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HÄNDBUCH
DER
VERGLEICHENDEN UND EXPERIMENTELLEN
ENTWICKELUNGSLEHRE
DER WIRBELTIERE
BEARBEITET VON
Prof. Dr. Barfurth, Kostock, Prof. Dr. Braus, Heidelberg, Docent Dr.
Bühler, Zürich, Prof. Dr. Rud. Burckhardt, Basel, Prof. Dr. Felix,
Zürich, Prof. Dr. Flemmtng (f), Kiel, Prof. Dr. Froriep, Tübingen, Prof. Dr.
Gaupp, Freiburg i. Br., Prof. Dr. Goeppert, Heidelberg, Prof. Dr. Oscar
Hertwig, Berlin, Prof. Dr. Richard Hertwig, München, Prof. Dr. Hoch-
stetter, Innsbruck, Prof. Dr. F. Keibel, Freiburg i. Br., Prof. Dr. Rud.
Krause, Berlin, Prof. Dr. Wilh. Krause, Berlin, Prof. Dr. v. Kupffer (f),
München, Prof. Dr. Maurer, Jena, Prof. Dr. Mollier, München, Docent
Dr. Neumayer, München, Prof. Dr. Peter, Greifswald, Docent Dr. H. Poll,
Berlin, Prof. Dr. Rückert, München, Prof. Dr. Schauinsland, Bremen,
Prof. Dr. Strahl, Gießen, Prof. Dr. Waldeyer, Berlin, Prof. Dr. Ziehen, Berlin
HERAUSGEGEBEN VON
D*- OSKAR, HERTWIG
O. Ö. PROF., DIREKTOR D. ANATOM.-BIOLOG. INSTITUTS IN BERLIN
ZWEITER BAND. ERSTER TEIL.
MIT 263 ABBILDUNGEN IM TEXT
JEtfA
VERLAG VON GUSTAV FISCHER
1906
Uebersetzungs recht vorbehalten.
?7V
I nh al ts Verzeichnis
zu Band II, Teil 1.
I. Kapitel.
pag.
E. GÖPPERT. Die Entwickelung des Mundes und der
Mundhöhle mit Drüsen und Zunge; die Entwicke-
lung der Schwimmblase, der Lunge und des Kehl-
kopfes der Wirbeltiere. Erschienen am 21. Oktober 1902 1
Litter aturverzeichnisse 33, 53, 61, 67, 76, 80, 83, 105
II. Kapitel.
F. MAURER. Die Entwickelt! ng des Darmsystems. Er-
schienen am 21. Oktober 1902 109
1) Die Kiemenspalten und ihre Derivate 116
2) Allgemeine Entwickelung des Darmrohres und seine Sonde-
rung in verschiedene Abschnitte 154
3) Die histologische Entwickelung der Darm wand 174
4) Leber und Pankreas 188
5) Die Entwickelung des Afters 210
6) Die Entwickelung der Mesenterien 221
Litteraturverzeichnis 241
III. Kapitel.
WlLH. KRAUSE. Die Entwickelung der Haut und ihrer
Nebenorgane. Erschienen am 21. Oktober 1902 .... 253
Litteraturverzeichnis 337
IV. Kapitel.
RUDOLF BüRCKHARDT. DieEntwickelungsgeschichte der
Verknöcherungen des Integuments und der Mund-
höhle der Wirbeltiere. Erschienen am 21. Oktober 1902 349
Litteraturverzeichnis 456
Erstes Kapitel.
Die Entwickelung des Mundes und der Mundhöhle mit Drüsen
und Zunge; die Entwickelung der Schwimmblase, der Lunge
und des Kehlkopfes bei den Wirbeltieren.
Von
E. Gröppert.
A. Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle
und ihrer Organe.
Nachdem im ersten Band dieses Handbuches die Entwickelung
des inneren Keimblattes geschildert worden, wird nunmehr darzustellen
sein, wie aus jener primitiven Anlage das Darmsystem des fertigen
Tieres hervorgeht. An dieser Entwickelung beteiligt sich in ein-
schneidender Weise auch das Ektoderm, indem von ihm aus die
Bildung der In- und Egestionsöffnung erfolgt. Die Herstellung des
Mundes soll nun zumachst besprochen werden. Seine Entstehung wird
vielfach beeinflußt durch die Entwickelung benachbarter Organe
(Hypophysis, Geruchsorgan, Tentakelbildungen, Haftscheiben), die also
gleichzeitige Berücksichtigung verlangen. Mit der Bildung der Mund-
öffnung nimmt das Ektoderm auch am Aufbau des vordersten Teiles
der Kopfdarmhöhle, der Mundhöhle teil, in deren Rändern und in
deren Innern verschiedene, der Aufnahme und Verarbeitung der
Nahrung dienende Organe entstehen, die weiterhin zu schildern sein
werden. Nur die Zähne sollen von anderer Seite in einem besonderen
Kapitel besprochen werden.
1. Der Mund.
Wir stellen die Entwickelung des Mundes von Amphioxus
voran. Die sich hier abspielenden Vorgänge sind aber so innig mit
den Erscheinungen am ganzen Kiemendarm verknüpft, daß es unmöglich
scheint, sie aus diesem Zusammenhang zu reißen, und so sei hier
die Entwickelung des Mundes und der Kopfdarmhöhle gemeinsam be-
sprochen.
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 1
2 E. GÖPPERT,
a) Ainphioxus lanceolatus (Mund, Mundhöhle und Kiemendarm).
Die erste Anlage des Mundes findet sich, wenn wir der Darstellung
Legros' (1897) folgen, bei einem Embryo mit ungefähr 9 Urwirbeln x).
Hier geht vom vorderen blind geschlossenen Teil des Darmrohres ein
medianes Divertikel aus, das unter der Chorda bis zum vorderen
Kürperende hinzieht. An dem Auswachsen des letzteren zum Rostrum
nimmt es teil und wird zur Rost ralhö hie, indem es sich gegen
den Hauptteil des Darmrohres abschließt und seine Zellen eine starke
Abplattung erfahren. Später wird es zu einem engen Hohlraum im
ventralen Teil das Rostrums reduziert.
In dem Stadium, von dem wir eben ausgingen, besteht an der
linken Seite des Körpers vorn eine Verdickung des Ektoderms in
Gestalt einer ovalen Platte, deren längster Durchmesser schräg von
vorn und dorsal nach hinten und ventral gestellt ist (Fig. 1 E). Ihr
vorderster Teil liegt etwa in demselben
Niveau wie die Grenze zwischen der Anlage
der Rostralhöhle und dem späteren Kiemen-
darm. Im vorderen Teil dieses „Plaque ecto-
dermique" wuchert das Epithel zapfenartig
Fig. 1. Amphioxus. Larve 0,38 mm. Quer-
schnitt durch den vordersten Teil des Körpers im
Bereich der linksseitigen Ektodermverdickung. Nach
Legros. E. Ektodermverdickung. J. Darm.
in die Tiefe, erreicht die Ventralseite der Chorda und überschreitet
die Medianebene erheblich. In dieser Epithelmasse entsteht ein Hohl-
raum, der eine Mündung nach außen erhält. Damit hat sich die
Präoralgrube (fossette preorale, Flimmersäckchen) der Larve ge-
bildet (Fig. 2a Pr.Gr). Im caudalen Teil des ektodermalen Plaque
kommt eine Verlötung mit dem dicht anliegenden Teil des Ento-
derms zustande und hier erfolgt der Durchbruch des Larven-
mundes, der sich also nach links öffnet und sich allmählich zu einer
beträchtlichen Größe erweitert (Fig. 2b Larv.M.). Zwischen der larvalen
Mundöffnung und der Präoralgrube besteht ein intermediärer Teil
des Ektodermfeldes, das sich durch seine Flimmerung auszeichnet.
(Identisch mit dem Wimperknopf von Klaatsch, auch bei Willey
1891 dargestellt.)
Eine andere Auffassung (Hatschek 1881) leitete die Rostralhöhle
und die Anlage der Präoralgrube von zwei symmetrisch gelagerten
Ausstülpungen des vordersten Teiles des Entodermrohrs ab, die bei
Embryonen mit 7 Urwirbeln zur Anlage gelangen sollen. Das rechte
Anm. In der Entwickelung des Amphioxus lanceolatus unterscheidet man
eine embryonale Zeit, welche mit der Bildung des Larvenmundes und der ersten
Kiemenspalte abschließt, und die darauf folgende Larvenzeit. Die erste Periode der
Larvenzeit ist charakterisiert durch das Auftreten einer ersten Serie von Kiemen-
spalten und des Peribranchialraumes, die zweite durch das Erscheinen der sog.
sekundären Kiemenspalten, die Ausbildung der definitiven Mundöffnung und der
damit sich vollziehenden Umgestaltung des asymmetrischen Baues der jungen Larve
zu annähernder Symmetrie. So kann man diesen Teil der Emtwickelung auch als
M( laniorphose auffassen. Endlich spielen sich aber auch noch nach Abschluß der
Larvenzeit nach einer kurzen Pause, dem sog. kritischen Stadium, Entwickelungs-
vorgänge am Kiemenkorb ab.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 3
Entodermsäckchen wird zur Rostralhöhle, das linke zur Präoralgrube,
die erst sekundär ihre Oeffnung nach außen erwirbt.
Neuerdings vertritt E. W. Mac Bride (1897 u. 1900) eine ähnliche
Auffassung. Nur läßt er die beiden vorderen Darmdivertikel gemeinsam
durch Zerlegung des vorderen Teiles das Entodermrohrs hervorgehen. Er
rechnet sie als Kopf höhlen zum Mesoderm v). Hatschek sah in ihnen
ein erstes Paar von Kiemenspalten. Eine andere Deutung ward ihnen
durch van Wijhe (1893, 1901). In dem (rechten) Entodermsäckchen
meinte er das erste, anfänglich median verbundene Kopfsomitenpaar der
Selachier (Oculomotoriusgebiet) wiederzusehen, in der Mündung der
Präoralgrube nach außen erblickt er den Rest des primitiven Mundes, das
Autostoma, in der Grube selbst das Homologon des Stomodaeum der Cra-
nioten.
der
die sog
gland ;
Etwa gegenüber der Stelle der späteren Mundöffnung entsteht an
rechten Wand des Darmrohrs ein Organ rätselhafter Bedeutung,
kolbenförmigen Drüse (glande en massue, club-shaped
2b, 6, 7 u. 9 Kolb.Dr.). Nach Hatschek (1881), der
Fio-
Pr.Gr.
M.
Kolb.Dr.
Fig. 2b.
Fig. 2 a, b, c.
Amphioxus. Lasve
Larvenmund. I.K. 1. Kiemenspalte,
kolbenförmige Drüse. Nach Legros
I.K.
Fig. 2c.
Präoralgrube.
1 mm. Pr.Gr
Pr.Div. präorales Darmdivertikel.
Larv.M.
Kolb.Dr.
ihre Entwickelung aus dem Entoderm zuerst feststellte, entsteht sie hier
als eine rinnenförmige Ausstülpung (Embryonen von 9 — 10 Urwirbeln),
die schräg dorso-ventral und gleichzeitig oralwärts über die rechte
Darm wand hinläuft und noch ein Stück weit über die ventrale Mittel-
linie auf die linke Seite übergreift. Später soll sie sich vom Darm-
rohr trennen. Nach Legros entsteht die Drüse als eine anfänglich
solide Zellwucherung der rechten Darm wand, die aber die Mittellinie
nach links nicht überschreitet. In ihr entsteht ein Hohlraum, der mit
dem Darmlumen an der Dorsalseite der rechten Wand in Verbindung
tritt. Hatschek (1881) beschreibt weiter, daß die Drüsenanlage sich
in einen mächtigeren, rechten Teil und einen nach der linken Seite
übergreifenden, schmächtigeren Ausführungsgang sondert, und daß
letzterer in der Nähe der ventralen Umrandung des inzwischen durch-
gebrochenen Mundes eine äußere Oeffnung erwirbt. Auch Willey
beschreibt eine derartige Mündung außer
der
inneren Mündung
am
1) Bateson homologisierte die präoralen Höhlen mit der ßüsselhöhle des
ßalanoglossus (vgl. auch Mac Bride 1898)
1*
4 E. GÖPPERT,
entgegengesetzten Ende des Schlauches (Fig. 6), und Mac Bride be-
stätigt diese Beobachtung (1900). Nach Legros besteht eine solche
äußere Mündung ebensowenig wie ein auf die linke Körperseite über-
greifender Teil der Drüse. Das Bestehen der kolbenförmigen Drüse
ist auf die Larvenzeit beschränkt. In den letzten Zeiten derselben
geht sie zu Grunde, doch hält van Wijhe (1901) einen von ihm beim
ausgebildeten Amphioxus entdeckten engen, blind geschlossenen Kanal
an der Ventralseite der Mundhöhle für einen Rest des Ausführganges
der kolbenförmigen Drüse.
Es sei hier erwähnt, daß van Wijhe (1893, 1901) in der Drüse ein
Antimer des Larvenmundes (seines Tremostoma) erblickt und in beiden
Homologa des Kiemenspaltenpaares der Ascidienlarven und der Appendicu-
larien sieht. Auch Willey (1891) erblickt in der Drüse eine unigebildete
vorderste Kiemenspalte, deren Antimer aber in der ersten primären
Kiemenspalte vorliegt (s. u.).
Ungefähr gleichzeitig mit der Bildung des Larvenmundes kommt
es zur Entstehung der 1. Kiemenspalte (Fig. 2 c I.K.). Sie wird ein-
geleitet durch eine scheibenförmige Verdickung des Entoderms, an der
Ventralseite, caudal von der Mundanlage, die bald etwas nach rechts
verschoben wird. Sie liegt etwa im Niveau des zweiten Somits. Etwas
rechts von der Medianebene senkt sich nun das Entoderm trichter-
förmig ein, erreicht das Ektoderm und verschmilzt mit ihm. Darauf
bricht eine ganz enge Oeffnung durch, die sich allmählich erweitert
und dabei weit auf die rechte Seite der Darmwand übergreift. Ein
verdickter Rand flimmernder Entodermzellen umrahmt sie. (van Wijhe
homologisierte sie mit dem Anus der Copelaten.)
Der Durchbruch der larvalen Mundöffnung und der 1. Kiemen-
spalte bestimmt den Beginn der Larvenperiode. Wir verfolgen hier
zunächst die Geschichte der Präoralgrube und des Mundes.
Wie Legros zeigte, erfährt die Präoral grübe zunächst eine
sehr erhebliche Erweiterung und sondert sich in einen ventralen und
dorsalen Abschnitt (Fig. 3a). Der ventrale, die Portion stomodoeale
(P.stom.) [Wimperorgan] bildet sich später zum Räderorgan des
fertigen Tieres um (Flimmergrube und Flimmerrinnen). [Hatschek
1884; vgl. die genaue Beschreibung desselben durch van Wijhe
1901.] Der dorsale Teil läßt wiederum 2 Diverdikel hervorgehen. Das
eine von ihnen wächst nach vorn und rechts aus. Es ist die schon
von Hatschek als Bildung der Präoralgrube erkannte Hatschek 'sehe
Grube (H.Gr.), die auch beim Erwachsenen an der Dorsal wand der
Mundhöhle, rechts von der Medianebene, bestehen bleibt. Ihre durch
Hatschek beschriebene Nervenversorgung (1892) wurde schon 1893
durch van Wijhe wieder in Frage gestellt, der endlich 1901 zeigte,
daß es sich hier nicht um eine Sinnesgrube, sondern um eine Drüse
handelt, deren Sekret durch den Wimperapparat des Räderorgans der
Velaröffnung zugeführt wird und jedenfalls für die Nahrungsaufnahme
von Wichtigkeit ist. Die HATSCHEK'sche Grube ist, wie Kupffer
schon 1892 aussprach, wohl mit Sicherheit der Hypophyse der Verte-
braten und der Neuraldrüse der Tunicaten zu homologisieren, während
die Flimmergrube des Amphioxus der Flimmergrube der Tunicaten
entspricht (vgl. van Wijhe 1901). Voraussetzung ist natürlich die
Richtigkeit der Angaben Legros' über die Entstehung der Präoral-
grube.
Dia Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 5
Das zweite Divertikel des dorsalen Teiles der Präoralgrube bleibt
auf der linken Seite und verlängert sich zu einem schlanken Schlauch
(Fig. 3 a u. b H.Nephr.), der den vordersten Teil des Kiemendarms
erreicht und sich mit ihm in Verbindung setzt (Larve mit 6 Kiemen-
spalten Fig. 3b), also nunmehr eine Kommunikation zwischen Präoral-
H.Nephr.
H.Gr. • -
H.Xephr.
P.stom.
Kolb.Dr
Larv.M.
J.
Fig. 3a.
Fig. 3a, b. Amphioxus. Larve 3 mm. a Querschnitt durch die Gegend
der Präoralgrube, b Querschnitt durch die Gegend des Larvenmundes {Larv.M.).
H.Nephr. HATSCHEKsches Nephridium. H.Gr. HATSCHEK'sche Grube. 7. Darm.
Kolb.Dr. kolbenförmige Drüse. P.stom. Portion stomodoeale der Präoralgrube.
Nach Legros.
grübe und Darmrohr bildet. Die
Mit dem Kiemendarm bleibt der
äußere
Schlauch
Mündung
Er
liegt
linksseitig, der Unterfläche der
schließt sich bald.
dauernd in Verbindung.
Chorda angelagert, an der
Dorsalseite der Mundhöhle und mündet dicht hinter dem Velum.
Hatschek, der erste Beobachter des Gebildes sah in ihm ein
Exkretionsorgan, für das er mesodermalen Ursprung annahm (1884).
Seitdem wird es als Hatschek' seh es Nephridium bezeichnet. Legros
homologisiert es mit der Hypophyse. Endlich nimmt van Wijhe (1901)
den Schlauch als Teil des nach seiner Ansicht außer Funktion gesetzten
ehemaligen Stomodaeums in Anspruch. Schließlich sei erwähnt, daß
Mac Bride eine ganz andere Auffassung des HATSCHEK'schen Nephridiums
vertritt. Er beschreibt hinter den vorderen Entodermsäckchen (s. o.)
2 dorsale Darmdivertikel als Teile der Mesodermanlage, die er als
rechte und linke collar cavity bezeichnet. Während das rechte Säckchen
sich vom Entoderm abschnürt, bleibt das linke mit ihm durch ein enges
Rohr im Zusammenhang und stellt nun das sogenannte Nephridium vor.
Während der ersten Zeiten des larvalen Lebens erweitert sich die
Mundöffnung andauernd und wächst zu einer erheblichen Größe heran
(Fig. 6 Larv.M). Sie besitzt ovale Gestalt, ihr längster Durchmesser
läuft von vorn nach hinten. Die größte Ausdehnung besitzt sie in
einem Stadium mit 8 (primären) Kiemenspalten. Von nun an beginnt,
wie Legros beschreibt, eine Verkleinerung des Larvenmundes vom
hinteren Teil seiner Umrandung her, und bald darauf, etwa gleichzeitig
mit der Anlage der sekundären Kiemenspalten setzt, die Ausbildung
der definitiven Mundhöhle ein. Am oberen und später auch am unteren
6
E. GÖPPERT,
Rande der Präoralgrube und der Mundöffnung entsteht je eine longitudinal
gestellte lippenartige Falte, welche mit Klaatsch als Präoralfalten
bezeichnet werden können. An der caudalen Umgrenzung des Mundes
gehen sie später ineinander über. Sie haben nach Willey (1891),
der diese Verhältnisse zuerst klarstellte, nichts mit den zur Ausbildung
des Peribranchialraumes führenden Falten zu thun, wie es behauptet
worden war. Die beiden Präoralfalten oder Lippen, die als obere und
und untere zu unterscheiden sind, begrenzen eine nach links sich
öffnende Panne, in deren Grund die Präoralgrube mit ihren Teilen
liegt und weiter nach hinten der stark verkleinerte Larvenmund als
Ostium pharyngeum die Kommunikation mit dem Kiemendarm ver-
mittelt (Fig. 4). Dieser Komplex von Teilen bildet die definitive
Mundhöhle. Der Boden der Mundhöhle (gleichzeitig ihre rechte Wand)
erfährt eine erhebliche Vertiefung dadurch, daß der intermediäre Bezirk
zwischen Präoralgrube und Ostium pharyngeum stark einsinkt.
Gleichzeitig mit dem Entstehen der unteren Präoralfalte treten
an ihr Tentakelbildungen (Cirri) auf (Fig. 10). Sie besetzen den größten
Teil der unteren Falte mit Ausnahme des vordersten Endes und dehnen
ihr Gebiet auf die obere
Falte aus. Hand in Hand
mit ihrem Auftreten geht die
Ausbildung des Tentakel-
skelets, das nach Klaatsch,
geweblich dem jugendlichen
Chordagewebe verwandt ist,
nach seinem ganzen Ver-
halten aber als aus hya-
linem Knorpel bestehend
durch van Wijhe (1891)
erwiesen wurde.
Die Umrandung des
Ostium pharyngeum der
Mundhöhle, d. h. des alten
Larvenmundes , wird zum
Velum , unter Ausbildung
Muskelringes, der,
yDef.M.
L.L.
Fig. 4.
Fig. 4. Amphioxus. Larve 3,65 (in Meta-
morphose). Def.M. definitiver Mund. L.L., R.L.
linke resp. rechte Lippe. Vel. Velum in der Um-
grenzung des Larvenmundes. /. Darm. Nach
Legros.
Fig. 5. Amphioxus. Larve 3,6 mm. (Ende
der Metamorphose.) M.H. Mundhöhle. Sonst. Be-
zeichnung s. Erkl. Fig. 4. Nach Legros.
eines
wie Legros zeigte, aus der
Somatopleura in der Um-
gebung der Oeffnung seinen
Ursprung nimmt (Fig. 4, 5,
10 Vel). Anfänglich umzieht die Anlage des Muskels nur den vorderen
Teil des Ostium pharyngeum erst nach erheblicher Verkleinerung des
letzteren kommt es auch an der Caudalseite zu einem Zusammen-
schluß des Muskelzuges und damit zur Entstehung eines wirklichen
Ringes. Auch am Velumrand entstehen gegen Ende der Larvenzeit
Tentakel, erst in der Vierzahl, dann in größerer Menge bis zu 12
(Velartentakel), in denen es auch zur Ausbildung von Skeletstäben
kommt, die aber ganz anders als die Stützen der Mundtentakel aus
dicht aneinander geschlossenen elastischen Fibrillen bestehen und
darin mit den Skeletstäben des Kiemendarms übereinstimmen (van
Wijhe 1901).
Wir sehen, daß anfänglich die Oeffnung der definitiven Mundhöhle
nach lmks sieht (Fig. 4 Def.M.). Die beiden Lippen, die sie be-
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 7
grenzen (Präoralfalten, capuchon oral, oral hoocl), erschienen als
obere (L.L.) und untere (E.L.) der Grund des rinnenförmigen Raumes
ist gleichzeitig seine rechte Wand. In der zweiten Hälfte der Larven-
zeit setzt die Herstellung des bleibenden Verhaltens ein (Fig. 5).
Zunächst spielt nach Legros eine wichtige Rolle ein starkes Längen-
wachstum der oberen Präoralfalte (L.L.), die sich vorhangartig herab-
senkt, während die untere Lippe (R.L.) ihre ursprüngliche Lage und
Größe annähernd bewahrt. Das Herabwachsen der oberen Lippe be-
dingt, daß die Mundspalte sich bald nicht mehr nach links, sondern
ventralwärts öffnet. Sie bleibt dabei etwas links von der Medianebene.
Die ursprünglich obere Lippe (L.L.) ist nunmehr zur linken, die untere
zur rechten Begrenzung des Mundes geworden (KL.). Das Herab-
steigen der oberen (linken) Präoralfalte ist unter anderem auch mit
einem erheblichen Wachstum der über ihr gelegenen Teile der Körper-
wand verknüpft, und als Folge davon senkt sich auch die obere Ab-
grenzung des gesamten Gebietes des ehemaligen plaque ectodermique
ventralwärts herab (Fig. 5). Der ursprünglich obere Rand des Velum
(Vel.) wird zum linken, indem er in das Niveau des unteren, nunmehr
rechten Randes tritt. Das Velum hat, wie es scheint, eine Drehung
von 90 ° um eine von vorn nach hinten verlaufende horizontale Achse
durchgemacht. Seine Oeffnung sieht nicht mehr nach links, sondern
ventralwärts und etwas nach vorn. Der vorderste Teil des Kiemen-
darms (1) liegt nicht mehr rechts, sondern dorsal von ihm. Vor dem
Velum finden sich am Dach der Mundhöhle die Teile der Präoral-
grube, das Räderorgan und die HATSCHEK'sche Grube.
Eine andere Schilderung der Umstellung des Velums gab Willey
(1891). Danach senkt sich die vordere Umgrenzung des Larvenmundes
Fig. 6. Amphi- Pr.Gr. End. Kolb.Dr.
oxus. Junge Larve. I _
Ansicht von links. Er- _- £~t g- Llu
klärung der Bezeich- ^ / ' ._!'
nun gen von Fig. 6, 7, • ~r
9,10. a. Rand der lin- %-,.- , / -■
ken, b. der rechten " I -- \ / ■
Metapleuralfalte. Ch. ^j— — \j/
Chorda. End. Endost yl. Larv.M. L.K.
Kolb.Dr. kolbenförmige
Drüse. R.K., L.K. Kiemenspalten der rechten und linken Seite. E.L., L.L. rechte
und linke Lippe. Larv.M. Larvenmund. Med. Medulla. Pr.Gr. Präoralgrube. Vel.
Velum. Nach Willey.
nach der rechten Seite ein und wird zum rechten Teil des Velums,
während die hintere Umgrenzung zum linken Velumrand wird. Man
kann auch hier von einer Drehung des Velums um 90 ° sprechen, aber
diese Drehung verläuft um den dorso-ventralen Durchmesser des
Larvenmundes. Mit dieser Ansicht harmonieren die Feststellungen
van Wijhe's über die Innervation von Velum und Mundhöhle (1893).
Untersuchen wir jetzt die Entwickelung der Kiemenspalten so
treffen wir auf die eigentümliche Thatsache, daß die Spalten beider
Seiten zu sehr verschiedenen Zeiten auftreten, als eine erste Serie
entstehen die Spalten der linken Seite, als zweite die der rechten
Seite. In diesem Sinne spricht man von primären und sekundären
Spalten. Die Entwickelung der Spalten der zweiten Serie charakterisiert
die zweite Periode der Larvenzeit, in der auch die definitive Gestaltung
der Mundhöhle sich vollzieht.
8
E. GÖPPERT,
Wir sahen, daß schon die erste am Ende der embryonalen Zeit
auftretende Spalte etwas nach rechts von der Medianebene verschoben
war (Fig. 2 c). Je größer sie wird, desto mehr rückt sie auf die rechte
Seite empor. Hinter ihr treten im Anfang der Larvenleben bis zu
R.K.
Kolb.Dr. pr,Gr.
Larv.M. L.K. End.
Fig. 7. Aniphioxus. Junge Larve. Ansicht von rechts. Anlage der Kiemen-
spalten der rechten Seite (R. K.). Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 6. Nach Willey.
15 Spalten an der Ventralseite des Körpers auf, von denen die vorderen
gleich der ersten bei ihrer Vergrößerung auf die rechte Seite über-
greifen. Die hintersten behalten eine annähernd mediane Lagerung
bei (Fig. 6 u. 7 L.K).
Noch bevor die letzten primären Spalten aufgetreten sind (beim
Bestehen von 9—10 Spalten) kommt es zur Anlage des Peribranchial-
ranmes; die Darstellung dieser Vorgänge durch Kowalewsky und
Rolph hat durch Ray Lankester und Willey Ergänzung und
Verbesserung erfahren. An der Ventralseite des Körpers entstehen
dicht nebeneinander zwei einander parallele Ektodermfalten. Jede
umschließt Bindegewebe, in welchem bald lymphatische Räume auf-
treten (nach Mac Bride), Fortsetzungen der als Collar cavities be-
schriebenen Cölomtaschen. Die Anlagen dieser sog. Metapleural-
falten (Fig. 8 a M. f.) beginnen etwa in der Mitte des Körpers ein
c.
_ Atr.
. M.-f.
C. ^
Atr. -J;
Fig. 8a. Fig. 8b. Fig. 8c. Fig. 8d.
Fig. 8a— d. Aniphioxus. Larven. Verschiedene Stadien der Entwickelung
des Atrium. Atr. Atrium. C. Cölom. M.-f. Metapleural(Seiten)falten. S.-f. Subatrial-
falten. Schematisch. Nach Ray Lankester und Willey.
Stück caudal von dem Bereich der Kiemenspalten beiderseits von
der Medianebene gelagert, ziehen nach vorn und nehmen die Reihe
der Kiemenspalten zwischen sich. Dabei weichen sie natürlich nach
Die Elitwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 9
der rechten Seite zu ab. Die rechte liegt am oberen, die linke am
unteren Rand der Spaltenreihe. Die erstere ist vorn bei weitem
die mächtigere; die untere (linke) Metapleuralfalte wird nur durch
eine Epithelverdickung gebildet. Die rechte Falte überragt den Bereich
der Kiemenspalten ein Stück, indem sie auf der Unterfläche des Rostrum
ausläuft. .Während die Zahl der Kiemenspalten zwischen beiden Meta-
pleuralfalten fortgesetzt zunimmt, verbinden sich die letzteren mit-
einander oberhalb ihres freien Randes durch sog. Subatrialfalten (S.-f.).
Diese bilden den Boden eines Raumes, an dessen Dach nunmehr die
Kiemenspalten münden, während die Seitenwände durch die Basen
der Metapleuralfalten hergestellt sind. Dieser enge kanalartige Raum,
der von Ektoderm ausgekleidet ist, ist die Anlage des Peribranchial-
raunies (Atrium) (Fig. 8 b Atr.). An seinem caudalen Ende bleibt
der Abschluß aus (Porus). Vorn vollzieht er sich erst in einem Stadium
in dem die Spalten der zweiten Serie bereits durchgebrochen sind.
Der anfänglich enge Kanal erfährt bald eine erhebliche Ver-
größerung und senkt sich dabei in das Innere des Larvenkörpers ein,
indem er das Cölomepithel vor sich hertreibt (Fig. 8 c u. d). Seine
Vergrößerung erfolgt auf Kosten der Leibeshöhle (C.) Ventral, rechts
und links umfaßt der Peribranchialraum das Darmrohr. Das Cölom
ist auf zwei Spalten reduciert, von denen die eine zwischen Darmwand
und Peribranchialraum, die andere zwischen letzterem und der Körper-
wand sich einschiebt. Beide gehen zur Seite des dorsalen Teils des
R.K. End.
L.K. Kolb.Dr. Vel- Pr.Gr.
Fig. 9. Amphioxus. Larve. Ansicht von rechts. Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 6.
Nach Willey.
Darms, dorsal vom Peribranchialsack jederseits ineinander über. Dem
Peribranchialraum verwandte Einrichtungen finden sich in den Peri-
branchialräumen der Tunicaten ohne daß aus ähnlicher Entstehung
und Lagerung eine Homologie zu erschließen wäre. Auf die Deutung
des Peribranchialraumes als Homologon des Vornierenganges der Verte-
braten (Boveri) kann hier nur kurz hingewiesen werden.
Nachdem die Kiemenspalten der ersten Serie ihre Maximalzahl
erreicht haben, entsteht dorsal von ihnen, also auf der rechten Seite
in einer langen Linie eine streifenartige Verdickung der Darmwand,
die an i. d. R. 6 in regelmäßigen Abständen aufeinander folgenden
Stellen sich verbreitert und mit der Wand des Peribranchialraums
verlötet (Fig. 7 R.K.). An diesen Stellen erfolgt der Durchbruch der
Kiemenspalten der zweiten Serie in den Peribranchialraum (Fig. 9 R.K.).
Sie entsprechen ihrer Lage nach den Somiten vom 5. an und alternieren
dabei mit den Spalten der ersten Reihe. Die Kiemenspalten haben
also anfänglich eine metamere Anordnung, die erst später verwischt
wird. Die Zahl der Spalten der zweiten Serie vermehrt sich caudal-
wärts bis auf i. d. R. 8. Die Spalten selbst vergrößern sich. Damit
10
E. GÖPPERT,
geht Hand in Hand ein starkes Wachstum der oberen Teile der rechten
Darmwand nach abwärts. Die Folge hiervon ist, daß der zwischen
beiden Spaltreihen gelegene Streifen der Darmwand abwärts verschoben
wird und schließlich eine ventro-mediane Lagerung einnimmt. Damit
linken
rechte
liegen natürlich die Spalten der ersten Serie nunmehr auf der
Seite der Darmwand, während die der zweiten Serie die ganze
Seite einnehmen (Fig. 10).
trische Gestaltung erlangt.
Der gesamte Kiemendarm hat eine symmet-
L.L.
R.L.
Fl.
Yel. End. L.K. a.
L.K.
Fig. 10. Amphioxus. Larve gegen Ende der Metamorphose,
links. Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 6. Nach Willey.
Ansicht von
Man kann sagen, daß die Anlage der späteren linken Darmwand
sich anfänglich auf Kosten der rechten erheblich über die Medianebene
hinaus ausdehnt. Die Anlage der rechten Wand ist auf einen schmalen
Streifen an der dorsalen Circurnferenz des Darms reduziert. Durch
stärkeres Wachstum der Anlage der rechten Seite, Zurückbleiben im
Wachstum seitens der Anlage der linken Seite, stellt sich die S}Tmmetrie
wieder her. Die Erklärung der Störungen der Symmetrie in der Ent-
wickelung des Mundes und der Kiemenspalten steht noch aus.
Während der Ausbildung der Symmetrie findet noch eine Anzahl
von Veränderungen statt. Mit dem Durchbruch der Spalten der
zweiten Serie beginnt die erste Spalte der rechten Reihe sich rück-
zubilden und schließt sich später vollkommen. Das gleiche Schicksal
betrifft etwas später die hintersten primären (linken) Spalten, sodaß
schließlich beide Seiten des Kiemendarms von der gleichen Anzahl von
Oeffnungen (gewöhnlich 8) durchsetzt werden. Die Spalten der zweiten
Serie werden bald nach ihrem Auftreten je in einen vorderen und einen
hinteren Teil zerlegt, indem ihre obere Umrandung einen Fortsatz
abwärts schickt, der einem kleinen Höcker des unteren Randes sich
anfügt. Dadurch entstehen die sogenannten Zungenbalken (Tonguebars,
sekundäre Kiemenbogen). Das gleiche betrifft auch die Spalten der
linken Seite. Nur die erste Oefmung jederseits bleibt unzerlegt1).
Gleichzeitig mit der Umgestaltung des Kiemendarms erfolgt auch
die Ausbildung der Anlage der Hypobranchialrinne'2) (des Endostyls).
Bereits Hatschek (1881) hatte ein besonderes Verhalten der Epithel-
zellen der Darmwand vor der Anlage der kolbenförmigen Drüse be-
obachtet. Willey erkannte hierin die Anlage des Endostyls. Bald
1) Die ersten im Wesentlichen richtigen Angaben über die Ausbildung der
Kiemenspalten stammen von Kowalewsky. Wir folgten hier der eingehenden
Untersuchung dieser Vorgänge durch Willey.
2) Die Bezeichnung Hypobranchialrinne ist eigentlich nur für den hinteren Teil
des Organs zutreffend, da der vordere sich in das Darmlumen vorwölbt (Spengel).
Die Entwickelung des Mundes der Mundhöhle und ihrer Organe. 11
nach dem Entstehen der kolbenförmigen Drüse tritt an ihrer Vorder-
seite, also auf der rechten Seite, ein bandartiger Streifen im Darm-
epithel auf, der sich scharf gegen die Umgebung abliebt (Fig. 6 End.).
Er ist winklig gebogen, derart, daß man einen oberen und einen
unteren Teil unterscheiden kann. Die Spitze des Winkels zeigt caudal-
wärts und gehört dem Teil der rechten Darmwand an, welcher später
eine medioventrale Lage einnimmt. Nach dem Auftreten der beiden
Reihen von Kiemenspalten tritt dies noch klarer hervor, indem der
Winkel der Endostylanlage dem Raum zwischen beiden Reihen ent-
spricht und sich immer weiter hier einschiebt (Fig. 7 u. 9). Die
Wachstumvorgänge an der Wand des Kiemendarms, welche die
Symmetrisation desselben zur Folge haben, führen auch die Endostyl-
anlage an die Ventralseite des Darmes und machen den oberen Schenkel
der Anlage zum rechten, den unteren zum linken Teil des Organs,
das dann allmählich seinen Bereich über den ganzen Kiemendarm
ausdehnt (Fig. 10). Die Wimperbogen (Wimperrinnen), die jederseits
vom vorderen Ende der Hypobranchialrinne ausgehen und über die
Innenfläche des Kiemendarms zur Dorsalseite desselben zu einer Epibran-
chialrinne hinlaufen, sind schon bei jungen Larven im Zusammenhang
mit den vorderen Enden der beiden Schenkel der Endostylanlage nach-
weisbar (Willey) [Fig. 10 Fl]. Sie grenzen ein Vestibulum pharyngis
vom eigentlichen Kiemendarm ab. Ihre Existenz beim Erwachsenen
ist neuerdings durch van Wijhe sichergestellt worden.
Nachdem die Kiemenhöhle und Mundhöhle ihre definitive Gestaltung
erhalten haben, tritt eine Zeit der Ruhe ein. Nach einiger Zeit setzen
aber beim jungen Amphioxus wieder Veränderungen ein. Während
des ganzen Lebens, wie es scheint, vermehrt sich die Zahl der Kiemen-
spalten rechts und links, indem caudal von den während des Larven-
lebens entstandenen Spalten immer neue durchbrechen, während die
vorher gebildeten Spalten immer mehr zusammengedrängt werden.
b) Cyclostomen.
a) Petromyzonten.
Bei Petromyzon Plan er i zeigt sich die erste Anlage des
Mundes als eine Verdickung des Ektoderms an der Ventralseite der
Anlage des Vorderkopfes, der das übrige Ei stark überragt (Dohrn).
Diese „Mund Scheibe" liegt also in einiger Entfernung vom vorderen
Körperende, an dem die Anlage des Riechorgans sich gleichfalls als
ein verdickter Epitelbezirk an der Stelle des letzten Zusammenhangs
zwischen Gehirnanlage und Ektoderm bemerkbar macht. Zwischen
beiden Anlagen markiert eine einspringende Kante des Ektoderms
die Stelle der späteren Hypophyse. Die Mundscheibe ähnelt der
ersten Anlage des Mundes beim Amphioxus, wie sie Legros schil-
derte. Die Mundscheibe stülpt sich nun ein und bildet sich zu
einer tiefen, taschenförmigen Einsenkung (S t o m o d a e u m oder Mund-
bucht) um (Fig. 11 M.B.), in deren Grunde Ektoderm und Entoderm
unmittelbar aneinander liegen und damit die sogenannte Rachenhaut
(R.H.) bilden. Die vordere und hintere Umrandung der Mundbucht
springt als Anlage der Ober- (O.L.) und Unterlippe vor. Durch die
Ausbildung des Stomodaeums ist ein vor der Rachenhaut liegender Teil
des Entodermrohrs, der präorale Darm (Pr.D.) [v. Kupffer] von der
VJ
E. GÖPPERT,
Anlage des Kiemendarms (I.) abzugrenzen1). Gleichzeitig mit der
Ausbildung des Stomodaeums sinkt die Anlage des Geruchsorgans in
Form einer Grube ein (R.) und wächst die Hypophysenanlage (Nasen-
rachengang Hy.) als Schlauch mit engem Lumen caudalwärts in die
Tiefe und legt sich dem Infundibulum an. Alle drei Anlagen liegen
nach Eintritt der geringfügigen Kopfkrümmung in einer Flucht an
der Ventralseite des Kopfes.
Mundbucht und Hypophysis sind durch die Anlage der Oberlippe
(O.L) scharf voneinander geschieden. Auch von der Riechgrube (R.)
trennt die Anlage der Hypophysis (Hy.) eine allerdings wesentlich
^Pr.D.
E.H.
E.H. O.L. Hy. Hy.
Fig. 11. Fig. 12.
Fig. 11. Medianer Längsschnitt durch den Kopf einer jungen Larve von
Petromyzon Planeri. Nach v. Kupffer (1894). Erklärung der Bezeichnungen für
Fig. 11 — 14. Ch. Chorda. Hy. Hypophysenanlage. K. Kiemen taschen. 31. B. Mund-
bucht (Stomodaeum). M. Mittelhirn. N. Hinterhirn. O.L. Oberlippe. Pr.D. präorales
Darmdivertikel. E. Eiechorgan. E.H. Rachenhaut. V. Vorderhirn. Vel. Velum.
Fig. 12. Medianer Längsschnitt durch den Kopf einer jungen Larve von
Petromyzon Planeri. Nach v. Kupffer (1894). Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 11.
geringfügigere Vorwölbung des Epithels. Der allmähliche Uebergang
der Gestalt der Epithelzellen der einen Anlage in die der anderen
läßt die Grenze zwischen beiden weniger scharf erscheinen als die-
jenige zwischen Mundbucht und Hypophysenanlage. Später besteht
für den Nasenrachengang und die Riechgrube eine gemeinsame Oeffnung
(Fig. 12, 15).
Das blinde Ende der Hypophysenanlage ist dem vorderen Ende des
präoralen Darmes zugekehrt und reicht fast an dasselbe heran. Von
diesem gehen, wie v. Kupffer beschrieb, seitlich 3 Paare von Aus-
buchtungen hervor, die gegen die hyobranchiale Kiementasche und gegen-
einander durch Streifen mesodermalen Gewebes abgegrenzt werden, die
sich den mesodermalen Anlagen der Iviemenbogen gleichartig verhalten ;
dazu kommt, daß in entsprechender Lage wie zwischen zwei Kiemen-
taschenanlagen auch zwischen den Taschen des präoralen Darmes Aorten-
bogen auftreten. Kupffer sieht daher in diesem von ihm geschilderten
Verhalten den Beweis dafür, daß sein präoraler Darm mit rudimentären
Kiementaschenanlagen besetzt ist. Er hält ihn für homolog mit den
1) Die Darstellung der Entwicklung des Stomodaeums folgt im speciellen den
Untersuchungen Dohrn's und Kupffer's. Die erste genauere Untersuchung der
Mundbucht stammt von Scott. Vgl. auch A. Goette und W. Lubosch (1901).
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 13
präbranchialen Kopfhöhlen, die Balfour (A Monograph on the Develop-
ment of Elasmobranch Fishes, London 1878) als Teile des Mesoderms
bei Selachiern zuerst beschrieb. Die Gesamtheit des präoralen Darmes
soll, ohne andere Teile hervorgehen zu lassen, nachdem er sich bei etwa
4 mm langen Larven vom Kiemendarm abgeschnürt hat, der Rückbildung
verfallen, v. Kupffer deutet nun seine Beobachtungen derart, daß die
Hypophysenanlage ein ehemaliger Mund wäre, und daß der vorderste
Darmteil, in den jener primitive Mund hineinführte, im präoralen Darm-
teil vorliegt, der mit den Auftreten der jetzigen Mundöffnung in einiger
Entfernung vom vorderen Körperende der Bückbildung verfiel.
Vor dem Durchbruch der Mimdbuclit in den Kiemendarm voll-
zieht sich die Anlage des Velums (Dohrn 1887, Shipley 1887).
Der Grund der Mundbucht (Fig. 12 u. 13 M.B) dehnt sich durch
Fig. 13a.
Fig. 13b.
Fig. 13c.
Fig. 13d.
Fig. 13 a— d. Horizontale Längsschnitte durch Mundbucht und Kiemendarm
von jungen Ammocöten, 4, 5, 6, 9 Tage nach dem Ausschlüpfen.
(18S6/87). Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 11.
Nach Dohrn
Entwickelung einer
rinnenförmigen
Vertiefung
aus, welche die Stelle
umkreist, an welcher das Ektoderm und Entoderm aneinander liegen
(R.H.). Zwischen der Hinterwand dieser Aussackungen und der
Vorderwand des Darmrohrs (I.) bleibt eine Schicht mesodermalen Ge-
webes (Fig. 13 c). Die Scheidewand zwischen Stomodaeum und Darm-
rohr hat sich also erheblich vergrößert, und es besteht an ihrer Vorder-
flache an einer beschränkten Stelle eine flaschenartige Einsenkung des
Ektoderms, welches im Grunde der Einsenkung dem Entoderm anliegt
(Fig. 13 c) [Rachenhaut]. Hier erfolgt bei Larven von etwa 4 mm Länge
der Durchbrach der Mundbucht in das Darmrohr in Form einer
vertikal gestellten Spalte. Die übrigen mesodermhaltigen Teile der
Mundbucht-Darmscheidewand stellen das Velum vor, in dem der
mesodermale Bestandteil Muskelgewebe hervorgehen läßt (Fig. 13 d Vel).
Während die Anlage des Velums sich ausbildet, entwickeln sich
auch die vorderen Abgrenzungen der Mundbucht weiter. Es kommt
hier zur Ausbildung einer Unterlippe und einer Oberlippe, welch'
letztere dorsal und beiderseits die Mundöffnung umzieht und erheb-
lich an Umfang zunimmt (Fig. 15). Dabei wird die äußere Nasen-
hypophysenöffnung immer weiter von der Mundhöhle getrennt und
kommt auf die Dorsalseite des Vorderkopfes zu liegen (Fig. 14).
Endlich entsteht nach dem Durchbruch der Rachenhaut an
Innenseite der Mundhöhle nicht weit vom Velum ein Kranz
der
von
Tentakeln (Shipley), der sich an der Unterfläche der Oberlippe in
14
E. GÖPPERT,
verzweigen
einer medianen Linie nach vorn fortsetzt. Die Tentakel
sich mehrfach und bilden einen Filterapparat vor der Oeffnung des
Velums- Ihre Lage im Innern der Mundhöhle unterscheidet sie von
den Mundtentakeln der Amphioxus, denen der Myxinoiden und übrigen
Fische.
Mit der Metamorphose erfolgt eine völlige Umgestaltung der
Mundhöhle. Es bildet sich ein rundes Saugmaul aus. Der Tentakel-
4 Hy.R.
Fig. 15.
Fig. 14.
Fig. 14. Medianer Längsschnitt durch den Kopf einer älteren Larve von
Petromyzon Planeri. Nach v. Kupffer (1894). Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 11.
Fig. 15. Kopf einer 4 mm langen Larve von Petromyzon Planeri. Hy. R.
Gemeinsame Mündung von Hypophyse und Geruchsorgan.
besatz schwindet, und es treten Hornzähne auf, über deren Entwickelung
später zu berichten sein wird. Das Velum verfällt der Rückbildung,
und an der Ventralseite der Mundhöhle entsteht die mächtige Zunge
mit ihren Knorpeln und Muskeln (s. unten, vgl. M. P. Bujor).
ß) Myxinoiden.
Unsere Kenntnis der Entwickelung des Mundes und der Mund-
höhle der Myxinoiden ist noch eine sehr fragmentarische. Einigen
Angaben von Price über Bdellostoma Stouti folgte eine auf
reicherem Material beruhende Darstellung von v. Kupffer, der wir
uns hier anschließen. In dem jüngsten bekannt gewordenen Stadium,
in welchem der Verschluß des Neuroporus eben vollzogen war, die
Abhebung des Darmrohres noch nicht begonnen hatte, bestand eine
kurze, vom Ektoderm ausgekleidete Mundbucht, die nach vorn weit
durch den das Vorderhirn bergenden Teil des Kopfes überragt ward.
Im Grunde der Mundbucht stößt das Ektoderm an das Entoderm, es
besteht eine Rachenhaut.
Nachdem der vordere Teil des Darmes sich zum Rohre abgeschlossen
hat, schwindet die Rachenhaut und damit die Grenze des Bereichs von
Ento- und Ektoderm. Dicht vor der (primären) Mundöffnung liegt
an der Unterfläche des überragenden Teiles des Vorderkopfes die Anlage
des Geruchsorgans (Fig. 16 R.) als eine unpaare Einsenkung des
Ektoderms, die später rechts und links von der Medianebene in je
einen Blindsack auswächst. Von dieser Anlage aus zieht eine Rinne
dorsal von der Mundöffnung beginnend, in den Munddarm hinein und
Die Entwickeking des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 15
läuft an seiner dorsalen Wand in der Gegend des vordere Chorda-
endes aus. Diese Rinne wird jederseits durch eine von der dorsalen
Darmwand ausgehende Falte gegen den Hauptteil des Darmes ab-
gegrenzt. Indem beide Falten sich verbreitern und median miteinander
verschmelzen, wird der vorher als Rinne erscheinende dorsale Teil des
j.
Fig. 16. Bdellostoma Stouti. Medianer Längsschnitt durch jungen Em-
bryo nach v. Kupffer. Bezeichnungen für Fig. 16-18. Ch. Chorda dorsalis.
Hy. Hypophyse (Nasenrachengang). I. Darmrohr. Inf. Infundibulum. L. Zungen-
wulst. M. Mittelhirn. MM. Mundhöhle. X. Hinterhirn. R. Geruchsorgan. Sec.R.H.
secundäre Rachenhaut. V. Vorderhirn.
Munddarmes von dem ventralen Teil abgetrennt (Fig. 17). Der
letztere bildet die bleibende Mundhöhle (M.H.), das dorsale Rohr den
Hypophysenkanal (Hy.), in den vorn die Nasenhöhle (R.) mündet
(Nasenrachengang). Der Hypophysenkanal ist anfänglich hinten blind
geschlossen und setzt sich erst später mit dem Darm in der Gegend
Fig. 17. Bdellostoma Stouti. Medianer Längsschnitt durch einen Embryo
nach v. Kttpffek. Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 16.
des vorderen Chordaendes in Kommunikation (Fig. 18). Die Scheide-
wand zwischen Hypophysengang und (sekundärer) Mundhöhle ward
von v. Kupffer als Archipalatum bezeichnet. Während der Aus-
bildung desselben hat sich unmittelbar vor dem Bereich der Nasen-
anlage eine sekundäre Rachenhaut ausgebildet (Fig. 17 Sec.R.H.),
mit welchem dann der untere Rand des Archipalatum verwächst (Fig. 18).
Sekundäre Mundhöhle und Nasenrachengang (Hypophysenkanal, Hy.)
16
E. GÖPPERT.
entbehren damit zeitweilig einer vorderen Oeffnung. Später schwindet
die sekundäre Rachenhaut. Statt
der primären Mundöffnung rinden
sich dann am Vorderteil des Kopfes
2 Oeffnungen. der bleibende (se-
kundäre) Mund und die vordere
Mündung des Nasenrachenganges.
Noch vor der Herstellung der
Mundöffnung entwickeln sich die
4 den Mvxinoiden zukommenden
Tentakelpaare. Ein Paar entsteht
am Eingang in den Nasenrachen-
gang, 3 Paar zur Seite der Mund-
öffnung. Bemerkenswert ist, daß
anfänglich die Mundanlage einen
quergestellten schmalen Spalt bil-
det, ähnlich der Mundöffnung einer
Störlarve, während später der
Mund rundliche Form hat (Dean).
Aehnliches trat uns auch bei Pe-
tromyzon entgegen.
Die Anlage des Velum be-
schreibt v. Kupffer in einem Sta-
dium, in welchem bereits 15 Kie-
mentaschen angelegt sind. Es geht
nicht wie bei Ammocoetes aus dem Rest der Umgrenzung der Rachen-
haut hervor, sondern entsteht aus zwei mächtigen Wülsten, die rechts
und links von der Medianebene an der Dorsalwand des Darmes vor dem
Bereich der 1. Kiementasche in das Lumen einspringen und caudal-
wärts in je einen frei vorragenden Zapfen auslaufen.
M.H.
Sec.R.H.
Fig,
Medianer
Embryo.
s. Erkl. zu
18. Bdellost oma Stouti.
Längsschnitt durch älteren
Nach v. Kupffer. Bezeichn.
Fig. 16.
c) Gnathostoinen.
Indem wir jetzt zu den gnathostomen Fischen übergehen, beginnen
wir bei den Selachiern. Wir folgen der Darstellung, welche
C. K. Hoffmann (1896) speciell für Acanthias vulgaris giebt.
Das Entodermrohr läuft bei Embryonen von 4—8 Urwirbeln unter
allmählicher Verjüngung bis zum vorderen Körperende. Der vorderste
Teil des Darmrohres verliert späterhin
sein Lumen und wird zu einem soliden
Zellstrang, zur Anlage der „anterior head
cavity" ; sein Homologon rinden wir im
sogenanten präoralen Darm des jungen
Ch. Ao.
11.11.
Fig. 19. Acanthias vulgaris. Embryo
von ungefähr 42—44 Somiten. Medianer Längs-
schnitt. Gegend der Mundbucht. Nach C. K.
Hoffmann. Bez.: Ao. Aorta. Ch. Chorda. 1.
Darmrohr. M.B. Mundbucht. Q, Querkaual des
ersten palingenetischen Somits. E.H. Rachenhaut.
V. Vorderhirn.
Ammocoetes. Er trennt sich von dem übrigen Entoderm, das auch
in seinen vorderen Teilen ein weites Lumen behält. Gegen die ventrale
Wand des vordersten Teiles des bleibenden Entodermrohres buchtet
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 17
sich das Ektoderm vor (Fig. 19) und legt sich ihm auf einer ziemlich
langen, aber schmalen Strecke an, es entsteht also eine allerdings
ganz flache, rinnenartige Mundbucht (M.B.) [vgl. auch Balfour 1878],
deren Boden eine dünne Rachenhaut bildet (R.H.) [bei Embryonen
von 31 und mehr SomitenJ. Bei Embryonen mit 50 Somiten reißt die
Rachenhaut ein, sie geht aber nicht gleich gänzlich verloren, vielmehr
erhält sich noch längere Zeit ihr dorsaler (vorderer) Teil als niedriger
Vorsprung.
Dicht vor diesem Rest der Rachenhaut legt sich nunmehr erst die
Hypophyse als eine schlauchförmige Einstülpung des Ektoderms an, die
nach vorn und dorsalgerichtet vordringt. Dieses späte Auftreten der
Hypophyse wurde kürzlich auch durch Haller bestätigt.
Von Ganoiden ist vor allem fürAcipenser sturio die Ent-
stehung der Mundbucht und der Mundöffnung durch v. Kupffer im
einzelnen verfolgt worden. Nach ihm erfolgt die Anlage des Stomo-
daeums am 3. Tage nach der Befruchtung als eine duplicaturartige
am
Einbuchtung
der basalen
Lage
des
zweischichtigen
Ektoderms. Es
besteht kein Lumen. Zwischen die beiden Lagen dieser Ein-
buchtung, senkt sich etwas später auch die oberflächliche Ektoderm-
anlage, die sogenannte Deckschicht, ein (Fig. 20). Dem Grunde der
Anlage der Mundbucht steht ein kurzes, vorn blind geschlossenes
Divertikel entgegen, die bereits ventral
geschlossene Anlage des Vorderdarmes.
Ueber der Mundanlage liegt eine als
Haftscheibe (h.) bezeichnete Verdickung
der Grundschicht des Ektoderms und
über dieser die Mündung der Hypo-
physenanlage (Hy.), dicht unter der so-
genannten unpaaren Riechplatte, welche
die Stelle des Neuroporus einnimmt.
Die Anlage der Haftscheibe hat also
eine ähnliche Lage wie die
Anlage
der Oberlippe der jungen Ammocoetes,
ohne daß daraus etwa auf eine Ho-
mologie beider Dinge geschlossen
werden darf.
Die
Anlage
des Vorderdarmes
verlängert sich mit der fortschreitenden
Abhebung
nach
des Keimes vom Dotter-
sack nach hinten zu, indem sie sich
auf immer weitere Strecken ventral
abschließt. Dabei verdickt sich ihre
ventrale Wand, so daß das Lumen auf
einen engen Spalt reduziert wird
(Fig. 20). Der Vorderdarm wird solide
und läßt als solide Ausbuchtungen
M.B.
Fig. 20. Acipenser sturio.
Embryo 70 Stunden nach der Be-
fruchtung. Medianschnitt durch den
Vorderkopf. Nach v. Kupffer.
C. Herz. h. Tentakelanlage (Haft-
scheibe nach Kupffer). Hy. Hypo-
physe. M.B. Mundbucht.
die Kiemenanlagen
auftreten. Das
Stomodaeum verschmilzt am 4. Tage nach der Befruchtung, in der Zeit
des Ausschlüpfens der Larve, mit dem Vorderdarm, so daß nunmehr
eine Abgrenzung des ektodermalen Teiles vom Entoderm nicht mehr
mit Sicherheit möglich ist. Am 3. Tage nach dem Ausschlüpfen stellt
sich dann ein Lumen im gesamten Vorderdarm her, der Mundspalt
öffnet sich.
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1.
18
E. GÖPPERT,
Bei Teleosteern entbehrt die Vorderdarmaiilage bereits in
frühesten Stadien eines Lumens, indem ihre Wände einander unmittelbar
berühren (Fig. 21). Auch die von ihr seitlich ausgehenden Anlagen
der Kiemenspalten zeigen
Pr.D.
das gleiche
Vorn
Verhalten,
flache
legt sich die
entodermale Anlage dem
Ektoderm an. Von ihm
geht keine umfänglichere
Stomodäalbildung
E.H. Hy.
Salmo irideus, 6 mm.
nach T3. Haller. /. entodermaler
Pr.D. präorales Darmdivertikel. Sonst.
zu Fig. 19 u. 20.
Fig.21.
B. Haller.
Längsschnitt
Vorderdarm.
Bez. s. Erkl.
aus.
Es ist sogar gelegentlich
das Auftreten einer sol-
chen völlig geleugnet
worden, obwohl die An-
wesenheit von Zähnen
auch in den hinteren
Teilen des Kopfdarmes
es möglich erscheinen
läßt, daß das Ektoderm
sich später weit nach
innen verschiebt (s. u.).
Den Bereich, in welchem das Entoderm an das Ektoderm anstößt,
wird man auch hier als Rachenhaut (R.H.) bezeichnen müssen.
Von der soliden Vorderdarmanlage ragt ein gleichfalls solider Zapfen
nach vorn dorsal über den Bereich der Rachenhaut hinaus, in welchem
vielleicht ein Homologon des präoralen Darmes Kupffer's zu erblicken
ist (Pr.D.) [B. Haller 1896]. Dicht vor der Rachenhaut geht die
Hypophysenanlage als ein solider Zellzapfen vom Ektoderm dorsal-
wärts (Hy.). Nachdem im Vorderdarm ein deutliches Lumen auf-
getreten ist, erfolgt der Durchbruch der Rachenhaut, und zwar bei
manchen Formen in einer von der Norm abweichenden Art und Weise.
Wie A. Dohrn (1881) bei Gobius, Hippocampus und Belone
darstellte, Julia Platt (1891) für Batrachus tau bestätigte, bricht
die Mundhöhle zunächst zu beiden Seiten der Mittellinie durch und
bleibt median noch eine Zeit lang geschlossen. Dadurch ähnelt die
Mundanlage zeitweilig einem Kiemenspaltenpaar, was Dohrn für seine
Ableitung des Wirbeltiermundes verwertet (s. u.). Offenbar handelt
es sich aber nicht um eine allgemeine Erscheinung bei den Knochen-
fischen, denn W. C. M'Intosh und E. E. Prince fanden bei Trigla
und anderen Formen, daß die Mundöffnung als ein querer Spalt in
ganzer Breite sich öffnet, um sich dann allmählich zu erweitern.
Von Dipnoern wissen wir, daß Ceratodus-Embryoneu eine
ziemlich tiefe Mundbucht besitzen, die an der Ventralseite des Kopfes
als ein quergestellter Spalt ihre Lage hat (R. Semon) [Fig. 29a]. Als
quere breite Rinne erscheint sie in der Abbildung Kerr's von Lepido-
s i r e n-Embryonen.
Bei den Amphibien (U r o d e 1 e n und Anuren) liegen schon in
sehr frühen Stadien Entoderm und Ektoderm dicht unter der Vorder-
hirnanlage an der Stelle des späteren Mundes unmittelbar aneinander
und verschmelzen hier zur Bildung einer Rachenhaut (Fig. 22 u. 23
H.H.). Bei Urodelen ist das vorderste Ende der Darmanlage anfangs
solid und läßt erst später ein Lumen entstehen (Kallius) x). Die
1) Eine andere Deutung dieser Verhältnisse siehe bei H. üer.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 19
Mundanlage ist iu beiden Ordnungen entsprechend der verschiedenen
Form des Kopfes von sehr verschiedener Gestalt, Bei den Anuren
(Götte, auch Reichert) ist sie ganz schmal und vor allem in sagittaler
Bez.
Fig. 22.
s. Erkl.
Bombinator igneus.
zu vorhergeh.
Figg.
Junge Larve.
U.K.
Fig. 23.
Medianschnitt. Nach Götte.
Fig. 23. Triton cristatus, ca. 8 mm lange Larve. Medianer Längsschnitt.
Nach Kallius. L. Zungenanlage. U.K. Unterkiefer. E.H. Bachenhaut.
/.
Ch.
Richtung, bei den Urodelenin querer Richtung entfaltet (Fig. 31 u. 32)
(vgl. Clarke für Amblystoma). Eine eigentliche Mundbucht entsteht
erst durch die Ausbildung der Kieferwülste (s. unten).
Als flache Einsenkung, deren Boden die Rachenhaut bildet, treffen
wir die Mundanlage bei den Sauropsiden an der Ventralseite des
Kopfes. So zeigt sie uns die in Fig. 24 wiedergegebene Abbildung
M. v. Davidoff's bei einem Embryo von Platydactylus maure-
tanicus (M.B.). Gleichzeitig beweist die Figur, daß die Mundanlage
das Entodermrohr etwas hinter seinem Vorderende erreicht, so daß
auch bei Sauropsiden, wie bei Fischen, ein präoraler Darm-
abschnitt zu unterscheiden ist. Beim Hühnchen treten nach Kölliker
(Entwicklungsgeschichte) die ersten Spuren eines Stomodaeums bereits
am 2. Tage der Bebrütung auf. Am
4. Tage entsteht in der Rachenhaut ein
senkrecht gestellter Riß, an dessen
Rändern die Reste der Rachenhaut bald
schwinden, sodaß am 5. Tage eine weite
Kommunikation die ektodermale Muncl-
bucht mit dem entodermalen Darmrohr
verbindet.
S ä u g e t i e r-Embryonen lassen die
Anlage des Mundes zu einer Zeit er-
kennen, in welcher der Keim noch flach
dem Dotter aufliegt (nachgewiesen bei
Kaninchen und Meerschweinchen (Ca-
rius, Keibel). Vor dem Teile des Ek-
toderms, welcher sich zur Medullarplatte
gestaltet, liegt auf eine Strecke weit das
Entoderm dem Ectoderm innig an (ohne
trennendes Mesodermgewebe). Die An-
lage der Chorda reicht bis zum hinteren
-M.D.
M.B.
Np.
Fig. 24. Platydactylus
mau retanic us nach v. Davi-
doff. Embryo von 7 Urwirbeln.
Medianer Längsschnitt. Np. Neu-
roporus. M.D. präorales Darm-
divertikel. 3L.B. Mundbucht. I.
Darmrohr. Ch. Chorda.
2*
20
E. GÖPPERT,
I.
Ch.
epus cuniculus.
Embryo. Medianschnitt durch den
Kopf.' Nach Keibel (1889). Be-
zeichn. s. Erkl. zu vorhergeh. Figg.
Rande dieser primitiven Rachenhaut. Mit der Abhebung der Kopfanlage
vom Dotter kommt dann die Rachenhaut an die Ventralseite derselben
zu liegen. Dabei verschmelzen die beiden sie bildenden Epithellagen
untrennbar miteinander (Fig. 25). Die
vordere dorsale Ansatzstelle der
Rachenhaut (H.H.) ist etwas verdickt,
und in den Vorsprung schiebt sich
nach Keibel (1889) das ventralwärts
umgebogene Vorderende der Chorda
(Ch.) etwas vor, um sich später daraus
zurückzuziehen. Die dorsale Ansatz-
stelle der Rachenhaut trennt die vor
ihr liegende Anlage der Hypophyse und
eine zuerst beim Hühnerembryo be-
schriebene als SEESSEL'sche Tasche
bekannte Ausbuchtung des Entoderms.
Von letzterer gehen nach v. Kupffer
und Nusbaum solide Wucherungen
aus, die wohl dem präoralen Darm-
abschnitt Ktjpffer's oder vielmehr
dessen Anfangsstück entsprechen (W.
His 1892, p. 421, und v. Kupffer
1893, p. 516) 0- Die Mundanlage
bildet sich also nicht als eine Einbuchtung des Ektoderms. Es
sind vielmehr die die Mundanlage umrandenden Wülste, welche mit
ihrem Auftreten bewirken, daß die Rachenhaut im Grunde einer von
Ektoderm ausgekleideten Bucht zu liegen kommt (vgl. Heape,
Tai. XII, Fig. 23). Die Zerreißung der Rachenhaut erfolgt bei den
einzelnen Individuen und Arten verschieden früh. Bei menschlichen
Embryonen war sie nach W. His bei einem 2,15 mm langen Exemplar
noch erhalten, bei 3,2 mm fehlte sie bereits. Nur die dorsale Ansatz-
stelle ist als Vorsprung zwischen Hypophysenanlage (RATHGE'sche
Tasche) und SEESSEL'scher Tasche noch eine Zeitlang kenntlich.
Ueberschauen wir die Art des Auftretens der Mundanlage bei den
Wirbeltieren, so sehen wir erstens, daß sie nicht das Vorderende des
Körpers, sondern die Ventralseite des Kopfes einnimmt, daß ferner nur
in Ausnahmefällen z. B. bei Petromyzon eine tiefe Einstülpung des
Ektoderms eine geräumige Mundbucht entstehen läßt, wie es bei den
Wirbellosen die Regel bildet und auch bei den Tunicaten vor-
liegt. In der Mehrzahl der Fälle senkt sich die Gegend der Verbindung
zwischen Ektoderm und Entoderm, die Rachenhaut Remaks zunächst
nur unbedeutend oder gar nicht ein. Erst die Aufwulstung der Mund-
ränder last eine geräumigere, von Ektoderm bekleidete Mundbucht
zu stände kommen. Etwas Aehnliches kommt bei der Entwickelung der
Mundhöhle des Amphioxus zur Beobachtung, indem das Auftreten der
Lippenfalten erst dem Vorderdarm einen von Ektoderm ausgekleideten
Vorraum schafft. Während bei Amphioxus und den Cyclostomen
1) Mit der SEESSEL'schen Tasche darf nicht das von E. Selenka unter der
Bezeichnung Gaumentasche bei Didelphys beschriebenen Gebilde zusammen-
geworfen werden. Diese Gaumentasche gehört, wie Selenka selbst angiebt, mit
der Chorda zusammen. Nach Keibel (1889) stellt sie die letzte strangförmig aus-
gezogene Verbindung zwischen dem vorderen vom Entoderm sich lösenden Chordaende
mit dem Entoderm vor.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 21
wenigstens den Petromyzonten der ektodermale Vorraum durch ein
Velum scharf gegen die entodermale Kopfdarmhöhle abgegrenzt bleibt,
gehen bei den Gnathostomen beide Räumlichkeiten nach Schwund der
Rachenhaut unmittelbar ineinander über (s. u.).
Wir betrachten nunmehr die Entwickelung der äußeren Um-
grenzung der Mundöffnung und beginnen wiederum bei den
Fischen. Zunächst ergiebt sich eine sehr verschiedene Gestaltung
des Mundes in der ersten Anlage. Während die Mundöffnung junger
Selachier-Embryonen als längsgestellter Spalt erscheint, ist sie bei
allen anderen Fischen mehr in die Quere entfaltet (Fig. 26, 27, 28).
Bei allen aber liegt die Mundbucht an der Ventralseite des Vorder-
kopfes auch dann, wenn sie beim fertigen Tiere das Vorderende des
Körpers einnimmt. Die Umrandung der Mundbucht bildet bei allen
gnathostomen Fischen in übereinstimmender Weise anfänglich jeder-
seits ein oberer und ein unterer Wulst, die als Oberkiefer- und Unter-
kieferwulst bezeichnet werden, sie entsprechen dem oberen, resp.
unteren Teil des primitiven Kieferwulstes, des 1. Visceralbogens.
Anfänglich sind sie von ihrem Gegenstück median durch eine Ein-
kerbung getrennt, die sich später ausgleicht.
Bei Selachiern umrahmt in frühen Entwickelungsstadien der 1.
Visceralbogen rechts und links die Mundbucht (Fig. 26a K.W.). Eine
geringfügige Verbreiterung der Mundbucht nach beiden Seiten etwas hinter
der Mitte ihrer Länge, grenzt den unteren zur Unterkieferanlage be-
stimmten Teil des Kieferbogens von dem oberen, dem Oberkieferwulst,
undeutlich ab. Indem an dieser Stelle die Mundbucht an Breite immer
-U.W.
Fig. 26c.
Fig. 26a. Fig. 26b.
Fig. 26. Köpfe von Selachier-Embryonen. a, b Torpedo ocellata, 8 u.
15 mm. c. Mustelus vulgaris, 2,6 mm. K.W. Kieferwulst. O.W., U.W. Ober- und
Unterkieferwulst. E. Geruchsorgan. Oc. Auge.
mehr zunimmt, während ihr Längsdurchmesser sich verringert (Fig. 26b),
nähert sich die Form des Mundes immer mehr dem bleibenden Zustand.
Oberkiefer- (O.W.) und Unterkieferwulst (U.W.) treffen in spitzem Winkel
zusammen und nehmen eine mehr quere Verlaufsrichtung an. Unterhalb
der stark überragenden Vorderkopfanlage, auf der die Geruchsgruben (R.)
ihre Lage haben, springen die medialen Teile der Oberkieferwülste stark
vor. Im Grunde der schmalen, beide median von einander trennenden
22
E. GÖPPERT,
Einsenkung zieht eine niedrige Kante von einem zum anderen. Mit der
weiteren Ausbildung des Vorderkopfes gleicht sich diese Einsenkung aus,
auch die Oberkiefer- und Unterkieferwülste selbst verschwinden mehr
und mehr in dem Niveau der Umgebung (Eig. 26c). Gleichzeitig macht
die Einkerbung zwischen den beiderseitigen Unterkieferbogen einem
medianen Vorsprung Platz 1).
Unter den Ganoi den liegt bei jungen, kurz nach dem Ausschlüpfen
stehenden Larven von Acipenser sturio (nach v. Kupffer) die oben
erwähnte als Haftscheibe bezeichnete Verdickung des Ektoderms (Fig. 20 h.\
die bald in zwei symmetrische Hälften zerlegt wird (Fig. 27). Den
7?. O.W.
Fig. 27a. Fig. 27b. Fig. 27c.
Fig. 27a — c. Köpfe von Acipenser-Embryonen (sturio). (Bezeichn. s. Fig. 2 6.
oberen Mundrand bilden deutlich vorspringende, median durch einen
schmalen Spalt voneinander getrennte Oberkieferwülste (Eig. 27a O.W.).
Ihre Verschmelzung am 4. Tage nach dem Ausschlüpfen vollendet
die Abgrenzung des Mundes, dessen Bänder dann Zähne hervorgehen lassen
(von Kxock bei Ac. ruthenus entdeckt). Nachdem diese nach dem
3. Monat des Larvenlebens wieder geschwunden sind, erfolgt die
Umbildung des Larvenmundes in den Saugmund des fertigen Tieres.
An der Stelle der sogenannten Haftscheibe sind inzwischen 4 knopfartige
Erhebungen (t.) entstanden, die, in einer queren Reihe angeordnet, die
Anlagen der Tentakel darstellen. Nach v. Kupffer sollen auch die
lateralen aus der Haftscheibe hervorgehen. Unter fortgesetzter Ver-
längerung entfernen sie sich mit dem Auswachsen des Rostrums allmählich
von der Mundöffnung.
Bei Lepidosteus (E. M. Balfour und W. N. Parker) zeigt die
Mundhöhle bei Embryonen dicht vor dem Ausschlüpfen die Gestalt einer
queren Grube. Die Höhlung erweitert sich aber rasch zu einer rhomboidal
gestalteten Oeffnung, die ihre untere Abgrenzung durch die Unterkiefer-
wülste empfängt, seitlich und oben von Oberkieferwülsten begrenzt wird,
während vorn eine starke Verdickung der Epidermis, die Anlage der
sogenannten Saugscheibe, seit dem 2. — 3. Tage vor dem Ausschlüpfen
(s. Eig. 8 h., Bd. I, 6. Kap., p. 28) ihre Lage hat. Die Saugscheibe ist mit
papillenartigen Erhebungen besetzt, die durch eine starke Verlängerung
von gruppenweise zusammenliegenden Epidermiszellen zu stände kommen.
Sie scheiden einen klebrigen Stoff ab, der zum Festhalten der aus-
1) Eine Darstellung der Mundentwickelung von Scyllium canicula gab
A. Sedgwick.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 23
geschlüpften Larve dient. Wenn die Saugscheibe auch eine ähnliche
Lage besitzt wie die von v. Kupffer als Haftscheibe bezeichnete Tentakel-
anlage von Acipenser, so handelt es sich doch nicht um homologe
Bildungen. Unter starkem Auswachsen der Ober- und Unterkieferanlagen
bildet sich allmählich die lange Schnauze des fertigen Tieres aus, an
deren Spitze noch lange die Reste der der Rückbildung anheimfallenden
E.
-O.W.
Fig. 28a. Fig. 28b.
Fig. 28. Köpfe von Embryonen von Salmo fario. a. 46 b. 47 Tage nach
der Befruchtung. Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 26.
Saugscheibe zu erkennen sind. Sehr ähnliche Verhältnisse wie bei
Lepidosteus zeigen die ersten Stadien der Mundentwickelung auch
bei Amia calva (Bashford Dean 1896).
Die Teleosteer zeichnen sich durch verhältnismäßig recht schwach
hervortretende Oberkieferwülste aus. Bei Salmo fario wenigstens heben
sie sich (46 Tage nach der Befruchtung) nur in den lateralen Teilen der
der Mundränder wulstartig ab (Fig. 28a O.W.).
Von den Dipnoern ist die Entwickelung des Mundrandes, wie
durch R. Semon für Ceratodus beschrieben wurde, kompliziert durch
den Anschluß des Geruchsoro-ans an die Mundhöhle. Bei Ceratodus-
Embryonen liegen dicht
vor der ziemlich tiefen,
quergestellten Mundbucht
die Anlagen des Geruchs-
organs (Eig. 29a R.).
Beide Riechgruben setzen
sich durch eine bogig vor
der Mundbucht verlau-
fende Rinne miteinander
in Verbindung, deren mitt-
lerer Teil aber später
wieder verstreicht, so daß
von jeder Riechgrube nur
eine kurze Rinne median-
und mundwärts verläuft
(Nasenrinne). In der un-
teren (hinteren) Ab-
grenzung der Mundbucht
wölben sich die Unterkieferwülste
Zeit nach dem Auschlüpfen des jungen
durch, und in gleicher Zeit treten als
O.W
R.
L— — *.
Fig. 29a.
I U.W.
Fig.
nach B.
29 a, b. Köpfe von Ceratodu s-Embryonen
Semon. Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 26.
(Eig.
29b U.W.) vor. In der ersten
Fisches bricht die Mundbucht
obere, resp. vordere Abgrenzung
2 Wülste auf, die Oberkieferwülste (Munddachplatten O.W.). Beide sind
1) Außer bei v. Kupffer finden sich Darstellungen der MundentwickeluDg
von Acipenser bei W. A. Parker und F. M. Balfour (Handb. d. vergl. Embr.).
24
E. GÖPPERT,
anfänglich median durch eine Furche getrennt, verschmelzen aber (etwa
2 Wochen nach dem Ausschlüpfen) miteinander (Fig. 29 b). In ihrem
Bereich entstehen die Vomer- und Pteiygo-palatinzähne. Die Mundhöhle
stellt mit dem Auftreten der Oberkieferwülste eine quere Grube vor und
ähnelt damit dem Munde des Störeinb^os. Weiterhin erfährt sie eine
erhebliche Vergrößerung nach den Seiten. In der seitlichen Umrandung
der Riechgrube hat sich jederseits ein Saum ausgebildet, der zum Mund-
winkel zieht (Fig. 30 L.). An seiner Innenseite liegt die Nasenrinne
L.
V.L.
Fig. 30. Ceratodus, junger
Fisch. Nach R. SEMON. R. Nasen-
rinne. L. Falte von der Rieeh-
grube zum Mundrand. U.L.
Unterlippe.
Fig. 31. Triton alpestris.
Fig. 31.
8 mm lange Larve. Ventralansicht.
(&). Mit der
vorn- innen nach hinten
Nasenrinne an. Sie wird
Verbreiterung
außen
des Mundes läuft der Saum schräg von
und diesem Verlauf schließt sich auch die
durch den Saum der Mundhöhle angeschlossen.
Bekanntlich überwölben sich die Nasenrinnen, es scheidet sich damit eine
äußere Nasenöffnuno- von der Choane. Die letztere
liegt
unmittelbar an
der Reihe der Pterygo-palatinzähne. Endlich wird durch eine bogenförmig
vor den äußeren Nasenöffnungen verlaufende Falte Mund und Nasenhöhle
gemeinsam umrandet.
A'.ir.
o.w.
-—u.w.
Fig. 32a. Fig. 32b.
FJ$' 32a— c. Rana temporaria. Junge
U.W. Ober- und Unterkieferwulst. R *
Riechgrube.
Larven
H.
Fig. 32c.
K.W. Kieferwulst. O.W.,
Haftorgan.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 25
Eine sehr erhebliche Uebereinstimmimg mit der Entwickelung des
Fischmund.es findet sich unter den Amphibien bei Urodelen und
Anuren. Bei Triton läßt sich schon frühzeitig die Mundanlage
caudal von den runden Nasenöffnungen an der Ventralseite des Kopfes
als bogenförmig verlaufender schmaler Streifen erkennen. In den
seitlichen Teilen desselben wulstet sich später der Vorderrand jeder-
seits etwas auf, so daß man hier von den Oberkieferwülsten sprechen
kann (Fig. 31), dann erfolgt gleich der Durchbruch der Mundöffnung
in ganzer Ausdehnung der Anlage. Seitlich legt sich der obere Mund-
rand etwas über den unteren Rand hinweg, so daß nur median auch
bei geschlossenem Maul die Eintrittsöffnung für den respiratorischen
Wasserstrom offen bleibt. Aehnlich scheint die Mundentwickelung auch
bei Proteus abzulaufen (R. Wiedersheim).
Nur wenig anders liegen die Dinge bei Rana (Fig. 32). Die
schmale, längsgestellte Mundanlage begrenzen anfänglich seitlich die
noch einheitlichen Kieferwülste (Fig. 32a). An jedem der beiden
macht sich dann von der Mundbucht aus eine Trennung in Ober- und
Unterkieferwulst bemerkbar (Fig. 32b O.W. u. U.W.). Entsprechend
der Grenze zwischen letzteren erweitert sich nun der Mund zu einer
rhomboidal gestalteten Grube, die nun nach oben durch die Oberkiefer-,
nach unten durch die Unterkieferwülste begrenzt wird (Fig. 32 c). Die
medianen Einkerbungen zwischen den Wülsten beider Seiten gehen
schließlich verloren, so daß nunmehr das Rundmaul der Larve vor-
liegt1).
Den beiden besprochenen Ordnungen stehen die Gymnophionen
durch einen scheinbar ganz verschiedenen Ablauf der Entwickelung
des Mundrandes gegenüber (P. u. F. Sarasin, vor allem A. Brauer).
Bei Hypogeophisrostratus (Brauer) wird die Mundbucht zunächst
nach oben von dem Wulst des Vorderkopfes überragt (Fig. 33a). Auf
diesem liegen die tellerförmig gestalteten Riechgruben (R.). Die
untere und seitliche Abgrenzung geben die Kieferwülste (K.W.), die
anfänglich auch ventral voneinander getrennt sind, später (bei Em-
bryonen von 18 cm Länge) hier miteinander verschmelzen. Bei 1,5 cm
langen Embryonen beginnt am dorsalen Teil des Kieferwulstes ein
Vorsprung sich auszubilden, der für die seitlichen Teile der Mund-
spalten die obere Abgrenzung bildet. Man bezeichnet ihn als Ober-
kieferwulst (-fortsatz) [Fig. 29b O.W.], obwohl er keineswegs dem
ganzen Oberkieferwulst der Selachier, Ganoiden oder Dipnoer entspricht
(s. u.). Beide Oberkieferwülste sind ziemlich weit voneinander ent-
fernt. Zwischen ihnen fehlt noch eine scharfe Abgrenzung des Bereiches
1) Bei Bombinator beschreibt Götte die Verhältnisse anders (5. Bd.,
6. Kap., Fig. 23). Zur Seite der Mundanlage gliedert sich der anfangs einheitliche
Kieferwulst in ein paar obere und untere Vorragungen, die Ober- und Unter-
kieferwülste. Die Oberkieferwülste sind voneinander median getrennt, und von
hier aus führt jederseits eine Rinne seitlich von einer durch das Vorderhirn bedingten
schmalen Vorwölbung empor zu der Nasengrube. Diese Verbindungen zwischen
Nasengrube und Mundbucht, von denen bei Rana nichts zu erkennen ist, werden
bald ausgeglichen, und gleichzeitig rücken die beider Nasengruben etwas auseinander,
indem der dem Vorderhirn entsprechende Wulst sich jederseits fortsatzartig ver-
breitert und dadurch mit dem Oberkieferwulst in Verbindung tritt. Die Ausbildung
der Choane hat mit der oben erwähnten, von der Riechgrube abwärts führenden
Rinne übrigens nichts zu thun, sie entsteht vielmehr auch hier durch einen direkten
Durchbruch der Riechgrube in den Vorderdarm. Hinsberg konnte bei Bombi-
nator ebensowenig wie bei Rana etwas von einer Rinnenbildung zwischen Nasengrube
und Mundbucht entdecken.
26
E. GÖPPERT,
der Mundhöhle gegen die Gesichtsfläche des Vorderkopfes. Bald nach
der Sonderung der Öberkieferwülste entsteht in der Fortsetzung der Nasen-
ffrube nach abwärts jederseits die Nasengaumenrinne, welche den Ober-
kieferwulst medial scharf abgrenzt (Fig. 33 c u. d). Ihre Ränder sind ver-
dickt. Ihr äußerer Rand, der 1 a t e r a 1 e N a s e n w u 1 s t (L.N. W.), hängt
A'. ir.
Fig 33a.
Fig. 33b.
KKW.
L.EW.
O.W
33d.
Fig. 33e.
Fig. 33a— e. Hypogeophis ro-
strat us. Larven verschiedenen Alters
nach A. Brauer. M.N.W, medialer,
L.N.W, lateraler Nasenwulst. Sonstige
Bezeichn. s. Erkl. 7.11 Fig. 28.
ohne scharfe Grenze mit dem
Oberkieferwulst zusammen, ihr
innerer Rand, der mediale
Nasen wulst (M.N.W.), bildet
medial vom Oberkieferwulst an
der Grenze von Gesichts- und
Gaumenfläche der Kopfanlage
eine vorspringende Kante und
nimmt damit Anteil an der Bil-
dung des oberen Mundrandes
(Fig. 33 d). Dieser besteht also
jederseits aus dem Oberkieferwulst und in dessen Fortsetzung nach innen
zu aus dem untersten Teil des medialen Nasenwulstes. Eine mediane,
zeitweilig bestehende Einziehung des oberen Mundrandes wird später
ausgeglichen. Schon bei 2,1 cm langen Embryonen läuft eine scharf
vorspringende Hautfalte als Anlage der Oberlippe am oberen Mund-
rand entlang (Fig. 33 d). Den Abschluß der Entwickelung des Mund-
randes bildet die Ueberbrückung der Nasenrinne, indem der mit dem
lateralen Nasenwulst zusammenhängende Oberkieferfortsatz mi-t dem
medialen Nasenwulst verwächst und dadurch die Trennung der äußeren
Nasenöffnungvon der in die Mundbucht mündenden Choane (Fig. 33 e)
herbeigeführt wird.
Die auf den ersten Blick erheblich erscheinende Abweichung in
der Entwickelung des oberen Mundrandes bei G y m n 0 p h i 0 n e n einer-
seits , U r 0 d e 1 e n und A n u r e n andererseits hängt mit der Ver-
schiedenheit der Entwickelung des Geruchsorgans zusammen (s. bei
diesem). Während bei den letzteren die Nasenhöhle direkt in die
Mundhöhle durchbricht, setzt sie sich bei den Gyin nophionen durch
Vermittelung der Nasenrinne mit ihr in Verbindung, deren Ueber-
brückung erst die äußere NasenöfTnung und Choane scheidet. So tritt
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 27
der obere Mundrand im ersteren Falle einheitlich, im letzteren in
einzelne Komponenten zerlegt auf, die wir bei den Amnioten wieder-
finden. Wenn man berechtigt ist, die Bildung der Choane durch Ver-
mittelung der Nasenrinne für den ursprünglichen Entwickelungsmodus
zu halten, so folgt, daß die Entwickelung des oberen Mundrandes bei
Ur od eleu und Anuren eine sekundäre Vereinfachung erfahren hat.
Die Sauropsiden stimmen in allen wesentlichen Punkten der
Mundentwickelung mit den Gymnophionen überein. Die anfänglich
in sagittaler Richtung langgestreckte Mundöffnung wird, wie Völtz-
kow im besonderen für das Krokodil darstellt, zu einem queren
Spalt, der nach unten von den Unterkieferwülsten, seitlich von den Ober-
kieferwülsten, nach oben vom Vorderkopf begrenzt wird (I. Bd., 6. Kap.,
S. 79). In des letzteren Bereich sind inzwischen die Riechgruben, welche,
die Enden der Oberkieferwülste scharf markierend, auf die Gaumenfläche
übergreifen, und in Zusammenhang damit die Nasenwülste entstanden.
Der mediale Nasenwulst bildet in der Verlängerung des Oberkiefer-
wulstes einen Teil des oberen Mundrandes. Er wird von dem ander-
seitigen durch eine Einkerbung getrennt. Das Gebiet zwischen den
Nasenrinnen wird auch als mittlerer Stirn fortsatz, die lateralen
Nasenwülste als seitliche Stirn fortsatz e bezeichnet. Gleich-
zeitig mit dem Abschluß der Nasenrinne zu einem Kanal durch Ver-
wachsung der medialen und lateralen Nasenwülste (Huhn Born) oder
etwas später (die übrigen Ordnungen) verwachsen auch die vorderen
Enden der Oberkieferwülste mit den medialen Nasenwülsten. Schon
vorher ist die Einziehung zwischen den beiden letzteren, die namentlich
beim Krokodil stark über das Niveau des medianen Teiles des Stirn-
wulstes vorspringen, geschwunden, indem beide miteinander zur Her-
stellung der Nasenscheidewand verschmelzen, so daß nunmehr der
obere Mundrand fertig vorliegt. Ebenso schwindet die Einkerbung
zwischen den beiden Unterkieferwülsten.
Auch bei den Säugetieren finden wir an der Abgrenzung der
Mundbucht anfänglich Unter-, Oberkieferwulst und Vorderkopf be-
teiligt (Fig. 34). Der sehr geräumige Eingang zur Mundbucht ver-
kleinert sich allmählich in sagittaler Richtung wesentlich durch stärkere
Vorwölbung des Vorderkopfes (Fig. 35). Nachdem die Nasengaumen-
rinne1) zur Ausbildung gelangt ist, bildet die wulstförmige mediale
Umrandung derselben, der mediale Nasenwulst (Fig. 36 M.N. W.), mit
seinem unteren Ende, dem Processus globularis (W. His), jederseits
medial vom Oberkiefer wulst eine deutliche Abgrenzung des Mundes.
Beide verschmelzen miteinander (beim Menschen im 2. Monat). Später
rücken die beiden Processus globulares aneinander und bringen da-
durch die mediane Einkerbung des oberen Mundrandes zum Ver-
schwinden und damit letzteren zur Vollendung. Auch die mediane
Einkerbung zwischen den beiden Unterkieferwülsten schwindet früh-
zeitig.
Im Bereich der Processus globulares, wie an den Oberkiefer-
fortsätzen entsteht an ihrer den Mundrand bildenden Fläche eine
ihrem Außenrand parallele Rinne, welche einen Kiefer- und einen
1) Thatsächlich besteht keine offene Nasenrinne, wie es zeitweise angenommen
wurde; vielmehr stehen ihre Begrenzungsflächen durch eine Epithellamelle mit-
einander in Verbindung (Hochstetter), so daß bei gut erhaltenen Embryonen
die Abgrenzungen der Wulstbildungen der Gesichtsanlage weniger deutlich sind
(Keibel 1893).
28
E. GÖPPERT,
Lippenteil voneinander abgrenzt (Fig. 37a), und, wie Kollmann be-
schreibt, einer Einsenkung des Epithels entspricht. Das Gleiche voll-
zieht sich an der Unterkieferanlage. Der Zerfall innerhalb dieser
M.N.W
L O.W.
'U.W.
Für. 34.
L.V.W.
___\ o.W
_-L— .r.w.
Fia:. 36.
Fig. 34. Menschlicher Embryo, 2,4 mm. Ventralansicht des Kopfes
nach W. His. Bez. s. Erkl. zu vorhergeh. Figg.
Fig. 35. Menschlicher Embryo, 2,6 mm. Seitenansicht des Kopfes nach
\V. His.
Fig. 36. Ehinolophus hipposiderus, Embryo. Oberer Mundrand nach
Entfernung des Unterkiefers. Ch. Primitive Choane.
Epithelleisten befreit die Lippenanlage von den Kieferrändern und
läßt damit die Anlage des Vestibuluin oris zustande kommen. Der
Kieferteil der Mundränder wird der Sitz der Zahnleiste. Die mediane
Spaltung des oberen Mundrandes erhält sich bei vielen Säugetieren
im Bereich der Oberlippe, beim Menschen nur andeutungsweise im
Philtruni (s. u.).
Fig. 37a, b. Mensch-
liche Embryonen
nach W. His. Aufsicht
auf das Munddach nach
Entfernung des Unter-
kiefers.
Fig. 3<a.
Eine eigentümliche Bildung in der Umgebung des Mundes beschreibt
S blbnka bei D i d e 1 p h y s - Embryonen als Schnabelschild. Es
handelt sich um eine kragenartige Umrahmung des Mundspaltes durch
eine in 6 Zipfel ausgezogene Platte verhornter Epidermiszellen. Es
besteht nur in den letzten Tagen vor der Geburt des Embryo. Beim
Neugeborenen ist es nur noch in Spuren erkennbar (I. Bd., 6. Kap.,
S. 115, Fig. 48h).
Aus der Entwickelung der Mundränder erklären sich die Miß-
bildungen der Gegend als Hemmungsbildungen. Eine mediane Spalte
im Bereich der Oberlippe, die nach oben zu bis zwischen die äußeren
Nasenörl'uuniien eindrinoen und die beiden Zwischenkieferhälften trennen
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 29
& •
kann, entspricht dem Raum zwischen den Processus globulares. Die sog
Hasenscharte , äußere Lippen- resp. Nasenspalte, entsteht durch mehr
oder weniger weitgehendes Offenbleiben der Spalte zwischen medialem
und lateralem Nasenwulst. Sie kann zwischen Ober- und Zwischenkiefer
in die Tiefe dringen und mit einem Defekt an der Gaumenbildung
(Wolfsrachen) verbunden sein. Endlich kann sich die Rinne zwischen
seitlichem Nasenwulst und Oberkieferwulst als schräge Gesichtsspalte
erhalten. Eine Verbreiterung der Mundöffnung nach außen : Makrostomie
(quere Gesichtsspalte) entsteht durch einen Defekt in der Ausbildung der
Wange ; eine mediane Spaltung der Unterlippe findet in dem paarigen
Aufbau der unteren Mundabgrenzung ihre Erklärung. (Ueber Besonder-
heiten in der Ausbildung des Lippenrotes beim Menschen s. A. Stieda.)
Ein Ueber blick über die Entstehung der Mundab-
grenzung zeigt, daß der untere Mundrand bei allen Gnathostomen in
annähernd übereinstimmender Weise zustande kommt, während am oberen
Mundrand Verschiedenheiten zur Beobachtung kommen. Dies hat W. His
(1892) dazu geführt, in ausschließlicher Betonung der Unterschiede vier
verschiedene Arten der Bildung des oberen Mundrandes (uneigentlich
Oberlippe) aufzustellen. His unterscheidet die „Gesichtslippe", zu
deren Bildung wie bei den Amnioten und Gymnophionen der
mittlere Stirnfortsatz mit den Oberkielerfortsätzen (-Wülsten) zusammen-
tritt, ferner die „Gaumenlippe" bei S el achiern und Teleosteern,
die unter sich wiederum eine durchgreifende Verschiedenheit zeigen sollen.
Bei den Knochenfischen schließt His aus der Anteilnahme des Prae-
maxillare an der Umgrenzung des Mundes, daß hier neben den Ober-
kieferwülsten auch der Stirnfortsatz, dessen Material bei den höheren
Vertebraten bekanntlich das Praemaxillare liefert , an der Mundrand-
bildung beteiligt ist. Der Unterschied gegenüber den höheren Wirbel-
tieren wird durch die Lagerung des ganzen Geruchsorgans außerhalb
des Mundbereichs gegeben. Bei den Selachiern dagegen kommt der
obere Mundrand allein durch den medianen Zusammenschluß der Ober-
kieferwülste zustande. Endlich repräsentieren viertens die Cyclo-
s t o m e n den Typus der Rachenlippe, die im Gegensatz zum oberen
Mundrand der Gnathostomen ihre Lage hinter der Hj-pophysenanlage
besitzt.
Durch Keibel (1893) wurde gegenüber dieser allein die Unter-
schiede hervorhebenden Darstellung ein wesentlicher Fortschritt gebracht,
insofern er zunächst die prinzipielle Uebereinstimmung der Entwickelung
des oberen Mundrandes bei Selachiern und Teleosteern betont.
In beiden Ordnungen kommt allein der Oberkieferwulst bei der Bildung
des oberen Mundrandes in Betracht. Keibel versuchte aber weiter die
Entwickelung des oberen Mundrandes bei Eischen und höheren Formen
miteinander in Verbindung zu bringen. Er ging von Zuständen aus, in
denen die Geruchsgrube sich mundwärts in eine medial von einer Klappe
begrenzte Rinne fortsetzt (einzelne Selachier, namentlich Rochen). Die
Nasenklappe würde dem medialen Nasenwulst der höheren Formen ent-
sprechen. Die Klappen beider Seiten können durch eine quergestellte
Hautfalte miteinander verbunden sein und sich an das Gebiet der Ober-
kieferfortsätze direkt anlehnen, in wrelchen Fällen dann eine Bildung
vorliegt, die mit dem äußerlichen Verhalten des mittleren Stirnfortsatzes
und seiner seitlichen Teile eine gewisse Aehnlichkeit nicht verleugnen
kann. Eine Verschmelzung dieser Klappenbildung mit dem von den
Oberkieferwülsten gelieferten Mundrand sollte zu der bei den höheren
30 E. GÖPPERT,
Wirbeltieren vorliegenden Beteiligung des Stirnfortsatzes an der Mund-
begrenzung hinüberleiten. Die Ueberbrückung der Nasenrinne , die
Scheidung einer äußeren Nasenöffnung und einer Choane wäre ein
weiterer Schritt; endlich sollte die Ausbildung von Zähnen vor der
Choane die letztere in den Mundbereich ziehen.
Bei dieser Ableitung wird man bedenken müssen, daß es nicht
möglich scheint, in den Entwickelungsstadien des Amniotenmundes die
von ihr angenommenen Etappen wiederzufinden.
Jedenfalls wird der Versuch, die Verschiedenheit der Entwicke-
lung des oberen Mundrandes bei Eischen und höheren Formen auf-
zuklären, von der Umgestaltung des Geruchsorgans auszugehen haben.
Besonders wichtig ist hier die in verschiedenen Fällen auftretende
Fortführung der Riechgrube durch eine Rinne, die gegen die Mund-
öffnung hinzieht und einen Teil des respiratorischen Wasserstroms
das Geruchsorgan durchfließen läßt. Im Prinzip ähnlich, im einzelnen
verschieden durchgeführt , finden wir solche Einrichtungen mehrfach
in der Fischreihe. Sie erreichen die größte Vollkommenheit bei
den Dipnoern, bei denen die Nasenrinne zu einem Kanal abgeschlossen
wird dessen innere Mündung, die Choane, dabei bis an die Zahnreihe
herangeführt ist. Bei den höheren Vertebraten überschreitet nun die
Nasenrinne den Mundrand, die Choane kommt in den Bereich der Mund-
höhle zu liegen. An diesen Znstand schließen sich endlich die Ver-
änderungen an, welche die Mündung der Nasenhöhle noch weiter nach
hinten verlegen, zur Bildung der sekundären Nasenhöhle mit den sekun-
dären Choanen fuhren.
Wir sehen nun, daß bei allen gnathostomen Fischen Oberkiefer-
wülste auftreten , die meist zuerst durch einen schmalen Spalt median
getrennt sind, später miteinander verschmelzen, Bei Gymnophionen
und Amnioten liegen die Dinge nur insofern anders, als die Nasen-
rinnen von der Gesichtsfläche auf das Munddach übergreifen. Dadurch
wird jederseits das Material, welches die mittleren Teile des oberen
Mundrandes zu bilden hat, scharf gegen die seitlichen Teile abgegrenzt,
in welchen die als Oberkieferwülste bezeichneten Verdickungen in Er-
scheinung traten. In dem von den beiden Nasenrinnen eingefaßten Ge-
biet, d. h. dem mittleren Stirnfortsatz, handelt es sich also nicht um
einen neuen Baustein im Gefüge des oberen Mundrandes, sondern um
einen Teil, welcher schon bei Fischen vorliegt und nur eben durch die
Nasenrinnen eine Abgrenzung und durch die Beziehung zum Geruchs-
organ voluminösere Ausgestaltung empfängt. Kommt es nicht zur Aus-
bildung der Nasenrinne, sondern brechen die Riechgruben unmittelbar in
die Mundhöhle durch (Urodelen und Anuren), so unterscheidet sich die
Entwickelung des oberen Mundrandes in nichts von dem der Fische.
Von des Abgrenzung eines mittleren Stirnfortsatzes gegen die seitlichen
Teile des oberen Mundrandes ist keine Rede mehr.
Ob man nun His darin folgen muß, daß die Mündung der Hypo-
physe außerhalb des Mundrandes bei den Cyclostomen ein Argument für
die Aufstellung der sogenannten Rachenlippe bildet, erscheint doch
fraglich. Wenn man sieht, wie weit die Abgangsstelle der Hypophysen-
anlage bei Acipenser den Bereich der Mundbucht überschreitet, wird
man an der Stichhaltigkeit einer solchen Unterscheidung zweifeln.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 31
c) P a 1 a e o s t o m a und Neostoma.
Den Abschluß dieses Kapitels möge die Darstellung der phylogene-
tischen Vorstellungen bilden, welche sich in reicher Fülle an die That-
sachen der Mundentwickelung anschließen.
Verschiedentlich ist die Ansicht vertreten worden, daß der Mund
der Wirbeltiere dem der Wirbellosen. nicht homolog sei. Zuerst tauchte
diese Vorstellung bei A. Dohrn (1875) auf, und zwar im Zusammenhang
mit der Hypothese von der Abstammung der Vertebraten von anneliden-
artigen Vorfahren. Die Vorfahren der Wirbeltiere besaßen nach Dohrn
ein oberes und unteres Schlundganglion, welche durch ein Paar den
Vorderdarm einfassender Kommissuren in Zusammenhang standen. Der
alte, das Nervensystem durchsetzende Oesophagus wurde später aufge-
geben; an seine Stelle trat eine neue Mundbildung (Neostoma) an der
ehemaligen Dorsalseite des Körpers hinter der Gegend des oberen Schlund-
ganglions, und zwar waren es zwei median miteinander verschmelzende
Kiemenspalten, welche die neue Ingestionsöffnung herstellten. Dabei
wurde endlich noch eine Aenderung der Körperlage vorgenommen, indem
"Rück- und Bauchseite miteinander vertauscht wurden 1). Spuren des alten
Oesophagus ließen sich nicht nachweisen. Dohrx gab auch bald das
Suchen nach der Lage des „Palaeostoma" auf, nachdem er die Un-
möglichkeit, den ancestralen Oesophagus durch die Rautengrube zu leiten,
eingesehen hatte. Als thatsächliche Unterlage für die Herleitung des
Vertebratenmundes von einem Kiemenspaltenpaar konnte Dohrn (1881)
die später durch J. Platt bestätigte Beobachtung anführen, daß bei
bestimmten Teleosteern der Durchbruch der Mundspalte seitlich früher
erfolgt als median. Einer Verwertung dieser Beobachtung im DoHux'schen
Sinne steht aber hindernd im Wege, daß bei keiner anderen Wirbeltier-
gruppe etwas von einer paarigen Entstehung der Mundöffnung zu finden
ist und nicht einmal bei den Knochenfischen allgemein vorliegt (s. o.).
Noch mehrfach treffen wir in der Litteratur auf die Vorstellung,
daß ein ancestraler Oesophagus das Centralnervensystem durchsetzt. Sie
kommt 1879 bei Kölliker zum Vorschein. Epiphysis und Hypophysis
sollten die Stelle des Durchtrittes anzeigen. Aehnliches behauptete 1883
R. Owen. Es ist klar, daß unsere heutigen Kenntnisse von der Be-
deutung der Epi- und Hypophyse derartigen Auffassungen den Boden
entziehen.
Gerade umgekehrt wie Dohrn faßt Semper (1876 — 77) das Ver-
hältnis zwischen Anneliden- und Vertebratenmund auf. Semper leitet
die Vertebraten nicht direkt von Anneliden ab, sondern nimmt für beide
als gemeinsame Vorfahren einfacher organisierte Würmer an. Nach ihm
ist der Vertebratenmund der primitive Mund, der Anuelidenmund
dagegen eine Neubildung. Seine Erwerbung hatte eine Veränderung der
Körperlage, welche die alte Rückseite zur Bauchseite werden ließ, zur
Voraussetzung. Semper glaubte sogar in einer ektodermalen Einsenkung
an der Dorsalseite von C 1 e p s i n e embryonen ein Rudiment des früheren
Mundes erblicken zu müssen. Wenn man nun auch die Möglichkeit der
Vertauschung von Rücken- und Bauchseite nicht bestreiten kann, so wird
man doch der Deutung des Befundes bei Clepsine nur skeptisch gegen-
1) Auch F. Leydig (1864) homologisiert das obere und untere Schlundgangiion
der Würmer mit dem Gehirn der Vertebraten, ohne auf die Verschiedenheit im Ver-
halten des Vorderdarms einzugehen.
32 E. Göppert,
überstehen und in dieser vereinzelten Beobachtung keinen stichhaltigen
Grund für die SEMPEu'sche Annahme erblicken können.
In letzter Linie beruht die DoHitN'sche wie SEMPER'sche Vorstellung
von einer Neubildung des Mundes auf den phylogenetischen Theorien
beider, ist die Konsequenz derselben, entbehrt jedoch einer einwands-
freien sachlichen Begründung. Thatsächlich bedarf es der Annahme des
Durchbruchs einer zweiten Mundöffnung und einer Vertauschung von
Rücken- und Bauchseite gar nicht, um die Verschiedenheit der Lagerung
des Vorderdarms zum Centralnervensystem bei Anneliden und Vertebraten
zu erklären. Sie beruht auf der Verschiedenheit in der Ausgestaltung
des Centralnervensystems beider Klassen, der Ausbildung eines Bauch-
marks bei den Anneliden, der dorsalen Entfaltung des gesamten Central-
nervensystems bei den Vertebraten. Das sind Vorstellungen , wie sie
bei Gegexbaur und bei Balfour in seiner Besprechung der Theorien
Dohrx's eingehend vertreten werden.
Den bisher besprochenen Autoren stehen 2 Forscher gegenüber, die
für ein scheinbar rätselhaftes Gebilde, die Hypophysis, eine Er-
klärung zu finden glaubten, indem sie die Ansicht aussprachen, daß es
sich hier um den Rest eines Palaeostomas handelt, während der gegen-
wärtige Mund der Vertebraten ein Neostoma darstelle. Der erste, der
in diesem Sinne die Hypophyse in Anspruch nahm, war J. Beard (1888).
Er schließt sich Dohrx in der Annelidenhypothese an, denkt sich aber
die Vorfahren der Vertebraten ohne oberes Schlundganglion und verein-
facht dadurch in willkürlichster Weise sein Problem. Auch er glaubt
an die Entstehung des jetzigen Vertebratenmundes durch mediane Ver-
schmelzung eines Kiemenspaltenpaares, während die t alte Mundöffnung
ihre Verhindung mit dem Vorderdarm einbüßte und noch in der Hypo-
physe vorliegt. Nur bei Myxine erhält sich die primitive Verbindung
neben dem bereits als Ingestionsöffhung fungierenden Neostoma. Es
sind Uebereinstimmungen, die Beard zwischen der Entwickelung der
Hypophyse und der des Stomodaeums von Lopadorhynchus auf Grund der
KnEiNENBERG'schen Untersuchungen zu erkennen meinte, die seine Auf-
fassung entstehen ließen.
Andere Gesichtspunkte brachten v. Kupffer (1890) zu der gleichen
Auffassung der Hypophysis. Es war hauptsachlich die nachbarliche
Lagerung des sogenannten präoalen Darmes zur Hypophyse (s. o.),
welche in Kupffer die Vorstellung erweckte, daß beide Teile ursprünglich
in einander übergingen und ein primitives Ingestionsrohr bildeten, das
erst später — warum, ist allerdings nicht zu sagen — durch den
jetzigen Mund ersetzt wurde. In weiterem Ausbau dieser Hypothese
deutet Kupffer die seitlichen Ausbuchtungen seines Präoraldarmes, die
Anlagen der präbranchialen Kopf höhlen, als rudimentäre Kiemenspalten.
Bei Aci penser beschreibt er einen vorübergehenden Zusammenhang
zwischen Hyj^ophyse und Kopfdarm. Auch er glaubt , daß im Nasen-
rachengang der Myxinoiden das Palaeostoma erhalten sei. Auch
beim Amphioxus deutet er die Präoralgrube der Larve als Palaeostoma.
Auf Grund seiner eingehenden Untersuchungen der Hypophyse in
sämtlichen Wirbeltierklassen trat B. Haller ihrer Deutung als primitives
Stomodaeum entgegen. Die Hypophyse ist gar kein rudimentäres Organ,
für welches erst eine Funktion gesucht werden müßte, sondern eine nach-
weislich in voller Funktion stehende Drüse. Ihre vorübergehende Ver-
bindung mit dem Entoderm bei Acipenser erscheint zweifelhaft. Der
Xasenrachengang der Cyolostomen ist eine specielle Erwerbung, die mit
&
Die Entwickekmg des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 33
der Entstehung der Monorhinie in Zusammenhang gebracht werden muß.
Die Erfahrungen über die Entwickekmg des Nasenrackenganges (Hypo-
physis) bei Bdellostoma haben nun auch unzweideutig gezeigt, daß
das angebliche Palaeostoma gegenüber der eigentlichen Mundöffnung eine
sekundäre Bildung darstellt, so daß damit die BEARD-KuPFFER'sche An-
nahme fallen muß (vergl. Fürbringer 1900).
Wenn nun auf der einen Seite der Mund der Vertebraten für eine
Neubildung angesehen wurde, die dem Munde der Evertebraten nicht
homolog ist, so treffen wir auf der anderen Seite die Vorstellung, daß
auch innerhalb der Chordaten der Mund keine homologe Bildung sei. So
hält Kupffer (1893) den Mund der Ascidien für sein Palaeostoma, eine
Ansicht, die mit dem Fall der Palaeostomahypothese , den die Auf-
deckung der Bdellostomaentwickelung zur Folge hatte, von selbst ihre
Erledigung findet, van Wijhe (1893, 1901) hält zwar Tunicaten- und
Vertebratenmund für homolog, glaubt aber, daß bei Amphioxus die
erste Kiemenspalte der linken Seite als Mundöffnung benutzt wird, zum
Larvenmund würde (Tremostoma), während der eigentliche Mund, das
Autostoma, in der Präoralgrube zu suchen ist. Dieser Auffassung gegen-
über ist zu bedenken, daß beim Amphioxus die Anlage des Larven-
mundes als ektodermale, die einer Kiemenspalte als entodermale Ver-
dickung auftritt, daß ferner die Lage der Mündöffnung sich wesentlich
anders verhält als die der Kiemenspalten der linken Seite, zu denen sie
doch gehören soll. Auch die von van Wijhe festgestellte Thatsache, daß
die Mundhöhle und das Velum allein von linksseitigen Nerven versorgt
werden, scheint mir nicht unbedingt zu beweisen, daß auch phylogenetisch
der Mund des Amphioxus von je her eine Bildung der linken Seite
war, da eine allmähliche Vergrößerung einer ursprünglich medianen
Mundöffnung nach links und gleichzeitige Verkleinernng von rechts her
das gleiche Innervationsverhalten zur Folge haben würde.
Ein Ueberblick über die Mundhypothesen zeigt also, daß bisher kein
zwingender Grund vorliegt, an der Wurzel des Chordatenstammes oder
innerhalb desselben das Auftreten eines Neostomas anzunehmen. Auf der
anderen Seite weist doch manches darauf hin, daß der Mund erhebliche
Veränderungen, vielleicht auch Verlagerungen erfahren hat. Hierher
würde der Befund eines präoralen Entodermabschnittes gerechnet werden
müssen, wenn die KuPFFER'sche, kürzlich von v. Davidoff von neuem
gestützte Auffassung desselben zu Recht besteht, was auch ohne Aner-
kennung der Hypothese des Palaeostoma möglich ist.
Endlich sei hier noch die von F. M. Balfour geäußerte Ansicht
erwähnt, daß der Wirbeltiermund ursprünglich ein Saugmund war.
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2. Die Entwicklung der Organe der Mundhöhle.
a) Zunge.
Unter den Organen der Mundhöhle betrachten wir an erster Stelle
die Zunge. Schon die Cyclostomen besitzen eine Zunge, die sich
durch große Komplikation des Baues auszeichnet, sie ist mit eigenen
Knorpeln und Muskeln ausgestattet und wird der Träger eines nament-
lich bei den Myxinoiden mächtig entfalteten Apparates von Hornzähnen.
Dabei bestehen aber die größten Verschiedenheiten zwischen den Zungen
der Petromyzonten und der Myxinoiden in engstem Zusammen-
hang mit der Verschiedenheit ihrer für die Lebensweise beider Ord-
nungen so wichtigen Funktion. Unsere Kenntnis der Entwicklung
der Cyclostomenzunge ist noch durchaus ungenügend.
Von der Zunge der Petromyzonten wissen wir, daß sie erst
bei der Metamorphose des Ammocoetes zur Ausbildung gelangt,
gleichzeitig also mit dem durchgreifenden Wechsel der Lebensweise
und der damit in Zusammenhang stehenden Umgestaltung des Baues.
In den Dienst des „Saugmaules" stellt sich als mächtiger Saug-
apparat die neu auftretende Zunge. Die Knorpel der Zunge entstellten
nach P. Bujor in dem Bindegewebe eines großen, an der Ventral-
wand der Mundhöhle der Larve gelegenen Tentakels. Die Zungen-
muskeln werden nach demselben Autor in der Nachbarschaft des zu
Grunde gehenden Velums und der Glandula thyreoidea zuerst sichtbar.
Sie haben mit den Zungenmuskeln der höheren Gnathostomen nichts
zu thun, wenn es sich bestätigt, daß sie ausschließlich vom Vagus-
gebiet versorgt werden (vgl. H. V. Neal).
Viel früher entsteht die Zunge der Myxinoiden (Bdellostoma
Stouti), die bei dem Fehlen eines Wechsels der Lebensweise, wie ihn
bei den Petromyzonten das Bestehen eines Larvenlebens mit sich
bringt, nach Abschluß der embryonalen Entwicklung sogleich in die
ihr dauernd bleibende Funktion als Bohrapparat eintritt, v. Kupffer
beschreibt und zeichnet ihre Anlage als mächtige, gegen die Mundhöhle
vorspringende Anhäufung mesodermalen Gewebes in einem Stadium,
in welchem die sekundäre Rachenhaut noch besteht (s. Fig. 17 L.)
(Abbildungen der Zunge von Bdello stoma-Embryonen finden sich
bei Bashford Dean).
Die Cyclostomenzunge steht als Bildung eigener Art der viel ein-
facher gebauten Zunge der gnathostomen Fische gegenüber. Diese
ist im wesentlichen ein Vorsprung der vorderen Teile des Hyo-
branchialapparates, welcher die Schleimhaut der Mundhöhle unter Ver-
dickung des submueösen Gewebes überzieht. Ihr fehlen Muskeln und
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 37
Ihre Entwickelung ist daher auf das innigste mit der
Drüsen
Wickelung des Skeletts verknüpft und wir müssen hier auf das
bezügliche Kapitel verweisen.
Höhere Ausgestaltung erfährt
r i s c h e r Lebensweise
dient jetzt nicht nur zur Fortbewegung
Ent-
dies-
die
Zunge
übergehen d e n
gnathostomen Fischen, sondern vielfach zum
Aufnahme von Flüssigkeit in die Mundhöhle,
der Nahrungsbestandteile, in einer großen
Herstellung eines direkt gegen den Kehlkopf
pharyngeus, beim Menschen endlich als
Sprache. Dementsprechend wird sie der Sitz
bei den zu terrest-
Wirbeltieren. Sie
der Ingesta wie bei den
Beute, zur
Zerkleinerung
Fang der
oft zur
Reihe von Fällen zur
leitenden Ductus naso-
Apparat bei der
■ sich immer mehr
wichtiger
— - P.Z.
komplizierenden Muskulatur, zahlreicher Drüsen, eines höher aus-
gestalteten Sinnesapparates und gewinnt an relativer Größe. Im
Zusammenhang mit all dem kompliziert sich ihre Entwickelung in
hohem Grade.
Wir schildern an erster Stelle die Entwickelung der äußeren
Gestalt der Zunge.
Bei den urodelen Amphibien besteht, soweit sie sich nicht
dem Landleben anpassen, eine der Fischzunge entsprechende Zungen-
bildung; aber auch die Zunge junger Larven von Salamandrinen
stimmt in allen wesentlichen Punkten mit der Fischzunge überein.
Sie entsteht dadurch, daß der von der Schleim-
haut überkleidete vordere Teil des Visceral- d.f.
skeletts sich durch eineEinsenkung des Epithels
vom Unterkiefer absetzt und später das Binde-
gewebe zwischen Epithel und und Skelett eine
erhebliche Verdickung erfährt (Gegenbaur
1894, Fig. 23 L).
In dem Gebiet zwischen der Wurzel der
primitiven Zunge und dem Unterkiefer sondert
sich, wie Kallius, dem wir weiterhin folgen,
zeigt, bei älteren Larven (Salamanderlarve von
45 mm an) ein Schleimhautfeld von seiner Um-
gebung, das hufeisenförmig gestaltet die primi-
tive Zunge vorn und seitlich umfaßt (Fig. 38
D.F.). Hier verdickt sich erst das Epithel,
dann kommt es zur Ausbildung zahlreicher
Drüsenschläuche (Fig. 39 D.F.), die, wie
ihr Epithel zeigt, ein ganz spezifisches
Sekret liefern. Das Drüsenfeld wird
von der Spitze der primitiven Zunge
überragt und ist gegen den Kieferrand
durch eine Furche abgegrenzt. Das
gesamte Gebiet der Zungenanlage ist
ebenso wie bei den Anuren ento-
dermaler Herkunft (vgl. A. Götte und
E. Kallius, s. Fig. 22 u. 23, p. 19). Von
ist, daß die Thyreoidea-
der primitiven
und dem späteren Drüsenfeld
ihre Lage hat.
Während der Metamorphose
Fig. 38. Salamandra
maculosa. Aeltere Larve.
Boden der Mundhöhle.
D.F. Drüsenfeld. P.Z. pri-
mitive Zunge.
Wichtigkeit
anläge gerade zwischen
Zunge
M.g.h. M.g.gl.
Fig. 39. Triton alpestris.
Larve in Metamorphose. Medianer
Sagittalschnitt durch den Mund-
boden. M.g.gl. Musculus genio-
glossus. M.g.h. Musculus genio-hyo-
ideus. Nach E. Kallius.
38
E. GÖPPERT,
gleicht
Zunge
p.z.
D.F.
-M.g.gl.
sich die Niveaudifferenz zwischen Drüsenfeld und primitiver
allmählich aus (Fig. 40), indem ersteres (D.F.) in die Höhe
wächst und die einander zugewandten Grenzflächen des Drüsenfeldes
und der primitiven Zunge (P.Z.)
miteinander unter Zugrundegehen
des Epithels verkleben. Die Ver-
wachsungsfläche bleibt späterhin
noch lange kenntlich (x). So wird
das Drüsenfeld in den Bereich
der Zunge aufgenommen. Die
definitive Zunge setzt sich also
aus zwei Teilen verschiedener
Herkunft zusammen. Die pri-
mitive Zunge hat dabei den ge-
ringsten Anteil an dem Organ,
indem sie nur den hinteren me-
dianen Teil desselben bildet, Das
ganze Zungengebiet grenzt sich
dann unter Auswachsen seiner
Ränder scharf gegen den übrigen
und stellt eine pilzartige Erhebung vor.
M.g.h,
Fig. 40. Salamandra maculosa.
50 mm lange Larve. Medianer Sagittal-
schnitt durch den Mundboden. Nach E.
Kalliüs. Bezeichn. s. Erkl. zu vorher-
gehenden Fig.
Mundboden ab
Von Perennibranchiaten untersuchte Kalliits nur den den
Salamandrinen eng anzuschließenden S i r e d o n. Hier bleibt zeit-
lebens die primitive muskel- und drüsenfreie Zunge erhalten, doch
findet sich eine Andeutung des Drüsenfeldes der Salamandrinen in
einem mit Krypten besetzten Schleimhautgebiet zwischen Zunge und
Kieferrand, gegen welches der sogenannte M. genio-glossus ausstrahlt.
Es ist unzweifelhaft, daß hier, wie auch sonst in der Organisation des
A x o 1 o 1 1 , ein Stillstand der Entwickelung auf larvalem Zustand ein-
getreten ist.
In den Hauptpunkten läuft die Zungenentwickelung bei den
Anuren in gleichen Bahnen wie bei den Salamandrinen (E. Kallius).
Wir unterscheiden auch hier einen 'ursprünglich muskel- und drüsen-
freien Teil, die primitive Zunge, dem die medianen und vorderen Teile
des Hyobranchialskeletts zu Grunde liegen und ein vorderes sich
diesem erst gegen Ende der Metamorphose anschließendes Gelnet
(präcopularer Teil der Zunge). Starkes Wachstum der Ränder der
Zunge, namentlich nach hinten, hebt das Organ auf das schärfste von
der Umgebung ab.
Zum Unterschied von dem Verhalten bei den Salamandrinen
wird das Stadium, in welchem die primitive Zunge allein besteht, viel
rascher überwunden. Von dem sie darstellenden Wulst bleibt nur der
vordere Teil erhalten und geht unter scharfer hinterer Abgrenzung,
in die definitive Zunge über. Das präcopulare Feld (homolog dem
Drüsenfeld der Salamandrinen) wird indem es emporwächst und
die Furche zwischen ihm und dem Drüsenfeld dabei vorstreicht, in die
Zunge aufgenommen. Dann erst entstehen die es bei den Salaman-
drinen von vornherein charakterisierenden Drüsen. Die Oberfläche des
primitiven Zungenteiles bildet bei Alytes und Pelobates den hin-
tersten Teil des Zungenrückens, während sie bei den übrigen A n u r e n
(abgesehen von den Aglossa) in Zusammenhang mit dem starken Aus-
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 39
wendung
Bei
Larven)
Zungenrand
Zunge
nach hinten, zur Herstellung der Unterfläche Ver-
wachsen der
findet.
den meisten A n u r e n bildet sich vorübergehend (bei älteren
ein die Zunge tragender Wulst, der jederseits ventral vom
in die Mundhöhle vorspringt. In ihn können Teile der
Zungenmuskulatur einstrahlen (Grenio-glossus). Nur bei Pelobates,
soweit bekannt, bleibt diese sublingualer Wulst zeitlebens bestehen.
Die Entwickelung der äußeren Form der Zunge der Amnioten
zeigt in wichtigen Punkten Uebereinstimmung mit der der Amphi-
bien, in anderen Unterschiede, die sich als Fortschritt darstellen.
Allgemein entstellt sie wie jene aus zwei Abschnitten, einem vorderen
und einem hinteren , die durch die Anlage der Schilddrüse vor-
übergehend gegeneinander abgegrenzt sind. Der hintere Teil (copu-
larer Teil) entspricht der primitiven Zunge der Amphibien; an
seinem Aufbau beteiligt sich das ventrale Ende des zweiten und
ein Teil des dritten Visceralbogens samt dem copnlaren Gebiet zwischen
beiden, der vordere (präcopulare) Abschnitt geht von einem als Tuber-
culum impar von W. His bezeichneten medianen Feld zwischen Kiefer-
und Zungenbeinbogen aus, das sich unter Uebergreifen auf die Innen-
fläche des Kieferbogens stark vergrößert.
s. ir
T.imp.
Fig. 41a.
Fig. 41b.
r
\\
Fig. 41c. Fig. 41d.
Fig. 41 a— d. Lacerta muralis. Verschiedene Stadien der Zungenentwicke-
lung. Nach E. Kallius. T.imj). Tuberculum impar. S.W. Seitlicher Zungenwulst.
40 E. GÖPPERT,
Als Beispiel für die Zungenentwickelung bei den Reptilien diene
die Darstellung, die E. Kalmus für Lacerta muralis entwirft. Bei
Embryonen von etwa 5 mm liegt median von der Tliyreoideaanlage in
dem Gebiet zwischen erstem und zweitem Visceralbogen eine niedrige
Erhebung an Stelle eines bei etwas jüngeren Embryonen flachen drei-
seitigen Feldes, die als Tuberculum impar zu bezeichnen ist (Fig. 41 a
T. invp.). Hinter der Schilddrüseneinsenkung findet sich ein medianer
Wulst zwischen den ventralen Enden der Visceralbogen, der als Copula
bezeichnet werden kann. In seinem Bereich entsteht die Copula des
Yisceralskeletts. Das Tuberculum impar verliert bald seine Abgrenzung
gegen die Copula und vergrößert sich stark nach vorn. Es nimmt dann
auch das Gebiet zwischen den beiden Unterkieferbogen ein (Fig. 41 b),
und wird durch Wulstbildungen erheblich nach rechts und links ver-
breitert, die als seitliche Zungenwülste bezeichnet wurden (S.W.). Sie
erheben sich auf der Innenfläche des Kieferbogens (5,2 mm langer Embryo),
der mediane Teil der Anlage bildet die primitive Zungenspitze (Fig. 41 c).
Die Ausdehnung der Zungenanlage nach vorn läßt es nicht als ausge-
schlossen erscheinen, daß sie in das Gebiet der ektodermalen Mundbucht
übergreift.
Bisher ist das Gebiet des Mundbodens, das den hinteren Teil der
Zunge liefern soll, seitlich und aboral nicht abgrenzbar, man erkennt
aber, daß die ventralen Teile des 2. und 3. Visceralbogens und das
zwischen ihnen lagernde copulare Gebiet ihr zugehören (Fig. 41c). Bald
grenzt aber eine Einfaltung die bezeichneten Teile scharf ab (6 mm langer
Embryo) und weist sie dem Zungenbereich zu. Das Wachstum der
Zungenränder läßt allmählich allseitig die Zunge sich stark vom Mund-
boden abheben. Durch Auswachsen des den seitlichen Zungenwülsten
zugehörigen Gebietes nach vorn entstehen die beiden definitiven Spitzen
der Zunge (Fig. 41d). Die primitive Spitze bleibt im Frenulum Linguae
erhalten. Nach hinten wachsen die beiden Zipfel aus, die den mittler-
weile bis an den hinteren Zungenrand herangerückten Kehlkopfeingang
seitlich umfassen.
In späten Stadien der embryonalen Entwickelung grenzt sich am
Mundhöhlenboden unter der Zungenspitze durch fast horizontal ein-
schneidende Furchen ein kleines dreiseitiges Feld ab, dessen Ränder
sich auf die Seitenflächen der Zunge als Falten fortsetzen (Sublingual-
falten). Sie sind den sublingualen Wulstbildungen bei Anuren vergleichbar
und stimmen mit ihnen auch darin überein, daß Muskeln (Züge des
Genio-glossus, hinten auch des Hyo-glossus) in sie eintreten.
Wie weit die Zungenentwickelung bei Schlangen, Krokodilen
(über das Verhalten der jugendlichen Zunge von Crocodilus madagasca-
riensis finden sich bei A. Voeltzkow einige Bemerkungen) und Schild-
kröten mit der Entwickelung bei Lacerta übereinstimmt, bleibt noch
zu untersuchen.
Bei den Vögeln verläuft die Entwickelung, wie Kallius (1901)
in vorläufiger Mitteilung kurz angiebt, im wesentlichen ebenso wie bei
Lacerta. Aus der Schilderung, die P. Mall für das Hühnchen giebt,
geht bereits hervor, daß als Anlage des vorderen Teiles der Zunge ein
Tuberculum impar vor dem Ort der Schilddrüsenanlage zwischen Unterkiefer-
unrl Zungenbeinbogen auftritt (Mitte des 4. Bebrütungstages), daß ferner
die hinteren Teile der Zunge aus dem Gebiete des 2. und zu einem
unbedeutenden Teil des 3. Bogenpaares sich bilden.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 41
Auch bei den Säugetieren1) finden wir als erste Anlage des
„Körpers" der Zunge das Tuberculum impar als eine Erhebung in dem
Gebiet zwischen Kiefer- und Zungenbogen (menschlicher Embryo von
2,15 mm Nackenlänge, W. His 1885). G. Born bezeichnet die Anlage
(1883) als Schaltstück (Fig. 42 T.imp.). Ebenso wie bei den Reptilien
dehnt sich später das Gebiet des
T.imp.
P.Z.
Fig. 42. Menschlicher Embryo. Mund-
boden. T.imp. Tuberculum impar. P.Z.
copularer Teil der Zungenanlage. Nach
W. His.
Tuberculum nach vorn auf die
orale Fläche des Mandibularbogens
aus und nimmt erheblich an Um-
fang zu, und zwar in der Art,
daß, wie Born zuerst zeigte
[Schweinsembryo von 13 mm
Nackenlinie 2)] 2 lateral gelagerte
Wülste einen schmalen medianen
Kamm zwischen sich fassen. Die
seitlichen Teile der Körperanlage
stellen die seitlichen Zungenwülste
Kallius' (1901) vor. Weiterhin
erhebt sich der mediane Kamm
und wächst zum Niveau der seit-
lichen Zungenwülste empor3).
Aboral von der Anlage der
Thyreoidea schließt sich an die
Körperanlage als Zungen wurzel
der mediale Teil des 2. Schlund-
bogenpaares, wohl auch ein unbedeutender Teil des 3. Bogens samt dem
beiden zugehörigen copularen Gebiete an (Fig. 42 P.Z.); die Grenze
zwischen beiden Abschnitten ist noch bei der Zungen des erwachsenen
Menschen als V-förmige Linie, deren hinterster
Punkt durch das Foramen coecum, die Ausgangs-
stelle der Thyreoidea, markiert wird, erkennbar
(Sulcus terminalis, Fig. 43).
Ueber die Entwickelung der Unterzunge fehlen
bisher Untersuchungen. Erwähnt sei hier, daß
C. Gegbnbaur ihr Homologon beim menschlichen
Neugeborenen im ganzen im Vergleich zum Vo-
lum der Zunge besser ausgeprägt fand als beim
Erwachsenen, ein Befund, der mit der offenbaren
Rückbildung der Unterzunge, wie sie bei Primaten
und beim Menschen eingetreten ist, in Zusammen-
hang steht. Beim Embryo vom Hund beschrieben
Nusbaum und Markowski ein vergängliches Rudi-
ment einer Unterzunge, so daß sich letztere als
ein verbreit et erer Besitz zu zeigen scheint, als man
bisher annehmen konnte.
Wir betrachten weiterhin die Entwickelung
der Muskulatur der Zunge. Die Muskel-
gruppe, der sie entstammt, ist die hypo-
Fig. 43. Mensch-
licher Foetus aus dem
6. Monat. Zunge. Nach
W. His.
1) Ueber die Zungenentwickelung der Säugetiere siehe die Arbeiten von
E. Dursy, G. Born, W. His, E. Kallius.
2) Naekenlinie = Entfernung vom Nackenhöcker bis dem am meisten vor-
springenden Teile der Steißkrümmung.
3) Die deutliche Ausprägung der seitlichen Zungenwülste scheint bei den Säuge-
tieren die Regel zu sein, so erklärt es sich, daß schon E. Dursy (1869) von einer
42 E. Göppert,
branchiale Muskulatur, die vom Plexus cervicalis, aus dessen vordersten
Teilen der Nervus hypoglossus sich sondert, innerviert wird (vgl.
M. Fürbringer, Festschrift für Gegenbaur). Das Einwachsen der
Muskeln läßt den Hypoglossus gleichzeitig in die Zunge vordringen.
Es gehört nicht in dieses Kapitel, die Entwickelung der hypobran-
chialen Muskulatur selbst zu verfolgen. Es sei nur darauf hingewiesen,
daß sie den vorderen postotischen Myotomen entstammt, welche Muskel-
knospen ventralwärts wachsen lassen. Diese biegen weiterhin im Bogen
oralwärts um und legen sich zu einem Strang aneinander, der an der
Ventralseite des Kiemenkorbes entlang bis zum Unterkiefer hinzieht.
Nur bei Vögeln und Säugetieren ist dieser Modus der Entwickelung noch
nicht erwiesen. An dem Aufbau der hypobranchialen Muskulatur nimmt
das 2. — 5. (Reptilien-Teleostier) oder 4. — 8. (Selachier) Myotom teil. Die
entsprechende Muskelgruppe der Petromyzonten, die aber hier keinen
Anteil am Aufbau der Zungenmuskulatur zu nehmen scheint (s. o.), stammt
vom 7. — 11. postotischen Myotom. (Vgl. J. F. Van Bemmelen, H. V.
Xeal, S. Mollier, H. K. Corning, F. Maurer, R. G. Harrison.)
Die einfachsten Verhältnisse im Aufbau und damit auch in der
Entwickelung der Zungenmuskeln liegen bei den Salamandrinen
vor, bei denen zum erstenmal in der Tierreihe, von den Cyclostomen
abgesehen, eigentliche Zungenmuskeln auftreten. Es bestehen 2 Mus-
keln, der Genio- und Sterno(Hyo-)glossus, die nach ihrer Funktion
auch als Pro- und Retractor linguae unterschieden werden können und
weiterhin bei allen höheren Formen auftreten. Sie bilden die primäre
Zungenmuskulatur. Eine innere Zungenmuskulatur fehlt noch völlig 1).
Die Entwickelung des Genio-glossus beginnt erst bei älteren
Larven und hängt auf das innigste mit der Entstehung des den
vordersten Teil der definitiven Zunge bildenden Drüsenfeldes zu-
sammen (s. o.). Er tritt in unmittelbarem Anschluß an den Genio-
hyoideus auf, weshalb er als eine Abzweigung des letzteren zu deuten
ist. Seine Fasern wachsen den sich einsenkenden Drüsenschläuchen
entgegen und kommen mit ihren Enden zwischen dieselben zu liegen.
So haben sie Einfluß auf die Entleerung des Drüsensekretes. Der
Genio-glossus ist zunächst also ein Drüsenmuskel und seine Ent-
stehung wird durch diese Funktion erklärt (Fig. 39 M.g—gl.). Mit der
Aufnahme des Drüsenfeldes in die definitive Zunge wird der Genio-
glossus erst Zungenmuskel und wird in seiner nunmehr doppelten
Eigenschaft als Drüsenentleerer und Protractor linguae von wesent-
licher Bedeutung für die Verwendung der Zunge als Fangapparat.
Er bleibt aber dauernd außerhalb des Bereichs des primitiven Zungen-
teiles.
Der zweite Zungenmuskel, der Sterno-glossus (Hyo-glossus,
Retractor linguae), entwickelt sich erst am Ende der Metamorphose.
Es sind Fasern des Sterno-hyoideus, die bei der Umgestaltung des
Hyobranchialskeletts frei werden und nun in die Zunge einwachsen.
Sie befestigen sich hier an einer Platte verdichteten Bindegewebes von
„paarigen" Anlage des Zungenkörpers spricht. Auch der Mensch gehört nach den
vorläufigen Bemerkungen Kallius' (1901) hierher, obwohl die von W. HlS dar-
gestellten Stadien der Zungenentwickelung bei menschlichen Embryonen die gesamte
Zungenkörperanlage ungegliedert darstellen.
1) Ueber die Zungenmuskulatur vgl. die Werke von Prinz Ludwig Ferdinand
und A. Oppel (1900).
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 43
später sehniger Beschaffenheit, die von vornher auch Züge des Genio-
glossus aufnimmt, Dieses Sehnenblatt entsteht wahrscheinlich an der
Stelle, an welcher die primitive Zunge mit dem Drüsenfeld verschmilzt
(Fig. 40 x). Einzelne Züge des Sterno-glossus gelangen zu den seit-
lichen und hinteren Teilen der Zunge und verflechten sich mit Genio-
glossuszügen zwischen den Drüsen. (Die obige Darstellung-
Resultate der Untersuchung E. Kallius' wieder.)
In den Hauptpunkten stimmt die Entwickelung der
muskeln der Anuren1) mit der der Salamandrinen überein
lius). Vom oralen Teil der hypobranchialen Muskulatur,
mächtiger Genio-hyoideus ausgebildet, entwickelt sich auch, von
giebt
die
Zungen-
(E. Kal-
hier als
■— hinten
in die Zunge einwachsend, der Hyo-glossus, der in den Wulst des
primitiven Zuugenabschnitts eindringt. Gegen das präcopulare Feld
wächst aus gleicher Quelle die Anlage des Genio-glossus hervor und
scheint das ihm zugehörige Schleimhautgebiet emporzudrängen und
dadurch dessen Anschluß an die primitive Zunge zu bewirken. Nach
Herstellung der definitiven Zunge findet dann eine ungemein aus-
giebige Durchkreuzung der Fasern beider Zungenmuskeln statt, die
ein longitudinales, transversales und vertikales Fasersystem im Innern
der Zunge zustande kommen läßt, von dem oberflächliche Züge
zwischen die Drüsenschläuche einstrahlen. Die Zunge, aus deren
Bereich sich die Skeletteile ganz zurückgezogen haben, wird dadurch
beweglichen Organ. Die Vergleichung mit der
ungemein
zu einem uu^cmwu uon^nui^ ^i&
Entwickelung der Salamandrinenzunge läßt die
e1
größere
Bedeutung
und höhere Ausbildung der Zungenmuskulatur bei den Anuren auf
das deutlichste dadurch erkennen, daß sie in viel früheren Stadien zur
Anlage kommt. Schon bei ganz jungen Larven, bei denen die Hinter-
beine noch kurze Stummel sind, besteht die Anlage des Hyo-glossus,
während er bei den Salamandrinen erst bei der Metamorphose auf-
tritt. Die Anlage des Genio-glossus endlich eilt derjenigen der Drüsen
des präcopularen Zungenteiles erheblich voraus, mit der sie bei den
Salamandrinen aufs innigste verknüpft ist.
Unter den Amnioten ist uns durch die Untersuchungen von
S. Mollier und E. Kallius die Muskelentwickelung bei Lacerta
am genauesten bekannt. Bei 5 mm langen Lacertaembryonen besteht
unter dem Boden der Mundhöhle jederseits ein scharf abgegrenzter
Zellstrang, der lateral und ventral vom N. hypoglossus begleitet wird.
Er stellt die Anlage der hypobranchialen Muskulatur vor. Auf einem
etwas älteren Stadium (Fig. 44) sondert sich im vorderen Teil dieses
Stranges ein dorsaler Zug, der gegen den Zungenrücken auswächst,
Fig. 44. Lacerta muralis, Em-
bryo. Sagittalschnitt durch den Mund-
boden nach E. Kallius. U.K. Anlage
des Unterkiefers. M.g—h. Muse, genio-
hyoideus. M.h — gl. Muse, hyo-glossus.
M.g—gl. Muse, genio-glossus.
M.h.gl. XII M.g.gl. U.K.
M.g.h.
1) lieber die Zungenmuskeln des fertigen Tieres vergl. vor allem E. Gaüpp,
Anatomie des Frosches. (3. Auflage von Ecker und Wiedersheim, Anatomie des
Frosches.) Braunschweig 189b\
44 E. Göppert,
von einem ventralen Abschnitt; beide gehen aboralwärts in die ein-
heitliche Masse der Anlage über. Beide finden aboral Anheftung am
Zungenbein. Der dorsale Teil bildet den Hyo-glossus (M.h—gl), der
ventrale den Genio-hyoideus (M.g—h). Aus dem hinteren einheitlich ge-
bliebenen Teil der Anlage geht der Cervico-hyoideus hervor. Bei etwa
(3 mm langen Embryonen beginnt sich von der Dorsalseite des Genio-
hyoideus, der zweite primitive Zungenmuskel, der Genio-glossus aus-
zubilden (M.g—gl), dessen Züge bald fächerartig gegen die Ventral-
seite des lang ausgewachsenen Hyo-glossus ausstrahlen. Vorläufig
sind die Muskelanlagen beider Seiten noch durch ein bindegewebiges
Septum voneinander geschieden, das später bei der Ausbildung der
Binnenmuskulatur der Zunge vielfach von Muskelfasern durchsetzt
wird. Die letztere ist von beiden primären Zungenmuskeln ableitbar,
und zwar stammen die ringförmig um den Hyo-glossus und um das
Os entoglossum angeordneten Züge, sowie der Transversus linguae
vom Genio-glossus, der Longitudinalis wahrscheinlich vom dorsalen
Rand des Hyo-glossus (E. Kallius).
Ueber die Entwicklung der Zungenmuskeln bei den übrigen
Reptilienordnungen und bei den Vögeln fehlen noch genauere Unter-
suchungen.
Ganz unzulänglich sind unsere Kenntnisse über die Muskel-
entwickelung bei den Säugern. Nach W. His (menschl. Embryonen)
ist beim menschlichen Embryo eine Sonderung der einzelnen Faser-
komplexe vom Beginn der 6. Embryonal woche an möglich y).
Als Produkte der Schleimhaut der Zunge stellen sich zuerst die
Papillen ein. Es bestehen schon bei manchen Amphibien und
Reptilien, allgemein aber bei den Säugetieren zwei Arten der-
selben, indem die einen als Träger der Geschmacksknospen dienen,
die anderen rein mechanisch wirksam sind.
In der Gruppe der gustatorischen Papillen sind die einfachsten die
schon bei Amphibien und Reptilien vertretenen Papulae fungi-
formes, auf höherer Stufe stehen die bei Säugern allgemein vor-
kommenden Papulae circumvallatae und das bei vielen Formen als
Papilla foliata sich darstellende Randorgan. Die mechanisch wirksamen
Papillen repräsentieren die Papulae filiformes und die verschiedenen
Modifikationen derselben (Hornzähne, Papulae fasciculatae, coronatae).
Andersartige, als Kauapparat thätige Gebilde des Zungenrückens
sind die großen Hornplatten an der Zunge von Ornithorhynchus
und die Knochenschuppen bei Hystrix cristata, über deren Ent-
wickelung noch nichts bekannt ist. (Ueber die Zungenpapillen vergl.
A. Oppel (1900), wo auch die wichtigeren Arbeiten von Poultox,
Tuckerman, Münch u. a. ausführlich besprochen sind.)
Bei Amphibien und Reptilien treten in der ersten Anlage
die Papillen nicht über die Oberfläche empor. Erhebungen des Binde-
gewebes werden durch solide Epithelmassen, von denen sich die An-
lagen der Drüsenschläuche oder Krypten in die Tiefe senken, von-
1) His nimmt verschiedene Quellen für die Zungenmuskulatur an; so soll der
Stylo-glossus aus dem 2. Schlundbogen, der Hyo-glossus aus dem 3. stammen.
Transversus und Longitudinalis superior gelten als dem Zungenkörper eigentümliche
Produkte, während Longitudinalis inferior und Genio-glossus aus der sog. Sub-
lingualplatte stammen sollen. Es ist klar, daß hier höchstens der Ort, an welchem
die ersten gut entwickelten Muskelfasern von His beobachtet wurden, dargestellt,
aber nicht etwa die Quelle der Hypoglossusmuskulatur selbst aufgedeckt wird.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer OrgaEe. 45
einander getrennt. Mit der Ausbildung von deren Lumina werden
erst die Papillen zu selbständigen Vorragungen.
Im Prinzip gleichartig verläuft die Entwickelung der Papillen
der Säugetiere. Sie beginnt, nachdem die äußere Form und die
Anlage der Muskulatur der Zunge fertiggestellt ist (beim Menschen
Anfang des 3. Monats, 50 mm langer Embryo, bei Wiederkäuern etwa
in der 6.-7. Woche). Am frühesten treten die Papulae circuinvallatae
und fungiformes hervor. Etwas später (menschlicher Embryo 64 mm)
werden die Anlagen der Papulae filiformes auf Schnitten erkennbar.
Die Entwickelung der Papulae fungiformes und filiformes
des Menschen, über den wir hier am besten unterrichtet sind, erfolgt
nach K. Hintze in ziemlich übereinstimmender Weise, mit dem oben
angegebenen Unterschied im zeitlichen Auftreten, der sich wohl aus der
verschiedenen Mächtigkeit beider Papillenformen erklärt. Die erste An-
lage besteht in zapfenartigen Erhebungen des Bindegewebes, welche in
die Epithelschicht einspringen, das Epithel zieht über diese Bindegewebs-
papillen hinweg und zeigt nun ganz flache, buckelartige Erhebungen über
ihnen. Nicht selten erheben sich über den Papillenanlagen Epithel-
wucherungen, meist in Form fingerartiger Zotten, die in den nächsten
Wochen schwinden (Vorpapillen). Die Bindegewebspapillen nehmen all-
mählich die für P. fungi- und filiformes charakteristische Gestaltung an.
Bei einem Foetus von 195 mm beginnt an ersteren bereits die Anlage
der Sekundärpapillen. Schon früher (Eoetus von 100 mm Länge) treten
an ihnen die Anlagen der Geschmacksknospen hervor.
Während bisher die gesamten Papillenanlagen annähernd gleich-
mäßig von Epithel überzogen werden, werden am Anfang des 5. Monats
durch Zerfall der oberflächlichen Epithelschichten zwischen den Papillen
die letzteren frei und ragen nun über die Oberfläche der Zunge empor.
Die Ausbildung der Papillen ist mit der Geburt noch nicht vollendet,
die Entwickelung der Sekundärpapillen findet erst später ihren Abschluß.
Auch die Form, Größe, Stellung und Zahl der fungiformen Papillen ist
beim Neugeborenen eine andere als beim Erwachsenen. Besonders
wichtig ist, daß ein großer Teil von ihnen jenseits der Säuglingszeit ihre
Geschmacksknospen einbüßt. Die Papulae fungiformes verlieren an Be-
deutung für den Geschmackssinn gleichzeitig mit der Aenderung der
Ernährungsweise (H. Stahr).
Die Papulae circumvallatae (untersucht beim Kaninchen
durch F. Hermann und A. Lustig, beim Menschen durch Listig, F.
Tuckerman und J. Gräberg) beginnen beim Menschen etwa im 3. Monat
Fig. 45. Dasyurus hallu-
catus. Beutelf'oetus. Längsschnitt
durch die Anlage einer Papilla circum-
vallata, nach A. Oppel 1899 Fig. 45
u. 46. P. Anlage der Papille. W. An- " ' u \ ° / J^' Ser.Dr.
läge des Walls. Ser.Dr. Anlage der
serösen Drüsen.
Ser.Dr. —
des embryonalen Lebens aufzutreten. Nach J. Gräberg finden sich hier
makroskopisch bemerkbare Leistchen , die, nach hinten konvergierend,
median zusammentreffen. Sie entsprechen den Anlagen sämtlicher um-
wallter Papillen. Die Abgrenzung derselben ist jetzt schon auf Schnitten
46 E. Göppert,
nachzuweisen , indem das Epithel in der Umgrenzung der einzelnen
Papillen, also ringförmig , sich in Form solider Wucherungen in die
Tiefe senkt. Diese Epitheleinsenkungen sind nach Hermann, der zuerst
die Entwickelung der Papulae circumvallatae richtig darstellte, beim
Kaninchen von 50 mm (23. Tag) schon vorhanden. Beim 4-monatlichen
menschlichen Embryo sind die Papillen schon makroskopisch sichtbar ;
die Epithelwucherungen, welche die Papillen gewissermaßen aus dem Ge-
webe des Stratum proprium der Schleimhaut herausschneiden, sind er-
heblich tiefer eingesenkt, an ihrem oberen Rand macht sich eine weitere
Verdickung bemerkbar, in welche später das Bindegewebe des Stratum
proprium vordringt und damit die Umwallung der Papillen zustande
kommen läßt. Ferner linden sich an den unteren Enden der Epithel-
einsenkungen solide, nach außen wachsende Zapfen, die Anlagen der
zu den Geschmacksorganen gehörenden serösen (EBNEit'schen) Drüsen, die
von hier zwischen die Züge der Muskulatur vordringen und sich dabei
stark verästeln. Ende des 4. Monats beginnt dann in den soliden
Epithelwucherungen eine Spaltbildung, welche den Wallgraben herstellt
und damit die Sonderung der Papillen bewirkt, ferner das Lumen der
Drüsen entstehen läßt. In dem zeitlichen Ablauf der Entwickelung der
Papillen zeigen sich starke Schwankungen, ihren Abschluß finden sie im
allgemeinen erst nach der Geburt. Jetzt gelangen auch erst die sekun-
dären Papillen zur Ausbildung. (Letzteres gilt auch für das Kaninchen.)
In sehr verschiedenen Stadien der Entwickelung und unabhängig
vom Entwickelungszustand der Papillen treten als Differenzierungen der
Basalschicht des mehrschichtigen Plattenepithels die Sinnesknospen auf.
Ihre Anlagen konnten von Graberg schon beim 3-monatlichem mensch-
lichen Embiyo festgestellt werden. Auch Tuckerman fand sie bei
einem 14-wöchentlichen Foetus. Lustig traf sie beim Kaninchen erst
beim Neugeborenen an und vermißte sie noch beim 5-monatlichen Poetus.
Sie nehmen alle Teile der Oberfläche der Papille ein, also auch, und
zwar zahlreich, die horizontale Fläche, wie schon A. Hoffmann zeigt.
An letzterer werden sie gegen Ende des intrauterinen Lebens und bald
nach der Geburt bis auf wenige zurückgebildet. (Ueber die histologischen
Vorgänge bei der Entwickelung der Geschmacksknospen s. Sinnesorgane.)
Die Betrachtung der Entwickelung der umwallten Papillen lehrt
einen ersichtlich cänogenetisch veränderten Entwickelungsvorgang kennen.
Die phylogenetisch zu trennenden Vorgänge der Ausbildung und der Ver-
senkung der Papillen sind hier zeitlich zusammengefaßt. Dabei verspätet
sich die Bildung des Ringgrabens, die phylogenetisch mit der Versenkung
der Papille Hand in Hand ging, infolge der Zusammenfassung des
Materials für die innere und äußere Bekleidung der Rinne.
Die Entwickelung der Papilla foliata ist durch Hermann beim
Kaninchen untersucht. Bei einem 54 mm langen Embryo besteht die
Anlage aus parallel zu einander gestellten , lamellenartigen Epithel-
einsenkungen , die entsprechend gestaltete Bindegewebsblätter vonein-
ander scheiden. Aeußerlich entsprechen leichte Einkerbungen den späteren
Grenzen der Blätter der Papille. Von jeder der Epithellamellen geht
jederseits bei 70 mm langen Embryonen etwa in der Mitte ihrer Höhe
eine leistenförmige Einhebung aus, die eine Strecke weit in das Binde-
gewebe einwächst. Die Epithellamellen erscheinen jetzt also auf dem
Längsschnitt durch die Papillen dreizipflig, der mittlere Zipfel greift am
weitesten in die Tiefe. Dadurch zerfällt jedes der ursprünglich einfachen
Bindegewebsblätter der Anlage nach der Zungenoberfläche zu in 3 Teile,.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 47
in einen mittleren, das sogenannte primäre Blatt, das der Oberfläche der
Zunge am nächsten kommt, und zwei seitliche, die sogenannten sekundären
Blätter der Papille, die sämtlich allmählich an Höhe zunehmen. Bei 95 mm
langen Embryonen zeigen sich bereits die Anlagen der serösen (Ebner-
schen) Drüsen der Papille als Zellstränge, welche vom Grunde des mittleren
Zipfels der Epithellamellen ausgehen und später in die Zungenmuskulatnr
einwachsen. Gleichzeitig treten die ersten Spuren der Geschmacksknospen
auf und zwar in dem Epithel, das die äußere Abgrenzung der sekun-
dären Blätter der Papille bildet. Beim Neugeborenen beginnt die Bildung
des Hohlraumes in den Anlagen der EBNER'schen Drüsen, die bereits
anfangen, seitliche Aeste zu treiben. Schon am 2. Tage nach der Geburt
stellen sie weitverzweigte Drüsenläppchen zwischen den Muskelzügen der
Zunge vor. Erst beim 3-tägigen Kaninchen beginnt die Trennung der
einzelnen Blätter der Papille voneinander durch Spaltbildung im Epithel.
Gleichzeitig vermehrt sich die Zahl der beim Neugeborenen noch sehr spär-
lichen Geschmacksknospen. Durch Fortschreiten beider Prozesse erreicht
die Papille etwa am 6. Tage nach der Geburt ihr definitives Verhalten.
Nur die Geschmacksknospen 'zeigen noch Verschiedenheiten von ihrem
Verhalten beim erwachsenen Tier.
Beim Menschen scheint die hier nur schwach entwickelte Papilla
foliata verhältnismäßig spät aufzutreten. Während sie beim Kaninchen
etwa gleichzeitig mit den Papulae circumvallatae bemerkbar wird, wurde
sie von Tuckerman (1884) bei einem 41/, — 5-monatlichen menschlichen
Foetus noch vermißt.
Sowohl für die Papilla foliata wie für die circumvallata ist die An-
sicht ausgesprochen worden, daß ihre Entstehung von erweiterten oder
miteinander verschmolzenen Drüsenausführungsgängen , die einen Besatz
von Geschmacksknospen erwarben, herzuleiten ist (Poulton, Tuckermax,
Gmelin). Die Entwickelungsgeschichte spricht gegen eine derartige Ab-
leitung und zeigt die Papille als das Primäre, die Drüsenbildung als
einen sekundären Erwerb (vgl. Oppel 1900).
Als eine weitere Bildung der Schleimhaut entstehen die Zungen -
drüsen. Sie legen sich bei allen Ordnungen als solide Epithelzapfen
an, die erst später kanalisiert werden.
Zungendrüsen sind, wie Mundhöhlendrüsen überhaupt, eine Erweisung
landlebender Formen, sie fehlen daher den kiemenatmenden Amphibien
noch völlig. (Ueber Rudimente von Drüsen, siehe p. 38.) Wir sahen
schon oben, daß sie bei den Salama ndrinen eine ungemein wichtige
Rolle bei der Zungenentwickelung spielen. Der ganze vordere Teil der
Zunge entsteht aus einem Drüsenfeld, dessen Schläuche specifischen
Charakter tragen. Sie treten erst bei älteren Larven auf. Die ersten
Anfänge der Ausbildung des Muse, genio-glossus stehen im Dienste der
Sekretentleerung dieser Drüsen (s. o.). Erst gegen Ende der Meta-
morphose wird auch der Bereich der primitiven Zunge der Sitz krypten-
artiger Einsenkungen. Sie erlangen aber nie die Mächtigkeit der Schläuche
des Drüsenfeldes ; ihr Epithel unterscheidet sich nicht von dem der
übrigen Mundhöhle (E. Kallius).
Analoge Verhältnisse bestehen bei den A n u r e n (s. E. Kallius), aait dem
Unterschied, daß die specifischen Zungendrüsen erst verhältnismäßig spät,
gegen Ende der Metamorphose, auftreten, wenn das sie tragende präcopulare
Gebiet bereits in die Zunge eingeht. Im Bereich des primitiven Zungen-
abschnittes entstehen erst später bei denjenigen Formen, bei denen er noch
48 E. Göppert,
ain Zungenrücken Verwendung findet (Pelobatiden) flache Einsenkungen
(Krypten), deren Auskleidung mit dem übrigen Mundhöhlenepithel über-
einstimmt.
In der Gruppe der Sauropsiden finden sieh Angaben bisher nur
für Lacerta, eine Form, bei der gerade die Zungendrüsen ganz be-
sonders in den Hintergrund treten, indem sie nur durch kurze krypten-
artige Schläuche dargestellt werden. Ihre Anlagen finden sich in Form
kurzer epithelialer Einsenkungen erst in Stadien, in denen die äußere
Gestalt der Zunge und ihre Muskulatur bereits im wesentlichen fertig
ist. Sie lassen nur die Enden der Zungenspitzen und ein dreieckiges
Feld am Hinterrand der Zunge frei (E. Kallius).
Bei den Säugetieren bestehen zeitliche und örtliche Verschieden-
heiten im Auftreten der beiden hier vorkommenden Drüsenarten, der
serösen und Schleimdrüsen1). Die letzteren entstehen gleichzeitig mit
den übrigen kleinen Drüsen der Mundhöhle (erheblich später als die
großen Speicheldrüsen) als solide Epithelwucherungen. Nach Kölliker
treten sie beim menschlichen Embryo im 4. Monat des embryonalen
Lebens auf und bilden nach M. B. Schmidt in der Mitte des 5. Monats
an den hinteren Zungenpartien bereits eine zusammenhängende, zwischen
die obersten Muskelbündel eingelagerte Schicht. Die Entwickelung
der serösen Drüsen erfolgt etwas später als die der Schleimdrüsen
(A. Oppel [1900] fand sie bei einem Beutelfoetus von Dasyurus
hallucatus gerade in der 1. Anlage, während die Schleimdrüsen an-
nähernd den Bereich einnahmen, den sie auch später ausfüllen). Ferner
sind sie, wie oben dargestellt, auf das innigste mit der Entstehung der
Papulae circumvallatae und foliatae verknüpft (Fig. 45 Ser.D.).
Ueber die Entwickelung der Balgdrüsen der Zungen wurzel s. u.
Sie treten nach A. Kölliker beim menschlichen Embryo am Schluß des
3. Monats auf.
Die Entwickelung der Skelett eile der Zunge kann hier nur
kurz besprochen werden, da sie zum Teil wenigstens bei der Dar-
stellung der Entwickelung des Hyo-branchialapparates geschildert wird.
Nur die für uns wichtigsten Punkte können an dieser Stelle hervor-
gehoben werden.
In der primitiven Zunge der Larven der Amphibien liegt der
vorderste Teil des Hyo-branchialapparates eingeschlossen. Mit der
weiteren Entwickelung der Zunge, ihrer Abhebung von dem Boden der
Mundhöhle und der mit der Metamorphose einsetzenden Umgestaltung
des visceralen Bogensystems, befreit sich die Zunge von den Skelett-
teilen. Von einem Binnenskelett der Zunge kann man bei den höheren
Amphibien nicht mehr sprechen.
Bei den Salamandrinenlarven findet sich in der Zunge die
Hyoidcopula samt den sich ihr anfügenden Teilen des Zungenbein- und
des 1. und 2. Kiemenbogen (3. und 4. Visceralbogen). Bei der Meta-
morphose löst sich vielfach der Verband des Hyo-branchialapparates.
Für die Zunge bleiben bei Salamandra maculosa außer der Copula
noch 2 Paare, sogenannte Processus hyoidei (anteriores und posteriores)
von Bedeutung, die von der Dorsalseite der Copula entspringen und.
lateralwärts in die Zunge eindringend, hier den einzelnen Bündeln des
Genio-glossus Insertionsstelle bieten. Die vorderen Processus hyoidei
1) Ueber die Drüsen der Zunge siehe vor allem A. Oppel.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 49
sind die stark reduzierten Hypohyalia, die ihre Verbindung mit den
Keratohyalia verloren haben. Die hinteren Processus hyoidei sind Knorpel-
stücke, die bei älteren Larven je in der Mitte zwischen Hypohyale und
dem gleichfalls bei der Metamorphose bestehen
bleibenden Hypobranchiale des 1. Kiemen- b c
bogens ganz selbständig auftreten. Ihre
Deutung scheint noch zweifelhaft (E. Kal-
lius). Auch bei Triton bleibt das Hypo-
hyale, allerdings in sehr reduzierter Form,
erhalten (Fig. 46 c). Ebenso besteht jederseits
ein dem Processus hyoideus posterior von Cop. a Cer.
Salamandra homologes Stück, das in die Yig. 46. Triton. Er-
Zunge einragt a. Es befestigt sich mit einer wachsen. Vorderer Teil des
ventralen "Wurzel an der Copula etwas aboral Zungenbeinapparates. Sche-
von ihrem vorderen Ende, mit einer dorsalen ™atisch nach E Kalmus.
__XT , . ,. , . ,. , . (. Cop. Copula. Cer. Ceratonvale.
Wurzel an einem medianen, dorsal dicht aui c< Rest der Hypohyale. "a b
dem Vorderende der Copula lagernden dünnen siehe Text.
Knorpelstab b (E. Kalmus). Es scheint nicht
ausgeschlossen, daß in letzterem Spuren eines Entoglossale vorliegen, wie
es bei Fischen besteht und die Bildung des sogenannten Processus hyo-
ideus posterior mit diesem in Verbindung zu bringen ist.
Bei den A n u r e n larven beherbergt die primitive Zunge die Hyoid-
bogen samt dem sie median verbindenden Knorpelgewebe (Pars reuniens
G-aupp). Vor ihm liegt noch ein ganz isoliertes Knorpelstück (bei Alytes
gut entwickelt, bei Rana ganz rudimentär), das von seinem Entdecker
E. Gaupp (1894) als Copula des Hyoidbogens gedeutet wurde, in welchem
man wohl aber ein Homologon des Entoglossale (Glossohyale) der Fische
sehen kann. Es geht im späteren Larvenleben spurlos zu Grunde. Auch
bei den Gy mn ophionenlarven (Ichthyophis P. u. F. Sarasin)
besteht ein gut ausgebildetes Entoglossale, das bei der Metamorphose
schwindet.
In der Zunge der Amnioten treffen wir in weiter Verbreitung
ein Binnenskelett. Die Entwickelung des Processus e n t o g 1 o s s u s
des Zungenbeins der Reptilien ist für Lacerta durch Kallius
untersucht. Er entstellt in Kontinuität mit der Zungenbeincopula.
Anfänglich (bei 6 mm langen Embryonen) liegt er dicht unter der
Oberfläche der noch wenig hervorragenden Zungenanlage, eingebettet in
einen median vorspringenden schmalen Wulst. Bei der weiteren Ausbildung
(Entwickelung der Muskulatur) und dem Dorsalwachstum der Zunge bleibt
er im gleichen Niveau liegen, so daß er schließlich in den ventralsten
Teilen der Zunge lagert. Im Laufe der Entwickelung macht sich noch
eine Verlagerung der Zunge samt dem ihr angeschlossenen Kehlkopfeingang
gegen das Zungenbein in der Richtung nach vorn bemerkbar. Während
der hinterste Teil der Zunge anfangs gerade über der Copula lagert und
der Processus entoglossus in seiner ganzen Ausdehnung der Zunge ein-
gelagert ist, liegt später der hintere Zungenrand und der Aditus laryngis
ein ganzes Stück vor der Copula und der Processus entoglossus gehört
nur mit seiner vorderen Hälfte der Zunge selbst an.
Es besteht die Möglichkeit, daß im Processus entoglossus der
Reptilien ein Glossohyale enthalten ist, dessen Spuren wir ja auch bei
Amphibien verbreitet trafen. Eine andere Genese nimmt das
Zungenskelett der Vögel. Wie aus der Darstellung W. K. Parker's
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 4
50 E. GÖPPERT.
hervorgeht, entwickelt sich das sogenannte Os entoglossum der Vögel
aus den vielleicht mit dem Glosso-hyale verschmelzenden l) Resten der
Zungenbeinbogen.
Der Zunge vieler Säugetiere gehört ein stabartiges Stütz-
organ an, das als L)rssa bezeichnet wird (Carnivoren, Edentaten, In-
sectivoren, Schwein) und von sehr verschiedenem Aufbau ist.
Es handelt sich bei der Lyssa um einen durch Bindegewebe abge-
grenzten Strang, dessen Inneres Fettgewebe, Muskelfasern, Bindegewebe
und in manchen Fällen Knorpelstücke bilden : die verschiedenen Gewebs-
arten finden sich dabei in verschiedener Kombination. Mit diesen
Bildungen gehört das rudimentäre Knorpelskelett der Unterzunge von
Stenops und Tarsius zusammen. Als Rest eines solchen ist auch
der Fettkern in der Unterzunge von Petaurus (nach Oppel) hierher
zu rechnen. Ausgangspunkt aller dieser Bildungen ist nach Nusbaum
und Markowski ein Glossohyale, als dessen Abkömmling von Gegenbaur
schon der Knorpel der Unterzunge der Prosimiern gedeutet wurde.
Von entwickelungsgeschichtlichen Ergebnissen, die hier in Betracht
kommen, ist anzuführen, daß die Lyssa der Hunde nach Nusbaum
und Markowski sich an der Ventralseite der Zunge im Bereich eines
Rudimentes einer Unterzunge anlegt. Ferner fanden die genannten
Autoren Reste eines Zungenknorpels auch beim Menschen. In fast
einem Drittel der untersuchten älteren, 8 — 9-monatlichen Embryonen
und Neugeborenen lag unter dem Septum, stellenweise mit ihm durch
Bindegewebsstränge in Verbindung, ein länglich-ovales Knorpelstück,
das in anderen Fällen durch eine von Bindegewebe abgeschlossene
Fettgewebsmenge vertreten war; noch häufiger fand sich am aboralen
Ende des Septums, dicht am Zungenbeinkörper, ein Knorpelstück, das
in einem Falle (7-monatl. Embryo) mit dem ersteren in Kontinuität
stand.
Die Entwicklungsgeschichte scheint auch dafür zu sprechen, daß
das Septum der Säugetierzunge mit der Bindegewebshülle der Lyssa
in genetischer Beziehung steht. Wo, wie beim Hund, beide getrennt
sind, besteht embryonaler Zusammenhang.
Ueberschauen wir noch einmal rasch die Vorgänge der Zungen-
entwickelung, so ergiebt sich zunächst, daß von den landlebenden
Amphibien an allen höheren Wirbeltieren gemeinsam ist, daß ihre
Zunge sich aus zwei Abschnitten, offenbar verschiedenen phylogenetischen
Alters, aufbaut. Ein hinterer Teil entspricht der Fischzunge ; ihm liegt
der vordere mediane Abschnitt des Hyobranchialskeletts zu Grunde
(copularer Teil). Der vordere Teil ist eine Bildung des vor der primi-
tiven Zunge gelegenen Bezirks des Mundhöhlenbodens, der sich der
ersteren in immer größerer Ausdehnung anschließt (präcopularer Teil).
Bei den Amphibien (Salamandrinen und Anuren) kommt
das verschiedene Alter beider Teile noch deutlich in verschiedenzeitlicher
Entwickelung zum Ausdruck. Bei den Amnioten ist das nicht mehr
der Fall. Der präcopulare Teil zeichnet sich bei letzteren durch
seine Mächtigkeit aus, indem er sich weit auf die Innenfläche des Kiefer-
bogens vorschiebt (Tuberculum impar. samt seitlichen Zungenwülsten),
ein Vorgang, der bei den Amphibienlarven von vornherein ausge-
schlossen ist.
1) Nach C. Gegenbaur. Vgl. Anat. 1898, p. 448.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 51
Die Einbeziehuno; o-rößerer Teile des Mundbodens in die Zunge hat
das Eintreten eines neuen Nerven, des Trigeminus, in ihr Bereich zur
Eolge, der bei den Amphibien mit der Zunge noch nichts zu thun
hat. Bei diesen ist der Glossopharyngeus der einzige sensible und
secretorische Zungennerv, obwohl man nach der Art der Entstehung der
Zunge auch an eine Beteiligung des Facialis denken könnte. Auf der
anderen Seite fällt auf, daß, während bei Lacerta, abgesehen vom
Hypoglossus , der Glossophaiyngeus , Facialis und Trigeminus in die
Zunge eintreten, die letzteren beiden Nerven den Krokodilen und
Vögeln fehlen (vergl. E. Gaupp 1888).
Da die Amphibien zunge während ihrer Entwickelung dauernd in
Gebrauch steht, so tritt hier die Bedeutung ihrer Bestandteile für den
[Fortschritt in der Ausbildung des Organs klarer hervor, als das bei den
Amnioten der Fall sein kann. Der erste Anstoß zur Bildung eines
präcopularen Teiles der Zunge geht, wie es die Zungenentwickelung bei
den S alamandrinen lehrt, von den Drüsen aus, die vor dem Bereich
der primitiven Zunge entstehen. Im Dienste der Sekretentleerung dieser
Drüsen entsteht als Abzweigung des Geniolryoideus der Genioglossus.
Dieses Drüsenfeld vereinigt sich bei weiterer Erhebung mit der primi-
tiven Zunge, an deren Bewegungen es schon vorher Anteil nehmen
mußte, und führt der Zunge damit gleichzeitig seinen Muskel zu, der
nun für das ganze Organ Bedeutung gewinnt. Es war C. Gegenbaur
(1894), der die Bedeutung der Drüsen zuerst erkannte, und auch E. Kal-
mus, der die thatsächlichen Angaben Gegenbaur's in wichtigen Punkten
korrigieren mußte, konnte die Richtigkeit des Gedankens bestätigen.
Die Auflösung des Hyoidkomplexes bei der Metamorphose läßt Teile des
Sternohyoideus frei werden und ermöglicht die Ausbildung des Hyo-
glossus (Gegenbaur).
Schon bei den Anuren verschieben sich die Verhältnisse ersicht-
lich in Zusammenhang mit der Zunahme der Bedeutung der Zungen-
muskulatur, die nun auch entwickelungsgeschichtlich in den Vordergrund
gerückt wird. Der Genioglossus entsteht schon vor dem Auftreten der
Drüsen als wesentlicher Bestandteil des präcopularen Feldes, der Hyo-
glossus schon vor dem Einsetzen der Metamorphose.
Ganz anders liegen die Dinge bei den Amnioten. Die äußere
Form der Zunge ist bereits in den wesentlichsten Zügen fertig gestellt,
ehe die Muskel- und Drüsenentwickelung einsetzt. Der Raum , den
Muskeln und Drüsen einnehmen sollen, ist vorbereitet, ehe die geweb-
liche Differenzierung des Embryos die Sonderung von Drüsen und
Muskeln möglich macht. Die die phylogenetische Entwickelung der
Zunge wesentlich beherrschenden Teile treten ontogenetisch als sekundäre
Einlagerung eines vorgebildeten Zungenwulstes auf, eine hochgradig cäno-
genetisch veränderte Entwickelungsweise.
Während die Bedeutung, welche Skeletteile, Drüsen und Muskeln
für die Ausbildung der Zunge besessen haben, in der Entwickelungs-
geschichte wenigstens stellenweise zum Ausdruck kommt, scheint ein
anderer, die äußere Gestalt der Zunge beherrschender Faktor onto-
genetisch nicht erkennbar zu werden oder ist noch nicht erkannt worden.
Bei allen S a u r o p s i d e n , deren Gaumen noch nicht abgeschlossen ist,
dient die Zunge als Ergänzung des unvollständigen Bodens der sekun-
dären Nasenhöhle und findet sich in oft überraschender Weise den
Gaumen anfangen in ihrer Gestaltung angepaßt. Es scheint nicht un-
möglich, daß auch in der Entwickelung eine gewisse Parallele zwischen
4*
52 E. Göppert,
den Bildungen des Daches und des Bodens der Mundhöhle erkennbar
wird. (Vergi. E. Göppert, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des
Kehlkopfes und seiner Umgebung. In : Semon, Zoolog. Forschungsreisen.
III. Jenaische Denkschriften. VI. 1901.) Auf die Thatsache, daß bei den
Säugern vor der Bildung des sekundären Gaumens die Zunge bis zum
Dach der primitiven Mundhöhle emporragt, sei hier noch kurz kinge-
wiesen (s. Fig. 49).
Es wird sich jetzt noch fragen, ob die Entwickelungsgeschichte der
Säugetie r zunge, die schwierigste Frage ihrer Morphologie, die der
sog. Unter zunge fördert. Gegenbaur brachte zuerst die hierher ge-
hörigen Dinge bei Marsupialiern, Prosimiern, Anthropoiden
und Mensch miteinander in Zusammenhang und trennte sie von anderen
Faltungen des Mundbodens. Bei Prosimiern stellt sich die Unter-
zunge wie eine zweite Zunge dar mit frei vorragender Spitze und starker
Verhornung ihres Epithelüberzuges, die Marsupialier zeigen sie in
ganzer Ausdehnung der Unterfläche der Muskelzunge angeschlossen, als
ein scharf abgegrenztes, vorspringendes Feld mit oft erheblicher Ver-
hornung des Epithels. Endlich wird sie bei Anthropoiden und
Mensch nur noch in Resten als ein von den Plicae fimbriatae begrenztes
dreiseitiges Feld angetroffen.
Gegenbaur deutet diese Befunde derart, daß er den ursprünglichen
Zustand der Unterzunge bei den Prosimiern erblickt. Die größere
Freiheit der Unterzunge ist bei den Marsupialiern aufgegeben, in-
dem sie hier in die Muskelzunge aufgeht. Die Möglichkeit hierzu bot
die Rückbildung des bei einzelnen Prosimiern noch erhaltenen Skelett-
stabes (s. o. p. 50) und die geringe Ausbildung der Verhornung, das Ende
des Prozesses zeigen die Anthropoiden und der Mensch. Gegen-
baur meint nun, daß in der Unterzunge der Rest einer alten Zunge vor-
liegt und daß aus deren hinterem Teil die Muskelzunge der Säuger ihren
Ursprung nahm.
Man wird zugeben müssen, daß, wie Gegenbaur übrigens selbst sehr
wohl wußte, die Entwickelungsgeschichte einer Entstehung der Muskel-
zunge aus dem hinteren Teil einer einfacheren Zunge nicht das Wort
redet. Es scheint aber, als ob gerade auf diesen speciellen Punkt der
GEGENBAUR'schen Ableitung nicht das Hauptgewicht gelegt werden darf
und doch der Grundgedanke, daß in der Begrenzung der Unterzunge die
Ränder einer früheren Zungenbildung erhalten sind, zu Recht bestehen
kann. Ob wirklich die Selbständigkeit der Unterzunge der Prosi-
mier einen ursprünglicheren Zustand darstellt, als ihr Anschluß an
die Muskelzunge, müßte erst die Untersuchung ihrer Entwickelung ent-
scheiden.
