine Pigmentstraße (Fig. 184) in nahezu
radialer Richtung eine Strecke w-eit nach dem Eiinneren vor, die „Pene-
trationsbahn des Samenfadens" (Roux); dann biegt sie nahezu
recht- oder stumpfwinklig um und liefert einen etwas kürzeren, der
Eioberfläche mehr parallel verlaufenden Schenkel, die „Kopulations-
bahn" (Roux). Aehnliche Pigmentstraßen hat man auch bei den
Eiern anderer auf diese Verhältnisse hin untersuchter Amphibien ge-
funden. Doch scheint die Copulationsbahn bei Anuren [Rnna teni-
poria Roux, Bufo lentiginosus H. D. King, Bufo vulgaris van Bam-
beke) gegen die Penetrationsbahn nicht so scharf abgeknickt zu sein,
oft sogar mit ihr einen stumpfen Winkel bilden, was mit dem ge-
ringeren Dottergehalt und dem dadurch bedingten tieferen Eindringen
des Spermatozoon zusammenhängt. Bei der Wahl des Namens „Ko-
pulationsbahn" war die Ansicht maßgebend, daß der zweite Abschnitt
der Pigmentstraße den Weg bezeichnet, welchen das Spermatozoon,
nachdem es eingedrungen ist, einschlägt, um dem von der Peripherie
aus sich nähernden Eikern entgegenzukommen (Roux, Jordan).
Diese Ansicht läßt sich wohl schwerlich aufrecht erhalten, wenig-
stens nicht für Urodelen. Denn das Knie kann schon gebildet
werden, ehe noch der Eikern vom Ort der Richtungskörperbildung
nach abwärts gewandert ist; es kommt ferner vor. daß die „Ko-
pulationsbahn" nicht dem nahenden Eikern zugewandt, sondern von
ihm abgewandt ist (Fick). Endlich zeigen auch die Nebenspermatozoen,
welche sich mit dem Eikern nicht vereinigen, die charakteristische
Knickung ihrer Bahn, sogar solche Nebenspermatozoen. welche bei
Urodelen in den weißen Dotter eingedrungen sind, eine der Einwirkung
des Eikerns sicher entzogene Region des Eies. Offenbar hängt
die Knickung der S a m e n b a h n mit anderen Ursachen
zusammen, höchst wahrscheinlich mit der Drehung,
welche die A m p h i b i e n s p e r m a t o z o e n , ganz so wie die
Spermatozoen anderer Tiere, im Inneren des Eies aus-
führen müssen, damit das Centrosoma centralwärts zu
liegen kommt (Fick).
Bei der außerordentlichen Größe der C/ro^ZeZew- Spermatozoen ist
es leicht, auf Schnitten ihr Eindringen in das Ei genauer zu ver-
Handbach der Entwickeluagslehre. I. 34
530
R. Hertwig,
folgen. Nachdem sie an irgend einer Stelle ohne präforniierte Mikro-
pyle die Eihüllen durchbohrt haben, gelangen sie mit allen ihren
Teilen: Kopf, Mittelstück und Schwanzfaden, in den Dotter hinein
(FiCK, Michaelis, Helen King). Man nimmt an, daß dabei das als
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Fig. 184. I u. II Penetrationsbahn und Kopulationsbahn des eindringenden
Spermatozoon {s}-)) vom Axolotl in ihrem Lageverhältnis zum Eii^ern {ei). III — VI
Verschiedene Stadien des Eindringens und der Umwandlung des Spermatozoons zum
Spermakern, stärker vergrößert [nach Fick].
„Spieß" bekannte spitze vordere Ende des Kopfes den Weg bahnt.
Während des Eindringens wird in den Zwischenraum zwischen Ei und
Eihülle von ersterem etwas homogene Masse (Protoplasma?) ausge-
schieden, welche unter normalen Verhältnissen unansehnlich bleibt, bei
pathologischer Polyspermie zu einem ansehnlichen „Extraovat" an-
schwillt. Beim Eindringen verursacht das Spermatozoon eine trichter-
förmigeEinsenkung der oberflächlichsten Dotterlage, den „Penetra-
Eireife und Befruchtung. 531
tion stricht er" (Fick), der von homogenem Plasma ausgefüllt ist
(„plasmatischer Empfängniskegel"). Auf seiner Wanderung wird es
von der oben besprochenen Pigmentansammlung umschlossen.
Zum Teil stammt die Pigmentansammlung sicher aus der pig-
mentierten Rindenschicht des Eies, indem Partikeln derselben sich dem
nach abwärts rückenden Spermatozoon anschließen. So erklärt es sich,
daß bei hochgradiger Polyspermie an Stellen, wo viele Spermatozoen
dicht nebeneinander eindringen, die Oberfläche des Eies ganz des Pig-
ments beraubt werden und sich aufhellen kann (Born). Fraglich bleibt
es dabei, ob das Spermatozoon ähnlich einem Magnet eine anziehende
Wirkung auf das Pigment ausübt, oder ob es eine Strömung, einen Zu-
fluß von pigmenthaltigem Protoplasma auslöst. Viele Forscher halten
die Annahme der Pigmentverlagerung nicht für ausreichend, um die
Intensität und Stärke der Pigmentstraßen in manchen Eiern zu er-
klären ; sie nehmen an, daß durch das vordringende Spermatozoon Neu-
bildung von Pigment im umgebenden Protoplasma hervorgerufen werde,
da auch in der hellen Hemisphäre des Axolotleies Pigmentstraßen auf-
treten. Die interessante Beobachtung, daß wenn pigmentreiche {Bufo
vulgaris) und pigmentarme (Pelobates fuscus) Arten miteinander bastardiert
werden, die Spermatozoen der letzteren in den pigmentreichen Eiern der
ersteren schwach entwickelte Pigmentstraßen erzeugen (Born), könnte zu
Gunsten dieser Annahme verwandt werden.
Emen tveitet'en Beiveis für eine Neubildung vo)i Pigment im Ei
erhliclä Helen King (1901) darin, daß der Spermakern hei seiner
Vereinigung mit dem Eikern, einen größeren Pigmentreichtum seiner
Umgebung zeigt als auf seiner Wanderung.
Wir kommen jetzt zur Besprechung der wahrscheinlich für alle Tiere
geltenden Umdrehung des Spermatozoon. Der Samenfaden
wandert in der Penetratiousbahn in der bekannten Anordnung, voran
der Kopf, dann das Mittelstück, dann der Schwanzfaden, Die Um-
drehung wird vorbereitet, indem der Kopf am Ende der Penetrations-
bahn eine zur bisherigen senkrechte Richtung einschlägt. Innerhalb
dieses zweiten Schenkels seiner Bahn soll die Umdrehung erfolgen
(Fick), indem die Kopfspitze sich wendet, bis zur Knickungsstelle
zurückkehrt und oft sogar über diese hinausdringt, am Pigmenstiefel
einen sporenartigen Fortsatz erzeugend. Die Folge der Drehung ist, daß
das Mittelstück an die Spitze des Pigmentstiefels zu liegen kommt
und, hier aus dem Pigment austretend, eine Protoplasmaansammlung
mit Strahlung verursacht. Ihr fügt sich der Spermakern an, der aus
Umbildung des Spermakopfs inzwischen entstanden ist, während der
lange Zeit noch erkennbare Schwanzfaden aufgelöst wird.
Das Eindringen der Samenfäden vollzieht sich bei allen übrigen
Amphibien in gleicher Weise; im ^'erhalten des Pigments ergeben
sich Unterschiede. So fehlt die Pigmentstraße bei den pigmentlosen
Eiern mancher Tritonen und Salamandrinen\ andererseits ist sie bei
Kröteneiern nicht nur selbst vorhanden, sondern sogar noch in eine
weitere Pigmentwolke eingehüllt. Hier bildet sie einen dreieckigen
Zipfel, dessen in das Ei ragende^ spitzes Ende den Spermakern um-
schließt. Indem der Zipfel tiefer als bei Urodelen in das Innere des
Eies vordringt, gewinnt er abändernden Einfluß auf die. innere Struktur
des Eies, wie z. B. die ,,Figure claviforme" (Fig. 185), welche vor dem
eindringenden Pigmentzipfel des Spermaganges ausweicht und nach der
34*
532
R. Hertwig,
Periplieiie verschoben wiid (Bambeke). Einen mittleren Grad von
Ent Wickelung zeigen die Pigmentstraßen in den Eiern der Frösche
und Knoblauchskröten.
Von besonderem Interesse ist die relative Länge
der Pigm en t bahn en. Wenn auch hierüber noch keine ausgedehn-
teren, methodisch durchgeführten Untersuchungen vorliegen, so ergeben
sich doch schon jetzt einige beachtenswerte Resultate, besonders wenn
man auch die in der Litteratur vorliegenden Abbildungen von Eidurch-
schnitten, die die Pigmentstraße in ganzer Länge freigelegt haben,
durchmustert. Bei allen Anuren, über welche Angaben vorliegen,
reicht die Pigmentstraße bis nahe an das Eicentrum, so bei Felohates
fuscus (van Bambeke), Bufo vulgaris (van Bambeke, Born), etwas
weniger weit bei Rana temporaria (0. Hertwig, Roux). Bei den
TJrodelen ist dagegen die Pigmentstraße äußerst kurz und beträgt nur
kleine Bruchteile des Eiradius, so bei Tritonen (van Bambeke), Axolotl
(VAN Bambeke, Fick), Diemyctylus (Jordan). Für Axolotl bestimmten
FiCK uijd VAN Bambeke die Länge der Penetrationsbalm und, da die
Kopulationsbahn keinen großen Winkel mit der Eioberfläche bildet, damit
die Distanz des zur Ruhe kommenden Kernes von der Oberfläche des
Fig. 185.
Fig. 187.
Fig. 186.
Fig. 185. Meridionaler Schnitt durch ein
befruchtetes Ei von Bufo vulgaris ; von rechts
aus dringt die Samenbahn ein, Figure clavi-
forme nach links ausgebuchtet (nach vak
Bambeke).
Fig. 186. Meridionaler Schnitt durch das
befruchtete Ei von Rana temporaria (nach 0.
Schultze).
Fig. 187. Meridionaler Schnitt durch ein
Ei von Molge alpestris (nach van Bambeke).
3 Samenbahnen.
Eies auf etwa ^l^ des Eiradius, d. h. ^'g f^^s Eidurchmessers. Dieselben
Maße fand Michaelis bei Tritonen. Die entsprechende Distanz beträgt
bei Unna temporaria nach Roux 27—32 Proz. der Eiachse, also V4 — Vü^
nach Michaelis V4 ; d.h. beim Frosch dringen die Samenfäden mehr
als noch einmal so tief ein als bei Urodelen. was auf einen relativ
größeren Gehalt des Eies an Protoplasma hinweist.
Eireif'e ntid Befruchtung. 533
Am Ei kern ist niemals eine Spur von Strahlung be-
obachtet worden, auch keine Pigmentanhäufunij;. Wenn er in
die Tiefe wandert, bis er den Samenkern erreicht, hinterläßt er daher
auch nicht die geringste Spur des Weges, den er zurückgelegt hat.
Ist er dann in die im Umkreis des Samenkerns entwickelte Pigment-
masse eingetreten und hat sich ihm angefügt, so ist eine Unter-
scheidung beider Kerne nicht mehr nK'iglicli. Um diese Zeit teilt sich
die vom Mittelstück des Spermatozoons stammende Attraktionssphäre,
welche während der Annäherung der Geschlechtskerne noch als ein
einheitlicher Körper zwischen denselben eingeschoben war. Wenn die
beiden Tochtersphären auseinanderweichen, rücken die Kerne an-
einander und verschmelzen, ehe die Chromosomen der Furchungsspindel
entstanden sind. Es kommt somit zur Ausbildung eines typischen
Furchungskerns. Letzterer liegt lieim Axolotl und den Tritonen halbwegs
zwischen Oberfläche und Centrum des Eies, bei den Anuren in ge-
ringer Entfernung vom Centrum. Auch hierin kommt wieder zum
Ausdruck, daß die Eier der Tritonen selbst bei gleicher Größe dotter-
reicher sind als die Eier der Anuren und daß die üotteransammlung
besonders in der vegetativen Hälfte des Eies vor sich geht.
Ueber das Lageverhältnis von Ei- und Samenkern macht Roux
(1887, S. 181) Angaben, welche mit der hier gegebenen Darstellung
nicht in L^ebereinstimmung stehen. Während nach der Beschreibung Fick"s,
welche meiner Darstellung zu Grunde liegt, sich allerdings nur auf
Urodelen bezieht, der Eikeru von der Stelle, an der er nach Bildung
des zweiten Richtungskörpers entstanden ist, direkt nach der Copula-
tionsstelle wandert, giebt Rorx an, daß er bei unbefruchteten Eiern nur
wenig abseits der Eiaxe und etwa ^l- des Radius oberhalb des Eicentrum
lagere und von hier etwas (um '/^ Eiradius) nach aufwärts zur Copu-
lation aufsteige. Auffallend an dieser Angabe ist vor Allem das Eine,
'laß Roux dem unbefruchteten Froschei den Eikern zuschreibt. Für alle
genauer untersuchten Amphibieneier ist es erwiesen, daß wie bei den
übrigen Wirbeltieren das Ei zur Zeit der Befruchtung noch die zweite
Richtungsspindel besitzt und den zweiten Richtungskörper erst nach dem
Eintritt des Spermatozoon bildet. So werden die Verhältnisse auch von
0. ScHULTZE (1887) für die Froscheier, und neuerdings von Helen Dean
King (1901) für die Eier von Bufo lentiginosus geschildert. Roux müßte
demnach zum mindesten überreife Eier benutzt haben. Indessen auch
für diese ist es noch nicht vollkommen sicher gestellt, daß die Eireife
unabhängig vom eindringenden Spermatozoon zu Ende geführt werden
kann (vergl. hierüber p. 521).
Wie es nach unseren Kenntnissen der Befruchtungsvorgänge selbst-
verständlich ist, vereinigt sich d e r E i k e r n nur mit einem
Samenkern. Wo daher, wie bei Urodelen, mehr als 1 Spermatozoon
eindringt, müssen wir Haupt- und N eb enspermatozoen unter-
scheiden. Letztere gehen zu Grunde. Zunächst zwar erfahren
sie dieselben Veränderungen wie das Hauptspermatozoon (Bildung von
Pigmentstraßen bei den in die schwarze Hälfte eingedrungenen Sperma-
tozoen, Drehung des Spermakopfs. Entwickelung einer Attraktions-
sphäre, ja sogar Teilung derselben), nur daß bei den in die weiße Hemi-
sphäre dringenden Fäden die Empfängniskegel viel schwächer entwickelt
sind (Zeichen des geringen Protoplasmagehalts der Region). Dagegen
sind niemals S p i n d e 1 b i 1 d u n g e n an ihnen beobachtet
534 R. Hertwig,
worden. Dieser Punkt verdient besondere Beachtung, da hierin die
Urodeleneier sich von den Eiern anderer Tiere, bei denen pathologische
nnd physiologische Polyspermie beobachtet wurde (vergl. Befruchtung
der Selacliier) unterscheiden. Ob direkte Teilungen vorkommen (Braus),
ist nicht mit Sicherheit erwiesen. Bei Tritonen scheinen sich Ptcste
der Kerne bis in das Blastulastadium zu erhalten, wo sie in einzelnen
Blastodermzellen neben den eigentlichen Kernen derselben beobachtet
wurden (Braus 1895). Bei Diemyctylus (Jordan) sollen dagegen
schon 10 Stunden nach der Besamung die letzten Reste geschwunden sein.
Welcher von den eingedrungenen Samenfäden den zur Befruchtung
dienenden Samenkern liefert, ist sicher nur eine Frage des Orts ; d. h.
der in der Nachl)arschaft des PJchtungsflecks eindringende Faden
wird voraussichtlich die Befruchtung bewirken. Dementsprechend ist
es höchst unwahrscheinlich, daß auch ein in den weißen Dotter gelangtes
Spermatozoon zur Verwendung gelangt (Fick). Wie ungünstig die
Bedingungen für die Befruchtung am vegetativen Pol sind, zeigen am
besten die Anuren, bei denen eine normale Befruchtung von der
weißen Hemisphäre aus überhaupt ausgeschlossen erscheint. Wir
haben schon oben die negativen Resultate kennen gelernt, zu denen
Newport und Roux gelangten, als sie ihre Methode der lokalisierten
Befruchtung auf die vegetative Seite der Froscheier anwandten. Wir
haben dabei auf die beiden Möglichkeiten der Erklärung hingewiesen:
1) Die Spermatozoen vermögen nicht einzudringen. 2) Die Spermato-
zoeu dringen zwar ein, können aber nicht zum Eikern gelangen.
Erstere Erklärung ist die herrschende, sie steht aber im Widerspruch
mit unseren Erfahrungen an anderen Tieren; denn in allen Fällen,
welche genauer untersucht worden sind, hat sich herausgestellt, daß
die Spermatozoen an allen Punkten der Eioberfläche eindringen können,
sofern die Eihüllen überall durchgängig sind (vergl. Befruchtung der
Selacliier) ; die zweite Erklärung scheint mir mit Rücksicht auf die
soeben besprochenen Verhältnisse bei Urodelen mehr Wahrscheinlich-
keit zu besitzen.
Unter den Erscheinungen, welche an den Eiern der Amphibien
im Verlauf der Befruchtung auftreten, haben wir schließlich noch eine
hervorzuheben, welche schon den ersten Untersuchern der Amphibien-
entwickelung aufgefallen ist: Befruchtete Amphibi eneier
liegen stets so im Wasser, daß sie den dunklen E i p o 1
nach oben wenden. Dreht man die Eier um, so daß die helle
Seite aufwärts gewandt ist, so ist liinnen kurzer Zeit die alte Lage
wiederhergestellt. lu manchen Fällen erfolgt Rückdrehung der Eier
im Laufe einer hall)en Stunde , in anderen so rasch , daß man
beim Drehen die helle Seite kaum zu Gesicht bekommt. Die älteren
Angaben lauten, daß diese charakteristische Rückdrehung bei un-
befruchteten Eiern ganz ausbleibt. Diese Angaben sind in der Neu-
zeit dahin berichtigt worden, daß der Prozeß zwar zustande kommt,
nur viel langsamer; es bedarf mehrerer, oft 5 — 6 Stunden, ehe bei
allen Eiern die dunkle Seite wieder die obere ist (Born 1884 u.
1884*). Kocht man befruchtete und unbefruchtete Eier, so soll der
Unterschied schwinden und beiderlei Eier mit gleicher Schnelligkeit
aus der aufgezwungenen Lage in die normale zurückkehren (Roux).
Die Erscheinung beruht darauf, daß die im Amphibien ei ent-
haltenen Substanzen von verschiedener specifischer
Schwere und zugleich i m E i k ö r p e r v e r s c h i e d e n ^^ e r t e i 1 1
sind. Das Protoplasma und die in ihm enthaltenen Kerne (Ei-, Sperma-
Eireife und Befrachtung. 535
Fiirchungskeni. Keimbläschen) sind leichter als das Dottermaterial.
Die leichteren und schwereren Bestandteile sind nun derart verteilt,
daß erstere an Masse nach dem pigmentierten, diese nach dem hellen
Pol zunehmen. Nach dem dunklen Pol zu werden die Dotterplättchen
nicht nur spärlicher, sondern zugleich auch kleiner (0. Schultze).
Der pigmentierte Abschnitt des Eies muß daher leichter sein als der
helle und muß, wenn das Ei sich in seiner Lage ganz nach seinem
Schwerpunkt orientieren kann , nach aufwärts steigen. Das ver-
schiedene ^'erhalten von befruchteten und unbefruchteten Eiern ist
nun darauf zurückgeführt worden, daß die Befruchtung die von An-
fang an vorhandenen Unterschiede steigert, indem nunmehr eine
zunehmende Konzentration des Protoplasma am a n i -
malen Pol eintritt (0. Hertwig). Ganz besonders deutlich ist
diese schärfere Sonderung an den Eiern von Salamandra maculosa
ausgeprägt, bei denen nach der Befruchtung eine Art protoplas-
matischer, auf dem Dotter ruhender Keimscheibe zu stände kommt.
Aber die Erklärung genügt nicht. Denn die Unterschiede des
specitischen Gewichts im unbefruchteten Ei sind, wie die Versuche
mit gekochten Eiern lehren, ebenfalls schon bedeutend genug. Es
muß daher bei den befruchteten Eiern noch ein zweites Moment
hinzukonimen. Dasselbe ist in der freieren B eweglich kei t des
Eies innerhalb seiner Hüllen gegeben. Infolge der Be-
fruchtung erfährt der Eikörper eine Kontraktion, so
daß zwischen ihm und den Hüllen ein Raum die „respiratory Chamber"
Xewport's, entsteht, der von einer in Reagentien koagulierenden
(eiweißhaltigen) Flüssigkeit (Perivitellin) erfüllt ist. Besonders deutlich
ist der Raum am pigmentierten Pol (0. Schultze); dieser plattet
sich bei der Befruchtung ab ; hier tritt daher die perivitelline Masse
an abgetöteten befruchteten Eiern wie eine schleierartige Masse auf,
die nicht mit dem RichtungsHeck verwechselt werden darf. Wahr-
scheinlich liegt der von Perivitellin gefüllte Raum zwischen Chorion
und Eioberfläche. So lauten die bestimmten Angaben 0. Schultze's,
die sich mit allem, was über wirbellose Tiere bekannt geworden ist,
in bester Uebereinstimmung befinden und auch von andern Forschern,
so in der Neuzeit besonders von Moszkowski (1902) bestätigt worden
sind. Doch liegen auch Angaben vor, daß das Chorion der Eiober-
tiäche fest anhaftet und daß der die Beweglichkeit des Eies gestattende
Raum sich zwischen Choriou und Gallertschicht befindet (Ebener 1893).
Diese für Tritoneier gemachten Angaben haben sehr wenig Wahr-
scheinlichkeit für sich. — Zunächst klein, vergrößert sich der Peri-
vitellinraum allmählich. Diese sekundäre Größenzunahme kann nicht
aus der Kontraktion des Eies, wie sie durch den Reiz der Be-
fruchtung ausgelöst wird, erklärt werden, sondern nur durch Auf-
nahme von Flüssigkeit von außen, wie sie Calberla experimentell
für das Ei von Fetromyzon nachgewiesen hat. Die Flüssigkeitsauf-
nahme, welche nur durch Vermittelung der Gallertschicht vor sich
gehen kann, ist für die freie Beweglichkeit des Eies von der größten
Bedeutung wie aus einigen gleich zu besprechenden Versuchen her-
vorgeht.
Mit wenigen Ausnahmen gelangen die Amphibieneier während
oder kurz nach dei- Besamung in das Wasser. Dadurch werden die
aus dem Eileiter stammenden, durch große Klebkraft ausgezeichneten
Gallerthüllen verändert, sie quellen durch Wasseraufnahme an und dehnen
sich dabei so gewaltig aus, daß z. B. der bei Bana temporaria anfänglich
536 R. IIertwig,
nur 2,5 nun betragende Durchmesser der Gallertkugel nach IVg Stunde
schon auf 5 mm, nach 3"/2 Stunden sogar auf 7 mm anwächst, von da
an sich im wesentlichen gleich bleibend (Prevost et Dumas). Durch
dieses Quellen der Hüllen wird otfenl)ar den Spermatozoen der Eintritt
in das Ei erleichtert, zugleich aber auch die Flüssigkeit geliefert, welche
zum Anwachsen des Perivitellinraums notwendig ist.
Man kann nun Amphibieneier künstlich befruchten und das Quellen
der Gallerthülle , wenn auch nicht ganz verhindern , so doch auf
ein geringes Maß beschränken, wenn man die Eier nicht in Wasser
bringt, sondern nur in einem feuchten, am besten durch zeitweiliges
Zerstäuben von \Yasser mit feinsten Tröpfchen erfüllten, die Weiter-
entwickelung ermöglichenden Raum kultiviert und bei der Befruchtung
den zur Verwendung gelangenden Samen mit sehr wenig Wasser —
bei Tritonen und anderen Urodelen ph3'siologischer Kochsalzlösung —
versetzt. Dann wird die freie Beweglichkeit der Eier innerhalb des
Chorions behindert oder sogar ganz aufgehoben, indem die Gallert-
hülle das Ei fest umschließt und die Vergrößerung des Perivitellin-
raums unmöglich gemacht wird. Vielleicht wird sogar die aus dem
Ei herausgepreßte perivitelline Flüssigkeit von der Gallerte aus resor-
biert und das Chorion der Eiobertiäche wieder aufgepreßt. Ein
solches innerhalb der Gallertschicht in ,,Z wangslage"
befestigtes Ei vermag sich nicht mehr als Ganzes zu
drehen, wenn man den Körper, an dem es mittelst der Gallerte fest-
geklebt ist, z. B. einen zum Experiment benutzten Objektträger, um
180° in der Weise wendet, daß die lichte Hälfte des Eies nach auf-
wärts schaut (Pflüger). Wohl aber treten dann Umlagerungen
im Inneren ein (Born 1884*), die sich aber nur ganz allmählich
vollziehen können und es bewirken, daß die leichteren Bestandteile
des nach abwärts gewandten animalen Poles samt dem eingeschlossenen
Kern wieder nach aufwärts wandern, die schwereren Dottermassen
dagegen nach abwärts (Fig. 188). Gewöhnlich geschieht das in der
Weise, daß die pigmentierten leichteren Teile auf der einen Seite in
gleichem Maße emporsteigen , wie die lichten schwereren auf der
A B
iB
Bd
~Pqi},
Pgr
Fig. 188. Eier mit dem dunklen Pol nach abwärts in Zwangslage befestigt
suchen die der relativen Schwere der Teile entsprechende Anordnung wieder zu ge-
winnen. A unterer Pol mit seiner Pigraentrinde {Pgr) genau abwärts gewandt. Pig-
mentschicht steigt axial, fontaiuenartig empor, das helle Feld unter dem Pigmentpol
verfärbend. B Eiachse (uP—oP) etwas schräg gestellt. Das aufsteigende Pigment
erzeugt eine rotierende Bewegung, deren Richtung durch den Pfeil angedeutet ist.
uP, oP ursprünglich unterer, oberer Pol. Pijk Spermastraße. »■/» weißer Dotter.
iB lichte Dotterinsel im Pigment. Bd aufsteigende Pigmentschicht.
Eireife und Befruchtung. 537
anderen Seite abwärts gleiten (B). Indem das Abströmen des Dotters
in einer ganz bestimmten Richtung erfolgt, kommt eine symmetrische
Struktur der Eizelle zur Ausbildung, welche um so wichtiger ist. weil
sie zu den Furchungsebenen in einem bestimmten Verhältnis steht.
Born spricht daher von einem diese Symmetrie bezeichnenden ,, Strö-
mungsmeridian" : derselbe soll in den meisten Fällen mit dem ersten
Furchungsmeridian zusammenfallen, öfters auch senkrecht zu ihm
stehen und nur in seltenen Fällen einen spitzen Winkel mit ihm
bilden. Seltener erfolgt der Ausgleich, indem das pigmentierte Ma-
terial im Inneren wie eine Fontaine aufsteigt, während der schwere
Dotter allseitig auf der Oberfläche herunterströmt (A).
Es ist selbstverständlich, daß die Strömungserscheinungen im Innern
des Eies eine Veränderung der ursprünglichen Pigmentverteilung zur
Folge haben. Das fontainenartige x4.ufsteigen des Pigments bedingt eine
graue. Verfärbung der nach aufwärts gewandten lichten Partie und im
Innern derselben einen dunklen Fleck. Beim Abgleiten des weißen
Dotters nach einer Seite findet eine seitliche Verlageruncr des hellen
Dotterfeldes statt, welches nur noch zum Teil von oben sichtbar bleibt.
An dasselbe grenzt eine graue verfärbte Partie der Eioberfläche, den Pol
einnehmend. Diese ist so zu erklären, daß wie bei allen Zellen so auch
beim Amphibienei die Rindenschicht eine größere Konsistenz besitzt als
das Innere und an den Verschiebungen sich nicht in gleichem Maße be-
teiligt. So bleibt am Pol eine äußerste Lage hellen Dotters erhalten,
unter welcher sich das Pigment vorschiebt. Auch eine unter dem jjig-
mentierten Pol vorhandene lichte Stelle wird verlagert und ändert zugleich
ihre Form ; desgleichen die Pigmentstraße des Spermatozoon.
Wenn man bei Amphibieneieru den Mittelpunkt des dunklen
Feldes mit dem Mittelpunkt des hellen sich durch eine Linie ver-
bunden denkt, die gemäß der Kugelgestalt des Eies durch das Centrum
gehen muß, so erhalten wir einen bestimmten Durchmesser, welchen
wir die „H a u p t a c h s e" d e s E i e s nennen wollen. Diese Hauptachse —
so lauteten die längste Zeit über die Angaben der Forscher — steht
bei Eiern, welche ihrer natürlichen Lage überlassen sind, genau senk-
recht; um die Hauptachse herum sind die Eiteile gleichmäßig, d. h.
radial -symmetrisch gruppiert. Neuere von Roux ausgehende, von
O. ScHULTZE und Morgan (1897) fortgesetzte Untersuchungen haben
indessen auch unter normalen Verhältnissen für Bana temporaria und
Rana esculenta eine bilaterale Symmetrie des Eies erkennen
lassen, welche in einer ganz bestimmten Pigmentanordnung zum Aus-
<lruck kommt. Diese tritt bei Rana temporaria nach der B ef r u c h-
tung auf. Vor und kurz nach der Befruchtung liegt bei den Eiern
dieses Frosches die Grenzlinie zwischen pigmentierter und lichter Partie
unterhalb des Aequators und demselben genau parallel. Ist die Besamung
vollzogen, so hellt sich nach einiger Zeit die an das helle
Feld grenzende Partie der pigmentierten Oberfläche
auf einer Seite mehr und mehr auf, so daß sie fast wie
ein Teil des hellen Feldes aussieht, von der sie sich nur durch
eine schwach graue Verfärbung unterscheidet (Roux). Verfolgt man
jetzt die Grenze der pigmentierten Eihälfte, so verläuft dieselbe nicht
mehr dem Aequator des Eies parallel, sondern bildet mit demselben
einen spitzen Winkel; auf einer Seite liegt die Grenze nach wie vor 45**
unter dem Aequator, steigt von hier aus allmählich empor und erreicht
auf der entgegengesetzten Seite ihren höchsten Punkt, welcher so ziem-
538 R. Hertwig,
lieh mit dein Aequator ziisainmeiitrifft. Würde man jetzt die Mittel-
punkte der dunklen und dci- durch das graue Feld vergrößerten hellen
Hemisphäre durch eine Linie verbinden, so erhält man die „sekundäre
Eiachse", welche mit dem vertikalen Durchmesser des Eies, der
p r i m ä r e n Hauptachse, einen spitzen Winkel bildet. Damit ist
für das Ei eine Symmetrieebene gegeben, es ist die Ebene, welche man
durch beide Achsen legt; sie schneidet den höchsten und tiefsten Punkt
der ringförmigen Pigmentgrenze. Nach den übereinstimmenden
Angaben Roux's und Schultze's steht diese Symmetrie-
ebene in einem bestimmten Lage Verhältnis zum ,.BotVuch-
tiiiigsmeridiaii", einem durch die Eintrittsstelle des Sper-
matozoon und die E i a c h s e bestimmten größten Kreis
der E i k u g e 1. Der tiefste Stand des Pigments liegt unter der Eintritts-
stelle des Spermatozoons. Unter normalen Verhältnissen soll sich aus
dieser durch Pigmentverteilung und Sameneintritt charakterisierten
Seite des Eies stets dasselbe Ende des Embryo entwickeln — welches?
darüber ist noch keine Einigung erzielt. Ferner soll die Kopulations-
bahn, meist auch die Penetrationsbahn des Spermatozoon in der Sym-
metrieebene liegen. Die duich die Befruchtung festgelegte Symmetrie-
ebene soll ferner mit der Symmetrieebene des sich aus dem Ei ent-
wickelnden Embryo, der M e d i a n e b e n e, zusammenfallen. Roux hatte
nun aus seinen Experimenten über lokalisierte Befruchtung die Auf-
fassung gewonnen, daß der Experimentator es in der Hand habe, den
Befruchtungsmeridian willkürlich zu bestimmen. Da durch diesen
wiederum die zukünftige Medianebene des Embryo festgelegt werden
soll, kam er zum Schluß, daß vor der Befruchtung nur eine Richtungs-
linie des Embryo bestimmt sei, die Dorso-ventral-Linie, daß über das
„Vorn'* und „Hinten", „links" und „rechts" erst durch die Befruchtung
entschieden werde, und zwar sei das Entscheidende die Kopulations-
linie der beiden Geschlechtskerne. (Vergl. darüber den Abschnitt üiter
Teilung, zugleich auch die daselbst gegebenen, die Pigmentverteilung
erläuternden Figuren.)
Strittig sind die Symmetrieverhältnisse des Eies von Bana escu-
lenta. Hier steht die primäre Eiachse von Anfang an zur Senkrechten
geneigt, d. h. schon vor der Befruchtung bildet die Grenze von Hell
und Dunkel einen bei Ii<ina temporaryi, erst nach der Befruchtung
erkennbar werdenden Winkel mit der Horizontalen. Bezeichnen wir,
unbekümmert um die Pigmentverteilung, ausschließlich nach der An-
ordnung im Raum , den größten Horizontalumfang des Eies als
Aequator, so schneidet die Pigmentgrenze den Aequator derart, daß
sie auf der einen Seite ebenso viel unter wie auf der anderen Seite
über denselben zu liegen kommt. Die Folge davon ist, daß ein Teil des
lichten Feldes bei der Betrachtung von oben sichtbar ist und schon
vor der Befruchtung eine Symmetrieebene erkennbar wird. Letztere
ist eine Ebene, die durch die schräg gestellte Eiachse und die
Vertikale gelegt wird; nach 0. Schultze würde sie sich unmittelbar
zur späteren Symmetrieebene des Embryo fortbilden; diese würde
somit schon vor der Befruchtung durch die Beschaffen-
heit des Eies festgesetzt sein. Roux dagegen hält auch für
Rana esculenta an der Anschauung fest, daß die detinitive Symmetrie-
ebene erst durch die Befruchtung bestimmt werde; er behauptet, daß
die Schiefstellung des unbefruchteten Eies mit der des befruchteten Eies
nicht identisch sei, daß in die Zwischenzeit ein Stadium der Indifferenz
Eireife und Befruchtung. 5o9
falle, hervorgerufen durch den Kontakt des Spei'uiatozoon (!!). welches
bei seinem Eindringen „eine Uniordnung'' der vorher bestehenden An-
ordnung hervorrufe und somit eine neue Symmetrieebene l)edinge.
• Einen neuen Versuch, die Coiiicidenx ron Medianebene des Em-
h7i/o, erster Furehungsebene . Si/iunnirieebene des befrneiiteten Eies
und BefnuhtunijsHnridiun :.u erhifiren, hat in allerletzter Zeit Mosx,-
kotvski (1901, 1902) gemacht. Er geht aus von den oben referirten
Schilderungen Borns über die Ström ungserscheinungen, durch velche
in Zurinfislage befestigte Eier die der' Wirkung der Schwerkraft ent-
sprecl(cndc Anordnung ihrer Dotterbestandteile n:ieder gen:innen. Das
frisch befruchtete Ei soll sich normaler Weise zunächst in Zwangslage
beftrnlen. da erst nach einer halben Stunde Aufenthalt im Wasser
die Quelluug der Eihüllen so weit gediehen ist, dafi das Ei frei
rotieren kann. Dagegen wird durch den Kontakt des befnwhtcnden
Spermatozoon sofort die dem unreifen und nicht Ijefruchteten Ei
fehlende eigentümliche Beschaffertheit des Dotters hervorgerufen, ivelche
die ümordnu)ui der Teile von versrlnedenem spevifisrhem Geuicht,
entspreche )ul den Einwirkungen der Schwerkraft, gestattet. So ist eine
Sj^anne Zeit gegeben, iti der das Ei nur durch rotierende Strömung
.seines Inhcdts, nicht durch Rotation seines ganzen Köi'pers, sich der
Wirkungsweise der Schwerkraft anbeeiuenwn kann. Daher entn-ickelt sich
bei befrueliteten Eiern von Rana temporaria die eigentümliche graue
Verfärbung, welclw scheinbar zu einer Vergrößerung des ireißen Feldes
führt und weichein derselben Weise u-ie bei den Bor naschen. Experi-
menten erklärt werden muß. Es ist somit die durch die Befruchtung
erndiglichte und durch den Einfluß der Schwerkraft hervorgerufene Ent-
wickeln ng eines besornleren Ström u ngsm er i d ia ns , welche dem Ei
seine symmetrische Struktur verleiht. Daß dabei die Pigmentstraße
des Spermatozoon meist ganz oder wenigstens mit ihrem Endabschnitt
in die Sgmmetrieebene zu liege?!, kommt, erklärt Mos ■: ko wski durch
die Anmüune, daß das Spermata \oon von der Protop)lasm(iströmnng
erfaßt irii^d. Aus dem Zusammentreffen der Symmetrieebene des Eies
und des Befruchtwng.smeridians könne man daher trotz der Versuche
Roux's über lokalisierte Befrnchtu)tg nicht schließen, daß erstere von
der Befruchtung bestimmt werde, vielmehv seien beide durch einen
dritten Faktor, die Ausbildung des Born' sehen Strömungsmeridians,
bedingt: lokalisierte Befrnchtung sei ürscwhe, daß die Eiachse eine
Neigung nach der Befruchtungsstelle erfahre, so daß auch der Strö-
mung smeridicm durch diese Stelle verlaufen müsse.
Die Auffassung Moszkoivski's hat durch seine eigenen und
Morga7i's (1902) Untersuchungen an unbefruchteten Eiern neue
Stützen gefunden. Es stellte sich heraus, daß auch an unbefruchteten
Eiern von Ran, a p a l u str i s (Mo r g a n) und R. te mp o r a r i a
(Mo s z k o w s k i) , wenn, sie in ihrer Lage nicht gestört werden, die
besprochene Verfärbung zu Stande kommt, nur sehr viel später, nicht
nach \ Stunde, sondern nach Verlauf von 24 resp. ß Stunden. Bei
Eiern, welche nach der Entleerung ihre pigmentfreie Seite genau nach
aufwärts kehren, kann sogar eine graue Verfärbung am lichten Pole
auftreten, ivelche Moszkoivski (1902) daraus erklärt, daß hier das
allseitige Abfließen des schweren Dotters und das fonlainenartige Auf-
steigen des pig)nentierten Dotters (rgl. Fig. 188 A) stattgefunden hat.
Jedenfalls lassen diese Unter.mchungen erkennen, dafj die graue Ver-
färbung des Eroscheies in Form, eines halbmondförmigen Feldes durch
540 R. Hertwig,
die Befrnchtmiy nicht her vor (je rufen, sondern nur in ihrem Zustande-
l:onnnen />p(/i/nsfif/t ivird. Auch das Aushlribru der Verfärhuur/ hei
her u inst rudclndcn Eiern spricht für JJerijifl/issuufj durch ISchuerkraft.
Moszkowski (1902) U7id Morgan (1902) vermißten das graue
Feld an den Eiern mancher Frösche. Mosxkoivski konnte sich
üherxeugen, daß starke Pigmentierung diese Figeutihnlichkeit ver-
ursacht, hie dem grauen Felde entsprechende Struktur würde vor-
handen, nur durch die starke Pigmenti erung verdeckt sein. In ättn-
licher Weise muß) man wohl den Mangel des charakteristischen Feldes
hei pigmentfreien mal pigmentarnien Eiern erklären. Denn, wenn die
Erklärung Mos'xkowsk i\s richtig ist, wofür viele Erscheinungen
spreche?!, müßte die dem grauen Feld zur Ursache dienende Dotter-
umlageruug bei allen Amphihioi vorkommen, nur daß ihr Sichthar-
werden an besonders günstige Pigmentverhältnisse geknüpft wäre.
Immerhin darf nicht ütjersehen werden, daßj der E/klärungsversuch
Mosxkoivski's auch auf Schwierigkeitoi stößt. Die xur Befruch-
tung gelangerulen FroscJteier liegen bei ihr er Entleerung — ivenigstcns
ist darüber nichts Gegenteiliges bekanid — regellos durcheinander ;
ihre Axen werden daher im Moment der Befruchtung mit der Rich-
tung, in welcher die Schwerkraft auf sie wirkt, die verschiedensten
Winkel bilden. Demgemäß müßten auch die ümlagerungen, u-eUhe
durcli die Strömungen int Inneren des xunäehst noch in Zuringslage
befindlichen Eies vor sich gehen, sehr verschieden ausfallen ; in ge-
ivissen Fällen, nämlich bei allen Eiern, derevi Axen von Anfang an
genau in der Richtung der Schwerkrafts Wirkung eingestellt sind,
müßten sie vollkommen fehlen und, demgemäß auch die durcJi die
Schwerkrafts Wirkung herrorgerufenen Verfärbungen: in anderen Fällen
7yiüßten die Verfärbungen schwiwh, in dritten Fällen sehr Jujchgradig
sein. Damit stehen die Beobachtungen nicht im Einklang, welche
lehren, daß das durch Verfärbung entstandene graue Feld bei edlen
Eiern von gleicher Größe ist. Auch kann man die von Roux und
0. Schnitze gegebenen Schilderungen nur so verstehen, daß die be-
fruchteten Eier sich zunächst vertikal einstellen, ivas freie Beweglichkeit-
voraussetzt, urwl daß dann erst die Verfärbung des grauen Feldes ein-
tritt, cdso zu einer Zeit, in der keine Zwangslage mehr vorhanden ist.
Aehnliche Einwürfe hat Katha ri?ier (1902) germicht und besoiiders
betont, daß von Anfang an lotrecht stehende Eier keine durch Schwer-
kraftswirkung bedingte Sg mnietrieebene und daher auch nicht die Vor-
bedingungen zu normaler Entwickehing erlungen könnten.
Auch die experimentelle Prüfung der von. Mosx ko u^sk i aufge-
worfenen Frage hat zu, keinem günstigen Resultal geführt. Katha -
riner brachte Eier teilweise schon 7 Minuten nach der Befruchtung
in Wasser, welches durch einen eingepumpte}» starken Luftstrom in
lebhafte Rotedieni nach edlen Richtungen cersetzl wurde. Damit wurde
die Entwickelung eines bestimmten Strömungsmeridians unmöglich
gemacht, und hätte nun, wenn Moszkowski Recht hätte, eine nor-
male Enlwickeluru/ ausgeschlossen sein müssen. Das traf aber nicht
XU, vielmehr lief die Entwickelung durchaus normcd ab.
Den Einwänden Kathariner's gegenüber hat Moszko u'ski
(1902) seine Auffassungsweise erneut verteidigt durch den Hinu-eis,
daß in der Natur thatsächlich rächt alle Eier eines Eierbcdlens — irahr-
scheirdicli diejetiigen nicht, denoi die Schwerkraft keine Sgmmetrie-
ehene induziert habe — sich entwickeln, daß ferner möglicherweise
Eireife und Befruchtung. 541
scJion kurxe Eluairkanii der Sditvcrkiuft yoiäye, mit eine l'iiKinip-
[nerimg der Teile einzuleiten, ifenn dieselbe aiieh erst sehr viel später
zum Ausdruck komme.
• Roux le(/t bei seiner Polemil; (jeefen. Mosxkejirski riet Geicieht
(Ulf ein 18h)3 niid JStiö uiiyestelUcs Experiment (HJ02J. l>ef'rnr]itete
und unbefruclitete Eier u:urden in eine Gummilösuny gebraeiil, deren
ConeentratioH den Eiern das ScJnvimmen ermöiilielite, und die in dem-
selben Maße eriiöht uuirde, als die Eier dureli fieiirumpfen ein lüilwres
spexifiscites Geuüciit erlnelten. Dann sollen die befrucliteten Eier sich
von unbefruchteten dadurch unterscheiden, da/1 sie 15 — 30 Minuten
nach Bet/in/f des Experiments „eine Aoideruiu) der Neigung der Eiaclise,
fast immer verbunden mit starker Umdrehung (bis -,u K/O^, um die
Eiaclise" erfiütren. Die erste Wirkung der Befruehtung sei somit eine
neue innere Anordnung des Eimaterials, urelelw keine Folge der Schwer-
kraft sein könne, weil sie vielfich ihi- entgegen erfolge. JcJt habe dieses
Experiment bisher nicht eruäl/nt, weif ich ihm keine Beu:eiskraft bei-
messe. Es lä/)t sich l)ei ihm garniclit aJjselien, in u-elcJier Weise die
das Ei in luJclistem Ma//e schädigende// Diffusions.strÖme — die meisten
Eier gingen vor Eintritt der ZweiteiliDig xu Grunde — anf die Be-
wegungen des Eikörpers einen Einfluß ausüben.
Wenn ich die rieten von B o u x , S c liultxe , Mo s x /-• o u- s k i ,
Morgan und Kathariner gemaritten Experimente uiul Beobach-
tungen überblicke, so komme ich zum Resultat, daß ureder die Schiver-
kraft nocli die BefrncJttung nötig sind, iim dem. Ei die zur Symmetrie-
ent)rirkelun<i des Embrgo nötige Auorduumj der Teile zu verleihen.
Die Möglichkeiten hierxu sirul in dem Ei selbst entludten, wie beson-
ders die Eier der Tritonen zeigen, deren langgestreckte Gestalt, wie wir
sehen werden (cfr. Eifurclning) , in ganz bestimmten Beziehungen zu
den ersten Furch ungsebenoi und der späteren 3Ieridianebene des Eu)-
brgos steht. Das schließt nicht aus, da/j in Helen, vielleicld sogar in
den meisten Fällen, die ScJiwerkraft gleicJiu:ohl in der von Moszko wski
durclufcführten Weise einen umordnenden Einfluß ausübt, durcJi welchen
die Lage des Furcliun gsmer idians neu bestimmt wird, nämlicl) in allen
Fällen, in u-elchen die Verteilung von leichten und scJuveren Bestand -
teilen anfänglicJi der Einwirkung der Schwerkraft tdcht entspriciit.
III. Dipue listen und Granoiden.
Mit Rücksicht auf die große Uebereinstiinmung, welche im Bau der
Eier und im Charakter des Furchungsprozesses zwischen Dipneusteu
und Ganoiden besteht und in dem betreffenden Kapitel eine ge-
meinsame Besprechung beider Gruppen zweckmäßig erscheinen läßt,
mögen sie auch an dieser Stelle vereint abgehandelt werden. Wir
haben hierzu um so mehi' ^'eranlassung. als wir für beide Gruppen
über Reifung und Befruchtung nur sehr spärliche und lücken-
hafte Erfahrungen besitzen. Mark (1890) bildet für Lepidosteus eine
in geringer Entfernung von der Mikropyle gelagerte Richtungsspindel
ab, die nach Lage und Bau mit der Richtungsspindel der Amphibien
übereinstimmt. Die Bildung eines Richtungskörpers (zweifellos des
zweiten) wurde einige Zeit nach der Befruchtung von Bashford Dean
(A. L. III, ö) beobachtet. Salensky (A. L. III. 5. IHSl) hat bei
Sterleteiern verschiedenerlei Befruchtungsstadien (Kopulation von Ei-
und Samenkern) beobachtet. Die Kerne — und so auch später der
542 R. Hertwig,
Furcliungskern — finden sich am Ende einer trichterförniifien Pig-
menteinstülpnng, welche vom Eipol aus in der Längsachse des Eies
in (his Innere eine Strecke weit hineinragt. Ob diese Pigmentstraße
durch das eingedrungene Spermatozoon veranlaßt ist oder der Figure
claviforme der Anureneier zu vergleichen ist, läßt sich bei unseren
dürftigen Kenntnissen nicht entscheiden. — Künstliche Befruchtung
scheint bei allen Ganoiden möglich zu sein, sie wurde thatsächlicli
durchgeführt von Bashford Dean bei Lepidosieus und von Salensky
und Ryder bei Äcipenseriden; bei Bipneusten wurde sie nicht versucht.
Wie in der Natur die Befruchtung vollzogen wird, ist noch immer
unbekannt. An Laichplätzen, die bei Amia nestartig zurecht gemacht
werden, drängen sich Männchen und Weibchen der Ganoiden eng zu-
sammen (FüLLEBOKN 1894, Bashford Dean A. L. III, 5, 1896, 1902).
Wahrscheinlich werden die Eier wie bei den Knochenfischen im Moment
der Entleerung im Wasser befruchtet. Sie kleben dann an Steinen und
Wasserpflanzen einzeln fest. Eine besondere Klebscliicht scheint nicht
vorhanden zu sein ; vielmehr gewinnt die Zottenschicht des Eies im
Wasser eine klebrige Beschaffenheit. Bei Lepidosteus und Amia bewachen
die Männchen die abgelegten Eier und eine Zeit lang auch die junge
Brut. Ueber die Befruchtung bei Dipneusten wissen wir nichts, wahr-
scheinlich erfolgt sie wie bei den Ganoiden. Lejndosiren (Graham Kerr
A. L. III, 6) baut eine Art Nest, einen mehrere Euß langen Gang, ähn-
lich demjenigen, der zur Zeit der Dürre in den Schlamm gebohrt und
als Aufenthaltsort benutzt wird, immerhin aber von ihm im Aussehen
verschieden. In ihm bewacht das Männchen die abgelegten Eier. Das
erst in letzter Zeit von Budgett (1901) gefundene Nest von Protoptenis
wird abseits von einem Tümpel und mit demselben durch einen Kanal
verbunden errichtet. Ceratodus (Semon A. L. III, 6, 1893) legt die Eier
einzeln an geeignete Laichplätze.
IV. Teleostier.
Mit den TeJeostiern beginnen wir die Reihe der Wirbeltiere mit
meroblastischen Eiern. Freilich unterscheiden sich ihre Eier von den
übrigen meroblastischen Eiern in ganz auffälliger Weise; sie sind un-
verhältnismäßig klein und dotterarm und messen etwa so viel Milli-
meter wie die Eier der Haie, Beptilien und Vögel Centimeter. Nach
ihrer Größe sollte man eine totale, wenn auch stark inäquale Furchung
erwarten. Am besten läßt sich dies klar machen , wenn man die
Eier der Teleostier und die der Amphibien, Dipneusten und Ganoiden
nach ihrer Größe vergleicht; ich gebe, um dies zu erläutern, eine
kurze Uebersicht einiger in der Litteratur vorliegender Maße.
a) Teleostier.
Serramis scriba (Hofmann) 0,8 mm
Heliasis chroinis (Hofmann) 0,85 „
Gasterosteus aculeaüis (Kupffer) 0,9
Creuilabrus tinca (List) 0,9 „
Ctenolabrus sp. (Agass. Whitman) 0,9 „
Ostseehüring (Kupffer) 0,9—1,0 „
Nordseehäring (Boeck) 1,5 „
„ (FULTON) 1,18 „
Platessa platessa (Tulton) 1,2 „
Gadus morrhua (Ryder) 1,3 „
Eireife und Befruchtung. 543
Perca fluviatilis (His) 1,4 mm
Trutta fario (Blanc) 4—5 „
h) Amphibien, Ganoiden, Uipneusten.
Bufo lentiginosiis (King) 0,6 — 1,5 „
Pelob fites fusciis (Bambeke) 1,5 ,,
Raiia temporaria 2,0 „
Tritonen (Ebener) 1,6—2,0 „
Salnmandra maculosa (Grönroos) 3,5 — 5 „
Nototrciiia fissipes (Weinlaxd) 10 „
AcipeHser rutkeniis (Salexsky) 2,0 „
Ceratodus Forster i (Semon) 2 — 3 „
Lepidosteus osseus (Dean) 3 — 5 .,
Protopf erus annectens (Graham Kerr) 3,5 — 4,0 ,,
Lepidosiren paradoxn (Graham Kerr) 6,5 — 7,0 „
Wenn trotzdem bei keinem Teleostier, soviel wir wissen, inäquale
Furchung vorkommt, so hat das seinen Grund darin, daß mehr als
bei irgend einem anderen Wirbeltier das formative Protoplasma von
dem Nahrungsdotter geschieden ist und sich zu einer scharf abge-
grenzten Keimscheibe am animalen Pol des Eies sammelt. Für diese
Scheidung ist Eireife und Befruchtung, auf die wir nunmehr eingehen,
von der größten Bedeutung.
Am Ei eines Teleosüers haben wir vornehmlich drei Bestandteile zu
unterscheiden: Deine dünne Ptiudenschicht, 2) den Keim, im wesent-
lichen eine Verdickung der Rindenschicht, 3) die von Keim und Ptiuden-
schicht umschlossene Dottermasse.
Die Rinde n Schicht bildet an den meisten Punkten der Ei-
oberfläche eine äußerst dünne Lage, welche von vielen Forschern, so
z. B. von Oellacher, für eine Dottermembran gehalten wurde; sie
enthält meist gefärbte Oelkugeln, welche die verschiedenartige Färbung
des Eies bedingen. Während sie bei jungen Eiern mit Fortsätzen
in die unterliegende Dottermasse eingreift, ist dies beim reifen, be-
fruchtungsfähigen Ei bei der überwiegenden Mehrzahl der Fische
nicht mehr der Fall. Vielmehr liegt die Dottermasse in ihr wie in
einem Sack, was an die Anordnung des Fettes innerhalb der Fettzelle
erinnert, ein Vergleich, der auch wiederholt gezogen worden ist.
Die Keim Scheibe zeigt bei den einzelnen Arten ein sehr ver-
schiedenes Verhalten. Ich schildere zunächst im Anschluß an Behrens
(1898) den Zustand vom Ei der Salmoniden, welcher für die meisten
Fische Geltung zu haben scheint. Beim abgelegten, aber unbefruchteten
Ei ist hier die Keimscheibe zwar schon vorhanden, aber wenig ausgeprägt;
sie ist eine Lage von geringer Dicke, welche allmählich in die Rinden-
schicht übergeht. Durch die Befruchtung wird ein Wechsel hervorgerufen,
indem am Keimpol eine enorme Vermehrung des Protoplasmas eintritt,
so daß schließlich die Dicke der Scheibe wohl auf das 6— 7 fache der
ursprünglichen Dicke angewachsen ist. Gleichzeitig verkleinert sich der
Radius der Keimscheibe; ihre Ränder setzen sich von der Umgebung
schärfer ab, schließlich sogar mittelst einer ringförmigen Furche. Am
Ende der Befruchtungsperiode ist die Keimscheibe ein dickes Polster,
welches sich steil einerseits über die Oberliäche des Dotters empor-
wölbt, andererseits in eine Vertiefung desselben eingebettet ist (Fig. 189).
Es giebt nun Eier, bei denen vor der Befruchtung die Keimscheibe
noch gar nicht differenziert ist. Ein derartiges Beispiel ist das
Heringsei (Kupffer 1878, Bambeke A. L. III, 4), für welches nament-
lich Brook (1886) angiebt, daß vor der Befruchtung das Protoplasma
noch durch den ganzen Dotter verbreitet ist und sich erst ganz all-
544
R. Hertwig.
mählich nach dei- Befniclitung aus dem Innern nach dem Mikropylpol
des Eies sammelt. Andererseits giebt es Eier, l)ei denen schon sehr
frühzeitig eine deutliche Keimscheibe entwickelt wird. Am auffälligsten
scheint dieselbe bei folgenden Formen schon längere Zeit vor der Be-
fruchtung aufzutreten : i?/«cca (C. E. V. Baer ISoö), Thymallus vulgaris
/V
^^
X
2
"'*-)('>■„
'A-^-f^j^
Fig. 1<S9. Querschnitte durch die Keimscheibe des Forelleneies auf verschiedenen
Stadien der Entwickelung, 1 20 Minuten, 2) 3 Stunden 20 Minuten, 3) 5 Stunden
45 Minuten, 4) 7 Stunden 15 Minuten nach der Befruchtung, c Spermastrahlung.
(Nach Behrens.)
(His, Ransom A. L. III, 4), Tinea vulgaris, Lota vulgaris (van Bam-
beke). Da es sich bei der vorliegenden Frage um graduelle Unterschiede
handelt, ist es begreiflich, daß selbst für dieselben Arten die Angaben
verschiedener Autoren voneinander abweichen. So vermißt Lere-
BOULLET (A. L. III, 4, 1854) die Keimscheibe vor der Befruchtung
beim Hecht und Barsch, während His (1873) sie für den Hecht au-
giebt. Selbst für den Hering, dessen Ei oben auf Grund der meisten
Angaben als Typus eines Eies ohne Keimscheibe vor der Befruchtung
aufgestellt wurde, nimmt Hoffmann (A, L. III, 4) eine, wenn auch
schwach ausgeprägte, Keimscheibe an. (Viele Angaben über diese
Verhältnisse macht Ryder, A. L. III, 4, 1884).
Die Frage wird noch durch einen weiteren Umstand kompliziert :
es ist offenkundig, daß wenigstens für viele Eier, man kann sogar
sagen für die meisten, schon in der Uebertragung in das Wasser ein
kräftiger Anreiz gegeben ist, welcher die Konzentration der Keimscheibe
veranlaßt. So wurde es für Crenilahrus pavo (List A. L. III, 4), Hecht
(Kupffer, Lereboullet), Corregonus palaea (C. Vogt), beobachtet,
während das Ei des Herings beim Liegen im Wasser zwar eine Zunahme
der Rindenschicht (Brook) aber selbst nach stundenlangem Liegen im
Wasser keine Differenzierung der Keimscheibe erkennen läßt (Kupffer,
Brook). Alle Autoren stimmen aber darin überein , daß in den
Fällen, in denen das Liegen im Wasser auf die Bildung der Keim-
scheibe einen Einfluß ausübt, der Prozeß viel rascher und energischer
Eireife und Befruchtung. 545
'to
verläuft und ein höheres Maß erreicht, wenn Befruchtung zuvor ein-
getreten ist. Daß aucli bei l)efruchteten Eiern die Konzentration der
Keimscheibe relativ spät ihren Höhepunkt erreicht, lehren die p]rfah-
lungen, daß beim Hering dieser Zeitpunkt erst mit 2 Stunden, bei der
Forelle sogar mit 7—8 Stunden eintritt.
Ueber die Herkunft des die Keim Scheibe liefernden
Pi'otoplasma sind die Untersuchungen ebenfalls noch nicht zum
vollkommenen Abschluß gediehen. Als sicher kann nur das F.ine
gelten, daß die Hauptmasse präformiert ist und aus anderen Teilen
des Eies herbeiströmt. Die Befruchtung löst daher lebhafte Bewegungs-
erscheinungen im Ei aus : man kann das Rindenprotoplasma in dicken
Strängen nach dem Keimpol Hießen sehen. Oft bewegen sichKontraktions-
welleu über die Oberfläche des Eies. Beim Stichlingsei konnte ich
verfolgen, wie das Ei sich in der Richtung des Keimscheibenjtols
streckt, wie es dann sich sanduhrförmig einschnürt, die Schnürfurche
nach dem Keimscheibenende vorwärtsschreitet, so daß dieses sich zu-
spitzt, bis schließlich das Ei in nahezu Kugelgestalt zur Ruhe kommt.
Dabei kann vorübergehend bei manchen Arten auch eine scheiben-
förmige Ansammlung von Protoplasma an dem der Keimscheibe
gegenüberliegenden Ende des Eies, dem Gegenpol, zu stände kommen
(KuppFER 1878) sie ist aber stets nur vorübergehender Natur. Sehr
häufig werden die besprochenen Erscheinungen von langsamen Oscilla-
tionen der gesamten Eizelle innerhalb des Chorions begleitet; das obere
Ende beschreibt dabei größere und kleinere Kreise (His). Ist bei
Forellen (Oellacher, Henneguy)
die Keimscheibe einmal gebildet, so ö b
erheben sich auf ihr unregelmäßige \^ ;
Höcker und Wülste, welche nach kur-
zem Bestand schwinden, um durch
andere ersetzt zu werden (Fig. 190). ^^^^^^^^^^^^»s-
Eine Folgeerscheinung der be- ^'
schriebeuen Protoplasmabewegungen ist
der ,,disque huileux'" Lereboullet's,
eine Anhäufung von Fetttröpfchen
unter der Keimscheibe, welche von
dem zusammenströmenden Protoplas-
ma mitgeschleppt werden.
.<~* ,. «;.
w ~
Fig. 190. Oberfläche des Forelleneies kurz
nach der Befruchtung, schwach vergrößert.
a Keimscheibe in amöboider Kontraktion, b
Dotter. (Nach Oellacher). a
Vielleicht entsteht aber die Keimscheibe nicht nur durch Zu-
sammenströmen des vorhandenen Protoplasma, sondern auch durch
Bildung neuen Materials, welches durch E i n s c h m elzen desDotters
erzeugt ward. Infolgedessen treten Erweichungsfiguren mannigfacher
Art im Innern des Dotters und unter der Keimscheibe auf, wie solche
besonders von Kupffer und Brook für das Heringsei geschildert
wurden.
Wir haben noch eine Anzahl weiterer Erscheinungen zu besprechen,
die in analoger Weise wie Bildung und Fertigstellung der Keimscheibe in
manchen Fällen ausschließlich durch die Befruchtung, in anderen Fällen
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 35
546 R. Hertwig,
schon (luic'li die Uebertragung in das Wasser, ^s enn auch in einer weniger
ausgesprochenen Weise, hervorgerufen werden. Während Ovarialeier
vom Chorion dicht umschlossen werden, bildet sich später der Schalen-
rauni aus, die „breathing Chamber^' Ransom's, ein Raum, innerhalb
dessen der Eidotter sich frei bewegen kann. Zwei Momente spielen
hierbei eine Rolle. Die Dotterkugel kontrahiert sich, indem sie wahr-
scheinlich Substanzen (PerivitellinV Gallerte V) entleert; umgekehrt
wird das Chorion durch Eindringen von Flüssigkeiten gebläht. So
kommt es, daß das Ei als Ganzes sich vergrößert, die eigentliche
Dotterkugel dagegen kleiner wird. Beim Heringsei fand Kupffer das
Ei vor der Befruchtung in einem Fall 0,9, in einem anderen 1,0 mm
groß, nach der Befruchtung dagegen das Ei selbst auf 0,85:0,92 resp.
0,97:0,92 mm verkleinert, die Schale dagegen auf 1,2 resp. 1,29 mm
vergrößert. Das gesamte Ei erfährt durch die Flüssigkeitsaufnahme
eine Gewichtszunahme, welche von Henneguy (A. L. III, 4, 1888)
für das Forellenei bestimmt wurde : 127 mg vor der Befruchtung,
132 mg einige Zeit nach der Befruchtung.
Sehr bemerkenswert ist endlich die Aufhellung der
Dotter kugel, welche bis zu einem gewissen Grad bei allen Eiern
eintritt, in ganz besonders auffälliger Weise sich an den marineu
pelagischen Eiern äußert. Diese werden vollkommen w^asserklar und
so durchsichtig, daß sie im Wasser schwer wahrnehmbar sind. Die
Aufhellung erfolgt bei manchen Eiern, z. B. von Älosa nur nach der Be-
fruchtung, bei anderen, z. B. Gndus unabhängig von ihr (Ryder). Die
Ursache ist im Zusammenfließen der Dotterstttcke in eine einzige
zusammenhängende homogene Kugel gegeben. Dieses Zusammenfließen
wird offenbar dadurch ermöglicht, daß Protoplasmastränge, welche ur-
sprünglich sich im Dotter ausbreiteten, sich aus ihm nach der Keim-
scheibe zurückziehen. Auch werden die feinen Körnchen gelöst, bei
den pelagischen Eiern von Ctenolabrus, wie Agassiz und Whitman
(1889) beobachteten, schon w^enige Sekunden nach Uebertragung des
Eies in das Wasser. Innerhalb der einheitlichen Dottermasse findet
sich bei den meisten pelagischen Eiern eine einzige große Oelkugel,
seltener mehrere kleinere gesondert. Diese Oelkugeln liegen am Gegenpol
und sind Ursache einer sehr auffälligen Erscheinung. Wie bei allen
übrigen dotterreichen Wirbeltiereiern sind auch die Fischeier in der
Regel so orientiert, daß der protoplasmareichere Hauptpol nach aufwärts
gewandt ist. Alle mit einer Oelkugel versehenen pela-
gischen Eier s c h w i m m e n d a g e g e n umgekehrt, die K e i m -
Scheibe nach abwärts. Selten findet sich diese vom gewöhn-
lichen Verhalten abweichende Gleichgewichtslage auch bei Eiern ohne
Oelkugeln, so bei Dorscheiern (Ryder).
Eine andere Erklärung der merkwürdigen Aufhellung der Teleostier-
eier giebt Fulton (1898). Nach ihm soll die Aufhellung noch innerhalb des
Ovariums ausschließlich durch Flüssigkeitsaufnahme erfolgen, was die
Dotterkugeln, das innerhalb der Rindenschicht befindliche Protoplasma (!)
und sogar das Keimbläschen (!!) auflöse. Bei Eiern, die am Boden oder
an Wasserpflanzen abgesetzt werden (z. B. von Clupea harengus, Cyclojyterus
■lumpus, Cottus scorpius, Lopliius piscator-ius), sei die Wirkung nicht so
energisch wie bei den glashell durchsichtig werdenden Eiern der Pleuro-
nectiden u. a. Die Folge der Wasseraufnahme sei eine enorme Volums-
zunahme der Eier, bei Platcssa platessa von 0,9 auf 2,4 cbmm, bei Gadus
aeglefinus von 0,53 auf 1,6 cbmm, G. morrhua von 0,38 auf 1,37 cbmm,
Eireife und Befruchtung. 547
Rhombus maximus von 0,18 auf 0,55 cbmm, Hippoglossus vulgaris von
8,2 auf 28,7 cbmm. Durch das Anschwellen des Eies werde das Chorion
ausgedehnt und in ein dünnes Häutchen verwandelt. Ferner vermindere
sich das specifische Gewicht des Eies. Das Schwimmen der pelagischen
Eier sei auf diesen Umstand zurückzuführen.
Solange der Schalenraum noch nicht entwickelt ist, liegt die
Mikrop3'le über dem Centruni der Keim Scheibe. Diese genaue Orien-
tierung hört auf, wenn Flüssigkeit durch das Chorion eindringt und
dem Ei gestattet, sich innerhalb seiner Hüllen und unabhängig von
ihnen frei zu bewegen.
Die Befruchtung derTeleostiereier erfolgt, abgesehen
von den lel^endig gebärenden Formen (Zoarces viviparus) , außer-
halb des mütterlichen Organismus im Wasser, woraus sich die Mög-
lichkeit der künstlichen Befruchtung ergiebt. Bei den Experimenten
über die beste Art der Handhabung derselben haben sich merk-
würdige, in ihrer physiologischen Bedeutung noch unverständliche
Erscheinungen herausgestellt. Die S p e r m a t o z o e n der Knochen-
fische sind innerhalb der Hoden und deren Ausführ-
wege unbeweglich; erst wenn sie ins Wasser übertragen werden,
beginnen sie beweglich zu werden und herumzuschwimmen. Die
Zeit ihrer Aktivität ist aber, wie schon Quaterfages fand, äußerst
kurz: die Spermatozoen der Forelle stellen schon nach
30 Sekunden ihre Bewegungen ein und sind dann zum Be-
fruchten nicht mehr brauchbar; selten ist es, daß Fischspermatozoen
viele Minuten am Leben bleiben. Henneguy (A. L. III, 4, 1888)
bestimmte die Dauer der Beweglichkeit beim Sücldinq auf 30 Mi-
nuten, ich selbst auf '^j^ Stunden. Für die künstliche Befruch-
tung hat sich daher am zweckmäßigsten das sogenannte „trockene
Verfahren'' erwiesen : man benutzt Eier und Samen zunächst ohne
Wasserzusatz ; erst nachdem man den Samen vorsichtig mittelst einer
Gänsefeder über die Eier verbreitet hat, setzt man Wasser zu. Unter
diesen Bedingungen werden nahezu alle Eier befruchtet. Wenn man
dagegen erst Samen und Eier mit Wasser versetzt und dann durch-
einander mengt, bleiben zahlreiche Eier — meist etwa 30 Proz. — un-
befruchtet. Da die Befruchtung in der Natur voraussichtlich unter
ähnlichen Bedingungen vor sich geht, ist zu vermuten, daß auch hier
viele Eier unbefruchtet bleiben.
Ueber die Dauer der Befruchtungsfähigkeit bei den
Eiern liegen wenige und zum Teil widersprechende Angaben vor.
KuPFFER (A. L. III, 4, 1878) konnte Heringseier noch nach 24-stüu-
digem Aufenthalt im Meeres wasser befruchten. Dagegen sind nach
Henneguy (A. L. III, 4, 1888) die Eier der i^ör^//e bei Aufbewahrung
im Wasser schon nach 30 Minuten nicht mehr befruchtungsfähig, wäh-
rend sie in feuchter Luft 2 3 Tage aufbewahrt werden können, ohne
daß eine normale Entwickelung dadurch unmöglich würde.
Ueber die Reifungs- und Befruchtungs Vorgänge selbst
sind wir auf wenige Arbeiten angewiesen, welche in vielen Punkten
voneinander abweichen, was bei den Schwierigkeiten, mit denen die
Untersuchung zu kämpfen hat, verständlich ist. Vollkommen unbekannt
ist die Umbildung des Keimbläschens in die Richtungsspindel ; sie wird
sicherlich noch innerhalb des Ovariums eingeleitet, da die der Bauch-
höhle entnommenen Eier höchstens noch geschrumpfte Reste des Keim-
35*
548 R. Hertwig,
bläschens mit einem Haufen von Chromosomen enthalten (Blanc 1894),
Abgelegte Eier zeigen eine in den Eiradius eingestellte Spindel, von
welcher alle Forscher anneh in en, daß sie die erste
Richtungsspindel sei. Wenn sich diese Annahme als richtig er-
weisen würde, würden die Knochenfische eine Ausnahmestellung unter
den Wirbeltieren einnehmen. Denn da sofort nach der Eiablage auch die
Befruchtung eintritt, würden die Spermatozoen in das Ei eindringen,
ehe noch der erste Richtungskörper abgeschnürt wurde, während bei
den übrigen Wirbeltieren , deren Eireife bisher genauer untersucht
worden ist, die Spermatozoen zur Zeit der zweiten Richtungssi)indel
die Befruchtung bewirken. So ist es selbst bei Fetromyzon und
Amphioxus, welche sich noch am ehesten mit den Teleostiern vergleichen
lassen, da ihre Eier bei der Entleerung nicht lange, dem Urogenital-
system entstammende Eileiter zu passieren haben.
Nun ist ja die Möglichkeit, daß die Eireife der Teleostier im Ver-
gleich zu den übrigen Wirbeltieren verspätet eintritt, nicht ohne weiteres
von der Hand zu weisen. Giebt es doch auch wirbellose Tiere, wie die
viel untersuchten Ascariden, bei denen sogar die Umwandlung des Keim-
bläschens in die Richtungsspindel erst nach dem Eindringen des Sper-
matozoon vor sich geht. Indessen ist zu beachten, daß wir noch
immer über Reifung und Befruchtung der Teleostiereier ungenügend
unterrichtet sind.
Ueber die Vorstadien der Eireife bei Teleostiern fehlt es leider ganz
an methodischen Untersuchungen. Auch die ausführlichste Arbeit auf
diesem Gebiet, welche wir Cunningham verdanken (1898) ist zu iinvoll-
ständig; man kann aus ihr nur entnehmen, daß bei Teleostiern sich ähn-
liche Vorgänge abspielen wie bei Arnpliibien und Selachiern, dagegen
liefert sie keine Ergänzung zu dem, was wir von den genannten beiden
Gruppen wissen. — In den jüngsten Eiern von Pleuronediden konnte
CuNNiNaHAM ein Kernnetz mit einem großen ISTucleolus, später noch mehrere
kleinere Nucleoli nachweisen. Letztere waren chromatisch, das Kernnetz
achromatisch; doch rechnet Cuxxixgham mit der Möglichkeit, daß genauere
Untersuchungen vielleicht noch Andeutungen von Chromosomen, wie sie
RüCKBRT für Elasniobranchier, Born für Amphibien beschrieben hat, nach-
weisen werden. Eier welche etwa ^/g der definitiven Größe erreicht haben,
besitzen Keimbläschen mit zahlreichen chromatischen Nucleoli, doch finden
sich auch um diese Zeit schon Zustände, auf denen das Centrum des Keim-
bläschens von einem besonderen Bezirk eingenommen wird, in welchem
ein Teil des Chromatins zu Fäden oder einem Netzwerk angeordnet ist.
Untersucht man Eier aus Ovarien, welche in der letzten Reife begriffen
sind, so trifft man die Nukleolen — offenbar auf der Wanderung nach
dem Centrum begriffen — in den tieferen Schichten des Keimbläschens,
oder anstatt ihrer, und, wie Cunningham mit Recht vermutet, aus ihnen
entstanden chromatische Stränge und Schleifen. Alles in Allem genommen
sprechen diese Beobachtungen zu Gunsten Carnoy's und Lebrun's, daß
die Nukleolen sich in chromatische Schleifen umwandeln und daß dieser
Umbildungsprozeß unter periodischer Neubildung von Nukleolen sich
mehrfach wiederholt.
Der Entdecker der Richtungsspindel nicht nur bei Teleostiern,
sondern bei Wirbeltieren überhaupt, Hoffmann (A. L. III, 4, 1881), dessen
Resultate von Kingsley und Conn (1883) bestätigt wurden, hat nur eine
Richtungsspindel beobachtet; er giebt an, daß der am peripheren Ende
Eireife und Befruchtung. 549
der Spindel entstehende Richtungskörper bei Fischen mit engem Schalen-
raum {Julis, Scorpaena) durch die Mikropyle eliminiert werde, während
er bei weitem Schalenraum unterhalb des Chorion verbleibe (Heliasis).
Ob noch ein zweiter Richtungskörper gebildet wird, läßt Hoffmann unent-
schieden. Agassiz und Whitman (A. L. III, 4, 1885) sahen bei Ctenolabrus
den ersten Richtungskörper 10 Minuten nach der Besamung entstehen, nur
wenige Minuten später den zweiten; beide verblieben innerhalb des Cho-
rion. Auch bei der Forelle würde den Angaben Blanc's (1894) zufolge
der erste Richtungskörper sofort nach der Befruchtung entstehen, der
zweite dagegen 1^/^ Stunden später. Wesentlich anders lautet die Dar-
stellung Boehm's (1891), welcher ebenfalls das Ei der Forelle aber mit der
viel zuverlässigeren Schnittmethode untersucht hat. Nach Boehm würde
der erste Richtungskörper 1 Stunde nach der Besamung gebildet werden,
nachdem schon ^/^ Stunde vorher der Spermakern in der Eirinde
bemerkbar geworden war ; nach 20 weiteren Minuten würde sich der
zweite Richtungskörper abschnüren. Behrens (1898), der auch die
Schnittmethode anwandte, hat die Bildung des ersten Richtungskörpers
nicht gesehen, auf einem Stadium von 20 Minuten nach der Besamung
läßt er aber schon die zweite Richtungsspindel entwickelt sein, deren
Teilung mit 1 Stunde 45 Minuten abgeschlossen wäre.
Wie man sieht, herrscheu zwischen den einzelnen Darstellungen
der Eireife nicht geringe Differenzen selbst für dasselbe Objekt.
Vielleicht erklären sich diese namentlich die Bildungszeit des ersten
Richtungskörpers betreffenden Unterschiede durch die Annahme , daß
die Abschnürung des ersten Richtungskörpers, wenn sie auch nach der
Besamung eintritt, gleichwohl unabhängig von derselben vor sich geht
und ausschließlich von dem Reifezustand der Eier abhängt, welcher bei
dem zur künstlichen Befruchtung benutzten Material nicht immer der
gleiche sein wird. Damit wtirde sich auch erklären, daß die Bildung
des ersten Richtungskörpers vollzogen wird, auch wenn die Befruchtung
unterbleibt (Hoffmann).
Ueber die Struktur der Spindel machen Hoffmann und Blanc
ähnliche Angaben: die Spindeln seien beiderseits zugespitzt, ihre Enden
Ausgangspunkte deutlicher, allseitig entwickelter Strahlungen. Diese
Darstellung ist wenig wahrscheinlich. Offenbar sind auch die Richtungs-
spindeln der Teleostier von tonnenförmiger Gestalt (Agassiz und Whit-
man, Boehm, Sobotta, Behrens). Von ihren breiten Enden erstrecken
sich wie beim Amphioxus (cf. p. 494, Fig. 160) Protoplasmastrahlen, aber
nur einseitig, nach dem Aequator der Spindel zu; sie werden daher von
Sobotta und Behrens nicht unter die Asteren gerechnet, sondern als
Teile einer Mantelspindel gedeutet. Da die Fäden sich im Proto-
plasma verlieren und sich nicht an Chromosomen befestigen, ist es wohl
richtiger, von einseitig entwickelter Polstrahlung zu sprechen.
Ueber den Befruchtiiiig'syorg-aiig- wissen wir durch Boehm
und Behrens genügend, um sagen zu können, daß er den Verlauf
einer gewöhnlichen monospermen Befruchtung nimmt. Solange der
erste Richtungskörper noch nicht gebildet ist, verharrt der Sperma-
kopf unverändert ohne Strahlung in der Rinde des Eies. Später tritt
Strahlung auf, und zwar noch ehe sich die das Mittelstück nach
vorn schiebende Drehung entwickelt hat. Im Mittelstück ist frühzeitig
das Centrosoma als ein kleines Korn erkennbar. Während der Sperma-
kern in die Tiefe rückt, nimmt die Strahlung stark zu. so daß sie
550 R. Hertwig,
mit ihren Enden bis zur OberÜäche des Eies reiclit. Später teilt sich
das Centrosonia und nach einiger Zeit darauf auch die Strahlung.
Inzwischen ist auch der zweite Richtungskörper gebildet worden.
Die zunächst noch mit demselben durch einen Strang der Central-
spindel verbundenen Chromosomen des zukünftigen Eikernes ballen
sich zu einem Haufen von Bläschen zusammen (Ovomeriten) und
erzeugen schließlich den Eikern. Daß letzterer eine Strahlung ähnlich
dem Spermakern besitzt (Blanc), ist sehr unwahrscheinlich; sehr viel
wahrscheinlicher ist es, daß er ohne Centrosoma und ohne Strahlung
in die tieferen Schichten der Keimscheibe hinabrückt (Boehm, Beh-
rens) und hier mit dem Spermakern verschmilzt. Zu den Angaben
über Strahlung am Eikern haben wahrscheinlich Verwechselungen mit
einem zweiten eingedrungenen Spermatozoon Veranlassung gegeben.
Die verdoppelten Centrosomen und Strahlungen des Spermacentrums
bilden die Pole der Furchungsspindel, welche entsteht, wenn beide
Geschlechtskerne verschmolzen sind. lieber die Chromosomenzahl der
Richtungsspindel giebt Behrens für die Forelle an, daß sie 12 beträgt,
was für die Furchungsspindel die Zahl 24 ergeben würde. Nach
Boehm wäre die Zahl der Chromosomen nur halb so groß.
Die deutliche Sonderung der Keimscheibe vom unterliegenden
Dotter, welche infolge der Befruchtung auftritt, wird nach den An-
gaben von Behrens noch gesteigert durch eine „Membran'', welche
sich zwischen dem den Nahrungsdotter umhüllenden Protoplasma, dem
P er i blast und der Keimscheibe ausbildet und der Form der letzteren
entsprechend convex nach abwärts gewölbt ist. Unzweifelhaft ist dies
dieselbe Struktur, welche wir schon bei P etromyzon kennen gelernt
und auf eine Modifikation (Verdichtung) des Protoplasma zurückgeführt
haben (Fig. 165 p. 50T).
V. Elasmobraiichier.
' Unter allen Wirbeltieren stehen die Elasmohranchier in der Be-
schaffenheit und Entwickelungsweise ihrer Eier den Saaropsiden am
nächsten. Ihre Eier rivalisieren in Bezug auf ihre Größe mit den
Eiern der Vögel, sie werden wie diese im oberen Abschnitt des Oviducts
befruchtet und machen beim Passieren desselben einen Teil ihrer Ent-
wickelung durch. Die Elusmohrnnchier sind daher niemals ovipar im
strengsten Sinne des Wortes, sondern zum mindesten ovovivipar, in-
sofern das nach außen hervortretende Fortpflanzungsprodukt nicht mehr
eine Eizelle ist, sondern eine wenn auch oft wenig entwickelte Embryonal-
anlage enthält. Wie bei manchen Bfpülien, geht auch bei vielen Elasmo-
brnnchiern die Ovoviviparität in Viviparität über; man kann sogar sagen,
daß die meisten Haie und ein großer Teil der Rochm lebendig gebärend
sind. Ihre Tragezeit ist meist außerordentlich lang, bei Pristiurus nach
Bashford Dean 9 Monate, bei Scyllium 7 Monate.
Wie früher auseinandergesetzt wurde, besteht das abgelegte
Selachierei aus dem Ei im engeren Sinne (dem äußerst weichen
Dotter), einer umhüllenden Eiweißschicht und einer nach außen ab-
schließenden, gefärbten Schale. An dem Ei im engeren Sinne unter-
scheidet man die Keimscheibe, welche nur feinste Dotterkörnchen
enthält, und den die Hauptmasse bildenden Nahrungsdotter.
Zwischen Keimscheibe und Nahrungsdotter ist eine Uebergangsschicht
eingeschoben, welche unter der Keimscheibe eine dünne Lage, den
Keimboden, bildet und im Umkreis der Keimscheibe sich zum
Eireife und Befruchtung.
551-
Keim wall verdickt. Vom Keimboden erstreckt sich eine cylindrisclie
Masse feinkörnigen Dotters nach dem Eicentrum zu; sie umschließt
da, wo sie unter der Keimscheibe beginnt, eine Anhäufung grobkörnigen
Dotters, den Dotter sockel.
Fig. 191. Schematischer Querschnitt
durch die Keimscheibe und den angrenzen-
den Dotter eines Selachiereies nach
EtJCKERT. W Keimwall, B Keimboden,
31 Cyhnder feinkörnigen Dotters, der nach
dem Eicentrum vordringt.
In der Keimscheibe eingeschlossen liegt das Keimbläschen.
Diese obeitlächliche, stark excentrische Lage erklärt Rückert aus der
Art der Dotterablagerung, welche vorwiegend einseitig vom Keim-
bläschen in den inneren Partieen der Zelle vor sich gehe. Kast-
SCHENKO nimmt dagegen eine sich relativ spät vollziehende Lage-
veränderung an : im wachsenden Ei soll das Keimbläschen zunächst
seine centrale Lage beibehalten und erst spät, wie bei den Amphibien,
behufs Eireife an die Oberfläche emporsteigen.
In seiner Struktur und seinen Umgestaltungen erinnert das Keim-
bläschen an das Keimbläschen der Amphibien. Nach den genauen
Darstellungen Kastschenko's (1890) und vor allem Rückert's (1884,
1888), welche in vielen Punkten mit Born's Angaben für das Am-
phibienei übereinstimmen, sind distinkte Chromosomen in der ganzen
Zeit, in welcher das Urei zu seiner definitiven Größe heranwächst, er-
kennbar; ihre Zahl stimmt mit der Zahl der in Gewebszellen vorhandenen
Chromosomen überein (nach Rückert bei Pristiurus 30 — o6). Wahr-
scheinlich sind sie identisch mit den Elementen der Seitenplatten (des
Dispirems), welche während der letzten karyokinetischen Teilung der
Ureier entstanden waren; sie haben wahrscheinlich schon im Stadium
des Dispirems eine Längsspaltung erfahren, welche bis in die Zeit der
Eireife Bestand hat (Fig. 192). Beim Wachstum des Eies und dem eben-
falls anfangs sehr lebhaften, später sich verlangsamenden Wachstum des
Keimbläschens werden die Chromosomen enorm groß, verlieren allmäh-
"■ tr '"s^'-^y i ff
.^*^'
/
Fig. 192. Fig. 193.
Fig. 192. Schnitt durch ein Einest des Ovarium von Scyilium canicula. a und
h Tochterknäuel von Ureiern. (Nach Rückert.) ,
Fig. 193. Keimbläschen eines jungen Ovarialeies von Pristiurus, Chromosomen
nur als marmorierte Züge erkennbar. (Nach Rückert.)
552 R. Hertwig
lieh aber ihre Färbbarkeit, so daß man sie vorübergehend kaum noch
wahrnehmen kann ; sie sind dann noch am besten mit schwachen Ver-
größerungen als marmorierte Züge oder undeutliche Bänder im achroma-
tischen Kerngerüst zu erkennen (Fig. 193). Später (Fig. 194) gewinnen
sie ihre Färbbarkeit wieder und nehmen dabei die aufgelockerte Struktur
an, welche bei den Eiern der Amphibien Veranlassung war, die Chro-
mosomen mit Flaschen- oder Cylinderbürsten zu vergleichen (s. p. 262
Fig. 83, 84). Die Struktur kommt dadurch zustande, daß die einzelnen
Körner der Chromosomen (dieMikrosomen) zu schleifenartig gewundenen
Fäden auswachsen, welche, von der Achse eines Chromosoms beginnend,
radial nach außen verlaufen, um bald im Bogen umzukehren und nach der
Chromosomenachse zurückzulenken. Um diese Zeit kann man sehr deut-
lich die paarige Gruppierung der Chromosomen erkennen, welche durch
die erwähnte frühzeitig eingetretene Längsspaltung verursacht wurde;
zwei zusammengehörige Paarlinge schlingen sich umeinander oder
kreuzen sich mehrfach in ihrem Verlauf.
Eine rückläufige Umbildung der Chromosomen tritt ein, wenn
das Ei sich seiner definitiven Größe nähert; sie nehmen rapid an
Länge ab, schrumpfen zunächst auf Vio t^^r ihnen früher zukommenden
Maximallänge, schließlich sogar auf '/«o und noch weniger; in gleichem
Maße werden sie wieder intensiv färbbar und wandeln sich in feine,
scharf gezogene Fäden um, welche zuletzt zu gedrungenen Stäbchen
zusammenschrumpfen (Fig. 195). Waren sie früher mit Ausnahme der
Rindenschicht durch das ganze Keimbläschen zerstreut, so drängen
sie,! sich jetzt zu einem engen Knäuel im Centrum zusammen. Ferner
■ O O ^
•■P.OOO Q
k-
■/
/ V
1 f"'^"- ■
Fig. 194. Querschnitt durch das Keimbläschen eines 3 mm großen Eies von
Pristiurus. (Fig. 194, 195, 196 nach unpubhzierten Zeichnungen EtJCKERx's.)
Eireife und Befruchtung. 553
muß hervorgehoben werden, daß während der letzten Umbiklungen
der Chromosomen die 2 Fäden eines Paares sich innig miteinander
'o
vereinigen.
o
^ 'ö-
^.^■'
O
c «
O c
0 *
Fig. 195. Querschnitt durch das Keimbläschen eines 13,5 mm großen Eies
von Pristiurus.
RüCKERT ist zu dem Resultate gekommen, daß im Keimbläschen der
Selachier außer den in Paaren gruppierten noch einzeln verlaufende Chromo-
somen vorkommen; er knüpft hieran folgende Betrachtung: es möchten
bei der Spaltung der Chromosomen nicht alle Teilprodukte in Paarung
beieinander geblieben sein, sondern einige sich völlig getrennt haben,
welche sich dann später mit anderen, ebenfalls vollkommen getrennten
Tochterchromosomen neuerdings zusammenlegen. Hierbei ist die Mög-
lichkeit gegeben, daß sich Fäden von verschiedener Herkunft untereinander
vereinigen und daß so eine „Konjugation von Chromosomen" (Bqveri),
eine „Amphimixis" (Weis-
mann) zustande kommt
(vergl. Einleitung p. 485). ■. '
Wenn bei beginnen-
der Eireife das Keimbläs-
chen seine Abgrenzung
nach außen verliert und
eine von außen nach ' ♦ ^-
innen fortschreitende Re- *• ... •** •
duktion seiner Maße er- '^ ' •* * ^
fährt, drängt sich im ^4.1; J^ %
Rest des Keimbläschens ■* *
das Chromatin zu einem
Körper zusammen, den
Kastschenko als einen
Körnerhaufen beschreibt, ^ig. 196. Chromosomen eines kurz vor der
in welchem dagegen Auflösung stehenden Keimbläschens von Pristiurus.
RtJCKERT einen einzigen,
zusammenhängenden, offenbar durch seitliche Verldebung von Chromo-
554 R. Hertwig,
somen entstandenen Faden erkennen konnte. Innerhalb des Fadens
ist noch die frühere Längsspaltung angedeutet, ferner eine Zusammen-
setzung aus aneinandergereihten Körpern, die wahrscheinlich den alten
Chromosomen entsjjrechen.
Im Keimbläschen der Selachier finden sich — hierin spricht sich
abermals eine Analogie zu den Amphibien aus — neben den Chromo-
somen von Anfang an Nukleolen vor; sie nehmen während des
Wachstums des Keimbläschens an Menge und Größe zu und häufen
sich peripher unter der Kernmembran an ; die kleineren unter ihnen
verbreiten sich bis in die Region der Chromosomen. Wenn letztere
sich im Centrum des Keimbläschens zusammendrängen, folgen einige
der Nukleolen den Chromosomen ; gleichzeitig ergiebt sich eine sich
bis in die Zeit der Richtungsspindel hineinverschleppende Rückbildung
der Nukleolen. Es herrscht somit ein gewisser Parallelismus in der
Umbildung der Chromosomen und Nukleolen. Rückert schließt
daraus, daß letztere am Stoffwechsel der ersteren beteiligt sind, aber
nicht in dem Sinne, wie Carnoy es will, welcher annimmt, daß die
Chromosomen aus vollkommen gleicher Substanz bestehen wie die
Nukleolen und sich aus ihnen entwickeln.
Beim Beginn der Eireife soll sich der aus Verklebung von Chromo-
somen entstandene gewundene Faden von neuem segmentieren, aber
nur in halb soviel neue Chromosomen, als früher Chromosomenpaare
vorhanden waren. Waren früher bei Pristiurus einige 60 Einzelchromo-
somen, d. h. einige 30 Paar (wahrscheinlich 36 vorhanden), so schätzte
RÜCKERT nunmehr die Zahl auf etwa 18. Jedes Chromosom ist aber
vierteilig, was man so deuten kann, daß es aus 2 seitlich verklebten
Chromosomen besteht, und daß in jedem derselben die frühere Längs-
teilung wieder sichtbar geworden ist. Damit eröffnet sich die Möglich-
keit, die Eireife der Selachier in der Weise zu deuten , wie es für
manche Wirbellose {Copepoden) geschehen ist: bei der ersten Richtungs-
karyokinese weichen die Teilprodukte der Chromosomen auseinander
(Aequationsteil ung), bei der zweiten dagegen die verklebten
Chromosomen eines Paares (Reduktionsteilun g).
Der erste Richtungskörper wird bei Selachiern noch im Ovar er-
zeugt ; auch wird hier die zweite Richtungsspindel in ihrei- Entwickelung
bis zur Spaltung der Aequatorialplatte in die Seitenplatten gefördert.
Die Abschnürung des zweiten Richtungskörpers erfolgt nach dem
Verlassen des Ovars, wahrscheinlich nach Eintritt der Befruchtung.
Bei Eiern, welche in den zur Schalendrüse erweiterten Abschnitt des
Eileiters eintreten, ist der zweite Richtungskörper schon vorhanden,
und zwar neben dem ersten größeren Richtungskörper gelagert,
welcher in seltenen Fällen sich in zwei Stücke geteilt haben kann
(Kastschenko). Die Richtungskörper liegen mehr oder minder weit
vom Centrum der Keimscheibe entfernt.
Ueber den Belriiclitung'svorg'ang des Selachiereies liegen
nur die Untersuchungen Rückert's (LS99) vor. Derselbe fand bei
einem Ei, welches „noch nicht völlig in die Schalendrüse eingedrungen
war und eine Schalenaulage von 7 mm besaß'', schon Spermatozoen-
köpfe ziemlich tief in die mittlere Region der Keimscheibe einge-
drungen, woraus man nach Analogie mit den Befruchtungsstadien
anderer Wirbeltiere schließen muß, daß die Vereinigung von Samen
und Ei schon vor einiger Zeit stattgefunden hatte. Die Besamung
scheint somit einzutreten, wenn die Eier aus dem Ovidukt in die
Eireife und Befruchtung. 555
sog. Schalendrüse, einen erweiterten drüsenreichen Abschnitt des Ei-
leiters, gelangen, womit übereinstimmt, daß man bis zu diesem
Punkt, aber nicht über ihn liinaus, Spermatozoen in den weiblichen Ge-
schlechtswegen nachweisen kann (A. Schultz 1877). Die S])ermaköpfe
zeigten noch den achromatischen Spieß am vorderen Ende und die
Zuspitzung des Chromatinabschnittes; auch erinnerte ihre Eorm noch
an die Köpfe frei beweglicher Spermatozoen, wenn sie auch knotige
Verdickungen bekommen und die charakteristische Krümmung in
Si)iralwindungen verloren hatten. Der Eikern ist um diese Zeit nach
Bildung des IL Richtungskörpers in Rekonstruktion begriffen und
nimmt auf seiner Wanderung in die Tiefe noch eine sehr oberflächliche
Lagerung ein, so daß die Spermakerne erheblich tiefer liegen.
An einer Serie von Keimscheiben konnte nun verfolgt werden, wie
der Eikern bei der Wanderung in die Tiefe an Größe zunimmt und
die Spermaköpfe sich zu bläschenförmigen Kernen umwandeln, wie ferner
ein Samenkern und der Eikern sich einander näherten und sich schließlich
mit einander vereinten. Eine eigentliche Strahlung war am Eikern nie zu
erkennen, wenn auch vorübergehend die Dotterkörnchen in seinem
Umkreis eine undeutliche radiale Gruppierung besaßen. Dagegen
entwickelt sich an einem Ende des Spermakerns Strahlung um ein
kleines wohl als Centrosoma zu deutendes Körperchen. Eine Ver-
doppelung der Strahlung und damit zusammenhängend Bildung der
Pole der Furchungsspindel wurde zum ersten Mal zur Zeit beobachtet,
in der die beiden Geschlechtskerue sich aneinander legen.
Was die Struktur der Kerne anlaugt, so beginnt der Eikern bei
seiner der Richtungskörperbildung folgenden Rekonstruktion als ein
Chromatinknäuel, der sich allmählig in ein Kerngerüst mit Nucleolen
umwandelt. Der Spermakern beginnt als ein compakter chromatischer
Körper, der erst allmählich zu einem Bläschen mit Fadenknäuel wird,
von da an aber sich genau wie der Eikern weiter entwickelt. Ent-
sprechend dem Umstand, daß der Spermakern eine Reihe von Um-
wandlungen erleiden muß, ehe er den für den Eikern als Ausgangsstadmm
funktionierenden Zustand erreicht, ist er hinter diesem in seiner Ent-
wickelung zurück, was sich erst zur Zeit der Kernvereinigung ausgleicht.
Bei der Umbildung zur Furchungsspindel scheinen beide Kerne unabhängig
von einander den chromatischen Knäiiel zu bilden.
Die Lage der copulierenden Kerne und später der Furchungs-
spindel ist nicht immer im Centrum der Keimscheibe. Wohl aber
orientiert sich die Achse der Furchungsspindel der Oberfläche der Keim-
scheibe parallel oder schwach geneigt zu ihr. Eine senkrechte Stellung
(Einstellung in der Richtung der Eiachse) kommt nicht vor.
Li die Keimscheibe des Selachiereies dringt nun aber normaler
Weise nicht ein Spermatozoon ein, sondern eine große Zahl derselben.
Wir lernen hier zum zweiten MalePolyspermiekennen,
und z w a r e i n e n v i e 1 h o c h g r a d i g e r e n F a 1 1 , als bei Urodelen.
Bei der jüngsten untersuchten Keim Scheibe fand Rückert 3, in dem
nächst älteren Stadium 8 Körper, die noch deutlich als Köpfe von
Spermatozoen zu erkennen waren. Aeltere Keimscheiben enthielten
außer dem dem Eikern sich nähernden oder mit ihm sich vereinigenden
Hauptspermatozoon um so mehr Nebenspermatozoen, je mehr die Ent-
wickelung vorgerückt war, auf dem Stadium III von Pristiurus im
Durchschnitte 14 (9. 10. 17. 20), auf dem Stadium IV im Durchschnitt
Ö56 R. Hertwig,
30 (19. 29. 33. 41.), auf dem Stadium V ebenfalls 30 im Durchschnitt
(12. 15, 39. 47.). Auf Befruchtungsstadien von Torpedo betrugen
die Zahlen 15, 24, 27, 53; nur bei einem Exemplar war ein einziger
Nebenspermakern vorhanden, was aber nur so zu erklären ist, daß
das Ei mit wenigen Spermatozoen in Berührung gekommen war.
Die einzelnen von ihm unterschiedenen Stadien der Belruchtung
charakterisiert RCckert in folgender Weise : 1) Spermaköpfe in der Keim-
scheibe. 2) Umwandlung der Spermaköpfe in Spermakerne. 3) Haupt-
spermakern von den übrigen unterschieden, berührt aber noch nicht
den Eikern. 4) Vorkerne in loser, 5) Vorkerne in inniger Berührung.
6) Knäuelphase der Vorkerne.
Außer in die K e i m s c h e i b e dringen Spermatozoen
noch in tl e n an die K e i m s c h e i b e grenzenden Dotter ein,
sowohl in den feinkörnigen wie den grobkörnigen. Wie weit der
Bezirk des Dotters reicht, in welchen der Eintritt noch möglich ist,
darüber fehlen genauere Untersuchungen. In einem Pting, dessen
Breite dem Durchmesser der Keimscheibe entsprach, fand Rückert
bei Torpedo bis zu hundert Spermatozoenköpfe.
Wir müssen hier zunächst feststellen, was übrigens schon aus den
obigen Mitteilungen über die Conjugation der Geschlechtskerne hat ent-
nommen werden können, daß von den zahlreichen Samenkernen nur
einer — und zwar wahrscheinlich derjenige, der beim Eindringen dem
Eikern am meisten benachbart ist — mit dem Eikern sich vereinigt.
Die eigentliche Befr u ch t un g ist also auch hier eine mono -
sperme. Daß nun trotzdem so viele überzählige Spermatozoen ein-
dringen können, läßt sich nur aus dem Maugel jeder Schutzvorrichtung
gegen Polyspermie erklären. Die Dotterhaut scheint zu fehlen. Das
Chorion ist rudimentär und offenbar leicht durchlässig. Letzterer
'o*
Umstand ist wohl der wichtigere. Denn auch bei den Eiern der
't?
Cyclostomen, Ganoiden und Teleosüer ist die Existenz einer Dotterhaut
nicht sicherer gestellt als bei den Selachiern. Bei ihnen ist aber das
Chorion von großer Festigkeit und durch Entwickelung der Mikropyle
die Eintrittsstelle der Spermatozoen auf eine kleine umschriebene Stelle
beschränkt. Zieht das Ei sich an der betreffenden Stelle vom Chorion
zurück, so ist es den Spermatozoen mindestens erschwert in Kontakt mit
dem Ei zu kommen. Inzwischen hat dann das Protoplasma des Eies
eine Substanzveränderuug erfahren, welche auch ohne schützende
Membranen das Eindringen weiterer Spermatozoen ausschließt.
Diese die landrängenden Spermatozoen zurückweisende Beschaffen-
heit scheint übrigens auch bei den Selachiereiern allmählich gewonnen zu
werden, nur verhältnismäßig spät, wenn schon ein ansehnlicher Grad
von Polyspermie erreicht ist (Rückert). Es ist ausgeschlossen, daß
die Spermatozoen alle auf einmal in das Ei eindringen. Dem würde
widersprechen, daß ganz frische Befruchtungsstadien im Durchschnitt
weniger Spermatozoen enthalten, als mittlere und vorgerücktere. Auch
würde eine solche Annahme bei der großen Zahl der Nebenspermatozoen
im höchsten Grade unwahrscheinlich sein. Immerhin muß man an-
nehmen, daß sehr bald die Aufnahmefähigkeit des Eies aufhört und
die Zeit für dieselbe eine nicht zu lang bemessene ist. Der Beweis hier-
für ist einmal in der oben mitgeteilten Statistik gegeben, welche zeigt,
daß vom 4. Stadium an die mittlere Zahl der Spermakerne nicht mehr zu-
nimmt. Weiter spricht dafür die Umwandlungsweise der in das Ei
eindringenden Nebenspermatozoen.
Eireife und Befruchtung. 557
Es hat sich herausgestellt, daß die Spermaköpfe, welche in den grob-
körnigen Dotter geraten, nur in der oberliächlichsten Schicht desselben zu
Spermakernen werden; innerhalb der Region der Dotterplättchen unter-
bleibt die Umbildung, oliPenbar weil hier das Protoplasma, welches den zur
Bläschenbildung nötigen Stoft'austausch allein ermöglicht, fehlt oder an
Menge nicht genügt. Die Köpfe der Spermatozoen nehmen knotige Formen
an und gehen allmählig zu CTrunde. In der Dotterrinde, im feinkörnigen
Dotter wie in der Iveimscheibe vollzieht sich die Umwandlung der Xeben-
spermatozoen zu Spermakernen mit Strahlung, aber in verschiedener
Geschwindigkeit, am langsamsten in der Rindenschicht des grobkörnigen
Dotters, rascher im feinkörnigen Dotter, am raschesten in der Keim-
scheibe, in welcher sich die Nebenspermakerne fast genau so verhalten,
wie Hauptspermakerne. Die Gradation dieses Verhaltens ist ein sicherer
Hinweis, daß nicht das verschiedene Alter, sondern die Beschaffenheit
der Umgebung Ursache ist, daß die Kerne, auf einem bestimmten Stadium
untersucht, nicht alle den gleichen Anblick gewähren.
Innerhalb einer und derselben Keimscheibe — und damit kommen wir
auf die oben gegebene Fragestellung — waren Unterschiede in der Um-
wandlung der Nebenspermakerne nur in sehr geringfügigem Maße vor-
handen. Darin ist ein Hinweis gegeben, daß auch rücksichtlich der Zeit-
dauer, welche die Sprmatozoen sich innerhalb des Eies befanden, keine
großen Unterschiede bestanden haben können.
Zu den Veränderungen, welche die Nebenspermakerne in der
Keinischeibe erleiden, gesellen sich Veränderungen, welche sie ihrer-
seits hervorrufen. Es entstehen im Umkreis jedes Kerns Verdichtungs-
zonen des Protoplasma, so daß es den Anschein hat, als ob es zu einer
Abfurchung der Keimscheibe kommen solle. Das tritt jedocli nicht
ein. Ebenso unterbleibt auch eine Vereinigung der Kerne unter-
einander. Vielmehr verteilen sie sich in der Keimscheibe in ziemlich
gleichen Abständen, was zusammengenommen mit der Thatsache, daß
sie ja auch von dem in Bildung begriffenen Furcliungskern ausgeschlossen
bleiben, es wahrscheinlich macht, daß die in die Keimscheibe ein-
getretenen, mit Centrosomen ausgerüsteten Kerne sich gegenseitig
abstoßen. Für diese Ansicht spricht auch das weitere Verhalten der
Kerne, auf welches wir erst bei Besprechung der Furchungsstadien
zurückkommen werden.
VI. Reptilien.
Wie bei den Selachiern findet auch bei den Reptilien eine Be-
gattung und demgemäß eine innere Befruchtung der Eier statt. Diese
scheint allgemein schon im Anfang der Ausführwege im Ostium
abdominale tubae oder dem angrenzenden Teil des Eileiters vielleicht
sogar noch vor dem Eintritt in die Tuba in der Leibeshöhle zu erfolgen.
Während das Ei dann den dünnwandigen Eileiter und den dickwandigen
Uterus passiert, wird es von den früher schon besprochenen sekundären
Eihüllen umgeben (Kalkschale, tibröser Schalenhaut, oft auch mit
Eiweißschichten). Zugleich beginnt das Ei seine Entwickelung, welche
um so weiter fortschreitet, je länger das Ei im Uterus verharrt. Die
Dauer des Verweilens im Uterus ist bei allen Lepidosauriern {Schlangen
und Eidechsen) eine sehr lange. Viele Lepidosnurier sind lebendig
gebärend : die Boiden unter den Riesenschlangen, die meisten Gift-
schlangen (z. B. Viperiden und Hydrophiden). unter den Sauriern:
Lacerta vivipara, Seps chalcides, Anguis fragiUs, Gongylus ocellatus.
558 R. Hertwig,
Auch die übrigen Lepidosaurier, welche ovivivipar sind, behalten die
Eier sehr lange bei sich, so daß '/.^ der Zeit der Embryonalentwiekelung
oder noch mehr im Mutterleib abläuft und die Eier bei der Ablage
einen hoch entwickelten Embryo beherbergen. Ein bestimmter Zeit-
punkt läßt sich hier oft gar nicht angeben, da die Tiere je nach den
Lebensbedingungen bald früher bald si)äter zur lüiablage schreiten.
Das andere Extrem bezeichnen die Schildkröten und Rhyncho-
cephnlen (Hatteria s. S})henodon). Hier findet man bei frisch abgelegten
Eiern die Gastrulaeinstülpung eben erst entwickelt (L. Agassiz, Mitsu-
KURi, Mehnert. Dendy). Eine mittlere Stellung nehmen die Crocodüe
ein ; bei Crocodüus nüoticus ist im frisch gelegten Ei die Bildung der
Kiemenbogen im Gang (Völtzkow A. L. III, 8, 1899). Die besprochenen
Entwickelungsbedingungen sind Ursache, daß die Eier der Beptilien für
Untersuchungen ül)er Eireife und Befruchtung ein wenig günstiges
Material darstellen. Dazu kommt die bedeutende Größe der Eier, welche
in dieser Hinsicht nur noch von den Eiern der Vögel übertroflfen werden.
So ist es denn begreiflich, daß über die Reifung des Reptilien-
eies jegliche genauere Angaben fehlen. Während Kupffer und Be-
necke (1878) das Keimbläschen des Eidechseueies vor dem Uebertritt in
den Eileiter schwinden lassen, machte Sarassin (1883) die sicherlich un-
haltbare Angabe, daß es noch an Eileitereiern nachweisbar sei als eine
dünne Lage auf der Oberfläche der Keimscheibe, welche mit einer Ver-
dickung in der Mitte der Keimscheibe eingelassen sei und bei der Bil-
dung der ersten Furche in diese einbezogen werde; Reste des Keim-
bläschens sollen sich sogar auf vorgerückten Teilungsstadien noch vor-
finden. Mit den Thatsachen, welche von anderen Wirbeltierklassen bekannt
geworden sind, steht dagegen in bester Uebereinstimmung die Angabe
ToDARo's, daß die aus dem Ovar austretenden Eier von Seps chalcides
schon eine Richtungsspindel besitzen, welche Todaro (1895) aus einer
Chromatinanhäufung im Keimbläschen ableitet und als die zweite
Richtungsspindel deutet. In diesem Zustande gelangen die Eier in
die Bauchhöhle und zw^ar in eine Grube zwischen Ovar und Oviduct,
wo die Befruchtung vor sich gehen soll.
Das Keimbläschen des Reptilieneies ist miiltinucleolär und gleicht
in dieser Hinsicht dem Keimbläschen der Amphibien, Selaehier und
Teleostier. Daher sind für dasselbe die gleichen Streitfragen zu ent-
scheiden, welche wir schon bei den genannten 3 Gruppen erörtert haben :
„welche Rolle spielen die Nucleolen und das Kerngerüst bei der Ent-
wickelung des Keimbläschens aus dem Kern des Primordialeies (Ovogonie)?
Sind die Chromosomen Dauergebilde oder entwickeln sie sich sekundär
aus den Nucleolen?" Während eine neuere, die Geckone Mabuya imdti-
fasciata behandelnde Arbeit Kohlbrügge's (1901) diese wichtigen Fragen
ganz unberücksichtigt läßt und daher hier übergangen werden kann,
schildert Marie Loyez (1901) die Verhältnisse beim Gecko Platydactylus
murcdis, den Eidechsen Lacerta muralis und L. viridis und def Blind-
schleiche Anguis fragilis im wesentlichen im Sinne Born's und Rückert's :
Die Chromosomen — deutlich färbbar bei Gecko und Blindschleiche,
"weniger deutlich bei Eidechsen — entstehen aus chromatischen, auf dem
Liningerüst des Kerns verbreiteten Körnchen und erhalten sich dauernd,
wenn auch ihr Aussehen wechselt. Die Nucleolen verändern ebenfalls
wiederholt ihr Aussehen ; sie sind von großer Bedeutung zur Zeit der
Dotterbildung, wenn sie auch in keiner Beziehung zu den Chromosomen
stehen, von denen sie sich bei kombinierten Färbeverfahren durch ihre
verschiedene Färbbarkeit unterscheiden.
Eireife und Befruchtung. 559
Was die Befruchtung anlangt, so kennen wir die Anfangs-
stadien noch nicht, wohl aber einige vorgerücktere Zustände von
Eiern der Natter (Oppel 1802) und Blindschleiche (Oppel, Nicolas
1900). In allen von Nicolas untersuchten Keimscheiben fanden sich,
obwohl die Furchung noch nicht begonnen hatte, zahlreiche Kerne, etwas
excentrisch ein Paar dicht zusammengefügter Kerne, offenbar Ei- und
Samenkern in Conjugation, nach der Peripherie hin viele bläschen-
förmige Einzelkerne (im Durchschnitt 25). Sie können nur als Neben-
samenkerne gedeutet w-erden, eine Deutung, die dadurch an Sicherheit
gewinnt, daß bei einem Teil der Keimscheiben die betreffenden Kerne
mit einer Strahlung versehen waren, von welcher ein Fädchen, offenbar
der noch nicht zur Resorption gelangte Schwanzfaden des Spermatozoon,
ausging und eine Strecke weit verfolgt werden konnte. Wir kommen
somit zu demselben Resultat wie bei Selachiern : es dringen viele
Spermatozoon in die Keimscheibe ein, aber nur ein Samenkern ver-
bindet sich mit dem Eikern. Was aus den Nebensamenkernen wird
ist noch nicht verfolgt worden.
Oppel hatte schon früher als Nicolas bei den Eiern der Natter
ebenfalls viele Nebenspermakerne 9—37 (im Mittel 17) beobachtet. Für
die Blindschleiche fand er geringere Zahlen, öfters gar keine Neben-
samenkerne, in anderen Fällen 1 — 4. Der Durchschnitt würde 2 er-
geben. Einige der von Oppel beschriebenen Keimscheiben waren
jünger als die von Nicolas bearbeiteten, da der Eikern eine periphere
Lage hatte und sich noch im Knäuelstadium befand oder dem Sperma-
kern nur genähert, nicht fest augefügt war; andere waren aber älter,
da schon die Furchungsspindel vorhanden oder sogar in die 2 Furchungs-
kerne geteilt war. Das verschiedene Alter der Keimscheibe kann somit
nicht Ursache der Verschiedenheit der Befunde sein, zu denen Oppel
und Nicolas gekommen sind. — Das gleichartige Aussehen der
Nebenspermakerne macht es wahrscheinlich, daß zwischen den Zeit-
punkten ihres Eindringens keine großen Unterschiede bestehen.
An den Keimscheiben wurden von Oppel noch allgemein verbreitet
Dellen beobachtet, die in manchen Fällen sogar tief in die Keimscheibe
eindrangen. Da sie sich immer oberhalb der Spermakerne befanden,
so sind sie entweder unmittelbar durch das Eindringen der Spermato-
zoon veranlaßt oder mittelbar, insofern sie zwar erst bei der Reagentien-
behandlung entstehen, aber nur weil das den Spermaweg bezeichnende
Protoplasma eine Lockerung erfahren hatte und daher schrumpfte. Man
wird durch die Dellen an die von Fick beim Axolotl beobachteten
Befruchtungstrichter erinnert.
Ob die hier beschriebene „physiol ogi sehe Polyspermie"
bei Reptüie7i allgemein verbreitet ist, läßt sich noch nicht entscheiden.
Todaro welcher ursprünglich für Seps chnlcides zu gleichem Resultat wie
Oppel und Nicolas gelangt war, ist später von seiner Ansicht zurück-
gekommen und hält das Eindringen vieler Spermatozoon für eine krank-
hafte Erscheinung. Andererseits hat Oppel in einer Keimscheibe von
Lacerta viridis, welche am Beginn der Furchung stand, Kerne gefunden,
welche wohl nur als Nebenspermakerne gedeutet werden können.
Ueber die Umbildung der Nebenspermakerne ist wenig bekannt.
Bei einem Blindschleichenkeime war ein Kern zur Spindel geworden
(Oppel), woraus man schließen kann, daß die Kerne wie bei den
Selachiern die Fähigkeit haben sich zu vermehren. In einigen Fällen
(Oppel, Nicolas) war außer dem von Ei- und Samenkern gebildeten
Paar noch ein zweites Kernpaar vorhanden. Da Sarasin (1883) ein
560 R. Hertwig,
Eidechsenei mit doi)i)eltem Keimbläschen beobachtet liat, könnte man
an Keimscheiben mit doppeltem Eikern und dem^iemäß auch doi)pelter
Kerncopula denken. Eine andere Möglichkeit Aväre, daß zwei Neben-
samenkerne, wie man es bei polyspermen Seeigeleiern gesehen hat,
zusammengetreten sind.
VII. Vögel.
Wie man systematisch die Vögel vielfach mit den Reptilien unter
dem gemeinsamen Namen der Sauropsiden vereint und nur als einen
hoch entwickelten und specialisierten Seitenzweig der letzteren deutet,
so schließt sich auch ihre Entwickelung aufs engste der Entwickelung
der Reptilien an. Die in der Nachbarschaft des Ostium abdominale
tubae befruchteten Eier werden beim Passieren von Oviduct und Uterus
mit den bekannten Hüllen umgeben und machen die ersten Entwicke-
lungsvorgänge durch. Die bei den höheren Rejitilien sich bemerkbar
machende und in Korrelation zur Ausbildung der Eiweißschicht stehende
Tendenz, die Zeit der Entwickelung im Mutterleib abzukürzen, hat
bei den Vögeln weitere Fortschritte gemacht, so daß das Ei, noch ehe
es zur Gastrulation kommt, abgelegt wird.
Reifung und Befruchtung des Vogeleies sind so gut wie
unbekannt, was um so verwunderlicher ist, als das Vogelei, besonders
das Ei des Huhns, zu allen Zeiten das Lieblingsobjekt der Embryo-
logen gewiesen ist, und für diesen Abschnitt der Untersuchung keines-
wegs größere Schwierigkeiten bietet, als das Ei der Selachier und
Reptilien. So sind wir im Unklaren, ob 1 oder 2 Richtungskörper
gebildet werden, ob Polyspermie normalerweise vorkommt oder nicht.
Einiges wenige ist vornehmlich durch Holl's Untersuchungen über
die Vorstadien der Reife bekannt geworden.
Wenn man berücksichtigt, daß alle dotterreichen Eier der Wirbel-
tiere sonst multinukleoläre Keimbläschen haben, so ist es eine sehr
auffallende Erscheinung, daß das Keimbläschen des Vogeleies lange Zeit
nur einen einzigen Nucleolus enthält, welcher sich bis in frühe Stadien
der Entwickelung zurückverfolgen läßt. Schon das junge, aus der
Teilungs- in die Wachstumsperiode übertretende Ei hat einen einzigen
Nucleolus, der in einem feinmaschigen, durch eine Kernmembran nach
außen abgeschlossenen Gerüst lagert. Im weiteren Verlauf ergeben sich
Anklänge an die Erscheinungen, welche wir von Amphibien und Se-
lachiern kennen. Im Umkreis des Nucleolus treten chromatische Stränge
auf, welche an die „Flaschenbürsten'' genannten Figuren erinnern.
HoLL deutete anfangs die chromatischen Stränge im Sinne Carnoy's
als Auflösungsfiguren, später nach Kenntnisnahme der Untersuchungen
Rückert's und Born's als Anlagen von Chromosomen. Sie nehmen
innerhalb des Kernnetzes einen ziemlich gut abgegrenzten Bezirk ein,
w'elcher sich allmählich auf Kosten der chromatinfreien Rinde aus-
dehnt. Während das Keimbläschen aus seiner anfänglich centralen
Stellung zur Oberfläche aufsteigt, schwindet der Nucleolus; schließlich
entsteht in dem an der Eioberfläche angelangten Keimbläschen eine
Gruppe kleiner Stäbchen, in denen Holl die Anlage der Richtungs-
chromosomen erblickt.
[Während der Revision der Druckbogen bin ich noch in der
Lage, eine Arbeit kurz zu berücksichtigen, welche die oben hervor-
gehobene emi)findliche Lücke in unseren Kenntnissen vom Reifungs-
und Befruchtungsprozeß der Wirbeltiere ausfüllt. Harper (1902) hat
Eireile und Befruchtung.
561
die ersten Entwickelungsvorgänge an den Eiern von Tauben studiert.
Die Befruchtung erfolgt im olleren Abschnitt des Eileiters; beim Ueber-
tritt in den drüsigen Abschnitt desselben werden die Richtungskörper
gebildet. Wie bei der Verwandtschaft der Vögel mit den Reptilien
zu erwarten war. ist Polyspermie vorhanden und verbindet sich nur
ein Spermakern mit dem Eikern, während die Kerne der übrigen
Spermatozoen (Nebenspermatozoen) sich zwar karyokinetisch vermehren,
frühzeitig aber nach der Peripherie der Keimscheibe verlagert werden.
Die Karyokinesen der Spermaspindeln sollen rascher ablaufen als
die des Furchungskerns, während Rückert für Selachier das Gegen-
teil angiebt.]
VIII. Säugetiere.
Von den 3 Hauptabteilungen der Säugetiere sind die nach Art
der Vögel ovovivipareu Monotremen (Echidna, Proechidna, OrnitJio-
rhynchus) bisher auf Eireife und Befruchtung noch nicht untersucht
worden, was bei der Seltenheit der Tiere und der Schwierigkeit der
Materialbeschaffung ganz begreiflich ist. Auch über die Beuteltiere
ist, abgesehen von Beobachtungen über die Anwesenheit von Rich-
tungskörperchen, nichts bekannt geworden. Und so sind wir in unserer
Schilderung ausschließlich auf placentale Säugetiere angewiesen.
II
III
^"^^^^^
^^'T - ■,
IV
VI
6V
Fig. 197. Verschiedene Entwickelungsstufen des Keimbläschens des Kaninchens
(nach WlNiWAKTEE,). Vergi-, 1700:1.
Handliuch der Eiitwickelungslehre. I. 36
562 R. Hertwig,
lieber die E i r eif e und die dieselbe vorbereitenden Veränderungen
liegen nur wenige Arbeiten vor, welche an dem Uebelstand leiden,
daß keine von ihnen in erschöpfender Weise alle Veränderungen bis
zu Ende im Zusammenhang darstellt. Ueber die Veränderungen
der Kerne während der letzten Zeit des Embryonallebens und den
ersten Wochen nach der Geburt, während der Periode, in welcher
sich die indifferenten Abkömmlinge des Keimepithels in die Follikel-
und Eizellen sondern, handelt Winiwarter (1900), mit dessen Dar-
stellung manche Befunde Rabl's (1897) über die Eier neugeborener
Kätzchen übereinstimmen.
Zur Zeit, in welcher die Differenzierung im Zellmaterial der Keim-
schicht noch nicht eingetreten ist, haben die Kerne ein feinmaschiges
Reticulum mit Chromatinbrocken (noyaux protobroques) in demselben.
Später verteilt sich das Chromatiu (noy. deutobroques) und ordnet sich
zu gewundenen dünnen Fäden an, vielleicht auch einem einzigen Faden,
dessen Windungen häufig einander genau parallel verlaufen (Fig. 197 I
noy. leptotenes). Die Zellen mit feinmaschigem Kernreticulum vermehren
sich karyokinetisch ; sie sind zum Teil Ovogonien, zum Teil Follikel-
zellen. Die Zellen mit gewundenem Faden sind die in die Wachs-
tumsperiode eintretenden Ovocyten. Indem die Fadenschlingen sich
an einem Punkt zusammendrängen, entsteht hier ein dichter Haufen
(II, noy. synaptenes). Zugleich verschmelzen die einander parallel ver-
laufenden Fadenschenkel zu einem dickeren Chromatinfaden, dessen
Anordnung dann wieder eine Lockerung erfährt (III, noy. pachytenes).
Im weiteren Fortgang spaltet sich der einheitliche Chromatinfaden
durch Längsteilung, oder richtiger gesagt, er weicht von neuem in
seine beiden Komi)onenten, die verklebten Schleifenschenkel, ausein-
ander (IV, noy. diplotenes). Derartige Eier mit längsgespaltenem Chro-
matinfaden wurden auch von anderen Forschern beobachtet, so von
Van der Stricht, Rückert, H. Rabl, welche aber das Bild auf
eine Teilung des Chromatinfadens beziehen, nicht auf erneute Trennung
vorher verschmolzener Teile.
Wenn nun der Chromatinfaden in Stücke zerfällt, können die ein-
ander anfänglich parallel verlaufenden Teile eines Chromatinstückes sich
8-förmig umeinander wickeln oder an den Enden zu Ringen ver-
kleben (V). So entstehen Bilder, wie sie von Amphibien, Selachiern,
auch von wirbellosen Tieren beschrieben worden sind. Wini\varter
ist der Ansicht, daß die beiden Stücke eines Paares nicht als Tochter-
chromosomen eines Mutterchromosoms angesehen werden dürfen, denn
sie sind ja nach seiner allerdings mit einiger Vorsicht gegebenen
Schilderung die vorübergehend verklebten Windungen eines einheit-
lichen Chromatinfadens, daher nicht durch Längs-, sondern Querteilung
aus diesem Chromatinfaden entstanden. Man kann auch die betreffen-
den paarig vereinten Chromatinstücke nicht Chromosomenpaare nennen.
Denn es hat sich nicht nachweisen lassen, daß sie in die Chromo-
somen der Richtungsspindel übergehen. Vielmehr tritt zunächst eine
Umformung in ein chromatisches Kernnetz (VI, noy. dictyotenes) ein.
Um diese Zeit — es ist die Zeit, um welche sich die Eifollikel bilden
— wird ein ächter, d. h. chromatinfreier Nucleolus bemerkbar, wäh-
rend auf früheren Stadien Nucleoli nur selten nachweisbar waren.
Die anschließenden weiteren Veränderungen wurden im Zusammen-
hang nur von Holl, in einzelnen Stadien auch von Löwenfeld, So-
BOTTA und Tafani untersucht; sie sind noch nicht genügend auf-
Eireife und Befruchtung. 563
geklärt. Strittig ist vor allem die Art, wie die Chromosomen ent-
stehen. Es scheint keinem Zweifel zu unterliegen, daß an ihrer Bil-
dung der Nuclcolus Anteil hat, welcher somit im Vergleich zu den
von AViNiw'ARTER beschriebenen Stadien eine Veränderung erfahren
und sich mit Chromatin beladen haben muß. Am Nucleolus unter-
scheidet demgemäß Löw'enfeld (1888) zwei Bestandteile, eine Grund-
substanz und darin eingestreutes Chromatin. Die Grundsubstanz hält
LÖWENFELD für kontraktil und erklärt so, daß der Nucleolus seine
Lage verändern, sogar aus dem Keimbläschen auswandern könne.
Nach Tafani (1889) würde anch in der That bei der Eireife der
Nucleolus aus dem sich auflösenden Keimbläschen heraustreten und
für sich allein die Chromosomen bilden. Dagegen giebt Sobotta
(1895) an, daß das chromatische Reticulum und der Nucleolus beide
am Aufbau der Chromosomen beteiligt seien.
Leider beziehen sich die ausführlichen Angaben Holl's (1894) auf
offenbar schlecht konservierte Präparate. Nach Holl soll das Material für
die Chromosomen zum Teil im chromatischen Kernnetz und dessen knotigen
Anschwellungen enthalten sein, zum Teil in dem iu Einzahl vorhandenen
Nucleolus. Letzterer soll ungefähr 20 ScHROEN'sche Körner umschließen,
welche allmählich aus ihm heraustreten, Substanz aus dem chromatischen
Reticulum aufnehmen und so zu Chromosomen werden, während der
hüllenartige Rest des Nucleolus zu Grunde geht. Bei der Bildung der
Richtungsspindel soll ein. Teil des Keimbläschens ausgestoßen werden
und einen ansehnlichen, neben dem Ei liegenden Körper erzeugen. Dieser
sog. Keimbläschenrest ist, wie Sobotta mit Recht vermutet, sicherlich
nichts anderes als der erste Richtungskörper.
Was nun die feinere Struktur der Rieht ungssp in dein
anlangt, so soll nach Sobotta au ihnen die Polstrahlung und dem-
gemäß auch ein Centrosoma gänzlich fehlen. Dieser Angabe wird
freilich widersprochen. H. Rabl (1897) fand centrosomenartige Struk-
turen und Polstrahlung bei Richtungsspindeln atretischer Follikel. Ein
weiteres Merkmal der Richtungsspindeln, besonders der zweiten, ist
die auch sonst bei Richtungsspiudeln öfters beschriebene Tonnengestalt,
insofern die Spindelfasern lange Zeit einander nahezu parallel verlaufen
oder nur schwach nach den Polenden konvergieren. Auffallend deut-
lich ist in den Metaphaseu die Zellenplatte und beim Durchschneiden
der Teilstücke das aus der Zellplatte sich entwickelnde Zvvischen-
körperchen (Sobotta, Tafani).
Die Chromosomen der ersten Richtungsspiudeln scheinen voll-
kommen dieselben Figuren zu entwickeln, welche Carnoy bei Amphibien
genauer beschrieben und „Oiselettes'' genannt hat. Danach sollte man
auch für die Säugetiere erwarten, daß frühzeitig eine doppelte Längs-
spaltung der Chromosomen statthat, von denen aber die eine erst bei
der zweiten Richtungskörperbildung zum Austrag kommt. Die Chromo-
somen der zweiten Richtungsmitose sind Stäbchen, welche bei der
Teilung bisquitförmig eingeschnürt werden. Ihre Zahl bestimmte
Sobotta bei der Maus auf 12, während Tafani 20, Holl 24 annimmt.
Die R i c h t u n g s k ö r p e r sind bei den Säugetieren von ganz
auffallender Größe. Besonders gilt das Gesagte vom ersten Richtungs-
körper, sofern derselbe ungeteilt bleibt. Oft kommt es aber vor, daß
er sich in zwei Teile teilt, wie ^'AN Beneden für Fledermäuse nach-
gewiesen hat. Zur Zeit, wo der Follikel platzt und das Ei in die
3G*
564
R. IIertwig,
Tube übertritt, ist wolil in der Regel die Bildung des ersten Rich-
tuugsköri)ers beendet und die zweite
Es werden zwar Ausnahmen von dieser
Riclitungsspindel
Regel
fertiggestellt.
angegeben : so will
Bischoff (A. L. III, 10, 1845) in einer Anzahl von Fällen das Keim-
bläschen bei Ilundeeiern noch im oberen Diittel des Oviducts gefunden
haben, während andererseits Van Beneden (1880) aus dem Eierstock
einer Fledermaus ein Ei beschreibt, in dem schon der Eikern vor-
handen gewesen sei. Beiderlei Angaben sind wohl mit Vorsicht
zunehmen.
sind die Angaben Sobotta"s und Tafani's.
in der Regel nur ein R i c h t u n g s k ö r p e r
werde. Die Zahl der Fälle, in welchen vom Ei ein erster
bei
Sehr autfallend
M ä u s e e i e r n
auf-
d a ß
gebildet
und ein zweiter Richtungskörper abgeschnürt werde, schätzt Tafani
auf Vö.
Deutung
SoBOTTA sogar nur auf V]o ^^ller Eier. In der genaueren
ihrer Befunde weichen beide Forscher erheblich voneinander
ab. Nach Tafani wäre es der zweite Richtungskörper, welcher in
der Entwickelung so oft unterdrückt werde. Das Ei soll, ausgerüstet
mit der ersten Riclitungsspindel, in den Oviduct übertreten. Treifen
Eier und Spermatozoon frühzeitig aufeinander, so habe es mit der
Bildung des ersten Richtungskörpers sein Bewenden. Verzögere sich
dieser Zeitpunkt, so soll das Ei noch die Möglichkeit haben, einen
zweiten Richtungskörper zu erzeugen. Es würden demnach beide
Richtungskörper im Oviduct gebildet werden.
Im Gegensatz zu Tafani nimmt Sobotta an, daß das Ei im
Oviduct stets die zweite Richtungsspindel enthalte und nach ein-
getretener Besamung den zweiten Richtungskörper produziere. In
den ^/lo der Fälle, in denen später das Ei nur mit einem Richtungs-
körperchen versehen ist. sei
zur Zeit des Follikelsprungs
noch das Keimbläschen vor-
handen gewesen. Im Feri-
ovarialrauin findet man
dasselbe aufgelöst und den
Chromosomenknäuel frei im
Protoplasma liegend. Beim
Uebertritt in die Tube bildet
sich dann sofort die zweite
Richtungsspindel. Anders
verläuft der Reifungsprozeß
bei Eiern mit 2 resp. 3
Richtungskörperchen. Bei
diesen entstellt die erste
Richtungspindel schon im
Ovar vor dem Follikel-
sprung ; hier wird auch der
erste Richtungskörper ab-
geschnürt. P>eim Uebergang
in den Oviduct organisiert
sich die zweite Richtungs-
spindel. Demnach würde
die Entscheidung, ob ein oder zwei Richtungskörper gebildet werden,
nicht von der Zeit der Befruchtung abhängen, sondern vom Zustand
der Reife des Keimbläschens zur Zeit des Follikelsprungs.
Fig. 198. Ei
tiingsspindel und
(nach SoBOTTAj.
der Maus mit
Corona radiata.
Vergr. :')()( 1:1.
erster Eich-
r/i Chorion
Eii-eife ixud Befruchtung. 565
SoBOTTA Stützt sich bei seiner Ansicht auf die Unterschiede, die
im Bau zwischen erster und zweiter Richtungsspindel bestehen.
Nach SoBOTTA unterscheidet sich die erste Richtungsspindel im
Mäuseei von den Spindehi, wie man sie sonst zu Gesicht bekommt,
durch drei Merkmale: 1. durch ihre außergewöhnliche Größe, 2. durch
ihre nahezu centrale Lage, 3. durch die schon oben beschriebene
Gestalt der Chromosomen. Die Lage sei derart, daß man an eine
Teilung des Eies in gleichmäßige Stücke, an eine Art Parthenogenese
denken könne. Sobotta hat aber an einer Reihe von Uebergängen
feststellen können, daß die Spindel allmählich an die Oberfläche empor-
rückt, sich erst tangential, dann radial einstellt und schließlich den
Richtungskörper erzeugt.
Von seinen Beobachtungen ausgehend, erklärt Sobotta (1899) eine
Reihe in der Litteratur vorliegender, von Flemming (1885) und dessen
Schüler Schottländer (1891, 1893), Henneguy (1894), Rabl, Sitler
(1898, 1901) stammender Befunde an atretischen Follikeln ebenfalls als
Stadien der Richtungskörperbildung. Die betreffenden Eier zeigten zum
Teil merkwürdig vom Normalen abweichende Teilungsfiguren, manchmal
auch normale Spindeln, welche, ganz wie Furchungsspindeln, in einem
Durchmesser des Eies eingestellt waren. Letztere wären nach Sobotta
als tief gelagerte erste Richtungsspindeln zu deuten. Indessen scheint
es, als müßten hier verschiedenerlei, wenn auch einander ähnlich sehende
Erscheinungen auseinandergehalten werden. Die meisten der betreffenden
Autoren hatten ihre Beobachtungen auf eine Art parthenogenetischer Ent-
wickelung der Eier zurückgeführt. Diese Deutung ist offenbar berechtigt,
da sich hat feststellen lassen, daß Säugetiereier in atretischen Follikeln
sich in zwei und mehr Stücke teilen können. x\uch stimmen viele der
eigentümlichen Kernteilungsfiguren, welche besonders Rabl abgebildet hat,
mit den Figuren überein, welche nach meinen Untersuchungen reife, in
parthenogenetischer Entwickelung begriffene Seeigeleier liefern (Halb-
spindeln, Ovocentren, zerstreute Kernbläschen).
Ob in der That bei Mäusen die Bildung der ersten Richtungs-
spindel und des betreffenden Richtungskörperchen ganz unterdrückt wird,
oder ob nicht wenigstens Reste des Vorgangs noch erkennbar sind, bedarf
der näheren Untersuchung. Keinesfalls handelt es sich dabei um eine
bei Säugetieren weit verbreitete Erscheinung. Denn in der älteren und
neueren Litteratur kennen wir eine Menge Beobachtungen, welche die
Existenz von 2 Richtungskörpern, eines größeren ersteren und eines
kleineren zweiten, oder sogar von 3 Richtungskörpern, von denen 2
dem geteilten ersten entsprechen w ürden, außer Frage stellen. Derartige
Befunde wurden von Bischoff beim Ei vom Reh, MeerscJtweinchen
und Kaninchen, von Van Beneden bei Chiropteren gemacht.
Rein (1883) macht Angaben über größere Zahlen von Richtungs-
körperchen. Er beobachtete bei einem Ei vom Meerschweinchen 4 Körper
im Umkreis des Eies und verweist auf ähnliche Befunde Bischofp's und
Coste's am Kaninchenei, denen zufolge 5 Körperchen vorhanden waren.
Selbstverständlich sind diese Angaben unhaltbar. Bei Untersuchung
eines so empfindlichen Objekts wie des Säugetiereis im lebenden Zustand
— auch Rein versuchte Eireife und Befruchtung an . frischen Eiern zu
verfolgen — sind pathologische Bilder (austretende Protoplasmatropfen,
Verquellungen) auch bei größter Vorsicht kaum zu vermeiden. Daher
können auch Eein's Angaben über Veränderungen und Bewegungen der
Geschlechtskerne nur mit Vorsicht verwertet werden.
566
R. Hertwig,
Die Befruchtung des Säugetiereies erfolgt im ersten — nacli
Rein sogar erst im zweiten — Drittel des Oviducts, selten innerlialli
der Leibeshöhle (Möglichkeit der Extrauterinschwangerschaft). Bei der
Maus gelangen aus dem prall mit Spermatozoen gefüllten Uterus nur
wenige Samenfäden bis in die
(jegend
wo sich die Befruchtung voll-
zieht; man findet daher immer nur wenige Spermatozoen auf der
Wanderung durch das Chorion oder innerhalb desselben, während es
bei anderen Säugetieren leicht gelingt Spermatozoen im Chorion oder
innerhalb des Chorion nachzuweisen. Die Eier, w^elche ausgerüstet
mit der charakteristischen Corona radiata (Fig. 198) in den Ovidukt
gelaugten, besitzen um diese Zeit noch Reste derselben, welche aber
das Eindringen
Eindringen
der Spermatozoen nicht verhindern.
des befruchtenden Spermatozoon (Fig. 2001)
Das
erfolgt an einer meist schwach hervorgebuchteten Stelle und zwar
scheint nur der Kopf und das Mittelstück in das Ei zu gelangen (Tafani.
SoBOTTA). Nunmehr beginnt die Aequatorialplatte der zweiten
Richtungsspindel sich in die Seitenplatten zu spalten. Nach den
Angaben der meisten Autoren (Bischoff, Barry, Van Beneden.
Hensen) vollzieht sich dann eine Retraktion des Dotters und kommt
es zur Bildung eines Raumes zwischen Chorion und Eioberfläche.
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Fig. 199. Bildung des zweiten Richtungskörpers der Maus. I zweite Rich-
tungsspindel noch nicht radial eingestellt, II zweite Eichtungsspindel in Teilung-
begriffen, mit deuthcher Zellpiatte; a erster Eichtungskörper, h dessen Kern (nach
SOBOTTA). Vergr. 1200:1.
Nur SoBOTTA erwähnt die Erscheinung nicht, bildet
ab. Wahrscheinlicli ist die Retraktion im Mäuseei
sie ganz fehlen sollte, ist sehr unwahrscheinlich,
traktion des Dotters soll nach Van
sie auch
Beneden's Angaben
nicht
daß
Eine geringe Re-
schon im
geringfügig
Eierstock nach der Bildung des ersten Richtungskörpers eintreten ;
auch soll um dieselbe Zeit nach innen vom Chorion eine Dotterhaut
ausgeschieden werden, ein Vorgang, von dem die meisten Autoren
keine Erwähnung thun.
Indem der Spermakopf quillt (2 u. 3.), entwickelt er sich zu einem
Bläschen mit achromatischem Netz, in welchem nach einiger Zeit alles
Chromatin zu einem Nucleolus-artigen Körper zusammengeballt ist (4).
Gleichzeitig entsteht aus dem Rest der Richtungsspindel ebenfalls ein
Bläschen, in dem man zunächst mehrere Chromatinl)rocken, später eben-
falls nur einen einzigen chromatischen Nucleolus findet (3, 4). Eine
Zeit lang ist der Samenkern noch an seiner geringeren Größe vom Ei
kern zu unterscheiden,
verteilt sich das Chromatin wieder im Kernnetz und
Später gleicht sich der Unterschied aus. Auch
erzeugt
einen in
Eireife und Befruchtung.
567
viele Winduiigen gelegten Faden (5, 6), der sich dann in die Chro-
mosomen sondert. Ehe es soweit kommt, können die Kerne mit-
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Fig. 2001 — 7. iSieben Befruchtungsstadien des Mäuseeies (nach Sobotta).
VergT. 1200:1.
einander verschmelzen. Die Regel ist' es aber nicht, vielmehr kommt
gewöhnlich die Vereinigung des Materials von Ei und Samen kern auf
dem Stadium der Furchungsspindel zustande (7). Das die Bildung
der Spindel veranlassende Centrosoma wird erst deutlich, wenn die Ge^
schlechtskerne sich einander genähert haben, so daß die Zugehörig-
keit zum Spermakern bisher noch nicht hat bewiesen werden können,
wenn sie auch nicht zweifelhaft sein kann.
568 R. HertWIG, Eireife und Befruchtung.
Bei der Befruchtung der Säugetiere kommen noch einige biologisch
interessante Besonderheiten in Betracht. Bei den Nagetieren entwickelt
sich im Anschluß an die Begattung der Scheidenpfropf, eine die Scheide
vollkommen verschließende glasige Masse, welche erst allmählich gelockert
wird und herausfällt. Die glasige Masse bildet sich aus dem Sekret
der Prostatadrüsen des Männchens.
Merkwürdig ist die Entwickelung des Rehs. Man unterschied lange
Zeit 2 Brunstzeiten, von denen die eine in den Sommer (Juli und August),
die andere in den Winter (November und Dezember) fallen sollte. Wie
BisCHOFF (A. L. III, 10, 1884) zuerst bewies und andere später bestätigt
haben, fällt die Brunst ausschließlich in die Monate Juli und August. Die
Eier werden auch um diese Zeit befruchtet und beginnen die ersten Eur-
chungen ; sie kommen aber dann zur Ruhe und entwickeln sich zunächst
nicht weiter, ja es sollen die Furchungskugeln zu einer gleichförmigen
Masse verschmelzen, bis im Dezember der Entwickelungsprozeß energischer
wird, so daß im Januar schon die Keimblase gebildet ist. Die verspätete
Entwickelung des Embryo war Ursache, daß man die Zeit der Begattung
des Rehs, wie bei anderen Cerviden in den Winter verlegte. Eine ähn-
liche Verlangsamung der Entwickelung scheint beim Dachs vorzukommen
und zu falschen Angaben über die Ranzzeit geführt zu haben (Wid-
mann, Fischer 1900).
Nach den sehr genauen, auf ein umfangreiches Material gestützten
Untersuchungen KeibeVs (1902) liegen die Verhältnisse beim Beh etwas
anders, als Bischof f angegeben lud. Nach ihnen muß man es wohl
ah ausgeschlossen betrachten, daß die Furcliungsxellen unter einander
wieder verschmelzen; vielmehr geht der Entwickelungsproxeß, ivenn
auch in sehr langsamem Temj)o, ständig iveiter. K ei bei fand schon
Ende August Keimblasen mit Embrgonalhnojjf, welche in den darauf-
folgenden Monaten langsam heranwuchsen, bis Ende November, meist
erst im Laufe des Dezember der Embrgoncdschild gebildet wurde.
Noch eigentümlicher liegen die Verhältnisse bei den Fledermäusen.
Die Begattung erfolgt im Spätherbst, bevor die Tiere die Winterquartiere
beziehen. Während des Winterschlafs findet man den Uterus mit lebendem
Sperma prall gefüllt. Aber erst im Frühjahr beginnt die Ovulation und
werden die Eier befruchtet, welche sich nun rasch weiter entwickeln. So
werden wenigstens die Verhältnisse von den meisten Forschern geschildert
(Beneke, Ei--\ier, Fries, Duval), während Van Beneden angiebt, daß die
Eier im Laufe des Winters befruchtet würden, lange Zeit aber, wie beim
Reh, in Ruhe verharren und erst im Frühjahr die Furchung beginnen.
Van Beneden's Angaben sind nicht einwurfsfrei. Da Van Beneden die
Oviducte immer erst untersuchte, nachdem die Fledermäuse einige Zeit,
oft sogar einige Tage aus den Winterquartieren in die Wärme gebracht
worden waren, ist es sehr wohl denkbar, daß das Erwachen aus dem
Winterschlafe eine verfrühte Entwickelung zur Folge gehabt hat. Damit
würde in bester Uebereinstimmung stehen, daß Van Beneden in sehr
verschiedenen Wintermonaten die Eier immer im Wesentlichen auf gleicher
Entwickelungsstufe antraf, daß bei vielen anderen der untersuchten Tiere
noch keine Ovulation stattgefunden hatte, und zwar sogar bei Fledermäusen,
welche im April untersucht wurden und um diese Zeit reife, noch nicht
gesprungene Follikel besaßen.
Litteratiir am Ende des IL Teils des Kapitels.
Zweites Kapitel.
IL Teil.
Der Furchungsprozess.
I. Einleitung.
Nachdem im Laufe der Befruchtung der Samenkern mit dem ihm
angefügten Ceutrosoma tiefer in das Ei eingedrungen ist, teilt sich
das Centrosoma samt der in seinem Umkreis zur Ausbildung gelangten
Strahlung in 2 Tochtercentrosomen ; aus dem Monaster entsteht
der Amphiaster. Die Teilung kann sich frühzeitig vollziehen, ehe Ei-
und Samenkern einander begegnet sind ; sie kann aber auch der Ver-
schmelzung der beiden Geschlechtskerne folgen. Ln einen wie im
anderen Fall kommt es nach einiger Zeit zur Bildung der Furchungs-
spindel: die Tochtercentrosomen liefern die Pole der Spindel und zu-
gleich die Centren der von denselben in das umgebende Protoplasma
sich ausdehnenden Strahlungen ; zwischen ihnen liegen anfangs die
zum Furchungskern verschmolzenen oder die Verschmelzung vor-
bereitenden Geschlechtskerne, später die aus letzteren hervorgegangene
Spindel mit den zur Aequatorialplatte angeordneten, oft noch in zwei
Gruppen (eine männliche und eine weibliche) geschiedenen Chromo-
somen. Damit ist die reguläre mitotische Zellteilung eingeleitet,
welche unter dem Namen Furchungsprozeß bekannt ist. Die be-
fruchtete Eizelle teilt sich samt ihrem Furchungskern in 2 Stücke,
die Furchungskugeln oder Blastomeren, diese nach einiger Zeit in
4, 8, 16 u. s. w. Stücke, welche in gleichem Maße kleiner werden, als
ihre Zahl zunimmt.
Ehe wir den Furchungsprozeß in den einzelnen Abteilungen der
Wirbeltiere besprechen, schicke ich abermals einige allgemeine Erörte-
rungen voraus. Die Fragen, welche hierbei Berücksichtigung ver-
langen, sind folgende:
1) Inwieweit ist die Lage der die Teilung des Eies
bewirkenden F u r c h u n g s e b e n e n eine streng gesetz-
mäßige, so daß eine einheitliche Benennung derselben
ermöglicht wirdV Wird ein bestimmter Furchungstypus auch
unter verschiedenartigen Bedingungen, wie sie vor allem durch den
wechselnden Gehalt des Eies an Nahrungsdotter gegeben
sind. beil)ehalten V
2) Durch welche Momente w i r d die A n o r d u u n g der
F u r c h u n g s e b e n e n bestimmt, und inwieweit steht die
Anordnung der Für chung sehe neu in konstanten Be-
ziehungen zur Organisation des fertigen Tieres.
570 R. Hertwig,
Bei der Besprechung der Anordnung der Furchungsebenen
beginnen wir mit dotterarmen, kugeligen, sogenannten „alecithalen'\
besser gesagt „homolecithalen'' (Wilson) oder „isolecithalen''
(Walde yer) Eiern, denen man eine „äjjuale Furchung" zuschreibt,
weil lange Zeit über die Blastomeren untereinander von ziemlich
gleicher Größe sind (vergl. p. 257). Am besten paßt die Bezeichnung
..äquale Furchung" für die ersten beiden Teilungsschritte. Denn fast
stets zerlegt die erste Teilebene das Ei in zwei gleichgroße Halb-
kugeln (a u. b). Die zweite Teilebene steht senkrecht auf der ersten
und zerlegt das Ei in Quadranten a\ a- und b\ b^; sie ist, streng
genommen, eine doppelte, da jede der beiden durch die erste Teilung
erzeugten Halbkugeln unabhängig von der anderen durch einen be-
sonderen Teilungsakt halbiert wird. Immerhin kann man von einer
einheitlichen zweiten Teilebene reden, weil die Teilebenen beider
Halbkugeln in der Regel vollkommen gleich gerichtet sind, so daß
sie gemeinsam eine einzige Ebene bilden. Die beiden ersten Furchungs-
ebenen schneiden sich in einer Linie, die man die Hauptachse des Eies
nennt, deren Enden man als Pole (ani malen und vegetativenPol)
bezeichnet. Diesen Vergleich mit einer Erdkugel fortführend, spricht
man von den beiden ersten Furchen als den Meridianfurchen.
Die regelmäßige Anordnung der beiden meridionalen Furchungs-
ebenen hat gewöhnlich nur kurzen Bestand. Nach Beendigung einer
jeden Teilung zeigen die Blastomeren die Tendenz sich abzurunden
und ihre Gestalt möglichst der Kugelform zu nähern, so daß sie sich
nur in geringer Ausdehnung berühren. Dieser Tendenz wirkt eine
andere Kraft entgegen, welche die Furchungskugeln in innigen Kontakt
zu bringen und gegeneinander abzuplatten sucht; sie wird wahrschein-
lich durch den Druck der umliegenden Eihüllen hervorgerufen : ihre
Wirkung kann ausbleiben, und die Furchungskugeln können dann aus-
einanderfallen, wenn die Eier in kalkfreiem Wasser kultiviert werden, was
wenigstens für Seeigeleier bewiesen ist (Herbst). Unter gewöhnlichen
Verhältnissen jedoch führt der Kompromiß zwischen den ])eiden ein-
ander widersprechenden Tendenzen zur Bildung von Brechungs-
furchen. Anstatt daß an einem Pol alle 4 Furchungskugeln in einem
Punkt zusammenstoßen, drängen zwei über das Kreuz gestellte Teil-
stücke die beiden anderen aus dem Kontakt heraus und kommen da-
durch in größerer Ausdehnung miteinander in Berührung, bei der Pol-
ansicht in Form einer kurzen Linie, welche man die Brechungsfurche
nennt. Bei der Gleichheit der 4 ersten Furchungskugeln ist es be-
greiflich, daß der Kontakt an dem einen Pol durch das eine Paar
Furchungskugeln hergestellt wird, z. B. a^ und b^, an dem anderen
Pol durch das andere (a^ u. b^), so daß die Brechungsfurchen der
beiden Pole, auf dieselbe Ebene projiziert, sich unter rechtem Winkel
schneiden würden. Selten kommt es vor, daß der Kontakt in ganzer
Länge der Hauptachse zwischen denselben Kugeln zu stände kommt,
und daß damit die beiden anderen Furchungskugeln aus jeder Be-
rührung herausgedrängt werden.
Eine Unterscheidung der beiden Pole der Hauptachse des Eies
ist nach dem, was wir bisher kennen gelernt haben, noch nicht
möglich; immerhin ist sie gewöhnlich schon sehr früh durchführbar,
und zwar auf Grund anderweitiger Momente. Bei dem vielfach als
Typus eines äqualen Eies verwandten Seeigelei fand Boveri (1901)
Purchungsprozeß. 571
Polarität in der Piginentverteilung. Ferner sind fast stets die beiden
Pole während der beiden ersten Teilungen an der Lage der Kern-
spindeln zu erkennen. Schon die erste Teilungstigur ist zumeist dem
einen Pol, den wir den animalen nennen, mehr genähert als dem
anderen, dem vegetativen. Diese Unterscheidung von animalem und
vegetativem Pol wird gewöhnlich otlenkundig beim dritten Teilungs-
schritt, bei welchem ziemlich gleichzeitig die 4 Quadranten in S Teile
zerlegt werden. Die 4 Teilungsfurchen, welche gemeinsam die dritte
Teilung bewirken, liegen zumeist genau in einer und derselben Ebene,
welche senkrecht zu den beiden ersten Furchen steht; sie bilden die
Aequato rialf ur che, so genannt, weil die Furchung längs dem
Aequator einschneidet. Genau äquatorial ist die Furche wohl niemals,
sondern von der Gegend des Aequators etwas nach dem einen Pol, dem
animalen, verschoben, so daß die um diesen Pol gruppierten Teil-
stücke etwas kleiner sind als die 4 übrigen.
In der weiteren Folge alternieren Furchungsebenen, welche senk-
recht zum Aequator verlaufen, mit solchen, die der Aequatorialebene
parallel sind. Letztere Furchen nennt man latitudinale Furchen;
erstere könnte man Vertikalfurchen nennen. Indessen ist es
nötig, hier zwei Möglichkeiten auseinanderzuhalten. Die Teilfurchen
können wie die ersten beiden Meridianfurchen durch die Ei-
pole verlaufen und die von jenen gebildeten Winkel halbieren.
Wir wollen sie ebenfalls Meridianfurchen (sekundäre M.) nennen,
den Ausdruck Vertikalfurclien dagegen auf Teilfurchen beschränken,
welche zwar senkrecht zum Aequator gestellt sind, die Pole aber
nicht durchschneiden. Solche Vertikalfurchen sind gewöhnlich einer
der beiden ersten Meridianebenen parallel gestellt und fallen daher
auf die andere Meridianebene senkrecht ein. Sie können aber auch
von der parallelen Anordnung abweichen und schräg auf die zweite
Meridianebene stoßen, woraus sich Uebergänge zwischen Meridian-
und Vertikalfurchen ergeben.
Frühzeitig — und zwar um so frühzeitiger, je mehr bei den
Blastomeren sich die Tendenz zur kugeligen Abrundung ausspricht
— entwickelt sich im Centrum des Eies zwischen den Furchungs-
kugeln ein von Flüssigkeit oder durchsichtiger Gallerte erfüllter Hohl-
raum, die Furchungshöhle. Indem dieser Hohlraum an Größe zu-
nimmt, werden bei fortschreitender Furchung die Furchungskugeln
auf eine oberflächliche Lage, das „Blastoderm", zusammengedrängt: so
bildet sich das als Blastula oder Vesicula blastodermica be-
kannte Entwickelungsstadium.
Für die Abänderung, welche der geschilderte Fur-
chungsprozeß bei dotterreichen Eiern erfährt, sind zwei
Momente maßgebend: 1) An ordnun gs weise und 2) Masse des
Nahrungsd Otters. Ist der Nahrungsdotter konzentrisch um den
Mittelpunkt des Eies angeordnet, das Ei „centrolecithal'', so bildet sich die
superficielle Furchung aus, bei welcher anfänglich, öfters auch
dauernd nur die oberflächlichen Schichten des Eies in Furchungs-
kugeln abgeteilt werden, im Innern dagegen ein ungefurchter Rest des
Dotters sich längere Zeit erhält. Da dieser Furchungstypus auf die
Arthropoden beschränkt ist und bei keinem Wirbeltier vorkommt,
kann er hier unberücksichtigt bleiben. Dagegen sind weit verbreitet
bei Wirbeltieren die in äquale Furchung und die diskoidale
572 R. Hertwig,
Furchung, welche beide bei Eiein mit i)olar diffeienzicrter Dotter-
anordnung, den sogenannten „telolecithalen" Eiern, vorkommen. Wie
in dem den Bau des Eies l^ehandelnden Kapitel auseinandergesetzt
wurde (p. 257), besteht das Charakteristische der telolecithalen Eier
darin, daß nach dem einen, dem vegetativen Eipol zu die Masse des
Nahrungsdotters wächst, nach dem anderen, dem animalen Pol zu da-
gegen abnimmt. Die Differenzierung kann verschiedene Grade zeigen.
Animale und vegetative Sphäre enthalten beide Dottermaterial, letztere
jedoch größere Mengen und gewöhnlich gröbere Elemente (größere
Dotterplättchen). Das andere Extrem zeigt am animalen Pol das
Protoi)lasma frei oder nahezu frei von Dotterplättchen, den Nahrungs-
dotter darunter zu einer großen kugeligen Masse vereint, in welche
das Protoplasma nur mit spärlichen Fäden (Elasm obran chier ,
E e p t i 1 i e n , Vögel, M o n o t r e m e n), vielleicht sogar gar nicht mehr
eindringt (Teleo stier). Das Protoplasma, der „Bildungsdotter",
der allein teilungsfähige Abschnitt, bildet dann eine dem Dotter auf-
gelagerte Scheibe. Zwischen beiden Extremen giebt es alle Ueber-
gänge.
Da der Nahruugsdotter ein zu keinen aktiven Bewegungen be-
fähigtes Material ist, übt nur die Menge des Protoplasma direkten Einfluß
auf die Abgrenzung der Furchungskugeln aus. Furchungskugeln, welche
sich in gleichem Furchungsstadium befinden, werden daher ungefähr
gleiche Mengen Protoplasma, bei der ungleichen Verteilung des Nah-
rungsdotters dagegen ungleiche Massen des letzteren enthalten. Daraus
ergiel)t sich mit Notwendigkeit, daß auf gleichem Teilungsstadium die
Furchungskugeln am animalen Pol kleiner sein müssen als am vege-
tativen, um so viel kleiner, als sie dotterärmer sind. Nun ist aber
der Nahrungsdotter nicht nur inaktiv, sondern sogar ein Hemmnis für
die Bewegungen. Daher verlangsamt sich der Furchungsprozeß nach
dem vegetativen Pol zu, was noch weiter dahin wirken muß, daß
zu einem gegebenen Zeitpunkt die in der F'urchuug zurückgebliebenen
vegetativen Zellen größer sind als die animalen. So bildet sich die
inäquale Furchung aus, welche das Ei in Blastoraeren von ungleicher
Größe zerlegt. Der Größenunterschied muß proportional den Unter-
schieden in der Dotterverteilung sein. Sind diese Unterschiede enorm,
so erhalten wir einerseits riesige dotterreiche, andererseits außerordent-
lich kleine protoplasmatische Blastomeren, schließlich kommt es zur
d i s k 0 i d a 1 e n F u r c h u n g , in dem nur die dotterarme Masse am
animalen Pol geteilt wird, die Dotterkugel einheitlich bleibt. Letztere
scheidet damit aus der aktiven Entwickelung aus ; sie bildet eine all-
mählich zur Resorption gelangende und nur indirekt am Aufbau der
Organe beteiligte Masse, auf welcher der abgefruchte Teil des Eies,
der Keim, in Form einer Scheibe lagert. Eine vöüige Loslösung
des Nahrungsdotters zu einer kern- und protoplasmafreien Masse, wie
sie sich vorübergehend bei den Eiern von Crustaceen (Flußkrebs)
nachweisen läßt, scheint bei Wirbeltieren zu keiner Zeit vorzukommen.
Vielmehr ist die an die Keimscheibe angrenzende Partie der Dottermasse
von Kernen und spärlichem Protoplasma durchsetzt, welche verschie-
dene Namen erhalten haben. Man spricht von „D otte r kernen",
„Mer ocy tenkern en" (kurzweg auch Merocyten), ,,Par ablast-"
oder „P e r i b 1 a s t k e r n e n". Da das die Kerne enthaltende Protoplasma
eine zusammenhängende Masse darstellt, wurde der Name Dotter-
Furchungsprozeß. 573
syiicytiuiu eingefühlt; die Bezeiclimiiig „Dotterorgan" endlich
soll bedenten. daß die kernhaltige Protoplasmaniasse die Aufgabe hat,
die Assimilation des Xahrungsdotters während der Enibryonalentwicke-
Inng zu vermitteln.
Es fragt sich nun, ob die Abänderungen, welche der Furclmngs-
prozeß durch die Dotteranhäufung erfährt, auf die verschiedene Größe
der Furchungskugeln und die verschiedene Geschwindigkeit, mit welcher
sie in den einzelnen Regionen des Eies gebildet werden, beschränkt
bleiben, oder ob auch die Anordnung der Furchen beeinflußt
wird V
Lauge Zeit überwog unter den Enibryologen die Ansicht, es
möge die gleiche Aufeinanderfolge der Teilfurchen, welche wir von
der äqualen Furclmng beschrieben haben, auch bei der inäqualen und
diskoidalen Furcliung gewahrt bleiben. Diese Ansicht fand ihre Stütze
in der Wahrnehmung, daß bei vielen inäqual sich furchenden Eiern,
so namentlich bei den am meisten untersuchten Froscheiern, das
oben erläuterte Furchungsschema sich in der That namentlich während
der frühen Stadien erkennen ließ. Zunächst traten die 2 recht-
winklig sich kreuzenden Meridionalfurchen auf, und auf diese folgte
eine ..Aequatorialfurche'', welche freilich in noch höherem Grade als
bei äqualen Eiern die Verschiebung nach dem animalen Pol erlitten
hatte, und zwar proportional dem Dotterreichtum des Eies. In der
Folge ergaben sich jedoch auch bei diesen dem Schema sich fügenden
Eiern manche im Vergleich zur äqualen Furchung neue Erscheinungen.
So bilden sich Teiluugen aus, welche wir bei der ä(iualen Furchung
vermissen, die Tangentialteilun gen, bei denen die Blastomeren
durch Ebenen geteilt werden, welche der Oberfläche parallel verlaufen
und äußerlich daher nicht sichtbar werden. Durch sie wird die bei
der äqualen Teilung einschichtige Vesicula blasto-
d e r m i c a vielschichtig.
Indessen giebt es auch Eier mit inäqualer Furchung, nämlich
solche, bei denen der relative Dotterreichtum sehr groß ist, bei
denen schon auf frühen Stadien der E n t w i c k e 1 u n g der
Durchführung eines einheitlichen F u r c h u n g s s c h e m a s
große Schwierigkeiten entgegentreten. Diese Schwierig-
keiten steigern sich noch weiter bei Eiern mit diskoidaler Furchung.
Meistens, aber keineswegs stets, sind noch die 2 Meridionalfurchen
nachweisbar; aljer eine tyi)ische Aequatorialfurchung ist nicht zu er-
kennen, selbst wenn man eine sehr weitgehende polare Verschiebung
der Furche zugestehen wollte. Gleichwohl haben sich viele Forscher
durch die unbefriedigenden Beobachtungsergebnisse nicht entmutigen
lassen und fahren in den Bemühungen fort, wenn auch keine typische
Aequatorialfurchung. so doch ein Aecjuivalent derselben auch bei den
diskoidalen und hochgradig inäqualeu Furchungsvorgängen nachzu-
weisen. Dieses Verfahren läßt sich nur rechtfertigen, wenn man an-
nimmt, daß der Anordnung der Furchungsebenen eine tiefere Gesetz-
mäßigkeit zu Grunde liegt. Das ist aber ein Problem, welches selbst
noch der Lösung bedarf.
Wir werden damit auf die oben an zweiter Stelle aufgeführten
Fragen hingeleitet : durch w e 1 c h e M o m e n t e d i e F u r c h u n g s -
ebenen in ihrer Anordnung bestimmt werden und in
welchem ^^ e r h ä 1 1 n i s diese Anordnung zum Bau des aus-
gebildeten Tieres stehen.
574 K. IIertwig,
Um die regelmäßige Aufeinanderfolge der Furchen zu erklären,
haben Prevost und Dumas (A. L. I 1824), die Entdecker des
P'urchungsprozesses, d a s P r i n z i p d e r r e c h t w i n k 1 i g e n S c h u e i -
düng der Teilfurchen aufgestellt, ein Prinzip, welches bekanntlich
durch Sachs auch für die Teilung der Pflanzenzellen Verwendung
gefunden hat. Rauber (1883) hat sich den Ansichten der beiden
französischen Gelehrten angeschlossen , dieselben aber durch das
,,Prinzip der Polflucht der Teilfurchen'' ergänzt: es sollen die neu
entstehenden Furchen die Tendenz haben, die Pole zu vermeiden.
Schließlich wurde auch zur Erklärung das PLATEAu'sche Gesetz der
kleinsten Flächen herangezogen. Die Anordnung der Furchungskugeln
soll sich in der Weise vollziehen, daß die Summe ihrer Flächen mög-
lichst kleine Dimensionen ergiebt.
Allen genannten Erklärungsversuchen haftet der Mangel an, daß
sie die Anordnung der Teilfurchen nicht als die Konseiiuenz der den Tei-
lungen vorausgehenden Bedingungen auffassen, sondern mit Zuständen,
welche erst durch die Teilung geschaffen werden, in Zusammenhang
bringen. Gegen die zwei zuerst erwähnten Erklärungsversuche muß
noch weiter hervorgehoben werden, daß ihre empirische Begründung
stark anfechtbar ist. Mit Recht haben sich gegen das Prinzip der recht-
winkligen Schneidung der Teilfurchen die meisten Forscher ausge-
sprochen, welche sich nach Prevost und Dumas mit dem gleichen
Objekt, dem Froschei, beschäftigt haben; ebenso häutig wie rechte
werden auch andere Winkel beobachtet. Was nun das Gesetz der
kleinsten Flächen anlangt, so scheint demselben für die nach der Tei-
lung eintretende Gruppierung der Blastomeren eine größere Bedeutung
zuzukommen, mit Einschränkungen, welche sich vielleicht alle daraus
erklären lassen, daß Furchungskugeln nicht die vom PLATEAu'schen
Gesetz verlangte homogene Beschaffenheit haben. Auch muß zuge-
geben werden, daß die gemäß dem PLATEAu'schen Gesetz eintretende
Anordnung der Furchungskugeln für den Verlauf der nächstfolgenden
Teilungen von Wichtigkeit wird. Aber es wird damit nur ein kleiner
Teil der Erscheinungen erklärt. In welcher Richtung die erste Furche
einschneidet, wie es kommt, daß so häufig Teilung in ungleiche Stücke
erfolgt, und so vieles andere bleibt unverständlich und kann nur aus
den im Ei und seinen Abkömmlingen wirksamen lebendigen Kräften
erklärt werden.
In der hier zuletzt angedeuteten Richtung hat 0. Hertw^g (1884)
versucht, für die Anordnung der Teilungsfurchen und die damit in Zu-
sammenhang stehende Anordnung und Größe der Blastomeren eine Er-
klärung zufinden. Ergeht davon aus, daß bei jeder Zellteilung
die Teil furche senkrecht zur Achse der Kernsp in del ein-
schneidet, und zwar in der Weise, daß sie die se Achse
halbiert. Somit gilt es, die Ursachen zu ermitteln, welche die Ein-
stellung der Kernspindel bestimmen. Diese sind in den Wechsel-
wirkungen gegeben, welche bei jeder Zellteilung zwischen Kern und
Protoplasma zu Tage treten. 0. Hertwig hat den Satz aufgestellt,
daß sich d i e P o 1 e der Spindel in die Richtung der
größten Protoplasmamassen einstellen.
Der Grundgedanke dieses von einigen Seiten angegriffenen Satzes
ist durchaus zutreffend. Nur muß man berücksichtigen, daß er sich
auf äußerst komplizierte Lebensvorgänge bezieht. Bei derartigen Vor-
o
Farchungsprozeß. öTö
gangen kann man nicht erwarten, daß die ihnen zn Grunde liegende
Gesetzmäßigkeit stets in genau den gleichen Erscheinungsformen zum
Ausdruck kommt. AVelche Anordnungen ein nach dem Hertwig-
schen Prinzip wii'kender Teilungsapparat herbeiführen wird. l)eruht
auf dem Ineinandergreifen zahlreicher Einzelprozesse und muß daher
notwendigerweise mannigfachen Variationen unterliegen, je nachdem
die Wirkungsweise der einzelneu Faktoren in ihrer Intensität ab-
gestuft ist.
Bei jedem der Fortentwickelung fähigen Zellkern wechseln zweierlei
Zustände: 1) ein Zustand, in welchem er keinen Einfluß auf die
Orientierung des umgebenden Protoplasmas ausübt, in welchem daher
auch seine Lagerung in der Zelle eine wechselnde ist — wir wollen
ihn den Zustand der Teilun gsinakti vität nennen: — 2) ein
Zustand, bei welchem das umgebende Protoplasma in radialen Bahnen
nach dem Kern oder, richtiger gesagt, nach dem dem Kern angefügten
Centrosoma orientiert ist — der Zustand der Teilungs-
aktivität. Infolge dieser als Strahlung zum Ausdruck kommenden
Wechselwirkung mit dem Protoplasma gewinnt der Kern allmählich
eine bestimmte Lagerung in der Zelle, und zwar rückt er, solange
die richtenden Kräfte wirksam sind, mehr und mehr in das Centrum
der aktiven Zellbestandteile, der Protoplasmamassen. Diese Ein-
stellung des Kernes geschieht am Anfang jeder Teilung. Wenn
nun durch Teilung des Centrosoma zwei Ausstrahlungscentren ge-
schafl"en werden, geht der orientierende Einfluß auf die beiden Tochter-
•centrosomen über: deren Stellung wird nun aber nicht mehr aus-
schließlich durch die Wechselwirkung mit dem Protoplasma bestimmt,
sondern hängt auch davon ab, daß die Centrosomen untereinander
verbunden sind, zunächst durch den Kern, später durch die aus dem
Kern hervorgegangene, im Lauf der Teilung sich immer mehr in die
Länge streckende Spindel. Obwohl nun die Ausstrahlungscentren
vermöge der Streckung der Spindel allmählich ihre Lage verändern,
so müssen doch die nach ihnen centrierten richtenden Kräfte auf die
Stellung der gesamten Spindel stets in gleicher Weise wirken, solange
der Nahrungsdotter spärlich oder in der Richtung aller Radien gleich-
mäßig verteilt ist. Die Wirkung wird der Art vor sich gehen, daß
die Spindelachse nahezu durch das Eicentrum verläuft und die beiden
Spindelpole vom Centrum gleich weit entfernt sind. Denn das ist die
Stellung, in welcher jeder Spindelpol auf einen möglichst großen
Abschnitt von Protoplasma Einfluß gewinnt und seinerseits wieder
von demselben beeinflußt wird. Daraus folgt mit Notwendigkeit, daß
die die Spindelachse halbierende Teilfurche durch das Eicentrum ver-
laufen muß — äquale Furchung.
Ist nun der Nahrungsdotter nach einem Pol der Eizelle zu reich-
licher angehäuft, so ist eine centrale Spindelstellung nicht mehr
möglich: es muß eine Verschiebung nach dem animalen Pol ein-
treten, und zwar zunächst einmal um soviel, als der Mehrbetrag an
Nahrungsdotter auf der vegetativen Seite des Eies ausmacht. That-
sächlich muß sogar die Verschiebung eine noch erheblichere sein,
weil der Nahrungsdotter nicht nur eine inaktive, sondern auch eine
behindernde Masse ist. Durch den Nahrungsdotter wird die Aktivität
des von ihm durchsetzten Protoplasma in zweierlei Weise herab-
gesetzt: 1) ein Teil der bewegenden Kräfte wird zur Bewältigung
57G K. Hertwig,
der trägen Dottermasse verwandt; 2) das aktive Protoplasma wird
durch Einlagerung von Dotterbestandtcilen ül)er einen größeren Raum
verteilt.
In der polar ungleichen Anordnung des Nahrungsdotters ist nach
der HERTWiG'schen Teilungsregel zunächst kein Grund zur Abänderung
des äqualen Charakters der meridionalen Furchen gegeben, solange
nämlich die Anordnung des Nahrungsdotters eine radial symmetrische
ist. So sehen wir denn selbst bei Eiern von enormem Dotterreichtum,
wie es die meroblastischen Eier sind, häufig die 2 meridionalen
Furchen in regelmäßiger Weise auftreten. Es ist aber ganz begreif-
lich, daß die radiale Symmetrie nicht immer vollkommen gewahrt sein
wird, und daß dann Abweichungen von der Norm auftreten werden.
Selbst bei Eiern derselben Art kann es vorkommen, daß die meri-
dionale Furchung bei einigen Eiern regelmäßig verläuft, bei anderen
eine Teilung in ungleiche Stücke veranlaßt. Erheblichere Ab-
weichungen vom Rhythmus der ä(iualen Furchung werden aber
eintreten, wenn die Teilungsthätigkeit in das Grenzgebiet des dotter-
reichen und dotterarmen Abschnittes des Eies zu liegen kommt, d. h.
zur Zeit der Aequatorialfurche. Verlagerung derselben nach dem
animalen Pol, zeitliche Verschiebung, ja selbst gänzliche Unterdrückung
der Furche müssen je nach der Struktur der Eizelle in Konsequenz
der HERTW^iG'schen Regel eintreten. Daß es häufig zu einer Ver-
lagerung des Aequatorialfurche kommen muß. bedarf keiner Er-
läuterung. Schwieriger ist es, das verspätete Auftreten oder den
gänzlichen Schwund der Aequatorialfurche zu verstehen. Hier ist zu
beachten, daß die Ansammlung von Nahrungsdotter nicht nur zu einer
Sonderung von protoplasma- und deutoplasmareichen Partieen des
Eies führen muß. sondern auch zu einer Veränderung in der Gestalt
der protoplasmareichen Partie. Je mehr das Ei durch Aufnahme von
Nahrungsdotter zu einer Kugel von ansehnlichem Radius anwächst,
um so mehr wird das Protoplasma zu einer dünnen horizontalen
Scheibe ausgebreitet. Damit wachsen natürlich die Aussichten zu
fortgesetzter vertikaler Teilung und Unterdrückung der Aequatorial-
furche, was thatsächlich mit den Beobachtungen an dotterreicheu
Eiern übereinstimmt.
So weit sind die Verhältnisse leicht verständlich, und die hierüber
von 0. Hertwig gegebenen Erläuterungen sind so einleuchtend, daß
sie wohl allgemeine Billigung gefunden haben. Indessen die Einflüsse,
welche unmittelbar vom Nahrungsdotter ausgehen, genügen nicht, um
alle Modifikationen zu erklären, welchen der Furchungsprozeß wie auch
andere Zellteilungen unterworfen sind. Wie wäre es sonst denkbar, daß
dasselbe Ei, welches noch soeben bei der Eireife zwei hochgradig in-
äquale Teilungen in das definitive Ei und die beiden Richtungskörper
erfahren hat, nun nach der Befruchtung sich äqual furcht, ohne daß in
den Verhältnissen von Protoplasma und Nahrungsdotter eine beachtens-
werte Veränderung eingetreten wäreV Wie wäre es ferner möglich, daß
dieselben Unterschiede zwischen Reifeteilungen und Furchung bei dotter-
reichen Eiern ebenso wiederkehren, wie bei dotterarmen V Veränderungen
des Charakters der Zellteilung müssen somit von den bei ihr unmittel-
bar beteiligten Faktoren ausgehen können durch V e r ä n d e r u n g d e r
Wechselwirkungen, welche zwischen Kern und Proto-
plasma b e s t e h e n.
Furchungsprozeli. 577
Für (Ion iionnalen Vorlauf der Zellteilung ist, wie wir oben ge-
zeigt haben, eine intensive Wechselwirkung zwischen Kern und Proto-
plasma nicht nur während des Teilungsaktes selbst nötig, sondern
schon in der vorausgehenden Zeit. Während derselben muß der Kern
in den Mittelpunkt seiner Wirkungssphäre eingestellt werden. Zur
richtigen Einstellung des Kernes bedarf es einer bestimmten Intensität
der Wechselwirkung, außerdem einer gewissen Zeitdauer, daß der
Kern den Weg bis zu dem ihm zukommenden Ort zurücklegen kann.
Zeitdauer der Einstellung und Intensität der Wechselwirkung sind
veränderlich ; sie gestalten sich z. B. bei der Richtuugskörperbildung
ganz anders als bei der Eifurchung. Während der letzteren eine länger
dauernde Aktivitätsphase vorausgeht, im Verlauf deren durch die vom
Spermocentrum ausgehenden Wirkungen die normale Einstellung des
Furchungskerns bewirkt wird, wandert zur Zeit der Eireife das Keim-
bläschen ohne Strahlung an die Obertiäche. Hier kommt es zur
Bildung der Spindel, deren oberflächliche Lage durch weitere Ein-
richtungen bewahrt wird. Es kann geschehen, daß Reste des Keim-
bläschens lange erhalten bleiben und die Keruspindel von der Haupt-
masse des Protoplasmas ausschließen. Ein wichtiger Faktor aber ist
vor allem die geringe Eutwickelung der Strahlungserscheinungen,
welche uns einen Maßstab für die geringe Intensität der richtenden
Wechselwirkung zwischen Kern und Protoplasma liefert. Fehlen doch
häufig an den Richtungsspindeln die Ceutrosomen gänzlich, so daß die
Strahlung entweder gar nicht oder in ganz geringfügiger Weise zur
Ausbildung gelangt. Damit schwindet die letzte Möglichkeit, noch
nachträglich eine centrale Einstellung der Richtungsspindel zu be-
wirken ; und so wird durch eine Reihe von Einrichtungen, welche den
typischen Verlauf der Teilung modifizieren, verhindert, daß durch Ab-
schnürung protoplasmareicher Richtungskörper dem Ei zu viel Substanz
entzogen wird.
Die rudimentäre Beschaifenheit oder der gänzliche Mangel der
Centrosomen im um'eifen, reifenden und reifen Ei wird gewöhnlich damit
erklärt, daß das Ei seine an die Anwesenheit von Centrosomen geknüpfte
Teilfähigkeit aufgeben müsse, damit die Befruchtung ermöglicht werde.
Sicherlich hat die auffällige Erscheinung noch eine weitere Bedeutung
für die Eireife, wie es durch die oben gegebenen Auseinandersetzungen
dargethan wurde.
So hochgradige Abänderungen des Teilungsverlaufs, wie ich sie
eben für die Reifeteilungen des Eies erläutert habe, kommen während
des Furchungsprozesses nicht vor. Die Konstanz, mit welcher bei
jeder Teilung Centrosomen auftreten, schließt es von Anfang aus, daß
die Intensität der Wechselwirkung von Kern und Protoplasma erheb-
lichen Schwankungen unterliegt. Dagegen kann man von vornherein
mit Sicherheit darauf rechnen, daß der zeitliche Verlauf der Vorgänge,
welche die richtige Einstellung der Teilspindel bewirken, in beträcht-
licher Weise abgeändert werden kann. Jeder Kern muß von dem Ort,
welchen er am Schluß der vorausgegangenen Teilung gewonnen hat,
zu der Stelle, welche ihm bei der nächstfolgenden Teilung durch die
Protoplasmaverteilung seiner Blastomere zugewiesen wird, eine Strecke
Weges zurücklegen, deren Länge in den einzelnen Fällen sehr ver-
schieden ausfallen wird. Die Wegstrecke wird im allgemeinen bei
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 37
Ö78 R. Hertwig,
dotterarmen kugeligen Eiern und Blastomeren sehr klein sein ; sie
wird sehr bedeutend ausfallen bei der Teilung langgestreckter Zellen
•oder wenn dotterreiche Blastomeren sich in einen dotterreichen und
-einen dotterarmen Abschnitt teilen, da die Kernspindel keine der
Streckung der Zelle entsprechende Verlängerung erfährt: am ansehn-
lichsten wird sie sein, wenn beide Momente sich kombinieren, d. h,
bei ovalen Eiern, bei denen zugleich große Mengen polar angeordneten
Nahrungsdotters vorhanden sind. Wenn wir nun weiter beachten, daß
durch das Dottermaterial den Verschiebungen des Kernes ein Hindernis
geschaffen wird, so ist klar, daß die richtige Einstellung des Kernes in
das Centrum seiner Wirkungssphäre in gleichem Maße erschwert sein
muß, je dotterreicher die Eier oder Blastomeren werden und je mehr
der fortschreitende Furchungsprozeß Teilstücke erzeugt, welche von
der Kugelform abweichen. Notgedrungen muß sich in vielen Fällen
ein Mißverhältnis entwickeln zwischen der Zeit, welche von Kern-
teilung zu Kernteilung verläuft, und der Zeit, welche zur Zurück-
legung des Weges behufs normaler Einstellung des Kernes not-
wendig ist. Nun wissen wir, daß äußere Einflüsse, wie sie durch
Temperaturschwankungen, chemische und mechanische Reize ausgeübt
werden, sich nicht in gleicher Weise am Kern wie am Protoplasma
äußern und daher für den zeitlichen Verlauf der Einstellung des Kernes
und für seine Umwandlung zur Spindel in verschiedener Weise zur
Geltung gelangen. Am klarsten kommt diese Erscheinung darin zum
Ausdruck, daß bei Zellen, welche chemischen, thermischen oder mecha-
nischen Einflüssen ausgesetzt gewesen sind, unter Umständen die
Kernteilung noch zu stände kommt, während die Protoplasmateilung
unterbleibt oder wenigstens verlangsamt wird. Wenn man dies alles
berücksichtigt, so wird man nicht erwarten können, daß die Hertwig-
sche Teilungsregel sich in allen Fällen mit mathematischer Genauig-
keit verwirklichen wird ; man wird wie bei allen Lebensvorgängen
die große Variabilität der organisierten Materie berücksichtigen müssen
und nicht jeden Ausnahmefall sofort als eine Widerlegung der Regel
betrachten, sondern eher Veranlassung haben, nach den Ursachen zu
forschen, welche die Abweichung von der Norm bedingen. Die obigen
Auseinandersetzungen liefern weiterhin auch eine Erklärung, weshalb
Ausnahmefälle vom allgemeinen Schema bei dotterreichen Eiern be-
sonders häufig sind, warum der Furchungsprozeß hier mehr und mehr
seines regelmäßigen Verlaufs entkleidet wird und selbst bei Eiern,
welche einer und derselben Art angehören, eine große Veränderlichkeit
gewinnt. Wachsender Dottergehalt der Eizelle bedingt eine zunehmende
Sensibilität für die abändernde Wirkung äußerer Einflüsse.
In der allerletzten Zeit sind weitere Eigentümlichkeiten der Zellstruktur
bekannt geworden, welche die Art und Weise, in welcher die HERTWiG'sche Teilungs-
regel zum Ausdruck kommt, modifizieren, ohne daß dieselbe hierdurch widerlegt
würde. Boveri (1902) fand am Ei von Strongylocentrotus Uvidus einen breiten
Pigmentring unterhalb des Aequators in der Rindenschicht der vegetativen Eihälfte.
Das Ei läßt somit eine deutliche Polarität erkennen. Die Ebene, in welcher die Kern-
spindel bei der ersten und zweiten Teilung eingestellt ist, liegt dicht oberhalb des
Pigmentringes und wird von BovERi die karj^okiuetische Ebene genannt, weil das in
4ieser Region befindliche Protoplasma auf die Öpindel eine besondere Anziehungs-
kraft auszuüben scheint. Denn wenn man das Ei senkrecht zur Eiachse oder unter
einem Winkel zu ihr preßt und dadurch die Protoplasmaanordnung abändert, rückt
die Kernspindel aus der karyokinetischen Ebene erst dann heraus, wenn die Ver-
änderung sehi- hochgradig geworden ist, und auch dann nicht in dem Maße, als man
es nach der Veränderung der Protoplasmaanordnung erwarten sollte. Ein zweiter
Furchungsprozeß. 579
hier in Betracht kommender Fall ist das Ei von Polystomum tntegerrimum. Hier
konnte Golpschmidt (1902) ungleiche Größe der Centrosomen an der ersten
Furchungsspindel nachweisen. Da somit ungleiche Kraftcentren geschaffen waren,
■wurde auch die Teilung inäqual: dem größeren Centrosoma entsprach eine größere
Furchungskugel.
Unsere bisherigen Darlegungen haben uns dahin geführt, den
Furchungsprozeß als eine Succession aufeinander folgender
Zellteilungen aufzufassen, v o n d e n e n e i n e j e d e i n i h r e m
Charakter durch die Konstellation von Kern, P r o to -
p 1 a s ni a u n d N a h r u n g s d o 1 1 e r b e s t i m m t wird, w i e s i e sich
aus dem Ablauf der vorangegangenen Teilung ergeben
hat. Da nun der gesamte Entwickelungsverlauf eines Organismus
sich in eine Summe derartiger Zellteilungen, von denen eine jede mit
Notwendigkeit sich aus der vorhergehenden ergiebt und die nächst-
folgende bestimmt, auflösen läßt, so muß sich selbstverständlich unter
normalen Verhältnissen stets derselbe gesetzmäßige Zusammenhang
zwischen den ersten Teilungen und dem späteren Aufbau des Embryo
ergeben, d. h. es müssen die Eiachsen und die Furchungsebenen in
einem bestimmten Lageverhältnis zu den Körperachsen und Symmetrie-
ebenen des Embryo stehen. Es hat sich z. B. für viele Fälle heraus-
gestellt, daß die erste Teilungsebene ungefähr mit der Sagittalebene
des Embryo zusammenfällt und somit das Material für die linke und
rechte Hälfte des Embryo sondert, während durch die zweite Teilung
das Vorn und das Hinten, oder vielleicht auch das Dorsal und Ventral
voneinander getrennt werden.
In der Neuzeit hat man versucht, dieser Uebereiustimmuug in der
Orientierung des Eies und des aus ihm hervorgehenden Embryo eine
tiefere Bedeutung beizumessen. Durch den Furchungsprozeß
werde das Ei nicht nur in Teilstücke zerlegt, welche
später verschiedenartigen Organen Entstehung geben;
vielmehr seien diese Teils tücke selbst schon qualitativ
verschieden, in ähnlicher Weise voneinander ver-
schieden, wie die Organe und Or gan gruppen, welche
aus ihnen hervorgehen; und so werde die spätere Verschieden-
artigkeit der Organe der Anlage nach vorbereitet durch eine Verschieden-
artigkeit in den einzelnen Teilen des Eies, mindestens in den einzelnen
Furchungskugeln. Demgemäß würde der Embryo im Ei präformiert
sein, wenn auch nicht aktuell, wie die Vertreter der Präformations-
oder Evolutionstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts, Swammerdam,
Spallanzani, Albrecht v. Haller, es annahmen, so doch der An-
lage nach. Man kann daher von einer n eo-e volutionis t ischen
Schule reden.
Ihren Ausgangspunkt nahm die neo-evolutionistische Lehre von
dem von His stammenden „Prinzip der o r g a n b i 1 d e n den K e i m -
bezirke" (A. L. I, 1874). Dasselbe wurde zunächst für die Keimscheibe
des Hühnchens aufgestellt und besagt, „daß die Keimscheibe die
Organanlagen in flacher Ausbreitung vorgebildet enthält und umge-
kehrt ein jeder Keimscheibenpunkt sich in einem späteren Organ
wiederfindet", daß „jedes aus der Keimscheibe hervorgehende Organ
in irgend einem räumlich bestimmbaren Bezirk der flachen Scheibe
seine vorgebildete Anlage hat". His, welcher unter Keimscheibe hier
den in Furchungskugeln zerlegten Keim versteht, fügt weiter hinzu :
„Ja, wenn wir konsequent sein wollen, haben wir diese Bestimmung
auch auf das eben befruchtete, und selbst auf das unbefruchtete Ei
auszudehnen".
37*
580 R. Hertwig,
In der Neuzeit hat sich His (1901) gegen die Interpretation seiner
Lehre als einer evolutionistischen durch 0. Hertwig verwahrt, speciell
gegen folgenden Satz: „His denkt sich also im Ei den Embryo gewisser-
maßen auch schon räumlich präformiert, nur mit dem Unterschied, daß
er Materialteilchen im Ei annimmt an den Orten, wo nach der älteren
Auffassung die Organe in verkleinertem und unsichtbarem Zustande liegen
sollen." Dieser Darstellung seiner Ansichten gegenüber beruft sich His
darauf, daß er in allen seinen Schriften „die Entwickelung als einen or-
ganischen ablaufenden Prozeß ansehe, bei dem jeder einzelne Teilvorgang
mit allen übiigen Vorgängen in gegenseitigem Wechselverhältnis stehe".
Ich kann nicht finden, daß dieser Satz die Auffassung ausschließt, welche
0. Hertwig und andere Forscher His zugeschrieben haben. Denn es
wäre ganz gut denkbar, daß bei der Entwickelung zwei Prozesse in-
einander greifen und sich wechselseitig einschränken, die Selbstentwicke-
lung der einzelnen Teile und ihre Bestimmung durch benachbarte Teile,
wie ja auch im postembryonalen Leben die hohe Differenzierung und
Eigentätigkeit der Organe eine Korrelation derselben mit anderen Or-
ganen nicht ausschließt.
Indem ich selbstverständlich His einräume, daß er am kompetentesten
ist, seine Anschauungen zu interpretieren, so muß ich andererseits hervor-
heben, daß seine Ausdrucksweise keine glücklich gewählte war, daß ein
unbefangener Leser sie nur in der Weise, wie 0. Hertwig es gethan
hat und es auch von mir geschehen ist, interpretieren kann. Die An-
nahme „vorgebildeter Anlagen", von denen „eine jede ihrem besonderen
Gesetze gemäß wächst", die Zerlegung des „eben befruchteten Keimes in
eine Anzahl organbildender Keimbezirke", wobei „innerhalb eines jeden
dieser Bezirke den Teilen eine Wachstumserregung innewohnt, die sie bei
ihrer Ablösung vom Gesamtkeime mit sich nehmen", die Ansicht, daß im
„Ei eine specifische Verteilung der Wachstumserregbarkeit" vorhanden ist,
scheinen auch mir imgroßen und ganzen auf die Anschauungen hinauszu-
laufen, welche Roux in seiner „Mosaiktheorie" zum Ausdruck gebracht hat.
Die His'sche Lehre hat durch Roux (1888, 1892, 1893 etc.)
eine Fortbildung und Umgestaltung erfahren, welche den neueren
Errungenschaften auf dem Gebiet der Zellenlehre Rechnung trägt.
Die Präformation sei in den Kernen enthalten, deren
Einfiuß auf das umgebende Protoplasma die Verschiedenartigkeit der
einzelnen Organanlagen bedinge. Da nun zunächst in der befruchteten
Eizelle nur ein Kern vorhanden ist, so muß bei den successiven Kern-
teilungen sich allmählich eine Sonderung der in ihm enthaltenen Anlagen
vollziehen. Die Kernteilungen des Furchungsprozesses
sind ,,erb ungleich". Die beiden Tochterkerne eines Mutter-
kerns enthalten die Eigenschaften desselben ungleich verteilt und sind
daher untereinander verschieden. Gewöhnlich wird durch die erste
Furche das Material für die linke und rechte Seite gesondert; die
Ebene der ersten M e r i d i o n a 1 f u r c h e ist daher identisch
mit der späteren Symmetrieebene des Körpers. Dem-
entsprechend sind auch die beiden ersten Furchungskugeln, resp. ihre
Kerne verschieden. Die einen Teile enthalten die Umbildungsfähigkeit
zu linksseitigem, die anderen zu rechtsseitigem Material. In gleicher
Weise sondert die zweite Ebene das Vorn und Hinten, das Kopf- und
Schwanzende des Embryo. Nur ausnahmsweise komme es vor, daß
die die Sagittalebene bildende Furche erst an zweiter Stelle entstehe;
das sei dann ein „Anachronismus" der Furchen, welcher dadurch
hervorgerufen sei, daß die den zweiten Teilungsakt auslösenden
Furchungsprozeß. 581
Kräfte ausnahmsweise einmal eher in Thätigkeit treten als die Kräfte für
die erste Teilung. Für die Auslösung dieser Kräfte ist die Anordnung
des Protüi)lasma und des Nahrungsdotters maßgebend ; sie übt einen rich-
tenden Eintiuß auf die Lage der Furchungsspindel aus, so daß auch
Protoplasma und Nahrungsdotter für die spätere Orientierung des
Embryo von \Yichtigkeit sind. Jede der 4 durch die 2 ersten Furchen
gebildeten Furchungskugeln enthält somit das Material für einen ganz
bestimmten Körperquadranten und unterscheidet sich von den 3 anderen;
und nicht nur das Bildungsmaterial zu einem ganz bestimmten Stück
des Embryo enthält sie, sondern auch die hierzu nötigen „differen-
zierenden und gestaltenden Kr ä f t e'' ; d. h. sie besitzt in ihrer
Entwickelung einen erheblichen Grad von Unabhängigkeit vom Ganzen,
sie ist zu „selbständiger D i f f e r e n z i e r u n g'' befähigt. Da nun
auch den späteren Furchungskugeln ein hohes Maß von Selbstdifferen-
zierungsfähigkeit zukommt, gleicht der Keim einem „Mosaik" ver-
schiedenartiger embryonaler Bausteine. „Die Entwickelung ist
Mosaikarbeit" (Roux).
Nun wissen wir, daß die Eigenschaften des Kindes die Resultante
der Eigenschaften von Vater und Mutter sind. Die Ursachen für den
Verlauf des Furchuugsprozesses, welcher ein Mosaik verschiedenartiger
Zellen erzeugt, können somit nicht einseitig in der Beschaffenheit der
Eizelle begründet sein, sondern müssen ebenso sehr auf Rechnung
des Spermatozoon gebracht werden. So wird es l)egreiflich, warum
Roux so großen Wert darauf legen muß, daß die Lage der
ersten Furchungsebene und damit auch die Lage aller
folgenden nicht ausschließlich von der Beschaffenheit
der Eizelle abhängt, sondern auch von dem Einfluß des
e i n d r i n g e n d e n S p e r m a 1 0 z 0 0 n. Wir haben schon früher gesehen,
daß Roux sich mit Bestimmtheit dagegen ausgesprochen hat, daß die
bilaterale Symmetrie des Embryonalkörpers schon vor der Befruchtung
festgelegt sei. Vielmehr soll dies erst beim Eindringen des Sper
matozoon geschehen, indem die Symmetrieebene durch eine Ebene be-
stimmt werde, welche zugleich durch den Mittelpunkt des Eies und
die Kopulationsbahn des Spermatozoon verlaufe.
Die evolutionistische Autfassungsweise der Entwickelungsgeschichte,
welche zahlreiche Verteidiger gefunden hat. wurde auf das lebhafteste
von 0. Hertwig (1892, 1892, 1893, A. L. I 1898) und Driesch
(1892, 1895, 1901) bekämpft, bis zu einem gewissen Grad kann auch
Pflüger (1883) als ihr Gegner angesehen werden. Nach der Ansicht
Pflüger's ist das Ei anfänglich „isotrop", d. h. es besteht aus Teilen,
die untereinander gleichartig sind, so daß jeder Teil für jedes spätere
Organ benutzt werden kann. Während nun Pflüger annimmt, daß
die Isotropie des Eies unter dem Einfluß der Schwer-
kraft schwindet und einer zur 0 r g a n b i 1 d u n g f ü h -
reu den Differenzierung der Teile Platz macht, läßt
Hertwig die Isotropie während des Furchungsprozesses fortbestehen
und erst als Endresultat des Entwickeluugsprozesses die Verschieden-
artigkeit der Organe auftreten. Auch Driesch nimmt eine, wenn auch
nicht komplete Isotropie an. Beide nähern sich in dieser Hinsicht der
Theorie K. F. Wolff's und können den „N eo-Evol utio nisten"
als „Neo-Epi genetiker" gegenübergestellt werden.
Nach der neuen Lehre von der Epigenesis hat der Furchungs-
prozeß nur die Aufgabe, den einheitlichen Lebensherd des
Eiesiu viele kleineLebensherde abzuteilen. Diese können
fe
582 R. Hertwig,
vermöge verschiedenen Dotterreichtunis, Pigmentgehalts etc. ver-
schieden aussehen; sie liefern im Lauf der Entwickelung thatsächlich
auch verschiedenerlei Organe, sie haben „verschiedene pro-
spektive Bedeutung"; gleichwohl haben sie „gleiche pro-
spektive Potenz" (Driesch) oder gleiches „entwickelungs-
mechanisches Vermögen" (Roux); d. h. in Bezug auf die Möglichkeit
Organe zu bilden sind sie untereinander gleich oder „äquipotent'\
Das ganze Ei ist ein „äquipotentielles System".
Während die Evolutionisten eine „erbungleiche Teilung" postu-
lieren, muß jede Teilung nach der Lehre der Epigenesis „erbgleich"
sein. Das Ei besitzt ein bestimmtes Quantum von „Idioplasma",
einer Substanz, welche potentiell die Eigenschaften des Organismus
enthält abzüglich der Modifikationen, welche durch äußere, während der
Entwickelung wirkende Einflüsse hervorgerufen werden. Dieses Idio-
plasma nimmt während der Furchung zu, wird aber während jeder
Teilung gleichmäßig geteilt, so daß jede Zelle in der
Beschaffenheit ihres Idioplasma der den Ausgangspunkt
bildenden Eizelle gleicht. Daß trotz ihres äquipotentiellen Cha-
rakters die Zellen verschiedenerlei Orgaue liefern, daß gewisse Zell-
gruppen sich zur Haut, andere zu Muskeln, Nerven, Bindegewebe um-
wandeln, ist 0. Hertwig zufolge vornehmlich eine Konsequenz ihrer
verschiedenen Lagerung im Ganzen. Zu dieser „räumlichen Determi-
nation" geselle sich eine zeitliche, die darin zum Ausdruck komme, daß die
verschiedenen Zellgruppen „eine verschiedene Geschichte erhalten", daß
früher durchlaufene Zustände des Wachstumsprozesses in ihnen nach-
wirken. Und so wird der besondere Charakter der Gewebszellen nicht
durch Entwickelung besonderer, sie von den Nachbarzellen unterschei-
dender Eigentümlichkeiten, durch „Selbstdifferenzierung" gewonnen,
sondern ist eine Folge „abhängiger Differenzierung"; er wird
hervorgerufen durch die W^echselwirkung, welche zwischen dem ein-
zelnen Zellherd und dem Zellmaterial des gesamten Organismus besteht.
Die Kontinuität der Entwickelung bringt es naturgemäß mit sich, daß
„jede ältere Z e 1 1 g r u p p e sich auf eine vorausgegangene
jüngere Gruppe und so schließlich bestimmte Körper-
teile auf bestimmte F u r c h u n g s z e 1 1 e n zurückführen
lassen" (0. Hertwig) und daß demgemäß auch gewisse Hauptebenen
des Körpers (Sagittalebene, Frontalebene etc.) im großen und ganzen
mit gewissen primären Furchungsebenen korrespondieren. Aber diese
Beziehungen bestimmter Körperteile zu bestimmten Furchungszellen,
bestimmter Hauptebenen zu bestimmten Furchungsebenen sind nur
so lange vorhanden, als die Entwickelung unter gleichen Bedingungen
verläuft; sie ergeben sich nicht mit innerer Notwendigkeit aus dem
Charakter der Furchungszellen und können daher modifiziert werden,
wenn man in den Verlauf der Entwickelung abändernd eingreift.
Ich habe hier die beiden Auffassuno-en der Entwickelnne; der Tiere
in ihren extremen Vertretern einander gegenübei^gestellt. Selbstverständ-
lich sind vermittelnde Stellungnahmen möglich : daß die Blastomeren
zunächst äquipotent sind und sich infolge „abhängiger Differenzierung"
entwickeln, daß sie später verschiedenartig werden und die Fähigkeit
zur Selbstdifferenzierung gewinnen, daß dieser Uebergaug von abhängiger
zu selbständiger Differenzierung in der Entwickelung der einzelnen Tier-
arten sich auf verschiedenen Stadien vollziehen kann. Zu den Forschern,
welche in dieser Weise eine extreme Stellungnahme vermeiden, gehört
Wilson, in gewisser Hinsicht auch Rabl (1899). Letzterer hat für das ver-
Furchungsprozeß. 583
schiedene Verhalten der Eizellen eine eigentümliche Erklärung gegeben,
welche ihn schließlich doch als einen entschiedenen Anhänger der evo-
lutionistischen Lehre charakterisiert. Die Eizellen der verschiedenen Tiere
sollen ihrem Differenzierungsgrad nach nicht vergleichbar sein. Bei
vielen Tieren soll das Ei eine relativ geringe Zahl von Teilungen erleiden,
ehe es zur Organbildung kommt ; bei diesen seien schon die ersten
Blastomeren ungleichwertig. Bei anderen Tieren wiederum sei die Zahl
der Teilungen bis zum Zeitpunkt der organologischen Differenzierung
eine sehr große ; darum werde noch einige Zeit nach der Befruchtung
während der ersten Furchungsstadien der indifferente Charakter der
Blastomeren beibehalten, bis auf einem vorgerückten kStadium der Teilung
ein Grad der Differenzierung erreicht wird, welcher bei Eiern der ersten
Kategorie gleich von Anfang an vorhanden ist.
Um die erörterten Streitfragen zu klären, Avurden von den Ver-
tretern der verschiedenen Richtungen Beobachtungen gesammelt
und Experimente angestellt. Durch genaueste Beobachtung mußte
zunächst die ^'orfrage entschieden werden , ob in der That unter
normalen Verhältnissen ein gesetzmäßiger Zusammen-
hang zwischen Orientierung der F u r c h u n g s e b e n e n ,
Eintrittsstelle des S p e r m a z o o n und Lage der Sym-
metrieebenen des tierischen Körpers besteht. Eine
Uebereinstimmung in den Resultaten ist hierbei nicht erzielt worden,
wie wir zum Teil bei Besprechung der Befruchtungsvorgänge bei
Amphibien schon gesehen haben, zum Teil bei der Darstellung der
Eifurchung noch kernen lernen werden. Ebensowenig haben auch die
Experimente vermocht, die Gegensätze der Anschauungen auszu-
gleichen.
Die Experimentatoren haben vier verschiedene Wege eingeschlagen.
1) Pflüger, Born, 0. Hertwig, Driesch, Roux, 0. Schultze
u. a. haben versucht, die Formen der Furchung abzuändern. Dies
kann geschehen, indem man den Teilungsmechanismus durch chemische
und thermische Einflüsse verändert oder durch Druck die Gestalt des
Eies und damit auch die Verteilung von Kern und Protoplasma
modifiziert. Bei dotterreichen Eiern kann man außerdem noch das
verschiedene specifische Gewicht von Bildimgs- und Nahrungsdotter
ausnutzen und Störungen herbeiführen, indem man die Schwerkraft
in abnormer Weise auf die Anordnung der Eibestandteile wirken
läßt, sei es in übermäßiger Weise durch Verwendung der Centrifugal-
kraft (Hertwig), sei es in einer abnormen, von der Xatur nicht vor-
gesehenen Richtung (Pflüger u. a.). Man kann in dieser Weise die
Aufeinanderfolge der Furchen vollkommen verändern, gewisse Furchen,
z. B. die Aequatorialfurche bei Eiern, denen sie im gewöhnlichen
Verlauf zukommt, gänzlich unterdrücken, in anderen Fällen, wo sie
normalerweise fehlen, sie hervorrufen. Es ist ganz erstaunlich, zu
sehen, wie hochgradig abgeändert eine Blastula sein und trotzdem
einen normalen Embryo liefern kann, obwohl dabei mehr oder minder
ansehnliche Teile des Einiaterials eine ganz andere Verwendung finden
müssen, als es bei normalem Verlauf der Entwickelung der Fall ge-
wesen wäre. Alles das spricht zunächst zu Gunsten der Epigenesis-
theorie und läßt sich mit der Theorie der Evolution nur vereinbaren,
wenn man komplizierte Hilfsliypotheseu, auf die ich sogleich noch zu
sprechen komme, einführt.
584 R. Hertwig,
2) Ein zweiter Weg, den die Experimentatoren eingeschlagen
haben, besteht darin, daß man einzelne Blastomeren sich ge-
trennt von den übrigen entwickeln läßt nnd verfolgt,
was aus ihnen wird. Isolierte Aufzucht der Blastomeren kann
man erzielen, wenn man einen Keim auf den Zwei-, Vier-, Acht- u. s. w.
Zellen Stadium in seine Komponenten auflöst oder einen Teil derselben
durch Abtöten aus der Entvvickekmg ausschaltet. Sind alle Blasto-
meren äquipotentiell und somit eine jede für sich in ihrer Konstitution
dem Ei vergleichbar, so müssen sie bei isolierter Aufzucht ein voll-
kommenes, wenn auch an Masse kleineres Tier liefern, sofern nur das
zur Entwickelung nötige Minimum an Material vorhanden ist. Sind
dagegen die Furchungskugeln untereinander verschieden und dem-
gemäß eine jede nur befähigt, einen bestimmten Teil der Organisation
zu bilden, so müssen sie auch im isolierten Zustand immer nur den
betreffenden Teil des Tieres erzeugen können. Nach beendigter erster
Furche müßte eine Blastomere nicht einen ganzen Embryo von halber
Größe, einen „H emiholob lasten" (Roux), sondern die der Blasto-
mere jedesmal entsprechende Hälfte des Embryo, diese aber von
normaler Größe, einen „Hem iembry o", erzeugen. Eine auf dem
Stadium der Vierteilung isolierte Blastomere dürfte in entsprechender
Weise nur den Quadranten eines Tieres bilden.
In den Fällen, in welchen es in der That gelang, die Blastomeren
vollkommen zu trennen, sind die Experimentatoren je nach den zur
Untersuchung gewählten Objekten zu verschiedenen Resultaten ge-
kommen. Die ältesten in dieser Richtung angestellten Experimente
stammen von Chabry (1887), welcher durch Anstich einzelner Blasto-
meren von sich furchenden Ascidieneiern Larven mit lokalisierten
Defekten erzielte; sie sind so vieldeutig, daß sie sowohl von Evolutio-
nisten wie Epigenetikeru als Beweismittel für ihre Ansichten heran-
gezogen werden. Das Gleiche gilt von den Experimenten an Frosch-
eiern, auf die wir in der Folge noch zurückkommen werden. Die
präciseren, an anderen Objekten gewonnenen Resultate haben zu
Widersprüchen geführt. Furchungskugeln von Amphioxus, welche
Wilson (1893) auf dem Stadium der Zwei- und Vierteilung iso-
lierte, teilten sich in demselben Rhythmus wie ganze befruchtete Eier
und lieferten entsprechend kleinere, im übrigen aber normale
Gastrulae; Blastomeren, auf dem Stadium der Zweiteilung isoliert,
entwickelten sich sogar zu jungen Larven. Isolierte Blastonieren ver-
hielten sich demnach von Anfang an wie Eier, welche eine Einbuße
an Substanz erlitten hatten. Dasselbe gilt nach Zoja und Maas für
die Eier verschiedener Medusen. — Für die Eier von Seeigeln fand
Driesch, daß isolierte Blastomeren sich zunächst weiter furchten,
als ob sie noch Teile des alten Ganzen seien. Eine auf dem Stadium
der Zweiteilung getrennte Blastomere lieferte die entsi)rechende Hälfte
einer Blastula von gewöhnhcher Größe, die sich aber allmählich zu
einer normal gebauten, um die Hälfte kleineren Blastula schloß, aus
welcher weiter eine Zwerggastrula und schließlich ein Zwergpluteus
hervorging. Wir haben hier also zunächst eine Teilbildung, einen
„Hemiembryo'', später eine Ganzbildung von halber Größe, einen
„Hemiho loblasten". — Einen dritten Fall bilden die Eier von
Clenophoren (Chun, Fischel, Driesch, Morgan). Isolierte Blasto-
meren teilen sich hier in derselben Weise weiter, als ob sie nach wie
vor Teile des Ganzen wären, und liefern auch später Teilbildungen.
Furchuugsprozeß. 585
Je nachcleiii die Isolation auf dein Stadium der Zwei- oder Vierteilung
vorgenonmien worden war, entstand die Hälfte oder ein Viertel einer
Ctenopliore. ein Tier, welches von den 8 Ruderreihen nur 4 oder nui'
2 besaß, wenn auch der Magen sich zu einem Rohre schloß, anstatt
auf dem Stadium der Teilbildung zu verharren. Die Bildung der
Ruderplättchen unterblieb, wenn man die unter normalen Verhält-
nissen sie erzeugenden Mikromeren entfernte. Streng lokalisierte
Defekte erzielte in analoger Weise Conklin bei einer Schnecke
Ilyanassd. Bei derselben unterblieb die Bildung des Mesenchyms.
wenn nach der Vierteilung die dotterreichste der 4 Blastomeren ab-
getötet oder auch nur der Dotterlappeu derselben entfernt wurde.
Der verschiedene Verlauf der Experimente ist Ursache geworden,
daß viele Forscher, wie schon hervorgehoben wurde, zwischen der
Epigenesis- und Evolutionstheorie eine vermittelnde Stellung ein-
genommen haben. Die Hauptvertreter der beiden einander gegenüber-
stehenden Theorieen haben dagegen versucht, die ihrer Ansicht scheinbar
widersprechenden Experimente durch geeignete Interpretation der-
selben mit der Theorie in Uebereinstimmung zu bringen.
Roux, welcher sich am meisten bemüht hat, die Resultate ex-
perimenteller Forschung zur Begründung der Evolutionstheorie aus-
zunutzen, schuf zu dem Zweck die Hilfshypothesen der Post-
g e n e r a t i 0 n und der korrelativen Anpassung der F u r -
chungsku geln. Das typische Verhalten sei in den Furchungszellen
der Ctenophoren gegeben, bei Ämphioxus und den Echinodermen werde
das typische Verhalten in verschiedenem Grade durch das Hinzutreten
der Postgenerat iou verdeckt. Wie alle Organismen im ent-
wickelten Zustand, wenn auch in sehr verschiedenem Grade, die
Fähigkeit haben, verloren gegangene Teile zu regenerieren, so kann
auch das Ei erlittene Verluste ersetzen. Was bei Entfernung von
Blastomeren verloren wird, sind keine Organe, sondern nur die An-
lagen zu solchen. Hierin sei ein Unterschied zu den gewöhnlichen
Regeneratiousvorgängen gegeben, welcher eine besondere Namengebung
erfordert. Roux spricht daher von „Postgeneration", er unter-
scheidet zwei Arten von Postgenerationen : im einen Fall kommt es zu
einer Neubildung von Zellmaterial durch Proliferation der an den
Defekt angrenzenden Zellen , hier wird der Verlust wie bei den
gewöhnlichen Regenerationsvorgängen entwickelter Tiere gedeckt; im
anderen Falle wird das vorhandene Zellmaterial unmitttelbar durch
Umdifferenzierung verwandt, so daß nicht nur die an den Wundrand
angrenzenden Zellen, sondern auch weit davon entfernte Zellen zur
Bildung neuer Teile verwendet, also entsprechend umdilferenziert und
umgeordnet werden. Die letztere Form der Postgeneration beginnt
beim Amphioxus sehr früh, indem schon beim ersten Teilungsakt die
Blastomere sich zu einem Ganzen umformt. Beim Seeigelei beginnt
sie später auf dem Blastulastadium. Mit Recht hat Driesch Roux
gegenüber hervorgehoben, wie gänzlich unhaltbar der Begriif „Post-
generation durch Umdifferenzierung'' speciell in seiner Anwendung
auf die vorliegenden Fälle sei. Denn wenn wir auch den Amphioxus
außer acht lassen, bei welchem der Begriff Postgeneration auch in seiner
dehnbarsten Fassung nicht anwendbar ist, so ist zu beachten, daß
bei der Umgruppierung der Halbblastula eines Seeigels zu einer Ganz-
blastula von halber Größe eine jede einzelne Zelle die ihr durch den
Anfangsverlauf der Furchung übertragene Bedeutun«- für die Organ-
586 R. Hertwig,
bildung des zukünftigen Organismus verändert; es fehlt der von Roux
der Theorie zuliebe gemachte Unterschied zwischen Altem und Neuem,
zwischen postgenerierendem und i)ostgeneriertem Material.
Um die Lehre von der Evolution und Postgeneration mit den
herrschenden Anschauungen über Vererbung im Einklang zu bringen,
ist Roux genötigt, in jeder Zelle zweierlei „Idioplasma"
anzunehmen, ein H a u p t i d i o p 1 a s m a , welches bei direkter
Entwickelung den Charakter der Zelle bestimmt und
sich vom Idioplasma des befruchteten Eies dadurch
unterscheidet, daß es nur bestimmte Qualitäten des-
selben bewahrt hat, und ein Reser veidiopla sma für die
Fälle der Postgeneration, Dieses Reser v ei diop las ma
soll alle Qualitäten des Eiidioplasma noch besitzen und
die Zelle zur Postgeneration befähigen; es ist für gewöhn-
lich unthätig und muß jedesmal „aktiviert" werden. Momente zu einer
derartigen Aktivierung sind: 1) eingetretene Defekte, 2) Störungen
der Zellanordnung. Die Wirkungsweise eingetretener Defekte haben
wir schon besprochen. Das zweite Moment (Störung der Zellanord-
nung) kommt nicht nur bei experimentellen Veränderungen, sondern
auch im Laufe von normalem Geschehen vor. Die erste Furchungs-
ebene soll das Material von linker und rechter Körperhälfte trennen.
Der weitere Furchungsverlauf (besonders die Bildung von Brechungs-
furchen) bedingt aber häufig Verschiebungen des Zellmaterials, so daß
Abkömmlinge der rechten Blastomere auf die linke, der linken auf
die rechte Seite zu liegen kommen. Diese verlagerten Zellen können
sich nicht durch Selbstdifferenzierung entwickeln, sondern müssen
„abhängiger" Differenzierung unterliegen. Ihnen muß ein neuer
Charakter durch Beeinflussung von selten ihrer Umgebung unter
Aktivierung von Teilen des Reserveidioplasma aufgeprägt werden.
Ungleich einfacher und naturgemäßer erscheint die
einheitliche Erklärung der verschiedenartigen Ver-
such s r e s u 1 1 a t e im Licht der E p i g e n e s i s t h e o r i e. Dieselbe
nimmt an, daß die Furchungszellen gleiche prospektive Potenz besitzen
und in ihrem Charakter nur durch die relative Lagerung im Ganzen und
auf späteren Stadien durch die Nachwirkung vorausgegangener Lagever-
schiebungen bestimmt werden. Die Lagerung im Ganzen wird durch
den Verlauf des Furchungsprozesses bedingt, welcher seinerseits wieder
eine notwendige Folge der Verteilung und Wechselwirkung von Kern und
Protoplasma ist. Eine auf dem Zweizellenstadium isolierte Blastomere
besitzt zwar die Fähigkeit (das Idioplasma), einen ganzen Organismus
aus sich heraus zu erzeugen („Totipotenz"), dagegen im Moment der
Isolierung die Anordnung der Zellteile, welche nötig ist, um die für
die Hälfte eines Organismus bestimmte Gruppierung des Zellmaterials
hervorzurufen. Was nun thatsächlich aus der Blastomere werden
wird, hängt ausschließlich von der Stabilität des Zellgefüges
ab. Hier sind zwei Extreme möglich: 1) Das Zellgefüge ist äußerst
labil und fügt sich sofort den durch die Isolation gegebenen neuen
Raumbedingungen. Die Blastomere gleicht ihre Form zur Form der
Mutterzelle des Eies aus und verhält sich daher im weiteren Verlauf
wie ein auf die Hälfte verkleinertes Ei : Amphioxus. 2) Das Zellgefüge
ist starr und behält die durch die Anwesenheit des Partners bedingte
Anordnung der Teile auch nach Verlust desselben dauernd bei. Die
Zelle furcht sich dann weiter, als ob der Partner noch vorhanden
Furchungsprozeß. 587
wäre, und liefert nur den Teil eines Organismus: Ctenophoren. 3) Da-
zwischen ergeben sich alle nur denkbaren Uebergänge; ein solcher
Uebergang wird durch das Seeigelei repiäsentiert. Ich habe absichtlich
von starrem und labilem Zellgefüge. nicht von starrer und labiler
Protoplasma- und Kernanordnung gesprochen. Denn die Beständigkeit
der Zellstruktur braucht nicht von den beiden genannten Zellteilen
abzuhängen. Es ist wohl zweifellos, daß die Starrheit des Ctenophoren-
eies von der Zähtlüssigkeit des Dotters bestimmt wird, also einem
Moment, Avelches für den Charakter der Zelle ganz nebensächlich ist,
äußerst wichtig alier für ihre Gestalt und dadurch auch für ihre Ent-
wickelungsmögiichkeit. Damit stimmt auch, was wir durch die Beob-
achtung über die Konsistenz des Eidotters der Ctenophoren wissen,
welche es mit sich bringt, daß die Anordnung des Protoplasma und die
Lage der Kernspindel in den Furchungskugeln durch Ablösung derselben
aus dem Zellverband nicht abgeändert wird (Ziegler 1895). Ferner
stimmt damit, daß die Furchungskugeln sich auch unter gewöhnlichen
Verhältnissen in ganz lockerem Zusammenhange entwickeln ; endlich
stimmt damit ein interessantes, von Driesch und Morgan (1895)
gemachtes Experiment. Die beiden Forscher schnitten aus befruchteten,
aber noch nicht geteilten Eiern Stücke heraus und ließen dieselben
sich weiter entwickeln ; dabei stellten sie fest, daß an den Larven
Defekte auftraten, ähnlich denen, welche man durch Ablösen einer
oder mehrerer Blastomeren erzielt. Bei diesem Experiment bleibt das
Protoplasma der nicht verletzten Seite in der Anordnung erhalten,
welche ihm von Hause aus zukommt. Da diese Anordnung im wesent-
lichen die gleiche ist, welche bei normaler Entwickelung des unver-
letzten Eies das Protoplasma der Blastomeren zeigt abzüglich der
Blastomeren, welche dem erzeugten Defekt entsprechen, so muß sich
das Ei, obwohl es einen dem gesamten Keim entsprechenden Kern
besitzt, wie eine ^j^, '/2 oder '^U Bildung entwickeln, je nach der
Größe des ausgeschnittenen Stückes.
Die Beschaffenheit des Protoplasmagefüges wird nicht auf allen
Stadien des Furchungsprozesses die gleiche sein, sondern sich in
gleichem Maße ändern, als der Furchungsprozeß fortschreitet (Driesch).
Je mehr Furchungskugeln gebildet sind, um so mehr verschiebt sich
das Mengenverhältnis des dichten Rindenprotoplasmas zur weichen
Marksubstanz, und zwar zu Ungunsten der letzteren. Daher ist von
vornherein zu erwarten, daß allmählich die Fähigkeit der Blastomeren,
im isolierten Zustand sich zu einer Ganzbildung umzuformen, eine
geringere werden wird, was mit den Erfahrungen auch übereinstimmt^
Die Thatsache, daß die Anordnung des Dottennaterials auf die
Entwickelung des Eies einen sehr bedeutungsvollen Einfluß ausübt, hat
auch Roux nicht in Abrede stellen kennen. ,,Die in den letzten Jahren
entdeckten neuen Thatsachen", sagt er 1895 (Nachwort zu den ge-
sammelten Abhandlungen), „haben uns also darauf hingewiesen, daß dem
Dotter der ersten Furchungszellen ein wesentlich größerer Anteil an der
Bestimmung mancher wichtiger Gestaltverhältnisse der Ontogenese zu-
kommt, als wir früher anzunehmen Veranlassung hatten.'' Daraus darf
aber nicht gefolgert werden, daß der Dotter das allein die Entwickelung
Bestimmende, und zwar nicht bloß das ,, Auslösende", sondern auch das
die „Detailausführung Bewirkende" sei. Roux ist daher nach wie vor
geneigt, das Bestimmende nur im Kerne zu sehen und dem Protoplasma
nur „auslösende" Bedeutung zuzuerkennen.
588 R. Hertwig,
Wenn man die Protoplasmastruktur lieranzieht um die verschiedene
Umbildungsfähigkeit isolierter Blastomeren zu Ganz- oder Teilbildungen
zu erklären, so kann man an verschiedenerlei Verhältnisse denken. Im
Vorhergehenden habe ich nur gröbere Protoplasmastrukturen im Auge
gehabt: Festigkeit des protoplasmatischen Gefüges, Gruppierung und
Zähigkeit des Nahrungsdotters etc. Eine ähnliche Auffassung hat offenbar
BüVEiii (1901), wenn er die Furchungsweise isolierter Blastomeren davon
abhängig macht, ob eine dem Zustand im ganzen Ei entsprechende
Schichtung wiederhergestellt wird oder nicht. Er geht aber einen
Schritt weiter und hält es für wahrscheinlich, daß das Plasma der
Eurchungszellen allmählich verschiedene Potenz gewinnt, wodurch den
isolierten Blastomeren eine Regulation zum Ganzen entweder unmöglich
gemacht oder erschwert wird. Wenn bei den Ctenophoren kein isolierter
Teil des Plasma das Ganze zu vertreten vermöge, so erblickt Boveri (1902)
den Grund hierfür in einer hoch differenzierten Eistruktur. Driesch
(1899, 1900) sucht den Grund der verschiedenen Regulationsfähigkeit
der Blastomereii in der Molekularstruktur : das Eiplasma besitzt eine
polar-bilaterale Orientierung seiner Teilchen. Bleibt diese Anordnung
im Raum in den Blastomeren erhalten, so furchen sich letztere wie Teile
eines Ganzen. Umordnung nach Art eines ungeteilten Eies führt zu
Ganzfurchung.
Wir haben bei den bisherigen Darstellungen vorausgesetzt, daß
die zur isolierten Aufzucht verwandten Blastomeren vollkommen von-
einander getrennt wurden. Selbstverständlich werden sich auch Fälle
ergeben, in denen der Zusammenhang nicht aufgehoben, sondern nur
■ gelockert ist. Dann können Zwei- und Dreifachbildungen entstehen,
deren Entwickelungsweise ebenfalls für die Klärung der hier erörterten
Fragen manche Aufschlüsse geliefert hat.
3) Wir wenden uns zu einer dritten Gruppe von Experimenten.
Bei denselben wird die Integrität des Keimes gewahrt, doch wird durch
geschickte Verwendung des Druckes das L a g e v e r h ä 1 1 n i s
der B 1 a s 1 0 m e r e n im Keim verändert. Driesch ^) preßte einen
Seeigelkeim, so daß sämtliche Blastomeren auf dem 8-Zellenstadium in
eine Ebene zu liegen kamen ; er trug Sorge, daß sie, wenn sie beim
Nachlassen des Druckes wieder sich in 2 Schichten übereinander stellten,
eine Rückverlagerung an die den einzelnen Blastomeren zukommende
Stelle wenigstens für einen Teil unterblieb und so für diesen Teil ein
Austausch eintrat, wie wenn man Billardkugeln durcheinander schüttelt.
Gleichwohl entstand ein normaler Pluteus, indem, um es allgemein
auszudrücken, die Blastomere a mit der Stelle zugleich auch die organ-
bildende Thätigkeit von b übernahm u. s. w. Bei der Meduse Aegineta
flavescens erzielte Maas (1901) noch weitergehende Verlagerungen,
als es Driesch bei Seeigeln geglückt war. In einem Falle wurden
die Furchungskugeln auf dem 12-zelligen Stadium zu einer einzigen
1) Nach einer Notiz BovERi's (1902, p. 84 Anni.) scheint Driesch neuerdings
das Experiment wiederholt und zu anderen Resultaten gekommen zu sein. Boveri
selbst hat „aus verlagerten Blastoraerenbaufen, falls die eingetretenen Verschieliungen
nicht, wie es oft geschieht, rückgängig gemacht wurden, keine normalen Larven,
sondern Larven mit doppeltem, ja selbst dreifachem Urdarm, solche mit starken
Deformationen und Skelettmißbildungen erhalten". Ungleichwertigkeit der Furchungs-
kugeln im Seeigelei kam auch darin zum Ausdruck, daß auimale (völlig pigmentlose)
Fragmente des Strongylocentrotuseies sich in keinem Fall über das Blastulastadium
hinaus entwickelten, während alle zur Kontrolle gezüchteten pigmentierten Fragmente,
darunter bedeutend kleinere, Plutei ergaben. Boveri schließt aus seinen Versuchen,
daß der Echinideukeim nichts weniger als ein äquipotentielles System ist.
Furchungsprozeß. 589
Reihe ausgezogen, schließlich lieferten auch sie eine normale Meduse.
Bei den \'erlagerungsexi)erimcnten gaben die Ctenophoreneier (Fischel)
abermals entgegengesetzte Resultate. Wurden die Mikromeren, welche
bei normalem Verlauf die Sinneskörper und die Ruderplättchen liefern,
verlagert, so entstanden letztere an falschen Stellen, nämlich an den
Stellen, nach denen ihr Bildungsmaterial verschoben worden war. Die
Sinneskürper konnten dabei verzwei-, drei- und vierfacht werden, weil
das Material für dieselben, anstatt sich zu einem einheitlichen Organ
zusammenzuschließen, in 2, 3 oder 4 Teile auseinandergerissen wurde.
Wie die Erklärung dieser Erscheinungen im Licht der Epigenesis-
theorie und im Licht der Evolutionstheorie verschieden ausfallen muß,
bedarf keiner Erläuterung; es kann hier ohne weiteres früher Gesagtes
sinngemäß übertragen w^erden.
4) Wie man die Gleichwertigkeit der Furchungskugeln durch
Trennung und gesonderte Aufzucht der Isolationsprodukte erweisen
kann, so kann man auch den gleichen Beweis führen, indem man den
umgekehrten Weg einschlägt und getrennte Keime zur Verschmelzung
bringt. Schon 0. Hertwig (1892) hatte die ^'ermutung ausgesprochen:
es möchten zwei eben befruchtete und aus ihren Hüllen befreite „Ei-
zellen, wenn sie nach Art der ersten Furchungshalbkugeln zusammen-
gefügt und mit einer gemeinsamen Hülle umgeben w^erden könnten, sich
zu einem einfachen Embryo entwickeln". Ganz in dieser Weise ist das
Experiment noch nicht durchgeführt worden, aber in ähnlicher, nicht
minder bedeutsamer Weise. Zur Strassen brachte durch Kälte-
wirkung Ascariseier vor der Befruchtung zur Verschmelzung. Wenn
dieselben sich nach der Befruchtung weiter entwickelten, lieferten sie
jedesmal ein einziges Riesentier. Driesch (1900) erzielte, unter
Benutzung eines von Herbst stammenden Verfahrens, Verschmelzung
von Seeigelblastulae, von denen eine jede sich aus einem normal be-
fruchteten Ei entwickelt hatte. Bei einem Teil bildeten sich einheitliche
Riesenlarven mit Darmanlagen von doppelter Größe und mit der dop-
pelten Zahl von Mesenchymzellen, die sich ganz normal bis zum Pluteus-
stadium entwickelten. Es ist klar, daß in diesen Entwickelungsformen
die einzelnen Zellen eine ganz andere Verwendung haben finden müssen,
als wenn jede Blastula für sich eine Larve geliefert haben würde.
Die vorstehenden Darlegungen haben nur den Zweck, den Leser
über die wichtigen Fragen, zu denen das Studium des Furchungs-
prozesses geführt hat, im allgemeinen zu orientiern. Auf vielerlei
Details w^erden wir bei Besprechung der einzelnen Wirbeltierklassen,
besonders der Amphibien noch zurückkommen müssen. Zugleich sollten
die Darlegungen zeigen, wie schwierig es ist. bei den herrschenden
Gegensätzen der Auffassung und der Komplikation der Probleme jetzt
schon eine feste Auffassung durchzuführen. Immerhin kann man es
als sehr unwahrscheinlich bezeichnen, daß auf frühen Furchungsstadien
„erbungleiche Kernteilung'' den Blastomereu einen verschiedenen
Charakter verleiht. Es scheint die Struktur des gesamten Zellleibs,
die Anordnung von Kern, Plasma und Dotter den Verlauf des
Furchungsprozesses ausschließlich zu bestimmen, auch in den Fällen,
in denen eine „determinierte Furchung" (Coxklin), d. h. eine in be-
sonders charakteristischen Zügen verlaufende Furchung vorliegt. Da
es sich nun kaum annehmen läßt, daß auch die Gewebszellen (der
Bindegewebs-, Knochen-. Muskel-, Nervenkörperchen) noch „totipotent"
sind, so müssen allmählich die gleichartigen Furchungskugeln in ver-
schieden beschaffene Organzellen übergeführt werden, etwa in der
590 R. Hertwig,
Weise, wie Boveri für die Ascariseier eine an den Kernen zum
Ausdruck kommende Differenzierung der Geschlechts- und Soma-
zellen nachgewiesen hat. Wie und wann diese Differenzierung ge-
schieht, bedarf der Untersuchung.
Litt erat vir
(mit Ansschlu/s der sich auf Wirbeltiere heziehemlen, am Sehlufs t/e.s- Kapitels aufgeführten
Litteratur) .
Boveri, Th. Ueber die Polarität des Seeigeleies. Verh. Phys.-med. Gesellsch. Würz-
hurg. N. F. Bd. XXXIV. p. 145 — 176. 1901.
— Die Polarität von Ooocyte, Ei und Larve des Strongylocentrotus lividus. Zool. Jahrb.
Bd. XIV. p. 630—653. Mit S Tfln. 1901*.
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Geselhch. Wärsb^irg. X. F. Bd. XXXV. p. 67—90. 1902.
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— Bemcrknnqcii Über den Aufsatz ro7i Driesch >i. Morgan: Von der Entwickelung etc.
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— Zur Analysis der Potenzen embryonaler Organzellen. Ebenda Bd. IL p. 169 — 201.
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Fuichungsprozeß. 591
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I. Acraiiier.
Vom Fiirchiiussprozeß des Ämphioxus hatte zuerst Hatschek
(A. L. III, 1, 1881) eine eingehendere Schilderung gegeben. Derselben
zufolge sollte das Ei durch 2 aufeinander folgende und zueinander
senkrecht stehende meridionale Furchen in 4 vollkommen gleiche
Stücke zerlegt werden; durch die dritte „äquatoriale'', thatsächlich aber
ein wenig aus dem Aequator heraus nach dem animalen Pol ver-
schobene Furchungsebene sollten 4 etwas kleinere Zellen am ani-
malen Pol. 4 etwas größere am vegetativen Pol entstehen. Indem
die vorhandenen 8 Zellen noch einmal durch meridionale, die so ge-
bildeten 16 Zellen dann durch latitudinale (dem Aequator parallele)
Furchen geteilt werden, entstehen 4 Kreise von je 8 regelmäßig über-
einander gestellten Furchungskugeln, von denen die 8 am vegetativen
Pol gelagerten sich von den übrigen durch besondere Größe aus-
zeichnen und daher Makromeren heißen : sie zeigen auch noch die
Besonderheit, daß sie die folgende Teilung, welche dem regelmäßigen
Pthythmus entsprechend abermals eine meridionale ist. nicht mitmachen,
so daß der Keim aus 3 Kreisen von 16 Mikromeren und einem Kreis
von 8 Makromeren besteht. Wohl aber schnüren sie durch latitudinale
Furchung 8 weitere Mikromeren ab, die bald durch meridionale Teilung
in 16 zerlegt werden. Daher man jetzt 4 Kreise von 16 Mikromeren und
einen Kreis von 8 Makromeren beobachtet. Man kann nun noch eine Ver-
mehrung der Furchungskugeln durch meridionale Furchen (jeder Kreis
von 16 Zellen zerfällt in 32) und latitudinale Furchen (Steigerung der
Zahl der Zellkränze auf 10) feststellen, aber mit abnehmender Deutlich-
keit, indem die Zellen sich verschieben und ihre regelmäßige Anordnung
verwischen. Dabei bleibt die Achtzahl der Makromeren, welche somit
die meridionalen Teilungen auch weiterhin nicht mehr mitmachen, am
vegetativen Pol erhalten. Man kann sie noch erkennen, wenn im
übrigen Keim die Anordnung in regelmäßigen Kreisen geschwunden ist.
592
R. Hertwig,
Nach Hatschek wäre somit der Keim während der Furchung
radialsym m e trisch, insofern nur eine Achse (die Verbindungs-
linie zwischen animalem und vegetativem Pol) differenziert wäre. Diese
Angabe wird neuerdings bestritten. Nach Wilson (1893), der die
Eifurchung des Amphioxus zum Gegenstand einer besonderen Unter-
suchung gemacht hat, verläuft der Vorgang überhaupt nicht bei allen
Eiern in der gleichen Weise. Es lassen sich drei in der Natur freilich
durch vielerlei Uebergänge vermittelte Modifikationen unterscheiden:
II
III
IV
VII
9r'M
IX
X
XT
XII
yy' - >.
Fig. 201. Eifurchung von Amphioxus (nach WiLSOX, XI und XII nach Hat-
schek). 1 — III radialer TVi^us, IV spiraler Typus, V— VIII bilateralsymmetrischer
Typus. I, III, IV, VII vom oberen, V, VI, VIII, IX vom unteren Pol gesehen,
li, X, XI, XII in seitUcher Ansicht. Vergr. 180 : 1.
1) der radialsymmetrische Typus, welchen Hatschek allein
beschrieben hat, 2) der spirale, wie er bei wirbellosen Tieren, z. B.
den Anneliden, eine weite Verbreitung besitzt, 3) der bilateral-
symmetrische. Alle drei Modifikationen führen früher oder später
zu bilateralsymmetrischer Anordnung der Zellen , welche auf dem
Stadium von 32 — 64 Furchungskugeln die allgemein herrschende ist,
auf noch weiter vorgerückten Stadien (256 — 512 Kugeln) dagegen
einer unregelmäßigen Anordnung Platz macht. So sollen zur Zeit
der 8-Teilung noch ^/^^ der Eier radialsymmetrisch sein, auf dem
nächstfolgenden Stadium nur noch wenige, und selbst bei diesen macht
sich die Bilateralität an den 8 Makromeren bemerkbar.
Was die radialsymmetrische Furchung anlangt, so" be-
stehen Hatschek's Angaben zu Recht mit Ausnahme, daß die 4 ersten
rurcliungsprozeß. 593
Fiirchungskugeln nur selten alle gleichmäßig in der Längsachse des
Keimes zusammenstoßen. Gewöhnlich treffen an den Polen nur 2
einander opponierte Blastomeren zusammen, so daß Brechungsfurchen
entstehen, welche selten an beiden Polen gleich gerichtet, meist recht-
winklig gekreuzt sind.
Für die spirale Furchung ist charakteristisch, daß bei Bil-
dung der Aequatorialfurche die Kernspindeln eine mehr oder minder
ausgesprochene Schrägstelhing erhalten. Kommt es dann zur Teilung,
so sind die 4 unteren Zellen gegen die 4 oberen im Sinne einer rechts-
seitigen Spirale verschoben. Die Meridionalfurchen der oberen Zellen
bilden mit den entsprechenden Meridionalfurchen der unteren Zellen
Abweichungswinkel, die bis zu 45° betragen können (Fig. 201 IV).
Für die Entwickelung der bilateralen Symmetrie sind auf
dem 8-Zellenstadium die 4 unteren Zellen (die primären Makromeren)
bestimmend (Fig. 201 V). Zwei derselben, selten alle 4, können so
auseinanderweichen, daß die erste Meridionalfurche zu einem Spalt
erweitert wird, während in der zweiten Meridionalfurche der Kontakt
der Zellen erhalten bleibt. Auf dem 16-Zellenstadium gewinnen dann
gewöhnlich sowohl die 8 unteren Zellen (die Makromeren), als auch
die 8 obei-en Zellen (die Mikromeren) eine bilaterale Anordnung, weil
die Teilfurcheu die betreffenden Mutterzellen nicht wie beim radialen
Typus meridional, sondern vertikal nahezu oder vollkommen parallel
den primären Meridianebenen durchschneiden. Da die Teilfurchen für
die oberen Zellen parallel der ersten Meridianebene angeordnet sind,
bilden die 8 Mikromeren zwei Querreihen (VII). Aehnlich bilden die
8 Makromeren zwei in sagittaler Richtung gestellte Reihen (Fig. 201 VIII).
Weil aber die sie erzeugenden Teilfurchen nicht genau der zweiten
Meridianebene parallel verlaufen, sondern etwas schräg gestellt sind,
wird das Bild nicht so regelmäßig. Auch unterscheiden sich die 4 dicht
um den Pol stehenden Makromeren (M. 1. Ordnung) von den 4 übrigen
(M. 2. Ordnung) durch bedeutendere Größe. In manchen Fällen kann die
bilaterale Anordnung der Makromeren noch deutlicher sich ausprägen,
wenn nämlich von den 2 Paar sekundären Makromeren nur ein Paar
an das Ende der Sagittalachse zu liegen kommt, das andere dagegen
durch das dazwischen geschobene, benachbarte primäre Makromeren-
paar von der Medianebene getrennt wird (Fig. 201 VI).
Für das 5., 6. und 7. Furchungsstadium ist im allgemeinen charakte-
ristisch, daß die 8 Makromeren durch ungleiche latitudinale Teilung —
gleiche Teilungen sind Ausnahme — zu den vorhandenen Mikromeren
weitere Mikromerenringe der 2., 3. und 4. Ordnung abschnüren, daß die
Mikromeren sich durch abwechselnd horizontale und senkrechte (meri-
dionale) Teilung vermehren. Doch verlieren schon um diese Zeit die Tei-
lungen ihren regelmäßigen Charakter, sowohl was ihre Anordnung als
ihren zeitlichen Verlauf anlangt (Fig. 201 X). Die anfänglich vorhandene
Synchronie der Teilungen wird immer undeutlicher. Ab und zu ist
Synchronie der Teilungen noch bei 256 Furchungskugeln erkennbar.
Dagegen verwischt sich die regelmäßige Zellanordnung der Mikromeren
schon früher, und auch die der 8 Makromeren erhält sich nur aus-
nahmsweise über das 8. Furchungsstadium (256 Zellen, Fig. 201)
hinaus.
Noch mehr als Wilson weicht Samassa (1898) in seiner Schil-
derung des Furchungsprozesses von Hatschek ab; es soll zwar die
Synchronie der Teilungen bis in das Stadium von 128 Furchungskugeln
Handbuch der Entwickelangslehre. I. 38
594 R. Hertwig,
(niemals aber über dieses Stadium hinaus) gewahrt bleiben, dagegen seien
die Eiclitungen der Teilebenen außerordentlich variabel, so daß z. B. von
8 Mikromeren (Stadium der IG Furchungskugelnj 5 meridional, 3 latitu-
dinal geteilt werden. Daraus ergebe sich von selbst die Unmöglichkeit,
daß die Zellen in der von Hatschek beschriebenen Weise sich in Kränzen
übereinander anordnen. — Es sei an dieser Stelle noch einmal auf die
Empfindlichkeit der Amphioxus-Eier, welche wir schon bei Besprechung der
Befruchtung kennen gelernt haben, aufmerksam gemacht. Wir müssen daher
mit der Möglichkeit rechnen, daß die erheblichen Unterschiede, welche
in der Darstellung des Purchungsverlaufes zwischen den verschiedenen Au-
toren bestehen und sogar zwischen den Beobachtungsergebnissen des-
selben Autors vorkommen, durch verschiedene Grade von Schädigung
oder Störung des Eimaterials bedingt wurden.
Frühzeitig, nach Hatschek schon auf dem 4-Zellenstadium,
kommt es durch Auseinanderweichen der centralen Zellenden zu einer
Furchungshöhle, welche zunächst an beiden Polen offen ist, dann sich
am animalen Pole schließt, während eine Oeflfuung am vegetativen
Pole sehr lange bestehen kann, manchmal bis in die Anfänge der
Gastrulation, wo sie dann den Grund des Gastrulasäckchens einnimmt.
Exi)erimeiitelle Untersuchungen. Die sich furchenden Eier von
Amphioxus wurden von Wilson (1893) und Morgan (1896) zum Gegen-
stand experimenteller Untersuchungen gemacht. Durch vorsichtiges
Schütteln wurden Furchungskugeln auf dem Stadium von 2 oder 4 Blasto-
meren entweder vollkommen isoliert oder mehr oder minder voneinander
getrennt, so daß die Blastomeren sich völlig oder bis zu einem gewissen
Grade unabhängig voneinander entwickeln konnten. Sorge wurde ge-
tragen, daß Furchungskugeln, die beim Isolationsprozeß verletzt worden
waren und einen Teil ihrer Substanz eingebüßt hatten, von der Beobach-
tung ausgeschlossen blieben. Die isolierten Furchungskugeln teilten sich
im allgemeinen in derselben Weise wie befruchtete ganze Eier und lie-
ferten Mikroholo blasten, Larvenstadien, welche wie normale
Larven gebaut waren, aber nur 72 oder V4 so groß waren, je nachdem
der Isolationsprozeß auf dem Stadium der 2- oder4-Teilung vorgenommen
worden war. Immerhin kamen Abweichungen von der normalen Ent-
wickelung vor, und zwar häufiger bei '/4 Blastomeren, als bei V2 Blasto-
meren. So konnte die zweite Teilung schon eine inäquale sein und
der Verschluß der Furchungshöhle sich verzögern. Die Zwerglarven
von halber Größe erreichten das Stadium, auf dem die erste Kiemen-
spalte angelegt wird, sie waren, abgesehen von ihrer Größe, normal
gebaut, nur in der Schwanzregion etwas abnorm. Bei den '/d Zwergen
war die Entwickelung nur bis zur Gastrula normal. Wenn die Larven
bis zur Anlage von Chorda und Neuralrohr, einmal sogar bis zur
Bildung der ersten Kiemenspalte weiterlebten, waren sie abnorm
(kein Mund, kein After, abortiver Enddarm etc.). Blieben vom Viei'er-
Stadium die Furchungskugeln paarweise vereint (zwei ^4 Blastomeren),
so entwickelten sie sich wie Furchungskugeln, die auf dem Zweier-
Stadium getrennt wurden (V> Blastomeren). War die Trennung der
Furchungskugeln eine unvollkommene, so entstanden Zwillings-, Dril-
lings- und Vierlingsbildungen in verschiedenen Graden der Trennung,
die im großen und ganzen sich so weit entwickelten wie die in Größe
ihnen entsprechenden Zwerge. Die Körperachsen der untereinander ver-
wachsenen Zwillinge, Drillinge etc. konnten miteinander alle möglichen
Winkel bilden; ihre Orientierung hing von der Lage ab, w^elche die
F Lirchungsprozeß.
595
isolierten Furchungskugeln zu einander eingenommen hatten. Anderer-
seits hatte der Grad der Trennung der Furchuugskugeln Einfluß auf
den Verlauf der Furchung. War die Trennung der 2, resp. 4 Blasto-
ansehnliche, so furchten sie sich unabhängig voneinander,
meren eine
wie völlig isolierte Kugeln ; war
so furchte sich eine oder auch alle
sie
dagegen
die Trennung
Blastomeren wie
e eine geringere.
Halbbildungen.
C
Fig. 202. Vier Doppelgastrulae von AmpMoxus (A, B, C, D), entstanden durch
Schütteln des Eies auf dem Stadium der Zweiteilung, 7 Stunden nach der Be-
fruchtung. Nach Wilson.
m', w^ Nach verschiedenen Eichtungen orientierter Urmund der zwei aus je
einer Eihälfte entstandenen Gastrulae, u Gemeinsamer Urmund zweier Gastrulae.
Wurden von acht Furchungskugeln einzelne isoliert, so traten
neue Erscheinungen auf, wobei es ziemlich gleich blieb, ob die be-
treffende Furchungskugel eine Makro- oder Mikromere war. Die
Teilung erinnerte an die normale Eifurchung, ohne mit ihr jedoch
völlig übereinzustimmen. Stets war die zweite Furchung eine inäquale,
so daß nach Erledigung der dritten äquatorialen Furchung sowohl die
4 Mikro- als auch die Makromeren untereinander ungleich waren.
Niemals kam es zur Gastrulation ; es entstanden platte oder konkave
deren Krümmung so stark sein konnte, daß Blastulae
Blastoporus resultierten, welche mit Flimmern herum-
Unregelmäßige Zellenhaufen und Zelleuplatteu endlich
wenn auf dem Stadium von 16
Furchungskugeln
einige
Zellscheiben,
mit kleinem
schwammen.
entstanden,
der letzteren sich isoliert entwickelten.
Ans allen diesen Beobachtungen ergiebt sich nach Wilson das Ge-
samtbild, daß die ersten Furchungskugeln des Amphioxus noch äquipotent
sind und bei ihrer normalen Entwickelung nur durch ihr wechselseitiges
Lageverhältnis bestimmt vs'erden (abhängige Differenzierung 0. Hertwig),
daß sich erst im Laufe des Furchungsprozesses eine Selbstdifferenzierung
im Sinne Roux's immer mehr bemerkbar macht, welche es verhindert,
daß auch auf späteren Stadien eine isolierte Furchungskugel eine voll-
kommene Larve erzeugt. Die Selbstdifferenzierung ist auf dem Stadium
der 8 Furchungskugeln deutlich ausgesprochen, kann aber schon auf dem
vorangegangenen Stadium angedeutet sein. Wilson sucht somit das ver-
38*
596
, R. Hertwig,
schiedene Verhalten jüngerer und älterer Blastomeren aus verschiedenen
Graden idioplasmatischer Differenzierung zu erklären. Dazu liegt kein
Grund vor. Wenn Blastomeren des 8- und 16-zelligen Stadiums sich
nicht zu einer Ganzbildung umregulieren können, so erklärt sich das
hinreichend aus der größeren Starrheit ihres Zellgefüges (vergl. p. 587)..
II. Cyclostomeii.
a) Hyperoartien (Petromyzonten).
Vom Furchungsprozeß der Neunaugen hat Max Schultze
(A. L. III, 2, 1856) die erste genaue Schilderung gegeben, welche in
ihren Grundzügen auch jetzt noch Geltung besitzt. Die erste Furche
ist meridional, beginnt am weißlichen animalen Pol, ungefähr 6 Stunden
nach der Besamung der Eier, und schneidet langsam nach dem Gegen-
pol durch. Die zunächst sich kugelig abrundenden Blastomeren fügen
sich nach einiger Zeit wieder zusammen und platten sich gegenseitig
ab. Dann tritt 8M2 Stunden nach der Besamung die zweite, ebenfalls
meridionale, zur ersten senkrecht stehende Furche auf, deren Beginn
und Verlauf die Verhältnisse der ersten wiederholt. Nach Kupffer
(A. L. III, 2, 1890) bilden sowohl bei der ersten wie bei der zweiten
II
ni
III
Fig. 203. Furchung des Neunaugeneies, Petromyson Planeri (nach M. feCHULTZE).
I, II, IV Eier in schiefer Stellung; III Ansicht vom animalen Pol. Vergr. 22 : 1.
meridionalen Furchung
die oberen Enden
vorübergehend
konische,
später wieder verstreichende Höcker , in welche das bei der Be-
fruchtung in die Tiefe verlagerte Polplasma samt den eingeschlossenen
Kernen eintritt, eine lichte Stelle verursachend, die bei der Abflachung
der Kegel sich wieder in die Tiefe zurückzieht. Die meisten Forscher
(Kupffer, Shipley [A. L. III, 2, 1887], Owsjannikow, Nuel
[A. L. III, 2, 1881J, Mc Clure [1893]) stimmen den Angaben
Max Schultze's bei, daß die 4 ersten Furchungskugeln von gleicher
Größe sind oder nur geringfügige Unterschiede zeigen.
Nur Eycleshymer (1895) und Calbbrla (1877) berichten von er-
heblichen Abweichungen. Nach ersterem sollen schon die beiden ersten
Furchungskugeln ab und zu ungleich groß sein, noch häufiger soll ungleiche
Größe der Furchungskugeln im Gefolge der zweiten Furchung auftreten.
Bei letzterer soll es sogar vorkommen, daß nur die eine der beiden
Blastomeren meridional, die andere äquatorial geteilt werde. Calberla
läßt das Petromyzonei bei der ersten Teilung in eine kleine animale und
eine große vegetative Blastomere zerlegt werden und deutet demgemäß die
erste Furche als Aequatorialfurche. Es kann wohl keinem Zweifel unter-
liegen, daß den abweichenden Angaben der genannten beiden Forscher
Furchungsprozeß.
597
geschädigtes
Eimaterial
Abweichuuo-en von der
zu Grniide gelegen hat, und daß der Grad der
oben geschilderten Norm nur einen Maßstab für
die Schädigung abgiebt, welche die Eier erfahren haben. Scott
(A. L. III, 2, 1882), welcher Gelegenheit hatte, das Material Calberla's
nachzuuntersuchen , fand als Regel den von Schultze beschriebenen
Furchungsmodus, daneben inäquale Zwei- und Dreiteilungen. Im fol-
genden werden daher die Angaben Calberla's und Eycleshvmer's keine
weitere Berücksichtigung finden.
Den beiden meridionalen Furchen folgt nach M. Schultze als
dritte die „äquatoriale" Furche, welche infolge des Dotterreich-
tums der vegetativen Eihälfte bei Neunaugen stark nach dem animalen
Pole verschoben ist. Es unterscheiden sich nun die 4 Zellen des
animalen Poles von denen des vegetativen durch geringere Größe,
ferner durch lichtere milchige Färbung und im weiteren Verlauf
durch raschere Teilung. Die 4 lichter gefärbten Zellen Averden
durch eine latitudinale Furche in 8 Zellen geteilt, und diese 8 Zellen
geteilt,
beginnen schon durch meridionale Furchen in 16 zu zerfallen, ehe an
den 4 großen Zellen der unteren dunkleren Sphäre eine latitudinale
Furche auftritt.
Der von M. Schultze geschilderte Verlauf der dritten, vierten
und fünften Furchungsperiode scheint nun öfters je nach den einzelnen
Arten, vielleicht sogar nach lokalen Varietäten, vielleicht auch unter dem
Einfluß bestimmter Existenzbedingungen abzuändern. Nach Shipley
folgt auf die äquatoriale Furchung nicht eine latitudinale der oberen
Blastomeren, sondern eine Periode meridionaler Furchen, die zuerst
die oberen, dann erheblich später die unteren Blastomeren in 8 teilen,
**
Fig. 204. Drei Furchungsstadien voq Petroiuyzon marinus (nach Mc Clure).
Die Zahlen bezeichnen die Reihenfolge der Furchen.
ehe latitudinale Furchen am oberen und unteren Zellkranz auftreten.
KuPFFER fand beiderlei Arten der Furchung bei demselben Material,
zugleich aber auch Unregelmäßigkeiten insofern, als manche Furchen
sich unvollkommen entwickelten, d. h. an einigen Blastomeren auf-
traten, an anderen nicht. Noch erheblichere Verschiebungen im zeit-
lichen Auftreten der Furchen sind nach Mc Clure (1893) für die Eier
von P. marinus charakteristisch (Fig. 204). Hier folgen unmittelbar auf
die 2 ersten meridionalen Furchen 2 weitere meridionale, welche
allerdings sehr langsam gegen den vegetativen Pol vordringen, so
daß, noch ehe sie denselben erreichen, schon die verspätete äquatoriale
Furchung aufgetreten ist und den oberen und unteren Zellenkranz
gesondert hat. Beachtenswert ist. daß die äquatoriale Furche mehr
als bei anderen Petromyzonten nach dem animalen Pol verschoben ist,
598 R. Hertwig,
was auf größeren Dotterreichtum deutet. Es wäre ganz gut denkbar,
daß dieser größere Dotterreichtuni die zeitliche Verschiebung im
Rhythmus der Furchen bedingt hat. Desgleichen ist er wohl Ursache
zu einer weiteren Moditikation, daß nämlich öfters die dritten Furchen
nicht durch die Pole verlaufen, sondern Vertikalfurchen werden, welche
nahezu senkrecht zur zweiten Furchungsebene einfallen und demgemäß
der ersten Furchungsebene fast parallel gestellt sind.
Daß letztere Art der rurchung, welche Ungleichheit der Blastomeren
bedingt, besonders häutig bei Eiern, die bei niederer Temperatur kul-
tiviert werden, auftritt, ist eine interessante Erläuterung zu den Aus-
einandersetzungen, welche im allgemeinen Teil über den Einfluß der
Temperatur auf den Verlauf der Furchung gemacht wurden. Am Schluß
der zweiten Meridionalteilung haben wir die Kerne in der Nachbarschaft
der zweiten Furche zu erwarten. Soll die dritte Teilung abermals
meridional verlaufen, so muß der Kern sich zunächst in die Mitte
zwischen erster und zweiter Meridionalfarche einstellen, d. h. er muß
seinen Platz ändern und sich in der Richtung der ersten Meridional-
furche verschieben. Ist die Thätigkeit des Protoplasma herabgesetzt und
die EinsteUung des Kernes dadurch behindert, so tritt die Kernteilung-
früher ein, als die Einstellung beendet ist. Die Konsequenz muß dann
notgedrungen das Auftreten von Vertikalfurchen sein, bei welchen die
an die erste Meridionalfurche grenzenden Blastomeren größer sind als
ihre Schwesterzellen.
Nach Ablauf der vierten Furchungsperiode wird die Teilung eine
unregelmäßigere, wenn auch im allgemeinen nach wie vor latitudinale
und meridionale Furchen miteinander alteruieren. Dabei ist die
Teiluugsenergie im oberen Eiabschnitt so viel größer als im unteren,
daß ersterer schon 64 Zellen zählt, wenn letzterer nur 16 enthält
(M. ScHULTZE). Auch treten jetzt tangentiale Teilungen ein, d. h.
Teilungen mit radial gestellten Spindeln, bei denen jede Furchungs-
kugel in einen centralen und einen peripheren Abschnitt zerfällt
(Kupffer). Frühzeitig entwickelt sich eine Furchungshöhle, die ober-
halb des Aequators zwischen dem kleinzelligen und dem großzelligen
Abschnitt des Furchungsmaterials liegt. Beide Abschnitte sind in-
folge der Tangentialteilungen bis zur Zeit der Gastrulatiou aus
mehreren Schichten zusammengesetzt; nur Calberla und Shipley
geben an, daß das kleinzellige Material sich frühzeitig zu einer
Zellenlage gruppiere, während alle übrigen Beobachter von 3 Lagen
sprechen. Innerhalb des großzelligen Materials beschreibt Calberla
große, central gelegene Dotterzellen, welche später nicht zum Aufbau
von Organen direkt verwendet, sondern resorbiert werden sollen, eine
Beobachtung, welche von keinem anderen Autor bestätigt worden ist
und abermals dafür spricht, das Calberla mit pathologischem Material
gearbeitet hat. Schließlich bezieht sich noch ein Ditferenzpunkt auf
die späteren Stadien der Blastula, die zur Gastrulation überleiten.
Nach Max Schultze, dem die meisten späteren Forscher sich an-
geschlossen haben, soll das durch weißliche Färbung ausgezeichnete
kleinzellige Material allmählich das großzellige gelbe umwachsen.
Diese Epibolie soll in einem bestimmten Meridian, der späteren, jetzt
zum erstenmal erkennbar werdenden Sagittalebene, an einem (dem
vorderen) Ende rascher sich vollziehen als am anderen. Dabei sollen
Furcliuügsprozeß. 599
die Zellen sich dichter zusammenfügen und eine epitheliale Anord-
nung gewinnen. Kupffer stellt jede Epibolie in Abrede; es handle
sich nur um die Umordnung der
oberflächlichsten Zelllage zu ^--'~~^^
einem Cylinderepithel. Die Um- /^ ^\
Ordnung soll nicht am aninialen /
Pol, sondern im Aequator des / . .^ j
Eies auf einer Seite, die später l ^-' ..^K' /
zum Rücken wird, beginnen. \ ^^m /
Fig. 205. Umwachsen der großen
Dotterzellen durch die kleinen animalen Zellen beim Neunauge (nach M. Schultze).
Vergr. 22 : 1.
Kxi)erimeiitelle Untersuchungen. Wie schon seit längerer Zeit
die Eier der Amphibien, so sind auch neuerdings die Eier der Neun-
augen zu experimentellen Untersuchungen verwandt worden. Bataillon
(1901) übertrug Eier von P. fluviatilis auf dem Stadium der Vier-
teilung für Stunden teils in 1-proz. Kochsalzlösung, teils in 10-proz.
Zuckerlösung. Der Furchungsprozeß wurde so zum Stillstand ge-
bracht, wahrscheinlich durch den Wasser entziehenden Einfluß der
angewandten Lösungen ; er begann von neuem, als die Eier ins Wasser
wieder zurückgelangten, oft dann ganz unregelmäßig. Gewisse Eier,
an w'elchen die erste Meridionalfurche besonders stark ausgeprägt,
die zweite dagegen verwischt war, entwickelten sich zu Mehrfachbil-
dungen, manchmal zu 2 gut ausgebildeten Tieren, öfters auch zu 3 Larven,
von denen dann eine kräftig war, die 2 anderen in der Entwickelung
zurückgeblieben. Hatte sich das Ei bei der ersten Furche in zwei
gleich große Stücke geteilt, so waren auch die zum Vorschein
kommenden beiden Larven von gleicher Größe. Dagegen war eine
Larve kleiner, die andere größer, wenn das Ei sich in ungleiche
Blastomeren geteilt hatte. — Ein 3 Tage zuvor gestrichenes Neunauge
lieferte noch nachträglich einen kleinen Rest von Eiern, welche be-
fruchtet wurden ; unter diesen zeigte ein relativ großer Prozentsatz
(40 Proz.) die beschriebene eigentümliche Beschaffenheit der Furchen
und entwickelte sich demgemäß auch zu Zwillingen. Bataillon ver-
mutet, daß das längere Verweilen in dem salzreichen Ovar Ursache
der Mißbildung gewesen sei.
b) Hyperotreten (Myxinoiden).
Die außerordentliche Größe der Eier sämtlicher bekannter Myxi-
noiden machte es von jeher wahrscheinlich, daß eine diskoidale P\irchung
hier vorhanden sein müsse. Diese Ansicht hat denn auch durch die
Untersuchungen Bashford Dean's (A. L. III, 2, 1899) an Bdellostoma
Stouti volle Bestätigung erfahren. An den ca. 22 mm langen und ca.
8 mm breiten Eiern dieses Tieres ist die Keim Scheibe ein kegel-
förmiger Aufsatz am Mikropylpol des Eies; sie ragt in eine kleine,
dicht unter der Mikropyle gelegene Ausbuchtung des Schalenraumes
hinein und ist lange Zeit allein Sitz des Furchungsprozesses, welcher
sich von hier aus erst ganz allmählich nach dem entgegengesetzten
Elende ausbreitet, das Blastoderm erzeugend. Die ersten 2 Furchen
sind meridional und kreuzen sich in der Weise, daß eine Brechuugs-
furche entsteht, sie verflachen sich nach der Peripherie. Die nächsten
600
R. Hertwig,
Furchen sind, wie es scheint, Vertikalfurchen.
P'iirchungsprozeß einen unregelmäßigen Charakter
mit Rücksicht auf die spärlichen, zur Zeit
einer Schilderung Abstand genommen werden kann
Frühzeitig
an, so
vorliegenden
nimmt der
daß, zumal
von
Angaben
Drei Furchungsstadien von Bdellostoma Stoutl nach Bashford DEAif.
III. Amphibien.
Die Amphibien sind diejenige Abteilung des Tierreichs, bei welcher
zum erstenmal der Furchungsprozeß des Eies beobachtet Avurde (durch
Prevost und Dumas). Auch in späterer Zeit, bis in die letzten
Jahre hinein, hat sich das Amphibienei als Lieblingsobjekt der Forscher
behauptet, als es galt, prinzipielle Fragen zum Austrag zu bringen, wie
die Frage nach der histologischen Beurteilung der Eifurchung, ob sie
als Zellteilung aufzufassen sei oder nicht, weiter die Frage nach der
morphologischen Bedeutung der einzelnen Furchen und nach ihrem
Verhältnis zur Organbildung, Fragen, deren Lösung zum Teil auf
dem Wege des Experiments, zum Teil durch intensive Beobachtung
angebahnt wurde. So ist es gekommen, daß wir bis in geringfügig
erscheinende Einzelheiten hinein eine genaue Kenntnis der Vorgänge
gewonnen haben, wie an wenig anderen Objekten.
Macht schon das Gesagte eine etwas eingehendere Behandlung
notwendig, so emptiehlt sich dieselbe noch aus einem weiteren Gesichts-
punkte. Die Amphibien haben — ■ wahrscheinlich mit Ausnahme der
Gymnophionen — noch holoblastische Eier, aber Eier von großem
Dotterreichtum. Derselbe erreicht in den einzelnen Abteilungen ver-
schiedene Grade. Am wenigsten mit Dotter beladen sind die Eier
unserer einheimischen und wohl auch der meisten außereuropäischen
Anuren. Ihnen reihen sich am nächsten an die Eier der Wasser be-
wohnenden Salamandrinen (Tritonen), welche im allgemeinen nicht
größer sind als die Anuren-Eier, gleichwohl ihnen an relativem Dotter-
gehalt überlegen sind, wie nicht nur die Vorgänge bei der Befruchtung,
sondern auch bei der Teilung erkennen lassen. Erheblich dotterreicher
scheinen, die Eier sämtlicher .PerennibranchicUen incl. der Amhlystomen
zu sein. Leider ist zu bedauern, daß wir abgesehen vom Axolotl über
die
Eifurchung
dieser
Tiere nur spärliche Kenntnis besitzen. Der
größte Dotterreichtum herrscht endlich bei den lebendig gebärenden
Salamandrinen, unter denen S. atra ebenfalls noch der Untersuchung
harrt. Man kann nun an den Amphibien verfolgen, wie der zunehmende
Dotterreichtum immer mehr den Charakter der Furchung verändert,
bis schließlich bei den Eiern von Salamandra maculosa, welche vorüber-
Furchungsprozeß. 601
gehend für meroblastisch gehalten wurden, Anklänge an die diskoidale
Furchung auftreten. So sind die Amphibien für das Verständnis der
Furchung meroblastischer Eier von der größten Wichtigkeit.
Unter den euroj^äischen Änuren nimmt, was Eigröße anlangt, Älytes
obstetricans, die Geburtshelferki-öte, eine Ausnahmestellung ein. Wäh-
rend die Eier unserer Frösche ungefähr 2 mm groß sind, die mancher
Kröten sogar noch ei-heblich kleiner, haben sie einen Durchmesser von
3 — 5 mm. Noch erheblichere Eigrößen wurden in den letzten Jahrzehnten
von tropischen Batrachiern bekannt. Gew^öhnlich handelt es sich hierbei
um Formen, welche in der Eihülle ihre Metamorphose beenden und daher
auf eine für lange Embryonalentwickelung berechnete Masse von Xahrungs-
dotter angewiesen sind. Die Eier von Xenorhina rostrata sind 3,5 mm,
von Mantopkryne lateralis (im Ovar gemessen) 4,3 — 5 mm groß, GnatJio-
phryne rohiista 6,3 mm breit, 7 mm lang. Die größten Eier w^urden bisher
von einigen Batrachiern der Salomousinseln durch Boulexger gemessen ;
sie sind bei Rana Opisthodon 6 — 10 mm, bei Nototrema fissipes nach Weix-
LAXD 10 mm, doch ist aus den Angaben nicht mit Sicherheit zu entnehmen,
ob bei den Maßen die Eihüllen mit einbegriffen sind fvergl. auch p. 541).
Der verschiedene Dottergehalt erklärt uns zahlreiche Modifikationen,
die der Furchungsprozeß bei den Amphibien, von Art zu Art verglichen,
erfährt; er erklärt sie aber nicht alle; er erklärt z, B. nicht, warum
bei einer und derselben Art der Furchungsprozeß so außerordentlich
abändert, so daß nicht nur die Angaben verschiedener Autoren für
dasselbe Objekt ganz verschieden lauten, sondern auch der einzelne
Autor oft hat darauf verzichten müssen, eine bestimmte Darstellung
zu geben. Bei manchen Arten verlangt bei der Erklärung dieser Er-
scheinung der Umstand Berücksichtigung, daß bei Eiern derselben Art
der Dottergehalt und demgemäß auch die Größe erheblichen Schwan-
kungen unterworfen ist. So wechselt die Eigröße beim Axolotl (Fick)
zwischen 1,5 und 3 mm, bei Bufo lentiginosus (King) zwischen 0,6
und 1,5 mm.
Bei anderen Arten fehlt diese Variabilität der Eigröße. Hier
kommen offenbar die weiteren Momente in Betracht, auf welche ich
im allgemeinen Teil schon hingewiesen habe: Einflüsse der Tem-
peratur nicht nur auf die Beschleunigung, sondern auch
auf den Verlauf der Teilung und verschied engra d ige
Aktivität des Protoplasma, wie sie durch wechselndes
Alter d e r E i z e 1 1 e , E i n w i r k u n g g e r i n g f ü g i g e r S c h ä d 1 i c h -
k e i t e n herbeigeführt wird. Offenbar sind bei Amphibien — und
dasselbe gilt auch von den im Charakter des Furchungsprozesses den
Amphibien sehr nahestehenden Ganoiden und Dipneusten — durch
den Dotterreichtum sehr labile Zustände geschaffen, so daß auf gering-
fügige Modifikationen hin schon sehr erhebliche Abänderungen zu stände
kommen. — Daher müssen wir von vornherein darauf verzichten, ein
bestimmtes Furchungsschema oder auch selbst mehrere Schemata auf-
zustellen. Wir können vielmehr nur von einer selten erreichten idealen
Grundform ausgehen, welche mit dem Wachstum der Dottermasse
immer seltener wird und bei den Endgliedern der Reihe völlig schwindet.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, wie wenig diese Verhält-
nisse mit der Lehre Roux's harmonieren, daß jede Teilung bei der
Sonderung der Materialien für die verschiedenen Organe eine ganz
bestimmte Aufgabe habe.
602 R- Hertwig,
Der verschiedene Dottergehalt der Eier ist auch Ursache, daß die
Zeit, welche die einzelnen Teilungsstadien in Anspruch nehmen, je nach
den zur Untersuchung verwandten Arten verschieden ist. So fand
0. Hertwig (1898), daß bei Rana temporaria vom Beginn der ersten zur
zweiten Teilung 1 Std. 10 Min., von Anfang der zweiten bis zum Anfang
der dritten 1 Std. 25 Min. verflossen, und zwar bei einer Temperatur
von 15 '' C. Chiarugi (1900) dagegen bestimmte für Salamandrina per-
spicillata bei gleicher Temperatur die entsjDrechenden Zeiträume, den
ersten auf etwas mehr als 3 Std. im Durchschnitt, den zweiten auf
2 Std. 30 Min. Ebenfalls 2 Std. 30 Min. dauerte es von dem Beginn
der achten Teilung bis zum Beginn der zehnten Teilung. Aehnliche
Unterschiede zwischen Änuren und Urodelen fanden Jokdan und Eycles-
iiYMBR (1893), welche eine sehr interessante Tabelle über die einschlägigen
Intervalle für Bana und Bufo einerseits, Amblystoma und Diemydylus
andererseits geben.
Am gleichförmigsten verlialten sich beim Fiirchimgsprozeß die
meisten einheimischen Aimreii ; sie schließen sich anfs engste den
Cyclostomen nnd ebenso ancli den Acraniern an. Als Beispiele für
sie werden die bei uns einheimischen Frösche Bana temporaria (fusca)
lind B. esculenta gewählt, von denen der erstere im Beginn des Früh-
jahrs (März), also bei sehr niederer Temperatur, der zweite gegen
Ende des Frühjahrs (Mai, Juni) laicht.
Die Eier beider Froscharten zeigen nach Ablauf der Befruchtung,
wie wir gesehen haben (p. 535), eine sehr charakteristische sym-
metrische Pi gm ent Verteilung , nicht nur daß wie bei vielen
anderen Amphibien die nach oben gewandte Seite pigmentiert, die
nach abwärts gewandte Seite weißlich ist ; es grenzen sich auch die
beiden verschiedenfarbigen Partieen des Eies in einer ganz besonderen,
eine frühzeitige Orientierung ermöglichenden Weise gegeneinander ab.
Auf der einen Seite reicht die weißliche Partie bis an den Aequator
{B. temporaria) oder über ihn hinaus (B. esculenta) und kommt bei
letzterem bei der Betrachtung von oben zum Vorschein, auf der ent-
gegengesetzten Seite überschreitet das Pigment den Aequator nach
abwärts. Verbindet man den Mittelpunkt der pigmentierten Seite und
den Mittelpunkt der lichten Seite durch eine gerade Linie, so erhält
man eine durch das Centrum des Eies gehende Gerade, die sekundäre
Eiachse. Dieselbe bildet mit einer Linie, die man bei der natür-
lichen Haltung des Eies lotrecht durch das Eicentrum zieht, und die
wir die primäre Eiachse oder die Furchungsachse nennen wollen,
einen Winkel von ungefähr 45^. In einiger Entfernung vom oberen
Ende der Furchungsachse liegt die Fovea germinativa.
Die „erste m e r i d i o n a 1 e" T e i 1 u n g s f u r c h e beginnt am
oberen Pol der Furchungsachse und schreitet langsam über die pig-
mentierte Hälfte, noch langsamer über die lichte Partie des Eies und
erreicht erst nach 1 ^4 Stunde den unteren Pol. Da sie sich nur ganz
allmählich vertieft, kommt es erst spät zu einer völligen Durch-
schnürung zu einer Zeit, in der die zweite Teilung schon beginnt. Die
erste Teilfurche geht sowohl durch die Furchungsachse als auch durch die
Eiachse und teilt das Material nicht nur in gleich große, sondern auch in
symmetrische Stücke, wie aus der Pigmentverteilung hervorgeht. Das
Pigment ist zur Teilungsebene symmetrisch angeordnet, da die Ebene so-
wohl durch den tiefsten wie den höchsten Punkt der Pigmentgrenze geht.
Die Stelle, an welcher die Richtungskörperbildung sich vollzogen hat,
fällt nicht in die Teilungsebene; vielmehr geht die Teilungsebene an dem
Furchungsprozeß.
603
Richtungsfleck, dessen Centrum der Punkt der Richtungskörperbildung
ist, vorbei oder schneidet ihn excentrisch. Nach dem, was im Kapitel
über Befruchtung über die Einstellung der Eier gesagt worden ist,
braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden, daß auf dem Stadium
der Zweiteilung wie auf allen späteren Furchungsstadien die Eier eine
ganz bestimmte Orientierung beibehalten, mag man den Froschlaich
drehen und wenden, wie man will; stets drehen sich die Eier in der
Weise, daß die dunkle Hemisphäre nach aufwärts schaut.
Wie bei allen Furchen, die das Froschei in größere Stücke zer-
legen, zeigt auch die erste Meridionalfurche den sogenannten Falten-
kranz, eine Menge feiner Fältchen, die jederseits 60—100 an Zahl
links und rechts von der Furche und senkrecht zu ihr angeordnet
sind und in die Furche münden, Sie sind beim Entstehen der Furche
am deutlichsten und schwinden allmählich, wenn sie tiefer einschneidet.
Es ist am wahrscheinlichsten, daß der Faltenkranz der Ausdruck einer
Kontraktion des Protoplasma, nicht einer Faltung der Dotterhaut ist.
Untersucht man das zweigeteilte Froschei in seiner natürlichen
senkrechten Stellung erst von der einen, dann von der anderen Seite
des Furchungsmeridians, so ist die eine fast ganz dunkel, wir wollen
sie mit Rücksicht auf die spätere Orientierung des Embryo in Ein-
la
Illa
Ib
IIb
Illb
Fig. 207. I — III 3 Furchungsstadien von Eana temporaria, jedes Ei einmal
von vorn (a) und von hinten (b) gesehen, um zu zeigen, daß das lichtere Feld auf
allen 3 Entwiclrelungsstadien auf der hinteren Seite des Embryo mehr Raum ein-
nimmt als auf der vorderen. (Nach O. Schultze.)
klang mit den meisten neueren Forschern (0. Schultze, Kopsch) die
caudale (Roux nennt sie umgekehrt cephale) nennen ; die andere Seite
ist vorwiegend hell ; sie möge nach ihrem weiteren Schicksal die
cephale (Roux caudale) heißen. Die eine Furchungskugel ist dann
die linke, die andere die rechte (Fig. 207 I).
Wie bei der Befruchtung, so treten auch wähi-end der Teilungen
Pigmentfiguren auf, welche bei den pigmentreichen Eiern der Anuren
besonders auffallend sind (Van Bambeke, 1896). Pigmentierung begleitet
604
R. Hertwig,
die einzelneu Phasen der Karyokinese, indem z. B. die Hantelfigui' des
Kernes durch eine entsprechende Anordnung schwärzlicher Pigmentkörnchen
hervorgehoben wird (Fig. 208 b). Eine zweite Pigmentfigur (a) liegt zwischen
Kernspindel und Eioberfläche, sie stammt vom subcorticalen Pigment ab
und hat die Ciestalt einer Doppel-
klammer. Endlich sieht man bei jeder
Teilung die Purchungsebene sich
frühzeitig durch eine Pigmentplatte
markieren, welche von dei' eben auf-
tretenden Oberflächenfurche durch
den Zellkörper hindurchzieht und der
Zellplatte der sich teilenden Pflanzen-
zelle verglichen worden ist. Die
Pigmentplatte spaltet sich bei der
Teilung in ganzer Länge , worauf
die Furche durchschneidet. Es liegt
nahe, die Pigmentplatte durch Wan-
derung vom Rindenpigment abzuleiten.
Ihre Entstehungsweise soll gegen
diese Ansicht sprechen, da die Pig-
mentlage aus dem Innern des Eies
herauswachsen soll. Man muß daher,
wie man es auch bei den Sperma-
straßen gethan hat, an eine Neu-
bildung von Pigment denken.
Wenn die erste Meridionalfurche den höchsten und tiefsten Punkt
der kreisförmigen Begrenzung der weißen Hemisphäre durchschneidet, so
wird durch sie die pigmentierte Oberfläche symmetrisch halbiert werden.
Diese von den meisten Beobachtern beschriebene Erscheinung wird auch
von dem neuesten Autor auf diesem Gebiete, Moszkowski (1902), be-
stätigt; sie wird dagegen von Morgan und Ume Tsada (1893) in Abrede
gestellt. Nach Morgan bildet die nach der Pigmentverteilung bestimmte
Symmetrieebene des Eies bei R. temporaria mit der ersten
Fig. 208. Querschnitt durch ein in
Zweiteilung begriffenes Ei von Bufo
vvlgaris senkrecht zur Teilungsebene.
(Nach Bambeke.)
Eurchungs-
ebene stets einen Winkel,
ist, in 25 Proz. ca
450
welcher in ca
10 Proz
bei frischen Eiern
65 Proz. der Fälle sehr
sogar noch mehr beträgt.
äußerst selten,
gering
Nach
daß die
Symmetrieebene abweicht ; dagegen ist die
Eiern, Eiern, welche lans'e im Uterus ver-
in
0. ScHULTZE (1899c) ist es
erste Eurchungsebene von der
Erscheinung bei „stark reifen'
weilt haben, bevor sie befruchtet wurden, häufig; es kann der Winkel
beider Ebenen hier sogar 90" betragen, was gleichbedeutend damit ist, daß
die zweite Eurche vor der ersten auftritt.
Die zweite meridionale Furche entwickelt sich wie die
erste; sie steht zu ihr senkrecht und geht gewöhnlich ebenfalls durch
die Furchungsachse, so daß die entstehenden 4 Quadranten unter-
einander gleich groß sind, doch kommt es hier schon zu Abweichungen,
indem die zweite Meridionalfurche nach der Gegend, wo die lichte Ei-
partie nach oben über den Aequator übergreift, verschoben ist, so daß
die auf dieser Seite gelegenen Blastomeren kleiner sind (Fig. 209).
Dieses Verhalten scheint bei Buna esculenta die Regel zu sein (New-
PORT, Roux), aber auch bei R. temporaria öfters vorzukommen (0.
Schultze). Weit verbreitet sind bei allen Anuren Verschiebungen
der Furchungskugeln, gegen einander, wodurch es zur Ausbildung von
Brechungslinien kommt. In der Regel ist dann die Brechungslinie am
animalen Pol senkrecht zu der am
vegetativen
Pol orientiert.
Furchungsprozeß.
605
Die dritte oder äquatoriale Furche erinnert, wie die
bisher betrachten zwei Furclien. bei den Änuren noch sehr an die uns
von Amphioxus her bekannten Verhältnisse, nur daß sie aus dem
Aequator nach dem Hauptpol zu verschoben ist. Die 8 Furchunfrskugeln
sind daher von sehr ungleicher Größe, die 4 Mikromereu des Hauptpols
erheblich kleiner als die 4 Makromeren des Gegenpols. Der Grad der Ver-
schiebung der äquatorialen
Furchungsebene läßt sich
nach der Lage des Schnitt-
punkts bestimmen, in wel-
chem die Ebene von der
Furchungsachse durchbohrt
wird. Bei genau äquato-
rialer Lage müßte der
Schnittpunkt mit dem Cen-
trum des Eies zusammen-
fallen und somit die Achse
halbieren. Bei Rana beträgt
sein Abstand vom Pol mehr
als ^/a der Eiachse, bei Pelo-
bates wurde er von Bam-
BEKE genau auf ^/g be-
stimmt. Es ist das ziemlich
genau der Abstand, den der
fruchtung vom Eipol einhält
Fig. 209. 2
Furcliungsstadien von Kana es-
culenta (nach Roux). Die beiden Linien in jeder
Figur bezeichnen die Richtung der ersten Fur-
chungsebene (8agittalebene der Larve), die zweite
zu ihr senkrechte Furchungsebene hat das Ei in
ungleiche Teile zerlegt.
Furchungskern
Der
für den relativen
um so kleiner ist
Dotter geh alt des
Abstand
Eies ab
der Dotterreichtum.
nach
giebt
je
Abschluß
ein
der
uns
größer
der Be-
gutes Maß
Abstand.
Fig. 210. Furchungs-
stadien des Froscheies
nach Max Öchültze.
Genauere Untersuchungen haben nun ergeben, daß .in der Bildung
der Aequatorialfurche die Abw^eichungen von der Norm schon etwas er-
heblicher werden als bei den bisher betrachteten zwei Furchen. Der
Umstand, daß die sogenannte Aequatorialfurche,
streng-
genommen,
aus 4
606 II. Hertwig,
gleich gerichteten Furchen besteht, kommt oft darin zum Ausdruck, daß
die 4 Teile unabhängig voneinander entstehen. Gewöhnlich beginnen
die 4 Stücke der Furche in der Nachbarschaft der ersten Meridian-
furche (C. E. V. Baer 1834), die einen oft früher als die anderen.
Zu den Zeitunterschieden können sich Lageunterschiede gesellen. So
können auf einer Seite die Teilfurchen höher auf die Achse einfallen als
auf der anderen, Ungleichheit imter den Mikromeren veranlassend oder
eine etwa von früher her vorhandene Ungleichheit steigernd. Auch eine
Verschiebung des Makromerenkranzes gegen den Kranz der Mikromeren
(spirale Furchung, cfr. Acranier) kann eintreten (Roux, Kopsch 1900).
Dadurch wii'd der Verlauf der anfangs einheitlichen Meridianebenen ge-
stört : die zwischen den Makromeren liegenden Teile der Meridianebenen
und die zwischen den Mikromeren befindlichen sind um einen größeren
oder kleineren Winkel (20 — 45^) gegeneinander verschoben.
Außerordentlich wechselnd fallen die Bilder bei dem 4. u n d 5.
F u r c h u n g s s t a d i u m aus, welche wir gemeinsam besprechen wollen.
Sind diese Stadien von großer Regelmäßigkeit, was sehr selten der
Fall zu sein scheint, so entstehen zunächst 2 weitere Meridional-
furchen, welche die Winkel der vorhandenen Furchen halbieren ; sie
sind schon an den Mikromeren vollkommen entwickelt, ehe sie auf die
Makromeren übergreifen, und erzeugen je 8 Mikro- und Makromeren
2. Ordnung. Dann treten 2 latitudinale Furchungsebenen auf,
welche jeden Kranz von 8 Blastomeren in 2 übereinander liegende
Kränze zerlegen. Der Zeitunterschied zwischen dem Erscheinen der
oberen und der unteren Latitudinalfurche ist ein sehr erheblicher,
wie denn überhaupt von jetzt ab die Teilung im Umkreis des Haupt-
pols rascher fortschreitet als auf der Seite des Gegenpols (Fig. 210).
Gehen wir jetzt zu den Abänderungen der geschilderten Norm
über, welche, wie gesagt, viel häufiger sind als die Norm selbst. Den-
selben ist gemeinsam, daß die Meridionalfurchen die Pole nicht treifeu,
sondern in einiger Entfernung von ihnen auf die 2 ersten Meri-
dionalfurchen stoßen [Polflucht (!) Rauber's]. Die Meridional-
furchen werden damit zu Vertikalfurchen. Völlig asym-
metrische Bilder resultieren, wenn jede der 4 so entstehenden
Vertikalfurchen an einem anderen Halbkreis der beiden primären Meri-
diane endet (Modifikation I). Im allgemeinen herrscht jedoch eine
Tendenz zur Symmetrie. Für R. esculenta z. B, ist die Regel (Roux),
daß die neuen Vertikalfurchen innerhalb der kleineren Mikromeren sich
der ersten Meridionalfurche annähernd parallel stellen und daher auf die
zw eite Meridionalfurche in größerer oder geringerer Entfernung vom Pol
treffen, daß sie dagegen innerhalb der größeren Mikromeren sich mehr
der Richtung der zweiten Meridionalfurche anschließen und geneigt zur
ersten Meridionalfurche verlaufen (Modifikation II, Fig. 209). Es können
auch in sämtlichen Mikromeren die vertikalen Furchen die gleiche Orien-
tierung zeigen und in besonders regelmäßigen Eiern einer der beiden
Meridianfurchen genau parallel verlaufen (Modifikation III, Fig. 210).
Welche von den 3 Modifikationen die häufigere ist, darüber lauten die
Angaben der Autoren ganz verschieden. Während Roux für R. es-
culenta die Modifikation II als Regel hinstellt, sind nach Rauber es
die Modifikationen I und IL Klarheit kann hier nur durch methodische
Untersuchungen gewonnen werden, welche die äußeren Bedingungen,
unter denen die Entwickeluug vor sich geht, namentlich die Tem-
peratur genau berücksichtigt.
Fureliuugsprozeß. 607
Aehiiliche Verhältnisse, wie wir sie soeben für die Mikromeren
kennen gelernt haben, gelten auch für die Makromeren, nur kann
man nicht von ersteren einen Rückschluß auf letztere machen, da die
Orientierung der Furchen bei ihnen in ganz anderem Sinn erfolgt
sein kann.
Aus dem HERTWio'schen Furchungsschema ergiebt sich mit Not-
wendigkeit, daß von der Anordnung der Furchen des 4.
Stadiums auch die Anordnung der Furchen des 5. Sta-
diums abhängt. Das ist in der That auch der Fall. Je mehr jene
vom meridionalen Verlauf abweichen und, sich einer der ersten Meri-
dionalfurchen parallel stellend , zu Vertikalfurchen werden , verlieren
diese den Charakter von latitudinalen Furchen und lenken mehr und
mehr ebenfalls in den Verlauf vertikaler Furchen ab. Im Extrem
stellt sich heraus, daß das 4. und 5. Furchensystem nach demselben
Prinzip orientiert sind (vertikal und parallel einer der primären Meri-
dionalfurchen), nur daß das eine dem ersten, das andere dem zweiten
Meridian parallel ist. Es resultiert eine rechtwinklige Kreuzung aller
Furchen, auf welche bekanntlich Prevost und üumas im Gegensatz
zu C. E. V. Baer und in der Neuzeit wieder Rauber besonderen
Wert gelegt haben (Fig. 210).
Bei den sehr dotterreichen Eiern der Änure Rhacopkorus Schlegeli hat
Sakeyira Ikeda (1902) als Regel gefunden, daß die dritten Furchen
vertical und nahezu parallel zur ersten Meridionalfurche verlaufen und daß
die vierten gemeinsam ein Oval beschreiben, welches die drei ersten Fur-
chensysteme rechtwinklig schneidet, wie wir es später für Ämia kennen
lernen werden. Die Furchen werden im Bereich der vegetativen Ei-
hälfte sehr undeutlich, was besonders für vorgerückte Entwdckelungs-
stadien gilt. So wird das Bild einer partiellen (discoidalen) Furchung
vorgetäuscht. Aehnliches scheint bei Alytes ohstetricans der Fall zu sein,
für welche Vogt (A. L. III, 7, 1842) und De l'Isle (1876) discoidale
Furchung beschrieben haben, während eine Nachprüfung durch Gtassek
(A. L. III, 7, 1882) inäquale Furchung nach Art von Bomhinator ergab.
Ehe wir in der Darstellung des Furchungsprozesses der Anuren
fortfahren, wollen wir erst die entsprechenden Zustände der Urodelen
schildern, dabei aber die besonders dotterreichen Eier von Salamandra
maculosa zunächst noch außer Spiel lassen.
Die befruchteten Eier der Urodelen besitzen mit Ausnahme der
pigmentlosen Molge cristata den Unterschied einer aufwärts gewandten
pigmentierten und einer abwärts schauenden pigmentlosen Seite, lassen
aber, sofern die in der Litteratur vorliegenden Angaben erschöpfend
sind, im übrigen in der Pigmentverteilung nicht die bestimmte
Orientierung erkennen, welche oben von den Froscheiern beschrieben
wurde. Wohl aber sind sie zur Zeit der Eiablage häufig oval, wie
dies 0. Hertwig (1893), v. Ebener (1893), C. E. v. Baer, Grön-
Roos (1890) für Molge cristata, Gasco (1880*) für M. alpestris, Jor-
dan (A. L. III, 7, 1893) für Diemyctylus viridescens beschrieben haben.
Auch die umgebenden Hüllen zeigen eine ovale Gestalt und gestatten
eine gewisse Orientierung auch dann noch, wenn die Eier, was ge-
wöhnlich zutrifft, einige Zeit nach der Befruchtung oder während der
Furchung sich abrunden.
Entsprechend dem größeren Dotterreichtum furchen sich die Eier
aller Urodelen erheblich langsamer als die der Anuren. besonders
'O"-
608
R. Hertwig.
greifen die Furchen viel langsamer von der aninialen auf die vege-
tative Seite über. Ihr erstes Auftreten wird ständig von dem schon
besprochenen Faltenkranz begleitet. Die erste Meridionalfurche steht
bei ovalen Eiern stets senkrecht zur Längsachse des Ovals, wenn nur
die Eikapsel oval gestaltet ist, senkrecht zu deren Längsausdehnung.
Die charakteristische Stellung der ersten Meridionalfurche wird aucli
erreicht, wenn ausnahmsweise einmal die Furche am Ende des Ovals
sie die Richtung
die Oberfläche, bis
hat. Gewöhnlich sind
die beiden
beginnt, sie wandert dann über
der kürzesten Achse erreicht
Blastomeren untereinander gleich, doch gehören Größenunterschiede
nicht zu den Seltenheiten (Gasco : M. alpestris , Eycleshymer
(1895) Amhlystoma) ; bei Diemyctylus scheinen sie sogar die Regel zu
bilden (Jordan).
IV 0
Fig. 211. Eifurchung von Tri tonen (nach Grönross), I — V Molge cristata.
I Bildung der dritten Furchen von der zweiten beginnend. II Die dritten Furchen
verlaufen annähernd äquatorial. IIIo Von den dritten verläuft eine annähernd
äquatorial, die 3 anderen nahezu senkrecht. IIIh Dasselbe Ei vom unteren Pol.
IVo Alle dritten Furchen vertical, IVw dasselbe Ei vom unteren Pol. Vo In den
linken 2 Quadranten waren die dritten Furchen vertikal, die vierten infolgedessen
äquatorial angelegt, in den rechten 2 Quadranten umgekehrt, die dritten annähernd
äquatorial, die vierten dementsprechend vertikal. V« Dasselbe Ei von unten. VI Eier
von Molge alpestris, vergleichbar dem Ei V von Molge cristata, nur daß die 4
Furchen noch nicht entwickelt sind.
Während die zw^eite Meridionalfurche im wesentlichen sich wie
bei Anuren verhält (Häufigkeit der Brechungsfurchen), beginnen mit
der dritten (äquatorialen) Furche erhebliche Abweichungen. Die 4 Stücke
derselben nehmen nicht an der ersten sondern an der zweiten Furchungs-
ebene ihren Ausgangspunkt. Wenn sie sämtlich in einer Ebene liegen,
so ist der Schnittpunkt, den diese Ebene mit der Furchungsachse bildet,
dem Hauptpol bis zu ^4 oder V« der Eiachse genähert, Avas zur Folge
hat. daß die Mikromeren verhältnismäßig viel kleiner sind als bei den
Anuren.
Wo dieses für Anuren typische Verhalten vorkommt, pflegen dann
auch die nächsten Furchen wie bei den Anuren aufzutreten, es sind
Meridionalfurchen, die vom xiequator aus nach den Polen verlaufen und
die 8-Teilung zunächst der Mikro- und sehr viel später der Makromeren
bedingen. Für sie gilt ebenfalls die Regel, daß sie selten wirklich
meridional sind. Meist zeigen sie den bei Anuren ausführlicher be-
sprochenen Verlauf von Vertikalfurchen. Viel häufiger kommt es aber
Furchungsprozeß. 609
vor, (laß die 4 Teile der sogenannten Aeqnatorialfurche gar nicht
horizontal verlaufen, sondern von ihrem Ausgangspunkt an der zweiten
Meridionalfurche die Richtung nach abwärts einschlagen und somit auf
die erste Meridionalfurche, sei es in der Gegend des Aequators, sei es
noch tiefer im Bereich der unteren Sphäre des Eies, in extremen
Fällen sogar in der Gegend des Gegenpols aufstoßen, Sie nehmen
dabei immer mehr den Charakter von Vertikalfurchen an, besonders
dann, w'enn ihr Ursprung an der zweiten Meridionalfurche, was sich mit
der geschilderten Abänderung zu kombinieren pflegt, nach dem Haupt-
pol zu verschoben ist. üa die 4 Stücke der „Aeqnatorialfurche" von-
einander unabhängig sind, können sie in den einzelnen Quadranten ein
verschiedenes Verhalten zeigen, z. B. in einem Quadranten horizontal,
in 3 anderen mehr minder vertikal verlaufen (Fig. 211 IIIo), oder sie
verlaufen in 2 Quadranten vertikal, in 2 weiteren horizontal (VIo).
Diese teilweise und verschiedengradige Umbildung von Aequatorial-
furchen in Vertikalfurchen ist von großer Bedeutung für Beantwortung
der Frage, inwieweit man ein Recht hat, jeder Furche einen ganz
bestimmten typischen Charakter zuzuschreiben (Roux), Ich komme
hierauf später zurück. Die Erscheinung ist auch für den weitereu
Verlauf des Furchungsprozesses von Wichtigkeit. Denn selbst-
verständlich ist es jetzt nicht mehr denkbar, daß beim nächsten
Teilungsschritt, wie es sein sollte, meridionale, resp. vertikale Teilungen
und nach diesen wieder latitudinale Teilungen auftreten. Vielmehr
treten Furchen auf, w^elche die verschiedensten Winkel zur Horizontal-,
resp. Vertikalebene bilden. Am verständlichsten ist noch der extreme
Fall, bei welchem die 4 Teile der dritten Furche nahezu vertikal ver-
laufen. Die nächste Furche holt dann nach, was die vertical ab-
gelenkte dritte Furche hätte leisten sollen, sie ist latitudiual, liegt aber
dem Hauptpol viel näher, als die normal entwickelte Aequatorialfurche
zu liegen pflegt.
Es scheint, als ob die Tendenz, von dem bei den Anuren be-
schriebenen Ausgängsschema abzuweichen bei den einzelnen Arten
der wasserbewohnenden Salamandrinen eine verschiedene ist. Am
regelmäßigsten ist der Furchungsprozeß unzweifelhaft bei Molge
alpestris (Gasco), der Tritonart, welche sehr kleine Eier hat, und
Sulammidrina perspicillata (Chiarugi 1899). Nächstdem wären die
Amhlystomen zu nennen : Amhlystoma ügriniim (Eycleshymer) und
der Axolotl, A. mexicanum (Van Bambeke). Am abweichendsten
scheint sich Molge cristaia zu verhalten, ein Salamandrine mit be-
sonders großen Eiern. Große Verschiedenartigkeit herrscht bei
Biemyctylus (Jordan), bei welchem aber auch die Eigröße sehr
variabel ist. Eine interessante Zusammenstellung der wichtigsten
Variationen des Furchungsprozesses haben Jordan und Eycleshymer
gegeben (1883).
Die genaue Kenntnis des Furchungsprozesses von Salamandrina
2Jerspicillata verdanken wir Chiarugi (1899). Die Eier haben einen
Durchmesser von ungefähr 1,8 mm. doch ist die Eiachse etwas kürzer
als der Durchmesser, welchen man in horizontaler Richtung durch sie
hindurchlegen kann. Die obere Seite des Eies ist mehr oder minder
intensiv pigmentiert. Der so zustande kommende Pigmenthof hat eine
ovale Gestalt und umschließt etwas excentrisch die meist ebenfalls ovale
lichtere Fovea germinativa. Die erste Furche teilt das Ei in Stücke
von ungleicher Größe, wobei gewöhnlich das pigmentierte Feld ungleich
Handbuch dtr Entwickelungslehre. I. 39
610 R. Hertwig,
abgeteilt wird, und die Fovea unter Umständen von der Furche gar
nicht getroffen wird. Iin letzteren Fall liegt die Fovea fast stets auf
der pigmentreicheren Eihälfte. Wird sie von der Furche geschnitten, so
streckt sie sich senkrecht zu dieser zu einem Oval und nimmt beim
Durchschneiden der Furche die Figur einer 8 an. Die Ränder der ein-
schneidenden Furche sind durch intensiver gefärbte Pigmentstreifen be-
zeichnet, welche sich beim tieferen Einschneiden der Furche zu der der
Furche vorauseilenden Pigmentlamelle vereinen, die durch den Dotter
hindurch zum unteren Pol gezogen ist. Die zweite Furche steht senkrecht
zur ersten, die dritte meist senkrecht zu den vorhergehenden ; letztere
ist daher im großen und ganzen latitudinal, doch können ihre einzelnen
Stücke von der Horizontale zur Schrägstellung abweichen. Die vierte
Teilung ist meist vertikal ; sie entwickelt sich beträchtlich früher im
Bereich der Mikromeren.
Ueber das Verhalten der Kernteilung zur Zellteilung macht Chiarugi
folgende Angaben, welche in treffender Weise erläutern, wie die Kern-
teilung der Zellteilung vorauseilt. Ehe die erste Meridionalfurche den
Aequator erreicht, ist die Kernspindel mit Aequatorialplatte schon für
die zweite Teilung fertiggestellt. Wenn die zweite Meridionalfiu-che den
vegetativen Pol erreicht, ehe aber noch die Aequatoriallürche sichtbar
wird, ist die zu letzterer gehörige Karyokinese schon beendet und sind
die Kerne im Ruhezustand angelangt.
Eine auffallende Erscheinung, die wohl mit ungleicher Größe der
beiden ersten Furchungskugeln zusammenhängt, besteht bei S. per-
spicillata darin, daß öfters das Ei zu Anfang in 3 gleich große Blasto-
meren geteilt wird, welche dann durch die Aequatorialfurche in 6 Blasto-
meren zerlegt werden.
Ob eine genaue Proportionalität zwischen Unregelmäßigkeit der
Furchung und Größe der Eier, resp. Dottergehalt derselben besteht,
läßt sich zur Zeit noch nicht mit Bestimmtheit aussagen, da wir noch
nicht wissen, welchen Einfluß auf den verschiedenartigen Charakter
der in der Litteratur mitgeteilten Untersuchungsresultate verschieden-
artige Temperatur, verschiedenartige Reife etc. ausgeübt haben. Immer-
hin kann man jetzt schon sagen, namentlich wenn man Anuren und
Urodelen miteinander vergleicht, daß bei Amphibien mit wachsendem
Dottergehalt die Tendenz zunimmt, den vertikal verlaufenden Furchen
größere Bedeutung einzuräumen. Dies kommt darin zum Ausdruck,
daß die horizontalen Furchen verspätet auftreten, manche sogar ganz
unterdrückt werden. Während bei Anuren diese Tendenz in der
Regel erst bei der zweiten Horizontalfurche (der Latitudinalfurche) sich
geltend macht und auch da nur bei einem Teil der Eier, betrifft sie
bei den Urodelen schon sehr häufig die erste Horizontalfurche, die
Aequatorialfurche. Außerordentlich deutlich wird die Erscheinung,
wenn wir uns nunmehr zu den dotterreichsten bisher untersuchten
Urodeleneiern, den Eiern von Salamandra maculosa, wenden.
Der Furchungsprozeß von Salamandra maculosa ist so eigentüm-
licher Natur, daß Leydig, allerdings nur auf Grund ungenügender
Abbildungen Rusconi's, die Eier für meroblastisch halten konnte. Als
dann später Kupffer (1879), Beneke (1880) und Grönroos (1895)
fanden, daß das gesamte Ei geteilt werde, stellten sich gleichwohl viele
Anklänge an die diskoidale Furchung von Reptilien und Vögeln heraus.
Furchungsprozeß. 611
Wie wir gesehen haben, zeigt das befruchtete Ei sowohl bei
Flächenansichten wie noch mehr auf Sagittalschnitten eine ziemlich
scharfe Sonderung in eine gelbliche, dotterreiche Hauptmasse und eine
I II III
/
Fig. 212. Erste Entwickelung des Eies von iSalamandra maculosa (nach
Gröxroos). I Ei mit FurchungskerQ auf dem Längsschnitt, Keimscheibe und
Dotter scharf abgesetzt. II Ein ähnhches Ei, vom oberen Pol aus gesehen. III Pol-
ansicht eines Eies mit erster Furche.
derselben am Hauptpol eingelagerte weißliche, vorwiegend protoplas-
matische Scheibe. Die erste Meridionalfurche sondert zunächst die
Scheibe in symmetrische Teile, greift aber dann auch auf den gelben
Dotter über. Ehe sie noch den Gegenpol erreicht, ist schon senkrecht
zu ihr die zweite Meridionalfmxhe aufgetreten ; letztere kann so früh
entwickelt werden, daß sie mit der ersten ein auf die weiße Scheibe
beschränktes Kreuz bildet (Bekeke). Die Vereinigung der Meridional-
furcheu am Gegenpol ist sehr variabel. Die erste Meridionalfurche wird
in der Regel noch verhältnismäßig frühzeitig fertig gestellt und schneidet
auch tief ein. Ehe aber sämtliche 4 unteren Enden der beiden Meridional-
furchen sich treffen, sind gewöhnlich schon weitere Furchensysteme zweiter
und dritter Ordnung am Hauptpol aufgetreten. Die Vereinigung selbst
erfolgt selten in Form einer Brechungsfurche, wie wir sie bisher kennen
gelernt haben, meist entstehen sehr imregelmäßige Figuren.
Der nächste Furchungsschritt ist nur zu verstehen, wenn wir berück-
sichtigen, daß schon bei den Amphibien mit weniger dotterreichen Eiern
die einzelnen Stücke der Aequatorialfurche eine Tendenz haben, sich
unabhängig zu entwickeln und ferner in der Richtung von Vertikal-
furchen abzulenken. So ist das offenbar in der Abbildung 213 A der
Fall : von den 4 durch die ersten Meridionalfurchen erzeugten Seg-
menten haben 2 mittelst stark polarwärts verschobener Aequatorial-
furchen 2 kleine Stücke am animalen Pol abgeschnürt ; bei 2 anderen
Stücken ist die Umformung der Aequatorialfurche in Vertikalfurchen
eingetreten.
Nach den Abbildungen, welche Grönroos gegeben hat, scheinen Ab-
weichungen von der gewöhnlichen Furchungsnorm noch früher auftreten zu
können. Die Furchung der beiden in den Figg, 213 B u. C abgebildeten
Eier ist mir so zu verstehen, daß die erste Meridionalfurche (//) un-
gleiche Stücke voneinander treinite, daß die zweite Meridionalfurche (I)
infolgedessen nur auf einer Seite (der in der xlbbildung nach abwärts
gewandten") sich in regelrechter Weise entwickelte und die Stücke C
39*
612 R. Hertwig,
lind D lieferte, so daß ähnlich, wie es oben von Salamandrina perspidllata
geschildert wurde, ein dreigeteiltes Ei resultierte, eine Erscheinung, welche
bei der discoidalen Eurchung sehr häufig ist. Dagegen unterblieb die
A'j
i
B^ -
T
D
I
C
D
n
ß
TT
C2 -\ ^
JT I
B
AB AB
Fig. 213. Drei Furchungsstadien von Salamandra maculosa (nach Grönroos),
in der oberen Reihe vom oberen, in der unteren Reihe vom unteren Pol aus be-
trachtet. A Von den 4 Quadranten .-1, B, C, D sind A und B durch Aequatorialfurchen
in a und A, b und B geteilt, gleichzeitig D und C durch Vertikalfurchen in Z)\
J»- und C\ C*. B Zweite Meridionalfurche einseitig ausgebildet, ebenso in C. Wahr-
scheinlich sind die Figuren so zu deuten, daß I die zweite, II die erste Meridian-
furehe bezeichnet.
Trennung von A und B und schnürte dieses einheitliche Stück AB durch eine
Aequatorialfurche das kleine Stück ab ab. Durch weitere meridionale
Eurchen wurden dann A und B gesondert und D in D^ und D^, C in C^
und C^ geteilt. Bei dem zweiten Ei ist dann noch ab in a und b geteilt.
Da somit schon während der 3 ersten Eurchuno-sstadien die Eier
r
les Eeuersalamanders vom normalen Verlauf der Amphibienfurchung
ganz erheblich abweichen, ist es begreiflich, daß in der Eolge Bilder
von einer geradezu verwirrenden Unregelmäßigkeit zustande kommen.
Wollte man sie deuten, so müßte man im Zusammenhang verfolgt haben,
wie sie entstanden sind. Das ist bisher nicht geschehen und wird auch
in Zukunft auf Schwierigkeiten stoßen, da S. maculosa vivipar ist.
Die besprochenen Furchungsstadien der Amphibien haben zu einer
Reihe von Streitfragen Veranlassung gegeben, auf die wir nunmehr
eingehen müssen. Zunächst haben wir die Frage zu erörtern: Was
istUrsache, daß die ersteFurchungsebene, vonweicher
alle späteren T e i 1 e b e n e n in ihrer Anordnung bestimmt
werden, unter normalen Verhältnissen eine ganz I) e -
stimmte Orientierung sowohl im Raum wie im Körper
der Eizelle besitzt.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die senkrechte
Stellung d e s e r s t e n F u r c h u n g s m e r i d i a n s d i e n o t w endige
Folge der Einwirkun g der Schw erkraft ist (Pflüger). Denn
Furchungsprozeß. 613
wenn man Froscheier nach der schon früher besprochenen Pflüger-
schen Methode (p. 538) oder zwisclien zwei in geeiii^neteni Abstand
befestigten Objektträgern in Zwangslage kultiviert und das Präparat
bahl nach der Befruchtung in der Weise dreht, daß die hellere Si)häre
ganz oder mit einem größeren oder kleineren Abschnitt dauernd nach
aufwärts schaut, erfahren die Meridianfurchen keine der Drehung des
Eies entsprechende Lageverschiebung im Raum, sondern werden nach
wie vor vertikal angelegt. Demgemäß fällt der Kreuzungspunkt der
beiden meridionalen Furchen nicht wie sonst annähernd mit dem Ceu-
trum des schwarzen Feldes zusammen, sondern mit dem höchsten
Punkt des Eies, selbst wenn man das Ei so gedreht hatte, daß die
Mitte des hellen Feldes nach oben zu liegen kam (Pflüger, Born.
ROUX, HeRTW'IG, 0. SCHULTZE u. a.).
Wie haben wir uns nun diese W i r k u n g s w e i s e de r
Schwerkraft vorzustellen? Pflüger (1883) nahm einen un-
mittelbaren Einfluß der Schwerkraft auf die Eisubstanz (ihre
formativen Teile) an : diese sei anfänglich isotrop, d. h. nach allen Ptich-
tungen des Raumes gleichartig beschaffen : durch den andauernden
Einfluß der Schwerkraft würden ihre Teilchen in der Richtung der Meri-
dianebenen polarisiert und so der Unterschied von animalem oder
Hauptpol und vegetativem oder Gegenpol hervorgerufen. Nach
dieser Auf fassun g würde eine normale Ent Wickelung des
Froscheies ohne die Einwirkung der Schwerkraft nicht
möglich sein. Die Unhaltbarkeit dieser Autfassung der Schwerkraft-
wirkung suchte Roux (1884) durch ein Experiment nachzuweisen,
welches eine dauernde gleichgerichtete Einwirkung der Schwerkraft un-
möglich machen sollte. Roux befestigte Drahtkästchen, in welchen
befruchtete Eier in feuchter Watte verpackt waren, auf einem vertikalen
Rad, welches so laugsam rotierte, daß die Einwirkung der Schwerkraft
nicht durch die Wirkung der Centrifugalkraft ersetzt wurde, immerhin
rasch genug, daß die Eier nach Roux's Angaben nicht Zeit hatten, bei
ihren durch die Umdrehung bedingten beständigen Lageveränderungen
im Raum ihre Achsen in der Richtung der Schwerkraft einzustellen. In
dem Moment, in welchem man behufs Kontrolle das Rad zum Still-
stand brachte, fand Roux in der That auch die Achsen der einzelnen
Eier ganz verschieden gestellt. Obwohl somit die Richtung, in welcher
die Schwerkraft auf das Ei wirkte, beständig wechselte und eine po-
larisierende Wirkung derselben aufgehoben war, entwickelten sich die
Eier in normaler Weise, und zwar so, daß die erste Furche wie auch
sonst in der pigmentierten Sphäre am Hauptpol begann.
Ein weiteres Experiment bestand darin, daß ein mit Eiern zur
Hälfte gefülltes verschlossenes Röhrchen an einer Achse des Rades be-
festigt wurde. Dasselbe mußte bei der Rotation des Rades beim
Passieren des höchsten Punktes genau die entgegengesetzte Stellung
einnehmen wie beim Passieren des tiefsten Punktes. Die Eier mußten
somit zweimal gestürzt und in ihrer Lagerung gestört werden. Auch
diese Eier entwickelten sich normal.
Durch weitere Untersuchungen von Born und 0. Hertwig wurde
in überzeugender Weise nachgewiesen, daß die Einwirkung der
Schwerkraft beim Froschei eine vermittelte sei und nur
dadurch zur Geltung komme, daß das Amphibienei aus Substanzen
von verschiedenem specifischem Gewicht bestehe , aus schwererem
Nahrungsdotter und leichterem Bildungsdotter (Kern -\- Proto])lasma).
Wie im Kapitel über Eireife und Befruchtung auseinandergesetzt
614 R. IIertwig,
wurde, sind beiderlei Substanzen am reifen befrucliteten Ei, wenn
auch nicht vollkoninien, so doch schärfer als am unreifen Ei gesondert,
und zwar so, daß die pigmentierte Seite den Kern und größere Mengen
Protoplasma, die lichtere Seite mehr Nahrungsdotter enthält. Die pig-
mentierte Seite muß bei freier Beweglichkeit des Eies vermöge ihres
geringeren specifischen Gewichtes stets nach aufwärts schauen ; sie
muß den Ausgangspunkt der Furchung abgeben, da hier die für die
Teilung des Eies wichtigen Bestandteile, der Kern und die Hauptmasse
des Protoplasma, liegen. Die Erscheinung, daß auch bei Eiern, welche
in Zwangslage mit dem hellen Pol nach aufwärts fixiert werden, die
Furche am oberen Pole, diesmal somit am helleren Pol auftritt, erklärt
sich aus einer unter dem Einfluß der Schwerkraft sich vollziehenden
inneren Umlagerung der Teile, welche ebenfalls oben schon besprochen
wurde; sie ist Ursache, daß Kern und Protoplasma wieder an den
oberen Eipol gelangen, wenn auch die Pigmentanordnung nicht in der
alten Weise wiederhergestellt wird. Bei den Roux'schen Rotations-
experimenten wirkt die Schwerkraft nicht dauernd in der von
Pflüger geforderten gleichgerichteten fördernden Weise, aber auch
nicht dauernd in einer eine Umordnung der Teile bewirkenden Weise,
wie bei ruhig stehenden, in abnormer Lage zwangsweise befestigten
Eiern. So bleibt die einmal gegebene Anordnung erhalten, und die
Teilung beginnt am pigmentierten Pol, weil er der kern- und proto-
plasmahaltige ist, wenn er auch vorübergehend infolge der Rotation nicht
nach aufwärts schaut. Bei dieser Auffassung der Schwerkraftwirkung
wird es begreiflich, daß sie bei dotterarmen Eiern anderer Tiere gar
nicht zum Ausdruck kommt, und daß hier die ersten Teilfurchen auch
unter normalen Verhältnissen mit der Vertikalen alle Winkel bilden
können (0. Hertwig).
Durch die Experimente und Erwägungen von Born, Hertwig
und Roux ist die PPLtJGER'sche Lehre von der polarisierenden Wir-
kung der Schwerkraft endgiltig widerlegt. Dagegen bleibt nach wie
vor der Satz unanfechtbar, daß das Amphibienei vermöge seiner Zu-
sammensetzung aus Teilen von verschiedener specifischer Schwere,
die vermöge der Plasticität des Materials gegeneinander verschiebbar
sind, von der Einwirkung der Schwerkraft in hohem Maße abhängig
ist, daß die Schwerkraft auf seinen Entwickelungsgang einen großen
Einfluß ausübt. Darüber, wie mau sich im genaueren diesen Einfluß
vorzustellen hat, ist eine lebhafte Kontroverse entstanden, bei welcher
Roux das eine, Oscar Schultze das andere Extrem vertritt. Roux
ist der Ansicht, daß ein Froschei sich ganz normal entwickeln würde,
wenn man die Schwerkraftwirkung ganz ausschalten könnte. Das Ei
würde dann aus eigenem inneren Antrieb alle die zur Entwickelung
nötigen Materialumlagerungen bewirken ; der gesamte Entwickelungs-
gang des Eies beruhe auf „Selbstdiflferenzierung".
0. Schultze (1894, 1899, 1900) dagegen ist der Ansicht, daß ohne
die Einwirkung der Schwerkraft eine normale Entwickelung nicht mög-
lich sei. Sie ist nötig, „um die durch die Lebensvorgänge im Eierstock
bedingte Struktur des befruchteten Eies zu erhalten''. Aus Schultzens
Darstellung ist ferner zu entnehmen, daß er die Einwirkung der Schwer-
kraft für nötig hält, um die mit Verlagerung des Schwerpunktes einher-
gehenden und daher zu Rotationen der gesamten Eikugel führenden
Zellverschiebungen bei der Gastrulation zu ermöglichen.
Welche Vorstellungen sich 0. Schultze von der Art der Schwer-
kraftwirkung macht, ist, wie das schon von anderen Forschern hervor-
Furchungsprozeß. 615
gelioben wurde, nicht recht klar. Er knüpft mit seinen Ausführungen
an die Arbeiten Pflüger's und an die Lehre von Sachs über die
ßaryniorphosen bei den Pflanzen an. Daraus könnte man schließen,
daß der Verfasser an einen unmittelbaren EinÜuß auf die den Ent-
wickelungsgang bestimmenden aktiven Bestandteile, Kern und Proto-
plasma, denkt." Seine Ausführungen im einzelnen würden sich dagegen
sehr gut mit der Anschauung vertragen, daß, wie es oben auseinander-
gesetzt wurde, der Einfluß der Schwerkraft nur durch die Anwesen-
lieit des schweren Dotters bedingt würde, daß die richtige Anordnung
und Umlagerung desselben nur durch die unterstützende Wirkung der
Schwerkraft ermöglicht werde. Im letzteren Falle würde sich seine
Anschauung mit der Anschauung 0. HertW'Ig's decken.
Zur Verteidigung ihrer Ansicht berufen sich sowohl Roux wie
ScHULTZE auf Experimente. Die Experimente Roux's haben wir
schon kennen gelernt. Es fragt sich: ist bei denselben in der That
jegliche Wirkung der Schwerkraft aufgehoben? Von verschiedenen
Forschern [Keibel (1902), Morgan (1901, 1902)], auch von solchen,
die sachlich mit Roux übereinstimmen (Kathariner), wird diese
Frage, und zwar mit Recht, verneint. Da das die Eier tragende Rad
in einer bestimmten Ebene rotiert, so würde zunächst kein Grund
vorliegen, daß eine etwaige symmetrische Beschaffenheit des Eies auf-
gehoben würde ; es würde vielmehr zu erwarten sein, daß das Ei sich
mit seiner Symmetrieebene in die Rotationsebene des Rades einstelle.
Auch muß in einem Teile des Umganges, welcher je nach dem Ort,
an den'^ man die Rotation beginnt, ein verschiedener sein würde, die
Schwerkraft in normaler oder nahezu normaler Richtung wirken. In
dem anderen Teile des Umganges wird aber die nunmehr entgegen-
gesetzte Wirkung nicht zur vollen Geltung kommen, Aveil das in seinen
Hüllen frei bewegliche Ei etwas seine Einstellung verändern wird,
wejin ihm auch die Zeit fehlen wird, eine völlig normale Einstellung
zu erzielen. Am wenigsten wird das bei den sogenannten „Ueber-
schlagseiern" der Fall sein. Aber auch hier wird sicherlich ein Rest
normal wirkenden Schwerkrafteffekts übrig bleiben.
Unter diesen Verhältnissen beschloß Kathariner (1901.1902),
einen anderen Weg des Experimentierens einzuschlagen; er ließ die
Eier durch einen starken in das Wasser eingepumpten Luftstrom
beständig herumwirbeln. In ähnlicher Weise experimentierte Morgan
(1902). Die Versuchsanordnung beider Forscher stimmt im Prinzip
mit einem auch von Roux angestellten Experiment überein, nur daß
Roux zum Herumwirbeln der Eier einen Wasserstrahl benutzte. Die
Eier entwickelten sich in allen diesen Fällen normal, nur in dem be-
wegten Wasser langsamer, was Kathariner auf Rechnung der durch
stärkere Verdunstung bewirkten Abkühlung zurückführt. Ob indessen
bei dem regellosen Herumstrudeln die Eier in der That so sehr ihre
Stellung zur Richtung der normalen Schw^erkraftwirkung verändern,
daß letztere jedes Einflusses beraubt würde, muß abermals fraglich
erscheinen. Und so kann man wohl mit Moszkowski sagen, daß
durch keines der genannten Experimente ein zwingender Beweis für
die Roux'sche Ansicht erbracht ist.
Das Gleiche gilt aber noch in höherem Maße von den Gegen
a
beweisen, welche die Notwendigkeit des richtenden Einflusses der
Schwere darthun sollten. Hierbei kommen besonders zwei Experimente
0. Schultze's in Betracht. 0. Schultze befestigte Eier in normaler
Stellung in vollkommener, jede Rotation verhindernder Zwangslage.
610 R. Hertwig,
Die erste Zeit ging die Eiitwickelung normal vor sich, später aber,
wenn die Gastrulation kommen sollte, trat ,,Dotterdurclibruch'' ein:-
am nnteren Pol verloren sich die Zellgrenzen, indem die Furchungs-
kngeln untereinander verschmolzen, und der schwere Nahrungsdotter
die uni)igmentierte Plasmarinde des Eies durchbrach. Schultze
deutet den Versuch in der Weise, daß bei beginnender Gastrulation
Lageverschiebungen des Zellmaterials eintreten müssen, welche nur ein-
treten können, wenn die Eier sich unbehindert dem richtenden Einfluß
der Schwerkraft anpassen können. Tliatsächlich handelt es sich aber
beim Experiment nicht um eine Ausschaltung der normalen Wirkung
der Schwerkraft, sondern um Verwendung der Schwerkraft in abnormer,
schädigender Weise. Lageverändei'ungen, welche sich im Ei vollziehen
sollten, werden unmöglich gemacht, weil der schwere Nahrungsdotter in
seiner ursprünglichen Stellung durch die Schwerkraft festgehalten wird.
Noch klarer ist es beim zweiten Experiment, daß hier nur der
Nachweis gebracht ist, daß die Verwendung der Schwerkraft in ab-
normer Weise die Eier schädigt, wodurch natürlich ihre Notwendig-
keit für eine normale Entwickelung nicht erwiesen ist. Dieser Ein-
wurf ist daher auch von den verschiedensten Seiten schon gemacht
worden (Boveri, Roux, Kathariner, Moszkowski). Schultze
ließ Eier, in Zwangslage befestigt, an einem Klinostaten (einem senk-
recht sich umdrehenden Rad) so langsam rotieren , daß innerhalb
4 Stunden eine Umdrehung beendet wurde. Die Eier verfärbten sich
grau und starben sehr frühzeitig ab. Dieses Resultat ist nicht wunder-
bar. Denn indem die Schwerkraft auf die Gruppierung der im Ei ver-
teilten ungleich schweren Massen in beständig wechselnder Richtung
wirkte, mußte ein völliges Durcheinanderrühren der Teile bewirkt und
somit jede Entwickelung unmöglich gemacht werden. Und so kommen
wir zum Endresultat, daß die vielen angestellten Experimente und die
an sie geknüpften Erörterungen und scharfen Polemiken zu keinem be-
stimmten Entscheid geführt haben, außer demeinen, daß ein polari-
sierender Einfluß auf die aktiven Z e 1 1 b e s t a n d t e i 1 e im
Sinne Pflüger's nicht angenommen werden kann. Da im
Ei Substanzen von verschiedener specifischer Schwere enthalten sind,
so gewinnt die Schwerkraft Einfluß auf ihre Anordnung und ihre Um-
lagerungen. Ob aber die Schwerkraft für diese Prozesse nötig ist,
ob das Ei in einem der Schwerkrafts Wirkung entzogenen Raum die
specifischen Anordnungen und Umlagerungen nicht aus sich heraus
bewirken könnte, ist unentschieden, freilich auch eine Frage von unter-
geordneter Bedeutung, da es sich im besten Falle nur um Anpassungs-
erscheinuugen dotterreicher, telolecithaler Eier, nicht um ein das Or-
ganische beherrschendes Fundamentalprinzip handeln würde.
Indem durch die Einwirkung der Schwerkraft eine bestimmte Ein-
stellung des Eies und unter Umständen sogar eine der Schwerkrafts-
wirkung conforme Umgruppierung seiner Bestandteile herbeigeführt
wird, der Art, daß die specifisch leichteren Substanzen nach aufwärts
(animaler oder Hauptpol), die schweren nach abwärts gewandt sind
(vegetativer oder Gegenpol), ist ein bestimmter Durclimesser des Eies
als Furchungsachse festgelegt. Durch die Furchungsachse sind aber
zunächst zahllose Teilungsmeridiane möglich. Und so fragt sich
weiter: welche Momente entscheiden über den tliatsächlich zur ^'er-
wendung kommenden Meridian V Ist es der Zufall, oder ist es
eine konstante, bilateral symmetrische Struktur des
E i e s V Im letzteren Falle wäre dann weiter zu e n t -
Furchungsprozeß. 617
scheiden, ob diese bilaterale Symmetrie schon ^• o r der
B e f r u c h t iin g v o i- h a n d e n ist oder erst durch das Ein-
dringen des Spermatozoons hervorgerufen wird.
Durch Beobachtung läßt sich mit Sicherheit ausschließen, daß die
Reifungs Vorgänge irgendwelchen bestimmenden Einfluß ausüben.
Der Ort. an welchem die Richtungskörper gebildet werden, ist bei
Froscheiern noch lange Zeit nach der Befruchtung an der Fovea ger-
minativa zu erkennen. Diese aber hat ein sehr wechselndes Lage-
verhältnis zur ersten Teilfurche, indem sie bei manchen Eiern in
verschiedener Weise von der Furche durchschnitten wird, bei anderen
Eiern abseits von ihr liegt. Nach Roux (1S87) wird die Lage
der e r s t e n M e r i d i 0 n a 1 f u r c h e durch d i e B e f r u c h t u n g be-
stimmt, und zwar soll der erste F u r c h u n g s m e r i d i a n .
wie schon oben kurz angedeutet wurde (p. 510) einmal
durch die E i m i 1 1 e , zweitens durch die K o }) u 1 a t i o n s -
bahn des Spermatozoons verlaufen. Die Berechtigung dieses
Satzes, welcher durch Beobachtungen Wilson's am Seeigelei, also an
einem ganz anderen Objekt, eine kräftige Stütze erfährt, läßt sich bis
zu einem gewissen Grad von Sicherheit durch direkte Beobachtung
kontrollieren, da der Weg des eindringenden Spermatozoons im Ei
durch eine Pigmentstraße bezeichnet wird, welche sich noch lange Zeit
während der Eifurchung erkennen läßt. In der That sind Roux (1887)
und ScHULTZE (1899c) zu dem Resultat gekommen, daß bei Eiern,
welche in der Richtung der beginnenden Meridianfurche geschnitten
W'Urden, die Pigmentstraße der Kopulationsbahn in den dem Furchungs-
mei'idian entsprechenden Schnitten enthalten war. Ja, selbst auf vor-
gerückten Blastulastadien soll die Pigmentbahn des Spermatozoons,
nunmehr auf viele Zellen verteilt, noch erkennbar sein und in die
Symmetrieebene der Blastula fallen, welche ihrerseits wieder mit der
ersten Furchungsebene identisch sei (0. Schultze). Andere Forscher
bestreiten die allgemeine Giltigkeit dieser Angaben : es soll die Pigment-
straße des Spermatozoons die Furchungsebene kreuzen können; auch
sei der Endabsclmitt der Bahn eine diffuse Pigmentmasse, an der man
keine bestimmte Richtung erkennen könne; ferner verlaufe der letzte
Teil des Weges des Spermakernes außerhalb der Pigmentstraße, so daß
die Richtung derselben keinen Schluß auf die Richtung, in welcher Ei-
und Spermakern zusammenstoßen, gestatte (Michaelis 1897*). Aber
auch wenn wir die Allgemeingiltigkeit der von Roux und Schultze
gemachten Angaben einräumen, so würde dadurch der bestimmende
Einfluß der Befruchtung noch nicht erwiesen sein. Es wäre sehr
wohl denkbar, daß die Koincidenz der Ebene der Kopulationsbahn
und der Furchungsebene durch einen dritten Faktor bestimmt ist.
die bilateral symmetrische Struktur der Eizelle. Eine der Befruchtung
vorausgehende bilaterale Symmetrie des Eies ist für Rana esculenta
bekannt, noch auffälliger ist sie bei den etwas langgesti'cckten Eiern
der Tritonen. Da bei letzteren die erste Furche fast stets senkrecht
zur Längsachse durchschneidet, ist ihre Lage schon vor der Befruchtung
bestimmt. Unter diesen Verhältnissen ist es von der größten Wichtig-
keit, die Resultate der sogenannten „lokalisierten Befruchtung", welche
Neavport und Roux bei Fröschen ausgeführt haben, erneut auf ihre
Beweiskraft hin zu prüfen und die Methode auch an anderen Objekten
zu erproben. Die genannten Autoren impften, wie in dem Kapitel
..über Befruchtung" auseinandergesetzt wurde, mit einer (ilaskanüle
Samen bis in die nächste Nachbarschaft des in normaler Lage fixierten
618 R. Hertwig,
Eies in die Gallerte ein und glaubten damit die Eintrittsstelle des
Spermatozoons lokalisiert zu haben. Die erste Furche soll dann stets
in der Richtung nach dem Ort der lokalisierten Befruchtung verlaufen :
es sei damit dem Expeiimentator ermöglicht, durch die "Wahl des
Befruchtuugsmeridians die Lage der Furchungsebene im voraus zu
bestimmen. Indessen selbst für den Fall, daß dieses Ergebnis voll-
kommen sichergestellt sein sollte, so würde nicht erwiesen sein, daß
die Befruchtung als solche es ist, welche das Ergebnis bewirkt und
nicht vielmehr mit dem Experiment verbundene Begleiterscheinungen.
Es wäre sehr gut denkbar, wie Moszkowski (1901, 1902) annimmt,
daß die Art des Experimentierens eine Neigung der Eiachse nach der
Impfstelle verursacht und dadurch dem um diese Zeit noch in Zwangslage
befindlichen Ei einen „Strömungsmeridian" (Born) aufnötigt, welcher
Befruchtungsebene und Symmetrieebene gemeinsam bestimmt (vgl. p.541).
Außer dem Impfverfahren bediente sich Roux noch zweier anderer
Methoden. 1) Er schnitt in einem bestimmten Meridian die Gallerte mit
einer Scheere ein und übertrug mittelst eines Pinsels Sperma in den
Grund der Furche. 2) Er legte einen Seidenfaden auf die Gallerte eines
senkrecht mit der Axe fixierten Eies, so daß er in einem Meridian nahe
zum schwarzen Pol reichte ; der Faden wurde dann mit Samen befeuchtet.
Wie schon früher gelegentlich allgemeiner Erörterungen aus-
einandergesetzt wurde, ist die Frage, ob der Furchungsmeridian
durch die Befruchtung bestimmt werde, für die Evolutionstheorie von
der allergrößten Bedeutung. Denn wenn durch die erste Teilung
eine Sonderung in qualitativ verschiedene Teile herbeigeführt wird,
so muß auf diesen für die gesamte Organogenese äußerst wichtigen
Vorgang die männliche Geschlechtszelle den gleichen Einfluß ausüben
wie die weibliche. Wir werden mit diesen Erwägungen auf eine zweite
viel umstrittene Frage geführt, auf die Frage nach der Beziehung
der F u r c h u n g s e b e n e n zur Organisation des ausgebil-
deten Tieres. Bekanntlich haben die Eier der Amphibien im Streit
der Epigenetiker und Neo-Evolutionisten eine wichtige Rolle gespielt
und das am häufigsten verwandte Untersuchungsmaterial geliefert, als
es zu entscheiden galt, ob das Ei durch die einzelnen Furchungs-
schritte in Teile von verschiedener Qualität zerlegt werde
(Evolutionstheorie, Theorie der organbildenden Keimbezirke) oder in
gleichartige Teile, deren späteres Schicksal durch die re-
lative Lagerung im Keim bestimmt werde (Theorie der Epi-
genesis). Zunächst mußte durch Beobachtung festgestellt werden, ob
ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen der Lage der Furchungs-
ebenen und der späteren Anordnung der Organe nach den Haupt-
ebenen des Tieres: Sagittalebene, Frontal- und Trausversalebene
existiert. Für Anuren hat sich herausgestellt, daß im allgemeinen
die erste Furchungsebene in ihrer Lage der Sym metrie-
ebene des ausgebildeten Tieres entspricht. Von den
beiden Blastomeren liefert somit die eine vorwiegend das Material für
die linke, die andere für die rechte Seite (Pflüger, Newport, Roux,
0. ScHULTZE u. a). Die zweite zur ersten Ebene und zur Horizontal-
ebene senkrechte Furchung würde — so nahm man lange Zeit an —
die cephale und caudale Region des Körpers sondern und somit eine
Transversalebene sein. Nun läßt sich, wie oben gezeigt wurde,
wenigstens im Ei unserer einheimischen Frösche schon am be-
fruchteten Ei (vielleicht sogar schon am unbefruchteten) ein Unter-
schied nicht nur zwischen Links und Rechts, sondern auch zwischen
Furchungsprozeß. 619
Vorn und Hinten erkennen. Die eine Seite des Eies ist dadurch
charakterisiert, daß hier die Befruchtungsstelle gelegen ist, die andere
dadurch, daß 1) die helle durch das graue Feld vergrößei'te Sphäre
höher hinaufreicht als am entgegengesetzten Ende, 2) die zweite Furche
öfters nacli ihr zu aus der Mitte heraus verschoben ist, was zur Folge
hat, daß die dem betreffenden Ende angehörigen Blastomeren nicht
nur auf dem Stadium der Vierteilung, sondern auch auf vorgerückten
Blastulastadien kleiner sind als die genau entgegengesetzten. Welche
von den beiden Seiten ist nun die caudale, welche die craniale? New-
PORT und 0. ScHULTZE erklären die kleinzelHge, durch das graue Feld
charakterisierte Seite für die caudale, die Eiachse für dorso-ventral. Roux
(1883) vertrat ursprünglich die gleiche Auffassung, verließ dieselbe aber
später (1887, 1888b) und behauptete, daß das caudale Ende im Sinne
Schultze's das craniale sei, daß, was dieser für dorsal erkläre, thatsäch-
lich ventral liege. In den letzten Jahren hat noch eine dritte von Kopsch
(1900) zuerst geäußerte Ansicht Anhänger gefunden (H. V. Wilson,
Helen King (vergi. Gastrulation) Ikeda 1902). Nach ihr würde die
Furchungsachse mit der dorso-ventralen Mittellinie des Embryo einen
Winkel beschreiben der Art, daß sie von caudal oben nach cranial unten
verlaufen würde. Spemann (1902) geht auf Grund von Untersuchungen
an Tritoneiern sogar noch w^eiter ; nach ihm würde die Meridionalfurche
der Anuren, welche Roux und 0. Schultze übereinstimmend mit der
Transversalebene identifizierten, die Frontalebene bezeichnen, so daß das
durch sie gesonderte Material nicht cranialen und caudalen, sondern dor-
salen und ventralen Teilen entsprechen würde. Diese Widersprüche
hängen mit einer verschiedenen Auffassung des Gastrulationsvorganges
zusammen, worüber erst in einem späteren Kapitel gesprochen werden
kann.
Roux folgert nun weiter, daß, wie durch die erste Meridional-
furche das Links und Rechts, durch die zweite das \'orn und Hinten
bestimmt sei, so mit jeder weiteren Teilung ein bestimmtes Zell-
material für ganz bestimmte Orgaue individualisiert werde, und nicht
nur das Zellmaterial, sondern auch die für die betreffende Organ-
bildung nötigen „gestaltenden und differenzierenden Kräfte"'.
Genauere Untersuchungen haben die Tragweite dieser Verall-
gemeinerungen sehr abgeschwächt. Roux (1887, 1894) kam selbst
zum Resultat und wurde in dieser Ansicht von Bataillon (1897) unter-
stützt, daß bei Eiern, welche sich im gepreßten Zustand (Born 1893)
oder in Zwangslage entwickeln, die erste Furchnngsebene gewöhnlich
zu der späteren Symmetrieebene senkrecht steht, also nach seiner An-
sicht eine Transversalebene ist. Roux deutet diese Erscheinung durch
die Annahme, daß ein „Anachronismus" der Furchen vorliege: jede
der beiden Meridionalfurchen habe auch in diesen Fällen ihren
typischen Charakter: nur der Zeitpunkt ihrer Entstehung könne ab-
geändert werden. Indessen dieser Annahme widersprechen die Unter-
suchungen Pflüger's (1883), 0. Hertwig's (1893) und Born's (1894);
denn diese Forscher fanden, daß bei gepreßten Eiern die erste Meridian-
furche mit der späteren Symmetrieebene jeden beliebigen Winkel bilden
könne. Born fand bei seinem Material weiterhin, daß die Symmetrie-
ebene des Embryo mit der Ebene des Strömungsmeridians des Eies zu-
sammenfalle, d. h. mit der Ebene, welche bei Eiern, die in Zwangs-
lage gehalten werden, die Richtung der Strömungen bezeichnet, welche
die Umgruppierung der Eimaterialien von verschiedener Schwere
konform der Einwirkung der Schwerkraft bewirken. Wenn bei Eiern,
620 R. Hertwig
die sich unter normalen Bedingungen entwickeln, die Symnietrieebene
des Embryo auch mit der ersten Furcliungsebene identisch ist, so hat
das darin seinen Grund, daß die letztere dann ebenfalls vom Strömungs-
nieridian bestimmt wird. Wird diese Uebereinstimmung von Eurchungs-
und Strömungsmei'idian aufgehoben, so ist der letztere für die Sym-
metrieebene maßgebend ^).
Indessen ist es auch unter normalen Verhältnissen keineswegs
ausgemacht, daß Symmetrieebene und Ebene der ersten Meridianfurche
vollkommen zusammenfallen. Im Gegenteil!
Durch Verbesserung der Beobachtungsmethoden, welche das Lage-
verhältnis der Symnietrieebene des Embryo zur ersten Meridianfurche
des Eies bestimmen lassen, kam Kopsch zu dem von Roux allerdings
angefochtenen Resultat, daß nicht unbedeutende Abweichungen vor-
kommen können, welche bei den von ihm beobachteten Eiern von
R. temporftria auf dem Gastrulastadium bis zu 63^ betrugen. Dies
Resultat steht in Uebereinstimmung mit den Beobachtungen, welche
wir später bei Teleostier-Eievn kennen lernen werden. Dazu kommt
ein zweites ! Verfolgt man das Schicksal der ersten Teilfurche wäh-
rend der weiteren Stadien des Furchungsprozesses, so verliert sie
sehr bald den Charakter einer glatt durchschneidenden Ebene, wie es
die Symmetrieebene ist. Durch Bildung von Brechungsfurcheu, durch
ungleichen Verlauf der Teilung auf der einen oder anderen Seite
treten Verschiebungen ein, so daß ursprünglich links gelegenes Ma-
terial auf die rechte Seite zu liegen kommt und umgekehrt. In
Würdigung dieser Verhältnisse haben die Anhänger der Evolutions-
theorie sich zur Hilfshypothese von den „regulatorischen Kräften''
entschließen müssen. Wenn linksseitiges Material auf die rechte Seite
zu liegen kommt, wird sein Charakter umgeprägt. Unter dem Einfluß
seiner neuen Umgebung verliert es seine „selbständige Diffe-
renzierung", vermöge deren es linksseitige Organe geliefert haben
würde, und erzeugt infolge „abhängiger Differenzierung"
rechtsseitige Organe, vielleicht sogar Organe von ganz anderem physio-
logischem Charakter. Noch schwieriger gestalten sich die Verhält-
nisse bei der zweiten Meridionalfurche. Wer in dem einen Quadranten-
paar die Anlage der vorderen, in dem anderen die Anlage der hinteren
Körperhälfte erblickt, läßt die Verschiebungen außer acht, welche bei
der Gastrulation entstehen und durch rotierende Bewegungen des
Zellmaterials Ursache werden, daß Abkömmlinge der vorderen ßlasto-
meren in die hintere Hälfte, der hinteren Blastomeren in die vordere
Hälfte geraten (0. Hertwig, Kopsch).
Wenden wir uns von den Anuren zu den Urodelen, so fanden
Ebener (1895) und 0. Hertwig (1893), daß die erste Teilungsebene,
welche senkrecht zur längsten Achse des meist etwas ovalen Eies
verläuft, in der Regel das „Vorn" und „Hinten" (rsp. „Craniodorsal"
und „Ventrocaudal" Kopsch, „Dorsal" „Ventral" Spemann) trennt,
während die Ebene der zw^eiten Teilung zur Sagittalebene des Embryo
werde. Endres (1895) dagegen kam zum Resultat, daß die gleichen Ver-
1) Welchen geringen Einfluß die Lage der ersten Furchungsebene für sich
allein auf die Orientierung des Keimes hat, wurde neuerdings von Boveri (cf. Lit-
teratur p. 592 1891) für Seeigeleier bewiesen. Diese besitzen eine in einer bestimmten
Pigmentverteilung zum Ausdruck kommende Polarität. Durch Deformierung des Eies
kann man erzielen, daß die ersten Furchen ,,zur Eiachse jeden beliebigen Winkel
einnehmen ; die Polarität der Larve ist aber unter allen Umständen mit der des
Eies identisch". Wie die Bilateralität der Amphibieularve, so wird also auch die
Polarität des öeeigelpluteus nicht von dem Furchungsrhythmus, sondern von der
Struktur des Eies bestimmt.
«
Furchungsprozeß. 621
hältnisse wie bei den Anuren lieirscheii, daß die erste Teilfuiclie in der
Richtuno- der späteren Symmetrieebene durchschneidet, daß Ausnahmen
von der Regel selten sind und gewöhnlich durch äußere Einflüsse
hervorgerufen werden. Spemann's Ergebnisse (1901) vermitteln
zwischen Ebener und Hertwig einerseits, Endres andererseits,
chließen sich abei- mehr den ersteren an, indem sie lehren, daß die
erste ^Meridianfurche häutiger (in Vs~^!i aller Fälle) nicht mit der Sa-
gittaleliene zusammenfällt. Spemann beobachtete außerdem Fälle, in
denen die erste Furche zwischen Transversal- und Sagittalebene eine
vermittelnde Stellung einzunehmen schien.
Um die Befunde bei Urodelen mit denen bei Anuren in Einklang
zu bringen, hat man abermals auf die Lehre vom „Anachronismus
dei- Furchen'' zurückgegritten. Jede der beiden Meridionalfurchen
habe bei beiden Amphibiengruppen in Bezug auf die spätere Organ-
bildung den gleichen Charakter. Wie bei gepreßten Anuren-Eiern,
so entstehe auch bei Urodelen-Eiern aus uns unbekannten Gründen in
der Regel die zweite Furche zuerst. Diese Ansicht setzt voraus, daß
es sich bei der Entwickelung der einzelnen bestimmt charakterisierten
Teilfurchen um ein ..Entweder-Oder" handle. Das trifft aber that-
sächlich gar nicht zu. Vielmehr sind die hierbei ins Auge gefaßten
Möglichkeiten nur zwei extreme, allerdings am häufigsten vorkommende
Fälle, zwischen denen es die verschiedensten Uebergänge giebt
(KoPSCH für Anuren, Spemann für Urodelen). Aus dieser Sach-
lage erwachsen der Roux'schen Ansicht große Schwierigkeiten. Die-
selben vergrößern sich, wenn man versucht, bei den enorm dotter-
reicheu Eiern von Salamandra maculosa die Symmetrieebene des Em-
liryo auf die ersten Furchungsebenen zurückzuführen. Wenn auch
über diesen Punkt noch keine zusammenhängenden Beobachtungen vor-
liegen, so läßt doch die große Unregelmäßigkeit, welche häutig schon
bei der Bildung der ersten Meridionalfurchen herrscht und zu einer
auffälligen Asymmetrie der ersten Blastomereu führen kann, es jetzt
schon aussichtslos erscheinen, einen gesetzmäßigen Zusammenhang
zwischen den ersten Meridionalfurchen und der Symmetrieebene des
Embryo nachzuweisen. Noch hofl'nungsloser würde der Versuch sein,
auch in den dritten, vierten etc. Furchungsstadien nicht nur von
Salamandra, sondern auch aller übrigen Urodelen ein typisches Ge-
schehen zu erkennen. Das dritte Furchungsstadium bei den Amphibien
kann durch eine Aequatorialfurche, oder durch meridionale oder durch
vertikale Teilungen repräsentiert werden. Es können aber, wie be-
sonders die Urodelen lehren, auch Mittelformen vorkommen. Zur Er-
läuterung dieser Verhältnisse halje ich für die Tritoneier durchgeführt,
wie die einzelnen Stücke der Aequatorialfurche gleichsam die Tendenz
besitzen, vom horizontalen zum vertikalen Verlauf abzulenken, und
zwar häufig in den einzelnen Quadranten desselben Eies in ganz ver-
schiedener Weise, so daß in einem Quadranten noch eine horizontale
Furche, in einem zweiten eine schräg verlaufende Furche, in einem
dritten und vierten vielleicht sogar eine vertikale Furche zustande
kommen kann, was dann wieder die Anordnung der späteren Furchen
in entscheidender Weise beeinflußt.
Wer ohne Voreingenommenheit alle diese Beobachtungen auf sein
Urteil wirken läßt, wird zum Resultat kommen, daß zwischen Furchung
und Furchungsprodukt ein notwendiger Zusammenhang besteht —
das ist ja selbstverständlich er wird aber diesen notwendigen
Zusammenhang nicht so formulieren, daß jeder Furchungsschritt eine
622 R. Hertwig,
ganz bestimmte Aufgabe in der ([ualitativen Soiiderung des Keim-
materials zu erfüllen hat. Die Aufgabe des Furchungsprozesses ist
vielmehr ausschließlich die Zerlegung des Eies in kleinere Stücke.
Wie dies geschieht, ist für das normale Zustandekommen der Ent-
wickelung von untergeordneter Bedeutung; es ist nur die Folge der
in und außer dem Ei gegebenen Entwickelungsbedingungen. Ver-
schiedene Masse und verschiedene Anordnung des Nahrungsdotters,
wechselnde Temperatur und wechselnde chemische Beschaftenheit der
Umgebung werden den Verlauf der Furchung modifizieren, ohne daß
man ein Recht hat, von Abnormitäten zu sprechen. Und so entsteht
die bunte Mannigfaltigkeit, welche wir oben kennen gelernt haben.
Experimentelle Untersucliuns^en. Eine noch größere Mannig-
faltigkeit des Furchungsprozesses, als sie in der Natur existiert, kann
durch künstliche Beeinflussung des Vorganges herbei-
geführt werden. Wir werden hiermit auf die zweite Methode,
welche benutzt worden ist, um über die morphologische Bedeutung
des Furchungsprozesses in Klarheit zu kommen, übergeleitet, die ex-
perimentelle Untersuchung.
In sehr wirksamer Weise kann man den Furchungsprozeß durch
Veränderung der Gestalt des Eies abändern. Namentlich bei
telolecithalen Eiern, wie die Eier der ÄmpMhien sind, werden dadurch
tiefgreifende Veränderungen in der Massenverteilung von Protoplasma
und Nahrungsdotter herbeigeführt, welche nach dem HERTWia'schen
Schema auch in der Anordnung der Teilfurchen zum Ausdruck kommen
müssen. Pflüger (1884), Roux (1883, 1894). 0. Hertwig (1893),
Born (1893, 1894*) und in der Neuzeit auch Bataillon (1897) ver-
änderten die Gestalt des Froscheies, indem sie die Eier zwischen
Glasplatten zusammenpreßten, entweder in der Richtung der Haui)t-
achse oder senkrecht zu derselben, indem sie sie ferner in enge Röhr-
chen einsaugten, die vertikal oder horizontal gestellt wurden. In
keinem Fall wurde der Druck so stark gewählt, daß die Drehfähigkeit
des Eies vollkommen aufgehoben gewesen wäre. Aus der Fülle der
sich hierbei ergebenden Modifikationen können nur einige wenige,
welche das Prinzip der Abänderung des Furchungstypus am klarsten
erkennen lassen, ausgewählt werden.
Verkürzung der Eiachse durch Druck horizontal gestellter Glas-
platten (Fig. A) oder zu enger Glasröhrchen (B) führte zu einer
A B
Fig. 214. Eier von Eana temporaria
auf dem 3. Furchungsstadium, vom ani-
'' I ■ ' malen Pol aus gesehen, A zwischen
' horizontal gestellten Glasplatten ge-
1 i presst, B in ein horizontal gestelltes
"■■ 1 I enges Rohr gesaugt. (Nach O. Heet-
-. -i,„ - WIG.)
scheibenförmigen oder cylinderischen Ausbreitung des Eies und
demgemäß zu einem an die meroblastischen Eier der Knochenfische er-
innernden Furchungstypus (Verspätung der Aequatorialfurchuug).
Es entstanden zunächst 2 gekreuzte Meridionalfurchen, von denen die
erste bei Eiern in horizontalen Röhrchen stets senkrecht zur Röhrchen-
achse stand. Dann folgten 2 der ersten Meridioualfurche parallele
Vertikalfurchen. Nachdem so 8 in zwei Reihen nebeneinander stehende
Blastomeren geschaffen waren, trat die Aequatorialfurclie auf.
Furchimgsprozeß.
623
Bei Pressung zwischen senkrechten Glasplatten und in senkrechten
Röhrchen und dadurch liedingter Verlängerung der Eiachse wird um-
gekehrt die Aequatorialfurche verfiüht. Ich berücksichtige nur Eier,
welche zwischen Glasplatten kultiviert wurden. Die erste Furche ist
meridioual. (Fig. 210 la), zeigt abei- eine Tendenz zur Abweichung vom
vertikalen Verlauf, so daß oft die beiden ersten Furchuugskugeln ungleich
sind (Fig. 215 II u. III). Die zweite Furche ist äquatorial (la). kann aber,
wenn die erste Furche zur Schrägstellung abgelenkt ist, senkrecht zur
ersten einfallend, auch einen schrägen Verlauf einschlagen, wodui'ch
das Ei in eine kleinere, 2 mittlere und eine große Elastomere ab-
la
B A
IIa
B ,
V
Ib
' A
B
Fig. 215 I — III. Furchuug vou Froscheiern, welche zwischen senkrecht gestellten
Platten gepreßt wurden. la Stadium der Vierteilung in seitlicher Ansicht. Ib
Stadium der Achtteilung, vom animalen Pol gesehen. IIa und IIb beginnende und
beendete Vierteilung bei schräg gestellter Meridionalfurche in seitlicher Ansicht. Illa
Achtteilung bei schräg gestellter Meridionalfurche in seitlicher Ansicht. Illb dasselbe
Ei, vom animalen Pol gesehen. (Nach O. Hertwig.)
geteilt wird (IIb). Sind die ersten 2 Furchen von der vertikalen -und
horizontalen Anordnung nur wenig abgewichen, so sind die nächsten
Furchen wieder vertikal, aber nicht senkrecht zur ersten, sondern der-
selben i)arallel, d. h. eine zweite Meridionalfurche, nächst der ersten
die konstanteste Furche im Teilungsprozeß des Eies, kommt gar nicht
mehr zur Ausbildung (Ib). Noch komplizierter werden die Verhält-
nisse bei Schrägstellung der beiden ersten Furchen. Denn nun werden
durch eine Furche, welche in ihrem Verlauf am meisten noch einer
Aequatorialfurche verglichen werden könnte, die große und die beiden
Blastomeren von mittlerer Größe in ungleiche Stücke geteilt (Illa). Die
kleinste polständige Blastomere wird durch eine Meridionalfurche in
gleichwertige Stücke zerlegt (Illb). Man sieht, daß man durch geeignete
Anwendung des Druckes und der Schwerkraftwirkuug und dadurch be-
dingte Veränderung der Dotteranordnung Furchungstypen, die vom
Normalen völlig abweichen, ganz nach Belieben erzielen kann. Gleich-
wohl erhält man normale Larven wenn die Eier rechtzeitig aus ihrer
Zwangslage befreit werden.
Dem Experimentator stehen noch eine Reihe weiterer Mittel zur
Verfügung, um die Furchung des Froscheies abzuändern : es sei über
dieselben hier nur mit wenigen Worten referiert, da sie ein untergeord-
624 K. Hertwig,
netes Interesse besitzen. Ich beginne mit den Schwerkraftwir-
kungen oder Mech an omori)h OS en (0. Hertwig 1897, 1898*). Man
kann die Wirkung der Schwerkraft durch die Wirkung der Centrifugal-
kraft ersetzen und letztere so sehr steigern, daß die Sonderung des
schwereren Nahrungsdotters und des leichteren Protoplasma das Maß des
Normalen überschreitet. Man kann so schließlich die Verliältnisse eines
meroblastischen Eies erzielen : an einem Pol konzentriert sich das Proto-
plasma zu einer Art Keimscheibe, nach dem anderen Pol zu sammelt
sich der Nahrungsdotter. Dann teilt sich nur die plasmatische Scheibe,
während die aus Nahrungsdotter bestehende Hauptmasse des Eies un-
geteilt bleibt. Nur in dem an die abgefurchte Scheibe angrenzenden
Abschnitt des Dotters liegen Kerne, vergleichbar den Dotterkernen der
Teleostiereier. Trotz dieser ganz enormen Abänderung des Furchungs-
prozesses entstehen Larven, die im vorderen Abschnitt im ganzen normal
entwickelt sind. Nur das hintere Ende ist mißgebildet, weil hier die
Dottermasse lagert, welche einem normalen Ablauf der Entwickelung ein
mechanisches Hindernis in den Weg setzt.
Annäherung an den Furchungstypus meroblastischer Eier kann man
auch diuxh anderweitige Schädigungen des Eies erzielen, wenn dieselben
auf den mit Nahrungsdotter beladenen Abschnitt rascher wirken und
dessen Abfurchung verhindern oder verlangsamen, während der proto-
plasmareichere Teil sich weiterentwickelt. Solche Schädigungen können
durch chemische Agentien sowie durch Temperatureinflüsse hervor-
gerufen werden. Als schädlich wirkende Lösungen wurden Kochsalz-
lösung (Morgan 1893, 0. Hertwig 1895), Zuckerlösung (Bataillox
1901), Lösungen von Lithionsalzen, Nicotin etc. (Gurwitsch 1896) benutzt.
Bei der Wirkungsweise vieler dieser Stoffe ist an einen chemischen
Einfluß sicher nicht zu denken. Wahrscheinlich hat Bataillon recht,
welcher zur Erklärung osmotische Vorgänge heranzieht und die
Herabsetzung der Lebensthätigkeit der Zelle auf Wasserentziehung
(Anhydrisie) zurückführt; Bataillon fand, daß eine 10-proz. Zucker-
lösung wie eine 1-proz. Kochsalzlösung wirkt, daß die Wirkungsweise
in gleicher Weise bei Anwendung 9-proz., 8-proz. Zuckerlösung herab-
gesetzt wird, wie bei <»,9-proz., 0,8-proz. Kochsalzlösung. Er schließt, daß
„isotone" Lösungen immer den gleichen Effekt haben. In anderen Fällen,
wie z. B. bei den auch auf Seeigeleier einen ganz merkwürdigen Ein-
fluß ausübenden Lithionsalzen (Herbst), muß wohl an einen specifischen
Einfluß der Lösungen gedacht werden, zumal als die Schädigungen, welche
während der Furchung hervorgerufen werden, je nach den angewandten
Lösungen an verschiedenen Organen zum Ausdruck kommen (Gurwitschl
Eine völlige Unterdrückung der Teilung auf der vegetativen Seite, wäh-
rend am animalen Pol die Furchung fortschreitet, scheint durch die an-
gewandten Lösungen nicht erzielt zu werden, nur eine Verlangsamung.
So fand 0. Hertwig bei Eiern, die in 0,3 — 0,8-proz. Kochsalzlösung
kultiviert wurden, schon eine kleinzellige Masse am animalen Pol, zu
einer Zeit, in der am vegetativen Pol 8 große Zellen lagen.
Lieber den Einfluß, welchen Temperatur Veränderungen auf
den Fortgang der Furchung ausüben, lauten die Angaben nicht voll-
kommen übereinstimmend. Sicher ist, daß Temperatursteigerungen über
das gewöhnliche Maß zunächst den Entwickelungsgang beschleunigen,
bis ein Grad erreicht wird, wo sich intensive Schädigungen bemerkbar
machen (0. Hertwig 1898). Die schädigende Temperatur liegt für die im
Sommer laichende R. esculenta höher (32 — 33 ^ C) als für die im Frühjahr
laichende B. temporaria (26 °). Bei den genannten Temperaturen bleibt die
Furchungsprozeß. 625
vegetative Seite nahezu oder völlig ungeteilt, die animale entwickelt sich da
gegen rasch, ein Furchungstypiis. der für einen Teil der Eier von R. tem-
poraria schon mit 24*^ erreicht wird. Daß die Embryonen, welche sich aus
derartigen pathologiscli abgefurchten Eiern entwickelten, nicht normal
waren, ist selbstverständlich. Abgesehen davon, daß die ungefurchte
Dottermasse die als Spina bifida bekannte Mißbildung hervorrief, waren
auch sonst vielfache Verkrüppelungen wahrnehmbar (0. Hertw^ig).
Die Frage nach der Wirkungsweise der Kälte ist eine kompliziertere,
sie wurde gleichzeitig von 0. Hertwio (1894, 1896) und 0. Scuultze (1895)
für dasselbe Objekt, die Eier von R. temporaria, geprüft. Beide fanden,
daß man durch Kultur in Wasser von 0^ den Entwickelungsprozeß
zum Stillstand bringen kann und daß er von neuem anhebt , wenn
man die Eier allmählich erwärmt. Nach 0. Schultze, der freilich keine
Eier zur Zeit der Furchung, sondern auf dem Gastrulastadium benutzte,
ist die auf die Abkühlung folgende Entwickelung eine völlig normale,
selbst wenn sie 14 Tage lang durch Kälte sistiert worden war. 0.
Hertwig dagegen, welcher frisch befruchtete Eier benutzte, fand, daß
schon 24-stündige Abkühlung genüge, um Schädigungen hervorzurufen,
er sucht (1898) diesen auffallenden Unterschied durch zwei Momente zu
erklären: 1) daß die Eier auf verschiedenen Stadien der Entwickelung
verschieden empfindlich sind, 2) daß die Abkühlung der von ihm be-
nutzten Eier rascher erfolgt sei. Beide Vermutungen bedürfen der
Prüfung. Denn man sollte eher erwarten, daß eine Hemmimg der Ent-
wickelung um so weniger schädlich wirken wird, je rascher sie einsetzt
und je mehr daher unkoordinierte Entwäckelungsprozesse von Kern und
Plasma verhindert werden. Wenn Kern und Protoplasma gleichzeitig-
äußer Thätigkeit gesetzt werden, liegt auch kein Gfrund vor, daß die
Eier auf verschiedenen Stadien ein verschiedenes Reaktionsvermögen
zeigen sollten.
Von der soeben besprochenen Wirkungsweise der Kälte ist sehr
wohl eine zw^eite zu unterscheiden, wenn nämlich die Abkühlung nicht
so bedeutend ist, daß sie die Entwickelung aufhebt, sondern nur eine
Verlangsamung eintritt. Schon bei 1,0 — 2,5** C ist bei R. temporaria
Entwickelung möglich , aber die Teilungen treten um viele Stunden
später ein als normalerweise. Erst 12 Tage nach der Befruchtung beginnt
die Gastrulation, und am 30. Tage ist noch der Urmund als kleiner
weißer Punkt zu sehen (0. Hertwig). Da bei solchen Kältehemmungen
Kern und Protoplasma nicht gleichmäßig betroffen werden, so sind bei
ihnen auf die Dauer Störungen der Entwickelung zu erwarten. In
diesen Fällen wird auch der Zeitpunkt, in welchem die Kälteeinwirkung
einsetzt, von Wichtigkeit werden: besonders muß in den Zeiten der Be-
fruchtung nach allen unseren Erfahrungen die Entwickelungsverlangsamung
das Ei sehr schädlich beeinflussen. 0. Hertwig (1898) hat denn auch
in einem Fall frühzeitiger Kältewirkung erhebliche Störungen des
Furchungsprozesses beobachtet : es unterblieb die Bildung der Furchungs-
höhle, und die Eier gingen ohne zu gastrulieren zu Grunde. In einem
zweiten Fall, in welchem die Kältewirkung später begonnen und lang-
samer gesteigert wurde, so daß die Abkühlung auf 1,5** C erst auf dem
Stadium der Zweiteilung erreicht wurde, war bis zum Gastrulastadium
keine Schädigung bemerkbar.
Zu Eesultaten, welche mit den hier mitgeteilten bei R. temporaria
gewonnenen Befunden wenig übereinstimmen, kam Chiarugi (1897) bei
Salamandrina perspicillata. Chiarugi brachte die Eier frühzeitig, kurz
nach der Befruchtung oder zur Zeit der ersten Teilung, allmählich unter
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 40
626 li. Hertwig,
den Einfluß von Temperaturen, welche die Entwickelung sistieren ( — 1 '^
= 0°). Wenn er dann durch allmähliche Erwärmung die Entwickelung
wieder einleitete, blieben manche Eier ungeteilt, andere teilten sich
abnorm, wenige normal. Der Prozentsatz der Eier, welche normale
Larven gaben, war größer als der Prozentsatz der normal gefurchten
Eier. Was aber besonders sich schwer mit den für R. temporaria ge-
wonnenen Erfahrungen vereinigen läßt, war der Umstand, daß die Dauer
der Eutwickelungshemmung einen großen Einfluß ausübte, insofern von
je 31 Eiern bei einer Kälteeinwirkung von 5 — 12 Stunden 24 sich zu nor-
malen Embr3^onen entwickelten, bei einer Dauer von 21 — 28 Stunden nur 11.
W^ie ungenügend die bisherigen Untersuchungen über die Einwirkung-
niederer Temperaturen auf die Entwickelung der Amphibieneier sind, geht
am besten daraus hervor daß 0. Schultze bei Erneuerung seiner Unter-
suchungen (1899) zu ganz anderen Ergebnissen als früher gekommen ist :
daß die Entwickelung durch Temperaturen von O — 1 " C nicht zum
Stillstand gebracht, sondern nur außerordentlich verlangsamt wird, daß
Eier, welche unmittelbar nach der Befruchtung in Kälte kultiviert werden,
bei dieser verlangsamten Entwickelung Störungen erfahren, welche jedoch
wieder ausgeglichen werden, wenn die Kälteeinwirkung nicht über 14
Tage ausgedehnt wird. Wurden Blastuiae (bis zu 5 Wochen) und Ga-
strulae der Kälteeinwirkung unterworfen, so entwickelten sie sich ver-
langsamt und normal weiter. Zu den betreffenden Versuchen hatte 0.
Schultze die gepaarten Frösche im Eisschrank aufb)ewahrt, um das
Laichgeschäft hinauszuziehen. Es ist für den Verlauf des Experiments
nun sicherlich nicht gleichgiltig, ob vor dem Versuch die Eier bei 0 '^
oder 10 oder vielleicht sogar 15 ** gehalten wui-den, ein Punkt, der offen-
bar bei allen Temperaturversuchen nicht die genügende Berücksichtigung
erfahren hat und dessen Würdigung manche Widersprüche aufklären wird.
Wir haben bisher die vielen Modifikationen, welche der Furchungs-
prozeß bei den Amphibien in der Natur, sowie unter künstlich abge-
änderten Bedingungen erkennen läßt, besprochen, um auf diesem Weg
seine physiologische Bedeutung näher kennen zu lernen und auf den
morphologischen Wert der Blastomeren Rückschlüsse zu machen.
Letzteres Problem ist nun einer noch viel unmittelbareren experimentellen
Prüfung zugängig, worauf wir jetzt noch einzugehen haben. Es ist
das große Verdienst von Ptoux, die experimentelle Prüfung des den
einzelnen Furchungskugeln der Amphibien zukommenden morpho-
logischen Wertes zuerst in die Hand genommen zu haben. Später
beteiligten sich an der Lösung der Frage Born, 0. Hertwig, 0.
Schultze, Herlitzka, Morgan, Endres, Spemann, K. Ziegler
(1902) u. a. Roux (1888) suchte zuerst zu entscheiden, was auf dem
Stadium von zwei Blastomeren aus der einen Blastomere wird, wenn
man die andere aus der Entwickelung ausschaltet. Da es ihm nicht
gelang, die eine Blastomere durch Anstechen und Ausspülen ganz zu
entfernen, ohne die andere zu schädigen, begnügte er sich damit, 1)
durch Anstich einen Teil der Substanz der Furchungskugel zu ent-
fernen, 2) sie durch Einstechen mit einer glühenden Nadel, wenn
möglich ohne Schädigung ihres Partners, abzutöten. Substanzverluste
auf dem Stadium der Zweiteilung oder auch noch später, selbst wenn
dieselben ' /^ des Eies ausmachten, vertrugen die Eier im allgemeinen
gut; es entstanden normale, etwas verkleinerte Embryonen, bei denen
häufig, aber keineswegs immer lokale Defekte bemerkbar waren.
Dagegen entstanden interessante Bildungen, wenn nach Abtötung oder
intensiver Schädigung einer Furchungskugel durch Hitze die zweite
Furchungsprozeß.
627
erhalten blieb und sich weiterentwickelte. In besonders klaren
Fällen l)ildete sich je nach der operierten Hälfte eine linke oder rechte
Seniiniorula, später eine Seniiblastula, Semigastrula und schließlich
Fig. 210.
Fig.
217,
V D
Semigastrula lateralis, schräger Längsschnitt.
Semiblastula vertiealis, senkrechter Mediauschnitt.
In beiden Figuren : F Furchungshöhle, Ee Ektoblast, En Entoblast, U Urdarm,
K Kerne der operierten Hälfte, V Vakuolen. (Nach Roux.)
Fig. 216.
Fig. 217.
ein Hemiembiyo, welcher nur eine Hälfte der Hirnblasen, eine Reihe
von Urwirbeln, einen halben Urdarm und eine Chorda von halber
Dicke ausbildete (Hemiembryo lateralis). Eine Weiterentwickelung
bis zur Anlage des Gefäßsystems wurde nicht versucht. Lag bei dem
operativen Eingriff ein „Anachronismus der Furchen'' vor, und war
die füj- die Transversalebene bestimmte Furche zuerst entstanden, oder
war auf dem Vierzellenstadium operiert und dabei das vor resp. hinter
der Querfurche gelegene Material zerstört worden, so ergab sich die
„gleiche Selbständigkeit der Entwickelung auch der vorderen und der
hinteren, resp. der beiden vorderen und der beiden hinteren Furchungs-
kugeln und der Gesamtheit ihrer Derivate ''. Das kann nur so ver-
standen werden: es entstand, je nachdem die craniale oder die caudale
Hälfte eines Embryo zerstört worden war, ein Hemiembryo an-
terior oder posteri.or, wobei die Existenz eines Hemiembryo
posterior jedoch recht zweifelhaft ist. Roux spricht sich hierüber
immer mit großer Reserve aus; was um so wichtiger ist, als alle
anderen Experimentatoren behaupten, nie H. posteriores gesehen zu
haben. Dagegen giebt er mit Bestimmtheit an, „nach Zerstörung von
3 der 4 ersten Furchungszellen Viertelgastrulae erhalten zu haben.
Roux (1888, 1892) folgert aus seinen Befunden : „Jede der beiden
ersten Furchungszellen enthält alle wesentlichen ge-
staltenden und differenzierenden Kräfte" für die be-
treffende Hälfte eines Embryo. Die Entwickelung
„jeder der ersten F u r c h u n g s z e i 1 e u und des Komplexes
ihrerDerivate" ist „Selbstdifferenzierung zu einem be-
stimmten Stück des Embryo", sie ist nicht eine „Folge
der Zusammen Wirkung aller Teile", keine „Folge dif-
ferenzierender Wechselwirkungen". „Die Furchung
scheidet den die direkte Entwickelung des Individuums
40*
628 R. Hertwig,
voll ziehen den Teil des Zellleibs und besonders des
K e r n ni a t e r i a 1 s nach Qualität u n d (^) u a n t i t ä t in typi-
scher Weise." „Die En twickelung der Fro schgastrula
und des zunächst daraus hervorgehenden Embryo ist
von der zweiten Furchung an eine Mosaikarbeit, und
zwar aus mindestens vier vertikalen, sich selbständig
entwickelnden Stücken."
Was nun den Zustand der von der Entwickelung ausgeschlossenen
.,operierten" Elastomere anlangt, so war sie auch auf vorgerückteren
Stadien „nicht in Zellen zerlegt, noch mit normalen Kernen versehen";
auch waren in ihr „weder Organe noch Keimblätter regulär oder
irregulär angelegt"; sie bestand „aus einer zum Teil blasig zei'setzten
Dottermasse", welche „mit weit über eine Zelle großen abnormen, in
unregelmäßigen Gruppen zusammenliegenden, rot imbibierten Massen,
event. abnormen Kernmassen durchsetzt war". So war es jedoch nur
in wenigen ganz besonders typischen Fällen. In den meisten Fällen
„war mit der Bildung eines linken oder rechten halben Embryo die
Leistungsfähigkeit der unversehrten Eihälfte nicht erschöpft, sondern
es war aus den speciellen Befunden zu schließen, daß von ihr aus,
in vielen Fällen eine Ueberwanderu ng von Kernen und
vielleicht auch anliegenden Protoplasniateilen (inkl. Centrosomen) in
die anstoßende getötete Eihälfte stattfand; diese Kerne verteilten sich
in der großen Dottermasse, und darauf erfolgte später eine Zerlegung,
der operierten Hälfte in Zellen, und zwar nicht wie bei der normalen
Teilung eine Zerlegung der ganzen Massen zunächst in zwei annähernd
gleich große Zellen und danach wiederum in je zwei entsprechend
kleinere etc., sondern die Abgliederung erfolgte zugleich in kleinere
Zellen wie bei der Nachfurchung Waldeyer's und der normalen
Dotterfurchung H. Virchow's." Selten soll auch der „nicht voll-
kommen getötete ursprüngliche Kern der operierten Eihälfte einen
wesentlichen Anteil an der nachträglichen Bekernung der operierten
Eihälfte" genommen haben. „Häufig entwickelte sich die nachträglich
bekernte und cellulierte Eihälfte ganz oder zum größeren Teile" ; es
trat eine „nachträgliche Ergänzung der ursprünglichen seitlichen Halb-
bildung zu einem vollkommenen Individuum", eine „Postgene-
ration", ein.
Bei der Postgeneration müssen die aus der Cellulation hervorge-
gangenen indifferenten Dotterzellen zu Keimblättern dift'erenziert wer-
den. Dies geschieht von den Punkten aus, wo die Keimblätter der
normal entwickelten Hälfte mit freien seitlichen Rändern, einer „Unter-
brechungsfläche", an die Dotterzellen anstoßen, und schreitet von hier
aus in die cellulare Masse fort. Daraus geht hervor, daß die „für die
normale Entwickelung denkbare Annahme, daß an typischen Orten
immer typisches, zu bestimmter selbständiger Entwickelung befähigtes
Material gelagert sei, und daß deshalb eine ordentliche Keimblatt-
bildung vor sich gegangen sei, in diesem Falle nicht zulässig er-
scheinen kann. Sondern wir müssen schließen, daß die Ursache
für diese ty pis che W eiterbildung der Keimblätter der
entwickelten Hälfte innerhalb der noch unentwickelten
Eihälfte auf Kräften beruht, welche von den Blättern
der entwickelten Hälfte ausgehen''. Die Postgeneration be-
ruht somit auf „abhängiger Dift'erenzierung".
Als Vorläufer für die der Postgeneration vorausgehende Cellula-
tion der operierten Eihälfte haben wir (abgesehen von den Teilungs-
o
Furchungsprozeß. 629
Vorgängen des ihr zugehörigen Kernes) die „Nucleimigration",das Ueber-
treten von Kernen aus der sich entwickehuleu Hüllte in die operierte,
kennen gelernt. Roux unterscheidet noch zwei weitere Prozesse, die viel-
leicht auf Reorganisation der o])erierten Eihälfte hinarbeiten, von denen er
es aber dahingestellt sein liißt, ob sie die Postgeneration einzuleiten ver-
mögen : 1) das Ueberwandern ganzer Zellen (zweiter Modus), 2) die Um-
wachsung des geschädigten Materials durch Zellen der normalen Hälfte,
welche sich über die Oberfläche der operierten Hälfte hinüberschieben
(dritter Modus). Derartige Proliferationsprozesse spielen eine wichtige
Rolle in den Fällen, in welchen die geschädigte Hälfte zur Anlage des
Embryo überhaupt nicht benutzt wird und das Material der normalen
Hälfte daher für sich allein schon einen vollkommenen Embryo er-
zeugt, welcher dann aber von halber Größe ist, (hemiooplastische Post-
generation).
Roux fand nämlich, daß in seltenen Fällen, namentlich
dann, wenn durch Druck von außen die abgetötete Ela-
stomere von der gesunden gelockert wurde, letztere
einen Mikroholoblasten erzeugen konnte, d. h. eine voll-
kommene Larve, welche aber entsprechend dem ge-
ringeren, in ihren Körper einverleibten Z e 1 1 m a t e r i a 1
kleiner war als normal. Indessen soll auch hier zunächst ein
Hemiembryo gebildet werden, welcher erst sekundär das Fehlende
neu bilde ; selten soll diese Neubildung, welche ebenfalls Postgeneration
genannt wird, schon auf dem Gastrulastadium, meist erst später, ein-
setzen. Es soll unmöglich sein zwischen den besprochenen ver-
schiedenen Formen der Postgeneration eine Grenze zu ziehen.
Von großer Bedeutung für das Resultat aller Experimente, welche
auf die Erzeugung von Hemiembryonen hinauslaufen, ist nach Roux
die Zeit, in welcher man experimentiert. Am Anfang der Laich-
periode soll die Postgenerationsfähigkeit der Eihälften eine sehr große
sein und daher sehr frühzeitig in Wirksamkeit treten, so daß man die
geringe Verspätung in der Entwickelung der operierten Hälfte leicht
übersieht. Kurz vor Ende der Laichi)eriode tritt die Postgeneration
erst ein, wenn der erste Medullarwulst schon ausgebildet ist. Am
Ende der Laichperiode bleibt sowohl die Postgeneration aus, als auch
stirbt die nicht operierte Eihälfte rasch ab.
Bei der Postgeneration liefern nach der Darstellung Roux's Zellen
unter dem Zwang äußerer Verhältnisse Organe, für welche sie bei
normalem Entwickelungsverlauf nicht bestimmt waren. Bei Operation
der rechten Furchungskugel liefern Abkömmlinge der linken, welche
ihrer Lage nach linksseitige Organe in der Nachbarschaft der Körperachse
gebildet haben würden, lateral gelegene Teile der rechten Seite. Dies
geschieht nach Roux durch Aktivierung des „Reserveidioplasma'%
welches durch „erbgieiche Teilung" aus dem Idioplasina der befruch-
teten Eizelle entstanden ist und daher die Fähigkeit zur Bildung jed-
weder Teile bewahrt hat; dagegen kommt das für die direkte Ent-
wickelung bestimmte Idioplasma, welches, durch „erbungleiche
Teilung" entstanden, nur die Fähigkeit hat, Organe und Gewebe der
linken Seite zu erzeugen, nicht zur Geltung (vergl. p. 585 u. f.).
Roux's Versuche sind wiederholt nachgemacht worden, aber mit ver-
schiedenem Erfolg. Endres und Walther (1895, 1896) haben die Re-
sultate Roux's in jeder Hinsicht bestätigt: daß sich bei Abtötung einer der
beiden ersten Furchungskugeln die andere zu einem Hemiembryo ent-
wickelt, welcher früher oder später durch Postgeneration ergänzt wird;
630 R. Hertwig,
sie schließen sich auch in ihren theoretischen Auffassungen Roux voll-
kommen an. Zu ganz entgegengesetzten Resultaten gelangte 0. Hert-
wig (1893). Derselbe benutzte zum Abtöten der einen Eihälfte nicht
nur das Einstechen einer erhitzten Nadel, sondern aucli die Einwirkung
von Induktionsschlägen und eines starken, konstanten Stromes. Bei
seinen Versuchen war stets ein Teil des Eimaterials vollkommen ab-
getötet und lag daher dauernd neben dem in Zellen abgefurchten
Abschnitt, von ihm mehr oder minder scharf abgesetzt, wenn auch
oft von ihm eine Strecke weit umwachsen. Frühzeitig trat eine Xer-
lagerung beider Teile ein, die unverletzte Furchungskugel furchte sich
ab und entwickelte eine Furchungshöhle; ihr Material erfuhr daher
eine Auflockerung, wurde specifisch leichter und schob sich über den
abgetöteten oder stark geschädigten Abschnitt; sie lagerte auf ihm wie die
Keimscheibe eines meroblastischen Eies über dem Dotter. Niemals
entstanden Halbgastrulae oder Halbembrj'onen. Stets legten sich
linke und rechte Seite gleichzeitig an, wenn auch die der operierten
Elastomere entsprechende Embryonalhälfte größere Defekte aufwies
als die andere, weil das aus der Entwickelung ausgeschaltete Dotter-
material in ihre Entwickelung stärker eingriff. Am meisten beein-
trächtigt erwies sich die ventrale Seite, besonders nach dem hinteren
Ende der Larve zu. Oft kam es zu Befunden, welche an die Spina
bifida erinnerten, indem linke und rechte Seite getrennt angelegt
(ein linker und rechter Medullarwulst, eine linke und rechte Halb-
chorda) und durch eine breite Dottermasse an der Vereinigung ver-
hindert wurden.
Fig. 218. Eier, bei denen eine Elastomere durch Hitze getötet worden war. Das
Material derselben ist nach abwärts geglitten. Die gesunde Blastomere hat sich als
Ganzbilduug weiter entwickelt, links bis zur Blastula (Querschnitt), rechts zur Ga-
strula (Längsschnitt). Nach Ü. Heetw^ig.
Die auffallenden Unterschiede, welche zwischen den Angaben und
Abbildungen von Roux, Walther und Endres einerseits und 0.
Hertwig andererseits bestehen, veranlaßten Morgan (1897), die
Experimente nachzumachen unter Benutzung einer Erfahrung 0.
Schultze's, auf welche wir sogleich noch zu sprechen kommen
werden, daß die Blastomeren eines zweigeteilten Eies sich zu Zwillingen
oder Doppelmißbildungen entwickeln, wenn man das in Zwangslage
befindliche Ei nach beendeter Zweiteilung mit dem hellen Pol nacli
aufwärts wendet Von einer größeren Zahl zweigeteilter Eier, bei
denen eine Blastomere abgetötet worden war, drehte er einen Teil
mit dem hellen Pol nach aufwärts, den anderen Teil beließ er in seiner
Stellung: erstere erfuhren infolge der Umdrehung die durch Born"s
Untersuchungen zuerst genauer nachgewiesene LImgruppierung de)-
Dottersubstanzen ihrer Blastomeren und entwickelten ganze Embryonen
Furchiingsprozeß. 631
von lialbor Größe im Sinne 0. Hertwig's (Hemiooholoblasten),
letztere behielten ihre ursprüngliche Beschaffenheit bei und lieferten
Halbl)il(lungen im Sinne Roux's.
Die neuesten Untersuchungen über die Entwickelung von Frosch-
eiern, bei denen eine Furchungskugel getötet oder schwer geschädigt
wurde, stammen von Curt Ziegler (1902). Derselbe verfolgte die
Furchung, die Blastulation und Gastrulation sowie frühe Stadien der
Embryonalentwickelung ; er fand in der Regel auf allen Stadien Halb-
bildungen. Doch zeigen seine Figuren, vorausgesetzt, daß sie nornuil
orientiert sind, öfters die von 0. Hertwig beschriebene Erscheinung,
daß die eine Hälfte des Eies sich über die andere hinüberschiebt.
Audi wurde öfters Spina bifida beobachtet.
Aus den mitgeteilten Arbeiten geht wohl mit Sicherheit hervor,
daß in vielen Fällen sich eine der beiden Elastomeren eines zwei-
geteilten Froscheies zu einein Halbembryo entwickelt, wenn die andere
getötet oder schwer geschädigt wird. Besonders mit Rücksicht auf
die Angaben Morgan's kann man wohl jetzt schon sagen, daß solche
Halbbildungen immer dann eintreten werden, wenn die unverletzte
Blastomere sowohl ihre Gestalt als auch ihre Stellung unverändert
beibehält. Ist das nicht der Fall, so kann sie sich zu einem Ganz-
embryo von halber Größe und völlig normaler Beschaffenheit ent-
wickeln, oder sie liefert einen pathologischen Ganzembryo, bei welchem
das geschädigte Material in mehr oder minder die Entwickelung be-
hindernder Weise in das gesunde Material eingefügt ist. Ein Hemi-
ooholoblast wird entstehen, wenn die lebende Furchungskugel sich
von der getöteten so völlig ablöst, daß sie die Möglichkeit hat, sich
umzuformen und die Anordnung der Teile des ungefurchten Eies
zu gewinnen. Dagegen wird ein geschädigter Ganzembryo sich
bilden . wenn die unverletzte Blastomere zwar eine Umgruppierung
ihrer Dotterbestandteile erfährt, aber im übrigen an die operierte
Blastomere angefügt bleibt, wie es beim Abgleiten der letzteren
unter die erstere eintritt. Alles das sind Verhältnisse, die mit
der in der Einleitung auseinandergesetzten Auffassung vollkommen
harmonieren , daß eine Furchungskugel an und für sich „toti-
l)Otent" ist , daß sie aber eine bestimmte, ihr durch vorherge-
gangene Teilungsprozesse aufgenötigte Entwickeiungsrichtung bei-
behält, solange die Anordnung von Kern und Protoplasma erhalten
bleibt, welche aus der vorangegangenen Teilung resultiert. Vor-
aussichtlich würde eine jede Furchungskugel für sich einen Hall)-
embryo entwickeln, und nicht, wie 0. Hertw^ig annimmt, einen Ganz-
embryo von halber Größe, wenn es möglich wäre, zwischen beide
Furchungskugeln eine isolierende Scheidewand einzuziehen. Denn
jede Furchungskugel würde auch dann ihre auf Halbbildung ein-
gestellte Anordnung der Teile beibehalten, obwohl sie von ihrer
Nachbarin im übrigen nicht mehr würde beeinflußt werden können.
Und so sprechen die Ergebnisse der referierten Experimente gegen
die Evolutionstheorie, zu deren Gunsten sie von Haus aus angestellt
wurden.
Wie steht es nun mit der Lehre von der Postgene-
r a t i 0 n V
Wer die Darstellung Roux's kritisch liest, wird zu dem Resultat
kommen, daß dieselbe auf einem sehr unsicheren Fundament aufgebaut
ist und daß es unzulässig ist, es als eine „Thatsache" zu bezeichnen,
..daß von der auf dem Wege der Selbstdifterenzierung primär gebildetea
632 R. Hertwig,
Hälfte des Embryo aus die fehlende Hälfte durch abhängige Diffe-
renzierung aus einem selbst nicht diff'erenzierungsfähigen Eimaterial
nachgebildet werden kann". Wie es sich von selbst versteht, wurden
die einzelnen die Postgeneration vor])ereitenden und bewirkenden Voi-
gänge nicht direkt beobachtet, sondern ihre Existenz aus einer Reihe auf-
einanderfolgender abgetöteter Stadien erschlossen. Wenn nun schon bei
normalen Entwickelungsprozessen derartige Schlüsse leicht zu Irrtümern
führen, um wie viel mehr muß diese Gefahr bei Vorgängen vorliegen,
welche außerhalb des Rahmens normaler Entwickelung verlaufen,
zumal wenn sie durch Eingriffe verursacht werden, welche in ihrer
Wirkungsintensität so wenig genau bemessen werden können, wie es
bei den Roux'schen Experimenten zutriff't.
Doppelte Vorsicht in der Beurteilung ist al)er ge1)0ten, wenn Vor-
gänge, wie die ,,Nucleimigration", angenommen werden, welche von vorn-
herein höchst unwahrscheinlich sind, weil sie unseren übrigen Erfahrungen
nicht entsprechen. So weit sind wir in unseren Kenntnissen vom Zellen-
lebeu vorgeschritten, daß wir es als undenkbar bezeichnen können,
daß ein Kern aus lebendem Protoplasma in totes Material über-
wandere und dasselbe belebe. Mit Recht hal)en sich daher 0. Hertwig
und C. Ziegler, gestützt auf eigene Präparate, gegen die Annahuie
der „Nucleimigration'' gewendet. Die einzige Möglichkeit, in welcher
Kerne aus der nichtoperierten Eihälfte in die operierte hineingelangen
können, wäre die von 0. Hertwig in Betracht gezogene: daß infolge
des schädigenden Eingriff's die beiden Blastomereu und dire Ab-
kömmlinge lange Zeit durch eine Brücke verbunden bleiben, daß bei
der fortschreitenden Teilung der gesunden Seite vielfach Kernteilungen
ohne Protoplasmateilungen zustande kommen und so schließlich auch
Kerne in die verbindende Brücke hineingeraten. Abei- es ist ganz
undenkbar oder wenigstens höchst unwahrscheinlich, daß in dieser Weise
so viele Kerne in die operierte Hälfte hineingelangen könnten, wie Roux
für seine nachträgliche Cellulatiou nötig hat. Und so kommen Hertwig
und Ziegler zum Resultat, daß die meisten Kerne, welche man später
in der operierten Eihälfte lindet, Abkömmlinge des der Eihälfte von Haus
aus zugehörigen Kernes sind. Die Hälfte ist bei den Roux'schen
Versuchen nicht getötet, sondern nur in verschiedenem Grade durch
die Hitze geschädigt \vorden. Eine geschädigte Blastomere kann sich
aber erholen und weiterentwickeln. So muß mit der Möglichkeit ge-
rechnet werden, daß die sogenannte Postgeneration nur ein verspätetes
Eintreten der geschädigten Hälfte in die Entwickelung bedeutet. Der
Eintritt wird früher gelingen und energischer sein an Stellen, welche
von der Einstichstelle abseits liegen, d. h. meistens an den Enden
des Eies, was gut mit den Angaben Roux's übereinstimmt.
Außer dieser verspäteten Entwickelung der geschädigten Eihälfte
muß wohl noch angenommen werden, daß von der gesunden Seite
aus proliferierende Zellen auf die operierte übertreten und eine Ueber-
häutung derselben bewirken. Ob aber dabei eine Reorganisation des
Dotters eintreten kann, bleibt fraglich, da gerade in diesen Fällen
weder Roux noch Gurt Ziegler, welche beide den Ueberhäutungs-
prozeß studiert haben, ein solche beobachten konnten.
Die Methode, eine der Blastomeren durch Abtöten aus der Ent-
wickeluug auszuschalten um so den formativen Wert der anderen zu
bestimmen, ist, wie wir soeben gesehen haben, nicht einw^andsfrei:
erstens giebt sie keine Garantieen, daß die operierte Furchungskugel
Furchungsprozeß. 633
in der That auch in allen ihren Teilen abgetötet ist und die übrig
bleibende keine Schädigung erfahren hat; zweitens bleibt die operierte
Furchungskugel in ihrer Form und Masse erhalten und übt einen be-
stimmenden Einfluß auf die Gestalt ihrer Nachbarin aus wie auch auf
ihre Struktur (Grupijierung von Kern , Protoplasma und Nahrungs-
dotter). Solange die operierte Furchungskugel ihre Lagerung beibe-
hält, entwickelt sich die überlebende unter ähnlichen Bedingungen wie
die isolierte Elastomere eines zweigeteilten Ctenophoreneies , d. h. in
einer auf Halbbildung eingestellten Struktur.
Viel sicherer würde es sein , beide Elastomeren durch
T e i 1 u u g 0 d e r D u r c h s c h n ü r u n g des Eies von einander
völlig zu trennen. Hertwig versuchte daher, wenn auch nicht
bei Froscheiern, so doch bei den hierfür besser geeigneten Eiern
von Tritonen {Molge cristata und M. taeniata), zur Zeit der ersten
Furche und in der Richtung derselben mit einem zu einer Schlinge
zusammengelegten Seidenfaden die Sonderung zu bewirken. Der
Versuch einer völligen Trennung mißlaug; es glückte nur, eine mehr
oder minder beträchtliche Einschnürung zu erzielen, welche aber nicht
verhinderte, daß jede Elastomere sich weiter teilte, als ob die Ein-
schnürung nicht erfolgt sei. Es trat die zweite Furche meridional,
die dritte äquatorial auf. Daher entstanden auch keine Doppel-
bildungen. Die sich entwickelnden Embryonen waren so orientiert,
daß ihre Symmetrieebene senkrecht zur ersten Furche stand, wie
das bei Tritonen die Regel ist. Im übrigen unterschieden sie sich
voneinander, indem bei einem Teile der Eier Chorda und Medullar-
rohr sich über das Areal der beiden ersten Furchungskugeln erstreckten,
bei einem anderen Teile auf das Areal einer Furchungskugel beschränkt
waren, während die von der anderen Furchungskugel ausgebildeten
Zellen nur das Material für die Bauchgegend lieferten. Demnach
würde die Furchungsebene in einem Falle cephale und caudale Teile,
im anderen Falle Rücken und Bauchseite getrennt haben.
GlückUcher als 0. Hertwig waren bei der Sonderung der beiden
ersten Blastomeren des Tritoneies mittels eines durchschnürenden
Fadens Endres (1895), Herlitzka (189.ä, 1897) und Spemann (1901.
1902). Zum Teil ist das günstigere Resultat dem Umstand zuzuschreiben,
daß das Abschnüren vorsichtiger ausgeführt wurde, vielleicht auch in
einem günstigeren Zeitpunkte. Denn es scheint, als ob in letzterer
Hinsicht erhebliche Unterschiede existieren , als ob es am zweck-
mäßigsten ist, mit dem Anziehen des Fadens der aktiven Durchschnü-
rung des Eies durch die erste Furche gleichsam zu folgen. Zum Teil
wurde der Erfolg herbeigeführt durch die Kombination der Durch-
schnürungsmethode mit der Roux'schen Methode der heißen Nadel.
Dabei wurde in einem Teil der Fälle die kurz vor dem Durchschneiden
der Furche übrig bleibende Brücke versengt, so daß l)ei(le Blastomeren
erhalten blieben; in anderen Fällen wurde nur eine Elastomere erhalten,
die andere mit der heißen Nadel angestochen und zum teilweisen Aus-
fließen gebracht. Wenn nur eine Elastomere erhalten blieb, ent-
wickelte sich dieselbe zu einer Larve, die, abgesehen von einigen Defekten,
welche aber nicht auf eine Seite beschränkt blieben, wohlgebildet war.
Wurden beide Blastomeren zu getrennter Fortentwickelung gebracht, so
kam es vor, daß beide normale Larven lieferten ; häutiger aber ereignete
es sich, daß nur eine bis zur Larve heranwuchs während die andere
sich zunächst weiterentwickelte, nach einiger Zeit aber — wahrschein-
lich auf dem Gastrulastadium — die Fortbildung einstellte.
634 R. Hertwig,
Spbmann (1901) stellte die Hypothese auf, daß das verschiedene Resultat
der obigen Versuche durch den Umstand bedingt werde, daß die erste
Eurclmngsebene bei Tritonen in manchen Fällen in sagittaler, in anderen
in transversaler — richtiger frontaler — Richtung durchschneide, daß bei
der Durchschnürung daher bald linke und rechte , bald vordere und
hintere — richtiger doi'sale und ventrale — Blastomeren getrennt würden.
Die linke und rechte Elastomere hätten gleiche prospektive Potenz
und lieferten daher gleiche Produkte, zwei Mikroholoblasten. Dagegen
hätte von den durch transversale Eifurchung gesonderten Blasto-
meren nur die obere die Fähigkeit zur GJ-anzbildung, nicht die
untere , welche daher nur unvollkommene Embr^-onen zu liefern ver-
möge. Spemaxn verweist auch auf die Resultate Bataillon's bei Petro-
myzon. Wenn sich hiei- infolge Kochsalzwirkung aus einem Ei zwei Em-
bryonen entwickeln (vergi. p. 599) so sollen nicht immer beide zu Larven
werden, sondern ebenfalls einer der Embryonen häufig frühzeitig die Weiter-
entwickelung einstellen.
In allerletzter Zeit ist Spemann (1902) noch einmal anf das uns be-
schäftigende Problem in einer sehr umfangreichen Abhandlung zurückge-
kommen. In ihr wird in unzweideutiger Weise bewiesen, daß bei den
früheren Experimenten , bei denen die beiden Blastomeren einen ver-
schiedenen Grad der Entwickelung erreichten, in der That eine Durch-
schnürung in querer Richtung stattgefunden hatte, in einer Richtung,
die nunmehr bestimmt als frontal (dorsale und ventrale Teile sondernd) be-
zeichnet wird. Spemaxx hatte Eier zur Zeit der ersten Furche und in der
Richtung derselben mittelstark oder stark eingeschnürt (aber nicht durch-
schnürt !) und im eingeschnürten Zustand weiter gezüchtet. Bei starker
Einschnürung kommt es schließlich auf dem Gastrulastadium sehr oft zu
einer völligen Sonderung des Enibr3onalmaterials in einen oberen Teil,
der sich zu einem Mikroholoblasten weitei' entwickelt, und einen unteren
Teil, welcher gastruliert und auch Mesoderm bildet, aber keine Medullar-
platte, keine Urwirbel, keine Chorda erzeugt, ganz in der Weise wie nach
früheren Untersuchungen sich die eine der beiden auf dem Stadium der
Zweiteilung isolierten Blastomeren entwickelt. W^urde ein mittelstark ge-
schnürtes Ei, welches sich aus eigenem Antrieb nicht in zwei Anlagen
getrennt haben würde, auf dem Gastrulastadium vollkommen durchschnürt,
so entstehen selten zwei Mikroholoblasten ; meist ist die untere Embrj'o-
nalhälfte verschiedengradig unvollkommen, gewöhnlich bringt sie es nur
zu einer mit Mesodermanlage versehenen Gastrula. Auf Grund dieser
Ergebnisse hält Spemaxx die verschiedene Potenz der durch Frontalteiluns;
entstehenden Tritonblastomeren wenn auch nicht wie früher für bewiesen,
so doch für höchst wahrscheinlich. Die ventrale Blastomere, resp. der
abgeschnürte ventrale Teil des embryonalen Materials würde im Vergleich
zu dem dorsalen totipotenten Teil eine beschränkte Potenz besitzen. Die
Erscheinung daß die auf dem Gastrulastadium abgeschnürten unteren
Stücke ab und zu einen völligen Mikroholoblasten erzeugen oder Zwischen-
formen zwischen ihm und einem unvollkommenen Entwickelungsprodukt,
würde sich nach Spejiaxn am wahi-scheinlichsten aus geringen Varia-
tionen des Ortes der Abschnürung erklären, insofern in einzelnen Fällen
ein größeres, oder geringeres Quantum des totipotenten oberen Materials
dem unteren beigefügt worden sei. Bei dieser Hypothese würde es nur
wunderbar sein , daß bei Zerstörung einer Blastomere (Exdkes) immer
gerade die totipotente Blastomere erhalten worden wäre.
Ich glaube, daß diese Erklärungsversuche Spe.maxn's sich in falschen
Bahnen bewegen. Spemanx läßt ganz unberücksichtigt, daß eine an und
Furchungsprozeß. 635
für sich totipotenteFurchungskugel an der ßealisierung ihrer Entwickelungs-
inöglichkeiten durch hemmende Einflüsse verhindert werden kann. Offen-
bar gehen solche hemmende, den Unterschied des Blastomeren erklärende
Einflüsse vom Xahrungsdotter aus. Vielerlei spricht dafür, daß derselbe
in der unteren Elastomere reichlicher ist. Erfolgt die Entwickelung des
Eies unter starker Einschnürung , so tritt bei der Gastrulation , wie
Spemann selbst auseinandersetzt, eine Aufstauung im Zellenmaterial ein;
diese kann nur so erfolgen, daß dotterreiche Zellen in der unteren Hälfte,
dotterärmere Zellen in der oberen Hälfte zurückgehalten werden. Die
hierin gegebene Entwickelungshemmung kommt in Wegfall oder wird ge-
mildert, wenn die Gastrulation unter mäßiger Einschnürung ei'folgt und
dann erst die untere Hälfte abgeschnürt wird. Daher die günstigen Re-
sultate bei dieser zweiten Art des Experimentierens ! Eür die hier von
mir vertretene AeCj[uipotenz der beiden Blastomeren spricht die von
Herlitzka beobachtete, von Exdres allerdings bestrittene Erscheinung,
daß beide Furchungskugelu sich in ganz derselben Weise furchen, näm-
lich beide nach Art eines eben befruchteten Eies auch in den Fällen,
in denen die untere Kugel später in der Entwickelung nicht wesentlich
über das Morula- und Gastrula-Stadium hinauskommt.
Einen dritten Weg zur Erforschung des morphologischen Werts
der ersten Blastomeren beim Frosch betrat 0. Schultze (1894),
dessen Resultate später von Wetzel (1900) für das gleiche Ob-
jekt, von Chiarugi (1898) für Salamandrina perspicillata und von
ToNKOFF (1900) für Tritoneier in den Grundzügen bestätigt wurden ;
er brachte normal eingestellte Froscheier auf dem Stadium der
Zweiteilung in Zwangslage durch Pressung zwischen zwei Glas-
platten und drehte, nachdem so die Möglichkeit der Rückdrehung
vollkommen ausgeschlossen war, das Präparat um 180", so daß das
helle Feld nach aufwärts schaute. Nach etwa 20 Stunden wurde
die Zwangslage aufgehoben und das Ei der freien Entwickelung über-
lassen. Nach der Drehung trat die bekannte, durch Aufsteigen des
Pigments bedingte Verfärbung des lichten Poles ein und die vom
lichten Pol beginnende, im übrigen normale Furchung. Während
viele Eier abstarben, entwickelten sich andere zu Doppelbildungen,
/
Fig. 219. Fig. 220. Fig. 221.
ti- X.
Fig. 219. Blastulastadium eine.-? in Zwangslage auf dem Stadium der Zweiteilung
um l.SO" gedrehten Eies von Baua tempnraria. Ansicht von oben. Das helle Feld hat
sich zu einem hellen Streifen in der Richtung der ersten Furche ausgezogen. Nach
0. Schultze.
Fig. 220. Aus einem Ei hervorgegangene doppelte Embryonalanlage mit ent-
gegengesetzt gerichteten Kopf teilen. Nach O. Schultze.
Fig. 221. Typischer Dicephalus, von (). Schultze aus einem Froschei gezüchtet,
welches auf dem Stadium der Zweiteilung mit dem hellen Pol aufwärts gedreht
worden war.
636
R. Hertwig,
Riclituiig der ersten Furche ausgezoi>eneii Streifen
In der Richtung desselben entstand s])üter eine cirkuläre (lastru-
einmal sogar (Wetzel) zu einer Dreifachbihlung. Häufig bildete sich
auf dem Blastulastadiuni das immer noch lichter gefärbte obere Feh
zu einem in der
aus
lationsfurche, und links und rechts von der Furche entwickelten sich
die Medullarplatten. Die Art, wie die Doppelbildungen entstehen, ist sehr
verschieden. Sehr häufig ist die Dui)licitas anterior: die entlang der
Gastrulationsfurche entwickelten Medullarfalten schließen sich zu einem
einheitlichen Medullarrohr, welches aber am vorderen Ende in zwei
Hirnanlagen ausläuft. So entstehen zwei Köpfe, von denen ein jeder
sein Material nur aus dem Gebiet einer Blastomere bezogen haben
kann. Selten kommt es vor, daß zwei Hirnwülste entstehen, die nach
entgegengesetzten Richtungen schauen. Eine weitere Möglichkeit ist,
daß jede Seite, sowohl die der Blastomere a wie die der Blastomere b
je zwei hal1)e Embryonalanlagen erzeugt. Die vier Halbembryonen
können dann in verschiedener Weise zur Bildung von Zwillingen ver-
wachsen: 1) jedesmal '/a^ mit ^j.A) oder 2) 72^ i^it Va^. 7-2^ mit
V2 b. Je nachdem die Verwachsung in der einen oder anderen
Weise vor sich geht, sind die Zwillinge mit ihren Rücken- oder ihren
Bauchseiten verwachsen. Bei Tritonen soll nach Tonkoff die Ver-
einigung der Embryonen mittels der Bauchseite allein vorkommen.
Wählt man für die Ausführung des Umkehi-experiments spätere Stadien,
Eier, die schon viergeteilt sind, so ist der Erfolg des Experiments
nicht so sicher. Bei Tritonen fand Tonkoff auch dann noch Doppel-
bildungen, während für Froscheier 0. Schultze beobachtete, daß Eier,
welche auf späteren Stadien,
d. h. nach Beendigung der Zweiteilung
gedreht werden, zu Grunde
Fig. 222.
gehen.
Viergeteilte Eier
er-
Fig.
223.
/
4n I in'
gaben dabei das interessante
Resultat, daß die dritte
Furche genau im Aequator
Fig. 222. Aus jeder Hälfte
sind zwei halbe Embryonalan-
lagen entstanden , welche paar-
weise verwachsen. Seitliche
und 8oheitelansicht. Nach O.
Schultze.
Fig. 223. Ein nach der Me-
thode O. Schultze's aus einem
Ei erzogener Doppelembryo.
Beide Embryonen hängen am
Rücken mittels gemeinsamen
Dottermaterials zusammen, wel-
ches an l:)eiden den Verschluß
der Medullarwülste {m. w*) ver-
hindert, h Hirn. Nach Wetzel.
verlief jund das Ei in 8 vollkommen gleiche Stücke zerlegte. Die
Verschiebung der Aequatorialfurche erklärt sich leicht daraus, daß eine
Verlagerung des schweren Dotters nach abwärts zwar begonnen, aber
nicht zu Ende geführt war, was zur Folge hatte, daß die vier Quadranten
am animalen Pol ebenso reich an Nahrungsdotter waren w^ie am
vege-
tativen. Damit waren ähnliche Bedingungen wie bei einem äqual sich
furchenden Eies hergestellt.
Furcliungsprozeß. 637
MoszKowsKi (1902) ist es geglückt auch aus Eiern, welche nach Ab-
schluß der Zweiteilung oder auf dem Stadium der Vierteilung in Zwangs-
lage um 180*^ gedreht wurden, normale Einzellarven zu erhalten; man
muß nur niedere, die Entwickelung verlangsamende Temperaturen (-\- 2*^ C)
anwenden. Dann wird Zeit gewonnen, so daß in den Blastomeren die
Umlagerung der schweren und leichten Bestandteile zu Ende geführt
werden kann, ehe weitere Teilungen eintreten. Bei der Teilung furcht
sich der lichte Pol in kleinzelliges, der nach abwäits gewandte dunkle
Pol großzellig, womit ein vor längerer Zeit,' von Pflüger (1884) gemachte
Angabe Bestätigung findet. Bei aufgehobener Zwangslage rotiert dann
das Ei auch nicht in die Ausgangsstellung zurück. Selbstverständlich ist
die Ausnahme von dem Eurchungschema des Amphibieneies nur schein-
bar. Thatsächlich ist das pigmentiei'te, dotterarme Protoplasma auch
hier am oberen kleinzelligen Pol, nur ist es von einer lichten Dotter-
rinde überzogen, und das Umgekehrte gilt vom Gegenpol.
Wie es kommt, daß die vollkommene Umdrehung zweigeteilter,
in Zwangslage gehaltener Eier so oft zur Doppelbildung führt, ist bei
dem Stand unserer Kenntnisse leicht zu verstehen. Wie wir es früher
für das befruchtete Ei durchgeführt haben, so veranlaßt auch hier die
Drehung ein Abwärtssinken des Nahrungsdotters und ein Aufsteigen
des Protoplasma und des Kernes. Offenbar wird dabei nicht genau die
alte Dotterverteilung bewirkt, sondern es läßt sich erwarten, daß der
längs der Teilfurche sich abwärts bewegende Dotter hier reichlicher sich
anhäuft und so eine physiologische Sonderung der beiden Blastomeren
verursacht, ähnlich der völligen Sonderung, wie sie durch Einschnürung
herbeigeführt werden kann, (Roux, 0. Hertwig, W^etzel). Es ist
klar, daß diese Experimente in hohem Grade für die Totipotenz der
beiden ersten Furchungskugeln sprechen, zumal wenn wir l)erück-
sichtigen, wie die Dop})elbildnng im einzelnen in ganz verschiedener
Weise zustande kommen kann, so daß dieselben Eiteile ganz ver-
schiedenene Organe liefern müssen, je nachdem die Embryonen
(V2 a + V2 ^) of^öi" (V2 ^ + V2 b) zustande kommen, die Koptenden
nach gleichen oder nach verschiedenen Richtungen schauen, die Zwillinge
mit dem Bauch oder dem Rücken verwachsen sind. Auch das wunder-
bare Resultat, daß bei so tief einschneidenden Veränderungen im
Entwickelungsgang noch normale Organismen gebildet werden oder
wenigstens die Tendenz zu ihrer Bildung besteht, spricht dafür, daß die
Entwickelung auf dem Zusammenwirken aller Teile beruht, daß die ein-
zelne Zelle sich nur in Abhängigkeit vom Ganzen zu differenzieren
vermag, daß dagegen die Umbildung der Furchungszellen keine Selbst-
diflferenzierung von Zellen oder Zellengruppen (Mosaikarbeit) ist. Die
meisten Forscher, welche Doppelbildungen gezüchtet haben, haben daher
ihre Resultate in diesem Sinn verwandt, mit Ausnahme Spemann's,
dessen Erklärungsversuch oben erwähnt wurde, und von Endres,
dessen Verallgemeinerungen in einem ganz unvermittelten Kontrast
zu seinen Ergebnissen stehen.