Eine andere Auffassung der Unterzunge vertritt A. Oppel. Er
glaubt, daß die Zunge niederer Formen in ganzer Ausdehnung ohne Rest
in die Muskelzunge überging. Während nun bei der Mehrzahl der
Ordnungen das Skeletstück der Zunge in die Muskelzunge aufgenommen
wurde und hier entsprechende Veränderungen erfuhr (Lyssa) oder ganz
schwand, wurde in anderen Fällen die Zunge von dem ihren Bewegungen
hinderlichen Skelett befreit, indem dasselbe samt seiner Umgebung an
der Unterfläche der Zunge abgetrennt wurde. Dieser abgegrenzte Teil
bildet die Unterzunge. Trat inzwischen eine Rückbildung des Knorpels
ein, so stockte diese Abgrenzung und blieb, wie bei den Marsupialiern,
in mäßigem Grade bestehen, erhielt sich das Skelett länger, so erfolgte
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 53
sie, wie bei den Prosimie r n , in ausgiebiger Weise. Die Unterzunge
ist also eine Erwerbung einzelner Ordnungen der Säugetiere.
Hierzu ist zu bemerken, daß die Emanzipierung der Muskelzunge
von dem primitiven Skelettteil jedenfalls die Einleitung der Abtrennung
der Unterzunge nicht verständlich macht, denn erst nach erheblichem
Fortschreiten des Prozesses konnte jenes Ergebnis zustande kommen,
der erste Beginn aber konnte nicht die geringste Bedeutung in dieser
Pachtung haben. Allerdings könnte der noch zu erbringende Nachweis,
daß die Unterzunge ontogenetisch später auftritt als die Hauptmasse der
Zunge, für den sekundären Charakter der ersteren in Anspruch ge-
nommen werden, wenn nicht, wie Gtegenbaur bereits betont, hier nur
eine Verschiebung im zeitlichen Auftreten vorliegt.
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b) Drüsen der Mundhöhle.
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Hier mündet jederseits am Boden der Mundhöhle etwas nach außen
und ventral vom seitlichen Zungenlappen der Ausführungsgang einer
Drüse, deren Körper weiter caudal in der Masse des Musciüus basilaris
eingebettet lagert (G. Born 1828, P. Fürbringeu 1875, A. Schneider
1879). Die Drüse entsteht nach C. C. Känsche (1890) bald nach
Beginn der Metamorphose des Ammocoetes als solide Epitheleinsenkuug
zur Seite der Basis des medianen Tentakels und erlangt ihre definitive
Größe noch vor der Differenzierung des neuen Skelettes und der Muskeln
der Zunge.
Die Entwickekmg des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 55
Das Auftreten von Drüsen bei den Amphibien1) steht in un-
mittelbarem Zusammenhang mit dem Uebergang zur terrestrischen
Lebensweise, wie wir schon bei den Zungendrüsen sahen 2).
Abgesehen von den Zungendrüsen ist Salamandrinen und
Anuren eine Glandula intermaxillaris (s. internasalis) gemeinsam, die
am vordersten Teil des Mundhöhlendaches mündet, bei den Salaman-
drinen mit der Hauptmasse ihre Schläuche im Cavum internasale lagert
oder sich von hier mehr oder weniger weit über das Schädeldach aus-
breitet, bei den Anuren im wesentlichen vor der knorpeligen Nasen-
kapsel liegt. Den Anuren kommt außerdem eine den Hinterrand der
Choanen einnehmende sogenannte Rachendrüse zu (G. Born). Viel ansehn-
licher sind die Mundhöhlendrüsen der Gy mno phi onen entfaltet, denen
übrigens eine Intermaxillardrüse fehlt. Modifizierte Hautdrüsen begleiten
als Lippendrüsen im engen Anschluß an die Zähne die Außenseite der
Zahnreihe des Ober- und Unterkiefers. Zwischen den oberen und unteren
beiden Zahnreihen, sowie an der Innenseite der inneren Reihe lagert eine
dichte Masse von Drüsen. Eine Gruppe sogenannter Choanendrüsen
nimmt die Außenwand der Choane ein.
Gl.inferm.
Ueber die Entwicklung der Munddrüsen der Gymnophionen
ist noch nichts bekannt; für Salamandrinen und Anuren wissen
wir, daß sie in den letzten Zeiten des Larvenlebens als Gruppen an-
fänglich solider Epitheleinsenkungen entstehen. Die eigentlichen
Z u n g e n d r ü s e n legen sich in dem Gebiet zwischen der primitiven
Zunge und dem Unterkiefer an (Fig. 39) und werden erst im Laufe
der Entwickelung in die Zunge aufgenommen (s. o.). Die Glandula
intermaxillaris (internasalis) der Salamandrinen tritt am
vordersten Teile des Mundhöhlendaches als ein dicker, solider Epithel-
zapfen auf, der, median gelagert,
in das Bindegewebe des Cavum
internasale eindringt (Fig. 47 Gl.
interm.) und hier später mehrere
Drüsenschläuche hervorsprossen
läßt. Der Epithelzapfen selbst bildet
nach Herstellung eines Lumens
den die Drüsenschläuche in seinem
Grunde aufnehmenden Vorraum der
Intermaxillardrüse (Triton alpestris).
Bei den Anuren entstehen die
Drüsenschläuche der Glandula inter-
maxillaris unmittelbar vom Epithel
des Munddaches aus. Die Rachen-
d r ü s e findet sich bei älteren Kaul-
quappen jederseits als eine den
Hinterrand der Choane umgürtende
Gruppe kurzer Schläuche.
Im Reichtum des Drüsenapparates der Mundhöhle schließt sich
die Mehrzahl der Reptilien an die Gymnophionen an, und nur
dort, wo eine aquatile Lebensweise eine Anfeuchtung der Mundhöhle
Fig. 47. Triton
Larven von 3 cm Länge,
durch den vorderen Teil
Gl.interm. Anlage der
rnaxillaris (internasalis]
alpestris.
Querschnitt
des Kopfes.
Glandula inter-
R. Nasenhöhle.
1) Ueber die Mundhöhlendrüsen der Amphibien siehe A. Oppel, ferner
E. Wiedersheim, P. Eeichel, E. Gatjpp, P. u. F. Sarasin.
2) Spuren von Mundhöhlendrüsen besitzt Siredon ; eine gut entwickelte Glandula
intermaxillaris Siren lacertina.
56
E. GÖPPERT,
vor
entbehrlich macht, ist ihre Ausbildung beschränkt. Letzteres trifft
allem die Hydrosaurier, aber auch die Seeschildkröten.
Im allgemeinen (s. Fig. 48) unterscheidet man als Mundranddrüsen
Glandulae labiales superiores und inferiores an der Außenseite der Zahn-
reihe. Die vordersten Teile der ersteren Gruppe bilden bei 8 ch langen .
aber auch einzelnen 8 auriern die Schnauzendrüse (prämaxillare Drüse),
die hinterste Oberlippendrüse, auch bei giftlosen Schlangen durch be-
sonderes Epithel ausgezeichnet, wird zur Giftdrüse. Außer den Krokodilen
fehlen die Lippendrüsen den Schildkröten im Zusammenhang mit der
Umgestaltung der Mundränder. In fast allgemeiner Verbreitung bestehen
Glandulae linguales und sublinguales als eng zusammengehörige Gruppen.
Ferner Glandulae palatinae, die meist entsprechend der Gestaltung des
Munddaches als mediane und laterale Gruppen auftreten x).
Unsere Kenntnis von der Entwicklung der Mundhöhlendrüsen
der Reptilien beruht vor allem auf den Angaben P. Reichei/s
über T r o p i d o n o t u s n a t r i x. Am frühesten treten die Glandulae
la'biales inferiores auf (Embryo von (3,4 cm Länge), etwas später
die superiores. Es handelt sich um solide Epithelzapfen, die an der
Außenseite der Zahnleiste oder an deren Verbindung mit dem Mund-
höhlenepithel in größerer
Zahl entstehen und in
die Tiefe wachsen. Die
Anlagen der Oberlippen -
drüsen sind anfänglich
alle gleichartig, erst
später macht sich an der
vordersten Anlage und
ebenso an einer der
letzten, welche stets mit
der Zahnleiste in un-
mittelbarer Verbindung
steht, stärkeres Wachs-
tum bemerkbar. Die
erstere, dicht neben dem
Eizahn gelegen , ent-
wickelt sich zur Schnau-
zendrüse, die letztere zu
dem der Giftdrüse homo-
}.GI.pal.
,01. lab.
tnf.
logen, durch
gelbliche
Färbung ausgezeichneten
Teil der Drüsengruppe.
Wie H. Martin zeigte,
entsteht auch die eigent-
liche Giftdrüse in un-
mittelbarer Verbindung
mit der Anlage des Gift-
zahnes.
Erst nach den Lippendrüsen, bei 7 cm langen Embryonen legen
sich die Glandulae sublinguales als eine Reihe seitlich von der
Medianebene ausgehender Epitheleinsenkungen an. Schon
Fig. 48. Anguisfragilis. Aelterer Embryo.
< hierschnitt durch den Vorderkopf. Gl.pal. Anlagen
der Glandulae palatinae auf dem Mittelfeld des
Gaumens. Gl.lab.inf. Anlagen der Unterlippendrüsen.
Gl.subl. Glandulae sublinguales. R. Nasenhöhle.
frühzeitig
1 ) Ueber die Drüsen der Reptilien und die hierhergehörige Litteratur siehe
A. Oppel, P. Reichel, E. Gaupp, F. Leydig.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 57
sondern sich jederseits die vordersten Anlagen von den übrigen, indem
sie gemeinsam, innig zusammengeschlossen, in aboraler Richtung aus-
wachsen und zu dem großen, scharf begrenzten Drüsenkörper werden,
den man nach den Ort seiner Mündung als vordere Sublingual-
d r ü s e unterscheidet. An ihn legen sich quergestreifte Muskelfasern
dicht an, die einen Protractor und Compressor der Drüse hervorgehen
lassen. Die übrigen Anlagen der Sublingualdrüsen, die in bilateraler
Anordnung an dem dem Mundhöhlenboden entsprechenden Boden der
Zungenscheide entspringen, schließen sich zu einem median gelegenen
Drüsenkörper zusammen, zur hinteren Sublin gualdrüse, die
ihrer Entstehung entsprechend mit einer größeren Zahl von Ausführ-
gängen mündet.
Auch bei Lacerta ist nach E. Kallius bald nach dem Auftreten
der sublingualen Drüsenanlagen ihre Trennung in eine vordere und
hintere Gruppe erkennbar (vergl. A. Oppel). Dieser Sonderung ent-
spricht hier, wie bei den Schlangen, eine scharf ausgesprochene
histologische Differenzierung, indem die vordere Sublingualdrüse den
Charakter der serösen, die hintere den der Schleimdrüsen aufweist.
Ueber die Entstehung der Glandulae palatinae ist nichts
besonderes zu bemerken; wie Fig. 48 von Anguis fragilis zeigt,
entstehen sie aus einer großen Zahl von Epitheleinsenkungen. Ueber
die Glandulae linguales s. o.
Von den Mundhöhlendrüsen sind die Glandulae labiales mit Be-
stimmtheit ektodermalen Ursprungs. Ihre Vertreter bei den Gymn-
ophionen zeigen ihrem ganzen Verhalten nach ihre Herkunft von
Hautdrüsen an (P. und F. Sarasin). Auch die Hautdrüsen der Kiefer-
ränder bei einzelnen Urodelen sind nach P. Reichel schon durch
gewisse Besonderheiten ihres Epithels von den übrigen Drüsen des In-
teguments ausgezeichnet. Die bei Amphibien bekannte Giftigkeit des
Sekretes der Hautdrüsen läßt in der Eigenschaft der Giftdrüse der
Schlangen und der gleichen Beschaffenheit einer wohl aus Unterlippen-
drüsen hervorgegangenen Giftdrüse eines Sauriers, H e 1 o d e r m a h o r -
r i d u m , keine absolut neuen Erwerbungen erkennen.
In ganz charakteristischer Weise weicht der Munddrüsenappara
der Vögel von dem der Reptilien ab, wenn auch in wesentlichen
Zügen Uebereinstimmung herrscht 1).
Den Vögeln fehlen begreiflicherweise die Mundranddrüsen im
Bereich des Ober- und Unterschnabels. In ihre Gruppe gehört aber
wohl die sog. Mundwinkeldrüse (früher vielfach als Parotis bezeichnet),
die, wie ihr Name sagt, an der Kieferkommissur mündet. Sie bildet
eine Besonderheit der Vögel. Glandulae palatinae sind in mehrfachen
Gruppen ausgebildet. Die Drüsen des Mundbodens vertreten Glandulae
linguales und jederseits, vielfach zwei Gruppen bildend, Glandulae sub-
linguales (s. submaxillares). Die hintere dieser Gruppen liegt bereits im
Gebiet des Glossopharvngeus, während die Gl. subungualis post. der
Saurier und Ophidier noch dem des Trigeminus III und Facialis
angehört ('E. Gaupp).
xov
Nach P. Reichel beginnt die Entwickelung der Drüsen beim
Hühnerembryo am 8. Bebrütungstage. Wie immer, bestehen die An-
1) Ueber die Munddrüsen der Vögel s. E. Gaupp, P. Reichel, E. Giacomini,
A. Oppel.
58 E. Göppert,
lagen aus soliden Epitheleinsenkungen, die frühzeitig ein Lumen er-
halten. Die Anlagen der Glandulae sublinguales (submaxillares),
neben der Medianebene dicht hinter dem Schnabelwinkel und weiter
rückwärts zur Seite der Zunge, lassen anfänglich eine Trennung in
gesonderte Gruppen nicht erkennen. Die lateral von der Zunge
gelegenen Anlagen stehen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den
Glandulae linguales, die von den Seitenflächen der Zunge aus-
gehen. Am Mundwinkel entsteht als einzelne Anlage die Mund-
winkeldrüse in der auch später von ihr eingenommenen Lagerung,
so daß die Entwicklungsgeschichte keine Instanz für ihre Beurteilung
liefert (s. das oben Bemerkte). Gleich in einzelnen Gruppen , die
dem fertigen Zustand entsprechen, entwickeln sich die Glandulae
palatinae.
Auf höchster Entwicklungsstufe stehen die Mundhöhlendrüsen bei
den Säugern, bei denen die aufgenommene Nahrung am ausgiebigsten
innerhalb der Mundhöhle verarbeitet wird. Das Fehlen aller Speichel-
drüsen bei den Barten- und Zahnwalen, einzelner der großen
Speicheldrüsen bei Pinnip ediern und Sirenen ist mit der Lebens-
weise im Wasser in Zusammenhang zu bringen und als Rückbildung
zu deuten.
Im allgemeinen sind einzelne Drüsen innerhalb bestimmter Drüsen-
gruppen zu besonders mächtiger Ausbildung gelangt und haben sich
dabei unter starker Verlängerung des Ausführganges weit von ihrem
Mutterboden entfernt. Neben ihnen bestehen die Gruppen kleinerer
Drüsen, denen sie entstammen, weiter. Zwei Formen secernierender
Elemente sind entweder in der gleichen Drüse oder auf verschiedene
Drüsen verteilt zu unterscheiden. Man trennt seröse und mucipare
Drüsen und Mischformen zwischen beiden, wobei dieselbe Drüse bei ver-
schiedenen Formen verschiedenen Aufbau besitzen kann. Eine verwandte
Differenzierung trafen wir bereits bei den Sauropsiden.
Die Gruppierung der Drüsen ist die gleiche geblieben wie bei den
niederen Formen. Nach außen von den Kieferrändern liegen Glandulae
labiales superiores und inferiores, dazu kommen Gl. buccales (molares)
und Parotis. Größere Ausbildungen von Buccaldrüsen führen bei be-
stimmten Formen zur Bildung einer Glandula orbitalis (infraorbitalis).
Munddachdrüsen werden durch Glandulae palatinae namentlich am weichen,
spärlich am harten Gaumen vertreten. Zu den Drüsen des Mundbodens
gehören Glandulae linguales (s. o.) und die sublinguale Gruppe (vergl.
Banvier und Zumstein), welche aus der Glandula submaxillaris und der
aus meist einer großen und einer Beihe kleinerer Drüsen sich auf-
bauenden Gl. subungualis besteht. Die große Sublingualdrüse wird als
Glandula retrolingualis (Banvier) bezeichnet. Ihr Ausführgang ist der
Ductus Bartholini (D. subungualis major) , die Ausführungsgänge der
kleinen Sublingualdrüsen (Gl. alveolo-linguales) sind die Ductus Rivini
(D. subl. minores).
In der Entwickelung1) gehen die drei großen Speicheldrüsen den
kleinen voran, ein Umstand, der ausschließlich auf den Umfang der
Organe zu beziehen ist. Am frühesten zeigt sich die Anlage der
Gl. submaxillaris (Schwein 21 mm [Chievitz], 14-tägiger Embryo
vom Kaninchen [Kölliker, Entwicklungsgeschichte], 6-wöchentlicher
1) Vor allem nach J. H. Chievitz, einzelnes nach P. Reichel und A. Köl-
liker, W. His, J. Aug. Hammar.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 50
Embryo vom Mensch [Chievitz]). Ihr folgt die Gl. subungualis
(die Drüse des Ductus Bartholini) und annähernd gleichzeitig die
Parotis (Schwein 22 mm, 8-wöchentlicher Embryo vom Mensch).
Anders lauten die Angaben Hammar's für den menschlichen Embryo.
Nach ihm beginnt die Entwickeluug der Parotis am Ende des ersten
Monats, die der Submaxillaris in der 6., der Subungualis in der
9. Woche.
Die Anlage der Submaxillaris bildet eine leistenartige, in das
Bindegewebe einspringende Verdickung des Epithels, zur Seite der
Zungenwurzel, ein Stück hinter dem Frenulum linguae, also entfernt
von dem späteren Ort der Mündung. Von dem „Epithelkamm"
wächst in aboraler Richtung nach dem Ort des späteren Drüsen-
Fig. 49. M u s raus c u 1 u s.
Aelterer Embryo. Querschnitt
durch die Mundhöhle in der
Gegend der Anlagen der Gl.
submax. und Gl. sublinguales.
Die Schnittrichtung ist etwas
schief, so daß die linke Seite
des Schnittes etwas hinter das
Niveau der rechten fällt. Gl.
subm. Gl. submaxillaris. Gl.
subl. Anlage des Gl. subun-
gualis (retrolingualis). L.
Zunge. Pal. Gaumenanlage.
Jf. Tjnterkieferknorpel. JY. ling.
Nervus lingualis.
OLsubl. -
-Pal.
Gl.subm.
Gl.subm.-"
N.ling.
SM.
Verbindung der Drüsenanlage
nähert sich immer mehr dem
Folge dieser Verschiebung ist,
zu
Zunge.
und
Die
nun
der
körpers ein solider Sproß aus. Auf der Außenseite der Submaxillaris-
anlage erhebt sich eine weitere Epithelleiste, die von einem Epithel-
sproß fortgesetzt wird, die Anlage der Subungualis (Schwein). In
anderen Fällen (Maus 9 mm) entsteht die Drüse aus einer von der
Submaxillaris unabhängigen Anlage, diese hinter der ersteren (Chie-
vitz und Reichel, Fig. 49 G.subl.). Die Submaxillaris- und Sub-
lingualisanlage dringt unmittelbar hinter dem Nervus lingualis in die
Tiefe, der, von außen nach innen laufend, im Bogen unter dem Mund-
boden zur Unterseite der Zunge zieht. Weiterhin verlagert sich die
mit dem Epithel nach vorn
bleibenden Ort vor der
daß die Anlage beider Drüsen
über den N. lingualis fortzieht, ihn kreuzt. Die freien Enden
Anlagen beider Drüsen beginnen Seitensprosse zu treiben, sich immer
reichlicher zu verzweigen und damit den Drüsenkörper zu bilden.
Reichliches Bindegewebe umhüllt dieses Verzweigungsgebiet und okku-
piert gewissermaßen den Raum, den die Drüse einnehmen soll (Beginn
der Verzweigung der Submaxillaris beim Schweinembryo von 2,8 cm,
der Subungualis von 3 cm). Die anfangs soliden Anlagen höhlen sich
allmählich an dem Ausführungsgang gegen die Peripherie fortschreitend
aus und münden (bei einem 5 cm langen Embryo vom Schwein) endlich
frei dicht nebeneinander an einer später zu einer Caruncula sub-
ungualis sich erhebenden Stelle neben dem Frenulum linguae. In
diesem Stadium sind auch die kleinen Glandulae sublinguales
(Gl. alveolo-linguales) als eine Reihe anfänglich solider Epithelzapfen
aboral von den Mündungen der beiden größeren Drüsen aufgetreten
(Mensch 10. Woche) (Fig. 50).
60 E. GÖPPERT,
Die Glandula submaxillaris und subungualis (major, retrolingualis)
sind also die vordersten Einzeldrüsen einer sublingualen Drüsengruppe,
die im allgemeinen den Sublingualdrüsen der Sauropsiden entspricht,
während im einzelnen die bei den Säugern zu unterscheidenden Teile
nicht auf bestimmte Sauropsidendrüsen zu beziehen sind.
ul.suW.min. ri Ll . F'f 5a Sch^in" ET"
bryo 5 cm. Darstellung sub-
maxillarer und sublingualer
Drüsen von der lateralen Seite
nach J. H. Chievitz. Bez.
s. Erkl. zu Fig. 49. Gl. sab!.
ülsubm """• Glandulae sublinguales
minores (Gl. alveolo-linguales).
Seitlich von der Zunge bildet die Sublingualdrüsengruppe einen in
die Mundhöhle vorspringenden Wulst (Plica subungualis), an der Stelle
einer schon vor ihrem Auftreten bestehenden leistenartio-en Erhebung: der
Schleimhaut, welche W. His beim menschlichen Embryo schildert und
abbildet. Auf dem Drüsenwulst beschreibt Gegexbaur bei älteren
menschlichen Föten und beim Neugeborenen eine mit zackigen Fortsätzen
besetzte Falte, die nach vorn oft in die Caruncula subungualis aus-
läuft. Sie schwindet bis auf letztere im Kindesalter.
Die Parotis entsteht als solider Sproß in dem Winkel, in
welchem Munddach und Mundboden anfänglich zusammenstoßen, dicht
hinter der Lippenkommissur (Mensch 8. Woche; Schweinembryo von
22 mm). Mit der Ausbildung einer vertikal gestellten Wangenpartie
kommt die Anlage am oberen Wangenkiefer winkel zu liegen. Die
Entwickelung der Drüse (Verästelung und Kanalisation) erfolgt etwa
synchron mit der der Gl. subungualis. Eine andere Darstellung giebt
J. Aug. Hammar (1901). Die Parotisanlage bildet sich nach ihm
bereits in der 4. Woche des embryonalen Lebens als eine rinnen-
förmige Ausbuchtung, die sich dann zu einem Kanal abschließt und
nur vorn mit der Mundhöhle in Kommunikation bleibt. Beim mensch-
lichen Embryo von 10 Wochen besteht die Drüse schon aus einem
langen, bereits kanalisierten Gang, der, über den Masseter laufend,
die Gegend hinter den Unterkiefern erreicht und hier, umhüllt von
verdichtetem embryonalen Bindegewebe, ihre noch solide Verzweigung
beginnt. Ein kleiner Seitensproß auf dem Masseter bildet die Anlage
einer Parotis accessoria. Beim 12-wöchentlichen menschlichen Embryo
hat die Drüse im wesentlichen ihre bleibende Gestalt und Ausdehnung.
Die letzten Verzweigungen besitzen aber noch kein Lumen.
Eine eigentümliche, der Aufklärung bedürftige Abzweigung des
Ductus Stenonianus beschrieb Chievitz bei einem 12-wöchentlichen
menschlichen Embryo. Der Seitenast des Ganges lief an der Innenseite
des Masseter bis in die Gegend des Musculus pterj^goideus internus.
Auch ein 10-wöchentlicher Embryo zeigte eine Spur eines entsprechenden
Kanals.
Die Glandulae labiales und buccales entstehen (beim
Menschen nach Kölliker im 4. Monat) als zapfenförmige Epithel-
einsenkungen nach außen von den Zahnanlagen, derart, daß die Lippen-
drüsen je von einer Reihe Buccaldrüsenanlagen fortgesetzt werden
(P. Reichel). Lippen- und Wangendrüsen gehören also eng zu-
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 61
sammen. Sie entsprechen zweifelsohne den Mundranddriisen der
Gymnophionen und Reptilien und sind wie diese zu beurteilen
(s. o.). Nach dem Ort ihres Auftretens würde man die Glandula
parotis mit Bestimmtheit als eine obere Buccaldrüse bezeichnen. Die
Art ihrer Innervation erweckt aber noch Bedenken, die erst eine er-
neute Untersuchung beseitigen kann (s. E. Gaupp),
Die Gl. palatinae und lingualis (s. o.) treten nach Köl-
liker beim Menschen im 4. Monat des Embryonallebens auf.
Mit ein paar Worten haben wir noch auf die histogenetische Ent-
wickelung der Drüsen einzugehen (Chievitz). Sie findet ihren Abschluß
erst nach der Geburt; beim 5-monatlichen Kinde ist sie noch nicht
vollendet. Die volle Bedeutung der Drüsen tritt ja auch erst mit dem
Beginne der Aufnahme fester Nahrung ein. Die Parotis ist beim
22-wöchentlichen menschlichen Embryo durch weitere Ausbildung inter-
cellulärer Lücken ganz kanalisiert , die größeren Gänge besitzen ein
Epithel mit 2 Kernreihen, die folgenden Kanalstrecken ein kubisches
Epithel mit einfacher Kernreihe, die Alveolen endlich hohes Epithel.
Nach der Geburt vollzieht sich eine weitere Differenzierung der Gang-
systeme. Aus den Gangstrecken mit einreihigem kubischen Epithel gehen
die Schaltstücke hervor, während die Speichelröhren sich aus Teilen der
zweireihigen Kanalstrecken bilden. Das gleiche gilt für die Sub-
maxillaris.
Das Auftreten von Sekret in den Drüsenzellen wird vorbereitet
durch eine Minderung der Färbbarkeit des Zellleibes (C. Falcone).
In den schleimbereitenden Drüsen beginnt die Mucinbildung erst
nach Auftreten des Lumens (in der Glandula subungualis beim 16-wöchent-
lichen menschlichen Eoetus). Beim 81/2 Monate alten menschlichen
Foetus bestehen die Anlagen der GiANuzzi'schen Halbmonde als Gruppen
von dunkleren Zellen, in der Wand der Schläuche, die im übrigen sich
aus schleimhäutigen Zellen aufbauen; sie bildet das blinde Ende des
Schlauches oder seitliche Vorbuckelungen desselben.
Nach Vollendung der Kanalisation der Drüsen erfolgt das weitere
Wachstum, das zu einer Vergrößerung der ganzen Drüse und zur engen
Aneinanderlegung der anfänglich durch reichliches Bindegewebe getrennten
Schläuche führt, nicht mehr, wie anfangs, durch Bildung solider Sprossen,
sondern durch Verlängerung und Verdickung der bereits gebildeten
Kanalstrecken , auch durch Ausbildung seitlicher Ausbuchtungen der
terminalen Abschnitte des Drüsenbaumes.
Anhangsweise seien noch die Talgdrüsen der Mundhöhle des
Menschen erwähnt. Talgdrüsen finden sich nicht nur am roten Lippen-
rande, sondern als häufiges Vorkommnis auch an der Innenseite der
Lippe und an den Wangen in ganzer Ausdehnung. Die Talgdrüsen
des Vestibulum oris entstehen erst in der Pubertätszeit. (Vergl. die
Zusammenstellung von A. Oppel 1900 und 1901).
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c) Lymphatische Apparate der Mundhöhle und des
Pharynx samt Bursa p h a r y n g e a.
Im Anschluß an die Drüsen der Mundhöhle besprechen wir die
Entstehung der lymphatischen Organe der Mundhöhle. Dabei werden
uns naturgemäß vor allem die größeren Einrichtungen dieser Art, die
bei den höheren Formen als Tonsillen bezeichnet werden, beschäftigen.
Den Fischen scheinen lymphatische Organe in oder dicht unter der
Schleimhaut der Mundhöhle zu fehlen. Bei den Amphibien sind
aus L3rmphzellen bestehende Verdickungen bekannt geworden, so bei
Proteus ( A. Oppel), Salamandra maculosa und Kana tem-
poraria (M .Holl) und zwar sowohl am Dach wie am Boden der Mund-
höhle. Der Bereich des Rachendaches hinter der Choane wird bei Saur-
opsiden ein bevorzugter Sitz adenoiden Gewebes, dessen Anhäufung als
Rachentonsille zu bezeichnen ist. Bei vielen Reptilien wird das Be-
stehen einer solchen noch in Abrede gestellt, gefunden wurde sie bei
Lacerta (M. Holl) und als stark entwickelte, durch Lymphzellen in-
filtrierte Palten beim Krokodil, zu beiden Seiten der gemeinsamen
Mündung der Tube (G. Killian). Auch bei Vögeln ist vielfach
die Umgebung des Infundibulum tubarum und vor allem die Wand des
letzteren selbst lymphatisch infiltriert und beherbergt oft Follikel
(Gr. Killian). Alle diese Bildungen lassen sich an Wichtigkeit nicht mit
den lymphatischen Organen der Säugetiere vergleichen. Abgesehen von
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. G.'>
Follikeln, wie sie am Gaumen, auf der Zunge sich finden, bestehen
größere lymphatische Anhäufungen am Boden der Mundhöhle, am Zungen-
grund als Tonsilla lingualis, zum Teil in Form von Balgdrüsen oder ein-
facher Einlagerung von Follikeln in die Schleimhaut; das Gebiet dieser
Zungenmandel kann sich nach oben in den Bereich zwischen den
Gaumenbogen ausdehnen. Durch scharfe Abrenzung, als einheitliches
Organ, zeichnet sich die Gaumenmandel (Tonsilla p a 1 a t i n a) aus, der
Unterfläche des weichen Gaumens oder dem Beginn des Arcus palato-
pharyngeus angelagert, oft in einer Art Tasche von Schleimhautfalten
umschlossen. Sie ist ungemein verschieden ausgebildet als einfache, mit
Noduli besetzte Platte, meist vergrößert sich die Oberfläche durch Ein-
kerbungen oder Einsenkungen, die sich verästeln können und zur Bil-
dung eines komplizierten Hohlraumsystems führen. In einigen Fällen
(Muriden) wird die Tonsille vermißt. Nach C. Gegenbaur (Vergl. Anat.)
hat die Tonsille eingreifende Bedeutung auf die Gestaltung des weichen
Gaumens. Die gleiche Lagerung wie die Rachentonsille der Sauropsiden
nimmt die Tonsilla pharyngea der Säuger ein. Sie liegt am Dach wie
am Beginn der Hinter- und Seitenwand des Pharynx. Es handelt sich
um eine lymphatische Infiltration der Schleimhaut meist mit Einlagerung
von Follikeln oder nur einer solchen. Ihr äußeres Verhalten ist ungemein
verschieden, Verdickungen der Schleimhaut mit glatter oder höckeriger
Oberfläche, beetartige Erhebungen, Faltungen der Schleimhaut in ein-
fachster und kompliziertester Ausbildung beherbergt das lymphatische
Gewebe. Vielen Tieren fehlt die Rachentonsille gänzlich (F. Th. Schmidt
und vor allem G. Iyillian). Es sei endlich erwähnt, daß auch von einer
Tubentonsille gesprochen wird (J. Gerlach). Es handelt sich in den
lymphatischen Organen um Brutstätten von Leukocyten, von denen
wenigstens ein großer Teil, wie Ph. Stöhr (1884) zeigte, das Epithel durch-
wandert und in das Innere der Mundhöhle und des Pharynx gelangt.
(Litterat. s. G. Bickel, A. Oppel und G. Gradexigo.)
Genauere Angaben über die Entwickelung der tonsillenartigen
Bildungen bei Amphibien und Sauropsiden fehlen bisher; nur
bei G. Killian findet sich die Angabe, daß bei älteren (25 cm langen)
Kr o kodilembryonen bereits die Schleimhautfalten der Rachentonsille.
aber noch nicht die lymphatische Infiltration derselben besteht. Aus-
führliche Darstellungen bestehen dagegen für die Säugetiere. Wir
werden hier nur die größeren, als Tonsillen bezeichneten Komplexe
lymphatischen Gewebes zu berücksichtigen haben, da die Bildimg der
Follikel selbst innerhalb und außerhalb der Tonsillen gleichartig er-
folgt. Wir beginnen mit der Tonsilla lingualis, und zwar speciell
mit den Balgdrüsen der Zungenwurzel. Nach Ph. Stöhr sind die
Räume der Balgdrüsen nichts anderes als weite Ausführwege von
Schleimdrüsen, die beim Menschen im vierten Fötalmonat auftreten.
Erst nach vollkommener Ausbildung der Drüsen (im achten Fötalmonat)
kommt es in der Umgebung des Ausführungsganges in dem bereits
fibrillär differenzierten Bindegewebe zur Einlagerung von Rundzellen,
die aus dem Blut stammen und die Wandung kleiner Venen passieren
(Fig. 51). Es entsteht dadurch eine diffuse Infiltration (L), in der sich
die Lymphocyten auch durch Teilung vermehren. Das Bindegewebe
nimmt damit retikulären Charakter an. Später kommt es zur
Sonderung deutlicher Follikel ; aber selbst beim 5-jährigen Kinde sind
nach F. Th. Schmidt noch nicht in allen Balgdrüsen deutliche
Follikel zu finden.
64
E. GÖPPERT,
Erheblich früher als die Balgdrüsen der Zunge tritt die Ton-
silla palatina auf. Bereits Anfang des dritten Monats ist sie beim
menschlichen Foetus nachweisbar. Die Gestalt der Anlage ist ent-
sprechend der mannigfachen Gestaltung des fertigen Organs sehr ver-
schieden. In der Mehrzahl der Fälle
handelt es sich jederseits um eine
taschenartige Schleimhauteiusenkung,
, die an der Seitenwand des Isthmus
faucium. auch mehr oder weniger
weit auf die lateralen Teile des Velum
Fig. 51. Menschlicher Foetus, 8 Mo-
nate. Schnitt durch die Anlage einer Balg-
drüse des Zungengrundes nach Ph. StÖHR.
a Ausführungsgang einer Schleimdrüse (Dr),
L Beginn lymphatischer Infiltration in der
Umgebung des Ausführungsganges.
palatinum selbst übergreifend, ihre Lage hat. Die Tonsillen tasche
kann sehr seicht sein, während einer ihrer Ränder sich stark vor-
wulstet, so daß die Anlage sich mehr wie eine faltenartige Erhebung
darstellt (Hund). In manchen
^ Fällen bleibt der Grund der
Tonsillentasche einfach (Nager,
z. B. Kaninchen), in anderen
c. -».■ ^
Fig. 52. Menschl. Foetus
aus dem 5. Monat. Schnitt durch
:, die Mitte der Tonsillenanlage nach
% Ph. Stöhr. L lymphatische In-
~' filtratiom b solide Sprossen der Ton-
sillentasche, b1 Beginn der Lumen-
bildung in einem Seitensproß unter
Bildung einer Hornkugel, c Ton-
sillentasche.
entsendet er sekundäre, fingerartige Ausbuchtungen (z. B. Mensch),
(Fig. 52). Eine Gruppe einzelner, nebeneinander gestellter Einbuch-
tungen, die nicht von einem gemeinsamen Vorraum aufgenommen
werden, bildet die Tonsillenanlage bei Pferd und Schwein. (Ueber
die verschiedenen Formen der Anlage s. Ed. Retterer 1888.)
In der Umgebung der Tonsillartasche und ihrer Ausbuchtungen
kommt es dann zu einer erst diffusen, später Follikel enthaltenden
Infiltration mit Rundzellen, die die Tonsillen zu einem kompakten
Organ sich entwickeln lassen. Dabei kann die ursprüngliche Taschen-
form durch die mächtige Wulstung ihres Bodens unkenntlich werden.
Am genauesten sind wir über die Entwickelung der menschlichen
Tonsille durch Ph. Stöhr (91) unterrichtet. Anfang des 4. Monats
besitzt die Tonsillarspalte bereits eine Anzahl verschieden tief in die
Nachbarschaft eindringender hohler Nebenspalten (Fig. 52). Von ihrer
epithelialen Wand gehen solide Sprossen aus, die zum Teil Anlagen
kleiner Schleimdrüsen bilden, zum Teil Anlagen weiterer Nebenspalten
darstellen (b). Der epitheliale Teil der Anlage ist durch eine Basal-
membran gegen das Bindegewebe scharf abgegrenzt. Im letzteren be-
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 65
ginnt bereits die Lymphzelleninfiltration. Das Hohlraumsystem der An-
lage dehnt sich fortgesetzt weiter aus, und auch in den anfänglich
soliden Epithelsprossen kommt es zur Ausbildung eines Lumens (5. Monat) ;
in den terminalen Abschnitten der Sprossung spielen dabei Degenerations-
und Verhornungsprozesse eine Rolle, die zur Bildung von Hornkugeln
im Inneren der Sprosse führen (61) die später nach Herstellung des
Lumens entfernt werden. Schon beginnt die Durchwanderung von Leuko-
cyten durch das Epithel. Das an Masse zunehmende adenoide Gewebe
außerhalb des Spaltsystems ist im 7. Monat noch ganz diffus verteilt.
Erst im 8. Monat beginnt es an einzelnen Stellen eine dichtere An-
ordnung zu zeigen als im übrigen, aber erst nach der Geburt (3-monat-
liches Kind) liegen gut entwickelte Follikel (Sekundärknötchen) vor.
Noch längere Zeit spielen sich an den Randteilen des Organs Ent-
wickelungsvorgänge ab, die weitere Seitenspalten entstehen lassen.
Eine völlig abweichende Vorstellung von der Entstehung des adenoiden
Gewebes vertritt Ed. Retterer. Nach ihm entstammen die Rund-
zellen dem epithelialen Teil der Anlage (1888). Neuerdings leitet er
auch das retikuläre Gewebe atis der gleichen Quelle ab (1897). Die
soliden Seitensprossen der Mandelanlage bilden demnach die Anlage der
Follikel selbst und lösen sich von ihrem epithelialen Mutterboden ab.
Die Angaben Retterer's sind nach den Darlegungen vor allem Ph.
Stöhr's, dann J. Kollmänn's, G. L. Gi/lland's nicht mehr haltbar.
Nach W. His entspricht die Tonsillenanlage einem Teil der Furche
zwischen dem 2. und 3. Schlundbogen, die Stelle des ersteren nimmt der
Arcus palato-glossus ein. (Ueber die Umrandung der Tonsillenanlage
des Menschen vgl. J. Killian 1898.)
Auch über die Ent-
stehung der Tonsilla
p h a r y n g e a sind wir beim
Menschen am besten unter-
richtet (G. Killian, F.
Ganghofner, Schwa-
bach). Unsere Darstellung
schließt sich vor allem an
G. Killian an. Das Gebiet
der späteren Pharynxtonsille
besitzt im mittleren Drittel
der Fötalzeit, wie auch
Ganghofner zeigte, feine
Faltungen der Schleimhaut,
die im 6. Fötalmonat der
Sitz einer diffusen Infil-
tration von Lymphzellen
werden und dadurch stark
an Mächtigkeit zunehmen.
Dies betrifft erst die hin-
teren 3 Viertel des Pharynx-
daches und dehnt sich im
7. — 8. Monat auf die oberen
Teile der Hinter- und Seitenwand des Cavum pharyngo-nasale aus. Da-
mit kommt auch die inkonstante Bursa pharyngea (s. u.) in den Bereich
der Tonsillenbildung (Fig. 53 T.ph.). Gegen Ende der Embryonalzeit
werden die Falten infolge weiterer Vermehrung des
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1.
rbyp.G.
B.ph.
Consfrs.
Fig. 53. Menschlicher Foetus aus
der 28. Woche. Medianer Längsschnitt durch
den obersten Teil des Pharynx und die Schädel-
basis. Nach G. Killian. B.ph. Bursa pharyngea.
T.ph. Anlage der Tonsilla pharyngis. Hyp.G.
Hypophysengang (Rest). Hy. Hypophysis. V.
Vomer. P. Gaumen. Constr.s. Constrictor pha-
ryngis superior.
adenoiden Ge-
5
66 E. Göppert,
webes zu mächtigen Wülsten, die meist nach dem Ort der Bursa
pharyngea, d. h, nach dem Winkel zwischen Dach und Hinterwand des
Pharynx konvergieren. In manchen Fällen kommt es jetzt schon zur
Herausbildung von Follikeln (Sekundärknötchen), die in anderen Fällen
in den beiden ersten Jahren nach der Geburt deutlich werden (Gang-
hofner). Nach J. Schaffer entstehen die Follikel in der Umgebung
der Ausführgänge der Schleimdrüsen. Die Wucherung des lympha-
tischen Gewebes kann sogar mit einer Zerstörung der umschlossenen
Drüsen verbunden sein. In den ersten Zeiten des postembryonalen
Lebens erfährt das Wachstum der Rachentonsille eine erhebliche Stei-
gerung. In den Jahren nach der Pubertät tritt eine normale Rück-
bildung ein, die eine Glättung der Schleimhaut des Nasenrachenraumes
zur Folge hat, ohne daß das adenoide Gewebe gänzlich schwindet.
Wir schließen hier die Besprechung der Bursa p h a r y n g e a des
Menschen an, die in den Bereich der Rachentonsille fällt. Unter diesem
Namen verstehen wir eine kleine, in ihrem Vorkommen sehr inkonstante
Ausbuchtung der Parynxwand an der Grenze des Daches und der Hinter-
wand, deren Bestand auf die Embryonalzeit beschränkt ist (Fig. 53 B.ph.).
Bei Säugetieren fand sich eine entsprechende Bildung nur bei Arctomys
marmota, einer Form, die übrigens einer Rachen-
tonsille entbehrt. Andere direkt über dem Arcus palato-
pharyngeus gelegenen Aussackungen der hinteren Pharynx-
wand, die auch als Pharynxtaschen bezeichnet wurden,
B.nh. haben mit der uns jetzt beschäftigenden Bildung nichts
zu thnn (G. Killian).
Fig. 54. Menschlicher Embryo von 19 cm Länge. Hinter-
c „ wand des Cavum pharyngo-nasale mit Bursa pharyngea (B.ph.).
A o.n. &„. geptum narium. Nacli G. Killian.
Die Bursa pharyngea wurde bereits in der 11. Woche des Fötal-
lebens von A. Froriep entwickelt angetroffen, über ihre erste Entstehung
ist noch nichts bekannt. Sie bildet hier ein kleines Divertikel der
Phaiynxwand, das über dem oberen Rand des Constrictor pharyngis
superior gegen den Spheno-occipitalknorpel vorragt 1). Wie G. Killian,
dem wir uns im folgenden anschließen, zeigte, ist die Bursa pharyngea
durchaus keine regelmäßige Erscheinung. Sie fehlt in einer großen Reihe
von Fällen gänzlich, in anderen findet sich nur ein kleiner Recessus an
ihre Stelle; von hier führen alle erdenklichen Uebergänge bis zu einer
wohlausgebildeten Bursa, die bis in die Fibro-cartilago basilaris an der
Unterfläche der Schädels vordringen kann. Ihre Länge betrug in
maximo 2,3 mm. Fast regelmäßig führt eine mediane Furche am Rachen-
dach zum Eingang der Bursa oder dem ihres Rudiments, das nach hinten
durch 2 im Winkel gestellten Falten begrenzt wird (s. Fig. 54). Die
Bursa hat nichts zu thun mit dem Hypophysengang, wie es Luschka
annahm. (Das zeigten außer Killian Suchannek, Dursy, Froriep und
Schwabach.) Ebenso fremd ist sie der SEESSEL'schen Tasche (s. p. 20)
und Selen ka's Gaumentasche (s. p 20). Wie G. Killian nachweist, ist
sie jedenfalls eine von der Nachbarschaft durchaus unabhängige Bildung,
nicht, wie andere annahmen, ein Produkt derselben. Ueber ihre wahre
1) Weitere Angaben über die Bursa pharyngea finden sich bei H. v. Luschka,
E. Durry, F. Ganghofner.
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 67
Bedeutung ist vorläufig noch nichts auszusagen. Erst lange nach dem
Auftreten der Bursa kommt es zur Ausbildung der Rachentonsille, die
auch zur Infiltration der Bursawand führt. Die erhebliche zeitliche
Differenz im Auftreten, ferner der Umstand, daß eine Bursa bei Arctomys
ohne Rachentonsille besteht, lehrt, daß sie auch nicht, wie Scuwabach
meinte, eine zu letzterer gehörige Einsenkung darstellt.
Litteratur
über die Tonsillen und die B ursa ph aryng ea.
fficTael, G. Ueber die Ausdehnung und den Zusammenhang des lymphatischen Getvebes
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Stöhr, Ph. Ueber Mandeln und Balgdrüsen. Arch. palhol. Anat. Bd. XCVII. 1884.
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Jahrg. XX. 1890.
— ■ Die Entwickelung des adenoiden Gewebes der Zungenbälge und der 3Iandeln des
5*
68 E. Göppert,
Mt tischen. Festschrift z. Feier d. SO-j. Doktorjubiläums der Herren Prof. Dr. Karl
Wilhelm von Nägeli in München und Geheimrat Prof. Dr. Albert v. Kölliker in
Würzburg. 1891.
Stöhv. P/*.. Weber die Mandeln und deren Entwickelung . Die Entwickelung des ade-
den Gewebes, der Zungenbälge und der Mandeln des Menschen. Anat. Am.
Bd. VI. 1S91.
Suchannek. Ein Fall vo7i Persistenz des Hypophysenganges. Anat. Am. Bd. XVI. 1887.
— Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie des Bachengewölbes. In: Ziegler
u. Nauwerck, Beitr. z. pathol. Anat. Bd. III. 1888.
d) Hornbildungen der Mundhöhle.
Die Mundhöhlenschleimhaut ist vielfach der Sitz intensiver Ver-
hornung und besonderer Hornorgane, die zur Bewältigung der Nahrung
dienen. Hierher gehören die Hornzähne der Cyclostomen und
Anurenlarven, die verhornten Papillen und Hornplatten der Zunge
(s. o.), das Hornblättchen unter der Zungenspitze der Vögel, der
Hornbelag der Unterzunge, der Hornschnabel bei Cheloniern und
Vögeln, der Hornbelag der Mundränder der Monotremen, der
Kieferränder einzelner Odontoceten (Ziphiinen), endlich die weit
verbreiteten Hornbildungen am Gaumen der Säugetiere.
Eine besondere Besprechung erfordern zunächst die Horn-
zähne. Bei den Cyclostomen treten sie uns in zwei Zuständen
entgegen, einem einfacheren bei den Petromyzonten, einem kom-
plizierten bei den Myxinoiden. In beiden Ordnungen trägt die
Zunge einen Zahnbesatz, die Myxinoiden besitzen außerdem einen
Gaumenzahn, die Petromyzonten eine reiche Zahnbewaffnung der
Innenfläche des Saugmaules.
In beiden Ordnungen besteht ein Zahn aus einem aus verhornten
Zellen sich aufbauenden Hohlkegel, der mit seiner Spitze das Niveau
der Nachbarschaft tiberragt, mit seinem basalen Rand in die Tiefe des
Epithels in einer Art Falz eingelassen ist (Fig. 55). Unter ihm dringt
bei den Petromyzonten eine Bindegewebspapille in das hier ver-
dickte Epithel ein, welche bei größeren Zähnen Knorpelfortsätze des
Mundskeletts beherbergt. Unter dem Gebrauchszahn können noch eine
=0§ °o°gV
e°3«,'2?.
Fig. 55
Fig. 55. Petromyzon fluviatilis. Schnitt
durch die Mitte eines Schleimhautzahnes nach M.
Jacoby. a. Ersatzzahn.
i
Fig. 56. Petromyzon planeri am Ende der
Metamorphose. Anlage eines Hornzahnes. Nach
J. Beard. a. Junge Hornschicht. P. Papille.
oder mehrere Ersatzzahnanlagen im Epithel liegen (Fig. 55a). Bei den
Myxinoiden senkt sich unter dem Bereich des Hornzalms das Epithel
in Form eines mächtigen Zapfens in die Tiefe, dessen Basis eine Binde-
gewebspapille einschließt. Im Inneren des Zapfens sind die Epithelzellen
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 69
eigenartig modifiziert und bilden einen
g«.gfMl
die Epithelzellen der Um-
Vergl.
gebung scharf abgegrenzten Bezirk (Pokalzellenkegel Behrends').
F. E. Schulze, J. Beard, G. Behrends und besonders M. Jacobv.
Ueber die Entwickelung der Hornzähne sind wir nur bei den
Petromyzonten unterrichtet (P. Bujor 1890, C. C. Känsche
1890, J. Beard 1889). Daß sie erst bei der Metamorphose des
Ammocoetes auftreten, ist bereits erwähnt. Ihre Anlage giebt sich
durch eine in das Epithel vordringende Bindegewebspapille zu er-
kennen. Das Epithel, das die Papille einschließt, kann sich dabei
verdicken und mehr oder weniger weit in die Tiefe wuchern (Fig. 56).
In den tiefen Schichten des Epithels, in der Umgebung der Papille
nach außen von den hohen basalen Elementen, werden dann im
Bereich einer schmalen Zone die Zellen platter und verhornen (a),
der damit gebildete Hornkegel, der junge Zahn, liegt also vorläufig
noch in der Tiefe des anfänglich sehr dicken Epithels. Durch das
basale Wachstum des Epithels wird er aber immer mehr gehoben und
gelangt schließlich nach Beseitigung der ihn überlagernden indifferenten
Epithelzellen an die freie Oberfläche. Nur mit seinem basalen Rand
bleibt er im Epithel eingeschlossen und empfängt von hier aus (von
der sog. Hornrinne, dem Zahnfalz) Zuwachs. Inzwischen hat sich die
Bildung eines Hornkegels in den basalen Schichten des die Papille
umschließenden Epithels wiederholt (Fig. 55a). Es ist ein Ersatzzahn
entstanden, dem bald ein zweiter folgen kann. Zwischen den damit
gebildeten Hornzähnen verschiedenen Alters liegen nicht verhornte
Epithelzellen. Sie erfahren zwischen Gebrauchs- und erstem Ersatz-
zahn erhebliche Veränderungen, die sie den sternförmigen Elementen
der Schmelzpulpa ähneln lassen. Dies ist die Folge einer Zerrung,
welche mit dem Wachstum des Gebrauchszahnes von seinem Rand her
in Zusammenhang steht (M. Jacoby). Nach Abnutzung des ersten
Gebrauchszahnes rückt der Ersatzzahn an seine Stelle.
Nicht bei allen Zähnen erfolgt ein Wechsel. Bei dem gabelförmigen
Zahn an der Zungenspitze von Geotria geht der Ersatz der abge-
brauchten Hornschichten durch fortgesetzten, unmittelbaren Nachschub
verhornender Elemente an der Innenfläche der von vornherein in Funktion
stehenden Hornschicht von statten (G. Behrends).
Ueber die Vorgänge bei der Entwickelung der Hornzähne der
ist noch nichts Genaueres bekannt. Nach J. Beard
bei Jugendzuständen von Myxine glutinosa eine
nicht nur in der Verteilung der Zähne, sondern auch
im Bau derselben Unterschiede gegenüber dem Verhalten beim er-
wachsenen Tiere aufweist. Nach Bashford Dean (1899) entstehen die
Zähne von Bdellostoma stouti in Ein-
wucherungen des Epithels in das Bindegewebe.
Es ist von J. Beard versucht worden,
nachzuweisen, daß die Cyclostomeuzähne
von wirklichen Zähnen abzuleiten sind.
Nach den Darlegungen G. Behrends' und
M. Jacoby's, denen sich Bashford Dean
anreiht, ist es sichergestellt, daß sie mit
M y x i n o i cl e n
(1893) besteht
die
Bezahnung,
Fig. 57. Alytes obstetricans.
schnitt durch eine Kammplatte mit
Nach H. Keiffer.
Larve. Quer-
2 Zahn reihen.
70 E. GÖPPERT,
den Gnathostomenzähnen nichts zu thun haben, sondern Bildungen
eigener Art sind.
Eine sehr reiche Ausstattung mit Hörn zahnen zeichnet den
Mund und seine Nachbarschaft bei den Anurenlarven aus. Nur
vereinzelt finden sich den Larvenzähnen ähnliche Bildungen auch bei
fertigen Tieren (Pipa dorsigera nach F. E. Schulze [1869J)1).
Hornzähne bilden den mechanisch, wichtigsten Teil der Bewehrung
der Kieferränder, des sog. Schnabels, sie stehen ferner eingeschlossen in
quergestellte Wülste (sog. Kammplatten , Lames pectinees) in langen
Reihen am Boden nnd Dach des vor den Kiefern liegenden Vestibulnm
oris. Ihre Anordnung ist bei den verschiedenen Arten verschieden und
für sie durchaus charakteristisch (van Bambeke 1863, Heron Royer und
Ch. van Bambeke 1881, 1889 und M. H. Hixckley 1881).
Betrachten wir zunächst die Kammplatten mit ihren Zähnen. Die
ersteren werden durch eine starke Verdickung des Epithels gebildet. In
diesen Wülsten liegen, umgeben von indifferenten Epithelzellen, in Form
von Säulen übereinander getürmter Zellen die Zähne, die nach diesem
Verhalten auch als Stiftzähne bezeichnet wurden (Eig. 57). Nur das
oberste Element steht in Funktion und überragt die Oberfläche der
Nachbarschaft. Die ausgebildete Zahnzelle besteht aus einer Basis und
einem oberen, verjüngten, löffelartig gebogenen Eortsatz, dessen Kon-
kavität nach hinten sieht. Hier trägt die Zelle leistenartige Erhebungen,
denen feine Zähne am Rand des Lötfels entsprechen. In einfacherem
Verhalten läuft der oberste Teil der Zelle, hakenartig gebogen, in 2 — 4
Zacken aus. Der untere Teil der Zelle ist an der der Epithelbasis zu-
gekehrten Fläche mit einer tief eingreifenden Höhlung versehen. Die
ganze Zelle ist vollkommen verhornt, ihr Kern ist geschwunden. Auch
die benachbarten oberflächlichen Epithelzellen können der Verhornung
verfallen2).
Die Entwickelung der Zahnzellen ist innerhalb eines Zahnstiftes
in allen Einzelheiten zu verfolgen (Fig. 57). Die Stifte gehen bis in
die tiefste Lage des Epithels hinunter. Die Zellen an ihrer Basis
sind noch indifferente Epithelzellen. In dem Maße, als eine Zelle
beim Wachstum des Epithels einem Zahnstift zugewiesen und durch
nachrückende Elemente immer mehr emporgeschoben wird, in dem
Maße verändert sich ihre Form. Sie wächst rasch heran und nähert
sich bei gleichzeitig einsetzender Verhornung immer mehr der Gestalt
einer fertigen Zahnzelle, ihr oberer Teil legt sich in die Höhlung der
nächstälteren Zelle, während ihre eigene Basis zur Aufnahme des
folgenden Elementes sich aushöhlt. Ist die über ihr lagernde Horn-
zelle verbraucht, so tritt die Zelle fertig gebildet an ihre Stelle. Mit
dem Beginn der Metamorphose hört der Nachschub junger Elemente
1) Einen Hornbelag der Kieferränder besitzt in Vertretung der Zähne Siren
lacertina.
2) Die Litteratur über die Hornzähne und Hornkiefern der Anurenlarve findet
sich eingehend besprochen in den Arbeiten von E. Gutzeit und Heron Royer
und Ch. van Bambeke (1889). Die ersten guten Darstellungen auf diesem Gebiete
stammen von Carl Vogt (1842) und Ch. van Bambeke (1863). Die genaue
Kenntnis des Baues und Wachstums der Zähne und Kiefern beruht in erster Linie
auf den Untersuchungen F. E. öchulze's (18t>9 und 1888), ferner auf H. Keiffer
(1889) und der im gleichen Jahre erschienenen Arbeit von Heron Royer und
Ch. van Bambeke. Die erste Entwickelung des Schnabels und der die Zähne
tragenden Wülste schilderte E. Gutzeit (1889), ihr Verhalten bei der Metamorphose
J. Liebert (1894).
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 71
von der Epithelbasis auf, und damit ist bald die Reserve an Zahn-
zellen erschöpft (vergl. J. Liebert).
Das erste Auftreten der Stiftzähne schildert E. Gutzeit. Der
Boden, dem sie entstammen, das Vestibulum oris, entwickelt sich derart,
daß um die den Kieferrändern entsprechende Mundöffnung bei jungen
Larven eine wulstförmige Umrahmung auftritt, die bald eine Gliederung
in ein oberes und unteres Segment erfährt, die Anlage des Bodens und
des Daches des Vestibulums. Dort, wo Kammplatten auftreten sollen,
wird das Epithel durch Teilung der basalen Ele-
mente mehrschichtig (Fig. 58). Innerhalb der a
dadurch bedingten Verdickungen und gleichzeitig /^^^k''7'
mit ihnen entstehen Zellensäulen, die Anlagen der ßMm^MK
Fig. 58. Rana temporaria. Larve S Tage nach ^/Q^^S^^^J'W^
dem Ausschlüpfen. Querschnitt durch die Anlage eines @.ä$\Wy^:
Kammwulstes mit der Anlage eines Stiftzahnes. Nach
E. Gutzeit, a Zahnanlage.
■&'
Stiftzähne (a). Die oberflächliche, einen Cuticularsaum tragende Zell-
schicht zieht über das Ganze hinweg. Entsprechend der weiteren Ver-
dickung der Zahnwülste wächst von der Basis aus auch der Zahnstift
in die Höhe, die obersten Elemente erfahren die charakteristische
Veränderung der Zahnzellen, und nach Beseitigung der oberfläch-
lichen, einen Cuticularsaum tragenden Zelle kommt die erste Zahn-
zelle zum Vorschein (bei 10,5 mm langen Larven von Rana tem-
poraria).
Im Prinzip gleichartig erfolgt die erste Entwickelung und Aus-
bildung des die Kieferränder deckenden Hornschnabels (E. Gutzeit)
(Fig. 59). Auch hier bilden die Hauptsache dicht aneinander gestellte
Stiftzähne, die, in einer Reihe angeordnet, mit ihren freien Enden dem
Rand des Kiefers die Gestalt einer Säge verleihen. Die Stiftzähne (a)
sind wie in den Kammplatten in eine starke Verdickung des Epithels
eingelassen. Die Epithelzellen der Nachbarschaft schließen sich aber
hier vor und hinter der Zahnreihe unter starker Verhornung der letzteren
an und lassen dadurch eine schnabelartige Bildung zu stände kommen.
Wie in den Kammplatten kann man auch hier inner-
halb eines Stiftzahnes die allmähliche Umbildung der
jungen, von der basalen Zellschicht des Epithels ab-
gegebenen Elemente in die charakteristischen Zahn-
Fig. 59. Hyla arborea. 14-tägige Larve. Querschnitt
durch die Anlage des Schnabels. Nach E. Gutzeit, a Stift-
zahn.
zellen verfolgen. Diese haben aber hier die Gestalt von Hohl-
kegeln, deren Konkavität von der Spitze der nächstjüngeren Zelle ein-
genommen wird. Das Schwinden der Hornkiefer erfolgt beim Beginn
der Metamorphose etwas später als das der Hornzähne der Kamm-
platten (J. Liebert).
Eine Vergleichung zwischen den Hornzähnen der Cyclostomen
und der Anurenlarven läßt ohne weiteres die tiefgreifende Ver-
schiedenheit zwischen beiden Zahnformen erkennen.
Zur Entwickelung eines Hornschnabels kommt es unter Rück-
bildung der Zähne bei den Cheloniern und Vögeln. Nur für
1_
2 E. GÖPPERT,
letztere liegen genauere entwickelungsgeschichtliche Angaben (vor allem
Edw. G. Gardiner 1884 vor).
Bei der Entwickelung des Schnabels wird man zu unterscheiden
haben zwischen der Ausbildung der äußeren Form desselben und der
damit in Zusammenhang stehenden Umbildung der Physiognomie einer-
seits, der speciellen Entwickelung des Hornbelages und der Ausgestaltung
der Mundränder andererseits. Nur die letzteren Vorgänge fallen in den
Bereich dieses Kapitels.
Die erste Ausbildung verhornter Zellen erfolgt an der Dorsalseite
des Oberschnabels etwas hinter der Spitze, dort, wo die Eischwiele
(s. u.) in Erscheinung tritt (Hühnchen, 6. oder 7. Bebrütungstag). Die
embryonale Epidermis besteht hier aus einem Stratum mucosum und
einer diesem aufgelagerten, von ihm gelieferten Schichtenfolge von großen
Elementen. Wenn die aus den basalen Teilen des Epithels aufrückenden
Zellen unter Abplattung der Verhornung verfallen (Fig. 60 u. 61),
wird die junge Hornschicht (H.) naturgemäß von jenen früher gebildeten
nicht oder unvollkommen verhornten Elementen überdeckt, und diese
bilden damit das sogenannte Epitrichium (Ep.) (vgl. Gardiner). Vom
Ort des ersten Auftretens breitet sich die Hornbildung nach vorn und
hinten und nach den Seitenwänden des Schnabels aus. An der Gaumen-
fläche kommt es meist erst gegen Schluß des Embryonallebens zur
Verhornung, auch hier besteht eine Epitrichialschicht. Auch am Unter-
schnabel beginnt die Hornbildung von einem in der Nähe der Spitze
gelegenen Punkt, um sich von hier aus zu verbreiten. Der Ausgangs-
punkt des Prozesses kann als Höcker der Eischwiele des Oberschnabels
ähnlich, aber ohne die letzterer eigentümlichen großen Elemente (s. u.)
hervorragen (Weinland 1857 [Tringa pusillaj und Gardiner,
Ente, 1884). Das Wachstum der Hornsubstanz schlägt bald die
Richtung nach vorn, resp. nach dem Schnabelrand zu ein und führt
zur Ausbildung einer Schnabelspitze und zum Durchbruch derselben
durch das Epitrichium, welch letzteres dann kurz vor oder beim Aus-
schlüpfen des jungen Tieres verloren geht,
Vorher haben sich jedoch sehr bemerkenswerte Vorgänge abgespielt.
Bald nach dem Auftreten der ersten Hornsubstanz entsteht an der
Außenseite des Ober- und Unterschnabels, allerdings nicht bei allen
Formen, eine den Kieferrändern parallele und
ihnen benachbarte rinnenförmige Einsenkung des
Epithels (Fig. 60—62 o). Sie fand sich hier bis
jetzt beim Hühnchen und Melopsittacus
(Gardiner), bei Struthio camelus (C. Rose
1892), fehlt bei der Ente (Gardiner) und bei
Fig. 60. Hühnchen, am 11. Bebrütungstage. Quer-
schnitt des Oberschnabels in der Gegend des Eischwiele.
Nach Edw. Gardixer. E. Eischwiele. Ep. Epitrichium.
H. Stratum corneum. a als Lippenfurche gedeutete Rinne.
b rudimentäre Zahnleiste (G. Rose).
Sterna Wilsoni (Rose). Bei Milvus und Buteo soll sie
innerhalb der Mundhöhle ihren Weg nehmen (Gardiner). Diese
Rinnen wurden zuerst von Gardiner und dann auch mit aller
Bestimmtheit von Rose als Rudimente von Lippenfurchen (s. u.) ge-
deutet. Sie sind nicht zu verwechseln mit den von Gardiner zuerst
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 73
genau beschriebenen von Rose als Rudimente von Zahnleisten gedeuteten
Verdickungen und Einsenkungen des Epithels nach innen von den
Schnabelrändern (Fig. 60 b). Die Lippenfurche gleicht sich am Unter-
schnabel bald wieder aus. Am Oberschnabel nimmt sie zuerst in
Zusammenhang mit dem Dickenwachstum des Epithels an Tiefe zu ;
wenn dann das nach vorn gerichtete Wachstum des Epithels einsetzt,
werden ihre Begrenzungsttächen aneinander
gepreßt und zur Verklebung gebracht, die
durch sie bedingte äußerlich sichtbare Ab- , F_
im Bereich des Oberschnabels ^^^^^^^ssz«^- Ep.
grenzung
fällt fort. Der Verlauf der
ehemaligen
Fig. 61. Hühnchen, 14. Bebrütungstag.
Längsschnitt durch den oberen Schnabel. Nach
Edw. G. Gardtner. Sk. Skelett des Schnabels.
Sonst. Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 60.
Rinne markiert sich aber bei manchen Formen (Huhn, Melo-
psittacus) durch ein Einspringen der Basalfläche des Epithels gegen
die Lederhaut, resp. durch eine an letzterer nach Entfernung des
Epithels bemerkbare seichte Einsenkung.
Nach dem Vorhergehenden entspricht der Rand des Schnabels
dem Kieferrand; in seinem Bereich sind aber auch früher vorhandene
Lippenbildungen eingegangen. Eine ähnliche
Rückbildung von Lippen ließ sich auch bei
Schildkröten feststellen (s. u.). Die erste •■;-^^w.^p-^___£
Hornbildung erfolgt embryonal nicht dort, wo
man ihren phylogenetischen Ausgang annehmen
muß, am Mundrand selbst, sondern in einiger
Entfernung von ihm.
Fig. 62. Hühnchen. 18. Bebrütungstag. Seiten-
ansicht des Oberschnabels. Nach Edw.
Bezeichn. s. Erkl. zu Fig. 60.
G. Gardiner.
Im Epithel des Schnabelbereichs kommt es allgemein zu Papillen-
bildungen, die am Schnabelrand die erheblichste Größe erlangen. Bei
den Embryonen von Papageien sind sie besonders mächtig und bilden
am Rand des Ober- und Unterschnabels, auch an der Gaumenfläche des
ersteren, deutliche Vorragungen. Von älteren französischen Forschern
wurden diese mit Hörn überzogenen Papillen als Zahnrudimente gedeutet,
ein Irrtum, der zuerst von P. Fraisse (1879), später noch von Braun
(1882) zurückgewiesen wurde. Die Papillen schwinden erst nach dem
Ausschlüpfen (vergl. die Abbildung F. Keibel's, Bd. I, Kap. 6, p. 103).
Wir schließen hier unmittelbar die Besprechung des Ei h Ockers
(Sluiter) oder der Eischwiele (Rose) an, die ja wenigstens bei den
Vögeln in unmittelbarstem Zusammenhang mit dem Schnabel steht.
Ein Eihöcker findet sich an der Oberseite der Schnauzen- resp. Schnabel-
spitze bei den Embryonen von Vögeln, Krokodilen, Schild-
kröten, Tr achy dos aurus und vielleicht noch anderen Formen1).
1) Die erste Angabe über die Eischwiele stammt von W. Yarrel (1826.
Hühnchen), Mayer (1841, Vögel, Krokodile, Schildkröten) und Joh. Müller
(1841). Die genauere Kenntnis ihres Baues und ihrer Entwickelung verdanken wir
Edw. Gardiner (1884), C. Rose (1892) und C. Ph. Sluiter (1893).
74 E. Göppert,
Er ist, wie schon einer der ersten Beobachter, Mayer (1841), zeigte,
scharf zu trennen von dem durch Joh. Müller entdeckten E i z a h n der
Saurier und Ophidier und nach 0. Seydel auch von dem der
Mono tr einen (Echidna). Im allgemeinen findet sich die Eischwiele,
wie schon Mayer (1841) betonte, bei Formen mit verkalkter Eischale,
der Eizahn bei solchen mit häutiger Schale, doch bestehen für beide
Bildungen Ausnahmen von der Regel (C. Ph. Sluiter).
Es handelt sich bei der Eischwiele um eine Verdickung der Horn-
schicht des Epithels (Fig. 60 — 62 E.). Sie tritt meist unpaar auf. Nur
die Krokodile (Ph. Sluiter), ausnahmsweise als Varietät auch
Vögel (Mayer), besitzen eine paarige Anlage (25 mm lange Embryonen
von Crocodilus porosus), die bei den Krokodilen später eine einheit-
liche Basis erhält. Die Eisclrwiele ist beim 6 — 7 Tage alten Hühner-
embryo schon deutlich sichtbar (Edw. Gardiner).
Nach dem, was oben über die Verhornung des Epithels gesagt
wurde, wird der Höcker anfänglich vom Epitrichium überzogen (Fig. 60
u. 61 Ep), das er vor dem Ausschlüpfen des jungen Tieres durchbricht.
Die Zellen des Eihöckers sind große, polygonale, nicht abgeplattete
Elemente, die eine Menge von Körnchen, die nach Sluiter aus Eleidin
bestehen, einschließen. Kalksalze, die nach Gardiner eingelagert sein
sollen, fehlen thatsächlich nach Kose. Nur bei den Krokodilen
platten sich die dem Epitrichium benachbarten Zellen des Eihöckers
ab. Nach dem Ausschlüpfen des jungen Tieres wird der Eihöcker ab-
geworfen.
Ein der Eischwiele ähnlicher, durch intensivere Verhornung aus-
gezeichneter Höcker besteht bei Beuteljungen von Echidna und
Ornithorhynchus an der Oberseite der Schnauzenspitze (W. N.
Parker, E. B. Poulton, s. a. R. Semon, Fig. 50 und 51). Funktionell
hat er nicht die Bedeutung der Eischwiele (vergl. 0. Seydel).
In fast allgemeiner Verbreitung ist der harte Gaumen der
Säugetiere mit quergestellten, leistenartigen Erhebungen ausgestattet,
die bestimmt sind, bei der Zerkleinerung der Nahrung mit der Zunge
zusammenzuwirken. Ihrer Funktion entsprechend ist das Epithel der
Leisten verdickt und oft der Sitz intensiver Verhornung. Den Höhe-
punkt ihrer Ausbildung erreichen die Gaumenleisten bei den Sirenen
in den Gaumenplatten, denen Hornplatten am Unterkiefer entgegen-
wirken, und in den Barten der Mystacoceten.
Verhältnismäßig schwache Entwicklung zeigen die Gaumen-
leisten beim Menschen. Beim Embryo von 4,5 cm Scheitel-
steißlänge ist der Gaumen noch glatt, bei 5,5 cm Länge bestehen am
vorderen Teil des harten Gaumens jederseits 5— 7 Querfalten in regel-
mäßiger Anordnung, ähnlich wie es am Säugetiergaumen meist der
Fall ist. Auf den Gaumenleisten ist das Epithel verdickt, es ent-
stehen zottenartige Erhebungen, wie sie gleichfalls bei Säugetieren
weit verbreitet sind. Gegen Ende des Fötallebens wird die An-
ordnung der Gaumenfalten unregelmäßiger, einige hintere schwinden,
die vorderen werden am vorderen Teil des Gaumens zusammen-
gedrängt. So bleiben die Dinge bis zum Beginn der Pubertät, dann
setzt eine allmähliche Rückbildung ein, die zur Herstellung einer
völlig glatten Gaumenfläche führen kann. Eine teilweise Rückbildung
und Umgestaltung der Gaumenleiste findet also beim Menschen schon
in embryonaler Periode statt, bevor von einer Funktion die Rede sein
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 75
kann. Die Entwickelungsgeschichte weist also auf einen primitiven
Zustand hin, der mit dem bei der Mehrzahl der Säugetiere bestehenden
übereinstimmt (C. Gegenbaur 1878).
Genau bekannt sind wir ferner mit der Entwickelung der Barten
der Wale vor allem durch die Untersuchung T. Tullberg's (1883).
Aeltere Beobachtungen stammen von Eschricht (1849) und Esch-
richt und Reinhardt (1861).
Die Barten sind quergestellte Hornscheiben, die von der Unterfläche
des Gaumens jederseits in großer Zahl herabhängen und bei geschlossenem
Maul den Zwischenraum zwischen Zunge und Unterkiefer einnehmen.
Jede Barte besteht aus einer größeren Scheibe, der Hauptbarte und einer
Anzahl sich medial an letztere anschließender Nebenbarten. Die Horn-
massen lösen sich nach unten in eine große Anzahl von Bartenfäden
(Haaren) auf.
Fig. 63. Balaenoptera Sibbaldii. 4,55 m langer Embryo. Schnitt senk-
recht auf die Gaumenfläche, der eine Bartenanlage in ihrer ganzen Breite getroffen
hat. Nach T. Ttjllberg. Das Bindegewebe ist gleichförmig schwarz dargestellt, das
Epithel punktiert. B. Hauptbarte, b Nebenbarten mit ihren Bindegewebsplatten
und den davon ausgehenden langen Papillen. M. Mit den Spitzen bereits frei ge-
wordene Hornröhren (Bartenhaare) der Hauptbarte, m. Dasselbe von Nebenbarten
H. sog. Hornröhren, den Papillen entsprechend.
Die Entwickelung der Barten von Balaenoptera Sibbaldii setzt bei
etwa 2 m langen Embryonen ein. Sie beginnt auf der Gaumen flache etwa
in der Mitte der Länge des Oberkiefers und dehnt sich von hier nach vorn
und hinten aus. Es handelt sich zunächst um eine starke Verdickung
des Epithels und eine erhebliche Verlängerung der in dasselbe ein-
legenden Bindegewebspapillen. Die Oberflächen Schichten des Epithels
zeigen starke Verhornung. Unter dem Epithel erhebt sich später das
Bindegewebe zu Leisten, die conische Zapfen tragen, auf denen dann
erst die eben erwähnten Papillen sitzen (Embryo von 3 m Länge).
Die Zapfen und Leisten sind in schrägen Reihen angeordnet, die in
großer Anzahl jederseits von außen nach innen und hinten laufen.
Die äußeren Teile dieser Reihen nehmen weiterhin eine mehr quere
Verlaufsrichtung an und eine größere Anzahl der zapfenartigen Er-
hebungen vereinigen sich, indem das Bindegewebe auch zwischen ihnen
76 E. Göppert,
stark emporwächst, zu quergestellten Bindegewebsblättern, die mit
ihrem Papillarbesatz die Grundlage der Hauptbarten bilden (Fig. 63 B).
Indem sich fortgesetzt neue Glieder der Zapfenreihen den Hauptbarten
anschließen, nehmen diese an Breite immer zu. Medial von den Haupt-
barten bleibt aber eine Anzahl Bindegewebszapfen mit ihren Papillen
selbständig und bildet die Grundlagen der Nebenbarten (6). Die
den Bartenanlagen zugehörigen Papillen wachsen zu erheblicher Länge
heran und dringen tief in das die gesamte Anlage überziehende
Epithel ein (Fig. 63). Indem in der unmittelbaren Umgebung der
verlängerten Papillen Hornsubstanz produziert wird, entstehen Horn-
röhren, welche die Papillen umschließen. Entsprechend dem Wachstum
der gesamten Epithelmassen schieben sich diese Hornröhren auch über
den Bereich der Papillen hinaus (M.), ihr Inneres füllt sich dabei mit
Zellen, die eine Art Marksubstanz bilden. Sie stammen von den die
Spitze der Papillen deckenden Epithelzellen. Zwischen den Hornröhren
liegen als Zwischenhorn die von den interpapillaren Teilen des Stratum
Malpighii gelieferten Zellenmassen. Nach Abstoßung der oberflächlichsten
verhornten Schicht werden die Hornröhren an der Oberfläche sichtbar.
Haupt- und Nebenbarten erheben sich währenddessen über das Niveau
der zwischen ihnen liegenden Theile des Epithels und werden in
ihrem freien Bereich von einer stärker verhornten Deckschicht um-
schlossen, die jedoch den freien Rand der Barten frei läßt. Indem
hier das Zwischenhorn zerfällt, lösen sich die Hornröhren auf längere
Strecken voneinander und bilden die lang herabhängenden Barten-
haare (M. und m.).
Nach der Geburt nehmen die Hauptbarten durch Aufnahme von
Nebenbarten an Breite zu, während andererseits am medialen Rand der
Barte neue Nebenbarten auftreten.
Bereits Tullberg wies auf die Zusammengehörigkeit der Barten
mit den Gaumenleisten hin.
Litteratur über
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e) Die Beteiligung des Ektoderms an der Auskleidung
der Mundhöhle. Das V e s t i b u 1 u m o r i s.
Der Anteil des Ektoderms und Entoderras an der Auskleidung
der Mundhöhle und der Bildung ihrer Organe ist nur in wenigen
Fällen genau zu bestimmen, nämlich dort, wo ein Teil der Rachen-
haut als Velum erhalten bleibt, also beim Amphioxus und bei
73
E. GÖPPERT.
A m mocoetes. Schon bei den M yxinoide n besteht diese Möglich-
keit nicht mehr, da die Rachenhaut frühzeitig schwindet und nicht
mehr mit Sicherheit bestimmt werden kann, ob das später auftretende
Velum ihrer Stelle entspricht. Bei den gnathostomen Fischen ist
jedenfalls das Ektoderm anfänglich auf die Nachbarschaft der Mund-
öffnung beschränkt; die Verbreitung von Zähnen im Bereich der
Kiemenhöhle, am Dach, am Boden (Zunge), an den Kiemenbögen
könnte aber daran denken lassen, daß nach Beseitigung der Rachen-
haut das Ektoderm weit caudalwärts vordringt, wenn man nicht dem
Entoderm die Fähigkeit, Zähne zu produzieren, zutrauen will. Der
Zahnbesatz des Amphibienmundes resp. das Bestehen der nach-
weislich aus Zähnen hervorgegangenen Belegknochen (0. Hertwig)
könnte hier das Gleiche annehmen lassen, ohne daß man imstande
wäre, irgend einen Beweis hierfür zu erbringen.
Genauer können wir die
Grenze zwischen Entoderm und
Ektoderm am Mundhöhlendach
der A m n i o t e n bestimmen.
Hierzu verhilft das lange Be-
stehenbleiben des Zusammen-
hangs der Hypophysenanlage
(RATHKE'sche Tasche) mit der
^L^^T^S^\ \ Schleimhaut der Kopfdarmhöhle
(Fig. 64 Hy.). Der Hypophysen-
/\j gang entspricht ja dem tiefsten
^ j Teil der Mundbucht, da er un-
mittelbar vor der Rachenhaut
seinen Ursprung nimmt. Das
u 7 X^r^y ■/ ganze Gebiet vor ihm wird also
^' * von Ektoderm ausgekleidet. Wie
Fig. G4. A'nguis fragilis. Aelterer Fig. 64 speciell für A n gui S f r a -
Embryo. Medianschnitt durch den Kopf, gilis lehrt, reicht demnach das
^.Hypophy^s noch in Zusammenhang mit ektodermale Gebiet bis in die
dem Mundhohlenepithel. L. Kehlkopf. Z. TT.., , Tr -, ,, n ■
Zunge. Hohe des Kehlkopteingauges.
Entsprechend zeigte W. His für
Säugetiere, insbesondere den
Menschen, daß die Grenze zwischen Ento- und Ektoderm am
Pharynxdach dicht hinter die Choanen unmittelbar vor den Bereich
der Pharynxtonsille fällt. Dasselbe ergiebt sich aus einem von
Suchannek beschriebenen P'alle von Erhaltenbleiben des Hypo-
physenganges bei einem 4-jährigen Kinde. Am Boden der Mund-
höhle fehlt die Möglichkeit einer scharfen Abgrenzung des Ektoderm-
bereichs. Es ist sehr leicht möglich, daß zur Ausbildung des vordersten
Teiles der Zunge noch Ektoderm herangezogen wird (E. Kallius,
s. Litteratur über Zunge). Ebensowenig sind wir imstande, an der
Seitenwand der Mundhöhle die Grenze festzulegen.
In weiter Verbreitung treffen wir eine Vergrößerung des primi-
tiven Bereichs der Mundhöhle nach außen zu durch die Ausbildung
von Lippen. Wir fanden derartige Bildungen bereits beim Amphi-
oxus (s. p. 6). Die Umrandung des Mundes bei Petromyzon
ist hier zu erwähnen (p. 13), ferner die eigenartigen Faltenbildungen
bei den Dipnoern, welche das gesamte Geruchsorgan der Mund-
höhle anschließen (p. 24). Sehen wir von Integumentfalten ab, die
Die Entwickelung des Mundes, der Mundhöhle und ihrer Organe. 79
von
allerdings
bei einzelnen Familien
so treffen wir eine
bei den Anurenlarven (s
Mehrzahl der Reptilien.
labiales. Ihr Fehlen bei den
Rückbildung, da C. Rose
Teleosteern den Mundrand umsäumen,
vergängliche Umrandung des Mundes
p. 71). Lippen besitzen ferner die
Sie beherbergen hier die Glandulae
Cheloniern erklärt sich aus einer
1 1892) bei älteren Embryonen von
Che Ion e Mi das rudimentäre Lippenfurchen, die an der Außen-
seite der Kieferränder entlang ziehen, nachweisen konnte. Ebenso
wurden Lippenrudimente am Ober- und Unterschnabel der Embryonen
von Vögeln angetroffen (Edw. G. Gardiner 1884, G. Rose (1892)
(s. p. 72 und Fig. 60, 61, 62 a). In allgemeiner Verbreitung be-
stehen Lippen in Begrenzung eines geräumigen Vestibulum oris bei
Säugetieren.
Ihre seitliche
geraumigen
Vereinigung
den
schmälert mehr oder weniger die Mundspalte
Muskulatur stehen sie auf besonders hoher
wird
zu einer Wange ver-
. Durch den Besitz einer
Entwickelungsstufe.
angegeben.
Für die Mono t r e m e n wird ein Fehlen von Lippen
Jedenfalls geht ihnen die Abgrenzung eines Vestibulum oris ab ; die
Entwickelungsgesckichte wird aber hier erst zu entscheiden haben, ob
nicht die Rückbildung der Kieferränder, die Folge des Zahnschwundes,
hier eher in Betracht kommt als das Fehlen von Lippen. Das erstere
bedingt mit Sicherheit bei den Mystacoceten den Mangel einer
Lippenfurche an der sehr mächtigen Unterlippe und die mangelhafte
innere Begrenzung der Oberlippe, also das Fehlen der Abtrennung eines
Vestibulum oris (W. Kükenthal) *).
Die Anlage des Vestibulum oris macht
sich als eine seichte Furche auf der Höhe
der primitiven Mundränder, des Kiefer-
Lippenwulstes, bemerkbar (Fig. 37a). Im
Bereich dieser Lippenfurche ist das Epithel
verdickt (menschlicher Embryo von 17 mm
Steißscheitellänge, C. Rose, Fig. 65 L.F.).
Vom Grund der Lippenfurche senkt sich
dann eine Epithelleiste in das Bindegewebe
ein, die Lippenfurchenleiste (Fig. 65 L.F.L.,
menschlicher Embryo von 25 mm, C. Rose),
in deren Bereich eine Spaltbildung auftritt.
Diese Spalte hängt mit der primären Lippen-
furche zusammen und scheidet nunmehr
scharf die Lippe vom Kieferwall, bildet
also den Raum des Vestibulum oris. Der
gleiche Vorgang spielt sich nicht nur im
Bereich der eigentlichen Lippen, sondern
auch der Wangenregion ab (A. Bild). In vielen Fällen fällt die
Abgangsstelle der Zahnleiste noch in den Bereich der Lippenfurche
(s. Fig. 65). Daß dies aber nicht durchweg der Fall ist, beweisen die
Darstellungen von G. Pouchet und L. Chabry und A. Bild. Auch
wenn anfänglich die Zahnleiste im Bereich der Lippenfurche entspringt,
rückt sie späterhin aus ihr heraus, und die ihr entsprechende Furche
wird an der Oberfläche des Kieferwulstes sichtbar (Fig. 37b) 2).
Fig. 65. Embryo vom
Mensch, 4 cm. Querschnitt
durch die Anlage der Unter-
lippe. Nach C. Rose. L.F.
Lippenfurche (primäre). L.F.L.
Lippenfurchenleiste. V.L. Un-
terlippenwulst. U.K. Unter-
kieferwulst. Z.L. Zahnleiste.
1) Die verbreitete Angabe, daß den Cetaceen Lippen fehlen, trifft weder für
die Zahn- noch Bartenwale zu (W. Kükenthal).
2) Die erste richtige Darstellung der Lippenbildung stammt von J. Koll-
80 E. GÖPPERT,
Endlich sei noch auf die zeitweilige epitheliale Verklebung der
Mundspalte bei Marsupialiern, die nur eine enge Saugöffnung
freiläßt (E. Selenka 1886) und einen entsprechenden Vorgang hin-
gewiesen, den F. Keibel (1899) beim Schaf und Reh kennen lehrte
(s. Bd. I, Kap. ß, p. 112 und 125). In den letzteren Fällen fehlt die
funktionelle Bedeutung des Vorganges, die ihm offenbar bei den
Beutlern zukommt. Bei Schaf und Reh löst sich der Verschluß noch
in embryonaler Zeit.
Das eigenartige sog. Schnabelschild des Opossum ist oben er-
wähnt (s. p. 28).
Litteratur
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Vorderdarms.
1. Schwimmblase.
Am Vorderdarm dicht hinter dem Kiemenbereich nehmen die luft-
führenden Organe der Wirbeltiere, die Schwimmblase und die Lungen,
ihre Entstehung. Wir betrachten die erstere zunächst.
Eine Schwimmblase i. d. R. als unpaare Bildung kommt allen 6a-
noiden und den Teleosteern mit Ausnahme einzelner Arten, bei
mann (1870). Weiter sind zu nennen G. Poüchet und L. Chabry (1884),
W. Leche (1893), A. Hoffmann (1894), G. Favaro (1901), C. Böse (1891),
A. Bild (1902). Bemerkungen über die Entwickelung der Wange finden sich bei
J. H. Chievitz. Ueber den Lippensaum des Menschen vergl. die Arbeiten von
0. Neustätter (1894) und Stieda.
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 81
denen sie rückgebildet ist, zu. Bei der großen Mehrzahl der Ganoiden
mündet sie an der Dorsalseite des Oesophagus, nur bei Polypterus an
der Ventralseite. Ihr paariger Bau, ihre Versorgung aus der hintersten
Kiemenvene läßt sie bei jener Form besonders beachtenswert erscheinen.
Bei einem Teil der Teleosteer besteht keine Verbindung mit dem Darm
(Pkysoklysten), bei den anderen stellt ein Ductus pneumaticus den Zu-
sammenhang mit dem Oesophagus resp. dem Magen her (Physostomen).
Dieser mündet in der Mehrzahl der Fälle dorsal in den Vorderdarm, nur
bei den Erythr ininen erfolgt seine Befestigung an der linken Seite
(s. Sagemehl). Auf die große Verschiedenheit der äußeren Form der
Blasen, auf die Komplikationen im gröberen und feineren Bau ihrer
AVandung sei nur kurz hingewiesen, da entwickelungsgeschichtlich diese
Dinge noch nicht gebührend berücksichtigt sind. Für die Gestaltung
des Organs ist von der allergrößten Bedeutung seine bei mehreren Ord-
nungen erworbenen Beziehungen zum Gekörlabjo-fnth, die ihren voll-
kommensten Ausdruck in dem WEBER'schen Apparat finden. Daß end-
lich die Schwimmblase oder Teile von ihr auch respiratorische Bedeutung
besitzen, ist bei einzelnen Formen wahrscheinlich, bei anderen (Aal, Ductus
pneumaticus) erwiesen.
Bei Embryonen und jungen Tieren mehrerer Selachierarten ist
von Miklucho-Maclay (1867) ein Schleimhautdivertikel an der Dorsal-
seite der Magen - Oesophagusgrenze beschrieben und als Rudiment
einer Schwimmblase gedeutet worden. P. Mayer (1894) bestätigte
das Vorkommen des Divertikels nur für Mustelus, fand es hier auch
bei erwachsenen Tieren, aber außer ihm noch zwei ventral gelegene
gleichartige Taschenbildungen. Dadurch sowie durch die Vereinzelung
des Vorkommens sind Beziehungen des Blindsackes zur Schwimmblase
sehr unwahrscheinlich geworden.
Unter den G a n o i d e n entsteht bei L e p i d o s t e u s , wie wir durch
F. M. Balfour und W. N. Parker (1882) wissen, die Schwimmblase
gleich nach dem Ausschlüpfen der jungen Tiere in dorsomedianer
Lagerung dicht hinter dem Kiemenbereich als unpaares Divertikel der
Darmwand und wächst von hier nach hinten aus. Eine andere sehr
bemerkenswerte Art der Entwickelung
stellte neuerdings Bashford Dean (1896)
und eingehender H. Piper (1902) für Amia
calva fest (1902). Hier bildet sich die
Schwimmblase als eine rinnenförmige Aus-
stülpung dorsomedian am oralen Teil der
Magen-Oesophagusanlage (Fig. 66, S.). Die
Panne schnürt sich von hinten nach vorn
von der Darmanlage ab bis auf die vorn
als Ductus pneumaticus bestehen bleibende
Kommunikation. So spielen sich hier ähn-
liche Vorgänge ab wie bei der Lungenent-
wickelung.
Fig.
66. Amia calva. Ansicht des Darm-
kanals eines Embryos von der Dorsalseite. Nach
einem von H. Piper gütigst zur Verfügung ge-
stellten Platten modell. S. Schwimmblasen anläge am
oralen Teil des Vorderdarmes. P. Pankreas. M.
Milz. V. Vorderdarm. Die Leber ist weggelassen.
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1.
82
E. GÖPPERT,
Für die Tele os teer ist bereits durch K. E. v. Bär (1835) die
Entwickelung der Schwimmblase durch Ausstülpung der Dorsalseite
des Vorderdarms beschrieben (Fig. 67, S.). Bei den Physoklysten
bildet sich dann der Ductus pneumaticus zurück (v. Bär und Rathke).
S.
- / -
-\~)-}i(^^
Fig. 68.
Fig. 67.
Fig. 67. Trutta fario. Embryo nach dem Ausschlüpfen. Darmkanal von
der Dorsalseite. Nach Stricker. S. Schwimmblase. G. Gallenblase. L. Leber.
P. Pankreas.
Fig. 68. Salmo salar. 17 mm langer Embryo. Sagittalschnitt durch den
Vorderdarm V. Mit der Schwimmblasenanlage S. Nach H. K. Cornestg.
Die Angabe VON Bär's, daß die vordere Kammer der Schwimmblase von Cy-
prinus anderen allerdings von ihm nicht näher bestimmten Ursprungs ist als die
hintere, mit der sie erst sekundär verschmelzen soll, bedarf dringend der Nach-
prüfung. Nach C. Vogt soll die Schwimmblase von Coregonus palaea als
solider Zellenhaufen an der dorsalen Vorderdarmwand auftreten.
Neue Angaben verdanken wir H. K. Corning (1888) für Salmo.
Der Beginn der Entwickelung der Blase macht sich bei 12 mm langen
Embryonen bemerkbar. Der Oesophagus ist in diesem Stadium vorn
noch solid, weiter hinten besteht eine namentlich dorsal gerichtete Er-
weiterung seines Lumens und von hier geht die Ausstülpung der
Schwimmblasenanlage dorsalwärts nach hinten und etwas nach rechts
zu von statten (Fig. 68). Die Anlage wächst weiter nach hinten;
dabei erfährt sie, wie aus F. Stricker's Darstellung hervorgeht, eine
geringe Verlagerung nach der linken Seite zu (Fig. 67).
Neben den Erörterungen über die Leistung der Schwimmblase spielte
in der Litteratur auch die Frage nach den Beziehungen zwischen ihr
und den Lungen eine wichtige Rolle. Schon K. E. v. Bar äußerte sich
1835 dahin, daß zwischen beiden Organen nur eine allgemeine Analogie
bestehe. Im Gegensatz hierzu treten die meisten späteren Autoren mit
wenigen Ausnahmen für die Homologie beider Organe ein, in der Art,
daß ein ursprünglicher Zustand angenommen wird, von dem aus in
divergenter Richtung einerseits die Schwimmblase, andererseits die Lunge
entstand. Von dem Wesen einer solchen Ausgangsbildung suchte sich
H. Eisig (1881) auf Grund von Beobachtungen pneumatischer Anhänge
des Annelidendarmes eine Vorstellung zu bilden. Die sog. Schwimm-
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 83
blasen einzelner Anneliden haben hydrostatische Bedeutung, dienen aber
vor allem als Reservoir für Gasmengen, die zeitweilig in dem die Re-
spiration vermittelnden Darm abgeschieden, in den Schwimmblasen auf-
gespeichert und bei Bedarf wieder abgeführt werden , um der Atmung
zu dienen. Eine ähnliche Bedeutung kann man nach Eisio, dem sich
Balfour hierin anschließt, bei einem Organ voraussetzen, von welchem
die Schwimmblase wie die Lunge ihren Ausgang nehmen konnte.
Bei dem Versuch, die Homologie der Lunge und Schwimmblase zu
begründen, wird • die Verschiedenheit ihrer Lagerung, namentlich ihrer
Verbindung mit dem Darmkanal vor allem in Betracht zu ziehen sein,
während die Unterschiede ihrer Gefäßversorgung geringere Bedeutung
besitzen. Eine Hypothese, welche die hier sich ergebenden Schwierig-
keiten zu beseitigen sucht,- gab J. E. V. Boas (1881). Er meinte, daß das
pneumatische Organ, das anfangs unpaar an der Dorsalseite des Darmes
lag, sich samt seinem Verbindungsgang der Länge nach spaltete. Jeder
Teil sollte dann um den Darm herum ventralwärts wandern, mit dem
anderseitigen wiederum in seinem Anfangsbereich verschmelzen und so
zu einem Zustand führen, wie ihn die Schwimmblase von Porypterus
und die Lunge der Amphibien und Amnioten bietet. Mehr auf den
Boden der Erfahrung stellte sich M. Sagemehl (1884). Er sieht den
primitiven Zustand bei Polypterus verkörpert, von dem direkt die
Lunge der Amphibien und Amnioten ableitbar ist. Bei den T e 1 e o -
steern erhält sich nur der linke der beiden Säcke der Polypteruslunge
und wandert an der linken Seite des Darmrohres dorsalwärts unter Ueber-
nahme wesentlich hydrostatischer Bedeutung. Einen Uebergangszustand
weisen die Erythrininen mit ihrer linksseitigen Mündung des Ductus pneu-
maticus auf. In anderer Weise leiten sich die Verhältnisse bei den
Dipnoern vom Polypteruszustand ab , wo die Verlagerung des Luft-
sackes um die rechte Seite des Darmes herum vor sich gegangen ist,
während seine Mündung an Ort und Stelle verbleibt.
Aus der Entwickelungsgeschichte sind bisher keine sicheren Polge-
rungen für die Prägen nach der Homologie der Schwimmblase zu ziehen.
Die Homologie zwischen Lunge und Schwimmblase läßt sich vorläufig
mit ihrer Hilfe nicht beweisen, aber auch nicht mit Bestimmtheit aus-
schließen.
Litter atur. S c h w i m m blase.
Balfour, F. M. and Parker, W. N. 1882. S. A. L. III. 5.
v. Bär, K. E. Untersuchungen über die Entivickelungsgeschichte der Fische nebst einem
Anhang über die Schwimmblase. Leipzig 1835.
— Ueber die Entstehungsweise der Schwimmblase ohne Ausführungsgang. (Auszug aus:
Bullet, scientif. de l'Academie de St. Peter sbourg. T. I.) Ar eh. f. Natitrgesch. 3. Jahr-
gang. Bd. I. 1837.
Boas, J. E. V. Ueber den Conus arteriosus und die Arterienbogen der Amphibien.
Morphol. Jahrb. Bd. VII. 1881.
Corning, H. K. Beiträge zur Kenntnis der Wundernetzbildungen in den Schwimm-
blasen der Teleostier. Morphol. Jahrb. Bd. XIV. 1888.
Cuvier et Valencietines. Histoire naturelle des poissons. T. XII u. XIX.
Bashford Dean. 1896. S. A. L. III. 5.
Eisig, H. Ueber das Vorkommen eines schwimmblasenähnlichen Organs bei Anneliden.
Mitteilungen aus der zoologischen Station zu Neapel. Bd. II. 1881.
Gegenbaur, C. Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere. Bd. IL 1901.
Hasse C. Anatomische Studien. T. XIV. Beobachtungen über die Schwimmblase der
Fische. Leipzig 1873.
Jacobs, Christian. Ueber die Schwimmblase der Fische. Inaug.-Diss. d. naturio.
Fakidtät zu Tübingen. Leipzig 1898.
6*
84 E. Göppert,
Mayer, P. (Jeber die vermeintliche Schicimmblase der Selachier. Mitt. a. d. zool. Stat.
Neapel. Bd. IL Heft 3. 1S91.
Mikliicho-Marlay. Ueber ein Schwimmblasenrudiment bei Selachiern. Jenaische Zeitschr.
Nalurw. Bd. III. 1867.
Müller, Joh. Bau und Gh'enzen der Ganoiden. Vergleichende Anatomie der Myxi-
noiden. T. IV.
Piper, H. Die Entwickelung von Leber, Pankreas, Milz und Schwimmblase von Amia
calva. Verh. d. Anat. Ges. 16. Vers, zu Halle. 1902. Ergänzungsh. zum XXI. Bd.
des Anat. Anz. 1902.
Sagemehl, M. Beiträge zur vergleichenden Anatomie der Fische. III. Das Cranium
der Characiniden nebst allgemeinen Bemerkungen über die mit einem Weber' sehen
Ajijiamt versehenen Physostomenfamilien. Morphol. Jahrb. Bd. X. 1884:.
Stricker, F. Plattenmodelle zur Entwickelung von Darm, Leber, Pankreas u. Schwimm-
blase der Forelle. Internat. Monatsschrift f. Anat. u. Physiol. Bd. XVI. 1899.
Vogt, C. Embryologie des Salmones.
Weber. De aure et auditu hominis et animalium. Lips. 1820.
2. Lungen mit Kehlkopf und Luftröhre.
a) Erste Anlage.
Wenn wir nunmehr zur Entwickelungsgeschichte der Lungen
übergehen, wollen wir zunächst die erste Anlage des Luftweges be-
sprechen, und dann die specielle Entwickelung von Larynx und Trachea,
endlich die der Lungen selbst anschließen.
Die Lungen treten in dem Tierreiche in zwei verschiedenen, nicht
ohne weiteres aufeinander zu beziehenden Zuständen auf. Den einen
repräsentieren wiederum in zwei Modifikationen die Dipnoer, den
anderen die übrigen Lungenatmer. Gemeinsam ist beiden die ventrale
Verbindung mit dem Darmrohr.
Genauer bekannt sind wir nur mit der Entwickelung der A m -
phibien- und Amniotenlunge. Hier herrschen im großen und
ganzen in der ersten Anlage durchaus übereinstimmende Verhältnisse.
Sie entsteht an der ventralen Seite der Vorderdarmwand unmittelbar
hinter dem Kiemenbereich. Das Darmrohr buchtet sich hier zu einer
schmalen Rinne aus, die, sagittal gestellt, in ganzer Länge mit dem
übrigen Darmlumen kommuniziert (Lungenrinne Fig. 69 70 u. 71 Lr).
Diese Rinne beginnt dann von ihrem caudalen Ende an sich gegen
den zum Oesophagus werdenden Teil des Darmrohres abzuschließen.
Gleichzeitig oder schon vor dem Beginne der Abschnürung wachsen
aus ihrem caudalen Ende in die Leibeshöhle jederseits einragend die
beiden primitiven Lungensäcke hervor (Fig. 71 L). Der Abschluß
der Lungenrinne gegen das Darmrohr führt zur Bildung der Trachea,
die dann mehr oder weniger stark in die Länge wächst (Fig. 71a
und b). Nur vorn erhält sich die Verbindung beider. Der dieselbe
vermittelnde Teil des Luftweges wird zum Kehlkopf, die Mündung
zum Aditus laryngis, dessen Umgebung bei Amnioten eine be-
sondere Ausgestaltung erfährt.
In den verschiedenen Klassen der höheren Wirbeltiere bestehen
einzelne Besonderheiten der ersten Anlage des Luftweges, die noch kurz
zu erwähnen sind.
Von den Amphibien kennen wir am eingehendsten die Lungen-
entwickelung von Bombinator durch A. Goette (1874). [Vergl. auch
A. W. Weisse (1895), M. Hempstead (1900) und S. H. Gage (1900)]. Die
Lungenrinne ist hier nur kurz, entsprechend dem kurzen gedrungenen
Bau des gewöhnlich als Stimmlade bezeichneten unpaaren Teils des Luft-
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 85
weges (= Kehlkopf plus Trachea) (Fig. 69). Die paarigen Lungen-
säcke, die nach hinten in das Bindegewebe der Splanchnopleura des
Vorderdarms hineinwachsen, bilden zunächst je einen dickwandigen, von
engem Lumen durchzogenen Schlauch, der sich später unter Abmachung
des Epithels ausweitet und dünnwandig wird. Die Lungenanlagen lösen
sich dabei von der Wand des Vorderdarmes allmählich ab, bleiben aber
noch lange mit ihm, später mit seinem Mesenterium durch eine Peritoneal-
duplikatur in Verbindung. Bei anderen Anuren ist die erste Anlage der
Lunge ein solider Auswuchs der Vorderdarmanlage (Hbmpstead).
Th. U
Fig. 70.
Fig. 69.
Fig. 69. Born bin at or igneus Larve. Querschnitt in der Höhe der Lungen-
anlage. Nach A. Goette. Lr. Lungenrinne mit den seitlichen Ausbuchtungen der
primitiven Lungensäcke.
Fig. 70. Hühnchen am 3. Bebrütungstage. Medianschnitt durch den Kopf
nach A. Seessel. Lr. Lungenrinne, Th. Thyreoidea, U. Unterkieferwulst.
Von Sauropsiden ist uns seit A. Seessel (1877) die erste An-
lage der Lunge beim Hühnchen am genauesten bekannt (ältere Be-
obachtungen bei v. Bär, Remak, A. G-oette, Selenka). Die Lungenrinne
ist am Anfang des 3. Bebrütungstages fast gleichzeitig mit der Schild-
drüsenanlage als flache, nach hinten vertiefte Ausbiegung der Vorder-
darmwand erkennbar (Fig. 70 Lr). Mitte des 3. Tages beginnen die
Lungenanlagen hervorzusprossen, während die Ablösung der Rinne vom
Oesophagus und damit die Bildung der Trachea erst etwa am 5. Tage
beginnt.
Für die Säugetiere basiert unsere Kenntnis auf den Unter-
suchungen Kölliker's (1879) [Kaninchen], und W. His (1887) [Mensch],
an die sich eine Reihe anderer Forscher anschlössen1) (Fig. 71a u. b).
Die Lungenrinne bildet anfangs nur den ventralen Teil des von beiden
Seiten her abgeflachten vordersten Teils der Vorderdarmanlage. Bald
1) Den Ausbau der Kenntnis über die erste Lungenanlage verdanken wir
ferner folgenden Forschern: N. Uskow (1883) [Kaninchen], P. Willach (1888)
[Maus], A. Robinson (1889) [Ratte und Maus], A. Stoss (1892) [Schaf], A. Nico-
las und Z. Dimitrova (1897) [Schaf], A. Narath (1901) [Meerschweinchen und
Kaninchen].
86 E. Göppert,
vertieft und erweitert sie sich an ihrem caudalen Ende. Frühzeitig
macht sich dabei eine Asymmetrie bemerkbar, indem die Erweiterung
nach rechts stärker vorspringt als nach links. Dieses asymmetrische
Verhalten zeigen auch die beiden von hier ausgehenden primitiven Lungen-
schläuche. Diese wachsen caudalwärts in eine mächtige, von der Splanchno-
pleura des Vorderdarmes gelieferte Bindegewebsmasse hinein und be-
ginnen hier ihre Verzweigung (s. u.). Beim Menschen ist die Lungen-
rinne schon vor Ablauf der 3. Woche erkennbar. Am Schlüsse des
1. Monats ist die Abtrennung der Trachea gegen den Oesophagus
vollzogen, die dann stark in die Länge wächst. Gleichzeitig beginnt
die Sprossenbildung an den Lungenschläuchen J) (W. His).
Fig- 71a- Fig. 71b.
Fig. 71a u. b. Menschliche Embryonen von 5 und 12,5 mm Länge.
Eingeweiderohr mit Lungenanlage von rechts, nach W. His. Hy. Hypophysisanlage.
L. Primäres Lungensäckchen. Lr. Lungenrinne. Lar. Larynx. TV. Trachea. Th. Thyreoidea.
b) Entwickelung des Larynx und der Trachea (incl. Syrinx).
Wir beginnen die Betrachtung der Entwickelung des Larynx mit
der seines Eingangs und Binnenraunies.
Bei den Amphibien begrenzt im allgemeinen jederseits eine vom
Arytänoid gestützte Falte (Plica arytaenoidea) den sagittal gestellten,
spaltförmigen Kehlkopfeingang. Bei den Sauropsiclen erhebt sich in ein-
zelnen Fällen die ventrale Umrandung des Eingangs zur Bildung einer
Epiglottisfalte. Erst bei den Säugern besitzt aber eine Epiglottis wesent-
liche Bedeutung und mächtige Ausbildung. An ihr befestigen sich die
ventralen Enden der seitlichen Grenzfalten, der Plicae ary-epiglotticae.
In Beziehung zum Kehlkopf stehen endlich noch die Plicae palato (resp.
pharyngo-) epiglotticae.
Die Entwickelung des Kehlkopfeinganges ist für die höheren
Säugetiere und namentlich den Menschen bekannt (v. A. E. Kallius,
1897). In frühen Stadien bilden die Seiten des Acutus laryngis die
durch die Arytänoidanlage stark emporgetriebenen sogenannten Ary-
wülste, welche den Plicae arytaenoideae der Amphibie n gleich zu setzen
sind. Aus ihnen gehen die Plicae ary-epiglotticae mit den sich bald
bemerkbar machenden Noduli Wrisbergi (cuneiformes) hervor. Später,
1) Als Hemmungsbildung auf dem Stadium der Lungenrinne läßt sich eine
Mißbildung verstehen, die bei einem menschlichen 8-monatlichen Foetus von
H. Schmit^(1893) beobachtet wurde. Die Lunge fehlt, auch der untere Teil der
Trachea. Kehlkopf und Trachea kommunzierten in ganzer Ausdehnung mit dem
Oesophagus.
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarnis. 87
beim Menschen am 28. — 29. Tage, erhebt sich der ventrale Teil des
Einganges zu einer quergestellten Falte, der Epiglottis (Fig. 72 Ep.),
die jederseits noch mit seitlichen Teilen (Ep.l.) die vorderen Ansätze
der Plicae ary-epiglotticae ein Stück überragt. Diese seitlichen Teile
der Epiglottisfalte, die bei Säugetieren in fast allgemeiner Verbreitung
vorliegen, schwinden beim Menschen im Laufe der weiteren Ent-
wickelung1). Nicht lange nach dem Auftreten der Epiglottis zeigen
sich auch als starke Falten die beim
Menschen sehr variablen Plicae
pharyngo-epiglotticae {PL ph. ep.). ,.....- Ep.
Ihnen entsprechen bei niederen
Formen der Piacent 'alier und
bei den Monotre m e n die für den
Fig. 72. Menschlicher Embryo
(40— 42 Tage). Kehlkopfeingang. Nach \j§/! \] -IMod.CUn.
E. Kalliüs. Ar. der Spitze des Arytänoides
entsprechender Wulst. Ep. Epiglottisfalte.
Ep. I. Seitenteile der Epiglottis. Nod. cun.
Nodulus Wrisbergi (cuneiformis). PI. ph.-ep.
Plica pharyngo-epiglottica.
hinteren Abschluß des Isthmus faucium sehr wichtigen Plicae palato-
epiglotticae.
Sehr beachtenswert ist, daß der Kehlkopfeingang des menschlichen
Fötus und Neugeborenen viel höher steht als der des Erwachsenen.
Bei Föten im 5. Monat steht die Epiglottis noch hinter dem Veluni
palatinum, der Kehlkopf ragt also in das Cavum pharyngo-nasale ein
(J. Symington, C. Gegenbaur, H. B. Howes), wie es für die Säuge-
tiere im allgemeinen charakteristisch ist (J. Rückert).
Gleichzeitig mit der mächtigeren Ausbildung der Arytänoidwülste
verengt sich der Binnenraum des Kehlkopfes in querer Richtung und es
kommt, wie es scheint, allgemein, zu einer teilweisen Verklebung der
einander zugekehrten Wandflächen (Fig. 73L). An der Dorsalseite erhält
sich aber dauernd ein Teil des Lumens und setzt sich an letzterer Stelle
in das der Trachea fort. Erst in der 10. — 11. Woche stellt sich beim
menschlichen Embryo das Lumen wieder ganz her, gleichzeitig mit dem
Erscheinen der Stimmbänder (W. Roth, A. Kölliker, Entwickelungs-
geschichte, E. Putelli, E. Kalmus, 1897). Im 4. Monat kommt es
dann hier zur Ausbildung der MoRGAGNi'schen Tasche (D. Hansemann,
1899). Ueber die Entwickelung der übrigen vom Kehlkopf ausgehenden
verschiedenen Ventrikelbildungen ist noch nichts bekannt.
Ein Skelet des Luftweges treffen wir von den Amphibien2)
an in steigender Vervollkommnung. Wir können hier als primäres
Skelett Stücke zusammenfassen, die in ihrer vollkommensten Ausbildung
sich als Arytänoide samt SANTORiN'schen Knorpeln, Cricoid, Procri-
coide und Tracheairinge darstellen. Als spätere Erwerbungen gesellen
sich ihnen der Epiglottisknorpel mit dem WRiSBERG'schen Knorpel
und die Cartilago thyreoüdes hinzu:
1) Die Anlage der Epiglottis samnit der der ary-epiglottischen Falten ist von
W. His als „Furcula" zusammengefaßt worden.
2) Unter den Dipnoern besitzt Protopterus in der Schleimhaut des Vorder-
darmes vor dem Eingang zur Lunge eine aus festgefügtem Bindegewebe
bestehende Platte, die keine Beziehungen zu einem der Kehlkopfknorpel der höheren
Formen erkennen läßt.
88 E. Göppert,
Die vergleichend-anatomischen Untersuchungen J. Henle's (1839)
ergaben, daß das primäre Laryngo-Trachealskelett im primitivsten Ver-
halten aus einem Paar von Knorpelstücken besteht, die jederseits den
Luftweg begleiten, den Seitenknorpeln (Cartilagines laterales, Proteus,
Necturus) x). Bei den höheren Pormen haben die oralen Teile der Seiten-
knorpel ihr Homologon in den Arytänoiden. Den folgenden, sogenannten
Partes crico-tracheales der Seitenknorpel, entsprechen das Cricoid und
die Tracheairinge resp. Bronchialringe, die ihren Bereich schließlich in
das Innere der Lunge ausdehnen.
Die Untersuchung der Entwickelung des primären Laryngo-
Trachealskeletts bei Salamandra und Triton durch C. Gegenbaur
(1892) ergab, daß hier jederseits bei jungen Larven eine stabförmige
Knorpelanlage den Luftweg bis zum Beginn der Lungensäcke begleitet,
die nach ihrem Verhalten nur als Cartilago lateralis bezeichnet werden
kann. An ihr gliedert sich der vorderste, die Muskeln des Kehlkopfes
aufnehmende, Teil ab und bildet das Arytänoid. Daß auch in dem
übrigen Teile später Zerlegungen eintreten, ergiebt die Untersuchung
des fertigen Tieres.
Sehr abweichende Vorgänge spielen sich bei der Entwickelung
des Kehlkopfskeletts der Anuren ab, wie M. Märtens (1897) zeigte,
und nur Einzelheiten weisen darauf hin, daß auch hier ursprünglich
die Cartilago lateralis vorlag.
Das Arytänoid scheint in der Mehrzahl der Fälle bereits gesondert
angelegt zu werden. Nur bei Bufo verbindet eine schmale Zellenbrücke
noch seine Anlage mit der der Pars crico-trachealis des Skelettes, als
ein letzter Rest ursprünglicher Zusammengehörigkeit. Bei Alytes ob-
stetricans bestehen sogar ganz erhebliche zeitliche Verschiedenheiten
im Auftreten beider Teile. Die Arytänoidanlage ist anfänglich stabförmig
und wird erst später zur Schalenform übergeführt.
Die übrigen Bestandteile des Laryngo-trachealskelettes legen sich
bei Alytes obstetricans jederseits als ein Knorpelstab an, in
welchem die Pars crico-trachealis der Cartilago lateralis wiederkehrt.
Dauernd repräsentiert ist dieser Zustand bei einem anderen Anuren:
Discoglossus pictus. Durch dorsale und ventrale Verbindung der
oralen Teile beider Stücke untereinander kommt es zur Ausbildung: des
sog. Ringknorpels. Wesentlich anders läuft die Entwickelung bei R a n a
undHyla ab. Hier entstehen caudal vom Arytänoid dorsal und ventral
isolierte Knorpelstücke, die seitlich vom Luftweg miteinander zusammen-
fließen und damit den Ringknorpel entstehen lassen. Von dessen lateralen
Teilen entwickelt sich dann erst jederseits ein Stab, der den Luftweg
begleitet, die Pars trachealis des Crico-trachealskeletts. Da eine Parallele
der Stadien dieses Entwickelungsganges bei fertigen Formen und auch
in der Ontogenese primitiverer Arten nicht zu finden ist, werden wir in
ihm einen stark cänogenetisch veränderten Vorgang zu erblicken haben.
Die Erklärung für die auffallende Abweichung steht noch aus.
Für die Sauropsiden fehlt bisher noch die Untersuchung der
Entwickelung des primären Laryngo-trachealskelettes, während sie bei
den Säugetieren genauer bekannt geworden ist2).
1) Die Bezeichnung „Cartilago lateralis" wird seit Gegenbaur (1892) in dem
obigen Sinne verwandt. Henle selbst hatte mit Cartilago lateralis das Stück be-
zeichnet, das oben Pars resp. Cartilago crico-trachealis genannt wurde.
2) Die folgende Schilderung stützt sich auf die Angaben E. Göppert's (1901)
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 89
Vor dem Auftreten distinkter Skelettanlagen besteht in der Um-
gebung des Luftweges eine dichtere Anordnung des mesodermalen
Gewebes und in ihm kommt es dann zur Differenzierung der Knorpel-
anlagen, die im großen und ganzen gleich bei ihrem Auftreten die
Gestalt der fertigen Teile aufweisen. Ihr Gewebe ist als Vorknorpel
zu bezeichnen. Beim Menschen beginnen sie Ende der 4. Woche
hervorzutreten. An den Anlagen ist bemerkenswert, daß die der
Arytänoide mit dem Cricoid, letzteres vielfach wenigstens mit dem
Tracheairinges
und die
Zusammenhang
Seite
Cartilagines laterales
Tracheairinge
stehen.
und
an.
des Luftweges
dorsalen Ende des ersten
wiederum untereinander in unmittelbarem
Diese Verbindungen liegen durchweg an der
zeigen die Herkunft der Knorpel aus den
In der vorknorpligen Anlage des Arytänoids tritt nach Kallius
beim Menschen Ende der 7. Woche zuerst hyaline Grundsubstanz auf.
Bemerkenswert ist, daß die caudalen Teile der Anlagen beider Stell-
knorpel bei Echidna dorsal vom Kehlkopf durch eine Gewebsbrücke
miteinander in kontinuierlicher Verbindung stehen (Fig. 73), selbst noch
nach dem Auftreten hyaliner Grundsubstanz. Ein analoges Verhalten
zeigt dauernd S i r e n lacertina. Weiterhin wird die dorsale Verbindung
beider Arytänoide median durchtrennt; beide stoßen dann noch in einer
Naht zusammen. Eine innige dorsale Verbindung beider Arytänoide be-
steht übrigens im fertigen Zustande auch bei den Marsupialiern
(J. Symington) und in weiter Verbreitung, wenn auch lockerer bei
Placentaliern. Sie scheint also für die Säugetiere überhaupt ein ur-
sprünglicher Besitz gewesen zu sein.
Eine Abgliederung des oralen Teiles des Arytänoids bildet die
Cartilago Santorini (C. corniculata). Wahrscheinlich stehen auch
die sog. Procricoide (Schaltstücke) in genetischer Beziehung zu den
Stellknorpeln. Das vordere Procricoid (sog. Interarytänoid), das der
dorsalen Raphe der Schließmuskeln eingelagert ist, scheint nach Be-
funden bei Echidna vom oralen Rand der oben erwähnten Interary-
tänoidbrücke auszugehen. Mög-
licherweise entsteht das hintere
am caudalen Brückenrand. Auf
keinen Eall haben die Pro-
cricoide der Säuger irgend
etwas mit dem gleichnamigen
Stücke der Reptilien, einer
Abgliederung des Cricoids, zu
thun.
vPh.
Das Cricoid eilt in seiner
Fig. 73. Echidna. Embryo.
Querschnitt durch den oralen Teil
des Kehlkopfes und den Pharynx.
Ar. Arytänoidanlage. Dil. Diktator
laryngis. H.H. Zweiter Zungenbein-
bogen. H.Co. Hyoid-Copula. Th.I.
Erster Thyreoidbogen. Th.Co. Thy-
reoidcopula. L. Kehlkopf. Ph. Pha-
rynx. M. ar. pr. Muse, ary-procricoi-
deus.
für Echidna , A. Nicolas' (1894) und besonders E. Kallius' (1897) für die höheren
Formen, namentlich den Menschen.
90 E. GÖPPERT,
kistogenetischen Ausbildung den Arytänoiden und Tracheairingen voran.
Zu einer Zeit, in welcher letztere noch vorknorpeligen Charakter tragen,
besteht im Ringknorpel bereits hyaline Grundsubstanz.
Bei Echidna-Embr}Tonen fiel die große Variabilität der Gestalt des
Ringknorpels auf. Konstante Verhältnisse zeigten nur die dem Verlauf der
Cartilago lateralis entsprechenden Seitenteile, als die mächtigsten und primi-
tivsten Teile des Skelettstückes. Beim Menschen tritt in der ringförmig
geschlossenen vorknorpeligen Cricoidanlage, die am 29. Tage erkennbar
ist, die Umbildung in hyalines Knorpelgewebe zuerst in den Seitenteilen
auf, etwas später im ventralen Teile des Ringes (40. — 42. Tag), zuletzt
erst im dorsalen Teil. Dieses Fortschreiten des Differenzierungsprozesses
weist auf verschiedene Stadien der phylogenetischen Entwickelung hin,
die Seitenteile sind die ältesten Stücke, die zunächst sich nur ventral
zusammenschlössen, zuletzt erst auch dorsal in Verbindung treten. An-
fänglich ist der dorsale Teil des Ringes schmal, erst allmählich ver-
breitert er sich zur sog. Platte. In der 7. — 8. Woche ist die definitive
Form erreicht. Die Thatsache, daß die Ringknorpelplatte sich am
spätesten entwickelt, stimmt mit den Ergebnissen der Vergleichung
fertiger Zustände überein.
Für die Tracheair in ge konnte bei E c h i d n a - Embryonen fest-
gestellt werden, daß im vorknorpeligen Zustande ihre dorsalen Enden
jederseits auf längere Strecken durch einen vorknorpeligen Strang in
Zusammenhang stehen, so daß hier auf das deutlichste der Zusammenhang
der Cartilago lateralis erkennbar hervortrat. Auch später, nach dem
Auftreten hyaliner Grundsubstanz hängen vielfach die dorsalen Enden
der Halbringe noch mit den folgenden oder vorhergehenden Stücken durch
Vorknorpel zusammen, der sich stellenweise noch weiter zu Hyalinknorpel
umbildet, während er anderwärts der Rückbildung verfällt, so daß die
Ringe voneinander frei werden. Nach R. W. Philip erfolgt die Aus-
bildung der Tracheairinge cranial früher als caudal.
Von den späteren Erwerbungen des Kehlkopfskelettes besprechen
wir zunächst den Epiglottisknorpel und die WRiSBERG'schen
Knorpel (Cartilagines cuneiformes) 1).
Nur bei den Säugetieren besteht ein selbständiger Epiglottisknorpel,
mit ihm haben die bei den Sauropsiden vorkommenden sogenannten Pro-
cessus epiglottici des Cricoids nichts zu thun. Der Epiglottisknorpel ist
in seinen oberen Partieen der Gestalt der Epiglottisfalte angepaßt. An
seiner Basis besitzt er ursprünglich paarigen Bau, indem er in zwei
Fortsätze ausläuft (Echidna). Nur dort, wo der Knorpel am oberen
Thyreoidrand Anschluß findet und sich ihm anpaßt, oder wenn Rückbildungen
der Basis eintreten, fehlt die Paarigkeit. Die paarigen basalen Teile
des Knorpels können den Keklkopfeingang von vorn her umfassen und
sich endlich als WiusBERG'sche Knorpel (Cartilagines cuneiformes) abgliedern.
Das gesamte Epiglottisskelett besteht aus elastischem Knorpel und erfährt
oft weitgehende Rückbildungen.
In der histogenetischen Entwickelung bleibt die Anlage des Epi-
glottisskelettes etwas hinter den meisten übrigen Bestandteilen des
Laryngo-trachealskelettes zurück, wenn sein Auftreten selbst auch nur
wenig später erfolgt als das der anderen Stücke; auch zwischen den
1) Vermutlich gehört hierher auch der Knorpel am Eingang des vorderen
medianen Ventrikels der Muriden und Arvicoliden.
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 91
letzteren bestehen übrigens erhebliche zeitliche Verschiedenheiten in
der Entwickelung. Bei Echidna ist die Paarigkeit der Basis von
vornherein ausgeprägt (E. Göppert 1901). Es besteht keinerlei Zu-
sammenhang mit anderen Skelettanlagen. Beim Menschen stimmt
nach E. Kallius bemerkenswerterweise die Anlage des Knorpels,
die schon am 29. Tage erkennbar ist, nicht völlig mit der des fertigen
Zustandes überein. Sie ist an ihrer Basis verhältnismäßig breiter und
reicht etwas in die Plicae ary-epiglotticae hinein. Hier steht sie noch
bei einem Embryo der 29. Woche durch starke Bindegewebszüge mit
der Anlage des WitiSBERG'sclien Knorpels in Zusammenhang. So
dokumentiert sich noch die Zugehörigkeit der letzteren zum Epiglottis-
skelett.
Wie der Epiglottisknorpel, so ist auch die Cartilago thyreoides
ein für die Säugetiere charakteristischer Teil des Kehlkopfskelettes.
K. 1
N. Im
Tr. Oesoph.
Postbr. K.
Fig. 74. Echidna -Embryo, Kopfdarm mit den Kiementaschen von der
Ventralseite gesehen, nach einem Plattenmodell. Schematische Einzeichnung der
Bestandteile der Kiemenbogen. C. or. Lumen der Mundhöhle. H. I u. H. II die
Bogen des Zungenbandes. Th. 1 u. Th. II die Bogen des Thyreoids. K. 1—4 die
Kiemen taschen. 3, 4, 6 die Gefäßbogen. X. lar. sup. Nervus laryngus superior. N. rec.
Nervus recurrens. V, VII, IX, X, XII Trigeminus, Facialis, Glossopharyngeus, Va-
gus, Hypoglossus. Postbr. K. postbranchialer Körper.
Die Entwicklungsgeschichte des Thyreoids von Echidna zeigt
uns sogleich die Herkunft des Stückes (E. Göppert 1901). Es besteht
bei den Monotre m e n aus einem vorderen und hinteren Bogenpaar,
die durch eine Copula zusammengehalten werden. In jungen Ent-
wickeln gsstadien zeigt sich, daß der vordere Thyreoidbogen im 4.,
der hintere im 5. Visceralbogen entsteht, also jeder einen Kiemen-
bogen darstellt (Fig. 74 Th. I u. Th. II), gleichartig denen, die weiter
vorn zur Bildung des Zungenbeins zusammentreten (H. I, H. IT). Die
Copula steht hinter den Bogen, mit denen sie stets kontinuierlich ver-
bunden ist, in der Entwickelung etwas zurück (Fig. 73 Th. I u. Th. — Co.) ;
bei 2 cm langen Beuteljungen besteht aber das Thyreoid bereits durch-
92
E. GÖPPERT,
weg aus hyalinem Knorpel (Fig. 75). Die Entwicklungsgeschichte
bestätigt also die von Eug. Dubois (1886) gegebene Ableitung des
Thyreoids aus dem 4. und 5. Visceral- (2. und 3. Kiemen-) Bogen. Bei
den höheren Formen ist der Aufbau des Thyreoids aus zwei Bogen-
paaren in der Ontogenie nur noch andeutungsweise erkennbar.
Am genauesten ist hier die Thyreoidentwickelung beim Menschen durch
A. Nicolas und E. Kalmus bekannt geworden. Beobachtungen an
anderen Formen (Schwein und Schaf) scheinen im wesentlichen über-
einstimmende Befunde zu ergeben. Die erste Anlage des Thyreoids, die
bei Embryonen von 29 Tagen gerade aufzutreten beginnt, besteht aus
zwei median voneinander getrennten Platten, die den Seitenteilen des
fertigen Knorpels entsprechen
(Fig. 76a Th.). An der Stelle
des späteren Cornu superius
hängt die Anlage kontinuierlich
mit der des 2. Zungenbein-
hornes zusammen (Fig. 76b,
s. auch E. Zuckerkandl 1898),
wie es bei niederen Formen
auch im fertigen Zustand die
Regel ist. Auch darin zeigt die
Anlage primitive Verhältnisse,
daß sie mit ihrem oberen Teil
hinter dem Hyoidkörper lagert.
Der gesamte Kehlkopf steht ja embryonal höher als später (s. o.). Endlich
scheint embryonal regelmäßig ein Foramen thyreoideum zu bestehen
(Fig. 76b). Es dokumentiert den Aufbau der Seitenteile aus den zwei
bei Echidna (Fig. 75) noch getrennten Bogen. In gleichem Sinne
wurde von Kallius auch die von ihm festgestellte Thatsache gedeutet,
daß in der vorknorpeligen Anlage der Seitenteile die Bildung der
hyalinen Grundsubstanz jederseits an zwei getrennten Stellen, am oberen
und unteren Rande ihren Ausgang nimmt. Durch Ausbildung verdichteten
Gewebes werden dann die nunmehr hyalinknorpeligen Anlagen der Seiten-
Fig. 75. Echidna. Beuteljunges. Knor-
pelige Anlage des Thyreoids. Ventralansicht
nach einem Plattenmodell. Th. I u. // Thy-
reoid bogen.
Fig. 76a. Fig. 76b.
Fig. 76 a u. b. Menschlicher Embryo, 39—40 Tage alt. Vorder- und Seiten-
ansicht des Thyreoids (Th.) und des Zungenbeins [H. I u. H. II) nach E. Kallius.
teile miteinander in Verbindung gebracht (40.— 42. Tag) und verschmelzen
hier zunächst in der Gegend des oberen und unteren Randes miteinander.
Zwischen beiden Stellen bleibt entsprechend der Ansatzstelle der Stimm-
bänder noch eine Zeit lang eine Lücke, und hier kommt es erst später
Die Entwickelung der luftführenclen Anhänge des Vorderdarms. 93
am Kehlkopfskelett
Tracheairingen der
zur Ausbildung eines isolierten Knorpelkernes (10. — 13. Woche; nodule
intermediaire Nicolas', Fig. 77 C), der in der 16. Woche völlig mit
den benachbarten Teilen der Anlage verschmolzen ist. Nach Kalmus
deuten wir dieses „Zwischenstück" als Homologon der Copula des
Monotrementhyreoids, dessen Entwickelung hier wie dort gegen die der
Seitenteile zurückbleibt. Es bildet aber nur einen Teil des Mittelstücks
des Schildknorpels, indem die Seitenteile oral und pulmonalwärts von
ihm unmittelbar miteinander verschmelzen. Endlich sei noch erwähnt,
daß während der 10. — 12. Woche die Kontinuität zwischen 2. Zungen-
beinhorn und Tlryreoid gelöst wird, und als Rest derselben nur noch
das Corpusculum triticeum im Ligamentum lryo-thyreoideum zurückbleibt.
In weiter Verbreitung tritt
und an den
Amnioten
Ossifikation ein, die nur die ela-
stisch modifizierten Stücke nie zu
befallen scheint. Beim Menschen
beginnt die Verknöcherung in der
zweiten Hälfte des 2. Jahrzehnts
(M. Scheier 1901). Ihren Ab-
schluß erreicht sie in verschiedenen
Stücken verschieden spät , zum
Teil erst jenseits des 70. Lebens-
jahres bei Weibern später als bei
Männern (s. Chibvitz 1832).
Unter den Muskeln des
denen wir uns jetzt
sind die dem Nervus
zugehörigen die ur-
sprünglichsten. Ihnen gesellen
-Th.l.
M.tt.a.
Fig. 77. Menschlicher Embryo, 48 mm
lang. Querschnitt durch Kehlkopf und
Pharynx (Ph.J. Nach Nicolas. Ar. Ary-
tänoid. Th. I erster Thyreoidbogen. C. Co-
pula (nodule intermediaire). M. th.-a. M.
thyreo-arytaenoideus lateralis. M. i.-a. M.
interarvtaenoideus.
Luftweges,
zuwenden,
recurrens
sich bei den Amnioten Muskeln
anderer Gebiete, teils visceralen, teils spinalen Ursprungs hinzu. Nur
die Recurrensmnskeln sollen uns hier beschäftigen. Nach der Funktion
unterscheidet man den Diktator und das System der Konstriktoren.
Auch bei Dipnoern (Protopterus) besitzt der Eingang der Lunge außer
einem Sphincter aus glatten Muskelzellen jederseits einen aus quergestreiften Fasern
bestehenden Muskel, der jedoch mit den Muskeln der höheren Formen keine un-
mittelbaren Beziehungen zu haben scheint.
Bei den urodelen Amphibien ist der Dilatator laryngis ein langer,
dorsal an der Nackenfascie entspringender Muskel, der den Schlund um-
greift, um zum Arytänoid zu gelangen, der somit die Funktion eines
Constrictor pharyngis gleichzeitig zu vollziehen imstande ist (Dorso-
pharyngeus). Die letztere Leistung ist bei höher entwickelten Formen
zu Gunsten der anderen aufgegeben, indem der Ursprung des Muskels
ventralwärts verlagert ist. Es entspringt von dem hintersten Teil des
Zungenbeinapparates, bezw. der Thyreoids, endlich vom Cricoid. Für die
Konstriktoren des Larynx läßt sich als ein verhältnismäßig primitiver
Zustand die Zusammensetzung aus einem dorsalen und einem ventralen
Muskelpaar feststellen ; die ursprünglich dorsal und ventral vom Kehl-
kopf in einer Raphe zusammentreffen und seitlich durch die Arytänoide,
an denen sie Befestigung nehmen, voneinander getrennt werden.
Sie können mit der indifferenten Bezeichnung von Mm. laryngei dor-
sales und ventrales belegt werden. Wesentlich gleichartig werden
94 E. Göppert,
sie bei Amphibien, Reptilien und Säugetieren angetroffen. Die
dorsalen und ventralen Muskeln können um den Rand des Arytänoids
herum ganz oder stellenweise miteinander zur Bildung eines nur noch
dorsal und ventral unterbrochenen Sphinkters verschmelzen.
Ueber die Herkunft des zur Bildung der Muskeln dienenden
Materials wissen wir noch nichts. Ein verhältnismäßig frühes Stadium
bei Echidna zeigt eine' einheitliche Masse von Zellen auf jeder
Seite des Kehlkopfes, in welche hinten der Recurrens eintritt, als
Anlage der ganzen Muskelgruppe (E. Göppert 1901).
Aus der Entwicklungsgeschichte des Dilatators der Uro-
delen ist nur bekannt, daß der bei der Larve ein breites Band dar-
stellende M. dorso-pharyngeus in der Metamorphose eine erhebliche
Yerschmälerung erfährt und nur mit seinem oralen Teil (Dorso-laryn-
geus) bestehen bleibt, Bei den Anuren kann mau schrittweise ver-
folgen, wie während der Metamorphose der Ursprung des Muskels
allmählich verlagert wird. Der Diktator entspringt allerdings schon
bei der Larve nicht mehr so weit dorsal wie bei den U r o d e 1 e n ,
sondern seitlich vom Pharynx. Unter relativer Verkürzung seiner
Fasern kommt er dann ganz an die Ventralseite der Pharynx zu liegen
und befestigt sich jederseits an dem Processus postero-medialis (Colu-
mella) des Zungenbeins, und mit einem Teil seiner Fasern am Cricoid
selbst. Diese Befunde zeigen uns unmittelbar einen Teil der Geschichte
des Dilatators, speciell der ventralwärts gerichteten Verlagerung seines
Ursprungs , welche die Vergleichung der fertigen Zustände schon
wahrscheinlich macht. Bei allen höheren Formen scheint die Anlage
des Dilatators vom Beginn seiner Differenzierung an, dem Verhalten
des fertigen Zustandes zu entsprechen. Die früheren Stadien der
phylogenetischen Entwickelung, welche die Vergleichung kennen lehrt
und die bei den Anuren auch teilweise ontogenetisch wiederkehren,
kommen also, soweit bekannt, bei den Amnioten auch in der Onto-
genese nicht mehr zum Vorschein.
Von der Entwickelung der Schließmuskulatur wissen wir,
daß schon beim jungen Necturus die zwei Paare von Mm. laryngei
anzutreffen sind. Beiden S alamandr inen und bei Siredon sind
sie die ersten zur Differenzierung gelangenden Bestandteile des Kon-
striktorensystems und erst von ihnen aus entwickelt sich jederseits
der Halbring des Sphinkters, der sich auch dadurch als eine sekun-
däre Bildung erkennen läßt. Die Metamorphose bewirkt auch an den
Schließmuskeln erhebliche Veränderungen. Bei den Anuren ist nichts
mehr von Mm. laryngei in der Ontogenese zu beobachten. Die An-
lage der später sehr kompliziert aufgebauten Schließmuskulatur besteht
jederseits vom Larynx in einem kleinen Halbring von Muskelfasern.
Beiden Sauropsiden ist über die Entwickelung der Schließmuskeln
noch nichts bekannt. Unter den Säugetieren ergab sich für
Echidna, daß die Schließmuskeln in dem Stadium, in welchem
überhaupt distinkte Muskelanlagen erkennbar wurden, im wesentlichen
die Anordnung des fertigen Zustandes zeigten (Fig. 73). Man erkennt
jederseits die Gliederung in ein dorsales und ventrales Segment, das
erstere repräsentiert durch den M. ary-crico = procricoideus {M. ar.-pr.),
das letztere durch den Thyreo-crico = arytaenoideus lateralis. Das
Gleiche gilt für die höheren Säuger ; so ist beim menschlichen Embryo
von 22 mm (Fig 77) durch A. Nicolas die deutliche Trennung des
den beiden Laryngei dorsales homologen M. interarytaenoideus (M. i.-a )
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarrns. 95
(homolog den Mm. ary-procricoidei) von dem ventralen Segment, dem
Thyreo-crieo = arytaenoideus lateralis (M .th.-a.) nachgewiesen worden.
Die Darlegung M. Fürbringer's, daß die seitlichen Verbindungen
zwischen den dorsalen und ventralen Schließmuskeln, die vielfach bei
Placentaliern vorkommen, sekundärer Natur sind, wird also durch
die Entwickelungsgeschichte bewiesen und die Rückführung der Säuger-
muskeln auf die primitivsten Zustände damit ermöglicht.
Es sei hier erwähnt, daß von verschiedenen Seiten die Ansicht vertreten wird,
daß ein aus zwei paarigen Hälften sich aufbauender Sphinkter auch ontogenetisch
die erste Anlage der Schließmuskeln des Säugetierkehlkopies bildet (Strazza, A. Kant-
hack). Dem Autor erscheinen diese Angaben nicht richtig und dringend einer
Nachuntersuchung bedürftig.
Auf die Nerven des Kehlkopfes brauchen wir nur kurz ein-
zugehen, da die Darstellung ihrer Entwickelung mit der der übrigen
Kopfnerven zusammengehört.
Den Larynx versorgt bei den Amphibien motorisch wie sensibel
allein der N. recurrens vagi, bei den Amnioten tritt der Laryngeus
superior, bei den Reptilien außerdem noch der Glossopharyngeus hinzu.
Bei einer Reihe von Säugetieren wurde noch ein in seiner Morpho-
logie unklarer als Laryngeus medius bezeichneter Vagusast als Kehl-
kopfnerv beschrieben. Es kommt für uns vor allem auf den Laryngeus
superior und den Recurrens an.
Bei Embryonen von Reptilien (Tropidonotus natrix [E. Göp-
pert 1899] und Säugern (Rind A. Froriep [1885] und E chicin a
E. Göppert [1901]) ist nachgewiesen, daß der Laryngeus superior als
Ramus posttrematicus im 4. Visceral- ('2. Kiemen-Bogen auftritt
(Fig. 74 N. lar. sup.). J. F. van Bemmelen hatte 1887 den Nerven
auf Grund von Untersuchungen an ausgebildeten Reptilien in gleicher
Weise gedeutet. Es ist der Ramus branchialis I der Vagus. Zu
den Rami branchiales vagi gehört seiner Lagerung nach auch der Re-
currens (über seine Deutung s. u.) (Fig. 74, N. lar. inf.)
Im Anschluß an die Entwickelungsgeschichte des Kehlkopfes wird
noch über die phylogenetische Ableitung seiner Bestandteile
Rechenschaft zu geben sein. Wenn wir annehmen dürfen, daß der
Luftweg bei den Vorfahren der Landwirbeltiere in unmittelbarer Nähe
des Kiemendarms vom Vorderdarm ausging, so ist es von vornherein
nicht unwahrscheinlich, daß sein primitives Skelettstück, die Cartilago
lateralis, und damit deren Differenzierungsprodukte [s. o. S. 88] dem Kie-
menskelett entstammten. C. Gegenbaur (1892) leitete sie von einem letzten
Kiemenbogen ab. Selbständig geschah das Gleiche durch H. H. Wilder
(1892) wenigstens für die Arytänoide. Der 5. Kiemenbogen, (7. Visceral-
bogen) der schon bei der Mehrzahl der Fische seiner ursprünglichen Be-
deutung mehr oder weniger entfremdet ist, schien hier in erster Linie
in Betracht zu kommen, bis L. Drüner's (1901) Untersuchungen an
Salamandrinenlarven es höchst wahrscheinlich machten, daß ein späterer
Bogen, vielleicht der 6. hinter dem Hyoid, den Anschluß an den Luft-
weg erfahren hat.
Die Begründung dieser Ableitung der Cartilago lateralis beruht nicht
auf der Entwickelungsgeschichte, sondern darauf, daß die ihr zugehörigen
Kehlkopfmuskeln sich als Wiederholungen typischer Kiemenmuskeln er-
weisen lassen. Das gilt vor Allem für den Dilatator (Dorso-pharyngeus
und den Laryngeus ventralis) (H. H. Wilder). Auch der primitive Nerv
des Luftweges der Recurrens gehört zu den Rr. brachiales vagi, wenn
96 E. Göppert,
er auch nicht einem einzelnen Ast entspricht, sondern mehrere in sich
vereinigt (etwa den 6. und 7.) (L. Drüner).
Jenseits der urodelen Amphibien beginnt der Kehlkopf sich
weitere Teile des Visceralskeletts dienstbar zu machen. Es ist sehr
wohl möglich, daß bei den Vorfahren des Säugetiere ein weiteres Kiemen-
bogenpaar sich der Vorderwand der Larynx anschloß und zu der Epi-
glottisfalte Beziehung gewinnend, zum Epiglottisknorpel wurde (C. Gegen-
baur 1892). Ob es sich hier um das 4. oder um ein späteres Kiemen-
bogenpaar handelte, möge dahin gestellt bleiben. Als feste Unterlage
für den Kehlkopf finden dann in weiter Verbreitung andere Abschnitte
des Visceralskeletts Verwendung, so bei den Anuren und Reptilien
Teile des Zungenbeins, bei den Säugern endlich der 2. und 3. Kiemen-
bogen samt Copula im Tlryreoid (Eug. Dubols). Daß hierbei der Kehl-
kopf eine oralwärts gerichtete Verschiebung erfuhr, ergiebt sich auch
aus der Beteiligung eines bei den Amphibien ihm noch fehlenden
Nerven, an seiner Versorgung, des N. laryngeus superior, der dem 2. Kiemen-
bogen (4. Visceralbogen) zugehört, und des Glossopharyngeus (1. Kiemen-
bogen) (bei Reptilien). Schon bei den Sauropsiden bahnt sich
gleichzeitig mit dem Auftreten eines Gaumens der Anschluß des Kehl-
kopfes an den Ductus naso-pharyngeus an, der seine größte Vollkommen-
heit bei den Säugern erreicht, im Zusammenhang mit Besonderheiten
in der Nahrungsaufnahme aber innerhalb dieser Klasse, beim Menschen,
wieder aufgegeben wird. Nur embryonal tritt er noch in Erscheinuno;
(s. S. 87).
Eine besondere Erwerbung der Vögel bildet der untere Kehl-
kopf (von Huxley Sy rinx genannt) als Syrinx trachealis, tracheo-bron-
chialis und bronchialis ausgebildet. Ueber seine Entwickelung ist durch
L. Wunderlich (1884) für Fringilla domestica festgestellt, daß die
zur sog. Trommel zusammentretenden unteren Tracheairinge anfangs
sich nicht von den übrigen Trachealknorpeln unterscheiden. Die Ver-
knöcherung der Luftröhrenknorpel beginnt erst nach dem Ausschlüpfen
des jungen Tieres. Ueber die Entwickelung der Muskulatur der
Syrinx ist nichts Näheres bekannt. Ihre Innervation (Plexus cervicalis)
weist sie dem Rectussystem des Halses zu.
c) Die weitere Entwickelung der Lunge.
Wir verließen oben die Lungenanlagen auf einem sehr frühen
Entwickelungsstadium und müssen nun ihre weitere Ausbildung zur
Darstellung bringen.
Die vergleichende Anatomie lehrt uns eine große Reihe verschiedener
Organisationsstufen der Lungen kennen, die wir kurz betrachten müssen,
um die Ontogenese richtig beurteilen zu können. Das Prinzip, welches
dem Fortschritt im Bau zu Grunde liegt, ist die Vergrößerung der
respiratorischen Oberfläche durch centripetal einspringende Leisten oder
Septen, die als Träger der Blutgefäße dienen. Dadurch entsteht zunächst
in den peripheren Teilen des Lungensackes ein System größerer oder
kleinerer Krypten, die mit dem centralen Hauptraum weit kommunizieren.
Wir finden eine reiche derartige Ausstattung der Lungen bereits bei
den Dipnoern (vergl. B. Spencer 1898), in einem Verhalten, das an
die Struktur der Schwimmblase von Lepidosteus erinnert und ferner in
verschiedenen Zuständen bei den Amphibien. Die in das Innere ein-
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 97
springenden Scheidewände lassen hier einen centralen Raum frei, der
als Zuleitungsrohr der Luft für die respiratorischen Kammern dient.
Mit der höheren Ausbildung der Lunge ergiebt sich auch eine schärfere
Sonderung einer extrapulmonalen Bronchusstrecke. Unter den Reptilien
gewinnen die Lungen eine hohe Organisationsstufe , namentlich bei
Varaniden, bei den Chel o ni er n und Krokodilen. Innerhalb des
Septensj'stems erheben sich an bestimmten Stellen in streng gesetzmäßiger
Anordnung einzelne Scheidewände zu erheblicherer Größe, teils quer, teils
longitudinal zur Längsachse der Lunge gestellt. Sie grenzen größere
Kammern ab, deren Wand wiederum mit kleinen Septen besetzt ist. Die
einwärts sehenden Ränder der größeren Septen begrenzen den centralen
Raum des Lungensackes, der sich nunmehr als Stammbronchus darstellt.
Die gleichen Vorgänge, welche zunächst zur Bildung der Stammbronchien
führten, spielten sich bei anderen Formen auch in den größeren Kammern
ab. Die hier ursprünglich vorliegenden weiten Säcke sind durch Ver-
größerung ihrer Septen in eine Reihe kleinerer Kammern zerlegt, nur der
centrale Teil ihres Raumes bleibt einheitlich und bildet damit einen
Seitenbronchus. Indem sich dieser Vorgang der Abkammei*ung noch
mehrmals wiederholt, ist die Folge eine enorme Vergrößerung der Obei*-
fläche bei fortgesetzter Verengerung des Kanalsystems und die allmähliche
Herausbildung eines komplizierten Bronchialbaumes. Vom extrapulmonalen
Bronchus aus rücken dann allmählich auch Skelettelemente in die Wandung
der intrapulmonalen Bronchien ein (vergl. besonders A. Milani 1894
und 1897).
Die Lungen der Warmblut er erscheinen nur als in verschiedener
Richtung durchgeführte Weiterbildungen des auch bei Reptilien ver-
tretenen Systems, wenn es auch nicht gelingen mag, bestimmte Ausgangs-
zustände für sie zu entdecken.
Bei den Vögeln, deren Lungen sich innig der hinteren Thorax-
wand anschmiegen, führt der extrapulmonale Bronchus jederseits in einen
die Lunge ganz durchsetzenden Stammbronchus (Huxley's Mesobronchium,
Hauptluftgang F. E. Schulze's). Von ihm gehen eine größere Anzahl
dorsaler Seitenäste aus (Huxley's Ekto- und Entobronchien). Unter
den ventralen Seitenästen kann ein ventro-lateral laufender Bronchus
besonders mächtige Entwickelung zeigen. Die Seitenäste können noch
weiter verzweigt sein. Von ihnen entspringen endlich die sogenannten
Lungenpfeifen (Parabronchien) unter annähernd rechtem Winkel, die dicht
nebeneinander stehend die Hauptmasse des Lungenparenchyms ausmachen
und ihrerseits wieder mit den der Respiration dienenden Krypten und
Alveolen besetzt sind. Zwischen den Parabronchien der gleichen und
der benachbarten Seitenbronchien bestehen vielfache Anastomosen (vgl.
auch M. Bär 1896, auch für die Litteratur der Vogellunge).
Eine Besonderheit des Vogelkörpers sind die Luftsäcke, welche an
der Ventralseite der Lunge mit dem Stammbronchus und einer Anzahl
der größeren Seitenbronchen durch in der Regel 5 Ostien in Verbindung
stehen und eine ungemein wichtige Rolle für den Atemmechanismus spielen 1).
Die Säugetierlunge durchzieht gleichfalls ein Stammbronchus,
vom dem in streng gesetzmäßiger Weise reich verzweigte Seitenäste
1) Die Litteratur über die Luftsäcke findet sich bei Bertelli sorgfältig zu-
sammengestellt. Vgl. außerdem H. Strasser (1877) und M. Bär (1896).
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 7
98 E. Göppert,
ausgehen (Ch. Aeby 1880). Die stärksten derselben sind nach ihrem
Abgang und ihrem Gebiet als ventrale oder ventro-laterale Bronchien zu
bezeichnen (Bronches externes). Jedem von ihnen entspricht ein dorsaler
Ast (Br. posterieure). Der erste derselben versorgt beiderseits die Lungen-
spitze (apicaler Br. nach A. Narath). Das Gebiet eines Ventral-und Dor-
salbronchus stellt ein Stockwerk (Geschoß) der Lunge vor. Zu jedem dieser
Stockwerke gehören noch Nebenbronchien, ventrale (Br. accessoires ante-
rieures) und dorsale (dorso-mediale [dorso-internale, auch interne] Aeste).
Einen ventralen Nebenbronchus stellt der sogenannte infracardiale Bronchus
dar (= Bronchus cardiacus), der den zwischen das Pericard und das Dia-
phragma sich einschiebenden Teil der Lunge (meist nur rechts entwickelt)
versorgt.
Ueber die Ausgestaltung der Amphibien hingen ist nichts Ge-
naueres bekannt, der Darstellung C. Gegenbaur's in seiner vergleichenden
Anatomie (Bd. II, 1901) entnehmen wir nur, daß bei jungen Salamandern
die Buchtungen des Lungensackes in auffallend regelmäßiger An-
ordnung auftreten als Längsreihen von Alveolen, die durch longitudi-
nale gegen das Lumen einragende Streifen von einander geschieden
werden.
Für die Reptilien fehlen uns Untersuchungen gerade über die
Entwickelung der kompliziertesten Lungen (der Varaniden, Schildkröten,
Krokodile). Nur für L a c e r t a , eine Form mit verhältnismäßig einfach
gebauter Lunge, zeigte C. K. Hoffmann (1890), daß die embryonale
Lunge anfänglich einen glattwandigen Sack darstellt, von dessen Wänden
später Leistenbildungen ausgehen, die in das Lumen einragen und
die peripheren Buchtungen des Lungensackes begrenzen.
Bei Vögeln und Säugetieren erfolgt die Oberflächen Ver-
größerung durch seitliche Sprossung des primitiven Lungensackes, der
außerhalb des Bereichs der Sprossung gelegene Teil des Schlauches
wird zum extrapulmonalen Teil des Bronchus.
Für die Vögel verdanken wir bereits H. Rathke (1828) im
wesentlichen richtige Beobachtungen, die durch E. Selenka (1866)
(Hühnchen) und J. Zumstein (1900) (Ente) vervollständigt wurden.
Für die Entwickelung der Luftsäcke (Huhn) im besonderen kommt die
Arbeit von J. Bertelli (1899) in Betracht. Das primitive Lungen-
säckchen enthält, umgeben von reichlichem mesodermalen Gewebe,
ein langgestrecktes epitheliales Rohr, die Anlage des Stammbronchus
(Mesobronchium), das terminal bereits am 5. Bebrütungstage eine Er-
weiterung zeigt, die Anlage des abdominalen Luftsackes, der sich bald
bläschenartig über die Oberfläche des Organs erhebt. Am 5. Tage
beginnt der Stammbronchus bereits Seitenäste in das mesodermale
Gewebe der Lungenanlage zu treiben, die bis zum 7. Tage in
größerer Anzahl in Erscheinung treten. Ihre Entwickelung erfolgt
ohne jede Anteilnahme des Endes des Stammbronchus. Zwischen den
zuerst auftretenden können andere (sekundäre) hervorsprossen. Aus
Seitenbronchien, resp. der weiteren Verästelung derselben wachsen
endlich die Lungenpfeifen (Parabronchien) hervor, die untereinander
in ausgedehntestem Maßstabe Anastomosen eingehen. Ein Teil der
Seitenbronchien oder ihrer Aeste erfährt ähnlich wie das Ende des Stamm-
bronchus eine terminale Erweiterung und bildet die Anlagen der
übrigen Luftsäcke, die Mitte des 11. Bebrütungstages sämtlich an der
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 99
Oberfläche der Lunge hervortreten. Unter Benutzung der Verbindungen
der Lungen mit der Nachbarschaft tiberschreiten sie den Bereich der
Leibeshöhle. Ihr Eindringen in Skelettteile erfolgt aber erst um vieles
später, in einer Zeit, da das Skelettwachstum fast abgeschlossen ist.
Die genauere Entwickelung des Bronchialbaumes ist durch J. Zum-
stein bei der Ente dargelegt. Die wichtigsten Aeste entstehen an der
Dorsalseite des Stammbronchus in Dreizahl, sie werden als primäre
Zweige bezeichnet. Zwischen dem 2. und 3. derselben entstehen dann
etwas später 2, jenseits des 3. primären Astes eine größere Anzahl (8 — 9)
sogenannter sekundärer Dorsalzweige.
Der 1. und 2. primäre sowie der 1. und 2. sekundäre Bronchus
stellen die Entobronchien vor, welche die medialen Teile der Lunge
versorgen. Der mächtigste ist der erste. Die folgenden Dorsaläste lassen
die lateralen Teile der Lunge entstehen, bilden also das System der
Ektobronckien.
Nach dem Auftreten der dorsalen Primäräste läßt auch die Ventral-
seite das Stammbronchus Aeste hervorgehen, von denen einer ventro-
lateral ziehend größere Ausbildung gewinnen kann, so daß der Anschein
einer Gabelung des Stammbronchus entsteht.
Endlich treten auch jenseits des 3. Primärbronchus, abgesehen von
den sekundären Dorsalbronchen (Ektobronchen), am Stammbronchus allseitig-
kleinere Seitenäste auf.
Was nun endlich die Luft sacke anlangt, so geht der abdominale
Luftsack aus dem Ende des Stammbronchus, der hintere diaphragmatische
Sack aus dem großen ventralen Seitenzweig heiwor. Den vorderen diaphrag-
matischen Sack bildet ein Ast des zweiten, den cervicalen ein Ast des
ersten Primärbronchus (Entobronchium), den interclavicularen Sack endlich
ein weiterer Ast des zweiten Primärbronchus.
Die Entstehung der Luftsäcke zeigt, daß es sich um Bildungen
handelt, die phylogenetisch an einer bereits hoch differenzierten Lunge
mit einem komplizierten Kammersystem sich herausgebildet haben.
Oben schilderten wir die Anlage der Lungen der Säugetiere
bis zu dem Augenblick, in welchem die primären Lungensäckchen ent-
standen waren und caudal- und dorsalwärts auswuchsen. Sie um-
greifen dabei zusammen hufeisenförmig die Vorderdarmanlage. Das
rechte übertrifft an Größe das linke. Beide beginnen in dem sie um-
hüllenden reichlichen Mesoclermgewebe sich zu verästeln, beim mensch-
lichen Embryo bereits in der 4. Woche (W. His ; s. p. 85) 1).
Den Hauptvegetationspunkt bildet das Ende des primitiven Lungen-
schlauches. Von ihm gehen als laterale, später latero-dorsale Sprossen
successive die Anlagen der ventralen Seitenbronchien aus, während es
selbst weiterwächst. So entsteht ein einheitlicher Stammbronchus,
von dem Seitenäste abgehen (Fig. 82). Sein Ende, der Vegetations-
punkt, stellt die Stammknospe vor (Fig. 78—81 S.K.
In gleicher Weise wachsen und verästeln sich auch die Seiten-
bronchien, wenigstens anfänglich, von ihren Endknospen aus. Es ent-
stehen aber unzweifelhaft eine ganze Anzahl von Bronchien ohne Be-
1) Ueber die Ausgestaltung des Bronchialbaums s. die Arbeiten von W. His,
d'Hardivtller, Narath, Robinson, Willach.
7*
100
E. GÖPPERT,
teiligung einer wachsenden Endknospe, indem von einem Bronchus
neben bereits entwickelten Aesten selbständige Zweige hervorsprossen,
wie wir das schon bei den Vögeln sahen. Das gilt für die Mehrzahl
der dorsalen Bronchien und die sog. dorsalen und ventralen Neben-
bronchien.
Xach Narath handelt es sich bei den dorsalen Bronchien um Aeste,
die eigentlich den ventralen Bronchien zugehörten und von diesen auf den
Staimninbronchus abgegeben wurden. Aehnlich faßte schon Aeby die
Nebenbronchien als Aeste der dorsalen oder ventralen Bronchien auf,
die ihren Ursprung verschoben haben.
Die Reihenfolge im Auftreten der Seitenbronchien ist eine ganz be-
stimmte.
Als erster Ast kommt beiderseits der erste Ventralbronchus ( Vi .)
zur Entstehung , bald darauf rechts als erster Dorsalast , der apicale
Bronchus Ap. und der infracardiale Ast (7.) [letzteres wenigstens bei
vielen Arten (Fig. 78)] Narath zeigte, daß diese drei an ihrem Ursprung
Fig. 78. Fig. 79.
Fig. 78. Kaninchen. Embryo, 7J/2 mm. Vorderansicht der aufgehellten
Lunge nach Narath. Bezeichnung für diese und die folgenden Figuren: A. p. d.
oder s. Arteria pubnonalis dext., sinist. V. Ventralbronchien. V.p. Vena pulmonalis.
D. Dorsalbronchien. I. Infracardialbronchus. - A.p. Apicalbronchus. ZV. Trachea.
S.K. Stammknospe.
Fig. 79. Schaf. Embryo. Vorderansicht der aufgehellten Lunge. Nach
D. A. d'Hardiviller. Bez. s. Fig, 78.
innig verbunden sein können (so bei E c h i d n a) und eng zusammen-
gehören. Der apicale Bronchus ist der erste der Reihe der Dorsal-
bronchien , der Infracardialbronchus ein ventraler Nebenbronchus des
ersten Ventralbronchus. Daß bei bestimmten Formen der Infracardial-
bronchus zum zweiten, sogar dritten Ventralbronchus als Nebenbronchus
gehört, geht aus Narath's vergleichenden Untersuchungen hervor.
Etwas später (Fig. 80) geht links und zwar vom ersten Ventral-
bronchus der Apicalast (A])., erster Dorsalbronchus) hervor, der dem gleich-
bezeichneten Ast der rechten Seite entspricht. Ueberhaupt bleibt zu-
nächst die linke Lunge etwas in der Entwickelung hinter der rechten
zurück, ein Verhältnis, das sich später, wie schon W. His zeigte, um-
drehen kann. Jetzt sind auf beiden Seiten die Hauptzweige des obersten
Lungenstockwerkes angelegt.
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 101
Zu erwähnen ist, daß in denjenigen Ordnungen, bei denen der apicale
Bronchus trachealen Ursprungs ist, seine Anlage gleich an der ent-
sprechenden Stelle der Trachea auftritt (Fig. 79 Ap.) [d'Hardiviller],
daß es sich hierbei um eine Verschiebung handelt, läßt sich vergleichend-
anatomisch aber nicht entwickelungsgeschichtlich beweisen.
Weiterhin sprossen nacheinander die folgenden Ventralbronchien
hervor (Fig. 80, 81 V.) und etwas später als jeder derselben der zu-
Fig. 80.
Fig. 80. Kaninchen. Em-
bryo. Vorderansicht der aufge-
hellten Lunge. Nach Narath.
Bez. s. Fig. 78.
Fig. 81.
Fig. 81. Echidna. Embryo. Bronchialbaum, von vorn gesehen. Nach Narath.
Oes. Oesophagus. Bez. s. Fig. 78.
gehörige dorsale Bronchus (D.), später als die letzteren endlich die dor-
salen und die ventralen Nebenbronchien. Nachdem eine bestimmte
Anzahl von Ventralbronchien abgegeben ist (beim Kaninchen 6), hört
der Wachstumsprozeß auf, und die Stammknospe verzweigt sich noch in
unregelmäßiger Weise.
Die Art des Wachstums des Bronchialbaumes (vergl. auch das Re-
ferat von M. Luhe 1901) ist Gegenstand einer lebhaften Diskussion
geworden. Nachdem anfänglich angenommen worden war, daß .jeder
embryonale Bronchialast sich sowohl terminal wie durch Aussendung von
Seitenästen verzweigt, trat zuerst Küttxer (1876) mit der Ansicht her-
vor, daß das Wachstum nur durch seitliche Sprossung erfolgt, das Ende
der Bronchialanlage aber ungeteilt weiterwachse , das Wachstum sei
also monopodisch. Wenn Seitenzweige so stark werden wie das Stamm-
ende, so kann der Charakter der Monopodie verwischt und an eine
Dichotomie erinnert werden. Ist das Wachstum nun wirklich nur mono-
podisch, oder spielen auch dichotomische Sprossungen eine Rolle? Es
steht jetzt wohl unzweifelhaft fest, daß die ersten Verästelungen des
Stammbronchus monopodialen Charakter tragen, darin ist sich die Mehr-
zahl der neueren Untersucher einig (W. His, d'Hardiviller, A. Narath,
Will ach). Tritt nun nicht aber in den weiteren Verästelungen die
Dichotomie in ihr Recht, die von Narath und Willach auf das schärfste
102
E. GÖPPERT,
bekämpft wird ? In der Tliat scheint es sicher zu sein, daß dichotoniische
Verästelungen auftreten (W. His , d'Hardiyiller), nur ist bisher nicht
festzustellen , wo die Monopodie aufhört und die Dichotomie einsetzt.
Es scheint ebenso unrich-
tig, allein Monopodie an-
[5|_ ß zunehmen und alles, was
D? X<v5r^ -—WlArX/' ' dichotomisch sich zu teilen
scheint, als verkappte
Fig. 82. Echidna. Em-
bryo. Querschnitt durch das
dritte Stockwerk beider
Luugen. Nach Narath.
r. u. /. St. rechter resp. linker
Starambronchus. Ao. Aorta.
Oe. Oesophagus. Sonst. Bez.
s. Fig. 78.
Monopodie anzusehen, wie es falsch ist, die Monopodie durch die Ein-
führung des Begriffes der inäqualen oder sympodialen Dichotomie aus der
Welt zu schaffen, wie es bei Robinson und neuerdings ähnlich bei Ju-
stesen geschieht. Ein monopodiales Wachstum schafft einer Bronchial-
strecke subordinierte Seitenzweige, die Dichotomie einander koordinierte
Abschnitte. Für beiderlei Beziehungen einzelner Lungenteile zu einander
giebt es genügend Beispiele schon im Aufbau der einfacher gebauten
Lungen der Reptilien.
Vergleichen wir jetzt noch die Art der Ontogenese des Bronchial-
baumes von Vögeln und Säugern mit dem Bild das uns die vergleichende
Anatomie von der phylogenetischen Entwickelung der Lunge ergab, so
scheint hier ein gewisser Gegensatz zu bestehen. Der ontogenetische
Ausbau der Lunge erfolgt durch eine centrifugale Verästelung, der plrylo-
genetische durch eine Zerlegung eines einheitlichen Hohlraumes mittels
fortgesetzter centripetal gerichteter Septenbildung. In der That handelt es
sich in der Ontogenese aber nur um eine Beschleunigung und Vereinfachung
der Entwickelung. Die Lungenanlage wächst nicht erst zu einem weiten,
langen Schlauch heran, der dann erst abgekammert Avird, wie man nach
Kenntnis der fertigen Zustände denken könnte, sondern die Herstellung
der Komplikation beginnt gleichzeitig mit dem Auswachsen der Anlage,
und die Vergrößerung des Binnenraumes präsentiert sich infolgedessen
als Sprossung. Daß dabei auch dem mesodermalen Teil der Anlage eine
wichtige Rolle zufällt, scheint sicher zu sein.
Die größeren Aeste des Bronchialbaumes machen sich auch an der
Oberfläche der ganzen Lungenanlage als Vorwölbungen bemerkbar. Jedem
Ventralbronchus entspricht zunächst ein größerer Bezirk der Oberfläche,
der von den benachbarten Gebieten durch schräg dorso-ventral gerichtete
Furchen, die Hauptfurchen, abgegrenzt wird. Die Hauptfurchen scheiden
äußerlich die sog. Stockwerke der Lunge gegeneinander ab. In jedem
Geschoß grenzt sich wieder ein dorso-medialer Abschnitt durch eine
Nebenspalte gegen einen ventro-lateralen ab, der letztere ist das eigent-
liche Gebiet des Ventralbronchus, das dorsale Stück dasjenige des zu-
gehörigen Dorsalbronchus. Diese äußere Gliederung der Lunge geht
mit dem weiteren Wachstum zum großen Teil verloren, sie kann sogar
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 103
ganz schwinden. Im allgemeinen besitzt die rechte Lunge eine reichere
Lappung als die linke. G-anz besonders häufig erhält sich von den
embryonalen Hauptfurchen allein die erste und bildet dann die Abgrenzung
des ersten Stockwerkes der Lunge vom Lungenstamm, dem sog. Unter-
lappen. Sehr oft, namentlich rechts, bleibt auch die Nebenspalte des
ersten Stockwerkes erhalten und zerlegt dasselbe in den Ober- und
Mittellappen. Fehlt die letztere Gliederung auf der linken Seite, wie
es sich beim Menschen in der Mehrzahl der Fälle trifft, so entspricht
der sog. linke Oberlappen dem rechten Ober- und Mittellappen zusammen-
genommen. Das Bestehenbleiben anderer Hauptspalten ist seltener. Als
eine Abgliederung des ersten oder auch zweiten Stockwerkes meist nur
der rechten Seite stellt sich der infracardiale Lappen dar. Auch beim
Menschen ist sein Gebiet nachweisbar, sein Bronchus scheint hier als
Nebenbronchus dem 2. Ventralbronchus zuzugehören. (Ueber die Ent-
stehung der Gliederung der Lunge s. A. Narath 1901.)
Die letzten Entwickelungsvorgänge spielen sich in der Lunge der
M o n o t r e m e n und M a r s u p i a 1 i e r erst nach der Geburt ab (E c h i d n a,
s. Narath, Didelphys, s. Selenka). Der erste Atemzug des Neu-
geborenen erweitert die Enden des noch sehr unvollständig ausgebildeten
Bronchialbaumes und dehnt sie zu weiten Räumen aus. Die Fertigstellung
des Kanalsystems erfolgt nach Narath auf dieselbe Weise wie seine
erste Anlage durch Sprossung, während Selenka geneigt ist, eine fort-
gesetzte Septenbildung als den Weg zur Herstellung der definitiven
Enden des Bronchialbaumes anzunehmen. Ein wesentlicher Unterschied
scheint zwischen diesen beiden Ansichten nicht zu bestehen.
Bei den PI a c e nt ali ern sind vor der Geburt bereits die letzten
Enden der Luftkanäle bis zu den Endbläschen hin ausgebildet und be-
dürfen nun noch der Erweiterung- durch den ersten Atemzug-. Das
Epithel der Alveolargänge und Endbläschen hat bereits ganz niedrige
Form (Stieda), so daß es bei der ersten Inspiration nur wenig abgeflacht
zu werden braucht, um die definitive Gestalt zu erlangen. Daß ein Teil
seiner Zellen dabei ihre Kerne einbüßen und zu kernlosen dünnen Platten
werden, sei nur kurz erwähnt. Das mesodermale Gewebe der Lungen-
anlage hat im Laufe der Entwickelung das Material für das gesamte
Bindegewebe, die bronchialen Knorpel, die Muskelzellen der Lunge ge-
liefert. Bemerkenswert ist, daß die Hauptmasse der elastischen Fasern
erst nach der Geburt im Laufe der ersten Monate zur Differenzierung
gelangt (Linser).
Eine besondere Betrachtung verdient jetzt nur noch die Entwickelung
der Blutgefäße ( W. His und A. Narath). Die Anlagen der Lungen-
venen sind bereits bei 11 mm langen menschlichen Embryonen und
11-tägigen Kaninchenembryonen nachweisbar. Die Stammvenen liegen
an der ventro-medialen Seite des Stammbronchus, später zwischen den
dorsalen und ventralen Nebenbronchien, gegenüber der Stammarterie. Sie
werden zunächst von einem einheitlichen Stämmchen an der Bifurkation
der Trachea aufgenommen und dem Herzen zugeführt. Der erste größere
Ast ist die Vene des Obergeschosses, die noch in den unpaaren Stamm
mündet. Indem der unpaare Stamm der Vena pulmonalis in die Vor-
hofswand allmählich einbezogen wird, kommt zunächst die Obergeschoß-
vene zu selbständiger Mündung. Geht die Einbeziehung, wie es bei
den Primaten und dem Menschen der Fall ist, weiter, so bekommt
schließlich auch der Best der Stammvene selbst eine eigene Mündung.
104 E. GÖPPERT,
Gleichzeitig mit den Lungenvenen treten auch die Lungenarterien
in Erscheinung (Kaninchen 11. Tag nach A. Narath). Sie gehen von
den ventralen Teilen der 6. Aortenbogen caudahvärts zur Nachbarschaft
der Lungensäckchen, wo sie sich in feine Aeste auflösen. Da in der
Nähe der ersten Sprossen der Stammknospe nur kleine Gefäßästchen an-
getroffen werden, ist es ausgeschlossen, daß die Anordnung der Bronchial-
zweige von den Lungenarterien in irgend einer Weise beeinflußt wird.
In etwas älteren Stadien (12. Tag) findet man die Arterie jederseits
neben der Trachea, weiter unten an der lateralen Seite des Bronchial-
rohres, von dem sie sich etwas entfernt hält. Dabei entspringen die
ersten Ventralbronchien an ihrer Ventralseite, der rechte Apicalbronchus
medial von ihr (Fig. 78). Später schmiegt sich die Arterie dem Bronchial-
rohr inniger an und lagert sich dabei meist zwischen die dorsalen und ven-
tralen Bronchien ein (Stammarterie) (Fig. 80). Nur der erste Dorsalbronchus
der linken Seite der apicale, kommt zur Arterie anders zu liegen, da er
sich erst spät und vom ersten Ventralbronchus aus entwickelt (Fig. 80
und 81). In Fällen, in denen er am Stammbronchus selbst entsteht,
ist seine Lagerung zur Arterie genau die des apicalen Bronchus der
rechten Seite (d'Hardiviller).
Während anfangs die Pulmonalarterien parallel zur Trachea steil in
die Lunge hinabsteigen, ändert sich das mit der Ausbildung des Pul-
monalisstammes und dem Herabsteigen des Herzens. Die Pulmonalarterien
werden durch letzteres von der Trachea ventralwärts abgebogen und
vom Herzen mitgenommen. Von dem bei verschiedenen Tieren ver-
schiedenen Grade des Descensus cordis hängt es ab, ob die Arterie
höher oder tiefer den Stammbronchus erreicht, um ihn zu kreuzen und
sich ihm lateral anzuschließen. Man kann also wohl einen eparteriellen
und hyparteriellen Teil eines Stammbronchus unterscheiden. Infolge
der Verschiedenheit in der Lagebeziehung zwischen Bronchus und Arterie
ist es aber unmöglich, eine ep- und hyparterielle Strecke des Bronchus
als homologe Stücke innerhalb der Tierreihe zu betrachten und danach
auch die Aeste der Stammbronchien zu klassifizieren, wie es Ch. Aeby
in seiner im übrigen so verdienstvollen Arbeit gethan hat. Die Be-
urteilung der Bronchien nach ihrer Lagerung zur Stammarterie ist auch
im übrigen infolge der weitgehenden Variationen im Verlauf der
Arterie nicht möglich (A. Narath).
Aeby glaubte, daß ursprünglich jeder Lunge ein eparterieller Bronchus
zukam, welchem er die übrigen Bronchien als hyparterielle gegenüber-
stellte. Auf der eparteriellen Stammbronchusstrecke der linken Seite
fehlt nun meist ein Bronchus, in einzelnen Fällen fehlt ein solcher auf
beiden Seiten. Aeby sah hierin den Ausdruck einer Rückbildung eines
Teiles der Lunge. Es ist vor allem das Verdienst Narath's, dieser
Auffassung den Boden entzogen zu haben. Der eparterielle Bronchus
Aeby's ist der erste Dorsalbronchus (apicaler Bronchus). Das Homologon
des AEBY'schen eparteriellen Bronchus ist bei allen Lungen in diesem
apicalen Ast vorhanden. Mag er eparteriell oder hyparteriell entspringen,
ventral oder dorsal von der Arterie liegen, mag er vom Stammbronchus,
einem Seitenbronchus, oder sogar von der Trachea ausgehen, ist für diese
Beurteilung nebensächlich 1). Für eine Rückbildung ganzer Teile der
1) Diese Auffassung der eparteriellen Lage von Bronchien verdanken wir einer
Reihe von Forschern, unter denen A. Narath (1892, 1896, 1901) bereits oben
Die Entwickelung der luftführenden Anhänge des Vorderdarms. 105
Lunge endlich, die nach Aeby's Vorstellung bald einseitig, bald beider-
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Zweites Kapitel.
Die Entwickelung des Darmsystems.
Von
F. Maurer.
Allgemeines.