Eine interessante Erage, welche sich bei näherer Untersuchung der
Doppelbildungen ergiebt, wurde von Herlitzka zu lösen versucht : Wie
verhält sich die Größe der Zwillinge zur Größe eines aus einem Ei aus-
schlüpfenden Einzeltieres '? Wie verhält sich ferner Größe und Zahl der
Zellen in den einzelnen Organen des ersteren zu den betreifenden Teilen
bei letzterem? Herlitzka fand den Einzelzwilling erheblich größer als
638 R. Hertwig,
die halbe Größe einer normalen Larve. Er sucht die auffallende Größe
der Zwillinge durch ausgiebigere Ausnutzung der im Dotter vorhandenen
Kraftquellen zu erklären. Die Zahl und Grüße der Zellen im MeduUarrohr
sei bei einem Zwilling ungefähr die gleiche wie bei einem Einzeltier. Da-
gegen soll die Zellenzahl im Darm und in den Myotomen eine geringere
sein. Letzteres würde mit den Resultaten Dhiesch's bei Zwerglarven der
Echinodermen übereinstimmen, welcher fand, daß die Zahl der Zellen,
dagegen nicht ihre Größe verringert werde.
Bildung' der ßlastuln. Der Unterschied zwischen der oberen
und unteren Sphäre des Amphibieneies, welcher schon von Anfang des
Furchungsprozesses an vorhanden war, prägt sich im weiteren Verlauf
immer mehr aus. Die protoplasmareichen Blastomeren am animalen
oder Hauptpol teilen sich rascher als die dotterreichen am vegetativen
oder Gegeni)oI, so daß jeder neue Furchungsschritt am Hauptpol
beginnt und nach dem Gegenpol fortschreitet. In der Umgebung des
letzteren erlahmt die Teilungsenergie, so daß hier größere Blastomeren
liegen können, die sich viele Stunden lang nicht verändern, während
alle übrigen Zellen sich mehrfach geteilt haben. Selbst an den Eiern
des Frosches, die unter den Ampliibien mit am dotterärmsten sind
Fig. 224. 3 Furchungsstadien von 8alamandra maculosa auf Längsschnitten
(nach Grönroos).
glauben Morgan und Ume Tsuda (LS93) auf sehr späten Blastulastadien
nachweisen zu können, daß der vegetative Pol durch 4 große, über
das Kreuz gestellte Zellen gekennzeichnet ist. Besonders auffallend
ist der Unterschied beider Pole bei Salamandra maculosa. Hier kann
am Hauptpol die Sonderung schon zu 20—30 Furchungskugeln vor-
geschritten sein, ohne daß am Gegenpol nur die 4 ersten Blastomeren
abgegrenzt wären. Eine Steigerung des verschiedenen Aussehens beider
Eihälften wird bei Salamandra noch dadurch herbeigeführt, daß am
Gegenpol die Furchen zunächst nicht vollkommen durchschneiden ; es ent-
stehen somit vielkernigeDotterkörper. Auffallend ist hierbei, daß die Kerne,
welche zu den Makromeren und deren Al»kömmlingen gehören, lange Zeit
in ihrer Verbreitung auf die obere Hälfte des Eies beschränkt sind. Sie
liegen von der Gegend, in welcher sich die zugehörigen Furchen bilden,
weit entfernt und innerhalb einer zusammenhängenden Dottermasse.
Wenn die Furchung in diese Dottermasse vordringt, entstehen gewaltig
große Zelli)yramide"n. deren Basen nach der Eiperipherie, deren kern-
haltige Spitzen nach dem Centrum gewandt sind. Erst allmählich
gelangen Kerne in die Region des Gegenpols, und zwar auf dem Wege
von Teilungen mit senkrecht oder radial gestellten Spindeln. An den
großen Pyramiden schnüren sich die spitzen Enden von den basalen
Furchungsprozeß. 639
Stücken ab. So bildet das Salamander-Ei einen vollkommenen Ueber-
gang zu den meroblastischen Eiern der Reptilien.
Wähi'end der Furcliung entwickelt sich bei allen Amphibien ein
innerer von Flüssigkeit gefüllter Raum, die Für chungshöhle. Ihr
Entdecker C. E. v. Baer brachte sie in Zusammenhang mit einem
centralen Hohlraum, der im un gefurchten Ei vorhanden und durch
einen Kanal mit der Fovea germinativa verbunden sei und von dem
die einzelnen Teilfurchen ihren Ausgang nehmen sollen. Ein derartiger
Raum wird von allen neueren Autoren, mit Ausnahme von Moquix
Tandon (187(5), der ihn am Krötenei gesehen haben will, in Abrede
gestellt, während ältere Autoren (Xewport, Ecker und Remak) Baer
beigestimmt haben. Vielleicht findet sich im Amphibienei eine an die
Latebra des Vogeleies erinnernde Struktur, eine wenig differenzierte,
an erhärteten Eiern nicht mehr auffallende weichere Partie ; sie findet
sich sicher, wie wir sehen werden, bei (hjmnophionen. Mit der Furchungs-
höhle kann sie selbstverständlich nicht genetisch zusammenhängen.
Immerhin tritt die Furchungshöhle sehr früh auf, schon zur Zeit, wo
nur 'S Elastomeren vorhanden sind. Sie ist auch im Ei von Saln-
mandra vorhanden (Grönroos 1898), wo sie Kupffer (1879) vermißte;
sie liegt im obersten Abschnitt des Eies, lange Zeit oberhalb der Dotter-
masse, welche so auffallend spät eine Zerklüftung erfährt. Anfänglich
ist die Höhle von einer einzigen Lage grol^er. namentlich nach dein
Gegenpol zu gewaltiger Zellen umgeben. Durch tangentiale Teilungen
mit radial gestellten Kernspindeln wird die Wand der Furchungshöhle
vielschichtig. Beim Frosch sollen die Tangentialteilungen nach Morgan
auf dem Stadium von 32 Zellen beginnen.
Die (xyinnophioneil unterscheiden sich wie in ihrem Bau, so auch
in der Beschaffenheit ihrer Eier so sehr von allen übrigen Amphibien^
daß sie am besten in einem Anhang besonders abgehandelt werden. Ihre
Eier erinnern noch mehr als die von
Salamandra durch Größe und Dotterreich-
tum an die Eier der Reptilien. Schon im
Ovar sind sie bei IcJähyophis glutinosa 6 mm
/MqO'. ; breit und 9 mm lang (Sarasin, A. L. III
^'Posh'o * 1887). Eine keimscheibenartige, feinkör-
M^^'^'^cicy^''^''o^ ^^^g^> protoplasmareiche und auch das
' - T?^''' ' :-] Keimbläschen umschließende Partie ist ziem-
'ioo.
\
lO
/ lieh scharf vom grobkörnigen Dotter ab-
i'. gesetzt. Von der Keimscheibe erstreckt
^Xic-_^ :^::-^ Fig. 225. Schnitt durch das Eierstocksei von
-^ Ichthyophis glutinosa (nach ÖARASIX).
sich ein feinkörniger Strang zum Eicentrum und schwillt liier zu einer
Art Latebra an (cf. Fig. 225). Umgeben ist das Ei schon innerhalb des
Ovars von einem festen Chorion fD o 1 1 e r h a u t , Sauasin).
In den (Ovidukten rundet sich das Ei ab und wird mit anderen
Eiern in einen Gallertstrang (Eiweiß Sarasin) eingeschlossen, der
den einzelnen Eiern entsprechend rosenkranzartig anschAvillt. Die innerste,
unmittelbar auf das Chorion nach außen folgende Lage ist derber und
erstreckt sich als ein spiral gewundener, den Chalazen des Vogeleies
nicht unähnlicher Strang von Ei zu Ei. Das Weibchen von Ichthyophis
640 R. Hertwig,
wickelt nach der Gebui't den viele Eier enthaltenden Strang zu einem
Knäuel zusammen und verkriecht sich mit ihm iu feuchte Erde. Die
üallertwindungen verkleben und erhärten zugleich zu einer bräuidichen
Masse. Um die unentwirrbare Masse rollt sich die Mutter auf, zum Teil
wohl des Schutzes halber, zum Teil wohl aber auch behufs Ernährung
1 II III
Fig. 226. Gelege von Ichthyophis glutinosa (nach Sarasin) I frisch gelegter,
II embryonenhaltiger Eierknäuel, beide ^;^ natürl. Größe; III einzelnes Ei mit seinen
Hüllen, vergrößert, l Eiweißschicht, -•' Membrana chalazifera, S Chalazen.
der jungen Brut. Denn im Laufe der Bebrütung wachsen die Eier auf
das Doppelte, die Embryonen wiegen schließlich das Vierfache des frisch
abgelegten Eies, eine Zunahme, die vielleicht aber auch nur durch Flüssig-
keitsaufnahme zu erklären ist (Brauer, A. L. III 1899).
Die Befruchtung der Eier und ihre Eurchung verläuft im Eileiter.
Frisch abgesetzte Eier enthalten schon eine aus vielen Zellen bestehende
vom Dotter undeutlich abgesetzte Iveimscheibe. Der unter der Keim-
scheibe gelegene Dotter ist in allen seinen Teilen von Kernen durchsetzt,
im übrigen aber anfangs nicht abgefurcht. Allmählich scheinen sich
dotterhaltige Zellen vom Dotter abzulösen und in die Keimscheibe ein-
zutreten. Man kann daher mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, ob-
wohl die Furchungsstadien bisher noch nicht beobachtet worden sind :
daß die Eier d e i- Gymnopltionen meroblastisch sind und eine
d i s k 0 i d a 1 e F u r c h u n g erleiden.
IV. Gaiioiden und Dipiieusten.
Unter allen Wirbeltier-Abteilungen stehen Ganoiden und Dipneu-
sten im Charakter des Furchungsprozesses einander am nächsten und
schließen sich zugleich den Amphibien an. Gemeinsame Merkmale
sind darin gegeben, daß die Furchen nur langsam von der Oberfläche
des Eies gegen das Centrum vordringen. Lange Zeit erhält sich hier
ein ungeteilter Rest, besonders im Bereich der großen Zellen des
vegetativen Poles. Selbst bei den relativ kleinen Eiern von Ceratodu
(Semon, A. L. III 1901) sind die vegetativen Zellen auf dem zehnten
Furchungsstadium (1024 Blastomeren) noch durch eine Dottermasse
untereinander verbunden. Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist
das langsame Uebergreifen der am animalen Pol beginnenden Furchen
auf die abgewandte Eiseite und ihre verspätete Vereinigung am vege-
tativen Pol. Bei Lepidosiren (Graham Kerr, A. L. III IDUO) liegen
um den animalen Pol schon 7 Blastomeren, ehe die erste Meridional-
furche den Gegenpol erreicht. Den extremsten Fall in dieser Hinsicht
bilden Amia und Lepidosteus. Bei beiden Ganoiden wurde bis in die
,s
Furchungsprozeß.
G41
Neuzeit gestritten, ob ihre Eier noch holobhistisch oder meroblastisch
sind. Man kann den Streit wold jetzt als entschieden betrachten.
Amin ist noch holoblastisch, wenn auch die beiden ersten Meridional-
furchen erst zur Zeit, wo 82
banden sind, am Gegenpol zusammenstoßen.
Furchungskugeln
am animalen l*ol vor-
Dagegen sind die Eier
von Leindosteiis nach den neuesten Untersuchungen meroblastisch,
unterscheiden sich aber von anderen meroblastischen Eiern dadurch,
daß die vertikalen Furchen vielfach bis zum Ae(iuator vordringen
oder ihn sogar überschreiten (Eycleshymer).
Wie bei den Amphibien, äußert sich die Veränderung, welche die An-
ordnung der Furchungen durch Zunahme des Dotters erleidet, vor allem
im Verhalten der Aequatorialfurche. Eine typische Aequatoriall'urche tritt
nur noch bei den relativ kleinen Eiern von Cerutodus (Semon) auf, sie ist
aber auch hier verspätet (Fig. 227). Nachdem die beiden ersten Meridio-
nalfurchen angelegt sind, werden ihre Winkel durch zwei weitere meridio-
nale Furchen halbiert ; dann erst
entsteht die Aequatorialfurche ' ^ ^ -^
und trennt acht kleinere und
acht größere Blastomeren. Diese
16 Blastomeren werden dann
durch zwei Latitudinalfurchen in
32 Teile zerlegt. Bei dem zweiten
Dijineusten, dessen Furchung
bekannt ist, Lepidosiren (Kerr),
fällt die Aequatorialfurche aus ;
der Furchungsprozeß erinnert
an Salnmandra maculosa.
/
Fig. 22t. lö-zelliges Furchungsstadiuni
von Ceratodiis Forateri nach SeMON.
ganz
Die
vier durch die Meridionalfurchen
abgegrenzten Quadranten sind von ungleicher Größe und verhalten
sich daher im weiteren Verlauf oft untereinander ungleich: es ent-
stehen Vertikalfurchen, welche aber den vorhandenen Furchen nicht
genau parallel angeordnet sind und mit ihnen konvergieren können.
Unter Umständen kann eine solche Furche ganz zu einer Aequatorial-
furche abgelenkt sein, wie Fig. 228 lehrt, bei welcher auf der linken
Seite die dritten Furchen Vertikalfurchen sind, während sie auf der
rechten Seite sich verschieden verhalten : der eine größere Quadrant ist
genau meridional geteilt, der kleinere
dagegen
äquatorial (Furche /).
\ /
^
Fig. 228. FnrchuDgsstadien von Lepidosiren paradoxa nach Keee. A— C vom
animalen Pol gesehen, D in seitlicher Ansicht. A Zweites Furchnngsstadium, B — C ver-
schiedene Formen des dritten Furchungsstadiums, B dritte Furchen nur vertikal, C dritte
Furchen auf der linken Seite vertikal, auf der rechten teils meridional, teils äqua-
torial (7).
D vorgerücktes Stadium in seitlicher Ansicht.
Bei den (xaiioideii sehen wir sich allmählich Zustände vorbereiten,
welche schon bei Amphibien auftreten, zur Herrschaft aber erst bei
Handbuch der Entwickelungslehre. 1,
41
642
11. IIertwig,
Teleostiern gelangen. Nachdem die beiden ersten Meridionalfurchen
dem
das charakteristische
Kreuz am
sich auf den übrigen Eidotter
animalen Pole
ausbreiten , en
erzeugt
System vier Vertikalfurchen, von denen nur
eine oder die andere durch den Pol verläuft,
sie in
einiger
haben und
en als drittes
ausnahmsweise die
Gewöhnlich treffen
Entfernung vom Pol auf eine der vorhandenen Mei'i-
dionalfurchen, wahrscheinlich stets die erste, indem sie der anderen mehr
oder minder parallel verlaufen. Das vierte Furchensystem entspricht der
Aequatorialfurche von Ceratodus, ist aber dem animalen Pol sehr genähert,
so daß die acht um den Pol gruppierten Blastomeren sehr klein sind. Man
spricht daher besser von einer Latitudinalfurche. Diese hat eine Tendenz,
sich senkrecht zur zweiten Mei'idionalfurche und den Vertikalfurchen
dritter Ordnung anzuordnen und somit einen zur ersten Meridional-
furche möglichst parallelen Verlauf einzuhalten ; dieser Tendenz ent-
sprechend kann sie keinen Kreis bilden, sondern
der ersten Furche gestelltes Oval (Fig. 229).
noch eine weitere Steigerung, so löst sich die
ein in der Richtung
Findet die Tendenz
Latitudinalfuiche in
zwei Furchen auf, welche der ersten Meridionalfurche parallel ver-
A
B
C
Fig. 229. Fnrchungsstadien von Amia calva nach Eycle.shymer. Obere Reihe
Seitenansicht mit schwacher Neigung der Eiachse, untere Reihe reine Polansichtcn,
bei C vom unteren Pol gesehen. A drittes, B viertes, 0 vorgeschrittenes Furchungs-
stadium.
laufen und daher mit ihr nicht mehr zur Schneidung kommen, sondern
nach dem Gegenpol weiterwachsen, bis sie an irgend eine der vor-
handenen Vertikalfurchen Anschluß finden. Als Konsequenz dieses
Furchungsniodus entsteht folgendes, sehr charakteristisches Bild: un-
mittelbar im Umkreis des Pols vier, oberflächlich wenigstens, allseitig
umgrenzte Blastomeren, nach außen von denselben 12 keilförmige Stücke,
Avelche lange Zeit nach dem vegetativen Pol zu noch zusammenhängen.
Würde die Furchung in regelmäßiger Weise fortschreiten, so würden von
den 12 Keilen die dem animalen Pol zugewandten Enden durch eine
Latitudinalfurche abgeschnürt werden. Ein solcher regelmäßiger Verlauf
gehört aber zu den Ausnahmen. Zwischen den beiden besprochenen
Furcliungsprozeß. 643
F'iirchungstjpen giebt es vielmelir so viele Uebergänge, daß eine iiii-
gelieure Mannigfaltigkeit der Bilder entsteht, bei der es schwer ist,
eine Gesetzmäßigkeit herauszuerkennen.
Wir haben bisher nur die OberÜächenbilder berücksichtigt; die-
selben erfahren eine Ergänzung durch Untersuchung der Eier auf
Querschnitten. Dabei stellt sich heraus, daß die Abfurchung der Eier
noch mehr verzögert ist, als man bei Flächenbetrachtung annehmen
mcichte. Selbst bei den kleinen Eiern von Ceratodus (Semon, A. L.
III 1901) dringen sowohl die vertikalen, als auch die latitudinalen
Furchen zunächst nicht weit gegen die Eiachse vor; sie machen Halt
an einer der Teilung offenbar Schwierigkeiten bereitenden Masse grob-
körnigen Dotters, welche etwas excentrisch gegen den vegetativen Pol
verschoben ist, so daß vorübergehend Anklänge an die superticielle
Furchung auftreten. Erst wenn der Keim oberflächlich in 1(3 oder
sogar (34 Teile zerlegt ist,
dringt die Aequatorial-
furclie so weit vor, daß
die Zellen des animalen
Poles voneinander voll-
kommen gesondert v^ ^**]K
werden. Zwischen ihnen | ^
und der noch einheit-
lichen, nur oberflächlich
eingeschnürten Dotter-
masse bildet sich dann
die Furchungshöhle. Sie
liegt stark excentrisch, Fig. 230. Ei von Acipenser sun-io auf dem 8-
nach dem 'inimalen Pol "^^'^*^ l(j-zelligeii Stadium. Nach Bashford Deax.
verschoben. Indem in
die unvollkommen geteilte Dottermasse der vegetativen Seite Furchen
von der Furchungshöhle aus einwachsen, wird schließlich der gesamte
Keim in Zellen zerlegt.
Wie bei Ceratodus, so wird auch bei den Äcipenseriden die vege-
tative Sphäre des Eies schließlich in kleinzelliges Material ab gefurcht,
nur daß der Prozeß noch mehr verlangsamt ist und daß in seinem
Verlauf vorübergehend riesige vielkernige Zellen entstehen. Bei Amia
(Eycleshymer) dagegen ist dieser an Amphibien erinnernde Vorgang
nicht mehr vorhanden. Gehen wir von dem Stadium aus, auf welchem
durch die erste Latitudinalfurche das Ei in acht den Hauptpol um-
gebende kleinere Stücke und acht große Keile abgeteilt ist, so hängen
die äußerlich gut abgegrenzten acht kleiuen Blastomeren mit dem
centralen Dotter noch zusammen und sitzen auf ihm wie kleine
Höcker (Fig. 231, III). Sie werden erst bei der nächsten Teilungs-
periode zu selbständigen Zellen, indem ihre Kerne vertikal gestellte
Spindeln liefern, die Teilfurche daher der Eioberfläche parallel verläuft
und die peripheren Enden der Höcker abschnürt. Gleichzeitig werden
die acht Keile infolge tangentialer Spindelstellung in 16 Stücke zerlegt,
von deren oberen Enden durch weitere latitudinale Furchen kleine,
den abgefurchten Keim vergrößernde Blastomereu geliefert werden.
Das Ei besteht schließlich aus einer Art Keimscheibe und einer dieselbe
tragenden Masse, welche aus 16 keilförmigen, in ihrer Gestalt an Apfel-
sinenscheibeu erinnernden Stücken besteht. Diese können durch weitere
vertikale Furchen zerlegt werden, aber eine Umwandlung in kleiu-
41*
644
R. Hertwig,
zelliges Dottermaterial findet nicht statt, so daß sich noch auf späteren
Enibryonalstadien große, mehrere Kerne enthaltende Dotterschollen finden.
Demgemäß ist auch die Furchungshöhle klein ; sie entsteht wahrscheinlich
durch Zusammenfließen von Lücken, welche zwischen den abgefurchten
Zellen auftreten (Sobotta, A. L. III189G), nicht durch Vereinigung von
Vakuolen, welche nach Whitman und Eycleshymer im Dotter auf-
treten sollen.
Fig.
HYMER.
231. Furchungsstadien von ^bnia auf Längsschnitten. Nach Eycles-
Dem Gesagten zufolge bildet das Ei von Aniia einen wundervollen
üebergang von der inäqualeu zur diskoidalen Furchung. Leider sind
die Verhältnisse im einzelnen noch nicht genügend untersucht,
noch mehr vom Ei des Lejjidosteus gilt, bei welchem im äußeren
lauf noch die größte Aehnlichkeit mit Amia gewahrt bleibt,
was
Ver-
eine
Abfurchung
des Dotters aber nicht mehr zu stände
vollkommene
kommt.
Die Eier von Amia und Lepidosteus sind ausgezeichnete Objekte,
um zu entscheiden, in welchem Verhältnis die ersten Furchungsebenen
zur Symmetrieebene des ausgebildeten Fisches stehen. Denn da die
Eier oval geformt sind und der Keim an einem Ende der Längsachse
gebildet wird, sind rotierende Bewegungen des Eies um seine Quer-
bei Amphibien die Orientierung so sehr erschweren,
Auch hat sich herausgestellt, daß die Eier in ihrer Ent-
len Einwirkungen der Schwerkraft ziemlich unabhängig
bei jeder Lagerung in gleicher Weise sich abfurchen.
achse, wie sie
ausgeschlossen.
Wickelung von
sind und daher
Genauere Untersuchungen nach dieser Richtung wurden bisher nur
am Ei von Amia angestellt; sie führten zu dem Resultat, daß der erste
Furchungsmeridian mit der späteren Symmetrieebene alle möglichen
Winkel bilden kann (Eycleshymer). Es ist also so gut wie ausge-
schlossen, daß durch die erste oder zweite Meridionalfurche das Ei-
material qualitativ gesondert w^erde.
V. Teleostier.
Während sich mit den Befruchtungsvorgängen
wenige Forscher
Tagen
seit den
beschäftigt
Vogt's (A.
der Teleostier nur
haben, ist die Eifurchung dieser Tiere
L. III, 4 1842) und Coste's (A. L. II,
Fuichungsprozeß. 645
1847 — 1859) der Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen. Die
Ergebnisse derselben stimmen untereinander in ganz auffälliger Weise
überein, soweit sie sich auf die Beschreibung der die Keimscheibe ab-
teilenden Furchen beziehen, ein Zeichen, daß die Furchung bei den
Knochenfischen im Allgemeinen einen typischen Verlauf einhält. Denn
die Objekte, welche zur Beobachtung gewählt wurden, stammten von
Fischarten, welche den verschiedensten Ordnungen angehören und
unter den verschiedensten äußeren Bedingungen sich entwickeln, von
See- und Süß^vasserformen, Tieren, welche Brutpflege ausüben ( Gaste-
rosteus) oder die Eier ihrem Schicksal überlassen, bei denen die Eier
pelagisch frei flottieren oder auf dem Grunde des Wassers lose liegen
oder an Steinen und Wasserpflanzen angeklebt werden.
Der Grund zu dieser Erscheinung ist in der im Verlauf der
Befruchtung sich entwickelnden scharfen Scheidung
von Bild ungsdotter und Nahrungsdotter gegeben. Wenn
es auch nicht richtig ist, was von manchen Seiten betont wurde, daß
die Keimscheibe bei Beginn der Furchung keine protoplasmatischen
Fortsätze mehr in die Dotterkugel aussendet, so ist doch letztere so
arm an Protoplasma und andererseits die Keimscheibe so frei von
Dotter, daß eine große Unabhängigkeit beider Teile besteht. Nur so
ist es zu verstehen, daß der Typus der meroblastischen Furchung
auch bei einer Größe der Eier beibehalten wird, welche bei Wirbel-
tieren sonst noch inäquale Furchung gestattet (vergl. hierüber die
Maßangaben auf p. 542). Die Sonderung von Bildungs- und Nahrungs-
dotter scheint übrigens nicht bei allen Eiern gleich ausgesprochen zu
sein. Bei größeren Eiern, wie den Eiern der Salmoniden, ist sie
offenbar geringer als bei kleineren Eiern, besonders den pelagischen
Eiern mariner Fische. Man kann das aus dem Charakter des Fur-
chungsprozesses erschließen. Bei kleineren Eiern ist der Typus der
Teleostieifurchung am klarsten ausgeprägt, weil das Protoplasma hier
zu einer gleichförmigen Masse von Gestalt einer plankonvexen oder
bikonvexen Linse angeordnet ist; bei den Eiern der Salmoniden da-
gegen machen sich schon größere Unregelmäßigkeiten bemerkbar.
Die beiden ersten Furchen sind nieridional und stehen senkrecht
zu einander. Ihrer Bildung geht jedesmal eine Streckung des zu
teilenden Protoplasmas in der Richtung der Kernspindel voraus, also
senkrecht zur Teilfurche. Besonders auffällig ist die Streckung der
gesamten Keimscheibe zu einem Oval bei der ersten Teilung. Ehe
die Teilfurche sich auf der Oberfläche der Keimscheibe bemerkbar
macht, soll sie auf der Dotterseite eine von unten in die Keimscheibe
vorspringende, später wieder verstreichende Kerbe erzeugen i Agassiz
und Whitman, A. L. III, 4, 1889). Auch wurde der von den
Amphibien her uns bekannte Faltenkranz beobachtet. Das dritte Teilungs-
stadium wird durch zwei vertikale, aber nicht mehr meridionale Furchen
repräsentiert; dieselben verlaufen in der Regel der ersten Meridional-
furche parallel links und rechts von ihr; in entsprechender Weise sind
auch die beiden vierten Furchen vertikal, aber parallel zur zweiten Meri-
dionalfurche orientiert. Ob bei manchen Arten die Aufeinanderfolge
dieser beiden Furchen variiert und die dritten Furchen parallel der zweiten
Meridionalfurche, die vierten dagegen parallel der ersten orientiert sind
(KuppFER, A. L. III, 4, 1878; Hexneguy A. L. III. 4, 1888) oder
ob nur zufällig Abnormitäten den abweichenden Beobachtungen zu
Grunde gelegen haben, sei dahingestellt. Das Endresultat ist jeden-
646
R. Hertwig,
falls das gleiche, eine „schachbrettartige" (Kopsch 1900) Anordnung
der 16 Furchungskugeln, 4 im Centrum, darum ein Kranz von 12
r-f^^^. i-
.^
Fig. 232. Fiirchung des Teleostier-Eies (Crenihihms pauo) nach List; Fig. 1 — 4
vom animalen Pol, Fig. 5 uud 6 von der Seite gesehen. 1 und 5 Stadium der Zwei-
teilung, 2 Vierteilung, 3 Achtteilung, 4 Sechszehn teilung, 6 vielzelliger Keim. Vergr. 82: 1,
randständigen Stücken, ein Bild, welches wir schon als einen gelegent-
lichen Befund von Ganoiden und Amphibien kennen gelernt haben.
Beim fünften Teilungsschritt, der Teilung der beschriebenen 16
Furchungkugeln in 32, scheint nur ausnahmsweise noch eine regel-
mäßige Anordnung der Teilfurchen gewahrt zu werden. Nach Wilson
(A. L. III, 4, 1891) soll sie bei 50 Proz. der Eier von Serranus
atrarius in folgender Weise zum Ausdruck kommen. Die vier centralen
Zellen teilen sich durch tangentiale Furchen in je zwei übereinander
liegende Stücke; die vier den Ecken des Schachbretts entsprechenden
Zellen werden meridioual geteilt; die acht übrigen durch Furchen,
welche je ein centrales und ein peripheres Stück voneinander trennen,
Furchen, die man „äquatoriale" genannt hat (Kopsch, Wilson). Der
Ausdruck ist niclit zu rechtfertigen, da die Furchen eher nach Art
von vertikalen Furchen der Eiachse parallel verlaufen, als daß sie
wie eine Aequatorialfurche senkrecht zu ihr gestellt sind. Wohl aber
kann man von cirkulären, d. h. dem Rande der Keimscheibe parallelen
Furchen sprechen. Vielleicht ist das von Wilson beobachtete, don
räumlichen Verhältnissen der Keimscheibe trefflich entsprechende
Schema häufiger, als man bisher annimmt, wenn man Eier in besonders
guter Verfassung unter Abhaltung äußerer Störungen kultiviert.
Vielleicht sind aber auf diesem Stadium die inneren Ungleichheiten
der Zellen, die sich aus der Ungleichheit des lebenden Materials
früher oder später ergeben müssen, in der Regel schon groß genug,
um Unregelmäßigkeiten in der Anordnung der Furchen zu veran-
lassen. Vom sechsten Teilungsschritt ist das sicher allgemein der
Fall ; ausnahmsweise kann es schon vor dem fünften Stadium eintreten.
Abweichungen von dem geschilderten Furchu-ngsschema (ungleiche
Größe selbst der ersten Furchungskugeln, Asymmetrie der Keimscheibe)
Furchungsprozeß. 647
finden sich natürlich auch bei Teleostiern^ ohne daß dadurch eine normale Ent-
wickelung- unmöglich gemacht würde (Eycleshymer, Raubeu) ; sie scheinen,
wie schon hervorgehoben wurde, besonders bei großen Eiern voi'zukommen.
So ist die Eurchung von BatracJms tau modifiziert, insofern die Eurchungs-
kugeln von ungleicher Größe sind (BiiooK 1886; Clapp, A. L. III, 4,
1891). Bei Salmoniden ist die Unregelmäßigkeit öfters so groß, daß Stkickek
(1865) von einer regellosen, mit der Furchung anderer Tiere gar nicht
vergleichbaren Eaiospung hat reden können. Xach Oellachek (A. L.
III, 4, 1872) und Henkeguy ist jedoch das 8-Zellenstadium meist noch
in typischer Weise zu erkennen, wenn auch oft asymniPtrisch entwickelt.
Das 16-Zellenstadium zeigt dagegen einen unregelmäßigen Zellenhaufen
Es muß hier berücksichtigt werden, daß Salmoniden-^ier sehr empfind-
liche, zugleich auch schwierig zu untersuchende Objekte sind. — Eine
interessante, weil an die Eurchung holoblastischer Eier erinnernde Ab-
weichung vom regelmäßigen Verlauf der Eurchung haben "Wii>sox bei
Serramis airarius und Eisaki bei Crisiiceps argentatus beidesmal als Selten-
heit beobachtet : es folgten auf die zwei ersten Meridionalfurchen zwei
weitere ebenfalls meridionale, welche die vorhandenen vier rechten Winkel
halbierten und acht keilförmige Stücke erzeugten.
Während die Verhältnisse so weit als geklärt gelten können,
kommen wir jetzt zu einer Reihe kontroverser Fragen. Giebt es
eine Aequa torialfurche bei den Teleobtiem, und wann bildet
sich dieselbe aus ? In welchem Verhältnis stehen die F u r -
c h u n g s k u g e 1 n zum unterliegenden D o 1 1 e r V Wann und in
welcher Weise lösen sie sich von demselben ab? Mit diesen Fragen
steht eine weitere im engsten Zusammenhang. In dem spärlichen
Protoplasma, welches sicli außerhalb des Areals der Keimscheibe
findet und besonders als eine dünne Rindenschicht die Dotterkugel
umhüllt, treten auf vorgerückteren Stadien Kerne auf.
welche sehr verschiedene Namen erhalten haben. Agassiz und
Whitman. welche die betreffende Protoplasmaschicht „Periblasf ge-
nannt haben, sprechen von „Peri blas tkernen"; His nannte sie
„Parablastker ne" ; von Balfour, Virghow, Kopsch und den
meisten übrigen Forschern wurden sie „Dotterkerne'^ bezeichnet.
Ich werde den Namen „Dotter kerne'' anwenden und die Kerne
samt dem umhüllendem Protoplasma „Dotter syncyti um'' nennen,
wenn auch gegen diese von H. Virghow stammende Bezeichnung mit
Recht eingewandt worden ist, daß die betreffende Masse sich nicht durch
Verschmelzung vorher getrennter Zellen entwickelt. Nach ihrer Lage
zwischen Keim und Dotterkugel wird das Dottersyncytium auch
„intermediäre Schicht" genannt. Für die Dotterkerne war
lange Zeit über alles s 1 1- i 1 1 i g : Wie sie entstehen, und
was ihr weiteres Schicksal ist? Ob sie am Aufbau des
Embryo beteiligt sind oder nicht? Auch jetzt ist noch
manches kontrovers.
Einige Ansichten über die Entstehung der Dotterkerne haben nur
noch historisches Interesse. Kupffbr (A. L. III, 4, 1868), welcher die
von Leijeboillet ungenügend beschriebenen Kerne bei Eiern vom Stich-
ling auf weit vorgerückten Eurchungsstadien zum erstenmal beobachtete
und zwar zu einer Zeit, in welcher die neueren Untersuchungen über
Kernteilung noch nicht erschienen waren, nahm eine freie Kernbildung
an, eine Vermutung, für welche sich später auch Brock (1885), Kleix
(1872), Vax Bexedex (K. L. III, 4, 1877) ausgesprochen haben. Hi.s
(1873) brachte die Kerne mit den Dotterkugeln des unbefruchteten Eies
648 R. Hertwig.
in Zusammenhang; iiidem er von ihnen den Bindesubstanzkeim ableitete,
und die Dotterkugeln als von den mütterlichen Geweben eingewanderte
Zellen deutete, erblickte er hierin eine willkommene Stütze seiner „Para-
blasttheorie". Er hat später (1900) seine Deutung selbst zurückgezogen.
Ebenso hat auch Hoffmann (A. L. III, 4, 1881) seine erste Darstellung
von dei- Entstehung der Dotterkerne in sj^äteren Untersuchungen als iri--
tttmlich bezeichnet; er gab anfangs an, daß die erste Furchungsspindel sich
in die Richtung der Eiachse einstelle. Es komme nun, ehe noch die
Meridionallürchen auftreten, zu einer äquatorialen Teilung, durch welche
das Material der Keimscheibe und das der Dotterkugel, ein jeder Teil
mit einem Kern ausgerüstet, voneinander getrennt werden. Vom Kern
der Dotterkugel sollen sich die Dotterkerne ableiten. Nicht glücklicher
als dieser erste Versuch Hoffmann's, das Auftreten der Dotterkerne zu
erklären, war der zweite (A. L. III, 4, 1884). Nachdem durch die
beiden Meridionalfurchen die Keimscheibe viere'eteilt ist, soll wie beim
Amphibienei eine Aequatorialfurche auftreten ; dieselbe teile vier Blasto-
meren vollkommen von vier mit der Dotterkuo-el verbundenen Stücken ab.
w^elch letztere die intermediäre Schicht samt ihren Kernen liefere.
Die oben aufgeworfenen Fragen lassen sich nur bei gleichzeitiger
Anwendung der Schnittmethode auf das sich abfurchende Ei ent-
scheiden. Nur so läßt sich mit Sicherheit bestimmen, wie tief die
Furchen in das Ei vordringen, ob sie bis zur Dotterkugel durch-
schneiden oder hier eine unter der Keimscheibe hinziehende und mit
der Eirinde im Zusammenhang stehende Periblastschicht übrig lassen,
ferner welche Elastomeren schon vollkommen isoliert sind und welche
noch mit dem Dotter in Zusammenhang stehen.
Ohne Anwendung von Schnitten hatte Kupffer (A. L. III, 4,
1887) und nach ihm List (A. L. III, 4. 1887) angegeben, daß mit
der ersten Meridionalfurche zugleich eine Ablösung des Keimes vom
Dotter erfolge und daß darin das Aequivalent einer Aequatorialfurche
gegeben sei. Brook läßt die Ablösung (Aequatorialfurche) in gleicher
Weise, jedoch erst mit der zweiten Meridionalfurche beendet werden.
Beides ist unhaltbar. Denn wie schon Fusari (1892) und Sobotta
(1896, 1897) betont haben, kann man von Aequatorialfurchen nur dann
reden, wenn eine besondere karyokinetische Kernteilung sich mit der
Furchenbildung kombiniert. Das ist aber hier sicher nicht der Fall. Bei
■den zwei ersten Meridionalteilungen ist, wie sich das besonders schön an
pelagischen durchsichtigen Eiern erkennen läßt, immer nur eine Spindel
vorhanden, jedesmal die zu der nieridionalen Teilung gehörige. Die
Bilder,welche die irrtümliche Ansicht verursacht haben, verlangen viel-
mehr eine andere Deutung: Bei allen Teilungen besitzt der protoplasma-
tische Körper der Zelle die Tendenz sich abzurunden. Diese Eigentüm-
lichkeit bringt es mit sich, daß die Keimscheibe bei den ersten
Teilungen in ihrer Umrandung steiler gegen den Dotter abfällt und
sogar sich gegen ihn durch eine ringförmige Furche abgrenzt (His).
Eine Trennung wird jedoch hierdurch nicht bewirkt.
Die Tiefe, bis zu welcher die Meridionalfurchen und später auch
die Latitudinalfurchen vordringen, reicht nach den Angaben der meisten
Forscher nicht bis zum Deutoplasma herunter, sondern läßt eine dünne
Plasmaschicht ungeteilt (Lereboullet, Ryder, Kupffer, Wilson.
Oellacher, Ziegler, Brooks, Fusari, His, Kopsch), welche inter-
mediäre Schicht oder „disque huileux" genannt wird. Der
letzte Name bezieht sich auf den Umstand, daß in ihr häutig feine.
Furchungsprozeß.
f)49
aus Erweichimg der Dotterkugelii stammende Oeltröpfchen auftreten.
Manchmal hndet sich unter jeder Elastomere ein solcher Erweichungs-
herd in Eorm einer Anhäufung von Oeltröpfchen (Kupffer). Die
Schicht hat offenbar die Aufgabe, die Resorption des Deutoplasma und
die Ernährung der Keimscheibe zu vermitteln. So wird die enorme
Größenzunahme der letzteren im Lauf des Furchungsprozesses ver-
ständlich ; sie wurde von Kupffer für das Heringsei genauer bestimmt
und beträgt die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Masse. Genauere
Angaben über den zeitlichen Verlauf des Wachstums der Keimscheibe
hat
gegeben.
His (1875) für Lachseier
Im Gegensatz zu der gegebenen Darstellung lassen andere
Forscher (Coste, Haeckel, Van Beneden, Cunningham, Hoffmann,
Henneguy) die Furchen bis auf den Dotter durchschneiden mit Aus-
nahme des Randes, wo andauernd ein Ringw^ulst von Protoplasma
die peripheren Stücke der Keimscheibe untereinander verbinde. Der
Gegensatz zu der ersten Auffassung wird einigermaßen gemildert,
wenn wir lesen, daß der Ringwulst sich später unter der Keimscheibe
diaphragmaartig vorschieben und so sekundär die intermediäre Schicht
erzeugen soll. Es wäre ganz gut denkbar, daß sich verschiedene
Fischarten in dieser Hinsicht verschieden verhalten.
Nehmen wir an, w^as wahrscheinlich den natürlichen Verhält-
nissen entspricht, daß die intermediäre Schicht von Anfang an ein
zusammenhängendes und nirgends unterbrochenes Stratum bildet, so
müssen eine Zeit lang ihr die Blastomeren wie Knospen aufsitzen, und
es muß ein Moment eintreten, auf dem die einzelnen Blastomeren
sich von ihrer Unterlage ablösen. Dies tritt nach Kopsch's (1900)
sehr genauen Untersuchungen bei vielen Fischen auf dem Stadium
von 16 Blastomeren zum erstenmal für die 4 das Centrum bildenden
Stücke ein. Die dritten und vierten Vertikalfurchen bewirken die durch
die beiden ersten Meridianfurchen schon vorbereitete Ablösung, in-
dem sie wahrscheinlich nicht genau senkrecht zur Dotterobertläche
stehen, sondern etwas schräg nach den Meridionalebenen einfallen und
sich mit ihnen schließlich verbinden. Dagegen gehen die 12 peripheren
Blastomeren kontinuierlich in den
Ringwulst
Uebergang
über, welcher den
der Keimscheibe in
den „Periblast" bewerkstelligt,
welcher um diese Zeit noch kern-
los ist und daher von His (1898)
„Properiblast'" genannt wird. In-
dessen sind die Randzellen nicht
mit ihrer ganzen Basis dem Ring-
wulst aufgepflanzt ; die in bei-
stehender
Figur
licht
gehaltene
Fig. 233. Flächenansicht der Keitn-
scheibe von Betone actis vou oben. Die
Verbindungszone , d. h. die Partie, in
welcher die Randsegmente mit dem un-
gefurchten Periblast zusammenhängen,
ist durch dunkle Farbe hervorgehoben.
Nach KoPSCH. Vergr. 7."):1.
einwärts gewandte Partie ihrer Basis ist
Schicht abgehoben.
Diese Anordnung bringt es
von der intermediären
mit sich, daß bei allen
()50
R. Hertwig,
cirkulären Teilungen (Teilungen mit radialer Orientierung der Si)in(Iel-
achse) jede Randzelle in eine centrale allseitig abgegrenzte und eine
mit dem Randwulst in Verbindung l)leibende Tochterzelle zerfallen
muß. Steht die Spindel dagegen dem Rand der Keiinscheibe parallel
cirkulär und die Teilfurche meridional, so unterbleibt die Ai)lösung;
sie wird unvollständig bei intermediären Si)indelstellungen. Auch im
weiteren Entwickelungsverlauf können wir Randzellen und centrale ab-
gelöste Blastomereu unterscheiden. Erstere schnüren am centralen
Ende neue Blastomeren al), letztere vermehren sich ebenfalls durch
Teilung. Dieses geschieht häutig, wie wir es schon von den 4 inneren
Stücken des 16-Zellenstadiums kennen gelernt haben, durch tangentiale
Teilung, oft auch durch schräg gestellte Teilungsfurchen, So wird die
Keimscheibe zweischichtig (nach Kopsch bei Belone ncus auf dem
Stadium von 32 Blastomeren), weiterhin dreischichtig (auf dem Stadium
von 256 Blastomeren), schließlich vielschichtig. In der vielschichtigen
Keimscheibe platten sich die oberflächlichsten Zellen ab und erzeugen
die ,,D eck Schicht", unter der die übrigen Zellen als kugelige Ele-
mente liegen. Die Sonderung der Deckschicht fällt ungefähr in die
Zeit, w'o 1000 — 2000 Furchungskugeln gebildet sind.
In der geschilderten Weise wächst somit die Zahl der völlig abge-
lösten Blastomeren durch zwei Vorgänge: 1) durch Teilung der vorhan-
denen, 2) durch Zuwachs von außen. Der zweite Vorgang hört allmählich
auf. Die vom Periblastlager als kleine Höcker vorragenden Raudzellen,
die „Plastochören" (His), verlieren die in der Höckerbildung zu Tage
,^T
^
E.
B
Fig. 234. Querschnitte durch Keimscheiben von Knochenfischen. A — 0 von
Ctennlahrvs nach Agassiz und Whitman, Ver<iT. 210:1, D von Belone acus nach
Kopsch, Vcr^r. 100:1. / Randzellen, die den peripheren Periblast bilden. 7/ cen-^
traler Periblast.
Furchungsprozel». G51
tretende Tendenz zur Individualisierung von ihren Naclibarzellen, sei
es, daß die Höcker untereinandei- verschmelzen — so ist die gewöhn-
liche Darstellung; Kopscii, welcher den Blastomeren Membranen zu-
schreibt, läßt behufs Verschmelzung die einseitig gebildeten Membranen
resorbiert werden — , sei es daß die Höcker, was mir das Wahrscheinlichere
ist, sich abtlachen und so in die Periblastschicht zurücksinken. Da-
mit entsteht ein einheitlicher. Kerne enthaltender P e r i -
b 1 a s t w u 1 s t , im Umkreis der vielzelligen K e i m s c h e i b e ,
welche fortan sich im wesentlichen nur n o c h d u r c h
"Wachstum und Teilung der in ihr liegenden Zellen ver-
größert. Die Kerne, welche im Periblastwulst verbleiben, müssen
von jetzt ab, da sie von der Anteilnahme am Aufbau der Keimscheibe
ausgeschlossen sind, mit besonderen Namen belegt werden ; e s s i n d
die Dotterkerne. Sie vermehren sich nach wie vor lange Zeit
über karyokinetisch. Später treten unregelmäßige Teilungen ein. viel-
polige Mitosen. Schließlich wachsen die Kerne zu gelappten Riesen-
kernen heran, die sich nur noch durch Abschnürung ausgebuchteter
Paitieen vermehren und Nester kleinerer Kerne liefern. Zugleich ver-
breiten sich die Dotterkerne vom Rand centralwärts unter der Keim-
scheibe in der intermediären Schicht und gewinnen hier eine durch
ihre Beziehung zur Darmanlage bestimmte Anordnung. Die Haupt-
masse verbleibt jedoch im Raudwulst (peripheres Dotters3'ncytium),
Dieser Ring von Dotterkernen schiebt sich in der Dotterrinde nach
dem Gegenpol in gleichem Maße vorwärts, als die Umwachsung durch
die Keimscheibe sich vollzieht. Der Ring von Dotterkernen und der
Rand der Keimscheibe rücken gemeinsam voran. Ersterer gelangt so
in den Bereich des Dottersacks, wo mau ihn noch beim ausgeschlüpften
Plschchen tiudet.
Die Darstellung, welche hier von der Ent-
stehung der Dotterkerne gegeben wurde, ent-
spricht in ihren Grundzügen der Auffassung, ^^;
welche von Räuber (1883) angebahnt und von /f^'"^ >-
AoAssiz und AYhitmax zuerst aufgestellt wurde. J^^./- -
Ihr haben sich Cunningham (A. L. III, 4, 1887, jS^}^'
1889), FrsARi, ZiEULER (1896), Raffaele(A. L. " r' ;
III, 4, 1888) angeschlossen. In ihren Einzelheiten ,?
ü'iebt die Darstellung die Beschreibi;ng wieder.
P
Fig. 235. Querschnitt durch den Rand der Keim-
scheibe von Leuciscus rutilus nach Vax Bambeke. a d — — ^ , .^
Keimscheibe, ji Periblastwulst. d Dotterkugel. ""
Avelehe Kopsch für die Eier von Belone acus geliefert hat. Eür dieses
Material macht Kopsch genaue Zeitangaben über die Entstehung der
Dotterkerne. Demnach würde das IX. Teilungsstadium, auf welchem aus
dem Eurchungskern 512 Tochterkerne entstanden sind, das letzte sein,
bei welchem Blastomeren sich von den Randzellen ablösen. Schon der
X. Teilungsschritt der im Randprotoplasma verbliebenen Kerne dient zur
Vermehrung der Dotterkerne. Nur ausnahmsweise schnürt sich noch hie
und da ein Kern mit Protoplasma ab, um das Material der Keimscheibe zu
vermehren. Man kann die einzelnen Phasen so scharf aliseinanderhalten,
Aveil bis zum XL Teilungsstadium alle Mitosen im wesentlichen synchron
verlaufen. Dann werden sie für die Blastomeren unregelmäßig, doch
652 R. Hertwig, .
bleibt die Synchronie für die Dotterkeiiie noch bis zum XIII. Teilungs-
vorgaiig gewahrt.
Hier tritt uns nun die Frage entgegen, ob der besprochene Fur-
chungsmodus, wie er für die pelagischen Eier von Labrax lupus
(Ziegler), Belone acus, Cristicejis (Fusari), Cienolahrus (Agassiz
und Whitman) u. a. hat festgestellt werden können, für alle Tele-
ostier gilt, ob vor allem die Bildung der Dotterkerne unter früh-
zeitiger totaler Abschnürung der centralen Blastomeren auf die Peripherie
beschränkt ist, oder ob nicht bei einem Teil der Plsche der Zusammen-
hang der Fiirchungskugeln mit der Periblastschicht der Dotterkugel
auch in der Mitte der Keimscheibe längere Zeit erhalten bleibt. Letzteres
würde zur Folge haben, daß auch hier Dotterkerne entstehen könnten,
und daß central gelagerte
A Dotterkerne nicht notwendig
^^^«.'%>-a^^„^ von der Peripherie einge-
,vsy-:v" on "-^»"''■v wandert sein müßten." M.
pe o o„ --.e,
e.
V. KOWALEWSKI (A. L. III,
f ,-•=', %'h^^^ 4, 188()) hat versucht, den
c)^"i; Nachweis zu führen, daß
<*'.i%; '' •■■ V ^ ' " ,•/ ' ; ' '" l^öi Eiern, bei welchen vor
. ^ AS£%C*^-a^ der Furcluing eine voll-
t^- ,, " ^"^ .., m/ kommene Konzentration des
'^^.e. ' r '' Protoplasma eintritt, die
^ Bildung der Dotterkerne
auf die Peripherie der Keim-
\\
._ Fig. 236. A Keimscheibe und
'^T- 'i^V darunter lajrerndes Dottersvncv-
-'" ■" '^y tiiun vom Lachs nach HoFF-
.„,.- MANX. Vero-r. 35:1. ß Teil des
,1^ »A^", , Dottersyncytium genauer dar-
\%%''^f:~S^^ gestellt.' In beiden Fällen sieht
'' '^5^?t3'. wvAW Zellen, von denen es strittig
"^v ^ ist, ob sie vom Dottersyncytium
1: abgefurcht werden oder sekundär
mit ihm verschmelzeu.
Scheibe (peripheres D o 1 1 e r s y n c y t i u m) beschränkt bleibt {Poly-
ncantJms viridiauratus, Gohius), daß dagegen bei Arten, bei welchen
die Konzentration bis in die Zeit des Furchungsi)rozesses verschleppt
ward {Carassms auratus), die Blastodermzellen in der ganzen Ausdeh-
nung mit der „couche inter m ed iaire" verbunden bleiben und
daher auch in den centralen Partieen Dotterkerne entstehen können
(centrales D o 1 1 e r s y n c y t i u m). In der That liegen in der Litteratur
eine ganze Zahl von Angaben vor, welche zu Gunsten der hier vor-
getragenen Vermutung sprechen. Für die Salmoniden wird angegeben,
daß zur Zeit, in welcher die Keimscheibe in 8 dem Dotter aufsitzende
Stücke zerlegt ist, diese durch eine der Oberfläche parallele Furche in
8 vollkommen abgetrennte Blastomeren und 8 Blastomeren, welche mit
dem Dotter an der Basis verbunden bleiben, geteilt wird (Henneguy.
Hoffmann, Ziegler, Samassa [1896]). Manchmal tritt diese äqua-
toriale Teilung schon auf dem 4-zelligen Stadium ein (Samassa). Nach
Bataillon teilt sich in ähnlicher Weise das Ei von Leuciscus jaculus
zur Zeit der 16 Furchungskugeln in 16 mit dem Dotter verbundene und
16 völlig abgelöste Teile. Wenn diese Angaben sich bestätigen sollten.
Furch uiigsprozeß. 653
würde sich die Möglichkeit ergeben, daß auch im Centruin der Keini-
scheibe sich Furchungskugehi abh'isen. Indessen sind die Bihler, welche
von manchen Seiten als Beweise für eine Nachfurchung des Dotters
verwandt werden, von anderer Seite in ganz anderem Sinne gedeutet
worden, wie wir jetzt weiter darzustellen haben.
[Bei der Korrektur der Druckbogen habe ich noch Gelegenheit,
eine Arbeit von Kopsch (1902) zu berücksichtigen, welche nach meiner
Ansicht die hier aufgeworfene Frage vollkommen aufklärt. Kopsch
untersuchte den Furchungsprozeß an Forelleneiern, welche in Zwischen-
zeiten von einer Stunde an den ersten 3 Tagen nach der Befruchtung
abgetötet worden waren. Er fand, wie vor ihm His, daß die ersten
vertikalen Furchen die Keimscheibe nicht bis zu ihrer Basis durch-
schneiden ; sie erreichen nicht den scharf gezogenen Grenzkontur,
welcher sich im Lauf der Befruchtung entwickelt (vergl. p. 544), Dotter
und Keimscheibe von einander trennt und mit Unrecht als eine Mem-
bran gedeutet wird (vergl. auch ihr Vorkommen im Petromyzon-FA).
Noch auf dem 16-zelligen Stadium hängen daher alle Blastomeren mit
der nach außen von der „Membran" gelegenen kontinuierlichen Plasma-
schicht zusammen. Durch den 5. Teilungsschritt wird eine Sonderung
in zwei Lagen bewirkt: 1) eine oberflächliche Lage vollkommen abge-
furchter Blastomeren, 2) eine untere „syncytische Lage", deren Bau
von His (1898) vollkommen richtig beschrieben wurde (vergl. auch die
oben referierten Angaben Bataillon's über Leuciscus). Die syncytische
Lage besteht aus Blastomeren, welche noch kontinuierlich unter einander
zusammenhängen („Plasmochören'' His), deren Territorien aber durch
lichtere Randpartien („Diastemmen" His) unvollkommen gegen einander
abgegrenzt werden. Bei den fortgesetzten Teilungen werden nun von
dieser unteren, die ganze Keimbasis einnehmenden Lage fortdauernd
neue Zellen abgegebeu. Mit dem 11. Teilungsstadium ist die Nach-
furchung der Hauptsache nach abgeschlossen und damit das Dotter-
syncytium im wesentlichen fertig gestellt, indem nunmehr eintretende
Kernteilungen in der Regel nicht mehr von Plasmateilungen begleitet
sind, sondern zur Vermehrung der Dotterkerne dienen. Zwischen der
9. und 11. Teilung vollzieht sich die Sonderung des bis dahin einheit-
lichen Syncytium in einen centralen und peripheren Teil, indem inner-
halb einer immer breiter werdenden, dem Randwulst parallel ver-
laufenden Zone alle Dotterkerne zur Bildung von Blastonieren auf-
verbraucht werden.]
Der Ansicht, daß die Dotterkerne Kerne sind, welche beim Er-
lahmen der Furchungsenergie des Eies im Dotter zurückblieben, steht
die zweite Ansicht gegenüber, daß die K e r n e i n d i e i n t e r m e d i ä r e
Schicht erst sekundär hineingeraten, indem a b g e f u r c h t e
Zellen neuerdings mit dem Dotter verschmelzen. Am
konsequentesten hat Sobotta(1896. 1897) diese Auffassung durchgeführt,
welcher die Eier von 5 verschiedenen marinen pelagischen Tdeostiem
untersuchte. Nach ihm führt die Befruchtung zu einer völligen Scheidung
von Bildungs- und Nahrungsdotter. Alle Furchen schneiden daher glatt
bis auf den letzteren durch, bis auf die mehrfach erwähnte Grenzmem-
bran, auf deren Anwesenheit bei Teleostiem Sobotta mit Unrecht so
großen Wert legt, da sie auch bei den sich total furchenden Eiern von
Petromyzon vorkommt. Der Nahrungsdotter wird erst später zellig or-
ganisiert, indem mehrere Reihen von Blastomeren, eine nach der anderen,
am Rande mit ihm verschmelzen. Bei Belone actis sollen successive
etwa 8 solche Zellreihen von der Keimscheibe aus dem Dotter ein-
(;54
R. Hertwig,
verleibt worden. Da Betone dasselbe Objekt ist, bei welchem Kopsch
zu einem ^anz entgegengesetzten Resultat gekommen ist, muß eine
der beiden Darstellungen irrtümlich sein. Wir besitzen vom Furchungs-
prozeß von Belone acus noch eine dritte Darstellung, Dieselbe stammt
D
.'^^^
:■■ •••.■■ . •T^ ■7f"'*)v^ ..■•••., • . • . ■ •
Fig. 237. Entwickelung des Dottersyncytiuni von Scrranus atrariu^ nach Wil-
son. In allen Figuren ist nur ein Teil der Keimseheibe dargestellt, a völlig ab-
gei'urchter Teil der Keimscheibe, p Periblast (Dotterkerne). A abgefurchte Keini-
scheibe. B Verschmelzung von Zellen zur Bildung des Periblasts. C Verschmolzmig
vollzogen, erste Eeihe von Periblastkernen entwickelt. D Karyokiuetische Vermeh-
rung der Periblastkerne.
von Wenckebach (A. L. III, 4, 1886*) und nimmt eine Mittelstellung
ein. Nach derselben soll die erste Reihe von Dotterkernen in der Art,
wie Agassiz, Whitman, Ziegler, Kopsch u. s. w. angeben, entstehen,
indem die Abfurchung der Randzellen unterbleibt, die weiteren Kern-
reihen dagegen sollen sich durch Verschmelzung von Blastomeren mit
der Dotterkugel bilden. Da Wenckebach und Sobotta an lebendem
Material beobachteten, muß die Möglichkeit erwogen werden, ob nicht,
durch den Druck des Deckgläschens veranlaßt, Furchungszellen, welche
unter normalen Verhältnissen getrennt geblieben wären, aufs neue in
abnormer Weise miteinander verschmolzen sind.
Wie für Belone acus, so wird von Wilson (A. L. III, 4, 1891) für
Serranus atrarius (Fig. 237), ferner auch von vielen Forschern für Sal-
moniden augegeben, daß getrennte Blastomeren mit der anfänglich kern-
losen intermediären Schicht verschmelzen und so ein Sjaicytium im
strengsten Sinne des Worts erzeugen. Samas.sa giebt an , daß die
Verschmelzung peripher beginne und nach dem Centrum fortschreite.
Oellac'her spricht dabei von einem ,,Eingraben" der Blastodermzellen
in den Dotter. Die Lehre von der Verschmelzung gründet sich für
die Salmoniden auf Beobachtungen an abgetötetem Material; die Ver-
schmelzung wurde daher nicht direkt beobachtet, sondern nur erschlossen.
Dieselben Bilder, welche von anderen als Beweise einer nachträglichen
Abfurchung angesehen werden, wurden auf Konkrescenz gedeutet. Beide
Vorgänge müssen ja dieselben Bilder erzeugen.
Unzweifelhaft paßt die Darstellung, welche Agassiz und Whitman,
Kopsch u. s. w. vom Verlauf des Furchungsprozesses des Teleostier-
eies gegeben haben, viel besser in den Rahmen unserer Kenntnisse
vom Furchungsprozeß bei Wirbeltieren, als die Angaben ihrer Gegner.
Die Ganoideii lehren uns Schritt für Schritt, wie der Furchungs-
charakter der inäqualen Eier, z. B. der Eier von Petroniyzonten und
Fiu'chungsprozeß. 655
Amphibien, durch die Zunahiiie und Lokalisation des Dotters in der
einen Hälfte des Eies nach der Richtung der meroblastischen Furchung
abgeändert wird. Amin und noch mehr Lepidosteus bilden den Ueber-
gang. Die Keimscheibe, der protoplasmatische Teil des Eies, bietet
hier auf dem IG-Zellenstadium im wesentlichen dasselbe Bild wie die
Keimscheibe eines Knocheutisches nach Kopsch und Whitman. Die
dotterreiche Partie des Eies ist bei Amia nur in wenige große Stücke
zerlegt, bei Lepidosteus bleibt sie nach den neuesten Untersuchungen
Eycleshymer's einheitlich , wenn auch die Teilungsfurchen weit
über den Aequator des Eies sich über seine Oberfläche ausbreiten.
Eine weitere Abnahme der Teilungsenergie würde die Zustände der
Teleostier zur Folge haben. Die Teilfurchen greifen auf den nahrungs-
reichen Abschnitt des Eies anfangs nur wenig über, später verstreichen
sie ganz. Da nun die Ganoideneier in dem unvollkommen abgefurchten,
dotterreichen Eiabschnitt Kerne enthalten, liegt gar kein Grund vor.
daß die Dotterkugel des Teleostiereies vorübergehend ganz kernfrei
und demgemäß von der zelligen Entwickelung ausgeschlossen sein
sollte, zumal als auf vorgerückten Stadien auch im Dotter des
Teleostier-Eies wieder Kerne in großer Zahl vorhanden sind.
Wie über die Herkunft der Periblastkerne. so gingen auch über
ihr späteres Schicksal die Ansichten der Forschei- weit auseinander.
Solange His seine Parablasttheorie vertrat, leitete er von der inter-
mediären Schicht und ihren eingestreuten Kernen Blut, Lymphe
und Bindesubstanz ab. Wenn er auch inzwischen die Theorie
autgegeben hat, so ist er doch auch in seiner neuesten Publikation
der Ansicht, daß die Dotterkerne für die spätere Entwickelung von
Bedeutung sind. Auch Kupffer. Hoffmann, v. Kowalewski,
FusARi, Henneguy u. a. räumten den Kernen Anteil am Aufbau
des Embryo ein ; namentlich richtete sich das Augenmerk auf das
Entoderm, so daß man von einem Dotterentoderm sprach. Es sollte
eine Xachfurchung des Dotters eintreten, die Kerne mit umgebendem
Protoplasma sich knospenartig abschnüren und in das Keimmaterial
übertreten, wo sie längere Zeit durch besondere Färbung erkennbar
seien. Fusari ließ die Nachfurchung auf die Zeit bis zur Gastrulation
beschränkt sein; Hoffmann dagegen behauptete, daß die Kerne später
wieder die Fähigkeit zur Karyokinese gewännen und dann selbst in der
Zeit der Mesoblast- und Chordabildung noch Anteil am Aufbau des
Embryo nähmen. Jetzt neigt man immer mehr der Auffassung zu, daß
von dem Zeitpunkt an, wo in der oben näher bezeichneten Weise die
Dotterkerne zu besonderen Elementen des Embryo sich entwickelt
haben, nur ausnahmsweise noch eine Ablösung einiger Zellen vom
Dottersyncytium eintritt. Im allgemeinen jedoch seien sie von der
Organbildung ausgeschlossen ; sie haben nur eine vorübergehende
Funktion auszuüben, nach deren Beendigung sie zu Grunde gehen.
Die Anfänge absteigender Entwickelung äußern sich in den pluripolaren
Mitosen, die in Ptiesenkernbildung und amitotische A'ermehrung über-
gehen. Man vermutet, daß diese Rolle darin besteht, dem Protoplasma
die Assimilation des Dotters zu ermöglichen (Ziegler, Wenckebach,
SoBOTTA, Kowalewsky, Hoffmann). L^m diesem Gedanken be-
stimmteren Ausdruck zu geben, hat H. Virchow (1892) die Bezeichnung
Dotterorgan eingeführt, unter welchem Namen er das kernhaltige,
ungefurchte Protoplasma meroblastischer Eier versteht. Das „Dotter-
organ" wäre eine Konsequenz der enormen Anhäufung des Nähr-
()5G R. Hertwig,
materials, oine Anpassungserscheinung meroblastischer Eier, für welche
die holoblastischen Eier kein Analogon besitzen.
Noch widersprechender als die Angaben über die Dotterkerne sind
die Ansichten der Forscher über die „Aequatorialfurche" des
Teleostiereies. Wir haben oben schon einige Versuche, eine Aequatorial-
furche bei Teleostiern aufzufinden, kennengelernt; sie basierten sämt-
lich auf Beobachtungen, w^elche sich in der Folge als irrig herausgestellt
haben. Wir kommen jetzt zu Versuchen, denen das zu allgemeiner
Anerkennung gelangte Furchungsschema zu Grunde liegt. Nach
Rauber wäre die Aequatorialfurche bei Teleostiern verloren gegangen.
Agassiz und Whitman sind geneigt, bei der Homologisierung von
Furchen nur die Zeit ihrer Entstehung zu benutzen, nicht ihre An-
ordnung, und nehmen daher an, daß die Aequatorialfurche der Ami)hibien
bei den Teleostiern zu einer vertikalen geworden sei. Sobotta ver-
tritt den entgegengesetzten Staudpunkt. Er sucht das Charakteristische
der Aequatorialfurche oder, wie er sie mit Rücksicht auf die polare
A'erlagerung nennt, der „Latitudinalfurche" in ihrem Lageverhältnis
und nennt daher Aequatorialfurche die Furche, weiche auf dem 1(5-
Zellenstadium die 4 centralen Blastomeren nicht nur von den 12
Randzellen, sondern auch vom Dotter loslöst. Nun besteht diese
Furche aus 4 getrennt für sich auftretenden Stücken, den centralen
Partieen der 2 Paar Vertikalfurchen (Furche III u. IV). Somit würde
die Aequatorialfurche in ihren einzelnen Abschnitten sich zu ganz
verschiedenen Zeiten anlegen. Fusari verlegt die äquatoriale Furche
noch später, sie soll zu stände kommen, wenn das 16-zellige Blasto-
derm in 16 centrale völlig abgelöste Blastomeren und 16 Randzellen
zerlegt wird. Bei Salmoniden wiederum, welche in ihrer Furchungs-
weise, wie schon hervorgehoben wurde, vieles Besondere haben, werde
die Aequatorialfurche durch die vierte Teilung gegeben, indem die
s Furchungskugeln der dritten Teilung, in zwei übereinander liegende
Lagen zerlegt werden (Henneguy,
^_^ Hoffmann, Ziegler, Samassa),
doch soll es auch vorkommen, daß
schon die 8 ersten Blastomeren in
2 Lagen angeordnet sind (Fig. 238).
^
\ "'" / '^ Fig. 238. Aequatoriale Furchung des
i'';iyH-'t''S"^-'M:rJjj^.-.:!^';'^ Lfit'hseies auf dem 8-Zellenstadium. Nach
Hoffmann. Vergr. 35: 1.
Es hat keinen Zweck, hier die verschiedenen Versuche, eine
Aequatorialfurche im Teleostierei nachzuweisen, genauer zu besprechen.
Die Frage nach der Aequatorialfurche gehört wahrscheinlich zu den
Fragen, welche nicht beantwortet werden können, weil die Fragestellung
eine falsche ist. Die Fragestellung setzt als bewiesen voraus, daß in
der Entwickelungsgeschichte der Wirbeltiere eine Ae(iuatorialfurche oder
ein Aequivalent derselben vorkommen müsse. Das ist nun aber ganz
und gar nicht der Fall. Es würde der Fall sein müssen, wenn jeder
Furchungsschritt in der Wirbeltierentwickelung eine ganz besondere
Aufgabe hätte und im Sinn Roux's eine qualitative Sonderung des
Materials bewirken würde. Wir haben aber oben gesehen und werden
noch weitere Beweise dafür beizubringen haben , daß ein solcher
specifischer Charakter den einzelnen Furchungsstadien fehlt, daß die
FurcLungsprozeß. G57
Furchiiiii^' nur die Aufgabe hat, das Embryonaliiiaterial in kleine
Stücke zu zerlegen. Wie das geschieht, ob dabei unter anderem auch
eine äquatoriale Teilung vorkommt, hängt von der Anordnung der
zu teilenden Masse ab. Diese Anordnung ist aber bei der flächen-
haften Ausbreitung des Teleostierkerns eine für die Aequatorial-
furchuug äußerst ungünstige, und zwar ungünstig in verschiedenem
(irade, so daß in manchen Fällen (Salmoniden) Furchen, die Aelin-
lichkeit mit der Aeiiuatorialfurche der Amphibien haben, zustande
kommen, in anderen Fällen wieder nicht ^).
Experimentelle Uiitersuchiingeii. Für die geäußerte Auf-
fassung kann man ein sehr interessantes Experiment Morgan's an-
führen. Derselbe entfernte von dem widerstandsfähigen Ei von
Fimduhis die Hälfte bis -7;i des Nahrungsdotters. Die Folge war,
daß die Keimscheibe sich zu einer Kugel abrundete, ja sogar sich
senkrecht zu ihrer ursprünglichen Hauptausdehnung kegelartig erhob.
Eine w'eitere Folge war, daß der Furchungsmodus völlig umgeändert
wurde. Häufig folgte auf die zwei ersten Meridionalfurchen eine
äquatoriale, ja es konnte sogar an die erste Meridionalfurche sich
direkt eine Aequatorialfurche anschließen. Andererseits konnte es
vorkommen, daß von den 4 (^)uadranten, die nach Ablauf der ersten
2 Meridionalfurchen entstehen, einer die vertikale Furchuug des
Teleostiereies beibehielt, die anderen sich äquatorial teilten. In den
meisten Fällen entstanden normale Embryonen, ein sicherer Bew^eis^
daß die Art, wie das Keimmaterial geteilt wird, keinen Einfluß auf
das Zustandekommen eines normalen Embryo hat.
Für die Frage nach dem qualitativen Wert der einzelnen Teil-
furchen ist endlich ihr Verhältnis zu den Hauptebenen des ausge-
bildeten Fisches von großer Bedeutung. Viele Forscher haben sich
vergeblich bemüht, hierüber ins klare zu kommen. Andere geben
an, daß durch die erste Meridionalfurche die Lage der Sagittalebene
bestimmt werde, andere wieder kamen zu dem Resultat, daß die erste
Furchungsebene die Längsachse des Fischchens senkrecht durch-
schneidet, aber je nach den Individuen an sehr verschiedenen Punkten
derselben (Bataillon 1897).
1) Im Ansclüuß an obige Auseinandersetzungen erwähne ich eine die gleichen
Fragen in älmlichem Sinn behandehide Arbeit Geönroos's (1899), Avelche mü- erst
bei der KoiTektur dieses Druckbogens zu Gesicht gekommen ist. Gköxeoos geht von
seiner von mir ausführlich Ijerücksichtigten Darstelhmg der Furchmig des Salamander-
und Triton-'Eies aus imd A\endet sich gegen die vielfaclien Versuche, bei den Teleostiern
ein Aequivalent der Aequatorialfurche zu finden, sowie gegen die Lehre vom Ana-
chronisnnis der Furchen und die dieser Lehre zu Grunde liegende Auffassung, daß
die Furchungsebenen „zu d(^w Hau])trichtungen oder zu sonstigen Formationen des
Embryonalkörpers" bestimmte ,,inori)hologisch genetische Beziehimgen haben"; es
sollen nicht einmal „geometrische Beziehimgen zwischen den beiderlei Gebilden vor-
liegen". „Die Furchen seien hinfällige Erscheinungen, deren Bedeutung sich je auf
einen kurzen Abschnitt der Furchungsjjeriode beschränke, und von denen im embryo-
nalen Küiper keine bestinnnten Derivate existieren". Soweit mit Geöneoos in Uelier-
einstinimung, kann ich mich seinen weiteren Auseinandersetzmigen nicht anschließen,
in denen er versucht, eine „Homologie der Furchen" auf die Descendenz der Kerne,
zwischen denen sie durchschneiden, zu begründen: „Homolog sind diejenigen Furchen,
welche je zwei zu gleichnamigen Kerngenerationen gehörige Geschwisterkerne trennen
oder getrennt haben". ]\lir scheint hier der Begriff „Homologie", welcher in der
vergleichenden Anatomie der Organe einen guten Smn hat, weil man bei jedem Or-
gan zwischen einem moi-phologischen imd einem physiologischen Charakter unter-
scheiden kann, in emer Weise verwandt zu werden, welche ihn zu einem inhaltlosen
Wort macht. Was Gröneoos will, würde im Wesentlichen auf ein rationelles Xume-
rieren der J\irchen hinauslaufen: tlaß man die Furchen nicht nach der Zeit ihres
Auftretens, sondern nach der Zeit der zugehörigen Karj-okinese bezeichnen sollte.
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 42
658 R. Hertwig,
Methodische Untersuchungen haben zu dem Resultat geführt, daß
keine der beiden letztgenannten Anschauungen richtig ist. Bei
Batiachus tau fand Cornelia Clapp (A. L. III, 4, 1891), daß bei
einigen wenigen Eiern die erste Meridionalfurche und die Sagittal-
ebene zusammenfallen, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
jedoch beide Ebenen einen größeren oder kleineren Winkel mit-
einander bilden. Der Winkel kann einem rechten Winkel nahezu gleich
w^erden. doch kommt es nicht vor, daß volle 90" erreicht werden und
damit die Sagittalebene, wie Bataillon annimmt, in die Richtung
der zweiten Meridionalfurche zu liegen kommt.
Sprechen diese Verhältnisse zu Gunsten der Auffassung, daß die
beiden ersten Blastomeren untereinander vollkommen gleich sind, so
wird dieselbe noch weiter bewiesen durch Experimente, bei denen
eine der beiden Furchungskugeln nicht nur durch einen heißen Draht
abgetötet, sondern weiterhin auch vollkommen entfernt wurde (Morgan).
Die übrig bleibende Blastom er e rundete sich dann i;on
neuem ab und lieferte einen vollkommenen Embryo.
Von einer Postgeneration kann hierbei keine Rede sein. Denn die
Elastomere beginnt nach der Abrunduug sofort sich nach Art einer
unverletzten Keimscheibe abzufurchen : es bilden sich zunächst zwei
Meridional-, dann später die vier den Meridionalfurchen parallelen
Vertikalfurchen aus. Wenn der aus der halben Keimscheibe ab-
stammende Embryo später hinter der Größe eines aus der ganzen
Keimscheibe entwickelten Embryo nicht um die Hälfte zurückbleibt,
sondern erheblich größer wird, so ist das ganz begreiflich. Steht ihm
doch der gesamte Dotter zu seinem W\achstum zur Verfügung.
Blastula. Das Endresultat des Furchungsprozesses ist die Bildung
einer vielschichtigen Keimscheibe, die allmählich den Dotter umwächst.
Am Rande der Keimscheibe liegt der Periblast oder das Dotterorgan,
eine ungesonderte Protoplasmamasse mit zahlreichen eingestreuten
Riesenkernen, welche mit dem Vorrücken des Keimscheibenrandes
ebenfalls nach abwärts rückt. Der Rand der Keimscheibe ist zum
„Keimwulst" verdickt, auf einer Seite mehr als an den übrigen
Stellen. Dadurch wird eine bestimmte Orientierung in der Keim-
scheibe ermöglicht, indem die verdickte Stelle des Keimwulstes den
Teil der Embryonalanlage bezeichnet, aus welchem sich später das
hintere Ende des Embryo entwickelt.
Die einseitige Verdickung des Keimwulstes bedingt eine excentrische
Lage der Keimhöhle. Diese findet sich als ein ansehnlicher Hohl-
raum zwischen dem Zellmaterial der Keimscheibe und der Oberfläche
des Dotters, resp. der diesen bedeckenden Periblastschicht. Ueber
ihre Bildungsweise lauten die Angaben verschieden. Manche Forscher
unterscheiden zwischen Furchungshöhle und Keimhöhle, die beide mit-
einander nichts zu thun haben sollen. Die Furchungshöhle soll während
des Furchungsprozesses als ein Hohli-aumsystem innerhalb des Haufens
der Furchungskugeln entstehen und schwinden, wenn die Keimhöhle,
die nicht innerhalb, sondern unterhalb der Keimscheibe liegt, als
eine Neubildung entsteht. Richtiger ist es wohl, zu sagen, daß die
Furchungshöhle allmählich in die Keimhöhle übergeht, indem die
locker gruppierten tieferen Furchungskugeln sich allmählich den
epithelartig gefügten oberen Blastomeren anschließen.
Furchungsprozeß. G59
VI. Elasiiiobranchier.
In dem Kapitel über Reife und Befruchtung hatten wir gesehen,
daß das Ei der Selachier eine Keimscheibe erkennen läßt, welche
namentlich nach Ablauf der Befruchtung vom Xahruugsdotter scharf
abgesetzt ist und sich von ihm durch besondere, meist orangegelbe
Farbe unterscheidet. Vom grobkörnigen Dotter, der Hauptmasse des
Nahrungsdotters, wird die Keimscheibe durch einen lichten Hof ge-
trennt, welcher aus feinkörnigem Dotter besteht und „Keim wall"
(besser „ Do tter wall") genannt wird. Die Keimscheibe umschließt
den aus Kopulation von Ei und Spermakern entstandenen Furchungs-
kern und mehr oder minder zahlreiche Nebenspermakerne, für welche
wir im folgenden den von Rückert eingeführten Namen „Merocyten-
kerne" beibehalten wollen.
Im Gegensatz zu allen bisher betrachteten Fur-
chungs weisen besteht gleich von Anfang zwischen
Kernteilung und Verlauf der Furchung keine Koinci-
denz. Die Kernteilung eilt der Abfurchung voraus, so daß aus dem
P'urchungskern schon 4. selbst 8 Tochterkerne entstanden sein können,
ehe die erste Furche auftritt. Wie der Furchungskern, so teilen sich
auch die Nebenspermakerne karyokinetisch, aber im Vergleich zu ihm
langsamer, so daß sie sich in den Prophasen befinden, wenn jener
schon zur Spindel geworden ist. Auch innerhalb der Merocytenkerne
ergeben sich Unterschiede, indem die Kerne im Umkreis des Fur-
chungskerns ein rascheres Tempo der Entwickelung einhalten als die
peripheren. Daß für das verschiedene Verhalten der Merocytenkerne
die Nachbarschaft des Furchungskerns maßgebend ist, nicht etwa die
Nähe des Keimscheibencentrums, geht aus den Fällen hervor, bei
denen der Furchungskern excentrisch lagert, indem dann die Mero-
cytenkerne im Umkreis des Furchungskerns, nicht diejenigen, welche
dem Centrum der Keimscheibe benachbart liegen, in der Entwickelung
voran sind.
Für die Entwickelung der Furchen sind nur die
Furchungs kerne und ihre Teilungen maßgebend; die
Merocytenkerne können schon deswegen keine Rolle spielen, weil sie
im Lauf der Furchung aus der Keimscheibe austreten und in den
Dotter gelangen, wie das später noch besprochen werden soll. Die
erste Furche, welche entsteht, ist stets eine meridionale; sie tritt
nicht selten stark excentrisch auf und breitet sich nur langsam gegen
den Rand der Keimscheibe aus. Dieser ist sehr häufig gegen den
Keimwall durch eine Einkerbung abgesetzt, die Grenzfurche Sobotta's,
welche vielleicht dadurch veranlaßt wird, daß um diese Zeit die
Merocytenkerne aus der Keimscheibe auf den Keimwall übertreten.
Zu einer solchen Vermutung giebt die Wahrnehmung Veranlassung,
daß auch sonst die Merocyten auf das Oberflächenrelief des Keimes
einen bestimmenden Einfluß ausüben (Fig. 240). Es entstehen kleine
Höcker, welche sogar wie Furchungskugeln sich abschnüren können. Da
sie Merocytenkerne enthalten, sind sie zweifellos durch den Einfluß der-
selben hervorgerufen. Für den Verlauf des Furchungsprozesses haben
diese Vorgänge keine Bedeutung, da die Grenzfurchen wie die Höcker-
bildungen nicht konstant auftreten und im weiteren Verlauf wieder
verstreichen ; auch liegen sie außerhalb des Bereichs der Keimscheibe.
42*
(160
11. IIertwig,
Die erste Furche scheint bei den einzehien Arten zu verschiedenen
Zeiten aufzutreten ; Rückert fand sie bei IHstiurus zum erstenmal
bei einer Keimsclieibe mit zwei aus dem Furchungskern hervorge-
gangenen Spiudehi (also l)ei beginnender zweiten Teilung des Furchungs-
kerns), bei Torpedo noch später bei Keimscheiben mit 4. <S und mehr
Tochterkei-nen (Fig. 239 I). Dies ist wichtig, um die mancherlei Al)nor-
mitäten der zuerst auftretenden Furche zu verstehen ; sie kann entweder
der ersten Furche, oder der zweiten Furche holoblastischer Eier ent-
sprechen, was daraus hervorgeht, daß sie in einem Falle Kerne trennt,
welche, wie aus ihrer Lagerung mit Sicherheit geschlossen werden kann,
aus der ersten Teilung des Furchungskerns hervorgegangen sind, im
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Fig. 239. Keimscheibeii von Torpedo
nach Schnittserien rekou.strniert mit einge-
zeichneten Kernen (letztere im Verhältnis zu
groß gezeichnet), h Furchungskerne. vi Mero-
cytenkerne. k Keimscheibe, d feinkörniger
Nahrungsdotter. I erste Teilung des Fur-
chungskerns. II Furchungskern viergeteilt,
einige der Tochterkerne lassen die Sonderung
in männliche und weibliche Substanzen er-
kennen. III Furchungskerne in Mitose, Mero-
cytenkerne in den Nahrungsdotter übergetreten.
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-h
h
-K
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anderen Falle Kerne, welche nur Produkte der zweiten Teilung sein
können, Oefters ist die Furche T-förmig und entspricht somit einer Kom-
bination dei' ersten und zweiten Furche, Die T-förmige Furche kann in
ihren Schenkeln unregelmäßig entwickelt sein, so daß die Keimscheibe,
wie z. B. die in Fig. 239 III dargestellte, mit 8 Spindeln versehene, in
3 völlig ungleichwertige Stücke zerlegt wird, ein großes Stück, welches
einer ersten ungeteilten Elastomere entspricht und 4 Spindeln enthält,
ein mittleres mit 3 und ein kleines Stück mit 1 Spindel. Letztere beiden
Stücke entsprechen gemeinsam der zweiten Elastomere. Ihre Sonderung
in ungleiche Teile läßt erkennen, daß der sie trennende Schenkel der
T-Furche nicht der zweiten Meridionalfurche entspricht, sondern einer
Furche des IV. Teilungsstadiums. Wir stehen hier vor Erscheinungen,
wie sie bei geschädigten holoblastischen Eiern vorkommen, bei denen
Fiirchungsprozeß.
661
auch die Kernteilungen den Zellteilungen vorauseilen, so daß letztere
dann nicht mehr genötigt sind, den normalen Rhythmus einzuhalten.
Das schädigende Moment ist in der Einlagerung des enormen Dotter-
materials gegeben, welches mit der Keimscheibe enger verbunden
ist als bei den Teleostiern und die Bewegungen derselben viel hoch-
gradiger behindert. Immerhin lassen die Eier der Selnchier noch ein
an die Teleostier erinnerndes Merkmal erkennen, durch welches sie
sich von den meroblastischen Eiern der Smiropsiden unterscheiden,
daß nämlich die Furchen, wenn auch später als bei Teleostiern, so doch
sehr viel früher als bei Sauropsiden bis zum Rand der Keimscheibe
durchschneiden. Schon auf dem V. oder VI. Furchungsstadium wird
der Rand der Keimscheibe erreicht. Hierin spricht sich eine größere
Unabhängigkeit des Keimes vom Dotter aus, als sie bei Sauropsiden
vorhanden ist.
Wenn schon
auf den allerersten Stadien sich die Neigung
zu
A
B
C
1)
Fig. 240
Oberfläclienansic'htea
von 8 Fnrchimgskernen,
E F
xon Furehmigsstadien von Torpedo ocellata.
erste Furche. B 8 Fiircliungskerne, Kreuz-
Biklnno- der ersten Vertikalfurchen; D 16 Furchungs-
A Stadiiuu
furche. C 8 Furchungskerne
kenie, Bildung der zweiten Yertikalturchen. E Stadium von 145 Fiirchimgskugehi.
F ^leridionalschnitt durch ein ausgereiftes Ei von Torpedo marmorata nach RtJCKERT.
662 R. Hertwig
einem variablen, von der Norm abweichenden Verlauf der Furchung
bemerkbar macht, so kann Regelmäßigkeit noch weniger von den
weiteren Stadien erwartet werden ; und so erwecken die meisten Bilder,
welche von Obertiächenansichten von Selachierkeimscheiben gegeben
worden sind, den Eindruck größter Unregelmäßigkeit. Immerhin
kommt gelegentlich der Furchungsrhythmus zum Ausdruck, welcher
die Folge der scheibenförmigen Ausbreitung des Keimmaterials ist
und darin besteht, daß auf die beiden ersten Meridionalfurchen ein
drittes und viertes System von Vertikalfurchen folgt. So giebt
Fig. 240 B das durch die ersten Meridionalfurchen bedingte Kreuz
(ein auch von Gerbe und Balfour abgebildetes Stadium), Fig. C die
Vertikalfurchen des III. Furchungsstadiums, wie wir sie von Teleostiern
kennen, wenigstens auf einer Seite der Keimscheibe in regelmäßiger
Weise entwickelt. (Samassa [1894] bildet eine Keimscheibe von
Scyllium catulus ab, bei welcher die Vertikalfurchen, wenn auch un-
regelmäßig, so doch in typischer Zahl beiderseits entwickelt sind.)
Fig. D zeigt die 4 centralen, von keilförmigen Stücken umgebenen
Blastomeren, welche entstehen, wenn die Vertikalfurchen des IV. Stadiums
die meridioualen und vertikalen Furchen der früheren Stadien kreuzen,
nur daß unvollkommene Entwickelung der letzteren Ursache ist, daß
die Zahl der peripheren Keile anstatt 12 nur 10 beträgt. Die Ab-
grenzung der 4 centralen Stücke, welche in ganz gleicher Weise auch
von Gerbe (1872) beobachtet worden sind, ist jedenfalls nicht auf
eine Aequatorialfurche, wie der französische Forscher annimmt, zurück-
zuführen. Eine Aequatorialfurche kommt wie bei allen
flächen haft ausgebreiteten Keimen nicht zur Ent-
wickeln n g.
Noch deutlicher als durch die Anordnung der Furchen werden
die in Rede stehenden Verhältnisse durch die Anordnung der Kern-
spindeln während der ersten Mitosen erläutert. Dieselben liegen nach
Rückert's Untersuchungen bis zum Stadium von 16 Blastomeren
nahezu horizontal, d. h. der Oberfläche parallel. Demgemäß sind in
der Regel zur Zeit der vierten Kernteilung noch sämtliche Furchungs-
kugeln mit dem Dotter an ihrer Basis verbunden (Fig. 241 1), wenn
es auch vorkommt, wie Samassa beobachtet hat, daß einzelne der
centralen Kugeln schon jetzt sich abschnüren , wahrscheinlich un-
abhängig von Kernteilungen. Erst zur Zeit der V. Teilung stellen
sich einige der Spindeln vertikal ein, und zwar sind es die-
jenigen, welche den centralen Blastomeren angehören. Wenn die
Teilung zum Austrag kommt, zerfallen diese centralen Blastomeren
jedesmal in eine oberflächliche, vollkommen abgeschnürte Zelle und
eine tiefe, mit dem Dotter verbunden bleibende Zelle. Damit beginnt
die Keimscheibe zweischichtig zu werden, was auf dem folgenden Sta-
dium (64 Furchungskerne) noch deutlicher wird (Fig. 241 III). Eine
oberflächliche Lage von Blastomeren ist völlig abgeschnürt, eine tiefere
an der Basis mit dem Nahruugsdotter verbunden. Zwischen beiden
Lagen liegt ein Hohlraum, die „Furchungshöhle". Um diese Zeit
ungefähr wird Synchronie von Zell- und Kernteilung erreicht, so daß
etwa gleichviel Furchungskerne wie Blastoineren vorhanden sind. Wie
wir gesehen haben, wird auch die Keimscheibe der Teleostier auf
dem V. Teilungsstadium zweischichtig, in der Regel jedoch mit dem
Unterschied, daß die Zweischichtigkeit auf das Centrum beschränkt
bleibt und daß hier beide Zellenlagen vom Dotter getrennt sind,
Furchungsprozeß.
G63
während die i)eripheren
Blastomeren einschichtig
sind und in den Dotter
überoehen.
Immerhin
giebt es
Teleostier {Sal-
moniden), bei denen ähn-
liche Verhältnisse wie
bei SelacJtiern herrschen.
zusammenfließen
schließlich , nach
die
ge-
Va-
Ueber die Bildung
der Vertikalfurchen hat
Kastschexko (1888)
auffällige Angabe
macht, daß zunächst
kuolen entstehen, welche
und
außen
durchbrechend, die Fur-
chen erzeugen. Nach
RüCKERT dagegen ent-
stehen die Furchen von
Anfang an als Einker-
bungen der Oberfläche,
welche sich in die Tiefe
als Demarkationslinien,
aber zunächst noch ohne
Trennung des Zusammen-
hangs verfolgen lassen.
Am Grund dieser Demar-
kationslinien sollen nun
in der That unabhängig
von der Oberflächenein-
furchung Vakuolen ent-
stehen , hervorgerufen
durch die Attraktion,
welche der Kern auf das
Protoplasma ausübt (Fig.
241) ; sie sollen erst se-
kundär mit den Furchen
in Verbindung treten.
Die besprochenen
Fnrchungsstadien sind
zeitlich leicht ausein-
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II
III
IV
Fig. 241. ]\Ieiidioiial-
schnitte durch Keinischeiben
I, III, IV, V von Torpedo
ocellata, II von Scyllinm cani-
cula. 1 8 Furchungskerne. II
32, III 64 Furchungskerne.
IV imd V Bildung der Keün-
höhle, das hintere embryonale
Ende der Keimscheibe nach
rechts gewandt (n. Rückert).
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o . o
664 R. IIertwig,
aiulei'znhalteii, weil die Kerne aller Furchuii<isku,i;'elii von j^leicheiii Alter
zieiiilicli L-leichzeitig in Teilung tieten und sich daher immer ungefähr
auf gleichem Stadium der Mitose befinden. Geringfügige, leicht in
Rechnung zu ziehende Unterschiede treten zwischen den centralen und
randständigen Blastomeren auf, indem bei letzteren die Teilung ein
wenig verzögert ist. Diese Synchronie aller einem und demselben
Stadium angehörigen Kernteilungen soll nach Sobotta und Samassa
frühzeitig aufhören ; nach RIjckert soll sie dagegen bei Torpedo sich
bis zum IX. Furchungsstadium. zum Teil sogar bis zum X. Stadium
erkennen lassen. Allmählich wird dabei die Keimscheibe vielschichtig
und bildet eine bikonvexe in eine Mulde der Dotterkugel eingebettete
Zellmasse. Die im Dotter enthaltenen Furchungskerne werden Aus-
gangspunkt der „Nachfurchung", d. h. es bilden sich Kerne enthaltende
Höcker, welche sich abschnüren und als selbständig gewordene
Furchungszellen die Keimscheibe vergrößern helfen (241 IV).
Innerhalb der Keimscheibe verlangt die verschiedene Größe der
Blastomeren Beachtung, weil es sich hierbei um eine ganz regelmäßige
Struktur handelt : 1) die c e n tr a I e n B 1 a s t o m e r e n s i u d k 1 e i n e r
als die peripheren; 2) durch e i n e L i n i e , welche der spä-
teren T r a n s V e r s a 1 a c h s e entspricht, kann m a n d i e K e i m -
Scheibe in zwei Hälften zerlegen, von denen die eine
im Durchschnitt größere Zellen enthält als die andere.
Da der erläuterte Größenunterschied der Blastomeren schon zu einer
Zeit auftritt, in welcher die Synchronie der Teilungen noch gewahrt
ist, kann er nicht durch das verschiedene Teilungsalter der Zellen
hervorgerufen sein, wenn dasselbe später auch beitragen mag, vor-
handene Unterschiede zu steigern. Dagegen ist es äußerst wahr-
scheinlich, daß die verschiedene Beschaffenheit der Keimscheibe mit
der oft sehr ausgesprochenen excentrischen Lage des Furchungskerns
zusammenhängt derart, daß der Teil des Keimes, nach welchem hin
die Verschiebung des Furchungskerns stattgefunden hat, das klein-
zellige Material liefert.
Der Größenunterschied, welchen die Zellen in den verschiedenen
Abschnitten der Keimscheibe erkennen lassen, ward auch für andere
Wirbeltiergruppen mit meroblastischen Eiern beschrieben ; er erinnert
ferner an das, was wir früher schon vom Ei der Amphihien kennen
gelernt haben. Wie bei den Amphibien, so läßt sich auch bei den
Selachiern nachweisen, daß der kleinzellige Teil der Keimscheibe dem
hinteren Ende entspricht, dem „embi'yonalen" Rand, dem Rand, von
welchem aus die Anlage des Embryo beginnt. Dieser hintere Rand ist
um diese Zeit schon durch zwei weitere Merkmale vom vorderen unter-
schieden: 1) er ist dadurch ausgezeichnet, daß in seiner
Nachbarschaft die Keim höhle zuerst auftritt und auch
später sich ansehnlicher entwickelt; 2 ) er ist viel
lockerer mit dem u n t e i- 1 i e g e n d e n Dotter v e r 1 ) u n d e n als
der vordere, weil an diesem die Abfurchung langsamer vor sich
geht. Infolgedessen hebt sich die Keimscheibe am hinteren Ende leicht
vom Dotter ab, was Rückert jedoch auf ungenügende Konservierung
zurückführt. In dieser Hinsicht ist His (1897) anderer Meinung, welcher
angiebt, daß am hinteren Rand die Keimscheibe normalerweise vom
unterliegenden Dotter getrennt sei und die Keimhöhle daher hier
nach außen klaffe. Die Oeffnung soll zu stände kommen, indem die
Furchungsprozeß. Gß5
am liiuteren Rand des Blastoderms ,<>elagerteii Fuichuiigskiigeln mit
dem Dotter verscimielzen und die Dotterkerne liefern. Die His'sche
Ansicht verlangt Beachtung, da auch für die Vogelkeim Scheibe be-
hauptet wird, daß die Keimhöhle nach außen kommuniziert.
Was nun die Keim höhle anlangt, so ist die Bildungsweise
derselben strittig: es stehen sich hier dieselben beiden Auffassungen
gegenüber, welche uns bei den Untersuchungen über die übrigen diskoidal
sich furchenden Wirbeltiereier entgegentreten. Schon frühzeitig, wenn
die Blastomeren sich in zwei Lagen sondern, in eine oberflächlich voll-
kommen abgeschnürte und eine tiefere, welche mit dem Dotter ver-
bunden bleibt, ist zwischen beiden eine Spalte erkennbar, welche
wir ..Furchangshöhle" bezeichnet haben (Fig. 241 III). Manche Forscher
sind der Ansicht, daß diese Furchungshöhle schwindet und die Keim-
höhle als eine völlige Neubildung entsteht. Xach Kastschenko und
Samassa soll letztere durch Erweichung des Dotters entstehen, daher
der Name „Resorptionshöhle''. Andere lassen die eine Höhle
in die andere übergehen : sie nehmen eine allmähliche Verschiebung
der Furchungshöhle an: indem immer neue Zellen vom Dotter abge-
schnürt werden und sich der obersten Blastodermschicht anschließen,
rückt der Spalt tiefer und nimmt schließlich die Lage der Keimhöhle
ein. wenn die Dotterabfurchung beendet oder wenigstens nahezu be-
endet ist. Damit kommt der Raum zwischen Dotter und Keimscheibe
zu liegen. Anfangs ein enger Spalt in der Nähe des hinteren Randes,
breitet sich die Keimhöhle zu einem ansehnlichen Hohlraum aus, der
allmählich sich auch nach vorn ausdehnt (Fig. 241 V).
Um die Besprechung des Blastulastadiums zu Ende zu führen,
sei schließlich noch hervorgehoben, daß die anfänglich gleichförmig
abgerundeten Blastodermzellen sich in zwei Lagen sondern: eine ober-
flächliche Zellschicht von epithelialem Charakter und
einen darunter gelegenen Haufen von Zellen, welche zunächst
das alte (iefüge beibehalten. Wenn nun die Keimscheibe über den
Dotter wächst, indem sie ihren Durchmesser vergrößert und ihre
bikonvexe Linsengestalt zu einer dünnen Scheibe abplattet, muß die
epitheliale Schicht sich gewaltig ausdehnen. Zum Teil geschieht dieses
Wachstum durch Teilung der vorhandenen Zellen, zum Teil dadurch,
daß sich neue Zellen von unten aus dem lockeren Zellenhaufen her-
aus in den epithelialen Verband einfügen, ein Zeichen, daß auf diesem
Zeitpunkt von einer LTnterscheidung der Keimblätter Ektoblast und
Entoblast noch nicht die Rede sein kann.
Wir müssen nunmehr noch das Schicksal der aus den Neben-
spermatozoen hervorgegangenen Merocyten kerne nachtragen und
das Verhältnis derselben zu dem Dotter besprechen. Wir haben gesehen,
daß dieselben sich wie der Furchungskern karyokinetisch vermehren,
mit der Zeit aber aus der Keimscheibe ausscheiden und in den Dotter
gelangen. Ihre Verlagerung ist offenbar eine passive; sie werden
aus der Keimscheibe verdrängt, je mehr der Furchungskern Herr-
schaft über das Protoplasma derselben gewinnt; sie treten daher am
frühesten an Stellen aus, wo der Furchungskern oder seine Abkömm-
linge dem Keimscheibenrand genähert sind, was nicht selten zutrifft,
da der Furchungskern oft von Anfang an excentrisch lagert. Um die
Zeit, wo der Furchungskern seine dritte Teilung beendet hat, sind
bei Torpedo in der Regel alle Merocytenkerne schon im Dotter ange-
666 R. Hertwig,
langt; sie treffen hier Kerne vor, welche von Spermatozoen stammen,
die direkt in den Dotter eingedrnngen waren.
Innerhalb des feinkörnigen Dotters des Keimwalles verlieren die
Merocytenkerne an Vitalität ; sie vermehren sich zwar noch eine Zeit
lang und erzeugen Kernnester, welche durch successive Teilung eines
Mutterkerns entstanden sind; allein ihre Mitosen werden unregelmäßig;
es entstehen pluripolare Spindeln, ferner Spindeln, deren Seitenplatten
nicht genügend auseinanderweichen, so daß die Tochterkerne später dicht
bei einander lagern, vielleicht sogar wieder untereinander verschmelzen.
Im weiteren Verlauf bilden sich Kerne mit klumpigem Chromatin oder
locker strukturierte Riesenkerne. Gelegentlich nehmen dieselben wie
die im Dotter verbliebenen Furchungskerne an der Nachfurchung An-
teil; sie liefern dann mit dem sich ihnen anschließenden Protoplasma
große Zellen, die Mega Sphären, welche sich durch ihren Dotter-
gehalt von den übrigen Furchungszellen unterscheiden, an der Organ-
bildung aber, wie jetzt im Allgemeinen angenommen wird, sich nicht
beteiligen.
In den genannten Merkmalen — karyokinetische Vermehrung mit
abnehmender Vitalität, Umbildung zu Riesenkernen, Einlagerung in den
Dotter, gelegentliche Abfurchung zu Megasphären — gleichen die Me-
rocytenkerne den Dotterkernen, wie wir sie bei Teleostiern schon kennen
gelernt haben und bei SauroiJsiden noch weiter werden besprechen
müssen. Man findet auch bei Selachiern auf vorgerückten Entwicke-
lungsstadien dasselbe Dottersyncytium wieder wie bei Vertebraten mit
meroblastischen Eiern.
In diesen Analogieen zu den Dotterkernen anderer Wirbeltiere war
nichts Wunderbares gegeben, solange man den Merocytenkernen der
Selachier gleiche Entstehung wie diesen zuschrieb und je nach der
Auffassungsweise durch freie Kernbildung oder durch Teilung von
Furchungskernen ableitete. Der Name „Merocyten" stammt aus
dieser Zeit. Rückert (1885), der ihn in die Litteratur einführte, leitete
damals die Merocyten noch von dem P'urchungskerne ab : es sollten
im Laufe der ersten Entwickelung des Selachiereies vollkommen abge-
furchte Zellen, „H o 1 o c y t e n", entstehen und mit dem Dotter verbundene
Zellen, „Merocyten". Erst allmählich würden letztere zu Holocyten
abgefurcht und wie diese zum Aufbau des Embryo verwandt. Theo-
retische Schwierigkeiten entstanden erst, als Kastschenko und
bald darauf auch Rückert nachwiesen, daß zahlreiche Kerne schon
zu einer Zeit im Dotter vorhanden sind, in welcher der Furchungs-
kern noch einheitlich und die Keimscheibe noch ungefurcht ist.
W^enn auch Kastschenko selbst noch an der Möglichkeit der Ab-
leitung vom Furchungskern festhielt, so wies jedoch Rückert bald
den genetischen Zusammenhang mit Kebenspermatozoen nach, eine
Auffassung, welcher sich auch Beard. Samassa und Sobotta an-
schlössen und die nach der ausführlichen Darstellung Rückert's
(vergl. Befruchtung p. 555) wohl kaum in Zweifel gezogen werden
kann.
Beim derzeitigen Stand der Beobachtungen sind drei Auffassungen
möglich.
1) Die aus Spermatozoen entstandenen Merocyten Vikariieren für
die Dotterkerne der übrigen Wirbeltiere; obwohl verschiedenen Ur-
sprungs, übernehmen sie doch die gleichen physiologischen Leistungen,
Furchungsprozeß. 607
die Leistungen des .,Dotteiorgans"; da diese nicht im Aufbau von
bleibenden Organen des Embi\yo bestehen, scheint diese Auffassung
zunächst auf keine größeren tlieoretischen Bedenken zu stoßen, wie
RÜCKERT hervorhebt.
2) Eine zweite, von Sobotta und \'irchow vertretene Auffassung
nimmt an, daß die Neben si)ermakerne der Sehicliier sich eine Zeit lang
zwar weiter entwickeln, dann aber wie bei den Amphibien zu Grunde
gehen, daß an ihre Stelle echte Dotterkerne treten, die wie sonst vom
Furclnmgskerne abstammen. Sobotta vermutet, daß bei der Ab-
furchung des Eies ein Teil der Kerne im Dotter zurückbleibt und das
unter der Keimscheibe gelegene Syncytium liefert. In der Peripherie
sollen sogar, ähnlich wie bei Teleosiiern, unvollkommen abgefurchte
Elastomeren wieder mit dem Keimwall verschmelzen, worauf es zurück-
zuführen sei, daß auf einem bestimmten Stadium der Entwickelung
die Abgrenzung der Keimscheibe vom Dotter sich verwische. Nur
durch die Annahme, daß die Dotterkerne ilbkömmlinge des Furchungs-
kerns sind , sei es zu erklären , daß ihre Zahl bei allen Eiern
ungefähr die* gleiche sei, während der Grad der Polyspermie außer-
ordentlich schwanke. Von dieser Auffassungsweise würden sich die
Resultate, zu denen His gekommen ist, nicht allzu sehr entfernen :
daß nämlich völlig getrennte Blastomeren sekundär mit dem Dotter
verschmelzen und so ein echtes Syncytium liefern. Denn es würde
auch hier die Grundauffassung gewahrt sein, daß die Dotterkerue nicht
von Nebenspermatozoen, sondern vom Furchungskern abstammen. Die
Bilder freilich, auf welche His (1897) sich stützr, kommen auf die
Bilder hinaus, welche auch Rückert gegeben und auf verspätete Ab-
furchung bezogen hat. So fundamental verschieden die Prozesse sind,
so lassen sie sich durch Untersuchung abgetöteten, in Schnitte zer-
legten Materials oft schwer auseinanderhalten.
o) Eine dritte Möglichkeit wäre endlich, daß das Dottersyncytium
verschiedener Abstammung ist und Merocytenkerne und Furchungs-
kerne zugleich enthält.
Rückert, welcher die ersten Entwickelungsvorgänge im Se-
lachierei am ausführlichsten untersucht hat, beschränkt sich in seiner
letzten Veröffentlichung darauf, festzustellen, daß bis zu einem Stadium
kurz vor der Bildung der Keimhöhle Merocytenkerne, d. h. Kerne um-
gewandelter Spermatozoen, und Furchungskerne scharf auseinander-
gehalten werden können und daß bis dahin keinerlei Furchungskerne
in das Merocytenlager übergetreten sind : dagegen läßt er es unent-
schieden, wie das später vorhandene Dottersyncytium aufzufassen ist.
Da unzweifelhafte Furchungskerne noch auf späten Furchungstadien
im Dotter enthalten sind, muß mit der Möglichkeit gerechnet werden,
daß sie an der Bildung von Dotterkernen beteiligt sind oder gar unter
Schwund der Merocytenkerne sie allein liefern. Letzeres muß wohl
beim derzeitigen Stand unseres Wissens als das Wahrscheinlichste
bezeichnet werden, da bei den polyspermen Eiern der Amphibien und
wahrscheinlich auch der Beptilien die Nebenspermakerne zu Grunde
gehen. Zu gleichem Resultat führt folgende Ueberlegung. Zwischen
den dotterhaltigen Blastomeren der Amphibien und dem Dottersyncytium
der Wirbeltiere mit meroblastischen Eiern giebt es alle Uebergänge,
was die Auffassung unanfechtbar macht, daß die Elemente des Dotter-
syncytiums Embryonalzellen sind, welche in Anpassung an den Dotter-
{]6S R. Hertwig,
reichtum des Eies die Möglichkeit, sich am Aufbau des Enibi-yonal-
körpers zu beteiligen, eingebüßt und die Funktion der Dotterver-
arbeitung übernommen haben. Es sind also immerhin Embrvonalzellen,
welche in ihrer Funktion durch anderweitiges Material ersetzt worden
wären, wenn die Nebenspermakerne zu Dotterkernen w^ürden.
Im Laufe des verflossenen Jahres hat Bashford Dean (1901) über
eigentümliche Bilder berichtet, welche er an den Eiern von Heterodontus
(Cestracion) japonicus beobachten konnte und als eine „Erinnerung an die
holoblastische Furchung" deutet. Die 4 — 5 cm großen Eier zeigen auf
ihrer Oberfläche ein auf größei-e Entfernungen hin sichtbares System von
Linien, welche vollkommen der Zeichnung gleichen, welche ein 2()fach
vergrößertes, in Abfurchung begriffenes Lepidosteus-'Eii ergiebt. Von der
Keimscheibe aus, welche bei frisch abgelegten Eiern eine deutliche Fel-
derung erkennen läßt, erstrecken sich Furchen auf der Eioberfläche,
welche bei jungen Stadien bis zum Aequator vordringen, bei älteren
diesen überschreiten, von denen manche sogar den entgegengesetzten Pol
erreichen. Anfänglich noch etwas unsicher in der Deutung seines Be-
fundes, spricht sich B. Dean in einem Nachtrag ganz bestimmt für die
Auffassung der Linien als Furchen des in Abfurchung begriffenen Dotters
aus, weil er beim Abpräparieren der Keinischeibe sich überzeugen konnte,
daß die Grenzen der Blastomeren sich in die Furchen hinein fortsetzten.
Ein entscheidender Beweis durch Untersuchung gehärteter Eier auf Quer-
schnitten und Nachweis von Kernen im Dotter, die den einzelnen Fur-
chungskeilen entsprechen würden, ist bisher leider nicht geführt worden.
VII. Reptilien und Vögel (Sauropsiden).
Die Eifurchung der Reptilien und Vögel teilt so viele Charakter-
züge mit der Eifurchung der Selachier, daß man versucht sein könnte,
beide gemeinsam abzuhandeln. Wenn ich es nicht thue, so geschieht
es, um gewisse Unterschiede hervorzuheben, die durch das verschiedene
Verhalten der Keimscheibe zum Nahrungsdotter veranlaßt werden.
Beide Teile sind bei den Selachiern deutlich gegeneinander abgegrenzt,
wenn auch nicht ganz so scharf wie bei Teleostiern; bei den Saur-
opsiden ist die Grenze verwischt. Schon beim Vogelei treten in der
Keimscheibe gegen den Rand zu und in den tieferen Schichten gröbere
Granulationen auf, durch welche ein allmählicher Uebergaug zum
weißen Dotter vermittelt wird. In noch höherem Maße gilt dies von
den Reptilien und unter diesen wieder besonders von Sauriern und
Op)hidiern. Läßt sich doch sogar bei Lacerta agilis, wie Sarasin (1883)
gezeigt hat, die konzentrische Schichtung der Dotterkugel in die Keim-
schicht hinein verfolgen. Auch Oppel (1892) hält es für unmöglich,
Keimscheibe und Dotter scharf gegeneinander abzugrenzen. Bei den
Reptilien ist die auffallende relative Größe der Keimscheibe, auf welche
besonders Sobotta (1897) in seiner zusammenfassenden Darstellung des
Furchnngsprozesses der Wirbeltiere aufmerksam gemacht hat, wohl
ebenfalls auf ihren ansehnlichen Gehalt an Dottermaterial zurück-
zuführen. Während das Größenverhältnis der Durchmesser von Keim-
scheibe und Dotterkugel sich bei Vögeln ebenso wie bei Selachiern
verhält — 1 : 10 beim Hühnerei [Kölliker]. wie beim Ei von Tor-
pedo [Rückert] — . beträgt der Durchmesser der Keimscheibe bei
rurchungS|)rozeß. (309
Schildkröten und Krokodilen die Hälfte der Eilänge, bei Schlaugeu
und Eidechsen mancliinal noch mehr.
Das Eindringen von Dotterelenienten in die Keimscheibe ist
die Ursache, daß die Abfnrchung mehr als bei anderen meroblastischen
Eiern behindert ist. Lange Zeit sind die Furchen auf die centralen
Teile der Keimscheibe beschränkt. Während bei T e 1 e o s t i e r n die erste
Furche gleich bei ihrer Entstehung bis zum Rande durchgeführt wird,
bei Selachiern die Furchen schon auf dem Stadium von 4 oder 8
Blastomeren den Keimwall erreichen, ist bei Sauropsiden der Rand
der Keimscheibe noch ungeteilt, wenn im Centrum schon sehr viele
kleine Blastomeren durch allseitige Furchen gegeneinander abgegrenzt
sind (SoBOTTA 1^!97).
Es ist außerordentlich wahrscheinlich, daß die Teilung des Fur-
chungskernes wie bei Selachiern namentlich in den Anfangsstadien der
Protoplasmateilung vorauseilt, wie wir dies von den vom Nahrungs-
dotter ganz durchsetzten Eiern der Insekten und ferner von Eiern,
die durch Schädlichkeiten in ihrer Aktivität behindert sind, zur Genüge
wissen. Leider fehlen hierüber alle genauen Untersuchungen, wie
denn überhaupt die Furchung des Sauropsideneies, das Vogelei ein-
begritfen. so unvollkommen untersucht ist, daß eine die Erscheinungen
in ihrem natürlichen Zusammenhange schildernde Darstellung unmöglich
ist. Tod ARO beschreibt für das Ei von Seps cJialcides 8 dem Ceutrum
benachbarte Kerne schon zur Zeit der Vierteilung, außerdem viele
periphere ..periblastische Kerne", welche nach seiner Ansicht ebenfalls
vom Furchungskern abstammen sollen, nach allen neueren Erfahrungen
aber auf Xebenspermakerne bezogen werden müssen. Oppel (1892)
fand wiederholt bei Keimscheiben von Anguis fragilis und Tropidonotus
natrix. welche noch keine Furche aufwiesen, schon 2 Furchungskerne,
bei einer Keimscheibe von Lacerta viridis mit der ersten Furche
4 Furchungskerne. Diese aphoristischen Mitteilungen sind die ein-
zigen auf Querschnitten basierenden Angaben, welche ich über die
uns beschäftigende Frage in der Litteratur habe finden können.
Gleichwohl wird es nur durch das Studium der Aufeinanderfolge der
Kernteilungen möglich sein. V^erständnis für den Rhythmus der Teilungen
zu gewinnen. Denn die Art, wie die Furchen auf der Oberfläche auf-
treten, giebt uns nach dem, was ich für das Selachierei durchgeführt
habe, einen ganz unzulänglichen Maßstab für den Verlauf der Teilungen,
welche sich an den Kernen abspielen. Bei der hochgradigen Be-
hinderung, welche der Bewegungsfähigkeit des Protoplasma durch
die Art der Dotterverteiluug bereitet wird, sind offenbar ganz gering-
fügige Momente ausreichend, um das rechtzeitige Zustandekommen
von Furchen zu verhindern, welche dann erst später entstehen . zu
einer Zeit, wo. durch weitere Teilungen veranlaßt, Verschiebungen der
zugehörigen Kerne eingetreten sind, welche eine Entwickelung der
Furche in ihrer ursprünglichen Richtung unmöglich machen.
Durch das gütige Entgegenkommen meines verstorbenen Kollegen
V. KuPFFER. dem ich leider hierfür meinen besten Dank an dieser
Stelle nicht mehr abstatten kann, stehen mir zahlreiche Abbildungen
von Furchungsstadien von Lacerta agilis, L. viridis, Tropidonotus
natrix, Testudo graeca zur Verfügung, von denen ich nur einige
wenige hier zur Ablüldung bringe. Dieselben, wie die Figuren, welclie
in dei- Litteratur vorliegen von Coste (A. L. IL 1847 — 1859j und
G7U R. Hertwig,
KÖLLiKER (A. L. II, 1884) vom Huhn, von Agassiz und Clark (A.
L. II, 8, 1857) von Ghjptemps insculpta, von Sarasin (1883) von
Lacerta agilis. von Oppel (1892) von Änguis fragilis, lassen zunäclij^t
eine verwirrende Mannigfaltigkeit von Bildern erkennen. Ininierliin
kommt in ihnen für die ersten Stadien ein gewisser an die Zustände
der Ganoiden erinnernder Typus zum Ausdruck, welcher voraussichtlich
bei einem Studium der Kernteilungen sich nocli klarer verfolgen lassen
würde.
ABC
m m
a
f
j w in
Fig. 242. Furchungsstadieu von Lacerta ngüis (nach unpublizierten Zeichnungen
von Kupffer). J. //, in erste, zweite, dritte iFurchen.
Der Typus würde folgender sein : zunächst bilden sich die beiden
Meridionalfurchen — zwei von Kupffer's Zeichnungen lassen das
von ihnen gebildete Kreuz in typischer Weise erkennen — ; auf sie
folgen 2 Vertikalfurchen, welche zu einer der Meridionalfurchen nahezu
senkrecht, zur anderen nahezu parallel gestellt sind. Daß diese Xer-
Fig. 24H. Furchungsstadieu von Gly2)temys mculpta (nach Agassiz u. Clark).
tikalfurchen jemals durch den Eipol verlaufen und somit meridioual an-
geordnet sein sollten, wie Todaro (1893) angiebt, ist sehr unwahr-
scheinhch. Todaro's eigene Abbildungen lassen die gewöhnliche ver-
tikale Anordnung erkennen, was auch Sobotta hervorhebt. Wahr-
scheinlich folgt als No. 4 eine Teilung, welche latitudinal ist und
die centralen Enden der 8 radialen Keile abtrennt. Selten scheint
es bei Sauropsiden vorzukommen, w^as bei den Teleostiern die Regel
ist, daß die Latitudinalfurche in 2 zu den vorhandenen Vertikalfurchen
senkrechte, abermals vertikal verlaufende Furchen umgeformt wird.
Daß es aber vorkommt, geht daraus hervor, daß manchmal die
Furchungsprozeß. 07 1
charakteristischen 4 kreuzförmig gestellten, ringsum abgegrenzten cen-
tralen Blastomeren l)eobachtet werden, welche dieser Furchungsweise
ihre Entstehung verdanken (vgl. Fig. 230, 240 D).
In der Xatur ist das geschilderte Furchungsschema nur selten
in typischer Weise realisiert; viel häutiger sind Abweichungen,
welche meist sich bis in die Zeit der zwei ersten Meridionalfurchen
zurück verfolgen lassen, indem eine derselben — bei dem jetzigen
Stand unseres Wissens läßt sich nicht entscheiden, welche von beiden,
oder ob es vielmehr nicht bald die eine, Ijald die andere ist — rudi-
mentär ist oder nur einseitig oder überhaupt nicht ausgebildet wird.
Beispiele für einige dieser Möglichkeiten geben die Figuren 242.
243. Wird trotz vorangegangener Kernteilung eine der beiden
Meridionalfurchen ganz oder teilweise unterdrückt, so werden die
nunmehr auftretenden nächsten Vertikalfurchen eine andere Vertei-
lung des Protoplasma vorfinden , als es der Fall sein sollte, und
daher eine abnorme Anordnung gewinnen. Eine besonders häufige
Abweichung sei hier hervorgehoben ; sie tritt auch, wie ich nach-
träglich noch erwähnen möchte, bei Elasmohranchiern auf (Rückert
1899) ; sie beruht darauf, daß auf dem 3. Furchungsstadium eine
meridionale und eine vertikale Furche konvergieren und, zusammen-
treffend, schon um diese Zeit eine oberflächlich allseitig abgegrenzte
Elastomere erzeugen. Der Vorgang kann sich links und rechts von
der ersten Meridianfurche vollziehen. Die Folge ist, daß auf dem
Stadium der Achtteilung nur 7 oder auch nur (5 Randsegmente vorhanden
sind, weil das achte oder auch das achte und siebente Segment zu ab-
gegrenzten Blastomeren geworden sind. In seinen Anfängen ist dieser
Prozeß in Figur 242 B zu erkennen. Teilen sich die 2 Blastomeren
rascher als die Segmente, was bei ihrer geringeren Größe a priori
wahrscheinlich ist, so entstehen abermals 4 centrale Blastomeren. aber
auf einem anderen Weg, als es bei Teleosüem die Regel ist ; sie sind
umgeben, wie es Sarasin von der Eidechse abbildet, von 6 Rand-
segmenten.
Wenn man nun erwägt, daß auch einzelne Vertikalfurchen in ihrer
Entvvickelung unterdrückt sein können, so wird man verstehen, daß be-
sonders die radialen Blastomeren ungleich groß ausfallen, unregelmäßige
Formen annehmen und daher, wenn sie weiter abgefui'cht werden, in
einer gar nicht mehr genauer analysierbaren Form geteilt werden. Es
hat daher keinen Zweck, über die Anordnung der Furchen sich weiter
zu verbreiten, zumal da sie höchst wahrscheinlich gar nicht der Anord-
nung der wichtigeren im Innern sich vollziehenden Teilungsvorgänge
der Kerne entspricht. Mau kann daher nur sagen, daß, je mehr der
Furchungsprozeß fortschreitet, die radialen Furchen sich auf die peri-
pheren Partieeu der Keimscheibe ausbreiten, und das Centrum in immer
kleinere Elemente abgeteilt wird.
Vergleicht man die Art, wie dieses Fortschreiten des Furchungs-
prozesses bei Selachiem und Teleosüem einerseits, Sauropsiden anderer-
seits erzielt wird, so ergiebt sich ein bemerkenswerter Unterschied,
auf den Sobotta nachdrücklich aufmerksam gemacht hat : eine Scheibe
kleinzelliger Blastomeren wird bei den Sauropsiden von einem Kranz
gewaltiger keilförmiger Stücke eingefaßt, den Randsegmenten, die in
den ungefurchten Abschnitt der Keimscheibe übergehen , während
der Größenunterschied der Randsegmente und der abgefurchten Bla-
672 II. IIertwig,
stonieren bei SelacJiiern und Teleosiiern wenig ausgesi)ro(;hen ist. Auch
hier erinnert das Sauropsiden-FÄ an die Eier der durch Dotterreiclituni
besonders ausgezeichneten Ganoiden {Amia, Lepidosteus) zum Zeichen,
daß die Sonderung der Keimscheibe vom Dotter nocli nicht so weit
gediehen ist wie bei den beiden genannten Ordnungen der Fische.
An der Keimscheibe des Vogeleies kann man während der Ije-
schriebenen Stadien noch das vom reifen ungefurchten Ei iil)ernoni-
mene Aussehen erkennen, im Centrum den lichten PANDER's(;hen Kern,
nach der Peripherie einen an den Nahrungsdotter grenzenden dunklen
Hof. Ursache des PANDER'schen Kernes ist der von der Latebra auf-
steigende unter der Keimscheibe sich trichterförmig verbreiternde Strang
weißen Dotters.
Die Hj'pothese, daß die Kernteilung der Zellteilung vorauseilt und
diese daher einen arhythmischen Charakter annimmt, könnte vielleicht die
von Vay bestätigten Angaben Sarasin's (1883) erklären, daß die 8au-
rierfurchung ein Knospnngsprozeß ist, bei dem in ganz unregelmäßiger
Weise am Grrnnde der tieferen Furchen größere und kleinere Blastomeren
abgeschnürt werden. Indessen ist Vorsicht in der Verwendung von auf-
fälligen Angaben, besonders Avenn sie aus früherer Zeit stammen, geboten.
Man kann nie sicher sein, ob sie nicht auf jjathologisch entwickeltem
oder durch ungenügende Konservierung geschädigtem Material beruhen.
Letztere Annahme ist mir im vorliegenden Fall die wahrscheinlichere.
Denn es ist kaimi denkbar, daß in einigen Fällen ganze Nester von
kleinen Furchungskugeln am Gfrunde der größeren Furchen sich bilden
sollten, wie Sakasin es schildert, und daß derartige Knospen vorwiegend
peripher, manchmal sogar ohne Zusammenhang mit den übrigen Furchen
entstehen sollten. Was diese peripheren scheinbaren Furchungskugeln
anlangt, so muß noch mit einer weiteren Möglichkeit gerechnet werden,
daß die in der Peripherie der Keimscheibe vorhandenen Nebensperma-
kerne bei ihren Teilungen kleine, an Blastomeren erinnernde Höcker,
wenn auch nur vorübergehend, hervorrufen können. Die Möglichkeit
verdient um so mehr Beachtung, als Hakper (1902) für die Eier der
Taube nachgewiesen hat, daß die Nebenspermakerne in der Peripherie
der Keimscheibe eine „accessorische Furchung" veranlassen.
Ich habe noch einen besonderen Gfrund, dieser Vermutung hier Eaum
zu geben. Aehnliche Dinge, wie sie Sarasix beschreibt, finde ich auf
den zahlreichen Bildern von Furchungsstadien der Lacerta agüis, welche
mir KuPFFER zur Benutzung übergeben hatte, dargestellt. Es sind kleine
Höcker, die einzeln oder zu zwei sich aus dem Niveau der Keimscheibe
erheben, und zwar aus radialen Furchen, die zumeist einen kurzen Ver-
lauf haben. Die Furchen stehen manchmal mit dem centralen Furchen-
system in Zusammenhang; häufiger jedoch sind sie von ihm unabhängig:
sie liegen vielfach in der Peripherie zu einer Zeit, in welcher der Furchungs-
prozeß noch auf das Centrum der Keimscheibe beschränkt ist. Ich
finde die merkwürdigen Bilder auf eine ganz bestimmte Zeit des Fur-
chungsprozesses beschränkt ; sie fehlen bis zur Zeit der di-itten Furchen
imd sind nicht mehr vorhanden, wenn eine größere Zahl centraler Bla-
stomeren durch cirk^lläre Furchen abgeschnürt sind. Das ist nun die
Periode, in welcher wahi'scheinlich das Auswandern der Spermakerne aus
der Keimscheibe in den umgebenden Dotter vor sich geht. Denn für
eine Keimscheibe der Blindschleiche aus dem IV. Teilungsstadium hat
Oppel (^1892) festgestellt, daß die Spermakerne in großer Zahl noch in
Furchiingsprozeß. 67
o
ihr enthalten sind. Offenbar erfolgt die Verdrängung der überzähligen
Spermakerne im Reptilienei vermöge seines größeren Dottergehaltes später
als im Selachierei. Wie ich nachträglich sehe, erwägt auch Oppel die
Möglichkeit, die merkwürdigen Befunde von Sarasix über Knospungs-
vorgänge der .Sf/MnVr-Keimscheibe auf Xebenspermatozoen zurückzuführen.
Er denkt an veränderte Befruchtungstrichter (vergl. p. 559), was aber
wenig wahrscheinlich ist, da auf so vorgerückten Stadien diese Struk-
turen wohl schwerlich noch vorhanden sind.
Als eine Frage von allgemeinerem Interesse ist vielfach erörtert
worden, ob nicht schon auf den frühesten Stadien der Furchung eine
bestimmte Orientierung des Keimes nachweisbar ist. Für das Vogelei
hat sich herausgestellt, daß in ca. 75 Proz. der Fälle die Embryo-
nalanlage folgende ganz bestimmte Lagebeziehung zum Gesamtei
erkennen läßt. Legt man das Ei mit seinem stumpfen Pol nach links
und dem spitzen nach rechts, so wendet der zur Längsachse des Eies
senkrecht gestellte Embryo sein hinteres Ende dem Beschauer zu.
In circa 25 Proz. wich die Achse des Embryo ein wenig von dieser
Pachtung ab, sei es nach links oder nach rechts, (lanz außerordent-
lich selten kommt es vor, daß der Embryo in die Längsachse des Eies
eingestellt ist oder daß er, von der Normallage um 180^ abweichend,
dem Beobachter sein vorderes Ende zuwendet.
Leider läßt diese Art der Orientierung den Untersucher im Stich,
wenn es sich um Furchungsstadien handelt ; denn es fehlt um diese
Zeit je nach dem zur Untersuchung kommenden Stadium das Eiweiß
gänzlich oder zum Teil, vor allem ist die Schale noch nicht vorhanden
und damit auch eine feste Gestalt der Eiumhüllungen. Duval (1884)
glaubte diese Schwierigkeit beseitigt zu haben, indem er zu seiner
Untersuchung abgelegte Eier verwandte, von denen er annahm, daß
sie nicht befruchtet seien, weil die Hennen lange Zeit vom Hahn ge-
trennt gehalten waren. Er nahm an, daß die Furchung dann trotz
mangelnder Befruchtung eintrete und nur langsamer verliefe, wie
Oellacher (1870) es angegeben hatte; in der That erhielt er auf
diese Weise aligelegte Eier mit früheren Furchungsstadien, als es sonst
der Fall gewesen sein würde. Die Untersuchung stößt auf schwerwiegende
Einwände. Alle neueren Untersucher sind zum Resultat gekommen,
daß den Vogeleiern auch der geringste Grad parthenogenetischer Ent-
wickelungsfähigkeit mangelt. Hennen, welche niemals begattet wurden,
(virginale Hennen, Barfurth), legen Eier ohne irgend welche Anzeigen
von Furchung. So ist es wahrscheinlich, daß die von Duval unter-
suchten, sowie alle in der Litteratur erwähnten „parthenogenetischen
Eier'' befruchtet waren, aber nicht in normaler Weise, und infolge der
Abnormität in der Befruchtungsweise sich nur bis zu einem bestimmten
Stadium entwickelten. Das Abnorme der Befruchtung sucht man ge-
wöhnlich darin, daß in den Geschlechtswegen der Henne alternde
Spermatozoen mit geschwächter befruchtender Kraft enthalten waren.
Es ist aber auch die andere Möglichkeit gegeben, daß bei der geringen
Zahl von Spermatozoen die Eier lange Zeit warten mußten, ehe sie
befruchtet wurden, und daher gelitten hatten. Wir kennen nämlich
bisher mit Sicherheit nur abnorme Befruchtungen infolge von Schädi-
gung der Eier. Waren die Spermatozoen geschädigt, so befruchteten
sie entweder überhaupt nicht mehr: oder wenn sie noch befruchteten,
so verursachten sie stets eine normale Entwickelung. Wie man nun
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 43
674 R. Hertwig,
auch die Erklärung fassen mag, jedenfalls hatte Duval kein normales
Material vor sich ; es ist aber sehr bedenklich, von abnormem Material
Rückschlüsse auf normale Vorgänge zu machen.
Vielleicht sind die Eier anderer Vögel für die Entscheidung der
aufgeworfenen Erage günstiger als die Hühnereier. Die Eier der Vögel
werden nämlich nicht immer auf einem so weit vorgerückten Entwicke-
lungsstadium abgesetzt Avie das Hühnerei ; das Ei des Canarienvogels
z. B. erheblich früher (Rauber 1876). So könnte ein Objekt gefunden
werden, bei dem die Schale und demgemäß auch die Crestalt des Eies
auf einem frühen Furchungsstadium genügend entwickelt wäre, um eine
Orientierung zu ermöglichen. Für Saurier wird eine Oiientierung, wie
sie für Vögel bisher vergeblich versucht wurde, durch anderweitige Ver-
hältnisse erschwert; wie Kupffer und Bexeke (1878) mitteilen, hat
hier die Keimscheibe eine sehr wechselnde Lage auf dem ellipsoid ge-
stalteten Dotter ; bald trifft man sie auf einem Pol, bald in der Nähe
desselben, bald entsprechend dem Endpunkt der kurzen Achse. Aehnliche
Angaben macht Vav (1893) für Trojndonotus natrix.
Wenn es nun auch nicht geglückt ist, für frühe Furchungsstadien
eine sichere Orientierung zu gewinnen, so sind doch folgende Punkte
sichergestellt: 1) Sehr häufig erfolgt die Furchung excentrisch zur
Keimscheibe. Unter 22 Abbildungen Kupffer's von frühen Fur-
chungsstadien von Reptilien (meist Eidechsen) zeigen fast -1^ eine
deutliche excentrische Lage der Anfangsfurchen. Vielleicht ist sogar
die excentrische Lage des Schnittpunktes der beiden Meridioual-
furchen stets vorhanden, wenn auch nicht immer so deutlich, daß sie
sofort zu erkennen wäre. 2) In vielen Fällen haben die Beobachter
sich überzeugt, daß die eine Hälfte der Keim Scheibe kleinzelliger ist
als die andere. Daher ist es sehr wahrscheinlich, was Duval auch
beobachtet haben will, daß bei Sauropsiden das hintere Ende der
Keimscheibe frühzeitig nach der excentrischen Lage des Schnitt-
punktes der Furchungsmeridiane und später nach der kleinzelligeren
Beschaffenheit des Furchungsmaterials bestimmt werden kann. Auch
bei den Nattern ist nach Vay die sich zum hinteren Ende ent-
wickelnde Partie der Keimscheibe frühzeitig durch kleinzellige Be-
schaffenheit gekennzeichnet.
Wie alles dies an die Selachier erinnert, so auch die Lage der
Keimhöhle : es entstehen im Keim 2 Hohlräume, welche wir zunächst
wieder als Furchun gshöhle und Keim höhle auseinander halten
und deren Entwickelung wir im Zusammenhang mit der Ablösung der
Blastomeren vom Dotter besprechen wollen.
Beim Beginn der Furchung hängen alle Furchungskugeln noch
mit den tieferen, nicht abgefurchten Partien der Keirasclieibe zusam-
men. Wann bei Sauropsiden die ersten tangentialen Teilungen auf-
treten, welche vollkommen freie Blastomeren und mit dem Dotter
verbunden bleibende Stücke voneinander trennen, ist bei der ge-
ringen Zahl von Keimscheiben, welche auf frühen Stadien mittelst
der Querschnittsmethode untersucht worden sind, nicht mit Sicher-
heit zu sagen. Todaro läßt bei Se2)s chalcides schon bei der Tei-
lung der 8 Blastomeren in 16 Stücke die Sonderun g vor sich gehen.
Wahrscheinlich giebt diese Angabe den Zeitpunkt zu früh an. Min-
destens bei Vögeln erfolgt die Trennung später, da weder Duval noch
Furchungsprozeß. 675
KÖLLiKER (A. L. II, 1884) sie bei Hühnerkeimscheiben mit ca. 20
oberflächlich abgeteilten Blastomeren vorfanden.
Nach den übereinstimmenden Darstellungen Duval's und Kionka's
(1804) für Hühner und Todaro's für Saurier, welche wiederum mit
den bei Selachieni gewonnenen Resultaten gut harmonieren, kann man
es als sicher annehmen, daß zugleich mit der Ausbildung der Tan-
gentialteilung auch ein Spaltraum zwischen den beiden Zellschichten
deutlich wird, die Furch unushöhle. Im weiteren Verlauf werden
durch fortgesetzte Tangeutialteilungen von den mit dem Dotter
verbundenen Blastomeren weitere Zellen abgeschnürt, welche nach
DuvAL unterhalb der Furchungshöhle verbleiben sollen, während
KiONKA in derselben Weise wie Rückert bei Selachiern eine all-
mähliche Verschiebung der Furchungshöhle nach abwärts annimmt,
indem die neugebildeten Zellen sich immer wieder der ersten ober-
flächlichen Schicht dicht anfügen. Nachdem die Keimscheibe durch
fortgesetzte Teilung und Abfurchung eine bikonvexe Linse geworden
ist, läßt DuvAL zwischen dieser Zellenlinse und dem ungefurchten
Dotter einen neuen Spaltraum entstehen, die Keimhöhle (von ihm
„cavite subgerminale" genannt), in welcher er die erste Anlage der
Darmhöhle erblickt. Auch Kionka. der eine Verschiebung der Seg-
mentationshöhle annimmt, so daß diesell)e stets zwischen Blastoderm
und Dotter liegen muß, läßt die Keimhöhle als eine Neubildung ent-
stehen, nachdem die kurz zuvor an gleichem Ort gelegene Furchungs-
höhle geschwunden sei. In der Deutung der Keimhöhle stimmen
DuvAL und KiONKA überein, indem sie dieselbe für die Anlage der
Darmhöhle erklären.
Wie DuvAL und Kionka für das Hühnchen die Unterscheidung
von Furchungs- und Keimhöhle (Subgerniinalhöhle) durchführen, so
Mehnert (1891) für die Schildkröten ; er läßt die Keimhöhle durch
Verflüssigung des Dotters entstehen und von der Furchungshöhle
durch eine Zellenlage stets getrennt sein. Sobotta dagegen schildert
die Verhältnisse so, wie es oben für Selachier geschehen ist, und läßt
die Keimhöhle aus der Furchungshöhle unmittelbar hervorgehen.
Auch Vay stellt den Unterschied zwischen Furchungshöhle und Sub-
germinalhöhle in Abrede.
Nach Duval's Angaben, welche auch in den Abbildungen Köl-
liker's Bestätigung finden, scheint die Keimhöhle zuerst excentrisch
und zwar im Bereich des kleinzelligen Teiles aufzutreten, was aber-
mals die Auffassung stützt, daß der kleinzellige Teil dem hinteren
Embryonalende entspricht.
Allmählich dehnt sich die Keimhöhle unter der Keimscheibe aus;
zugleich vergrößert sich die Keimscheibe, indem sie über den Dotter
herüber wächst. Dabei wird ihr Zellmaterial über einen größeren
Raum ausgebreitet und zu einer dünnen Haut umgewandelt, an welcher
man eine oberflächliche Schicht nach Art eines kubischen Epithels an-
geordneter Zellen und eine Lage locker angeordneter rundlicher Zellen
unterscheiden kann. Nur am Rande ist die Keimscheibe zum Keim-
wall — ,,bourrelet blastodermique" — verdickt, und zwar durch
lokale Anhäufung der unteren locker gefügten Zellen.
Wir kommen schließlich noch zur Besprechung des Dotter-
syncjtiums, welches, wie bei allen Wirbeltieren mit meroblastischen
Eiern, so auch bei den Sauropsiden vorhanden ist.
43*
676 R. Hertwig,
Obwohl keine den Prozeß genauer verfolgenden Beobachtungen
vorliegen, so kann doch kaum ein Zweifel sein, daß man von Dotter-
kernen erst reden kann, wenn die letzten freien Blastomeren durch
karyokinetische Teilung von den mit dem Dotter verbunden bleibenden
Stücken abgeschnürt werden. Dies ist auch die Ansicht der Forscher,
welche auf die betreffende Frage eingehen (Rauber 1H76, Strahl
1887, Todaro, Sobotta 1897 u. a.). Der Prozeß vollzieht sich an
allen Stellen, an denen die Keimscheibe dem Dotter aufruht, so daß
sowohl ein centrales als auch ein peripheres Syncj'tium gebildet wird.
Immerhin ergeben sich Unterschiede im einzelnen ; in den Randpartien
unter dem Keimwall, im Bereich des Dotter walls scheinen reich-
lichere Dotterkerne aufzutreten als an anderen Stellen der Keimscheibe;
innerhalb des Dotterwalls wiederum scheint die Bildung von Dotter-
kernen in der vorderen Region reichlicher zu sein als in der hinteren.
Vorn ist daher der Zusammenhang von Keimscheibe und Dotterwall
ein innigerer als am entgegengesetzten Ende, wodurch abermals eine
Möglichkeit zur Orientierung in der Keimscheibe gegeben sein würde.
Die lockei^e Vei'bindung der Keimscheibe mit dem unter ihr liegenden
Dotter an einem Ende des Keimes ist Ursache, daß sich erstere hier
leicht von letzterem abhebt. Duval hält diese Ablösung für eine nor-
male Erscheinung ; er giebt an, daß die äußere Schicht (Ektoblast)
durch Umschlag hier in die innere Schicht (Entoblast) übergeht, und be-
trachtet diesen Vorgang als Gastrulation, die hierdurch eröffnete Keim-
höhle als Gastrulahöhle. Duval steht in dieser Auffassung allein, da
alle übi'igen Autoren in der lokalen Ablösung der Keimscheibe ein Kunst-
produkt erblicken.
Die Abfurchung der Keimscheibe zieht sich bei Sauropsiden länger
hinaus als bei irgend einem anderen Wirbeltier mit meroblastischen
Eiern, weshalb es auch spät zu einer Abgrenzung der Keimscheibe
zumal gegen den in der Peripherie angrenzenden Dotter kommt. Bei
der Abfurchung auf der unteren Seite des Keimes werden immer neue
Teile der ungefurchten Keimscheibe in den Prozeß hineinbezogen.
Schließlich findet man bei Vögeln abgelöste Blastomeren sogar an
Stellen, wo früher der weiße Dotter war. Ob man dies Verhältnis
ausdrückt, indem man von einer Abfurchung des weißen Dotters
(Goette) oder indem man von einer Umwandlung des weißen Dotters
in Keimscheibenmaterial (Kölliker) spricht, kommt im Endresultat
auf dasselbe hinaus. In den Endstadien dieser Abfurchung entstehen
vielfach große, dotterreiche Gebilde, „M egasp hären" (Rückert),
„Clasmocyten" (Mehnert), über die gestritten wird, ob sie schließlich
noch zu gewöhnlichen Blastodermzellen umgewandelt werden (Duval,
Kölliker), ob sie eine besondere Rolle spielen (Blutbildung nach
Goette) oder nach einiger Zeit zu Grunde gehen.
Ich habe die Dotterkerne, der herrschenden und wohl auch be-
rechtigten Auffassung folgend, ausschließlich als Furchungskerne ge-
deutet, welche bei der Loslösung der Blastomeren im Dotter zurück-
geblieben sind. Sie würden daher mit den Dotterkernen der Tcle-
ostier identisch sein, dagegen nicht mit den Dotterkernen der Elasmo-
hranchier, sofern wir für diese die Darstellung Rückert's annehmen.
Vollkommen klargestellt sind jedoch die Verhältnisse nicht; es bedarf
der Nachprüfung, ob nicht auch überzählige Spermakerne, wenn auch
nur vorübergehend, in den Dotterkerneu mit inbegriffen sind. Oppel
Furchungsprozeß. 677
vertritt zwar die Ansicht, daß die Speniiakerne während der Furchung
zu Grunde gehen. Er hat aber, wie mir sclieint, das Verschwinden der
Kerne in der Keimscheibe auf Aufh'isung derselben bezogen, ohne
genügend die Möglichkeit in Anrechnung zu bringen, daß die Erschei-
nung durch den üel)ertritt der Kerne in den Dotter bedingt sein
könne. Die Angaben Harper's für das Taubenei weichen von Oppel's
Angaben für Reptilien ab. Nach Harper geraten die Nebensperma-
kerne in den Dotter und teilen sich später als Dotterkerne auf
amitotischem Wege.
Säugetiere.
1) Monotremen. Rücksichtlich der Furchungsstadien der Mono-
tremen sind wir auf die äußerst dürftigen Angaben Caldwell's
(A. L. III, 10, 1887), vor allem aber auf die Darstellung Semon's
(A. L. III. 10, 1894) angewiesen, welch letzterer ein sehr beschränktes
Material behandelt, was bei der Schwierigkeit der Materialbeschaffung
begreiflich ist, dasselbe aber in vortrefflicher Weise ausgenutzt hat.
Im Uterus wächst das Ei der Monotremen durch Resorption
von Nahrung erheblich heran. Während Caldwell die Größe des
Ovarialeies auf 2,5 — 3,0 mm bestimmte, fand er frisch abgelegte Eier
15 mm, seltener nur 13 mm lang und 12 mm breit. Semon giebt
etwas größere Maße, 3,5 — 4 mm für das reife, resp. in der ersten Ent-
wickelung begriffene Ei, eine Länge von 15 — 167-i min für das ab-
gelegte. Der Größenzunahme entspricht eine Gewichtszunahme von
0,02 g auf 0,12. Alle Maßangaben beziehen sich auf das Ei oder den
Embryo nach Abzug der Schale.
Die Furchung ist eine diskoidale. Die ersten 2 Furchen stehen
senkrecht aufeinander und teilen die Keimscheibe in 4 gleich große
Stücke (Semon), während Caldwell angiebt, daß schon die ersten
2 Blastomeren ungleich seien, daß demgemäß bei der folgenden Teilung
ein Paar größere und ein Paar kleinere Furchungskugeln entstehen.
Auf dem Stadium von 24 Blastomeren sind diese noch sämtlich in
einer Schicht angeordnet. Später wird die Keimscheibe mehrschichtig
und nimmt die Form einer bikonvexen Linse an, deren stärkste
Wölbung in den Dotter eingegraben ist. Daß man auf diesem
Stadium nicht, wie Caldwell will , von Ektoblast und Eutoblast
sprechen kann, weist Semon durch die Untersuchung späterer Stadien
nach, auf denen das Zellmaterial sich wieder zu einer einzigen Lage
epithelartig angeordneter Zellen umgruppiert hat. Diese dünne Zellen-
lage schiebt sich über den der Keimscheibe unterlagernden weißen
Dotter hin, von ihm durch keine subgerminale Höhle getrennt, höch-
stens hie und da durch Flüssigkeitsräume, welche offenbar durch Er-
weichung des Dotters entstanden sind.
Sehr auffallend ist die scharfe Scheidung von Blastoderin und
Dotter. Auch auf vorgerückteren Entwickelungsstadien fand Semon
keine Dotterkerne, wie sie sonst bei diskoidal gefurchten Eiern be-
obachtet wurden.
2) Mar supialier. Die ersten Entwickelungsstadien der Beutel-
tiere wurden bisher nur von E. Selenka (A. L. III, 10, 1886) im
Zusammenhang untersucht. Als Untersuchungsmaterial wurde /las
Opossum, Bidelphys virginiana, verwandt.
()78 II. Hertwig,
Die Eifurchung beginnt auffallend spät nach der Begattung, näm-
lich nach 5 Tagen. Die Eier sind in dieser Zeit schon durch die
Eileiter gewandert und in das von seriiser Flüssigkeit stark gedehnte
Uterushorn eingetreten ; sie sind von einer undeutlichen Zona radiata
umhüllt. Nach außen von derselben liegt ein gewaltiger Eiweißmantel,
welcher unregelmäßig konzentrisch geschichtet ist; nach außen von
diesem wiederum folgt ein einschichtiges Epithel von Granulosazellen,
welche im oberen Abschnitt des Eileiters in der Zeit der Befruchtung noch
deutliche Protoplasmakörper mit Kernen sind, später aber zu einer zu-
sammenhängenden, von Kernen durchsetzten Membran, der Granulosa-
membran, umgewandelt werden. Es ist dies offenbar dieselbe Mem-
bran, welche von Caldwell als kernlos beschrieben und als Aeijuivalent
der Eischale der Monotremen gedeutet wird. Ein Perivitellinraum
ist anfangs schwach entwickelt, dehnt sich aber während der Fur-
chungsstadien enorm aus, um später, wenn die Embryonalanlage sich
vergrößert, aufs neue eingeengt zu werden.
Das Stadium von 4 Furchungskugeln erinnert außerordentlich an
das korrespondierende Stadium von Amphibien und ist offenbar durch
das Durchschneiden von 2 Meridionalfurchen entstanden. Die 4 Bla-
stomeren sind untereinander von gleicher Größe, jede einzelne ist nach
dem einen Ende, dem animalen, etwas verjüngt und enthält hier den
Kern, während die vegetative Seite dotterhaltig ist. Der Dotterreich-
tum der Zellen in dem nach dem vegetativen Pol zugewandten Teil
der Zellen veranlaßt auf späteren Stadien eine, wenn auch nicht sehr
ausgeprägte, Ungleichheit der Furchungskugeln. Dieselbe fehlt noch
auf dem Stadium von 8 Furchungskugeln mit der einzigen Ausnahme,
daß eine Blastomere etwas kleiner ist als die übrigen, kommt aber auf
dem Stadium von 42 Furchungskugeln in der Weise zum Ausdruck, daß
die Zellen vom animalen zum vegetativen Pol allmählich an Größe
zunehmen. Eine Furchungshöhle ist um diese Zeit vorhanden, sie
kommuniziert nach außen noch durch einen am vegetativen Pol gelegenen
Blastoporus. In der Furchungshöhle liegen außer einem zarten Ge-
rinnsel kleine kernlose Dotterballen und eine einzige aus dem Blasto-
derm herausgetretene Zelle, deren Austritt aus dem Niveau der
übrigen Zellen vielleicht die Bildung des Blastoporus veranlaßt hat.
Auf dem Stadium von Qd> Blastodermzellen ist der Blastoporus ge-
schwunden, und es beginnt nunmehr das Gastrulastadium sich vorzu-
bereiten.
Von den Angaben Selexka's vi^eiclit in ganz auffälliger Weise das
Wenige ab, was Caldwell über die Eifurchung von Phascolardos cinereus
sagt. Trotz seiner Kleinheit (0,3 mm) soll das Ei eine diskoidale Fur-
chung besitzen : auch sollen die 2 ersten Meridionalfurchen die Keim-
scheibe derart abteilen, daß nicht 4 gleiche, sondern 2 größere und 2
kleinere Blastomeren gebildet v^erden. Pliascolardos soll auf diesen Ent-
wickelungsstadien sich ganz wie die Monotremen verhalten. Auch die
Schilderung, welche Selexka in einer vorläufigen Mitteilung (1883) ge-
geben hat, stimmt nicht ganz mit seiner späteren ausführlicheren Dai*-
stellung überein. In jener heißt es : „Die Eier halten die Mitte zwischen
den meroblastischen und holoblastischen. Während der Furchung sam-
melt sich nämlich am aplastischen Eipole ein Nahrungsdotter an, welcher
anfangs ganz außerhalb des Ektoderms liegen bleibt, 3 Tage später
jedoch durch benachbarte Ektoderm- undMesodermzellen umwuchert wird."
Furchungsprozeß. 679
3) Placentalier. Wie bei den beiden anderen Sängetierord-
nungen, so ist anch bei den Plarenialieni die Sclnvierigkeit der Ma-
terialbeschattiing nnd die Unmöglichkeit, die Vorgänge am lebenden
Organismus zu verfolgen und ein Stadium aus dem anderen hervor-
gehen zu sehen, Ursache geworden, daß wir nur unvollkommen über
den Verlauf des Furchungsprozesses unterrichtet sind. So fehlt es
noch immer an einer gut begründeten einheitlichen Autiassung der
einschlägigen Vorgänge.
Eine einheitliche Auffassung hat zuerst E. Van Beneden (1875,
1880) versucht, dem wir die erste zusammenhängende Darstellung
des Furchungsprozesses verdanken, nachdem zuvor nur isolierte Be-
obachtungen von Barry (A. L. III 10, 1838) Bischoff (A. L. III 10)
beim Kaninchen (1842), beim Hund (1845), Meerschivemchen (1852),
Reh (1854), von Reichert beim Meerschweinchen (A. L. III 10 1862)
gesammelt worden waren. Nach Van Beneden soll sich das Ei des
Kaninchens in 2 Blastomeren von meist ungleicher Größe teilen, von
denen die kleinere in ihrer späteren Eutwickelung den Entoblast, die
größere den Ektoblast liefern soll. Die Ektoblastzelle unterscheidet
sich von der Entoblastzelle durch geringere Durchsichtigkeit und
stärkere Färbbarkeit in Osmiumsäure und Karmin ; sie geht, wie in
einer späteren mit Julin (1880) gemeinschaftlich veröffentlichten Arbeit
über die Eutwickelung der Fiedermäuse hervorgehoben wurde, in
ihrer Teilung voraus, so daß vorübergeheud ein Stadium von 3
Blastomeren erreicht wird. Auf dem Stadium der 4 Blastomeren
steht eine Linie, welche die Centren der „ektodermalen" Tochter-
zellen verbindet, senkrecht zu einer in gleicher Weise durch die
..Entoblastzellen'' gezogenen Liuie. Mit der folgenden Furchung tritt
eine Verschiebung der Zellen ein derart, daß eine Entoblastzelle
in das Centrum tritt und auf einer Seite von 4 Ektoblastzelleu, auf
der anderen von den 3 übrigen Entoblastzellen umgeben wird.
Indem nun auf den folgenden Furchungsstadien die Ektodermzellen
immer etwas den Entodermzellen vorauseilen , werden letztere von
ersteren immer mehr umwachsen, bis schließlich das Stadium der „M eta-
gast rula" erreicht wird, w^elchem Van Beneden eine große Be-
deutung beimißt. Es besteht aus einem soliden Haufen entoblastischer
Zellen, welcher von einer epithelartig angeordneten Lage ektoblastischer
Zellen unüiüUt wird. Die äußeren Zellen sind kleiner und lichter,
die inneren größer und trüber. An einer Stelle ist die Ektoblast-
schicht ein wenig unterbrochen, so daß hier die Entoblastschicht die
Oberfläche erreicht. Dieser Punkt soll den Gastrulamund repräsen-
tieren und der Stelle entsprechen, nach welcher hin die Ektoblast-
umwachsung vor sich gegangen ist.
Die Auftassuug Van Beneden's, daß bei der Eifurchung der Säuge-
tiere frühzeitig eine Sonderung in Entoblast und Ektoblast eintrete
und auf dem Stadium der Metagastrula klar zum Ausdruck komme,
hat vorübergehend lebhafte Zustimmung gefunden, ist aber aus Grün-
den, welche zum größten Teil erst in dem die Gastrulation behandeln-
den Kapitel entwickelt werden können, von den meisten Forschern
wieder preisgegeben worden. E. Van Beneden (1899) selbst hält
nicht mehr an ihr fest. Dagegen hat sie Duval (A. L. III, 10, 1895)
neuerdings wieder aufgenommen und durch Untersuchungen an Fle-
dermäusen versucht den Beweis zu erbringen, daß schon auf dem
ersten von ihm untersuchten Stadium, dem Stadium der Vierteilung,
680
R. Hertwig,
zwei sich dunkler färbende Entoblastzellen und zwei lichtere Ekto-
blastzelleu unterschieden werden können. Nur darin weicht er von
Van Beneden ab, daß er die Entoblastzellen die größeren sein
läßt. Mit fortschi'eitender Teilung, bei welcher die Ektoblastzellen
immer den Entoblastzellen voraus sind, tritt die Umwachsung der
ersteren durch die letzteren ein. Den Punkt, an welchem schließlich
Fig. 24:]. Furcliung des Flederinauseies bis zur Bildung der Metagastrula
nach DüVAL.
der Verschluß des umwachsenden Entoderms vor sich geht,
DuvAL am entgegengesetzten Pol wie Van Beneden. Letzterer
die Verschlußstelle an dem Pol, an welchem bei der
Keimes zur Vesicula blastodermica der zur Bildung der
findet
suchte
des
Keimscheibe
Umbildung
betreffenden
in die Neuzeit
Punkte :
dienende Zellenhaufen liegt, Duval sucht dagegen den
Punkt an dem von der Keimscheibe abgewandten Pol.
Wenn auch Van Beneden seine Deutung der Säugetierfurchung
als einer frühzeitigen (lastrulation preisgegeben hat, so hat er doch
die Giltigkeit seiner Befunde für das Kaninchen bis
beibehalten unter besonderer Hervorhebung folgender
1) daß die Furchung von Anfang an inäqual ist;
2) daß sich während der Furchung eine Epibolie vollzieht, indem
eine Kalotte lichterer Blastomeren bestrebt ist, eine Gruppe dunklerer
Blastomeren zu umwachsen ;
3) daß bis zum Ende der Furchung. manchmal sogar bis in die
Zeit, in welcher sich der Keim zur Vesicula blastodermica aushöhlt,
eine Oeffnung in der äußeren Hülle besteht, welche schließlich voll-
kommen geschlossen wird. Dies ist die Oeffnung, welche Van Be-
neden früher Blastoporus genannt hat.
Indessen auch die dr'ei soeben hervorgehobenen Punkte sind nicht
unbestritten geblieben. Van Beneden (1899) selbst hat bei Fleder-
mäusen sich nicht mit Sicherheit von einer Epibolie überzeugen können ;
er hat nur Andeutungen eines derartigen Prozesses entdecken können ;
er ist immerhin geneigt, eine Epibolie anzunehmen, da Duval l>ei dem
gleicheir Untersuchungsobjekt glücklicher gewesen sei und sich von
der Gegenwart der Epibolie habe überzeugen können. Jedenfalls sei
auch bei den Fledermäusen ein centraler Kern von Zellen von einer
oberflächlichen Zelllage umhüllt. Es sei jedoch kein Blastoporus,
ein Ort, an dem die inneren Zellen zu Tage treten, differenziert.
Was Duval als Blastoporus abbilde, sei ein durch Verletzung ent-
standenes Artefakt.
Heape (A. L. III, 10, 1883), wohl der erste, welcher die Lehre
Van Beneden's von der Metagastrula als irrtümlich bekämpft hat,
fand, daß die Eifurchung beim Maulwurf ganz unregelmäßig sei, so
Furchungsprozeß. ß81
daß z. J]. die beiden ersten Blastonieren bald i-leich jiroß, bald nngleich
im letzten Fall bald wenig, bald erheblich in der Größe unter-
schieden seien. Auch auf späteren Stadien seien größere und kleinere
Zellen durcheinander gemischt. Zum Schluß der Furchung sei eine
Sonderung des Keimniaterials in eine äußere lichtere Zellschicht und
eine innere an einer Stelle (Blastoporus Van Beneden's) an der Ober-
fläche hervortretende trübere Masse ~ welche nach Heape sowohl
Ektoblast als auch Entoblast liefert — vollzogen ; aber das ver-
schiedene Aussehen der Zellen habe sich ei'st allmählich entwickelt,
indem von den anfänglich gleich aussehenden Blastomeren die ober-
flächlich gelegenen sich aufgehellt hätten.
Wohl die ausgedehntesten Untersuchungen über die Furchung
des Säugetiereies verdanken wir Asshetox, welcher Kaninchen (1894),
Schaf (1898a) und Sclnvein (1898bj untersucht hat. Er ist ebenfalls
zu dem Resultat gekommen, daß auf Unterschiede in der Größe und
in der Färbbarkeit der Zellen während der Furchungsstadien kein
Wert gelegt werden könne. Beim Kaninchen sind bei den ersten zwei
Blastonieren meist geringfügige Größenunterschiede vorhanden ; da
aber auch im weiteren Verlauf Größenunterschiede zwischen den Ab-
kömmlingen einer und derselben Mutterzelle vorkommen, die Tei-
lungen außerdem nicht synchron verlaufen, ist es unmöglich, auf vor-
' - Fig. 244. Furchungsstadien
des Sctiafes nach Asshetox.
gerückteren Stadien für die Furchungskugeln auf Grund ihrer Be-
schaffenheit festzustellen, auf welche der beiden primitiven Blasto-
meren sie zurückgeführt werden müssen. Für das Schwein bildet Asshe-
TON ein Stadium der Zweiteilung ab, auf dem beide Teilprodukte
untereinander gleich sind, nicht nur in Größe, sondern auch in Ge-
halt an Nahrungsdotter. In beiden Blastonieren bildet der Nahrungs-
dotter eine ölige Masse, welche eine schmale Rindenschicht und eine
vom Kern eingenommene lichte Mitte frei läßt.
Färbungsunterschiede in den Elastomeren fand Assheton beim
Schaf auf vorgerückteren Furchungsstadien: nämlich größere lichte
Zellen neben kleineren dunkler gefärbten. Erstere gehörten der
Innenschicht der soliden Morula an. bildeten dieselbe aber nicht allein,
da auch die zweite Zellenform an ihr beteiligt war, so daß die Unter-
scheidung zwischen lichten und dunklen Zellen sich nicht, wie ^'AN
682 R. Hertwig,
Beneden, Duval und Heape angeben, mit der Unterscheidung-
äußerer und innerer Zellen decken würde.
Die Lehre Van Beneden's, daß schon beim ersten Teilungsschritt
ungleiche Blastomeren resultieren, hat eine weitere Erschütterung er-
fahren durch die Untersuchung Keibel's (1888) über den Igel, Ta-
FANi's (1888, 1889) und Sobotta's (1893, 1895) über die 31aus. Die
drei genannten Forscher fanden, daß die beiden ersten Furchungs-
kugeln nach soeben beendigter Teilung untereinander gleich seien.
tSoBOTTA fand aber zugleich die Erklärung für die immer wieder
mit aller Bestimmtheit auftretende Angabe, daß eine der Furchungs
kugeln größer sei als die andere: nach beendeter Teilung wächst
die eine Furchungskugel heran, gewinnt ein lichteres Aussehen
ihres Protoplasma und teilt sich früher als die andere, was zur Folge
hat, daß man so häutig ein aus 3 Zellen bestehendes Furclmngssta-
dium findet. Der Teilung der herangewachsenen Blastomere folgt
nach einiger Zeit die Teilung der zweiten Blastomere, und zwar
in einer ganz merkwürdigen Richtung. Die Spindel liegt nicht, wie
es sonst beim Furchungsprozeß der Wirbeltiere zu sein pflegt, der
Ebene parallel, in welcher die Spindel der ersten Furchungskugel bei
ihrer Teilung eingestellt war, sondern steht senkrecht zu ihr, so daß
Tafani (1889) von einer „Aequatorialfurche" hat reden können. Das
Resultat dieser Teilungsweise ist, daß die Furchungskugeln des vierzelligen
Stadiums, wie es auch Tafani und Assheton abgebildet haben, nach Art
von Kanonenkugeln aufeinander liegen; drei liegen in einer Ebene, die
vierte liegt darüber. Nunmehr teilen sich die zwei zuerst entstandenen,
inzwischen wieder herangewachsenen Blastomeren aufs neue, später
die zwei kleineren ; aber auch bei diesem Furchungsakt sind die Ebenen
nicht gleichartig orientiert, sondern die Teilebene der einen Blastomere
steht senkrecht auf der Teilebene der anderen. Offenbar findet schon auf
diesen frühesten Stadien der Entwickelung eine Ernährung des Säuge-
tierkeimes statt, welche bei den einzelnen Blastomeren nicht in gleicher
Weise vor sich geht. Da einige Blastomeren rascher wachsen als
andere, und ihre Teilung dadurch beschleunigt wird, entstehen Grup-
pierungen ganz anderer Natur und dementsprechend auch ganz
andere Bedingungen der Teilung, als wir sie sonst bei Wirbeltieren
treffen. Die Folge hiervon ist, daß im Lauf der Furchung Zahlen der
Blastomeren entstehen , wie wir sie sonst nicht zu treffen pflegen
außer den Zahlen 2, 4, 8 etc., Zahlen 3, 6, 12, manchmal auch
7, 9, 10 etc., daß ferner die Furchen in ihrer Anordnung gar keinen
Vergleich mit den gewöhnlichen Furchen (meridionalen , äqua-
torialen, latitudinalen etc.) gestatten. Wir finden ähnliche Erschei-
nungen bei den sogenannten „zusammengesetzten Eiern'' der Platt-
würmer, bei denen auch das kleine dotterarme Ei von den Dotter-
zellen aus frühzeitig ernährt wird und daher einen ganz abnormen
Furchungstypus entwickelt. Unter diesen Verhältnissen ist es ganz be-
greiflich, wenn Sobotta zu dem Resultat gelangte, daß bei der Maus
gar kein Zusammenhang zwischen der Lage der Furchungsebene und
der Symmetrieebene des späteren Embryo vorhanden sei.
HuBREciiT (1902) hat neuerdings abermals versucht, der verschie-
denen Größe der Furchungskugehi eine verschiedene j)rospektive Be-
deutung zuzuschreiben. Er spricht als Vermutung aus, es möge die
größere Zelle, die auch durch besondere Größe des Kernes ausgezeichnet
sei, die Anlage des „Trophoblasts", die kleinere dagegen die Anlage des
Purchungsprozeß. 683
„Embryonalknotens" sein (vergl. das Kapitel überGastrulation). Ich glaube,
man kann jetzt schon sagen, daß diese Vermutung alle Wahrscheinlich-
keit gegen sich hat.
Während der Furchungsstadien wandern die Eier durch den
Ovidukt, je nach den einzelnen Arten mit verschiedener Geschwindig-
keit, l^oi der Maus langt das Ei 3 Tage nach der Befruchtung zur
Zeit, wo die 16 Zellen zu 32 werden, im Uterus an, manchmal
etwas später, seltener früher. Aehnlich verhalten sich Meerschwein-
chen und Kaninchen. Bei anderen Säugetieren geht die Wanderung
rascher zu Ende; heim Igel z.B. fandKEiBEL das Stadium von 2 Zellen
schon im Uterus; desgleichen Van Beneden bei Fledermäusen und
Hubrecht (18i^t5) bei dem Insektenfresser Tupaja javanica: bei dritten
P'ormen wiederum gelangt das Ei später in den Uterus, beim Hund
8—10 Tage nach der Begattung. Die Eier von Tarsius spectrum
erreichen nach Hubrecht (l<.>U2j noch im Eileiter, und zwar in dem
Endabschnitt desselben, das Stadium von 48—64 Teilstücken.
Aehnliche Variabilität herrscht bezüglich der Eihüllen. Wenn
das Ei am Anfang des Ovidukts befruchtet wird, besitzt es (vergl.
p. 564) noch Reste des Discus proligerus in Form der „Corona ra-
diata'\ Allmählich schwinden die Granulosazellen, welche bei zwei-
geteilten Eiern nur selten noch in Resten vorhanden sind. Die Zona
pellucida bildet dann zunächst die einzige Eihülle; sie kann lange
Bestand haben und sogar durch Auflagerung von Eiweißschichten
noch eine Verstärkung erfahren, wie beim Kaninchen. Beim Ei der
Maus schwindet sie schon auf dem 8-Zellenstadium, so daß von da
ab der Keim völlig hüllenlos ist (Sobotta 1902); doch kann auch
die Eihülle bei Eiern mit 16-18 Blastomeren noch vorhanden sein
(Sobotta 1902). Wie bei den Nagern, so herrschen auch bei den
Inseliiivoren ■ große Unterschiede. Bei Sorex (Hubrecht) und Tal2m
(Heape) ist die beginnende Keimblase noch von einer kräftigen Zona
pellucida umhüllt; bei Tupaja konnte sie Hubrecht (1895) aus-
nahmsweise noch auf vorgerückteren Stadien finden, in der Regel ver-
mißte er sie schon auf frühen Furchungsstadien ; und zu dem gleichen
Ergebnis (keine Zona pellucida selbst bei Befruchtungsstadien, ab und
zu Persistenz derselben in vorgerückter Eutwickelung) gelangt er bei
Tfirsius spectrimb (1902). Van Beneden, dem die verschiedenen Be-
funde rücksichtlich der Zona ebenfalls aufgefallen waren, suchte sie
aus verschiedener Konservierung zu erklären auf Grund der Wahr-
nehmung, daß Säuren die Zona lösen. Hubrecht und Sobotta sind
nicht dieser Ansicht, da sie die Unterschiede auch bei Material be-
obachteten, welches ohne Säuren konserviert war.
Nur noch historisches Interesse besitzen zwei Angaben Bischoff's
(1852, 1854). Beim Meerschweinchen und Reh glaubte derselbe beobachtet
zu haben, daß alle Fnrchungskugeln im Uterus wieder untereinander ver-
schmelzen, ehe die definitive Zellbildung erfolgt. Beim Meerschiveinchen
beobachtete er gemeinsam mit Leuckart Rotationen des Eies und glaubte
daß dieselben durch Flimmerung hervorgerufen seien. Es liegt nahe an
anklebende Flimmerzellen des Eileiters zu denken.
Im Lauf der Furchung entwickelt sich, wie wir oben gesehen
haben, ein solider Zellenhaufen, welcher aus wenigen centralen Zellen
und einer Umhüllung von ebenfalls wenigen Zellen besteht. Dieses
von Van Beneden und später von Duval als epibolische Gastrula
684 R. Hertwig,
gedeutete Morulastadinm wächst durch Teilung- der äußeren und
inneren Zellen heran; es entwickelt sich zur 131astula, indem sich ex-
centrisch ein mit Flüssigkeit eifüllter Hohlraum bildet , sei es
<lurch Zusammenfließen mehrerer anfangs getrennter (intercellularerV)
Flüssigkeitsansammlungen (Van Beneden, Sobotta, 1902), sei es durch
Dehiscenz, indem auf einer Seite zwischen der inneren Zellenmasse
und der Rinde ein Spaltraum entsteht (Hubrecht). So wird
eine einschichtige Zellenblase erzeugt, deren Wand an einem Pol zum
Embryonalknoten (Hubrecht) verdickt ist. Ihre Umbildung
zur Gastrula soll im nächsten Kapitel besprochen werden.
Geschichtliches über den Fiiichuiigsprozeß.
Wie schon in der Einleitung hervorgehoben wurde, ist der Furchungs-
prozeß von Prevost und Dkmas (A. L. I 1824) am Proschei entdeckt
worden. Man hat zwar ausfindig gemacht, daß schon Swammkrdam die
Zweiteilung des Prosclieies beschrieben und abgebildet, und daß auch
RöSEL v. RosENHOF (A. L. I 1758) die gleiche Erscheinung beim Ei
des Laubfrosches aufgefunden hat. Wie wenig aber auf diese fragmen-
tarischen Beobachtungen Wert gelegt Averden kann, geht daraus hervor,
daß SwAMMBRDAM (A. L. I 17.37 — 38), in den Vorstellungen der Präfor-
mationstheorie befangen, in der Teilung des Eies eine Teilung des kleinen
Pröschchens durch eine Palte in zwei Teile erblickte, und daß Rösel
V. RosEXHOF von den Eiern andei'er Batrachier hervorhebt, daß ihr Dotter
sich nicht verändere. Und so bleibt denn den französischen Gelehrten
die Ehre unbenommen, die Erscheinung zum erstenmal im Zusammenhang
und in ihren verschiedenen Phasen beschrieben zu haben, und zwar in
einer Weise, daß das Interesse der Forscher dem Vorgang von run an
dauernd gewahrt blieb.
Während Prevost und Dumas, deren Angaben von Ruscoxi
(A. L. III 7, 1826) bestätigt wurden, sich mit der Schilderung des
Furchenbildes genügen ließen, gelangte C. E. v. Baer (A. L. I 1834)
zu der wichtigen Erkenntnis, daß die Furchen durch die Eikugel durch-
schneiden und sie schließlich in zahlreiche kleine, infolge tangentialer
Teilung in mehreren Schichten um einen Hohlraum gruppierte Teile zer-
legen. Er faßt den Furchungsprozeß als die Zerlegung einer lebendigen
Kugel in zahlreiche Individualitäten auf, aus denen sich dann ein neues
Individuum aufbaut, und vermutet, daß der gleiche Vorgang sich bei
allen Organismen Aviederfinden werde.
Diese Vermutung wurde vollkommen bestätigt, und zwar zunächst
durch Untersuchungen an Säugetieren und Fischen. Für die Säugetiere
wiesen nahezu gleichzeitig Bischoff (1838) auf der Naturforscherversamm-
lung zu Freiburg und Barry (A. L. III 20, 1838—1840) den Furchungs-
prozeß in einer dem Furchungsprozeß der Amphibien ähnlichen Form nach,
Bischoff vor allem an einer ganzen Reihe von Arten (A. L. III 1842
— 1854). Die Untersuchungen an Fischen (Rusconi, A. L. III 4, 1836,
C. Vogt, A. L. III 4, 1842) forderten zugleich die wichtige Erkenntnis, daß
hier nur ein Teil des Eies, die Keimscheibe, geteilt werde, eine Erkennt-
nis, welche durch Kölliker's (A. L. II 1844) Untersuchungen über die
Entwickelung der Ceplialopoden erweitert und vertieft wurde und denselben
zu der Unterscheidung der „partiellen-' und „totalen" Eifurchung ver-
anlaßte. luden Jahren 1848 — 1859 erschien dann das große Werk Coste's
über die allgemeine und specielle Entwickelungsgeschichte der organisierten
Furchungsprozeß. 685
Wesen, in dem die jiartielle Furchung auch für das Hühnerei erwiesen
wurde. Am S]jätesten wurde der Furchungsprozeß für die Reptilien ge-
nauer beschrieben und abgebildet, und zwar durch Agassiz und Clark
am Ei der Schildkröten (A. L. III 8, 1857). Doch hatte schon vorher
Köi.LiKEK, wie Leydki (1848) mitteilt, an einem Eidechsenei die Anwesen-
heit von 6 Furchungsh (igeln festgestellt. Wie in der gleichen Zeit auch
der Furchungsprozeß in den verschiedensten Abteilungen wirbelloser Tiere
aufgefunden wurde, dies zu besprechen liegt außerhalb des Rahmens dieser
Darstellung.
Die Unterscheidung von Eiern mit partieller und solchen mit totaler
Furchung führte zu der Aufstellung, daß in ersteren Substanzen ver-
schiedener Bedeutung enthalten seien. Reichert (1846) nannte dieselben,
um ihre Funktion zu charakterisieren, B i 1 d u n g s d o 1 1 e r und Nahrungs-
dotter; später nannte Remak (A. L. I 1850 — 1855) die Eier mit
totaler Furchung holoblastisch, die Eier mit partieller Furchung
meroblastisch. Nachdem A^ax Bexeden (1870) die Bedeutung des
Nahrungsdotters für den Furchungsprozeß genauer erläutert hatte, ent-
warf Haeckel (A. L. I 1875) ein übersichtliches Schema der ver-
schiedenen Arten der Furchung ; er . unterschied unter den holobla-
stischen Eiern solche mit „äqualer" und „inäqualer" Furchung, unter
den meroblastischen Eiern solche mit „diskoidaler" und ,,superficieller"
Furchung. Für die verschiedene Anordnung des Dotters, welche diesen
Formen der Furchung zu Grunde liegt, führte Balfour (A. L. II 1880)
die Namen „alecithal", „telolecithal", „centrolecithal" ein.
Viel interessanter als die Darstellung des Entwickelungsgangs, den
unsere Kenntnisse vom Verlauf des Furchungsprozesses genommen haben,
ist die Geschichte der Auffassungen von der Bedeutung des
wichtigen Vorgangs. C. E. v. Baer sprach die Vermutung aus, daß
der Furchungsprozeß den Zweck habe , die Wirkungsweise der Be-
fruchtung zu erhöhen, indem er durch Zerteilung der Eimasse in viele
kleine Stücke diese in viel innigere Beziehung mit der befruchtenden
Flüssigkeit bringe. Mit Recht lehnte Ruscoxi diese Auffassung ab mit
der Begründung, daß der Furchungsprozeß eine Folgeerscheinung, keine
Vorbereitung der Befruchtung sei. Im weiteren Verlauf wandte sich das
Interesse der Forscher von dieser physiologischen Betrachtungsweise ab
und mehr der Frage nach der morphologischen Bedeutung der Furchung zu.
Die Uebertragung der Zelltheorie auf das Tierreich durch Schwann
(A. L. I 1839) nötigte auch die Embryologen, sich mit dem Problem
auseinanderzusetzen, in welcher Weise das Ei und die Furchuno-skueeln
vom Standpunkt der Zellenlekre aus zu beurteilen seien.' Schwann selbst
hatte zwei Möglichkeiten in Erwägung gezogen: entweder ist das Keim-
bläschen die Zelle, der Keimfleck der zugehörige Kern, oder das ganze
Ei ist als Zelle, das Keimbläschen als Kern, der Keimfleck als Kern-
körjDerchen zu deuten. Von der Entscheidung dieser Frage würde dann
weiter die Auffassung der Furchungskugeln abhängen. In einer Nach-
schrift zu seinem Epoche machenden Werk neigt sich Schwann, freilich
nicht auf Grund eigener Untersuchungen, sondern gestützt auf die An-
gaben R. Wagener's über die Oogenese der Insekten, der zweiten Auf-
fassung zu („Die Deutung des Keimblächens als Kern der Eizelle scheint
mir daher kaum zweifelhaft-').
Im Verlauf der vierziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts haben
beide von Schwann als möglich hingestellten xlnffassungen ihre Ver-
treter gefunden, ohne daß es geglückt wäre, für die eine oder die andere
G8ß R. Hertwig,
triftige Beweise bei/ubringen. Die Gründe hierfür sind in den beiden
Fundamental -Ii'rtümern des Schwann -ScuLEiDEN'schen Zellbea'riffs zu
suchen, 1) daß das Wichtigste an der Zelle ihre Membran sei, und 2)
daß eine Zelle sich innerhalb einer Zelle (endogen) oder außerhalb einer
solchen (exogen) im Cytoblastem neubilde auf eine Weise, welche man
als eine Urzeugung der Zelle bezeichnen könnte. Daß die Furchungs-
kugeln sich durch Teilung vermehren, eine Erscheinung, welche für uns
jetzt ein sicherer Beweis ihrer Zellnatur ist, war bei den damals herrschen-
den Auffassungen ein Hauijthindernis, ihre Zellnatur zu erkennen. Dazu
kam, daß man an ihnen keine Membran nachweisen konnte , was aber-
mals mit dem Zellbegriff unvereinbar zu sein schien. Wer, eingelebt in
den durch die Protoplasmatheorie völlig umgewandelten Zellbegriff', an
das Studium der Furchungslitteratur der ersten Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts herantritt, wird große Schwierigkeiten empfinden, sich in den
Gedankengang der damaligen Zeit einzuleben.
Der hauptsächlichste Vertreter der Richtung, welche in den Kernen
der Eizelle und der Furchungskugeln die eigentlichen Zellen erblickte
und die Blastomeren als „Umhüllungskugeln" deutete, mit denen der
Dotter bei der Furchung die Embryonalzellen umgiebt, war Kölliker
(1843). Bei seinen ausgedehnten Untersuchungen über die Eifurchung-
wirbelloser Tiere wurde er durch Beobachtungen an den Eiern eines
Bothryocephaliden irregeführt. Bei demselben ist, wie wir jetzt wissen, das
eigentliche Ei, die Keimzelle, äußerst klein und von einem Mantel von
Dotterzellen umgeben (zusammengesetztes Ei) ; lange Zeit über wurde
irrtümlich die Keimzelle dem Keimbläschen oder Eikern der übrigen
Tiere verglichen, infolgedessen die Hülle von Dotterzellen dem Körper
der Eizelle. Köllikek fand nun, was ja auch ganz richtig ist, daß aus
der von ihm ebenfalls dem Keimbläschen verglichenen Keimzelle ein
Haufen von Embrj'onalzellen hervoi-geht, dei' sich in die Larve ver-
wandelt und dabei den Dotter aufverbraucht. So solle nun auch bei den
übrigen Tieren aus dem Keimbläschen eine Generation von Embrj'onal-
zellen (das sind nach unserer Auffassung Kerne der Furchungszellen)
entwickelt werden, nur mit dem Unterschied, daß jede Embryonalzelle
gleich bei ihrer ersten Entstehung auf dem Wege des Furchungsprozesses
mit einer Umhüllungskugel von Dottermaterial umgeben werde. Einige
Beobachtungen an Nematoden-^iBrn machten es Külliker wahrschein-
lich, daß die „Embryonalzellen", wie es die ScnwANN'sche Theorie ver-
langte, endogen in Mutterzellen entständen und durch Auflösung der-
selben frei würden. Demnach würde nach Külliker's Auffassung der
Furch ungsprozeß in folgender Weise verlaufen: Im Keimbläschen entstehen
2 Tochterzellen, diese werden frei und liefern die ersten Embryonalzellen,
welche sich mit Umhüllungskugeln umgeben (l.Furchung) u. s.w. Noch in
seiner Monographie der Cephalopodenentwickelung hat Kölliker (1846)
an dieser Deutung festgehalten. Ganz phantastisch lauten die Angaben
Carl Vogt's (A. L. III, 4, 1842, 7, 1842), welcher zu seinen Unter-
suchungen über den Furchungsprozeß Eier mit multinukleolären Keim-
bläschen gewählt hatte ; er kam zu einer Einschachtelungstheorie. An-
schließend an Ansichten Barry's entwickelte er die Auffassung, daß das
Keimbläschen eine Zelle sei, in welcher eingeschlossen eine Generation
kleiner Zellen, die Keimflecke, liege. Wenn das Keimbläschen sich
auflöst, werden die Keimflecke frei. Diese sind die ersten Embryonal-
zellen, um welche sich andere Zellen bilden, das, was wir jetzt Kerne
nennen ; um diese grenzen sich als die letzten Zellen die Dotterkugeln ab.
Furchungsprozeß. 687
Unseren jetzigen Auffassungen steht Eeichekt (1841) näher, insofern
er sich für die zweite von Schwann aufgestellte Alternative eiklärte,
daß die „Dotterkugeln" die Zellen, ihre bläschenförmigen Einschlüsse
die Kerne seien. Um diese Auffassung durchzuführen ohne mit dem
ScnwAxx'schen Zellbegriffzu brechen, sah sich Eekiieut allerdings genötigt,
den Beobachtungen Gewalt anzuthun : im Widerstreit mit allen übrigen
Beobachtern ließ er die Furchungskugeln von Membranen umhüllt sein.
Und um au<;h die Entstehung von Zellen im C^'toblastem aufrecht er-
halten zu können, ließ er im Eroschei die Kerne schon lange vor der
Eurchung auftreten und sich mit Zellen umgeben, so daß alle Eurchungs-
zellen schon vor der Eurchung im Ei enthalten seien und durch den
Eurchungsprozeß nur ganz allmählich aus den Hüllen ihrer Mutterzellen
herausgeschält oder, wie er sich ausdrückt, „entschachtelt" würden. Diese
letztere ganz willkürliche, allen Beobachtungen widersprechende Anschauung
gab Eeichert (1846 A. L. III 10, 1861) später preis, als er Naegeli's
Lehre von der „Entstehung von Zellen um Inhaltsportionen" kennen lernte.
Nach unseren modernen Anschauungen bedeutet diese Lehre Naegeli's
die Lehre von der Teilung der Zellen. Denn dieselbe besagt, daß
zunächst .Kern und Zellinhalt sich teilen , daß dann um jedes
Teilungsprodukt (Inhaltsportion) die Zelle, d. h. die neue Zellmembran
gebildet werde. Reichert glaubte diese Vorgänge genau so, wie
Naegeli es geschildert hatte, an den Eiern von Strongylus auricularis
zu finden, nur ließ er vor der Teilung den Kern sich auflösen und
später zwei neue Kerne entstehen : er hatte ja auch hierin im ganzen
Recht, mit Ausnahme, daß er das Unsichtbarwerden des Kerns auf dem
Spindelstadium als Auflösung deutete, w^oraus ihm kein Vorwurf gemacht
werden kann, und daß er Zellmembranen der Theorie zuliebe beschrieb,
wo keine vorhanden waren.
In diesem Zustande befand sich die Lehre von der morphologischen
Deutung des Eurchungsprozesses am Ende der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts. Leydig (1848) hat von dem damaligen Stande der Anschau-
ungen ein vortreffliches Bild in einem Aufsatze der „Isis" entworfen. Die
Diskussion des Problems war auf einem toten Pimkte angelangt, über
den hinaus ein Eortschritt nur durch einen Bruch mit der Schwann-
ScHLEiDEx'schen Zelltheorie zu erzielen war. Dies geschah durch die
Protoplasmatheorie, welche, abgesehen von hervorragenden Botanikern,
durch Leydig, Virchow, Brücke, Bealb, vor allem aber Max Schultze
ano-ebahnt wurde. In dem erwähnten Aufsatze vertrat Leydig die Am-
sieht, daß die Bläschen in den Eurchungskugeln Kerne seien, welche
sich wie die Eurchungskugeln durch Teilung vermehren, aber er trägt
Bedenken, die Eurchungskugeln Zellen zu nennen ; es seien Gebilde ohne
Membran, welche durch Umbildung der oberflächlichen Schicht zu einer
Membran zu Zellen weiter entwickelt würden, eine Auffassung, welche
in ähnlicher Weise auch von Leuckart in dem Artikel „Zeugung" des
Handwörterbuchs der Physiologie ausgedrückt worden ist. Viel be-
stimmter äußert sich Leydig in seiner 9 Jahre später erschienenen
Histologie, in welcher er die Eifiu'chung als Zellteilung schildert, die
Earchungskugeln Zellen nennt und bei der Begriffsbestimmung der Zelle
sich begnügt zu sagen, daß meistens eine Membran vorhanden sei. Den
gleichen Standpunkt hatte schon früher M. Schultze in seiner Entwicke-
lungsgeschichte des Neunauges (A. L. III 1855) eingenommen. In die
Zwischenzeit fällt eben der Umschwung der Meinungen, wenn es auch
noch Jahre bedurfte, bis die durch die Protoplasmatheorie gewonnene
neue Eassung des Zellbegriffs allgemeine Anerkennung fand.
688 R. Hertwig,
Für das richtige Verständnis des Furchungsprozesses war es weiter
von fundamentaler Bedeutung, Klarheit über das Verhalten der Kerne
zu bekommen, ob sie vor jeder Teilung aufgelöst und nach ihr neu ge-
bildet werden, oder ob sie sich wie die Zellen selbst teilen. Die Dar-
stellung, in welcher Weise sich die Lehre von der Kernteilung ent-
wickelt hat, muß den Lehrbüchern der Histologie überlassen bleiben.
Nachdem die Anschauungen über die morphologische Bedeutung des
Furchungsprozesses nach allen Richtungen geklärt waren, gewann die
physiologische Forschung aufs neue die Oberhand. Dieselbe hatte seit
den Zeiten Baer's so gut wie ganz geruht. Zwar hatte Newport (1854)
wichtige hier einschlagende Fragen (Einfluß lokalisierter Befruchtung^
Beziehungen der Fnrchnngsebeuen zur SAanmetrieebene der Larve) auf-
geworfen und zu lösen versucht. Seine Arbeiten blieben aber ohne
Einfluß auf den Entwickelungsgang der Forschung, gei'ieten in Vergessen-
heit und fanden erst die gebührende Beachtung, als sich in den letzten
zwei Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts das Interesse abermals
physiologischen Fragestellungen zuwandte. Diese neue Periode physio-
logisch-entwickelungsgeschichtlicher Untersuchung nahm ihren Ausgangs-
punkt von den Arbeiten Pflügbr's (1883), welcher den Einfluß der
Schwerkraft auf das befruchtete Amphibienei untersuchte und zum Re-
sultat kam, daß die Anordnung der ersten Teilfurchen und, da diese in
bestimmter Lage zur fertigen Organisation stehen, auch die letztere von
der Schwerkraft bestimmt werde. Die Arbeiten fanden Widers])ruch von
Seiten Borx's, Eoux's, 0. Hertwig's. Es entwickelten sich Probleme
der mannigfachsten Art, über die im Obigen so ausführlich berich'tet
wurde, daß auf eine geschichtliche Darstellung an dieser Stelle verzichtet
werden kann.
Litteratur
(außer den in dem allgemeinen Litteraturverzeichnis und im Anschluß an dieses £xi])itel
[aiifgeßUu'ten Arheiten).
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3Iem. cour. Acad. Boy. Sc. de Belgique. Bd. XXXIV. 1S70.
2) KölHkev, A., Ueber die ersten Entioickelungsvorgänge im befi'uchteten Ei. Arch.
Anat. Bhys. p. 68— H2. Mit 2 Tfln. 1S43.
S) Leydig, Franz, Die Dotterfurcliung nach ihrem Vorkommen in der Tierwelt und
nach ihrer Bedeutung. Eine von der medizinischen Fakultät in Würzburg im Jahre
1S47 gekrönte Breisschrift, Isis. p. 160 — WS. 1848.
4) lleicliert, C. B., Ueber den Furchxmgsprozeß des Batrachier-Eies. Arch. Anat. Bhys.
p. 52S—542. 1841.
) — Der Furchungsprozeß und die sogenannte Zellbildung um Inhaltsportionen. Ebenda
0
p. 196—283. 3Iit 1 Tfl. 184:6.
Litteratur zum I. und II. Teil des II. Kapitels.
(außer den in dem allgemeinen Litteraturverzeichnis zitierten Arbeiten).
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Babbit. Quart. Journ. mia: Sc. X. S. Vol. XXXVII. p. 113—164. 5 Taf. 1894.
— The Segmentation of the Ovum of the Sheep> with Observations on the Ilypothesis of
the Hyjwblastic Origin for the Trophoblast. Ebenda. X. S. Vol. XLI. p. 205 — 262.
4 Taf. 1898a.
— The Development of the Big during the First Ten Days. Ebendas. N. S. Vol. XLI,
p. 329—361. 4 Taf. lS98b.
V. Baer, C. E, Untersuchungen über die Entwickelungs-Geschichte der Fische. 52 pp.
1 Taf. Leipzig 1835.
— Die Metamorphose des Eies der Batrachier vor der Erscheinung des Embryo und Fol-
gerungen aus ihr für die Theorie der Erzeugung. Arch. f. Anat. u. Bhys. 1834,
p. 481—510.
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Van liainbelce. Sur les trous vilelUns que presentent les a'vjs fecondes des Amphibiens.
Bull. Acad. roy. des sciences de ReUjique. Ser. 2. T. XXX.' p. 58-71. 1 Taf. 1870.
— Recherckes stir l'embryologie des Batruciens. Ebenda. Ser. 2. T. XLI. p. 97 — 135.
2 Taf. 1876.
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■ — Remarques sur la reproduclvm de la Blennie vivipare (Zoarces viviparus Cvv.). Bullet.
Acad. royale de Belgiquc. Ser. 3. T. XV. 1888.
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anoures et du Crapaud commtm en jjarticulier. Bull. Acad. roy. des sciences de
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' 14 Textfig. 1902.
Drittes Kapitel.
Die Lehre von den Keimblättern.
Von
Professor Oscar Hertwig-^).
Geschichte der Blättertheorie und einige einleitende
Betrachtungen.
Eines der wichtigsten Kapitel in der Entwickelungsgeschichte ist
die Lehre von den Keimblättern. Darunter versteht man die erste
Anordnung der durch den Furchungsprozeß gebildeten Embryonal-
zellen in einzelne Schichten, aus welchen dann weiter nach bestimmten
besetzen alle Organe und Gewebe ihren Ursprung nehmen. Die
tierischen F u n d a m e n t a 1 o r g a n e hat daher C. E. v. Baer die Keim-
blätter mit Recht genannt. Ihre Erforschung in den einzelnen Klassen
der Wirbeltiere und die Vergleichung und Deutung der oft sehr ab-
weichenden Befunde ist mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft.
Eine nicht nur an Umfang, sondern auch an Widersprüchen sehr
reiche Litteratur ist entstanden. Bis zur Gegenwart weichen die Ur-
teile der Embryologen noch in den wichtigsten Fragen auseinander.
Doch wird auch hier endlich Licht in die bestehenden Differenzen durch
die vergleichende Entwickelungslehre gebracht werden, welche bisher
schon ihre schönsten Erfolge auf diesem Gebiet erzielt hat.
Da die Blättertheorie für das Verständnis der tierischen Form-
bildung von der weittragendsten Bedeutung ist und der Zellentheorie
als ebenbürtig zur Seite gestellt werden kann, gehe ich gleich zu An-
fang auf ihre Geschichte näher ein, werde aber hierbei nur die allge-
meinen Umrisse entwerfen und speciellere Fragen den Abschnitten über
die Keimblattbildung in den einzelnen Klassen der Wirbeltiere vorbe-
halten.
1) Da das Manuskript schon ein Jahr vor Beginn der Drucklegung abge-
schlossen Avar, sind einige Nachträge mit Eücksicht auf mehi-ere neu erschienene
Untersuchungen notwendig geworden und als Nebentext an verschiedenen Stehen
eingeschoben AAorden.
Bezüglich der zitierten Litteratur ist zu bemerken, daß Schi-il'ten, die m der
allgemeinen Litteraturübersicht (p. 71—85) aufgeführt sind, im Citat kenntlich ge-
macht sind durch die Buchstaben A. L. I, A. L. II. A. L. III, dagegen die am
Schluß des Kapitels III zusammengestellten Schiiften durch die Buchstaben L. K. III.
700 0. Hertwig,
Die Begründung der lilättertheorie ist an die berühmtesten Namen
auf dem Gebiete der Entwickelungsgescliiclite geknüpft, an Caspar
Friedr. Wolff, Pander, C, E. v. Baer. — Wolff (A. L. I 1768
und 1>'12). der Entdecker der Metamorphose der Pflanze, zeigte in
seiner ausgezeichneten Abhandlung über die Biklung des Darmkanals
im bebrüteten Hühnchen, daß der Darm anfängUch als ein blattförmiges
Gebilde auf der Dotterkugel angelegt wird, daß dieses sich darauf zu
einer Halbrinne einkrümmt und endlich zu einem Rohr umgestaltet.
Er sprach die Vermutung aus, daß in ähnlicher Weise die übrigen
Organsysteme entstehen möchten. (Vergl. hierüber auch die historische
Einleitung p. 30 und 31. ^
An Wolff anknüpfend, haben dann in unserem Jahrhundert
Pander und C. E. v. Baer unter Anregung und Leitung ihres berühm-
ten Lehrers Döllinger die Keimblattlehre weiter ausgebaut (S. p. 38
— 40). Pander (A. L. 1 1817) unterschied am Hühnerei zu Anfang
der Bel)rütung 2 dünne, voneinander trennl)are Lamellen als seröses
Blatt und als Schleimblatt und war der erste, welcher klar erkannte,
daß die Keimblätter „durch den einfachen Mechanismus des Faltens den
Leib und die Eingeweide des Tieres bilden". C. E. v. Baer (A. L. 1 1828),
die Forschungen Pander's fortsetzend, unterschied das seröse und das
Schleimblatt als animales und als vegetatives; er ließ jedes sich später
in 2 Schichten spalten, das erstere in Hautschicht und Fleischschicht,
das vegetative in Schleimschicht und in Gefäßschicht, so daß jetzt 4
sekundäre Keimblätter entstanden sind.
Durch Schwann's Zellentheorie wurden neue Gesichtspunkte auch
in die Keimblattlehre eingeführt. Es ist eines der Hauptverdienste
von PtEMAK (A. L. I 1850), in seinem Fundamentalwerk „Untersuchungen
über die Entwickelung der Wirbeltiere'' die histogenetischen Leistungen
der Keimblätter in ziemlich zutreffender Weise festgestellt zu haben.
(S. p. 50 — bl.) Hinsichtlich der Entstehung der 4 sekundären Keim-
blätter w^eicht Remak von Baer ab. Aus den beiden primären Blättern
läßt er zunächst ein drittes, das mittlere Keimblatt, hervorgehen, und
zwar leitet er dasselbe einzig und allein durch Abspaltung vom
unteren Keimblatt ab. Nach ihren Leistungen bezeichnet er die 3
Schichten als das obere oder sensorielle, als das mittlere oder motorisch-
germinative und als das untere oder trophische Keimblatt. Erst da-
durch, daß später das Mittelblatt sich wenigstens in seinen seitlichen
Abschnitten (Seitenplatten) abermals in Hautfaserblatt und Darmfaser-
blatt spaltet, wodurch die Brust- und Leibeshöhle entsteht, kommen die
4 sekundären Keimblätter Baer's zu stände.
In seinen Angaben nähert sich Remak, dem eine Zeit lang die
Majoiität der Embryologen folgte, dem wahren Sachverhalt mehr als
C. E. V. Baer ; doch irrten beide in gleicher Weise darin, daß sie die
Entwickelung der Keimblätter immer als einen Sonderungs- und
Spaltungsprozeß auffaßten. Ueberhaupt ist die Frage nach der ersten
Genese der Keimblätter die Klippe, an welcher die Untersuchungen
der zahlreichen Forscher in den nächsten Decennien nach Remak ge-
scheitert sind; sie war für die höheren Wirbeltiere, welche meist als
Untersuchungsobjekte gedient haben, vorzüglich aber für das Hühnchen,
sehr schwierig zu entscheiden. Es war hier keine Sicherheit darüber
zu gewinnen, ob das mittlere Blatt sich nur aus dem unteren (Remak)
oder nur aus dem oberen oder aus beiden zugleich (C. E. v. Baer)
entwickelt.
Die Lehre von den Keimblättern. 701
In die E n ts tehu n ,ii' der Keimblätter hat erst die ver-
gleich e n d e M e t h 0 d e Li i c h t g e b r a c h t. Ausgehend vom Studium
niederer Wirbeltiere und der Wirbellosen, haben Huxley und Ko-
WALEVSKY, Haeckel uud Ray Lankester die Keimlilattlehre mächtig
gefördert.
Schon im Jahre 1.S49 unterschied der geistvolle englische Zoologe
Huxley (L. K. III ', 1849) bei den Medusen zwei Membranen, ein
Außen- und ein Innenblatt, aus welchen sich ihr Körper allein auf-
baut, und si)rach hierbei den glücklichen Gedanken aus, daß sie nach
ihren physiologischen Leistungen den beiden primären Keimblättern
der Wirbeltiere gleichwertig seien. Für die Schichten der Cölenteraten
führte bald darauf Allman (L. K. III S 1853, p. 368) die jetzt
so viel gebrauchten Namen „Ektoderm'' und „Entoderm" ein, deren man
sich später auch zur Bezeichnung der embryonalen Blätter bedient hat.
Ein noch größerer Fortschritt ist durch den russischen Zoologen
Kowalevsky (L. K. IIP , 1871 etc.) angebahnt worden, der in zahlreichen
vorzüglichen Untersuchungen uns mit einer Fülle wichtiger Thatsachen
aus der Entwickelungsgeschichte der Würmer, Cölenteraten, Mollusken.
Brachiopoden. Tuuicaten, Arthropoden bekannt gemacht hat. Er zeigte,
daß bei allen Wirbellosen, die er untersucht hatte, am Anfang der
Entwickelung sich 2 Keimblätter bilden, daß in vielen Tierabteilungen,
wenn sich der Furchungsprozeß abgespielt hat, eine Keimblase ent-
steht, und daß diese sich, indem ein Teil der W^and eingestülpt wird,
in einen Doppelbecher umwandelt , dessen von 2 Keimblättern
umgrenzter Hohlraum durch eine Oeffnung nach außen kommuniziert.
Bei dieser Gelegenheit sei auch noch der Verdienste einiger anderer
Embryologen gedacht, welche die Becherlarve und ihre Entstehung
durch Einstülpung noch früher in einzelnen Fällen beobachtet haben.
RuscoNi (A. L. III s 1826) und Remak (A. L. I 1850) haben die
Becherlarven von Amphibien, Gegenbaur (L. K.IIP, 1855) von den Sa-
gitten, Max Schultze (A. L. III ^ 1856) von Petromyzon beschrieben.
Die einzelnen Beobachtungen zu einer zusammenfassenden Theorie
über die Genese der beiden primären Keimblätter verwertet zu haben,
ist das besondere Verdienst von E. Haeckel (A. L. I 1874 — 1875),
und Ray Lankester (A. L. I 1873. 1877). Beide wurden gleich-
zeitig uud unabhängig voneinander durch die Thatsachen zu ähn-
lichen Ideen geführt, beide auf dem durch Darwin's Auftreten neuge-
festigten Boden der Descendenztheorie stehend und dabei von dem
Gesichtspunkt ausgehend, daß die einzelnen Stadien der individuellen
Entwickelungsgeschichte eine Rekapitulation der Stammesgeschichte
sind (Biogenetisches Grundgesetz).
Haeckel verötfentlichte seine Ideen, welche bei ihrem ersten Er-
scheinen von vielen Seiten angefeindet, jetzt ihrem wichtigsten all-
gemeinen Inhalt nach Anerkennung gefunden und den Anstoß zu
zahlreichen Untersuchungen gegeben haben, in 2 Aufsätzen in der
Jenaischeu Zeitschrift 1) Die Gastraeatheorie. die phylogenetische Klassi-
fikation des Tierreichs und die Homologie der Keimblätter, und 2)
Nachträge zur Gastraeatheorie. In ihnen suchte Haeckel wahrschein-
lich zu macheu, daß in der Entwickelung der verschiedenen Tierklassen
von den Spongien bis zum Menschen hinauf eine Keimform, die
Gastrula, auftritt, und daß die 2 Keimblätter, aus denen sie besteht, bei
den Embryonen aller Metazoen einander vergleichbar oder homolog
sind. Die Gastrula stellt, wie Haeckel durchzuführen suchte, im einfach-
702 0. Hertwig,
sten Zustand einen Doppelbeclier mit einer Urdarmhöhle und einem
Urmund dar, kann aber dadurch, daß im Ei Dottermaterial abgelagert
wird, wie bei den meisten Wirbeltieren in hohem Grade abgeändert
werden, so daß die ursprüngliche Grundform kaum noch zu erkennen
ist. Je nach der Art der Abänderung wurden verschiedene Formen
der Gastrula als Glocken-, Hauben-, Scheiben- und Blasengastrula von
Haeckel unterschieden und durch einen Einstülpungsprozeß aus einer
noch einfacheren Grundform, aus der Keimblase (Blastula) hergeleitet.
Aehnlichen, aber in einer etwas anderen Weise ausgeführten Ideen-
gängen begegnen wir in 2 wichtigen, interessanten Schriften von Ray
Lankester: 1) On the primitive cell-layers of the embryo as the
basis of genealogical Classification of animals. und 2) Notes on the
embryology and Classification of the animal kingdom , comprising a
revision of speculations relative to the origine and significance of the
germ- layers. Wie Haeckel die G a s t r a e a , so nimmt Ray Lankester
die Planula als eine Grundform an. aus welcher sich alle Tierstämme
entwickelt haben, weshalb er seine Theorie auch als die Planula-
theorie der Gastraeatheorie gegenübergestellt hat. Unter Planula
versteht er eine sack- oder blasenförmige Larve, deren Wand aus 2
Zellenblättern aufgebaut ist und einen Hohlraum, die Magenhöhle, um-
schließt. Die 2 Schichten können sich nach Ray Lankester auf eine
doppelte Weise entwickeln. Der ursprüngliche Vorgang ist der, daß
die einfache Zellenschicht, welche die Wand der Blase bildet, sich durch
Spaltung (Delamination)in eine äußere und eine innere Lage, in Ektoderm
und Entoderm, sondert. Infolge einer Durchbrechung der Wand an
einer Stelle entsteht erst eine in die Magenhöhle führende Oeffnung,
der Urmund. Im zweiten Falle wird die doppelblätterige Planula durch In-
vagination, durch Einstülpung einer einfachen Zellenblase in der von Hae-
ckel gelehrten Weise gebildet. Der Magenraum hat daher hier gleich eine
Oeffnung nach außen, den Blastoporus. Nach Lankester's Meinung kommt
die Bildung der Gastrula durch Invagination nicht in der von Haeckel
gelehrten allgemeinen Verbreitung vor. Das Ursprüngliche ist die Ent-
wickelung der beiden primären Keimblätter durch Delamination aus
einer einfachen Zellenschicht. Die Gastrulation durch Einstülpung ist
dagegen ein erst sekundär entstandener, abgeleiteter Prozeß. Der
Aufbau der Tiere aus 2 oder 3 Keimblättern ist auch in den Augen
von Ray Lankester von großem Wert für eine natürliche, genealo-
gische Klassifikation. Nach diesem Prinzip wird das Tierreich in 3
verschiedene Gruppen eingeteilt, in die Homoblastica (Protozoen),
Diploblastica und Triploblastica.
So anregend und fruchtbar nun auch immerhin die Gastraea- und
Planulatheorie für die Blätterlehre waren, so ließ sich ihnen doch mit
Recht vorwerfen, daß der Grund, auf dem der Bau errichtet war. im
ganzen noch ein sehr unsicherer war. Wenn wir von den W^irbellosen
absehen, so waren sowohl Haeckel als Lankester den sicheren
Nachweis schuldig geblieben, wie in den meisten Klassen der Wirbel-
tiere, bei Fischen, Reptilien, Vögeln und Säugetieren, der zweiblätterige
Zustand in W^irklichkeit entsteht, wie bei ihnen die Entwickelung der
Gastrula oder Planula vor sich geht. Bei eingehenderer Untersuchung
entsprach ihre Darteilung häufig nicht den thatsächlichen Befunden.
Um die Feststellung und Klärung zahlreicher, in der Gastraeatheorie
unerledigt gebliebener oder falsch beantworteter Fragen haben sich
zahlreiche Embrvologen durch genauere Erforschung dieser grundlegen-
Die Lehre von den Keimblättern. 703
den Entwickelungsprozesse wesentliche \'erdienste erworben. Wenn
auch das nähere Eingehen hierauf den einzelnen Abschnitten über die
Keiniblattbildung in den einzelnen Klassen der Wirbeltiere vorbehalten
bleiben muß, so seien doch hier noch einige besonders wichtige Ent-
deckungen kurz zusanimengestellt, durch welche ein besseres Ver-
ständnis der Keiniblattbildung ermöglicht worden ist. Als eine solche
erwähne ich die lieobachtung von Kow^alevsky (A. L. III '', 1870
und A. L. III 1 . 1877), daß bei den Stören, bei Amphioxus und
anderen Wirbeltieren dei- Rest des Urmuudes in das Ende des Nerven-
rohrs bei seiner Ent Wickelung mit aufgenommen wird und einen C a n a 1 i s
n eur entericus, eine offene Verbindung zwischen Nerven- und
Darmrohr, herstellt. Von A. Rauber (L. K. III \ 1876) wurde der
wichtige Gedanke ausgesprochen, daß die Primitivrinne der Vögel und
Säugetiere dem Urniund niederer Wirbeltiere entspreche. Er gewann
2 Jahre später eine wichtige Stütze durch Gasser (L. K. III *, 1878),
welcher bei Gänseembryonen auf einem bestimmten Stadium ihrer Ent-
wickelung am vorderen Ende des Primitivstreifs ebenfalls einen engen,
Nerven- und Darmrohr verbindenden Canalis neurentericus nachwies.
KuPFFER und Benecke (L. K. III', 1878) entdeckten bei Reptilien im
hinteren Bezirk des Embryonalschildes eine kleine Einstülpung, die
sie als Urdarm, und eine äußere Oeffnung, die sie als Prostoma deu-
teten und der Primitivrinne der Vögel verglichen.
Lieberkühn (L. K. III '^ 1882) beobachtete bei Säugetieren den
Chordakanal, und Van Beneden (L. K. III ^, 1888), der ihn bei der
Fledermaus sehr stark entwickelt fand und feststellte, daß seine untere
Wand sich bald in die Keimblasenhöhle öffnet, verglich ihn dem Ur-
darm.
Einen ähnlichen Wandel, wie die Frage nach der Entwickelung
der beiden primären Keimblätter, machte die Frage nach der
Entwickelung der mittleren Keimblätter durch. Wie für
jene in der Gastraea- und Planulatheorie, wurde für diese eine neue
Grundlage in der Cöl o mtlieorie gewonnen.
Haeckel w^ar, w'as die Entstehung der mittleren Keimblätter an-
betraf, auf dem überlieferten Standpunkt stehen geblieben, indem er
sich am meisten der Ansicht C. E. v. Baer's zuneigte, daß sich das
Hautfaserblatt vom primären äußeren und das Darmfaserblatt vom
inneren Keimblatt abspalte. Dagegen huldigten die meisten Embryo-
logen, welche sich mit der Entwickelungsgeschichte der Wirbeltiere
beschäftigten, der Ansicht Remak's und ließen das ganze mittlere
Keimblatt sich durch Delamination vom unteren bilden. Die Leibes-
höhle betrachteten sie als einen Spaltraum im mittleren Keimblatt und
stellten sie anderen lymphatischen Hohlräumen, wie sie an verschiedenen
Stellen des Körpers ira Bindegewebe auftreten, an die Seite.
Einen wichtigen Fortschritt in genauerer Feststellung des Sach-
verhaltes führte KÖLLiKER (A. L. II 1879) durch genaueres Studium
der- Blätterbildung bei dem Hühnchen und bei Säugetieren herbei.
Er zeigte, daß bei ihnen das mittlere Keimblatt sich nicht einfach vom
unteren abspaltet, sondern von einem beschränkten Bezirk der Keim-
haut, von der Primitivrinne aus, durch eine Wucherung des äußeren
Keimblattes entsteht. Von hier aus läßt er es zwischen die beiden
primären Keimblätter als eine solide Zellenmasse hineinwachsen und
dann später in ihm die Leibeshöhle durch Spaltung in 2 Blätter sicht-
bar werden.
704 0. Hertwig,
Ein durchgreifender Wandel wurde aber auch hier erst durch die
vertileichende Metliode, durch das Studium anderer Wirbeltiere und
selbst der Wirbellosen herbeigefiUirt. Metschnikoff (L. K. III ',
1869, 1870, 1874) und Kowalevsky (L. K. III ', 1871) machten beim
Studium der Entwickelung von Echinodermeu, Balanoglossus, Chaeto-
gnathen und Brachiopoden die wichtige Entdeckung, daß bei ihnen
die W^mdungen der Leibeshöhle durch Ausstülpungen des Darmkanals
gebildet werden. Besonderes Aufsehen erregte der 1871 von Kowa-
levsky erbrachte Nachweis, daß bei Sagitta (L, K. III \ 1871) der
Urdarm der Gastrula durch 2 Falten in 3 Räume, in die sekundäre
Darmhöhle und in die Leibeshöhlen, abgeteilt wird, was später durch
Untersuchungen von Bütschli (L. K. III ^ 1873) und Oscar Hert-
wig (L. K. III \ 1880) volle Bestätigung fand. Em ähnlicher Vorgang
Avurde hierauf von Kowalevsky auch bei dem niedersten Vertreter
der Wirbeltiere, beim Amphioxus (A. L. III ', 1877) nachgewiesen, bei
welchem das innere Keimblatt ebenfalls Ausstülpungen, die Ursegmente
liefert, von denen sich weiterhin die Leibeshöhle herleitet.
Durch diese ungemein wichtigen und interessanten Beobachtungen
wurden Huxley, Ray Lankester, Balfour, Oscar und Richard
Hertwig zu theoretischen Betrachtungen über den Ursprung der
Leibeshöhle und der mittleren Keimblätter im Tierreich angeregt.
Huxley (L. K. III ', 1875, 1877) unterschied drei nach ihrer Ent-
stehung verschiedene Arten der Leibeshöhle : 1 ) ein Enterocöl, welches
wäe bei den Pfeilwürmern etc. von Ausstülpungen des Urdarms ab-
stammt, 2) ein Schizocöl, welches sich durch Spaltbildung in einer
zwischen innerem und äußerem Keimblatt entstandenen Stützsubstanz
entwickelt. 3) ein Epicöl, das durch Einstülpung der Körperober-
fläche, wie der Perithorakalraum der Tunicaten angelegt wird. Letzterer
Art, meinte Huxley, entspräche vielleicht auch die Pleuroperitoneal-
höhle der Wirbeltiere. Im Gegensatz zu Huxley giebt Ray Lan-
kester (A. L. I 1877), bis nicht entscheidende Beweise für eine
verschiedenartige Genese der Leibeshöhle beigebracht worden seien,
der Hypothese eines bei allen Tieren einheitlichen Ursprungs den
Vorzug; als Grundform betrachtet er das Enterocöl, das wie bei
den Echinodermen aus 2 Ausstülpungen des Urdarms (Parentera) ent-
steht. Von ihm leitet er durch Umbildung das Schizocöl in der
Weise ab, daß die 2 Ausstülpungen des LTrdarms bei ihrer ersten An-
lage den Hohlraum eingebüßt haben und daher als solide Zellenmassen
auftreten, die erst nachträglich wieder eine Höhlung gewinnen.
Balfour (A. L. II. 1881) beschränkt sich in seinen Abhandlungen
mehr auf die Erklärung des mittleren Keimblattes der Wirbeltiere,
ohne aber zu einer einheitlichen Gesamtauffassung in Bezug auf den
Ursprung desselben zu kommen. In seiner Monographie der Selachier-
entwickelung (A. L. III ^, 1878) machte er die Entdeckung, daß das
mittlere Keimblatt von den Rändern des Urmundes aus in 2 getrennten
Zellenmassen entsteht, welche nach vorn zwischen die 2 primären
Keimblätter hineinwachsen. Da in jeder Zellmasse bald eine ge-
sonderte Höhle auftritt, bezeichnete er die Leibeshöhle als eine von
Anfang an paarige Bildung und verglich sie den beiden Leibessäcken,
welche sich bei Wirbellosen durch Ausstülpung vom Urdarm bilden.
Durch ähnliche theoretische Gesichtspunkte wie die englischen
Morphologen geleitet, versuchten darauf Oscar und Richard Hert-
wig (A. L. I, 1879, 1881 und L. K. III ', 1883), die Frage nach der Ent-
Die Lehre von den Keimblättern. 7^)5
Wickelung der Leibesliöhle und der mittleren Keimblätter durch plan-
mäßige, in den Studien zur Blättertheorie veröffentlichte Unter-,
suchungen, welche sich auf Wirbellose und Wirbeltiere erstreckten,
durch Vergleichung entwickelungsgeschichtlicher , histologischer und
anatomischer Verhältnisse zu einer Lösung zu führen. Die Resultate
dieser Untersuchungsreihen wurden in 2 Schriften veröffentlicht : 1) in
der „Cölonitheorie. Versuch einer Erklärung des mittleren Keimblattes",
und 2) in der „Entwickelung des mittleren Keimblattes der Wirbel-
tiere".
Behufs Klärung der Verhältnisse wurde dem Begriff „Keimblatt"
eine schärfere Fassung gegeben. Als solches wurde eine Lage embryo-
naler Zellen bezeichnet, die wie ein Epithel angeordnet sind und zur
Oberflächeubegreuzung des Körpers dienen. Nach Ablauf des Furchungs-
prozesses ist nur ein Keimblatt vorhanden, nämhch das Epithel der
Keimblase. Aus ihm leiten sich die übrigen Keimblätter durch den
Prozeß der Ein- und Ausstülpung ab. Das innere Keimblatt bildet
sich durch die Gastrulation, die beiden mittleren Keimblätter durch
die Leibeshöhlenbildung (Cölomation), indem sich aus dem Urdarm
2 Leibessäcke ausstülpen und zwischen die beiden i)rimären Keim-
blätter trennend hineinwachsen. Es giebt erstens Tiere, die sich nur
aus 2 Keimblättern entwickeln und nur eine durch Einstülpung ent-
standene Höhle, einen Urdarm, in ihrem Körper besitzen, und zweitens
Tiere mit 4 Keimblättern, einem sekundären Darm und einer aus dem
Urdarm entstandenen Leibeshöhle, einem Enterocoel. — Ferner wurde
der Versuch gemacht, nachzuweisen, daß man seither unter dem Be-
griff „mittleres Keimblatt" 2 Dinge, die genetisch, morphologisch und
histologisch ganz verschiedenartig sind, zusammengeworfen hat. Außer
den durch Einstülpung entstandenen epithelialen Zellenlagen hat man
zum mittleren Keimblatt auch Zellen gerechnet, die sich von den Keim-
blättern an diesen und jenen Stellen einzeln absondern und die Stütz-
substanz und. wo solches vorhanden ist, auch das Blut zwischen den
Epithellagen des Körpers erzeugen. Derartige embryonale Zellen, die
durch Auswanderung in den von den Keimblättern begrenzten
Zwischenraum gebildet werden , nannten die Gebrüder Hertwig
Mesenchymkeime und das von ihnen gelieferte Gewebe das Mes eu-
ch ym. Es findet sich sowohl bei zwei- als auch bei vierblätterigen
Tieren.
Einen ähnUchen Versuch, die Bestandteile des mittleren Keimblattes
zu trennen, hatte schon früher His (A. L. I 1865, A. L. III ^ 1868.
L, K. III ^ 1882) unternommen in seiner Pa rablasttheorie, wo-
bei er allerdings von anderen Gesichtspunkten ausgegangen und auch
zu einem etwas abw^eichenden Ergebnis gelaugt war.
Der Erfolg der Cölonitheorie war ein ähnlicher wie bei der Ga-
straea- und Planulatheorie. Es war der Weg zu einer einheitlichen Auf-
fassung der Genese der mittleren Keimblätter gewiesen, im einzelnen
dagegen war die Art uud Weise, wie der Prozeß in dieser und jener
Klasse der Wirbeltiere sich abspielt, noch nicht genügend festgestellt.
Besonders bei den Reptilien, Vögeln und Säugetieren gab es noch
eine größere Anzahl strittiger Punkte. Anhänger und Gegner traten
bald für, bald wider die Lehre auf, die auch dadurch klärend uud
anregend wirkte. Die Darstellung, w^ie sich dies im einzelnen vollzog,
muß auf die historisch-litterarischen Exkurse in den folgenden Ab-
schnitten verschoben werden.
Handbuch der Entwickeluagslehre. I. 45
706 0. Hertwig,
In dem allgemeinen Ueberblick über die Geschichte der Blätter-
lehre ist noch auf zwei sehr wichtige Auffassungen einzugehen, welche
sich einzelne Forscher auf Grund verschiedener Beobachtungen über
die Entwickelungsweise der in der Achse des Embryos gelegenen
Primitivorgane gebildet haben, Autfassungen, welche mit den Namen
„K 0 n k r e s c e n z t h e 0 r i e'' und ,,U r m u n d t h e o -
rie'' charakterisiert werden können.
Fig. 246. Schema zur Erläuterung der Konkrescenztheorie
von HiS. u vorderstes Kopfende i, 2, S, ^ u. s. w. symme-
trische Teile des Kandringes, welche sich bei der Bildung des
Embryos in der Mittellinie zusammenlegen. Xach Kopsch.
Der Begründer der Konkrescenztheorie ist His (A. L. II 1874
L. K. III '', 1876, L. K. III ^, 1877), nachdem schon vorher Lereboullet
(L. K. IV, 1863) ähnliche Gedanken geäußert hatte. Durch Studien an
Knochenfischen und Selachiern war in His die Ueberzeugung gefestigt
worden, daß ihre Achsenorgane durch Verschmelzung zweier getrennter
Anlagen in der Medianebene des späteren Körpers zu stände kommen.
An der Keimhaut der Fische sei das Material zur Rumpfanlage (Fig. 1)
im Randwulst aufgespeichert und gelange dadurch an seinen Ort, „daß
jeweilen die, dem hinteren Ende des bereits abgegliederten Embryos
zunächst liegenden Strecken (:?, 2, 3, 4, 5 ^tc.) an diesen sich heran-
schieben und ihn nach rückwärts verlängern". His bezeichnete dem-
zufolge die Anlage des Körpers als einen platten Ring (bourellet em-
bryogene von Lereboullet), dessen 2 Seitenhälften sich successiv
aneinander legen und sich als symmetrische Körperhälften vereinigen.
Später hat His (L. K. III S 1891) in einem Vortrag „Zur Frage
der Längsverwachsung der Wirbeltierembryonen" die Konkrescenz-
theorie auch auf die höheren Wirbeltiere zu übertragen versucht; er
glaubt bei ihnen als die Stellen, an welchen eine Längsverwachsung
von Axialgebilden vorkommt, die Primitivrinne und den neurenterischen
Kanal bezeichnen zu können. Bei dieser Ansicht stellte His aber
eine Beziehung der Primitivrinne und des neurenterischen Kanals zum
Urmund (Blastoporus niederer Wirbeltiere» in Abrede, da der Canalis
ueurentericus gleich Mund und After eine sekundäre Durchbruchs-
örtnung sei. So löste denn His auch in diesem Versuch seine Konkres-
cenztheorie von der Urmundfrage, die, wie wir gleich sehen werden, für
sie von grundlegender Bedeutung ist, ganz ab ; er machte zum Aus-
gangspunkt seiner Konkrescenzlehre „eine Embryo bildende Falte",
die auf der Keimhaut entsteht, und faßte seine Theorie in die Sätze
zusammen :
„Bei allen kranioten Wirbeltieren legt sich das Kopfende des
Körpers als eine hufeisenförmige Falte des Ektoblasten an. Zwischen
beiden Schenkeln des Hufeisens liegt die Primitivrinne. Die embryo-
bildende Falte kann vom Rand ausgehen und das Keimrandgebiet in
der Folge teilweise oder ganz in ihren Bereich ziehen (Fische und
Amphibien), oder sie kann vom Keimrand entfernt auftreten (Amnioten).
In dem einen wie in dem anderen Falle wirken verschiedene Kräfte in
schräger mediokaudaler Richtung auf die primäre Faltenanlage; der
Embryo wird absolut schmäler und zugleich unter Hinzunahme von
mehr seitwärts gelegenen Teilen länger. Bei niederen und bei höheren
Die Lehre von den Keimblättei-n. 707
Wirbeltieren findet eine Verlötnng der Axialgebilde aus 2 Seitenhälften
statt, und so ergiebt sich damit die Längsverwachsung in der Mittel-
ebene als ein durchgreifender Vorgang für sämtliche Wirbeltiere. Unter
den Wirbellosen findet der ^'organg seine Parallele in der Keim-
streifenver\vachsnng von Würmern und von Arthropoden/'
Die Konkrescenztheorie von His wurde seit ihrem Erscheinen
von den meisten Embryologen, wie z. B. von Balfour (A. L. II 1881)
lind Rabl (L. K. III ^ 1889) als unhaltbar bezeichnet. Einige sprachen
sich zu ihren Gunsten aus, wie Räuber, Roux, Sedgwick Minot.
Räuber (L. K. IV, 1877 — 1883) erklärte in ansprechender Weise die
Doppelmonstra von Knochenfischen aus der Art, wie sich die Keimwülste
zusammenlegen. Ihm kommt das Verdienst zu, daß er den ganzen Vor-
gang als Urmundschluß zu deuten versucht hat. Roux (L. K, III\ 1888*)
fand die Lehre von His in Uebereinstinimung mit den Folgerungen,
die sich aus seinen Versuchen am Froschei ergeben haben, Sedgwick
Minot (L. K. III \ 1889) endlich erblickte auch in den Verwachsungs-
rändern die Urmundlippen und schrieb der Gastrula der Wirbeltiere
einen sehr in die Länge gezogenen Urmund zu, der sich während
der Entwickelung von vorn nach hinten schließt, „Concrescence is
then a moditied method of uniting the lips of a greatly elongated
gastrula mouth."
Durch Untersuchungen von Froschmißbildungen ist Oscar Hert-
wiG in der Schrift „Urmund und Spina bifida^' (L. K, IV, 1892) zu
der Ueberzeugung geführt worden, daß in der Konkrescenztheorie von
His ein richtiger Kern enthalten ist, daß der Verwachsungsprozeß
aber morphologisch erst verständlich wird, wenn er auf die Urmund-
ränder bezogen wird, was von His nicht erkannt war; hauptsächlich
dadurch leidet die Darstellung von His an manchen Unrichtig-
keiten. Die Konkrescenz wird erst verständlich, wenn genau unter-
sucht wird, was in den einzelnen Klassen der Wirbeltiere als Urmund
zu bezeichnen ist, was seine ]\ferkmale sind, wie er zuerst entsteht
und sich während der aufeinander folgenden Entwickelungsstadien ver-
ändert. Die Konkrescenzlehre findet so ihre Beantwortung in der
Urmundtheorie. Indem Hertwig die oben aufgeworfenen Fragen
prüfte, kam er zu dem Ergebnis: ,,Was man auf einzelnen Stadien
als Urmund bezeichnet, ist nicht ein und dasselbe unverändert ge-
bliebene Organ ; es sind nur verschiedene Strecken eines sich durch
Wachstum am hinteren Ende in demselben Maße ergänzenden und
erneuernden Organs, als es nach vorn durch Verwachsung und Organ-
differenziernng aufgebraucht wird. Die einzelnen Entwickelungsstufen
eines Wirbeltierkeims zeigen uns immer nur einen kleinen, der je-
weiligen Stufe entsprechenden Abschnitt des Urmunds geöffnet. Wollen
wir uns eine Vorstellung von seiner Gesamtausdehnung verschaffen,
so müssen wir uns alle die Stellen, wo vom Beginn der ersten Ein-
stülpung an eine Verschmelzung der L^rmundränder stattgefunden hat,
geöffnet denken. Ist dies geschehen, dann dehnt sich der Urmund,
weit vorn in der Kopfgegend an einer Stelle beginnend, die sich zur
Zeit in ihrer Lage zu den entwickelten Orgauen nicht genauer be-
stimmen läßt, bis zum After aus, geht also fast in ganzer Länge durch
die spätere Rückengegend des Embryos hindurch".
Die in der Urmundtheorie behandelten Fragen sind in hohem
Maße auch der experimentellen Untersuchung zugänglich. Durch ge-
eignete Eingriffe in frühe Stadien der Entwickelung kann der Experi-
45*
708 0. Hertwig,
mentator den normalen Verschluß des Urniundes verhindern iiiid füi-
längere Zeit eine künstliche Urmundspalte oder S])ina bifida er/,eu,i;eu
(Hertwig L. K. IV, 1892, Urniund und Si)ina bifida; Kollmann
L. K. IV, 1893). Ferner kann man sich einen genaueren Einblick
in die Beteiligung des Urmundrandes an dem Aufbau des Embryos-
und in die frühesten Wachstunisprozesse der Achsenorgane dadurch
zu verschaffen suchen, daß man an geeigneten Objekten (Frosch-.
Fisch-. Hühnereiern) eine bestimmte Stelle des Urmundrandes durch
Anstich mit der erwärmten Nadel oder auf elektrolytischem Wege zer-
stört und die dadurch hervorgerufenen Störungen verfolgt. Roux,
Kastschenko. PiüCKERT, namentlich aber Kopsch sind in der experi-
mentellen Kichtung mit Erfolg thätig gewesen, worüber im 4. Kai)itel
noch eingehender gehandelt werden wird. (Siehe Litteratur zu Ka-
pitel IV.)
gehen, einige einleitende Bemerkungen in Bezug hierauf vorausschicken
Der Litteratur über die Keimblätter hat man mit Recht vorge-
worfen, daß sie so überaus reich an Widersprüchen sei. Sehr häufig
beruhen aber diese Widersprüche weniger auf Verschiedenheiten in
den Untersuchungsergebnissen als auf ihrer Deutung. Zuweilen sind
auch manche Gegensätze nur scheinbare, insofern sie durch eine
andere Namengebuug oder durch eine verschiedene Festsetzung be-
grifflicher Unterscheidungen hervorgerufen sind. Behufs Herbeiführung
einer einheitlichen Auffassung in der Keimblattlehre, sowie überhaupt
zur Vermeidung von Mißverständnissen ist daher eine Verständigung
über einige allgemeine Begriffe und Definitionen erforderlich: daher
ich denn , ehe wir an die Darstellung der Einzelverhältnisse
gehe
will.
Unter einem Keimblatt verstehe ich eine Lage embryo-
naler Zellen, die untereinander zu einer Art Epithel
verbunden sind und zur Begrenzung von K ö r p e r o b e r -
flächen dienen. Solange daher die durch den Furchungsprozeß
entstandenen Embryonalzellen noch kugelig sind und locker zusammen-
liegen, wie auf dem Maulbeerstadium, sollte man auch nicht von einem
Keimblatt sprechen. Ein solches bildet sich erst auf dem Keimljlasen-
stadium aus, wenn mit der Entwickelung einer centralen Höhle die
sie umgebenden Zellen sich zu ihrer Begrenzung fester verl)inden.
Wenn später kompliziertere Embryonalformen entstehen, werden am
Keimblatt mehrere Bezirke, die eine verschiedene Lage gegeneinander
einnehmen, als äußeres, inneres und mittleres Keimblatt (Ektoblast,.
Entoblast, Mesoblast oder Ektoderm, Entoderm, Mesoderm) unter-
scheidbar. Nach der Gastraea- und Cölomtheorie sind sie durch Ein-
und Ausstülpung, überhaupt durch Faltenbildung der ursprüngliclien
Epithelmembran hervorgerufen worden und dienen zur Auskleidung
centraler Hohlräume, des Urdarms und der Leibeshöhle.
V 0 n einem äußeren, i n n e r e n u n d mittleren K e i m 1) 1 a 1 1
kann man so lange nicht sprechen, als nicht die neuen
Lagebeziehungen und Schichtenverhältnisse einge-
treten sind. Hiergegen wird häufig gefehlt; z. B. tragen einige
Forscher kein Bedenken, die vegetativen und die animalen Zellen an
der Keimblase der Amphibien als inneres und äußeres Keimblatt zu
benennen, während dies nach unserer Meinung erst statthaft ist, wenn.
Die Lehre von den Keimblättern. 709
durch die Gastiulation ein Teil der Keinihlasenwaud wii'klicli zu einem
inneren Blatt und zur Begrenzung eines Darniraunis geworden ist.
Sehr wichtig ist es ferner, zu beachten, daß im Laufe der Ent-
wickelung sich fortwährend neue Lagebeziehungen der Zellen durch
Wachstumsverschiebunoen und AVanderungen ausbilden , daß daher
auch die Keimblätter, namentlich am Anfange i h r e r E n t-
w i c k e 1 u n g , v e r ä n d e r 1 i c h e G r ö ß e n u n d nicht s c h a i* f g e g e n-
ein ander abgegrenzt sind. Zellen, die auf früheren Stadien
der Gastrulation im äußeren Keimblatt liegen, werden auf späteren
Stadien durch Einstülpung am Urmundrand zu Bestandteilen des
inneren oder mittleren Keinil)lattes. Aeußeres, inneres und
mittleres Keimblatt zeigen also nur einen Gegensatz in
der Lage der Zellen an, die sich zu verschiedenen Zeiten
der Entwickelung verändert und die auch in den ein-
zelnen Klassen der Wirbeltiere in etwas verschiedener
Weise z u S t a n d e kommen kann. Wenn man dieses im Auge be-
hält, dann wird man finden, daß manche anscheinend wichtige Differenzen
in den Angaben einzelner Forscher sich als nebensächlicher Art er-
weisen und Gegensätze betreffen, welche nur durch ihre Darstel-
lungsweise und ihre Definitionen geschaffen sind, im Lichte der ver-
gleichenden Embryologie aber ihre Lösung finden. So verhält es
sich in gewisser Beziehung mit den Streitfragen, ob das mittlere Keim-
blatt vom inneren oder vom äußeren abstamme, ob die Chorda ein
entodermales, mesodermales oder ektodermales Gebilde sei.
Gehen wir z. B., was die erste Frage betrifft, von der Entwickelung
des Amphioxus aus. Bei ihm wird die ganze vegetative Hälfte der Keim-
blasenwand gewissermaßen in einem Zuge eingestülpt, 1) das Zellen-
material, welches den bleibenden Darm und 2. das Material, das die
Leibessäcke auskleiden wird. Erst nachdem das Gastrulastadium einige
Zeit bestanden hat. sondert sich durch Faltung das eingestülpte
Zellenblatt in die dorsal gelegenen Cölonisäckchen und in den uni)aaren
ventral gelegenen Hohlraum, der zum bleibenden Darm wird. Hier
wird Niemand einen Augenblick zögern, das mittlere Keimblatt
durch Sonderung vom inneren abzuleiten. Nehmen wir nun aber an,
der Prozeß verliefe l)eim Amphioxus in der Weise, daß anfangs nur
der Teil des Zellenniaterials der Keimblasenoberfläche eingestülpt
würde, welches später zur Auskleidung des Darmes diente, und daß
erst nach einer Pause das übrige Zellenmaterial, welches zur Begrenzung
der Cölomsäcke verwandt wird, nachfolgen, sich aber jetzt von dem zu-
erst eingestülpten Material schon während der Einstülpung in 2 Aus-
sackungen absondern würde, dann wird eine andere Darstellung mög-
lich: dann kann man sagen, daß das mittlere Keimblatt durch Einstül-
pung von Zellen des äußeren Keimblattes seinen Ursprung nimmt. Nach
der eben gegebenen Darstellung sind die zwei verschiedenen Eut-
stehungsweisen des mittleren Keimblattes unwesentliche Modifikationen
eines und desselben Grundvorganges, eines Invaginations- oderFaltungs-
l)rozesses. der zur Darm- und Leibeshöhlenbildung führt. Werden
dagegen in polemischer Form die nackten Endergebnisse einander
gegenübergestellt, daß nach der einen Meinung beim Amphioxus
das Mesoderni aus dem inneren Keimblatt, nach einer anderen aus
dem äußeren Keimblatt entstehen solle, so wird der Leser hierin
einen unbegreiflichen Widerspruch erblicken, während ein solcher in
Wirklichkeit gar nicht vorliegt.
710 0. Hertwig,
Der zweite Vorgang, welchen ich hier für den Amphioxus nur als
einen möglichen angenommen habe, findet sich in der Natur bei den
Reptilien, Vögeln und Säugetieren realisiert. Wenn daher bei den
Amnioten das mittlere Keimblatt aus einer ektodermalen Wucherung
des l'rimitivstreifens, die zwischen die Grenzblätter hineinwächst,
seinen Ursprung nimmt, so ist dies Ergebnis mit der beim Am-
phioxus ermittelten einfacheren Entstehungsweise unschwer in Ein-
klang zu bringen. Entoderm und Mesoderm stammen ja beide von
Zellbezirken an. die einmal der Oberfläche der Keimblase angehört
haben. Ob beide in einem Tempo eingestülpt werden (primäres Ento-
derm) und sich erst dann in sekundäres Entoderm und Mesoderm
weiter voneinander sondern (Amphioxus), oder ob erst ein Teil des
Zellmaterials einwandert und der andere später nachfolgt, dann aber
gleich sich als Mesoderm von ersterem abgrenzt, kommt im End-
resultat auf genau dasselbe hinaus und ist daher eine nebensächliche
Verschiedenheit.
Eine andere Streitfrage, ob die Chorda vom äußeren oder inneren
oder mittleren Keimblatt abstammt , ist ähnlicher Art. Die Chorda
nämlich entwickelt sich aus einer Stelle der Embryonalanlage, an
welcher zeitweise, wie am Urmund der Selachier und Amphibien und
am HENSEN'schen Knoten der Amnioten, alle 3 Keimblätter zusammen-
stoßen und ineinander übergehen. Und so kann man nach der Her-
kunft der Chordazellen, nach ihren Nachbarschafts- und Lagebeziehungen
Gründe für jede der 3 Behaui)tuugen beibringen : für ihre Abstammung
aus dem Ektoderm den Grund, daß der Primitivstreifen durch eine
Wucherung des Ektoderms entsteht; für ihre Zugehörigkeit zum Meso-
derm die Thatsache, daß das Zellenmaterial in derselben Schicht wie die
mittleren Keimblätter liegt; für ihre Zugehörigkeit zum primären
Entoderm dagegen die Thatsache, daß die Zellschicht, welche zur
Chorda wird, anfangs und für längere Zeit die Decke des Urdarms
bildet und daher, wenn man alle den Urdarm begrenzenden Zellen
wie beim Amphioxus primäres Entoderm nennt, auch zu diesem hin-
zugerechnet werden muß. Ueber die nackten Thatsachen, welche bei
dem gegenw^ärtigen Stand der embryologischeu Untersuchungsmethodeh
leicht festzustellen sind, werden sich die verschiedenen Forscher leicht
einigen, der Streit aber darüber, ob man die Chorda besser als eine ento-
dermale, mesodermale oder ektodermale Anlage auffassen soll, läßt
sich beseitigen, wenn man das Zellenmaterial für die Bildung der
Chorda, sowie es sich bestimmt abgrenzen läßt und seine charakte-
ristische Lage eingenommen hat. überhaupt nicht mehr zu einem
der 3 Keimblätter hinzurechnet, sondern als eine eigene Anlage be-
zeichnet und, wie ich es vorgeschlagen habe, Chordaanlage nennt.
Dieses Auskunftsmittel möchte sich auch noch insofern empfehlen,
als dadurch zugleich ein anderer Gordischer Knoten zerschnitten
und in einfachster Weise gelöst wird. Ich meine den Streit, ob
das mittlere Keimblatt eine u n p a a r e oder paarige An-
lage sei. Wenn mau nach meinem Vorschlag eine besondere Chorda-
anlage annimmt, so kann das mittlere Keimblatt nicht anders als
eine paarige Anlage bezeichnet werden. Denn es besteht aus einer
linken und rechten Hälfte, die durch die Chordaanlage voneinander
getrennt sind. Hierzu kommt, daß auch später nur paarige Organe
aus ihm entstehen, die Ursegmentpaare, und aus diesen wieder die
Skierotome, Myotonie, Nephrotome und die paarigen Seitenplatten,
die sich ebenfalls wieder, in lauter paarige Organe differenzieren.
Die Lehre von den Keimblättern. 711
Da es sich bei den zahlreichen Widersprüchen in der Keimblatt-
litteratur, wodurch dieselbe zu einer wenig erfreulichen gemacht wird,
häufig um ähnliche Verhältnisse wie die angeführten handelt, so wird
in der folgenden Darstellung ein besonderes Gewicht auf eine scharfe
Definition der angewandten Benennungen gelegt werden.
Um zu richtigen Urteilen in allgemeinen Fragen der Blätter-
theorie zu gelangen, ist ferner nicht außer acht zu lassen, daß Stadien
von embryonalen Prozessen sich in vielfacher Hinsicht von phylogene-
tischen sehr wesentlich unterscheiden nnd nicht ihnen als gleichwertig
betrachtet werden dürfen. Die Ontogenie der Säugetiere lehrt uns
z. B., daß Oberhppe, Oberkiefer und Gaumen durch Verschmelzung
von Fortsätzen entstehen. Daraus darf aber nicht der Schluß ge-
zogen werden, daß Tierformen existiert haben könnten, bei denen
Oberlippe, Kiefer und Gaumen beiderseits von Spalten durchsetzt und
dadurch die Nasenhöhlen in breiter Verbindung mit der Mundhöhle
gewesen wären . wie es bei den Mißbildungen der Lippen-Kiefer-
Gaunien spalte nicht selten eintritt. Ein solcher Zustand hat wohl in
dei- Tierreihe niemals existiert : denn wenn eine Lippenspalte dauernd
vorhanden ist, wie bei den Haifischen, sind die Geruchshöhlen noch
wenig weit nach hinten entwickelt, so daß diese Spaltbildung noch
nicht die Gaumengegend ergriffen hat. Findet aber die weitere Aus-
dehnung der Geruchshöhlen nach hinten statt, wie bei den Amphibien
und Amnioten, so hat sich zuvor schon ein zusammenhängender Lippen-
und Kieferrand durch Verwachsung der die Lippen- und Kieferspalten
begrenzenden Teile gebildet. Hemmung eines normalen ^'organges
oder Stehenbleiben der Entwickelung auf einer früheren Stufe er-
giebt eine Mißbildung, aber kein Bild eines phylogenetischen Zustandes.
Ein solches kann auch schon deswegen meistens nicht entstehen, weil
die durch Verschmelzung gebildeten Lippen-. Kiefer- und Gaumen-
gegenden ja auch später noch weiterwachsen und Veränderungen
mannigfachster Art in Form, Größe und Lage häufig eingehen.
Die Nutzanwendung von diesem Beispiel läßt sich in der Keini-
blattlehre bei der Konkrescenz- und Urmundtheorie machen. Aus
der Lehre, daß die ganze Rückengegend des Embryos vom Kopf bis
zum Schwanzende durch Verschmelzung der Urmundränder zustande
gekommen sei, darf man nicht etwa die Folgerung auf ein phylogene-
tisches Stadium ziehen, in dem ein langgestreckter Wirbeltierleib dem
Rücken entlang durch einen Urmundspalt geöffnet gewesen söi. Denn
einmal gehört die Urmundbildung einem sehr frühen Stadium an. auf
welchem die eigentlichen Wirbeltiermerkmale überhaupt noch nicht
ausgeprägt sind, und dann gilt auch hier das früher Gesagte, daß durch
das fortschreitende Wachstum ganz andere Verhältnisse geschaffen
werden , als zur Zeit des Urmundes und seiner Verwachsung be-
standen. Es nimmt der Wirbeltierleib durch ein von seinem hinteren
Ende ausgehendes Wachstum successive an Länge zu, wobei sich auf
frühen Entwickelungsstadien auch der Urmund immer weiter nach
hinten ausdehnt. Während aber dies geschieht, sind seine vorderen
Abschnitte schon längst wieder verändert. Eine Eröffnung des Urmundes
seiner ganzen Länge nach kann daher nichts anderes als Mißbildungen
liefern , wie solche hier und dort als Spina bifida bei Wirbeltieren
beobachtet worden sind. Der absonderliche Charakter der Mißbildung
wird noch dadurch gesteigert, daß die Spalte in späteren Stadien der
Entwickelung nicht mehr von den einfachen Urmundrändern, sondern.
712 0. Hertwig,
da der Entwickelunssprozeß fortschreitet, von Organen begrenzt wird,
die sich aus den Uriiiundrändern und ihrer Umgebung entwickelt hal)en,
also von den lialbierten Teilen des Rückenniarks und des Achsen-
skeletts und der oberen Darniwand.
Aehnlich verhält es sich mit einem anderen später darzustellen-
den Ergebnis embryologischer Untersuchung, wonach sich der Schwanz
der Wirbeltiere durch A'erschmelzung zweier Schwanzknospeii aus
der vor dem After gelegenen Urmundstrecke entwickelt. Auch hier
wäre es verfehlt, aus solcher Entstehungsweise einen Rückschluß
auf doppelschwänzige AVirbeltiere zu machen, da die Verschmelzung
der Urmundrändei' in der späteren Schwanzgegend ein viel älteres Er-
eignis als die Bildung des Wirbeltierschwanzes ist. Doppelsjchwänze,
wie sie in der Entwickelung der Wirbeltiere zuweilen beobachtet
werden, sind Hemmuugsmißbildungen, die sich aus den entwickelungs-
geschichtlichen Verhältnissen in der Schwanzgegend leicht erklären
lassen und für die i)aarige Natur der Anlagesubstanz sprechen, aber
darüber hinaus sich nicht weiter phylogenetisch verwerten lassen.
Noch in vielen anderen Beziehungen tragen embryonale Prozesse,
zumal in den frühesten Stadien, häufig ihr besonderes (lepräge, wo-
durch Haeckel zur Unterscheidung einer Cenegenese veranlaßt worden
ist. Diesem Umstand muß in richtiger Weise Rechnung getragen
werden, wenn man sich von größeren Reihen entwickelungsgeschicht-
licher Verhältnisse eine Gesamtvorstellung in einer Theorie bilden will.
So ist es eine sehr häufig zu beobachtende Erscheinung, daß Organe,
von denen man erwarten sollte, daß sie ihrer späteren Natur nach
als Hohlorgaue angelegt werden müßten , als solide Zellenmassen
entstehen. Drüsen, die ihr Sekret, wenn sie später secernieren, in
Hohlräume entleeren und durch Ausführgänge nach außen treten lassen,
wachsen nicht als Röhren oder Schläuche oder Säcke, sondern als
solide Stränge aus einem der primären Keimblätter hervor. In vielen
Fällen legt sich das Centralnervensystem als Rinne und als hohles
Rohr, in andei'en wieder als solide Zellenleiste an, die sich zu einem
soliden Zellenstrang abschnürt und erst später im Innern aushöhlt.
Bei einigen Wirbeltieren findet man eine primäre Augenblase
und ein Hörbläschen, wo bei anderen Vollorgane beobachtet werden,
die sich erst in späterer Zeit aushöhlen. W^er solche Erfahrungen bei
Beurteilung von embryonalen Prozessen berücksichtigt, wird die solide
Anlage der mittleren Keimblätter und den Umstand, daß erst relativ
spät durch ihre Spaltung in Darm- und Hautfaserblatt die Leibes-
höhle auftritt, nicht als einen Beweis gegen die Theorie benutzen,
daß die mittleren Keim])lätter die epithelialen Wandungen von durch
Ausstülpung entstandenen Leibessäcken seien. Denn ein solcher Be-
weis ist von vornherein hinfällig angesichts der sehr zahlreichen
Fälle, wo Hohlorgaue als Organe ohne Höhlung entAvickelt werden.
Ich schließe daher diesen einleitenden Abschnitt mit der Be-
merkung: Zu einem befriedigenden Verständnis der Entwickelungsprozesse
kann die genaue Feststellung der nackten Thatsachen in vielen Fällen
allein nicht führen ; es muß noch die erschöpfende Vergleichung der
Thatsachen untereinander und ihre richtige Beurteilung hinzukommen,
welche sich auf eine umfassende Kenntnis der Eigentümlichkeiten
embryonaler Prozesse gründet.
Die Lehre von den Keimblättern.
13
Die Keimblätter des Ainpliioxus laiiceolatus.
Für das Studium der Entwickelung der Wirbeltiere ist eines der
wichtigsten und vorzüglichsten Objekte das Ei von Amphioxus lanc.
Bei ihm spielen sich alle Vorgänge in einer so einfachen und klaren
Weise ab, wie in keinem anderen bisher bekannt gewordenen Fall,
so daß sie uns als Ausgangspunkt und Grundlage für eine ver-
gleichende Untersuchung der Keimblattbildung dienen können.
Das Verdienst, die Embr3'ologen mir diesem wichtigen Untersuchungs-
objekt zuerst bekannt gemacht zu haben, hat sich A. Kowalevsky (A.
L. III ', 1867) erworben, welcher seine erste grundlegende Arbeit über
die Amphioxusent Wickelung 1867 veröifentlichte und ihr eine zweite
1877 nachfolgen ließ. Wenige Jahre später gab B. Hatschek (A. L. III i,
1881) seine ausgezeichneten „Studien über Entwickelung des Amphioxus"
heraus, in welchen er die meisten Angaben von Kowalevsky bestätigte,
zugleich aber die ersten Stadien sowohl am lebenden Tier, als auch zum
erstenmal durch Anfertigung von Schnittserien bis ins einzelnste so gründ-
lich untersuchte , daß er, was die Keimblattbildung betrifft , seinen
Nachfolgern nur wenig Neues hinzuzufügen übrig ließ.
Mit einzelnen Stadien der Amphioxusentwickelung und einzelnen
strittigen Fragen, wie dem Verschluß des Urmundes, haben sich später-
hin LwoFF, Ei
SMOXD, Sobotta, Klaatsch, Mac BpaDE, Morgan, Gar-
BowsKi, Samas.sa, Willev beschäftigt. (S. L. C. III ^.)
Nachdem der Furchungsprozeß, der schon auf p. 591 dar-
gestellt wurde, in wenigen Stunden beendet ist, geht aus dem Haufen
der zahlreich und klein gewordenen Embryonalzellen die erste typische
Embryonalform. die Keim blase oder Blastula, hervor (Fig. 247).
Ihre Wand ist aus einer einfachen Schicht cylindrischer Zellen zu-
sammengesetzt, die mit ihren Seitenflächen dicht aneinanderschließen
und einen von Flüssigkeit prall gefüllten Hohlraum, die Keimblasen-
höhle (Blastocöl), nach außen allseitig abschließen. Im histologischen
/://
Fig. 247
Fig. 248.
Fig. 24(. Keimbla.se des Amphioxus nach Hatschek, Taf. II, Fig. 21.
kh Keimblasenhöhle, vz vegetative Zehen. (Vegetativer Bezirk.) .
Fig. 248. Junges Gastrulastadium vom Amphioxus nach,; Hatschek, Taf. II,
Fig. 22. kh Keimblaseuhöhle. nd Urdarm.
714
0. Hertwig,
Allfang
System bezeichnet man eine derartige Anordnung der Zellen als ein
Epithel, und in der Embryologie nennt man die nach Al)lauf des
Furchungsprozesses zuerst entstehende, epithelartige Zellenschicht das
primäre Keimblatt, welches beim Amphioxus das einzige Substrat
für alle weiteren Entwickelungsvorgänge abgiebt. Denn wie schon
Hatsciiek bemerkt hat, werden wir im folgenden sehen, „dal^ durch
Faltungen und Verwachsungen der einfachen Epithelschicht die wesent-
lichsten Organe zur Sonderung gelangen. Es tritt nirgends eine
Mehrschichtigkeit des Epithels und Spaltung desselben ein".
Die Keimblase des Ami)hioxus (Fig. 247) läßt von allem
an eine Ungleichinäßigkeit in der Beschafit'enheit ihrer Wandung er-
kennen. Ein Bezirk {v0) nämlich, der etwa ein Drittel der Oljer-
fläche ausmacht und als vegetativer vom übrigen größeren oder dem
animalen Bezirk unterschieden zu werden pflegt, wird von etwas
größeren und dunkleren Zellen gebildet, die mehr Dotterkörnchen
enthalten. Von ihm geht der Anstoß zu einer weiteren Veränderung
aus, die zur Entstehung einer zweiten, außerordentlich charakteristischen
und fundamentalen Embryonalform, der Gastrula, führt. Der vege-
tative Bezirk {vs) beginnt sich bald etwas abzuflachen, weiterhin in
die Keimblasenhöhle ikli) einzubuchten (Fig. 248), sie mehr und
mehr zu verdrängen und sich so der animalen, von kleineren und
helleren Zellen gebildeten Wandschicht zu nähern, welcher sie sich
endlich dicht anlegt (Fig. 249). Der ganze Keim hat jetzt die Form einer
Mütze oder flachen Schüssel, an welcher Hatschek bereits eine
bilaterale Symmetrie, ein vorderes und ein hinteres Ende feststellen
konnte. Der durch Einstülpung neu entstandene Hohlraum ist der
Urdarm {ud), seine weite Oeff-
nung wird als Urmund (Bla-
stoporus), die eingestülpte
Schicht größerer Zellen als
das innere Keimblatt (ik Ento-
blast , Entoderm) , die nach
Fig. 249. Schüsseiförmiges Ga-
strulastadium des Amphioxus, nach
Hatschek, Taf. II, Fig. 24. ud Ur-
darm, ul Urmimdhppe. nk, ik äußeres
lind inneres Keimblatt.
r^r0\-^ '■'-■■'■-' ■"■■ ■■ ■
grenzung
liegen
außen gelegene Schicht animaler Zellen als das äußere Keimblatt {(iJi)
Ektoblast, Ektoderm) bezeichnet.
Außer den größeren dotterreichen Zellen schieben sich aber auch
kleinere Elemente, wie Lwoff nachgewiesen hat, von dem Einstüliuings-
rand aus in die Gastrulahöhle hinein ; sie tragen besonders zur Be-
ihrer dorsalen Wand bei, während erstere ventralwärts zu
kommen.
Auf den nächsten Stadien nimmt die Gastrula mehr die Form
eines Bechers an, wobei sich der Urmund in erheblichem Maße ver-
kleinert (Fig. 250 u. 251); gleichzeitig wird die eine Wand des Bechers,
welche der späteren Rückengegend entspricht, mehr abgeplattet. Noch
ältere Embryonen strecken sich immer mehr in die Länge; der sehr
eng gewordene Urmund kommt an ihr hinteres Ende zu liegen, wo
er sich an der Rückenfläche öft'net und noch auf ziemlich vorgerückten
Stadien beobachtet werden kann.
Die T^elire von den Keimblättern.
715
Wie die Umwandlung des weiten, sehr umfangreichen in den zu-
letzt außerordentlich engen Urmund zu stände kommt, ist eine seit
mehreren Jahren lebhaft diskutierte Frage. Namentlich handelt es
Fig. 250.
xul ak ik dl
ik ß vi
Fig. 2.10. Becherförmiges Gastrulastadium des Amphioxus, nach Hatschek,
Taf. III, Fig. 29.
Fig. 2r)'l. Gastrula des Amphioxus mit engem Urmiind, Taf. III, Fig. ;!3.
dl, vi dorsale und ventrale Urmundlippe. ak, ik äußeres und inneres Keimblatt.
tid Urdarm.
Verengerung,
die allmählich
konzentrisch oder
sich darum, zu entscheiden, ob die
fast zu einem vollständigen Verschluß führt,
exzentrisch erfolgt.
Konzentrisch kann der Verschluß heißen, wenn
rand in seinem ganzen Umfang ähnlich wie ein
ring gleichmäßig zusammenzieht, so daß die spätere kleine
etwa der Mitte der ursprünglichen Ausdehnung entspricht.
sich der
gedehnter
mit
die
der Bezeichnung eines exzentrisch
Urmund-
Gummi-
Oeftnung
Dagegen
folgende
Vorstellung
erfolgenden Ur-
oval
geformten
Urmundes geht
des
gelegenen
verbindet man
mundschlusses
Die Verkleinerung des weiten,
von einer ganz bestimmten Stelle aus, welche dem Kopfende
späteren Embryos entspricht. Die links und rechts von ihr
Zellen des Randes, an welchem sich das äußere in das innere Keim
blatt umschlägt, wachsen einander entgegen und vereinigen sich all-
mählich in einer Linie, welche mit der Medianebene des Embryos zu-
sammenfällt. Es schließt sich also der Urmund von vorn nach hinten
bis auf einen kleinen Rest, welcher sein hinterster oder kaudaler Ab
schnitt ist. In Fig. 251 z. B. ist nach dieser Ansicht die Verkleinerung
des Urmundes im Verhältnis zu Fig. 250 dadurch zustande gekommen,
daß sich die zwischen Ä und B gelegene Strecke der Becherwand in
der angegebenen Weise neu gebildet hat. Durch Verwachsung (Kon-
krescenz) des Urmuudrandes entsteht die Rückengegend des Embryos,
aus welcher sich Chorda, Nervenrohr und Ursegmente entwickeln. Es
liegt auf der Hand, daß, je nachdem man einen konzentrischen oder
einen exzentrischen Verschluß des Urmundes annimmt, die Achsen
der Gastrula zu den späteren Hauptachsen des wurmfürmig gewordenen
Embryos eine sehr verschiedene Orientierung erhalten.
Die Frage, in welcher Art der Verschluß des Urmundes beim
Amphioxus vor sich
geht,
ist schon von Hatschek aufgeworfen worden.
716 0. Hertwig,
Während Kowalev.skv ainiahm, daß die den animalen und vegetativen
Pol verbindende Linie der Längsachse des Embr^'os entspreche und
daß der Urmund von Anfang an sein hinteres Ende bezeichne, adaubte
Hatschek auf Grund seiner Untersuchungen eine andere Orientierung
der einzelnen Entwickelungsstadien zueinander in Bezug auf ihre Achsen
vornehmen zu müssen. Nach seiner Ansicht, in welcher er die Lehre
vom exzentrischen Verschluß des Urmundes zuerst aufgestellt hat, ge-
hört der Grastrulamund ganz der späteren Rückenseite an, und bezeichnet
sein hinterer Rand das Hinterende des Embryos. „Die Schließung des
Gastrulamundes geht von dessen vorderem Rande aus, während der
hintere Rand stets unverändert bleibt. Die Verwachsung der Ränder
erfolgt in einer Linie, welche den größeren hinteren Teil der sjjäteren
Rückenlinie bildet Der hinterste Rest des Gastrulamundes bleibt als
eine kleine, dorsal am Hinterende des Rückens gelegene Oeffnung dann
noch lange bestehen." Den in diesen Sätzen beschriebenen „Modus der
Gastrulaschließung" bezeichnete Hatschbk mit Recht als „den einfachsten,
mechanischen Prozeß, durch welchen die eine Form des urmundes in
die andere übergeführt werden könne".
%*Auch Davidoff (L. K. III i, 1891) ist in seiner Arbeit über die Ent-
wickelung der Distaplia zum Schluß gekommen, ,,daß die Rückenorgane der
Ascidien und des Amphioxus aus zwei seitlich symmetrischen, anfangs
durch die ganze Breite des Blastoporus voneinander entfernten Anlagen
entstehen , welche in der dorsalen Medianlinie immer näher aneinander
rücken und vorn zuerst, später in der ganzen Medianlinie des Rückens
zur Vereinigung kommen".
Der Hypothese von Hatschek bin ich (L. Iv. IV, 1892) gleichfalls
beigetreten, gestützt auf Untersuchungen an Amphibienembryonen und auf
vergleichende Erwägungen, welche auf p. 707 dieses Handbuches be-
sprochen sind ; ich halte sie auch jetzt noch für die wahrscheinlichste trotz
des Widerspruches, den Rabl (L. K. III i, 1896, p. XVI), Lwoff, So-
KOTTA, KlaÄtsch, Gakbowski dagegen erhoben haben (siehe L. K. III*).
SoBOTTA (L. K. III 2j 1897) und andere Forscher verlangen, daß wenn
die Ansicht von Hatschbk richtig ist, man die Verwachsung des Ur-
mundrandes noch an einer Nahtlinie erkennen müsse und daß „haupt-
sächlich an Querschnitten durch den hinteren Teil der Gastrula dicht
vor dem Urmund diese Naht in Gestalt einer beide Keimblätter durch-
setzenden Linie oder eines feinen Spaltes sichtbar sein müßte".
Dem Einwui'f kann aber immer entgegnet werden, daß die Nahtlinie
sich der Beobachtung entzieht, weil die Verwachsung nur sehr allmäh-
lich erfolgt, weil sie nur eine kleine, von wenigen Cylinderzellen ge-
bildete Strecke des Urmundrandes betrifft und weil der Verschmelzung
in der Nahtlinie nach kurzer Zeit eine Abtrennung des äußeren von dem
inneren Keimblatt auf dem Fuße folgt. Eine Untersuchung dieser Ver-
hältnisse an Querschnittserien hätte auch dann nur einige Aussicht auf
Erfolg, wenn sie an isolierten, richtig orientierten Gastrulae ausgeführt
würde, Avas auf Schwierigkeiten stößt und bis jetzt noch von keinem
Forscher vorgenommen worden ist. Morgan (Kap. III 2, 1900) diskutiert
die verschiedenen Möglichkeiten wie der Urmund sich verengern und
seine Lage verändern könne, ohne aber für eine derselben entscheidende
Beobachtungen beibringen zu können.
Zur Zeit liegt also die Frage so, daß beim Amphioxus ein sicherer
Beweis für die exzentrische Verwachsung noch fehlt , wie denn auch
Hatschek von vornherein seine Ansicht nur als eine Hypothese bezeichnet
Die Lehre von den Keimblättern.
< 1 i
hat. Das Gleiche
gilt
aber mit Fu"- und Recht auch für die ebenfalls
ganz
unbewiesene Annahme, daß der Urmundschluß konzentrisch erfolge,
oder in der von Rabi, vermuteten Weise (1. c. p. XVI). Ueberhaupt ist
flu- diese Entscheidung Amphioxus wohl ein weniger geeignetes Material,
als andere Wirbeltiere, auf welche später eingegangen werden wird.
Die Angabe Hatschbk's, daß der hintere ventrale Rand des Urmundes
immer durch die Anwesenheit zwe:
Mesoderms nennt, ausgezeichnet f
Wii.sox. Lwoi'F und S()H(>TTA, keine Bestätigung gefunden.
großer Zellen, die er Polzellen des
hat durch andere Forscher, wie
Iin weiteren Verlauf der Entwickelung nehmen aus den 2 Keim-
wichtige
Organe
blättern der Gastrula fast gleichzeitig 4 bleibende,
ihren Ursprung: das centrale Nervensystem, das mittlere Keimblatt
mit den Ursegmenten. die Chorda nnd das Darmrohr. Da die 4 Ent-
wickelnngsprozesse anf das innigste ineinander greifen, müssen sie im
Zusammenhang betrachtet werden, wobei wir mit der Bildung des
Nerven rohres beginnen wollen.
Wie schon oben erwähnt . wird die Rückenfläche der Gastrula,
welche nach der Hypothese von Hatschek durch Verschmelzung der
Urmundränder entstanden ist, abgeplattet (Fig. 251) und dadurch
von der gekrümmten Bauchgegend unterscheidbar. In ihr sondert
sich ein breiter Streifen von vorn
nach hinten als Nerven- oder
M e d u 1 1 a r p 1 a 1 1 e (Fig. 252 mj))
ab, indem in ihrem Bereich die
Zellen etwas höher werden, seitlich
von ihr sich dagegen etwas ab-
platten und als Hornblatt 'hb) be-
zeichnet werden.
Fig. 252. Querschnitt vou einem
Amphioxusembryo, bei welchem sich das
erste Ursegraent' bildet. Nach Hatschek.
ak, ik, Utk äußeres, inneres, mittleres Keim-
blatt, hb Hornblatt, mp Medullarplatte.
eh Chorda. * Ausstülpmig der ITrdarmhöhle.
Auf einem nächsten Stadium senkt sich die Nervenplatte nach
dem Urdarm zu als Rinne ein, wobei sich ihre Zellen, die Geißeln
tragen und flimmern, verlängern, keilförmig werden und den Zusammen-
hang mit den flacheren Elementen des Hornblattes verlieren. Letztere
(Fig. 252 hb) beginnen sich von links nach rechts her über die Ränder
der Rinne herüberzuschieben, sie allmählich vollständig zu überwachsen
und eine dünne Deckplatte herzustellen, durch welche die Rinne zu
einem engen Kanal geschlossen wird (Fig. 254). Die Ueberwachsung
beginnt von hinten am vorderen Ende des Urmundes und schreitet
nach vorn vor, wo sich indessen noch längere Zeit eine weite Oeflfnung
erhält, der Neuroporus (Fig. 253 N). Auf einem noch vorgerückteren
Stadium krümmt sich die Nervenrinne mit ihren Seitenwänden noch
mehr zusammen (Fig. 256 mp), senkt sich nach den Urdarm zu ein
und wandelt sich durch Zusammenneigen und Verwachsen ihrer Ränder
unter der Decke des Hornblattes zu einem Rohr um (Fig. 257). Auch
hierbei schreitet die Verwachsung von hinten nach vorn vor.
Da der Urmund das hintere Ende der Rückengegend einnimmt,
wird seine Umgebung auch mit in die Differenzierung der Nerven-
718
0. Hertwig,
platte hineingezogen,
wenn diese sich von vorn nach hinten vergrößert.
Auf diese Weise wird der Rest des Urmiindes von einer Art Nerven-
ring umgeben und wird später, wenn die Medullarplatte sich auch hier
zu einem Rohr schließt, in sein hinteres Ende mit aufgenommen, wo
er längere Zeit eine Verbindung zwischen Nerven- und Darmrohr dar-
stellt (Fig. 253). Beide zusammen bilden einen aus zwei Schenkeln
bestehenden Kanal, dessen Form sich einem Heber vergleichen läßt.
Die Umbiegungsstelle der beiden Schenkel des Hebers oder der ürmund-
ik il/i iV mä' wa-A n
•(■f/i tili:
cn
*-;2id£i]"'^Iril^gt**°'^'^''^''^'° '^^^^Elg^rn
Fig. 253. Opti.scher
Längsschnitt durch einen
Amphiosusembryo mit
fünf Ursegmenten. Xach
Hatschek. V vorderes,
H hinteres Ende. ik-. mk
inneres, mittleres Keim-
blatt. IUI Darmhöhle, n
Nervenrohr. cn Caualis
neurentericus. «.«> erstes
Ursegment. ush L'rsegment-
höhle.
teil, welcher die Verl)indung zwischen Rückenmark und Darm ver-
mittelt, heißt Canalis neurentericus (cn), eine mori»hologisch sehr
wichtige Bildung, welche uns auch in der Entwickelung der ül^rigen
"Wirbeltiere wieder begegnen wird.
Den Veränderungen an der OberÜäche geht eine Reihe von Er-
scheinungen am inneren Keimblatt parallel, welche sich an Quer-
schnitten leicht verfolgen lassen. Dadurch, daß bei der Bildung der
Nervenriune die Decke der Gastrula in die Urdarmhöhle hinabgedrückt
wird, entstehen zu beiden Seiten eines median vorsi)ringenden Kieles
zwei Ausbuchtungen des Urdarmes, die Cölomtaschen (Fig. 252
u. 254 //?) oder die Mesodermfalten Hatschek's. Sie grenzen sich
bald auch nach abwärts besser ab. weil an der Seitenwand der Gastrula,
etwas über ihrer Mitte, sich das innere Keimblatt vom äußeren, dem
es sonst dicht angeschmiegt ist, etwas abhebt und eine kleine Falte
liefert, die wir fortan mit dem Namen der Urdarm falte (elf) be-
legen wollen. Der zwischen beiden Cölomtaschen befindliche, als Kiel
nach unten vorspringende Streifen des inneren Keimblattes (ch)
liefert das Zellenmaterial für die spätere Chorda dorsalis und kann
daher als Chordaanlage (ch) bezeichnet werden. Die Wandung der
Cölomtasche besteht aus Zellen , die sich durch geringere Größe
von den hohen Cylinderzellen der übrigen Urdarm wand auszeichnen
(Lwoff). Somit läßt sich jetzt am inneren Keimblatt eine neue
wichtige Anlage unterscheiden, das mittlere Keimblatt {mk>, (Mesoblast
oder Mesoderm). Der von ihm umschlossene Hohlraum wird zur
Leibeshöhle (Ih). Der übrige größere Teil des Urdarmes kann, nach-
dem sich die Cölomtaschen von ihm abgesondert haben, der sekundäre
Darm (dh) heißen.
Nur kurze Zeit l)leiben beim Amphioxus die Cölomtaschen in
der beschriebenen Weise bestehen ; bald lassen sie neue Bildungen,
die Ursegmente, aus sich hervorgehen . und zwar durch Faltungs-
prozesse, die, am Kopfende beginnend, sich vielfach in der gleichen
Weise von vorn nach hinten wiederholen (Fig. 255). In geringei'
Die l^ehre von den Keimblättern.
19
Entfernung vom Kopfende der Cölonitasche beginnt ihre Wand eine
zur Längsachse des Embrj-os quer gestellte Falte zu bilden , welche
von oben lier nach abwärts in die Leibeshöhle und von der Seite her
Fia-. 251.
ak
liij)
mk -■-
■:^,.
-^Mr- II,
Fig. 255.
V
!k
Fig. 250.
- Ih
ik
dh
ik
ak
mk
ud
Fig. 254. Querschnitt von einem Amphioxusembryo, an welchem das fünfte
Ursegment in Bildung begriffen ist. Nach Hatschek. ak, ik, mk äußeres, inneres,
mittleres Keimblatt, mp Medullarplatte, ch Chorda, dh Darmhöhle, Ih Leibeshöhle
oder Ursegmenthöhle {ush tler Fig. 255), df Urdarmfalte. '■ Eingang in die Coelom-
taschen.
Fig. 255. Amphioxusembryo mit fünf Paar Ursegmenten, im optischen Durch-
schnitte vom Rücken gesehen. Nach Hatschek. Es sind die Oeffnungen der ür-
segmenthöhlen in die Darmhöhle, welche bei tieferer Einstellung zu sehen sind, an-
gedeutet. T^ vorderes, H hinteres Ende, ak, ik; mk äußeres, inneres, mittleres Keim-
blatt, us^ erstes Ursegment, ush Ursegmenthöhle, vd Urdarm.
Fig. 256. Querschnitt durch einen Amphioxusembryo mit fünf wohl ausge-
bildeten Ursegmenten. Nach Hatschek. ak, ik, mk äußeres, inneres, mittleres
Keimblatt, mp Medullarplatte, ch Chordarinne, dh Darmhöhle, //; Leibeshöhle.
nach der Chordaanlage zu vorwächst. In derselben Weise entstellt
alsbald jederseits in geringer Entfernung hinter der ersten eine zweite,
hinter der zweiten eine dritte, vierte Querfalte und so fort in dem-
selben Maße, als sich der embryonale Körper in die Länge streckt
und sich gleichzeitig die beiden Cölomtaschen nach hinten, nach dem
Urmund zu, durch Zuwachs vergrößern. So wird gleich nach ihrer
ersten Anlage jede Cölonitasche beim Amphioxus in eine Reihe kleiner,
hintereinander gelegener Säckclieu zerlegt (Fig. 255 usli). Eine Zeit
lang bleiben ihre engen Höhlungen durch feine Oeffnungen mit der
Urdarmhöhle in Verbindung (Fig. 255), später schließen sie sich, wobei
die Ursegmente ihren Zusammenhang mit der Chordaanlage und dem
inneren Keimblatt durch Abschuüruug vollkommen verlieren (Fig. 256).
720 0. Hertwio,
Noch vor der vollständigen Abschnürung der Ursegniente beginnt
auch die zwischen ihnen gelegene Chordaanlage (Fig 252 ch) sich zu
verändern : sie krümmt sich in entgegengesetzter Richtung als die
Medullarplatte zu der nach abwärts geöffneten Chordarinne ein.
Ihre Ränder oder die Chordafalten biegen kontinuierlich in die mediale
Wand der Cölomtaschen um (Fig. 254*). Auf dem nächsten Stadium
(Fig. 256) löst sich diese Verbindung. Es wachsen jetzt die fi-eien
Ränder der Urdarmfalte und der Chordafalte einander bis zur Be-
rührung entgegen und verschmelzen hier, worauf sich der Mesoblast-
teil jeder Falte vom anderen Falteublatt, welches den Urdarm be-
grenzt, durch einen Spalt abtrennt. Auf diese Weise werden einmal
die Ursegniente in vollständig geschlossene Säckchen umgewandelt, und
zweitens kommt nunmehr die Chordaanlage unmittelbar in die dorsale
Wand des sekundären Darmes zu liegen, an welchem sie dorsalwärts
gegen die Medullarrinne, resp. gegen das Medullarrohr vorspringt
(Fig. 256). Sie wird, wie man häufig zu sagen pflegt, in die dor-
sale Darm wand eingeschaltet. Hier wandelt sich alsdann die
Chordarinne in einen aus 2 Reihen von Zellen aufgebauten Strang
um dadurch, daß sich die linke und rechte Wand der Rinne einander
nähern und fest zusammenlegen. Doch l)ald löst sich auch diese Ver-
bindung; die Chordaleiste schnürt sich von der Darmwand bei Em-
bryonen mit 8 Ursegmenten ab, gewinnt eine scharfe untere Begrenzung
und wandelt sich in einen ringsum isolierten, auf dem Querschnitt
rundlichen Zellenstrang um. Vorübergehend ist sie in die obere
Darmwand, wie sich Hatschek ausdrückt, förmlich eingekeilt.
Schließlich wird noch der Chordastrang, indem sich von links
und rechts her die Darmzellen nach der Medianebene vorschieben und
zu einer Art dorsaler Darmnaht verschmelzen (Fig. 257), ganz von
der Begrenzung des Darmlumens ausgeschlossen.
Nach der Darstellung von Hatschek wird von dem
Zellenmaterial der ursprünglichen Chordaanlage nur
der mittlere Teil für die Chorda selbst verwandt, die
s e i 1 1 i c h e n T e i 1 e d a g e g e n w e r d e n i n d i e 0 b e r e B e g r e n z u n g
des sekundären Darmes m i t a u f g e n o m m e n.
Das Endresultat aller dieser Vorgänge zeigt uns der Querschnitt
Fig. 257. Der Urdarm der Gastrula hat sich durch die beschriebenen
Faltungsprozesse in mehrere voneinander vollständig getrennte Räume
gesondert: in den ventral gelegenen bleibenden Darm und in die
dorsal- und lateralwärts von ihm befindlichen Höhlungen der Urseg-
niente. Dazwischen hat sich noch als stützender Stab die Chorda ein-
geschoben, an welche unten der Darm, oben das Nervenrohr angrenzt.
Die durch Abschnürung vom Urdarm sich sondernden Zellen, die in den
Figuren (254, 256, 257) dunkler schattiert sind und die Ursegmenthöhlen
(Ih, ush) begrenzen, bilden das mittlere Keimblatt (mk). Seine dem
äußeren Keimblatt anliegenden Zellen lassen sich als das parietale
Mittelblatt, seine an Nervenrohr, Chorda und Darm angrenzenden
Zellen als das viscerale Mittelblatt zusammenfassen.
In ihrer Entwickelung zeigen die vordersten Segmente, welche aus
den Cölomtaschen ihren Ursprung nehmen, einige Besonderheiten, mit
welchen sich Mac Bride (L. K. III ^, 1898 und 1900) eingehender be-
schäftigt hat. Mac Bride unterscheidet 1) head ca\äties, 2) collar ca-
vities, und 3) die eigentlichen Ursegniente oder Somiten. In Bezug auf
Die Lehre von fleii Keimblättern.
721
die Unterschiede bei ihrer Entwickelung und auf ihi- späteres Schicksal
wird auf die beiden Abhandlungen verwiesen.
Iin weiteren Fortgang der Entwickelung stehen mit der Keim-
hlattlehre noch 3 Reihen von Vei'ändernngen in so innigem Zusammen-
hang, (laß eine Besprechung gleicli an dieser Stelle am zweckmäßigsten
erscheint: 1) die Ausdehnung der Ursegmente und ihre Sonderung
in einen dorsalen und ventralen Abschnitt, von welchen letzterer die
Leibeshöhle einschließt, 2) das Verhalten der bisher differenzierten
Organe beim Längenwachstum des Körpers, 3) das Schicksal des
Canalis neurentericus und die Bildung von After und Schwanz.
Fig. 257.
Fig. 258.
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^ ■=?
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Fig. 257. Querschnitt durch die Mitte des Körpers eines Amphioxusembryos
mit elf Ursegmenten. Nach Hatschek. ak, ik, mk, äußeres, iuneres, mittleres
Keimblatt, dh Darmhöhle. n Nervenrohr, us Ursegment, ch Chorda, Ih Leibeshöhle.
Amphioxuslare mit 9 Ursegmenten im optischen Längsschnitt. Ur-
segmente und vorderes Darmdivertikel sind eingezeichnet. Nach Hatschek, Fig. 50.
Fig. 258.
Was den ersten Punkt l)etrifft, so breiten sich die Ursegmente
zwischen äußerem und innerem Keimblatt von oben nach unten immer
weiter aus, wie die Vergieichung der Durchschnitte Fig. 256 und 257
oder die Vergieichung der seitlichen Ansicht zweier Embryonen mit
5 und 9 Ursegmenten lehrt (Fig. 253 und 258). Endlich treffen
sie ventralwärts in der Medianebene zusammen und erzeugen hier
durch Vereinigung ihrer Wandungen eine dünne, aus 2 Zellenblättern
gebildete Lamelle, ein ventrales Darmgekröse oder Mesenterium, welches
sich zwischen Darmwand und Rumpfwand ausspannt. Es ist wichtig,
weil in ihm bald auch die ersten Anlagen der Blutgefäße sichtbar
werden.
Bisher sind die hintereinander gelegenen Ursegmente durch dünne
Zellhäutchen. die den Dissepimenten der Anneliden vergleichbar sind,
voneinander getrennt, wodurch die Höhle zwischen Darm- und Rumpf-
wand in ebenso viele Abschnitte zerfällt. Hierin erfolgt in dieser
Periode auch ein allmählicher Wandel, indem die Dissei)imente in
der ventralen Körperhälfte einreißen und rückgebildet werden, so daß
sich die einzelnen Höhlen zu einer einheitlichen Leibeshöhle verbinden.
Nur die dorsalen Abschnitte der Ursegmente erhalten sich zu beiden
Seiten von Chorda und Rückenmark getrennt, wie sie sich auch später
noch vom ventralen einheitlich gewordenen Abschnitt der mittleren
Keimblätter (der Seitenplatte der übrigen Wirbeltiere) vollständig ab-
lösen. Sie können jetzt als sekundäre Ursegmente bezeichnet werden.
Hatschek nennt sie Urwirbel, ein Name, den ich für unzweck-
mäßig und irreführend halte, da die Hauptleistung der fraglichen Ge-
Handbuch der Entwickelungslehre. I.
46
722 0. Hertwig.
bilde die Entwickelung der quergestreiften Körpermuskulatur ist und
da zumal beim Amphioxus eine Wirbelbildung- am Achsenskelett über-
haupt nicht stattfindet.
Nach der obigen Darstellung ist die Leibeshöhle von den Höhlungen
der Ursegmente abzuleiten, welche selbst wieder als Teile der Urdarm-
höhle genetisch aufzufassen sind. Daher wurde Ami)hioxus nebst den
Wirbeltieren überhaupt von Oscar und Richard Hertwig (A. L. I.
1881) zur Gruppe der Enterocölier gestellt.
Gegen diese Deutung iind Auffassung von der Genese der Leibeshöhle
hat LwoFF (L. K. III 2, 1892, p. 740j auf Grund eines meiner Ansicht
nach sehr wenig stichhaltigen Argumentes polemisiert. Wie Lwoff näm-
lich in Uebereinstimmung mit den Angaben von Kowalevsky und Hat-
SCHEK beobachtet hat, schwinden einige Zeit nach Abschnürung der Ur-
segmente ihre Höhlen, und niu' ein undeutlicher Streifen zeigt die Stellen
an, wo sie vorher waren. Später treten wieder durch Auseinander-
weichen der Zellblätter Höhlungen in den Ursegmenten hervor, die dann
unmittelbar in die Leibeshöhle übergehen. Wegen des vorübergehenden
Schwundes der Höhle wird Lwoff zu dem Schluß verleitet, daß die
Leibeshöhle beim Amphioxus mit den vermeintlichen Urdarmdivertikeln
nichts zu thun habe, da sie, wie bei allen Wirbeltieren, durch Ausein-
anderweichen der Zellen gebildet werde, daß ferner die Mesodermfalten mit
ihren Höhlen nur eine ,,zu fällige" Erscheinung darstellen, der man
keine besondere phylogenetische Bedeutung zumuten könne, daß daher
eine Enterocölie in Wirklichkeit nicht existiere.
Darauf ist zu erwddern, daß die Bedeutung von Höhlungen im
Organismus nach den Zellschichten, von denen sie begrenzt werden, be-
stimmt wird. Die Pleurahöhle ist ein Hohlraum, der entsteht, wenn
parietales und viscerales Blatt der Pleura voneinander entfernt werden ;
wenn der Hohlraum durch feste Zusammenlagerung der Blätter schwindet,
später aber durch Auseinandei'weichen wieder sichtbar wird, so wird
wohl niemand behaupten, daß jetzt ein „anatomisch" neuer Hohlraum
entstanden sei, obwohl er vorübergehend nicht vorhanden war. Nichts
anderes aber behauptet Lwoff von der Leibeshöhlenbildung beim Am-
phioxus. Wie jeder weiß, bestehen parietales und viscerales Blatt der
Oölomtaschen und der Ursegmente, wie überhaupt alle Epithelblätter beim
Amphioxus, nur aus einer einzigen Lage von Zellen. \¥enn daher ein
Hohlraum, der zwischen beiden Blättern der Ursegmente vorhanden war,
in einer folgenden Periode schwindet, um in einer dritten wieder auf-
zutreten, so wird er jedesmal von denselben Zellschichten begrenzt und
ist daher dieselbe anatomische Bildung, wie die Pleurahöhle, die man
durch Zusammenpressen und Entfernen des visceralen und parietalen
Pleurablattes willkürlich zum Schwund bringen und wieder hervor-
rufen kann.
Kowalevsky und Hatschek sind daher auch beide zu einer anderen
Auffassung als Lwoff gelangt. „Jedenfalls", bemerkt Kowalevsky, „was
die Bildung des mittleren Blattes resp. seiner beiden Haut- und Darm-
platten überhaupt betrifft, so ist seine Entstehung beim Amphioxus dem
ganz ähnlich, was von mir für die Sagitta, Brachiopoden und von
Metschnikoff für die Echinodermen bewiesen ist." Obwohl es ihm nicht
gelungen war, das weitere Schicksal der Urwirbelhöhle zu verfolgen, so
hält er es doch für sehr möglich, daß dieselbe zu dem Spalt wird, welcher
■das Darmrohr mit seinem Peritoneum und Mesenterium von der Leibes-
wand trennt, also zur Leibeshöhle. Was Kowalevsky nicht bis zu Ende
Die Lehre von den Keimblättern. 723
durch Beobachtung feststellen konnte, hat dann Hatsciiek durch Unter-
suchung der felilenden Zwischenstadieu bewiesen, nämlich die Entstehung
der Leibeshöhle durch Rückbildung der Dissepimente aus den Ursegment-
höhlen, die abgeschnürte Cölomtaschen sind. Mithin ist die Leibeshöhle
des Amphioxus ein Enterocöl, und Amphioxus selbst ein Enterocölier.
Als zweiten Punkt, der noch zu besprechen ist, hatte ich das
Längenwachstum des Körpers aufgeführt. Von Stunde zu Stunde
streckt sich die Larve mehr in die Länge. Dabei tritt jetzt ein für
das Wachstum der bisher besprochenen Organe wichtiger Gegensatz
zwischen vorderem und hinterem Körperende ein, der sich bis zur Er-
reichung der vollen Größe erhält. Während vorn die ersten Ur-
segmente und die Chorda schon angelegt und in weiterer Ausbildung
begriffen sind, zeigt der Körperteil dicht vor dem ürmund die ein-
facheren ursprünglichen Verhältnisse noch lange Zeit erhalten und
stellt eine N e u b i 1 d u n g s z o n e dar. durch deren ^'ermittelung das
Längenwachstum des Körpers und seiner Organe, der Chorda und des
Darmes, und die Neubildung zahlreicher weiterer Ursegmente vor sich
geht. Vor dem L^rmund findet man immer noch eine
Strecke unzer legten Urdarmes (Fig. 2bb ud): etwas weiter
nach vorn, hinter dem letztgebildeten Ursegment kann man dieselben
Veränderungen verfolgen, die oben für das Kopfende schon beschrieben
wurden; man sieht die Ausbildung zweier Cölomtaschen und zwischen
ihnen, in der Verlängerung der schon strangförmig gewordenen Chorda
eine Chordarinue. die etwas weiter nach hinten in eine platte Chorda-
anlage übergeht.
Infolgedessen lassen sich an Schnittserien durch ältere Embryonen,
wenn man in die Xeubildungszone gelangt ist, die gleichen Prozesse
studieren, die schon früher beschrieben wurden, die Anlage neuer Ur-
segmente, ihre Abschnürung, die Umwandlung der Chordaanlage in
die Chordarinne und der Piinne in die strangförmige Chorda. Dabei
geht die Zunahme der Ursegmente sehr rasch vor sich derart,
daß ihre Zahl bei einer nur 24 Stunden alten Larve schon etwa auf
17 Paar gestiegen ist. Während hinten die Neubildung fortschreitet,
wodurch das Längenwachstum mit bewirkt wird, werden vorn die Ur-
segmente und die Chorda weiter differenziert, und zwar ist ihre
Differenzierung um so größer, je näher am Kopfende sie liegen, also
je früher sie entstanden sind. Die Chorda differenziert sich, indem
in den plattgedrückten Zellen sich Flüssigkeitsvakuolen ausbilden.
Die Ursegmente aber beginnen Muskelfibrillen auszuscheiden, worüber
das Nähere das erste Kapitel im IIL Bande bringt.
Endlich wäre noch zu erwähnen, daß von einem bestimmten
Zeitpunkt an eine Art abgekürzte Ent Wickelung eintritt;
die Cölomtaschen nämlich und ebenso die Chordaanlage schnüren sich
von der Wand des Urdarmes ganz ab und bilden dann 3 Zellen-
stränge, durch deren Vermittelung sich die Sonderung immer neuer
Ursegmente und das Längenwachstum der Chorda noch bis in das
spätere Larvenleben hinein vollzieht.
Die an dritter Stelle noch zu besprechende Entstehung des Afters
ist in ihren Einzelheiten weniger genau erforscht, als bei den Amphibien,
Vögeln und Säugetieren. Wie Ko^valevsky und Hatschek in überein-
stimmender Weise beschrieben haben, geht sie zu der Zeit vor sich, wo
am hinteren Ende die Schwanzflosse als „eine kammförmig ausgezogene
Epithelerhebung^' (Hatschek) angelegt wird (Fig. 259 I.Fl). Zu dieser
46*
724 0. Hertwig,
Zeit löst sich der Zusaninienhang, der nach hinten vom undifferenzierten
Chordaende zwischen Nerveiirohr und Darnirohr bestand und als Ca-
nalis neurentei'icns früher beschrieben wurde. Vorübergeliend umfaßt
noch nach der Trennung das Nerven-
rohr die Chorda hakenförmig (Fig. 259)^
liickt aber bald beim weiteren Wachstum
der Larve und mit der Ausbildung der
Chorda ganz auf ihre obere Seite, wo
es noch lange die Form „einer kleineren
Blase behält" (Kowalevsky A L. III ^.
Fio- -^50 Hinterende einer ^^^^^^ l^" ^^^'^- ^^^ Darmrohr aber ge-
Larve von Amphioxus, an welcher ^vinnt bei diesen Veränderungen eine
die 2. Kiemenspalte eben durch- unter der Flosse gelegene Oeffnung nach
gebrochen ist. Nach Hatschek, außen, den After (Fig. 259 Ä). Daß der
^'§- *^^^* After vom letzten Rest des Urmundes
abstammt, ist nach den Befunden bei
Amphibien (s. p. 704) wahrscheinlich, für den Amphioxus jedoch noch
nicht nachgewiesen. Hatschek (A, L. III S 1881, p. 79) spricht nur
von einem Durchbruch des Afters und faßte ihn daher wohl früher
als eine vollkommene Neubildung auf.
'O
Die Keimblätter der Cyclostomcii.
(P e t r 0 m y z 0 n t e n und M y x i n o i d e n.)
Zwischen Petromyzonten und Myxinoiden bestehen in ihrer Ent-
wickelung so tiefgreifende Unterschiede, daß eine getrennte Be-
sprechung notwendig wird.
Unter allen Wirbeltieren Ineten wohl die Petromyzonten in
der Anlage ihrer Keimblätter die meisten Anknüpfungspunkte an die
beim Amphioxus beobachteten primitiven Verhältnisse dar, während sie
in anderer Richtung einen Uebergang zu den Ganoiden und Am-
phibien vermitteln. Wie bei diesen gehört ja auch bei ihnen das Ei
dem holoblastischen Typus an und macht eine totale, aber inäquale
Furchung durch. Leider sind die Eier der Petromyzonten, von denen
man sich, wie bei den Amphibien, durch Vornahme der künstlichen:
Befruchtung leicht vollständige Entwickeluugsserien verschaffen kann,
keine sehr dankbaren Untersuchungsobjekte. Die Zellen sind mit
kleinen , außerordentlich stark das Licht brechenden Dotterkörnern
durch und durch erfüllt, wodurch die scharfe Abgrenzung der Zellen
und Keimblätter gegeneinander beeinträchtigt wird. Bei der Klein-
heit der Eier erhält man in einer Serie neben vielen Schnitten, die
schräg zur Oberfläche der Keimblätter geführt sind, nur eine geringe
Anzahl reiner Querschnitte, von welchen man allein eine einigermaßen
deutliche Abgrenzung der Keimblättter gegeneinander erwarten kann.
Mit der Entwäckelung der Petromyzonten hat sich schon eine gi'ößere
Anzahl von Forschern beschäftigt. Max Schultze (A. L. III ^, 1856),
OwsjANNiKow (A. L. III 2, 1870). ' Calbeela (L. K. III 3, 1877,) Nuel
(A. L. in 2, 1881), Scott (A. L. i'iI 2, 1882), Shipley (A. L. III«, 1887)
und endlich Kupffer (A. L. III 2, 1890) und Goette (A. L. III 2 1890).
M. Schultze entdeckte in seiner von der holländischen Societät zu
Haklem gekrönten Preisschrift die Entwickelung von Urmund und Ur-
dann der Petromyzonten, welche er noch als Ruscoxi'schen After und
Die Lehre von den Keimblättei-n,
725
welche anfangs
augeordnet
Nahrnngshöhle bezeichnete und den entprechenden Bildungen der Am-
phibien verglich. Calhehla beschrieb zuerst genauer die Entstehung
der Chorda und des Rückenmarkes, das hier aus einer strangförmigen
Anlage ohne Centralkanal hervorgeht. Die genauesten Angaben über
die Entwickelung der Keimblätter verdanken wir Kupffer und Gtoette,
über welche namentlich der letztere in einer größeren Monographie mit
vielen Abbildungen handelt.
Als Ausgangspunkt unserer Darstellung nehmen wir die Keim-
blase vor Beginn der Gastrulation. Infolge inä([ualer Furchung be-
steht dieselbe in ähnlichei' Weise wie bei den Ampliibien in ihrer einen
Hälfte aus großen, vielfach übereinander liegenden vegetativen Zellen,
in ihrer anderen Hälfte aus kleinen animalen Zellen.
in 2 — 3, später in einer einfachen Lage nebeneinander
sind. Die große Keimblasenhöhle liegt exzentrisch: ihre dünne Decke
geht allmählich durch Vermittelung der Randzone, welche aus mehreren
Schichten animaler Zellen besteht, in den verdickten Boden über. An
einer Stelle der Randzone tritt etwa 50^60 Stunden nach der Be-
fruchtung eine ([uere, halbmondförmige Furche auf. welche nach der
späteren Rücken- und Kopfseite des Eies zu von einer wulstigen Lippe
begrenzt wird. Teils durch Einstülpung , teils durch Um wachsung
egetative in die animale Hälfte der Keimblase ganz aufge-
Bei der Betrachtung des lebenden Objektes kann man diesen
zum Teil verfolgen , weil die animale Blasenhälfte sich
durch eine intensivere weiße Farbe vor der vegetativen, mehr gelb
gefärbten Hälfte auszeichnet. Dabei erhebt sich der Rand der Ein-
stülpungsöff'nung helmartig und rückt über die untere gelbliche Hälfte
vor. Wenn die Einstülpung der letzteren beendet ist, hat das Ei
wieder eine ovale oder birnförmige Gestalt angenommen und ist mi^
einer rundlichen Einstülpungsöffnung oder einem Urmund versehen
welcher Kopfwärts von einer wallartig vorspringenden Lippe begrenz •
wird, nach hinten dagegen allmählich verstreicht (Fig. 263. 264 GM)^
An Durchschnitten, welche auf verschiedenen Stadien der Gastru-
lation senkrecht zur Urmundlippe, also in sagittaler Richtung, durch
das Ei hindurchgelegt werden, läßt sich verfolgen, wie die oben be-
schriebene Rinne allmählich tiefer in die verdickte Zellenmasse unter-
halb der Randzone einschneidet und sie nach innen drängt, wie sich
wird die
nommen,
Vorgang
FJo-. 260.
Fig. 261.
Fig. 262.
Fig. 260. Medianschnitt durch eine Gastrula von Petromyzon auf einer mitt-
leren Stufe ihrer Ausbildung. Erste Periode nach Goette (1890, Taf. I, Fig 4).
Fig. 261. Medianschnitt durch eine fertige Gastrula von Petromyzon; zweite
Periode nach Goette (1890, Taf. I, Fig. 5).
Fig. 262. Medianschnitt durch einen Embryo von Petromyzon am Beginn der
Streckung; dritte Periode nach Goette (1890, Taf. I, Fig. 6).
(26
0. Hertwig.
dadurch eine nach der Keiniblasenhöhle zu eingestülpte Tasche (Fig. 260
GH) bihlet, wie diese Schritt für Schritt tiefer wird und die Keim-
blasenhöhle (FH) schließlich ganz verdrängt, indem sich die Wand
der Tasche an die animale Hälfte der Keimblase dicht anlegt (Fig. 261
und 262). Ans der inä([ualen Keimblase ist jetzt auch eine inäquale
Gastrula hervorgegangen. Während bei Anii)hioxus (Fig. 250) das
einstülpte innere Keim])latt überall nur eine einfache Schicht bildet,
zeigt es bei Petromyzon entsprechend der späteren Bauch- und Rücken-
tläche des Embryos sehr erhebliche Unterschiede. Ventralwärts ist es sehr
verdickt durchdie in einem mächtigen Haufen zusammengelagerten Dotter-
zellen, welche die Urdarmhöhle bis auf einen engen, dorsal wärts ver-
drängten Spalt fast vollständig ausfüllen (Fig. 261 und 262). Nach
oben verdünnt es sich allmählich und besteht zu Anfang der
Gastrulation an der Decke des Urdarmes vorübergehend aus 2 bis 3
Lagen rundlicher Zellen (Fig. 261). Blastula und Gastrula der Cyclo-
stomeu sind von Anfang an deutlich bilateral symmetrisch gebaut wie
bei den Amphibien, bei denen auf diese Verhältnisse noch ausführ-
licher eingegangen werden wird. Der Urmund nimmt nach vollzogener
Einstülpung des Dotters das hintere, dorsale Ende des Embryos ein.
Die nächste Periode ist durch die gleichzeitig vor sich gehende
Entwickelung des Centraluervensystems, der Chorda und des mittleren
Keimblattes ausgezeichnet und ergiebt mancherlei Anknüpfungspunkte
au die von Amphioxus beschriebenen Vorgänge. Bei Untersuchung
der Oberfläche sieht man jetzt die dorsale Seite des Embryos sich
innerhalb eines schmalen Streifens abflachen (Fig. 263), und bald darauf
in seiner Mitte entsprechend der Medianebene die „Rückeurinne" (ß)
auftreten, welche in geringer Entfernung vom Urmund (GM) aufhört
und von ihm durch eine quere, wulstförmige Verdickung der vorderen
Urmundlippe getrennt wird. Noch etwas später (Fig. 264) erhebt sich
Fig. 264.
Fig. 263. Embryo von Petromyzon
Planeri mit ßückenrinne. die den ßla-
stoporus nicht erreicht. Nach Kupffer
(1890, Taf. XXVII, Fig. 13).
Fig. 264. Embryo von Petromyzon
Planeri mit Rückenrinne auf der wulst-
förmigen Embryonalanlage. Nach KuP-
ffer'(1890, Taf. XXVII, Fig. 14).
GM Urmimd, B Eiickenrinne.
die Umgebung dei' Rinne ein wenig über die Oberfläche des Embryos
empor, was mit der Anlage des Centraluervensystems zusammenhängt
und zur Bildung eines vom Kopfende bis zum Urmund sich erstrecken-
den schmalen Wulstes führt, der in seiner Mitte die seichte Rinne (R)
trägt und durch sie halbiert w'ird.
Wie Querschnitte lehren, entwickelt sich das Rückenmark nach
einem Modus, der von dem gewöhnlichen Hergang bei Amphioxus
und den meisten Wirbeltiern erheblich abweicht und sich nur bei den
Knochenfischen wiederfindet. Im Bereich der Rückenrinne wird das
einschichtige äußere Keimblatt etwas verdickt (Fig. 265 und 266) und
später in einen soliden Mednllarstrang umgewandelt, der kielartig nach
dem Urdarm zu vorspringt (Fig. 267 n). Nach einiger Zeit löst sich der
Mednllarstrang vom äußeren Keimblatt ab und kommt so als isolierte
Anlage unter die Oberhaut zu liegen. Wie Goette, Calberla und
Die Lehre von den Keimblättern. 727
KuPFFER gezeigt haben, ist der bei Cyelostomen und Teleostiern be-
obachtete Modus der Anlage des Nervenrohres leicht von dem gewöhn-
lichen Hergang abzuleiten. Anstatt einer nach außen hervortretenden
Faltenbildung des Ektoderms mit einer offenen und breiten Medullar-
furche handelt es sich hier um eine nach innen gerichtete
F a 1 1 e n b i 1 d u n g , w 0 b c i d i e f r e i e n 0 b e r f 1 ä c h e n d e r F a 1 1 e n -
blätter fest aufeinander gepreßt werden. Wie Kupffer
(1890) bemerkt, „ist hier die Falte des Ektoderms eine geschl ossene,
indem beide Blätter median in Kontakt miteinander sind. Die
mediane KontaktHäche entspricht der offenen Medullarfurche bei an-
deren Klassen''. Erst auf einem erheblich weiter vorgerückten Stadium
tritt in dem solid angelegten Medullarstrang ein enger, später sich
ausweitender Centralkanal hervor. Er entsteht nach obiger Erklärung
einfach in der Weise, daß die bei der „geschlosseneu Einstülpung"
aufeinander gepreßten Flächen der 2 Epithelwände auseinander weichen
und dadurch erst die Höhle hervortreten lassen, die bei dem gewöhn-
lichen Modus der Faltenbildung von Anfang an vorhanden ist.
Unter der nach dem Urdarm zu kielförmig vorspringenden Anlage
des Centralnervensystems verändert jetzt auch das innere Keimblatt
seine Beschaffenheit genau in gleicher Weise wie beim Amphioxus.
Das am Anfang dicke innere Keimblatt (Fig. 2(i0) verdünnt sich und
wandelt sich in eine einfache Lage fest zusammenschließender Cylinder-
zellen um (Fig. 261 u. 262), in die Chordaanlage, welche der unteren
Fläche des Medullarstraugs fest anhaftet und durch ihn nach abwärts,
wie beim Amphioxus, herabgedrängt wird (Fig. 265—267 ch). Die
Cxp
Fig. 265. Fig. 2(j(i
ulk mk n
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csp
Fig. 26 r. CSV dh eil
, _ Fig. 265. Querschnitt durch einen mit
\ ■'' ' ' „^yr. Medullarrinue versehenen Embryo von Petro-
\ i .- myzon fhiv. der zweiten Periode nach Goette
\ X udf (1890, Taf. IL Fig. 22). ch Chorda, mk mitt-
„-^ leres Keimblatt, csp Cölomspalte.
' ^ ^ Fig. 266. Querschnitt durch die Vorder-
"l^;-''"" hälfte des Rumpfes eines Embryos von Petro-
mvzon fhiv. der dritten Periode nach Goette
(1890, Taf. II, Fig. 26). n Nervenstrang, dh
*'-''"[ Darmhöhle. Andere Bezeichnungen wie oben.
Fig. 267. Querschnitt durch einen Embryo von Petromyzon fluv. der vierten
Periode nach Goette (1890, Taf. III, Fig. 31). Bezeichnungen wie in Fig. 263
und 264. ndf Urdarmfalte.
zu beiden Seiten von den Anlagen der Chorda und des Medullar-
stranges gelegenen Zellen des inneren Keimblattes sind durchschnittlich
etwas kleiner als weiter ventralwärts und bilden zwei Streifen, die
728 0. Hertwig.
nach oben etwas vors})nngen. Sie werden zum mittleren Keimblatt
und sind daher von Goette als die Mesodermplatten bezeichnet
worden (P^ig. 2()ö— 267 mJc). Sie lassen sich in den Figg. 265 u, 26C)
von der Zellenmasse, die später zum sekundären inneren Keimblatt
wird, nach abwärts noch nicht scharf abgrenzen, wie denn überhaupt
die Querschnittsbilder, welche aus verschiedenen Stadien der Ent-
wickelung des mittleren Keimblattes von Scott, Shipley und in be-
sonders großer Anzahl von Goette abgebildet worden sind, schärfere
Abgrenzungen zwischen den sich differenzierenden Teilen vermissen
lassen. Es hängt dies mit der schon oben erwähnten, ungünstigen
Beschaffenheit des Untersuchungsobjektes für Herstellung klarer Demon-
strationspräparate zusammen. Wenn auch dadurch die Deutung der
Entwickelungsvorgänge erheblich erschwert wird, so läßt sich doch
immerhin an manchen Merkmalen erkennen , daß sie sich im allge-
meinen in ähnlicher Weise wie beim Amphioxus abspielen und auf
das dort festgestellte Schema zurückführbar sind. Selbst Goette,
welcher sonst die Lehre von der Entstehung des mitteren Keimblattes
aus Cölomtaschen liekämpft, sieht sich zu der Bemerkung veranlaßt,
„es läßt sich nicht leugnen, daß die Mesodermbildung von Amphioxus
sehr bedeutsame Uebereinstimnumgen mit derjenigen von Petromyzon
und anderen Wirbeltieren enthalte".
Eine Uebereinstimmung zwischen Petromyzon und Amphioxus
läßt sich in folgenden Punkten erkennen, wobei wir uns auf die Dar-
stellung und Abbildungen von Goette und Kupffer stützen. Erstens
läßt sich in den Figg. 265, 266 und 267 die unter der Chordaanlage (ch)
gelegene kleine ürdarmhöhle nach beiden Seiten in unregelmäßig ge-
staltete Hohlräume (csp) verfolgen, welche in die zur Anlage des
mittleren Keimblattes bestimmten kleinzelligen Massen eindringen und
daher den Cölomtaschen des Amphioxus (Fig. 254) entsprechen. Goette
bestreitet diese Deutung ; er läßt die seitlichen Hohlräume , die
er Submesodermalspalten nennt, nicht in, sondern unter seinen
Mesodermplatten liegen, also Derivate der Keimblasen- und nicht der
Ürdarmhöhle sein. Dagegen sprechen aber, abgesehen von der gleich
zu erwähnenden Untersuchung Kupffer's, nicht nur einige der von
Goette selbst gegebenen Abbildungen, sondern noch ein zweiter Um-
stand, welchen auch Goette als eine offenbare Uebereinstimmung
mit Amphioxus anerkennt. Die Chordaanlage (Fig. 265, 266 267 ch)
nämlich geht an ihren beiden Seiten durch Vermittelung keilförmiger
Zellen unmittelbai- in die oberste, 1 — 2 Zellen dicke Lage der Meso-
dermplatten (mk) übei-, welche sich über den vorhin erwähnten Hohl-
räumen befinden. Goette legt auf die Feststellung dieses Verhält-
nisses Gewicht , er bezeichnet den Uebergang der aufgebogenen
Chordaränder in die Mesodermplatten, welche sich eben vom Ento-.
derm abzuspalten beginnen, als einen vollkommenen und nennt
wiederholt die Chordaanlage mit den zu ihren beiden Seiten ge-
legenen Teilen „eine ununterbrochen zusammenhängende und nur
3-fach ausgebogene Platte". Nun findet beim Amphioxus (Fig. 254) ein
kontinuierlicher Uebergang der Chordaanlage nur in das parietale Blatt
des mittleren Keimblattes statt, während das viscerale Blatt außer
Kontinuität mit ihm steht. Somit hätten wir nach den Grund-
sätzen der vergleichenden Anatomie in den seitlichen Abschnitten der
3-fach ausgebogenen Platte auch nur das parietale Blatt des mittleren
Keimblattes zu erblicken, sowie in den darunter gelegenen Hohlräumen
Die Lehre von den Keimblättern.
729
nicht ,,siibiiieso(lermale Spalten", wie Goette angiebt, sondern Urdarm-
divertikel, die nach unten noch von einer Lage Zellen begrenzt werden,
die als viscerales Blatt sich erst später von der Masse der Dotter-
zellen schärfer absetzen.
Ferner stimmt mit der Entwickclung
weitere \'erlauf bei Petromyzon übei'ein.
krümmt sich hier ebenfalls zu einer Rinne
Zellenstrang, der sich von den „Mesodermplatten" ganz al)trennt und
vorübergehend in die Decke des Darmrohres eingeschaltet ist (Fig. 2ßS).
des Anii)liioxus
Denn die
zusammen und
auch der
Chordaanlage
zu einem
ml:
Fig-. 208.
/
Fis.^. 269.
f
nk
ch
ik
n
ink
- cup
-ik
Fig. 268. Querschnitt durch die Mitte des Rumpfes eines Embryos von Petro-
myzon fluv. der dritten Periode nach Goette (1890, Tat. II, Fig. 27). Bezeichnungen
wie in Fig. 265 — 267.
Fig. 269, Querschnitt durch den Kopf eines Embryos von Petromyzon Planeri
aus der zweiten Periode (nach Kupffer, 1890, Tai XXVIII, Fig. 34). Bezeichnungen
wie in Fig. 26rj — 267. d Darm, ak, ik äußeres, inneres Keimblatt.
Auch diese Verbindung geht dann bald
erfolgende Abschnürung
verloren, indem von links und
rechts die Darmblattzellen einander entgegenwuchern und die defini-
tive Decke des Darmes herstellen. In dieser Zeit erhalten auch die
Mesodermplatten eine scharfe Abgrenzung nach unten gegen die
größeren Dotterzellen durch Auftreten einer scharfen Spalte, ein Vor-
gang, der sich w^ohl als eine von der Seite her
deuten läßt (Fig. 268).
Im Gegensatz zu Goette leitet denn auch Kupffer (1890) das
mittlere Keimblatt bei Petromyzon von Cölomtaschen ab. Nach
Kupffer „vollzieht sich der Vorgang verschieden in Kopfregion und
Rumpf. Dort, wo der Darm von Dotterzellen nicht umlagert
bildet das Entoderm hohle dorsale Mesodermfalten (Fig. 269 csp),
bei Amphioxus, die sich durch sekundäre Einfaltung abschnüren,
liegt hiei- ein völlig klarer Fall von Enterocölie vor
man für die Rumpfregion der Meinung sein, daß da ein von
ersteren wesentlich verschiedener V
Ausdruck Schizocölie mit einigem Rechte
seits von den Achseuorganen gelegenen massiven Wülste
ist,
wie
Es
könnte
organg
dem
abläuft, auf den sich der
anwenden ließe. Die beider-
von Dotter-
zellen wandeln sich allmählich in Mesoderm um, erhalten einen Cölora-
spalt und trennen sich von der ventralen Masse der Dotterzelleu.
Dieser auf den ersten Rlick überraschende Unterschied erklärt sich
aus der Anwesenheit, resp. dem Fehlen der dem Entoderm zuzurechnen-
den Dotterzellen in beiden Regionen, dadurch also, daß der Kopfteil
mit dem Vorderdarm aus dem Bereiche der Dotterzellen frei hervor-
730 0. Hertwig,
gewachsen ist. Iin Kopf hat der Darm eine einfache, im Rumpf eine
geschichtete Wand, indem Dotterzellen seitlich dem Darm aufgelagert
sind. So geht dann die offene Mesoderm falte des Darmes" im
Kopfe allmählich unter Wandverdickung und Abnahme des Hohl-
raumes in den massiven Mesodermwulst des Rumpfes über. Es sind
zwei Modifikationen desselben Prozesses, die in ihren Unterschieden durch
das verschiedene Verhalten der Urdarmlichtung und Urdarmwand in
Kopf und Rumpf bedingt sind."
In Uebereinstimmung mit Kupffer läßt auch Hatta (L. K.
III ^ 1892) im Kopfteil das mittlere Keimblatt aus einer Einfaltung
der Urdarmwand angelegt werden.
Was die weiteren Veränderungen betrifft, so breitet sich das
mittlere Keimblatt, nachdem es dorsal entstanden ist, zwischen Horn-
blatt und Dotterzellen allmählich weiter ventralwärts aus, ohne irgend
welche Bestandteile von letzteren aufzunehmen, wie Goette auf das
bestimmteste behauptet, im Gegensatz zu Scott (A. L. III ^ 1882), der
sich Dotterzellen abspalten und zu einem ventralen Mesoderm ver-
binden läßt. Also auch in diesem Punkt besteht wieder Ueberein-
stimmung mit Amphioxus.
Dann beginnt die Ursegmentbildung, hinsichtlich derer sich
ein wichtiger Unterschied gegenüber dem Amphioxus, dagegen eine
Uebereinstimmung mit allen übrigen Wirbeltieren geltend macht. Sie
bleibt nämlich bei Petromyzon nur auf die mediale Gegend der
mittleren Keimblätter zu beiden Seiten von Chorda und Nervenrohr
beschränkt, während die seitlichen Partieen ungegliedert bleiben und
sich als Seitenplatten abgrenzen. Die Entwickelung der Ursegmente
läßt sich ebenfalls auf einen Faltungsprozeß zurückführen, auf welchen
bei den Amphibien noch genauer eingegangen werden wird. Die
ersten Ursegmente entstehen in der hinteren Kiemeugegend aus der
anfangs soliden Mesodermplatte und werden dann hohl; später erfolgt
die Quergliederung im Kopfe und im übrigen Rumpfe und zeigt in
beiden Regionen eine geringe Verschiedenheit. Im Kopf hat sich
schon vor der Ursegmentgliederung das mittlere Keimblatt in pari-
etales und viscerales Blatt gespalten. Infolgedessen haben vorn
die Ursegmente gleich bei ihrer ersten Anlage kleine Höhlen in ihrem
Innern, die Ursegmenthöhlen, welche ventralwärts eine Zeit lang in
die Leibeshöhle einmünden. Später wird die Verbindung aufgeholfen,
indem sich die Ursegmente auch von den Seitenplatten abschnüren.
Kaudalwärts dagegen erfolgt die Abtrennung der Ursegmente und
der Seitenplatten früher voneinander, als die Leibeshöhle in letzteren
sichtbar wird (Goette).
Veränderungen am hinteren Körperende in der Umgebung des
Urmundes führen zur Entstehung von Schwanz und After. Schon
frühzeitig (Fig. 264) springt die dorsale Urmundlippe „dach- oder
kapuzenartig" nach hinten vor, während die ventrale Lippe nur eine
quere wulstige Kante bildet. Wenn man nun zur Zeit, wo der Vor-
sprung am meisten ausgeprägt ist, einen Querschnitt durch ihn hin-
durchlegt (Fig. 270), so gewinnt man ein Bild, welches außerordent-
lich dem später zu besprechenden Querschnitt (Fig. 369) durch den
sogenannten Kaudallappen eines Haifischembryos gleicht. Das äußere
Keimblatt ist in der Mitte zum soliden Medullarstrang (n) verdickt
und schlägt sich seitwärts an der seitlichen Urmundlippe in das
innere Keimblatt um. An diesem ist eine mittlere, an den Medullär-
Die Lebi'e von den Keimblättern.
731
Strang angrenzende Zellenniasse als Choi'daanlage (cli) zn unterscheiden,
ferner zwei Zellenmassen (mk), welche lateral von der Chordaanlage in
den Zwischenraum zwischen den beiden Grenzblättern hineingewachsen
sind und das mittlere Keimblatt liefern. Derartige Befunde am Schwanz-
ende lassen sich ebenfalls wieder, wie bei den Selachiern, als Cölom-
taschen mit aufeinander gepreßten Wandungen deuten.
Infolge der keilförmigen Anlage des Rückenmarkes kommt es bei
den Petromyzonten nicht zu einem offenen neurenterischen Kanal,
sondern zu einem soliden Strang.
Fig. 270.
Fig. 271.
C7l
Fig. 272.
y>
ml:
-.-^_ d
:^
dz
!k
Fig. 270. Querschnitt dunh das Schwanzende eines Embryos von Petromyzon
der vierten Periode, nach Goette (1890, Taf. IV, Fig. 39). mk * Stelle, wo das mittlere
Keimblatt aus dem inneren Keimblatt, d, hervorwächst, dz Dotterzellen. Andere
Bezeichnungen, wie in Fig. 266 — 269.
Fig. 271. Medianschnitt durch das Schwanzende von Petromyzon fluv. der
vierten Periode, nach Goette ;1890, Taf. VI, Fig. 72). Der Nervenstrang hängt
durch einen Zellstrang, der dem neurenterischen Kanal, cn, entspricht, mit dem
inneren Keimblatt, ik, zusammen.
Fig.
•210.
(1890, T. I. Fig.t8).
Embryo von Petromyzon aus der fünften Periode, nach Goette
Aus der dorsalen ürmundlippe entwickelt sich das Schwanzende
der Petromyzonlarve (Fig. 271 u. 272) in ähnlicher Weise, wie bei den
Amphibien, bei denen der Vorgang eine genauere Besprechung finden
wird. Die darunter gelegene Urmundöffnung {A) wird später immer
enger, geht aber nie ganz verloren und wird zu dem unter der Schwanz-
wurzel gelegenen After {A), w-as schon von Max Schultze (A. L.
III 2, 1856) erkannt worden ist.
Von den Petromyzonten unterscheiden sich die Myxinoiden
in ihrer Entwickelung sehr wesentlich , wde wir durch die schönen
Untersuchungen von Price (A. L.IIIM896), Doflein (A.L.IIP 1899).
namentlich aber von Bashford Dean (A. L. IIP 1899) wissen. Den drei
genannten Forschern glückte es, sich das schwierig zu erlangende Ei-
material von Bdellostoma Stouti auf verschiedenen Stadien zu ver-
schaffen. Die Eier sind beträchtlich große , langgestreckte Cylinder
(Fig. 273 - 275), sehr dotterreich, von einer festen Schale eingeschlossen ;
sie machen eine partielle Furchung durch, ähnlich den meroblastischen
Eiern der Teleostier und Elasmobranchier, und bieten dadurch, sowie
durch den sich hieraus ergebenden Ablauf der Gastrulation eine
fundamentale Abweichung von den Eiern der Petromyzonten dar. Die
Keimscheibe entsteht an einem Pol des Cylinders (Fig. 273) und
732
0. Hertwig,
breitet sich als Keimhaut von hier alhnählich ül)er den Dotter aus
(Fig. 274 u. 275). Die Gastrulation (Dean 1S99. p. 252) beginnt an
einer Stelle des Randes, der sich verdickt und bei Fläclieubetrachtung
als weißer Streifen erscheint. Ein Sagittalschiütt durch die dorsale
Fig. 273.
Fig. 274.
Fig. 27
Fig. 273-275. 3 frühe Ent-
wickelungsstadien von ßdellostonia
nach Dean (1899, Taf. XVLl, Fig.
22, 24, 28).
Fig. 273. Gastnila, welche die
erste Anlage des Embryos an der
dorsalen Lippe zeigt.
Fig. 274. Junger Embryo, wahr-
scheinlich von einer ungewöhnlichen
Form, da er die Schwanzregion ge-
teilt zeigt. Die Keimhaut umschließt
\'., der Eioberf lache.
Fig. 275. Die Keimhaut um-
schließt
der Eioberfläche. Die
ersten Kiemen spalten sind angelegt.
Urmundlippe, welchen Dean von einem schon etwas weiter vorge-
rückten Stadium abbildet, (Fig. 276) zeigt uns 2 deutHch ge-
sonderte Keimblätter, die am ßlastoporus ineinander umbiegen. Das
äußere Blatt ist kleinzellig und breitet sich, allmählich dünner werdend,
über die vordere Kuppe des Eicylinders aus. Das untere Keimblatt,
das" von Dean als „Mesentoderm" bezeichnet wird, besteht aus größeren,
sz
Fig. 276. Sagittalschnitt durch ein Gastrulastadium nach Deax (1899, Holz-
schnitt p. 252). Es ist nur die dorsale Urmundlipj^e abgebildet. S Zellen an der
Oberfläche das Syncytiums (&), T Zellen innerhalb der Lage des Syncytiums.
locker zusammenliegenden Zellen und hört in einiger Entfernung vom
Umschlagsrand auf. Es liegt unmittelbar einem Dottersyucytium (S)
auf, das den Boden des Urdarmes bildet, welcher auf einen kaum
sichtbaren Spalt reduziert ist. Das Dottersyucytium oder der Periblast
von Dean, läßt 2 Schichten erkennen, 1) eine Lage abgeplatteter,
spindeliger Zellen (S) und 2) eine dünne Protoplasmaschicht mit ein-
gestreuten Kernen (Merocyten).
In der Anlage des Embryos bestellt eine große Uebereinstimmuug
zwischen Bdellostoma und den Teleostiern. An den Kopfteil, der in
der Gegend der ersten Einstülpung gebildet wird (Fig. 273), schheßen
sich allmählich die übrigen Körperregionen an in demselben Maße,
Die Lehre von den Keimblättern.
TOP
als sich die Keiiuhaut über den Dotter weiter ausbreitet (Fig. 274, 275),
und bleibt dabei der Embryo mit seinem jeweilijL' hinteren Ende am
Rande des Blastodernis oder an der dorsalen Urniundlippe ange-
heftet. Eine Vorstellung hiervon giel)t uns Fig. 277, in welcher die
in Fig. 275 als langer Streifen sichtbare Embryonalanlage (Keim-
streifen) bei stärkerer Vergrößerung und auf einem noch etwas jüngeren
Stadium abgebildet ist. In der Embryonalachse sind bereits 54 Ur-
segmentpaare angelegt. An das letzte schließt sich eine kurze un-
geht.
differenzierte Wachstumszone an, welche gleich in den Keimring über
An der Anheftungsstelle ist eine kleine Einkerbung zu sehen, welche
ihr
Oeft'nung
der dorsalen Urniundlippe entspricht. Kurz vor
mündet das Rückenmark mit einer kleinen
(Cn) aus, so daß hier für ein späteres Stadium die
Vorbedingung für das Zustandekommen eines echten
Canalis neurentericus gegeben ist.
Die Myxinoiden weichen nämlich in ihrer Entwicke-
lung, wie Dean gefunden hat, von den Petromyzonten
in sehr auffälliger Weise auch darin ab, daß ihr Cen-
tralnervensystem nicht als solider Medullarstrang, son-
von Medullarfalten ähnlich
Amphibien gleich als hohles Rohr
dern unter Entwickelung
bei den
wie
gelegt
an-
wird.
Dean läßt es in seiner Untersuchung dahingestellt,
bis zu welchem Grade der Embryo sich vom Keimring
aus durch Verschmelzung der Urmundränder (Kon-
krescenz) entwickelt. Für eine solche spricht ein in
Fig. 274 reproduzierter Fall von Spina bifida, welcher
in Dean"s Abhandlung auf Taf. XVII, Fig. 24, und
Taf. XXI, Fig. 80 abgebildet ist. Weitere Auskünfte
hierüber, sowie überhaupt genauere Details über die
Embryobildung sind noch vom zweiten in Aussicht
stellten Teil der Untersuchungen von Dean
warten, in welchem die an Serienschnitten
Ergebnisse mitgeteilt werden sollen.
Die vollständige Umwachsung des Dotters durch
die Keimhaut und der Verschluß des Blastoporus er-
Fig. 277. Embryonalanlage mit etwa 54 Ursegmenten von
Bdellostoraa von einem Ei, an welchem die Keimhaut den Dotter
noch nicht so weit wie in Fig. 27.") umwachsen hat (nach Dean
1899, Taf. XXLl, Fig. 92). Au Hörbläschen. Hz Herz. Cn
Ausmündung des Nervenrohres. ÄTi' Keimring.
ge-
zu er-
gewonnenen
\%-'
folgt vis-ä-vis dem Ort,
wurde, am vegetativen
erst sehr spät, nämlich
Kiemenspalten angelegt ist; der
an die von Teleostiern bekannten
an welchem die Keimscheibe 'zuerst angelegt
Pol des cylindrischen Eies (Fig. 275) und tritt
zur Zeit ein, wenn die normale Zahl der
Verlauf
Verhältnisse.
ganze
erinnert ebenfalls sehr
Die Keimblätter der Amphibien^).
Für das Studium der Keimblätter bieten die Amphibien wichtige
Untersuchuugsobjekte dar. Denn sie nehmen eine Mittelstellung ein
1) Da in der Gastrulation und Keimblattbilduug die Amphibien. Dipneusten
und Ganoiden wegen des geringen Dottergehaltes ihrer sich total furchenden Eier
734 0. Hertwig,
zwischen den Eiern mit totaler und mit i)artieller P\irchung, zeigen
eine typische Blastula und Gastrula und liefern in der Entwickelung
des mittleren Keimblattes und der Chorda Befunde, welche einerseits
an Ampliioxus und die Cyclostomen , audei-erseits an die Amnioten
Anknüpfungen gestatten und so zwischen beiden vermitteln. Dazu
kommen noch als weitere Vorzüge, daß von vielen Amphibienarten
die Eier sehr leicht zu erhalten sind, daß sie sich auf künstlichem Wege
befruchten lassen und gegen alle möglichen Eingriffe außerordentlich
widerstandsfähig sind. Daher gehören sie zu den wenigen embryo-
logischen Objekten, welche sich gleich den Eiern der Echinodernien
und des Amphioxus zu physiologischen Experimenten vorzüglich eignen
und eine gewisse Berühmtheit in dieser Hinsicht erlangt haben.
,,Experimentelle Kleinodien" nennt sie Oscar Schultze (L. C. IIP.
1900, p. 171).
Nachdem in früheren Jahrhunderten schon Swajimerdam (A. L. I
1737), Spallanzani (A L. I 1786), der die künstliche Befruchtung
zuerst ausführte , und Eüsel von Rosenhof (A. L. I 1758) sich mit
der Entwickelung von Frosch und Triton beschäftigt hatten , folgten
in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts die wichtigen Untersuchungen
von Prevost und Dcmas (A. L. I 18241, von Ruscoxi (A. L. I 184t),
A. L. III ^ 1826, 1836, 1854), C. E. v. Baer (A. L. I 1834) und Remak
(A. L. I 1850 — 1855). An Schnittserien wurde die Keimblattbildung
bei den Amphibien zum erstenmal genauer untersucht von Gobtte
(L. K. III ^ 1878), dessen Darstelhingen sich später Oscar Schultze
(L. K. III 4, 1887, 1888) in einer Reihe von Arbeiten im großen und
ganzen angeschlossen hat. Oscar Hertwki (L. K. III', 1883) machte
in einer vergleichenden Studie auf die Ueberein Stimmung aufmerksam,
welche die Tritonen tmd Anuren in der Anlage des mittleren Keim-
blattes und der Chorda mit Amphioxus darbieten, und führte die schon
früher in der Cölomtheorie (A. L. I 1881) ausgesprochenen Ansichten
weiter aus. Seiner Darstellung stimmte Schwink (L. K. III"*^, 1889) fast
in allen Einzelheiten bei, während Oscar Schultze und Goette an der
älteren Lehre der Abspaltung festhielten. Mit der Frage der Keim-
blattbildung bei Amphibien beschäftigten sich in England und Amerika
Assheton (L. K. III 4, 1894) und RoBmsoN (L. K. III 4. 1891), Scott
(L. K. III ^ 1879), A. Johnson (L. K. III*, 1884, 1886), in Belgien und
Frankreich Bambeke (L. K. III * 1868, 1880, 1893), Houssay (L. K. III *,
1888), MoQuiN Tandon (L. K. III*, 1876). Die Entwickelung des Erd-
salamanders studierte Gtrönroos (L. K. III*, 1898), die Entwickelung
der G-ymnophionen Sarasin (A. L. III '^, 1885, 1887) und Brauer
(A. L. III ^, 1897, 1899). Zu experimentellen Untersuchungen benutzten
das Froschei Roux und Born, Oscar Hertwig, Oscar Schultze, Kopsch,
Wetzel und Morgan, und faßte letzterer (A. L. II 1897) die hierbei ge-
wonnenen Ergebnisse in einem Lehrbuch zusammen : The development
of the frog's egg, an introduction to experimental embrvolog}'.
(Längere Zeit nach Abschluß des Manuskripts vom Kapitel III ist
einfachere Verhältnisse als die Elasmobranchier und Teleostier darbieten , folge
ich in diesem Kapitel aus Zweckmäßigkeitsgrüuden der Darstellung nicht der
üblichen Reihenfolge der Klassen des Systems der Wirbeltiere, sondere weise ihnen
-einen früheren Platz bei der Besprechung an. Die Amphibien stelle ich voran, weil
sie wegen der leichteren Beschaffung des Untersuchungsmateriales viel gründlicher
und häufiger untersucht worden sind, so daß sie die Grundlage für viele allgemeine
theoretische Fragen der Keimblattlehre bilden.
Die Lehre von den Keimblättern. 735
eine wichtige, sehr eingehende Untersuchnng von Bhachet (L. K. III*,
1902) über die Entwickelnng des Keimblattes von Siredon pisciformis
nnd E,ana temp. erschienen. In seinen Dentnngen weicht Brächet mehr-
fach von der auch im vorliegenden Kapitel gegebenen Darstellung
0. Hertwig's ab. In einem Nachtrag wird auf die wesentlichen Er-
gebnisse seiner Abhandlung noch eingegangen werden).
Im folgenden soll die Entwickelnng der geschwänzten und un-
geschwänzten Amphibien gemeinsam und im Anschluß an sie die Ent-
wickelnng der Gymnophionen gesondert besprochen werden , wobei
uns wieder das Blastulastadium als Ausgangspunkt dienen wird.
Wie bei den Cyclostomen, Accipenseriden und Dipneusten ist
die Keimblase der Urodelen und Anuren aus zwei ungleichen Hälften
zusammengesetzt, aus einer dünnen Decke, die stets nach oben ge-
kehrt ist, und aus dem Boden der Keimblasenhöhle, der aus größeren,
locker zusammenliegenden Dotterzellen besteht. Nach den Angaben
von Scott und Osborx (L. K. III ^ 1879). sowie von Jordan ist
bei den von ihnen untersuchten Arten — (Jordan (L. K. III ^, 1893)
nntersuchte Diemyctylus iridescens) — die Decke so verdünnt, daß
sie wie bei Petromyzon nur aus einer einzigen Lage dicht zusammen-
gefügter, cylindrischer Zellen besteht. Bei Triton taeuiatus dagegen ist
sie 2 Zellenlagen dick, wie Bambeke (L. K. III ^ 1880) und 0. Hert-
wiG (L. K. III \ 1883) beschrieben haben und wie neuerdings die von
RÖTHiG (L. K. III ^, 1901) augefertigten Schnittserien ebenfalls lehren.
Erst während der Gastrulation vollzieht sich in diesem Fall eine Ver-
dünnung, indem die tiefer gelegenen Zellen sich zwischen die oberfläch-
lichen hineinschieben, wodurch dann das aus einer einfachen Lage
cylindrischer Zellen gebildete äußere Keimblatt zustande kommt.
Bei den Anuren, speciell beim Frosch, ist die Decke der Keim-
blasenhöhle (Fig. 278) aus mehreren Zellenlagen zusammengesetzt,
von welchen die äußerste von kubischen oder niedrig cylindrischen,
schwarz pigmentierten, fest aneinander gefügten Zellen gebildet w^ird
und sich schärfer von den darunter gelegenen, mehr polygonalen
Elementen absetzt. Nach der genauen Darstellung von Schultze
Fig. 278. Fig. 279.
Fig. 278. Keimblase von Rana fusca, nach einem Präparat des anatomisch-
biologischen Instituts.
Fig. 279. Sagittalschnitt des Eies von Rana fusca mit erster Spur der ürmund-
anlage, nach Oscar Schultze. d Dotterzelleu, die sich an der Decke emporschieben.
h hintere, dünnere Wand der Keimblase, an welcher die Urmundbilduug, u, be-
ginnt. V vordere, diciiere Wand, rz Randzone.
736 0. Hertwig,
(L. K. III', 1900, p. 185) ist die Keimblase bilateral symmetrisch
gebaut (Fig. 279). Eine Stelle des Daches der Blastula, welche der
Eintrittsstelle des Samenfadens entspricht, ist konstant viel dicker
(v) als die gegenüberliegende Stelle (h), an welche sich der Urmund
(u) anlegt. Sogar auf dem Morulastadium ist die bilaterale Symmetrie
schon deutlich wahrzunehmen an einer ungleichen Größe der Zellen.
Wie ScHULTZE (1900. p. 182) ausführt, „nimmt auf ein und dem-
selben Parallelkreise die Größe der Zellen von der hinteren Seite des
Eies nach der vorderen kontinuierlich zu. Die kleinsten Zellen liegen
also bei der Morula auf der hinteren Seite des Eies von dem oberen
Pol bis zu dem höchsten Punkt des Pigmentrandes, d. h. über der
Anlagestelle des Urmundes. Hier liegt also das auf dem Morula-
stadium der Lage nach schon erkennbare Material für die zuerst auf-
tretenden Embryonalorgane, vor allem für das Centralnervensystem,
auf einen verhältnismäßig kleinen Raum zusammengedrängt.''
Der äußere Verlauf der Gastrulation ist am häufigsten und am
genauesten au dem zu Experimenten besonders geeigneten Froschei
untersucht worden. Die über längere Zeit sich erstreckende Be-
obachtung an ein und demselben Ei wird am besten in der Weise
ausgeführt, daß man es in mäßiger Weise zwischen 2 Glasplatten
komprimiert und ein wenig abplattet, um die Drehungen der Kugel
in der Gallerthülle zu erschweren und so das Beobachtungsobjekt in
eine Zwangs- und Ruhelage zu bringen. Zu dem Zweck wird das
Froschei bald nach der Befruchtung auf eine horizontale Glasplatte
übertragen, auf welcher sich in wenigen Minuten das weiße Dotterfeld
nach abwärts kehrt. Es wird hierauf in geeigneter Weise durch Auf-
legen einer zweiten Glasplatte ein wenig platt gedrückt und zugleich
in seiner Lage festgehalten. Durch den Eingriff wird die weitere Ent-
wickehmg nicht gehemmt, sofern man nur mit einiger Vorsicht ver-
fährt. An einem derartig zwischen 2 Objektträgern fixierten Ei kann
man die Entwickelung des Urmundes von seinem ersten Auftreten an
kontinuierlich verfolgen, indem man von Zeit zu Zeit die nach ab-
wärts gekehrte Fläche, an der sich die fraglichen Entwickelungs-
prozesse abspielen, nach oben kehrt und unter dem Mikroskop unter-
sucht. Auch kann man mit Tusche Marken auf der Glasplatte
anbringen, um die ursprüngliche und die spätere Lage des Urmundes zu
bezeichnen. Noch empfehlenswerter ist es, die in geringer Zwangslage
befindlichen Eier vollkommen unberührt zu lassen und zum Studium
der Veränderungen bei der Urmundbildung von Zeit zu Zeit photo-
graphische Aufnahmen der Unterseite mit einem hierfür besonders
konstruierten Apparat der Firma Zeiss zu machen, wie es von Oscar
Hertwig (L. K. III ^, 1902) geschehen ist.
Man sieht dann, daß die Einstülpung (Fig. 280 C) an einer kleinen
Stelle an der unteren Fläche des Eies am Uebergang der Decke in
den Boden, der sogenannten Randzone Goette's, also dort auftritt,
wo bei Rana fusca das helle Dotterfeld allmählich in den größeren
pigmentierten Teil der Oberfläche übergeht; und zwar entsteht sie
hier an einer Stelle, an welcher, wie schon oben hervorgehoben wurde,
nach den Untersuchungen von Schultze die Wand der Keimblase
(Fig. 279) am dünnsten ist. Es erscheint zuerst eine kleine, schwarz
pigmentierte, sichelförmige Rinne; sie bezeichnet das vorderste Ende
des Urmundes und zugleich das Kopfende des Eies ; denn nur in ge-
ringer Entfernung vor ihr bildet sich, wie an dem fixierten Ei leicht
Die Lehre von den Keimblättern.
737
festzustellen ist. und auch die Experimente von Kopsch, Wilson etc.
lehren, im weitereu Verlauf der Entwickelun.u der vordere quere Hirn-
wulst. Eine auf die Sichelrinne senkrecht errichtete Linie fällt etwa
mit der Längsachse des späteren Embryos zusammen.
Vom Ort ihres ersten Ursprunges dehnt sich die rinnenförmige
Einsenkung nach links und rechts weiter aus fFig. 280 A), im Bogen
der Randzone Goette's folgend
und das Dotterfeld umfassend. Bald
gewinnt sie die charakteristische
Form eines Hufeisens. Seine freien
Enden fahren fort, sich durch wei-
tere Ausdehnung der Rinnenbildung
Fig. 280. Zwei Froscheier auf 2 ver-
schiedenen Entwickehingsstadien. (A und C
am Beginn der Gastrulation, B und D
am Abschluß derselben.) Sie wurden bald
nach der Befruchtung zwischen horizon-
talen Glasplatten koinpriroiert und dadurch
in ihrer Lage fixiert. B älteres Stadium
von A, D älteres Stadium von C u LFr-
mund, * Kopfende, + späteres hinteres
Ende des Eies.
nach hinten zu vergrößern ; sie vereinigen sich schließlich an dem
hinteren Rande des Dotterfeldes vis-ä-vis dem Punkt, wo die Ur-
mundrinne zuerst entstanden war, und schließen das Hufeisen zu
einem Ring. Während dieser Vorgänge verändert auch der mittlere,
pigmentierte vordere Rand der Rinne, welchen man als vordere Ur-
mundlippe bezeichnet, allmählich seine Lage, wie man bei Anbringung
von Marken mit Tusche auf der Glasplatte kontrollieren kann : er
w^ächst von vorn nach hinten über das weiße Dotterfeld hinüber.
So kommt es, daß der ringförmig gewordene Urmund, der an-
fangs weit ist und einen ansehnlichen Teil des Dotterfeldes als
RuscoNi'scher Pfropf umschließt, später durch eine von vorn nach
hinten sich vollziehende Ueberwachsung des Dotterfeldes (Fig. 280 D)
immer enger ward; noch später wandelt er sich in einen kaum
wahrnehmbaren Spalt um, der mit der Längsachse des Embryos zu-
sammenfällt (Fig. 280 B).
So wandert gewissermaßen der Urmund am fixierten Froschei,
wie sich durch Beobachtung ein- und desselben Objektes feststellen
läßt, vom ersten Orte seiner Entstehung, welcher am Kopfende des
Eies liegt, allmählich über einen großen Teil der unteren Fläche der
Dotterkugel nach dem entgegengesetzten Rande des Dotterfeldes zu
und kommt dadurch nunmehr an das spätere hintere Ende des Embryos
zu liegen. Bei diesem Vorgang, der sich mit der gleichzeitig
stattfindenden Einstülpung von Zellmaterial kombi-
niert, Avird durch Ueberwachsen von selten der Urmundränder das
weiße Dotterfeld in den Urdarm aufgenommen und über ihm der
Teil der Gastrulawand hergestellt, welche zum Rücken des Embryos
wird. Denn es entstehen hier, wie sich durch weitere Beobachtung
der in ihrer Lage fixierten Eier nachweisen läßt, die Medullarwülste
(Fig. 280 B). In der Entwickelung des Amphioxus wurde bei der
Erörterung der Frage, wie sich der weit
Handbuch der Entwickelungslehre. 1. zJ:7
angelegte Urmund verengt,
738 0. Hertwig,
der hier zuerst beim Froschei nachgewiesene Vorgang als der ex-
zentrisch erfolgende Urmundschlu'ß bezeichnet (vergl. p. 715).
^H Wenn der Urniund zu einem kleinen Loch geworden ist, aus
\velchem nur noch ein geringer Rest weißen Dotters, der RuscoNi^sche
Pfropf, hervorsieht, so läßt sich bei äußerer Betrachtung an der späteren
Rückenfläche des Eies eine feine, von vorn nach hinten zum Urmund-
rest verlaufende Furche bemerken, die sogenannte Rückenrinne. Deut-
licher als bei den Auuren ist sie noch bei den Urodelen (Fig. 281 A u. B)
Fig. 281. Fig. 282.
A V>
/ ■
lr, ir
L
ti
tim
■ Km
Fig. 281. Zwei Eier von Triton taeuiatus mit deutlich entwickelter Rückenrinne,
A vom ürmund aus gesehen, B vom Rücken aus gesehen. 53 Stunden nach künst-
licher Befruchtung. Nach Hertwig (1883, Tai I,Fig. 5 u. 6). r Rückenrinne, wn Ür-
mund. w Wulst zwischen Urmund und Rückenrinne.
Fig. 282. Ei von Triton taeniatus mit deutlich entwickelten Medullarwülsten
und Rückenrinne. 60 Stunden nach künstlicher Befruchtung. Nach O. Hertwig
(1883, Taf. 1, Fig. 8). mj} MeduUariilatte. mw MeduUarwülste. r Rückenrinne.
ausgeprägt, wo sie zuerst von Bambeke beschrieben und der Primitiv-
rinne der Vögel verglichen worden ist, ein Vergleich, der, wie wir
später sehen werden, sich nicht aufrecht erhalten läßt. Bei den
Urodelen reicht die Rückenrinne indessen nicht bis an den spalt-
förmig gewordenen Rest des Urmundes heran (Fig. 281), sondern
bleibt von ihm durch einen queren Wulst getrennt. Auch später,
wenn die Medullarplatte angelegt ist, läßt sie sich noch leicht nach-
weisen und trennt die letztere in ihrer ganzen Länge in zw^ei symmetrische
Hälften (Fig. 282).
Gegen die oben gegebene Deutung der Experimente, welche an den
zwischen 2 Platten komprimiei^ten oder in anderer Weise in Zwangslage
gehaltenen Froscheiern angestellt worden sind, hat sich Oscar Schultze
(L. K. in 4, 1900*, p. 217, 218) erklärt. Er giebt zwar zu, daß in vielen
Fällen an komprimierten Eiern der Urmund über die untere Hemisphäre
wandert und daß die Medullarplatte genau nach unten zu liegen kommt ;
er stellt aber die Beweiskraft dieser Experimente in Abrede aus dem
Grund, weil seiner Ansicht nach „gar keine vollständige Zwangslage des
Eies existiere". Es bleibe dahingestellt, inwieweit dieser Einwurf ein
berechtigter ist.
In die Zellbewegungen und in die Lageveränderuugen des Ur-
mundes, die im Verlauf der Gastrulation stattfinden, hat man am
Amphibienei auch noch auf zwei anderen Wegen einen Einblick zu ge-
winnen versucht: 1) durch Anbringung kleiner Marken an der Ober-
fläche der Eikugel und 2) durch wiederholte photographische Aufnahmen.
Die Lehre von den Keimblättern.
739
Marken liat man in der Weise angebracht, daß man auf dem
Blastulastadiuni oder bei Beginn der [Jrmundbilduug mit der scharf
zugespitzten Nadel einen kleinen bestimmten Bezirk der Oberfläche
verletzt und durch Zerstörung einer Anzahl Zellen ein Gerinnsel
(Extraovat) hervorgerufen hat. Durch wiederholte Beobachtung suchte
man dann festzustellen, in welcher Weise sich der Abstand zwischen
der künstlichen Marke und der dorsalen Urmundlippe verändert.
(Roux, Oscar Schultze, Morgan. Assheton, Wilson, Dean
King etc.) Leider sind auch auf diesem Wege die Experimentatoren
zu keiner einheitlichen Auffassung gelangt. Doch stimmen die meisten
darin überein, daß die dorsale Urmundlippe in mehr oder minder
hohem Grade über die weiße Dotterfläche von vorn nach hinten
hertiberwandert.
H. V.Wilson (L. K. III ^, p. 224), einer der letzten Untersucher, faßt
seine Experimente in den Satz zusammen : ,.The results of my numerous
pricking experiments lead me to believe, that in the normalh^ placed
egg, the dorsal lip is not stationary, but that both dorsal and ventral
lips move across the yolk to the centre of the (originally) lower sur-
face. Also an examination with the inverted microscope, of the per-
fectly normal egg. leads to the conclusion that the dorsal lip travels
at any rate over a part of the white surface."
In einer soeben erschienenen Abhandlung kommt H. Dean King
(L. K. III ^, 1902) aus zahlreichen Anstichsversuchen am Krötenei zu fol-
genden Ergebnissen : ,,1) Die dorsale Blastoporuslippe bewegt sich über
den Dotter von einem Punkte unterhalb des Eiäquators aus bis jenseits
des Centrums der weißen Hemisphäre. 2) Bildungsmaterial von der
Aequatorialregion des Eies bewegt sich gegen die Mittellinie hin, um
sich an der Bildung der mittleren Rückenpartie des Embryos unter
Verwachsungsvorgängen zu beteiligen. 3) Die ventrale Blastoporuslippe,
welche am entgegengesetzten Rand des Dotterfeldes entsteht, rückt
über den Dotter gleichfalls vor, im Vergleich zur Verschiebung der
Dorsallippe aber nur eine kurze Strecke weit."
In die Lageveränderungen des Zellmaterials am Amphibienei mit
Hilfe der Photographie einen genaueren Einblick zu gewinnneu, hat zuerst
KopscH versucht. An Axolotl- und Froscheiern, die sich im Stadium der
Gastrulation befanden, hat er (L. K. III ^,
1895, p. 184) durch photographische Auf-
nahmen von der Unterseite eines und des-
selben Eies, indem er die Exposition auf
20—30 Minuten ausdehnte, Zellenbewe-
gungen auf der Platte zur Darstellung
bringen können (Fig. 283). „Während der
Gastrulation findet an der dorsalen Ur-
mundlippe — so heißt es in der Schil-
derung von KopscH — ein Umschlag von
Zellen statt, welcher am beträchtlichsten
ist an den freien Enden des Blasto-
porus, nach der Mitte desselben allmäh-
lich abnimmt und dort am geringsten ist.
Die Makromeren bewegen sich, von allen Fig. 283. Schema der Gastru-
Seiten her andringend, auf den Blasto- S Slf dt mcCnrefdTr
porus zu. Da derselbe nun im \ erhalt- Zellbewegungen angedeutet wird,
nis zu der Menge der hinzuströmenden Nach Kopsch (1895, Fig. 2).
47*
740 0. IIertwig
Zellen sehr eng ist, so ist die Bewegung der Makronieren am schnell-
sten an denjonigen Stellen, welche sich dicht vor dem Rlastoporus l^e-
finden, widirend in größerer Entfernung die Bewegung um so lang-
samer ist, je weiter die betreffende Stelle vom Urmund entfernt ist."
In neueren Untersuchungen spi'icht Kopsch (L. K. III \ 190Q)
die Hoffnung aus, daß mit Hilfe der Photographie und durcli planmäßige
Verwertung des experimentellen Rüstzeuges man mit der Zeit wohl
die Lageveränderungen der einzelnen Zellen kennen lernen werde.
Den Weg, welchen die dorsale Blasto]»oruslippe über die untere Hälfte
der Eikugel zurücklegt, schätzt er — worin ihm auch Moszkowski
(L. K. III ^ 1902) beistimmt — im Mittel auf 75" im Gegensatz zu
Pflüger und Roux, welche 170^ dafür angegeben haben.
Um die Drehungen der Eikugel während der Gastrulation bis zu
einem gewissen Grade auszuschließen, habe ich in der früher angegebenen
Weise Eier von Rana fusca ein wenig komprimiert und mit einem
für den Zweck von der Firma Zeiss besonders konstruierten Apparat
photographische Aufnahmen der unteren Seite in Zwischenräumen von
4 — 6 Stunden gemacht. Es läßt sich deutlich nachweisen, daß die
vordere Urmundlippe als kleine, konkave, dunkelschwarze Linie in
geringer Entfernung, die Kopsch auf 25 ^ Moszkowski auf .80^
schätzt, unterhall) des Eiäquators auftritt und von hier allmählich
sich über das helle Dotterfeld herüberschiebt. Denn einmal wird
der Abstand des Urmundrandes von der Eii)eripherie, wenn eine feste
Ruhelage des Eies infolge der Komi)ression und Abplattung . an-
genommen werden darf, successive größer, und zweitens nimmt in
entsprechendem Maße der Abstand von dem entgegengesetzten Rande
des hellen Dotterfeldes ab. An den Photogranimen kann man die
Größe der Vorwärtsbewegung der vorderen Urmundlippe unschwer
messen, zumal einige im Dotterfeld zufällig vorhandene i)igmentierte
Linien und Flecke als feste Marken verwertbar sind.
Bei frei im Wasser schwebenden Froscheiern wird die Messung
der Bewegung der vorderen Urmundlippe dnrch den Umstand er-
schwert, daß infolge der Materialverlagerung bei der Einwanderung
von Zellen am Urmund sowie infolge der Bildung der Gastrulahöhle
sich der Schwerpunkt des Eies sehr verschiebt und eine allmähliche
Drehung desselben hierdurch hervorgerufen wird. Um von diesen Vor-
gängen eine Vorstellung zu geben, hat Kopsch einige schematische
Zeichnungen entworfen, die auch hier einen Platz finden mögen, wenn
sie auch, wie ich glaube, nur annähernd richtig sind.
Fig. 284 ist ein Sagittalschnitt durch das Achtzellenstadium. Die
punktiei'te Linie bezeichnet die Grenze des hellen Feldes. Die schraffierte
Seite ist nach Roux die kraniale, nach 0. Schultze die kaudale.
Die folgenden Sagittalschnitte zeigen, wie nach der Auffassung von
Kopsch sich das in Fig. 284 schraffierte Material während der Gastrula-
tion verlagert. Während in den Figg. 285 und 286 sich die dorsale
Urmundlippe nach abwärts geschoben hat, ist sie in den Figg. 287
und 288 infolge einer erheblichen Drehung des Eies wieder nach oben
gerückt und liegt nun dorsal am Kaudalende des Embryos.
Die Zellverschiebungen während der Furchung und die Material-
verlagerungen während der Gastrulation muß man auch beachten,
wenn man sich ein Urteil über die von Roux aufgestellte Behaui)tung
bilden will, daß die 3 ersten Furchungsebenen den 3 Hauptebenen
des embryonalen Körpers entsprechen. Man wird dann mit Kopsch
Die T^elire von den ^t^eimblättern.
741
u. a. zu dem Erjicbnis koniinen : „1) Die von Pol zu Pol gezogene
Achse des Furcliungsstadiunis wird nicht zur dorsoventralen Achse.
2) Beim Ei von Rana fusca bestehen keine strengen, sondern nur
Fig. 284.
Fig. 285.
Fig. 286.
Fig. 287.
Fig. 288.
Fig. 284—288. Darstellung der Drehung des Froscheies während der (lastru-
lation. (Nach KoPSCH 1900.)
Die Pfeile geben die verticale Richtung an.
innerhalb einer gewissen Breite schwankende Beziehungen zwischen
der ersten Furchungsebene und der Medianebeue des Embryos.
3) Die zweite Furchungsebene scheidet nicht kraniale und kaudale,
die dritte nicht dorsale und ventrale Abschnitte des Embryos, viel-
mehr sind die dorsoveutrale und kraniokaudale Achse des Embryos
erst nach Beendigung der Gastrulation bestimmt." Man vergleiche
auch Kapitel II, p. 618 — 631.
So wertvoll auch immerhin die Ergebnisse der Oberflächenbetrach-
tung sind, so läßt sich ein genauer Einbhck in den Gastrulationsvor-
gang doch allein an Durchschnitten durch die einzelnen Stadien, und zwar
am besten an solchen gewinnen, die' in sagittaler Richtung geführt
sind. Dabei ergiebt sich, daß die Eier der verschiedenen Amphibien-
arten, Triton, Frosch, Alytes obstetr., Salamandra, Cöcilien , nach
ihrem Dotterreichtum verschiedene Modifikationen darbieten, die sich
in einer Reihe anordnen lassen und für das Verständnis mancher
Befunde bei Reptilien und Vögeln sehr wichtig sind.
Den primitivsten Befund bietet das Tritonei. Bald nach Beginn der
Gastrulation führt die an der Oberfläche sichtbare, kleine, grubenförmige
Vertiefung des Urmundes, wie der Sagittalschnitt (Fig. 289) lehrt, in
einen engen Spalt (ud) , welcher in eine nach der Keimblasenhöhle
(kh) zu eingestülpte Zellenmasse tief eindringt und sie in eine dünnere
dorsale und eine dickere ventrale Lage teilt. Am Grunde der einge-
stülpten Masse liegen nach der Keimblasenhöhle zu einige vereinzelte
Dotterzellen (ds) sehr locker zerstreut. Die Keiniblasenhöhle wird
742
0. Hertwig,
bei Triton nur von einer einschichtigen Lage (aJc) cyiindrischer Zellen
begrenzt. Auf einem etwas weiter vorgerückten Stadium der Gastrulation,
während dem der Urmuiid bei Oberflächenansicht Hufeisenform ange-
Fig. 289.
kh dz ak
Fig. 2<)0.
ik dul dm
Fig. 289. Medianschnitt
did dorsale Urraundlippe.
durch ein Tritonei am Beginn der Gastrulation.
iid Urdarm. dz Dotterzellen in der Keiinblasenhöhle kh.
ak die einfache Lage kubischer Zellen, welche die Declie der Keimblase bildet, ik
inneres Keimblatt, dm noch freiliegendes Dotterfeld.
Fig. 290. Sagittalschnitt durch eine vollständig entwickelte Gastrula von Triton,
bei welcher sich bereits der Mesoblast zu bilden beginnt. Nach Hertwig, (1883,
Taf. II, Fig. 4). ak, mk äußeres, mittleres Keimblatt, ch Chordaanlage, dz Dotter-
zellen. II d Urdarm. dtd, vnl dorsale, ventrale Urmundlippe. H.pf ßuscoNi'scher
Dotterpfropf.
nommen hat, hat sich auf Kosten der immer enger werdenden Keim-
blasenhöhle die eingestülpte Tasche erheblich ausgedehnt. Ihre dorsale
Wand hat sicli besonders in der Medianebene verdünnt, die ventrale dicke
Wand, welche die Hauptmasse der größeren Dotterzellen enthält, ist
durch eine quere tiefe Furche in einer für Triton charakteristischen
Weise in 2 kugelige Partieen (vergl. auch Fig. 290) gesondert, in eine
größere am Urmund und eine kleinere mehr nach vorn
gelagerte.
Auf dem letzten Stadium der Gastrulation (Fig. 290) zur Zeit,
wo sich der Urmund zum Ring umgebildet hat, ist der Rest der
Keimblasenhöhle ganz geschwunden; die Wand der eingestülpten Tasche
hat sich überall dem äußeren Keimblatt, das jetzt durchweg eine ein-
fache Lage von Cvlinderzellen darstellt, eng angelegt. Der Urdarm
(ud),
der anfangs nur
geweitet
enger Spalt auftrat, hat sich erheblich aus-
längs
als
seine dorsale Wand ist stärker verdünnt und bildet
eines medianen Streifens unter der äußerlich sichtbaren Rückenrinne
auch nur eine einzige Lage von Cylinderzellen (ch). Ventralwärts
findet sich die Hauptmasse der Dotterzellen, welche den Boden der
Keimblase eingenommen hatten, und schieben sich in den ringförmigen
Urmund als Zapfen vor, den RuscoNi'schen Dotterpfropf {R.pf) bildend.
Die dorsale Urmundlippe (dul) ist verdickt, entsprechend dem äußer-
lich sichtbaren Wulst, durch welchen die Rückenrinne vom Urmund
getrennt bleibt.
Das etwas größere, dotterreichere Froschei bietet hiervon einige
interessante Abweichungen dar. Den Beginn der Gastrulation unter-
sucht man am leichtesten, w^enn man in der früher (p. 736) ange-
gebenen Weise die Eier komprimiert, weil man so das erste Auftreten
der Gastrularinne (Fig. 280 C) am Rande der Dotterfeldes am bequemsten
Die Lehre von den Keimblättern.
r43
feststellen und an den etwas platt gedrückten Objekten nach der
Härtung auch die Schnittrichtung genauer orientieren kann. Wie eine
Abbildung von Schultze (Fig. 279) zeigt, beginnt die Gastrularinne
an der dünnsten Stelle der GoETTE'schen Randzone. An einem nur
wenig
weiter vorgerückten Stadium (Fig. 291) ist im Vergleich zu
Triton die interessante Abweichung zu bemerken, daß, während die
Gastrularinne (gr) nur wenig tief in die Dottermasse einschneidet, doch
an der ihr entsprechenden Stelle der Boden der Keimblase schon sehr weit
keilartig ix) in das Blastocöl hineingedrängt ist. Vergleicht man die rechte
mit der linken Seite des Durchschnittes, so geht an jener die Decke
in den Boden vermittelst der Randzone über, links dagegen springt
vom Boden ein nach oben gerichteter, keilförmiger Fortsatz (x) von
Dotterzellen vor , der sich eine größere Strecke weit der Decke
anlegt und von ihr durch einen schmalen Spalt getrennt ist. Soweit
sich dieser Fortsatz gebildet hat, ist die Embryonalform doppel-
blätterig geworden. Im weiteren Verlaufe (Fig. 292) wandern die
Fig. 291.
Fig. 291. Sagittalschnitt durch ein
Ei von Eana fusca, welches bald nach
der Befruchtung zwischen 2 horizontal
gelagerten Glasplatten gepreßt wurde.
Beginn derGastrulation. Nach O. Hert-
wiG 1893, Taf. XL, Fig. 19). yr Ga-
strularinne, .(• in die Keimblasenhöhle
keilartig vorspringende Masse der Dotter-
zellen.
Fig. 292.
kh ak
ihd pf
Fig. 292. feagittalschnitt durch ein Ei von Eana fusca. Nach einer Photo-
graphie eines Präparates des anatomisch-biologischen Instituts, kh Keimblasenhöhle.
;<■ der Decke entlang sich schiebender Keil von Dotterzellen, dvl, vul dorsale und
ventrale Urmundlippe. pf Dotterpfropf, ak äußeres Keimblatt.
Dotterzellen immer weiter an der Decke nach dem animalen Pol empor,
wobei man am oberen Rand hie und da auch einzelne abgelöste isolierte
Dotterzellen bemerkt. Gleichzeitig vertieft sich von der Oberfläche
her die Gastrularinne, schneidet «ewissermaßen in den vorgeschobenen
Keil
und
schneidet gewissermaßen
der Dotterzellen hinein und trennt ihn in 2 Blätter, in die dorsale
die ventrale Wand des Urdarmes.
An der Fig. 292, in welcher dieses Stadium
man. Avie klein noch der spaltförmige Urdarm
dem an der Decke der Keimblase weit vorgeschobenen
Dotterzellen. Während bei Triton (Fig. 289) von Anfang
förmige Urdarm so weit reicht, wie die Dotterzellen in die Keimblasen-
höhle hinein vorgeschoben sind, vergrößert er sich beim Frosch erst
allmählich nach dem Rand der vorgeschobenen Dottermasse zu.
dargestellt ist, beachte
ist im Verhältnis zu
Streifen der
an der spalt-
744 0. Hertwig,
Durch das Studium derartiger Bilder sind Moquin Tandon (L. K. III ^,
1876) und Houssay (L. K. III *, 1890) sowie Robinson und Asshetox
(L. K. III 4, 1891) veranlaßt worden, eine Entstehung des Urdarmes
durch Einstülpung beim Erosch überhauiDt in Abrede zu stellen. „The
archenteron of the anura is not formed b}^ invagination, but by a process
of Splitting amongst the yolk cells (Houssay). No portion is formed b}^
invaginated epiblast" (Robinson, L. K. III*, 1891, p. 465).
Demgegenüber ist zu bemerken, daß die Bildung der Urdarmhöhle
doch immer von der Oberfläche aus vor sich geht, daß fortwährend
kleine, pigmentierte Zellen um die Blastoporuslippe nach innen einwandern
und vorwiegend das Material zur Begrenzung der dorsalen Wand des
Urdarmes liefern, daß aber ebenso auch oberflächlich gelegene vegetative
Zellen, nach den beweisenden Beobachtungen von Kopsch (L. K III*, 1895),
ventral von der Urmundrinne in das Innere hineinwandern. Daher ist, wie
schon von Gobtte richtig angegeben worden ist, auch bei Anuren der ganze
Vorgang als eine Grastrulation, als eine Urdarmbildung durch Einstülpung
zu bezeichnen, wobei allerdings der Einstülpungsprozeß dem primitiven
Verhalten von Amphioxus gegenüber durch die Anhäufung von Dotter-
material modifiziert ist. Die verschiedene Deutung derselben Bilder beim
Erosch, welche sich auf einen relativ einfachen Vorgang beziehen , ist
sehr lehrreich, weil man daraus sieht, wie schwierig am Schnittpräparat
Invagination und Delamination voneinander zu unterscheiden sind !
Das Hinaufwandern der Dotterzellen vom Boden nach oben unter
die Decke der Keim blase kann schon einige Zeit beginnen, ehe äußer-
lich überhaupt eine Einstülpungsrinne bemei-kbar wird, besonders bei
sehr großen, dotterreichen Eiern. Sehr deutlich scheint dies nach den
Untersuchungen von Gasser (A. L. III ', 1882) bei Alytes der Fall zu
sein. „Es schieben sich hier" — so berichtet Gasser — „größere Dotter-
zellen, vom Boden der Furchungshöhle kommend, allmählich in die
Höhe, der Unterseite jener Decke entlang ihren Weg nehmend , von
derselben aber durch eine hinlänglich genaue Grenzlinie scharf ge-
trennt. Sie erreichen dabei anfangs die Mitte der Decke noch nicht
oder nur in vereinzelten Exemplaren, während sie später dort eine
vollständig zusammenhängende Schicht darstellen. Nach abwärts gehen
sie, an Zahl und Größe zunehmend, in die Dotterzellenmasse über. Nach-
dem diese Stufe der Entwickelung erreicht ist, beginnt die Einstülpung"
(1882, p. 77). Derartige Erscheinungen bei den Amphibien sind be-
achtenswert, weil sie für das Verständnis der Gastrulation der Amnioten
sich verwerten lassen.
Was den weiteren Verlauf beim Frosch betrifft, so wird in dem-
selben Maße, als sich die zuerst gebildete Urmundrinne zum Hufeisen
umwandelt und dieses sich zum Ring schließt, das Material in immer
größerem Umfang der GoETTE'schen Randzone entlang in das Blastocöl
vorgeschoben. Und so ist in Fig. 292, einem Medianschnitt durch ein
Ei, in welchem der Blastoporus eben ringförmig geworden ist, das
Dottermaterial auch von der noch ganz seichten ventralen Urmund-
rinne aus (vul), an der Seite des Keimblasendaches, welche dem ersten
Auftreten der Urmundrinne gegenüber liegt, als keilförmiger Fortsatz
in die Höhe gedrängt. An dem dünnen Dach der Keimblase ist die Grenze,
bis zu welcher der zugeschärfte Rand der Dotterzellen reicht, häufig
durch eine schon von Remak beobachtete, ringförmige Furche markiert,
welche Schultze (L. K. III *, 1887, p. 12; 1888, p. 2) als Gastrula-
furche wieder genauer beschrieben und der Furche verglichen hat, mit
Die Lehre von den Keimblättern.
745
der Rand des
abgrenzen läßt.
welcher sich auch bei der Keiniblase des Kaninchens
inneren Keimblattes bei seiner Umwachsung äußerlich
Im Endstadium der Gastrulation sind bei den Froscheiern zwei ver-
schiedene Modifikationen beobachtet worden, die vielleicht von einem
verschiedenen Dotterreichtum oder anderen noch unbekannten Faktoren
abhängen. In dem einen Fall, welcher der häufigere zu sein scheint,
gelangt die Gastrulation, in ähnlicher Weise wie beim Triton zum Ab-
schluß. Von dem Orte ihrer ersten Entstehung aus schiebt sich die
eingestülpte Dottei'masse am raschesten an der Decke der nrsprüng-
lichen Keimblasenhöhle entlang; es schneidet die Urdarmspalte von
außen immer tiefer in sie hinein und weitet sich dabei durch Aus-
einanderweichen der beiden Wände immer ansehnlicher aus; infolge-
dessen wird das Blastocöl zusehends kleiner. Zuletzt (Fig. 293) hat
sich überall das eingestülpte
Dottermaterial der Keim-
blasendecke angelegt, und
der Urdarm ist so weit ver-
größert, daß auch der letzte
Rest des Blastocöls verdrängt
enger
gewor-
ist. Aus dem
denen Blastoporus sieht noch
von der ventral angehäuften
Dottermasse ein Pfropf nach
außen hervor.
Bei der zweiten Modifi-
kation, aufweiche Schültze
beim Froschei die Aufmerk-
samkeit gelenkt hat, treffen
die nach allen Seiten vom
ringförmig gewordenen Bla-
stoporus aus vorwachsenden
eingestülpten Dotterzellen
(Fig. 294) an der ursprüng-
lichen Decke der Keimblase
schon zu einer Zeit zusammen,
noch von geringer Ausdehnung
groß ist. Letzteres wird daher
In diesem Fall wird —
de
i — dul
— vul
Fig.
gebildete
293. Mediauschuitt durch eine aus-
Gastrula des Frosches. Photographie
eines Präparates des anat.-biol. Inst. Bezeich-
nungen wie in Fig. 292. ik inneres Keimblatt.
geben
artigen Verteilung des eingestülpten
wo die Urdarmhöhle (Fig. 294 ud)
und das Blastocöl (kh) noch ziemlich
jetzt ringsum von Dotterzellen um-
wahrscheinlich infolge einer anders-
Dottermaterials — der LTrdarm
(Fig.
von
294 ud) bei seiner Ausweitung nur durch eine dünne Membran
Dotterzellen (seh) gegen das Blastocöl (kh) abgetrennt. Und nun
tritt ein Zeitpunkt ein, wo die dünne Wand (srh) einreißt (Fig. 295)
und so sich der Urdarm {tcd) direkt durch Einverleibung der Keim-
blasenhöhle (kh) vergrößert. Der Vorgang ist besonders wichtig und
beachtenswert, weil er manche Eigentümlichkeiten in der Keimblatt-
bei den Amnioten aufklärt.
Die durch Zerreißen einer Zwischenwand herbeigeführte Ver-
des Urdarmes mit dem Blastocöl, welche beim Frosch
nur m manchen Fällen vorkommt, scheint bei Amphibien mit sehr
großen, dotterreichen Eiern die Regel zu sein. Van Bambeke (A. L. III ',
1868) berichtet es als konstantes Vorkommnis von Pelobates fuscus. Bei
Alytes obstetr. hat Gasser (A. L. III ^ 1882, p. 81) außer dem gewöhn-
lichen Verhalten „eine Reihe unzweifelhafter Fälle gefunden, in denen
bildung
Schmelzung
i46
0. Hertwig,
die Scheidewand zwischen beiden Höhlen entweder teilweise — und
dann in der Medianlinie — oder ganz verschwand, also beide Höhlen
sich vereinigten" ,
Fig. 294.
luJ seh l:h
Fig. 295.
Fig. 294. Medianschnitt durch eine Gastrula des Frosches. Photographie
eines Präparates des anat.-biol. Inst, ak äußeres Keimblatt, dd u. vd dorsal und
ventral vorgeschobener Keil von Dotterzellen, kh Keiniblasenhöhle. seh Scheidewand.
ud ürdarm.
Fig. 295. Medianschnitt durch eine Gastrula des Frosches. An Fig. 294 sich
anschließendes Btadium. Photographie eines Präparates des anat.-biol. Institutes.
ak äußeres Keimblatt, df noch frei liegendes Dotterfeld, dd u. cd dorsal und
ventral vorgeschobener Keil von Dotterzellen, dul dorsale Urmundlippe. kh Keira-
blasenhöhle. v.d Urdarm. seit Scheidewand.
In sehr großem Maßstabe ist die Furchnngshöhle bei Salamandra
niaciilata an der Urdarmbildung beteiligt, wie Grönroos (L
p, 458) an Schnittpräparaten nachgewiesen
Auftretens hat die Gastrularinne (Fig. 296)
Fia-. 296.
Fig. 297.
. III \ 1898,
hat. Am Anfang ihres
welche sich etwa in der
Mitte zwischen animalem
und vegetativem Pol ])il-
det, einen rein latitudi-
naleu Verlauf und erreicht
bald etwa V5 tles Eium-
fanges. Aehnlich vei-hält
es sich nach Gasser
(1882, p. 78) bei Alytes.
Zur Zeit, wo sie noch
wenig in den Dotter ein-
schneidet, sieht man an
Durchschnitten einzelne
grobkörnige Dotterzellen,
welche an der Innenfläche
des Daches der Keim-
blasenhöhle em i)orr ücken.
Mit der Vertiefung der
Furche erreicht dieser Verschiebungsprozeß immer größere Ausdehnung
derart, daß schon auf dem Stadium der Fig. 296 die Innenfläche des
Daches des Blastocöls zum größten Teil mit Dotterzellen beleat ist.
Fig. 296. Latitudinaler ürmundspalt eines Eies
von Salam. mac. nach GrÖnroos ^1898, Fig. 1).
Fig. 297. Bogenförmig gekrümmter Ürmund-
spalt. Ansicht von hinten und etwas von unten.
Nach Grönroos (1. c. Fig. 2).
Die Lehre von den Keimblättern. 747
Allmählich breitet sich der Gastrulaspalt weiter aus und erhält ein
größeres Lumen. Dabei geht die latitudinale Urmundrinne in die
Hufeisenform über (Fig. 297). Die Trennungswand zwischen Gastrula-
höhle und Blastocöl lockert sich und reißt ein, so daß jetzt beide voll-
ständig in einen Raum zusammenfließen. ,,Der weitaus größte Teil
der primitiven Darmhöhle geht bei Salam. mac." — so faßt Grönroos
seine Befunde zusammen • — „aus der modifizierten Furchungshöhle
hervor; die eigentliche, von außen her eindringende Gastrulaeinstülpung
spielt in dieser Hinsicht nur eine untergeordnete Rolle." Schon vor
Grönroos hatte auch von Kupffer (L. K. III \ 1879, p. 594) gesehen
und beschrieben, daß bei Salam. mac. die beiden Höhlen infolge
Durchbruches der Trennungswand in eine zusammenfließen.
Das Endglied in der eben dargestellten Reihe bilden die Gynino-
phionen, über deren Entwickelung die wichtigen Untersuchungen von
den beiden Sarasins (A. L. III \ 1885, 1887) und von Brauer (A. L. III \
1897) vorliegen. Ihre Eier zeichnen sich vor allen Amphibien durch einen
so großen Dotterreichtum aus, daß der Furchungsprozeß bei ihnen sogar
zu einem partiellen geworden ist. Sie gehören zum meroblastischen
Typus. Auf einer ungeteilten Dottermasse, in welche einzelne Kerne
(Merocyten) eingebettet sind, liegt eine Keimscheibe von Embryonal-
zellen. Diese sondert sich alsbald 1) an der Oberfläche zu einer
Schicht fest zusammengefügter, cylindrischer, auimaler Zellen und 2) in
unregelmäßig und locker zusammenhängende, vegetative Zellen, zwischen
denen sich größere und kleinere Lücken finden, die zusammen die
Keimblasenhöhle ausmachen. Weiterhin entsteht am hinteren Rande
der Scheibe eine breite, quere Urmundrinne, an welcher ein Umschlag
der animalen Zellen zuerst senkrecht nach unten, dann nach vorn
erfolgt. Es bildet sich am hinteren Ende des Embryos (Fig. 298) ein
kb vz
ud
Fig. 298. Seitlicher Längsschnitt durch einen Embryo von Hypogeophis rostratus
am Beginn der Gastrulation, nach Brauer (1897, Tat'. XXXV, Fig. 46j. dul dor-
sale Urmundlippe. lul Urdarm. kh Keimblasenhöhle, die später mit dem durch
Einstülpung entstandenen Teil des Urdarmes verschmilzt. az animale Zellen.
vz vegetative Zellen.
kleiner Blindsack, dessen obere Wand von den am Umschlagsrand
nach innen gewanderten animalen Cylinderzellen, dessen Boden aber
vom Dotter und von vegetativen Zellen umgrenzt wird.
Währenddem beginnen im vorderen Bereich der Keimscheibe die
Dotterzellen sich im Anschluß an die Einstülpung an die aus Cylinder-
zellen bestehende Decke der Keimblase anzulegen und zu einem
regelmäßigen Blatt anzuordnen, infolgedessen auch das Blastocöl an Aus-
748
0. IIertwig,
dehnung gewinnt. Es sind daher jetzt im Bereich der Keimscheibe
zwei Hohh-äume vorhanden, 1) ein vorderer allseiti.u abgeschlossener,
die Keimbhisenhöhle (Fig. 298 kh) , und 2) ein lunterer Ivleinerer,
durcli direkte P^instülimng
entstandene!' und durch den
Urmund {dul) nach außen
geöffneter Raum (ud) ; beide
werden durch eine schmale
Scheidewand getrennt, wel-
che aus den bei der Ein-
stülpung nach innen ge-
drängten, vegetativen Zellen
zusammengesetzt ist. Wie
es beim Frosch in Aus-
nahmefällen, regelmäßig bei
Pelobates und Salamandra
geschieht, wird später die
Scheidewand (Fig. 299)
durchbrochen und ein ein-
heitlicher Raum hergestellt,
an dessen Decke man aber
auch jetzt und längere Zeit
noch deutlich die Entstehung
aus zwei Abschnitten (az u.
vz) an der verschiedenen
Form und dem verschie-
denen Dottergehalt der
Zellen erkennen kann. Denn
hinten besteht die Decke
aus einer einfachen Lage
höherer Cylinderzellen {az)
mit wenigen und kleineren
Dotterkörnchen, vorn aus
einer Schicht größerer, mehr
abgeplatteter , dotterreiche-
rer, etwas locker angeord-
neter Zellen {vz). Ganz
nach vorn bleiben die vege-
tativen Zellen lange Zeit
ungeordnet und fügen sich
allmählich der dorsalen Ur-
darmwand im Verlauf ihrer
fortschreitenden Ausdeh-
nach vorn ein.
An den meisten Prä-
paraten fand Brauer die
Grenze zwischen beiden
Teilen an Durchschnitten
immer scharf markiert (Fig.
299 x). Er konnte dabei-
durch Rekonstruktion aus
der Schnittserie die Form und Größe der Höhle, sowie die
der beiden Abschnitte feststellen und in der Fig. 300 zur
nung
Beteiligung
Darstellung
Die Lehre von den Keimblättern.
749
bringen. In ihr ist der kleinere pnnktierte Teil durch Invagination
entstanden und an der Decke von Cylinderzellen ausgekleidet, der
schraffierte größere Teil stammt von der Keiniblasenhöhle ab und
wird von vegetativen Zellen bedeckt. Am Boden finden sich überall
nur Dotter und Dotterzellen.
Auch bei den merobla-
stischen Eiern der Gymno-
l»hionen macht der Urmund
dieselben A'eränderungen wie
bei den Eiern der übrigen
Am])hibien durch. Die gerade
quere Rinne krümmt sich später
zum Hufeisen ein ; diese schließt
sich zum ringförmigen Blasto-
porus, der, anfangs weit, später
enger wird und sich schließlich
in einen Längsspalt umwandelt.
Der Blastoporus wird vom
Dotterpfropf ausgefüllt.
Fig. 300. Durch Eekonstruk-
tion hergestelltes Schema von der
dorsalen Urdarmwand eines Em-
bryos von Hypogeophis alternans.
uz animale, vz vegetative Zellen, hl
Blastoporus. Xach Bkaüer (1. c.
Textfig. Hj.
Die E n t w i c k e 1 u n g v o n de m mittleren K e i m b 1 a 1 1 . von
Chorda und Rückenmark.
Geraume Zeit, bevor die Keimblasenhöhle verdrängt und die Ein-
stüli)ung beendet ist, beginnt sich schon das mittlere Keimblatt anzu-
legen und zwar dadurch, daß Zellen am Urmundrand von außen nach
innen eindi'ingen und sich zwischen die beiden primären Keimblätter
hineinschieben. fJei Urodelen. Anuren und Gymnophionen bieten sich
uns 3 Modifikationen des Prozesses dar und lassen sich in eine Reihe
anordnen, deren Anfangsglied sich an die Befunde bei Petromyzon
und Amphioxus anknüpfen läßt, während das Endglied zu den Ver-
hältnissen bei Reptilien überleitet. Da ganz am Anfang, wo sich das
mittlere Keimblatt zu bilden beginnt, die Bilder auf Durchschnitten
weniger deutlich ausfallen, als später, wo schon eine dickere Schicht
angelegt ist, so wollen wir mit einem etwas weiter vorgerückten Stadium
beginnen.
Zur Zeit,
und dann
Den einfachsten Befund liefern die Eier von Triton,
wo der Urmund sich schon zu einem kleinen, engen Ring
zu einem kurzen Längsspalt umgewandelt hat und auf der Dorsal-
fläche eine kurze Rückenrinne (Fig 281 B) erkennbar wird, ist das mitt-
lere Keimblatt in größerer Ausdehnung angelegt. Auf einem Quer-
schnitt durch den Urmund (Fig. 301, 302) sieht man in der L^mgebung
der Urmundlippe (//) links und rechts eine Schicht kleiner polygonaler
Zellen sich zwischen das äußere Keimblatt, eine einfache Lage cylin-
drischer Zellen und das Dottermaterial hineinschieben. Im Bereich des
Urmundes ist die Schicht am dicksten und durch einen vom Urdarm
eindringenden Spalt in 2 Lamellen gesondert, von denen die äußere (so)
750
0. Hertwig,
am Urmnndrand in den Ektoblast umbiegt und die parietale Lamelle des
mittleren Keimblattes darstellt, während die innere Lamelle (sp) median-
wärts in die Masse der Dotterzellen übei'geht. Etwas vom|Urmund
Fig. 301.
m/' rf
w ■
Fiii-. 302.
Fig. 301. Frontalsclinitt durch eine vollständig entwickelte Gastrula von
Triton, bei welcher sich der Mesoblast bereits zu bilden beoinnt, nach Hektwig
(1883, Taf. II, Fig. 9).
Fig. 302. Frontalschnitt durch ein etwas weiter entwickeltes Ei von Triton mit
ßückenrinne, nach Hertwig (1883, Taf. II, Fig. lUj.
e inneres Keimblatt. Ec äußeres Keimblatt, so, a-p parietale und viscerale
Lamelle des mittleren Keimblattes, mf Dotterpfropf, rf seitliche Urmundlippen,
\o ürmund. nd Urdarm.
entfernt, ist der Spalt nicht mehr erkennbar und sind parietales umi
viscerales Blatt zu einer Schicht verschmolzen , die sich nach den
Rändern schHeßlich zu einei" einfachen Lage von Zellen verdünnt.
Nach vorn vom Urraund breitet sich das mittlere Keimblatt als
gastraler Mesoblast (Rabl) weiter aus. Hiermit kommen wir zu einer
für einige embryologische Fragen sehr wichtigen Gegend. Denn
Schnittserien durch dieselbe liefern bei den Amphibien Bilder, welche
für die Lehre von der Urmundnaht und von der Entstehung des
gastralen aus peristomalem Mesoblast außerordentlich beweisend sind.
Zum Studium dieser wichtigen Verhältnisse gebe ich aus einer Schnitt-
serie Abbildungen, welche direkt von Balsampräparaten auf photo-
graphischem Wege gewonnen worden sind von einem Ei, welches nur
wenig weiter entwickelt ist als das in Figur 281 B dargestellte. Auf dem
ersten Schnitt der Serie (Fig. 303) sind beide Urmundlippen [u\) nur
durch einen sehr feinen Spalt {um) getrennt: einige Schnitte weiter
nach vorn liegen sie mit ihren Oberflächen dicht aneinander, doch
deutet noch eine feine Linie eine Sonderung in die linke und rechte
Hälfte an. In der jetzt folgenden Figur 304 ist mit dem Schwund
dieser Linie ein medianer Zellstreifen [n) entstanden , in welchen
von außen und innen eine Ptinne (/) einschneidet. Das Bild entspricht
dem Durchschnitt von der Incisura neurenterica am Caudallappen
eines Selachiers. Und wieder einige Schnitte weiter nach vorn
(Fig. 305, 306) bildet sich mit immer größerer Deutlichkeit in dem
Zellenstreifen eine Spalte aus, durch welche er in ein äußeres und
ein inneres Blatt getrennt wird. Das sind eine Reihe von Verände-
rungen, wie sie sich immer an Nahtstellen, wo Faltenränder ver-
schmelzen, abzuspielen pflegen. Daher scheint uns auch keine andere
Dio Lehre von den Keimblättern.
751
Deutung dieser Befunde möglich, als daß vor dem offenen Stück
des Urmundes eine geschlossene Strecke desselben sich befindet, das
heißt, eine Strecke, in deren Bereich die Urmundränder durch Naht
verschmelzen und sich dann nach vorn in ein äußeres Blatt (Ektoblast
oder speciell Medullari)lattej und in ein inneres Blatt, die Chordaanlage,
spalten.
Aehnliche Befunde erhält man auch von älteren Embryonen, bei
denen sich schon eine Medullarrinne und sogar ein geschlossenes
Medullarrohr gel)ildet hat. wenn man die Strecke vor dem offenen
Rest des Urmundes auf Schnittserien untersucht. Hieraus läßt sich
folgern, daß sich der Prozeß der Nahtbildung über einen längeren Zeit-
abschnitt ausdehnt. Somit liefert das Studium von Querschnittserien
Fig.
303.
Fig. 304.
f n
U7n ul
Fig. 305.
Fig. 306.
11 d
ik ^mk ak
ch iid
Fig. 303 — 306. Vier Bilder aus einer Schnittserie eines Tritoneies mit Rücken-
rinne aus der Gegend unmittelbar vor dem Blastoporus. Photographieen eines Prä-
parates von RöTHiG. um Urmund. ul Urmundlippe. mk mittleres Keimblatt, d Dotter.
/ Furche in der Nahtstelle. /; Naht, iid Urdarm. a k äußeres, ik inneres Keimblatt.
ch Chordaanlage.
immer neue Beweise für die auch aus anderen Beobachtungen er-
schlossene Annahme eines exzentrischen Urmundschlusses.
Wenn man die Schnittserie eines Eies, das sich auf dem Stadium
der Figur 281 befindet, noch weiter nach vorn verfolgt, so kommt
man in das Bereich der Rückenrinne (Fig. 307). Die Decke des Ur-
darmes besteht hier längs eines schmalen medianen Streifens, der bei
stärkerer Ausprägung der Rückenrinne nach innen zuweilen vorge-
buchtet ist (Bambeke) (Fig. 308), aus zwei durch einen Spalt getrennten
Lagen cylindrischer Zellen, welche eine vollständige Uebereinstimmung
mit den von Amphioxus (Fig. 252) erhalteneu Bildern darbieten. Die
752
0. Hertwig,
äußere, dem Ektoblast aiigeliörige Lage enthält das Zellenniaterial für
die Medullarplatte. Die darunter gelegene Schicht ist Chordaanlage
(ch). Beide gehen nach hinten in die beiden Blätter über, in welche
Fis-. H07.
Fi^-. 308.
rr
>>
.. m
™v|.
-^
-..»i
. ■ IllOi
' ^ 1
-^J^
rh
eil.
Fig. 307. Querschnitt durch einen Embryo von Triton mit schwach ausge-
prägter Eückenrinne nach Hertwig (1883). ak, ik äußeres, inneres Keimblatt. //*/;*,
ink- parietale und viscerale Lamelle des mittleren Keimblattes, ch Chordaanlage.
dh Darmhöhle.
Fig. 308. Querschnitt durch die Eückenrinne eines Eies von Triton alpesrris
f4. Stadium), nach Bambeke(1893, Fig. 4). rr Rückenrinne, m^^ Medullarplatte. cA als
Wulst vorgetriebene Chorda, en, mes Entoderm, Mesoderm.
sich an der Naht der durch Verschmelzung der Urmundränder ent-
standene Zellstreifen spaltet. Zu beiden Seiten der Chordaanlage
übernehmen die Begrenzung des Urdarmes
größere.
dotterreiche. dui'ch
ihre abweichende Form deutlich unterschiedene Zellen des Darmdrüsen-
blattes (Fig. 307) (ili). Zwischen ihnen und dem äußeren Keim1)latt hat
Gegend
ausgebreitet und besteht
denen die äußere
Lage Anschluß an
Rand links und
der Entwickelung
eni-
die
sich der Mesoblast auch in dieser v..^5^v.x.v. ^.^^^
aus zwei Lagen kleiner, rundlicher Elemente, von
Lage sich in die Chordaanlage fortsetzt, die innere
das Darmdrüsenblatt findet, wo dieses mit freiem
rechts von der Chordaanlage aufliört.
Auf Grund der mitgeteilten Befunde läßt sich von
des mittleren Keimblattes bei den Urodelen — und dies würde dann
auch für die übrigen Amphibien nachzuweisen sein — folgende
heitliche Autfassung gewinnen.
Einige Zeit, nachdem die Gastrulation begonnen hat, und
großen vegetativen Zellen sich vom Boden der Keimblasenhöhle an
der Decke nach oben emi)orgeschoben und eine zweite Schicht unter
ihr gebildet haben , wandern an dem so entstandenen LTrmundrand
noch kleinere Elemente in geschlossener Schicht in den Spalt zwischen
äußerem Keimblatt und Darmdrüsenblatt hinein und erzeugen zwischen
beiden eine trennende Mittelschicht, den Mesoblast. Seiner Entstehung
gemäß geht dieser in der Umgebung des Urmundes nach außen in
das äußere Keimblatt, nach innen in das Darmdrüsenblatt über. Wir
wollen diese Uebergangsstellen als Urmundlippen und Urdarmlippen
bezeichnen. Zwischen beiden Lippenbildungen dringt bald mehr, bald
minder deutlich, bald mehr, bald minder weit ein schmaler Spalt vom
Urdarni in das mittlere Keimblatt hinein (wie bei den Selachiern die
Die Lehre von den Keimblättern.
753
Cölombucht oder Mesodermbildungsrinne) und zerlegt es iu ein visce-
rales und parietales Blatt. Das mittlere Keimblatt
in der Umoebung des Urmundes als
das heißt, ab
entsteht somit
eine geschlossene Falte,
IS eine Falte, deren Blätter dicht aufeinander liegen. Wenn
wir uns die Falte wietler geöffnet denken, erhalten wir eine Grund-
form (Fig. 309), von welcher sich die Entwickclung des mittleren Keim-
blattes der Wirbeltiere ableiten und an welcher sie sich leicht ver-
ständlich machen läßt.
Aus dem peristomalen entwickelt sich hierauf der gastrale Mesoblast
durch eine von vorn nach hinten fortschreitende Verwachsung der
Urniundränder. Dies soll durch das zw^eite Schema (Fig. 310) ver-
anschaulicht werden, welches man erhält, wenn man sich in Fig. 309
Fig. 309.
Fig. 310.
•ud
Ih
Fig. 309 u. 310. Schemata für die Eutwickelung der mittleren Keimblätter
und der Leibeshöhle bei den Wirbeltieren.
Fig. 309. Querschnitt durch den Urmund eines Embryos. % Urmund. ud Ur-
darm. //* Leibelhöhle, d Dotter, ak äußeres Keimblatt. ' »»/;*, mk- parietale und
viscerale Lamelle des mittleren Keimblattes.
Fig. 310. Querschnitt vor dem Urmund. mp Medullarplatte. ch Chorda-
anlage, ak, iL äußeres, inneres Keimblatt, mk'-, mk'^ parietale und viscerale Lamelle
des mittleren Keimblattes, d Dottermasse mit Dotterkernen. dh Darmhöhle.
Ih Leibeshöhle.
die Urniundränder verschmolzen und darauf in der Nahtlinie das
äußere und innere Blatt abgespalten denkt. Die beiden Schemata
sind leicht in die Bilder, wie sie Schnittserien ergeben, zu verwandeln,
wenn parietales und viscerales Blatt des Mesoblasts bis zu voll-
ständiger Berührung einander genähert werden. Von diesem Stand-
punkt aus lassen sich die mittleren Keimblätter phylogenetisch als
die Epithelwandungen zweier Leibessäcke erklären, welche sich durch
einen Faltungsprozeß aus dem ursprünglichen Urdarm zu beiden
Seiten des bleibenden Darmes hervorgebildet haben. Ein Unterschied
zwischen Amphioxus und den Amphibien besteht vornehmlich in der
Zeit, in welcher sich die Urdarmdivertikel anlegen. Bei Amphioxus
ist die Gastrula beendet, bevor die Cölomtaschen auftreten, die sich
demgemäß durch Faltenbildung der LTrdarmwandung entwickeln. Bei den
Amphibien, wie überhaupt bei allen übrigen Wirbeltieren ist infolge
des langsameren, durch den Dottergehalt des Eies bedingten Ablaufes
der Gastrulation diese noch in vollem Gange zur Zeit, wo schon die
Leibessäcke sich anlegen aus einem Zellen material, das auch von außen
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 48
754
0. Hertwig,
nach innen einwandert. So erscheint jetzt die Entwickelung der mittleren
Keimblätter gewissermaßen als eine zweite Phase der Gastrula-
t i on. In der ersten Phase werden hauptsächlich die Dotterzellen, welche
zur Begrenzung des sekundären Darmes dienen, in der zweiten Phase
kleinere Zellen, die aus der Gegend der animalen Hälfte der Keim-
blase stammen, eingestülpt derart, daß sie sich vom seitlichen und
liinteren Rand des Urmundes aus, also in einem Halbbogen, der kopf-
wärts offen ist, in den Spalt zwischen dem zuerst eingestülpten Dotter-
material und dem äußeren Keimblatt hineinschieben.
Der weitere Verlauf der Entwickelung zeigt bei den Urodelen
eine so frappante Uebereinstimmung mit den von Amphioxus und
den Cyclostomen ausführlich dargestellten Verhältnissen, daß eine
kurze Zusammenfassung genügt. Mesoblast, Chorda- und Darmanlage
sondern sich bald vollständig voneinander, während gleichzeitig an
der Oberfläche das Nervenrohr gebildet wird (Fig. 311 A — C). Der
mf
mf
B
m/r
ik
mf
int
c
=A_
Fig. 311. Drei Querschnitte aus einer Schnittserie durch ein Ei von Triton,
an welchem die MeduUarwülste hervorzutreten beginnen, nach Hertwig (1883). ak,
ik, mk\ mk- wie oben, inp Medullarplatte. mf MeduUarfalten. ch Chorda.
Ih Leibeshöhle.
Die Lehre von den Keimblättern. 755
Soiulerungsprozeß wird dadurch eingeleitet, daß sich die Chorda-
platte (ch) einkrümmt und zur Chor(hirinne wii'd. Indem sie sich
hierbei an ihren Rändern kontinuierlich in die parietale Lage des
mittleren Keimblattes fortsetzt, entstehen an der Decke des Urdarmes
die beiden kleinen Chordafalten, welche die Rinne zwischen sich fassen.
Sie stoßen mit ihrem Rand an den Rand der Urdarmlipi)en an, an
welchen die viscerale Lamelle des mittleren Keimblattes in das Darm-
drüsenblatt umbiegt. An der Obertläche des Rückens ist mittlerw^eile
der Gegensatz zwischen Medullarplatte und Hornblatt deutlicher ge-
worden, indem dort die Zellen zu langen Cylindern ausgewachsen
sind, hier dagegen kubisch und später noch platter zu werden be-
ginnen. Durch die Rückenrinne wird die Medullarplatte deutlich in
eine linke und eine rechte Hälfte geschieden. Noch schärfer setzt
sie sich darauf von ihrer Umgebung dadurch ab , daß sich ihre
Ränder mehr und mehr über die Oberfläche erheben und so zwei Falten,
die beiden Medullarwülste {mf), bilden, die in Fig. 311 B u. C in ihrem
ersten Auftreten zu sehen sind.
Zur Zeit, wo an der Oberfläche sich die Kerven- oder MeduUar-
rinne markiert, beginnt im Innern das mittlere Keimblatt einmal in
den Spalt zwischen äußerem und innerem Keimblatt weiter ventralwärts
hineinzuwachsen, bis beide Hälften in der Medianebene zusammen-
stoßen: zweitens löst es sich dorsalwärts aus dem Zusammenhang mit
den umgebenden Anlagen (Fig. 311 A— C); seine parietale Lamelle
trennt sich von der Chordaanlage, desgleichen seine viscerale Lamelle
vom Darmdrüsenblatt, und beide verschmelzen hierauf mit ihren ab-
gelösten Räudern untereinander. Das mittlere Keimblatt oder die
Anlage des Leibessackes hat sich somit von seiner Umgebung ab-
geschnürt.
Gleichzeitig hat sich die Chordarinne in einen soliden Zellstrang
umgewandelt und sich dabei in den Raum zwischen den freien Rändern
des Darmdrüsenblattes ebenfalls wieder in genau derselben Weise wie
beim Amphioxus hineingeschoben. Die Chorda nimmt daher jetzt eine
Zeitlang au der oberen Begrenzung des Darmes teil und erscheint
wie eine Verdickung seiner oberen Wand.
Auch dieses Stadium „der Einschaltung der Chorda in den Darm"
verändert sich rasch durch einen zweiten Sonderungsprozeß. Die
Chorda wird wie beim Amphioxus von der Begrenzung des Darmes
und aus jedem Zusammenhang mit ihm ausgeschlossen dadurch, daß
die aus großen Dotterzellen zusammengesetzten Hälften des Darm-
drüsenblattes einander entgegenwachsen und in einer medianen Naht
verschmelzen (Fig. 311 C). Schluß des bleibenden Darmes an der
Rückenseite, Abschnürung der beiden Leibessäcke vom inneren Keim-
blatt und Entstehung der Chorda dorsalis sind somit bei den
Ami)hibien, wie beim Amphioxus, Prozesse, die auf das innigste in-
einander greifen. Auch hier beginnt die Abschnürung der genannten
Teile am Kopfende des Embryos und schreitet langsam nach hinten
fort, wo noch lange Zeit bei allen Wirbeltieren eine Xeubildungszone
bestehen bleibt, durch deren Vermittelung das Längenw-achstum des
Körpers bewirkt wird.
Aehnlich wie bei Triton vollzieht sich nach der Angabe von
Gasser (A. L. III ', 1882, p. 88) die Entwickelung der Chorda bei
Alytes. Wenn die Chordarinne sich schließt, kommt es hier sogar
zur Ausbildung eines, wenn auch nur rudimentären Kanals, eines
Chordakanals".
48*
756
0. Hertwig,
Hierauf geht auch die Umbildung der Nervenrinne zum Rohr bei
Triton ihrer Vollendung entgegen, in einer Weise, welche für die
Ami)hibien. die Elasmobranchier und die Aninioten typisch ist. (Fig. 312
A u. Bj. Die Medullarwülste sind über die Oberfläche weit hervor-
A
B
\
i(yh
"l"'^-^
■ •; --f,
- //;
t
Fig. 312. Querschnitte diircli die Rückenhälfte von 2 Tritonlarven. A Quer-
schnitt durch ein Ei, dessen Meduilarfurche dem Verschluß nahe ist. B Querschnitt
durch ein Ei mit geschlossenem Nervenrohr und wohlentwickelten Ursegmenten.
mf INIeduUarfalten. mp Meduliarplatte. n Nervenrohr, ch Chorda, ep Epidermis
oder Hornblatt. 7nk mittleres Keimblatt, mk^ parietales, mk- viscerales Mittelblatt.
ik inneres Keimblatt, ush Ursegmenthöhle.
getreten, sie legen sich dann mit ihren Rändern, an denen die dicke
Meduliarplatte sich in das Hornblatt umschlägt, nach der Medianebene
um, wachsen einander entgegen, treffen sich und verschmelzen längs
einer breiten Verwachsungsnaht, dem intermediären Substanzstreifen,
in welchem sich 1) linker mit rechtem Rand der zusammengekrümmten
Meduliarplatte und 2) Hornblatt mit Hornblatt verbindet. Hieran schließt
sich senkrecht zur NahtÜäche eine Abspaltung zwischen Hornblatt und
Medullarrohr, welches dadurch in die Tiefe unter das Hornblatt als
ein vom äußeren Keimblatt abgeschnürter Teil zu liegen kommt.
Während der Entwickelung von Chorda und Nervenrohr ist auch
bei den Embryonen der Tritonen der Zeitpunkt eingetreten, auf
welchem die Leibeshöhle deutlich zu erkennen ist (Fig. 311 C, 312).
Im mittleren Keimblatt bildet sich ein immer größerer Spalt zwischen
seinem parietalen und visceralen Blatt aus, zuerst am Koi)fende
und zu beiden Seiten der Chorda, und vergrößert sich von hier kaudal-
und ventralwärts. Vom Standpunkt der Cölomtheorie weichen jetzt
die auf früheren Stadien dicht aufeinander gepreßten Wandungen der
Leibessäcke auseinander.
Die Lehre von den Keimblättern. 757
Gegen die zuerst von Oscak Hiortwig gegebene Darstellung der Meso-
blastbildung bei Triton hat sich ohne eigene Untersuchungen Sedg. Mixot
in seinem Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte ausgesprochen und be-
merkt, „die Figuren sind offenbar schematisch und gerade in dem Punkte,
auf welchen es bei Hektwig's theoretischer Auffassung hauptsächlich an-
kommt, ungenau". Hierzu sei bemerkt, daß Schwixk bei seiner L^nter-
suchung von Triton genau die gleichen Bilder wie Hertwig erhalten und
veröffentlicht hat, wie er denn auch in seiner Darstellung und Deutung
der Befunde sich mit ihm in voller Uebereinstimmung befindet (L. K. III 4,
1881), p. 11).
Die Entwickelung des mittleren Keimblattes giebt bei den An ur en ,
von einigen unwesentlichen Modifikationen abgesehen, eine Reihe ähn-
licher Befunde, wie bei den Urodelen. Daß auch hier die Verhältnisse
vielfach in verschiedener Weise dargestellt und gedeutet werden, wird
den nicht verwundern, der aus eigenem Studium weiß, welche Ver-
wirrung die Geschichte der Keimblattlehre darbietet. Dazu trägt bei
den Anuren, wie schon bei den Urodelen hervorgehoben wurde, nicht
wenig der Umstand bei, daß sich gerade auf dem frühesten Stadium
der Mesoblast nicht so scharf, wie etwas später, von den Dotterzellen
abgrenzen läßt. Ein Erklärungsgrund hierfür scheint mir naheliegend.
Solange die Zellen, wenn die Schichteubildung im Gange ist, sich in
stärkerer Weise aneinander verschieben und ihren Ort verändern, sind
sie weniger fest zusammengeschlossen und markieren sich daher
weniger als fest abgegrenzte Schichten, als später, wo die Zellen-
verschiebungen mehr zur Ruhe gekommen sind. Da man nun an
dem toten Untersuchungsobjekt und an Schnitten die Richtungen, in
welchen sich die Zellen aneinander vorbeibewegen, nicht direkt wahr-
nehmen kann, so muß man, um hierüber zur Klarheit zu kommeö,
sich ein Urteil durch Vergleichung und Kombination verschiedener
Stadien, verschiedener Merkmale, verschiedener Tierarten verschaffen.
Wenn man die ganze Reihe der Wirbeltiere im Auge hat, wird man
das Wesentliche des Vorganges eher und richtiger erfassen, als bei
Beschränkung auf ein Objekt. Bei erneuter Prüfung des Thatbestandes
komme ich denn, wie schon früher, zu dem Ergebnis, daß bei den
Anuren in ähnlicher Weise wie bei den Urodelen eine Schicht pig-
mentierter animaler Zellen bald nach Beginn der Gastrulation vom
Urmund aus (mit Ausnahme seines zuerst entstandenen vorderen Be-
zirkes) zwischen Dotterzellen und äußeres Keimblatt als Anlage des
Mesoblasts hineinwächst.
Die älteren Untersucher der Amphibien (Remak, Stricker, Goette u.a.)
lassen sich das mittlei-e Keimblatt vom primären Entoderm einfach ab-
spalten. Sedg. Minot hält den entodermalen Ursprung des Mesoblasts
für bewiesen (A. L. II 1894, p. 194), erklärt es dagegen für unsicher, ob der
Mesoblast allein von der Primitivachse her aus wachse und sich dann
selbständig durch Vermehrung seiner Zellen ausbreite, oder ob er an der
Peripherie durch Dotterzellen verstärkt werde (1. c. p. 176). Eine wesent-
lich andere Darstellung hat 0. Hektavig (L. K. III ^, 1883) zuerst gegeben.
Von ihr bemerkt 0. Schultze, L. K. III "*, 1888, p. 21 : „Hertwig gebührt das
Verdienst, zuerst deutlich ausgesprochen zu haben, daß die Anlage des
Mesoblast schon während der Gastrulation erfolge und von dem Urmund
ausgehe." „Er leitet das Mesoblast in richtiger Weise von dem Ekto-
blast ab, indem er sagt (1. c. p. 22) : „Der Pigmentgehalt ist hier ent-
scheidend und weist uns darauf hin, daß die Mesoblastzellen von den
758
0. Hertwig,
Elementen der animalen Hälfte der Blastula abstammen müssen und daß
nur vom Ektoblast aus eine Anlagerung neuer Elemente, ein weiteres
ausijehen kann. Die pigmentfreien Zellen
Hineinwachsen,
des
entoblast sind hierbei jedenfalls unbeteiligt." 0. Schultze
glaubt
Darm-
(p. 8)
eine irgendwie wesentliche Beteiligung des inneren Keimblattes an der
Bildung des mittleren ausschließen und den Mesoblast unbedingt vom
Ektoblast ableiten zu müssen. Ebenso läßt Lwoff (L. K. III ^, 1894) den
Mesoblast von der Einwanderung animaler Zellen in der Umgebung des
Urmundes entstehen.
Wie bei den Urodelen, kommt es dann auch bei den Anuren zu
einer Verwachsung der Urmundränder, was sich an jüngeren und
älteren Stadien, an Eiern mit rundem Blastoporus, wie an Embryonen
mit Medullarplatte, mit tiefer Medullarrinne und mit sich schließendem
Nervenrohr
lehren.
Fig.
auf Schnittserien nachweisen läßt, wie die Figg. 313 — 319
»14 ist ein Frontalschnitt, etwas vor der
lippe eines Eies mit rundem Blastoporus (Fig.
313)
vorderen Urmund-
In der Median-
Fig. 313.
Fjg. 314.
ak
11,1:
Fig. 313 u. 314. Zwei Schnitte durch den Urmund und die vor dem Urmund
gelegene Verwachsungsoaht eines Eies von Rana fusca mit engem Blastoporus und
kleinem, rundem Dotterpfropf, nach Hertwig. ak, ik, mk äußeres, inneres, mittleres
Keimblatt, d Dotter, dpf Dotterpfropf, n Naht, ul UrnumdHppe. •■■ Umschlag-
steile der Darmlippe (Cölombucht).
ebene findet sich eine einzelne, ziemlich breite, kleinzellige Masse
(Fig. 314 n), deren untere, den Urdarm begrenzende Fläche ebenso
dunkel pigmentiert ist, wie die ektodermale Deckschicht. Seitwärts
davon ist die Wand durch das Auftreten feiner Spalten deutlich in
3 Keimblätter gesondert ; das innere ist eine einfache Lage von Dotter-
zellen, welche sich durch den Mangel von Pigmentkörnchen sowohl von
den pigmentierten Mesoblastzellen, als auch von der eben erwähnten, noch
dunkler pigmentierten unteren Zellenlage des Nahtstreifens scharf ab-
heben. Die Grenze gegen letztere entspricht an den Durchschnitten
durch Tritoneier der Stelle, die als Darmlippe bezeichnet wurde. Daß
durch die Verschmelzung der Blastoporuslippen ein Bild, wie das eben
beschriebene, zu stände kommen muß, wird man leicht verstehen, wenn
man einen Schnitt durch den offenen Teil des Blastoporus (Fig. 313)
näher betrachtet und seine Ränder sich zusammengelegt vorstellt. Die
Urmundlippen {ul), zwischen welche der kleine Dotterpfropf ((li>f)
hineingewachsen ist, bestehen in großer Ausdehnung aus einer Masse
kleiner, pigmentierter Zellen. Besonders stark pigmentiert ist die
Deckschicht, welche auch auf die innere und untere Seite der Lippe
sich fortsetzt bis zu einer Stelle, wo die Wand der Gastrula durch
Spalten deutlich in 3 Blätter
Keimblatt eine einfache
Lage
gesondert ist.
Von diesen ist das innere
heller, ziemlich
pigmentfreier
Zellen.
Die Lehre von den Keimblättern.
759
Die Stelle, wo es unterschcidbar wird, entspricht der oben er-
wälinten Dannlippe, deren freier Rand sich an die untere Fläche
der Urmundlippe fest anlegt, und bezeichnet die peristomale Urspriings-
linie des mittleren Keimblattes.
An älteren Embryonen werden in der Gegend der Urmundnaht
diese Verhältnisse immer deutlicher und wird namentlich die Lippen-
bildung noch viel schärfer aus-
geprägt ; ich verweise zum Be- um
leff auf die Durchschnitte von
Froscheiern, bei denen sich die ../""^
Fig. 31'). Schnitt durch den
Urmund eines Eies mit Rückenwül-
sten von Rana fusca, nach O. Heet-
wiG (188:?, Taf. VII, Fig. 12). Buch- .^^ _ a .
stabenerklärung wie in Fig. 813. nm ^
l'rmnnd. dl Darmlippe. '^'
-^ak
mk
.jt'f^
dl
Medullarwülste zu erheben beginnen (Fig. 3L5). und von solchen, wo .sie
schon zum Rohr sich zusammenlegen (Fig. .316—319). Hier sind die
Lippenbildungen sehr viel deutlicher als früher ausgeprägt, sowohl in der
Umgebung des Blastoporus, als auch am Nahtstreifen, der auf diesen
Stadien kürzer als früher ist. Zwischen Urmundlippe und Darnilippe
(Fig. 315 u. 316) dringt eine kleine Strecke weit eine ziemlich tiefe, meist
von stark pigmentierten Zellen umgebene Spalte * (wie die Cölombucht
Fig. 317.
dl ch
mk
:— ik
dl
Fig. 318.
Fig. 319.
vip
mk
Fig. 316 — 31i). "Vier Schnitte durch den Crmund'^und die vor dem Urmund ge-
legene üifferenzierungszone von einem Ei mit hoch erhobenen Medullarwülsten, die
sich zum Verschluß zusammen neigen, nach Hertwig (1883, Taf. VIII, Fig. 1—4).
Buchstabenerklärung wie in Fig. 313. dl Darmlippe, rh Chordaanlage, mp Me-
dulJarplatte. uvi Urmund. r Rinne zwischen den verschmolzenen Urmundllppcn.
* Cölombucht.
760
0. Hertwig,
bei den Selacliiern) in das mittlere Keimblatt hinein. Die vorspringen-
den Darmlipi)en {dl) zeigen an ihrem Rand einen Umschlag der Dotter-
zellen des Darmdrüsenblattes in die pigmentierten Zellen des Meso-
blasts.
Schnitte vor dem Blastoporus (Fig. 317) ans der Serie, welcher
auch Figur 316 angehört, zeigen die Verschmelzung der Urmundränder
zum Nahtstreifen. In Figur 317 schneidet in die verschmolzene Zellen-
masse (n) von oben noch eine tiefe Rinne (/) ein. An der unteren
Seite der Naht, welche sich durch größeren Pigmentreichtum aus-
zeichnet, springen links und rechts die Darmlippen (dl) wie am offenen
Teil des Blastoporus (Fig. 316 dl) hervor; auch eine Cölombucht
ist, w^enn auch etwas schwächer (Fig. 317*) noch zu erkennen , und
dringt von ihr aus eine schwarz pigmentierte Linie in Verlängerung
der pigmentierten unteren
Seite des Nahtsti'eifens
den Meso-
trägt
trennend in
blast hinein und
zur schärferen Markie
rung
bei.
der Lippenbildung
mk
- ik
Bei Verfolgung der
nach vorn
Fig. 321.
inr mj)
■ mk
■ik
Schnittserie
sieht man, mögen nun
jüngere oder ältere Sta-
dien untersucht werden,
wie sich das Zellenmate-
Fig. 32(1. Querschnitt
durch einen Embryo von
Rana fusca mit breiter Me-
duilarrinne. (ßuchstabenerklä-
rung wie in Fig. 321.)