Die erste Anlage des Darmsystems findet sich bei allen Wirbel-
tieren schon nach Ablauf des Gastrulationsprozesses im Stadium der
zwei primitiven Keimblätter, und die U r d a r m h ö h 1 e ist auch die
erste Anlage der D a r m h ö h 1 e. Doch geht jene Höhle nicht ganz
in die Darmhöhle über, da das Entoderm der Gastrula noch andere Auf-
gaben hat: Bildung der Chorda und des gastralen Mesoderms (0. Hert-
wig, Hatschek L. 2, Rabl). Es sind ferner gewichtige Stimmen laut
geworden, welche auch nach diesen Sonderungen des Entoderms eine
primitive von einer sekundären Darmhöhle unterscheiden (Götte A. L.
III. 2. 90, v. Kupffer A. L. III. 2. 90), so daß die bleibende Darm-
höhle nicht direkt aus der Gastralhöhle, auch nicht bei holoblastischen
Eiern, wie z. B. Petromyzon (Götte), hervorgehe, sondern eine Neu-
bildung darstelle durch Konfluenz von Lücken zwischen den dotter-
reichen Entodermzellen. Auch eine Beziehung zwischen der Furchungs-
höhle und der Gastralhöhle hat man vielfach geschildert (0. Schultze
L. 2. 1888, Grönroos). Diese Frage fällt in das Gebiet der Ent-
wickelung der Keimblätter, auf die hier nicht einzugehen ist. Die
Aufgabe des Entoderms ist eine sehr komplizierte, insofern es die
Chorda und Teile des Mesoderms (gastrales Mesoderm nach 0. Hert-
wig u. Rabl) ausbildet. Bei Säugetieren wurde von Van Beneden
(L. 2. 1888), die Chordarinne, der Chordakanal dem Urdarm der nie-
deren Wirbeltiere verglichen ; Mehnert schloß sich dieser Auffassung
an, die von Keibel bestritten wurde. Nach Letzterem geht die
Furchungshöhle in die Gastralhöhle über, und diese bildet später die
Darmhöhle. 0. Schultze giebt dies für Rana temporaria und Van
Bambeke (L. 2. 1868) für Pelobates an. Bis in die neueste Zeit ist für
Amnioten die Entwickelung des den bleibenden Darm auskleidenden
Teiles des Entoderms Gegenstand von Kontroversen, die bei der Bil-
dung der Keimblätter näher zu betrachten sind, da sie mit der Gastru-
110 F. Maurer,
lation und Chordabildung zusammenhängen. Ich erinnere hier an
die Angaben von Schauinsland (A. L. III. 8. 1898) über Hatteria, sowie
von Bonnet (L. 2. 1902) über den Hund und andere Säugetiere. Ich
möchte nur hervorheben, daß alle diese mannigfaltigen Vorgänge in der
Ontogenese doch unsere Auffassung von der Bildung des Darmlumens
nicht wesentlich geändert haben. Ob bei der Gastrulation während der
Zeit der Bildung des Entoderms zeitweise zwischen den Zellen Kommu-
nikationen zwischen Furchungs- und Gastralhöhle bestehen, ist belanglos,
der prinzipielle Unterschied zwischen beiden bleibt doch. Ob ferner
unter Teilung, Verlagerung und Resorption von dotterreichen Ento-
dermzellen Aenderungen im Lumen der Urdarmhöhle eintreten, er-
scheint mir ebenfalls nicht von Bedeutung. Die bleibende Darm-
höhle ist darum doch aus der Urdarmhöhle hervorge-
gangen.
Die Entwickelung des bleibenden Darmkanals setzt mit dem Mo-
ment ein, wo die Chorda und das gastrale Mesoderm vom primitiven
Entoderm sich gesondert hat und ventral von jenen Teilen das sekun-
däre Entoderm eine geschlossene Zellenlage darstellt. An diesen
Zustand schließt sich unmittelbar der Befund an, daß die Anlage
der Darmwandung sich aus 2 Schichten aufbaut: einer
e n t o d e r m a 1 e n und einer mesodermalen. Dabei bestehen
am Kopfende, sowohl wie am Schwanzende in verschiedenem Sinne
besondere Zustände. Am Kopfende bilden sich direkte Beziehungen
des Entoderms zum Ektoderm aus, welche zur Bildung der Mund-
öffnung und der Schlundspalten führen. Am caudalen Ende des Em-
bryo besteht der Blastoporus, der bei meroblastischen Eiern zum
Primitivstreif ausgedehnt ist. Im Bereich desselben besteht ein primärer
Zusammenhang der Keimblätter, der für die Ausbildung des Schwanz-
darmes, wie des Afters und der Kloake eine maßgebende Bedeutung
gewinnt.
Der Dar mk anal der Wirbeltiere zeigt stets eine zwei-
schichtige A n 1 ag e. Die innere wichtigste Schicht bildet das Ento-
derm, das die Grundlage der Darmschleimhaut darstellt. Aus ihr ent-
wickelt sich außer dem Epithel der gesamten Schleimhaut auch der ganze
Drüsenapparat des Darmes, sowie die epitheliale Auskleidung des respira-
torischen Apparates. Die äußere Schicht der Darmanlage wird her-
gestellt durch das Darmfaserblatt der Parietalplatten, welches durch
die mediale Lamelle der ventralen Mesodermhälfte gebildet wird. Sie
ist die anatomische Grundlage für die Serosa des Darmrohrs, ferner
für die Mesenterien desselben bis zu jenen Punkten, wo diese in das
Hautfaserblatt der Parietalplatten übergehen. Ferner bildet sich nach
der bis heute herrschenden Auffassung die gesamte Muskulatur der Darm-
wandung, sowie das Bindegewebe aus dem Darmfaserblatt, der Splanch-
nopleura aus, ebenso der Chylusgefäßapparat. Die Follikelbildungen der
Darmwand werden von den meisten Autoren als Bildungen des Mesoderms
aufgefaßt, doch fehlt es nicht an Stimmen, welche das Entoderm als
Bildungsstätte dieser Organe ansprechen. Der Blutgefäßapparat wird
in seiner Herkunft verschieden beurteilt, indem er bald vom Ento-
derm, bald vom Mesoderm, bald auch von beiden abgeleitet wird. Die
Auffassung, daß das Entoderm in bestimmten Bezirken der ventralen
Hälfte des Embryo die Ursprungsstätte der ersten Blutelemente darstellt,
gewinnt immer mehr Boden. So besteht zwar ein primitiver Zusammen-
hang zwischen Blutgefäßen und Entoderm, doch löst sich dieser schon
Die Entwickelung des Darrnsystems. 111
bei der ersten Bildung, und die Gefäße zeigen eine eigene Weiterbildung
durch selbständiges Auswachsen. So gelangen auch in die spätere Darm-
wandung von außen her durch Sprossenbildung Blutgefäße hinein.
Das Darmrohr sämtlicher Wirbeltiere ist an seinem vorderen Ende,
der Kopfdarmhöhle, zunächst blind geschlossen. Es entsteht zuerst die
Mundöffn u n g sekundär, nach Bildung einer ektodermalen Einsenkung,
der Mundbucht, gegen die Kopfdarmhöhle zu und nach Einreißen der
trennenden Rachenhaut. In der Folge bilden sich noch in verschie-
dener Zahl seitliche paarige Ausbuchtungen des vordersten Abschnittes
des Darmrohrs, welche als Kiemen- oder Schlundtaschen bezeichnet
werden und nach Vereinigung mit entgegenkommenden ektodermalen
Kiemenfurchen, durch Einreißen der trennenden Schichten zu Kiemen-
oder Schlundspalten durchbrechen. Dieselben treten in verschiedener
Zahl bei den einzelnen Wirbeltierklassen auf. Bei kiemenatmenden
Formen bleiben sie im Dienste der Respiration offen bestehen, bei
höheren Formen, wo die Lungenatmung sich ausbildet, sind sie vor-
übergehende Bildungen und erfahren nach kurzem Offensein wieder
einen Verschluß. Der Fortbestand der Schlundspalten bei Anmioten
ist ein beredtes Zeugnis für die phylogenetische Verwandtschaft der
Wirbeltiere. Dabei ist aber nicht zu vergessen, daß außer der re-
spiratorischen Bedeutung die Schlundspalten schon bei Fischen die
Aufgabe haben, die Thymus auszubilden, eine Leistung, die ihnen auch
bei Amnioten bleibt, so daß ihre Erhaltung in der Ontogenese verständ-
lich wird. Das hintere Ende des Darmrohrs entspricht dem Blasto-
poruspol des Embryo. Während noch vor kurzem verschiedene An-
sichten darüber bestanden, ob der Blastoporus zur Bildung des Afters
verwendet wird, oder ob der letztere ebenso wie die Mundöffnung eine
Neubildung darstellt, geht die heute herrschende Ansicht dahin, daß
ein Teil des Blastoporus zur Afterbildung verwendet wird. Es ist
hierbei zu bemerkeD, daß bei den meisten Wirbeltierembryonen der
After nicht dem hintersten Ende des Darmrohrs entspricht, sondern
daß ein postanaler Darm besteht, der eine verschiedene Ausdehnung
zeigt und dem bei vielen Formen eine, wenn auch vorübergehende,
Funktion nicht abzusprechen ist.
Die erste Art und Weise der Anlage und Ausbil-
dung des D a r m r o h r s ist abhängig von dem Modus des
Gastrulationsprozesses. Bei holoblas tischen Eiern,
deren Furchung sich als totale abspielt, besteht der Darmkanal von
vornherein als geschlossenes Rohr, wie ja auch der embryonale
Körper von vornherein als geschlossene walzenförmige Bildung an-
gelegt ist. Bei Embryonen, die sich nach dem Typus der parti-
ellen, bei Wirbeltieren stets diskoidalen, Furchung entwickeln,
zeigt der Embryo in der Keimscheibe eine flächenhafte Ausbreitung,
und hier stellt auch die Anlage des Darmrohrs zuerst eine entodermale
Zellenfläche dar. Dieselbe vertieft sich unter dem Vorgang der Ab-
hebung der Keimscheibe vom Dottersack zur Darmrinne, die sich dann
allmählich erst zum Rohre abschließt. Dieser Vorgang, zuerst von
Kaspar Friedrich Wolff beim Hühnchen beobachtet, hat gerade
als Beobachtung eine klassische Bedeutung. Es war hiermit ein Ent-
wickelungsvorgang nachgewiesen, der nicht in die Auffassung der
Evolutionslehre paßte und für die epigenetische Auffassung der Ent-
wickelungsvorgänge von grundlegender Bedeutung geworden ist.
Es geht demnach nicht das ganze Entoderm bei meroblasti-
112 F. Maurer,
scheu Eiern in die Bildung der Darmschleimhaut über, sondern das
Entoderm sondert sich in einen in tra embryonalen Abschnitt, der allein
die Darmschleimhaut bildet, und einen ex tra embryonalen Abschnitt, der
die Dottersackwandung bilden hilft, des Dottersackentoderm. Bei mero-
blastischen Eiern besteht der Dottersack als embryonales, nach Ablauf
der Entwickelung schwindendes Organ. Bei Cyclostomen und A in -
phibien mit holoblastischen Eiern bilden die dotterreichen Eutoderm-
zellen der ventralen Hälfte des Darmkanals nur eine vorübergehende
leichte Auftreibung der Darmanlage, die unter Resorption des Dotter-
materials schwindet; dieser ganze dotterreiche Abschnitt des Entoderm-
rohrs wird einfach in die Darmwand aufgenommen. Auch bei Gym-
nophionen mit partieller Furchung wird der ganze Dottersack von den
Bauchplatten des Embryo früh umwachsen und in die Bauchhöhle
aufgenommen. Unter Ganoiden wird der Dotter bei Acipeuser von
einem erweiterten Darmabschnitt aufgenommen, der nach Balfour
(A. L. II. 1886) dem Magen entspricht. Dagegen finden wir, daß bei
Lepidosteus schon ein Darmdottersack sich scharf vom Darmrohr ab-
setzt, mit dem er nur durch einen engen Stiel verbunden bleibt. So
zeigt es sich auch bei Teleo stiem. Dabei wird die Resorption des
Dotters nicht mehr bloß vom Darmepithel, sondern von dem Dotter-
sackentoderm besorgt, welches die Nahrung sofort den Dottersack-
gefäßen zuführt. Ein äußerer scharf abgesetzter Hautdottersack bildet
sich bei Teleostiern nicht aus, sondern der Darmdottersack wird ganz
in die Bauchhöhle aufgenommen. Dabei hört, wie wir von Balfour
wissen, bei Salmo schon sehr früh jede Kommunikation zwischen Darm-
rohr und Dottersack auf.
Bei Selachiern bildet sich ein Darm- und ein Hautdottersack,
die nur durch einen dünnen Stiel, jener mit dem Darmrohr, dieser mit
der ventralen Rumpfwand, in Verbindung stehen. Der Darmdotter-
sack liegt aber zum Teil in der Bauchhöhle (innerer D.) und nur
zum anderen Teil im Hautdottersack (äußerer D.). Der Dotter wird
hier in den Darm übergeführt, so daß das Darmepithel eine wichtige
Rolle bei seiner Resorption spielt.
Bei Mustelns ist der innere Dottersack wenig (M. vulgaris) oder
gar nicht (M. laevis) ausgebildet. Bei Acanthias ist er sehr groß. Der
Inhalt des äußeren Dottersacks wird hier allmählich in den inneren
Dottersack übergeführt. Dabei bleibt der äußere Dottersack als lang-
gestieltes Bläschen an der Ventralfläche des Embryo nachweisbar.
Bei Sauropsiden besteht ebenfalls ein äußerer Dottersack. Der-
selbe wird aber später ganz in die Bauchhöhle aufgenommen, indem er
durch den Nabel hindurchschlüpft. Hier wird auch der Nahrungs-
dotter sehr früh nicht mehr in das Darmrohr abgeführt, sondern
der dünne Stiel des Ductus omphaloentericus schwindet, das Dotter-
material wird von den Dottersackepithelzellen resorbiert und von da
durch die Blutgefäße des Dottersacks aufgenommen. Unter Schwund
des Dotters bildet die Wandung des Dottersacks Falten und Krausen
(H. Virchow), und der Dottersack schrumpft zusammen. Doch bleiben
lange Zeit Reste erhalten, zuweilen zeitlebens, z. B. bei Lacertiliern
und Ratiten (Gadow, Strahl L. 2. 1894, Bersch L. 2. 1893, Voeltz-
kow A. L. III. 7. 1899.).
Bei Säugetieren schrumpft der bedeutungslose Dottersack früh-
zeitig zum langgestielten Nabelbläschen zusammen, das mit den Ei-
hüllen abgeworfen wird.
Die Entwicklung des Darmsystems. 113
Die letzte Verbindung des Darmrohrs mit dem Dottersack, der
Dottergang, zeigt bei Fischen und Amnioten verschiedene Beziehungen
zum Darm. In allen Fällen ist der Dottersack dem Mitteldarmab-
schnitt verbunden: bei Fischen näher seinem Anfang, bei Amnioten
näher seinem Ende, er sitzt dem Scheitel der primitiven Darmschleife
an, auf welchen nach kurzer Strecke der Anfang des Enddarms folgt.
Diese Ungleichheit ist begründet durch die verschiedene Anordnung
des Dotters in der Eizelle, die schon in der verschiedenen Bedeutung
des Keimscheibenrandes zum Ausdruck kommt.
Nachdem das Darmrohr ein die Länge des embryonalen Körpers
durchlaufendes gestrecktes Rohr geworden ist, ein Zustand, der bei
holoblastischen Eiern bald nach der Gastrulation, unter einfacher
Streckung des Embryo erreicht ist, bei meroblastischen Eiern erst
nach der vollständigen Abhebung des embryonalen Körpers vom Dotter-
sack hergestellt ist, sehen wir das entodermale Darmrohr, von dem
Darmfaserblatt der Parietalplatten umgeben, durch ein dorsales und
v e n t r a 1 e s M e s e n t e r i u m in seiner Lage fixiert erhalten. Das dor-
sale Mesenterium bildet eine Duplikatur, die, gleichmäßig in der ganzen
Länge des Rumpfes ausgebildet, in gerader Linie das Entodermrohr
an die dorsale Rumpfwand befestigt. Die letztere erhält in dem früheren
Stadium zunächst ihre Stütze durch die Chorda dorsalis. Zwischen
den beiden Serosalamellen, welche das Mesenterium bilden, findet sich
eine bindgewebige Membran, welche die Blutgefäße und Nerven zum
Darm führt (Tunica propria, Toldt).
Ein ventrales Mesenterium besteht nur im vorderen, dem Kopf
und vordersten Rumpfabsclmitt zugehörenden Abschnitt des Darm-
rohrs und ebenso am hinteren Teil kurz vor dem After in kurzer
Ausdehnung. In der größeren Länge des Darmes, während seines Ver-
laufes durch den Rumpfabschnitt des Körpers ist es geschwunden da-
durch, daß die linke und rechte Hälfte der Parietalplatten sich in der
ventralen Mittellinie miteinander vereinigt haben. Das primitive
paarige Cölom ist hierdurch, unter Einschmelzung des ventralen
Mesenterium, zu einem einheitlichen Räume geworden. Während
das dorsale Mesenterium später im wesentlichen den Blut- und Chylus-
gefäßen sowie den Nerven des Darmes zum Verlauf dient, nur in ge-
ringerem Maße Drüsen, die vom Darm aus ihre Entwicklung nehmen,
einschließt, sehen wir, daß das ventrale Mesenterium die Bildungsstätte
höchst wichtiger Organe darstellt. Es stellt, wo es besteht, eine Dupli-
katur dar, die von der ventralen Mittellinie des entodermalen Darmrohrs
zum Ektoderm längs der ventralen Mittellinie des embryonalen Körpers
verläuft.
Zwischen seinen beiden Lamellen bildet sich im Bereich des
Kopfes die Anlage des H erzen s aus, unmittelbar dahinter entwickelt
sich vom Darmentoderm aus die Anlage der Leber und des Pan-
kreas. Während erstere ausschließlich in das ventralen Mesenterium
hinein sich entwickelt, hat man am Pankreas außer einer ventralen,
auch eine dorsale Anlage nachgewiesen, welche sich an der gleichen Stelle
zwischen die Lamellen des dorsalen Mesenteriums hinein ausbildet.
Das dorsale Mesenterium ist außerdem noch die Bildungsstätte der
Milz.
In dem ventralen Mesenterium unmittelbar vor dem After bildet
sich ferner die Harnblase, resp. Allantois bei höheren Wirbeltieren
aus.
Handbuch der Eutwickelungslehre. II. 1. 8
114 F. Maurer,
Bei niederen Wirbeltieren (Amphioxus, Cyclostomen), behält das
Darmrohr seine gestreckte einfache Form, bei Selachiern, Ganoiden,
Teleostiern beginnt schon ein größeres Längenwachsthnni des Darmes,
wodurch derselbe sich in Schlingen legt. Dies ist von Amphibien an auf-
wärts in zunehmendem Maße weiter gebildet.
Bei allen Formen sieht man das Darmrohr sich in verschiedene
Abschnitte sondern, die scharf getrennt sind. Man unterscheidet einen
Vorder-, Mittel- und End darin.
Der Vorderdarm umfaßt, mit der Mundöffnung beginnend, die
Kopfdarmhöhle, die Speiseröhre und den Magen. Seine Grenze gegen
den Mitteldarm ist scharf markiert durch die Bildungsstelle der Leber
und des Pankreas. Hier beginnt der Mitteldarm, der an einer eben-
falls scharf markierten Stelle, einer Blinddarmbildung, in den mit
letzterer beginnenden Enddarm sich fortsetzt. Derselbe findet sein
Ende nicht im After, denn hinter diesem besteht meist vorübergehend
noch ein postanaler Darmabschnitt.
Während der Darmkanal zuerst ein gleichmäßiges Rohr darstellt,
sondert sich später, aber schon in frühembryonaler Zeit ein jeder der
drei angeführten Abschnitte in verschiedene Teile.
Vord erdarm. Der Vorderdarm läßt die Mundhöhle, den Pharynx,
Oesophagus und Magen entstehen. Sie zeigen bei den verschiedenen
Wirbeltierklassen eine sehr ungleiche Ausbildung. Die Mundhöhle in
ihrem einfachen Zustande bei Fischen und ihrer Sonderung bei höheren
Formen in sekundäre Mund- und Nasenhöhle ist im vorigen Kapitel
behandelt. Der Pharynx ist durch seine Beziehung zu den Respirations-
organen ausgezeichnet. Bei sämtlichen Wirbeltieren bilden sich vom
Schlund die paarigen Schlundspalten aus, deren Zahl von niederen zu
den höheren Wirbeltieren allmählich abnimmt. Sie schwankt zwischen
9 und 4 Paaren. Während sie bei Fischen und Amphibienlarven,
Perennibranchiaten und Derotremen die Träger des respiratorischen
Gefäßnetzes sind, erfahren sie bei höheren Wirbeltieren von caduci-
branchiaten Amphibien an eine Rückbildung.
Bei allen diesen Formen stellt die ventrale Fläche der hinteren
Pharynxregion die Bildungsstätte der Respirationsorgane dar, die sich
zu dem Kehlkopf, Trachea und Lungen ausbilden. Die Schlund-
höhle ist außerdem die Bildungsstätte einer Gruppe
von Organen, welche zum Teil mit dem Apparat der
Schlundspalten in genetischer Beziehung stehen: Schild-
drüse, Thymus, p o s t b r a n c h i a 1 e r Körper, C a r o t i d e n d r ü s e
und E p i th e 1 k ö r p e r c h e n. Die drei erstgenannten Organe bilden
sich bei sämtlichen Wirbeltieren aus, die beiden letzten sind nur von
Wirbeltieren, deren Kiemenspalten unter Ausbildung der Lungen eine
Rückbildung erfahren haben, entwickelt. Die aus dem Pharynx sich
fortsetzende Speiseröhre ist bei allen Fischen und Amphibien sehr
kurz ausgebildet, Bei Amnioten länger gebildet, zeigt sie bei Vögeln
durch die Kropfbildung eine besondere Komplikation.
Der Magen als letzter Abschnitt des Vorderdarms kommt nicht
allen Wirbeltieren zu. Er fehlt bei Petromyzonten und einigen Klassen
der Teleostier. Bei allen niederen Wirbeltieren stellt er, wo er besteht,
eine längsgestellte, spindelartige Erweiterung des Darmes dar. Bei
einigen Reptilien beginnt eine Querstellung des Magens sich auszubilden.
Beim Vogel besteht dieselbe in anderer Form als bei den Säugetieren.
Die Eutwickelung des Darmsystems. 115
Bei letzteren kommt es in vielen Gattungen zu einer Sonderung des
Magens in mehrere Abschnitte.
Mi 1 1 el darin. Der Mitteldarm ist ein gleichmäßigerer Teil des
Darmrohrs, der eine sehr verschiedene Länge erreicht. Bei Selachiern
ist er durch die Spiralklappe ausgezeichnet, die auch noch in ge-
ringerer Ausbildung bei Ganoiden und Dipnoern besteht. Bei Anuren
zeigt der Mitteldarm eine komplizierte Aus- und Rückbildung.
Enddarm. Der Enddarm ist bei niederen Formen einfach
und kurz. Bei Säugetieren erreicht er eine größere Länge und Sonde-
rung in Colon und Rectum. An seinem Beginn entwickeln sich bei
Vögeln und Säugetieren Coecumbildungen verschiedener Zahl und
Größe.
Von d e r E n t w i c k e 1 u n g d e r Da r m w a n d u n g , d.h. ihrer ver-
schiedenen Schichten ist die Ausbildung der Schleimhaut, sowie des Se-
rosa-Ueberzugs am besten bekannt. Diese Teile sind auch bei allen
"Wirbeltieren im wesentlichen gleicher Herkunft. Die Eutwickelung der
Tunica muscularis, sowie des Bindegewebes und der Blutgefäße des
Darmes ist noch keineswegs klargestellt, doch ist schon vieles Wert-
volle darüber bekannt geworden. Eine besondere Komplikation bildet
die das gesamte Darmrohr betreffende Ausbildung einer blutgefäß-
reichen lymphatischen Scheide, wie sie bei Petromyzon besteht.
Während der größte Teil der Drüsen des Darmes, die stets den
epithelialen Teil der Schleimhaut zum Mutterboden haben, in der
Darmwandung eingelagert bleiben, sehen wir 2 Drüsen in volumi-
nöser Entfaltung vom Darmrohr mit ihrem Drüsenkörper abrücken,
und nur der Ausführgang mit seiner Mündung läßt noch den primi-
tiven Zusammenhang erkennen. Dies sind die Leber und das Pankreas,
die allen Wirbeltieren zukommen. Nur bei Amphioxus fehlt das
Pankreas.
Außer dem Drüsenapparat finden wir in der Darmschleimhaut bei
allen Wirbeltieren in reicher Verbreitung lymphatische Organe von
verschiedener Anordnung und Ausbildung. Sie erscheinen außer in
Form einzelner Follikel, die überall in der Darmschleimhaut disse-
miniert auftreten, an bestimmten Stellen, in Gruppenstellung und bilden
komplizierte Organe: Balgdrüsen der Zunge, Tonsillen und Agmina
Peyeri. Diese bei höheren Wirbeltieren bestehenden Einrichtungen
sind lokalisierte Reste von allgemeinen lymphatischen Scheiden, wie
sie bei niederen Formen um die Schleimhaut des ganzen Darmrohrs,
vielfach auch am Arterienapparat des Darmes bestehen. Follikel-
bildungen linden sich auch bei Selachiern in der Auskleidung des
Spritzlochs und bei Vögeln im Oesophagus.
Mit der Sonderung des Darmrohrs in seine verschiedenen Ab-
schnitte und mit der Ausbildung der genannten großen Drüsen kommt
auch eine kompliziertere Ausbildung der Mesenterien zur Eutwickelung.
Bei diesen Vorgängen spielen die zum Darmrohr und seinen Drüsen
verlaufenden und von ihnen rücklaufenden Blutgefäße eine wichtige
Rolle.
Aus dem Vorstehenden ergiebt -sich, daß eine Schilderung der
Entwickelungvorgänge des Darmrohrs mit seinen Drüsen und Mesen-
terien sehr verschiedene Fragen zu behandeln hat.
116 F. Maurer,
Ich bespreche dieselben in folgenden Abschnitten:
1) Die Kiemenspalten und ihre Derivate.
a) Die erste Bildung der Schlundspalten.
In Die Entwickelung der Kiemen.
c) Die im Bereich der Kiemenhöhle sich bildenden epithelogenen
Organe.
a) Die Schilddrüse.
ß) Die Thymus.
y) Der postbranchiale Körper.
ö) Epithelkörperchen und Carotidendrüse.
£) Die Reste der inneren Kiemen bei Anuren.
2) Allgemeine Entwickelung des Darmrohrs und seine Sonderung in
verschiedene Abschnitte.
o) Die histologische Entwickelung der Darmwand.
Die lymphatischen Apparate der Darmschleimhaut.
4) Leber und Pankreas.
a) Die erste Anlage der Leber.
b) Die weitere Entwickelung der Leber.
c) Die Entwickelung des Pankreas.
5) Die Entwickelung des Afters.
6) Die Entwickelung der Mesenterien.
a) Allgemeines.
b) Bildung des primären Zustandes.
c) Septum transversum.
d) Die weiteren Bildungsvorgänge der Mesenterien in der Gegend
der Leber und des Gastroduodenalabschnittes des Vorderdarms.
e) Bursa omentalis und Foramen Winslowi.
f) Das dorsale Mesenterium.
1. Die Kiemenspalten und ihre Derivate.
Aus der Kopfdarmhöhle entwickeln sich bei sämtlichen Wirbel-
tieren paarige Ausbuchtungen in verschiedener Zahl, die, nachdem sie
das Ektoderm erreichten, sich mit diesem verbinden und nach außen
zum Durchbruch kommen : Die Schlund- oder Kiemenspalten. Bei
Amphioxus in sehr großer Zahl bestehend und in unsymmetrischer Zahl
ausgebildet, münden sie in den Peribranchialraum. Unter den Cyclo-
stomen bestehen sie bei Petromyzon in der Achtzahl. Sie brechen
schon bei ganz jungen Embryonen durch (Scott und Osborn). Bei
Bdellostoma werden 13 — 14 Paar Kiemenspalten angelegt. Bei Se-
lachiern bestehen sie zu i> Paaren (Notidaniden), dann zu 8 und 7
Paaren (Heptanchus). Von da an nimmt ihre Zahl bei höheren Wirbel-
tieren ab. Während sie bei Fischen, Amphibien und Reptilien sich
in der Zahl 5 entwickeln, kommen bei Vögeln und Säugetieren meist
nur 4 Paare zur Ausbildung. Bei allen wasserlebenden Formen ent-
wickelt die Schleimhautauskleidung Kiemenbildungen, und die Spalten
bleiben zeitlebens, der Respiration dienend, offen. Bei caducibranchiaten
Amphibien erfahren sie einen Verschluß zur Zeit der Metamorphose.
Bei den amnioten Wirbeltieren bilden sich embryonal die Schlund-
spalten genau wie bei den niederen Wirbeltieren, sind aber nur von
vorübergehendem Bestand.
Bei sämtlichen Wirbeltieren entwickeln sich diese Spalten nicht
Die Elitwickelung des Darrnsystems. 117
gleichzeitig, sondern sie treten nacheinander auf und zwar meist
so, daß die erste zwischen Kiefer- und Zungenbeinbogen gelegene
zuerst durchbricht, und nach ihr entsteht die zweite und so fort
caudalwärts weiter schreitend. In derselben Reihenfolge findet bei
den sauropsiden Wirbeltieren von vorn nach hinten fortschreitend
der Verschluß der vorübergehend offenen Schlundspalten statt. Wäh-
rend bei Selachiern die erste Spalte als Spritzloch erhalten bleibt,
erfährt sie bei Ganoiden, Teleostiern und Dipnoern einen Verschluß.
Bei Säugetieren wurde von His bestritten, daß die Spalten überhaupt
zu offenem Durchbruch kommen, doch ist dies für Monotremen und
auch für höhere Säugetiere nachgewiesen worden (Halsfisteln). Immer-
hin wird es ein naturgemäßer Fortschritt sein, wenn die für die Re-
spiration bedeutungslosen Spalten auch in der Ontogenese nicht mehr
durchbrechen.
Die Schlundspalten bilden nicht bloß die Anlage der respira-
torischen Kiemen bei wasserlebenden Wirbeltieren, sondern sie stellen
in ihrer epithelialen Auskleidung auch schon bei solchen Formen den
Boden für andere Organe dar: es sind dies die Thymus, die Supra-
pericardial- oder postbranchialen Körper und die Epithelkörperchen.
Diese Aufgabe bleibt ihnen auch bei amnioten Wirbeltieren, bei welchen
sie die respiratorische Funktion verloren haben. Im Bereich der
Kiemenregion bildet sich ferner bei sämtlichen Wirbeltieren ein Organ
aus, welches nicht direkt aus Kiemenspalten abzuleiten ist, sondern
seine Grundlage in der Hypobranchialrinne der Tunicaten und Ammo-
coetes besitzt, die Glandula thyreoidea. Wir behandeln diesen Ab-
schnitt in 3 Abteilungen : 1) Die erste Bildung der Schlundspalten,
2) Die Kiemenbildungen, deren wesentlicher Teil bei dem Gefäßsystem
zu betrachten ist, 3) Die im Bereich der Schlundspalten sich bildenden
epithelogenen Organe.
a) Die erste Bildung der Schlundspalten.
Amphioxus. Die Entwicklung der Kiemenspalten und des
Peribranchialraums bei Amphioxus ist schon im vorhergehenden Ka-
pitel besprochen worden.
Cyclo stomen. Bei Ammocoetes, Petromyzon kommen, wie
schon Huxley nachwies, 8 Schlundspaltenpaare zu Anlage. Nach
Scott (A. L. III. 2. 1882), Götte (A. L. III. 2. 1890) und Kupffer
(A. L. III. 2. 1890) findet ihre Ausbildung von vorn nach hinten
fortschreitend statt. Die 1. Schlundtasche bildet sich bei 6 Tage
alten Embryonen als paarige Ausbuchtung des Entoderms der Kopf-
darmhöhle. Die Taschen wachsen gegen das Ektoderm hin, indem
sie das Mesoderm verdrängen, und lagern sich dem Ektoderm an. Die
2. und 3. Tasche bilden sich, einander folgend, am 7.-8. Tage der
Entwickelung aus. Wenn der Embryo das Ei verläßt, am 8. Tage
(v. Kupffer), ist noch keine Spalte durchgebrochen. Nach Scott
bricht die 1. Spalte unter Einreißen der aus Ektoderm und Ento-
derm bestehenden Verschlußmembran am 13. Tage durch, die übrigen
folgen der Reihe nach, so daß am 16. — 17. Tage nach der Befruchtung
alle 8 Spalten geöffnet sind. Bei der Bildung dieser Spalten spielt
das Entoderm allein eine aktive Rolle, das Ektoderm verhält sich passiv.
Bei Bdellostoma treten nach Dean (A. L. III. 2. 1899) die Kiemen-
spalten ebenso der Reihe nach auf, wie bei Petromyzonten. Es bilden
sich 13 — 14 Spalten, schon zu einer Zeit, wo der Kopfteil des Embryo
118
F. Maurer.
noch nicht vom Dotter abgehoben ist. Die 1. Spalte nimmt eine Sonder-
stellung ein. Sie ist durch einen größeren Abstand von der 2. getrennt,
und es stellt Dean die Frage auf, ob nicht, wie Dohrn iA. L. III. 3)
bei Selachiern annimmt, eine 2. Spalte hier ausgefallen sei. Unter
der mächtigen Volumentfaltung des Vorderkopfes, der Ausbildung der
Zunge rücken die Kiemenspalten weit nach hinten.
Selachier. Die Entwicklung der Schlundspalten bei Selachiern,
(Pristiurus, Scyllium, Acanthias, Torpedo) ist durch Balfour (A. L.
III. 3. 1878), Dohrn, Van Bemmelen (L. 1. 1885), Rabl (L. 2.
1889), bekannt geworden. Auch hier tritt die 1. Schlundtasche, die
Anlage des Spritzlochs, zuerst auf. Dann folgen die weiteren bei
pentanchen Haien der Reihe nach. Sie entstehen als paarige Aus-
buchtungen des Entoderms der Schlundhöhle. Hinsichtlich der Zeit
des Durchbruchs der Taschen zu Spalten differieren die Angaben.
Auch hier spielt das Entoderm allein die aktive Rolle.
Die Ausbuchtungen erreichen das Ek-
toderm und vereinigen sich mit ihm. Nach
den genauen Angaben von Rabl erscheint
die 1. innere Schlundtasche bei Pristiurus-
embryonen mit 18 Urwirbeln. Die folgen-
den entstehen der Reihe nach, so daß bei
Embryonen mit 74 Wirbeln die 6. als letzte
angelegt ist. Die Reihenfolge des Durch-
bruchs nach außen stellt sich etwas anders
dar, es kommt dabei schon die Reduktion
der Spritzlochspalte zum Ausdruck. Zuerst
bricht die 2. Spalte durch bei Embryonen
mit 54 Urwirbeln. Dann folgt die 3. und
mit dieser fast gleichzeitig die 1. Die
übrigen folgen sich der Reihe nach. Ein
Embryo mit 94 Urwirbeln besitzt unter
Durchbruch der letzten 6 offene Kiemen-
spalten.
Die Eröffnung der einzelnen Spalte be-
ginnt an deren dorsalem Ende und schreitet
ventralwärts fort. Die Verhältnisse direkt
nach dem Durchbruch der Spalten
Fig. 83.
zeigt
Fig. 83. Horizontalschnitt eines jungen Embryo
von Raja. I Spritzloch. II— VI Kiemenspalten. VI
noch nicht durchbrochen. A' Kiemendarm, o Speise-
röhre, c Gehirn, a Auge. (Nach van Bemmelen.)
Ganoiden. Die erste Anlage der Schlundspalten bei Acipenser
und Lepidosteus kennen wir durch Salensky (A. L. III. 5. 1881),
Balfour (A. L. III. 5. 1882), Parker und Agassiz (A. L. III.
5. 1878). Die 6 hier sich bildenden Spalten legen sich, von vorn
nach hinten fortschreitend, als entodermale Schlundtaschen an. Ob
die 2. vor der 1. durchbricht, finde ich nicht angegeben. Dagegen
schließt sich die 1. Spalte von ihrem ventralen Ende aus dorsal-
wärts fortschreitend, so daß sie nur als Spritzloch offen bleibt. Die erste
Anlage der 2 ersten Schlundspalten tritt schon zu einer Zeit auf, da der
Die Entwickelung des Darmsystems. 119
Kopfteil des Embryo auf dem Dottersack ausgebreitet liegt. Da ihnen
ektodermale Furchen entsprechen, heben sich Mandibular-, Hyoid- und
1. Kiemenbogen als konzentrische kreisförmige Wülste, die Kopfanlage
seitlich umziehend, ab. Wenn der Kopf sich dann abliebt, rücken
die Schlundspalten an dessen Seite. Bei Lepidosteus und Polypterus
rindet die erste Bildung der Schlundspalten einfacher und ähnlich wie
bei Selachiern statt. Es hängt dies zusammen mit der anderen An-
ordnung der Dottermasse, auf die wir bei Besprechung der Ent-
wickelung der Leber zurückkommen.
Dipnoer. Die Entwickelung der Schlundspalten bei Dipnoern
ist bekannt von Ceratodus, Lepidosiren und Protopterus. Es ent-
stehen auch hier 5 Kiemenspalten. Dieselben brechen bei Ceratodus
der keine äußeren Kiemen ausbildet, nach Semon (A. L. III. 6. 1803)
erst spät durch, nachdem vom Hyoidbogen die Kiemendeckelfalte nach
hinten gewachsen ist. Die 1. zwischen Kiefer- und Zungenbeinbogen
liegende Spalte bricht nicht durch.
Bei Lepidosiren entstehen vor Durchbruch der Spalten die mäch-
tigen äußeren Kiemen (Kerr A. L. III. 6. 1900) ; Protopterus stimmt
damit überein (Budgett).
Teleo stier. Bei Knochenfischen kommen (3 Schlundtaschen zur
Anlage. Während bei Selachiern die 1. Spalte durchbricht, erreicht
bei Knochenfischen diese Tasche das Ektoderm, öffnet sich aber nur
ganz vorübergehend, da eine Spritzlochbildung nicht zustande kommt.
Bei Forellenembryonen sind die Schlundtaschen am 26. Tage als
entodermale Ausbuchtungen vorhanden, nur die 2., d. h. hinter dem
Hyoidbogen gelegene, ist zur Spalte durchgebrochen. Die 4 hinteren
Spalten folgen erst später. Nachdem sie schon am 30. Tage das Ekto-
derm erreicht haben, brechen sie doch erst am 50. Tage zu offenen
Spalten durch. Dies hängt mit der Entwickelung der Arterienbogen
zusammen. Während am 40. Tage die Arterie des Hyoidbogens noch
mächtig, die Gefäßbogen der 4 hinteren Kiemenbogen dagegen sehr
schmächtig sind, erfahren letztere vom 50.— 56. Tage eine starke Er-
weiterung unter Verkümmerung der Hyoidbogenarterie, und damit
werden die hinteren Kiemenbogen nicht nur stärker, sondern sie rücken
auch auseinander, und die Spalten öffnen sich weit. Im wesentlichen
in gleicher Weise vollzieht sich die Ausbildung der Kiemenspalten
bei anderen Knochenfischen. Rhodeus, Lophius, Cyprinus (Maurer
L. 1. 1886).
Ich schließe hier noch die accessorischen Kiemenorgane an, die
in mannigfaltiger Weise bei Knochenfischen bestehen. Es sind dies
paarige Ausbuchtungen der Kiemenhöhle, die dorsal wärts in Anpassung
an Fortsatzbildungen der oberen Segmente von Kiemenbogen sich
entwickeln. Zu welcher Zeit sie in der Ontogenese auftreten, kann ich
nicht angeben. Im allgemeinen handelt es sich hier um Bildungen,
die sich auf die Klasse der Teleostier beschränken. Von Bedeutung
erscheinen mir nicht diese dorsalen Ausbuchtungen der ganzen Kiemen-
höhle, sondern solche, die hinter dem letzten Kiemenbogen bestehen.
Solche finden sich bei Clupeiden dorsal über der letzten Kiemenspalte,
bei Scariden aber ventral hinter dem letzten Kiemenbogen, vor und
zur Seite von dem unteren Schlundknochen (Sagemehl). Sie scheinen
mir deshalb von Bedeutung, weil bei Teleostiern die postbran dualen
Körper fehlen, und es fragt sich, ob wir in solchen Ausbuchtungen nicht
deren Homologa zu erblicken haben.
120
F. Maurer.
Amphibien. Bei Urodelen. deren Entwicklung bekannt ist
(Triton, Salamandra, Siredon, Salamandrina, Necturus, Ichthyophis, Hypo-
geophis) entstellen die Schinndspalten wie bei Fischen, von vorn nach
hinten fortschreitend. Es kommen 5 Schlnndfalten zur Anlage, die, z. B.
bei Siredonembryonen von 7 mm Länge, das Ektoderm erreichen. Un-
mittelbar nachdem die Larve das Ei verlassen hat, kommen die Spalten
zum Durchbruch. Die 1. öffnet sich überhaupt nicht. Das Entoderm
zieht sich sehr rasch vom Ektoderm wieder zurück. Von der 2. Spalte
an rückwärts fortschreitend, öffnen sich die 4 Spalten, welche bei
Larven von 9,5 mm Länge alle offen sind. Die Kiemenspalten von
Proteus, Menobranchus verhalten sich in ihrer ersten Bildung ähnlich
Fig. 84 a und b.
Horizontalschnitte des Vorderkörpers junger Bombinator-
5 Kiementaschen.
larven (nach Götte), a jüngere, b ältere Larve. S Schlund;
vd Vorderdarm, p Pancreas ventrale, ak äußere 1. Kieme.
wie die von Triton und Siredon, (Zeller, Wiedersheim, Miss Platt
L. 1. 1806), auch zeigen die Gymnophionen keine wesentliche Ab-
weichung, trotz des Dotterreichtums der Eier, der eine partielle Fur-
chung veranlaßt. P. und F. Sarasin (A. L. III. 7. 87 — 93) gaben
von jungen Embryonen von Ichthyophis an, daß sie 5 Schlundtaschen
zeigen ; 2 von diesen bleiben nach dem Durchbruch als offene Spalten
während des Wasserlebens bestehen. Sie treten nicht offen zu Tage,
weil sie im Grunde einer engen Grube liegen. Auch bei Hypogeophis
bilden sich nach Brauer die Schlundspalten wie bei Ichthyophis. Die
1. zwischen Mandibular- und Hyoidbogen bestehende Spalte ist eben-
falls längere Zeit offen.
Auch bei Anurenlarven treten die 5 Schlundspalten in gleicher-
weise auf. Die Ausbildung der äußeren Kiemen eilt bei Rana dem
Durchbruch der Schlundspalten voraus. Die 1. Spalte kommt nicht
zu weiter Oeffnung. Die entodermale Tasche erreicht das Ektoderm,
Die Entwickelung des Darmsystems. 121
bildet einen Gang, der kaum ein Lumen besitzt, und löst sich sehr
rasch wieder vom Ektoderm ab.
Die 2. und 3. Spalte öffnen sich bei Larven von 6 mm Länge bei
Rana esculenta. Fig. 84a und b zeigt die Spalten vor und nach Durch-
bruch. Die 2 hinteren sind bei 7 mm langen Larven ebenfalls durch-
gebrochen. Bufo und Bombinator stimmen damit überein (Götte
A. L. III. 7. 1875, Gasser A. L. III. 7. 1882, Orr A. L. III. 7.
1883, Maurer L. 1. 1888).
Bei Anuren, deren Eier reichlichen Dotter besitzen, bilden sich die
Schlundspalten schon zu einer Zeit, wo der Kopf noch nicht ganz vom
Dotter sich abgehoben hat, so daß bei Alytes und Phylomedusa Zu-
stände auftreten, die den Befunden von Ganoiden ähnlich sind
(Budgett A. L. III.. 7. 1899).
Reptilien. Bei Reptilien kommen nach den meisten Autoren
5 Schlundtaschen zur Ausbildung, dahinter der postbranchiale Körper.
Doch liegen hier die 4. und 5. sehr nahe zusammen, und die 5. ist
nur von sehr kurzem Bestand. Auch hier folgen sie sich, von vorn
nach hinten fortschreitend, in der Anlage, van Bemmelen (L. 1. 1887)
untersuchte zuerst die Schlundspalten der Reptilien genauer, und zwar
bei Lacerta, Tropidonotus, Trigonocephalus, Chelonia viridis. Ueberall
fand er 5 Schlundtaschen angelegt, ebenso wie Rathke, Born (1883),
Hoffmann. De Meuron (1886) fand bei Lacerta nur 4 Spalten, ebenso
ich (1899). Neuerdings wurden von Peter 5 Taschen beschrieben.
Auch bei Anguis (Nicolas 1897), Crocodilus (Voeltzkow 1899),
Hatteria (Dendy 1899 und Schauinsland 1899) bestehen gleiche Ver-
hältnisse.
Die Schlundtaschen der Schildkröten sind durch van Bemmelen und
Mitsukuri bekannt geworden; bei Chelonia viridis legen sie sich nach
van Bemmelen in gleicher Weise wie bei der Eidechse an. Es treten
5 Taschen auf. Die 3 ersten brechen für kurze Zeit zu Spalten durch.
Von der 4. hält es van Bemmelen ebenfalls für wahrscheinlich. In der
weiteren Ausbildung verschieben sich die äußeren Oeffnungen nach
hinten. Die Bogen überlagern sich dachziegelartig. Besonders die
2. Spalte verschiebt sich stark nach hinten. Das deutet auf ein starkes
Wachstum des 2. Schlundbogens, wie es Rabl auch für Säugetiere
beschrieb.
Nach der neuesten Arbeit von Peter erscheint die 1. Schlund-
tasche bei Embryonen von Lacerta mit 6 Urwirbeln. Sie erreicht das
Ektoderm bei Embryonen mit 10 Urwirbeln. Bei Embryonen mit
16 Urwirbeln beginnt die erste Spalte an ihrem dorsalen Ende durch-
zubrechen. Die 2. Schlundtasche erreicht das Ektoderm. Die 3.
Schlundtasche tritt erst bei Embryonen mit 21 Urwirbeln auf. Der
Durchbruch der 2. Spalte beginnt bei Embryonen mit 25 Urwirbeln,
ebenfalls an ihrem dorsalen Ende. Die 1. Spalte ist hier schon ganz
offen. Es erfolgt dann bald auch der Durchbruch der 3. Spalte. Ob
die 4. Spalte durchbricht, ist nicht sicher, jedenfalls erreicht sie das
Ektoderm. Eine 5. Spalte soll als ventralwärts gerichtete Ausbuch-
tung bestehen, auch vorübergehend das Ektoderm erreichen, sie kommt
nicht zum Durchbruch. Hinter dieser folgt der postbranchiale Körper.
Auch der folgende Verschluß der Spalten erfolgt an der 1. Spalte
zuerst, dann schließt sich die 2. und 3.
Vögel. Bei den Vögeln treten nach den Angaben aller Autoren
4 Schlundspalten auf. Am meisten wurde das Hühnchen untersucht,
122 F. Maurer,
ferner die Ente, die Taube, der Sperling, der Wellensittich Apteryx
u. a. (His L. 1. 1886, Kastschenko L. 1. 1887, van Bemmelen
L887, de Meuron, Parker A. L. III. 9. 1891, Braun, Yerdun
L898).
Die Schlundtaschen des Hühnchens treten von vorn nach hinten
fortschreitend auf. Die erste Schlundtasche bildet sich nach Keirel
(A. L. IL 1900) gegen Ende des 2. Bebrütungstages, unmittelbar nach-
her erscheint die 2. Tasche, und am Ende des 2. Tages erscheint die
3. Tasche. In der Mitte des 3. Tages bildet sich die 4. und letzte
Schlundtasche. Am Ende des 3. Tages tritt der postbranchiale Körper
auf.
In der gleichen Reihenfolge erreichen die Taschen das Ektoderm
und brechen zu offenen Spalten durch. Gegen Ende des 3. Tages
bricht zuerst die 1. Spalte durch, am Ende dieses Tages folgt der
Durchbruch der 2. Im Verlaufe des 3. Tages erreichten auch die 3. und
4. Tasche des Ektoderm, brechen aber nicht durch. Die 3. Spalte
bricht nur sehr wenig und für kurze Zeit, wenige Stunden durch,
nach Verdun von der 140. — 148. Stunde der Bebrütung. Die 4.
Spalte kommt überhaupt nicht zum Durchbruch. Zur Zeit des Ver-
schlusses der 3. Spalte sind die beiden ersten noch weit offen. Danach
sind die Angaben von Mall, der einen Durchbruch der Spalten bei
Vögeln bestreitet, widerlegt.
Säugetiere. Auch bei Säugetieren bilden sich die Schlund-
taschen wie bei niederen Wirbeltieren aus, und zwar in der Vierzahl.
Sie bilden sich als paarige Divertikel der Kopfdarmhöhle aus, die erste
zuerst, die folgenden sich der Reihe nach anschließend.
Bei Echidna erfolgt auch offenbar in gleicher Reihenfolge der
Durchbruch der Spalten nach außen, nachdem die entodermalen Taschen
das Ektoderm erreicht haben. Ich habe ein junges Stadium abge-
bildet, in welchem die beiden ersten Spalten als weit offene Kanäle
nach außen münden, während die 3. und 4. Spalte noch geschlossen
sind. Auch die 3. Spalte öffnet sich in Form eines Kanales nach
außen für kurze Zeit. Die 4. Schlundtasche besitzt zwar als solche
ein weites Lumen, erreicht auch das Ektoderm, ob sie aber zu einem
offenen Kanal durchbricht, ist zweifelhaft. Jedenfalls bestehen
d i e 3 e r s t e n S c h 1 u n d s p a 1 1 e n gleichzeitig e i n e k u r z e Z e i t
lang als offene Spalten. Sie schließen sich rasch wieder, indem
sie einer Reihe von Organen den Ursprung geben, wovon später.
Von anderen Säugetieren sind die Schlundtaschen in ihrer ersten
Anlage übereinstimmend bekannt. Es bestehen Kontroversen neben-
sächlicher Natur darüber, ob sie zu Spalten durchbrechen oder nicht.
His vertritt die Ansicht, daß die entodermalen Taschen sich zwar
vorübergehend dicht dem Ektoderm anschließen, aber kein Durchbruch
eintritt. Dasselbe giebt er für den Menschen an. Keirel (A. L. IL 1897)
schildert es ebenso beim Schwein, bei welchem die erste Schlundtasche
am Anfang der 3. Woche auftritt. Ihr folgt unmittelbar die 2. In der
Mitte der 3. Woche erreichen die beiden ersten Taschen das Ektoderm,
und am 16. bis 17. Tage tritt die 3. Tasche auf, unmittelbar darauf
auch die 4. Am 18. bis 19. Tage legt sich auch die 3. Tasche an
das Ektoderm an. Die 4. erreicht es überhaupt nicht. Die Angabe
von Mall (1887), daß sowohl bei Nagern, wie bei Säugetieren die
Spalten intra vitam überhaupt nicht durchbrechen, ist vielfach wiederlegt.
Für die Säugetiere und den Menschen schlössen sich der His'schen
Die Entwickelung des Darmsystems.
123
Auffassung' Born (1883), Kölliker und Piersol (1888) an. Doch
wird auch von His zugegeben, daß der Abschluß der Spalten durch
eine nur aus Ektoderm und Entoderm gebildete Verschlußplatte die
Regel bilde. Das schließt Ausnahmen nicht aus. Kollmann (A. L.
IL 1898) giebt neuerdings an, daß beim Menschen die 1. Schlund-
spalte wahrscheinlich vorübergehend durchbreche, die folgenden da-
nicht zum Durchbruch gelangten. Hingegen führt er bei Be-
gegen
sprechung der Kiemenfisteln an, daß solche beim Menschen durch das
Offenbleiben hinterer K i e m e n s p a 1 1 e n zustande kämen. Dar-
aus folgt, daß gelegentlich auch an hinteren Spalten, wenigstens der 2.
und 3. ein Durchbrach vorkommt. Kastschenko (1887) uimILiessner
(1889) halten auch an der Auffassung fest, daß normal ein vorüber-
gehender Durchbruch bei Vögel- und Säugetierembryonen bestehe.
Die Frage ist nicht von wesentlicher Bedeutung. Die Schlund-
spalten haben bei Amnioten keine respiratorische Funktion, und wenn
sie sich überhaupt nicht mehr öffnen, so wäre dies nur ein durchaus
verständlicher Fortschritt in ihrer Rückbildung. Ob die offenen Spalten
als Kommunikationsöffnungen der Darmhöhle mit der Umgebuno- vor-
übergehend Bedeutung für die
Ernährung
des Embryo haben , die
Mundöffnung also gleichsam vorübergehend ergänzen, ist eine noch
nicht spruchreife Frage. Bei der Rückbildung der Schlundtaschen
geben sie auch bei Säugetieren und dem Menschen einer Anzahl epithelo-
gener
Organe den Ursprung, auf die später einzugehen ist.
Fig. 85 a — d. Anlagen der Schlundtaschen beim Menschen, Ventral waud der
Mundrachenhöhle, nach His. a Embryo, 2,15 mm lang, b Embryo, 4,25 mm lang,
c Embryo, 10 mm lang, d Embryo, 12,5 mm lang, l — 4 Schlundtaschen. sp Sums
praecervicalis. p Lunge.
124 F. Maurer,
Mit Hinblick auf die Entwickelung der Thymus führe ich die von His
(L. 1. 1886) geschilderte Umbildung der Kiemenregion bei Säugetieren an,
die von Rabl (1892) modifiziert wurde. Nach His rücken die Schlund-
bogen wie die Züge eines Fernrohrs übereinander, so daß von außen ge-
sehen, der 4. zuerst vom 3., dann dieser vom 2. umgriffen und zugedecckt
wird, während an der inneren, dem Rachen zugewandten Fläche der
4. Bogen sich über den 3. und dieser sich über den 2. lagert (s. Fig. 85).
Indem von hinten her die hinteren Bogen von der sich voluminös
entfaltenden Halswand überlagert werden, bildet sich nach His der
Sinus praecervicalis, der auch für die Thymusbildung Bedeutung
haben sollte, was indessen widerlegt ist.
Rabl bezeichnet den genannten Sinus als s. cervicalis und läßt
ihn auf eine Weise zu stände kommen, die ihn phylogenetisch ver-
ständlich macht. Es soll ein direktes Ueb er wachsen des 2.
Bogens über die hinteren stattfinden, so daß sie wie
vom Kiemen deckel überdeckt erscheinen. Der 2. Bogen
würde dann dem Operculum der Fische entsprechen.
b) Die Entwickelung der Kiemen.
Die Kiemenbildungen der Fische treten als äußere und innere auf.
Bei Amphioxus entwickeln sie sich als faltenförmige Erhebungen der
vorderen und hinteren Wandung der Kiemenspalten. Es sind innere
Kiemen. Ebenso sehen wir sie bei Cyclostomen als faltenförmige
Erhebungen der Schleimhaut der mittleren Abschnitte der Kiemengänge,
die zu Kiemensäcken ampullenartig erweitert sind.
Bei Selachiern entstehen die sogenannten äußeren Kiemen, welche
während der Embryonalentwickelung von Bedeutung sind, als kleine
Höckerchen an dem Hinterende der einzelnen Kiemenbogen. Ueber die
Zeit ihres Auftretens verdanken wir Rabl (L. 2. 1889) genaue Angaben.
Sie treten als papilläre Bildungen auf. Die Bildung der Kiemenfäden
beginnt am Hyoidbogen und schreitet nach hinten fort. Nachdem die
Fäden des 6. Bogens gebildet sind, erscheinen die Spritzloch-Kiemen-
fäden, nach Rabl bei Pristiurus 4 Fäden, nach Dohrn 5 — 6. Die
Angaben Balfour's, Dohrn's und Rabl's stimmen nicht ganz überein,
ich folge letzterem. Jeder Kiemenfaden erscheint zuerst als kleines,
rundliches Knötchen. Es wächst dann in die Länge, und zwar tritt
zuerst der mittlere Faden auf, dann folgen andere dorsal und ventral
fortschreitend. In derselben Weise entstehen auch bei Ganoiden und
Teleostiern die Kiemen als Papillen, und zwar zu zwei Längsreihen an
jedem Kiemenbogen. Bei einigen Formen bilden sie wie bei Selachiern
lange, fadenförmige äußere Kiemen (Acipenser, Pleuronectes, Cobitis).
Bei Ganoiden und Teleostiern entwickelt sich, vom Hyoid-
bogen ausgehend, eine Hautfalte jederseits, welche zum Kiemendeckel
nach hinten auswächst und im Opercularapparat wichtige Skeletteile birgt.
Auch im Bereich der bei Selachiern zum Spritzloch umgebildeten 1. Kie-
menspalte entsteht eine kleine Spritzlochkieme in gleicher Weise wie die
wahren Kiemen, docli stellt sich eine andere Einschaltung in den Kreis-
lauf her als bei letzteren. Sie wird mit Kiemenvenen-, also arteriellem
Blut gespeist und giebt die Arteria ophthalmica ab, kann also keine
respiratorische Bedeutung haben. Außerdem wird diese Bildung bei
manchen Teleostiern von Schleimhautfalten überwachsen (verdeckte
Pseudobranchien, Joh. Müller). Daß auch diese bedeckten Pseudo-
Die Entwickelung
des Darnisystems.
125
branchien in der Ontogenese frei entstehen und erst allmählich durch
Verwachsung von Schleimhautfalten die Beziehung zur freien Ober-
enigstens für den Hecht nach-
Ganoiden noch mächtig" ent-
bei Teleostiern nicht mehr zur
fläche der Kiemenhöhle einbüßen, ist
gewiesen (Maurer 1883). Die bei
•>'•
Egl.
CL
wickelte Kiemendeckelkieme kommt
Anlage (Dohrn).
Unter Dipnoern treten äußere Kiemen bei Lepidosiren (Kerr
A. L. III. 6. 1900) (Fig. S6) und Protopterus (Budgett) in der Vier-
zahl jederseits auf, während bei
Ceratodus keine zur Ausbildung
kommen (Semon A. L. III. 6.
1893).
Bei Amphibien bilden sich
zwei Generationen von Kiemen.
Die ersten entwickeln sich als
Hautstummel an den dorsalen
Enden der Kiemenbogen in ver-
schiedener Zahl (bei Salaman-
drinen entstehen meist 3 auf
jeder Seite). Sie entstehen als
kleine Hautpapillen, welche über-
zogen sind von ektodermalem
Epithel und im Innern embryo-
nales Bindegewebe zeigen, in
welchem eine Gefäßschlinge ein-
gelagert ist, die dem Arterien-
bogen entstammt. Von diesen
Papillen entsteht die des ersten
wahren Kiemenbogens zuerst,
darauf folgt die des zweiten und
dann des dritten Bogens. Maxillar-
und Hyoidbogen tragen keine
Kiemen.
Bei Tritonen kommt am
Mundwinkel ein einfacher kolbiger Fortsatz jederseits zur Ausbildung.
Seine phylogenetische Bedeutung ist noch nicht aufgeklärt. Daß er keine
Kieme ist, ergiebt sich aus der Art seiner Einschaltung in den Blut-
kreislauf. Er enthält eine Gefäßschlinge, deren zuführendes Gefäß einer
Kiemenvene entstammt, und deren abführendes Gefäß in die Körper-
venen übergeht. Hautsinnesorgane sind ebenfalls nicht in dem ihn über-
ziehenden Epithel enthalten (Maurer 1888).
Wie diese Gebilde den Anuren fehlen, so sehen wir auch die Ent-
wickelung der Kiemen bei Urodelen und Anuren in verschiedener
Weise weiter verlaufen.
Bei Urodelen sprossen die äußeren Kiemenstummel weiter aus,
und es bilden sich 2 Reihen von sekundären Papillen an ihnen, welche
schwänz- und medialwärts gerichtet sind. Diese Papillen strecken
sich zu Fäden verschiedener Länge, in welchen ein engmaschiges
Kapillarnetz aus den Kiemenarterien gespeist wird. Während diese
äußeren Kiemen an den dorsalen Enden der vier hinteren Kiemen-
bogen aussprossen, wächst in der Länge des knorpeligen Bogens selbst
Fig. So' a — c. Entwickelung der äußeren
Kiemen von Lepidosiren (nach Kerr),
a 3 Tage, b 4 Tage, c 24 Tage nach dem
Ausschlüpfen. Eg.I erste, Eg.II zweite
äußere Kieme.
die lamellöse Kiemenplatte aus, deren
von einem spärlichen Kapillarnetz durchsetzt ist
bindegewebige
Grundlage nur
Nicht alles Blut
126 F. Maurer,
durchströmt die Kiemenkapillaren, es besteht vielmehr eine direkte
Anastomose zwischen demKiemenarterienstamin und der entsprechenden
Kiemenvene, der Rest des zuerst angelegten einfachen Arterienbogens,
der bei der Metamorphose sich wieder zum bleibenden Arterienbogen
erweitert. In besonders voluminöser Entfaltung bilden sich die äußeren
Kiemen bei Salamandra atra, wo sie während der intrauterinen Ent-
wickelung des Embryo zur Atmung und Ernährung dienen.
Die Gymnophionen (Epicrium glutinosum) verhalten sich in der
Ausbildung ihrer Kiemenspalten gerade wie die Urodelen. Nach Sa-
rasin (A. L. III. 7. 1885) bestellen schon bei jungen Embryonen von
Epicrium glutinosum 5 Kiemenspalten, von welchen 3 starke äußere
Kiemenbüschel wie Straußenfedern entwickeln. Diese dienen offenbar
außer der Atmung auch der Ernährung, indem sie in der Eiiiüssigkeit
beständig bewegt werden. Die äußeren Kiemen sind hier reine Em-
bryonalorgane, da sie schon von den Embryonen abgeworfen werden.
Die im Wasser lebenden Larven besitzen nur jederseits eine Kiemen-
öffnung, in derem Grund 3 rudimentäre Kiemenplatten am 3. — 5. Kie-
menbogen bestehen. Später bei Tieren von 16 cm Länge schließen
sich die Spalten und die gemeinsame Oeffnung, indem dann die Tiere
zum Landleben übergehen. Bei Hypogeophis schwinden nicht nur die
äußeren Kiemen, sondern auch die Kiemenspalten völlig schon beim
Embryo im Ei, da dieser Form ein Wasserleben nicht mehr zukommt
(Brauer A. L. III. 7. 1899).
Bei Anuren entwickein sich kompliziertere Kiemenbildungen. Die
zuerst sich anlegenden Kiemen der Larven entsprechen den äußeren
Kiemen der Urodelen und entstehen gleichfalls als Papillen an den 3
Kiemenbogen hinter dem Hyoidbogen bei Larven von 5—6 mm Länge.
Indessen sind sie von sehr kurzem Bestand, da alsbald die Ent-
wicklung der inneren Kiemen (Larven von 9 mm Länge) sich
anschließt. Diese bilden sich als Stummel von der lateral und schwänz-
wärts gerichteten Konvexität der knorpeligen Kiemenbogen aus und
wachsen unter terminaler Teilung zu sehr komplizierten Büscheln aus.
Etwas später, als die Anlage dieser inneren Kiemen sich bildet, sprossen
ihnen gegenüber an der medial- und vorwärts gerichteten Koncavität
eines jeden Kiemenbogens Leistchen aus, welche zu dem komplizierten
Filterapparat der Larven sich entfalten (Boas L. 1. 1882, Eilhard
Schulze L. 1. 1888). Da in diese Bildungen Kiemenvenen Blut zu-
führen, haben sie nicht als Kiemenapparat zu gelten.
Eine kurze Zeit lang entwickeln sich innere und äußere Kiemen
gleichmäßig weiter. Bei Larven von 13 mm Länge sind die äußeren
Kiemen noch stark entwickelt, und auch die inneren Kiemen bilden
schon reich verzweigte Bäumchen. Inzwischen hat sich eine Haut-
duplikatur gebildet, welche, von den beiden Hyoidbogen nach hinten
auswachsend sehr rasch die dahinter gelegenen Kiemenbogen mit
den äußeren Kiemen umschließen. So verkümmern die in der auf
solche Weise gebildeten Kiemenhöhle eingeschlossenen langen äußeren
Kiemenfäden sehr rasch. Bei 17 mm langen Kaulquappen sind sie
nur noch als kurze, stark pigmentierte Stummel nachweisbar. Zugleich
haben sich die inneren Kiemenbüschel stark entfaltet und übernehmen
die Respiration der Larven. Die beiden Hyoidfalten bleiben rein häutige
Bildungen, welche so weit die Kiemenbogen umwachsen, daß nur eine
kleine rundliche Oeffnung an der linken ventralen Fläche als Kommu-
nikation nach außen bestehen bleibt. Diese Bildungen spielen sich
Die Entwickelung des Darmsysteins. 1^7
vom 7. bis 10. Tage, nachdem der Embryo das Ei verließ, ab. so daß
die inneren Kiemen während der größten Dauer des Larvenlebens die
respiratorische Funktion ausüben. Die Bedeutung der äußeren Kiemen
beschränkt sich auf die 1. Woche des Larvenlebens. Die Rückbildung
der Kiemen zur Zeit der Metamorphose führt zugleich zur Bildung
bestimmter Reste und ist bei den Derivaten der Schlundspalten zu be-
trachten. Solche bestehen auch bei Amnioten, bei welchen es zur
Ausbildung von respiratorischen Kiemen überhaupt nicht mehr kommt.
c) Die im Bereich der Kiemenhöhle sich bildenden epithelogenen
Organe.
Die hier zu betrachtenden Organe teilen wir in zwei Gruppen ein.
Die erste ist durch Gebilde dargestellt, welche neben den respirato-
rischen Kiemen und offenen Kiemenspalten sich entwickeln, also auch
gleichzeitig mit solchen bestehen, das sind die Schilddrüse, die T h y -
mus und die postbranchialen Körper (Suprapericardialkörper
van Bemmelen). Die Organe der 2. Gruppe setzen die Rückbildung
der Kiemen und den Verschluß der Kiemenspalten voraus, aus deren
epithelialer Auskleidung sie entstehen. Dies sind die Kiemenreste
der anuren Amphibien, welche sich nur auf diese Formen be-
schränken und die E p i t h e 1 k ö r p e r c h e n , welche zuerst bei Amphibien
auftreten, ferner aber bei sämtlichen Amnioten nachgewiesen worden sind.
Für die erste Kenntnis der ersten Gruppe dieser Organe sind die
Arbeiten von Remak, Kölliker, W. Müller, His, Dohrn und Van
Bemmelen am bedeutungsvollsten. Die Entwickelung der Organe der
zweiten Gruppe wurde zuerst bei Amphibien von Maurer aufgeklärt.
Remak fand die mannigfaltigen Nebenschilddrüsen, Körperchen und
( Jysten, die erst in jüngster Zeit hinsichtlich ihrer Genese erkannt
wurden. Kölliker verdanken wir die Erkenntnis, daß die Thymus epi-
thelialer Herkunft ist. W. Müller (L. 1. 1871) weist die erste An-
lage der Schilddrüse nach, His (L. 1. 1891) erkannte die Bedeutung des
Foramen coecum (Ductus tlryreoglossus), und Dohrn fand die Anlage
der Thymus bei Selachiern als Derivat der dorsalen Kiementaschen.
Van Bemmelen (1885) endlich fand den Suprapericardialkörper (post-
branchialen Körper).
a) Die Schilddrüse.
Die Anlage der Schilddrüse entwickelt sich bei allen Wirbel-
tieren gleichartig und zeigt keine Beteiligung von Kiemenspalten.
da sie offenbar ein viel älteres Organ als diese darstellt. Sie läßt
aber eine gleichartige topographische Beziehung zu den Kiemenspalten
überall erkennen. Ihr Mutterboden ist die ventrale Wandung der Kopf-
darmhöhle in ihrem vorderen Abschnitt. Hier entsteht in der Mittel-
linie eine un paare Ausstülpung des Epithels ganz nach
Art der Drüsen. Bei A m p h i o x u s und Ammocoetes teilt sich der
schlauchförmige Drüsenkörper gabelig und erhält seine offene Mündung
in die Kopfdarmhöhle. Hierdurch ergiebt sich das Organ als mit der
bei Tunicaten bestehenden Hypobranchialrinne homolog (W. Müller
L. 1. 1871). Das diesen Schlauch auskleidende Epithel sondert sich in
Zellen, welche Flimmerhaare tragen, und solche, die Schleim secer-
nieren. Bei Petromyzon verliert das Organ, welches bei Ammo-
coetes seine Mündung in die Kopfdarmhöhle noch besaß, diesen Zu-
L28
F. Maurer,
sammenhang. Dabei teilt es sich in eine große Zahl geschlossener
1 Häschen, die, von hohem Cylin der epithel ausgekleidet in ihrem Lumen
kolloide Substanz enthalten' (A. Schneider (L. 1. 1878).
Bei allen gnathostomen "Wirbeltieren tritt die Anlage der
Schilddrüse sehr frühzeitig, vor dem Durchbruch der ersten Kiemen-
spalte auf als Ausstülpung des Epithels der ventralen Schlundwand in
der Mittellinie zwischen der 1. und 2. S chlund tasche, so daß
die bläschenförmige Anlage gerade in die vordere Gabel des
Herzschlauchs zu liegen kommt. Dies Gebilde schnürt sich sofort
nach seiner Bildung von seinem Mutterboden ab und liegt dann als
geschlossenes Bläschen noch kurze Zeit an der angegebenen Stelle. Sehr
bald macht es, infolge eigenen Wachstums und der weiteren Entwicke-
lung der Arterienbogen vom Herzen aus, Aenderungen seines Baues
und seiner Lage in verschiedener W7eise durch.
Bei Selachiern besteht die Anlage in der
bei Acanthias und Raja vor der
in seine beiden vordersten Aeste
angegebenen Form
Teilung des Kiemenarterienstammes
Bei Knochenfischen ist dies Organ bei der Forelle
genau
untersucht und entsteht als muldenförmige Ausstülpung des Epithels,
die sich im Verlauf von 7 Tagen von seinem Mutterboden ablöst.
87 zeigt es kurz vor der Ablösung. Das kugelige Bläschen,
Fig
Fig. 87. Medianer Sagittalschnitt des Kopfes eines Forellenembryo von 35 Tagen
t Schilddrüsenanlage, ch Chorda, ao Aorta, in Oesophagus, ka Kiemenarterien -
stamm, c Gehirn (Maurer).
von einfach kubischem Epithel ausgekleidet, streckt sich in die Länge
und rückt an die ventrale Fläche des nun in die Länge gewachsenen
Kiemenarterienstammes. Kolloid tritt schon 6 Tage nach seiner Ab-
schnürung im Lumen auf. Nun treten unter Vermehrung der Wan-
dungszellen solide Zellsprossen am Mutterbläschen auf, die sehr rasch
ein selbständiges Lumen unter Kolloidbildung erhalten und sich dann
vom Mutterbläschen ablösen.
Indem dieser Prozeß rasch weiterschreitet und gleichzeitig mit
der Ausbildung und dem Längenwachstum des Kiemenarterienstammes
verläuft, wird schon nach 3 Wochen etwa ein Zustand der Art her-
gestellt, daß der ganze Kiemenarterienstamm umlagert ist von Gruppen
Die Entwickelung des Darmsystems.
129
von Schilddrüsenbläschen. Diese
jenem, auch in den Gabeln seiner
liegen
dorsal von
teils ventral, teils
m den LTaoem seiner Aeste angeordnet.
Während bei der Forelle somit die Schilddrüse niemals zu einem
paarigen Organe wird, bildet sie sich bei Amphibien stets zu einem
solchen aus. Die erste Anlage wurde von W. Müller genau be-
schrieben. Sie entsteht auch hier zuerst als Ausbuchtung der ventralen
Schlundwand, wird aber dann ein solides, knospenartige Gebilde, so
daß bei Anuren wie Urodelen ihre solide Anlage in der vorderen
Teilungsgabel des Herzschlauchs
liegt (Fig. 88). Sie schnürt sich so-
fort vom Mutterboden ab. Unter
Anuren sind diese Vorgänge be-
kannt von Rana esculenta und tem-
poraria, Bombinator igneus, Bufo
cinereus, Hyla u. a. Von Urode-
len wurden Triton, Siredon, Nec-
turus untersucht. Die durch Tei- bo
hing der medianen Anlage ent-
standene paarige Drüse bleibt bei
Anuren stets sehr tief, unmittelbar
ventral unter dem Zungenbeinkörper
liegen, während sie bei Urodelen
eine oberflächlichere Lage erwirbt.
Bei S a u r o p s i d e n zeigt die
Schilddrüse sich in derselben Weise
angelegt. Sie bildet eine halbkugel-
förmige Ausbuchtung der ventralen
Schlundwand in der Mittellinie zwi-
schen der medianen Verbindung der
beiden Mandibular- und Hyoidbogen.
Nach ihrer Abschnürung liegt sie
als kugeliges, mitCylinderepithel aus-
gekleidetes Bläschen in der vorderen
teilungsgabel des Herzschlauchs.
Bei der Natter, Schildkröte, Kro-
kodil besteht nach Van Bemmelen
Anguis (Prenant), Lacerta (de Meuron. Van
und Hatteria (Dendy). Nachdem das primäre
■V. «$ff
fft *
■:■:■:--•
Fig. 88. Triton Taeniatus, Horizontal -
schnitt des Kopfes, 22 Tage nach der
Ablage des Eies, 2 Tage nach dem
Ausschlüpfung, t. Anlage der Schild-
drüse, cb. Gehirn, bo. Bulbus oruli. i.
Mundhöhle, c. Herzschlauch, pr. Peri-
cardium (Maurer).
die gleiche Anlage, ebenso bei
Bemmelen, Maurer
Bläschen unter Ver-
mehrung seiner Elemente zu einem kompakten Organ aus epithelialen
Schläuchen geworden, wächst es bei Lacerta zu 2 Lappen aus, gewinnt
also einen bilateral, symmetrischen Bau. Die beiden Lappen bleiben aber
median vereinigt, und das Organ liegt wie ein Zwerchsack dem Anfang
der Trachea an deren ventraler Fläche an. Im Inneren kann man lange
Zeit ein kanalartiges Lumen als Rest des weit ausgezogenen Lumens
des ersten Bläschens nachweisen. Dieser Kanal ist meist mit Cylinder-
epithel ausgekleidet. An diesen Kanal schließen sich, ohne mit seinem
Lumen zu kommunizieren, die zahlreichen mit Kolloid gefüllten Bläs-
chen von verschiedener Größe und Form an, die mit kubischem
Epithel ausgekleidet sind. Beim Vogel (Hühnchen) trennt sich die
Anlage und wird zu einem paarigen Organ, welches den großen Blut-
gefäßen des Halses angelagert ist (Verdun).
Die Anlage der Säugetier Schilddrüse war lange Gegenstand
von Kontroversen. Zweifellos kommt ihr die gleiche mediane Lage zu,
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 9
130
F. Maurer.
wie bei anderen Wirbeltieren. Sie entsteht an der gleichen Stelle und
in derselben Form, wie sie bei Sauropsiden angegeben wurde (Fig. 89).
Die von Wölfler (1880), Stieda (1881) und Born (1883) angegebene
paarige Anlage entspricht dem postbran dualen Körper und ist bei diesem
zu berücksichtigen. Die unpaare Anlage wurde bei Vertretern fast sämt-
licher Säugetierklassen gefunden (Monotremen, Insectivoren, Carnivoren.
Nagern. Wiederkäuern, Schwein. Mensch). Bei den meisten bleibt sie,
wie" beim Menschen, ein einheitliches Organ, aus 2 seitlichen Lappen
bestehend, die durch einen medianen Isothmus verbunden sind. Bei
Fig. 89a.
Fig. 89b.
Lm,
Fig. 89a— c. Mediane Schilddrüsen-
anlage von Säugetieren : a Querschnitt des
Vorderkopfs eines Embryo von Talpa,
1 mm Länge; a eines Talpaembryo von
4 mm Länge ; c medianer Sagittalschnitt
des Kopfes eines Kaninchenembryo am
9. Tage, im Schilddrüse, ph Mundhöhle, ch
Chorda, ba Bulbus arteriosus (aus Verdun).
anderen tritt eine Teilung in rechten
und linken Lappen ein. Sie folgt
dem in die Brust herabrückenden
Herzen in verschiedenem Maße: bei
Echidna (Maurer 1899) sehr weit,
so daß sie hier im Thorax, dem
Ende der Trachea nahe der Bi-
furkation angeschlossen erscheint,
bei anderen Formen behält sie,
wie beim Menschen, eine höhere
Lage, am Halse, dem Anfang der
Trachea angelagert. Die erste Bildungsstätte der Schilddrüse bleibt
im Foramen coecum der Zunge meist erkennbar erhalten (His 1886),
zuweilen setzt dieses sich in einen Canalis thyreoglossus von ver-
schiedener Länge fort. Derselbe kann auch seinen Zusammenhang
mit dem Processus pyramidalis der Schilddrüse behalten, ohne je-
doch einen Ausführgang darzustellen. Mau findet auch in gleichen
Stadien der Ontogenese sehr verschiedene Bilder. Das erste Blas-
Die Entwickelung des Darmsystems. 131
eben wächst unter Vermehrung seiner Elemente. Das erste Lumen
wird dadurch ausgefüllt, und durch Eindringen von Bindegewebe von
der Peripherie her wird die Zellenmasse in Schläuche zerteilt, die sich
verschieden verhalten. Meist entstehen Netze von kompakten Zell-
schläuchen, die durch reichliches Bindegewebe getrennt sind. In
letzterem treten frühzeitig reichliche Blutkapillaren auf, die mit dem
Bindegewebe von außen eindrangen. In anderen Fällen tritt sehr
bald eine Zerteilung der epithelialen Schläuche ein, so daß das Par-
enchyin der Drüse aus Komplexen von Zellen besteht, die sehr ver-
schiedene Form haben: schlauchförmige oder kugelige Zellengruppen.
Die Kolloidbildung beginnt bei Säugetieren ziemlich
spät, gegen Ende d e r E m b r y o n a 1 e n t w i c k e 1 u n g , oft auch
erst nach der Geburt. Kahn weist darauf hin, daß in den Seiten-
lappen der Schilddrüse stets ein kanalartiges Lumen beim Kaninchen
erhalten bleibt (Centralkanal der Schilddrüse), mit verschiedenem, oft
flimmerndem Epithel ausgekleidet. Aehnliches fand ich bei der Eidechse,
es ist der Rest des Lumens des unpaaren primären Schilddrüsenbläschens.
Die als Nebenschilddrüsen bezeichneten Organe sind sehr
verschiedener Herkunft. Es können sich kleine Gruppen von Schild-
drüsenbläschen vom erstgebildeten Organ ablösen, das sind wahre
Nebenschilddrüsen. Hierzu gehören auch die durch Bestehen oder
teilweisen Schwund eines Processus pyramidalis zustande kommenden
Drüschen aus Schilddrüsengewebe, die vom Foramen coecum der
Zunge bis herunter zum Isthmus der Schilddrüse oft beschriebenen
Gebilde. Sie bezeichnen in ihrer Lage den Weg, welchen
die Schilddrüse in ihrer Ontogenese zurückgelegt hat.
Nach ihrer Lage wurden diese Nebenschilddrüsen verschieden bezeichnet
gemäß ihrer Anordnung zum Zungenbeinkörper (Gl. subhyoidea, supra-
hyoidea u. s. w.). In neuerer Zeit hat Schmidt Sprossenbildungen ver-
schiedener Art am persistierenden Ductus thyreoglossus beschrieben :
Schleimdrüsen mit sehr langen Ausführgängen, die mit Flimmerepithel
ausgekleidet sind, ferner verästelte Schläuche (BocHDALEK'sche Schläu-
che). Auch Schilddrüsengewebe bildet sich hier .aus, wie es scheint
aus Schleimdrüsen. Doch ist zu bedenken, daß im Ductus thyreo-
glossus ein oberer Abschnitt wohl von einem tieferen zu unterscheiden
ist. Der obere nahe der Zunge wird Organe bilden, wie die Zungen-
schleimhaut, der tiefe, mehr zur Schilddrüse gehörig, wird Schild-
drüsengewebe produzieren.
Andere Gebilde, welche als Nebenschilddrüsen bezeichnet wurden,
haben mit der Schilddrüse genetisch nichts zu thun. Sie sind teils
Epithelkörperchen, teils stammen sie vom postbranchialen Körper.
Ihre Beziehung zur Schilddrüse ist eine rein topographische. Sie
sind später zu betrachten (S. 142 u. 146).
ß) Die Thymus.
Während die mediane Anlage der Schilddrüse in ihrer Phylo-
genese klar ist, finden wir für die Thymus keinen Anschluß an niederste
Wirbeltiere, welcher ihre phylogenetische Ableitung erleuchtete.
Bei allen Wirbeltieren von Cyclostomen an treten Wucherungen
am Epithel der Kiemen spalten auf, aus welchen sich Organe von
lymphatischen Charakter entwickeln. Während die Zahl der Kiemen-
spalteu, sowie der Teil der einzelnen Kiemenspalten, welcher Thymus-
gewebe ausbildet, Verschiedenheiten zeigt (s. Fig. 90, 91, 93, 95, 103,
9*
132
F. Maurer,
diese Organe doch bei allen Wirbeltieren darin
vergänglicher
Natur sind. Sie bilden sich embryonal
weniger
stark aus, um weiterhin eine Rückbildung in ve
histologischen
u. 104), stimmen
überein. daß sie
mehr oder
schiedenem Grade zu erleiden. Hinsichtlich der histologischen Ent
wickelung bestehen verschiedene Ansichten. Während einerseits die
wesentliche Grundlage des Tlvymusgewebes im Epithel der Kiemen-
spalten erblickt wird, soll nach anderer Ansicht das von außen her
ins Epithel eindringende Bindegewebe Leukocyten den Weg ins Epi-
thel bahnen, so daß die Epithelzellen nur eine passive Rolle beim Auf-
bau des Organs spielen sollen. Die meisten Angaben sprechen
aber dafür, daß die Epithelzellen selbst, indem sie sich
reichlich teilen und Rundzellencharakter annehmen,
z u Thym usz eilen werden. Dadurch nimmt die Thymus
eine Sonderstellung gegenüber allen übrigen lympha-
tischen Organen ein.
Cyclostomen. Bei Petromyzonembryonen sind von Schaffer
Thyinusanlagen beschrieben worden in Form von epithelialen Wuche-
rungen in Knospenform, die sowohl von der dorsalen, als der ventralen
Kuppe sämtlicher 7 Kiemenspalten ausgehen (Fig. 90). Diese Knospen
werden durch Epithelzellen gebildet, nicht durch eindringende
mesodermale Elemente und sind nach Schaffer
entodermaler Herkunft. Bis jetzt ist über
diese Gebilde noch nicht mit Sicherheit ein Urteil
zu fällen. Ob sie der Thymus höherer Wirbel-
tiere homolog sind, ob nur die dorsalen dafür
anzusprechen sind, die ventralen aber als
Epithelkörperchen zu deuten sind, ist nicht zu
entscheiden: ja es ist möglich, daß sie nur den
Cyclostomen zukommende Bildungen eigener
Art darstellen, welche auf gnathostome Wirbel-
tiere nicht übergegangen sind.
Fig. 90. Schema der Kiemenspaltenderivate bei Petro-
myzon. / — VII die Kiemenspalten. Tr Schilddrüse. Tm
1 — 7 dorsale und ventrale Thymusknospen (aus Verdun).
Selachier. Bei Selachiern entwickeln sich die Anlagen der Thy-
mus nach Dohrn als epitheliale Knospen der dorsalen Kie-
mentaschen. Von der ersten Kiemenspalte zwischen Kiefer- und
Hyoidbogen wird keine Knospe gebildet. Dagegen von den dahinter ge-
legenen 7 Spalten bei Heptanchus bildet jede eine Thymusknospe, bei
pentanchen Haien (Acanthias, Pristiurus, Scyllium, Mustelus) werden
nur von den 2 — 5 Spalten, jederseits also 4 Thymusknospen gebildet.
Nach Beard treten bei Rochen (Raja) jederseits 5 Thymusknospen
auf, von der 2. — 6. Spalte gebildet. Stets sind es dorsale Knospen
und ihr Gewebe entstammt dem Entoderm der Kiemenspalte (Fig. Dl).
Dohrn sieht in ihnen verkümmerte Reste dorsaler Kiemenstrahlen,
die nicht zu voller Ausbildung kommen. Die Knospen nehmen von
vorn nach hinten an Größe ab. Sie verschmelzen untereinander und
lösen sich von ihrem Mutterboden ab. Das einheitliche lappige Organ
liegt dann dem Stamme der Jugularvene an. Es erleidet später eine
Rückbildung. Auch hier dringt Bindegewebe von außen her in das
Organ ein und das genauere Verhalten der etwa von außen einge-
drungenen Leukocyten und der Rundzellen epithelialer Herkunft ist
noch nicht hinreichend erkannt.
Die Entwickelung des Darmsystems.
133
Bei Selachiern wurden noch andere Organe epithelialer Herkunft
an den Kiemenspalten geschildert, deren Bedeutung noch nicht auf-
geklärt ist. Da, wo die Ganglien des Glossopharyngeus und Vagus
±=* Tut. 0
AI
Fig. 91a — c. Schema der Kiemenspalt enderivate von Selachiern.
(Dohen), b Raja (Beard), c Ueptanchus (Dohrxi. Tr. Schilddrüse.
sale Thymus, p. postbranchialer Körper (aus VerdüN).
Tm.7
a Acanthias
Tm.,— g dor-
dem Ektoderm sich verbinden, entstehen kleine epitheliale Knötchen,
vom Ektoderm ableitbar (van Wijhe 1883, Froriep 1891), Kiemen-
s p a 1 1 e n o r g a n e. Während sie von Froriep (1892) der Thymus für
gleichwertig gehalten wurden, hat sie Antipa als besondere Bildungen
angesprochen. Ihre Bedeutung ist rätselhaft, bei Epithelkörperchen
bleibt auf sie zurückzukommen.
T e 1 e o s t i e r. Bei Knochenfischen zeigt die Thymus dieselbe Ent-
wickelung wie bei Selachiern, insofern sie bei der Forelle sich in Form
kompakter, knospenartiger Zellenwucherungen aus den dorsalen
Taschen der Kiemenspalten bildet und zwar der 2.-6. Spalte (Fig.
92 u. 93a). Es entstehen also jederseits 5 Knospen, von welchen aber
die erste rasch schwindet. Bei der Forelle entsteht nach Maurer iL. 1.
1889) die Thymus viel später als die Schilddrüse, etwa am 50. Tage nach
dem Streichen der Eier. Die hinterste Knospe entsteht zuletzt. Im
Verlaufe von 10 Tagen vereinigen sich die Knospen jederseits zu einer
einheitlichen Masse, die, im Gegensatz zu Selachiern, mit ihrem Mutter-
boden, dem Kiemenhöhlenepithel, in Verbindung bleibt.
Im späteren Verhalten treten Verschiedenheiten auf, insofern bei
der Forelle der Schwerpunkt des Wachstums nach hinten liegt. Da-
durch gewinnt die Thymus hier eine hintere Lage, längs des oberen
Teils des Schultergürtels an der hinteren Kiemenhöhle (Stannius).
Bei Cyprinus und Pthodeus wuchert die Mitte des spindelförmigen Organs
mächtiger, so daß hier die Thymus etwas weiter vorn, lateral vom
Gehörlabyrinth, liegt. In gleicher Weise findet sie sich bei Esox. Sie
behält stets ihre Lage dorsal von den Kiemenbogen.
Die histologische Ent Wickelung stellt sich so dar, daß die
durch Teilung sich reichlich vermehrenden Epithelzellen, die den en to-
der malen Kiementaschen entstammen, ihren epithelialen Charakter
verlieren und das Aussehen von indifferenten Rundzellen annehmen.
Sehr frühzeitig dringt Bindegewebe mit Blutgefäßen aus der Umgebung
ein. Es wurde mehrfach angegeben, daß damit auch die lymphatischen
Zellen von außen her in die Thymus gelangten. Dem kann ich nicht
beipflichten. Die epitheliale Anlage selbst liefert lymphatische Zellen.
134
F. Maurer,
Später allerdings fallen viele dieser Zellen wieder in ihren
epithelialenCharakter zurück und liegen teils als einzelne große
epithelioide Elemente mitten im Thymusgewebe, teils bilden sie zu
Gruppen zusammengeballte konzentrische K ö r p e r che n.
Die Thymus besteht bei Knochentischen lange Zeit. Bei der Forelle
zeigt sie ihre stärkste relative Ausbildung bei halbwüchsigen Tieren
von 12—15 cm Körperlänge. Dann bildet sie sich allmählich zurück.
Amphibien. Die Thymus der Amphibien schließt sich hinsicht-
lich ihrer ersten Anlage an die Verhältnisse bei Fischen an. Urodelen
und Anuren zeigen im speciellen verschiedenes Verhalten.
Urodelen. Bei Tritonen und Siredon entsteht die Thymus in
Form kompakter Zellknospen aus dem Epithel der dorsalen Kiemen-
taschen, und zwar von der 1. bis
5. Spalte (Fig. 93 b). Es ent-
stehen jederseits 4 Knospen, von
welchen die der 2. Spalte früh
verkümmert. Die erste Anlage
erscheint bei Siredon, wenn die
Tierchen eben das Ei verlassen
haben (7 cm Körperlänge). Die
Kiemenspalten sind um diese Zeit
noch nicht offen. Daraus ergiebt
daß die erste Anlage
T h y m us e n t o d e r m a 1
da sie von den Kiemen-
taschen des Kopfdarms ausgeht.
Alle Thymusknospen erstrecken
sich bis dicht an die Ganglien
des Facialis , Glossopharyngeus
und Vagus, so daß es oft schwer
fällt, die Grenze zu erkennen.
Die Abschnürung der Thymus-
unregelmäßiger Folge. So fand ich
Länge die 1. und 2. Thymus rechts,
Schlundspalten in Ver-
Bei einem Tier von
und 2. Thymusknospe
in die bleibende
sich,
der
ist,
Fig. 92. Lateraler Sagittalschnitt des
Kopfes einer ausgeschlüpften Forelle. 51
Tage nach dem Streichen des Eies. Th
Thymusanlage. 1 — 4 die Kiemenbogen.
c Gehirn, a Gehörbläschen. bo Bulbus
oculi. op Operculum (nach Maurer).
knospen erfolgt rasch, aber in
bei- einem Axolotl von 9,5 mm
sowie die 5. links noch mit dem Epithel
bindung, alle übrigen waren bereits
1 cm Länge sind sie alle abgelöst. Die
schwinden sehr rasch, nur die 3., 4. und
der
abgelöst,
1.
5.
gehen
Thymus über, (Fig. 100 I u. III) die bei Salamandra häufig auch
später noch in
der Ausbilduno;
larven
findet.
gesonderte Knötchen trennbar ist. Der Schwerpunkt
des Organs liegt hinten, so daß man bei Salamander-
Kiemenbogens
die Thymus hinter dem dorsalen Ende des 4.
Die Entwickelung
der Anuren thymus
hier ausschließlich aus
stellt sich insofern anders
der 2. Schlundspalte her-
dar, als das Organ
vorgeht (Fig. 93c u. 100 II u. IV). Die erste Anlage erscheint als
solide Epithelknospe an der dorsalen Schlundwand, entsprechend der 2.
Schlundspalte zwischen Hyoid- und 1. Kiemenbogen. Sie findet sich
bei Larven von Rana von 6 mm Länge, die seit 6 Tagen das Ei ver-
lassen haben. Zugleich besteht auch an der 1. Spalte, zwischen Kiefer-
und Zungenbeinbogen eine schwächer entwickelte Thymusknospe. Bei
Kaulquappen von 12 mm Länge hat sich die 1. Knospe schon rück-
die 2. ist von ihrem Mutterboden abgelöst. An den 3 hinteren
gebildet,
Die Entwickelung des Darmsystems.
135
Kiemenspalten treten in dieser frühen Periode keine Thymusknospen
auf, wohl aber bilden sich später, gegen Ende der Larvenperiode an
der dorsalen Wand der äußeren Kiemenhöhle Epithelwucherungen,
welche von lymphatischen Zellen durchsetzt sind. Dieselben bleiben
auch nach der Metamorphose bestehen und lagern nach Obliteration
der Kiemenhöhle selbständig unter der Haut des Halses (Fig. 101 th).
pJDn.5.
17.
a
Tm.Z
Tr.
I
}~1hi.2
I
i-Tm.3
m
s N
Fig. 93 a — d. Schema der Kiemenspalteu derivate von a Forelle, b Urodelen,
c Anuren, d Lacerta (nach Maurer), cd Carotidendrüse. c1 — 3 Epithelkörperchen ;
Krd dorsale, Krm mittlere, Krv ventrale Kiemenreste. I—V Kiemenspalten. Sonstige
Bezeichnungen s. Fig. 91.
Die der 2. Spalte entstammende
direkt vor dem Gehörbläschen.
Vena jugularis, ventral von ihr
medialwärts nach hinten. Die
der
Ausbildung
des
Gehörorgans.
Anlage
Dorsal von ihr liegt der
bleibenden Thymus liegt
Stamm der
verläuft die Vene des 1
weitere Lageänderung
Die
Volumsentfaltung
Kiemenbogens
beherrscht die
des Labyrinths
136
F. Maurer,
drängt sie etwas ventral herab, und unter der Ausbildung der Pauken-
höhle rückt sie weiter nach hinten.
Die histologische Differenzierung der Thymus beginnt so-
fort nach ihrer Absclmürung. Vorher besteht das Organ aus gleichartigen
rundlichen Zellen. Schon wenige Tage nach der Abschnürung sind aus
der Umgebung Bindegewebszellen zwischen die epithelogenen Thymus-
zellen eingedrungen. In der Folge wird eine Rinden- und Markschicht
unterscheidbar: letztere zellenarm, aus blassen, meist epithelogenen Ele-
menten bestehend, zwischen welchen verästelte Bindegewebszellen liegen,
die Rindenschicht sehr zellenarm, aus Reticulum von Bindegewebs-
zellen bestehend, mit zahlreichen lymphatischen Zellen, die in reich-
licher Vermehrung begriffen sind. Von letzteren ist es zweifelhaft,
ob sie ebenfalls von der epithelialen Thyniusanlage stammen oder
mit dem Bindegewebe eingedrungene mesodermale Elemente darstellen.
Späterhin treten konzentrische Körperchen, aus verhornten Zellen be-
stehend, sowie Cysten in der Thymus auf, die mit Epithel ausgekleidet
sind. Zahlreiche einzelne Zellen, die durch ihre Größe und starke
Lichtbrechung ihres Zellkörpers sich auszeichnen, wurden von Affanas-
siew als veränderte rote Blutkörperchen gedeutet. Rückbildungs-
erscheinungen des
ganzen Organs treten
Länge.
beim Frosch erst sehr spät
auf, bei Fröschen von 7 — 8
Reptilien. Die Thymus der Reptilien wurde von de Meuron
und Van Bemmelen untersucht, ich selbst beschrieb ihre Entwickelung
bei der Eidechse (Fig. 93 d u. 95 a, b). Auch hier wird das Organ durch
Epithelknospen dorsaler Kiementaschen gebildet, und zwar sind es nach
Van Bemmelen sehr verschiedene Spalten, die die bleibende Thymus
liefern. Bei Eidechsen wird die Thymus von der 2. und 3. Spalte ge-
bildet (Fig. 102 Tm2 u.
Tm3), bei Schlangen von
der 4. und
Fig. 94. Lacerta agilis, Embryo 8 Tage nach der Ablage dem Ei entnommen.
Teil eines Kopfquerschnittes im Bereich der 3. Sehlundspalte. Tm.i Thymus der 3.
Spalte. e„ Epithel körperchen, Carotidendrüse. x ventrales Rudiment der 3. Spalte,
bei Säugetieren die Thymus bildend, eh Chorda. m Muskel, vj Vena jugularis l Acutus.
laryngis (nach Maurer).
Die Entwickelung des Darinsystems. 137
Auch hier sind es dorsale Schlundspaltenteile, aus welchen
die Thyniusknospen hervorgehen. Die Entwickelung der Thymus voll-
zieht sich bei der Eidechse in den ersten beiden "Wochen nach der Ab-
lage des Eies, also am Embryo im Ei. Die 1. Spalte bildet nur vorüber-
gehend eine dorsale Knospe, während an der 2. und 3. Spalte bleibende
Knospen entstehen, welche, dorsalwärts gerichtet, mit ihrem Ende medial-
wärts gekrümmt sind (Fig. 94 Tm.$). Sie lagern dann zwischen Veno
jugularis und Aortenwurzel: diese liegt ventral, jene dorsal von der
Thymusknospe. Auch hier bestehen Beziehungen zum Ganglion glosso-
pharyngei und vagi, welche lateral von der Thymusknospe liegen.
Die Knospe der 3. Spalte ist stärker als die der 2. Man kann
sie zuerst nachweisen bei Embryonen, die 6 Tage nach der Ablage
dem Ei entnommen sind. 10 Tage später haben sich sowohl die
Thymus der 2. als auch die der 3. Schlundspalte ganz vom Schlund-
rohr abgelöst.
Als Rest der 2. Spalte bleibt nur das dorsale Thymusknötchen
übrig. Von der 3. Spalte bleiben noch andere Reste: Die Thymus
der 3. Spalte zeigt d o r s o v e n t r a 1 e i n e n g r ö ß e r e n Durch-
messer als die der 2, Spalte. Das rührt daher, daß hier das
Epithel dieser Spalte in größerer Ausdehnung zur Bildung von Thy-
musgewebe herangezogen wird. Dadurch sind hier gerade an der
3. Spalte Zustände vorbereitet, die, wie wir später sehen werden, bei
Säugetieren eine Weiterbildung erfahren haben. Indem schlanken
ventralen Fortsatz dieser Spalte erblicke ich das H o -
mologon d e r H a u p t b i 1 d u n g s s t ä 1 1 e der S ä u g e t i e r t h y m u s.
Der auf Fig. 94 mit eA bezeichnete Abschnitt der 3. Spalte ist die Anlage
eines später zu betrachtenden Epithelkörperchens. Die sämtlichen
Derivate der 3. S p a 1 1 e lösen sich in Zusammenhang vom
Schlundrohr ab. Das ist ein Punkt, auf den ich gerade
imHinblickaufdie Verhältnisse bei Säugetieren großes
Gewicht legen muß. Es macht dies d i e B e z e i c h u n g e n
vieler A u t o r e n v e r s t ä n d 1 i c h , die hier von Nebenthymus
sprechen.
Die 4. Schlundspalte bildet bei der Eidechse nach übereinstimmen-
den Angaben de Meuron's, Van Bemmelen's und nach meinen Be-
obachtungen keine Thymusknospe.
In der Folge rückt die Thymus etwas nach hinten, die beiden
Lappen bleiben aber jederseits getrennt. Sie liegen ventral vom
hintersten Teil der Gehörkapsel, medial von ihr liegt die Carotis,
lateral Vagus und Vena jugularis. Stets besitzt der hintere Thymus-
lappen einen ventralen Abschnitt, der dem vorderen fehlt. Trotzdem
liegt das Organ dorsal vom Schlundrohr. In der gleichen Anordnung
bestehen die beiden Thymusläppchen bei der ausgewachsenen Eidechse.
Hinsichtlich der histologischen Entwickelung der Thymus ist es
nach meinen Untersuchungen an der Eidechse nicht zweifelhaft, daß
die epithelogenen Elemente das lymphatische Gewebe des Organes
ausbilden, unter reichlicher Vermehrung der Zellen, die besonders
in den oberflächlichen Schichten der abgelösten Thymuskörper statt-
findet. Es ist dadurch eine sehr zellenreiche Rindenschicht von einer
'zellenärmeren Markschicht zu unterscheiden. Späterhin bilden sich
zwar nicht konzentrische Körper, aber in großer Zahl einzelne sehr
große Zellen mit stark lichtbrechendem Zellkörper aus, welche als
verhornte Elemente aufzufassen sind, die wieder epithelioiden Charak-
ter angenommen haben. Eine Rückbildung der Thymus findet hier
138
F. Maurer,
erst in höherem Alter statt.
Schlangen an den vorderen
Hier bilden vielmehr die 2.
chen aus. Dagegen treten
Im Gegensatz zur Eidechse zeigen die
Schlundspalten keine Thymusknospen.
und 3. Schlundspalte nur Epithelkörper-
an der 4. und 5. Schlundspalte dieser
Formen dorsale Thymusknospen auf, die sich nach Van Bemmelen
in Uebereinstimmung mit den Vorgängen an der 2. und 3. Schlund-
Tm.2
hi.3
c
Fig. 95. Schema der Schlnnd-
spaltenderivate von: a Lacerta. 1)
Tropidonotus (nach Van Bemme-
len). c Hühnchen (nach Verdun).
Tr Schilddrüse. Tm Thymus, e Epi-
thelkörperchen. p postbranchialer
Körper.
gaben
spalte der Eidechse vom Schlundrohr ablösen und stets als 2 ge-
trennte Thymusläppchen in hinterer Lage, ihrer Entwickelung ent-
sprechend, bestehen bleiben (Fig. 95b).
Vögel. Die Thymus der Vögel hat im Anschluß an die An-
von de Meuron, Van Bemmelen und Mall in neuester
Zeit eine eingehende Untersuchung erfahren durch Verdun. Nach
de Meuron und Mall geht sie nur aus der 3. Kiemenspalte
hervor, während Van Bemmelen und Verdun auch die 4., letzterer
sogar auch zuweilen die 5. Spalte eine Thymusanlage entwickeln sah
(Fig. 95c).
Am Ende des 7. Bebrütungstages fand Verdun eine dorsale
Thymuswucherung an der 3. und eine ebensolche schwächere an der
4. 'Schlundspalte. Die 3. Spalte ist um diese Zeit schon wieder ge-
schlossen, die 4. Spalte öffnet sich überhaupt niemals nach außen.
Die Spalten lösen sich sowohl vom Ektoderm, als auch vom Schlund-
rohr ab, und die Derivate einer jeden stehen daher natur-
gemäß unter einander in Verbindung. Nur der dorsale
Teil bildet Thymusgewebe, der ventrale Teil bildet an beiden Spalten
ein Epithelkörperchen.
Die aus der 3. Spalte hervorgehende Thymus steht in ihrer
weiteren Ausbildung in topographischer Beziehung zur Vena jugularis.
Sie umwächst sie spiralig, indem sie von deren ventraler Fläche um
die latrale Seite dorsalwärts sich ausdehnt. Dabei erreicht sie eine
Die Entwickelung des Darmsystems.
139
beträchtliche
Halsreg.
Bau
Länge.
ganze
langgestreckte
so daß sie sich durch die
jgion ausdehnt (Fig. 96a und b). Sie nimmt einen traubigen
an, und ihr epithelogenes Gewebe erhält lymphoiden Charakter.
Die Thymus der 4. Spalte dehnt sich längs der ventralen Fläche der
Vena jugularis nach vorn hin aus und schließt sich an das hintere
Ende der Thymus der 3. Spalte an. Beim erwachsenen Tier schwindet
die Thymus, besonders die mächtige vordere Halsportion besteht nur
noch als bindegewebiger Strang. In dem später zu betrachtenden
Fig. 96a u. b. Hühnchenembryo : a vom 7.,
b vom 8. Tage. Derivate der Schlundspalten im
Horizontalschnitt, kombiniert, ph Phanrynx. j
Jugularvene. tm Schilddrüse. III, IV. Schlund-
spalten. V. (tl) postbranchialer Körper, th 3 — 4
Thymus, gl 3— 4 Epithelkörperchen. (Nach Ver-
DTJN.)
postbranchialen Körper besteht späterhin unter anderem auch thy-
musartiges Gewebe, was darauf hinweist, daß vielleicht eine hinter
der 4. Kiemenspalte gelegene Schlundspalte früher eine Thymusknospe
bildete, deren Rudiment hier zum Vorschein kommt. Bei Gorvus
corax erscheint dies stärker ausgebildet. Untersucht wurden: Hühn-
chen, Ente, Corvus corax, corone pica, Columba.
Säugetiere. Die Thymus der Säugetiere steht insofern in ge-
wissem Gegensatz zur Thymus niederer Wirbeltiere, als nicht die dor-
salen, sondern die ventralen Taschen der Schlundspalten in ihrer
epithelialen Auskleidung ihr Bildimgsmaterial liefern. Dabei bestehen
wieder Unterschiede hinsichtlich der Zahl der thymusliefernden Spalten.
Im allgemeinen ist die 3. Spalte für die Thymusbildung am wich-
tigsten, doch spielt nicht selten auch die 4., in einigen Fällen auch
die 2. eine Rolle.
Es sind Vertreter sehr vieler Klassen auf die Entwickelung der
Thymus untersucht worden: bei Echidna bildet sich die Thymus nur
aus der 3. Spalte (Maurer) [Fig. 97 und 103], ebenso beim Schwein
(Stieda, Fischelis), Maulwurf (Fig. 98a) und beim Menschen (Fig. 99)
(Verdun). Beim Kaninchen (Fig. 98b) bildet außer der 3. auch die
2. Kiemenspalte eine Thymusanlage (Kölliker), die aber nach Verdun
rasch wieder schwindet und nicht an der bleibenden Thymus teil-
nimmt. Bis jetzt ist bei keiner anderen Säugetierform eine Thymus-
bildung aus der 2. Spalte bekannt geworden, wohl aber hat man
beim Schaf, der Katze, dem Dromedar neben der
großen
Thymus-
140
F. Maurer,
gewann auch ich bei den Untersuchungen an Echidna
bildung der 3. Spalte auch eine solche aus der 4. Spalte hervorgehen
sehen (s. auch Fig. 104).
Seitdem Kölliker zuerst nachgewiesen hat, daß die Thymus
nicht aus mesodermaler, sondern epithelialer Grundlage hervorgeht,
hat man bald das Entoderm der Schlundspalten, wie Kölliker selbst
that, bald das Ektoderm der äußeren Kiemenfurchen als die Ur-
sprungsstätte der Thymus angesehen. So hat His den Sinus praecer-
vicalis dafür angesprochen. Die meisten neueren Autoren haben die
entodermale Herkunft der Thymus festgestellt, und diese Auffassung
In neuester
Zeit hat Roud die
Entwicklung der
Thymus bei der
Ratte aus dem Ek-
toderm im Bereich
des 4. Kiemen-
bogens geschildert.
Da dieser aber auch
die seitliche Schild-
drüse, d. h. den
postbranchialen
Körper ebenso vom
Ektoderm ableitet,
so ist diese Auf-
fassung Roud's mit
Vorsicht aufzuneh-
men.
Nach den neuen
Angaben Verdun's
ist die Thymus der
Säugetiere entoder-
maler Herkunft.
Nach ihm will ich
die Stadien der Aus-
bildung kurz an-
geben :
Beim Schaf ist
die Thymus der 3.
Spalte angelegt bei
einem Embryo von 10,5 mm Länge. (Thymuslänge 280 //). Hier steht
die Spalte mit dem Pharynx in offener Kommunikation, ebenso
ist sie nach außen durchgebrochen. Bei Embryonen von 16 mm
Länge sind die Derivate der 3. Spalte vom Pharynx abgelöst.
Die ventrale Thymus folgt den primitiven Carotiden, die sie spiralig
umschlingt. (Thymuslänge 670 /.i). Bei einem Embryo von 35 mm
Länge ist die Thymus so weit ausgewachsen, daß sie die von Pre-
nant beschriebenen 3 Abschnitte unterscheiden läßt: Kopf-, Hals- und
Brustteil, die durch 2 Zwischenstränge verbunden sind. Die Thymus
der 4. Spalte tritt nach Verdun erst beim neugeborenen Lamm auf,
in Anschluß an den im Zusammenhang mit dieser Spalte sich ent-
wickelnden postbranchialen Körper.
Bei der Katze zeigt sich die erste Thymusanlage der 3. Kiemen-
spalte bei Embryonen von 12 mm Länge (Thymuslänge 140 f.i). Die
Fig. 97. Kopfquerschnitt eines Echidnaembryo durch
die Gegend der 3. Schlundspalte, m Medulla. eh Chorda.
i Schlundhöhle. X Vagus, vj Vena jugul
c Herz. III 3. Schlundspalte, tun, Thymus
körperchen, td Schilddrüse (nach Maurer).
ac Carotis.
e3 Epithel-
Die Entwickelung des Davrnsystems.
141
Schlundspalte öft'net sich in den Pharynx. Bei Embryonen von 14 mm
Länge steht die Thymus der 3. Spalte durch einen soliden Zellstrang
noch mit dem Pharynx in Verbindung (Thymuslänge 210 (i).
Bei Embryonen von 16 mm Länge ist die Thymus der 3. Spalte
vom Pharynx abgelöst und beginnt, den Carotiden entlang nach hinten
zu rücken.
Die Derivate der 4. Schlundspalte bleiben nach der Ablösung am
Schlund untereinander und mit der 3. Spalte in Verbindung. Dies
ist schon bei Embryonen von 18 mm Länge erkennbar. Eine Thymus-
anlage der 4. Spalte tritt aber erst später auf, in Form einer Wuche-
rung des Restes dieser Spalte bei Embryonen von 60 mm Länge.
Sie steht durch einen epithelialen Stiel entweder direkt oder durch
Vermittelung des Epithelkörperchens der 4. Spalte mit der Thymus
der 3. Spalte in Verbindung. Dies zeigt sich auch bei der neuge-
borenen Katze. Sie entspricht dem inneren Thymuskörperchen, das
Kohn schilderte. Bei der erwachsenen Katze schließt sie sich seitlich
der Schilddrüse an.
Die Thymus des Maulwurfs ist nach genauen Angaben Verdun's
ebenfalls ein Derivat der 3. Schlundspalte, die bei Embryonen von
6 mm Länge nach außen geschlossen ist. Sie kommuniziert dann
noch mit dem Pharynx, ist bei 9 mm langen Embryonen abgelöst
vom Pharynx. Bei Embryonen von 13 mm Länge liegen die beiden
Thymuslappen in der Brusthöhle zwischen den Venae anonymae und
den großen Arterienstämmen (Fig. 98a).
Die Thymus des Menschen entwickelt sich aus der 3. Schlund-
spalte, und zwar besteht sie als ventrale Ausbuchtung bei Embryonen
von 6 mm Länge (Thymuslänge 130 /<)• Die 3. Spalte kommuniziert
noch mit dein Pharynx. Bei einem Embryo von 14 mm Länge hat
sie sich vom Pharynx ganz abgelöst (Thymuslänge 360 /<)• Sie stellt
dann ein kompaktes Gebilde dar, das bis in die Gegend der 4. Spalte
herabreicht. Bei einem Embryo von 16 mm Länge ist die Thymus
weiter herabgerückt, sie liegt vor den primitiven Carotiden und er-
Fig. 98a. Fig. 98b.
Fig. 98. Schlundspaltenderivate eines a) Embryo von Talpa, 10 mm lang; b)
Kaninchenembryo von 16 mm Länge nach Verdtjn. tm. Schilddrüse, th. Thymus
c.th. Lumina in der Thymus, ü. postbranchialer Körper, gl.th. Epithelkörperchen
der 8., gl.t. dasselbe der 4. Spalte, a.a. Aorta ascendens. a.d. Aorta descendens. tr
Truncus anonymus. a.s.c.d. Art. subclavia dextr. a.s.c.g. subclavia sinistr. cp. Carotis
ijr.tlu Thymusläppchen. j. Vena jugularis.
142
F. Maurer.
streckt sich mit ihrem vorderen Ende bis zum Isthmus der Schild-
drüse (Thymuslänge 500 fi). Kemi Foetus von 29 mm Länge liegt
die Thymus dem Pericard auf (Thymuslänge 2 mm). Von der Haupt-
masse der Thymus können sich kleine Teile ablösen und bleiben als
accessorische äußere Thymusläppchen nahe bei den Epithelkörperchen
der 3. Spalte angeordnet.
Die histologische Ausbildung der Thymus bei Säugetieren stimmt
mit derjenigen bei niederen Formen überein. Auch hier bildetsich
adenoides Gewebe direkt aus der epithelialen Anlage
aus. Das kompakte Organ treibt kleine rundliche Sprossen, welche den
Bau von Lymphfollikeln zeigen und in ihrer oberflächlichen Anordnung
eine Rindenschicht bilden. Hier findet die reichlichste Zellenvermehrung
statt. Im Innern, in der Marksubstanz, die erst postembryonal von
der Rinde durch ihr histologisches Verhalten verschieden wird, treten
die ersten konzentrischen Körperchen der Thymus auf. Dieselben
wurden verschieden beurteilt, teils als Reste der sich rückbildenden
Blutgefäße, teils als Reste der epithelialen Anlage in dem Sinne, daß
gewisse epithelogene Elemente wieder epithelioiden Charakter an-
nehmen und in Cancroidkugel-ähnlicher Form angeordnet im Thymus-
gewebe auftreten.
y) Der postbranchiale K ö r p e r.
Nur bei Heptanchus unter den Selachiern und bei den bis jetzt
untersuchten Teleostiern wurde dies Gebilde vermißt (Fig. 91 und 93).
Sonst besteht der postbranchiale Körper bei allen gnathostomen
Wirbeltieren.
Er tritt bald in paariger Anordnung, bald nur einseitig (links)
auf. van Bemmelen beobachtete dies Organ zuerst bei Selachiern
gl tk
Fig. 00. Schluudspaltenderivate
des Menschen: a) Embryo 14 mm lang;
b) Embryo 20 mm lang; c) Embryo
37 mm lang. tm. Schilddrüse, th. Thy-
mus, v.th. Thymusbläschen. p.L. Pro-
cess. pyramid. der Schilddrüse. c.t.g.
Ductus thyreoglossus. g.l.t. Epithel-
körperchen der 4. Spalte, p.h. Pharynx,
sonst wie Figur 08. (Nach Verdun.)
und bezeichnete es, da es dem Pericard aufgelagert ist, als Supraperi-
cardialkörper. Bei einigen Haien (Acanthias, Dohrn) tritt es nur
lingsseitig auf, bei Raja (Beard) paarig (Fig. 91a und b p). van
Die Entwickelung des Darmsystems. 143
Bemmelen beschrieb es als paarige Ausstülpung der ventralen Schlund-
wand hinter der letzten Kiemenspalte und deutete es als rudimentäre
Kiemenspalte. Durch die Thatsache, daß dies Organ bei Heptanchus
hinter der letzten Kiemenspalte fehlt, erhält diese Deutung eine Stütze.
Durch die bei vielen Formen nur einseitige Ausbildung und vor allem
durch das Verhalten dieses Gebildes bei höheren Wirbeltieren erweist
es sich dagegen als ein von den Kiemenspalten verschiedenes Organ. Die
von van Bemmelen geschilderte Thatsache, daß bei Chimaera dies Ge-
bilde sich hinter der 6. Kiemenspalte entwickelt und dauernd bestehen
bleibt, während die 6. Spalte spurlos verschwindet, spricht gegen die
Deutung einer rudimentären Kiemenspalte. Die phylogenetische Ab-
leitung dieses Gebildes ist demnach noch unklar. Man hat auch den
Ductus oesophago-cutaneus, wie er bei Bdellostoma besteht, als seine
Grundlage angegeben , besonders mit Hinblick auf seine einseitige
Ausbildung.
Nach der Ablösung dieses Gebildes von der Schlundwand stellt es
ein kugeliges Bläschen mit epithelialer Wandung dar, hat einige Aehn-
lichkeit mit der ersten Anlage der vorderen medianen Schilddrüse.
Auch in seiner Weiterbildung stimmt es insofern mit ihr überein,
als es durch Sprossen eine reichliche Zahl geschlossener, ganz von-
einander getrennter Bläschen bildet. Doch ist nicht bekannt, ob in
ihrem Lumen bei Selachiern Colloid auftritt, wie in den Bläschen der
vorderen Schilddrüse. Bei den höheren Wirbeltieren bis zu den Vögeln
bildet das homologe Organ kein Colloid aus, giebt sich also auch
seinem Bau nach als etwas von der Schilddrüse Verschiedenes zu er-
kennen. Bei Selachiern bleiben diese Bläschenkomplexe wie das
Herz an dem Orte ihrer Entstehung liegen. Bei allen höheren Gruppen
treten unter Umbildungen der Kiemenregion Verlagerungen ein.
Bei der Forelle, dem Hecht und Cyprinoiden fehlt der
Suprapericardial- oder postbranchiale Körper (Fig. 93a).
Bei Amphibien ist er ausgebildet : bei Anuren doppelseitig, bei
Urodelen meist nur linksseitig (Fig. 93b und c), bei Necturus doppel-
seitig. Da er hier hinter der letzten Kiemenspalte liegt, eine Be-
ziehung zum Pericard nicht besteht habe ich das Organ als post-
branchialen Körper bezeichnet. Er liegt stets hinter der letzten
Ki emen spalte, mag diese nun die 4., 5. oder 6. sein.
Daraus giebt sich das Organ als etwas von der Rückbild u n g
der Kiem en spalten Unabhängiges und somit als etwas von
diesen überhaupt Verschiedenes zu erkennen. In seiner
ersten Anlage stellt er sich bei Anuren und Urodelen verschieden
dar. Bei ersteren bildet er eine halbkugelförmige paarige Aus-
stülpung hinter der letzten Kiemenspalte, die sich rasch zu einem
kugelförmigen Bläschen abschnürt. Bei Urodelen bildet er bei Triton
einen nur links ausgebildeten langgestreckten Kanal von schrägem
Verlauf, der sich ebenfalls bald vom Pharynx ablöst (Fig. 100 I. und
111). Auf Grund dieses Verhaltens dachte ich daran, ob er nicht einen
Rest des bei Bdellostoma bestehenden Ductus oesophago-cutaneus dar-
stellen könnte. Bei Bufo tritt das Gebilde auf, nachdem die vordere
mediane Schilddrüsenanlage schon von der Schlundhöhle abgeschnürt
ist. Die 5. Kiemenspalte ist aber noch nicht durchgebrochen. Das
Epithel, welches die halbkugelige Ausbuchtung, die zwischen der 5.
Schlundtasche und dem Aditus laryngis liegt, auskleidet, ist sehr ver-
schieden von dem Epithel der Schlundspalten, insofern es aus sehr
144 F. Maurer.
hohen cylindrischen Zellen besteht und sich scharf gegen das an-
grenzende Epithel absetzt. Bei Urodelen (Siredon und Triton) entsteht
dies Gebilde links als ein solider Epithelzapfen, der erst lange nach
seiner Ablösung vom Schlund ein Lumen erhält. Er bildet sich bei
eben ausgeschlüpften Larven und löst sich nach 4 Tagen vom Schlund
ab. Bei" Triton erhält er erst nach der Metamorphose ein weites
Lumen. Colloid bildet sich niemals darin aus. Er bildet sich auch
hier auf der linken Seite vom Larynxeingang hinter der 5. Kiemen-
spalte, an der Stelle, wo man eine 6. Spalte erwarten würde, aber
sein Epithel ist vom Schlund- und Kiemenspalten-Epithel verschieden.
Bei Siredon bildet er sich bei 7 mm langen Larven, bei Larven von
10 mm Länge hat er sich vom Schlund abgelöst. Er bleibt stets links
vom Aditus laryngis dicht unter der ventralen Schlundwand liegen,
vereinigt sich nicht mit der Schilddrüse. Ebenso behält er in gleicher
Lage seinen Platz bei Anuren bei, wo er später ein einziges größeres
oder einen Komplex kleinerer, mit Cylinderepithel ausgekleideter Bläs-
chen darstellt, die Flüssigkeit, aber niemals Colloid enthalten (Fig. 100
IV und 101 p).
Bei Reptilien ist der postbranchiale Körper bei Lacertiliern nach-
gewiesen worden (Van Bemmelen, de Meuron, Maurer), ferner bei
Anguis (Prenant). Dagegen fehlt er nach Van Bemmelen den
Schlangen (Fig. 95a u. b). Bei der Eidechse ist er bald nur linksseitig,
bald paarig ausgebildet, nach Van Bemmelen hinter der 5., nach
Maurer hinter der 4. Schlundspalte.
Ich zweifle ebensowenig an der Richtigkeit der Angaben Van Bemmelen's, als
an meinen eigenen und vermute, daß der Unterschied durch individuelle ontogenetische
Differenzen veranlaßt ist. Ich selbst untersuchte nur Embryonen eines einzigen Ge-
leges, und bei diesen bestanden nur 4 Kiemenspalten. Da es sich hier nur um vor-
übergehende embryonale Bildungen handelt, ist es wahrscheinlich, daß die ver-
schwindende 5. Kiemenspalte in manchen Fällen gar nicht mehr zur Anlage kommt.
Eine neue Arbeit von Peter fügt dem seither Erkannten nichts hinzu. Peter
findet wie Van Bemmelen 5 Kiemenspalten, deutet aber den postbran dualen Körper
als 6. Schlundspalte. Dies ist insofern ein Rückschritt, als die Thatsachen der ver-
gleichenden Entwickelungslehre, trotzdem sie angeführt werden, nicht berücksichtigt
sind. Schon mehrfach wies ich darauf hin, daß der postbranchiale Körper bei allen
Wirbeltieren eine gleiche Weiterbildung erfährt, einerlei ob vor ihm 6 (Selachier), 5
(Amphibien) oder 4 (Säugetiere) Schlundspalten liegen. Dadurch ergiebt sich, daß er
eben etwas von Schlundspalten Verschiedenes ist.
Der postbranchiale Körper der Eidechse, den ich bei einem Em-
bryo doppelseitig, sonst nur linksseitig, wie Van Bemmelen fand,
entsteht als halbkugelförmige Ausstülpung der ventralen Schlundwand
beim Embryo, der 5 Tage nach der Ablage dem Ei entnommen wurde.
3 Tage später hat er sich als kugeliges Bläschen vom Schlund ab-
gelöst.
In dieser Form bleibt er lange bestehen, vergrößert sich nur be-
trächtlich (Fig. 102 p). Erst 4 Wochen nach seiner Bildung ent-
stehen Knospen vom Mutterbläschen aus, die sich abschnüren. Bei
den ausgeschlüpften Eidechsen ist das Mutterbläschen kollabiert und
von zahlreichen kleinen Bläschen umgeben. Späterhin wird es zu einem
kleinen, unansehnlichen Gebilde. I m L u m e n der Bläschen f in d et
sich zu keiner Z e i t C o 1 1 o i d. Es behält stets seinen Platz seitlich
vom Kehlkopfeingang bei und vereinigt sich niemals mit der Schild-
drüse, von der es auch durch den Mangel an Golloidbildung wesent-
lich verschieden ist.
Die Entwickelung des Darmsystems. 145
Bei Vögeln wurde der postbranchiale Körper schon von de
Meuron gefunden und mit dem Suprapericardialkörper Van Bemme-
lens für homolog erklärt. Letzterer bezweifelte die Berechtigung
dieser Vergleichung. In neuerer Zeit wurde der genannte Körper mehr-
fach nachgewiesen. Die neueste Schilderung von ihm giebt Verdun,
wonach er paarig hinter der 4. Schlundspalte auftritt, in Form eines
halbkugelförmigen Divertikels, das mit der 4. Schlundspalte zusammen-
hängt (Fig. 85 c). Es löst sich vom Pharynx und dem Rest der
4. Spalte ab und bildet dann ein geschlossenes Bläschen, welches bald
komplizierte Veränderungen durchmacht. Nach seiner Ablösung vom
Pharynx liegt es links gerade hinter der Teilung der Arteria brachio-
cephalica, rechts über dem Aortenbogen. Am 10. Tage bildet es den post-
branchialen Körper in charakteristischer Ausbildung, die es auch später
behält. Es besteht aus 1) kompakten epithelialen Strängen
und Läppchen, dazwischen 2) kugeligen Bläschen, von ku-
bischem Epithel ausgekleidet, das zuweilen mit Flimmern
versehen ist (Ente). Ferner sind 3) dem Gebilde Gewebspartieen an-
geschlossen, die den Bau von Epithelkör per chen und von
T h y m u s 1 ä p p c h e n zeigen.
Es kann sich dabei an andere Derivate vorderer Schlundspalten
anlagern, z. B. der Carotidendrüse oder der Schilddrüse, ohne jedoch
damit zu verschmelzen. Aus diesen Angaben Verdun's ergiebt sich
im Zusammenhang mit den Zweifeln Van Bemmelen's an der Ueber-
einstimmung mit den Suprapericardialkörpern , daß der post-
branchiale Körper der Vögel nicht allein diesem Ge-
bilde niederer Wirbeltiere homolog ist, sondern eine
komplizierte Bedeutung hat (Fig. 96 U). Weitere Unter-
suchungen haben zu entscheiden, ob dies Gebilde nicht etwa außer
dem postbranchialen Körper noch Reste einer 5. Schlundspalte in Form
eines Thymus- und Epithelkörperchen-Rudiments enthält, worauf sein
Bau hinweist. Es würde dann der postbranchiale Körper thatsächlich
der 5. Spalte angeschlossen sein und dauernd mit deren Resten in
Verbindung bleiben.
Wichtig ist erstens, daß sein Gewebe kein Colloid bildet und daß
es mit der aus der vorderen medianen Anlage hervorgehenden Schild-
drüse nicht verschmilzt.
Bei Säugetieren ist der postbranchiale Körper in allen darauf
untersuchten Formen nachgewiesen worden (Fig. 104 p). Wölfler
und Stieda sahen die paarigen Gebilde als Anlage der Schilddrüse
an (Schwein, Schaf, Kalb und Kaninchen) und leugneten eine unpaare
Anlage dieses Organs. Born schilderte zuerst in richtiger Weise die
Entstehung paariger Bläschen aus der Wandung der letzten Schlund-
spalte beim Schwein. Diese sollen sich mit der vorderen, unpaaren
Anlage vereinigen, um die Schilddrüse der Säugetiere zu bilden, die
mit der Schilddrüse niederer Wirbeltiere demnach nicht homolog wäre.
Während von den meisten jüngeren Autoren diese Thatsache an-
genommen wurde, daß der postbranchiale Körper der Säugetiere histo-
logisch sich zu Schilddrüsengewebe ausbilde, und unter Anschluß an
die vordere mediane Anlage der Schilddrüse einen wesentlichen Anteil
an der Bildung deren seitlicher Lappen nehme, hat neuerdings Verdun
betont, daß die Schilddrüse nur aus der vorderen Anlage
hervorgehe, wie ich dies auch für niedere Wirbeltiere immer her-
vorhob, und daß der postbranchiale Körper, selbst wenn er sich an
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 10
Uli F. Maurer,
die vordere Schilddrüse anlagert, doch einen von dem Schilddrüsen-
parenchym verschiedenen Bau zeige. Verdun untersuchte: Schaf.
Kalb, Katze, Kaninchen, Maulwurf, Mensch, sowie einen Embryo vom
Dromedar (Fig. 98 u. 99 Ü).
Daß die Verhältnisse des postbranchialen Körpers noch nicht ganz
erkannt sind, zeigen meine Befunde bei Echidna (Fig. 103) : hier bildet
sich derselbe wie bei allen Säugetieren hinter der 4. Schlundspalte
aus, und das Bläschen, welches er nach seiner Abschnürung darstellt,
entwickelt sich jederseits zu einem kleinen Drüschen von Schilddrüsen-
bau: es besteht aus geschlossenen, mit Epithel ausgekleideten Bläschen,
die mit C o 1 1 o i d gefüllt sind. Die Ausbildung von C o 1 1 o i d
halte ich für das Wichtigste. Bei Echidna vereinigt sich dieses
Gebilde aber niemals mit der vorderen medianen Schilddrüse, die
vielmehr ein voluminöses, aus 2 median vereinigten Lappen bestehendes
Organ darstellt. Während die Schilddrüse hier mit dem Herzen eine Ver-
lagerung in den Thorax erfährt, bleibt der postbranchiale Körper weiter
vorn, mehr der Stelle seiner Ausbildung an der Seite der Trachea
liegen. So findet man ihn später vor der Schilddrüse, die ventral von
ihm herabrückt. Die Abbildungen zeigen diese Aenderung in der
Lagebeziehung des postbranchialen Körpers zur Schilddrüse.
Auch bei höheren Säugetieren wurde in den letzten Jahren die
Ausbildung von colloidhaltigem Schilddrüsengewebe aus der paarigen
Schilddrüsenanlage, d. h. dem postbranchialen Körper vielfach hervor-
gehoben. Während His die seitlichen Lappen der Schilddrüse aus
dieser paarigen Anlage hervorgehen läßt, gab schon Kastschenko
an, daß beim Schwein diese hinteren Schilddrüsenanlagen nur kleine
Gebilde gegenüber der medianen Anlage darstellen. Nach Prenant
dagegen bilden die geringen hinteren Anlagen der Schilddrüse einen
ebenso starken Bestandteil des ganzen Organs, wie die unpaare vordere
Anlage.
Nach unserem heutigen Wissen müssen wir sagen, daß der post-
branchiale Körper bei allen niederen Wirbeltieren, mag
er paarig oder nur einseitig ausgebildet sein, erstens
niemals Kolloid ausbildet und zweitens sich niemals
mit der vorderen Schilddrüsenanlage verbindet. Bei
Säugetieren kann er kolloid haltiges Schilddrüsenge-
webe ausbilden, eine Vereinigung mit der medianen Schilddrüsen-
anlage tritt bei Echidna nicht ein, wohl aber bei höheren Säugetieren
und dem Menschen. Ob er eine reichliche Menge von Schilddrüsen-
gewebe liefert oder eine geringe Rolle spielt, insofern er sich früh-
zeitig rückbildet, darüber gehen die Ansichten noch auseinander. Nach
der neuesten Auffassung (Verdun) wird die Schilddrüse bei Säuge-
tieren und beim Menschen nur aus der medianen Anlage gebildet, und
der postbranchiale Körper bildet sich zurück.
S) Die E p i t h e 1 k ö r p e r c h e n.
Sie sind Kiemenspaltenderivate, die bei Fischen bis jetzt nicht
nachgewiesen wurden. Bei Amphibien treten sie zuerst auf, und zwar
finden sie sich bei Anuren schon zur Larvenzeit, bei Urodelen er-
scheinen sie erst nach der Metamorphose, ihre Bildung setzt den
Verschluß der Kiemenspalten voraus^ Ihre Genese wurde zuerst von
mir bei Amphibien klargestellt. Später wurden sie bei allen höheren
Die Entwickelung des Darmsystems.
147
Wirbeltieren, ebenso beim Menschen nachgeAviesen und unter ver-
schiedenen Namen beschrieben.
th„ th,„ th,m (h
ff ll,"jt L"-f>t'r
■VZ2&1*
Fig. 100. Schemata der Schlundspalten und Kiemenderivate bei Amphibien.
I. Siredon. II. Rana (Larve) III. Triton und IV. Rana nach der Metamorphose, V.
Urodelenkieme, 'a vor, ß nach der Metamorphose, VI. innere Anurenkieme, a vor, ß
während der Metamorphose.
Carotidc
und ventrale Kiemenreste, ah. äußere Kiemen. Kp. Kiemenplatte, op. Of>erculum.
A7t. Kiemenhöhle. Kb. Kiemenbäumchen.
Anuren. Die Epithelkörperchen treten bei Kaulquappen von Rana
zur Zeit auf, wo gerade die äußeren Kiemen, im Kiemensack einge-
schlossen, schwinden und die inneren Kiemen sich ausbilden (Fig. 100 II
und VI e, ed.). Sie entstehen als kompakte Epithelknospen am ven-
tralen Ende der 3. und 4. Schlundspalte. Auch die 2. Schlundspalte
10*
148
F. Maurer,
bildet eine solche Knospe, welche nach meinen Beobachtungen die Caro-
tidendrüse ausbildet (Fig. 83 et— e.A Fig. 100, II cd). Dies wurde von
anderen Autoren bestritten (Zimmermann, Schaper) weiche in der Caro-
tidendrüse lediglich eine Wucherung der Gefäßwand erblicken, ohne
Beteiligung des Epithels einer Kiemenspalte. Die letzte Kiemenspalte
bildet kein Epithelkörperchen.
Die Bezeichnung „Epithelkörperchen'1 wählte ich mit Hinblick auf
das histologische Verhalten der Gebilde. Sie stellen zunächst einfach
zusammengeschlossene Epithelzellen dar, die durch einen epithelialen
Stiel mit dem Epithel der Kiemenspalte in Verbindung stehen. Dieser
Stiel schwindet, und das kleine Gebilde wächst unter Vermehrung
seiner Zellen zu einem eiförmigen Körperchen heran, welches spiralig
ineinander geschobene Zellenzüge erkennen läßt.
Das Gebilde ist äußerlich durch eine zarte bindegewebige Kapsel
begrenzt, und es setzt sich auch von da aus Bindegewebe ins Innere
zwischen die epithelogenen Zellzüge fort. Ein Lumen findet sich in
diesen Organen niemals. Ihr Bau ist ein durchaus eigenartiger, weder
mit dem der Thymus, noch der Schilddrüse oder des postbranchialen
Körpers vergleichbar. Sie behalten auch zeitlebens ihren Platz und
sind selbst bei ganz alten Tieren (Rana, Bufo, Hyla) nachweisbar.
Sie liegen ventral von den Arterien des 3. und 4. Kiemenbogens
bei der Kaulquappe, und später liegen sie ventral von den Aorten-
bogen in unmittelbarer Nähe der hier sich bildenden ventralen Kiemen-
reste, die später noch zu behandeln sind (Fig. 101 e).
Bei Urodelen (Triton) bilden sich die Epithelkörperchen während
der Metamorphose aus dem Epithel der sich schließenden 3. und 4.
Schlundspalte, und zur selben Zeit entsteht im Bereich der 2. Spalte
die Carotidendrüse (Fig. 100 III und V). Die Körperchen liegen hier
an der lateralen Konvexität der Aortenbogen oder sind zwischen
diesen eingelagert. Sie empfangen oft von 2 Aortenbogen je ein
Aestehen. Zuweilen findet man zwischen 3. und 4. Arterienbogen 2
solche Körperchen, so daß 3 auf einer Seite bestehen. In anderen
;"":';n ■..;•:;
Fig. 101. Kombinierter Querschnitt des ventralen Kopfteils einer jungen Rana
esculenta, im Bereich der obliterierten Kiemenhöhle K. Metamorphose gerade vollendet.
t. Schilddrüse, e. Epithelkörperchen. th. Thymus, ed. Carotidendrüse. p. post-
branchialer Körper, eh. Rest der Kiemenhöhle, m. mittlere, v. ventrale Kiemenreste.
L. Aditus laryngis, cpb. Zungenbein, sth. Muse, sternohyoideus. hg. Muse, hyoglossus.
vje. Vena jugul. ext. I lymphatisches Knötchen.
Die Entwickelung des Darinsysterns. 149
Fällen findet man nur ein solches Gebilde auf einer Seite, so daß
ihre Bildung individuellen Schwankungen unterliegt.
Bei Reptilien wurden die Organe der Eidechse untersucht, wo
sie ebenfalls aus der 3. und 4. Spalte entstehen (Van Bemmelen,
Maurer). Bei Schlangen wurde ein solches außerdem auch an der
2. Spalte gefunden (Van Bemmelen). Sie entstehen gleichzeitig mit
der Thymus während des Verschlusses der Schlundspalten. Bei der
Eidechse entsteht das Körperchen der 3. Spalte am ventralen Ende
der Thymus und steht mit dieser durch einen epithelialen Strang in
Zusammenhang. Die ventrale Tasche dieser Spalte erleidet eine völlige
Rückbildung. Das Epithelkörperchen geht also aus dem mittleren
Teil dieser Spalte hervor. Am ventralen Ende der Thymus der 2.
Spalte findet sich kein solches Gebilde. Das Epithelkörperchen der 4.
Spalte bildet sich aus der Wandung dieser Spalte, die einen vom
Schlund aus lateralwärts verlaufenden Schlauch darstellt. Indem sich
die mittlere Portion dieses Schlauches verdickt, stellt sie die Anlage
des Epithelkörperchens dar, das sich vom Schlundrohr ablöst und noch
eine Zeit lang mit dem postbranchialen Körper verbunden ist.
Ueber die histologische Entwickelung dieser Organe ist zu
berichten, daß sie zuerst aus gleichartigen Epithelzellen bestehen, die
im Beginn der Bildung ein Lumen begrenzen, welches als Rest des
Schlundspaltenlumens zu betrachten ist. Unter Vermehrung der Epithel-
zellen schwindet dies Lumen und indem gleichzeitig von außen her
Bindegewebselemente eindringen, besteht das Körperchen aus Komplexen
von epithelogenen Zellen, welche durch zartes interstitielles Bindege-
webe voneinander getrennt sind. In diesem Zustande bleiben die
Epithelkörperchen der Eidechse zeitlebens bestehen, sie bilden niemals
ein Lumen aus, colloide Substanz wird nicht secerniert,
so daß ihr Bau nicht mit dem der Schilddrüse ver-
glichen werden darf.
Wenn eine 5. Schlundspalte bei der Eidechse vorübergehend zur
Anlage kommt (Van Bemmelen), so bildet sie jedenfalls kein Epithel-
körperchen, hinterläßt überhaupt keine epithelogenen Reste.
Bei den Vögeln sind die Epithelkörperchen in verschiedener
Zahl nachgewiesen : Bei allen untersuchten Formen bilden die 3. und
4. Spalte ein solches, und auch hier liegt es ventral von der Thymus-
anlage der betreffenden Spalte (de Meuron, Van Bemmelen, Mall,
Verdun; (Hühnchen, Ente). Verdun hat die genaueste Schilderung
gegeben (Fig. 95 c). Nach diesem bildet sich beim Hühnchen und
der Ente auch im Anschluß an den postbranchialen Körper noch ein
drittes solches Gebilde; vielleicht handelt es sich hierum ein solches
Derivat der 5. Schlundspalte. Verdun hebt hervor, daß die beiden
ersten sich oft der Schilddrüse anlagern ; das Derivat der 4. Spalte
soll häufig dem postbranchialen Körper angeschlossen sein (Fig. 96
gl 3 und 4). Während die Verbindung des Epithelkörperchens der
3. Spalte mit der Schilddrüse offenbar ein sekundärer Vorgang ist,
kann das Derivat der 4. Spalte wohl primär in Verbindung mit dem
postbranchialen Körper stehen, da sich die 4. und 5. Schlundspalte
mit dem postbranchialen Körper gemeinsam vom Schlundrohr ablösen
können und auch eine spätere Trennung unterbleiben kann.
Die histologische Entwickelung dieser Gebilde bei den Vögeln
schildert Verdun so, daß sie von vornherein aus Epithelzellen der
Schlundspalten bestehen, ihre Weiterausbildung oft sehr spät, fast bei
150
F. Maurer,
erwachsenen Tieren erfahren. Sie bestehen dann ans Epithelbläschen.
Da keine Colloidsnbstanz darin ausgebildet wird, sind sie von der
Schilddrüse scharf unterschieden.
au
Fig. 102. Sagittalschnitt durch den Kopf eines Embryo von Lacerta agilis, 25
Tage nach der Ablage dem Ei entnommen, ce. Gehirn, au. Auge. n. Nasenhöhle.
c. Herz. z. Zunge. i. Mundhöhle, tr. Schilddrüse, tm. Thymus, e. Epithel körper-
chen, p. postbranchialer Körper.
Die Epithelkörperchen der Säugetiere haben eine sehr ein-
gehende Bearbeitung von vielen Autoren erfahren und sind sehr ver-
schieden bezeichnet worden : Sandström schilderte sie als Glandulae
parath)rreoideae, Gley als glandules thyroidiennes, Nicolas als glan-
dules thyroides,.KoHN und Schaper verglichen sie zuerst mit den
Epithelkörperchen der Amphibien und bezeichneten sie demgemäß
(Fig. 104e j u. 2).
Solche Gebilde werden von der 3. und 4. Schlundspalte gebildet
und unterscheiden sich in ihrer Anordnung zur Thymus
der Säugetiere wesentlich von den Epithelkörperchen
aller niederen Wirbeltiere. Sie bilden sich dorsal von der Thy-
nmsanlage (Kölliker, Stieda, Born, Fischelis, de Meuron,
Rabl, Kastschenko, Prenant, Simon, Groschuff, Verdun,
Maurer). Nach Groschuff, dem sich Verdun anschließt, bildet
die 3. und 4. Spalte ein solches Epithelkörperchen bei Kaninchen,
Fledermaus, Hund, Katze, Pferd, Dromedar, Schaf, Rind, Ziege,
Mensch, denen sich auch Echidna anschließt (Maurer; Fig. 97,
99 und 103). Nur die 3. Spalte bildet ein solches Körperchen beim
Schwein, Igel, Maulwurf, Spitzmaus, Meerschweinchen, Ratte, Feld-
maus, Seehund (Fig. 98 glt). Beim Maulwurf schwindet auch das
Die Entwickelung des Darmsystems.
151
einzige Epitlielkörperchen zuweilen frühzeitig. Die Thatsache, daß diese
Gebilde hier dorsal von der Thymus liegen, findet ihre Erklärung
darin, daß die Thymus nicht vom Epithel der dorsalen Kiementaschen,
wie bei allen niederen Wirbeltieren, gebildet wird, sondern aus v e n -
tralen Teilen. Die Epitlielkörperchen nehmen, wie bei der Eidechse,
eine mittlere Lage ein.
Histologisch bilden sie auch hier zuerst ausschließlich aus com-
pakte Epithelzellen gebildete Körperchen. Nachdem frühzeitig Binde-
gewebe von außen zwischen die epithelialen Elemente eingedrungen ist,
formieren die Epithelzellen unter reichlicher Vermehrung kompakte
Schläuche. Die Annahme, daß sie unter Ausbildung von Kolloid die
Schilddrüse ersetzen können, ist nicht erwiesen, vielmehr ist bis jetzt die
Auffassung berechtigt, daß man es mit verschwindenden Gebilden zu
thun hat. Das wird mit Recht aus den Thatsachen geschlossen, daß bei
Amphibien jederseits 2 — 3, bei Amnioten nur 2, bei vielen Säuge-
tieren nur eines und schließlich sogar gar kein solches Gebilde mehr
später nachweisbar ist, wie beim Maulwurf. Der Mensch steht hier
nicht am Ende der Reihe, insofern bei ihm meist 2 solcher Körper-
chen zur Entwickelung kommen.
Hinsichtlich der weiteren Entwickelung dieser Gebilde ist noch
speciell ihrer Anordnung zu gedenken, die zugleich Schilddrüse und
Thymus beeinflußt. Die 3. Schlundtasche schnürt sich in toto vom
%Us(cdU
~^ca
tm.
Fig. 103. Schema der Schlundspaltenderivate von Eehidna. I—IV Schlundspalten.
tr Schilddrüse, tm Thymus. e2 — e4 Epithelkörperchen. p postbranchialer Körper.
I Aditus laryngis, o Oesophagus.
a Embryo, dessen Spalten noch mit dem Schlund kommunizieren, b älterer
Embryo, Schilddrüse und Thymus nach hinten gerückt, c halbwüchsiges Tier :
Schilddrüse, Thymus und Epithelkörperchen in die Brusthöhle gerückt, postbran-
chialer Körper behält eine vordere Lage am Hals bei.
Schlundrohr ab, so daß ihre Derivate : Thymus und Epithelkörperchen
in primärem Zusammenhang sind. Ein solcher kann bestehen bleiben,
oder das Epithelkörperchen löst sich von der Thymus ab. Dabei
kann aber ein Läppchen der Thymus mit dem Epithelkörperchen in
Zusammenhang bleiben, indem die Loslösung nicht an der Grenze,
sondern im Thymusgewebe erfolgte. Die Beziehung dieses Körper-
chens zur Schilddrüse ist eine rein topographische. Durch die Rück-
wärtsverlagerung der Schilddrüse kommt das Epithelkörperchen der
152 F. Maurer,
3. Spalte lateral von der Schilddrüse zu liegen und bildet so das
äußere Epithelkörperchen Kohn's.
Komplizierter stellen sich die Beziehungen des Epithelkörperchen s
der 4. Spalte dar, besonders dann, wenn die 4. Spalte auch einen Thy-
rauslappen ausbildet. Wenn sich diese Tasche vom Schi und -
röhr löst, so bleiben nicht nur ihre beiden Derivate:
Epithelkörperchen u n d T h y m u s , i n Verbindung, sondern
mit diesen Teilen bleibt auch der postbranchiale Kör-
per in Zusammenhang, und demnach sind diese Verbin-
dungen primäre. Der postbranchiale Körper erwirbt nun sekun-
där Anschluß an die Schilddrüse, und dadurch gelangt auch
das Epithelkörperchen und die Thymus der 4. Spalte in Beziehung zur
Schilddrüse (Fig. 98 und 99). Jenes ist das innere Epithelkörper-
chen, das Kohn schilderte. Im Anschluß an meine Befunde bei La-
certa und Echidna und unter Berücksichtigung der Angaben Verduns
(Katze) habe ich schon früher darauf hingewiesen. Es klären diese
Ueberlegungen die verschiedenen Kombinationen im Zusammenhang
so ungleichwertiger Teile auf.
Die Carotidendrüse.
Dies Organ ist hier anzuschließen. Die Drüse fehlt den Fischen,
besteht von Amphibien an bei allen höheren Wirbeltieren und liegt
stets an der Teilungsstelle der Carotis communis in Carotis externa und
interna. Nach der Auffassung vieler Autoren ist sie eine blosse Ge-
fäßbildung, durch Wucherung der Gefäßwandung entstanden. Da
Andere aber eine Beteiligung von Schlundspaltenepithel angaben, so
ist sie hier zu erwähnen.
Bei Anuren fand ich im Bereich der 2. Schlundspalte eine epi-
theliale Knospe, die sich genau so verhält wie die Epithelkörperchen
der 3. und 4. Spalte, aber eben durch ihre sehr bald erkennbare Be-
ziehung zur Kiemenarterie sich eigenartig erweist. Nach Zimmermann
ist eine Epithelknospe nicht vorhanden, und nur eine Wucherung der
Gefäßwand bildet die Drüse. Bei Anuren tritt das Organ schon
früh bei der Larve auf, während es bei Urodelen erst zur Zeit der
Metamorphose sich entwickelt (Fig. 100 II, III und IV). Hierin
stimmt sie mit der Entwicklung der Epithelkörperchen überein. Bei
Reptilien (Lacerta) fehlt eine die Gefäßwandung der Carotis an deren
Teilungsstelle komplizierende Drüse und es liegt dem Carotidenstamme
lateral angeschlossen das Epithelkörperchen der 3. Spalte (Fig. 102 e3).
Wenn man dies als Carotidendrüse anspricht, so stimmt dieselbe mit
dem gleichgenannten Organ der Amphibien nicht überein.
Das Organ, welches Verdun als Carotidendrüse beim Hühnchen
abbildet und beschreibt, macht den Eindruck eines Epithelkörperchen«,
doch betrachtet es Verdun als ein Produkt der gewucherten binde-
gewebigen Adventitia des Carotidenstammes. Sie tritt zuerst bei einem
Hühnchen am 9. Bebrütungstage auf. Der gleichen Ansicht ist
Schaper, der das Organ auch bei Säugetieren als Bildung des
Carotidenstammes ansieht. Bei diesen bestellt sicherlich außer den
Epithelkörperchen eine Carotidendrüse, wenn auch vielfach eines von
jenen als solche angesprochen wurde. Schaper giebt dies an. Bei
Echidna konnte ich eine Anlage nachweisen, die wie das gleiche Or-
gan bei Anuren aus dem Epithel der 2. Schlundspalte stammt (Fig.
103 e2 cd). Die 2. Schlundspalte tritt mit ihrem ventralen Ende in
Die Entwickelung des Dannsystems.
153
nahen Kontakt mit der Wandung des 3. Arterienbogens, und hier löst
sich ein kleiner epithelialer Zellenkomplex ab, in welchem ich die
Anlage der Carotidendrüse erblicken muß. Sie liegt später genau in
der Teilungsgabel des Carotisstammes, und zwar ist sie hier der
Carotis interna inniger angeschlossen. Es handelt sich demnach hier
6iArTm,3
n,
VTin.3
ATm. 3
Fig. 104a — e. Schlundspaltenderivate
von Säugetieren und Mensch, a Wieder-
käuer, Pferd, Carnivoren, Chiropteren
und Mensch (nach Groschuff). b
Katze, c Kaninchen, d Mensch, e Talpa
nach Verdux). Bezeichnungen s. Fig.
103.
nicht um eine bloße Wucherung der Gefäßwandung. Indessen ist die
Entwickelung der Carotidendrüse noch nicht hinreichend aufgeklärt,
besonders mit Hinblick darauf, daß unter diesem Namen verschiedene
Autoren ungleiche Bildungen beschrieben haben.
e) Die Reste der inneren Kiemen bei Anuren.
Bei Anuren entwickeln sich während der Metamorphose bei der
Reduktion des inneren Kiemenapparates Gebilde, die hier anzuführen
sind (Fig. 100 V und VI). Sie kommen ausschließlich den Anuren
zu (Fig. 100 VI). Von Bedeutung sind sie, weil man sie lange, be-
sonders ihre ventralen Teile bei Rana für die Schilddrüse gehalten
hat (Ecker, Wtiedersheim). Ich habe genau geschildert, wie die
Reduktion der
Zuerst treten
inneren Kiemen mit ihrer Kiemenhöhle sich abspielt,
am ventralen Ende dieser Höhle Wucherungen der
154 F. Maurer,
auskleidenden Schleimhaut auf. Die Kiemenbüschel werden kurz und
dick, das überziehende Epithel wird mehrschichtig. Unter weiterer
Schrumpfung der Büschel und Obliteration der Kiemenhöhle entstellt
eine aus epithelialen und bindegewebigen Elementen bestehender,
dorsoventral verlaufender Körper, von welchem in verschiedener An-
ordnung Reste erhalten bleiben. Bei Rana bleibt das ventrale Ende
erhalten (vergl. Fig. 100 VIvJcr u. 101 v) und findet sich medial und ven-
tral von den Epithelkörperchen, gerade bedeckt vom lateralen Rande des
Muse, sterno-hyoideus. Bei Bufo, Hyla und Bombinator bleiben solche
Reste als ein eiförmiges Körperchen jederseits weiter dorsal- und lateral-
wärts erhalten. Sie gehen aus mittleren Teilen der Kiemenhöhle
hervor. Auf Fig. 100 VI sind sie mit mkr bezeichnet, ich nannte sie
mittlere Kiemenreste. Auch dorsale Kiemenreste erhalten sich bei Rana
öfter in der Nähe der Thymus I (dkr). Sie unterscheiden sich histo-
logisch von der Thymus durch das Fehlen der großen epithelioiden
Zellen, bestehen aus irregulärem Gewebe, in welchem lymphatische
Rundzellen vorherrschen. Cysten treten nicht darin auf. Diese Ge-
bilde bleiben nicht wie die mittleren und ventralen Kiemenreste bei
den oben genannten Anurenformen dauernd erhalten, sondern erfahren
im Laufe eines Jahres eine Reduktion, so daß sie schon bei 4 — 5 cm
langen Tieren nicht mehr nachweisbar sind. Sie verhalten sich dabei
wie eine zellige Infiltration, die durch Verteilung ihrer Elemente
schwindet.
2. Allgemeine Entwickelung des Darmrohrs und seine
Sonderung in verschiedene Abschnitte.
Die Ausbildung des Darmrohrs ist durch den Dotter beeinflußt
und demnach bei den verschiedenen Wirbeltiergruppen nicht gleich.
Die Anlage bei holoblastischen Eiern zeigt Fig. 134 von Petromyzon
und Fig. 135 von Rana. Bei meroblastischen Eiern stellt sie sich im
allgemeinen dar, wie es auf Fig. 112 vom Menschen abgebildet ist. Die
Beziehung zwischen dem entodermalen und mesodermalen Bestandteil
der Wandung zeigt Fig. 105 im Querschnitt.
WTir können auf Fig. 112 schon 3 Abschnitte der Darmanlage unter-
scheiden: den Kopf dar m (k), die Darmrinne (m) und den End-
darm. Diese entsprechen nicht den späteren Abschnitten, die wir als
Vorder-, Mittel- und Enddarm bezeichnen. Der Kopfdarm stellt im all-
gemeinen die Anlage des Vorderdarms vor, da unmittelbar hinter der
vorderen Darmpforte die Anlage der Leber und des Pankreas auftritt,
welche die Grenze zwischen Vorder- und Mitteldarm charakterisiert. In
der Darmrinne ist aber die Anlage des Mittel- und eines Teiles des
Enddarms in sehr verschiedener Weise bei Fischen und Amnioten
enthalten.
Amphioxus. Bei Amphioxus ist das Entodermrohr nach Ab-
lösung der Cölomdivertikel als Anlage des Darmrohrs zu betrachten.
An diesem ist nach Durchbrach der Mundöffnung und des Afters der
K i e m e n d a r m und der verdauende Darm zu unterscheiden. Bei
Larven von 3,5 cm Länge zeigt sich eine kurze Strecke hinter jenem die
Leberanlage, wodurch das Ende des Vorderdarms abgegrenzt wird.
Unter rückwärts fortschreitender Ablösung des Leberblindsackes erfährt
der hinter dem Kiemendarm gelegene Abschnitt des Vorderdarms eine
Die Entwickelung des Darmsystems. 155
Verlängerung, ohne indessen sein Volumen zu ändern oder seinen
geradlinigen Verlauf aufzugeben. Das Dottermaterial in den Entoderm-
zellen der ventralen Hälfte des hinter der Lebermündung gelegenen
Mitteldarms ist bei Embryonen von 4 cm schon aufgezehrt. Die epi-
theliale Auskleidung bleibt im ganzen Darmrohr einfaches Cylinder-
epithel. Drüsen kommen nicht zur Ausbildung. Etwa in der Mitte
zwischen dem caudalen Ende des Kiemendarms und dem After tritt
bereits bei o,5 cm langen Larven ein durch Karmin sich dunkler
färbender Bezirk des Darmrohrs auf. Er wurde von Lankester und
Willey schon als Darmbezirk mit verdicktem Epithel bezeichnet
(Fig. 124). Seine Bedeutung ist noch nicht bekannt. Amphioxus be-
sitzt einen längere Zeit bestehenden postanalen Darm, ebenso wie
einen Canalis neurentericus, der aber häufig kein Lumen besitzt. Un-
mittelbar hinter dem Leberblindsack befindet sich ein erweiterter Ab-
schnitt des Darmrohrs, der aber in Folge seiner Lage nicht als Magen
bezeichnet werden darf. Die Muskelwand des Darmrohrs, sowie der
Serosaüberzug werden als direkte Abkömmlinge der Splanchnopleura
aufgefaßt, die auch dem Bindegewebe der Darmwand seine Entstehung
giebt.
Cyclostomen. Das Lumen des Urdarms geht nicht in das
spätere Darmlumen über, sondern jenes schwindet, und die Anlage
des bleibenden Darmlumens ist eine sekundäre Bildung. Dies soll
nicht durch Auflösung, sondern nur durch Umordnung der sich reich-
lich durch Teilung vermehrenden Entodermzellen erfolgen (Götte).
Nach den Untersuchungen von Kupffer und Götte läßt ferner der
Darm bei Petromyzonten sehr frühzeitig zwei Abschnitte unterscheiden,
die man als Vor der darin und Mittel- mit End darin bezeichnen
kann. An der Grenze liegt die Leberanlage (Fig. 134) Eine scharfe
Grenze zwischen Mittel- und Enddarm kommt nicht zur Ausbildung.
Die epitheliale Auskleidung bildet stets ein einschichtiges Cylinderepithel.
Drüsen fehlen. Dagegen bildet sich frühzeitig eine komplizierte lym-
phatische Scheide in der bindegewebigen Darmwand aus. In dieselbe
verlaufen Arterien, welche in direkte Beziehung zu den lymphatischen
Zellen treten, so daß man das ganze Gebilde auch als diffuse Milz
der Cyclostomen gedeutet hat.
Der Darmkanal der Myxinoiden entwickelt sich zu einem volumi-
nöseren Schlauch als bei Petromyzonten. Auch ist bei jenen ein
Magenabschnitt unterscheidbar.
Bei Bdellostoma bildet sich entsprechend dem Dotterreichtum des
Eies der Darmkanal anders aus als bei Petromyzonten. Er zeigt nach
Dean hinsichtlich der ersten Vorgänge viel Aehnlichkeit mit der Bil-
dung des Selachierdarms. Auch hier hebt sich der Kopfteil des Em-
bryo früher vom Dotter ab als der Schwanzteil, der erst bei Embryonen
mit 57 Urwirbelpaaren erscheint. Es besteht somit auch hier zuerst
eine vordere und hintere Darmpforte. Nach dem Ausschlüpfen wird
der Dottersack in wenigen Tagen resorbiert.
Der Vorderdarm entwickelt sich bei Petromyzonten besonders als
Kiemendarm, so daß Leber- und Pankreasanlage unmittelbar caudal
vom letzten Kiemengang sich finden.
Selachier. Bei Selachiern treten wichtigere Komplikationen bei
der Entwickelung des Darmrohrs auf. Durch die meroblastische On-
togenese besteht der Darm zuerst als Rinne, die sich mit der Ab-
hebung des Embryo vom Dottersack zum Rohre abschließt. Unter
156
F. Maurer,
fortschreitender Abschnürung des Darmentoderms vom Dottersack bildet
sich ein enger Dottergang. Es sind vordere und hintere Darmpforte
nahe zusammengerückt (Fig. 127). Dabei
tunisvorgange
einen wichtigen Einfluß. Wir
erhalten ungleiche Wachs-
Mündung dieses Dotterganges, die
Fig. 105. Querschnitt der ventralen
Rumpfhälfte vor der hinteren Darmpforte
eines Embryo von Pristiurus melanostomus
mit 63 Urwirbeln (nach Rabl). i Darin-
rohr (Entodorm). m Mesenterium dorsale.
s Bplanchnopleura. Bei x Bildung der
Spiralfalte, so Somatopleura. e Ectoderm.
si Subintestinalvene.
Artefakte vorliegen. Torpedo zeigt
Hier bildet die Klappe nur quere
von Kegeln.
sehen nämlich, daß die
zuerst, wie bei allen meroblastisch
sich entwickelnden Wirbeltieren
hinter der Anlage von Leber und
Pankreas sich findet, cranialwärts
von diesen nach vorn rückt.
Mayr hat dies genau studiert
und den Grund in ungleichem
Wachstum der Darm wand erkannt.
Letzteres ist ein Vorgang, wel-
cher die Bildung der für Se-
lachier charakteristischen, auch
bei Ganoiden und Dipnoern noch
erkennbaren Spiralfalte veranlaßt.
Die S p i r a 1 k 1 a p p e kommt
bei Selachiern in verschiedenen
Formen vor. Bei Raja, Scyllium,
Mustelus und Pristiurus haben
alle einen gedrehten Spiraldarm.
Dabei bildet die Falte in der Ruhe
Kegel, deren Spitze cranialwärts
gerichtet ist. Verschiedenheiten,
die hierin bestehen, wurden von
Parker und Rückert als indivi-
duelle Varianten beurteilt, P.
Mayer erklärt sie für funktio-
nelle Zustände, soweit nicht
dagegen einfachere Verhältnisse.
Falten, ohne Ansatz zur
Bildung
Die Entwickelung des Darmrohrs mit der Spiralklappe bei
Pristiurus hat zuerst Rabl genau studiert. Die Spiralklappe tritt
bei Embryonen mit 52 Urwirbeln auf (Fig. 105 x). Bei solchen besteht
noch eine weite Kommunikation zwischen Darm und Dottersack, die
sich als Dotterstiel vom 5. bis zum 15. Rumpfsegment erstreckt. Die
Spiralklappe beginnt hier sich zu bilden als eine Einfaltung
und Zellwucherung der rechten M e s e n t e r i a 1 1 a m e 1 1 e ,
welche ihre Zellen dorsal vom Entodermrohr nach links hintreten
läßt, Diese Bildung beginnt weit caudal hinter der Pankreasanlage.
Bei Embryonen mit 63 Urwirbeln ist an dieser Stelle der späteren
Spiralfalte auch das Entoderm dicker, mehrschichtig, während es sonst
einschichtig ist, Aus dem von der ersten Mesenteriallamelle gebildeten
Zellstrang leitet Rabl das adenoide Gewebe der Spiralklappe ab und
vergleicht diese Bildung mit der Längsfalte im Petromyzondarm. Hier
erstreckt sich die Bildung von der rechten Seite des Darmes in der
Gegend der Pankreasanlage beginnend, nach hinten bis zur Cloake,
wobei sie von der rechten Seite des Darmes nach hinten allmählich
auf dessen Dorsalfläche tritt. Bei Embryonen mit 68 Urwirbeln ist
zum erstenmal das Entoderm durch die Wucherung des Mesoderms
eingebuchtet und bildet einen längsverlaufenden, ins Darmlumen vor-
Die Entwickelung des Darmsystems. 157
ragenden Wulst, der an der rechten Seite der Pankreasmündung be-
ginnt und nach der Cloake zu auf die Dorsalseite des Darmes weiter
verläuft. Dann beginnt (Embryonen mit 74 Urwirbeln) die weitere
Ausbildung eines spiraligen Verlaufes des genannten Wulstes. Derselbe
fängt rechts von der Pankreasmündung an, tritt dann dorsal, weiter-
hin an die linke Seite des hier noch offenen Darmes, bleibt noch eine
Strecke weit hinter der hinteren Darmpforte auf der linken Seite des
Darmes, tritt dann ventralwärts, um schließlich sich noch etwas nach
rechts und dorsalwärts emporzuschieben. In diesem S t a d i u m be-
schreibt also die Klappe eine ganze Spiraltour.
Wie rasch diese Bildung sich weiter entwickelt, ergiebt die That-
sache. daß bei Embryonen mit 83 — 87 Urwirbeln die Spiralfalte schon
21/2 Umgänge macht. Das Entodermrohr selbst wird dabei um seine
Längsachse gedreht. Sowohl das der Falte zu Grunde liegende Binde-
gewebe als das dieselbe überziehende Epithel zeigt nach Rabl Be-
sonderheiten: jenes zeigt ein derberes Verhalten als das sonst von
der Splanchnopleura gebildete lockere Bindegewebe, und das Epithel ist
im Bereich der Falte höher als anderwärts.
Nach den weiteren Angaben von Rückert läßt der Vorgang der
Bildung des Spiraldarms 2 Vorgänge unterscheiden : 1) eine
rinnenartige Einbiegung des noch gestreckt verlaufenden Darmrohrs,
wodurch die eine Wand als Längsfalte ins Lumen vorspringt. Diese
Bildung beruht auf Breitenwachstum des Epithelrohrs. 2) Davon zu
unterscheiden ist die Windung des entodermalen Epithelrohrs inner-
halb seines Peritonealschlauchs um seine Längsachse. Diese Windung
erfolgt in Spiraltouren in der Pachtung einer rechts gewundenen
Schraube. Von hinten nach vorn fortschreitend, bilden sich l1^
Windungen aus (Fig. 106). Die Mechanik dieses Prozesses
ist als Längenwachstum des entodermalen Epithel-
rohrs aufzufassen, bei fixiertem vorderen und hinteren
Ende und bei verschieblicher Einlagerung desselben
innerhalb des weiteren Peritonea Ischlauch es. Das
vordere Ende des Spiraldarms kann nicht nach vorn weiter in die
Länge wachsen, es wird sogar durch stärkeres Längenwachstum des
Vorderdarms zurückgedrängt. Das hintere Ende ist am After fixiert.
Rückert hat den Prozeß in gewissem Sinne mit dem Längenwachs-
tum des Dünndarms höherer Wirbeltiere verglichen. Bei letzterem
kommt es zur Schlingenbildung, da das Peritonealrohr sich mit dem
Entodermrohr dreht. Rückert hat auch experimentell dies bestätigt
gefunden : wenn man nämlich bei Pristiurus die Außenwand des ge-
streckten Darmrohrs, den Spiraltouren folgend, der Länge nach auf-
schneidet, so kann man den entodermalen Spiraldarm auf- und wieder
zudrehen, sich also leicht von der ontogenetischen Drehung über-
zeugen. Die Drehung bildet sich nicht gleichmäßig aus: während
die hinteren 7 Windungen sehr stark gedreht sind, zeigt die vorderste
halbe Windung nur eine schwache Drehung, so daß die Falte nach
vorn schließlich gerade ausläuft. Daß sich aber auch vorn der ganze
Darm um etwa 180° dreht, zeigt die stattfindende Verlagerung des
Leber-, Pankreas- und Dottergangs J).
1) Die ursprünglich dorsale Mündung des Ductus pancreaticus rückt allmählich
zuerst nach links, dann ganz ventralwärts herab; die des Dottergangs rückt von der
ursprünglich ventralen Lage um die rechte Cirkumferenz des Darmes auf die Dorsal-
fläche, die Mündung des Ductus choledochus endlich rückt ebenfalls von der ur-
158
F. Maurer,
Bei Carcharias, Zygaena u. a., deren Spiralfalte in ganzer Länge
gerade verläuft, hat sich der ganze Spiraldarm so entwickelt, wie bei
Pristiurus nur dessen vorderes, craniales Ende, nämlich durch spiralige
Einrollung.
Bei Torpedo schildert P. Mayer die embryonalen Spiraldarmfalten
Ansatz zur Bildung von Kegeln.
als quere Falten, ohne jeden
Ptaja, Scyllium, Mustelus und Pristiurus bildet die Spiralklappe
kanntlich späterhin Kegel mit cranialwärts gerichteter Spitze,
dieser Anordnung sieht Mayer den normalen Zustand, während
Bei
be-
lli
die
hierin bei Ptaja auftretenden Verschiedenheiten nicht individuelle
v-
Vx>
K
Fig. 106. Eutwickelimg des Spiraldarms von Pristiurus. Ventralansicht nach
Rückert. a Stad. K. n. Balfour. b Stad. L-M. n. Balfour. c Embryo 28 mm
lang. g. Gallenblase, v. Dottergang. c. Ductus choledoehus. p
Pankreasanlage.
sprünglich ventralen Lage um die rechte Seite dorsalwärts. Alle drei Gänge um-
greifen dann infolge der Drehung spiralig den Darmumfang.
Die Entwickelung des Darmsystems. 159
*■&
Varianten, sondern nach Mayer Artefakte oder funktionelle Zustände
des Darmes sein sollen. Torpedo besitzt auch später keinen gedrehten
Spiraldarm, was sich schon in embryonalen Zuständen ausprägt.
Als einen Rest der bei Selachiern so stark ausgebildeten Darm-
drehung in der Ontogenese faßt Rückert auch die bei Amphibien und
Säugetieren bestehende Drehung am Duodenum im Bereich der Leber-
und Pankreasmündung auf, und im gleichen Sinne beurteilt er die
Magendrehung der Säugetiere.
Während Rückert also die Bildung des gedrehten Spiraldarms
auffaßt als eine Achsendrehung des Darmrohrs, mit einer durch Epithel-
zellenverschiebung am Hinterende des Darmrohrs ausgeglichenen Gegen-
drehung, hat sich in letzter Zeit Appel gegen diese Auffassung ge-
wendet, Nach diesem handelt es sich nicht um Drehung und Gegen-
drehung des Darmrohrs, sondern die Spiralfalte entsteht wie alle Ober-
flächen Bildungen durch ungleiches Wachstum des Epithels,
nicht durch einfaches Längenwachstum, wie es Rückert annimmt. Auch
scheinen mir die histologischen Angaben von Rabl hier Beachtung zu
verdienen. Wenn an Stelle der der Spiralfalte zu Grunde liegenden
Peritonealwucherung das Entoderm auch eine besondere Ausbildung
zeigt, so spricht dies gegen eine Verschiebung des Entodermrohrs
gegen das äußere Peritonealrohr, denn bei einer solchen müßten doch
nach und nach immer andere Stellen des Entoderms mit der mesoder-
malen Leiste in Berührung kommen. Nach Rabl's Angaben muß es
aber immer die gleiche Stelle bleiben.
Bei Selachiern kommt es stets zur Ausbildung eines voluminösen
Magenabschnittes zwischen der letzten Kiemenspalte und der Mündung
des Ductus choledochus und pancreaticus. Der Magen legt sich in
eine Schlinge, an welcher man einen weiteren Cardialteil und einen
engeren Pvlorusteil unterscheiden kann, die U-förmig gegeneinander
gekrümmt sind. Im Magen kommt es zur Bildung von tubulösen
Drüsen. Die Spiralklappe entwickelt sich nur im Mitteldarm. An
dem kurzen Enddarm bildet sich eine Ausstülpung dorsalwärts, die
Rectumdrüse.
Die bindegewebigen Teile der Darmwand, sowie die Muscularis
entwickeln sich auch hier aus der Splanchnopleura.
Ganoiden. Bei Ganoiden mit holoblastischer Ontogenese ent-
wickelt sich das Darmrohr direkt aus dem Entoderm, nachdem das
gastrale Mesoderm und die Chorda sich abgeschnürt haben. Durch
den Reichtum an Dotterblättchen in den Zellen, besonders der ven-
tralen Wand, ist der Mitteldarm vom Kopfdarm getrennt. An der
Grenze ist die Bildungsstätte von Leber und Pankreas. Der Vorder-
darm läßt hinter dem Kiemendarm einen beträchtlich erweiterten
Magen entstehen. Der Nahrungsdotter findet sich hier nicht, wie bei
allen anderen Vertebraten in dem Mitteldarmabschnitt in reichlicher
Masse angehäuft, sondern im Endabschnitt des Vorderdarms, d. h. dem
späteren Magen, der dadurch schon beim jungen Embryo ein sehr
voluminöses Organ darstellt (Fig. 128). Caudal von ihm schließt
sich der Mitteldarm an. Die Mündung der Leber- und Pankreas-
anlage ins Darmrohr findet sich candal hinter dem mit Dotter er-
füllten Magenabschnitt (Balfour). Mittel- und Enddarm bilden ein
dünnes Rohr. Im Mitteldarm entwickelt sich eine Spiralklappe zum
Teil ebenso wie bei Selachiern, bei Lepidosteus beginnt ihre Rück-
160 F. Maurer,
bildung, insofern sie nur noch in der caudalen Hälfte des Mittel-
darms sich entwickelt. Im kurzen Enddarm fehlt die Klappe.
Drüsen in tubulöser Form treten im Magen auf.
Hinter dem Pylorus kommen fingerförmige Appendices pyloricae
zur Entwicklung.
Teleo stier. Bei den Knochenfischen entwickelt sich der Darm-
kanal in frühen Embryonalstadien gleichartig. Mit der Abhebung
des Embryo vom Dottersack geht die Darmrinne in ein Darmrohr
über. Bei Salmoniden findet nach Balfour sehr früh eine Ab-
schnürung des D arm d ottersacks vom Darm röhr statt. Die
Resorption des Dotters wird dann durch den Blutgefäßapparat des Darm-
dottersacks besorgt. Es besteht längere Zeit ein postanaler Darm,
der funktioniert. Man findet in embryonaler Zeit Dottermaterial nicht
nur im Lumen des Mitteldarms, sondern auch im postanalen Darm,
so daß hier also jedenfalls eine Verdauung stattfindet.