Fig. 321. Querschnitt
durch ein älteres Stadium
als in Fig. 320 von Rana
fusca mit sich schließender
MeduUarrinne. ak, mk, ik
äußeres , mittleres, inneres
Keimblatt, ch Chorda, dl
Darmlippe. d Dotter, fl
flügelförmigc Seiten fortsätze
der Chorda. ■■■■ Cölombucht.
mp MeduUarplatte. mr Me-
duUarrinne. ud Urdarm.
rial der Nahtlinie, der intermediäre Substanzstreifen, in MeduUarplatte
und Chorda sondert, wde ferner der Mesoblast sich median abgrenzt, und
wie die Chorda in die Wand des Darmrohres eingeschaltet und wieder
ausgeschaltet wird. Der ganze Prozeß ist im wesentlichen derselbe
wie bei den Urodelen. Als Beweis sei auf die Durchschnitte durch die
betrettende Gegend von verschieden alten Embryonen, Fig. 308—321,
hingewiesen. Die beiden ersten Figuren sind Kopieen aus meiner
älteren Abhandlung von 1883, die Figuren 320 u. 321 Photographieen
nach neu angefertigten Präparaten, welche meine ältere Darstellung
wieder bestätigen. Eine Besonderheit zeigen die Anuren nur darin . daß
die Chordaanlage (ch) anstatt aus einer einfachen Schicht von Cylinder-
Die Lehre von den Keimblättern. 761
Zellen aus mehreren Zellenlagen besteht, daß die Darmlippen (dh zu-
mal auf jüngeren Stadien weiter auseinanderliegen, und daß der verdickte
mittlere Teil der Chordaanlage links und rechts mit einer dünnen
Platte i)igmentierter Zellen wie mit zwei fiügelförmigen, parachordalen
Fortsätzen {fl) an sie heranreicht. An der Stelle, wo sie sich treffen
finden sich gewöhnlich ziemlich tief einschneidende, parachordale
Rinnen, welche die früher erwähnte Cölombucht (Fig. 320 u. 321* j nach
vorn verlängern. Endlich ist noch als eine Besonderheit der Anuren
zu erwähnen, daß die parachordalen Flügel sowie überhaupt die unterste
Schicht der Chordaanlage zum dorsalen Abschluß des Darmrohres mit-
verwandt und von der Chorda, wenn sie sich vom Darmrohr aus-
schaltet, abgespalten werden.
Die Thatsachen , welche in den Figg. 313 — 321 dargestellt sind,
wurden außer mir auch von mehreren anderen Forschern beobachtet, so
die Lippenbildung zur Seite der Chordaanlage von Goette, Calberla,
O. ScHULTZE, ScHwiNK u. a., der Nahtstreifen von Schultze, sie wurden aber
von ihnen mit Ausnahme von Schwixk als etwas Nebensächliches be-
trachtet.
Die Entstehung der parachordalen Rinnen und der Darmlippen
suchten Goette und 0. Schultze aus mechanischen Verhältnissen, z. B.
aus dem Druck zu erklären, den die sich entwickelnden Ursegmentplatten
mit ihren Kanten auf das Darmblatt ausüben. Ihnen hat sich in seinem
Lehrbuch Sedg. Mixot angeschlossen (A. L. II 1894, p. 194). Wenn Minot
die parachordalen Rinnen als nur vorübergehende, unwesentliche Bildungen
bezeichnet, so ignoriert er, daß sie vom Amphioxus an in jeder Klasse
der Wirbeltiere, soweit genaue Beobachtungen vorliegen, haben nachge-
wiesen werden können, und daß die dargestellten Befunde eine Reihe
von Stadien eines Entwickelungsprozesses bilden, in welchem der frühere
für den Eintritt des späteren notwendig ist. Wie ScHwaNK schon mit Recht
hervorgehoben hat (L. K. III^, 1889, p. 47), hat „0. Schultze seine Schlüsse
einzig aus der Beobachtung von Rana gezogen. Eine volle Würdigung
der Bilder ist jedoch nur möglich bei Berücksichtigung der Entwickelung
auch anderer Tiere, speciell der La-odelen. Dann erst kommt man zu
dem Resultat, daß die Vorgänge bei Anuren in den späteren Stadien
keine nebensächliche Erscheinung darbieten, sondern eine sehr beachtens-
werte."
Die vor dem Urmund gelegene Naht hat Oscar Hertwig (L. K. III ^,
1883) abgebildet und beschrieben; ihre allgemeine Tragw^eite aber erst
später bei Aufstellung seiner Urmundtheorie (L, K. IV 1892) erkannt.
Oscar Schultze hat den Nahtstreifen bei Anuren dem Primitiv-
streifen der Amnioten verglichen, aber dabei insofern geirrt, als er den
Streifen nicht von einer Verschmelzung der Urmundränder, sondern von
einer linearen Verwachsung abgeleitet hat, welche sich unabhängig von
dem La^mund und vor ihm zwischen dem zuvor getrennt gewesenen Ekto-
blast und Mesoblast, von hinten nach vorn fortschreitend, ausbilden soll.
Der Vergleich ist meiner Ansicht nach nur mit einer Einschränkung
richtig. Denn da schon der Blastoporus der Amphibien dem Primitiv-
streifen der Amnioten nebst Primitivrinne homolog ist, so kann die durch
Verwachsung seiner Ränder entstandene Nahtstelle nur einer bestimmten
Gegend, am vorderen Ende des Primitivstreifens, entsprechen, welche
dieselbe Reihe von Erscheinungen wie bei den Amphibien darbietet. Daß
eine solche Stelle bei den Amnioten, z. B. bei den Säugetieren am
HExsEx'sch'en Knoten und an einer kleinen, sich nach vorn anschließenden
Strecke vorhanden ist, wird später nachgewiesen werden.
7G2
0. Hertwig.
Zum Schluß noch einige Worte über die MesoblastbiUlung bei den
Gyninopliionen, über welche allein die Untersuchungen von Brauer
vorliegen. Brauer schliei^t sich in seiner Deutung an Lwoff und
ScHULTZE an. Die von ihm mitgeteilten Beobachtungen (Fig. 322
— 324) sind, wie mir scheint, mit meiner Darstellung auf den voraus-
gehenden Seiten recht wohl vereinbar. Mit Bestimmtheit giebt er an,
daß Chorda und mittleres Keimblatt, wie wir es auch bei den übrigen
Amphibien gefunden haben, n u r v o n a n i m a 1 e n Z e 1 1 e n abstammen,
die in geschlossener Schicht vom Urmundrand nach innen einwandern.
Wie beim Frosch die Mesoblastzellen durch stärkere Pigmentierung,
so unterscheiden sie sich hier durch geringere Größe , durch Fehlen
von Dottereinschlüssen, größere Durchsichtigkeit und festere Aneinander-
fügung gegenüber den vegetativen Zellen, die von größeren, in Osmium-
säure sich schwarz färbenden Dotterkügelchen durchsetzt sind. Während
ich au der zwischen Ektoblast und Dotterzellen ausgebi'eiteten
Schicht animaler Zellen (Fig. 322 und 325) einen medianen Streifen
als Chordaanlage und zwei seitlichen Bezirke als die paarigen Meso-
blastanlagen bezeichne, nennt Brauer sie die Mittelplatte und die
Seitenplatten. Ihre Zusammensetzung aus Zellen ist die gleiche wie bei
den Urodelen. Denn ,,die Mittelplatte, welche die Anlage der Chorda
bildet — also die Chordaanlage (Hertwig) — besteht aus einer einfachen
Lage von Cylinderzellen, während die Seitenplatten, welche das gastrale
Mesoderni liefern — oder die paarigen Mesoblastanlagen (Hertwig) —
aus mehrschichtig gelagerten, polyedrischen Zellen zusammengesetzt
sind''. Wie bei Triton krümmt sich später die anfangs platt ausgebreitete
Chordaanlage zur Chordarinne ein, trennt sich dabei von den Seiten-
platten und wird, während sie sich zu einem soliden Strang umbildet,
vom Darmdrüsenblatt unterwachsen. Wie ferner die Querschnitte von
Brauer lehren, findet sich auch bei den Gymnophionen eine Region
vor dem Blastoporus, in deren Bereich äußeres Keimblatt und Chorda-
anlage untereinander verschmolzen sind, also ein Nahtstreifen (Fiü. 322
u. 323).
Dagegen besteht eine wichtige Abweichung
Brauer in Bezug
in der Darstellung von
auf das Verhältnis zwischen mittlerem und innerem
Keimblatt. Brauer läßt das mittlere Keimblatt zu Anfang seiner
Ent Wickelung die Decke des Urdarmes bilden und darauf von der
Seite her durch die am Boden des Urdarmes gelegenen vegetativen
Zellen unterwachsen werden. Er nähert sich somit der Darstellung.
wie sie Will
schnitt). Die
für den Gecko
gegeben
hat (vergl. den
Abbildungen, auf welche diese Ansicht begründet
späteren Ab-
wird.
Flg. 822. Querschnitt durch einen Embrvn von Hypogeophis alternans dicht
vor dem Blastoporus. Nach Brauer (A. L. III', 1897, p. 424, Fig. L c). In den
Figuren :)22— 325 bedeuten: nd Urdarm. eyi inneres, ms mittleres Keimblatt.
dj> Dotterpfropf. «ij;i Mittelplatte = Chordaanlage, sp Seiteni3latte= mittleres Keindjlatt.
Die Lehre von den Keimblättern.
l6;\
geben niir indessen zu einigen Zweifeln Anlaß,
So ist mir die Angabe
auffallend, daß in Figur i^22 der Urdarni sich seitwärts von der iS'aht
bis an den zugeschärften Rand des Mesoblasts ausdehnen soll. Mir
scheint hier infolge ungenügender Konservierung der dotterreichen
Eier eine Verbindung, und zwar seitlich von den am Boden des Ur-
darmes eingezeichneten Rinnen zwischen inneiem und mittlerem Keim-
blatt eingerissen zu sein, eine Verbindung, wie sie bei Triton
(Fig. 307 u. 311 A) besteht und beim Frosch (Fig. 315 u. 321 dl) als Rand
der Darmlippen beschrieben wurde. Sie wird auch bei den Gyninoi)hionen
bei weiteren Untersuchungen gewiß noch gefunden werden. Denn
eine derartige Ausdehnung des Urdarmes unter dem ganzen Mittel-
blatt entlang bis an das äußere Keimblatt ist mir von keinem anderen
Objekt bekannt.
In derselben Weise scheinen mir die Querschnitte durch einen
etwas älteren Embryo (Fig. 323 und 324) beurteilt werden zu müssen.
'/fi/i
V i-'
Fig.
323 lind 324. Zwei Querschnitte durch einen Embryo von Hypogeophis
alteruans, nach Brauer (1. c. p. 432, Fig. S a und b).
In Fig. 323 ist das Mittelblatt links und rechts von einer einfachen
Lage vegetativer Zellen überzogen, von denen nur die untere Seite
der Chordaanlage frei gelassen wird. Auch der dazu gehörige Schnitt
durch den Blastoporus selbst (Fig. 324) zeigt schon am Rand der
Urmundlippe, an welchem sich das äußere in das mittlere Blatt deut-
lich umschlägt, daß an diesem das Darmdrüsenblatt beginnt. Die
Bilder entsprechen vollständig den vom Triton und Frosch beschriebenen,
bis auf den einen Umstand, daß Brauer das Darmdrüsenblatt
mit einem freien Rand enden und haarscharf vom Mittelblatt getrennt
sein läßt, so daß der Zwischenspalt sich in den Urdarm öffnen würde.
Spätere Untersucher mögen ihr Augenmerk darauf richten, ob nicht
auch hier ein Zusammenhang und Uebergang in Form einer Darm-
lippe, wie bei den übrigen Amphibien, vorhanden ist.
Endlich diene noch zum Vergleich mit Fig. 307 u. 311 A von einem
Tritonembryo ein Schnitt durch die Cxegend vor dem Nahtstreifen
(Fig. 325) aus derselben Schnittserie, der Fig. 322 angehört. Die Ueber-
einstimmung ist ebenfalls wieder eine vollständige, bis auf den einen
Punkt, daß Brauer das Darmdrüsenblatt mit freiem Rand seitlich
764
0. Hertwig,
von der Chordaaulage aufhören läßt an der Stelle, wo ein organischer
Zusammenhang mit dem Mittelblatt in Form einer Lijjpenbildung nach
meiner Darstellung vorhanden sein müßte.
Flg. 325. Querschnitt in größerer Entfernung vor dem Urmund durch einen
Embryo von Hypogeophis altei nans aus derselben Schnittserie, der Fig. 322 an-
gehört, nach Brauer (1. c. p. 426).
Alles in allem scheinen mir die Eier der Gymnophionen ein sehr
günstiges Untersuchungsobjekt zu sein, das eine sehr große Ueber-
einstimmung mit den Urodelen aufweist und vor ihnen den großen
Vorteil hat, daß infolge der bedeutenderen Größe der Eier man
leichter tadellose Querschnittserien erhalten kann.
Die Entwickelung von After und Schwanz.
Ueber das letzte Schicksal des Urmundrestes, über die Ent-
stehung des Afters und des Schwanzes, sind gerade bei den Amphibien
zahlreiche Untersuchungen von Schanz, Goette, Erlanger, Robinson,
Ziegler, von mir und Brauer angestellt worden und haben zu ziem-
lich übereinstimmenden Ergebnissen geführt, durch welche die Ver-
wirrung, die in der Frage nach der Afterentwickelung herrschte, be-
seitigt worden ist. Bekanntlich machten sich hier drei verschiedene
Ansichten geltend. Nach der älteren Auffassung soll der After wie
der Mund eine Neubildung sein und dadurch entstehen, daß sich am
hinteren Körperende die Haut zu einer Grube einsenkt und später in
den Enddarm durchbricht. Nach einer zweiten Ansicht, die durch
das Studium von Petromyzon und Amphibien gewonnen wurde, soll
der ganze Urmund direkt zum After werden. Eine dritte Gruppe
von Forschern endlich (Schanz, Bonnet, Goette, Erlanger, Robin-
son, Ziegler, Hertwig, Brauer etc.) nimmt zwar auch eine Be-
ziehung des Urmundes zum After an, aber nur zum hintersten Teil
desselben. Sie läßt sich den Urmund in 2 Oelfnungen zerlegen,
in eine vordere, welche in das hintere Ende des Nervenrohres auf-
genommen wird (Canalis neurentericus, Chordablastoporus) und in eine
hintere Oeft'nung, die zum After wird (Afterblastoporus, Afterkanal).
Die Richtigkeit der dritten Ansicht ist bei den Amphibien leicht
zu bestätigen.
Wir
beginnen von dem Stadium, wo der offene Teil
des Urmundes am Froschei einen kleinen Ring bildet, aus welchem
der Dotterpfropf als helle Masse nach außen hervorschaut (Fig. 326 A).
Von jetzt ab geht im Laufe weniger Stunden, wie sich an einem und
demselben Ei bei kontinuierlicher Beobachtung leicht verfolgen läßt,
die ringförmige in eine spaltförmige Oeft'nung (Primitivrinne) über,
indem linker und rechter Urmundrand einander entgegenwachsen. In
Die Lehre von den Keimblättern.
765
der Mitte der Rinne verdicken sich die beiden Urnumdränder, ver-
wachsen miteinander nnd zerlegen die Rinne dadurch in eine vordere
und in eine hintere kleine Oelihung (Fig. 326 B). Die vordere wird
zum Canalis neurentericus, die hintere dagegen zum After. Die sie
trennende, durch Verwachsung gebildete Brücke liefert die Anlage des
Schwanzes, an dessen Wurzel der After zu liegen kommt; sie kann
daher als S c h w a n z k n o s p e bezeichnet werden.
Das in der Schwanzknospe enthaltene Zellenmaterial ist seiner
Entstehung nach ursprünglich auf zwei durch den Urmund getrennte
Hälften verteilt gewesen und hat sich erst durch Verschmelzung zu
E
Fig. 32G A— E. Oberflächenbilder von Rana temp., nach Ziegler, 1892.
weitere Entwickelung von Canalis neurentericus, Schwanz
einer unpaaren Knospe vereinigt. Es erklären sich hieraus interessante
Mißbildungen, bei denen zuw^eilen eine Verdoppelung des Schwanzes
mit einer ausgedehnten Urmundspalte verbunden ist, worüber im
4. Kapitel noch besonders gehandelt werden wird
Die
und After gestaltet sich nun folgendermaßen : Indem sich die Medullar-
wülste weiter nach hinten ausdehnen, kommt der Canalis neurentericus
bald in ihr Bereich zu liegen und wird, wenn sie sich zum Nerven-
rohr schließen, von außen nicht mehr sichtbar (Fig. 326 C — E). Es
tritt jetzt der von Kowalevsky und von Goette zuerst beschriebene
Zustand ein, wo Nervenrohr und Darmkanal zusammen ein U-förmig
beschaft'enes Rohr bilden, an dessen Umbiegungsstelle der Canalis
neurentericus gelegen ist. Auf diesem Stadium ist an der Obertiäche
des Embryos als letzter auf den Urmund zurückzuführender Rest nur
noch der After als ein kleines Grübchen zu sehen (Fig. 326 E). üeber
ihn wächst die Schwanzknospe, welche
Körpers bezeichnet, als Höcker herüber,
Hervorgegangen
aus einer Ver-
schmelzung eines
Bezirkes der Ur- _ c7r
pn..
jetzt
an
das
Länge
hintere Ende des
rasch zunehmend.
Fig. 327. Längs-
schnitt durch einen
älteren Embryo von
Bombinator (nach
<jOETTE). m Muud.
anh After, l Leber, ne
Canalis neurentericus.
mc Medullarrohr. ch
Chorda, pn Zirbeldrüse.
mundränder, enthält die Schwanzknospe auch das Anlagematerial für
die in der Umgebung des Urmundes entstehenden Organe, für Nerven-
im
0. Hertwig,
röhr und Chorda, sowie auch mittleres und inneres Keimblatt in ihre-
Zusammensetzung mit eingeht. Das innere Keimblatt wächst nach rück-
wärts vom After, in demsell)en Maße, als sich der Schwanz veilängert,
in einen dünnen Strang aus, dei-, wie die Abbildung von Bombinator
(Fig. 327) nach Goette zeigt, längere Zeit eine kleine Höhle ein-
schließt. Der Strang wird in der Litteratur als Schwanzdarm oder
]) ostanaler Darm bezeichnet und geht durch den Canalis neu-
rentericus, der mit der Verlängerung des Schwanzes bis an sein Ende
mitgewandert ist, in das hintere Ende des kaudalen Nervenrohres
über. Später schwindet der Zellenstrang, nachdem er seine Höhlung
verloren hat, und löst sich in andere Gewebe auf.
Das Längenwachstum des Schwanzes geschieht in derselben Weise,
wie der ganze Körper in die Länge gewachsen ist. Von einer Wachs-
tumszone aus, welche an der Schwanzspitze in der Umgebung des Canalis
neurentericus liegt und an welcher wie am Urmundrand äußeres,
mittleres und inneres Keimblatt zusammentreffen und eine klein-
zellige Masse bilden, empfängt das Nervenrohr und die Chorda neuen
Zuwachs, und setzt sich von hier aus wie bei der Verlängerung des
Rumpfes Ursegment an Ursegment an.
In der weiteren Entwickelung des Afters lassen sich bei den Am-
zwei Moditikationen unterscheiden. Im einen Fall (Fig. o2S
B) bleibt der zum After werdende Urmundrest immer durch-
gängig. Es läßt
sich dieser Zustand
beim Frosch durch
künstliche Eingriffe
hervorrufen, durch
welche sich ein ab-
norm großer Rus-
phibien
A und
<r
:s.
Fig. 328. Vier
Schemata um die Um-
wandluug des letzten
Restes des Urmundes
in den After zu veran-
schaulichen.
coNi'scher Dotterpfropf auch auf späteren Stadien erhält. Die einzige
Veränderung besteht hier darin, daß sich der Urmundrand (Fig. 328 A)
in Afterrand (Fig. 328 B) umwandelt. Der Urmundrand ist charak-
terisiert durch 2 Lippen, die an ihm zusammentreffen, durch die Ur-
mund- und durch die Darmlippe, welche durch eine Einkerbung von-
einander gesondert sind. An der Urmundlippe schlägt sich das äußere,
an der Darmlipi)e das innere Keimblatt in den Mesoblast um. Damit
der definitive Afterrand zu stände kommt, muß sich das mittlere Keim-
l)latt von den beiden Grenzblättern ablösen. Dadurch werden die
Leibessäcke in dieser Gegend geschlossen ; äußeres und inneres Keim-
blatt gehen direkt ineinander über.
Bei Alytes stellt diese erste Modifikation die Norm dar. Nach
Gasser (A. L. III ', 1882, p. 85) wird hier „der ursprünglich ange-
legte Blastoporus direkt zum bleibenden After des Tieres", „Ein
Verschluß, wie er von Goette für den Bombinator angegeben wird,
und ein späterer Durchbruch des eigentlichen, bleibenden Afters kommt
hier nicht zur Beobachtung.''
Die Lehre von cl^en Keimblättern. 767
Im zweiten Fall, welchei' der gewöhnliche zu sein scheint, ver-
löten die Urnuindränder in der späteren Aftergegend, wenn auch nur
vorübergehend, miteinander (Fig. 328 C). Dann löst sich, wie im
ersten Fall, das mittlere Keimblatt von den Grenzblättern ab (Fig. 328 D).
Auf diese Weise bildet sich in der Aftergegend eine kleine Grube,
die nur durch eine dünne Epithellamelle, die Af term embran, vom
Enddarm getrennt ist. Die Aftermembran, in deren Bereich das
mittlere Keimblatt fehlt, ist aus zwei einfachen Lagen von Ektoderm-
zellen und von Entodermzellen zusammengesetzt. Der After wird
hier erst auf einem si)äteren Entwickelungsstadium dadurch durch-
gängig, daß die Verschlußmembran in ähnlicher Weise wie am Boden
der Mundbucht atrophiert und einreißt.
Nachtrag. Nachdem das Manuskript von Kap. III schon in die
Druckerei gegeben war, ist noch eine umfangreiclie, gründliche und gute
Abhandlung von A. Brächet (L. K. III ^, 1902)" über die Entwickelung
der Keimblätter bei Siredon pisciformis und Rana temporaria erschienen.
Ich nehme daher Gelegenheit, da es noch möglich ist, in einem Nach-
trag auf einige Hauptpunkte der Arbeit näher einzugehen.
Im großen und ganzen stimmt Brächet in seinen Ergebnissen mit
der von mir gegebenen Darstellung überein, in mehreren wichtigen
Punkten aber ist er zu erheblich abweichenden Ansichten gekommen.
Allerdings scheint mir auch hier die Abweichung weniger auf einer Ver-
schiedenheit der durch Serienschnitte erhaltenen Befunde, als auf einer
verschiedenen Deutung zu beruhen.
Was zunächst die Gastrulation betrilft, so unterscheidet Brächet
an ihr zwei Phasen und zwei sehr verschiedene Prozesse. Die eine Phase
und den einen Prozeß bezeichnet er als „clivage gastruleen". Der Prozeß
besteht darin, daß an der Eandzone Goette's eine oberflächliche Lage
von Zellen, während sie durch fortgesetzte Teilung kleiner werden, sich
von den tiefer gelegenen und größeren Dotterzellen durch einen Spalt
abgrenzt. Brächet nennt den Vorgang „auch eine Pseudoinvagination
der Zellen am Boden der Furchungshöhle und eine Pseudoepibolie der
Zellen von der Decke", und er betrachtet als „das Endergebnis hiervon
die Bildung einer umhüllenden Zellenlage und einer eingehüllten Masse.
Die Uebergangsstelle beider, welche die Form eines Ringes hat, deutet
er als einen virtuellen Blastoporus, der später mit der Entstehung der
Urmundlipj)en in einen reellen Blastoporus umgewandelt wird.
Es ist richtig, daß bei den Amphibieneiern ein Prozeß, wie ihn
Brächet als „clivage gastruleen" beschrieben hat, stattfindet. Er ist,
je dotteri'eicher die Eier sind, iim so mehr ausgeprägt, am meisten daher
an den großen Eiei'n von Salamandra mac. Hier ist er von Grönroos
(L. K. III *, 1898) beobachtet worden. Eine noch größere Ausdehnung
gewdnnt er bei den meroblastischen Eiern, wie die spätei-e Darstellung
lehren wird. Denn in demselben Maße, wie sich bei diesen der Rand
der Keimscheibe auf der Dottermasse ausbreitet, weitet sich auch die
Furchungshöhle seitlich aus und spaltet an der Peripherie eine klein-
zellige zusammenhängende Zellenlage, die schließlich äußeres Keimblatt
wird, von der den Boden bildenden Dottermasse ab.
Während ich so in der Konstatieruug der nackten Thatsachen voll-
kommen mit Brächet übereinstimme, kann ich auf der anderen Seite
seine Deutung und Namengebung nicht zu der meinigen machen. In der
„clivage gastruleen" erblicke ich eine Fortsetzung des Prozesses, welcher
768 0. Hertwig,
vom Beginn der Furchung an zur Bildung einer Furcliungs- oder Keim-
blasenhüble (eines Blastocöls) durch Auseinanderweichen der Embryonal-
zellen geführt hat. Die Keimblasenhöhle dehnt sich als Spalte bei dotter-
reichen Eiern seitwärts und ventralwärts immer weiter aus. In Konsequenz
dieser Anschauung kann ich ferner auch nicht in der Uebergangsstelle
der abgetrennten, kleinzelligen Decke in den großzelligen Boden der Keim-
blase einen virtuellen Blastoporus erblicken in der von Brächet ge-
äußerten Weise; und hiermit hängt es wieder zusammen daß ich stets
denjenigen Autoren entgegengetreten bin, welche den Keimscheibenrand
der meroblastischen Eier zum Urmundrand gestempelt haben, was auch
die Meinung von Brächet ist. Ich habe hierfür den Namen „Umwachsungs-
rand" eingeführt. Ich halte in der Erage an dem Grundsatz fest, den ich
in der Einleitung auf p. 708 — 709 besj^rochen habe.
In seiner Darstellung der zweiten, von ihm unterschiedenen Phase
der Gastrulation schließt sich Brächet dem Standpunkt von Moc^'in'
Tandon, Houssay, Assheton an, den ich schon früher beschrieben habe.
(p. 744). Er glaubt, den Vorgang nicht als eine Einstülpung bezeichnen
zu können. „II n'y a pas trace d'invagination", bemerkt er in seinem
Resume vom Axolotlei (p. 27), „la fente archenterique se creuse au.
milieu des grosses cellules vitellines." „II n'est pas douteux que la
fente archenterique se soit creusee par delamination (par orientation
cellulaire dans l'endoblaste)." Demgegenüber hebe ich noch einmal aus-
drücklich hervor, daß die Bilder, wie sie Serienschnitte durch ver-
schiedene Stadien der Gastrulation liefern, mir deutlich dafür zu sprechen
scheinen, daß ein Einwärts wandern von Zellenmaterial gleichzeitig mit
der Bildung der dorsalen Urmundlippe stattfindet, daß die Zellen sich
in ausgiebiger Weise aneinander verschieben und vorbeigieiten und daß
hierbei ein von außen nach innen sich mehr und mehr einsenkender
enger Spaltraum erscheint, der sich bald zur Urdarmhöhle ausweitet.
Ein solches Geschehen muß ich eine Invagination nennen und dem
Vorgang, wie sich beim Amphioxus die Keimblase in einen Becher
umwandelt, für prinzipiell gleichwertig halten.
Bei der Stellungsnahme Brachet's zum GastrulationsjDrozeß kann es
nicht wunder nehmen, daß er von einer Entwickelung des mittleren
Keimblattes der Amphibien nach dem Prinzip der Cölomtheorie erst
recht nichts wissen will. Aus seiner Darstellung zieht Brächet viel-
mehr den Schluß : „Le mode de developpement du mesoblaste tel que
nous • venons de le decrire est en effet radicalement different de celui
admis par Hertwig." Doch räumt er ein, daß man auf Grund späterer
Befunde und selbst auch mancher Bilder frühzeitiger Stadien zu einer
Deutung, die der Cölomtheorie entspricht, gelangen könne, wofür Bellonci
als Beispiel angeführt ward. „Si l'on n'avait sous les yeux que des
Stades avances du developpement, on croirait facilement que le meso-
blaste et la voüte de l'archenteron procedent d'une invagination des
cellules du feuillet externe" (p. 75). Als einen Befund von einem frühen
Stadium, der irreführen könnte, verweist Brächet auf seine Fig. 27,
die ich absolut naturgetreu in Fig. 329 reproduziert habe und die einem
Durchschnitt durch ein gleich altes Stadium von Triton (Fig. 301) ent-
spricht. Es ist ein Durchschnitt durch eine Gastrula vom Axolotl mit
rundem Blastoporus, von welchem bemerkt w^ird : „Le seul examen de
la fig. 27 pourrait faire croire, que les fentes archenteriques s'enfoncent
dans le mesoblast et que la description et l'interpretation d'O. Hert-
AviG se trouvent ainsi justifiees' (p. 76). Dagegen hebt Brächet hervor,.
Die Lehre von den Keimblättern.
769
Fig. 329. Frontalschnitt durch eine Gastrula
vom Axolotl vom Stadium VIII, nach Brächet (1902,
Taf. IJ, Fig. 27). Bl Blastoporus. A Urdarm. E
Ektoblast. H Endoblast. J/ Mesoblast.
daß die Urdarmspalten {Bl)^ welche in ihrer Verlängerung in den Mesoblast
einzudringen scheinen, vielmehr in den Spaltraum führen, der mittleres
nnd inneres Keimblatt voneinander trennt, eine Ansicht, die auch von
GoETTE für Petrom^'zon
und von Bkauer für
Gymnophionen geäußert
worden ist. Was ich
früher in Bezug auf diesen
Punkt gegenGoETTE (p.728
u. 729) und Brauer (p. 763
u. 764) geltend gemacht
habe, muß ich auch gegen-
über Brächet aufrecht
halten. In Fig. 329
würde eine Verlängerung
des den Dotterpfropf um-
gebenden Spaltraumes Bl
in die linke und rechte
Mesoblastwucherung hin-
ein zu verlegen sein und
so die geschlossene Mesoblastfalte in eine offene verwandeln.
Brächet läßt das mittlere Keimblatt der Amphibien durch De-
lamination an der Oberfläche des Endoblasts der Gastrula und ausschließ-
lich auf Kosten der Elemente dieses Blattes entstehen. Wie er bei der
Gastrulation eine clivage gastruleen, so unterscheidet er bei der Meso-
blastentwickelung eine clivage mesoblastique i^p. 191): „Le mesoblaste
commence ä se separer de dehors au dedans par un veritable clivage
des cellules dont il provient, tout en restant largement en continuite
avec la voüte de la fente archenterique" (p. 66). Wegen weiterer Be-
gründung seiner Auffassung von der Mesoblastbildung muß auf die
Originalabhandlung verwiesen werden. Doch möchte ich zur Erklärung
des abweichenden Standpunktes von Brächet noch einen, wie mir scheint,
sehr wesentlichen Punkt hervorheben. Nach meiner Meinimg berück-
sichtigt Brächet hier ebenso wie bei seiner Darstellung des Gastrulations-
prozesses zu wenig, daß die Zellen auf den frühen Embryonalstadien
nicht an den Stellen, wo wir sie an Durchschnitten fixiert finden, auch
früher gelegen haben, sondern daß in ausgedehntem Maße, wie ich aus
manchen Umständen schließe, Verschiebungen der embryonalen Zellen
aneinander und Wanderungen (oft in entgegengesetzten Richtungen in
den nebeneinander liegenden Schichten) stattfinden.
Nachdem ich zuerst die Dififerenzpunkte zwischen Brächet und mir
besprochen und gezeigt habe, daß sie vorwiegend auf einer verschiedenen
Deutung sonst ähnlicher Befunde beruhen, will ich nicht unterlassen, auch
auf vielfache Uebereinstimmungen aufmerksam zu machen. So konnte
Brächet, wie es Rüthig und mir gleichfalls bei Tritoneiern ergangen
ist, beim Axolotl die von Semox bei Ceratodus und von Braus bei Triton
beschriebene Bückennaht oder ektodermale Mediannaht nicht auffinden
(p. 109). Den peristomalen Mesoblast läßt er in der von mir dargestellten
Weise im weiteren Verlauf der Entwickelung in gastralen Mesoblast
übergehen. Ferner stimmt er mit mir darin überein, daß bei den Am-
phibien eine Konkrescenz der Urmundlippen stattfindet und daß nur die
Ausdehnung der durch Verwachsung gebildeten Körperstrecken noch
strittig sein könne. Mit Recht hebt er gegen Kopsch hervor ,,que
Handbuch der Entwickelungslehre. I. ^Q
770 0. Hertwig,
d'apres ses observations meme, il y a en realite une concrescence, moins
etendue certes, que Rotrx et Hrutwki iie l'admettent, mais qui ii'en
existe pas moins" (p. IGl).
Brächet unterscheidet, wie ich es oben gethan habe, auf späteren
Stadien eine vor dem offenen Teil des Urmundes gelegene, kurze, ge-
schlossene Strecke und nennt sie den Primitivstreifen des Froscheies
(p. 184). „Cette courte ligne primitive parait etre la trace de la fer-
meture du blastopore et les dispositions sont telles que si les levres
laterales s'etaient fusionnees sur la ligne mediane" (p. 184). „Elle doit
en effet etre interpretee comme etant la . trace du cheminement et de
la soudure des levres blastoporales. Au sur et ä mesure que le blasto-
pore se ferme, les parties anterieures de la ligne primitive se differen-
cient. La corde dorsale a avec les levres blastoporales des relations
genetiques certaines" (p. 187). „La region blastoporale constitue une veri-
table Zone de croissance" (p. 199). Brächet wendet sich daher auch
gegen die von Goette, Lwoff, Brauer, Schultze etc. vertretene An-
sicht, daß die Chorda ihren Ursprung aus dem Mesoblast nehme. Er
bezeichnet sie als eine Bildung „d'origine blastoporale" (p. 217).
Die Dipneusten.
Ueber die Entwickelung der Dipneusten haben uns die wichtigen
Untersuchungen von Semox (A. L. III «i, 1901) und Kerr (A. L. III 6, 1900)
einige Aufschlüsse gebracht. Beide Arbeiten bilden eine Ergänzung zu
einander. Semox hat Ceratodus Forsteri, Kerr hat Lepidosiren paradoxa
untersucht; leider liegen von Kerr bisher nur die Beschreibungen der
Oberflächenbilder vor, während die Schnittuntersuchung für später in
Aussicht gestellt ist. Doch läßt sich auch schon hieraus ersehen , daß
die Keimblätterbildung in ihren großen Zügen mit den von Petromyzon,
den Accipenseriden und Amphibien bekannten Verhältnissen vielfach
übereinstimmt.
Die totale inäqiiale Furchung führt bei den Dipneusten zu einer
Keimblase, an deren unterer, unpigmentierter, vegetativer Fläche der
Urmund etwas unter dem Aequator als ein querer Spalt angelegt wird.
Bei Ceratodus nimmt derselbe später die Form eines Halbkreises, zu-
weilen auch eines Hufeisens an, dessen Konvexität nach dem animaleu
Pol gerichtet ist. Indem die Enden der Einstülpungsrinne nach ab-
wärts wachsen und sich vereinigen, kommt ein geschlossener, entweder
kreisförmiger oder elliptischer Blastoporus zu stände, von welchem
eine Gruppe großer vegetativer Zellen als Dotterpfropf umschlossen
wird. Dann wandelt sich der
elliptische Urmund in einen
Ctr ^"' '^^^ Längsspalt um (Fig. 330). welcher
die Zellen des Dotterpfropfes
nicht mehr nach außen hervor-
treten läßt.
Fig. 330. Spätes Gastrulastadium
von Ceratodus mit spaltförmigera Ur-
mund. *' von hinten, a' vom Rücken aus
gesehen, nach Semon (A. L. III ^ 1893).
Einen etwas anderen Verlauf bietet Le pidosiren dar. Es bildet
sich eine Einstülpungsrinne, die V3 des Eiumfanges beträgt und bald
Die Lehre von den Keimblättern.
771
eine Krümnumg erfährt, deren Konvexität aber liier nach dem animalen
Pol zu gekehrt ist. Anstatt sich weiterhin zu vergrößern , wird die
Einstülpungsrinne im Gegenteil auf einen kleineren Bezirk einge-
schränkt. Von dieser Stelle oder der dorsalen Urmundlippe abgesehen,
gehen der kleinzellige und der großzellige Teil der Eieroberfiäche
längere Zeit ohne scharfe Abgrenzung ineinander über. Zum Ring
schließt sich die Einstülpungsöffnung erst sehr spät unter Ausbildung
einer ventralen Urmundlippe. Kerr ist daher der Meinung, daß
Lepidosirennach der Art seiner Gastrulation eine Mittelstellung zwischen
Amphibien und Elasmobranchiern einnimmt.
Auch in der Entwickelung des Centralnervensystems bieten Cera-
todus und Lepidosiren einige Unterschiede dar.
Ceratodus schließt sich ganz an die Amphibien an. Wenn
der Blastoi)orus (Fig. 331b) zu einem engen Schlitz geschlossen ist.
bilden sich, durch einen weiten Abstand voneinander getrennt, zwei
stark über die Oberfläche vorspringende Medullarwülste aus (Fig. 331bi)
und wandeln sich (Fig. 332 — 333) durch Verwachsung ihrer Ränder
in ein Medullarrohr um, das von Anfang an mit einer Höhle ver-
sehen ist.
Fig. 332.
Fig. 333.
Fig. 331. Ei von Ceratodus mit Medullarplatte ; b vom spaltförniigen ürmund,
b, vom Rücken aus gesehen, mit Eückenrinne, nach Semon.
Fig. 332. Ei von Ceratodus mit weit entwickelten MeduUarwülsten, nach
Semon.
Fig. 333. Ei von Ceratodus mit MeduUarwülsten, die sich zum Rohr zu
schließen im Begriff sind, nach Semon, 1. c.
In der Mitte der Medullarplatte und in ihrer ganzen Länge hat
Semox in seiner ersten Veröffentlichung über Ceratodus eine „lineare Naht''
(Fig. 331bb,,Fig. 332) beschrieben und sie als Urmundnaht bezeichnet,
davon ausgehend, daß sie durch ein von vorn nach hinten fortschreiten-
des Verwachsen der Urmundränder entstanden sei. Von dieser Deutung
istSE.MOxin seiner zweiten, soeben veröffentlichten Arbeit (A. L. III ^, 1900)
auf Grund einer Untersuchung von Durchschnitten zurückgekommen. „Die
ektodermale Mediannaht", heißt es jetzt daselbst, „ist ein Ektodermspalt,
der sich von der dorsalen Lippe des Urmundes aus in gewissen Stadien
diuT-h die ganze Länge der Medullarplatte bis in die Gegend des queren
Gehirnwulstes erstreckt. Die darunter befindliche dorsale Urdarmwand
Avird von dieser Spaltbildung nicht betroffen. Obwohl die Bildung also
in den Urmund ausläuft und auch ihrer Entstehung nach in einem ge-
wissen ursächlichen Zusammenhang mit ihm steht, darf sie doch nicht
als nahtförmig geschlossener Urmund bezeichnet uiid Urmundnaht benannt
werden , wie ich es früher gethan habe. Bis nicht weitere Beobach-
tungen über die Entwickelung der Naht am lebenden Objekt und er-
gänzende Experimente vorliegen, bleibt ihi^e Entstehunggweise hypothetisch"
49*
772 0. Hertwig,
(1900, p. 328). Semon hebt in seiner Arbeit (1900, p. 318) noch hervor,
daß derselbe Spalt in der Medullarplatte wie bei Ceratodus auch bei
Amphibien wahrscheinlich vorkomme und von Braus (1895) auch bei
Triton nachgewiesen worden sei, wo er natürlich nicht mit der bekannten
HERTWia'schen Rückenrinne (sillon median Van Bambekb) zu verwechseln
sei". Nun ist aber, wie ich mich neuerdings wieder überzeugt habe und auch
von RöTHiG (L. K III ^, 1901) hervorgehoben worden ist, das Gebilde, das
Braus nach Flächenbetrachtung von Tritoneiern beschreibt, nichts anderes
als die Rückeni'inne oder der sillon median ; es ist kein Spalt, sondern
nur eine Rinne im Ektoderm, wie Querschnitte zeigen ; und ich möchte
vermuten, daß das bei Ceratodus beschriebene Gebilde auch nichts an-
deres ist als die Rückenrinne der Amphibien, welcher sie nach ihrer
Lage, ihrer Ausdehnung und der Zeit ihres Auftretens vollkommen ent-
spricht.
Bei Lepidosiren treten zwar auch Medullarwülste, doch weniger
ausgei)rägt auf; dabei wächst gleichzeitig die Medullarplatte als ein
solider Kiel nach unten hervor. Im Kiel entsteht der Ceutralkanal
erst durch sekundäre Aushöhlung. In dieser Weise kombinieren sich,
wie Kerr hervorhebt, bei der Entstehung des Centralnerven Systems
von Lepidosiren Züge, welche für die gewöhnliche Entwickelung mit
Faltenbildung charakteristisch sind, mit den Eigentümlichkeiten,
welche bei den Teleostiern, bei Lepidosteus und bei Petromyzon in
der Kielbildung beobachtet werden.
Die große Uebereinstimmung in der Entwickelung zwischen Cera-
todus und den Amphibien tritt auch bei der Untersuchung von Durch-
schnitten hervor, wie die zweite Arbeit von Semon (1900) lehrt. Die
Keimblase (Fig. 334) ist ähnlich derjenigen der Tritonen, indem ihre
FIk. 334.
'<<>-<?
um
Fig. 334. Meridionalschnitt durch eine Keimblase von Ceratodus Forsteri nach
Semon (1900, Tat. XXXI, Fig. 15).
Fig. 335. Medianschnitt durch eine üastrula von Ceratodus Forsteri nach
Semon (1900, Taf. XXXII, Fig. 18). ß-h Keirahöhle. (/strh Gastrulahöhle. ;A- inneres
Keimblatt. (Ju dorsale Frmundlippe. um Urmund.
Decke aus einer einfachen Lage cjdindrischer Zellen besteht. Dasselbe
läßt sich von der Gastrula sagen (Fig. 335). Von ihr hebt Semon
ausdrücklich hervor, daß er eine Verschmelzung des Urdarmes und
der Keimblasenhöhle durch Einreißen der trennenden Zwischenwand,
wie es für Salamandra mac. und für Gymnophionen beschrieben worden
ist, nicht habe beobachten können.
Die Lehre von den Keimblättern. 773
In Bezug auf die Eiitwickelung des mittleren Keimblattes und
der Choi-da des Ceratodus schließt sich Semon im wesentlichen an die
Darstellung an, wie sie für die Petromyzonten und Amphibien von
GoETTE, 0. ScHULTZE, LwoFF uud Brauer im Gegensatz zu Cal-
BERLA, Hertwig, Schwink u. a. gegeben worden ist. Er stellt
hierüber die Thesen auf: „1) Aus der dorsalen Decke des Urdarmes
(dorsales Entoderm Goette's, dorsale Platte Lwoff's) bildet sich die
Chorda und das axiale Mesoderm. 2) Chorda und axiales Mesoderm
entwickeln sich also aus einer ursprünglich vcUlig einheitlichen Anlage.
Die Aufteilung derselben ist ontogenetisch ein sekundärer Vorgang.
Es scheint mir kein einziger Grund vorzuliegen, von einer paarigen
Anlage des Mesoderms zu reden. 3) Das Epithel der dorsalen Wölbung
des bleibenden Darmes wird dadurch gebildet, daß die dorsale Decke
des Urdarmes, aus der Chorda und axiales Mesoderm werden, durch
Entodermzellen unterwachsen wird. 4) Der Blastoporus wird bei
Ceratodus dadurch, daß seine seitlichen Lippen sich an einer mittleren
•Strecke aneinanderlegen und verschmelzen, in 2 Kanäle geteilt : den
Canalis neurentericus uud ventral von diesem den After.''
Nachtrag. Da inzwischen von Kbri: (L. K. III ^*, 1902) eine weitere
Mitteiluno- erschienen ist, in welcher die friihesten Enibrvonalstadien von
Lepidosii-en und Protopterus auf Schnittserien untersucht worden sind,
stelle ich in einem Nachtrag noch die hierbei erhaltenen wichtigsten Er-
gebnisse zusammen.
Kerr findet eine sehr große Aehnlichkeit in der Entwickelung
zwischen Lepidosiren iind Protopterus einerseits imd den Petromyzonten
und urodelen Amphibien auf der anderen Seite. Die Gastrulation ge-
schieht durch eine w^ahre Einstülpung. Sagittalschnitte liefern ähnliche
Befunde, wie sie z. B. in den Fig. 260—262 oder Eig. 335, 349 u. s. w.
von anderen Wirbeltierarten dargestellt sind. Der Rest der Keimblasen-
höhle schwindet in einer sonst nirgends beobachteten Weise, indem vor
ihrem völligen Schwund vom Boden und von den Seiten kleine Dotter-
zellen in sie einwandern und sich zu einem schwammartigen Xetzwerk
vereinigen.
Das Centralnervensystem entwickelt sich genau in derselben Weise
wie bei Petromyzon als eine kielförmige Verdickung der äußeren Keim-
blätter. Es liegt hier ein auffälliger L^nterschied im Vergleich zum
Ceratodus (Fig. 332, 333) vor. Auch das mittlere Keimblatt und die
Chordaanlage geben auf den ersten Entw^ickelungsstadien Bilder, welche
den von Petromyzon erhaltenen sehr ähnlich sind. Kerr stellt über die
Mesoblastentwickelung eine besondere Ansicht auf, die er an einigen
Schematen auf p. 34 seiner Abhandlung erläutert und in dem Satz zu-
sammenfaßt : ,,The mesoderm grows outwards on each side b}' delami-
nation from the large yolk-cells".
Die Keimblätter der Oaiioideii.
Ueber die Keimblätterbildung bei den Ganoiden liegen w4e über-
haupt über ihre Entwickelung bis jetzt nur wenige Untersuchungen vor,
die an einem Knorpelganoiden, Acipenser ruth., und an zwei Vertretern
der Knochenganoiden, an Lepidosteus osseus und an Amia calva, aus-
geführt wurden. Mit Acipenser haben sich besonders russische Zoologen,
KowALEVSKY, OwsjANXiKOw, Wagner (A. L. III 5, 1870) und Salexsky
774
0. Hertwig.
(A. L. III 5j 1880, 1881), sowie der Amerikaner Bashfoud Dean (A. L.
III ^, 1895) beschäftigt, mit den Ivnocheniischen englisclie, amerikanische
und deutsche Embrvologen wie Balfour und Parker (A. L. III ^, 1882),
Beard (A. L. III sJ 1889), Mark (A. L. III 5, 1890), Basiiford Dean
H. ViRCHOW, FüLLEBORN
und SoBOTTA (A. L.
noch zur Zeit
III 5,
sind.
(A. L. III 5, 1896),
1896). So unvollständig unsere Kenntnisse auch
so läßt sich doch das eine schon deutlich erkennen, daß die Ganoiden
in manchen Beziehungen mit den Cyclostomen und Amphibien, in anderen
Beziehungen wieder mehr mit den Teleostiern in ihrer Entwickelung
Uebereinstimmungen darbieten. Dabei zeigen die Knorpel- und Knochen-
ganoiden untereinander wieder so wesentliche
eine getrennte Besprechung erforderlich ist.
Verschiedenheiten, daß
kh
'f^>'^^.„ - az
.,•>
A. Acipenser.
Mit den Amphibieu stimmt Acipenser in dem Besitz einer totalen,
inäqualen Furcliung überein, doch fallen die Größenunterschiede zwischen
animalen und vegetativen Zellen beträchtlicher aus. Infolgedessen ist
auch an der Keim blase (Fig. 336), in welcher eine große Höhle ent-
wickelt ist, der Gegensatz
Fig. 336. zwischen der nach oben und
der nach unten gekehrten
Hälfte oder zwischen der
Decke und dem Boden ein
größerer als beim Frosch.
Die Gastrulation
erfolgt im wesentlichen in
derselben Weise wie beim
Frosch und bei Petromyzon.
An einem Punkt der Rand-
zone bildet sich eine rinnen-
förmige Einstülpung mit
einem dorsalen Urmund-
rand, an welchem sich das
äußere in das innere Keim-
blatt umschlägt (Fig. 337).
Je mehr sich die Einstül-
pungshöhle vergrößert, wird
die Keimblasenhöhle kleiner
und zuletzt ganz verdrängt
(Fig. 338).
Die Aufnahme
großen Dotterzellen
langsamer als bei der
strulation des Frosches vor
sich. Daher ist denn auch
der Blastoporus noch weit
geöffnet, zur Zeit, wo sich
Fig. 336. Keimblase von
Acipenser, nach Salensky.
Fig. 337. Jüngeres Gastrula-
stadium von Accipenser, nach
Salensky.
Fig. 337.
---ik
der
geht
Ga-
Die Lehre von den Keimblättern.
775
schon die Medullarplatte am äußeren Keimblatt deutlich unterscheiden
läßt (Fig-. m9).
Nach der Darstellung von Salensky erscheint am 2. Tag der Ent-
Avickelung. wenn das äußere Keimblatt etwa vier Fünftel der Eiober-
rläche bedeckt, die Medullarrinne (Fig. 339), zu beiden Seiten von
Fig.
338.
ak
mk^^-
Fig. 338. Aelteres Gastrulastadiuni
von Acipenser, nach Salensky.
Für die Fig. 336-338 gelten fol-
gende Bezeichnungen: az animale Zellen
oder Decke der Keimblase, rz vege-
tative Zellen, Boden der Keimblase, kh
Keim blasenhöhle, ak, ik, mk äußeres,
inneres, mittleres Keimblatt, fipf Dotter-
pfropf, ud Urdarm. wd* Urdarmspalt
unter der ventralen Urmundlippe.
Fig. 339.
dp/--'
Fig. 339. Gastrula von Acipenser, vor deren dorsaler Urmundlippe die Medullar-
rinne E entstanden ist, nach Salexsky. DP Dotterpfropf.
Wülsten begrenzt f^Fig. 340), welche sich nach vorn vereinigen. Nach
hinten geht die Medullarrinne in den Blastoporus über derart, daß
ihre Wülste sich nach links und reclits in die Urmundlippen fortsetzen
(Fig. 339). An dieser Stelle zeigt die Urmundlippe eine kleine Ein-
ziehung (echancrure), auf welche die Rückenrinne mit ihrem hinteren
Ende trifft. Sie ist der Incisura neurenterica der Elasmobranchier
vergleichbar.
Wenn auf späteren Stadien sich der Urmund verkleinert, nimmt
er die Form einer Birne an (A. L. III ^ Salensky 1881, p. 281), deren
spitzes Ende sich in die Rückenrinne fortsetzt; endlich wird er eine
Längsspalte. Die Medullarwülste beginnen alsdann zuerst in der Mitte
ihres Verlaufes mit ihren Rändern zu verschmelzen. Rückenmark
Rf
Mp
ak
Syp
Fi.
dullarrohr.
Lrsegment,
340.
En Ch Syp 6p
Querschnitt durch das Kopfende eines Acipenserembryo. Ff Me-
Medullarplatte. Wg Vornierengang. En Darmepithel. C/t Chorda. Syp
Sp Seitenplatten, ak äußeres Keimblatt.
776
0. Hertwig,
und Gellini werden, wie bei den Aini)liibien, von Anfang an als ein hohles
Rohr angelegt; auch bleibt dieses an seinem hinteion Ende, wie Kowa-
LEVSKY hier ermittelt hat. mit dem Darm durch einen Canalis neu-
rentericus längere Zeit in Verbindung. Sehr deutlich ist dies aus einer
Abbildung von Dean, einem Medianschnitt durch das Hinterende
eines 58 Stunden alten Embryos von Acipenser zu sehen. Schwanz-
sn
SiLil- -xiaggA'
. ak
nr
eh
Fig. 341. Medianschnitt des
Hinterendes eines 58 Stunden alten
Embryos von Acipenser sturio. Der
Blastoporus ist geschlossen und der
Schwanzknopf gebildet, ch Chorda.
cn erweitertes, unteres Ende des
CanaUs neurentericus. d Dotter-
zellen, ak, ik äußeres und inneres
Keimblatt, nr Nervenrohr, (j Darra-
höhle. xn Schwanzknopf. Nach Deax.
und Afterbildung erfolgt wie bei den Amphibien, bei welchen diese
Verhältnisse ausführlich erörtert worden sind. Von den einzelnen
Stadien in der Entwickelung der Chorda giebt Salensky keine ge-
nauere Darstellung, sondern hebt nur hervor, daß sie sich auf Kosten
einer axialen Verdickung des mittleren Keimblattes bildet.
B. A m i a und L e p i d o s t e u s.
Während Acipenser in seiner Entwickelung mehr Beziehungen zu
den Amphibien, bieten Amia und Lepidosteus solche zu den Knochen-
fischen dar. Zwar ist der Furchungsprozeß anfänglich auch ein totaler und
inäqualer ; denn die ersten Furchen schneiden, allerdings sehr langsam und
erst zu einer Zeit, wo am animalen Pole schon viele kleine Zellen ent-
standen sind (Fig. 342), auch durch die vegetative Hälfte des Eies hindurch
und zerlegen sie in einzelne sehr große, unregelmäßige Dotterstücke.
Dann aber hört hier die weitere Zerlegung auf; der Teilungsprozeß
bleibt nur auf die animale Hälfte des Eies beschränkt und nähert
Fie. 343.
Fig. 342.
Fig. 342. Späteres Furchungsstadiura von Amia calva, nach Sobotta (1896,
Fig. 2). D Dotterzellen.
Fig. 343. Oberflächenbild des Eies von Lepidosteus nach Entfernung der
Membranen, vom 3. Tage nach der Befruchtung, nach Balfoür (A. L. II 1881,
Fig. 58).
Die Lehre von den Keimblättern
i i i
sich dadurch in seinem Endresultat wieder mehr dem meroblastischen
Typus, indem der kleinzellige Abschnitt (Fig. o4;}) fast wie eine Keim-
haut (Blastoderm) von den wenigen vegetativen Stücken absticht. Vom
oberen Ende der letzteren schnüren sich noch einzelne größere dottcr-
Zellen ab (Fig. 344) und bilden so eine
haltige
Uebergangsschicht
Fig. 344.
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-v;.-.
rJk
Fig. 345.
Fig. 344. Kleinzelliges Furchungsstadiuiu von Amia calva, nach Bashford
Dean (A. L. III s, 1896, Taf. XXXI, Fig. 29). ez animale Zellen, dk Dotterkerne.
Fig. 34.5. Entwickelungsstadiuni von Amia calva, in welchem eine spaltförmige
Höhle in der Scheibe kleiner Zellen am animalen Pol auftritt, nach Sobotta (189(5,
Fig. 4).
Teilung ge-
z wischen dem ab gefurchten und dem in der weiteren
hemmten Abschnitt des Eies. Sie führen später meist mehrere Kerne,
ein Zeichen, daß Kernteilungen noch ohne nachfolgende Zellteilungen
stattgefunden haben.
Am Ende des Furchungsprozesses schließen sich die oberfläch-
lichen Zellen der Keimhaut fester zu einer Deckschicht zusammen;
ferner bildet sich, wie Sobotta von Amia beschreibt (Fig. 345), ein
feiner Spalt in der animalen Hälfte des
obersten Lagen kleiner, animaler Zellen
größerer, dotterhaltiger Zellen ab. Ob die
spricht, ist noch nicht ganz klargestellt.
Angaben
Eies aus und trennt die
von den unteren Lagen
Höhle dem Blastocöl ent-
scheint mir aber der Fall
die Gastrulation erst nach ihrem
zu sein, da nach Sobotta's
Auftreten beginnen soll.
Nachdem noch die animalen Zellen durch Vergrößerung der
Furchungshöhle nach unten sich von den vegetativen Zellen bis in die
Gegend des Aequators abgespalten haben, beginnt die Gastrulation
am Rande der Keimhaut (vergl. Fig. 346 von Lepidosteus). Eine
feine Spalte (KR) dringt hier in den Keim ein. Bei der Gastrulation
von Amia bleibt hierbei eine Lage von Dotterzellen, wie Sobotta und
Dean gezeigt haben, auf dem nur teilweise durchfurchten Nahruugs-
dotter als Boden der Urdarmhöhle zurück.
Die dorsale ürmundlippe läßt bald nach ihrer Entstehung bei
Amia (Fig. 347) 3 Blätter unterscheiden, was besonders durch den
verschiedenen Gehalt der Zellen an Dotterköruern und durch eine ver-
schiedene Größe der letzteren ermöglicht wird. „Während das Ekto-
derm (ec) nur ganz feine Dotterkörner in seinen Elementen aufweist,
sind die des Mesoderms (ni) erheblich größer. Die Zellen des Ento-
derins (en) schließlich, welche die dorsale Urdarmwand bilden, sind
mit ganz groben Dotterkörnern dicht beladen, w^elche dieselbe Größe
und dasselbe Aussehen haben, wie die der oberflächlich an der ventralen
Urdarmwand gelegenen Dotterzellschichten'' (Sobotta 1896, p. HO).
n<
0. Hertwig,
Vom Ort seines Auftretens setzt sich der Gastrulationsprozeß all-
niählifh wie bei den Anii)hil)ien ventrahvärts um den ganzen Rand der
Keinihaut herum fort und führt, wenn das Ei ungefälir zu zwei Dritteln
umwachsen ist, zur Biklung der ventralen Urmundlippe (Fig. 347).
Fio-. 346.
Fig. 347.
Fiii-. 348.
Fig. 346. Ei von Lepidosteus am Beginn der Gastrulation , nach Deax
(A. L. III '', 1895. Kl' Rand der Keinihaut mit dorsaler Urmundlipi)c.
Fig. 347. Jüngeres Gastrulastadium von Amia, nach Sobotta (1. c. Fig. 4).
Fig. 348. Aelteres GasLrulastadiura von Amia, nach Sobotta (1. c. Fig. 6).
Bezeichnungen für Fig. 347 n. 348: dl. Dotterpfropf. I) grolJe Dotterzelleu. ec
Ektoderm. en Entoderm. g Gehirnteil der MeduUarplatte. m ]\Iesoderm. ud Ur-
darmhöhle.
Der Urdarm hat sich währenddem sowohl nach vorn weiter aus-
gebreitet als auch — besonders in seinem hinteren Teil — erheblich
ausgeweitet, während er im Bereich der ventralen Urmundlippe spalt-
förmig bleibt. Wenn später der weite Blastoporus sich allmählich zu
einem ganz kleinen Loch zusammengezogen hat (Fig. 348), dringt ein
Fortsatz der Dottermasse, entsprechend dem RuscoNi'schen Dotter-
pfropf des Frosches, in ihn hinein. Etwas abweichend von der Figur
Sobotta's (Fig. 348) sieht der Sagittalschnitt aus, welchen Dean von
einer Gastrula der Amia gegeben hat (Fig. 349).
Zur Zeit, wo bei Amia ungefähr V.n fl^s Eies von der Keimhaut
umwachsen sind, tritt auf ihr die Embryonalanlage vor der dorsalen
Urmundlippe auf.
-;;:■ DIb Eutwickelung von Hirn
und Rückenmark verläuft bei
Amia und Lepidosteus ähnlich
wie bei Petromyzon und den
Knochentischen. Es entstehen
keine über die Oberfläche vor-
springende Rückenwülste, viel-
«/:
ik
, )*•■•■
:■/
>'^
ik ak
mk
ik
du
t
P'ig. 349. Medianschnitt durch
die Gastrula von Amia calva, nach
Bashford Dean (1896, Taf. XXXII,
Fig. 33). ak, ik, 7nk äußeres, inneres,
mittleres Keimblatt, d Deckschicht von
ak. du und vv dorsale und ventrale
Frmundlij^pe. h Hirnplatte, t Rand
der Urmundlippe , an welchem alle 3
Keimblätter zusanuuenhängen. * Grund
des Urdarms.
Die Lehre von den Keimblättern.
779
mehr wird die ]\lediilhxri)hatte als ein solider Kiel weit nach abwärts
gegen den Dotter vorgedrängt. Der Kiel entwickelt sich bei Le-
pidostens (Fig. 350) einzig und allein durch Wucherung der unteren
Schicht des äußeren Keimblattes. Balfour konnte auch keine Spur
einer Andeutung dafür linden, daß die oberflächliche Schicht der Epi-
dermis wie es Calberla für Petromyzon und die Knochenfische irr-
tümlicher Weise behaui)tet hatte, in irgend einer Periode an der Bil-
dung des „Medullarstranges" irgend welchen Anteil nimmt. Auch
in Bezug auf die anderen Teile ist der Querschnitt sehr teleostier-
ähnlich : 1) die Chorda, welche durch den Kiel nach unten vorgedrängt
und von einer dünnen Lage von Zellen, dem inneren Keimblatt, über-
Fig. 350 A. Querfjchnitt durch einen Lepidosteuserabryo vom 5. Tage nach der
Befruchtung, nach Balfour (A. L. II 1881, Fig. ü(J). J/C MeduUarstrang. ^e^^ Epi-
dermis, ch Chorda, hy inneres Keimbhitt. 3Ie mittleres Keimblatt.
ein sehr lehrreicher Querschnitt
hinteren Ende der Rumpfregion
mst
zogen ist, 2) der Mesoblast. der links und rechts von Medullarstrang
und Chorda zwei dicke Zellenmassen bildet, die sich dann'[seitwärts
rasch verdünnen.
Von besonderem Interesse ist
(Fig. 350 B), welchen Dean vom
eines Lepidosteusembryos mit 7 Ur-
segmenten erhalten und abgebildet
hat. Er entspricht den Befunden,
wie sie uns die Urmundnaht der
Amphibien, z. B. Fig. 3LS vom
Frosch, geliefert hat. Medullarstrang
Fig. 350 B. Querschnitt durch die
hintere Rumpfregion eines 80 Stunden ent-
wickelten P^mbryos von Lepidosteus mit
7 Uvsegmenten. ' Nach Dean (A. L. III ^,
1895). ak, ik, mk äußeres, inneres, mitt-
leres Keimblatt, ch Chordaanlage, mst Me-
dullarstrang aus der (legend der Naht.
ak
mk
.-if^
ü2S::XSSi£s. :
ch
(mst), Chordaanlage (ch) und inneres Keimblatt (ilc) sind, wie dort,
zu einem medianen Streifen ohne Abgrenzung verbunden. Nach
unserer Deutung ist vom Schnitt die Region vor dem Blastoporus
getroffen, in welchem die Konkreszenz der seitlichen Urmundlippen
stattfindet.
Nicht minder interessant ist an dem Präparat der links und
rechts von der Chordaanlage zu beobachtende Zusammenhang zwischen
innerem und mittlerem Keimblatt, Es besteht hier eine Stelle, die
an anderen Wirbeltierklassen Mesodermbildungsrinne oder Cölomrinne
benannt worden ist. Es liegen also gleiche Verhältnisse vor wie beim
780 0. Hertwig,
Ampliioxus (Fig. 254*) und bei den Amphibien (Fig. ollA u. Fig. )]\x,
321), Verhältnisse, denen wir noch öfters bei Ehisniobranchiei'n, bei
Teleostiern, Reptilien, Vögeln und Säugetieren begegnen werden.
In der Schwanzregion verlieren der Medullarstrang, die Chorda
und das innere Keimblatt, wo sie aneinander grenzen, ihren scharfen
Kontur und verschmelzen untereinander zu einem Zellstrang, dei'
dem neurenterischen Ivanal entspricht.
Wenn sich, vom Kopfende beginnend, die kielförmige Anlage des
Hirnes und Rückenmarkes von der Epidermis abschnürt, beginnt sie
auch im Inneren eine Höhle durch Auseinanderweichen der centralen
Zellen zu erhalten ; nach hinten zu bleibt der Strang noch längere
Zeit solid.
In dem Besitz einer strangförmigen Verbindung zwischen Darm
und Medullarstrang stimmen die Knochenganoideu mit den Teleostiern
überein, während die Acipenseriden (Fig. 341 cn) wie die Amphibien
einen hohlen Canalis neurentericus aufweisen.
Die Keimblätter der Elasniobraiicliier.
Nächst dem Studium des Amphioxus hat die l'ntersuchung der
Elasmobranchier über viele entwickelungsgeschichtliche Vorgänge bei den
Wirbeltieren in den zwei letzten Jahrzehnten mit am meisten Licht
verbreitet. Kein Wunder, daß sich diesem Objekt trotz größerer
Schwierigkeiten der Materialbeschaffung die embryologischen Forscher
mit Vorliebe zugewandt haben und daß Keimscheiben und Embryonen
von Haifischen einen der gesuchtesten Gegenstände der verschiedenen
zoologischen Stationen ausmachen. Daß die Selachier so dankbare
Untersuchungsobjekte abgeben, hat man immer durch den Umstand
zu erklären gesucht, daß sie eine besonders primitive Stellung unter
den Wirbeltieren einnehmen. Balfour scheint hierdurch namentlich
zu seinem eingehenderen Studium ihrer Entvvickelungsgeschichte ver-
anlaßt worden zu sein, wie er denn in dem Vorwort zu seiner Mono-
graphie der Elasmobranchier bemerkt: „It is sufficient for my purpose
that the Elasmobranch fishes be regarded as formin g one of the most
primitive groups among vertebrates, a view whichfinds ample confirmation
in the importance of the results to which Prof. Gegenbaur and
his pupils have been led in this brauch of tlieir investigation"
(A. L. III 3, 1878, p. VI).
Mir scheint hier eine gewisse Täuschung vorzuliegen. Aus der
systematischen Stellung einer Tiergruppe allein ist von vornherein
noch kein Schluß zu ziehen, ob das Studium ihrer Entwickelung ein
besonders empfehlenswertes und lehrreiches werden wird. Denn dies
hängt von vielen a priori nicht zu berechnenden Faktoren ab: von
der Größe der Zellen, von der größeren oder geringeren Deutlichkeit,
mit der sich die einzelnen embryonalen Schichten voneinander sondern,
von der Beschaffenheit des Dotters, von der Größe der Eier und der
Beschaffenheit ihrer Hüllen, lauter Verhältnissen, die mit der Stellung
im System direkt nichts zu thun haben. Die Cyclostomen stehen in
ihrem Bau dem Amphioxus gewiß in sehr vielen Beziehungen näher
als die Elasmobranchier. Trotzdem bilden sie kein dankbares Objekt
für entwickelungsgeschichtliche Studien und stehen in dieser Beziehung
hinter den letzteren sehr zurück. Ob die Dipneusten , Ceratodus,
Lepidosiren etc. uns mehr Aufschlüsse über entwickelungsgeschichtliche
Prozesse geben werden als unsere einheimischen Amphibien, oder ob
Die Lehre von den Keimblättern. 781
Hatteria leliri-eicher sein wird als eine andere Reptilienart, ist a i)riori
imberechenbar. Bei manchen \'ertretern der Cülenteraten , die man
doch ihrer ganzen Organisation nach als verschieden modifizierte
Gasträatiere bezeichnen kann , ist die Gastrulabildung (z. B. bei
Geryonia u. a.) viel weniger deutlich ausgeprägt als bei Vertretern
der Wirbeltiere, bei Amphioxus, bei Cyclostomen und Amphibien. Und
auf derartige Ueberraschungen muß man sich in der vergleichenden
Entwickelungsgeschichte überall gefaßt machen. f]ins aber läßt sich
voraussagen, daß, je mehr die Untersuchung auf die verschiedensten
Tierklasseu und Tierarten ausgedehnt werden wird, man bald an diesem,
bald an jenem Objekt einen besseren Einblick in die Entwickelung
dieses oder jenes Verhältnisses gewinnen wird. Daher das vergleichend-
entwickeluugsgeschichtliche Material nicht groß genug sein kann.
Was nun die Entwickelung der Keimblätter bei den Haifischen
betrifft, so ist sie für den Typus der meroblastischen Eier ganz be-
sonders lehrreich: auch ist sie Gegenstand einer Reihe vortrefflicher
Untersuchungen geworden.
Die erste Kenntnis verdanken wir Alexander Schiltz (L. K. III ^,
1875 und 1877) und His (L. K. III 5, 1877), besonders aber Pkancis
Balfouu, welcher in seinem ausgezeichneten Buch : A Monograph on the
development of elasmobranch Fishes" (A. L. III ^, 187G — 1878) ein eben-
so grundlegendes Werk wie die Amphioxusentwickelung von Kowalev.sky
und von Hatschek geliefert hat. Balfour's Untersuchungen über die Ent-
wickelung der Keimblätter und der Chorda wurden allerdings in der
Folge an Genauigkeit noch weit übertroffen durch die auf diesen ein-
zelnen Gegenstand besonders gerichteten Untersuchungen von Swaen
(L. K. III 5, 1885, 1887), Rückbut (L. K. III 5, 1887, 1889, 1899), Hoff-
MANx (A. L. III 3, 1896), Kastschexko (A. L. III 3, 1888), Rabl
(L. K. IUI, 1892) und Ziegler (L. K. III 5, 1892 1. Von mehr unter-
geordneten Punkten abgesehen, ist durch diese Forscher eine so erfreu-
liche Uebereinstimmuno- erzielt w^orden. daß die Keimblattbildung- bei den
Selachiern nächst derjenigen des Amphioxus als die mit am besten be-
kannte bezeichnet w^erden muß. Besonders empfehlenswertes Unter-
suchungsmaterial scheinen die Eier von Torpedo und Pristiui-us zu sein.
In den sehr dotter-
reichen Eiern nimmt der
Keim zur Zeit, wo sich in
ihm die Blastulahöhle aus-
gebildet hat, nur einen sehr
kleinen Bezirk ein (Fig. 351
dk kz dk
FiK.351. Medianschnitt durch -^^i^-- ■■::-'^- -:■'"' :''','^^Mi&^ .4^iS^v
1^. o.ji. iUeuiaiiscuniLi; uuicii o -
eine Keimblase von Pristiurus.
Nach RÜCKERT. Rechts liegt das i?^^^; :-. :K. : '::^^m^^r=^:rs(am&^Wfsi^^
embrvonale hintere Ende. B ^^'■'oÄ.|ooo^:ri:^|•,%%i■;;:/:;•■^•^■^'■ :' ■■ ; ;^'^;Vi;^^'^'CÄ'5|'^~
Keiniblasenhöhle. c/yt Dotterkerne. '' '^'"'•''^'t^e^t-rV.v-iv w:^.^.;;- ; ^c?^
kz KeimzeUen. ' "-'^^''''-"^^'^'l^S^^:^-
u. 352). Die Decke der Keim blase besteht aus vielen Lagen
kleiner Embryonalzellen , die nach der Höhle zu rund sind und
locker zusammenliegen , an der Oberfläche dagegen kubisch oder
cylindrisch werden und dicht aneinander schließen. Den Boden
der Höhle bildet Dottermasse (dj, in deren Oberfläche große, gelappte
Kerne {dk) [Merocyten, RückertJ zerstreut liegen. Schon auf diesem
Stadium läßt sich ein vorderer (v) und ein hinterer Rand (/«) am
782
0. Hertwig,
sclieibeuföniiigen Keim
als auf Durchschnitten
sowohl bei
unterscheiden.
1, <i
Betrachtung von der Oberfläche
.5
Denn vorn {v) ist auf den
früheren Stadien der Bla-
stula die Decke dicker und
zellenreicher ; nach hinten ( h)
verdünnt sie sich und wird
daher durchscheinender, so
Fig. 352. Länesschnitt durch
Embryonalraud der Keirablase
von Pristiurus nach RCckert
(1899. Taf. LVII, Fig. 63). r
vorderer, A hinterer Teil der
Keimblasendecke. dk Dotter-
kerne, Merocyten. dz Zellen am
Boden der Keirablase. d Dotter
am Boden der Keimblase.
daß man bei der FJächeuansicht ein helleres, sichelförmiges Feld dem
hinteren Rand entsprechend wahrnimmt.
Noch deutlicher wird die Unterscheidung mit Beginn der Gastrulation.
Denn es grenzt sich der hintere zellige Rand gegen den nicht in Zellen
zerlegten Nahrungsdotter durch eine nach vorn konkave Sichel-
rin n e schärfer ab (Fig. o5o u. 354) ; zugleich wird die Keimblattbildung'
im hinteren Bezirk
Fig. 353. eingeleitet. Während
V en en ek ui voru iv) im verdickten
Abschnitt der Decke
die oberflächlichen ku-
bischen Zellen nach
unten kontinuierlich
in das Lager der
Rundzellen übergehen,
ist hinten schon eine
Fig. 353. Längsschnitt
dnrch den Embryonalrand
des Keimes von Pristiurus
am Beginn der Gastru-
lation, nach Rückert
(J899, Taf. LVII, Fig. 64).
Bezeichnungen wie in
F'ig. 352. Außerdem: kh
Keim blasenhöhle, en u. ek
in Bildung begriffenes
inneres und äußeres Keim-
blatt. (// sich markierende
Urmundlippe.
Fig. 354. Längsschnitt
durch den Embryonalrand
eines Keimblasenstadiums
von Pristiurus mit be-
ginnender Gastrulaeinstiil-
pung, nach Ritckert (1899,
Taf. LVII, Fig. 65). sr
Sichelrinne.
dz
Sonderung
und
flächlichsten Zellen
in 2 Schichten, die erste
inneren Keimblattes {en),
Anlage
eingetreten
(Fig
eines
, 352).
sind hoch und cvlindrisch
geworden
äußeren (ek)
Die ober-
ihre Kerne
Die Lehre von den Keiniblättern
783
bilden ebenfalls nahe an der Oberfläche eine einzige Reihe, sie sind
so zu einer einfachen epithelialen Schicht angeordnet, die nach vorn
allniählich in den verdickten Teil der Decke übergeht; nach unten sind
sie durch einen deutlichen Spalt von einer besonderen Schicht locker
verbundener Rundzellen
Anhäufung bilden und
(RÜCKERT 1890, p. 094).
inneren Keimblattes vor
getrennt, die am hinteren Rand eine dickere
nach vorn zu allmählich spärlicher werden
Man hat in ihnen das erste Auftreten des
sich, Zellen, die durch eine vom hinteren
Rand ausgehende Einstülpung unter der Lage der Cylinderzellen, dem
äußeren Keimblatt, von hinten nach vorn vorgeschoben werden.
Li den Prozeß der Gastrulation giebt uns eine Reihe von Durch-
schnitten durch verschieden weit vorgerückte Stadien einen ziemlich
erschöpfenden Einblick. Wir betrachten getrennt die Veränderungen
in der hinteren und in der vorderen Hälfte der Scheibe, an ihrem
hinteren und an ihrem vorderen Rand. Hinten bildet sich die Ein-
stülpungshöhle, der Urdarm (Fig. 354 u. 355 ud). Die Sichelrinne
am Rande der Scheibe wird tiefer (Fig. 354 sr). Die Zellen ordnen
sich hier zu einen Epithel fester zusammen, das nach unten dem Dotter
dicht anliegt. Dann dringt die Rinne etwas unter den Rand der Scheibe
vorn (Fig, 355), hebt sie vom Dotter
kleinen Hohlraum her, den ersten
Rand aus bildet sich dabei immer
aus, in welchem die Zellen
ähnlicher Weise wie im Ek-
ab und stellt zwischen beiden
Anfang des Urdarmes (iid).
deutlicher ein zweites Keim-
nach
einen
Vom
blatt
sich in
toblast zu einem wohlgeordneten
Epithel (en) fest aneinander fügen.
Es setzt sich nach vorn ohne scharfe
Grenze in die schon oben erwähnte
Lage mehr rundlicher und locker
angeordneter, embryonaler Zellen
fort. Diese kriechen zum Teil auf
dem Nahrungsdotter entlang, der
den Boden der Keimblasenhöhle
bildet, zahlreiche Kerne einschließt
und daher von H. Virchow als cen-
trales Dottersyncytium unterschieden
wird (Fig. 356). Rückert, Swaen und Ziegler haben beide Ab-
schnitte mit verschiedeneu Namen belegt und den epithelial gebauten,
an der Decke des Urdarmes gelegenen Teil (fw) als gastraleuEn-
t 0 b 1 a s t . dagegen die Lage lockerer, den Urdarm selbst nicht be-
grenzender Zellen (e^i) als Dotterento blast oder subblastocöles
Entoderm (Ziegler) bezeichnet. Der Umschlag des äußeren in das
innere Blatt ist die dorsale Urmundlippe {ul).
g fh vr
Fig. 355. Längsschnitt durch den
ürmundrand eines sehr frühen Ga-
strulastadiums von Pristiurus, nach
RÜCKERT (L. K.III% 1899, Tai LVII,
Fig. 66). ucl Urdarm. en gastraler
Entoblast. en ' Dotterentoblast.
k d. p
Fig. 3r)6. Medianschnitt eines Blastoderms von Torpedo oceüata im Beginn
der Gastrulation. g Gastrulahöhle. .;"// Kcimblasenhöhle. vr vorderer Rand der
Keimhaut, k Kerne des Dottersyncytiunis. p Dottersyncytium. d Dotter.
784 0. Hertwig,
An dem in Fig. ;557 abgebildeten etwas älteren Stadinm ist der
Urdarm und seine dorsale, aus 2 Ei)ithelblättern aufgebaute Wand
erheblich größer als in Fig. 356 geworden. Es läßt sich hierbei die
Frage aufwerfen, wie diese Vergrößerung des Urdarmes und seiner
dorsalen Wand zu stände gekommen ist. Drei Fälle sind möglich.
Einmal kann der gastrale Entoblast sich dadurch vergrößern, daß die
Einstülpung sich nach vorn hin weiter vertieft und die Rundzellen
sich vom Dotter abtrennen und im Anschluß an das erst gebildete
ik ak td
ds eis
Fig. 357. Medianschnitt durch das in Fig. 359 abgebildete Stadium von
Torpedo, nach Zieglek. ak äußeres Keimblatt, ik inneres Keimblatt, ud Urdarm.
ds Dottersyncytium. id Urmundlippe. ms Mesenchym.
Epithel selbst eine epitheliale Anordnung annehmen. In diesem Falle
könnte man von einer Entstehung des Urdarmes durch eine wirkliche
Einstülpung sprechen ; der gastrale Entoblast würde sich auf dem
Dotterboden entlaug mit seinem Ansatz immer weiter nach vorn
schieben und dadurch vergrößern. Zweitens könnte sich die Gastru-
lation aber auch in der Weise abspielen, daß der Ansatzpunkt des
gastralen Entoblasts an dem Dotter sich nicht nach vorn verschiebt,
dagegen der dorsale ürmuudrand sich weiter nach hinten über den
Dotter ausdehnt und so die Vergrößerung des Urdarmes bewirkt.
Drittens könnten beide Vorgänge kombiniert stattfinden.
Eine Prüfung der Wachstumsvorgänge spricht am meisten zu
Gunsten der zweiten und der dritten Annahme. Denn es findet ja
auf allen Stadien der Gastrulation ein starkes Wachstum des Keimes
in der Fläche statt. Die Scheibe, die am Beginn des Blastulastadiums
sehr klein ist, nimmt bald den doppelten und den dreifachen Umfang
ein. Wie nach vorn und seitlich wird diese Ausdehnung, wenn auch
vielleicht in geringerem Maße, nach hinten vor sich gehen. Ist dies
aber der Fall — was wir zumal im Hinblick auf Beobachtungen
an anderen Wirbeltierklassen nach der ganzen Sachlage als ziemlich
sicher glauben annehmen zu müssen — so fällt der Umschlagsrand der
dorsalen Urmundlippe auf späteren Stadien der Gastrulation nicht mehr
mit der Stelle der zuerst entstandenen Sichelrinne zusammen, sondern
kommt infolge des Flächenwachstums des Keimes immer weiter nach
hinten von dieser Stelle zu liegen. Der Urdarm entsteht also seinem
größeren Umfang nach nicht durch eine wirkliche Einstülpung, sondern
durch eine Ueberwachsung des Dotters. An diese Auffassung vom
Zustandekommen der Gastrulation läßt sich noch eine weitere Theorie
anknüpfen, auf welche indessen erst später näher eingegangen werden
soll.
Mit der Vergrößerung des Urdarmes breitet sich auch die Sichel-
rinne dem Rand des Keimes entlang weiter nach vorn aus und um-
faßt schließlich die ganze hintere Hälfte der Scheibe. Es bildet sich
eine Art Umschlagsrand aus, der aber nur eine geringe Ausdehnung
erreicht und eine nur wenig tiefe Rinne bedeckt. Nach vorn verliert
er sich allmählich, indem auch die Rinne schwindet.
Die Lehre von den Keimblättern.
785
schwindet Schritt
wie früher
für
einge-
iiii hinteren Bezirk ge-
Anderen Veränderungen begegnet man in der vorderen Hälfte
der Enibryonalaiihige. Die hier anfangs bestehende, früher beschriebene
Verdickung an der Decke der Keinil)lasenhühle
Scliritt, bis schließlich das umgekehrte Verhall
treten und die Keimhaut vorn viel dünner als
^Yorden ist. Die früher vorhandenen Rundzellen nehmen mehr und
mehr an Menge ab. Wahrscheinlich geschieht dies, wie Ziegler be-
merkt, in der Weise, daß sie sich bei der Flächenvergrößerung der Keim-
haut teils nach der Oberfläche, teils nach der Peripherie zu bewegen
und sich in die oberflächlichste Zelleulage mit ihrem sich immer
schärfer ausprägenden, epithelialen Gefüge einordnen. Schließlich be-
steht nach vorn die Keimhaut aus einer einfachen Lage fest zusammen-
schließender, kubischer Zellen, dem äußeren Keimblatt; je mehr nach
hinten, um so höher werden die Zellen und gehen so in ein ausge-
prägtes Cjdinderepithel über. Nach dem vorderen Rand zu verdickt sich
das Blatt ein wenig und wird aus mehreren Lagen von Rundzellen zu-
sammengesetzt
an den
Nahruugsdotter
Umschlagrandes
hier auch eine Rinnenbildung.
die ohne Bildung eines
ngrenzen. Daher fehlt
Eine weitere Veränderung betrifft endlich noch die oben als
Dotterentoblast (subblastocöles Entoderm) bezeichneten Zellen. Sie
breiten sich vom Grund der Urdarmhöhle {ud Fig. 357 u. 358)
en
Fig. 358. Querschnitt durch eine Embryonalanlage von Torpedo ocellata
(Stadium B Balfour), durch vorderes Ende des Urdarmes, nach Ziegler (Taf. III,
Fig. 12 V.).
weiter nach vorn und seitlich als eine dünne Schicht auf dem Dotter
aus, die Keimblasenhöhle verdrängend bis auf einen kleinen Rest, der
sich nahe dem vorderen Rande lange Zeit erhält. Die Stelle ist bei
Betrachtung der Keimhaut von der Oberfläche leicht und bis in ziemlich
späte Stadien der Entwickelung hinein zu erkennen (Fig. 359), weil
daselbst das äußere Keimblatt blasenartig nach außen vorgestülpt ist.
Ziegler nennt den schon von Schultz beschriebenen Rest der
Furchungshöhle die „Blastocölblase" und giebt von ihr an, daß man
in ihr einige große und viel Dotter enthaltende, isolierte Zellen antrifft
(L. K. III 5, 1892, p. 62). Schließlich stellt der Dotterentoblast unter dem
dünnen äußeren Keimblatt eine zusammenhängende lockere Schicht dar.
Zu seiner Flächenausbreitung und seinem Wachstum haben wahrscheinlich
auch die locker verbundenen Rundzellen von mehr embryonalem Charakter
am vorderen Keimscheibenrand beigetragen. Vorübergehend „führt
der Dotterentoblast vorwiegend längliche, besonders spindelförmige
Elemente, zwischen denen vereinzelt runde, oft auffallend große, dotter-
reiche Zellen sich finden, und zwar außerhalb sowie namentlich inner-
halb der Keimhöhle". Rückert heißt sie Megasphären und giebt
von ihnen an, daß sie sich von den übrigen Zellen durch einen un-
gewöhnlichen Keruinhalt auszeichnen und wohl sicher als abgefurchte
Merocyten anzusehen seien. Später nimmt nach der übereinstimmen-
den Darstellung von Rückert, Swaen und Ziegler der Dotter-
Handbuch dfr Eatwickelan^slehre. I.
50
786
0, Hertwig,
entoblast eine m es enchy in ähnliche Beschaffenheit an, dadurch dal5
die Zellen Fortsätze aussenden und sich durch ihre Verniittelung ver-
binden. Viele haben mehr als zwei Fortsätze, sind also sternfönnig.
Da der Rand des scheibentVirniigen Keimes , wie die Durch-
schnitte (Fig. 357 u. 358) gelehrt haben, auf dem Stadium der Gastru-
lation vorn und hinten einen verschiedenen Bau besitzt und auch
später einen solchen noch längere Zeit erkennen läßt, so empfiehlt es
sich, die zwei Abschnitte mit verschiedeneu Namen zu belegen. Der
hintere Rand, soweit der Umschlag stattfindet und eine Rinne sich
ausbildet, die in den Urdarm führt, seitwärts aber an Tiefe verliert
und schließlich verstreicht, kann zweckmäßigerweise als Urmund-
rand oder embryobildender Rand bezeichnet werden. Durch
den zweiten Namen soll ausgedrückt werden, daß nach einer später
zu besprechenden Theorie ihm die Hauptaufgabe bei der Bildung des
embryonalen Körpers zufällt. Der vordere Umfang der Scheibe da-
gegen kann der Umwachsungsrand heißen. Denn er bleibt bei der
Entstehung des embryonalen Körpers ganz unbeteiligt. Er breitet
sich nur allmählich über immer größere Abschnitte des Dotters aus
und überzieht sie mit einer dünnen Keimhaut. Er bildet auf diese
Weise nur die Wand des Dottersacks durch den einfachen Vorgang
einer U m wachs ung. Eine Einstülpung und Bildung einer Urdarm-
höhle kommt dagegen hier nicht zu stände.
Das Auftreten der mittleren Keimblätter, der Chorda-
anlage und der Nervenplatte.
Das nächste, sehr wichtige Stadium in der Entwickelung des
Selachierkeimes ist gekennzeichnet durch das Auftreten des mittleren
Keimblattes , die erste Anlage des Centralnervensystems und der
Chorda. Die Befunde sind so außerordentlich klar, daß in ihrer Be-
schreibung die verschiedenen Beobachter übereinstimmen. Schon bei
Betrachtung der Oberfläche sind jetzt mehr Einzelheiten wahrzu-
nehmen (Fig. 359). Der hintere Rand zeigt in seiner Mitte eine gut
ausgeprägte, bedeutungsvolle Einziehung, die unter dem Namen der
Rand kerbe bekannt ist. Vor ihr erhebt sich eine knötchenförmige
Verdickung, die Embryonal anläge; sie ist dadurch entstanden,
Fig. 359.
Fio-. HöO.
Fig. 359.
(1892, Fig. 3).
Embryo von Torpedo im Stadium B von Balfour, nach Ziegler
hh Rest der Keirablasenliölile. mk verdickter Randwulst. rk Rand-
kerbe, h Hirnplatte, seh Lage des Querschnittes von Fig. 3(J1.
Fig. 360. Ei von Scyllium canicula mit Keimhaut auf Stadium B. Photogramm
des anat.-biol. Instituts nach einem Präparat des Herrn Dr. Jabloxowski.
Die Lehre von den Keimblättern.
787
daß ein Abschnitt des äußeren Keimblattes sich etwas verdickt und
zur Nervenplatte differenziert hat. Indem die Platte mit ihren Rändern
sich nach vorn und seitlich über das Niveau der Keimliaut ein wenig
emporhobt (Fig. 359), erhält sie in ihrer Mitte eine seichte Furche,
die nach hinten in die Randkerbe ausläuft, ..die Rücken- und Medullar-
furche". Ihre JJegreuzung nach vorn biklen der (juere Hirnwulst
und nach der Seite die beiden Medullarwülste. Nach vorn ist nahe
dem Rande der Keimhaut ein kleiner Hügel, die schon früher be-
sprochene Blastocölblasc. zu bemerken. Auch zu dieser Zeit ist der
eigentliche Keim im \^erhältuis zum mächtigen Nahrungsdotter noch
sehr klein, wie das nach einer photographischen Aufnahme reprodu-
zierte Bild des langgestreckten ovalen Eies eines Scyllium in instruk-
tiver Weise zeigt. Auffallend ist die stark exzentrische Lage des
Keimes, und nicht minder beachtenswert ist der Umstand, daß die
Längsachse der Embryonalanlage weder mit dem Längs- noch Quer-
durchmesser des Eies zusammenfällt.
An Querschnitten ist jetzt das erste Auftreten des mittleren Keim-
blattes nachzuweisen. Es nimmt seinen Ursprung längs des Urmundes.
an dessen hinterer Cirkumferenz es sich zuerst entwickelt und von
hier nach vorn allmählich ausdehnt. Nur im Bereich der Rand-
kerbe zeigt es eine Unterbrechung und wird dadurch in
eine linke und eine rechte Hälfte zerlegt. Etwa;?, nach ein-
wärts von der Umschlagsstelle des äußeren in das innere Keimblatt
sieht man in dem Querschnittsbild (Fig. 361) eine kleinzellige Masse
ak
ch
mk
Tnk ak
£Sä^%w
Fig. 361. Querschnitt durch den
sprechend der Linie sc/>, nach Ziegler.
Keimblatt, mk mittleres Keimblatt.
Keimblatt einwächst.
in Fig. 359 abgebildeten Selachierkeim ent-
rli Chordaentoblast. «A- äußeres, ik inneres
Mesodermrinne, von welcher das mittlere
sich in den Raum zwischen die beiden primären Keimblätter hinein-
schieben, und zwar längs einer tiefen Rinne, welche von Rückert als
„C ö 1 0 m b u c h L', von Ziegler als „M e s o d e r m b i 1 d u n g s r i n n e"
beschrieben worden ist und welche der Einkerbung an dem Urmund-
rand der Amphibien (vergl. p. 759) entspricht. Wie Rabl (L. K. III K
LS92, p. 6) besonders hervorhebt, finden sich „im Grunde der Grube oder
nicht weit davon entfernt häutig Teilungstiguren, mit der Achse gegen
die Grube gerichtet. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß von dieser
Stelle, wie bei den Amphibien, die Bildung des Mesoderms erfolgt".
Durch die Cölombucht wird die infolge des Auftretens des mittleren
Keimblattes sehr verdickte Urmundlippe gewissermaßen in 2 kleinere
Lippen zerlegt, von welchen die obere weiter nach außen vorspringt
als die untere. Wenn von der Cölombucht aus eine Spalte noch tiefer
in das mittlere Keimblatt einschneiden und es schon jetzt in das erst
später sich trennende parietale und viscerale Blatt zerlegen würde,
so erhielte mau 2 links und rechts von der Randkerbe gelegene
Säcke, welche die Grundlage für die spätere Leibeshöhle bilden.
50*
788
0. Hertwig,
Das von der Cölombucht am Urimiiidrand ausgehende mittlere
Keimblatt ist seinem Ursprung nach von Rückert als peripheres ,
von Rabl als p e ri s t o m a 1 e s bezeichnet worden. Dazu gesellt sich noch
ein zweites Ursprungsgebiet, das mit dem Wachstum des embryonalen
Körpers an Ausdehnung gewinnt und als axiales (Rückert) oder
gastrales (Rabl) unterschieden wird. Es nimmt nämlich an der
Decke des Urdarmes seinen Ursprung. Hier tritt in ähnlicher Weise
wie bei Amphioxus und den übrigen schon besprochenen Wirbeltier-
klassen eine Sonderung in verschiedene Zonen ein. Unter der Me-
dullarrinne grenzt sich von den seitlichen Teilen des inneren Keim-
blattes ein schmaler Streifen cylindrischer Zellen ab (Fig. 361 ch),
der von vorn nach der Randkerbe verläuft und später zum Aufbau
der Chorda verwandt wird. Wir nennen ihn daher die Chorda-
anlage im Unterschied zu den seitlichen Teilen oder dem Darmento-
blast {ik). Beide Abschnitte werden mit der Entwickelung des axialen
oder gastralen Mesoblasts schärfer gegeneinander abgesetzt. Wie die
Querschnitte (Fig. 362) lehren, ist zu beiden Seiten der Chordaanlage (ch)
d dk
Fig. 362. Querschnitt durch eine Embryonalanlage von Pristiurus melanostomus
(Btadium B Bai.four) aus der vorderen Hälfte, nach^RABL (1892, Taf. VII, Fig. 3).
ak, ik, mk äußeres, inneres, mittleres Keimblatt, mk, mk^ i^eripherer, gastraler Meso-
soblast. vif Medullarfalten. mr Medullarrinne. kI Urmundlippe. •■■* Mesoderm-
ursprungsrinne. d Dotter, dk Dotterkerne, ch Chordaanlage.
in genau derselben
entstanden, der man
Weise wie am Urmundrand eine tiefe Rinne (**)
den Namen einer Cölombucht oder
kann. Denn auch hier nimmt von ihr
gleichfalls
Mesodermbildungsrinne geben
eine ansehnliche Zellen Wucherung ihren Ausgang, welche sich lateral-
wärts zwischen äußeres und inneres Keimblatt hineinschiebt, das oben
erwähnte axiale oder gastrale Mesoderm (mk^).
Von dieser Stelle giebt Rabl ebenfalls an, daß sich im Grunde
der Grube oder in
gastrale Mesoderm
giebt
geringer Entfernung
davon häufig Kernteiluu
gs-
figuren vorfinden, deren Achsen so stehen, daß sie ungefähr gegen die
Gruben hinzielen.
Stellt man sich vor, daß von der Cölombucht sich eine Spalte in
den Mesoblast fortsetzt und ihn in ein parietales und viscerales Blatt
zerlegt, so erhält man links und rechts genau wie beim Amphioxus
2 vom Urdarm ausgehende Taschen zu beiden Seiten der Chorda-
anlage. „Man kann sich leicht überzeugen", bemerkt Rabl, „daß hier
Die Lehre von den Keimblättern.
789
insofern eine Kontimiitätstrennnng des Entoderms l^esteht, als Chorda-
entoderm und Darnieutoderm nicht unmittelbar ineinander übergehen,
sondern beide sich ins Mesoderm fortsetzen/' Dazu ist noch hinzu-
zufügen, daß die Chordaanlage sich in das parietale Blatt des Mesoblasts
fortsetzt, der Darmentoblast aber sich an einer Stelle, die ich Urdarni-
lijjpe genannt habe, ins viscerale Blatt umschlägt und mit ihm zu-
sammen eine Art Urdarmfalte liefert. — Links und rechts von der
Randkerbe (Fig. 359 rk) geht der gastrale in den peristomalen Meso-
blast kontinuierlich über.
Den Befund können wir daher dahin zusammenfassen, daß der
Mesoblast seiner Anlage nach eine paarige Bildung ist. Er besteht
aus einer linken und einer rechten Hälfte, die durch die Chordaanlage
voneinander getrennt sind. Jede Hälfte schiebt sich als ein zusammen-
hängendes Blatt von zwei Ursprungsstellen her, 1) von dem Urmund-
rand, und 2) seitlich von der Chordaanlage zwischen die Grenzblätter
hinein. Ihr nach vorn gerichteter Rand ist halbmondförmig. Daher
treffen Querschnitte (Fig. 362) vorn das mittlere Blatt doppelt, indem
hier der vom Urmund und der seitlich von der Chordaanlage ent-
springende Teil durch einen Zwischenraum getrennt sind. Je mehr
man aber in der Querschnittsserie nach hinten geht, um so kleiner
wird der Zwischenraum, bis schließlich der peristomal und gastral ge-
legene Mesoblast in eine Schicht zusammenfließen.
An etwas älteren Keimen, die sich etwa auf dem Stadium C von
Balfour befinden, spielen sich die uns schon bei Amphioxus und
anderen Objekten bekannt gewordenen Veränderungen in derselben
Reihenfolge ab, so daß nach dem Kopfende zu die Organdifferenzierung
schon weiter fortgeschritten ist, während sie, je näher dem Urmund-
dargestellt.
rand, sich um so mehr noch im Rückstand befindet. Von
fläche gesehen ist Stadium C in Fig. 363
Hirnwulst oder die Kopffalte Balfour's, sowie
die Medullarwülste, in welche sie sich nach
hinten fortsetzt, springen über die Oberfläche
weiter hervor und umfassen die tiefer gewordene
Medullarrinne. Die Randkerbe ist noch weit
auffälliger und dadurch so tief geworden, daß
der hintere Teil der Scheibe in Gestalt der beiden
der
Der
Ober-
quere
Fig. 363. Embryo von Torpedo
Balfour, nach Ziegler (L. K. III ^
im Stadium C von
1892, Fig. 4).
Schwanz- oder K a u d a 1 1 a p p e n (tail swellings von Balfour) rück-
wärts über den Dotter herüber gewachsen ist.
An einer Schnittserie treten nun von hinten nach vorn folgende Ver-
änderungen ein. Ein Querschnitt durch die Schwanzlappen (Fig. 364 A)
zeigt, daß sie vollkommen frei dem Dotter aufliegen. Da sie ringsum
vom Urmundrand begrenzt sind, ist derselbe zweimal getroffen und mit
ihm die Ursprungslinie des Mesoblasts, an welcher wir eine mediane
{cm) und eine laterale Strecke {cl) unterscheiden können. Etwas nach
vorn von der Randkerbe liefert der Querschnitt (B) ein Bild, welches kaum
em getretenen
anders als aus einer
läppen zu erklären ist. In ihre
oben und unten Furchen ein. von
die Medullarfurche, die untere in
Verschmelzung der beiden Kaudal-
Nahtstelle (»^) schneiden noch von
denen sich die obere nach vorn in
die Chordarinne fortsetzt. Ebenso
790
0. Hertwig,
geht nach vorn zu die verschmolzene Zellniasse einerseits in die Me-
dullarplatte , andererseits in die Chordaanlage über. Die seitwärts
von der Naht gelegenen Abschnitte gleichen in ihrem Bau den Kaudal-
lappen. Auch die an diesen unterschiedenen medianen Cölomrinnen {cm)
«^rrge^T^^^^' nj>;i .
'*^
cm
n
cm
cl
c
D
eil
Fig. 364. Querschnittserie durch das hintere Ende eines Scyllium- Embryos.
Photogr. d. anat.-biol. Inst. No. 10. Der Embryo steht in der Entwickelung zwischen
den Stadien C und D von Balfoijr. A Schnitt durch den Sulcus neurentericus. B
durch die Naht der Kaudallappen, C durch eine weiter nach vorn gelegene Stelle
der Naht, D durch die Trennung von Medullär- und Chordaplatte, ch Chorda.
n Naht des Urmundes. cl, cm laterale und mediane Cölombucht.
sind noch links und rechts von der Naht ausgeprägt. Doch hat, da
der Schnitt nicht genau quer geführt ist, auf der linken Seite sich das
mittlere Keimblatt schon von seiner medianen ürsprungslinie abgelöst.
Im dritten Querschnittsbild (C) ist die Loslösung auch rechterseits er-
folgt. An der Nahtstelle beginnt sich der zur Medullarplatte gehörige
Teil der verschmolzenen Zellenmasse schon von der Chordaanlage
besser abzugrenzen. Noch ein paar Schnitte weiter nach vorn (D) ist
die Abtrennung vollständig geworden. Während das mittlere Keim-
blatt seinen medianeu Ursprung an diesem Präparat bald nach dem
Eintritt der Verschmelzung der Kaudallappen verloren hat, ist da-
gegen seine periphere Verbindung am Urmundrand an der lateralen
Cölombucht noch auf vielen, weiter nach vorn gelegenen Schnitten der
Serie anzutreffen. Nach ihrer Abtrennung von der Nahtstelle ist die
Chordaanlage ich) auf eine längere Strecke direkt mit dem Darmblatt
verschmolzen (Fig. 364 D) oder, wie man zu sagen pflegt, in dieses
Die Lehre von den Keimblättern.
791
eingeschaltet. Sie bildet an der Decke des Darmes eine solide Leiste
(Fig. 365 ch), die sich erst weiter kopfwärts vom Darmblatt gänzlich ab-
schnürt und nun auf dem Querschnitt einen runden Stab zwischen
ak
mp
mr
1
\
Ih a
ik mk
ch
ch
In cb me mk
Fig. 365. Querschnitt durch eine Embryonalanlage von Pristiurus (Stadium
C B^LFOUE), nach Eabl (1892, Taf. VII, Fig. 4). ak, ik, mk äußeres, inneres und
mittleres Keimblatt. (7.* Dotterentoderm. ch Chorda, ehr Chordarinne, d Darm.
//( Leibeshöhle, cb laterale Cölombucht. In lateraler Urmundrand. mp Medullar-
platte. mr Medullarrinne. me Merocyten.
den beiden Hälften des gastralen Mesoblasts darstellt. Auch an diesem
ist noch eine Veränderung zu verzeichnen. Während nach hinten
gastrales und peristomales Mesoblast zusammenhängen und eine ge-
schlossene Schicht darstellen, weichen sie nach vorn auseinander, da
wie es schon auf dem jüngeren Stadium (Fig. 362) der Fall war, der
kopfwärts gerichtete Rand tief sichelförmig ausgeschnitten ist. Der
gastrale Mesoblast ist daher im ganzen vorderen Bereich des Embryos
durch einen immer größer werdenden Zwischenraum, in welchem die
Grenzblätter unmittelbar übereinander liegen, vom peristomalen Meso-
blast getrennt. Letzterer wird, je weiter nach vorn, immer schmäler
und unbedeutender und hört schließlich auf. worauf der vordere Rand
der Keimhaut die früher geschilderte Beschaffenheit des Umwachsungs-
randes annimmt. Im gastraleh Mesoblast beginnt zu dieser Zeit end-
lich auch die Leibeshöhle (Fig. 365///) aufzutreten, indem parietales und
viscerales Blatt auseinanderweichen.
Aus der vorstehenden Darstellung geht die große Uebereinstimmung
in den wesentlichen Vorgängen zwischen den Elasmobranchiern und
Amphioxus hervor. Fast alle Forscher, Balfour, Hertwig, Rückert,
Rabl, Swaen, Ziegler haben dies anerkannt. Ich führe als Beleg
hierfür die Worte von Swaen an, in welchen er das Hauptergebnis
seiner Untersuchungen zusammenfaßt: „La paroi dorsale de l'embrj'on
se developpe chez la torpille comme chez l'amphioxus. — L'epithelium
qui constitue la paroi superieure de la cavite gastrulienne forme les
deux moities du mesoblaste et la corde dorsale par des processus
semblables ä ceux qui lui donnent uaissance chez Tamphioxus. La
marche de ces processus est identique au fond; la ditference essen-
tielle qui existe entre les deux consiste en ce fait que les diverticules
mesoblastiques creux chez rami)hioxus sont pleins au contraire chez
la torpille, du moins, au moment de leur formation.''
Betreffs der Frage der Konkrescenz vergl. auch die in Kap. IV
besprochenen Hemmungsmißbildungen mit Spina bifida, die in verschiedener
Weise angestellten Experimente und endlich die Zusammenfassung der
Hauptergebnisse von Kap. III und IV.
792
0. IIertwig,
Weitere S o lul e r u n g der Keimblätter. Entstehung v o n
Schwanz und After.
Auf dem Stadium D von Balfour (Fig. 360) hat die Keimhaut
an Umfang weiter zugenommen ; die Embryonalanlage selbst ist länger
und deutlicher geworden. Die Medullarwülste, eine breite Rinne
zwischen sich fassend, erheben sich weit über die Oberßäche. Vorn
ist das Kopfende des Keimes schon vom Blastoderm eine Strecke weit
abgeschnürt ; hinten treten die beiden Schwanzlappen , von der tief
einschneidenden Randkerbe getrennt, noch weit mächtiger über den Rand
als Vorsprünge hervor. Die Medullarrinne biegt sich an der Rand-
kerbe in eine Rinne an der Decke des Darmes um und wird an
dieser Strecke von His als I ncisura n euren terica, von Ziegler
als rinnenförmiger Canalis neurentericus bezeichnet.
Auf einem erheblich weiter vorgerückten Stadium, das Balfour
durch den Buchstaben F unterschieden hat (Fig. o67) , ist in der
vorderen Hälfte des Embryos die Medullarrinne zum Rohr geschlossen
und das Kopfende als Höcker in noch größerer Ausdehnung von der
Keimhaut abgeschnürt. Die Umwandlung der Rinne zum Rohr er-
folgt in derselben Weise wie bei den Amphibien und Amnioten. Die
Verwachsung der medianwärts eingekrümmten Medullarwülste beginnt
Fig. 36(5.
Fig. 367.
Fig. 366. Torpedoembryo auf dem Stadium D von Balfour aus Ziegler
(1892, Fig. 7).
Fig. 367. Torpedoembryo auf dem Stadium F von Balfour, aus Ziegler
(1892, Fig. 8). ri
etwa in der Mitte des Keimes und schreitet von da nach beiden Enden
fort. Vorn bleibt allerdings zunächst noch längere Zeit eine kleine
Stelle offen und ])ildet den vorderen Neuroporus, auf welchen im
Kapitel über das Nervensystem genauer eingegangen werden wird. In
der hinteren Hälfte ist die sehr tief gewordene Medullarfurche noch
offen ; die Schwanzlappen sind eher noch größer und schärfer vom
Keimhautrand abgesetzt als früher. Hinter der Kopfregion ist eine
weitere wichtige Veränderung wahrzunehmen , die Sonderung des
mittleren Keimblattes in eine größere Anzahl von Ursegmenten, deren
Grenzen durch die Oberhaut hindurchschimmern.
Bei noch älteren Embryonen, die sich auf dem Studium G — J von
Die Lehre von den Keimblättern. 793
Balfour befinden, werden die beiden Caudallaiti)en vollständig zum
Schwanzende umgebildet. Nachdem dieser Vorgang schon von Balfour
im ganzen richtig dargestellt worden ist, hat er neuerdings durch
Schwarz, Ziegler und Virciiow eingehende Untersuchungen er-
fehreu, welche zu übereinstimmenden p]rgel)nissen geführt haben.
Ihren Abschluß findet die Schwanzentwickelung durch eine dreifache
Nahtbildung, eine axiale, eine dorsale und eine ventrale, wie sie
A'iRCHOW bezeichnet hat. Durch die axiale Naht werden die beiden
medianen Ränder der Caudallappen in der schon früher beschriebenen
Weise bis zur Schwanzspitze vereinigt. Die dorsale Schwanznaht hängt
mit der Ausdehnung der Medullarrinne nach hinten zusammen. Die
Medullarwülste erheben sich schließlich auch am Schwanzende und ver-
schmelzen in einer dorsalen Naht. Hierbei kommt ein Canalis neuren-
tericus zu stände, indem die früher schon besprochene Rinne zwischen
den Enden der Caudallappen, die Incisura neurenterica, durch Ver-
schmelzung der Medullarwülste in das Hinterende des Nervenrohres
mit aufgenommen und zum Canalis neurentericus umgewandelt wird.
Die ventrale Schwanznaht entsteht durch die Verschmelzung der
lateralen Ränder der Caudallappen. Sie bildet sich im Anschluß an
die dorsale von der Spitze der verschmolzenen Caudallappen bis zu
ihrer Wurzel am Blastodermrand : sie schreitet im Gegensatz zur
dorsalen von hinten nach vorn vor. Eingeleitet wird sie durch eine
veränderte Stellung der Caudallappen. Während diese anfangs in
horizontaler Richtung flach ausgebreitet waren, nehmen sie allmählich
eine verticale Stellung ein, indem sich ihr lateraler Rand nach unten
krümmt (Fig. 368). Auf diese Weise wird die Darmrinne immer tiefer
und wandelt sich schließlich dadurch in ein Rohr um, daß ihre Ränder,
an denen das Mesoderm (Fig. 373 M V) in der bekannten W^eise seinen
Ursprung nimmt, sich aneinander legen und von der Schwanzspitze
aus nach vorn zu verwachsen beginnen. Wie durch die dorsale Naht
aus der Medullarrinne das Medullarrohr oberhalb der Chorda, so ist
unterhalb derselben jetzt ein zweites Rohr aus der Darmrinne durch
die ventrale Naht am Schwanzende entstanden. Beide Röhren biegen
in dem Schwanzknopf durch den Canalis neurentericus, der durch
Verschluß der gleichnamigen lucisur gebildet ist, wie bei Amphioxus
und den Amphibien in einander um, eine Thatsache, die durch Kowa-
LEVSKY auch für dieses Objekt zuerst festgestellt worden ist. Das
ventrale Rohr wird als Schwanzdarm oder postanaler Darm unter-
schieden, bis zu der Stelle, wo sich an der Wurzel des Schwanzes
der After anlegt.
Durch die Verschmelzung der hintersten Enden der Caudallappen
wird ein kleinzelliges Gewebe geliefert, in welchem inneres und mitt-
leres Keimblatt ineinander von beiden Seiten übergeben. Es ist eine
Wachstumszone, welcher Ziegler den Namen Schwanzknopf gegeben
hat. Durch seine Vermittelung gewinnt der Schwanz schon bei jungen
Embryonen eine sehr erhebliche Länge (Fig. 368) und springt als
Fortsatz nach hinten frei über die Oberfläche der Keimhaut weit
hervor. —
Wir wollen jetzt an Querschnitten durch Embryonen vom Stadium
D — H die eben besprochenen Nahtbildungen noch genauer unter-
suchen und dabei unseren Einblick in die an den Keimblättern vor
sich gehenden Sonderungen vervollständigen. Wir beginnen mit 4 Fi-
guren (369 — 372) aus einer Querschnittserie von Stadium D. In
(94
0. Hertwig.
Fig. 360 ist die axiale Naht der beiden iiocli horizontal gestellten
Caudallappen vor der Incisura neurenterica zu sehen ; sie bildet
den Boden der bis zum hinteren Ende sich jetzt erstreckenden,
sehr tiefen Mcdullarrinne. Auch beiderseits von der Urniundnaht
ist das mittlere Keimblatt sowohl mit der Wand der MeduUarrinne
als auch mit dem Darmdrüsenblatt zu einer kleinzelligen Masse
verschmolzen. Es ist hier die dem hinteren Rand der Caudallappen
entlang verlaufende und zu beiden Seiten der Urniundnaht sich
nach vorn fortsetzende Cölombucht getroffen. Bei Verfolgung der
Schnittserie nach vorn sieht man sich die Sonderung der verschiedenen
Anlagen aus der indifferenten Zellenmasse vollziehen. In Fig. 370
Fig. 368.
Fig. 369.
Fig. 371.
Fig. 368. Embryo von Tor-
pedo im ^Stadium J— K von Bal-
FOUR, n. Ziegler (1892, Fig. 9).
Fig. 369—372. 4 Figuren aus
einer Quersclinittserie von einem
Öcylliumembryo, der in seiner Ent-
wickelung etwas weiter vorge-
schritten ist als der in Fig. 366
abgebildete Embryo des Stadiums
D von Balfoür, nach Hertwig,
Photogr. d. anat.-biol. Inst. »iNaht.
mk mittleres Keimblatt ch Chorda.
d laterale Cölombucht.
Fig. 369. Schnitt durch die
Nahtstelle der beiden Caudal-
lappen.
Fig. 370. Einige Schnitte
weiter nach vorn.
Fig. 371. Schnitt durch die Gegend, wo sich in der Nahtstelle die Chorda von
der Medullaranlage abspaltet.
Fig. 372. Trennung der Chorda vom^Darmdrüsenblatt.
Die Lehre von den Keimblättern.
795
Id
ist
Dur
hat sich die Chordaanlage durch Spalten schon teilweise vom mittleren
Keimblatt abgegrenzt, geht aber nach oben noch in den Boden der
Medullarplatte, nach unten in das Darmdrüsenblatt über,
einem etwas weiter nach vorn gelegenen Schnitte (Fig. 371)
die Abgrenzung von der Medullarplatte ganz durchgeführt und
nach abwärts ist die Chorda noch in das Darmdrüsenblatt eingeschaltet;
einige Schnitte weiter nach vorn (Fig. 372) ist sie allseitig isoliert.
Nachdem sich das mittlere Keimblatt in der medianen Cölombucht
aus der Verbindung mit den Nachbarorganen getrennt hat, zeigt es
eine kurze Strecke weit den Zusammenhang an der lateralen Cölom-
buclit (Fig. 371 d) mit dem äußeren und inneren Grenzblatt. In Figur 372
ist auch dieser Zusammenhang gelöst. Dagegen sieht man jetzt sich
die Souderung in einen dickeren, zellen reicheren, zu beiden Seiten der
Chorda gelegenen Teil, die Ursegmeutplatte, und in die dünne, aus
zwei Lagen platter Zellen bestehende Seitenplatte sich vollziehen.
Von einem nächst älteren Stadium, auf welchem auch in der
Schwanzregion des Embryos die Medullarrinne sich zum Rohr zu
schließen beginnt, giebt uns Figur 373 einen Querschnitt. Der Schnitt
fällt soweit vor den neureuterischen Canal . daß in der axialen Naht
bereits die Abtrennung der Chorda nach allen Seiten stattgefunden hat.
Dagegen ist noch die dorsale und die ventrale Schwanznaht zu sehen.
Die letztere ist, wie man sich leicht vorstellen kann , dadurch ent-
standen, daß die Caudallappen aus der horizontalen in die verticale
Stellung übergegangen sind und sich unter Bildung des Schwanz-
darmes mit ihren lateralen Rändern aneinander
gelegt haben. Da an diesen sich die lateralen
Cölombuchten linden, sieht man an der ven-
tralen Schwanznaht das mittlere Keimblatt mit
beiden Grenzblättern in Zusammenhang, und
zwar an einer Stelle, welche sich am Querschnitt
des Schwanzdarmes durch eine kleine Einker-
bung, die nichts anderes als die Cölombucht
ist, deutlich markiert. Die weiter nach rück-
wärts folgenden Querschnitte der Serie, von
denen sich in der Arbeit Virchow's keine
Abbildungen linden, müssen in der axialen
Naht ähnliche Bilder ergeben wie in den Fi-
guren
des vorausgehenden jüngeren Stadiums
Fig. 373. Querschnitt durch das hintere Körper-
ende einer Raja alba von 20 Ursegmenten, nach ViR-
CHOW (1895, Fig. 6). Mv ventraler (früher lateraler)
Mesodermursprung.
My
oder in der Querschnittserie durch das Schwanzende eines älteren
Embryos, zu deren Besprechung ich jetzt übergehe.
Der Embryo gehört dem Stadium G von Balfour an, bei welchem
der Schwanz ganz ausgebildet ist und an seinem hinteren Ende den neur-
euterischen Kanal einschließt. Einen Querschnitt durch den letzteren
giebt Figur 375, in welcher das Nervenrohr nach unten in das Darni-
rohr geöffnet ist. Eigentümlich ist in der Figur die Trennung des
Darmlumens in zwei Abteilungen durch eine ventralwärts vorspringende
Zellenmasse. Dieselbe ist offenbar dadurch zu stände gekommen, daß
die ventralen Nahtränder nach ihrer
Vereinigung
noch etwas nach
796
0. Hertwig.
innen gewuchert sind. Das ist auch auf den noch weiter nach hinten
folgenden Schnitten (Fig. 374) der Fall, an denen vor der Nahtlinie
an der Schwanzspitze eine Scheidewand den inneren Hohlraum , der
nach oben in der Verlängerung des Nervenrohres nach unten in der
Verlängerung des Schwanzdarmes liegt, vollkommen in 2 Hälften ge-
trennt hat. Während an der ventralen Schwanznaht sich das äußere
Keimblatt schon abgespalten hat, bewahrt hier das mittlere noch längere
Zeit seinen Zusammenhang mit dem Epithel des Darmrohres ; auch mit
seinem medialen, resp. oberen Kand ist es wenigstens auf der rechten Seite
der abgebildeten Querschnitte, die offenbar ein wenig schräg zur Längs-
achse geführt sind, durch eine Brücke mit dem inneren Keimblatt ver-
bunden an einer Stelle, die der medianen Cölombucht der jüngeren
Stadien entsprechen würde. Weiter nach vorn verfolgt, zeigt die
Schnittserie vor dem neurenterischen Kanal die axiale Nahtbildung
(Fig. 376). Aus der Nahtstelle sondert sich nach vorn in der früher
beschriebenen Weise allmählich die Chorda und spaltet sich von der
ventralen Wand des Nervenrohres und der dorsalen Wand des Darmes
ab (Fig. 377 u. 378). Auch an den weiter nach vorn gelegenen Quer-
schnitten (Fig. 378) bis zur Schwanz wurzel ist die ventrale Naht noch
aufzufinden, zeigt aber hier im Unterschied zu den mehr nach hinten
daß an der Nahtstelle sich auch
gelegenen
Schnitten
die Veränderung,
das äußere Keimblatt noch nicht aus dem Zusammenhang
gelöst hat.
Ein Querschnitt durch den neurenterischen Kanal auf dem noch
älteren Stadium H ist in Figur 379
abgebildet.
Fig. 374.
Fig. 37.^.
Er zeigt, wie das
Fig. 376.
Fis
Fi«. 378.
Fig. 379.
Fig. 3(4 — 378. 5 Figuren aus einer Querschnittserie eines Scylliumembryos, der
sich auf dem Stadium Gl befindet.
Fig. 374. (Schnitt nahe dem Schwänzende hinter dem CanaUs neurentericus.
"' Schnitt durch den Canalis neurentericus.
Schnitt durch die axiale Naht vor dem Canalis neurentericus.
Beginn der Differenzierung der Naht in Chorda ixnd Medullarrohr.
Vollständige Isolierung der Chorda von Nervenrohr und Darmrohr.
Querschnitt durch die Verbindung von Nervenrohr und Schwanz-
darm durch den Canalis neurentericus eines Torpedoembryos auf dem Stadium H,
nach ZiEGLKR (1892, Fig. 24*). mr Nervenrohr, mk mittleres Keimblatt, d Darm-
rohr, j Verschmelzungsstelle von innerem und mittlerem Keimblatt an der ven-
tralen Schwanzuaht.
Fig. 375.
Fig. 376.
Fig. 377.
Fig. 378.
Fig. 379.
Die Lehre von den Keimblättern. 797
mittlere Keimblatt auch noch jetzt eine Strecke weit mit der ventralen
Darmwand verschmolzen ist und sich von da in zwei tlügelförmigen
Fortsätzen nach oben schiebt, wie in den Figuren o74 — iMii.
Wenn wir die verschiedenen mitgeteilten Befunde, welche die
{Querschnitte durch das hintere Ende jüngerer und älterer Selachier-
embryouen darbieten, vergleichend überblicken, so kann es wohl keinem
Zweifel unterliegen, daß sie in hohem Maße zu (iunsten der Urmund-
theorie sprechen und aus ihr leicht iln'e Erklärung linden. Daher hat
denn nicht nur His die Selachier als eine Hauptstütze für seine
Konkrescenztheorie benutzt, sondern auch H. Virchow hat auf (irund
seiner Untersuchungen die Erklärung abgegeben (L. K. III ■' 1895, p. 118) :
„Mir scheint es auch, daß die ^'orstellung einer Konkrescenz der axialen
Teile bei Selachiern wahrscheinlich, ja ich muß sagen, es scheint mir.
daß sie zwingend ist." Sehr beweisend ist namentlich die von His
und Virchow (1895, p. 114) gemachte Beobachtung, daß an ihrem
hinteren Ende die Chordaanlage sich, in zwei Hälften gespalten, in die
Seitenwände des Canalis neurentericus bei Embryonen verschiedener
Stadien verfolgen läßt.
Noch ein paar Worte über die Veränderungen, welche das mittlere
Keimblatt in den Stadien D — H eingeht. Bald nach seiner Abtrennung
von der zu jeder Seite der Chorda gelegenen Cölombucht bildet sich
in ihm ein enger Spaltraum zwischen seinem parietalen und visceralen
Blatt aus (Fig. o()5///). In der Embryonalanlage zuerst auftretend,
breitet er sich von da bald auch peripherwärts aus. In der Größe
der Zellen prägt sich immer deutlicher ein Unterschied zwischen dem
an Chorda und Nervenrohr angrenzenden und dem mehr lateral ge-
legenen Abschnitt des mittleren Keimblattes aus; ersterer wird als
Ursegmentplatte, letztere als Seitenplatte unterschieden (Fig. 365).
Dort werden die Zellen cylindrisch, hier abgeplattet. Die Gliederung in
die Ursegmente beginnt in der Halsgegend, indem von der oberen medialen
Kante der Ursegmentplatte beginnend sich Querfurchen ausbilden, die
in das parietale und viscerale Blatt von außen einschneiden und es
«infalten ; so entstehen lauter kleine Abteilungen, deren Zahl von vorn
nach hinten zunimmt. Sie schnüren sich dann von vorn nach hinten
vollständig voneinander ab, bleiben aber noch längere Zeit nach ab-
wärts und seitlich mit der Seitenplatte in Zusammenhang. Ihre Hohl-
räume oder die Ursegmenthöhleu kommunizieren daher auch nach ab-
wärts mit der nicht segmentierten Leibeshöhle. Man kann zu dieser
Zeit den Befund auch so darstellen, daß man sagt : die Leibeshöhle
ist nach dem Rücken des Embryos zu mit einer Reihe dicht hinter-
einander gelegener, kleiner, sackartiger Ausstülpungen oder Taschen
besetzt. Wie später die Epithelwandungen der Taschen sich umbilden,
und wie sie sich von den Seitenplatten abschnüren, ist bei den Selachiern
in besonders instruktiver Weise zu verfolgen und wird in Bd. III,
Kap. 1 und 2 näher dargestellt werden.
Als letzter Punkt ist endlich noch die Entwickelung des Afters
und die Anlage des Schwanzdarmes zu besprechen. Die Bildung des
Afters hängt mit den Vorgängen zusammen, die sich an der ventralen
Nahtlinie abspielen, wo alle 3 Keimblätter anfangs verschmolzen sind
(Fig. 373, 377). Dann trennt sich zunächst, wie schon früher be-
schrieben wurde, das äußere Keimblatt als eine besondere Schicht ab.
von hinten beginnend und nach vorn fortschreitend.
Mesoblast und Entoblast bleiben dagegen an der ventralen Seite
798 0. Hertwig,
des Darmrohres in der Umgebung des Canalis neurentericus und eine
Strecke weit vor demselben noch in Verbindung. Auf dem Quer-
schnitt erscheint hier der Mesoblast in der Form zweier flügelartiger
Auswüchse des Dai-nirohres (Fig. ))7() u. 879). Weiter nach vorn da-
gegen trennt sich der Mesoblast dann auch vom Darmrohr längs der
Naht ab. An einer Stelle nahe der Schwanzwurzel kommt es hierbei
zur After anläge. Die Stelle wird dadurch kenntlich, daß hier,
wenn sich die Abspaltungen vollziehen, das Epithel des Schwanzdarmes
eine kurze Strecke mit dem äußeren Keimblatt in direkte Berührung
tritt und 'es etwas nach außen hervortreibt, während es nach hinten
und nach vorn durch einen größeren Zwischenraum getrennt bleibt.
Wie bei anderen W^irbeltieren, kann diese Stelle als Aftermembran
bezeichnet w' erden ; eine Oeflfnung fehlt noch und wird erst auf einem
verhältnismäßig späten Stadium durch Zerreißung der Aftermembran
sichtbar.
Nach vorn von der Aftergegend und der Schwanzwurzel setzt
sich nach Formierung des Schwanzes die Nahtbildung auf die an-
grenzenden Ränder des Blastoderms (Fig. o68) weiter fort. Es wachsen
nämlich bei der Ausbreitung des Blastoderms auf dem Dotter seine
Ränder unter dem Schwanz des Embryos einander, entgegen und ver-
schmelzen hier im Anschluß an die ventrale Schwanznaht in einer
Dottersacknaht (Virchow), die nun wieder von vorn nach hinten
fortschreitet, bis die Umhüllung des Nahrungsdotters ganz beendet ist.
Ueber das endgiltige Schicksal des postanalen Darmes sind wir schon
durch Balfour (A. L. III ^ 1878, p. 219) genauer unterrichtet worden.
Mit dem Schwanz, der sehr in die Länge wächst, nimmt er ebenfalls
an Länge zu, erhält aber ein engeres Lumen als der vor der After-
membran liegende Darmabschnitt. An der Schwanzspitze, wo er
durch den -Canalis neurentericus in das Nervenrohr umbiegt, weitet
er sich ansehnlich aus und bildet das zuerst von Balfour beschriebene
(1878, p. -219) Schwanzbläschen (caudal oder terminal vesicle). Am
hinteren Ende bleibt das mittlere Keimblatt noch längere Zeit mit
dem Darmrohr und dem Schwanzknopf in Verbindung. Dieser liefert
das Zellenmaterial zur Verlängerung der Mesodermstreifen. Er ist,
wie Ziegler (L. K. III ^ 1892, p. 96) hervorhebt, stets ein Ort leb-
hafter Zellvermehrung, und werden Mitosen häutig an ihm getroffen.
Im Schw^anz ist keine Leibeshöhle mehr in dem Mesoblast entwickelt.
Vor dem Canalis neurentericus fließt die Chorda mit dem Entoderm
und dann mit dem Medullarrohr zu einem kurzen Streifen un-
differenzierten Gewebes zusammen.
Bei noch älteren Embryonen verdünnt sich der postanale
Darm immer mehr und verliert bald ganz seine Höhlung; der solide
Epithelstrang löst sich dann in einzelne Stücke auf, die noch später
verschwinden. Ebenso schließt sich der Canalis neurentericus. Die
Aftermembran reißt ein, so daß der Enddarm nun hier sein definitives
Ende mit der Oeff"nung nach außen erhält.
'»T'
Die Kciml)lätter der Teleostier.
Ueber die Teleostierentwickelung liegen sehr zahlreiche Arbeiten
vor. Sind doch von vielen Arten die Eier leicht in großer Menge zur
Untersuchung zu beschaffen; auch kann an ihnen die künstliche Be-
fruchtung ausgeführt werden, so daß der Forscher in der Lage ist.
Die Lehre von den Keimblättern. 799
sich lückenlose Serien der aufeinander folgenden Stadien zu konservieren.
Leidet bietet das Objekt in anderer Hinsicht manche Schwierigkeiten
dar. Der Nahrungsdotter wird durch die konservierenden Reagentien
und l)ei Einbettung in Paraffin so hart, daß er sich nicht schneiden
läßt. Aber auch der Keim liefert auf Schnitten leider nicht die
klaren und leicht zu deutenden Bilder, wie Durchschnitte durch die
Iveimscheibe eines Selachiers. Es liegt dies hauptsächlich daran, daß
die Keimblätter sich wenig scharf gegeneinander abgrenzen, indem
trennende Zwischenräume und Spalten fehlen. Daher hat unser Ein-
blick in die allgemeinen Gesetze der Wirbeltiereutwickelung durch
dieses Objekt trotz seiner leichten Beschatfung und der großen An-
zahl der mit ihm beschäftigten Forscher w^eniger Förderung erfahren,
als durch das Studium der Selachier und Amphibien.
Auf die älteren Abhandlungen von Ruscoxi i^A. L. III 18.36j und
Vogt (A. L. III ^ 1842), welche die partielle Furchung am Eischei ent-
deckten, folgten die grundlegenden Untersuchungen von Lereboullet
(A. L. Uli 1854, 1863) und Oellachek (A. L. III ^ 1872, 187.3), von
denen der erstere sich mit dem Hechtei, der letztere mit dem Forellenei
in langjährigen Studien beschäftigte. Neue wichtige Gesichtspunkte stellten
darauf His und Goette auf. His (A. L. II 1874, 1875) wurde durch messende
Untersuchungen am Lachsei zu seiner Konkrescenztheorie geführt, die
bis jetzt den Gegenstand vielfacher Kontroversen gebildet hat. Goette
(L. K. III ^ 1873) führte an Schnittpräparaten den Nachweis, daß bei der
Forelle das untere Keimblatt nicht durch eine Spaltung des Keimes in
zwei Schichten, wie früher allgemein gelehrt wurde, sondern durch einen
wirklichen „Umschlag" des hinteren Keimi'andes seinen Ursprung nimmt.
Als einen Gastrulationsprozeri versuchte auch Haeckel (A. L. I 1875), aus-
gehend von Beobachtungen eines nicht näher bestimmten Ganoideneies, die
Bildung des unteren Keimblattes darzustellen, wich aber hierbei von der
richtigen Angabe Goette's darin ab, daß er die Keimscheibe sich ihrem
ganzen Umfang entlang umschlagen und die so entstehende untere Schicht
von überall her nach dem Centrum zu einem geschlossenen Blatt zu-
sammenwachsen ließ. Die aus 2 Blättern zusammengesetzte Scheibe,
welche wie ein Uhrglas dem Dotter aufliegt, nannte Haeckel eine Disco-
g a s t r u 1 a. Er ließ den Nahrungsdotter die Urdarmhöhle vollständig
ausfüllen und zugleich aus ihrer Mundöffnung noch weit hervorragen.
Zur Erklärung fügte er hinzu: „Stellen wir uns vor, die ursprüngliche
Glockengastrula wolle einen kugeligen Nahrungsballen verschlucken,
der viel größer ist, als sie selbst, so wird sie sich beim Versuche dazu
in derselben Weise scheibenförmig auf letzterem ausbreiten, wie es hier
der Fall ist."
Es folgen eine Beihe kleinerer Arbeiten von Bambeke und Vax
Benedex, von Kupffer, der die Aufmerksamkeit auf die nach ihm be-
nannte Blase lenkt, von Raxsom, Stricker, Ziegler u. a. Daran schließen
sich die umfassenden, auf vieljährigen Studien fußenden Untersuchungs-
reihen von Hoffmaxx (A. L. III* 1881, 1884) und insbesondere Hexneguy's
Recherches sur le developpement des poissons osseux, embryogenie de la
truite (A. L. III* 1888). Die Entwickelung mariner Teleostier hat in
dem letzten Jahi-zehnt eine besondere Pflege in England und Amerika
gefunden. Dort waren es Cuxnixgham, Brock, Fullerton, Mc Intosh,
hier Alexander Agassiz und Whitmax, Rvder, Hexry Wilsox, Corxelia
Klapp, welche viele Arten mariner Fische, wie Seranus, Batrachus tau,
Pleuronectes, auf ihre Entwickelung untersuchten (s. Litteratur K. III ^).
»00 0. Hertwig,
Endlich wurde in letzter Zeit die von His aufgeworfene Fi'age der
Konki'escenz von neuem einer Prüfung unterzogen durch Vikchow, Kopsch
und Jabi.onowski. Kopsch suchte auf experimentellem Wege an Sal-
monidenkeimen eine Entscheidung herbeizuführen. Jablonoavski hat
durch sorgfältiges Studium von Serienschnitten verschieden weit ent-
wickelter Keimscheiben einige Verhältnisse der Keimblattbildung und
der Entstehung des Rückenmarkes genauer festgestellt.
Bei der Darstellung der Keimblattbildung gehen wir vom Keim-
blasenstadium aus. Ein solches läßt sich am Ende des Furchungs-
prozesses auch bei den Teleostiern deutlich unterscheiden, indem sich
zwischen den Massen der immer kleiner und zahlreicher werdenden
Embryonalzellen und dem Dottersyncytium (Virchow) oder dem
Periblast (Agassiz und Whitman, Ziegler) eine Höhle, gleich wie
bei den Selachiern, bildet. Der Keim, der sich jetzt immer weiter
auf dem Nahrungsdotter ausbreitet und die Form einer mäßig ge-
krümmten Scheibe annimmt, läßt sich mit einem Uhrglas vergleichen,
das mit seinen Rändern dem Nahrungsdotter fest aufsitzt und im
Centrum von ihm durch die oben erwähnte Keimblaseuhöhle getrennt
ist. Seinem Rand entlang ist das Dottersyncytium etwas verdickt
und als „Keimwall" von His unterschieden worden. (Peripheres
Dottersyncytium von H. Virchow.) Auch ist jetzt früh schon ein
vorderer und hinterer Bezirk an der Keimscheibe, sowie die Längs-
und Querachse des späteren Embryos zu bestimmen. Es beginnt sich
nämlich die Keimscheibe bei ihrer Ausbreitung über dem Dotter in
ihrer vorderen Hälfte und im Centrum immer mehr zu verdünnen
und durchsichtiger zu werden, während sie im hinteren Randbezirk,
der etwa die Form eines Halbmondes hat, verdickt und dunkler er-
scheint. An konservierten, vom Dotter abgelösten und mit Karmin
gefärbten Präparaten sind diese Unterschiede bei der Flächenbetrach-
tung deutlich wahrzunehmen. Dadurch wird der Forscher, wie schon
GoETTE erkannt hat (L. K. III ^ 1873, p. 687) in den Stand gesetzt,
die Durchschnitte an verschiedenen Keimen entweder in sagittaler
oder in transversaler Richtung genau anzufertigen, was für das
Studium der Keimblattbildung sehr wichtig ist. Außerdem ist der
Rand, namentlich auf bestimmten Stadien, in seinem ganzen Umfang
etwas zellenreicher und dicker als die Scheibe in ihrer Mitte, so daß
vielfach für ihn der Name Rand wu Ist (Goette, His) gebraucht wird.
Eine charakteristische Eigentümlichkeit des Teleostierkeimes tritt
jetzt schon frühzeitig an Durchschnitten hervor. An der aus mehreren
übereinander geschichteten Lagen von Zellen zusammengesetzten Wand
ist die oberste Lage von den tieferen deutlich unterscheidbar. Ihre
Zellen werden im weiteren Verlauf der Entwickelung immer stärkei"
abgeplattet und sind untereinander zu einer Art Membran fester ver-
bunden, wodurch eine Anzahl von Eigentümlichkeiten in der Ent-
wickelung der Teleostier im Gegensatz zu den übrigen Wirbeltieren
hervorgerufen wird. Die oberste einfache Lage wurde von Goette
als Deckschicht, die darunter gelegenen Zellen als Grundschicht be-
zeichnet, eine Benennung, welche im folgenden beibehalten werden
wird.
Der Verlauf der G a s t r u 1 a t i o n ist ein sehr ähnlicher wie
bei den Selachiern. Vom hinteren verdickten Randbezirk aus bildet
sich das innere Keimblatt durch einen Umschlag des Keimscheiben-
randes (Fig. o80) oder durch eine Art von Einstülpung der Keim-
Die Lehre von den Keimblättern. 801
blasenwand. Der Vorgang ist zuerst von Goette (187oj richtig er-
kannt und von späteren P'orschern (Haeckel, Henneguy. Ziegler,
Wilson, Hoffmann etc.) vielfach bestätigt worden. In letzter Zeit
■;ff)0 c^O o
I
X
Fig. 380. Längssclinitt durch einen Salmouidenkeim im Beginn der Gastru-
lation nach Jablonowski (1898, Fig. 1).
hat Jablonowski (L. K. III ^ 1898) von der Gastrulation der Teleostier
die genaueste Darstellung gegeben, so daß ich sie dem Folgenden zu
Grunde lege.
In Fig. 380 ist auf einem Längsschnitt das allererste Auftreten
des Umschlages zu beobachten. Die halbmondförmige Verdickung des
hinteren Kandwulstes, welche schon bei der Flächenbetrachtung zu
erkennen ist, wird hauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß eine
Strecke weit durch Einhaltung des Randes oder durch centripetale
Wanderung der Zellen in das Innere der Keimblasenhöhle unter dem
äußeren ein zweites inneres Keimblatt entstanden ist ; beide sind
durch einen deutlichen Spalt voneinander getrennt. Der Schnitt liefert
ein Pendant zu dem Medianschnitt durch einen Selachierkeim im
ersten Stadium der Gastrulation (Fig. 355). An der Einstülpung ist
die oben besprochene Deckschicht, wie es später auch bei anderen
Organanlagen geschieht, nicht beteiligt. Sie setzt sich, getrennt von
der Grundschicht, welche den Umschlag besorgt, über die Einstülpungs-
rinne hinweg direkt in das Randsyncytium fort. Das so in erster
Anlage begriffene innere Keimblatt zeigt jetzt und noch längere Zeit
einen freien, nach vorn gerichteten Rand, an welchen sich einzelne,
locker verbundene Zellen anschließen. Infolgedessen geht auch der
schmale Spaltraum zwischen ihm und dem Dottersyncytium, welchen
wir als Urdarmhöhle deuten müssen, nach vorn in die Keimblasen-
höhle kontinuierlich über, nach rückwärts dagegen wird er durch die
Deckschicht nach außen -abgeschlossen. Der Umschlagsrand ist die
dorsale Urmundlippe.
Auf einem etwas weiter vorgerückten Stadium der Gastrulation
beginnt sich allmählich die Embryonalanlage bei Ansicht der Ober-
seite der Keimscheibe in auffallendem Lichte zu markieren. Bei ihrer
Darstellung halten wir uns an die von Kopsch gegebenen Abbildun-
gen (siehe auch Bd. I -, Kap. 6. p. 34).
In der Mitte des hinteren Randwulstes (Fig. 381) tritt ein kleiner,
über die Oberfläche und nach hinten vorspringender Höcker auf, der
Knopf oder die S c h w a n z k n o s p e (Oellacher). Einige Zeit später
verändert sich das Oberflächenbild des unmittelbar vor dem Knopf
gelegenen Feldes mit der Entwickelung des vorderen Teiles des
Centralnervensystems (Fig. 382 u. 384). Im äußeren Keimblatt entsteht
eine Verdickung von der Form eines Rhombus, dessen hintere Ecke mit
dem Knopf zusammenhängt und bildet das „Em bry onalschild" von
Kupffer und Oellacher oder die Embryonalanlage. In der Mitte
zeigt sie eine kleine Vertiefung. Auf noch späteren Stadien wird die
Handbuch der Entwickelungslehre. 1. 51
802
0. Hertwig,
Eutfernung zwischen clem vorderen Rand der Embrj^onalanlage, Avelcher
dem queren Hirnwulst bei anderen Wirbeltieren entspricht, und dem
Endknopf immer größer. Die seichte Vertiefung in der vorhin be-
schriebenen rhombischen Figur verlängert sich dabei in eine feine
Rinne, die in einiger Eutfernung vor dem Endknopf verstreicht.
Fig. 382.
Fig. 381.
Fio-. 383.
Fig. 384.
o'^7
Fig. 381. Keimscheibe der Forelle auf Stadium I nach KoPSCH (L. K. III «
1898, Taf. X, Fig. 1).
Fig. 382. Oberflächenansicht der Forellenkeimscheibe auf Stadium II nach
KoPSCH (1898, Taf. X, Fig. 2).
Fig. 383. Profilansicht der auf dem Dotter liegenden Keimscheibe von
Fig. 381 nach Kopsch (1. c. Taf. X, Fig. 2a).
Fig. 381. Oberflächenansicht der Forellenkeimscheibe auf Stadium IV nach
Kopsch (1. c. Taf. X, Fig. 4).
Auf Sagittalschnitten durch Keimscheiben, die auf diesen ver-
schiedenen Stadien stehen, sieht man das innere Keimblatt sich immer
mehr vergrößern und den hinteren Bezirk der Keimhaut in größerer
Ausdehnung doppelblätterig werden. Welche Lageveränderungen der
Zellen finden hierbei statt? Dringen am Umschlagsrand einfach neue
Zellen, die ursprünglich an der Oberfläche lagen, nach unten und
vorn vor und schieben den freien Rand des in Entwickelung be-
grifl"enen unteren Keimblattes der Fig. 380 auf dem Boden der Keim-
blasenhöhle weiter nach dem Centrum der Keimscheibe vor? Bildet
sich also das innere Blatt nur durch fortdauernde Einstülpung vom
Urmundrand aus? Oder ist der Hergang ein komplizierterer? Daß
letzteres der Fall ist, läßt sich aus mehreren Erscheinungen schließen :
Einmal vergrößert sich ja fortwährend die ganze Keimhaut in
der Fläche; der Randwulst schiebt sich auf dem Nahrungsdotter vom
animalen Pol aus immer mehr nach dem Aequator der Eikugel vor.
Die Lehre von den Keimblättern.
803
Für die Annahme, daß der hintere Rand mit dem Endknopf an dieser
Bewegung nicht beteiligt sei und gewissermaßen ein Punctum fixum
darstelle, von welchem nur eine centripetal gerichtete, das innere
Keimblatt liefernde Zellenverschiebung ausgehe, läßt sich kein triftige)-
Grund anfüliren. Dagegen geht aus Experimenten und Erfahrungen,
die man an anderen Objekten gemacht hat, klar hervor, daß sich am
dorsalen ürmundrand zwei Prozesse koml)iniert abspielen. Neben der
auf Einstülpung beruhenden, centripetalen Zellenbewegung vollzieht
sich gleichzeitig eine entgegengesetzte, centrifugale Verschiebung des
Urmundrandes, wodurch dann eine weitere Vergrößerung des inneren
Keimblattes in der Fläche zustande kommen muß.
Für letztere Ansicht sprechen namentlich wichtige Befunde, welche
zuerst von Jablonowski für das Forellenei festgestellt worden sind
und. welche zugleich lehren, daß die Verschiebung des Urmundrandes
nach dem Aequator zu sich in ähnlicher Weise wie bei den Selachiern.
nämlich unter Entstehung einer medianen Nahtlinie abspielt.
Denn auf einer Serie von Sagittalschnitten bieten die der Medianebene
zunächst geführten einen etwas anderen Befund dar als die etwas
mehr lateral gelegenen. Nur bei letzteren (Fig. 385 B) geht ein trennender
A ß
^ oo • o" rw~^
Fig. 385. Zwei Längsschnitte durch eine etwas ältere Keimscheibe vom Lachs
als Fig. 381 zwischen Stadium I und II nach Kopsch. A Medianschnitt, B etwas
mehr lateral geführt. Nach Jablonowski (L. K. III'' 1898, Fig. 2 u. 3).
Spalt zwischen äußerem und innerem Keimblatt bis nahe an den Um-
schlagsrand heran. In der Medianlinie dagegen „sind die beiden
Blätter vom Centrum nach der Peripherie nur in einer Ausdehnung
getrennt, die ungefähr der Länge der gesamten unteren Schicht in
in Fig. 380 entspricht''.
Jablonowski unterscheidet demnach jetzt im Bereich der Em-
bryonalanlage zwei Bezirke, einen vorderen, älteren, in dem obere
und untere Schicht von Anfang an durchgehends getrennt sind, und
einen hinteren Bezirk, der sich als Zuwachs zu jenem betrachten läßt.
In diesem sind die beiden Blätter in der Medianlinie verschmolzen,
seitlich davon aber voneinander getrennt. So viel als der Zuwachs
beträgt, hat sich der Ürmundrand über den Dotter
abwärts verschoben.
centrifugal
nach
An
Sagittalschnitten
durch ältere Stadien sieht man nun fort-
B
~r^'
Fig. 386. Zwei Längsschnitte durch eine noch etwas ältere Keimscheibe vom
Lachs nach Jablonowski (1898, Fig. 4 u. 5). A Medianschnitt, B etwas mehr
lateral geführter Längsschnitt.
51*
804
0. Hertwig,
während den aus 2 Keimblättern bestehenden Bezirk der Keiniliaut
umfangreicher werden ; und dabei macht sich stets zwischen den
medianen und den mehr seitlich davon geführten Schnitten der Unter-
schied geltend, daß auf ersteren äußeres und inneres Blatt längs
lateralwärts
eines axialen Streifens auf das
innigste
verschmolzen,
davon aber bis auf den Umschlagsrand voneinander getrennt sind.
Dieselbe Beobachtung wie Jablonowski hat auch schon Goro-
NOwiTSCH gemacht und in den Sätzen ausgesprochen: „Im Bereiche
des Embryonalfeldes ist das verdickte Ektoderm von dem ventral
liegenden primären Entoderm durch eine deutliche Grenze getrennt,
die aber auf dem Medianschnitt nicht so weit nach hinten sich er-
streckt, wie es an den seitlichen Sagittalschnitten der Fall ist." „Die
axiale, noch nicht in Keimblätter
Schildes nenne ich aus später zu
Achsenstrang'^ (L. K. III «, 1885,
An Querschnittserien ist die
schnitten nachzuweisen. Als
getrennte
Beleg
Strecke des Embryonal-
erörternden Gründen den hinteren
p. 386).
Naht ebenso gut wie an
können die von Goronowitsch
Sagittal-
veröffentlichten Figuren 387 u. 388 dienen, von denen die erstere einen
Schnitt durch die Nahtstelle, die letztere einen Schnitt etwas vor ihr
darstellt.
Wie kommt die
Jablonowski mir mit
Bildung
des axialen Streifens zu
Piecht zu bemerken scheint,
Stande?
„ist die
Wie
Vor-
ds ak
Fig. 387.
Fig. 388.
Ha.v
^2>
ds ak
sp
Vax
•■."Jl
/--
-M'^i
.^v
■..(»
' ik 4 nik
ik -\- mk
Fig. 387. Sclinitt aus der Schwanzknospeugegend eines Embryos von Salmo
salar von 1 mm Länge. Zu beiden Seiten des Achsenstranges Heu beginnt die
Grenze (sjij) zwischen Ektoderm (ak) und primärem Entoderm (ik + mk) deutlich zu
werden, ds Deckschicht, nach Goronowitsch (Taf. XX, Fig. 14).
Fig. 388. Querschnitt etwas weiter nach vorn als Fig. 387, von demselben
Embryo. Die mediane Verschmelzung zwischen Ektoderm und Entoderm ist ge-
i^chwunden. Vax vorderer Achsenstrang, nach Gorokowitsch (Taf. XX, Fig. lo).
Stellung kaum von der Hand
Nahtbildung handelt, welche
legener Bezirke des
Scheibe bedingt ist''.
anläge angrenzenden
zu weisen,
durch
Urmundrandes nach
„Es wären dein gern äl
Keimhautrande zwei
daß es sich
Zusammenschiebung
dabei um eine
seitlich ge-
der Mittellinie der Keim-
in dem an die Embryonal-
Piichtungen der Zellenver-
schiebung
des
5 anzunehmen. Eine derselben entspricht dem Fortschreiten
während die andere gegen die Mittellinie gerichtet
Umschlages
Die J^ebre von den Keimblättern. 805
ist. Als Resultante aus beiden Kräften ergiebt sich die Verlängerung
des embryonalen Bezirkes nach hinten unter Bildung eines medianen
Streifens, welcher den Zusammenhang von oberer und unterer Schicht,
d. h. den Bau des Randes aufweist''. Oder anders ausgedrückt, der
mediale Streifen entsteht wie bei den Selachiern durch eine von vorn
nach hinten sich vollziehende Verschmelzung des linken mit dem
rechten Urmundrand und kann daher als Urm und naht bezeichnet
werden.
Der eben begründete Satz bedarf, um eine erschöpfende Auslegung
der Befunde zu geben, noch eines Zusatzes. Denn wenn die Urmund-
naht von ihrem ersten Auftreten an unverändert bliebe, so müßte sie,
da sie schon auf dem Stadium der Figur o85 uns zum erstenmal
entgegentrat, auf älteren Stadien (Fig. 386) immer länger werden und
fast die ganze Keimhaut, soweit sie doppelblätterig geworden ist. von
vorn nach hinten durchsetzen. Das ist aber nicht der Fall. Die
Nahtstelle hat auf Längsschnitten eine Ausdehnung, welche auf den
sich folgenden Stadien (Fig. 385 und 386) ziemlich gleich groß ist,
während sie doch eigentlich einen neuen Zuwachs erfahren sollte. Da-
gegen nimmt auch in der Medianebene jetzt der Spalt zwischen
innerem und äußerem Keimblatt an Länge beständig zu. (Man vergl.
Fig. 385 mit Fig. 386.) Eine Erklärung findet dieses \'erhalten in der
Annahme, daß einige Zeit nach Eintritt der Urmundnaht in derselben
Weise, wie es auch bei anderen Nahtbildungen gewöhnlich geschieht,
der Verschmelzung der Unischlagsränder (Fig. 387) eine Trennung
der äußeren von den inneren Faltenblättern (Fig. 388) auf dem Fuß
nachfolgt. In der Naht löst sich also die Verbindung zwischen äußerem
und innerem Keimblatt von vorn nach hinten, so daß der hinten statt-
findende Zuwachs vorn wieder durch Abtrennung aufgewogen wird.
Ehe die weitere Sonderung der Keimblätter näher besprochen
wird, ist hier wohl der geeignete Platz, eine zusammenfassende Skizze
von der Ausbreitung der Keimhaut auf der Dotterkugel, von dem
Längenwachstum und der äußeren Veränderung der Embryonalanlage
zu geben, und auf die verschiedenen Theorieen einzugehen, die hierüber
aufgestellt worden sind. Schritt für Schritt rückt der Randwulst vom
animalen gegen den vegetativen Pol zu vor (vergl. die Fig. 381, 382,
393, 394 und die Schemata A — D der Fig. 397) und nimmt, bis er
den Aequator des Eies erreicht, an Umfang entsprechend zu. Die
Keimhaut verdünnt sich hierbei (Fig. 399) zu einer sehr dünnen
Membran stark abgeplatteter Zellen, welche dem Dotter mit seiner ober-
flächlichen Syncytiumschicht. nur durch einen feinen Spalt getrennt,
aufliegt. Mit Ueberschreitung des Aequators (Fig. 397 C, Fig. 394)
beschreibt der Randwulst einen immer kleiner werdenden Kreisumfang
und stellt schließlich die Umrandung eines Loches (Fig. 389 und
Fig. 397 D) dar, welches, am hinteren Ende des mittlerweile mehr in
die Länge gewachsenen embryonalen Körpers gelegen, noch ein kleines
Stückchen des Nahrungsdotters frei zu Tage treten läßt. Aus später
zu erörternden Gründen kann jetzt die Oeffnung als Blastoporus, der
Randwulst als ringförmige Urmundlippe bezeichnet und der ähnlichen
Bildung des Amphibieneies mit dem Dotterpfropf verglichen werden.
Die Ausbreitung der Keimhaut über den Dotter scheint in ver-
schiedenen Bezirken ihres L'mfanges mit etwas verschiedener Intensität
vor sich zu gehen, am vorderen Rand rascher als am hinteren. Der
hintere Rand nämlich steht in engster Beziehung zur Embryonalanlage
806
0. Hertwig,
welche an ihm zuerst, wie Rauber sich au syed rückt liat, als eine
Art von Vorstoß erscheint, an ihm mit dem früher beschriebenen
Knopf endet und sogar noch etwas weiter nach hinten vorspringt
(Fig. 381 u. o82). Das Längenwachstum der Embryonalanlage geht in
der Weise vor sich, daß an den zuerst gebildeten Abschnitt, welcher
der Hirnplatte des Kopfes ents])richt (Fig. 382), sich successive die
nachfolgenden Teile anschließen, und daß hierbei der jüngste und am
wenigsten
differenzierte Teil immer seinen Zusammenhang mit dem
Randwulst beibehält und an ihm als Knopf oder Randknospe vor-
springt (Fig. 390 — 392). Wie bei den Selachiern ist auch bei den
Fig. 389.
Fig. 390.
Fig. 391.
Fig. 392.
^Mi
Fig. 389. Forellenkeim auf dem Stadium IX, nacli
KopscH (1898, Fig. 9).
Fig. 890. Oberflächenbild vom Stadium VI des Fo-
rellenkeimes, nach KopsCH (1. c. Fig. 6).
Fig. 391. Oberflächenbild vom Stadium VII des Fo-
reUenkeimes, nach Kopsch (1. c. Fig. 7).
Fig. 392. Oberflächenbild vom Stadium VIII des
Forellenkeimes, nach Kopsch (1. c. Fig. 8).
Teleostiern die Embryonalaulage eine r and stand ige. In demselben
Maße, als der hintere Randwulst bei der Ausbreitung des Blasto-
derms nach dem vegetativen Pole zu vorrückt, hat die Embryonal-
anlage sich nun ein Stück in ihrer Länge vergrößert und ist der
Abstand zwischen dem zuerst angelegten, queren Hirnwulst und dem
Fig. 393.
Fig. 394.
/■v
.1
Fig. 393. Hechtei mit Embryonalanlage, nach Jablonowski (L. K. III e, Fig. 2).
Fig. 394. Etwas weiter entwickeltes Hechtei als Fig. 393, nach Jablonowski
(Fig. 3).
Die Lehre von den Keimblättern.
807
jiTößerer ^
ganz
ist.
geworden. Dies
unnvachsen und der
Verhältnis dauert so lange, bis
oben beschriebene Blastoporus
Knopf ein
der Dotter
entstanden
Zum Vergleich mit dem großen Forellen- und Lachsei
der Untersuchung von Jablonowski 2 Stadien des etwas
sind aus
kleineren
Abbildungen
den
viel größerer Teil
Hechteies in
sprechen etwa
Im Verhältnis zum
Hecht schon ein
umwachsen.
Hand in Hand
werden bei
ausgeprägt. In der
Hirnwulstes (Fig. 384) wird
und 391) unterscheidbar, der
sich zu seinen beiden Seiten
reproduziert
Stadien IV und
(Fig. 393 u.
Ausbildungsgrad
394). Sie ent-
VI der Forelle (Fig. 384 u. 390).
der Embryonalanlage ist beim
der Dotterkugel als bei der Forelle
mit
Flächenbetrachtung
dem Längenwachstum der Embryonalanlage
einzelne Organe in ihr immer schärfer
des zuerst entstandenen vorderen
ern dunklerer Zellenstreifen (Fig. 390
bis zum Knopf heranreicht. Dann lassen
die an Zahl allmählich zunehmenden Ur-
Verlängerung
Segmente
anläge
erkennen (Fig. 392). Im vordersten Teil der Embryonal-
aber sondern sich einzelne Hirnteile schärfer ab (Fig. 390—392).
Die so auffälligen Beziehungen der Embryonalanlage zum Rand-
wulst hat His (A. L^ II 1874, L. K. III «, 187G. L. K. III % 1877 u. 1894)
durch seine vielbesprochene Konkrescenztheorie erklären wollen. Nach
seiner Ansicht, welche er aus dem Verlauf der Entwickelung und durch
Messungen zu begründen versucht hat, ist „das Material zur Paimpf-
anlage im Randwulst aufgespeichert und es gelangt dadurch an seinen
Ort, daß jeweilen die dem hinteren Ende des bereits abgegliederten
Embryos zunächst liegenden Strecken an diesen sich heranschieben
und ihn nach rückwärts verlängern.'' „Figur 395 veranschaulicht
schematisch den
folge der in der
Hergang, und die Pfeile bezeichnen dabei die Reihen-
Richtung von hinten nach vorn aufeinander folgen nde
gleichwertigen Teile." „Es ist sonach
die Uranlage des Körpers ein platter
Ring, dessen Breite und Dicke an einer
Stelle, dem zukünftigen Kopfende, ein
Maximum, am gegenüberliegenden,
deiu Schwanzende,
sitzt. Successiv
em
legen
Minimum be-
sieh die zwei
Fig. 395. Ei eines Salmoniden. Umwach-
sung aes Dotters durch den Randwulst,
nach His. d Dotter. K Kopf, kh Keimhaut.
riv Randwulst.
-"■■—^k-h
)■■)!■
Seitenhälften des Ringes aneinander und
verernrgen
sich als symme-
trische Körperhälften. Dabei bedürfen das Kopfende und das äußerste
Schwanzende keiner Verwachsung, weil ihre Seitenhälften von Anfang
an verbunden sind." Zur Erläuterung der Konkrescenztheorie von
His kann auch das von Kopsch entworfene Schema
(Fig. 396) dienen.
Fig. 396. Schema zur Erklärung der Konkrescenztheorie
von His. w vorderstes Kopfende. 1, 2, 3, 4, 0 u. s. w. sym-
metrische Teile des Randringes, welche sich bei der Bildung
des Embryos in der Mittellinie zusammenlesen, nach Kopsch
(1896, Fig. 1).
808
0. Hertwig.
Schon vor His hat Lereboullet (hmi Randwulst, den er aucli
„bourrelet enibryogone'' nennt, eine wichtige Rolle bei der Bildung des
Embryos zugewiesen und hieraus in zutreffender Weise eigentüm-
liche Mißbildungen des Hechtes zu erklären gesucht, auf welche im
4. Kapitel noch besonders eingegangen werden wird.
Die Konkrescenztheorie von His hat überzeugte Anhänger ge-
funden, ist aber noch mehr auf heftigen Widerspruch gestoßen. Ich selbst
halte ihren Grundgedanken, daß ein Verwachsungsprozeß bei der Ent-
Avickelung der Achsenorgane des Wirbeltierkörpers stattfindet, für
richtig, dagegen nicht zutreffend die Darstellung des Vorganges im
einzelnen, welche bei His eine zu schematische ist. Es wird in der
Konkrescenztheorie nicht berücksichtigt, daß der Randwulst der Keini-
hant in seinen einzelnen Abschnitten und auf verschiedenen Stadien
ein veränderliches Gebilde ist und daß daher die Annahme eine falsche
ist, als ob in dem Randwnlst das Material für linke und rechte Körper-
teile enthalten sei, welches nur nach der Medianebene zusammenge-
schol)en und. wieHis sich ausdrückt, in einer „ A u frei h u n g s p e r i o d e"
von vorn nach hinten untereinander zur Verwachsung gebracht würde.
Eine Analyse des Keimscheibenrandes aber scheint mir zu folgenden
Vorstellungen zu führen.
Wie bei den Selachiern, kann man am Keimscheibenrand der
Teleostier zwei Bezirke unterscheiden (Fig. 399): erstens einen Bezirk,
an welchem die Urmundbildung eingetreten ist, und zweitens einen
Bezirk, welcher noch den ursprünglichen Charakter der Randzone des
Amphibieneies besitzt. Ich habe den einen als Urmuudrand (tir^, ur'^),
den anderen als Umwachsungsrand (mv) bezeichnet und in den 4
Fig. 397. Schemata, um die Bildung eines Lachsembryos durch Zusammen-
rücken und Verwachsen der Urraundränder und um das Verhältniss des Urmund-
randes (w-) zum Umwachsungsrand (mv) zu zeigen, nic Umwachsungsrand. Durch
die Zahlen l — 4 werden die einzelnen Stadien seines Vorrückens bezeichnet, d Dotter.
«j'i Urmundrand, der sich in der Urmundnaht zusammengelegt hat. vr- Urmuud-
rand, der mit der Peri23herie der Keimscheibe zusammenfällt, n After, sk Schwanz-
knospe.
Schemata der Fig. 397 durch schw'arze und punktierte Linien unter-
schieden. Vom Urmundrand. an welchem eine Einstülpung von Zellen-
material und Bildung von innerem und mittlerem Keimblatt statt-
findet (Fig. 399 dl), unterscheidet sich der Umwachsungsrand (uw)
durch das Fehlen derartiger Prozesse. Die Veränderungen, die sich
an ihm vollziehen, bestehen vorwiegend darin , daß sich der zellige
Rand durch Vermehrung seiner Elemente über einen immer größeren
Abschnitt der Dottermasse ausbreitet und ihn mit äußerem Keimblatt
überzieht (Fig. 399 uw).
Ein Vergleich zwischen Fisch- und Amphibieneiern wird meine
Auffassung noch klarer machen. Auf dem nebenstehenden Durch-
schnitt durch eine Triton gastrula (Fig. 398) entspricht die kürzlich
Die Lehre von den Keimblättern.
809
gebildete vordere Urmundlippe (dl) dem Urmimdrand der Keinischeibe
eines Selachiers (Fig. oöT) und Teleostiers (Fig. 'M}[) dl), die bei Triton
noch frei zu Tage liegende Masse der Dotterzellen (das Dotterfeld)
entspricht dem noch nicht von den
Keimblättern umwachsenen Nah- v:;^??/®5Si:Q?)s!ti:?Öfe:;- «/>•
rungsdotter des Fischeies : die mit
einem Stern (Fig. 39S *) bezeich-
nete Stelle endlich, an welcher bei
<len Amphibien die ehemalige -S^Cv^v» K'/o^-^r^'^'/'/AS^äüW--'''«
animale Hälfte der Keimblase in
P"'ig. 398. Längsdurchschnitt durch
eine Keim blase von Triton mit be-
ginnender Gastrulaeinstülpung. ak, ZA-
äußeres, inneres Keimblatt. //; Keim-
blasenhöhle, ud Urdarm. n Urraund.
dz Dotterzellen, dl, vi dorsale, ventrale
Lippe des Urmundes. » Randzone.
fi
dl
rl
dz
den Haufen der Dotterzellen übergeht, oder die Randzone Goette's,
ist dem Umwachsungsraud der meroblastischen Eier zu vergleichen
(Fig. 399 uiü). Wie bei den Amphibien sich die erst kleine Urmund-
rinne allmählich an beiden Enden ausdehnt und erst spät zu einem
Ring schließt (Fig. 290), so geht ein ähnlicher Prozeß bei den Fisch-
eiern vor sich, ist aber über einen viel längeren Zeitraum wegen des
relativ größeren Gehaltes an Nahrungsdotter ausgedehnt.
D dl
V
Fig. 399. Längsschnitt
durch die Keimhaut eines
Salmonideneies einige Tage
nach Beginn der Umwach-
sung. H hinterer, V vor-
derer Rand. ak äußeres,
ik -\- mk inneres und mitt-
leres Keimblatt, n Kerne
des Syncytiums. 0 Oel-
tropfen. dl Urmundlippe.
uic Umwachsungsraud.- D
Deckschicht.
Somit kann ich weder der ursprünglichen Darstellung von Haeckel
in Hinsicht auf die Entstehung seiner Discogastrula noch der Lehre von
Hans Virchow beistimmen, wenn er angiebt, daß bei der Forelle die
Urmundbildung, bald nachdem sie am hinteren Rand der Keimscheibe
begonnen habe, auch am vorderen Rande eintrete. Zwar ist es richtig,
daß sich schon bei relativ kleinen und jungen Keimscheiben eine gering-
fügige Einbiegung des Scheibenrandes auch vorn bemerkbar macht. Die-
selbe ist aber nicht nur sehr unbedeutend, sondern läßt sich den Vor-
gängen, die sich am hinteren Rande abspielen, nicht vergleichen. Dies
lehren ganz otfenbar Sagittalschnitte durch Keimhäute, w^elche über die
Zeit, wo schon am vorderen Rand die Urmundbildung nach Virchow.
eingetreten sein soll, weiter hinaus entwickelt sind. An einem in Fig. 399
abgebildeten Sagittalschnitt durch einen Forellenkeim ist der Unterschied
zwischen hinterem (vi) und vorderem (uw) Rand, zwischen hinterem und
vorderem Bezirk der Keimhaut sehr deutlich ausgeprägt. Am hinteren
Rand ist ein wirklicher Umschlag vorhanden, an welchem das äußere
Keimblatt in ein von ihm deutlich gesondertes und o'ut entwickeltes
810
0. Hertwig,
unteres Blatt {ik-\-mk) umbiegt. Der vordere Rand (uw) ist zwar
etwas verdickt, aber es fehlt zwischen äußerem Keimblatt und Dotter
ein zweites Blatt. Hätte eine Einstülpung, wie H. Virchow meint, am
vorderen Rand schon auf jüngeren Stadien begonnen, meinetwegen zui-
Zeit, als er erst bis zu der durch ein Kreuz (4-) bezeichneten Stelle
reichte, so müßte sich auf dem älteren Stadium, wenn sich die Keimhaut
noch weiter ausgedehnt hat, auf der Strecke zwischen Kreuz und dem
Aveiter gewachsenen Rand das durch Umschlag gebildete Blatt finden.
Wie aber ein solches an unserem Präparat fehlt, so fehlt es auch an
noch älteren Keimen an der Stelle, wo jetzt in Fig. 399 der etwas ver-
dickte vordere Rand liegt. Folglich hat sich auch jetzt noch nicht durch
Umschlag ein zweites Keimblatt gebildet. Es wird also die Dotterkugel
vom vorderen Keimhaiitrand aus nur mit äußerem Keimblatt überzogen.
Erst wenn die Umwachsung ziemlich vollendet und der ursprünglich
vordere Rand der Keimhaut nahe an das hintere Ende des mittlerweile
schon weit entwickelten embryonalen Körpers gelangt ist, ändert sich
seine Beschaffenheit (Fig. 400 E^)^ er erfährt eine beträchtliche Ver-
Fig. 400. Schnitt durch das hintere Ende eines Salmonideneies am Ende der
Umwachsung des Dotters, nach VIrchow (L. K. III " 1894, Fig .5). E^ verdickter Rand
der hinteren ürmundlippe. U^ unteres und mittleres Keimblatt. D Deckschicht
über dem Dotterloch, n Kerne des Syncytiums. K KuPFFER'sche Blase. O Oel-
tropfen.
dickung; es bildet sich durch Umschlag ein weiteres und zwar das
mittlere Keimblatt, welches sich eine Strecke weit nach hinten vom
Embryo auf dem Dotter ausbreitet; mit einem Wort, es ist erst jetzt
ein hinterer Urmundrand entstanden, wie bei den Amphibien, wenn sich
die hufeisenförmige Urmundrinne zum ringförmigen Blastoporus schließt.
Man vergleiche in dieser Beziehung Fig. 290 mit Fig. 400.
Eine Ansicht, nach welcher die Lehre von der Verwachsung der
Urmundränder halb angenommen, halb abgelehnt wird, haben einige
Forscher ausgesprochen, wie z. B. Kopsch (L. K. IV 1896, p. 121). Bei
den Knochenfischen, meint er, werde die Kopfgegend durch Verschmelzung'
des linken mit dem rechten Urmundrand gebildet, und auch der früh
sich bildende Knopf entstehe durch Vereinigung einer linken und rechten
Anlage des Urmundrandes. Nachdem aber einmal der Knopf angelegt
sei, stelle er ein selbständiges Wachstumscentrum der Embryonalanlage
dar, welches das Zellenmaterial für das Längenwachstum des Körpers
liefere. Bei dieser Fassung finde ich nur die Vorstellung nicht richtig,
daß der einmal angelegte Knopf auf den jüngeren und späteren Stadien
der Entwickelung immer ein und dasselbe Gebilde sei, vielmehr ist er
nach meiner Auffassung aller einschlagenden Verhältnisse ein transitorisches
Gebilde, nämlich die sich als Verdickung markierende Verwachsuugsstelle,
die sich einerseits nach vorn in die Achsenorgane des Embryos differen-
ziert und ihr Längenwachstum vermittelt, andererseits aber von hinten
Die Lehre von den Keimblärtern.
.SU
her sich immer wieder ergänzt durch Vereinigung des weiter rückwärts
ffeleeenen Teiles der Urmundränder, bis schließlich der hinterste Rest
des Urmundes in die Afteranlage übergeht. Von dieser Interpretation
weicht übrigens die Ansicht von Kopsch im Grunde genommen nicht
viel ab. Denn auch er läßt den hinteren Körperabschnitt vom Knopf
aus gebildet werden „unter Zuhilfenahme von Randring- bezw.
L^rmundmaterial". Kopsch setzt also an Stelle der klaren Fassung,
gegen welche er polemisiert, nur den unbestimmten und dehnbaren Be-
griff der „Zuhilfenahme von Randring- bezw. ürmundmaterial" und schafft
einen künstlichen Gegensatz zwischen dem Entwickelungsmodus der vorderen
und der hinteren Körperhälfte.
Die erste Anlage von Rücken mark, Chorda und mittlerem
K e i m b 1 a 1 1.
In der Entwickehmg des Centralnervensystems zeigen die Teleostier
vielfache Uebereinstimmung mit den Cyclostomen. Bei der Betrach-
tung von der Fläche erscheint das äußere Keimblatt längs eines
medianen Streifens verdickt (Achsenplatte) und von einer seichten
Rinne halbiert (Fig. oOO u. 394) : aber es kommt nicht zur Erhebung
zweier Medullarwülste. wodurch sich bald bei den meisten Wirbel-
tieren die Anläse des Centralnervensystems
gegen
das Hornblatt
mk
mst
d
Fig. 401.
mst ds ak
Fig. 402.
ds inst
ak
mk
mst — -^-r.-
'""- d mk —
d.^
mk
- ds
/.
eil ik
ik
Fig. 401. Querschnitt aus der Mitte einer Embryonalanlage von Syngnathus
mit erster Anlage des Medullarstranges. Xach Calberla (Tat. XII, Fig. 2). ds Deck-
schicht des Ektoderms. ak das ganze Ektoderm. mst MeduUarstrang. ik Entoderiu.
mk Mesoderm, ds Zellen des Dottersyncytiums. d Dotter.
Fig. 402. Querschnitt aus der Mitte einer Embryonalanlage von Synguathus
acc, dessen primitive Gehirnabteilungen völlig ausgebildet sind und dessen MeduUar-
strang sich abgeschnürt hat. Xach Calberla (Taf. XII, Fig. 4). ch Chorda.
Andere Bezeichnungen wie in Fig. 401.
812 0. IIertwig,
schärfer abgrenzt. Dagegen findet eine Einstiilpnng des Zellniaterials.
welches das Nervenrohi- liefeit, in entgegengesetzter Richtung nach
dem unteren Keimblatt zu statt (Fig. 401 u. 402) und erzeugt unter
der am Rücken sichtbaren Rinne einen nach unten vorspringenden
medianen Kiel, welcher bei seiner ersten Anlage einer Höhlung ent-
behrt. Anstatt eines Medullarrohres entsteht bei den Knochenfischen
ein M e d u 1 1 a r s t r a n g.
Hierin ist indessen, wie auch schon bei den Cyclostornen her-
vorgehoben wurde, kein prinzipiell neuer Vorgang, sondei'u nur eine
Modifikation der gewöhnlichen Entwickelungsweise des Centralnerven-
systems zu erblicken, was zuerst von Goette (1878) klar hervor-
gehoben wurde. Goette läßt die Achsenplatte nach unten gewisser-
maßen eine geschlossene Falte schlagen und findet eine Andeutung
hiei'für noch in der vergänglichen, oberfiächlichen Furche. Er be-
merkt hierzu : ..Indem der anfangs unkenntliche Faltenraum in dem
sich von dem übrigen Keimblatt oder der Oberhaut abschnürenden
Kiel in Gestalt einer Spalte erscheint und so diese solide Anlage des
Centralnervensystenis in eine röhrenförmige verwandelt, ergiebt sich
deren Uebereinstimmung mit deijenigen der übrigen Vertebraten:
Die offene Medullarfurche der letzteren ist bei den Teleostiern in
eine geschlossene Falte verwandelt, deren Blätter erst nach der Ab-
schnürung von der Oberhaut auseinandertreten'' (L. K. III ^, 1878,
p. 146).
Von der Bildung des Medullarstranges bleibt die oberflächlichste
Zellanlage des äußeren Keimblattes ausgeschlossen. Sie hat sich in
eine Deckschicht {ds) von ganz platten, schüppchenartigen Elementen
umgewandelt, welche später zu Grunde gehen. Und wie sie vom Be-
ginn der Gastrulation an sich am Rand der Keim Scheibe über die Ein-
stülpungsrinne zum Dotter herttberspannt, ohne selbst miteingestülpt
zu werden (vergl. p. 800), so wächst sie auch in die innere Zellenmasse
des Kieles nicht mit hinein. Die Angaben von Calberla (L. K. III ^,
1877), nach welchen ein solches Einwachsen bei Petromyzon und be-
sonders bei Syngnathus sich sollte nachweisen lassen, beruhen nach
allen späteren auf diesen Gegenstand gerichteten Untersuchungen von
Goette, Goronowitsch, Henneguy, Wilson, Jablonowski auf
einem Irrtum. (Vergleiche p. 727.)
Geringe Abweichungen von dem eben dargestellten Verlauf bietet
die Entwickeluug des Centralnervensystenis vom Hecht dar, wie Go-
ronowitsch (L. K. III ^ 1885) und Jablonowski (L. K. III ^ 1899) in
gleicher Weise gefunden haben. Die Abweichung, welche bei ausge-
dehnteren Untersuchungen vielleicht auch noch einige andere Fischarten
zeigen werden, ist besonders deswegen von Interesse, weil durch sie
eine Art Uebergang zu der gewöhnlichen Bildung des Nervenrohres bei
Amphibien, Reptilien etc. vermittelt wird. Wie bei diesen beobachtet
man beim Hechtei anfangs eine plattenförmige Medullaranlage, welche
verhältnismäßig lange horizontal ausgebreitet bleibt und sich gegen
ilas übrige Hornblatt schärfer als bei Lachs und Forelle abgrenzt.
Ihre Umbildung zum Medullarstrang gestaltet sich etwas verschieden,
je nach den Regionen des Leibes.
Vorn im Bereich der Mittel- und Vorderhirnregion erhält man
Bilder, welche sich als eine echte Falten bild ung deuten lassen
(Fig. 40o). Die seitlichen Abschnitte der MeduUarplatte richten sich
über die Ol»erfläche empor und beginnen sich dabei in der Median-
Die Lehre von den Keimblättern.
813
ebene zusammenzulegen. Zugleich wird die Mitte der Platte nach unten
als ein nur mäßig entwickelter Kiel vorgedrängt; von außen aber
schneidet eine zwar schmale, aber tiefe Furche etwa bis zur Hälfte
Fig. 403. Querschnitt durch die Mittelhirnregion eines Hechtembrvos. Nach
jABLOJrowsKi (L. K. III «, 1899, Fig. i>3).
in ihn ein. Die mediane Spalte wird von der Deckschicht überl)rückt,
welche, wie bei der Forelle, bei der Entwickelung des Centralnerveu-
systems unbeteiligt bleibt. Solche Befunde lehren, daß man es im
Bereich des Hirns beim Hecht mit einem echten Faltungsprozeß zu
thun hat, welcher einen Uebergang zwischen der röhrenförmigen und
der strangförmigen Bildungsweise des Rückenmarks vermittelt.
Bei älteren Embryonen schwindet der Hohlraum mehr und mehr
(Fig. 404). Der Kiel tritt schäi-fer nach unten hervor und gewinnt
die Gestalt eines fast gleich-
seitigen Dreiecks. Auf seiner
Oberfläche findet sich unter
der Deckschicht noch ein
deutlicher Rest der Me-
dullarrinne und setzt sich
nach abwärts in der Median-
linie in einen sehr schmalen,
hellen Streifen fort, welcher
die obere Hälfte des Kieles
durchsetzt und von spind-
ligen, plattgedrückten, dor-
soventral gerichteten Zellen
begrenzt wird. JablONOWS- , Fig. 404. Querschnitt durch den Medullär-
'^ i r 1 + • 1 1 11 Strang emes Hechtembrvos mit o Paar Urses-
KI erDllCKt in dem Hellen menten. Nach Jablonowski (1899, Textfig. o).
Streifen die letzte Spur des bei jüngeren Embryonen deutlich wahr-
nehmbaren Spaltes. Noch später, wenn die Abtrennung vom Horn-
blatt erfolgt, ist dann auch beim Hecht der Teil des Medullar-
strangs, der den Hirnblasen zur Grundlage dient, vorübergehend eine
solide Bildung, wie bei den übrigen Teleostiern : doch schließt sich
bald an das Stadium des soliden Stranges die Aushöhlung der ein-
zelnen Hirnblasen durch Auseinanderweichen der seitlichen Wandun-
gen an.
Nach hinten tritt immer mehr eine Uebereinstimmung in der
Entwickelung des Centralnervensystems beim Hecht und bei den Salmo-
niden ein. Es bildet sich von Anfang an ein geschlossener Kiel, der
sich zu einem soliden
Höhlung erhält.
Infolge der eigentümlichen Kielbildung werden bei den Knochen-
Medullarstrang
abschnürt und erst später eine
814 0. Hertwig,
tischen die angrenzenden Zcllschichten, Chorda, mittleres und unteres
Keimbhitt, nach dem Dotter zu weit hervorgedrängt (Fig. 401 — 404),
so daß hier abermals der Medianebene entlang eine von vorn nach
hinten ventrahvärts vorspringende Leiste entsteht, im Gegensatz zu
den Amphibien, Vögeln und Säugetieren, wo die Entstehung des
Nervenrohres eine Hervorwölbung des Hornblattes dorsalwärts l)e-
dingt. In besonders hohem Grade scheint die Kielbildung nach den
Abbildungen von Calberla (Fig. 401, 402) bei Syngnathus ausge-
prägt zu sein.
Die Entstehung des mittleren Keimblattes, des se-
kundären Darmdrüsenblattes und der Chorda ist bei den
Knochenfischen viel schwieriger zu verfolgen als bei den Selachiern
und den anderen bisher besprochenen Wirbeltieren. Es hängt dies
damit zusammen, daß alle Keimschichten außerordentlich dicht auf-
einander gepreßt sind und keine trennenden Spalten, wie bei den
Selachiern, hervortreten lassen. Das innere Blatt, welches, durch Um-
schlag am hinteren Rande entstanden, mehrere Lagen von Zellen dick
ist, enthält das Anlagematerial sowohl für den Mesoblast als für das
sekundäre Darmdrüsenblatt, und wird daher in der Litteratur gewöhn-
lich als primäres Entoderm bezeichnet. Bald nach seiner Entstehung
grenzt sich die unterste Lage von Zellen, welche dem Dottersyncvtium
aufliegt, immer deutlicher als ein besonderes Keimblatt, als „sekundäres
Entoderm", ab. Bilder, welche ein Einwachsen des Mesoblasts von
der Urmundlippe aus lehren, wie sie bei den Selachiern erhalten
w^erden, sind von keinem Teleostier beschrieben worden. Es wird
daher gewöhnlich in der Litteratur die Sonderung des primären Ento-
derms in Mesoderm und Darmdrüsenblatt als eine Delamination be-
zeichnet, wofür ja auch die Befunde auf den ersten Blick am meisten
sprechen: „The conclusion is forced upon us". bemerkt Wilson
(A. L. III'', 1891, p. 229), „that in certain vertebi'ates evagination
has been replaced by delamination in the formation of the mesoderm".
Dagegen fehlt es auch nicht an Forschern, welche die Befunde
in Uebereinstimmung mit den Vei'hältnissen bei den übrigen Wirbel-
tieren zu deuten suchen. So erklärt Goronowitsch : „Die Meso-
dermplatten sind als zwei seitlich von der Medianlinie enstandene
solide Auswüchse des Entoderms zu betrachten, die sich allmählich
vom Endoderm abgrenzen." Auch Henneguy glaubt eine Ueber-
einstimmung mit Amphioxus wohl erkennen zu können (A. L. III ^,
1888, p. 555): „La formation simultanee de trois replis endodermiques,
chez Tamphioxus, dont le median devient la corde dorsale et les deux
lateraux sont l'origine du mesoderme, prouve que, chez les Teleosteens,
le developpement de ces parties suit une marche identique : mais
chez ces animaux ce sont des masses cellulaires pleines qui se sepa-
rent de Tendoderme, tandis que chez l'amphioxus. le mesoderme et
la corde dorsale sont des evaginations creuses du feuillet interne."
Auch weisen folgende wichtige Befunde auf eine bedeutungsvolle
Uebereinstimmung hin : Die Anlage der Chorda erscheint zuerst als
ein medianer Streifen von Zellen unter der ersten Anlage vom Me-
dullarstrang und ist nach beiden Seiten vom Mesoderm und Darm-
drüsenblatt, wenn diese sich lateralwärts voneinander zu sondern be-
ginnen, nicht abgegrenzt. Dann wird von Gorono\vitsch (L. K. III '',
1885) ein Stadium (Fig. 405) abgebildet, wo die Chorda sich von dorsal her
Die Lelire von eleu Keimblätteni.
815
mit Spalten gegen die linke und rechte Mesodernihälfte absetzt: es
würde dies etwa beim Amphioxus etc. dem Vorgang entsprechen,
wenn sich die Chordaplatte znr Rinne zusammenfaltet (Fig. 254).
Auch bildet Goronowitsch
auf einer Seite seines
Schnittes noch einen Zu-
sammenhang zwischen
Darmdrüsenblatt und Meso-
derm lateral von der sich
jetzt schärfer abgrenzenden
ds
uk
Fig. 405. Querschnitt durch
Stadium III (Kopsch) eines Em-
bryos von Salmo salar, aus dem
hinteren Drittel. Nach GoRO-
KOWiTSCH(l8S5,Taf.XX,Fig.l8).
ük, mk, (1- äußeres, mittleres, inneres
Keimblatt, ch Chorda, ds Dotter-
kerne, ds Deckschicht.
•.*•<'
cfi
mk
ik
dz
ch
m
Chorda ab. Ein derartiges Bild würde etwa entsi)rechen den
Fig. 311 A u. 320 dargestellten Befunden von Amphibieneiern.
Einen genau entsprechenden Befund beschreibt und bildet Sumner
von Noturus ab (L. K. III •=, 1900, p. 60) : „The relation of the gut epi-
thelium to the notochord is also au interesting problem. For some time
after the chorda has separated from the neural axis above and the
mesoblastic plates on each side, there persists a continuity between
it and the gut-hypoblast." Ebenso bildet Sumner zu beiden Seiten
der Chorda, besonders linker Hand (Fig. 40(5), einen Zusammenhang
zwischen Darmdrüsenblatt und der unteren medianen Kante der Meso-
blastplatte ab mit der Bemer-
kung: „The relations of gut-
hypoblast to mesoblast and chorda
are suggestive,"
Fig. 406. Querschnitt durch die
hintere Hälfte eines Embryos von No-
turus, etwas vor der KuPFFER'schen
Blase. Nach JSumner (1900, Fig. 20).
Drittens endlich finden sich auch bei den Teleostiern Stadien,
die als Einschaltung der Chorda in das Darmdrüsenblatt und nach-
folgende Ausschaltung bezeichnet werden müssen. So behauptet
Wilson (A. L. III ^ 1891). daß bei Serranus die Chordazellen (Fig. 407.
ch) zuerst au der Decke des Urdarms entlang der dorsalen Medianlinie
liegen, wie bei Amphioxus und den Amphibien, und er hält es nicht
minder für sichergestellt, daß etwas später das Darmdrüsenblatt, das
Fig. 40(. Querschnitt
durch das hintere Ende
der Embryonalanlage
von Serranus, ;30 Stun-
den entwickelt. Nach
Wilson (A. L. III «,
1891, Taf. XCV, Fig.
54).
/. \
816
0. Hertvvig,
in der Mittellinie fehlt (Fig,
rechts her unter die Chorda
j-auni ausschaltet (Fig. 409).
stage", fügt Wilson hinzu.
Fig. 4U8. Querschnitt durch
wickelten Embryo von Serranus.
Taf. XCV, Fig. o6).
40S), mit freiem Rand von links und
wächst und sie so sekundär vom Darni-
„The exact State of affairs in the earlier
„was likewise often difticult to determine,
but the bestsections
were such as I liave
drawn. After a ca-
reful study I feel
safe in saying that
the lateral sheets
of entoderm grow
under the chorda
cells and meet in
the middle line,
thus completing the
layer. Agassiz and
Whitman State the
same for Cteno-
labrus."
einen 25 Stunden ent-
Nach Wilson (1. c.
Fig.
wickelten
409. Querschnitt durch
Embryo von Serranus.
rh mst
einen 29 Stunden ent-
Nach Wilson (1. c.
407—409.
ds Deck-
Taf. XCV, Fig. 61). Bezeichnungen für Fig,
ak, ik, mk äußeres inneres, mittleres Keimblatt,
Schicht, ch Chorda, mst MeduUarstrang.
Ein für die
Teleostier charak-
teristisches, viel be-
sprochenes Gebilde
ist die KuPFFER-
sche Blase (A;). auf
deren Entstehung
und Bedeutung hier
noch besonders ein-
zugehen ist. Sie
tritt bei allen Arten
in der kleinzelligen, undifferenzierten Masse des Endknopfes auf, in
welchen die Embryonalanlage an dem vorderen Rand des Blasto-
porus übergeht, und ist am deutlichsten zur Zeit, wo sonst der Blasto-
porus schon zu einem recht kleinen Loch geworden ist (Fig. 400).
Bei Forellenembryonen mit 3 Ursegmenten (Sobotta) ist sie schon
gut erkennbar, läßt sich aber nach Henneguy, Gregory und Kopsch
(L. K. III '\ 1900, p. 501) noch etwas früher nachweisen, nämlich bevor
die Gliederung in Ursegmente begonnen hat. Bei verschiedenen Arten
erreicht sie eine verschieden große Ausdehnung, wird am mächtigsten
nach der Umwachsung des Dotters zur Zeit des Blastoporusschlusses,
ganz besonders bei Trutta iridea (Sobotta, L. K. III'\ 1.S9!^, p. 117)
und bildet sich hierauf allmählich zurück. Bei Forellenembryonen
von 40 Urwirbeln z. B. ist ihre Rückbildung schon ziemlich weit vor-
geschritten.
Der Hohlraum entsteht, indem die Zellen vor dem Endknopf
auseinander weichen (Fig. 410/0. Seine dorsale Wand wird von dem ver-
dickten, hintersten Ende der Chorda {ch) begrenzt, welche sich hier nach
rückwärts in dem Keimgewebe des Endknopfes (e) oder der Schwanz-
knospe späterer Stadien verliert. Nach hinten wird daher auch
die KuPFFER'sche Blase von undifferenziertem Gewebe begrenzt, in
welchem sich ebenso wie die Chorda auch der darüber gelegene Me-
duUarstrang hmt) nach rückwärts verliert. Auf Grund dieser Be-
Die Lehre von den Keimblättern.
SIT
Ziehungen haben Sobotta,
hinten von der P)hise gelegen
und Mednlhirstrang verlieren,
übrigen \\'irl)elticre verglichen
ebenso wie die dorsale Anlage
entbehrt, ah
s n e u r e n t e r 1 s c
Fig. 41
Blase wird bei der Forelle
zeigt ihn im Median-
Gregory u. a. den dorsal und nach
en Zellstrang, in welchem sich Chorda
dem Canalis n eu renter i cu s der
und haben ihn, da er bei den Teleostiern.
des Centralnervensystems, einer Höhlung
hen Strang bezeichnet. Fig. 410 ws^
1 im Querschnitt. Die untere Wand der
etc. gleichfalls von Zellen (Fig. 410
ak
ds
mst
m.sl
l'.'^
ik mk\
Fig. 410. Medianschnitt durch einen 13 Tage alten Forcllenembrvo mil4;Ur-
segnienten. Nach Gregory (L. K. III , 1899, Taf. LX, I'ig. 6). Bezeichnungen wie
in Fig. 411. Außerdem: e Endknopf, mr Merocyten. ch Chorda.
Fig. 411. Querschnitt durch die KuPFFER'sche Blase eines 19 Tage alten
Forellenembryos. Nach Gregory (1890, Taf. LXI, Fig. 11). ak, mk, >k äußeres.
mittleres, inneres Keimblatt,
sehe Blase.
Is Deckschicht, mst neurenterischer Strang. /; Kupffer-
(IS
u. 411), bei anderen Arten (Fig. 412) indessen von der Dottermasse
und dem peripheren Dottersyncytium begrenzt. Dies ist nach den
Angaben von Sobotta (189s', Fig. 118. 119) bei Coregonuseiern und
bei Belone acus der Fall.
Von ihrem Entdecker Kupffer wurde die Blase der Allantois
der Amnioten verglichen und als das Rudiment einer solchen ge-
deutet. Während der Befund von allen nachfolgenden Beobachtern
bestätigt wurde, gingen die Meinungen
über ihre Deutung sehr auseinander.
Die KuPFFER'sche Ansicht fand nur
wenige Anhänger: andere Forscher
erblickten in ihr den Urdarm der Te-
leostier, so in den letzten Jahren So-
botta und Gregory: Balfour (A.
Fig. 412. Querschnitt durch die Krp-
FFER'sche Blase eines Embryos von Belone
acus mit ca. 30 Ursegmen'tpaaren. Nach iSo-
BOTTA (L. K. III«, 1898, Fig. 7).
L. II. 1S8]. p. 67, 68), dem sich die Mehrzahl der Embryologen an-
schloß, verglich sie dem postanalen Darmabschnitt nebst der Endblase
der Selachier.
Wie KopscH (L. K. III ^ 1900, p. 501) mit Recht ausgeführt hat, ist
die BALFOUR'sche Ansicht die am besten begründete: Ein Unterschied
besteht nach Kopsch (p. 502) nur darin, „daß bei den Knochenfischen
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 52
818 0. Hertwig,
die KuPFFER'sche Blase frühzeitig erscheint und verschwindet, während
sie bei Selachiern später auftritt und später verschwindet. Das frühzeitige
Auftreten bei den Knochentischen und das spätere bei Selacliiern ist
bedingt durch die frühe Entstehung der einheitlichen Schwanzknospe
der Teleostier und durch die bei den Selachiern erst auf sjjäteren
Stadien erfolgende Verschmelzung der beiden Caudallappen zu einer
einheitlichen Wachstumszone/'
VIII. Die Keimblätter der Reptilien.
Wie es nach ihrer Stellung im System zu erwarten ist, zeigen
Reptilien, Vögel und Säugetiere in der Entwickelung ihrer Keimblätter
mannigfache Uebereinstimmungen untereinander, dagegen wichtige
Unterschiede zu den übrigen bisher besprochenen Wirbeltierklassen.
Ihre Gastrulation verläuft \veder in der Weise wie bei Cyclostomen,
Amphibien und Dipneusten, bei welchen durch Einstülpung der Keim-
blase eine vom Darmdrüsenblatt ausgekleidete, geräumige Urdarmhöhle
gebildet wird, noch auch nach Art der Elasmobranchier und Teleostier.
bei denen sich vom Rand der Keimhaut durch Umschlag das innere
Keimblatt anlegt. Wir lernen hier einen dritten Hauptmodus in der
Entwickelung der Keimblätter bei den Wirbeltieren kennen, und zwar
in drei Variationen, durch welche sich die 3 Klassen der Amnioten
voneinander unterscheiden. Auch nach der Art ihrer Keimblattbildung
lassen sich Reptilien, Vögel und Säugetiere in einer Reihe anordnen,
in welcher die ersteren wieder die primitivsten Befunde aufweisen.
Daher erleichtert die genaue Kenntnis der Reptilienentwickehing außer-
ordentlich das Verständnis der Keimblattbildung bei Vögeln und Säuge-
tieren und zeigt uns den Weg an, auf welchem die bei diesen stark
abgeänderten Verhältnisse zu erklären sind.
Desgleichen läßt sich auch von den Reptilien noch am leichtesten
eine Brücke zu den Amphibien und unter diesen am leichtesten zu
den Gymnophionen schlagen.
Das Studium der früliesten Entwickelungsprozesse bei Reptilien war
lange Zeit vernachlässigt worden. Ein regeres Interese hierfür wurde erst
erweckt, als Kupffer und Bexeke (L. K. III '', 1878) an den Keimscheiben
von Lacerta und Emys eine Einstülpungsöifnung nachwiesen, welche sie
als Urmund (Prostoma), desgleichen einen kleinen Blindssck, den sie als
Urdarm deuteten. Hatten sie hiermit eine wichtige Anknüpfung an niedere
Wirbeltiere gewonnen, so stießen sie doch auch gleich auf schwieriger
zu erklärende Verhältnisse. Denn unter dem Blindsack, dessen Zell-
auskleidung Kupffer als Entoderm bezeichnete, fand er noch eine be-
sondere Zellenlage auf dem Dotter, die er P a r a d e r m oder Dotter-
blatt nannte. Die durch Einstülpung entstandene Höhle endlich ließ
er zur Anlage der AUantois werden.
Gegen diese Deutung erklärte sich Strahl (L. K. III ^), der von 1882 an
in einer Reihe von Untersuchungen sich mit der Entwickelung von Lacerta
beschäftigte und in mehreren Punkten, z. B. auch in betreff des Paraderms,
zu einer anderen Auffassung als Kupffer kam, wie er denn auch vom
Einstülpungssäckchen hervorhob, daß es nicht die Auskleidung der Darm-
höhle, sondern mittleres Keimblatt und Chorda liefere. An Schnittserien
verfolgte er genau die Bildung der Chorda und die Umwandlung im
Bereich des Canalis neurentericus. Gleichzeitig erschien die sorg-
fältige Arbeit über Eidechsenentwickelung von Weldon (L. K. III '',
Die Lehre von den Keimblättern. 819
1883), 8 Jalu-e später die zwar kurze, aber ihrem Inhalt nach be-
deutungsvolle Mitteilung über die Gastrulation der Eidechse von
Wenkebach (L. Iv. III', 1891). In ihr wurde ein Gedanke, den
zuerst HuBRECHT (.L K. III '^j 1888 und 1892) für die Säugetierent-
wickelung ausgesprochen, und auf welchen unabhängig von ihm aiich Keibel
(A. L. III 1", 1894, p. 105 — 112) gekommen war, des näheren
durchgeführt, der Gedanke nämlich, daß man bei der Eidechsenentwicke-
lung zwei zeitlich geti'ennte Phasen der Gastrulation unter-
scheiden müsse, eine erste Phase, in welcher das Darmdrüsenblatt oder
Kipffer's Paraderm, und eine zweite Phase, in welcher mittleres Keim-
blatt und Chorda gebildet werden. Beide gesondert auftretenden, aber
bald innig miteinander verwachsenden, durch Einstülpung entstandenen
Lagen unterscheidet Wexkebach (1. c. 1891, p. 75) als cenogenetisches
und als palingenetischesEntodermin Anlehnung an eine gleich-
zeitig von Hubkecht vorgeschlagene Nomenklatur.
Durch Ausdehnung der Forschung auf mehrere andere Vertreter
des Reptilienstammes erfuhr unsere Kenntnis eine ei'freuliche Erweiterung
nach mehreren Eichtungen. Mitsukuri, Mehnert, Will (s. L. K. III ''), be-
arbeiteten die Entwickelung der Schildkröten, der erstere an mehreren Arten
uud in besonders eingehender und erfolgreicher Weise. Große Förderung
erfuhr das Studium der Reptilienentwickelung durch Will, welcher drei
verschiedene Arten vei'gleichend untersuchte, die Schildkröte, Eidechse und
den Gecko (P 1 at ydactj^lus), von denen der letztere manche inter-
essante Modifikationen darbot. Diu'ch seine Untersuchung wurde Will
zu der Auffassung geführt, daß das mittlere Keimblatt sich w*eniger
durch Ausstülpung als vielmehr durch Unter w a c h s u n g aus Urdarm-
f alten anlege.
In jüngster Zeit wurde endlich auch die Entwickelung der Kroko-
dile durch VöLTZKow (L. K. III ^, 1901, A. L, III s, 1893, 1899),
die Entwickelung der merkwürdigen und auf wenigen Inseln noch ver-
breiteten Hatteria durch Schauinsland f'A. L. III s, 1899), Dexdv
(A. L. III«, 1899) und Thilenius (A. L. III §, 1899), die Entwickelung
der Keimblätter der Schlangen durch Will (L. K. III 7, 1898, 1899)",
Ballowitz (L. K. III '^, 1901), Gerhardt und 0. Hertwig (L. K. III ^,
190U) in Angriff genommen.
Die im folgenden zusammenzufassenden Ergebnisse lassen sich
am zweckmäßigsten in 4 Abschnitte einteilen. Zunächst wird die
erste, alsdann die zweite Phase der Gastrulation, drittens die Bildung
von Chorda. Kervenrohr und Ursegmenten, viertens die Entstehung
von Schwanz und After besprochen werden. Der Darstellung sollen
besonders die Verhältnisse bei der Natter und der Eidechse zur Grund-
lage dienen, weil ich mich durch eigene, mit Herrn Gerhardt vor-
genommene L'ntersuchungeu mit ihnen genauer bekannt -gemacht
habe. Diese haben zu ähnlichen Befunden an Flächenbildern uud an
Durchschnitten geführt, wie sie in den Abhandlungen von Will und
Ballowitz (11)01) beschrieben werden. Im Anschluß hieran werden
die entsprechenden Befunde beim Gecko, bei Hatteria und den Schild-
kröten erörtert werden.
a) Erste Phase der Gastrulation.
An dem Zellenmaterial der Keim Scheibe, welches aus dem Furchungs-
prozeß hervorgegangen ist, beginnen sich auf dem Stadium, welches
man als Blastula bezeichnen kann, die oberflächlichen Zellen zu einer
52*
820 0. Hertwig,
Membran dichter /usaimnen zu schließen ; die dai'unter gelegenen größeren
Zellen dagegen liegen lockerer und sind durch ansehnliche Zwischenräume
getrennt. Im weiteren Verlauf ordnen sich, besonders bei Schlangen,
die lockeren Zellen unter erheblicher Vergrößerung der Zwischenräume
zu verzweigten Strängen an, die später noch eine nähere Besprechung
linden werden. Infolge dieser eigentümlichen Verhältnisse, wie sie
bei anderen Wirbeltierklassen nicht wieder beobachtet werden, läßt
sich bei den Schlangen — und wohl überhaupt bei allen Reptilien —
die Keimhaut auch nach der Härtung der Eier vom geronnenen Dotter
leicht und ohne Verletzung abheben und dann, auf einer schwarzen
Glasscheibe ausgebreitet, mit Vorteil untersuchen. Denn es treten jetzt
auf dem dunklen Grunde die durchsichtigeren und die weniger durch-
sichtigen Abschnitte der Keimhaut, sowie die unter der oberflächlichen
Zellhaut gelegenen Stränge mit größerer Deutlichkeit hervor.
Ferner ist jetzt bald ein sehr wichtiger, tiefgreifender Unterschied
in der Keimblattbildung zwischen den meroblastischen Eiern der Rep-
tilien einerseits und der Elasmobranchier und Teleostier andererseits
festzustellen. Während bei diesen die Prozesse, die zur Ausbildung
des embryonalen Körpers führen, vom Rande der Keimhaut aus
ihren Ursprung nehmen, spielen sie sich bei den Reptilien mehr oder
minder annähernd in ihrer Mitte ab. Infolgedessen ist im ersteren
Fall das hintere Ende des Embryos bis zur Zeit, wo die Schwanz-
knospe auftritt, immer mit dem Rande der Keimhaut verbunden; der
Embryo entwickelt sich, wie man das Verhältnis kurz ausdrücken kann,
randständig, und zwar, wie wir gesehen haben, unter Beteiligung
des Zellenmaterials des Randes, welcher zugleich die Urmundlippe
darstellt. Im zweiten Fall spielt bei der E n t w i c k e 1 u n g
des Embryos der Rand der K e i m h a u t g a r k e i n e R o 1 1 e
und besitzt überhaupt, wie später noch genauer auseinandergesetzt
werden wird, ganz andere Eigenschaften als bei den Elasmobranchiern
und den Teleostiern, bei denen er Urmundrand ist. Der Embryo
bildet sich, um das Verhältnis wieder durch ein Schlagwort zu be-
zeichnen, mittelständig.
Die mittelständige Bildung des Embryos findet sich, was
gleich jetzt schon festgestellt sei, wie bei den Reptilien, so auch bei den
Vögeln und den Säugetieren ; sie ist also überhaupt für alle Amnioteu
charakteristisch. Auf diesen fundamentalen Unterschied in der Keim-
blattbildung zwischen den Amnioteu und den niederen Wirbeltieren
mit meroblastischen Eiern ist die Aufmerksamkeit zuerst durch Balfour
in seinem Handbuch der vergleichenden Embrj^ologie (A. L. II 1881,
Bd. II, p. 258) gelenkt worden.
Durch kombinierte Untersuchung von Flächenbilderu und Durch-
schnitten, ist folgender Thatbestand festzustellen. In der Mitte der
vom Dotter abgehobenen Keimhaut ist eine etwas weniger durchsichtige
Stelle (Fig. 413—415 schj entstanden, welche bei Untersuchung auf
schwarzem Grund weißlich erscheint. Sie ist in Anknüpfung an die
bei Säugetieren eingeführte Terminologie als das E m b r y o n a 1 s c h i 1 d
von KuPFFER bezeichnet worden. Der Unterschied im Aussehen
gegen die Umgebung wird dadurch hervorgerufen, daß im Bereich
des Embryonalschildes die zum Epithel zusammengefügten Zellen der
Keimhaut höher werden, erst kubisch, schließlich cylindrisch, während
umgekehrt in der Peripherie die Zellen sich immer mehr abflachen
und dadurch durchsichtiger werden. Bald ist an dem ovalen Schild
Die Lehre von den Keimljlärtern.
821
auch ein vorderer und ein hinterer Rand zu erkennen. Die Befunde,
die Will (L. K. IIP, 1H95) von der Eidechse erhalten hat (Fig. 413),
kann ich für die Ringelnatter vollauf bestätigen.
Fig. 413.
Fi-r. 414.
um
Fig. 413. Embrvonalschild mit Primitivplatte vom Embryo von Lacerta muralis,
nach Will (L.K. III', 1895, Taf. I, Fig. 1). scA Embryonalschild, pr Primitivplatte.
Fig. 414. Embryonalschild mit Primitivplatte und dellenförmiger Einstülpung
von Lacerta niurahs, "nach Will (18i).D, Taf. I, Fig. 5). >im Urmund.
r
Fig. 41.5A. Keimhaut der Natter mit Embryonalschild und grubenförmig ver-
tiefter Primitivplatte. Photogr. Natter 1 des anat.-biol. Inst.
Fig. 41."')B. Keimhaut der Natter mit schärfer sich markierender Urmundöffnug,
die in ein kleines Mesoderm säckchen führt. Photogr. Natter 2 des anat.-biol. Inst.
Am zukünftigen hinteren Rand des ovalen Embryoualschildes (scli)
wird eine kleine und weiß erscheinende Stelle ipr) wahrnehmbar, welche
als Vorsprung in den verdünnten Teil der Keimhaut weit hineinreicht,
der
sogenannte
Primitiv knoten von Mehnert, die Primitiv
822
0. Hertwig,
platte von Will, der Ausgangspunkt und das Centrum für alle
weiteren Bildungsvorgänge. Denn nach einiger Zeit erscheint auf
seiner Oberfläche eine ganz flache Delle (Fig. 414Mmund Fig. 415A und
B), welche sich dann bald zu einer kleinen Grube vertieft, zu dem
von KuPFFER entdeckten Urmund. Noch ehe derselbe deutlicher
ausgeprägt ist, hat die Primitivplatte eine Verlagerung erfahren,
welche in derselben Weise wie von mir bei der Natter (Fig. 415),
Fig. 41(). Medianer Längsschnitt durch die Keimhaut von Lacerta Litfordi,
an welcher eine Primitivplatte noch nicht äußerlich zu erkennen ist, nach Will
(1895, Taf. IV, Fig. 28a). ak, ih äußeres, inneres Keimblatt, 'p'' Priraitivplatte. seh
Epithel des Schildes. ,
j)r
S^&^SP>.°x^:
dl
Fig. 417. Medianschnitt durch eine Keimhaut mit Primitivplatte ohne Ein-
stülpung von Lacerta muralis, nach Weldon. pr Primitivplatte, dl dorsale Ur-
mundlippe.
pr'
*' ©^ ^L^: -^
*^ _?■-.&"
'^ 'S -. . . <B'^
Fig. 418. Sagittalschnitt durch den Embryoualschild und die Primitivplatte
eines Embryos von Platydactylus facetanus mit eben beginnender Einstülpung, nach
Will, ^^r Priraitivplatte mit Grube, dl dorsale L^rmunülipi3e. pr^ hinterer Teil der
Primitivplatte.
2»' dl
ik ak
~:wiS^^i^
Fig. 419. Längsschnitt durch die Keiiuhaut der Natter mit kleiner Delle am
hinteren Rande des Embryoualschildes. Photogr. Natter 32* des anat.-biol. Inst.
pr Primitivplatte, dl dorsale Urmundlippe. ak, ik äußeres, inneres Keimblatt, sub-
germinale Zellstränge des inneren Keimblattes.
Die Lehre von den Keimblättern. 823
von Will beim Gecko, bei der Schildkröte und der Eidechse (Fig. 414)
beobachtet und genau beschrieben worden ist; anfangs hinter dem
Schild gelegen, rückt sie sehr bald in ihn hinein, so daß sie vorn und
seitlich von ihm umfaßt wird.
Das Sichtbarwerden der Primitivplatte ist ein sicheres Zeichen,
daß die erste Phase des Gastrulationsprozesses begonnen hat. Längs-
schnitte, die ich wegen der Wichtigkeit des Gegenstandes von der
Eidechse (Fig. 416 und 417), dem Gecko (Fig. 418) und der Natter
(Fig. 419) nach verschiedenen Autoren abbilde, lehren, daß das Embryo-
nalschild und die Primitivplatte sich wesentlich in ihrem Bau von-
einander unterscheiden. Dort beruht die Trübung auf einer Umwand-
lung eines Bezirkes der Keimhaut in ein Cylinderepithel, hier in einer
sehr lebhaften Wucherung und Vermehrung der oberflächlichen Zellen,
die von unregelmäßiger Form sind und in vielen Schichten teils fester,
teils lockerer übereinander liegen. Die Primitivplatte ij)r) zeigt uns da-
her ein Wachstumscentrum an, welches im weiteren Verlauf an Ausdeh-
nung und Dicke immer mehr zunimmt. Ferner läßt sich, je älter die
Keimhäute mit Primitivplatte werden, um so deutlicher verfolgen,
daß sich im Anschluß an die durch Wucherung entstandene verdickte
Stelle die angrenzenden, in der Keimhöhle zerstreuten Dotterzellen zu
einer zweiten Schicht unter der Decke der Keimblase zusammenfügen
(Fig. 417 und Fig. 419 ilc). Sie sind meist abgeplattet, von unregel-
mäßiger Form und verschiedener Größe und liegen lockerer als in der
oberflächlichen Schicht (a/.:), von welcher sie nur durch einen schmalen
Zwischenraum getrennt sind. Die ueuentstehende Schicht ist das
Paraderm oder Dotterblatt Kupffer's, das cenogenetische Entoderm
Wenkebach's (Lecithophor von Van Beneden) oder das sekundäre
Entoderm Will's. Wir halten alle diese verschiedenen Namen in der
Litteratur für überflüssig und werden im folgenden die untere Schicht
einfach als unteres oder inneres Keimblatt bezeichnen; denn als solches
giebt es sich sowohl durch seine Lage als auch durch seine weitere
Bestimmung zu erkennen.
Aeußeres und inneres Keimblatt sind durch einen Spalt getrennt
bis auf die Primitivplatte, durch deren gewucherte Zellmasse sie fest
untereinander zusammenhängen. In dieser Beziehung zeigt die Primitiv-
platte ein Verhalten, wie der Urmundrand bei den bis jetzt unter-
suchten Wirbeltieren. Daß sie ihm entspricht, lehrt der weitere Ver-
lauf, und zwar besonders der Umstand, daß bald eine Delle, die sich
zur Grul)e vertieft, in ihr auftritt (Fig. 418 und Fig. 419), daß die
Uebergangsstelle des Embryonalschildes in die Platte nach vorn zu
deutlich das Aussehen einer Urmundlippe (Fig. 419 dl und Fig. 418) an-
nimmt und daß von hier aus lange Zeit Zellen von außen nach innen
einwandern und das Material für Chorda und Mesoblast liefern. An
Längsdurchschnitten durch die Primitivplatte der Natter (^Fig. 419),
sowie an vielen entsprechenden Figuren vom Gecko (Fig. 418) etc. kann
man sehen, wie am Grund der Delle die Zellen in die Länge gezogen
und in Kurven gestellt sind, in gleicher Weise wie am Urmundrand
der Elasmobranchier und Amphibien.
Will bezeichnet die Primitivplatte als Entoderm. Ebensowenig
wie andere Autoren, möchte ich mich dieser Bezeichnung anschließen,
sehe vielmehr in ihr ein inditterentes Zellenmaterial, welches man
seiner Lage nach weder dem äußeren noch dem inneren oder mittleren
Keimblatt hinzurechnen kann, ebenso wie man ja an der Urmund-
824 0. Hertwig,
lippe nicht angeben kann, wo das eine Keimblatt anfängt und das
andere aufhört, da eine Uebergangsstelle vorliegt.
Wenn wir die untere Zellschicht ihrer Lage und ihrer späteren
Bestimmung nach als inneres Keimblatt bezeichnet haben, so muß
hervorgehoben werden, daß seine Entstehung bei den Reptilien eine
andere als beim Amphioxus ist, wo eine klar ausgesprochene Inva-
gination und eine weit nach außen geöti'nete Urdarmhöhle vorhanden ist.
Dieser wohl durch den Dotterreichtum des Eies hervorgerufene
Unterschied wird indessen unserem Verständnis etwas näher gerückt
durch Berücksichtigung der bei verschiedenen Amphibienarten beobach-
teten Moditikationen der Gastrulation, welche mir eine Brücke zu den
Amnioten zu bilden scheinen. So konnte beim Frosch (Fig. 2U1 und
und 292) festgestellt werden, daß schon zur Zeit, wo äußerlich die
Urmundrinne kaum einschneidet, die Dotterzellen sich von unten nach
oben an der Decke der Keiml)lase zur Formation des inneren Blattes
ausgebreitet haben und eine geschlossene Schicht bilden, unter welcher
noch die Keimhöhle sich befindet. Mit der Zunahme des Dotterreich-
tuines der Eier (bei Salamandra und den Cöcilien, Fig. 21)8) scheint
die Einstülpungshöhle noch mehr zurückzubleiben und ein immer
größerer Teil der Keimblasendecke von den Dotterzellen unter-
wachsen zu werden. Man kann dies auch so ausdrücken, daß die
vegetativen Zellen, welche zum Boden der Keimblase ursi)rünglich ge-
hören, sich jetzt ihrer Decke dicht anfügen. Bei den Amphibien läßt
also die unter dem äußeren Keimblatt gelegene, geschlossene Schicht
von Dotterzellen zwei Abschnitte unterscheiden, einen je nach dem
Dotterreichtum des Eies immer kleiner werdenden Abschnitt, der den
Urdarm begrenzt und als Wand einer Einstülpung direkt entstanden
ist, und eine zweite Abteilung, die im Anschluß an die Einstülpung
durch ^Vanderung der Dotterzellen entlang der Decke der Keimblase
gebildet worden ist und die Keimblasenhöhle begrenzt. Beide Al)-
schnitte werden voneinander getrennt durch eine Masse von Dotter-
zellen, welche sich zwischen Einstülpungs- und Keimblasenhöhle da-
zwischenschiebt.
Gewissermaßen das Endglied in dieser Reihe von Veränderungen
stellen die Eier der Reptilien dar. Wenn bei ihnen die Stelle der
Keimhaut, von der die Gastrulation ausgeht, sich eben erst durch eine
Zellenwucherung als Primitivplatte kenntlich macht, beginnt schon die
Unter wach sun g der Keirab las endecke durch Dotterzellen,
und es wird so schon ein inneres Keimblatt hergestellt zur Zeit, wo
äußerlich erst eine tiache Delle oder ein wenig tiefes Gastrulasäckchen
zu sehen sind. Inwieweit bei diesen Materialverlagerungeu auch
eine Einwanderung oberflächlich gelegener (animaler) Zellen aus der
Decke der Keimblase beteiligt ist, dürfte schwer festzustellen sein.
Doch ist eine vordere Urmundlipi)e (Fig. 418 und 410 dl), welche der
Lippenbildung am Froschei vergleichbar ist, und an welcher die Ein-
wanderung stattfinden könnte, an der Primitivplatte schon ziemlich
früh ausgeprägt.
Die hier gegebene Erklärung von der Entwickeluug des Darm-
drüsenblattes oder der ersten Phase der Gastrulation erhält eine
kräftige Stütze in den weiteren Vorgängen, welche zur zweiten Phase,
der Gastrulation, führen und ihr angehören. Ehe wir uns aber zu
dieser wenden, ist noch näher auf die schon oben erwähnten, den
Reptilien eigentümhchen Zellstränge einzugehen. Auch in ihnen werden
Die Lehre von den Keimblättern.
825
durch Teilung die Zellen kleiner und haften dann fester zusammen.
Die ziemlich langen Stränge (Fig. 420 st und 428) verästeln sich und
hängen untereinander zu einem lockeren Netzwerk zusammen ; hie und
da zeigen sie knoteuartigc \'erdickuiigen, die mit dünnen Strecken ab-
wechseln. Unter dem Darmdrüsenblatt, wenn dieses entstanden ist.
ausgebreitet, hängen sie hie und da mit ihm zusammen, als ob sie
durch Sprossung nach Art verzweigter Drüsenschläuche aus ihm horvor-
ak ek
y"*«.*- l
.^ -»Oife^»^-
Fig. 42<J. Querschnitt durch den vorderen Teil des Einbryonalschildes von der
Natter, das in der Fig. 4L5A von der Fläche abgeljildet ist. ak, ek äußeres und
inneres Keimblatt, st Entodermstränge. dh Darmhöhle. Photogr. Natter 1 des
anat.-biol. Inst.
gewachsen seien. Bei den Schlangen besonders sind die entodermalen
Zellstränge sehr mächtig entwickelt, sind aber auch bei anderen Rep-
tilienarten, wenn auch in schw^ächerer Ausbildung beobachtet worden,
so daß es nicht unwahrscheinlich ist, daß sie überhaupt eine Eigen-
tümlichkeit der ganzen Klasse darstellen.
Die entodermalen Zellstränge sind schon von Kupfper (L. K.III', 1882)
bei den Schlangen beobachtet worden, der irrigerAveise von ihnen ver-
mutete, daß sie sich weiter zu
Blutgefäßen entwickelten. Cor-
KiNG (L. K. III 7, 1890) hat sie
in einer kleinen Mitteilung be-
schrieben. Strahl und Will
erwähnen sie in ihren Arbeiten
über Eidechsen und Schlangen /'
und erkannten, daß sie mit der
Bildung von Blutgefäßen nichts
zu thun haben. Bei Hatteria i;. -. - ii
(Eig. 421) hat sie ScHAuixsLAXi) i r- \
(A. L. III 8, 1899) nachgewiesen.
-■ ■■■Jr ;V
Fig. 421. Etwas älteres Sta-
dium eines Embryonalschildes von
Hatteria mit dreieckiger Urmund-
öffnung und Eückenrinne, von unten
gesehen. Man sieht Entoderm knöpf,
Chordarinne und Entoderrastränee.
Nach SCHAUINSLAND (A. L. III**,
1899, Taf. II, Fig. 2b).
r>
/
826
0. Hertwig,
1). Zweite Phase der Gastrulation.
Das Charakteristische der zweiten Phase ist eine Wucherung und
Einwanderung von Zellen, welche von der Priniitivplatte ausgeht und das
Material zur Anlage der Chorda und dei- mittleren Keimblätter liefert.
Die zweite Phase läßt bei den Reptilien zwei Modifikationen erkennen,
Die eine ist ausgezeichnet durch das nachträgliche Auftreten einer
weit ausgedehnten Einstülpungshöhle. Sie findet sich am stärksten
und Kreuz-
Lacerta etc. beob-
ausgeprägt beim (iecko und bei Schlangen
(Ringelnatter
geringen Dimensionen
Otter). Bei der zweiten Modifikation, welche Ijei
achtet wird, ist die Einstülpungshöhle von sehr
und stellt einen engen Kanal dar, der dem Choi'dakanal der Säuge-
tiere sehr ähnelt und ihm von Strahl mit Recht verglichen worden ist.
Wir beginnen mit den an der Oberfläche sichtbar werdenden Er-
scheinungen, welche für beide Typen gleichartig sind. An der Primitiv-
platte , welche in den hinteren Bezirk des Embryonalschildes jetzt
ganz aufgenommen ist, hat sich die Delle in ein tiefes Grübchen um-
gewandelt, dessen Oeffnung entweder eine dreiseitige oder eine ovale
Form hat (Fig. 422). Der vordere Rand oder die vordere Urmund-
lippe ist schärfer ausgeprägt und springt stärker nach außen hervor,
während nach hinten zu das Grübchen sich mehr allmählich verliert.
An älteren Keimhäuten ist die Urmundölfnung weiter ausgedehnt
und stellt einen queren Schlitz dar (Fig. 424 u. 425). Er führt in
ein nach vorn gerichtetes geschlossenes Einstülpungssäckchen, dessen
Ausdehnung man bei Betrachtung der Keimhaut von ihrer unteren
Fläche (Fig. 423) deutlich feststellen kann. Noch später krümmt sich
die vordere Urmundlippe halbmondförmig, begrenzt also wie bei den
Ami)hibien ein nach hinten geöffnetes Hufeisen und umfaßt einen
kleinen, nach außen vorspringenden Höcker, welcher sich dem Rus-
coNi'schen Dotterpfropf der Amphibien vergleichen läßt.
Eine sehr genaue Beschreibung der Formveränderungen des Ur-
mundes bei der Schildkröte (Fig. 42()) hat Mitsukuri gegeben und an
Fio-. 422.
FiiT. 42;5.
,scA
■M-
./%-- ^
sck
-fh
-ms
Ulli -
Fig. 422. Rückenansicht eines Keimes von Chelonia caouana wenige Stunden
nach der Eiablage. Nach Mitsukuri (L. K. III' 1894, Taf. VI, Fig. 1).
Fig. 423. Ventrale Ansicht eines Keinaes von Chelonia caouana etwa 2 Tage
nach der Eiablage. Nach MiTSUKum (1894, Taf. VI, J'ig. 3a bis), seh Schild.
um Urmund. fh Fruchthof. ms Mesoderiusäckchen.
Die Lehre von den Keimblättern.
827
7 Diagrammen illustriert (L. K. III ^ 1896, p. 14). Als Stütze für ihre
Richtigkeit führt er an, daß die Zeichnungen in bestimmten Intervallen
von Eieiii ein und derselben Ablage angefertigt wurden und daß die
Form Voränderungen auch an anderen Serien wieder gefunden wurden.
Fig. 424A. Oberflachenhild der Keimhaut der Natter mit Urnuind imd großem
Mesodermsäckcheii, von dem in Fig. 429 ein Längsschnitt abgebildet ist. (Photogr.
Natter ö des anat.-biol. Instituts.)
Fig. 424 B. Oberflächenbild der Keimhaut der Natter mit breiter Urmund-
spalte auf einem etwas älteren Stadium als Fig. 424 A, da das Mesodermsäckchen
schon im Durch brach begriffen ist. (Photogr. Natter 6 des anat.-biol. Instituts. )J
Zuerst ist der L^rmund eine weite, offene, in querer Richtung ver-
breiterte Höhle. Dann verwandelt er sich in einen halbmondförmigen
queren Spalt, dessen Konkavität nach vorn gewandt ist. In Diagramm 3
ist der Spalt fast eine grade quere Linie mit einer leichten, nach hinten
Fig. 425.
-f
-7
7-
Fig. 425. Embryo von Platydactylus facetanus mit vollständig ausgebildetem
Urdarm^ dessen Bodeii schon weit durchgebrochen ist. Ansicht vom Eücken. Nach
Will (L. K. III ' J893' Tat. II, Fig. 7a, 7b). .vcA Schild, um Urmund. ms Meso-
dermsäckchen.
Fig. 426. 7 Stadien von der Veränderung des Urmundes der Schildkröte
nach MiTSüKUKi (L. K. III ' 1896, Holzschnitt V).
828
0. Hertwig,
offenen
(Fig-. 424)
Einkerbung
In den
förmigen
in der
Diagramnien
Mitte. Ebenso sieht er
4 und ;") sind die
Oeffnung gerade nach hinten
nun rückwärts sieht,
nonimen und ist in
In
Diagramm
Diagramm
bei der Natter aus
;) sind üie Enden der schlitz-
gewandt, so daß die Konkavität
() hat die Konkavität zuge-
7 in eine tiefe Hufeisenform über-
gegangen.
Bei der
ersten Typus beginnen
Stadien der
Beschreibung der
Fig
Ausbihlung
Durchschnitte wollen wir mit dem
427--429 geben uns auf verschiedenen
Medianschnitte durch die Einstülpung der
Fig. 427. Längsschnitt durch ein Gaslrulastadiuni der Natter mit kleinem,
geschlossenem Mesodermsäckchen. (Photogr. Natter 44'' des anat.-biol. Instituts.)
Bezeichnxingen siehe Fig. 428.
d (Ih sttr
Fig. 428. Längsschnitt durch ein Gastrulastadium der Natter mit geschlossenem
Mesodermsäckchen. (Photogr. Natter 4P des anat.-biol. Instituts.; Flächenbild
entspricht Fig. 41.5 B.
ms Höhle des Mesoderm säckchens, hms Boden des Mesodermsäckchens. p?- Pri-
mitivplatte. ik inneres Keimblatt, str subgerminale Zellstränge desselben. «/ vordere
Urmundlippe. d Dotter, dh Darmhöhle, hl Spalt, der dem Blastocoel entspricht.
Natter, welche wir aus später zu erörternden Gründen das Mesoderm-
säckchen nennen wollen. Die in der Primitivplatte auftretende Höhlung
nimmt bei ihrer weiteren Ausdehnung gleich eine Richtung nach
vorn. So entsteht eine Tasche, welche sich in den Spaltraum zwischen
äußerem und innerem Keimblatt hineinschiebt und deren blinder
Grund sich kopfwärts befindet. In Fig. 427 u. 428 noch klein, hat
das Säckchen sich auf dem Medianschnitt durch eine ältere Keimhaut
(Fig. 429) um mehr als das Doppelte
vergrößert.
Seine Decke be-
Die Lehre von den Keimblättern.
829
steht aus langgestreckten, teils cylindrischen, teils spindeligen Zellen,
die in einem festen, epithelialen Gefüge ähnlich wie die Ektoderm-
zellen des Embryonalschildes miteinander verbunden sind. In diese
gehen sie auch am Eingang in die Tasche, am vorderen Urmund-
oder Einstülpungsrand, kontinuierlich über. Der Boden des Säck-
chens wird, je größer er wird, um so mehr verdünnt (Fig. 42i)j und
grobem
Fig. 429, Längsschnitt durch ein Gastrulastadium der Natter mit
Mesodermsäckchen kurz vor dem Durchbruch von dem im Flächenbild 424A abge-
bildeten Objekt. (Photogr. Natter 5^ des anat.-biol, Instituts.)
besteht schließlich aus einer Lage platter Zellen, unter welcher sich,
durch einen Spalt getrennt, das schon früher entstandene und bereits
beschriebene, innere Keimblatt (Paraderm) ausbreitet. Zwischen diesem
und dem Boden der Einstülpung kommt es später im vorderen Be-
reich zur Verschmelzung. Wie Mehnert sich ausdrückt, ,,wird der
Urdarmkanal'' — das ist unser Mesodermsäckchen — „in das Paraderm
eingeschaltet" (L. K. III ' 1891, p. 411j. Nach hinten geht der Boden des
Säckchens in den hinter dem Urmund gelegenen Teil der Primitiv-
platte über, an welchem die Zellen sich durch Wucherung noch
stärker vermehrt haben und, in netzförmig verbundenen Strängen zu-
sammenliegend, einen breiten Hügel bilden. An seinem Fuß hat sich
jetzt das untere Keimblatt durch einen schmalen Spalt als eine
fache Lage platter Zellen scharf abgesetzt, während nach außen
gegen die obertlächliche Zellenlage fehlt. Unter
em-
eine
dem
sich bei den Schlangen in den subgerminalem
des Nahruugsdotters die vorher erwähnten
Abgrenzung
Darmdrüsenl)latt breiten
Raum über dem Boden
Zellstränge aus und setzen sich hie und da breit an die untere Fläche
des Darmdrüsenblattes an (Fig. 428 u. 429).
[Ganz entsprechende Verhältnisse hat ScnArixsLAXD i'A. L. III^ 1899,
p. 314) bei der Hatteria beobachtet. Er bezeichnet das Bild ihres Embryonal-
schildes als sehr auffällig dadurch, daß sich an der ventralen Seite (Eig. 421)
regelmäßig ein Netzwerk von mehr oder weniger röhrenförmigen Strängen
vorfindet : dieselben nehmen vom Entoderm (oder doch von Zellen, welche
später dazu werden) ihren Ursprung und hauptsächlich von den peri-
pheren Teilen desselben, oft weit bis in die Area pellucida hinein-
reichend, und finden sich in desto größerer Anzahl, je jünger die Em-
brvonalancje ist, um später fast gänzlich zu verschwinden. An Qner-
")
schnitten sieht man, daß
und bisweilen geradezu
unter dem Embryonalschild
von Blut und Gefäßen haben
sie meistenteils
gefäßartig sind.
gelegene Höhle
zu
die Gestalt von Röhren besitzen
Sie erstrecken sich in eine
hinein. Mit der Entstehung
sie
übrigens
durchaus nichts zu thun.j
830
0. Hertwig,
Auf einem iiocli weiter vorgerückten Stadium (Fig. 430 u. 431),
auf welchem das Mesodermsäckchen an Länge zugenommen hat
der Urnmnd eine (juere Spalte (Fig. 424) darstellt, tritt ein
interessanter Prozeß ein. Sein Boden, soweit er
Membran abgeplatteter Zellen besteht, welche sich
dünnen Darmdrüsenblatt innig angeschmiegt hat,
wichtiger und
einer dünnen
nicht minder
und
sehr
aus
dem
wird
an einer oder mehreren Stellen durchbrochen, so daß die Invaginations-
höhle sich in den Raum unter
Zellstränge, die eine Zeit
und die in
Fig.
dem Darmdrüsenblatt öffnet. Einige
als Reste des Bodens bestehen bleiben
430 u. 431 auf dem Durchschnitt zu bemerken sind,
lang
um
cn rh
ch
rh
Fig. 430. Längsschnitt dnrch ein späteres Gastrulat^tadium der Natter, auf
welchem der Boden des Mesodennsäckchens in Durchbruch begriffen ist. FJächen-
bild der Keinihaut ähnlich wie in Fig. 424 B nahe der Medianebene. (Präparat
Natter 29^ des anat.-biol. Instituts.) Bezeichnungen siehe Fig. 431.
pr bms ul
Fig.
ch (Ul ch rh udf ik
431. Längsschnitt durch ein noch etwas älteres Stadium nahe der Median-
ebene. Flächenbild "ähnlich wie in Fig. 424 A. (Präparat Natter 38' des anat.-biol.
Instituts. )
pr Primitivplatte, geht nach vorn über in den Boden des Mesodermsäckchens
hms, der nach vorn durchgebrochen ist. rh strangförmige Beste des Bodens, udf Ur-
darmfalte. ch Chordaanlage, ul vordere Urdarmlipi^e. mp Medullarplatte. ms Höhle
des Mesodermsäckchens. cn Canalis neurentericus. um ürmund.
bilden sich später noch ganz zurück; an der Decke des so entstandenen,
weiten, einheitlichen Raums, welcher durch den Urmund nach außen
geöffnet ist, läßt sich noch längere Zeit auf dem Medianschnitt
(Fig. 431) an der Beschaffenheit und Anordnung der Zellen deutlich
festsetzen, welcher iVbschnitt aus der ersten und welcher aus der
zweiten Phase der Gastrulation herrührt. Auch springt an der Ueber-
gangszelle nicht selten eine kleine Falte (Fig. 431 wf//") hervor, die
sich als Rest vom Boden des Säckchens erhalten hat. Von der Zer-
störung bleibt beim Durchbruch des Mesodermsäckchens ferner der-
jenige Abschnitt des Bodens verschont, welcher aus der kleinzelligen
Wucherung des nach hinten vom Urmund gelegenen Teiles der Primitiv-
Die Lehre von den Keimblättern.
831
platte besteht. Er verlängert sich auf dem Medianschnitt (Fig. 4o0
u. 4'-U) in einen zungenförniigen Fortsatz, der sich eine Strecke weit
nach vorn nntoi- die vordere Urniundlippe schiebt und mit ihr einen
Fi^. 432. Medianer Längsschnitt durch ein Gastrulastadium vom Gecko,
dessen Urdarmeinstülpung die Richtung nach vorn nimmt. Stadium III nach
Will (L. K. III' 1SU2, Taf. VII, Fig. 48). Bezeichnungen nach Will: .s Em-
bryonalschild, y vordere Urniundlippe. z hintere Urdarndippe. x Grenze zwischen
Urdarmplatte und Entoderm pfropf (Priniitivplatte nach Hertwig). ai Area inter-
media, kf der sich später zum LTrdarm aushöhlende Kopffortsatz. </ Dotter.
dz Dotterzellen, a u. h erste Anfänge eines sekundären Entoderms.
Fig. 433. Medianer Längsschnitt durch einen Embryo des Gecko (Platydactylus)
mit bereits nach vorn gerichteter Einstülpung. Nach Will (1891. Fig. 3|. Bezeich-
nungen nach Will: s äußeres Keimblatt des Schildes. U desgleichen der Area
opaca. e' Urdarmblatt. r" Dotterblatt.
^T^^ss^s^^s
Fig. 434. Medianer Längsschnitt durch einen Embryo vom Gecko in der
zweiten Phase des Gastrulastadiums. Nach Will (1891, I'ig. 4). Bezeichnungen wie
in Fig. 483.
Fig. 43.J. Medianer Längsschnitt durch einen Embryo vom Gecko, dessen
Einstülpung im Durchbruch begriffen ist. Nach Will (1891, Fig. 5). Bezeich-
nungen nach WiiiL wie in Fig. 433. Außerdem: kg KuPFFER'seher Gang (Canalis
neurentericus), bei x ein vorläufig stehen gebliebener Rest der unteren Wand des
Chordakanals (Mesodermsäckchenj.
längeren engen Spalt erzeugt, durch welchen man von außen in die
geräumige Darmhöhle gelangt. Wegen seiner Beziehungen zu dem
sich später bildenden Nervenrohr führt er den Namen des Canalis
832 0. Hertwig,
neurentericus (cn) ; aiicli wird er öfters als KuPFFER'scher Gang be-
schrieben.
Die an dem Ei der Natter hier genauer verfolgten Vorgänge sind
seit einer Reihe von Jahren auch bei anderen Re})tilienarten in ähn-
licher Weise beschrieben worden (L. K. III ^): beim Gecko von Will
(1S92), bei Schildkröten von Will (1.^93), Mehnert (1X91) und
MiTSUKURi (ISSC), 1S93), bei der Eidechse von Wenkebach (1891)
und Will (1895), bei Hatteria von Schauinsland (A. L. IIP, 1899).
Die Abweichungen bestehen nur in unwesentlichen Modifikationen.
Den größten Umfang erreicht das Mesodermsäckchen beim
Gecko, W'O es, „von der vorderen Urmundlippe an gerechnet, eine
Länge von ca. 1,08 mm und dabei auch eine sehr respektable Breite
erreicht" (Will, L. K. III '^ 1894, p. 132). Die aus Will's Untersuchungen
kopierten, etwas schematisierten Figuren (Fig. 432 — 435) geben einen
Einblick in die verschiedenen Stadien der Keimblattentwickelung,
welche in der für die Natter dargestellten Weise verläuft. Der Durch-
bruch des Einstülpungssäckchens in die Subgerminalhöhle erfolgt,
ebenso wie bei der Natter, von mehreren Stellen aus. In die so ent-
stehende, netzförmige Beschaffenheit des
Bodens gewinnt man einen guten Ein-
blick auch bei Betrachtung der abge-
hobenen Keimhaut von der unteren Seite
(Fig. 436).
Fig. 436. Die vom Dotter abgehobene Keim-
haiit vom Gecko, die in Fig. 425 vom Rücken
abgebildet ist, in der Ansicht von unten. Nach
Will (1892, Taf. II, Fig. 17b). oe durch Durch-
bruch entstandene Oeffnungen im Boden des Ein-
stülpungssäckchens. sl stehen gebliebene Zell-
stränge, cn untere Wand des Canalis neuren-
tericus.
Bei der Eidechse fällt das Mesodermsäckchen viel kleiner aus,
und seine Ausdehnung ist namentlich in der Quere sehr wenig ent-
wickelt, wie die Querschnitte (Fig. 450, 451) lehren. Von dem zweiten
Stadium der Gastrulation hat Wenkebach die nebenstehenden Figuren
geliefert, deren Richtigkeit durch Will bestätigt wird. In Fig. 437
sieht man eine kleine Einstülpung sich in die Primitiv])latte ein-
senken , an deren unterer Fläche auf diesem Stadium das innere
Keimblatt als getrennte Schicht hinzieht. Vom Grunde der Ein-
stülpung aus schiebt sich zwischen beide Blätter eine kleine Zellmasse
nach vorn hinein, welche auf einem weiteren Stadium (Fig. 438) durch
Ausdehnung der Einstülpung nach vorn sich aushöhlt. In Fig. 439
u. 440 endlich ist der Boden der Einstülpung, nachdem er sich dem
inneren Keimblatt eng angeschmiegt hat, im vorderen Bereich durch-
gebrochen und mit der Darmhöhle in Verbindung getreten. „Dabei
bleibt oft noch hier und da eine kleine Gewebsbrücke zeitweilig be-
stehen. Durch die Bilder wird Wenkebach lebhaft an die Eröffnung
des Chordakanales im Säugetierei erinnert'' (L. K. III ^ 1891, p. Ol).
Die wichtigsten Befunde, welche bei allen genauer untersuchten
Reptilien in gleicher Weise beobachtet worden sind, lassen sich ohne
weiteres wieder mit Befunden der Amphibienentwickelung, wie sie
vom Frosch (Fig. 294, 295), Salamander, Ichthyophis (Fig. 298—300)
Die Lehre von den Keimblättern.
833
gewonnen wurden, in Parallele stellen. Hier wie dort sind an der
Decke der Gastrulahölile im Endstadium zwei Abschnitte zu unter-
scheiden. Der eine, kopfwärts gelegene Abschnitt leitet sich aus vege-
tativen Zellen her, die an der Begrenzung der Oberfläche der Keim-
blase nicht teilgenommen haben und sich von dem Boden des Blasto-
cöls abstammend an der Decke ausl)reiten und ein inneres Keimblatt
Fig. 437.
Fig. 438.
Fig. 439.
Fig. 440.
Fig. 441.
Fig. 437 — 441. 5 mediane Durchschnitte durch Keimhäute von Lacerta agihs,
die verschiedene Stadien der Entwickelung des Mesodermsäckchens und des Durch-
bruches in die Darmhöhle zeigen. NachWENKEBACH (L.K. III' 1891, Holzschnitt 2— 6).
allmählich herstellen. Der zweite, nach hinten befindliche Abschnitt
entsteht bei der Gastrulation als Wand einer typischen Einstülpung.
Hier wie dort sind die beiden Abschnitte ursprünglich getrennt. Ihre
Höhlen (Blastocöl und die durch den Urmund nach außen geöffnete
Handbuch der Entwickelungslehre. I. qQ
834
0. Hertwig,
Einstüli)ungsliölile) werden durch P^inreißen eines dünnen Zellhäutchcns
zu einem einlieitliclien großen Hohlraum vereinigt. Während bei den
Amphibien die beiden Prozesse der Einstülpung und Ausbreitung
der Dotterzellen am Dach der Keimblasenhöhle sich mehr gleichzeitig,
vollziehen und mehr ineinander greifen, sind sie bei den Reptilien
schärfer gesondert und lassen sich daher in i)assender Weise als erste
und zweite Phase der Gastrulation auseinanderhalten. Auf diese
Uebereinstimmung ist bereits von Brauer (A. L. III ^ 1897) hinge-
wiesen worden.
Eine wesentliche Erweiterung erfährt unsere Kenntnis von den
Vorgängen in der Umgebung der Primitivplatte und des Mesoderm-
säckchens an Querschnitten. Wir wollen hierbei wieder unseren Aus-
gang von einer Querschnittserie durch eine Keimhaut der Natter
nehmen auf dem Stadium (Fig. 424 B), wo die Vereinigung beider Hohl-
mV
Fig. 448.
um
mk
d <1 il-
Fig. 442—447. Sechs Bilder nach Photogrammen aus einer Querschnittserie
der Natter, deren Keim sich auf einem Gastrulastadium ähnlich dem in Fig. 424 B
dargestellten befand. Präp. Natter 27 des anat.-biol. Inst. Siehe Bezeichn. Fig. 447.
Fig. 442. Querschnitt durch die Primitivplatte hinter der Urmundgrube.
Fig. 443. Querschnitt durch die Urmundgrube, umgeben von den lateralen
Urmundlippen.
Fig. 444. Einige Schnitte vor dem Urmund, durch die auf mehreren Schnitten
ausgebildete Urmundnaht.
Die Lehre von den Keimblättern.
835
räume eben erfolgt ist. Auf einem Schnitt ein wenig hinter der vorderen
ürmundlippe (Fig. 443), ist die grubenfih-mige Einscnkung getroffen,
Fig. 445.
w.« ch mh ml: niii
Fig. 446.
<Jf eil
ik ml:
Fie. 44^
ch ilJi "Jf iJ: tnl:
Fig. 44.J. Querschnitt durch das Mesodermsäckchen einige Schnitte vor dem
vorderen Ende der Urmundnaht.
Fig. 446. Querschnitt durch den Durchbruch des Bodens vom Mesodermsäck-
chen in den Darmraum.
Fig. 447. Einige Schnitte weiter nach vorn als Fig. 446, durch die von Ur-
darmfalten begrenzte Chordarinne, ik inneres, mk mittleres Keimblatt, mp Medullar-
platte. ms Höhle des Mesodermsäckchens. ch Chordaanlage, d Dotter, udf Ur-
mrmfalte. dh Darmhöhle, ul seitliche Ürmundlippe. lun Boden des Urmundes.
pr Primitivplatte.
die nach vorn in das Mesodermsäckchen führt, beiderseits umgeben
von den nach außen vortretenden Urmundlippeu, an denen das äußere
Keimblatt stark verdickt ist, während es sich in geringer Entfernung
von ihnen zu einer dünnen Zellenlage im hellen P'ruchthof abplattet.
Den Boden der Grube bildet eine kleinzellige Masse, die von der
Primitivplatte abstammt und von welcher das untere Keimblatt durch
einen feinen Spalt deutlich getrennt ist. An der Stelle, wo die seit-
lichen Urmundlippen in die Primitivplatte übergehen, schiebt sich
links und rechts eine Schicht kleiner Zellen, das mittlere Keimblatt
53*
83(; 0. Hertwig,
{mk), in den Si)altrauin zwisclien die beiden Grenzblätter hinein und
hört, auf eine einzige Zellenlage verdünnt, in geringer Entfernung vom
Urmund auf. Bei ^'erfolgung der (^)uerschnittserie nach hinten
(Fig. 442), sieht man, wie die Urmundli])))en verstreichen, wie die
Primitivplatte sich flach ausbreitet und wie auch von ihr aus das
mittlei'e Keimblatt noch eine kleine Strecke weit zwischen die Grenz-
blätter hineindringt. Da dasselbe auch nach hinten vom Urmund ge-
schieht, wie Längsschnitte lehren, kann man sagen, daß rings um den
Urmund herum seitlich und nach hinten das mittlere Keimblatt als
eine von der Priniitivplatte ausgehende selbständige Schicht in den
Spalt zwischen äußeres und inneres Keimblatt hineinwächst.
Wenn man die Querschnittserie nach vorn verfolgt, ward man
bemerken, wie sich die Urmundlippen mit ihren Rändern einander
nähern, in der Medianebene aneinander legen und zur dorsalen Lippe
verschmelzen. Auf einer größeren Zahl von Schnitten, die durch den
hinteren Abschnitt des Mesodermsäckchens hindurch gehen . erhält
man dann Bilder, wie ein solches in Fig. 444 dargestellt ist. Zwischen
Embryonalschild und Darmdrüsenblatt liegt das Einstülpungssäckchen,
das im Längsschnitt in den Figuren 429 u. 430 zu sehen ist und im
Querschnitt einen ([uergestellten, breiten, spaltförmigen Hohlraum zeigt.
Seine aus hohen, schmalen Zellen zusammengesetzte Decke ist längs
eines Mittelstreifens mit dem Embryonalschild zu einer Naht ver-
schmolzen, wie sie schon bei den verschiedensten Amphibien beschrieben
und als Urmundnaht, hervorgegangen aus einer Konkrescenz der Ur-
mundränder, gedeutet wurde. Schließlich erfahren wir aus dem Schnitt
noch die wichtige Thatsache, daß sich zu beiden Seiten von den Wan-
dungen des Säckchens auch hier die mittleren Keimblätter (mk) wie
zwei flügeiförmige Fortsätze in den Spalt zwischen den Grenzblättern
ausbreiten und überall haarscharf von ihnen getrennt sind. Auf den
nächstfolgenden Schnitten, mehr nach vorn vom Urmund, verdünnt sich
dann rasch die Naht zwischen Embryonalschild und Decke des Säck-
chens, bis beide durch einen Spalt ganz voneinander getrennt sind
(Fig. 445).
Bei weiterer A'erfolgung der Serie kommt man in die Gegend,
wo die Eröffnung des Säckchens vor sich gegangen ist (Fig. 44(5 '.
Zuerst verdünnt sich sein Boden in der Mitte, dann trennt er sich
durch einen Spalt in eine linke und rechte Hälfte, — es kommen
dadurch zwei deutliche Lippen (udf) zu stände, an denen das Darm-
drüsenblatt in das mittlere Keimblatt kontinuierlich übergeht und in
denen wir nach ihrer Lage und ihren sonstigen Beziehungen die Ur-
darmlippen wiedererkennen, wie sie von anderen Objekten mehrfach
beschrieben wurden. Indem sie auf den nächsten Schnitten auseinander
weichen, erhält man schließlich den in Figur 447 reproduzierten Be-
fund, der für den ganzen vorderen Bereich der Einstülpung charakte-
ristisch ist. Unter deni Embryonalschild (mj)) zieht sich eine schmale
Platte hoher cylindrischer Zellen (ch} hin, die Chordaanlage, welche
die Decke der Chordarinne bildet: zu beiden Seiten geht sie in die
mittleren Keimldätter (mk) über, welche in derselben Ausdehnung wie
weiter hinten auch hier vorgefunden werden. Unter ihnen liegt als
dünnes, aus einfachen Plattenzellen bestehendes Häutchen das Darm-
drüsenblatt (ik), überall durch einen Spalt wohl abgegrenzt bis auf die
Ränder der Chordarinne, wo es in das mittlere Keimblatt ebenso wie
die Chordaanlage übergeht. Endlich führt uns die Durchmusterung
Die Lehre von den Keimblättern. 837
der Schilittserie in die Gegend, wo das Einstülpungssäckchen aufliört.
Mit der Chordaanlage schwinden auch die mittleren Keimblätter. Das
Blastoderm im vordersten Bereich des Embrvonalschildes besteht nur
aus den beiden ])riinären Keimblättern, von denen das äußere noch
ziemlich hohe Cjlinderzellen aufweist, während das innere aus platteren
und noch locker verbundenen Elementen besteht und hie und da mit
den Zellsträngen zusammenhängt, welche für manche Reptilien, be-
sonders für die Schlangen eigentümlich sind und sich als Netz in dem
weiten Hohlraum zwischen Keimhaut und Dotter ausbreiten. Nach
vorn vom Embryonalschild verdünnt sich das Ektoderm, seine Zellen
werden erst kubisch (ähnlich wie in Fig. 420), dann abgeplattet, die
Zellstränge werden dünner und bilden weitere Maschen.
Durch das Studium der Querschnittserien und ihren Vergleich
mit den Längsschnitten gewinnt man erst einen vollen Einblick in die
Bedeutung der Einstülpung für die Blätterbildung. Denn wir erfahren,
daß aus ihren Wandungen sich die Chorda und die mittleren Keim-
l)lätter entwickeln. Schärfer als bei Ami)hibien ist hier der Nachweis
zu führen , daß die mittleren Keimblätter weder vom inneren noch
äußeren Keimblatt durch Abspaltung herrühren , sondern durch ein
in der Umgebung des Urmundes stattfindendes Einwachsen von Zelleu-
niassen, durch eine Livagination. Da das Säckchen zur Auskleidung
der Darmhöhle nichts beiträgt, diese vielmehr von einem Zellenblatt
begrenzt wird, das schon in einer früheren ersten Phase der Gastrulation
entstanden ist, kann die Einstülpungshöhle nicht schlechtweg als Ur-
darni bezeichnet und der Einstülpung beim Amphioxus und den Am-
phibien verglichen werden. Es besteht zwischen beiden, wenn wir uns
eines Ausdrucks der vergleichenden Anatomie bedienen, nur eine in-
komplette Homologie. Denn die Wand des Säckchens der Reptilien
entspricht nur dem dorsalen Abschnitt vom Urdarm des Amphioxus,
von welchem Chordaanlage und Mesoblast abstammen. Das ist auch
der Grund gewesen, warum ich die Einstülpung der Reptilien anstatt
Urdarm besser als Mesodermsäckchen nach dem wichtigsten Bestand-
teil, den es liefert, zu bezeichnen vorgeschlagen habe ; und ebenso
ziehe ich es vor, anstatt von Urentoderm und palingenetischem Ento-
derm zu sprechen, seine beiden Bestandteile, welche von früh an sich
nach ihrer Lage scharf charakterisieren lassen, als Chordaanlage und
mittleres Keimblatt zu unterscheiden.
Wenn wir ferner die Keimljlattbildung bei Amphibien und Rep-
tilien miteinander vergleichen , so beobachten wir zwischen beiden
den interessanten Unterschied, daß der Charakter der Invagination bei
ersteren während der Bildung des inneren, bei letzteren während der
Bildung des mittleren Keimblattes deutlicher ausgeprägt ist. Auch
greifen bei den Amphibien Ijeide Vorgänge mehr ineinander, bei den
Reptilien sind sie schärfer voneinander gesondert, indem der durch
die zweite Phase der Gastrulation entstandene Hohlraum durch eine
Durchbrechung seines Bodens mit dem Hohlraum , der vom Darm-
drüsenblatt umschlossen wird, sekundär in Verbindung gesetzt werden
muß. Chordaanlage und Mesoblast werden dadurch in die Decke des
Urdarmes nachträglich eingeschaltet. Erst nachdem dies geschehen ist,
erhält man wieder bei Reptilien Querschnittsbilder, die mit denen der
Amphibien vollständig übereinstimmen.
Strahl (L. K. III ^ 1882, p. 264) hat zuerst bei seinen Untersuchungen
au Lacerta deutlich ausgesprochen, daß aus den Wänden der Einstülpung
838 0. Hertwig,
Chorda und Mesoderin hervorgehen, und hat sich aus diesem Grund gegen
den von Ki'pffkr gezogenen Vergleich mit dem Urdarm niederer Wirbel-
tiere erklärt und auch geltend gemacht, daß schon vor seinem Auftreten
ein zweiblätteriger Zustand existiert. Daraus schließt er mit Recht :
„Es wäre demnach die Bedeutung der Einstülpung, aus welcher später
der Canalis neurentericus wird, eine andere als die derjenigen, welche
bei dem niederen Wirbeltier den Urdarm bildet. Ich glaube daher nicht,
daß wir die Wände der Einstülpung mit dem Namen Entoderni belegen
dürfen, wenn dies geschehen soll, um eine Uebereinstimmung mit anderen
Tierformen dadurch anzudeuten."
Eine etwas andere Auffassung, als sie hier entwickelt worden ist,
hat sich Will bei seinen Reptilienstudien von der Entstehung der
mittleren Keimblätter gebildet, veranlaßt durch einige Befunde beim
Gecko, denen er, wie ich glaube, eine zu weitgehende Bedeutung bei-
gemessen hat. Er ist daher auch geneigt, die Verhältnisse bei der
Natter, welche ihm erst zuletzt bekannt geworden sind und welche
in den Rahmen seiner Theorie nicht gut hineinpassen wollen, als eine
Abweichung vom Typischen zu betrachten. „Das gasti^ale Mesoderm",
meint er, „hat bei der Natter einen besonderen Charakter, indem es
mehr als bei anderen Reptilien aus den soliden seitlichen Flügeln des
Urdarmes entsteht." Den Gi'und hierfür ei'blickt er darin, daß bei der
Natter der Urdarm eine viel geringere Breite als beim Gecko besitze
und daß infolgedessen nur ein kleiner Teil des Mesoblastes durch Unter-
wachsung der beiden Urdarmfalten hervorgehen könne (L. K. III '' 1898,
p. 617).
Den Vorgang beim Gecko, durch welchen Will seine neuen Ge-
sichtspunkte für die Bildung des Mesoderms gewonnen hat, beschreibe
ich mit seinen eigenen Worten aus der zusammenfassenden Uebersicht
über die Keimblattbildung der Anmieten (L. K. III i 1894, p. 297): „Die
Bildung des gastralen Mesoderms vollzieht sich in äußerst charakteristischer
Form und beginnt etwa um die Zeit des Urdarmdurchbruches. Vor dem
Eintritt des letzteren sehen wir auf einem Querschnitt vor der Primitiv-
platte (Fig. 448 A), daß der Urdarm jederseits 2 solide Fortsätze besitzt,
in welche sich das Lumen nicht hinein erstreckt. Diese werden nach
dem Durchbruch direkt zur ersten Anlage des gastralen Mesoderms
(Fig. 448 B, C mgr)^ welche demnach nicht unmittelbar rechts und links
neben der Chordaverdickung auftritt, sondern von ihr durch einen recht
ansehnlichen Teil der dorsalen Urdarmwand , der Z w i s c h e n p 1 a 1 1 e
e\x/p)^ getrennt ist. Die beiderseitigen Mesodermplatten gehen nach hinten
direkt in das prostomiale Mesoderm über. Die zweite Phase des Pro-
zesses besteht nun darin, daß die an den Rändern des Urdarmes in-
serierten Mesodermplatten anfangen, der Mittellinie des Embryos entgegen
zu wachsen, um sich mit ihrer Insertionsstelle mehr und mehr der
Chordaanlage zu nähern. Da die Mesodermplatten jederseits eine leichte
Erhebung des Schildes verursachen, muß sich das successive Vorwachsen
der ersteren auch im Oberflächenbilde ausprägen. Dieses Vorwachsen
der ursprünglichen Mesodermanlage wird dadurch bewirkt, daß sich an
der Insertionsstelle der Mesodermanlage eine Urdarmfalte erhebt, welche
unmittelbar unter der dorsalen Urdarmwand sich gegen die Chorda vor-
schiebt (Fig. 448 D, E) und aus 2 Lagen besteht, deren obere vom
primären Entoderm gebildet wird, während die untere als Dotterblatt
zu deuten ist. Durch das Vorwachsen der Falte entsteht zwischen
dieser und der unterwachsenen Zwischenplatte ein feiner Spalt [cö), die
Die Lehre von den Keimblättern.
839
erste Anlage des Cölomspaltes, welcher als abgeschnürter Teil des Ur-
darmlumens aufzufassen ist ; die Zwischenplatte wird zu dem somatischen,
die obere Schicht der Urdarmwand zum splanchnischen Blatt des gastralen
ec
Fig. 448 A — E. Querschnitte durch die vordere Urdarmregion eines Embryos
vom Gecko auf 5 verschiedenen Entwickelungsstadien. Nach Will, ec äußeres
Keimblatt, ud dorsale, vd ventrale Urdarmwand. e' Urdarmblatt. e" Dotterblatt
des Entoderms. sp solide Seitenplatte des Urdarmes, welche die erste Anlage des
gastralen Mesoderras darstellt, mp Chordaanlage, e'(sp) Zwischenplatte der dorsalen
Urdarmwand. mgr mittleres Keimblatt, .so parietales, sp viscerales Mittelblatt.
CO iSpalte der Leibeshöhle.
Mesoderms, während die aus dem Dotterblatt gebildete untere Schicht
der Falte (e") das Darmepithel zu bilden hat. Bilder, wie die in
Fig. 448 E, sind es ausschließlich, welche den Vertretern der Hertwig-
schen Lehre der Entstehung des Mesoderms durch Divertikelbildung ge-
dient haben. Diese aber stellen, wie aus der Schilderung hervorgeht,
nicht den Anfang, sondern vielmehr eine der letzten Phasen des Pro-
zesses dar." „Die Anlage des Mesoderms geht daher nicht im Hert-
wio'schen Sinne durch Entstehung eines Divertikels vor sich, welcher
neben der Chorda entsteht und nach der Peripherie fortschreitet, sondern
in genau umgekehrter Weise durch Erhebimg einer septenartigen Ur-
darmfalte, welche an den äußersten Seitenteilen des Urdarmes entspringt
und gegen die Achse sich vorschiebt" (1. c. p. 299). Zu diesen Aus-
führungen fügt Will an anderer Stelle (L. K. III ' 1893, p. 104) hinzu :
„Der richtige Grundgedanke der HERxwio'schen Lehre, die Leibeshöhle
840 0. Hertwig,
als einen abgegliederten Teil der Urdarmhölile aufzufassen, erleidet liier-
durcli nicht eine Beeinträchtigung, sondern vielmehr eine weit bessere
Begründung." Will bezeichnet den Vorgang als Bildung des mittleren
Keimblattes durch Unterwachsung der Zwischenplatte.
Dagegen hat schon MiTsuKUKi (L. K. TW 180.S, p. 434), ein ausge-
zeichneter Kenner der Reptilienentwickelung, hervorgehoben, daß praktisch
kein großer Unterschied zwischen Divertikelbildung und Septenbildung be-
steht und daß Hertwig's Theorie der Mesoblastbildung auf Gecko und
Clemnws genau anwendbar ist. „Will's objection to the Hbrtwio's
theory ma}^ therefore be only an apparent one."
Daher habe ich auch in meinem Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte
im allgemeinen bemerkt, daß Will's Befunde (p. 151) ein neues und schätz-
bares Material von Thatsachen zu Gunsten der von mir vertretenen Theorie
liefern, „daß die Cölomsäcke als abgeschnürte Teile des Urdarmlumens
aufzufassen sind". Im besonderen aber scheint mir auf Grund meiner
bei Reptilien neu angestellten Untersuchungen, daß Will seinen Be-
funden beim Gecko eine zu allgemeine Tragweite gegeben hat. Seine
Angaben nämlich beziehen sich nur auf Querschnitte durch die vorderste
Urdarmregion von verschiedenen Geckoembryonen, also auf eine Gegend,
wo die mittleren Keimblätter ihr vorderes Ende erreichen ; weiter nach
hinten, nach dem Urmund zu, wird, wie ich glaube, auch beim Gecko zu
keiner Zeit der Entwickelung ein so großer Abstand zwischen beiden
Mesoblasthälften zu beobachten sein, sondern werden die Lippen der
Urdarmfalten von Anfang an bis an den Rand der Chordaanlage, wie
es in E dargestellt ist, heranreichen : die Zwischenplatten werden also
ganz fehlen, so daß eine Unterwachsung derselben gar nicht in Frage
kommen kann.
Aehnliche Befunde, wie Will vom Gecko, hat auch Strahl im
vordersten Bereich der Chordaanlage bei der Eidechse erhalten. Auch
an diesem Objekt findet er die Chordaanlage als eine direkt leisten-
förmige Verdickung des Darmdrüsenblattes, das sich seitlich eine Strecke
weit direkt unter dem äußeren Keimblatt als Zwischenplatte, wenn wir
der Terminologie von Will folgen, ausbreitet, ehe sich die nach vorn
immer unscheinbarer werdenden mittleren Keimblätter trennend da-
zwischen schieben. Die mittleren Keimblätter sind also kopfwärts durch
einen viel weiteren Abstand voneinander getrennt als nach dem Urmund
zu. Noch weiter nach vorn wurden sie in der Querschnittserie von
Strahl ganz vermißt, während die Chordaanlage als breite, leistenartige
Verdickung des inneren Keimblattes noch vorhanden war.
Ein Gleiches werden wir später auch bei den Säugetieren kennen
lernen. Hierdurch sind manche Forscher, wie Strahl, veranlaßt worden,
für den hinteren und für den vordersten Abschnitt der Chorda eine ver-
schiedene Entstehungsweise anzunehmen, für ersteren eine mesodermale
aus der Decke des Einstülpungs- oder Mesodermsäckchens, für letzteren
eine entodermale aus dem Teil des inneren Keimblattes, mit welchem
sich bei seiner Eröffnung das Mesodermsäckchen mit seinem vorderen
Rande in Verbindung setzt.
Die Lehre von der Bildung des mittleren Keimblattes durch Unter-
wachsung läßt sich endlich in keiner Weise in Einklang bringen mit
den Verhältnissen in der Umgebung des Urmunds und des Canalis neu-
rentericus, aus welcher Gegend Will Schnitte, die für seine Ansicht
verwertbar wären, weder abbildet noch beschreibt. Aus solchen Er-
wägungen schließe ich, daß Will Vorgänge, die sich vielleicht in der
Kopfgegend des Embryos abspielen mögen, mit LTnrecht verallgemeinert hat.
Die J^elu-e von den Keimblättern.
841
Noch mehr als an Längsschnitten bietet die Eidechse eine in-
teressante Modifikation des Einstiilpnngsvorganges und der Mesoblast-
bildung an Qiierschnittserien
Höhle der Einstülpung
ist auf ein Minimum re-
duziert, ja oft an einzel-
nen Stellen kaum mehi'
zu erkennen (Fig. 450.
451). Nach der Eröff-
nung des Säckchens in
den Darm räum kann ihr
hinterer Rest als Meso-
dermkanal oder gleich
auch als Canalis neur-
entericus. der direkt aus
ersterem entsteht, be-
zeichnet werden. 2) Die
Entwickelung des mitt-
leren Keimblattes beginnt
erst auf einem späteren
Stadium als bei anderen
Reptilien, namentlich bei
den Schlangen. In
Fig. 4411—4,03. Quer-
schnittserie durch eine Keim-
haut von Lacerta muraUs mit
Urmund. Photogr. Lacerta
46^ u. 46'^ des anat.-biol. In-
.stituts.
Fig. 440. Quersclmitt
durch die Primitivpiatte mit
ürmuudöffnung.
Fig. 450. Querschnitt
durch die Nahtstelle der Ur-
mundlippen.
Fig. 451. Einige Schnitte
vor der Naht durch den Me-
sodermkanal.
dar. Diese zeigen zweierlei: 1) Die
Fig.
Af)2. Querschnitt
durch die Eröffnung des Me-
soderrakanales.
Fig. 453. Querschnitt
durch die Chordarinne.
il-, ak, mk inneres, äußeres,
mittleres Keimblatt, ms Me-
sodermkanal. 'pr Primitiv-
platte, iil Urmundlippe. //
Urmundnaht. udf ürdarm-
falte. rhr Chordariune. cli
Chordaanlage.
ik mk
Fig. 450.
;; ///>■
P'ig. 4n2.
ik mk udf citr
Fig. 453.
ak rh
Fig. 449 ist der Eingang in den Mesodermkanal getrotten, eine Grube
in einer einen Knoten bildenden Wucherung der Keimhaut, von deren
unterer Fläche das Darmdrüsenblatt, das sich seitwärts als gesonderte
842 0. Hertwig,
Schicht ausbreitet, nicht scharf abgesetzt ist. Nur vereinzelte Zellen
schieben sich von hier in den Spaitraum zwischen den Grenzblättern
hinein, f'lügclförniige Fortsätze des Mesoderms, wie bei der Natter
(Fig. 443), fehlen noch. Fig. 450 ist ein Schnitt gleich vor der
vorderen Blastoporuslipi)e mit einem sehr engen dreiseitigen Hohlraum,
der sich schon auf dem nächsten Schnitt zu einem kaum sichtbaren
Querspalt verengt hat. In beiden Schnitten ist die Nahtstelle in)
getroffen, in welcher die Decke des Mesodermkanales noch mit dem
äußeren Keimblatt verschmolzen ist. Auf den nächsten Schnitten
(Fig. 451) vollzieht sich die Trennung des Mesodermkanales vom
Entoderm in der Nahtstelle, und auf dem 21. Schnitt vor dem Ur-
mund (Fig. 452) liegt die Durchbrechungsstelle, an welcher sich die
Eröffnung des Mesodermkanales in den Raum unter dem Darmdrüsen-
blatt vollzogen hat. begrenzt von zwei lippenartigen Vorsprüngen (udf).
Die Wandung des Mesodermkanales ist zellenärmer und dünner ge-
worden. Seine Decke geht von der inneren Ausmündung an in eine
rinnenförmig gebogene, schmale, dicke Zellenplatte (Fig. 453 cA) über,
die sich durch eine größere Anzahl von Schnitten hindurch verfolgen
läßt und der Chordaanlage der Natter entspricht: auch hier fehlen
die Mesodermflügel ; seitwärts findet ein direkter Uebergang in die
abgeplatteten Zellen des Darmdrüsenblattes statt. Wahrscheinlich hat
sich der Mesodermkanal auf früheren Stadien so weit nach vorn er-
streckt als die Chordaanlage reicht, welche durch Schwund des Bodens
direkt in das innere Keimblatt eingeschaltet worden ist. Nach dem
vorderen Rand des Embryonalschikles zu fehlt die Chordaanlage, und
breitet sich unter dem Ektoderm das Darmdrüsenblatt als eine gleich-
mäßige Schicht aus.
An älteren Keimscheiben, von denen Strahl (L. K. III "' 1884) eine
ziemlich lückenlose Entwickelungsserie an Flächen- und Querschnitts-
präparaten untersucht hat, hat dieser Forscher verfolgen können, wie
sich das mittlere Keimblatt von den Seitenwänden des Mesoderm-
kanales und seiner Eingangspforte aus als abgegrenzte Lage in den
Spalt zwischen den Grenzblättern hineinschiebt und sich nach allen
Richtungen mit Ausnahme der Kopfregiou der Keim Scheibe, die zwei-
blätterig bleil)t, allmählich ausbreitet. Auch hat Strahl auf allen
Schnittserien durch die verschieden alten Keirascheiben Abbildungen
von der Nahtstelle vor der Urmundöffnung gegeben.
Schon weit entwickelt wird das mittlere Keimblatt an Keim-
scheiben angetroffen, an denen man bei Flächenbetrachtung die Me-
dullarplatte und in ihiem vorderen Bereich die Medullarwülste wahr-
nimmt (Fig. 454—458). An 5 einem solchen Embryo angehörigen
Querschnitten, von denen der 2te durch den Eingang, der 3te durch
die Mitte, der 4te und 5te durch die innere Ausmündung hindurchgelegt
sind, sieht man das mittlere Keimblatt als vielzellige Schicht, die
nach den Rändern zu schmäler wird, sich in der oben beschriebenen
Weise vom Urmund und vom Mesodermkanal aus ausbreiten. Der
ürmund stellt jetzt eine in der Medianebene verlaufende kurze, aber
tief einschneidende Rinne dar (Fig. 455), zu beiden Seiten von den
zellenreichen Urmundlippen (ul) eingefaßt. Nach dem Dotter zu ist
die Rinne durch eine zellenreiche Brücke geschlossen, welche sich
nach vorn in den Boden des Mesodermkanales fortsetzt. Im hinteren
Teil der Rinne (Fig. 454) erhebt sich vom Boden ein Fortsatz (clpf),
der auf einer größeren Anzahl von Schnitten angetroffen wird und
Die Lehre von den Keimblättern.
843
nach Lage uiul Aussehen dem RuscoNi'scheii
Amphihieneier entspricht. Er scheint von einem
an bei allen Reptilien zur Ausbildung zu gelangen
ihn vom Gecko, läßt ihn aus dem hinteren Teil
Dotterpfropf der
gewissen Stadium
Will beschreibt
der Primitivplatte
Fig. 4.")4.
ik
mk
Fig. 405.
ul um
**>%»*■,.
Fig. 407.
n mp
Fig. 454— 4r)8. Qucr-
.schnittserie durch eine
ältere Keimhaut von La-
certa muralis mit Dotter-
pfropf im Urmund und
sich abgrenzender Medul-
larplatte. Photogr. Lacerta
48 des anat.-biol. Instituts.
Fig. 454. Querschnitt
durch die Urraundrinne
mit Dotterpfropf.
Fig. 455. Querschnitt
durch die Urmundrinne
vor dem Dotterpfropf.
Fig. 456. Querschnitt
durch den Mesodermkanal
und die Urmundnaht.
Fig. 457. Querschnitt
durch die Eröffnung des
Mesodermkanales und das
hintere Ende der Urmund-
naht.
Fig. 458. Einige Schnitte
weiter nach vorn, wo Me-
dullär- und Chordaplatte
sich voneinander durch
Spaltung der Urmundnaht
ganz getrennt haben.
ak, ik, mk äußeres, in-
neres, mittleres Keimblatt.
dpf Dotterpfropf. /// seit-
liche Urmundlippe. um Urmund. mp Medullarplatte. « Naht
udf Urdarm falte. »*.>.•■■■ untere üeffnung des Mesodermkanales.
ik mk
udf ms-''
Fig. 458.
eil udf mit
^''^.^^ii^Jr-' i
ms Mesodermkanal.
844
0. Hertwig,
entstellen und nennt ihn Ento(lernii)froi)f (L. K. III '^ 18*.)5=^\ p. 124).
SciiAUiNSLAND (A. L. III« 1S<)'.), }). 31:5) hat ihn bei Ilatferia (Fig. 421)
beobachtet; er tindet ,,an der unteren Lipi)e der ventralen Urdarm-
niündung einen kugeltVh-inigen, mehr oder weniger langgestielten Knopf".
Später liegt er entweder an der ventralen Mündung des Canalis
neurentericus oder er wird in ihn sell)st hineingezogen und erscheint
schließlich an der äußeren Ui'niundüff'nung als „Dotterpfropf" (p. 323).
Von der Schildkröte bilden Mehnert, Will und Mitsukuri den Dotter-
pfropf ab. MiTSUKURi (L. K. III ' 1896, p. 31) hebt von ihm hervor, daß er
während der Embryonalentwickelung seine Lage von vorn nach rückwärts
verändert. Zuerst zwischen den Schenkeln des hufeisenförmigen Blasto-
porus gelegen (Fig. 459), wird er darauf zwischen die hinteren Enden
der Medullarfalten, wenn diese sich bilden,
Fig. 459.
eingeschlossen
Fig. 4()0.
(Fig. 4()0)
Fig. 459. Rückenansietit eines Embryos von Chelonia caouana D'/a Tage nach
der Eiablage mit vorderer Amnion faite und hufeisenförmigem ßlastoporus und Me-
dullarfalten. Nach Mitsukuri (L. K. III' 1896, Taf. 1, Fig. 1).
Fig. 460. Rückenansicht eines Embryos von Trionix japonicus BVo Tage nach
der Eiablage mit vorderer Amnioufalte und Medullarrinue. Nach MiTSukupa (1896,
Taf. III, Fig. 16).
und wird von ihnen seitlich zusammengepreßt und in die Höhe ge-
hoben. Bei seiner Rückwärtswanderung hinterläßt er bei Chelonia
und Clemmys auf seiner Spur sozusagen eine (jrube, welche den
hintersten Teil des Medullarkanales mit dem Graben in der Umgebung
des Dotterpfropfs verbindet. Mitsukuri nennt sie die Primitivgrube.
Sie wurde auch oben von der Eidechse beschrieben. Wenn später
der Schwanz sich bildet, wird bei den Schildkröten der Dotterpfropf
in ihn nicht mit eingeschlossen und kommt in einiger Entfernung
hinter ihn zu liegen. Durch dieses Verhältnis wird Mitsukuri be-
stimmt, die den Dotterpfropf der Schildkröten umgebende Oeffnung,
wie ich ineine mit Unrecht, für homolog dem Dotterblastoporus der
Selachier zu erklären.
Auf Querschnitten dui'ch die Gegend des Dotterpfropfes sind bei ver-
schiedenen Reptilienarten ähnliche Bilder, wie sie auch bei Amphibien
(Fig. 301 u. 302) vorkommen und uns später wieder bei den Säugetieren
begegnen werden, von Will beobachtet worden. Beim Gecko (Fig. 461
Die Lehre von den Keimblätteni
845
u. 4(>"2). bei der Schildkröte, bei der Eidechse u. rs. w. kann man sehen,
wie sich zu beiden Seiten des bald größeren, bald kleineren Dotter-
pfropfes {dpfi das äußere Keimblatt an den Urmundlippen in das parietale
Blatt des Mesoblasts fortsetzt und wie dieses mehr oder minder deutlich
durch eine feine Cölomspalte vom visceralen Blatt getrennt ist. Mit
letzterem aber hängt ähnlich wie beim Triton (Fig. 302) beiderseits die
kleinzellige Masse zusammen , welche den Boden der Primitivgrube
bildet und nach außen den Dotterpfropf entsendet. Je nachdem der
Schnitt weiter nach vorn oder nach hinten hindurchgelegt wird, ist das
innere Keimblatt entweder mit dem Rest der Primitivplatte, welche den
Boden der Primitivrinne bildet und den Dotterpfropf entsendet, ver-
schmolzen oder durch einen Spalt als besondere Schicht getrennt.
Fig. 461 u. 4(j2. Zwei
Querschnitte durch den Pri-
initivstreifen eines Geckoeni-
brvos aus dem Stadium VIII,
nach Will (L. K. III ' 1895*,
Fig. N I u. II).
Fig. 461. Zwei Schnitte
hinter der vorderen Urmund-
lippe.
Fig. 462. Zwölf Schnitte
dahinter, nk äußeres Keim-
blatt. mk\ mk- parietale und
viscerale Lamelle des mitt-
leren Keiiublattcs. dpj Dotter-
pfropf. ''■' Umschlagstelle des
äußeren in das innere Blatt der
Urmundlippe.
Fig. 461.
m
Fig. 462.
ak
ak
mk'-
mk^
In ihrem vordersten Teil enthält die Rinne bei der Eidechse keinen
Dotterpfropf (Fig. 455); sie geht jetzt gleich auf einem der nächsten
Schnitte nach vorn in den Mesodermkanal (Canalis neureutericus) über,
der offenbar dadurch entsteht, daß die lateralen Urmundlippen sich
medianwärts nähern und verschmelzen und nur noch einen außerordentlich
unscheinbaren Hohlraum, so groß etwa wie eine Zelle, frei lassen
(Fig. 456 ms). Um diese kleine Höhle sind die angrenzenden Zellen radiär
herumgruppiert. Auf die Entstehung durch Verschmelzung weist wieder
das Vorkommen einer Naht (w) hin, durch welche äußeres Keim-
l)latt und Mesodermkanal in breiter Ausdehnung zusammenhängen;
auch schneidet noch von oben in die Naht eine seichte Rinne ein,
welche etwa nur ein Drittel des Tiefe von der Primitivrinne besitzt.
Der Kanal ist so lang, daß er etwa auf 7 Schnitten augetroffen wird.
Dann mündet er nach unten in den Darmraum aus. Hier findet man
auf dem (^lerschnitt (Fig. 457) seinen Boden durch einen feinen Spalt
in zwei seitliche, lippenartig vorspringende Hälften (udf) getrennt, an
denen sich jetzt das innere in das mittlere Keimblatt umschlägt. Wir
können daher sagen, daß wie die äußere Mündung von den Lippen
des Urmundes, so die innere von den Lippen der Urdarmfalten be-
grenzt wird. Auf allen durch den Mesodermkanal gelegten Schnitten
ist die Naht an seiner Decke vorhanden, verschmälert sich aber nach
vorn und hört über der inneren Ausmündung oder wenige Schnitte
vor ihr (Fig. 458) auf. Ueberall in der Umgebung der Urmundrinne
und des Mesodermkanals breitet sich jetzt das mittlere Keimblatt, wie
846
0. Hertwig,
bei der Natter schon auf einem früheren Stadium, mit tiügelförmigen
Fortsätzen seitwärts zwischen den Grenzblättern aus, nach der Peripherie
zu allmählich dünner werdend.
Ueber die Veränderungen, welche der Mesoderm- oder neuren-
terische Kanal, wie wir ihn auf späteren Stadien lieber nennen wollen,
bei der Eidechse auf verschiedenen Entwickelungsstadien erfährt, hat
Strahl, gestützt auf das Studium zahlreicher Querschnittserien
jüngerer und älterer Embryonen (L. K. III ^ 1883, p. 30 — 33), genaue
Angaben gemacht. Er hat festgestellt, daß im Laufe der Entwickelung
der neurenterische Kanal kürzer wird, indem die innere Ausmündung
immer mehr in die Nähe der äußeren rückt, bis sie schließlich direkt
unter ihr steht und mit ihr zusammen auf demsell)en Querschnitt ge-
troffen wird (Fig. 463 A). Es geschieht dies zu der Zeit, wo die Medullar-
wülste sich vorn geschlossen und auch hinten sich über die Oberfläche
weit erhoben haben und den Rest des Urmundes umfassen. Wenn
noch etwas später auch hier die Medullarwülste mit ihren Rändern
sind, ist die äußere Mündung von außen nicht mehr sicht-
in das Nervenrohr aufgenommen ist, während nach dem
noch die Verbindung längere Zeit fortbesteht (Fig. 464 A).
verwachsen
bar, da sie
Urdarm zu
B
Fig. 463. Stadium F nach Strahl. A Kanal geht seukreeht durch den
längsgespaltenen Medullarstrang. B Die Medullart'urche ist unten noch nicht deutlich
gegen die Chordaaulage abgegrenzt. C Chorda völlig abgegrenzt.
B
C
Fig. 464. Stadium G nach Strahl. A Das Rückenmark ist nach außen ge-
schlossen, nach unten durch den Canalis neurentericus geöffnet. B Rückenmark nach
unten in Zusammenhang mit der Chorda, Spalt auch bis auf diese reichend. Zu-
sammenhängender Entodermüberzug. C Verhalten wie weiter nach porn.
Die von Strahl nachgewiesene Verkürzung des Mesodermkanals
vollzieht sich in leicht verständlicher Weise dadurch, daß „seine untere
Wand" wie Strahl sich ausdrückt (L. K. IIP 1882, p. 251), „in der
Richtung von vorn nach hinten verloren geht" oder daß sie sich, wie ich
den Hergang ausdrücken würde, durch Spaltung in die Lippen der zwei
Urdarmfalten nachträglich wieder öffnet. Komplizierter wird der
Prozeß indessen noch dadurch, daß daneben, namentlich auf jüngeren
Stadien , auch eine Verlängerung des Mesodermkanals nach hinten
Urmundlippen in der früher be-
und dadurch immer neue, jüngere
Die Decke vergrößert sich
der Boden verkürzt sich
zwar später
lateralen
einhergeht, da sich die
sprochenen Urmundnaht verbinden
Abschnitte seiner Decke erzeugen,
also von vorn nach hinten
d u r c h
E r ö f f n u n g in derselben R i c h t u n g, u n d
in rascherem Tempo, als die
Verlängerung
der Decke
Die Lehre von den Keimblättein, 847
geschieht. In demselben Maße, als der Embryo an Länge znnimmt,
rückt die Urmundgegend (Piimitivstreifeu, Mesodermkanal etc.) nach
hinten und liefert das Zellenmaterial, mit dessen Hilfe die Längen-
zunahme von Medullarrohr und Chorda stattfindet. Somit harmonieren
diese Verhältnisse wieder auf das beste mit der von mir aufgestellten
Urmundtheorie.
Zu einer Auffassung, die mit der Urmundtheorie harmoniert, ist durch
seine objektiven Untersuchungen . die durch keine Theorie beeinflußt
wurden, Strahl geführt worden. Er bemerkt (L. K. III ^ 1883, p. 264, u.
1881, p. 153): „Bei Lac. agilis macht der Kanal später eine Wanderung
in der Richtung von vorn nach hinten durch den ganzen hinteren Teil
des Embryonalkörpers durch. Dies würde geschehen, indem sich der
Kanal fortwährend vorn öffnet und weiter nach hinten zu von neuem
schließt. Er würde somit bei dem Längenwachstum von Rückenmark,
Chorda und' Darm beteiligt sein, indem der oberste Teil seiner Wände
zum Rückenmark, der mittelste zur Chorda, der untere zum Darm ver-
wandt wird." Strahl erschließt diese Wanderung unter anderem auch
daraus, daß trotz des zunehmenden Wachstums des Embryonalkörpers
die Zahl der Schnitte, welche man hinter dem Kanal durch die Schwanz-
spitze legen kann, immer kleiner wird." „Während der Kanal
zuerst den ganzen Primitivstreifen hinter sich hat, liegt
er zuletzt fast am äußersten Körper ende" (1881, p. 153).
Die weitere Ent Wickelung von Medullär platte, Chorda-
anlage, M e s 0 b 1 a s t und innerem Keimblatt.
Die Prozesse, die zur Entstehung von Nervenrohr, Chorda. Darm-
rohr etc. führen, vollziehen sich im allgemeinen bei den Reptilien in
genau derselben Weise wie bei den Amphibien. Es genügt daher, von
ihnen einen kurzen Abriß zu geben unter Hinweis auf charakteristische
Querschnittsbilder, aus denen der Leser sofort den hohen Grad von
üebereinstimmung ersehen wird.
Die Medullarplatte, aus gestreckten cylindrischen Zellen zusammen-
gesetzt und durch eine feine Rückenrinne in zwei Hälften geteilt,
grenzt sich wie bei den Amphibien gegen das Hornblatt schärfer ab,
wenn sich seine Ränder zu den Medullarwülsten erheben. Dann
schließt sich die Rinne allmählich von vorn nach hinten zum Rohr
dadurch, daß die stärker hervortretenden Wülste sich mit ihren Rändern
nach der Medianebene umlegen, sich bis zur Berührung nähern und
in einer Naht verbinden. Die Chordaanlage, welche anfangs (Fig. 445 ch)
einen schmalen Streifen an der Decke des Mesodermsäckchens bildet
und gleich der Medullarplatte aus einer einfachen Lage gestreckter
Cylinderzellen besteht, erhält nach der Eröffnung des Säckchens
(Fig. 447, 452, 453) ihre Lage an der Decke des Darmraums, an dessen
Boden sich der Dotter findet. Erst von diesem Moment an sind Lage
und Beziehung zu den Nachbarteilen dieselben wie bei den Amphibien
und Elasmobranchiern. Denn, wie Strahl in seiner Untersuchung
der Eidechsenentwickelung (1882, p. 259) sagt, „steht die Chordaanlage
mit dem nach den Seiten gelegenen Mesoderm ohne Abgrenzung in
Zusammenhang". In Fällen, wo au dem mehrschichtigen Mesoblast
sein, parietales und viscerales Blatt sich schon voneinander unter-
scheiden lassen, ist speciell der Uebergang in ersteres nachweisbar.
Das Darmdrüsenblatt, welches auf diesem Stadium unter der Chorda-
848
0. Hertwig,
anläge selbst fehlt, tritt als gesonderte Lage platter Zellen erst zu
beiden Seiten derselben auf. Zuweilen erzeugt es hier mit seinen
Rändern deutlich vorspringende Lippen (Fig. 446 u. 447 udf), indem
es in die viscerale Lage des Mesobla1^ts umbiegt. Auch ist hie und da
eine kleine Cölombucht oder ein feiner Cölomspalt, welcher zwischen
parietales und viscerales Mesoblast eine Strecke weit eindringt, be-
obachtet worden.
Von einer Gegend, die einen derartigen Befund darbietet und in
Entfernung vor dem Canalis neurentericus gelegen ist, aus-
kann man bei Eml)ryonen, die sich auf dem Stadium dei'
geringer
gehend.
Medullarplatte, der Medullarrinne oder des eben geschlossenen MeduUar-
rohres befinden, verfolgen, daß sich die Chordaanlage allmählich
schärfer durch einen von oben nach unten vordringenden Spalt gegen
den Mesoblast abzusondern l)eginnt, daß sich die Platte dabei in einen
ovalen oder rundlichen Strang umwandelt, und daß dieser sich in den
Zwischenraum zwischen den Rändern des Darmdrüsenblattes einlagert
und vorübergehend mit ihnen verbindet. Zu dieser Zeit hat das
mittlere Keimlilatt tiberall eine scharfe Abgrenzung wie von der Chorda,
so auch von den oben erwähnten Lippen des Darmdrüsenblattes
erhalten. Es ist dies das Stadium der Einschaltung der Chorda in
das Darmdrüsenblatt, so daß sie direkt als eine leistenartige Ver-
dickung an ihm erscheint. — Zuletzt wird sie vom Darmdrüsenblatt
unterwachsen und von der Begrenzung der Darmhöhle ausgeschlossen.
Man kann dies in einer Serie an Schnitten (Fig. 4(35 — 467) verfolgen,
Fi er. 4(i5.
Fig. 467.
mk ik <h
Fig. 465 — 467. Drei Durchschnitte durch die Chordaanlage von Lacerta agilis
auf dem Stadium, wo sie vom inneren Keimblatt unterwachsen wird, nach Strahl
(L. K. III ' 1882, Taf. XV, Fig. 36, 38, 39j. rh Chordaanlage, mp Medullarplatte.
ik, mk inneres und mittleres Keimblatt.
welche der Arbeit von Strahl entnommen sind; es schiebt sich, wie
Strahl für die Eidechse (L. K. III ' 1882, p. 256) genau beschreibt, „das
Entoderm von den beiden Seiten her unter die Chorda herunter. Es ist
dies deutlich auf Schnitt 4 (Fig. 466) der Fall. Hier treten von jeder
Seite her etwa 3 Zellen als unmittelbare Fortsetzung des Entoderms
unter die Chorda herunter. Zwischen den beiden Enden des Entoderms
liegt die Chorda auf eine kurze Strecke noch frei. Auf den nächsten
Schnitten rücken diese freien Enden des Entoderms immer näher an-
einander. Auf Schnitt 13 ist die Chorda auf ihrer unteren Fläche
(Fig. 467) von Entoderm völlig überzogen."
Auch an noch älteren Embryonen kann man in einer kleinen
Strecke vor dem Canalis neurentericus, der sich lange Zeit erhält,
entsprechende Umwandlungsstadien der Chordaanlage in die allseitig
zum Strang abgegrenzte Chorda beobachten.
Die Lehre von den Keimblättern.
849
Die 1)11 (hing von Schwanz und After und das spätere
Verhalten des Canalis neurentericus.
Die genauesten Angaben über die Entwickelung des Schwänzendes
bei Reptilien hat Mitsukuri mitgeteilt in seiner Schrift ..On the
fate of the blastopore, the relations of the primitive streak and the
formation of the posterior end of the embryo in Chelonia". Er gewann
sie durch das Studium von Flächenbildern und Querschnittserien von
Schildkrötenembryonen von 5 — 18 Ursegmeten. Die Veränderungen
spielen sich, wie bei den Amphibien am Blastoporus, so hier an der Ur-
mundregion oder der Primitivplatte ab. Hierbei tritt aber ein inter-
essanter Unterschied zu Tage. Bei den Amphibien sondert sich der
Blastoporus in drei Abschnitte, in den Canalis neurentericus, in die
Schwanzanschwellung und in den After. Bei den Schildkröten aber
gesellt sich hinzu noch ein vierter Abschnitt, indem hinter der Schwanz-
anschwellung und dem After ein verkümmerter Rest der Primitivplatte
sich fortsetzt und den Dotterpfropf einschließt.
Der Darstellung soll ein Schildkrötenembryo von 16 Ursegmenten
zur Grundlage dienen, dessen Befunde Mitsukuri als besonders wichtig
hervorhebt. Bei ihm ist schon ein bis auf das hintere Ende geschlossenes
Nervenrohr vorhanden, und der Körper ist bis auf die hinterste Rumpf-
das Amnion eingehüllt. Das Nervenrohr öffnet sich nach
gegen d in
Fig. 468.
Fig. 469.
Fig. 470.
ch
^ *-*^'xJt^t^
cn ch
on
Fiff. 471.
Fig. 472.
Fig. 473.
Fig. 468 — 478. Sechs Querschnitte aus einer Schnittserie eines Embryos von
Chelonia caouana mit etwa 16 Paar Ursegmenten, lOV^ Tag nach des Eiablage, nach
MiTSUKU_Ri (1896, Taf. VIT, Series IX, Fig. b, d, e, g, h, n). ch Chordaanlage.
cn Canalis neurentericus. dpi Dotterpfropf. * Stelle, "wo mittleres und inneres
Keimblatt zusammenhängen (Mesodermbildungsrinne).
Fig 468. Zwei Schnitte vor der Ausmündung des Canalis neurentericus.
Fig. 469. Zwei Schnitte hinter 468, durch die untere Oeffnung des Canalis neur-
entericus.
Fig. 470. Xeun Schnitte hinter 469, durch die Stelle, wo sich die untere Oeffnung
wieder schließt.
Fig. 471. Fünf Schnitte hinter 470, durch die Stelle, wo das Nervenrohr nach
außen geöffnet ist.
Fig. 472. Vier Schnitte hinter 471 durch die Primitivrinnc vor der Schwanz-
anschwellung.
Fig. 473. Schnitt hinter der Schwanzanschwellung durch den Dotterpfropf.
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 54: •
8ÖÜ 0. Hertwig,
hinten in den Canalis nenrentei'icus, der ein wenig schi'äg von vorn
nach hinten die Keinihaut durchsetzt. Kurz vor der Einmündung
(Fig. 468) sieht man die Abgrenzung zwischen Nervenrohr und Chorda (ch)
und Chorda und Darmdriisenblatt verschwinden, d. h. alle drei Gebikle
vereinigen sich nach liinten in der vorderen Wand des Canalis neur-
entericus, in welchem sie das Centrum für ihr Längenwachstum haben.
Die untere spaltförmige Ausmündung desselben, welche durch 10 Schnitte
der Serie hindurchgeht, ist in den Fig. 469 und 470 (cn) abgebildet, von
welchen die eine die Verhältnisse am vorderen, die andere am hinteren
Ende des Spaltes zeigt. In Fig. 469 ist durch die Gruppierung der
Zellen in der Wand des Canalis neurentericus schon angedeutet, welcher
Bezirk sich nach vorn in das Nervenrohr und welcher sich in die
Chorda ich) fortsetzt. Das Anlagematerial der letzteren ist durch den
Canalis neurentericus (cn) gewissermaßen in zwei Chordahälften (cli)
gespalten, die vor dem Kanal (Fig. 468 ch) miteinander verschmelzen.
An dem anderen Schnitt (Fig. 470) ist das mittlere Keimblatt viel
stärker als vorher entwickelt und mit der Wandung des neurenterischen
Kanals an der mit einem Stern bezeichneten Stelle (Mesodermbildungs-
rinne) verschmolzen.
Während die untere Oeffnung sich schließt, tritt an mehren Schnitten
die dorsale Mündung auf. Der in Fig. 471 dargestellte Schnitt zeigt
die Verhältnisse der Primitivplatte, die man auf späteren Stadien auch
Primitivstreifen heißen kann, da sie schmäler und länger als am An-
fang geworden ist. Ein kleinzelliges, in Wucherung begriffenes, in-
differentes Gewebe schließt einen ziemlich tiefen, vertikalen Spalt, die
Primitivgrube wie bei Lacerta, ein und geht am Rand derselben in
das äußere Keimblatt über, während es seitlich mit dem Mesoblast und
nach unten mit dem Darmdrüsenblatt verschmolzen ist, so daß hier
alle 3 Keimblätter in einer indifferenten Zellwucherung zusammen-
fließen. Weiter nach hinten (Fig. 472) schw^indet die Primitivgrube.
Ihre dicken Wandungen verschmelzen zu einem auf dem Querschnitt
rundlichen, dicken Zellenstrang, welcher sich auf 5 Schnitten hindurch-
verfolgen läßt. In der Verlängerung des Rückenmarkes erzeugt er
einen über die Oberfläche der Keimhaut weit vorspringenden Hügel,
den Endwulst. Er ist der Teil des Primitivstreifens, welcher sich
in den Schwanz umwandelt und daher auch Schwanzanschwellung
oder Seh w a n z k n o s p e genannt wird. Die paarige Anlage, die
bei den Amphibien so deutlich verfolgt werden konnte, prägt sich bei
den Schildkröten noch in einer seichten Rinne aus, welche in der
Verlängerung der Primitivrinne in die obere und hintere Fläche des
Endwulstes einschneidet. Eine kleine Strecke hinter dem Schwanz-
höcker setzt sich der Primitivstreifen noch in rudimentärer Form fort
und umschließt an seinem Ende (Fig. 473) einen Rest des Dotter-
])fropfes.
An noch älteren Embryonen wächst der Schwanzhöcker, indem er
sich beträchtlich verlängert, weit über die Oberfläche hervor. Der
Canalis neurentericus, dessen äußere Oeffnung sich schließt, rückt
immer mehr in die Spitze des Schwanzes hinein, in welchem sich in
demselben Maße Rückenmark und Chorda und eine Verlängerung des
Darmrohres als Schwanzdarm hinein fortsetzen. Der Rest der
Primitivrinne an seiner Oberfläche verschwindet. An seiner unteren
Fläche nahe der Schwanzwairzel ist bei Embryonen von 16 Tagen
nach der Eiablage der After entstanden in einer Weise, über welche
Die Lehre von den Keimblättern.
851
MiTSUKURi keine genaueren Angaben macht. Die veränderten Ver-
hältnisse giebt Diagramm Fig. 474 wieder, in welcher die punktierten
Linien den Teil des Primitivstreifens, der jetzt ganz geschwunden ist,
und nur die schwarz gehaltenen Stellen die erhalten gebliebenen Reste,
die Afteranlage und den Dutterpfropf bezeichnen. Den letzteren ver-
gleicht MiTSUKURi seiner Lage nach dem Dotterblastoporus der Se-
lachier und knüpft hieran eine Hypothese, welche im Original (1. c. 1896,
p. 88—92) naclizulesen ist. In Fig. 47G ist auf einem Querschnitt
Fig. 475.
Fig. 474.
f
-■ich
amh -
jl—n
.^
-«/
'Jpf
kbc
am
am"
Fig. 474. Schema über Schwanz und Afteranlage der Schildkröten nach MiT-
SUKUKI (L. K. III' 1896, Holzschnitt IX). c/;)/ Dottcrj^fropf. ot" After. äcA Schwanz-
knosi^e. n Urmuudnaht.
Fig. 475. Querschnitt durch den Schwanzhöcker und den Rest des Dotter-
pfropfes eines Embryos von Chelonia caouana mit 18 — 19 Ursegmenten, nach MiT-
SUKURi (1896, Taf. X, Series XIII m). am Amnion, am' Epithelschicht und am"^
Bindegewebsschicht desselben, amh Amnionhöhle. kbc Keimblasen cölom. n Naht
des Amnion, dpf Dotterpfropf.
die Lage des Dotterpfropfes unterhalb des vom Amnionsack rings ein-
geschlossenen Schwanzendes zu sehen.
Auf späteren Stadien hat Strahl die Sonderungsprozesse an der
Schwanzknospe bei Lacerta agilis verfolgt. Noch bei einem 4 mm
langen Embryo findet er einen neurenterischen Kanal, der in Fig. 476 A
B
C
D
cn
nr
nr
schd
seh d
schd
Fig. 476 A— D. Vier Querschnitte durch das Schwanzende von einem Embryo
von Lacerta agiUs mit Canalis neurentericus und Schwanzdarm, nach Strahl (1882,
Taf. XV, Fig. 43, 44, 45 und 47). A Querschnitt durch Canalis neurentericus, ß
durch Rückenmark und Schwanzdarm, der nächste Schnitt vor A; C der vierte
Schnitt weiter nach vorn, wo der Schwanzdarm seine größte Ausdehnung erreicht
hat ; D weiter nach dem After zu gelegener Schnitt, wo der Schwanzdarm seine
Höhlung verloren hat. cn Canalis neurentericus. nr Nervenrohr, schd Schwanz-
darm, bl Blutgefäß.
54*
852 0. Hertwig,
auf dem Querschnitt getroffen ist, an der Schwanzspitze als Verl)in-
dung des hinteren Endes des Nerven- und Darnirohres. Die untere
Wand des letzteren geht ohne Abgrenzung — und dasselbe gilt wohl
auch für die ganze Wand des Canalis neurentericus — in ein kleinzelliges
Gewebe über, welches das Schwanzende ausfüllt und, wie der Priniitiv-
streifen, undifferenziertes Material darstellt, welches zum Wachstum
von Nervenrohr, Chorda, Darm und Ursegmenten dient. Auf einem
der nach vorn nächstfolgenden Schnitte (Fig. 476 B) haben sich die
Wände des neurenterischen Kanals in ihrer Mitte zusammengelegt
und sind zu einer Zellmasse verschmolzen, aus welcher sich wieder
nach vorn (Fig. 476 C) die Chorda differenziert, während oben und
unten zwei kleine Hohlräume die Lichtungen des Nerven- und Darmrohres
sind. Auf dem 9. Schnitt, von der Schwanzspitze an (Fig. 476 C) gerechnet,
sind Rückenmark, Chorda und Darmrohr, an welchem 2 Blutgefäße ihren
Weg nehmen, deutlich voneinander und von der Umgebung gesondert.
Die ziemlich ansehnliche Höhle, welche der Schwanzdarm auf dem
Schnitt zeigt, verkleinert sich indessen nach vorn sehr rasch, bis sie
schließlich überhaupt geschwunden ist (Fig. 476 D). An Stelle des
Darmrohres findet man jetzt eine Strecke weit in der Schnittserie
einen kleinen soliden Zellstrang, „welcher weit nach vorn immer mehr
an Dicke abnimmt und endlich ganz schwindet, so daß die Schnitte
nur noch das Rückenmark und die Chorda enthalten".
„Es bestätigen diese Durchschnitte'', bemerkt Strahl (1882, p. 270),
„die bereits früher gemachte Beobachtung, daß der letzte Teil des
Schwanzdarmes sich noch bis in die späten Entwickelungsstadien er-
hält und dann allmählich in der Richtung von vorn nach hinten ein-
geht, indem einerseits das Lumen des Rohres sich schließt, dann aber
auch die Zellen der Wand in dem umgebenden Gewebe aufgehen. In
Durchschnitten durch die Schwanzspitze von erheblich älteren Embryonen
von Lacerta vivipara, welche eine Länge von fast 2 cm haben, fehlt
der Schwanzdarm und damit auch der Canalis neurentericus gänzlich.
Die Keimblätter der Vögel.
In der Geschichte der Blättertheorie hat das Ei des Hühnchens
eine große Rolle gespielt. Nicht nur ist es das klassische Objekt,
bei dessen Untersuchung die Idee der Keimblätter von Caspar Friedr.
WoLFF zuerst gefaßt, von Pander und C. E. v. Baer fester be-
gründet und von Remak genauer durchgeführt wurde, sondern es
ist lange Zeit hindurch das einzige Objekt aus der Klasse der Vögel
gewesen, welches immer wieder von neuem sorgfältig untersucht wurde.
Erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat man begonnen, das Studium
auch auf andere Vertreter auszudehnen, auf Schwimmvögel, auf den
Wellensittich, auf Finkenarten etc., doch ist auch jetzt noch die
hierüber entstandene Litteratur eine relativ geringfügige, während das
Hühnerei infolge der Leichtigkeit seiner Beschaffung immer wieder
neue Forscher zur Bearbeitung anlockt. Trotz der zahlreichen älteren
und neueren Untersuchungen sind gleichwohl die allgemeinen Fragen
der Blätterlehre, welche, durch die vergleichende Embryologie gestellt,
seit Decennien im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses
stehen, durch das Vogel- resp. Hühnerei nur wenig gefördert worden.
Denn leider ist dasselbe eines der am schwierigsten zu untersuchen-
den Objekte, was die frühen Stadien anbetrifft, und die wichtige Frage
Die Lehre von den Keimblättern. 853
nach der Entstehung- der Blätter bereitet hier nicht unbeträchtliche
Schwierigkeiten, so daß sie sich immer noch nicht in jedem Punkt
mit der wünschenswerten Sicherheit und Klarheit beantworten läßt.
Die älteren Forscher, wie Pandek, Baek und Bemak, ließen den
durch Furchung entstandenen zelligen Keim sich durch Spaltung in
2 primäre Keimblätter sondern und leiteten aus diesen dann die mittleren
Blätter ebenfalls wieder durch Spaltung her. Doch machten sich über
letzteren Punkt von vornherein verschiedene Ansichten geltend, unter
denen die Ansicht von Remak (A. L. III ^ 1855) die meisten Anhänger
fand. Danach sollte sich vom unteren Blatt das mittlere abspalten und
später durch Entstehung der Leibeshöhle sich in Haut- und Darmfaser-
platte (parietalen und visceralen Mesoblast) abermals scheiden. Bei der
Untersuchung der frühesten Stadien beschrieb schon Baeij den Primitiv-
streifen, Reichert die auf ihm sich zeigende Primitivrinne. Zum Gegen-
stand eines besonderen Studiums wurden diese wichtigen Gebilde zum
ersten Male durch DrRSv (L. K. III ^ 1867) gemacht, aber für etwas Neben-
sächliches gehalten, da aus ihnen kein Teil des Embiyos hervorgehen sollte.
In einer Reihe von Untersuchungen beschäftigte sich His (A. L. III ^
1868, L. K. III s 1876 u. 1877) mit der Entwickelung des Hühnchens, vor-
wiegend von entwickelungsphysiologischen Gesichtspunkten geleitet. An
RE>rAK"sche Bestrebungen anknüpfend, unterschied er neben dem mitt-
leren Keimblatt noch einen besonderen Blut- und Bindesubstanzkeim.
In seiner P ar ab 1 a s t-Theorie, welche auf allseitigen Widerspruch stieß
und später in ihrer ursprünglichen Form auch von ihrem Autor fallen
o-elassen wurde, unterschied His im Hühnerei einen Haupt- und Neben-
keim (Archiblast und Parablast). Jener erfäkrt allein den Einfluß der
Befruchtung, liefert die Embryonalzellen und baut die Keimblätter auf,
dieser hat seinen Ursprung im weißen Dotter, welcher nach der Hypothese
von His aus Zellen der mütterlichen Granulosa, die ins Ei einwandern,
bestehen und so eine ,.rein mütterliche Mitgift" bilden soll. Die Ele-
mente des weißen Dotters aber sollen während der Bebrütung in den
Archiblast einwandern und die sichtbar werdenden Lücken zwischen
den Keimblättern ausfüllen luid dort zu Blut- und Bindegewebe werden.
(Vergleiche hierüber auch Kapitel V.) — Gründlichen Aufschluß über
Bau und Bedeutung des Dotterorganes bei den Vögeln haben wir
H. ViRCHOw (L. K. III 8 1874, 1875, 1891) in einer Reihe von Unter-
suchungen zu verdanken, in denen ältere irrtümliche Angaben richtig-
gestellt wurden.
Fruchtbringende neue Gesichtspunkte w^urden in das schwierige
Studium der Keimblätter der Vögel durch die vergleichend - embryo-
logische Richtung gebracht. Die Frage, wie entstehen die Keimblätter
beim Hühnchen, was für eine morphologische Bedeutung haben sie und
die Primitiviinne, erhielt jetzt ein ganz neues Gesicht, als sie in An-
knüpfung an die bei anderen Wirbeltieren gesammelten Erfahrmigen
aufgeworfen wurde. Goette (L. K. III ^ 1874), durch Erfahrungen geleitet,
welche er durch Untersuchung der Entwickelung von Amphibien und
Knochenfischen gewonnen hatte, suchte die Annahme wahrscheinlich zu
machen, daß das untere Keimblatt sich nicht diu-ch Spaltung des Keimes,
sondern durch Umschlag des Randes der Keimhaut und durch Ver-
schiebungen und centripetale Wanderungen der Embryonalzellen anlege.
Haeckel in seiner Gastraeatheorie erklärte den zweiblätterigen Hühner-
keim für eine Discogastrula und seinen Rand für die dmxh Aufnahme
des Dottermateriales ausgeweitete Urmundlippe. Fosteii und Balfour
(A. L.. II 1874) erblickten in dem Primitivstreifen „ein unbrauchbar
854 0. IIertwig
gewordenes Erbstück von Ahnen"; aber erst Eauj?er sprach in dem Aufsatz
„Primitivrinne und IJrmund" (L. K. III^ 1876) den fruchtbaren Gedanken
aus, daß die Primivrinne dem zu einem Längsspalt umgewandelten Ur-
mund niederer Wirbeltiere entspreche. Da er gleichzeitig auch an der
Anschauung Haeckbl's, daß der Iveimscheibenrand Urmund sei, festhielt,
machte er den Versuch, die Primitivrinne vom Keimrand durch Ab-
schnürung herzuleiten, und kam so zur Aufstellung von verschiedenen
Abschnitten, in welche der Urmund niederer Tiere bei den Eiern der
Vögel etc. zerlegt werden solle. Rauber's Ansicht wurde von einem
großen Teil der Embryologen angenommen, von Balfour (A. L. II 1880)
in seinem Lehrbuch der vergleichenden Embryologie, von Kupffer (L. K.
III s 1882), der ihr durch seine Entdeckung des Prostoma der Reptilien
und durch die Vergleichung desselben mit der Primitivrinne der Vögel
eine wichtige Stütze schuf.
In den neu gewonnenen, vergleichend - embryologischen Gesichts-
punkten war ein großer Antrieb zur Vornahme erneuter Studien der
Blätterentwickelung und der Primitivrinne gegeben, zumal auch die Ver-
wendung der jetzt feiner ausgebildeten L^ntersuchungstechnik an dem
schon viel untersuchten Objekt doch noch neue Ergebnisse erhoffen ließ.
Das Studium der Serienschnitte beginnt. G-asseu's (L. K. III ^ 1878) Mono-
graphie des Primitivstreifens führte zur wichtigen Entdeckung des C a -
nalis neurentericus, durch welche eine weitere Anknüpfung an
die Verhältnisse der niederen Wirbeltiere und ein neuer Beweis für die
Urmundnatur des Primitivstreifens gewonnen wurde. Das Verständnis
von der Entwickelung des mittleren Keimblattes wurde w^esentlich ge-
fördert durch den von Kölliker erbrachten Nachweis, daß seine Bildung
vom Primitivstreifen ausgeht, an welchem eine lebhafte Neubildung von
Zellen stattfindet, die sich als eine kompakte Lage zwischen die Grenzblätter
hineinschieben und nach der Peripherie ausbi^eiten. Oscar Hertwig
(L. K. IUI 1881, 1883, L. K. IV 1892) erblickte hierin ebenfalls ein Mo-
ment, welches für die Urmundnatur des Primitivstreifens sprach, und
zeigte zugleich den Weg, auf welchem es möglich war, auch die Ent-
wickelung des mittleren Keimblattes bei den Vögeln in den Rahmen
seiner Cölomtheorie einzufügen. Indem er ferner nachwies , daß der
Keimscheibenrand der Sauropsiden nicht länger als Urmundrand ge-
deutet werden könne, fühi'te er die schärfere Unterscheidung zwischen
Urmundrand und Um w a chs ungsr an d ein und machte auf die
zwischen beiden bestehenden Unterschiede aufmerksam.
Als verdienstvolle Untersuchungen in den letzten Decennien, weil
sie auf einem umfassenden Beobachtungsmaterial beruhten und mit guten
Untersuchungsmethoden ausgeführt wurden, sind die Arbeiten von Koller
(L. K. III 8 1879, 1882) und besonders von Duval (L. K. HI 8 1878, 1884)
hervorzuheben : „Etiides sur la ligne de l'embryo du poulet" und „De la for-
mation du blastoderme". Sie zeigten aber auch zugleich, daß selbst bei
den verbeßserten Untersuchungsmethoden das Verständnis von der aller-
ersten Anlage des inneren Keimblattes und der Entstehung des Primitiv-
streifens noch auf manche Schwierigkeiten stößt. Daher stimmten denn
auch weder Koller und Duval in ihren allgemeinen Ergebnissen über-
ein, noch konnten jüngere Forscher, wie Kionka (L. K. III ^ 1894),
Schauinsland (A. L. III § 1899) und Nowak (L. K. III » 1902) in einer
gründlichen Abhandlung, manche Angaben von Duval bestätigen.
So ist trotz aller aufgewandten mühsamen Arbeit hervorragender
Embryologen auch heute noch die Entwickelung der Keimblätter des
Die Lehre von den Keiinljlättern. 855
Hühnchens keineswegs nach allen Richtungen genügend geklärt. Um
so gebieterischer tritt die Aufgabe heran, zu sehen, inwieweit durch das
Studium anderer Vogelarten, die vielleicht hier und da kleine Vorteile
bieten und klarere Bilder von diesem imd jenem Vorgang liefern, also
durch planmäßig durchgeführtes vergleichendes Studium, die Lücken in der
Erkenntnis auszufüllen sind. Der Anfang zu solchen vergleichenden
Untersuchungen ist schon zum Teil mit gutem Erfolg gemacht. BitArN
(A. L. III * 1882) studierte die Embryonalentwickelung des Wellen-
papageis (Melopsittacus). Kupffer, Duval etc. imtersuchten, wenn auch
weniger eingehend als den Hühnerkeim, die Eier von Ente, Gans, Taube,
Sperling, Star, Finkenarten etc. Hoffmanx (L. K. III ^ 1 883) zeigte, daß die
Keime der Wasservögel für manche Verhältnisse klarei'e Bilder liefern
als das vieluntersuchte Hühnerei. Ueber sehr zahlreiche Vogelarten
(Fregatta aquila, Diomedea, Puffinus, Sula, Haliplana etc.) hat Schau-
rNSLAXD (A. L. III ^ 1899) seine vielversprechenden LTntersuchungen aus-
gedehnt, von welchen er leider bisher nur eine kurze Mitteilung veröffent-
licht, aber in ihr schon festgestellt hat, daß bei einzelnen Arten nicht
unwichtige Modifikationen in der Entwickelung haben beobachtet werden
können.
Die Entwickelung bespreche ich in derselben Reihenfolge wie bei
den Reptilien in 4 Abschnitten mit denselben Ueberschriften.
Die erste Phase der Gastrulation.
Das unbebrütete Ei und das Ei in den ersten Stunden der Bebrütuug.
Die Untersuchung des Vogel- und besonders des Hühnereies
während der frühesten Stadien der Keimblattbildung ist mit be-
sonderen Schwierigkeiten verknüpft. Zu dieser Zeit läßt sich die
Keimscheibe wegen ihrer geringen Größe und ihres innigen Zu-
sammenhanges mit dem ungeteilten Nahrungsdotter von diesem nicht
abtrennen, wie es später geschieht, ohne dieses und jenes Verhältnis
zu zerstören oder zu verändern. Es muß daher der große Eidotter
im ganzen geliärtet und nach der Härtung die Keimscheibe mit dem
nächst angrenzenden Dotter zur weiteren Untersuchung mit dem
Rasiermesser abgetrennt werden. Bei dem Studium der Oberfläche
mit der Lupe sind aber an dem so gehärteten Ei wenig klar ausge-
prägte, feinere Organisationsverhältnisse, an denen man sich über
vorderen und hinteren Rand der Scheibe orientieren könnte, wahrzu-
nehmen in der Zeit, die vor dem ersten Erscheinen des
Primitivstre if ens liegt. Das ist aber wieder ein großes Hindernis
für die Anfertigung brauchbarer Schnittserien. Denn für das erfolg-
reiche Studium von Durchschnitten ist es wichtig, daß sie entweder
genau in dei- Längs- oder in der Querrichtung durch den Keim hin-
durchgelegt sind.
Um dies trotzdem zu erreichen, haben DrvAL, Xowak u. a. sich
eines Kunstgriffes bedient. Für das Hühnerei kann man nämlich, ohne
die Kalkschale zu öffnen, nach einer aus vielen Erfahrungen ge-
zogenen Regel (Kupffer, Koller, Gerlach, Duval) mit großer Wahr-
scheinlichkeit angeben, was für eine Lage der sich entwickelnde Embryo
auf der Dotterkugel einnehmen wird. Wenn man ein Ei so vor sich
hinlegt, daß der stumpfe Pol nach links, der spitze nach rechts sieht,
so zerlegt eine die beiden Eipole verbindende Linie die Keimscheibe in
eine dem Beobachter zugekehrte Hälfte, welche zum hinteren Ende des
856 0. Hertwig,
Embryos wird, und in eine vordere, zum Kopfende sich entwickelnde
Hälfte. Mit Rücksicht hierauf hat man au dem richtig orientierten Ei
vorsichtig die Ivalkschale von oben eröfitnet und an der freigelegten
Dotterkugel eine Marke nahe dem Rand der Keimscheibe angebracht,
welcher nach der oben angegebenen Regel voraussichtlich der vordere
oder hintere sein wird. Einfacher und bequemer als das Verfahren,
welches Duval (L. K. III ^ 1878) empfohlen hat, ist das von Nowak be-
nutzte. Nowak hat einen spitzen Igelstachel in die Dotterkugel in der
Nähe des voraussichtlich hinteren Randes eingestochen, bei welcher
Operation das Austreten von Dotter bei einiger Vorsicht vermieden werden
kann. Hierauf hat er die Dotterkugel in physiologischer Kochsalzlösung
vorsichtig von der Eiweißhülle befreit, in toto gehärtet, darauf den
Dotterbezirk, der die Keimscheibe enthält, mit dem Rasiermesser so
umschnitten , daß ein spitzwinkliges Dreieck entsteht , dessen Spitze
nach der Igelnadel gerichtet ist. In dieser Weise läßt sich nach der
Einbettung des Stückes in Paraffin bestimmen, ob die Schnittserie in
der Längs- oder in der Querrichtung angefertigt wird.
Wie Oellacher, Duval (L. K. IIP, 1884, p. 30), Kölliker
(A. L. II 1871»), His(A. L. IIP 1868, p. 12) und andere Forscher her-
vorheben, steht das uubebrütete Ei nicht immer auf gleichem Entwicke-
lungsstadium, weil je nach der Temperatur, in der es sich nach der Ab-
lage befindet, die Entwickelung entweder ganz zum Stillstand gebracht
wird oder mehr oder minder verlangsamt fortschreiten kann. So kann es
in warmen Sommermonaten oder in einem warmen Zimmer, in welchem
es aufbewahrt wird , auch ohne Bebrütung weitere Veränderungen
durchmachen. Außerdem scheinen aber auch noch andere Faktoren
darauf hinzuwirken, daß die Befunde am unbebrüteteu Ei so ver-
schieden ausfallen. So glaubt His wohl nicht mit Unrecht (1. c.
p. 12), daß die Zeitdauer, in welcher die Eier die verschiedenen Ab-
schnitte des weiblichen Geschlechtsapparates durchwandern, sicherlich
individuellen Schwankungen unterw^orfen ist, die sich auf mehrere
Stunden belaufen mögen. Er erklärt hiermit die auffallende Er-
scheinung, daß er unter den letzten im Herbst gelegten Eiern solche
fand, die in ihrer Entwickelung viel weiter vorgerückt w^aren als die
Sommereier, da sie bereits ein vollständiges, vom oberen im Zusammen-
hang ablösbares unteres Keimblatt besaßen. Da sich am Ende der
Legesaison die Eier in größeren Intervallen folgen, durchlaufen sie
wahrscheinlich die Abschnitte des Ausführungsganges langsamer.
Bei auffallendem Licht betrachtet, erscheint die Keimscheibe als ein
weißer Fleck von etwa SVg mm Durchmesser (Kölliker, Duval,
1884, p. 31). Er besteht, wie Duval angiebt, aus einem noch w^eißeren
Randbezirk von der Form eines Ringes, der nach hinten zu ein wenig
dichter als vorn ist und eine centrale Partie von etwas hellerer Farbe
einschließt ; endlich sieht man in der Mitte dieser Partie den Pander-
schen Kern durchschimmern, welcher gemäß seiner größeren Dichte
den Anblick eines undurchsichtigen, weißen Körpers erzeugt, der
unter der durchsichtigen centralen Partie der Keimhaut liegt. Alle
diese Bilder sind im übrigen sehr wechselnd. Von vielen Forschern
werden schon jetzt das hellere Centrum und der weniger durchsichtige,
weiße Rand der Keimhaut als heller und dunkler Fruchthof (Area
pellucida und A opaca) unterschieden, während Duval diese Bezeich-
nungen erst von einem vorgerückteren Stadium, wenn infolge der
Die Lehre von den Iveimblüttern, 857
Bebrütung sich in der Mitte unter der Keinihaut ein größerer, mit
Flüssigkeit erfüllter Hohlraum gebildet hat, gelten lassen will.
Auf dem Durchschnitt untersucht, besteht die Keimhaut aus
mehreren Zellenlagen, die sich in ihrer Beschatfenheit voneinander unter-
scheiden. Die an der Oberfläche angrenzenden Zellen sind zu einer
festen Membran untereinander verbunden, sie sind kul)isch oder cylin-
drisch und sind in dem mittleren Bezirk der Keimhaut durch einen
feinen Spalt von den tieferen Zellenlagen getrennt, nach dem Rand-
bezirk dagegen nicht scharf von ihnen abzugrenzen. Die darunter
gelegenen Zellen zeigen ein minder beständiges Verhalten und ver-
schiedene Form und Größe; viele sind kugelig; je mehr das Ei in der
Entwickelung noch zurück ist, um so lockerer und unregelmäßiger
liegen sie zusammen, in kleinen Gruppen und in Strängen, die eine
Art Netzwerk bilden. In der Mitte der Scheibe ist die untere Schicht
dünner und breitet sich über einer kleinen Höhle aus, die sie vom
weißen Dotter des PANDER'schen Kernes trennt und Keimhöhle oder
subgerminale Höhle (cavite sous-germinale Duval) heißt. In der Höhle
finden sich vereinzelte größere und kleinere, runde Furchungskugeln,
die zum Teil dem weißen Dotterboden aufliegen. Letzterer schließt
eine Anzahl Kerne ein , die dem centralen Dotter syncyti um
ViRCHOw's angehören. Nach dem Randbezirk zu (Area opaca) wird
die untere Schicht dicker und liegt unmittelbar dem weißen Dotter
auf, in welchem ebenfalls Kerne eingestreut sind und das periphere
Dott er sy ncytiu m (H. Virchow) bilden. Den gesamten, etwas
verdickten zelligen Rand der Keimhaut hat man Rand wulst (Götte),
oder Keimwulst (Kölliker A. L, II 1879, p. 66), (bourrelet blasto-
dermique Duval, L. K. III- 1884, p. 30) genannt. Der Randwulst ist
in dem Teil der Peripherie der Keimhaut, welcher dem späteren hinteren
Ende des Embryos entspricht, nicht unerheblich dicker als im vorderen
Umfang.
In dem unter der ganzen Keimhaut ausgebreiteten, weißen Dotter
finden sich außer den schon besprochenen Kernen des Syncytiums so-
wohl central als peripher größere und kleinere, mit eiweißreicher
Flüssigkeit erfüllte, einer Membran entbehrende Hohlräume, die
Dotter Vakuolen von His; „sie sind als Zeichen der beginnenden
Verflüssigung des Nahrungsdotters aufzufassen" (Köllikerj.
Können die beiden oben beschriebenen Schichten der Keimhaut
schon als äußeres und inneres Keimblatt aufgefaßt werden? Remak
hat dies zuerst gethan, und die meisten späteren Forscher sind seinem
Beispiel gefolgt, während Pander und C. E. v. Baer die Spaltung
des Keimes in 2 Keimblätter erst auf ein späteres Stadium, einige
Zeit nach Beginn der Bebrütung verlegt haben. Doch heben His,
Kölliker, Duval u. a. hervor, daß die nur unvollkommen
vereinigten oder selbst noch ganz getrennten, tieferen
Zellelemente vor der Bebrütung sich von dem späteren
Zustand, in welchem sich eine einfache Lage fest zu-
sammen häng ender, abgeplatteterZellen vorfindet, nicht
unwesentlich unterscheiden. Um dies hervorzuheben, hat
ihnen Duval den Namen eines „entoderme primitif (1. c. p. 33)
gegeben mit der Bemerkung: „cet entoderme est encore mal diffe-
rencie, presente ä sa face inferieure des spheres de segmentation plus
grosses que les autres cellules qui le composent, et il se dedoublera
plus tard, au moins en certaines regions, en mesoderme et en ento-
derme proprement dit."
858
0. IIertwig,
Mir scheint es richtiger zu sein, von einem inneren Keimblatt erst
von dem Zeitpunkt zu reden, wenn sich die zuvor locker veiteilten
und meist kugeligen Zellen zu einem wirklichen Blatt zusammenge-
ordnet haben, wobei sie schüppchenartig werden. Zuweilen kann diese
Umwandlung schon vor der Bebrütung ihren Anfang nehmen, in an-
deren Fällen ist sie ihre erste Folge, Wir meinen daher, daß die
Hühnereier für gewöhnlich gleich nach der Ablage sich am Ende des
Blastulastadiums befinden, daß die obere, fester gefügte Schicht kubischer
Zellen der aus animalen Elementen zusammengesetzten Decke der
Keimblase, der enge Spalt unter ihnen der Furchungs- resp. Keim-
blasenhöhle und die locker unter ihr und auf dem weißen Dotter
liegenden, vegetativen Zellen dem Boden der Keimblase zu vergleichen
sind. Wie aus diesem Stadium beim Hühnerei sich das innere Keim-
blatt entwickelt und inwieweit dieser Vorgang als eine Gastrulation
aufgefaßt werden kann, ist eine noch strittige und schwer zu beant-
wortende Frage. Der objektive Befund, der sich einige Zeit, nachdem
die Entwickelung des inneren Blattes begonnen hat, dem Beobachter
auf Längs- und Querdurchschnitten darbietet, ist folgender:
Im hinteren Bereich des hellen Fruchthofes (Fig. 477 und 478)
findet sich bald in geringerer, bald in größerer Ausdehnung unter der
Lage kubischer odei- cylindrischer Zellen, dem äußeren Keimlilatt, durch
einen scharfen Spalt von ihm getrennt, ein dünnes Häutchen abge-
platteter Zellen, w^elches dem Darmdrüsenblatt (Paraderm) der Rep-
tilien entspricht. Zwischen ihm und dem Dotterboden liegen in der
r
cd- ik
Fig. 477. Sagittaler Diirchschnitt durch, die Keimhaut eines Hühnchens einige
Stunden nach Beginn der Bebrütung. al-, ik äußeres und inneres Keimblatt. r~ iso-
lierte vegetative Zellen, a^•' Bezirk des äußeren Keimblattes, in dem das innere noch
fehlt.
Urdarmhöhle zerstreut einzelne kugelige Embryonalzellen, darunter
auch größere, dotterhaltige Kugeln, die Megasp hären von His.
Letztere haben nicht den Formwert einer Zelle, da Kerne auf keine
Weise in ihnen sichtbar zu machen sind, wie von Gasser (L. K. III ^
1884, p. 54) und anderen Beobachtern festgestellt worden ist. Sie
sind daher nur vom darunter liegenden Dotter losgelöste, kugelige
Ballen, die wohl allmählich zur Ernährung der Zellen der Keimblätter
aufgebraucht werden. Auch im Raum zwischen den beiden Keim-
blättern kommen
wenige
vereinzelte Zellen vor. Wie sich an Längs-
)^l?'55f^Pl-
■"J-ig,! W :' !^i)5>i It!! Vi 'ry^r^pifiji
vs ■
Fig. 478. Ein Stück der Keimhaut aus dem Bezirk, wo das innere Blatt mit
freiem Rand aufhört, stärker vergrößert, vz vegetative Zellen.
Die Lehre von den Keimblättern. 859
schnitten feststellen läßt, hängt nach hinten zu das innere Blatt mit
(lern Randwillst zusammen, etwa der Gegend entsprechend, wo heller und
dunkler Fruchthof ineinander übergehen, so daß von hier an die Unter-
scheidung zweier Keimblätter nicht mehr möglich ist. Nach vorn hört
das untere Blatt mit freiem, unregelmäßigem Rand auf (Fig. 477 u. 478),
so daß im vorderen Bereich des hellen Fruchthofes das Ektoderm sich
unmittelbar über einer Höhle, die man als Keimblasenhöhle bezeichnen
und nach hinten in die Urdarmhöhle verfolgen kann, bis zum vorderen
Randwulst ausbreitet. Wie auf früheren Stadien liegen unter ihm
und auf dem Dotterboden einzelne Embryonalzellen und Megasphären
bald spärlicher, bald reichlicher zerstreut.
Entsprechende Verhältnisse lernt man auch durch Untersuchung
einer Querschnittserie kennen ; denn vorn findet man nur das Ektoderm
über einer Keimhöhle, in welcher zerstreute Zellen liegen, im hinteren
Bereich des Fruchthofes dagegen zwei deutlich gesonderte Blätter von
der oben angegebenen Beschaffenheit. In einigen Fällen zeigte die
Querschnittserie zu dieser Zeit kleine Einstülpungen und Rinnenbil-
dungen des äußeren Keimblattes, namentlich in der Gegend, wo die
zwei Blätter nach dem Rand zu zusammenhängen. In einem Falle
nimmt die im Querschnitt zweimal getroffene, weil bogenförmige Rinne
eine solche Lage ein, daß sie der von Koller beschriebenen Sichel-
rinne entsprechen könnte. Da der Befund nicht konstant ist, wage
ich nicht zu entscheiden, ob er eine größere Bedeutung und was für
eine er hat. Auf mehreren Längsschnitten bildet Koller auch rinnen-
förmige Einsenkungeu des Ektoderms an der inneren Grenze des
hinteren Randwulstes ab, in der Gegend, wo beide Keimblätter zu-
sammenhängen. Desgleichen zeigen seine Figuren mit voller Deut-
lichkeit, wie das innere Blatt nach vorn in der oben von mir be-
schriebenen Weise mit freiem Rande aufhört. Ferner vergleiche man
ein Querschnittsbild von Kupffer durch eine 12 Stunden bebrütete
Hühnerkeimhaut mit eigentümlichen Rinnenbildungen und einem inneren
Keimblatt, das nur in dem kleinen Bezirk, wo die Rinnen sich finden,
entwickelt ist (L. K. III « 1882, Taf. IX, Fig. 10). Mit meiner Darstellung
stimmen die Angaben von Schauinsland (A. L. III ^ 1899, p. 325) in
seinem vorläufigen Bericht überein. Auch er findet nur im hinteren
Teil der Keimhaut ein einschichtiges Entoderm von zusammenhängenden,
platten Zellen, dagegen im vorderen Bezirk „nur locker neben- und
übereinander liegende sternförmige (mesenchymatöse) Zellen".
Die Frage, in welcher Weise hat man sich das innere Blatt ent-
standen zu denken, ist nach den zur Zeit vorliegenden Untersuchungen
schwer zu beantworten. Doch können wir wohl so viel sagen, daß
die blattartige Anordnung der zuvor locker verteilten Zellen von dem
hinteren Umfang des Randwulstes ausgeht, und zwar von seinem
inneren Rand, wo der helle Fruchthof beginnt, und daß sie von hier
allmählich nach vorn fortschreitet. Bei Untersuchung anderer Vogel-
arten wäre besonders darauf acht zu geben, ob diese Ursprungsstelle
regelmäßiger als beim Hühnchen durch eine rinuenförmige Einsenkung
gekennzeichnet ist. Die L^rsprungsstelle ist wohl der Primitivplatte
der Reptilien zu vergleichen , wie denn überhaupt die Befunde bei
den Vögeln sich vou den Befunden bei den Reptilien (vergl. Fig. 41H
—419) werden herleiten lassen. Die Ausbreitung des inneren Keim-
blattes mit seinen freien vorderen und seitlichen Rändern erinnert an
das gleiche Verhältnis bei den Säugetieren. Wollen wir die ange-
860 0. Hertwig,
deutete Bildungsweise des inneren Blattes eine Gastrulation nennen,
was ich für statthaft halte, so ist jedenfalls der Vorgang, wie schon
bei den Reptilien, ein stark modifizierter.
Ueber die Grastrulatiou des Vogeleies sind viele widersprechende
Ansichten aufgestellt worden. Die ursprüngliche Lehre von Goette,
Haeckel, Raubek, daß die untere Schicht sich wie bei Knochenfischen
durch einem Umschlag vom Rand aus entwickele, ist unhaltbar geworden,
da sich ein solcher Vorgang nicht beobachten läßt und da der Randwulst
mit dem peripheren Dottersyncytium zu allen Zeiten fest verbunden ist.
Die Darstellungen von Koller und Duval beruhen ohne Frage auf sehr
gründlichen Untersuchungen, stimmen aber sowohl untereinander nicht
überein, als auch haben sie in letzter Zeit vielfachen Widerspruch er-
fahren.
Nach der Darstellung von Koller ist am unbebrüteten Hühnerei
(Fig. 479) die Grenze zwischen hellem {hf) und dunklem Fruchthof (df)
(Keimring) nach vorn zackig und verwischt, in der hinteren Hälfte aber
erscheint sie als eine scharfe Kontur (s). Hier zeichnet sich auch der
innere Saum des Keimrings durch weißliche Färbung und Undurchsich-
tigkeit aus, was auf eine Wucherung der Zellen und dadurch hervorge-
rufene Verdickung zurückzuführen ist ; er stellt eine halbmondförmige
Fig. 479. Fig. 480.
Fig. 479. Dieunbebrütete Keimscheibe eines Hühnereies, nach Kollee. df, /i/ dunk-
ler, heller Fruchthof. s Sichel.
Fig. 480. Keimscheibe eines Hühnereies in den ersten Stunden der Bebrütung,
nach Koller, df, hf dunkler, heller Fruchthof. s Sichel, sk Sichelknopf. Es Em-
bryonalschild.
oder sichelförmige Figur dar {s). In den ersten Stunden der Bebrütung
wird in der Sichel eine tiefe Furche, die Sichelrinne, bemerkbar , durch
welche heller und dunkler Fruchthof am hinteren Ende der Keimscheibe
noch schärfer voneinander gesondert sind. Außerdem bildet sich in der
Mitte der Sichel eine Verdickung aus, der Sichelknopf (Fig. 480 sk),
der erste Anfang des später zu besprechenden Primitivstreifens. Koller
und KuPFFER haben die Sichelrinne des Hühnchens dem Prostoma der
Reptilien, dem Urmund niederer Wirbeltiere, verglichen ; doch ist von
anderer Seite das regelmäßige Auftreten der erwähnten Rinne und ihre
Bedeutung in Frage gezogen worden.
Duval (L. K. III* 1884) läßt schon auf einem frühen Stadium des Fur-
chungsprozesses in dem Keim der Vögel sich eine Furchungshöhle bilden
in Form eines sehr schmalen Spaltes, durch welchen von den tieferen
Zellen eine oberflächliche Lage abgetrennt wird, die sich später ins
äußere Keimblatt umwandelt (Fig. 481). Wenn die Segmentation bis
in eine gewisse Tiefe des weißen Dotterz vorgedrungen ist, bilden sich,
vom hinteren Rand beginnend, Furchen in äquatorialer Richtung aus
Die Lehre von den Keimblättern.
861
und trennen die am tiefsten gelegenen Embryonalzellen vom weißen
Dotter ab, in welchem einzelne Kerne zurückbleiben. Indem alle diese
einzelnen Teilungsebenen zusammenfließen, erzeugen sie eine gi'ößere Spalte,
über welcher die Scheibe der
Fig. 481.
VW dw fh
Embryonalzellen und unter
welcher der Dotter mit freien
Kernen liegt (Fig. 482). Du-
VAL erblickt in der Spalte
das Homologon der Urdarm-
hühle der Amphibien oder
der Gastrulaeinstülpung nie-
derer Wirbeltiere ; er nennt
sie Subgerminalhöhle (cavite
Fig. 481. Durchschnitt durch
die Keimscheibe eines frisch ge-
legten , nicht befruchteten (?)
Hühnereies, nach Düval. fh
Furchungshöhle wd weißer
Dotter. VW untere Zellschicht.
dw obere Zellschicht der Keim-
blase.
Fig. 482. Längsschnitt durch
die Keimscheibe eines nicht be-
fruchteten (?) Eies vom Zeisig,
nach DuvAL. ak, ik äußeres,
inueres Keimblatt, wd weißer
Dotter, dk Dotterkerne, ud Ur-
darm. vi vordere, hl hintere Lippe
an der Einstülpungsstelle.
wd
-^•-v.x-lofrSQfeSC
, q o ^ ' r - <= o
Fig. 482.
t'l hl ud ak ik wd dk
dk
fS^«*'?,*'^«; öc =- ?,
y^w.
sous-germinale) und läßt sie sich in ähnlicher Weise wie am Ei der
Knochenfische und Selachier von hinten nach vorn bilden. Am frisch
gelegten Hühnerei ist daher der Gastrulationsprozeß nach Duval
schon abgelaufen und sind schon 2 Keimblätter an ihm angelegt, ein
Ektoderm und eine „masse entodermique primitive'' oder wenn sie sich
beim Weiterwachsen mehr in die Fläche ausgebreitet hat, ein „entoderme
primitif" ; durch den Zusatz „primitif" will Duval anzeigen, daß man es
mit einer Lage zu thun hat, welche sich erst noch weiter in Mesoderm
und definitives Entoderm zu sondern hat.
Der Darstellung Duval 's war ich in meinem Lehrbuch längere Zeit
gefolgt, halte sie aber jetzt nicht mehr für richtig und glaube, daß die
in Fig. 482 am hinteren Rand der Keimhaut abgebildete Spalte zwischen
Embryonalzellen und peripherem Dottersyncytium durch die Härtung oder
beim Schneiden künstlich erzeugt ist und mit einer Gastrulation nichts
zu thun hat. Auch von Kioxka imd Schauixsland sind Bedenken gegen
die Angaben von Duval erhoben worden. Schauinsland (A. L. III ^ 1899,
p. 326) erklärt : ,,Ich leugne ausdrücklich , daß die Bildung der beiden
primären Keimblätter und die Entwickelung des Primitivstreifens sich
auf die Weise vollzieht, wie Duval und Koller darstellen. Unter
Tausenden von Keimscheiben der verschiedensten Vogelspecies habe ich
auch nicht einmal etwas derartiges gefunden."
Zweite Phase der Gastrulation.
Wir beginnen mit den Veränderungen, die an der Oberfläche der
bebrüteten Keimhaut wahrzunehmen sind und die sich um so leichter
862 0. Hertwig,
verfolgen lassen, je länger die Bebrütnng gedauert hat. Denn in dem-
selben Maße läßt sich die Keiinhaut ohne Verletzung vom Xahrungs-
dotter mit immer größerer Leichtigkeit abpräparieren, da in der Mitte
unter ilir der weiße Dotter mehr und mehr verflüssigt und die sub-
germinale Höhle vergrößert wird, wenn auch niemals in dem Maße
wie bei manchen Reptilien, z. B. den Schlangen. Eine zweite Folge
dieser Veränderungen ist, daß an der abpräparierten Keimhaut der
schon früher erwähnte helle und dunkle Fruchthof sich schärfer gegen-
einander absetzen. Der erstere hat zuerst eine breit-ovale Form;
später aber überwiegt der Längsdurchraesser immer mehr den breiten
Durchmesser, und besonders nach hinten verlängert sich der helle
Fruchthof in einen dünneren Fortsatz. Die wichtigsten Veränderungen
aber spielen sich in seiner Mitte und in seiner hinteren Hälfte ab. —
Ueber dieselben gebe ich einen Ueberblick nach photographisch auf-
genommenen Oberflächenbildern (Fig. 483—486) verschieden weit ent-
Fig. 484.
Fig. 483. W"- -^- — ^-----V'«!
pr
Fig. 483. Kurzer, in Bildung begriffener Primitivstreifen einer 8 Stunden be-
brüteten Keimhaut vom -Hühnchen, hk HENSEN'scher Knoten am vorderen Ende
des Primitivstreifens, pf Primitivfalten, pr Primitivrinne. Photogr. No. 36 des
anat-biol. Inst.
Fig. 484. Erheblich längerer Priraitivstreifen mit kurzem Kopffortsatz einer
26 Stunden bebrüteten Keimhaut vom Hühnchen, kf Kopffortsatz, hk Hensex-
scher Knoten, pr' hinterer seitwärts gekrümmter Teil der Primitivrinne. Photogr.
No. 36 des anat.-biol. Inst.
wickelter Keimhäute des Hühnchens, die in ihrem normalen Zusammen-
hang mit der ganzen Dotterkugel gehärtet worden waren. Zur
Ergänzung füge ich Abbildungen von Keimhäuten einiger anderer
Vogelarten hinzu, welche vom Dotter abpräpariert, in durchfallen-
dem Lichte gezeichnet und mir in liebenswürdiger W^eise von Herrn
Schauinsland für das Handbuch zur Verfügung gestellt worden sind
(Fig. 487—492).-
Von der 8. — 14. Stunde der Bebrütung markiert sich mit größerer
Deutlichkeit ein für die weitere Entwickelung außerordentlich wichtiges
Organ, der Primitivstreifen (Achsenplatte von Remak) [Fig. 483] eine
Die Lehre von den KeimljUittern.
863
in der Medianebene und in dem hinteren Bezirk des hellen Frucht-
hofes gelegene, streifenartige Trübung, die sich nach hinten etwas
verbreitert und bis nahe an den Rand des dunklen Fruchthofes
heranreicht.
Fig. 485.
mf —
M:
Pf
Fig. 48Ü.
Fig. 485. Keimhaut des Hühnchens nach 33 Stunden Bebrütung. hk Hexsen-
scher Knoten, pf Priiuitivfalte. r ßückenrinne. mf vordere MeduUarfalte. Photogr.
No. 38 des anat.-biol. Inst.
Fig. 486. Keimhaut des Hühnchens nach 36 Stunden Bebrütung. mf Me-
duUarfalte. mr MeduUarrinne. jyst Primitivstreifen, pf Primitivfalten. pr Primitiv-
rinne. /(/, df heller, dunkler Fruchthof. Photogr. No. 29 des anat.-hist. Inst.
Fig. 487.
Fig. 488.
df
elf _.
Tr
.■^■■' \.
kf
■pr
1)1'
hf ---
Fig. 487. Keimhaut vom Sperling mit Fruchthöfen (d/ und hf) vor Auf-
treten des Primitivstreifens, nach Schauikslajnd. Der dunkle Fleck {Tr) in der
Area pellucida (hf) wird durch die Beschaffenheit des Entoderms hervorgerufen, das
hier aus mehrschichtigen Lagen von losen Zellen besteht.
Fig. 488. Keimhaut vom Sperling mit wenig entwickeltem Primitivstreifen
{pr), nach Schauinsland, df, hf dunkler, heller Fruchthof.
In diese erste Entstehung des Primitivstreifens gewähren uns
auch einen Einblick die Figg. 487 und 488 vom Sperling und Fig. 489
864
0. Hertwig,
und 490 von Haliplana. Die Keimhaut vom Si)erling zeigt uns dabei
eine Eigentümlichkeit, welche Schauinsland als besonders beachtens-
Fig. 489.
Fig. 490.
,4.
-kf
-pr
hf
- pr
Fig. 489. Keimhaut von Ha li plana mit dem frühesten Auftreten des Primitiv-
streifens (pr), nach Schauinsland, df, hf dunkler, heller Fruchthof.
Fig. 490. Keimhaut von Haliplana mit weiter entwickeltem 'Primitivstreifen
(jo/i, nach Schauinseand. s sichelförmige Verbreiterung von pr. hf, df dunkler,
iieller Fruchthof.
Fig. lOL
Fig. 492.
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Fig. 491. Keinihaut vom Sperling mit weit entwickelter Primitivrinne {pr).
Sichelrinne (s), HENsEN'schem Knoten mit tiefer Einstülpung (hk) und Kopffort-
satz (kf), uach SCHAUINSLAND. s Sichel, df, hf dunkler, heller Fruchthof.
Fig. 492. Keimhaut von Diomedea mit Primitivrinne (pr), ÜENSEN'schem
Knoten ' (hk) mit tiefer Einsenkung {j/r), Kopffortsatz (kf), nach Schauinsland.
pf Primitivfalten, bl Blutgefäße.
wert beschrieben hat. Der Primitivstreifen (|jr) entwickelt sich hier
nämlich im Bereich des hellen Fruchthofes selbst (Fig. 488) und nicht,
wie es vom Hühnchen und auch sonst stets angegeben wird, an der
hinteren (jrenze des hellen Fruchthofes, am Uebergang in den dunklen
Hof, wo er bei Haliplana (Fig. 490) eine sichelförmige Verbreiterung
(s) darbietet.
Die Lehre von den Keimblüttern. 865
Bis zum Ende des 1. Brüttages nimmt der Primitivstreifen
an Deutlichkeit und auch an Länge, die etwa 2 mm erreicht, zu, und
dabei tritt in seiner Glitte eine feine Furche auf. die Primitivrinne,
die in seiner vorderen Hälfte tiefer als nach hinten ist (Fig. 484, 491,
491 pr). Sie wird eingesäumt von den schmalen, nur wenig über die
Obertläche vortretenden Primitivfalten (Fig. 484 und 492 ^^f)- Selten
ist das axiale Embryonalgel)ilde ganz gerade gestreckt, meist ist es
etwas gebogen: namentlich häufig ist sein hinteres Ende etwas zur
Seite gekrümmt (Fig. 484 ^r'), zuweilen auch in 2 kurze divergierende
Aeste gespalten. Das vordere Ende des Primitivstreifens soll als
Knoten {hJc) bezeichnet werden, da es besonders an älteren Keim-
häuten (Fig. .484, 485, 491 und 492) eine kleine, nach außen hügelig
vorspringende Verdickung darbietet, an welcher die Primitivrinne ihre
größte grubenartige Vertiefung zeigt (Fig. 491 und 492 gr). Die
Stelle ist morphologisch besonders wichtig, wie das Studium von Quer-
und Längsschnitten lehren wird. Sie entspricht dem HENSEN'schen
Knoten in der Keimhaut der Säugetiere. Besser als beim Hühnchen
ist die Grube nach den Angaben von Schauinsland bei einigen
anderen Vogelarten ausgeprägt, wie beim Sperling (Fig. 491j, bei
Diomedea (Fig. 492) und anderen.
Eine neue wichtige Veränderung vollzieht sich beim Hühnchen
(Fig. 484) in der 16. — 24. Stunde der Bebrütung. Vor dem Knoten
in der Verlängerung der Primitivrinne nach vorn wird ein kurzer,
dichterer Streifen (Fig. 484 /./) bemerkbar. „Er erscheint — bemerkt
KÖLLiKER (A. L. II 1879, p. 107) — als ein vorderer Anhang des Pri-
mitivstreifens und soll der Kopffortsatz desselben heißen." Er ragt
halbierend in den Bezirk der Area pellucida hinein, den Duval als
die Zone tergale unterscheidet. Das Stadium des Kopffortsatzes zeigen
auch die Abbildungen vom Sperling und von Diomedea (Fig. 491 und
492 kf).
Auf einem noch späteren Stadium, am Ende des L und am
Anfang des 2. Tages erfährt die Zone tei'gale eine noch schärfere
Gliederung (Fig. 485); es erscheint ein wenig hinter der Grenze des
dunklen Fruchthofes eine halbmondförmige Rinne (Fig. 485 mf) mit
nach hinten gerichteter Konkavität, eine Rinne, durch welche sich das
Kopfende der Embryonalanlage abgrenzt; ferner ist jetzt auch im vorderen
Bezirk eine ihn halbierende, in der Achse verlaufende Furche (r) wahr-
nehmbar, die nach dem Knoten (hk) der Keimhaut zu gerichtet ist; vorn
ist sie tiefer, nach hinten verstreicht sie. Sie halbiert die Medullarplatte,
die jetzt im äußeren Keimblatt in Ausbildung begriffen ist. Ich be-
zeichne sie als Rückenrinne (r), wie sie denn dem gleichnamigen Ge-
bilde bei den Amphibien ihrer Lage nach genau entspricht. Auf
diesem Stadium bietet die Keimhaut einen Anblick dar, als ob sich
2 hintereinander gelegene Primitivstreifeu auf ihr entwickelt hätten.
Rücken- und Primitivrinne liegen gewöhnlich nicht in einer geraden
Linie hintereinander, sondern so, daß das hintere Ende der ersteren
vor dem Knoten etwas zur Seite weicht.
Schon Rabl (L. K. III ^ 1889, p. 133) hat auf diese von mir häufig
beobachtete Asymmetrie aufmerksam gemacht. ..Wir finden nämlich",
bemerkt er, „daß die Mittellinie der hinteren Hälfte der Keimscheibe,
also desjenigen Teiles, der den Primitivstreifen trägt, nicht der Mittel-
linie der vorderen Hälfte, welche den Kopffortsatz einschließt, ent-
spricht. Es setzt sich also die Rückenrinne auch nicht einfach in die
Handbuch der EntvvicUelungslehre. 1. 55
806
0. IIertwig,
der Längsachse gestreckt und die
angenommen, deren spitzes Ende nach hinten ge-
Priniitivrinne fort, sondern diese beginnt etwas nach links von der
hinteren ^'erlängernng der Mitte des Bodens der Rückenrinne.'' (Vgl.
auch KÖLLiKER [A. L. II LS79, Fig. 29].)
Die letzte hier zu erwähnende Veränderung endlich wird dadurch
hervorgerufen, daß die Ränder der Medullarplatte (Fig. 480) sich als
Wülste inif) zu beiden Seiten der Rückentiäche erheben und so die
viel breitere Nerven- oder Medullariinne (mr) umsäumen. Die Erhebung
beginnt vorn am Kopfende, schreitet nach hinten weiter fort und faßt,
wenn sie in der Gegend der Primitivrinne angelangt ist, das vordere
Ende derselben und den Knoten zwischen sich (Fig. 480).
Während aller dieser Veränderungen hat sich natürlich die Keim-
haut auf dem Dotter in der Fläche sehr stark ausgedehnt, und ist auch
der helle Fruchthof erheblich größer als am Anfang der r)ebrütung
geworden, auch hat er sich mehr in
Form einer Birne
richtet ist.
Als eine nebensächliche Bildung sei noch erwähnt, daß sich in
der Primitivrinne zuweilen reihenförmig hintereinander angeordnete
Dotterkügelchen vortinden. Sie bilden eine Art von Faden, den schon
V. Baer gesehen und für die Chorda gehalten hat. Dursy hat (L. K.
III ^ 1867, p. 35) diese irrtümliche Deutung aufklärend, den Namen
Achsenfadeu des Primitivstreifens (filament epiaxial, Duval) eingeführt
und von ihm erwähnt, daß er bei durchfallendem Licht durch seine
Dunkelheit, bei auffallendem durch seine blendende Weise hervor-
steche.
Zur Untersuchung von Schnittserien übergehend wollen wir 2 Stadien
unterscheiden, 1) die Entwickelung des Primitivstreifens, 2) das Stadium
seiner vollen Ausbildung mit Primitivrinne und Kopffortsatz.
Erstes Stadium. Querdurchschnitte durch Keimhäute, in denen
sich die Anlage des Primitivstreifens als eine axiale Trübung bemerklich
macht, lehren, daß die Trübung einzig und allein durch eine lebhafte
Zellenwucherung im äußeren Keimblatt, die längs der axialen Linie
stattfindet, hervorgerufen wird. In einem bestimmten Bezirk be-
obachtet man sehr zahlreiche Kernteilungsfiguren. Während seitwärts
von der Wucherung das Entoderm, wie im gesamten Bereich des
Embryonalschildes, aus Cylinderzellen besteht, ist es längs der Mittel-
linie (Fig. 493 und 494)
mehrschichtig
geworden, und zwar so, daß
Fig. 493. Querschnitt durch den Primitivstreifen einer Keimhant des Hühn-
chens in der ersten Zeit seines Auftretens. W Wucherung im äußeren Keimblatt.
az amöboide, auswandernde Entodermzellen. m Megasphären. ak, ik äußeres,
inneres Keimblatt, sp Spalt zwischen beiden.
€ine über die untere Fläche nach dem Entoderm zu vorspringende
Leiste entstanden ist. Es scheiden nämlich die infolge der Wucherung
neugebildeten Elemente aus dem Niveau des äußeren Keimblattes aus
und treten, wie sich aus der Form der Zellen schließen läßt, durch
Die Lehre von den Keimblättern.
867
amöboide Bewegung (Fig. 493 az) in den Spaltiaum {sp) zwischen
den beiden Grenzblättern hinein. Denn die Zellen liegen jetzt viel
lockerer als im Gefüge des Ektoderms nebeneinander, haben eine rund-
liche oder polygonale Form angenommen und sind zum großen Teil
mit kurzen amöboiden Fortsätzen versehen. A n d e m W u c h e r u n g s -
p r 0 z e ß ist das innere Keimblatt (//.;) nicht in der ge-
ringsten Weise beteiligt. Bei Durchmusterung der Querschnitt-
■;*&:äe«^
pr ik ak
Fig. 494. Querschnitt durch die Mitte des Primitivstreifens der in Fig. 487
abgebildeten :|Keiinhaut des Sperlings, nach Schauinsland.
Serien sieht man von der Wucherung, die den Primitivstreifen hervorruft,
das Darmdrüsenblatt («7.'), eine einfache Lage außerordentlich abgeplatteter
Elemente, die wie Endothelien aussehen, überall durch einen Spalt auf
das deutlichste gesondert. In dieser Beziehung besteht eine vollständige
Uebereinstimmung in der ersten Anlage zwischen dem Mesodermsäck-
chen der Reptilien (Fig. 428, 429) und dem Primitivstreifen der Vögel,
mit ^velchem wieder, wie sich später zeigen wird, der Primitivstreifen der
Säugetiere übereinstimmt. An Längsschnitten durch junge Primitiv-
streifen läßt sich ferner leicht feststellen, daß die Wucherung von
seinem vorderen bis hinteren Ende in ganzer Länge erfolgt und daß
dabei die Zellen aus dem äußeren Keimblatt haufenweise austreten.
Wie ferner die Untersuchung etwas älterer Stadien lehrt, breitet
mf IV j)?'
Fig. 495 A. Querschnitt durcn den J'rimitivstreifen einer Keimhaut des Hühn-
chens nach 10 Stunden Bebrütung. Photogr. No. 27" des anat.-biol. Inst. m/Meso-
dermflügel. pr Primitivrinne, w Zellwucherung, ak, ik äußeres, inneres Keimblatt.
d Dotter.
ak
2}r w
mf
Fig. 495 B. Querschnitt durch einen etwas weiter als in Fig. 495A entwickelten
Primitivstreifen einer Keimhaut des Hühnchens, gleichfalls nach 10 Stunden Be-
brütung. Photogr. No. 4111 (jgg anat.-biol. Inst. Bezeichnung wie Fig. 495A.
55*
868 0. Hertwig,
sich die längs eines ziemlich schmalen Streifens aus dem Ektoderm
entstandene Zellenmasse später nach beiden Seiten hin in dem Si)alt-
raum zwischen den beiden Grenzblättern aus (P'ig. 494 und 495). Auf
diese Weise kommen, wie bei dem Mesodermsäckchen der Reptilien
(Fig. 444), zwei flügelartige Fortsätze (mf) zu stände, die zu beiden
Seiten vom Primitivstreifen (pr) breit entspringen, sich nach dem Rande
zu verschmälern und schließlich in eine einfache Zellenlage auslaufen.
Es sind die Anlagen der mittleren Keimblätter. Von ihrem centralen
Ursprung aus breiten sie sich immer weiter in der Peripherie aus, je
ältere Stadien man untersucht. So erreichen sie schließlich, wenn
wir dem nächsten Abschnitt schon vorgreifen, bei ihrer peripheren
Ausbreitung die Grenze zwischen hellem und dunklem Fruchthof und
breiten sich von da ab im Bereich des letzteren noch weiter aus,
immer in einen dünnen Rand auslaufend.
Die Eutwickelung des mittleren Keimblattes erfolgt demnach, wie
das Studium der Schnittserien auf das klarste lehrt, einzig und allein
durch eine Wucherung, die längs eines Streifens vom Ektoderm aus-
geht und in den Spaltraum zwischen den Grenzblättern eindringt,
sowie durch eine weitere Vermehrung dieser ausgeschiedenen Zellen.
Eine Beteihgung des inneren Keimblattes durch Abspaltung von Zellen
oder eine Abspaltung aus noch anderen peripheren Bezirken des äußeren
Blattes kann für die Vögel ebensogut wie für die Reptilien als aus-
geschlossen gelten. Allerdings liegen im Spaltraum zwischen den
Grenzblättern noch von der frühesten Zeit der Keimblattentwickelung
her einzelne kugelige Zellen, sowie runde kernlose Dotterkugeln
(Fig. 493 m) zerstreut. Letztere werden zur Ernährung der Zellen
wohl aufgebraucht. Erstere sind an Zahl so unbedeutend, daß sie bei
der Frage kaum ins Gewicht fallen (vgl. hierüber auch Kölliker,
A. L. II 1879, p. 97). Somit können wir die von Kölliker zuerst be-
gründete Lehre, daß das ganze Mesoderm vom Primitivstreifen ab-
stammt und ganz und gar ein Erzeugnis des äußeren Keimblattes ist,
in vollem Umfang bestätigen.
Ein historischer Rückblick auf die Lehre von der Ent-
wickelung des mittleren Keimblattes gewährt, wie His sich ausdrückt
(1877, p. 178) 1) den Anblick eines schwer zu entwirrenden Chaos ; be-
sonders gilt dies für die bei Untersuchung des Hühnchens gewonnenen
Ergebnisse. Die ältere Ansicht von Rbmak, daß sich das mittlei'e Keim-
blatt durch Abspaltung vom primären inneren, bereits am frisch ge-
legten Hühnerei vorhandenen Keimblatt entwickele, war lange Zeit die
vorherrschende. Sie wurde im allgemeinen von Oellacher, His, Goette
u. a. geteilt, aber dabei in dieser und jener Weise etwas modifiziert.
Einen neuen Gedanken, der aber von den thatsächlichen Verhältnissen
weit abweicht, führten Pbremeschko (1868) und Stricker (1866) aus.
Von der richtigen Beobachtung ausgehend, daß die embryonalen Zellen
amöboide Bewegungen ausführen können, lehrten sie, daß das mittlere
Keimblatt sich aus Zellen bilde, die, ursprünglich am Boden der Keim-
höhle gelegen, vom Rande der Keimscheibe her zwischen die Keimblätter
einwandern. Goette (1874, p. 169) bestreitet durchaus eine Teilnahme
des oberen Keimblattes an der Bildung des mittleren und sucht in
mechanischer Weise das Zustandekommen des Primitivstreifens durch
eine Zusammenschiebung von Zellen, die vom Rande aus nach der Mitte
einwandern, zu erklären.
1) Die den Autoren beigefügten Jahreszahlen beziehen sich, wenn es nicht
anders angegeben ist, auf L. K. III*.
Die Lehre von den Keimblättern. 869
Erst von Köllikeu ( A. L. II 1879, p. 92) wurde eine richtige Darstellung
des Sachverhaltes gegeben, die in Koller's Arbeiten eine Bestätigung
fand und der ich in meinem Lehrbuch beigetreten bin, wobei ich zugleich
ausführte, wie sich das Einwachsen des mittleren Keimblattes von der
Primitivrinne, dem Urmund, aus mit den Verhältnissen bei anderen
Wirbeltieren gemäß der Cölomtheorie in Einklang bringen ließ. Von
anderer Seite erfuhr die Darstellung Kölliker's mehrfach auch Wider-
spruch, so von His (1877, p. 172), der das Vorhandensein einer selb-
ständigen, aller Gestaltung vorausgehenden Mesodermanlage für eine
unanfechtbare Thatsache erklärte und Kölliker's Lehre darauf zurück-
führte, daß er zu späte Stadien untersucht habe. Im allgemeinen aber
wurde bei erneuten L'^ntersuchungen immer häufiger bestätigt, daß der
Primitivstreifen der Hauptort ist, von wo aus sich das mittlere Keim-
blatt anlegt, und es wurde nur darüber gestritten, ob dasselbe nicht
auch noch von anderen Stellen einen Zuwachs erfahre. Da bald nach
seiner Entstehung mit dem Primitivstreifen auch das innere Keimblatt
eine Strecke weit verschmolzen ist, so sollte das letztere auch durch
Abgabe von Zellen zu seinem Wachstum beitragen. Eine solche ge-
mischte Entstehung aus Zellen dei- beiden primären Keimblätter glaubten
aus verschiedenen Gründen Duval fl878, 1884), Balfouk und Deigthon
(1882), Gasser (1878), Zumstein (1887) annehmen zu müssen. Duval faßt
seine Ansicht in den Satz zusammen : „Cette disposition permet de penser
que le feuillet moyen se forme par de processus differents dans chacune
de ces regions : dans la zona tergale il proviendrait du feuillet interne,
dans la region de la ligne primitive il proviendrait du feuillet externe etc."
In ähnlicher Weise äußern sich Balfouk und Deigthon (1882): „The
first part of the mesoblast to be formed is that which arises in connection
with the primitive streak. This part is in the main formed b}" a pro-
liferation from an axial strip of the epiblast along the line of the primi-
tive streak, but in part also from a simultaneous differentiation of
hypoblast cells also along the axial line of the primitive streak. The
second part of the mesoblast to be formed is that which gives rise to
the lateral plates of mesoblast of the head and trunk of the embryo.
This part appears as two plates, which arise by direct differentiation
from the h3'poblast in front of the primitive streak."
Außer einem axialen Ursprung im Primitivstreifen iinter Beteiligung
von Elementen des Ektoderms und Entoderms nehmen Gasser (1878)
und ZuMSTEix (1887) auch noch peripherische Anlagen sowohl im Be-
reich des hellen als des dunklen Eruchthofes an. Hiergegen hat sich Rabl
(L. K. IUI 1889) in seiner Theorie des Mesoderms mit derselben Ent-
schiedenheit wie KöLLiKER ausgesprochen. „Außer im Kopffortsatz und
im Primitivstreifen findet er nirgends eine Verbindung des Mesoderms
mit den primären Blättern : an der Peripherie hört das Mesoderm mit
scharfem Rande zwischen Ektoderm und Entoderm auf" (1889, p. 135).
„Gerade in der Peripherie der Area pellucida, an der Grenze gegen
die Area opaca, nehmen die Entodermzellen Charaktere an, durch welche
sie sich sehr scharf von den über ihnen hinwegziehenden Mesodermzellen
unterscheiden. Die andere Angabe Gasser's, daß auch aus dem Keim-
wall neue Mesodermelemente entstehen, beruht allem Anschein nach auf
einer Verwechselung der ersten Blutanlagen mit Mesodermzellen" (1. c.
p. 137). Nach den Forschern, die sich zuletzt mit dem Gegenstand
beschäftigt haben, Schauixsland (1899) und Nowak (1902), entsteht
das Mesoderm einzig und allein durch Wucherung des Ektoderms vom
870
0. Hertwig,
Primitivstreifen
mehr die Form
ans, der bei einigen Vogelarten, wie bei Fregatta aquila,
einer Platte hat, „und zwar ohne jede Beteiligung des
Entoderms'' uSoiiauinslani), A. L. III ^ 189U, p. 325).
größere
Uebereinstiiiimimg
der
Zweites Stadium. Eine weit
verschiedenen Forscher herrscht über die Ergebnisse der Querschnitt-
serien durch den fertig entwickelten Primitivstreifen mit gut ausge-
prägter Primitivrinne und einem Kopffortsatz. Namentlich kann ich
durch neu ausgeführte und auf ein großes Material basierte Unter-
suchungen Punkt für Punkt die P'iguren und die Darstellung von Rabl
(L. K. III ^ 1889) und Schauinsland (A. L. IIP 1899) bestätigen. Be-
ginnen wir mit dem wichtigsten Punkt, mit dem Knoten (Itk) der
Keim haut (Fig. 497, 500, 502B), von welchem aus ^Yir die Schnitt-
serien einmal nach hinten und zweitens nach vorn verfolgen wollen.
Am Knoten hängen alle 3 Keimblätter auf das innigste untereinander
zusammen. Das innere Keimblatt, welches seitlich durch einen deut-
lichen Spalt als einfache Lage endothelartiger Zellen vom Mesoderm
scharf abgegrenzt ist, läßt im Bereich des Knotens eine Abgrenzung
nicht mehr erkennen. Da es auf frühen Stadien, wie sicher festge-
stellt ist, in ganzer Ausdehnung isoliert war, muß nachträglich sich
eine Verbinduno; an der beschränkten Stelle ausgebildet haben. So
bemerkt auch Schauinsland (1
eine
c. 1899, p. 325): „Erst später kann
Verschmelzung des Primitivstreifens mit dem Eutoderm statt-
Pf ffr Pf
Fig. 496.
Fig. 497.
mp kf
Fig. 498.
Fig. 490 — 498. Querschnitte durch Primitivstreifen und Kopffortsatz einer
Hühnerkeimhaut nach 2ö Stunden Bebrütung. Photogr. No. 30 des anat.-biol.
Instituts.
Fig. 496. Schnitt dicht hinter dem Knoten durch die Primitivgrube.
Fig. 497. Schnitt durch den Knoten.
Fig. 498. Schnitt dicht vor dem Knoten durch den Anfang des Kopffortsatzes.
ak, mk, ik äußeres, mittleres, inneres Keimblatt, gr Primitivgrube, pf Primitiv-
falte, pf weiter vorspringende, die A.symmetrie des Knotens bedingende Primitiv-
falte, kf Kopffortsatz, mp Medullarplatte. ?j Naht.
Die Lehre von don Keimblättern.
871
finden. Die Zeit des ersten Auftretens dieser Verlötung und die
Dauer derselben ist verschieden, je nach der Vogelart, zeigt aber
auch individnolle Schwankungen." Das Ektoderm, das hier wieder
viele Kernteilungstiguren enthält, geht gleichfalls nach unten in das
Mesoderm über und zeigt in der schrägen Stellung der Zellen eine
Anordnung, als ob zwei Faltenränder (Fig. ÖOO pf u. pf), an denen ein
Umschlag stattfindet, im Knoten zusammengetroffen und verschmolzen
wären. Ferner bildet es an dieser Stelle nach außen einen hügeligen
Vorsprung, der, wie schon von Rabl hervorgehoben worden ist, von
der Symmetrieebene nach einer Seite etwas abweicht und zugleich
stärker nach außen hervortritt (Fig. 41>7, 500, 502B). Es kommt so
Pf pr P.f
Fig. 499.
Fia-. 500.
kf mp
Fig. 501.
Fig. 401) — .jUI. Querschnitte durch Primitivstreifen und Kupttortsatz einer
Hühnerkeimhaut nach 21 Stunden ßebrütung. Photogr. No. 40 des anat.-bioh
Instituts.
Fig. 499. Schnitt hinter dem Knoten durch den Anfang der Primitivrinne.j
Fig. 500. Schnitt durch den HENSEX'schen Knoten.
Fig. 501. Schnitt dicht vor dem Knoten durch den Kopffortsatz.
Bezeichnungen wie bei Fig. 496 — 498. pr Primitivrinne.
ein deutlich asymmetrisches Verhältnis zu stände, das fast an allen
Schnittserien in ähnlicher Weise wiederkehrt und daher von Konstanz
zu sein scheint. Hiermit hängt auch das bei der Flächenbetrachtung
schon beschriebene Verhalten (Fig. 485 u. p. 865) zusammen , daß
Rückenrinne und Primitivrinne, die am Knoten zusammentreffen und
872
0. Hertwig,
durch ihn unterbrochen werden, nicht in einer geraden Linie hinter-
einander liegen. Wenn unsere Deutung, daß am Priniitivknoten zwei
Falten verschmolzen sind, richtig ist, so läßt sich die Asymmetrie in
der Weise erklären, daß die eine Falte (pf) etwas stärker nach außen
hervortritt und sich über die andere (pf) bei der Nahtbildung ein
wenig lierüberschiebt.
Verfolgt man die Schnittserie nach hinten, so kommt man bald
in das Bereich der Primitivgrube, die hinter dem Knoten ihre größte
Tiefe erreicht (Fig. 496, 499, 502 A), so daß jetzt in der That zwei
Falten {pf u. pf) entstanden sind, an denen sich das äußere Keim-
A
T>f' n
B
Fig. 502 A u. B. Zwei Querschnitte durch die Priniitivgrube und den Knoten
des Primitivstreit'ens einer Hühnerkeimhaut nach 33 Stunden Bebrütung. Photogr.
No. 33 des anat.-biol. Instituts, n Naht im Knoten. <lh Darmhöhle, d Dotter.
^jr Primitivrinne. Andere Bezeichnungen wie in Fig. 4i)8.
blatt in die Zellenmasse des Primitivstreifens, welche den Grund der
Rinne bildet, umschlägt. Wie am Knoten, sind auch hier Entoderm
und Mesoderm nicht voneinander zu sondern, während seitwärts davon
alle 3 Keimblätter durch einen Spalt getrennt sind. An einer Schnitt-
serie drang von der Primitivgrube aus ein kleiner, enger Blindsack
nach vorn in den Knoten hinein ; er entspricht, wenn wir einen Ver-
gleich mit den Säugetieren anstellen, dem Anfang eines rudimentären
Chordakanals oder dem Hohlraum im Mesodermsäckchen der Reptilien,
in einem außerordentlich reduzierten Maßstabe.
Viel besser als beim Huhn, wo ich sie nur selten getroffen habe,
ist die Primitivgrube und ihre nach vorn gerichtete Fortsetzung nach
den Untersuchungen von Schauinsland (1. c. 1899, p. 326) bei einigen
Vögeln, Diomedea [Fig. 50()-5081, Puffinus, Sula [Fig. 503— 505J,
Haliplana etc., ja selbst beim Star und Speiling entwickelt. Die
Grube auf dem Knoten ist stark vertieft (Fig. 504, 500, 507) und
ragt in den später zu besprechenden Kopffortsatz (Fig. 503—508)
allerdings
Die Lehre von den Keimblättern.
873
als en^es Röhrchen hinein, das von Schauinsland einem rudimen-
tären Urdarm und dem Chordakanal der Säugetiere mit Recht ver-
wird. Die Grube bleibt in diesen Fällen lange bestehen und
glichen
Fig.
503.
Fig. 504.
Icf ik
Fig. 503 u. 504. Zwei aufeinander folgende Schnitte durch das vorderste Ende
des Primitivstreifens von Sula cyanops. Nach Schauixsland.
pf, gr, ms, kf, n wie in Fig. 506 — 508.
ik dpf ik
Fig. 505. Schnitt durch die Mitte des Primitivstreifens, welchem auch die
Schnitte der Figuren 503 u. 504 angehören, von Sula cyanops. Nach SCHAUINS-
LAXD. pf Primitivfalte, dpf Dotterpfropf, ik inneres Keimblatt.
ist ohne Unterbrechung in allen Entwickelungsstadien, selbst wenn
sich die Medullarwülste über sie zusammenfalten, deutlich zu beob-
achten bis zur Entstehung des neurenterischen Kanals. Die Bilder
sprechen auch wieder für die Ansicht, daß am Knoten eine Naht-
bildung zwischen den beiden Primitivfalten zu stände kommt und daß
dadurch auch der dem Chordakanal vergleichbare Hohlraum entsteht.
Dasselbe Querschnittsbild, wie unmittelljar hinter dem Knoten,
kehrt in ähnlicher Weise im ganzen vorderen Bereich des Primitiv-
streifens wieder, abgesehen davon, daß die Rinne sich etwas verflacht.
Weiter nach hinten ändert sich das Bild. Das untere Keimblatt läßt
sich von jetzt ab bis zum Ende des Primitivstreifens auch unter ihm
als isolierte Schicht abgrenzen (Fig. 505?/.;), während Mesoderm und
Ektoderm ihren früheren Zusammenhang auch noch weiter bewahren.
Im Vergleich zu vorn ist an den meisten der untersuchten Keimhäute
der Primitivstreifen in seiner hinteren Hälfte breiter, Ektoderm und
Mesoderm sind in größerer Ausdehnung untereinander verschmolzen,
d. h. die Wucheruugszone im Ektoderm ist eine ansehnlichere. Erst
874
0. Hertwig,
hinter dem Priinitivstieifen sind alle 3 Blätter getrennt ; das Ektoderm
besteht aus kubischen Zellen und flacht sich, je weiter nach hinten,
um so mehr ab. Das Mesoderm ist dünner geworden und läßt sich
als gesonderte zusammen-
Fig. 506.
pf gr
Fig. 507.
n
um,
km
kf vts
Fig. 508.
mp
X.-n::i~-
hängende Schicht noch eine
Strecke weit über das Ende
des Primitivstreifens hinaus
in den dunklen Fruchthof
hinein verfolgen, das innere
Keimblatt verändert seine
Beschaffenheit und geht in
das später noch genauer zu
beschreibende Dotterento-
deim über.
Fig. 506—508. Drei Schnitte
durch das vordere Ende des in
Fig. 492 abgebildeten Primitiv-
streifens von Dioraedea. Nach
SCHAüINSLAND.
Fig. 506. Vorderstes Ende
der Primitivrinne.
Fig. 507. Der nach vorn
nächstfolgende Schnitt.
Fig. 508. Noch 2 Schnitte
weiter nach vorn.
g7- Primitivgrube, pf Primitiv-
falten, ak, mk, ik äußeres, mitt-
leres, inneres Keimblatt. » Naht-
linie, in welcher sich die Primitiv-
falten zusammengelegt haben. /./
Kopffortsatz, ms Mesoderm kanal.
7np Nerven platte.
In entgegengesetzter Richtung führt uns die Durchmusterung der
Schnittserie in den Bereich des Kopffortsatzes, der im Flächen-
bild schon beschrieben wurde (Fig. 484, 491 u. 402 kf). Auch über
den Knoten hinaus nach vorn breitet sich das mittlere Keimblatt in
der ,,Zone tergale" von Duval aus, und zwar je älter der Embryo ist,
über eine um so größere Strecke. Wie hinter dem Knoten ist es
längs eines medianen Streifens verdickt, wodurch eben bei der Flächen-
betrachtung (Fig. 484, 491, 492) das Bild des Kopffortsatzes entsteht.
Nach vorn verdünnt sich derselbe, wie überhaupt das mittlere Keim-
blatt nach seinen Rändern zu in eine 1 bis 2 Zellen dünne Platte aus-
läuft. In einem wichtigen Punkte aber sind die Verhältnisse nach
vorn vom Primitivknoten gewissermaßen die umgekehrten wie in der
hinteren Hälfte des Primitivstreifens. Denn hinten ist die mediane
des mittleren Keimblattes mit dem Ektoderm auf das
zum Primitivstreifeu verschmolzen, aber durch einen Spalt
vom einschichtigen Entoderm scharf getrennt, vorn (Fig. 501, 509 hf)
dagegen ist sie umgekehrt vom Ektoderm durch einen Spalt geschieden
und vom Entoderm nicht zu sondern, mit welchem zusammen sie den
Kopffortsatz erzeugt. Zwischen beiden Abschnitten liegen der Knoten
Verdickung
innigste
Die Lehre von den Keimblättern.
875
und die vordere Hälfte des Primitivstreifens, an welchen Stellen alle
.'> Keimblätter in der ]\Iedianebene verschmolzen sind. Seitlich ver-
dünnt sich der Kopffortsatz und geht wie der Primitivstreif in das
ihm wie 2 Flügel ansitzende, mittlere Keimlatt über, das wenigstens 2
Zellenlagen dick ist und erst am Rand sich in eine Zellenlage ver-
dünnt. Unter ihm breitet sich, durch einen Spalt getrennt, das Ento-
derm als ein aus i)latten Zellen bestehendes feines Häutchen bis zum
dunklen Fruchthof aus, wo es seine Beschaffenheit ändert. Während
ferner hinter dem Knoten die Primitivrinne einschneidet, ruft der
Kopffortsatz im Gegenteil eine kurze Strecke weit eine kleine Vor-
wölbung des äußeren Keimblattes hervor (Fig. 498 u. 501).
kf hk
Fig. 509. Läncrsschnitt durch ein frühes Stadium des Primitivstreifens einer
Hühnerkeimhaut, kf Kopffortsatz, hk Knoten, pr Primitivstreifen, jpr"^ hinterer
Teil desselben, dh Darmhöhle. ik inneres Keimblatt.
Lehrreich sind auch median gelegene Längsschnitte. Ein solcher
ist in Fig. 509 von einem frühen Stadium dargestellt und zeigt deut-
lich, wie nach vorn von dem Knoten (hk), wo alle 3 Keimblätter
verschmolzen sind, der Kopffortsatz (kf) als eine schnabelartige, nach
vorn sich verjüngende Verlängerung ausgeht, getrennt vom Ektoderm,
verschmolzen mit dem Entoderm. — Von einem noch viel weiter ent-
wickelten Primitivstreifen des Sperlings hat Schauin slaxd einen
Medianschnitt abgebildet (Fig. 510 A u. B). Der Kopffortsatz (kf),
über welchem das äußere Keimblatt zur Medullarplatte {mp) verdickt
ist, hat eine erhebliche Länge erreicht ; an seinem hinteren Ende liegt
der Knoten (hk) mit der beim Sperling sehr tiefen Primitivgrube
(gr); dann beginnt der Primitivstreifen (pr), der ebenfalls sehr lang
ist und aus einer gewucherten Zellmasse besteht, in welcher Ektoderm
und Mesoderm verschmolzen sind, während sich nach hinten das Ento-
derm (Fig. 510 B ik) immer deutlicher abzugrenzen beginnt. Sein hinteres
Ende wird wieder durch die beim Sperling deutlich ausgeprägte Sichel-
rinne [sr) markiert. Mit ihr beginnt dann die Region, in welcher sich
das unpaare mittlere Keimblatt {mk) überall von den Grenzblättern
getrennt ausbreitet.
Die Beschreibung dieses Stadiums schließe ich ab mit einigen
Worten über die übrigen Veränderungen, die sich noch an der Keim-
haut und in ihrer L^mgebung vollziehen. Ihnen hat namentlich Duval
ein sorgfältiges Studium zu teil werden lassen, seine Darstellung
allen Punkten
bestätigen.
kann ich in
flächlichsten Schicht des weißen Dotters
als auch nach der Tiefe mit der Dauer der
nale Höhle wird dementsprechend größer
Die Verflüssigung der ober-
nimmt sowohl in der Fläche
Bebrütung
zu.
Die subgermi-
und tiefer und ist, wenn die
Keimhaut abgetrennt worden ist, von einem Ring noch festen Dotters,
dem D 0 1 1 e r w al 1, eingefaßt (Fig. 512 dw). Der helle Fruchthof nimmt
an Ausdehnung zu, aber in noch viel höherem Grade hat sich der
876
0. Hertwig,
??-
?:-
a
— ,??•
3
crq'
>
.j?-
Fig. 511.
dunkle Frudithof auf
der Dotterkugel aus-
gebreitet und dabei
zugleich in seiner Zu-
sammensetzung
wesentliche Verände-
rungen erfahren. Denn
früher, auf dem ersten
Stadium, ist der Rand
der Keimhaut zum
R a n d w u 1 s t (bourre-
let blastodermique)
verdickt, eine mehr-
schichtige Lage von
Embryonalzellen, wel-
che dem Randsyncy-
tium des weißen
Fig. 510. Medianschüitt
durch den ganzen Enibryo-
nalschild der in Fig. 491
abgebildeten Keimhaut
vom Sperling. Nach
SCHAriNSLAND. ak, ik,
nik äußeres, inneres, mitt-
leres Keimblatt, ik- ver-
dickter, im Bereich der
Area opaca gelegener Teil
des inneren Keimblattes,
Dotterentoderm. hk Hen-
SEif 'scher Knoten. kf
Kopffortsatz, gr Primitiv-
. grübe, sr Sichelrmne. mj)
Medullarplatte. pr Primi-
tivstreifen.
Fig. 511. Durchschnitt
durch den Rand der Kemi-
haut eines 6 Stunden be-
brüteten Hühnereies, nach
DuVAL. ak äußeres Keim-
blatt, dz Dotterzellen, dk
Kerne des Dottersyncy-
tiums. dw Dotterwall.
Fig. 512. Querschnitt
durch die einige Stunden
bebrütete Keimhaut eines
Hühnereies, nach Koller.
Der Schnitt geht durch
das vordere Ende des Em-
bryonalschildes, wo-
hin zu dieser Zeit
noch kein mittleres
Keimblatt vorge-
iil- drangen ist. "/.-, ik
,1^ äußeres, inneres
Keimblatt in Bereich
des Embryoualschil-
des (spätere Medul-
larplatte). dz Dotter-
zellen, in Mega-
sphären, Dotter ku-
geln, dir Dotterwall.
dw
Die Lehre von den Keimblättern. 877
Dotters ohne trennenden Spalt fest aufliegen. Das innere Keimblatt
war nocli unvollständig ansgebildot, als eine einfache Lage al)gei)latteter
Zellen, welche nach hinten ebenfalls in die Zellenniasse des Rand-
wulstes überging, während es nach vorn und seitlich in einiger Ent-
fernung von der Grenze des hellen Fruchthofes mit freiem Rande auf-
hörte (Fig. 477 u. 478). Bei der raschen Größenzunahme der Keini-
haut infolge der Bebrütung trennen sich die obei'flächlichsten, fester
untereinander verbundenen Zellen allmählich nach der Peripherie fort-
schreitend als äußeres Keimblatt von der tieferen Schicht ab, die mit
dem Dotterwall (dw\ rempart vitellin Duval) verbunden bleibt (Fig. 511
u. 512). Man kann diesen \'organg auch so darstellen, daß man sagt,
die Furchuugs- oder Keimblaseuhühle dehnt sich seitwärts weiter aus
und spaltet dadurch vom Randwulst das äußere Keimblatt vollständig
ab. Beide Schichten wachsen nun getrennt weiter. Die tiefer , mit
dem Dotterwall verbundene Schicht nennt Duval den bourrelet ento-
dermo- vitellin. Sie besteht 1) im Umkreis der subgerminalen Höhle aus
größeren und kleineren, kugeligen, dotterhaltigen Zellen; 2) aus einem
nach außen von ihnen und unter ihnen gelegenen, kernhaltigen Dotter,
dem peripheren Dottersvncytium (Virchow) welches noch weiter
peripherwärts 3) in kernlosen Dotter übergeht. Mit ihm verbindet
sich der ursprünglich (vergl, p. 859) frei auslaufende, vordere und seit-
liche Rand des inneren Keimblattes, wenn es, in der Fläche an Aus-
dehnung zunehmend, schließlich auf den Dotterwall stößt (Fig. 512 dw).
Sein Wachstum geschieht wohl einfach in der Weise, daß die im Rand-
bezirk in der subgerminalen Höhle liegenden Rundzellen zu seiner
Vergrößerung beitragen und sich in i)latte Elemente umwandeln.
Wie Duval hat auch G-asseu (L. K. III ^ 1883, p. 53) von den Ver-
änderungen im Randbezirk der Keimhaut eine im ganzen zutreffende Dar-
stellung gegeben. Er unterscheidet ein primäres und sekundäres Stadium in
der Ausbreitung des Keimwalles. Im ersten Stadium sind in ihm beide
Keimblätter zu einer undifferenzierten Masse der Furchungszellen ver-
schmolzen, oder richtiger gesagt, die Randmasse der embryonalen Zellen
hat sich noch nicht in zwei Lagen gesondert, welche zur seitlichen Aus-
breitung der beiden primären Keimblätter dienen. Im zweiten Stadium
ist das Ektoderm von Keimwall abgetrennt. Der „sekundäre Keimwall"
stellt dann allein den verdickten Randbezirk des inneren Keimblattes dar.
Unter den zahlreichen, von mir studierten Schnittserien konnte ich
einige Male beobachten, daß die Verbindung des plattzelligen Entoderms
mit dem Dotterwall nur auf einer Seite in normaler W^eise erfolgt, auf
der anderen aber unterblieben w^ar, so daß zw^ischen beiden noch eine
breite Lücke bestand. Selbst bei älteren Embryonen mit mehreren Ur-
wirbeln wurde diese Abnormität beobachtet. Daß eine Trennung durch
Zug bei der Präparation künstlich erzeugt sein sollte, glaube ich nicht
annehmen zu sollen, da auf eine Veiietzung nichts hindeutete. Ob später
die Störung noch ausgeglichen wird, kann ich nicht angeben: übrigens
dürfte dieselbe auf den weiteren Verlauf der Entwäckelung kaum von
Einfluß sein.
Den Randbezirk des inneren Keimblattes, welcher dem Dotter auf-
liegt (Fig. 511 u. 512), wollen wir vom centralen, dem hellen Frucht-
hof angehörigen, aus Plattenzellen zusammengesetzten Bezirk (iJc) als
D 0 1 1 e r e n 1 0 d e r m unterscheiden. Dasselbe dient hauptsächlich zur
Resorption des Dottermaterials, dessen Kügelchen in die Zellen auf-
878 0. Hertwig,
genommen und verflüssigt werden. Es stellt daher ein wichtiges
Bindeglied zwischen dem zu ernährenden Embryo und dem Nahrungs-
dotter her. Auf späteren Stadien nehmen seine Elemente rasch an Höhe
und Größe beträchtlicli zu und werden zu langen, mit Dotterkügelchen
vollgepfropften Cylinderzellen, die zu einem dem Nahrungsdotter auf-
liegenden Epithel verbunden sind. Dem Dotterentoderm eilt in der
Flächenausbreitung das äußere Keimblatt weit voraus, worauf Duval
und Gasser zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt haben. Dabei werden
seine Zellen, die im Bereich des Embryonalschildes (Fig. 512) hohe
Cylinder waren, nach dem dunklen Fruchthof zu zuerst kubisch und
schließlich, je näher dem Rand, um so mehr zu dünnen Plättchen um-
gewandelt, die als feines Häutchen noch eine Strecke weit, wo das
Dotterentoderm schon aufgehört hat, den kernfreien Dotter bedecken.
Das mittlere Keimblatt folgt, wenn es sich von dem Primitivstreifen und
Kopffortsatz aus in der Fläche ausbreitet, den Grenzblättern noch
langsamer nach. Von seinem Ursprungsort aus schiebt es sich, vom
Ektoderm und Entoderm überall vollständig getrennt, in den Spalt
zwischen beiden hinein, zuerst im Bereich des hellen Fruchthofes,
später im dunklen Fruchthof, wo es das äußere Keimblatt vom Dotter-
entoderm abhebt. Bei seiner Ausbreitung bleibt ein kleiner
Bezirk vor dem Kopffortsatz mesodermfrei bis in ziem-
lich späte Stadien der Ent Wickelung hinein. In diesem
mesodermfreien Bezirk legt sich später die vordere Amnionfalte an;
infolgedessen bestehen ihre beiden Blätter bei ihrer ersten Entstehung
aus Ektoderm und Entoderm. Van Beneden und Julin sind hier-
durch veranlaßt worden, die vordere Falte alsProamnion zu unter-
scheiden (s. Kai)itel VII von Bd. I).
Nach der Darstellung der thatsächlichen Verhältnisse bleiben uns
jetzt noch mehrere allgemein wichtige Fragen zu erörtern : 1) die
Frage nach der Bedeutung und der Entstehung von Primitivstreifen
und Primitivrinne und ihr Verhältnis zu entsi)recheuden Bildungen
der übrigen Wirbeltiere, 2) die Frage nach der Entstehung, Bedeutung
und Vergleichbarkeit des Kopffortsatzes.
1) Wie jetzt wohl alle Embryologen übereinstimmend annehmen,
ist die P r i m i t i V r i n n e der Vögel dem U r m u n d niederer
Wirbeltiere homolog.
Es ist diese Ansicht zum erstenmal von Rauber in einer Reihe
von Schriften, besonders in dem Aufsatz „Primitivrinne und Urmund" (L. K.
III ä 1876) vertreten worden. Allerdings hielt Rauber die Primitivrinne nur
für einen Teil des Urmundes, da er noch auf dem Boden der Goette-
ÜAECKEL'schen Lehre von der Discogastrula stand , deren Rand für den
Eingang in den durch Dotter ausgefüllten Urdarm gehalten wurde. Er
stellte die Hypothese auf, daß der Primitivstreifen am Rande der Keim-
scheibe, von einer zuweilen auch später noch angedeuteten Randkerbe
(p. 572) aus entstehe, und zwar durch eine nach vorn gerichtete Längs-
ausstülpung, deren Ränder untereinander zum Primitivstreifen verschmolzen
sein sollten.
Dabei- nennt er die Primitivrinnenränder, die er sich von vorn bis
zum Rand der Keimscheibe und bis in die Keimhöhle hinein gespalten
denkt, „einen nach vorn gezogenen Abschnitt des großen ursprünglichen
Urmundrandes, zu dessen Peripherie auch sie gehören". Und da der
Embrj'onalköi'per sich in der Umgebung des Primitivstreifens entwickelt,
Die Lehre von den Keimblättern. 879
deutet er ihn „als den Embryonalteil des Urmundrandes, die Primitiv-
rinne als Embr3'onalteil des Urmundeinganges" und „die Entstehung des
Embryos als eine stomatogene". Vom Primitivstreifen als dem Enibryonal-
teil des Urmundrandes wird der Iveimscheibenrand als Dotterblastoporus
unterschieden (1876, p. 573).
Eine ähnliche Ansicht hat sich auch Balfour in seinem Lehrbuch
der vergleichenden Anatomie gebildet. Für ihn ist ebenfals der Primitiv-
streifen „in Wirklichkeit nichts anderes als ein rudimentärer Teil des
Blastoporus von gleicher Natur wie der lineare Streifen hinter dem
Elasmobranchierembrj^o , welcher durch Verwachsung der Blastoderm-
ränder entsteht, obgleich bei den Amnioten ein solcher ontogenetischer
Vorgang wie die Verwachsung bei den Elasmobranchiern nicht vorkommt"
(A. L. IT 1881, p. 139).
Eine wichtige Stütze erhielt die Auffassung durch den von Gasser
und Braun entdeckten, in späterer Zeit im Primitivstreifen auftretenden
Canalis n eur enter icus, sowie endlich durch Kupffbu's Entdeckung
des Prostoma der Reptilien, welches er dem Pi-imitivstreifen der Vögel
verglich.
Lidern ich in meinem Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte der
Deutung der Primitivrinne als Urmund beitrat, führte ich 3 Punkte als
Beweise für die Richtigkeit an (A. L. II 1886, p. 100) : „Erstens ist der
Primitivstreifen, auch wenn eine offene Kanalbildung fehlt, der einzige
Ort in der ganzen Keimscheibe an welchem jeder Zeit, wie am Urmund
der Amphibien, ein Zusammenhang aller Keimblätter stattfindet. Zweitens
entwickeln sich bei den höheren Wirbeltieren die einzelnen Hauptorgane
des Körpers, wie Chorda, Nervenrohr, Urwirbel in derselben Weise vor
dem Primitivstreifen, wie bei dem Amphioxus und den Amphibien vor
dem L^rmund. Drittens kann man in den Oeffnungen, die als Canales neur-
enterici im Primitivstreifen auf einem früheren oder späteren Entwicke-
lungsstadium bei Vögeln, Reptilien und Säugetieren nachgewiesen werden,
noch einen Hinweis darauf erblicken, daß hier von Anfang an eine offene
Verbindung zwischen äußerem und innerem Keimblatt vorgelegen hat
und nur durch Verlötung der Urmundränder geschwunden ist." Dagegen
trat ich der Aiiffassung entgegen, daß außerdem auch noch der Keim-
scheibenrand Urmund sei. Als solchen wollte ich nur diejenige Stelle
des Keimes gelten lassen, an welcher wirklich, wie bei der Gastrula-
bildung des Amphioxus und der Amphibien, eine Einstülpung von Zellen
stattfindet. Ein solcher Prozeß finde am Keimscheibenrand der Reptilien
und Vögel nicht statt, sondern nur eine Neubildung von Zellen durch
eine Art Nachfurchung, eine dadurch heibeigeführte Vergrößei-ung des
Randteiles und Umwachsung des Dotters durch die Keimblätter. Daher
schlug ich den Namen „Um w a ch sungsr an d der Dotterkugel"
vor. Von einer besonderen Oelfnung oder einem Dotterblastoporus zu
reden, hielt ich schon aus dem Grunde für falsch, weil der Dotter zum
Keim organisch hinzugehört, wie er denn auch in den gefurchten Teil
desselben vermittelst der Dotterkerne kontinuierlich übergeht. Meine
Unterscheidung ist jetzt wohl von den meisten Embryologen angenommen
worden, am frühesten von Rabl in seiner Theorie des Mesoderms, in
welcher er ebenfalls „den Keimscheibenrand lediglich als L^mwachsungs-
rand bezeichnet und jede Homologie desselben mit dem Urmund in Ab-
rede stellt" (L. K. lili 1889, p. 166).
Größere Schwierigkeiten als die Frage nach der Homologie des
Primitivstreifens hat die genauere Feststellung seiner ersten Entstehung
880
0. Hertwig,
bereitet. Untersuchungen von Kollkr und Duval haben eine Zeitlang
vielen Anklang gefunden, bis die Richtigkeit ihrer Befonde und Deutungen
von mehreren Seiten in Zweifel gezogen wurde. Koller leitet die Primiv-
rinne von seiner schon früher besprochenen Sichelrinne ab, an welcher
er nach den ersten Stunden der Bebrütung in ihrer Mitte eine Ver-
dickung (Fig. 513 A sk) durch Wucherung des äußeren Keimblattes, den
Sichelknopf, entstehen läßt. Es ist die erste Anlage des Priniitiv-
streifens, sie vergrößert sich weiterhin, indem sie nach dem Centrum
des hellen Fruchthofs vorwächst (Fig. 513 B ^^r) und zum Ausgangs-
punkt für die Entwickelung des mittleren Keimblattes wird.
Mit den von Koller veröffentlichten Flächenbildern haben die
Figuren von Duval eine große Aehnlichkeit. Gleichwohl besteht zwischen
den Angaben beider Forscher in einem Punkt ein fundamentaler Unter-
schied. Während Koller die Sichelrinne und den Primitivstreifen sich
in einiger Entfernung vom Rand der Keimscheibe an der Grenze des
hellen und dunklen Fruchthofes bilden läßt, verlegt Duval den Aus-
gangspunkt der Gastrulation ganz an den hinteren Rand der Keimscheibe
(Fig. 482) imd gelangt zu einem Standpunkt, welcher dem RAUBEß'schen
Fig. 513 A.
B
df
¥
'pr
Fig. 514.
. ; : I
A
B
c
Fig. 513 A und B. Zwei Hühnerkeime in den
ersten Stunden der Bebrütung, nach Koller. A frü-
heres, B späteres Stadium. (7/, hf dunkler, heller
Fruchthof. s Sichel, sk Sichelknopf, es Embryonal-
schild, 'pr Primitivstreifen.
Fig. 514. Schemata, um die Bildung der Pri-
mitivrinne zu veranschaulichen, nach Duval. Mit
punktierten Kreislinien ist die zunehmende Größe der
Keimhaiit im Laufe der Entwickelung angedeutet. Die
schwarzen Linien bezeichnen die Sichelrinne und die
aus ihr durch Verwachsung der Sichelränder entstehende
Primitivrinne. •
entspricht. Nach seinen Ansichten entsteht in der Mitte des halbmond-
förmigen Ui'mundrandes , an welchem sich das äußere in das innere
Keimblatt umschlägt, eine kleine, nach vorn reichende Ausbuchtung ;
dieselbe vergrößert sich allmählich zu einer mit der späteren Längsachse
des Embryos zusammenfallenden Rinne, indem linke und rechte Hälfte
der Urmundlippe mit dem an die erste Ausbuchtung angrenzenden Teil
einander entgegenwachsen und sich in der Medianebene zusammenlegen
in demselben Maße, als die Scheibe in die Fläche Avächst. Eine Zeit-
lang stellt so der Urmund eine kurze Längsrinne dar, welche an ihrem
hinteren Ende in 2 kurze, quergestellte Sichelhörner umbiegt. Schließ-
lich sind auch diese geschwunden; sie sind auch nach der Medianebene
einander entgegengewachsen und haben so um ein weiteres Stück zur
Verlängerung der Primitivrinne nach hinten beigetragen. Der ganze
Urmund ist nun aus einem Querspalt zu einem Längsspalt geworden. Zur
Die Lehre von den Keimblättern.
881
Veranschaulichung dieses Prozesses hat Duval die nebenstehenden Schemata
(Fig. 514 A — C) entworfen. Durch punktierte Linien wird der Zuwachs
angedeutet, welchen die Iveinischeibe auf den verschiedenen Stadien er-
fahren hat. Die halbmondfürmige Urmundlippe des Keimscheibenrandes
ist als dunkelschwarze Linie bezeichnet. In den Figg. 514 A, B, C sieht
man, wie mit der zunehmenden Ausdehnung der Keimscheibe sich linke
und rechte Hälfte der L^rmundlippen in immer größerer Ausdehnung in
der Medianebene zusammenlegen und die Primitivrinne bilden. Einige
Querschnitte durch kurz bebrütete Keimscheiben, welche Diival ver-
öffentlicht hat, scheinen zu Gunsten seiner Darstellung zu sprechen, so
Fig. 515, welche einen etwas schräg geführten Querschnitt durch das
hintere Ende der Primitivrinne darstellt, wie sie mit einem Ausschnitt
in den sichelförmigen Teil des Urmundes am Keimhautrand übergeht.
Die zwischen die seitlichen Urmundlippen hineinreichende Dottermasse
mit Kei'nen wird mit dem Ruscoxi'schen Dotterpfropf der Amphibjeneier
verglichen. Ein etwas weiter nach vorn hindurchgeführter Querschnitt
durch dieselbe Keimhaut zeigt die in Fig. 515 getrennten seitlichen
Fig. 515.
ak ik ud
ul dp
id
Fig. 516. d
ik ak pr
»^^ft^s^ÜfeKM^^I^
Fig. 515 und 516. Etwas schräg getührte (4uerschnitte durch die Primitiv-
rinne eines 2 — 6 Stunden befruchteten Hühnereies, nach DrVAL. Fig. 516 zeigt
einen nur wenig weiter vor Fig. 515 gelegenenen Schnitt, ak, ik äußeres, inneres
Keimblatt, pr Primitivrinne, d Dotter, dp Dotterpfropf, nl Urmimdlippe. ud
Ilrdarm.
zum Primitivstreifen
(Fig.
'516) mit Primitivrinne ver-
Urmundlippen
schmolzen.
Der auf ausgedehnten Untersuchungen beruhenden Darstellung Duval's
habe ich mich in mehreren Auflagen meines Lehrbuches angeschlossen,
aber sie später wieder aufgeben müssen, da sie in den Untersuchungen von
KioxKA, Sc'HAuixsLAXD, NowAK Und bei eigener Prüfung keine Stütze fand.
Wenn ich nach diesem historischen Exkurs den augenblicklichen
Stand der Frage noch kurz zusammenfasse, so ist wohl als sicher ge-
stellt zu betrachten, daß weder die allerfrüheste Urmundeinstülpung
noch auch der Primitivstreifen vom Keimhautrand ausgeht, sondern
in größerer Entfernung vor ihm entsteht. Einen untrüglichen Beweis
hierfür liefern, wie Schauinsland hervorhebt, einige Vögel, wie der
Sperling (Fig. 488) und Star, „bei denen sich der ganze Vorgang,
Handbuch der Entwickelnngslehre. I. 56
882 0. Hertwig,
auch die Sichelbildung, innerhalb der Area pellucida abspielt". Außer-
dem sprechen hierfür die l)ei Reptilien gewonnenen Befunde, nach
denen das Prostoma weit entfernt vom Rand der Keimhaut auftritt.
Auf Grund der systematischen Verwandtschaft muß num aber von
vornherein erwarten, daß die E n t w i c k e 1 u n g s v o r g ä n g e bei
den ^'ögeln sich an diejenigen bei Reptilien zunächst
werden anschließen u n tl von ihnen aus werden erklärt
werden müssen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß im allgemeinen
alle Entwickelungsprozesse bei geeigneten Vertretern der Reptilien viel
ursprünglichere und leichter verständliche sind als bei den Vögeln, bei
denen die erste Entstehung des Primitivstreifens und seine Beziehungen
zu dem Ort. von welchem aus das innere Blatt angelegt wird, noch
genauere Untersuchungen erfordern.
Meierlei Vergleichspunkte bieten sich uns zwischen Reptilien und
Vögeln dar. Wie bei den Reptilien, ließen sich auch bei den Vögeln
2 Phasen der Gastrulation unterscheiden. Die Entwickelung des inneren
Keimblattes ist von der Entwickelung des mittleren zeitlich schärfer
getrennt. Die erste Phase ist viel schwieriger als die zweite als
Gastrulationsprozeß zu deuten, da weder eine Einstülpungsöft'nung
noch eine Höhle von vornherein zu beobachten ist. Der Prozeß ist
jedenfalls stark abgeändert: bei Reptilien geht er von der Primitiv-
platte, bei den Vögeln von dem zellenreicheren hinteren Bezirk der
Keimhaut entweder an der Grenze der Area opaca und pellucida
(Huhn etc.) oder im hinteren Teil der letzteren (Sperling etc.) vor
sich. Hier und dort besitzt das innere Keimblatt bei seiner Anlage
nach vorn und seitlich einen freien Rand, an welchem es weiterwächst,
bis es den Dotterwall erreicht und sich mit ihm verbindet.
Auf dem zweiten Stadium der Gastrulation entspricht der Primitiv-
platte der Reptilien der Primitivstreifen der Vögel, der von vornherein
stark in die Länge gezogen ist. Während aber dort der Charakter
der Einstülpung noch deutlich zu erkennen ist. tritt er hier kaum noch
hervor. Der Vergleich läßt sich noch mehr ins einzelne durchführen,
indem sich auch für die einzelnen Abschnitte, die als Kopffortsatz,
Knoten, Primitivgrube, Primitivfalten unterschieden wurden, die Ver-
gleichsobjekte bei den Reptilien nachweisen lassen. Denn der vor der
Primitivgrube gelegene Knoten, an welchem alle 3 Keimblätter ver-
wachsen sind, entspricht der Naht (Fig. 444) im Bereich der dorsalen
Urmundlippe der Reptilien, die Primitivgrube. an welcher später der
neurenterische Kanal entsteht, ist vergleichbai- dem Eingang ins Meso-
dermsäckchen der Reptilien (Fig. 443), wie sich denn zuweilen von ihr
aus eine röhrenförmige Fortsetzung in den Knoten hinein verfolgen läßt.
Der Kopffortsatz der Vögel ist nichts anderes als der vordere Ab-
schnitt vom Mesodermsäckcheu der Reptilien (Fig. 445) von der Stelle
an , wo sich vor der Xaht die Ablösung der Chordaanlage von
den verschmolzenen Urmundrändern vollzogen hat. Die Primitiv-
falten entsprechen den seitlichen Urmundlippen. welche die Primitiv-
platte der Reptilien hinter dem Eingang ins Mesodermsäckcheu einfassen.
Bei Reptilien wie Vögeln läßt sich das mittlere Keimblatt bald nach
seiner Entstehung in einen peristomalen und gastralen Bezirk ein-
teilen. Der peristomale Bezirk schiebt sich bei ersteren zur Seite
der lateralen Urmundlippen von der Primitivplatte aus, bei letzteren
zur Seite der Primitivfalten vom Primitivstreifeu aus wie 2 Flügel
zwischen die Grenzblätter hinein. Der gastrale Bezirk breitet sich
Die Lehre von den Keimblättern. 883
bei ersteren zu beiden Seiten des Mesodernisäckcliens, bei letzteren
zur Seite des Kopffortsatzes aus. Im hinteren Bezirk von Primitiv-
platte und Priniitivstreifen ist das innere Keimblatt unter ihnen als
getrennte Lage vorhanden, während nach vorn am Primitivknoten, am
Kopffortsatz und am Boden des Mesodermsäckchens eine sekundäre
Verschmelzung erfolgt ist. Der Durchbrechung des Bodens des Meso-
dermsäckchens der Rejjtilien entspricht, wie auch Schauinsland her-
vorhebt (A. L. III'' 1899, p. 326), die Eröftnung des Canalis neur-
entericus in die Darmhöhle ; sie tritt aber bei den Vögeln erst auf
einem viel späteren Stadium als bei den Reptilien hervor.
Dem Prostoma der Reptilien hat Kupffer die Primitivrinne der
Vögel zuerst verglichen, worin ihm die meisten Embryologen gefolgt sind.
Rabl bezeichnet (L. K. III ^ 1889, p. 165) das Stadium des Primitivstreifens
geradezu als Vogelgastrula, ein Vergleich, der insofern eingeschränkt
werden muß, als das Stadium nur der zweiten Phase der Gastrulation
entspricht, wo das Material für das mittlere Keimblatt eingestülpt wird.
Auch in diesem Punkt finde ich mich in Uebereinstimmung mit Schauixs-
iiA\D, wenn er bemerkt (1. c. 1899, p. 327) : „In der Bildung des Primitiv-
streifens, der Sichel, des HEXSEx'schen Knotens, des Kopffortsatzes, der Ein-
stülpung in denselben sehe ich einen und denselben Gastrulationsvorgang,
der allerdings nur zur Entwickelung des Mesoderms führt."