Auch hier tritt eine Sonderung in Vorder-, Mittel- und Enddarm
ein. Die Grenze des Vorderdarms ist durch Leber- und Pancreas-
anlage gekennzeichnet. Der Enddarm ist sehr kurz und geht ohne
scharfe Grenze aus dem Mitteldarm hervor. Der Schwanzdarm er-
fährt frühzeitig eine Rückbildung.
Der Magen bildet sich sehr verschieden aus. Er fehlt bei Cy-
prinoiden, Labriden, Gobiiden, Blenniiden, Syngnathus und Cobitis.
Bei diesen findet sich die Mündung des Leber- und Pancreasausführ-
ganges unmittelbar hinter dem Kiemendarm. Bei den übrigen ent-
wickelt sich ein Magen, der aus einem kurzen, hinter der letzten Kie-
menspalte beginnenden Oesophagus sich fortsetzt. Der Oesophagus
erhält erst sekundär ein Lumen, indem er zuerst einen kompak-
ten Z ells.tr an g darstellt, der aus der trichterförmig nach hinten sich
verjüngenden Kiemenhöhle sich fortsetzt. Nach dem Magen zu tritt
wieder ein Lumen auf. Bei vielen Teleostiern entwickeln sich die
Appendices pyloricae als fingerförmige Ausstülpungen des Mitteldarm-
anfangs. Ueber ihre Beziehung zum Pankreas siehe bei diesem. Der
Mitteldarm zeigt bei wenigen Formen noch Andeutungen einer Spiral-
klappe. Der Enddarm setzt sich als kurzes Rohr ohne scharfe Grenze
aus dem Mitteldarm fort. Ueber die Entwickelungsvorgänge am
Teleostierdarm sind wir unterrichtet durch Agassiz und Vogt, Bal-
four, Cattaneo, Edinger, de Meuron, Stricker, Kopsch.
Der Vorderdarm der Knochenfische giebt auch der Schwimm-
blase ihre Entstehung. Die erste Entwickelung dieses Organs findet
sich bei Embryonen von Salmo im Alter von 12 mm Länge, 41 Tage
nach dem Streichen. Die Speiseröhre ist in diesem Zustande ein solider
Zellstrang, die Fortsetzung der mit weitem Lumen versehenen Muncl-
und Kiemenhöhle. Hinter der Speiseröhre besitzt der Vorderdarm
ein Lumen, und hier unmittelbar hinter dem kompakten Oesophagus
entsteht die Anlage der Schwimmblase als hohles Divertikel, weiches
an der dorsalen Fläche des Darmes erscheint und sich dorsalwärts und
nach rechts ausdehnt. Es unterscheidet sich von anderen Darm-
divertikeln dadurch, daß es die gesamte Darmwand, also auch ihren
Celomüberzug mit ausstülpt. An diese Ausbuchtung setzt sich das
von den Nieren kommende dorsale Mesenterium fest, und in dieses
hinein findet die Weiterausbildung der Schwimmblase statt (Balfour
Corning).
Die Entwickelung des Darmsystems.
161
sv.ff.
Auch bei Dipnoern bildet sich eine Spiralfalte im Darmkanal
aus, wie wir durch Kerr von Lepidosiren wissen. Ich gebe in Fig.
107 eine Darstellung davon.
Amphibien. Bei Amphibien haben wir
die embryonale Entwickelung des Darmes und
die Umbildungen desselben bei der Metamorphose
zu unterscheiden. Hier spielen sich besonders
bei Anuren komplizierte Vorgänge ab.
Bei allen Amphibien sondert sich das pri-
mitive Darmrohr, schon bevor das Dottermaterial
resorbiert ist, in einen Vorder-, Mittel- und End-
darm (Fig. 135). An der Grenze zwischen den
beiden ersten Abschnitten bildet sich Pankreas
und Leber aus (Fig. 108b). Der Mitteldarm ent-
hält die dotterreichen Zellen des Entoderms. Die-
selben liegen in der ventralen Hälfte der Mittel-
darmanlage. Es stellt sich kein Gegensatz zwi-
schen Darm- und Dotterentoderm her, insofern
auch die dotterreiche Zellenmasse, nachdem die
Dotterblättchen resorbiert sind, zum Aufbau der
Dannwand verwendet wird. Die Gymnophionen
machen nach den Gebrüdern Sarasin eine Aus-
nahme.
Ein postanaler Darm ist ebenso wie ein Duc-
tus neurentericus bei allen darauf untersuchten
Formen nachgewiesen worden. Der Vorderdarm
sondert sich stets in Kiemenhöhle, Oesophagus
und Magen. Letzterer ist zuerst in sagittaler
Längsrichtung angeordnet, die er bei Urodelen
meist beibehält, während er bei Anuren eine
Krümmung unter stärkerer Ausbildung des Fun-
dus erfährt. An diese kann sich weiterhin eine
Drehung anschließen, die eine Querstellung her-
vorbringt (Bufo).
Fig. 107. Lepidosiren, 30 Tage nach dem Ausschlüpfen.
Ventralansicht nach Kerr. svg. Öpiralfalte des Mitteldarms.
Fig. 10S. Entwickelung des Darm-
kanals vom Frosch nach Hammar.
a seitliche Ansicht, Embryo 7 mm
Länge, b 8,5 mm Länge von hinten.
k Kopfdarm. I Lunge, h Leber.
g Gallenblase. de Ductus chelo-
dochus. p Pancreas dorsale. m
Mitteldarm, r Rectum.
Die Achsendrehung, welche
imDuodenum sich findet, wTurde
schon von Götte beschrieben
(Fig. 108b). Göppert hat
bei der Untersuchung der
Pankreasentwickelung eben-
falls darauf hingewiesen und
Handbuch der Entwiekelungslehre. II. 1.
nv
11
162
F. Maurer,
Rückert hat diese Drehung mit der Darmdrehung bei Selachiern
unter Ausbildung des Spiraldarms verglichen resp. darauf hingewiesen,
daß hier möglicherweise ein Rest dieser Drehungserscheinung bestehe.
Es findet damit zugleich eine Verlagerung der Leber- und Pan-
kreasausführgänge statt, die bei diesen Drüsen zu besprechen ist.
Außer der Gastroduodenalschlinge bildet sich bei Anuren aber auch
frühzeitig, bei Larven von 8,5 mm bereits erkennbar, eine Mitteldarm-
schlinge aus, in einem Stadium, wo dieser noch mit dotterkörnchen-
reichen Entodermzellen dicht erfüllt ist und infolgedessen ein weites
Lumen zeigt (Fig. 108). Diese beiden Figuren zeigen das Längen-
wachstum und die Achsendrehungen des Darms einer jungen Frosch-
larve. In der Folge findet unter Aufsaugung des Dottermaterials ein
beträchtliches Längenwachstum des Mitteldarms statt, das genau von
Götte geschildert wurde (Fig. 109 und 110a). Es führt zur spira-
ligen Aufrollung des ganzen Mitteldarms, der sich dann in einen kurzen
voluminösen Enddarm fortsetzt. Die Grenze gegen letzteren ist scharf
abgesetzt. Zur Zeit der Metamorphose findet eine Rückbildung
des langen Mitteldarmrohrs statt, womit der bleibende Zustand er-
reicht ist (Fig. 110 u. 111).
Bei Urodelen unterscheidet sich die Entwickelung des Darmrohrs
von derjenigen bei Anuren durch das geringere Längenwachstum des
Mitteldarms. Die Drehung der Gastroduodenalschlinge findet nicht
in dem Maße statt wie bei Anuren.
Die Sonderung des Enddarm und seine scharfe Absetzung gegen
den Mitteldarm vollzieht sich wie bei Anuren.
Die Vorgänge der Aus- und Rückbildung des Anurenlarvendarms
sind in jüngster Zeit von Ratner und Reuter geschildert worden.
Fig. 109. Bombinator igneus, junge Larve. Entwickelung der Dannspirale
(nach Götte). vd Vorderdarm, md Mitteldarm. bd linke Pancreasanlage. I Leber.
g Gallenblase, k Oeffnung der Kiemenhöhlen.
Nach Ratner beruht das mächtige Längenwachstum des Mittel-
darms zur Dünndarmspirale auf starkem Wachstum des Epithelrohrs.
Bindegewebe und Darmmuskulatur bleiben zurück und erscheinen so
auseinandergedrängt, daß man auf dem Querschnitt des Darms kaum
.etwas davon sieht. Jedenfalls bildet die Muscularis keine geschlossene
Die Entwickeluug des Darrnsystems.
163
Schicht. Bei ganz jungen Larven mit kaum sichtbaren Stummeln der
hinteren Extremitäten ist die Pylorusgrenze des Magens durch die
hier beginnenden Drüsenbikhmgen der Schleimhaut erkennbar. Dieser
s
^:
-s
Fig. 110. Rückbildung der Darmspirale
von Alytes obstetricans (nach Reuter)
während der Metamorphose. m Magen.
5 Mitteldarm, e Enddarm.
Abschnitt des Magens erscheint da-
durch verdickt. Von diesem Stadium
an wächst die Darmspirale aus. Bei
Larven, deren Hinterbeine 8 mm
er erst eine
Die größte
Larven mit
lang
hat
sind,
von 63 mm.
erreicht er bei
Länge
Länge
ca.
10
Er
ist dann 80 mm lang (Fig. 110a).
Auf der Höhe seiner Ausbildung
stellt der Mitteldarm eine Doppel-
spirale dar, die in 21/2 — 3 Win-
dungen vom Pylorus aus von rechts
nach links sich windet. Diese
Windungen liegen nicht
bis 12 mm langen Hinterbeinen
lang
in einer
Ebene, sondern steigen ventralwärts
11*
164 F. Maurer,
auf. Von da an verlaufen ebensoviele Windungen in umgekehrter
Richtung zwischen den ersteren und gehen in den Enddarm über.
Von da an beginnt seine Reduktion an Länge und Weite. Unmittel-
bar vor dem Durchbruch der vorderen Extremitäten zeigt er zuerst
eine Länge von 45 mm, dann schließlich nur noch 2b mm. Mit der
Verkürzung geht eine Aufrollung der Spirale einher und eine Bildung
von Schlingen. In einem Stadium findet man den einen Teil des
Darms noch spiralig, den anderen schon in Schlingenform. Nach
Ratner erfolgt die Reduktion von beiden Enden her und schreitet
nach der Mitte zu fort. Sie ist durch Zusammenschiebung der Mus-
kelelemente bedingt. Nach Reuter ist sie die Folge einer peri-
staltischen Kontraktion, die von oben nach unten fortschreitet. Der
Darm bildet dann keine Spirale mehr, sondern nur einige Schlingen,
die in der linken Hälfte der Bauchhöhle liegen. Nunmehr nimmt die
Leber den größten Raum der Bauchhöhle ein. Auch der Magen
erfährt eine wesentliche Volumsabnahme (Fig. 110). Bei Larven mit
(! mm langen Hinterbeinen ist der Magen 11 mm lang. Wenn die
Hinterbeine eine Länge von 18 mm erreicht haben, zeigt der Magen
nur noch eine Länge von 6 mm (Fig. 111).
Während bei den holoblastisch sich entwickelnden Amphibien der
dotterreiche Abschnitt des Entoderms ebenfalls schließlich an der Bildung
der Darmwand teilnimmt, verhält sich die Ausbildung der Darm-
wandung bei Gymnophionen nach Sarasin anders.
Ichthyophis entwickelt sich nach dem Typus meroblastischer Eier
und besitzt in einem frühen Stadium einen großen Dottersack, dem
die Keimscheibe aufgelagert ist. Dabei besteht ein Kopfdarm, eine
Darmrinne und ein Enddarm. Mit der Darmrinne ist der große ento-
dermale Dottersack in Verbindung.
Derselbe wird nicht vom Entoderm der Darmrinne umwachsen,
sondern bleibt stets scharf von ihm getrennt. Er steht nicht durch
einen engen Dottergang mit ihm in Verbindung, sondern durch einen
langgestreckten spaltförmigen Darmnabel. Der Dottersack macht dann
komplizierte Umbildungen durch, indem er von der Kugelform in eine
langgestreckte, mehrfach gewundene Schlauchform übergeht. In diesem
Zustand wird er von der seitlichen Bauchwand umwachsen und ganz
in die Bauchhöhle aufgenommen. Das ist bei 7 cm langen Embryonen
erfolgt und zu dieser Zeit beginnt auch die Reduktion der äußeren
Kiemen. In der Bauchhöhle findet später die Resorption des Dotters
statt.
Während nach Funk, Carus und Rusconi bei Salamandra maculata
der Dottersack so aufgebraucht wird, daß seine Wandung direkt in
die Darmwand aufgenommen wird und demnach wie bei anderen Am-
phibien an ihrem Aufbau teilnimmt, gab Sarasin bei Ichthyophis
an, daß der Dottersack sich vom Darmepithel ablöse wie bei Sauro-
psiden und sein Inhalt nicht vom Darm aus, sondern durch die Zellen
des Dottersacks selbst und die Blutgefäße desselben resorbiert werde.
Dabei legt sich das Entoderm des schrumpfenden Dottersacks in Falten
und Krausen, wie es durch H. Virchow und Strahl auch für Sauro-
psiden geschildert wurde. Die frisch ausgeschlüpfte Larve zeigt den
Dottersack ganz aufgezehrt und besitzt einen gestreckten Darmkanal.
Im Enddarmabschnitt kommt auch bei Ichthyophis vorübergehende
Obliteration des Lumens durch Wucherungen der Epithelzellen zu-
stande. Indem dann zwischen den Zellen Lücken auftreten und diese
Die Entwickelung des Darmsysterns.
165
unter allgemeinem Wachstum des Darmrohrs an Größe und Zahl zu-
nehmen, stellt sich ein einheitliches bleibendes Lumen wieder her, das
bei Embryonen, deren Dottersack von der Bauchwand ganz umwachsen
ist, gefunden wird. Seitliche Falten am End-
darm wurden von Sarasin als Andeutungen
einer Spiralfaltenbildung gedeutet; ob mit Recht,
bleibe dahingestellt.
Reptilien. Bei dieser niedersten Am-
niotengruppe bildet sich das Darmrohr aus
dem flächenhaft ausgebreiteten Entoderm mit
der Splanclmopleura in dem Maße, wie der
Embryo sich vom Dottersack abhebt. Zuerst
entsteht demnach die Kopfdarmhöhle, die
durch die vordere Darmpforte sich in die
Darmrinne fortsetzt. Letztere geht, nachdem
auch der Schwanzteil des Embryo sich aus
dem Dottersack erhoben hat, durch die hintere
Darmpforte in den Enddarm über. Bei Embry-
onen von Eidechsen (Phrynocephalus) mit 17
bis 19 Somiten ist der Enddarm ein ge-
schlossenes Rohr bis zum 15. Somit. An
dieser Stelle liegt also die hintere Darmpforte.
Weiter nach hinten nimmt er den Urachus auf
und von da an beginnt die weiter caudal-
wärts sich erstreckende Kloake. Am Enddarm
ist auch ein postanaler Abschnitt zu unter-
scheiden, der im Canalis neurentericus mit dem
Centralkanal des Medullarrohrs kommuniziert.
Unter weiterem Abschluß der Darmrinne zum
Darmrohr entwickelt sich ein dünner Dotter-
gang, welcher im Bereiche des Mitteldarms
vom Darmrohr ausgeht und in den Dottersack
sich öffnet. Nun kommt es zur Ausbildung der
Magenerweiterung. Es schließt sich nach der
Bildung der Leber- und Pankreasanlage die
Linksdrehung des Magens an. Vorher hatte
sich die Gastroduodenalschlinge gebildet, deren
Konkavität zuerst ventralwärts, dann nach
rechts gerichtet ist. Es folgt dann das Längen-
a
-
— e
Fig. 111. Darmkanal von Alytes obstetricans (nach
Reuter), a Larve auf der Höhe ihrer Ausbildung,
b nach Abschluß der Metamorphose, o Oesophagus.
m Magen. d Duodenum. p Duct. Pancreaticus, s
Mitteldarm, r Enddarm.
Wachstum des Mitteldarms in verschiedenem Maße. Die Grenze zwischen
Mittel- und Enddarm ist schon frühzeitig deutlich markiert, indem der
Enddarm mit einer plötzlichen Erweiterung beginnt. Der Enddarm zeigt
kein stärkeres Längenwachstum. Vom postanalen Darm ist bekannt,
daß er von vorn nach hinten auswächst. Der Canalis neurentericus
schließt sich bei Embryonen mit 17—19 Somiten. Der Schwanzdarm
obliteriert an seinem vorderen Ende zuerst, so daß er dicht hinter
166 F. Maurer,
dem After schon einen soliden Strang darstellt, während er weiter
hinten im Schwanzabschnitt des Embryo noch ein Lumen besitzt.
Auch hier bildet sich der Oesophagus in der Weise aus, daß er
vorübergehend obliteriert und erst tertiär sein bleibendes Lumen er-
hält. Die Gastro-Duodenalschlinge bildet sich ebenfalls aus und führt
eine Drehung aus mit der Konkavität nach rechts. Dies wird in ge-
ringerem Maße bei Eidechsen, kaum bei Schlangen, am stärksten bei
Schildkröten ausgeführt, wo noch eine Querstellung des Magens sich
ausbildet. Der Dünndarm wächst ebenfalls in die Länge, so daß
Schlingenbildung zustande kommt, während der Enddarm kurz bleibt.
Bei Vögeln spielt sich die erste Ausbildung des Darmkanals
ähnlich wie bei Reptilien ab. Wir kennen diese Vorgänge vom Hühnchen,
der Ente, dem Vogelstrauß, Wellensittich. Die zeitliche Folge ergiebt
sich im wesentlichen gleichartig. Beim Hühnchen sind die Vor-
gänge am genausten bekannt. Unter Abhebung des Kopfteils des
Embryo vom Dotter entsteht in der 2. Hälfte des 2. Bebrütungstages
zuerst die vordere Darmbucht, Kopfdarmhöhle. Die hintere Darmbucht
erscheint erst in der 2. Hälfte des 3. Tages, nachdem vorher schon die
Anlage der Leber sich bildete. Der Vorderdarm läßt schon am An-
fang des 3. Tages die spindelförmige Erweiterung des Magens er-
kennen. Am Ende des 3. Tages tritt der Schwanzdarm schon mit
der Kloake in Verbindung. Er erleidet sehr rasch eine Rückbildung,
so daß er in der Mitte des 4. Tages meist ganz geschwunden ist.
Die Darmrinne verengert sich mehr und mehr, so daß am 7. Tage
das geschlossene Darmrohr meist nur durch einen engen Dottergang
mit dem Dottersack zusammenhängt. Die Abgrenzung des Vorderdarms
gegen den Mitteldarm ist schon am Anfang des 3. Tages durch die
Leberanlage gekennzeichnet, während die Grenze des Mitteldarms gegen
den Enddarm mit der ersten Anlage der Blinddarmausbuchtungen am
Ende des 4. Tages hervortritt. Am Anfange des 6. Tages tritt die
Bursa Fabricii auf als Ausbuchtung des Proctodaeum.
Von frühen Sonderungen des Vorderdarms sind hier anzuführen
die Linkslagerung des Magens, die am Anfang des 4. Tages schon
besteht. Doch treten die ersten Anlagen der Magendrüsen als Epithel-
sprossen erst in der Mitte des 6. Tages auf. Die Speiseröhre erleidet
einen vorübergehenden Verschluß etwa im Verlauf des 6. Tages. Am
Ende dieses Tages wird er schon wieder durchgängig und es tritt die
Anlage des Kropfes als Erweiterung über dem Magen auf. Beim
Hühnchen bildet sie sich als Ausbuchtung nach der rechten Seite.
Swenander hat in letzter Zeit 4 Arten von Kröpfen nach ihrer Genese
unterschieden, die er noch nicht genauer charakterisiert hat: demnach
sind verschieden die Kropfbildung bei 1) Columbae, 2) Raptatores,
3) Rasores, 4) Fringillidae, Sumpf- und Schwimmvögeln. Beim Vogel-
darm bildet sich eine primitive Darmschlinge ähnlich wie bei Säuge-
tieren. Sie besteht am 5. Bebrütungstage. Das Duodenum zeigt dann
ein starkes Längenwachstum bei allen Vögeln und die Mündungen
von Leber und Pankreas finden sich an verschiedenen Punkten des-
selben, bald am Anfang, bald am Ende (Gadow). Infolge des Kurz-
bleibens des Enddarms findet das Auswachsen der ersten Schlinge
anders als bei Säugetieren statt. Am 7. Tage besteht außer der
Duodenalschlinge eine weitere Schlinge, die in der Nabelausbuchtung
des Peritonealsacks liegt. Der aus ihr austretende Bogen verläuft
direkt zur Kloake. In letzterem Abschnitt ist die Anlage des Endes vom
Die Entwickelung des Darmsystems.
167
Mitteldarm und der
ganze Enddarm
enthalten. Am 9.
Tage
ist der
Dünndarm mächtig in die Länge gewachsen zu zahlreichen Schlingen, die
zum Teil durch den Nabel hervortreten. Um dieselbe Zeit ist auch die
Sonderung des Magens in den Vormagen und Muskelmagen eingetreten,
die bei Raubvögeln nicht so scharf hervortritt als bei Körnerfressenden.
Die Längenausbildung des Darms tritt hier ähnlich wie bei Säugetieren
derselbe
zuerst am Dünndarm auf;
Schlingen, die durch das
Anordnung zeigen. Das Duodenum
legt
sich in charakteristische
weite Herabtreten des Magens eine besondere
Magen herab
geht rechts vom
zum Nabel, wo es scharf umbiegend zur Unterfläche der Leber zieht.
Von hier tritt der Dünndarm wieder von der rechten Seite her zum
Nabel, bildet außerhalb desselben einige Windungen, von denen eine
den Dottergang aufnimmt und geht dann, in die Bauchhöhle des Em-
bryo zurücktretend, auf der linken Seite in den sehr erweiterten kurzen
Enddarm über, der längs des Kreuzbeines zur Kloake tritt. Auch die
Blinddarmanhänge liegen zum Teil außerhalb des Nabels. Die Dünn-
darmschlingen, die sich beträchtlich vermehren unter fortschreitendem
Längenwachstum, treten vom 1(3. Tage an wieder in die Bauchhöhle
zurück. Am 20. Tage folgt ihm auch der Dottersack (K. E. von Baer,
(jADOW, His, A. Virchow). Auch die mannigfaltige spätere An-
ordnung des Darmkanals bei Vögeln einzugehen ist hier nicht der
Ort. Ich verweise hierüber besonders auf die Arbeiten von Gadow\
d
Fig. 112. Menschlicher Embryo mit 14 Urwirbeln, Sagittalschnitt. Nach Koll-
manx. Erste Anlage des Darmes, k Kopfdarm, m Mitteldarm, e Enddarm, d
Dottersack,
wirbel.
b Banchstiel.
Allantois.
Mundbucht, ce Gehirn.
Herz.
Ur-
Säugetiere. Bei Säugetieren und dem Menschen legt
sich das Darmrohr ebenso an wie bei Sauropsiden, nur daß der Dotter
durch die mit seröser Flüssigkeit erfüllte Keimblase ersetzt ist. Die
frühen Stadien, wie sie von Bischoff, Kölliker, His, Fol, Toldt
gefunden wurden, sind in neuer Zeit vielfach bestätigt und ergänzt
worden (Bonnet, Stoss, Martin, Keibel). Ein frühes Stadium vom
Menschen (Fig. 112) stellt einen Befund dar, der im wesentlichen bei
allen Säugetieren zuerst besteht: Kopf darmhöhle, vordere
Darm pf orte, Darmrinne, hintere Darmpforte und End-
d a r m , in den p o s t a n a 1 e n Darm fortgesetzt, sind zu
1(38 F. Maurer,
unterscheiden. Ich führe noch die Angaben von Keibel beim
Schwein an, wonach hier der Enddarm der Bildung der Kopfdarm-
bucht beträchtlich vorauseilt. Letztere tritt am Anfang der 3. Woche
zuerst auf. In der Mitte der 2. Woche tritt der Schwanzdarm auf,
der am Anfang der 4. Woche schwindet. Unter weiterer Ab-
schnürung des Darmrohrs vom Dottersack näheren sich vordere und
hintere Darmpforte (Fig. 113a). Schon vorher kommt es zur Anlage
der Leber und des Pankreas. Nachdem ein dünner Dottersackstiel
gebildet ist, oder während dieser sich bildet, entsteht am Ende des
Vorderdarmabschnittes die spindelförmige Auftreibung des Magens
(Fig. 114). Dann wächst das Darmrohr zur primitiven Darmschlinge
aus (His, Toldt). An dieser Schlinge ist ein absteigender, ventral
gelegener und ein vom Scheitel der Schlinge umbiegend dorsal ge-
legener aufsteigender Schenkel zu unterscheiden. Am Beginn des
aufsteigenden Schenkels entwickelt sich nahe dem Scheitel der Schlinge
früh eine kleine Erweiterung, die Anlage des Coecum.
Dadurch wird der Anfang des Enddarms fixiert. Der aufsteigende
Schenkel der Schlinge geht dann, zur hinteren Bauchwand gelangt, in
das hier kurze absteigende Rectum über (Fig. 113b und 115). Die
Konvexität dieser ersten Darmschlinge erstreckt sich in den Nabel-
strang hinein. Beim 4 Wochen alten Embryo des Menschen besteht
dieser Zustand und auch bei allen Säugetieren findet er sich im wesent-
lichen in gleicher Weise. Auch bei Formen, deren Magen bald weitere
Komplikationen entwickelt, ist er zuerst in dem einfachen Verhalten
zu finden. So wird dies auch z. B. von Wiederkäuern von 4 Wochen
angegeben (Grohe, Martin, Stoss). Bei solchen (Rind, Schaf, Ziege)
ist das Epithel im ganzen Magen, der schon zum Teil Einschnürungen
zeigt, völlig gleichartig (Länge der Embryonen 1,5—2 cm).
S o n d e r u n g e n des Vorderda r m s. Der an den Schlund sich
anschließende Oesophagus zeigt ein Längenwachstum in der 4. und 5.
Woche, in dem Maße, als das Herz eine Rückwärtsverlagerung in
die Brusthöhle erfährt und die Lungen sich stärker ausbilden. In
seiner Wandung tritt, wie es scheint, keine vorübergehende 0 b -
literation, wie bei niederen Wirbeltieren, ein. In der genannten
Zeit bildet sich auch die Gastroduodenalschlinge aus, und der Magen
dreht sich nach rechts, so daß seine ursprünglich linke
Fläche nach vorn, seine rechte Fläche nach hinten zu
liegen kommt. Indem sich zugleich damit die Cardia senkt,
giebt der Magen seine sagittale Anordnung auf, kommt zuerst in
Schräg- dann in Qu erstell ung. Beim Schwein tritt nach Kei-
bel die erste Drehung des spindelförmigen Magens am Ende der
3. Woche ein. Am Anfang der 4. Woche erweitert sich der Magen
beträchtlich. Bei Wiederkäuern bildet sich beim schräg gelagerten
Magen eine Einschnürung an der ventralen Wand. In letzter Zeit
sind diese Vorgänge in der Ausbildung des Magens bei Wiederkäuern
durch Krazowski, Stoss, Martin bekannt geworden.
Stoss hat ganz junge Stadien beim Schaf genau untersucht und
findet beim Embryo von 4,5 mm Länge das Darmepithel noch mit der
Chorda in Zusammenhang. Die Darmrinne ist 1 mm lang, und ihre
Seitenwände sind in die Nabelblase fortgesetzt. Die Enddarmbucht
ist sehr lang, erweitert sich an ihrem Ende in die Allantois. Mesen-
■»'
terien bestehen außer dem ventralen Vorderdarmgekröse noch nicht
&'
Beim Embryo von 5,5 mm Länge ist die Darmrinne weiter zum Rohi
Die Entwickelung des Darmsystems.
169
geschlossen. Letzteres zeigt sich im Querschnitt seitlich komprimiert
(säbelscheidenartig). Es besteht ein kurzes dorsales und ventrales
Schlundgekröse. Das Darmrohr
steigt
hinter der Leberanlage zum
Nabel herab, wendet sich von diesem wieder dorsalwärts. Eine Nabel-
schleife und Nabelbruch sind noch nicht vorhanden. Diese erscheinen
erst am Ende der 3. Woche bei (3 mm langen Embryonen. Hier er-
scheint auch zuerst die Anlage des Magens als spindelförmige Erweite-
rung des Vorderdarmrohrs. Nun bildet sich auch die Nabelschleife,
so daß beim Embryo von (33/4 mm schon ein vom Schlundrohr ab-
gesetzter Magen, Dünn- und Dickdarm zu erkennen sind (Fig. 113b u.
115). Nun erfolgt eine Drehung des Magens, der bei 9 mm langen
-d
Fig. 118. Darmkanal menschlicher Embryonen (nach His). s 1. Schlundspalte.
I Lunge, v Vorderdarm, h Leber, d Dottersack, e Enddarm, a Allantois. c Herz.
o Oesophagus, m Magen, pc Pankreas, ch Ductus choledochus. i Darmschlinge.
c Coecum. p Proctodaeum.
Embryonen gegen die Horizontalebene einen Winkel von 45° bildet,
wobei er mit seinem oberen Rande nach links gedreht ist.
Die weitere Ausbildung des Magens wird von Krazowski, Grohe
Martin im wesentlichen übereinstimmend geschildert. An der ven-
tralen Wand des schräg gestellten Magens entsteht eine Einschnürung,
welche Ruinen und Reticulum von Omasus und Abomasus trennen
(Fig. 117a). Links von der Schlundmündung bildet sich ein starker
Blindsack, das stark nach vorn sich erweiternde
Außerdem bildet sich an diesem als
Ausbuchtung
Rumen
die
(Pansen).
des
Anlage
170
F. Maurer,
Reticulum (Haube). Der distale Teil stellt die Anlage von Omasus
(Buch) und Abomasus (Labmagen) dar. Die Magenachse beschreibt, ab-
gesehen vom Ruinen, eine Schlangenlinie : auf den cranial sich bildenden
Pansen folgt nach links die Haube, dann nach rechts gewendet das
Buch und auf dieses, nach links gewendet, der Labmagen, der nach
rechts sich ins Duodenum fortsetzt. Der Pansen liegt dabei dorsal,
der Labmagen ventral (Fig. 117b). Das Duodenum geht nach rechts
in scharfem Bogen zur Wirbelsäule, und von da zieht der Dünndarm
zum Nabel herab. Der Pansen dreht sich noch selbständig, indem
seine rechte Wand dorsalwärts rückt und diese rechte Bucht eine
geringe Erweiterung erfährt, während die linke mächtig weit wird.
So findet es sich nach Martin bei einem Embryo von 42 Tagen.
Später wird das letztgenannte Verhältnis umgekehrt. Beim 56 Tage
alten Embryo hat sich das Zwerchfell entwickelt und bildet ein Hinder-
nis für die craniale Ausdehnung des Pansen. Dieser schlägt sich
caudalwärts um. In der Folge überholt die ursprünglich rechte Hälfte
die linke an Größe und wird zum Hauptpansen , während die linke
den Nebenpansen bildet. Auch die übrigen Magenabschnitte ändern
ihre Lage: die Haube rückt nach links, das Buch nach rechts, der
Labmagen nach links, sein hinterer Teil geht nach rechts ins Duodenum
über. Für diese Lageänderungen führt Martin folgende Gründe an:
1) Längenwachstum des Magens
überhaupt, 2) feste Lage des
Schlundes und Kürze des Meso-
duodenum, 3) Kurzbleiben des
ventralen Magengekröses, 4) starke
Ausbildung des WoLFF'schen
Körpers.
Ueber die inneren Kom-
munikationen der Kavitäten des
Magens wissen wir durch Grohe,
daß der ersten Einschnürung,
welche Pansen und Haube von
Buch und
Labmagen
abgrenzt,
Fig. 114. Sagittalschnitt eines menschl.
Embryo von 5,6 mm Länge, nach Fol. t
Schilddrüse. I Lunge, o Oesophagus. /
Leber, eh Duct. choledochus. p Pankreas
dorsale. </ Dottergang.
gegenüber die Schlundrinne sich
bildet: sie erstreckt sich über
den Vorder- in den Hintermagen.
Die Einschnürung wird stärker,
und die Vorderwand des Magens
erreicht an der eingestülpten
Stelle die Lippen der Schlund-
rinne und verwächst mit ihnen.
Dann erhebt sich die untere
Wand der Labmagen-Psalterein-
schnürung, flacht sich ab und
bildet unter Anlegen an die
Schlundlippen die Psalterbrücke.
Die Differenzierung der Schleim-
Bei
haut erfolgt bei Embryonen von
3 cm Länge.
[ cm langen Embryonen ist das Epithel in den beiden ersten
Magenabschnitten mehrfach geschichtet. Die erste Entwicklung der
Labdrüsen ist bei Embryonen von
8 cm Länge nachweisbar.
Die
Die Entwickelung des Darinsysteins. 171
Blätterbildung im Blättermagen erfolgt in bestimmter Regelmäßigkeit.
Zuerst sprossen die Hauptblätter hervor, und erst wenn sie völlig aus-
gebildet sind, folgen die mittleren und nach deren völliger Entwickelung
folgen die kleinsten Blätter nach. Ihre Bildung beginnt stets an der
großen Kurvatur und greift von da auf die Seitenwand des Omasus
über. Krazowski macht darauf aufmerksam , daß die Blätter im
Omasus in ihrer Ontogenese Stadien durchlaufen, welche bei weniger
entwickelten Wiederkäuern bleibende Zustände sind.
Die ersten Papillen im Pansen treten bei Rindsembryonen von
12 cm Länge auf, und der Verhornungsprozeß stimmt histologisch völ-
lig mit demjenigen der Epidermis überein (Grohe).
Ueber die weitere Entwickelung, die Vorgänge der Drehung des
Magenabschnittes verweise ich auf die Angaben, die Stoss über das
Schaf macht. Das Duodenum führt eine Linksdrehung um seine
Längsachse aus. Das ist für die Vereinigung der ventralen mit der
dorsalen Pankreasanlage von Bedeutung.
Die Gründe, welche Martin für die Drehungen des Magens heran-
zieht, habe ich oben schon angeführt. Stoss sieht in diesen Drehungen
Wachstumsvorgänge des Epithelrohrs und schließt sich damit der
Meinung von Rückert an, der diese Vorgänge mit der Spiraldarm-
bildung der Selachier in gewissem Sinne vergleicht. Erst später tritt
unter Verlängerung des Mesogastrium dorsale eine Drehung des ganzen
Magens ein. Es wären bei diesem Vorgange also zwei wesentlich
verschiedene Stadien zu unterscheiden, die auch phylogenetisch ganz
verschieden begründet sind. Der erste gleichsam die Drehung ein-
leitende Prozeß ist als Längenwachstum des epithelialen Magenrohrs
phylogenetisch ein altererbter Vorgang, dessen Grund im Darmrohr
selbst liegt. Der zweite Vorgang dagegen ist durch Einflüsse der um-
gebenden Organe veranlaßt, speciell des Herzens, der großen Venen-
stämme und der Leber. Bei Säugetieren kommt die specielle Aus-
bildung der Thoraxhöhle mit ihrem Abschluß durch das muskulöse Zwerch-
fell hinzu. Diese Vorgänge, wie die Rückverlagerung des Herzens voll-
ziehen sich bei den einzelnen Wirbeltiergruppen graduell verschieden,
und demgemäß bildet sich auch die Drehung des Magens in ver-
schiedenem Grade aus.
Dünndarm. Die Entwickelung des Dünndarms schließt sich
an den Zustand der primitiven Darmschlinge an, wie er bei 4 Wochen
alten Embryonen von Säugetieren und Menschen besteht. Zu-
nächst führt die Schlinge eine halbe Achsendrehung aus, wobei der auf-
steigende dorsale Schenkel vor den ursprünglich ventralen absteigenden
Schenkel zu liegen kommt. Aus letzterem Schenkel, der die direkte Fort-
setzung des der hinteren Bauchwand genäherten Duodenum bildet, gehen
unter starkem Längenwachstum, das nach der linken Seite zu erfolgt, die
Dünndarmschlingen hervor. Schon beim 5- wöchentlichen Embryo be-
ginnt die Ausbildung der Jejunum- und Ileumschlingen, die in der 8.
Woche schon stark entfaltet sind. Das Jejunum zeigt 2 Gruppen von
Schlingen im linken Hypochondrium.
Jede beschreibt einen Kreis und berührt die vordere Bauchwand.
Dann tritt der Darm durch die Regio umbilicalis auf die rechte Seite ;
hierauf wendet er sich über die Medianlinie zurück und bildet einige
Schlingen in der linken Fossa iliaca, und schließlich füllt er das Becken
und die unteren Räume der Bauchhöhle aus (Mall). Müller schildert
in Anschluß an die Angaben von Henke gleichfalls die Entwickelung
172
F. Maurer,
des Dünndarms beim Menschen und findet die von
schilderten beiden Gruppen von Schlingen beim Foetus
an. In der ersten Fötalzeit finden sich die
linken Gruppe in queren Zügen, sich von oben
ge-
Schlingen
nach
letzterem
vom 3. Monat
der oberen
unten windend.
m
In der
ßenden
Gruppe
düngen
rechts.
Fig. 115. Darmkanal eines Schafembryo von
14,5 mm Länge. Nach. Stoss. r Rectum, v
Dottergang. Andere Bezeichnungen s. Fig. 113.
sich daran schlie-
rechten unteren
ziehen die Win-
von links nach
Diese Anordnung
der Schlingen ist nicht, wie
Henke meint, durch eine
Enge veranlaßt, weil sie
beim Foetus , wo niemals
eine Enge besteht, viel
klarer als später hervortritt.
Die Ursache ist durch die
Gestalt des Raumes der
Bauchhöhle dargestellt und
durch die Gesetzmäßigkeit,
mit welcher der Darm diesen
Raum durchläuft. Der betr.
Raum ist winkelförmig ge-
bogen, läuft von hinten-oben
nach unten-vorn und biegt
dann nach rechts um. In
beiden Abteilungen liegen
die Darmzüge gegen die
Längsrichtung vertikal.
Die Ausbildung der pri-
mitiven Darmschleife hat
Martin bei Wieder-
käuern genau geschildert
(Fig. 116). Die einfache
der aufsteigende Schenkel, die
Schleife macht eine halbe Achsendrehung: v
Anlage des Dickdarms kommt vor den absteigenden (Dünndarm-)Schenkel
liegen
zu liegen und kreuzt dabei das Duodenum. Zuerst zeigt nun der
Dünndarm ein stärkeres Längenwachstum, wobei das Mesenterium im
Wachstum zurückbleibt. So bildet der Dünndarm allmählich eine
große Zahl von Schlingen aus (Fig. 116). Beim 8 Wochen alten Embryo
des Rindes bestehen 20 Schlingen.
Für die Ausbildung des Enddarms bildet ebenfalls die erste pri-
mitive Darmschlinge des 4 Wochen alten Säugetierembryos den Aus-
gangspunkt. Bei der ersten halben Achsendrehung der Schlinge ge-
langt der Dickdarm, welcher aus dem aufsteigenden Schenkel der-
selben hervorgeht, ventral an den Dünndarmschenkel. Während der
Dünndarm zu den zahlreichen Schlingen auswächst, bleibt der End-
darm kurz. Doch wird sein Anfang, der durch die Coecumausbuchtung
kenntlich ist, in die Höhe gegen die
drängt
große
Kurvatur des
Magens
■i'e-
Erst am Ende des 3. und während des 4. Monats des Embryo-
nallebens tritt beim Menschen ein Längenwachstum des Enddarms
ein, wodurch sein Anfangsteil, das Coecum, in sehr hoher Lage von
der großen Kurvatur des Magens und weiter nach rechts herunter zur
unteren Fläche des rechten Leberlappens gelangt. Dann tritt erst
Die Entwickelung des Darmsystems.
173
von der Flexura coli clextra aus ein rückläufiges Längen Wachstum
ein, wodurch das Colon ascendens entsteht und das Coecum in die
rechte Focca iliaca gelangt.
Der Punkt, an welchem der aufsteigende Schenkel der primitiven
Darm schlinge in den gerade herunterlaufenden letzten Teil des End-
darms umbiegt, ist die demnach schon früh vorhandene Flexura coli
sinistra. Aus dem letzten Abschnitt des Darmes, der am Ende der
Fig. 116. Entwickelung des Mittel- und Enddarms vom Rind (nach Martin)
Embryonen vom 32. bis 56. Tage. Jj Mitteldarm, c Enddarm. Dd Duodenum.
Coecum. r Rectum.
coc
4. Woche längs der hinteren Rumpfwand zur Kloake herabläuft, ent-
wickelt sich das Colon descendens, das S Romanum und das Rectum.
Im Verlauf des 3. Fötalmonats tritt durch Längenwachstum des mitt-
leren Teiles dieses Abschnitts die Anlage der Flexura sigmoid.es
auf.
Bei anderen Säugetieren tritt eine längere Blinddarmbildung durch
paariges Auswachsen des erst einfach angelegten Coecums ein (Kanin-
chen), während bei Wiederkäuern die Entwickelung des Enddarms
komplizierter ist durch die Ausbildung der Darmscheibe. Auch
beim Rind ist nach Martin am Ende der 8. Woche, wo bereits 20 Dünn-
darmschlingen bestehen, der Dickdarm noch ganz kurz geblieben.
Durch den auswachsenden Dünndarm ward aber seine Lage geändert.
Der Dünndarm drängt auch hier den kurzen Enddarm nach oben und
tritt schließlich unter dem Duodenum von der rechten auf die linke
Seite. Dadurch wird der Enddarm hakenartig umgebogen und um-
schließt das Duodenum.
174
F. Maurer,
Später nun beginnt der Enddarm sein Längenwachstum und bildet
die Grimmdarmspirale, die Anlage der Darmscheibe. Dies be-
ginnt beim Rindsembryo von !• Wochen.
Als Ursache der Spiralbildung wird das Kurzbleiben des Gekröses
angegeben, an dem der wachsende Darm wie an einem Leitband zu immer
engeren Kreisen herumgeführt wird (Fig. 117b). Das Gekröse ist aber
zuerst ganz frei, und die Windungen der Spirale liegen nicht in einer
Ebene, sondern sind wie ein Bienenkorb angeordnet. So bleiben sie
beim Schwein. Später kommt es nun zu Verlötungen des Gekröses
nicht nur der Grimmdarmspiralen, sondern auch dieser mit dem Rec-
tum und mit dem Duodenum. Dabei rücken die Grimmdarmspiralen
in eine Ebene, so daß die einheitliche Darmscheibe zu stände kommt.
Die Abflachung der Spiralen zur Scheibe ist veranlaßt durch das Kurz-
bleiben des Gekröses und durch die Ausdehnung des Pansens nach
hinten.
Der Blinddarm bildet sich erst als Mesodermhöcker, in den die
Schleimhaut des Dickdarms sich ausbuchtet. Mit dem Dottergang,
wie Bloss meint, hat er gar nichts zu thun. Der Dottergang verläßt
den Darm am Scheitel der primitiven Schleife; dieser liegt noch im
Bereiche des Dünndarms.
3. Die histologische Entwicklung der Darmwand.
Die embryonale Darmwandung besteht bei allen Wirbeltieren nach
der Ausbildung der Keimblätter, also am Ende der Differenzierung
des Mesoderms, aus 2 Schich-
ten : dem E n t o d e r m und
der Splanchnopleura,
d. i. der medialen Lamelle
der Parietalplatten.
Die Splanchnopleura
stellt allenthalben eine ein-
fache Epithellage dar, deren
Zellen, zuerst abgeplattet,
später unter reichlichen
Teilungsvorgängen ihrer
Elemente vorübergehend
Cylinderzellenlage bil-
eine
den.
sogar
Bei Amnioten wird sie
mehrschichtig und
kann eine Zeit lang das zarte
Entoderm
Fig. 117. a Anlage des Wiederkäuermagens,
b "Ausbildung des Magendarrakanals bei Wieder-
käuern (nach Martin), o Oesophagus, v Vor-
hof, p Pansen, h Haube, b Buch. / Labmagen.
d Duodenum, m Dünndarm, c Dickdarmspirale.
Mächtigkeit
beträchtlich an
übertreffen.
Das E n t o d e r m ist
meist eine einfache epithe-
liale Zellenanlage. Bei nie-
deren Wirbeltieren von vorn-
herein aus Cylinderzellen ge-
bildet, stellt sie bei Amnioten häufig zuerst eine sehr zarte Lage abge-
platteter Elemente dar, die erst kurz, bevor die Darmrinne sich zum
Rohre abschließt, eine cylindrische Form annehmen. Bei Cyclostomen,
Ganoiden, Dipnoern und Amphibien, welche nach dem Typus der totalen
inäqualen Furchung sich entwickeln, bildet die dotterreiche Zellenmasse
Die Entwickelung des Darmsystems. 175
der Mitteldarmanlage zuerst eine Komplikation im Aufbau des Ento-
derms, das demnach hier zunächst nur im dorsalen Teile seiner Wandung
eine einfache Epithelschicht bildet, ventral dagegen durch eine Masse
großer polyedrischer Zellen dargestellt ist, deren Plasmakörper mit
einer Menge von Dotterblättchen dicht erfüllt sind (Fig. 134 von
Petromyzon, Fig. 135 vom Frosch). Bei den Formen, welche aus
partiell sich furchenden Eiern hervorgehen, Selachiern, Teleostiern
und Amnioten, besteht das embryonale Entoderm der Darmrinne,
sowie des aus dieser gebildeten Darmrohrs stets aus einer Epithellage.
Die Dottermasse findet sich in dem nur durch einen Stiel mit dem
Darmrohr verbundenen Dottersack, der bei vielen Formen später
unter Resorption des Inhaltes iu die Bauchhöhle aufgenommen (Tele-
ostier, Sauropsiden), bei anderen aber abgestoßen wird (Selachier,
Säugetiere).
Die beiden primären Schichten der Darmwand sind scharf von-
einander getrennt, liegen mit ihren basalen Flächen aneinander. Ein
feiner Spaltraum ist zwischen ihnen vorhanden. Zuerst liegen aber
in diesem Raum keinerlei Formelemente.
Die Entwickelung der dritten Schicht der Darmwand geht zunächst
von der Splanchnopleura aus, während das Entoderm längere Zeit als
gleichmäßige Epithellage bestehen bleibt.
Unter Austritt von Zellen der Splanchnopleura gegen das Ento-
derm zu entstehen frei in den die beiden primären Darmschichten
trennenden Spaltraum Zellen welche zuerst als indifferente meso-
dermale Elemente erscheinen. Fig. 105 zeigt dies von Selachiern.
In solchen Zellen, die sich bald vermehren, hat man das Bildungs-
material der bindegewebigen Teile der Darmwand zu erblicken. Ferner
entwickelt sich aus ihnen die Muscularis der Darmwand. Der Gefäß-
apparat der Darm wandung zeigt eine verschiedene Herkunft. Der
Chylusgefäßapparat steht in Beziehung zur Differenzierung des Binde-
gewebes. Von dessen Saftlakunen bildet es sich aus. Die Blutgefäße
der Darmwand dringen von außen her ein, und zwar von der Aorta
aus. Der Blutgefäßapparat soll auch die indifferenten Rundzellen
zur Darmwand führen, welche die erste Grundlage zur Ausbildung
der Lymphfollikel der Darmschleimhaut darstellen. Ob bei der Bildung
der Blutgefäße, sowie des lymphatischen Apparates nicht auch das
Entoderm eine wichtige Rolle spielt, ist noch Gegenstand von Kontro-
versen, auf die hier nur insoweit einzugehen ist, als sie die Follikel-
bildungen betreffen. Die anderen Fragen fallen mit der ersten Her-
kunft des Blutes und der Blutgefäße zusammen, die an anderer Stelle
behandelt werden. Das Entoderm ist nach der heute herrschenden
Anschauung die Grundlage des Darmepithels und des gesamten
Drüsenapparates der Darmwand. Diese epithelialen Teile sind stets
scharf von dem unterliegenden Bindegewebe getrennt. Indessen tritt
die dem Darmepithel zunächst liegende Schicht des Bindegewebes in
nähere Beziehung zu den epithelialen Gebilden und formiert mit ihnen
die Darmschleimhaut. Ich führe dies besonders an, weil wir sehen, daß
bei der weiteren Entwickelung der Schleimhaut neben dem Epithel auch
stets das unterliegende Bindegewebe eine aktive Rolle spielt. Wir ver-
danken die genauere Kenntnis der Verhältnisse des gesamten Darmkanals
der Wirbeltiere in neuerer Zeit vor allem den sorgfältigen Arbeiten
Oppel's, in welchen nicht nur die Litteratur erschöpfend behandelt
ist, sondern auch zahlreiche eigene Untersuchungen niedergelegt sind
176 F. Maurer,
Wenn ich auch mit den Deutungen und Vergleichungen, die Oppel
vornimmt, vielfach nicht einverstanden sein kann, so giebt doch das
riesige Material von Thatsachen eine Grundlage, welche auch für die
hier abzuhandelnden Fragen von größtem Werte war. Das betrifft
besonders die Ausbildung der Schleimhaut in den verschiedenen Darm-
abschnitten, worüber allerdings gerade bei Fischen die entwickelungs-
geschichtlichen Vorgänge vom Drüsenapparat nur lückenhaft bekannt
sind.
Der Lehre Edinger's, der sich auch Stöhr angeschlossen hat,
sind neuerdings Bedenken entgegengebracht worden, und gerade Oppel
hat in neuester Zeit Gründe gegen dieselbe vorgebracht.
Es handelt sich darum, in welcher Weise die weitere Differen-
zierung der Darmschleimhaut sich vollzieht. Dabei sind zwei Vor-
gänge auseinander zu halten: erstens die Vergrößerung der resor-
bierenden Oberfläche der Darmschleimhaut durch Faltenbildung und
zweitens die Ausbildung der secernierenden Organe, der Drüsen.
Edinger vereinigt beide Vorgänge, indem er die Faltenbildung, durch
Wachstum des Epithels und des unterliegenden Bindegewebes als
Grundlage für beide Bildungen annimmt. Durch Kombination von
Längs- und Querfalten sollen Krypten entstehen, die zugleich die An-
lagen der Darmdrüsen darstellen. Nach Oppel hingegen handelt es
sich bei der Drüsenbildung um selbständige Sprossenbildungen des
Epithels in die Tiefe. Ebenso selbständig entstehen die Falten. Oppel
kehrt sogar in einem Falle, bei Amphibien, die Sache um, indem er
auf Grund der Angaben Reuter's, auf die ich später eingehe, in den
Drüsensprossen die Vorläufer von Falten der Darmschleimhaut erblickt.
In neuester Zeit sind die Entwickelungsvorgänge der Darm Schleim-
haut bei Säugetieren durch Voigt genauer bekannt geworden, wo-
nach die Drüsen selbständig sich bildende Sprossen des Epithels dar-
stellen.
Ueber Amphioxus habe ich den oben angeführten Daten nichts
hinzuzufügen, ich erinnere nur daran, daß hier eine Komplikation des
Darmepithels durch Entwickelung von Drüsen nicht eintritt. Die Aus-
bildung von glatten Muskelzellen wird von Stieda geleugnet, während
noch Schneider solche in ringförmiger Anordnung schilderte.
Das Cylinderepithel des Darmes bildet hier frühzeitig Cilien aus
(Joh. Müller, Stieda, Retzius, Wiedersheim).
Cyclostomen. Bei Petromyzon bilden sich in der Darm-
wandung zarte Längsfalten aus, die zuerst nur durch das Epithel ge-
bildet werden, während sekundär Bindegewebe eindringt. Bei Ammo-
coetes und Petromyzon bildet sich eine äußere Längs- und innere
Ringmuskulatur aus, in dein Enddarm mächtiger als in vorderen Darm-
abschnitten.
Selachier. Bei diesen bestehen, wie wir von Oppel wissen,
entsprechend der Sonderung des Darmes in Oesophagus, Magen, Mittel-
und Enddarm sehr verschiedene Ausbildungen der Wandung. In dem
hinter der Kiemenregion gelegenen kurzen Oesophagus bildet die
Schleimhaut Längsfalten, aber keine Drüsen aus. Ferner ist die
Speiseröhre der Selachier im Anfangsteil durch mehrschichtiges Platten-
epithel und papillenförmige Erhebungen ausgezeichnet, während sie
gegen den Magen zu Flimmerepithel erhält. Im Bindegewebe der
Schleimhaut kommt reichliches lymphatisches Gewebe zur Ausbildung
(Edinger, Oppel). Um welche Zeit sich dies anlegt und ob etwa
Die Entwickelung des Darmsystems. 177
das Epithel der Schleimhaut an seiner Bildung beteiligt ist, finde ich
nirgends angegeben.
In welcher Weise sich die Ontogenese der stark entwickelten
Magendrüsen bei Selachiern abspielt, bedarf noch der Untersuchung,
ebenso die Entwickelung der besonders im Pylorusteil des Magens be-
stehenden zahlreichen Längsfältchen. Die Angaben Edinger/s seien
hier erwähnt, wonach die Magensaftdrüsen sekundäre späte Bildungen
sein sollen. Sie sollen sich aus dem Grund der Magenkrypten bilden.
Im pylorischen Rohr sollen Magenschleimdrüsen entstehen am Grund
der Krypten durch Schwund der Labzellenanhänge und Vertiefung
der Magengrübchen.
Ueber die histologische Ausbildung der Schichten des Magens und
Darmes der Ganoiden und Teleostier fehlen genauere Angaben.
Wir wissen, daß im Magen Fundus- und Pylorusdrüsen zur Ausbildung
kommen, daß Drüsen im Mittel- und Enddarm fehlen. In welcher
Weise und in welchen Stadien die mannigfaltigen Faltenbildungen im
Darm der Fische sich entwickeln, ist bis jetzt nicht genauer erforscht.
Ich erwähne hier noch die Auffassung Bizzozero's, wonach das
Epithel an bestimmten Punkten des Darmes die Aufgabe des Ersatzes
der verbrauchten Elemente haben soll. Bei Cyclostomen ist die Stelle,
in welcher die lange Spiralfalte in die Darm wand übergeht, dieser Re-
generationspunkt, Bei den höheren Formen der Fische sind es die
Basen der Darmfalten und Krypten, welchen diese Bedeutung zu-
kommt. Schließlich wird diese Funktion von den LiEBERKÜHN'schen
Krypten übernommen, die überhaupt keine sekretorische Bedeutung,
sondern nur die Anfgabe haben sollen, das verbrauchte Material des
Darmepithels zu ersetzen. Bizzozero berücksichtigte die Fische und
Amphibien, um die Verhältnisse bei Säugetieren in der angegebenen
Weise zu beurteilen. Seine Auffassung wurde in neuester Zeit von
Voigt widerlegt.
Amphibien. Was die histologische Differenzierung des Darm-
rohrs der Amphibien betrifft, so sehen wir, daß der Vorderdarm schon bei
7 mm langen Larven von Rana mit einschichtigem Epithel ausgekleidet
ist, das nach Angabe vieler Autoren Flimmerhaare tragen soll, sogar
im Magenabschnitt, Im Mitteldarm zeigt sich zuerst an der dorsalen
Fläche ein einfaches Epithel, während die ventrale Fläche in ihrer
Masse aus reichliche Dotterblättchen enthaltenden Zellen besteht,
Der Enddarm besitzt auch in diesem Stadium bereits einschichtiges
Epithel. Im Mitteldarm wird allmählich das Dottermaterial aufgebraucht.
Ein Teil der Zellen geht dabei zu Grunde, ein anderer Teil wird zum
Aufbau des Dünndarmepithels und seiner Drüsen verwandt, Diese
Ausbildung spielt sich bei Anurenlarven in der 2. "Woche des Em-
bryonallebens ab. Sie beginnt noch im Ei und findet in den ersten
!' Tagen des freien Lebens ihren Abschluß.
Die Ausbildung der Muscularis sowie des bindegewebigen Teils
der Darmwand wird dem CöTomepithel der Splanchnopleura zuge-
schrieben. Von manchen Seiten wird indessen dem Entoderm eine
wichtige Rolle bei der Bildung des lymphatischen Apparates und der
Milz zugesprochen (Maurer).
de Meuron hat nachgewiesen, daß bei Amphibien der Oesophagus,
nachdem er zuerst ein Lumen hatte, obliteriert und als kompaktes
Rohr eine Drehung um die Längsachse durchmacht, worauf er erst sein
bleibendes Lumen erhält.
Handbuch der Entn'ickeHingslehre. II. 1. 12
178
F. Maurer,
Die Entwicklung der Magen- und Darmdrüsen bei Amphibien
ist bekannt. Bensley giebt an, daß beim Axolotl von 9 mm Länge
zuerst im Magen schlauchförmige Sprossen als Drüsenanlagen auf-
treten. Im oberen Teil des Magens sollen sie Bläschenförmig, im
unteren (Pylorus-) Teil einfach gestreckt-schlauchförmig sein. Zwischen
beiden Regionen findet Bensley Uebergangsformen der Drüsen. Bei
etwas älteren Larven, von 14 mm Länge unterscheidet Bensley 4 Re-
gionen : an der Cardia eine Zone frei von Drüsen, das Epithel trägt
hier Flimmerzellen. Darauf folgt eine zweite Region mit fiaschenförmigen
Drüsen: auch hier besteht in der freien Oberfläche der Magenschleim-
haut Flimmerepithel. In der dritten Region bestehen Haschen- und einfach
schlauchförmige Drüsen mit mucinogenem Epithel, darauf folgt als vierte
Abschnitt ein noch drüsenloser Pylorusteil. In diesem Abschnitt haben
sich erst bei (3,5 cm langen Larven die Pylorusdrüsen als Epithel-
sprossen ausgebildet. Die fiaschenförmigen und schlauchförmigen Drüsen
der davor gelegenen Abschnitte sind alle zu zahlreichen kurzen sekun-
dären Schläuchen ausgewachsen.
Auch im Dünndarm der U r o d e 1 e n bilden sich durch Sprossen
LiEBERKÜHN'sche Drüsen aus.
O Oo
*2 flV 0^fiWSwß*ä?/SSl
Fig. 118 a — d. Querschnitte der Darmwand von Alytes. a Junge Larve vor
Bildung der Darmspirale, b Aeltere Larve, vor Beendigung der Dotterresorption,
c Vor Beginn der Metamorphose, d Beginn der Darmverkürzung, e dotterreiche
Entodermzellen. m innere Ringmuskulatur und Bindegewebe, m, äußere Längs-
muskulatur. p Peritoneum, d Dotterplättchen. r Riesenzellen, c Rundzellenepithel.
(Nach Reuter.)
Die Entwickelung des Darmsystems.
179
Diese Drüsenbildungen der Schleimhaut entstehen erst zu einer
Zeit, wo die Muskulatur des Magens und Darines sich bereits aus-
gebildet hat. Die Drüsenanlagen entwickeln sich bei Amphibien als
die ersten Differenzierungen des Epithels, d. h. bevor Faltenbildungen
zur Anlage kommen.
Die histologischen Vorgänge bei der Entwickelung des Anuren-
darms wurden neuerdings von Ratner und Reuter geschildert.
Zunächst ist an die Angaben von Götte zu erinnern, wonach
bei Bombinator das Darmepithel im Bereich des dottereichen Mittel-
darms nicht aus den Dotterzellen gebildet wird. Von seiten der dorsal
gelegenen dotterarmen Entodermzellen, die in der dorsalen Hälfte des
Embryo eine einfache Epithellage darstellen, wird die ventrale dotter-
reiche Zellenmasse umwachsen und eingeschlossen. Es besteht also
hier auch gleichsam eine Darmrinne an der dorsalen Fläche des Dotter-
sacks, und von dieser aus entsteht, indem sie ventralwärts auswächst,
das Darmrohr.
Reuter an, daß die Dotterzellen der
am Aufbau der Darmwand teil-
besteht das Darmepithel aus den Dotter-
ventralen
nehmen,
zellen in
Sorption
Im Gegensatz dazu giebt
allerdings
Entodermhälfte
Bei A 1 y t e s larven
Unter fortschreitender Re-
Zellformen unterscheidbar :
c).
den mesode r male n
u
aus
mehrfacher Schicht (Fig. 118 a).
des Dotters werden bald zwei
Cylinderzellen und Rundzellen (Fig. 118 b
Die Muskulatur des Darmes entsteht
Elementen zwischen Serosaepithel und Darmentoderm. Die äußere Längs-
und innere Ringmuskelschicht treten sehr frühzeitig auf, werden aber
durch das vorherrschende Wachstum des Entodermrohrs so auseinander-
;t, daß sie in dem langen Kaulquappendarm keine geschlossene
gedräng
Schicht mehr bilden,
ungemein spärlich
und zart.
Ehe die Re-
duktion der Darm-
spirale zu Beginn
der Metamorphose
eintritt, stellt das
Darmepithel eine
hoheCylinderzellen-
schicht dar, zwi-
schen deren Basis
Rundzellen liegen.
Außerdem beginnt
aber auch schon die
Bildung von Riesen-
zellen, die später
eine sehr
Ebenso ist das
Bindegewebe
des Larven darin s
nach
wichtige
Bedeutung erlangen
Ausstoßung, e Epi-
2> Splanch-
(Fi
Fig. 119. Darm wandung von Alytes unmittelbar
der Verkürzung. Bei x Rundzelle in
thelkeimlager. s Submucosa. m Muscularis
nopleura.
118 c u. d)
Die Verkürzung, die unter Aufrollung der Spirale in der früher
geschilderten Weise während der Metamorphose erfolgt, ist nach
Ratner durch ein Zusammenschieben der Muskelzellen und eine
Faltenbildung des Epithels veranlaßt unter mächtiger Verdickung des
Bindegewebes. Nach Reuter ist die Verkürzung veranlaßt durch
eine von oben nach unten stattfindende Kontraktion der Muscularis,
12*
180
F. Maurer,
unter deren Einfluß auch die weiteren komplizierten Umbildungen am
Epithel erfolgen. Die Riesenzellen, welche zwischen den Basen der
hohen Cylinderzellen am Ende der Larvenperiode auftreten, vermehren
sich und bilden die Grundlage des späteren Schleimhautepithels
(Fig. 119). Die Rund- und Cylinderzellen des Larvendarmepithels
werden abgestoßen. Dadurch gelangen die in der Tiefe liegenden
Riesenzellen an die Oberfläche und machen sehr komplizierte Ver-
änderungen durch. Sie rücken dicht zusammen, und die Kerne in
jeder einzelnen stellen sich radiär. Indem sich im Centrum einer
jeden eine Flnssigkeitsvakuole bildet, werden die Riesenzellen zu
Bläschen, die dann ins Darmlumen sich eröffnen. Die Ränder der be-
nachbarten Cysten verwachsen miteinander, und auf diese Weise ent-
steht das geschlossene Epithel. Im caudalen Darmabschnitt glättet
a
Fig. 120. Differenzierung der Riesenzellen der Darmwand von Alytes während
und nach der Metamorphose: a Ordnung der Kerne in den Riesenzellen und Bildung
von Zellgrenzen (r). ch Darminhalt, mm Muscularis. p Splanchnopleura. b Cysten-
bildung aus Riesenzellen (<■) und Eröffnung derselben (o). cl Rundzellen in' Aus-
stoßung. (Nach Reuter.)
Die Elitwickelung des Darmsystems.
181
sich das Epithel, während es im oberen Teil bleibende Falten bildet, da-
durch dass Bindegewebe unter die Cystenränder eindringt (Fig. 120a u.b).
Als Vorbereitung zu diesen Unibildungen nimmt Reuter eine Hemmung
der Resorption und Sekretion an, die sich bei Larven vor der Meta-
morphose in reichlichem Auftreten von stark gefüllten Rundzellen und
im Schiwinden der Becherzellen zeigen soll.
Bei der Beurteilung dieses ganzen Vorgangs der Darmverkürzung
zur Zeit der Metamorphose hat man daran zu denken, daß während
dieser Entwickelungsperiode, die einige Tage währt, keine Nahrung
wird. Es ist dies schon bedingt durch die
der Mund- und Kiemenhöhle bei Anuren
aufgenommen
im Bereich
Maurer
hingewiesen
Umbildungen
worauf von
wurde. In dieser Zeit wird wohl alle im Darm-
kanal befindliche Nahrung resorbiert, auch schließlich die zu Grunde
gehenden abgestorbenen Epithelzellen, sowie die im bleibenden Epithel
enthaltene Flüssigkeit. Auch die Lymphbalmen des Darmes leeren sich,
und weun nun noch eine Kontraktion der Muscularis hinzukommt,
so erklärt sich daraus die Dickenzunahme der Muscularis, sowie des
submucösen Bindegewebes und ebenso die Aenderungen am Epithel
der Schleimhaut (Fig. 121).
Die histologische Differenzierung
R i n g z e 1 1 e n s c h i c h t
bildung,
.
Fig. 121. Querschnitt der Magenwan-
duug einer Rana temporaria in Metamor-
phose, nach Verkürzung des Darmes,
e Epithel mit Drüsen, s Subniucosa. m'
m Muscularis. ]} Serosa. (Nach Rat-
ner.)
der
der Darmwandung bei Reptilien
ist in neuester Zeit von Giannelli
bei Seps chalcides geschildert wor-
den : danach schreitet die Entwicke-
lung von der Speiseröhre abwärts
gleichmäßig fort. Von Muskel-
schichten kommt zuerst die
zur Aus-
i h r folgt die Längs-
zellenschicht. Auch die Sub-
mucosaund Mucosa differenziert sich
zuerst in der Speiseröhre und im
Magen, dann im Mittel- und zuletzt
im Enddarm. Die Entwickelung der
Schleimhaut spielt sich in der Weise
ab, daß zuerst Längsfalten durch Vermehrung
entstehen. Sekundär dringt dann Bindegewebe
die Epithelfalten ein. Dies beginnt im Oesophagus
Im Magen tritt ebenfalls zuerst Zellvermehrung
Unter Eindringen von Bindegewebsleisten entstehen
grübchen. Von deren Grund aus sprossen die Magendrüsen,
als solide Knospen. In diesen entsteht später ein Lumen, und
sprossen sie zu sekundären Schläuchen aus.
Im Vogeldarm findet die Entwickelung der Zotten zuerst statt
und zwar giebt das Bindegewebe der Schleimhaut den Anstoß, indem
es zapfenförmige P'ortsätze treibt, die das Epithel vor sich herschieben,
damit beginnen epitheliale Sprossen zwischen den Er-
der Zotten in die Tiefe zu rücken und stellen die
der LiEBERKÜHN'schen Krypten dar (Seyfert).
Die Entwickelung der Drüsen im Oesophagus beginnt immer nahe
Cardia uud schreitet aufwärts fort (Oppel).
Als nicht zur Ausbildung gekommene Drüsen werden die lvmpha-
Epithelzellen allein
von der Basis her in
und Mitteldarm,
am Epithel auf.
dann die Magen-
zunächst
alsdann
Gleichzeitig
hebungen
der
Anlagen
'& ov
tischen Follikel betrachtet, welche bei manchen
Vögeln
(Ente) in der
182 F. Maurer,
Wandung des Oesophagus zur Ausbildung kommen. Auch im Vogel-
darm kommt es durch Epithelwucherungen zu vorübergehendem Ver-
schluß des Lumens, sowohl im Bereich des Oesophagus (de Meuron)
als im Rectum (Minot). Das Rectum wird am 6. oder 7. Tage ab-
geschlossen, kurz bevor die Bursa Fabricii sich anlegt. Eine Kommuni-
kation zwischen WoLFF'schen Gängen und Allantoisblase bleibt dabei
erhalten. Solch vorübergehende Obliteration des Darmlumens finden
wir auch an andern Darmstellen. Bei Säugetieren ist darauf einzugehen.
Die Histogenese des Darmrohrs bei Säugetieren und dem Men-
schen ist viel genauer erforscht worden als bei niederen Wirbeltieren.
Der embryonale Darm besitzt auch hier eine glatte entodermale Epithel-
schicht, und in dem umgebenden Bindegewebe tritt zuerst die Ring-
muskellage auf, wie es auch bei Reptilien bekannt geworden ist.
Die histologische Entwickelung der Darmwandung erfolgt nicht
im ganzen Darmkanal gleichzeitig, ebensowenig tritt sie bei den
Embryonen der gleichen Art zur gleichen Zeit ein, es bestehen indi-
viduelle Schwankungen. Den früheren Angaben von Barth und Brand
entsprechen die Angaben Kölliker's. Die Entwickelung der
Wandung des Magens erfolgt früher als die des übrigen
Darmes. AndieDifferenzierung der M a g e n w a n d schließt
sich diejenige des Duodenum, dann folgt das Rectum,
während Jejunum und Ileum langsamer folgen.
Nach Barth, dessen Angaben Brand bestätigte, entstehen im
Magen und im Dickdarm zuerst Wucherungen der Schleimhaut, des
Bindegewebes und des Epithels. Diese führen zur Bildung vergäng-
licher Zotten, wie sie im Dünndarm bleibend gebildet werden. Die
Zotten verwachsen mit ihren Basen, und dadurch entstehen Krypten,
in deren Tiefe eine hohle Ausbuchtung des Epithels als Drüsenanlage
sich bildet. Die Verwachsung der Zotten schreitet zu deren Spitze fort,
und so wird die Bildung der Magengrübchen verständlich, ebenso die
glatte Oberfläche der Dickdarmschleimhaut. Auch im Dünndarm ist
es ähnlich. Die Verwachsuug schreitet nicht bis zur Zottenspitze fort,
und zwischen den Zotten entstehen die Drüsen als Hohlsprossen des
Epithels.
Nach Patzelt bildet sich die erste Anlage von Zotten und Drüsen nur
vom Epithel aus, das Bindegewebe nimmt erst sekundär teil. Es bilden
sich kleine Höckerchen durch lokale Ausbildung sehr hoher Epithel-
zellen (Zottenanlagen) ; zwischen diesen findet man Nester von kurzen
breiten Epithelzellen mit grundständigen Kernen (Drüsenanlagen). Nun
erheben sich bindegewebige Höcker und Fältchen. Erstere dringen in
die Zottenanlagen, letztere umgeben die Drüsen, die also nicht durch
Epithelsprossen, sondern durch Erhebung des Bindegewebes entstehen.
Nach den neuesten Untersuchungen von Voigt geht die Ausbildung
der Schleimhaut beim Schwein von Epithel und Bindegewebe gemein-
sam aus. Es kommt zuerst zur Zerklüftung der Schleimhaut, so daß
die innere Oberfläche in zahlreiche sehr unregelmäßige Felder geteilt
wird, die durch Furchen abgegrenzt werden. Unter Fortschreiten
dieses Prozesses und Vermehrung der Furchen werden die Felder
immer kleiner. An der auf diese Weise gewucherten Schleimhaut ent-
wickeln sich dann sowohl Zotten, wie Drüsen. Jene kleinen Felder
hat man als Zottenbasen bezeichnet, da auf ihnen nunmehr kleine Er-
hebungen der Schleimhaut entstehen , welche weiter wachsend die
Zottenanlagen darstellen. Etwas später entstehen am Grunde jener
Die Entwickelung des Darmsystems. 183
Furchen zwischen den Zottenbasen epitheliale Hohlsprossen . welche
in die Tiefe wachsen, die Anlagen der LiEBERKÜHN'schen Krypten. Eine
frühere Auffassung ließ die Krypten durch teilweise Verwachsung der
Zottenbasen zustande kommen, während nach den Befunden von Voigt
das Schicksal der Zottenbasen ein anderes ist. Unter dem Gesamt-
wachstum des Darmrohrs flachen sie sich ab, und es sprossen überall
aus ihrer Tiefe neue, sekundäre Zotten aus. Die frühere Auffassung
der Verklebung der Zottenbasen zur Bildung der LiEBERKÜHN'schen
Krypten hat auch heute noch Anhänger. Sie ging von der früher
angeführten Auffassung Edinger's über die Bildung der Darmdrüsen
aus. Wenn aber auch die embryonale Entwickelung der
Drüsen in der hier geschilderten Weise verläuft, so
sind doch diese Thatsachen der Ontogenese nicht ein
hinreichender Grund, um die s t a m m e s g e s c h i c h 1 1 i c h e
Ausbildung des Darmdrüsenapparates nicht doch im
Edinger's che n Sinne aufzufassen. Ich weise nur auf den
eigentümlichen vorbereitenden Wucherungsprozeß der Schleimhaut hin,
welcher der Zotten- und Drüsenbildung vorausgeht.
Wie ich oben angab, bilden sich embryonal im Darmkanal auch
an Strecken, wo Zotten später fehlen, vorübergehend solche aus. So
wissen wir durch Kölliker und Brand, daß im D ick dar m embryonal
lange Zotten als Fortsätze der Schleimhaut entstehen. Durch Ver-
wachsung ihrer Ränder entstehen Krypten, und die freie Darmoberfläche
wird glatt. Dadurch wird die Drüsennatur dieser Krypten in Frage ge-
stellt, die nur durch eine Modifikation der Schleimhaut entstanden, nicht
durch Sprossung bedingt sind. Die Auffassung von Bizzozero erhält
hierdurch eine Stütze. Doch darf man diese Verhältnisse nicht ohne
weiteres auf den Dünndarm übertragen. Schirman findet im Dick-
darm des Meerschweinchens die erste Anlage der Zotten schon dadurch
rudimentär, daß sie nur durch das Epithel gebildet wrerden. Nur auf
eine ganz kurze Strecke, etwa 1/5 der Länge, dringt von der Basis aus
Bindegewebe in die Achse der Zotte ein. Bei der Weiterbildung bleibt
nach Schirman nur dies basale Fünftel erhalten und bildet die Krypten
aus, während der größere Teil der Zottenanlagen durch Zerfall eine
Rückbildung erfährt. Bei anderen Säugetieren findet dieser letztere
Vorgang nicht statt. Seyfert hat die Vorgänge im Blinddarm des
Kaninchens geschildert. Beim 3 Wochen alten Embryo bestehen schon
Erhebungen der Schleimhaut: Epithelhöckerchen , in welche bereits
kleine Zapfen von Bindegewebselementen einragen. Unter weiterem
Wachstum der Zotten und Verwachsungsvorgängen bilden sich Neben-
räume, die sich allmählich verengern. Dies findet nach der 4. Woche
statt. In den oberen Abschnitten der Zotten entstehen in Form seit-
licher Sprossen des Epithels die Anlagen der Drüsenschläuche.
Am Uebergang vom Magen zum Dünndarm, im Duodenum,
kommt vorübergehend ein Verschluß des Lumens durch
Verklebung des wuchernden Darmepithels zustande.
In neuester Zeit wurde dies von Tandler und Filimowski bei
Kaninchen, Ratte, Hund und Mensch beobachtet.
Beim Menschen beginnt die Verengerung am 30. Tage und nimmt bis
zum 45. Tage zu. Erst am 60. Tage ist unter allmählicher Reduktion
des gewucherten Epithels die normale Weite des Lumens wieder her-
gestellt. Dasselbe findet man in dem entsprechenden Stadium bei der
Ratte und dem Meerschweinchen. Die genaueren Vorgänge schilderte
184 F. Maurer,
Filimowski beim Hund: Bei einem Embryo von 19 mm Länge treten
am Uebergang vom Magen ins Duodenum starke Yerinehrungsvor-
gänge am auskleidenden Epithel auf. Sie ragen ins Lumen ein, bilden
eine mehrschichtige Zellenmasse, die das Lumen verengert. Zuerst
ist das Epithel ganz kompakt. Dann rücken die Zellen auseinander.
teils infolge des Gesamtwachstums des Darmrohrs, teils durch Ver-
flüssigung der Zellen. Dadurch entstehen freie Räume zwischen den
Zellen. Letztere bilden netzförmig verbundene Stränge, die das
Darmlumen durchsetzen und komplizieren. Diese Stränge, die aus-
schließlich vom Epithel, ohne jede Beteiligung des unterliegen-
den Bindegewebes gebildet werden, schwinden allmählich, und es entsteht
wieder ein einheitliches Darmlumen. Ein Ausbleiben des normalen
Vorganges kann zu Stenose oder Atresie des Duodenum führen
(Tandler).
Eine für Säugetiere charakteristische Drüsenform sind dieBRUNNER-
schen Drüsen des Duodenum, die Oppel als stärker ausgebildete und
in den Darm sekundär fortgesetzte Pylorusdrüsen des Magens deutet.
Sie entstehen in Form sich verästelnder Epithelsprossen und erreichen
bei Säugetieren eine sehr verschiedene Ausdehnung: während sie bei
Monotremen und Marsupialiern sich nur wenige Millimeter über den
Pylorus hinaus fortsetzen, sind sie beim Pferd bis zu 7—8 m ausgedehnt.
Dazwischen bestehen alle Uebergänge.
Eine rein histologische Frage betrifft d i e B i 1 d u n g d e r Schleim-
z eilen in der Darm schleim haut. Daß bei ganz jungen Em-
bryonen die Zellen des Entoderms noch indifferent sind, wird niemand
bestreiten. Wenn aber Schleim- und Epithelzellen sich differenziert
haben, so fragt es sich, ob dieselben von da an ganz getrennt bleiben,
oder ob Schleimzellen auch später aus Epithelzellen sich bilden.
Bizzozero und Sacerdotti nehmen an, daß Schleimzellen nicht aus
Epithelzellen sich bilden, sondern durch Mitose sich vermehren. Das
wird neuerdings von Ascoli bestätigt. Andererseits nehmen Schmidt
und Oppel an, daß Schleimzellen sich nicht mitotisch teilen können,
sondern stets aus Epithelzellen hervorgehen.
Zusammenfassend hebe ich nochmals hervor, daß die Differeu-
zierungsvorgänge in der Darmwand sehr komplizierter Natur sind.
Von der Muscularis tritt zuerst die Ring-, dann die Längs-
z eilen schicht auf, zuletzt die Muscularis mucosae. Die Elemente
faßt man allgemein als hervorgehend aus m esodermalen Zellen
auf, die in gewissen Entwickelungsstadien Spindelform annehmen und
die kontraktile Substanz im Zellkörper differenzieren. Bei der Ent-
wickelung der Schleimhaut beginnt zuerst die Ausbildung
der Zotten, daran schließt sich die Entwickelung der
Drüsen. Vollkommene Klarheit über die Details dieser Vorgänge
besteht noch nicht. Besonders sind die Vorgänge der Verwachsung
der Zotten noch genauer zu erforschen. Die Entwickelung der
Drüsen zeigt jedenfalls, daß sie ontogenetisch in Form von Epithel-
sprossen auftreten, so daß die Auffassung Bizzozero's, sie seien
nur Regenerationsherde für das Epithel der freien Schleimhaut
fallen zu lassen ist, sie bilden vielmehr thatsächlich secernierende
Drüsen. Die Auffassung Edinger's über die phylogenetische Aus-
bildung der Darmdrüsen halte ich durch die seither bekannt ge-
wordenen Thatsachen der Ontogenie nicht für widerlegt, auch hier
spielt die Cänogenese jedenfalls eine wichtige Rolle.
Die Entwickelung des Darmsystems. 185
Die lymphatischen Apparate der Darm schleim haut.
Die lymphatischen Elemente, welche in der Darmschleimhaut
allenthalben vorkommen, werden hinsichtlich ihrer Genese verschieden
aufgefaßt. Bei Petr 0111 yzonten besteht eine Lymphscheide, die
das ganze Epithelrohr des Darmes umgiebt. Daß diese Bildung
zugleich eine lange Spiralfalte im Darmrohr in sich schließt, wurde
schon bei der Besprechung der allgemeinen Entwickelung des Darm-
rohrs hervorgehoben. Zugleich ergab sich aus der Schilderung Rabl's.
daß das lymphatische Gewebe, welches in der Spiralfalte des S e -
lach i er dar ms sich findet, aus dem Epithel der Splanchnopleura
hervorgeht, somit m es o dermaler Herkunft ist. In derselben
Weise ist die Entwickelung der lymphatischen Darmscheide der Cyclo-
stomen bis jetzt vom Mesoderm abzuleiten, indem Zellen aus dem epi-
thelialen Verband der Splanchnopleura unter reichlicher Vermehrung
sich ablösen. Ich selbst habe bei anuren Amphibien geschildert und
abgebildet, daß das e n t o d e r m a 1 e E p i t h e 1 d e r D a r in s c h 1 e i in -
haut Zellen austreten läßt in das unterliegende Bindegewebe. Diese
Elemente gelangen in die Umgebung der Darmgefäße, in deren
Scheiden angeordnet, sie die Grundlage des lymphatischen Apparates
darstellen sollen, insofern sie die zuerst gebildeten Lymphzellen einer
Kaulquappe sind. Ich habe hier nicht die Entwickelung des lym-
phatischen Apparates zu schildern, was von anderer Seite geschehen
wird, ich wollte nur auf die beiden Auffassungen hinweisen, die hin-
sichtlich der Ausbildung derjenige lymphatischen Apparate bestehen,
die im Darmkanal der Säugetiere zur Ausbildung kommen. Für diese
linden wir in den hier angedeuteten Formen die Grundlage. Nach
der einen Auffassung sind die lymphatischen Apparate
mesodermaler Herkunft, nach der anderen Auffassung
bilden sie sich aus dem En toder m. Hinsichtlich der Genese
der Follikel der Darmwand der Säugetiere, mögen sie als solitäre
Follikel im ganzen Darin verbreitet auftreten oder konglobiert er-
scheinen, wie in den Tonsillen und den Agniina Peyeri, stehen
sich die beiden oben präcisierten Anschauungen ebenfalls gegenüber.
Sie sind vertreten durch Stöhr und Retterer. In Deutschland
ist bis jetzt die Anschauung Stöhr's von den meisten Fachgenossen
als richtig anerkannt, wonach das entodermale Epithel keinen Anteil
nimmt an der Bildung lymphatischer Organe. Diese stammen viel-
mehr aus subepithelialen Elementen, somit mesodermalen Zellen ab.
Stöhr hat diese seine Ansicht durch eine Reihe sorgfältiger Arbeiten
begründet. Auf der anderen Seite hat Retterer die Entwickelung der
lymphatischen Organe der Darmwand bei Säugetieren aus dem ento-
dermalen Darmepithel geschildert. Es ist ungemein schwer, aus den
Schnittbildern die entwickelungsgeschichtlichen Vorgänge zu deuten.
Wenn Stöhr die Deutungen Retterer's als durch Schrägschnitte
veranlaßte Trugschlüsse auffaßt, so ist doch die ganze Frage durchaus
noch nicht als gelöst zu betrachten, vielmehr ist gerade hier der Zu-
kunft noch vieles vorbehalten.
Die Entwickelung der Tonsillen geht nach Stöhr von dem
subepithelialen Gewebe aus. His fand zuerst die Anlage der
Tonsille als eine Bucht zwischen dem 2. und 3. Schlundbogenwulst, die
von Schleimhaut ausgekleidet ist. An Stelle der Tonsille entsteht zuerst
eine leichte epitheliale Einsenkimg, welcher aber keinerlei produktive
Thätigkeit des Epithels zu Grunde liegt oder folgt, Subepithelial
186
F. Maurer,
B 1 u t g e -
treten Leukocyten auf, die größtenteils aus den
fäßen stammen. Sie nehmen allmählich an Masse zu, formieren
aber erst nach der Geburt Follikel. Sehr frühzeitig treten die Leuko-
cyten insofern zum Epithel in Beziehung, als sie dasselbe durchwandern.
Retterer faßt die Entwickelung ganz anders auf. Er untersuchte die
Entwickelung der menschlichen Tonsille, wobei nicht nur eine epitheliale
Einsenkung entsteht, sondern von dieser aus auch sekundäre Sprossen
ins Bindegewebe eindringen. Die Elemente dieser Epithelsprossen sollen
unter Ablösung und Vermehrung
ihrer Elemente die Follikel bil-
den (Fig. 122). Stöhr bekämpft
aufs heftigste diese Auffassung
Retterer's. Er führt noch an,
daß die gewundenen Epithel-
sprossen, welche von der Epithel-
einsenkung in die Tiefe wachsen,
zuerst kompakt sind, dann aber
unter Vermehrung und Verhor-
nung ihrer Zellen hohl werden,
indem die verhornten Zellmassen
ausgestoßen werden. Stets sind
diese epithelialen Teile scharf
vom Bindegewebe abgegrenzt
und nehmen nicht im geringsten
teil an der Bildung lymphatischer
Zellen. Stöhr weist das Be-
stehen einer epithelialen Basal-
membran überall nach, so daß
das Epithel gegen das Bindege-
webe scharf abgegrenzt ist. Da-
bei ist das ganze adenoide Gewebe
noch reich an sehr weiten Blutge-
fäßen, und die dichtesten Leuko-
cytenhaufen liegen der Wand der
Gefäße dicht an. Nach Stöhr
ist dies ein Beweis, daß hier
noch viele Leukocyten aus
Blutgefäßen austreten.
den
Die
der
Rund zellen bilden in
men schlichen Tonsille erst
beim 3 Monate alten Kinde
Keimcentren, doch zeigt sich
Fig. 122. Senkrechter Schnitt der Ton-
sillenanlage von einem Rindsfoetus von
m i cm Länge (nach Retterer.), e Epithel-
zapfen. raus diesen austretende Rundzellen.
geschlossene Follikel mit
schon beim Foetus ein Einwandern der Lymphzellen ins Epithel, was
aber nie so stark wird, daß dadurch die Epithelgrenze verwischt würde.
Die weitere Ausbildung der Tonsille verläuft sehr langsam, so
daß sie auch beim 10 Monate alten Kinde noch nicht vollendet ist.
Retterer hat aber bis in die neueste Zeit seinen Standpunkt
festgehalten, zahlreiche Arbeiten darüber veröffentlicht und eine große
Zahl Säugetiere der verschiedensten Klassen untersucht (Kaninchen,
Meerschweinchen, Rind, Pferd).
Retterer legt besonderen Wert auf das Verhalten der basalen
Epithelzellen, die besonders auch an den Enden der Epithelsprossen
der Tonsille rundliche Elemente darstellen sollen. Hier nimmt Rette-
Die Entwickelung des Darmsystems. 187
rer eine Ausströmung von Epithelzellen ins unter-
lieg e n d e B i n d e g e w e b e an, eine abgrenzende Basalmembran leugnet
er. Von anderen Forschern schließen sich viele der Ansicht Stöhr's,
andere der RETTERER'schen Auffassung an.
Mit Stöhr nehmen die mesodermale Herkunft an : Kölliker,
v. Ebner, Gulland (Schwein, Schaf, Kaninchen, Schwein); die
lymphatischen Zellen sollen aus den Capillaren austreten.
L y m p h k n ö t c h e n der Da r m w a n d u n d A g mina P e y e r i.
Die Entwickelung der Agmina Peyeri wurde zuerst von Stöhr ge-
nauer bei der Katze studiert, Bei neugeborenen Tieren fand Stöhr
die ersten Stadien am unteren Ende des Ileum. Hier findet man
einen nicht scharf begrenzten Haufen rundlicher Zellen in der Sub-
mucosa unter den LiEBERKÜHN'schen Krypten, der bis in die obersten
Schichten der Submucosa hinreicht. Von dieser Zellenmasse erstrecken
sich Fortsätze in Schleimhauterhebungen, welche als modifizierte
Zotten erscheinen. Sie sind von geringerer Größe als die benach-
barten Darmzotten und ihr Epithelüberzug erscheint verschieden, in-
d
— -z
_ —
Fig. 123. Erste Entwickelung der Darmfollikel nach Stöhr. Senkrechter
Schnitt "der Wandung des Coecum vom Kaninchen, a 2l/2 Tage, b 5 Tage nach der
Geburt. / Follikelanlage subepithelial, r ins Epithel eingedrungene Rundzellen.
2 Zotte mit Kundzellen infiltriert.
dem er hier nur aus Cylinderzellen dargestellt ist, während Becher-
zellen fast ganz fehlen. Solche finden sich im Epithel der Darmzotten
dagegen in großer Zahl. Hervorzuheben ist, daß schon in diesem
ersten Entwickelungsstadium solche Rundzellen auch zwischen den
Epithelzellen der genannten modifizierten Zotten nachweisbar sind.
Nach Stöhr sind sie durch die lebhafte Färbung ihrer Kerne scharf
.on den mit hellen Kernen versehenen Epithelzellen zu unterscheiden.
Stöhr leitet die ersten Rundzellen aus Elementen der Tunica propria
ab, die sich durch Teilung reichlich vermehren. Ihre Beziehung zum
Epithel erwerben sie erst sekundär. Die Ableitung von Epithelzellen
sieht Stöhr als unhaltbar an, weil alle Teilungen in Ebenen erfolgen,
die parallel zur Längsachse stehen. . (Fig. 123 zeigt diese Vorgänge
aus dem Coecum des Kaninchens.)
v
188 F. Maurer.
In wenigen Tagen haben sich die Zellen in der Submucosa so
vermehrt, daß ein in der Tiefe abgegrenztes Knötchen gebildet ist,
das gegen die Oberfläche der Schleimhaut zu allmählich in das Ge-
webe der modifizierten Zotte übergeht. An den Zellen des Knötchens
sind reichliche Mitosen, dagegen findet man noch sehr wenige Leuko-
cyten im überziehenden Epithel. Dann entwickelt sich weiterhin der
in der Submucosa gelegene Teil der ganzen Anlage zum Knötchen-
körper aus. Die Ausbildung erfolgt rasch, so daß man bei 6 Wochen
alten Katzen die Knötchenkörper schon ebenso groß findet wie beim
erwachsenen Tier.
Retterer untersuchte die Entwickelung der PEYER'schen Plaques
bei vielen Säugetieren: Kaninchen, Meerschweinchen, Wiederkäuern,
Raubtieren, und kommt zu dem Schlüsse, daß auch bei ihrer Bildung
das Dünn darin epithel die wesentliche Rolle spielt. Ihm schließen
sich an: Davidoff (Meerschweinchen), Rüdinger (Wurmfortsatz des
Menschen, in welchem LiEBERKÜHN'sche Krypten schwinden sollen
und Follikel ausbilden), Klaatsch, welcher bei Echidna ein Ein-
dringen von verästelten Drüsen in die Follikelmassen beschrieb und
eine Beteiligung derselben an der Bildung von adenoidem Gewebe
für nicht unwahrscheinlich hält, Auch Testut und Debierre schließen
sich der Ansicht Retterer's an. Mrae. Naville leitet beim Hund
die Follikel ebenfalls vom Darmepithel ab. Andere behandeln die
Frage der Herkunft der Follikel als offene Frage, wie Prenant und
Poirier.
Für die mesodermale Herkunft der PEYER'schen Plaques und
solitären Darmfollikel sprechen sich nach eigenen Untersuchungen
aus: Flesch und Rubelt, Zawarykin, Tomaskin, Czermak und
KÜCHENMEISTER.
4. Leber und Pankreas.
Die Anlage der Leber und des Pankreas treten bei sämtlichen
Wirbeltieren an der Grenze zwischen Vorder- nnd Mi tt ei-
darm auf. Wir sind jetzt über diese Vorgänge genau informiert
durch eine große Anzahl von Arbeiten auf diesem Gebiet in den letzten
Jahren.
a) Die erste Anlage der Leber.
Bei Amphioxus entsteht eine kurze Strecke hinter dem Kiemen-
darm ein Divertikel der ventralen Darmwand, das schon früher als
Leberblindsack gedeutet wurde. Seine Entwickelung ist in neuerer
Zeit von Hammar beobachtet worden (Fig. 124). Dies Divertikel er-
scheint bei Larven von 3,5 cm Länge und löst sich, rückwärts fort-
schreitend, vom Darmrohr ab, so daß es einen nach vorn blind endigen-
den Schlauch darstellt, der mit seinem hinteren Ende in den Darm
mündet. Das blinde Ende erstreckt sich bis zum hinteren Ende des
Kiemendarms (Fig. 124b). Eine weitere Ausbildung erfährt dies Ge-
bilde bei Amphioxus nicht. Ein dem Pankreas vergleichbares Organ
fehlt dem Amphioxus.
Für Cyclo sto inen sind die Angaben von Balfour, Götte,
Kupffer, Brächet maßgebend. Die erste Anlage der Leber be-
steht hier in Form eines unpaaren . median gelegenen Divertikels,
welches an der ventralen Darmwand am oben angeführten Punkte
Die Entwickelung des Darmsystems.
189
entstellt (Fig. 134e). Es bilden sich von diesem Divertikel sekundäre
Sprossen ans, welche, weiter wachsend, eine tnbnlöse Drüse (Fig. 125
und 126) formieren. Die Mündungsstelle des Organs, welche zuerst
in der ventralen Darm wand liegt, ändert sich, insofern sie um die rechte
Cirkumferenz des Darmrohrs herumrückend, bis zur dorsalen Cirkum-
ferenz sich verlagern kann (Brächet).
Nach Götte setzt sich die unpaare Leberbucht durch einen ver-
dünnten Leberstiel (den späteren Ausführgang) von der ventralen
Darmwand ab. Diese Leberbucht treibt Sprossen, wie oben erwähnt,
und eine solche der rechten Seite erscheint blasenförmig und wird zur
Gallenblase.
Nach Kupffer läßt dagegen die primäre Leberbucht 3 Abschnitte
von vornherein unterscheiden: einen medianen, die spätere Gallen-
blase, und zwei seitliche, die zu den Leiterlappen aussprossen. Eine
Verlagerung der ventralen Mündung auf die dorsale Darinliäche durch
Fig. 1*24. Sagittaler Längsschuitt von Amphioxus (Rumpfmitte). a Larve
von 3,5 mm, b solche von 4,5 mm Länge, nach HAMMAR. h Leberblindsack, d
Mitteldarm, c Chorda. K letzte Kiemenspalten.
Wanderung um die rechte Cirkumferenz, erkennt Kupffer nicht an.
Vielmehr bildet sich dorsal eine selbständige Ausbuchtung der Darmwand,
genau der Leberbucht gegenüber. Jene dorsale Sprosse teilt sich in
einen rechten und linken Ast. Der linke wird zu lymphatischem Ge-
webe, der rechte verbindet sich ventralwärts mit der Leberanlage, und
unter Obliteration des ventralen Leberstieles wird die dorsale Mündung
zum einzigen Abfuhrweg der Leber. Brächet neigt der Ansicht
Götte's zu. Vor allem konnte er die Wanderung der ventralen Mün-
dung des Leberstiels dorsalwärts in verschiedenen Stadien feststellen.
Die von Kupffer angegebene dorsale Bucht fand er nicht. Auch hin-
sichtlich der Gallenblase stimmt er Götte zu.
Bei Selachiern (Pristiurus, Scyllium, Torpedo) findet sich die
erste Leberanlage in Form einer länglichen rinnenartigen Ausbuchtung
190
F. Maurer,
der ventralen Darm wand vom Sinus venosus des Herzschlauchs bis
zum Ductus omphaloentericus (Fig. 127a). Während Balfour und
Hammar von vornherein 3 Abschnitte an dieser Bildung unterscheiden,
einen medianen, der zur Gallenblase wird, und einen paarigen, welcher
den rechten und linken Leberlappen bildet, ist nach Brächet die
erste Anlage einfach. Später erst sondert sich ein cranial-
w ä r t s gelegener Teil in eine rechte und linke Hälfte.
die Anlage der b e i d e n L e b e r 1 a p p e n (P a r s h e p a t i c a), wäh-
rend eine am C a u d a 1 e n d e der Rinne entstehende unpaare
Bucht (Pars c y s t i c a) die Anlage der Gallenblase bildet
(Fig. 127b). Die gesamte Anlage schnürt sich mehr und mehr vom
Darmrohr ab, so daß bald nur ein dünner Schlauch als Ductus cho-
ledochus die Kommunikation herstellt.
Diese Anlage der Leber tritt bei Selachiern viel früher auf, als
die dorsale Pankreasanlage. Die Angabe von Laguesse, daß die
paarigen Leberdivertikel (Pars hepatica) bei Acanthias erst kurz nach
der Anlage des dorsalen Pankreas aufträten, wird von Brächet zurück-
gewiesen, da seine eigenen und die Befunde von Mayr dies widerlegen.
Bei Teleostiern bildet sich nach Balfour, Göppert, Stöhr
und Laguesse die Leber der Forelle in Form einer kompakten Wuche-
rung der ventralen Darm wand, zu einer Zeit, wo auch der Darm
noch kein Lumen besitzt. Die Anlage liegt etwas weiter nach vorn,
cranialwärts, als die später auftretende dorsale Pankreasanlage. Erst
sekundär entsteht in der Leberanlage wie im Darm ein Lumen, das
zuerst als unregelmäßige Spalten auftritt (Göppert). Die Leberanlage
rückt etwas caudalwärts, so daß sie der dorsalen Pankreasanlage dann
genau gegenüberliegt. Ferner führt der Darm eine geringe Rota-
tionsbewegung aus, so daß die Mündungsstelle des Ausführgangs, der
durch allmähliche Abschnürung, gerade wie bei Selachiern, entstanden
ist, an die rechte Seite der Duodenalwand zu liegen kommt (Fig. 129).
a
Fig. 125. Querschnitte der Lebergegend junger Larven von Petromyzon. a) P.
Plaueri, 3,8 min lang (nach Brächet), b) P. fluviat., Larve gerade gestreckt (nach
( }ÖTTE). i Darm, g Leberstiel. L Leberschläuche, c Cölomepithel. x dorsales,
y ventrales Mesenterium, d rechtes, g linkes dorsales Lebergekröse.
Die Entwickelung des Darmsystems.
191
Unser Wissen über die Leberanlage bei Ganoiden (Fig. 128L)
beschränkt sich auf die Angaben von Balfour und v. Kupffer, der sie
beim Stör zuerst als eine Reihe von Divertikeln hinter dem Magen, am
Anfang des Mitteldarms erkannt hat. Ob hierin auch die ventrale
Anlage des Pankreas, die Kupffer beschrieben hat, enthalten ist.
wie Brächet angiebt, bleibe dahingestellt.
Die Leberentwickelung bei Amphibien wurde nach Götte von
Shore, Weysse, Hammar untersucht. Götte findet die erste Anlage
als eine hohle Ausstülpung des Vorderdarms. Deren cranialer Teil
schnürt sich ein, sondert sich vom Darmrohr und sproßt zu Leberschläu-
chen aus, während der caudale Teil zur Gallenblase wird. Shore
und Weysse schildern die Leberanlage beim Frosch als in inniger Be-
ziehung zum vorderen Teil der dotterreichen Entodermzellen stehend.
Hinter dem Herzschlauch verlängert sich das Darmlumen dorso-ventral-
wärts und senkt sich in die hier befindliche ventrale Dotterzellenmasse
hinein. Diese Dotterzellen bilden sich direkt zu Leberzellen um
(Shore). Weysse findet als erste Umbildung dieser Dotterzellen
eine reichliche Pigmentkörnchenbildung. Weysse macht darauf auf-
merksam, daß eine Divertikelbildung mechanisch unmöglich ist. Eine
beschränkte Anzahl von Dotterzellen, welche die ventrale Fläche des
Fig. 126. Querschnitt der Lebergegend einer Larve von Petromyzon f luv., etwas
älter als Fig. 125b. (Nach Götte.) Bezeichnungen s. Fig. 125.
Darmrohrs unmittelbar hinter dem Herzen einnehmen, bildet direkt
die Leberanlage, und diese wird von der ventralen Fläche des Darm-
rohrs dadurch getrennt, daß sich eine mesodermale Gewebsschicht
zwischen beide Abschnitte der ventralen Dotterzellenmasse einschiebt.
Aus den neuesten Angaben von Hammar ergiebt sich, daß man auch
192
F. Maurer,
bei Amphibien einen cranialen und c a ud a 1 e n Abschnitt der Leber-
anlage ähnlich wie bei Selachiern unterscheiden kann. Aus dem ersteren
geht das Netz der Leberschläuche hervor, während in dem letzteren
die Anlage der Gallenblase enthalten ist (Brächet).
Auch bei Amphibien macht die Leberanlage eine geringe Rück-
wärtsverlagerung durch, indem ihr Ausführkanal zuerst cranio-caudal
und später dagegen in caudo-cranialer Richtung verläuft.
Bei Reptilien finden wir widersprechende Angaben über die
Art der ersten Leberanlage, doch sind die Angaben von Brächet
am wichtigsten, wonach die sonst als erste Anlage beschriebenen Be-
funde schon spätere Zustände sind.
Hoffmann schildert die erste Anlage der Leber bei Lacerta in
Form zweier Divertikel, die sich als rechtes und linkes aus der ven-
tralen Wand der Darmanlage gerade vor dem Ductus omphalo-ente-
ricus bilden. Die beiden Divertikel sprossen zu Leberschläuchen aus.
Das rechte, von vornherein voluminösere bildet in Form einer späteren
blindsackartigen Ausstülpung die Anlage der Gallenblase. Die ersten
Divertikel selbst werden zu Ausführgängen.
Hammar
als einfache ,
betrachtet die
aber offenbar
erste
an der
Anlage
der Leber
Hand späterer
der Eidechse
Stadien. Die
Mündungsstelle des Ausführgangs liegt genau an der Stelle, wo auch
der Ductus omphalo-entericus zum Darm tritt.
Brächet hat die Leberentwickelung an einer kompleten Serie
von Embryonen von Lacerta muralis studiert und findet sie in Ueberein-
stimmung mit den Verhältnissen bei Selachiern. Die erste Leber-
anlage tritt auch bei der Eidechse als longitudinale A u s b u c h -
G. P.
J.
Fig. 127. Scheraatischer Längsschnitt durch die Mitteldannanlage von Torpedo.
a Embryo mit 50, b mit 82 Somiten. Nach Mayr. G Magen. / Enddarm. vDp, hDp
vordere und hintere Darmpforte, dv Dottergang, h ;Leber. p Pankreasanlage.
er craniales, cd caudales Ende des Schnittes.
Die Entwickelung des Darmsystems.
193
tung an der ventralen F lache des Darmkanals auf und er-
streckt sich vom hinteren Ende des Herzschlauchs (Sinus venosus)
nach hinten bis zum Ductus omphalo-entericus. Die auf diese Weise
bestehende, mit epithelialer Wandung versehene Rinne verhält sich
nun in ihrem vorderen Abschnitt wesentlich anders als in ihrem hinteren
(caudalen). Durch aktive Zellwucherung bilden sich aus den vorderen
zwei Dritteln dieser Rinne Leberzellenschläuche. Das hintere caudale
Drittel wird zur Gallenblase und Ausführgang. Man kann also, wie
bei Selachiern, eine craniale Pars hepatica und eine caudale
Pars cystica der ersten Leberanlage der Eidechse wohl unterscheiden.
An der Pars hepatica, der Anlage der Leberschläuche tritt frühzeitig
eine Sonderung in einen vorderen und hinteren Abschnitt ein, dadurch
daß ein in querer Richtung verlaufender Zellenstreifen keine Leber-
zellen ausbildet. Durch diesen Streifen zerfällt die Leber in eine
vordere (craniale) und hintere (caudale) Knospe. Die craniale Knospe,
welche terminal (distal) sich teilt und weitersproßt, wird in ihrem proxi-
malen Abschnitt zu einem Ductus hepato-entericus.
Die caudale Knospe, distal ebenfalls sich teilend und zu Leber-
schläuchen weitersprossend, bleibt in Verbindung mit der Gallenblase
und bildet einen Ductus he-
pato-cysticus. Weiterhin setzt
sich die Gallenblase schärfer
vom Darmrohr und Duct. he-
pato-entericus ab und steht nur
noch durch einen längeren
Ductus cysticus damit in Zu-
sammenhang. In einem kurzen
Ductus choledochus münden
alle Ausführwege der Leber
gemeinsam in den Darm.
Die Anlage der Leber
beim Vogel reiht sich nach
den Arbeiten von Hammar
und Brouha direkt an die
Verhältnisse bei Lacerta an,
wenn auch die Weiterbildung
kompliziertere Zustände her-
vorbringt (Fig. 130a u. b).
Götte schilderte die Anlage der Leber beim Hühnchen als eine
paarige, indem sich symmetrisch ein rechtes und linkes Divertikel aus
dem Darm ausstülpen. Im Gegensatz dazu hat Felix später hervor-
gehoben, daß die beiden Divertikel nicht als ein rechtes und linkes,
sondern als ein craniales und ein c a u d a 1 e s unterschieden werden
müßten. Dies wurde von Hammar bestätigt. Nach Felix entsteht das
craniale Divertikel zuerst, und zwar am Ende des 2. Bebrütungstages.
Dasselbe wächst zwischen Sinus venosus und ventraler Darmfläche,
also dorsal vom Sinus venosus, cranialwärts aus. Später wächst das
caudale Divertikel aus der vorderen Darmpforte hervor und dehnt sich
infolge der Linksdrehung des Embryo und der dadurch bedingten
Kompression der linken Körperhälfte nach der rechten Seite weiter
aus. Es ist das von Götte als rechtes Divertikel bezeichnete Ge-
bilde, das längs der ventralen Fläche des Sinus venosus cranialwärts
weiterwächst. Dabei schnürt es sich vom Darm mehr und mehr ab,
Handbuch der Entwiclcelungsk-hre. II. 1. 13
Fig. 128. Medianer Sagittalschnitt des
vorderen Rumpfteils einer Acipenserlarve
(nach Balfour). o Oesophagus, m Magen
mit Dotterzellen. L Leber, e Darm, m Nerven-
system, c Chorda, h Herzschlauch.
194 F. Maurer,
wächst hauptsächlich in die Breite und umfaßt als lumenlose kom-
pakte Zellenmasse von vorn her den Sinus venosus. Der craniale
Gang wächst mehr in die Länge, weniger in die Breite. Von
seinem cranialen Ende gehen rechts zwei, links ein schmaler Fortsatz
um den Sinus venosus herum, um sich später mit den beiden Lappen
des caudalen Divertikels zu verbinden. So entsteht um den Sinus
venosus herum ein schanzkorbartiges Gebilde, von vielen Löchern
durchbohrt (von Brunn). Am Darmende des caudalen Divertikels ent-
wickelt sich später als spindelförmige Erweiterung die Gallenblase, und
damit zerfällt der aus dem caudalen Divertikel entstandene Gang in
einen Ductus cystico-entericus und die Ductus hepato-cystici. Diese
werden gegenüber dem aus dem cranialen Divertikel entstandenen
Gang sehr eng, so daß der craniale Gang von nun an den Haupt-
ausführgang der Leber bildet. Bei Vögeln, welchen die Gallenblase
fehlt (Tauben, Papageien), erhält sich der craniale und caudale Gang
in gleicher Stärke. Nach Hammar verhält sich die Entwickelung bei
der Ente genau so, wie sie Felix vom Hühnchen schilderte. Hammar
hat aber nun weiter diese Verhältnisse auf die von Brächet ge-
wonnenen Resultate bei Selachiern und Reptilien bezogen und rindet
die Zustände insofern vergleichbar, als an der ganzen Leberanlage ein
cranialer und caudaler Abschnitt zu unterscheiden ist, wozu bei Rep-
tilien noch eine weitere Sonderung der cranialen Pars hepatica in ein
craniales und caudales Bläschen (gouttiere hepatique primitive) ent-
stand. Das letztere tritt schon bei Reptilien in nähere Beziehung zur
caudalen Pars cystica der gesamten Leberanlage. Die neueste Arbeit
von Brouha bestätigt die Auffassung von Brächet. Demnach besteht
beim Hühnchen zuerst eine einfache Leberfalte, noch
ohne jedes Divertikel. Daraus bilden sich 2 Divertikel, die als
Pars hepatica (cranial) und Pars cystica (caudal) unterscheidbar sind.
Der Hauptunterschied der Anlage bei Vögeln gegenüber niederen
Wirbeltieren besteht nach Brouha darin, daß die Zellsprossung und
Leberbälkchenbildung bei Vögeln nur zögernd beginnt und erst dann
einsetzt, wenn die beiden Divertikel schon getrennt sind. Diese
beiden Divertikel, in welchen Götte, Felix und Hammar
zuerst die primitive Leberanlage erblickten, sind also
that sächlich bereits sekundäre Sprossen der einfachen
medianen Leberfalte.
Bei Säugetieren (Fig. 130 c, 131 u. 132) nimmt Kölliker
eine paarige Anlage der Leber an, wenigstens beim Kaninchen. Die
beiden Sprossen treten nacheinander auf, und zwar die erste am 10.,
die zweite am 11. Tage. His dagegen schilderte beim Kaninchen und
ebenso beim Menschen eine einfache Leberanlage, welche von der
ventralen Wand des Darmrohrs ausging. Durch Wucherung seiner
Zellen entstand eine kompakte Zellenmasse, die kompakte Leberanlage.
Die Gallenblase bildet sich nach Kölliker aus dem zuletzt auf-
tretenden Divertikel, nach His entsteht sie später als sekundäres
Divertikel des Leberausführgangs.
Später wurden diese Verhältnisse durch Felix, Hammar, Bro-
man und Brächet untersucht, und es ergiebt sich daraus, daß die
Leberanlage der Säugetiere sich genau verhält, wie bei niederen Wirbel-
tieren. Daß der Mensch davon keine Ausnahme macht, erweisen die
Angaben von Swaen.
Felix schildert bei menschlichen Embryonen zwei Leberanlagen,
aber nicht wie Kölliker in paariger Anordnung, sondern wie beim
Die Entwickelung des Darmsystems. 195
Hühnchen in cranialer und c an dal er Lage zu einander. Doch sind
diese Angaben Felix' mit Vorsicht aufzunehmen, da sie auf Grund
einer lückenhaften Serie gegeben sind. Nach den Angaben von Broman
besteht auch bei menschlichen Embryonen von ca. 3 mm Länge nur
ein einziger Gang, der vou der ventralen Darmwand unter dem Magen
cranialwärts zieht und sich in den Trabekeln der bereits gebildeten
Leber rasch verliert. Janosik schließt sich den Angaben von Bro-
man an, so daß auch nach ihm ein einfacher Ausführgang der Leber-
anlage von vornherein besteht.
Brächet hat die erste Leberanlage an einer vollständigen Serie
von Kaninchenembryonen studiert und findet auch hier, daß die Leber
durch eine breite longitudinale Ausbuchtung (renflement) der ventralen
Darmwand sich anlegt, welche sich vom hinteren Herzende (Sinus
venosus) bis zum Darmnabel hinzieht. Cranialer und caudaler Ab-
schnitt dieser ersten Leberrinne verhalten sich in der Folge verschieden.
In der vorderen und mittleren Partie dieser Ausstülpung wuchern die
Zellen der epithelialen Wand und bilden einen epithelialen Zellenhaufen,
der mit dem Septum transversum sich in Verbindung setzt und die
kompakte Leberanlage, wie sie His schilderte, darstellt.
An dem caudalen Teil der Wand dieser ersten Leberrinne findet
eine solche Zellwucherung nach Brächet nicht statt. Hier bleibt die
epitheliale Wand glatt. Dieser caudale Teil wächst später zur Anlage
der Gallenblase aus.
Also auch beim Kaninchen kann man eine einheit-
liche Leber anläge erkennen, welche einen cranialen und
caudalen Abschnitt in ihrem ferneren Verhalten unter-
scheiden läßt. Der erste re bildet die Leberschläuche,
der letztere die Gallenblase. Man kann sie also auch
hier als Pars hepatica und Pars cystica bezeichnen.
So stellt die Leberanlage weiterhin, nachdem sich ihr Zusammen-
hang mit dem Duodenum verengert hat, ein cranialwärts gerichtetes
Darmdivertikel dar, aus dessen caudalem Ende als sekundäres Diver-
tikel die Anlage der Gallenblase hervorgeht.
Es erscheint mir besonders von Bedeutung für die Phylogenie,
daß hier einfachere Verhältnisse als bei Reptilien und
Vögeln bestehen, insofern niemals eine Teilung der vorderen
cranialen Leberanlage in zwei hintereinander gelegene Knospen statt-
findet. Dadurch trennen sich die Säugetiere von den
Sauropsiden, wie in so vielen anderen Beziehungen.
Nach Hammar spielt sich beim Säugetier die weitere Ausbildung
der Leber etwas anders ab, so daß die Trennung der Pars hepatica
und der Pars cystica nicht in gleicher Weise erhalten bleibe, wie bei
niederen Formen. Diese Schwierigkeit löst Brächet in dem Sinne,
daß er angiebt, die Anlage der Pars cystica sei hier weniger voluminös
als bei Selachiern und Reptilien.
Die neuesten Angaben von Swaen über einen jugendlichen mensch-
lichen Embryo schildern die Leberanlage als eine Rinne im Duodenal-
bezirk des Darmes, die mit dem Septum transversum zusammenhängt,
in welchem sie sich ausdehnt. Am cranialen Ende der Rinne bestand
bereits eine kleine Wucherung, die sich abzuschnüren begann. Caudal-
wärts wird die Wand glatt und gleichmäßig. Die Leberanlage des
Menschen entspricht in diesem Stadium somit vollkommen
der gleichen Anlage anderer Säuger.
13*
196 F. Maurer,
Z u s a m m e n f a s s u n g : Die erste Anlage der Leber zeigt nach
den vorstellenden Schilderungen bei allen Wirbeltieren den gleichen
Plan. Ihre Bildungsstätte ist die ventrale Darmwand an der Grenze
zwischen Vorder- und Mitteldarm. Nach vorn wird sie durch das
hintere Ende des Herzschlauchs, nach hinten durch die vordere Darm-
pforte begrenzt, wenigstens bei meroblastischen Eiern. Sie bestellt
zuerst in einer längs verlauf enden Rinne, der Leberfalte. Die erste
Anlage tritt bei meroblastischen Eiern erst zu einer Zeit auf, wo der
Embryo sich vom Dottersack abgehoben hat, so daß ihre erste Anlage
durch den Dotterreichtum des Eies nicht so eingreifend beeinflußt
wird, wie die erste Anlage des Herzens. Bei sämtlichen Wirbeltieren
läßt sich weiterhin der craniale Abschnitt der Anlage von dem caudalen
unterscheiden : ersterer bildet die Leberdrüsenschläuche (Pars hepatica)
letzterer bildet die Gallenblase (Pars cystica). Bei Sauropsiden teilt
sich die Pars hepatica nochmals in einen cranialen und caudalen Teil,
welch letzterer nähere Beziehung zur Gallenblase erhält. Dadurch
werden die Ausführgänge komplizierter. Säugetiere und Mensch zeigen
darin einfacheres Verhalten. Bei Ammocoetes bedürfen die Angaben
Kupffer's noch weiterer Untersuchung hinsichtlich der dorsalen
Mündung der späteren Leberanlage. Es ist die Frage, ob diese der
dorsalen Pankreasanlage höherer Wirbeltiere entspricht. Daß dies nicht
wahrscheinlich ist, wird sich bei Betrachtung des Pankreas ergeben.
1)) Die weitere Entwicklung der Leber.
Die weitere Leberentwickelung, die sich an die betrachtete erste.
Anlage anschließt, umfaßt erstens die specielle Weiterbildung des
Leberparenchyms, d. h. die Histogenese, und zweitens die Lappen-
bildung der Leber.
a) Die Histogenese der Leber.
Hinsichtlich der Histogenese der Leber bei Wirbeltieren sind nach
den früheren Arbeiten von Toldt und Zuckerkandl besonders die
Abhandlungen von Retzius und Braus von Bedeutung.
Der wesentliche Fortschritt in unserer Erkenntnis wurde durch
Retzius' Nachweis geliefert, dahin gehend, daß die Leber der C}rclo-
stomen eine echt tubulöse Drüse darstellt, deren hohle Schläuche
sich zwar mehrfach teilen, aber nicht durch Anastomosen zu einem
Netzwerk vereinigt sind. Braus hat an der Hand dieser Beobachtung
die Frage nach der Histogenese der Leber aufgenommen und bei allen
Wirbeltieren durchgeführt. Die Schläuche der sich entwickelnden Leber
bestehen bei Selachiern und Amphibien jederzeit in Form von netz-
förmig verbundenen hohlen Gebilden. Die dickeren Schläuche zeigen
in Jugendstadien sehr weite Lumina, die in späteren Entwickelungs-
zuständen unter Abnahme des Kalibers der Schläuche enger werden.
Bei Vögeln bestehen die reichlich verästelten und netzförmig ver-
bundenen Leberschläuche aus kompakten Bälkchen, die kein Lumen
besitzen (Götte, Felix, Hammar und Froreen). Später erst kommt
es zur Ausbildung eines Lumens. Bis zu welcher Dicke die zuerst
bestellenden kompakten Leberbalken sich ausbilden, zeigt die Angabe
Froreen's, nach welcher 7 — 8 Zellen den Querschnitt eines solchen
Balkens bilden können. Nach Bildung des Lumens besteht die Leber
aus einem Netzwerk von Leberschläuchen, und die Maschen derselben
Die Entwickelung des Darmsystems. 197
werden von einem zweiten Netz, durch Blutgefäße gebildet, ausgefüllt.
Beide Netze durchdringen sich. So besteht die Leber zeitlebens bei
allen Wirbeltieren, mit Ausnahme der Myxinoiden und Säugetiere.
Während jene einfachere Zustände zeigen, sind die Verhältnisse bei
Säugern viel komplizierter.
Beim 4-wöchentlichen menschlichen Embryo fanden Toldt und
Zuckerkandl die Leber genau wie bei niederen Wirbeltieren, aus
einem Netzwerk hohler Schläuche bestehend, das sich mit einem Blut-
gefäßnetz durchdringt. Ueber die Art, wie sich aus diesem Zustand
der Läppchenbau der ausgebildeten menschlichen, resp. Säuger-Leber
entwickelt, gehen die Ansichten auseinander: Nach Toldt und Zucker-
kandl dehnen sich die Schläuche beträchtlich in die Länge aus, so
daß sich die Zahl der Zellen, welche das Lumen eines Schlauches be-
grenzen mehr und mehr verringert bis auf zwei. Kölliker dagegen
schreibt den Blutgefäßen bei dem Vorgang eine aktive Rolle zu, und
dieser Ansicht schlössen sich neuerdings Van der Stricht und Kosta-
necki an. Die zuerst bestehenden dicken Schläuche werden durch
Eindringen der allmählich sich bildenden Gefäße weiter zerteilt,
und so kommen die sekundären Leberzellbälkchen zu stände. Es ist
dies nur die Fortsetzung eines ersten Entwickelungsvorganges ; denn
es besteht von vornherein eine Beziehung zwischen dem sich ent-
wickelnden Leberschlauchnetz und den sprossenden Blutgefäßen. Das
Einsprossen von Gefäßen aus den Venae omphalo-mesentericae in die
zuerst bestehende kompakte Masse der Leberzellen, die durch Prolife-
ration aus der Pars hepatica der Leberfalte entstanden ist, ist die Ur-
sache für die erste trabekuläre Anlage der Leber.
Diese ersten Vorgänge wurden bei Amphibien von Store und
Hammar übereinstimmend geschildert. Bei Reptilien besteht nach
Hammar eine größere Selbständigkeit im ersten Wachstum der Drüse,
insofern die Schläuche schon ein Netzwerk bilden, bevor Blutgefäße
in dessen Maschen eingedrungen sind. Bei Säugetieren schildert
Brächet diese ersten Verhältnisse so, daß die wachsenden Leber-
schläuche sofort in Kontakt mit den im Septum transversum verlau-
fenden Venen treten, bei ihrem Wachstum die Gefäßwand vor sich
herstülpen und das Gefäßlumen abschneiden. Wir sehen also hier alle
Anschauungen inbetreff der Bildung des Leberzellnetzes mit dem es
durchdringenden Blutgefäßnetz ausgesprochen:
1) Selbständiges Wachstum der Leberschläuche und Verbindung
desselben zu einem Netzwerk (nach Hammar bei Reptilien); 2) Zer-
teilung der kompakten Leberzellmassen zu einem Netzwerk von Strängen
durch einsprossende Blutgefäße in diese Zellenmasse (nach Store und
Hammar bei Amphibien); 3) Zerteilung der Blutgefäße durch Ein-
dringen der Leberschläuche in dieselben (nach Brächet beim Säuge-
tier).
Die Weiterbildung der Säugetierleber ist von Braus genauer in
letzter Zeit geschildert worden. Daraus ergiebt sich, daß die Leber
der Säugetiere durchaus nicht gleichartig ist, sondern daß hinsichtlich
der Ausbildung der Leber eine Reihe besteht: Monotremen, Marsu-
pialier, Placentalier. Alle zeigen die Läppchenstruktur. Aber die
Monotremen lassen im Innern der Läppchen noch keine radiären Leber-
zellketten erkennen, sondern zeigen teils unregelmäßige Zellinseln, und
zwar in der centralen Hälfte des Acinus, teils aber noch ein Netzwerk
geschlossener Leberschläuche, so daß 3— 5 Leberzellen eine Gallen-
198 F. Maurer,
kapillare begrenzen. Dies bestellt an der Peripherie des Läppchens. Bei
Marsupialiern ist die Zerteilung der Leberschläuche weitergediehen.
Hier begrenzen höchstens noch 3 Leberzellen ein Lumen. Braus
unterscheidet das verschiedene Verhalten der Gallenkapillaren als
vasozonale und cytozonale Maschen. Letztere können monocytisch
und polycytisch sein. Genauer auf diese vergleichend- anatomisch so
wichtigen Zustände der fertigen Leber einzugehen ist hier nicht der
Platz. Es ist nur embryologisch noch hervorzuheben, daß nach den
Angaben von Kostanecki und Braus die Anordnung des Leber-
gewebes zur Zeit der Entwicklung des intratrabekulären Gefäßnetzes
vollkommen unregelmäßig ist. Aber erst nach der Geburt erscheint,
wie Toldt und Zuckerkandl schon angaben, der lobuläre Bau und
die radiäre Struktur der einzelnen Lobuli (Brächet). Czerny hat
ferner darauf hingewiesen, daß an der Oberfläche der Leber lange
Zeit ein embryonaler Zustand des Lebergewebes erhalten bleibt (Kanin-
chen und Ratte). An den Rändern der Ratteuleber speciell bleiben
sogar Spuren des rein schlauchartigen Leberaufbaues, wie er in der
embryonalen Leber besteht, viel länger erhalten als bei anderen Säuge-
tieren .
Hinsichtlich des verschiedenen Verhaltens der Aeste der Vena
portae und der Vena hepatica während der Dauer der Embryonal-
entwickelung der Leber sind die Angaben von Toldt und Zucker-
kandl beim Menschen und die von Braus für das Kaninchen über-
einstimmend. Schon beim jungen Embryo kann man die Zweige der
nicht von Bindegewebe umhüllten Lebervenen leicht von den Aesten
der in das Bindegewebe der GLissoN'schen Kapsel eingelagerten
Pfortader deutlich unterscheiden. Zu gleicher Zeit kann man schon
eine Läppchenbildung in der Leberanlage unterscheiden, aber noch
nicht in dem Sinne, wie später : es fehlt noch die radiäre Anordnung
der Zellbälkchen und der intralobulären Kapillaren, und an Stelle
eines Vas centrale bestehen mehrere, die selbst Kollateralbildungen
zeigen. Auch die Aeste der Pfortader sind zahlreicher und unregel-
mäßiger. Diese primären Leberläppchen, wie man sie bezeichnet hat,
werden durch das Eindringen der Pfortaderäste mit dem sie um-
hüllenden Bindegewebe iin das Lebergewebe weiter zerteilt, und so
bilden sich die bleibenden sekundären Lobuli, mit je einem Vas centrale.
Die Zahl der sekundären Läppchen, welche aus einem primären Läpp-
chen hervorgeht, entspricht genau der Zahl der im primären Läppchen
vorher nachweisbaren Aeste der Lebervene.
Die Entwicklung der Leber ist mit der Geburt noch lange nicht
abgeschlossen. Nach der Geburt findet kein gleichmäßiges Wachstum
des Organes statt, sondern einzelne Teile erfahren eine Vergrößerung,
andere aber werden kleiner. Es spielt sich ein Vorgang der Atrophie
in bestimmten Teilen der Leber ab. So kommt die Verkleinerung
des linken Leberlappens zu stände. Es findet eine reichliche Degene-
ration von Leberzellen statt, während die Ausführgänge der Degene-
ration lange widerstehen und zum Teil als Vasa aberrantia erhalten
bleiben. Solche finden sich besonders im Lig. trianguläre sinistrum,
in der Brücke der linken Längsfurche, an der Stelle, wo die Vena
cava inf. der Leber anlagert, und in der Umgebung der Gallenblase,
also vor allem an der unteren Fläche der Leber beim Menschen. Der
Grund der Atrophie liegt in dem Druck, den die benachbarten Organe
auf die Leiter ausüben. Czerny weist darauf hin, daß an den ange-
Die Entwickelung des Darmsystems. 1*)!»
gebenen Stellen oft eine Rückbildung von Leberparenchym eintritt, ehe
dasselbe fertig gebildet war und noch embryonalen Charakter zeigte.
Der Schwund wird eingeleitet durch Kompression und Rückbildung
der Blutgefäße, woran sich eine Vermehrung von Bindegewebe und
Zersprengung der Leberzellen anschließt. Letztere atrophieren dann.
ß) Die Entwickelung der Leberlappen bei höheren
Wirbeltieren.
Bei Vogelembryonen hatten Balfour und Forster angegeben,
daß die Leberanlage von vornherein 2 Lappen erkennen läßt, welche
den beiden ersten Divertikeln des Darmes entsprechen. Später haben
Felix und Hammar diese Angabe modifiziert, indem sie zeigten, wie
die Derivate der beiden (cranialen und caudaien) Leberknospen, den
vereinigten Stamm der Venae ompholo-mesentericae umfassend, eine
einheitliche Masse von Leberschlauchnetzen bilden, die eine Einteilung
in Lappen ausschließt. Beim Kaninchen wurde schon von Kölliker
die Teilung der Leber in 3 Lappen erkannt. Aber auch diese bilden
sich sekundär aus einer einfachen Anlage. Schon bei Embryonen vom
12. Tage kann man 3 Lappen unterscheiden (His, Ravn, Brächet,
Hammar, S waen). Der eine liegt ventral und ist median
angeordnet. Die beiden anderen liegen dorsolateral.
Der mediane liegt im Septum transversum ventral vom Darm
und zeigt Beziehungen zur ventralen Rumpfwand. Die dorsolateralen
Lappen ragen über die dorsale Oberfläche des Medianlappens j euer-
seits empor, zu beiden Seiten des Darmes und der mesenterialen
Scheidewand. Die beiden dorsalen Lappen entwickeln sich längs der
Venae omphalo-mesentericae dorso-caudalwärts weiter.
Brächet hat weiterhin gefunden, daß der Verlauf nicht nur der
Venae omphalo - entericae, sondern auch der Venae umbilicales von
Einfluß für die Bildung der Leberlappen ist. In Anschluß an die
Angaben Swaen's und Hammar's giebt er an, daß längs dieser 4 Ge-
fäßstämme die Leber sich in dorso-caudaler Richtung weiter ausbildet,
so daß man 4 Lappen unterscheiden kann.
Es ergiebt sich ferner aus Brachet's Befunden, daß die beiden
längs der Venae umbilicales nach hinten auswachsenden Lappenarme
in Verbindung miteinander stehen, und zwar so, daß man sie als
direkte nach hinten gewachsene Fortsätze des von Kölliker als
ventral gelegenen medianen Lappens nachweisen kann, während die
beiden längs der Venae omphalo-mesentericae ausgewachsenen Lappen
ganz voneinander getrennte selbständige Bildungen darstellen, die nur
an ihrer vorderen ventralen Fläche mit dem Medianlappen zusammen-
hängen. Sie entsprechen den dorsolateralen Lappen v. Kölliker's.
Die Gesamtanlage der Leber stimmt also in auffallender Weise
mit dem Verhalten der Venen, um welche sie angeordnet ist, überein.
4 Venen, die 2 Venae omphalo-mesentericae und die 2 Venae umbili-
cales, vereinigen sich cranialwärts im einheitlichen Sinus venosus. Beim
menschlichen Embryo bestehen keine so tiefen Einschnitte zwischen
den Lappen wie beim Kaninchen.
Swaen giebt an, daß bei Mensch und Kaninchen der rechte dorso-
laterale Lappen sich viel weiter nach hinten erstreckt, als der linke.
Die Angaben Broman's von einem 3 mm langen menschlichen Em-
bryo stimmen damit überein.
Mit der späteren Umbildung der Gefäße werden die Lappen
weniger deutlich. Es treten aber sekundäre Lappen auf. Von diesen
200 F. Maurer,
ist der Lob. caudatus und Lob. venae cavae inferioris zu nennen.
Ravn, Brächet und Swaen haben die Bildung des Lobus caudatus
bei Mensch und Kaninchen übereinstimmend geschildert. Beim Kanin-
chen entstammt er der inneren Fläche des rechten dorsolateralen
Lappens. Er erscheint als ein kleines Knötchen, das den freien Rand
des Mesoduodenum umwandert und sich in die Bursa hepato-enterica
einsenkt.
Der Lobus venae cavae inferioris bildet sich aus dem dorsalen
Teil des rechten dorsolateralen Lappens.
Bei Kaninchen bildet er einen wohlbegrenzten Lappen, der sich
weit caudalwärts erstreckt (Brächet, Hochstetter). Auch bei
niederen Wirbeltieren ist dieser Lappen vielfach beschrieben worden:
von Götte bei Bombinator, beim Axolotl von Brächet. Klaatsch
hat ihn bei Amphibien als Lobus descendens hepatis bezeichnet. Bei
Betrachtung der Sonderungen des Mesenterium bleibt darauf zurück-
zukommen.
Die Entwickelung des Pankreas.
Ebenso wie die Leber läßt das Pankreas in seiner Entwickelung
bei allen Wirbeltieren einen gemeinsamen Plan erkennen. Bei Cyclo-
stomen und Selachiern geht es nur aus einer dorsalen Anlage am An-
fang des Mitteldarms hervor, während bei allen übrigen Wirbeltieren
zu dieser unpaaren dorsalen Anlage noch eine paarige ventrale An-
lage hinzukommt, die in naher Beziehung zur Leberanlage steht.
Cyclostomen. Die Existenz eines Pankreas bei Cyclostomen
wurde bis vor kurzem geleugnet. Der Einzige, welcher Angaben über
die Entwickelung dieses Organs bei Ammocoetes macht, ist Kupf-
fer. Doch wurde dies Gebilde, das als eine Ausbuchtung am An-
fang des Mitteldarms schon oben bei der Leberentwickelung be-
sprochen ist, als dorsale Leberanlage gedeutet. Es wurde von späteren
Untersuchern nicht aufgefunden. Durch die Angaben von Maas wissen
wir, daß Myxine und Bdellostoma ein dorsales Pankreas besitzen,
und wenn dies auch angezweifelt wurde, so ist doch durch den Vor-
trag und die Demonstration von Giacomini auf dem Anatomenkongreß
zu Pavia (1900) jeder Zweifel darüber beseitigt, daß bei Petro-
myzon marinus ein dorsales Pankreas in deutlicher
Ausbildung besteht. Genauer ist seine Entwickelung bis jetzt
freilich nicht bekannt geworden.
Bei Selachiern sind wir besser über die Entwickelung dieser
Drüse unterrichtet. Balfour, Hammar, Brächet und Mayr sowie
Laguesse finden die Anlage des dorsalen (einzigen) Pankreas bei
Selachiern in Form eines kurzen Divertikels der dorsalen Darmwand
(Fig. 127P). Dasselbe liegt der Leberanlage caudalwärts schräg gegen-
über. Diese Anlage schnürt sich von vorn nach hinten fortschreitend
allmählich vom Darmrohr ab.
Die Anlage des Pankreas entsteht etwas später als die Anlage
der Leber (Brächet, Mayr). Nach Mayr stellt die erste Anlage
eine Rinne dar. Dadurch, daß diese sich von vorn nach hinten vom
Darmrohr abschnürt, scheint sich das Organ rückwärts zu verlagern.
Die Pankreasanlage kommt in Beziehung zum cranialen Ende der sich
gleichzeitig entwickelnden Spiralfalte des Darmes bei Acanthias.
Durch die Beziehung zur Spiralklappe resp. deren Ausbildung
wird die Mündungsstelle des Pankreas verlagert. Sie rückt von der
dorsalen Wand des Darmes auf die linke Seite, um schließlich ganz
Die Entwickelimg des Darmsystems. 201
ventral zu liegen. Es ist hier noch auf Oppel's Angaben hinzuweisen.
Die ausschließlich dorsale Anlage des Pankreas bei Selachiern bildet
eine Drüse, in welcher zwei verschiedene Bestandteile später zu unter-
scheiden sind. Der eine Bestandteil ist die eigentliche Pankreasdrüse.
Die Zellen dieser Drüsentubuli zeigen die bekannten beiden Hälften,
die basale kernhaltige und die freie, welche Zymogenkörnchen enthält.
Zwischen solchem Drüsenparenchym liegen andersartige Gebilde, die
von den Autoren als intertubuläre Zellhaufen sehr unzweckmäßig be-
zeichnet worden sind. In diesen erblickt Oppel das Urpankreas und
will mit diesem das einzige Pankreas von Ammocoetes und der Cyclo-
stomen überhaupt vergleichen. Die letzten Angaben mit Abbildungen
von Giacomini zeigen indessen, daß auch bei Petromyzon marinus im
Pankreas zweierlei Schläuche bestehen. Ueber die Bedeutung dieser
beiden Teile sind so ziemlich alle möglichen Vermutungen ausge-
sprochen worden. Oppel hat 18 verschiedene aus der Litteratur zu-
sammengestellte Ansichten angeführt, auf die ich hier nicht eingehen
will.
Bei allen übrigen Wirbeltieren besteht neben der dorsalen auch
eine ventrale Pankreasanlage.
Bei Ganoiden ist das Pankreas dorsale des Störs von
Kupffer untersucht worden. Hier bestehen zwei dorsale Pankreas-
anlagen, die nicht paarig angeordnet, sondern als craniale und cau -
d a 1 e zu unterscheiden sind. Die craniale liegt gerade dorsal über der
Leberanlange, also ebenfalls am Beginn des Mitteldarms, während die
caudale am hinteren d. h. caudalen Ende des Mitteldarms sich findet.
Diese beiden Divertikel sondern sich bald in je drei Abschnitte : einen
dorsomedialen und zwei laterale, einen linken und einen rechten. Von
diesen 3 Abschnitten bildet bloß der rechte sowohl von der cranialen,
wie von der caudalen Anlage Pankreasgewebe, während die dorso-
mediale sowie die linke Portion der beiden Divertikel sich zu lym-
phatischem Gewebe weiter ausbilden, in welchem Kupffer die Anlage
der Milz erblickt. Die Pankreasabschnitte der beiden dorsalen An-
lagen vereinigen sich untereinander und treten auch mit der beim
Stör bestehenden ventralen Pankreasanlage in Verbindung. Sie lösen
sich vollkommen von der Milzanlage ab. Bedeutsam ist nur diese
Angabe Kupffer's, weil nach seiner Auffassung somit eine sehr nahe
genetische Beziehung zwischen dorsaler Pankreasanlage und Milz be-
steht, die indessen zunächst mit großer Vorsicht aufzunehmen ist.
Nach Brächet sind vielleicht die beiden Anlagen des dorsalen Pan-
kreas in gewissem Sinne vergleichbar der cranialen und caudalen Leber-
knospe bei Reptilien und Vögeln.
Stöhr bezweifelt, daß die caudale dorsale Pankreasanlage, die
Kupffer bei Acipenser schilderte, wirklich Pankreasgewebe bilde, er
hält sie eher für die Schwanzdarmwnrzel. Das wird von Kupffer
widerlegt , wonach die hintere dorsale Pankreasanlage mit dem
Schwanzdarm nichts zu thun habe, der viel weiter hinten liege. Jene
Anlage liefere sicher Pankreasgewebe.
Die dorsale Pankreasanlage bei Teleo stiem ist durch die
Untersuchungen von Göppert, Stöhr und Laguesse bekannt ge-
worden. Nach Göppert (Fig. 129) bildet sich bei der Forelle die
dorsale Pankreasanlage als eine Ion gitudinaleVer dick ung der
dorsalen Darm wand, die sekundär ein Lumen erhält. Diese An-
202
F. Maurer.
läge trennt sich mehr und mehr vom Darm ab und bleibt nur durch
einen engen Kanal zunächst noch mit ihm in Verbindung.
Göppert und Laguesse finden in gleicher Weise, daß das aus
dieser dorsalen Anlage hervorgesproßte Pankreas sich mit dem rechten
ventralen Pankreas sehr bald
verbindet, worauf der dor-
sale Ausfuhr gang in den
Darm eine völlige Rück-
bildung erfährt. So kommt
es, daß für das gesamte
Pankreas bei Teleostiern
dann nur ein ventraler Aus-
führgang besteht, der mit
dem Ductus choledochus ge-
meinsam in den Anfang des
Mitteldarms ausmündet.
Bei Amphibien ist
die dorsale Pankreasanlage
ebenfalls sehr genau unter-
sucht worden durch Götte,
Göppert, Stöhr und
Weysse.
Nach Göppert bildet
sie sich bei Triton alpestris
an der dorsalen Darmwand
im Beginn der Gastroduo-
denalschlinge, und zwar in
Form einer Ausstülpung
d e s E n t o d e r m s , dem auch
bald das Darmfaserblatt
folgt. Die Ausstülpung legt sich nach rechts sackartig um und wächst
auch rechts weiter. Links besteht nur eine schwache Ausbuchtung.
Diese dorsale Pankreasanlage liegt etwas cranialwärts vom ventralen
Leberstiel, von welchem aus die ventralen Pankreasanlagen entstehen.
In der weiteren Entwickelung verhält sich die dorsale Pankreasanlage
bei Urodelen und Anuren insofern verschieden, als sie bei Urodelen
ihren Zusammenhang mit dem Duodenum dauernd erhält, während
sie sich bei Anuren gänzlich ablöst nach Vereinigung mit der ventralen
Anlage. Stöhr schildert die dorsale Pankreasanlage von Rana, wo
sie in Form eines Wulstes des Entoderms an der dorsalen Darmwand
auftritt. Hier sind die Zellen kleiner und stärker pigmentiert.
Auch bei Reptilien und Vögeln ist die dorsale Pankreas-
anlage in gleicher Weise vorhanden (Götte. Foster und Balfour,
Duval, Felix, Brächet).
Endlich findet sich auch bei Säugetieren und dem Menschen
die dorsale Anlage des Pankreas. An die früheren Arbeiten von
Kölliker, His und Balfour schließen sich die von Felix, Stoss,
Jankelowitz, Wlassow und Brächet an. Die meisten Autoren
betrachten die erste Anlage als eine unpaare Ausstülpung der dorsalen
Darmwand, doch giebt Stoss eine erste paarige Anlage an, und eben-
so schildert Wlassow7 die erste dorsale Pankreasanlage beim Schwein
als zweilappig.
Fig. 129. Querschnitt durch den Anfang des
Mitteldarmgebiets eines Forellenembryo von 30
Tagen. Nach Göppert. D Duodenum, dch Ductus
choledochus. pvs u. pvd linke und rechte Anlage
des ventralen Pankreas, pd dorsale Pankreas-
anlage. s durch Punktlinie angedeutet deren Zu-
sammenhang mit dem Darm, h ebenso angedeu-
tete Mündung des Duct. choled. in das Duodenum.
Die Entwickelung des Darmsystems. 203
Nach der Schilderung von Stoss tritt bei Schafembryonen von
17 — 18 Tagen (4 mm Länge) die erste Anlage des Pankreas auf. Die
Anlage des Mitteldarms vor der vorderen Darmpforte besitzt einen
sehr großen dorso-ventralen Durchmesser. Dieser von Stoss als
primäres Duodenum bezeichnete Darmteil, der gerade aus der Darm-
rinne sich unter fortschreitender Abhebung des Embryo vom Dotter-
sack zum Rohr abgeschlossen hat, sondert sich dorso-ventral in 3 ver-
schiedene Gebilde. Der dorsale Teil wird zur dorsalen Pankreasanlage,
der mittlere Teil wird zum bleibenden Duodenum, und der ventrale
Teil stellt den primären Ductus choledochus dar, aus welchem auch
die ventrale Pankreasanlage sich nun entwickelt. Die dorsale Pankreas-
anlage besteht in zwei hohlen seitlichen Ausbuchtungen. Sie löst sich
in der Folge in caudocranialer Richtung vom Darmrohr ab. Die
Ablösung wird beim Schaf vollständig beim Embryo von 4,8 mm
Länge. Das Duodenum führt um diese Zeit eine Achsendrehung' aus,
so daß die Mündung des Ductus choledochus, die ursprünglich ventral
liegt, nach rechts und dorsalwärts rückt. Beim Schaf findet also ge-
nau der gleiche Vorgang bei der Entwickelung des Pankreas statt,
wie es Göppert bei Triton alpestris geschildert hat. Doch findet
sich das nicht bei allen Säugetieren. Vielmehr bleibt die Kommuni-
kation der dorsalen Pankreasanlage in der Regel erhalten beim Pferd
und Hund, wo sie den schwachen Ductus Santorini bildet, der auch
öfter beim Menschen besteht. Beim Rind und Schwein bildet dieser
dorsale Pankreasgang sogar den einzigen Ausführgang des Pankreas.
Hier hat sich der Ductus Wirsungianus rückgebildet, indem sich die
ventrale Pankreasanlage so ablöste, wie es beim Schaf die dorsale
Anlage thut.
Die ventrale Anlage des Pankreas findet sich außer bei Cyclo-
stomen und Selachiern bei allen Wirbeltieren und steht in Beziehung
zur Leberanlage. Sie bildet sich später als die dorsale An-
lage und entsteht als paarige Di vertikelbildun g von
dem bereits stark verdünn ten Ductus choledochus aus,
also zu einer Zeit, wo die Leberanlage in ihrer Entwickelung schon
weit fortgeschritten ist. Die erste genauere Kenntnis von der Ent-
wickelung der ventralen Pankreasanlage verdanken wir Göppert,
der sie bei Amphibien und später bei Knochenfischen nachwies.
Bei Teleostiern (Forelle) bildet sie sich nach Göppert, Stöhr
und Laguesse an der bezeichneten Stelle. Indem nun eine Drehung
des Darmes in dem Sinne erfolgt, daß die Leber rechts zu liegen
kommt, findet sich die rechte ventrale Pankreasanlage auf der rechten
Seite, vom Ductus choledochus aus dorsalwärts verlaufend. Dieser
Anlage wächst die dorsale Pankreasanlage auf der rechten Seite des
Darmes ventralwärts entgegen und vereinigt sich mit ihr. Die linke
ventrale Pankreasanlage kommt bei der genannten Drehung des Darmes
an dem rechts gelegenen Ductus choledochus in ventrale Lage. Die
aus der paarigen ventralen Anlage sprossenden Drüsenschläuche des
Pankreas liegen auf der rechten Seite des Duodenum und dehnen sich
dorsalwärts aus. Diese Lagebeziehung zum Darm besitzt auch das
gesamte Pankreas, nachdem sich die dorsale Anlage gänzlich vom
Darmrohr abgelöst hat. Es würden nun 2 ventrale Mündungen
des Pankreas bestehen. Doch auch diese erleiden Veränderungen:
Die beiden Mündungen rücken mehr und mehr auf die Seite des
Ductus choledochus, welche dem Darm zugewandt ist, d. h. nach links
204 F. Maurer,
und hinten sieht. Dabei nähern sie sich einander, um schließlich zu-
sammenzutreffen, so daß dann beide eine gemeinsame Mündung be-
sitzen. An dieser Mündungsstelle bildet sich weiterhin ein Kanal aus,
der nun die beiden Gänge aufnimmt. So steht endlich das Pankreas
nur durch einen kurzen, sich gabelig teilenden Gang (Ductus Wirsun-
gianus) mit dem Ductus choledochus in Verbindung. Auf seinem
Bildungsgange tritt das Pankreas auch mit der Vena portae in Be-
ziehung, die es umwächst (Göppert).
Bei Ganoiden hat uns Kupffer die paarige ventrale Anlage
des Pankreas als Ausstülpungen des primitiven Leberganges nahe
dessen Mündung in den Darm kennen gelehrt.
Bei Amphibien hat Göppert die paarige Anlage des Pankreas
bei Triton, Rana und Bufo in derselben Weise geschildert. Hier
wurde zum erstenmal die Entwickelung des Pankreas
aus 3 Anlagen bekannt. Die dorsale Anlage löst sich, wie oben
angegeben, bei Anuren ganz vom Darm ab, während bei Urodelen die
Verbindung mit dem Darm bestehen bleibt. Die ventralen beiden An-
lagen münden nicht dauernd getrennt, sondern vereinigen sich. Die
ventralen Anlagen finden sich, vom Leberstiel ausgehend, symmetrisch,
nahe dessen Mündung in den Darm. Die Weiterbildung der ersten
Anlage (die 3 Anlagen finden sich bei 6 mm langen Tritonlarven) er-
folgt nun in der Weise, daß die Divertikel sich ausdehnen und dann
ihre Wandung eingefaltet wird. Indem diese Buchten Sprossen treiben,
erfolgt eine Vergrößerung der beiden Anlagen, und dieselben vereinigen
sich untereinander und mit der dorsalen Anlage rechts vom Darm, so
daß bei 7,5 mm langen Larven eine einheitliche Pankreasdrüse mit 3 ge-
trennten Mündungen besteht. Die beiden ventralen Mündungen ver-
einigen sich, indem sie einander näher rücken, an der rechten Peri-
pherie des Ductus choledochus und bilden einen kurzen gemeinsamen
Ductus Wirsungianus (Larven von 10 mm Länge). Bei Anuren spielt
sich der gleiche Vorgang etwas modifiziert ab infolge des starken
Längenwachstums des Mitteldarms. Der Ductus choledochus wird von
den beiden ventralen Ductus pancreatici schlingenartig umgeben, doch
verbinden auch diese sich vor ihrer Mündung in den Ductus choledochus
zu einem kurzen einheitlichen Endstück (Rana temporaria, Larven von
11,5 mm Länge). Die dorsale Pankreasanlage trennt sich vom Darm
ab, sie liegt stets, auch später in der Konkavität der Gastro-duodenal-
schlinge. Sie erreicht ein sehr bedeutendes Volumen und übertrifft
zur Zeit des Auftretens der hinteren Extremitätenstummel selbst die
Anlage der Leber an Größe beträchtlich. Die Leber ist lange auffallend
klein, um erst später durch starkes Wachstum das Pankreas zu über-
flügeln. Zur Zeit der Metamorphose ändert sich dies Verhältnis noch
weiter zu Ungunsten des Pankreas (Göppert).
Bei Reptilien ist die ventrale, paarige Anlage des Pankreas
zuerst durch Saint Remy (Tropidonotus natrix), dann durch Janosik
und vor allem genauer durch Brächet bekannt geworden. Von der
paarigen Anlage bei Lacerta muralis bildet sich aber nur die rechte
zu Pankreasgewebe aus und vereinigt sich mit der dorsalen Anlage.
Die linke ventrale Anlage verkümmert unter Abflachung der Wandung
des ersten Divertikels. Ob hier nun thatsächlich eine ventral rückende
Verlagerung des dorsalen Ausführgangs resp. dessen Mündung erfolgt,
derart, daß er erst dorsal, dann an die rechte Cirkumferenz und schließ-
lich ventral in den Darm mündet, wie Janosik und Brächet angeben,
Die Entwickeluug des Darmsystems. '
205
bleibe dahingestellt, Die Mündung soll nämlich dann in den Ductus
choledochus erfolgen. Es wäre merkwürdig, wenn diese Mündung
thatsächlich aus dem dorsalen Gang hervorgegangen wäre und nicht
der rechten ventralen Anlage entspräche.
Bei den Vögeln ist die paarige ventrale Pankreasanlage von Felix
beim Hünchen, von Saint Remy bei der Ente geschildert worden. Neuer-
dings hat Hammar sie von Larus canus und Stern a paradisiaca be-
a
/— Hi-
ng. 130. Frühe Entwickelungszustände der Leber- und Pankreasanlage vom
Vogel und Säugetier, nach. Hammar. a) Hühnchen vom 8. Tag. D Vorder-
darm, la craniales-, lp caudales Leberdivertikel. r Darmriunc. b) Plattenmodell
eines Mövenembryo, 7 mm lang. D Darm. L Lebertrabekel, la cranialer, lp cau-
daler Lebergang, pd dorsales Panki-eas. u Dottergang, c) Dasselbe von einem
Kaninchenembryo von 8 mm Länge (11 Tage), m Magen, du Duodenum. L Leber-
trabekel, g Gallenblase, dch Ductus choledochus. pd, pv dorsales und ventrales
Pankreas. dS Ductus Santorini. dW Ductus Wirsungianus.
schrieben (Fig. 130 b). Bei diesen bilden sich wie bei niederen Wirbel-
tieren 2 ventrale Pankreasdivertikel. Nur das rechte liefert Pankreas-
gewebe. Das linke soll sich nicht rückbilden, wie bei Lacerta, sondern
Lebergewebe liefern. Brächet nimmt wohl mit Recht an, daß es
sich hier nicht um die linke Pankreasanlage, sondern um einen Teil
der Leberanlage handle. Brouha schilderte beim Hühnchen die beiden
ventralen Anlagen, und nach ihm bilden auch beide Pankreasgewebe.
Die unpaare dorsale und die paarige ventrale Anlage bleiben nur
lange getrennt, vereinigen sich aber doch schließlich zu einem ein-
heitlichen Drüsenkörper.
Die ventrale paarige Anlage des Pankreas bei Säugetieren
wurde genauer zuerst durch Stoss bei Schafsembryonen (Fig. 130 c,
131 u. 132) geschildert, nachdem vorher schon Phisalix, Zimmer-
mann, Hamburger und Swaen die doppelte Anlage des Pankreas
(dorsale und ventrale) bei menschlichen Embryonen erkannt hatten.
206
F. Maurer,
Wir kennen ferner die Anlage beim Schwein (Wlassow), Kaninchen
(Hammar), Katze (Felix). Stoss' Schilderung war die erste und
aufklärende für Säugetiere. Hiernach entsteht ein paariges, symmetrisch
angelegtes Divertikel am Leberstiel unmittelbar an dessen Mündungs-
stelle in 'das Duodenum. Diese beiden Divertikel wachsen gleich-
mäßig aus und liefern Pankreasgewebe. Indem auch hier dieser
Darmteil eine Achsendehrung erfährt, rückt die ventrale Anlage rechts
um das Duodenum in die Höhe und verbindet sich mit der dorsalen
herabrückenden Anlage. Indem die letztere Anlage sich vom Darm
gänzlich ablöst, bleibt beim Schaf nur ein ventraler Ausführgang be-
stehen. Bei 7 cm langen Föten ist der dorsale Gang obliteriert, bei
9 cm
langen Föten
besteht nur der Ductus Wirsungianus. Hinsichtlich
dieses Verhaltens der
schiedene Zustände. Von dem bis
Ausführgänge
Fig. 131. Leber- und Pankreasanlage von Schaf-
embryonen von 5 mm Länge. Querschnitt der Duo-
denalregion. A Aorta, sd Duodenum, pd, pv dorsale
und ventrale Pankreasanlage. H Leber, rf Gallen-
blase, de Ductus choledochus. vp Vena portae.
vo Vena omphalo-enterica. (Nach Stoss.)
bestehen bei Säugetieren ver-
jetzt bekannt Gewordenen führe
ich an, daß bei Pferd und
Hund neben dem ven-
tralen Ductus Wirsun-
gianus auch der dorsale
Pankreasgan g erhalten
bleibt, daß bei der Katze
wie beim Schaf nur der
ventrale Gang besteht,
der dorsale eine Rück-
bildung erfährt. Hier
schließt sich der Mensch
an, insofern in der Regel
nur ein Ductus Wirsun-
gianus besteht, nicht ganz
selten aber auch die dor-
sale Anlage des Pankreas
Mündung
ihre
Darm erhält
Santorini.
als
in den
Ductus
Endlich kennen wir im Rind und Schwein Formen, bei welchen
die Verbindung der dorsalen Pankreasanlage mit dem Darm als einziger
Ausführgang der Drüse erhalten bleibt, daß dagegen die ventrale
Pankreasanlage sich gänzlich vom Ductus choledochus ablöst, so daß
ein Ductus Wirsungianus nicht besteht, sondern nur ein sehr weiter
Ductus Santorini (Stoss). Die verschiedene A rt der Erhaltung
der Ausführ gän ge ist nach Göppert so zu verstehen, daß
in jedem Fall der für den Abfluß des Sekretes kürzeste
und leichteste Ab führ weg erhalten bleibt, was durch die
verschiedene Beziehung zu benachbarten Organen bezw.
Leber und Vena portae beeinflußt sein mag.
Die jüngste Anlage des ventralen Pankreas beim Menschen wurde
von Jankelowitz geschildert an einem Embryo der 4. Woche von
4,7 mm Rückensteißlänge. Demnach besteht die Anlage des mensch-
lichen Pankreas aus 3 Anlagen, die ursprünglich völlig voneinander
getrennt sind : einer dorsalen, die dem Epithel des primitiven Duo-
denum angehört, und 2 ventralen, die von der rinnenförmigen Anlage
des Ductus choledochus ausgehen.
Die histologische und topographische Ausbildung
der Pankreas:
Die Entwickelung des Darmsystems.
207
Ueber die histologische Ausbildung des Pankreas liegen die An-
gaben von Laguesse über Teleostier vor. Zuvor ist zu bemerken,
daß hinsichtlich seiner histologischen Verhältnisse das Pankreas eine
besondere Ausbildung zeigt durch die intraacinösen Zellen und ferner
durch die intertubulären Zellhaufen. In der ersten Anlage bildet-fdas
Pankreas der Teleostier eine kompakte Masse, die in Lappen geteilt
sich diese Masse in einen Komplex großer
zusammenliegenden Zellen. Im Innern
ein feines Lumen, um welches die Zellen
ist. Weiterhin zerteilt
kompakter Cylinder aus
dieser Cylinder entsteht
fest
dann
sich in zwei Schichten anord-
nen. Die Zellen der inneren
Schicht verlieren bald ihren
Zusammenhang untereinander
und bilden die centroacinösen
Zellen, die Zellen der äußeren
Schicht werden zu den eigent-
lichen Drüsenzellen. Nach
den weiteren Veränderungen,
welche die centroacinösen Zel-
len durchmachen, indem sie
sich verlängern, spindelförmig
werden und ihr verkleinerter
Plasmakörper homogen wird,
kommt Laguesse zu dem
Schluß, daß diese Elemente
nichts weiter darstellen als
in die Drüsenschläuche
fortgesetzte Ausführ-
gangsepithelien, in welche
sie nach dem Ausführgang zu
auch kontinuierlich übergehen.
Brächet sieht darin eine Be-
der Angaben von
stätigung
Fig. 132,
Leberanlage
Schafes. Modellabbl.
denum. pd, pv dorsale
anläge, g Gallenblase.
dch Ductus choledochus.
Duodenum mit Pankreas- und
vom 5 mm langen Embryo des
nach Stoss. D Duo-
urid ventrale Pankreas-
en Ductus hepaticus.
Langerhans, Latschenrer-
ger und Pischinger.
Die äußeren eigentlichen Drüsenzellen ordnen sich radiär um das
Lumen und werden größer. Die Zymogenkörnchen treten schon früh,
ehe die Funktion des Darmes beginnt, auf. Durch die Entwickelungs-
weise der centroacinösen Zellen wird die Auffassung Mouret's wider-
legt, der sie als Wanderzellen ansprach, die die Membrana propria und
das Epithel durchdrungen hätten.
Auch über die Entwickelungsweise der intertubulären Zellhaufen
macht Laguesse wichtige Angaben beim Schafembryo (Fig. 133). In
der frühen Pankreasanlage höhlen sich alle Epithelschläuche aus.
Dieselben treiben dann weiter Sprossen, welche nur zum Teil sich
aushöhlen und zum weiteren Ausbau der Drüse beitragen, während
ein anderer Teil als kompakte Zellstränge bestehen bleibt und die
ersten intertubulären Zellhaufen darstellt. Des weiteren verdient noch
die Angabe Laguesse's Beachtung, wonach an den Anlagen der eigent-
lichen Drüsenschläuche allenthalben voluminöse, trübe, dunkle Zellen
einzeln oder in Gruppen zwischen den Epithelzellen auftreten. Die-
selben stellen die Punkte dar, an welchen die definitiven sekretorischen
Endstücke aussprossen. Hier besteht also ein Unterschied zwischen
208
F. Maurer.
dem Pankreas der Säugetiere und der Knochenfische. Während bei
letzteren der ganze distale Teil der primitiven Schläuche zu sekre-
torischen Teilen wird, bilden sich letztere beim Schaf nur von den
erwähnten großen trüben Zellen aus, alle übrigen primitiven Schläuche
affi^fffrgHgB
Fig. 133. Schema zur histologischen Entwickelung des Pankreas vom Schaf
(nach Laguesse). Bei a Anastomosenbildung der Schläuche, ca centroacinöse Zellen.
ie intertubuläre Zellinseln.
formieren Ausführgänge. Die intertubulären Zellhaufen beim Schaf
machen komplizierte, noch nicht genügend aufgeklärte Umbildungen
durch. Laguesse unterscheidet sie als primäre und sekundäre. Die
primären degenerieren, die sekundären bleiben erhalten, werden von
reichlichen Blutgefäßen umsponnen und können auch gelegentlich zu
secernierenden Endstücken werden.
Die topographischeAusbildung des Pankreas steht in
naher Beziehung zum Darmkanal, der Leber und den großen Gefäßen,
denn das Pankreas ist in seiner dorsalen Anlage dem dorsalen Mesoduode-
num mit seiner ventralen Anlage, wie die erste Anlage der Leber, dem
ventralen Mesenterium, resp. dem Septum transversum eingelagert.
Bei Knochenfische n (Forelle und Idus miniatus) hat Göppert
geschildert, wie das Pankreas nach rechts zu liegen kommt und dorsal
Die Entwickelung des Darmsystems. 209
vom Darmrohr sich ausdehnt (Fig. 129). Bei der Forelle umgiebt es
ringförmig den Ductus choledochus, bei Idus verläuft letzterer vor
dem Pankreas herab zum Darm. Auch zum Stamm der Vena portae
tritt es in Beziehung, längs dessen es sich ausdehnt. Darauf, wie
auf spätere Ausbildungen hat Laguesse bei der Forelle hingewiesen.
Abgesehen von dem kompakten Drüsenkörper des Pankreas, der ring-
förmig den Ductus choledochus umgiebt, sehen wir von diesem Ring
ausgehend Fortsätze in großer Zahl die Pfortader und ihre Aeste be-
gleiten. Einige dieser Ausläufer erreichen die Appendices pyloricae,
die sie in reichlichen Massen umspinnen, so daß letztere ganz von
Pankreasgewebe umhüllt sind. Bei Crenilabrus setzt sich das Pankreas
den Pfortaderästen folgend, sogar in die Leber hinein fort und bildet
das, was Laguesse als pancreas intra-hepatique geschildert hat.
Doch ist dieser Teil des Pankreas vollkommen von der Leber getrennt,
indem sich auch eine Fortsetzung der Leibeshöhle hier in der Um-
gebung der Pfortader in die Leber hinein findet.
Bei Amphibien schildert Göppert die topographische Aus-
bildung des Pankreas so, daß es mit seinem dorsalen Teil in dem dorsalen
Mesenterium liegt, ventralwärts aber sich in das Lig. hepatogastricum
bis zur Berührung mit der Leber erstreckt. Im dorsalen Mesente-
rium kann sich das Pankreas flächenhaft ausbreiten. Kleine, zungen-
artige Fortsätze der Drüse erstrecken sich gegen die Gallenblase und
längs der Vena abdominalis hin. Im dorsalen Mesenterium bildet das
Pankreas eine dreieckige Platte, und zwar ist es auch hier in der Um-
gebung der Vena portae am stärksten entwickelt. Dieses Gefäß um-
hüllt das Drüsengewebe vollständig. Die Beziehung des Pankreas
zu den Venen ist charakteristisch. So findet Göppert bei Meno-
branchus, daß das Pankreas Lappen aussendet, welche sowohl die
Vena mesenterica, als auch die Vena lienalis eine weite Strecke be-
gleiten.
Bei Anureu gestaltet sich der ventrale Teil des Pankreas viel
voluminöser als der dorsale. Ferner fand Göppert, daß bei Urodelen
der Körper des Pankreas an einer Stelle fest dem Darm angeschlossen
ist, während diese Verbindung bei Anuren fehlt. Eine Umwachsung
des Ductus choledochus und der Vena portae durch Pankreasgewebe
fehlt noch bei Anurenlarven, sie bildet sich erst nach der Metamor-
phose aus (Göppert).
Bei den Säugetieren ist die Topographie des Pankreas natur-
gemäß auch durch die Zwerchfellbildung beeinflußt, die ja auch die
Leber und den Darm wesentlich in Mitleidenschaft zieht. Die Ver-
bindung der dorsalen und ventralen Pankreasanlage erfolgt in ver-
schiedener Beziehung zum Pfortaderstamm. Während beim Menschen
die Vereinigung ventral vom genannten Venenstamm stattfinden soll
(Swaen), wird sie beim Kaninchen (Brächet) so hergestellt, daß der
Venenstamm ringförmig von Pankreasgewebe umfaßt wird.
Bei den meisten Säugetieren liegt späterhin das Pankreas im
Mesoduodenum und Mesogastrium, hat also eine dorsale Lage ange-
nommen, ebenso wie beim Menschen. Bei anderen Säugetieren aber,
so beim Kaninchen (Brächet), dehnt es sich in Form unregelmäßiger
Züge, sich verästelnd, zwischen den Lamellen des Mesenterium aus,
bildet keine feste, einheitliche Masse.
Handbach der Entwicklungslehre. II. 1. 14
210 F. Maurer,
5) Die Entwickelung des Afters.
Die Entwickelung des Afters ist bei allen Wirbeltieren an die
Differenzierung des Blastoporus geknüpft. Die Form des Blastoporus
in der Reihe der Wirbeltiere ist durch das verschiedene Verhalten
des Dotters im Ei in quantitativer Beziehung, wie im Hinblick auf
seine Orientierung, eine sehr verschiedene. Doch sind diese Ver-
schiedenheiten nebensächlicher Natur, und wir finden, daß sich im
wesentlichen die Ausbildung des aboralen Poles des Wirbeltier-
keimes in gleicher Weise vollzieht. Der Blastoporus bleibt nach dem
Ablauf des Gastrulationsprozesses noch längere Zeit ein für das Wachs-
tum der gesamten Embryonalanlage sehr wichtiger Vegetationspunkt.
Man nahm lange Zeit an, daß er an der Bildung des Afters direkt nicht
teilnehme, vielmehr sehr rasch durch Verwachsung seiner Ränder einen
völligen Verschluß erfahre. Der After wurde dann als eine Neu-
bildung aufgefaßt, ebenso wie die Bildung der Mundöffnung. In den
letzten Jahren hat sich aber herausgestellt, daß der Blastoporus aller-
dings direkt an der Afterbildung teilnimmt, insofern er bei einigen
Formen ganz, bei anderen zum Teil direkt in den After übergeht.
Eine bekannte Komplikation der Umbildung des Blastoporus ist da-
durch gegeben, daß die Medullarrinne denselben bei ihrer Ausdehnung
caudalwärts umwächst und, indem sie sich zum Rohr abschließt, die
Oeffnung des Blastoporus von der äußeren Oberfläche abschlösse,
wenn nicht an diesem selbst Wachstums Vorgänge eingetreten wären.
Durch Verwachsung der seitlichen Urmundlippen wird ein teilweiser
Verschluß des Blastoporus und zugleich ein Längenwachstum desselben
veranlaßt. Dadurch wird ein ventraler Teil dem Bereich der Me-
dullarrinne entzogen. Der im Medullarrinnenbereich liegende dorsale
Teil des Blastoporus vermittelt die Bildung einer in verschiedener
Weise kurze Zeit bestehenden Kommunikation des Medullarkanals mit
dem Darmrohr, des Canalis neurentericus, während der aus den
verwachsenen seitlichen Blastoporuslippen gebildete mittlere Teil das
Bildungsmaterial für den Schwanzteil des Organismus enthält. So
bleibt das ventrale Ende des Blastoporus noch allein als
eine kleine Grube bestehen, und diese wird direkt zum
After. Als Gegner der Konkrescenztheorie, wie sie Hertw'ig aus-
sprach, treten Rabl und Bonnet auf, welche den Blastopor us-
Verschluß nicht durch e i n e N a h t b i 1 d u n g , sondern durch
eine von vorn nach hinten stattfindende Verkleinerung
auffassen. Auch unter dieser Beurteilung lassen sich alle Er-
scheinungen zwanglos deuten, und sie erscheint als die naturgemäßere.
Danach stellt der After den letzten Rest des Blasto-
porus dar.
Es ist hier nicht meine Aufgabe, alle die Umbildungen des Blasto-
porus zu betrachten, die in wesentlichen Punkten bei der Ausbildung
der Keimblätter und der Entwickelung des Centralnervensystens, ferner
auch bei der Entwickelung des Schwanzes beteiligt sind und an
anderer Stelle Berücksichtigung finden müssen. Hier ist nur darauf
einzugehen, soweit der Blastoporus zur Bildung der bleibenden After-
resp. Kloakenöffnung in Beziehung steht.
Amphioxus. Bei dieser Form geht nicht der ganze Blasto-
porus in den After über, sondern sein vorderer Teil wird da-
durch, daß er vom Medallurrohr überwachsen wird, von der After-
Die Entwickelung des Darmsystems.
211
bildung
ausgeschlossen.
Nach den
Angaben
von Kowalewski
und
Hatschek, denen sich 0. Hertwig anschließt, bildet sich auch
hier eine von vorn nach hinten fortschreitende Verwachsungsnaht.
Aus dem hintersten Teil des Blastoporus geht der After hervor, un-
mittelbar davor bildet sich die Schwanzknospe. Diese Angaben lassen
die Afterbildung in Uebereinstimmung mit dem gleichen Vorgang bei
höheren Wirbeltieren, besonders Amphibien, erscheinen. Eine Ver-
wachsung der Urmundränder in einer Nahtlinie ist nach
Hatschek's nur Deutungssache. Rabl hat in seinem Vorwort
den Angaben
zur
Theorie des Mesoderms
ihn Hatschek schildert,
darauf
auch
dem eine Verkleinerung
hingewiesen, daß der Vorgang, wie
ohne Konkrescenz möglich ist, in-
des Blastoporus von vorn nach
hinten stattfindet. So wird auch von Garbowski und Samassa
die Bildung einer Gastrularaphe in Abrede gestellt. Nach Samassa er-
folgt die Verengerung des Urmundes durch Vorrücken seiner Ränder.
Das Ueberwachsen der Anlage des Medullarrohrs über den Blastoporus
erfolgt anders, als Kowalewski und Hatschek dies angaben, sondern
das caudale Ende des Medullarrohrs schließt sich erst, nachdem der
Blastoporus umwachsen ist, und zwar überbrückt dann das Epithel (Ekto-
derm), nach hinten wachsend, den Urmund und verschmilzt mit dem
Ektoderm der ventralen Urmundlippe. Ein Canalis neurenterius bildet
sich nach Samassa nicht immer, im Falle er entsteht, findet er sich
erst bei Embryonen mit 3 Urwirbeln. Ebenso giebt Garbowski
an, daß der Blastoporus sich nicht von allen Seiten zusammenziehe,
sondern durch das Nachwachsen der dorsalen Wand von vorn her
eingeengt wird. Nach
Mac Bride liegt der
Blastoporus des Am-
phioxus zuerst auf der
linken Seite, um dann
dorsalwärts in die
Höhe zu rücken infolge
starken Wachstums
der Blastoporuslippe.
Diese abweichen-
den Angaben bedürfen
noch der Aufklärung,
doch füge ich hinzu,
daß Roux und v.
Davidoff sich der
Anschauung von 0.
Hertwig angeschlos-
sen haben.
Cyclo stomen.
In betreff der Cyclo-
stomen sind die An-
gaben von Götte und v. Kupffer anzuführen. Sie stimmen darin über-
ein, daß bei Petromyzon der Blastoporus ganz zum After wird
(Fig. 134). Da die Medullarrinne den Blastoporus nicht erreicht, bildet
sich auch kein Ductus neurentericus aus. Fig. 134 giebt den Beleg für
diese Angaben, an deren Richtigkeit nicht zu zweifeln ist. Die Cyclo-
stomen stehen somit in gewissem Gegensatz zu den übrigen Wirbeltieren
hinsichtlich der Afterbildung, die hier sehr einfach erscheint. Auch
14*
Fig.
134.
eines |Embryo
von Petromyzon Planeri. 5 Tage alt, nach v. Kupffer.
d Vorderdarm. I Leberbucht, a Blastoporus,- After.
Medianer Sagittalschnitt
5 Tage
212 F. Maurer,
bei Bdellostoma geht nach den Beobachtungen von Dean der Blasto-
porus in den After über. Es besteht wenigstens eine kreisrunde Oeff-
nung am Ende der Medullarrinne, Dean bezeichnet sie als „inferior
opening of neurenteric canal" bei Embryonen mit 54 Urwirbeln, die
wohl als Anlage des Afters aufzufassen ist.
Selachier: Eine genaue Schilderung der Afterbildung bei
Scyllium canicula verdanken wir Kastschenko: am Caudalencle der
noch scheibenförmigen Embryonalanlage erheben sich die beiden Rand-
wülste. Zwischen beiden in der Medianebene das Embryo lagern
Medullarplatte und Chorda dorsalis fest zusammen. Indem die Rand-
wülste sich erheben, nähern sie sich einander und an der Umbiegungs-
stelle der Primitivwülste in die Randwülste entwickelt sich jederseits
ein Caudallappen. Nun verwachsen die Medullarwülste in der dorsalen,
die Cau dal wülste in der ventralen Mittellinie. Durch erstere bildet sich
das Medullarrohr, durch letztere der Canalis neurentericus und der
Schwanzdarm. Der letztere ist demnach eine direkte Fortsetzung
des Medullarrohrs. Der Canalis neurentericus ist ein abgeschnürter Teil
des Blastoporus. Weiter vorwärts bleibt das Lumen des Hinterdarms
an der Ventralfläche des Schwanzes noch einige Zeit lang ventralwärts
nach außen offen, aber dann verwächst auch diese Oeffnung und erst
bedeutend später erscheint an derselben Stelle der After. Nach dieser
Schilderung geht also auch hier der After aus dem der ventralen
Urmundlippe entsprechenden Abschnitt des Blasto-
porus hervor und es zeigen sich die Selachier hierin mit den übrigen
Wirbeltieren in Uebereinstimmung.
In Betreff der Ausbildung des Afters bei Dipnoern gebe ich
die Darstellungen Semon's von Ceratodus wieder , welche zeigen,
daß hier die Ausbildung des Afters aus dem hinteren Teil des
Blastoporus gerade so verläuft, wie wir es von Amphibien kennen
(Fig. 137).
Auch bei Lepidosiren bildet sich nach Kerr die Afteröffnung
aus dem Blastoporus. Kerr giebt an, daß zur Zeit des Ausschlüpfens
der After obliteriert und erst nach einigen Wochen wieder bleibend
zum Durchbruch kommt.
Die Amphibien sind hinsichtlich der Ausbildung des Afters viel-
fach untersucht und besonders darum von Interesse, weil hier zuerst
die direkte Beteiligung des Blastoporus an seiner Bildung erkannt
wurde. Ueber die Umbildung des Blastoporus bei Amphibien liegen
Arbeiten vor von Morgan, Kopsch (Axolotl), Götte, Johnson
(Triton), Gasser (Alytes), Spencer, Durham, Morgan, Side-
botham , v. Erlanger, Robinson und Asheton (Rana). F.
Schanz wies zuerst in Anschluß an die Arbeiten von 0. Hertwig
die Beteiligung des Blastoporus an der Bildung des Afters nach.
Später wurde diese Frage von v. Erlanger, Robinson und Asheton
weitergeführt und die ScHANz'schen Angaben bestätigt (Fig. 135
und 136). In seiner Abhandlung über: „Urmund und Spina bifida'1
hat 0. Hertwig die Vorgänge genau geschildert. Er unterscheidet
4 Stadien bei der Afterbildung' : Zuerst erscheint er als der hinterste
Abschnitt des gesamten Urmundes; im 2. Stadium hat er sich als
eine besondere Oeffnung von ihm abgetrennt, da sich die unpaare
Schwanzanlage aus dem hinteren Ende des neuralen Abschnitts
der Urmundränder gebildet hat. „Eine durchgängige Oeffnung ist an
Durchschnitten durch die Aftergegend nicht zu finden, weil die
Die Entwickelung des Darmsystems.
ms
Wandungen
sich unmittelbar berühren". Aeußeres und inneres Keim-
blatt stehen hier nur vermittelst des mittleren Keimblattes, das hier
mit jenen eine einheitliche Zellenmasse darstellt, in Verbindung. Dies
ändert sich im 3. Stadium, insofern hier das mittlere Keimblatt sich
aus dem Zusammenhang mit den beiden primitiven Keimblättern löst.
Fig.
a After,
röhr, ch
135. Längsschnitt eines Embryo von Rana escnlenta nach v. Erlanger.
c Canal. neurentericns. vd, md, ad Vorder-, Mittel-, Afterdarm, m Medullar-
Chorda.
liegt
Rückbildung
Die Cölomsäcke haben sich abgeschnürt und geschlossen. Nun be-
steht noch eine Aftermembran, in deren Bereich das äußere und
innere Keimblatt unmittelbar aneinanderschließen. Diese Membran
im Grunde einer Aftergrube. Im 4. Stadium kommt es zur
der nur durch eine einfache Lage von Ektoderm- und
Entodermzellen gebildeten Aftermembran. Der After wird durchgängig,
indem in der Mitte der epithelialen Verschlußmembran die Zellen aus-
einanderweichen.
Von der ventralen Schwanzwurzel führt zur Aftergrube eine
häufig von seitlichen hohen Falten begrenzte Rinne. Diese schließt
sich unter Verwachsung der Falten zu einem ektodermalen Afterrohr
von verschiedener Länge. Dies entsteht nach 0. Hertwig nicht nur
bei gewissen Missbildungen, sondern auch im normalen Entwickelungs-
verlaufe.
Nicht immer bildet sich eine Aftermembran, sondern in den Fällen
(Missbildungen), in welchen die Höhle des Enddarms vom Grunde der
entodermalen Aftergrube weiter entfernt ist, zieht von dieser zu jenem
ein epithelialer Zellenstrang, der Afterstrang.
Die Afterbildung von Uro d eleu stellt sich nach den Angaben
von Sedgwick, Morgan, Alice Johnson und F. Schanz etwas ver-
schieden von Anuren dar. Sedgwick und A. Johnson nehmen noch
an, daß der Blastoporus direkt in den After übergehe, Schanz da-
gegen hat die Teilung in einen dorsalen Teil, der den Canalis neuren-
tericus und einen ventralen zum After werdenden Teil erkannt.
Ferner nimmt v. Erlanger an, daß bei Urodelen der ventralste Teil
das Blastoporus stets durchgängig sei und nicht erst eine Aftermembran,
wie bei Anuren zur Ausbildung komme. Demnach hält v. Erlanger
die Afterbildung bei Anuren gegenüber von Urodelen für sekundär
moditiciert. Das ändert
nichts an
dem wesentlichen
Vorgang
der
214
F. Maurer,
Afterbildung, deren Beziehung zum Blastoporus v. 0. Hertwig zu-
sammenfassend dargestellt worden ist.
Bei Gymnophionen ist die Bildung des Afters durch
neuester Zeit von Hypogeophis rostratus bekannt
geworden
Brauer in
Der
B*~-~-
CL"
a
Fig. 136. Afterentwickelung bei
Rana esculenta nach v. Erlanger.
N Neuroporus. B Blastoporus. a After.
._ a
beigefügten Figuren
Vorgang spielt sich wie bei Uro-
delen ab, insofern auch hier bei
den meroblastisch sich entwic-
kelnden Keimen der Blastoporus
sich unter seitlicher Verengerung
in einen vorderen Canalis neur-
entericus und hinteren After
teilt. Von vorn nach hinten
fortschreitend tritt der Verschluß
des Blastoporus ein, der hintere
Teil, der zum After wird, bleibt
138 und 139 nach Brauer ver-
stets offen. Die
anschaulichen dies
Bei Sauropsiden vollzieht sich die Afterbildung, wenn wir in
der Primitivrinne das Homologon des Blastoporus erblicken in überein-
stimmender Weise mit niederen Wirbeltieren. Am hinteren Ende des
zur Primitivrinne in die Länge gezogenen Blastoporus bildet sich
unter Zusammenschluß von Ekto- und Entoderm die Aftermembran,
während das vordere offene Ende der Primitivrinne den Canalis
neurentericus (Chordablastoporus) darstellt. (Strahl, v. Kupffer,
Bonnet). Die Ausbildung des Afters wurde ferner von Ostroumoff
bei Eidechsen (Phrynocephalus helioscopus) unter den Sonderimgsvor-
gängen der Primitivrinne geschildert. Hier besteht an deren vorderen
Ende der Kiel, d.i. der Anschluß des Chordaentoderms an das Ektoderm
und dieser Punkt entspricht der dorsalen Urmundlippe der Amphibien.
Am hinteren (caudalen) Ende der Primitivrinne bildet sich ein kleines
Grübchen, die
findet. Aus
Aftergrube, an deren Grund eine Aftermembran sich
lern vorderen Teil des Primitivstreifs gehen die Organe
hervor, die an der Rückenfläche des Embryo liegen, während der
hintere Abschnitt desselben an die Ventralfläche der Schwanzanlage
Die
Entwickelung
des Darmsystems.
215
UHr
des Embryo zu liegen kommt, und dieser Teil schließt nach vorne mit
dem After ab. Die Teilung des Gebietes der Primitivrinne vollzieht
sich somit auch hier ebenso wie es Kastschenko bei Selachiern
schilderte und wie es 0. Hertwig von Amphibien angab. Durch
die Ausbildung des Schwanzes
wird das hintere Ende der Pri-
mitivrinne, welches der ven-
tralen Urmundlippe der Am-
phibien homolog ist, an die
ventrale Fläche der Schwanz-
anlage gedrängt und an dem
gerade vor der Schwanzwurzel
gelegenen ursprünglich hin-
teren, nun aber ventralen Ende
bildet sich die Aftergrube mit
der Aftermembran, nach deren
Schwund der After durch-
gängig wird. Auch bei Schild-
kröten spielt sich der Vorgang
der Afterbildung nach den
Angaben von Mitsukuri in
entsprechender Weise ab. Da-
nach besitzt der Blastoporus
bei Chelonia in einem frühen
Stadium eine hufeisenförmige
Gestalt. Der dazwischen lie-
gende Dotterpfropf wird von
den Medullarfalten umgriffen,
indem diese nach hinten aus-
wachsen. Der Dotterpfropf
dehnt sich nach hinten aus,
teils unter dem Einfluß der
Medullarfalten , teils durch
eigenes Wachstum. Er bildet
ein Grübchen. Nun bilden
sich die zwei Schwanzwülste,
wie oben geschildert und ver-
wachsen median. Dabei wird
aber das hintere Ende der Primitivrinne nicht erreicht, sondern bleibt
frei hinter dem letzteren. Die Afterbildung findet demnach in derselben
Weise, wie bei der Eidechse statt. Nach den neuesten Darstellungen
Fig. 137. Afterentwickelung bei Ceratodus,
nach SSemon. b Blastoporus. a After, ol
Riechgrube, uk Unterkieferanlage.
sich
ab.
auch beim Krokodil die Bildung des
wie
von Voeltzkow spielt
Afters in gleicher Weise
Von den Vögeln ist das Gleiche bekannt geworden (Bornhaupt,
Braun und Gasser). Wir kennen die Vorgänge vom Hühnchen, Gans,
Ente, Wellensittich u. a. Die Ausbildung der Kloakenöffnung beim
Hühnchen ist von Gasser in vortrefflicher Weise geschildert. Am
hinteren Ende des Primitivstreifs entsteht sie auch hier. Es hängen
Ektoderm und Entoderm an dieser Stelle zusammen. Unter Aus-
bildung des Schwanzteils des Embryo kommt dieser Punkt an die
ventrale Fläche des Schwanzes zu liegen (Fig. 140) und hier treten
nun Lücken
unreg
;elmäßiger
Art zwischen den Zellen des
vereinigten
216
F. Maurer,
Ektoderms und Entoderras auf.
mählich zum Schwund gebracht,
die der Kloake entgegenwächst
Bursa Fabricii, dorsalwärts vom
So wird diese trennende Wand all-
Von der ektodermalen Grube aus,
(dem Proctadäum), bildet sich die
Darm (Fig. 142F). Die Eröffnung
der Kloake findet erst
am 15. — 17. Tage statt.
Während des 6. — 7. Tages
kommt es unter Wuche-
rungen des Dickdarmepi-
thels zu vorübergehen-
dem Schwund des Lu-
mens (Fig. 141). Später
(am 12. Tag) zeigt sich
die Mündung des wieder
offenen Enddarms in die
Kloake
geschnürt
ringförmig
Die
ein-
Figg.
zeigen
140, 141 und 142
diese Vorgänge im Längs-
Auch vom Vogel
schnitt.
Strauß
hat Mitropha-
now die Sonderun g der
Primitivrinne geschildert.
Wenn M. die
rinne der Vögel
Fig. 138. Dorsale Urdarmwand von Embryonen
von Hypogeophis alternans, hinterer Abschnitt, bl
Blastoporus. en onnal. neurentericus. a After, en
Entoderm. ms Mesoderm. ch Chorda. Nach Brauer.
Primitiv-
für einen
sekundären Erwerb hält,
so daß nur ihr vorderes
Ende dem Blastoporus
niederer Wirbeltieren ent-
spreche, so ist das doch
wohl so zu verstehen,
daß wir in ihr einen in
die Länge gezogenen
Vegetationsbezirk vor uns
haben, an dessen hinte-
rem Ende, wie überall
der After zur Ausbildung
kommt. Auf den Blasto-
porus genau*
hen ist aber hier
meine Aufgabe.
einzuge-
nicht
Säugetiere und Mensch.
Kölliker fand beim Kaninchen-
embryo mit 4 Urwirbeln zuerst die Anlage des Afters am hinteren Ende
des Primitivstreifs vor, indem hier Ektoderm und Entoderm sich direkt
zusammenschließen und verschmelzen. Zur Eröffnung der Kloake
kommt es am 11. — 12. Tage. Strahl bestätigte dies und fand, daß
im Anfang diese Stelle an der Dorsalfläche der Darmanlage liege,
dann aber mit der Ausbildung des Schwanzes ventral zu liegen komme.
Später bildet sich dann ein Schwanzdarm aus. Diese Vorgänge spielen
sich vom 10. — 13. Tage ab. WTeitere Angaben wurden von Bonnet
an Schaf und Hund, sowie von Keibel am Meerschweinchen gemacht.
Das wesentliche Resultat dieser Arbeiten ist, daß der After auch
bei Säugetieren aus dem hinteren Ende des zu m Primi-
Die Entwickeluno; des Darmsystems.
217
t i v s t r e i f e n ausgezogenen Blastop o r us entsteht, das vor-
dere Ende bildet den Ductus neurentericus. Ueber die Afterbildung
des Menschen sind die Angaben von Graf Spee und Keibel auf-
klärend.
Wir wissen durch Bonnet, daß beim Schaf die Anlage des Afters
sehr frühzeitig besteht. Bei Embryonen mit 5 Urwirbelpaaren (16.
Tag) besteht bereits eine Aftermembran am hinteren Ende des Primitiv-
streifs, indem hier Ektoderm und Entoderm zusammenschließen. Mit
dem Canalis neurentericus, der den vorderen Teil des Primitivstreifs
darstellt, liegt er noch ganz an der dorsalen Fläche der Embryoanlage
(Fig. 148). Indem zwischen dem Ductus neurentericus und der After-
membran die Anlage des Schwanzes sich entwickelt, hebt sich das
mr
Fig. 139. Medianer Sagittalschnitt eines Embryo von Hypogeophis alternans^
mr Medullarrohr. ud Urdarm. Sonst wie Fig. 138, nach Brauer.
hintere Ende des Embryo von der Keim blase in die Höhe und es
rückt die Region der Aftermembran an die ventrale Fläche der
Schwanzanlage (Fig. 144). Dies ist bei Embryonen mit 23 Urwirbel-
Fig. 140 — 142. Medianer Sagittalschnitt des Schwanzendes von Hühnchen-
embryonen, Fig. 140 vom Anfang des 4. Tages, Fig. 141 vom 7. Tag, 142 vom 12.
Tag. r Rectum, al Allantris H Cloake. p Proctadäum. F Bursa Fabricii. cm
Cloakenmembran. m Medullarrohr. ch Chorda, c Schwanz, v Wirbelsäule.- Nach
Gasser.
'218
F. Maurer,
paaren erfolgt (18. Tag),
erst etwa eine Woche später
zierung der Primitivrinne
Bonnet darin, daß beim Schaf
Der Durchbruch der Aftermembran tritt
ein. Der Unterschied in der Differen-
den Sauropsiden besteht nach
Darm und Medullarrohr sich niemals
gegenüber
bereits schwindet, ehe die
hat und sich zum
ausgebildet
verbinden, indem der Canalis neurentericus
Medullarrinne soweit nach hinten sich
Rohre abschließt.
Auch Keibel schilderte die Bildung des Afters bei Kaninchen,
Meerschweinchen,
streifs bildet sich
Hund und Schaf:
der ektoblastische
Am hinteren Ende des Primitiv-
Strang, der mit dem Afterstrang,
wie ihn 0. Hertwig bei-Amphibien-Mißbildungen schilderte, überein-
stimmt. Derselbe ist gegen das Mesoderm scharf abgegrenzt und
zieht vom Ektoderm zum Entoderm. Beim Meerschweinchen tritt
dieser Strang viel frühzeitiger auf, als bei anderen Formen und
schwindet auch rascher: an seiner Stelle bildet sich der After. Im
übrigen geht auch hier der After aus dem hinteren Teil des Primitiv-
streifs hervor, dessen vorderer Abschnitt den Ductus neurentericus
bildet, wie es sich bei allen Wirbeltieren verhält. Den Angaben
Keibei/s über das Meerschweinchen stehen die Schilderungen von
Carius gegenüber, wonach die Aftermembran hier viel später als beim
Kaninchen und Schaf auftreten sollen (Strahl), auch soll dieselbe die
ganze Länge des Primitivstreifs in frühen Stadien einnehmen. Giaco-
mini beschreibt beim Kaninchen 2 getrennte Verbindungen zwischen Ek-
toderm und Entoderm im Bereiche des Primitivstreifs : eine vordere
-als Canalis neurentericus und eine h i n t e r e als C a n a i i s a n a-
lis. Sobald die Primitivrinne im HENSEN'schen Knoten sichtbar wird, und
sich von diesem nach hinten
ausdehnt, erscheint die vordere
Kommunikation, der Canalis
neurentericus, am 8. Tage,
während die ersten Urwirbel
sich ausbilden. Etwas später,
wenn 6 Urwirbelpaare gebildet
sind, entwickelt sich die 2.
Kommunikation, der Canalis
analis. Beide Verbindungen
werden durch eine grübchen-
förmige Vertiefung des Ekto-
derms hergestellt, deren Grund
sich mit dem Entoderm ver-
bindet. Die hintere Grube
muß zu der Verbindung des
Ektoderm mit dem Entoderm
das hier bereits gebildete Me-
soderm erst verdrängen. Die
vordere Grube faßt Giacomini
als primäre, die hintere als se-
kundäre Bildung auf. Durch
Durchbruch der hinteren
Grube entsteht der After.
Embryo bildet sich der After ebenso
Graf Spee beschreibt einen Verbindungs-
cm>
wie
Fig. 141, s. Fig. 140.
Beim menschlichen
bei andern Säugetieren :
sträng
zwischen Ektoderm und Entoderm im Bereich des vorderen
Die Entwickelung des Darrnsystems.
219
Endes des Primitivstreifens. Er entspricht wohl der vorderen Ver-
bindung, wie sie Giacomini beim Kaninchen schilderte. Auch Graf
Spee schildert ihn beim Meerschweinchen und Kaninchen und be-
zeichnet ihn als neurenterischen
hältnisse auch bei
etwas älteren
menschlichen Em-
bryonen: ein solcher
von 11,5 mm Nak-
kensteißlänge zeigte
bereits einen wohl
ausgebildeten
Schwanzstummel.
in welchem schon
3—6
mente
waren. Der After
liegt ventral am
vorderen Ende des
Schwanzes und ist
noch durch eine
Aftermembran ver-
schlossen. Auch bei
einem älteren Em-
bryo von 20 mm
Nackensteißlänge
fand Keibel den
After noch nicht durchgängig,
und bereits
Strang.
Keibel schilderte die Yer-
v
Schwanzseg-
ausgebildet
obgleich schon der Damm
gebildet
war
eine freie Urethralmündung bestand.
Bei Säugetieren und dem Menschen verstreicht später
und es kommt zur Sonderung der vorderen Urogenital-
Afteröffnung. Dies steht mit der Differenzierung der äußeren
schlechtsorgane in Beziehuug und ist bei diesen zu behandeln.
Die Bildung des Afters bis zum Bestehen der Kloakenhaut hat
Bonnet kürzlich vom Hund geschildert (Fig. 143). Hier entsteht
die Kloake
und hinteren
Ge-
Fig. 143. Medianer Sagittalschnitt durch das Caudalende eines Hundembryo
mit 16 Urwirbeln von 6 mm Länge, n caudaler Neuroporus. 0 Kloakenhaut, a
Amnion, ch Chorda, e Entoderm. (Nach Boxnet.)
220
F. Maurer,
letztere spät, bei Embryonen von 8—10 Urwirbelpaaren und zwar
nahe dem hinteren Ende des Urmundrinnenrestes. Auch hier löst
sich das Mesoderm rings um eine Ektodermverdickung ab und lagert
einer entsprechenden Entodermverdickung an, doch besteht kein vom
Ektoderm zum Entoderm ziehender Strang wie beim Schaf, sondern
Ektoderm und Entoderm sind durch einen Spaltraum voneinander
getrennt (Fig. 143). Die Kloakenhaut entsteht am Ende der Urniund-
rinne oder etwas
der Urmundrinne
vor diesem, schließlich geht aber der
in der sich vergrößernden Cloakenhaut
Rest
oder der
ganze
ventralen Urmundlippe auf. Bonnet betont noch besonders, daß das
Verschwinden der Urmundrinne und ihrer beiden
Lippen nicht durch Verwachsung geschieht: es besteht
nie eine Naht, sondern die Urmundrinne verflacht sich und geht
im Schwanzknoten auf. Dieser stellt somit von vornherein eine un-
paare Bildung dar.
Ueber die später e Ausbildung der Kloake und die
Eröffnung des Afters führe ich die
Arbeiten von Retterer und Keibel
/! an (Fig. 145 und 146). Keibel hat die
Afterbildung beim Schwein, Meerschwein-
chen und Menschen genauer geschildert,
geht auch auf ältere Stadien ein. Die
Oeffnung des Afters beim Schwein erfolgt
beim Embryo von 20 mm Länge. Die
Bildung und der Durchbruch des bleiben-
den Afters bei Säugetieren und dem Men-
Eig. 144.
Medianschnitt des Schwänzendes eines
18 Tage alten Embryo vom Schaf mit 23 Urwirbel-
paaren. (Nach Bonnet.) e Enddarm. « Allantois.
Am Aftermembran, s Schwanzstummel, f Amnion.
clrrv
Fig. 145. Medianer Sagittalschnitt eines Embryo: a) eines 13 Tage alten
Kaninchens, b) Schwein, 1 cm lang. (Nach Retterer.) d Kloake, clm Kloaken-
membran. /• Rectum. « Allantois. v Wirbelsäule, c Schwanz.
Die Entwickelung des Darmsystems.
L>21
Vorgang
derung
sehen stellt nach Retterer und Keibel einen sehr komplizierten
dar. V o r d e m D u r c h b r u ch e r f o 1 g t s c h o n e i n e S o n -
der Kloake in eine vordere Urogenital- und
hintere A f t e r m ü n d u n g unter Ausbildung des Perinaeura. Das
letztere wächst als Scheidewand zwischen Mastdarm und Sinus uro-
genitalis herab und verschmilzt mit der Kloakenhaut : dann tritt die
Eröffnung der Urogenitalöffnung früher als die des Afters ein. Es
besteht also beim Menschen niemals eine offene Kloake.
Fig. 146. Medianer Sagittalschnitt eines menschlichen Embryo vom Anfang
des 3. Monates. (Nach Keibel.) s Sinus urogenitalis. <i After. /; Harnblase, p
Symphyse, g Clenitalhöcker. Sonst wie Fig. 145.
Nach Keibel wird die entodermale Kloake, welche durch die Kloaken-
membran abgeschlossen ist, durch eine frontale Scheidewand in einen
dorsalen und ventralen Abschnitt geteilt. Der ventrale Abschnitt
sondert sich in verschiedene Teile des Urogenitalapparates, der dorsale
bildet den letzten Abschnitt des entodermalen Rectum. Diese Vor-
gänge sind durch die Abbildungen 145 und 146 veranschaulicht.
6) Die Entwickelung der Mesenterien.
Die Ausbildung de r
Mesenterien ist einer der komplizier-
testen Vorgänge der Entwickelung der Wirbeltiere, sowohl onto- wie
phylogenetisch. Sie ist geknüpft an die erste Ausbildung und
weitere Sonderung des C ö 1 o m s. Bei allen Formen ist ein
Kopf- und ein Rumpfcölom zu unterscheiden. DasKopfcölom (die
Parietalhöhle) liegt bei Fischen stets vor dem Rumpfcölom (Pleuro-
peritonealhöhle), während es von Amphibien an nur embryonal diese
Anordnung zeigt, später aber von vorn her in die Pleuroperitonealhöhle
zurückgeschoben erscheint. Bei einigen Fischgruppen (Amphioxus, Cyclo-
stomen und einigen Selachiern) kommuniziert es noch mit dem dahinter
liegenden Rumpfcölom. Bei Teleostiern hat es sich von ihm abgelöst und
222 F. Maurer,
diese Trennung tritt von da an bei allen Wirbeltieren ein. Es stellt
die Pericardialhöhle dar. Das Rumpf cölom, das bei Fischen noch
ganz einheitlich ist, wird von Amphibien an unter Ausbildung der
Lungen in einen vorderen Abschnitt, die Pleura-, und einen hin-
teren, die Peritonealhöhle, gesondert. Beide hängen aber kon-
tinuierlich zusammen. Das findet sich auch noch bei Reptilien und
Vögeln, während es erst bei Säugetieren zu einer völligen Trennung
der paarigen Pleura- von der unpaaren Peritonealhöhle kommt.
Diese Verhältnisse stellen sich ferner verschieden dar bei holo-
blastisch und meroblastisch sich entwickelnden Wirbeltieren. Relativ
einfach sind also die Ausbildungsvorgänge des Cöloms noch bei Am-
phibien, während sie bei amnioten Wirbeltieren sich komplizierter ge-
stalten. Das Cölom ist bekanntlich ausgekleidet von den Parietal-
platten des Mesoderms. Diese überkleiden nicht nur die seitliche
Rumpfwand, sondern setzen sich auf alle in die Rumpfhöhle eingelagerten
Organe fort, die sie nicht nur überziehen, sondern durch Duplikaturen
auch mit der Rumpfwand in Verbindung erhalten. Die Organe, um die
es sich handelt, sind vor allem der Darmkanal, der in seiner ganzen
Länge durch ein dorsales Mesenterium an der hinteren Rumpfwand
befestigt wird. Auch an seiner ventralen Fläche in der Medianebene
des Körpers findet sich ein solches ventrales Mesenterium, das den
Darmkanal an die ventrale Rumpfwand längs der ventralen Mittellinie
befestigt. Dieses ventrale Mesenterium erstreckt sich aber nicht, wie
das dorsale, über die ganze Länge des Rumpfes, sondern es be-
schränkt sich auf eine vordere, craniale Strecke und besteht ebenso,
in kürzerer Ausdehnung, am Enddarm.
Nicht allein der Darin steht in Beziehung zu diesen Mesenterien,
sondern auch seine großen Drüsen, das Pankreas und die Leber.
Ferner aber auch die Venen und gerade die letzteren bedingen wohl
am meisten die so sehr komplizierten verschiedenen Embryonalzustände
der Mesenterien bei Amnioten. Abgesehen davon, daß das Darmrohr
in ungleichem Maße und auf verschiedene Weise ein starkes Längen-
wachstum unter Ausbildung mehrerer Abschnitte zeigt, womit zu-
gleich eine Aenderung seines geraden Verlaufes und eine Verlagerung
bedingt ist, sehen wir, daß in der Ausbildung der Venen, die hier in
Frage kommen, jedes amniote Wirbeltier drei Stadien in seiner Onto-
genese durchläuft: zuerst bilden sich die Venae omphalo-mesentericae
aus, dann treten die Venae umbilicales auf und bei der Geburt werden
diese eliminiert und es bestehen nur die Intestinalvenen, die sich im
Pfortaderstamme vereinigen. Alle diese Venen treten zu verschiedenen
Zeiten durch den Pfortaderkreislauf zur Leber in Beziehung. Wir sehen
ferner den Stamm der unteren Hohlvene mit der Leber in Verbindung
treten, und durch diese Beziehungen werden nicht nur die Mesenterial-
bildungen beeinflußt, sondern außerdem die Leber und vor allem
wieder der Darmkanal, der an bestimmten Punkten, besonders am
Duodenalabschnitt, fixiert gehalten wird gerade durch die Beziehung
zur Leber und den Blutgefäßen. Bei Säugetieren kommt noch die
Ausbildung des muskulösen Zwerchfells hinzu, wodurch die paarige
Pleurahöhle von der Peritonealhöhle völlig und dauernd getrennt wird.
Da die Entwickelung und Umbildung der genannten Venenstämine,
sowie die Entwickelung des Septum transversum und des Zwerchfells
an anderer Stelle eine eingehende Behandlung finden, nehme ich nur
Die Entwickelung des Darmsystems. 223
soweit auf dieselben Rücksicht, als es für das Verständnis der Mesenterial-
verhältnisse unerläßlich ist.
Die ersten Sonderungen, welche sich am Cölom vollziehen, sind
dargestellt durch die Bildung des S e p t u m t r a nsvers u m. Dasselbe
ist in erster Linie durch die am caudalen Ende des Herzschlauches zu
diesem tretenden Gefäße eingeleitet, und unter diesen sind es die
Ductus Cuvieri, welche die Veranlassung zu Faltenbildungen geben,
sowie zu Verwachsungen, die den Beginn der Trennung der Parietal-
höhle von den Rumpfhöhlen einleiten. Somit gehören diese Vorgänge
eigentlich zum Gefäßsystem, wo sie auch eine genauere Behandlung
zu erfahren haben. Wir sehen aber, daß bei den das Cölom be-
treffenden Umbildungen einen ebenfalls sehr wesentlichen Einfluß das
Darmrohr, sowie die Leber spielen und, soweit diese in Frage kommen,
ist deshalb auch hier auf die erste Bildung eines Septum transversum
einzugehen.
Dabei möchte ich eine Anschauung von allgemeiner
Bedeutung hinsichtlich der Beurteilung der Mesen-
terialbildungen hervorheben. Ich kann in den Mesenterial-
bildungen nur Hilfseinrichtungen der nachgiebigsten Art
erblicken, die sich den Organen, welchen sie zugehören, stets
anpassen und keine Selbständigkeit besitzen. Ich hebe dies des-
halb hervor, weil gerade ein hervorragender Forscher auf diesem Ge-
biet, Toldt, darin einen anderen Standpunkt einnimmt. Toldt sagt,
z. B. der Darmkanal könnte nicht in die Länge wachsen und sich in
Schlingen legen, wenn das Mesenterium nicht wüchse, und faßt die
Möglichkeit ins Auge, daß das Wachstum des Mesenterium das Primäre
sei und das Wachstum des Darmes das Sekundäre. Diesen Standpunkt
kann ich nicht teilen. Der Darm ist in diesem Falle stets das wesent-
liche Organ. Wenn er wächst, so nimmt er das Mesenterium eben
mit. Inderseliten Weise wie dem Darm paßt sich das Gekröse dem
Wachstum der Leber, des Pankreas, der Milz und der Gefäße an. Die
Fixierung gewisser Darmstrecken an der Rumpfwand ist auch nicht
durch das Mesenterium veranlaßt, so z. B. beim Duodenum, sondern
lediglich durch die Beziehung zu anderen Organen, speciell den Blut-
gefäßen und großen Drüsen. Die Gekröse bleiben stets Hilfs-
organe, welche besonders die Beziehung der Intestina zum Körper ver-
mitteln, indem sie Blutgefäßen und Nerven den Weg bieten ; auch können
sie mechanische Bedeutung erhalten, aber stets nur im Sinne von Hilfs-
organen. Daß alle wahren Mesenterien nicht bloße Duplikaturen der
Serosa darstellen, sondern daß zwischen den beiden Serosalamellen
eine eigene bindegewebige Schicht, in der eben die Blutgefäße, Nerven
etc. verlaufen, besteht, wurde von Toldt mit Recht hervorgehoben.
Aber auch diese als Membrana propria bezeichnete Schicht ist in
gleicher Weise anpassungsfähig wie ihr Serosa-Ueberzug , d. h. sie
wächst mit dem wachsenden Darm und bleibt kurz, wenn ein Wachs-
tum des Darmes nicht eintritt. Dabei spielt stets der Darm oder die
Leber und andere Organe der Leibeshöhle den Gekrösen gegenüber die
aktive Rolle.
Primärer Zustand. Der primitivste Zustand für das gesamte
Mesenterium besteht bei holoblastischen Eiern während der Ent-
wickelung des Mesoderms. So sehen wir z. B. bei Amphioxus oder Am-
phibien, wenn die paarigen Anlagen des gastralen Mesoderms, ventral-
wärts auswachsend, zwischen Ektoderm und Entoderm herabrücken,
224 F. Maurer,
ehe sie sich in der ventralen Mittellinie vereinigen , ein ventrales
Mesenterium (freilich noch ohne Membrana propria) durch Kopf und
Rumpfabschnitt des Embryo bestehen. Das dorsale Mesenterium
bildet sich erst, nachdem die P a r i e t a 1 p 1 a 1 1 e n sich von
d e n Urwirbeln g e t r e n n t habe n und ventral v o n d e r
Chorda, dorsal vom Darm röhr gegeneinander rücken.
Während nun dorsal meistens das dorsale Mesenterium, nachdem
durch Bindegewebe eine Membrana propria zwischen seinen Epithel-
lamellen gebildet wurde, zunächst in ganzer Länge erhalten bleibt,
sehen wir, daß ventral in großer Ausdehnung eine EinSchmelzung
stattfindet, so daß die beiden Cölomsäcke in der ventralen Mittellinie
sich miteinander verbinden und die einheitliche Leibeshöhle des
Rumpfes bilden. Nur in der Kopfregion unterbleibt die ventrale
Vereinigung der beiden Cölomsäcke und hier bestellt darum ein ven-
trales Mesenterium. Zwischen seinen Lamellen bildet sich das Herz
aus und dahinter die Leber (Fig. 147). Dies ist wohl der Grund zu
seiner Erhaltung. Infolgedessen ist der vordere craniale Teil des Cöloms
paarig, bildet die sogenannten Parietalhöhlen, die sich caudalwärts in
das einheitliche Rumpfcölom fortsetzen. Während diese Verhältnisse
bei holoblastischen Eiern sich direkt ausbilden können, wird bei
meroblastischen Eiern die Bildung des dorsalen Mesenteriums zwar
nicht wesentlich modifiziert, wohl aber diejenige des ventralen Mesen-
teriums, ebenso, wie die des gesamten Darmkanals. Erst wenn die Darm-
rinne sich unter Abhebung des embryonalen Körpers vom Dottersack zum
Rohr abgeschlossen hat, kann sich ein ventrales Mesenterium bilden
und im Rumpfabschnitt einschmelzen. Da der Kopfteil des Embryo
sich zuerst aus dem Dottersack abhebt und mit ihm der Kopfdarm
als geschlossenes Rohr bis zur vorderen Darmpforte besteht, so sind
auch die Parietalhöhlen und mit ihnen das ventrale Mesenterium des
Kopfes zuerst gebildet, gerade jener Teil, in welchem die ersten wich-
tigsten Komplikationen des Mesenteriums zuerst auftreten. Ich erinnere
hier nur an die erste paarige Anlage des Herzschlauches und sein
Unpaarwerden unter gleichzeitiger Vereinigung der ventralen beider-
seitigen Mesodermlain eilen.
Wenn wir im folgenden unser Wissen über die Ausbildung der
Mesenterien des Darms und seiner Drüsen betrachten wollen, so ist
von vornherein zu bemerken, daß über die Details dieser Vorgänge
sehr verschiedene Angaben bestehen und für die Forschung noch ein
weites Feld offen liegt.
Wir beginnen mit einer kurzen Betrachtung der ersten Son-
derungsvorgänge, die eigentlich in das Gebiet des Gefäßsystems ge-
hört, und wenden uns dann zu den Umbildungen der Mesenterien im
Bereich der Pleuroperitonealhöhle.
Septum transversum.
Von dieser Bildung sei zunächst bemerkt, daß sie in früher Ent-
wickelungsperiode ausschließlich durch eine Gefäßbildung veranlaßt
ist, daß aber im Anschluß daran auch die Leber Einfluß auf ihre Bil-
dung erhält und daß sie bei allen Wirbeltieren in wesentlich gleicher
Form auftritt, nur bei meroblastischen Eiern durch den Dotter ebenso
cänogenetisch modifiziert wird, wie die erste Herzanlage.
Für die C y c 1 o s t o m e n ist die Angabe von Götte belangreich, wo-
nach bei Petromyzonten Peritonealbrücken bestehen, welche zur Ueber-
Die Entwickelung des Darrusystems.
225
■y
Fig. 147. Querschnitt einer
Petromyzon fluviat. Herzgegend
Dorsales Mesenterium, i Darm,
dium. c Cölomepithel.
leitung von Stammvenen in den Sinus venosus des Herzens dienen.
Es muß also hier am hinteren Ende des Herzschlauchs bereits ein
Gebilde entstehen, das dem Mesocardium laterale Kölliker's
oder dem lateralen Teil des Septum transversum (His,
Ravn) entspricht. Man
hat es sich vorzustellen
als eine an der seitlichen
Leibeswand lateromedial
herablaufende Falte, die
zuerst einen oberen (dor-
salen) und unteren (ven-
tralen) freien Rand be-
sitzt. Von dem dorsalen
Bereich der rechte n
Falte erstreckt sich nun
caudalwärts eine längs-
verlaufende weitere Falte,
Avelche von Götte als
dorsales Leberge-
k r ö s e bezeichnet wurde.
Dies stimmt mit dem
Hohlvenen gek rose
überein, das nach Hoch-
stetter bei allen Wir-
beltieren besteht, die eine
untere Hohlvene besitzen.
BeiRaja, Urodelen und An u reu, sowie bei Reptilien
steht außer dem dorsalen und ventralen Darmgekröse
drittes Längsgekröse, welches den rechten
Rand der Leber mit der Wurzel des dorsalen Darmge-
kröses verbindet und sich wie bei Säugern und Vögeln
noch über die Leber hinaus nach hinten erstrecken kann.
Die Bildung des Septum transversum vollzieht sich bei A m p h i b i e n
nach Götte ebenso, wie bei Petromyzon. Sie tritt komplizierter auf
bei Amnioten, wo sie eine vielfache Bearbeitung erfahren hat
(Kölliker, His, Uskow, Hochstetter, Ravn, Brächet, Swaen,
Math es).
Ich folge hier der Schilderung, die Ravn von der Entwickelung
des Septum transversum des Hühnchens giebt, weil sie am einfachsten
die Bedeutung dieser Bildung für die Leber zeigt (Fig. 148).
Die erste Teilung des gesamten Cölom erfolgt schon bei Hühn-
chen, die 29 Stunden bebrütet sind. Hier ist der Kopfteil des Em-
bryo vom Dottersack abgehoben, das Medullarrohr ist noch nicht ge-
schlossen, die Medullarfalten berühren sich gerade. Zur Seite der
Kopfdarmhöhle findet man die Parietalhöhlen, welche, ventral durch
das ventrale Mesenterium getrennt, caudalwärts jederseits in das
Rumpfcölom übergehen. Zwischen den beiden Lamellen des ven-
tralen Mesenterium liegt die gerade unpaar gewordene Anlage des
Herzschlauchs. Caudalwärts teilt sie sich vor der vorderen Darmpforte
in die beiden Venae omphalo-entericae. Hier ist nun der Punkt, wo
die erste Bildung einer Scheidewand des Cöloms auftritt.
Die Vena omphalo-enterica verläuft zwischen Splanchnopleura und Ento-
derm, die Anlage der Vena cardinalis liegt zwischen Somatopleura und
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 15
jungen Larve von
(nach Götte). x
h Herz, z Mesocar-
be-
ein
dorsalen
226
F. Maurer,
Ektoderm. Nun legen sich in der Gegend der vorderen Darmpforte
Somato- und Splanclmopleura (Präcardialplatte nach His) jeder -
seits aneinander, verkleben, und es bildet sich eine Verbindung
zwischen Kardinalvene und
Vena omphalo-enterica
aus, die erste Anlage des
CuviER'schen Ganges.
Damit ist jederseits ein
Mesocardium late-
rale (Kölliker) ent-
standen. Dasselbe hat
jederseits einen medialen
und lateralen freien Rand.
Wenn sich nun der Em-
bryo nach hinten weiter
vom Dottersack abhebt
und die vordere Darm-
pforte caudalwärts rückt,
so wird der mediale zu
einem dorsalen freien
Rand, der laterale zu einem
ventralen freien Rande,
und diese Ränder begren-
Fig. 148. 2 Modelle vom
Hühnchen, Entwickeluug der
Vena hepatoenterica und des
Foramen Winslowi nach Ravn.
a) Embryo von 80 Stunden.
b) Embryo von 5 — 6 Tagen,
hier Leber abgetragen. Ipu Lig.
pulmonale. Ipa Lig. pulmonale
accessorium. cd Falte der Art.
hepatica. Ihg Lig. hepato-gastri-
cum. fW For. Winslowi, ihm
entspricht in a die weite Oeff-
nung bei bhc. p Lunge, rci Vena
cava inf. bhe Bursa hepato-en-
terica. m Magen. H Leber. A
Aorta, d Darm, ml dorsales
Lebergekröse, vp Vena portae.
sv Sinus venosus.
zen Oefthungen, welche noch von der Parietalhöhle jederseits in die
Rumpfhöhle führen. Ravn unterscheidet sie als Recessus pari-
etales, dorsales und ventrales, His kannte nur die dorsalen,
die er als Recessus parietales bezeichnete. Zu gleicher Zeit verbinden
sich der Länge nach die Herzenden der Venae omphalo-entericae. Man
kann dies als eine caudalwärts fortschreitende Vereinigung der paarigen
Herzanlage betrachten, und damit bildet sich außer den beiden paarigen
Teilen des Septum transversum noch ein mittlerer unpaarer Abschnitt.
Ravn unterscheidet dann in der Folge im ganzen 4 Bestandteile
des gesamten Septum transversum : 1) die mittlere Masse desselben ;
2) die beiden Mesocardia lateralia; 3) das unpaare, in der Median-
linie gelegene primäre Ventralligament der Leber und 4) die
beiden seitlichen Schlußfalten des Septum transversum.
Diese Teile bilden allmählich eine einheitliche Masse. Zuerst
schließt sich jederseits der Recessus parietalis ventralis, später erst
Die Entwickelung des Darmsystems.
227
der Recessus parietalis dorsalis, was Hochstetter schon früher von
der Eidechse und dem Hühnchen geschildert hat.
ganz
Dann ist erst die Pericardialhöhle von der Plenro-peritonealhöhle
trennt. Das tritt aber beim Hühnchen erst ein, nachdem das
Septum transversum begonnen hat, sich in seine späteren verschie-
denen Bestandteile aufzulösen. Diese sind: ein Teil des späteren
Zwerchfells, die Leber mit ihren Gefäßen und ein kleiner Teil des
Herzens (Sinus venosus).
Fig. 149. Querschnitte durch die vordere Bauchgegend des Hühnchens nach
Ravn. a) Embrvo von 100 Stunden, b) u. c) Embryo von 5 — 6 Tagen. Bezeichn.
s. Fig. 150.
Nach der 60. Stunde treibt die inzwischen hinter dem Herzen
entstandene Leberanlage Sprossen in der Umgebung des Sinus venosus,
der ventral vom Vorderdarm liegt. Diese Leberschläuche breiten sich
mehr und mehr aus und formieren eine voluminöse Masse, welche
den caudalen Teil des mittleren Abschnittes vom Septum transversum
bilden. Somit hat sich eine Sonderung der mittleren Portion des
Septum transversum in einen cranialen und einen caudalen Ab-
schnitt vollzogen. Der craniale enthält nur den Sinus venosus und
ist schmächtiger, der caudale, voluminösere enthält die Leberanlage.
Letztere wächst nun mächtiger in die Breite aus und besitzt die
Form einer plattgedrückten Birne, das stumpfe Ende caudalwärts
gerichtet. Indem ferner der craniale Teil, der Sinus venosus,
sich ventralwärts ausdehnt, bildet er einen querliegenden Wulst, der
durch eine tiefe Rinne von der Leberanlage getrennt ist; er rückt
außerdem etwas ventral von letzterer.
Bei Säugetieren findet die Bildung des Septum transversum im
wesentlichen in der gleichen Weise statt. Es stellt eine in der Gegend
vor der vorderen Darmpforte bestehende Scheidewand zwischen Peri-
card, das aus den Parietalhöhlen hervorging, und der Pleuroperitoneal-
höhle dar, deren Bildung beherrscht wird von der Entwickelung
der Venae omphalo-entericae, der Ductus Cuvieri und des Sinus
venosus (Ductus venosus, Hochstetter). In seinem caudalen Ab-
schnitt bildet sich die Leberanlage von der ventralen Vorderdarmtläche
aus. Es bildet nach Brächet schließlich eine schräge Scheidewand in
cranio-caudalem und dorso-ventralem Sinne, die von einer zur anderen
Wand des Köpers gespannt ist. An seinem caudalen Ende
15*
vereinigt
22s
F. Maurer,
es sich mit der ventralen Wand der Pericardialhöhle im Niveau der
vorderen Darmpforte. An seinem cranialen Ende hat es rechts und
links einen freien Rand und hier kommuniziert noch die Pencardial-
mit den Rumpfhöhlen durch 2 enge Kanälchen, die Recessus parie-
tales dorsales (His, Ravn).
d) Die weiteren Bildungsvorgänge der Mesenterien in der Gegend
der Leber und des Gastroduodenalabschnittes des Vorderdarms.
Indem die Leber sich in den hinteren Teil des Septum transversum,
dessen mittlerer Teil zugleich einen Abschnitt des ventralen Mesenteriums
darstellt, hinein entwickelt, steht sie dorsahvärts mit dem Darm, ven-
tralwärts mit der vorderen Leibeswand und cranialwärts mit dem
hinteren Teil des Sinus venosus in Zusammenhang. Das sind aber
nicht die einzigen Verbindungen der Leber, sondern wir sehen bei
sämtlichen Wirbeltieren, daß außerdem die Leber durch ein Gekröse,
welches von ihrem rechten Rande ausgeht, mit der dorsalen
Rumpf wand in Verbindung steht.
Schon bei Petromyzon hat Götte dieses Ligament gefunden
und als dorsales Lebergekröse bezeichnet.
Es besteht ursprünglich ein linkes und rechtes Nebengekröse des
Septum transversum, welche von Brächet, Ravn und Mathes bei
Amphibien genauer beschrieben wurden.
Brächet nennt sie: M es o lateral droit et gauche, Mathes
bezeichnet sie : rechts : L i g. h e p a t o - c a v o - p u 1 m o n a 1 e und links :
Lig. hepato -pulmonale (Fig. 150).
Fig. 150. Querschnitte der Lebergegend einer Salamanderlarve von 28 mm
Länge nach Brächet. G Magen. D Duodenum. Md Dorsales Mesenterium, ml Dor-
sales Lebergekröse. Ihe Lig. hepato-entericum. mv Ventrales Mesenterium. //"Leber.
II, lobus descendens hepatis. p Pankreas, vf Gallenblase. P Lunge. A Aorta.
vei Vena Cava inf. vp Vena portae. bhe Bursa hepato enterica. S Milz.
Die Entwicklung dieser Falten bei Urodelen schildern Mathes
und Brächet verschieden, insofern Mathes diese Gebilde von vorn-
herein als Falten entstehen läßt, während Brächet sie sich dadurch
/wischen Darm-, Leber- und Lungenanlage ausbilden läßt, daß das
Cölom in das zwischen diese Organe eingelagerte Bindegewebe sich
Die Entwickelung des Darmsystems. 229
aktiv einbuchtet. Durch die Bildung blinder Buchten (cul de sac)
entsteht deren laterale Wand als Lamelle (meso lateral).
Mir erscheint die Bezeichnung von Mathe s, welcher das rechte
der genannten Bänder als Lig. he pato-cavo -pulmonale und das
linke als hepato -pulmonale bezeichnet, deshalb am rationellsten,
weil dadurch sofort der charakteristische Unterschied zwischen beiden
hervorgehoben wird.
Diese Nebengekröse des Septum transversum entstehen nach
Mathes in der Weise, daß von der dorsalen Rumpfwand oder genauer
von der lateralen Fläche des dorsalen Darmgekröses eine ventralwärts
wachsende Leiste jederseits entsteht, die mit ihrem freien Rande mit
der Dorsalfläche der mittleren Masse des Septum transversum ver-
wächst. Diese Verwachsung beginnt cranial und schreitet caudalwärts
weiter. Dadurch entsteht zu jeder Seite des Darmes ein
Raum als dorsoventraler L ä n g s s p a 1 1 , der cranialwärts
blind geschlossen, caudalwärts aber sich frei in die
C ö 1 o m h ö h 1 e öffnet. Die linke Leiste entsteht später als die rechte
und verwächst auch niemals soweit caudalwärts mit der mittleren Masse
des Septum transversum. So ist links der genannte Raum
viel kürzer als rechts und öffnet sich schon weiter cranialwärts
in das Cölom. Diese beiden Räume sind als cranialwärts gerich-
tete Fortsätze des Cöloms zwischen Darmwand und Nebengekröse
schon lange bekannt. Sie wurden verschieden benannt, da sie sich
auch in verschiedener Ausbildung linden.
Bei Amphibien (Brächet und Mathes) sind sie ähnlich, wie
beim Hühnchen (Hochstetter, Ravn) ausgebildet, rechts stärker,
wie links, doch besitzt auch der linksseitige eine recht ansehnliche Aus-
dehnung(Fig. 148, 149undlö0). BeiSäugetieren ist der linksseitige
Raum nur eben angedeutet, jedenfalls unbedeutend. So kommt es,
daß His überhaupt nur den rechte n Raum benannt hat als Recessus
superior sacci omenti. Diese Bezeichnung haben die meisten
Untersucher der Säugetiere angenommen. Stoss benannte die beiden
Räume: Recessus pleuro-peritoneales, Mall nannte sie Gastric diver-
ticula.
Ravn selbst nennt den rechten Recessus anterior sacci omenti,
den linken einfach den linken Recessus.
Die Thatsache, daß die rechte Leiste weiter caudalwärts ausge-
bildet ist, als die linke und damit auch der rechte Recessus eine größere
Ausdehnung gewinnt, findet darin ihre Begründung, daß die rechte
Leiste caudalwärts die Vena cava inferior einschließt. Der Verlauf
dieser Vene ist der Grund der Bildung dieser caudalen Verlängerung
der Falte ; links schließt die Falte an der linken Leberhälfte ab. Das
caudale Ende des rechten Nebengekröses kann man zweckmäßig als
Hohlvenenfalte bezeichnen. So kommen wir auf die MATHEs'sche Be-
zeichnung zurück, die dieser für Amphibien vorschlägt.
Ein wichtiges Stadium ist in jenem Befund dargestellt, wo das
rechte Nebengekröse, das Lig. hepato-cavo-pulmonale caudalwärts bis
zum Caudalende der Leber sich verlängert hat, während das linke an
der cranialen Fläche der Leber sein Ende erreicht. Dies ist beim
Hühnchenembryo, der 60 Stunden bebrütet war, vorhanden. Wenn
nun die Lungenanlage sich in dieses Nebengekröse hinein ausbildet,
so sehen wir, daß dessen mittlerer Teil, welcher die epitheliale Anlage
der Lunge aufnimmt, sich mächtig verdickt, während der dorsale und
230 F. Maurer,
ventrale Teil schwach bleibt. Der dorsale Teil ist das spätere Liga-
mentum pulmonale, der ventrale ist das Lig. pulmonale accessorium
und verbindet den Lungenflügel mit der Leberanlage. Links endigt das
Lig. pulmonale accessorium an der Leber, rechts setzt es sich caudal-
wärts in die Umhüllung der unteren Hohlvene fort, Dies findet
man am Hühnchenembryo vom 5. — 6. Tage. Der Teil des rechten
Nebengekröses, welcher die untere Hohlvene einschließt, verbindet
sich mit der dorsalen Leberfläche, und darauf dringen Leberschläuche
in diese Hohlvenenfalte hinein und umwachsen die Hohlvene. So
wird der ventrale Teil der Hohlvenenfalte in die Leber
aufgenommen. Es bildet sich ein Leberlappen zwischen seinen
Lamellen aus, während der dorsale Teil des Hohlvenenbands das
dorsale Lebergekröse darstellt (Hochstetter). Das ist die
Verbindung der Leber rechterseits mit der dorsalen Rumpfwand, deren
Zustandekommen als weitere Verbindung der Leber damit aufgeklärt
ist. Die durch die Ausbildung der Leber in das Lig. pulmonale
accessorium veranlaßte Verdickung dieses caudalen Abschnittes des Lig.
hepato-cavo-pulmonale und links des Lig. hepato-pulmonale hat aber
noch eine andere sehr wichtige Bedeutung. Bei Vögeln nur ange-
deutet, finden wir es bei Säugetieren weiter entwickelt: es bildet die
dorsale Zwerchfellanlage: davon später.
Aus den Angaben Ravn's ergiebt sich ferner, daß das Foramen
Winslowi eine primäre Oeffnung beim Hühnchen darstellt. Es ist
die caudale Oeffnung, in welche der rechte Recessus superior (anterior)
Sacci omenti (von Klaatsch als Bursa hepato-enterica bezeich-
net) in die Cölomhöhle mündet. Diese Oeffnung wird beim Hühnchen
vom 5.-6. Bebrütungstage von folgenden Teilen begrenzt: dorsal
vom ventralen Rande der rechten Nebengekrösfalte (Lig. hepato-cavo-
pulmonale), ventralwärts von der Dorsalfläche der mittleren Masse des
Septum transversum, d. h. der Leber, cranial vom caudalen Rande
der lateralen Recessuswand (des rechten Nebengekröses), und caudal
vom Boden oder der caudalen Wand des Recessus. Letzterer Rand
mag dadurch eine schärfere Abgrenzung erhalten, daß das dorsale
Mesenterium unter Ausbildung der Gastro-Duodenalschlinge eine Ver-
lagerung nach links erfährt,
Das Foramen Winslowi ändert unter den relativen Wachstums-
vorgängen der angrenzenden Organe seine Form, bleibt aber im
Wesentlichen erhalten. Man gelangt durch dasselbe in einen Raum,
der nicht einfach bleibt, sondern durch eine sagittale Längsfalte, in
zwei, miteinander kommunizierende Abschnitte geteilt wird. Die
Falte wurde von Toldt als plica arteriae hepaticae bezeichnet.
Der erste Abschnitt, in welchen man durch das Foramen Winslowi
gelangt, ist der Vorraum. Er liegt rechts von der Medianebene und
setzt sich cranialwärts in den Recessus anterior sacci Omenti fort.
Der 2. eigentliche Saccus omenti liegt links von jener sagittalen Ar-
terienfalte und bildet den links von der Medianebene gelegenen Saccus
omenti majoris oder die Bursa omentalis. Die erwähnte Falte be-
ginnt beim Hühnchen am 4. Bebrütungstage sich zu bilden, am 5.— 6.
tage ist sie mächtig entwickelt, Sie wurde von Toldt in gleicher
Weise beim Menschen gefunden, von Stoss beim Schaf, doch soll sie
bei letzterem die Vena ventriculo-linealis enthalten.
Bei Säugetieren sind in den letzten Jahren die Veränderungen
des Septum transversum nach den Arbeiten von His besonders durch
Die Entwickelung des Darmsystems. 231
Uskow und Ravn und in jüngster Zeit durch Swaen und seinen
Schüler Brächet genauer bekannt geworden.
Indem das Darmrohr sich cranio-caudal weiter abschließt, rückt
die vordere Darmpforte caudalwärts und entfernt sich vom caudalen
Ende des Pericardes. Hier sehen wir nun in dieser Strecke ventral
vom Darmrohr zwischen Pericard und vorderer Darmpforte eine be-
trächtliche Ausbildung von embryonalem Bindegewebe sich vollziehen.
In dieses Gewebe hinein (Vorleber) bildet sich die Leber aus, dehnt
sich dabei aber auch cranialwärts in die eigentliche mittlere Portion
de-; Septum transversum aus, in welche sich jene Bindegewebsmasse
cranialwärts continuirlich fortsetzt.
Die Leberanlage folgt hier den Venae omphalo-mesentericae,
ferner einem Teil der Nabelvenen, sowie der caudalen Portion des
Sinus venosus; nur auf den ganz cranial gelegenen Teil des Septum
transversum, in welchem das craniale Ende dieses Sinus und der
Ductus Cuvieri liegen, erstreckt sich die Leber nicht (Brächet). Ich
betone dies, weil demnach auch bei Säugetieren wie bei Vögeln eine
craniale und caudale Portion des mittleren Teils des Septum trans-
versum besteht, nur die caudale enthält in der Umgebung der Venen-
stämme die Leberanlage.
Das Septum transversum hat eine dorsale Oberfläche, an welche
sich median die mesenteriale Scheidewand, die das Darmrohr um-
schließt, anheftet. Nun wachsen die Lungen beiderseits auf der late-
ralen -Fläche des Darmrohrs hervor (His, Uskow, Ravn, Swaen,
Brächet). Die Leber bildet die 3 Lappen, 2 seitliche, die sich
in einem mittleren vereinigen. Sie sind beim Kaninchen durch tiefe
Einschnitte getrennt (Kaninchen vom 11. Tage), beim Menschen fehlen
die Einschnitte (Embryo von 8—10 mm Länge).
Es kommt nun auch hier zur Abtrennung, zunächst der Peri-
cardialhöhle von der Pleuroperitonealhöhle, wie bei niederen Formen,
durch Bilduug einer Pleuro-pericardialmembran, die zu schildern nicht
hierher gehört (sie wurde von His zuerst beobachtet, dann von Us-
kow, Lockwood, Ravn, Swaen und Brächet bestätigt). Bei Säuge-
tieren bildet sich aber zugleich mit dieser noch eine, zur späteren
Trennung der Pleura von der Peritonealhöhle führende Membran,
das dorsale Zwerchfell (Uskow, Ravn, Lockwood, Waldeyer,
Swaen), welchem Brächet den Namen der Pleuroperitonealmembran
gab.
Bei dieser Bildung haben wir an die zuletzt vom Vogel be-
schriebenen Verhältnisse anzuknüpfen, die ich in Anschluß an Mathes
und Ravn schilderte. Dort bestand rechts das Lig. hepato-cavo-pul-
monale, links das Lig. hepato-pulmonale. Diese beiden Falten sind
identisch mit dem, was Brächet als Pleuroperitonealmembran be-
zeichnet. Bei Säugetieren und Menschen wurden sie von His, Cadiat,
Uskow und Lockwood geschildert. Sie sind beim Kaninchen nach
Swaen in ihren weiteren Umbildungen leichter verfolgbar als beim
Menschen.
Beim Kaninchen besteht dieses Gebilde, das Hohlvenen- oder
Nebengekröse (mesolateral) nach Stoss, Hochstetter, Ravn, Mall,
Swaen, Mathes, Brächet, ähnlich wie beim Hühnchen, nur ist es links
weniger ausgebildet als beim Hühnchen, bei dem es aber ebenfalls
nicht so weit caudalwärts reicht, wie das rechtsseitige Gebilde. Es
besteht nach Ravn aus einer dünnen Gewebsmasse, die von der dor-
232 F. Maurer,
salen Körperwand ausgeht, von einem mit dem medianen Mesenterium
gemeinsamen Punkte. Es verläuft ventralwärts neben dem medianen
Hauptgekröse, parallel mit diesem, herab und heftet sich dann auf der
dorsalen Oberfläche des Sinus venosus oder des Septum transversum
fest. Zwischen ihm und dem medianen Mesenterium besteht derRe-
cessus super i o r sacci omenti, der cranial blind endigt,
cau dal sich in die allgemeine Leibeshöhle öffnet, da
das Neben gekröse einen caudalen freien Rand besitzt.
Indem es nun caudalwärts weiter wächst, heftet es sich auf die
dorsale Oberfläche des rechten seitlichen Leberlappens. In dies Ge-
kröse wächst nun auch hier die Lunge hinein. In seinem cranialen
Teil bleibt das Gekröse dünn membranartig, aber caudal hinter
der Lungenanlage verdickt es sich mächtig nach rechts hin, indem es
auf der Leber inserirt und bildet eine Nische, in welche sich das
caudale Ende des rechten Lungenflügels hineinlegt. Diese Verdickung
des Gekröses wird durch das Einsprossen von Leberschläuchen in
dasselbe veranlaßt, es ist dieser ganze Vorgang also auf Rechnung
der Leber zu setzen. Dadurch entsteht die caudale Wand der rechten
Pleurahöhle.
Da links ein Nebengekröse nicht in gleicher Ausdehnung gebildet
wird, spielen sich die geschilderten Vorgänge etwas anders ab als
rechts, aber auch hier entwickelt sich eine caudale Pleurawand. Ravn
giebt an, daß in der Gegend der Cardia das die mesenteriale Scheidewand
und die Cardia umgebende Bindegewebe sich flächenhaft nach links
ausbreite, so daß hier ebenfalls eine Nische für die linke Lunge ge-
bildet wird. Wie aber auch hier die Leber eine wesentliche Rolle
spielt, hat Brächet genauer geschildert. Nach links hin legt sich
der gerade angedeutete Magenblindsack und hier vermehrt sich be-
trächtlich das subseröse Bindegewebe der Magenwand. In dieses
Bindegewebspolster bilden sich ebenfalls Teile des linken Leberlappens
aus, und zwar zwischen Caudalende der Lunge und Magenblindsack.
Nun buchtet sich die Cölomwand zwischen Lunge und linkem Leber-
lappen, sowie zwischen diesem Leberlappen und Cardia ein. Da-
durch wird der Magen, sowie die linke Lunge frei und das trans-
versale Bindegewebsseptum, welches den linken Leberlappen zum Teil
umschließt, heftet diesen am dorsalen und mittleren Teil des medianen
Mesenterium an. So wird ein dorsales und transversales Aufhängeband
der Leber, und ferner die caudale Wand der linken Pleurahöhle gebildet.
So sehen wir, daß die Leber durch ihr Wachstum sehr wichtige
Bildungsvorgänge beherrscht, die schließlich zur Trennung der Pleura-
und Peritonealhöhle führen. Zugleich mit der Leber spielen dabei die
Umbildungen ihrer Venen eine große Rolle, auf die hier nicht ein-
zugehen ist. Es kommt damit die Zwerchfellbildung zu Stande, die
sich aus einem ventralen unpaaren Teil des Septum transversum und
einem hinteren paarigen Teil entwickelt. Dies war schon durch His
und Uskow im Wesentlichen bekannt geworden, durch Swaen und
Brächet aber genauer ausgeführt.
Bei der Ausbildung des Zwerchfells kommt nun bei Säugetieren
der zwischen rechtem Nebengekröse mit Leber einerseits und dem
Darm andererseits gelegene cranialwärts blind endigende Sack caudal-
wärts vom Zwerchfell, also in die Peritonealhöhle zu liegen. Er stellt
die Bursa hepato-enterica Klaatsch's dar, welche weiterhin wichtige
Umbildungen erfährt.
Die Entwickelung des Darmsystems. 233
Zuvor ist noch in Kürze auf die definitive Bildung des Ligamen-
tum Suspensorium und coronarium h e p a ti s einzugehen. Dies
sind Verbindungen, die in ihrer fertigen Gestalt erst spät auftreten. Zu-
erst, wenn sich die Leber in das Septum transversum hinein entwickelt,
steht sie nicht nur mit der ventralen Rumpfwand, sondern auch dorsal
mit der hinteren Rumpfwand in breiter Verbindung, ferner ist sie cranial-
wärts nicht von dem Zwerchfell gesondert. Diese Trennung tritt erst
später ein, indem das Cölom von beiden Seiten her zwischen cranialer
(ventraler) Leberfläche und dem davor gelegenen nun muskulös gewor-
denen Zwerchfell eindringt. Dabei hat das Ligamentum Suspensorium,
wenn auch sekundär in seiner definitiven Form entstanden, doch als
direktes Derivat der primitiven Verbindung der ventralen Leberfläche
mit der ventralen Bauchwand zu gelten, während das Ligamentum coro-
narium als hervorgegangen aus der Verbindung der Leber mit dem Liga-
mentum hepato-cavo-pulmonale, dem lateralen Teil des Zwerchfells,
aufzufassen ist (Brächet).
Bursa oinentalis und Foramen Winslowi.
Nachdem wir im Vorstehenden die ersten Ausbildungen und
weiteren Veränderungen des Septum transversum und damit der Leber-
ligamente kennen gelernt haben, haben wir nunmehr eine Bildung zu
betrachten, welche uns vom ventralen zum dorsalen Mesenterium führt,
indem beide an seiner Begrenzung teilnehmen. Bei allen Wirbeltieren,
von Amphibien an, besteht eine B u r s a h e p a t o - e n t e r i c a. Diese wird
links begrenzt durch das dorsale Mesenterium, die rechte Seite des
Magen-Duodenum und das Ligamentum hepato-entericum. Die ventrale
Abgrenzung geschieht durch die Leber und diese führt zur rechten
Begrenzung, die dorsalwärts von der Leber auf das Ligamentum
hepato-cavo-pulmonale übergeht und durch dieses zur dorsalen Rumpf-
wand tritt.
Dieser Raum wurde von Klaatsch für vollkommen abgeschlossen
gehalten, so daß seine Kommunikationsöffnungen mit der übrigen Leibes-
höhle als sekundäre Durchbrechungen auftreten. Diese Vorstellung
war durch verschiedene wichtige Thatsachen begründet: erstens findet
man bei urodelen Amphibien vielfache Durchbrechungen im dorsalen
Mesenterium, die nur sekundär entstanden sein können. Sie sind bei
den verschiedenen Formen sehr ungleich entwickelt. Bald findet sich
ein Defekt in großer Ausdehnung zwischen Milz und dorsaler Rumpf-
wand (Siren) bald besteht hier nur ein kleines rundes Loch (Pleuro-
deles, Triton), bald ist das dorsale Mesenterium im Bereiche des
Vorderdarmes ganz geschlossen (Menobranchus, Salamandra). Dann
treten Defekte im dorsalen Mesenterium zwischen Milz und Vorder-
darm auf, d. h. ventral von der Milz : so bei Salamandra, Siredon und
Menobranchus, während bei Triton und Pleurodeles dieser Teil des
dorsalen Mesenteriums ganz geschlossen ist. Bei Cryptobranchus end-
lich besteht eine Durchbrechung distal von der Milz. Ferner besteht
aber bei Urodelen im Ligamentum hepato-entericum keinerlei Oeffnung.
Bei Anuren ist sie inkonstant, bei Pipa fehlt sie, bei Rana findet
man sie zuweilen, oft fehlt sie auch, bei Bufo findet man sie stets.
Bei dieser Inkonstanz der Verhältnisse in der Gruppe der Am-
phibien war also Klaatsch völlig im Recht, wenn er diese Durch-
brechungen als sekundäre Rarefikationen des Peritoneums auffaßte, auch
234 F. Maurer,
das ventral vom Ductus choledochus im Ligamentum hepato-entericum
bei manchen Anuren auftretende Loch. Dieses wurde von Klaatsch
als Foramen hepato-entericum bezeichnet, weil es an einer Stelle ent-
steht, wo bei höheren Formen stets die einzige Kommunikationsöffnung
der Bursa omentalis mit der übrigenB auchhöhle sich findet, das Fo-
ramen Winslowi. Doch ist dieses nicht identisch mit dem zuerst
bestehenden Foramen hepato-entericum der Anuren.
War somit Klaatsch vom vergleichend anatomischen Standpunkte
aus völlig im Recht, wenn er einen geschlossenen Zustand der Bursa
hepato-enterica als primär annahm und alle Durchbrechungen ihrer
Wand als sekundäre Rarefikationen des Peritoneums auffaßte , so
rechnete er doch nicht mit den Thatsachen der Ontogenie. Die Ent-
wickeln n g s g e s c h i c h t e z e i g t , und alle Unter sucher s t i m -
men darin überein, daß die Bildung der Bursa hepato-
enterica so erfolgt, daß an ihrem caudalen Ende eine
primäre, in die Cölom höhle mündende Oeffnung be-
steht. Es ist dies nicht nur bei Amphibien von Mathes und
Brächet in letzter Zeit nachgewiesen worden, es war schon früher
von Hochstetter angegeben. Derselbe hat auch beobachtet, daß
diese Oeffnung später sekundär zum Verschluß kommt. Es ist für
das Zustandekommen der primären Oeffnung gleichgültig, ob die Bildung
der Bursa hepato-enterica durch Einstülpung des Cölomepithels nach
Brächet entsteht, oder ob das Ligamentum hepato-cavo-pulmonale
aktiv von der dorsalen Rumpfwand herabwächst.
Aus den neueren Beobachtungen ergiebt sich ferner, daß diese
Oeffnung sich zwar bei Urodelen abschließt, bei Am-
nioten aber stets offen bleibt und den primitiven Ein-
gang in die Bursa hepato-enterica darstellt.
Klaatsch läßt nun das primäre Foramen Winslowi zwar caudal
vom Ductus choledochus sich bilden, aber es bildet nicht das caudale
Ende des Ligamentum hepato-entericum. Letzteres wird vielmehr durch
die Bildung dieses Loches in einen proximalen (cranialen) Abschnitt,
Fig. 151 u. 152. Partieller Querschnitt der Lebergegend eines menschlichen
Embryo von 18 mm Länge. (Nach SWAEN.) JVT Niere. T Hoden. 8 Milz, mgd
Mesogastrium dorsale. Anderere Bezeichnung s. Fig. 149 u. 150.
Die Entwickelung des Darmsystems.
235
Bildung
abgesehen
das Ligamentum hepato-gastro-duodenale und einen distalen (caudalen),
das Ligamentum hepato - cavo - duodenale, geteilt. Dagegen hat nun
Mathes Einsprache erhoben, indem er am primär bestehenden Foramen
Winslowi auch zugleich das caudale Ende des Ligamentum hepato-
entericum findet. Brächet ist dem neuerdings zu Gunsten der
Ansicht von Klaatsch entgegengetreten. Nach Letzterem ist das
Foramen hepato-entericum zwar ebenfalls eine primitive Oeffnung, aber,
wenn ich ihn recht verstehe, bildet sich von ihm auch caudalwärts ein
Cölomblindsack aus, der das Ligamentum hepato-entericum vom dor-
salen Mesenterium abtrennt, und so entsteht als Fortsetzung jenes
Bandes das Ligamentum hepato-cavo-duodenale. Es ist erwiesen,
daß das letztere Band schon bei Amphibien besteht und, indem es sich
mit dem dorsalen Mesenterium verbindet, das Cavum hepato-entericum
caudalwärts abschließt. Ich stelle mich in der Beurteilung dieser Ver-
hältnisse ganz auf den Standpunkt von Gegenbaur, den auch Klaatsch
einnimmt, daß diese Ligamente und Verbindungen alle im Leben
erworben wurden. Die Ontogenese wird hier nicht alles aufklären
können. Wir können nur angeben, welche Organe auf die
der verschiedenen Gekröse von Einfluß sind. Das sind,
vom Darmrohr vor allem die Gefäßstämme , ferner die Leber und
von den Amphibien an erhalten auch die Lungen in ihrer Ausbildung
darauf Einfluß. Bei Amphibien liegt das craniale Ende der Bursa
hepato-enterica am rechten Parietalgekröse , sein caudales Ende am
L o b u s descendens-hepatis, der auch bei Dipnoern mächtig ent-
wickelt ist. Mit der Reduktion dieses Lappens erfährt auch
das caudale Ende der Bursa hepato-enterica eine Ver-
kürzung. Am weitesten caudalwärts ist es bei Siren, am wenigsten
bei Anuren entwickelt. Das primäre Foramen hepato-ente-
ricum wird nicht zum bleibendenForameii Winslowi der
Säugetiere, sondern letzteres wird durch eine andere im
Lumen der Bursa hepato-enterica bereits vorbereitete
Oeffnung hergestellt.
Daß die Bursa hepato-enterica beim Vogel, Säugetier und
Mensch ebenso besteht, wie bei Amphibien, wurde oben schon aus-
geführt. Ich habe auch
hervorgehoben , daß man
durch ein Foramen hepato-
entericum in dieselbe
langt. Ferner wurde
geben, daß der Hohlraum
durch eine von der hinteren
Rumpfwand vorspringende
Längsfalte in 2 Abschnitte
zerlegt wird, erstens einen
Vorraum, der sich cranial-
wärts in den Recessus su-
perior sacci omenti fortsetzt
und zweitens jenseits jener
Falte den eigentlichen Sac-
cus omentalis.
Diese verschiedenen
Teile entsprechen auch 2
bereits von His ange- Fig. 152. S. Fig. 151.
ge-
ange-
236 F. Maurer,
gebenen Abschnitten : dem Saccus omenti und dem Recessus su-
perior sacci omenti. Der Letztere ist der zuerst bestehende Teil,
während der Saccus omenti sich von diesem aus bildet (Swaen)
(Fig. 151 u. 152). Nach Letzterem entsteht das Cavum hepato-
entericum bei Kaninchen und Menschen nicht erst mit der Links-
drehung des Magens nach Rechtsbewegung der Leber, sondern besteht
schon vorher als ein im vorderen Teil des Mesenterium dorsale un-
mittelbar vor der Leber und Pankreasanlage nach rechts von der
Mittellinie eingesetzter dorso - ventraler Spalt, welcher medial durch
das dorsale Mesenterium , lateral durch das Mesenterium laterale
(Ligamentum hepato-cavo-pulmonale) begrenzt wird. Letzteres läuft
caudalwärts in eine Verlängerung aus. Dies ist offenbar der durch
den Lobus descendens hepatis auch bei Amphibien schon bestehende
Teil, das Ligamentum hepato-cavo-duodenale Klaatsch's.
Von jenem längsverlaufenden Spalt aus bildet sich nun nach
Swaen ein horizontaler , in die Bindegewebsmasse des Mesenterium
von rechts nach links eindringender Spalt aus, der hintere Blind-
sack. Dieser schiebt sich nach vorn zu über den Darm und den
rechten Leberlappen und isoliert diese Teile vom dorsalen Mesen-
terium.
An allen diesen Teilen haben wir nun zu verfolgen, wie sie sich
weiterhin entwickeln. Da finden wir, Klaatsch hat das zuerst
dargeth'an, daß das bleibende Foramen Winslowi bei Säugetieren und
Mensch sich in der Weise entwickelt, daß das Ligamentum hepato-
cavo-duodenale mit der rechten Platte das Mesoduodenmn größten-
teils verschmilzt. Damit schwindet das Foramen hepato-entericum als
solches und die z w i s c h e n L i g a m e n t u m h e p a t o - g a s t r o - d u o -
denale un d M es od u öden um liegende Oeffnung wird zum
bleibenden Foramen Winslowi. Dieselbe lag vorher im
Inneren der Bursa hepato-enterica.
Hinsichtlich der Bildung des Foramen Winslowi beim Menschen
kommt Toldt zu ganz anderen Resultaten, wie Klaatsch. Auch nach
Toldt ist die Oeffnung eine primäre, nicht durch sekundäre Perforation
entstanden. Solche finden sich nach Toldt in der Wirbeltierreihe, z. B.
im dorsalen Mesenterium der Cyclostomen und Amphibien, sowie im
großen Netz der Säugetiere, aber das Foramen Winslowi hat damit nichts
zu thun. Ebensowenig aber hat die Plica arteriae hepaticae etwas damit
zu thun. Diese liegt vielmehr immer in der Tiefe und zwar an der
medialen Grenze zwischen! Vorraum des Netzbeutels und diesem selbst,
während das Foramen Winslowi nach rechts hin den Netzbeutel gegen
die gesamte Bauchhöhle abgrenzt. Nach Toldt steht das Omentum
minus durch die Vena portae in direkter Beziehung zum Mesocardium
dorsale und sein freier Rand, die craniale und ventrale Begrenzung
des Foramen Winslowi entspricht dem freien Rande des ventralen
Mesenterium. Ein Ligamentum hepato-cavo-duodenale wie Klaatsch es
für den Menschen postuliert, kommt dem Menschen in der Ontogenese
nicht zu.
Was nun die weitere Gestaltung der Bursa omentalis be-
trifft, so ist sie zunächst an die Ausbildung und Verlagerung des
Magens geknüpft, ferner aber sehen wir ein Omentum majus durch
eigenes Auswachsen des Mesogastrium dorsale sich entfalten. Der
erste Anstoß zu dieser Bildung ist durch eine Knickung des dorsalen
Mesogastrium geboten, dessen Ursache von Klaatsch in der Ent-
Die Entwickelung des Darmsystems. 237
Wickelung und Ausbildung der Milz richtig erkannt wurde. Schon bei
Kryptobranchus findet sich dies Organ an der genannten Knickungs-
steile angeordnet. In derselben Weise hat es Klaatsch bei Hatteria
und Sauriern gefunden. Auch bei Säugetieren erkennt Klaatsch in
der Milz die Ursache der ersten Knickung des dorsalen Mesogastrium
und damit den ersten Anstoß zur Bildung des Omentum majus, das
nun freilich dann in eigenem Wachstum sich vergrößert, zu der beim
Menschen bekannten Ausdehnung.
Hiermit kommen wir zu den Ausbildungsvorgängen des dorsalen
Mesenterium.
Das dorsale Mesenterium.
Die Schilderung der hier zu betrachtenden Verhältnisse hat an-
zuknüpfen an die Beobachtungen von Toldt und Klaatsch.
Beide Forscher stehen hier auf dem gleichen Boden.
Es besteht nach Toldt primär ein dorsales Mesenterium. Es hat
seine Bedeutung in der Herstellung einer Verbindung des Darmrohrs
mit der Mittellinie der dorsalen Rumpfwand an allen jenen Strecken,
wo sich das erstere von der letzteren abgehoben hat. Diese Verbindung
ist ein unbedingtes Erfordernis für die Ueberleitung von Gefäßen und
Nerven zum Darm. Sie muß daher in der ganzen Wirbeltierreihe in
ihren wesentlichen Teilen vorhanden sein. Sie ist es, die sich unter allen
Umständen vererben muß. Denselben Standpunkt nimmt Klaatsch
ein und hat für die Wirbeltierreihe wertvolle Thatsachen über die
Beziehung zwischen Ausbildung der Darmarterien und des Mesen-
terium mitgeteilt.
In der Ontogenese eines jeden Wirbeltieres muß ein dorsales
Mesenterium in der Anlage bestehen. Es ist dies die Folge der Art
und Weise der Ausbildung des gastralen Mesoderms aus dem Ento-
derm, wie es von 0. Hertwig nachgewiesen wurde. Nachdem sich
die Parietalplatten von den Urwirbeln gelöst haben, rücken erstere
ventral von der Chorda, dorsal vom Darmrohr zusammen und bilden
die Grundlage des dorsalen Mesenterium. Zwischen den beiden epithe-
lialen Lamellen bildet sich die bindegewebige Tunica propria nach
Toldt aus.
Bei Cyclostomen finden wir das Mesenterium dorsale nicht
weiter gebildet, sondern es schmilzt in großer Ausdehnung ein, so daß
das Darmrohr frei durch die Leibeshöhle verläuft und seine Beziehung
zum übrigen Körper am cranialen Ende, hinter dem Kiemendarm liegt
(Götte), (vergl. Fig. 147, 125 und 126). Ebenso sehen wir, daß bei
A m p h i b i e n Perforationen durch Rarefikation des dorsalen Mesenterium
in verschiedener Ausdehnung bestehen. So finden wir nach Klaatsch
bei Siren eine über die ganze Strecke des Magens und Duodenum
sich erstreckende Durchbrechung des dorsalen Mesenterium , die einen
langen Spalt darstellt zwischen Milz und Wirbelsäule. Vom caudalen
Teil der Milz an erstreckt sich hier das dorsale Mesenterium ganz
gerade herab bis zum End darin als Mesorectum. In diesem verlaufen
nun von der Aorta die Arteriae mesentericae zum Darm. Bei Siren
bestehen sie in großer Zahl in metamerer Anordnung. Bei Derotremen
beginnt eine Konzentration, insofern ein oberer Stamm die Aeste für
die letzten Darmabschnitte alle übernimmt. Bei Anuren ist diese
Konzentration der Darmarterien so weit gediehen, daß eine einzige
Arteria coeliaco-mesenterica alle Arterien zu Magen und Darm mit
238
F. Maurer,
Leber, Pankreas und Milz abgiebt. Hierdurch sehen wir ein wichtiges
Moment für das weitere Verhalten des dorsalen Mesenterium gegeben,
das auch für die Entwickelung dieses Gebildes in der Ontogenese der
höheren Wirbeltiere Bedeutung erhält. DasMesenterium dorsale
kann unter diesen Umbildungen der Arterien seine
ursprüngliche sagittale Anheftung beibehalten,
kann aber auch in eine mehr transversale Linie
g eben.
Durch den einheitlichen Stamm wird gleichsam eine
diese
ü b e r -
Achse
gebildet, um welche die am Darm befestigten Mesenterien eine Drehung
vollziehen können, ohne in ihren arteriellen Beziehungen eine Aenderung
zu erfahren. Mit der Längenzunahme des Darmes wächst sein Mesen-
terium, und in dessen Falten verlaufen die Aeste des gemeinsamen
Arterienstammes. So entsteht eine Radix mesenterii. Eine
solche finden wir bei Anuren.
Bei Reptilien erfolgt die Konzentration der Darmarterien im
Anschluß an Urodelen etwas anders als bei Anuren. Bei Hatteria
bestehen 2 Arterien, eine Art. coeliaca und eine Art. mesenterica.
Dementsprechend besteht bei Hatteria nicht ein einfaches transversales
Mitteldarmgekröse, sondern der craniale Teil, dem Duodenum zuge-
hörend, bleibt sagittal und weiter caudal bildet sich eine die Art.
mesenterica enthaltende Radix mesenterii, die also vom Vorderdarm
weiter entfernt liegt als bei Anuren (Bufo).
Bei Lacertiliern ist zwar die Konzentration der Darmarterien vor-
handen, insofern nur 2 Arterien (eine Coeliaca und eine Mesenterica)
ausgebildet sind. Da aber das Duodenum freier ist, fehlt die zweite
a l»
Fig. 153. a) Magendarmkanal mit dem dorsalen Mesenterium vom 4 Wochen
alten menschl. Embryo, o Oesophagus, m Magen, d Dorsales Mesogastrium. r Milz.
g Grosse, k kleine Curvatur. du Duodenum, p Pankreas, v Gallengang, t Dünndarm.
c Coecum. e Dottergang, co Colon, re Rectum, a After, eh dorsale Rumpfwand
(nach Toldt). b) Magendarmkanal eines Katzenembryo von 2,7 cm Länge (nach
Bonnet). bo Bursa omentalis. j Dünndarmspirale. Sonst wie a.
Die Entwickelung des Darmsystems. 239
Voraussetzung zur Bildung einer quergestellten Radix mesenterii, und
so erklärt sich, daß hier das dorsale Mesenterium sagittal sich anheftet.
Bei Schildkröten rinden wir wieder eine Radix mesenterii, wie bei
Anuren und Hatteria. Sie ist hier schon schmäler und vollkommener
ausgebildet, als bei letztgenannter Form.
Unter der Ausbildung des Mitteldarmes und seiner Radix mesen-
terii, die mit einer nach rechts gerichteten transversalen Ausdehnung
dieser einhergeht, entwickelt sich eine andere Beziehung des dorsalen
Mesenterium. Diese wird beherrscht durch die Ausbildung der Milz.
Sie ist dargestellt durch eine Peritonealfalte, die direkt vom Meso-
duodenum zum Mesorectum verläuft. Klaatsch bezeichnet sie als
Lig. recto-duodenale.
Bei Säugetieren hebt auch Toldt die Bedeutung der Arterien
des Darmes für die ontogenetischen Gestaltungsvorgänge des dorsalen
Mesenteriums hervor. Die Gefäßgebiete entsprechen zugleich den am
Darm sich sondernden Abschnitten.
Toldt findet beim menschlichen Embryo der 4. Woche einen
Zustand, den er als primitiven Befund auffaßt (Fig. 153a). Hier be-
steht bei noch wenig seitlich verschobenem Magen und Duodenum das
dorsale Mesenterium so, daß eine linke und rechte freie Fläche zu
unterscheiden ist, Die linke Fläche des Magengekröses ist schon dorsal,
die linke Fläche des Duodenalgekröses schon ventral geneigt.
In der 6. Woche hat sich nun die Nabelschleife gebildet und die
Blinddarmgrenze ist sichtbar. Damit sind 3 Bezirke des dorsalen
Mesenteriums unterscheidbar, die 3 verschiedenen Darmabschnitten und
3 verschiedenen Blutgefäßgebieten entsprechen. Das dorsale Mesen-
terium hat sich noch nicht allzuweit von dem primitiven Zustand ent-
fernt, gestattet aber schon eine Vergleichung mit dem ausgebildeten
Zustand (Fig. 153b zeigt dieses Stadium von der Katze).
Der proximale Abschnitt, das Mesogastrium , gehört Magen
und Duodenum (Art, coeliaca) an. Der mittlere Abschnitt gehört
der Nabelschleife an : Jejuno-ileum, Colon ascendens und transversum
(Art. mesenterica superior). Der distale Bezirk gehört dem Colon
descendens und sigmoideum, sowie dem Rectum an (Art. mesenterica
inf.) Das dorsale Gekröse des Magens setzt sich über den Pylorus
auf die Konkavität der Duodenalschlinge fort. In diesem Blättchen liegt
der Kopfteil der Pankreasanlage. Aus der rechten dorsal geneigten
Fläche dieses Gekröses erhebt sich eine Falte, welche die Beziehungen
zur Leber und zum ventralen Magen gekröse vermittelt.
Die Grenze des Mesogastrium gegen das mittlere Gekröse (der
Nabelschleife) ist nicht scharf, entspricht der Flexura duodenojejunalis.
Nach His und Broesike geht der untere horizontale und auf-
steigende Schenkel des Duodenum aus der Nabelschleife hervor.
Toldt läßt die Pars horizontalis inferior duodeni durch Auswachsen
des primitiven Duodenum entstehen, während der letzte aufsteigende
Teil dieses Schenkels aus der Nabelschleife sich bildet.
Die Grenze zwischen Nabelschleife und Enddarmstück sahen His
und Toldt an der späteren Flexura coli sinistra, während Klaatsch
auch das Colon transversum sich aus dem Enddarmstück entwickeln
läßt unter Hinweis auf die Verhältnisse bei Carnivoren.
Wie sich phylogenetisch die Ausbildung der im dorsalen Mesen-
terium verlaufenden Darmarterien vollzieht, wissen wir durch Klaatsch.
Der primitive Zustand besteht bei Siren und Menobranchus, wo eine
240 F. Maurer,
große Anzahl segmental übereinander verlaufender Arterien zum Darm
treten. Innerhalb der Gruppe der Amphibien vollzieht sich die Aus-
bildung einer Art. mesenterica sup., die dann ihrerseits alle die seg-
mentalen Aeste zum Darm abgiebt.
Damit wird das dorsale Mesenterium in seinem oben genannnten
mittleren Abschnitt nicht nur cranio-caudal verkürzt, sondern es
erhält auch die Möglichkeit, aus seiner ursprünglich longitudinalen
Richtung in eine schräge, transversale sich umzubilden, in Anpassung
an die Längsausdelmung des Darmes. Bei Säugetier- und mensch-
lichen Embiyonen ist nun schon von vornherein dieser mittlere Teil
der dorsalen Mesenterialansatzstelle sehr kurz.
Nach Toldt beruhen, den Zustand des 6-wöchentlichen Em-
bryo als Ausgangspunkt genommen , die weiteren Wachstumsver-
änderungen des dorsalen Mesenterium 1) auf Vergrößerung seiner
Flächenausdehnung, 2) auf Veränderung seiner Lage und 3) auf Ver-
änderung seiner Verbindungen.
Die Vergrößerung der Flächenausdehnung eines Mesenterial-
abschnittes hängt ab von der Wachstumsintensität des betreffenden
Darmabschnittes. Festgeheftete Darmabschnitte wachsen nicht lang
aus, ebensowenig ihr Mesenterium (Duodenum). Jejunum und Ileum,
sowie das Colon erfahren ein reichliches Längenwachstum. Jejunum
und Ileum beim Embryo im Verlauf der 7. — 12. Fötalwoche, der
Dickdarm aber erst im 4.-5. Fötalmonat.
In Betreff der Lageverschiebungen, welche Dünn- und Dickdarm
durchmachen, bezieht sich Toldt auf die Angaben von Meckel und
Joh. Müller. Die flächenhafte Festheftung gewisser ursprünglich
frei beweglicher Darmabschnite an die hintere Bauchwand betrachtet
Toldt als die Folge von Verklebungen, die sich in der Ontogenese
vollziehen. Die betreffenden Vorgänge bezeichnet Toldt folgendermaßen :
1) die Festheftung des axialen Teiles des Magengekröses und des
Zwölffingerdarmgekröses, sowie des Mesocolon descendens an die hintere
Bauchwand ; 2) die Festheftung des Mesocolon ascendens teils an die
dorsale Bauchwand, teils an die ventrale Seite des Duodenum ; 3) die
Festheftung der dorsalen Platte des großen Netzes an die ventrale
Fläche des Mesocolon und Colon transversum. Alle diese An-
lagerungen und Verbindungen entstehen nach Toldt durch innige
Aneinanderlagerung der Teile , dann tritt eine Verklebung ein , die
unter Schwund der peritonealen Epithellamellen in eine definitive Ver-
wachsung übergeht. Nach solcher Verwachsung bleibt die Membrana
propria niesenterii aber stets bestehen und wächst mit dem Einge-
weide weiter. Flächenausdehnung, Lageverschiebung und Verwachsung
nach Verklebung beherrschen die sämtlichen Umbildungen der Mesen-
terien und damit die Ausbildung der definitiven Lage sämtlicher
Baucheingeweide. Ueber den Grund, weshalb gerade an den be-
zeichneten Stellen eine Verklebung der Peritoneallamellen eintritt, wäh-
rend sonst nirgends eine solche Verklebungstendenz besteht, sind wir
noch im Unklaren.
Mit dieser Auffassung steht Toldt in direktem Widerspruch zu
der Beurteilung, unter welcher Klaatsch diese Vorgänge betrachtet.
Nach Klaatsch sollen Verklebungen nicht vorkommen, sondern es
soll z. B. das Colon ascendens sich dadurch festheften, daß sich der
Anfangsteil des Dickdarms in das Mesoduodenum hineinschiebe und
sich schließlich in das Ligament, cavo-duodenale ausdehne. Die Fest-
Die Entwickelung des Darmsystems. 241
heftung des Colon descendens soll sich bilden, indem sich dieser
Dafmabschnitt in ein Lig. recto-lienale hineindränge. Es handelt sich
hier um subperitoneale Verschiebungen der betreffenden Darmabschnitte.
Für die Entwickelungsvorgänge in der Ontogenese sind die An-
gaben Toldt's neuerdings auch durch Swaen und Brächet für
Kaninchen und Mensch bestätigt worden, und sie bestehen offenbar zu
Recht. Bei der weitergehenden Forschung werden aber doch zur Be-
urteilung der Bildungsvorgänge die Gesichtspunkte, die Klaatsch
für die Entwickelung der Mesenterialverhältnisse hervorgehoben hat,
vielfach maßgebend sein müssen, denn der Standpunkt ist auch hier
festzuhalten, daß die komplizierten Einrichtungen im Leben erworben
werden, die ontogenetische Entwickelung wird stets nur mit Vorsicht
hier herangezogen werden dürfen.
Hinsichtlich des Recessus duodeno-jejunalis wendet sich Toldt
aufs energischste gegen Klaatsch. Toldt unterscheidet hier zwei
durchaus verschiedene Bildungen. Die eine zeigt Beziehungen zur
Art. mesenterica sup. und liegt an der rechten Seite der Flexura
duodeno-jejunalis. Sie besteht bei Affen nicht konstant. Sie ist als die
Folge von Verwachsungsvorgängen zwischen der Flexura duodeno-
jejunalis und dem Mesocolon transversum, unter lokaler Abhebung
des Peritonealüberzugs des letzteren zu betrachten (Waldeyer,
Toldt).
Sie wurde schon früher von Broesike beschrieben und als Re-
cessus intermesocolicus transversus bezeichnet. Hierher gehört auch
die von Jounesco beschriebene Fossette duodeno-jejunale ou meso-
colique, welche Broesike als Recessus duodeno-jejunalis sup. be-
zeichnete.
Eine andere Tasche findet sich nach Toldt an der rechten Seite
der Pars ascendens duodeni. Sie öffnet sich proximal und hat mit dem
Mesocolon nichts zu thun.
Die zweite Recessusbildung liegt auf der linken Seite der Flexura
duodeno-jejunalis. Sie besitzt keine Beziehung zur Art. mesenterica
sup. Es ist der Recessus duodeno-jejunalis nach Huschke und
Treitz. Seine Bildung steht in Zusammenhang mit der embryonalen
Lageverschiebung des Dickdarm gekröses gegen die festgeheftete
Flexura duodeno-jejunalis. Toldt faßt ihn als eine lokale Bildung auf,
die mit dem Rec. recto-duodenalis von Klaatsch nichts zu thun hat.
Diesen oder die trichterförmige Einziehung an dieser Stelle hat Toldt
bei Kindern wiederholt gleichzeitig mit einem Recessus duodeno-jejunalis
gefunden. Toldt giebt ferner an, daß der letztere bei Affen als typische
Bildung nicht besteht, somit auch nicht vom Menschen von diesen
übernommen sein kann, es ist eine bei dem Menschen speciell ent-
standene Bildung ohne phylogenetische Bedeutung. Diese Verhältnisse
bedürfen noch weiterer Aufklärung.
Litteratnr
aufser den im allgemeinen Litter aturv er zeichnis angeführten Schriften.
1. Seh lun dspalten und Derivate.
Antipa. Ueber die Beziehungen der Thymus zu den sogenannten Kiemenspaltenorganen
bei Selachiern. Anat. Anz. Bd. VIII. 1892.
Bartels. Ueber Kiemengang Cysten und Kiemengangfisteln. -Diss. Jena 1890.
Baum, H. Die Thymusdrüse des Hundes. Deutsche Zeitschr. f. Tiermedizin Bd. 17,
Heft 4. S. 349—354.
Handbuch der Entwickelungslehre. IT. 1. \Q
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T. I.
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Drittes Kapitel.
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
Von
Willi. Krause (Berlin).
Die allgemeinen Bedeckungen oder das Integumentum commune
der Wirbeltiere bestehen aus dem Corium oder der Lederhaut und
der Epidermis oder der Oberhaut. Letztere entsteht aus dem Ekto-
derm und dieses liefert auch die Horngebilde der Haut überhaupt,
nämlich die Schuppen, Haare, Stacheln, Federn, Nägel, Krallen, Klauen,
Hufe (auch die Hörner), sowie die Zellen aller Hautdrüsen, der
Schweißdrüsen, Talgdrüsen und Milchdrüsen. Aus dem Mesenchym
entsteht das Corium mit seinem Bindegewebe, Gefäßen und Nerven,
ferner liefert das Mesenchym die bindegewebigen und muskulösen Be-
standteile der genannten Drüsen, sowie der Haarbälge, Federbälge etc.
Epidermis.
Ursprünglich ist das Ektoderm oder die Epidermis in ihrer ersten
Anlage eine gleichmäßige Schicht fein granulierten Protoplasmas mit
eingebetteten Kernen (Leydig, 1885). Sie kann daher als Syncytium
bezeichnet werden.
Bald aber sondert sich letzteres in Zellen und zwar entstehen
sehr frühzeitig zwei Zellenlagen. Die äußere Zellenlage der Epidermis
setzt sich aus abgeplatteten, polygonalen, meist sechseckigen Zellen
zusammen, jede der letzteren ist in ihrem Centrum mit einem abge-
platteten runden chromatophilen Kern versehen, sie hat die Charaktere
einer Hornschicht (Stratum corneum). Die innere Lage enthält poly-
edrische granulierte Zellen, von denen jede ebenfalls einen chromato-
philen, aber kugeligen Kern in ihrem Centrum besitzt. Diese Zellen
vermehren sich durch mitotische Teilung, rücken nach außen, ver-
hornen dabei so weit, daß sie den ursprünglichen Zellen der äußeren
Schicht gleich werden. Die ursprünglich äußerste Zellenlage fängt
nun an, sich'zu verändern. Die Konturen der einzelnen Zellen werden
undeutlich, die Zellen selbst kleben fester zusammen, ihre Kerne er-
scheinen noch stärker abgeplattet und sind nicht mehr chromatophil.
Indem ihre chromatophile Substanz verloren geht oder resorbiert wird,
254 \Y. Krause,
bleiben Kernlücken übrig, welche die runde Form der früheren Kerne
in der Flächenansicht beibehalten. Die absterbende, aus einer oder
zwei Zellen übereinander gebildete, äußerste Zellenlage löst sich früher
oder später im Zusammenhange oder in einzelnen größeren Fetzen
ab. Bei Säugetieren und Vögeln geht sie erst vor oder kurz nach
der Geburt, resp. dem Ausschlüpfen verloren. Bei Reptilien und
Amphibien ist sie mit den oberflächlichen Zellen des eigentlichen
Stratum corneum verklebt und wird von diesen Tieren bei der ersten
Häutung abgeworfen. Sie überzieht die Haare, Federn, Nägel und
ähnliche Sprossenbildungen der Epidermis, und diese durchbrechen
schließlich die abgestorbene Zellenlage. Da dies zuerst bei den Haaren
beobachtet wurde, so hat Welcher (1864) diese Lage als Epitrichium,
Kerbert (1877) als Epitrichialschicht bezeichnet. Mehnert (1??95)
nannte die äußerste supraepitheliale Zellenlage bei Embryonen von
Amnioten Supraepithelialschicht oder Teloderm, weil dieses Grenzblatt
wenigstens bei Sauropsiden die äußerste Lage zelliger Elemente nicht
nur am Körper des Embryo, sondern auch am Ektoderm der Em-
bryonalhüllen darstellt. Dieser Begriff ist mithin ein weitumfassender.
Da die genannte Zellenlage die Epidermis von Anamnioten und auch
die embryonalen Schuppen von Reptilien überkleidet, so kann sie, an
diesen Stellen wenigstens, nicht wohl Epitrichium genannt werden.
Man hat sie an den Nägeln und Hufen als Eponychium unterschieden
(vergl. unten Nägel); zweckmäßiger ist es wohl, sie mit einem Ge-
samtnamen als Periderm (Fig. 154), oder Peridermalschicht zu bezeich-
nen, soweit sie die Epidermis des Embryonalkörpers selbst und dessen
Epidermoidalanhänge umhüllt.
Die histologischen Veränderungen der äußersten Epidermislagen,
wie bei der Abstoßung des Periderm kehren in analoger Weise bei
dem typischen Häutungsprozeß von Sauriern, speciell der Schlangen
wieder. Der physiologische Unterschied der Peridermalschicht vom
Fig. 154. Senkrechter Durchschnitt der Haut der
Backe eines 14-tägigen Foetus vom Kaninchen. Mül-
^ER'sche Flüssigkeit, Alkohol, Pikrokarmin, Xylol,
Kanadabalsam. Vergr. 420. l Periderm mit einem
achromatophilen Kern. 2 Stratum corneum der Epi-
dermis. 8 Corium. Nach eintr Zeichnung von Dr. So-
kolowsky in Berlin.
embryonalen Stratum corneum liegt darin, daß die Zellen des letzteren
Stoffwechsel aufweisen, während die Zellen des Periderm bereits ab-
gestorben sind. Das Periderm ist mithin morphologisch durchaus
nichts besonderes, es wird einfach von denjenigen alleräußersten Epi-
dermiszellen gebildet, die überhaupt absterben, indem sie der Kerati-
sation unterliegen.
Verhornung. Im folgenden wird öfters Bezug zu nehmen sein
auf die chemischen Körper, welche in der Epidermis und den Epi-
dermoidalbildungen auftreten und als Ele'idin, Keratohyalin und Onychin
oder onychogene Substanz bezeichnet werden.
Das Eleidin (diffuses Elei'din, Ranvier, 1900) ist nur im Stratum
lucidum vorhanden, daher fehlt es (wie letzteres) im Bereich des Nagel-
bettes. Es ist diffus in den Zellen dieses Stratum verteilt, tritt tropfen-
förmig in Querdurchschnitten der Epidermis auf und ist wenigstens halb-
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 255
flüssig, färbt sich mit Pikrokarmin intensiv rot. Pikrokarmin ist nun
eine sehr wenig konstante Zusammenrnischung von Pikrinsäure, Am-
moniak, Kohlensäure u. s. w., jedenfalls ist es nach P. Mayer (1899)
kein pikrinsaures Ammoniak. Das Ele'idin färbt sich auch mit Wasserblau
(Frickenhaus, 1896) und an frischen Hautstücken nach Weski (1901)
mit lproz. Wasserblau, sowie mit sulfosaurem Nigrosin. Gewöhnlich
wird das Ele'idin für Lanolin (Cholestearinfett, Wollfett der Schafe) er-
klärt, oder doch für eine Vorstufe des letzteren. Andere halten es für
ein Glycerinfett. Jedenfalls bedingt es die Undurchlässigkeit des Stratum
lucidum, in welches es sich imbibiert, für AVasser und wässerige Lö-
sungen.
Anders verhält sich das Keratoliyalin (körniges Ele'idin, Ranvier.
1900). Es findet sich in Körnchenform in den Zellen des Stratum granu-
losum, das ihm sein körniges Aussehen verdankt. Die Körnchen können
kleiner oder größer sein, letztere sind oft unregelmäßig. In Säuren oder
Alkalien quellen die Körnchen auf, wogegen Pigmentkörnchen unver-
ändert bleiben (Wal- eyer, 1882), auch schwärzt es sich mit Ueberos-
miumsäure (W. Krause, 1881, S. 46. Fig. 18 gr). Durch Maceration
in 10-proz. Chlornatriumlösung wird es gelöst (Ranvier, 1900). Wie
das Ele'idin, färbt es sich mit Pikrokarmin rot, auch mit Thionin (Ran-
vier, 1899) oder mit eosinsaurem Methylenblau (Laurent, 1900), außer-
dem aber mit Haematoxylin und Karmin, was das Ele'idin nicht thut;
beide sind mithin chemisch verschieden. Seine Konsistenz ist nach
Waldeyer (1882), von dem der Name herrührt, gallertartig. Es ist,
chemisch betrachtet, sicher kein Fett, keine Fettsäure, kein Glycogen,
Keratin, Nuclein, auch kein H}^alin. Die Ansichten gingen meist dahin,
daß es aus dem Zellenkern entsteht, der ja in dieser Gegend der Epidermis
regelmäßig zu Grunde geht, jedoch nicht aus der chromatophilen Substanz
des Kernes, sondern aus einem achromatophilen Bestandteil des letzteren.
Andere leiten das Keratohyalin richtig aus dem Protojdasnia oder aus
letzterem und dem Kerne zugleich ab. Allgemein wird aber seit Unna
(1883) angenommen, daß das Auftreten des Keratohyalin zwar eine zeit-
liche Begleiterscheinung der Verhornung sei, mit letzterer aber nichts
direkt zu thun habe ; Waldeyer (1882) und Thoms (1896) sehen darin
ein Zeichen der Degeneration und des allmählichen Absterbens der be-
treffenden Epidermiszellen. Sicher ist, daß es im Protoplasma der
Epidermiszellen anfangs mitunter am Rande derselben, in weiter Ent-
fernung vom Kern sich bildet und mit den Kernbestandteilen keine Be-
ziehungen hat (Weidenreich, 1900).
Bei der Bildung des Nagels würde dann an Stelle des hier fehlen-
den Keratohyalin das Onychin und die Substance onychogene von Ran-
vier (1889) in Betracht kommen. Die Verhornung im allgemeinen,
namentlich diejenige der äußeren Epidermisschichten, wird hier als Kerati-
sation, die Bildung echter Nagelsubstanz, auch an Krallen, Klauen, Hufen,
als Onychisation bezeichnet. Mit der letzteren kann das Keratohyalin
nichts zu thun haben, da es aus dem Nagelbett frühzeitig verschwindet
(s. unten Nägel), und schon dieser Umstand würde es rechtfertigen, die
Onychisation von der Keratisation scharf zu trennen.
Das embiyonale Nagelbett besitzt früher ein Stratum granulosum,
als letzteres in der übrigen Epidermis erscheint. Sobald echte Nagel-
substanz oder überhaupt Hornsubstanz der Krallen , Hufe u. s. w. ge-
bildet wird, verschwindet das Keratohyalin und an seine Stelle tritt das
von Waldeyer entdeckte Onychin. Dieser Ausdruck rührt ursprünglich
256 W. Krause,
von Henlb (1884) her, der damit die onychogene Substanz Ranvier's
(s. unten) bezeichnete. Waldeyer (1882, S. 175) fand im Huf des
Pferdefoetus in einer ziemlich breiten Zone, die ein wenig nach innen
von der Hornwand gelegen ist , Körnchen , die sich gegen Acidum
aceticum glaciale resistent verhielten. Dieselbe vom Ele'idin verschiedene
Substanz sah Waldeyer auch in den Hufen vom Rinde ; sie soll hier
als Onychia bezeichnet werden. Solche Körnchen sind sehr charak-
teristisch im Krallenbett der vorderen Extremität vom 14-tägigen Kanin-
chenfoetus (Fig. 188). Neuere Untersuchungen (Okamura, 1900) haben
gezeigt, daß die Körnchen des Onychin in Essigsäure, Chlorwasserstoff-
säure, künstlicher Verdauungsflüssigkeit, Salpetersäure und in Alkalien
unlöslich sind, obgleich sie aufquellen, wenn die letzteren in konzen-
trierten Lösungen angewendet werden. Mit Pikrinsäure färben sich die
Körnchen gelb wie die foetale Nagels ubstanz selbst; in der Profilansicht
erscheinen sie mitunter als eine kurze Reihe von Körnchen innerhalb
des Kernes der Nagelzellen, der folglich auch an ihrer Bildung mitbe-
teiligt ist. Daß diese OmTchinkörnchen nicht mit Luftbläschen ver-
wechselt werden können (Apolant 1901*, S. 772), leuchtet von selbst ein.
In chemischer Beziehung ist nur bekannt, daß die Nagelsubstanz,
sowie die Hornsubstanz des Pferdehufes (Mohr, 1894) mehr Schwefel
enthalten als das Keratin der Epidermis, die Hufe dagegen 1 — 2 Prozent
weniger als in den Haaren sich findet.
Man muß aber von diesem Onychin die ursprünglich als onychogcne
Substanz von Ranvier (1889) bezeichnete Erscheinung unterscheiden.
Eine am foetalen und erwachsenen Nagel vorhandene, ihrer Lage nach
dem Keratohyalin vollkommen entsprechende Schicht sieht bräunlich
(gelbbräunlich) bei durchfallendem, und weißlich (bläulichweiß) bei auf-
fallendem Licht aus. Folglich handelt es sich nicht um eine Körnchen-
masse oder einen bräunlichen Farbstoff, sondern um eine Interferenz-
erscheinung, welche von Zacken abhängig ist, die sich bei den dem
Onychisationsprozeß unterliegenden Zellen ausbilden. Jene Zacken färben
sich selbstverständlich nicht mit Pikrokarmin oder ähnlichen Farbstoffen.
Nach mehreren Autoren, Renaut (1887), Blaschko (1889), von Brunn
(1897), Apolant (1901*) handelt es sich aber in dieser dichroitischen
Schicht nicht um Stacheln oder Zacken an der Oberfläche der Zellen,
sondern um eine fibrilläre Beschaffenheit des Zellenprotoplasma, welche
der Verhornung, überhaupt der Keratisation sowohl wie der Onychisation
vorausgeht. Die Fibrillen erscheinen auf dem optischen Durchschnitt
selbstverständlich als Punkte.
Der Verhornungsprozeß des Nagels soll, wie oben gesagt, als Onychi-
sation, im Gegensatz zu der häufiger vorkommenden Keratisation anderer
Epidermissubstanzen bezeichnet werden. Gemeinsam ist der Keratisation
und Onychisation, daß die Verhornung ursprünglich von Protoplasma-
fasern einer bei beiden homologen Zellenschicht ausgeht. Unterschieden
sind sie, abgesehen von den physikalischen Differenzen der schließlichen
Endprodukte, darin, daß der Schwefelgehalt der Nägel u. s. w. höher ist
als bei den übrigen Epidermoidalbildungen, daß die dichroitischen Eigen-
schaften dem Stratum granulosum der Epidermis fehlen und daß die
Zellenkerne an der Onychisation teilnehmen, insofern in ihnen frühzeitig
Onychinkörnchen auftreten, während die Zellenkerne bei der Keratisation
unbeteiligt bleiben. Die Haarbildung zeigt sich von der Keratisation
darin abweichend, daß die Haare aus spindelförmigen, nicht aus poly-
gonalen Zellen hervorgehen, daß die Haarfibrillen in den Spindelzellen
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
257
undeutlicher
jenigen der
sind und daß der Schwefelgehalt der Haare sich mehr dem-
Nägel
anschließt.
Fische. Die
Entwickelung
der Schuppen auf der Haut der
solche besitzenden Fische gehört einem anderen Kapitel (II, 4) an;
hier ist nur über Petromyzon zu erwähnen, daß nach F. E. Schulze
(1867, 1869) eine cuticulare Decklage vorhanden ist. Sie wird von
den platten nach außen gerichteten Grenzsäumen der äußersten Epi-
dermiszellen gebildet. In der Profilansicht erscheint der Grenzsaum
gestreift , wie wenn er von Porenkanälchen durchsetzt würde. Im
übrigen sind die Verhältnisse wie bei Salamandra maculosa.
Ueber die besonderen Verhältnisse bei Amphioxus lanceolatus s.
unten.
Amphibien. Das Periderm tritt bei diesen Tieren ebenfalls in
der oben geschilderten Weise auf. Bei den jüngsten Larven von
Salamandra maculosa zeigt die Epidermis nach Pfitzner (1880) zwei
Zellenlagen. Die Zellen der äußeren Lage sind abgeplattet und zu-
meist sechseckig. Letztere kann als Periderm oder nach Pfitzner
als Homologon eines einschichtigen Stratum corneum aufgefaßt werden,
diese einschichtige äußerste Zellenlage wird bei der ersten Häutung
abgeworfen (Schuberg, 1893). Die zahlreichen Bilder von einge-
schnürten Kernen dieser Zellen in der Flächenansicht deutet Schuberg
als solche von amitotischer Zellenteilung, nicht etwa als Zerfallser-
scheinungen absterbender älterer Kerne. Jedenfalls sind letztere
relativ groß und stark abgeplattet. Auch die Kerne der Zellen der
tieferen Lage sind relativ groß, kugelig, die Zellen selbst mehr kubisch
oder polvedrisch.
An der freien Oberfläche, senkrecht zu letzterer, zeigen diese
Zellen einen feingestreiften Cuticularsaiim (Fig. 155). Der Saum ist
eine Hornbildung, wie Verdauungsversuche ergaben, die Streifung ist
nach Pfitzner (1880) nicht der Ausdruck von Porenkanälchen, son-
dern eines rückgebildeten Wimperbesatzes. An reifen Larven treten
nämlich feinste starre Härchen anstatt des Saumes auf, die meist
es
Fig. 155. Senkrechter Durchschnitt der Haut einer Larve von Salamandra
maculosa. Vergr. ca. 500 Ep Epidermis. Co Corium. a Stratum corneum. b
Stratum germinativum (Malpighü). LZ Große schleimhaltige Zellen von Leydig.
CS Cuticularsaum. (Nach Wiedersheim, p. 18. Fig. 12. 1888.)
länger sind, als es der Dicke des letzteren entspricht. Zwischen den
Zellen der tieferen Lage liegen die sog. Schaltzellen. Sie haben keine
besondere Bedeutung, es sind dickere Zellen, die an die freie Ober-
fläche nur mit einem kleineren Umfang hinanreichen. Die Epidermis-
zellen der tieferen Lage vermehren sich durch indirekte Teilung, später
treten 2—3 Lagen auf, sowie Becherzellen, (Schleimzellen, LEYDiG'sche
Zellen), die einzeln schon bei den jüngsten Larven vorhanden sind.
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1.
17
258 W. Krause,
Dieselben bilden sich für gewöhnlich nur so lange, als eine einzige
Zellenlage der tieferen Schicht vorhanden ist; ihr Protoplasma ist hell,
ihr Kern verkleinert, sie zeigen Vakuolen zwischen festeren Protoplasma-
strängen und vermehren sich ebenfalls durch Karyomitose. Sie sind
viel größer als die anderen Epidermiszellen, die erwähnten Vakuolen
enthalten eine schleimähnliche, durch Säuren u. dergl. körnig ge-
rinnende Substanz. Bei älteren Larven finden sich auch wohl zwei
Lagen von Schleimzellen übereinander. Die Zellen haben nach Pfitz-
ner eine Bedeutung für das Wasserleben der Amphibienlarven, da sie
später verschwinden ; offenbar sondern sie eine Art Sekret ab.
Der erwähnte Cuticularsaum findet sich auch bei anderen Am-
phibien. Schon Eberth (18(36) sah solche Säume bei Larven von
Bombinator igneus und F. E. Schulze (1869) bestätigte diese Cuti-
cularsäume an großen Larven von Rana esculenta und Pelobates fuscus.
Von der äußersten Zellenlage der Epidermis wird eine cuticulare Grenz-
schicht gebildet, nachdem die Flimmerhaare dieser Larven abgeworfen
sind; solche Säume wurden schon von Remak (A. L. I) beobachtet.
Die Zellen der äußersten Lage erscheinen in der Flächenansicht grob-
granuliert, was von rundlichen kleineren und größeren Körnern herrührt.
Eberth (1866) hielt sie für knopfartig hervorragende Enden glänzender
Stäbchen, F. E. Schuze erklärt sie für länglich ellipsoidische Körperchen.
Es ist nun bemerkenswert, daß bei Amphioxus lanceolatus die
Epidermis auch beim erwachsenen Tier wie bei der Larve zwar aus
zwei Arten von Zellen besteht, die aber nur eine einzige Lage bilden.
Die eigentlichen Epidermiszellen sind cylindrisch mit einem nahe am
Corium gelegenen ellipsoidischen Kern, der relativ klein ist ; die Zellen
führen oft Pigmentkörnchen. Zwischen diesen Zellen , in unregel-
mäßiger, aber sparsamerer Verteilung sitzen schlankere, ebenfalls kern-
haltige Zellen und letztere tragen an ihrer freien Oberfläche ein starres
feines Haar, das auch als Stachel bezeichnet worden ist. Langer-
hans (1875) hielt die schlankeren Zellen irrtümlich für Nervenendappa-
rate oder Sinneszellen (W. Krause, 1888).
In analoger Weise schildert v. Kölliker (1885) zw ei Arten v o n
Zellen in der Epidermis der Froschlarven, Rana esculenta, Rana
fnsca, Hyla arborea, Bufo cinereus. Zwischen den gewöhnlichen Epidermis-
zellen stehen auf der ganzen Oberfläche des Larvenschwanzes ver-
breitet birnförmige Stiftchenzellen. Ihr spitzeres Ende ist nach der
Oberfläche der Epidermis gewendet und wird von den angrenzenden
oberflächlichsten Epidermiszellen überdeckt, zwischen welchen jedoch
eine feine Lücke bleibt. Das äußere Ende der Stiftchenzelle trägt ein
i&>
diese Oberfläche überragendes, kurzes starres Haar oder Stiftchen.
Das breitere Ende liegt in der Tiefe und kann der Cutis unmittelbar
aufsitzen. Bei Rana esculenta fanden sich ca. 79 Stifte henz eilen auf
1 qmm. v. Kölliker möchte sie für Nervenendapparate halten und den
Zellen der Organe, der Seitenlinie homologisieren, Leydig (1873) da-
gegen erklärt sie für die Anlagen von Drüsenzellen oder Schleimzellen,
wie sie in der Epidermis des erwachsenen Tieres vorhanden sind.
Vögel. Beim Hühnchen konnte Gardiner (1884) an den
meisten Körperstellen keinen Unterschied wahrnehmen, die äußersten
Epidermiszellen des erwachsenen Tieres verhalten sich ganz ebenso.
Da sie innerhalb des Eies sich feucht erhalten, werden sie nicht wie
beim erwachsenen Tiere abgestoßen, und gehen erst nach dem Aus-
kriechen in derselben Weise verloren wie bei letzterein. Eine Aus-
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
259
nähme bildet das Periderm auf den Anlagen der Federn (s. letztere),
indem die Hornscheide der Dunenfedern als ein Rest des Periderm
zu betrachten ist. Dagegen fand Gardiner bei Melopsittacus sp.
vor der Bildung der Federn, den ganzen Körper mit einer dünnen
Hornschicht bekleidet. Anfangs grenzt sie sich nicht scharf gegen
die darunter gelegenen Zellen ab, aber später, wenn der Embryo
wächst, kann man sie unterscheiden. Die Zellen des Epiderm werden
auseinander gezerrt und allmählich abgestoßen.
Während an den meisten Körperstellen am 4. und 5. Bebrütungs-
tage die Epidermis zweischichtig ist, indem das einschichtige Stratum
germinativum von einer Lage verhornter Zellen bedeckt wird, findet
durch vermehrte Zellenteilung eine Verdickung der genannten beiden
Zellenlagen an denjenigen Stellen statt, wo sich später eigentliches
Hörn bilden wird, wie am Schnabel und den Zehenenden. Die Ver-
hornung beginnt am Oberkiefer im Laufe des 6. oder 7. Bebrütungs-
tages, so daß auf ein äußeres Periderm die allmählich sich verdickende
eigentliche Hornschicht folgt, welche dann nach außen zu wachsen
fortfährt.
Säuger. Bei Säugern ist das oben erwähnte Periderm oder
Epitrichium deutlicher ausgebildet. In früher Embryonalzeit zeigt sich
bei einigen derselben (Bradypus, Choloepus, Myrmecophaga dicotyles,
Sus) nach Welcher (1864) eine aus großen polygonalen, platten
Zellen bestehende Schicht , welche eine vollständige Umhüllung des
ganzen behaarten Körpers bildet und erst bei der Geburt zerreißt.
Bei Bradypus ist sie bis 1 mm, bei anderen Säugern und namentlich
beim Menschen nur 0,005 mm dick und löst sich schon im Uterus
allmählich in kleineren Partien ab ; eine solche schwächere Umhüllung
bezeichnet Wtelcker als epitrichoide Schicht.
die
Entwickelungsverhältnisse
der Epi-
zwar durch v. Kölliker (1850) studiert
Beim Menschen sind
dermis besonders genau und
worden.
Im 1. Schwangerschaftsmonat (Fig. 156) und
besteht die Epidermis aus zwei Lagen von Zellen,
wird von polygonalen abgeplatteten Zellen von
Durchmesser, mit rundlichen abgeplatteten, 0.009-
Beginn
des 2.
Lage
im
Die äußere
0,027-0,045 mm
0,013 mm in der
Flächenansicht messenden Zellen gebildet, die ein einschichtiges Stra-
Fig. 156. Senkrechter Durchschnitt der Haut von einem 7 -wöchentlichen
menschlichen Embryo. Vergr. ca. 250 a von^der medialen Fläche der oberen Ex-
tremität, b von der Haut des Rückens. (Nach v. Brunn, 1897. p. 28 Fig. 35).
17*
260 W. Krause,
tum corneum repräsentieren. Die tieferen, dem Stratum germinativiim
entsprechenden Zellen bilden ebenfalls eine einfache Lage ; die Zellen
sind kleiner, polyedrisch, sie haben 0,0068—0,009, ihre kugeligen Kerne
0,0034 — 0,0045 mm Durchmesser. Am Ende des 2. Schwangerschafts-
monates erscheint die äußere, dem Periderm homologe Zellenlage wie
im Absterben begriffen, die Zellengrenzen verwischen sich, ihre Kerne
werden undeutlich und nach der Tiefe hin schließt sich eine neue,
aus kleineren aber sonst ganz ähnlichen Zellen bestehende Lage an.
Dies ist die erste Anlage des bleibenden Stratum corneum, während das
Periderm durch Abstoßung nach und nach verloren geht.
Während des Verlaufes der Schwangerschaft nimmt die Epidermis
kontinuierlich an Dicke zu und ihre beiden Strata enthalten mehrere
Lagen von Zellen übereinander. Im 3. Monat sind im Stratum corneum
4 — 5 Zellenlagen vorhanden, die Zellen sind aber noch deutlich kern-
haltig , nicht so abgeplattet wie beim Erwachsenen und teilweise
feinkörnig. Ferner sind im 6. Schwangerschaftsmonat bereits 4 — 6
Zellenlagen im Stratum corneum und 3 — 4 im Stratum germinativum
vorhanden. Die genauere, mit vielen Zahlenangaben ausgestaltete Be-
schreibung ist bei v. Kölliker (A. L. I. 1879. p. 771) nachzusehen.
Fortwährend findet beim Foetus eine Abschuppung der ober-
flächlichen Zellenlagen statt, Der Verlust wird durch karyomitotische
Zellenteilungen im Stratum germinativum und Umwandlung von Zellen
des letzteren, insbesondere das Stratum granulosum zu verhornten
Zellen des Stratum corneum ersetzt.
Vom 5. Schwangerschaftsmonat an mengt sich mit den abgestoßenen-
Epidermiszellen auch das Sekret der unterdessen entwickelten Talg-
drüsen. So ensteht die Vernix caseosa, Fruchtschiniere oder Käse-
schmiere, welche als weiß-gelbliche, weiche, fettige Masse im 6.
Schwangerschaftsmonat die ganze Hautoberfläche des Foetus als eine
dünnere oder dickere Lage überzieht. Besonders entwickelt ist sie
am Halse, an den Geschlechtsorganen, an der Beugeseite der Gelenke,
in der Achselhöhle, Kniekehle, der Weichengegend, auch am Kopfe,
Ohre, Rücken, der Volar- und Plantarfläche der Hände und Füße.
Mikroskopisch besteht sie aus verhornten Epidermiszellen, Zellen der
Talgdrüsen und Fetttröpfchen. Die letzteren beiden Bestandteile fehlen an
den Körperstellen, die keine Talgdrüsen besitzen. Die Vernix caseosa
gelangt in das Fruchtwasser und führt auch abgestoßene Wollhaare.
Was nun die Einzelheiten der weiteren Entwickelung und
zwar speciell das Stratum granulosum der Epidermis anlangt, so
sah Pavloff (1889) beim menschlichen Foetus vom 7. Schwanger-
schaftsmonat in der Epidermis, Fußsohle und an den Fingern, sowie
den Augenlidern bereits ein zusammenhängendes, aus einer einzigen
Lage von Zellen bestehendes Stratum granulosum, während in der be-
haarten Kopfhaut das Keratohyalin nur in einzelnen Epidermiszellen
dieses Stratum vorhanden war. Beim Neugeborenen hingegen fand
sich Keratohyalin an allen Stellen der Epidermis verbreitet.
Frühere Stadien sind von Hausmann (1898) beim Maulwurf
nachgewiesen. An der Stelle des späteren Stratum granulosum traten
zuerst einzeln granulierte Zellen auf, die rasch an Zahl zunehmen
und eine aus zwei Zellenlagen bestehende Schicht bilden. Nach der
Oberfläche hin folgen auf dem Querdurchschnitt der Haut spindel-
förmig aussehende, als lichtbrechende Fasern erscheinende Zellen des
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 261
Stratum corneum die nur selten noch einen Kern erkennen lassen,
zwischen welchen einige Keratohyalinkörnchen vorhanden sind. Auch
in Ablösung begriffene Zellen giebt es, zwischen denen größere und
kleinere Eleidinschollen gelegen sind.
Hautdrüsen im allgemeinen.
Bei Vögeln, Amphibien u. s. w. sind eine Menge verschiedenartiger
Hautdrüsen bekannt, am besten die Schleimdrüsen der Amphibien. Es
läßt sich im allgemeinen über deren Entwickelung sagen, daß sie (ähn-
lich wie z. B. Schweißdrüsen beim Menschen) als anfangs solide mehr
kugelige Einstülpungen des Stratum germinativum der Epidermis entstehen
und erst später von accessorischen Bestandteilen, Bindegewebshülle, glatten
Muskelfasern , die vom Mesenchym herstammen , u. s. w. umwachsen
werden. Was die Hautdrüsen, speciell von Amphibien betrifft , so
haben zahlreiche gelegentlich angestellte Untersuchungen, namentlich der
Giftdrüsen von Salamandra maculosa, den ektodermalen Ursprung dieser
Drüsen dargethan. Sie entstehen wie gesagt als Einstülpungen des
Stratum germinativum, und dies gilt auch für die Hautdrüsen des Frosches
(Engelmann, 1872) und anderer Amphibien Seeck (1891), Maurer (1895),
Gegenbaxtr (1898) u. s. w. Nur Nicoglu (1893) war geneigt, diese
Drüsen von oberflächlichen, nicht von den am tiefsten gelegenen Zellen
des Stratum germinativum abzuleiten. Neuerdings hat Ancel (1900) bei
Salamandra maculosa an Larven von 2 — 5,5 cm Länge etwas genauere
Resultate erhalten. In den jüngeren Stadien bildet sich eine rundliche
Zellenmasse , die ganz und gar in der Epidermis enthalten ist. Die
Begrenzungslinie des Corium ist an dieser Stelle etwas konvex nach der
Tiefe hin gebogen, die Zellen der Drüsenanlagen sind in zwei konzentrische
Lagen angeordnet, die ersteren besitzen große Kerne. Sie entstehen von
einer besonders großen kugeligen Zelle, die auf allen Seiten von kleinen
und mehr oder weniger in die Länge gezogenen Zellen umgeben wird.
Im übrigen ist die äußere Begrenzung des Corium noch eine vollkommen
ebene Fläche. Die große Zelle besitzt einen entsprechend großen Kern,
die kleinen sie umgebenden Zellen, 3 — 4 an Zahl, gleichen vollständig
den benachbarten Epidermiszellen. Die Drüsen entstehen also als Ein-
stülpungen der am tiefsten gelegenen Zellenschicht des Stratum germi-
nativum. Bei den ältesten der oben erwähnten Larven zeigt sich bereits
ein Lumen in der Drüse. Daselbst sind die das Lumen umgebenden
Zellen abgeplattet, in der Tiefe der Anlagen aber fanden sich bereits
die in voller Sekretion begriffenen Drüsenzellen. Der kugelige Zellen-
haufen ragt in das Corium hinein. Zuletzt bildet sich der Ausführungs-
gang, beim Frosch erst am Ende des Larvenstadium.
Dieser vollkommen klaren und mit allen sonst bekannten Thatsachen
über die Entwickelung von Hautdrüsen in Uebereinstimmung sich be-
findenden Anschauung hat Madame Phisalix-Picot (1900) eine andere
gegenüberzustellen versucht. Dieselbe schreibt den Giftdrüsen des Sala-
manders einen mesodermatischen Ursprung zu, und, unbekannt mit den
optischen Fehlenpuellen, verschiebt sie die Grenzen zwischen Epidermis
und Corium, indem sie die ursprünglichen Zellen der Drüsenanlage von
einer Bindegewebszelle des Corium herleitet.
262 W. Krause.
Schuppen.
In allen Klassen der Vertebraten finden sich Schuppen, nämlich
harte hornähnliche Verdickungen, häufig von dreieckiger Form, welche,
wenn sie dicht gedrängt stehen, die Haut nach Art eines Schuppenpanzers
dicht bedecken können. Sie sind als Papillarbildungen aufzufassen, die
aus einer oder mehreren verschmolzenen Papillen der Lederhaut hervor-
gehen, eine bindegewebige, Blutgefäße führende, nach außen zugespitzte,
jedoch abgerundete Grundsubstanz besitzen , welcher hornartige Epider-
moidalgebilde aiifgelagert sind. Sie bilden teils einfache, mehr oder weniger
stark entwickelte Höcker, oder sie sind abgeplattet, gleichsam platt ge-
drückt und am Rumpf der Regel nach caudalwärts, an den Extremitäten
proximalwärts gerichtet.
Es lassen sich verschiedene Arten von Schuppen unterscheiden, die
mehr oder weniger verschiedene Bedeutung haben. Es giebt Fisch-
s c h u p p e n , ferner primäre Schuppen, gewöhnliche eigentliche
Schuppen oder Hornschuppen der Reptilien, namentlich der Schlangen,
sodann Lauf seh upp en oder sekundäre Schuppen bei den Vögeln an
deren Extremitäten , endlich schuppenähnliche Bildungen bei
Säugetieren. Die Fischschuppen scheiden hier aus der Betrachtung aus ;
es sind Bildungen, an denen Verknöcherung ihren Anteil nimmt, und
daher gehören sie in ein anderes Gebiet.
Reptilien. Die erste Anlage der Reptilienschuppen bei Em-
bryonen von Schlangen, z. B. Tropidonotus natrix, Lacertinen u. s. w.
geschieht, wenn die Kiemen eben verschwunden sind, durch Bildung
von kleinen Höckern, die durch Wucherung der Bindegewebszellen
dicht an der Epidermis hervorgebracht werden (Fig. 157) ; es entstellt
'-.-.j. ■<•-
Fig. 157. Querschnitt durch die Haut eines Schlangenembryo. Vergr. ca. 290.
Die Hervorragung ist die Anlage einer »Schuppe, c Corium, mit zahlreichen Binde-
gewebszellen, e Periderm. s Stratum germinativum. (Nach Kerbert, 1876. Taf. XIX,
Fig. 20).
zunächst eine niedrige Cutispapille. Die Epidermis besteht anfangs
noch aus der Peridermalschicht und dem Stratum germinativum; zwischen
beiden entwickeln sich rundliche Zellen durch Teilung von Cylinder-
zellen der Schleimhaut ; sie liefern die erste Anlage der Hornschuppen
(Kerbert, 1877). Kleine Leistchen auf der äußeren Oberfläche der
Zellen des Periderm nehmen zuweilen die Form von stärker licht-
brechenden Stäbchen an, die alle in derselben Richtung verlaufen, und
die Leistchen sind die erste Anlage von Längsleisteu, die manchen
Schuppen erwachsener Reptilien zukommen. Die Schuppenanlage
bildet weiter wachsend eine Cutispapille, welche mehr und mehr zu
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
263
einem kugelförmigen Zapfen sich gestaltet und wenn die Kiementaschen
verschwunden sind, fangen die Schuppenanlagen an, sich caudalwärts
zu wenden; sie werden abgeplattet und lassen eine äußere und eine
innere Fläche (Fig. 158) unterscheiden.
Den Schluß der Entwickelung von Schuppen bezeichnet das Auf-
treten von P i g m e n t in Form sternförmiger Bindegewebszellen (Fig. 158),
die nach Kerbert aus dem Corium in die Epidermis einwandern und
auch in der am tiefsten gelegenen Cylinderzellenlage sich befinden.
Beim ausgewachsenen Reptil kommen sie in der Epidermis nicht, son-
dern nur noch im Corium vor, wovon die Lacertinen zum Teil eine
Fig. 158. Längsschnitt durch
die Haut eines Schlangenembryo,
etwas älter als Fig. 157. Vergr. ca.
300. Die Schuppe zeigt eine äußere
und eine innere Fläche, an letzterer
ist die Epidermis dünner, c Corium
mit der Anlage der festeren und längs-
streifigen Hauptmasse oder Achse
der Schuppenanlage. k feinkörnige
Zellen der tieferen Lage des Stratum
corneum. e Periderm. s Stratum
germinativum mit verästelten Bindegewebszellen
Fig. 24).
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-■*
■ ~- a
(Nach Kerbert, 1876. Taf. XIX,
Ausnahme machen. In der letzten Zeit vor dem Ausschlüpfen differen-
ziert sich auch das Corium der Schuppe in eine aus festerem Binde-
gewebe bestehende Hauptmasse, welche (Leydig, 1873, p. 770) der
Schuppenachse entspricht, und in die Grenzschichten, nämlich das aus
mehr lockerem zellenreichen Bindegewebe bestehende Corpus papilläre
(Fig. 159).
Bei den Häutungen erwachsener Reptilien wiederholen sich, was
die Epidermis anlangt, die embryonalen Vorgänge.
Die eigentümlichen Haftorgane an den Füßen der Geckotiden
sind bei Hemidactvlus mabounia von Haase (1900) untersucht. Sie
bestehen aus Lamellen und letztere sind nichts weiter als weiter aus-
gebildete Schuppen ; sie entwickeln sich wie die letzteren.
M^_r
,
H
Fig. 159. Längsschnitt durch die Haut eines Schlangenembryo etwas älter als
158. Vergr. ca. 300. k tiefere Lage des Stratum corneum. s Stratum germina-
tivum. e Periderm. c Corium. (Nach Kerbert, 1876. Taf. XIX, Fig. 26JT
Fig
264
W. Krause,
Es liegt auch ein Versuch vor, die Schuppen der Saurier noch
in zwei Gruppen zu sondern. Sokolowsky (1899) bezeichnet die
Hervorragungen auf der Körperoberfläche als Höckerpapillen,.
sie entstehen durch radiärsymmetrisches Wachstum. Nur diejenigen
Erhebungen, deren Entstehung bilateral symmetrisch vor sich geht,
sollen als Schuppen bezeichnet werden. Nun entstehen aus den
Run d höckerpapillen dadurch Zapfen höckerpapillen, daß
das Erhebungscentrum, nämlich die Stelle, von welcher aus das
radiärsymmetrische Wachstum vor sich geht, distalwärts rückt und
eine Firste sich ausbildet, die von der cranialen Spitze der birnförmig
werdenden Basis zum Erhebungscentrum reicht. Auf die Höcker-
papillen der Geckotiden aber sind die Schuppen der Lacertilier zurück-
zuführen, sie sind selbst in ihrer höchsten Ausbildung Modifikationen
einfacher , zuerst durch radiärsymmetrisches Wachstum entstandener
Hautpapillen. Ueberreste dieser primären Formelemente lassen sich
auch zwischen beträchtlich entwickelten Schuppen noch nachweisen.
Vögel.
Die Schuppen, welche die distalen Glieder der unteren
Extremität bei vielen Vögeln mehr oder weniger weit bedecken, werden,
wie gesagt, als Laufschuppen bezeichnet. Beim Huhn entstehen die
ersten Anlagen der künftigen Schuppen nach Kerbert (1877) erst am
11. Bebrütungstage. Während die Epidermis selbst aus dem Periderm,
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Fig. 160. Längsschnitt
durch die Haut am Metacar-
pus des Huhnes vom 11. Be-
brütungstage. Vergr. 180. e
Periderm. s Stratum germi-
nativum. c Stelle einer Schup-
penanlage. (Nach Kerbert,
1876. Tal. XX. Fig. 33).
der Hornschicht und dem Stratum germinativum besteht, die jede nur
eine einfache Zellenlage zeigen, findet an der Schuppenanlage eine
beträchtliche Zellenvermehrung statt, so daß die Hornschicht bald vier
bis fünf Zellenlagen aufweist.
Diese Vermehrung betrifft nicht minder
13.
auch die Bindegewebszellen des Corium (Fig. 160). Am 13. Be-
brütungstage unterscheidet sich die Schupp enpapille von der
Papille der späteren Embryonaldune (s. unten Federn) dadurch, daß
letztere viel länger ist, während die Schuppenpapille eine allmählich
immer stärker werdende, caudalwärts gerichtete Umbiegung darbietet.
Am 15. Tage wird bereits ein Unterschied zwischen äußerer und innerer
Schuppenfläche bemerkbar, insofern an der ersteren sowohl die Horn-
schicht als das Stratum germinativum stark verdickt sind. Die dem
Periderm benachbarte Zellenlage ist mehr grobkörnig (weshalb Ker-
bert sie als Körnerschicht bezeichnet) und scharf gegen die anderen
Schichten abgegrenzt. Sie scheint zusammen mit dem Periderm sowie
der Hornscheide der Embryonaldunen abgestoßen zu werden und schon
am 23. Tage trennen sich diese Zellenlagen von dem bleibenden Stratum
corneum. Bemerkenswert erscheint es, daß nach Kerbert (wie es bei
Pteptilien auch der Fall ist, p. 263) am Ende der 2. Bebrütungswoche
zahlreiche Pigmentzellen aus dem Corium in die Epidermis der Schuppe
einwandern, welche Zellen das erwachsene Huhn nicht mehr besitzt.
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 265
Vergleicht man die Entwickelung der Schuppen mit derjenigen der
Feder (s. unten), so tritt eine vollständige Homologie hervor ; man ist
so weit gegangen, die Feder eine ausgefaserte Schuppe nennen zu wollen.
Jedoch entstehen die' Strahlen der letzteren einzig und allein aus der
dem Stratum germinativum entsprechenden Cylinderzellenlage, wobei die
Hornschicht und die Coriumpapille verloren gehen, was sich alles bei der
Schuppe ganz anders verhält.
Wenn man auch die Federn von Schuppen der Reptilien ableiten
darf, so liegt doch die Sache anders bei den schon erwähnten Lauf-
schuppen, welche die Beine vieler Vögel mehr oder weniger weit bedecken.
Ganz nahestehende Arten oder selbst Varietäten haben befiederten
Metatarsus und befiederte Zehen, wo andere kleine Schuppen aufweisen.
Solche Schuppen sind nach Daviek (1889, p. 607) aus kleinen Federn
hervorgegangen ; diese Schuppen, Schilder oder Halbringe sind sekundär
auf den Dorsalflächen oder Streckseiten der Extremität entstanden,
während kleine Höcker auf der Beugeseite die ursprüngliche Gestalt der
Schuppen u. s. w. repräsentieren. Letztere sind teils beliebig situierte
einfache Verdickungen der Cutis, zum Teil aber entstanden sie rund um
eine Feder. Differenzen zwischen Laufschuppen und Reptilienschuppen
ergeben sich aus dem Umstand, daß die ersteren Federn tragen können.
Sie können also nicht letzteren homolog sein, wie es die Reptilienschuppen
sind, denn eine Feder kann doch nicht auf einer anderen wachsen. Man
muß mithin primäre Schuppen von diesen sekundär gebildeten
Laufschuppen morphologisch unterscheiden, obgleich beide im histo-
logischen Bau wie in ihrer Entwickelung übereinstimmen. Jedenfalls
ist die Feder nichts weiter als eine modifizierte Schuppe.
Säugetiere. Am Schwanz von Mus decumanus sah Römer
(1896) die Haare vor den Schuppen auftreten, aber erst relativ spät,
am 27. Tage der Trächtigkeit. Distalwärts von jeder Schuppenanlage
wächst ein stärkeres Mittelhaar hervor, später entstehen an den Rändern
der Schuppe die kleineren Seitenhaare. Erst nachdem die Haare schon
einen hohen Grad der Ausbildung erreicht haben, erfolgt mit ihrer Schräg-
stellung eine ringförmige Erhebung der Cutis, welche den ganzen
Schwanz umgreift und sich schräg über die Haare hinwegschiebt. Die
dickere Hornschicht ist auch in diesem Stadium noch einheitlich, und
erst die durchbrechenden Haare bedingen eine bestimmte Einteilung
dieser Schicht in dickere Erhebungen und dünnere Vertiefungen, zu
denen dann noch an bestimmten Stellen auf den Ringen eine Ein-
teilung in Schuppen hinzukommt, die aber nur wenig hervortreten.
Die heutigen Schuppen des Rattenschwanzes können nach Römer
(1898) nicht als alte Erbstücke von reptilienähnlichen Vorfahren be-
trachtet werden, sondern sie sind modifizierte Gebilde, die sekundäre
Abänderungen erfahren haben. Die Ansicht, wonach die Schuppen die
Stellung der Haare bedingt hätten, wird durch die Anordnung und
Gruppierung der Haare bei ihrer ersten Anlage bestätigt. Aber dieser
Satz gilt nicht für die Schuppen, wie sie heute am Schwanz der er-
wachsenen Ratte vorliegen ; es sind echte Hornschuppen, die sich histo-
logisch unbedingt an diejenigen der Reptilien anschließen , auch in be-
treff der vom Corium gelieferten Bildungen , aber sie treten in anderer
Form und Lage auf. Sie erheben sich als ringförmige parallele Falten
um den ganzen Schwanz herum, deren zunächst einheitliche Hornschicht
von den durchbrechenden Haaren zerrissen und in dickere und dünnere
2(36 W. Krause,
Partieen geschieden wird. Sie werden mithin von den durchbrechenden
Haaren offenbar beeinflußt.
Merkwürdige Verhältnisse fand Römer (1898) bei einem Nager,
dem Embryo von Thryonomys (Aulacodus) swinderianus (Temmink).
Der Embryo, der von der Nasenspitze bis zur Scliwanzbasis 16 cm
Länge hatte, erscheint bei oberflächlicher Betrachtung am ganzen
Körper bis auf die distale Schwanzhälfte mit Schuppen bedeckt. Diese
Schuppen wurden aber durch eine ausgesprochene Gruppenstellung
der Haare nur vorgetäuscht, wirkliche Schuppen waren nicht vor-
handen. Vielmehr bewirken die größeren, in Gruppen von 3 — 12 an
Zahl stehenden Haare durch ihre Anordnung, daß der Embryo
wie mit Schuppen bedeckt aussieht. Außerdem waren noch zahlreiche
kleine Haaranlagen vorhanden, welche sich überall auf dem ganzen
Körper, auf dem Rücken, am Bauche und am Schwänze von der Epi-
dermis aus einsenkten und zwischen die größeren Haare und Haar-
gruppen schoben. Sie stehen überall auf den vermeintlichen Schuppen,
auf ihrem distalen Rande, wie auf ihrer Basis; besonders dicht an
ersteren.
Eine besondere Erörterung erfordert die von Emma Borlotti
(1896) aufgestellte Theorie. Bei Foetus von Mus decumanus (Albino),
Talpa, Erinaceus und Didelphys zeigten sich deutliche regelmäßige
Hautfalten, namentlich am Nacken bei Mus decumanus, die Emma
Borlotti als Reste eines Hautpanzers anspricht, der Saurop-
siden sowohl wie Säugetieren ursprünglich zukommen soll. Indessen
handelt es sich in Wahrheit um nichts weiter als die schrumpfende
Wirkung des zur Erhärtung verwendeten Alkohols, der die Entstehung
dieser Falten verschuldet (Römer, 1896). Die Erscheinung ist mithin
gänzlich bedeutungslos.
Federn.
Der in der Entwicklung begriffene Vogelembryo zeigt frühzeitig,
z. B. am 5. Bebrütungstage bei der Taube, am 7. beim Huhn, runde,
weiße Flecke. Dies sind die Anlagen der Embryonaldune (Pluma
richtiger als Plumula Malpighii — Erstlingsdune, Nestlingsdune),
welche Dunen den bleibenden Federn vorausgehen, wie die Lanugo den
Haaren der Säuger. Zu dieser Zeit besteht die Epidermis des Tauben-
embryo aus zwei Zellenlagen. Die äußere wird hier Periderm (p. 254)
genannt, es ist eine einfache Lage abgeplatteter polygonaler kern-
haltiger Zellen ; die innere Lage zeigt senkrecht zum Corium gestellte,
mehr safthaltige Cylinderzellen mit ellipsoidischen, ebenfalls senkrecht
gestellten Kernen.
An den Stellen, wo jene Flecken liegen, befinden sich in dem
Corium scheibenförmige Gruppen von kernhaltigen Bindegewebszellen,
nach außen davon sind die beiden Zellenlagen der Epidermis verdickt
und zwar die innere zum Teil durch Vermehrung ihrer cylindrischen
Zellen, während in der Peridermalschicht die in einfacher Lage vor-
handenen Zellen mehr kubisch werden (Davies, 1889). So sieht die
erste Federanlage aus ; sie springt nicht etwa hügelförmig über die
Epidermisoberfläche hervor (Fig. 161).
Dann wächst die Zellen gruppe des Corium, drängt die Epidermis
nach außen, es erfolgt in beiden eine beträchtliche Zellenvermehrung und
aus den ursprünglichen beiden Zellenlagen der Epidermis sind nun
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 267
zwei mehrzellige Schichten geworden. Die Zellen der tiefer gelegenen
Schicht sind aber sämtlich Abkömmlinge der Zellen der inneren Zellen-
lage ; das Periderm geht einfach darüber hinweg (Fig. 162). Zugleich
--D
Fig. 161. Durchschnitt durch die Cutis eines Embryo der Taube vom 5. Be-
brütungstage. Erste Anlage einer Embryonaldune. Vergr. etwa 200. Die Zellen-
wucherung der Epidermis ist flach, erscheint in so früher Zeit nicht höckerförmig,
im Corium ist eine sehr beträchtlich ausgedehnte Wucherung von Mesenchymzellen
vorhanden, p Periderm. g Stratum germinativum. D Corium. (Nach Davies, 1889.
Taf. XXIII, Fig. 1.)
neigt sich die so gebildete Federpapil le im allgemeinen caudal-
wärts, ihr Scheitelpunkt ist caudalwärts und nur wenig nach außen
gewendet. Das Wachstum dauert in der einmal eingeschlagenen Rich-
tung an, die gesamte Zellenvermehrung wird lebhafter und lebhafter
und die Federpapille zu einem langgestreckten Kegel, der, wie gesagt,
im allgemeinen caudalwärts sich wendet. Zusammen mit ihrem Epithel-
überzuge wird die Federpapille als Fe der keim bezeichnet.
Fig. 162. Längsschnitt durch die Federpapillenanlage einer Embryonaldune
von der Taube; die Rückwärtsneigung der Papillenachse ist beträchtlich. Etwas
späteres Stadium als in Fig. 161. Vergr. etwa 200. p Periderm. g Stratum germi-
nativum. c Corium. (Nach Davies, 18S9. Taf. XXIII, Fig. 2.)
Hieraus ergiebt sich folgendes, was Keibel (1895, S. 645) als
eine in betreff der späteren Entwickelung der Feder besonders be-
deutsame Thatsache hervorhebt. Nach dem Durchbruch durch die Feder-
scheide (p. 270) und dem Verschwinden der letzteren entspricht die
dorsale oder äußere Seite der definitiven Feder der ganzen Oberfläche
des Federkeimes und die innere der Lederhaut zugekehrte Seite der
Feder der inneren Fläche des Federkeimes, die ursprünglich der Feder-
papille zugekehrt ist.
Die Oberfläche der Coriumpapille bleibt nun nicht glatt. Indem
die Zellenwucherung in ihrem Inneren andauert, erheben sich dünne
Leisten, deren Zwischenräume mit rundlichen Intermediärzellen
(Davies, 1889) ausgefüllt sind, die zwischen der äußersten und innersten
Epidermiszellenlage eingeschaltet liegen (Fig. 163. Fig. 164); sie ent-
sprechen dem Stratum germinativum. Ins Innere der Coriumpapille
sind bereits Blutgefäße hineingewachsen (Fig. 165 Bg).
268
W. Krause,
Es sind mm in der Bildung der Längsleisten nach Davies (1889)
zwei Prozesse zu unterscheiden, nämlich erstens eine raschere Er-
zeugung von Intermediärzellen in einigen Teilen der Cylinderzellenlage ;
Fig. 164.
Fig. 163.
Fig. 163. Etwas schräg verlaufender Querschnitt eines Dunenfederkeimes
eines Embryo vom Huhn, nahe dessen Basis, am Beginn der Längsleisten. Vergr.
etwa 200. Das Periderm umgiebt die ganze Figur. Fs Federscheide. In Inter-
mediäre Zellen. Cy Cylinderzellenschicht. P Pulpa der Federpapille. (Nach Davies,
1889. Tai XXIII, Fig. 5.)
Fig. 164. Querschnitt durch eine verlängerte Federpapille vom Flügel eines
ca. 20 Tage alten Embryo vom Pinguin (Eudyptes chrysocoma L.). Vergr. 250. Man
sieht die radiäre Anordnung der Zellen. (Nach Studer, 1878. Taf. XXV, Fig. 6.)
zweitens aber tritt später eine nach außen gerichtete Ausbreitung der
Cylinderzellenanlage zwischen den Intermediärzellen in denjenigen
Partieen ein, wo die Erzeugung der letzteren weniger schnell statt-
gefunden hat. Der letztgenannte Prozeß überwiegt beim Huhn im
Vergleich zur Taube und spielt die Hauptrolle bei der Entwickelung
der definitiven Feder.
Die in Vermehrung begriffenen Zellen der inneren, dem Stratum
germinativum entsprechenden Schicht drängen nicht nur den Federkeim
nach außen, sondern bewirken auch eine Einstülpung dieser Schicht
oder ein Einwachsen des Federkeimes in die
tieferen Schichten des Corium. Diese anschei-
nende Einstülpung wird dadurch bedingt, daß
die ganze Hautoberfiäche, entsprechend dem
Wachstum des ganzen Embryo, sich ausdehnt,
gegen welche Ausdehnung das Wachstum des
welche Ausdehnung
Fig- 165. Etwas schräg geführter Querschnitt eines
Federkeimes einer Embryonaldune eines Taubenembryo.
Späteres Stadium, als das von Fig. 163. Vergr. ca. 200.
Pu Pulpa der Federpapille. Bg Blutgefäßdurchschnitte. Ly
Cylinderzellenschicht. JJ Innere Intermediärzellen. AJ
Aeußere Intermediärzellen. P Periderm. (Nach Davies,
1889. Taf. XXIII, Fig. 4.)
•S'A*«/
AJ P
von
Das
der
Federkeimgrundes zurückbleibt
Lagen der Epidermis geh«
die äußere Oberfläche des Federkeimes
Einwachsen teil und es wird wenigsten
Federtasche gebildet, wenngleich eine
Periderm und
Hautoberfiäche
über, nehmen
die äußersten
unmittelbar in
nicht an dem
nach Davies
schwache
Vertiefung
an
keine
der
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 269
der Hautoberfläche zugekehrten Seite des schräg gestellten Federkeimes
auf Längsschnitten durch denselben sichtbar wird. In diesem Stadium
ist nun bereits die Anlage des Federfollikels oder Federbalges aufge-
treten. Seine Wand wird nur von einer mit dem Stratum germinativum
der Epidermis zusammenhängenden Zellenlage gebildet und repräsen-
tiert die innere Lage oder das Stratum germinativum des Follikels.
Sie wird von der gleichartigen Zellenschicht des Federkeimes durch
eine anfangs einfache, aus einer Zellenlage gebildete, nach außen an
Dicke zunehmende und aus mehreren Lagen zusammengesetzte Schicht
getrennt ; die Zellen der letzteren sind abgeplattet, in die Länge ge-
zogen und fangen bald an zu verhornen.
Die Innenmasse der Pulpa des Federkeimes, die der ursprüng-
lichen Coriumpapille entspricht, besteht anfangs aus einer dichtge-
drängten Menge von Bindegewebszellen. Später rücken diese nach
außen zu, im Scheitel der Federpapille, auseinander, die Blutkapillaren
vermehren sich, das Gewebe wird lockerer und bestellt schließlich aus
einem Netzwerk sternförmiger anastomosie-
render Bindegewebszellen (Fig. 166). p
Durch Zwischenschiebung der sich ver-
. Fs
Leisten an der Außenfläche des Federkeimes " / 7 u
mehrenden Intermediärzellen werden die "'Vv
Fig. 1G6. Querschnitt durch das periphere Ende ', , ' .'//
eines Federkeimes einer Embryonaldune vom Huhn.
Ewas späteres Stadium als Fig. 165. Vergr. etwa 260.
w Periderm. Fs Federscheide. Li Längsleisten. Oy
-
Cvlinderzellenschicht. P Pulpa der Federpapille. ,tls P
Nach Davies, 1889. Tat. XXIII, Fig. 7.) v c = - "-^
voneinander getrennt, sie werden zu Säulen, in deren Zwischenräume die
Fortsätze der Coriumpapille hineinragen und diese Säulen repräsen-
tieren die Strahlen der künftigen Dune.
Sämtliche Veränderungen, welche schließlich zur Bildung von
Dunenfeder strahlen (Fig. 1 67) führen, beginnen am Scheitel der
Coriumpapille und schreiten nach
innen hin fort. Der am tiefsten
gelegene Abschnitt fasert sich
aber nicht in Federstrahlen auf,
bleibt einheitlich, cylindrisch und
wird als Dunenfeder spule
(Calamus) bezeichnet.
Bei der Umwandlung der
geschilderten Zellensäulen in Fe-
derstrahlen ist die Verhornung der
betreffenden Zellen das wesent-
■ B<X
Fig. 167. Kleine Erstlingsdune von
der Schenkelhaut eines Kasuars fDro-
maeus). Verg. etwa 3. Seh Schaft der ^ ""sv^
Dune. Sp Spule. (Nach Davies, 1889. v Sp
Taf. XXIII, Fig. 51.)
liehe. Die Vorgänge verhalten sich nach H. Rabl (1896, S. 460) durch-
aus wie bei den verhornenden Zellen der Kopfhaare des Menschen. Die
270 W. Krause,
Kerne in den Zellen der Nebenstrahlen der Dunenfedern degenerieren
in ganz analoger Weise wie bei den Haaren, ihr Kerngerüst zerfällt
in eine Anzahl kleinster Chromatinkugeln, diese Körnchen, werden
bei gleichzeitiger Verkleinerung der Kerne, weniger scharf, fließen zu-
sammen und schließlich verlieren letztere ihre Affinität zu Kernfärbe-
mitteln.
In der Gegend der Dunenspule wird nach Davies (1889) nun eine
Reihe von kegelförmigen, hornigen Kappen gebildet, welche unterhalb,
zum Teil innerhalb der benachbarten liegen und an ihren Spitzen
durch eine hornige Faser mit einander verbunden sind. Sie entstehen,
indem das Pulpagewebe an seinem obersten Ende resorbiert wird, wobei
die Cylinderzellenlage sich zusammenzieht , an Dicke zunimmt und
an ihrer Oberfläche eine Lage von verhornenden Zellen bildet. Diese
letzteren sind unnachgiebiger, daher trennt sich bei weiterer Zusammen-
ziehimg die untere Schicht von der oberen, zieht sich wieder zusammen ,
erst rasch, dann langsamer, bis sie wieder eine gewisse Dicke erreicht
und der Prozeß sich von neuem wiederholt.
Die Höhlung unterhalb jeder Hornkappe scheint zuerst mit Plasma
erfüllt zu sein, welches allmählich verdunstet. Somit bilden die Zellen
der Cylinderzellenlage die dütenähnlichen hornigen Gebilde, welche über
der sich zurückziehenden Pulpa auftreten und in der Spule die Feder-
seele aufbauen. Beim Rückzüge der Pulpa und der vollendeten Ver-
hornung aller Teile bleibt die Dune immer noch von einer dünnen,
der äußersten Schicht der Epidermis angehörenden, also dem Periderm
entsprechenden F e d e r s c h e i d e bedeckt.
Nach dem Ausschlüpfen des Vogels aus dem Ei fällt diese Feder-
scheide ab, die Hornkappen fallen ebenfalls weg, die Federstrahlen
breiten sich über die Hautoberfläche aus. Zugleich werden die äußeren
Epidermisschichten der Haut abgeworfen und durch Einsenkung ent-
steht eine in die Tiefe vordringende Spalte, nämlich die Höhlung der
Federtasche. Die Entwickelang der Embryonaldune ist damit
vollendet.
Bei anderen Vögeln werden die einfachen Hornstrahlen der Taube
durch kompliziertere Gebilde ersetzt, namentlich ist dies bei der Ente
und dem Huhn der Fall ; bei letzterem bestehen sie aus Rinden- und
Marksubstanz und sind mit Nebenstrahlen versehen.
Bei den meisten Vögeln sind die Embryonaldunen Pinsel dunen
(Fig. 167).
Die von der Spule ausgehenden Nebeiistrahlen fahren pinsel-
förmig auseinander, sobald sie über die Hautoberfläche hervorgetreten
sind. Dagegen besitzt die Embryonaldune bei den Cursores, Rasores
und Lamellirostres einen kürzeren oder längeren Schaft (Scapus oder
Rhachis). Die ältere Ansicht, wonach die Bildung dieses Schaftes
auf einer Verlängerung und Verdickung des freien Endes der Spule
beruht, scheint zuzutreffen, obgleich manche den Schaft als einen
Hauptstrahl auffassen, der auf Kosten der Nebenstrahlen an Länge
und Dicke zugenommen hat. Bei der Ente und namentlich beim
Pinguin (Fig. 168) ist dies Verhalten leicht ersichtlich ; beim Dromaeus
gehen die Nebenstrahlen von der Spule aus, mit Ausnahme der cen-
tralen vier (Fig. 167), welche aus einem kurzen dünnen Schaft hervor-
gesproßt sind. Bei diesem Vogel besteht nach Studer (1878) inso-
fern eine Abweichung, als die äußeren Epidermisschichten bereits im
Ei abgeworfen werden, so daß das Tier schon mit freien Dunenstrahlen
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
271
das Ei verläßt, während bei anderen Vögeln die äußeren Epidermis-
schichten erst vom jungen Vogel abgeworfen werden, der anfangs fast
wie mit Haaren bedeckt zu sein scheint, weil sich nämlich die Neben -
strahlen noch nicht entfalten konnten.
Die definitive Feder (Penna) geht ebenfalls aus einem Federkeim
hervor, der zum Unterschiede als definiti ver F e derke im be-
zeichnet wird. Das in das Coriuni eingesenkte Ende des Dunen-
Sc1 Pap SM<
SM:
Wp-Mp
FaKSMV
^iFal/SMV
nsiSc'i
Fig. 168. Sechs Stadien der Federentwickelung. Nach Studer (1878) und
Wiedersheim (1888). A Senkrechter Durchschnitt, einer Federpapille von der Bauch-
haut eines ca. 20-tägigen Embryo vom Pinguin (Eudyptes chrysocoma L.). Vergr.
110. B Längsschnitt einer Federpapille vom Flügel eines ca. 20-tägigen Embryo
vom Pinguin. Vergr. ca. 110. C Querschnitt einer Federpapille vom Flügel eines
ca. 20-tägigen Embryo vom Pinguin. Vergr. 250. D Längsschnitt durch den Feder-
balg einer Embryonaldune des frisch ausgekrochenen Pinguin. Vergr. ca. 110. E
Embryonaldune vom Kücken eines frisch ausgekrochenen Pinguin. Vergr. ca. 10.
F Feder der Ruderschwinge eines Pinguin von der Innenfläche.
Cu Corium. SM Stratum germinativum. Sc Stratum corneum. SMX Stratum
germinativum auf der Federpapille. Sc * Stratum corneum auf der Federpapille. Pcq)
Federpapille. FK Federkeim. FF1 Federfollikel. P Pulpa. Fal (SM1) Faltungen
des Stratum germinativum im Inneren des Federkeimes, im Querschnitt. HS (Sc1)
Stratum corneum, welches diese Faltungen außen umschließt. FSp Federspule. HSt
Strahlen der Federspule, sec sekundäre Strahlen. R Schaft der Feder. V Federfahne.
federkeimes erweitert sich, umschließt eine größere Pulpahöhlung und
dringt tiefer in das Corium. Der definitive Federkeim ist als eine in
die Tiefe dringende Fortsetzung (Fig. 168D) des Dunenfederkeimes zu
betrachten (Studer, Davies); da, wo in der Tiefe die Strata germi-
nativa des Federkeimes und des Federfollikels ineinander übergehen,
krümmt sich das auf dem Längsschnitt abgerundete Ende nach der
Achse hin und so entsteht eine enge Oeffnung des Federfollikels an
272 W. Krause,
der Basis des Federkeimes. Dies ist der Nabel (Umbilicus), durch
welchen Blutgefäße aus dem Corium in die Federpapille eintreten.
Sie bilden ein Kapillarnetz in der letzteren, durch welches dieselben
und der Federkeim mit Nahrungsmaterial versehen werden.
Nach und nach trennt sich vermöge der Bildung eines Spaltes die
Oberfläche der Federspule von der Wand des Follikels. Der Feder-
follikel entsteht mithin (Davies, 1880) nicht als eine einfache Ein-
stülpung, sondern vielmehr als Einsenkung einer soliden Zellenmasse,
in welcher die Follikelhöhle anfangs als einfache Spalte auftritt. Die
Federstrahlen , welche die Federfahne (Vexillum) im Gegensatz zum
Federschaft bilden, entstehen in anologer Weise wie bei der Embryo-
naldune.
Was den Federfollikel selbst anlangt, so stammt seine binde-
gewebige Hülle vom Corium. Der Papillarkörper des letzteren wird
in die Tiefe geschoben und bildet eine Art Tasche, in welche die Ein-
senkung des Federkeimes und die Epidermisanlage des Follikels von
Anfang an eingeschlossen sind. Die Zellen des Corium liefern Fasern,
die in der die Dunenspule umgebenden Gegend cirkulär, mehr in der
Tiefe longitudinal angeordnet sind ; an dem am tiefsten gelegenen Ende
des Follikels treten die Blutgefäße ein. In Wahrheit beruht die
Einsenkung auf einem Zurückbleiben des Wachstums nach außen in
dieser Gegend ; das Ernährungsmaterial wird weniger für das Corium
als für die Feder selbst verbraucht. -Im Grunde des Federfollikels
bleibt eine vollständige Cutispapille, die definitive Federpapille
zurück, sie besteht aus Epidermis und Bindegewebe u. s. w. wie jede
Cutispapille. Sie wächst zur Zeit der Mauser und liefert eine neue
Feder. Die Details der Bildung der definitiven Federn wechseln je
nach der Art derselben (Schwungfedern, Flaumfedern u. s. w.) und
gehören dem zoologischen Gebiet an. - - Schwungfedern oder die
großen Flügelfedern der Vögel bilden sich in derselben Weise wie die
übrigen Federn, nur frühzeitiger, und entwickeln sich rascher, ohne
bedeutendere Differenzen darzubieten. Jedoch dauert es nach
Pernitza (1871) beim Hühnchen noch viele Tage nach dem Aus-
schlüpfen aus dem Ei, bis die Schwungfedern soweit ausgebildet sind,
daß sie aus ihrer Tasche, die auch Federscheide genannt wird, hervor-
brechen. Letztere ist bindegewebig und nicht mit der oben genannten
(p. 270), dem Periderm entsprechenden zu verwechseln.
Stacheln.
Erinaceus europaeus. Die Stacheln des Igels legen sich inter-
essanter W7eise gerade so an wie die Vogelfedern. Im Beginn fand
Davies (1889) bei einem Embryo von 13 — 14 mm Länge in der
Rückenhaut zahlreiche weißliche, trübe Hervorragungen, die aus einer
Anhäufung von Bindegewebszellen unter einer leichten Erhebung der
Epidermis bestehen. Letztere besitzt ein Periderm, mehrere Lagen
von Zellen des Stratum germinativum und in der Tiefe eine Cylinder-
zellenlage (Fig. 160). Somit handelt es sich um eine Papillenanlage,
auf der sich der Stachel entwickeln würde. Maurer (1892*, p. 729;
1893) bestreitet aber, daß dies jemals der Fall sei und meint, daß es
in der Igelhaut unzweifelhaft Papillen gebe, auf denen sich niemals
Stacheln oder Haare entwickeln ; ob auf dem Bücken des erwachsenen
Igels Papillen vorkommen, erscheint jedoch nicht aufgeklärt. Wie dem
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 273
sei, so entsteht etwas später eine unzweifelhafte Stachelanlage als
Hache Einsendung einer Epidermiswucherung, die in die Tiefe dringt.
Die C)dinderzellenlage baucht sich nach der Tiefe hin aus, ihre Cylinder-
zellen vermehren sich und bilden nach Maurer eine Epithelknospe,
Fig. 169. Anlage eines Stachels vom Rücken
des Igels (Erinaceus europaeus) nach Davies.
1 Intermediärzellen der Einsenkung. p Periderm itiittt
oder Epitrichialschicht. c Stratum corneum. Cy
Cylinderzellenschicht. P Anhäuf ung von Binde- _'• ,-~
gewebszellen des Corium. (Nach Davies, 1889.
Taf. XXXV. Fig. 36.)
die von mehreren Zellenlagen des Stratum germinativum, nach Davies
auch noch vom Periderm bedeckt wird. In der Tiefe wuchern die
Bindegewebszellen des Corium. In einem weiteren Stadium entsteht
eine solide Einstülpung der Epidermis in das Corium hinein, darunter
liegt die Anhäufung von Bindegewebszellen und schließlich bildet sich
auf dem Grunde des späteren Stachelfollikels eine Coriumpapille wie
bei der Feder die Federpapille. Die Cylinderzellenlage differenziert
sich dann weiter in Lagen der Wurzelscheide u. s. w. des künftigen
Stachels. Die Coriumpapille wird länger und länger, die Wurzel-
scheiden nehmen auch an Dicke zu, die centralen Zellen beginnen zu
verhornen und in seiner ersten Erscheinung reicht der ausgebildete
Stachel als ein feiner Hornfaden nur bis zum Niveau der künftigen
Talgdrüsen.
Merkwürdiger Weise entstehen genau wie bei der Feder auf den
epidermalen Wänden des Stachelkeimes eine Reihe von Längsleisten,
so daß ein Querschnitt große Aehnlichkeit mit dem eines Federkeimes
in demselben Stadium, wie Fig. 164 zeigt. Später wachsen diese
Leisten gegen das Innere der Papille hin, teilen sie in eine Anzahl
tiefer longitudinaler Abschnitte und lassen nur eine kleine axiale Partie
ungeteilt, so daß die große Aehnlichkeit mit dem Federkeim nach
Davies nur vorübergehend ist. Der Stachel bleibt ein einheitliches
Gebilde, während die Feder seitliche Federstrahlen erhält.
Die mikroskopischen Vorgänge bei der Stachelbildung hat Sprenger
(1898) noch im einzelnen geschildert. Die ersten Anlagen der Stacheln,
der Borsten oder kleinen Stacheln und der Haare unterscheiden sich
beim Embryo des Igels von 2 cm Körperlänge nicht wesentlich. Die
Stachelanlage beginnt mit einer Epidermiswucherung; das Periderm
geht glatt über den Stachel keim hinweg, der sich in das unver-
änderte Corium hineinsenkt. Bald jedoch nimmt das letztere teil, seine
Bindegewebszellen vermehren sich an dem rundlichen Ende des mehr
senkrecht zur Oberfläche in das Corium hineinwachsenden Epidermis-
zapfens. Dann tritt als erste Anlage der Talgdrüsen eine leichte
seitliche Ausbuchtung in der Mitte der Länge des Epidermiszapfens
auf. Nach und nach flacht sich der Grund des späteren Stachel-
follikels ab, erhebt sich zu einer Papillenanlage , indem die
Bindegewebswucherung sich in die Basis der Stachelanlage etwa wie
die äußere Höhlung einer Weinflasche hineindrückt. Die Stachel-
papille ist jetzt kegelförmig mit abgestutzter Spitze. Von ihr er-
hebt sich der primitive Stach elkegel, welcher den späteren Stachel
Handbuch der Kntwickelungslehre. II. 1. \Q
274
W. Krause,
nebst der inneren Wurzelscheide repräsentiert. Dieser Kegel ist an
seinem äußeren. Ende zugespitzt und seine Zellen sind namentlich an
der Kegelbasis dunkler gefärbt; außerdem ziehen sie sich in die Länge:
Fettkörnchen sind nicht vorhanden. Im folgenden Stadium wird die
Stachelpapille mehr rundlich, erhält an ihrer Basis einen einge-
schnürten Hals und läßt die innere Wurzelscheide mit ihren Schichten
unterscheiden. Die mittlere Lage besteht aus zwei Zellenlagen
und diese Zellen enthalten bereits Keratohyalinkörnchen, wogegen die
äußere Lage nur aus einer einzigen Lage von helleren Zellen besteht.
Auch die Zellen der späteren inneren Lage sind frei von Keratohyalin-
körnchen und mehr länglich -spindelförmig. Die Zellen der äußeren
Wurzelscheide verhalten sich wie früher. Dann beginnt der Stachel-
keim eine Neigung gegen die Cutisoberfläche zu bekommen, die An-
lage des Stachels selbst wird länglich und die Zellen seiner ober-
flächlichen Lagen, sowie die innere Lage der inneren Wurzelscheide
werden hyalin und glänzend, infolge der beginnenden Keratisation.
Im weiteren Verlauf der Keratisation reicht das freie Ende des Stachels
bis zur Oberfläche der Epidermis und zieht sich in eine feine Spitze
aus. Die einzelnen Zellen verschmelzen zu einer soliden glänzenden
Hornmasse, die nur eine Längsstreifung erkennen läßt. Die Kerati-
der Spitze nach der Tiefe und von der Rinde
fort. Um die Papille herum im Centrum des
rundliche oder ovale, spindelförmige und stern-
auf.
sation schreitet von
nach dem Mark hin
Stachelkeimes treten
verästelte
förmig
Pigmentzellen
Der Stachelfollikel beginnt sich dann in eine innere quergestreifte
und eine äußere dünnere, längsgestreifte Schicht zu differenzieren. Direkt
an die äußere Wurzelscheide grenzt eine feine helle strukturlose Glas-
membran
2—3
Lagen
Die
mehr
letztgenannte
Zellenlagen , von
rundlicher
denen die
Wurzelscheide besteht in der Tiefe aus
Zellen, weiter nach außen folgen 4 — 5
äußersten die Form niedriger Cylinder
haben. Die Stachelpapille
läng-
ß
wird nach und nach
lieh, zwiebeiförmig und ragt
mit Fortsätzen in den
Stachelkeim hinein. Letz-
terer zeigt auf dem Quer-
schnitt anfangs 12—15
leichte Einkerbungen, zwi-
schen welche je ein stumpfer
Vorsprung der sehr gefäß-
reichen Stachelpapille hin-
Fig. 170. Querschnitt durch
die Anlage eines Stachelkeimes
vom Igel (Erinaceus europaeus).
Stk Stachelkeim. P Stachelpa-
pille. Man sieht lange, radiäre,
in den Epithelkranz nach Art
eines Sternes hineinragende Strah-
len. (Nach Sprenger, 189S,
Taf. IX, Fig. 9.)
einragt. Nach und nach werden die Fortsätze der Papille länger,
die Einkerbungen bilden sich zu Rindenleisten des Stachels aus,
die Papille erscheint auf dem Querschnitt wie ein Stern mit Strahlen
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 275
{Fig. 170). Indem die Keratisation von der Rinde her fortschreitet,
differenzieren sich die den Fortsätzen der Stachelpapille zunächst
liegenden Zellen zu Markzellen, die anfangs eine mehr cylindrische
Form aufweisen. Während sie sich vermehren, schrumpfen die Fort-
sätze der Stachelpapille. Sie atrophieren schließlich und erscheinen
als spärliche Bindegewebsfasern mit einzelnen eingelagerten spindel-
förmigen Bindegewebszellen. Schließlich füllen die Markzellen das
Innere des Stachels vollständig aus.
Während die Stachelpapille selbst sich verkürzt, verhornt auch
die Peripherie der Markzellen, Luft dringt nicht nur in sie, sondern
auch zwischen sie ein und bedingt die weiße Farbe des fertigen Stachels.
Indem der Stachel nach und nach bis zur Mündung des Stachelfollikels
wächst, rollt er sich wenigstens innerhalb des Follikelhalses auf. Am
Igelfoetus kurz vor der Geburt sind in der Haut des Rückens
Reihen von Wülsten vorhanden, aus denen die Spitzen der Stacheln
nach und nach hervordringen, die letzteren sind 11—12 mm lang
(Davies, 1889), schief caudalwärts gerichtet, und nach der Geburt
treten sie aus den Follikeln hervor. Dann beginnt auch die Pigment-
bildung, die gefärbten Stacheln nehmen an Zahl zu, bis schließlich die
angeborenen farblosen Stacheln verschwunden sind.
Die Marksubstanz im Inneren des Stachels bildet sich in ähnlicher
Weise wie in der Feder, die Zellen ordnen sich in Reihen, die aber
nicht ganz bis zur Spitze des Stachels reichen. Die Marksubstanz
geht von einer dem Holükolben eines Haares ähnlichen Verdickung
am Grunde des Stachelfollikels aus , während sie nach außen hin
immer mehr an Dicke abnimmt und schließlich sehr dünn wird. Die
Stachelpapille verhält sich mikroskopisch wie die Anlage der Feder-
papille, sie enthält ein Netzwerk von anastomosierenden, sternförmigen
Bindegewebszellen.
Wie bei der Feder, tritt nach dem Gesagten eine Art von Falten-
bildung an der Coriumpapille auf, zur Vergrößerung der Oberfläche,
wie sie dem Stachel entspricht, der bedeutend stärker wird, als ein
Haar.
Monotr einen. Eine ganze Reihe von Echidnaembryonen hat
Römer (1898) untersucht. Das Integument der Monotremen hat, trotz-
dem es bei ausgebildeten Tieren für nichts weniger als primitiv gelten
kann, doch besonders in frühen Stadien, aber auch in einzelnen Be-
sonderheiten des späteren Lebens primitive Zustände bewahrt. Hervor-
zuheben ist die Anordnung der Stacheln bei ihrer ersten Anlage in
Längsreihen, der frühe Durchbruch der Stacheln an den Seiten des
Körpers, die Entstehung der Gruppen durch Teilung von einer einheit-
lichen Anlage aus und die papillären Erhebungen hinter den größeren
Stacheln. Diese papillären Erhebungen faßt Römer als die Reste eines
ehemaligen Schuppenkleides auf.