2) An zweiter Stelle ist noch die Entstehung, Bedeutung und
Vergleichbarkeit des Kopffortsatzes zu besprechen. Um meine An-
sicht gleich in einen kurzen Satz zusammenzufassen, ist der Kopf-
fortsatz nichts anderes als der vordere umgewandelte
Teil des P r i m i t i v s t r e i f e n s. ^Yie bisher in allen daraufhin
untersuchten Klassen der Wirbeltiere nachgewiesen werden konnte,
findet an der vorderen Lippe des Urmunds eine Verwachsung in der
Urmundnaht statt; dann jfolgt in der Nahtlinie eine Trennung der
verschmolzeneu äußeren, ektodermalen Faltenblätter von den ver-
schmolzenen inneren Blättern, worauf aus jenen die Medullarplatte,
aus diesen die Chordaanlage hervorgeht. Einen entsprechenden
Prozeß glaube ich an dem vordersten, tiefsten Ende der Primitivrinne
nachgewiesen zu haben. Die Primitivfalten bilden hier durch Ver-
schmelzung den Primitivknoten (Fig. 496 — 498 . Fig. 499 u. 500.
Fig. 502, Fig. 503 u. 504, Fig. 506-508). In der Nahtlinie erfolgt
dann einige Schnitte weiter nach vorn (Fig. 498 u. 501) die Ab-
trennung des Ektoderms von dem tieferen Teil des Knotens, der das
Material für die Chordaanlage enthält und seitlich den Mesoderm-
flügel hervorgetrieben hat. Beim Vergleich mit den Reptihen ent-
spricht der Kopffortsatz der Vögel dem vor der dorsalen Urmundlippe
gelegenen Teil des Mesodermsäckchens.
Wenn diese Ansicht richtig ist, wenn der Kopffortsatz nur der
umgewandelte vorderste Teil des Primitivstreifens ist, so folgt daraus,
daß der von ihm ausgehende Bezirk des mittleren Keimblattes, den
man später seiner Lage nach, also topographisch, als gastrales Meso-
derm unterschieden hat, seiner Entstehung nach von dem nach hinten
gelegenen oder peristomalen Mesoderm nicht abweicht; denn er ist
ebenfalls peristomal vom Primitivstreifen aus — also vom Urmund-
rand aus — entstanden. Und so haben wir auch in diesem Punkt wieder
eine Uebereinstimmung mit den Reptilien und den niederen Wirbel-
tieren. Noch überzeugendere Beweise für eine derartige Umwandlung
56*
884
0. Hertwig,
wird uns die Untersuchung- älterer Stadien liefern und uns Veran-
lassung geben, auf die wichtige Frage noch einmal zurückzukommen.
'ti-
Die w e i t e r e E n t w i c k e 1 u n g v o n M e d u 1 1 a r p 1 a 1 1 e , Chorda-
anlage, Mesoblast und innerem Keimblatt. Canalis
neurentericus.
Im weiteren Verlauf der Entwickelung vollzieht sich die Um-
wandlung der Medullarplatte zum Rohr, die Entstehung der Chorda
und der Ursegmente in ähnlicher Weise wie bei den Reptilien, so daß
auf diese Verhältnisse nur kurz eingegangen werden soll; dagegen
muß ausführlicher das den einzelnen Stadien entsprechende Verhalten
des Primitivstreifens und seine Bedeutung für das Längenwachstum
des Embryos erörtert werden, da es sich hierbei um wichtige Grund-
fragen der Wirbeltiermorphologie handelt.
Ueber die ^'eränderungen, die bei Flächeubetrachtung der Keim-
haut wahrzunehmen sind, geben die Figuren 486 und 517—522 Aus-
kunft. Fig. 48() u. 517 zeigen, wie in der Region vor dem Primitiv-
streifen die Ränder der Medullarplatte sich zu den Medullarwülsten
erheben und eine breite Rinne zwischen sich fassen. Bei durchfallen-
dem Licht kann man auf diesen und noch mehr auf späteren Stadien
verfolgen, daß die Keimhaut
Fig. 517. Fig. 518. Fig. 519. zu beiden Seiten der Chorda-
anlage undurchsichtiger als
weiter lateral aussieht, in-
folgedessen His beide Re-
gionen voneinander als
Stamm Zone und Pari-
eta 1 z o n e unterschieden
hat. Die Trübung rührt
daher, daß sich, wie die
(^Hierschnitte lehren werden,
das mittlere Keimblatt in
der Stammzone verdickt und
die Ursegmentplatten gebil-
det hat, die sich von den
seitlichen, mehr dünneren
Teilen, den sogenannten
Seiten platten, immer schär-
fer abgrenzen.
In den Ursegmentplatten
differenzieren sich zu dieser
Zeit auch die ersten Lirsegmente, indem am 2. Tage der Bebrütung
etwa in der Mitte der Embryoualanlage etwas vor dem Knoten des Pri-
mitivstreifens links und rechts von der Chordaanlage helle Querspalten
sichtbar werden und das erste, dann das zweite, dritte Ursegmentpaar
etc. abtrennen (Fig. 518). Gleichzeitig erheben sich die Medullar-
wülste auch weiter nach hinten bis zum Anfang des Primitivstreifens.
Der vor dem Knoten gelegene Teil der Embryonalanlage hat jetzt
etwa dieselbe Länge wie der Primitivstreifen erreicht (Fig. 518). Später
dreht sich das Verhältnis um. Das Primitivstreifengebiet wird im
Verhältnis zum übrigen Abschnitt des mehr an Länge zunehmenden
Embryos relativ immer kleiner. Bei ihrer Ausdehnung nach hinten
Fig. 517 — 519. Drei verschieden alte Hühner-
embryonen mit Medullarrinne und Primitivrinne
zur Illustrierung ihres gegenseitigen Verhaltens.
Nach Keibel und Abraham.
Die Lehre von den Keimblättern.
885
beginnen die Medullarwülste den Priniitivstreifen von vorn nach hinten
allmählich zu unnvachsen, so daß er in die Mitte des hinteren Endes
der verlängerten Medullari)latte zu liegen kommt (Fig. 519 u. 520).
Lehrreiche Bilder, wie solche von Schauinsland geliefert worden
sind, kommen bei den Vogelarten zu stände, bei denen eine tiefe
Primitivgrube gefunden wird. So sieht man bei Embryonen mit
5—7 Ursegmentpaaren von Diomedea (Fig. 520), von Haliplana
(Fig. 521), vom Star (Fig. 522) den schon kürzer gewordenen Primitiv-
streifen mit einer auffallend deutlichen Grube beginnen, welche in
der Mitte der breiten und nach hinten verstreichenden Medullarfurche
liegt. Wenn sich diese später durch Zusammenlegen der Wülste
zum Nervenrohr schließt, wird in dasselbe die Primitivgrube, welche
Fig. 520
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Fig. 521.
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Fig. 522.
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Fig. 520. Keimhaut von Diomedea mit 7 Paar Ursegmenten, Gefäßhof,
MeduUarrinne und MedixUarwülsten, die nach hinten den Primitivstreifen und
den Canahs neurentericus umfassen. Nach Schauinsland.
Fig. 521. Hinteres Ende von einem Embryo von HaHplana mit Medullar-
wülsten, die den Primitivstreifen und die Primitivgrube imifassen. Nach Schau-
insland.
Fig. 522. Hinteres Ende von einem Embryo vom Star mit 5—7 Ursegmenten
und MeduUarwülsten, die den Primitivstreifen und die Primitivgrube iimfassen.
Nach Schauinsland.
Bezeichnungen für Fig. 520 — 522: cn Canaiis neurentericus (Primitivgrube).
pr Primitivrinne, pr^ hinterstes Ende derselben, g Gefäßanlagen, mu- Medullar-
wülste. (Je der vom mittleren Keimblatt noch nicht überzogene Teil des Dotler-
entodernis. mkf mesodermfreier Bezirk der Keimhaut, aus dem das Proamnion ent-
steht, mkh Mesoderrahörner.
uns Fig. 52o,
dem Canaiis neurentericus der Reptilien etc
nommen. Ein solches Stadium
durch einen 48 Stunden bebrüteten Hühnerembryo
kanntlich die
sehr wenig ausgeprägt ist.
gr, die etwa nur bis zur
entspricht, mit aufge-
Einsenkung
em Medianschnitt
bei welchem be-
Primitivgrube im Vergleich zu anderen Vogelarten nur
Nach vorn von der kleinen, trichterförmigen
bis zur Hälfte in den Primitivstreifen
886
0. Hertwig,
eindringt, liegt der Knoten, bestehend aus einem noch indifferenten
Zellenmaterial, das sich nach vorn in die ventrale Wand des Nerven-
rohres und in die Chordaanlage trennt; nach hinten beginnt der schon
Fig. 523. Medianschnitt
durch das hintere Ende eines
Hühnerembryos nach 48-stün-
diger Bebrütung. Photogr.
des anat. - biolog. Instituts.
f/r Primitivgrube (Eingang in
den CanaHs neurentericus).
2»' Primitivstreifen, ch Chorda.
mr Höhle des Medullarrohres.
mr^ seine untere und mr'^
seine obere Wand, ak äußeres
Keimblatt.
verkürzte, aber sehr zellenreiche und dicke Primitivstreifen, der in
seiner hinteren Hälfte noch nicht in das Nervenrohr eingeschlossen,
wenn auch zu beiden Seiten von den Medullarwülsten begrenzt ist.
usp st us^
Fig. 524. Längsschnitt durch einen 2 Tage alten Hühnerembryo durch die
Gegend der letzten Ursegmente. Photogr. des anat.-biol. Instituts, ak, ik äußeres,
inneres Keimblatt, us Ursegment. usp Ursegmentplatte. st Abschnürungsstrang des
letzten Ursegmentes us^.
Währenddem hat die Zahl der Ursegmente weiter zugenommen,
indem sich immer neue würfelförmige Körper von der Ursegment-
platte abschnüren. Hierüber giebt ein Längsschnitt Auskunft durch
ein 2 Tage bebrütetes Hühnerei (Fig. 524). Das letzte Ursegment
{us^) sendet nach hinten noch einen kurzen Stiel {st) aus, den Rest
/I.e.
Fig. 525. Querschnitt durch die Rückengegend eines Hühnerembryos von
45 Stunden. Nach Balfour. Der Schnitt zeigt das mittlere Keimblatt teilweise
gesondert in das Ursegment (Pr) und die Seitenplatte, welche die Leibeshöhle (pp)
zwischen sich faßt. 3Ic Medullarrohr. Pv Ursegment. So Rumpfplatte. Sp Darm-
platte, pp Leibeshöhle, eh Chorda. A äußeres, C inneres Keimblatt, ao Aorta.
V Blutgefäß. Wd WoLFF'scher Gang.
Die Lehre von den Keimblättern.
887
der Abschnüriiiigsstelle. Die Verinehriingszone findet sich wie früher
immer etwas vor dem Knoten des Primitivstreifens, zn dessen beiden
Seiten stets die ürsegmcntplatte ungeghedert angetroffen wird.
Wie Querschnitte lehren, hängen die Ursegmente zur Zeit, wo
sie sich durch Querspalten voneinander getrennt haben, noch durch
Zellstränge mit den Seitenplatten zusammen (Fig. 525), welche sich
jetzt durch einen Spalt, die Leibeshöhle, in Darm- und Hautfaserblatt
gesondert haben. Ueber die weiteren Umwandlungen der Ursegmente
Fig. 526.
Fig. 52 (.
ck hk
Fig. 528.
ch mp
Fig. 520.
Fig. 526 — 529. Vier Quersclinitte aus einer Serie einer Keimhaut mit Meduilar-
rinne vom Hühnchen nach 33 Stunden Bebrütung. Photogr. No. 88' des anat.-
biol. Instituts, ak, mk, ik äußeres, mittleres, inneres Keimblatt, d Dotter, dk Dotter.
dk Dotterkugelu. dh Darmhöhle, ch Chorda, hk Hexsen 'scher Knoten, gr Pri-
mitivgrube, mp MeduUarplatte. pf Primitivfalte, pr Primitivrinne.
Fig. 526. Schnitt durch den vorderen Teil der Primitivrinne.
Fig. 527. Schnitt durch die Primitivgrube.
Fig. 528. Schnitt durch den Primilivknoten.
Fig. 529. Schnitt in einiger Entfernung vor dem Knoten.
888 0. Hertwig,
und ihrer Verbindungsstränge mit der Wand der Leibeshölile handeln
spätere Kapitel (Bd. III, Kap. I u. II), auf welche verwiesen wird. —
Ein genaueres Studium verlangen jetzt noch die Prozesse, die
sich an Keimhäuten mit Medullarrinne, mit sich schließendem und
mit geschlossenem Medullarrohr, am Primitivstreifen und in der
Gegend vor ihm abspielen. Dazu sollen die Photogramme von Quer-
schnitten aus o Serien (Fig. 52(3 — 545) dienen.
Die erste Serie (Fig. 526—529) rührt von einer 33 Stunden be-
brüteten Hühnerkeimhaut ähnlich dem in P'ig. 486 u. Fig. 517 abge-
bildeten Flächenpräparat mit wohl ausgeprägter Medullarplatte, welche
im Kopfbereich Medullarwülste entwickelt hat. Der in seiner höchsten
Ausbildung stehende Primitivstreifen mit Rinne ist viel zellenreicher
geworden und zeigt in seinem vorderen Teil (Fig. 526) eine Ver-
schmelzung aller 3 Keimblätter. Von diesen ist das äußere zur
Nervenplatte verdickt und das mittlere ebenfalls dicker als auf frühereu
Stadien. (Vergleiche Fig. 406 u. 41)9.) Fig. 527 u. 52S sind 2 Schnitte
durch die Gegend der Primitivgrube (gr) und des Knotens (hk). Die
erstere zeigt wieder die schon früher hervorgehobene Asymmetrie,
indem die eine Urmundlipi)e ipf) wulstartig und höher als die
andere nach außen hervortritt. In Fig. 52(8 ist die Grube ver-
schwunden und hat einer knotenartigen Verdickung der Keimhaut
Platz gemacht mit einer dorsalen und ventralen Vorwölbung. Auf
den nächsten Schnitten dringen die schmalen Spalten zwischen
äußerem und mittlerem Keimblatt tiefer in den Knoten hinein und
zerlegen ihn in einen äußeren Zellstreifen , der entsprechend der
Lage der vorderen Kommissur die beiden Hälften der Medullarplatte
(Fig. 529 m;j) verbindet, und in einen unteren Streifen {ch), die Chorda-
anlage. Diese hat sich gleichzeitig mit dei- Abspaltung vom
äußeren Keimblatt auch zu beiden Seiten durch Spalten vom Meso-
blast abgesetzt, bleibt dagegen in das Darmdrüsenblatt noch auf einer
Reihe von Schnitten eingeschaltet. Der Vorgang gleicht also seinem
ganzen Wesen nach der Darstellung, welche von der Urmundnaht
auf früheren Stadien gegeben wurde.
Die zweite Serie betrifft eine ältere, dem Flächenpräparat Fig. 518
etwa entsprechende Keimhaut von 40 Stunden Bebrütung, an welcher
sich schon das Kopfende schärfer absetzt und die Medullarwülste sich
vorn zum Rohr zu schließen beginnen. Am Primitivstreifen ist ein
hinterer, dünnerer und ein vorderer, dickerer Teil zu unterscheiden.
Fig. 530.
Fig. 530—535. Sechs Querschnitte aus einer Serie einer Keimhaut vom Hühn-
chen mit sich schließendem Nervenrohr nach 40 Stunden Bebrütung. Photogr.
No. 47' des anat.-biol. Instituts.
2)r Primitivstreifen mit Primitivrinne, gr Primitivgrube, mp Medullarplatte.
ch Chordaanlage, ak-, ml-, ik äußeres, mittleres, inneres Kemiblatt. dh Darmhöhle.
dk Dotterkugeln. (/ Dotter.
Fig. 530. Schnitt durch den hintersten Teil des Primitivstreifens.
Die Lehre von den Keimblättern.
889
Der erstere zeigt ganz hinten nur eine Verschmelzung zwischen
äußerem und mittlerem Keimblatt (Fig. 530); das Darmdrüsenblatt
Fig. 531.
Fig. 532.
gr
mp
Fig. 533.
Fig. 534. -H
ch III p
'.^
mp ch
Fig. 535.
i»:
Fig. 531. bchnitt etwa »luroh die Mitte desselben.
Fig. 532. Schnitt durch den vordersten Teil des Primitivstreifens im Bereich
der Medullarplatte.
Fig. 533. Schnitt durch die Primitivgrube.
Fig. 534. Schnitt vor der Primitivgrube.
Fig. 535. Schnitt noch etwas weiter nach vorn.
890 0. Hertwig,
ist durch einen ziemlich breiten Spalt ebenso scharf abgetrennt wie
bei der ersten Anlage des Primitivstreifens. Nach vorn (Fig. 531)
wird das mittlere Keimblatt dicker und beginnt auch mit dem Darm-
drüsenblatt am Primitivstreifen zu verschmelzen, an dessen äußerer
Fläche sich die Rinne schärfer markiert. Einige weitere Schnitte
führen uns in das Bereich der Medullarplatte, die sich durch ihre
viel erheblichere Breite sofort vom Primitivstreifen unterscheidet und
seitwärts schon durch zwei kleine Falten vom Hornblatt abzugrenzen
beginnt. Gleichzeitig befinden wir uns aber auch noch im Primitiv-
streifengebiet, was sich daran erkennen läßt, daß die untere Fläche
der Medullari)latte in breiter Ausdehnung in einen Zellenstreifen über-
geht, in welchem alle 3 Keimblätter verschmolzen sind. In Fig. 533
ist die Primitivrinne erheblich tiefer geworden und kann daher jetzt
als Primitivgrube (gr) bezeichnet werden, zumal auch gleich nach
vorn von ihr wieder die Abspaltungsprozesse beginnen, die zur
Sonderung von Medullarplatte, Chorda und mittlerem Keimblatt führen
(Fig. 534 u. 535). Gegen jüngere Stadien ist im Abspaltungsmodus
jetzt aber eine Modifikation insofern eingetreten, als sich die Chorda-
anlage (ch) vom mittleren Keimblatt (mk) schon vollständig zu einer
Zeit abgrenzt, wo sie nach oben noch mit der Medullarplatte und
nach unten mit dem Darmdrüsenblatt zusammenhängt (Fig. 534). In
Fig. 535 endlich beginnt sich auch dieser Zusammenhang, und zwar
gleichzeitig nach oben und nach unten, zu lösen, womit dann der
Sonderungsprozeß der Achsenorgane beendet ist.
Die dritte Schnittserie ist einem Hühnerembryo nach 48-stündiger
Bebrütung entnommen, bei welchem das Nervehrohr im vorderen Be-
reich geschlossen ist, die Augenblasen ausgestülpt und die Amnion-
falten angelegt sind. Der hinterste, dünne Teil des Primitivstreifens
liegt noch außerhalb der Medullarwülste und zeigt auf einer Reihe
von Schnitten eine ziemlich tiefe Priniitivrinne (Fig. 536), welche sich
weiter nach vorn abflacht (Fig. 537). Hinten (Fig. 536) ist sie von
ziemlich weit vortretenden Primitivfalten eingefaßt, die nach vorn
(Fig. 537) ebenfalls niedriger werden. Das Darmdrüsenblatt ist in
dieser Gegend ebenso wie in den früheren Serien (Fig. 530) durch
einen Spalt vom Primitivstreifen deutlich geschieden (Fig. 536, 537),
während es weiter nach vorn (Fig. 538) mit ihm untrennbar ver-
schmolzen ist. Zugleich führt uns die Verfolgung der Schnittserie in
die vordere Hälfte des Primitivstreifens, wo er erheblich dicker und
zellenreicher und in das hier zur Rinne sich öffnende Medullarrohr
aufgenommen wird. Stadien dieser sich allmählich vollziehenden Um-
wandlung bieten uns die Figg. 539—541 dar. Während man bei dem
tiefen schmalen Einschnitt der Fig. 539 in Zweifel sein kann, ob man
ihn als den tiefsten Teil der Primitivrinne oder als letzten Ausläufer
der Nervenrinne bezeichnen soll, erweitert er sich auf den nächst-
folgenden Schnitten so sehr und nimmt dabei eine solche Form an
(Fig. 540 mr, Fig. 541), daß man ihn ohne Bedenken als den in Verschluß
begriffenen Centralkanal deuten wird. In mehr als der Hälfte seines Um-
fanges aber geht die ventrale Wand dieses Centralkanals in ein klein-
zelliges Gew^ebe über, welches seitwärts mit dem mittleren Keimblatt,
ventralwärts mit dem Darmdrüsenblatt zusammenhängt und daher dem
Primitivstreifen angehört. Also hat sich hier das Nervenrohr direkt
aus der oberflächlichen Schicht des Primitivstreifens oder, da dieser
nach unserer Deutung die verlöteten Urmundlippen darstellt, aus
Die Lehre von den Keimblättern.
891
ihrem äußeren Faltenblatt entwickelt. Im Verhältnis zu früheren
Stadien ist die in Fig. 540 u. 541 getroffene Gegend dem Primitiv-
knoten zu vergleichen ; denn nach vorn von hier beginnt der Ab-
spaltungsprozeß. Zuerst löst sich der Zusammenhang mit dem mitt-
leren Keimblatt durch eine von oben nach unten fortschreitende Ab-
schnürung (Fig. 541—543). Infolgedessen hängt jetzt der Boden
des Xervenrohres nur noch durch eine schmäler gewordene Zellbrücke,
welche das Bildungsmaterial für die Chorda enthält, in ähnlicher Weise
wie es schon von älteren Froschembryonen (Fig. 818) beschrieben
wurde, mit dem Darmdrüsenblatt zusammen (Fig. 543). Hierauf
macht die Chordaanlage die schon in der vorausgehenden Schnittserie
(Fig. 534 u. 535) beschriebenen Wandlungen durch. Sie wird zuerst
jyf 2^^'
Fig. 536.
ik
Fig. 537.
*
-#
■■^
ft^
Fig. 538.
pr
Fig. 539.
ak
-.^^^...
«t
» .' *
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- dk
Erklärungen s. u. Fig. 545.
892
0. Hertwig,
aus dem Danndrüsenblatt durch Abspaltung eines dünnen Zellen-
häutchens ausgeschaltet, bleibt aber noch mit dem Boden des Nerven-
rohres verbunden, obschon seitlich durch Einkerbungen von ihm ab-
gegrenzt (Fig. 544); sie hängt dem Nervenrohr im Querschnitt, um
einen Ausdruck von Braun zu gebrauchen, wie ein Knopf an. Schließ-
mr
Fig. 540.
Fig. 541.
Fig. 542.
vik
pr
Fig. 543.
mk rh
Erklärungen s. u. P'ig. 545.
Die Lehi-e von den Keimblättern,
893
lieh erfolgt auch hier die IsölieruujLi- durch Abspaltung an
durch die Einkerbungen bezeichneten Stelle (Fig. 045).
der schon
Fig. 544.
mk ik ch
rniv
US
Ih
Fig.
54n.
u
tk c/i
Fig. 536 — 545. Zehn Querschnitte aus einer Serie eines Hühnererabryos mit
geschlossenem Nervenrohr imd Augen blasen nach 48-stiindiger Bebrütung (Photogr.
49 des anat.-biol. Inst.), pr Primitivstreiten mit Primitivrinne, mr Meduüarrinne.
mw Medullarwülste. ch sich isolierende Chordaanlage, bl Blutgefäße. Ih Leibeshöhle.
ak, mk, ik äußeres, mittleres, inneres Keimblatt. m.s Ursegment. 'Ih Darmhöhle.
dk Dotterkugeln.
lieber einen wichtigen Punkt, über den in allen Wirbeltierklassen
bis jetzt nachgewiesenen Canalis neuren t ericu s, giebt die Unter-
suchung von Hühnerembryonen keine befriedigende Auskunft, weil bei
ihnen das Gebilde fast ganz rudimentär geworden ist. Das Einzige,
was man an der Stelle, wo der neurenterische Kanal liegen sollte,
nämlich an dem vorderen Ende des Primitivstreifens hinter dem Knoten
findet, ist eine stärkere, etwas trichterartige Vertiefung der Primitiv-
rinne (Fig. 523 gr), dagegen scheint es hier niemals zu einer offenen,
Rückenmark und Darm verbindenden Kommunikation zu kommen.
Dagegen ist eine solche bei anderen Vogelarten beobachtet worden.
Entdeckt wurde sie zuerst von Gasser bei Gänseembryonen mit 14
bis 23 Ui'wirbeln; auf späteren Stadien soll sie wieder verschwinden.
Ein enges Rohr führt hier vom vorderen Ende des dickeren Teiles
des Primitivstreifens, der schon in das Medullarrohr aufgenommen
worden ist, durch den Boden desselben und durch das mit ihm ver-
schmolzene, indifferente Gewebe, das zur Chordaanlage wird, in den
Darmraum hinein. Die untere Ausmündung am Darmdrüsenblatt
läßt sich auch schon erkennen, wenn man auf dem entsprechenden
Stadium die Keimhaut eines Gänseembryos von der unteren Fläche
betrachtet (Fig. 546 cn). Auch läßt sich an solchem Präparat der
vordere dickere (pr^) und hintere dünnere (^jr^) Teil des Primitiv-
streifens im durchfallenden Licht unterscheiden.
Außer bei der Gans ist ein offener Canalis neurentericus auch
noch bei der Ente durch Rauber, bei Melopsittacus , bei der Bach-
894
0. Hertwig,
stelze durch Braun, bei verschiedenen Wasseivögeln, welche hierfür
besonders geeignete Objekte zu sein scheinen, durch Hoffmann nach-
gewiesen worden. Schon Gasser hat gleich bei seiner Entdeckung die
richtige Deutung des Befundes gegeben in dem Satz (L. K. IIP 1878, p. 83) :
Fig. 546.
Fig. 547 A.
ch cn nr
B
•»^.•••.•»-•^
ch cn
pr-
Fig. 546. Keirahaut eines Gänseerabryos mit 23 Ursegmenten, unten von der Bauch-
seite gesehen, nach Gasser. ch Chorda, cn Canalis ueurentericus. ^jr^ vorderer
dickerer, j^r^ hinterer dünnerer Teil des Primitivstreifens.
P'ig. 547. Zwei Querschnitte durch den CanaHs ueurentericus eines Entenembryos
mit fast geschlossenem Meduilarrohr. A durch die untere Ausmündung. In der
Wand des Canalis ueurentericus grenzt sich links und rechts die Chordaanlage ab,
die somit gespalten ist. B Canalis neurentericus beginnt sich nach vorn zu schließen,
nach iScHWARZ (L. K. III i 1889, Tat. XIV, Fig. 76 u. 74j. ch Chordaanlage.
cn neurenterischer Kanal, nr Nervenrohr.
„Der Blastoporus, Urniund, der Vogelkeim Scheibe ist zu suchen im
Bereich des vorderen Teiles der Primitivrinne ; diese stellt an sich
gewissermaßen einen unvollkommenen Blastoporus dar, der bei dem
Zurückweichen der Rinne deutlicher wird und an einer bestimmten
Stelle bei den Gänseembryonen zum vollen Durchbruche zum Darm-
kanal führt."
Interessant und wichtig ist auch das Verhalten der Chordaanlage
zum neurenterischen Kanal. Wie Schw^arz bemerkt, kann man :bei
Entenembryonen (Fig. 547 A u. B) auf gewissen Stadien beobachten,
daß die Verlängerung der Chorda {ch) seitlich rechts und links vom
A
B
Fig. 548. Zwei Querschnitte durch einen Entenembryo des Stadiums VI mit
gespaltener Chorda, A kurz vor dem Canalis neurent., B durch die untere Aus-
müudung des Canalis neurent., nach Schwarz (1889, Taf. XIV, Fig. 85, 86).
Die Lehre vou den Keimblättern. 895
Kanal (cn) weiterschreitet, so daß man deutlich eine gespaltene Chorda
wahrnimmt. In einem besonderen Fall (Fig. 548 A u. ß) vereinigten
sich die beiden Chorduäste (cli) nicht zu einem einzigen Strang, und
ein Verschluß des Spaltes konnte nicht Platz greifen. Die beiden
Chordaäste (Fig. 548 B ch) lagen deutlich gesondert zu Seiten des
sehr langen, spaltförmigen neurenterischen Kanals (cn) und zeigten
einzeln zum Primitivstreifen das gewöhnliche Verhalten (L. K. Uli
1889, p. 206).
Eine Chordaspaltung am neurenterischen Kanal ist ja auch
bei Reptilien, und zwar bei Schildkrötenembryonen, durch Mitsukuri
nachgewiesen und in sehr deutlicher Weise abgebildet worden (Fig. 469).
Nachdem das Verhalten des Primitivstreifens auf den verschieden-
sten Stadien der Entwickelung genau festgestellt worden ist, bleibt
noch die wichtige Frage nach seiner Beziehung zum Längenwachstum
des Embrvos zu erörtern. Da die Befunde bei den Vögeln sehr
ähnliche sind wie bei den Reptilien, Amphibien, Elasmobranchiern etc.,
wird auch die Deutung derselben in gleicher Weise ausfallen müssen. Alle
Befunde erklären sich nach unserer Ansicht in der einfachsten Weise da-
durch, daß der P r i m i t i v s t r e i f e n sich in seinem vorderen
Abschnitt in d i e A c h s e n o r g a n e d e s E m b r y o s umwandelt
undinfolge dessen vorn an Längeverliert, während er an
seinem entgegengesetzten Ende nach rückwärts weiter-
wächst. Da nun der Primitivstreifen mit seiner Rinne aus den schon früher
erörterten Gründen dem Urmund der niederen Wirbeltiere entspricht,
so läßt sich der Umwandlungsprozeß auch folgendermaßen ausdrücken :
Von vorn nach hinten vollzieht sich während der Entwickelung eine
Verschmelzung der Urmundränder in der Urmundnaht. Die Stelle,
wo die Naht sich gerade ausbildet, markiert sich auf früheren Stadien
deutlicher, später weniger, als der Primitivknoten. Hinter ihm findet
sich bei manchen Vogelarten noch ein bald ganz, bald teilweise durch-
gängiger Abschnitt des ürmundes als Canalis neurentericus oder als
Primitivgrube, während nach hinten von ihm die Ränder der Darm-
falten zum Primitivstreifen verklebt sind. Nach vorn vom Primitiv-
knoten sondert sich die Nahtstelle von vorn nach hinten fortschreitend
durch Abspaltungsprozesse in die Achsenorgane, oder in anderer Weise
ausgedrückt: es trennen sich die äußeren von den inneren Falten-
blättern der verwachsenen Urmundränder durch eine Spaltung recht-
winklig zur Nahtebene; hierdurch wird die Medullarplatte oder die
Medullarriune oder das Medullarrohr, je nachdem es sich um jüngere
oder ältere Embryonen handelt, von der Chordaanlage abgespalten.
Gewöhnlich hat sich schon vorher das mittlere Keimblatt von seiner
Ursprungslinie am Urmundrand abgetrennt und sich hierdurch von der
Chordaanlage und dem Darmdrüsenblatt gesondert. Auch ist noch
die Chordaanlage vom Darmdrüsenblatt, in welches sie während eines
längeren Zeitraumes eingeschaltet ist, isoliert worden, sei es daß sie
von letzterem unterwachsen wird, oder daß sich von ihr die unterste
Zellenlage zur Ergänzung des Darmrohres abspaltet, wie es bei den
Anuren der Fall ist. Bei den Vögeln läßt sich zwischen diesen beiden
Möglichkeiten kaum eine Entscheidung treffen.
Wenn unsere Ansicht richtig ist, dann folgt daraus, daß das
Zellen material, welches die Wand des Canalis neuren-
tericus bildet, auf den verschiedenen Stadien ein ver-
schiedenes ist und daß der Kanal selbst seine Lage
896 0. Hertwig,
fortwährend von vorn nach hinten verändert. Während
er sich n a c li v o ]• n schließt, m n ß sich nach hinten eine
neue Strecke im Primitivstreifen öffnen.
In der Litteratur sind schon seit mehreren Decennien zwei entgegen-
gesetzte Ansichten über die Bedeutung des Primitivstreifens für das
Längenwachstum des Embryos geäußert worden. Dursy, Balfour u. a.
lassen ihn dabei keine Rolle spielen, sie legen das Wachstumscentruni
in die Zone unmittelbar vor dem Primitivstreifen und sehen in ihm ein
Organ, das während der Entwickelung mehr und mehr rudimentär wird.
Viele andere Forscher dagegen, wie Waldbyer, Gasser, Braun, Schwarz,
interpretieren ihre Beobachtungen in ähnlicher Weise wie es oben von
mir vorgetragen wurde. Waldever bemerkt (L. K. III^ 1869), daß die Achsen-
organe des Embrj'os auf Kosten des Primitivstreifens in die Länge wachsen
in ähnlicher Weise, wie sich die Ursegmentplatten in immer neue Urseg-
mente differenzieren und dabei allmählich aufgebraucht werden. Gasser
läßt den Primitivstreifen kürzer werden und sein Vorderende zurück-
weichen , indem es sich in Bestandteile des Embryokörpers, Chorda,
Stammzone des Mesoderms und entsprechenden Teil des Entoderms,
differenziert.
Am meisten aber stimmt mit der von mir gegebenen Darstellung
und Deutung Schwarz überein. „Von Interesse war mir zunächst", ei-klärt
er (L. K. III^ 1889, p. 201), „daß der Primitivstreifen anfänglich wächst und
dann sich verkürzt, wobei das Vorderende zurückweicht, indem sich auf
seine Kosten das Hinterende des Embryos verlängert." Zutreffend ist
namentlich auch seine Bemerkung, daß der neurenterische Kanal sich
gleichfalls von vorn nach hinten verschieben müsse in dem Maße, als
Chorda und Mesodermstreifen sich auf Kosten des Primitivstreifens ver-
längern (1889, p. 206). „Diese Verschiebung findet in der Weise statt,
daß der Kanal anfangs sich nach hinten hin eröffne, während er von
vorn her sich verschließe." Die Darstellung von Braun, daß im Primitiv-
streifengebiet außer dem von Gasser entdeckten neurenterischen Kanal
noch eine zweite und dritte Durchbrechung (KuPFFER'scher und Hoff-
MANN'scher Kanal) bei manchen Vogelarten vorkommen, weist Schwarz als
nicht zutreffend zurück.
Die Bildung von Schwanz und After.
Mit der Entwickelung von Schwanz und After bei den Vögeln
haben sich Bornhaupt und Gasser, Kölliker und Schwarz be-
schäftigt. Da die Verhältnisse denjenigen der Säugetiere sehr ähnlich
sind, über welche Untersuchungen jüngeren Datums vorliegen, so
wollen wir uns hier nur auf das Wesentlichste und vor allen Dingen
auf die Punkte beschränken, welche den Vögeln eigentümlich sind.
Wenn der Primitivstreifen den Höhepunkt seiner Entwickelung
überschritten hat, beginnt er sich Schritt für Schritt zu verkürzen, was
schon bei Hühnerembryonen mit 10 Ursegmenten sehr deutlich wahr-
zunehmen ist. Nach Gasser läßt er dann einen vorderen dickeren und
einen hinteren, dünneren Abschnitt unterscheiden (Fig. 540 pr^. pf^).
Ersterer tritt schon am Ende des 2. Bruttages als Schwanzhöcker
(Endwulst, Gasser) etwas über die Oberfläche der Keimhaut hervor;
der dünnere Teil wird zur Anlage des Afters; ob er hierzu ganz auf-
gebraucht wird, oder ob noch, wie es von der Schildkröte (p. 849)
und vom Schwein angegeben wird, ein Rest sich über die Afteranlage
Die Lehre von den Keimblättern.
897
hinaus fortsetzt und später verkümmert, muß noch durch eine ein-
gehendere Untersuchung entschieden werden.
mr
Fig. 549. Längsschnitt durch das hintere Ende eines Gänseembryos von 23 Ur-
segmenten, nach Gasser (1878, Taf. VIII, Fig. 1). (■//- Canalis neurentericus. pr^,
pr"^ verdickter vorderer, hinterer dünnerer Teil des Primitivstreifens, ch Chorda.
mr Centralkanal des MeduUarrohres. mr*, »ir- untere, obere Wand desselben. aX-,
ik äußeres, inneres Keimblatt. * Ursprungsstelle der Chorda an der vorderen Wand
des Canalis neurentericus.
Beide Abschnitte des Primitivstreifens verändern ihre Lage gegen-
einander, teils dadurch, daß das ganze hintere Körperende sich etwas
ventralwärts umkrümmt, teils dadurch, daß der Schwanzhöcker immer
mehr als Fortsatz selbständig nach hinten hervorwächst und sich über
den Analteil des Primitivstreifens herüberlegt. Am 4. Bruttag ist diese
Lageveränderung schon weit vorgeschritten. Infolgedessen kommt jetzt
der Analteil, welcher eine Zeitlang das hinterste Ende der Embryonal-
anlage darstellte (Fig. 550 cJ. Fig. 551 afm), viel weiter nach vorn als
'■\
\i
afm
Fig. 550. Medianschnitt durch das Schwanzende eines 6 Tage alten Hühner-
embryos, mit Kloake und Kloakenmembran, nach Gasser (1880, Taf. XII, Fig. 5).
mr MeduUarrohr. ch Chorda, d Kloake, d Darm, g Gefäße, u Stiel der AUantois
zur Kloake. Seh Schwanz.
Fig. 551. Die Cloakengegend der Fig. 550 ist stärker vergrößert, nach Gasser
(1880, Taf. XII). Bezeichnimgen wie Fig. 550. afm Afterraembran.
die Schwanzspitze (seh) und unter die Schwanzwurzel zu liegen. Da-
bei geht er aus der ursprünglichen horizontalen in eine vertikale
Stellung über.
Der zur Afteranlage werdende hinterste Abschnitt des Primitiv-
streifens zeigt, wie es ja auch auf allen vorausgehenden Stadien
(Fig. 530 und 536 pr)
Handbuch der Entwickelungslehre.
der Fall war, ursprünglich
nur eine Ver-
57
898 0. Hertwig,
Schmelzung des äußeren und mittleren Keimblattes, unter welcher das
Entoderm getrennt hinzieht. Von einem gewissen Zeitpunkt kommt
es auch hier zu einer sekundären Verschmelzung mit dem Entoderm,
so daß in der Afteranlage alle 3 Blätter eine Zeitlang zusammenhängen.
Hierauf löst sich das mittlere Keimblatt von der Nahtstelle ringsum
ab. Infolgedessen hängen äußeres und inneres Keimblatt direkt in
einem gemeinsamen, ziemlich dicken Epithelstreifen zusammen, in der
After leiste von (jtASSer oder der Aftermembran (Fig. 550 und
551 afm). Dieselbe erhält sich beim Hühnchen lange Zeit geschlossen.
Nach den Angaben von Gasser, die v. Kölliker bestätigt, tritt die
Eröffnung erst nach dem 15. Bruttage ein. Im Gegensatz zu anderen
Tierklassen erreicht bei den Vögeln das Epithel der Aftermembran
(Fig. 551 (lfm) eine nicht unbedeutende Dicke, bildet aber keine ganz
kompakte Schicht, sondern ist früh schon hie und da von einzelnen
Lücken durchsetzt; dabei erfährt das Epithel eine histologische Meta-
morphose, welche nach Gasser derjenigen des Schmelzorgans der
Zähne ähnlich ist. „Hier wie dort", bemerkt Gasser (1880, p. 305),
„unterliegen die central gelegenen Zellen einem Schwund, der bei beiden
dasselbe Endbild liefert, das Bild von ungemein rarefizierten, ver-
ästelten Zellen in einer bedeutend vermehrten Grundsubstauz, wenn
man will, eine Verflüssigung oder gallertartige Umwandlung des Ge-
webes." An der Aftermembran entsteht die für die Vögel charak-
teristische Bursa Fabricii als eine dorsal gerichtete Ausstülpung.
Wie bei anderen Wirbeltieren setzt sich der Darm noch weiter
nach hinten über die Aftermembran in den embryonalen Schwanz
hinein fort und bildet hier den Schwanz darm oder die Pars
caudalis intestini. Seine Höhlung wird gegen die Schwanzspitze
zu immer enger-; eine Kommunikation mit dem Medullarrohr (Ganalis
neurentericus) konnte zu dieser Zeit weder von Gasser noch von
Schwarz (L. K. IIP 1889, p. 212) nachgewiesen werden. Nervenrohr,
Chorda, Schwanzdarm, Mesoderin verlieren sich nach hinten in einer
undifferenzierten Zellmasse, der Schwanzknospe, aus welcher sie das
Material zu ihrem Längenwachstum beziehen. Später geht der Schwanz-
darm bis zur Kloake ganz zu Grunde.
©'•
Die Keimblätter der Säugetiere und des Menschen.
Die größten Schwierigkeiten bereitet den Embryologen die Keim-
blattbildung bei den Säugetieren und beim Menschen nicht nur wegen
der mühsamen und kostspieligen Art der Materialbeschaffung, sondern
vornehmlich auch wegen der von anderen Wirbeltieren stark abweichen-
den Befunde. Obwohl die Eier klein und dotterarm sind und sich
wie beim Amphioxus äqual furchen, ist doch der weitere Verlauf nichts
weniger als ein ursprünglicher zu nennen. Auch die Kleinheit und
alecithale Beschaffenheit der Eier scheint erst ein späterer Erwerb zu
sein ; denn wie noch eingehender gezeigt werden wird, sprechen viele
Verhältnisse dafür, daß die Vorfahren der Säugetiere gleich den Rep-
tilien und Vögeln dotterreiche Eier mit partieller Furchung besessen
haben. Erst unter dieser Annahme werden die ersten Embryonal-
prozesse unserem Verständnis näher gerückt. Ueberhaupt ist die ge-
naue Kenntnis der Sauropsidenentwickelung unerläßlich, um die Keim-
blattbildung der Säugetiere mit ihren vielen Eigentümlichkeiten richtig
zu beurteilen. Eine Ausnahmestellung unter den Säugetieren nehmen
Die Lehre von den Keimblättern.
899
die Monotremen ein. indem sie einen Uebergang zu den Sauropsiden
vermitteln. Deswegen und wegen der selir abweichenden Art ihrer
Keimblattbildung, deren Kenntnis leider noch sehr lückenhaft ist, em-
pfiehlt sich für die Monotremen eine gesonderte Besprechung. Eine
solche ist auch wegen der großen Seltenheit des Untersuchungsmaterials
erforderlich. Der vorliegende Abschnitt zerfällt daher in 3 Unter-
abteilungen.
A. Die Monotreraen.
Wie Caldwell, Haacke und Semon festgestellt haben, sind die
Eier der Monotremen ziemlich dotterreich und ähnlich wie bei den
Vögeln aus einer Keimscheibe und aus weißen und gelben Dotter-
substanzen aufgebaut, die in mehreren alternierenden Kugelschalen
um eine centrale Latebra abgelagert sind. Ihr Durchmesser beträgt
3V2 — -i 1^»!^ solange das Ei in der Gebärmutter verweilt, was nur
sehr kurze Zeit der Fall ist. Von einer festen Keratinschale umhüllt,
wird es nach außen abgelegt und in die Mammartasche aufgenommen,
wo sein größter Durchmesser 15 bis
I6V2 n^m- der kleinste 12 — 13 mm be- /■
trägt. Die Uebereinstimmung mit 1
dem Sauropsidenei geht noch weiter.
Es findet eine partielle F u r c h u n g -_^'ß
statt, durch welche eine kleine viel- ''i
schichtige Zellplatte (Fig. 552 k) ge-
bildet wird. Im weiteren Verlauf
breitet sich dieselbe auf dem Dotter
Fig. 552. Querschnitt durch eine Keim-
scheibe von Ornithorhvnchus, nach 8emox
(1894, Taf. IX, Fig. 34). k Keimscheibe.
'^mm'^m^
#
'*♦.•
ik bp
,^^
Fig. 553. Querschnitt durch einen älteren Keim von Echidna, mit beginnender
Bildung des inneren Keimblattes, nach Semox (1894, Taf. IX, Fig. .33). bp Biasto-
porus (?). ak äußeres Keimblatt. (X- Zellen im Dotter, von welchen wohl die Ent-
' dk Dotter ]i;ugehi.
Wickelung des inneren Keimblattes
ausgeht.
einschichtige
Keim haut
wichtigsten
Aufschlüsse
weiter aus und wandelt sich in eine dünne,
(Blastoderm) um (Fig. 553 ak).
Leider konnte Semon, welchem wir die
an diesem wertvollen und schwer zu erlangenden Material verdanken,
die Bildung des inneren und des mittleren Keimblattes beim Fehlen der
erforderlichen Stadien nicht genauer verfolgen. Semon giebt nur an,
daß etwa in der Mitte der einschichtigen Keimhaut eine kleine Grube
auftritt, von welcher eine in den Dotter eindringende Zellwucherung
57*
900 0. HertwiCx,
ausgeht, von welcher er auch einen Durchsclinitt (Fig. 553 hi>) ab-
bihlet. Er vermutet, daß von dieser Wucherung sich das Zellenmaterial
für das innere Keimblatt herleitet. An einem älteren Ei (Fig. 554)
Fig. 554. Querschnitt durch den
peripheren Bezirk der zweiblätterigen
Keinihaut eines älteren Stadiums
d — ■ — von Echidna, nach Semon (1894,
~ 9 Ml - m Ä :#' '^^^' ^^' ^'^' ^"^-*' "^"' ^^ äußeres,
m*m^%^ ^Ä •■*'*? '^* *Ä*^? '""'''■^•' Keimblatt, d flüssiger Dotter
(//.• -^)-^ ^ ■ * " 4|f ^'«(^^i)'^»' unter der Keimhaut. fZA: Dotterkörner.
fand er 2 Iveiml)lätter (ak und iL) fertig gebildet und giebt von ihnen,
da das Enibryonalschild bei der Präparation zerstört war, einen Durch-
schnitt durch den peripheren Bezirk. Man sieht eine einschichtige
Lage dünner Ektodermzellen (ak) und von ihr durch einen Spalt ge-
trennt und dem Dotter (d) aufliegend eine zweite einfache Lage dünnerer
Entodermzellen {/k). Es ist für das Verständnis der Säugetierentwicke-
lung dringend zu wünschen, daß wir bald durch eingehendere Unter-
suchungen, die ein Gelehrter an Ort und Stelle selbst ausführt, ein
vollständigeres Bild über die, wie es scheint, in jeder Beziehung außer-
ordentlich wichtige und interessante Bildung der Keimblätter der
Monotremen gewinnen.
ö^
B. Die übrigen Säugetiere.
Als Untersuchungsobjekt für den Embryologen nimmt unter den
Säugetieren das Kaninchen eine ähnliche Stellung ein, wie etwa das
Hühnchen unter den Vögeln. Keimblasen vom Kaninchen sind leichter
zu beschaffen und bequemer zu untersuchen, als die meisten anderen
Objekte. Sie sind daher auch am häufigsten zum Gegenstand embryo-
logischer Arbeiten gemacht worden, von Bischoff, Hexsen und K()lliker,
von Rauber, Van Bexeden, Strahl, Rabl, Assheton und Giacomixi.
Je mehr man den Wert der vergleichenden Forschungsweise
schätzen lernte, um so mehr wuchs der Eifer der Embryologen, die Forschung
auf viele Ordnungen und Arten der Mammalia auszudehnen und sich auch
selbst in den Besitz von seltenerem Untersuchungsmaterial unter Auf-
wand erheblicher Kosten und Mühen zu setzen. Besonders aus der
Ordnung der Nagetiere, wo man die interessante Erscheinuno- der
sogenannten „Umkehr der Keimblätter" entdeckte, wurden viele Ver-
treter untersucht: das Meerschweinchen, die Maus, die Eatte etc. von
Reichert, Bischoff, Lip:berkühn, Hensen, v. Spee, Selenka, Kupffek,
Fräser, Duval u. a. Die Blätterbildiing bei den Carnivoren (Hund,
Katze) wurde von Bischoff, Bonnet, Fleischmann, bei den Wieder-
käuern (Reh, Schaf) von Bischoff, Bonnet, Assheton, bei dem Schwein
von Keibel und Weysse bearbeitet. Mit den Insectivoren (Talpa, Sorex,
Erinaceus, Tupaja) beschäftigten sich Heape, Keibel, Hubrecht. (Aus
Versehen ist Hubrecht in der historischen Einleitung [p. 59] als
Bearbeiter der Entwickelung der Nagetiere aufgeführt worden, was ich
hierdurch richtig stelle.) Die Chiropteren fanden ihre erfolgreichen Be-
arbeiter in El). Vax Benedex, Julix und Duval. — Selexka unternahm
ferner die mühselige, aber dankbare Aufgabe, sich durch Züchtung ver-
schiedener Beuteltiere ein kostbares Untersuchungsmaterial zu verschaffen.
Die Lehre von den Keimblättei-n. 901
Durch Reisen in die Tropen gelangten endlich Hubuecht und Selenka
auch in den Besitz wertvoller früher Entwickelungsstadien von Halb-
affen (Tarsiuö) und mehrerer Affenarten. Trotzdem durch solche müh-
same Arbeit nach verschiedenen Richtungen das Verständnis von der
Keimblattbildung bei den Säugetieren gefördert wurde, geht das Urteil
der Forscher in Fragen von fundamentaler Bedeutung noch weit ausein-
ander.
Erste Phase der Blä tterbild iing.
Zur Einführung in die charakteristischen Verhältnisse der Keim-
blattbildung bei den Säugetieren soll uns in erster Linie die Keim-
blase des Kaninchens dienen. An diesem Objekt hat Ed. Van Beneden
das unmittelbar an den Furchungsprozeß sich anschließende Stadium
als Metagastrula gedeutet. Er beobachtete, 70 Stunden, nachdem das
Kaninchen belegt worden war, an den aus der Gebärmutter heraus-
präparierten Eiern eine äußere einfache Lage kubischer Embryonal-
zellen, welche einen central gelegenen Streifen von dunkleren , weil
mit Dotterkörnchen reichlicher durchsetzten Zellen umschlossen. Er
deutete jene als Epiblast, diese als Entoblast. und da die breiteren
Zellen an einer kleinen Stelle von
der helleren oberflächlicheren
Schicht unbedeckt blieben, glaubte
er in ihr den Blastoporus er-
blicken zu müssen. Wenn nun
auch die Beobachtungen ohne
Zweifel richtig sind, da Selenka
und Heape. Hub recht und Du-
VAL an anderen Objekten Aehn-
liches gesehen haben, so spricht
doch der weitere Verlauf der ""^
Entwickelung gegen die Deu-
tung, daß schon auf einem so ''^' ■ — "T" ^ ■^•- ^ aX-
frühen Stadium eine Gastru-
lation bei dem Kaninchen statt- Y\g. böb. Kaninchenei auf einem Sta-
gefunden habe. Die Deutung ist dium, das Vax Beneden als Metagastrula
daher später von Van Beneden gedeutet hat, nach Van Beneden (L. K.
selbst, als er sich mit der Unter- "1' ^^^^^•X^^'^fT; ^'^" yS/^ ^"^f'^'i
, ' , , p , , r,, tk inneres Kemiblatt. um Zeile am Kand
suchung der nachfolgenden Sta- jes Blastoporus.
dien eingehender beschäftigte,
wieder aufgegeben worden, und so hätte sie auch in dieser Darstelluug
weniger hervorgehoben zu werden brauchen , wenn nicht Duval
auf Grund seiner Untersuchungen der Embryologie der Fledermäuse
für die Lehre von der Metagastrula wieder energisch eingetreten wäre
und sie zur Grundlage seiner Auffassung von der Keimblattbildung
der Säugetiere gemacht hätte. Trotz der von Duval angeführten
Gründe scheint mir aber die Lehre auch jetzt nicht durchführbar zu
sein im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Entwickelung, be-
sonders im Hinblick auf die von fast allen Forschern gegebene Dar-
stellung, daß die trüben, an Dotterkörnern etwas reicheren Zellen,
welche das Entoderm der Metagastrula darstellen sollen, zum größten
Teil zur Bildung des äußeren Keimblattes später verbraucht werden,
und daß die deutliche Sonderung eines inneren Blattes erst auf einem
viel vorgerückteren Stadium bemerkbar wird.
902
0. Hertwig,
Zu diesem Ergebnis kommt auch Van Beneden in seiner neuesten
Arbeit über die Entwickelung der Fledermäuse (L. K. III •* 1899, p. 317):
„Je crois pouvoir affirmer, en ce qui concerne le murin, (jue chez ce
■■'^
/■A
Fig. 556. Keimblase eines Kaninchens, nach E. Van Beneden, e Eiweiß-
hüllen, sp Zona pelhicida. w aus einfacher Zellenlage aufgebaute Wand der Keim-
blase, kk Furchungshöhle, die sich allmählich zur Keim blasenhöhle erweitert. * Haufen
von Embryonalzellen.
Fig. 557. Aeltere Keimblase eines
Kaninchens, nach E. Van Beneden.
zp Zona pellucida. zv einfache, noch
mehr als in Fig. 556 verdünnte Wand
,:,. der Keimblase. * Haufen der Embryo-
nalzellen von Fig. 556, abgeplattet zu
. .;;; einer Scheibe, die den abgeplatteten
Zellen der Blasen wand w' anliegt.
zp
Cheiroptere, comme chez le lapin,
les deux feuillets de Tembryon
procedent Tun et l'autre, eutiere-
ment et exclusivement, de la
masse cellulaire interne de l'oeuf
Segmente, que la couche enve-
loppante n'intervient en rien dans
l'edification de Tembryon proprement dit."
Die Metagastrula von Duval gehört nach unserer Ansicht noch
zum Furchungsprozeß, an welchen sich, ehe es zur Keimblattbildung
kommt, erst das Stadium der Keimblase anschließt. Die Vesicula
blastodermica bildet sich dadurch, daß zwischen der centralen Zell-
masse, dem vermeintlichen Entoderm der Metagastrula, und der Schicht
der oberflächlichen, fester zusammenschließenden Elemente auf einer
Seite ein Spaltraum entsteht, sich außerordentlich rasch vergrößert
und die centrale Zellmasse an die Blasenwand andrängt, wo er
längere Zeit einen vorspringenden Hügel, den Furchungskugelrest von
Bischoff, die masse entodermique von Duval, den Embryonal-
knoten von Hubrecht, bildet (Fig. 556 u. 557). Die das Blastocöl aus-
Die Lehi'e von den Keimblättern.
903
füllende Flüssigkeit enthält in größerer Menge gelöste Albuminate, die
nur durch Resorption von der Schleimhaut der Gebärmutter aufge-
nommen sein können und beim Kochen oder bei Zusatz von Säuren
ein weißes Gerinnsel liefern, was schon Regnier de Graaf bekannt
war. Mit der Ausdehnung verdünnt sich die Blasenwand außerordent-
lich und besteht schließlich aus einem zierlichen Mosaik größerer, poly-
gonaler Elemente, die fast so fein wie Endothelzellen sind. Die Ver-
größerung geht bei manchen Säugetieren so rasch, daß beim Kaninchen
am 7., 8. und 9. Tag das ursprünglich kaum sichtbare Ei die Größe
einer Erbse oder eines GRAAP'schen Bläschens erreicht hat, und da
es wie dieses mit einer gerinnenden Flüssigkeit erfüllt ist, w'ird der
Irrtum Regnier de Graaf's und seiner Nachfolger leicht erklärbar
und nicht minder wird es entschuldbar, daß sie den
förmigen Follikel des Eierstockes dem Dotter
glichen und für das Ei der Säugetiere gehalten
Bei einigen anderen Säugetieren bleibt die
ganzen bläschen-
des Hühnereies ver-
haben.
Keimblase klein.
wie
bei den meisten Nagetieren, bei Insectivoren und Chiropteren. Wegen
der verschiedenen Beurteilung dieses Stadiums gebe ich zum Vergleich
mit der Keimblase des Kaninchens noch zwei weitere Abbildungen
nach Duval und Hubrecht: 1) von der Keimblase der Fledermaus
(Fig. 558) und 2) der Spitzmaus (Sorex, Fig. 559). In allen diesen
Figuren, deren Zahl sich aus der Litteratur noch leicht vermehren
läßt, stellt der Embryonal-
knoten nichts anderes als
eine Verdickung der sonst
einschichtigen Blasenwand
dar ; die
Bedeutung
eines
Fig. 558. Keimblase der
Fledermaus, nach DüVAL (A.
L. III '» 1899, Taf. I, Fig. 32).
Fig. 559. Keimblase von
8orex vulg., nacli Hubrecht
(L. K. III 9 1892, Taf. XXXVI,
Fig. 7).
besonderen Keimblattes kann er nicht beanspruchen, da er durch keinen
Spalt von der oberflächlichen Zellenhaut abgetrennt ist. Zw'ar bietet
letztere ein etwas abweichendes Aussehen dar , da ihre Elemente
platter sind und fester hautartig zusammenschließen. Aber das ist
eine Erscheinung, die sich in ähnlicher Weise in allen W^irbeltierklassen
auf dem Morula- und Blastulastadium findet, bei Fischen, bei Amphibien,
bei Reptilien und Vögeln. Sie läßt sich daher auch nicht verwerten.
um die oberflächliche Zellenlage
wegen
ihrer besonderen Diff'eren-
zierung
als ein eigenes Keimblatt vom Embryonalknoten oder: dem
Furchungskugelrest zu unterscheiden.
W^enn wir nach vergleichbaren Punkten in der Eutwickelung der
Säugetiere und der Sauropsiden suchen, so würde ich die verdickte
Stelle ihrer Keimblasenwand der zelligen Keimscheibe der Reptilien
und Vögel vergleichen. Zu Gunsten dieser Ansicht sprechen die Be-
funde, welche Semon am Ei der Monotremen erhalten hat. Die
Höhle der Keimblase würde dann, wenn die Ansicht richtig ist, daß
in der Vorfahrenreihe die Eier der Säugetiere dotterreicher gewesen
sind, einmal von Dotter ausgefüllt gewesen sein, wie noch jetzt bei
904 0. Hertwig,
den Monotreiiieii. Somit kann ich auch dem Vergleich von Oscar
ScHULTZE nicht zustimmen, nach welchem der Embryonalknoten der
Säugetiere der vegetativen Hälfte von der Keimblase der Amphibien
entsprechen würde, wie er in seinem Lehrbuch in einer Reihe schema-
tischer Figuren zur Darstellung gebracht hat.
Wie schon hervorgehoben, erlangt in manchen Säugetierordnungen
die Keimblase sehr frühe eine ganz außerordentliche Größe, wälirend
die eigentliche Embryonalanlage, die verdickte Stelle ihrer Wand,
immer sehr klein bleibt; dabei nimmt sie eine sehr verschiedene
Form an, welche für die Vertreter der einzelnen Sängetierklassen
charakteristisch ist. Bei den Beuteltieren, bei denen sie von Selenka
beschrieben worden ist, bei den Primaten, beim Menschen u. a. be-
hält sie eine einfache kugelige Gestalt; beim Kaninchen, bei Raub-
tieren etc. wird sie ellipsoid oder tonnenförmig; bei den Wiederkäuern,
Schweinen u. a. wächst sie zu einem außerordentlich langen und
feinen Schlauch aus, der sich in den Hörnern des Uterus bicornis
einbettet. Ein solcher ist vom Schaf in Fig. 560 auf Vs verkleinert
Fig. 560. Langer EischJauch des Schafes 12 Tage 2'/^ Stunde nach der Be-
gattung, auf 2/^ verkleinert, nach Bonnet (1884, Taf. XI, P'ig. 3.7). E Embryonal-
schild, hl blasenartige Erweiterung des Schlauches an seinen Enden.
dargestellt, nach einem Präparat von Bonnet, welches 12 Tage 2
Stunden nach der Begattung in Kochsalzlösung aus dem Uterushorn
isoliert wurde. Noch eine viel beträchtlichere Länge erreichen die fast
fadenartig werdenden Eischläuche beim Schwein. Wie Keibel be-
merkt, gelingt es nur bei einiger Uebung und viel Geduld, einen so
langen, feineu Schlauch aus dem Hörn der Gebärmutter heraus zu
präparieren. Denn sie liegen bei solcher Länge nicht gestreckt in
den Uterusschläuchen, sondern sind vielfach gefaltet und in Schlingen
gelegt. Noch etwas ältere isolierte Eischläuche erreichten sogar eine
Länge von mehr als 1 m. Unter diesen Umständen wird man es
begreiflicher finden, daß Harvey bei Rehen und Hirschkühen, Haller
und Kuhlemann in den ersten 14 Tagen nach der Begattung weder
Eier noch Embryonen überhaupt aufzufinden im stände waren, da
sie sich an gerade besonders schwierige Objekte herangewagt hatten,
während Regnier de Graaf bei den viel leichter aufzufindenden
Keimblasen des Kaninchens mit Erfolg belohnt wurde, ein Beispiel,
wie bei wissenschaftlichen Erfolgen auch von dem Zufall viel mit ab-
hängt.
Auf den folgenden Blättern wird uns jetzt fast ausschließlich der
kleine Bezirk der Keimblasenwand beschäftigen , welcher durch den
Furchungskugelrest zum Embryonalknoten verdickt ist. Denn von ihm
allein nehmen alle weiteren Bildungsprozesse ihren Ausgang. Die
nächste Veränderung ist, daß der anfänglich mehr lockere Haufen
der Embryonalzellen sich unter weiterer Vermehrung und Größen-
abnahme derselben zu einer flachen Scheibe abplattet und daß nach
einiger Zeit an der inneren Fläche der Scheibe sich ein zweites Keimblatt
Die Lehre von den Keimblättern.
905
zu entwickeln be^iinnt. Bei Betrachtung von der Fläche setzt sich
die Schoilje (Fig. ö(U) sowohl bei frisch untersuchten, als auch bei
gehärteten und gefärbten Keimblasen in-
folge ihrer größeren Dicke und Undurch-
sichtigkeit von ihrer Umgebung ziemlich
scharf ab : meist ist sie von ovaler Form :
zuweilen läßt sie an ihrem hinteren Rand
eine kleine Einkerbung erkennen, wie es
Bonnet an Keimblasen vom Hund (Fig. 561
Ji) öfters beobachtet hat. Sie soll von dei-
Zeit ab. wo sich das innere Blatt an ihr
zu entwickeln beginnt, als der Embrj'onal-
schild (Area embryonalis). täche embryon-
naire (Vax Beneden i bezeichnet werden.
Fio;. öül. Embryonalschild mit Randkerbe (k)
eines Hundeeies 16 Tage nach der letzten Be-
gattung, nach BoNXET (L. K. III « 1897, Taf. XXXII,
Tis. lo).
An Durchschnitten durch den zweiblätterigen Embryonalschild
(Fig. 562) zeigt sich das äußere Keimblatt bei den meisten Säugetieren
aus kleinen kubischen oder cylindrischen Zellen zusammengesetzt,
.ich
ak ik
Fig. 562. Querschnitt durch den Erabryonalschild eines Hundeeies 11 Tage
nach der letzten Begattung. Nach Bonnet (1. c. Taf. XXX, Fig. 13). ak, ik äußeres
und inneres Keimblatt, seh Embrvonalschild. /; Höhlung im Schild.
welche nach seinem Rande zu niedriger werden und so in die außer-
ordentlich abgeplatteten, großen, polygonalen Elemente der übrigen
Keimblasenwand übergehen. D i e k u b i s c h e n o d e r c y 1 i n d r i s c h e n
Ektoblastzellen sind es einzig und allein, welche durch
ihre größere Dicke bei Flächenbetrachtung und auf
Durchschnitten das Bild des Embryonalschildes her-
vorrufen, welches nur so weit reicht, als eine Ektoderm verdickung
eingetreten ist. Das unter ihnen entstandene innere Keimblatt stellt
von Anfang an ein sehr zartes und dünnes Häutchen stark abge-
platteter, großer, in einfacher Lage nebeneinander gefügter Zellen dai'.
Diese bieten, bei stärkerer Vergrößei-ung untersucht, ein zierliches Bild
dar, wie die der Abhandlung Van Beneden"s (L. K. III'' 1880, p. 61
bis 63) entnommene Fig. 563 lehrt. Nur in unmittelbarer Umgebung
der Kerne ist das Protoplasma etwas reichlicher angehäuft, denn nach
der Peripherie geht es in ein Netzwerk feiner Fäden über, welches
von einer Zelle zur anderen eine kontinuierliche Verbindung herzu-
stellen scheint. An frischen oder mit Osmium säure fixierten Präparaten
gewinnt man den Eindruck, als ob das innere Keimblatt aus einem
Syncytium bestände. Das ist indessen nicht der Fall: denn bei der
Behandlung einer frischen Keimblase mit Argentum nitricum erhält
man, wie bei einer Endothelhaut, feine, schwarze Silberlinien, durch
welche polygonale Zellplatten gegeneinander abgegrenzt werden.
906
0. Hertwig,
Bei seiner ersten Anlage ist das innere Keimblatt allein auf den
Embryonalschild beschränkt; es besitzt in seiner Peripherie in ähn-
licher Weise, wie es schon für das Hühnerei beschrieben wurde,
Fif?. 563.
Fig. 564.
Fig. 5^3. Zellen des Entoblastes eines Kanincheneies vom zweiblätterigen
Blastoderm. Zellgrenzen nicht sichtbar. Vakuohges Protoplasma. Nach Van Bene-
DEN (L. K. III « 1880, Taf. VI, Fig. 9).
Fig. 564. Dasselbe nach Behandlung mit Argentum nitricum. Nach Van
Beneden (1. o. Taf. VI, Fig. 10).
einen [freien unregelmäßigen Rand, über welchen hinaus die Keim-
blasenwand nur vom äußeren Keimblatt gebildet wird. Allmählich
aber breitet es sich vom Embryonalschild aus immer weiter nach dem
entgegengesetzten Pol zu aus, indem von seinem Rand aus einzelne
Elemente gleich Wanderzellen weiter vordringen (Fig. 565—5(37).
Schon Bischoff hat in seinen Untersuchungen der Kaninchenent-
wickelung in trefflichen Abbildungen (Fig. 565 — 567) gezeigt, wie die
Keimblasen wand in immer
In den einzelnen
größerer
Säugetierordnungen
Ausdehnung doppelblätterig wird,
spielt sich dieser Vorgang mit
Fig. 565.
Fig. 566.
seh 1
zp
Fig. 565. 7 Tage alles Kaninchenei in seitlicher Ansicht. Nach Bischoff
(A. L. III '» 1842, Taf. VIII, Fig. 41 C).
Fig. 566. Dasselbe von oben gesehen. Nach Bischoff (1. c. Taf. VIII, Fig. 41 B).
2 zweiblättriger Bezirk der Blasenwand, der aus äußerem und innerem Keimblatt be-
steht. 1 einblättriger Bezirk, der nur aus äußerem Keimblatt besteht, seh Schild.
zp Zona pellucida.
Die Lehre von den Keimblättern.
907
verschiedener Geschwinditikeit ab. So fand Bonnet (L. K. III ■' 1897,
j). 4(5;')) beim Schaf und Hunde schon die ganz jungen Keimblasen voll-
kommen doi)i)elblätterig, während beim Kaninchen, der Fledermaus und
das innere Keimblatt sich erst sehr
wohl auch bei anderen Säugetieren
Fig. 568.
Fig. 567. Etwas älteres Kaninchenei als das in Fig. 565 dargestellte, in seit-
licher Ansicht. Nach Bischoff (1. c. Taf. IX, Fig. 42 C). Bezeichnungen wie in
Fig. r)()ö.
Fig. 568. Längsschnitt durch eine eiförmige Gastrula vom Didelphys virginica
Nach ÖELENKA (A. L. III 1" 1886, Taf. XVIII, Fig. 2). ak, ik äußeres und inneres
Keimblatt, kh Keimblasenhöhle, die zur Urdarmhöhle wird. « Urmund, der durch
einen Haufen von Entodermzellen verschlossen wird.
spät oder gar nicht am Gegenpol der Keimblase schließt, so daß diese
in letzterem Fall überhaupt in wechselnder Ausdehnung einblätterig
bleibt.
In welcher Weise kommt bei den Säugetiei-en die erste Anlage
des inneren Keimblattes zu stände? Nach der Lehre von der Meta-
gastrula, wie sie Duval weiter ausgebildet hat, soll der Furchungs-
kugelrest (masse mesodermi(|ue) schon das innere Keimblatt sein und
soll sich das Zellenmaterial nur in der Fläche mehr auszubreiten haben ;
die verdickte Stelle im äußeren Keimblatt, welche später den Em-
bryonalschild ausmacht, soll von einer Wucherung der primären ober-
flächlichen oder abgeplatteten Zellen herrühren. Ich kann diese An-
sicht nicht teilen, einmal weil ich in den früheren Stadien nach den
vorliegenden Abbildungen und Darstellungen eine scharfe Sonderung
in 2 Blätter überhaupt nicht erkennen kann, und zweitens weil fast
alle Untersucher der Säugetierentwickelung angeben, daß der Furchungs-
kugelrest Zellenmaterial für jedes der sich später sondernden, primären
Keimblätter liefert. Wenn letzteres der Fall ist, wie ich annehme,
so ist die Frage zu entscheiden : Geschieht die Bildung des inneren
Keimblattes durch Delamination von der Innenfläche des sich zur
Scheibe ausbreitenden Furchungskugelrestes. wie von mancher Seite an-
gegeben wird, oder geschieht sie durch eine Art von Einstülpung von
einer Stelle der Blasenwand aus, wie von anderen Forschern wahr-
scheinlich gemacht wird? Ist im letzteren Falle eine Stelle am Em-
bryonalschild vorhanden, welche als Blastoporus gedeutet werden
908
0. IIertwig,
kann, eine Stelle, an welcher sich ein Um schlaft des äußeren ins
innere Keimblatt oder wenigstens ein Zusammeiihanf? beidei' nach-
weisen läßtV Wie bei den Vögeln sind aucii bei den Säugetieren die
Untersuchungen über diese Fragen noch sehr wenig /Aifriedenstellend,
so daß ein abschließendes Urteil über die Wege, auf denen sich das
einblätterige in das doi)pelblätterige Stadium umwandelt, noch nicht
gefällt werden kann. VVir müssen uns daher darauf beschränken,
aus der Litteratur einzelne Beobachtungen von Selenka, Keibel,
Heape, Hubrecht und Bonnet mitzuteilen, welche sich zu Gunsten
der zweiten oben ausgesprochenen Ansicht verwerten lassen.
In seiner Entwickelungsgeschichte vom Beuteltier Didelphys l)e-
schreibt Selenka (A. L. III ^^ 1886, p. 117) 8 Keimblasen, die er 10 Stun-
den nach Beginn der Furchung bei Eröffnung eines Weibchens erhielt und
von denen er angiebt, daß sie sich auf dem Gastrulastadium befinden.
Nach dem hinteren Rande des durch die größere Höhe der Ektoderm-
zellen kenntlichen Embryonalschildes nämlich fiel ihm eine kleine
Stelle auf, welcher von innen her ein Ballen von Gerinnsel aufgelagert
war (Fig. 569). In 3 Fällen konnte hier eine kleine Oeffnung, „eine
zp ik ak
kb
Fig. 569. Schnitt durch den ßlastoporus einer Gastrula von Didelphys, 10
Stunden nach Beginn der Furchung. Der Schnitt geht durch die Längsachse des
zukünftigen Embryos. Nach Selenka (1886, Taf. XVIII, Fig. 3). ak, ik äußeres
und inneres Keimbiatt. kb Keirablasenhölile, die zur Urdarnihöhle wird, u Ur-
tuund, der durch ein Gerinnsel verschlossen ist. zp Zona pellucida.
Zellenlücke", nachgewiesen werden. Selenka deutet die Stelle als
Blastoporus und bildet von ihr auch einen Durchschnitt ab, an welchem
man in der Gegend des Gerinnsels ein kleines Loch und den Ueber-
gang der äußeren in die innere Zellenschicht wahrnimmt. Auch be-
merkt er, daß sich mehrfach karyokinetische Figuren in den dem
Blastoporus zunächst gelegenen Zellen vorfanden. Auf etwas weiter
vorgerückten Stadien (Fig. 570), auf welchen sich das innere Keim-
blatt an der Innenfläche zu einem rings geschlossenen Sack aus-
breitet, ist nach den Angaben von Selenka der Ort des Blastoporus
für einige Zeit nicht mehr erkennbar, da das
rinnsei, sowie die Oeffnung verschwunden ist.
treten des Primitivstreifens wird wieder eine
früher bemerkte Ge-
Erst mit dem Auf-
ais Blastoporus zu
deutende Stelle erkennbar.
Einen ähnlichen Befund wie Selenka vom Opossum hat Keibel
(L. K. III -' 1889, p. 52) in einem Fall von einer 5 Tage alten Keimblase
vom Kaninchen erhalten, die zur Hälfte noch einschichtig war. In einem
Die Lehre von den Keimblättern.
909
Stadiiiin. welches der Bihlung des Priiiiitivstreifens beträchtlich voran-
geht, konnte er eine Verbiiuliing der beiden Schichten des zwei-
blätterigen Keimes, und zwar an einer ganz beschränkten Stelle, nach-
Fig. 570. Schnitt durch, die Mitte des Embryonalschildes einer Gastrula
von Didelphys virginica 24 Stunden nach Beginn der Eifurchung. Nach Selexka
{1886, Taf. XIX, Fig. 3). ak, ik äußeres und inneres Keimblatt, sp Zona peilucida.
weisen; ,,es scheint hier", bemerkt dazu Keibel, „ein Uebertreten
von Zellen aus der oberen in die untere Schicht stattzufinden. Ich
habe dergleichen Bilder bis dahin nicht wieder erhalten und erwähne
den Befund deswegen hier nur anhangsweise, da ich wohl weiß, daß
ein vereinzelter Befund nicht beweisend sein kann; aber zusammen-
gehalten mit den Bildern vom Opossum bei Selenka und vom Maul-
wurf bei Heape, erscheint er mir doch nicht ganz ohne Wert."
Der Befund von Heape (A. L. III ^^ 1883, Sep., p. 17) beim Maul-
wurf betrifft ein etwas älteres Stadium kurz vor dem Auftreten des Pri-
mitivstreifens. Auf dem Längsschnitt durch den ovalen Embryonalschild
(Fig. 571) zeigt sich am hinteren Rande eine sehr feine Oeffnuug,
//
ah
Fig. 571. Medianschnitt durch den Embryonalschild eines Maulwurfkeimes,
und zwar durch den Teil, in welchem sich der Primitivstreifen zu bilden begonnen
hat. Nach Heape. u Urmund. ak, ik äußeres und inneres Keimblatt. V vorderes,
H hinteres Ende.
welche die Keimblätter durchbohrt. An ihrem Rande hängen äußeres
und inneres Keimblatt untereinander zusammen und beginnen bereits
auch einige Mesoblastzellen aufzutreten. Die Oeffnung, welche von
Heape für den Vorläufer des neurenterischen Kanals gehalten wird,
ist nach innen weiter als nach außen, Hubrecht hat einen sehr
deutlichen Blastoporus an Keimen von Erinaceus und Sorex beobachtet.
Näheres hierüber ist in einem Nachtrag zum Abschnitt über Säuge-
tiere (p. 945) nachzulesen.
Endlich hat Bonnet (L. K, IIP 1897, p, 4G2) an jungen Embryonal-
schilden vom Hund Befunde gemacht, welche sich wohl den besprochenen
anreihen lassen. Oefters sah er am hinteren Rand des ovalen Em-
bryonalschildes (Fig. 572)
eine Einkerbung, welche
sprach, ferner in einiger
Durchmesser haltende, scharf umrandete Oeffnung, welche die rosetten
sah er am hinteren Rand des
eine auffallend sichelförmige
dem hinteren Ende seiner
Entfernung von ihr „eine kleine, 10 u im
Trübung und
Längsachse ent-
förmig augeordneten Ektodermzellen mit vollkommen
glatten
Flächen
910
0. Hertwig,
umgeben".
Die OeflFnunc; führt in einen kurzen, allein das äußere
Keimblatt in schräger Richtung durchbohrenden Kanal, der sich nach
abwärts trichterförmig verengt. Unter ihm geht das innere Keimblatt
geschlossen hinweg, ohne zu der Perforation in irgend eine Beziehung
zu treten. Solche Oeffnungen
hat Bonnet im ganzen 3mal an
gleichaltrigen Keimblasen beob-
achtet. Daß sie keine Artefakte,
etwa Stichverletzungen, sind, hält
er für bewiesen, einmal durch ihr
Vorkommen bei gleichen oder
nahezu gleichen Entwickelungs-
formen, weiter durch ihre Klein-
heit und endlich durch die voll-
kommen glatten Konturen der sie
begrenzenden Zellen.
Fig. 572. Das hintere Ende des
Schildes (Fig. 561), stärker vergrößert.
Nach Bonnet (1. c.Taf. XXXII, Fig. 16).
k Randkerbe, oe Oeffnung.
Ueber die Bedeutung der Befunde hat sich Bonnet mit großer
Reserve ausgesprochen. Indem er sie mit den oben beschriebenen
Bildern von Selenka, Keibel und Heape vergleicht, bemerkt er:
„Man sieht, die Bedeutung dieser in verschieden weit entwickelten
Embryonalschildeu des Opossums, Kaninchens, Maulwurfs und Hundes
beobachteten Oeffnungen ist noch nichts weniger als vollkommen klar-
gestellt. Diese Umstände zwingen zu vorsichtiger Reserve. Ich bin
im Zweifel, ob die Oeffnungen im Hundeschild mit den von anderen
Autoren gesehenen verglichen werden dürfen und was sie bedeuten"
(L. K. IIP 1897, p. 472).
Wie man aus den zusammengestellten Befunden und ihren Deu-
tungen ersieht, ist die Bildungsweise des inneren Keimblattes bei den
Säugetieren ebensowenig wie bei den Vögeln in überzeugender Weise
aufgeklärt. Auf eine Ansicht endlich, nach welcher die Gastrulation
bei den Säugetieren in ein noch späteres Stadium der Entwickelung
fallen und die hier als inneres Keimblatt gedeutete Zellenlage gar
nicht dem inneren Keimblatt des Amphioxus und der Amphibien etc.
entsprechen, sondern ein Paraderm oder Lecithophor sein soll, wird
erst in einem späteren Abschnitt eingegangen werden.
Um die Beschreibung des zweiblätterigen Keimes noch weiter zu
vervollständigen, haben wir uns zum Schluß noch mit Verhältnissen
zu beschäftigen, welche nur für einige Ordnungen der Säugetiere
charakteristisch sind, in anderen aber fehlen ; ich meine die „Rauber-
sche Deckschicht" und die durch eigentümliche Entwickelungs-
prozesse bedingte „Umkehr der Keimblätter".
Die Deckschicht und die Umkehr der Keimblätter.
Während bei vielen Säugetieren der Embryonalschild von der
ersten Zeit seiner Ausbildung an aus kubischen oder cylindrischen
Zellen, meist in einfacher Lage, besteht, wie es oben für Keim blasen
von Didelphys (Fig. 570) und vom Hund (Fig. 562) beschrieben
worden ist, findet sich in anderen Fällen auf der Außenfläche des
Die Lehre von den Keimblättern.
911
Schildes noch eine besondere Schicht großer, ganz abgeplatteter Zellen,
welche den C3dindrischen oder kubischen Elementen unmittelbar an-
geschmiegt sind und am Rand des Schildes sich in die großen, poly-
gonalen Plattenzellen der ektodermalen Keimblasenwand fortsetzen
(Fig. 573 u. 574).
Fig. 573. Schnitt durch den Embryonalschild eines Kaninchens 5 Tage nach
der Empfängnis. Nach Kölliker (L. K.' III » 1882, Tat'. IV, Fig. 28). rz Eauber-
sche Deckschicht, ak, ik äußeres und inneres Keimblatt.
ak
ik
Fig. 574. Querschnitt durch den fast kreisrunden Embryonalschild eines
Kaninchenkeims von 6 Tagen und 9 Stunden (Durchmesser 0,8 mm). Nach Bal-
rouR. ak, ik äußeres, inneres Keimblatt. Der Schnitt zeigt den eigentümlichen
Charakter der oberen Schicht mit einer gewissen Anzahl abgeplatteter, oberflächlicher
Zellen. Es ist etwa nur die Hälfte der ganzen Breite des Schildes dargestellt.
A. Rauber (L. K. III ^ 1875, p. 106) hat diese Schicht zuerst an Durch-
schnitten durch junge Keimblasen des Kaninchens entdeckt, sie der Rei-
CHERT'schen Umhüllungshaut verglichen und ihr den Xamen Deckschicht
gegeben. Er läßt sie ein vergängliches Gebilde sein, da sie auf etwas älteren
Stadien vermißt wird und, wie er annimmt, durch Abstoßung zu Grunde
geht. Die dadurch freigelegte Schicht kubischer Zellen bezeichnet er
mit Recht als das bleibende Ektoderm des Embryonalschildes, Avelchem
von unten her, durch einen Spaltraum getrennt, das dünne Entoderm
locker anliegt.
Unabhängig von Räuber hat E. Vax Bexeden in demselben Jahr (L. K.
III ^ 1875, p. 40, u. 1880) die Deckschicht an den Keimblasen des Kanin-
chens aufgefunden und auf das sorgfältigste einmal an Flächenpräparaten
mit Hilfe der Versilberungsmethode, sowie an Durchschnitten studiert ;
er verfiel aber dabei in den Irrtum, daß er in dei-- Deckschicht allein
das äußere Keimblatt vor sich zu haben glaubte und den zweiten bleiben-
den Bestandteil desselben, die Lage kubischer oder cylindrischer Zellen,
schon für den erst viel später auftretenden Mesoblast hielt. Er spricht
daher schon auf diesem frühen Stadium von einem täche embryonnaii^e oder
einem gastrodisque tridermique (L. K. III ^ 1880, p. 83). Der Sachverhalt
WTirde bald darauf durch die vortreffliche Untersuchung von Kölliker
(L. K. III 9 1882) aufgeklärt und richtig gestellt. Nur über einen neben-
sächlichen Punkt besteht noch eine Meinungsverschiedenheit, nämlich
über die Art und Weise , wie später die RAUBER'sche Deckschicht
schwindet. Während Räuber und Kölliker die Deckzellen einzeln zu
Grunde gehen und abgestoßen werden lassen, geben Balfour für das
Kaninchen und Heape für den Maulwurf an, daß sich die platten Zellen
allmählich umbilden, cylindrisch werden und sich dabei in die Schicht
der Cylinderzellen einordnen (Fig. 575). Bald nach ihrer Entdeckung
912
0. Hertwig,
wurde die RAüBEii'sche Schicht auch noch bei anderen Säugetierarten,
besonders aus den 3 Ordnungen der Insektenfresser, Chiropteren und
besonders der Nagetiere aufgefunden : so von Heape beim Maulwurf,
Fig. 575. Querschnitt durch einen Kaninchenkeim vom 7. Tage. Länge des
Schildes ungefähr 1,2 mm, Breite desselben 0,86 mm. Nach Balfour. Die in
Fig. 574 dargestellten, abgeplatteten Zellen des äußeren Keimblattes ak sind nicht
mehr vorhanden.
von KuPFFER bei Arvicola, von Selenka bei Maus, Ratte und Meer-
schweinchen, von Hubrecht bei Erinaceus, Tupaja, Sorex etc. und so
auch von anderen Forschern ( Asshetox, Rokixsox, Fräser, Duval) teils
an den gleichen, teils an noch anderen Objekten.
Eine eigentümliche Entwickelung erfährt die Deckschicht nach Unter-
suchungen von Heape (A. L. III ^^ 1883, p. 10) bei der Keimblase
des Maulwurfes. Auf frühen Stadien liegt der Furchungskugelrest als ein
runder Haufen den platten Zellen der Keimblasenwand an (Fig. 576).
Fig. 5i6.
^=ia=^>^
Fig. 577.
ak
fk
ak
Fig. 578.
dz
ik ak^
Fig. 576. Durchschnitt durch den Teil der
Keimblasenwand des Maulwurfes , welchem der
Haufen der Embryonalzellen anliegt, nach Heape
(A. L. III '« 1883, Taf. VII, Fig. 17).
Fig. 577. Durchschnitt durch dieselbe Stelle
•„ . einer etwas älteren Keimblase vom Maulwurf, nach
Heape (Taf. VII, Fig. 20).
Fig. 578. Durchschnitt durch eine Keimblase
vom Maulwurf, an welcher sich der Entoblast abge-
grenzt hat und die Erabryonalanlage zweiblätterig wird, nach Heape (Taf. VII,
Fig. 23). Siehe Bezeichnungen Fig. 581.
Wenn sich dann der Haufen zur Scheibe abplattet, erhält sich an seiner
Oberfläche die Lage der platten Zellen und stellt die RAUBER'sche
Deckschicht dar (Fig. 577). Noch etwas später läßt sich an der Innen-
fläche der Scheibe eine deutlich abgesonderte Lage kubischer Zellen
als inneres Keimblatt unterscheiden (Fig. 578). So weit gleichen die
Verhältnisse den vom Kaninchen beschriebenen. Jetzt aber tritt eine
Abweichung dadurch ein, daß über der Scheibe die Deckzellenschicht
zu wuchern beginnt (Fig. 579j. Die früher platten Zellen werden
kubisch und setzen sich durch Spalten, die mit Flüssigkeit gefüllt
Die Lehre von den Keimblättern.
913
sind, von der tieferen Grundschicht (dem bleibenden Ektoderm) ab.
An noch älteren Keiniblasen hal)en sie sich zu einem Pfropf stern-
förmiger Zellen vermehrt, der die Grundschicht ziemlich weit gegen
die Keimblasenhöhle zu einstülpt. Im Pfropf kann dabei auch ein
ziemlich großer Hohlraum entstanden sein. Schließlich aber wird dieser
eigentümliche Wachstumsprozeß rückgängig gemacht, indem sich
die eingekrümmte Grundplatte wieder flach ausbreitet (Fig. 580), der
Fig. 579.
Fig. 580.
dz dz ak^ ak
Fig. 581.
Fig. 579. Durchschnitt durch eine zweiblätterige Embryonalanlage vom Maul-
wurf mit gewucherter Deckschicht, nach Heape (Tat. VII, Fig. 24).
Fig. 580. Durchschnitt durch eine 2-blätterige Embryonalanlage vom Maul-
wurf, die älter ist als in Fig. 579 und die Deckschicht in Rückbildung zeigt, nach
Heape (Taf. VII, Fig. 27).
Fig. 581. Durchschnitt durch eine 2-blätterige Embryonalanlage vom Maul-
wurf mit ganz rückgebildeter Deckschicht, nach Heape (Taf. VII, Fig. 28).
Bezeiehmuigen für Fig. 576—581: ak äußeres Keimblatt, ak*^ formativer Bezirk
desselben, ik mneres Keimblatt, dz Deckzellen, h Höhle unter den Deckzellen, s
Zona peUucida. fk Furchungskugelrest.
Hohlraum (h) schwindet und die Deckzellen wieder als platte Gebilde
der freien Fläche unmittelbar dicht aufgelagert werden. Es entsteht
so ein Bild, wie es ungefähr auch der Embryonalschild des Kaninchens
darbietet. Auf einem noch späteren Stadium ist die Deckzellenschicht
ganz geschwunden (Fig. 581).
Ein ähnlicher Vorgang, nur in viel ausgedehnterem Maße, spielt
sich bei vielen Arten von Nagetieren ab, bei welchen die sogenannte
Handbuch der Eiitwickelungslchre. I.
58
914
0. IIertwig,
Umkehr der Keimblätter stattfindet. Die Wucherung der Deckschicht
und die zapfenartige Einstülpung des bleibenden Ektoderms erreicht
dabei viel größere Dimensionen und ^Yird vor allen Dingen nicht wieder,
wie beim Maulwurf, rückgängig gemacht.
Drei Modifikationen sind bei den Nagetieren beobachtet worden.
Am einfachsten gestaltet sich der Prozeß bei der Feldmaus (Arvicola
arvalis, Fig. 582—584), bei welcher ihn Kupffer (L. K. III •' 1882, p. 621)
Fis-. 582..
Fig. 584.
Fig. 583.
Fig. 582. Durchschnitt durch eine Keimblase der Feldmaus mit Embryonal-
schild, das in RAüBER'sche Deckschicht, Grundschicht des äußeren Keimblattes
und in inneres Keimblatt gesondert ist, nach Kupffer (L. K. III ■' 1882, Fig. 3).
Fig. 583. Durchschnitt durch eine Keimblase der Feldmaus, an welcher durch
Wucherung der Deckschicht ein Zapfen entstanden ist, der die Grundschicht des
äußeren Keimblattes und das Entoderm eingestülpt hat. Nach Kupffer (1882, Fig. 4).
Fig. 584. Durchschnitt durch ein älteres Stadium der Blätterumkehr der Feld-
maus, nach Kupffer (1. c. 1882, Fig. 5). Bezeichnungen von Kupffer. dz ein-
stülpender Zapfen der Deckzellen, rc. peripheres Ektoderm der Keimblase, ec' Grund-
schicht des li^ktoderms, die eingestülpt wird, en Entoderm. h Höhe der Keimblase.
untersucht hat. In der Gegend, die dem Enibryonalschild der übrigen
Säugetiere morphologisch entspricht, findet eine schärfere Absonderung
der Deckschicht von der Grundschicht statt (Fig. 582); sie führt schließ-
lich zur Entstehung eines breiten Spaltes zwischen beiden (Fig. 583).
Die Deckschicht, die mit dem Uterusepithel verwachsen ist, erfährt
hierauf an dieser Stelle durch Wucherung der Zellen eine erhebliche
Verdickung und geht in einen linsenförmigen Körper über, den soge-
nannten Träger von Selenka, in dessen Mitte eine kleine Höhlung
(Fig, 583) entsteht. Durch seine Entwickelung wird die den Embryonal-
schild tragende Hälfte der Keimblase wie bei der Gastrulation ein-
gestülpt, so daß nun das formative Ektoderm den Hohlraum des
Bechers auskleidet, während das ihm anliegende Entoderm nach der
Kernblasenhöhle zu konvex vorgewölbt ist. In dieser Weise sind
Verlagerungen des formativen Teiles der Keimblätter entstanden, die
Die Lehre von den Keimblättern.
915
man infolge einer irrtttmliclien Deutung der Verhältnisse als Umkehr
oder Inversion der Keimblätter bezeichnet hat. Im weiteren Verlauf
der Entwickelung wird die Einstülpung (Fig. 584) noch bedeutender,
indem die Unsenförmig verdickte Deckschicht als hohler Zapfen tiefer
in die Keimlilase hineinwächst und das formative Ektoderm vor sich
hertreibt. Schließhch zieht sich die Deckschicht aus der Höhle, die
später zur Amnionhöhle wird, zurück und bleibt an ihrem Eingang
als ein dicker Wulst von Zellen angehäuft.
Eine zweite Modifikation haben uns Selenka (1883, 1884) und
Fräser an den Keimblasen der Ratte, Maus und Waldmaus kennen
gelehrt. Bald nachdem die sehr kleine Keimblase (Fig. 585) sich an
der Uterusschleimhaut festgesetzt hat, beginnt die Deckschicht zu
wuchern und einen Zapfen, den Träger, zu bilden. Durch ihn wird
der formative Teil des Ektoblasts nach dem Centrum der Blase vorge-
trieben, wobei er sich in eine allseits abgegrenzte Epithelkugel (Fig. 586)
Fig. 587.
a-" -
Fig. 588.
am
ak*
Fig. 585. Frei in dem Uterus liegeDde Keimblase der Hausmaus, nach Seleijka
(A. L. III 1« 1883, Taf. I, Fig. 1).
Fig. 586. Eine ältere Keimblase der Hausmaus mit ausgehöhltem Träger und
Ektoderrakugel mit Amnionhöhle, nach Selenka (1. c. 1883, Tat. I, Fig. 12).
Fig. 587. Noch ältere Keimblase der Hausmaus, in welcher die falsche Amnion-
höhle des Trägers und die wahre Amnionhöhle der formativen Ektodermblase ver-
schmolzen sind, nach Selenka (1. c. 1883, Taf. II, Fig. 20).
Fig. 588. Eine ältere Keimblase der Ratte in medianem Längsschnitt. Träger
und formative Ektodermblase sind noch nicht verschmolzen. Nach Selenka (1. c. 1884,
Taf. XIV, Fig. 29). ^r Träger, /i Höhle im Träger (falsche Amnionhöhle). a/j äußeres
Keimblatt, ak* eingestülpter Bezirk desselben, der an der Bildung des Embryos teil-
nimmt, ik inneres Keimblatt, ik^ durch den Träger eingestülpter Bezirk, ik- an
der äußeren Keimblasen wand herumwachsender Teil desselben, kb Keimblasenhöhle,
die zur Urdarmhöhle wird, am wahre Amnionhöhle.
58*
91G
0. Hertwig,
umwandelt, in deren Innerm sich eine kleine Höhle, die wahre Anmion-
hühle, entwickelt. Das innere Keimblatt umzieht zu dieser Zeit deut-
hch gesondert den eingestülpten Teil des ektodermalen Zellenmaterials
und beginnt sich auch vermöge amöboider Zellen auf der entgegen-
gesetzten Hälfte der Keimblase auszubreiten, welche dem Uterusepithel
anliegt. Weiterhin entstehen auch im Träger Flüssigkeitsräume, die
untereinander zu der falschen Amuionhöhle verschmelzen. Dabei be-
ginnt die vorher deutlich erkennbare Sonderung zwischen den Zellen
des Trägers und der formativen Ektodermkugel zu schwinden, woran
sich eine Verschmelzung der wahren mit der falschen Amnionhöhle
anschließt (Fig. 587 und 588). Der eingestülpte Teil bildet daher
jetzt einen ziemlich langen Schlauch, welcher bis nahe an den ent-
gegengesetzten Pol der mittlerweile größer gewordenen und nament-
lich mehr in die Länge ausgewachsenen Keimblase heranreicht. Der
Schlauch besteht aus einer inneren Schicht hoher cylindrischer Ekto-
dermzellen und einem äußeren Ueberzug von Entoderm und läßt zwei
Abschnitte unterscheiden, den von der Ektodermkugel abstammenden
Teil, von welchem aus sich die Embryonalanlage ausbildet, und den
durch Aushöhlung des Trägers entstandenen Teil, der bis zur Placentar-
stelle heranreicht.
Die dritte Modifikation des eigentümlichen Prozesses ist endlich
beim Meerschweinchen (Fig.
589 und 590)
Fig. 590.
^^
lani
beobachtet worden. Bei
ihm ist anfangs die Keim-
blase in dieselben Be-
standteile wie bei den
bisher besprochenen Na-
getieren gesondert. Wie
bei Maus und Ratte zieht
sich das formative Ek-
toderm zu einer Epithel-
kugel zusammen. Wäh-
Fig. 589. Längsschnitt
durch eine 7 Tage alte Keim-
blase des Meerschweinchens,
nach Selenka (A. L. III ''
1884, Taf. XI, Fig. 7).
Fig. 590. Längsschnitt
durch eine etwa 9 Tage alte
längsgestreckte Keimblase des
Meerschweinchens , nach Se-
lenka (1884, Taf. XII, Fig.13).
tr Träger, h Höhle desselben.
iam Interaninionhöhle. am
Amnionhöhle der Epithelkugel.
ak* eingestülpter Teil des
äußeren Keimblattes, der an
der Em bryobild u n u tei Ini m m t.
ak nicht eingestülpter Teil
des äußeren Keimblattes. ///
als Schlauch eingestülpter Teil
des inneren Keimblattes, kb
Keimblasen- resp. Urdarm-
höhle.
rend aber ;dort die Epithelkugel bei ihrer Einstülpung mit der
Deckschicht immer in Zusammenhang bleibt, entfernt sie sich hier von
Die Lehre von den Keimblättern. 917
ihr, indem sich ein Hohlraum ausbiklet, der als Interamnionhöhle
unterschieden und schließlich sehr groß wird. Das eingestülpte innere
Keimblatt stellt somit jetzt einen Schlauch dar, an dessen Grund die
formative Ektodermkugel, an dessen Eingang die mit der Uterus-
wand verlötete Deckschicht liegt, beide voneinander getrennt durch
die geräumige Interamnionhöhle. Später wird die Ektodermkugel durch
die Entwickelung der Aiunionhöhle in eine große Blase umgewandelt,
in welcher sich an einer Stelle die Embryonalanlage zu differenzieren
beginnt.. Nachträglich wächst auch noch die Deckschicht oder der
Träger als Blase mit der falschen Amnionhöhle in den Entodermschlauch
hinein, verschmilzt aber niemals mit der von der Grundschicht abge-
leiteten Ektodermblase, sondern bleibt von ihr immer durch die an-
sehnliche Interamnionhöhle getrennt (Fig. 590).
Durch die hier kurz geschilderte, eigentümliche Einstülpung der
Keimblasenwand kommt der kleine Bezirk, aus welchem der Embryo
entsteht, also die Embryonalanlage, ganz in das Innere der Blase zu
liegen; so erhält, abweichend vom gewöhnlichen Verhalten, das äußere
Keimblatt eine konkave, das innere dagegen eine konvexe Krümmung,
wodurch in früherer Zeit die Embryologen von einer Blattumkehr zu
sprechen veranlaßt wurden.
Die Ursache für die in verschiedener Weise erfolgende, auffällige
Wucherung der Deckschicht glaubt Selenka in dem Umstand zu
finden, daß bei den betreffenden Nagetieren die Keimblaseo, die im
Vergleich zu anderen Säugetieren auffallend klein bleiben, sehr früh-
zeitig mit dem Epithel der Uterusschleimhaut in feste \^erbindung
treten und dadurch besser ernährt werden. Auf die Rolle, welche bei
der Ernährung des Embryos die oberflächliche Schicht der Keimblase
bei den Säugetieren spielt und infolgedessen andere Differenzierungen
als bei allen übrigen Wirbeltieren eingeht, hat Hubrecht ein be-
sonderes Gewicht gelegt und hat deswegen der Deckschicht und über-
haupt der ganzen oberflächlichen Lage platter Zellen der Keimblase den
Namen Trophoblast gegeben (L. K. IIIM888, p. 511, 1895, p. 18)
zum Unterschied vom formativen Epiblast, welcher am Aufbau
des embryonalen Körpers allein beteiligt ist. Die verschiedene Ent-
wickelung des Trophoblasts bei den Säugetieren hat Hubrecht in
folgenden Sätzen kurz zusammengefaßt:
„Die von mir Trojihoblast genannte Keimschicht ist für die An-
heftung des Säugetierkeimes an die mütterlichen Gewebe in erster Linie
bestimmt ; dabei entwickeln sich zu gleicher Zeit in der mannigfaltigsten
Weise lokalisierte oder über die ganze Oberfläche sich erstreckende
W'^ucherungen, welche zur Ernährung des Embryos dienen." — „Der
definitive formative Epiblast, welcher als sogenannte Keimscheibe oder
Embryonalschild auf der oberen Fläche der Keimblase hervortritt, ist
zur Zeit seines ersten Auftretens nie an der Oberfläche gelegen, sondern
immer von Trophoblastzellen überlagert."
„Die Art und Weise, wie diese Ueberlagerung des formativen Epi-
blastes durch Trophoblastzellen ein Ende nimmt, ist sehr verschieden ;
entweder entsteht zwischen Epiblast und Trophoblast ein persistierender
Raum, welcher etwas später zur Amnionhöhle wird (Erinaceus, Arvicola),
oder es tritt eine engere Verwachsimg von den Epiblasträndern mit dem
Trophoblast ein, worauf ein Durchbruch der deckenden Trophoblastzellen
erfolgt, welche letztere später zu Grunde gehen (Tupaja, Talpa, vielleicht
auch Fledermaus uud Sus scrofa domesticus), oder endlich , es \vird
918 0. IIertwig,
die trophoblastische Deckschicht oberhalb der Keimscheibe sehr erheb-
lich abgeflacht, wodurch der formative Epiblast und der Trophoblast dem
Anschein nach in engstem genetischen Verbände stehen, während in
Wirklichkeit der Verband zwischen dem peripheren Bezirk des Tropho-
blastes und seinem als Deckzellenschicht zu bezeichnenden Abschnitt auch
hier die primäre, die anfänglich kontinuierliche Verbindungsweise gewesen
ist (Lepus, Sorex)." „Der Entwickelungsgang kann eine Abkürzung erfahren,
indem die Amnionhöhle innerhalb eines vom Trophoblast verfrüht abge-
trennten Epiblastzellenhaufens spontan erscheint (Cavia, Pteropus)."
Die zweite Phase der K e i m b 1 a 1 1 b i 1 d u n g.
Ent Wickelung des P rimitiv st reife n s, des Primitiv-
knoteus, des mittleren Keimblattes und des Kopffort-
satzes.
Im Laufe der weiteren Entwickelung erfährt der Embryonalschild
bei den Säugetieren eine Reihe ähnlicher Veränderungen wie bei den
Vögeln. Dieselben sind am genauesten an Kaninchen- und Hunde-
Keimen von Van Beneden, Kölliker, Rabl, Bonnet u. a.
untersucht worden, scheinen sich aber in durchaus ähnlicher Weise
auch bei den Beuteltieren abzuspielen, wie aus der wichtigen Ab-
handlung von Selenka hervorgeht. Das Studium gerade dieser
Stadien ist bei vielen Säugetieren, wie z. B. auch beim Kaninchen,
eine Zeitlang mit etwas größeren Schwierigkeiten verknüpft. Denn
während bisher die Keimblasen sich aus der Gebärmutter leicht
isolieren ließen, ist dies jetzt nicht mehr so leicht möglich, weil das
Ektoderm der Keimblase an einzelnen Bezirken, besonders in der Um-
gebung des Embryonalschildes, mit dem Uterusepithel zu verkleben
beginnt und zur Ablösung besondere Kunstgriffe erfordert. Die Ver-
wachsung geschieht beim Kaninchen etwa am 7. Tage nach der Be-
gattuu g.
Die Vorgänge sollen in derselben Weise, wie bei Reptilien und
Vögeln, zuerst nach den Befunden an Flächenpräparaten, alsdann an
Querschnittserien beschrieben werden.
a) Das Studium von Flächenbildern.
Der Embryonalschild nimmt beim Kaninchen mehr und mehr eine
ausgesprochen ovale Form an mit einem breiteren vorderen und einem
spitzeren, hinteren Ende (Fig. 591). An diesem tritt eine sichelfömige
Trübung auf und verlängert sich allmählich nach vorn in einen medianen,
schmalen , dunkleren Fortsatz, den schon am Vogelei beobachteten
Primitivstreifen (ps). Bei seinem Auftreten ist der Primitivstreifen etwas
verschwommen und kürzer, später wird er länger und deutlicher aus-
geprägt ; er beginnt dann etwas über der Mitte des Embryonalschildes
mit einer Anschwellung, welche sich besonders scharf und dunkel im
Flächenbild, wie z. B. in Fig. 592, der Keimhaut eines Hundeeies,
markiert und eine besonders wichtige Stelle in der weiteren Entwicke-
lung darstellt. Die Anschwellung wurde zuerst von Hensen (A. L. III ^^
1876, p. 268) beachtet und als Knoten beschrieben; in der Litteratur
wird sie meist nach ihrem Entdecker als der HENSEN'sche Knoten oder
nach Bonnet's Vorschlag (L.K. IIP 1897, p. 473) als P rimitiv knoten
bezeichnet. Je mehr der Primitivstreifen deutlicher wird, tritt in seiner
vorderen Hälfte eine Rinne auf und endet am Primitivknoten in einer
Die Lehre von den Keimblättern.
919
Vertiefung, der Priiiiitivgrube, die manchmal im Flächenbild fast wie
ein die Keimliaut durchbohrendes Loch aussieht (s. Fig. 593 vom Kanin-
,, Fio-. 59L
ps
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Fig. 592.
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Fig. 591. Birnförmiger Embryonalschild eines Kaninchenkeimes von 6 Tagen
und 18 Stunden, nach KölliivEr!^ jjs kurzer Primitivstreifen. hw sichelförmiger
Endwulst. F, B vorderes, hinteres Ende.
Fig. 592. Embryonalschild mit Primitivstreifen eines Hundeeies, nach Bojtnet
(L. K. fll'' 1897, Taf. XXXII, Fig. 18). df dunkler Fruchthof. jjk Primitivknoten
des Primitivstreifens, ck Caudalknoten desselben.
chen). Eine Verdickung und Trübung am hinteren Ende des Primitiv-
streifens, wo aber eine Vertiefung fehlt, nennt Bonnet den Caudal-
knoten (Endwulst, Kölliker). Entsprechende Bilder wie vom
Kaninchen hat Selenka von Didelphys erhalten.
Auf etwas weiter vorgerückten Stadien gewahrt man bei der Flächen-
betrachtung in der Verlängerung des Primitivstreifens nach vorn vor
dem HENSEN'schen Knoten einen schmalen, dunkleren Streifen, durch
welchen das vordere Feld des Embryonalschildes in eine linke und
rechte Hälfte zerlegt wird, den in Fig. 593 dargestellten Kopffortsatz
(kf). Bald erheben sich in geringer Entfernung vor ihm die beiden
Medullarwülste, eine breite Medullarfurche einfassend. Während sie
vorn bogenförmig ineinander umbiegen, weichen sie nach hinten, all-
mählich niedriger werdend, etwas auseinander und fassen den Anfang
der Primitivrinne zwischen sich. Mittlerweile ist die ganze Embryonal-
anlage nicht unerheblich in die Länge gewachsen. Aus der ovalen ist
sie in die bekannte sohlenartige Form übergegangen (Fig 594).
manchen Säugetieren
anläge eine
Bei
Entfernung von der Embryonal-
Trübung im äußeren Keimblatt aufgetreten, so z. B. bei
ist m
einiger
dem Hund. Sie rührt daher, daß sich hier eine Verklebung mit dem
Epithel der Uterusschleimhaut ausgebildet und infolgedessen sich die
Beschaffenheit der Ektodermzellen verändert hat. Gleichzeitig werden
im Flächenbild Veränderungen in der Beschaffenheit des mittleren
Keimblattes sichtbar. Indem sein Zellenreichtum beiderseits von der
unter der Medullarfurche entstandenen Chorda, sowie beiderseits von
der Primitivrinne erheblich zunimmt, während die Blätter lateralwärts
920
0. Hertwig,
dünner werden, kommt es zur Sonderuug in eine Stammzone und eine
Parietalzone (His) oder mit anderen Worten : in eine Ursegment- und
in eine Seiteuplatte.
Fig. 593.
Fig. 594.
dO.
m
vä
jtz^}
?'-
■al!f Im^
ifr
Fig. 593. Embryonalanlage eines Kaninchens mit Priniitivstreifen, nach E.
Van Beneden, jw Primitivstreifen, kf Kopffortsatz, hk HENSEN'scher Knoten.
cn Canalis nenrentericus.
Fig. 594. Ein Kaninchenembryo mit einem Teile der Area jJellucida nach
9 Tagen. Vergr. 22mal. Nach Kölliker. ap Area pellucida. ao Area opaca. h'
Medullarplatte in der Gegend der späteren ersten Hirnblase. /(" dieselbe in der
Gegend des späteren Mittelhirns, woselbst die Kücken furche (;;/") eine Erweiterung
zeigt, h'" Medullarplatte in der Gegend der s^jäteren dritten Hirn blase, hz Anlage
des Herzens, sa Stammzoue. j^t Parietalzone. pr Rest des Primitivstreifens.
Ferner ent^Yickeln sich
segmentpaare, auf welche
werden wird.
jetzt nacheinander
im letzten Abschnitt
die einzelnen Ur-
näher eingegangen
b) Die Ergebnisse von Q u er schnitt serien.
Erste Periode. Querschnitte von Primitivstreifen und Kopf-
fortsatz während ihrer ersten Anlage.
Indem wir zu der Untersuchung von Schnitten übergehen, wollen
wir mit der Beschaffenheit des Embryonalschildes vor dem Auftreten des
Primitivstreifens, also am Ende der im ersten Abschnitt besprochenen
Periode beginnen. Für das Kaninchen geben hier wohl alle Forscher
in übereinstimmender Weise an, daß äußeres und inneres Keimblatt
überall dui'ch einen Spaltraum (Fig. 573 und 574) deutlich voneinander
gesondert sind. So bemerkt Räuber (L. K. IIP 1875, p. 107): „Die
Verbindung des Entoderm mit dem Ektoderm ist eine sehr lockere.
Bei vielen meiner Präparate hat sich das Entoderm von dem Ekto-
derm über weite Strecken hin, ja vollständig getrennt, ohne daß die
Die Lehre von den Keimblättern.
921
Integrität beider Blätter dadurch irgend gestört worden wäre. Auch
ist an keiner Stelle etwa im Centrum der Keimscheibe, die \'er-
bindung eine festere, sondern überall ist das eine Blatt dem anderen
zart angelegt oder von ihm durch einen feinen Spalt geschieden.''
In ähnlicher Weise spricht sich Kölliker für eine durchgehende
Trennung aus. Auch Rabl (L. K. III ^ 1892*) bemerkt von seinen
Untersuchungen (3 Tage alter Kaninchenkeimblasen : „Eine Verbindung
beider Schichten konnte ich an meiner Serie nirgends wahrnehmen.
Meine Beobachtungen stimmen also in allen Punkten mit denen Köl-
liker's überein'' (1. c. p. 29).
Nun wurden aber früher von mir Befunde an jüngeren Keim-
blasen von Kaninchen, Maulwurf, Didelphys mitgeteilt, nach welchen
auch bei Säugetieren ein Blastoporus, also eine Stelle, an welcher
äußeres und inneres Keimblatt durch Umschlag ineinander übergehen,
vorkommen soll. Wenn diese allerdings noch vereinzelten Angaben
richtig sind, so müßte im Falle, daß später überall eine scharfe Trennung
besteht, der einst vorhandene Zusammenhang sich wieder gelöst haben.
Hierfür sprechen Angaben von Selenka und Heape. Selenka teilt
mit, daß er an Keimblasen eines gewissen Alters die durch ein Eiweiß-
gerinnsel ausgezeichnete Stelle des Blastoporus nicht mehr habe auf-
linden können^ und Aehnliches meldet Heape vom Maulwurf, für die
Zeit, wo der Primitivstreifen sich ausbildet, vermutet aber dabei zu-
gleich, daß der an seinem vorderen Ende gelegene HENSEN'sche Knoten
der Ort sei, wo früher der Blastoporus vorhanden gewesen sei. Um
in der Frage volle Klarheit zu schaffen, ist noch eine besondere auf
sie gerichtete Untersuchung notwendig, welche sich auf eine größere
Anzahl verschiedener Säugetierarten erstreckt.
Wenn wir nach diesen Vorbemerkungen zur Entwickelung des
Primitivstreifens übergehen, so nimmt dieselbe, wie Querschnitte deut-
lich zeigen, vom äußeren Keimblatt ihren Ausgang. Ueberall,
wo im Flächenbild eine Trübung aufgetreten ist, hat eine lebhaftere
Vermehrung der Ektoblastzellen stattgefunden. Kernteilungsfiguren
werden in diesem Bezirk des Embryonalschildes in größerer Anzahl
angetroffen. Gleichzeitig findet eine Auflockerung im Verbände der
Ektoblastzellen statt, welche amöboide Formen annehmen, an der
Fig. 595.
Fig. 595. Querschnitt durch das Embryonalschild eines Kaninchens mit dunklem
Caudallinoten und sehr kurzem Primitivstreifen (s. Flächenbild),, 6 Tage 18V, Stunden
nach der Begattung). Nach Kölliker (L. K. III » 1882, Taf. IV, Fig. 32j.
Fig. 596. Schnitt durch den Primitivstreifen eines birnförmigen Embryonal-
schildes von Didelphys virg., nach öelexka (A. L. Uli" i.ssii, Taf. XIX, Fig. 9).
ak, ik, mk äiüJeres, inneres, mittleres Keimblatt, ^jr Primitivstreifen.
922 0. Hertwig,
unteren Fläche des äußeren Keimblattes heraustreten und dadurch an
ihr eine kielförniige Verdickung erzeugen (Fig. 595). Querschnitts-
bilder dieses frühesten Stadiums der Primitivstreifenbildung geben uns
Hensen und Kölliker vom Kaninchen (Fig. 595), Selenka von
Didelphys (Fig. 596). An etwas älteren Embryonalschildern hat die
Zellvermehrung und Verdickung des Primitivstreifens zugenommen,
gleichzeitig aber beginnt zu seinen beiden Seiten das neuproduzierte
Zellenmaterial sich in dem Spaltraum zwischen den beiden Grenz-
blättern auszubreiten und die dritte Schicht des Keimes zu erzeugen.
Der Mesoblast besteht ganz am Anfang aus einer einfachen, bald
darauf aus einer doppelten Zellenlage und dringt als geschlossenes
Blatt von seinem Ursprungsort aus zwischen äußeres und inneres
Blatt hinein, überall von beiden durch einen deutlichen Spalt getrennt.
Mit der Vermehrung der Zellmasse am Primitivstreifen schneidet von
außen in sie eine tiefe Rinne ein, die schon im Flächenbild beschrie-
bene Primitivrinne (Fig. 593 2:^), und zerlegt die Zellwucherung in die
Primitivwülste oder Primitivlippen. Auch dringt, wie Durchschnitte,
besonders durch den HENSEN'schen Knoten lehren, am Grund der
Rinne noch ein feiner Spalt zwischen die beiden Zellenlagen des
mittleren Keimblattes nach links und rechts eine kurze Strecke weit
hinein.
Zur Veranschaulichung dieser Verhältnisse gebe ich einige Quer-
schnittsbilder durch Primitivstreifen vom Kaninchen und vom Schwein
nach Rabl und Keibel.
Fig. 597 giebt einen Querschnitt durch den HENSEN'schen Knoten,
welcher eine ansehnliche Erhebung am Vorderende des Primitiv-
streifens darstellt und in
Fiti. .')97. der Mitte eine sehr deut-
liche, ziemlich tiefe, aber
sehr schmale Einsenkung
oder Grube zeigt. ,,Vom
Fig. 597 und 598._ Zwei
Querschnitte durch die Em-
bryonalanlage eines 7 Tage
Fig. 598. ^ Stunden alten Kaninchen-
- " ' keinis, nach Rabl (1892,
^ ,- . ' ;Vi^ Taf. IX, Fig. 3 u. 4), Fig. 597
_ -^'^ */ I * öj -^- *-Ä^*|^^r-->-~, durch den Primitivknoten,
k*«^A»^^«%J!* V*^2^^^ Flg. 598 durch den vorderen
*^^J*^« -^ ^j^I^**"^--^***^'^ Teil des Primitivstreifens, 13
«»•.»....# -^ " "®^ '"^ --^ .J2£! '*'•- Schnitte hinter dem Knoten.
Boden und den Wänden dieser Grube erstreckt sich die mittlere Schicht,
anfangs 2 Zellen dick, dann über die Area hinaus sich verdünnend late-
ralwärts." 13 Schnitte weiter nach hinten von dem Schnitte durch den
HENSEN'schen Knoten giebt Fig. 598 ein Bild von der Beschaffenheit
des Primitivstreifens. Er enthält eine wenig tiefe und von wenig
vorspringenden Primitivwülsten eingefaßte Primitivrinne, mit deren
Boden wieder das mittlere Keimblatt auf das innigste zusammenhängt.
In der hinteren Hälfte des Primitivstreifens ändert sich das Bild nur
insoweit, als die Rinne ganz schwindet. Am Caudalknoten endlich
ist der innige Zusammenhang zwischen äußerem und mittlerem Keim-
blatt am breitesten. Auf Grund der Durchmusterung der lückenlosen
Querschnittserie, welcher die Figuren entnommen sind, sowie einer
Die Lehre von den Keimblättern. 923
Serie durch ein etwas jüngeres Stadium stellt Rabl einen Zusammen-
hang des mittleren Keimblattes mit dem unteren, aus sehr platten
Zellen bestehenden Keimblatt auf das bestimmteste in Abrede; ein
solches sei an anderen Stellen der Keim Scheibe ebensowenig nach-
weisbar gewesen, wie an den abgebildeten Präparaten (Fig. 597 u. 598).
Auf einem entsprechenden Stadium vom Primitivstreifen des
Schweines (Fig. 599) bildet Keibel ebenfalls das innere Keimblatt
als eine für sich selbständige
Schicht ab ; zugleich macht er auf pr' mk
einen Y-förmigen Spaltraum auf-
merksam, der sich in der Mitte der
Fig. 599. Qiier8chnitt durch die
Keimscheibe eines öchweineeiiibryos mit
Primitivstreifen, nach Keibel (L. K.
III 9 1894, Taf. I, Fig. 6). ak; ik, mk
äußeres, inneres, mittleres Keiml:)latt. ^;»r' Höhle im Primitivstreifen.
Mesoblastmasse in der Gegend der Primitivrinne befindet. „Von den
Schenkeln dieses Spaltraumes ist der eine der OberHäche der Keimscheibe
zu gerichtet, erreicht sie aber nicht, weil in der Nähe der Oberfläche die
beiden Ektoblastlagen schon zur festen Aneinanderlagerung gekommen
sind. Die beiden anderen Fortsätze des Spaltes gehen jeder eine Strecke
seitlich in den Mesoblast und teilen ihn so in eine dorsale und eine
ventrale Masse." Keibel hält es für naheliegend, in dieser Anord-
nung Reste einer typischen Cölombildung zu sehen, wie er auch im
seitlichen Mesoblast, ebenso wie Rabl, „schon frühzeitig eine Zellen-
anorduung nachweisen kann, welche ohne daß ein wirklicher Spaltraum
vorhanden ist, einer Gruppierung in visceralen und parietalen Meso-
blast zu entsprechen scheint''.
Hinsichtlich des Ursprunges des mittleren Keimblattes bei den
Säugetieren stimmen jetzt wohl, von einzelnen Ausnahmen abgesehen,
alle Beobachter der Darstellung bei, welche zuerst Kölliker gegeben
hat. Danach ist die Bildungsstätte des mittleren Keimblattes, wie bei
den Vögeln, einzig und allein der HENSEN'sche Knoten, der Primitiv-
streifen und der Caudalwulst, also der Bezirk, in dessen Bereich ein
Zusammenhang mit dem äußeren Keimblatt stattfindet und, wie leicht
festzustellen ist, sich auch zahlreiche Teilungsfiguren nachweisen lassen,
welche einen Rückschluß auf eine sehr lebhafte Zellvermehrung an
diesem Orte zulassen. Namentlich aber ist der HENSEN'sche Knoten
als ein Haiaptbildungsherd zu betrachten. Von diesem centralen Ur-
sprung aus breitet sich das mittlere Keimblatt in dem Zwischenraum
zwischen den Grenzblättern Aveiter nach der Peripherie aus, wobei es
nirgends irgendwelche neue Bezüge an Zellmaterial weder vom äußeren
noch vom inneren Blatt bezieht.
Von dem Kopffortsatz, welcher uns jetzt noch näher zu
untersuchen bleibt, lehren Querschnittserien, daß sein Auftreten durch
ein Zellmaterial hervorgerufen wird, welches sich vom HENSEN'schen
Knoten aus nach vorn frei in den Raum zwischen den beiden Grenzblättern
ausgebreitet hat, ohne zunächst weder mit dem einen noch mit dem
anderen irgend eine Verbindung einzugehen. Ueber letzteren Punkt
geben zahlreiche Forscher übereinstimmende Angaben für verschiedene
Säugetiere: Kölliker (1882. p. 35) und Rabl (L. K. III ^ 1892*. p. 32)
für das Kaninchen, Lieberkühn (1882), Strahl, Carius, Keibel
(L. K. IIP 1889, p. 19) für das Meerschweinchen, letzterer auch für
U24 0. Hertwig,
das Schwein, Van Beneden (1888, p. ()75, 710) für die Fledermaus,
Bonnet für das Schaf (1889, p. G5). Angaben in der Litteratur, daß
der Kopffortsatz mit dem inneren Keimblatt verschmolzen sei, erklären
sich in einfacher Weise daraus, daß die betreffende Untersuchung sich
auf ein späteres Stadium bezieht und das erste Auftreten nicht be-
rücksichtigt hat.
„Wenn bei manchen Säugetierarten", bemerkt Keibel (1889, p. 18)
mit Recht, „ein freier Kopffortsatz noch nicht gefunden ist, so werden
wir eben auch daran denken müssen, daß die Zeit, in welcher ein
solcher zu finden ist, oft eine sehr kurze ist."
Die Fig. (300 zeigt uns einen (Querschnitt durch das hintere Ende
des Kopffortsatzes vom Kaninchen, von welchem schon früher auch
Fig. 600. Querschnitt durch den Kopffortsatz eines 7 Tage 3 Stunden alten
Kaninchenkeimes, welchem auch die Figg. 597, 598 angehören. Nach Rabl (L. K.
III 1 1892, Taf. IX, Fig. 2).
Durchschnitte durch den HENSEN'schen Knoten und Primitivstreifen be-
schrieben worden sind. Man sieht, wie die vom HENSEN'schen Knoten
nach vorn gewachsene, mittlere Schicht in der Mitte erheblich dicker
ist, als an den Seiten. Die Verdickung ist eben die Partie, welche
im Flächenbild als dunkler Streifen erscheint und als Kopffortsatz be-
zeichnet wird. An ihm lassen nach der Darstellung von Rabl (1892*,
p. 32) die dorsalen Zellen einen mehr epithelialen Charakter erkennen
und bilden eine Art Platte, während die tieferen und zahlreicheren
Zellen unregelmäßigere Formen aufweisen. „Zwischen beiden Teilen
ist ein, übrigens nicht sehr deutlicher, schmaler Spaltraum vorhanden.
Dieser dürfte wohl als erste Andeutung des später zu ])esprechenden
Chordakanales aufzufassen sein. Die Seiteuteile der mittleren Schicht,
welche mehr oder weniger deutlich aus 2 Lagen zusammengesetzt ist,
stehen sowohl mit der dorsalen Platte als auch mit der ventralen
Zellmasse des Kopffortsatzes in Verbindung. Ein Zusammenhang der
mittleren Schicht mit der unteren, aus sehr platten Zellen bestehen-
den ist hier ebensowenig wie an anderen Stellen der Keimhaut nach-
weisbar. Je weiter man den Kopffortsatz nach vorn verfolgt, um so
niedriger erscheint er, bis er nur aus 2 Zelllagen besteht und schließ-
lich als besonderer Teil der mittleren Schicht verschwindet."
Zweite Periode. Querschnitte von weiter entwickelten Primitiv-
streifen mit Kopffortatz.
In der zweiten Periode vollzieht sich ein sehr wichtiger Vorgang
in der Entwickelung der Säugetiere. Das untere Keimblatt, welches auf
dem vorausgegangenen Stadium von den über ihm gelegenen Gebilden
überall getrennt war, beginnt jetzt mit ihnen in einem kleinen Bezirk
fest und untrennbar zu verschmelzen, und zwar 1) am HENSEN'schen
Knoten und dem vordersten Ende des Primitivstreifens und 2) längs
des Kopffortsatzes. Zahlreiche Widersprüche in den Litteraturaugaben,
ob inneres und mittleres Keimblatt an den genannten Stellen von-
einander getrennt oder verschmolzen sind, erklären sich leicht daraus,
Die Lehre von den Keimblättern. 925
daß die widersprechenden Angaben sich auf jüngere nnd ältere Stadien
beziehen, auf denen eben der Sachverhalt ein verschiedener ist.
Früher ist dieser Umstand nicht in Rechnung gezogen worden.
So bestritt Kölliker (1882, p. 35, 36) mit Entschiedenheit die Angaben
von Hexsex (1876, p. 270 und 352) und Lieberküux, daß der sich ent-
wickelnde Mesoblast sowohl mit dem äußeren, wie mit dem inneren
Keimblatt am Primitivknoten verschmolzen sei, gestützt auf die jüngsten
Stadien der Entwickelung des Primitivstreifens, während Hexsex und
LiEBERKüHx die anfangs bestehende, von Kölliker richtig gesehene
Trennung nicht erkannt hatten. Auch in den verschiedenen Auflagen
meines Lehrbuches habe ich den Umstand, daß man in der Beziehung
des inneren Keimblattes zum mittleren ein kurz vorübergehendes Stadium
der Trennung und ein Stadium der Verschmelzung unterscheiden müsse,
unberücksichtigt gelassen.
Als erster hat Hexsex (1876, p. 270, 353) den wichtigen Zusammen-
hang beobachtet. Von Durchschnitten durch Embr3^onalanlagen vom
Kaninchen, an denen zwar schon ein langer Kopffortsatz, aber noch kein
Ursegment gebildet worden war, giebt er an, daß sich am Knoten das
untere vom mittleren Keimblatt nicht abgrenzen lasse. Auch auf
mechanische Weise durch Präparation des Diu-chschnittes war es nicht
abzulösen. „Es haftete", erzählt Hexsex, „so fest an dem ziemlich
resistenten Knoten, daß am Hinterende die Keimhaut wiederholt ab-
riß, und als dann mit dem vorderen Ende des Hypoblasts der Versuch
fortgesetzt wurde, brach er am Knoten aus, ohne daß sich unter diesem
ein Stratum hätte ablösen lassen. Ich habe nach diesen und anderen
Erfahrungen die Ueberzeugung gewonnen, daß sowohl äußeres wie inneres
Keimblatt mit dem an genannter Stelle entstehenden Mesoblast untrennbar
verwachsen sind." Ebenso beschreibt und bildet Heape (A. L. III ^^ 1883)
beim Maulwurf eine Verschmelzung aller 3 Keimblätter im vorderen Bereich
des Primitivstreifens ab, und auf das bestimmteste hält Lieberkühx (L. K,
III 9 1882, p. 405) dem Einwurf von Kölliker gegenüber die That-
sache aufrecht, daß beim Maiilwurf am Primitivstreifen eine Abgrenzung
des inneren Keimblattes nicht vorhanden ist; selbst für die stärksten
VeroTößerunffen sei das Bild eben ein anderes als beim Kaninchen. Also
bleibe die Thatsache bestehen, daß eine Verschmelzung des axialen Meso-
blasts mit dem Entoblast vorkommt (1. c. 1882, p. 429).
Den Hergang der Verschmelzung beschreibt, wie mir scheint, in zu-
treffender Weise, Bonnet (L. K. III " 1889, p. 39, 41) für verschieden
alte Embryonalschilde vom Schaf. „Am 12. Tage nach der Begattung",
heißt es bei ihm, ,, entsteht etwas excentrisch von der Schildmitte und
näher dem caudalen Ende desselben, in dem noch zweischichtigen
Schilde eine kleine knotenförmige Ektoblastverdickung, die zunächst
die dorsale Fläche des Entoblasts noch nicht erreicht, der Primitiv-
knoten. Nachträglich verlötet dessen konvexe untere Fläche mit dem
Entoblast. Ueber dem Primitivknoten findet sich eine Ektoblastein-
stülpung, die Primitiv grübe. Durch die sagittal- und caudalwärts
vom Primitivknoten aus in linearer Richtung weiterschreitende, leisten-
förmige Verdickung des Ektoblasts bildet sich der beim Schafe in
craniocaudaler Richtung wachsende Primitivstreif etc." „Seine untere
Fläche verlötet ebenfalls in craniocaudaler Richtung mit dem Darm-
entoblast. Letzterer bleibt jedoch durch die scharfe Abgrenzung seiner
Zellen und ihre meist intensivere Tinktion als selbständige Lage er-
926
0. Hertvvig,
kennbar. Nun hängen also im Bereich des Knotens und der Gastrula-
leiste — (so nennt Bonnet auch den Primitivstreifen) — alle in der
Achse des Embryos gelegenen Zellen der beiden primären Keimblätter
und des Mesoblasts untereinander zusammen."
Nachdem die Verbindung einmal hergestellt ist, bleibt sie, solange
sich noch ein Primitivstreifen findet, in seinem vorderen Ende (Hensen-
scher Knoten, Canalis neurentericus) bestehen. Die Verhältnisse liegen
fortan bei den Säugetieren genau so wie bei Reptilien und Vögeln. Als
Beleg verweise ich auf die Abbildungen, die Rabl (L. K. III ^ 1892*, p. 37)
von Querschnitten durch die Embryonalanlage eines Kaninchens mit
5 Ursegmenten giebt, und auf seine daran geknüpften Bemerkungen.
An einem Schnitt durch den HENSEN'schen Knoten (Fig. 601) kann es
Fig. ()01.
Fig. 602.
Fig. 601 und 602. Zwei Querschnitte durch den Priniitivstreifen eines Kaninchen-
keims mit 5 Ursegmenten, nach Eabl (1892, Taf. IX, Fig. 8 und 9). Plg. 601 Schnitt
durch den Primitivknoten,'
des Primitivstreifens.
Fig. 602 durch einen weiter nach hinten gelegenen Teil
für ihn keinem Zweifel unterliegen, daß hier alle 3 Keimblätter in der
innigsten Verbindung stehen. „Dem Ektoderm fehlt nicht allein eine
scharfe untere Grenze, sondern es wuchern seine Zellen geradezu in
den Knoten hinein. Das Entoderm zeigt eine Besonderheit, insofern
es in der Mitte von unten her merklich eingebuchtet ist. Gegen diese
Einbuchtung konvergieren die Zellen des Mesoderms in der in der
Figur angegebenen Weise. Das Mesoderm steht im Bereiche des
Knotens ebensow'ohl mit dem Entoderm wie mit dem P^ktoderm in
Verbindung. Die geschilderten Verhältnisse sind aber nur in einer
verhältnismäßig kurzen Strecke zu finden. Ich kann sie nur an höchstens
10 Schnitten der betreffenden Serie sehen." Nach hinten von dieser
Verwachsungsstelle ist im größeren Teil des Primitivstreifens das mittlere
Keimblatt einzig und allein mit dem äußeren verschmolzen (Fig. 602).
Der Entoblast zieht unter ihm als vollkommen selbständige Schicht
hinweg, durch einen deutlichen Spaltraum von ihm getrennt.
An Querschnittsserien durch ältere Stadien des Primitivstreifens er-
hält man bei verschiedeneu Säugetierarten Befunde, welche für die Ansicht
sprechen, daß dieses embryonale Organ ein in die Länge ausgezogener
Urmund sei, an dessen Rändern die verschiedenen Keimblätter durch
Umschlag ineinander übergehen und dabei teilweise in einer Naht-
linie verschmolzen sind. Einige Beispiele, auf welche ich in meinem
Lehrbuch der Entwickelungsgeschichte ein besonderes Gewicht gelegt
habe, mögen auch hier Platz finden: Nach Untersuchungen von Heape
am Maulwurf (Fig. 603) schneidet in die kleinzellige Masse des Primitiv-
streifens eine Rinne tief hinein. In ihrer Umgebung sind alle 3 Keim-
blätter untereinander verschmolzen ; erst seitlich sind sie durch deut-
liche Spalten gesondert und ein jedes an seiner charakteristischen
Die Lehre von den Keimblättern.
927
Zelleuart kenntlich, das äußere an den hohen, das untere an den
stark abgeplatteten und das mittlere an den kleinen, mehr kugeligen
oder polygonalen Zollen.
Durch besondere Klarheit zeichnen sich namentlich die Bilder aus,
welche Van Beneden von Embryonalanlagen des Kaninchens erhalten
hat. An der tief einschneidenden Primitivrinne (Fig. 603) hängen alle
pr
ak
mk
ik
Fig. 603. Querschnitt durch die Embryonalanlage eines Maulwurfes, mit
Medullarplatte und Primitivstreifen, nach Heäpe. Der Sclinitt ist durch die Primitiv-
rinne geführt, ak, ik, mk äußeres, inneres, mittleres Keimblatt, pr Primiti\Tinne.
m^•'- mk^
Fig. 604. Querschnitt durch die Primitivrinne eines Kaninchenkeims, nach
Ed. Van Bekeeen. ak, ik, mk äußeres, inneres, mittleres Keimblatt, mk^, mk- parie-
tale und viscerale Lamelle des letzteren, vi Primitivfalten (seitliche Urmundlippe).
pr Primitivrinne.
td d
mk
ik —
Fig. 605. Querschnitt durch die Primitivrinne des Kaninchens mit Dotter-
pfropf (d) zvpischen den beiden seitlichen Urmundlippen (id), nach Cärius. ak äußeres,
ik inneres, mk mittleres Keimblatt.
durch eine gemeinsame
3 Keimblätter eine Strecke weit untereinander
Zellenmasse zusammen. Dabei kann man mit ziemlicher Deutlich-
keit bemerken, wie das äußere Keimblatt sich an der Primitivfalte in
das parietale Mittelblatt umbiegt, während das viscerale Mittelblatt in
das einschichtige Darmdrüsenblatt übergeht. In
einigen
Fällen beob-
achteten Van Beneden und Carius bei Embryonen von Kaninchen
928
0. Hertwig,
iieurentericus bezeichnet
dem inneren Keimblatt
längs dieser Naht
(Fig. 605) und Fledermäusen sogar einen zapfenartigen Vorsprung,
welcher vom mittleren Keimblatt ans in den Zwischenraum zwischen
den beiden Primitivfalten wie ein Keil hineinspringt und ein Quer-
schnittsbild erzeugt, welches eine große Aehnlichkeit mit dem Dotter-
pfropf der Ami)hibien darbietet. Während Van Beneden auch diesen
Vergleich zieht, hat Keibel allerdings das Bedenken geltend ge-
macht, daß bei den Amphibien der Dotterpfropf vom ventralen Darm-
entoderm ausgehe und später auch in die Begrenzung der ventralen
Darmwand einbezogen werde, daß dagegen bei den Säugetieren der
in die Primitivrinne eindringende Fortsatz vom Mesoderm abstamme
und keinesfalls Material für die ventrale Darmwand liefere.
Wir wenden uns jetzt zu den wichtigen V^eränderungen, die sich
in der zweiten Periode am Kopffortsatz des Primitivstreifens ab-
spielen und ein Pendant zu den vom Mesodermsäckchen der Reptilien
beschriebenen Befunden liefern. Die Veränderungen lassen sich kurz
dahin zusammenfassen: Der Kopffortsatz bekommt in seinem Innern
eine Höhlung, die meist als Chordakanal, zuweilen auch als Canalis
wird; seine untere Wand, nachdem sie mit
eine Verschmelzung eingegangen ist, reißt
dadurch wird jetzt der Chordakanal seiner
nach in den unter dem inneren Keimblatt gelegenen Raum
eröffnet. Bei den einzelnen Säugetierarten machen sich kleine \'er-
schiedenheiten in dem Ablauf der genannten Vorgänge bemerkbar,
so daß man zwei Typen unterscheiden kann.
In dem einen Typus bleibt der Chordakanal eng und kurz und
stellt eine wenig auffällige Bildung dar; es hängt dies wohl haupt-
sächlich damit zusammen, daß gleich auf die Verschmelzung seiner
unteren Wand mit dem inneren Keimblatt „die Eröffnung des Chorda-
kanals'' in die Darmhöhle erfolgt. In dem zweiten Typus ist der
Chordakanal viel weiter und zugleich länger, bleibt während eines
größeren Zeitraumes bestehen und fällt daher bei der Untersuchung
von Querschnittserien dem Beobachter sofort als eine eigentümliche
Bildung auf; es wird diese Modifikation wohl hauptsächlich dadurch
hervorgerufen, daß der Verschmelzung mit dem Darmdrüsenblatt die
Eröffnung des Kanals nicht gleich nachfolgt und daß daher zuvor
auszuwachsen und sich
ein
Länge
Kanals nicht
der Kopffortsatz Zeit hat, zu
dabei auszuhöhlen.
Beispiele der ersten Art
ninchen, Schaf, Schwein etc.
gleich
größerer
nachfolgt
Länge
bieten uns Embryonalanlagen von Ka-
dar. Aus einer Querschnittserie, die
BoNNET (L. K. III'' 1884, p. 217, 218; 1889, p. 71) vom Embryonalschild
eines Schafes mit Kopffortsatz ohne Ursegmente erhalten hat, sind die
Figuren 600— (308 entnommen. Wenn wir mit der Durchmusterung
P.R.
Fig. 606—608. Drei Querschnitte durch den Primitivstreifen und Kopffortsatz
einer Keimhaut des Schafes. Nach Bonnet (L. K. III •' 1884, Taf. XI, Fig. 61,60, 58.)
Fig. 606. Schnitt durch die Primitivgrube.
Die Lehre von den Keimblättern.
929
zei^t
der Serie von hinten beginnen, so
schnitt durch den HENSEN'schen Knoten,
rinne sich nach unten zu einem runden,
uns Fig. 600
in welchem
von radiär
einen Durch-
die Primitiv-
angeordneteu
Fig. 607.
Chordakanal.
Nachfolgender Schnitt durch den Knoten mit Urmundnaht und
Fig. 608, Fünf Schnitte weiter nach vorn durch die EröffnungssteUe des
Chordakanals.
der Anfang
Epithelzellen umgebenen Hohlraum erweitert; dieser ist
eines engen Kanals, \velcher sich auf einer kleinen Zahl von Schnitten
durch den Anfang des Kopffortsatzes weiter verfolgen läßt, wie z. B.
in Fig. 607. 5 Schnitte weiter nach voi-n (Fig. 608) sieht man den
engen Chordakanal sich in die Darmhöhle öffnen. Eine Rinne springt
jetzt in den Kopffortsatz ein, der sich in den nächsten Schnitten der
Serie vorübergehend noch einmal schließt, um sich dann abermals zu
öffnen. Bei manchen Keimhäuten war zwar ein kurzer Kanal im
Kopffortsatz, aber keine Ausmündung an der Obertiäche des Hensex-
BüNNET zieht aus seiner Untersuchung
ziemlich frühem Ent-
er vergleicht ihn dem Canalis neurentericus der Reptilien
sehen Knotens nachzuweisen.
das Endergebnis, daß auf vorübergehendem,
Wickelungsstadium „ein auf der Knotenoberfläche sich einsenkender,
den Kopffortsatz des Primitivstreifens durchsetzender Kanal, w^enigstens
auf kurze Zeit, die Darmhöhle mit der später in die Bildung des
Medullarrohres einbezogenen Knotenoberfläche des Primitivstreifens
verbindet'
und Vög€
Beispiele für den zweiten Typus liefern uns Meerschweinchen
und Fledermaus, bei denen sich der Chordakanal durch ungewöhn-
liche Länge und Weite auszeichnet. Vom Meerschweinchen beschreibt
uns LiEBERKÜHN (18S2, p. 412—415) eine Querschnittserie durch
einen Embryonalschild mit Primitivstreifen und langem Kopffortsatz
vor dem Auftreten des ersten ürsegraents (Fig. 609—613). Wenn
wir mit der Betrachtung der Serie von hinten beginnen, so sehen wir
den Kopffortsatz (Fig. 609) an der Stelle, wo er aus dem Hensen-
sclien Knoten hervorgeht, vom seitlichen Mesoblast schon deutlich
abgegrenzt mit einem sehr engen Spalt im Innern, der von radiär
angeordneten Zellen umgeben ist. Eine Ausmündung desselben an
der Oberfläche des Embryonalschildes, wie beim Schaf, ist hier nicht
nachweisbar. Das innere Keimblatt ist der unteren Fläche des Kopf-
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 59
930
0. Hertwig,
fortsatzes dicht angeschmiegt, aber noch abzugrenzen. Einige Schnitte
weiter nach vorn hat sicli der Spalt zu einem ansehnlichen Kanal
ausgeweitet (Fig. GIO), Die ganze Bildung sieht, wie Lieberkühn
Fig. 609.
Fi-, (il
'^=Crri
ik ink ak
rry^ftr^rSl «*
mk ik dl ch
Fig. 612.
Fig. 610.
ch mk ik ak
.■*-. '.
V:
:>—
.rvi^?:-'^
ik ink ch dl
Fig. 613.
dl
ch ak
Fig. 609—613. Querschnitte durch den Kopffortsatz des in Fig. 614 abge-
bildeten Embryonalschildes vom Meerschweinchen. Nach Lieberkühn (L. K.
III 9 1882, Taf. XX, Fig. 25—29).
Fig. 609. Anfang des Kopffortsatzes dicht vor dem HENSEN'schen Knoten.
Fig. 610. Einige Schnitte weiter nach vorn. Weiter Chordakanal.
Fig. 611 u. 612. Eröffnung des Chordakanals entsprechend dem großen Fleck
in Fig. 6U.
Fig. 613. Verbreiterung der Chordaplatte weiter nach vorn.
ak, ik, mk äußeres, inneres, mittleres Keimblatt, ch Chorda, dl L'x'darmlippe.
sich ausdrückt, der des geschlossenen Medullarrohres sehr ähnlich.
Dann kommt eine Gegend, wo entsprechend einer schon in Fig. G14 zu
sehenden Einkerbung der Chordakanal sich nach unten zu einer Rinne
geöffnet hat (Fig. 611). An den Rinnenrändern {dl) schlägt sich die
eröffnete Kanalwand in das aus abgeplatteten Zellen zusammengesetzte
innere Keimblatt um. Lieberkühn bemerkt hierzu, „wenn man
nicht anderweit wüßte, daß es sich um die Eröffnung einer Röhre
handelte, so würde man ebenso gut an die Schließung einer solchen
denken können; das Bild erinnert lebhaft an die Schließung der
Rückenfurche". Weiter nach vorn (Fig. 612) wird die Rinne breiter,
und ihre Wand ist vom seitlichen Mesoblast nicht mehr abzugrenzen.
Endlich breitet sich die Chordaanlage (ch) zu einer etwas dünneren,
breiten Platte aus, die seitwärts mit mittlerem und innerem Keimblatt
zusammenhängt (Fig. 613).
Wie Lieberkühn ferner festgestellt hat, findet beim sehr langen
Chordakanal des Meerschweinchens eine Eröffnung gleichzeitig an
Die Lehre von den Keimblättern.
931
verschiedenen Stellen statt. Man kann das schon bei schwacher \ov-
größerung- am Flächenbilde des Enibryonalschildes sehen, welches in
die oben beschriebene (,)nerschnittserie zerlegt wni'de. In der Fig. ()14
ist der Chordakanal nach der Beschreibung Lieberküiin's ..nicht mir
in erheblicher Länge in der Mitte der Keinischeibe otüen und zur
flachen Kinne geworden, sondern dicht daran ist zunächst eine kleinere
Oetinung und weiter nach vorn wieder eine längere, aber schmale
Spalte, dann folgt eine eben solche;
und weiter nach vorn erscheinen noch
o kleine Oeff'nungen in der unteren
Wand in einiger Entfernung vonein-
ander. Dementsprechend wechseln
nun auch an den Durchschnitten
Kanal, Rinne und solide Chordaanlage
miteinander ab; nur wird die Kanal-
wand nach vorn immer dünner und
der Kanal selbst enger, was nament-
lich im Vergleich zur dicken Medullar-
platte sogleich in die Augen fällt."
Fig. 614. Embrvonalschild vom Meer-
scbweiüchen mit Primitivstreifen und Kopf-
fortsatz, m welchem eine Reihe heller Flecken
die Oeffnungeu des Chordakanals in die Darm-
höhle sind. Nach Lieberkühn (L, K. III ^ 1882,
Taf. XX, Fig. 30). pr Primitivstreifen, ck Cau-
dalknoten. o', o', o'' Oeffnungen in der unteren Wand des Kopffortsatzes.
211'
ck
Bei Vespertilio murinus (Fig. 610— 017) ist. der Chordakanal im
Kopffortsatz, wie die schönen Untersuchungen Van Beneden's lehren,
wohl von einer noch größeren Länge und zugleich noch dadurch aus-
ffä
Fig. 615. Medianschnitt durch den Primitivstreifen eines Keimes von Vespertilio
murinus. Nach Vax Benedex (L. K. III'' 18S8, Fig. 1). Entstehung des Chorda-
kanals im Kopffortsatz. Hü hintere Üeffnung des Kanals, eh Chordaplatte.
Fig. 616. Medianschnitt durch den Chordakanal eines Keimes von Vespertiho
murinus vor seiner Eröffnung. Nach Van Beneden (1888, Fig. 2). J'S vordere
Oeffnung, in einer Querspalte bestehend. Z>/^' Primitivstreifen. Andere Bezeichnungen
wie oben.
gezeichnet, daß er am HENSEN'schen Knoten eine besondere Mündung
nach außen besitzt. Längsschnitte durch mehrere Stadien, die wir
.5!»='
932
0. IIertwig,
Van Beneden verdanken, geben uns darüber den besten AufschlulL
Auf einem jüngeren Stadium l)eginnt der Kopffortsatz vor dem im
Längsschnitt getroffenen Primitivstreifen bei den Buchstaben HO und
Fig. 617. Medianschnitt durch den in großer Ausdehnung eröffneten Chorda-
kanal eines Keimes von Vespertilio murinus. Nach Van Beneden (1888, Fig. 4).
NC neurenterischer Kanal. C vorderer persistierender Teil des Chordakanals. Pr
Primitivstreifen. Andere Bezeichnungen wie oben.
reicht nach vorn bis zu den Buchstaben V8. Der ganzen Länge nach
wird er von einem weiten Chordakanal durchsetzt, der sich nach hinten
am HENSEN'schen Knoten öffnet und an den Primitivstreifen anschheßt.
in das mittlere.
Seine Seitenwand geht beiderseits ohne Abgrenzung
aus 2 Zellenlagen bestehende Keimblatt über, und zwar so, daß die
Decke des Kanals, eine einschichtige Platte von cylindrischen Epithel-
zellen, sich in die obere Mesoblastlage, sein aus mehreren Zellschichten
zusammengesetzter Boden dagegen in die untere Lage fortsetzt.
Auf einem älteren Stadium öftnet sich der Chordakanal in die
Darmhöhle durch Oeffnungen von zweierlei Art: 1) durch einen
vorderen Querspalt (Fig. 617 VS), 2) durch mehrere Oetfnungen, die
bald zu einer einzigen Längsspalte zusammenfließen. Die Längsspalte
beginnt sich in der Mitte des Kanals zu bilden und von hier nach
vorn und nach hinten zu vergrößern, doch so, daß an beiden Enden
noch längere Zeit ein Stück des Bodens erhalten bleibt (Fig. (ilT).
Ein solches findet sich am vorderen Ende des Kopffortsatzes noch
zur Zeit, wo sich schon das Vorderhirnbläschen und die Kopf beuge
gebildet haben. Den hinteren, jetzt noch vorhandenen Teil des Kanals
bezeichnet Van Beneden als Canalis neurentericus und vergleicht
ihn dem entsprechenden Gebilde der Sauropsiden.
Nach der Eröffnung des Chordakanals bietet uns die Rücken-
gegeud des Embryos bei den Säugetieren (Fig. 618 u. 619) fast genau
ch
Fig. 618. Querschnitt durch die Chordarinne eines Keimes vom Maulwurf,
dem auch Fig. 603 angehört. Nach Heape. ak, mk, ik wie oben, ch Chorda-
anlage. * Urdarnifalte.
die gleichen Befunde, wie beim Amphioxus, bei den Elasmobrauchiern,
den Amphibien (Triton j und den Reptilien. Auf diese frappante, für
die Cölomtheorie so wichtige Uebereinstimmung habe ich zuerst in
meiner Abhandlung über das mittlere Keimblatt der Wirbeltiere die
Die Lehre von den Keimblättern.
933
Aufmerksamkeit gelenkt und sie dann mit Nachdruck in allen Auf-
lagen meines Lehrbuches der Entwickolungsgeschichte hervorgehoben.
Wir finden jetzt bei Vertretern der aufgeführten Wii'beitierklassen in
m/;' ml:'- ch
Fig. 619. Querschnitt durch die Embryonalanlage eines Kaninchens. Nach
Vax Benedex. oA-, i/:, mk- äußeres, inneres, mittleres Keimblatt, inh^, v>/:- parietale
und viscerale Lamelle des mittleren Keimblattes, ch Chorda. * Urdarmfahe.
der Medianebene des Rückens unter der Medullarplatte die Chorda-
anlage, eine einfache Lage kubischer oder cylindrischer, fester zu-
sammengefügter Ei)ithelzellen. Sie liefert die Decke der Chordarinne,
welche bei den Säugetieren nach Eröftnung des Chordakanals gleich-
falls deutlich ausgeprägt ist. Links und rechts geht das Chordaepithel
kontinuierlich in das parietale Blatt des Mesoblasts über, das aus
mehr abgeplatteten Zellen besteht. Das ihm noch dicht angepreßte
Blatt des visceralen Mesoblasts dagegen schlägt sich am Rand der
Chordaanlage in das abgeplattete Darmdrüsenblatt um. Die Um-
schlagsstelle, die ich auch als Firste oder Lippe der Urdarmfalte (Fig.
(JLS u. 619 *) bezeichnet habe, bildet den vorspringenden Rand dei
Chordarinne.
Historisches. 1882 hat Lieberkühx in einer ausführlichen, sehr
sorgfältigen Untersuchung (1882 und 1884) zuerst im Xopffortsatz von
verschiedenen Säuo-etierenibrvonen einen Hohlraum entdeckt, welchem er
den Namen Chorclakaual crab. Er verfolgte
genau
die „Eröffnung des
Chordakanals'' und die Entstehung der Chorda aus seiner dorsalen Wand.
Zu ähnlichen Resultaten kam zu derselben Zeit v. Kölliker (1882)
durch Untersuchung von Kaninchenembryonen. Einen neuen Fortschritt
führten fast gleichzeitig und unabhängig voneinander Heape (1883j und
Boxnet (1884, 1889) herbei, von denen der eine beim Maulwurf, der
andere beim Schaf die Ausmündung des Chordakanals am HBXSEx'schen
Knoten entdeckten und ihn dem Canalis neiu'entericus der Reptilien und
Vögel verglichen. Vax Bexedex (1886, 1888), welcher einen sehr langen
Chordakanal mit xlusmündung an der Primitivrinne bei der Fledermaus
nachwies, verglich ihn der Urdarmeinstülpung der niederen Wirbeltiere,
welcher Ansicht sich auch Rabl (L. K. III ^ 1892) anschloß. Seitdem
wurde der Chordakanal und die Entwickelung der Chorda bei Säugetieren
noch öfteis der Gegenstand eingehender Untersuchungen von Graf Spee
(1888), von Giacomini (1888), von Carius fl888). (Siehe L. K. III ».)
Bei der vergleichenden Untersuchung des Kopffortsatzes und des
Primitivstreifens auf verschiedenen Stadien ihrer Entwickelung ist es
mehieren Forschern, welche besonders sorgfältige Untersuchungen
hierüber angestellt haben, aufgefallen, daß, während der Kojjffortsatz
an Länge stetig zunimmt, der Primitivstreifen sich verkürzt ; sie haben
geglaubt, hieraus den Schluß ziehen zu können, daß sich der Primitiv-
934 0. Hertwig,
streifen an seinem vorderen Ende in den Kopffortsatz umwandelt.
Bei der großen Wichtigkeit dieser Frage für die erste Entwickelung
und das Längenwachstum des Säugetierkörpers will ich die hierauf
bezüglichen Angaben kurz zusammenstellen. Der erste Embryologe,
der sich näher mit der Frage beschäftigt hat, scheint mir Lieberkühn
(1884, p. 448 — 451) gewesen zu sein. Er verglich die Länge des Kopf-
fortsatzes und des Primitivstreifens an 3 Querschnittserien durch
Embryonalanlagen des Meerschweinchens, von denen die erste noch
kein Ursegment zeigte, die andere mit 2 und die dritte mitO Ursegmenten
versehen war. In dem ersten P'all findet er eine Länge des Primitiv-
streifens von 0,79 mm, im zweiten Fall von 0,44 mm, so daß demnach
(abgesehen vom interstitiellen Wachstum) eine Verkürzung um 0,35 mm
stattgefunden hat. Hierzu bemerkt Lieberkühn: „So viel wie sich
der Primitivstreifenteil verkürzt hat, hat der Kopffortsatz an Länge
zugenommen, d. h. es hat sich der Primitivstreifen in Kopffortsatz
umgewandelt." Und in einer Zusammenfassung seiner Resultate stellt
er als fünften und letzten Paragraphen seiner Abhandlung den Satz auf:
„Aus einer Vergleichung der gesamten oben beschriebenen Vorgänge
ergiebt sich, daß es sich hier um einen von vorn nach hinten
ablaufenden E n t w i c k e 1 u n g s v o r g a n g handelt, der d i e a 1 1 -
mähliche Differenzierung der Med ullar platte und der
Chorda aus dem Primitivstreifen zur Folge hat."
Zu einem gleichen Resultat ist Bonnet bei Untersuchung ver-
schiedener Embryonalanlagen des Schafes gelangt (1899, p. 77 — 82).
Er findet, daß die Zellen, welche die Primitivrinne (Gastrularinne
Bonnet's) begrenzen, „Cylinderform annehmen, sich schichten und
sich nachträglich von der Gastrulaleiste (darunter versteht Bonnet
die Zellenwucherung unter der Primitivrinne, also den tiefereu Teil
des Primitivstreifensj trennen". Dadurch wird die Primitivrinne selbst
„unter allmählicher Verbreiterung und Vertiefung in Medullarfurche
umgewandelt." Desgleichen schließt Bonnet (1899, p. 80) aus der in
2 verschieden alten Serien hervortretenden auffallenden Verkürzung
der Gastrulaleiste (Primitivstreifens) auf eine Umbildung ihres cranialen
Endes in Chorda. „Die Chordaanlage", heißt es, „greift in caudaler
Richtung dadurch weiter, daß die Achse der Gastrulaleiste direkt in
Chorda umgebildet und vom Ektoblast, Entoblast und Mesoblast (bei
Bonnet steht hier Mesenchym) getrennt wird."
Endlich hat im Anschluß an die von mir (L. K. IV. 1892) aufgestellte
Urmundtheorie Keibel (A. L. III ^^ 1894, p. 60—67) eingehend die
Frage der Umwandlung des Primitivstreifens in den Kopffortsatz ge-
prüft und sowohl Messungen an verschieden alten Embryonalanlagen
des Schweines als auch in Tabellen zusammengestellte Zählungen der
Kernteilungsfiguren in den verschiedenen Orten vorgenommen. Gegen
ein erhebliches Eigenwachstum des Kopffoi'tsatzes sprechen die nur
spärlich in ihm aufgefundenen Kernteilungen. Nachdem noch andere
Möglichkeiten erörtert sind, kommt Keibel zu dem Ergebnis, das ich
mit seinen eigenen Worten wiedergebe : „Der Kopffortsatz muß auf
Kosten des Primitivstreifens gewachsen sein. Dies Wachstum müssen
wir uns so vorstellen, daß immer der vorderste Teil des Primitiv-
streifens sich in den Kopffortsatz umbildet, und damit das vordere
Ende des Primitivstreifens zurückweicht etc." „Ist nun aber die eben
vertretene Bildungsweise des Kopffortsatzes resp. der Chordaanlage
richtig, und ich glaube, man wird daran nach dem vorgebrachten
Die Lehre von den Keimblättern. 935
Beweismaterial kaum zweifeln dürfen, so ergiebt sich daraus unmittel-
bar, daii in frühen Stadien der Primitivstreifen bis an das vordere
Ende der Chorda und somit bis an das vordere Ende des Embryos
überhaupt reicht. Es hat somit das Material für den Koi)fteil des
Embiyos seiner Zeit im Primitivstreifen und zu beiden Seiten des-
selben gelegen. Im Moment, wo die Aftermembran deutlich geworden
ist, kann man in seinen Schlüssen noch' weiter gehen. Wir können
dann feststellen, daß das Material für den ganzen Embryo
sich seiner Zeit im Bereich des Primitivstreifens be-
funden hat. Mit anderen Worten: der Primitivstreifen durchsetzte
einmal den Embryo in ganzer Ausdehnung.''
^'^ e r g 1 e i c h zwischen der K e i m b 1 a 1 1 b i 1 d u n g bei den
Säugetieren und den übrigen Wirbeltieren.
Nachdem wir auf den vorhergehenden Blättern mit der Anlage des
Entoderms und des mittleren Keimblattes bei den Säugetieren bekannt
geworden sind, ist es wohl an der Zeit, jetzt auch die Frage näher zu
erörtern, inwieweit ihre Keimblattbildung zu den gleichen Vorgängen
bei den anderen Klassen der Wirbeltiere Beziehungen darbietet. Hier
kann es nun wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die meiste Ueber-
einstimmung mit den bei Reptilien und Vögeln erhaltenen Befunden
besteht. Als solche Uebereinstimmungen führe ich an 1) die als
erster Akt erfolgende, von der Entstehung des Mittelblattes scharf ge-
trennte Anlage des inneren Keimblattes und sein in beiden Fällen er-
folgendes Auswachsen mit freiem Rand ; 2) den eine Zeitlang vollkommen
fehlenden Zusammenhang zwischen innerem und mittlerem Keimblatt ;
3) den vom Rand der Keimhaut entfernten, mehr central gelegenen
Ursprungsort des mittleren Keimblattes. Namentlich zwischen Vögeln
und Säugetieren besteht hier eine große Uebereinstimmung, indem bei
beiden ein HENSEN'scher Knoten, ein Primitivstreifen mit Rinne, ein
Caudalknoten unterschieden werden können. Das Ei der Säugetiere
bietet daher, obwohl es klein und dotterarm ist und eine totale
Furchung durchmacht, doch keine primitiven Verhältnisse in seiner
weiteren Entwickelung dar; weder seine Gastrulation, noch die Ent-
stehung des mittleren Keimblattes lassen sich direkt an die bei Am-
phioxus und den Amphibien beobachteten Verhältnisse anschließen.
Somit lautet die Frage, welche jetzt von uns zu beantworten ist:
wie kommt es, daß die dotterarmen und total sich furchenden Eier
der Säugetiere Erscheinungen in der weiteren Entwickelung zeigen,
welche bei Reptilien und Vögeln nach der früher gegebenen Erklärung
eine direkte Folge des großen Dotterreichtums ihrer Eier sindV Die
Antwort hierauf giebt uns eine zuerst von Haeckel aufgestellte Hj'po-
these, daß die placentalen Säugetiere von Vorfahren abstammen, welche,
wie Rei)tilien und Vögel, große, dotterreiche Eier besessen haben und
ovipar gewesen sind.
Zu Gunsten dieser Hypothese können drei Thatsachen angeführt
werden : Erstens sind bei den niedersten Säugetieren, bei den Mono-
tremen, die Eier wirklich noch sehr groß und dotterreich und machen,
wie auf p. 899 besprochen w'urde, eine partielle Furchung durch.
Zweitens haben auch die Beuteltiere, welche sich im System an die
Monotremen zunächst anschließen, noch größere, dotterreichere Eier
als die placentalen Säugetiere, denen sie aber sonst in der totalen
936 0. Hertwig,
Furchiiiig gleichen. Drittens entwickeln sich die Eihäute bei den
Säugetieren genau so wie bei Reptilien und Vögeln; es entsteht auch
ein besonderer Dottersack und ein Blutgefäßsystem, das bei den
Saurojjsiden für die Resorption des Dotters bestinnnt ist, Organe, die
auch bei den Vorfahren der Säugetiere wohl keine andere als diese
Aufgabe besessen haben können. Auch läßt sich noch bei den
Säugetieren die Ursache wohl erkennen, warum ihre Eier den Dotter-
reichtum, durch den sie sich bei früheren Vorfahren ausgezeichnet
haben, wieder eingebüßt haben. Der Dotterschwund hängt offenbar
damit zusammen, daß die Eier, anstatt nach außen abgelegt zu werden,
in der Gebärmutter weiterentwickelt wurden. Denn hiermit war für
den werdenden Keim eine neue und ergiel)igere, weil unbeschränkte
Quelle der Ernährung gefunden in Substanzen, die von den Wandungen
der Gebärmutter ausgeschieden wurden. Die Mitgift des Dotters war
hiermit überflüssig geworden. Das dotterarm gewordene Ei konnte
sich wieder total teilen, weil das Hindernis der Teilung entfernt war;
dagegen bliel)en die abgeänderte Keimblätterbildung ebenso wie die
Hüllbildungen, die durch den Dottergehalt der Eier ursprünglich ins
Dasein gerufen worden waren, erhalten, weil sie unter Wechsel ihrer
Funktion in den Dienst der Ernährung durch die Gebärmutter traten
und dem entsprechende Abänderungen erfuhren.
Eine viel komjjliziertere Hypothese hat Rabl zur Erklärung dieser
und anderer Verhältnisse bei der Keimblattbildung der Wirbeltiere auf-
gestellt. Er glaubt, daß im Laufe der Stammesgeschiclite der AVirbel-
tiere bei den Vorfahren von einigen der jetzt unterschiedenen Klassen
der Nahrungsdotter mehrmals erworben und auch wieder verloren worden
sei. Er stützt sich bei seiner Annahme hauptsächlich darauf, daß, wenn
man die Eier nach ihrem Dottergehalt in holoblastische und meroblastische
teilt, und wenn man nach dieser Einteilung auch die einzelnen Wirbeltier-
klassen systematisch gruppieren wollte, man zwei Gruppen erhalten würde,
deren Glieder in keiner VVeise verwandtschaftlich zusammengehören. Da-
gegen hält er sich für berechtigt, auf Grund der systematischen Ver-
wandtschaft, wie man sie aus vergleichend-morphologischen Gründen für
wahrscheinlich hält, ßückschlüsse auf einen Wechsel im Dottergehalt der
Eier machen zu dürfen.
Zum Beispiel, weil nach der üblichen Annahme die Selachier als die
Stammform der Amphibien betrachtet werden, die Eier der ersteren aber mero-
blastisch sind, zieht Rabl den Schluß, daß die Vorfahren der Amphibien
noch dottei'reichere Eier als die jetzt lebenden Nachkommen und eine
partielle Furchung besessen haben müssen. Da nun nach der geläufigen
Hypothese von amphibien-ähnlichen Vorfahren wieder Reptilien und Vögel
abstammen, die wieder heutzutage dotterreiclie Eier haben, so müsse hier
zum zw^eiten Male ein Erwerb von Dottermasse neu eingetreten, bei den
Säugetieren also dann konsequenterweise zum zweiten Male verloren
worden sein. Seine Hypothese faßt Rabl in den Satz zusammen : „Wenn
wir die Eier des Amphioxus und der Cyclostomen als primär dotter-
arme Eier mit totaler Furchung bezeichnen dürfen, so müssen wir die
Eier der Ganoiden und Amphibien als sekundär dotterarme und
diejenigen der placentalen Säugetiere als tertiär d o 1 1 e r a r m e be-
zeichnen. W'enn wir ferner die Eier der Selachier — da sie in der
Reihe die ersten sind, die eine pai'tielle Furchung zeigen — ■ primär
dotterreiche nennen dürfen, so müssen wir diejenigen der Teleostier,
Die Lehre von den Keimblättern. 937
Sauropsiden und Monotremen sekundäi- dotter reiche und ihre
Furchung eine sekundär partielle nennen ; aber auch hier haben wir
wieder die Eier der Knochenfische wohl von denen der Sauropsiden und
Monotremen zu scheiden/'
Den von Rabl eingenommenen Standpunkt kann ich nicht teilen.
Seinem, auf die systematische Verwandtschaft gestützten Beweisverfahren
läßt sich leicht eine andere Fassung geben, welche sogar den Vorteil
hat, daß dann die Ei-klärung für den verschiedenen Dottergehalt der Eier
eine viel einfachere wird. Aus der Annahme, daß die heute lebenden
Selachier und Amphibien gemeinsame Vorfahren besessen haben, kann
man, anstatt des Schlusses, daß auch die Amphibien einmal so große
Eier wie die heutigen Selachier und partielle Farchung besessen haben,
mit gleichem Recht auch den Schluß ziehen, daß die gemeinsamen Vor-
fahren dotterärmere Eier mit totaler Furchung gehabt haben und daß
ihnen in diesem Punkt die heutigen Amphibien mehr als die heutigen
Selachier gleichen, bei welchen letzteren erst ein Erwerb des Dotters
und dadurch bedingte Abänderung der ersten Entwickeluugsprozesse
eingetreten ist. Diese Art des Schlusses hat sogar den Vorzug, daß
an den Anfang der Phylogenese das einfachere Verhältnis verlegt wird,
wie man es a priori erwarten sollte. In der Amjjhibienentwickelung
selbst ist ja auch nicht der geringste Umstand aufzufinden, welcher
darauf hindeuten könnte, daß die Eier einmal dotterreicher rmd partiell-
gefurcht etc. gewesen seien. Im Gegenteil hat man bisher in der Bil-
dung ihrer Blastula und Grastrula eine direkte, von dem primitiveren
Zustand beim Amphioxus leicht ableitbare EntAvickelungsweise erblickt.
Von diesem Standpunkt aus liegt auch kein Grund zu der Annahme vor,
nach welcher Rabl die Eier der Säugetiere als tertiär dotterarme be-
zeichnet.
In dem Urteil, daß die Keimblattbildung der Säugetiere und der
Sauropsiden viele gemeinsame Züge darbietet, stimme ich mit den
meisten Embryologen überein, mit Balfour, Van Bexedex, PcABl,
Keibel, Bonnet, Schauinsland u. a. ; in der Deutung vieler ein-
zelner Verhältnisse aber und besonders in der Vergleichung mit den
niederen Wirbeltieren machen sich recht verschiedene Auffassungen
geltend. — Ich werde daher meinen Standpunkt jetzt noch ein-
mal kurz zusammenfassen und anderen gegenüber näher begründen.
Ein besonders charakteristisches Merkmal in der Keimblattl)ildung
aller o Klassen der Amnioten erblicke ich in der scharfen Sonderung.
welche bei der Entwickeluug des Darmdrüsenblattes und des mittleren
Keimblattes eingetreten ist. Während bei dem Amphioxus durch die
Gastrulation ein primäres inneres Keimblatt gebildet wird, welches
sich erst nachträglich durch Ausstülpung wieder in ein sekundäres
inneres und in ein mittleres Blatt sondert, kommt es bei den Amnioten
gar nicht zur Anlage eines primären inneren Blattes, vielmehr tritt
die Sonderung verfrüht gleich bei der ersten Anlage ein, indem für
sich das Zellenmaterial zur Bildung des Darmdrüsenblattes und etwas
später, deutlich getrennt vom ersten Prozeß, das Zellenmaterial für
das mittlere Keimblatt aus der Wand der Keimblase oder der Keim-
haut entwickelt wird. Wer den ganzen Vorgang als Gastrulation
bezeichnen will, kann mit Hubrecht, Keibel und Wenkebach (siehe
p. 819) sagen, daß sie bei den Amnioten in zwei getrennte Phasen
zerlegt sei.
ö
938 0. llERTWIG,
Eine hervorstechende Eigentümlichkeit in dev Keiniblattbihlung'
bei den Amniotcn sehe ich zweitens (hirin, düii in der ersten Phase
der GastrulatioM eine Einstülpnngsliöhle vollkonniien fehlt, wodurch
sich die xVninioten von den Aninionlosen in aulfallender Weise unter-
scheiden. Während bei letzteren gerade die Anlage des inneren
Keimblattes durch Einstülpung sehr deutlich ist, bedarf es bei ersteren
einer Interpretation, um eine Anknüi)fung an die einfacheren Vor-
gänge zu ermöglichen. In dieser Beziehung kann man darauf hin-
weisen, daß auch bei den Amnioten das innere Blatt sich von einem
kleinen Bezirk der Keinihaut aus bildet, daß es sich von diesem Be-
zirk aus, wo ein Zusammenhang mit dem äußeren Blatt lange Zeit
bestehen bleibt, nach der Peripherie mit freiem Hand ausbreitet, bis
es den antiembryonalen Pol erreicht hat, daß diese Ausl)reitung wohl
auf einer Zellenwanderung beruht, welche, von einem Punkte aus er-
folgend, sich als Ersatz dem Vorgang der Invagination an die Seite
stellen ließe. Bei den Reptilien ist der Ort, von welchem die Ent-
wickelung des inneren Blattes ausgeht, die Primitivplatte, bei den
V^ögeln ein Bezirk im hinteren Abschnitt der Keimhaut am Ueber-
gang des hellen in den dunklen Fruchthof, bei den Säugetieren der
Embryonalknoten,
Im Gegensatz hierzu ist in der zweiten Phase der Keimblattbildung
bei den Amnioten der Charakter der Invagination viel besser ausge-
prägt als bei den meisten Anamniern. Es läßt sich deutlich zeigen,
daß Chorda und mittleres Keimblatt durch Einstülpung von Zellen-
material entstellen, welches von einer scharf begrenzten Einstülpungs-
stelle her aus dem äußeren Keimblatt hervorwuchert, sich in den
Spalt zwischen die primären Keimblätter hineinschiebt und peripher-
wärts ausbreitet. Bei den Reptilien entspricht die Einstülpungsstelle
dem Ort, von dem aus sich auch das innere Blatt gebildet hat. Auch
bei Vögeln und Säugetieren wird ein Zusammenhang zwischen beiden
Anlagestellen bestehen, welche zusammen dem Urmund der Anamnia
entsprechen würden. In der zweiten Phase der Keimblattbildung
kommt es sogar zu einer Einstülpungshöhle, die bei einzelnen Ver-
tretern der Amnioten fast ebenso deutlich ausgeprägt ist wie die Ga-
strulahöhle bei den Anamniern während der Entwickelung des innei'en
Keimblattes. Besonders ist dies bei dem Mesodermsäckchen der
Reptilien der Fall. Mehr reduziert ist die Höhlung in dem soge-
nannten Chordakanal der Säugetiere, ganz oder fast ganz geschwunden
in dem Primitivstreifeu und Kopffortsatz der Vögel, von denen nur
einzelne Arten und meist nur auf vorübergehenden Stadien ihrer Ent-
wickelung Reste von Höhlungen, einen verkümmerten Chordakanal
und Canalis neurentericus erkennen lassen.
In Zusammenhang mit der zeitlich getrennten Anlage des inneren
und mittleren Keimblattes sind bei den Amnioten die von beiden um-
schlossenen Hohlräume eine Zeitlang voneinander getrennt, worin
wieder eine bemerkenswerte Abweichung von den Verhältnissen der
Anamnia gegeben ist; doch wird auf sekundäre Weise die Verbindung
schließlich wiederhergestellt dadurch, daß bei den Reptilien das
Mesodermsäckchen durch Einreißen seines Bodens, bei den Säuge-
tieren der Chordakanal, bei den Vögeln der Canalis neurentericus sich
in den Raum unter dem Darmdrüsenblatt, also in die Darmhöhle,
eröffnet. Erst hiernach ist in den Lagebeziehungen der Keimblätter
bei den Anamniern und den Amnioten wieder ein völlig gleichartiges
Die Lelire von den Keimblättern. 939
Verhältnis hergestellt. Es besteht üariii, daß vom Ainphioxus bis zu
den Sänneticren eine Zeitlang an der Decke des ursi)rünglichen
Darniraunies die Cliordaplatte liegt, beiderseits begrenzt von den
Firsten der beiden Urdarnifalten.
Wenn wir die Keiniblattbildung der Aninioten und des Amphioxus
miteinander vergleichen, so besteht zwischen dem i)rimären inneren
Keimblatt des letzteren und der unteren Schicht (Paraderm, Lecitho-
phor) der zweiblätterigen Keimhant der Amnioten eine Homologie;
dieselbe muß aber in der Sprache der vergleichenden Anatomie als
eine inkomplette bezeichnet werden ; denn die Uebereinstimmung er-
streckt sich bloß auf das innere Keimblatt des Amphioxus mit Aus-
schluß des dorsal gelegenen (und also auch später eingestülpten) Be-
zirks, aus welchem sich die Chorda und das mittlere Keimblatt (die
Cölomsäcke) bilden. Dieser Bezirk des Am])hioxus ist homolog der
Zellenmasse, welche bei den Amnioten in der zweiten Phase (unter
Bildung eiues Mesodermsäckchens bei den Reptilien) eingestülpt wird.
(Vergleiche auch das hierüber in der Einleitung auf p. 709 Gesagte.)
V^^ie sich aus obiger Zusammenstellung ergiebt, weiche ich in
mehreren wichtigen Punkten von Anschauungen ab, welche sich KupffeRj
Vax Bexeden, Eael, Bonnet u. a. gebildet haben. Nach ihnen ist die
bei Eeptilien auftretende Einstülpung das Gastrulasäckchen, welchem
bei den Vögeln und Säugetieren der Primitivstreifen und Kopffortsatz
entspricht. In der Litteratur findet man daher häufig die Höhle des
Mesodermsäckchens oder den Chordakanal als ürdarm (Vax Bexedex,
BoxxET etc.; und den Primitivstreifen der Vögel als (xastrulaleiste
(Boxxet) bezeichnet. Bei dieser Auffassung wird die schon vor der
vermeintlichen Gastrulation vorhandene Zellenschicht, w'elche ich als
inneres Keimblatt beschrieben habe, als eine den Amnioten eigentüm-
liche Bildung hingestellt, und ist ihr daher der Name Paraderm (Kupffer)
und Lecithophor (Van Bexedex) gegeben worden.
Am deutlichsten und konsequentesten hat sich hierüber Van Beneden
sowohl in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1888 als 1899 ausgesprochen.
„Es ist klar", bemerkt er, „daß das sogenannte zw^eiblätterige Stadium
der Säugetiere der G.astrulation, d. h. der Einstülpung, die man von der
Epibolie auseinanderhalten muß, vorangeht und daß die 2 Schichten dem
Ektoderm und Entoderm des Amphioxus nicht entsprechen. Dieser
Schluß geht schon daraus hervor, daß nicht allein die Organe des Epi-
blasts, sondern auch die Chorda und der ganze Mesoblast aus der äußeren
Schicht sich bilden." Der letzteren giebt daher Van Beneden den be-
sonderen Namen „Blastophor" und homologisiert sie der oberen gefurchten
Halbkugel der Amphibien. Die untere Schicht aber, Avelche der unteren
weniger gefurchten Halbkugel der Amphibien entsprechen soll, heißt er
Lecithophor (Paraderm von Kupffer). In derselben Weise beurteilt ei-
die beiden primitiven Schichten der Eeptilien und Vögel. An der 1888
entwickelten Auffassung hält Vax Benedex auch noch 1899 fest in dem
Satz: „Les deux couches de l'embrA'on didermique ne sont pas homologues
aux feuillets primordiaux de l'Amphioxus et ce serait enlever aux mots
epiplaste et hypoblaste, ectoderme et entoderme, tont sens morphologique
que de designer sous le nom d'ectoderme la couche externe de l'Am-
phioxus qui represente seulement l'ebauche de l'epiderme et du sj^steme
nerveux, et la couche externe de l'embryon didermique des Sauropsides
et des Mammiferes, qui produit non seulement l'epiderme et le Systeme
nerveux, mais encore l'archenteron . la plaque notochordale et tout le
940 0. Hertwig,
mesoblaste. Cest pourquoi j'ai cree les nonis ,blastophore' et ,lecitlio-
phore'."
Mit Van Beneden stimmt auch Rabl in seiner Auffassuiiff üV)erein,
von welcher er selbst sagt, „daß sie in allen wesentlichen Punkten den
Erörterungen entspreche, die Van Benedbn an seine Beobachtungen über
die Keimblätterbildun^ der Säugetiere geknüi^ft hat" (L. K. III ^ 18Ü2,
p. 172). Es gellt dies auch aus dem von ihm entworfenen Schema einer
Amniotengastrula (Eig. 620) hervor, in welchem cb das durch Gastrulation
Fig. 620. Schema der Amniotengastrula im medianen Durchschnitt, nach Eabl.
gebildete Entodermsäckchen und de das Paraderm (Lecithophor) ist, welches
den am Boden der Blastula gelegenen Dotterzellen der Amphibien ver-
glichen wird.
Gegen diese Auffassung der Gastrulation haben sich schon früh
Hubrecht und Keibel ausgesprochen, indem sie zwei Phasen derselben
wie auch später Wenkebach bei den Reptilien, unterschieden haben.
„Ist es nicht wahrscheinlicher", bemerkt Hubrecht 1888, „daß in der
That die Chordahöhle nicht, wie es Van Beneden will, dem Archenteron,
sondern nur einem Teil desselben entspräche, und daß der andere Teil vom
primitiven Hypoblast umschlossen ist?" (L. K. III -' 1888*, p. 911). Den
zuerst gebildeten Teil bezeichnet er als cenogenetischen, den vom Primi-
tivstreifen aus entstehenden Teil als den palingenetischen Hypoblast. Auch
Keibel, indem er die Schlußfolgerungen Van Beneden's zu widerlegen
sucht, ist unabhängig von Hubrecht zu der Annahme zweier Phasen
der Gastrulation geführt worden. Auf der ersten Phase wird das Dotter-
entoderm als Auskleidung des Dottersacks, auf der zweiten Phase werden
die Chordaanlage, die Chordahöhle und die mittleren Keimblätter ange-
legt. Durch 8 Schemata hat Keibel seine Auffassung deutlich zu
machen gesucht (A. L. III • » 1894, p. 105—117 u. Fig. 42—48).
In den verschiedenen Auflagen meines Lehi'buches habe ich immer
an der Ansicht festgehalten, daß das Paraderm Kupuper's und der Le-
cithophor Van Beneden's dem inneren Keimblatt der niederen Wirbel-
tiere entspricht und daß die Chordahöhle nur einem kleinen, dorsalen
Abschnitt des Urdarms vergleichbar ist.
Die weitere E n t w i c k e 1 u n g der Chorda- und Medullär-
platte, des mittleren Keimblattes, die Bildung von
Schwanz und After.
Wir hatten die Entwickelung der Achsenorgane auf dem Stadium
verlassen, auf welchem die Keime aller Wirbeltiere die größte Ueber-
einstimmung untereinander erkennen lassen und welches in Fig. 610
dargestellt ist. Die weiteren Veränderungen vollziehen sich in der
nächsten Periode bei den Säugetieren nach demselben Prinzi}), das
wir schon so oft kennen gelernt haben. Es erfolgt jetzt die Ab-
trennung der Chordaanlage vom parietalen Mesoblast, Zusammen-
krümmung der Platte und Umwandlung in einen Strang, Unter-
Die Lehre von den Keimblättern. 941
wachsung des letzteren vom Darnidriisenblatt, das sich ebenfalls an
der Firste der Urdarnifalte vom visceralen Mesoblast ablöst. Auf ver-
schiedenen Stadien der Entwickeiung kann die von vorn nach hinten
fortschreitende Chordabildung geringe Modihkationen darbieten, je
nachdem der eine oder andere Vorgang etwas früher oder später ein-
setzt. Den ganzen Vorgang hat man die „Ausschaltung der
Chorda aus dem Entoderm" benannt. Keibel, der sich nach Lieber-
KtJHN besonders eingehend mit der Entstehung der Säugetierchorda
beschäftigt hat, faßt seine Ergebnisse in die Sätze zusammen (L. K.
III'' 1S89, p. 38):
„Die Chorda kann sich aus dem Verbände des Entoblasts sowohl
durch einfache Uuterwachsung als durch direkte Einfaltungsprozesse
ausschalten. Im ersteren Falle erhalten wir eine platte Chorda, wie
sie z. B. aus dem KÖLLiKER'schen Handbuch bekannt genug ist ; im
zweiten hat die Chorda alsbald eine Gestalt, welche ihrer definitiven
gleich ist oder ihr doch nahe kommt. In den Fällen nun, in welchen
die Chorda zunächst einfach aus dem Entoderm ausgeschaltet wird,
erfolgt noch nachträglich eine Umordnung der Chordazellen, welche
einem Einfaltungsvorgang gleichzusetzen ist. In beiden Fällen kann
nachträglich noch ein Kanal im Innern der Chorda auftreten, welchen
ich als , sekundären Chordakanal' bezeichnen will."
Ergänzend zu unserer Darstellung sind jetzt noch einige Sätze
über das vorderste Ende der Chorda, welche schließlich bis zur Rachen-
haut heranreicht, hinzuzufügen. Es wird nämlich von einigen Forschern,
besonders aber von Bonnet (L. K. III'' 1889, p. 68—72), wie mir
scheint, nicht ohne Grund, behauptet, daß dasselbe nicht vom Kopf-
fortsatz, sondern direkt vom inneren Keimblatt abstamme, welches
die Kopfdarmhöhle auskleidet und von der ersten Phase der Gastrula-
einstülpung herrührt. Wie Van Beneden für die Fledermaus auge-
geben hat, öifnet sich nach vorn der Chordakanal durch einen queren
Spalt, und geht dann seine Decke, die Chordaanlage, kontinuierlich
nach vorn in das Darmdrüsenblatt ohne Abgrenzung weiter fort. Nach
der Darstellung von Bonnet sondert sich hier noch in der Verlängerung
des Kopffortsatzes eine breite Entoblastplatte, indem in ihrem Bereich
die Zellen etwas höher werden, und schnürt sich später rinnenförmig
vom inneren Keimblatt zur Chorda ab.
Anderer Ansicht ist Keibel (1. c. 1889, p. 27). Er hebt zwar selbst
hervor, daß „in der Verlängerung des Kopffortsatzes das Entoderm
schon vor der Einschaltung der Chorda verdickt ist und daß, nachdem
die Einschaltung geschehen ist, sich beim besten Willen keine Grenze
mehr zwischen den eingeschalteten Zellen und dem Entoblast erkennen
lasse". Gleichwohl glaubt er, daß die Chordabildung allein aus dem
Zellenmaterial des Kopffortsatzes hervorgehe, von dem er, gestützt
auf Van Beneden und Carius, annimmt, daß er sehr weit nach vorn
auswachse. Das craniale Chordaende reicht nämlich schließlich bis an
die Rachenhaut heran, wie Strahl, Carius (1888) und Keibel für
Meerschweinchen und Kaninchen, Bonnet für das Schaf nachgewiesen
haben. Die Chorda verschmilzt hier an ihrem vorderen Ende auf das
innigste mit dem äußeren Keiinl)latt, gerade hinter der Stelle, wo sich
die Hypophysentasche anlegt, und ruft hier sogar eine kleine, trichter-
förmige Einziehung hervor, wie aus dem lehrreichen Längsschnit
(Fig. 621) deutlich zu ersehen ist. Die Einziehung ist als die Seessel-
sche Tasche oder als die Gaumentasche Selenka's in der Litteratur
942
0. IIertwig,
bekannt. Erst einige Zeit nach dem Dnrchreißen der Rachenhaut
löst sich die Chorda vom F.pithel der eingerissenen Rachenhaut ab
und endet dann frei im Mesenchym, oft mit hakenförmig umgebogenem
Ende (Keibel, Kann, Carius).
I j i 1 1 e r a t u v. Außer
den schon früher erwähnten
Untersuchungen überChorda-
entwickehing ist noch die
1880 erschienene zusammen-
fassende AbhancUung von
Keibel
o'eschichte
6 « f: iB
■.f
-'j_<j
„Zur Entwickelungs-
der Chorda bei
e Häugetieren" zu
Die
Beziehungen
erwähnen,
des vor-
7:
•.®;
% -
Fig. 621. Medianschnitt durch
das craniale Chordaende eines
Embrvos vom Schaf, nach Bon-
net (1889, Taf. V, Fig. 19). Ch
Chorda. Hy Hypophysentasche.
IIB Mundbucht. EH Rachenhaut.
deren Endes der Chordaanlage zur Rachenhaut stellten fest: Selexka
(1887) beim Opossum, Kann (1888), Carius (1888), Bonnet (1889), Keibel
(1889) bei mehreren anderen
Säugetieren.
Die Umbildung der Medullarplatte zum Rohr braucht nicht für
die Säugetiere besonders geschildert zu werden, da sie sich in wesent-
lich derselben Weise wie bei den Reptilien und Vögeln (siehe p
884) vollzieht.
Dasselbe gilt von der Sonderung des mittleren Keimblattes
847,
in
Ursegment- und Seitenplatte. Die Gliederung der ersteren in Ur-
segmente, welche ebenfalls wieder auf einer Abschnürung beruht (siehe
p. 886), beginnt beim Kaninchen etwa am 9. Tage nach der Befruchtung.
Links und rechts von der Medullarfurche, die um diese Zeit noch
nicht geschlossen ist, bilden sich in einiger Entfernung vor dem Hen-
SEN'schen Knoten 2 helle Querspalten in der Ursegmentplatte aus und
sondern aus ihr das zweite würfelförmige Ursegmentpaar. Das erste
wie Rabl (L. K. III ' 1892*, p. 63) hervorhebt,
das
Rabl's An-
unmittelbar hinter jener Stelle auf,
an der sich das Gehörbläschen bildet". Alle folgenden Ursegmente
entstehen nacheinander hinter dem ersten (Fig. 594). Davon, daß vor
diesem keine Neubildung später mehr erfolgt, giebt Rabl an, sich
auf das bestimmteste überzeugt
liegt vor ihm und ist,
nach vorn nicht abgeschlossen, sondern geht stets kontinuierlich in
ungegliederte Mesoderm des Vorderkopfes über. Nach
gäbe
.tritt es ausnahmslos
durch seine eigenen Untersuchungen
zu haben, so daß alle
ruhen. Ferner
des Primitivstreifens
sich immer in einige
Primitiv Streifens erhält
gegenteiligen Angaben
greift die Urseginentbildung
über,
auf einer Täuschung be-
niemals in das Bereich
derselbe besteht, sondern spielt
ihm ab. In der Umgebung des
sich also auf den verschiedenen Stadien der
solange
Entfernung vor
Entwickelung immer der primitive Zustand des mittleren Keimblattes.
Wie bei allen Wirbeltieren nimmt die Entwickelung des
Afters auch bei den Säugetieren von dem hinteren Ende des Primitiv-
Die Lehre von den Keimblättern.
943
Streifens ihren Ausgang, in entsprechender Weise, wie es vom Ilülm-
chen dargestellt wurde. Die einleitenden Schritte sind bei Embryonen
zur Zeit, wo sich die ersten Ursegmente ditterenzieren, beobachtet
worden. An einer kleinen Stelle löst sich das mittlere Keimblatt aus
seinem Zusammenhang mit dem Primitivstreifen. Es entsteht so am
Ende der Primitivrinne ein Epithelstrang, der eine kleine Strecke weit
direkt (Uis äußere mit dem inneren Keimblatt verbindet, der After-
strang. Nach kurzer Zeit kommt es in demselben zu einer Quer-
trennung, wodurch ein Teil des Afterstrangs dem Ektoderm, der
andere Teil dem Entoderm zugeteilt wird (Fig. 622). Beide Teile
Fig. 622. Querschnitt durch
Keimscheibe 3 eiues Schweineem-
bryos mit beginnender Ai'termem-
brän, nach Keibel (A. L. III »"
1894, Tai II, Fig. 15). uk, ik, mk
äulieres, imieres, mittleres Keimblatt.
afm Aftermembran. pr- Primitiv-
rinne.
.^
ak mk
ik
pr
QpQ^k^nJjK.^^ ! /
afm
legen sich dann dicht aneinander und stellen,
..-^<^^?S_
nur durch eine feine
Grenzlinie voneinander getrennt, zusammen die Aftermembran
dar, wie sie zuerst von Mihalcowics genannt worden ist (Fig. 623).
al
afm am pr
Fig. 623. Medianschnitt durch das hintere Ende eines 16 Tage alten Schaf-
embryos mit 5 Paar Ursegmenten, nach Boxnet. al AUantois. afm Aftermembran.
am Amnion, ah Amnionhöhle. ak äußeres Keimblatt und mk^ mittleres Keimblatt,
welches an der Amnionbildung beteiligt ist. np Uebergang der Nervenplatte in den
Priraitivstreifen. pr Primitivrinne in der Gegend des Canalis neurentericus. ik Darm-
drüsenblatt, mk'^ Darmfaserblatt, d Darmrohr.
Zuweilen sind im Afterstrang deutliche Spuren einer seine Achse
durchsetzenden Lichtung, z. B. beim Kaninchen (Kölliker, Giaco-
MiNi) beobachtet worden, wodurch Bonnet einen Afterkanal oder
A f terbla stopor US zu unterscheiden veranlaßt worden ist.
In einem Punkt besteht noch zwischen den Forschern, welche die
Afterentwickelung untersucht haben, eine Ditferenz, welche möglicher-
weise auf geringfügigen Verschiedenheiten zwischen den einzelnen zur
Untersuchung verwandten Säugetierarten beruht. Während nach
Bonnet (1889. p. 92) beim Schaf die Aftermembran das letzte Ende
des Primitivstreifens bezeichnet (Fig. 623) und unmittelbar hinter ihr
944
0. Hertwig,
sich die hintere Aiimionfalte erhebt, findet Keibel (A. L. III ^'^ 1894,
p. 33} bei Schweineenibryonen, daß noch nach rückwärts von ihr sich der
Priniitivstrcifen in verkünmierteni Zustand eine kleine Strecke weit
fortsetzt; denn er sieht noch auf einer Anzahl von Schnitten der
Verschmelzung
für die
zwischen
Priniitiv-
streifenbildung
Serie hinter der Aftermembran wieder eine
äußerem und mittlerem Keimblatt auftreten, was ja
allerdings charakteristisch ist.
Ueber die Lage der Aftermembran zum Primitivstreifen und ihre
Lageveränderung im weiteren Verlauf der Entwickelung geben am
besten Längsschnitte Aufschluß. Noch bei einem Schafembryo mit
f) Paar Ursegmenten (Fig. 623) ist sie ganz dorsal gelegen, einerseits
unmittelbar hinter dem jetzt schon sehr verkümmerten Primitivstreifen,
in dessen Bereich alle 3 Keimblätter zu einer einzigen Zellenmasse
verschmolzen sind, andererseits vor der hinteren Ursprungslinie des
Amnions, welches schon das Hinterende des Embryos einscheidet.
Unter der Aftermembran liegt der Darmraum, aus welchem nach
unten und hinten die Allantois eben hervorzuwachsen beginnt. Spätei-
kommt die ihrem Ursprung nach rein dorsale Bildung an die untere
Fläche der Schwanzwurzel zu liegen. Es hängt dies, wie schon früher
auseinandergesetzt w'urde, damit zusammen, daß aus dem vor dei-
Aftermembran gelegenen Rest des Primitivstreifens sich der Schwanz
entwickelt. Durch lebhafte Vermehrung der Zellen tritt ein kleiner
Höcker dorsal hervor, die Schwanzknospe, und legt sich, je mehr
er in die Länge auswächst, über die Aftermembran herüber (Fig. (J24j.
Mehr und mehr kommt so die dorsal
entstandene Bildung an die ventrale
Seite des embryonalen Körpers zu
liegen, wo sie zwischen der Schwanz-
wurzel und der Anlage der Allantois
wird. Die Zerreißung
aufgefunden
Fig. 624a. Medianschnitt durch das
Schwanzende eines 18 Tage alten Schafem-
bryos mit 23 Ursegmentpaaren, nach Bonnet.
srh Schwanzknospe oder Endwulst, am Am-
nion. wiX-' Hautfaserblatt desselben, «/'»i After-
membran, ventralwärts und nach vorn vom
Endwulst gelagert, al Allantois. .
der Aftermembran
bei Embryonen, die
L i 1 1 e 1' a t u i'.
nincheuembrvoneD mit
erfolgt
relativ
als 24
spät, bei
sind.
Wiederkäuern z. B. erst
älter
KüLLiKEU wurde an Querschnittserien
Ursegmenten auf einen am Ende
durch Ka-
des Primi-
tivstreifens gelegenen , Ektoderm und Entoderm direkt verbindenden
Epithelstrang aufmerksam. Darauf hat Strahl (1886) ebenfalls beim
Kaninchen nachii'ewiesen, daß aus dem Epithelstrang sich die After-
membran bildet, daß diese demnach
ganz
dorsal aus dem hinteren Ende
des Primitivstreifens entsteht. Zu demselben Ergebnis gelangte C. Giaco-
Mixi in seiner Abhandlung „Sul canale neurenterico e sul canale anale",
1888. Bonnet (1889, p. 90—95) hat die Afterbildung bei Schaf-
embryonen, Keibel (A. L. III i <• 1894, p. 32) bei Embryonen vom
Schwein untersucht. [Bei
anders angegeben ist.]
den Jahreszahlen siehe L. K. III ^, wenn nicht
Die Lehre von den Keimblättern. 945
Nacbtraji'. Auf die Ende 1902 erschienene Arbeit Hubrecht's über
die KeimbUltterbildung bei Tarsius spectrnm gehe ich in einem Nachtrag
noch etwas näher ein. In ihr beschreibt Hubkecht einen außerordent-
lich deutlich ausgeprägten Blastoporus in der zweiblätterigen Keimhaut
von Erinaceus und giebt von ihm eine Abbildung, die ich in Fig. 624 b
8
r^
Ek
Fi^. 624 b. Ein gebogener EmbryonalschUd vom Igel mit etwas geöffnetem
Blastoporus nach Hübrecht (L. K, III ^ 1902). Ek, En äußeres, inneres Kehnblatt.
b Blastoporus. tr Trophoblast.
reproduziert habe. Einen ähnlichen hat er auch bei der Spitzmaus be-
obachtet und so die Anzahl der auf p. 908 — 910 aufgezählten Befunde
um zwei weitere vermehrt.
Eine Darstellung, die von den anderweit bekannten Verhältnissen
sehr abweicht, giebt Hubrecht von der Entwickelung des Mesoblasts.
Er nimmt einen mehrfachen Ursprung für denselben an und befürwoitet
den Voi'schlag von IvleixexberC4^ (L. K. III ^ 1886), „den Begriff eines
mittleren Keimblattes überhaupt aufzugeben und am Ende des Zwei-
blätterstadiums nicht nach dem Ursprung eines diitten Blattes, sondern
nach dem Entstehen der verschiedenen Organanlagen zu fahnden" (1. c.
p. 84). Früher als bei anderen Säugetieren läßt er schon einen Teil
des Mesoblasts noch vor der Anlage des Primitivstreifens als eine „ven-
trale Mesoblastblase" entstehen, die sich neben der Nabelblase vorfindet
(1. c. p. 18—19).
In theoretischer Hinsicht hat Hubrecht seinen Standpunkt erheblich
verändert. Den Amphioxus hält er nicht mehr geeignet als Ausgangs-
punkt für eine vergleichende Ontogenese. Die von ihm selbst mitbe-
gründete Lehre von der zweiten Phase der Gastrulation hat er jetzt auf-
gegeben. Als Gastrulation bezeichnet er nur die Entwickelung des
Darmdiüisenblattes und schlieijt hiervon die zweite Phase, in der sich
mittleres Keimblatt und Chorda bildet, aus. Für sie will er im An-
schluß an LwoFF die Bezeichnung „Notogenese" einführen. Bei der
Gastrulation läßt er nur das Entoderm der Acrania diirch Invagination,
dagegen das Entoderm der Cranioten durch Delamination gebildet werden.
Infolge seiner Einschränkung des Begriffes der Gastrulation, meint
Hübrecht, könne bei Sauropsiden und Säugetieren „nicht mehr von Ur-
mund, Urmundlippen, Blastoporus u. s. w. geredet werden, an der Stelle,
wo wir Rückenmark, Chorda und Somiten aus einem dorsalen Bezirk
der Embryonalanlage entstehen sehen ; dann habe der Begriff „Primitiv-
streifen" mit der Gastrulation nichts zu schaffen". Infolge dessen ver-
wirft er auch die Vorstellung, daß die Rückenregion des embryonalen
Handbuch der Entwickelungslehre. I. 60
D46
0. Hertwig,
den Schließungsprozeß eines
p. 81).
Gastrula-Örniundes zu
Wirbeltieres dui-cli
Stande komme (1.
Wie aus der
einer Betrachtungsweise geführt woi'den, welche von dem von mir ver-
tretenen und von vielen Embryologen geteilten Standpunkt sehr abweicht.
Ob seine Vorstellungen einfacher und einleuchtender sind, wie Hubrecht
hofft, und ob die Tarsiusentwickelung, für welche die Materialbeschaffung
schon so außerordentlich schwierig ist, ein geeigneter Boden für eine
vollständige Umarbeitung der Keiiublätterprobleme ist, wird die Zukunft
lehren.
c.
kurzen Darstellung hei'vorgeht, ist Huijrecht jetzt zu
geführt woi'den.
C. Der Mensch.
In die Keimblattbildung" beim Menschen einen Einblick zu ge-
winnen, ist mit der größten Schwierigkeit verknüpft; denn es geschieht
außerordentlich selten, daß menschliche Keime aus so früher Zeit, wo
die Keimblätter sich bilden, in gut erhaltenem Zustand in die Hände
des Embryologen geraten. Ueber einige wichtige Verhältnisse sind
wir gleichwohl aufgeklärt worden durch die sorgfältige Untersuchung
von menschlichen, etwa der jf. Woche angehörenden Embryonen, welche
von Graf Spee, Mall, Kollmann, Eternod beschrieben worden sind.
Namentlich sind die Mitteilungen von Spee über eine mensch-
liche Keimscheibe mit offener Medullarrinne und Canalis neurentericus
sehr lehrreich. Die Embryonal-
^ — -^..,.. — ^ anläge (Fig. 025) ist vom weiten
Dottersack nur wenig abgegrenzt,
^ schuhsohlenartig, dorsalwärts von
<i&
/..
/
j
t
V.
dem ziemlich dicht anliegenden
ringsum
einge-
Amnionsack
schlössen, am hinteren Ende durch
einen kurzen Bauchstiel mit dem
Chorion verbunden. Dicht vor
dem Bauchstiel ist auf der Em-
bryonalanlage eine kurze Pri-
mitivrinne und zwischen ihr und
der Medullarfurche „ein ring-
förmiger Wulst nachzuweisen, der
seiner Lage nach dem Hensen-
pr —
bst
^Jm[
\r
-iW^.
Fig. 625. Menschliche Schuhsohlen -
artige Embryonalanlage mit Dottersack.
Das Amnion geöffnet, Länge 2 mm.
Dorsalansicht, nach Graf Spee. Aus
Kollmann (A. L. II 1898, Fig. 33). a
Amnion. b»t Bauchstiel. cn äußere
Mündung des Canalis neurentericus.
(/.-; Dottersack, mr Medullarrinne. pr
Primitivstreifen.
sehen Knoten entspricht" und ein dreieckig-rundliches, weites Loch,
die
dorsale
Ueber die
Ausmündung
des Canalis neurentericus, einschließt.
Beziehungen der einzelnen Teile zu einander
giebt
der
Medianschnitt (Fig. 626) Auskunft ; er lehrt namentlich, wie der besonders
gut ausgeprägte neurenterische Kanal die Embryonalanlage fast senk-
recht durchbohrt und so zwischen Amnionhöhle und Dottersack eine
Die Lehre von den Keimblättern.
947
weite Verbindung von 0,024 nini Durchmesser herstellt. „Kein Tier-
eml)ryo", bemerkt hierzu Graf Spee, ,,hat mir von diesen Verhältnissen
so klare Bilder geliefert, wie die vorliegende menschliche Keimscheibe".
Auf einer (>)uerschnittserie wurde sein Lumen 4mal geti'oifen. An
den Durchschnitten (Fig. ()27j sieht man den Ektol)last, welcher im
ganzen Bereich der Keimscheibe drei- bis vierscliichtig ist, unter Bei-
behaltung seiner dicken Beschaffenheit ventralwärts umbiegen, die
Wand des neurenterischen Kanals bilden, hierauf abermals umbiegen
und ins innere Keimblatt übergehen, wobei die Zellenlage sich plötz-
r. .,^0^-
\.