Ein Schwanzstachel wird dem Löwen zugeschrieben; nach Lev-
dig (1860) handelt es sich nur um eine große und nervenreiche Papille,
von deren Entwickelung allerdings nichts bekannt ist, die aber einer
Haarpapille gleicht. Einen ebensolchen Stachel besitzt Puma concolor
nach einem anonymen Autor (1855) und mehr nagelähnliche Schwanz-
stacheln beschreibt GrOULD (1841) von Macropus unguifer, sowie der im
Literaturverzeichnis citierte Anonymus (1855) von Affen der alten Welt,
Semnopithecus melalophus, Semnopithecus nasalis, Semnopithecus pyrrhus.
Colobus Temminckii, Colobus Guereza.
18*
276
W. Krause,
Haare.
Was die Terminologie anlangt, so wird der flache hohle Kegel, mit
welchem das normale Haar auf der Haarpapille aufsitzt , als Hohl-
kolben, Bulbus pili cavus (Haarknopf), das verdickte und aufgefaserte,
von der Haarpapille abgehobene Ende des ausfallenden Haares als V o 1 1 -
kolben (Bulbus pili solidus, Haarkolben, Haarzwiebel) bezeichnet, beides
nach Waldeyer's Vorschlag. An der inneren Wurzelscheide sind drei
Lagen zu unterscheiden, nämlich die innere Lage oder Cuticula, die
mittlere Lage oder HuxLEv'sche Scheide und die äußere Lage
oder HENLE?sche Scheide (vergl. W. Krause, 1876. p. 109). Die zuerst
auftretenden primitiven Haare werden beim Säugetierfoetus als Woll-
haare Lanugo (vergl. unten) bezeichnet; sie entsprechen den Embryo-
naldunen bei den Vögeln.
Die früheste Anlage des Haares besteht in einer ganz flachen,
linsenförmigen Einsendung des Corium (Fig. 171), die durchaus keine
kugelförmige Hervorragung der Epidermis veranlaßt. Gleichzeitig mit
der Wucherung von Zellen des Stratum germinativum, welche diese
Einsenkung bewirkt, zeigt sich bereits eine Wucherung von Mesen-
Fig.-171.
Fig. 172.
Fig. 171. Erste Anlage eines Nebenhaares in der Gesichtshaut eines 14-tägigen
Foetus vom Kaninchen. MÜLLER'sche Flüssigkeit, Alkohol, Haematoxylin, Xylol,
Paraffin, Kanadabalsam. Vergr. 500. 1 Epidermis, vom Periderm bedeckt. 2 Corium.
Dasselbe zeigt eine Vertiefung, woselbst die gewucherten Epidermiszellen die erste
Anlage des Haares repräsentieren. Letztere steht nicht genau senkrecht auf der
Ebene der Cutis, sondern es ist die Richtung der Zellenwucherung etwas geneigt,
beim Eindringen in das Corium reicht sie nach links ein wenig tiefer hineinc(vergl.
Fig. 172). (Zeichnung von Dr. Sokolowsky in Berlin.)
Fig. 172. Anlage eines Nebenhaares in der Gesichtshaut eines' "14-tägigen
Foetus vom Kaninchen. MÜLLER'sche Flüssigkeit, Alkohol, Haematoxylin, Xylol,
Paraffin, Kanadabalsam. Vergr. 500. Die Anlage ist weiter vorgeschritten als in
Fig. 175. Die cylindrischen Zellen der tiefsten Lage der Epidermis senken sich in
das Corium ein, die ganze sackförmige Haaranlage steht ein wenig schräg, zur
rechten Hand, geneigt gegen die Ebene der Cutisoberfläche. 1 Epidermis, 2 Corium.
Zeichnung von Dr. Sokolowsky in Berlin.
chymzellen, den Bindegewebszellen des Corium. Beide Wucherungen
liegen nicht senkrecht zur Oberfläche übereinander, wie Okamura (1899)
gezeigt hat, sondern nebeneinander. Die Wucherung in der Epidermis
entspricht der Haaranlage , diejenige im Corium repräsentiert den
späteren Haarbalg nebst dessen Papille. Sehr bald und an weiter
fortgeschrittenen Haaren desselben Schnittes schon sichtbar erscheint
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 277
& S-.^J. .^.UIILU """ ÜALV^X J., V^X^^-l,^,..
die Richtimg des Haares schräg zur Cutisoberfläche angedeutet, die
mehr und mehr zunimmt (Fig. 172), so daß der künftige Haarfollikel
mit seiner Längsachse beinahe parallel der Cutisoberfläche zu liegen
scheint, während das blinde Ende des Haarbalges ganz seitlich ge-
richtet sich zeigt.
Am dichtesten sind die Bindegewebszellen an jener Seite der
Haaranlage gelagert, die mit der Oberfläche einen spitzen Winkel
einschließt. Der Neigungswinkel des späteren Haares ist nur klein,
in seiner Größe verschieden und daher schwer numerisch zu be-
stimmen. Die Haarpapillen entstehen somit nicht aus kleinen Binde-
gewebshöckern, die durch angehäufte Bindegewebszellen gebildet werden,
der Epidermis entgegen wachsen und von Retterer (1894) beim
Pferde als Nodules conjunctives bezeichnet wurden ; letztere sind viel-
mehr nicht konstant. Je schiefer die Haaranlage gerichtet ist, desto
früher ist die Haarpapille vorhanden (beim Hund und der Ratte),
oder sie ist wenigstens früher erkennbar.
Mögen die Haaranlagen oder Epiclermiszapfen auch nahezu senk-
recht zur Oberfläche in das Corium einzudringen scheinen, so liegen
doch die dichtgedrängten Bindegewebszellen seitlich von der Achse
des Epidermiszapfens wie bei den Monotremen (s. unten). Alle diese
Verhältnisse sind nach Okamura in gleicher Weise für den Menschen,
den Hund, das Kaninchen, Meerschweinchen, Schwein und die Ratte
nachweisbar. Je länger die Haarbälge werden, desto schiefer zur Ober-
fläche wird ihre Richtung. Dies muß wohl von Spannungsunterschieden
in der Cutis abhängen, die jedoch im einzelnen nicht genau ermittelt
sind.
Die feineren Details der Haarentwickelung sind hauptsächlich erst
durch eine Arbeit von Maurer (1892) bekannt geworden. Beim
Maulwurf (Talpa europaea) finden sich Haaranlagen am Rumpfe
bei Embryonen von 18,5 mm Körperlänge; am Kopfe treten dieselben
schon etwas früher auf. Mit freiem Auge erkennt man, wie bei den
Embryonaldunen der Vögel, unregelmäßig zerstreute weißliche, teils
größere, teils viel zahlreichere kleinere Knötchen. Keinerlei Anlage
einer Coriumpapille ist auf der Hautoberfläche nachzuweisen, letztere
ist ganz eben und die Haaranlage besteht im Anfange wesentlich aus
einer Epidermiswucherung. Eine rundliche Gruppe dicht gedrängter,
ebenfalls rundlicher Bindegewebszellen wird unmittelbar von dieser
Epidermiswucherung bedeckt. Wie bei den Vögeln besteht die
Epidermis, hier diejenige der Haaranlage, aus dem Peridenn, das hier
als Epitrichium bezeichnet zu werden pflegt, sodann aus einer Cylinder-
zellenschicht und dem zwischen beiden eingeschalteten Stratum
corneum. Das letztere wird auch wohl Interinediärschicht genannt,
die Cylinderzellenschicht repräsentiert das Stratum germinativum und
beide werden von dem aus einer einzigen dünnen Zellenlage mit
achromatophilen, sehr stark abgeplatteten, in der Flächenansicht runden
Kernen bestehenden Periderm bedeckt.
Die Epidermis selbst besteht zu dieser Zeit ebenfalls aus dem
Periderm, dem Stratum corneum und der Cylinderzellenlage, und jede
derselben nur aus einer einzigen Zellenlage. In der Nachbarschaft
der Haaranlage hat sich jedoch die Epidermis durch Vermehrung der
Zellen des späteren Stratum corneum etwas verdickt. Die Haaranlage
besteht aus einer doppelten Lage von Cylinderzellen, deren längliche
Kerne senkrecht zur Hautoberfläche gestellt ^sind (Fig. 173). Diese
278
W. Krause,
Zellen sind radiär gegen einen Punkt der freien Oberfläche konver-
gierend angeordnet und im Centruin der Anlage befindet sich eine
kleine Vertiefung, woselbst das Periderm fehlt, so daß die dahin
ge-
b Haarbalganlage.
Fig. 173. Erste Anlage
eines Haares vom Maulwurf
(Talpa europaea) im senk-
rechten Durchschnitt der
Haut in der Seitengegend
des Bauches, von einem
J18,5 mm langen Foetus.
Vergr. 400. e Sog. Epi-
thelknospe, g grubenför-
, mige Vertiefung auf dem
Centrum der Haaranlage.
(Nach Maurer, 1892. Taf. XXIV, Fig. 1.)
richteten äußeren Enden der Cylinderzellen zugespitzt die freie Ober-
fläche teilweise erreichen. Hierdurch entsteht eine auffallende Aehn-
lichkeit mit der Anlage eines Hautsinnesorganes, z. B. einer Epithel-
scheint aber sehr
knospe von Amphibien (s. unten). Dieses
Stadium
sich
viele Haaranlagen,
deren
rasch vorüberzugehen, wenigstens finden
Periderm erhalten ist.
Bei anderen Säugern sind die Verhältnisse ganz ähnlich. Unter-
sucht sind von Beuteltieren Perameles, Dasyurus, von Carnivoren die
«5 • <•
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Fig. 174.
Fig. 175.
Fig. 174. Senkrechter Durchschnitt durch eine erste Haaranlage in der Haut
der seitlichen Bauchwand eines Foetus der Maus (Mus musculus) von 18 mm Körper-
länge. Vergr. 400. e Epidermiszellen der Haaranlage. Das Corium ist noch un-
beteiligt. (Nach Maurer, 1892. Taf. XXIV. Fig. 10.)
Fig. 175. Senkrechter Durchschnitt der Haut in der Seitenlinie durch
eine Haaranlage, die weiter vorgeschritten ist als die von Fig. 174, in der Haut
der seitlichen Bauchwand desselben Foetus der Maus (Mus musculus) von 18 mm
Körperlänge. Vergr. 400. e Sog. Epithelknospe, b Haarbalganlagen. P Haar-
papille. (Nach Maurer, 1892. Taf. XXIV. Fig. 11.)
Katze, von Nagern die Maus (Maurer, 1892). Die erste Anlage
(Fig. 174) wird stets dargestellt durch eine lokale, scharf begrenzte
knospenartige Wucherung der tiefen Zellenlage der Epidermis; bei
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
279
den genannten Benteltieren liegt sie auf der Spitze einer Corium-
papille und bildet auf dieser Spitze eine trichterförmige Einsenkung.
Die weitere Entwickelung geht nun folgendermaßen vor sich ; am
genauesten ist sie von Maurer bei der Maus studiert worden. Zu-
nächst dringt die Zellenwucherung in die Tiefe (Fig. 175), wobei die
am tiefsten gelegenen Cylinderzellen immer noch durch ihre Anordnung
an eine Epithelknospe erinnern. Sie sitzen aber auf einer kleinen
Coriumpapille und zugleich zeigt sich die aus spindelförmigen Binde-
gewebszellen bestehende Anlage eines Haarbalges, an dessen Seiten-
wänden sich die Epithelzellen nach
und nach abplatten. Sogar bei der
neugeborenen Maus erinnert die
Haaranlage, trotzdem sie nach | .:' ~_
außen hin zugespitzt ist, immer
noch an eine Epithelknospe, insofern
sich die Epidermiszellen in der
Achse des Haarbalges knospenähn-
lich zusammendrängen. Im Umfange
der Papille dagegen werden die der
Follikelwand benachbarten Zellen
abgeplattet (Fig. 176). Das bei der
neugeborenen Maus in zahlreichen
Körnchen vorhandene Keratohyalin
des Stratum granulosum setzt sich
innerhall) solcher Zellen in die
Mündung des Haarbalges trichter-
förmig hinein fort, während zwischen
ihnen und der Anlage des Haares
selbst sich nur rundliche Epithel-
zellen befinden.
V A v
/ .?•'
— b
Fig. 176. Senkrechter Längsschnitt durch
eine Haaranlage in der Haut der seitlichen
Bauchwand einer neugeborenen Maus.
Vergr. 400. e Sog. Epithelknospe, b Haar-
balganlage, neben demselben sekundäre An-
lagen. P Haarpapille. (Nach Maurer,
1892. Tai XXIV. Fig. 12.)
t
-
I
I
p
Von Nerven ist zur Zeit der ersten Anlage noch nichts sichtbar,
später findet man sie an der Basis der Spürhaare als starke Stämmchen.
Nun ist es bekannt, daß bei den Epithelknospen die Nervenfasern als
ein kleines axiales Stämmchen zu dem Centrum der Knospe verlaufen.
Bei den Haaren ist die Sache ganz anders, weil die Haarpapille wenig-
stens keine sensiblen Nervenfasern enthält. Diese verzweigen sich, bilden
einen Plexus um den Haarfollikel, und aus demselben steigen Nerven-
fasern zum Halse des Haarbalges auf. Sie umspinnen diesen Hals mit
einem zweiten engmaschigeren Plexus dunkelrandiger Fasern, von wel-
chem, wenigstens bei der Maus, einzelne marklose Nervenfasern sich in
die Tiefe wenden. Somit erhält das Haar auf doppeltem Wege Nerven-
fasern, nämlich aus der Tiefe des Haarbalges und von dessen Halse
her; beide Arten von Nervenfasern sollen verschiedene physiologische
Bedeutung haben, und zwar die aus der Tiefe herantretenden Tast-
nerven, die oberflächlichen aber einfach-sensible Nerven sein. Jedenfalls
280
W. Krause,
sollen sie in der äußeren Wurzelscheide verlaufen, und je nach den zu
Grunde liegenden Ideen des Beobachters sind ihnen die verschiedensten
Formen von Endigung zwischen oder in Epithelialzellen der äußeren
Wurzelscheide zugeschrieben (W. Krause 1876. p. 541) ; sichergestellt
ist auch durch die späteren Untersuchungsn nichts darüber.
Was die fernere Ent Wickelung der Haare selbst anlangt,
so erkennt man beim Schafe nach Götte (1868) eine leichte Ein-
schnürung gleich nach außen von der Haarpapille, indem der darauf
folgende Hauptteil oder Körper des aus Zellen
wenig anschwillt.
Hier sind die Zellen
bestehenden Fortsatzes
und
zugleich zahlreicher
em
kleiner geworden
Die innerste Lage der die Haarpapille bedeckenden Cylinderzellen
liefert einen Nachwuchs von mehr spindelförmigen Zellen, die in der
Achse des Fortsatzes eine Längsstreifung und schließlich die kegel-
förmige Gestalt des Haares selbst, inkl. der inneren Wurzelscheide,
hervorrufen. Die Spitze des Kegels steckt in einem Mantel von kleinen
rundlichen Zellen, die innerhalb der Cylinderzellenschicht gelegen sind
und nach außen hin um die Kegelspitze herum den Zellen des Stratum
germinativum sich anschließen; sie enthalten beim Schafe Fettkörn-
chen oder denselben ähnliche Gebilde.
Indem die kegelförmige Haaranlage weiterwächst, strecken sich
axialen Zellen nach außen in die Länge, so daß sie schließlich
die
A
B
sc-~m&^^
0
°~- C
Co C i AocOoc ■ - -. ,-
die Länge
wie Fasern aussehen. Zuerst
verhornt dann die Spitze und,
nach innen fortschreitend, der
Kegelmantel, während in der
Achse noch körnige Zellen sich
befinden. Der Kegelmantel wird
daher durchscheinend, in der
Achse erkennt man den verhor-
nenden Haarschaft; dieser ver-
Fig. 177. Sechs Entwickelungs-
stadien eines Haares. Vergr. etwa 70.
A Cutis. B Einbuchtung der Epider-
miswucherung, Anlage des Haarkeimes.
C Beginn des Haarfollikels, Wucherung
der Mesenchymzellen des Corium. D
Weitere Ausbildung und Auftreten der
äußeren Faserlage des Haarbalges. E
Bildung der Haarpapille und des Haar-
schaftes. F Deutliche Haarpapille mit
Blutgefäß. Sc Stratum corneum. Sm
Stratum germinativum. C Corium. F
Aeußere Faserlage des Haarbalges. Dr
Anlage einer Talgdrüse. CZ centrale
Zone des Haarkeimes. PZ periphere
Zone des Haarkeimes. HK Hohlkolben
der Haaranlage. P Beginn der Bildung
der Haarpapille. Pl Beginn der Vas-
cularisierung der Haarpapille. (Nach
WlEDERSHEIM, 1888. p. 25.
Fig.
16.)
dickt sich am Gipfel der Haarpapille zu einem der letzteren auf-
sitzenden Hohlkolben (Fig. 177 E F.) des Haares. Die rundlichen
Zellen des Kolbens rücken im Schaft nach außen, werden länglich und
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
281
verhornen. Zwischen dem Schaft und dem Kegelmantel liegt eine
trübe Zellenlage, die spätere mittlere Lage der inneren Wurzel scheide,
und, sie umgebend, eine glashelle Lage, die der äußeren Lage der
inneren Wurzelscheide entspricht (Fig. 17*). An der geschlängelt
verlaufenden Schaftspitze tritt bereits die innere Lage der inneren
Wurzelscheide oder die Cuticula auf, die als
eine nach außen gerichtete Zähnelung der Ränder
des Haarschaftes erkennbar wird. - - Nach Goette
würde sich also der Haarschaft von seiner
Spitze aus bilden, während v. Kölliker (A.
L. I. 1879. p. 782) das Haar früher gleich in
Entwickelungsstadium der Haar-
Fig. 178. Letztes
anläge beirn Kaninchen, Sonderung des Haarschaftes, der
Wurzelseheiden, Bildung des Hohlkolbens, die Schaft-
spitze hat eben das Periderm oder Epitrichiura durch-
brochen. Vergr. ca. 50. Die Haarpapille erhält durch eine
nach der Peripherie gerichtete Spitze eine zwiebelähnliche
Gestalt. Die cylindrischen Zellen der peripheren Lage der
äußeren Wurzelscheide setzen sich in die tiefste Lage der
Epidermiszellen des Stratum germinativum fort. (Nach
Götte. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. IV. Taf.XIX. Fig. 12.
1868.)
mir-
'
seiner ganzen Länge mit Hohlkolben, Schaft und Spitze entstehen ließ.
Beides ist richtig; wie v. Kölliker (A. L. I. 1879, p. 784) angiebt,
kommt es
sieht oder
darauf an, ob man die Verhornung als
nicht; dieselbe erfolgt natürlicherweise von der Spitze
maßgebend
Was die Wurzelscheiden betrifft, so wurde die
an-
aus.
Zusammensetzung
der inneren Wurzelscheide aus zwei Schichten bereits erwähnt. Offen-
bar verlaufen die Zellen der äußeren Schicht in Spirallinien, woraus
Götte (1868. p. 285) das geschlängelte Aussehen dieser Scheide ab-
leitet. Die äußere Wurzelscheide besteht aus cylindrischen Zellen,
denen nach der Haarachse hin mehrere Lagen von abgeplatteten Zellen
folgen.
Der Durchbruch des wachsenden Haares nach außen erfolgt in
etwas schräger Richtung, indem die Spitze anfangs den Widerstand
der Epidermiszellenlagen des Periderm, welches zu dieser Zeit glatt
über die Haaranlage hinweggeht, nicht sofort zu überwinden vermag,
und bei wachsendem Druck von innen her krümmt sich das Haar
daher vor seinem Durchbruch durch die Epidermis und knäuelt sich
nach und nach spiralig (Fig. 178) auf. — Nach Welcher (1864) wird
bei Bradypus das Stratum corneum im ganzen von den sich entwickeln-
den Haaren sackartig abgedrängt. Beim Vordringen der Haarspitze
in schräger Richtung wird natürlicherweise das Periderm zu einem
kleinen länglichen Wulste ausgedehnt; übrigens scheint nach Götte
die ursprüngliche aufgerollte Spitze nachträglich verloren zu gehen.
Die hervorgewachsenen Haare des Foetus werden, wie gesagt, als
Lanugo bezeichnet. Sie sind gar nicht oder wenig pigmentiert, gelb-
lich und folgen, zeitlich genommen, in ihren Durclibruchsterminen
den Verschiedenheiten, welche sich in dieser Beziehung im Auftreten
bei den ersten Anlagen des Haares ergeben. Sie bestehen aus Rinden-
substanz und der inneren Lage der inneren Wurzelscheide, sind also
marklos ; ihre Hohlkolben sind farblos, selten beim Europäer bräun-
lich pigmentiert, und ihr Haarbalg enthält eine schöne Haarpapille.
282 W. Krause,
Nach ihrem Hervorbrechen wachsen sie langsam weiter, am beträcht-
lichsten am Kopfe, werden auch mehr pigmentiert. Ein Teil stößt
sich schon in den letzten Foetalmonaten ab, gelangt in die Amnios-
flüssigkeit, wird mit dieser verschluckt, erscheint dann im Meconium,
dem Darminhalt des Foetus, und wird mit diesem vom Neugeborenen
entleert.
Während des 1. und 2. Lebensjahres beim Menschen, weit
rascher bei Säugetieren, fallen die Wollhaare aus und werden
durch die eigentlichen Haare (Ersatzhaare, sekundäre Haare) ersetzt.
Der Haarbalg und die äußere Wurzelscheide verlängern sich nach der
Tiefe hin, fortsatzähnlich, und von der Haarpapille aus, die stets am
Grunde des Haarbalges zu finden ist, erfolgt die Bildung des defini-
tiven Haares. Anfangs besteht dasselbe aus einem kurzen cylindrischen,
nach außen zugespitzten Schaft (v. Kölliker, A. L. I. 1879. Fig. 746),
welcher der Haarpapille aufsitzt und von der äußeren Wurzelscheide
umgeben wird, während von der inneren nicht viel zu sehen ist. Die
Spitze des neuen Haares drängt das ausfallende Wollhaar nach außen
und zur Seite, und dabei verhornt auch der von der Haarpapille ab-
gelöste Hohlkolben des Haares nach und nach. Zugleich ändert sich
seine Form, seine Höhlung verschwindet, und aus dem Hohlkolben
ist ein solider Vollkolben geworden. An dem jungen Haare sondern
sich die einzelnen Schichten ebenso, wie früher an dem sich bildenden
Wollhaar. Letzteres wird beim Wachstum des neuen Haares immer
mehr nach außen und zur Seite gedrängt, es wächst durchaus nicht
weiter und fällt aus, wenn die Spitze des definitiven Haares das Niveau
der Epidermis erreicht hat.
Die an verschiedenen Körperstellen vorhandenen Haare haben
eine bestimmte, zumeist ziemlich genau bekannte Lebensdauer
(W. Krause, 1879. Bd. IL p. 305), und ihr Ersatz erfolgt ganz in der-
selben Weise wie bei den Wollhaaren. Man findet daher in der Haut
des erwachsenen Menschen fortwährend hier und da einzelne Haar-
bälge, die ein altes und ein junges Haar zugleich enthalten. Insofern
zeigt sich ein Unterschied von den Wollhaaren, daß die Haarbälge
beim Haarwechsel sich bedeutend mehr in die Länge ziehen. Die
Haarpapille rückt anfangs mit dem alten Haare nach der Oberfläche
hin, der in der Tiefe befindliche Teil des Haarbalges sinkt zu einem
länglich-cylindrischen, als Haarstengel (Wertheim, 1864) bezeichneten
Gebilde zusammen. Die Papille kontrahiert sich aber wieder, gelangt
auf den Boden des Haarbalges, wenn das neue Haar bereits in der
Bildung begriffen ist, indem an ihrer Oberfläche sich wie früher ein
Hohlkolben des neuen Haares zu bilden anfängt.
Eine ältere Ansicht behauptet, daß der Hohlkolben des alten Haares
beim Haarwechsel des Erwachsenen aufgesplittert sei und an einer seit-
lich gelegenen Stelle des Haarbalges weiter nach außen hin festsitze,
auch wohl noch weiter wTachsen könne. Solche Haare bezeichnete
Unna (1876) als Beethaare und die Stelleu, wo ihre Vollkolben schein-
bar in der äußeren Wurzelscheide des Haarbalges wurzeln, als Haarbeete.
Unna hat jedoch nach Sprenger (1898) diese Bezeichnungen selbst wieder
aufgegeben. Soweit nicht etwa Verwechselungen mit Teilen von Talg-
drüsen vorliegen, handelt es sich bei den sogenannten Haarbeeten ein-
fach um Hineinragen von Zellen der äußeren Wurzelscheide in den
Vollkolben, wie das bei der Entstehung des letzteren aus einem Hohl-
kolben leicht begreiflich ist. Auch über die Frage, ob die alte Haar-
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 283
pajoille zu Grunde geht und eine neue Papille sich bilden muß, besteht
eine ausgedehnte Kontroverse. Laxger, v. Kölliker, v. Ebner, Schulin,
W. Krause, Fritsch u. a. sind einig darin, daß die alte Papille auch
•das neue Haar liefert. Steinlin, Stieda, Feiertag sind der entgegen-
gesetzten Ansicht, Unna hat einen Mittelweg vorgezogen.
Bei sehr vielen Säugetieren ist der Haarwechsel bekanntlich peri-
odisch.
Gruppenbild u ng von Haaren. Die Haare entstehen nicht
alle gleichzeitig. Während der Entwickelung wird das Haarkleid des
Foetus immer dichter und dichter. Zum Teil entstehen die neuan-
gelegten Haare direkt aus dem Stratum germinativum der Epidermis
(Fig. 171. p. 276), und der Bildungsprozeß wiederholt genau die Vor-
gänge, welche bei der Anlage der ersten Haarkeime aufgetreten waren.
Zum Teil aber gehen die neuen Haare sekundär aus der äußeren
Wurzelscheide hervor.
Diese Bildung neuer Haare aus der äußeren Wurzelscheide des
primären Haares ist am genauesten von Calef (1900) verfolgt
worden. Bei Foetus von weißen Hatten (Mus decumanus var. albina —
topo) und des Schweines entstehen die Anlagen der sekundären
Haare noch unterhalb der Anlage der Talgdrüse und von dieser
durch einen Einschnitt getrennt. In älteren Foetus von 5 cm Körper-
länge fehlt dieser Einschnitt, sowie die Talgdrüsenanlage ; bei neuge-
borenen Ratten (Fig. 179) sind beide vorhanden. Die Anlage besteht
zunächst im Corium aus einer Lage cylin-
drischer Zellen, wie diejenigen der tiefsten p
Lage des Stratum germinativum der Epi-
dermis, mit intensiv chromatophilen ellipso-
idischen Kernen. Darauf folgt nach der Achse £ f
des Haarbalges hin ein Haufen rundlicher Zellen, s
und ringsherum, der Gegeud des späteren Halses £■',
des Haarbalges entsprechend, reicht eine ring- >' — ~-| § z
förmige Zone von vielfach sich vermehrenden 0 ..._ä§.~S-'s:''''''"
Zellen. Jene Anlage teilt sich durch einen
Einschnitt in die Anlage der mehr peripher c ■
gelegenen Talgdrüse und in die des accesso- "' ' ,.-. '■■;:
rischen sekundären Haares, was, wie gesagt, v\ r-
Fig. 179. Haar der Gesichtshaut einer neugeborenen
Ratte von 7 cm Körperlänge. 8 Anlage der Talgdrüse.
i Einschnitt. 0 Anlage eines accessorischen Haares. Z
Durchschnitt der ringsherum gehenden Epithelwuche-
rung. (Nach Calef, 1900. Anat. Anz. Bd. XVII.
p. 512. Fig. 2.)
beim neugeborenen Tiere deutlich zu erkennen ist. Beim Foetus des
Schweines sind die Verhältnisse ganz ähnlich.
Diese Art der Entstehung bezeichnete de Heuere (1894) als
seitliche Knospung, die an den zuerst angelegten Haarfollikeln vor
sich geht. So entstehen sekundäre Haarfollikel und Haare.
Ursprünglich sind, wenigstens bei vielen Säugern, die Haare in kleinen,
aus je 3 Haaren, einem stärkeren Mittelhaar und 2 schwächeren
Seiten haaren oder Nebenhaaren, zusammengesetzten Haargruppen
vorhanden. Solche erinnern auffallend an die Schuppen niederer
284 W. Krause,
Wirbeltiere, weil sie wie diese ziemlich quer zur Längsachse des be-
treffenden Körperteiles gestellt sind. Neben diesen Haargruppen, und
ganz von ihnen gesondert, können neue Einzelhaare entstehen. Oder
aber es bilden sich neue, sekundäre Haarfollikel durch Knospung von
den ursprünglichen aus; zumeist geht diese Knospung von den
seitwärts angelegten Haaren, die, wie gesagt, als Seitenhaare bezeichnet
werden, mitunter jedoch vom Mittelhaar aus. Jedenfalls ist das zuerst
entstandene Haar als Stamm haar von den sekundären Neben-
haaren zu unterscheiden. Die primitive Haargruppe wird aber
keineswegs aus einer einzigen Anlage gebildet, womit de Meijere
der unten noch zu erwähnenden Ableitung der Haare aus Seiten-
organen von Anamnioten auf das entschiedenste widerspricht. Wie
bekannt, erhält sich die Gruppenstellung der Haare an vielen Körper-
stellen auch beim Erwachsenen ; so sind in der Kopfhaut des Menschen
kleine Gruppen von 3 — 5 Haaren zu erkennen, von denen das in der
Mitte stehende als das Stammhaar zu betrachten ist.
Nach Waldeyer (1884, p. 38) finden Neubildungen, die zur
Gruppenbildung führen, auch noch eine Zeitlang nach der Geburt
statt, und zwar sowohl durch das geschilderte seitliche Auswachsen,
als vermöge neuer Einsenkungen von Haarbalganlagen in das Corium,
die zwischen den alten Haaren erfolgen. Und nach Hesse (1876)
zeigt sich sogar beim Erwachsenen in der Kopfhaut eine derartige
Neubildung von Haaren, Haarbälgen und Talgdrüsen, wie beim Foetus.
Die beschriebene und aus den angegebenen Verhältnissen sich
erklärende gruppenweise Anordnung der Haare ist bei einigen Rassen,
z. B. dem Neger, deutlicher (W. Krause, 1881. p. 49. Fig. 21), fehlt
aber auch dem Europäer keineswegs.
Zeit des Erscheinens der Haare. Beim menschlichen Foetus
lassen sich die ersten Anlagen der primären Haare, die als Lanugo
foetalis, Flaumhaare, von Waldeyer (1884. p. 31) bezeichnet werden,
am Ende des 3. oder Anfang des 4. Schwangerschaftsmonates er-
kennen.
Eble (1831) hatte sie an der ganzen Oberfläche des Körpers erst
am Ende des 5. Monates aufzufinden vermocht. Nach Valentin
(A. L. IL 1835. p. 222) erscheint die erste Spur der Haaranlage beim
Menschen gegen das Ende des 3. und die Mitte des 4. Schwanger-
schaftsmonates, und zwar an allen Körperteilen ungefähr gleichzeitig.
Nach Eschricht (1837. p. 40) gehen die Haaranlagen des Gesichtes
den übrigen der Zeit nach bei weitem vorauf, sie durchbrechen die
Epidermis an den Augenbrauen, der Stirn und um den Mund herum
zuerst und zwar am Ende des 5. Monates (v. Kölliker, 1850. p. 140),
und sind in der Mitte des 5. Monates länger als die übrigen Haare.
An den distalen Enden der Extremitäten erscheinen sie am spätesten,
erst am Ende des 6. Monates, so daß um diese Zeit der ganze Körper
von Wollhaaren bedeckt wird.
Die ursprünglichen Flaumhaare beginnen im 6. Schwangerschafts-
monat beim Menschen auszufallen, indem sie durch nachwachsende
Haare in demselben Haarbalg ersetzt werden. Einige Zeit nach der
Geburt sind alle Flaumhaare durch Kinderhaare, Lanugo infantilis
(Waldeyer) ersetzt. Am längsten erhält sich das foetale Flaumhaar
an den Schultern. Erst mit dem Beginn der Geschlechtsreife treten
die stärkeren Haare auf, die Waldeyer als reifes Haar oder Puber-
tätshaar bezeichnet.
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 285
W o 1 1 haare des Schafes. Eine merkwürdige Differenz existiert
nach Sticker (1887) zwischen der Entwickelung der Wollhaare ge-
wöhnlicher Schafe und der Merinos. Bei letzteren entwickeln sie sich
aus wenigen großen Zellen, während die mehr strafferen Haare ge-
wöhnlicher Schafe aus vielen kleinen Zellen hervorgehen. Die spiralige
und wellige Drehung dieser Haare erklärt Sticker aus einer Knickung,
welche der Haarbalg nach außen oder nach der Peripherie hin von
der Haarpapille erleidet. Wie bei einer sich rankenden Bohnenstaude
werden die sich vermehrenden Zellen an der konkaven Seite der
Knickungsstelle zusammengepreßt. Schon in der 18. Trächtigkeits-
woche des Schafes ist ein gruppenweises Zusammensitzen der Haar-
wurzeln nachzuweisen.
Spürhaare oder Tasthaare. Diese Haare treten frühzeitig bei
den Säugetieren auf, welche am Kopfe solche Haare besitzen. Ihre
Entwickelung geht der Hauptsache nach wie bei den übrigen Haaren vor
sich, nur daß alle Bestandteile zahlreicher oder mächtiger ausgebildet
siud. Vor allem aber erfolgt die Ausbildung frühzeitiger. Beim Maul-
wurf sind sie nach Maurer (1892) schon an Foetus von 9,5 mm
Körperlänge zu erkennen. Beim Kaninchen sind im Anfang der zweiten
Hälfte der Trächtigkeitsperiode die Spürhaare in ihren Haarbälgen
vollkommen ausgebildet und keratisiert. Ihre Haarbälge bieten zu
dieser Zeit zwei beträchtliche, zellenreiche Anschwellungen dar. Die
tiefer gelegene entspricht dem Boden des Haarbalges, die andere, un-
gefähr in der Mitte der Länge des Haarbalges gelegen, enthält außer
vielen Zellen auch Blutgefäße und entspricht dem späteren venösen
Ringsinus..
Nach v. Kölliker (A. L. I. 1879. p. 790) treten die ersten
Anlagen der Spürhaare nicht in Form von Einsenkungen in das Corium,
;
Fig. 180. Senkrechter Durchschnitt einer Haaranlage vom Nacken eines 75 mm
langen Foetus vom Schwein. MÜLLER'sche Flüssigkeit, Alkohol, Haematoxylin, Xylol,
Paraffin, Kanadabalsam. Vergr. 100. 1 Stratum corneum der Epidermis, hügelförmig
aufgetrieben. 2 Stratum germinativum. 3 Corium. 4 Anlage der Haarpapille. Zeich-
nung von Dr. Sokolowsky in Berlin.
sondern in Gestalt von kleinen Höckern auf. Dies gilt indessen keines-
wegs allein für die Spürhaare, sondern für stärkere Haare überhaupt,
wovon die Anlage der Borsten beim Schwein, z. B. in der Nacken-
haut (Fig. 180) ein Beispiel abgiebt. Die Anlagen der Spürhaare
sitzen zumeist auf einer großen flachen Coriumpapille. Diese ist selbst-
verständlich nicht die spätere Haarpapille, sondern entspricht der
286 W. Krause,
ganzen späteren Haaranlage, mit Haarbalg und allem, ebenso der An-
lage des Federkeimes (Fig. 161. p. 267). Die Haarpapille entsteht erst
sekundär an einer Einsenkung in der Mitte der großen Papille. Das
Corium enthält Gruppen von rundlichen Zellen, an welche sich in der
Tiefe abgeplattete, jene rundlichen trichterförmig umgreifende Binde-
gewebszellen und sogar schon ßindegewebsfibrillen anschließen. Die
trichterförmige Anlage umgreifen in der Tiefe die Anlagen der Aeste
eines relativ starken Nervenstämmchens und solche von Blutgefäßen.
Auf der geschilderten großen Coriumpapille sitzt eine größere Platte, die
aus Epidermiszellen besteht, welche sich ebenso wie die Zellenlagen der
gewöhnlichen Haaranlagen voneinander unterscheiden. Nur sind die
Cylinderzellen höher und ihre länglichen Kerne dicker, auch sind die
sogenannten Intermediärzellen des Stratum corneum nach innen zahl-
reicher, und wenn auch das Periderm eine einfache Lage bleibt, so
erreicht doch die gesamte Epidermiswucherung die dreifache Dicke
der benachbarten Oberhaut.
Diese Wucherung ragt in eine flache, kelchförmige Vertiefung des
Corium hinein, welche den Gipfel der großen Coriumpapille einnimmt,
und im Centrum der letzteren beginnt wiederum eine flache Erhebung
des Corium, die zu einer kleineren Papille auswächst, nämlich der
späteren Spürhaarpapille. Nach und nach verstreicht die große Corium-
papille, die ganze Anlage rückt in die Tiefe und stellt wesentlich einen
nach innen in das Corium hineinragenden Epithelzapfen dar, über
welchen hin die platten Zellen des Periderm sich fortsetzen.
Die Lippen haare des männlichen Foetus beim Menschen bieten
so viel bekannt ist, keine Besonderheiten.
Kleine Erhebungen der Cutis als erste Haaranlagen fand Feiertag
(1875) nur an den primitiven Haaren der Schnauze und der Augen-
gegend beim Schaf und Schwein. An den später auftretenden
Haaren dieser Gegenden, sowie an allen sonstigen Haarkeimen findet
keine primäre Erhebung der Cutis statt. Unna (1876) bestätigte diese
Angaben bei Kaninchenembryonen.
Cetaceen. Bei den Waltieren besitzen nur die Foetus Haare,
welche später vollständig schwinden (Kükenthal, 1889), am spätesten
diejenigen der Oberlippe.
Mo notr einen. Die Eutwickelung der Haare bei Monotremen
ist zwar in allen wesentlichen Punkten die gleiche wie bei anderen
Säugetieren , verdient aber naturgemäß besondere Aufmerksamkeit.
Baldwin Spencer (1889) hat obigen wichtigen Satz bei Ornitho-
rhynchus und Echidna erwiesen. Von ersterem standen Foetus von
40 mm und 77 cm Körperlänge, von Echidna solche von 55 mm zur
Verfügung, so daß die Beobachtungen vom Anfangsstadium bis zur
vollen Entwickelung der größeren Haare reichen.
Zuerst tritt ein Stadium auf, in welchem die Haaranlage aus einem
soliden, in das Corium hineinwachsenden Epidermiszapfen besteht. Das
Corium nimmt zu dieser Zeit absolut keinen Anteil an der Haaranlage
(Fig. 181). Letztere steht mit ihrer Längsachse senkrecht auf der Cutis-
oberfläche und behält diese Lage während der weiteren Entwickelungs-
stadien bei. Offenbar ist die Sache so aufzufassen, daß nicht eine
Epidermiswucherung in das Corium hineindringt, sondern daß letztere
von dem saftreichen, turgescierenden Corium an ihrer Peripherie um-
wachsen wird. An beiden Enden des Epithelzapfens (Fig. 181) bleibt
Die Entwickelang der Haut und ihrer Nebenorgane. 287
das Wachstum des Corium zurück, indem das Ernährungsmaterial den
Epidermiszellen des Stratum germinativum zu gute kommt, die zahl-
reiche mitotische Kernteilungsfiguren aufweisen.
Fig. 181. Längsschnitt durch die frü-
heste Haaranlage in der Brustregion eines
Foetus von Ornithorhynchus paradoxus ' p_® © & 'Sq©
von 40 mm Körperlänge" Die Kerne in der @©©©I|&!?«>'® ^
Tiefe der Epidermiseinsenkung sind etwas ftSe©0gö%fl®^§;®#© © oj
in die Länge gezogen, eine Anlage der -^W^^pP^^&QQM
Haarpapille ist noch nicht vorhanden, die ^■^^»'W^^&l&^^gßP.
Spalte zwischen Epidermis und Cutis im M*^$-
Grunde des Haarbalges ist Kunstprodukt.
c Stratum corneum. g Stratum germina-
tivum. C Corium. Vergr. 250. (Nach
Bald win Spencer and Georgina Sweet,
Quart. Journ. of microsc. Science. Vol.
XLI. PI. 44. Fig. 9. 1899.)
■%•
C
Späterhin wuchern auch die Bindegewebszellen an der tiefer ge-
legenen blinden Wölbung des Epidermiszapfens. Die am tiefsten ge-
legenen Zellen des letzteren nehmen die Form einer sanft geneigten
Platte an, möglicherweise existiert die Andeutung einer primitiven
bilateralen Symmetrie. Dann wird die Platte durch Hineinwachsen
jener Zellen Wucherung, die von den Bindegewebszellen des Corium
ausgeht, in eine kolbenförmige, inwendig hohle, aber von der späteren
Haarpapille ausgefüllte Anschwellung, den Hohlkolben, verwandelt, der
eine radial-symmetrische Anordnung zeigt. Der Querschnitt der Haar-
follikelanlage ist genau kreisförmig, die Schichten der späteren Wurzel-
scheiden sind konzentrisch angeordnet, und die cylindrisch gewordenen
Epidermiszellen auf der Innenfläche des Haarbalges stehen radiär ange-
ordnet. Die oben angedeutete laterale Symmetrie zeigt sich in der schrägen
Neigung der ursprünglichen Zellenplatte; hier sind die Längsachsen
der am tiefsten gelegenen Epidermiszellen untereinander parallel, schräg
nach außen und nach einer Seite gerichtet; jedoch ist dies ein rasch
vorübergehendes Stadium. Die ganze Haar- und Haarfollikelanlage
ist stets eine solide Zellenmasse und enthält niemals eine nach der
Epidermis zu offene Höhlung. Die innere Wurzelscheide differenziert
sich aus den Zellen, welche die Innenwand der Follikelanlage aus-
kleiden sie wandelt sich in ein verhorntes Netzwerk um, durch welches
später das wachsende Haar sich Bahn bricht. Die innere Lage der
inneren Wurzelscheide, welche die der Haaranlage zugekehrte Ober-
fläche der späteren inneren Wurzelscheide überzieht, hängt kontinuier-
lich mit der Cuticula des Haares selbst zusammen. Die Marksubstanz
des späteren Haares entsteht als solider Zellenzapfen von den Epi-
dermiszellen des Stratum germinativum aus, die sich als äußere Wurzel-
scheide in den Haarfollikel fortsetzen.
Bemerkenswert ist, daß große und kleine Haare von Ornithorhynchus
keinen verschiedenen Entwickelungsmodus besitzen. Die verschiedene
absolute Größe der Haarpapille jener großen Haare, sowie der Stachel-
papillen von Echidna hat keine phylogenetische Bedeutung.
Etwas spätere Stadien der Haarentwickelung hat Poulton (1894)
bei einem Foetus von Ornithorhynchus von 8 cm Körperlänge unter-
sucht. Die größeren oder kleineren Haare des Schnabeltieres legen
288 W. Krause,
sich als von vornherein nach außen offener Haarfollikel an, wodurch
letzterer eine erhebliche Aehnlichkeit mit einem Federfollikel besitzt.
Feiner sind die größeren Haare bilateral-symmetrisch gebaut, und ihre
innere Oberfläche ist von der äußeren etwas verschieden. Die innere
Wurzelscheide ist stark entwickelt und die Haarpapille sehr lang. So
homologisiert denn Poulton das Haar ganz und gar der Feder, und
zwar die innere Wurzelscheide den Federstrahlen. Richtiger ist wohl
die Annahme Waldeyer's (1882), der die innere Wurzelscheide mit
der Federscheide verglichen hat, welche Homologisierung jedoch
wiederum von Spencer (1899, p. 580) bestritten wurde.
Vergleichung von Schuppe, Feder und Haar. Ueber
die Beziehungen der Haare zu den sonstigen Epidermoidalbildungen giebt
es verschiedene Hypothesen.
Die Haare werden von den Hornschuppen der Reptilien abgeleitet,
indem sie cylindrische, in die Cutis eingesunkene und aus derselben
hervorwachsende schuppenähnliche Bildungen darstellen. Der Zusammen-
hang mit den Federn ergiebt sich von seihst, außerdem hat Reh (1895)
eine Reihenfolge aufgestellt , Schuppe, Stachel, Borste, Haar.
Oder die Haare sind von den Placoidschuppen der Selachier abzu-
leiten und genetisch mit diesen Hautzähnchen, aber auch mit den eigent-
lichen Zähnen verwandt (Beard, 1889; Emery, 1893; Brandt, 1900).
Endlich werden die Haare direkt von den Seitenorganen oder Haut-
knospen der Amphibien abgeleitet, sie wären den Schuppen und Federn
nicht zu homologisieren, woraus eine nähere Verwandtschaft der Säuger
mit den Amphibien und Fischen resultieren würde, während die Sauro-
psiden sich frühzeitig abgezweigt hätten. Gegenbaer (1874, p. 421)
hatte sich nämlich in Bezug auf die Homologisierung der Haare und
Federn folgendermaßen ausgesprochen. Man pflegt beide als sehr nahe
verwandte Bildungen anzusehen, da sie sowohl in ihren Beziehungen zur
Haut, als auch in ihren äußerlichen Verhältnissen manches Ueberein-
stimmende bieten. Dennoch ergeben sie sich bei Beobachtung der
genetischen Verhältnisse als divergente Organe. Die erste Anlage für
die Feder stellt einen höckerförmigen Vorsprung vor. — — Vergleicht
man die Entwicklung des Haares mit jener der Feder, so trifft man
den ersten Zustand der Feder beim Haar nur angedeutet und in seiner
Weiterentwickelung übersprungen, denn das Haar legt sich nicht in jener
vorübergehenden Erhebung, sondern in einem von der Epidermis aus in
die Cutis eingewucherten Follikel an, in dessen Grund gleichfalls eine
Cutispapille sich erhebt, u. s. w.
Schärfer präcisiert worden ist die genetische Trennung von Haar
und Feder durch Maurer (1892, 1893). Hiernach sind beide einander
nicht homolog. Das Haar ist von den Epithelknospen der Amphibien
abzuleiten, andererseits gehören die Schuppen der Reptilien und die
Vogelfedern zusammen, wie auch sonst Sauropsiden einander nahestehen.
Gestützt soll diese Ansicht, abgesehen von den Nerven (s. unten),
dadurch werden, daß die Haare als reine Epidermoidalbildungen nach
innen wachsen , keine auf der äußeren Hautoberfläche hervorragende
Coriumpapille zeigen, wie sie den Federn und Schuppen zukommt, an
deren Bildung also das Corium von vornherein beteiligt ist. Die Anlagen
der Epithelknospen dagegen (Fig. 205, 206, 207) zeigen sich, wie die
der Haare, in der Epidermis stets an Stellen, wo die Corium Oberfläche
eine Ebene darstellt, ohne Vertiefungen oder Erhöhungen. Auch bei den
großen Spürhaaren am Kopfe, wo die Haarpapillen frühzeitig auftreten
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 289
entstehen sie erst sekundär auf größeren primären Hautpapillen. Maurer
hat nun versucht, die Zellen der Epithelknospen mit denjenigen des
Haares zu homologisieren. Die Markzellen der Haare sind keine zurück-
gehildeten Sinneszellen der Epithelknospe, welche letzteren Zellen viel-
mehr zu Grunde gehen , sondern differenzierte Epithelialzellen. Die
röhrenförmige Beschaffenheit der Rindensubstanz des Haares entspricht
der gleichen Anordnung der um die Sinneszellen einer Epithelknospe ge-
schichteten Stützzellen. Die Deckzellen der Knospe sieht Maurer für
diejenigen an, aus welchen sich die Cuticula des Haares herausbildet.
Die Stützzellen im Inneren der Epithelknospe entsprechen den Rinden-
zellen des Haarschaftes. Die äußere Lage der inneren Wurzelscheide ist
eine Fortsetzung des Stratum corneum der Epidermis, die mittlere Lage
aber ein dünner Teil der mittleren Lagen des Stratum germinativum,
welches das aus der Epithelknospe sich herausdirferenzierende Haar
überzieht.
Was nun die Nerven anlangt, so parallelisiert Maurer die Nerven
des Haares und die der Epithelknospen oder Seitenorgane etwa folgender-
maßen. Die Epithelknospen sollen zwei Arten von Nervenfasern erhalten,
nämlich centrale und periphere. Letztere (von denen Maurer eine
übrigens sehr zweifelhafte Abbildung beim Triton giebt, 1892, Taf. XXVI,
Fig. 29) sollen einfach sensible Hautnerven sein und „in Beziehung"
zu den Stützzellen treten. Erstere sind die specifischen Sinnesnerven,
aus dem R. lateralis n. vagi, und stehen in Beziehung zu den Sinnes-
zellen. Maurer glaubt nun erkannt zu haben, daß die Nervenverzweigung
im Inneren der Epithelknospe bei der Haaranlage zu Grunde geht und
nur die periphere Nervenverzweigung erhalten bleibt, während es bei
den Epithelknospen umgekehrt sein würde. Um so mehr homologisiert
Maurer die Haare den Epithelknospen ; letztere sind der einzige inte-
grierende Bestandteil der Haaranlage. Die Haarpapillen sind dabei ganz
gleichgültig, es sind sekundär hinzutretende Anlagen.
In betreff der Haare hält Maurer mit Recht die Nervenplexus,
welche den Haarbalg, namentlich an der Einmündungssteile der Talg-
drüsen, umspinnen, für einfach sensibel. In der Haarpapille sind keine
Nerven. Ein solches negatives Resultat auf dem Gebiet der Nerven-
endigungen weiter zu verwerten, hat an sich etwas Bedenkliches. Seit-
dem hat nun Retzius (1894) in der Lippenhaut eines 20 cm langen
menschlichen Eoetus ein Netzwerk blasser Nervenfasern, allerdings nur
mit der Silberchromatmethode , abgebildet (Retzius , 1894. Eig. 9).
Ferner schilderte Orru (1894) beim Meerschweinchen Nervenfasern in
den Haarpapillen der foetalen Tasthaare , ebenfalls nach Behandlung
mit Silberchromat. Es handelt sieh um zahlreiche verästelte und mark-
lose Nervenfasern. Endlich fand Ksjunin (1898) zahlreiche blasse, an-
geblich vasomotorische Nervenfasern in den Haarpapillen von Spürhaaren
bei Säugetieren. Hiernach erscheinen wohl die Nerven nicht ganz ge-
eignet, der Hypothese von Maurer als Stützpunkt zu dienen.
Wenn nun beim Uebergange der Amphibien zum Landleben der
Raums lateralis sich zurückbildete, so mochte dies auch bei den ventralen
Nerven der Seitenorgane eintreten. Mit den Sinnesnerven der letzteren
stehen nach Maurer „naturgemäß" periphere Epithelzellen in Verbindung.
Diese erleiden auch eine vollkommene Rückbildung. Aber das Auf-
treten von Markzellen im Haarschaft läßt den Bau des Haares dem-
jenigen der Seitenorgane der Amphibien noch ähnlicher erscheinen. Man
kann das Auftreten des Markes und die damit sich einstellende röhren-
Handbuch- der Eat wickelungslehre. II. 1. 19
290 W. Krause,
türmige Beschaffenheit der Rindensubstanz als aus der röhrenförmigen
Beschaffenheit der um die Sinneszellen eines Hautsinnesorganes ge-
schichteten Stützzellen hervorgegangen betrachten.
Die Deckzellen, welche an den Seitenorganen die La^e der Stütz-
zellen umgeben , entsprechen der inneren Lage der inneren Wurzel-
scheide oder der Cuticula des Haares, die Stützzellen selbst aber liefern die
Rindenzellen des Haarschaftes. Maureh will übrigens nicht die Haut-
sinnesorgane der Amphibien direkt in Haare der Säugetiere übergehen
lassen ; erstere sollen vielmehr gleichsam nur den Boden abgeben, auf
welchem die Haare sich entwickeln.
Der Anschauung von Maurer steht eine ältere von Goette (1868)
o-e&'enüber. Goette erklärte die Entstehuno; der Haare fole-endeimaßen.
Die Haare sind keine anatomischen Individuen, auch nicht Produkte der
Epidermis, sondern nur besondere Teile der letzteren. Die Besonderheit
wird zunächst begründet duzch lokale Steigerungen der Ernährung der
Cutis (Haarpapille, Haarbalg) ; unter den weiteren Bedingungen sind die
mechanischen Verhältnisse zu berücksichtigen, welche aus der lokalen
Epidermiswucherung den cjdindrischen Haarschaft formen. Danach er-
scheint die äußere Wurzelscheide als bloße Einstülpung der Epidermis,
deren Wachstum von den Seiten aus eine bogenförmige, vom Grunde
des Haarbalges aus eine gerade Richtung hat. Mit der Richtung des
Wachstumes stimmt auch die histologische Sonderung der betreffenden
Epidermisteile überein, und die innere Wurzelscheide ist dem Haarschaft
selbst näher verwandt als der äußeren Wurzelscheide.
Der erste Anstoß zur Bildung einer Haaranlage wird durch eine
lokale Zellenwucherung im Corium dicht unter der Epidermis gegeben.
Letztere erhebt sich zu einem kleinen Höcker, der dem freien Auge als
weißes Pünktchen erscheint. Die rundlichen Bindegewebszellen des
Corium gruppieren sich zu einem rundlichen Gebilde, welches vom Stratum
germinativum der Epidermis umwachsen wird und beim Fortgang dieses
Wachstumes in die Tiefe gelangt. Dadurch verstreicht nun die anfäng-
liche Erhabenheit der Hautoberfläche, und es entsteht ein von der Epi-
dermis ausgehender, anfangs rundlicher, später cylindrischer, in die Cutis
hineinwachsender, aus Zellen bestehender Fortsatz. An seinem Ende
liegt die ursprüngliche Papille, wie in den Fortsatz eingestülpt, wodurch
das erstere etwas verdickt erscheint. Die strukturlose Grenzmembran
des Corium, sowie die Zellen des Stratum germinativum setzen sich in
die Haaranlage fort.
Die Anschauung von Goette ist wohl allgemein aufgegeben worden;
in der ganzen Auseinandersetzung von Maurer aber bleibt ein wesent-
licher Punkt anatomisch unverständlich. Haare sind über die ganze
Körperoberfläche verbreitet, die Hautsinnesorgane sind auf das Gebiet des
N. vagus und allenfalls des N. trigeminus beschränkt. Wenn nun be-
hauptet wird, aus einer Seitenlinie könnten allenfalls mehrere Linien
von Haaren hervorgehen, so ist doch klar, daß die Haare der Extremi-
täten ebensowohl Tastorgane sind wie die des Rumpfes ; an den Extremi-
täten giebt es aber keine Hautsinnesorgane.
Die ganze Hypothese leidet an der noch hier und da verbreiteten,
älteren Vorstellung von Sinneszellen und Stützzellen, während es doch
sicher ist, daß die nervösen Endfasern zwischen den sog. Sinneszellen
aufhören und nicht in deren Protoplasma eindringen. Die Haare sind
daher keineswegs als weiter ausgebildete Teile von modifizierten Haut-
sinnesorganen, sondern als modifizierte Federn oder Schuppen, von denen
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
291
sie nur in der Größe ihrer ersten Anlagen sich unterscheiden, aufzufassen.
Das Haar inkl. der inneren Wurzelscheide repräsentiert ein kegelförmig er-
hobenes Stück der Gesamtepidermis, und dasselbe gilt für die Federn. Die
Federscheide ist der inneren Wurzelscheide homolog, sie stellt einen Epi-
dermisüberzug der jungen Feder dar. Letztere selbst ist ein Produkt
des Stratum germinativum der Epidermis , und die Feder durchbricht
die Federscheide, genau wie das Haar seine innere Wurzelscheide.
Mögen die Säuger den Anamnioten näher stehen als den Saurop-
siden, so ist daraus noch nicht zu folgern, daß die Verwandtschaft ge-
rade in den durch äußere physiologische Einflüsse so sehr wechselnden
äußeren Bedeckungen und speciell in deren Epidermoidalanhängen ausge-
drückt sein müsse. Zwischen Haaren und Federn sind gewisse Ueber-
o-änp-e vorhanden, einerseits durch die haarähnlichen Federn und deren
Entwickelung bei Dromaeus (p. 271), andererseits durch die bereits er-
örterten Stachelbildungen (p. 275). Die Zusammengehörigkeit von Stacheln
und Haaren ist allgemein anerkannt ; sie folgt schon aus den vielfachen
Uebergängen zwischen beiden und, hiervon abgesehen, aus der überein-
stimmenden Entwickelung beider. Zudem zeigt auch das Haar eine
radiäre Anordnung der Zellen seiner inneren Wurzelscheide (Fig. 182),
welche Anordnung bei den Stacheln (Fig. 170), wie bei der Feder
(Fig. 164) gleichmäßig wiederkehrt.
Daß Schuppen und Federn zusammengehören, ergiebt sich unzweifel-
haft aus der oben geschilderten Entwickelungsgeschichte beider und ist
allgemein anerkannt. Die Anlagen beider besitzen schon ursprünglich
schräg zur Epidermisoberfläche gestellte, nach außen hervorragende
Coriumpapillen, auf welchen und um welche herum sich die massenhaften
Epidermis Wucherungen ausbilden. Es fragt sich nun, inwieweit die Haare
und die Federn auseinanderzuhalten sind, und da ergiebt sich, daß die
früheste, bisher wenig berücksichtigte Form der Anlage bei beiden dieselbe
Fig. 182. Querschnitt eines Haares nebst
Haarbalg vom Meerschweinchen mit 0,5-proz.
Goldchlorid. Essigsäure, Alkohol, Glycerin. Vergr.
400. p Haar mit dunkeln Fett- und Pigment-
körnehen, m Membran des Haarbalges, g Glas-
membran desselben, e äußere Wurzelscheide, i
äußere Lage der inneren Wurzelscheide, h radiär
gestellte Zellen der mittleren Schicht. Zwischen
dem Haar, das keinen Markkanal besitzt, und
den Zellen der mittleren Schicht liegen noch die
Durchschnitte der platten Zellen der Cuticula des
Haares und nach außen von letzterer diejenigen
der inneren Schicht der inneren Wurzelscheide.
(Nach W. Krause, Anat. Bd. I. p. 110. Fig. 68.
1876.1)
ist. Wie das Haar entsteht die Feder ursprünglich, ohne eine Hervor-
ragung über das Niveau der Epidermisoberfläche zu bilden (Fig. 183 und
184).
Die auffallenden Unterschiede zwischen Haaren und Federn können
mithin nur als sekundäre aufgefaßt werden. Die Anlage der Feder oder
Schuppe ist von vornherein viel ausgedehnter, massiger als die des
Haares, und das Verhältnis, welches beim erwachsenen Tier auffällt, be-
ginnt schon in der allerfrühesten Anlage sich zu zeigen. Feder wie Haar
stellen anfangs flach ausgebreitete, scheibenförmige Zellenhaufen dar, die
bei der Feder in allen Dimensionen und speciell in der Dicke viel aus-
19*
202 W. Krause.
gedehnter sind ; letzteres hängt von der erheblicheren Vermehrung von
Mesenchvmzellen ab. Man darf bei Betrachtung der Fig. 183 und 184
die verschiedene Vergrößerung nicht unbeachtet lassen, die Anlage der
/'
9
Fig. 183. Durchschnitt durch die Cutis eines Embryo der Taube vom 5. Be-
brütungstage. Erste Anlage einer Embryonaldune. Vergr. etwa 200. Die Zellen-
wucherung der Epidermis ist flach, erscheint in so früher Zeit nicht höckerförmig,
im Corium ist eine sehr beträchtlich ausgedehnte Wucherung von Mesenchvmzellen
vorhanden, p Periderm. g Stratum germinativum. D Corium. (Nach Davies, 1889.
Taf. XXIII. Fig. 1.)
Fig. 184. Erste Anlage eines Neben-
haares in der Gesichtshaut eines 14-
T- tätigen Foetus vom Kaninchen. Mül-
%m £ * ■<*-«-/ LER'sche Flüssigkeit, Alkohol, Haema-
toxylin, Xylo!, Paraffin, Kanadabalsam.
Vergr. 500. 1 Epidermis, vom Periderm
bedeckt. 2 Corium. Dasselbe zeigt eine
Vertiefung, woselbst die gewucherten
Epidermiszellen die erste Anlage des
Haares repräsentieren. Letztere steht nicht genau senkrecht auf der Ebene der
Cutis, sondern es ist die Richtung der Zellenwucherung etwas geneigt, beim Ein-
dringen in das Corium reicht sie nach links ein wenig tiefer hinein (vergl. Fig. 172).
(Zeichnung von Dr. Sokolowsky in Berlin.)
Feder ist im Flächeninhalt etwa 17mal größer. Wenn es sich aber um
Haare, Spürhaare oder Borsten handelt, die von vornherein, eine weit
größere Anlage besitzen (Fig. 180), so findet sich eine höckerförmige
Hervorwölbung so gut wie bei der Feder (Fig. 162) oder Schuppe
(Fig. 157).
Erst in zweiter Linie kommt in Betracht, daß die Haaranlage früher
in die Tiefe eingesenkt erscheint, als es bei der Feder der Fall ist. Die
erstere wächst nicht etwa in die Tiefe, sondern die bei den Federn,
Schuppen und Haaren in gleicher Weise existierende Coriumpapille wird
von der benachbarten Cutis umwachsen. Mikroskopisch betrachtet, sieht
man eine lokale, vom Stratum germinativum der Epidermis ausgehende
Zellenwucherung, die nach und nach tiefer in die Cutis eindringt. Man
darf sie aber nicht losgelöst vom übrigen Embryo betrachten. Der
Embryo selbst wächst allseitig nach außen, und zwar enorm rasch, und
es senkt sich nicht etwa jene lokale Zellenwucherung in die Tiefe, son-
dern sie wird von der nach außen wachsenden Cutis an ihrem Außen-
rande und später ringsum an ihren seitlichen Oberflächen umgeben.
Also wuchert nicht die Epidermis in die Tiefe, sondern die Cutis mit
ihren Blutgefäßen wächst nach außen. Nun besteht ein wesentlicher Unter-
schied der Cutis der erwachsenen Sauropsiden von der äußeren Haut der
Säuger darin, daß die letztere bedeutend dicker ist, sowohl absolut, als
im Verhältnis zur Körpergröße. Es ist also durchaus nicht wunderbar,
sondern es kann im Gegenteil nicht wohl anders sein, als daß die Cutis
der Embryonen von Säugern rascher wächst als die von Sauropsiden.
Auf Differenzen dieser ganz einfachen, öfters nicht genügend beachteten
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
293
mechanischen Verhältnisse reduciert sich also die erörterte, scheinbar so
auffallende Verschiedenheit zwischen den Anlagen von Haar und Feder.
Weil die Haut und speciell das Corinna beim Säuger sich beträchtlicher
verdickt, deshalb gelangt die Haarpapille früher in die Tiefe als die
Federpapille ; letztere bleibt länger oberflächlicher, und die Schuppe bleibt
es für das ganze Leben. Bekanntlich erhalten sich die Dickendifferenzen
der Cutis zwischen Reptil, Vogel und Säuger ebenfalls beim erwachsenen
Tier.
Das Resultat ist also, daß Schuppen, Federn, Borsten, Stacheln und
Haare homologe Bildungen sind. Die Haare haben mit Seitenorganen
oder Epithelknospen nichts zu thun, ihre Differenzen von den Federn
erklären sich zum größten Teil aus den verschiedenen absoluten Dimen-
sionen der Anlagen und verschwinden, wenn die Dimensionen einander
mehr e-leich werden. Zum Teil kommt auch die saftreichere Beschaffen-
heit des Corium der Mammalien gegenüber den Sauropsiden in Betracht.
Die Theorie von G-egenbaur und Maurer ist nicht länger haltbar.
Nägel.
Das Nagelbett entsteht schon im 3. Schwangerschaftsmonat (Valen-
tin, A. L. I. 1835, p. 277), indem am distalen Fingergliede eine ringsum
laufende Falte auftritt, die sich zum Nagelfalz (Fig. 185) nach und
nach ausbildet. Jedoch erlangt erst im 5. Monat der Nagel mehr
Festigkeit (Bischoff, A. L. I. 1842, p. 467). Im 3. und 4. Schwanger-
schaftsmonat unterscheidet v. Kölliker
der dorsalen Fläche der distalen Phalanx
das durch eine Grenzfurche und distal4-
wärts durch einen Nagelsaum abge-
Nagelfalz
ist das
ein
am
primäres
foetalen Nagel auf
Nagelfeld,
grenzt ist. Das foetale, den
auskleidende epitheliale Blatt
Wurzelblatt. In diesem primären
Nagelfeld finden sich im Stratum granu-
losum Körnerzellen. Die körnige Beschaf-
fenheit dieser Zellen hängt von Kerato-
hyalinkörnchen ab, und seit Zander
(1884) betrachtete man sie ziemlich allge-
mein als Vorstufe der Nagelzellen (p. 294)
Es zeigt sich im 4
Schwangerschaftsmonat
eine kurze, rechteckige, aus nur einer Lage
vom Schüppchen gebildete Nagelanlage,
welche dem proximalen Dritteil des Nagel-
feldes entspricht und vom Eponychium
Fig. 185. Längsschnitt des Zeigefingers eines
93 mm langen Foetus vom Ende des 4. Schwanger-
schaftsmonates mit der ersten Anlage des Nagels.
Vergr. 28. (Nach v. Kölliker und v. Brunn,
1897. p. 70. Fig. 82.) .
(p. 294) bedeckt wird. Nach
Nagel das ganze Nagelfeld und
den Nagelfalz hineinzuwachsen,
teren zu liegen kommt.
Obgleich
und nach überlagert der wachsende
fängt am Ende des 4. Monates an, in
wodurch die Nagelmatrix jetzt in letz-
die erste Entstehung der
Nagel-
2t '4 W. Krause,
zellen im Anfang des 4. Monates nicht vollkommen aufgeklärt ist,
erscheint es doch sicher, daß das Keratohyalin mit ihrer Bildung nichts
zu thun hat. Später wenigstens gehen die Nagelzellen wie bei Er-
wachsenen aus den dichroitischen Zellen der onychogenen Substanz
und direkt aus den onychinhaltigen Zellen hervor, welche das An-
fangsstadium der Nagelzellen darstellen. Der Nagel wächst nach dem
Gesagten anfangs proximalwärts, sich dabei zugleich verdickend, und
erst später distalwärts. Die feineren Veränderungen gestalten sich
folgendermaßen :
Im 4. Monat besteht das Stratum corneum aus einer einfachen
Lage polygonaler, kernhaltiger Zellen, welche dem Periderm der Epi-
dermis homolog zu setzen ist. Das Periderm, welches den Nagel um-
hüllt, wird zweckmäßig als Eponych i um unterschieden. Bedeckt von
diesem Eponychium, liegt auf dem Stratum germinativum eine zunächst
ebenfalls einfache Schicht polygonaler, abgeplatteter, kernhaltiger Zellen
von 0,0203 mm Länge (v. Kölliker, A. L. I. 1879), die als erste
Anlage der eigentlichen Nagelsubstanz zu betrachten und als Nagel -
zellen zu bezeichnen sind. Es sind die oberflächlichsten Zellen des
Stratum germinativum, die angefangen haben, sich in die Länge zu
strecken. Die Anlage geschieht hiernach anf dem ganzen Nagelbett
durch Onychisation von Zellen des Stratum germinativum. Im An-
fange des 5. Monates werden die Zellen größer, haben 0,027 — 0,045 mm
Durchmesser und sind immer noch von dem Eponychium bedeckt, wäh-
rend der Nagel mit dem Nagelbett sich nach allen Seiten weiter aus-
dehnt.
Der Nagel entstellt also innerhalb der Epidermis, die seine erste
Anlage von allen Seiten her umschließt. Das Eponychium sondert
sich später in zwei Schichten, eine innere und äußere. Die innere
tiefer gelegene Lage behält ihre geschilderte Beschaffenheit bei, und
beide Schichten finden sich ebensowohl an Krallen und Hufen ; die
innere färbt sich intensiv mit Säurefuchsin (Apolant, 1901*). Das
Eponychium verdickt sich, und zeitweise, etwa vom 4. bis 8. /Schwanger-
schaftsmonat, existiert eine ziemlich dicke, mehrfach geschichtete,
äußerste Lage von Oberhautzellen, welche die Nagelanlage von außen
her zudeckt. Dies ist die äußere Schicht des Eponyohium. Ihre Zellen
sind, im Gegensatz zu den abgeplatteten, mit platten, in der Profil-
ansicht fast stäbchenförmig erscheinenden Kernen versehenen Zellen
des Periderm, hell, polyedrisch ; sie verlieren mehr oder weniger ihre
Kerne und werden beim Wachstum des Nagels schließlich von letz-
terem durchbrochen (s. unten).
Während Unna (1876. p. 728) und Okamura die äußere Schicht als
Eponychium bezeichneten, nennt Okamura (1900) die innere Schicht die
Hornschicht des Nagelbettes, und Apolant (1901) deutet diese innere
Schicht als das dem Epitrichium homologe Eponychium. Eine solche
Synonymik könnte hier und da Verwirrung hervorrufen; in der That
entsprechen beide Schichten des im Text beschriebenen Eponychium
einem verdickten Periderm der Oberhaut.
Die Zellen der äußeren Schicht des Eponychium und des Nagel-
saumes verdanken ihre helle Beschaffenheit vielleicht einer Aufquellung
im Amnioswasser.
Später verdickt sich der Nagel während des 5. Monates auf
0,051, und 0,096 mm im 6. Monat. Der Nagel verliert sein Epony-
Die
Entwickelung
der Haut und ihrer
Nebenorgane.
295
cliium; seine Hornschicht hat 0,056 mm Dicke und besteht jetzt
aus mehreren Lagen fest verbundener, länglicher Zellen von 0,045 bis
0,065 mm Länge, die immer noch kernhaltig sind. Auch das Stratum
germinativum hat sich auf 0,054 — 0,067 mm verdickt. Die Zellen der
tieferen Lagen sind länglich-polygonal, 0,009 mm lang, die der ober-
flächlicheren Lagen messen bis zu 0,013 mm und sind mehr
fünf- oder sechseckig.
mäßig
regel-
Nagel
Nagelbett
im ganzen wächst fortwährend distalwärts, erhält aber
aus noch Zuwachs, was auf seine Dickenzunahme von
Der
vom
Einfluß ist.
In betreff der Einzelheiten verdient eine Darstellung von
Zander (1884) besondere Berücksichtigung. Zander fand bei einem
menschlichen Foetus von 4,1 cm Körperlänge, der 9—10 Wochen alt
zu sein schien, an den Fingern und Zehen endständige kleine hügelige
Hervorragungen, wie sie Hensen (1877, p. 4) bei einem 7-wöchent-
//
:
,
,
-•> !
Fig. 186.
Fig. 187.
Fig. 186. Längsdurchschnitt durch die 4. rechte Zehe eines 8 — 10-wöchent-
lichen Embryo vom Menschen. Vergr. 50. Die senkrechte Linie entspricht der Achse
der 3. knöchernen Phalanx, schräg auf diese Achse verläuft die Linie, welche
die distale Abgrenzung der volaren Hautbeere des 3. Fingergliedes mit der dor-
salen Nagelwurzel verbindet. Die Volarseite liegt rechter Hand. (Nach Zander,
Arch. f. Anat. Anat. Abt. 1884. Tai VI. Fig. 13.)
Fig. 187. Längsschnitt durch die 4. linke Zehe einer 11 — 12-wöchentlichen
menschlichen Frucht. Alles wie in Fig. 187. Die Volarseite liegt linker Hand. (Nach
Zander, Arch. f. Anat. Anat. Abt. 1884. Tai. VI. Fig. 14.)
ge-
liehen Embryo als Urnägel beschrieben hatte. Zander sah an
nau halbierenden Längsschnitten der Fingerspitze (Fig. 186, 187) oder
Zehenspitze eine dorsale und eine volare oder plantare Einsenkung
der Epidermis, und zwischen beiden liegt der primäre Nagel-
grund eingeschlossen. Das Stratum germinativum wird an letzterem
von einer einfachen Lage cylindrischer Epithelialzellen mit großen,
chromatophilen Kernen gebildet. Nach außen folgen eine bis zwei
Lagen polyedrischer Zellen mit weniger chromatophilem, kleinerem Kern
und dann das dünne Stratum corneum mit rundlichen, abgeplatteten
Kernen seiner Zellen.
Zwischen den verschiedenen Fingern und Zehen besteht ein erheb-
licher Unterschied in betreff der Zeit, in welcher die Verschiebungen
eintreten. Während nämlich bei der 5. Zehe die eine Einsenkung
296 W. Krause,
der Epidermis auf dem Halbierungsschnitt fast in der Höhe der Mitte
der Länge der dorsalen Fläche der 3. Phalanx gelegen ist, rückt
beim Daumen die dorsale Einsenkung oder der primäre Nagelgrund
bis nahe zu dem proximalen Ende der distalen Phalanx zurück und
die ventrale Einsenkung bis zur volaren Spitze vor. Zwischen diesen
beiden Extremen zeigen die übrigen Finger und Zehen vermittelnde
Lagen der Einsenkungen.
Es ergiebt sich also, daß der primäre Nagelgrund mit fortschrei-
tender Entwickelung immer mehr von der volaren her auf die dorsale
Seite des letzten Fingergliedes wandert, wobei der angeführte Lagen-
unterschied bei den verschiedenen Fingern und Zehen sich mehr oder
weniger erhält. Die Kuppe des distalen Fingergliedes liegt bei den
älteren Embryonen, wie beim Erwachsenen am distalen Ende. An-
fangs ist nun die Endfläche der Volarseite noch nicht in die definitive
Lage gekommen, an der Plantarfläche der Zehen tritt sie als eine
Halbkugel hervor, die von dem vorletzten bis zur Mitte des dis-
talen Zehen glied es sich erstreckt. Mit der volaren oder plantaren
Nageleinsenkung schiebt sich die Finger- oder Zehenkuppe der Haut
gegen die distale Spitze der Finger oder Zehen vor. Mit anderen
Worten : mit dem primären Nagelgrund zugleich rückt die der volaren
Endfläche entsprechende, aus Cutis bestehende Kuppe distalwärts und
das ursprüngliche makroskopische Höckerchen oder der sog. Urnagel
verschwindet, Der Zustand, der beim menschlichen Embryo vorüber-
gehend ist, bleibt permanent bei den mit Krallen bewaffneten Zehen
von Säugetieren, wie z. B. der Ratte.
Zander sucht die Erklärung dieser Erscheinungen darin, daß
die am meisten dorsalwärts gelegene knöcherne Phalanx in der Längs-
richtung schneller als die Dorsalfläche, aber langsamer als die Volar-
oder Plantarfläche der Haut wachse. Dies war durch direkte
Messungen zu erweisen. Auf solche Weise gelangt der ursprünglich
endständig gelegene primäre Nagelgrund definitiv auf die Dorsal-
fläche.
Was nun die Nerven anbelangt, so wird die Dorsalseite der
Phalangen von Nn. digitales volares oder plantares versorgt. Auch dies
erklärt sich jetzt sehr einfach, weil nämlich die von ihnen versorgten
Hautabschnitte ursprünglich volarwärts oder plantarwärts liegen und erst
sekundär mit dem primären Nagelgrund auf die Dorsalflächen gewandert
sind. Als das primäre Verhalten betrachtet es Zander, wenn die dor-
salen Zehennerven und Eingernerven sich bis zum proximalen Ende des
Nagels erstrecken, was die ersteren meistens, die letzteren häufig thun.
Von dieser Form findet eine Abweichung statt, wenn volare oder plantare
Nn. digitales kleinere oder größere Abschnitte der Dorsalfläche inner-
vieren. Jedenfalls hat die Entwickelungsgeschichte aufgeklärt, weshalb
in der Regel die Dorsalfläche des letzten distalen Einger- oder Zehen-
a'liedes von der Volarseite oder Plantarseite her mit Nerven versehen
wird.
Abweichend von dieser Darstellung hat Geuexbaur (1885) hervor-
gehoben, daß keine Ortsveränderung des Nagels, nämlich eine Wanderung
seiner Anlage von der volaren auf die dorsale Seite nachgewiesen ist.
Nur das Sohlenhorn (p. 297) oder der spätere Nagelsaum unterliegt
einer Reduktion, während sich die Volarhaut des distalen Gliedes stärker
ausbildet; somit liegt die Bildungsstätte des Nagels ursprünglich an der
Dorsalseite, womit auch v. Kölliker (1888*) übereinstimmt.
Die Entwicklung der Haut und ihrer Nebenorgane. 297
lieber die mikroskopischen Verhältnisse der Nagel-
en twickelung ist noch folgendes zu bemerken: Bei einem Foetus
von 10 cm Körperlänge zeigen sich nach Zander in der Anordnung
der Epidermis an der dorsalen und volaren oder plantaren Seite, inkl.
des primären Nagelgrundes, keine besonderen Differenzen. Nur ist
in der Gegend der volaren oder plantaren Einsenkung das Stratum
gerniinativum etwas verdickt, und die einzelnen Zellenschichten sind
unregelmäßig angeordnet. Die dorsale Einsenkung, die bis dahin nur
als eine flache Grube erschien, wird tiefer, und die Zellen des Stratum
germinativum bilden einen zellenreichen Fortsatz, der proximalwärts
und zugleich volarwärts oder plantarwärts gegen die Basis der distalen
Phalanx sich erstreckt. Sein Inneres wird von etwa zwei Lagen ab-
geplatteter Zellen des Stratum germinativum eingenommen, zwischen
denen sich öfters ein feiner Ausläufer des Stratum corneum eine Strecke
weit verfolgen läßt. Diese dorsale Einstülpung repräsentiert bereits
den späteren Nagelfalz (Fig. 185). An der Oberfläche aber geht das
Stratum corneum beinahe glatt über die dorsale Einsenkung hinweg,
nur ein flaches queres Grübchen bildend.
Bei älteren Embryonen von 13 — 14 cm Körperlänge ist die dor-
sale Einsenkung sehr tief, in spitzerem Winkel als früher gegen die
Phalangenachse geneigt. Die Cylinderepithelialzellen der tiefsten Epi-
dermisschicht sind an der volaren oder plantaren Einsenkung niedriger
geworden und an der proximalen Seite der letzteren fast kubisch.
Das eingestülpte Stratum corneum im Nagelfalz ist deutlicher geworden,
neben demselben treten große helle Zellen auf, welche später an der
Bildung des Nagels selbst sich beteiligen. Die Epidermis der Dorsal-
fläche ist dünner, besitzt weniger Zellenlagen im Stratum germinativum ;
am dicksten ist die Bedeckung im distalen Abschnitt des primären
Nagelgrundes, wo sie als Eponvchium auftritt.
Als Begrenzungsschicht bezeichnete Zander (1886) eine
ganz oberflächlich gelegene, vom Eponychium nicht bedeckte Schicht,
die sich vom Anfang des 3. Schwangerschaftsmonates bis zum 6. Mo-
nat verfolgen läßt. Wie der Nagel färbt sie sich mit Pikrokarmin
wenigstens proximalwärts rein gelb. Sie entsteht durch eine Ver-
schmelzung abgeplatteter Zellen an der Epidermisoberfläche. Der
Umwandlungsprozeß und somit diese Begrenzungsschicht selbst be-
ginnt endständig an dem distalen Fingergliede und schreitet nach
beiden Seiten hin fort, aber nur der zwischen Nagelfalz und der pri-
mären Ursprungsstätte gelegene Abschnitt ist als Nagel aufzufassen.
Der distale Abschnitt ist der spätere Nagelsaum , homolog oder
doch vergleichbar dem Sohlenhorn der Ungulaten. Dieser Abschnitt
zeigt histologische Eigentümlichkeiten ; an seiner proximalen Grenze
bildet sich zuerst die Begrenzungsschicht und erzeugt proximalwärts
eine glatte Fläche. Bedeckt von der Begrenzungsschicht, folgen nach
der Tiefe zu zunächst Zellen des Stratum granulosum, in mehreren
Lagen, die zahlreiche Keratohyalinkörnchen enthalten. Sie sind schon
bei 9,5 cm langen Embryonen von Brooke (1883), ferner von Ran-
vier (1889) und Zander (1886) beschrieben, und von Ranvier als
Elei'din bezeichnet; sie färben sich nach Zander mit Säurefuchsin
rot. Das Nagelbett des reifen Nagels zeigt kein Keratohyalin, wohl
aber das foetale, bis zu der Zeit, wenn die ersten Nagelplättchen sich
ausbilden (v. Kölliker , 1888). Nach v. Kölliker (1888, p. 58)
sind die Keratohyalinkörnchen vom 6. Schwangerschaftsmonat an nur
ausnahmsweise vorhanden und verschwinden im 8. Monat.
i>(.is \V. Krause,
Die hyaline, mit Säurefuchsin sich rot färbende Schicht, welche unmittel-
bar der Keratohvalinkörncken führenden Schicht vom 4. Schwangerschafts-
monat an aufliegt, nennen Zander (1884) und Curtis (1889*) den primi-
tiven Nagel, Okamura (1900) den primären Nagel. Es ist nichts
weiter als eine Epidermisverdickung an der Stelle, wo später der defini-
tive Nagel entsteht, Curtis (1889) und Pollitzer (1889) erklärten
diesen Nagel für identisch mit dem Stratum lucidum der Epidermis des
Erwachsenen, und letzterer Autor faßte denselben mit den peripheren aufge-
quollenen Epidermiszellen als Eponychium zusammen. Einen Rest des
Eponychium sieht Unna ( 1 876) in dem sogenannten Deckenwulst, der
nichts weiter darstellt als die Zusammenflußstelle der Hornschicht des
Nagelfalzes mit derjenigen der Epidermis des Finger- oder Zehenrückens.
Ueber die späteren Schicksale des Eponychium ist
folgendes zu bemerken. Ursprünglich hängt es mit den Hornplättchen
der Nagelanlage an deren distalem Ende kontinuierlich zusammen.
Vom 7. Schwangerschaftsmonat ab geht das Eponychium zuerst an
der Mitte des Nagels, dann an seinem distalen Ende verloren, während
es am proximalen Ende als Nagelsaum erhalten bleibt. Die distal-
wärts weiterwachsende Nagelspitze durchbohrt nämlich das Stratum
corneum des Nagelsaumes, die dorsalwärts gelegenen Zellen des Epo-
nychium gehen verloren, die volarwärts gelegenen bleiben mit dem
Nagel in Verbindung und bilden das Hyponychiu m , welches dem
Sohlenhorn von Säugetieren entspricht.
Was die Entwickelung des Corium des Nagelbettes an-
langt, so ist beim Foetus nach Unna (1876) das Nagelbett eben und
erhält erst beim Neugeborenen schräg gestellte Papillen, mithin keine
Blätter oder Leisten. Die Entwickelung der letzteren variiert der
Zeit nach beträchtlich. Nach v. Kölliker (A. L. I. 1879) dagegen
sind die Leisten schon am Ende des 4. Schwangerschaftsmonates zu
erkennen, im 5. Monat 0,045 — 0,054 mm hoch, 0,009—0,011 mm dick
und 0,018 — 0,031 mm voneinander entfernt, womit die Dicke der korre-
spondierenden Blätter des Stratum germinativum gegeben ist.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Nagel endständig ent-
stellt, anfangs ein Eponychium besitzt, welches er später durchbricht,
Er entsteht im ganzen Nagelbett, erhält von diesem Zuwachs, wächst
aber hauptsächlich und wesentlich vom Nagelfalz aus in distaler Richtung.
Als ein Ueberrest aus der Entwickelung ist der Nagelsaum zu be-
trachten, der sein Homologon im Sohlenhorn der Huftiere hat. Das
foetale Keratohyalin ist beim Foetus nicht mehr vorhanden, statt dessen
tritt an anderer Stelle Onychin und onychogene Substanz auf.
Der Nagel ist also, morphologisch betrachtet, ein lokales Um-
wandlungsprodukt von Zellen, die an der Grenze des Stratum corneum
der Epidermis gelegen sind und dem Stratum lucidum entsprechen.
Er hat übrigens eine gewisse Aehnlichkeit mit den Haaren.
v. Kölliker vergleicht die äußere Wurzelscheide mit dem am
Wachstum unbeteiligten Stratum germinativum am Nagelkörper, sowie
an einer kleinen Stelle an der dorsalen Fläche der Nagelwurzel. Die
Epidermis des Nagelsaumes und an der Decke des Nagelfalzes soll der
Hornschicht der Epidermis am Eingange des Haarbalges korrespondieren.
Wie das Haar nebst seiner inneren Wurzelsckeide ist der Nagel ein
umgewandelter Teil eines besonderen Abschnittes des Stratum germina-
tivum der Epidermis, welcher im Anfang ganz und gar von einer ge-
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 299
schichteten Lage platter Zellen, dem späteren Eponyckium, bedeckt wird.
Letzteres besteht anfangs aus 2 — 3 Zellenlagen, distalwärts am Ende
des Fingergliedes aber aus vielen Zellenlagen.
Hufe.
Pferd (Eqiuis caballus). Die Entwickelung des Pferdehufes ist
gelegentlich von Walde yer (1882) untersucht worden, speciell mit
Rücksicht auf das Auftreten von Keratohyalin oder Eleidin. Letzteres
findet man am sichersten an den Hufen von Pferdefoetus in einer
ziemlich breiten Zone, welche ein wenig nach innen von der sogenannten
Hornwand gelegen ist. Hier sieht man auch mit freiem Auge eine
weißliche Trübung. Die kleinen Körnchen des Keratohyalin füllen
die Epidermiszellen meist ganz aus, kommen aber auch vereinzelt
vor; die größeren, tropfenähnlichen Bildungen (Ele'idin) können ver-
einzelt oder zu mehreren im Zellenkörper liegen, oft in unmittelbarer
Nachbarschaft des Kernes. Nicht selten zeigen sie kleine, wie Sprossen
ihnen aufsitzende Anhänge; auch verlängerte, wurstförmig erscheinende
Formen kommen vor.
Kundsin (1882) unterscheidet vier Perioden in der Entwickelung
des Pferdehufes. Die erste Periode von dessen Entwickelung umfaßt
die Anlage der Blättchen und Papillen, während das distale Extremitäten-
ende Hufform annimmt.
Die zweite Periode reicht bis zum Auftreten von Anlagen der
späteren, aber noch nicht verhornten Hornröhrchen. Die Epidermis-
zellen vermehren sich bedeutend, ihre Masse schiebt sich distalwärts,
sekundäre Coriumblättchen treten auf, und die Form des ganzen Hufes
wird mehr kegelförmig.
Die dritte Periode reicht vom ersten Auftreten der Hornröhrchen
bis zum Beginn der eigentlichen Verhornung. Um die freien Enden
der Papillen gruppieren sich die Epidermiszellen zur Röhrchen- und
Zwischenröhrchen- Anordnung.
Die vierte Periode charakterisiert sich als die der Verhornung, und
die zuerst verhornenden Zellenmassen der Hufkrone werden distal-
wärts geschoben. Diese Periode reicht bis zur Geburt.
Was die Einzelheiten anlangt, so tritt die Hufform beim Pferde-
foetus schon auf, wenn die Hufsohle 4 mm lang ist. An der Außen-
wand sind in der tiefsten Schicht Cylinderzellen vorhanden, dann
folgen polyedrische Zellen des Stratum granulosum und des Stratum
corneum. Nach und nach wächst die Epidermiszellenmasse nach außen
und distalwärts. Die äußere Zellenschicht der Außenfläche stammt
von der proximalwärts gelegenen Hufkrone her, die innere Schicht
von der Außenwand selbst, die Abgrenzung zwischen beiden erscheint
durch stark abgeplattete, helle Zellen gegeben, die Kundsin (1887)
dem Stratum lucidum der Epidermis parallelisiert. Durch das Vor-
wachsen von der Krone aus erhält der Huf seine Kegelform. Die
Coriumblättchen treten zuerst am proximalen Teil der Außenfläche
auf; beim 10 mm langen Hufe sind sie bereits 0,06 mm hoch, Papillen
finden sich erst beim 10 mm messenden Hufe und erscheinen fast
gleichzeitig an allen Teilen des Hufes.
Beim 18 mm langen Hufe sieht man die Anlage des späteren
Kronenfalzes als eine flache und breite, am proximalen Rande der
Hufkrone gelegene Rinne. Sekundäre Coriumblättchen finden sich erst
300 W. Krause,
bei 2 cm langen Hufen an deren Außenwand. Die sogenannten Wand-
röhrchen oder späteren Hornröhren zwischen den Papillen werden an-
fangs von nicht verhornten, kernhaltigen Epidermiszellen gebildet, sie
erscheinen zuerst bei den 2 ein langen Hufen am vorderen Teile der
Sohle und auch an deren hinterem Ende. Später werden die Epidermis-
zellen der Röhrchen mehr polyedrisch, diejenigen Zellen, welche das
Röhrchen auswendig umschließen, sind abgeplattet und konzentrisch
auf die Fläche gebogen. Sie verhornen nach und nach, und die rings
umschlossenen Zellenstränge zerfallen. Die sogenannten Hornblättchen
sind in diesem Stadium noch nicht verhornt und bestehen aus kleinen
cylindrischen, an der Volarseite und in der Achse des Blättchens
mehr polyedrischen Zellen. Bei 32 mm langen Hufen beginnt die
Verhornung proximalwärts und schreitet distalwärts fort. Zahlreiche,
anscheinend granulierte Zellen treten in den verhornenden Abschnitten
anf. Der Verhornungsprozeß schreitet in derselben Richtung fort, wie
früher die Anlage der Papillen und Hornröhrchen, und bei der Geburt
ist die ganze Röhrenschicht der Außenwand des Hufes bereits ver-
hornt.
Die an der Basis der Hornblättchen gelegenen Epidermiszellen
verhornen zuerst; von da greift dieser Prozeß immer tiefer in die
Hornblättchen hinein. Nach und nach bildet sich zwischen deren
Basis und den am tiefsten gelegenen Hornröhrchen eine distalwärts an
Stärke zunehmende Zwischenschicht, welche vom Stratum germinativum
zwischen den Coriumleisten abstammt und zahlreiche , anscheinend
granulierte Zellen, aber keine Hornröhrchen beim 5 cm langen Hufe
aufweist. Später werden diese Zwischenschichten mehr reduziert. Die
Coriumleisten sind anfangs am proximalen Teile der Außenwand höher
als am distalen ; gegen die Zeit der Geburt hin kehrt sich das Ver-
hältnis um. Die Hornröhrchen des sogenannten Saumbandhornes am
proximalen Ende des Hufes werden spät, erst bei ca. 5 cm langen
Hufen angelegt. Die Verhorn ung der Volarseite des Hufes erfolgt
erst kurz vor der Geburt; die in distaler Richtung verlaufenden Corium-
leisten an der Basis der Papillen der Krone werden bei ca. 7 cm
langen Hufen zuerst sichtbar.
Schwein (Sus scrofa). Ein Periderm wie an der Epidermis der
äußeren Haut oder ein Eponychium fanden Gardiner (1884) und
Thoms (1896) auch an dem foetalen Hufe vom Schwein. Dieses Peri-
derm ist dick und besteht nach außen aus stark abgeplatteten und
in die Länge gezogenen Zellen, weshalb sie Thoms B an dz eilen
nannte. Nach innen folgen zunächst sehr große, durch Intercellular-
briiekeu verbundene Zellen mit kugeligen, schwach sich fingierenden
Zellen des Stratum granulosum. Je weiter nach außen, desto größer
werden die erwähnten großen Zellen, was aber nicht von besonders
guter Ernährung, sondern von Aufquellen in dem Amnioswasser
abhängen dürfte.
Die erste Anlage der Hufe fand Thoms (1896) bei 3 — 5 cm langen
Foetus des Schweines als zwei kleine, 1 mm lange Kegel am distalen
Ende der Extremitäten, die durch eine ebenso tiefe Einsenkung ge-
trennt waren. Während die Epidermis der Zehenglieder aus einer
oder zwei Zellenlagen besteht, wird die Hufanlage proximalwärts von
."», distalwärts von 5 — 6 Zellenlagen bedeckt. Die am tiefsten gelegene
besteht aus Cylinderzellen von 0,012 mm Länge auf 0,007 mm Dicke.
Nach außen folgen größere polyedrische Zellen, welche das Stratum
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 301
granulosum repräsentieren und nach außen sich mehr und mehr ab-
platten. Sie besitzen große, kugelige, mit chromatophilen Körnchen
versehene Kerne.
An 8 cm langen Schweinsfoetus sind die Hufe bereits 3 mm lang
und lassen ihre spätere Zusammensetzung schon deutlich erkennen.
Das Corium zeigt eine Fältelung an der konvexen Außenfläche des
Hufes, und eine Platte des ersteren bildet die Begrenzung des Huf-
randes nach der Sohlenfläche hin. Proximalwärts von ersterer treten
parallel verlaufende Coriumleisten von 0,5 mm Höhe auf. welche einen
großen Teil der dorsalen Hälfte der konvexen Außenfläche jedoch frei-
lassen. An der Sohlenfläche verdickt sich die Epidermis beträchtlich,
was von reichlicherer Blutgefäßbildung abhängig ist. An dieser Fläche
sind nahe an der Matrix des Hufes die Epidermiszellen kleiner, 0,013 mm
lang, 0,0085 mm breit; weiter nach außen werden sie bis 0,026 mm
lang und mehr keulenförmig oder flaschenförmig und, indem sie senk-
recht zur Cutisoberfläche stehen, ist ihr dünneres Ende der letzteren
zugekehrt. Keratohyalin ist an der Sohlenfläche nicht nachzuweisen,
wohl aber tritt es in diesem Stadium, also bei 8 cm langen Schweins-
foetus, in Form von zahlreichen, kleinsten, durch Haematoxylin sich blau
färbenden Körnchen an der erwähnten Coriumplatte auf, welche den Ueber-
gang der Sohlenfläche in die konvexe Außenfläche des Hufes bezeichnet.
Nach außen folgen größere Zellen mit großen, kugeligen Kernen, und
die ersteren erreichen am proximalen Ende der Cutisplatte eine Länge
von 0,038—0,04 mm auf 0,022 mm durchschnittliche Breite. Ueber-
deckt wird die ganze Anlage noch vom Periderm (p. 300), obgleich nach
Thoms die Grenze zwischen diesem und den späteren Hornzellen
schwer zu bestimmen ist. Die ältesten, äußersten Peridermalzellen be-
zeichnet Thoms mit Kerbert (1877) als Bandzellen (p. 300).
AVas die Entstehung der Coriumleisten anlangt, so sah
(iArdiner (1884) beim Schweinsfoetus von 6 — 7 cm Körperlänge
das Stratum germinativum am distalen Ende der Zehen sich vielfach
und tief einfalten. Diese Falten laufen der Länge nach über die Außen-
wand des Hufes und fehlen auf der Sohlenseite. Die Verhornung
beginnt auf den Faltengipfeln etwa in der Mitte der Dicke der Horn-
schicht und schreitet, wie die Faltenbildung selbst, von dort nach den
Seiten hin fort. Zugleich werden die Zellen der äußersten Schicht
oder des Periderm größer, wie es scheint, durch Quellung im Amnios-
wasser, und zugleich zeigen ihre Kerne zahlreiche Karyomitosen, was
später wieder aufhört.
Schweinsfoetus von 10 cm Körperlänge besitzen bereits 4,5 mm
lange Hufe. Die Coriumleisten und Papillen vergrößern und ver-
mehren sich ; mit zunehmender Fältelung treten keratohyalinhaltige
Zellen in wachsender Menge auf und überwiegen in der distalen Partie
der Sohlenfläche sogar die übrigen Epidermiszellen in Anzahl und
an Masse. Keratohyalinhaltige Zellen setzen sich in das Periderm fort,
und an der am distalen Ende gelegenen Spitze erscheinen auch
Elei'dinschollen, die zwischen den Zellen durch Haematoxylin sich blau
tingierende Streifen bilden.
An einer Stelle des Hufes tritt nun nach Thoms eine besonders
interessante Erscheinung auf. Dort, wo die konvexe Außenfläche der
Hälfte des gespaltenen Hufes nach der Innenfläche hin sich einsenkt,
erscheint zwischen den kleinen keratohyalinhaltigen Zellen des Stratum
germinativum und den größeren feinkörnigen Zellen des Periderm
302 W. Krause,
eine Zellenlage, die zunächst nur wenige übereinander geschichtete
Zellen enthält. Letztere sind undeutlich begrenzt, haben undeutliche
Kerne, sind eosinophil und enthalten einige stark lichtbrechende gelb-
liche Körnchen, von denen zufolge der Abbildung (Thoms, 1896,
Fig. 20 0) nur je 1 — 2 in jeder Zelle vorhanden sein würden. Von
den großen keratohyalinhaltigen Zellen des Periderm werden sie durch
einen mit Haematoxylin sich tin gierenden schmalen Streifen homogener
oder körniger Substanz getrennt. Wo nun die Verhornung fortschreitet,
wird die Schicht der äußeren, nach und nach in Hornzellen umge-
wandelten Zellen dicker, die gelben Körnchen, welche Thoms (1896.
p. 81) mit Recht für Onychin erklärt, haben an Menge abgenommen
und bei eintretender Verhornung verschwinden sie ganz. Proximal-
wärts geht schließlich das Stratum corneum der Epidermis verloren,
insofern nämlich die scharfe Scheidung verschwindet, die bis dahin
zwischen Periderm und Epidermis bestand. Die Coriumleisten wachsen
in diesem Stadium stark in die Länge, werden zahlreicher , aber
schmaler und schmaler, von 0,017 von Dicke, mit lang ausgezogener
Spitze nach außen hin. Nach Apolant (1901*) ist zu dieser Zeit in
den tieferen, den Coriumleisten zunächst liegenden Zellen die fibrilläre
Beschaffenheit sehr deutlich ausgebildet, und weiter nach außen treten
als erste Zeichen der Verhornung homogene, stark lichtbrechende
Zellen auf, die sich mit Säurefuchsin oder Pikrinsäure intensiv tin-
gieren.
Bei Schweinsfoetus von 14 cm Länge sind die Hufe nach Thoms
bereits 6 mm lang. Sie haben jetzt eine eigentümliche Form, indem
das distale Ende der Hufanlage sich dorsalwärts krümmt, nach Art
eines stark gebogenen Schnabelschuhes. Letzterer wird wesentlich
von Zellen des Periderm gebildet, und zwar von demjenigen der
Sohlenfläche. Noch beim neugeborenen Schwein existiert ein perider-
maler, die Sohlenfläche bedeckender Schuh. Er scheint die Bildung
von Hornsubstanz zu hindern, die in der That in der Sohle viel später,
nämlich erst nach der Geburt, auftritt als an der konvexen Außen-
fläche des Hufes. Am Ballen des Fußes dagegen zeigt sich die Horn-
bildung schon vor der Geburt. An 8 mm langen Hufen sind daselbst
stärker entwickelte kegelförmige Coriumpapillen, sowie später zahl-
reiche keratohyalinhaltige Zellen vorhanden.
Da die Verhornung in distaler Richtung fortschreitet und das
Hörn des Hufes sich distalwärts verschiebt, so erklärt sich das merk-
würdige Verhalten des erwähnten peridermalen Schnabelschuhes. Er
wird nämlich an der konvexen Außenfläche des Hufes nach und nach
bis zu seiner distalen Umbiegung von dem distalwärts sich verschieben-
den Hörn der konvexen Außenfläche des Hufes überkleidet. Dieses
Hörn überlagert direkt die Peridermalzellen, indem es sich zwischen
die mehr eosinophilen, von der konvexen Außenfläche stammenden
und die keratohyalinhaltigen, in Haematoxylin sich blau färbenden
Peridermalzellen eingeschoben hat, welche letztgenannten Zellen von
den keratohyalinhaltigen Epidermiszellen der Sohlenfläche herstammen.
Bei Hufen von 10—15 mm Länge haben sowohl die Coriumleisten
als die dazwischen gelegenen Blättchen der Epidermis im allgemeinen
schon die Form wie bei erwachsenen Hufen. Je näher der Geburt,
desto mehr erlangt der Huf seine definitive Form.
Keratohyalinkörner treten nach Apolant (1901*) erst in diesem
Stadium in den mittleren Epithellagen der Sohle des Hufes auf. Die
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 303
tieferen oben erwähnten Lagen haben sich zu einer zusammenhängen-
den Hornwand umgewandelt, und Hornblättchen fangen an , aus der
letzteren in das Epithel zwischen den Coriumleisten hineinzuragen.
Die keratohyalinhaltigen Zellen platten sich nach außen hin nach und
nach bedeutend ab und verhornen dann.
Bei 17 cm langen Schweinsfoetus ergeben sich als wesentliche
Punkte nach Apolant das Schwinden des Keratohyalm, ohne daß ver-
hornte Zellenmassen an seine Stelle treten würden, ferner eine aus-
gesprochene Differenzierung der jüngeren und älteren Partien in der
Hornsubstanz des dorsalen Teiles des Hufes und die Ausbildung der
Matrix der Hufkrone, welche sich gerade wie die Nagelmatrix verhält.
Wiederkäuer. Die vier Perioden der Entwickelung des Pferde-
hufes kann man nach Kundsin (1882) auch bei Wiederkäuern, Rind
und Schaf an deren Hufen oder Klauen nachweisen. Nur ist die erste
Periode der Entwickelung relativ kurz ; die ersten Coriumleisten treten
schon bei 2 — 2,5 mm langen Hufen auf. Das rundliche Extremitätenende
erlangt die Form der Hufe, indem die beiden Anlagen der letzteren
hervorsprossen, während Volarseite und Dorsalseite sich deutlich ab-
grenzen. Die ganze Epidermismasse der Hufe ist beträchtlich dicker
als an den übrigen Zehengliedern ; die tiefe Zellenlage besteht aus
Cylinderzellen.
Die zweite Periode ist durch die Anlage der Coriumleisten, der
Papillen an der Volarseite des Hufes und die Anlage des Ballens
charakterisiert. Die Leisten sind schmaler, und die Anlage der Papillen
der Hufkrone erfolgt später als beim Pferde. Wenn sie erfolgt ist,
beginnt die von der letztgenannten stammende Epidermismasse sich
distalwärts zu schieben, worauf, am Stratum corneum beginnend, die
eigentliche Verhornung folgt, so daß bei den Wiederkäuern die dritte
Periode der Entwickelung des Pferdehufes eigentlich fehlt. Dafür ist
die vierte Periode um so länger. Wesentliche Unterschiede sind sonst
nicht vorhanden; nur beginnt die Verhornung der Volarfläche relativ
früher als beim Pferde.
Ein Periderm ist gut entwickelt an Hufen von 18 — 20 mm Länge
beim Rinde, von 5 — 6 mm Länge an Hufen vom Schafe nachzuweisen.
Nach Kundsin (1882, p. 17) soll bei pigmentierten Hufen der
zuerst auftretende Streifen homogen glänzender, abgeplatteter Zellen
mit länglichen Kernen, von dunkeln Pigmentkörnchen durchsetzt sein.
Krallen.
Reptilien. An den Krallen von Krokodilembryonen fand
Voeltzkow (1898) eigentümliche Verbreiterungen, die eine typische
Hufform aufweisen. Göldi (1900) sah solche bei Embryonen von
Caiman niger und Caiman sclerops , die sich auf die 3 medialen
(radialen und tibialen) Zehen des fünffingerigen Vorderfußes und des
vierlingerigen Hinterfußes beschränkten. Diese mikroskopisch noch nicht
untersuchten Verbreiterungen stellen häutige Scheiden dar, welche die
Krallen umschließen, distalwärts sind sie zu einer Scheibe oder einem
Knopf verbreitert, die Dorsalseite ist abgeflacht, die Volar- oder
Plantarseite gewölbt. Sie gleichen im Aussehen den Haftscheiben an
den Füßen des Laubfrosches. Nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei
werden sie bräunlich, schrumpfen auf Stecknadelkopfgröße zusammen
und können von der fertigen Kralle leicht abgezogen werden.
304 W. Krause.
Säugetiere. Aehnliche Scheiden, aber ohne terminale Ver-
breiterungen wie bei Kaimanembryonen, sah Göldi (1900) auch an
den Zehen des Foetus von Bradypus. Dagegen besitzen die brasi-
lianischen Nager Coelogenys und Dasyprocta hufeisenförmige Ver-
breiterungen an den Krallenscheiden.
Carnivora. In der Krallenplatte der Katze (Felis catus dome-
sticus) fand Rabl (1896) beim kleinen Kätzchen dieselben Veränder-
ungen bei der Verhornung, welche in den Zellen der Rindensubstanz
des Haares und der Dunenfedern des Hühnchens vor sich gehen. Die
Kerne degenerieren in einer Form, die der Chromatolyse nahesteht.
Das Chromatin erscheint in Form kleiner Kügelchen, welche, zu Gruppen
vereinigt, teils an der Kernmembran teils im Inneren des Kernes
verteilt sind. Sie verlieren dann ihre Chromatophilie, der Kern färbt
sich nur noch mit Eosin, und zwar gleichförmig, schließlich hört auch
diese Affinität auf. In den verhornenden Zellen färben sich mit
Safranin oder Gentiana Protoplasmafasern, die der Länge nach oder
aber parallel der Epidermisoberfläche verlaufen.
Insectivora. Beim Maulwurf (Talpa europaea) fand Haus-
mann (1898) an 2 cm langen Embryonen die Epidermis im Bereich
des späteren Krallenbettes schon um 1 — 2 Zellenlagen dicker als an
der benachbarten Körperoberfläche. Uebrigens sind stets die Krallen
der proximalen Extremität denen der distalen etwas in der Entwicke-
lung voraus. Die Epidermis selbst besteht zu dieser Zeit aus drei
Zellenlagen. Die äußerste enthält nur abgeplattete Zellen mit großen
ovalen, in der reinen Profilansicht fast stäbchenförmigem Kernen.
Die Zellen der innersten Lage sind kubisch, ihre Begrenzungen un-
deutlich; der Kern ist groß, stark chromatophil und enthält Nukleolen,
Die Zellen der mittleren Lage sind etwas größer, sie enthalten ein
sich wenig fingierendes Fadenwerk und einen kugeligen Kern.
Im Krallenbett hingegen sind bereits fünf Zellenlagen vor-
handen. Die innerste Lage besteht aus Cylinderzellen, die mittleren
Lagen zeigen mehr polyedrische Zellen, deren Durchmesser in der-
jenigen Richtung, welche der Cutisoberfläche parallel läuft, nach außen
hin zunimmt, während sie sich zugleich abplatten. Die Kerne sehen
etwas geschrumpft aus, und in den sich abplattenden Zellen treten
einige chromatophile Körnchen auf: es ist bereits Keratohyalin vor-
handen. An der äußersten Peripherie der Kralle ist die Zellenlage
teilweise in Ablösung begriffen, und die Zellenkerne fehlen.
Bald vermehren sich die äußeren abgeplatteten Zellen und fangen
an zu verhornen. Ihre Begrenzungen erscheinen als feine, glänzende
Linien, die Zellen enthalten einzelne Keratohyalinkörnchen. Zugleich
schreitet die Entwickelung des Krallenbettes selbst fort. An der
Volarseite' oder Plantarseite grenzt sich der Zehen ballen durch eine
feine Linie gegen die Kralle ab. Im Krallenbett selbst entsteht
volarwärts oder plantarwärts durch eine Wucherung der Epidermis die
erste Anlage des Sohlenfalzes. An der Zehenspitze dringen leisten-
förmige Epidermiszapfen nebeneinander in das Corium ein und lassen
zwischen sich Coriumleisten oder Papillen. Die früher aus rundlichen
Zellen bestehende Coriumanlage beginnt mehr spindelförmige Zellen
zu zeigen, die durch ein grobmaschiges Fasernetz verbunden werden.
Auswendig wird die Kralle von einer dünnen, zusammenhängenden,
intensiv sich färbenden Begrenzungsschicht (Bandzellenschicht. Thoms,
Die Entwickeluno; der Haut und ihrer Nebenoreane. 305
*t3
1896) überkleidet. Sie ist nach Hausmann kein Periderm. weil ihr
große polygonale Stachelzellen fehlen; Zellengrenzen oder Kerne sind
nicht zu erkennen, die Zellen sind stark verlängert und miteinander
zusammengeklebt. Man kann sie dennoch wohl als Periderm auflassen.
Die Epidermis der Körperoberlläche besteht zu dieser Zeit auch
aus fünf Zellenlagen , deren innerste Lage von cylindrischen Zellen
gebildet wird. Die äußersten zwei bis drei Zellenlagen innerhalb der
Begrenzungsschicht weisen einen dem Eponvchium ähnlichen Charakter
auf; dies scheint auf der Einwirkung des Amnioswassers zu beruhen.
Die erste Anlage des K r alle nf alz e s zeigt sich als eine proximal-
wärts gerichtete, aus kubischen Zellen bestehende Epidermiswucherung.
Bald scheidet sich unter beträchtlicher Verdickung die Zellenmasse in
die Epidermis der Innenfläche des dorsalen Krallenwalles und in die-
jenige des Krallenbettes; letztere ist die dickere. Von der freien
Krallenplatte unterscheidet sie sich durch das Fehlen der Be-
grenzungsschicht und ein dünneres Stratum corneum in der distalen
Hälfte des Krallenfalzes.
Von der Dorsalseite her schlägt sich die Epidermis auf die Innen-
fläche des Krallenwalles um; sie ist wie diese gebaut, nur ist
die Anzahl der Zellen in den einzelnen Schichten eine geringere, und das
Stratum granulosum ist sehr reich an Keratohyalinkörnchen ; es ver-
liert sich allmählich im Grunde des Krallenfalzes.
Was die Krallen sohle betrifft, so besteht die tiefste Lage der
Epidermis aus Cylinderzellen. Das Stratum granulosum wird von
zwei bis drei Zellenlagen gebildet, und hier sind die Keratohyalin-
körnchen besonders groß und zahlreich, nach außen folgt dann eine
schwach sich fingierende Begrenzungsschicht, die allmählich aus der
genannten Schicht sich hevorbildet. Die letztere dringt nur wenig in
den Krallenfalz ein, schlägt sich dann plötzlich um und erstreckt sich
auf dem Zehenballen weiter. Der volare oder plantare Krallenwall
läuft distalwärts nicht wie der dorsale in eine scharfe Kante aus,
sondern ist abgerundet, wodurch eine Art von Einbuchtung distalwärts
am Eingang des Krallenfalzes entsteht.
An den LTebergangsstellen von der Krallenplatte zum Zehenballen
gehen die an ersterer die Hornschicht zusammensetzenden Fasern der
Hornsubstanz (sog. Hornnbrillen) ohne Unterbrechung in die spindel-
förmig ausgezogenen oder abgeplatteten Zellen des Stratum granulosum
über.
Im ganzen läßt sich übersehen, daß die Verhornung an der Zehen-
spitze inmitten der Epidermis beginnt und auf der Dorsalseite proxi-
malwärts fortschreitet, während dieser Prozeß an der Sohlenfläche erst
nach der Geburt erfolgt. Erklärungen dieser Differenz sind mehrfach
versucht, zur Zeit sind aber die Gründe der letzteren noch nicht ge-
nügend aufgeklärt.
Rodentia. Von der Ratte (Mus decumanus) hat Hausmann
(1898) ein weit fortgeschrittenes Stadium bei einem 4 cm langen, der
Geburt nahestehenden Foetus untersucht. Obgleich die Kralle des er-
wachsenen Tieres mehr an dier Canivorenkralle, als die von Talpa
erinnert, so ist von den histologischen Entwickelungsvorgängen doch
nur wenig Abweichendes zu bemerken. Die noch unverhornten Schichten
der Krallensohle besitzen ein deutliches Stratum granulosum mit
Keratohyalinkörnchen, welche an den bereits verhornten Abschnitten
durchaus fehlen.
An der Oberfläche existiert eine dem Periderm ähnliche doppelte
Handbuch der Entivickelungslehre. II. 1. 20
306 W. Krause.
oder dreifache Zellenlage, die nicht verhornt ist ; ihre Zellen enthalten
teilweise außer einein großen blassen Kern noch Keratohyalinkörner.
Kaninchen (Lepus cuniculus). Es rinden keine wesentlichen
Abweichungen von der Ratte statt, die Körnchen des Onychin sind
aber sehr deutlich (Fig. 188).
Fig. 188. Senkrechter Durchschnitt parallel der Längsrichtung der letzten
Phalanx der großen Zehe des Hinterfußes eines 14-tägigen Foetus vom Kaninchen.
MÜLLER'sche Flüssigkeit, Alkohol, Pikrokarmin, Alkohol, Paraffin, Xylol, Kanada-
balsam. Vergr. 250. P Periderm oder Eponychium, in distaler Pichtung nach der
Zehenspitze hin sich abhebend. 0 Körnchen des Onychin. On onychogene Sub-
stanz (p. 226). G Kerne des Stratum germinativum. Nach einer Zeichnung von Dr.
Sokolowsky in Berlin.
Edentata. Abgesehen von neugeborenen und erwachsenen
Exemplaren des Gürteltieres (Dasypus novemcinctus), stand Haus-
mann (1898) ein 9,5 cm langer Foetus zur Verfügung. An der distalen
Spitze der Zehe ist die Cutis stark verdickt, gefäßreich, und auch die
Epidermis, speciell das Stratum germinativum, ist auffallend dick. Die
Spitze wird von einem nicht ganz verhornten Gewebe überlagert, so
daß eine dicke, sehr plumpe Form der Kralle resultiert. Das Stratum
granulosum ist sehr reich an großen Keratohyalinkörnchen, nach außen
davon folgt eine dicke Anhäufung großer, polyedrischer, unvollkommen
verhornter Zellen mit undeutlichen großen Kernen. Weiter proximalwärts
hört dieses Stratum auf, es wird echte Hornsubstanz der Krallenplatte
gebildet, die distalwärts noch von den nicht verhornten großen Zellen
zum Teil überlagert wird. Nach der Volar- oder Plantarseite hin
wird die Krallensohle bereits von einer dünnen Hornschicht bedeckt,
die Substanz der letzteren ist wenig fest und langfaserig. Der volare
oder plantare Krallenfalz wird durch eine Einbuchtung der Epidermis
gebildet und enthält nur eine dünne Schicht stark abgeplatteter
Epithelialzellen.
Wie die Körperoberfläche bei Dasypus -Embryonen überhaupt
(Welcker, 1864), ist das distale Ende der Zehen mit einem starken
Periderm überdeckt, das bei der weniger fortgeschrittenen 5. Zehe von
Hausmann besonders deutlich erkannt wurde.
Betrachtet man im Zusammenhange die Bildung von Nagel, Huf,
Klaue und Kralle, so läßt die Uebereinstimmung sich nicht verkennen.
Zuerst entsteht überall an dem freien, distalen, abgerundeten Phalangen-
ende eine Verdickung der Epidermis, welche sich mehr oder weniger
weit proximalwärts ausdehnt. Dann bilden sich die Anlagen des Falzes,
der Coriumleisten oder Papillen, nicht infolge von Epidermiswuclierungen,
die in die Tiefe dringen, sondern durch vermehrtes Wachstum der be-
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 307
nachbarten Coriumabscknitte ; dies wenigstens läßt sich behaupten, trotz-
dem die Mechanik dieser Entwickelungsvorgänge keineswegs aufgeklärt
ist. Die ersten Anfänge der Verhornung, Plättchenbildung u. s. w. be-
ginnen am distalen Ende und schreiten auf der Dorsalseite fort, bis sie
am Falz ihr Ende erreichen. An der Volar- und Plantarseite ist der
Vorgang ein langsamerer und erreicht nicht immer in der Foetalzeit
seine Vollendung.
Nur beim Menschen reduziert sich der Volarteil auf einen schmalen,
dem Sohlenhorn homologen Streifen. Er hat seine eigene Matrix, sowie
der Nagelfalz die Matrix des künftigen Nagels darstellt.
Alle genannten Gebilde sind anfangs vom Periderm oder einer der
letzteren homologen Bildung überdeckt.
Die Kralle ist von Boas (1895) mit einer endständigen Kegelschuppe
der Reptilien verglichen worden. Indessen ist eine Homologisierung der
Entwickelung der Beptilienschuppe mit den Krallen u. s. w., wonach
letztere ursprünglich distale Schuppen an der Zehenspitze wären, zwar
naheliegend, jedoch mit der Entwickelungsgeschichte nicht vereinbar, weil
der Nagel, Urnagel von Hensen (1877), zuerst als epitheliale Verdickung
an der Zehenspitze auftritt.
Corium.
Die Entwickelung der Lederhaut ist fast nur beim Menschen
untersucht. An Embryonen des 2. Schwangerschaftsmonates fand
v. Kölliker (A. L. IL 1870. p. 773), daß das Corium dem Stratum
germinativum noch sehr ähnlich sieht, seine Oberfläche ist vollkommen
glatt, Die Dicke der ganzen Cutis beträgt 0,013—0,022 mm. Das
Corium entsteht nun ursprünglich als eine Verdickung der oberfläch-
lichen Schicht des Mesenchym, die anfangs aus dicht gelagerten, spindel-
förmigen Zellen besteht. Manche dieser Mesenclrymzellen sind jedoch
rundlich, die länglich-spindelförmigen haben längliche Kerne von
0,0068—0,09 mm Länge.
Im 3. Schwangerschaftsmonat ist die Cutis bereits 0,13 mm dick
geworden, und man kaun das Corium vom Unterhautbindegewebe
unterscheiden. Letzteres enthält Bindegewebsfasern und zahlreiche
rundliche oder sternförmige Bindegewebszellen, auch rundliche An-
häufungen von kleinen rundlichen Zellen, die Anlagen der Fettzellen,
die hier und da, namentlich in der Gesichtshaut nach v. Kölliker,
schon einzelne Fettkörnchen enthalten. Die Lederhaut selbst zeigt
weniger Bindegewebsfasern, aber spindelförmige Zellen mit wenig
Zwischensubstanz. In den folgenden Monaten nehmen die Fettzellen-
aggregate an Zahl und Ausdehnung zu.
Die Riffe der Cutis treten an den Volarflächen der Finger, sowie
an den Plantarflächen der Zehen anfangs unter dem Bilde von Primär-
furchen (s. unten Schweißdrüsen) auf; später werden sie zu niedrigen
Leisten. Auf Durchschnitten, die senkrecht zum Verlauf der Leisten
geführt sind, erscheint die äußere Begrenzung der Epidermis im 4.
und 5. Schwangerschaftsmonat noch vollkommen glatt und eben; die
Riffe beschränken sich auf Erhebungen des Corium, und die Epidermis
erstreckt sich zwar in den Furchen in die Tiefe, ohne jedoch die
äußere Oberfläche zu erheben. Erst am Ende des 6. Monates wird
die äußere Begrenzung der Epidermis ganz leicht wellenförmig, und
nach und nach treten die Coriumpapillen auf der Oberfläche der Leisten
in zwei einander parallelen Reihen auf.
20*
308 W. Krause,
Im 7. Monat sind die Riffe 0,18 mm, beim Neugeborenen 0.22 bis
0,27 mm breit, und im Corium bilden sich elastische Fasern aus.
Im 6. Monat treten in der Cutis über den ganzen Körper auch
Anlagen von Fettzellengruppen auf; schon im 7. Monat ist ein Panni-
culus adiposus von 1 — 3 mm Dicke vorhanden, und dieser mißt beim
Neugeborenen sogar (3 — 11 mm an einigen Körperstellen.
Was die Einzelheiten anlangt, so leitet Renaut (1897) die
Papillen des Corium von den Blutgefäßen ab. Diese bringen Leuko-
cyten mit sich, welche durch die Gefäßwandungen austreten und die
oberflächliche Schicht des Corium „reinanient". Sie häufen sich zu
Hervorragungen an, welche das Epithel emporheben; so entstehen
die Cutispapillen. Umgekehrt ist die Sache nach Retterer (1899).
Die oberflächlichen Bindegewebszellen des Corium scheiden die gela-
tinöse Substanz des Foetus aus, die beim Erwachsenen zu Binde-
gewebsfasern oder elastischen Fasern sich differenziert. Der Kern,
seine nächste Umgebung und die anastomosierenden Ausläufer dieser
Zellen existieren lange Zeit als fixe Zellen, dann werden letztere platt,
verlieren ihre Fortsätze und erscheinen schließlich als weiße Blut-
körperchen.
Die großen Furchen der Haut an den Gelenken, im Gesicht,
an der Fußsohle und am Handteller sind schon in früher Foetalzeit
vorhanden, an letzterem namentlich die den Daumenballen ulnarwärts
umziehende Linie. Sie sind auf Vererbung zurückzuführen, entstehen
nicht in der Haut selbst, sondern durch ihre Anheftung an tiefer ge-
legenen Teilen ; beim Neugeborenen sind sie wegen der stärkeren
Entwickelung des Fettpolsters größtenteils sehr deutlich. Ueber die
Furchen und Riffe an den Fingern und Zehen (s. unten Schweißdrüsen).
Amphibien. Bei ganz jungen Anurenlarven ist die Anlage der
Cutis nach Eberth (1866) eine homogene glashelle Membran. Später
erhält sie Längsstreifen und Querstreifen ; ursprünglich ist sie ganz
frei von Zellen und besteht aus feinen , in rechtem Winkel sich
kreuzenden Fasern, sie gleicht einem Gitterwerk, das von senkrecht
gegen die Oberfläche aufsteigenden Protoplasma-Ausläufern der darunter
gelegenen Zellen durchsetzt wird ; diese Ausläufer erzeugen in der
Flächenansicht eine feine Punktierung. Später kräuseln sich die starren
Fasern, ordnen sich zu Bündeln, dazwischen schiebt sich von der Tiefe
aus kernführendes Protoplasma, dessen Klumpen rundliche oder viel-
strahlige Zellen, junge Bindegewebszellen bilden.
Pigment.
Die Bildung des Pigmentes dauert während des ganzen Lebens
fort und der Prozeß gehört nicht ausschließlich der Entwickelungs-
geschichte an. Zwei Ansichten stehen sich auch in betreff der foetalen
Pigmentbildung in der Haut und den Anhangsgebilden des Integu-
mentes gegenüber. Entweder entsteht der aus Pigmentkörnchen
zusammengesetzte körnige, braune, seltener schwarze Farbstoff in der
Epidermis oder aber im Corium, und wird in letzterem Falle auf
irgend eine Weise in die Epidermis transportiert.
Nach der Darstellung von Aeby (1885) soll es sich um Ein-
wanderung von Leukocyten in die Epidermis handeln, welche das Pig-
ment aus der Cutis mitbringen. Diese Wanderzellen werden zu den
sternförmigen Pigmentzellen, die man im Stratum germinativum vieler-
orts antrifft (Fig. 158 u. 159). Sie zerfallen dann in Bruchstücke, welche
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 309
& ~^ ^.^,^U VI^V*. JU*U* ^1^^^Ü^X&1
von den Epidermiszellen des Stratum germinativum in sich aufgenommen
werden, wobei zunächst ihre Kerne an ihrer äußeren Seite, einseitig
von pigmentierten dunkeln Halbmonden umsäumt werden. Dasselbe
gilt für die den Zellen des Stratum germinativum gleichwertigen Zellen
der Haarbälge u. s. w. Diese Aufstellung ist unter anderen von v.
Kölliker (1887) unterstützt worden; indessen hält v. Kölliker
die gewöhnlichen amoeboiden Leukocyten für eine andere Art von
Wanderzellen als die sternförmigen Bindegewebszellen, welche das
Pigment transportieren sollen. Ganz bestimmte Gründe für eine der-
artige Leistung der Zellen sind jedoch nicht beigebracht.
Einfacher erscheint die folgende Annahme. Jarisch (1891) u. a.
lassen nämlich das Pigment in den Zellen des Stratum germina-
tivum selbst entstehen. Offenbar vermögen die Zellen des Ektoderm
in ihrem Inneren bei der Zellenteilung Pigmentkörnchen zu erzeugen,
denn zwei herangewachsene Tochterzellen enthalten offenbar mehr
solche Körnchen als die Mutterzelle. In den Epithelialzellen des
Centralkanales im Rückenmark des Amphioxus, wie man seit Joh.
Müller (1841) weiß, ferner in den vom Ektoderm abstammenden
Pigmentzellen des Pigmentblattes der Retina, in der Epidermis von
Froschlarven und zahlreichen anderen Amnioten, endlich im Stratum
germinativum der gefärbten Hautstellen von Europäern, sowie der
Epidermis farbiger Menschenrassen findet unzweifelhaft die angedeutete
Bildung von Pigment statt, und zwar teilweise schon beim Foetus.
Folgt man dieser Annahme, so ergiebt sich weiter, daß im Proto-
plasma der betreffenden Zellen eine chemische Umsetzung stattfinden
muß, welche das an Kohlenstoff reiche Pigment überhaupt liefert und
hauptsächlich als ein Desoxydationsvorgang aufzufassen ist.
Amphibien. Nach Prowazek (1900) entsteht das Pigment bei
der Salamanderlarve auf verschiedene Weise. Endogen bildet es
sich in den Epidermiszellen, in leukocytenähnlichen Pigmentzellen der
Epidermis, in bindegewebigen Pigmentzellen der Cutis, die eine be-
deutendere Größe haben.
Innerhalb der Epidermiszellen der Salamanderlarve entsteht
das Pigment in der Weise, daß im Zellensaft mit Neutralrot sich
rötlich färbende, nicht scharf umgrenzte Körnchen auftreten, die Pro-
wazek als Pigmentpiastiden bezeichnet. Die Pigmentkörnchen be-
finden sich in Gruppen von 2 — 3 und mehr an der Peripherie dieser
Piastiden, in welche sie kontinuierlich überzugehen scheinen.
Ueber den Frosch ist eine Beobachtung von Rosenstadt (1897)
zu erwähnen, weil sie zu der Theorie der Pigmentbildung in Beziehung
steht. Nach Rosenstadt findet sich nämlich in den Kernen der
Nickhaut des Frosches Pigment. Man könnte daraus an einen Einfluß
des Kernes auf die eben erwähnte chemische Umsetzung schließen,
zumal mit Rücksicht auf die bekannte Thatsache, daß die Pigment-
körnchen in den Epidermiszellen des Stratum germinativum beim Neger
schalenförmig den Kern umgeben.
Reptilien. Bei etwas älteren Embryonen von Schlangen be-
ginnt nach Kerbert (1877) die Färbung der Hautbedeckung mit dem
Auftreten von verzweigten Pigmentzellen in der Epidermis (Fig. 158
und 159). Kerbert erklärt sie für wandernde Bindegewebszellen;
sie liegen zumeist in der tiefsten Schicht des Stratum germinativum,
also zwischen deren Cylinderzellen. Diese Zellen sind beweglich und
beim erwachsenen Tier ganz in das Corium hinuntergerückt, in welches
sie hineinwandern. Die Zellen sind teilweise rund, meistens jedoch bäum-
310 W. Krause,
förmig verzweigt, wobei ihre Ausläufer der freien Oberfläche zugekehrt
sind, die sie auch erreichen.
Vögel. Rosenstadt (1897) schreibt die Pigmentbildung beim
Hühnerembryo sowohl den Bindegewebszellen des Corium, von
denen jede sich in eine Pigmentzelle umwandeln kann, als den Epi-
dermiszellen zu. Auch im Periclerm der Federanlage finden sich pig-
mentierte Epidermiszellen, ohne Beziehung zu Ausläufern der pigmen-
tierten Bindegewebszellen des Corium. Verästelte Pigmentzellen sah
jedoch Kerbert (1877) beim Hühnerembryo vom 15. Bebrütungstage
in der Epidermis.
In den papillenähnlichen ersten Anlagen der Federn beim Hühn-
chen beobachtete v. Kölliker (1887), falls sie gefärbt sind, reich
verzweigte, sternförmige Pigmentzellen, nicht aber in den Epidermis-
zellen selbst, wenigstens nicht im Anfange. Kerbert will daher den
Mesenchymzellen, die mit denjenigen der Adventitia der Blutgefäße in
letzter Instanz anastomosieren, eine Beziehung zur Pigmentbildung
zuschreiben.
Die Pigmentbildung in den Federn hat auch Post (1893) am
Kopfe des 10-tägigen Taubenembryo untersucht. In dem peripheren
Ende der Pulpa des Federkeimes stammt das Pigment aus den Epi-
dermiszellen, nicht aus dem Bindegewebe. Die Fähigkeit, Pigment-
körnchen zu bilden, kommt den am tiefsten gelegenen Zellen des
Stratum germinativum zu ; aus gewöhnlichen Zellen des letzteren
können sich verästelte Pigmentzellen entwickeln. Die Pigmentkörnchen
sind wie an anderen Orten kleine Stäbchen, von denen nach
Behandlung mit Kalihydrat eine helle Grundsubstanz zurückbleibt.
Post glaubt übrigens, daß einerseits Pigment aus der Epidermis
in das tiefer als letztere gelegene Bindegewebe übertreten kann, und
daß es andererseits unzweifelhaft im Bindegewebe Pigmentzellen giebt,
obgleich das dazu gehörige Epithel pigmentfrei ist. Es entsteht das
Pigment also nach Post in polyedrischen Zellen des Stratum germi-
nativum, in verzweigten Zellen des letzteren und in Bindegewebs-
zellen.
Säuger. Eine zusammenfassende Darstellung über die Bildung
des Hautpigmentes hat Rosenstadt (1897) gegeben. Danach können
die Epidermiszellen selbständig Pigment bilden, bei gleichzeitigem
Mangel von solchem im Corium. Oder die Epidermis und das Corium
enthalten unabhängig voneinander Pigment. Oder drittens sind die
Epidermiszellen pigmentiert, und die Farbstoff führenden Bindegewebs-
zellen des Corium senden ihre Fortsätze in die Epidermis.
Nach Loeb (1899) zeigen sich keine Pigmentkörnchen in Epi-
dermiszellen von Hautstückchen des Ohres weißer Meerschweinchen,
die man auf die Haut von schwarzen Ohren transplantiert hatte. Um-
gekehrt wachsen pigmentierte Epidermiszellen von den Rändern eines
schwarzen Hautstückchens weiter, das auf die Haut eines Weißen ver-
pflanzt worden war. Das Bindegewebe ist also nicht die Quelle des
Pigmentes, wenigstens nicht im Anfange.
Ebenso tritt nach Retterer (1887), der Untersuchungen an Foetus
vom Esel von 8 cm Länge und des Pferdes von 22 cm Länge an-
stellte, das Pigment zuerst nur in den Epidermiszellen auf, und zwar
in denen der tiefsten Schichten, nicht aber in den Intercellularräumen
und nicht in der Cutis. Erst beim Pferdefoetus von 65 cm Länge zeigten
sich auch pigmentierte Bindegewebszellen. (Analog verhält es sich mit
der Pigmentierung der Haare.)
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
311
Pigmentierte Bindegewebszellen sah v. Kölliker (1887) zahlreich
im Bast des wachsenden Geweihes bei Hirschen und Rehen, die
in die anfangs ungefärbte Epidermis einwandern.
An der Innenseite der Ohrmuschel des 5-tägigen Hundes wird
nach Post (1893) das Pigment in langgestreckten Bindegewebszellen
des Corium gebildet,
Das Pigment der Stacheln von Echid na -Embryonen entsteht nach
Römer (1898, p. 53) an der Oberfläche der Cutis in letzterer selbst
und füllt dann die am tiefsten gelegenen Zellen des Stratum
nativum.
germi-
Schweissdrüsen.
Die Schweißdrüsen-Entwickelung ist zuerst von Wendt (1834)
untersucht worden. Ihre Ausführungsgänge sind schon beim 4-monat-
a -
b "
liehen Foetus durch Abziehen der Epidermis darstellbar, v. Kölliker
(1850, p. 167 — 171) dagegen sah sie erst im 5. Schwangerschaftsmonat
in Form mikroskopisch feiner, durchaus solider Einstülpungen des
Stratum germinativum der
Epidermis, die senkrecht
zur Oberfläche in die Cutis
hineinwachsen, gelblich
durchscheinend sind und
aus rundlichen Zellen, wie
diejenigen jenes Stratum,
bestehen. In der Tiefe
endigen diese soliden Zellen-
kolben mit verdickten, kol-
benförmigen Anschwellun-
gen.
Diese Untersuchungen
v. Kölliker's stammen aus
dem Jahre 1850, und seit-
dem hat, mit Ausnahme
der "Nachuntersuchung von
Brunn's (1897), keine an-
dere stattgefunden, und
noch weniger ist etwas
Neues hinzugekommen.
Nach v. Kölliker haben
diese erwähnten Anlagen in
der Planta pedis 0,06 — 0,2 mm Länge auf 0,022 mm Dicke am peripheren
Ende und 0,04—0,045 mm am centralen Ende; übrigens reichen sie an-
fangs nicht bis in die Tiefe des 0,056 mm dicken Corium hinein. In
der Epidermis ist noch keine Andeutung eines Ausführungsganges vor-
handen, so wie auch die ganze Anlage noch kein Lumen besitzt. Ein
solches zeigt sich erst im 6. Schwangerschaftsmonat (v. Kölliker,
A. L. I. 1879, Fig. 479). Die Drüsenanlage ist dann weiter in die
Tiefe gewachsen, fängt an sich zu winden und reicht bis in die Mitte
Ihre
Fig. 189. Schweißdrüsenanlagen von einem
5-monatlichen Embryo. Ein Durchschnitt durch
die ganze Haut mit 5 Drüsen. Vergr. 50. a
Stratum corneum der Oberhaut, h Stratum ger-
minativum. d Drüsenanlage ohne Lumen, aus
kleinen runden Zellen bestehend. C Corium.
(Nach v. Kölliker, Entwickel. des Menschen.
1879. p. 793. Fig. 478 A.)
oder bis in das tiefer gelegene Viertel der Dicke des Corium.
Dicke beträgt zu dieser Zeit am blinden Ende 0,09 mm, weiter nach
der Oberfläche hin 0,036—0,045 mm.
Sehr bemerkenswert ist das Verhältnis der Coriumfurchen zu den
ersten Anlagen der Schweißdrüsen. Am Ende des 4. Schwangerschafts-
monates bilden sich an den Fingern unter der äußerlich glatten Epi-
312 W. Krause,
dermisoberfläche die Anlagen der Primär furchen, wie sie hier
genannt werden sollen, aus. Sie entstehen als Wucherungen der Zellen
des Stratum germinativum, die in Reihen angeordnet sind, zwischen
welchen schmale Cutiswälle sich hinziehen. Die spätere konzentrische
Anordnung an den distalen Phalangen der Finger und Zehen ist von
Anfang an gegeben, und unter der Lupe machen ihre Reihen einen
ganz ähnlichen Eindruck, wie sie die Anordnung auf den Fingern des
Erwachsenen aufweist. Auch ihre Anzahl ist bei absolut geringeren
Dimensionen ziemlich genau dieselbe, wie beim Erwachsenen ; am
kleinen Finger hatte ein 4-monatlicher Foetus etwa 50 Primärfurchen
mit ebensoviel Cntisstreifen dazwischen ; es werden alle diese Furchen
mithin von vornherein ziemlich gleichzeitig angelegt. Jedoch entstehen,
während die Fingerphalangen wachsen, an den Seitenrändern der letz-
teren einzelne neue Furchen, durch Teilung der schon vorhandenen.
Die sich neubildenden Furchen endigen blind, und an den blinden
Enden zeigt sich eine etwas beträchtlichere, rundliche Anhäufung von
Zellen des Stratum germinativum. Die Vermehrung ist aber ver-
gleichsweise nur unbedeutend.
An Flächenschnitten, die von der volaren Oberfläche der Finger
oder Zehen des 5-monatlichen Foetus angelegt werden, sieht man nun
mikroskopisch die Mündungen der Schweißdrüsen in den Furchen
liegen. Von Anfang an ist die von Zellen des Stratum germinativum
ausgefüllte Mündung des späteren Schweißdrüsenganges trichterförmig
und ein wenig erweitert (Fig. 190). Nach der Tiefe zu folgen in radial-
Fig. 190. Schweißdrüsenanlage auf dem senkrechten Durch-
schnitt der Haut der Fußsohle eines 5-monatlichen mensch-
:;^^^^^fe^:^;(j liehen Foetus. Vergr. 70. (Nach v. Brunn 1897. p.77. Fig. 89.)
l'.^S:f^$&*}.] %'-5&ff ;■ Diese Fig. repräsentiert einen Querschnitt, die Fig. 189 wesent-
• '■-.;:^ \\y yS-' ,':'::-:::':^---': lieh einen nach der Längsachse eiues Hautriffes verlaufen-
.■:'' ".-' " ''•••^•- :- , clen Längsschnitt. Die Schweißdrüsenanlage mündet auf einem
; ;;■ ■ M ■■'-'. '■■'■ späteren Hautriff, das durch sie wie in zwei kleine Hügel ge-
£• ■"■•.■■■/ :. "'';■ ',-. '■•'. '•;.■ teilt erscheint. Links und rechts davon liegt je eine kleine
Epidermiseinstülpung; diese ist der Begiun einer definitiven
Furche. Die Epidermis-Oberfiäche erscheint zufälliger Weise etwas unregelmäßig
(vergl. Fig. 189).
ulnaren Serienschnitten die Querschnitte der Schweißdrüsenausführungs-
gänge. Sie stehen in Reihen, sind etwa 0,08 mm voneinander am
Nagelglied der großen Zehe beim Foetus aus dem Ende des 5.
Schwangerschaftsmonates entfernt, während sie der Quere nach, also
dem Abstand der Primärfurchen untereinander entsprechend, nur
etwa 0,06 mm Distanz voneinander haben. Weiter nach der Tiefe zu
folgen die Anlagen der Drüsenknäuel, die als kleine seitliche Aus-
stülpungen und Umbiegungen beginnen (Fig. 191).
Beim 5-monatlichen Foetus sieht die Sache eigentümlich genug aus.
Die Mündungen der Schweißdrüsen liegen merkwürdigerweise in den
Furchen, nicht wie beim Erwachsenen auf der Höhe der Riffe. Da-
raus folgt, da die Schweißdrüse selbstverständlich ihren Ort nicht
ändern kann, daß die Primärfurchen den definitiven Furchen,
Sulci cutis, nicht entsprechen. Beide sind voneinander ganz verschieden,
und die Primär furchen korrespondieren im Gegenteil
mit den Hautriffen. Während die definitiven Furchen Einsenkungen
des Corium und der Epidermis darstellen, sind die Primärfurchen aus-
schließlich Furchen des Corium, und die E piderm isob erfl äche
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
313
liegen.
Der
geht glatt über die Stelle hinweg, wo sie
5-monatliche Foetus hat an seinen Fingern und Zehen noch
definitiven Furchen (worauf His brieflich aufmerksam machte), höch-
stens Anfänge derselben (Fig. 190). Die letzteren Furchen ent-
gar keine
stehen erst im
Wachstum der
6. Schwangerschaftsmonat, und zwar durch vermehrtes
an Blutgefäßen
Cutiswälle, welche
Indem die ersteren
von den Primärfurchen bedeckten
und Nervenfaseranlagen reich sind,
sich erheben, werden sie zu Hautriffen ; die Epidermis zwischen den
Riffen wuchert auf dem Querdurchschnitt scheinbar zapfenförmig in die
Tiefe, was jedoch nur von der Erhebung und dem Wachstum der
beiden benachbarten Riffe abhängt.
Erst am Ende des 5. (Fig. 190), gewöhnlich aber erst im 6.
Schwangerschaftsmonat treten die bleibenden Furchen als schmale
Zellenreihen auf. Sie liegen jede zwischen zwei nächstbenachbarten
Primärfurchen, den späteren Riffen, und bestehen anfangs aus zwei
Cylinderzellenlagen. Diese Zellen wenden ihre Basis dem späteren
Riffe, ihre periphere Oberfläche der Achse der definitiven Furche zu ;
zwischen den beiden Zellenlagen befinden sich noch einzelne abge-
plattete Zellen des Stratum corneum der Epidermis. Die Breite der
definitiven Furchen beträgt am Zeigefinger eines 6-monatlichen Foetus
anfangs nur 0,016 mm; von Anfang an handelt es sich um Furchen,
an denen die freie Oberfläche der Epidermis sich einkerbt, was bei
den Primärfurchen, über welche die Epidermisoberfläche glatt hinweg-
geht, nicht der Fall ist. Flächen schnitte der Volar- und Plantar seiten
von Fingern und Zehen geben bei weitem die klarsten Bilder. Im
4. Schwangerschaftsmonat sieht man nur Primärfurchen, im 5. Monat
in den letzteren zahlreiche rundliche Schweißporen in regelmäßigen
Abständen, und im 6. Schwangerschaftsmonat verläuft eine schmale
definitive zwischen je zwei Primärfurchen oder Hautriffen. Abgesehen
von den sparsamen, durch sekundäre Teilung primärer Furchen ent-
■■■•■■ ■ »■'-.•fc'tiji' /■:sÄ^
Fig. 192.
Fig. 191.
Fig. 191. Schweißdrüsenanlagen aus dem 7. Monat, vom Menschen. Vergr. 50. a
Stratum corneum. g Stratum germinativum. C Schweißdrüsenkanal imCorium. d kol-
biges Ende der Drüsenanlage. Das Lumen ist durchweg vorhanden, nur reicht es
nicht ganz bis ans Ende des dickeren Teiles der Drüsenanlagen, die zum Drüsen -
knäuel sich gestalten. Fortsetzungen der Kanäle in die Oberhaut hinein und Schweiß-
poren / sind da. B Ein Knäuel einer Schweißdrüse aus dem 8. Monat. (Nach
v. Kölliker, Entwickelung der Menschen, 1879. p. 795. Fig. 480 A.)
Fig. 192. Schweißdrüsenanlage auf dem senkrechten Durchschnitt der Haut
der Fußsohle eines 7-monatlichen menschlichen Foetus. Vergr. 70. Linker Hand ist das
eigentlich abgerundete blinde Ende des bereits angelegten Schweißdrüsenknäuels quer
abgeschnitten. (Nach v. Bruxx, 1897. p. 77. Fig. 90.
314 W. Krause,
standenen Primärfurchen (p. 312), bleibt die Anzahl der Primärfurchen,
der definitiven Furchen und der Hautriffe stets dieselbe und unter sich
die gleiche. Alle diese Gebilde sind dem Wesen nach schon beim
(»-monatlichen Foetus angelegt und ungefähr in derselben Anzahl wie
beim Erwachsenen vorhanden.
Im 7. Schwangerschaftsmonat sind die Schweißdrüsenanlagen be-
reits von Valentin (A. L. IL 1835. p. 277) in zwei Fällen nachge-
wiesen. Zu derselben Zeit oder etwas früher fand Kohlrausch (A.
L. II. Bischoff, 1842. p. 467) an ihrem blinden Ende die Drüsen
0,088 mm dick, das periphere Ende ihres Ausführungsganges in der
Cutis 0,022—0.029 mm dick. Die Anzahl der Drüsen betrug 144
—225 auf einem Quadratmillimeter (was mit v. Kölliker's Abbildung,
(1850. Fig. 46), so ziemlich übereinstimmt. Nach v. Kölliker
reicht das blinde Ende bis an die tiefer gelegene Fläche des Corium,
fängt an sich hakenförmig umzubiegen (Fig. 191) oder schon zu einem
kleinen Knäuel (Fig. 192) von 0,09 — 0,0135 mm Durchmesser sich zu
entwickeln. Der Drüsenausführungsgang im Corium macht mehrere
Windungen , ist 0,034 — 0,035 — 0,5 mm dick und zeigt nun ein helles
Lumen von 0,0068 — 0,009 mm. Die Wandung des ganzes Kanales
hat sich verdickt, das Drüsenepithel ist einschichtig, und dessen
Zellen sind rundlich-polyedrisch wie früher. An den übrigen Körper-
stellen beginnen erst jetzt die Drüsenanlagen zu entstehen. Nach
Grefrerg (1883) kann man aber an bestimmten Hautstellen zahl-
reiche Uebergänge zwischen älteren und ganz jungen Anlagen finden.
Wie v. Brunn (1897, p. 77) fand, soll es den Anschein haben,
als ob die Schicht glatter Muskelfasern, welche beim Erwachsenen die
Schweißdrüsengänge umhüllen, ans den peripheren Lagen des Epithels
dieser Gänge hervorginge. Diese Vermutung beruht auf irrtüm-
lichen Angaben von Hörschelmann, Hesse, Sangster, Ranvier (1879,
p. 1120) u. a., welche die Muskelfasern an die Innenfläche der Membrana
propria verlegten. Die Membrana propria von Ranvier ist aber in
Wahrheit die äußere Bindegewebshülle des Schweißdrüsenganges , die
wirkliche strukturlose und gegen Kalilauge resistente Membrana propria
hat Ranvier infolge seiner Untersuchungsmethode gar nicht zu sehen
bekommen (W. Krause, 1881. p. 47).
Gelegentlich ist zu erwähnen, daß die Volarseite oder Plantarseite
der Endphalangen der Finger oder Zehen beim Kaninchen schöne knäuel-
förmige Schweißdrüsen besitzen. Ueber ihre Entwickelung ist so wenig
wie über die Entwickelung der Schweißdrüsen überhaupt bei Tieren
etwas bekannt.
Beim Neugeborenen fand Valentin (A. L. IL 1835. p. 277)
die Drüsengänge 0,079 mm, v. Kölliker (A. L. IL 1879) nur 0,034
—0,045 dick; ihre Ausführungsgänge haben nach letzterem in der
Cutis 0,018, im Stratum germinativum 0,05 mm Dicke. Die Drüsen-
knäuel besitzen teilweise bereits im 6., jedenfalls schon im 8. Schwanger-
schaftsmonat Doppelmündungen und haben in der Fersenhaut 0,13
— 0,15 mm Durchmesser.
Talgdrüsen.
Die erste und bisher einzige gründliche Untersuchung der Ent-
wickelung der Talgdrüsen beim Menschen rührt von v. Kölliker
(1850, p. 192 — 197) her. Sie zeigen sich am Ende des 4. Schwanger-
schaftsmonates als kleine ellipsoidische Auswüchse (Fig. 179, Fig. 193)
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
315
der Haarbälge, die aus einer dünnen, in die Haarbalgwand übergehen-
den Hülle und einer dichtgedrängten Zellenmasse bestehen ; die Zellen
gleichen denjenigen der äußeren Wurzelscheide und sind Abkömmlinge
derselben, stammen aber ausschließlich von den cylindrischen Zellen
der tiefsten Schicht dieser Scheide. Solche Talgdrüsenanlagen haben
anfangs 0,045—0,068 mm Länge auf 0,022-0,36 mm Dicke. Sie
treten nur an den Haarbälgen auf und erst dann, wenn in letzteren
bereits die Haaranlage deutlich zu erkennen ist. Niemals entstehen
Talgdrüsen unabhängig von Haaren in der Cutis ; bekanntlich kann
aber beim Erwachsenen an bestimmten Körperstellen das Haar und
der Haarbalg zu Grunde gegangen sein, während die Talgdrüse (un-
passend auch als Haarbalgdrüse bezeichnet) sich forterhält. Wie die
Haare erscheinen die Talgdrüsen an verschiedenen Körperstellen zu
verschiedener Zeit, zuerst an der Stirn und den Augenbrauen, zuletzt
am Ende des 5. Schwangerschaftsmonates auch an den Extremitäten.
Fig. 193
Fig. 194.
Fig. 193. Talgdrüsenanlage. Es sind nur die Teile der Haare und ihre
Wurzelscheiden, an denen die Talgdrüsen sich entwickeln, vom 6-monatlichen mensch-
lichen Foetus dargestellt. Vergr. 250. a Haar, b innere Wurzelscheide, hier mehr
der Hornschicht der Oberhaut gleichend, c äußere Wurzelscheide, d Talgdrüsen-
anlage, höckerförmig und ganz aus denselben Zellen gebildet wie die äußere Wurzel-
scheide. (Nach v. Kölliker, Entwickelung der Menschen. 1879. p. 796. Fig. 481 A.)
Fig. 194. Talgdrüsenanlage von einem 6-monatlichen menschlichen Foetus. Es
sind nur die Teile der Haare und Haarbälge, an denen die Talgdrüsen sich ent-
wickeln, dargestellt. Vergr. 250. a Haar, b innere Wurzelscheide, hier mehr der
Hornschicht der Epidermis gleichend, c äußere Wurzelscheide, d Talgdrüsenanlage,
flaschenförmig und mit Bildung von Fettkörnchen in den centralen Zellen. (Nach
v. Kölliker, Entwickel. d. Menschen. 1879. p. 796. Fig. 481 B.)
Korrespondierend mit der Entwickelung der Haarbälge werden sie
größer, mehr kugelförmig, wachsen in die Tiefe, neigen sich schräg
gegen die Achse des Haarbalges und werden birnförmig, wodurch der
spätere Ausführungsgang sich anlegt. In ihrer dicksten Partie haben
sie bis zu 0,0112 mm Durchmesser; ihre Zellen sind mit Ausnahme
der tiefsten Schicht nach öfteren Teilungen rundlich-polyedrisch geworden.
Während anfangs die Zellen in der Talgdrüse ganz denjenigen
der äußeren Wurzelscheide gleichen, entstehen jetzt im Centrum der
Drüse, in einer centralen Zellengruppe zahlreiche feine Fettkörnchen
(Fig. 194). Letztere bilden sich zuerst in der Tiefe der Drüse, dann
auch im späteren Ausführungsgange derselben, und diese Zellen ge-
langen in die Höhlung des Haarbalges, nämlich unmittelbar an das
316 W. Krause,
Haar heran, welches sie bei ihrem Zerfall einfetten, womit der Beginn
der Hauttalgsekretion gegeben ist.
Im 6. Schwangerschaftsmonat treten weitere Anlagen von der
äußeren Wurzelscheide aus zu den schon vorhandenen hinzu, so daß
ein kleiner Kranz von Talgdrüsen um jeden Haarbalg entstellt. Auch
entwickeln sich seitliche Ausstülpungen an der anfangs nur aus einem
Hohlraum und dem Ausführungsgange bestehenden Drüse, indem sich,
wie es scheint, unter Beteiligung des wachsenden Coriuingewebes, das
die hervorsprossende Zellenmasse einschnürt, allmählich eine acinöse
Drüse mit vielen Drüsenbläschen entwickelt. Die später gebildeten
Acini sprossen meist aus den anfänglich gebildeten hervor. Beim
7-monatlichen Foetus sind die meisten Drüsen noch einfach gestielte
Schläuche von 0,009—0,0135 mm Länge auf 0,0045— 0,0068 mm Breite;
am äußeren Ohr und an der Nase giebt es noch einfache Drüsen-
schläuche, an letzterer auch kleine von nur 0,0022 mm Durchmesser.
Talgdrüsen im roten Lippenrande sind bei Erwachsenen
konstant, fehlen aber dem Neugeborenen und entwickeln sich erst bei
Kindern von 12 — 16 Jahren; sie nehmen an Zahl und Größe bis zur
Pubertät zu, enthalten anfangs hier und da rudimentäre Härchen, die
später ausfallen ; die Drüsen sind stärker entwickelt an der Oberlippe,
als an der Unterlippe, zahlreicher bei Männern als bei Frauen. Alles
dies weist darauf hin, daß diese Drüseneutwickelung sich mit der Schnurr-
bartentwickelung zusammenstellen läßt. Näheres ist über die erstere nicht
bekannt, es ist jedoch sicher, daß manche Drüsen auf einfacher Ent-
wickelungsstufe stehen bleiben und nur einen einzigen Acinus aufweisen.
Solche sind durchaus nicht pathologisch oder etwa atrophische Formen.
Säugetiere. Bei diesen Tieren verhält sich die Sache im wesent-
lichen wie beim Menschen. Beim Igel (Erinaceus europaeus) fand
Sprenger (1898) als erste Anlage der zu den späteren Stacheln
gehörenden Talgdrüsen an Foetus von 2 cm Körperlänge leichte seit-
liche Ausbuchtungen in der Mitte der Länge des Epidermiszapfens,
welcher zu dieser Zeit die Anlage der Igelstacheln bildet. Dasselbe
gilt übrigens auch für die Anlage der Talgdrüsen an den Haaren des
Igels. Jede solche Anlage wird von einer einfachen Lage cylindrischer
Zellen an ihrer Wand ausgekleidet. Im übrigen besteht sie aus poly-
edrischen rundlichen Zellen des Stratum germinativum und verhält sich
ganz wie die übrige Stachelanlage. Die Talgdrüsenanlagen nehmen
nach und nach an Größe zu, die flachen Ausbuchtungen des Balges
werden kugelförmig oder birnförmig und neigen sich schräg gegen die
Längsachse des Balges, wobei die Einmündungsstelle in letzteren gegen
die Oberfläche der Cutis gerichtet ist. Zugleich vergrößern sich die
centralen Zellen in der Ausbuchtung, zeigen Fetttröpfchen in ihrem
Inneren und werden nach und nach gelblich. Diese Verfettung be-
ginnt am Grunde der Ausbuchtung und schreitet gegen den Stachel-
balg hinfort, was nach Marks (1895) sich umgekehrt verhalten sollte.
Später treiben die schlauchförmig gewordenen Drüsenanlagen seitliche
Sprossen, die von den peripheren Zellen ausgehen und zu Acini werden.
Letztere machen jeder für sich dieselbe fettige Metamorphose ihrer
centralen Zellen durch, wie ursprünglich die Anlage der ganzen
Talgdrüse.
'O^
Mammarorgane.
Die erste Anlage der Mammarorgane tritt als eine breite, flache
Verdickung der Epidermis an der lateralen Bauchwand auf, dies ist
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
317
der Milch streifen. Später bildet sich innerhalb des Milchstreifens
eine leistenlormige Verdickimg, die aus einein verdickten Bindegewebs-
polster besteht, das von zwei Furchen begleitet wird, welche die Epi-
dermisverdickung seitlich begrenzen. Somit hat sich durch Anteil-
nahme des Corium aus dem Milchstreifeu eine Milch leiste oder
Milchlinie herausgebildet,
die Milchleiste sekundär
entstanden, wenngleich
Hugo Schmidt (1896)
das Gegenteil annahm.
Noch später sondert sich
die Milchleiste in Milch-
punkte (Fig. 195) oder
Milchhügel, indem zap-
fenförmige Verlänge-
rungen der Epidermis
in die Tiefe dringen ;
jeder Milchpunkt ent-
spricht einem späteren
Mammarorgan, aber nicht
jeder Milchpunkt gelangt
zu einer definitiven Ent-
wickelung.
Jedenfalls ist der Milchstreifen das Primäre,
• :. '■.-.
az
- « * * . -.•-•■ . . • <• ' ' -
•» ► .*
•Vi*
Fig. 195. Milchpunkt eines 15 mm langen
Schweinsfoetus auf dem senkrechten Durchschnitt.
uz beginnende Areolarzone. Vergr. etwa 100. (Nach
Profe, 1898. Taf. XXI. Fig. 6.)
Die erwähnten Aus-
drücke : Milchstreifen, Milchleiste, Milchlinie u. s. w. werden übrigens
von mehreren Autoren in verschiedenem Sinne gebraucht. Abweichend
von der erörterten Anschauung hält Klaatsch (1893) die Milchleiste
für eine sekundäre Bildung, die aus den primär vorhandenen Milch-
hügeln zusammengeflossen sei. Letztere w7ären Anlagen von Mam-
martaschen und die Milchleiste selbst das Rudiment eines Beutels, wie
der der Beuteltiere, bei Placentaliern : die Milchleiste soll als Mar-
supialleiste bezeichnet werden. Diese Annahmen sind von Breslau
m
Fig. 196. Fig. 197.
Fig. 196. Schema der Anlage der Rinderzitze nach Gegenbaur u. a. C Cutis-
wall. m Mammartasche (oder Strichkanal). <l Drüsenausführungsgänge. (Bonnet,
1898. p. 959. Fig. 4.)
Fig. 197. Schema der Anlage der Einderzitze nach Rein u. a. m Mammar-
taschenrest. C Cutiswall. h Hauptausführungsgang (Strichkanal), d Drüsenaus-
führungsgänge. (Nach Bonnet, 1898. p. 959. Fig. 4.)
318 W. Krause,
(1902*) acceptiert worden, doch hat Profe (1898) es für unnötig erklärt,
der Milchleiste eine tiefere phylogenetische Bedeutung zuzuschreiben.
Andererseits unterscheiden Gegenbaur (1872) und Huss (1872)
zwei Typen von Milchdrüsen. Bei den Wiederkäuern, Ein-
hufern und Cetaceen entstehen primäre Zitzen. Auf dem Boden des
die Zitze der Länge nach durchziehenden Ausführungsganges, der bei
den Wiederkäuern Strichkanal heißt (Fig. 19(5j, münden die
Milchgänge.
Ihre Mündungen befinden sich in einem Areal, das dem Drüsen-
felde entspricht. Letzteres ist eine Epithelialbildung. Ursprünglich
bildet sich eine kleine knopfartige Epidermis Wucherung, diese stülpt
sich in die Cutis kolbenförmig ein, auf ihrer freien Oberfläche ent-
stellt eine kleine Grube und ringsherum ein Cutiswall, nämlich eine
ringförmige Erhebung des Corium nebst der Epidermis. Von der
Basis der Epidermisverdickung wachsen die Drüsenanlagen in Form
sich verästelnder solider Epithelstränge in die Tiefe. Sie heißen
Epithelsprossen und die ganze Anlage das Drüsenfeld.
Bei den genannten Säugetieren wächst nun der Cutiswall sehr
beträchtlich und bildet die Zitze, die einen einzigen Strichkanal ent-
hält, an dessen blindem Ende die Milchgänge münden. Beim Menschen
dagegen und vielen anderen Säugetieren hebt sich das Drüsenfeld
durch Wucherung seines Corium und kommt auf die Spitze einer
papillenförmigen Erhebung, der sekundären Zitze oder Papilla
manimae zu liegen (vergl. Fig. 197). Diese Anordnung findet sich
außer beim Menschen bei Affen, Prosimiern, Carnivoren, Edentaten,
Nagern, Dickhäutern und Sirenen.
Beim Känguruh ist anfangs eine Zitze wie die des Rindes, nur
viel niedriger, vorhanden. Bei dem säugenden Tiere aber wird sie
zu einer längeren, derjenigen des Menschen entsprechenden Zitze.
Das Schnabeltier (Ornithorhynchus paradoxus) besitzt nur ein flaches
Drüsenfeld, ohne Papille und von dunklerer Farbe ; diese Drüsen sind
tubulöse oder Knäueldrüsen und gehören nicht zu den Talgdrüsen.
Bei Echidna ist außer einem homologen Drüsenfelde die Anlage einer
paarigen Mammartasche (Brutbeutel, Haacke) vorhanden, die aber der
Marsupialtasche der Beuteltiere, welche unpaar ist und mehrere Junge
einschließt, nicht homolog ist. Der Strichkanal würde also einer
Mammartaschenhöhle entsprechen.
Auch Didelphys, die Murinen, Halmaturus haben nach Gegen-
baur (189s, p. 123) einen einzigen Kanal in der Zitze, der aber ein
echter Drüsenausfülirungskanal ist, aus Epidermissprossen entsteht und
dem Strichkanal nicht zu homologisieren ist.
Gegenbaur und seine Nachfolger unterscheiden also zwei wesent-
lich verschiedene Typen der Milchdrüsenentwickelung, die durch das
Rind und den Menschen repräsentiert werden. Beim Rinde münden
die Milchgänge an der Basis des Strichkanales, welcher in der Achse
der Zitze gelegen ist. Die Wand dieses Kanales wird vom Drüsen-
wall oder der Mammartasche geliefert. Der Areola, soweit von einer
solchen die Rede sein kann, entspricht die innere Oberfläche des
Strichkanales, oder sie liegt am Boden des letzteren.
Beim Menschen dagegen münden die Milchgänge auf der Spitze
der Brustwarze (vergl. Fig. 197), ein Homologon des Strichkanales
existiert nur als zeitweilige Vertiefung des Drüsenfeldes im siebenten
Schwangerschaftsmonat. auch der Drüsenwall besteht nur zeitweise,
und es ist eine Areola vorhanden. Beim Menschen schwindet also die
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane.
319
Mammartaschenanlage nach kurzem Bestehen, während sie beim Rinde
sich in ganzer Ausdehnung als Cisterne und Strichkanal erhält. Beide
Extreme sind durch alle möglichen Zwischenformen, wie sie bei Säuge-
tieren vorkommen, untereinander verbunden.
Sehr viel einfacher als bei der Annahme von zwei Typen gestaltet
sich die Sache nach der Anschauung von Rein (1882), der unter
Waldeyer's Leitung arbeitete. Zuerst entsteht eine knopfförmige
Epithelverdickung, die primäre Epithelanlage (Fig. 195, 199),
Fig. 198. Primitiv-
zitze eines Schweins-
foetus von 65 mm Kör-
perlänge auf dem senk-
rechten Durchschnitt.
Vergr. etwa 100. ep
Epidermis, cw Corium-
wall. cz Lage cylindri-
scher Zellen, g Blutge-
fäße, mt sog. Mammar-
tasche. az Areolar-
zone. (Nach Profe,
1898. Tai XXI. Fig. 7.)
.ep
civ
. cz
'9
mt
Fig. 199. Linsenförmige erste
Anlage der Milchdrüse von einem
17 mm langen Kaninchenfoetus.
Vergr. 70. l Epidermishügel. 2 Cy-
linderzellenschicht. 3 Anlage der
Warzenzone. (Nach Nagel, 189t>.
p. 119. Fig. 63.)
treibt dann seitlich und in die
Tiefe dringende s e k u n d ä re
Epithelsprossen (Fig. 200,
201). Geht nun die ursprüng-
liche zapfenförmige Epitheleinsenkung (Fig. 198) unter Verhornung zu
Grunde, so entsteht ein Hohlraum, die Mammartaschenanlage
oder der Strichkanal. Bleibt die Einsenkung eine geringe, so münden
mehrere Milchgänge auf der Brustwarze nach außen. Letztere ent-
steht durch Wucherung eines Coriumanteiles der Warzenzone.
Rein (1882) sieht mithin in den oben nach Gegenbaur ange-
führten Thatsachen keineswegs specifische, sondern nur quantitative
Differenzen. Bei Wiederkäuern beginnt die Erhebung des Drüsen-
feldes früher als beim Menschen und geht in größerem Umfange vor
sich, so daß nicht mehr als ein quantitativer Unterschied vorliegt.
Abgesehen von diesen Differenzen kommt nach Geoenbaur (1886)
noch ein d iph yl e tis ch er Ursprung der Mammarorgane in Frage.
Die Mammarclrüsen der Mono tr einen haben nämlich tubulösen Bau
und gehen aus Schweißdrüsen, nicht Talgdrüsen hervor. Ihr Sekret kann
als ein fettiger Schweiß bezeichnet werden, der von den Jungen abgeleckt
wird. Die Drüsengänge teilen sich an ihrem blinden Ende in der Tiefe
oder verzweigen sich und bilden vielfache Windungen. Bei Echidna
wird ein Teil der Drüsenläppcken durch wenig gewundene Schläuche ge-
bildet, die allmählich zum Ausführungsgang zusammentreten ; bei diesem
Tiere ist der letztere weit in der Längsachse der Läppchen verfolgbar
320
W. Krause,
Die Drüsen der Monotremen können nicht ohne weiteres als Milchdrüsen
bezeichnet werden. Nennt man sie so, so sind letztere hiernach diffe-
renten, zunächst diphvletischen Ursprunges, der aber mit den oben ge-
schilderten Verschiedenheiten zwischen Mensch und Rind nichts zu
thun hat.
Wenn die Jungen von Echidna, wie behauptet wird, das Drüsenfeld
regelmäßig ablecken, so werden sie jedenfalls in dem fettigen Schweiß
Fig. 200. Zitze eines Schweinsfoetus von 16 cm Körperlänge. Vergr. etwa 100.
hp Pfropf verhornter Epidermiszellen in der Achse der Anlage, cw Coriumwall.
<j Blutgefäß, az Areolarzone. sp seitlich auswachsende Epithelsprosse, hr Haar-
anlage. (Nach Profe, 1898. Tai XXI. Fig. 9.) Vergl. die Mammartaschenanlaee
in Fig. 202.
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Fig. 201. Anlage der
Milchdrüse bei einem 25 cm
langen menschlichen Foe-
tus. Vergr. 70. 1 Anlage
des Stroma mit durch-
schnittenen Blutgefäßen.
Die Epidermiswucherung
zeigt mehrere sekundäre
Ausläufer oder Sprossen.
(Nach Nagel, 1896. p.
120. Fig. 65.)
nicht viel brauchbare Nahrung erhalten. Die phylogenetische Ableitung
der Mamma von Schweißdrüsen steht mithin auf schwachen Füßen. Nach
Klaatsch (1892) besitzen übrigens auch das Schaf und Antilope cer-
vicapra eine Anzahl tiefer gelegener Mammartaschenclrüsen, die von
tubulösen Hautdrüsen sich ableiten sollen. Nach Untersuchungen an
Didelphis marsupialis L. kam Bresslau (1902) zu viel weitergehenden
Schlüssen. Die Mammartaschen von Echidna und die Marsupialtaschen
von Beuteltieren sind einander homolog und liefern den Beutel. Ein
diphyletischer Ursprung der Mammarorgane nach Gegenbaur ist nicht
mehr anzunehmen ; wie die Mammarorgane der Beuteltiere sollen dieselben
bei allen Säugern aus Schweißdrüsen entstehen. Jedoch hat die ausge-
bildete Drüse nur bei den Monotremen einen tubulösen Bau. Mag
dem sein, wie ihm will, jedenfalls zeigen die Gl. areolares in der Um-
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 321
gebung der menschlichen Brustwarze, die aus der Mammartasche ent-
stehen und accessorische Milchdrüsen sind, durchaus den Bau von Tale-
drüsen, nicht von Schweißdrüsen.
Es sind nun die Verhältnisse bei den einzelnen Säugergattungen
specieller durchzugehen, im wesentlichen lauten die Untersuchungen
übereinstimmend.
Mensch. Zur Zeit sind die Befunde an ganz jungen mensch-
lichen Embryonen noch so sparsam, daß es erforderlich erscheint,
sie einzeln zu diskutieren.
Die ersten Anfänge einer Milchdrüsenanlage konnte Strahl (1898)
bereits bei einem menschlichen Embryo von 3 mm Körperlänge nach-
weisen. Man muß auch beim Menschen zwischen Milchstreifen und Milch-
leiste unterscheiden. Ersterer ist eine breite, lange, niedrige, nicht über
die Epidermisoberfläche hervorragende Ektodermverdickung. Innerhalb
dieses Milchstreifens bildet sich später eine kürzere, aber dickere An-
schwellung, die Milchleiste. Der Milchstreifen ist bei Embryonen von ca.
7 mm Körperlänge deutlich ausgebildet, am meisten an den Ursprungs-
stellen der oberen und unteren Extremität ; an den dazwischen gelegenen
Partien ist er noch sehr niedrig. Beim Embryo von 8 mm Länge er-
reicht der Milchstreifen seine stärkste Ausbildung und erstreckt sich von
der Achselgrube bis zur Inguinalregion. Innerhalb des cranialen Endes
des Milchstreifens entsteht dann die Milchleiste. Bei Embryonen von
14 — 15 mm Körperlänge zeigt sich der Milchstreifen neben. der Wurzel
der Anlage der oberen Extremität und als Fortsetzung derselben, bis in
die Inguinalregion reichend. Der Milchstreifen beginnt alsdann sich
zurückzubilden, indem in seiner Mitte die relativ hohen Zellen sich ab-
platten und den Epidermiszellen der benachbarten Körperabschnitte ähn-
lich werden. So geschieht beim Menschen (wie auch bei Säugetieren)
eine Zerlegung des Milchstreifens in eine beim Menschen geringere An-
zahl von Teilen. Nur der craniale Abschnitt des Milchstreifens bleibt
in der Anlage der Milchleiste erhalten und entwickelt sich zur Milch-
drüse, der größte Teil des Streifens verschwindet später unter Abplattung
seiner Zellen, wogegen bei Säugetieren während der Reduktion des ersteren
sich mehrere Drüsenanlagen, Milchpunkte herausbilden.
Auch Hirschland (1898) hatte einen 4 mm langen menschlichen Em-
bryo zur Verfügung. Caudalwärts von der Gegend des Herzens sowie
von der eben hervorsprossenden stummeiförmigen Anlage der oberen
Extremität fand sich eine breite Verdickung der Epidermis an der seit-
lichen Leibeswand des Embryo, die cranialwärts ohne scharfe Grenze
auslief und caudalwärts etwas abgeflacht zur Medianebene zu verfolgen
war. Nahe an der Ansatzstelle der unteren Extremität erfährt das Ekto-
derm wieder eine bedeutende Verdickung. Die geschilderten Verdick-
ungen stellen die erste Anlage des Milchstreifens dar, worin sich später
die Milchleiste ausbildet.
Bei einem 6,75 mm langen menschlichen Embryo beginnt nämlich
die letztere nahe caudalwärts vom Ansatz der oberen Extremität als
eine von zwei Furchen begleitete Erhebung der seitlichen Leibeswand,
welche von etwas dickerer Epidermis überkleidet wird. Letztere liegt auf
einem verdickten Bindegewebspolster, das caudalwärts allmählich abnimmt,
so daß die Furchen verstreichen; zugleich verdünnt sich die benachbarte
Epidermis. In den mittleren Abschnitten seiner Länge enthält die Epi-
dermis des Milchstreifeus bei einem 8 mm langen Embryo etwa 4 Zellen-
Hanribuoh der Entwickelungslehre. II. 1. 21
• )
322 W. Krause,
kerne übereinander; caudalwärts verschmälert sich die Anlage zu einem
an der Seitenwand des Embryonalkörpers liegenden Streifen. Letzterer
läßt sich bis in die Gegend des Ansatzes der unteren Extremität ver-
folgen, wobei derselbe sich verbreitert, mehr ventralwärts wendet und
schließlich in eine allgemeine Epidermisverdickung der Leibeswand aus-
läuft.
Eine etwas andere Auffassung rührt von Heinrich Schmitt (1898)
her. Erst bei einem Embryo von 9 mm Körperlänge fand dieser Forscher
die erste Anlage der Milchdrüse. Auf solcher, nach Schmitt allerfrühesten
Entwickelungsstufe ist die Anlage hiigelförmig oder flach-linsenförmig ge-
staltet. Eine Areolarwucherung ist nicht angedeutet. In Stadien, welche
dem von Kallius (s. unten) beschriebenen entsprechen, war eine unbe-
deutende Areolarwucherung vorhanden, und die Milchdrüsenanlage lag
auf einer Erhebung des Corium : bei noch älteren Stadien war diese Er-
hebung nicht konstant. Schmitt glaubt mit sehr großer Wahrscheinlich-
keit annehmen zu dürfen, daß beim Menschen nur eine pectorale Milchleiste
besteht. Den Hugo ScHMiDT'schen Milchstreifen fand Schmitt teilweise
schon bei jüngeren Embryonen, welche das von Kallius erörterte Stadium
der Milchdrüsenentwickelung zeigen, und hält es für wahrscheinlich, daß der
Streifen Beziehungen zur Milchdrüsenanlage und den überzähligen Mammar-
organen Erwachsener besitzt. Die individuellen Schwankungen in der
Ausbildung der Milchdrüse sind recht groß. Die von Hugo Schmidt so
benannten hyperthelialen Gebilde fanden sich bereits bei jüngeren Em-
bryonen, doch kommen sie nicht in der Inguinal- und seitlichen Bauch-
gegend vor. Als wirkliche überzählige Milchdrüsenanlagen kann man
wohl nur einen Teil dieser Epithel Wucherungen auffassen, es kann aber
sein, daß auch die übrigen mit der Mammaranlage in Beziehung stehen.
Kallius (1897) hingegen sah bei einem 15 mm langen, 30 — 34
Tage alten menschlichen Embryo eine etwa 1,5 mm lange Milchleiste.
Sie beginnt 0,25 — 0,5 mm unterhalb der Anlage der oberen Extremität,
setzt sich in der Axillarlinie caudalwärts ca. 1,5 mm weit geradlinig
fort. Sie war jederseits etwa 0,2 mm hoch und 0,3 mm breit. Das
craniale Ende dieser Milchleiste bestand mikroskopisch aus einer Ver-
dickung der Epidermis, die tiefste Schicht dagegen aus cylindrischen
Zellen, während die Oberfläche des Corium eben ist. Weiter caudal-
wärts nimmt die Epidermisverdickung zu, die Dicke der ganzen Milch-
leiste ändert sich aber nicht, und dies kommt dadurch zu stände, daß
eine entsprechende Einsenkung in die Coriumoberfläche stattfindet. Auch
der Mensch besitzt also in frühester Zeit eine gerade und relativ lange
Milchleiste, homolog derjenigen von Säugetieren, die aber schnell wieder
verschwindet. Nur das craniale Ende, woselbst die Coriumeinsenkung
sich befindet , stellt einen Milchhügel oder eine primitive Zitze dar, diese
linsenförmige, in das Corium eingesenkte Anlage persistiert, der übrige
Teil der Milchleiste bildet sich zurück und verschwindet in der Norm ;
übrigens ist die zu Grunde gehende Partie größtenteils caudalwärts von
dem Milchhügel gelegen.
Nach Hikschland (1898) hingegen trat erst bei einem menschlichen
Embryo von 26 mm Körperlänge die Milchdrüsenlage als eine kurze,
gedrungene, cirkumskripte Verdickung der Epidermis auf. Die äußersten
Zellen derselben sind radiär gegen das umgebende Bindegewebe gestellt,
letzteres ist verdichtet. Diese zapfenförmige Anlage kann als Milchpunkt
bezeichnet werden ; solche werden auch für etwaige überzählige acces-
sorische Mammae sekundär an anderen Stellen des Milchstreifens an-
gelegt.
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 323
Die Anlagen der Milchpunkte sind ursprünglich mehr spindelförmig,
bald aber beginnt eine Resorption der Milchleiste zwischen ihnen, wobei
die in der Richtung der letzteren länglich-spindelförmigen Anlagen sich
abrunden (Nagel, 1896).
Die Bildung der Milchdrüse selbst gehört der weitereu Ent-
wickelung an. Die Zone der Brustwarze nimmt an Dicke noch zu,
gleichzeitig treibt aber der Epithelzapfen Sprossen in die Tiefe, in das
Stromalager hinein. Diese Sprossen sind anfangs solide, später werden
sie hohl, und zwar von der Tiefe aus nach der Peripherie hin ; sie
stellen die Ausführungsgänge der Milchdrüse dar. Im Anfange sind
sie mehr cylindrisch, nachher kolbenförmig, und schließlich werden ihre
Enden unter Teilungen zu Acini, die ganz solide sind und im Gegen-
satz zu den Milchgängen kein Lumen besitzen. Im 7. Monat der
Schwangerschaft erfolgt nach Rein (1882) im Centrum der Anlage
eine Verhorn im g und Abstoßung von Epithelzellen, wodurch dieses
ursprünglich vorgewölbte Centrum abgeflacht und ausgehöhlt wird.
Indem nun während der folgenden Entwickelungsperiode die so-
liden Sprossen weiter wachsen, seitliche Verzweigungen oder sekundäre
Sprossen in das Stroma hineintreiben, entstehen die Acini und Milch-
gänge, wie sie sich beim neugeborenen Kinde finden. Die Ductus lactiferi
zeigen nahe an ihrer Ausmündung bereits eine erweiterte Stelle, den
Sinus lactiferus. Das Epithel der Gänge ist zweischichtig, inwendig-
bestellt es aus Cylinderzellen ; die der Wandung des Ganges ansitzende
Schicht führt kubische Zellen. In den der Oberfläche zunächst ge-
legenen Teilen der Milchgänge, sowie an deren blinden Enden in der
Tiefe bleibt jedoch das Epithel mehrschichtig. Eine Anzahl sekundärer
Sprossen gehört jedesmal zu je einem Milchgang, erstere werden von
ihren Nachbargruppen durch Stromagewebe getrennt, und so bilden
sich die einzelnen Lappen der Milchdrüse. Fettzellen entstehen zuerst
an der Basis der Mamma, später auch an deren Peripherie.
Erst während der beiden letzten Schwangerschaftsmonate bildet sich
die Brustwarze. Sie entsteht durch Erhebung des centralen Teiles
der Warzenzone aus der Mammartasche heraus. Jedoch können diese
Vorgänge bis nach der Geburt sich verzögern; die Ausführungsgäuge
münden, wie gesagt, unter subcutanen Erweiterungen, auf der Spitze
der Papilla mammae.
Im Bereich der Areola entwickeln sich Netze zahlreicher Bündel
von glatten Muskelfasern, der M. subareolaris von Sappey (1879).
Während des 1. Lebensjahres erhebt sich allmählich das frühere
Drüsenfeld unter Entwickelung seines Bindegewebes und seiner Muskel-
faserzüge zur Papilla mammae.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern läßt
sich bis zur Geburt in der Entwickelung der Mamma nicht nach-
weisen ; die Differenzen gehören späteren Lebensperioden an.
Säugetiere. Was die Säugetiere anlangt, so erstrecken sich
die Untersuchungen von Rein (1882)) hauptsächlich auf das Kaninchen
und Pferd, außerdem auf das Rind. Schwein, den Hund, die Katze,
den Maulwurf, Igel, das Meerschweinchen, die Ratte, Maus, Didelphys
und das Känguruh. Hier sind zunächst die Ungulaten zu besprechen.
Perissodactyden. Die Zitze der erwachsenen Solipeden hat
2 (oder 3) Ausführungsgänge und nach Gegenbaur (1872) ent-
spricht die Zitze des Pferdes je 2 Zitzen des Rindes, die schon
21*
;;24 W. Krause,
frühzeitig nahe aneinander gerückt und von einein gemeinsamen Cutis-
wall umgeben sind. Beide Ausführungsgänge würden primäre Epithel-
sprossen und persistierende Mammartaschen repräsentieren. Im Gegen-
satz dazu fand Rein bei 13 cm langen Pferdefoetus eine einzige
primäre Anlage, von welcher 2 deutliche kolbenförmige Sprossen in
die Cutis sich einsenken. Die Zitze des Pferdes ist also der des
Menschen und der Carnivoren u. s. w. homolog.
Zwei Pferdefoetus von 9,5 und 22 cm Körperlänge hat Clara Ham-
burger (1900) untersucht. Bei dem jüngeren fanden sich elliptische Riug-
wälle als Anlage der Zitzen, die sich über das Niveau der Cutis er-
heben. Sie werden durch Vermehrung der Zellen des Corium hervor-
gerufen, und diese Wucherung umgiebt zwei Einstülpungen des Stratum
germinativum, die sich in das Corium hineinsenken. Dies sind nach
Hamburger die beiden Mammartaschen. Am äußeren Rande einer
jeden tritt bereits ein beinahe kugeliges, solides Gebilde auf, welches
die Anlage einer Talgdrüse darstellt. Die Epidermiseinstülpung selbst
zeigt in ihrer tiefsten Zellenlage Cylinderzellen, und von der Tiefe der
Einstülpung wachsen Epithelsprossen in das Corium. welche von der
Mammartasche sich abgrenzen, die Zone des areolären Bindegewebes
durchbrechen und in das tiefere Bindegewebe hineinwachsen. In einem
späteren Stadium, nämlich bei einem Foetus von 22 cm Körperlänge,
zeigen sich die Anlagen der Talgdrüsen schon deutlicher als solche ; in
dem nach außen gekehrten Teil des Ausführungsganges, den Hamburger
für einen Rest der Mammartasche hält, steckt ein Pfropf verhornter
Epidermiszellen, und so weit wie letztere reicht auch die Cylinderform
der tiefsten Zellenlage in die Tiefe. Die Zitze selbst erscheint als
rundlicher Hügel, auf dessen Oberfläche die Mündungen der beiden
Ausführungsgänge angedeutet sind. Hiernach sah sich Hamburger
veranlaßt, der Ansicht von Rein entgegenzutreten. Letzterer erklärte,
wie gesagt, in einfacher Weise die Epitheleinstülpungen für die erste
Anlage der Milchdrüse; sie geheu von einer einzigen Primäranlage
aus, die einer Mammartasche gleichwertig ist. Mit Gegenbaur u. a.
zieht Hamburger die Annahme von 2 Mammartaschen vor, die
successive näher aneinander rücken und schließlich, von einem ge-
meinsamen Cutiswall umgeben, eine einzige Zitze bilden. Was aber
Rein primäre Epithelsprossen nennt, sind für Hamburger sekundäre.
Wie man sieht, handelt es sich weniger um verschiedene That-
sachen der Beobachtung, als um deren Deutung, denn das Auftreten
von zwei Einstülpungen wird allseitig anerkannt. Es fragt sich eben,
ob jene beiden Einstülpungen als Mammartaschen zu homologisieren
sind oder nicht.
Nun haben aber nach Schwalbe (1898) die sogenannten Mammar-
taschen der Huftiere nichts mit den Milchdrüsen zu thun. Letztere
und die Inguinal gruben sind ganz verschiedene Bildungen, und diese
Gruben sind keineswegs der Mammartasche von Ornithorhynchus oder
dem Drüsenfeld von Echidna zu parallelisieren.
Esel. Die Zitze der Eselin hat nach Hamburger (1900) beim
11 cm und 28 cm langen Foetus zwei, nicht aber, wie gewöhnlich
angegeben wird, drei Ausführungsgänge. Die Verhältnisse sind sonst
ganz ähnlich wie beim Pferde, und auch bei dem längeren Foetus
waren noch die Reste von zwei Mammartaschen nachweisbar. Die
Zitze der Solipeden entspricht also zwei dicht aneinander gerückten
Zitzen des Rindes. Erstere gehört nach Hamburger in eine Ent-
Die Entwickelunff der Haut und ihrer Nebenorojane. 325
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wickelungsreihe, die vom Schwein, Rind, Pferd zum Menschen auf-
steigt. Beim Schwein (Fig. 198) bildet die Mammartasche das kurze
Mündungsstück der Ausführungsgänge; beim Rind schwindet sie durch
Abflachung nahezu vollständig, und beim Menschen stülpt sich der
Grund der Mammartasche nach außen und wird so ein Teil der Brust-
warzenoberfläche, während beim Pferd und Esel die Zitze allmählich
ganz und gar verstreicht.
Artiodactylen. Beim Schwein bleibt nach Profe (1898)
die Mammartasche in Gestalt des sehr kurzen gemeinschaftlichen
Mündungsstückes der 2 oder 3 Ausführungsgänge bestehen. Zwischen
Schwein und Mensch steht das Rind in der Mitte, bei welchem die
Mammartasche durch Abflachung beinahe ganz verschwindet. Profe
fand beim Schwein an 160 Embryonen eine bedeutende Ueberzahl von
Anlagen foetaler Zitzen im Vergleich zum erwachsenen Tiere. Es läßt
sich darin eine von der Brustgegend caudalwärts fortschreitende
Reduktion der Zahl der ersteren erkennen.
Rind. Hier bestätigte Profe (1898) den von Burkhardt
(1897) bei diesem Tier entdeckten Milchstreifen, und zwar fand ihn
Profe schon bei Rindsembryonen von 2,5 cm Körperlänge. Aus dem
späteren leistenförmigen Reste des Streifens , der Milchleiste, leitet
sich die Entstehung der Milchdrüsen ab. Der Milchstreifen ist nur
eine Epithelverdickung, keine Cutiseinstülpung, wie die Marsupialtasche;
auch bleibt keine, mit einer großen centralen Höhlung ausgestattete
Mammartasche beim Rinde bestehen. Vielmehr ist nach Rein, wie
gesagt der Boden (Sinus oder Cisterne) des Strichkauales nicht Mammar-
taschengrund, sondern das kolbig verdickte, mit weitem Lumen versehene
Ende des von der später rückgebildeten zapfenförmigen Anlage aus-
gegangenen Epithelsprosses. Dieser Epithelstrang ist auch nach Profe
Fig. 202. Primitivzitze eines 10,5 cm langen weiblichen Binderfoetus, auf dem
senkrechten Durchschnitt. Vergr. etwa 100. Die Anlage ist kolbenförmig, hp Pfropf
verhornter Epidermiszellen in der Achse der Anlage, cw Coriumwall. g Blutgefäß.
mt sog. Mammartasche. az Areolarzone. (Nach Profe, 1898. Taf. XXII. Fig. 16.;
326 W. Krause,
vom Boden der Mammartasche in die Tiefe gewuchert und hat die
Anlage der Drüse gebildet. Dies bestätigte ferner Tourneux (1892).
Es sind folglich zwei Phasen in der Entwickelung nach Profe
zu unterscheiden, die der Mammartaschenbildung (Fig. 202) und die
der Epithelsprossenbildung (Fig. 203) ; letztere Sprossen entstehen
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Fig. 203. Priniitivzitze eines 16 cm langen weiblichen Rinderfoetus, auf dem
senkrechten Durchschnitt. Vergr. etwa 100. Im Vergleich zu Fig. 202 ist die Zitze
in die Länge gewachsen, die Mammartasche abgeflacht, hp Pfropf von verhornten
Epidermiszellen in der Achse der Anlage, cw Coriumwall. az Areolarzone. g Blut-
gefäß, sp Epithelsprosse, die sich vom Grunde der Mammartasche in die Tiefe fort-
setzt. (Nach Profe, 1898. Taf. XXII. Fig. 17.)
durch Wucherung der Randzellenzone der Mammartasche. Die Sprossen-
bildung tritt beim Rind (und beim Schwein) gleichzeitig mit den Haar-
anlagen auf. Der Strichkanal entwickelt sich aus dem geschilderten
(nach Rein sekundären) Epithelsproß und ist gleichwertig einem der
Milchausführungsgänge des Schweines oder Menschen. Die Mammar-
tasche des Rindes flacht sich schließlich bis zu völligem Verstreichen ab.
Schaf. Nach Profe (1898) ist die Inguinaltasche des Schafes ein
lateralwärts von dem Milchstreifen auftretendes rudimentäres Marsupiuni,
(Beuteltasche, Brutbeutel, Profe) und die Mammartasche davon ganz
verschieden. Klaatsch (1892) betrachtet dagegen die Inguinaltaschen
des Schafes, sowie einiger Antilopen ebenfalls als persistierende Mammar-
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 327
tasclien, die jedoch nach Schwalbe (1898), wie gesagt, mit der
Mammartaschenbildung gar nichts zu thun haben.
Carnivoren. Bei der Katze sah Schickele (1899), daß die
Milchstreifen beider Seiten sowohl cranialwärts als caudalwärts
konvergieren. Hieraus resultiert dann später eine Anordnung der
Milchdrüsen zu einer cranialen Brustdrüsengruppe und einer caudaleu
Leistendrüsengruppe, zwischen denen ein bedeutender Abstand sich
herausbildet.
Roden tia. Bei Embryonen von der Maus, Ratte und des
Kaninchens fand Schickele (1899) die Verhältnisse ebenso wie bei
der eben erwähnten Katze, was die Sonderung der Milchdrüsenanlagen
in zwei Gruppen, eine craniale und eine caudale, betrifft.
Ratte. Die ersten Anzeichen eines Milchstreifens bei der Ratte
(Mus decumanus) sah Henneberg, der ca. 40 Embryonen unter-
suchte, beim 11-tägigen Embryo in Gestalt einiger größerer kubischer
Zellen an der dorsalen Grenze der Seitenwandzone des Rumpfes. Der
Milchstreifen dehnt sich allmählich ventralwärts aus und i«t bei 13-
tägigen Embryonen bereits zweischichtig geworden. Sehr wenig später
tritt im Bereich des Milchstreifens eine Milchleiste auf, von welcher
sich ventralwärts noch ein Rest des Milchstreifens erstreckt. Die
Milchleiste liegt in ihrer ganzen Ausdehnung auf der Extremitäten-
leiste, sie beginnt in der Achselhöhle und endigt dorsalwärts von der
hinteren Extremität. Eine Fortsetzung in die Inguinalgegend konnte
Henneberg nicht konstatieren. Bei 14-tägigen Embryonen sondern
sich die drei pectoralen und der proximale der drei abdominalen Milch-
punkte, und zwar wird der am meisten cranialwärts gelegene von den
pectoralen zuerst selbständig. Die beiden inguinalen Milchpunkte
treten später auf als die übrigen und unabhängig von der Milchleiste ;
jedoch sind die ersteren kurze Zeit bei W/g-tägigen Embryonen durch
eine leistenähnliche Verdickung der Epidermis verbunden. Während
bei 14— 15-tägigen Embryonen die übrigen Anlagen bereits zapfen-
förmig geworden sind, verharren die beiden inguinalen Anlagen noch
auf der Stufe des Milchpunktes oder Milchhügels. Allmählich rücken
alle Anlagen ventralwärts und halten bei 15-tägigen Embryonen ihre
bleibende Lage erlangt, während der Milchstreifen verschwunden ist.
Bei 16-tägigen Embryonen haben sämtliche Milchdrüsenanlagen das
kolbenförmige Stadium erreicht.
C e t a c e e n. Die erste Anlage des Mammarorganes der Delphine
fand Guldberg (1899) bei einem 18 mm langen Foetus von Phocaena
communis. Eine sanfte, schwach konvexe, auf einer unbedeutenden
Wucherung des Corium gelegene Epithelverdickung befindet sich
zwischen den Anlagen der äußeren Geschlechtsorgane und des Rudi-
mentes einer distalen Extremität; sie wird von beiden durch eine mehr
oder weniger tiefe Einsenkung oder Furche geschieden. Bei einem 26 mm
langen Foetus von Delphinus acutus Gray war dagegen schon eine
länglich rundliche Epidermiseinstülpung in das Corium hinein vor-
handen, sie verlief in schräger Richtung cranialwärts in die Tiefe.
Weitere Entwickelungsstadien von Delphinen, namentlich bei einem
64 mm langen Foetus von Monodon monoceros hat Kükenthal (1893,
1895) beschrieben, worauf hier verwiesen werden muß.
M o n o t r e m e n. Die Vergleichung der Mammarorgane dieser
primitiven Säugetiergruppe mit den übrigen wurde bereits oben (p. 319)
328 W. Krause,
erörtert. Bei letzteren wird nach Gegenbaur (1886) der Milchpunkt
zur Mammartaschenanlage, der Boden derselben ist das Drüsenfeld
von Echidna, welches, wie oben erwähnt, dem Grunde des Strich-
kanales beim Rinde und der Brustwarze des Menschen entspricht.
Semon (1899) nimmt seine frühere Angabe von der ursprünglich
paarigen Beutelanlage bei Echidna zurück. Im Vergleich dieses
Mammarapparates mit dem von Ornithorhynehus ist derjenige des
letztgenannten Tieres als rückgebildet und abgeändert aufzufassen.
Ein Brutbeutel existiert weder auf der Höhe der Lactation, noch wenn
die Eier in der Tuba eben befruchtet waren. Breslau (1902) hat
19 Exemplare von DidelpMs marsupialis untersucht, die von 1 — 9 cm
Körperlänge hatten.
Nerven der Haut.
Die Entwicklung der Hautnerven selbst ist hauptsächlich an
Batrachierlarven untersucht worden, da sie ein vortreffliches und leicht
zugängliches Objekt für die Beobachtung darbieten.
Anuren. In den eben hervorsprossenden Schwänzen von
Batrachierlarven bestehen nach Hensen (1864, 1868) die Nerven-
bündel anfangs aus marklosen, aber glänzenden, feinen Nervenfasern
ohne Kerne oder Scheiden ; diese Fasern teilen sich dichotomisch.
Später treten im Inneren der Bündel Kerne auf, die sich nach und
nach auch an den Aesten und bis zu den letzten Enden hin erstrecken.
Sie gehören amöboiden Zellen an , welche sich an die Nervenbündel
anlegen und sie umscheiden. Die Kerne teilen sich nach v. Kölliker
(1886) auf dem Wege der Karyomitose.
Ob die Scheiden an den Verzweigungen der Nervenbündel allmählich
distalwärts sich verschieben oder ob sie an Ort und Stelle an den-
selben entstehen, ist nicht sichergestellt.
Die weitere Entwickelung der Hautnerven ist schon vor langer
Zeit von v. Kölliker (1846) im Schwanz der Froschlarven studiert
worden. Die doppeltkonturierten Nervenfasern gehen in blasse, ver-
ästelte Endfasern über, erstere sind aus den spinalen Ganglienzellen
hervorgewachsen, letztere entstehen aus spindelförmigen Zellen des
Mesenchym (v. Kölliker, 1860, p. 537. Fig. 166). (Auch Harrison
(1899) kommt nach neuen Untersuchungen am Lachs (Salmo
salar) zu dem Resultat, daß die Achsencylinder Ausläufer von Ganglien-
zellen sind und keineswegs aus Zellenketten hervorgehen.) Die ver-
ästelten und anastomosierenden Endfasern sind bis 0,003 — 0,004 mm
dick, viele aber außerordentlich fein. Sie sind nicht als freie Achsen-
cylinder aufzufassen, indem sich vom benachbarten Mesenchym aus
spindelförmige oder sternförmige Bindegewebszellen von Strecke zu
Strecke an die Endfasern anlegen und dieselbe umscheiden, sie auch
mit ihren Ausläufern begleiten. Ihre länglichen Kerne vermehren
sich durch Teilungen. Von ihnen aus bildet sich an Endfasern, die
0,001 — 0,002 mm Dicke erreicht haben , zwischen den Bindegewebs-
zellen und den Nervenfasern das Nervenmark, das von Anfang an
als eine feine Röhre auftritt und peripherwärts weiter wächst. Dabei
ist merkwürdig, daß markhaltige Strecken an einzeln verlaufenden
Nervenfasern häufig durch vorläufig marklos gebliebene getrennt
werden. Zahlreiche Einschnürungen bedingen die Bildung vieler
kurzer Segmente, die bald in die Länge wachsen. Durch die Teilungen
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 329
der bindegewebigen Zellen entsteht eine Scheide, die als Neurilem
(sog. ScHWANN'sche Scheide) zn bezeichnen ist. Nicht minder teilen
sich die doppeltkontnriert gewordenen Fasern, und zwar dichotomisch.
Stärkere oder schwächere Bündel von Nervenfasern entstehen durch
Differenzierung innerhalb der ursprünglich vorhandenen Endfaser, die
in die Dicke gewachsen ist, vielleicht auch durch Anlagerung anderer
selbständiger Nervenfasern. Mit dem Wachstum der Schwanzflosse
werden auch die Anastomosen zwischen den Nervenbündeln zahl-
reicher; zugleich vermehrt sich die Zahl der Nervenfasern, nach v. Köl-
liker durch das Hervorwachsen neuer Nervenfasern aus dem Rücken-
mark. Was die Endigung betrifft, so ließ man früher die fernsten
spitzen Ausläufer der Endfasern im Kernkörperchen von Epidermis-
zellen oder im Protoplasma der letzteren endigen, was jetzt nicht
weiter erörtert zu werden braucht. Ueber die Stiftchenzellen s. oben
Epidermis (p. 258). Uebrigens ist bei den Nervenendigungen die That-
sache interessant, daß sie nach v. Kölliker (1886) mit der Zeit an
Zahl zunehmen, also keineswegs von vornherein sämtlich angelegt sind.
Nervenendigungen. Die Entwickelung der Nervenendigungen
in der Haut ist nur an wenigen Stellen erforscht, was seine natür-
liche Erklärung in der Schwierigkeit der Untersuchung findet. Zu
erwähnen sind die VATER'schen Körperchen, die Endkolben, Tast-
körperchen, die HERBST'schen nnd GRANDRY'schen Körperchen, welche
letzteren in der Schnabelhaut von Wasservögeln vorhanden sind. Alle
diese terminalen Körperchen entstehen aus dem Mesenchym. Zellen-
haufen umgeben anfänglich das knopfförmige Ende der marklosen Ter-
minalfaser, in welche eine doppelkonturierte Nervenfaser übergeht, und
sekundär entsteht aus den peripheren Zellen eine Bindegewebshülle,
die sich enorm verdicken und durch Lymphanstauung in ihren Inter-
stitiell zu Kapselsystemen, z. B. eines VATER'schen Körperchens, aus-
bilden kann.
VATER'sche Körperchen. Was deren Entwicklungsgeschichte
betrifft, so liegen nur wenige Beobachtungen vor. Pappenheim (1846)
fand bei 11 cm langen Katzenfoetus noch keine Spur, bei 12 cm langen
sah er Zellenhaufen ohne Höhlung und ohne Nervenfaser, nur der
Zusammenhang des Stieles mit einer Nervenfaser konnte erkannt
werden. Die konzentrischen Kapseln wurden nach und nach von der
Peripherie nach dem Centrum hin sichtbar. Diese Beobachtungen be-
stätigte Gerlach (1846) nach eigenen Untersuchungen. Bei mensch-
lichen Embryonen fanden Henle und v. Kölliker (1844) an Alkohol-
präparaten ähnliche Zellenhaufen in der Mitte des 6, Schwanger-
schaftsmonates, die keine besondere Gruppierung der Zellen, ent-
sprechend den späteren Kapseln wahrnehmen ließen. Bei Neugeborenen
sind die Körperchen schon ganz denen der Erwachsenen ähnlich, nur
kleiner und bestehen aus einer geringeren Anzahl von Kapseln mit
wenig oder gar keiner Flüssigkeit, was eine Aehnlichkeit mit dem
Verhalten des Systems der inneren Kapseln in Körperchen von Er-
wachsenen hervorruft. Henle und v. Kölliker schlössen aus den
angedeuteten Befunden, daß die VATER'schen Körperchen aus einfachen
Zellen sich entwickeln und früher in ihrer eigentümlichen eirunden Ge-
stalt sich zeigen, als sie mit besonderen Geweben versehen sind, ferner,
daß nur ein Teil der Kapseln, wie es scheint, das System der inneren
Kapseln, bei der ersten Entstehung sich bildet, während die anderen
erst nachher, wahrscheinlich durch Umlagerung entstehen ; endlich, daß
330 W. Krause,
die Intercapsularflüssigkeit erst bei fast vollendeter Bildung der
Körperchen sich anzusammeln beginnt. Als ein Rest aus dem Eiit-
wickelungsher gange ist das Ligamentum intercapsulare nach einer
Vermutung von Herbst (1848) anzusehen, indem der anfänglich bis
zum peripheren Pol sich erstreckende Innenkolben nach und nach sich
gleichsam zurückziehen, die angrenzenden, innersten Kapseln einander
näher rücken und zusammenwachsen sollen.
Nach Rauber (1898) ist die Nervenfaser der Körperchen als
Dendrit einer Spinalganglienzelle aufzufassen, welcher nicht in das
Lamellenkörperchen hineinwächst, sondern nach und nach von letzterem
umhüllt wird.
Ein von W. Krause (1860) gemessenes Körperchen aus der Volar-
fläche des Zeigefingers eines Foetus vom Ende des 5. Schwangerschafts-
monates hatte 0,29 mm Länge, 0,11 mm Breite, es war daran die
äußerste Kapsel sehr deutlich, ebenso die innerste zu erkennen ; die
übrigen bestanden aus angedeuteten Schichten mit einer ungeheuren
Anzahl längsgestellter, ovaler Kerne; Querfasern waren nicht wahr-
zunehmen. Die erwähnten Kerne fanden sich auch im Innenkolben,
der 0,225 min Länge auf 0,01 8 mm Breite hatte, in seiner Achse ver-
lief eine sehr deutliche, glänzende Terminalfaser von 0,0038 mm Breite
und endigte dicht vor dem peripheren Ende des Innenkolbens mit
einer leichten Anschwellung. Henle und v. Kölliker (1844) fanden
beim 5— 6-monatlichen Foetus die Länge zu 0,18—0,225, die Breite
zu 0,072 — 0,09, beim neugeborenen Kinde die Länge zu 0,68, die
größte Breite zu 0,38 mm.
T a s t k ö r p e r c h e n. Sie sind schon beim 7 -monatlichem Foetus
in den Papillenspitzen der Vola manus nachweisbar (W. Krause, 1860,
p. 89). Es sind kleine gewöhnlich annähernd kugelige Bläschen, an
welche die doppeltkonturierte Nervenfaser meist in der Achse der
Fig. 204. Tastkörperchen aus der Volarfläche des 3. Fingergliedes
vom Zeigefinger eines 7-monatlichen Foetus. Mit sehr verdünnter
Natronlauge. Vergr. 350. (Nach W. Krause, Die terminalen Kör-
perchen. Hannover 1860. Tal'. IL Fig. 11.)
Coriumpapille herantritt. Die Körperchen haben (W. Krause, 1860)
eine dünne Bindegewebshülle mit einzelnen Kernen und zeigen einige
Querstreifen, wie sie für ausgebildete Tastkörperchen so charakteristisch
sind. Sie werden als die stärker lichtbrechenden Grenzen der abge-
flachten Kolbenzellen gedeutet, aus welchen das Tastkörperchen zum
Unterschiede von anderen Terininalkörperchen aufgeschichtet ist. Es
würden anfangs also nur wenige solcher Zellen das Körperchen
konstituieren.
Beim neugeborenen Kinde sind die Tastkörperchen bereits ellip-
soidisch, sie haben zahlreichere Querstreifen erhalten. Sie haben dann
meistens 0,022 mm Durchmesser, selten sind kleinere von 0,018 nun
Durchmesser, etwas häufiger größere von 0,034 mm Länge und 0,022 mm
Breite. Die doppeltkonturierten Nervenfasern haben 0,0027 mm
Dicke. Das neugeborene Kind besitzt bereits ebensoviel Tastkörperchen
und folglich Nervenendapparate an seinen viel kleineren Fingern und
Zehen, wie der Erwachsene. Es hat auch entsprechend feineren Raum-
sinn. Mithin entstehen, keine neuen Tastkörperchen (und wohl über-
haupt keine Terininalkörperchen) nach der Geburt.
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 331
Endkolben. Die kugeligen Endkolben in der Conjunctiva bulbi
des Menschen sind erst einmal auf ihre Entwickelung untersucht. Bei
einem 6-monatlichen Foetus machten sie den Eindruck von Kern- oder
Zellenhaufen, besaßen aber bereits eine wahrnehmbare Umhüllungs-
membran. Ihre Form ist kugelig, ihr Durchmesser beträgt etwa
0,018 mm (W. Krause, 1869. p. 90).
HERBsrsche Körperchen. Im Raum zwischen den Unter-
schenkelknochen des Huhnes sind diese Terminalkörperchen mit Deut-
lichkeit erst gegen das Ende der 2. Woche der Bebrütung wahr-
zunehmen (W. Krause, 18(30. p. 40). Die Körperchen zeigten sich
ganz durchsichtig und boten keine Spur von der bräunlichen Farbe
der Querfaserschicht. Während die Längsfaserschicht eine sehr be-
stimmte Begrenzung nach außen bildete, waren anstatt der queren
Fasern zahlreiche rundliche, mit großen Kernen versehene Zellen
vorhanden, die nach Zusatz von verdünnter Essigsäure am deutlichsten
waren. Der Innenkolben erschien nicht bestimmt differenziert, die
Terminalfaser aber war immer mit großer Deutlichkeit wahrnehmbar
und zeigte sich als eine in der Achse des Körperchens verlaufende,
glänzende, etwa 0,002 mm breite Faser. Die Länge der Körperchen
betrug im Maximum 0,135, im Minimum 0,081, im Mittel 0,108 mm,
die Breite im Maximum 0,072, im Minimum 0,036, im Mittel 0,05 mm.
Beim eben ausgekrochenen Hühnchen hatten sich die Dimensionen
ungefähr verdoppelt; es betrug die Länge im Maximum 0,311, im
Minimum 0,198, im Mittel 0,241, die Breite im Maximum 0,144, im
Minimum 0,09, im Mittel 0,108 mm. Die Terminalfaser hatte etwa
0,0038 mm Durchmesser und verlief in der Achse des blassen Innen-
kolbens, der nach außen durch eine sehr dichtgedrängte Schicht von
großen Kernen von der Querfaserschicht getrennt wurde. Letztere
bestand noch aus ziemlich homogenem, durchsichtigem Bindegewebe
mit sehr zahlreichen Kernen, die Längsfaserschicht war noch viel
dünner als beim ausgewachsenen Tiere und zeigte auch der Länge
nach gestellte, aber dichter stehende Kerne.
Auch Scymonowicz (1896) hat die HERBST'schen Körperchen und
zwar in der Schnabelhaut von Entenembryonen am 21. — 27. Bebrütungs-
tage beschrieben. Seine Abbildung vom letztgenannten Tage (1896,
Taf. XIV. Fig. 27) zeigt ein HERBST'sches Körperchen in der Kanten-
ansicht, daher nur eine Reihe von Zellen am Rande des Innenkolbens,
ferner die durch Methylenblau gefärbte Terminalfaser und eine Um-
hüllung, die 2—3 Lagen von konzentrisch angeordneten Kernen, aber
noch keine verschiedenen Schichten enthält. Die Abbildung stimmt
ganz und gar mit dem oben Gesagten überein, die Beschreibung und
Deutung lautet jedoch etwas different.
KEY-RETZius'sche Körperchen. Ihre Anlagen bei Enten-
embryonen vom 21. Bebrütungstage gleichen ganz den Anlagen der
HERBST'schen Körperchen. Es sind länglich - ellipsoidische Gebilde,
ihre Umhüllungen haben sich noch nicht differenziert, und man sieht
innerhalb einer streifigen Bindegewebshülle nichts als zahlreiche Kerne
und feinkörnige Substanz (W. Krause, 1880. p. 121. Taf. V. Fig. 61 u. 62).
Asp (1883) dagegen vergleicht die Anlagen mit denjenigen der
GRANDRY'schen Körperchen (s. unten), doch fehlen die bindegewebigen
Fortsetzungen im Inneren. Die centralen Zellen werden zum Innen-
kolben, die peripheren dagegen atrophieren teilweise und bilden ein
feines Netz mit eingestreuten Kernen, den Ueberresten sternförmiger
332 W. Krause,
Zellen. Nur die äußere Umhüllung ist vom Mesenchym abzuleiten ;
der übrige Teil des Körperchens, das als ein ellipsoidischer Zellen-
haufen sich zuerst zeigt, soll ektodermatischen Ursprunges sein und
sich nach der .2. Bebrütungswoche in Form von Epithelzapfen,
ungefähr wie Drüsenanlagen, in die Schnabelhaut der Ente einsenken.
Grandry's che Körperchen. Etwa 4 — 5 Tage vor dem Aus-
kriechen, also am 23. — 24. Tage der Bebrütung von Entenembryonen
schnüren sich nach Izquierdo (1879) die GRANDRY'schen Körperchen aus
Epithelzapfen ab, die in die Gipfel der Zungenpapillen sich einsenken
und sekundär eine bindegewebige Umhüllung erhalten.
Wenn diese Einsenkung frühzeitiger erfolgen würde, ließe sich ver-
muten, die beiden Deckzellen eines GRANDRY'schen Körperchens
möchten in der That, wie das centrale Nervensystem überhaupt, aus
dem Ektoderm herstammen und sekundär mit Nervenfasern des Mes-
enchym in Berührung treten. Aber die Beobachtung ist ungenau ge-
wesen. Bei nur wenige Tage jüngeren Embryonen sah Izqjuerdo
noch keine Andeutung von GRANDRY'schen Körperchen. In Wahrheit
sind letztere (W. Krause, 1880. p. 121), schon beim 21-tägigen Enten-
embryo sowohl in der Zungenschleimhaut wie in der Schnabelhaut
vollständig fertig. Sie liegen in geringer Tiefe, etwa 0,1 mm unter
der Epidermis, so dicht gedrängt, daß fast nur die Kapillargefäße da-
zwischen Platz haben. Sie gleichen in jeder Hinsicht den Grandry-
schen Körperchen der erwachsenen Ente, nur sind sie kleiner (W.
Krause, 1880. Taf. V. Fig. 52); sie haben 0,04 mm Länge auf
0,035 mm Breite, sind also etwa zwei Drittel so groß wie bei der er-
wachsenen Ente. Jedes Körperchen besteht aus zwei Kolbenzellen,
deren Kerne sich durch ihre Größe auszeichnen, woran sie leicht zu
erkennen sind. Ihre nervösen Terminalscheiben hat Scymonowicz
(1896, Taf. XIV. Fig. 26) mit Methylenblau am 26. Bebrütungstage
dargestellt. Die früheren Stadien sind von diesem Autor jedoch ver-
kannt worden. Auch Asp (1883) leitet die Kolbenzellen der Grandry-
schen Körperchen am 25. Bebrütungstage bei der Ente vom Ekto-
derm ab.
Als Tastzellen sind irrtümlich sowohl GRANDRv'schen Körperchen
in Flächenansieht, als kleinere Stücke derselben beschrieben worden, die
zufällig durch tangentiale Flächenschnitte abgetragen worden waren.
Hierauf hat schon Asp (1883) aufmerksam gemacht. Mit den Grandry-
schen Körperchen zusammengeworfen wurden von manchen Autoren auf-
gequollene Epidermiszellen des Stratum germinativum bei Säugetieren (s.
W. Krause, 1880. p. 123. Taf. V. Fig. 57), sowie ähnliche Zellen in der
äußeren Wurzelscheide von Haarbälgen. Der Grund des Aufquellens
dieser hellen Zellen ist noch nicht sichergestellt, nur so viel ist gewiß,
daß sie mit Nervenfasern nichts zu thun haben, nicht etwa Sinneszellen
sind. Ueber die Entwickelung von sog. Tastzellen ist nach dem Gesagten
und früheren Ausführungen (W. Krause, 1880. p. 123) nichts hinzu-
zufügen.
Organe der Seitenlinie.
Epithelknospen.
Die in Frage kommenden Organe werden mit sehr verschiedenen
Namen bezeichnet: Sinnesknospen, Organe der Seitenlinie, Seiten-
organe, Endhügel, Nervenendhügel, Tastnecken, Perlorgane u. s. w.,
Die Entwicklung der Haut und ihrer Nebenorgane. 333
weil die ersteren beim erwachsenen Anamnioten verschiedener Species
differenten und oft weiter entwickelten Bau zeigen. Die Grundlage
aber ist übereinstimmend , eine Epithelknospe (Gemma epithelialis),
welche als ein epidermoidales Gebilde sich erweist.
In der Haut der Amphibien und Fische sind epidermoidale Organe
sehr verbreitet, die dem Leben im Wasser angepaßt sind. Sie wurden
für Organe eines sechsten Sinnes (Leydig, 1868) oder für Wellensinnes-
orgaue (F. E. Schulze, 1870) erklärt ; am einfachsten ist wohl die
Annahme, daß sie, die in ihrem Bau den Geschmacksknospen außer-
ordentlich nahestehen , eine analoge Funktion , nämlich die Ueber-
mittelung der Empfindung von chemischen Qualitäten des Wassers
besitzen (W. Krause, 1876. p. 525. u. 1880. p. 125), da die Fische
wenigstens für Aenderungen jener Qualität oder Beimischungen zum
Wasser bekanntlich besonders empfindlich sind.
Solange keine anderen Endapparate sensibler Nerven in der Haut
der Wassertiere bekannt sind, darf man den Epithelknospen auch die
Funktion der Druckempfindlichkeit zuschreiben. Wie dem auch sei, so
gleicht ihre Anlage sehr den Anlagen von Haaren (p. 288), welche
letzteren die wesentlichen Tastorgane der Haut behaarter Säuger dar-
stellen.
Fische. Bei den Selachiern entstehen diese Anlagen zuerst am
Kopf, und ihre Ausbildung schreitet caudalwärts fort (Maurer, 1892) ;
sie entstehen als Verdickung der am tiefsten gelegenen Schicht des
Ektoderm. Ist dieses einschichtig, wie bei Torpedo, so liegt die An-
lage von vornherein frei und rückt erst später in die Tiefe. In der
Regel aber, so bei Acanthias, Scyllium u. s. w , entstehen die Epithel-
knospen in zweischichtigem Epithel, und die oberflächliche Schicht der
Epidermis zieht ununterbrochen über die Knospe hinweg. Die einzelnen
Epithelknospen gehen aus Teilen einheitlicher Anlagen, nämlich ver-
dickter Streifen des Ektoderm hervor.
Bei 5 cm langen Embryonen von Acanthias sind nach Maurer
(1892) die ersten Anlagen der Epithelknospen im Bereich der Seiten-
Fig. 205. Senkrechter Durch- ^—^m..
schnitt der Haut eines Embryo rr^r titisf
vom Haifisch (Acanthias vulgaris) ?t ffffr#/f»' '»W\i$:
von 5 cm Länge, aus der Ge- <s»J
gend der Seitenlinie hinter der ^^'^W^MSj^ ^ H^^^-
Brustflosse. Vergr. 250. e Epi- / - . -^'
thelknospe, aus senkrecht ge- /
stellten Cvlinderzelien bestehend.
(Nach Maurer, 1892. Taf. XXV. Fig. 19.)
Knie an der Brustflosse in die dreischichtige Epidermis eingelagert.
Die Knospe (Fig. 205) aber besteht nur aus 2 Lagen cylindrischer
Zellen, die senkrecht auf der Coriumoberfläche stehen. Es handelt
sich um ziemlich lange, fast fadenförmige Zellen, deren Kerne in ver-
schiedenen Höhen liegen, so daß trotz der 2 Lagen von Kernen
das Epithel der Knospenanlage eigentlich einschichtig ist. Solche läng-
lichen Zellen werden gewöhnlich als Stützzellen gedeutet, jedenfalls
treten etwas später im Centrum der Epithelknospe dickere, birnförmige
Zellen auf, die für Sinneszellen gelten (Fig. 206 si).
Nach und nach rückt das Gebilde mehr in die Tiefe, es bildet
sich eine leichte Einsenkung im Corium, und die Epidermis beginnt
334
W. Krause,
rt
st
an den Rändern der Knospe dieselben zu überwölben. Auch sah
Maurer am Kopfe von Acanthias kugelige, von Cylinderzellen aus-
gekleidete Bläschen, die Anlagen der späteren SAVi'schen Blasen.
Bei den Teleostiern treten nach Maurer (1892) die Anlagen der
Epithelknospen weit früher auf als diejenigen der Schuppen. Die
Knospen sitzen an der Oberfläche der Schuppe, in der Mitte oder nahe
an ihrem caudalen
Rande, falls sie zu
den Schuppen in Be-
ziehung treten, in die
sie schließlich einge-
lagert zu sein pflegen.
Im Corium, bedeckt
von der Epithelknospe,
werden Wucherungen
von rundlichen Binde-
gewebszellen in Grup-
penform angetroffen,
die auch Blutgefäß
enthalten. Hiernach
ist das Corium bei der
Bildung der Epithel-
knospen keineswegs
unbeteiligt, wenn es
auch nicht bis zur Bil-
dung abgegrenzter
morphologischer Ap-
parate kommt.
Anfänglich ist noch kein Unterschied zwischen spindelförmigen
oder stäbchenförmigen und mehr central gelegenen birnförmigen Epithel-
zellen nachweisbar, die als Stützzellen und Sinneszellen unterschieden
zu werden pflegen.
Auch bei der Forelle (Maurer, 1892) werden die cylindrischen
Zellen der ersten Anlage der Epithelknospe höher, cylindrisch, mit
ellipsoidischen Kernen, die Epidermis ist verdickt, das Corium ein-
gebuchtet, und über die Knospenanlage zieht eine einfache Lage ab-
geplatteter Zellen, Epidermiszellen hinweg (Fig. 207). Später wird die
p .
__>
Fig. 206. Senkrechter Durchschnitt der Haut
unter dem Auge eines Embryo vom Haifisch (Acan-
thias vulgaris) von 5 cm Länge. Vergr. 400. rt, st
äußere Zellen, si innere Zellen. (Nach Maurer, 1892.
Taf. XXVI. Fig. 22.)
Fig. 207. Senkrecher Durchschnitt der
Haut der Seitenlinie eines Embryo der Fo-
relle (Salmo fario) kurz vor dem Ausschlüp-
fen. Anlage einer Epithelknospe der Seiten-
linie. Vergr. 400. co Anhäufung von Zellen
des Corium. Die oberflächlichste Zellenlage
zieht kontinuierlich über die Anlage der Epi-
thelknospe hin. (Nach Maurer, 1892. Taf. XXV. Fig. 23.)
CO
Epidermis dreischichtig, die Knospenanlage zweischichtig; letztere reicht
aber allmählich bis zur freien Oberfläche, und nach Maurer (1892)
können, successive sich abspaltend, aus einer Anlage mehrere definitive
Knospen hervorgehen. Auch bei den Teleostiern sind die Anlagen an
verschiedenen Körperstellen verschieden ausgebildet, am weitesten vor-
aufgehend am Kopfe.
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 335
Bei den meisten Knochenfischen werden die Epithelknospen
späterhin von Kanälen in der Tiefe des Corium eingeschlossen : über
die Art und Weise, wie dies zu stände kommt, vergl. unten Seiten-
organe.
Amphibien. Bei Bufo vulgaris, Rana esculenta und Disco-
glossus pictus sah Raffaele (1900) als erste und gemeinschaftliche
Anlage des N. lateralis und seiner Seitenorgane eine Syncytiumplatte
des Ektoderm. Später differenziert sich diese Platte in Epidermis und
darunter gelegene Ganglienzellen, wenigstens hält Raffaele diese
Annahme für die wahrscheinlichste.
Von den Anlagen der Epithelknospen sind nach Maurer (1892)
die der LEYDiG'schen Zellen zu unterscheiden, mit denen die ersteren
gar nichts zu thun haben. Sie treten in der tiefsten Schicht der Epi-
dermis an der ganzen Körperoberfläche als größere helle Zellen auf
(Fig. 155), die anfangs noch Dotterplättchen enthalten ; sie scheinen
drüsiger Natur zu sein. Die Anlagen der Epithelknospen dagegen be-
ginnen bei 7 mm langen Embryonen von Siredon nach Maurer als
Zellenkomplexe in der Seitenlinie, entsprechend dem Verlauf des
Rani us lateralis n. vagi. Einige Zellen der am tiefsten gelegenen Lage
von Epidermiszellen werden länglich, wachsen nach außen, grenzen
sich gruppenförmig von der Umgebung ab und zeigen längliche, ellipso-
idische, leicht gebogene Kerne. Anfangs sind es 6—8 Zellen, die
beteiligt werden, und wie bei den Teleostiern zieht die äußerste ein-
fache Lage abgeplatteter Zellen, nämlich das Periderm, glatt darüber
hinweg; erst später gelangen die Spitzen der Knospen an die freie
Oberfläche; bei Triton verhält sich die Sache gerade so.
Nach Mitrophanow (1888) würde die Anlage mancher Epithel-
knospen nur durch je eine von Anfang an differenzierte Sinneszelle und
Stützzelle gebildet, nach Maurer würden solche einfachere Anlagen
vorkommen , aber diese Zellenarten ursprünglich nicht differenziert
sein.
Bei einigen U rodele n kommt es nach Malbranc (1875) u. a.
noch beim erwachsenen Tiere (Triton, Salamandrina u. s. w.) zur An-
lage neuer Epithelknospen, was Maurer für Triton und Amblystoma
bestätigen konnte. Bei Triton kommt es auch zur Entwickelung von
Coriumpapillen im Centrum der Epithelknospe. Am Kopfe von Triton
cristatus sitzen letztere nach der Metamorphose stets dem Gipfel einer
Hautwarze auf, bei Triton alpestris, der glatte Haut hat, ist dies
nicht der Fall ; stets aber bilden die Epidermisknospen keine Hervor-
ragungen , sondern sind in die Tiefe gerückt. Dies geht Hand in
Hand mit dem Uebergange vom Leben im Wasser zu dem auf dem
Lande. Letzteres gilt außer für Salamandrina, Triton und Ambly-
stoma, während bei Salamandra sich nach der Metamorphose keine
Epithelknospen der Haut finden lassen, auch für Perennibranchiaten,
nach Maurer für Menopoma, Menobranchus und Cryptobranchus.
Diese sekundäre Tieflagerung wäre aber ganz verschieden von der
Tieflagernng der Epithelknospen bei den Fischen, und es soll erstere
während des Landlebens erworben sein.
Seitenorgane.
Fische. Nicht alle Fische besitzen Kanäle in der Seitenlinie,
die man als Seitenkanalsystem zusammenzufassen und als Sinnesorgane,
nämlich als Apparate eines sechsten Sinnes zu deuten pflegte. F. E.
336 W. Krause,
Schulze (1870) hat hingegen die Benennung Seitenorgane und Seiten-
organsy stein eingeführt, weil es im wesentlichen sich gleich bleibt, ob
die betreffenden Organe frei ins Wasser hinausragen oder sich auf
dem Grunde röhrenförmiger Kanäle, wie es bei manchen Fischen der
Fall ist, befinden. Unter allen Umständen werden diese Seiten-
organe vom R. lateralis n. vagi mit zahlreichen Nervenfasern versorgt.
Sie stehen zwar gewöhnlich in einer Reihe, dem Verlaufe des genannten
Ramus folgend, aber es kommt auch vor (bei Gobius minutus), daß
sie zu kleinen Gruppen von 3-5 in Querreihen stehen, die senkrecht
zur Achse des genannten Ramus in craniocaudaler Richtung aufein-
ander folgen. Außerdem giebt es ganz ähnliche Bildungen am Kopfe
z. B. beim Stichling (Gastrosteus aculeatus), wo sie vom N. trigemi-
nus versorgt werden.
Die Seitenorgane bestehen aus einer hügelförmigen Erhebung des
Epithels, deren Basis nur etwa 0,1 mm Durchmesser beim erwachsenen
Fische hat. Die Entwickelung ist von F. E. Schulze (1870) nament-
lich an der Schwanzwurzel junger Schollen (Platessa vulgaris) studiert
worden. Bei Tieren unter 15 mm Länge liegen die Seitenprgane als
eine lange Reihe von Hügeln ganz frei. An Tieren von 20—30 mm
Länge bemerkt man neben solchem Hügel ein Paar längliche, schmale,
lippenartige Hautfalten, welche sich parallel den Flossenstrahlen erheben
und über dem Seitenorgan sich mit ihren freien konvexen Rändern
zusammenneigen. Diese Falten verschmelzen zunächst in der Mitte
ihrer Länge, so daß sie nur eine vordere und eine hintere Zugangs-
öffnung zu dem hügelförmigen Seitenorgane freilassen.
Der mikroskopische Bau der Seitenorgane ist zu dieser Zeit ein
ziemlich einfacher. Die Seitenfläche des Hügels wird von großen
flachen Epidermiszellen des Stratum corneum bedeckt. Im Mittelteil
des Hügels dagegen befindet sich eine Gruppe von Cylinderzellen, die
sich nach außen etwas verjüngen und zufolge eines Vergleiches von
F. E. Schulze nach Art der Scheiter eines Kohlenmeilers sich nach
dem Centrum des Hügels zusammenneigen ; an ihrer Basis befindet
sich der rundliche Kern. Die Anzahl der Cylinderzellen beträgt je
nach der Größe des Hügels 10—40. Auf ihren freien Enden sitzt je
ein gerades starres Haar, das unbeweglich und etwa 0,014 mm lang
ist. Indessen bleibt eine Randzone des Hügels frei von diesen Haaren,
und ebendaselbst entspringt nach F. E. Schulze eine helle, zarte
Röhre, welche, die Haare umschließend, in das Wasser hineinragt und
an ihrem äußeren Ende quer abgestutzt und offen aufhört. Die Röhre
ist ca. 0,1 mm lang und besteht aus einer glashellen, strukturlosen
Membran. Der Querschnitt der Röhre ist öfters oval und auch sonst
kommen manche Verschiedenheiten vor.
Nach Analogie mit den Seitenorganen erwachsener Fische (Kaul-
barsch u. s. w.) glaubte F. E. Schulze (1870), daß haartragende
Zellen auch bei den hügelförmigen Seitenorganen junger Fische mit
den späteren doppeltkonturierten Nervenfasern in Verbindung treten.
Amphibien. Auch bei Larven von Urodelen und Batrachiern
(Triton taeniatus, Bombinator igneus, Ranatemporaria) hat F. E. Schulze
(1870) Seitenorgane entdeckt, die in ihrer Verbreitung und ihrem Bau
vollständig denjenigen der jungen Fische sich anschließen. Nur sind
die starren Haare in geringerer Zahl, wenigstens im Anfange, vor-
handen. Leydig (1868) sah diese Seitenorgane auch bei Larven von
Die Entwickelung der Haut und ihrer Nebenorgane. 337
Salamandra maculosa, sowie F. E. Schulze später bei solchen von
Rana esculenta, Bufo cinereus, Pelobates fuscus und Hyla arborea.
Leydig (1876) fand nämlich im gallertigen Bindegewebe des
Schwanzes von Salamandra maculosa etwa 12 geschlossene Bläschen,
deren Zugehörigkeit zu den Seitenorganen jedoch zweifelhaft ist. Sie
erhalten je eine zu dein kugeligen, von einer Bindegewebshülle um-
schlossenen Körperchen, das Leydig mit einem Endkolben der Con-
junctiva vergleicht, herantretende Nervenfaser. Der Inhalt des Bläs-
chens besteht aus Epithelzellen, im Centrum sitzt eine körnige kugelige
Masse, die einer Ganglienzelle ähnlich ist.
Im vorstehenden Abschnitt sind einige Kontroverspunkte besprochen,
die hier der Uebersichtlichkeit wegen zusammengestellt werden. Es
handelt sich um das Periderm, die Keratisation und Onychisation, die
Homologie von Feder und Haar, die radiäre Anordnung des Haarbalg-
querschnittes, die Entstehung der Schweißdrüsen in Primärfurchen von
Pingern und Zehen, die Auffassung des Nagels als eines Stratum lucidum
des Nagelbettes. — Die Litteraturübersicht reicht bis zum 1. Oktober
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Viertes Kapitel.
Die Entwickelungsgeschichte der Verknöcherungen des Inte-
guments und der Mundhöhle der Wirbeltiere.
Von
Professor Rudolf Burckliarclt.
I. Einleitung.
A. Definition der Hartgebilde des Integuments und der Mund-
höhle.
Die Organe, deren Entwicklung im nachfolgenden Kapitel zur
Behandlung gelangt, bezeichnet man als verknöcherte Hartgebilde
des Integuments und der Mundschleimhaut. Sie haben
wenig augenfällige Merkmale, die sie äußerlich als zusammengehörig
erkennen lassen: die einen, die Haut v erkn öcherun gen, dienen
dem Schutze der Körperoberiläche, die anderen, die Zähne, der
Nahrungsaufnahme oder weiteren digestiven Funktionen. Unter dieser
äußeren Verschiedenheit aber enthüllt uns die Vergleichung ihres Baues
und ihrer Entwickelimg gemeinsame Züge. Ja, der Nachweis ihres
gemeinsamen Ursprungs ist sogar vorzugsweise an die Entwickelungs-
geschichte geknüpft. Innerhalb der Wirbeltiere aber gehen bald beide
Organsysteme, die Hautverknöcherungen und das Gebiß ihre getrennten
Wege. Für das gesamte Integument bilden sich so verschieden-
artige Funktionen anderer Art, insbesondere Wärmeschutz, heraus,
daß seine primitiven verkalkten Hartgebilde hinter den sekundären
verhornten, Federn und Haare, zurücktreten und nur noch eine sehr
untergeordnete Rolle spielen. Für das Gebiß oder Zahnsystem da-
gegen treten entsprechend dem Wechsel der ursprünglichen Funktion
des bloßen Zurückhaltens der ergriffenen Nahrung speciellere Funk-
tionen auf den Plan. Es erfährt innerhalb des Wirbeltierstammes zu-
nächst eine fortschreitende stamm esgeschichtliche Entwickelung, die end-
lich auch in Rückbildung ausgeht.
Der Wert dieses Organsystems für die allgemeine Entwickelungs-
lehre ist gerade darin begründet, daß wir von keinem andern Organ-
system so vollständige und abwechslungsreiche stamm esgeschichtliche
Dokumente besitzen, wie von ihm wegen der Dauerhaftigkeit seiner
350 R. BüRCKHARDT,
Substanzen. Infolgedessen tritt der Zusammenhang zwischen phylogene-
tischen und ontogenetischen Entwicklungsprozessen am Zahnsystem in
besonders einleuchtender Weise hervor. Eine weitere Eigentümlichkeit
dieses Organsystems ist die, daß die individuelle Entwicklung seiner
Gebilde bei den niedersten Formen seines Bestehens mit keinem Ab-
schnitt einer bestimmten Lebensperiode ihr Ende findet. Es werden viel-
mehr beständig die Organe abgestoßen und wieder neu gebildet. Dieser
Neubildungsprozeß erstreckt sich ursprünglich über die Dauer des ganzen
Lebens. Für die Hautverknöcherungen wird er allerdings schon bei
niederen Vertebraten auf die Embryonalperiode zurückgedrängt. Für
das Gebiß aber ist er noch bei relativ hoch entwickelten Vertebraten
(viele Reptilien) ein permanenter. Erst allmählich wird er auf die Ju-
gend und die Embryonalperiode zurückverlegt und erlischt endlich ganz.
Andererseits neigt das einzelne Hartgebilde, je mehr es sich von
seinen ursprünglichsten Zuständen entfernt, zu andauerndem Bestehen.
Die Hautverknöcherungen werden schon innerhalb der Fische stabil
und können mit Größenzunahme des Individuums weiterwachsen.
Im Gebiß wird das Prinzip des Wechsels der Elemente viel zäher
festgehalten, und Dauerwachstum tritt erst als Folge dauernder Ab-
nutzung des einzelnen Zahnes auf.
Während sich somit vom Standpunkt der Wirbeltier phy logen ie
die Entwicklungsgeschichte der Verknöcherungen des Integuments
und der Mundschleimhaut als äußerst fruchtbar erweist, hat sie bisher
für Wachstums physiologische Probleme nicht entfernt ähnliche
Bedeutung erreicht. Experimentelle Eingriffe in diese Prozesse haben
noch nicht stattgefunden ; sie scheinen vorläufig auch zu wenig ver-
sprechend. Immerhin ist nicht abzusehen, welche Resultate sie unter
Umständen reifen können. Manche der schwebenden Fragen über die
Ausscheidung der Hartsubstanzen dürften vielleicht auf diesem Wege
zur Entscheidung zu bringen sein.
Die Hartgebilde des Integuments und der Mundschleimhaut
stimmen unter sich in folgenden Eigenschaften überein :
1) Sie sind intercellulare Ausscheidungen von lebenden Elementen,
von denen sie nicht regeneriert werden können. Die absondernden
Elemente bilden mehr oder weniger begrenzte Gewebekomplexe
und gehören dem Ektoderm und dem Mesoderm an, nur in extremen
Fällen beteiligt sich am Aufbau der Hartgebilde ausschließlich das
letztere.
2) Die ausgeschiedenen Hartgebilde bestehen aus soliden Sub-
stanzen, insbesondere Kalkverbindungen, womit eine organische Grund-
lage imprägniert wird.
3) Sie gelangen beinahe auf der ganzen Körperoberfläche zur
Ausbildung, ferner innerhalb der Mundhöhle, gemäß dem ektoder-
malen Ursprung ihrer Auskleidung.
Durch diese Eigenschaften unterscheiden sich auch die hierher
gehörenden Hartgebilde allseitig. Der Substanz nach stehen ihnen
die Knochen zunächst, unterscheiden sich aber von ihnen dadurch,
daß diese Organe sich regenerieren und ausschließlich mesodermaler
Abkunft sind. Sodann existieren auch andere integumentale Hart-
gebilde, die im Munde sogar als Zähne bezeichnet werden (Cyclostomen,
Ämphibienlarven), aber sie sind ihrer Substanz nach verschieden, da
sie aus Hörn bestehen. Damit sind denn auch die Integumentver-
knöcherungen und Zähne Bildungen der Wirbeltiere, welche keinerlei
Die Verknöcherung des Integuments und der Mundhöhle. 351
Homologa unter den Wirbellosen besitzen. Die Versuche
(1873), sie als bloße Cuticularbildungen darzustellen,
scheitert betrachtet werden.
v. Leydig's
müssen als
ge-
B. Die Entwickelung der Hartgebilde im allgemeinen.
1. Ek toder m. Schmelz.
Das Ektoderm beteiligt sich am Aufbau der Hartsubstanzen in
erster Linie mit abgegrenzten Bezirken derjenigen Cylinderzellen,
welche die basale Schicht der Epidermis bilden. Sie allein sind direkt
mit der Absonderung der ektodermalen Hartsubstanz des Schmelzes,
beschäftigt (Marcusen, 1849). Man bezeichnet sie als inneres Schmelz-
epithel oder als Ameloblastenschicht und sie bilden stets ein
kontinuierliches Gewebe. Ueberall können mit ihnen, namentlich wo
die Schmelzabsonderung tief ins Mesoderm verlegt ist, solche Epithel-
zellen, welche über ihnen liegen, durch die Einsenkung des Schmelz-
epithels mitgerissen werden. Bei niederen Wirbeltieren geschieht dies,
ohne daß sie ihre Gestalt von kubischen, indifferenten Epithelzellen
aufgeben; bei höheren Ausbildungsstufen der Hartgebilde aber können
auch diese Zellen sich differenzieren. So können sie bereits bei Rep-
tilien unter Ausscheidung einer transparen-
ten Zwischensubstanz lockerer werden, stern-
artige Formen annehmen, wodurch sie an
mesodermales Gallertgewebe erinnern, man
nennt sie alsdann Sternzellen und den
aus ihnen bestehenden Körper die Schmelz-
pulpa. In diesem Falle aber bildet sich
zwischen diesen lockeren Zellen und dem
geschlossenen Schmelzepithel eine Schicht
von weniger stark differenzierten Elementen
aus, das S t r a t u in i n t e r m e d i u m. W o
eine Schinelzpulpa zur Ausbildung gelangt,
wird auch ein weiteres Stück des Stratum
Malpighii mit in die Tiefe gerissen. Es um-
kleidet äußerlich gegen das Mesoderm hin
die Schmelzpulpa, sondert aber selbst keinen
Schmelz ab. Man bezeichnet diese Schicht
als das äußere S c h m e 1 z e p i t h e 1. Nur
bei den Hartgebilden von höherer Aus-
bildung — und als solche kommen bloß
die Zähne in Betracht — kommt es zu
diesen weiteren Sonderungen des Ektoderms,
welche alle zusammentreten, um ein em-
bryonales Organ zu bilden, das Schmelz-
or gan.
Nach Leche's (1895) Vorschlag
Fig. 208. Längsschnitt durch die Anlage eines
Molaren von Didelphys. P Pulpa. Od Odontoblasten.
Z>, unverkauftes, D verkalktes Dentin. S Schmelz.
T XoMEs'scher Fortsatz der Ameloblasten. S Ei Amelo-
blastenschicht oder inneres Schmelzepithel. Stri Stra-
tum intermedium. SP Schmelzpulpa. SEa äußeres
Schmelzepithel. C Bindegewebe. K Knochen der
Alveole. Vergr. 250. Nach Rose.
^mf^Arn^
352 R. BlJRCKHARDT,
pflegt man in der Ausbildung des Zahnkeims drei Stadien zu unterschei-
den : 1) das k n o s p e n f ö r m i g e Stadium, welches die erste Differenzie-
rung des Schmelzkeimes als geringere oder stärkere Anschwellung der
Zahnleiste darstellt, 2) das kappenförmige S t a d i u m, auf welchem
die knospenförmige Anlage durch den emporsprossenden Zahnkeim ein-
gestülpt worden ist. ohne weitere wesentliche Aenderung seiner histo-
logischen Differenzierung; 3) das glockenförmige Stadium ist
durch die Glockenform des Schmelzkeims mit der tieferen von ihm
umfaßten Mesodermpapille und durch die Differenzierung der Zellen
des Schmelzkeims in äußeres Schmelzepithel, Schmelzpulpa, Stratum
intermedium und Ameloblastenschicht gekennzeichnet. Eine scharfe
Grenze ist zwischen diesen drei Stadien natürlich nicht zu ziehen.
Nachdem das Schmelzorgan seine Funktion verrichtet und den Schmelz
abgesondert hat, gerät es in Zerfall, und seine Ueberreste bleiben noch
zu kleinen, linsenförmigen Zellgruppen vereint, da und dort unter dem
Epithel liegen. Man heißt diese Rudimente Epithelperlen, in
älterer Zeit wohl auch nach ihrem Entdecker SERREs'sche Körperchen
(Serres 1817).
Die vom Ektoderm abgeschiedene Hartsubstanz wird durchweg
als Schmelz (Email) bezeichnet. Sie bildet, wenn vorhanden, stets
einen solideren Ueberzug an der Oberfläche von Dentingebilden. Die
Elemente, welche sie absondern, bleiben nach Erfüllung ihrer Funktion
zunächst rein passiv und verschwinden später vollständig. Auch der
Schmelz selbst tritt häufig als vorübergehende, flüchtige Bildung auf.
ohne dauernd das Hartgebilde zu schützen, sondern mehr nur als
phylogenetische Reminiscenz.
Nach Hoppe-Seyler besteht der Schmelz aus :
Calciumphosphat und -karbonat 95,35 Proz.
Magnesiumphosphat 1,05 „
organischer Substanz 3,60 „
Er besitzt die Härte des Apatits und ist das härteste Gewebe
tierischer Körper. Dabei nimmt der Gehalt an Phosphor und Kalk
erst im postembryonaler Zeit erheblich zu, während er beim Neuge-
borenen noch kleiner ist im Vergleich zur organischen Substanz,- die
hier bis zu 22 Proz. betragen kann.
Der Schmelz ist meistens von senkrecht zu seiner Oberfläche
stehenden Säulen gebildet, Schmelzprismen, die von der Dentin-
grenze bis zur Oberfläche des Zahnes durchgreifen. Es kann jedoch
nicht als definitiv erwiesen gelten, daß der Schmelz überall Prismen-
struktur besitzt, wohl aber kommt sie ihm meistens, namentlich bei
höheren Wirbeltieren zu. Hier können sie auch vielfachen Modifi-
kationen ihres Verlaufs unterliegen, die phylogenetisch bedeutungsvoll
sind (vergl. besonders Preiswerk 1805).
Der feinere P>au des Schmelzes, dessen Kenntnis für das volle
Verständnis seiner Histogenese unumgänglich nötig wäre, ist nicht
einwandfrei festgestellt; besonders ist strittig, ob zwischen den Schmelz-
prismen eine Kittsubstanz vorhanden sei (J. u. C. Tomes 1898,
von Ebner 1891, Bödecker), oder ob sie fehle (Hannover 1856.
Hertz 1866, Waldeyer 1871, Walkhoff 1901). Streifungen und
Unterschiede in Dichtigkeit und Verlauf der Schmelzprismen erzeugen
mannigfaltige Strukturbilder, für deren nähere Beschreibung, da sie
vorläufig mit der Histogenese in keinen greifbaren Zusammenhang zu
Die Verknöcherungen des Integumen<"s und der Mundhöhle. 353
bringen sind, wir auf die speciell histologischen Untersuchungen und
Darstellungen verweisen müssen.
Vor der Abnutzung wird der Schmelz der Zähne von einer struktur-
losen Membran von 1 |x Dicke überzogen, welche von Kölliker
(1861) nach ihrem Entdecker (1842) die NASMYTH'sche Membran ge-
nannt hat, sie wird auch oft als S c h m e 1 z o b e r h ä u t c h e n bezeichnet.
Sie ist eine Cuticula, welche sich in Säuren auch beim Kochen nicht
löst und sich allein beim Kochen mit Aetzkali und -natron auflockert.
Wie weit innerhalb der Wirbeltiere Schmelz zur Ausbildung ge-
langt, bedarf noch der endgiltigen Erledigung.
Owten (1845), ausgehend von dem Satz, daß nur Zähne, welche
in der Tiefe der Kiefer entstehen, von Schmelz bedeckt sind, hat den
Zähnen der Selachier Schmelz abgesprochen. Demgegenüber hat
0. Hertwig (1873) dargethan, daß sich die oberflächlichste Schicht
der Haifischzähne wie Schmelz verhalte und bei Behandlung mit
Säuren die charakteristischen Reaktionen gebe. Klaatsch (1889) und
Rose (1897) hinwiederum bestreiten die Schmelznatur der ober-
flächlichsten Zahnschichten und vindizieren den Selachierzähnen bloß ein
Schmelzoberhäutchen. Rose (1897) erklärt auch den von Rohon
(1889) für die Placoidschuppen behaupteten Schmelz für Vitrodentin.
Ihm widersprechen Wtalkhoff (1901) und C. Tomes (1898), ebenso
Jentsch (1898). Eine definitive Lösung dieser komplizierten Frage
liegt noch nicht vor. Wir können keine Gründe, die gegen die Schmelz-
natur der Selachierzähne vorgebracht wurden, als hinreichend er-
achten und betrachten daher die oberflächlichste Schicht der Selachier-
zähne und -schuppen als Schmelz, wofür auch die Auflösung der frag-
lichen Substanz in Salzsäure ohne Rückstand und die Proportion
zwischen ihrer Stärke und der Größe der Ameloblasten spricht
(C. Tomes).
2. Mesoderm. Mesodermale Hartsubstanzen.
Von mesodermalen Zellen sind es zunächst ganz indifferente
Elemente der Cutis, gewöhnliche Bindegewebszellen, welche, da und
dort zu Gruppen vereinigt, Hartsubstanz ausscheiden. Dabei unter-
scheiden sie sich nicht von denjenigen, welche überhaupt Bindegewebs-
verknöcherung erzeugen. Wir bezeichnen sie alle mit dem Namen
Skier oblasten, den Klaatsch (1894) zuerst für sie gebraucht hat,
ohne daß wir damit etwas über ihre Herkunft präjudizieren wollten.
Nachdem J. Platt (1893) bei Amphibien Wanderzellen aus dem
Ektoderm ins Mesoderm hatte übertreten sehen und sie als Bildner von
oberflächlichem Knorpel gedeutet hatte, empfand Klaatsch das Bedürf-
nis, die mesodermalen Gewebe überhaupt aus den beiden primären Keim-
blättern duch Auswanderung von Elementen abzuleiten. Er kam auf
Grund seiner Präparate zu folgender Deutung der Hartsubstanzbildner
oder Skierobasten der Cutis. Sie seien ursprünglich im Anschluß an
Hautsinnesorgane ektodermal entstanden und später erst nach dem Meso-
derm ausgewandert; daher seien auch alle integumentalen Verknöche-
rungen und vom Skelett wenigstens die Deckknochen vom Ektoderm
abzuleiten und nicht, wie allgemein angenommen wird, vom Meso-
derm. Gegen diese Theorie wandten sich besonders Rabl (1894), Rose
(1897), Keibel (1894) und R. G. Harrison (1895), welche betonten,
daß an tadellos hergestellten Präparaten niemals zwischen Ektoderm und
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 23
354 R. BüRCKHARDT,
Mesoderm die von Klaatsch gesehene Verwischung der Grenze, aus
welcher er seine Theorie abgeleitet hatte, nachzuweisen sei. Eine Be-
stätigung der Skleroblastentheorie ist denn auch bisher nicht erfolgt.
Je nach der Beschaffenheit der Hartsubstanz, die die Skleroblasten
absondern, belassen wir ihnen diesen Namen, wofern die Hartsubstanz
weder zu Knochen, noch zu Zahnbein wird. Sondern sie dagegen
Knochensubstanz ab, so werden sie Osteoblasten (Gegenbaur),
sondern sie Zahnbein ab, Odon tob lasten (Waldeyer 1871) ge-
nannt. Die Odontoblasten bilden eine einfache Lage cylindrischer
Zellen, die mit ihrem äußeren Ende dem Dentin anliegen und in
einen Fortsatz auslaufen der in einer langgestreckten Höhlung ver-
läuft, dem Dentinröhrchen. Entsprechend der Form des Odonto-
blasten ist auch sein Kern meist länglich. An der Innenseite kann
der Odontoblast abgerundet sein oder in einen kurzen Fortsatz aus-
laufen ; auch giebt er gelegentlich kurze seitliche Ausläufer ab.
Außer diesen specifisch für die Absonderung der Hartsubstanz
differenzierten mesodermalen Elementen werden noch weitere in Mit-
leidenschaft gezogen. Unter dem Hartgebilde oder, wenn es Kegel-
form besitzt, in ihm bildet sich ein Kern von indifferenten Binde-
gewebszellen, der früher als Keim, jetzt allgemein als Pulpa be-
zeichnete Körper, welcher Fibrillen, Gefäße und Nerven enthält.
Weniger einheitlich als der Schmelz treten uns die mesodermalen
Hartsubstanzen entgegen. Dementsprechend hat auch ihrer Systematik
und Nomenklatur vielfache Wandlungen durchgemacht. Der Unter-
schied gegenüber dem Schmelz beruht hauptsächlich darin, daß bei
diesem das ausscheidende Zellmaterial, nachdem es seine Funktion ver-
richtet hat, für die Hartsubstanz bedeutungslos wird. Bei den meso-
dermalen Hartsubstanzen aber treten die ausscheidenden Zellen zu der
ausgeschiedenen Hartsubstanz in mehr oder weniger innige Beziehungen,
die denn auch, solange das Hartgebilde existiert, festgehalten werden,
sei es nun, daß die Zellen der Hartsubstanz nur oberflächlich anliegen
oder daß sie von ihr eingeschlossen werden. Im allgemeinen be-
zeichnet man die Hartsubstanz , wofern sie nicht ausgesprochene
Knochenstruktur besitzt, als Dentin oder Zahnbein in weiterem
Sinne.
Owen (1840 — 45) gab zuerst dem Dentin den Namen und be-
schrieb als Modifikationen desselben bei den Edentaten und Fischen
das Vasoden tin und bei den Labyrinthodonten das Plicid entin,
ersteres als eine von Röhren durchsetzte, letzteres als eine durch
Faltungen charakterisierte Dentinart. Außerdem erkannte er das
Cement als Knochengewebe. Wtilliamson (1849 — 51) beschreibt
zuerst die von ihm als Lepidin und Kosmin bezeichneten Hart-
substanzen, Kölliker (1858) das osteoide Gewebe als eine ein-
schlußfreie Hartsubstanz. Eine Fülle von Kombinationen dieser Modi-
fikationen wurde von Pander (1860) an paläozoischen Fischen be-
schrieben und ihnen neu hinzugefügt das Isopedin. Tomes wies
1877 nach, daß auch bei Gadidenzähnen eine Modifikation des Dentins
vorkomme, die allein den Namen Vasodentin verdiene, da sie
wirkliche Blutgefäße enthalte und nicht bloß Pulpateile, wie das „Vaso-
dentin" Owen's. Umfassendere Versuche, die Hartsubstanzen zu
klassifizieren, stellten sodann Baume (1882), Klaatsch (1890) und
Rose (1897) an, während von Ebner (1899) der Mannigfaltigkeit
dieser Gewebe wenig Beachtung schenkt.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 355
Wir folgen im Ganzen trotz den kritischen Bemerkungen von
Tomes (1898), Rose (1897), besonders auch in Bezug auf seine Neue-
rung, daß er für das ehemalige „Vasodentinkt Owen's bei niederen
Wirbeltieren das Trabeculardentin als neuen Hartsubstanztypus
eingeführt hat; für dieses dürfte sich der abgekürzte Name Trabe-
culin empfehlen. Eine eingehende Diskussion der Argumente, welche
die Autoren für ihre Auffassung beigebracht haben, liegt außerhalb
des Rahmens unserer Darstellung und fällt vollständig auf das Gebiet
der vergleichenden Anatomie. Es kommt auch für den vorliegenden
Zweck nur darauf an, die Definitionen für die im speciellen Teile
vorkommenden Hartsubstanzen festzustellen und nach einheitlichen
Prinzipien zu ordnen. Als Einteilungsprinzip verwenden wir dabei
das Verhältnis der WTeichteile zu den von ihnen ausgeschiedenen
Hartsubstanzen.
System der in es od er malen Hartsubstanzen.
I. Verkalkte Bindesubstanz: Rein anorganische Salze werden
im Bindegewebe ausgeschieden (Kalkplättchen des Selachierskeletts).
II. Echte Hartgewebe: Verkalkung unter Einlagerung des Kalkes
innerhalb der organischen Substanz des Bindegewebes.
A. Ohne Einschlüsse:
1) mit feinsten Kanälchen, ohne nachgewiesenen Protoplasma-
einschluß, organische Substanz spärlich, an der Grenze beider
Keimblätter als Ueberzug des Dentins entstehend: Vitro -
dentin (an Zähnen) und Ganoin (an Hautgebilden);
2) ohne Kanäle, im Mesoderm entstehend: osteoides Ge-
webe.
B. Mit Einschluß von Zell teilen:
1) mit eingeschlossenen Bindegewebsfibrillen, rein mesodermal
entstehend: Le pidin (Schuppencement der niederen Verte-
braten) ;
2) mit unter sich parallelen, für Protoplasmaausläufer bestimmten
Röhrchen, welche senkrecht zu der Grenze zwischen Ekto-
derm und Mesoderm stehen, woran die einseitig wachsende
Hartsubstanz ausgeschieden wird: Dentin (Zahnbein);
3) mit baumartig regelmäßig verzweigten Büscheln von Dentin-
röhrchen innerhalb exoskelettaler Hartgebilde: Kos min
(Schuppen der Ganoiden).
C. Mit Einschluß von Zellen, mesodermal ent-
stehend:
1) mit eingeschlossenen, allseitig gerichteten Zellen: Knochen;
2) mit eingeschlossenen, der Oberfläche parallel gehenden,
flächenhaft ausgebreiteten Zellen: Isopedin (Schuppenbasis
von Ganoiden).
D. Mit Einschluß ganzer Pulpaabschnitte:
1) allseitig wachsendes, rein mesodermal entstehendes Hart-
gewebe, welches balkenartig die Pulpa durchzieht: Trabe-
culin (Trabeculardentin Rose, die größeren Massen
der Fischzähne bildend);
2) einseitig wachsendes, Dentin, welches durch Faltung die Pulpa
23*
356 R. BüRCKHARDT,
zerklüftet : Plicidentin (Ganoideii- und Stegocephalen-
zähne) ;
3) einseitig wachsendes Dentin mit Einschluß ganzer Gefäße:
Vaso den tin (Tomes, Zähne der Gadiden);
4) einseitig wachsendes Dentin, welches die Pulpa an ihrer
Peripherie in Röhren zerlegt : Porodentin (höhere Nager,
Edentaten und Pinnipedier).
Diese verschiedenen Hartsubstanzen nehmen in sehr mannigfaltiger
Weise am Aufbau der Hartgebilde teil. Dementsprechend ist auch
ihre Entwicklung verschieden und in den Einzelheiten noch nicht
durchgehends aufgeklärt. Innerhalb der niederen Wirbeltiere treten
sie in weit größerer Mannigfaltigkeit auf; bei den höheren Wirbel-
tieren, von den Sauropsiden an aufwärts, sind nur wenige von ihnen
von Bedeutung. In erster Linie das Dentin, dann der Knochen
und das osteoide Gewebe, als extrem specialisiertes Dentin tritt
alsdann bei Nagern und Eden taten das Porodentin auf den Platz.
Alle anderen Formen gehören ausschließlich den Hartgebilden niederer
Vertebraten an.
Seiner feineren Struktur nach ist das Dentin im engeren Sinne
unter allen mesodermalen Hartsubstanzen am genauesten bekannt.
Walkhoff (1901) unterscheidet am fertigen Zahnbein folgende ver-
schiedenen Gewebsformen : 1) Zahn fasern (ToMEs'sche Fasern,
Waldeyer 1871): Fortsätze der Odontoblasten, welche außerhalb der
Dentinmasse liegen. 2) Zahn scheiden (NEUMANN'sche Scheiden).
Was speciell diese betrifft, so ist um ihre Deutung viel gestritten
worden. Eine ausführliche Darlegung der Kontroverse um sie hat erst
neuerdings Walkhoff gegeben, und so können wir uns darauf be-
schränken, sein wichtigstes Resultat wiederzugeben. Die Zahnscheiden
sind sekundäre Bildungen im Dentin, welche eine Uebergangsform in
die verkalkte Zahnbeingrundsubstanz darstellen. 3) Die Inter-
cellularsubstanz ist nach von Ebner von feinen Fibrillen durch-
zogen, welche vorwiegend in der Längsrichtung des Zahnes verlaufen.
Als Cement bezeichnet man eine Hartsubstanz, die aus dem
Bindegewebe auf das vorhandene Dentin , namentlich der Wurzeln
höherer Vertebraten, abgelagert wird. Der Struktur nach besteht die-
selbe aber aus Knochen oder osteoider Substanz, ist daher in unserer
Uebersicht nicht besonders aufgeführt. Ferner wird sie von den
echten integumentalen Hartsubstanzen dadurch unterschieden, daß sie
regeneriert werden kann (Baume 1882).
Der chemischen Zusammensetzung nach ist von den mesodermalen
Hartsubstanzen, abgesehen vom Knochen, das Dentin der höheren Tiere
ebenfalls am genauesten untersucht; wie weit die für dasselbe aufge-
stellten Analysen auch für die Hartsubstanzen der niederen Tiere
gelten können, ist einstweilen nicht zu entscheiden.
Die organische Grundlage des Dentins ist das Collagen, das in
den erhärteten Bindesubstanzen allgemein eine wichtige Rolle spielt,
es ist eine leimgebende Substanz von komplizierter chemischer Zu-
sammensetzung und geht durch Wasserentziehung aus der Gelatine
hervpr. Wahrscheinlich nimmt auch Elastin am Aufbau, besonders
der NEUMANN'schen Scheiden teil. Diese organischen Substanzen be-
tragen insgesamt ca. 28 Proz. des Dentins. Nach Cohn besteht normales
Zahnbein aus folgenden Bestandteilen :
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 357
Wasser 4,27 Proz.
organische Substanz 28,39 „
phosphorsaurer Kalk 52,90 „
kohlensaurer Kalk 12,93 „
phosphorsaure Magnesia 1,08 „
Ueber die chemische Konstitution der einzelnen anorganischen
Bestandteile gehen die Meinungen der Autoren auseinander ; hier ist
nicht der Ort, darauf näher einzutreten.
Für das Cement ist die chemische Zusammensetzung nach v. Bibra
ähnlich wie für das Dentin.
3. Die Verbindung zwischen e k t o d e r m a 1 e n und raeso-
d er malen Hartsubstanzen.
Die Art, wie sich die mesodermalen und ektodermalen Hart-
substanzen miteinander verbinden, ist eine sehr verschiedene. Gegen
die Cement- und Schmelzgrenze hin weichen die Dentinkanälchen
auseinander und verzweigen sich mehr oder weniger reichlich. Nach
C. Tomes (1898) treten sie in ein Lückensystem über, die sogen.
Interglo bularräu in e; diese sind aber nach Walkhoff (1901)
vielmehr als unverkalkte Grundsubstanz aufzufassen , durch welche
das Dentinkanälchen hindurch bis an die Schmelzgrenze vordringt. Bei
menschlichen Zähnen ist die Begrenzung zwischen Schmelz und Dentin
durch halbkreisförmige Ausschnitte gebildet. An dieser Grenzlinie
brechen dann die Dentinkanälchen plötzlich ab. Höchstens einzelne
ragen noch in den Schmelz hinein. Dagegen dringen die Dentin-
kanäle bei Wiederkäuern, Raubtieren, Affen, Beuteltieren (J. Tomes),
sodann bei manchen Fischen in den Schmelz vor, ohne sich dabei an
den Verlauf der Prismen zu halten. Die Grenze zwischen beiden
Hartsubstanzen wird deswegen nicht verwischt.
Für weitere Einzelheiten über die Histologie der Zahngewebe sei
hier auf die zusammenfassenden Arbeiten von Waldeyer (1871), v. Eb-
ner (1899), C. Tomes (1898) und Walkhoff (1901) verwiesen. Die
Histogenie von Schmelz und Dentin soll bei der Entwicklung des
menschlichen Gebisses p. 412 besprochen werden.
4. Die Verteilung der Hartgebilde am Körper.
Als Ort des Vorkommens von Hartgebilden haben wir oben die
gesamte Körperoberfläche und die Mundhöhle namhaft gemacht. In
den phylogenetischen Anfangsstadien ist eine scharfe Trennung
zwischen mesodermalen Hartsubstanzen der Oberfläche des Körpers
und solchen der Tiefe nicht durchzuführen, da sich weder die ab-
scheidenden Elemente noch die abgeschiedene Substanz wesentlich
unterscheidet. Nach dieser Seite hin ist also die Abgrenzung eine
rein konventionelle, wofern nicht der Ueberzug des integumentalen
Hartgebildes mit Schmelz als entscheidend betrachtet wird. Ferner-
hin sind die integumentalen Hartgebilde nur auf denjenigen Teilen
der Körperoberfläche anzutreffen, welche nicht durch Sinnesorgane oder
Mündungen innerer Organe eine Veränderung erfahren haben. Man
nimmt gewöhnlich an, die Fähigkeit zur Produktion integumentaler
Hartbildungen reiche so weit, als das Ektoderm in die Mundhöhle
sich fortsetzt. Ryder aber (s. C. Tomes 1898) behauptet, die Zähne
auf den Kiemenbogen der Fische liegen nicht mehr im Bereich dieser
358 R. BüRCKHARDT,
ektotlermalen Einstülpung. Daher komme die Fähigkeit zur Zahn-
bildung auch dem Entoderm zu.
C. Die Terschiedenen Stufen der Gebißentfaltung innerhalb der
Wirbeltiere.
Innerhalb der Wirbeltierreihe nun gestaltet sich das Vorkommen
von Hartgebilden überaus verschieden. Schon oben wurde erwähnt,
daß Integument und Mundhöhle untereinander sich verschieden ver-
halten. Während auf jenem die Entwicklung von Hartgebilden
schon früh (bei Amphibien und Reptilien) erlischt und erst sekundär
wieder aufflackert (s. Säugetiere), hält die Fähigkeit zur Produktion
von Hartgebilden in der Mundhöhle viel länger vor und erleidet ent-
sprechend der physiologischen Vervollkommnung der Zähne Modi-
fikationen, deren wichtigste stammesgeschichtliche Typen noch näher
zu betrachten sind.
1) Im ursprünglichsten Stadium produziert die Mundschleimhaut
allein allerorts Zähne , die den Placoidschuppen in Bau und Ent-
wickelung ähnlich sind, unregelmäßig stehen und nach Bedarf ersetzt
werden können (Mundschleimhautzähne der Selachier).
2) Auf einem zweiten Stadium weichen die Schuppen der Mund-
höhle von denen des Integuments durch Größe und Lokalisierung auf
gewisse, von tief liegenden mesodermalen Hartbildungen abhängige
Stellung ab. Nach Maßgabe der Größe wird die Entwicklung des
Zahnes von der Oberfläche der Schleimhaut etwas in die Tiefe verlegt,
und es bildet sich zwischen der Mundschleimhaut und dem Schmelz-
epithel ein epithelialer Verbindungsstrang, den man als Zahnzapfen
bezeichnet (größere Zähne der Knochenfische).
3) Als drittes Stadium ist der Fall zu betrachten, wo die Zähne in
Anpassung an ihre Funktion sich der äußeren Form nach vollständig
entfernen, in bestimmten Reihen stehen , die sich streng an einen
unterliegenden Knorpel anschließen, wo der Zahnersatz in regel-
mäßigen Intervallen vor sich geht, und zwar nicht mehr bloß von
einzelnen Epithelzapfen aus, sondern von einer zusammenhängenden
Falte des Epithels, welche ins Mesoderm eingesunken ist, der
Z a h n 1 e i s t e. So entstehen gemeinsam funktionierende Zahngene-
rationen (Dentitionen: primitives Kiefergebiß der Selachier).
4) Auf einem vierten Stadium ist die Zahl der gleichzeitig in Funk-
tion tretenden Zahnreihen eine beschränkte geworden, zugleich hat sich
der Einzelzahn vervollkommnet und seine Entstehung ist noch mehr ins
Mesoderm hinab verlegt. Der Zahnersatz geschieht nicht mehr von
einer faltenartigen, sondern einer gitterartig durchbrochenen
Zahnleiste aus. Hand in Hand damit hat sich ein Schmelz-
organ (vergl. p. 410) ausgebildet, von dem aus der Einzelzahn ent-
steht. (Spätere Generationen der Krokodilzähne.) Auch findet hier
stets noch während des ganzen Lebens Zahnersatz statt, ein Zustand,
den man als Polyphyodontie bezeichnet.
5) Aus diesem Gebißtypus entwickelt sich ein solcher mit nur
wenigen Generationen von Einzelzähnen zu Beginn der Lebensdauer
(0 1 i g o p h y o d o n t i e) , mit rudimentärem oder fehlendem Gaumen-
gebiß und mit einer über die Unterkieferreihe übergreifenden Ober-
kieferbezahnung, unter Beibehaltung der übrigen auf vorigem Stadium
erworbenen Vervollkommnungen (manche Eidechsen).
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 359
6) Sechstens wird die Zahl der Zahngenerationen auf zwei beschränkt
unter fortschreitender Vervollkommnung der Einzelzähne, die unter
sich nach der Funktion verschieden sind (Diphyodontie). Man
bezeichnet diese beiden Zahngenerationen als lakteales oder Milch-
und permanentes oder Ersatzgebiß. Von den ihnen voran-
gehenden und nachfolgenden Generationen sind Spuren erhalten , die
man als prälakteale und postpermanente Dentition bezeichnet
(primitives Säugetiergebiß).
7) Von diesem Stadium bildet sich ein weiteres heraus, bei dem
nur noch eine Zahngeneration von zumeist unter sich ähnlichen
Zähnen zur Ausbildung gelangt, sei es daß dieselben in größerer
Anzahl oder nur einzeln auftreten (Monophyodontie). Damit in
Verbindung greift eine weitere Erscheinung Platz, das Dauerwachstum
von einzelnen Zähnen (zahlreiche Wale, Nager und Edentaten).
8) Endlich kann die Zahnbildung völlig erlöschen. Hierbei treten
wohl noch Rudimente von Einzelzähnen oder Zahngenerationen auf,
aber nicht immer. Zahnlosigkeit (Anodontie) ist stets eine terminale
Erscheinung, nie primitiv; doch können wir nicht nachweisen, daß
zahnlose Wirbeltiere alle die möglichen Entwickelungs- und Rück-
bildungsstufen durchlaufen haben oder durchlaufen müssen, die das
Zahnsystem in seiner Gesamtheit aufweist. Zahnlos sind unter den
Fischen die Lophobranchier, die meisten erwachsenen Knorpelganoiden,
unter den Amphibien die Kröten, zahlreiche fossile Sauropsiden inner-
halb der verschiedensten Stämme, sowie unter den lebenden die
Schildkröten und Vögel, unter den Säugetieren die erwachsenen
Monotremen, viele Edentaten , die Endformen der Sirenen (Rhytina)
und Wale (Bartenwale).
Das speciell mit der Bildung des Zahnes betraute Schmelzorgan
hat in den letzten Stadien erhebliche Veränderungen erlitten. Im
einen Fall, wo es einen Dauerzahn zu produzieren hat, wird es
selbst zu einer dauernden Einrichtung (s. p. 405). In allen Fällen da-
gegen, wo Rückbildung eines Einzelzahnes oder einer ganzen Generation
stattfindet, bleibt es an Größe zurück und giebt seine Differenzierung
auf, um zu einem unbedeutenden Epithelvorsprung herabzusinken.
Aus dieser Uebersicht geht hervor, daß:
1) der Prozeß der Zahnbildung, der anfänglich
während des ganzen Lebens andauerte, successivein
die E m b r y o n a 1 p e r i o d e zurücktritt;
2) der 0 r t d e r Zahn bildung, der anfänglich sich
über d i e g a n z e M u n d h ö h 1 e erstreckte, javielleicht noch
auf das Entoderm ausdehnte, immer mehr beschränkt
wird, zuerst auf einzelne Bezirke der Mundhöhle, dann
ausschließlich auf die Kieferschleimhaut und schließ-
lich nur noch auf einzelne Teile derselben;
3) der Modus des Zahnersatzes ursprünglich un-
regelmäßig auf den Einzelzahn beschränkt und zufällig,
allmählich geordnet wird und periodisch (in Gene-
rationen oder Dentitionen) von statten geht;
4) daß an Stelle der zahlreichen Hartgebilde mit
diffuser Funktion nach und nach eine geringere An-
zahl mit höherer und bestimmterer Funktion gesetzt
wird.
360 R. BURCKHARDT,
5) Kompliziertere mesodermale H a r t s u b s t a n z e n
machen einfacheren, aber solideren Platz, einfachere
Strukturen der ektoder malen bei niederen Verteb raten
komplizierteren bei den höheren. Demgemäß weicht
ein primitiver Modus der Bildung eines einzelnen
H a r t g e b i 1 d e s auch einem komplizierteren und an
histologische Sonderun gen geknüpften, wie wir ihm
bei den höheren Wirbeltieren begegnen.
Erst von diesen allgemein anatomischen Thatsachen aus werden
die speciellen der Embryologie verständlich. Ebenso aber auch, daß
die Zahnentwickelung eine verschiedene Bedeutung für die Systematik
der niederen und der hohen Vertebraten besitzt, und zwar, daß diese
Bedeutung zunimmt, je mehr wir uns Endzuständen innerhalb der
Wirbeltiergruppen nähern.
II. Die Entwickelung der Hartgebilde des Integuments.
A. Die Schuppen der Fische und ihre Modifikationen.
1 . Die Entwickelung der P 1 a c o i d s c h u p p e n.
Von den mannigfachen Hartgebilden der Haut, die bei den Fischen
anzutreffen sind, betrachten wir die placoide Beschuppung der Selachier
mit Gegenbaur und 0. Hertwig (1874) als die primitivste. Aber
wir gehen insofern von dem durch die Untersuchungen klassisch ge-
wordenen Material ab, als nicht mehr heute lebende Selachier zum
Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen über den Bau der Schuppe
gewählt werden können, da fossile uns viel ursprünglichere Zustände
enthüllen. Für das Studium der Ontogenie der Placoidschuppen bleibt
uns freilich nichts anderes übrig, als uns an die noch lebenden modi-
fizierten Formen zu halten, auf deren weitgehende Abweichung von
ursprünglichen Zuständen schon Gegenbaur aus rein theoretischen
Gründen hingewiesen hat, lange ehe primitive Placoidschuppen bekannt
wurden.
Nachdem bereits Pander und eine ganze Reihe späterer Fisch-
paläontologen uns mit dem Bau der Schuppen der Cölolepiden und
Acanthodiden vertraut gemacht hatten, war es Rohon (1889), der auf
die genetische Bedeutung dieser Gebilde hinwies. Bei den Acanthodiern
bestehen die winzigen Schuppen aus einem quadratischen, allseitig abge-
rundeten auf der Unterseite hohlen Korn. Ebenso bei den Coelolepiden
(Fig. 209). Doch ist hier die Oberfläche nicht rundlich gewölbt, sondern
caudalwärts stumpf zugespitzt und oberwärts mit einigen schwachen,
nach der stumpfen Spitze hin gerichteten Längsleisten versehen. Mit
ihrer Kuppe ragt die Placoidschuppe aus der Haut heraus ; wo sie in
diese eintritt, ist sie etwas verschmälert, um sich mit dem tiefer in
der Haut steckenden Teil wieder zu verbreitern. Von der Unterseite
dringt eine weite, an ihrem Eintritt nur wenig verengerte Höhlung
in dieses Hartgebilde. Man unterscheidet demnach: Schuppen-
spitze, Hals und den unter ihm befindlichen Teil als Basis. Die
Höhle wird als Pulpahöhle bezeichnet, da sie denjenigen Anteil
des Mesoderms enthält, welcher als Bildungs- und Ernährungsorgan
der Placoidschuppe dient, die Pulpa. Während in diesen äußeren
Formverhältnissen die Schuppen der niederen Selachier von denen
der höheren nicht wesentlich verschieden sind, weist besonders die
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 361
Struktur der Hartsubstanz einen sehr primitiven Bau auf. Schuppen-
spitze und Hals sind von einem stark lichtbrechenden dünnen Ueberzug
bekleidet, dem Schmelz. Die Hauptmasse der Schuppe aber besteht
aus Dentin, an dem sich folgende Struktureinzelheiten unterscheiden
lassen. Einmal zeigt das Dentin Schichtungsstreifen, Bänder von ab-
wechselndem Lichtbrechungsvermögen, welche der Oberfläche der Pulpa-
höhle parallel verlaufen. Dann aber dringen von der Oberfläche der
i \E.Sch.
Fig.
209. Placoidschuppe von Thelolepis.
P Pulpa. Dr Dentinröhrchen. VD
Vitrodentin. Co u. Co, Konturlinien im Zahnbein. Sh Kanäle der zur Basis verlaufen-
den Bindegewebsfibrillen (SHARPEY'schen Fasern). Mittlere Vergrößerung. NachRöSE.
Pulpahöhle radiäre Kanäle ins Innere des Dentins, um sich in ihm
baumartig mehrfach zu verzweigen und sich in feinste Ausläufer auf-
zulösen. Es sind dies die Dentinkanäle; von ihnen werden alle
äußerlich unterscheidbaren Teile der Schuppe in gleicher Weise durch-
zogen. Doch hat Baume darauf aufmerksam gemacht, daß die meso-
dermale Hartsubstanz vielfach auf einer Stufe stehen bleibt, die dem
osteoiden Gewebe näher kommt als dem Dentin. Ergänzen wir dieses
Bild einer primitiven Placoidschuppe, wie sie bisher bloß bei fossilen
Selachiern nachgewiesen wurde, durch dasjenige, welches uns 0. Hert-
wig (1871) von der Schuppe eines lebenden Selachiers (Mustelus vul-
garis) entwirft.
Die Cutis der Selachier besteht aus übereinander liegenden Binde-
gewebslamellen, deren jede aus einer Schicht parallel gerichteter
Fibrillen besteht. Die größeren Komplexe dieser Fibrillen kreuzen
sich gegenseitig unter rechtem Winkel und unter 45° zur Längsachse
des Tieres. Senkrecht zu diesen einander durchflechtenden Binde-
gewebszügen steigen in der Richtung gegen die Körperoberfläche
isoliert verlaufende Fibrillenbündel auf, deren noch weiterhin zu ge-
denken ist. Zwischen all diesen Faserzügen finden sich zerstreut
Cutiszellen. Ueberdeckt wird die Cutis von einer mehrschichtigen
362
R. BURCKHARDT,
Epidermis, deren untere Zelllagen cylindrisch, deren obere kubisch
oder pflasterartig sind. In diesen Boden sind die Placoidsclmppen
eingesenkt. Sie haben sich bei den lebenden Selachiern insofern
Fig. 210. Sagittalschnitt durch eine Placoidschuppe von iScymnus lichia.
E Epidermis. S Schmelz. D Dentin. C Basalplatte, bg Bindegewebsfibrillen der Cutis,
in Bündeln angeordnet. P Schuppenpulpa. Ca. 90 fach vergr. Nach O. Hertwig.
differenziert, als der Hals enger geworden ist. Dadurch tritt die
Schuppenspitze deutlicher hervor. Die bei niederen Selachiern hohl-
kegelartige Basis verbreitert sich zu einer mehr oder weniger qua-
dratischen Basalplatte und die dort weite Pulpahöhle erfährt hier
durch die Verbreiterung der Basalplatte eine Verengerung ihrer Mün-
dung. Mit diesen äußeren Veränderungen der Placoidschuppe hat
sich auch das histologische Bild geändert. Die Hauptmasse der Pla-
coidschuppe besteht zwar auch aus Dentin, welches von zahlreichen
Kanälen durchzogen ist
aber die Verzweigungen sind nicht
mehr
parallel gerichtet, und sie fließen nach der Pulpahöhle hin in einige
stärkere Röhren zusammen. Auch die Schichtungsstreifen fehlen nicht.
Dagegen hat die Basis mit ihrer Umwandlung in eine Platte auch
eine Veränderung ihrer ursprünglich dentinartigen Struktur erfahreu.
Sie besteht aus einer homogenen Grundsubstanz, die allmählich in
das Dentin übergeht. In sie treten die oben erwähnten, senkrecht
aufsteigenden Bindegewebsfibrillen ein und dienen so zur Befestigung
der Schuppe. Die Pulpahöhle öffnet sich durch einen langen verti-
kalen Gang, der die Basalplatte durchbricht, nach unten. Sie enthält
ein zellenreiches, blutgefäßführendes Bindegewebe. Ihre Oberfläche
ist von dicht gedrängten Zellen besetzt, deren einige starke Ausläufer
in die oben beschriebenen Dentinröhren senden, die sich wie diese
verzweigen. Diese Zellen sind auch bei der Schuppe als Odon to-
blasten zu bezeichnen. Die Schuppenspitze ist mit einer Rinde
bedeckt, in welche die Dentinröhrchen nicht eindringen. Diese Rinde ist
glatt, hart, glasglänzend und stark lichtbrechend. Sie unterscheidet sich
vom Dentin dadurch, daß sie sich in konzentrierter Salzsäure mit
ganz geringem Rückstand auflöst,
zusatz als milchweißer Ueberzug
während sie bei schwachem Säure-
erhalten bleibt. Diese Substanz
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 363
deutet 0. Hertwig als Schmelz, obsclion sie die für den Schmelz
der Zähne charakteristische Prismentstruktur nicht erkennen läßt,
lieber ihr findet sich ein Schm elzoberhäutchen. Die Placoid-
schuppe unterliegt den mannigfaltigsten Modifikationen, schon inner-
halb eines und desselben Schlippenkleides, noch mehr innerhalb der
ganzen Ordnung der Selachier. An solchen seien hier nur erwähnt:
die großen Einzelschuppen der Rochen, die sternartigen, oft miteinander
innig verbundenen Platten von Echinorhinus, die haarartigen Schuppen
von Spinax. die buckelartigen Schuppen der Rhinobatiden. Als be-
sonders extreme Umbildungen der Placoidschuppe erscheinen die
Flossenstacheln, deren noch ausführlicher zu gedenken ist.
Die Ent Wickelung der Placoidschuppen verläuft nach 0. Hertwig
und Klaatsch (1890) folgendermaßen:
Bei einem Scymnusembryo von 17 cm Länge zeigen sich die
ersten Veränderungen, die in der Folge zur Schuppenbildung führen.
der
Epidermis. Zugleich ver-
so, daß die in der übrigen
Fig. 211. Anlage einer Placoidschuppe
Sm Schmelzmembran in der Epidermis. Ska
Spitzenteil der Cutispapille. S/cb Basalteil der
Cutispapille. Ca. 150-fach vergrößert. Nach
Klaatsch.
Es entsteht eine leichte Vorwölbung
ändert sich deren basale Schicht und zwar
Epidermis kubischen Zellen im
Bereiche der Schuppenanlage
sich senkrecht zur Basis strec-
ken ; außerdem nimmt auch
die Zahl der über ihnen lie-
genden Zellschichten etwas
rascher zu. Unter der also
veränderten Epidermis sam-
meln sich die Cutiszellen dich-
ter an und färben sich leb-
hafter. Gleichzeitig wölbt sich
diese gesammte Papille leb-
haft gegen die Epidermis vor.
Nun macht sich auf etwas spä-
teren Stadien eine Sonderung
der Cutispapille bemerkbar :
der äußere Teil besteht aus kleineren rundlichen Elementen, die rasch an
Zahl zunehmen. Sein höchster Punkt verschiebt sich nach und nach cau-
dalwärts. Aus diesen Zellen wird die Schuppenspitze ausgeschieden. Der
basale Teil der Cutispapille nimmt weniger lebhaft zu, seine Elemente
richten sich der Oberfläche parallel ; ihm verdankt die Basalplatte ihre
Entstehung. Nachdem nun die Form der Placoidschuppe in zelligen
Elementen angelegt ist, erfolgt die Abscheidung der Hartsubstanzen. Es
erscheint der Schmelz als eine kontinuierliche homogene Lage an der
Unterseite der basalen Epidermiszellen, welche, wenn sie ihn ausge-
sondert haben, sich wieder verkürzen. Gleichzeitig haben sich die
oberflächlichsten Elemente der Cutispapille vergrößert und, zu einer
besonderen Schicht angeordnet, von den übrigen differenziert, Sie
scheiden nun eine dem Schmelz dicht anliegende homogene Schicht
aus, welche sich von ihm durch eine unregelmäßig gezackte Linie
abhebt. Erst jetzt lagern sich in dieser Schicht Kalksalze ab, sie wird
zum Dentin. Das zellige Material des basalen Teiles der Cutispapille
sondert die Basalplatte aus. Erst später findet die Ausscheidung der
Bindegewebstibrillen statt, die zur Befestigung der Schuppe dienen,
Hierbei ist bemerkenswert, daß die Basalplatte allseitig von den sie
bildenden Bindegewebszellen umlagert wird und daß also die von ein-
364
R. BüRCKHARDT,
seitig
verzweigten
Röhren durchzogene
dem engen Anschluß an die Epidermis
War bisher die Schuppe unter der
sie jetzt mit der Spitze dieselbe
ginnt
Dentinsubstanz ihre Struktur
verdankt.
Epidermis verborgen, so be-
zu durchbrechen. Der Hart-
substanzmantel, der die Cutispapille umgiebt, verdickt sich. Der obere
;-:■:>
Sp
brl
cos
Fig. 212. Längsdurchschnitt durch eine ältere Anlage einer Placoidschuppe
e Epidermis, b Basalschicht ihrer Zellen, bin Basalmembran, seh Schleimzellen, bwl
Bindegewebslamellen der unteren Cutis, cos Obere Outisschicht. Sp Cutispapille der
Schuppe. O Odon toblasten. D Dentin. S Schmelz. Sm Schmelzmembran. 120-fach
vergr. Nach ü. Hertwig.
Teil der Pulpahöhle verschmälert sich zu einer Röhre, in welcher die
obersten Odontoblasten sitzen. An der frischen Schuppe zeigt die
Oberfläche eine polygonale Felderung, welche auf den ursprünglichen
Ueberzug mit dem Schmelzepithel zurückgeht. Die Basalmembran der
Epidermis wird zum Schmelzoberhäutchen.
- Ueber den Modus der Hartsubstanzbildung liegen keine einwand-
freien Beobachtungen vor. Man hat die Frage aufgeworfen, ob das
Dentin durch Umwandlung eines Teiles des Odontoblastenkörpers ent-
steht, oder ob es einfach von diesem ausgesondert wird. Für letz-
teres scheinen die Schichtungsstreifen im Dentin zu sprechen. Für
Umwandlung der Schmelzzellen im Schmelz spricht die Abnahme der
Schmelzzellen an Höhe nach Maßgabe der Schmelzablagerung. Ander-
seits sieht man keine Verkalkung in den Schmelzzellen auftreten, son-
wenigstens
auch keine Spur
die Basalmembran
liegend
gefunden.
daß der Schmelz
dem bloß im Schmelz selbst. Dieser zeigt denn
einer zelligen Zusammensetzung, fernerhin wird ja
der Schmelzzellen nachträglich auf dem Schmelz
Daraus ergiebt sich als das Wahrscheinlichere,
bei der Placoidschuppe ein Absonderungsprodukt ist.
Nach Baudelot (1873), hat schon Steenstrup (1861) darauf
hingewiesen, daß, während bei den Teleostomen die Schuppen per-
sistieren, bei den Selachiern ein beständiger Wechsel stattfindet. Wahr-
scheinlich entsteht auch bei den größeren Haien ein großer Teil der
Schuppen erst im späteren Leben. Für die riesige Myliobatis bovina
kann ich konstatieren, daß sie bei mehreren Metern Breite eine von
kleinen Schuppen bedeckte Occipitalgegend besitzt, während Exemplare
von etwa einem Meter Breite noch solcher Hautgebilde entbehren.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 365
Bei den Holocephalen älterer Formationen ist noch ein beträcht-
licher Teil des Schuppenkleides erhalten, der in älteren Entwickelungs-
stadien der lebenden wiederkehrt (A. Dumeril 1863); während die
Holocephalen im erwachsenen Zustand sonst nur an den Begattungs-
organen modifizierte Placoidschuppen beibehalten, sind nach einem
mir freundlichst gewährten Einblick in eine demnächst erscheinende
Arbeit von Schauinsland bei älteren Embryonen von Callorhynchus
fast typische Placoidschuppen auch in der Occipitalgegend reihenweise
vorhanden und über den ganzen Kopf zerstreut. Nach Schauinsland's
Untersuchungen über den mikroskopischen Bau dieser Gebilde dürften
sie diejenigen Placoidschuppen sein, welche abgesehen davon, daß sich
Schmelz bei ihnen nicht nachweisen ließ, im Bau den oben erwähnten
palaeozoischen Urformen am allernächsten stehen, indem auch bei
ihnen die Dentinstruktur auf die Basalplatte übergreift, ganz so, wie
es für Thelolepis geschildert wurde.
2. Die Ent Wickelung der Flossen st ach ein der Selachier.
Schon Hannover (1868) hat lebhaft betont, daß die Flossen-
stacheln bei den Selachiern homolog der Placoidschuppe seien. Diese
Ansicht vertritt auch 0. Hertwig (1873). Ausführlichere entwickelungs-
geschichtliche Untersuchungen rühren indes erst von späteren Autoren
her: Benda (1882), Markert (1896), Ritter (1900); aus diesen geht
hervor, daß es sich um sehr komplizierte und schwer zu verstehende
Vorgänge handelt, deren Darstellung und Deutung die Autoren nicht
gewachsen waren.
Die Gebilde, um die es sich handelt, sind offenbar sehr verschieden-
artige. Stacheln können am Hinterhaupt auftreten (Xenacanthidae),
an den Wangen (Menaspis), an der lang ausgezogenen Schnauze als
Rostralstacheln (Pristis), zwischen Brust- und Bauchflossen oder an
diesen selbst (Acanthodier), vor den Unpaarflossen des Rückens (Spina-
cidae, Cestracionidae), hinter den Rückenflossen (Centrobatidae Jaekeli,
endlich an den Kopulationsorganen. Von all diesen verschieden ge-
stellten und gebauten Stacheln sind bisher auf ihre Entwickelungs-
geschichte hin nur die der Rückenflossen untersucht worden. Von
vornherein macht sich bei diesen der Unterschied geltend, daß die
Rückenstacheln der Centrobatiden ersetzt werden, während für die der
Spinaciden und Cestracioniden kein Ersatz stattfindet.
Bei Acanthias vulgaris besitzt ein Flossenstachel folgende Struktur.
Schmelz liegt dem über die Haut hervorragenden Teile nur an seiner
Vorderfläche auf. Die größte Masse des Stachels besteht aus Dentin,
und zwar sind mehrere Schichten, deren Dentinröhrchen bald centri-
petal, bald centrifugal verlaufen, zu unterscheiden. Die Pulpa ist
größtenteils von einem Knorpelstab ausgefüllt, der an der Basis der
Rückenflosse entspringt. Die Entwicklung dieser Gebilde scheint vor
derjenigen der Placoidschuppen ihren Anfang zu nehmen; denn auf
dem ersten von Markert abgebildeten Stadium zeigt sich die Epi-
dermis in der Umgebung noch sehr indifferent, während sich von ihr
bereits ein im Querschnitt halbmondförmiger Epithelzapfen tief ins
Mesoderm eingesenkt hat. Das vordere Blatt dieses Zapfens besteht
noch aus kubischen Epithelzellen , das hintere aus einer typischen
Ameloblastenschicht. Auch im Mesoderm sind bereits Differenzierungen
vorhanden, und zwar zwei Platten von fibrösem Bindegewebe, sowie die
erste Anlage des Pulpaknorpels. Erst spät durchbricht der also vor-
366 R. BURCKHARDT,
gebildete Stachel die Oberhaut. Vorerst verdickt sich die Schmelzlage ;
zwischen sie und das Dentin wächst Pigment hinein. Von den beiden
Bindegewebsplatten legt sich die hintere, einen Halbcylinder bildend,
um den Knorpel herum, die vordere biegt sich über die Ränder der
hinteren hinweg, bildet beidseitig Hohlkanten, deren Ränder in der
Medianebene auf der hinteren Platte verschmelzen. Jetzt erst lagern
sich in diesen Platten Kalksalze ab, und an die Stelle des fibrösen
Bindegewebes tritt modifiziertes Dentin. Die höchst komplizierten
Entwickelungsvorgänge verdienen jedenfalls noch nähere über mehrere
Selachier sich erstreckende Untersuchungen.
3. Die Entwickelung der Schuppen der T e 1 e o s t o m e n.
Von der großen Mannigfaltigkeit an Hautverknöcherungen , wie
wir sie bei Ganoiden und Teleostiern vorfinden , können wir nur
wenige in ihrer Entwickelung verfolgen, die uns zufälig erhalten sind.
a) Ganoiden. Bei Lepidosteus beginnen nach Nickerson (1893)
die Schuppen an Embryonen von 14,5 cm aufzutreten ; bei 18 cm ist
beinahe das ganze Tier nach Klaatsch (1890) mit Schuppen versehen,
doch finden sich am Bauche Stellen, wo die Schuppen erst in der
Entwickelung begriffen sind. An der Epidermis ist keine basale Schicht
besonders deutlich. In der Cutis entstehen ebenfalls Fibrillenbündel-
S}rsteme, von denen besonders das senkrecht aufsteigende ausgeprägt
ist. Die ersten Anlagen der Schuppen bilden dünne Lagen von Hart-
substanz in der äußeren Cutisschicht, immerhin in beträchtlichem Ab-
stand von der Epidermis. Der Kontur der ersten Schuppenlage ist
noch kein rhombischer, sondern kreisrund. Ihr Mittelpunkt ist durch-
brochen von Blutgefäßen, die auf die äußere Oberfläche der Schuppe
treten. Die ganze Oberfläche der Hartsubstanzplatte, die sich später
in Knochengewebe verwandelt, ist mit großen Cutiszellen, die als
Skleroblasten zu betrachten sind, bedeckt. Diese Elemente werden
später in die Hartsubstanz einbezogen. Die an der Basis der Schuppen
gelegenen Cutiszellen sondern Bindegewebsfasern aus, welche in der
Folge in die Schuppe aufgenommen werden. Aus diesen gehen auch
die soliden Bänder hervor, welche später die Elemente des Schuppen-
kleides unter sich verbinden. Jetzt erst nähert sich die Schuppen-
anlage der Epidermis; gegen diese wachsen aus den außerhalb der
Anlage gelegenen Schichten des Bindegewebes Papillen ein, deren Zahl
auf einer großen Schuppe 30—40 beträgt. Ueber den Papillen nimmt
die Basalschicht der Epidermis deutlich die Beschaffenheit eines Schmelz-
epithels an und sondert wirklich auch ein dünnes Hütchen von Schmelz-
über der Papillenspitze aus. Daran schließt sich die Bildung eines
Dentinkegels über den Zellen der Papille; doch enthält dieses Dentin
nur wenige Röhrchen. Jetzt erst tritt der Dentinkegel mit der unter-
liegenden Platte in direkte Verwachsung, aber die Zellmassen im
Innern des Kegels bleiben noch durch eine Oeffnung mit dem übrigen
Bindegewebe in Verbindung. Schließlich verschmelzen auch noch die
Hartgebilde der einzelnen Kegel untereinander. So entstellt eine
Schicht, welche sich durch das Fehlen von eingeschlossenen Binde-
gewebszellen von der unter ihr gelegenen unterscheidet ; sie wurde seiner
Zeit von Williamson (1849) als Ganoin bezeichnet, von anderen Au-
toren als Schmelz. Später stumpfen sich die Zähnchen vollständig ab
und es bildet sich die gelenkige Verbindung der Schuppen aus. In
Ergänzung hierzu ist zu bemerken , daß Nickerson insofern von
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 3G7
nachträglich
äußeren
Olli (I
Bedingungen
G
so an-
caudal-
bilden.
Kreuzung
Fig. 213. Fertiges Schuppenzähnchen
von Lepidosteus 18 cm. E Schmelz.
Dentin. G oberflächliche Hartsubstanz
D
der
Schuppe. Vergr. 120-fach. Nach Klaatsch.
Klaatsch abweicht, als nach ersterem das Ganoin erst
als Ueberzug der von Klaatsch so benannten zellenlosen
Hartsubstanz auftritt.
b) Tele o stier. Die Mehrzahl der Arbeiten über Teleostier-
schuppen schildert die zahlreichen Modifikationen lebender und fossiler
ausgewachsener Formen. Ueber
die Entwickelungsgeschichte lie-
gen relativ wenige Beobachtungen
vor.
Vogt (A. L. III. 1842) weist
darauf hin, daß das Schuppen-
kleid bei Salmoniden relativ spät
auftritt. Ryder (1878/79)
den mechanischen
in der Anordnung des Schuppen-
kleides nach. Die Schuppenreihen
entsprechen ihm zufolge den My-
omeren und entstehen in Bezirken
der Haut, die in ihrer Abgrenzung
mit diesen zusammenfallen. Die
Somiten sind dorsal und ventral
von der Mitte der Seite
geordnet, daß sie eine
wärts gerichtete Spitze
Dadurch kommt eine Kreuzung des Zuges zwischen den dorsalen
und ventralen Abschnitten der Somiten zu stände, und durch diese
Zuglinien wird die Oberfläche des Integuments in rhombische Fel-
der zerlegt. Danach richtet sich wiederum die Stellung der Schuppen.
Auf ein Myomer können auch mehrere Schuppenreihen entfallen. Nach
Klaatsch (1890) und Ussow (1877) machen sie sich im embryonalen
Leben an den beiden vorderen Seitenflächen des Rumpfes bemerkbar, und
von diesen Stellen schreitet ihre Entwicklung allseitig vor. Salmoniden
und Cyprinoiden wenigstens stimmen hierin überein. Eingehendere
Angaben über die Entwicklung der Teleostierschuppe finden sich bei
B. Hofer (1890) und Klaatsch.
Forellenembryonen beginnen erst ihre Schuppen auszubilden, wenn
sie gegen 3 cm Länge erreicht haben. Vorher wird die Haut von
einer dünnen Epidermis und einer relativ sehr dünnen Cutisschicht
gebildet, deren Lamellen bis dicht unter die Epidermis reichen. An
gewissen Stellen beginnen sich nun die Cutiszellen lebhafter zu teilen
und großkernige Elemente auszusondern, welche sich ansammeln, um
eine leicht nach der Epidermis vorgewölbte Papille zu bilden. Die
Oberfläche der Epidermis ist auf diesem Stadium noch glatt. Im
weiteren Verlaufe ordnen sich die Zellen der Papille so an, daß sie
eine ovale Scheibe bilden, deren Mitte aus zwei übereinander liegenden
Zellschichten gebildet wird, während an der Peripherie sich etwa drei
bis vier Zelllagen ansammeln. Alsdann bohrt sich der gesamte Zellhügel
caudal tief in die Epidermis ein. Jetzt beginnen sich Veränderungen
in der Schmelzmembran geltend zu machen. Ihre Zellen nehmen wie
bei der Bildung der Placoidschuppen Cylinderform an, sondern aber
keinen Schmelz aus und verfallen im weitern Verlauf einer regressiven
Metamorphose. Die Schmelzniembran tritt also hier noch als rudimentäres
Organ auf (Hofer ; von Klaatsch bestritten). Unterdessen tritt zwischen
368
R. BURCKHARDT,
den beiden über die ganze Anlage der Schuppe sich erstreckenden Schichten
der Cutispapille eine dünne Lage stark lichtbrechender Substanz auf: die
nachmalige Hartsubstanz der Schuppe. Es lockert sich die Verbindung
der Skleroblasten und
der übrigen Cutiszel-
len, und es bildet sich
auch durch die be-
trächtliche Ausdeh-
nung, welche das sich
entwickelnde Organ
annimmt, und die be-
reits vorher ange-
bahnte Schrägstellung
die dachziegelartige
Deckung (Imbrikation)
Ä
^m&fW&ttmv
Fig. 214. B, A, C. Drei verschiedene Entwickelnngs-
stadien der ForeUensckuppe im Längsschnitt, ca. 360-
fach vergr. Nach. Klaatsch.
aus. Die Lockerung
in der Cutis ist so
weit fortgeschritten,
daß eine Schuppen-
tasche bemerkbar wird.
Diese entsteht da-
durch, daß „einmal
die Schuppe durch
wucherndes Bindege-
webe von der Epider-
mis abgedrängt und
so eine äußere Wand
der Tasche in ihrem
vorderen Teile gebildet
wird ; sodann wird
durch das Einwachsen
der Schuppe in die
lockern Teile der Cutis
und durch die Aus-
bildung derselben zu Septen der Boden der Tasche und ihre äußere
Wand geliefert" (Klaatsch). Die Hartsubstanz ist ausschließlich
ein Ausscheidungsprodukt, in das keine Zellen, wohl aber Binde-
gewebsfibrillen aufgenommen werden. Erst wenn es zur Imbrikation
gekommen ist, wird die untere Schuppenschicht von den Zellen, die
die Basis der Schuppentasche bilden, ausgeschieden. Auch in diese
Schicht treten keine Zellen ein. Ein prinzipieller Unterschied in ihrer
Entstehung im Vergleich zur oberen Schuppenschicht ist nicht vor-
handen ; entstammen doch die Bildner beider Schichten derselben
Cutispapille. Die Entwicklung der Ctenoidschuppen verläuft im
wesentlichen wie die der Cykloidschuppen.
4. Die Entwickelung der Fulcra und Flossenstrahlen
der Teleostomen.
Fulcra, Flossenstrahlen und Schuppen sind zweifellos verwandte
Hartgebilde. Früher wurden erstere als charakteristische Bildungen
der Ganoiden betrachtet, doch finden sie sich auch an der Basis der
Knochenfischfiossen. An den Materialien von Fritsch und Traquair,
die uns vielfach mit Uebergangsreihen zwischen Fulcra und Flossen-
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle.
369
strahlen bekannt gemacht haben, hat sich die alte von Kner vielseitig
ausgebaute Theorie von der Einheit aller knöchernen Hartgebilde der
Flosse aufs neue bestätigt. Wie aber alle Uebergänge zwischen
Fulcren und Flossenstrahlen zu verfolgen sind, so auch von den
Filieren zu den Schuppen. Der ontogenetische Prozeß der Flossen-
strahlenbildung ist in den Arbeiten von Lotz (1862), 0. Hertwig
(1879), R. G. Harrison (1893) und Salensky (1899) dargestellt. Der
letztgenannte Autor hat die frühen Vorgänge in der Entwicklung der
Fulcra von Acipenser verfolgt und giebt an, daß die Skleroblasten
sich schon in Reihen anordnen, bevor die Hartsubstanz sichtbar wird.
Im weiteren hat er die Beobachtung 0. Hertwig's, wonach einzelne
Plättchen gebildet werden, die später unter sich verschmelzen, be-
stätigt. Nach Lotz werden die Flossenstrahlen zuerst als kontinuier-
liche Stäbe angelegt. Harrison zeigte, daß der Hartsubstanzstreifen
aus Körnchen aufgebaut wird und unmittelbar unter dem Ektoderm
der Flosse liegt, ohne daß jedoch diese Schicht sich nur im geringsten
an der Ausscheidung beteiligte, da seine Basalmembran niemals auf-
gelöst wird. Die durch Größerwerden aus dem Mesenchym sich differen-
zierenden Osteoblasten sammeln sich alsdann an bestimmten, mecha-
nisch bedingten Stellen (Ryder, A. L. III. 1884) zu mehrzelligen
Haufeu an der Unterseite des Hartsubstanzstreifens an, und schon
der blosse Druck derselben, vielleicht in Verbindung mit chemischen
Einflüssen genügt, um die Flossenstrahlen zu knicken. Die erst un-
_ ect
Fig. 215. Schnitt durch den Flossenstrahl der Schwanzflosse von Sahno salar,
2 cm. fr Flossenstrahl, sp künstliche Spalte, hf Hornfasern. bm Basalmembran.
Stark vergr. Nach Harrison.
regelmäßigen Bruchflächen der Flossenstrahlenpartikel werden nach-
träglich abgerundet und durch Ligament verbunden. Harrison hat
hierbei besonders auf die Analogie in der Entwickelung der Flossen-
strahlen und der Hornfäden aufmerksam gemacht, welch letztere in
einem anderen Kapitel dieses Handbuches zur Darstellung gelangen wird.
B. Die Entwickelung der Hautknochen der Anamnier.
Schon Agassiz (1845) und Williamson (1849) haben die Schilder
und Panzerplatten der .Fische den übrigen Integumentbildungen der-
selben angeschlossen. Doch taucht der Gedanke, die Entwickelungs-
geschichte all der hierher gehörigen Hartgebilde einheitlich zu be-
Handbuch der Enhvickelungslehre. II. 1. 9<4
370 R. BURCKHARDT.
trachten und ihre Homologien zu bestimmen, erst in den Arbeiten
0. Hertwig's (1874*) auf und findet dort seine Durchführung. Wir
werden diese Modifikationen der Hauthartgebilde erst in zwei Kategorien
einteilen und getrennt verfolgen: einmal in die Panzerplatten und
Schilder der Fische, dann aber in die Mundhöhlenknochen und über-
haupt in die sog. Deckknochen am Schädel und an anderen Körper-
regionen ; drittens würden hier anzureihen sein die Fulcra und Flossen-
strahlen, deren Entwickelung bereits geschildert ist.
1. Das Hautskelett der Störe.
Das Hautskelett der Störe zeigt im erwachsenen Zustande alle
Uebergangsformen, welche von den einfachsten Hartgebilden, wie sie
die primitivsten Selachier und Ganoiden besitzen, zu jenen extremen
Bildungen hinüberleiten, die man als Schilder, Schindeln (Fulcra) und
Flossenstrahlen bezeichnet. Eben deshalb sind die Störe ein geradezu
klassisches Objekt auch für das Studium der Entwickelung dieser
Gebilde. Ohne auf die vergleichend-anatomischen Kontroversen ein-
treten zu können, welche sich an die Homologisierung derselben
knüpften , müssen wir an Hand der Untersuchungen Salenski's
(A. L. III. 1880 und 1899) kurz über ihre Entwicklungsgeschichte
referieren. Die Rückenschilder des Störs machen sich bei achttägigen
Embryonen auf dem Flossensaum in Gestalt einer Reihe dunkler
Flecke bemerkbar ; ihnen entsprechen Verdichtungen des Mesoderms.
Schon am 12. Tage brechen die Schilder durch die Epidermis. Erst
wenn sie sich gegenseitig berühren, beginnen sie, von außen sich
mit verkalktem Gewebe zu bedecken. Wie schon Götte (1878) be-
tonte, sind diese Anlagen der Schilder auffallend spitzkegelförmig
und verraten dadurch eine nahe Verwandtschaft mit den Fulcren. Erst
nach der Reihe der Rückenschilder legen sich die lateralen und ven-
tralen Schilderreihen an. Der Dentinkegel der Schilder besteht bei
allen untersuchten Formen aus einer homogenen, von Kalksalzen
durchtränkten Substanz ohne nachweisbare Struktur. Schmelz wird
gar nicht gebildet. Schon Williamson hat die Existenz von solchem
beim ausgewachsenen Hautskelett der Störe bestritten. Nach 0. Hert-
wig werden dagegen in den Basalplatten der kleinen Ossifikationen
zwischen den Schildern Knochenkörperchen gefunden, ebenso in den
größeren Schildern selbst. Sie müssen also nach den von Salenski
beobachteten Entwickelungsstadien in den Verknöcherungsprozeß ein-
bezogen werden. Es entspricht dies auch den von 0. Hertwig
(1879) bereits namhaft gemachten Beobachtungen, wonach der Ver-
knöcherungsprozeß der Hauthartgebilde die Embryonalperiode der
Störe weit überdauert und somit wahrscheinlich mit dem permanenten
Wachstum der großen Arten von Stören zeitlebens Schritt hält.
2. Das Hautskelett der Knochenfische.
Das Hautskelett der Knochenfische ist von den Autoren mehr an
extremen Formen und besonders wiederum auf Grund von Ver-
gleichung der fertigen Zustände verfolgt worden. Bekannt sind die
Knochenplatten des Körpers von Hypostoma, welche an ihrer Ober-
fläche mit kleinen echten Zähnchen besetzt sind, die einem besonderen
Sockel aufsitzen und an ihrer Spitze sogar eine Schmelzkappe tragen.
Diese Zähnchen sind keine bleibenden Bildungen, sondern der Er-
neuerung unterworfen. Hieraus können wir schließen, daß sie wohl
Die Verknöcherungen des Integurnents und der Mundhöhle. 371
auch ursprünglich ontogenetisch in gleicher Weise entstehen. Nach
0. Hertwig's (1874*) Ausführungen ist denn auch die Entwickelung
der Zähnchen völlig analog der eines Teleostierzahnes, wie wir sie
p. 379 zu schildern haben. Im weiteren Verlauf tritt alsdann eine
Verschmelzung mehrerer kleiner Einzelplättchen zu einer größeren
Platte ein und, es bilden sich auf diese Weise die eigentlichen Panzer-
platten, wie sie namentlich bei der schwer gepanzerten Gattung
Callichthys angetroffen werden.
3. Die Mund höhlenkno chen und die Deckknochen des
Schädels bei Fischen und Amphibien.
0. Hertwig (1874*) hat zuerst der vergleichend-anatomischen
Hypothese Ausdruck verliehen, daß in ähnlicher Weise, wie die Panzer-
platten aus einzelnen den Placoidschuppen homologen Hautzähnchen
verschmelzen, auch die Mundknochen durch Verschmelzung von Zahn-
sockeln entstünden. Die embryologischen Thatsachen, die für die Be-
urteilung dieser Hypothese in Betracht kommen, treten an allgemeiner
Bedeutung hinter den auf die Mannigfaltigkeit in den Zuständen aus-
gewachsener niederer Vertebraten begründeten weit zurück. Die Ein-
heitlichkeit der sich hierbei abspielenden embryonalen Prozesse, sowie
die historische Entwickelung des Problems zwingen uns, die niederen
Vertebraten nicht in systematischer Pteihenfolge zu behandeln, sondern
von den an Amphibien gemachten Beobachtungen auszugehen. An
eben ausgeschlüpften Amphibien beobachtet man, daß neben einzeln
verkalkten Zahnspitzchen auch solche vorhanden sind, die an der Basis
einer äußerst feinen und gitterartig durchbrochenen Knochenlamelle
mehr oder weniger fest aufsitzen, welche erst nach ihnen im Binde-
gewebe der Mundschleimhaut entstanden ist. Unsere Figur giebt
diesen Zustand vom Vomer eines Urodelen wieder. Dadurch er-
scheinen die also entstehenden Knochen bloß „als Gruppe von
Zähnen, die an ihrer Basis verkittet sind1' (0. Hertwig). Daher
bilden sie ein „Zahnskelett" bestehend aus Vomer, Palatinum und
Operculare. Dentale, Maxillare und In-
termaxillare bilden sich nur zum Teil .
auf dieselbe Weise, da sie zum anderen v , i"M
Teil aus dem Cutisgewebe der Oberhaut f -k c-* v^ \ i
direkt ihren Ursprung nehmen. Zu den jjro jjfo'^ j^ VhL-i
am spätesten auftretenden Knochen ge- vc. < |>of; <£ *t> $l0 &
hört das Parasphenoid. Noch enthalten jj} c* j*©o " jjJ
diese Knochen alle keine Knochenkör- xo*0 ^o^M^jm)
perchen, sondern bestehen bloß aus ver- ^° D ^^ —
kalkten Bindegewebslamellen, in die erst ^<*ß^
später Zellen einbezogen werden. Die Fig. 216. Vomer einer 2,5 cm
wichtigste Veränderung der Folgezeit be- langen Axolotllarve, 45malvergr.
steht aber darin, daß auf also gebildeten Nach °- Hertwig-
Knochen die Zähnchen schwinden können,
daß dagegen die von ihnen basal ausgeschiedene Platte nicht nur be-
stehen bleibt, sondern an der der Epidermis abgewandten Seite Zuwachs
erhält.
Abweichend verhalten sich die Anuren insofern, als bei ihnen die
für Vomer, Palatinum und Operculare nachweisbare Entwickelung
ohne Anlage von zahnähnlichen Gebilden verläuft. Ferner tritt bei
Anuren im Gegensatz zu den Urodelen die Zahnbildung erst nach
24*
372 R. BlJRCKHARDT,
der Knochenbildung auf. Das Parasphenoid entsteht zuerst. Ueber
die Vorgänge der Entwickelung des Mundskeletts berichtet 0. Hert-
wig: „In einem sehr zellenreichen Gewebe entwickeln sich die Deck-
knochen zwischen Epithel und Primordialcranium, von beiden durch
eine mehr oder minder starke Gewebsschicht getrennt, In demselben
findet man ausgezackte Balken einer verkalkten Substanz, welche zum
Teil untereinander zusammenhängen und ein Netzwerk bilden. Ihnen
sind Osteoblasten angeschmiegt, und man trifft häufig Zellen in die
osteoide Substanz eingeschlossen. Durch Zunahme der letzteren ver-
schmelzen die einzelnen ßälkchen mehr und mehr miteinander , und
so entsteht eine zusammenhängende Knochenlamelle, in welcher
Knochenkörperchen eingelagert sind. Die ganze Entwickelung spielt
sich erst im späteren Larvenleben ab." Daraus schließt 0. Hertwig,
daß Knochen, die ursprünglich durch Verschmelzung von Zähnen ent-
standen seien, später unabhängig von diesen zur Entwickelung kommen.
Danach würden auch Beobachtungen, wie die R. G. Harrison's (1893),
daß das Dentale und Maxillare beim Lachs unabhängig von den Zahn-
anlagen entstehen, nichts Befremdliches an sich haben. Alle Schleim-
hautknochen lassen sich daher auf den gemeinsamen Typus des Schleim-
hautzähnchens zurückführen und damit in letzter Linie an die Placoid-
schuppe anknüpfen.
0. Hertwig hat schon selbst darauf hingewiesen daß bei den
Teleostierembrvonen die Entwickelung des Mundhöhlenskeletts prin-
cipiell ebenso verläuft wie bei den Urodelen.
Für die Amnioten gelang es ihm nicht, den Zusammenhang
der Entwickelung der Zähne und der der Deckknochen nachzuweisen.
Dagegen hat uns Rose (1893, No. V) ein Bild gegeben, welchem zu
entnehmen ist, daß die placoiden Zahngenerationen der Krokodile
noch durch ihre Sockel mit dem sich entwickelnden Dentale in innigster
Verbindung stehen (vergl. Fig. 235 p. 399).
Ausgehend von dieser Basis, warf 0. Hertwig aufs neue die be-
reits von Leydig ventilierte Frage auf, inwiefern den Mundhöhlen-
knochen die Deckknochen des Schädels entsprechen. Eine solche Auf-
fassung derselben mußte auch in den vergleichend-anatomischen und
paläontologischen Untersuchungen von Williamson und Pander eine
Stütze finden.
Nun machte aber J. Walther (1882) die Beobachtung, daß die
Verkalkung des Zahnsockels beim Hecht zu einer Zeit beginnt, wo
das Zahnspitzchen erst zur Hälfte abgeschieden ist. Ferner, daß die
große Mehrzahl der Zähne mit ihren Knochenplättchen nicht ver-
schmelzen, nur gelenkig verbunden sind. Daß der Vomer entsteht
und zu einer Platte sich ausbildet, bevor der Zahnbesatz auftritt. Daß
also eine gewisse Unabhängigkeit zwischen der Zahnbildung und der
Knochenanlage bestehe. Danach unterscheidet er zwischen Cement-
und Bindegewebsknochen , eine Unterscheidung, die von späteren
Forschern wieder aufgegeben wurde. Ferner hat Wiedersheim
(1882) nachgewiesen, daß die Entstehung des Parasphenoids bei Urodelen
unabhängig von der zugehörigen Bezahnung ist, daß aber außerdem
die Sockel der Parasphenoidplatte verschmelzen und eine oberflächliche
Platte bilden. Somit kann für das Parasphenoid die Entstehung aus
Zahnsockeln kaum angenommen werden, obschon Rose (1894, No. IV)
glaubt, man habe eine Abspaltung des eigentlichen Parasphenoids
von den Sockeln der ihm entsprechenden Zähne anzunehmen.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 373
Für die Deckknochen des Kopfes haben wir eine ähnliche onto-
genetische Entwickelung, wie für die Mundknochen, anzunehmen.
Schon aus vergleichend-anatomischen Gründen ist Leydig für eine
solche Autfassung der Kopfknochen von Polypterus eingetreten, und
0. Hertwig hat nachgewiesen , daß sie wie Schuppen stellenweise
mit Schmelz bedeckt sind. Andererseits ist vielfach beobachtet worden
(J. Vrolik , Mc Murrich, Allis, Sagemehl), daß die primitiven
Formen der Knochenentwickelung schon bei Fischen verwischt sind
und daß die Entwickelung oberflächlicher Hartgebilde einmal direkt
im Anschluß an die Sinneslinie vor sich geht, während die Haupt-
masse derselben Knochen in der Tiefe entsteht,
4. Die Integumentverknöcherungen bei Amphibien.
Bei Amphibien kommen zwei genetisch verschiedene Arten von
Hartgebilden des Integuments vor. Einmal breite Knochentafeln, die
nach Leydig (1876) im subcutanen Bindegewebe des Rückens oder des
Kopfes liegen und dort direkt entstanden sind, so bei gewissen Anuren
(Ceratophrys). Diese Tafeln sind nur als neuerworbene Bildungen zu
betrachten, können aber keinesfalls als modifizierte Schuppen aufge-
faßt werden. Anders die echten Schuppen, die nicht nur der aus-
gestorbenen Gruppe der Stegocephalen eigen und bei diesen als Erb-
teil von den Fischen her zu betrachten sind, sondern die sich von
ihnen auch auf die heute noch lebenden Apoden oder Gymnophionen
vererbt haben. Bei der Gattung Ichthyophis ist der Körper von zahl-
reichen Querringeln der Haut bedeckt, deren mehrere auf je ein Seg-
ment entfallen. Unter diesen Ringeln verlaufen Querkanäle im Binde-
gewebe, die alternierend Drüsen und Schuppen enthalten. Die
Schuppen sind Scheiben von 1,5 — 2 mm im Durchmesser und tragen
auf der Oberfläche Reihen von Plättchen, Squamulae. Erst gegen
Ende des Larvenlebens treten die Schuppen
auf. Unsere Figur zeigt einen Schnitt durch
die Haut dieses Stadiums nach P. u. F. Sara-
sin (A. L. III. 1885). In der Schuppentasche
liegt eine Bindegewebslamelle, die auf beiden
Seiten mit Bindegewebszellen belegt ist, die
untere Schicht bildet die Schuppe selbst, die
Fig. 217. Längsschnitt durch die Haut einer alten
Larve von Ichthyophis. In der Schuppentasche (St),
liegt von Bindegewebszellen umgeben, die Schuppe (s).
ep das Epithel der Haut. Stark vergr. Nach P. u. F.
Sarasln.
obere die oberflächlich auf ihr liegenden Squamulae. Die Bildung
der letzteren greift auch ins spätere Leben über. Die früheren Ent-
wickelungsstufen dieser Hartgebilde sind noch nicht bekannt.
C. Die Hautverknöcherimgen der höheren Wirbeltiere.
1. Schildkröten.
Die Entwickelung des Hautpanzers bei den Schildkröten hat zu
vielen Kontroversen Veranlassung gegeben. Es kann sich für uns
nur darum handeln, den ontogenetischen Entwickelungsprozeß dieser
374 R. BüRCKHARDT,
Integumentverknöcherung, soweit er bekannt ist, darzustellen, ohne auf
die phylogenetischen Thatsachen, die sich aus ihm ergeben, einzutreten.
Rathke (1848), Owen (1849), Gegenbaur, Hoffmann (1890),
Haycraft (1890) und Götte (1899) verdanken wir besonders eine
Serie von Arbeiten, die sich mit diesem Gegenstande beschäftigen;
doch ist zu betonen, daß wir gerade über die Gruppe der Atheca und
deren einzige lebende Gattung Dermochelys noch nicht genügend
unterrichtet sind, während die übrigen Schildkröten, die Thecophora,
sich unter einander ziemlich übereinstimmend verhalten.
Nach Götte (1899) rindet sich bei Föten der Chelone imbri-
cata von 1 cm Länge unmittelbar unter der Epidermis eine dichtere
Bindegewebsschicht, die sich vom übrigen Bindegewebe gegen den
Randwulst hin immer deutlicher absondert. Ventral erhält diese
Schicht eine beinahe ligamentöse Begrenzung nach dem lockeren
tiefen Bindegewebe hin, und es treten in ihr wie übrigens auch da,
wo später die Nackenplatte liegt, bereits Verdichtungen auf, aus denen
später die Plastronstücke hervorgehen. Schon bei einem Foetus von
1,1 cm macht sich die mittlere spinale Reihe von Schuppen durch
Abgrenzung ihrer Epidermisbezirke geltend. In den späteren Stadien
schwindet die scharfe Grenze des subcutanen gegen das tiefe Binde-
gewebe. Nun beginnt die von starkem Periost gebildete Umhüllung
der Rippen sich in eine dünne Knochenhülse zu verwandeln und rasch
fortzuschreiten. Unterdessen verfällt die Cutis einer Rückbildung.
In ihr entsteht aber unabhängig von den spinalen Verknöcherungen
die Nuchalplatte, von der Spinalplatte des zweiten Brustwirbels erst
völlig getrennt ; mit dieser verwächst sie erst später, ebenso auch mit
dem ersten Rippenpaar. Merklich später treten die Rand- und Pygal-
platten auf. „In diesem Hautskelett geht übrigens die Verknöche-
rung genau so vor sich wie im Periost: zuerst entsteht in der Cutis
eine der Form des Knochens entsprechende Verdichtung, deren
Centrum sich alsdann aufhellt und die ersten Knochenlamellen sich
entwickeln läßt, an diese schließt sich in der beschriebenen Weise die
übrige spongiöse Masse an." Nuchal-, Marginal- und Pygalplatten,
sowie das Plastron entstehen also in gleicher Weise und sind als
echte Hautknochen zu betrachten, während für eine Teilnahme echter
Hautknochen an der Bildung der Spinal- und Costalplatten, wie sie
vielfach angenommen wurde, keine ontogenetischen Beweise erbracht
werden konnten. Nun kommt aber bei Dermochelys, dem einzigen
Vertreter der Atheca, ein Hautpanzer vor, der aus zahlreichen kleineren
Mosaikstücken besteht. Götte untersuchte auch junge Exemplare
von Dermochelys, bei denen diese Hartgebilde keilförmig beschaffen
£ £ Fig. 218. Erste Anlage
^jU- ) I der Nuchalplatte von einer
2,3 cm langen Chelone imbri-
cata. np Anlage der Nu-
chalplatte. Ep Epidermis, c
Cutis. Schwach vergr. Nach
Götte.
und in Längsreihen angeordnet sind ; sie sind so völlig der Epidermis
angepaßt, daß, wo diese sich im Laufe der phyletischen Entwicklung
veränderte, auch die Hartgebilde wegfielen. Mit diesem ersten Haut-
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 375
skelett aber hat das zweite, wie es oben von Chelone geschildert
wurde, nichts zu schaffen. Nackenplatte und Plastron treten bei
Dermochelys nach Rathke und Gervais lange vor dem Hautpanzer
auf. Es ist zwar kaum zu bezweifeln, daß diese beiden Gebilde auch
aus Schuppenknochen hervorgingen, aber in der Ontogenie läßt sich
diese Entstehung nicht mehr nachweisen.
2. Saurier und Krokodile.
Von Sauriern sind es unter den lebenden außer den Schildkröten
die Krokodile und Eidechsen, namentlich Scinke und Gekotiden, bei
denen Cutisbezirke verkalken können ; unter den fossilen seien erwähnt :
Dinosaurier, Ichthyosaurier und Rhynchocephalen , bei denen ent-
sprechende Bildungen angetroffen werden. Hierbei pflegen sich die
Skleroblasten zusammenzuscharen und zwischen sich, also intercellu-
lär, feine, sich allmählich verdichtende Netze von Knochensubstanz auszu-
bilden (vergl. Fig. 220). Allmählich werden die Skleroblasten in ihr
Ausscheidungsprodukt einbezogen und zu Knochenzellen umgewandelt.
Diesen Prozeß haben neuerdings Schauinsland bei Hatteria (1900)
und Voeltzkow (1901) bei Crocodilus wieder beschrieben; ersterer
unter Hinweis auf die Aehnlichkeit in den Prozessen der Abscheidung
von Knochen und Knorpel.
3. Das G astral skelett der Reptilien.
Als Gastralskelett werden neuerdings von Döderlein (1900) jene
Skelettbildungen bezeichnet, welche zwischen dem Brustkorb und dem
vorderen Beckenrande der Stegocephalen und mancher Reptilien
(unter den Lebenden nur bei Krokodilen und Hatteria) angetroffen
werden. Die Frage nach der Homologie dieses Systems von schräg
verlaufenden stabartigen Knochen kann nach den Untersuchungen von
Credner, Cope, Gegenbaur, Baur und Fürbringer als dahin er-
ledigt betrachtet werden, daß von den Stegocephalen nach den ver-
schiedenen Richtungen des Reptilstammes sich ein Hautskelett ver-
erbte, das ursprünglich seine Schuppennatur schon durch die Form
der Elemente und ihre Bedeckung mit Schmelz verrät, sekundär aber
vielfach modifiziert worden ist und endlich bei Krokodilen nur noch
rudimentär auftritt. Auch das Plastron der Schildkröten wäre als
Modifikation dieses Hautpanzers aufzufassen. Schauinsland (1900)
schildert die Bauchrippen von Hatteria ,,in frühen Stadien als eine
unbedeutende Lage einzelner Zellen, welche in regelmäßigen Ab-
ständen zwischen den Muskelzellen, aus welchen später die obersten
Schichten der Bauchmuskulatur sich bilden werden, angeordnet sind".
Alsdann bilden sie deutliche Stränge, in denen Verknöcherungen erst
spät erscheinen. Sie vereinigen siclrmedian erst, wenn der allmählich
sich schließende Nabel es zuläßt. Demgemäß tritt auch Verknöcherung
zuletzt in den unpaaren Medianstücken auf. Genau in derselben
Weise werden die Knochen der Clavicula oder des Episternums ge-
bildet.
Nach Voeltzkow (1901) erfolgt die erste Anlage des Gastralskeletts
bei Crocodilus madagascariensis etwa V I ± Monat nach der Eiablage.
Es werden zunächst die vorderen Gastralstäbe angelegt, und von da
schreitet der Prozeß nach hinten fort. Von den beiden Stücken, welche
den Gastralstab einer Seite bilden, wird das laterale, das das mediale
376
R. BURCKHARDT,
an Größe überwiegt, zuerst angelegt. Etwa acht Tage später sind
acht Paar solcher Gastralstäbe angelegt. Da der Verschluß der
Bauchhöhle von vorn nach hinten fortschreitet, gelangen auch in der-
selben Reihenfolge die Gastralstäbe beider Seiten allmählich zur Be-
rührung. Auf einem Längsschnitt durch dieses Stadium der Ent-
wicklung stellt sich heraus, daß acht Paare von Gastralstäben dem
-i-:.V-v.
'• ■'•'■' ■•"--"'"----v-
Ä • :■&:
Fig. 219. Anlage der drei vordersten Gastralstäbe, sowie der beiden später
verschwindenden Rudimente zweier weiterer Paare bei Crocodilus madagascariensis.
Längsschnitt, Vergr. 25fach. Nach Voeltzkow.
Fig. 220. Querschnitt
durch die früheste Anlage
eines Gastralstabes von
Crocodilus madagascarien-
sis. Vergr. 200-fach. Nach
Voet/tzkow.
■
Musculus rectus ober-
flächlich anliegen.
Außerdem liegen vor
ihnen noch zwei An-
lagen, die später rück-
gebildet werden und
die hier auch vom Muskel entfernt im weichen Cutisgewebe eingebettet
sind.
Der histogenetische Vorgang, der die Entstehung
begleitet, ist derselbe, wie wir ihn bei gewöhnlicher
knöcherung antreffen. (Mitogenetische Reminiscenzen an
dieser Skelettelemente aus dem Hautpanzer sind nicht
dieser Gebilde
Bindegewebsver-
die Herkunft
nachgewiesen.
4. Hautverknöcherungen der Säugetiere.
Hautverknöcherungen, welche in das Bereich unserer Aufgabe
fallen, sind bei Säugetieren große Seltenheiten. Auch lassen sich
zwischen ihnen keine näheren phylogenetischen Beziehungen herstellen,
wie sie denn auch zu denen der Reptilien höchstens im Verhältnis
inkompletter Homologie stehen. Ueber den Bau und die Entwicklung
des Panzers der Gürteltiere sind wir durch eine Arbeit von Römer
(1892) unterrichtet, welcher verschiedene Entwickelungsstadien dieser
Hautverknöcherung untersucht hat. Daß ein prinzipieller Unterschied
zwischen dem Prozeß bei diesen und bei anderen gepanzerten Eden-
taten bestehe, ist von vornherein nicht zu erwarten. Bei 5 cm langen
Embryonen von Dasypus novemcinctus erhebt sich auf dem Längs-
Die Verknöcherungen
des Integurnents
und der Mundhöhle. 377
schnitt die Lederhaut bereits zu einer breiten, nach hinten zuge-
spitzten Masse, welche etwas über die Haut vorspringt ; die Epidermis
beginnt die spätere Hornschuppe zu bilden, treibt aber alsbald auch
die Anlagen der Haare und Drüsen. Bei einem Embryo von 12 cm
entsteht durch Verknöcherung die Anlage des Panzers, und zwar zuerst
an mehreren Stellen ganz unabhängig, erst sekundär verschmelzend.
Durch das Fortschreiten dieses Ossifikationsprozesses werden die Haare
und Schweißdrüsen teilweise verdrängt und unterliegen einer baldigen
Rückbildung.
Hautverknöcherungen kommen außer bei den Edentaten nur bei
Walen vor. Schon Gray und Murray haben auf Höcker in der
Haut von Phocaena und Neomeris aufmerksam gemacht. Küken-
thal (1890 u. 1897) erst hat sie auch bei Embryonen näher beschrieben
Fig. 221. Längsschnitt durch die Gürtel eines Embryos von Dasypus novem-
cinctus von 12 cm Länge, c Cutis, d Drüsenanlagen, e Epidermis. /; Haaranlage.
k Verknöcherung. Schwach vergrößert. Nach Römer.
und aus ihrer Existenz den Schluß gezogen, daß ein Teil der Wale
von Landsäugetieren mit Hautpanzer abstammen sollte. An einem
erwachsenen Neomerisweibchen fand er die Rückenfläche mit einer
zusammenhängenden Decke von verknöcherten Hautgebilden bedeckt,
die aus einer Platte und einem auf ihr sich erhebenden Höcker be-
steht; außerdem waren einzelne höckerlose Platten unregelmäßig in
weiterer Ausdehnung nachzuweisen. Bei einem Embryo von 52 cm
Länge fand Kükenthal die Hartgebilde des Rückenfeldes bereits
angelegt, aßer erst deren Höcker aus-
gebildet. Er zeigte, daß sie aus Kalk
besteben und auf einer Cutispapille
abgesondert werden, so daß man sie
den Schuppen der niederen Wirbel-
tiere vergleichen kann.
Fig. 222. Dorsalansicht eines Embryos
von Neomeris phocaenoides, 52 cm lang, nach
KÜKEXTHAL.
Für die phylogenetische Deutung dieser Bildungen ist in Betracht
zu ziehen, daß sie auch an der Rückenflosse von Phocaena spinipinnis
in drei, und an der von Phocaena communis in einer Reihe, ferner
bei Globiocephalus macrorhynchus auftreten.
378 R. BüRCKHARDT,
III. Die Entwickelung des Gebisses bei den Fischen.
A. MiindschleimhautgeMß.
Leydig und 0. Hertwig (1874) geben übereinstimmend an, daß
die Mundschleimhaut der Selachier Zähnchen von geringer Größe und
vollständig analogem Bau wie die Placoidschuppen trägt. Ueber
ihre topographische Verbreitung bei den verschiedenen Fischen sind
wir noch nicht orientiert, doch sind sie bei Hexanchus, Heptanchus,
Acanthias und Raja in verschiedener, lockerer Verteilung innerhalb
der Mundhöhle und auf den Kiemenbogen beobachtet. Wo die Hart-
gebilde fehlen, werden als Rudimente derselben Papillen der Mund-
schleimhaut angesehen. Dieses Mundschleimhautgebiß ist
zweifellos die primitivste Form der Integum en t ver-
knöcherung in der Mundhöhle. Aber es zeigt bereits insofern
nicht mehr den ursprünglichen Charakter, als es die gleichmäßige Ver-
teilung über den ganzen Mutterboden bereits aufgegeben hat. Ueber
seine Entwicklungsgeschichte ist nichts Genaueres bekannt, doch darf
vorausgesetzt werden, daß sie der der Placoidbeschuppung ähnlich und
nur vielleicht in ihrem zeitlichen Auftreten von ihr verschieden sei.
Alle übrigen Formen des Gebisses sind nur als Modifikationen
dieser ursprünglichsten Gebißform aufzufassen. Sie sind entstanden
im Anschluß an solidere Unterlagen der Schleimhaut, hervorgerufen
durch Uebernahme von Funktionen im Dienste der Ernährung, aber
stets nach demselben Grundplan in Bau und Entwickelung angelegt,
wie der Mundschleimhautzahn, resp. die Placoidschuppe (0. Hertwig).
Aus entwickelungstheoretischen Gründen werden wir in erster
Linie die Zahnentwickelung bei den Teleostomen (Ganoiden und
Teleostiern) besprechen, dann diejenige der Dipnoer einfügen und
erst zuletzt die der Selachier beiziehen. Denn in seiner Gesamtheit
ist das Gebiß der Selachier als höher specialisiert zu betrachten als
das der primitiven Teleostomen, wie schon Baume (1882) betont hat.
Auch haben Ch. Tomes (1898) und 0. Hertwig (1874) den Modus
der Zahnbildung bei den Teleostomen als primitiver taxiert. Ander-
seits läßt beinahe ausschließliche Reduktion des Gebisses auf die Kiefer,
die streng geometrische Anordnung der Kieferzähne, der durch die
Geschlossenheit des Gebisses periodisch bedingte Wechsel der Zähne,
das Entstehen des Gebisses unter einer gemeinsamen Schleimhaut-
falte das Selachiergebiß nicht als primitiv, sondern als höher speciali-
siert erscheinen.
B. Das Gebiß der Teleostomen.
1. Hecht.
Wir beginnen mit dem Gebiß des Hechtes, als einer leicht zu-
gänglichen, viel studierten und embryologisch einfachen Form.
Der Mund des erwachsenen Hechtes starrt von mehr oder weniger
großen, feinspitzigen Zähnen, die mit ihren Spitzen rückwärts geneigt
sind. Sie verteilen sich auf eine große Zahl von Knochen. Das Den-
tale trägt seitlich an seinem Rande in großen Abständen Zähne von
1—2 cm Länge, die mit kleineren unregelmäßig wechseln ; vorne linden
sich nur unregelmäßig mehrreihig angeordnete kleinere Zähne. Auf
dem Maxillare fehlt, wie bei Knochenfischen häufig, die Bezahnung.
Diejenige der Praemaxilla, die sonst an ihre Stelle zu treten pflegt, ist
Die Verknöeherungen des Integuments und der Mundhöhle. 379
ebenso geringfügig, wie die im vorderen Teile des Dentale. Dagegen
laufen drei mächtige, mehrreihige Zahnpolster dem Gaumen entlang,
deren Elemente zuvorderst etwa die Hälfte der größten Unterkiefer-
zähne erreichen, während die hinteren allmählich kleiner werden.
Eines dieser Zahnpolster, das mediane, gehört dem Vomer an, die
seitlichen den Gaumenbeinen. Außerdem ist die Copula des Zungen-
beins mit einem Zahnpolster, und sämtliche Kiemenbogen mit kleinen,
mehrspitzigen Plättchenreihen bedeckt. Das ursprünglich der Möglich-
keit nach in der ganzen Mundschleimhaut vorhandene Gebiß hat also
eine Konzentration auf solche Bezirke erfahren, unter denen wir auch
Knochen antreffen. Es- zeigt hier noch keine scharfe Sonderling
zwischen den niedrigeren und höheren Ausbildungsgraden des Zahnes.
Regelmäßigkeit in der Anordnung der Zähne und des Zahnersatzes
fehlt. Das sind Verhältnisse von sehr primitiver Art. Was nun
die Entwicklungsgeschichte dieses Gebisses betrifft, so wissen wir
über Entstehung und Ersatz der eigentümlichen Kiemenbogenzähne
nichts. Von den Zahnpolstern des Gaumens und der Zunge wird an-
gegeben, daß sie sich in gleicher Weise wie das Kiefergebiß ent-
wickeln und daß der Ersatz ohne Bildung einer Zahnleiste, einfach
durch die neben jedem Zahn befindlichen Papillen der Mundschleim-
haut während des ganzen Lebens besorgt werde. Genauer sind wir
aber über die Zahnentwickelung in den Kiefern orientiert, die nach-
dem ihr Heincke (1873) und Carlsson (1895) bereits Beachtung ge-
schenkt hatten, eine zusammenhängende Darstellung durch Fried-
mann (1897) erfahren hat.
Die ersten Spuren von Zahnbildung treten erst am 23. Tage nach
der Befruchtung bei einem Hechtembryo von 9,5 mm auf, und zwar
im Ober- und Unterkiefer. Sie machen sich einmal dadurch geltend,
daß die untere der beiden auf diesem Stadium die Epidermis bilden-
den Zellschichten sich in radialer Richtung streckt; zweitens dadurch,
»■*>
*«-MM^-^
Fig. 223. Esox lucius L., 1,1 cm lang. Embryo 24 Tage nach der Befruchtung.
2 Zahnanlagen des Unterkiefers, Zv genau im Längsschnitte, Z,, peripher getroffen.
Ep Kieferepithel. CaM MECKEL'scher Knorpel. Vergr. 375. Nach Friedmann.
daß das unterliegende Mesoderm seine Elemente an diesem Punkte
konzentriert. Diesen ersten Anlagen folgen längs den Lippen bald
weitere, und alle erfahren in der Folge rasch eine Weiterbildung. Vom
Mesoderm stülpt sich nämlich gegen den durch weitere Zellspaltung
erhöhten Epidermishügel eine kegelförmige Papille vor, in und unter
welcher sich immer lebhafter Bindegewebszellen ansammeln. Etwa
380
R. BüRCKHARDT,
am 30. Tage werden die Anlagen des Gaumengebisses sichtbar. Am
31. Tage werden die Zahnanlagen des Zwischenkiefers bereits auf
einem Stadium angetroffen, wie es die nebenstehende Figur zeigt.
Die Mesodermpapille hat gegen die Epidermis hin das Zahnbein,
E.Sch.
Fig. 224. Schnitt durch
den Zwischenkiefer des
Hechtembryos vom 31.
Tage nach der Befruchtung.
D Zahnbein. K knöcher-
ner Zahnsockel. < 'a Knor-
pel. Ep Kieferepithel. EScli
oberste Schicht desselben,
der Epithelscheide höherer
Vertebraten entsprechend.
Vergr. 375. Nach Fried-
mann.
Dentin, abgesondert, ohne daß ihre Zellen gerade eine besondere Um-
wandlung erfahren hätten. An der Basis hat sich der also eingeleitete
Ausscheidungsprozeß fortgesetzt, es hat sich der knöcherne Zahnsockel
gebildet, welcher, was allerdings auf der Figur nicht hervortritt, an
einer Stelle so durchbrochen sein muß, daß die Mesodermpapille, die
bereits zur Pulpa des Zahnes geworden ist, mit dem umgebenden
Bindegewebe in
Verbindung
bleibt. Ob Schmelz bereits von der
Epidermis ausgeschieden ist, läßt sich für dieses Stadium schwer ent-
scheiden ; doch sei im voraus bemerkt, daß später der Hechtzahn ein
zartes Schmelzhütchen besitzt, das sich vom Dentin abhebt, aber früh
verloren geht. Was aber diesem Modus der Zahnbildung ein be-
geht.
sonders primitives Gepräge verleiht, das ist, daß der Zahn unmittel-
bar in der Mundschleimhaut gebildet wird, ohne daß, wie bei den
höheren Formen der Zahnentwickelung, eine Ablösung des zahnbilden-
den Epithelbezirks aus seinem ursprünglichen Verbände stattfindet.
In derselben Weise werden auch zeitlebens die Ersatzzähne für das
Gaumengebiß gebildet. Im Unterkiefer allein, wo wir auch die Einzel-
zähne mächtiger ausgebildet antrafen, ist der Modus der Zahnbildung
und des Zahnersatzes ein anderer. Diesem haben wir jetzt Beachtung
zu schenken. Hier wird nämlich der Zahn nicht oberflächlich in der
Mundschleimhaut gebildet, sondern es senkt sich der Epithelbezirk,
der die Mesodermpapille überzieht, samt dieser gegen das unter-
liegende Bindegewebe ein, und der Zahn gedeiht zu einer bedeutenden
Größe, ehe er durch die Kieferschleimhaut hervorbricht. Von beson-
derer Bedeutung ist hierbei, daß die also gebildeten Unterkieferzähne
des Hechtes einzeln aus der Mundschleimhaut sich einsenken, ohne
durch eine gemeinsame, dem Kiefer parallel laufende Schleimhautfalte
unter sich verbunden zu sein ; das ist ein primitiver Zustand. Ebenso
ist auch das Verhalten der Ersatzzähne zu diesen Unterkieferzähnen
ein primitives. Lingualwärts nämlich von jedem dieser Unterkiefer-
zähne hat sich bereits eine zweite, mit der ersten durch eine gegen
das Mesoderm vordringende Ektodermfalte verbundene Zahnanlage
gebildet; dieser folgen bald weitere, wenn auch nicht gerade regel-
mäßiger Anordnung. So erhalten wir ein Bild, wie es Fig. 225
zeigt.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 381
Die histologischen Differenzierungen, die hier auftreten, bleiben
an Deutlichkeit hinter den bei höheren Tieren vorkommenden zurück.
So unterscheiden sich die Mesodermzellen, welche das Dentin ab-
Fig. 225. Flachschnitt durch die Zähne und Ersatzzähne des Unterkiefers von
einem jungen Hecht. 1 — s Kieferzähne oder deren Abschnürungstelle. EZ jüngste
Zellenanlagen. Hinter jedem Kieferzahn befindet sich eine Epithelfalte, die zu den
Ersatzzähnen führt.
Vergr. 34.
Nach Friedmakx.
sondern, nur wenig von den übrigen Zellen der Pulpa, wenigstens
bei den Gaumenzähnen, die Epithelzellen, welche den Schmelz ab-
sondern, nur wenig von den übrigen, und obschon bereits hier eine
sogenannte Schmelzpulpa auftritt, so erreicht sie nicht entfernt den
Grad der Differenzierung, welcher für sie bei den Zahnanlagen der
Krokodile oder der Säuger charakteristisch ist.
2. Uebrige Teleostomen.
Ueber andere Teleostier
Rose (1894,
der großen
Uebergänge
liegen
namentlich Untersuchungen von
daß bei
möglichen
No. III) und Carlsson vor. Aus diesen erhellt
Mannigfaltigkeit des Teleostiergebisses alle
zwischen den verschiedenen Modi der Zahnbildung
existieren. Die ersten Generationen der Zähne pflegen allgemein
direkt in der Epidermis, ohne Einsenkung derselben ins Mesoderm
zu entstehen (placoides Stadium, Rose). Häufig jedoch, und besonders
trifft dies bei späteren Zahngenerationen und bei größeren Zähnen zu,
findet eine Einsenkung des Zahnes statt (Zapfenstadium, Rose). Da-
gegen ist alsdann der Modus des Zahnersatzes ein verschiedener, und
zwar können hinter jedem zu ersetzenden Zahn ein oder mehrere Er-
satzzähne in mehr oder weniger enger Verbindung mit der Mund-
schleimhaut einwuchern, wie wir es am Unterkiefer des Hechtes ge-
sehen haben, oder es kann eine gemeinsame Zahnleiste die Zähne je
einer Generation miteinander enger verbinden. Dentin und Knochen
entstehen in der Regel unabhängig voneinander. Wird dieses typische
Teleostomengebiß reduziert, so kommt es zum Ausfall von Schmelz-
bildung, zur Ausbildung nur einer Zahngeneration, und die Ver-
wachsung des Zahnes mit dem Knochen unterbleibt, wie dies Carlsson
für die Vomerbezahnung des Lachses schildert.
382 R. BURCKHARDT,
Wenn wir nun dazu übergehen, einigen Modifikationen Beachtung
zu schenken, so muß in erster Linie hervorgehoben werden, daß im
Zahnsystem Unterschiede, die einer systemastischen Kluft entsprechen
würden zwischen Teleostiern und Ganoiden, nicht existieren. So wenig
Lepidosteus, über dessen Zahnentwickelung uns Rose berichtet, wie
Polypterus und Amia, unterscheiden sich in Bezug auf ihre Zahn-
entwickelung in wesentlichen Punkten von Teleostiern. lieber die
Störe berichten uns die russischen Forscher Salensky (A. L. III. 1880,
p. 81) und Zograff (1887), die bei Polyodon folium, sowie bei Aci-
penser von der 3. Woche bis zum 3. Monat, winzige Zähne auf den
Kiefern vorfanden. Nach der geographischen Verbreitung sowie der
Länge der Schnauze scheint sich auch die Neigung zur Peristenz
dieses rudimentären Gebisses zu richten. Auf den Kiemenbogen
finden sich nach 0. Hertwig (1874*) dauernd kleine Zähnchen, die
durch eine Knochenlamelle an der Basis verschmolzen sind. Wichtiger
erscheinen die Modifikationen, welche bei gewissen extremen Teleostiern
auftreten und die dazu angethan sind, den Kreis unserer Vorstellungen
von der Zahnentwickelung bei Fischen wesentlich zu erweitern.
In erster Linie ist hier das Schlundgebiß der Cyprinoiden zu er-
wähnen, mit dem sich besonders Heincke (1873) und Carlsson be-
schäftigt haben. Die echten Karpfen besitzen Zähne bloß auf den
beiden letzten Kiemenbogen ; wie weit Rudimente der Kieferbezahnung
vorkommen mögen, muß dahingestellt bleiben. Jene Zähne nun er-
innern durch den Besitz von Hals und Krone an Zahnformen höherer
Wirbeltiere, sie sind dem Kieferknochen fest aufgewachsen und nur
in der frühesten Jugend von einem Schnielzkäppchen überzogen. Die
Ersatzzähne bilden sich als isolierte Epithelzapfen, wobei das Schmelz-
organ ganz aus seiner Verbindung mit der Mundschleimhaut treten soll.
Zweitens ist zu beachten, was Boas (1879) über die Zahn-
entwickelung der Scariden berichtet. Bei diesem trägt das vierte Paar-
oberer und unterer Kiemenbogenstücke Zahnplatten, dorsal zwei, ven-
tral eine, die aus einem Pflaster dicht gestellter und streng geometrisch
angeordneter Zähne bestehen. Diese werden von Cement zusammen-
gehalten, sind mit mächtigen Schmelzkappen überzogen und am Hinter-
rande am stärksten abgekaut. Der Zahnersatz findet am Vorderrande
statt, aber nicht von einer quer verlaufenden Schmelzleiste, sondern
von einzelnen Epithelzapfen aus. Ebenso am Dentale und Inter-
maxillare, wo eine große Zahl von Ersatzzähnen, in Reihen gestellt,
gleichzeitig mit ihren Vorgängern in Funktion treten.
Aehnliche Verhältnisse existieren bei Tetrodon und Diodon, wo
ganze Zahnplatten ausgebildet werden. Doch ist die Entwicklung
dieser Gebisse noch wenig bekannt.
Endlich verdient das völlige Fehlen des Gebisses bei den Lopho-
branchiern Beachtung.
C. Das <xel)iß der Selachier.
1. Die typische Entwickelung bei den primitiven
Sei ac hiergebissen.
Wie schon eingangs erwähnt, betrachten wir das Gebiß der Se-
lachier, wenn wir von den Mundschleimhautzähnchen absehen, als
minder primitiv im Vergleich zu den niedrigeren Gebißformen bei den
Teleostomen, sowohl in seiner definitiven Verfassung als auch in seiner
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 383
Entwickelung. Uebergangsformen zwischen dem Mundschleimhautzahii
und den Kieferzähnen fehlen ihnen so gut wie ganz, und bis jetzt ist
nur eine Modifikation der Mundschleimhautzähne gefunden worden,
die vom Typus der Placoidschuppe (s. p. 378) erheblich abweicht. Bei
der riesenhaften planktivoren Selache maxima nämlich erfahren die
Kiemenbogenzähne eine ganz eigenartige Umbildung, deren Ontogenie
freilich noch unbekannt ist. Sie legen sich zu Hunderten in einer
eng geschlossenen Reihe aneinander und bilden zwei Spitzen aus, deren
eine kürzere in der Mundschleimhaut steckt, wogegen die andere
längere mehrere Centimeter auswächst und von einem elastischen eigen-
tümlich modifizierten Dentin gebildet wird. Der durch diese parallel
gerichteten Spitzen gebildete biegsame Kamm dient zum Filtrieren
des Planktons. Für das Nähere verweise ich auf Turner's (1880) Be-
schreibung dieser genetisch und physiologisch so bedeutungsvollen
Modifikation des Gebisses. Außer diesem Apparat finden sich bei
keinem Selachier andere Modifikationen des Mundschleimhautgebisses
als die den Kiefern angehörigen Zahnreihen, die sich hinter dem
Mandibularknorpel und dem Palatoquadratknorpel anlegen.
Der Einzelzahn des Selachiergebisses kann in seiner Form sehr
starken Veränderungen ausgesetzt sein, der histologische Aufbau bleibt
derselbe. Zweifellos ist der Hauptbestandteil Dentin, welches durch
parallel gerichtete, radiäre Röhrchen kenntlich ist ; der innere Teil
des Zahnes ist häufig mit einem aus ähnlicher, aber balkenartig ver-
zweigter Modifikation derselben Substanz erfüllt, dem Trabekulin;
die oberflächlichste Schicht des Dentins bildet das Vitrodentin,
welches, von allerfeinsten Röhrchen durchzogen, einen harten, schmelz-
artigen Ueberzug des Dentinkegels bildet. Ob Schmelz am Aufbau
des Selachierzahnes teilnimmt, und ob als eine eigentliche Schicht,
oder bloß als ein sogenanntes Oberhäutchen, darüber ist, wie wir schon
auf p. 353 ausgeführt haben, noch keine Einigkeit erzielt.