, .^
x
''-i
^
cliz
: cho
am .. _
ch
hz
m»
ms
:*r---j
bst
pr
al
- ik
hl
Fig. 626. Medianschnitt durch das menschUche Ei von Fig. 625, nach Graf
ÖPEE. Aus KoLLMAXN (A. L. II 1898, Fig. 36). am Amnion, al Allantoisgangim Bauch-
stiel, ch Chordaanlage, cho Chorion. chz Chorionzotten, bst Bauchstiel, hl Blut-
gefäße, ds Dottersack, ik Entoderm. hz Herzgegend, ms Mesoderm.
ak
mk __! — i<
ik —
^Si^&ia:
Fig. 627. Querschnitt durch den Canalis neurentericus des menschlichens Embryos
von 2 mm, nach Graf Spee. Aus Kollmann (A. L. II 18'J8, Fig. 50). ak, ik, mk äußeres,
inneres, mittleres Keimblatt.
60*
948
0. Hertwig,
Hell verdünnt und in ein einfaches, dünnes Plattenei)itliel umwandelt.
Wälirend so äulk!res und inneres Keimblatt in ununterl)rochener Ober-
Häclienverbindung miteinander stehen, fehlt im seitlichen und vorderen
Umfang- des Canalis neurentericus jede Verbindung mit dem Mesoderm.
Nach vorn geht das äußere Keimblatt durch Vermittelung des Canalis
neurentericus in die Chordaanlage über. Dieselbe stellt einige Schnitte
weiter kopfwärts von der Kanalwand eine einschichtige Platte kubischer
bis cylindrischer Zellen dar und bleibt stets dicht an die untere Fläche
der Meflullarplatte angelagert. Seitlich von ihr ist das mittlere Keim-
blatt schon Iteiderseits abgetrennt.
Auf Schnitten durch das vordere Ende des Primitivstreifens, in
welche sich die hintere Wand des neurenterischen Kanales fortsetzt,
ändert sich der Zusammenhang der Keimblätter, insofern jetzt das
äußere mit dem mittleren in direkte Verbindung tritt. Graf Spee hat
hierüber ein Querschnittsbild (Fig. 628) veröffentlicht, welches der vom
Ivaninchen früher mitgeteilten Abbildung (Fig. 604) zum Verw^echseln
ähnlich ist. Man bemerkt eine tief einschneidende Primitivrinne und
an der leicht kenntlichen seitlichen Urmundlippe (til) den Umschlag
des äußeren Keimblattes (ak) in das parietale Mittelblatt (mk^). Von
diesem ist das viscerale Mittelblatt eine Strecke weit gut gesondert;
es geht unter der Primitivrinne in einen medianen Zellen streifen über,
mit welchem auch das innere Keimblatt eine Strecke weit verschmolzen
ist. Der Zellenstreifen ist ferner noch „in der Medianlinie zu einem
kleinen Wulst von dreieckigem Querschnitt angeschwollen, dessen Spitze
sich zwischen den Ek-
todermlippen der Pri-
mitivrinne einge-
schoben hat'' und so-
mit seiner Lage nach
einem Dotterpfrojjf zu
vergleichen ist.
Fig. 628. Querscliuitt
durch die Priinitivrinne
eines menschlichen Keimes
hinter dem CanaHs neur-
entericus, nach Graf 8pee.
ak,ik äußeres, inneres Keim-
blatt. 7nk^, jnÄ-'' parietales, viscerales Mittelblatt.;;?- Primitivrinne, ul laterale Urmundlippe.
Aehnliche und etwas ältere Stadien menschlicher Embryonen hat
in letzter Zeit auch Eternod beschrieben. Einer von ihnen entsprach
fast Punkt für Punkt dem von Graf Spee untersuchten Embryo. —
Der Bericht von Eternod lautet: „La face dorsale de l'embryon fait
voir: les premiers rudiments d'un sillon medullaire, largement ouvertj
surtout dans la region cephalique; une fourchette neurale ; un blasto-
pore, futur canal neurenterique, perfore, de part en part, mais notable-
raent plus petit que celui signale par F. Graf v. Spee dans son embyon
Gle; une ligne primitive allonge, faisant suite, en arriere, au blasto-
pore; enfin deux protuberances caudales saillantes." „Les trois
feuillets blastodermiques primitifs sont partout nettement accuses et
bleu distincts les uns des autres, excepte au partour du blastopore oü
ils se fondent en une masse commune et indivise" (A. L. III ^\ 1898,
p. 186).
An Schnitten durch diesen, sowie einen etw^as älteren Embryo
ak _.
mk'
mk^
ik
—30^.
Die Lehre von den Keimblättein.
949
mit
der
8 Urseüinenten hat Eternod am vorderen
Cliordaaulaue einen Cliordakaual
er in den Canalis neurentericus über.
nnd hinteren Ende
^'ach hinten geht
Zwischen beiden Enden ist
aufgefunden.
die Chordaanlage eine Platte und in das innere Keimblatt eingeschaltet.
'S ed. <Chd
■ i:>J-u.cl
^e-.umß;
EkritcJ- /«•
Fig. 629. Eine menschliche Einbryonahinlage von 2,12 mm Länge, vom Rücken
gesehen, nach Eröffnung des Amnion, nach Eteexod (1S99, Fig. 2).
Nach Eternod entsprechen die Verhältnisse beim Menschen den Be-
funden, welche Lieberkühn, Van Beneden, Carius etc. für ver-
schiedene Säugetiere erhalten haben ; nach seiner Annahme wird auch
beim Menschen zuerst ein geschlossener Chordakanal angelegt, welcher
sich durch Atro])hie und Einreißen der Bodenplatte in den Dottersack
öffnet. Dann wird seine Decke als Chordaanlage in das innere Keim-
blatt eingeschaltet. „II y a positivement chez Thomme", lautet das
Endergebnis von Eternod, „ä une certaine periode de son deve-
loppement. les vestiges de ce que on est convenu d'appeler un canal
chordal ou archenterique; et celui-ci ne differe pas, pour ses traits
principaux, de ce (\w\ est connu pour d'autres mammiferes" (A. L.
III i\ 1899, p. 142).
Litteraturübersicht zu Kapitel III (L. K. III).
V\ Schriften über die Keimblätter im allgemeinen 'L. K. III '). L. K.
Außer den schon A. L. II aufgeführten Lehrbüchern und A. L. I citierten
Schriften von Haeckel 1874, 1875, His 1865, 1874, Eay Lankester 1873, 1877
sind noch aufzuführen :
Allitian. On thc unatomy and physiology of Cordylophora. Pliilos. Trans. R. Soc.
London. Vol. CXLIII. 1833.
jisi^alcy, G. Origine des feuülets hlastodermiqiies chez les vertebn's. Paris ISSß.
SaJfouv, F. M. Comp, of tke early stages in developmeiif. oj vertebrate.i. London 1S75.
— On the structure and homnln(iies of the germinal layers of the embryo. Quart. Jowrn.
micr. Sc. Vol. XX. 1880. '
— Larval forms : their nature, origin and affinities. Quart. Journ. micr. Sc. Vol. XX.
1880^.
Sellonci, G. ßlastoporo e linea primitiva dei Vertebrati. Atti R. Acad. Lincei. Transunti.
Vol. VIIL
— JBla.stoporo e linea primitiva dei Vertebrati. Atti R. .Accad. Lincei. Ser 8. 3Iem.
Vol. XIX. X884:.
950 O. Hertwig,
Jtofu, G. Erste Entwickelungsvorgänge. Anal. Hefte. Ergebnisse. Bd. I. lSf)l. Bd. II.
ISOXi.
Braem, F. Was ist ein Keimblatt f Binl. CentralU. 1S9~>.
Bütschli, (). Zur Entioickelungsgescliichtc der Sngitta. Zeitsrhr. wiss. Zool. Bd. XXIII.
isr.i.
— Bemerkungen zur Gastraeatheorie. 3Iorph. Jahrb. Bd. IX. ISSü.
Choloilkoirslcy , N, Ueber einige Formen des Blastoporus bei tncrobiastischen Eiern.
Zool. Am. 1891.
CUirK'e, J, L. Eesearches on the develojjment of the spinal chord in man, mammalia
and birds. Phil. Trans. Vol. CLXII. 1SG2.
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— Zeitschr. wiss. Zool. Bd. LIII. Suppl. 1892.
— Das Dotterorgan der Wirbeltiere. Arch, mikr. Anat. Bd. XL. 1892,
— Dottersyncytinm, Keimhautrand und Beziehungsn zur Konkrescenzlehre. Erg. Anat, u.
Entw. Bd. TT. 1897,
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— Die neueren Forschungen im Gebiet der Keimblattlehre. Deutsch, med. Wochenschr.
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— Ueber die Urmundtheorie und ihre Ariwendung auf die amnioten Wirbeltiere. Arb.
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— Ueber den derzeitigen Stand der Cölomfrage. Verh. d. Deutsch, zool. Ges. 1898,
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Die Lehre von den Keimblättern. 953
2. Sclii-iften über die Keimblätter von Amphioxus iL. K. III 2). j^_ ^
Außer der schon in A. L. III* aufgeführten Litteratur sind zu nennen:
Burchartl, Hangen. Beitruge zur Kenntnis des Amphioxus lanceolatus nebst einem
ausfilhriiclien Verzeichnis der bisher über Amphlo.ius verzeichneten Arbeiten. Jen.
Zeitschr. f. Haturw. ßd. XXXIV. N. F. Bd. XXVII. 1900.
Mlsmond, Jos, Zur Ontogenie des Amphioxus lanceolatus. Biol. Centralbl. Bd. XIV.
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Gafhowski, Tacl, Amphioxus als Grundlage der Mesodermtheorie. Anat. Anz.
Bd. XIV. ISOS.
Hatschek, B. Mitteihingen über Amphioxus. Zool. Anz. Bd. VII. p. 517. ISS-i.
— lieber den Schichtenbau von Amphioxus. Anat. Am. Bd. III. p. 662. 1888.
Klaatsch. H. Die Intercellularstrukturen an der Keimblase des Amphio.cus. Sit.z.-Ber.
Akad. Wiss. Berlin. 1898.
— Bemerkungen über die Gastrida des Amphioxus. Morph. Jahrb. Bd. XXV. 1897.
Kopsch, Fr. Bildwig und Bedeutung des Canalis neurentericus. II. Amphioxus.
Tunicaten. Sitz.-Ber. d. Ges. naturf. Freunde in Berlin. 1897.
JLivoff, B. Ueber Bau und Enticickelung der Chorda von Amphioxus. Mitt. d. Zool.
Stat. zu Neapel. Bd. IX. 1891.
— Ueber einige wichtige Punkte in der Entwickelung des Amphio.rus. Biol. Centralbl.
Bd. XII. 1892.
— Ueber den Zusammenhang von Markrohr und Chorda beim Amphioxus und ähnliche
Verhältnisse hei Anneliden. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. LVI. 1893.
Morgan, T. H. The numbcr of cells in larvae from isolaied blastomeres of Amphioxus.
Arch. f. Entw.-Mech. Bd. HL 1896.
— and Hasen, Annah Piitnant. The gastrulation of Amphioxus. Journ. of 3Iorph.
Vol. XVI. 1900.
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of the Cambridge Phil. Soc. Vol. IX. 1890.
— The early development of Amphioxus. Quart. .lourn. micr. Sc. Vol. XL. 1898.
— Further remarks on the development of Amphioxus. Ebenda. N. S. Vol. XLIII.
1900.
Betzius, G, Das hintere Ende des Rückenmarks 2ind sein Verhältnis zur Chorda bei
Amjihioxiis. Biol. Untersuch. Bd. VII. 1895.
— Zur Kenntnis des centralen Nervensystems von Amphioxus lanceolatus. Ebenda. N. F.
Bd. IL 1890.
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zool. Ges. 1898.
Sobotta. Beobachtungen über den Gastrulationsvorgang beim Amphioxus. Verh. d.
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3. Schriften über die Keimblätter der Cyclostomen (L. K. III 3). l_ p^
Außer der schon in A. L. III ■^ aufgeführten Litteratur sind zu nennen:
Calberla. Zur Fntwickehmg des Medullarrohres und der Chorda dorsalis der Teleostier
und der Petromyzonten. Morph. .lahrb. Bd. III. 1877.
Hatta, S. On the formation of germinal layers m Petromyzon. Journ. of Coli, of Sc.
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Scott, W. B. The emhryology of Petromyzon. Amer. Journ. of Morph. Vol. I. 1887.
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4. Scluiften über die Keimblätter der Amphibien (L. K. III*). l, k
Außer der schon in A. L. III ' p. 79 und L. K. III ' aufgeführten Litteratur
sind zu nennen :
Adler, W. Die Entwickelung der äußeren Körperform und des Mesoderms bei Bufo
vulgaris. Internat. Monatsschr. Anat. u. Phys. Bd. XVIII. 1901.
954 0. Hertwig,
Assheton, Rieh. On tha qrowth in lenqth of the frog einhryo. Quart. Journ. mici\
ISc. JS. S. Vol. XXX Vli. ISO,').
— On the pheutjmena of the fusion of epiblaxtic layer.i in the rabhit and in the frog.
Ebenda. Vol. XXX'VII. is93^.
— Xotes on the ciliation of the ectoderm <f the amphibtan embryo. Ebenda. Vol.
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V. Baer, K, E. Die Metamorphose des Eies der Batrachier. Müller's Arch. f. Anat.
u. Fhys. 1S3J=.
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et des sav. etrangcrs. T. XXXIV. 1S70.
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— Formation des feuillets embryonnaires et de la notocorde chez les urodeles. Bull, de
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- — Die Entwickelung der Keimblätter und der Chorda dorsalis von Rana fusca. Zeitschr.
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— Ueber die Entwickelung der 3Iedullarplatte des Froscheies. Verh. d. Phys.-med. Ges.
in Würzburg. N. F. Bd. XXIII 1889.
— Ueber das erste Auftreten der bilateralen Symmetrie im Verlauf der Entmickelung.
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Außer den schon in A. L. III ^ u. "^ aufgeführten Schriften sind noch zu nennen :
Buclgett, J. S. On the breeding habits of some West-African Jishes with an accomit of
the external features in development of Pr o t op terus annectens etc. Trans.
Zool. Soc. London. Vol. XVI. 1901.
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Senion, Richard. Die „ektodermale Mediannaht" des Ceratodus. Arch. f. Entw.-Mech.
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Die Lehre von den Keimblättern. 957
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Außer den schon in A. L. III '^ aufgeführten Schriften sind noch zu nennen:
Beavcl, J. The yolk-sac, yolk and merocytes in Scylliuni und Lepidosteus. Anat. Am.
Bd. XII. 1896.
Eistnotttl, O. P, Ucber die Entwickehing des Perildasls bei Selachiern. Ai-b. a. d.
Zool. Lid), d. Warschauer Univ. Bd. XVIIl. 1S9S.
Eininert. Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Selachier etc. Anh. f. mikr. Anat.
Bd. L VT u. Diss. Würzburg. 1900.
Haswell, IV. A. On the development of Ileterodonlus (Cestradon) Philippi. Proc. Linn.
Soc. X.-S.-Wales. Vol. XXII. 1897.
His, WUh. Ueber die Bildung der Haifischembryonen. Zeitschr. f. Anat. u. Entw.
Bd. IL 1877.
— liückenfurche und Primitivrinne an der Kopfanlage von Selachiern etc. Verh. d.
Anat. Ges. in StraJ'sburg. 1894.
— Sondsrung und Charakteristik der Entirickelungsstufen junger SelacM&rembryonen.
Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abt. 1891:'-.
— Ueber die Verivachsung von Selachicrkeiinen, besonders über die Untersuchung von
Urmimd utid Primitivstreifen. Verh. d. Ges. deutsch. Naturf. in Wien. 189-t\.
— Ueber den Keimhof oder Periblast der Selachier. Eine histogenetische Studie. Arch.
f. Anat. u. Phys. Anat. Abt. 1897.
Hoffniann, C. K. Contributions a l'kistoire dn developpement des Plagio.stomes. Arch.
Xeerlandaises. T. XVL 1881.
— Sur l'oriqine de fenillet hlastodermique moyen chez les poi.isons cartilagineux. Ibid.
T. XVILL 1883.
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u. Phys. Anat. Abt. 1884.
Kopsch, Fr. Experimentelle Untersuchungen am Primitivstreifen des Hühnchens und
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Jtiickertf J. Zur Keimblattbildung bei Selachiern. Ein Beitrag zur Lehre vom Para-
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— Ueber die Anlage des mittleren Keimblattes und die erste Blutbildimg bei Torpedo.
Anat. Anz. Jahrg. II. 1887.
— Weitere Beiträge zur Keiinblattbildung bei Selachiern. Ebenda. Jahrg. IV. 1889.
— Die erste Entivickelung des Eies der Elasmobranchier. Festschr. z. 70. Geburtstage
V. C. V. Kupffcr. 1899.
Schultz, Alex. Zur Entwickelungsgeschichte des Selachierei es. Arch. f. mikr. Anat.
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— Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Knorpelfische. Ebenda. Bd. XIIL 1877.
Sedgu'ick, Adam. Notes on elasmobranch development. Quart. Journ. micr. Sc. N. S.
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Virchoiv, H. Ueber die Schwanzbildung bei Selachiern. Sitz.-Ber. d. Ges. naturf.
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— Ueber Dottersacknaht und piriinären Kreislauf bei Scyllium. Ebenda. 1897.
— Lieber Unterschiede im Syncytium der Selaclner nach Ort, Zeit und Genus. Ebenda.
1897'K
— Ueber Oberflächenbilder von Selachierkeimen und Mesodermursprungszone. Verh. d.
Anat. Ges. zu Kiel. 1898.
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Ziegler, H. E., vml Ziegler, Fr. Beiträge zur Entwickelungsgeschichte von Torjiedo.
Arch. f. mlkr. Anat. Bd. XXXIX. 1S02.
1116 T). Schriften über die Keimblätter der Knochenfische fTi. K. III '^).
Außer der schon in A. L. III* auffieführten Litteratur sind noch zu nennen:
Sataillon, Engtne. Le bJastoderme et la parahluste chez Irti poissons osseux. Asso-
ciation frun(;aise pour l'avancement des sciences. C. R. 1000.
Berent, Waclaiv, Zur Kenntnis des Parahlasts und der Keimhlätterdifferenzierung im
Ei der Knochenfische. Jen. Zeitschr. f. Natiinv. Bd. XXX. N. F. Bd. XXIII.
IS Od.
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te Amsterdam. 1902.
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Harvard College. Vol. XXIII. 1892.
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Edinb. Vol. XXXlil. 1SS6.
— On the oriqin of the hypobla.^t in pelagic Teleostean ova. Quart. .Journ. micr. Sc.
X. S. Vol. XXV. ISSÖ.
Corning, H. K. Merocyten und Umwachsungsrand bei Teleostiern. Festschr. f.
C. Gegenbaur. Bd. II. 1896.
— Ueber die SteUnng der 3Ierocyten zum Umwachsungsrand beim Lachs. Verh. d. Anat.
Ges. 1890 .
Cunninghani, JT. T. The significance <f Kupffer's vesicle, ivith remarks on other
questions of Vertebrate morphology. Quart. Journ. micr. Sc. Vol. XXV. 188i5.
— On the relations of the yolk to the gastrula in Teleosteans and in other Vertebrate
types. Ibid. N. 's. Vol. XXVI. 1886.
— On soine disputed jjoints in Teleostean embryology. Ann. and Mag. of Xat. bist.
Ser. 6. Vol. VII. 1891.
Dean. Gastrtdatioyi of Teleosts. Science. N. S. Vol. III. 1896.
Fusari, Sur les premieres p/hases de dereloppement des Teleosteens. Arch. ital. de
biol. T. XVIII. 1893.
— Sülle prime fasi di sviluppo dei Teleostei. Atti Accad. Linrei Ilem. Vol. VII. 1891.
Genscli, H. Das sekundäre Entoderm und die Blutbildung beim Ei der Knochenfische.
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1878.
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nebst Beobachtungen über die erste Anlage der Keimblätter und der Chorda bei
Salmoniden. Morph. Jahrb. Bd. X. 1885.
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K. r. Kupffer. Jena 1899.
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— Sur le mode d'accroissement de l'embryon des pioissons osseux. Compt. rend. T. CIV.
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— Recherches sur le developpement des poissons osseux. Embryogenie de la truite^
Journ. de l'anat. et phys. Annee XXIV. p. J^IS. 1888.
Hls, W. Untersuchungen über das Ei und die Entwickelung bei Knochenfischen. Leipzig^
Vogel, 1873.
— Untersuchungen über die Entwickelung von Knochenfischen, besonders über diejenige
des Salmens. Zeitschr. f. Anat. u. Entw. Bd. I. 1876.
— Untersuchungen über die Bildung des Knochenfischembryo. Ebenda. 1878.
— Ueber Zellen- und Syncytienbildung am Salmonidenkeim. Abh. K. sächs. Ges. Wiss.
Math.-phys. Kl. Bd. XXIV. 1898.
Hoffmann, C. K. Zur Ontogenie der Knochenfische. Verh. Akad. Wetenscli. Amsterdam.
Vol. XXI. 1881 u. Vol. XXIII. 1883.
— Zur Ontogenie der Knochenfische. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXIII. 1884:,
— Ueber den Ursprung und die Bedeutung der sogenannten freien Kerne in dem
Nahrungsdotter bei den Knochenfischen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XL VI. 1888.
Jahlonowskif J. Ueber einige Vorgänge in der Entwickelung des Salmonidenembryos
etc. Anat. Anz. Bd. XIV. p. 5S2. 1898.
i — Ueber die Bildung des Medtdlarstranges beim Hecht. Abhandl. u. Ber. d. zool. u.
anthrop.-ethnogr. 3Ius. zu Dresden. Festschr. No. 8. 1899.
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Vcrh. d. Änat. Ges. p. 113. ISOG.
— Die Organisation der Memididyini und Anadidyriii der Knochenfisclie und ihre Be-
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— Homologie und phylogenetische BedetUung der Kupjf'er' sehen Blase. Anat. Anz.
Bd. XVII. 1900.
— Die Entstehung des Bottersackentobla.sts und die Furchung bei Betone acus. Internat.
Monatsschr. Anat. u. Phys. Bd. XVIII. 1901.
— Art, Ort und Zeit der Entstehung des Dottersackentoblastes bei verschiedenen Knochen-
fischarten. Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Phys. Bd. XX. 1902.
V. Kowalewski, M. Die Gastridation tmd die sogenannte Allantois bei den Teleastiem.
Sitz.-Ber. Phys.-med. Soc. Erlangen. 1886.
V — Ueber die ersten Entuickelungsprazesse der Knochenfische. Zeitschr. f. Zool. Bd. XLIII.
188ßK
List, tT. H. Zur Herkunft des Periblasts bei den Knochenfischen. Biolog. Centralbl.
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Morgan, T. H. The formation of the fish embryo. Journ. of 3Inrph. Vol. X. 1895.
— Regeneration in Teleosts. Arch. f. Entic.-Mech. Bd. X. 1900.
Oellachcr. Beitrüge zur Entivickelungs<ieschirhte der Knochenfische. Zeitschr. wiss.
Zool. Bd. XXII. 1872 u. Bd. XXIIL 1873.
— Terata mesodidyma von Salmo Sah. nebst Bemerkungen über einige andere an Eischen
beobachtete Doppehni/sbiJ düngen. Sitz.-Ber. d. k. k. Akad. zu Wien. Abt. I.
Bd. LXVIII. 1873.
Owsjannikoic. Ueber die erstell Vorgänge der Entivickelunq in den Eiern des Coregonus
lavuretus. Bull, de l'Acad. des scienc. de St. Pelersb. T. XIX. 1874:.
Jtaffaele, Fed. Osservazioni sul foglietto epidermico superficiale degli embrioni dei
Pesci ossei. Mitt. Zool. Stat. Neaptel. Bd. XII. 1893.
— Osservazioni intorno al sincizio perilecitieo delle uova dei Teleostei. Boll. Soc. Xatur.
Xapoli. Vol. XII. 1899.
Rauher, A. Ueber Doppelmifsbildungen bei Wirbeltieren. Arch. pieith. Anat. Bd. LXXI.
1877.
— Die Theorieen der excessiven Monstra. Ebenda. Bd. LXXIII. 1878 u. Bd. LXXIV.
1878.
— Giebt es Stockbildungen bei den Vertebraten? y Morph. Jahrb. Bd. V. 1879.
— • Formbildunq und Formstörung in der Enlvirkehmg von Wirbeltieren. Ebenda.
Bd. V, 1879 u. Bd. VI. 1880.
Reinhard, W. Entwickelung der Keimblätter, der Chorda und des Mitteldarms bei den
Cyprinoiden. Zool. Anz. Jahrg. XI. 1888.
— Die Bedeutung des Penblasts und der K^ipfier' sehen Blase in der Entwickelung der
Knochenfische. Arch. f. mikr. Anat. Bd. LH. 1898.
Rienech; Ueber die Sckichtung des Forellenkeimes. Arch. f. mikr. Anat. Bd. V.
18(i9.
Ryder, JF. A. On the formation of the embryonic a.vis of the Teleostean embryo by the
concrescence of the rim of the blastoderm. American Naturalist. Vol. XIX. 1885.
— On the Position of the yolk blastopore as determined by the size of the vitellus. Ibid.
Vol. XIX. 1885».
Schapringer. Ueber die Bildung des Medullarrohres bei den Knochenfischen. Sitz.-Ber.
d. K. Akad. Wien. Bd. LXIV. 1872.
Sobotta, J'oh. Zur Entwickelung von Belone acus. Verh. d. Anat. Ges. 1896.
— Die morphologische Bedeutung der Kupffer'schen Blase. Ein Beitrag zur Gastrulation
der Teleostier. Verh. Phys.-med. Ges. Würzburg. Bd. XXXII. 1898.
Sumner, Francis Bertody. Kupfi'er's vesicle and its relation to gastrulation and
concrescence. ßlem. New York Acad. of Sc. Vol. II. P. 2. 1900.
— The Teleost gastrula and its modifications. Science. N. S. Vol. XI. 1900-'''.
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Verh. d. Anat. Ges. in Stra/sburg. 1894.
— Ueber den Keimhautrand der Salmoniden. Verh. d. Anat. Ges. Basel. 1893.
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the Unit. Stat. fish Commisato». Vol. IX. 1S91.
Ziegler, H. E. Uetier Gastrulati<in der Teleostier. Anat. Am. 1SS7 n. Biol. Cen-
tralhl. Bd. VII. 1SS7.
— Die embryonale EntiHckelnng von Salmo salar. Inaug.-Diss. Freiburg 1SS2.
— Die Entstehung des Periblasts bei den Knocltenßschen. Anat. Am. Bd. XII. ISOG.
7. Schriften über die Keimblätter der Reptilien ( L. K. III ^j.
Außer der schon in A. L. III**, j). 80 aufgeführten Litteratur sind noch zu
nennen :
Baljour. Oti the carly development of the Lacertilia, together ivith sorne obscrvations
on the nature and relations of the primitire streak. Quart. Journ. of microsc. Science.
Vol. XIX. Xo. 5. 1879.
Ballowits, JE. Ein Kapitel aus der Entrcickelungsgeschichte der Schlangen. Die Schick-
sale des Urmundes bei der Kreuzotter und der Ringelnatter. Verh. d. Anat. Ges.
1901.
— Die Gastrulation der Ringelnatter bis zum Auftreten der Falterform der Embryonal-
anlage. Zeitschr. f. iviss. Zool. Bd. LXX. 1901^'.
— Ueber Epithel absto/sung am Urmund. Deutsche med. Wochenschr. Bd. XXVII. 19 Olj.
Corning, H., K. Zur Frage der Blutbildu.ng aus dem, Entodcrm. Arch. mikrosk. Anat.
Bd. XXXVI 1890.
Davenpovt, G., G. The primitive streak and notochordaJ chanal in chelonia. Rad-
clijj'e College Monograph No. 8. Boston 1896.
Davidoff, M. von Ueber praeoralen Darm und die Enticickelung der Praemandibular-
höhle bei den Reptilien (Platydactylus und Lacerta). Festschr. Kupß'er. Jena 1899.
Gerhardt. Die Keiinblattbildnng bei Tropidonotus natrix. 3Iit einem Vorwort von
Oscar Hertwig. Anat. Anz. Bd. XX. 1901.
tlanosik,, J. Quelques remarques sur le devcloppemeut de Lacerta agilis. Bibliogr. Anat.
J. 6. Paris 1898.
Junglow, H. Ueber einige Entwickeln ngsvorgänge bei Reptilien-Embryonen. Anat.
Hefte (Merkel u. Bonnet) Bd. II. 1892.
Krautstrunlc, Tillmann. Beiträge zur Entwickelung der Keimblätter von Lacerta
agilis. Anat. Hefte. Bd. XVIII. 1902.
Kupffer, C. Die Gastrulation an den meroblastischen Eiern der Wirbeltiere und die
Bedeutung des Primitivstreifs. Arch. f. Anat. n. Phys. Anat. Abt. 1882 u. 1884.
Kupffer und Benecke. Die ersten Entwickelungsvorgänge am Ei der Reptilien. Königs-
berg 1878.
Mehnert, E. Gastrulation und Keimblätterbildung der Emys lataria taurica. 3Ior2)h.
Arb. Bd. I. 1891.
— Zur Frage nach dem Urdarrndurchbruche bei Reptilien. Anat. Am. Bd. XI. 189ö.
— Eine Erwiderung nach 2 Jahren. Ebenda. 1895'.
Mitstiktiri, K. Further studies on the formation of the germinal layers in Chelonia.
Journ. Coli. Sc. Imp. Univ. Japan. Vol. V. Tokyo 1891.
— On the paired origin of the mesoblast in veo'tebrata. Anat. A)tz. Bd. VI. 1891^.
— Preliminary note on the process of gastrulation in Chelonia. Ebenda. Bd. VIII. 1893.
— On mesoblast formation in Gecko. Ebenda. 1893'''.
— On the process of gastrulation in Chelonia. (Contributions to the embryology of Rep-
tilia. IV.) Journ. of the Coli, of Sc. Imp. Univ. Japan. Vol. VI. 1893. Tokyo
1894.
— On the fate of the hlastopore, the relations of the primitive streak and the formation
of the posterior end of the embryo in Chelonia together with remarks on the nature
of meroblastic Ova in Vertebrates. Ebenda. Vol. X. P. I. Tokyo 1896.
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— Beiträge zur Entwickelung von Lacerta agilis. Ebenda. 1882.
— Beit7'äge zur Entwickelung der Reptilien. Ebenda. 1883.
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Strahl, H. Ueber Canalisnenrentericus and AUantois bei Laccrla viridis. Ebenda. 1SS3'^'.
— Ueber frühe Entwickelungsstadien von Lacerta agilis. ZwA. Am. 188''i\.
— Ueber Wachstumsrorgänge an Einhrijonen von Lacerta agilis. Abh. d. Senckenberg.
natnrf. Ge.v. 1S84:.
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— Zur Kenntnis der Reptilienentwickehmg. Ergebn. d. Anal. u. Entu\ Bd. IV. 1S94.
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— Beiträge zur Entwickelurigsgeschichte der Reptilien. 1) Die Anlage der Keimblätter
beim Gecko (Platydactyhis facet). Zool. Jahrb. Bd. VI. 1893.
— Die Anlage der Keimblätter bei der nienorguinischen iSumjf Schildkröte (Cistudo lu-
taria). Ebenda. 1893'K
— Zur Frage nach der Entstehung des gastralcn Jlesoderms bei Reptilien. Anat. Anz.
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— Ueber die Gastridation von Cistudo und Chelonia. Ebenda. 1893^.
— Ergebnisse einer Untersuchung des Gastrulutionsprozesses der Eidechse (Lacerta).
Sitz. -Bei', d. Kgl. Preu/s. Akad. d. Wiss. Berlin 1895.
— Zur Enticickelungsgeschichte der Reptilien. 3) Die Anlage der Keimblätter bei der
Eidechse (Lacerta). Zool. Jahrb. Bd. IX. 1893''-.
— Ueber die Verhältnisse des Urdarms und. des Canalis neurentericus bei der Ringel-
natter (Tropidon. natri.v). Sitz.-Ber, Akad. Wiss. Berlin, ßlath.-phys. Cl. 1898 und
Biol. Centralbl. Bd. XIX. 1899.
8. Schriften über die Keimblätter der Vögel (L. K. 111^).
Außer der schon in A. L. III», p. 91 aufgeführten Litteratur sind noch zu
nennen:
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micr. Sc. Vol. XIII. 1873. Auch stud. from the Physiol. Lab. Cambridge. 1873.
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Außer der schon in A. L. III'" aufgeführten Litteratur sind zu nennen:
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— On the phenomenon of the fusion of the epiblastic layers in the rabbit and in the frog.
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Viertes Kapitel.
Missbildungen und Mehrfachbildungen,
die durch Störung der ersten Entwickeiungsprozesse
hervorgerufen werden.
Von
Professor Oscar Hertwig".
Die Entwickelung eines Eies ist auf jedem Stadium von zahl-
reichen äußeren Faktoren abhängig, über welche ich im zweiten Band
meiner Grundzüge der allgemeinen Anatomie und Physiologie einen
kurzen Ueberblick gegeben habe. Tritt eine irgendwie erheblichei'e
Veränderung irgend eines Faktors ein, so ist eine häufige Folge da-
von eine Störung bald leichteren, bald schwereren Grades und eine
Abänderung des normalen Entwickelungsverlaufes bis zu seinem voll-
ständigen Stillstand. Daraus entstehen in der Natur die verschieden-
artigsten Mißbildungen, über welche uns die Teratologie eine syste-
matische Zusammenstellung giebt.
Was in der Natur aus meist unbekannten Ursachen geschieht,
kann der Experimentator durch künstliche Eingriffe in die Entwicke-
lung geeigneter Versuchsobjekte willkürlich hervorrufen. Die Erzeug-
nisse seines experimentellen Geschicks haben aber vor den terato-
logischen Naturprodukten für das wissenschaftliche Studium den großen
Vorzug voraus, daß man eher Gelegenheit hat, das allmähliche Zu-
standekommen der ]\Iißbildung Schritt für Schritt zu verfolgen.
Für die normale Entwickelungsgeschichte ist auch die Störungs-
entwickelung von nicht geringem Interesse. Denn wenn man Gelegen-
heit erhält, einen Prozeß in verschiedenen Modifikationen kennen zu
lernen, so erfährt gewöhnlich unsere Kenntnis von seinem Wesen in
dieser und jener Richtung Vertiefung schon dadurch, daß man durch Ver-
gleichung der verschiedenen Modifikationen besser Wesentliches vom
Unwesentlichen unterscheiden kann, oder dadurch, daß sich uns zuweilen
ganz neue Gesichtspunkte für die Beurteilung eröffnen. So kann das
E X p e r i m e n t auch für den E m b r y o 1 o g e n ein wichtiges
Hilfsmitel zu tieferem Eindringen in das Wesen ent-
wickelungsgeschichtlicher Vorgänge werden.
Zur Erzeugung von tief eingreifenden Störungen in der Entwicke-
lung ist am geeignetesten die Periode von der Befruchtung des Eies
bis zum Abschluß der Keimblattbildung. Daher scheint es uns ge-
rechtfertigt, an das dritte Kapitel noch einen besonderen Abschnitt
über die Störungen in der Keimblattbildung anzuschließen, welche
968 0. Hertwig,
durch experimentelle Eingriffe in die ersten Entwickelungsstadien
hervorgerufen werden können oder in der Natur, aus uns unbekannten
Ursachen entstanden, zu Mißbildungen und Mehrfaehbildungen führen.
Eine erschöpfende Behandlung des Gegenstandes liegt nicht in
meiner Absicht und würde die Aufgaben dieses Handbuches über-
schreiten. Aber in der Weise, wie schon im zweiten Kapitel experi-
mentell hervorgerufene Störungen des Befruchtungs- und des Furchungs-
prozesses beschrieben und besprochen worden sind, soll auch hier,
zum Teil in unmittelbarem Anschluß und in Weiterführung der dort
gegebenen Darstellung, wenigstens eine Auswahl der wichtigsten Ver-
hältnisse kurz zusammengestellt und unter besonderer Berücksichtigung
derjenigen Punkte, welche für Fragen der normalen Entwickelungs-
geschichte von größerem Wert sind, in 4 Abschnitten mit folgendem
Inhalt besprochen werden : 1) Experimentelle Sonderung des Eies in
Keimscheibe und Nahrungsdotter. 2) Beeinflussung des Gastrulations-
prozesses. 3) Beeinflussung des Urmundschlusses und künstliche Er-
zeugung der Spina bifida. 4) Zerlegung des Eimateriales derart, daß
Mehrfachentwickelung die Folge ist.
1. Exi)erimeiitelle Soiicleruiig des Eies in Keimsclieibe und
Nalirungsdottcr.
Wie uns das vergleichend-entwickelungsgeschichtliche Studium im
dritten Kapitel gelehrt hat, ist einer der wichtigsten P'aktoren, durch
welchen die verschiedeneu Arten des Furchungsprozesses und die tief-
greifenden Unterschiede in der Keimblattbildung bei den einzelnen
Klassen der Wirbeltiere bedingt werden, die sehr ungleiche Ausstattung
der Eier mit Nährmaterialien oder Reservestoffen. Je mehr sich solche
in der Eizelle anhäufen, um so mehr bildet sich in dieser ein Gegen-
satz aus zwischen der aktiven Substanz des Protoplasmas und den in
ihr aufgespeicherten Pteservestoffen, welche, für die erste Zeit der Ent-
wickeluug überflüssig, mehr einen Ballast vorstellen und den Ablauf
der Furchung (vergi. auch Kap. II, p. 571) und die Gastrulation
etc. erschweren und verzögern. Höhere Grade der Ansamndung von
Reservestoffen führen schließlich dahin, daß die aktiven und passiven
Substanzen in der Eizelle sich mehr oder minder scharf voneinander
sondern und zur Entstehung des meroblastischen Typus führen. Durch
das Experiment gelingt es nun bei den Am})hibieneiern, die relativ
reich an Dotterplättchen, aber noch nicht schärfer in Bildungsdotter
und Nahrungsdotter gesondert sind, eine solche Scheidung künstlich
herbeizuführen.
Im Froschei, welches zum Experiment diente, sind die Dotter-
plättchen, was wohl für alle Amphibieneier gilt, specifisch schwerer
als die protoplasmatischen Substanzen der Zelle, in welchen sie von
Haus aus in etwas ungleicher Weise angesammelt sind, nämlich reich-
licher am vegetativen Pol, weniger am animalen Pol, der infolgedessen
auch leichter ist. Wenn man nun das befruchtete Froschei sich auf
einem Centifugalapparat entwickeln läßt, so kann der Experimentator
durch geeignete Verwendung der Centrifugalkraft den Gegensatz zwischen
animaler und vegetativer Eihälfte nach Belieben vergrößern. Der Fur-
chungsprozeß bleibt mehr und mehr auf die animale Hälfte beschränkt,
weil die Kerne als die leichtesten Teile in der Nähe des animalen, der
Umdrehungsachse zugekehrten Poles gewissermaßen festgehalten w^erdeu.
Mißbildungen
und Mehrfachbildungen.
969
Man Iv a n n auf diesem Wege schließlich das h o 1 o -
blas tische Frosch ei mehr oder minder in einen mero-
blastischen Typus überführen. Wenn nach 24 Stunden der
Furchungsprozeß unter dem Einfluß der Ccntrifugalkraft genügend
weit fortgeschritten ist, findet man das Froschei (Fig. 6oO) wie das
Ei eines Vogels aus einer kleinzelligen
Keimscheibe, welche später die Blastula-
höhle (kh) einschließt, und einer ungeteilt
gebliebenen, größeren Masse von Nah-
rungsdotter (d) zusammengesetzt. Beide
Fig. 630.
Centrifugalkraft
Froschei, durch den Einfluß der
während der Entwickelung ge-
sondert in eine Keimscheibe und in eine unent-
wickelt gebliebene Dottermasse mit einem Dotter-
syncytium. kh Keimhöhle, «i Kerne im Dotter
(Merocyten). d ungeteilte Dottermasse. Nach
Oscar Hertwig.
— - -i
sind, wenn das Experiment gut gelungen ist, ziemlich scharf mit einer
ebenen Fläche gegeneinander abgegrenzt. Die Uebereinstimmuug geht
sogar so weit, daß sich in der subgerminalen Schicht des Dotters ver-
einzelte Kerne {m) eingelagert finden. Dadurch ist eine dem Dotter-
sjncytium meroblastischer Eier vergleichbare Schicht entstanden.
Wenn Eier mit so weit gediehener Sonderung sich noch weiter
entwickeln würden, so müßten natürlich alle weiter folgenden Prozesse,
die Gastrulation, die Keimblatt- und Embryobildung, ein Gepräge er-
halten, welches vom normalen Befunde sehr abweicht. Fortgesetzte
Experimente in dieser Richtung, vielleicht an größeren Amphibien-
eiern, die sich noch leichter als das Froschei in den meroblastischen
Typus überführen lassen werden, scheinen mir Aussicht auf Erfolg zu
bieten.
2. Beeinflussung des Gastrulationsprozesses.
Für embryologische Experimente der verschiedensten Art hat sich
bis jetzt das Froschei als das weitaus geeigneteste Objekt erwiesen.
Mannigfache Abänderungen des Gastrulationsprozesses sind bei ihm
durch diese oder jene Eingriife, chemische, thermische, mechanische etc.
leicht und sicher hervorzurufen. Es soll hier nur kurz auf die Er-
scheinungen eingegangen werden, welche durch mehrere chemische
Stoffe bewirkt und von Morgan und Tsuda, von mir, von Gur-
wiTSCH, von Chas. B. Wilson genauer studiert worden sind.
Kochsalzlösungen von 0,6 — 1 Proz., in welche frisch befruchtete
Froscheier gebracht werden, verlangsamen ihren Entwickelungsprozeß.
und zwar proi)ortional der Konzentration der Lösung. So fein reagiert
das Froschei auf geringe Schwankungen im Kochsalzgehalt der Um-
gebung, daß schon Unterschiede von 0,1 Proz. deutliche Abweichungen
in der Entwickelung ergeben. Noch wichtiger aber ist die zweite, leicht
festzustellende Thatsache, daß das Ei in seinen einzelnen Abschnitten
in ungleichem Maße durch die Kochsalzwirkung getroft'en wird. Denn
die vegetative Hälfte der Eikugel zeigt sich in üirer Entwickelung
mehr gehemmt und eventuell auch in höherem Maße geschädigt als
die animale. ein Unterschied, der sich unserer Ansicht nach wieder
wie bei den Ergebnissen der Centrifugalversuche, aus
dem ungleichen
970 0. Hertwig,
Protoplasinagehalt der beiden Hälften erkläien läßt. Denn wenn ent-
sprechend der Znnalinie des Kochsalzgehaltes, um mich ganz allgemein
auszudrücken , die Entwickelungsenergic in den protoplasmatischen
Substanzen der Zelle bis zum vollständigen Erlöschen herabgesetzt
wird, so muß sich die Herabsetzung da am meisten äußern, wo das
Protoplasma am spärlichsten zwischen den mehr passiven Dotter-
materialien verteilt ist und daher eine größere Arbeit bei der Zell-
teilung durch Bewältigung des passiven Materials zu verrichten hat.
So werden schon durch den Furchungsprozeß im Froschei durch
relativ sehr geringe Mengen von Kochsalz Unterschiede geschaffen,
welche in dieser Weise im normalen Ei nicht vorhanden sind und die
ihrerseits nun wieder die Ursache werden, daß auch der weitere Ent-
wickelungsverlauf sich zu einem von der Norm abweichenden ge-
staltet.
Durch 0,6-proz. Kochsalzlösung wird die Gastrulation und die
damit in Zusammenhang stehende Embryobildung sehr wesentlich ab-
geändert. Die Einstülpung bleibt längere Zeit auf eine kleine Stelle
der Randzone beschränkt und dehnt sich, was namentlich bei Rana
esculenta der Fall ist, nur sehr langsam seitwärts aus, während sie
nach der Keimblasenhöhle zu sich viel rascher vergrößert und sie bald
ganz verdrängt hat. Vor allen Dingen aber kommt es, solange die
Embryonen haben beobachtet werden können, überhaupt nicht zu einer
Aufnahme des Dotterfeldes in die Urdarmhöhle, wie es bei der nor-
malen Entwickelung durch Kombination zweier Prozesse, 1) der Ein-
stülpung und 2) der Ueberwachsung durch die Urmuudränder ge-
schieht. Wie es bei den Teleostiern und den Sauropsiden während
einer langen Periode der Entwickelung der Fall ist, bleibt die vege-
tative Hälfte der Eikugel in großer Ausdehnung an der Oberfläche
liegen. Wenn endlich der Urmundrand sich der ganzen Randzone
des Eies entlang entwickelt und zu einem Ring geschlossen hat, ist
ein kolossal weiter Blastoporus (Fig. 631 und (332) mit einem Dotter-
Fig. 631 und 632. Ei von ßana fusca,
^)^ rfi^raWÜH^^ dfis nach der Befriichtüng- in einer 0,8-proz.
Kochsalzlösung gezüchtet wurde. Fig. 631
vom Eücken, Fig. 632 von der Seite ge-
sehen. Nach Oscar Hertwig (L. K. IV,
1895, Taf. XX, Fig. 3 und 4). hw Hirn-
wulst, ur Urmundrand. dj Dotterfeld.
Fig. 631. Fig. 632,
pfropf so groß wie das ganze ursprüngliche Dotterfeld oder wie ^/g der
Eioberfläche entstanden.
Außerdem ist aber auch die normale, während des Gastrulations-
prozesses sich vollziehende Verwachsung der Urmundränder, durch
welche das Rückenfeld gebildet wird, gehemmt worden oder geht viel-
mehr in verlangsamter und abgeänderter Weise vor sich.
Die Folge ist eine weitere Uebereinstimmung mit der Fischentwicke-
lung, Der quere Hirnwulst und die seitlichen Medullarwülste legen
sich zu einer Zeit an, wo nur eine kleine Strecke vom Rückenfeld
des Embryos entstanden ist. Die Entfernung zwischen querem Hirn-
wulst und dorsaler Urmundlippe ist eine sehr kleine, und dadurch sieht
die Embryonalanlage bei ihrer ersten Anlage ähnlich wie bei den Fischen
aus, bei denen sie ja auch in so geringer Entfernung vom Keimring
Mißbildungen und Mehlfachbildungen. 971
oder rnnundrand auftritt, daß Rauber sie deswegen einen Vorstoß
desselben genannt hat. (Vgl. Fig. ,'584 u. 39o.)
Auch bei dem Längenwachstum des embryonalen Körpers bleibt
das Dotterfeld unbedeckt. Es nimmt daher der Abstand zwischen
seinem vorderen Rand und dem Ko])fende des Embryos immer mehr
zu. Da nun das Material zum embryonalen Längenwachstum von dem
undifferenzierten Teil der Urmundlipi)en abstammt, die sich inedian-
wärts zusammenschieben, so muß die Zellenbewegung eine von der
Norm wesentlich verschiedene sein (vgl. hierüber p. 737—745).
Während normalerweise die dorsale Urmundlippe bei der Kon-
krescenz über das Dotterfeld nach unserer auf p. 737 gegebenen Dar-
stellung herüberwandert, ist jetzt von einer solchen Bewegung nach
hinten nichts wahrzunehmen. Es muß daher durch den jüngst ge-
bildeten Rumpfabschuitt der ältere Teil in entgegengesetzter Richtung,
also nach vorn, gedrängt werden.
Endlich entwickelt sich bei den in Kochsalzlösung gezüchteten
Embryonen das Schwanzende in einer Weise, welche an die bei den
Selachiern beobachteten Verhältnisse erinnert. Nachdem schon ein
größerer Teil des embryonalen Körpers entstanden ist, beginnt an
dem das Dotterfeld einsäumenden Urmuudring der Teil, an welchem
der Embryo mit seinem hinteren Ende, wie bei den Fischen, ansitzt,
sich als Höcker von dem übrigen Rand abzugrenzen und wie der
Caudallappen oder die Schwanzknospe bei den Selachierenibryonen
über das Dotterfeld frei hervorzuwachsen (Fig. 633). Während bei der
normalen Entwickelung des Frosches hinter dem Schwanzhöcker nur
ein kaum bemerkbarer Rest der LTrmundspalte offen bleibt und zum
After umgewandelt wird, erhält sich hier eine außerordentlich weite,
vom großen Dotterfeld (df) ausgefüllte Oeftnung.
Mit einem Wort, durch die Einwirkung von
Kochsalz in bestimmter Konzentration auf das
Froschei sind die Wachstums Vorgänge (Zellteilungen,
Zellbewegungen etc.) so beeinflußt worden, daß die
Gastrulation und Embryobildung eines holobla-
Fig. 633. Embryo von Eana fusca, welcher nach der
Befruchtung in einer 0,6-proz. Kochsalzlösung 4 Tage lang
gezüchtet wurde, halb vom Rücken gesehen. Nach Oscar
Hertwig (L. K. IV, 1895, Taf. XX, Fig. 16). hp Hirn platte.
s Saum des Hornblattes im Umkreis der Hirnplatte, seh
Schwanzlappen, ur Urmundrand. (// Dotterfeld. -~ ^'
stischen Eies vielfache Aehnlichkeiten und Uebereinstimmungen mit
dem gleichen Prozesse des meroblastischen Eies der Fische gewonnen
hat.
In ähnlicher Weise wie NaCl wirkt nach den von Gurwitsch
ausgeführten Experimenten Bromnatrium, Lithiumchlorid, Strychnin,
(0,15 — 1 Proz.), Coffein, Nikotin auf die Entwickelung des Frosch-
eies ein. Unter ihnen erwies sich „das Lithiumsalz als das am stärksten
formativ einwirkende, chemische Medium".
3. Beeinflussung des TJrmundschlusses.
L^ngleich wichtiger noch für das Verständnis embryonaler Prozesse
als die vorher besprochenen Abnormitäten sind Mißbildungen, die in
der Litteratur als Asyntaxia medullaris (Roux, L. K. IV 1888) oder als
972
0. IIertwig,
Spina bifida (IIertwig, L. K. IV 1892) aufgeführt werden. Sie sind
bis jetzt in der Klasse der Amphibien, der Teleostier und Vögel be-
obachtet worden und kommen zuweilen sowohl aus uns unbekannten
Ursachen in der Natur zu stände, als auch können sie von uns experi-
mentell durch Vornahme bestimmter Eingriffe hervorgerufen werden.
Nach einer 1S92 näher begründeten Auffassung entsteht die Spina
bifida dadurch, daß bei Eiern, die vor Beginn der Gastrulation eine
bestimmte Schädigung erfahren lialjen, in der Folgezeit zwar der eine
Teil der Gastrulation, das Einwandern (Invagination) von Zellmaterial
vor sich geht,
dagegen
der Verschluß des Urniundrandes entweder
ganz
oder teilweise unterbleibt. Unter diesen Umständen bilden
die Urmundränder , nachdem sie sich in ganzer Ausdehnung ent-
wickelt haben, z. B. bei den Amiihibien, einen großen Ring, welcher
das gesamte Dotterfeld einschließt und gleichsam als einen enorm ent-
wickelten PtUSCONi'schen Dotterpfropf von außen am Rücken (Fig. 634,
der Hemmung des Urmund-
635, 636) sichtbar bleiben läßt. Trotz
Fig. C34.
Fig. 635.
Fig. 636.
Fig. 637.
^ mir
Fig. 634. Mißbildung von Rana fusca. Während am Kopfende sich die
Medullarwülste entwickehi, zeigt das hintere Ende einen noch weit geöffneten Ur-
mund. Nach Hertwig (L. K. IV 1892, Taf. XVI, Fig. 27). mir Medullarwülste.
um Urmund mit Dotterpfroj^f.
Fig. 635. JVIißgebildeter Froschembryo mit hochgradiger Urmundspalte, vom
Eücken aus gesehen, k Kopf, kd Eingang in die Kopf darmhöhle, nr Urraund-
rand. ar Afterrinne, d Dottermasse. Nach Hertwig.
Fig. 636. Mißbildung von Rana fusca mit Verschluß des Urmundes im vordersten
Abschnitt des Kopfes, während er sonst noch in großer Ausdehnung geöffnet ist.
Nach Hertwig (L. K. IV 1892, Taf. XVI, Fig. 9). /.• Kopfende. a\/ ^Eingang in
die Kopfdarmhöhle, vr Urmundrand. d Freiliegender Dotter, sk Schwanzknospe.
ar Afterrinne.
Fig. 637. Mißbildung von Rana fusca mit Urmundspalte vor dem Schwanz-
ende, nach Hertwig (L. K. IV 1892, Taf. XVI, Fig. 14). Bezeichnungen wie in
Fig. 635. n Naht.
Schlusses, durch welche die ganze Rückengegend des Embryos nicht
zustande gekommen ist, gehen die Difterenzierungsprozesse in dem
Zellenmaterial der Urmundränder, welche den Rücken durch ihre Ver-
wachsung hätten herstellen sollen, weiter vor sich; nur entsteht jetzt
auf der rechten und linken Seite des Urmundringes eine halbe Medullar-
platte (Fig. 638), eine halbe Chordaanlage, nur eine Reihe von Ur-
segmenten u. s. w. Nach dieser Ansicht beruht also die Spina bifida
auf einer in abnormer Weise fortbestehenden Urmundspalte.
Besonders leicht ist die Mißbildung wieder
auf künstlichem Wege
Mißbildungen und Mehrfachbildungen. 973
bei Frosclieiern liervorzunifen. Oscar Hertwig erhielt sie in großer
Anzahl zufällig dadurch, daß er Froscheier vor der Befruchtung in dem
Uterus des getöteten Weibchens in der feuchten Glaskannner längere
Zeit liegen ließ und nach 1, 2, 3, 4 Tagen eine Portion Eier dem
Uterus entnahm und befruchtete. Infolge der Schädigung entwickeln
sich neben normalen Embryonen in immer größerer Menge die ver-
schiedensten Abnormitäten, darunter besonders auch Embryonen mit
Spina bifida, die man auf jüngeren und älteren Stadien zur Unter-
suchung konservieren kann. Auch wenn die Froschweibchen von den
Männchen längere Zeit getrennt werden, so daß Ueberreife eintritt,
werden die Eier nach vorgenommener Befruchtung, wenn auch in ge-
ringerem Maße, zur Hervorbringung der Spina bifida prädisponiert.
Noch ein anderes Verfahren, welches Ftoux angewandt hat, be-
steht darin, daß mau normale Froscheier nach der Befruchtung auf
irgend einem Teilungsstadium oder selbst auf dem Stadium der Keim-
blase und auch der beginnenden Gastrula mit der erwärmten Nadel
am vegetativen Pol oder an der Randzone oder, wenn die Einstülpung
schon begonnen hat, in ihrer Nähe vorsichtig ansticht. Je früher die
Operation geschieht, eine um so größere Menge von Dotter tiießt an
der Operationsstelle aus der Wunde aus und bildet ein Extraovat.
Auf späteren Stadien wird ein kleiner Zellenbezirk zerstört. Auch
durch derartige Schädigungen und partielle Zerstörungen wird im
ziemlich widerstandskräftigen Froschei, wenn die Entwickelung, wie
es meist geschieht, ihren Fortgang nimmt, Spina bifida (Asyntaxia
medullaris) erzeugt, aber verbunden mit Substauzdefekten ; infolge-
dessen kommen anstatt wohl ausgebildeter Embryonen mit Urmund-
spalte Embryonen zu stände, denen ein Teil des Urmundringes, ^/^
oder gar die Hälfte, fehlt (Hemiembryones laterales oder anteriores
(Roux).
Einen Einblick in die Natur der Mißbildungen mit Spina bifida
welche im einzelnen mannigfache Variationen untereinander darbieten,
geben die Oberflächenansichten (Fig. ßoi — 637) und einige Querschnitte
von jüngeren und älteren Entwickelungsstadien der Urmundspalte
(Fig. 638—639).
Einen geringeren Grad zeigt Fig. 634, die Rückenansicht eines
Eies, bei welchem am ziemlich normal entwickelten Kopfende die
Medullarwülste sich w^eit über die Oberfläche erhoben haben und zum
Verschluß einander zugeneigt sind, dessen hintere Hälfte dagegen
eine Entwickelungshemmung darbietet. Denn während auf diesem
Entwickelungsstadium der Ürmund so weit geschlossen und verengt
ist, daß man ihn kaum noch erkennen kann, stellt er hier ein weites
Loch dar, fast von der Größe des ursprünglichen Dotlerfeldes, das
jetzt als RuscoNi'scher Dotterpfropf aus ihm hervorsieht; zugleich ist
er ringsum von den nach hinten fortgewachsenen Medullarwülsten ein-
gefaßt, die sich in geringer Entfernung von der Urmundlippe aus
dem Ektoderm im Anschluß an die Hirnplatte entwickelt haben. Das
Bild läßt sich den normalen Befunden bei manchen Vogelembryoneu
(Fig. 522) vergleichen, bei denen am Grunde der Medullarfurche die
hier allerdings außerordentlich enge Ausmündung des Canalis neur-
entericus zu erblicken ist.
Viel erheblicher weichen die in den Figg. 635 — 637 abgebildeten
Mißbildungen von der Norm ab. Es läßt sich dies auf den ersten
Blick schon daran erkennen, daß der in der Mitte des Rückens ge-
974
0. Hertwig,
legene Dotterpfropf sowohl größer als
nach dem Koi)feiule zu
also noch mehr den
die Embryonen, mit
älter als im ersten
Am Kopfhöcker hat sich schon die Medullarrinne der Figg. 684
0:35 zum Hirnrohr (Fig. 630—687) geschlossen; die Hörbläschen
hier
sind
nach
ziert.
und
vorgeschoben
vordersten
Ausnahme
in Fig. 684 ist als auch weiter
ist. Die Urmundspalte betriti't
Teil des Rückens. Gleichwohl
von Fig. 686, ihrer
Ausbildung
Fall. Denn ihre Organe sind weiter dift'eren-
Figg.
vom Ektoderm abgeschnürt. Die Plaftscheiben sind an
des Koptliöckers angelegt; am hinteren Ende ist
sind bereits
der unteren Seite
der Urmundrand zu 2 Höckern verdickt, welche, wie die weitere Ent-
wickelung lehrt, die Schwanzknoten {sk) sind und eine rinnenförmige
Verlängerung des Blastoporus zwischen sich fassen, aus welcher später
der After hervorgeht.
An der Grenze zwischen Kopfhöcker und vorderem Rand des
Dotterpfropfes findet sich eine tiefere Rinne, welche man an Median-
schnitten in die Kopfdarmhöhle verfolgen kann. Auf einem Quer-
schnitt (Fig. 688) durch die Mitte von Fig. 635 sieht man die Be-
des Dotterpfropfes oder die seitlichen Urmundränder voll-
grenzung
ständiü- in die Rückenorgane
ditferenziert.
eine
Link.'
s
und rechts liegt eine
halbe Medullarplatte, darunter eine Chorda und an beide schließt sich
ventralwärts links und rechts das mittlere Keimblatt an, das sich schon
in Ursegmente und Seitenplatten zu sondern beginnt. Das Anlage-
material für Nervenrohr und Chorda, welches durch das Ausbleiben
Fig. 638.
Fig. 639.
■"^^r-
'/^^-^■^ Vir
I \m7& - US
,V
^^*=>=iia-rssi^''
Fig. 638. Querschnitt durch das hintere Drittel des Eumpfes der in Fig. 635
abgebildeten Mißbildung, mp Medullarplatte. v Verbindungsstelle der Medullar-
platte mit dem Dotter, ch Chorda, mk mittleres Keimblatt.
Fig. 639. Querschnitt durch das vordere Drittel des Eumpfes im Bereich der
Urmundspalte der in Fig. 636 abgebildeten Mißbildung von Eana fusca, nach Hert-
wig (L. K. IV, 1S92, Tat. XVIII, Fig. 3). mr Medullarrohr. ch Chorda, us Ur-
segment.
des Urmundschlusses in zwei Hälften gespalten ist, macht trotzdem,
je älter der Embryo wird, Fortschritte in seiner Entwickelung. So
hat sich beim älteren Embryo der Fig. 686, bei welchem am Kopf-
ende sich die in Fig. 685 noch offene Hirnplatte zum Hirnrohr ge-
schlossen hat, auch nach rückwärts in dem Umkreis der Urmundspalte
die halbe Medullarplatte zu einem Kervenrohr geschlossen (Fig. 689),
das vom Hornblatt bedeckt ist. Daß dieses Rohr kein normales Rücken-
mark ist, erkennt man leicht an dem Umstand, daß nur seine laterale
Wand verdickt und aus spindeligen Zellen zusammengesetzt ist, die
mediale dagegen nur aus einer einfachen Lage platter Zellen besteht
und weiter nichts als ein Verschlußhäutchen darstellt.
Mißbildungen und Mehrfachbildungen.
975
Die Embryonen mit Urmiinds])alte haben in ihrer Entwickelung
noch bis zur Äusl)ihlung' der Vorniere, der Kiemen und des Schwanzes
verfolgt werden können. Interessant ist hierbei zu beobachten, wie
nachträglich in den allermeisten Fällen doch schließlich eine sehr er-
hebliche Verkleinerung der Urmundspalte, zuweilen sogar ihr voll-
ständiger \'erschluß eintritt. \'om Kopfende aus rücken nämlich die
schon weit differenzierten Rumi)fhälften nach der Medianebene
näher aneinander, indem sie über den Dotterpfropf ähnlich wie auf
einem früheren Stadium und unter normalen Verhältnissen herüber-
wachsen. Der Abstand zwischen beiden Medullarröhren und beiden
Chorden verkleinert sich, bis ein Epidermishäutcheu zwischen ihnen
einen Verschluß herstellt (Fig. 640). Dann legen sie sich noch weiter
bis zur Berührung aneinander. Die Höhlungen der zusarameuge-
schmiegteu halben Medullarröhren werden jetzt nur durch eine dünne
Scheidewand getrennt, die durch Verschmelzung der oben erwähnten,
dünnen Verschlußhäutchen entstanden ist. Später reißt auch die
Scheidewand ein , es fließen beide Hohlräume in einen einzigen
Centralkanal zusammen. Ebenso kann es zu einer Verschmelzung
der linken und rechten Chorda kommen, nachdem sie bis zur Be-
rührung zusammengetreten sind.
Was die beiden Schwanzknospen betrifft, so beobachtete ich häufig
während längerer Zeit ein getrenntes Fortwachsen derselben (Fig. 641).
Die Folge davon ist Spaltung des Körpers nach hinten in einen Doppel-
schwanz mit Nervenrohr, Chorda und Schwanzdarm, aber auch hier
kommt es gewöhnlich noch zu einer nachträglichen Vereinigung, die
an der Schwanzwürzel über der Aftergrube beginnt (Fig. 642). Während
Fig. 640.
Fiff. 041.
Fig. 642.
Fig. 640. Querschnitt durch eine Mißbildung von Rana fusca mit Urmund-
spalte, etwas vor dem Dotterpfropf, nach Hertwig. ch Chorda, d Darm. ?ts
Ursegment. wg WoLFF'scher Gang, r Verbindung zwischen beiden Eückenmarks-
hälften {mr).
Fig. 641. Mißbildung von Rana fu.sca mit normal entwickeltem Kopfende, Ur-
mundspalte in der Mitte des Rückens und Auftreten der Schwanzknospen. Nach
Hertwig (L. K. IV, 1892, Taf. XVI, Fig. 13). l- Kopf, d im Urmundspalt frei-
liegender Dotterpfropf, ur Urmundrand. sk Schwanzknospe, ar Afterrinne.
Fig. 642. Querschnitt durch das Schwanzende eines Embryos von Rana fusca
mit teilweise rückgebildeter Urmundspalte. Nach HERT^^^G'(L. K. VI, 1892,
Taf. XIX, Fig. 24). di halbe Chorda, d Darm, us Ursegment. mr halbes
Medullarrohr. ii Flossensaum.
äußerlich ein einfaches Schwanzende entsteht, an welchem sich dorsal
und ventralwärts die Haut zu einem einfachen Flossensaum erhebt,
können im Innern noch längere Zeit 2 Nervenrohre {mr) und 2 Chorda-
stränge {ch) getrennt nebeneinander liegen. In anderen Fällen (^Fig. 643)
976
0. Hertwig,
scheint die Trennung des Schwanzes in zwei Hälften dauernd erhalten
zu bleiben.
Ein häufiger Befund bei älteren niißbildeten Embryonen ist der
Fortbestand eines Restes des Urmundes als ein kleines Loch in der
Lumbaigegend vor der Schwanzwurzel (Fig. 644). Damit ist denn
Fig. ()48.
IV, 1892, Taf. XVI, Fig. 22).
h Haftnäpfe.
Fig. 643. Mißbildung von
Eana fusca mit gespaltenem
Schwänzende. Nach Hertwig
(L. K^ IV, 1892, Taf. XVI,
Fig. 10- T<i Kiemen, ar After-
rinne. Is, rs linke und rechte
Schwanzhälfte.
Fig. 644. Weit entwickelter
Embryo von Rana fusca mit
rechtwinklig umgebogenem
Schwanzende und einer kleinen,
kaum sichtbaren Oeffnung am
Rücken, dem Rest einer Urmund-
spalte. Nach Hertwig (L. K.
lim. Rest des Urmundes. a After, sf Schwanzflosse.
immer auch eine Spaltung des Nervenrohres in der betreffenden
Gegend in eine linke und eine rechte Hälfte verbunden. Aeußerlich
sind solche Embryonen leicht daran zu erkennen, daß der Schwanz
unter rechtem Winkel dorsalwärts gebogen und mit der Spitze dem
Kopfende genähert ist. Schon auf frühen Entwickelungsstadien be-
ginnt sich diese eigentümliche Krümmung an der Rückenfläche bei
Froschembryonen mit Spina bifida bemerkbar zu machen.
Zu den Mißbildungen mit Urmundspalte rechne ich auch die von
Roux beschriebenen Hemiembryones laterales, welche durch Anstich
mit der erwärmten Nadel erhalten wurden. Weil die Schädigung des
Eies infolge des Einstiches mehr auf eine bestimmte Stelle beschränkt
ist, an welcher der Dotter geronnen und ein Extraovat entstanden ist,
kann sich kein ringförmiger, geschlossener Urmundrand ausbilden. Er
zeigt eine Unterbrechung an der besonders geschädigten Stelle. So
kommen Embryonen zu stände, bei denen nach hinten von einem
kurzen Kopfende nur auf einer Seite des Dotterpfropfes aus dem zur
Ausbildung gelangten Teil des Urmundrandes eine halbe Medullar-
platte und Chorda entstanden ist, während auf der Gegenseite ein
Urmundrand entweder infolge der Zerstörung gar nicht hat entstehen
können oder in der Entwickelung weit zurückgeblieben ist.
Eine andere Auffassung als die hier vertretene über das Zustande-
kommen eines Hemiembryo lateralis hat Roux ausgesprochen. Er
glaubt, daß durch die ersten Teilungen schon im Ei das Anlagematerial
für die linke und rechte Körperhälfte, für Schwanz- und Kopfende
voneinander gesondert würden und daß Hemiembryonen deswegen
entstanden sind, weil durch den Anstich das Anlagematerial für die
eine Hälfte zerstört worden sei. (Nähere Auskunft über diese Streit-
frage findet man Kap. II, p. 626—633.)
Außer beim Frosch ist ein Embryo mit Urmundspalte nur einmal
bei Salamandra maculata beobachtet und von Klaussner ab-
gebildet worden. Kopf und Schwanz sind einfach und erheben sich
als Höcker senkrecht über die Dotterkugel. Der
zwischen ihnen ge-
Mißbildungen und Mehafachbildungen. 977
legene, wie eiu Sattel eingekrümmte Rücken des Rumpfes ist in zwei
Hälften gespalten, deren jede im Halbbogen die sehr ansehnliche, von
Dotter ausgefüllte Urmundspalte umfaßt.
Entsprechende Mißbildungen, wie bei den Amphibien, sind schon
viel früher bei den Knochentischen von Lereboullet (L. K. IV, 1863)
und ÜELLACHER (L. K. IV, 187o), in neuerer Zeit von Rauber
(L. K. IV, 1879) beobachtet und endlich von Kopsch (L. K. IV,
1899) auch auf experimentellem Wege dargestellt worden.
Lereboullet hat seine grundlegenden Untersuchungen an den
verhältnismäßig kleinen und durchsichtigen Hechteiern ausgeführt. Bei
der künstlichen Befruchtung eines wohl nicht mehr ganz normalen
Materiales erhielt er, abgesehen von ziemlich zahlreichen Mehrfach-
bildungen mit 2 und 3 Köpfen, auch sehr verkümmerte Embryonen
ohne Kopf und endlich die uns hier interessierenden Mißbildungen,
die in jeder Beziehung den eben beschriebenen, mißbildeten Frosch-
embryonen entsprechen. Es waren Embryonen, die vorn einen ein-
fachen Kopf und hinten einen einfachen Schwanz besaßen, in ihrer
Mitte aber aus 2 Körpern bestanden, die derart voneinander getrennt
waren, daß sie einen mehr oder minder großen, elliptischen Ring
bildeten.
Jede Hälfte des Ringes stellt bei genauer Untersuchung nur die
Hälfte eines Rumpfes dar. Denn Lereboullet fand auf jeder Seite
nur eine Rückenmarkshälfte und eine Chordahälfte, die sich jedoch
nach vorn im einfachen Kopfteil zu einem Noi'malrückenmark und
einer Normalchorda verbanden. Ferner bemerkte er auf jeder Seite
eine einfache Reihe von Ursegmenten. welche die äußere Seite jedes
Halbringes einnahmen, so daß es aussah, als ob man das Resultat einer
Längsteilung eines einfachen Embryos in zwei symmetrische Hälften vor
sich habe. Auch besaß der einfache Kopf nur 2 Augen und 2 Hör-
bläschen. Dagegen war in jeder Hälfte sehr häufig ein besonderes
Herz aufzufinden, eine Verdoppelung, welche sich ontogenetisch ja
sehr leicht aus der paarigen Anlage des Herzens erklärt.
Fig. 646.
Fig. 645. Hechtembryo mit ^fT^
Spina bifida am Ende des 3. Tages.
Nach Lereboullet. d frei lie- Fig. 645.
gender, die Urmundspalte aus-
füllender Dotter. US Ursegmente. ^ t- ''■ ^^^ pjo-. 547,
Fig. 646. Hechtembryo der
Fig. 645 am 7. Tage, Nach Lere-
boullet. Dieselben Bezeich-
nungen wie in Fig. 645. hb
Hörbläschen, m Eückenmarks-
hälfte im Umkreis der Urmund-
spalte.
Fig. 647. Keimwulst eines
Hechteies von 50 Stunden. Kopie
nach Lereboullet (L. K. IV,
1863, Fig. 32).
Wenn die Embryonen einige Zeit zu leben fortfahren, so nähern
sich die beiden Halbkörper, ganz wie bei der Urmundspalte des Frosch-
eies, und verschmelzen in der Medianebene so weit, daß schließhch
Handbuch der Entwickelungslehte. I. g2
US
978 0. Hertwig,
nur nocli eine sehr kleine, ringförmige Ocffnung am Ursprung des
Schwanzes übrig l)leibt. „La duplicite embryonnaire", schließt daher
Lereboullet, „provieut ici de la Separation des parties symmetriques
de l'embryon normal. C'est ce qui m'a fait dire que les deux corps
embryonnaires dans ces anomalies ne sont en realite que des demi-
corps."
Lereboullet konnte beim Hecht auch die erste Entstehung der
Mißbildung aus dem ringförmigen Keimvvulst (bourrelet embryogene)
beobachten (Fig. (547). Bei anomalen Eiern entwickelte derselbe
nur eine kurze und dicke Kopfanlage, die sich aber zunächst nicht
weiter nach hinten zum Rumpf verlängerte ; dagegen wurde der Keim-
wulst selbst (wenn er sich in den Urmundrand umwandelt), in ganzer
Ausdehnung außergewöhnlich dick und zei'iiel alsbald in eine Reihe
einzelner Ursegmente in derselben Weise, wie sie sich sonst zur Seite
des Medullarstranges bei einem normalen Embryo anlegen. Die beiden
Reihen vereinigten sich später nach vorn im Anschluß an die Kopf-
anlage, nach hinten in der Region, welche später dem Schwanz den
Ursprung giebt.
Aehnliche junge Stadien unserer Mißluldung hat Rauber gelegent-
lich auch bei Eiern der Forelle und des Salmens aufgefunden (Fig. 648
und 649). Nur ein bald kleineres, bald größeres Stück der vorderen
Fig. 648. Fig. 649.
/
r 61
I \ \ '^
];/!• / ---V*/' kr u mi u
u u
Fig. 648. Spaltbildung (Dehiscenz) der vorderen Embryonalanlage von der
Forelle, 16 Tage nach künstlicher Befruchtung. Nach Rauber (L. K. IV, 1879*,
Taf. XLI, Fig. 20). hl dünner Teil der Keimhaut, a Gegend der Augenblase.
V Kopfende, ks in die Rückenorgane sich sondernde Urmundränder (Keimstreifen).
kr Keimring (Umwachsungsrand). u Haken der Embryonalanlage oder die zum
Knopf entwickelte Gegend des Urmundrandes. mi Membrana intermedia.
Fig. 649. Spaltbildung (Dehiscenz) der vorderen Embryonalanlage vom Salmhng,
16 Tage nach Befruchtung. Nach Rauber (L. K. IV, 1879*, Taf. XLI, Fig. 20).
Bezeichnungen wie in Fig. 648.
Embryonalanlage w^ar normal entwickelt, das sich daran anschließende
Stück des Rumpfes aber gespalten und durch einen ansehnlichen
Zwischenraum in zwei Hälften getrennt. Zwischen diesen spannte
sich ein feines Epidermishäutcheu über den Dotter aus. Rauber er-
klärt ebenfalls die Spaltbilduug aus einer mangelnden Konjunktion
des Keimrandes. Linke und rechte Hälfte des Keimringes haben sich
in Organe schon differenziert, ohne sich in der Mittellinie einander
genähert und zur normalen Embryonalanlage verbunden zu haben.
Die Beobachtungen von Oellacher sind besonders dadurch be-
merkenswert, daß sie sich auf Embryonen mit Spina bifida beziehen,
die schon auf einem weit vorgerückten Entwickelungsstadium stehen.
Oellacher erhielt seine Mißbildungen, die er Mesodidymi nannte.
Mißbildungen und Mehrfachbildungen. 979
in großer Zahl aus einer Zucht von Saiblingseiern, die er künstlich
befruchtet hatte. In den extremsten Fällen war die Spaltung sehr
tief und vom Ohrbläschen bis in den Schwanz hinein ausgedehnt; bei
einem anderen Teil war sie nur auf eine kurze Strecke des Leibes be-
schränkt.
Bei der Untersuchung auf Querschnitten wurden die paarigen
Organe, wie Augen, Hörbläschen, Urnieren, Brust- und Bauchtlossen.
niemals in vermehrter Anzahl von Oellacher gefunden. Verdoppelt
fanden sich dagegen alle un})aaren, der Medianebene angehörigen
Organe, in erster Linie das Rückenmark und die Chorda, außerdem
aber auch noch in vielen Fällen der Darmkanal und die aus ihm her-
vorsprossende Leber. Von einer zur anderen Rumpfhälfte schlägt
sich, den kleinen Zwischenraum überbrückend, sowohl die Epidermis
als auch das Darmdrüsenblatt herüber, letzteres, indem es dem Dotter
unmittelbar aufliegt. Durch die Verdoppelung von Herz. Darm und
Leber herrscht zwischen Fisch- und entsprechenden Frosch-Mißbildungen
ein bemerkenswerter Unterschied, der sich übrigens leicht aus den
Verschiedenheiten erklären läßt, die schon bei der normalen Entwicke-
lung von Herz und Darm zwischen holoblastischen und meroblastischen
Eiern bestehen.
Auch bei Fischembrvonen kann die Spaltbildung, welche in den
Anfangsstadien der Entwickelung entsteht, später mehr oder minder
durch nachträgliche Verwachsung wieder rückgängig gemacht werden.
So stellte Oellacher an Querschnittserien durch ältere Embryonen
fest, daß die Verdoppelung der medianen Organe sich noch eine Strecke
weit in äußerlich einfach erscheinende Körperteile, Kopf und Schwanz,
fortsetzt und dabei allmählich in den Normalzustand übergeht. Hierbei
vereinigen sich zuerst wieder die beiden Darmschläuche zur einfachen
Anlage, dann die beiden Rückenmarkshälfteu und zuletzt die beiden
Chordastränge, wie es ja auch bei den Froschembryonen der Fall war.
Die Vereinigung der beiden Körperhälften war bei älteren Miß-
bildungen, die nach dem Ausschlüpfen aus der Eihülle ihren Dotter-
sack schon seit 1 — 2 Wochen verloren hatten, äußerlich vollständig
durchgeführt. „Niemand würde dieselben", bemerkt Oellacher, „für
Mesodidymi halten, der nicht die eigentümlichen Verkrümmungen solcher
in früheren Stadien beobachtet hat. in Stadien, in denen die innere
Duplicität noch äußerlich deutlich erkennbar war."' Auch dies er-
innert an entsprechende Zustände von älteren, ausgeschlüpften Frosch-
larven (Fig. 044).
Die Parallele zwischen den mißgebildeten Frosch- und Fisch-
embryonen läßt sich noch weiter durchführen. Wie bei Froschlarven
die Spaltbildung, auch nachdem nach vorn wieder eine nachträgliche
Vereinigung erfolgt ist, noch am Schwanzabschnitt (Fig. 643) fort-
bestehen kann, so auch beim Saibling. Den Mesodidymi hat Oel-
lacher solche Formen als Katadidymi (Fig. 650) angereiht.
Die Frage, ob beim Fischembryo eine Verwachsung des Keim-
randes zu Stande kommt, haben Forscher, wie Rückert, Kastschenko,
Morgan und Kopsch, auch auf experimentellem Wege zu entscheiden
gesucht. Namentlich hat Kopsch durch geschickte, operative Ein-
griffe an Selachier- und Forellenkeimen eine größere Reihe von Miß-
bildungen erhalten, ähnlich den von Lereboullet, Oellacher und
Rauber gezüchteten Formen. Entweder bevor oder bald nachdem
am hinteren Rande der Keimscheibe die Embryonalanlage sich differen-
62*
980
0. Hertwig,
ziert hatte, zerstörte Kopsch auf einer Seite derselben bald in größerer,^
bald in geringerer Entfernung durch eine Operation eine kleine Strecke
des Keiniringes. Die Ergebnisse waren sehr wechselnde, was ver-
ständlich ist, da der operative Eingriff nicht ein wie das andere Mal
ausfällt. Zuweilen wurden auf diesem Wege Spaltbildungen erhalten^
die den oben beschriebenen sehr ähnlich und dadurch besonders
wichtig sind, daß sie auf sehr frühen Stadien konserviert wurden.
Fig. 651.
Fig. 652.
hb
r
US
kn
Fig. 650. Katadidyrnus eines Embryos vom Saibling. Nach Oellacher (L.
K. IV, 1873). d frei liegender, die Urmimdspalte aiisfüllender Dotter, c die nicht zur
Vereinigung gelangten Schwanzenden des Rumpfes.
Fig. 651. Embryo von Trutta fario mit 16 Ursegmenten. Experimentell er-
zeugte hintere Spaltbildung. Nach Kopsch (L. K. IV, 1899, Taf. XV, Fig. 1). hh
Hörbläschen, ms Ursegmente. kn Knopf, r Rückenmarkshälfte.
Fig. 652. Embryo von Trutta fario mit 16 Ursegmenten der linken, 18 Ur-
segmenten der rechten Körperhälfte. Nach Kopsch (L. K. IV, 1899, Taf. XVI,
Fig. 9). kn Knopf, us Ursegmente. r Rückenmarkshälfte, sp Urmundspalte.
gestellt
Zwei derartige Embryonen sind in den Figg. 651 und 652 dar-
Sie wurden dadurch gew^onnen, daß ungefähr 24 Stunden
vor dem Auftreten des Knopfes genau in der Medianlinie der erst
später erscheinenden Embryonalanlage die Zellen des äußersten Rand-
ringabschnittes mittels des elektrischen Stromes behandelt wurden,
einer Methode, welche ich auf das Froschei zuerst als Ersatz der von
Roux ausgebildeten Operationsweise des Einstiches mit der erwärmten
Nadel angewandt hatte. Der eine Embryo (Fig. 651) zeigt nach Durch-
färbung und in auffallendem Licht, daß die beiden Körperhälfteu von
der Gegend der Gehörbläschen an voneinander getrennt sind durch
eine Lücke, welche mit dem Dotterloch zusammenhängt. An jeder Hälfte
sind Medullarrohr, eine Urwirbelreihe {us), der Knopf {kn) und die Reliefs
am Kopf deutlich zu erkennen. Beim zweiten Embryo (Fig. 652) ist
die Umwachsung des Dotters weiter vorgeschritten; die beiden Körper-
hälften liegen näher aneinander; der zwischen ihnen befindhche Spalt
und auch das vom Randring umfaßte Dotterloch werden von einem
Zellhäutchen, der Deckschicht, überzogen, unter welcher im Dotter
zahlreiche rundliche Kerne des Dottersyncytiums liegen.
Mißbildungen und Mehrfachbildungen. 981
Andere Experimente, bei welchen in geringer Entfernnng links
oder rechts von der Mittellinie, der Gegend der ersten Einstülpung,
operiert wurde, lieferten Embryonen, welche aus einem bilateralem
längeren oder kürzeren Kopfabschnitt nebst einem daran sich anfügenden,
halljen Kunii)f l)estanden. Sie entsprachen also den Ilemiembryones
laterales, welche Roux mit seiner Anstichmethode aus Froscheiern ge-
züchtet hat.
Auf Grund seiner Experimente am Forellenei ist Kopsch hin-
sichtlich der Entstehung der Rückenorgane aus Verschmelzung der
Urmundränder zu einer Auffassung gekommen, von welcher meine
Darstellung etwas abweicht. An dem zelligen Randring unterscheidet
er zwei Bezirke, einen embryobildenden, den schraffierten Bezirk der
Fig. 653, und einen nicht direkt embryobildenden, den nicht schraffierten
Figr. 653.'
Fig. 654.
Fig. 653. Schema einer Forellenkeimscheibe, 24 Stunden nach der Bildung
des ersten Umschlages. Der embryobildende Bezirk ist durch Strichelung bezeichnet.
Nach Kopsch (L. K. IV, 1896).
Fig. 654. Stadium der rautenförmigen Embryonalanlage eines Forellenkeims.
Die in Fig. 653 und 654 sich entsprechenden Bezirke sind durch gleichartige Striche-
lung ausgezeichnet. Nach Kopsch (L. K. IV, 1896). K Kopfteü des embryobildenden
Bezirks. B Knopf.
Bezirk, An dem embryobildenden Bezirk, welcher an der Stelle der
ersten Einstülpung gelegen ist, unterscheidet er noch weiter einen der
Medianlinie näher gelegenen Teil {K), aus dessen Zellen der Kopf
des Embryos entsteht, und jederseits lateral von diesem Bezirke Zellen-
gruppen {E), welche im Laufe der Entwickelung in der Medianlinie
zusammenkommen und sich zum Knopf vereinigen. Den Knopf stellt
er sich als ein Wachstumscentrum vor, von welchem Rumpf und
Schwanz entwickelt werden ; hierbei sollen auch Zeilen des nicht direkt
zum Aufbau des Embryos verwendeten Teiles des Randrings im Laufe
der Umwachsung des Dotters zum Knopf gelangen und dort ebenfalls
zur Bildung des Embryos benutzt werden.
Kopsch glaubt daher, einen Gegensatz in der Bildung des Kopfes
auf der einen Seite und in der Bildung von Rumpf und Schwanz auf
der anderen Seite feststellen zu können (L. K. IV, 1896, p. 121). Der Kopf
entsteht nach seiner Ansicht aus Verschmelzung links und rechts von
der Medianebene gelegener Zellgruppen des Keimringes, Rumpf und
Schwanz dagegen aus einer Wachsturaszone, dem Knopf, welcher von
seinem ersten Auftreten an das hinterste Ende des Embrvos darstellt
982 0. Hertwig,
und Ideii Canalis neurentericus enthält. Seine Ansicht faßt Kopsch
(L. K. IV, 1899, \). .')9) auch in den Satz zusammen, daß „der Knochen-
hschembryo durch das Auswachsen des Knopfes unter Benutzung des
Randringmateriales in die Länge wachse''.
Die Ansicht von Kopsch läßt sich auch als eine Konkrescenz-
theorie mit einigen Modifikationen bezeichnen. Denn wie der Kopf-
abschnitt wird ja auch der Knopf, der dann zu Rumpf und Schwanz
auswachsen soll, durch Verschmelzung zweier seitlicher Anlagen ge-
bildet, so daß im Grunde genommen in Bezug auf die Verwachsungs-
frage ein Gegensatz zwischen vorderem und hinterem Abschnitt gar
nicht besteht. Im übrigen sollte man bei den Experimenten immer
im Auge behalten, daß namentlich im Anfange der embryonalen Ent-
wickeln ng die Zellen vielfach ihre Lage gegeneinander verändern, was
besonders für den hinteren Keimscheibenrand oder den Urmundrand
gilt, an welchem, solange die Gastrulation nicht ganz abgeschlossen ist,
fortwährend Zellen durch Umschlag ins mittlere Keimblatt einwandern.
So läßt sich von vornherein erwarten, daß Zellgruppen, welche auf
sehr jungen Stadien am Urmundrand ihre Lage hatten, nicht denen
entsprechen, welche später in der Medianebene zur Ur mundnaht zu-
sammentreten. Wie der Urmundrand, muß aber auch der sogenannte
Knopf in der Zusammensetzung seiner Zellen als ein veränderliches
Gebilde betrachtet werden ; nach meiner Ansicht ergänzt sich das im
Knopf vereinte Zellenmaterial in demselben Maße, als es sich nach
vorn in die Achsenorgane und Ursegmente diiTerenziert, von hinten
her aus Zellen des Keimringes oder Urmundraudes. Einen solchen
Zuwachs nimmt ja auch Kopsch an, wenn er von einer Benutzung
von „Randringmaterial" spricht. Es kann also der Knopf als ein be-
sonders ausgeprägter Abschnitt des Keimringes oder des vorderen
Urmundrandes definiert werden, an welchem von hinten her Urmund-
material von links und rechts zusammentritt, um sich dann allmählich
wieder nach vorn in verschiedene Organanlagen zu difi'erenzieren und
dadurch das Längenwachstum des Embryos zu vermitteln.
Dem Knoten der Teleostier entsprechen bei den Selachiern die
beiden Caudallappen, bei den Amphibien der mittelste, die Nahtstelle
zeigende Abschnitt der vorderen Urmundlippe, bei den Sauropsiden
und Säugetieren der HENSEN'sche Knoten.
Anmerkung. In ihren Untersuchungen der Mesodidymi der Forelle
machen Oellacher und neuerdings auch Kopsch die Angabe, daß in jeder
Sjjalthälf'te außer der lateral von Chorda und Öemimedulla gelegenen Reihe
von Ursegmenten einzelne Rudimente von solchen auch median zur Aus-
bildung gelangen sollten. Aehnliches hat Roux auch von Troschembryonen
mit Spina bifida beschrieben und den Vorgang als Postgeneration be-
zeichnet. Kopsch erblickt hierin einen Beweis für die UmdilFerenzierung
embryonaler Zellen.
Mir scheint die Angelegenheit noch einer Nachprüfung zu bedürfen,
bei welcher für den Fall, daß eine Reihe medianer Ursegmente sich wirk-
lich entwickeln sollte, der Voi-gang und die Herkunft der Zellen noch
genauer aufzuklären wäre. Denn wenn ich auch die Ansicht vertrete,
daß embryonale Zellen sich je nach den Bedingungen in verschiedener
Weise differenzieren können, so habe ich doch einige Zweifel, ob die
morphologischen Bedingungen für die Entstehung von Ursegmenten an
der medianen Seite der zu einander gehörigen Spalthälften gegeben sind.
Bei den entsprechenden Mißbildungen an Froscheiern, deren ich eine
Mißbildungen und Mehrfachbildungen. 983
große Zahl auf Schnittserien untersucht habe, kommt etwas derartiges
ganz bestimmt nicht vor, und würde ich es hier für ein Ding der Un-
möglichkeit halten, daß aus dem der Spaltliälfte angelagerten Dotter-
material sich Ursegmente herausdifferenzieren sollten.
4:. Zerlegung des Eimaterials derart, daß Mehrfacheiitwickelnng
die Folge ist.
Wie schon Richard Hertwig im 2. Abschnitt des 2. Kapitels,
welcher vom Furchnngsprozeß handelt, näher auseinandergesetzt hat,
sind die ersten Embryonalzellen, welche durch Teilung des Eies ent-
stehen, ihrer Anlage nach gleich; sie können getrennt voneinander
wieder einen vollständigen Embryo, wie er sich normalerweise aus
dem Ei entwickelt, auch für sich hervorbringen ; sie sind, wie Driesch
es ausgedrückt hat, totipotent. Hierdurch ist die Möglichkeit gegeben,
daß aus einem Ei anstatt eines einfachen Embr3'os, wie es die Norm
ist, sich gleichzeitig ihrer mehrere entwickeln. Es müssen nur ab-
norme Bedingungen in der Entwickelung eintreten, durch welche bei
der Furchung des Eies die Embryonalzellen veranlaßt werden, sich
anstatt zu einer Einfachbildung zu einer Mehrfachbildung zusammen-
zufügen. Bei vielen Wirbeltieren ist man imstande gewesen, durch
künstliche Eingriffe in die Befruchtung, namentlich aber in den Fur-
chnngsprozeß, solche Bedingungen zu schaffen. Richard Hertavig
hat bereits in dem von ihm bearbeiteten Kapitel über mehrere der-
artige Fälle berichtet, die ich in Kürze noch einmal zusammenstelle.
Wilson (L. K. IV, 1893) hat durch Schütteln von Eiern des
Amphioxus auf dem Stadium der Zweiteilung die beiden ersten Em-
bryonalzellen aus ihrem normalen Zusammenhange gebracht, derart,
daß sie an ihren Berührungsflächen sich mehr oder minder vonein-
ander trennten oder an einander verschoben (vergl. p. 594—596).
Bataillon erhielt Mehrfachbildungen aus Eiern von Petromyzon
fluviatilis, wenn er sie auf dem Stadium der Vierteilung für einige
Zeit in 1-proz. Kochsalzlösung oder 10-proz. Zuckerlösung brachte.
Hier ist es wohl die Wasserentziehung, welche das feste Zusammen-
haften der Embryonalzellen an den Berührungsflächen aufhebt und
eine Lockerung und teilweise Isolierung derselben von einander herbei-
führt (s. p. 599).
Oscar Hertwig (L. K. IV, 1893), Herlitzka (L. K. IV, 1895
u. 1897) und Spemann (L. K. IV, 1902) haben durch Umschnürung
mit einem Seidenfaden die beiden ersten Teilhälften von Tritoneiern
von einander teilweise zu trennen gesucht und haben auch Herlitzka
und Spemann in einer Zahl von Fällen
Verdoppelungen (Fig. 655) zu stände
gebracht (s. p. 633—635). ^' ^ \ ,_., "" ^
Fig. 655. Ein Ei von Triton cristatus,
bei welchem auf dem Zweiteilungsstadium die
zwei Zellen durch Umschnürung mit einem
Seidenfaden getrennt wurden und sich infolge-
dessen zu zwei selbständigen Embryonen ent-
wickelten. Nach Herlitzka.
Durch Benutzung der Schwerkraft haben 0. Schultze (L. K.
IV, 1894), Wetzel (L. K. IV, 1895, 1896), Chiarugi (L. K. IV, 1898)
984
0. Hertwig,
und ToNKOFF (L. K. IV, 1900)
läge befindliche Eier von Rana,
gleiche Ziel erreicht.
das
Salamandrina
und Triton
dem Zweiteilungsstadium umgekehrt, so daß die leichtere
In Zwangs-
wurden auf
animale Ei-
hälfte nach abwärts gerichtet war. Die Folge des Eingriffes war, daß
in jeder Teilhälfte sich wieder die leichteren und schwereren Sub-
stanzen ihrer Schwere nach umzuordnen suchten und daß hierbei im
gegenseitigen Zusammenhang der beiden Hälften eine Störung und
Lockerung hervorgerufen wurde, in Folge dessen sich jede Teilhälfte
zu einem Embryo entwickelte und mit der andern zu einer Doppel-
verband (Fig. 656 u. 657) [p. 635—637].
bildung
Fig. 656.
A
Fig. 657.
B
Fig. 656. Ei von Rana fusca nach der beschriebenen Methode behandelt. Nach
Wetzel. Aus jeder Eihälfte ist ein Embryo mit MeduUarwülsten entstanden. Beide
Embryonen zeigen Rückenmark und Chorda getrennt, sind dagegen in der Bauch-
gegend verschmolzen, h getrennte Koi)fenden. m Medullarwülste. c Linie, in der
die median gelegenen Medullarwülste zusammentreffen.
Fig. 657 A u. B. Zwei Querschnitte durch die in P^ig. 656 abgebildete Doppel-
niißbildung. Nach Wetzel. A Querschnitt durch vorderes Ende, B weiter nach
hinten von A. o Rinne zwischen beiden Doppelembryonen, ch Chorda, en Darm-
drüsenblatt, ek äußeres Keimblatt, d Darm, mp MeduUarplatte. 7nk mittleres Keimblatt.
Mag nun durch diesen oder jenen Eingriff' in dieser oder jener
Weise der normale Zusammenhang der beiden ersten Embryonalzellen
verändert worden sein, das Ergebnis im Laufe der weiteren Entwicke-
lung ist im großen und ganzen ein ziemlich ähnliches. Aus jeder der
beiden ersten Hälften entsteht durch fortgesetzte Teilung ein Haufen
kleiner Embryonalzellen, der eine gewisse Selbständigkeit für sich
bewahrt und gewissermaßen ein eigenes Bildungscentrum darstellt.
Dies giebt sich im weiteren Verlauf daran zu erkennen, daß in jedem
Zelleuhaufen eine eigene Keimblasenhöhle und später eine eigene Ga-
strulaeinstülpung entsteht (Fig. 658). Jede Gastrula wird dann zu
einem Embryo mit Nervenrohr, Chorda und Ursegmenten.
Die in eine gemeinsame Eihülle eingeschlossenen und von
einfachen Eizelle abstammenden Doppelembryonen können in
schiedener Weise zu einander orientiert und bald in größerer,
geringerer Ausdehnung an den Berührungsflächen untereinander
wachsen sein. Es wird dies von der verschiedenen Art der
einer
ver-
bald
ver-
Ver-
lagerung der ursprünglichen beiden Teilhälften des Eies abhängen.
Mißbildungen und Mehrfachbildungen.
985
Wie verschieden die Lage der beiden Komponenten der Doppelgastrula
znm Beispiel sein kann, zeigt eine Zusammenstellung der Produkte,
welche 4 auf dem Stadium der Zweiteilung geschüttelte Eier vou
Amphioxus geliefert haben (Fig. 659). Die von Wilson aus derartig
verschiedenen Doppelgastrulae gezüchteten
Doppelembrvonen mit Rückenmark, Chorda
und vielen Üi'segmenten zeigen auch dem-
entsprechende, verschiedene Lagen zu ein-
ander.
Fig. 658. Schnitt durch ein komprimiertes und
nach Beginn der ersten Furche gedrehtes Ei von Eana
fusca auf dem Blastulastadium nach Aufhebung der
Kompression. Nach Wetzel. k Keimhöhle.
ausgestatteten
Bei den kleinen, mit geringen Mengen von Dotter
Eiern der Wirbeltiere sind spontan entstandene, das heißt, ohne ex-
perimentelle Eingriffe veranlaßte Mehrfachbildungen außerordentlich
Fig. 659 A — D. Vier Doppelgastrulae von Amphioxus (A, B, C, D) entstanden
durch Schütteln des Eies auf dem Stadium der Zweiteilung, 7 Stunden nach der
Befruchtung. Nach Wilson (L. K. IV, 1893). ?/', u^ nach verschiedenen Rich-
tungen orientierter Urmund der zwei aus je einer Eihälfte entstandenen Gastrulae.
u gemeinsamer Urmund zweier Gastrulae.
selten, bei manchen Klassen überhaupt noch nie beobachtet worden,
dagegen sind sie relativ häufige Befunde bei manchen untersuchten
Arten von Knochenfischen und Vögeln, besonders bei der Forelle und
beim Hühnchen.
Bei Vergleichung der Mehrfachbildungen der verschiedenen Wirbel-
tierklassen untereinander, läßt sich leicht eine Angabe bestätigen,
die schon Hunter gemacht hat, „daß jeder Tierart eine eigene Art
von Mißbilduno; l)esonders eiffentümlich sei'
Rauber (L. K. IV,
1877 — 1883) hat diese Verschiedenheiten mit gutem Erfolg aus Unter-
schieden in der normalen Entwickelung zu erklären versucht. „Die
verschiedenen räumlichen Beziehungen zwischen Ei und Embryonal-
anlage", bemerkt er, ,,die Verschiedenheit in dem Maße der Ver-
wendung des Keimrings für die Embryonalanlage, das Vorhandensein
986 0. Hertwig,
totaler oder partieller Furchung, diese Verhältnisse sind es, welche
die wesentlichen Unterschiede auch der Mehrfachbildungen der ver-
schiedenen Wirheltierabteilungen bedingen, ohne daß das Wesen der
Mehrfachbildungen dabei eine Aenderung erleidet." In ansprechender
Weise hat Rauber von diesem Prinzip ausgehend eine Erklärung für
die eigentümlichen Charaktere der Mehrfachbildungen bei den Knochen-
fischen gegeben.
Die M e h r f a c h b i 1 d u n g e n bei Knochenfischen.
Die weitaus häufigste Form von Doppelmißbildung bei den Te-
leostiern ist die Duplicitas anterior. Man findet in einem Ei
einen Embryo zusammengesetzt aus 2 vollständig normal entwickelten,
mit Kopf versehenen, vorderen Körperenden, die sich nach hinten in
einen gemeinsamen einfachen Paimpf- und Schwanzabschnitt vereinigen
(Fig. 660 C). Hierbei können mannigfache Unterschiede vorkommen,
je nachdem die gemeinsame einfache Körperstrecke des Doppelembryos
kleiner oder größer ausgefallen ist. In einem extremen Fall sind nur
Fig. 660 A — C. Schema einer
dojjpelten Embryonalanlage und
einer daraus entstehenden Dop-
pelmißbildung mit Duplicitas
anterior der Forelle. Nach Rau-
ber aus Kollmann (A. L. II,
1898, Fig. 84). A Doppelte Em-
bryonalanlage am Randwust, B
Wachstum von A, C Vollendung
der Doi^jjelbildung.
die Köpfe doppelt und sitzen einem äußerlich einfachen Rumpf mit
einfachem Schwanzende auf. Im anderen Extrem der Duplicitas an-
terior sind 2 vollständig normal entwickelte Embryonen vorhanden,
die nur mit ihren Schwanzenden eine kurze Strecke weit zusammen-
hängen. Zwischen diesen höheren und geringeren Graden der Ver-
schmelzung lassen sich alle möglichen Uebergänge beobachten.
Endlich sind bei den Knochenfischen, allerdings nur selten, noch
Doppelbildungen beobachtet worden, die man Gastrodidymi oder
Omphalodidymi genannt hat. Man findet 2 in ihrer ganzen Länge
getrennte, vollständige embryonale Körper mit wohlentwickeltem Kopf
und Schwanzende entweder von gleicher oder etwas verschiedener
Größe; untereinander hängen sie nur durch einen gemeinsamen Dotter-
sack zusammen. Die Verwachsung beschränkt sich also nur auf ihre
Bauchfiächen. Sie sind stets so zu einander orientiert, daß ihre Kopf-
und Schwanzenden in der gleichen Richtung liegen, daß die Rücken-
flächen voneinander abgewandt, die Bauchflächen einander zugekehrt
sind, daß sie ferner mit ihren Längsachsen parallel auf entgegen-
gesetzten Hälften der Dotterkugel liegen.
Eine im allgemeinen gelungene Erklärung hat Rauber in seiner
Radiationstheorie der Mehrfachbildungen gegeben, ausgehend
von LIntersuchungen, die ihn gelehrt hatten, daß im Ei schon auf sehr
frühen Stadien die Bedingungen für 2 oder 3 Anlagen vorhanden sind.
W^enn die Keimscheibe noch sehr klein ist, beobachtete er an ihrem
Rand, welchen er in ganzer Ausdehnung als Urmund betrachtet
(Fig. 660 A), das Auftreten mehrerer Anlagen, die von ihm auch „Vor-
stöße des Keimrings" genannt werden und sich zu den Kopfenden
Miübildungen und Mehrfaelibildungen. 987
der Mehrfachbildiingen entwickeln. Indem Rauber die Konkrescenz-
theorie von His annimmt, nach welcher der embryonale Körper durch
Vereinigung- des Keimrings (Konjunktion) entsteht, folgert er aus ihr,
daß sich (lie 2 oder vielen Anlagen abweichend vom gewöhnlichen
Entwickelungsverlauf in das Keimscheibengebiet, namentlich aber in
den Keimring, bei ihrem weiteren Wachstum teilen müssen. Hierbei
müssen je nach der Stellung, welche die mehrfachen Anlagen am
Keimring einnehmen, je nachdem sie näher oder entfernter vonein-
ander liegen, die oben erwähnten, verschiedenen Formen der Monstra
hervorgehen.
Bei der genaueren Erklärung dieser Geschehnisse bezeichnet
Rauber das kleinere Verbindungsstück des Keimrings zwischen 2
Embryoualanlagen als die innere Zwischenstrecke von dem
übrigen größeren Teil, der äußeren Z w i s c h e n s t r e c k e. Ver-
wachsung der beiden Embryonalanlagen tritt von dem Augenblicke
ein, wenn infolge des konjunktiven Wachstums des Keimrings die
innere Zwischenstrecke ganz aufgebraucht ist. Je näher die beiden
Embryonalanlagen am Keimring zu einander entstanden sind, je kleiner
also die innere Zwischenstrecke zwischen ihnen ausgefallen ist, um
so kleiner fällt der verdoppelte Körperabschnitt, um so größer der
einfache Körperabschnitt aus, und umgekehrt. Wenn daher die Em-
bryonalanlagen an den einander diametral entgegengesetzten Rändern
des Keimrings auftreten, und die äußere und innere Zwischenstrecke
gleichgroß sind, so wird die Hälfte des Keimrings von jedem Em-
bryo durch Konkrescenz aufgebraucht, und es entwickeln sich auf
diesem Wege die oben erwähnten, vollständig getrennten, nur durch
den Dottersack verbundenen Doppelembryonen, die Omphalodidymi.
In meinem Aufsatze ,,Urmund und Spina bifida" (L. K. IV, 1892),
in welchem auch die Entstehung der Mehrfachbildungeu eingehend
besprochen worden ist, habe ich die Radiationstheorie von Rauber
mit einigen Modifikationen angenommen. Die Modifikationen sind
notwendig geworden dadurch, daß ich, wie schon früher auseinander-
gesetzt wurde, eine andere Stellung als Rauber zur Koukrescenztheorie
von His einnehme und auch eine andere Ansicht als er von der Be-
schaffenheit des Keimringes habe. Rauber betrachtet den ganzen
Keimscheibenrand als Urmundrand. Er läßt daher die Mehrfach-
bildungen sich aus einer einfachen Gastrula entwickeln, aus einer
Gastrula, an welcher sich zuwider dem normalen Verlauf zwei oder
drei Medullaranlagen bilden. An mehreren Stellen seiner grundlegenden
Abhandlungen erklärt er ausdrücklich: ,,So entwickelt sich bei den
Mehrfachbildungeu aus einer einfachen Gastrula eine mehrfache Neu -
rula."
Dagegen suchte ich die Lehre zu begründen, daß die
M e h r f a c h b i 1 d u n g e n a n f m e h r f a c h e G a s t r u 1 a e i n s t ü 1 p u n g e n
zurückzuführen sind, und nannte sie daher d i e G a s t r u -
lationsth eorie der Mehr fachb ildun gen. Eine Bestätigung
erfuhr meine Auffassung durch die Experimente von Wilson und
kürzlich durch eine Beobachtung von Schmitt. Die Experimente von
Wilson (L. K. IV, 1893) beziehen sich zwar auf ein anderes Objekt,
die Eier von Amphioxus, zeigen aber immerhin so deutlich wie sonst
nirgends, daß schon die Doppelbildung auf dem Gastrulastadium
(Fig. 059) vollkommen ausgeprägt ist, und daß durch die Stellung der
Zwillingsgastrulae zu einander verschiedene Formen der Doppelem-
' ' 1
1 * 1
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b t
uv'
988 0. Hertwig,
bryonen zu stände kommen müssen. Eine direkte Bestätigung meiner
Ansicht hat dagegen Schmitt (L. K. IV, 1902) gehefert, welcher an
einer sehr jungen Keimscheibe der Forelle zwei getrennte Gastrula-
einstülpungen nachweisen konnte.
Um zu erläutern, wie durch die Gastrulationstheorie der Mehr-
fachbildungen die KAUBER'sche Lehre modifiziert wird, bediene ich
mich der Schemata Fig. 661.
C Fig. 661 A—C. 3
, ^ Schemata zur Erläu-
A B ,-'' ~~"v_ terung der Entste-
/ \ hang einer Doppel-
^-''' ~~"-^ / -' "~-v^ \ mißbildung des
y'"'^^\ / .. , '\ / / \ \ Lachses uns 2 Ga-
strnlaeinstülpiingen.
k^, k'- rechte und
linke Kopfanlage
einer Doppelbildung.
e Zwischenstück.
Nach Hertwig (L.
K. IV, 1892).
Im Schema A sind am Keimhautraud in geringer Entfernung von-
einander durch Umschlag zwei Einstülpungen entstanden und haben,
indem sich ihre Einstülpungsräuder in der bekannten Weise in der
Richtung eines Radius zusammengelegt haben, zwei vordere Embryonal-
anlagen {/c^ und k") gebildet. An den die zwei Gastrulaeinstülpuugen
trennenden Teilen des Keimhautrandes der inneren (^) und der äußeren
Zwischenstrecke von Rauber müssen wir wieder unterscheiden den
an jede Embryonalanlage angrenzenden Abschnitt, der allmählich in
Urmundrand umgewandelt und zur Embryobildung weiter aufgebraucht
wird, und den Umwachsungsrand, der als punktierte Linie dargestellt
ist. Je geringer nun die Entfernung zwischen den zwei in Ausbildung
begriffenen Embryonalanlagen ist, um so früher muß die innere Zwischen-
strecke zur Vergrößerung der von links und rechts sich ausdehnenden
Urinundränder aufgebraucht und letztere zur medianen Vereinigung
gebracht werden, infolgedessen müssen jetzt auch die ursprünglich
getrennt entstandenen, doppelten Gastrulahöhlen nach hinten in einen
gemeinsamen Hohlraum zusammenttießen, und ebenso müssen sich die
Embryonalanlagen mit ihren hinteren Enden immer mehr nähern bis
zu vollständiger Vereinigung. Aus Schema A ist Schema B hervor-
gegangen.
Im weiteren Verlauf können nun die Urmundränder sich auf
Kosten des Umwachsungsrandes nur noch auf der lateralen Zwischen-
strecke vergrößern; sie verhalten sich jetzt genau wie die Randteile
einer einfachen G a s t r u 1 a und legen sich dementsprechend all-
mählich in der Medianebene zur Ijildung eines einfachen Rumpfteiles
zusammen, wie in Schema B und C dargestellt ist.
Gegen die RAUBER'sche Theorie, sowie überhaupt gegen die Kon-
krescenztheorie der Doppelerabryonen hat sich in letzter Zeit F. Schmitt
(L. K. IV, 1902) ausgesprochen. Als Gegengrund führt er an, daß,
wenn bei Duplicitas anterior die Verschmelzung zu einem einfachen
Rumpf äußerlich eingetreten sei, doch ausnahmslos noch im Innern
bei Untersuchung auf Schnitten eine partielle Verdoppelung nach-
zuweisen sei, welche erst allmählich weiter caudalwärts schwinde.
„Ich habe gesehen", bemerkt Schmitt, gestützt auf die Untersuchung
von Schnittserien durch 30 Doppelembryonen, ,,daß die Hinterenden
Mißbildungen und Mehrfaclibil düngen. 989
der Embryonen, sobald sie zusammentreffen, miteinander verwachsen,
daß alsdann die Keimblätter des einen Embryos in der Symmetrie-
ebene ohne Grenze übergehoii in die entsprechenden des anderen, daß
jeder Embryo nicht als Halbbildung, sondern als Ganzbildung nach
rückwärts weiterwächst, und daß dann alsbald die innenständigen
Seiten, besonders die innenständigen Mesoderme, beträchtlich schwächer
ausgebildet werden als die außenständigen."
Ich gebe zu, daß die von Schmitt hervorgehobenen Thatsachen,
sowie auch andere durch Kopsch experimentell ermittelte Verhältnisse
sich mit der Koukrescenztheorie von His, die auch Rauber seiner
Erklärung zu Grunde gelegt hat, nicht vereinbaren lassen. Die Kou-
krescenztheorie von His versagt, weil nach ihr sich in schematischer
Weise bestimmte Punkte des Keimringes der einen Seite mit solchen
der anderen Seite zur Herstellung bestimmter Abschnitte des embryo-
nalen Körpers verschmelzen sollen.
Nach der Darstellung jedoch, die ich in der Urmundtheorie ge-
geben habe, liegt das Verhältnis wesentlich anders. Nach ihr findet
ein von voi-n nach hinten allmählich fortschreitender Umwandlungs-
prozeß statt, bei welchem das an den Urmund angrenzende Zellen-
material des Umwachsungsrandes zur weiteren Vergrößerung desselben
verwandt wird, bei welchem ferner die auf das jüngst gebildete Ende
des Embryos folgende Urmundstrecke zum Längenwachstum desselben
aufgebraucht und in verschiedene Organe diff"ereuziert wird. Hierbei
kann das Zellenmaterial in den einzelnen Fällen je nach den Bedingungen,
in die es gerät und die bei der Entstehung von Mehrfachbildungen
andere sind als bei der normalen Entwickelung, in sehr verschiedener
Weise zur Organdiff'erenzierung dienen.
In meinem Lehrbuch ,,Die Zelle und die Gewebe" (Teil II, p, 153)
habe ich die Doppelmißbildungen mit als ein sehr wertvolles Beweis-
material für die Lehre aufgeführt, daß die Embryonalzellen nicht von
vornherein für bestimmte Aufgaben im Entwickelungsprozeß specifiziert,
sondern, wie sich Driesch ausdrückt, totipotent sind, also je nach
den Umständen zum Aufbau dieses und jenes Organes und Gewebes
verwandt werden können. „Wer nur irgendwie", bemerkte ich an der
angeführten Stelle, „mit den Grundprozessen bekannt ist, durch welche
sich die Entwickelung eines Tieres vollzieht, wird einsehen, daß die
Gesetzmäßigkeiten, welche in der außerordentlich regelmäßigen Zu-
sammenpassung der korrespondierenden Organe der linken und der
rechten Körperhälfte auch bei den Doppelmißbildungen zu beobachten
sind, sich allein aus Wachstumskorrelationen begreifen lassen, das
heißt aus den Beziehungen, in welche die vorhandenen, bestimmt ge-
lagerten Embryonalzellen durch den Entwickelungsprozeß gebracht
werden. Alle Präformationshypothesen versagen hier ihren Dienst oder
müssen mit Zusatzhypothesen derart beladen werden, daß sie auch
dadurch in das Gegenteil verwandelt werden."
Von meinem Standpunkte aus läßt sich die von Schmitt betonte
Thatsache, daß jeder der beiden Embryonen noch eine Zeit lang nicht
als Halbbildung, sondern als Ganzbildung nach rückwärts weiterwächst,
auch nachdem ihre Hinterenden zusammengetroffen und miteinander
verschmolzen sind, leicht erklären und steht zu meiner Auffassung
in keinem Widerspruch, Beide Embryonen besitzen ja an der Stelle,
wo sie zusammentreffen, einen gemeinsamen Urmundrand, der sich, wie
Schema Fig. 661 B zeigt, wie ein Keil zwischen die jetzt gleichfalls näher
aneinander gerückten, lateralen Urmundstrecken dazwischenschiebt.
990 0. Hehtwig,
Der Urmundrand stellt nun eine Wachstumszone dar, an welcher
alle 3 Keimblätter zusammenstoßen und Zellen liegen, die sich in
Rückenmark, Chorda und Ursegmente differenzieren. Solange also
noch ein Stück dieses keilförmig vorspringenden Urmundrandes be-
stehen bleibt, wird es nach links und rechts an die äußerlich ver-
einten beiden Embryonen Zellenmaterial abgeben, das sich mit den
lateral gelegenen Urmundstrecken verbindet und zum getrennten Weiter-
wachsen ihrer Achseuorgane verwandt wird. Ein Ersatz für das zum
Organ Wachstum verwandte Material des Keiles kann jetzt freilich nicht
mehr vom Umwachsungsrand her herangezogen werden, da er an der
medialen Zwischenstrecke schon vollständig aufgebraucht ist. Aber
eine Ergänzung, wenn auch in unvollständiger Weise, kann noch durch
fortwährende Vermehrung des indifferenten Zellenmaterials des keil-
förmigen Urmundrestes geschehen, wobei es sich vom Dotter her
ernährt. Dasselbe findet ja auch später statt, wenn sich die Schwanz-
knospen gebildet haben, die ebenfalls eine von der Umgebung isolierte
Wachstumszone darstellen, von welcher das spätere Längenwachstum
der Achsenorgane ausgeht und fortwährend neue Ursegmente geliefert
werden.
Erst von der Zeit an, wo der Urmundkeil aufgebraucht ist, wird das
hintere Ende der Duplicitas anterior, welches äußerlich schon vorher
einfach geworden war, auch innerlich in allen seinen Organen einfach
werden. Denn erst von diesem Moment an können linke und rechte
laterale Urmundlippe zu einfacher Naht zusammentreten. Im übrigen
wird wahrscheinlich das Einfachwerden vom Rückenmark und Chorda
und das Ausfallen der beiden medialen Reihen der Ursegmente sich
zu verschiedenen Zeiten vollziehen. Somit trifft der Einw^urf von
Schmitt zwar die Konkrescenztheorie, aber nicht die Urmundtheorie
der Doppelmißbildungen in der von mir gegebenen Fassung.
Außer auf seine Beobachtungen von Doppelmißbildungen beruft
sich Schmitt bei Erhebung seiner Einwürfe auch auf das Ergebnis
der Experimente, welche Kastschenko (L. K. IV, 1888) und Rückert,
Morgan (L. K. IV, 1898) und Kopsch (L. K. IV, 1896 u. 1898) an
Fischeiern angestellt haben. „Morgan", bemerkt er, „durchschnitt an
Eiern von Fundulus den Randwulst an einer Seite der ersten Embryonal-
anlage oder er sengte ihn ab ; auch Kopsch tötete an Forellenkeimen,
deren Randknospe schon deutlich war, die entsprechende Stelle des
Randwulstes, so daß der abgetrennte Randwulst sich nicht mehr mit
dem anderen in der Medianebene des Embryos vereinigen konnte. Es
entstanden trotzdem ganze Embryonen, es waren aber bei diesen die
Organe der operierten Seite, besonders die Urwirbel, schw'ächer aus-
gebildet als die der anderen Seite" (L. K. IV, 1892, p. 79).
Es ist daher am Platze, auch an dieser Stelle noch einmal auf die
Experimente zurückzukommen, deren schon früher (p. 980) gedacht
wurde. Daß sie gegen die Konkrescenztheorie in der I'assung von
His sprechen, gebe ich ohne weiteres zu unter Hinweis auf das hier-
über bei den Doppelbildungen Gesagte (p. 989). Dagegen stehen sie
zu der Urmundtheorie in der von mir gegebenen Fassung so wenig
in Widerspruch, daß sie vielmehr als ein Beweis für ihre Richtigkeit
verwertet werden können.
Wenn Kopsch den Keimscheibenrand namentlich auf jüngeren
Stadien in unmittelbarer Nähe der Embryonalanlage auf einer Seite
zerstörte, so unterblieb auf der operierten Seite das Längenwachstum
Mißbildungen und Mehrfachbildungen.
991
des Embryos, wälireiul es auf der unverletzten Hälfte einen weiteren
Fortgang nahm. Infolgedessen wurde der nach der Operation ent-
wickelte Rumpfabsclinitt, welcher sich an den normal gebauten,
bilateralen Kopfabschnitt anschließt, eine Halbbildung oder ein Hemi-
embryo (Roux), zusammengesetzt aus einem halben Rückenmark, einer
halben Chorda, einer einzigen Reihe von Ursegmenten. Fig. 662
liefert so ein Beispiel für den Erfolg einer derartigen Operation am
Keim eines Scyllium, Fig. 663 au einem Salmonidenkeim.
Fig. 662.
Fig. 663.
Fig. 662. Keimscheibe von Scyllium canicula. a Stadium, auf welchem ope-
riert wurde. Vergr. 10 : 1. b Derselbe Embryo 3 Tage nach der Operation. Vergr.
10 : 1. Nach KOPSCH (L. K. IV, 1898, Fig. 9).
Fig. 663. Salmonidenkeim, operiert am Keimring in geringer Entfernung von
der Mittellinie bald nach Ausbildung der ersten Embryonalanlage (innerhalb des in
Fig. 653 durch Schraffierung bezeichneten Bezirks). Nach KoPSCH (L. K. IV, 1896,
Fig. 7).
Nach der Ausdrucksweise von Kopsch ist durch die Operation
die Wachstums Zone für Rumpf und Schwanz auf der einen
Körperhälfte zerstört worden. Morphologisch ausgedrückt ist nun aber
die Wachstumszone von Kopsch nichts anderes als der noch un-
differenzierte Urmundrand. Wenn dieser auf der operierten Seite voll-
ständig zerstört ist, so hört hier natürlich die Möglichkeit einer Um-
wandlung in Rückenmark, Chorda und Ursegmente auf, während auf
der anderen Seite der erhalten gebliebene Urmund sich in derselben
Weise wie bei Embryonen mit Spina bifida fortentwickelt, also eine
halbe Medullarplatte, eine halbe Chorda und nur eine Reihe von Ur-
liefert.
Einen Teil der von Roux und mir beschriebenen Hemiembryonen,
die aus Froscheiern nach Verletzung oder Zerstörung einer der beiden
ersten Furchungskugelu gezüchtet wurden, habe ich (L. K. IV, 1893)
in derselben Weise erklärt (vergl. auch p. 976).
Andere Ergebnisse erhielt Kopsch bei der Operation, wenn
Strecke des Keimscheibenrandes in größerer Entfernung von
hinteren Ende der in Entwickeluns begriffenen Embryonalanlage
Segmenten
stört wurde (Fig. 664-666). Dann
hinten als Gauzbildung weiter, und
Dotters bildete sich ein mehr oder
Defektes aus.
größerer
ö begriffenen
vergrößerte
nur bei
minder
sich der Embryo
der Umwachsung
Feld
umfangreiches
eine
dem
zer-
nach
des
des
992
0. Hertwig,
In diesen Fällen ist die Zerstörung, wenn ich mich der von mir
eingeführten Ausdrücke bediene, entweder in den Bereich des Um-
l }(j|>st(t.4'J-
^CL.
b ^^
Fig. 664. Embryo von Scyllinm canicula. a Stadium, auf welchem der Embryo
b operiert wurde. Die üperationsstelle ist durch Strichehing bezeichnet. Vergr. 10 : 1.
b Der operierte Embryo 2 Tage nach der Operation. Vergr. 10 : 1. Nach Kopsch
(L. K. IV, 1898, Fig. 7).
Fig. 665.
Fig. 666.
Fig. 665. Embryo von Scyllium catulus. a Stadium, auf welchem operiert
wurde. Vergr. 10 : 1. b Derselbe" Embryo 5 Tage nach der Operation. Vergr. 10:1.
Nach Kopsch (L. K. IV, 1891, Fig. 8).
Fig. 666. Salmonidenkeim, operiert am Keimring in größerer Entfernung von
der Mittellinie (außerhalb des in Fig. 653 durch Schraffierung bezeichneten Bezirks)
bald nach Ausbildung der ersten Embryonalanlage. Nach Kopsch (L. K. IV, 1896,
Fig. 8).
wachsungsrandes oder nur in einen vom Embryo weiter seitwärts ge-
legenen Teil des Urmundraudes gefallen. Mag dieses oder jenes erfolgt
sein, immer geht die Embryonalanlage beiderseits noch an ihrem
hinteren Ende in undifferenzierten Urmundrand über, also in Material,
aus dem die Kosten der Weiterentwickelung bestritten werden können.
Dabei zeigt sich häufig, daß die Ergänzung des Zellenmaterials,
welches durch die nach vorn erfolgende Difterenzierung des Urmund-
raudes aufgebraucht wird, zwar auf der gesunden Seite durch Heran-
ziehung neuer Abschnitte des Umwachsungsrandes in ungestörter,
Mißbild une-en und Mehrfachbildmififen. 993
normaler Weise vor sich geht, auf dei' operierten Seite dagegen auf
Schwierigkeiten stößt. Hier liegt dasselbe Verhältnis vor, wie bei den
Doi)i)elbildungen an dem Teil des Urmundrandes, welcher sich als Keil
zwischen die lateralen Urniundgebiete trennend liiiicinschiebt (Fig. 601).
Man beobachtet häutig eine schwächere Entwickelung der Enibryohälfte,
welche der operierten Seite angehört, namentlich aber eine allmähliche
Größenabnahme der Ursegmente. Zum Ersatz reicht eben das Eigen-
wachstum der unditterenzierten Strecke am hinteren Ende des Embr^^os
nicht vollkommen aus, die Heranziehung von seitlich gelegenem Zellen-
material aber ist durch die Operationsstelle, wenn nicht ganz unmöglich
gemacht, so doch wenigstens erschwert worden.
Also auch hier kann ich keinen Widerspruch zwischen der Theorie
und dem Ergebnis der Experimente erblicken. (Man vergl. auch die
Bemerkung auf p. 982.)
Die M ehr fach bildun gen bei Vögeln (Reptilien).
Ein ganz anderes Aussehen als bei den Fischen bieten die häufig
beobachteten Mehrfachmißbildungen bei den Vögeln dar. Der Grund
hierfür ist, wie schon früher erwähnt wurde, in der großen Verschieden-
heit zu suchen, wie sich die ersten Entwickelungsprozesse in den
beiden Klassen der Wirbeltiere vollziehen, vornehmlich aber in dem
Umstand, daß der Gastrulationsprozeß der Vögel nicht vom Keimhaut-
rand ausgeht.
Wer die Beschreibungen und Abbildungen von Dareste (L. K.
IV, 1877), Panum (L. K. IV, 1860), Rauber (L. K. IV, 1878), Ger-
lach (L. K. IV, 1882), Klaussner (L. K. IV, 1890) und anderen näher
durchsieht, wird finden, daß sehr häufig innerhalb eines gemeinsamen
hellen Fruchthofes 2 oder 3 voneinander getrennte, mehr oder minder
weit entwickelte Embryonen vorkommen. Dabei sind stets die Köpfe
nach dem Centrum des hellen Fruchthofes, die Schwanzenden
nach dem Keimscheibenrand zu gerichtet, wie es dem schon von
Rauber betonten Gesetze ihrer Entstehung nach der Fall sein
muß. Die Achsen der Embryonalanlagen können zu einander den ver-
schiedensten Einstellungswinkel zeigen. Zuweilen sind sie parallel ge-
richtet, wenn sie dicht nebeneinander liegen, oder sie bilden einen
spitzen, öfters einen stumpfen Winkel miteinander. Endlich können
sie auch so orientiert sein, daß die Achse des einen in die gerade
Verlängerung des anderen fällt, die Köpfe nach dem Centrum, die
Schw^anzendeu nach außen gekehrt (Oppositionsstellung).
Mißbildungen mit vorderer Verdoppelung (einfacher Rumpf mit
2 Köpfen), welche bei den Fischen die Regel sind, treten bei den
Vögeln gegenüber den anderen Formen an Zahl sehr zurück.
Ohne Frage wird auch bei den Vögeln, an welche man die Rep-
tilien und Säugetiere bei einer allgemeinen Betrachtung anschließen
kann, der Grund für die Entstehung von Mehrfachmißbildungen in ab-
normen Verhältnissen auf sehr frühen Entwickelungsstadien zu suchen
sein. Vom Hühnchen sind schon öfters Keimhäute beschrieben w^orden,
in deren hellem Fruchthof 2 oder 3 getrennte Primitivstreifen angelegt
waren. Bei Lacerta agilis hat Kopsch (L. K. IV, 1897), bei der
Ringelnatter Wetzel (L. K. IV, 19(X)) eine Keimhaut mit Doppel-
gastrula beobachtet. Also auch hier ist die Vervielfältigung bis auf
den Gastrulationsprozeß zurückzuführen, und aus der Eigentümlichkeit
Handbuch der Entwickelungslehre. 1. ' 63
994 0. Hertwig,
desselben wird wie bei den Knochenfischen der besondere Charakter
der Mehrfachbihlung abzuleiten sein. Da indessen genauere Beobach-
tungen zur Zeit noch fehlen, kann hierauf nicht näher eingegangen
werden.
Die erste Ursache zur Mehrfachentwickelung ist aller Wahr-
scheinlichkeit nach sogar noch in der Zeit vor der Gastrulation zu
suchen. In dieser Beziehung sind gelegentliche Befunde von Inter-
esse, welche Wetzel (L. K, IV, 1900) bei der Präparation zahlreicher
frühester Keimstadien von Tropidonotus natrix erhalten hat. Auf
einem gemeinsamen Dotter (Fig, 667) beobachtete er 4 dicht bei ein-
/ B
g
.D
Fig. 667. Ei einer Ringelnatter mit 4 Keimscheiben auf dem groben Furchnngs-
stadium. Vergr. ca. 1 : 5. ISach Wetzel (L. K. IV, 1900, Fig. 1).
ander gelegene Keimscheibeu, die sich auf dem groben Furchungs-
stadium befanden und durch Bddungsdotter, der noch nicht in Seg-
mente zerlegt war, in Verbindung standen. Es ist wohl sicher
anzunehmen, daß beim weiteren Verlauf des Furchungsprozesses die
4 Zellenscheiben zu einer einzigen verschmolzen werden. Denn bei
zweien derselben sieht man schon jetzt die durch Furchung entstandenen
großen Randsegmente ineinander greifen, wie die stärkere Vergrößerung
von Ä und B lehrt (Fig. 668). Wenn das Ei sich hätte weiter ent-
wickeln können, würde, wie man wohl mit großer Wahrscheinlichkeit
zu erwarten berechtigt ist, die aus 4 Furchungsmittelpunkten angelegte
Keimhaut auch 4 Gastrulae und aus diesen wohl 4 Embryonen hervor-
gebracht haben.
Zum Schluß sei noch auf einen anderen auffälligen und inter-
essanten Unterschied zwischen den Mehrfachbildungen von Knochen-
fischen und von Vögeln die Aufmerksamkeit gelenkt. Bei den
Knochenfischen sind niemals Doppelbildungen mit sekundär verschmol-
zenem Kopfende und doppeltem, getrenntem Rumpf- und Schwänzende
beobachtet worden ; bei den Vögeln entwickeln sie sich häufig. Denn
da die vorderen Enden der Primitivstreifen nach dem Centrum der
Keimscheibe zu dicht zusammenliegen, sind, wie Gerlach (1882) be-
merkt, „vorzugsw'eise die Bedingungen für eine Kollision der Kopf-
enden der beiden Embryonen gegeben". Demgemäß findet man bei
Mißbildungen und Melirfachbildungen. 995
den Doppelmißbildiingen teils eine mehr oder minder tiefgehende Ver-
schmelzung der beiden Köpfe, wodurch dieselben sogar als ein äußer-
lich zwar einfaches, dagegen in hohem Grade mißgestaltetes Gebilde
Fig. 668. Die 2 grob gefurchten Scheiben Ä und B des in Fig. G67 abge-
bildeten Eies stärker vergrößert, ca. 1 : 12. Nach Wetzel (L. K. IV, 1900, Fig. 2).
erscheinen können , teils aber auch nur einen mehr oberflächlichen
Zusammenhang der beiden Köpfe, ferner der Hals- und Brustgegend.
Bei den opponiert einstrahlenden Embryonalanlagen endlich treffen
im Falle einer Verw^achsung die Köpfe direkt aufeinander, woraus
verschiedene Formen der Craniopagen resultieren. Zwischen der
Verschmelzung der Kopfenden zweier Vogelembryonen und der
Bildung eines einfachen hinteren Endes beim Doppelmonstrum eines
Lachses besteht ein prinzipiell ^Yichtiger unterschied. Dort handelt
es sich um ein sekundäres Zusammentreten bereits vollständig und
normal angelegter Körperstrecken, hervorgerufen durch Raummangel
infolgedessen sich die Organe bei ihrem Wachstum gegenseitig be-
einträchtigen. Hier dagegen handelt es sich um die Verschmelzung
zweier Körperhälften, die sich zu einem normal beschatfenen Körper-
abschnitt ergänzen und insofern als Gegenstücke zu einander gehören.
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Zusammenfassung von Kapitel III und IV.
Die Ergebnisse der Keimblattlehre.
Wie uns die Darstellung im dritten und vierten Kapitel gezeigt
hat, gehen auch heute noch die Ansichten der Forscher bei der Deutung
der Prozesse, durch welche die Keimblätter, die ersten Fundamental-
organe des Wirbeltierkorpers, gebildet werden, weit auseinander, trotz
der zahlreichen Untersuchungen, die über jede einzelne Klasse der
Wirbeltiere angestellt worden sind. Das Studium dieser Litteratur
kann leicht den Eindruck erwecken, daß man sich in der Keimblatt-
lehre einem Chaos unvereinbarer Meinungen gegenüber befindet.
Wie bei mehreren Gelegenheiten nachgewiesen und hervorgehoben
wurde, sind es weniger die nackten, von den einzelnen Forschern er-
haltenen Befunde, als vielmehr die an sie augeknüpften Deutungen,
welche zu den Widersprüchen geführt haben. Bei den Versuchen,
die Entwickelung der Keimblätter, die in den einzelnen Klassen der
Wirbeltiere zum Teil ein sehr verschiedenes Gepräge trägt, unter
einheitliche, wissenschaftliche Gesichtspunkte zu bringen, ist keine
Einigung erzielt, eine Keimblatttheorie ist noch nicht allgemein an-
genommen worden. Um so mehr scheint es mir hier am Platze, in
einer kurzen Zusammenfassung den Versuch zu erneuern, eine Ver-
ständigung über einige Hauptpunkte herbeizuführen.
Bei allen Wirbeltieren haben die Entwickelungsprozesse, welche
sich an das Furchungsstadium anschließen, ein und dasselbe Ziel. Es
wird zuerst das Material der Embryonalzellen in die beiden primären
Keimblätter angeordnet, welche als Hohlraum die Darmhöhle um-
schließen; dann werden noch 2 neue Keimblätter, die mittleren, ge-
bildet, welche gewöhnlich in der ersten Zeit ihres Auftretens einer
Höhlung entbehren, später aber eine solche, nämlich das Cölom, er-
halten.
Die Wege aber, auf denen bei den verschiedenen Wirbeltierklassen
die beiden Ziele erreicht werden, zeigen Abweichungen voneinander,
meist geringfügiger, zuweilen auch sehr eingreifender Art. Die Ab-
weichungen sind schon von Anfang an in nachweisbaren Unterschieden
der Eizellen begründet, welche den einzelnen Entwickelungsprozessen
zum Ausgangspunkt dienen, in ihrer ungleichen Größe, ihrem sehr
verschiedenen Gehalt an Dottermaterial, welches im Verhältnis zum
aktiven Protoplasma einen passiven Bestandteil im Ei darstellt, in der
sehr verschiedenen Art und Weise, wie die aktiven und passiven Be-
standteile im Eiraum verteilt sind, und in dergleichen Verhältnissen
mehr. Aufgabe der vergleichenden und experimentellen Entwickelungs-
lehre ist nachzuweisen, wäe durch die von Anfang gegebenen Unter-
schiede in den Eizellen die Wege zur Erreichung der gleichen Ziele
modifiziert werden, und wie diese Modifikationen sich scldießlich doch
1000 0. Hertwig,
auf einige wenige, typische, entwickelungsgeschichtliche Elementarpro-
zesse zurückführen lassen.
In der orientierenden Zusammenfassung sollen drei Punkte be-
sprochen werden :
1) die Entwickelung der beiden ])rimären Keimblätter,
2) die Entwickelung der beiden Mittelblätter,
3) die Vorgänge in der Umgebung des Urmundes.
1. Die Entwickelung der beiden primären Keimblätter oder die
erste Phase der Gastrulation (die (xasträatbeorie).
In einfacher Weise spielt sich die Bildung der beiden primären
Keimblätter nur beim Amphioxus ab, dessen Eier dotterarm sind, keine
bemerkenswerte Sonderung der aktiven und passiven Eibestandteile
aufweisen, einen totalen, äqualen Furchungsprozeß durchmachen, welcher
zu einer Keimblase mit einer einfachen Wand cylindrischer Zellen
führt. Dadurch, daß die eine Hälfte der Blase gegen die andere ein-
gestülpt wird, kommt ein Becher zu stände, die Gastrula, deren Wand
aus einer doppelten Zellschicht, den beiden primären Keimblättern,
besteht, mit emem centralen Hohlraum, dem Ürdarm (Fig. 247 — 251).
Der einfache Prozeß, den man Gastrulatiou genannt hat, kehrt
in dieser typischen Weise bei keinem anderen Wirbeltier wieder. Bei
den Säugetieren scheinen allerdings die Bedingungen für eine typische
Gastrulation gegeben zu sein, da ihre Eier auch Avie beim Amphioxus
dotterarm sind, sich äqual furchen und eine dünnwandige Keimblase
liefern. Gleichwohl tritt eine Gastrulation wie beim Amphioxus nicht
ein. Für ihr Ausbleiben lassen sich auch bei näherer Prüfung wichtige
Gründe auffinden. Denn aus der ganzen systematischen Stellung der
Säugetiere und aus dem weiteren Verlauf ihrer Entwickelung, welche
mit derjenigen der Reptilien und Vögel Uebereinstimmungen in der
Bildung eines Dottersackes und damit zusammenhängender Eihüllen,
sowie in der Bildung eines Dottersackkreislaufes zeigt, läßt sich die
von vielen Embryologen vertretene Ansicht begründen, daß die Eier
der Säugetiere nicht primär dotterarm wie diejenigen des Amphioxus
sind. Vielmehr ist die Annahme geboten , daß die Säugetiere von
Vorfahren abstammen, die einmal dotterreiche Eier wie die Reptilien
besessen haben.
Außer der einfachen Form der Gastrulation, die uns allein Amphioxus
darbietet, lassen sich bei den übrigen Wirbeltieren drei verschiedene
Typen unterscheiden, die wir nach den Tierformen, bei denen sie am
klarsten ausgeprägt sind, als den Amphibien-, den Selachier-
und den R e p t i 1 i e n t y p u s bezeichnen können.
Bei den Amphibien, an welche sich die Petromyzonten, Dipneusten
und einige Ganoiden anschließen, ist die Keimblase (Fig. 278, 279,
334, 336) infolge einer stärkeren Ansammlung von Dottermaterial im
Ei zu einer inäqualen geworden ; das heißt, die eine Hälfte der Blasen-
wand, welche beim Amphioxus zum inneren Keimblatt eingestülpt
wird, ist durch große, besonders dotterreiche, übereinander gelagerte
Zellen sehr erheblich verdickt.
Der Einstülpung (Invagination) ist dadurch ein großes Hindernis
gesetzt. Zu seiner Bewältigung beansprucht der Gastrulationsprozeß
nicht nur eine viel längere Zeit, sondern muß sich auch den ver-
änderten Bedingungen anpassen. Er beginnt langsam an einer sehr
Die Ergebnisse der Keimblattlehre. 1001
kleinen Stelle der Keiniblasenwand, die hierzu besonders prädisponiert
zu sein scheint (beim Froschei z. B. durch ihre geringere Dicke und
die geringere Größe der Zellen) und greift von hier aus allmählich
auf die angrenzenden Bezirke um sich (Fig. 260—2(52, 279, 280, 283,
289—293, 296-298, 335, 337, 338). Der Vorgang kann zu seiner
Vollendung viele Stunden, ja Tage beanspruchen. Hierbei tritt der
Charakter einer sackartigen Einstülpung mehr oder weniger zurück.
Ein Keil von Zellen (Fig. 291, 292*) schiebt sich von der oben er-
wähnten Stelle aus an der Decke der Keimblase entlang, und es dringt
in ihn am Anfang von der Oberfläche her, wo die erste Spur einer
Urmundrinne bemerkbar wird, nur ein enger Spalt, die Andeutung
einer Einstülpungshöhle, hinein, je nach den einzelnen Amphibien-
arten bald mehr, bald weniger tief.
Es giebt nicht wenige Embryologen, welche den eben beschriebenen
Vorgang nicht als Einstülpung gelten lassen wollen. „II n'y a pas
trace d'iuvagination" erklärt z. B. Brächet. Sie bezeichnen den
Hergang bei den Amphibien als eine Entstehung des Urdarmes
durch Delamination. durch eine Aushöhlung oder Spaltbildung inner-
halb der Masse der Dotterzellen. Sie übersehen bei der Beurteilung
des Vorganges die Hauptsache, auf die es ankommt, und dies ist, daß
von einer bestimmten Stelle der Blasenwand aus eine kompakte Zellen-
masse in den inneren Hohlraum hineingedrängt wird, und daß dieses
Zellenmaterial alsbald zur Umgrenzung eines neu sich bildenden, nach
außen geöffneten Hohlraumes, des Urdarmes, verwandt wird.
Man ist berechtigt, auch einen solchen Vorgang, selbst für den.
Fall, daß einige Zeit überhaupt jede Spur einer Höhle fehlen sollte,
was ja übrigens bei den Amphibien keineswegs der Fall ist, eine Ein-
stülpung zu nennen.
Mit Recht unterscheidet man in der Embryologie zwischen der
Bildung einer gleich offenen und einer zunächst geschlos-
senen Tasche und betrachtet die letztere nur als eine Modifikation
der ersteren. Wollte man in anderer Weise verfahren, so w'ürde man
die Entwickelung von keinem einzigen Organ bei den Wirbeltieren
auf vergleichbare Prozesse zurückfüliren können. Denn wie bekannt,
entsteht, um nur einige Beispiele zu nennen, das Rückenmark in vielen
Fällen aus einer Rinne des äußeren Keimblattes als hohles Nervenrohr
(Fig. 312), in anderen Fällen aber als eine Leiste, die sich zu einem
soliden Strang abschnürt (Fig. 267 — 269, 401, 402) und erst später
hohl wird; es entsteht, wie sich Götte in zutreffender Weise aus-
gedrückt hat, einmal als eine offene, das andere Mal als eine ge-
schlossene Falte.
Aehnliches wiederholt sich bei vielen anderen Organen. Hier
entsteht eine Drüse gleich von Anfang an als ein hohles sich ver-
zweigendes Rohr, dort als ein solider, sich verzweigender Zellenstrang,
der sich erst nachträglich aushöhlt. Hier entwickelt sich das Hör-
bläschen aus einer grubenförmigen Einsenkung, dort als eine kompakte
Zellenwucherung des Ektoderms, die sich von ihm abschnürt und
eine Zellenkugel liefert, die auf einem späteren Stadium hohl wird.
In allen diesen Fällen ist die an zweiter Stelle aufgeführte Entwicke-
lungsweise nur eine Modifikation der anderen.
Die Gastrulation der Amphibien ist ferner noch
durch zwei theoretisch wichtigeVorgängeausgezeichnet.
Der eine Vorgang ist der D u r c h b r u c h des Urdarmes in
1002 0. Hertwig,
die Keimblasen höhle (Fig. 294, 295) ; er ereignet sich bei manchen,
besonders dotterreiclien Ampliibieneiern, wenn der Hohlraum in der
noch kleinen, durch Einstülpung gebildeten Tasche sich stärker aus-
zuweiten beginnt. Hierbei reißt die ventrale Wand der Tasche, welche
Avie eine Scheidewand zwischen Urdarm und Blastocöl anfangs aus-
gespannt ist, ein und läßt beide zu einem größeren Hohlraum zu-
sammenfließen. Infolgedessen fehlt letzterem eine Strecke weit eine
Auskleidung durch das innere Keimblatt. Dieselbe kommt erst später
dadurch zu stände, daß sich die vegetativen Zellen von der Durchbruch-
stelle und überhaupt ringsum vom Boden der Keimblase teils in ge-
schlossener Schicht, teils auch einzeln an der noch frei gebliebenen
Decke entlang schieben und allmählich zu einem geschlossenen Epithel
vervollständigen.
Wir wollen zur schnelleren Verständigung den Hergang als die
Unter wach SU ng der K eim blasen decke durch Dotterzellen
bezeichnen. Wir können daher au der Decke des Urdarmes bei vielen
Amphibien zwei verschiedene Regionen unterscheiden , erstens eine
Region, die direkt von der dorsalen Wand des Einstülpungssäckchens
abstammt, und eine zweite Region, welche durch Unterwachsung der
Keimblasendecke durch Dotterzellen entstanden ist.
Je nach dem Dotterreichtum der Eier, und je nachdem der Durch-
bruch später oder früher erfolgt, ist der eine oder der andere Abschnitt
der ausgedehntere. So fällt bei den sehr großen Eiern von Salamandra
und den Gymnophionen (Fig. 298-300) der Teil, welcher vom nur
.wenig entwickelten Einstülpungssäckchen geliefert wird, sehr klein aus,
während bei Tritonen im Gegensatz hierzu ein durch Unterwachsung
von Dotterzellen gebildeter Abschnitt überhaupt ganz fehlt.
Der Vorgang bei den Amphibien, besonders bei Arten, wie den
Gymnophionen, ist wichtig, weil er uns eine Brücke schlägt zum Ver-
ständnis der stark abgeänderten KeimblattbildungbeiReptilien,
Vögeln und Säugetieren, zu deren Besprechung ich daher gleich
übergehe.
Weniger als bei irgend einer anderen Tierklasse entsprechen hier
die Befunde der Vorstellung, welche man mit dem Worte Gastrulation
zu verbinden pflegt. Denn es fehlt oft die geringste Spur einer Ein-
stülpung. Von einer wenig verdickten Stelle der Keimhaut aus (von
der Primitivplatte der Reptilien und dem Embryonalknoten der Säuge-
tiere) beginnt der Keim cloppelblätterig zu werden. Bei Reptilien und
Vögeln geschieht dies dadurch, daß sich in der Keimblasenhöhle zer-
streute oder an ihrem Boden auf dem Dotter liegende Zellen von der
Primitivplatte aus zu einem Blatt zusammenordnen, das nach vorn
und seitwärts mit freiem Rand aufhört und an ihm weiterwächst
(Fig. 416—419, 477, 478). Bei den Säugetieren geht seine Bildung
vom Furchungskugelrest oder dem Embryonalknoten aus (Fig. 557—559,
561-571).
Der Prozeß ist vergleichbar der Unterwachsung der Keimblasen-
decke durch Dotterzellen, wie er in den Eiern mancher Amphibien,
besonders der Gymnophionen, beobachtet wird. Dagegen fehlt meisten-
teils jede Invagination in der bei Amphibien oder bei Elasmobranchiern
beobachteten Weise. Nur die Stelle, wo sie stattfinden sollte, läßt
sich nachweisen in der Primitivplatte der Reptilien, die gewöhnlich
eine kleine Delle zeigt (Fig. 414, 415, 417—419). und in dem Embryonal-
knoten der Säugetiere (Fig. 568, 569, 571, 624 B), an welchem sogar vor-
Die Ergebnisse der Keimblattlehre. 1008
übergehend eine kleine, später wieder schwindende Oeffnuns nach-
weisbar wird. Auch prägt sich an der Delle der Reptilienpriniitiv-
platte ein Unischlagsrand oder eine vordere Unnundlippe aus, in
ähnlicher, nur noch viel mehr reduzierter Form als bei den Gymno-
phionen. (Man vergleiche Fig. 417 — 419 mit Fig. 298.)
Wie bei den Ani])hibien sich der Urdarm nach dem Durchbruch
in die Keiniblasenhöhle auf Kosten derselben vergrößert, so wird bei
den Amnioten die Keimblasenhöhle im ganzen zur Urdarmhöhle. wenn
sich in der oben angegebenen Weise das innere Keimblatt angelegt
hat. Wir können daher sagen, die typische Gastrulation ist hier er-
setzt durch Umorduung und Anordnung der Dotterzellen zu einem
Darmdrüsen blatt in der Art, wie bei den Amphibien ein Teil der
Urdarmwand entsteht. In dem zunehmenden Dottei'reichtum der Eier
ist die Ursache der extrem abgeänderten Entwickelungsweise zu suchen.
Beim S e 1 a c h i e r t y p u s (Selachier, Teleostier) tritt der Charakter
der Einstülpung wieder deutlicher hervor, und zwar bildet sich hier
das innere Keimblatt durch Umschlag vom hinteren Rand der Keim-
haut aus, der sich dadurch zur Urmundlippe umwandelt (Fig. 854—357,
380, 385, 386, 399). Die Umwandlung beginnt wie die Einstülpung
bei den Amphibien an einem kleinen Bezirk, dehnt sich darauf immer
weiter zu beiden Seiten aus, bis ein ringförmiger Blastoporus (Fig. 389,
400) zu Stande gekommen ist. Selachier- und Amphibieutypus gleichen
sich in dieser Beziehung.
Solange am Keimhautrand der Selachier und Teleostier noch
keine Lippenbildung zu stände gekommen ist, unterscheide ich ihn
vom Urmundrand als U m w a c h s u n g s r a n d (Fig. 397). Die Unter-
scheidung ist notwendig, da die an ihm sich abspielenden Prozesse
anderer Art als im Bereich des Urmundes sind. Mit dem Umwachsungs-
rand breitet sich die Keimhaut über immer größere Bezirke des Dotters
aus, bis er schließlich ganz umhüllt ist. In seinem Bereich vermehren
sich die Zellen, trennen sich vom ungefurchten Dotter ab und tragen
dadurch zur seitlichen Vergrößerung der Keimblasenhöhle bei. Es
ist derselbe Prozeß, der an der Randzone des Amphibieneies vor sich
geht, an der durch fortgesetzte Teilung kleinere Zellen entstehen und
sich als eine geschlossene Schicht von den größeren vegetativen Zellen
abtrennen; endlich derselbe Prozeß, durch welchen sich bei den
Amnioten die Keimhaut allmählich über die ganze umfangreiche Dotter-
kugel ausbreitet.
Nach meiner Meinung sind die Prozesse, die sich einerseits am
Urmundrand, andererseits am Umwachsuugsrand abspielen, so wesent-
lich verschieden voneinander, daß sie nicht in eins zusammengeworfen
werden sollten, wie es früher geschehen ist und noch immer häutig
geschieht. Ich habe daher auch Brächet nicht beistimmen können,
wenn er die Veränderungen an der Randzone des Amphibieneies als
clivage gastruleen und den Uebergang der Decke in den Boden der
Keimblase (Fig. 278, 279, 334, 337) als virtuellen Blastoporus be-
zeichnet hat, wodurch nur zu leicht Mißverständnisse hervorgerufen
werden. Auch der Keimscheibenrand der Reptilien und Vögel kann
nicht als Dotterblastoporus betrachtet werden. Der Xame Urmund-
rand ist nur auf solche Stellen zu beschränken, an denen wirklich eine
Urmundlippe existiert, d. h. das äußere in das innere oder mittlere
Keimblatt durch Umschlag übergeht.
In der Lage des sich entwickelnden Urmundes zum Rand der
1004 0. Hertwig,
Keinihaut besteht ein durcli greifen der Unterschied zwischen den Se-
lachiern und Teleostiern einerseits, und den Reptilien und Vögeln
andererseits. Bei ersteren entwickelt sich der Urinund an einer Stelle
des Keimscheibenrandes, mit welchem in der Folgezeit das hintere
Ende des Embryos in Verbindung bleibt (Fig. 389 — 395, 397); bei
Reptilien und Vögeln dagegen geht die Embryobildung mehr oder
minder in der Mitte der Keimhaut vor sich, die daher nach außen nur
einen Unnvachsungsraud hat. Im einen Fall kann man mit Balfour
von einer randständigen, im anderen von einer mittelstän-
digen Entwickeln ng des Embryos sprechen.
2. Die Entwickelung der beiden Mittelblätter oder die zweite
Phase der (xastriilatioii (die Cölointbeorie).
Das mittlere Keimblatt bietet in seiner Entwickelung nicht minder
zahlreiche Variationen dar als das innere. Auch hier nimmt Amphioxus
wieder eine Ausnahmestellung ein. Durch Faltenbildung des Darm-
drüsenblattes (Fig. 252, 254 —257) entstehen an der Decke des Ur-
darmes Divertikel, die sich zu Säckchen abschnüren und dadurch die
Leibeshöhle und das mittlere Keimblatt liefern. Letzteres, am Rücken
des Embryos entstanden, schiebt sich von seinem Ursprungsort aus
allmählich ventralwärts zwischen die beiden primären Keimblätter
hinein (Fig. 257, 258).
Bei allen übrigen Wirbeltieren sind die Vorgänge wieder von
komplizierterer Natur und haben daher ebenfalls zu sehr verschiedenen
Deutungen Veranlassung gegeben.
Ein wichtiger Unterschied vom Amphioxus beruht darauf, daß
die Mesoblastbildung schon zu einer sehr frühen Zeit beginnt, ehe
noch die Gastrulation zu Ende geführt ist. Beide Vorgänge greifen
infolgedessen mehr ineinander.
P'erner wird bei allen Wirbeltieren, mit Ausnahme der Reptilien,
im Gegensatz zum Amphioxus ein deutlich entwickelter Hohlraum
bei der ersten Anlage des mittleren Keimblattes vermißt. Gleichwohl
sprechen gewichtige Gründe, die ich in der Cölomtheorie zuerst zu-
sammengefaßt habe, dafür, daß auch bei ihnen wie beim Amphioxus
der Entwickelungsprozeß als eine Taschenbildung zu deuten ist (Fig.
309, 310).
Nach meiner Meinung führt die vergleichende Untersuchung der
im dritten Kapitel beschriebenen Befunde zu zwei Ergebnissen :
Erstens : die mittleren Keimblätter leiten sich von Zellenmassen her,
die als geschlossene Schicht vom linken und rechten Urmundrand aus
zwischen die beiden primären Keimblätter hineinwachsen. Zweitens:
die peristomal entstehenden Zellmassen sind als die Wände zweier
geschlossener Taschen zu deuten, die bei ihrer Oeffnung die Leibes-
höhle liefern.
Was den ersten Punkt betrifft, so sind die Befunde bei den Se-
lachiern, Reptilien, Vögeln und Säugetieren besonders beweisend.
Die Forscher, die sich mit der Elasmobranchierentwickelung be-
schäftigt haben, stimmen ohne Ausnahme darin überein, daß das mitt-
lere Keimblatt keine weiteren Bezüge von anderen Stellen der primären
Keimblätter empfängt (Fig. 361, 362, 364, 365). Eine Bildung durch
Delamination ist hier völlig ausgeschlossen. Gleichwie auf einer ersten
Die Ergebnisse der Keimblattlehre. 1005
'o
Phase (las innere Keiml)latt durch Faltenbildiing der Keimhaut längs
ihres Randes entsteht und in die Keiniblasenhühle hineinwächst, so
wird auf einer sich bald anschließenden zweiten Phase auch das mitt-
lere Keimblatt als eine Schicht angelegt, die vom Urmundrand aus
sich zwischen die Grenzl)lätter in den Zwischenraum hineinschiebt, der
genetisch vom Plastocöl abstammt.
Nicht minder klar liegen die Verhältnisse bei den Amnioten, wenn
auch abweichende Ansichten hier häufiger geäußert worden sind, Ur-
sprungsort des Mesoderms, nach dem von mir schärfer gefaßten Begriff,
ist hier einzig und allein die Primitivi)latte der Reptilien (Fig. 442
bis 445, 454, 455), der Primitivstreifen der Vögel (Fig. 494, 495) und
Säugetiere (Fig. 595).
Primitivplatte und Primitivstreifen der Amnioten entsprechen nun
aber, worüber ja jetzt die Embryologen einig sind, dem Urmuud der
übrigen Wirbeltiere, also auch dem Urmundrand an der Keimhaut der
Selachier. Mithin entwickelt sich auch bei den Amnioten das mittlere
Keimblatt von den Urmundrändern aus, und zwar aus einer Wucherung
des äußeren Keimblattes, und breitet sich als zusammenhängendes
Blatt in dem Spaltraum zwischen den primären Keimblättern vom
Centrum nach der Peripherie des Blastoderms aus.
Dieser und jener Leser könnte einen Widerspruch darin erblicken,
daß beim Amphioxus das mittlere Keimblatt sich durch Faltenbildung
aus dem Entoderm, bei den Amnioten dagegen aus einer Wucherung
des Ektoderms entwickeln solle. Warum hierin kein unlösbarer Wider-
spruch zu suchen ist, wurde schon in der Einleitung auseinander-
gesetzt (p. 709). Der Widerspruch findet seine Lösung in der Er-
wägung, daß beim Amphioxus das primäre Entoderm, das sich bald
nach der Gastrulation durch einen Faltungsprozeß in Darmdrüsenblatt
und mittleres Keimblatt sondert, ja auch eingestülpte Keimblasenw^and
ist, also von Zellen, die zuerst die Oberfläche begrenzt haben, ab-
stammt.
Bei den Amnioten findet die Sonderung schon früher und in einer
abgeänderten Weise statt, die durch den größeren Dotterreichtum der
Eier veranlaßt ist. Es bildet sich kein primäres Entoderm, sondern
in einer ersten Phase der Gastrulation, die den Charakter der Ein-
stülpung nach unserer früheren Darstellung verloren hat, nur ein Ab-
schnitt desselben, das Darmdrüsenblatt aus, und erst in einer zweiten
Phase stülpt sich, nun gleich als eine schon räumlich abgesonderte
Masse, das mittlere Keimblatt vom Blastoderm aus ein.
Während es bei Selachiern und Amnioten nicht schwer ist, den
Nachweis zu führen, daß die mittleren Keimblätter zwischen die beiden
primären vom Urmundrand aus hineinwachsen und außer von dieser
Verbindungsstelle her keine weiteren Bezüge von anderen Orten em-
pfangen, liefern Amphibien und Teleostier Befunde, die sich schwieriger
deuten lassen. Die Schwierigkeit beruht hier darauf, daß sich in früher
Zeit die Zellmassen, die zum inneren und mittleren Keimblatt werden,
eine Zeitlang nicht scharf voneinander abgrenzen lassen. Beide werden
fast gleichzeitig eingestülpt und sondern sich hierbei erst allmählich
schärfer in die Zellschichten, welche einerseits zur Begrenzung der
Darmhöhle, andererseits der Leibeshöhle dienen (Fig. 301, 302, 329).
Die Gastrulation vollzieht sich bei ihnen gleich als eine doppelte
und daher kompliziertere Einstülpung, als eine Einstülpung, die den
Darmraum, und als eine Einstülpung, welche die beiden Cölomsäcke
1006 0. Hertwig,
liefert. Die erstere besteht im großen und ganzen aus größeren vege-
tativen Zellen, die letztere aus kleineren und mehr pigmentierten
Elementen, die in der Umgebung des Urmundes angehäuft sind und
in das innere Blatt der Blastoi)oruslii)pen übergehen. Beide Bestand-
teile grenzen sich erst allmählich durch einen von außen nach innen
eindringenden Spalt besser voneinander ab. Brächet nennt den Vor-
gang eine clivage mesoblastique und deutet ihn als eine Delamination,
während ich in ihm eine Abfaltung erblicke.
Ob man die Trennung zweier Zellmassen voneinander als Spaltung
oder Abfaltung richtiger bezeichnen muß, läßt sich an Schnitten durch
tote und fixierte Keime schwierig und oft gar nicht entscheiden, da
man im einen wie im anderen Falle nur den trennenden Spalt sieht,
nicht aber mehr die Art und Weise erkennen kann, wie sich der Spalt
gebildet hat. Hierauf aber, auf die Art der stattgehabten Zellbewegungen
und Verschiebungen kommt es für die richtige Beurteilung an.
Einen allgemeinen Grundsatz aber glaube ich bei dieser Gelegen-
heit noch aussprechen zu sollen, nämlich den Grundsatz, daß bei den
embryonalen Prozessen wirkliche Spaltungen nur eine geringe Bolle
spielen und selten auftreten im Vergleich zu den Abfaltungen und
Abschnürungen, denen wir in den verschiedenartigsten Modifikationen
bei der Entwickelung der Organe begegnen.
Wer sich in dem von mir angegebenen Sinne entscheidet, wird
dann auch finden, daß die Mesoblastentwickelung bei Amphibien etc.
von derjenigen der Selachier und Amnioten nicht prinzipiell verschieden
ist. Denn auch bei den Amphibien handelt es sich um Zellmassen,
die, in der Umgebung der Urmundränder entstanden, sich von hier aus
in den Spalt zwischen Darmdrüsenblatt und Ektoderm trennend hinein-
schieben und nach der ventralen Fläche allmählich ausbreiten.
Bei allen Wirbeltieren bewahren die mittleren Keimblätter lange
Zeit ihren genetisch begründeten Zusammenhang mit den Urmund-
rändern, und zwar so lange, bis der letzte Rest des Urmundes (Canalis
neurentericus und Afterblastoporus) geschwunden ist.
Nach der Cölomtheorie sollen die mittleren Keimblätter ihrer
Phylogenese nach Taschen sein, deren Hohlraum die Leibeshöhle ist
(Fig. 309, 310). Während der Entwickelung würden sie nach dieser
Auffassung zuerst als geschlossene Taschen oder, wenn Spuren einer
Höhle vorhanden sind, als halb geöffnete Taschen angelegt werden.
Ich stelle die Gründe kurz zusammen, welche sich zu Gunsten dieser
Ansicht aufführen lassen.
Eine wichtige Stütze liefern die Amnioten und unter ihnen be-
sonders die Reptilien. Denn bei diesen enthält die Anlage des mitt-
leren Keimblattes zuweilen einen ansehnlichen Hohlraum, der sich durch
den Urmund nach außen öffnet (Fig. 429, 433, 434, 437, 438, 444, 445).
Früher hielten die meisten Embryologen die Einstülpung für die
Gastrulahöhle. Aus den früher auseinandergesetzten Gründen (p. 837)
ist diese Annahme nicht haltbar, sie zeigt uns aber, daß sich die Bil-
dung des mittleren Keimblattes durch Einstülpung in ganz ähnlicher
Weise vollzieht, wie die Bildung des Darmdrüsenblattes bei der Gastru-
lation. Ich unterschied daher mit Keibel, Wenkebach, Hubrecht
und anderen zwei Phasen der Gastrulation und nannte bei den Rep-
tilien das Produkt der zweiten Phase das Mesodermsäckchen.
Die Amnionlosen und die Amnioten stellen in ihrer Keimblatt-
bildung einen interessanten Gegensatz dar. Bei jenen tritt während
Die Ergebnisse der Keimblattlehre. 1007
■ö
der ersten Phase der Gastrulation eine deutliche Einstülpungshöhle
hervor, deren Wand vom Darnidrüsenblatt gel)ildet wird. P)ei den
Anmioten dagegen wird eine Einstüljjung vermißt, das Darmdrüsen-
blatt entsteht in stark abgeänderter Weise. Umgekehrt verhält es sich
in der zweiten Phase, die zur Sonderung des mittleren Keimblattes
führt. Bei den Amnionlosen entwickeln sich die mittleren Keimblätter
vom Urmundrand aus als geschlossene Taschen, bei den Reptilien
dagegen aus einer deutlichen Einstülpung, dem Mesodermsäckchen.
Bei den Säugetieren ist die Eiinstttlpungshölde sehr reduziert und im
Chordakanal noch erkennbar: bei den Vögeln ist sie vollkommen ver-
kümmert; an die Stelle des Mesodermsäckchens ist eine geschlossene
Tasche getreten, eine Mesodermleiste oder der Primitivstreifen.
Zu Gunsten der Cölomtheorie sprechen ferner auch in hohem
Grade die Befunde an der Ursprungslinie des mittleren Keimblattes
in der Umgebung des Urmundes. Wie schon früher hervorgehoben
wurde, findet hier ein Zusammenhang des mittleren Keimblattes sowohl
mit dem äußeren, als auch mit dem inneren Keimblatt statt. Dabei
dringt häufig eine bald mehr, bald minder tiefe Rinne {^') [Cölombucht,
Mesodermbildungsrinne] in das Mesoderm hinein und zerlegt es in
ein parietales und viscerales Blatt (Fig. 315, 316). Von diesen schlägt
sich das parietale Blatt in das Ektoderm um und erzeugt mit ihm die
Urmundlippe (um), das viscerale Blatt dagegen geht in das Entoderm
über, eine Darmfalte (dl) bildend.
Solche Befunde werden verständlich, wenn wir in den mittleren
Keimblättern die aufeinander gepreßten Wände einer Tasche (Fig. 309)
erblicken, die nur an ihrem Ürspruugsort etwas geöffnet ist und da-
durch zu den beiden Lippenbilduugen die Veranlassung giebt.
Die Konstanz, mit w^elcher die Urmund- und Darmlippen und die
von ihnen eingefaßte Cölombucht in allen Klassen der Wirbeltiere auf
früheren und späteren Entwickelungsstadien, auf diesen sogar gewöhn-
lich am deutlichsten ausgeprägt, auftreten, scheint mir schon anzu-
zeigen, daß wdr es in ihnen nicht mit nebensächlichen Bildungen zu
thun haben. Ich verweise auf die Befunde bei den Selachiern (Fig. 361,
362*), bei den Amphibien (Fig. 313, 315, 316*, 301, 302), bei den
Reptilien (Fig. 461, 443), Vögeln (Fig. 496, 502 A, 503, 504) und
Säugetieren (Fig. 599, 604, 605, 628). Besonders beweisend sind ein-
zelne Befunde, wo die Cölombucht noch eine Strecke weit als feiner
Spalt in das mittlere Keimblatt eindringt und es in eine parietale und
viscerale Lamelle zerlegt.
In der zusammenfassenden Besprechung des mittleren Keimblattes
ist endlich noch auf einige Verhältnisse in seiner Ausbreitung ein-
zugehen. Das Mesoderm ist bei allen Wirbeltieren nach seiner Genese
eine dorsale und peristomale Bildung.
Die letztere Bezeichnung bedarf noch einer näheren Erklärung.
Es entsteht nämlich das Mesoderm nicht ringsum am Urmund als ein
geschlossener Ring, sondern zeigt ausnahmslos nach vorn eine Unter-
brechung. Die Unterbrechung rührt daher, daß von dem zu allererst
entstehenden Teil der Urmundlippe kein mittleres Keimblatt gebildet
wird, sondern erst seitlich hiervon, wenn sich allmählich die Urmund-
lippen nach links und rechts vergrößern. Infolgedessen muß auch das
Mesoderm seiner ersten Anlage nach als eine paarige Bildung bezeich-
net werden.
Der mesodermfreie Bezirk des Keimes, welcher sich bei allen
1008 0. Hertwig,
Wirbeltieren vom Amphioxiis an findet, bleibt lange Zeit bestehen.
In ihm legt sich später die Mundbucht an ; hier entwickelt sich bei
den Amniüten das Proamnion,
Wenn der Urmund sich mit dem Auftreten der ventralen Ur-
mundlippen nach hinten zum Ring schließt, verbinden sich auch die
seitlichen Mesoblasthälften caudalwärts zu einem Halbring durch eine
hinter dem Urmund gelegene Strecke, die man durch den besonderen
Namen des ventralen oder unpaaren Mesoblasts unterschieden hat.
Von seiner peristomalen Ursprungslinie wächst das mittlere Blatt in
die Bauchgegend hinein und breitet sich namentlich bei den mero-
blastischen Eiern auch weiter nach vorn in Form zweier Flügel aus,
die durch den oben beschriebenen mesodermfreien Bezirk getrennt
sind (Mesodermflügel von Schauinsland, vergl. Bd. I, 2. Teil, p. 181,
Fig. 91).
Auf die Unterscheidung eines gastralen und peristomalen Meso-
blasts wird besser erst im Anschluß an die Besprechung des Urmundes
eingegangen, zu welcher wir uns jetzt wenden wollen.
3. Die Vorgänge in der Umgebung des Urmundes und in der durch
Urmundversehluß gebildeten Körperregion. (Die Urmundtheorie.)
Als Urmund bezeichne ich die Stelle des Keimes, an welcher das
äußere Keimblatt durch Umschlag entweder in das innere oder in das
mittlere Keimblatt, und zwar in die parietale Lamelle des letzteren
übergeht. Er ist also durch eine Lippenbildung gekennzeichnet. Als
Urmund ist daher zu betrachten der Blastoporus der Cyclostomen,
Amphibien, Dipneusten, der Keimscheibenrand der Selachier, Teleostier,
Ganoiden, soweit sich an ihm ein Umschlag entwickelt hat, und die
Primitivrinne der Amnioteu. Die verschiedenen anderen Gebilde, die
man sonst noch zum Urmund hinzugerechnet hat, wie z. B. der sog.
Dotter blastoporus, gehören nicht hierher. Auch die Unter-
scheidung eines virtuellen Blastoporus finde ich nicht nur über-
flüssig, sondern auch leicht irreführend. Daher nenne ich den Ueber-
gang der Decke in den Boden der Keimblase bei Cyclostomen, Amphi-
bien (Fig. 278, 279, 291, 398 *) und Dipneusten (Fig. 334) die Rand-
zone (Goette); desgleichen unterscheide ich den vorderen Rand der
Keimhaut bei Selachiern und Teleostiern (Fig. 397, 399 uw), sowie
den gesamten Rand von der Keimhaut der Reptilien und Vögel vom
Urmundrand als Umwachsungsrand. Durch seine Ausbreitung wird
der Dotter mit einer Zellenhaut, dem äußeren Keimblatt, überzogen.
Der Umwachsungsrand besitzt, solange an ihm kein Umschlag in
das innere Keimblatt stattfindet und eine Lippenbildung fehlt, nicht
die Eigenschaften des Urmuudrandes, wie ich ihn oben definiert hal)e.
In einen solchen kann er sich allerdings im Anschluß an die erste
Anlage des Urmundes successive umbilden, wie es bei Selachiern und
Teleostiern geschieht. Auch von der Randzone der Amphibieneier
werden nach und nach neue Strecken in die Bildung des Urmundes
hineingezogen. In dieser Weise können sowohl die Randzone der
Amphibien, als auch der ganze Umwachsungsrand bei den Teleostiern
schließlich ganz schwinden, wenn der Urmundrand sich weiter aus-
breitet und ventralwärts zum Ring schließt (Fig. 290 vul, Fig. 389, 400).
Ueber die Rolle, welche der Urmund bei der Organbildung der
Wirbeltiere spielt, gehen die Ansichten der Embryologen, wie in so
Die Ergebnisse der Keimblattlehre. 1009
vielen anderen Fragen der Keiniblattlehre, noch weit auseinander.
Durch Untersuchungen, in denen ich mich vor Jahren (1-^02) mit den
einschlägigen \'erhältnissen eingehend beschäftigt habe, bin ich zur
Aufstellung einer Urnuindtheorie geführt worden, die manche Be-
rührungspunkte mit der Konkrescenztheorie von His, aber auch
wichtige Unterschiede von ihr darbietet. Hierüber vergleiche man das
in der Einleitung (p. 706, 707) und im Abschnitt über die Teleostier
(p. 807—811) Gesagte.
Rabl hat sich in seinem Vorwort zur Theorie des Mesoderms mit
Eifer gegen die Urnuindtheorie ausgesprochen. Er bezeichnet sie als
eine zum Schlimmen verbesserte Form der His'schen Konkrescenz-
theorie. Mit Recht fordert er, daß, wenn die Urmundränder ver-
schmelzen, man vor dem jeweiligen Vorderende des sich verkleinernden
Urmundes stets eine Verwachsungsspur, ,.eine Naht — und möge die-
selbe auch noch so vergänglich sein — müsse nachweisen können".
Wenn er nun aber behauptet, daß dies nicht der Fall sei, so hat er
übersehen, daß ich das Vorhandensein einer Nahtbildung beim
Amphibienei schon 1892 nachgewiesen und ausführlich beschrieben
habe. Auch in der vorliegenden Neubearbeitung der Keimblattlehre
habe ich wegen der Wichtigkeit der Frage auf den Nachweis der
Urmundnaht in den verschiedenen Klassen der Wirbeltiere ein be-
sonders großes Gericht gelegt, und ich glaube ihn so überzeugend
geführt zu haben, daß mir Zweifel kaum noch möglich erscheinen.
Man vergleiche hierüber die verschiedenen Abschnitte im III. Kapitel
(p. 750-761, 769—770, 789-791, 793—798, 803—805, 807-811, 836,
842, 846—847, 871-874, 883, 888-896, 926, 933-935 und die Figg.
303—306, 313, 314, 316-319, 322, 364, 369, 370, 373, 374—377. 387,
444, 450, 456, 457, 497, 498, 500, 502, 503, 528, 531—534, 538-544).
Angesichts dieser Thatsachen , glaube ich , daß man von der
Existenz einer Urmundnaht mit derselben Sicherheit sprechen kann,
wie von der Naht des Nervenrohrs durch Verschmelzung der Medullar-
w'ülste, oder von der Amnionnaht, oder von der Darmnalit bei der Um-
wandlung der Darmplatte zum Darmrohr.
Die Thatsachen sprechen also für den von mir gelehrten Ver-
schluß des Urmundes, während umgekehrt die Annahme, wie Rabl
ihn zu Stande kommen läßt, in der Luft schwebt. Rabl hält nämlich
auch die von Hatschek und mir vertretene Auffassung für voll-
kommen zutreffend, daß „der Gastrulamund anfangs nahezu den ganzen
Rücken des Embryos einnehme, daß er sich in der Richtung von vorn
nach hinten verkleinere und daß sein letzter Rest als eine kleine,
dorsal am Hinterende des Rückens gelegene Oetfnang noch lauge er-
halten bleibe". Nur läßt er den Urmund nicht durch allmähliche Ver-
wachsung, sondern in der Weise kleiner werden, daß seine vorderen
und seitlichen Ränder gegen einen exzentrisch gelegenen Punkt am
hinteren Ende vorrücken. Durch den Nachweis der Urmundnaht halte
ich diese Streitfrage für entschieden; auch will mir scheinen, daß der
Unterschied zwischen den sich entgegenstehenden Meinungen von
Rabl und mir überhaupt kein großer ist, wenn Rabl selbst zugiebt,
daß der Urmund die ganze Rückenliäche des Embryos eingenommen
hat. Denn hieraus folgt, daß Rückenmark, Chorda, Ursegmeute etc.
im ehemaligen Urmundgebiet angelegt werden.
Anmerkung. Vollkommen unverständlich ist mir der weitere
Einwurf von Rabl, daß meine Urmundtheorie noch an einer Halbheit
Handbuch der Entwickelungslehre. I. (34
1010 0. Hertwig,
leide, weil sie bloß eine Verwachsung des Rückens, nicht auch eine
solche des Bauches postuliere. Die Konkrescenztheorie von His sei in
dieser Hinsicht viel radikaler, indem sie eine Verwachsung des ganzen
Embryos, und nicht bloß seines Rückens, verlange" (L. K. III i, 1896,
p. XVII). Ich war immer der Meinung, daß diese angebliche Halbheit
ein Vorzug meiner Theorie ist, und daß ich eine Verbesserung der His-
schen Lehre herbeigeführt habe, indem ich den wertvollen Teil von nicht
haltbaren Vorstellungen getrennt habe. Auch ist es Aufgabe einer Theorie,
nicht etwas Radikales, sondern etwas Richtiges zu schaffen, durch welche
es möglich wird, eine Summe verschiedener Erscheinungen unter einen
Gesichtspunkt zu bringen und zu erklären.
Zu Gunsten der Urmundtheorie legen ein wichtiges Zeugnis die
Hemmungsmißbildungen ab, welche ich unter dem Namen Spina bifida
beschrieben habe (vergl. Kap. IV, p. 971 — 82). Sie sind bei Fischen
und Amphibien beobachtet worden und leicht auf experimentellem
Wege hervorzurufen.
Das Wesen der Spina bifida besteht darin, daß der Urmund seine
volle Ausdehnung beibehält und einen weiten Spalt in der Rücken-
gegend des Embryos noch zu einer Zeit darstellt, wo schon die
späteren Organdifferenzierungen in Rückenmark, Chorda, Ursegmente
etc. erfolgt sind.
Nun läßt sich an jüngeren und älteren Stadien solcher Hemmungs-
mißbildungen leicht nachweisen, wie aus rechter und linker Urmund-
lippe sich je eine halbe Medullarplatte und eine halbe Chordaanlage
entwickeln, die eine aus dem äußeren, die andere aus dem inneren
Faltenblatt der Lippe (Fig. 638). Wenn dann später auch noch die
Ursegmente sich aus dem mittleren Keimblatt zu beiden Seiten des
offen gebliebenen Urmundes differenzieren, erhält man Mißbildungen
mit einem einfachen Kopfende (Fig. 637, 641), aber einem Rumpf,
dessen Rückenorgane der Länge nach durch einen Spalt getrennt sind,
der in die Darmhöhle führt. Beim höchsten Grade der Mißbildung
beginnt der Spalt in der Gegend der Medulla oblongata und der Hör-
bläschen und geht bis in die Schwanzspitze durch. Das vordere Ende
des Hirns kann von der Spaltbildung niemals betroffen werden, weil
ein großer Teil der Hirnplatte aus dem Bezirk der Keimblase ent-
steht, welcher vor der Stelle liegt, wo der Urmund aufzutreten beginnt.
Ganz besonders aber spricht zu Gunsten der Urmundtheorie der
Umstand, daß in späterer Zeit noch nachträglich die getrennten
Rückenhälfteu sich durch Verwachsung oder Nahtl)ildung vereinigen
können und daß so selbst hohe Grade der Spina bifida noch einen
leidlich normalen Embryo liefern können. Wenn dieser Prozeß be-
gonnen hat, kann man an der Nahtstelle (Fig. 640) dicht nebeneinander
zwei Medullarröhren sehen, deren Centralkanal nur durch ein dünnes
Zellenhäutchen vom Nachbar getrennt ist; man kann das Einreißen
des Häutchens und die Entstehung eines einheitlichen Centralkanals
feststellen ; desgleichen kann man verfolgen, wie in der Naht zwei
Chordahälften nebeneinander liegen und dann zu einer gewöhnlich
überuormal großen Chorda verschmelzen. So ist meiner Meinung
nach die Naht der Urmundränder, die infolge einer Hemmungsbildung
sich schon in die Rückenorgane (Medullarplatte, Chorda) differenziert
haben, keine Annahme mehr, sie ist als eine ausgemachte Thatsache
zu betrachten.
Die Ergebnisse der Keimblattlehre. 1011
't>
Im Anschluß an die eben gegebene nähere Begründung der Ur-
mundtheorie gebe ich zum Schluß noch einen kurzen Ueberblick über
die Erscheinungen, wie sie sich im Urmundgebiet abspielen und wie
sie in den einzelnen Klassen der Wirbeltiere einander vergleichbar <>ind.
Auf dem allerfrühesteu Stadium der Urmundbildung findet an der
zuerst auftretenden dorsalen Urmundlippe ein Umschlag des äußeren
in das innere Keimblatt, wie beim Amphioxus, statt. So bildet sich
in allen Wirbeltierklassen ein zweiblätteriger Keimbezirk, der der
Kopfregion angehört, lange Zeit mesodermfrei bleibt, ein Bezirk, in
dem sich die Mundbucht und bei den Amnioten das Proamnion an-
legt. Bei den Säugetieren wird auf diesem frühesten Stadium des
Urmundes zuweilen eine kleine Oeffnung an einer Stelle der zwei-
blätterigen Embryonalanlage beobachtet (Fig. 568—571, 624b).
Wenn wir vom Amphioxus absehen, geht das erste Stadium des
Urmundes bei allen Wirbeltieren sehr früh in ein zweites über, das
daran kenntlich ist, daß, ehe noch das Darmdrüsenblatt und die Darm-
höhle fertig gebildet ist, sich auch schon das mittlere Keimblatt als
geschlossene Tasche anzulegen und dadurch den Gastrulationsprozeß
zu komplizieren beginnt. Infolgedessen findet an den Abschnitten
der Urmundlippen, welche zu dem am frühesten angelegten Teil neu
hinzutreten, jetzt ein Uebergang des äußeren in das mittlere
Keimblatt statt. Dies zeigen die Durchschnitte durch den Keim der
Elasmobranchier (Fig. 361, 362) oder das Gastrulastadium der Am-
phibien (Fig. 301, 302, p. 750).
Bei den Amnioten setzt sich das zweite Stadium, das wir
auch als zweite Phase der Gastrulation beschrieben haben, von dem
ersten schärfer ab, indem sich bei Reptilien Primitivplatte und Meso-
dermsäckchen, bei Vögeln und Säugetieren Primitivstreifen und Primitiv-
rinne scheinbar außer Zusammenhang mit einer im ersten Stadium
der Gastrulation vorausgegangenen Einstülpungsöffnung entwickeln.
Sie entwickeln sich an der Stelle der Keimhaut, wo die beiden primären
Keimblätter zusammenhängen und die erste Einstülpungsöffnung für
gewöhnlich (abgesehen von dem bei einzelnen Säugetierkeimblasen
beobachteten Loch und der Delle in der Keimhaut der Reptilien) nicht
mehr nachweisbar ist.
An den Rändern des Mesodermsäckchens der Reptilien (Fig. 443 m/,
449, 454, 455, 461) und an den Primitivfalten der Vögel (Fig. 495 B,
496 ^j/", 502, 503, 505, 530, 531, 536—539) und der Säugetiere (Fig. 569,
597—599, 604, 605, 628) geht daher, wie an den Urmundlippen der
Elasmobranchier, Amphibien etc., wenn sie im zweiten Stadium ihrer
Ausbildung stehen, das äußere in das mittlere Keimblatt über.
Am wichtigsten ist die Stelle des Urmundes, wo
sich die Naht vollzieht. Sie allein giebt einen bei allen
Wirbeltieren vergleichbaren Punkt ab. Bei den Selachiern
liegt sie vor der Randkerbe (Fig. 359), später der Incisura neurenterica
zwischen den vorspringenden Kaudallappen (Fig. 366, 367). Bei den
Teleostiern setzt sie sich gegen ihre Umgebung frühzeitig als ein
kleinzelliger Höcker, als Knopf ab (Fig. 381 — 384). Bei den Am-
phibien findet sich vor der dorsalen Blastoporuslippe gleichfalls eine
wulstförmige Verdickung (Fig. 281 Bw, 305, 314), die wie ein Wall
die Rückenrinne vom Blastoporus trennt. Bei den Reptilien liegt vor
dem Eingang ins Mesodermsäckchen ebenfalls eine verdickte, nach
außen etwas vorgewölbte Stelle (Fig. 444, 450) ; bei Vögeln (Fig. 484,
64*
101:^ 0. Hertwig,
485 M, 491, 492, 497 »*, 500, 5025) und Säugetieren (Fig. 592 /jA-,
598 M, 597, 607) ist sie als der HENSEN'sche Knoten besclirieben
worden.
Hinter der Nahtstelle tritt bei den Aninioten ein Durchbruch des
sekundären Urnmndes in die Darmhühle ein und bildet einen Canalis
neurentericus. Der Durchbruch ist not\yendig geworden durch die
scharte Sonderung, welche bei den Aninioten zwischen der ersten und
zweiten Phase der Gastrulation erfolgt und vorübergehend den Zu-
sammenhang aufgehoben hat, welcher bei den Amnionlosen zwischen
innerem und mittlerem Keimblatt und zwischen primärer Darm- und
Leibeshöhle besteht. Erst infolge des Durchbruchs, der am Boden
des Mesodermsäckchens der Reptilien (Fig. 429, 441, 445—447, 451,
452) und am Chordakanal der Säugetiere (Fig. 609—612, 617) gleich
in großer Ausdehnung, ferner am vorderen Ende des Primitivstreifens
hinter dem HENSEN'schen Knoten als Canalis neurentericus erfolgt,
werden die ursprünglichen Zusammenhänge, wie sie auf bestimmten
Phasen der Entwickelung bei den Amnionlosen gefunden werden,
auch bei den Aninioten wiederhergestellt. Die Chordaanlage kommt
auf diese Weise auch bei ihnen vorübergehend an die Decke des
primären Darmes zu liegen und wird auf beiden Seiten von Urdarm-
lippen eingesäumt, die sich hier infolge des Durchbruchs durch die
Verbindung des Darmdrüsenblattes mit dem visceralen Mittelblatt
gebildet haben (Fig. 446, 447, 451, 452, 610—613).
An den Canalis neurentericus schließt sich der hintere Teil vom
Boden des Mesodermsäckchens der Reptilien und vom Primitivstreifen
an, au welchem infolge der abgeänderten Entwickelung der Durch-
bruch oder die Eröffnung in den Darm noch nicht erfolgt ist, sich
aber später auch noch Schritt für Schritt vollzieht. Denn in dem-
selben Maße, als am HENSEN'schen Knoten die Nahtbildung fort-
schreitet, gräbt sich nach hinten der Canalis neurentericus in den
Boden des Mesodermsäckchens, in die Primitivplatte und in den
Primitivstreifen ein und eröffnet in ihnen eine neue Strecke. Der
Eröffnung geht eine Verwachsung des Bodens des Mesodermsäckchens
und des Primitivstreifens mit dem Darmdrüsenblatt einige Zeit voraus.
Mit dem Worte Randkerbe, Knoten, Canalis neurentericus, Prinii-
tivplatte, Priniitivstreifen etc. bezeichnen wir also Bildungen des Ur-
mundgebietes, welche in fortschreitender Veränderung oder in Um-
wandlung begriffen sind. So ist z. B. das Zellenmaterial, aus dem
sich der Knoten in einem früheren Stadium zusammensetzt, ein
anderes als in einer späteren Zeit. Nach vorn differenziert
es sich in Medullär jilatte und Chordaanlage, während
es von hinten aus der angrenzenden Strecke der Ur-
mundränder durch Nahtbildung wieder ergänzt oder
neu aufgebaut wird.
ElDenso bildet sich bei den Aninioten der Canalis
neurentericus, während er sich nach vorn schließt,
nach hinten neu dadurch, daß die angrenzende Strecke vom Boden
des Mesodermsäckchens und des Primitivstreifens durchbrochen wird.
(Vergl. hierüber auch das auf p, 933 — 935 Gesagte.) Bei dieser Um-
wandlung bleibt eine Verkürzung des Primitivstreifens so lange aus,
als er den Verlust durch eigenes Wachstum wieder ausgleichen kann ;
von einem bestimmten Stadium aber nimmt er an Länge Schritt für
Schritt ab und wird endlich durch die Umwandlung in die dorsalen
Die
Ergebnisse der Keimblattlehre.
1013
Achsenorgane aufgebraucht, bis auf den letzten unscheinbaren Rest,
der zum After wird ^). —
Bei den cranioten Wirbeltieren lernten wir ferner denUrmund-
rand als das Ursprungsgebiet des mittleren Keimblattes
kennen, das ihn in einem nach vorn geöffneten Bogen umgiebt. Vorn
liegt ja der mehrfach erwähnte, mesodermfreie Bezirk des Keimes. Der
peristomale Ursprung des Mesoblasts zeigt die Mesodermbildungsrinne
oder die Cölbmbucht, welche einerseits durch die Urmundlii)pen, an-
dererseits durch die Darmlippen begrenzt wird. Beim Verschluß des
Urmundes wird natürlich auch der vorderste Abschnitt des mittleren
Keimblattes in neue Lagebeziehungen gebracht. Er kommt rechts
und links von der Naht und später in den aus der Naht sich diffe-
renzierenden Körperabschnitt zu liegen. Hier begrenzt er dann die
Chordaanlage resp. die Chorda, die sich vom unteren Blatt der ver-
schmolzenen Urmundlippen herleitet.
1) Nachtrag. Für die Lehre, daß der Primitivstreifen sich all-
mälüich in den embryonalen Körper umbildet, hat Kopsch AvertvoUes
Beweismaterial auch auf experimentellem Wege beigebracht und in
der 1902 erschienenen Abhandlung: ,,Ueber die Bedeutung des Primitiv-
streifens beim Hühnerembrvo und über die ihm homologen Teile bei
den Embryonen der niederen Wirbeltiere" zusammengestellt. Lehrreich
scheint mir besonders das Experiment, welches durch die Figg. 669,
670 erläutert wird.
Fig. H69.
Fig. 670.
9
Fig. ()69. Area pellucida und Pri-
mitivstreifen einer 24 Stunden alten
Keimscheibe vom Hühnchen mit ein-
getragenen Operationsstellen (20 : 1).
^ach^KopscH (L. K.1V, 1902, Fig. 12).
Fig. 670. 48 Stunden alter Hühner-
enibryo, der aus der operierten Keim-
scheibe, die in Fig. 669 abgebildet ist,
entstanden ist (20 : 1). Nach Kopsch
(L. K. IV, 1902, Fig. 13).
Kopsch hat eine 24 Stunden bebrütete Hühnerkeimscheibe operiert,
die einen Primitivstreifen von 2 mm Länge deutlich erkennen ließ
(Fig. 669). Er operierte mit Elektroden, die einen Abstand von genau
1014 0. Hertwig,
Wie im offenen Absclinitt des Unnundes, findet sich auch im
geschlossenen eine Mesodermbildungsrinne (*), an welcher nach unten
die Darmlippe (dl) zu beiden Seiten von der Chordaanlage (ch) vor-
springt (Fig. 254, 307, 311 A, 317, 318, 320, 321, 323, 325, 350 B, 362,
3(34 B, 446, 447, 448, 611—613, 618, 619).
Von dieser Zeit an kann man mit Rabl am mittleren Keim-
blatt eine topographische Einteilung in zwei Bezirke
vornehmen, einen peristo malen und einen gastralen
oder parachordalen. Letzterer wächst fortwährend an
Ausdehnung a u f K o s t e n des e r s t e r e n , gerade so wie die
Achsenorgane aus dem Zellenmaterial des sich schlie-
ßenden Urmundes an ihrem hinteren Ende an Länge
zunehmen.
Bei allen Wirbeltierembryonen stellt der offene Teil des Urmundes,
der Canalis neurentericus späterer Stadien, mit seiner Umgebung eine
Neubildungszone dar, von welcher aus das Längenwachstum der
Wirbeltierembryonen geraume Zeit vor sich geht. Je weiter nach
vorn, um so mehr werden die Achsenorgane, Rückenmark, Chorda
und die Derivate des mittleren Keimblattes, die Ursegmente, von-
einander gesondert und differenziert. Man kann daher bei verschieden
alten Embryonen immer in einer vor dem Urmund gelegeneu Zone
identische Bilder von der Entwickelung der Achsenorgane erhalten.
Die Reihenfolge der Prozesse, die sich von hinten nach vorn zu
verschiedenen Zeiten in gleicher Weise abspielen, sind : Die Urmund-
ränder verwachsen in der Nahtstelle, die sich in den einzelnen Wirbel-
tierklassen in verschiedener Weise, meist als eine kleine knotenartige
2 mm hatten. Dieser Abstand wurde absichtlich gewählt, um beim
Aufsetzen der einen Elektrode auf das craniale Ende des Primitiv-
streifens sicher zu sein, daß die andere Elektrode das caudale Ende
desselben trifft. Eine dritte Verletzung wurde etwas seitlich vom
Primitivstreifen und etwa in seiner Mitte angebracht.
Als nach 24 Stunden abermaliger Bebrütung das Ei zur Unter-
suchung konserviert wurde, hatte sich der in Fig. 670 abgebildete
Embryo entwickelt, der links 12, rechts 13 Ursegmente besaß. Die
am vorderen Ende des Primitivstreifeus angebrachte Operationsstelle
liegt jetzt am Uebergang der primären Augenblase in das Mittelhirn,
die hintere findet sich im Gebiet des unsegmentierten Körperabschnittes.
KOPSCH schließt aus diesen und anderen Befunden, „daß der
größte Teil des Kopfes durch Umwandlung des vordersten Endes des
Primitivstreifengebietes entsteht" (L. K. IV, 1902, p. 1040) Da ferner
„der ganze gegliederte und ungegliederte Abschnitt der Embryonal-
anlage im wesentlichen vor der hinteren Operationsstelle gelegen ist",
folgert er hieraus, „daß diese Teile entstanden sind durch Umbildung
des Primitivstreifens, welcher während dieser Umformungsvorgänge
an Länge zugenommen hat, wie die erhebliche Längenzunahme der
Embryonalanlage zeigt". Da nun der vordere Teil des Primitivstreifens
sich in Teile des Kopfes umgewandelt hat, so muß vom hinteren Teil
aus die Bildung des Rumpfes erfolgen.
Das Ergebnis des Experimentes stimmt also vollständig zu der
Folgerung , zu welcher mich vergleichende , embryologische Unter-
suchungen schon 1892 geführt hatten, daß sich das Urmundgebiet,
im Bereiche des Kopfes beginnend, durch die ganze Rückengegend
des Embryos bis zum Schwanzende erstreckt. —
Die Ergebnisse der Keimblattlelire. 1015
Verdickung markiert (Knopf der Teleostier, HENSEN'scher Knoten
der Amnioten) ; der peristoniale wird zum parachordalen Mesoblast,
die peristomale Cölombuclit und Darmlippe gelit in die paraehordale
über. Alsdann diiferenziert sich aus dem Zellenmaterial der Urmund-
nalit durch Spaltung in horizontaler Richtung die Medullarplatte und
die Chordaanlage, erstere aus dem äußeren, letztere aus dem inneren
Faltenblatt der Urmundlippe. Vor dieser Region wandelt sich die
Medullarplatte zum Rohr um ; es krümmt sich die Chordaanlage zur
Chordarinne ein und liefert einen Chordastrang, der sich allmählich
vom links und rechts angrenzenden, mittleren Keimblatt abtrennt und
ins Darmdrüsenblatt eingeschaltet wird (Fig. 256, 268 cÄ, 306, 311 B, C,
319, 364 D, 365,371, 377, 406, 408). Gleichzeitig schwindet die para-
ehordale Cölombucht, indem sich das mittlere Keimblatt von der Chorda-
anlage und vom Rand der Darmlippe abschnürt. Zuletzt wird noch
die Chorda vom Darm wieder ausgeschaltet und vom Darmdrüsenblatt
unter wachsen.
Das mittlere Keimblatt differenziert sich währenddem in die Ur-
segmentplatten, die sich wieder durch Abschnürung in die einzelnen
Ursegmente von vorn nach hinten sondern.
Zum Schluß geht noch aus dem immer kleiner werden-
den Urmundgebiet der Schwanz und die Afteranlage hervor.
Unsere Untersuchungen, die sich auf alle Klassen der Wirbeltiere
erstrecken, führen uns also zu folgender Gesamtauffassung von der
Rolle, welche der Urmund in der Entwickelung der Wirbeltiere spielt :
Was man auf den einzelnen Stadien als Urmund bezeichnet, ist
nicht ein und dasselbe unverändert gebliebene Organ ; es sind nur
verschiedene Strecken eines sich durch Wachstum am hinteren Ende
in demselben Maße ergänzenden und erneuernden Organs, als es nach
vorn durch Verwachsung und Organdifferenzierung aufgebraucht wird ^).
Die einzelnen Entwickelungsstadien eines Wirbeltierkeimes zeigen
uns immer nur einen kleinen, dem jeweiligen Stadium entsprechenden
Abschnitt des Urmundes geöffnet. Wollen wir uns eine Vorstellung
von seiner Gesamtausdehuung verschaffen, so müssen wir uns alle
die Stellen, wo vom Beginn der ersten Einstülpung an eine Ver-
schmelzung der Urmundränder stattgefunden hat, geöffnet denken. Ist
dies geschehen, dann dehnt sich der Urmund vom vorderen Ende der An-
lage des Nervensystems und der Chorda dorsalis bis zum After, also durch
die ganze spätere Rückengegend des Embryos, in ganzer Länge aus.
Ein derartiger spaltförmiger Urmund, der zugleich auch noch
von einem Nervenring eingeschlossen ist, tritt uns in dem Tierreich
bei den Anthozoen entgegen. Auch findet er sich auf frühen Ent-
wickelungsstadien vieler Wirbellosen, bei Anneliden, bei Peripatus und
Arthropoden, bei welchen er ebenfalb vom'Centralnervensystem ring-
artig umgeben wird. Bei Peripatus nimmt der Urmund die ganze
Länge des Rückens ein und ist noch zu einer Zeit geöffnet, wo schon
an seinen Rändern zu beiden Seiten des Spaltes eine Anzahl von Ur-
segmenten entstanden ist.
1) Zu demselben Ergebnis ist Kopsch durch seine experimentellen Unter-
suchungen an der Keimhaut der Vögel geführt worden, wenn er bemerkt : „daß das
Gebilde, welches wir rein deskriptiv als Primitivstreifen bezeichnen, zu den ver-
schiedenen Zeiten seiner Entwickelung nicht ein und dasselbe Gebilde ist, daß viel-
mehr von der Zeit der Entstehung des Kopffortsatzes an seine prospektive Bedeu-
tung mehr und mehr eingeschränkt wird" (L. K. IV, 1902, p. 1053).
Inhaltsverzeichnis zu Kapitel III und IV.
pag.
Kapitel ni .699-966
Geschichte der Blättertheoiie und einige einleitende Betrach-
tuno-en 699
*&^
Die Keimblätter von Amphioxus lanceolatus 713
Die Keimblätter der Cj^clostomen 724
a) Petromyzonten 724
b) Myxinoiden 731
Die Keimblätter der Amphibien . 733
Die Entwickelung des inneres Keimblattes 735
Die Entwickelung von dem mittleren Keimblatt, von Chorda
und Rückenmark 749
Die Entwickelung von After und Schwanz 764
Nachtrag. Besprechung von Brachet's Abhandlung . . ; 767
Die Keimblätter der Dipneusten 770
Die Keimblätter der Granoiden 773
A. Acipenser 774
B. Amia und Lepidosteus 776
Die Keimblätter der Elasmobranchier . . 780
Die Entwickelung des inneren Keimblattes 782
Das Auftreten der mittleren Keimblätter, der Chordaanlage
und der Nervenplatte 786
Weitere Sonderung der Keimblätter. Entstehung von Schwanz
und After 792
Die Keimblätter der Teleostier 798
Die Entwickelung des inneren Keimblattes 800
Die Konkrescenztheorie 804
Die erste Anlage von Rückenmark, Chorda und mittlerem
Keimblatt 811
Die Keimblätter der Reptilien 818
a) Die erste Phase der Gastrulation 819
b) Die zweite Phase der Gastrulation 826
Mesodermsäckchen. Eröffnung desselben 828
Inhaltsverzeichnis zu Kapitel III und IV. 1017
pag.
c) Die weitere Entwickelung von MeduUarplatte, Chordaan-
lage, Mesoblast und innerem Keimblatt 847
d) Di.e Bildung von Schwanz und After und das spätere Ver-
halten des Canalis neurentericus 849
Die Keimblätter der Vögel 852
Die erste Phase der Gastrulation 855
Die zweite Phase der Grastrulation 861
1) Die Entwickelung des Primitivstreifens. Erstes Stadium • 866
2) Zweites Stadium 870
Die weitere Entwickelung von MeduUarplatte, Chordaanlage,
Mesoblast und innerem Keimblatt. Canalis neurentericus 884
Die Bildung von Schwanz und After 896
Die Keimblätter der Säugetiere und des Menschen .... 898
A. Die Monotremen 899
B. Die übrigen Säugetiere 900
1) Die erste Phase der Blätterbildung 901
2) Die Deckschicht und die Umkehr der Keimblätter . 910
3) Die zweite Phase der Keimblattbildung. Entwickelung
des Primitivstreifens, des Primitivknotens, des mittleren
Keimblattes und des Kopffortsatzes 918
a) Das Studium von Flächenbildern 918
b) Die Ergebnisse von Querschnittserien 920
Erste Periode 920
Zweite Periode. Chordakanal. Eröffnung desselben 924
Vergleich zwischen der Keimblattbildung bei den Säugetieren
und den übrigen Wirbeltieren 935
Die weitere Entwickelung der Chorda und MeduUarplatte,
des mittleren Keimblattes, die Bildung A'on Schwanz und
After 940
C. Der Mensch 946
Litteraturübersicht zu Kapitel III 949
Xapitel IV 967—989
Mißbildungen und Mehrfachbilduugen, die durch Störung der
ersten Entwickelungsprozesse hervorgerufen werden . . . 967
1) Experimentelle Sonderung des Eies in Keimscheibe und
iSTahrungsdotter '. 968
2) Beeinflussung des Grastrulationsprozesses 969
3) Beeinflussung des Urmundschlusses. Embryonen mit Spina
bifida ' 971
a) beim Frosch 972
b) bei Knochenfischen 977
4) Zerlegung des Eimaterials derart, daß Mehrfachentwicke-
lung die Folge ist 983
Mehrfachbildungen bei Amphioxus, Cyclostomen, Am-
phibien " 983
f
1018 Inhaltsverzeichnis zu Kapitel III und IV.
pag.
Mehrfachbildungen bei Knochenfischen ...... 986
Mehrfachbildungen bei Vögeln (Reptilien) 993
Litteratur zu Kapitel IV 995
Zusammenfassung von Kapitel III und IV 999 — 1015
Die Ergebnisse der Keimblattlehre 999
1. Die Entwickelung der beiden primären Keimblätter oder
die erste Phase der Gastrulation. (Die Gastraeatheorie) 1000
2. Die Entwickelung der beiden mittleren Keimblätter oder
die zweite Phase der Gastrulation. (Die Cölomtheorie) 1004
3. Die Vorgänge in der Umgebung des Urmundes und in
der durch Urmundverschluß gebildeten Körperregion. (Die
Urmundtheorie) 1008
7
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