Wir lassen diese Meinungsverschiedenheiten undiskutiert, da sie
ein Eingehen auf alle histologischen Argumente fossiler Urkunden er-
fordern würden und überdies für die Entwickelungsgeschichte von unter-
geordneter Bedeutung sind. An der Basis des Zahnes bildet sich eine
von Bindegewebsfibrillen und spärlichen Zellen durchzogene Hartsubstanz
aus, die man als osteoides Gewebe bezeichnen muß. Zu diesen
Hartgebilden des Selachierzahnes gesellt sich im Innern eine Pulpa,
bestehend aus Bindegewebe, Blutgefäßen, Lymphgefäßen und Nerven.
Die oberflächlichste Schicht derselben, welche an das Dentin stößt.
wird von den Odontoblasten oder Zahnbildnern gebildet. Sie unter-
scheiden sich von den übrigen Bindegewebszellen besonders durch
einen einseitig ausgebildeten, schwach verzweigten, in die Dentin-
röhrchen hineinragenden Leib.
Die Entwickelung des Kiefergebisses der Selachier verläuft nach
0. Hertwig (1874), dessen Beobachtungen von Tomes (1898), Jentsch
(1898) und Laaser (1900) erweitert wurden, folgendermaßen.
Bei Acanthias vulgaris zeigt sich die erste Anlage der Zahnleiste
schon beim 4,5 cm langen Embryo; längs den bereits knorpligen Anlagen
der Kiefer zieht hinter denselben eine Epithelverdickung entlang, die ins
embryonale Bindegewebe hineinragt. Sie besitzt auf der ganzen Länge
ihrer Ausdehnung dieselbe Form und bildet also ein gleichmäßiges
Band, eine Leiste. Ihr entspricht an der Oberfläche eine seichte Furche,
die Zahnfurche. Die Elemente der Epidermis erfahren durch diese
384 R. BURCKHARDT,
Einwucherung gewisse Veränderungen. Es strecken und vermehren
sich nämlich an der Zahnleiste die Cylinderzellen der dem Mesenchym
zugekehrten Schicht, ja sie bilden beinahe eine doppelte Lage. Ihnen
folgen auf der Einwucherung die sie bedeckenden kubischen Epithel-
zellen und bilden an dieser Stelle mehrere Schichten. Zwischen dieser
gesamten Einwucherung nun und der Aülage des Kieferknorpels ver-
dichtet sich das Mesenchym, besonders auch in dem spitzen Winkel,
der zwischen der Zahnleiste, der labial von ihr gelegenen Epidermis
und dem Knorpel liegt. Unsere Fig. 226 stellt dieses Stadium vom
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Fig. 226. Embryo vom Spinax niger, 4,5 cm Länge. Längsschnitt durch den
Oberkiefer nahe der Mitte, dms verdichtetes Mesenchym. ok Palatoquadratknorpel.
ZI Zahnleiste. Zp Zahnpapille. epi Mundepithel innerhalb der Zahnleiste (lingual).
Vergr. 204. Nach Laaser.
Oberkiefer dar, doch ist zu bemerken, daß die Zahnleiste des Unter-
kiefers der des Oberkiefers zeitlich etwas vorauseilt. In der Folge
schreitet nun der also eingeleitete Wucherungsprozeß weiter vor, und
es bilden sich bald die ersten Zahnanlagen in ähnlicher Weise, wie
Placoidschuppen an derjenigen Stelle, die in unserer Figur mit sp be-
zeichnet ist. Nach Laaser sind bei einem Embryo von 4,9 cm im
Oberkiefer bereits 8, im Unterkiefer 19 Zahnanlagen anzutreffen. Bilder,
die für das Verständnis des ganzen Entwickelungsprozesses am günstig-
sten sind, begegnen uns jedoch erst etwa beim Acanthiasembryo von
10 cm und beim Spinaxembryo von 8 cm. Die Zahnleiste ist jetzt
weit hinter die Kieferknorpel gewachsen, und während ihre linguale
Seite annähernd glatt geblieben ist, zeigt die labiale, dem Kiefer zu-
gewendete Seite unregelmäßige, aber deutliche Wellen. Unter den
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 385
vordersten dieser AV eilen bemerkt man im Unterkiefer zwei, im Ober-
kiefer eine Zahnanlage, an der es bereits zur Ausscheidung von Hart-
substanz gekommen ist, die sich kegelartig auftürmt. Unsere Fig. 227
giebt ein Uebersichtsbikl dieses Entwickelungsstadiums von Spinax.
Für die histologischen Vorgänge, die sich hierbei abspielen, gilt
dasselbe, was bei der Placoidschuppenentwickelung zu sagen war, je-
doch mit einigen Modifikationen, da der Kieferzahn nicht die Epidermis
sofort durchbricht, wie der Hautzahn. Die Basalschicht der Epidermis
ist in ihrem ganzen Zusammenhang noch zu erkennen, wenn auch auf
~. ifn
Fig. 227. Embryo vom Spinax niger, 8 cm Länge. Sagittalschnitt durch die
Kiefer, zf Zahnfurche, zl Zahnleiste, ok Palatoquadratknorpel. aze äußeres Zahn-
epithel (agf äußere Grenzfurche, ifn u. i/o innere Mundfalte der Kiefer). Vergr. 55.
Nach Laaser.
dem lingualen Blatt der Zahnleiste ihre Elemente am hinteren Rande,
als der Stelle intensivster Streckung, ihre Cylinderform aufgegeben
haben. Verdoppelt erscheint diese Schicht nur noch an dem Ende
des labialen Blattes, wo sich eben erst neue Zahnanlagen bilden, da-
gegen überzieht sie als regelmäßiges Cylinderepithel die davor liegenden
Wellen. An drei Zahnanlagen hat diese Schicht der Ameloblasten wohl
auch schon Schmelz an ihrer Basis ausgeschieden, doch ist er der
Handbuch der Entwicklungslehre. II. 1. 25
386 R. BURCKHARDT,
Entkalkung des Präparates zum Opfer gefallen. Im Vergleich zur
Basalschicht spielt die oberflächliche eine passive Rolle, sie füllt die
Lücken jener aus. Dagegen ist das Mesenchym weitere Veränderungen
agf uk
Fig. 228. Embryo vom Spinax niger, 8 cm Länge. Längsschnitt durch, den
Unterkiefer. Detailbild zu Fig. 227. z erste Zahnanlage. Uebrige Bezeichnungen s. o.
Vergr. 100. Nach Laaser.
eingegangen. Es konzentriert sich an den Wellenthälern des labialen
Zahnleistenblattes und hat an den beiden vordersten Zahnanlagen be-
reits dicke Dentinrinden abgesondert, die eine kegelartige Gestalt be-
sitzen und die Hauptmasse der Hartgebilde des Zahnes vorstellen.
In diesen Dentinkegeln belinden sich größere Bindegewebszellen, die
in der Folge teils zu Odontoblasten werden, teils bloße Pulpazellen
bleiben. Auch an der Basis des Dentinkegels hat sich ein Sockel ge-
bildet, der später zur Wurzel des Zahnes wird. Auch der Unterkiefer-
knorpel grenzt sich schärfer ab als auf früheren Stadien. Man findet
somit auf demselben Längsschnitt verschiedene Entwicklungsstufen
der Zahnanlage; die meist ausgebildeten stehen dem Kieferrande am
nächsten.
Die weitere Entwickelung des Zahnes hat zur Folge, daß der
Schmelz nur unbedeutend zunimmt. Das Dentin dagegen verdickt
sich mächtig, seine oberflächliche Schicht wird durchsichtig und ent-
hält nur die feinsten Röhrchen, sie wird zu Vitrodentin, während die
tieferen Schichten sich, besonders im Anschluß an die äußere Form
des Zahnes, verschieden gestalten. Meist behalten sie die Struktur des
typischen Dentins bei, mit dem Unterschied gegenüber dem Dentin
höherer Wirbeltiere, daß sie von weitverzweigten Röhrchen, die nicht
immer parallel laufen, durchzogen sind. Oft aber, und das ist be-
sonders bei voluminösen Zähnen der Fall, bildet sich nur eine relativ
dünne Dentinkappe aus, dagegen durchwachsen die Pulpa mehr oder
weniger regelmäßig angeordnete Balken von Dentinsubstanz, in denen
auch später die fürs Dentin charakteristischen Röhrchen sich aus-
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle.
387
bilden. Unsere Fig. 229 zeigt das Entstehen dieser Modifikation des
Dentins, die durch ihr weiteres Wachstum die Pulpa auf ein relativ
enges Kanalsystem zusammendrängt. So entsteht diejenige Hartsub-
stanz, welche Owen Vasodentin, Rose (1897) Trabekulardentin und
wir Trabekulin nennen (s. p. 355).
Der Zahnwechsel ist bei den Selachiern ein sehr lebhafter. Neu-
bildung von Zähnen, meist unter mäßiger, aber konstanter Größen-
zunahme, erfolgt während des ganzen
Lebens. Wie beim Embryo liegen
die neuen Anlagen stets hinter den
in Funktion befindlichen, in der
Tiefe der Schleimhaut. Ist nun
eine Generation von Zähnen abge-
nutzt, so rückt eine folgende an
ihre Stelle. So findet eine be-
ständige Fortbewegung der zahn-
tragenden Schleimhaut nach vorn
Fig. 229. Vorletzter
Ersatzzahn aus
dem Oberkiefer einer jungen Myliobatis
aquila. Ep Epithelreste der Zahnleiste.
D Dentin. Tri) Trabekulardentin (Trabe-
kulin). Vergr. 20. Nach Rose.
eine Walze hingleitet. Wie
statt, wobei sie über den Kiefer wie über
die jüngeren Zähne vorrücken, wuchern die Zellen am Hinterende der
Zahnleiste, und es entstehen dort fortwährend neue Anlagen (Andre
1784).
2. Modifikationen der E n t w i c k e 1 u n g bei den speciali-
sierten S elachiern.
Im Anschluß an die Schilderung des typischen Verlaufs der Ge-
bißentwickehmg bei den Selachiern ist zu betonen, daß in gleicher
Weise, wie bei den Teleostomen, der Prozeß durch die Specialisierung
des Gebisses bei den Erwachsenen wesentlich modifiziert werden kann.
Auf einen vollkommen abweichenden Zahnwechsel lassen Gebisse
schließen, wie diejenigen von Cochliodonten oder von Edestus (Kar-
pinski). Nähere Angaben besitzen wir über die Zahnentwickelung
eines der aberrantesten Selachiergebisse, desjenigen von Myliobatis
(Treuenfels 1896). wo endgiltig nachgewiesen wurde, daß auch große,
breite Pflasterzähne nicht durch Konkrescenz gebildet zu werden
brauchen, sondern ihrer Entwickelung nach Einzelzähne sind.
Auch Gebisse, die im späteren Leben von den typischen Selachier-
gebissen stark abweichen, zeigen zu Beginn ihrer Entwickelung die
typische Placoidform in den ersten, niemals funktionierenden Gene
rationen. Es beweist dies den hohen Wert der ersten
rationen im Dienste der Phylogenie.
So hat Rose (1894, No. I) bei einem Chlamydoselachusembryo von
34 cm Länge dargethan, daß die Zähne in labial-lingualer Richtung
im Unterkiefer eine mediane und sieben voneinander entfernt stehende
laterale Reihen bilden. Die erste Generation derselben, welche am Ueber-
gang der Kieferschleimhaut in die Oberhaut steht, besteht im Vorder--
abschnitt aus einspitzigen, im Hinterabschnitt aus zweispitzigen Zähn-
25*
Zahngene-
.",SS R. BURCKHARDT,
chen, die iu der Größe zwischen einer Placoidschuppe und einem Zahn
späterer Generationen in der Mitte stehen. Die etwas größeren Zähnchen
zweiter Generation sind zwei- bis dreispitzig und leiten erst zu den
typischen Zähnen über. Ebenso zeigte Miclucho-Maclay (1879).
daß die ersten Zahngenerationen von Cestracion aus Elementen be-
stehen, die unter sich gleich und noch keineswegs den späteren
Pflasterzähnen auf der Kiefermitte dieses eigentümlichen Gebisses
ähnlich sind. Endlich hat auch Jaekel (1893) bei Myliobatis die
ersten Zahngenerationen als aus runden Elementen bestehend ge-
schildert und nachgewiesen, daß erst in den folgenden Generationen
die für die erwachsene Gebißform so bezeichnende Querstreckung
des Mittelzahns auftritt.
Durch die Freundlichkeit unseres Mitarbeiters, Herrn Prof.
H. Schauinsland sind wir in der Lage, seine Beobachtungen über
die Entwickelung des Holocephalengebisses mitzuteilen, welche er uns
zu erstmaliger Publikation an dieser Stelle zur Verfügung stellt. Die
bei den erwachsenen lebenden Holocephalen vorkommenden Formen
sind nach ihm schon bei den Embryonen vorhanden. In keiner der
Kauplatten (oben 4, unten 2) und auf keinem Stadium tritt eine An-
deutung davon zu Tage, daß diese Gebilde durch Konkrescenz ent-
standen wären. Die erste Anlage erscheint als eine dünne, flache
Dentinscherbe auf einer enorm verbreiterten Zahnpapille. Fast gleich-
zeitig mit ihr bilden sich im unterliegenden Bindegewebe Balken von
Trabekulin, wie solches auch die Zahnplatten des erwachseneu Indi-
viduums ausfüllt. Zur Absonderung von Schmelz kommt es, trotzdem
sich die Elemente der basalen Epidermisschicht strecken, nicht, wohl
aber erscheint das Dentin an seiner Oberfläche mit einer Lage von
Vitrodentin bedeckt. Innerhalb der Längskämme der Zahnplatten be-
obachtete Schauinsland langgestreckte Körper von einer andern
Substanz, die er als weiches Dentin bezeichnet. Diese Körper treten
erst in vorgerückteren Entwickelungsstadien auf und sollen möglicher-
weise der letzte Ausdruck einstiger Zahnfolgen sein.
D. Dipnoer.
Die eigentümliche Bezahnung der Dipnoer hat schon seit langem
auch als entwickelungstheoretisch interessant gegolten, einmal wegen
der vermutlichen Mittelstellung der Dipnoer zwischen Fischen und
Amphibien, dann aber auch, weil diese Fischgruppe in allgemein ana-
tomischer Hinsicht der Spekulation gewisse Anhaltspunkte darbot.
In letztgenannter Richtung ist vor allem Owen vorgedrungen, während
die späteren Untersucher das Studium der Dipnoer mehr von syste-
matischem Gesichtspunkte ins Auge faßten. In neuerer Zeit hat
Rose (1892, No. X) versucht, dem erwachsenen Gebiß von Protopte-
rus allgemeinere Anschauungen abzugewinnen ; doch haben sich diese
nicht bewährt, als Semon (1899) auf Grund reichen embryologischen
Materials den aufgeworfenen Fragen näher trat, Wenn nun auch Publi-
kationen über Entwickelung des Zahnsystems von Protopterus und
Lepidosiren noch ausstehen und manche Ergänzung erwarten lassen,
so dürften doch die Hauptfragen, die an die Bezahnung der Dipnoer
anknüpfen, bereits von letztgenanntem Autor an Ceratodus schon
entschieden worden sein.
Zur Orientierung sei daran erinnert, daß sich das Gebiß der
lebenden Dipnoer auf drei Paare von Zahnplatten reduziert, die fest
Die Verknöcheruugen des Integunients und der Mundhöhle. 389
mit den unterliegenden Knochen verwachsen sind. Im Unterkiefer ist
je eine Platte auf dem Operculare, im Oberkiefer eine der Opercular-
platte an Größe entsprechende auf dem Palatopterygoid. Beide tragen
an ihrer Kaufläche Kämme, die lingual konvergieren und mehr oder
weniger die Kaufläche zerlegen. Dazu kommt ein Paar kleiner, bei
Ceratodus mehrspitzig - schaufelartiger , bei Protopterus konischer
Vomerzähne.
Wertvolle Aufschlüsse über die mutmaßliche Genese dieser eigen-
tümlichen Gebißform sind von paläontologischer Seite gebracht worden.
Schon Jaekel (1890) hat gezeigt, wie von den paläozoischen Phanero-
pleurinen her schrittweise eine Umwandlung des Gebisses bis zu den
lebenden Dipnoern überleitet. Diese Umwandlung besteht darin, daß
bei Phaneropleuron acht lingualwärts konvergierende Kämme noch
ihre Abkunft von verschmolzenen Zahnreihen dadurch zum Ausdruck
bringen, daß sich an ihnen die einzelnen Zahnspitzen noch mehr oder
weniger selbständig ausbilden. Diese Selbständigkeit wird bei den
jüngeren Dipnoern immer mehr aufgegeben. Ferner fanden sich bei
Phaneropleuron Einzelzähne an den Kieferrändern, deren Existenz aus
dem erwachsenen Zustand der lebenden Dipnoer nicht zu erklären ist.
Sodann hat Traquair auch die Anfangsstadien dieses phylogenetischen
Prozesses nachgewiesen , indem bei den paläozoischen Gattungen
Uronemus und Conchopoma, die schon als primitive Dipnoer zu be-
trachten sind, das Gebiß aus isolierten Kegelzähnen besteht.
Bestätigten schon diese paläontologischen Befunde die Annahme,
daß die Dipnoerkauplatten als Verschmelzungsprodukte zu betrachten
seien, so wurde sie zur Gewißheit durch die schon erwähnte Unter-
suchung von Semon, der wir folgendes entnehmen.
Die Zahnentwickelung von Ceratodus beginnt im Stadium 44 mit
Anlagen in der Mundschleimhaut, die denen anderer Fische völlig-
gleich sehen, also dem placoiden Typus angehören. Ihre Zahl nimmt
aber äußerst rasch zu, sodaß schon in folgenden Stadien je vier in
jeder Ober- und Unterkieferhälfte nachweisbar sind. Diese Anlagen
lassen sich von nun an auch auf weiteren Entwickelungsstadien stets
wiederfinden, und so ist der Zuwachs an neuen unschwer zu bemessen.
Sie bilden zunächst lose in der Schleimhaut sitzende Dentinkegel, an
deren Basis erst nachträglich ein weitmaschiges Netzwerk von Knochen-
balken entsteht, das die verschiedenen Zahnspitzchen miteinander
verbindet. Dieses Maschenwerk verbreitet sich immer mehr, nur in
der Median ebene stoßen beide Hälften im Oberkiefer nicht zusammen.
Im Unterkiefer freilich haben sich zwei kleine medial gelegene Zähnchen
ausgebildet, deren Basis verwächst und die Medianebene überbrückt,
wofern nicht überhaupt bloß eine mediane Zahnspitze vorhanden ist.
Außerdem vereinigen sich in jeder Unterkieferhälfte nicht alle Zahn-
sockel zu einer einheitlichen Masse, sondern es entstehen je zwei ein-
ander parallel laufende Knochenbesätze des MECKEL'schen Knorpels,
ein innerer opercularer und ein äußerer, der mit dem inneren nicht
verwächst und in der Folge eine Rückbildung erfährt. An ihm gehen
später die Zahnspitzen verloren und er wird zu dem von Huxley als
Dentale bezeichneten Knochen, der im erwachsenen Zustande an
Masse hinter dem die Zahnplatten tragenden Operculare weit zurück-
bleibt und gänzlich zahnlos ist. Die Zahnspitzen des Dentale, offen-
bar die Antagonisten der Vomerzähne, sind es wohl auch, welche jenen
vereinzelten Zähnchen am Kieferrande bei den älteren Dipnoern ent-
390 R. BüRCKHARDT,
sprechen und hier (Mitogenetisch einen ursprünglichen Zustand des
Stammes wiederholen.
Was den histologischen Bau der also sich entwickelnden Ceratodus-
zähne betrifft, so konnte Semon keine Spuren von Schmelzbildung
nachweisen. Die peripheren Schichten des Zahnes bestehen aus Vitro-
dentin, die Basen der Zahnspitzen aus Bindegewebsverknöcherungen,
in denen auf geraume Zeit keine Osteoblasten eingeschlossen werden.
Später allerdings umschließt der zahntragende Knochen auch Knochen-
körperchen. Unter dein Vitrodentin hat sich während der weiteren
Entwickelung Dentin mit unregelmäßig verästelten Röhren ausgebildet,
das wir zum Trabekulin zu zählen haben.
So weit ist die Entwickelung des Ceratodusgebisses auf Stadium
48 gediehen. Es ragen jetzt die Einzelspitzen durch die Mundschleim-
haut als scheinbar getrennte Kegel hervor. Trotz einem hohen Grade
der Ausbildung gleicht dieses Gebiß in seiner äußeren Konfiguration
noch sehr wenig dem des erwachsenen Ceratodus. Schnitte durch
dasselbe zeigen aber eine überaus weitgehende Aehnlichkeit mit
Dünnschliffen durch die Zahnspitzen paläozoischer Dipnoer. Im
Laufe der Stammesgeschichte der Dipnoer vollzieht sich nun eine
Verwachsung der ursprünglich getrennten Spitzen zu radialen
Kämmen. Dabei nehmen die Basen der Zahnspitzen immer mehr zu,
das Trabekulin verdrängt das Vitrodentin und seine Kanäle stellen
sich senkrecht zur Oberfläche. Die Kämme treten zurück und machen
einer immer breiter werdenden Kaufläche, wie sie die Gattung Cera-
todus besitzt, Platz, die Zahnplatte wird von einer sekundären Pulpa-
höhle unterlagert und hat während des ganzen Lebens zu funktio-
nieren. Nun fehlen in Semon's Materialien gerade diejenigen Stadien
der Ontogenie von Ceratodus, welche dieser phylogenetischen Ver-
wandlung entsprechen. Aber es unterliegt wohl kaum einem Zweifel,
daß auf den ontogenetisch letzten Zustand, der dem geologisch ersten
entspricht, Stadien folgen werden, die ebenfalls die stammesgeschicht-
liche Entwickelung rekapitulieren.
Es muß hier nur im Anschluß an Semon hervorgehoben werden,
daß bei Verschmelzung der Zahnspitzen der Prozeß nicht in der
Richtung der primären Zahnreihen erfolgt, sondern funktionelle Ein-
flüsse dazu beitragen mögen, daß sich bei der Verschmelzung
andere Kombinationen ergeben.
Von Rose (1892, No, IX) ist ein Zahnwechsel bei Dipnoern an-
genommen worden, da während der Schlafperiode von Protopterus
Fig. 230. Oberkieferzähne aus den Stadien 45 '/2 und 48 von Ceratodus Forsten.
Die Buchstaben bezeichnen die Reihen aufeinanderfolgender Einzelzähnchen und
zwar a — c die des Oberkiefers, v die des Vomers. Vergr. 50fach. Nach Semon.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 391
eine Epithelschicht die Zahnplatte überzieht. Wir nehmen mit Semon
an, daß diese Epithelbedeckung eine Schutzvorrichtung gegen Aus-
trocknung der Zahnplatten sei und ihre Entstehung einer jedesmaligen
Wucherung der Mundschleimhaut verdanke. Ein Zahnwechsel kommt
den Dipnoern nicht zu.
Eine augenfällige Weiterbildung des Gebisses, wie es uns bei den
typischen Dipnoern entgegentritt, repräsentiert dasjenige der Arthro-
diren, eigentlicher Riesenfische des Palaeozoicums, deren Zugehörig-
keit zu den Dipnoern wohl kaum mehr zu bestreiten ist. Die Onto-
genie dieser Gebißform ist aber noch unbekannt.
IV. Die Entwickelung des Gebissesj bei den Sauropsiden *).
A. Amphibien.
Abgesehen von den irrtümlichen, weil auf unrichtiger Verallge-
meinerung beruhenden Angaben Leydig's (1873) über die Zahnent-
wickelung der Amphibien, sind es die Arbeiten von S. Sirena (1871),
0. Hertwig (1874*), Rose (1894, No. IV) und Wiedersheim (1882),
welche uns über diesen Gegenstand belehren.
„Wenn wir zunächst die Verteilung der Zähne untersuchen, so
findet man Amphibienarten, bei denen fast jeder Knochen der Mund-
höhle Zähne trägt, sowie anderseits vollkommen zahnlose Arten.
Zwischen beiden stehen Formen, deren Knochen in verschiedener
Kombination mit einem Zahnbesatz ausgerüstet sind. Die reichste
Bezahnung besitzen im ganzen genommen die älteren Amphibien-
ordnungen , die Apoden , Perennibranchiaten, Derotremen und Sala-
mandrinen, die geringste dagegen die Batrachier." 0. Hertwig.
Zahntragend können demnach sein: Intermaxillare, Maxillare,
Palatinum, Vomer, Parasphenoid (Plethodon), Dentale und Operculare.
Fügen wir noch bei, daß bei fossilen Amphibien sogar noch die
Kiemenbögen Zähne tragen können, so erweist sich damit der Bestand
an zahntragenden Knochen als so reich, daß in ihm kein Unterscheidungs-
charakter gegen die Fische hin zu erblicken ist. Ein bürstenartiger
Ueberzug von Zähnen kommt so gut wie bei Fischen auch hier auf
den Gaumenknochen vor. Zwei- oder Mehrreihigkeit ist auch auf den
Kieferknochen nicht selten, wenngleich zuzugeben ist, daß auch das
Gebiß bei gewissen Anuren vollständiger Reduktion anheimgefallen
ist. Was die Form des Einzelzahnes betrifft, so weicht sie nie so
erheblich von der des Kegels ab, auch wo sie zweispitzig, rundlich
oder mit labyrinthisch gewundener Wand auftritt. Weder nach den
Reptilien noch nach den Fischen hin lassen sich durchgreifende
Unterschiede im Zahnsystem für die Klasse der Amphibien aufstellen.
Nach Rose entstehen die ersten Anlagen der Zähne bei der
Larve von Triton alpestris (7,5 mm Länge) in derselben WTeise, wie
die ersten Zahngenerationen der Fische, nämlich so, daß die zellen-
1) Es sind hier die Amphibien unter den Begriff Sauropsiden einbezogen worden,
da nach den neueren .paläontologischen Arbeiten sich keine durchgreifenden
Charaktere mehr angeben lassen, welche die Aufrechterhaltuug einer besonderen
AVirbeltierklasse Amphibien rechtfertigten. Die Abtrennung der Amphibien von
den Reptilien, welche seiner Zeit von Merrem (1820) ausschließlich auf Grund der
Kenntnis lebender Angehöriger dieser Gruppe unternommen wurde, findet auch im
Zahnsystem und seiner Entwickelung keinerlei Anhaltspunkte.
392
R. BURCKHARDT,
armen Bindegewebspapillen in das einschichtige Epithel kegelartig
emporragen, ohne daß zuvor ein besonderer Epithelzapfen sich ins
Mesoderm eingesenkt hätte. Ja, sie schieben sogar dieses Epithel
kuppenförmig empor gegen die in Resorption begriffenen Epithel-
massen, die noch die Mundhöhle verstopfen. Auf späteren Stadien
stoßen wir alsdann auf Zahnanlagen, die sich in die Tiefe gesenkt
haben und die Uebergangszustände darstellen zwischen solchen
Zähnen, die placoid entstehen, und solchen, die sich von einer Leiste
aus bilden. Die Anlage der Ersatzleiste kann sich verschieden bilden,
entweder sie geht neben der ersten Zahnanlage direkt vom Epithel
aus, oder sie ist bereits auf die tiefer ins Mesoderm eingewucherte
Epithelscheide des ersten Zahnes übergegangen. Ja, wir finden sie
sogar bei der Bildung mehrerer aufeinander folgender Zahnanlagen in
breitester Verbindung mit dem Epithel. Einen mittleren Zustand
veranschaulicht unsere einem älteren Stadium von Triton entnommene
Figur. Hier ist bereits eine Zahnreihe in Aktion getreten. Schmelz
und Dentin sind wohl ausgebildet, und der Zahn ist mit dem unter
ihm liegenden Dentale verwachsen. Hinter ihm senken sich drei An-
lagen von Ersatzzähnen ins Bindegewebe ein, sowie die, soviel be-
kannt, während des ganzen Lebens weiterwuchernde Ersatzleiste.
Die Anuren stehen in Bezug auf Zahnentwickelung zu den
Urodele.n in einem gewissen Gegensatz. Während nämlich bei diesen
die Zahnentwickelung in sehr frühe Embryonalstadien fällt, tritt sie
bei den Anuren, die ja in der
Jugend einen Hornschnabel be-
sitzen, erst ziemlich spät wäh-
rend des Larveulebens auf.
Besonderer Erwähnung be-
darf das Entstehen des Sockels
der Zähne. 0. Hertwig fand,
daß „an der Innenseite der Epi-
thelscheide eine dünne Lage einer
Fig. 231. Triton cristatvts, 4 cm
laug. Querschnitt durch die vordere
Hälfte des? Unterkiefers. De Dentale.
.cm GM MECKEL'scher Knorpel. 6? Blutge-
fäße. E äußeres Epithel. Et Mund-
höhlenepithel. LF Lippenfurche. EL
Ersatzleiste. S Schmelz. D Zahnbein.
Vergr. 100. Nach Rose.
homogenen Grundsubstanz entsteht, welche, unter der Zahnkrone dicker
ist, weiter nach abwärts sich membranartig verdünnt. Einwärts von
ihr haben sich die oberflächlichen Zellen der Papille zu Spindelzellen
umgestaltet und bilden eine epithelartig angeordnete Schicht, welche
sich nach oben direkt in die Odontoblastenschicht fortsetzt, nach unten
bis zur Basis der Anlage herabreicht. Der homogene Streifen ist die
Anlage des Cements".
Auch Resorption alter Zähne findet bei Amphibien in ausgiebigerem
Maße statt. Einzelne Zähne, meist an der Basis, sind von Grübchen
und Rauhigkeiten bedeckt, in denen vielkernige Zellen von bedeuten-
der Größe die Dentin- und Cementmasse zur Auflösung bringen.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 393
B. Reptilien.
Wofern wir die Reptilien in ihrer Gesamtheit und nicht nur in
den gerade heute lebenden Formen erfassen, ist die Gestaltung ihres
Zahnsystems eine äußerst mannigfaltige, und mit ihr wechselt auch
entsprechend der Zahnbildungsprozeß. Aber weder im erwachsenen
Zustande, noch im Entwickelungsleben zeigt das Gebiß einen gerade
für die Klasse der Reptilien einheitlichen Charakter. In den niedersten
Formen lehnt es sich ohne Kluft an das der Amphibien und Fische
an. zeigt aber physiologisch und genetisch Uebergangsformen, die nach
den Säugetieren hinüberleiten, nach denen hin jedoch die Abgrenzung
eine schärfere ist als nach unten. Der Schilderung der Zahnent-
wickelung bei einzelnen genauer bekannten Reptiltypen schicke ich
einige vergleichend-anatomische Bemerkungen voraus.
Soweit bei Reptilien eine knöcherne Unterlage auftritt, können
von der gesamten Mundschleimhaut Zähne auf ihr produziert werden,
und zwar auch auf den Gaumenknochen, wie bei Fischen. Nur auf den
Sphenoidknochen und den Kiemenbogen sind bis jetzt keine Zähne
beobachtet. Ein Gaumengebiß kommt vorwiegend den phyletisch
älteren Formen zu. Es kann ebenso in unregelmäßig mehrreihigen
Zahnpolstern angeordnet sein , wie bei Fischen. Auf den Gaumen-
knochen sowohl als in den Kiefern sind die Zähne stets in einer
oder mehreren Reihen angeordnet und werden von Zahnleisten aus
ersetzt. Zahl und Form der Einzelzähne ist sehr verschieden und
erschwert eine bestimmte Homologisierung. Wir begegnen denselben
physiologischen Anpassungen bei herbivoren und carnivoren Formen
wie unter den Fischen. Ihnen entsprechend modifiziert sich auch der
Zahnwechsel in den verschiedenen Gruppen, zu deren gesonderter Be-
trachtung wir jetzt überzugehen haben. Von der Entwicklung des
Gebisses der meisten fossilen Reptilien können wir uns nur auf Grund
der Kenntnis lebender Amphibien und Reptilien einen Begriff machen,
dadurch daß wir aus der Aehnlichkeit der Gebißform auf die Form
des Zahnersatzes, für die nur spärliche Anhaltspunkte vorliegen, zurück-
schließen. Eine große Zahl fossiler Reptilien schließt sich in Gebiß
und Zahnersatz am ehesten den Krokodilen an, wir haben sie daher
dort erwähnt.
1. Theromorphen.
Die größte Mannigfaltigkeit von Gebißform und Zahnersatz finden
sich bei den Theromorphen. In dieser Gruppe ist Kiefergebiß und
Gaumengebiß auf allen möglichen Stadien der Vollkommenheit anzu-
treffen, sogar bis zu gänzlicher Rückbildung (Oudenodon). Die
primitivsten Formen besitzen auf den Gaumenknochen noch reichliche
Zahnpolster, von denen anzunehmen ist, daß sie nicht einmal von
Zahnleisten , sondern in derselben unregelmäßigen Weise wie bei
Fischen ersetzt worden seien. Daneben kommen aber auch Gaumen-
gebisse vor, die aus regelmäßigen Reihen kleiner Zähne bestehen und
wohl ebenso wie die Gaumenzähne der Schlangen von Zahnleisten
aus ersetzt wurden. In den Kiefern von Pareiosauriern fand zweifellos
ein ähnlicher Zahnwechsel, wie bei den Krokodilen statt, denn Owen
bildet bereits Zähne ab, die von einem Ersatzzahn verdrängt werden.
Dagegen war die Kieferbezahnung der Theriodontier monophyodont,
und bis jetzt sind keine Gründe vorhanden, anzunehmen, daß bei
ihnen ein Wechsel stattgefunden habe.
394 R. BüRCKHARDT,
Von einer gewissen Bedeutung für die Beurteilung der Säugetier-
molaren sind einige Thatsachen, die sich diesem und verwandten
Reptilstämmen entnehmen lassen. Das Bedürfnis, die Kaufläche in
den hinteren Abschnitten des Kiefers zu verbreitern, erzeugt ganz ver-
schiedene Umbildungen dieser Gebißpartie. Bei Empedias (Cope)
und Diademodon (Seeley) geschieht die Verbreiterung dadurch, daß
sich der Einzelzahn in der Wangen gegend verbreitert. Er nimmt
alsdann vollständig die Gestalt eines Säugetiermolaren an. Bei
Pantylus und Helodectes (Cope) hingegen, sowie auch bei Plesiosaurus
(Owen) und Hyperodapedon (Lydekker) finden wir im hinteren
Abschnitt der Unterkiefer Verbreiterung der Kaufläche dadurch er-
reicht, daß innerhalb der gewöhnlich vorhandenen Reihe von Kiefer-
zähnen mit dieser noch weitere gleichzeitig in Aktion treten , ohne
daß indes eine Verschmelzung eintreten würde.
2. R h y n c h o c e p h a 1 e n.
Für die Rhynchocephalen sind vielfach ähnliche Gebiß- und Zahner-
satzformen wie für die Theromorphen festzustellen, und in ihren
niedersten Vertretern (Proterosaurus Seeley) schließen sie sich jenen
vollkommen an oder weichen so stark ab, wie Hyperodapedon , bei
welchem im Oberkiefer ausschließlich das Palatiimm bezahnt war und
während des Lebens wahrscheinlich ein beständiger Zuwachs von Zähnen
am Hinterrande stattfand, ohne daß die vorderen entfernt wurden
(Burckhardt). Bei Simaedosaurus begegnen wir einem reichen un-
regelmäßigen, aus winzigen Elementen bestehenden Gaumengebiß, das
sich in keiner Weise von ähnlichen bei Fischen unterscheidet und wohl
sekundär in Anpassung an die aquatile Lebensweise erworben ist.
Diesen Formen gegenüber besitzt die einzige lebende, Hatteria, ein
relativ einfaches Gebiß, dessen Entwickelung wir besonders im An-
schluß an die Untersuchungen von Günther, Schauinsland (1900),
Howes und Swinnerton (1901) und H. S. Harrison (1901) kennen
zu lernen haben.
Das Gebiß der erwachsenen Hatteria besteht aus kegelförmigen,
seitlich komprimierten Zähnen, die nicht bloß dem Knochen aufge-
wachsen sind, sondern teilweise noch von ihm an der Basis mit
Substanz bedeckt werden. Sie bilden eine fortlaufende Reihe im
Unterkiefer, welche zwischen zwei Reihen des Oberkiefers eingreift,
deren eine, äußere, auf dem Maxillare und Praem axillare, deren andere,
innere, auf dem Palatinum verläuft ; dazu kommen noch unbeständige,
offenbar in Reduktion begriffene Zähnchen auf dem Vomer.
Die Entwickelung dieses Gebisses beginnt im dritten Monat der
Bebrütung, und es bilden sich unmittelbar unter der Oberfläche des
Epithels an sechs Stellen winzige Zahnanlagen, nämlich je zwei in
Ober- und Unterkiefer und zwei neben den Choanen, welch letztere
der palatinalen Reihe angehören. Ihnen folgen weitere, bis die Zahl
von etwa 36 erreicht ist. Sie gehen alle nach und nach in die Epidermis
über und werden beim Ausschlüpfen abgeworfen. Während des weiteren
Lebens im Ei bildet sich alsdann eine eigentliche Zahnleiste mit einer
Ersatzleiste aus. Ein Teil der Epidermiszellen über den Zahnanlagen
nimmt sogar Sternform an. Das Gebiß des ausschlüpfenden Embryo
kommt nun nach H. S. Harrison dadurch zu stände, daß die Elemente
einer zweiten Dentition stellenweise auseinanderrücken und diejenigen
einer nachfolgenden zwischen sich treten lassen. Ja, in der Praemaxilla
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 395
bei einem Embryo von 21,2 cm würden im Laufe der Entwicklung
schon fünf verschiedene Zahngenerationen, die zum Teil schon wieder
rückgebildet wären, in Betracht kommen. Die „Schneidezähne" der
erwachsenen Hatteria sind allerdings aus zwei Spitzen zusammenge-
setzt, aber diese sind nicht unter sich verschmolzen, sondern durch
Fig. 232. Obere Bezahnung einer Hat-
teria von 10 cm. Der Zwischenkiefer zeigt
noch drei Zähne, der Oberkiefer elf, deren al-
ternierende Stellung zu beachten ist. Dahinter
vier Palatinzähne. Nach einem Präparat von
G. Thilexius gez. von E. Sauerbeck.
Knochensubstanz zusammengehalten, welche zwischen ihnen herunter-
wächst zu einer Zeit, wo noch drei Einzelspitzen vorhanden sind,
deren eine völlig verschwindet. Wenn nun die alternierende Serie
vollendet ist, findet ein mehr oder weniger vollständiger Zahnwechsel
statt, bis es zur Ausbildung einer Reihe von Zähnen kommt, die
einander alle an Größe gleichen. Gleichzeitig werden am hinteren
Ende der Zahnreihe neue Elemente zugefügt. Wie lange der Zahn-
ersatz in der postembryonalen Jugend des Tieres fortdauert, ist nicht
bekannt, doch scheint er bald zu erlöschen.
Schmelz wird, wenn überhaupt, nur in ganz geringen Lagen ab-
gesondert (Schauinsland).
3. Lacertilier.
Das Gebiß der Eidechsen zeigt nicht eben einen einheitlichen
Charakter, ebenso auch die Zahnentwickelimg. Von dieser kennen
wir einzelne Typen, die unter sich mehr oder weniger abweichen und
die daher gesondert zu betrachten sind.
Die Eidechsen reihen sich den Rhynchocephalen und Theromorphen
direkt an dadurch, daß viele derselben nicht nur ein Kiefergebiß, sondern
auch ein mehr oder weniger vollständiges Gaumengebiß besitzen, doch
sind von diesem auf den verschiedenen Knochen nur ein- oder wenig-
reihige Formen bekannt. In vielen Fällen scheint Zahnersatz während
des ganzen Lebens stattzufinden, während bei anderen wiederum die
Zahl der Dentitionen beschränkt ist.
Ueber die Entwickelungsgeschichte des Eidechsengebisses orien-
tieren uns Arbeiten von Sirena (1872), Carlsson (1896), Leche
(1893), Rose (1893, No. III).
An mehreren Stadien von Iguana tuberculata konnte Leche
(1893) folgende Eigentümlichkeiten der Zahnentwickelung feststellen.
Die ersten Zahnanlagen treten bei Embryonen von 24 Tagen auf, und
zwar in Gestalt einer rein an der Oberfläche liegenden Erhebung
und Verdickung des Kieferepithels. Die Zahnanlagen erster Generation
senken sich nicht gegen das Mesoderm ein. In dieser Verdickung
bilden sich, leider ließ sich der Prozeß nicht im einzelnen verfolgen,
rudimentäre verkalkte, oberflächlich gelegene Zähnchen, die, zur
Funktionslosigkeit verurteilt, lange vor der Geburt verkümmern. Die
zweite und die folgenden Zahngenerationen gestalten sich folgender-
maßen. Die zweite Generation wird von der gegen das Mesenchym
vorgestülpten Epidermis gebildet, aber immerhin noch in so ober-
flächlicher Lage, daß es nicht zur Abschnürung eines eigentlichen
396 R. BüRCKHARDT,
Sclmi elzorgans kommt. Das lingual gelegene tiefe Ende der einge-
senkten Schmelzleiste faltet sich und bildet die Anlage eines Zahnes
dritter Generation. Das Entwicklungstempo ist ein ziemlich rasches,
denn beim Embryo von 77 mm finden wir die Zähne erster Generation
verschwunden, die zweiter Generation an der Basis mit dem Kiefer-
knochen verwachsen, an der Spitze durch die Schleimhaut durchge-
brochen. Unter diesem Zahn lauert bereits eine ziemlich weit fortge-
schrittene Anlage dritter und
\ neben ihr eine erst in der Ab-
%• \ . Scheidung des Dentins begriffene
vierter Generation.
Diesem Stadium entspricht
auch die nebenstehende Figur,
welche einen Oberkieferzahn und
seine Ersatzzähne von Lacerta
vivipara versinnlicht.
Aehnlich schildert Carls-
son (1896) die Zahnentwickelung
bei Agama, nur daß hier auch
an gewissen Stellen, z. B. hinter
den Schneidezähnen, Zahngene-
rationen vorkommen, die nur
Fig. 233 Lacerta vivipara Oberkiefer- j j auftreten und Später nicht
zahn und 2 .brsatzzahne desselben, schwach , j i i o
ver„r> mehr ersetzt werden, und daß
ferner die Zahnerneuerung eine
spärlichere als bei Iguana ist; die Schmelzleiste dringt tief ein, wo
mehrere, seicht, wo nur eiue Zahngeneration ausgebildet wird.
Eine besondere Untersuchung hat Rose (1893, No. III) der Zahn-
entwickelung des Chamäleons gewidmet. Hier wird nur eine Zahn-
generation ausgebildet, die Keime einer folgendfn verkümmern. Da-
gegen findet am hinteren Kieferende eine beständige langsame Um-
bildung von Zähnen statt, die zu den schon vorhandenen hinzuwachsen.
4. Schlangen.
Schon im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts stoßen wir
auf eine reiche Litteratur über Entwickelung des Schlangengebisses.
Insbesondere waren es die gefürchteten Giftzähne, deren rascher
Ersatz die Forscher fesselte. In neuerer Zeit förderten Ley-
dig (1873), Tomes (1875, 1876), Reichel (1883), Rose (1894.
No. II), Voerckel (1895), Käthariner (1897), anschließend an
histologische Grundlagen unsere Kenntnis über die Gebißentwickelung
der Schlangen. Hierbei blieb jedoch immer noch im Vorder-
grunde des Interesses die Entwickelung des Giftzahns, während unsere
Erfahrungen über die primitiveren und reduzierten Formen des
Schlangengebisses noch recht unvollkommen genannt werden müssen.
Zahntragend sind bei den Schlangen überhaupt Dentale, Prae-
maxillare, Maxillare, Palatinum, Pterygoideum. Da und dort können
Diastemata auftreten, ja die Zähne auf sonst zahntragenden Knochen
auch ganz fehlen; so besitzen die Typhlopiden nur im Oberkiefer,
die Glauconiiden nur im Unterkiefer Zähne. Im allgemeinen ist die
Zahnzahl eine bedeutende, so giebt Leydig (1873) für die Ringel-
natter an, daß deren etwa 130 gleichzeitig in Funktion sind. Eine
ganz besondere Modifikation erfährt das Schlangengebiß bei den Pro-
Die Verknöcherungen des Integurnents und der Mundhöhle. 397
teroglyphen und Solenoglyphen, wo es zur Ausbildung der eigentüm-
lichen Giftzähne auf dem Maxillare kommt und wo auch der Zahnent-
wickelungsprozeß von dieser Specialisierung affiziert wird. Bekannt-
lich zeichnen sich die Giftzähne aus durch Größe, ferner durch Aus-
bildung des „Giftkanales" einer geschlossenen Furche an der Vorder-
seite des Zahnes, die allmählich vom Zahn so umwachsen wird, daß
nur noch eine Oeffnung an der Ober- und eine an der Unterseite der
ursprünglich seichten Furche übrig bleibt; eine weitere Eigentümlichkeit
dieser Zähne besteht darin, daß dem Maxillare jedesmal der älteste
Zahn fest aufwächst. Ueber die Entwickelung der gewöhnlichen
Schlangenzähne macht Leydig die Angabe, daß neben jeder funktio-
nierenden Zahnreihe einwärts von ihr noch zwei von einer Ersatz-
leiste ausgebildete jüngere Zahngenerationen lauern. Eine besondere
Modifikation der Gebißentwickelung tritt uns in der Bildung des echten
Eizahns entgegen (nicht mit der Eischwiele identisch), welchen Joh.
Müller nicht nur bei Schlangen, sondern auch bei Eidechsen beobachtet
hat. Bei der Kreuzotter hat Rose (1892 No. V) die Entwickelung dieser
embryonalen, histologisch vollkommen wirklichen Zähnen entsprechen-
den Gebilde untersucht und gefunden, daß sie aus den Anlagen der
Prämaxillarzahnleiste hervorgehen. Sie gehören deren erster Generation
an und werden paarig angelegt; der linke Keim wird früh zurückge-
Fig. 234. Querschnitt durch den Oberkiefer einer jungen Kreuzotter. ZL Beste
der früheren Zahnleiste. 1 in Thätigkeit befindlicher Giftzahn , dessen dargestelltes
vorderes Ende frei in der Zahnfleischtasche Bg (Bursa gingivalis) liegt. 10 jüngster
Ersatzzahn der Giftzähne. GK Giftkanal. EL Ersatzleiste, freies Ende der Zahn-
leiste. G Gefäß. N Nerven. Vergr. 62. Nach Böse.
398 Iv. BURCKHARDT,
bildet, und nur der rechte gelangt zur Ausbildung, um beim Durch-
brechen der Schale benützt und alsdann abgeworfen zu werden.
Der Giftzahn und seine Ersatzzähne bilden sich nach den Unter-
suchungen desselben Autors, sowie der oben erwähnten folgender-
maßen.
Bei der Kreuzotter treten die ersten Anlagen der Zahnleiste bei
Embryonen von 4,5 mm Kopflänge auf. Bei 10 mm, wenn der oben
erörterte Eizahn bereits ausgebildet ist, ist seitwärts von ihm die
Oberkieferleiste bereits gegen das Mesoderm vorgewuchert und hat
eine rudimentäre erste Giftzahnanlage erzeugt. Den Querschnitt
eines bedeutend älteren Stadiums, nämlich einer ausgeschlüpften jungen
Kreuzotter giebt unsere Figur 234 wieder. Die Zahnleiste hat sich
unter Hinterlassung einiger Rudimente völlig vom Kieferepithel ab-
gelöst und ist in weitem Bogen um die von ihr ausgebildeten Zähne
herumgewachsen. Ihre Verbindung mit ihnen ist auf diesem Quer-
schnitt nicht wiedergegeben, obschon sie noch vorhanden ist. Der
Giftzahn und seine Nachfolger sind hier meist quergetroffen und be-
finden sich auf verschiedenen Stadien der Entwicklung; so zeigen die
Anlagen (oben rechts) eben den Schluß der Zahnrinne zu einem Kanal,
dem späteren Giftkanal. Unter dem Einfluß der seltsamen den Zahn
modifizierenden Funktion hat also die Zahnleiste hier eine gesteigerte
Produktion von Ersatzähnen entwickelt, deren Zahl bis auf 10 wachsen
kann. Diese Zahnproduktion dauert natürlich, wie auch die der übrigen
Schlangenzähne, während, des ganzen Lebens fort. Während des
Sommers wird nach Kathariner's Beobachtungen der Giftzahn alle
sechs Wochen gewechselt. Infolge davon muß jedesmal die Verbindung
zwischen Giftzahn und Giftdrüse neu hergestellt werden.
5. Krokodile.
Abgesehen von den älteren Schilderungen Rathke's (1848) und
Hoffmann's (1890) hat uns erst Rose (1893, No. V) eine umfassende
und einwandfreie Darstellung von der Zahnentwickelung der Krokodile
gegeben. An zehn verschiedenen Stadien von Crocodilus porosus ge-
lang es ihm, Nachfolgendes festzustellen : Bei einem Embryo von einer
Kopflänge von 5 mm ist vom MECKEL'schen Knorpel noch keine Spur
vorhanden, aber schon erhebt sich die erste Anlage der Zahnleiste auf
dem Schnitte in Gestalt einer Spindel, die auf vier bis fünf Zelllagen
anschwillt, während die übrige Epidermis deren bloß zwei besitzt. Am
Oberkiefer zeigt die Zahnleiste unmittelbar darauf zwei Wellen, deren
Berge zu Zahnpapillen werden, die mit zwei weiteren, hinter ihnen
entstehenden das gemeinsam haben, daß sie sich nicht ins Mesoderm
einsenken, sondern vielmehr gleich einem von einem Wall umzogenen
Hügel über die Mundschleimhaut emporragen. Bei 8 mm Kopflänge
hat diese Zahnserie ihre Ausbildung erreicht, und bereits sind die
Zahnpapillen mit einem Dentinhütchen überzogen. Eine Verbindung
durch eine Zahnleiste haben sie nicht erfahren, dagegen beginnen sich
die Zahnanlagen nunmehr etwas gegen das Mesoderm vorzuschieben,
und über ihnen lockert sich das Epithel zu einer Modifikation, die
man als primitives Sternzellengewebe bezeichnen kann. So bei einer
Kopflänge von 12 mm. Gleichzeitig tritt aber mehr oder weniger
gesondert von dieser ersten Serie von Zähnen median von ihr in
geringer Entfernung eine kontinuierlich den Kiefern entlang laufende
Zahnleiste auf, die tief ins Mesoderm dringt, dort sich stellenweise
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 399
verbreitert
Stadium
und Papillen des Mesoderms umgreift,
zu stände, welches uns Rose auf Fig. 235
So kommt das
wiedergiebt und
zu dessen Verständnis einige Worte beizufügen sind. In ihm sind
durch Rekonstruktion veranschaulicht der MECKEL'sche Knorpel, die
Deckknochen und die Mundschleimhaut des Unterkiefers. Weggelassen
ist das mesodermale Gewebe, also auch die Zahnpapillen selbst, Ab-
zsn
Fig. 235. Crocodilus porosus, Kopflänge 12,5 mm. Modell der epithelialen, knor-
peligen und knöchernen Teile des Unterkiefers in ventraler Ansicht. ZSl erste Zahn-
serie. ZSn zweite Zahnserie in Verbindung mit der Zahnleiste. ZI Zahnleiste.
Z Zunge. CM Cartilago Meckelü. A Angulare. Psp Praespleniale. D Dentale. O
Verbindung des Dentale mit dem Cementsockel des zweiten Zahnes erster Serie.
Vergr. 25 fach. Nach Rose.
400 R. BURCKHARDT,
gesehen von der speciellen Anlage der Zähne, zeigt uns das Modell
besonders schön den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden
bisher angelegten Zahngenerationen : die Anlagen erster Serie treten
nicht an einer Zahnleiste auf wie die der zweiten. Fernerhin ist von
prinzipieller Bedeutung die Thatsache, daß das Dentale mit dem Sockel
eines Zähnchens erster Serie in Verbindung betroffen wird. Wir
haben bereits p. 372 auf dieses Vorkommnis hingewiesen.
Nach diesem Stadium beginnen die folgenden Veränderungen
Platz zu greifen : Die Zahnanlagen der ersten Serie bleiben zurück,
überziehen sich nur zum Teil mit Schmelz und fallen bald, ohne
funktioniert zu haben, aus. Die Zahnanlagen der zweiten Serie bleiben
zum Teil auf demselben Stadium wie die der ersten Serie stehen ; nur
zum Teil bilden sie sich jedoch weiter zu Zähnen mit schmelzbedeckter
Krone und offener Wurzel, um sie herum entsteht eine offene Knochen-
rinne. Diese Zähne durchbrechen alsdann das Zahnfleisch. Ihre
Wurzeln aber werden auf diesem Stadium bereits in Resorption an-
getroffen. Unterdessen hat sich die Zahnleiste erheblich umgebildet
und weiterentwickelt. War sie anfangs eine bloße Epitheleinsenkung,
an der sich die Knospen für die zweite Zahnserie bildeten, so über-
läßt sie alsbald die Knospen ihrer Weiterbildung und wächst labial-
wärts aus. Hierbei löst sie sich teilweise von ihrem Mutterboden
ab, verliert den Charakter einer Schleimhautfalte und erfährt zahlreiche
siebartige Durchbrechungen; nur durch wenige Brücken steht sie
jetzt noch mit der Mundschleimhaut in Zusammenhang, bildet aber
einen dem MECKEL'schen Knorpel parallel laufenden Strang, der nun
die Produktion weiterer Ersatzzähne übernimmt. Prinzipiell gleich
verhält sich die Zahnleiste des Oberkiefers. Diesen späteren Zustand
veranschaulicht Fig. 236, die ebenfalls auf Rekonstruktion beruht.
Sie zeigt uns ein Stück der Oberkieferbezahnung. Rechts ist ein
Zahn des linken Oberkiefers, links mehrere des rechten Oberkiefers
in umgekehrter Lage dargestellt. Nur ein kleines Stück des Kiefer-
epithels ist wiedergegeben, und zwar dasjenige, durch welches die
zweite und dritte Zahnanlage der zweiten Serie mit ihren Spitzen eben
durchbrechen. Von diesen ist die erstere rudimentär geblieben, die
letztere aber hat sich, wie auch die beiden ersten Anlagen, weiterent-
wickelt. Nichtsdestoweniger droht auch diesem, sowie der dritten An-
lage der zweiten Serie der Untergang; denn bereits hat sich eine
dritte Serie anlegt, deren Ausbildung die Angehörigen der zweiten Serie
verdrängt. Diese Anlagen sind nur in der rechten Hälfte des Ober-
kiefers abgebildet. Besonders imponiert der dritte Ersatzzahn, dessen
Wachstum bereits die Resorption der Wurzel seines Vorgängers ver-
anlaßt hat. Die Zahnleiste hat sich auf diesem Stadium völlig von
der Mundschleimhaut abgelöst und ist nur noch ein dünner, wenn
auch lebenskräftiger Strang. An einer Stelle, nämlich lingual vom
zweiten Zahn der dritten Serie, läßt sie eine leichte Grube erkennen.
Das ist bereits die Anlage eines Zahnes vierter Serie. Diese Knospe
wird sich in der Folge von der Zahnleiste labialwärts ebenso ab-
schnüren wie die des Vorgängers, die Zahnleiste wuchert lingual -
wärts weiter und erzeugt während des ganzen Lebens neue Zahn-
Generationen.
Wie die Hartgebilde der Zähne und ihre Ersatzzähne sich ver-
halten, zeigt Fig. 237, die als typisch für die meisten Kegelzähne der
Reptilien sowohl als der Zahnvögel gelten kann. Der Ersatzzahn
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 401
erzeugt
der
au der lingualen Fläche der Wurzel seines Vorgängers eiue
allmählich sich erweiternde und nach unten hin durchbrechende Grube.
Dadurch drängt er sich in die Pulpa des zu ersetzenden Zahnes ein
und stößt diesen mit fortschreitendem Wachstum aus.
Fig. 237.'
Fig. 236. Crocodilus porosus, Körperlänge von 25 cm. Die 3 ersten Zähne
des rechten und der erste des linken Oberkiefers. ZSiu dritte, ZSir vierte Zahn-
serie. ZL Zahnleiste. E Kieferepithel. ESch Epithelscheide der beiden ersten Zähne.
8 Schmelz. D Dentin. K Knochenalveolen. Vergr. lTfach. Nach Rose.
Fig. 237. Crocodilus porosus, junges Tier. In Resorption begriffener Zahn
mit dem Zahnscherbchen seines Nachfolgers in natürlicher Lage. Vergr. 3fach. Nach
Rose.
Erst wenn die Krokodilzähne dem Durchbruche nahe sind, lagert
sich um die Wurzel eine dünne Cementschicht.
Endlich ist hervorzuheben, daß das Tempo des Zahnersatzes bei
den Krokodilen nicht in allen Teilen der Kiefer dasselbe ist; die Zahn-
generationen durchdringen sich mannigfach, und während ein Zahn
einer bestimmten Serie angehört, kann sein Nachbar einer voran-
gehenden oder späteren angehören.
6. Uebrige Reptilien.
geschilderte Modus
des
Zahnersatzes gilt
Der für die Krokodile
nun aber nicht nur für diese Gruppe der Reptilien, sondern wir
können aus der Uebereinstimmung späterer Stadien mit Vorkommnissen
bei fossilen Reptilien den Schluß ziehen, daß auch bei dieseu der
Zahnersatz sich in ähnlicher Weise wird vollzogen haben, so in den
Kiefern der Pareiosaurier, der Ichthyosaurier, der Sauropteiygier, der
Patagiosaurier und der Mehrzahl der Dinosaurier.
Handbuch der Entwickelungslehre. II. 1. 26
402 R. BüRCKHARDT,
Während sich im allgemeinen die Zahnformen der Dinosaurier den-
jenigen der Krokodile anschließen, sind doch einige fossile Dinosaurier
bekannt, die uns einen sekundär veränderten Zahnwechsel vermuten
lassen. Bei Diplodocus longus hat Marsh im Unterkiefer hinter dem
funktionierenden Zahn bereits sechs Ersatzzahnanlagen, die Hartgebilde
ausgeschieden hatten, angetroffen ; die Zahl der Anlagen in ein und
demselben Querschnitt wird also auch noch etwas höher gewesen sein.
Eine ganz eigentümliche Entwickelungsbahn hat der Zahnersatz bei
den ornithopoden Dinosauriern eingeschlagen. In dieser Abteilung der
Reptilien sind wir durch Marsh mit einer Reihe von Reptilien des
oberen Jura und der Kreide bekannt geworden, welche, mit mäßigen
Dimensionen anhebend (Camptosaurus), sich durch mehrere Etappeniiin-
durch (Iguanodon, Claosaurus) zu seltsamen Riesenformen (Hadrosaurus)
umgebildet haben. In Zusammenhang mit dieser Stammesentwickelung
nimmt die Zahl der in einer Reihe stehenden Einzelzähne des Kiefers
um etwa das Dreifache zu, die Einzelzähne nehmen an Größe ab, sie
konzentrieren ihren Schmelz im Oberkiefer auf die labiale, im Unter-
kiefer auf die linguale Fläche, sie kauen sich immer rascher ab ; in-
folgedessen rücken schließlich mehrere Generationen derselben gleich-
zeitig ins Treffen, um eine gemeinsame Kaufläche zu bilden. Während
wir bei den Krokodilen sahen, daß die Ersatzzähne je nach Bedürfnis
und nicht jede Generation gleichzeitig in Funktion treten, ist hier in
dieser Beziehung eine größere Regelmäßigkeit eingetreten, die auch
mit einer regelmäßig alternierenden Stellung der Einzelzähne verbunden
ist. Der Zahnwechsel wird hier in ähnlicher Weise wie bei Selachiern
mechanisiert.
C. Vögel.
Zahntragende Vögel sind bis jetzt nur fossil bekannt. Die Gattungen
Archaeopteryx, Hesperornis, Ichthyornis und Gastornis, welche vom
oberen Jura bis zum Eocän reichen, haben Zähne besessen. Von
Hesperornis wissen wir auch, dank den Untersuchungen Marsh's,
daß die Verdrängung des Zahnes durch seinen Ersatzzahn in ähn-
licher Weise von statten ging wie bei den Krokodilen. Ob aber
nur ein einmaliger oder mehrmaliger Wechsel stattgefunden hat. dar
über ist noch nichts bekannt. Ebenso hat Marsh für Ichthyornis
festgestellt, daß die Ersatzzähne sich nicht von der Innenseite her.
sondern von unten in den zu ersetzenden Zahn eindrängen und ihn
zum Ausfall bringen. E. Geoffroy St. Hilaire beobachtete bei
Embryonen von Palaeornis Reihen von Papillen im Ober- und im
Unterkiefer, die er mit Zahnpapillen verglich. Diese Bildungen haben
E. Blanchard (1860) und M. Braun (1882) zu weiteren Unter-
suchungen an Papageien Veranlassung gegeben, bis Fraisse (1880)
endgiltig nachwies, daß es sich hier um eigenartige Modifikationen
des Hornschnabels handle, daß aber Dentinbildung und somit die
Basis für eine Homologisierung dieser Papillen mit Zähnen ausge-
schlossen sei. Neuerdings ging Rose und im Anschluß an ihn
A. Carlsson (1896) von der allgemeinen Anschauung aus, daß, wenn
es bei Vögeln überhaupt noch zur Anlage des Zahnsystems komme,
dieses sich auf eine rudimentäre Schmelzleiste beschränken, aber keine
Papillen zur Ausbildung bringen werde. Beide Autoren fanden denn
auch Verhältnisse, die diesen theoretischen Anforderungen zu ent-
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 403
des Unterkiefers
Dasselbe zeigte
Später wuchert
sprechen scheinen. Rose (1892, No. VI) untersuchte eine Serie von
Embryonen einer Seeschwalbe (Sterna Wilsoni). Bei einer Kopflänge
von 8,5 mm fand er auf Schnitten hinter dem Rande
eine spindelförmige Anschwellung des Kieferepithels,
auch auf etwas späterem Stadium der Oberkiefer,
dieser Zellstrang gegen das Mesoderm vor. ohne indes zu verhornen.
Aehnliches hat Rose auch bei Struthio camelus beobachtet, wo sogar
eine Rinne vorhanden ist, die er als Lippenfurche deutet. Carlsson
hat Embryonen von Sterna hirundo untersucht, deren Körperlänge
18- '50 mm betrug. Die Leiste hat sich nie sich über das Niveau des
übrigen Epithels erheben sehen und giebt von ihr fernerhin an, „sie
verschwinde vollkommen dem vordersten Teile der äußeren Nasen-
öffnung gegenüber". Während des Wachstums von 20—37 mm
Körperlänge bleibt sich die Leiste völlig gleich, bei 44 mm tritt eine
Veränderung ein: „die Leiste bildet sich früher in der Kieferspitze
und ist überall tiefer, als bei den jüngeren Embryonen ; sie steht hier
auf der Höhe ihrer Ent-
wickeln!] g.u
Die neben-
stehende Figur giebt
diesen Zustand wieder,
worin sie und Rose das
kritische Stadium er-
blicken. Verhornung tritt
erst später ein, gleich-
zeitig eine Rückbildung
dieser Ektodermleiste.
Können wir auch der
Hypothese beistimmen,
daß wohl schwerlich bei
lebenden Vögeln voll-
kommenere Zahnleisten-
anlagen zu erwarten sind,
so scheinen uns die
Gründe, welche Rose
und Carlsson dafür ins
Feld führen, daß hier
eine rudimentäre Zahn-
leiste vorliege, nicht aus-
reichend. Namentlich
müßte dieselbe Anlage
als ein allgemeiner Be-
sitz der Vogelembryonen
wie die von Sterna. Bei
des Schnabels statt, und
vielleicht die
.
-
— _.
.-c£
?r/-J ~ —
--->/
hang
Ausgedehntere
Untersuchungen
deren Schnabel eine primitivere Form
Hypothese aus dem Bereiche der
überführen.
Fig. 238. Frontalschnitt durch den Oberkiefer
eines Embryos von Sterna hirundo, 44 mm, um die
Schmelzleiste {st) auf der Höhe ihrer Entwickelung zu
zeigen, eh Ektoderm. gd Leiste, woraus die Gaumen-
drüsen hervorgehen, ms Mesoderm. Vergr. 120.
Nach A. Carlsson.
erwiesen sein und nicht gerade solcher,
diesen findet ja eine erhebliche Streckung
mit diesem völlig sekundären Charakter ist
des Ektoderms in Zusammen-
an Embryonen von Vögeln,
:>e wahrt hat, können erst die
in das der Wirklichkeit
nachgewiesene Verdickung
Möglichkeit
26*
404 R. BüRCKHARDT.
V. Die Entwickelung des Gebisses bei den Säugetieren.
A. Allgemeines.
1. Die Theorien der stamm es geschichtlichen Ent-
wickelung des Säugetiergebisses.
Innerhalb der Säugetiere kommt der 6., der 7. und der 8. der in un-
serer Einleitung aufgestellten Gebißtypen vor, also Diphyodontie, Mono-
phyodontie und Anodontie (vgl. p. 359). Diphyodontie tritt, auch wenn
durch die prälactealen und postpermanenten Dentitionen der Anschluß
an die Polyphyodontie gegeben ist, in so scharf ausgeprägter Form auf.
wie sie bisher bei lebenden und fossilen Reptilien noch nicht bekannt
ist. Nach Leche (1895) besteht auch eine besondere Schwierigkeit
in der Beurteilung der diphyodonten Gebisse darin, daß die gleich-
zeitig funktionierende Bezahnung oft aus Elementen der Milch- und
der Ersatzdentition zusammengesetzt ist. Als Kriterium ist zwar
mit aller Vorsicht die Zeit der Entstehung eines Zahnes zu verwenden.
Auf Grund dieses Merkmals kann oft entschieden werden, ob ein Zahn
zur einen oder anderen Generation gehört. Doch betrachtet M. Wood-
ward (1896) sogar dies nicht als entscheidend. Von den für die
Säugetiere charakteristischen Zuständen des Gebisses sind es, abge-
sehen von der Diphyodontie, zahlreiche Fragen : das nur einmalige
Erscheinen der Molaren , deren Mehrspitzigkeit , das Auftreten der
prälactealen und postpermanenten Dentition , das Verhältnis von
Wurzel und Krone u. a. m., welche nicht durch einwandfreie Be-
obachtung gelöst werden konnten, sondern zu ausgedehnten speku-
lativen Versuchen Veranlassung gaben. Dabei sind die größten
Gegensätze in der Auffassung dieser Eigentümlichkeiten des Säuge-
tiergebisses zu Tage getreten und in widersprechende Hypothesen ge-
faßt worden, die sich zur Zeit noch ebenso unversöhnt gegenüber-
stehen, wie vor einem Decennium.
Von den einen Autoren (Kowalewski, Schmidt, Wortmann,
Schlosser, Kükenthal, Rose, Schwalbe, Woodward) wird die
Diphyodontie der Säugetiere so aufgefaßt, daß das Auftreten von nur
zwei Zahngenerationen der Ueberrest eines einst reichlicheren Prozesses
der Zahnproduktion sei. Demgemäß wären die prälacteale und die post-
permanente Dentition als rudimentär zu betrachten. Leche dagegen
ist der Ansicht, daß sich die Trennung der Zähne in Dentitionen erst
nachträglich herausgebildet habe und, wenn sie auch bei den Rep-
tilien bereits angebahnt, doch erst bei den Säugern zu voller Durch-
führung gelangt sei. Im Zusammenhang mit dieser Anschauung hält
er die Neubildung von Dentitionen für möglich uud vertritt die Ansicht,
daß wenigstens die Präponderanz des Ersatzgebisses über das Milch-
gebiß eine innerhalb der Säugetiere erworbene Eigenschaft sei. Aehn-
licher Ansicht ist Rose (1896).
Die zweite Frage, ob die Molaren zur ersten oder zur zweiten
Dentition zu zählen seien, wird von den Autoren je nach ihrer Auf-
fassung vom Bau der Molaren verschieden beantwortet. Giebel, Gaudry,
Ameghino, Magitot, Kükenthal und seine Schule, Rose, Schwalbe
u. a. sind der Ansicht, der Molar der Säugetiere sei ein Verschmelzungs-
produkt von kegelförmigen Reptilienzähnchen, von denen zwei oder
mehrere Reihen unter sich verwachsen seien. Diese Aufassung läßt es
plausibel erscheinen, daß die Molaren durch Verschmelzung (Kon-
krescenz) von mindestens zwei Generationen entstanden seien.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 405
Dem gegenüber vertreten Cope, Osborn und die übrigen ameri-
kanischen Paläontologen, ferner Schlosser, Fleischmann, Jaekel,
A. Hoffmann, Woodward, Leche die Meinung, daß die Molaren
auf dem Wege der Differenzierung entstanden seien und zwar haben,
abgesehen von Cope's physiologisch-mechanisch durchgearbeiteten An-
schauungen, Forsyth Major und M. Tims den Prozeß der Differen-
zierung der Molaren, wie er von dem Verhalten der Kaufläche bei Carni-
voren und Insektivoren seinen Ausgang genommen hat, im Einzelnen
dargestellt, wogegen Osborn (1897) ihn von den frühen Stadien und von
der Basis des Zahnes an vor sich gehen läßt. Sind die Molaren aber nur
einer Zahngeneration homolog, so fragt es sich, welcher von beiden.
Daß sie zur ersten gehören, nehmen an: Osborn (1892), Beauregard
(1888), Rose (1896), Leche (1895), A. Hoffmann (1894), daß sie
zur zweiten gehören : Lataste (1888), Magitot (1888). Neben diesen
Streitfragen ist die nach der Homologisierung der Einzelzähne neuer-
dings mehr in den Hintergrund getreten. Immerhin wird die von ver-
gleichend-anatomischer Seite angenommene Einschaltung, sowie der Aus-
fall, namentlich im Gebiet der vorderen Prämolaren, von der Ontogenie
vielfach beleuchtet. Die weitgehenden Hoffnungen, die für die Er-
schließung phylogenetischer Probleme auf die Ontogenie des Gebisses
gesetzt worden sind, haben sich aber nicht erfüllt. Namentlich kommt
diesen Urkunden höchstens der Wert von Verifikationen der Hypothese
zu. Auch Leche (1895) und Rose (1896*) sind zu dieser Ansicht
gelangt; letzterer sogar nach reichlicher Ueberschätzung der Ontogenie
für die Phylogenie; Leche dagegen in Verbindung mit der Einsicht,
daß die Hartgebilde innerhalb relativ enger systematischer Grenzen
so beträchtlichen Schwankungen unterliegen. Der Homologisierung der
Hartgebilde und ihrer Generationen stehen daher die größten Schwierig-
keiten gegenüber. Auch sind es nach Rose (1896) gerade die ältesten
und jüngsten Ereignisse der Stammesgeschichte, welche bei der ontoge-
netischen Entwickelung des Zahnsystems auftreten. Während daher
früher der Möglichkeit der Homologisierung von Zahnreihen, Zähnen
und deren Elementen der größte Spielraum vergönnt wurde, hat sich
in neuerer Zeit die Anschauung durchgerungen, daß auch das Ge-
bißsystem in weit höherem Grade Anpassungserschei-
nungen aufweise und der Neubildung fähig sei, als
früher angenommen wurde. Es steht diese Neuerung wohl
auch damit in Verbindung, dass früher die Hartgebilde selbst und zwar
vorwiegend im erwachsenen Zustande untersucht wurden, heute aber
die sie absondernden Weichteile mit in Betracht gezogen werden.
So wie die Fragestellungen und die Urkunden liegen, kann daher
im Nachfolgenden keine ausführliche Diskussion aller in Betracht
kommenden Instanzen erwartet werden. Wir werden uns indessen
bemühen, die wichtigsten Thatsachen aus der Ontogenie, die zu Gunsten
der einen oder anderen Theorie ins Feld geführt worden sind, wieder-
zugeben.
lov
2. Die Zähne mit permanentem Wachstum.
Die Zähne mit dauerndem Wachstum sind innerhalb der Säuge-
tiere am besten studiert und wohl auch am meisten verbreitet, zugleich
eine der wichtigsten Eigentümlichkeiten des Säugetiergebisses. Wir
haben daher die Besprechung der mit diesem Typus verbundenen
Wachstums- und Entwickelungsvorgänge bis hierher nicht berück-
406 R. BURCKHARDT,
sichtigt, obschon rück greifend zu bemerken ist, daß wahrscheinlich die
Vorgänge bei der Entstehung und dem Wachstum der Gebisse von
entsprechenden Fischen (Holocephalen, Plectognathen) und Reptilien
(Dicynodonten) ähnliche sind.
Im allgemeinen nimmt innerhalb der Säugetiere die Entstehung
von Hartgebilden nach Durchbruch des Zahnes ihren Abschluß. Schmelz
kann in späteren Zuständen überhaupt nicht mehr entstehen, da im
erwachsenen Zustande des Zahnes die Krone weit entfernt von den
Ameloblasten zu liegen kommt. Dagegen dauert die Dentinbildung
noch länger an ; ja nach der Angabe der Autoren sind die Odonto-
blasten während des ganzen Lebens damit beschäftigt, durch weitere
Ablagerung von Dentin den Hohlraum der Pulpa zu verkleinern.
Diese mündet gewöhnlich durch eine feine Oeffnung nach dem übrigen
Mesoderm hin. Ebenso schließt auch die Bildung von Cement an der
Wurzel nicht mit einem bestimmten Zeitpunkt ab. Von diesen Zu-
ständen haben wir auszugehen, wenn wir die immerwährend wachsenden
Zähne begreifen wollen. Drei extreme physiologische Bedingungen sind
es, die in Verbindung mit dem Dauerwachstum der Zähne stehen: die
eine ist die Abnutzung eines Stoßzahnes, die andere die einer mög-
lichst verbreiterten Kaufläche, die dritte die einer möglichst scharfen
Schneide. Von diesen aus wird nicht nur die Form des Zahnes,
sondern auch ein Wachstum und seine Entstehung bestimmt,
Dauerwachstum ist hiernach allgemein als ein sekundärer Zustand
aufzufassen, entgegen den Ansichten von Baume (1882), der übrigens
nach Owen (1845) und Hannover (1856) dieser Erscheinung zuerst
wieder eingehendere Aufmerksamkeit geschenkt hat.
Immerwachsende Zähne kommen vor bei Edentaten (Orycteropus,
Dasypodidae, Bradypodidae und den fossilen Verwandten), Ungulaten
(Toxodontia, Endglieder der Hypselodonten, ferner als Stoßzähne bei
Hippopotamiden, Suiden und Proboscidiern), bei Nagern (Schneide-
zähne und vielfach auch Backzähne), bei Lemuren (Schneidezähne von
Chiromys), bei Marsupialien (Phascolomys mit permanenten Schneide-
und Backzähnen), bei Pinnipediern (Eckzähne der Trichechiden), bei
Walen (Stoßzahn des Narwal, Unterkieferzähne von Mesoplodon). Die
immerwachsenden Zähne sind durch Uebergänge mit den Zähnen mit
früh beschränktem Wachstum verbunden. Einen solchen Uebergangs-
zustand weisen nach Baume die Pferde auf, wo die Zähne wenigstens
sehr lange wachsen und erst spät durch einen Wurzelteil abgeschlossen
werden. Das Auftreten des Dauerwachstunis bedeutet eine tiefgreifende
Umwandlung für die ganze Oekonomie des Einzelzahnes. Das geht
daraus hervor, daß je nach Verlängerung der Wachstumsdauer die
typische Zusammensetzung des Zahnes modifiziert ist. Die Schmelz-
absonderung wird auf die äußersten Spitzen und auf die frühesten Zu-
stände des Zahnes beschränkt oder nur auf bestimmte Flächen des
Zahnes, aber dann vermittelst Einrichtungen, welche das ganze Leben
hindurch bestehen bleiben und funktionieren. Die Schmelzbildung
kann aber auch vollständig erlöschen, was nicht hindert, daß das
Schmelzorgan doch noch kann angetroffen werden.
Andererseits geht mit dem Uebergang zu permanentem Wachstum
vermehrte Absonderung von Cement Hand in Hand, die endlich sich
so gewaltig steigern kann, daß die übrigen Zahnsubstanzen von ihm
beinahe ganz verdrängt werden. Und ferner sind Modifikationen des
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 407
Dentins mit dieser ganzen Umwandlung verbunden, unter denen wir be-
sonders hervorzuheben haben das „Vasodentin" Owen's, welches wir,
um mit Tomes (1898) die Bezeichnung Vasodentin ausschließlich für vas-
kularisiertes Dentin zu reservieren, als Porodentin bezeichnen. Denn
es ist ein Dentin, das von zahlreichen gröberen, zur Kaufläche senkrecht
stehenden Kanälen durchzogen wird , in welchen die Odontoblasten
sitzen. Walkhoff (1901) schildert uns, wie diese Modifikation des
Dentins aus dem gewöhnlichen innerhalb der Nager an den Schneide-
zähnen sich ausbildet, wie denn auch bei Ungulaten die Innenfläche
der Pulpahöhle ihre einfache Konfiguration aufgiebt und zu Lappen-
bildung neigt. Wir können hier den ganzen phylogenetischen Prozeß
der Porodentinbildung nicht darstellen und müssen uns begnügen,
noch auf das Endstadium desselben hinzuweisen, wie es uns inner-
halb der Edentaten und bei den Eckzähnen des Walrosses entgegen-
tritt. Hier ist nur der unterste Teil der Pulpa eine einheitliche Höhle,
von?; ihr aus strahlen der Kaufläche des Zahnes dünne Kanäle zu, ganz
ähnlich wie die in gewissen Formen des Trabekulins der Fische. Von
diesen Kanälen strahlen wiederum die Dentiuröhrchen radiär aus und
die zu einem Kanal gehörigen Massen des Dentins bilden vier- bis
mehrseitige Prismen.
'O
Aber nicht nur in Bezug auf die verschiedenen Modifikationen
der Zahnsubstanzen unterscheiden sich die permanent wachsenden
Zähne, sondern die gewöhnlichen äußerlich unterscheidbaren Teile:
Krone, Hals und Wurzel, die mit der Befestigungsweise der einen
Abschluß des Wachstums erreichenden Zähne eine scharfe Ausprägung
erhalten, sie sind hier verschwunden, da eine dauernde Befestigung
des Zahnes aufgegeben ist. Man hat daher auch diese Zähne als
wurzellos oder als mit persistenter (richtiger: offener) Pulpaversehen
bezeichnet. Für die Einzelheiten in der Entwickelung von immer-
wachsenden Zähnen verweisen wir auf das bei Nagern und Edentaten
Gesagte.
In der Reihenfolge der Säugetierordnungen folgen wir keinem der
üblichen zoologischen Systeme. Da die Verteilung des Stoffes im vor-
liegenden Handbuch eine Sonderung nach den Organsystemen gebot,
müßte sonst eine für das Verständnis der Entwickelungsprozesse im
Zahnsystem hinderliche Anordnung herauskommen. Die Primaten und
Insektivoren haben eine relativ primitive Entwickelung des Gebisses
aufzuweisen, die ans Ende unserer Betrachtungen zu stellen eine ge-
netische Auffassung der Gebißentwickelung nicht rechtfertigen würde.
Andererseits erscheint das Gebiß der Monotremen in einem Zustande,
der keineswegs der primitiven Verfassung ihrer anderen Organe ent-
spricht und der doch nur verständlich wird als Endglied einer langen
Kette von Mittelgliedern , welche den bei anderen Ordnungen der
Säuger noch erhaltenen Zuständen ähnlich gewesen sein mögen.
Wir schicken daher der Schilderung der Gebißentwickelung in
den einzelnen Säugetierordnungen die des menschlichen Gebisses
voraus. Abgesehen von den oben erwähnten Gründen entwickelungs-
theoretischer Natur spricht hierfür, daß die Zahnentwickelung keines
anderen Säugetieres genauer bekannt ist und daß die des Menschen
in den wesentlichsten Zügen mit einer großen Anzahl primitiver und
centraler Säugetiertypen übereinstimmt.
408
R. BüRCKHARDT,
3. Die Entwickelung des menschlichen Gebisses.
a) Erste Entwickelungsstadien.
Die erste Anlage einer Zahnleiste findet sich nach Rose (1891
und 1892 II) bei menschlichen Embryonen von 11 mm Länge, also
etwa um den 34. Tag. Auf diesem Stadium besteht sie aus einer im
Querschnitt leicht spindelförmigen Verdickung des Ektoderms, welche
sich über die Oberfläche ebenso schwach
vorwölbt, wie nach dem Mesenchym hin.
Ein Stadium, bei dem die Anlage nur etwas
stärker zur Ausbildung gelangt ist, treffen
wir bei einem Embryo vom 40. Tage an
Fig. 239. Mundeingang eines menschlichen Em-
bryo von 15 mm, ca. 40 Tage alt. Ok Oberkiefer.
Uk Unterkiefer. ZI Zahnleiste. Vergr. SOfach. Nach
ROSE.
(Fig. 239). Hier beginnt bereits die Anlage sich deutlicher von der
Umgebung abzuheben, da sie schon die doppelte Zahl von Zell-
schichten im Vergleich zum übrigen Ektoderm besitzt.
Diese im Querschnitt spindelförmige Anschwellung wuchert nun
gegen das Mesenchym vor und bildet eine zusammenhängende, bogen-
förmig verlaufende Leiste im Vorderteil beider Kiefer, die Zahn-
leiste; gleichzeitig hat sich jedoch labial von und zunächst in
innigem Zusammenhang mit ihr eine ihr parallel laufende zweite Leiste
gebildet, die Lippen f u r chenleiste. Beide Bildungen haben das
Ektoderm so sehr in die Tiefe gezogen, daß eine Rinne der Mundhöhle
£Jl
Fig. 240. Ektoderm
des Mnndeingangs eines
menschlichen Embryo
von 2,5 cm. 9 Wochen
alt, von oben gesehen.
ZL Zahnleiste. LL Lip-
penfurchenleiste. Mo-
dell in 12x/2fach. Vergr.
Nach Eöse.
an seiner Oberfläche entstanden ist, die Lippenfurche (Fig. 240).
Erst jetzt beginnen an der Zahnleiste sich einzelne gegen das Mesenchym
vorragende Höcker geltend zu machen , welche sich stärker gegen
das Mesenchym hin vorwölben, es sind Zahnanlagen auf dem knospen-
förmigen Stadium, welche nur wenig über die Zahnleiste hinaus vor-
springen. Deutlicher werden sie erst, wenn sie in das kappenförmige
Stadium übergehen (Fig. 241). Bei einem Embryo von 4 cm nämlich
hat sich die Lippenfurchenleiste nur erheblich verdickt. An der Zahn-
leiste aber sind weitere Differenzierungen bemerkbar geworden. Die
Verbindungsbrücke zwischen der Zahnleiste und der Lippenfurchen-
leiste resp. dem übrigen Ektoderm hat sich verschmälert, die ursprüng-
lich kugelig gegen das Mesenchym vorspringende Zahnanlage hat eine
leichte Einstülpung von der der Mundschleimhaut abgewandten Seite
erfahren ; endlich hat sich außerhalb dieser Einstülpung, im Mesen-
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 409
y°
chym selbst eine dichte Ansammlurg von Elementen gebildet, die sog.
Mesod erm papille. Aber nicht überall bietet die Zahnleiste
dasselbe Bild dar, sondern nur im Bereiche der Zahnanlagen selbst.
Von dem Zustande der gesamten
Zahnleiste in diesem Stadium giebt
uns Fig. 242 ein vollständiges Bild.
Die Einstülpungen erscheinen an
ihr wie die Abdrücke eines Siegels ;
zwischen ihnen verläuft die Zahn-
leiste noch in ähnlicher Weise wie
auf dem vorhergehenden Stadium,
Fig. 241. Querschnitt durch den Über-
kiefer eines menschlichen Embryo von 4 cm.
Z/ Lippen furche. PMesodermpapille. Vergr.
SOfach. Nach Rose.
Angelegt
ist schon
zwei Mo-
nur erstreckt sich der Bogen weiter nach hinten.
das ganze Milchgebiß, je zwei Incisiven, ein Canin und
laren.
Die nachfolgenden Veränderungen machen sich besonders in
folgenden Punkten geltend: 1. Die kappenförmigen Zahnanlagen
nehmen erheblich an Umfang zu und gehen hierbei in das
glocken-
d
JIM. JL-X
l
U.Z.
VA
i
Mm.£r
Mm.Ir
Fig. 242. Oberkiefer eines menschlichen Embryo von 4 cm. Modell der ekto-
dermalen Teile, das Mesoderm ist weggelassen. ZL Zahnleiste. LFL Lippenfurchen -
leiste. L Lippe. Jl I u. II Milchincisiven. Gl Milchcanin. Mm 1 u. II Milchmolaren.
Vergr. 1272fach. Nach Eöse.
förmige Stadium über, das Schmelzorgan bildend. 2. Dadurch lösen sie
sich von der Zahnleiste labialwärts ab und bleiben mit ihr nur noch
durch eine bescheidene Berührungsfläche in Verbindung. 3. Die Zahn-
leiste wuchert lingual weiter und bildet ein kontinuierliches Band, welches
sich auch hinter den Anlagen der 2. Milchmolaren nach hinten fort-
setzt; die Verbindung der Leistenhälften in der Medianebene lockert
sich und geht später ganz verloren. Besondere Beachtung verdient das
caudale Ende der Zahnleiste. An ihm hat sich, genau wie bei der
Entstehung
der Milchzahnanlagen eine Einstülpung
gebildet.
Es ist
410
R. BURCKHARDT,
die Anlage des ersten bleibenden Molaren. Ebenso entstehen auch
später durch weitere Wucherung der Zahnleiste die Anlagen der
übrigen Molaren.
Von nun an beginnt die Zahnleiste, die noch eben eine fort-
laufende, mit dem Ektoderm verbundene Lamelle war, sich unregel-
mäßig umzubilden. Sie löst sich in ein gitterartiges Netzwerk von
J..L.T-
M.m.Jt
/ Ml
Fig. 243. Linke Unterkieferhälfte eines menschlichen Embryo von 18 cm. Mo-
dell der ektodermalen Teile. M1 Anlage des ersten bleibenden Molaren. Uebrige Be-
zeichnungen wie die in voriger Figur. Vergr. 121/2-fach. Nach Rose.
Epithelsträngen auf, die nur noch da und dort mit dem Ektoderm
einerseits und dem Schmelzorgan andererseits in Zusammenhang bleiben.
Nur ihr labialer Rand, die Ersatzleiste, bleibt als ein zusammen-
hängender Wulst bestehen und
zeigt hinter
den Milchzahnanlagen An-
schwellungen, an denen sich bald leichte Einstülpungen geltend machen.
Es sind dies die Ersatzzahnanlagen,
weiterbilden, wie
es
die Ersatzzalmanlagen
die Milchzahnanlagen
angelegt, so löst
die sich in der Folge genau so
gethan haben. Sind einmal
sich auch noch die Ersatz-
leiste auf und zwischen den Ersatzzahnanlagen besteht später kein
Zwischen den Milchzahnanlagen und der Ersatz-
der gitterartigen Auflösung der Zahnleiste überhaupt
leiste
Zusammenhang mehr
Auflösung
der Zusammenhang verloren gegangen, bevor es zur Bildung von 1
satzzalmanlagen
kommt
für
diese Ansicht als
und während diese bis auf Guillot (1858)
gehalten worden, hat sich
irrig
Milchzahnanlagen
erwiesen.
Die Verknöcherungen des Integuments
und der Mundhöhle. 411
Das eben geschilderte Stadium der Zalmleiste veranschaulicht
Fig. 244. Auf ihr steht das Schmelzorgan in voller Entfaltung. Die
Verkalkung der Milchzähne hat bereits begonnen. Die Zahnleiste ist
in Auflösung begriffen. Die Ersatzzahnanlagen befinden sich noch auf
dem kappenförmigen Stadium.
Außer den eben geschilderten Zahnanlagen lassen sich aber auch,
wie übrigens bei manchen anderen Säugetieren noch Anlagen einer
prälactealen und einer post-
permanenten Dentition nach-
weisen. (Rose 1895.)
Wir haben die Anlagen
der Milchzähne auf dem
glockenförmigen Stadium ver-
lassen. Auf diesem zeigen sie
alle Differenzierungen, die in
der Einleitung p. 351 hervor-
gehoben wurden : das äußere
Schmelzepithel, die Schmelz-
pulpa, das Stratum inter-
medium . die Ameloblasten-
Fig. 244. Menschlicher Fötus
von 30 cm. Modell zweier Incisiven
und ihrer Ersatzzahnanlagen. D
Dentin. S Schmelz. Sp Schmelz-
pulpa. ZI Zahnleiste. Es Ersatz-
zahnanlage. Ms Mundschleimhaut.
Vergr. 20-fach. Nach Rose.
schicht. Was nun das Mesoderm betrifft, so ist die Papille des-
selben allmählich umwachsen worden, je mehr das Schmelzorgan zur
Ex-
«S-i "-* Öl'' -^Tr»^
^
2>-i
Fig. 245. Frontalschnitt durch den 2. Incisiven eines menschlichen Fötus
von 30 cm Länge. ZI Zahnleiste. Ez Ersatzzahnanlage. Sp Schmelzpulpa. D Dentin.
P Zahnpulpa. Vergl. Fig. 244. Der Schmelz ist weggelassen und als dünner Ueber-
zug des Dentins zu denken. Vergr. 20-fach. Nach ROSE.
412 R. BuRCKHARDT,
Glockenform auswuchs. Aus dieser Papille, welche auch ihrerseits
reichlich ihre Zellen vermehrt, wird die Zahnpulpa, deren oberfläch-
lich gelegene Schicht sich zur Odontoblasten Schicht (Membrana
eboris) umwandelt, indem die ursprünglich unregelmäßigen Binde-
gewebszellen sich einseitig ausbilden und in der Richtung gegen die
Ameloblastenschicht einen besonders langen Ausläufer ausbilden, den
ToMEs'schen Fortsatz. Auf diesem Stadium wuchern in die Pulpa
Gefäße und Nerven hinein. Aber auch das Mesoderm, welches das
Schmelzorgan umgiebt, verhält sich nicht ganz passiv. In ihm werden
nach Legros und Magitot (1879) Kapillarnetze ausgebildet, die
später wieder verschwinden. Doch dringen nie Gefäße ins Innere
der Schmelzpulpa, solange die äußere Epithelscheide erhalten ist.
Nach Canalis (1886) hängen die Kernteilungsfiguren innerhalb
des Schmelzorgan es und der Mesodermpapille nicht mit der Absonde-
rung der Zahnsubstanzen zusammen ; er beobachtete vielmehr, daß
während des Prozesses der Schmelzabsonderung keine Kernteilung in
der Ameloblastenschicht beobachtet wird, sondern, daß Kernteilungen
alsdann nur am unteren Rande der Schmelzglocke zu sehen sind,
also an der unteren Grenze der Hartsubstanz. Ebenso an der Meso-
dermpapille sind Kernteilungsfiguren nur unterhalb der Odontoblasten-
schicht gegenüber dem Rande der Schmelzglocke wahrzunehmen.
b) Die Histogenese der Zahn Substanzen.
So lebhaft auch die Bemühungen waren, über die Frage nach der
Absondernng der Hartsubstanzen Aufklärung zu schaffen, so wenig
kann behauptet werden, daß eine befriedigende Lösung dieser Auf-
gabe zur Zeit erzielt sei. Haben Kölliker (A. L. IL 1861, 1864)
Kollmann (1869) und Walde yer (1871) der Schmelzbildung ganz
besondere Aufmerksamkeit geschenkt, so ist man nach ihnen wenig-
weiter gekommen; zur Verwirrung der ohnedies nicht klaren Situation
haben Morgenstern (1891) und Bödecker (1892) in den gebräuch-
lichsten deutschen Handbüchern dadurch beigetragen, daß sie Kunst-
produkte und Schiefschnitte mißdeuteten. Im Ganzen dürften die An-
schauungen als die richtigsten betrachtet werden, welche v. Kölliker
(1884), v. Ebner (1891 und 1899), Rose (1897 und Tomes (1898)
vertreten und die unter sich nur in untergeordneten Punkten ab-
weichen.
Danach ist der Schmelz ein Secretionsprodukt der Ameloblasten-
schicht. Es sind dieselben Zellen, welche die Bildung des Schmelzes
von Anfang bis zu Ende besorgen ; jeder verdankt je ein Prisma
seinen Ursprung. Das Protoplasma wandelt sich an der Basis in
eine homogene Masse um; gleichzeitig sondern sich von ihm die
ToMEs'schen Fasern in derselben Richtung aus, welche pinselartig
gegen die Oberfläche des Dentins ausstrahlen. Ob nun diese Fasern
zuerst verkalken, wie die einen annehmen, oder ob zwischen ihnen
sich erst ein honigwabenartiges Netz von Verkalkungen bildet, von
dem aus die Verkalkung centripetal vor sich geht, wie die andern
annehmen, muß wohl einstweilen dahingestellt bleiben. Abgesehen
von den Versuchen Graf Spee's (1887), welcher nachwies, daß Os-
niiuinsäure nicht nur den embryonalen Schmelz, sondern auch kleine
Partikel innerhalb der Ameloblasten schwarz färbt, sind mikrochemische
Reaktionen, welche allein über die Absonderung des Schmelzes ge-
nauere Auskunft versprechen, noch ausstehend. Auch Walkhoff
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 413
allseitiger
Discussion
dahin aus, die
von Kalksalzen
m Protoplasma
der Beobachtungen
und
des Schmelz-
an der inneren Seite
des Zellleibes selbst
Verkalkung
(1001) spricht sich nach
Deutungen früherer Autoren
prismas sei eine Ausscheidun
der Ameloblasten und gehe
vor sich. Die Membran, welche Nasmyth (1842) entdeckte, bildet
einen dünnen continuierlichen, gegen Säuren äußerst resistenten Ueber-
zug des Schmelzes. Schon Waldeyer (1871) vermutete, daß sie ein
modifiziertes Epithel sei, das aus dem Schmelzorgan hervorgehe.
Neuerdings hat Paul (1895) ihre Entstehung aus dem Stratum inter-
medinm und ihre Epithelnatur behauptet, während v. Kölliker (1884)
und v. Ebner (1890) sie für eine von den Ameloblasten nach voll-
endeter Schmelzbildung abgesonderte Cuticularbildung ansehen.
Nicht geringere Schwierigkeiten als die Entstehung des Schmelzes
aus den Ameloblasten bereitet die des Zahnbeines aus den Odon-
toblasten. Die Zellschicht, welche aus diesen gebildet wird, ist
eine einfache; die Elemente selbst stehen dicht gedrängt neben
einander und lassen je nach der Dicke der Schicht von bereits
ausgesondertem Dentin mehr oder weniger lange, nach außen gerich-
tete Fortsätze erkennen, die
sich entweder gleich nach ihrem
Ursprung, oder erst innerhalb
des Dentins schwach verzwei-
gen. Der Kern liegt an der
Basis der Odontoblasten. Von
den vielen Ansichten über den
Modus der Dentinbildung
scheint uns diejenige, welche
v. Ebner 1891, 1890) und
Rose (1891, 1892) vertreten,
die plausibelste. Nach diesen
Autoren wird ein Teil des Pro-
toplasmas, das sich an der
Od -
Fig.
246. Spitze
zahnes einer jungen
unfertiger Schmelz.
Odontoblasten.
capi Haren im
310fach versr.
eines Schneide-
Katze. 8 Noch
D Dentin. Od
P Pulpa. C Blut-
Innern der Pulpa.
Nach Rose.
Oberfläche der Odontoblasten befindet, in eine gelatinöse Substanz ver-
wandelt. In dieser werden Fibrillen gesehen, die wahrscheinlich aus
dem ToMEs'schen Fortsatz der Odontoblasten hervorgehen. Erst
dann tritt Verkalkung der fibrillenhaltigen Grundsubstanz ein, welche
sich dadurch allmählig in Dentin umwandelt.
c) Die späteren E ntwickelun gsstadien und der
Zahnersatz.
Wir haben das Schmelzorgan auf der Höhe seiner Ausbildung
verlassen, wo es seine volle gewebliche Differenzierung erreicht hatte
und den Schmelz zunächst in Gestalt eines kegelförmigen Hutes über
dem Dentin ausschied. Dieser Ausscheidungsprozeß setzt sich allmähg
basalwärts fort, bis der Schmelzüberzug seine ganze Größe erreicht
hat. Mit der netzartigen Auflösung der Zahnleiste wurde der Ver-
414
R. BURCKHARDT,
ge
fallsprozeß der ektodermalen Zahngewebe bereits eingeleitet. Er
(leiht zunächst dadurch weiter, daß sich die Zahnleiste in einzelne
Zellen und kleine Zellengruppen auflöst, die sich stellenweise zu
Epithelperlen umgestalten. So bleibt schließlich von der Zahnleiste
nichts übrig, als die Ersatzzahnanlagen, welche lingual von den mächtig
entfalteten Milchzahnanlagen liegen bleiben, um später genau denselben
Umwandlungen zu unterliegen, wie sie die Milchzahnanlagen zu durch-
laufen haben. Noch ehe die Schmelzabsonderung
ganz
vollendet ist.
wird aber auch das Schmelzorgan aufgelöst. Die äußere Epithelscheide
zerfällt in ähnlicher Weise, wie die Zahnleiste in einzelne Zellgruppen.
Zwischen diesen treten Capillaren bis dicht an die Schmelzpulpa heran,
durchsetzen sie allmählig und dringen bis an die Ameloblastenschicht
vor, die unterdessen ihre Aufgabe erfüllt hat. Auch die Ameloblasten
fallen auseinander und werden allmählich aufgelöst. So bleibt schließlich
die verkalkte Zahnspitze nur noch vom Bindegewebe getrennt durch
Sternzellen, welche sich nur noch wenig von Bindegewebszellen unter-
scheiden (Eig. 247).
Die weiteren Veränderungen des Zahnes bestehen darin, daß seine
Dentinmasse zunimmt und daß sie an der Wurzel endlich einen
Ueberzug von Cement erhält. Die
/Mir-4
Ausscheidung des Cementes
kann auf zweierlei Weise er-
folgen, entweder wird die
Substanz wie Bindegewebs-
knochen aus den Bindegewebs-
zellen direkt ausgeschieden,
oder auf dem Umwege durch
ein knorpeliges Zwischen-
stadium (Magitot, 1883).
In späteren Stadien bildet
sich auch aus dem umgeben-
den Bindegewebe die knöcherne
Alveole, die den Milch- und
seinen Ersatzzahn gemeinsam
einschließt. Wie unsere Figur
zeigt, kann hierbei die Al-
veole zum Schutze der Zahn-
spitze sich über diese hinweg
erstrecken. In der Folgezeit
verändert sich aber diese Al-
veole
beständiger Um-
unter
der Knochensubstanz
noch vielfach, ehe sie die de-
finitive Gestalt annimmt.
lagerung
Fig. 247. Kind vom dritten
Monat nach der Geburt. JMII
Zweiter Milchschneidezahn. JII Er-
satzzahn desselben. DK Embryonale
Pulpa. D Dentin. S Schmelz. SP
Schmelzpulpa. ZL Ueberreste der
Zahnleiste. ME Mundschleimhaut.
K Knöcherne Alveole. 9fach vergr.
Nach Rose.
Eine weitere Entwickelungsphase des menschlichen Gebisses wird
bezeichnet durch den Durchbruch der Zähne, das Zahnen. Hierbei
Die Verknöcheruns-en des Integuments und der Mundhöhle. 415
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gelangen die Zahnanlagen mit ihrer Spitze an die Oberfläche der
Mundschleimhaut und zwar nicht etwa an derjenigen Stelle, wo sich
die Zahnleiste vom Mutterboden abgelöst hat, sondern an einem in
der Längsachse des Zahnes liegenden Punkte. Die Zeit des Durch-
bruches ist für die verschiedenen Zähne eine verschiedene, auch
variiert sie nach Rasse, Klima und Ernährungszustand. Der Durch-
bruch der ersten Milchzähne erfolgt zwischen dem 6. und 8. Monat
(Scheff 1891), kann sich aber bis zum 20. Monat hinausziehen.
Das fortschreitende Wachstum der Wurzeln treibt die Spitze des
Zahnes gegen die Mundschleimhaut, nachdem zuerst die Schinelzpulpa
in Verfall geraten und das Bindegewebe bei Seite gedrängt ist. Jetzt
wird die Mundschleimhaut durchgerissen. Bei Zähnen, die so angelegt
werden, daß ihre Spitze nicht von vornherein gegen die Mundschleim-
haut gerichtet ist, geht dem Durchbruch des Zahnes eine entsprechende
Drehung voraus. Während des ganzen Prozesses wird auch der Al-
veolenrand vielfach umgebaut, insbesondere ist das Heraustreten des
Zahnes aus der Alveole zunächst von Resorption des Alveolenrandes
begleitet. Die Reihenfolge, in welcher die Milchzähne auftreten, ist
folgende :
I. Mittlere Schneidezähne 6. — 8. Monat.
II. Seitliche Schneidezähne 8.- 12. Monat.
III. Vordere Backzähne 12. — 1(3. Monat.
IV. Eckzähne des Oberkiefers
17. — 20. Monat.
V. Eckzahne des Unterkieters
VI. Hintere Backzähne 20.— 24. Monat.
In der Regel ist der Durchbruch des Milchgebisses mit Beginn
des 3. Lebensjahres vollendet.
Ueber die Ursachen des Zahndurchbruches sind besonders von
praktischer Seite mehrere Theorien aufgestellt worden. Die Autoren
haben hierbei die Ursachen regelmäßig mit den Begleiterscheinungen
des Prozesses verwechselt ; ein Eintreten auf diese Theorien ist daher
völlig gegenstandslos.
Der Zahn Wechsel ist mit eigentümlichen Erscheinungen der Re-
sorption verbunden. Baume (1882) schildert sie etwa so: Der Milch-
zahn, welcher ausfallen soll, verliert seinen Glanz ; seine Pulpa stirbt
ab. Dann beginnt der Prozeß der Resorption und zwar gewöhnlich
an derjenigen Stelle der Milchzahnwurzel, wo sie dem Ersatzzahn
zunächst liegt. Am Cement treten flache Grübchen, die Howship-
schen Lacunen auf, von denen aus allmählig größere Partieen des
Cements und Dentins ergriffen werden, bis endlich die ganze WTurzel
verschwunden ist. Die Resorption wird von großen vielkernigen
Bindegewebszellen. Osteoklasten, besorgt, wie solche auch den Knochen
resorbieren. Es bilden sich, nach Maßgabe der Resorption der Wurzel
Bindegewebspapillen aus. ähnlich denen, welche im Granulationsge-
webe einer Wunde angetroffen werden. Auch von der Pulpa aus
wird die Zerstörung der Zahnsubstanz in Angriff genommen. Während
des gesamten Ablaufs der Resorption nimmt der Ersatzzahn an Größe
zu und rückt an die Stelle des zu ersetzenden Zahnes. Auch die
Alveole des ersten Zahnes wird resorbiert und durch eine neu auf-
gebaute ersetzt. Der gesamte Resorptionsprozeß verläuft in derselben
Reihenfolge, in welcher der Zahndurchbruch vor sich gegangen ist.
Die Zähne der zweiten Dentition sind durchweg größer, schärfer
416
R. BüRCKHARDT,
ausgeprägt und von mehr gelber Farbe als die ersten. Der Zahn-
wechsel beginnt am Ende
des 6. oder am Anfang des 7. Lebensjahres
und zwar gewöhnlich damit,
daß die ersten echten Molaren
zum Vorschein kommen. Ihnen
folgen vom 7. bis 9. Jahre die
Schneidezähne, dann bis zum
11. die ersten und bis zum
12. oder 13. Jahre die zweiten
Praemolaren, gleichzeitig mit
diesen die Eckzähne. Im 12.
Jahre beginnen auch die zwei-
ten Molaren durchzubrechen.
Für die dritten ist die Durch-
Fig. 248. Gebiß eines ca. 11-
jährigen Menschen im Zahnwechsel.
Die ./ sind bereits gewechselt, noch
nicht dagegen die C u. P. Ml ist
durchgebrochen, im Überkiefer auch
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der Regel das 17.— 24. Altersjahr. Alle diese Zeiten
streng eingehalten, sondern unterliegen vielmehr erheb-
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Beschreibung
(1891) u. a.,
verdient
geschichte
satzgeneration
d) Mehrfache Dentitionen,
zahlreichen Dentitionsanomalien, für
wir auf die Lehrbücher von Baume
sowie auf die Arbeit von Kollmann
deren
genauere
Scheff
verweisen,
„dritte Dentition" im Anschluß an die Entwickelungs-
besondere Erwähnung. Da nach unserer Zählung die Er-
der Säugetiere bereits die dritte ist, welche für die
vergleichende Entwicklungsgeschichte in Betracht kommt, zählen wir
die sog
anders
vorhandenen
und fassen hier die Ausbildung
Zahngenerationen
der dei
sowie fernerer, auf
Anlage
nach meist
diese folgender,
postpermanenten,
zusammen.
Seit den ältesten Zeiten sind Beobachtungen über Ausbildung
postpermanenter Dentitionen gemacht worden (vergl. hierüber Taruffi
1878 und M. Eichler in Scheff's Handbuch 1891). Nachdem sie be-
reits früher als solche betrachtet wurden , waren es Busch und
Scheff, welche Anomalien an Hand von sorgfältig beobachteten
Fällen, als verspätete Ausbildung der Ersatzdentition deuteten und auch
den in der Litteratur citierten Fällen eine ähnliche Deutung zu geben
suchten. Immerhin sind neuerdings wieder Beobachtungen gemacht
worden, welche die Frage nicht als vollständig im Sinne von Busch
und Scheff erledigt erscheinen lassen, so in den Fällen, welche
Linderer, Harris, Montigel und d'Ajutolo (1892) beschrieben
haben. Da aber ein anatomisch und entwickelungsgeschichtlich durch-
gearbeiteter Fall bisher noch nicht vorliegt, sind diese Erscheinungen
einstweilen weiterer und eingehender
und es bleibt bloß die Möglichkeit offen,
aufzufassende Zahngeneration auftritt,
regellos zur Ausbildung von Zähnen Anlaß geben können.
Beobachtung anheim zu geben
daß entweder eine atavistisch
oder daß Epithelreste ganz
Die Verknöcherungen des Integumcnts und der Mundhöhle. 417
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B. Modifikationen der Gebißentwickelung in den verschiedene»
Säugetierstani in en.
1. Prosimier und Affen.
Für die Entwickelung des Prosimiergebisses liegen einesteils die
älteren Angaben zoologischer Systematiker vor, andererseits als erste
zusamenhängende Untersuchung mit neuerer Technik eine Arbeit
Leches (1896). Die Hauptschwierigkeit für die Beurteilung auch der
Ontogenie ist die Unsicherheit, welcher die Phylogenie der Prosimier
unterliegt. Nicht zum mindesten ist ein abschließendes Urteil durch
die Lückenhaftigkeit des bisher vorliegenden Materials erschwert.
Auch bei den Prosimiern eilt die Zahnentwickelung im Unter-
kiefer voraus. Ps entwickelt sich bei Tarsius, Chirogaleus und Galago
bemerkenswert spät. Bei Tarsius wird ein unterer I angelegt, der
niemals zur Reife gelangt. Bei Tarsius auch löst sich die Zahnleiste
vom Mundhöhlenepithel ab, bevor sich die Zahnknospen der Ersatz-
generation bilden.
Die Milch- und Ersatzgenerationen gelangen zu typischer Ausbildung.
Hervorzuheben ist, daß bei Lemur der Milcheckzahn eine, der definitive
zwei Wurzeln besitzt, bei Galago crassicaudatus ist sogar der Milcheck-
zahn zweiwurzelig. „Das Vorkommen bei Indrisinae von drei Zähnen
im Milchgebiß (nämlich Pd2 im Oberkiefer, C und Pd3 im Unter-
kiefer), deren Nachfolger wohl bei den übrigen Lemuridae, aber nicht
bei Indrisinae vorhanden sind, bildet einen wertvollen Beleg für die
Anschauung, daß sich das Milchgebiß durch größere Ursprünglichkeit
vor dem Ersatzgebiß auszeichnet.'1 Leche (1896). Alle Milchzähne
sind schwächer, als die entsprechenden Ersatzzähne.
Ein eigentümliches Extrem der Gebißentwickelung erreicht in dieser
Ordnung das Aye-aye, Chiromys madagascariensis. Das erwachsene
Tier besitzt bei einer Formel von I{ C-g- P£ Jff, darunter ganz gewaltige
nagerartige Incisiven, welche sich gegenseitig schräg abkauen und
dauernd wachsen. Die Backzähne sind mit Wurzeln versehen und
gleichen denen omnivorer Nagetiere. Das Milchgebiss ist durch Peters
(1865) bekannt geworden. Es ist noch erhalten, wenn die großen I
des definitiven Gebisses bereits durchgebrochen sind und zwar sind
auf kurze Dauer die beiden unscheinbaren und typisch lemuroiden Id
noch vorhanden, ebenso noch ein C im Oberkiefer und in beiden
Kiefern je 2 Milchbackzähne.
Die besondere Bedeutung des Zahnwechsels bei Chiromys besteht
darin, daß auch hier das Milchgebiß die ursprüngliche Form beibehalten
hat und daß aus diesem Gebiß per analogiam ein Schluß auf den
Entwicklungsgang des ähnlichen Nagergebisses möglich ist, wo bei
keinem lebenden Repräsentanten mehr dieses Stadium erhalten ist.
Ueber die Entwickelung des Gebisses bei den echten Affen exis-
tieren nur wenige Angaben. Es erklärt sich daraus, daß die ersten
Entwickelungsstadien denen des Menschen so sehr ähnlich sind und
daß ferner der Zahnbau überhaupt keine wesentlicheren Differenzen
aufweist, als diejenigen, welche in anderen Ordnungen der Säugetiere
Gattungen oder höchstens Familien trennen. Einige aphoristische
Beobachtungen über die Anthropomorphengebisse in vorgerückteren
Stadien finden sich in der anthropologischen Litteratur, sowie bei
Selenka (1900).
Die Verknöcherungen des Integurnents und der Mundhöhle. 423
2. In sektivoren.
Die Insektivoren haben sich für die vergleichende Anatomie des
Zahnsystems als eine der ergiebigsten Gruppen innerhalb der Säuge-
tiere erwiesen. Demgemäß ist im letzten Decenninm auch das Studium
ihrer Zahnentwickelung besonders eifrig betrieben und vielfach zur
Basis weitgreifender Spekulation gemacht worden. Specielle Umbil-
dungen erfährt die Bildung des Einzelzahnes und seiner Teile bei
den Insektivoren nicht; dagegen zeigt das Gebiß in seiner Gesamt-
entwickelung merkwürdige Modifikationen.
Fast am meisten ist die Gattung Erinaceus untersucht worden,
bei welcher seit Rousseau (1827) über das Milchgebiß zahlreiche, sich
widersprechende Beobachtungen gemacht worden sind. Näheres hierüber
siehe bei Leche (1895), welcher die eingehendsten Untersuchungen
über die Erinaceiden angestellt und den vollständigen phylogenetischen
Zusammenhang in der Entwickelung des Gebisses der Gattungen
Gymnura-Hylomys-Erinaceus nachgewiesen hat. Die Formel für das
Ersatzgebiß des Igels ist nach Leche
1, 1, I3 C P2 P3 P4 Mx-3
I2 I3 ü P3 P4 Jfx_3.
Bei Embryonen von 10 mm Scheitel-Steißlänge tritt die Zahnleiste
Einwucherung im Mesoderm auf. Eine Zahnfurche
nicht vor, erst eine Lippenfurche. Als erster Schmelz-
ais gleichmäßige
kommt noch
keim tritt Id
Ihm folgen bald
auf den Plan.
CundP3.
Dabei machte Leche die Be-
obachtung, daß die Verdich-
tung des Mesoderms nicht aus-
schließlich für die Zahnpapillen
charakteristisch ist, sondern
auch da auftritt, wo die Zahn-
leiste rasch in das Mesoderm
ein wuchert. Bald folgt die
Anlage von Pd4 und Mx. Erst
bei Embryonen von 23 mm
treten Zahnwall und Zahn-
furche auf, stehen aber in
keiner Beziehung zur Ent-
wickelung des Gebisses. Bei
einem Embryo von 38 mm
bildet sich vor Id2 ein rudi-
mentärer Id1. M2, der schon
Fig. 249. Aufgeschnittene Kiefer
eines Erinaceus europaeus. Der obere
Cd war schon ausgefallen und ist hier
nach einem jüngeren Exemplar ein-
getragen. Doppelte natürliche Größe.
Nach Leche.
früher sich anlegte, hat sich besser ausgebildet. Schon bei 43 mm gerät
Id2 in Zerfall und M3 tritt auf. Bei 55 mm Länge, von der Schnauze
zum Anus gerechnet, wird das Tier geboren. Jetzt macht sich die
Dentinabsonderung und gleichzeitig Rückbildungserscheinungen an den
424 R. BURCKHARDT,
SchmelzorgaDen geltend. Die Zahnanlagen sind auf überaus ver-
schiedenem Grade der Ausbildung angelangt, doch ist noch keine so
weit entwickelt, daß das Zahnfleisch durchbrochen würde. Vom Ersatz-
gebiß entstehen unmittelbar vor der Geburt I2, 23, C, Ps und P4.
Schon bei einem jungen Tier von 83 mm ist aber die Verbindung zwischen
Id2 und P>, sowie zwischen den Anlagen von PdA und P4 aufgehoben.
Bei 140 mm sind alle Zahnkronen des zuerst fungierenden Gebisses
ausgebildet und auch I2 und P4 völlig verkalkt. Die Zahnleiste ist
vollkommen resorbiert. Die gegebene Darstellung bezieht sich auf
den Unterkiefer. Auch die Verhältnisse des Oberkiefers sind ähnliche.
Bei der Geburt ist Cd rudimentär, aber allen anderen Zähnen in der
Entwicklung voran geeilt. Von Ersatzzähnen sind die Keime von II
und P4 entwickelt. Besonders bemerkenswert ist der labialwärts von
I3 liegende Schmelzkeim eines nie zur Ausbildung gelangenden lds.
In Uebereinstimmung mit Sahlertz (1871) stellt Leche für Erinaceus
europaeus die folgende Gesamtformel auf:
1.
2.
3.
1.
2.
3.
4.
1.
2.
2.
2.
C
l.
1.
P
3.
3.
4.
4.
4.
M
1. 2. 3.
Der Wechsel der übrigen Zähne, mit Ausnahme von Cd des Ober-
kiefers, findet erst nach dem Durchbruch des hintersten Molaren statt.
Besonders bemerkenswert ist, daß die Zähne ein sehr verschiedenes
Entwicklungstempo einhalten und daß die zuletzt fertig werdenden
Zähne der 1. Funktionsreihe, nicht nur die schwächsten, sondern
auch die einzigen Antemolaren sind, welche nicht gewechselt werden,
während in der 2. Funktionsreihe die stärksten sich zuerst anlegen
und ausbilden. Während der ersten Monate besitzt also der Igel ein Ge-
biß, welches, abgesehen von den Molaren, aus drei verschiedenen Arten
von Zähnen, nämlich echten Milchzähnen, nicht wechselnden Ante-
molaren und einem Ersatzprämolaren zusammengesetzt ist. An diesem
klassischen Objekte ist auch Leche zur Einsicht gelangt, daß eine
Wertung der Elemente vom Standpunkt der ontogenetischen Urkunden
aus geradezu unmöglich ist und er ist durch Kombination seiner Be-
obachtungen mit denen an den nahe verwandten erwachsenen, sowie an
fossilen Formen zu den schönsten phylogenetischen Resultaten gelangt,
für die wir hier auf seine Originalarbeit hinweisen müssen. In seiner Ge-
samtheit faßt er das Erinaceusgebiß als durch Entwertung der mittleren
und höhere Ausbildung der vorderen Antemolaren entstanden auf. Denn
bei den weniger specialisierten Gattungen Gymnura und Hylomys kommt
ein so gut wie vollständiger Zahnwechsel vor, während bei der extrem
specialisierten Familie der Soricidae ein solcher gänzlich fehlt. Bei
Erinaceus, welcher in der Mitte zwischen beiden Extremen steht, ge-
hörten die keinen Zahnwechsel unterworfenen Antemolaren ursprüng-
lich der Ersatzdentition an, beschleunigten aber durch den Verlust
der entsprechenden Zähne der Milchdentition ihr Entwickelungstempo
und traten so in die Reihe der Milchdentition über, um zuerst zu-
sammen mit dieser, später zusammen mit den Ersatzzähnen zu funktio-
nieren. Ontogenetisch ist dieser Entwickelungsgang in seinen ver-
schiedenen Stadien noch bei I3 und C im Oberkiefer vorgezeichnet
(Leche). Für die Centetiden hat Leche gezeigt, daß meist die Milch-
zähne noch zusammen mit allen Molaren funktionieren; bei Hemicentetes
und Ericulus erfolgt der Zahnwechsel überhaupt erst, wenn das Tier
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 425
bereits erwachsen ist. Bei den Solenodontiden sind alle Milchzähne
einfacher gebaut, als die entsprechenden Ersatzzähne. Dasselbe gilt
für die Tupajiden. Die Milchzähne von Talpa sind als rudimentär zu
betrachten im Vergleich zu den Ersatzzähnen; ja bei Scalops und Con-
dylura werden sie resorbiert, ohne das Zahnfleisch durchbrochen zu
haben. M. Woodward (1896) kam auf Grund seiner vorwiegend ver-
gleichend-anatomisch orientierten Untersuchungen zu dem Resultat,
daß innerhalb der Insektivoren sich im Allgemeinen eine Tendenz zur
funktionellen Reduktion des Milchgebisses geltend mache und ferner,
daß die Zeit der Entwicklung eines Zahnes niemals als Kriterium
für seine Zugehörigkeit zu einer Dentition gelten könne. Endlich ist
zu erwähnen, daß Leche bei Erinaceus Spuren sowohl der prälactealen,
als auch der postpermanenten Dentition nachgewiesen hat.
Eine Sonderstellung innerhalb der Insektivoren und der Säugetiere
überhaupt nimmt die Familie der Galeopitheciden ein, sowohl durch
andere Eigenschaften, als auch durch die Beschaffenheit ihres Zahn-
systems. Nachdem bereits Owen und de Blainville des Milch-
gebisses Erwähnung gethan haben, hat Leche (1885) gezeigt, daß der
Zahnwechsel auffallend spät vor sich geht, indem alle Molaren während
einiger Zeit mit den Zähnen des Milchgebisses gleichzeitig funktionieren
und die Eigentümlichkeiten der Gattung (die kammartigen Incisiven
und der Besitz zweier Wurzeln bei I2 und Px) iu beiden Dentitionen
zum Ausdruck gelangen. Diese Angaben hat Dependorf (1896) be-
stätigt und erweitert. Nach ihm treten die eigentümlichen Zinken der
Incisiven, obschon sie ein phyletisch sehr später Erwerb sein müssen,
bereits bei Embryonen von 14 cm auf. Ferner kommt sowohl die prä-
lacteale, als die postpermanente Dentition zur Anlage. Die Gleich-
wertigkeit beider Dentitionen hält Dependorf nicht für einen Neu-
erwerb, sondern für ein altes Erbstück.
3. Chiroptern.
An das Gebiß der Insektivoren schließen wir zweckmäßig daß der
Fledermäuse an. Abgesehen von Angaben älterer Autoren besitzen wir
zwei ausführliche und sorgfältige Monographien von Leche (1876 — 78
und 1892) über dieses keineswegs einfache Thema. Ohne auf dessen
vergleichend anatomische Seite einzutreten, wollen wir nur hervor-
heben, daß die Homologisierung der Prämolaren hier besondere Schwierig-
keiten bereitet, daß das Auftreten einer größeren Zahl von Backzähnen
mit einer größeren Entwicklung des Einzelzahnes zusammenhängt
und daß im Laufe der stammesgeschichtlichen Entwicklung die Re-
duktion der Zahnzahl entweder nur die Prämolaren beschlägt (Ch.
insectivora) oder auch die Molaren (Pteropi). Sodann zeichnen sich
die Chiroptera dadurch aus, daß auch das Ersatzgebiß schon frühzeitig
angelegt ist und verkalkt, so bei Phyllostoma hastatum schon wenn
der Embryo die Hälfte seiner Länge erreicht. Außerdem ist aber bei
dieser Säugetierordnung eines entwickelungsgeschichtlich abweichenden
Verhältnisses zu gedenken, das innerhalb der Vertebraten einzig da-
steht.
Unsere Fig. 250 giebt die Schneide- und Eckzähne des Zwischen-
kiefers von Ametrida centurio wieder und zwar die des Milchgebisses
und die des Ersatzgebisses. Während die letzteren den typisch frugi-
voren und insektivoren Charakter zeigen, hat das Milchgebiß eine
Modifikation erfahren. Die einzelnen Zähne sind zu feinen gekrümmten
426 R. BURCKHARDT,
Häkchen geworden und dienen den Föten dazu, sich an der Brust
der Mutter festzuhalten , während sie herumflatternd ihre Nahrung
sucht. Die Lebensweise der Fledermäuse, welche so
yY" viele andere tiefgreifende Veränderungen in ihrer Or-
\ I j ganisation zur Folge gehabt hat, beeinflußt also auch
das Milchgebiß, welches weit entfernt davon, hier ein
primitives Gepräge bewahrt zu haben, der weitesten
Anpassung unterlegen ist und eine „beispiellose Un-
abhängigkeit" vom Ersatzgebiß gewonnen hat.
Fig. 250. Obere Schneide- und Eckzähne von Ametrida cen-
turio. M Milchgebiß. E Ersatzgebiß. 3-fach vergr. 4'/2-fach
vergr. Nach Leche.
4. Fissipede Carnivoren.
Die Gebißentwickelung der Carnivoren zeigt im ganzen wenig
Verschiedenheit innerhalb des gesamten Stammes und überhaupt wenig
Abweichungen von der Entwickelung eines typischen diphyodonten
Säugetiergebisses.
Nach v. Zittel's zusammenfassender Darstellung stimmen die
ausschließlich fossilen Creodontier in dieser Hinsicht ganz mit den
lebenden Carnivoren überein, „indem sie mehrere P, die C und I
wechseln, und das Milchgebiß nicht wie viele Insectivoren im em-
bryonalen oder doch sehr jugendlichen Zustand verlieren, sondern
demselben eine verhältnismäßig lange Funktionsdauer gestatten. Von
den Milchbackenzähnen gleicht der hinterste einem echten M, der vor-
letzte dem letzten P des definitiven Gebisses."
Einer ausführlichen auch auf Modellen und mikroskopischer
Praeparation beruhenden Arbeit von Scheidt (1894) ist über die
Zahnentwickelung der Hauskatze folgendes zu entnehmen. Die erste
Anlage der Zahnleiste muß erfolgen, bevor der Embryo 30 mm Total-
länge erreicht hat. Bei 31 mm fand Scheidt bereits deutlich er-
kennbare Zahnanlagen auf dem glockenförmigen Stadium, wie sie etwa
Rose vom menschlichen Embryo bei 18 cm Länge beschreibt. Es
sind hier vom Milchgebiß 3 I, ein C und 3 P vorhanden, sowie be-
reits die 1 und C des definitiven Gebisses. Nur über den letzteren
hängt die Zahnanlage mit der Mundschleimhaut zusammen, sonst ist
sie von ihr abgelöst. Auf diesem Stadium macht sich bereits be-
sonders am Pd 2 die definitive Form geltend, im Vergleich zu ihm ist
Pd1 winzig. Die Unterkieferanlagen eilen denen des Oberkiefers in
der Entwickelung voraus, wie denn auch im Gegensatz zum Ober-
kiefer bereits die Anlage des Ersatzzahnes für P2 vorhanden ist.
Bei 12,4 cm also unmittelbar vor der Geburt, sind im Unterkiefer
alle Zähne angelegt, wogegen im Oberkiefer noch die Anlagen der
Molaren fehlen. Der Durchbruch der Milchzähne erfolgt bei 4,4 cm
Kopflänge, und bei 6,8 cm sind außer Pd, alle Milchzähne durch-
gebrochen. Für die specielle Beschreibung des Milchgebisses der
Katze sei auf die Arbeit von Rousseau (1827) hingewiesen. Im An-
schluß an diese Ausführungen Scheidt's geben wir die Abbildung
des Gebisses von einem Leoparden im Zahnwechsel. Hierbei tritt das
für die Raubtiere charakteristische Factum zu Tage, daß der Reißzahn
des Milchgebisses nicht dem des definitiven Gebisses entspricht, indem
im Oberkiefer Pd 2 die Gestalt von P3 und im Unterkiefer2P3 die
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 427
von Mx besitzt. (Wir zählen hierbei nicht nach der vergleichend
anatomischen Zählung, bei welcher P{ als ganz ausgefallen ange-
nommen wird). Noch sei die Bemerkung Leche's (1895) erwähnt,
Fig. 251. Linker Oberkiefer eines zweijährigen Leoparden im Zahn Wechsel. Die
I sind bereits gewechselt. N. Gr.
daß bei einem fast reifen Embryo der Schmelzkeim des Milcheckzahnes
sich schon vollständig von der Zahnleiste abgeschnürt hat.
Von vergleichend-anatomischem Gesichtspunkt aus hat M. Tims
(1896) der Embryonalentwickelung des Hundegebisses Beachtung ge-
schenkt. Nach ihm sind die lacteale, permanente und postpermanente
Dentition vorhanden , dagegen konnte er keine Spuren einer prae-
lactealen auffinden. Der Zahndurchbruch geschieht folgendermaßen:
Der erste durchbrechende Zahn ist der untere Reißzahn Pd 4, schnell
folgt ihm der obere Pd 3 am Ende der 2. Woche nach der Geburt.
Ende der 3. Woche beginnen Pd 3 und 0 im Unterkiefer zu er-
scheinen, denen bald C und 1 3 im Oberkiefer folgen. Dann kommen
Pd 2 und Pd 4 des Oberkiefers, endlich der Rest der oberen und
unteren Incisiven. Der letzte Milchzahn ist Pd 2 im Unterkiefer, der
erst am Anfang des 3. Monats erscheint. Für die specielle Be-
schreibung der Milchzähne sei auf das Original verwiesen.
Besonders eingehend hat Tims die Zeiten des Auftretens der
einzelnen Höcker der Molaren verfolgt und gefunden, daß die em-
bryologische Reihenfolge der palaeontologischen vollständig entspricht.
Er unterscheidet als Reihenfolge des Auftretens: 1. der primäre Conus,
2. der vordere, 3. der hintere, 4. der innere Höcker des Cingulums,
5. der sekundäre Conus.
5. Pinnipedie r.
Das Pinnipediergebiß ist in seiner definitiven Form und in seinen
Entwickelungszuständen von allergrößter Bedeutung. Es tritt auf mit
allen vier bei Säugetieren möglichen Dentitionen, von denen Küken-
thal (1893) für Phoca die praelacteale und postpermanente und
Leche (1892 u. 1895) die postpermanente nachgewiesen haben. Die
Milchzahngeneration kommt nur noch zu rudimentärer Entfaltung und
unterliegt in Bezug auf ihre Ausdauer erheblichen Schwankungen.
Nach Leche (1895) erfolgt der Zahnwechsel umso zeitiger, je unter-
428
R. BURCKHARDT,
geordneter die Rolle ist, welche das Gebiß spielt. Die Einzelzähne
der Ersatzgeneration sind von einem eigentümlichen grob blattartig
gesägten Typus oder kegelförmig, der Unterschied zwischen Prae-
molaren und Molaren läßt sich nur nach der Zahl der vorangehenden
Milchzähne bemessen, nicht aber nach der Gestalt der Zähne selbst,
der Form nach gehen die Praemolaren allmählich in die Molaren über.
Von den drei hier zu unterscheidenden Familien sind die Otariiden an
den Anfang, die Phociden in die Mitte, die Trichechiden ans Ende zu
setzen.
Die Otariiden, mit einem definitiven Gebiß von 1 f C \ P f- M ~-
besitzen noch relativ größere Milchzähne, welche nach Flower (1881)
erst verschwinden , wenn das Junge einige Wochen alt ist. Die
Phociden, mit einem definitiven Gebiß von I%C\P%M\ ver-
lieren ihr Milchgebiß, (Fig. 252) in der 1. Woche nach der Geburt, nur
der Milcheckzahn persistiert etwas länger. Dabei durchbricht die
Mehrzahl der Milchzähne das Zahnfleisch gar nicht, sondern wird
Fig. 252. Gebiß eines Neugeborenen von Phoca vitulina. Zweifache nat. G-r
Man beachte die von Leche hervorgehobene Verschiedenheit des ersten P in
auf Lage und Form.
Bezug
innerhalb desselben resorbiert. Auf unserer Figur zeigen die beiden
Milchmolaren deutlich an ihren vorderen Wurzeln die Spuren dieser
Resorption. Nach Leche wird bei Halichoerus, nach Reinhardt
(1864) bei Cystophora und nach Flower bei Macrorhinus das Milch-
gebiß bereits vor der Geburt resorbiert.
Die Trichechiden, mit einem definitiven Gebiß von anfänglich
I f C \ M £ und in späterem Alter I J- C | M | besitzen ein Milch-
gebiß von 4 Milchzähnen in jedem Kiefer, doch gehen die Zähne zur
Zeit der Geburt verloren und es ist fraglich, ob die in späterem Alter
ausfallenden dem Milch- oder dem Ersatzgebiß angehören.
Für das Auftreten von überzähligen Praemolaren, das bei Pinni-
pediern besonders häufig ist, nimmt Leche die postpermanente
Dentition in Anspruch. Für die weitere Verwertung des Pinnipedier-
gebisses im Dienste der vergleichenden Anatomie muß auf die Arbeiten
von Kükenthal und Leche selbst verwiesen werden.
6. Cetaceen.
Ueber die Entwicklung des Gebisses der Zahnwale waren vor
Kükenthal's (1897) Untersuchungen nur zerstreute Notizen vorhanden.
Wir haben uns daher vornehmlich an die von diesem Forscher ge-
machten Angaben zu halten, doch sind sie zu ergänzen nach den
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 429
Angaben von Leche (1895) und Ohlin (1896). Den embryologischen
Beobachtungen sind jedoch einige stammesgeschichtliche Bemerkungen
vorauszuschicken .
Der Stamm der Zahnwale, beginnt mit Gebißformen die noch
einigermaßen an die übrigen Säugetiergebisse sich anschließen. Das
Gebiß von Zeuglodon mit seiner geringen Zahl von Zähnen ist noch
vollständig heterodont und verbietet nicht unbedingt einen Anschluß
an das Pinnipediergebiß umsomehr, da es nach Leche (1895) als
sicher diphyodont gelten darf. Mit zunehmender Zahnzahl beginnen
die Backzähne sich der Kegelform zu nähern, die bei den Delphinen
keinen Unterschied der verschiedenen Gebißabschnitte mehr erkennen
läßt. Von diesem aus zahlreichen Elementen bestehenden Gebiß aus
findet Reduktion nach verschiedenen Richtungen hin statt, einmal nach
den Physeteriden, bei denen nur die Unterkieferreihe beibehalten wird,
dann nach den Ziphiiden, bei denen nur je ein großer Unterkiefer-
zahn persistiert, drittens nach Monodon hin , wo nur im Oberkiefer
Zähne im späteren Alter erhalten bleiben , die beim Weibchen im
Kiefer zurückgehalten werden, während beim Männchen in der Regel
nur der linke zur Ausbildung gelangt.
Stammesgesehichtlich so rasch verlaufende Ereignisse können
nicht ohne Eingriff in die Entwicklungsgeschichte verlaufen und
dementsprechend haben wir dann bei den Zahnwalen , wenn auch
noch lückenhafte, so doch sehr lehrreiche Befunde zu erwarten. So-
lange es jedoch an einer Kontrolle der Beobachtung von Schnitten
durch Rekonstruktion fehlt, sind die Resultate nicht als völlig sichere
zu betrachten.
Bei Beluga leucas, einem typischen Delphin ist die Zahnleiste
im vordersten Teile des Kiefers netzartig aufgelöst. Epithelperlen
zeigen an, daß hier wohl Zahnanlagen verloren gegangen sind. Die
Anlagen der durchbrechenden Zähne
entstehen wie Milchzähne eines ty-
pischen Säugetiers, entsprechen also
der Milchdentition. Dafür spricht
auch der Umstand, daß außer ihnen
rudimentäre Ersatzzahnanlagen vor-
handen sind. Im Anschluß an
Kükenthal beschreibt Leche das
Schmelzorgan von Phocaena, wel-
ches weder Sternzellen noch eine
cylindrische Ameloblastenschicht be-
sitzt.
Am Gebiß des Delphin finden s -
sich Varietäten in der Anordnung # J
3 f -
Fig. 253. Querschnitt durch einen Zahn 2 %—-
aus der Mitte des Oberkiefers eines Braun- j
fischembryos von GS cm Länge, la große, '"
lh kleine Zahnpapille. 2 Odontablasten- ' *
schicht. 8 Dentin. 4. inneres Schmelzepithel.
5 Bindegewebe. Vergr. 33. Nach Küken-
thal.
der Zähne, so zwar, daß sich gelegentlich zwei Zähne des einen
Kiefers in den Zwischenraum zweier Zähne des anderen einschieben.
Diese Erscheinung beschränkt sich ausschließlich auf den mittleren
o ''
§
430 R. BüRCKHARDT,
und hinteren Teil der Kiefer. Es kann auch zur Verschmelzung
solcher Zähne unter sich kommen Fig. 253. Es können aber auch
nach Kükenthal zwei Zähne, welche nicht derselben Dentition an-
gehören, sondern zwei verschiedenen, unter sich zu einem Zahne ver-
schmelzen. Wir reproduzieren nebenstehend diesen von Kükenthal
beschriebenen Fall.
Daraus nun leitet Kükenthal ab, daß die einfachen Kegelzähne
der Zahnwale hervorgegangen seien aus mehrspitzigen der heterodonten
Vorfahren, indem jede Spitze im Zusammenhang mit der Verlängerung
der Kiefer selbständig geworden sei. Als Neuerwerbungen seien
diese Anomalien nicht aufzufassen, da sie gerade bei Delphinen, also
stammesgeschichtlich culminierenden Cetaceen, vorhanden sind. Aber
nicht ausschließlich durch Teilung soll die große Zahl der Cetaceen-
zähne entstanden sein, sondern Neubildung könne auch an der nach
hinten fortwuchernden Zahnleiste stattgefunden haben.
Als ein reduziertes Delphingebiß unter Specialisierung einzelner
Zähne ist dasjenige der Ziphiiden zu betrachten. Hyperoodon besitzt
allein im Unterkiefer 2 große, ca. 4 cm lange kegelförmige Zähne,
welche beinahe horizontal nach vorn gerichtet sind. Außer diesen
finden sich noch LI winzige Abortivzähne im Unterkiefer und 13
ebensolche im Oberkiefer (Kükenthal). Nun fand Ohlin (1896)
bei einem jungen Fötus eine zusammenhängende Zahnleiste, die bei
älteren Föten bereits in getrennte Epithelreste zerfällt. Das Maximum
der Anlagen wird erreicht, wenn dieselben auf dem kappenförmigen
Stadium angelegt sind. Dann sind es deren 40 im Oberkiefer und
36 im Unterkiefer. Davon sollen dann alle bis auf 6 oder 7 in jedem
Kiefer zu Grunde gehen. Ersatzanlagen konnte Ohlan nicht nach-
weisen.
Eine extreme Specialisierung nicht nur des Walgebisses, sondern
auch des Säugetiergebisses überhaupt tritt uns in Mesoplodon Layardii
entgegen. Hier gelangen nach Turner (s. Tomes 1898) zwei Ünter-
kieferzähne zur Ausbildung, welche als flache, etwas gekrümmte Bänder
nach oben und medialwärts konvergieren und in höherem Alter den
Oberkiefer über dem Unterkiefer so fixieren, daß er kaum mehr be-
weglich ist. Hierbei besteht der eigentliche Zahn nur aus einem kleinen
Hütchen von schmelzbedecktem Dentin. Die Hauptmasse des ganzen
Gebildes ist ein riesiger und strukturell eigentümlich modifizierter
Sockel von Cement, der auch die Pulpahöhle auf einen minimalen
Kanal einengt. Ueber die Embryologie dieses aberranten Gebildes ist
noch nichts bekannt.
Der Narwal ist nur mit zwei persistenten Zähnen des Zwischenkiefers
versehen. Beim Weibchen bleiben sie, nachdem sie etwa 15 cm Länge
erreicht haben und verkalkt sind, im Knochen eingeschlossen. Beim
Männchen setzt der linke, selten beide Zähne das Wachstum fort bis
zu etwa 10 Fuß Länge. Aus den lückenhaften Angaben über die Ent-
wickelung dieses Gebisses sei hervorgehoben, daß nach Stannius beim
Fötus zwei abortive Schneidezähne vorhanden sind, nach Eschricht
(1849) und Berthold (1850) hinter dem Stoßzahn zwei rudimentäre
Oberkieferzähne. Kükenthal untersuchte Embryonen von 13,8 cm
und 25,7 cm und fand beim jüngeren derselben auch im Unterkiefer
Zahnanlagen und zwar an einer jederseits sich nach hinten verlierenden
Zahnleiste; beim älteren besaß der Oberkiefer nur eine Anlage und
der Stoßzahn entstand ohne Vorgänger auf einer Doppelpapille. Der
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 431
Verbindung der Zahnanlagen mit der Zahnleiste zufolge gehören auch
ersten Dentition an, indem seitlich von
das freie
der
kolbenförmig
ange-
die Zähne des Narwal der
Zahnanlage nach der inneren Seite zu
schwollene Ende der Zahnleiste liegt.
Das Gebiß der Bartenwale ist von E. Geoffroy-St. Hilaire
(1807) entdeckt worden und hat späterhin zu mehrfacher Untersuchung
Veranlassung gegeben. [Julin (1880), M. Weber (1886), Pouchet
und Chabry (1884)]. Es ist auch von Kükenthal nach verschie-
denen Richtungen spekulativ verwertet worden. Aus den Forschungen
der verschiedenen Autoren geht folgender Sachverhalt hervor: Die
Zahnanlagen treten schon im frühen Embryonalleben auf, erreichen
ihre höchste Entwickelung bei x/4 bis 1/.i der Länge des reifen Fötus
und sind bei halber Länge desselben schon wieder spurlos zurück-
gebildet, Die Zahl der Zahnanlagen beträgt ca. 40 — 53 in jedem
Kiefer und in ihrer Ausbildung eilt der Oberkiefer dem Unter-
kiefer voraus (Fig. 254). Die Zahnleiste dokumentiert ihren rudi-
mentären Zustand dadurch, daß sie netzartig aufgelöst ist. Die einzel-
Fig. 254. Kopf eines Embryo von Balaenoptera musculus von 123 cm Länge
mit freigelegter Zahnreihe des Überkiefers. 1/3 nat. Gr. Nach Kükenthal.
nen Zahnanlagen bestehen zum Teil aus bloßen Epithelanschwellungen ;
doch kommt es daneben auch zur Ausbildung regelrechter Schmelz-
organe, wenn auch Schmelz nicht produziert wird, sondern nur ein
Dentinkegel. Schon die älteren Beobachter wußten, daß die Zahn-
kronen hierbei nicht immer einfach sind, sondern oft aus zwei oder
mehreren Kegeln zusammengesetzt erscheinen. Aber erst Kükenthal
hat dargethan, daß im Laufe der embryonalen Entwickelung von
Balaenoptera musculus sich die Zahl der insgesamt angelegten Zahn-
spitzen gleich bleibt, daß aber zwei- oder mehrspitzige Zähnchen nur
in den früheren Stadien angetroffen werden. Hieraus sowie aus der
Beobachtung von verschiedenen Stadien der Teilung von Schmelz-
organen hat er den Schluß gezogen, daß ein Teil der einspitzigen
Zähnchen durch Teilung aus mehrspitzigen hervorgehe und daß somit
432 R. BüRCKHARDT,
dieses ganze homodonte Gebiß aus einem ursprünglich heterodonten
durch Teilung der Backzähne hervorgegangen sei. Auch den Resorp-
tionsprozeß der Zähnchen hat er verfolgt und konstatiert, daß die
Rückbildung des Dentinkegels von der Spitze her vor sich geht. Hier
ist noch Leche's Beobachtung hervorzuheben, daß bei einem Balae-
nopteraembryo von 70 cm die Zahnanlagen auf dem glockenförmigen
Stadium gefunden werden und mit typisch ausgebildeter Schmelzpulpa
versehen sind.
Das Bartenwalgebiß wird von Kükenthal als homolog der
Milchdentition betrachtet und zwar einmal, weil er auch Anschwellungen
der Zahnleiste beobachten konnte, die den prälaktealen Anlagen ent-
sprechen sollen, dann aber auch, weil Schmelzorgane zur Beobachtung
gelangten, die er nicht als in Spaltung begriffen deute, sondern so
entstanden, daß hier die kleinere Ersatzzahnanlage in die Milch-
zahnanlage aufgenommen werde, wie er es für Zahnwale beobachtet hat.
Wir sind mit Leche (1895) der Ansicht, daß wir „die Frage
nach der Homologisierung des Gebisses der Waltiere bis auf weiteres
als eine offene zu betrachten haben1'.
7. Ungulaten.
Die Huftiere bilden in der Gegenwart den reichst entfalteten
Stamm der pflanzenfressenden Säugetiere. Dem entspricht denn auch
die Mannigfaltigkeit ihres Gebisses, dessen Umwandlung von gene-
rellsten an die Omnivoren anschließenden Formen bis zu den extremen
Specialitäten, wie sie uns im Gebiß der Pferde, der Elefanten und
der Seekühe entgegentreten, zu verfolgen sind. Daß von solchen An-
passungen auch die Entwickelung des Gebisses in Mitleidenschaft ge-
zogen wird, versteht sich von selbst und so stoßen wir denn viefach
auf Modifikationen der Zahnentwickelung, die einzig dastehen. Zudem
ist das Gebiß unserer hierher gehörigen Haustiere von alters her ein
beliebtes Objekt für ontogenetische Untersuchungen gewesen und an
ihm sind vielfach die allgemeinen Anschauungen über Gebißent-
wickelung in älterer Zeit gebildet worden. Auch erwies sich schon
für den Tierzüchter das Gebiß und seine Entwickelung als das zu-
verlässigste Altersmerkmal (G. T. Brown, Nehring). Von der Zahn-
entwickelung bei den primitiveren Huftieren mit der Zahnformel
- und bunodonten Backzähnen wissen wir wenig, teils weil
O» JL. 4. O
sie bereits ausgestorben oder noch nicht im Zusammenhang unter-
sucht worden sind; am nächsten dürften ihnen unter den noch leben-
den die Kameele und die Schweine kommen. Reichlicher sind die
Quellen über die Gebißentwickelung bei den Huftieren mittlerer Spe-
cialisierung und bei den extremen Formen. Von diesen sollen zu-
nächst die ersteren zur Darstellung gelangen.
Im allgemeinen läßt sich über diese Gruppe der Huftiere sagen,
daß ihr Milchgebiß zu einer für Säugetiere normalen Entfaltung ge-
deiht und sich auch innerhalb derselben auf dieser Höhe behauptet
unter Anlehnung seiner Formen an die des definitiven Gebisses. Be-
sonderes Interesse beanspruchen daher die vielfach nur ontogenetisch
auftretenden Zahnrudimente der vorderen Praemolargegend, die Ent-
wickelungsvorgänge an den eigentümlich specialisierten Zahngestalten
und an ihren Substanzen. Trotzdem sich die ontogenetische Unter-
suchung vielfach als wertvolles Kriterium für die Homologisierung
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle.
433
der Einzelzähne innerhalb der Ungulatengebisse erwiesen hat, ver-
bietet es sich von selbst, auf diese ins Gebiet der vergleichenden Ana-
tomie gehörenden Fragen einzutreten.
Das Gebiß der Hyracoidea ist zuerst an Procavia capensis von
M. Woodward (1892) eingehend beschrieben und in seiner Ent-
wickelung verfolgt worden. Hierbei kam Woodward zu dem Re-
sultat, daß für die Bezahnung des erwachsenen Tieres die Formel
I? <?oT piMi 8'üt und daß das Milchgebiß aus 1% C{ M\ besteht. Bei
einem Fötus von 12,5 cm fand er im Unterkiefer acht, im Oberkiefer
sieben Zähne. Hiervon sind die rudimentären I2 u. I.ä und C des Ober-
kiefers, sowie C des Unterkiefers variabel. Fleischmann (1897) beob-
achtete indes, daß hinter den Schneidezähnen rudimentäre, überhaupt
nie durchbrechende Ersatzzähne zur Anlage gelangen, deren Deutung
er offen läßt. Nach einer von Adloff (1901) in Aussicht gestellten
Arbeit soll auch die prälakteale Dentition bei Hyrax besonders schön
zum Ausdruck kommen.
Für die Gebißentwickelung des S c h w ei n e s liegt eine reiche Litte-
ratur vor, von der wir nur die Arbeiten von Nehring (1888), Naw-
roth (1893), Pouchet et Charry (1884), Taeker (1892), Lesrre,
Stehlin (1900), Adloff (1901) und Bild, (1902) anführen. Nach
Nehring haben für das normale Hausschwein im Durchschnitt fol-
gende Durchbruchszeiten der verschiedenen Zähne zu gelten :
Normale Durchbruchszeiten für die Zähne des Schweine-
gebisses nach Nehring.
Milchgebiß.
Ersatzge bi
ß.
Jt
3_4 Wochen
Iv
12
Monate
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oben 12 „
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bei der Geburt
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unten 8 Tage
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^■2
9—10
V
M~t
18—19
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Im Gegensatz zu Nehring und der älteren Meinung von Hensel
beistimmend, betrachtet Adloff den „Wolfszahn" als ersten Praemo-
laren des Milchgebisses. Diese Ansicht deckt sich mit den Angaben
und Schlüssen von Lesbre, welcher neben dem Wolfszahn in einem
Falle dessen Ersatzzahn atavistisch vorfand. Adloff gelang es auch,
vor den Incisiven prälakteale Zahnknospen aufzufinden, und Bild,
der Adloff's Untersuchungen bestätigte, erweiterte diese Angabe
dahin, daß bei ca. 60 mm Nackensteißlänge die Prälaktealzahnanlagen
auftreten und in der Folge bei allen Zähnen der Kiefer nachzuweisen
seien. Adloff wies ferner einen atavistisch auftretenden J, des
Oberkiefers nach, während Bild, das Verhältnis der Lippenfurchen-
anlage zur Zahnleiste beleuchtend, eine primäre und eine sekundäre
Lippenfurche unterscheidet. Erstere ist diejenige, „welche lediglich
durch das Vordringen eines Teiles des verdickten Epithels der Lippen-
furchenanlage gegen das Mesoderm zu stände kommt1', letztere bildet
Handbuch der Eatwickelnn^sgeschichte. II. 1. 28
434 R. BüRCKHARDT,
sich erst später aus und entsteht durch den Zerfall der im Innern
der Lippenfurchenanlage liegenden Epithelzellen. Hierbei tritt er der
Behauptung Wilson u. Hills (1897) entgegen, wonach die Ent-
stehung der Lippenfurchenanlage von der Zahnleiste abhängig sein
sollte.
Für die Kameele, denen im erwachsenen Zustand die beiden
oberen ersten Incisivenpaare fehlen, giebt OwrEN (nach Tomes) an,
daß an ganz jungen Schädeln sechs obere I vorhanden seien, deren
erstes Paar früh verloren gehe. Nach Vallois ist der Zahnwechsel
erst im 7. Jahre vollendet.
Schaf sembryonen sind von älteren Autoren zur Feststellung all-
gemein entwickelungsgeschichtlicher Fakta benutzt worden. Goodsir
(1839), Hertz (1866), v. Kölliker (1864). Legros et Magitot
(1879), Pouchet et Chabry (1884). Eine zusammenhängende Ent-
wickelungsgeschichte des Schafgebisses zugleich mit sorgfältig erwo-
genen Ausblicken auf die Entwickelungsgeschichte des Säugetiergebisses
überhaupt findet sich bei A. Hoffmann (1894). Bei Embryonen von
5,5 cm durchzieht die Zahnleiste den Unterkiefer als fortlaufende
Epitheleinsenkung. Die Anlagen der Vorderzähne (I3 und C) sind
knospenförmig, die median gelegenen weiter fortgeschritten als die
lateralen. Hinter der Eckzahnanlage läuft die Zahnleiste weiter, auch
über die Region des Pdx hinaus, der gar nicht zur Ausbildung ge-
langt und von dem auch nicht einmal mehr eine Knospe angelegt
wird. Die Anlagen der Schmelzorgane gehen ausschließlich aus dem
lingualen Blatt der Zahnleiste hervor. Von den drei nun folgenden An-
lagen der Backzähne ist die hinterste am weitesten entwickelt und
steht auf dem glockenförmigen Stadium, wenn Pd2 erst eine geringe
Anschwellung an der Zahnleiste bildet. Von den im erwachsenen Ge-
biß fehlenden Vorderzähnen des Oberkiefers sind die Incisiven spurlos
auch in der Anlage verschwunden (Schwinck, 1888), während Cdy sich
als Anschwellung der Zahnleiste deutlich bemerkbar macht, wie schon
Piana festgestellt hatte; außerdem sind die drei Milchbackenzähne wie
im Unterkiefer auch hier angelegt. Beim Embryo von 7,5 cm haben
die auf dem früheren Stadium fehlenden Anlagen sich nicht etwa noch
ausgebildet, vielmehr beginnt die Zahnleiste in der vorderen Prämolar-
gegend sich zurückzubilden und schnürt sich vom Mundhöhlenepithel
da und dort ab. In innigem Anschluß an die Zahnleiste bildet sich
die Lippenfurchenleiste aus und zwar als embryonales Organ, das sich
später proportional der Rückbildung der Zähne rück bildet.
Bei den Huftieren kommt es vor dem Durchbruch der Zähne
vielfach zur Absonderung einer Cementschicht, welche nicht nur die
Wurzel, sondern auch die Krone des Zahnes überzieht, des sogenannten
Kr onencements. Auf seine Ausscheidung hat Hoffmann sein
Augenmerk gerichtet. Wenn der wachsende Zahn eine gewisse Größe
erreicht hat, so beginnt sich über ihm wie bei anderen Säugetieren das
Schmelzorgan in kleine Zellhaufen aufzulösen und zwischen seinen
Trümmern dringt das vaskularisierte Bindegewebe gegen den Zahn
vor. Am längsten bildet die Ameloblastenschicht und das Stratum
intermedium eine Schutzmauer gegen das nach dem Zahn hin vor-
dringende Bindegewebe. Wenn alle epithelialen Teile von den meso-
dermalen Zellen verdrängt sind, lagern diese schließlich direkt dem
Schmelz auf, ohne Gefäße zu enthalten, da diese nach Abtragung des
Schmelzorganes verschwunden sind. Hoffmann hat zwar die Ent-
Die Verknöcherungen des Integuinents und der Mundhöhle. 435
« q3 an
tß ■
CS
436
R. BüRCKHARDT.
Fig. 256.
Jd3
Cd
Pd,
B
Pdo
POL
M,
Pd,
M1
Fig. 257.
stehung des Kronen-
cements selbst nicht
beobachtet , nimmt
aber an. daß er nicht
in den dem Schmelz
direkt anliegenden
dichteren, sondern in
den unter ihnen be-
findlichen lockeren
Schichten abgesondert
Fig. 256. Rindsembryo
von 10 cm Länge. Quer-
schnitt durch die Eckzahn-
gegend des Oberkiefers.
Cd rudimentärer Milcheck-
zahn. PZ Prälakteale Zahn-
anlage. ZL Zahnleiste. EP
Epithelperle. ZF Zahn-
furche. ZW Zahnwall. E
Kieferepithel. Vergr. 128.
Nach Rose und Bartels.
werde und zwar je
mehr der Zahn aus
seiner ursprünglichen
Lage hervortrete. Je-
denfalls komme es
dabei nicht, wie Le-
gros und Magitot
angegeben, zu der
Ausscheidung eines
knorpeligen Zwischen-
stadiums.
Wenn das Milch-
gebiß beim Schaf aus-
gebildet ist, wächst die
Zahnleiste hinter den
Molaren weiter und
bildet zunächst den
ersten definitiven Mx.
Ebenso bilden sich M 3
und M5. Bei einem
Schafsembryo von 20
cm Länge sah sodann
Hoffmann „eine ge-
ringe Ausbuchtung der
Epithelscheide" an der
lingualen Seite der
Fig. 257. Rekonstruk-
tion der Kiefer von Tapirus
americauus. A oberer
linker. B unterer rechter.
Das Netzwerk entspricht
der Schmelzpulpa , das
Schwarze dem Dentin.
Nach Ghigi.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 437
glockenförmigen Molaranlage, von der er annimmt, daß sie den An-
fang zur Bildung einer rudimentären Ersatzleiste darstelle.
Auch die Zahnentwickelung des Rindes ist wiederholt studiert
worden von v. Kölliker (1864), Hertz (1866), Pouchet et Chabry
(1884), Pietkiewicz (1877), Piana (1878), Taeker (1872), Rose und
Bartels (1896). Namentlich letztgenannten Autoren verdanken wir eine
genaue Darstellung des Sachverhaltes, insbesondere auch der bei älteren
Autoren nicht scharf gesonderten Entwickelungsvorgänge der Lippen-
furchenleiste. Die erste Anlage der Zahnleiste erfolgt in der für die
Säugetiere typischen Weise. „Die Lippenfurchenleiste spaltet sich im
Bereiche des Zwischenkiefers und im vorderen Teile des Unterkiefers
von der Zahnleiste ab. Im hinteren Teile beider Kiefer dagegen ent-
wickelt sich die Lippenfurchenleiste völlig unabhängig und weit ent-
fernt von der Zahnleiste" (Rose und Bartels). Von diesen Ver-
hältnissen sowie von den ersten Zahnanlagen des Rindes giebt ein
Modell den besten Begriff, welches wir nebenstehend abbilden.
Besonders bemerkenswert erscheint es, daß Rose und Bartels
durch die Modellierung im stände waren, die früheren unklaren An-
schauungen über die Lippenfurchenleiste zu beseitigen und auch im Ge-
biet der Vorderzähne des Oberkiefers außer dem C noch eine Anlage
des i3 nachzuweisen, deren geringe Anschwellung auf bloßen Schnitten
nicht zum Ausdruck kommen kann. Der Arbeit derselben Autoren
entnehmen wir Fig. 256, worin typisch abgebildet sind: ein rudimentärer
Eckzahn, eine Epithelperle, wie solche durch Zerfall der Zahnleiste
entstehen und eine deutliche prälakteale Zahnanlage.
Die Zahnentwickelung des amerikanischen Tapirs behandelte bis-
her Ghigi (1900) an Hand eines Embryo von 125 mm Länge. Dabei legte
er besonderen Wert auf das Studium der Höckerentwickelung und ge-
langte zu dem Schluß, daß die einzelnen Höcker direkt oder indirekt
im Zusammenhang mit der Basis des Haupthöckers stehen. Die Prä-
molaren bilden sich insofern in gleicher Weise, als zuerst der Proto-
conus, dann der Hypo- und der Paraconus und erst zuletzt von der
Basis des Hypoconus aus der Metaconus entspringt. P: des Unter-
kiefers fehlt; sein Material ist in dasjenige von P2 einbezogen worden.
Das Diastema entsteht nicht durch den Ausfall einer größeren Prä-
molarenzahl, sondern durch Längenwachstum der Kiefer. Wir geben
beifolgend die Figur aus Ghigi's Arbeit wieder, da sie in sehr zweck-
mäßiger Weise die Verhältnisse des beschriebenen Objektes abstrahiert.
Das Pferd erhält sein definitives Gebiß sehr langsam. Bei der
Geburt besitzt das Füllen nur die /, in jedem Kiefer, welche erst bei
21/2 Jahren abgeworfen werden. Bekanntlich wird das Alter des
Tieres nach dem Grade der Abkauung der Incisiven beurteilt. Für
die näheren Einzelheiten hierüber muß auf die tierärztlichen Hand-
bücher verwiesen werden. Frühere Entwickelungsstadien wurden von
Klever (1889) untersucht. Die einzelnen Anlagen sind weit voneinander
getrennt und in frühen Stadien erscheint eine solche, die möglicherweise
einem Rudiment von ldA entspricht. Klever kommt auf Grund ein-
gehender Vergleiche der ontogenetischen Entwicklung des Pferde-
gebisses mit der phylogenetischen der fossilen Vorläufer der Pferde
zu einer Bestätigung der RüTiMEYER'schen Theorie, daß das Milch-
gebiß der Ungulaten im ganzen bei den fortgeschritteneren Formen
die Zustände der geologisch älteren rekapituliert.
438 R. BlTRCKHARDT,
Einige Angaben über Zahnleiste und Lippe afurchenleiste beim
Pferdeembryo von 21 cm und bei einem Eselembryo von 16 cm finden
sich bei Pouchet und Chabry (1884).
8. P r o b o s c i d i e r.
Eines der extrem specialisierten Gebisse besitzen die Proboscidier.
Wie für den ganzen Stamm der Anschluß an die übrigen Huftiere
noch sehr unsicher ist, so auch für das Gebiß. Sollte sich Moerithe-
rium (Andrews) wirklich als Protoproboscidier behaupten lassen, so
würde das ursprüngliche Gebiß bestehen aus I~ C^ Pm~ ^06,
wobei die Backzähne bunodont und quadrituberkulär sind. Das End-
glied der Reihe würde etwa Elephas indicus repräsentieren mit 1^ C§
-Mf, wobei die Backzähne multilophodont geworden sind und bis zu
27 Querjochen enthalten, die durch mächtige Cementmassen verbunden
werden. Von diesen Backzähnen funktioniert nur je einer oder zwei,
während noch bei der älteren Form Dinotherium, die bloß zwei- bis
drei-jochige Zähne besitzt, in beiden Kiefern, deren noch je fünf gleich-
zeitig in Funktion sind. Entsprechend den Umwandlungen, die das fertige
Gebiß von Elephas in seiner phylogenetischen Entwicklung erfahren
hat, ist auch der ontogenetische Prozeß des Zalmwechsels in ein-
schneidender Weise modifiziert.
Noch unbekannt sind die ersten Entwickelungszustände des Ge-
bisses, sowie die Konfiguration der Zahnleiste auch in älteren Stadien.
Abgesehen von der klassischen Arbeit John Corses (1799) haben
uns paläontologische Untersuchungen über den Zusammenhang des
phylogenetischen und ontogenetischen Prozesses aufgeklärt. Jüngere
Entwickelungsstadien des Elefantengebisses untersuchte neuerdings auch
Rose (1893 No. I). Dem Stoßzahn des Elefanten geht ein Milch-
stoßzahn voran, um im 2. Lebensjahre von dem nachdrängenden Ersatz-
zahn ausgetrieben zu werden. Beide bestehen aus einem centralen
Dentinkegel, welcher an der Spitze von einem Schmelzmantel bedeckt
ist. Der ganze Zahn ist sodann in Cement eingehüllt. Schmelz und Cement
werden aber früh an der über die Mundscheimhaut hervorragenden
Partie abgerieben. Der 1. Molar besteht aus 4 Zahnlamellen und be-
ginnt 8—10 Tage nach der Geburt durchzubrechen. Der Durchbruch
ist erst im 3. Monat beendet und diese Zähne funktionieren bis zum
2. Jahre. Im 2. Jahre treten die zwei aus 8 — 9 Lamellen bestehenden
Molaren in Thätigkeit. Vom Ende des 2. Jahres bis zum Beginn des
6., der dritte mit 10 — 12 Lamellen und vom 6. bis 9. der vierte mit 15
Lamellen. Die drei ersten gelten als Milchmolaren, der vierte und die
zwei ihm im 15. und 20. Jahre folgenden als Ersatzmolaren. Der
Zahnwechsel geschieht so, daß die zuerst auftretenden Zähne allmäh-
lich abgekaut, in Trümmer zerfallen, die von den nachdrängenden
folgenden Zähnen ausgestoßen werden ; die neuen Zähne treten stets
hinter den bestehenden auf, niemals unter ihnen und schieben ihre
Vorgänger allmählich nach vorn. Dieser Zustand ist ein später Er-
werb, denn noch bei Dinotherium fand ein Zahnwechsel in der Form
statt, daß die zwei hinteren Milchmolaren durch unter ihnen keimende
Prämolaren ersetzt werden. Die für die Elefanten charakteristische
Abänderung der Zahnentwickelung besteht also einmal darin, daß der
Zahnwechsel zu einem das ganze Leben hindurch andauernden Prozeß
wird, begleitet auch von den Folgen dieser Verzögerung (Cement-
Die Verknöclierungen des Integuments und der Mundhöhle. 439
absonderung, offene Pulpen), sodann darin, daß innerhalb des Kiefers
die Richtung des Zahnersatzes geändert und dauernd axial wird, end-
lich darin, daß die Dentitionen und die Grenzen zwischen ihren Pro-
dukten verwischt werden.
9. Sirenier.
Ueber die Entwickelung des Sirenengebisses finden sich in der
vergleichend-anatomischen Litteratur mehrfache Mitteilungen. Neuer-
dings hat diese Säugetiergruppe erhöhte theoretische Bedeutung ge-
wonnen infolge der eigentümlichen Entwickelung ihres Gebisses,
worüber uns eine auf breitester Basis aufbauende Abhandlung von
Kükenthal (1896 u. 1897) unterrichtet.
Der Tierstamm, womit wir es hier zu thun haben, hat eine sehr
verschiedenartige Beurteilung erfahren. Es ist daher der Betrachtung
seines Gebisses die Bemerkung vorauszuschicken, daß wir in ihm mit
Owen eine Abzweigung erblicken, die zu Beginn der Tertiärzeit sich
vom Hauptstamme der Ungulaten abgelöst und dein Leben im Wasser
angepaßt hat. Dementsprechend ist auch das Gebiß als ein modi-
fiziertes Ungulaten gebiß anzusehen, das eine ganz selbständige Ent-
wickelungsbahn eingeschlagen hat.
Das Gebiß der Gattung Manatus besteht in erwachsenem Zu-
stande ausschließlich aus Molaren, die unter sich gleich sind und
deren man in beiden Kiefern 8—10 zählt. Nach Krauss (1858
u. 1862) findet eine unbegrenzte Vermehrung dieser Backzähne
vom hinteren Ende jeder Reihe her statt: der vorderste Zahn
wird allmählich verdrängt, die ganze Reihe befindet sich in einer
beständigen Bewegung von hinten nach vorn. Von den übrigen
Zähnen ist nichts erhalten geblieben als Alveolen, in denen Zahn-
anlagen sich rudimentär ausgebildet haben, später aber verloren ge-
gangen sind (Blainville, Stannius). Kükenthal fand nun zu-
nächst bei einem Embryo von M. latirostris von 13,6 cm Länge im
Oberkiefer Epithel Wucherungen , die er als prälakteale Zahnleiste
deutet. Hinter ihr liegt eine Zahnanlage (Ij) die auf dem kappen-
förmigeu Stadium getroffen wird; eine zweite kleinere (i"2) zweigt direkt
vom Mundhöhlenepithel ab; ebenso eine kleine, welche I3 entspricht.
Von da an bis zur Region der Backzähne ist mm weiterhin nichts
mehr zu sehen. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich im Unter-
kiefer: eine prälakteale Leiste, drei Anlagen von Schneidezähnen. Aber
hier ist die Zahnleiste nicht wie im Oberkiefer bis zu den Molaren
unterbrochen. Sie zieht vielmehr als schmaler Strang unter dem
Mundhöhlenepithel fort, um alsbald wieder eine stärkere Zahnanlage
zu produzieren, die dem Eckzahn entspricht. Hierauf folgen drei
Anlagen rudimentärer Art, die Kükenthal als Prämolaren deutet.
Es stehen diese embryologischen Thatsachen in bestem Einklänge
mit den Erfahrungen der Palaeontologie, woher wir bekanntlich Formen
kennen, die noch deutliche Incisivenpaare besitzen (Halitherium) oder
gar ein vollständiges, auch an Prämolaren noch reicheres Gebiß (Pro-
rastomus). Im Oberkiefer folgen auf eine längere zahnlose Strecke
die Backzahnanlagen. Die erste derselben ist noch wenig weit ent-
wickelt und überschreitet noch nicht das kappenförmige Stadium. An
der zweiten hat sich eine große Schmelzpulpa gebildet. An ihr machen
sich verschiedene Auswüchse geltend, der eine liegt ihr labialwärts auf
und steht in mehr oder weniger lockerer Verbindung mit dem labialen
440 R. BURCKHARDT,
Mundepithel ; er ist die prälakteale Zahnanlage, welche mit der erfolg-
reicheren der ersten Dentition verschmolzen ist. Aber auch die
linguale Wand der Schmelzpulpa weist einen Auswuchs auf. Dieser Aus-
wuchs ist die Anlage einer weiteren Dentition und zwar mindestens
einer. Kükenthal nimmt infolgedessen an, daß in das Bildungsge-
webe eines Backzahns mindestens drei Dentitionen einbezogen werden.
Auf diese Weise werden sowohl im Oberkiefer als im Unterkiefer drei
Backzähne gebildet. Für das Milchgebiß von Manatus ergiebt sich
somit die Formel ^ ' ' ' . Eine Reduktion der Zahnanlagen im
vorderen Kieferabschnitt scheint aber (sehr bald vor sich zu gehen,
denn schon beim Embryo von 29 cm sind nicht mehr alle diese An-
lagen zu erkennen. Dagegen hat
^- *• die Verschmelzung der prälak-
Pza tealen, der 1. und der 2. wirk-
lichen Zahngeneration Fortschritte
gemacht und an Molaren sind
vier zu zählen. Fünf derselben
zeigt ein Embryo von 63,3 cm.
Beim neugeborenen Manatus
senegalensis sind bereits drei
Backzähne durchgebrochen, wäh-
rend noch ein Oberkieferschneide-
Fig. 258. Frontalscknitt durch eleu
zweiten Backzahn des Unterkiefers von
Manatus senegalensis, Embryo von 13,6
cm. P Pulpa. Pza Anlage der prälak-
tealen Zahnleiste. El Ersatzzahnleiste,
welche mit der Anlage der ersten Den-
tition verschmilzt. Vergr. 40. Nach
KÜKENTHAL.
zahn erhalten ist. Auf die Befunde Kükenthal's an Halicore brauchen
wir hier nicht weiter einzugehen, da sie wesentlich für die Stammes-
geschichte der Sirenen in Betracht kommen ; doch verdient noch eine
embryologische Thatsache der Erwähnung. Er beobachtete nämlich, daß
vor dem Durchbruch, wo von Abnutzung der Backzähne nicht die Rede
sein kann, an den Backzahnhöckern glatte Flächen auftreten. Gleich-
zeitig sollen Kapillaren der Blutgefäße in die Nähe dieser Flächen
vordringen und die Annahme eines Resorptionsprozesses wahrscheinlich
machen.
Diesem Bilde von der eigentümlichen Entwickelung des Si-
renengebisses sind noch einige vergleichend-anatomische Streiflichter
aufzusetzen. Einmal verdient Beachtung, daß schon bei Halicore die
5—6
Zahl der Molaren -. — =■ beträgt und daß ein Incisiv bei dieser Gattung
4— ö &
als kleiner Stoßzahn ausgebildet wird , während bei Halitheriuni ein
großer I2 als Stoßzahn bestehen bleibt. Dieses sind ohne Zweifel
primitivere Zustände des Gesamtgebisses als bei Manatus. An der
Basis des Stammes treffen wir Prorastoinus sirenoides aus dem
° 1 .5
Eocän von Jainaica mit der" Zahnformel 0 * i ' K ' Q und Zahnfor-
o . 1 . 5 . o
Die Verknöcherungen des Integurnents und der Mundhöhle. 441
men, die mehr an primitive Huftiere erinnern , als die irgend einer
späteren Sirene. Aber auch über die bei Manatus bekannte Modi-
fikation des Gebisses hinaus ist das Stadium völliger Zahnlosigkeit
erreicht worden von Khytina Stellen, dem im 18. Jahrhundert im
Behringsmeer entdeckten und ausgerotteten Borkentier.
10. Nager.
Diese artenreichste Säugetiergruppe besitzt gegenüber allen
anderen Ordnungen in ihrem Gebiß ein Unterscheidungsmerkmal, das
nie versagt. Innerhalb der Nager selbst liefern zwar die Einzelheiten
der Molarenkonfiguration wichtige Kriterien für Gattungen und
Familien. Dagegen erfährt der Gesamtbestand des Gebisses nur wenig
Abänderungen. Die reichlichste Bezahnung besitzen die Leporiden
mit I\ C -g P | M | das andere Extrem vertreten etwa die Gattungen
Hydromys und Rhynchomys mit I T C £ P g M § ; bei letzterer er-
scheint sogar der zweite Molar bereits als unbedeutendes Rudiment.
Zwischen beide Extreme reihen sich die Sciuromorphen, bei denen stets
mindestens ein Prämolar in jedem Kiefer zu finden ist, oft sogar zwei
im Oberkiefer, die Hystricomorphen, welche einen Prämolaren besitzen
können und manche Myomorphen mit noch drei Molaren. Die Incisiven
sind auf vier permanent wachsende bogenförmige Zähne von einseitigster
Spezialisierung beschränkt, die auch durch ihre Ausbildung die gesamte
vordere Kiefergegend verändert haben. Nur bei Hasen findet sich
im Oberkiefer ein rudimentäres zweites Paar. Die Caninen fehlen durch-
weg, die Prämolaren sind aufs äußerste reduziert. In seiner pri-
mitivsten Form ist der Backzahn quadrituberculär bunodont, mit
Wurzeln versehen ; bei den spezialisiertem! vollständig dem Back-
zahn der Elefanten ähnlich (Capybara) oder überhaupt aufs äußerste
reduziert (Hydromyinae) mit ovaler Kaufläche versehen (vergl.
Schlosser, F. Major, Tullberg etc.). Die Entwickelungsgeschichte
des Nagergebisses ist ein viel kultiviertes Gebiet. Von älteren Autoren
waren es Raschkow (1835), A. Retzius (1837), Owen (1845),
Erdl (1843), Kölliker (1864), Wenzel (1868), Huxley (1880).
Namentlich wurden Rötter (1889) zufolge, die Untersuchungen
Wenzel's wesentlich nur durch solche, welche mit besserer Technik
und an ausgedehnteren Material unternommen wurden, ergänzt. Von
neueren Autoren sind zu nennen : Pouchet und Chabry (1884),
Rötter (1889), B. Sachse (1894), W. Mahn (1890), Freund (1892),
M. Woodward (1892 u. 1899) und Adloff (1898).
Der Uebersichtlichkeit wegen ist hier dreierlei auseinander zu
halten : 1. die Entwickelung der Schneidezähne und die bei ihr speciell
vorkommenden Modifikationen typischer Zahnentwickelung, 2. die Ent-
wickelung der Molaren und 3. die Entwickelung des Gesamtgebisses
im Verhältnis zu seiner Stammesgeschichte und zur Ontogenie seines
Trägers.
Seit A. Retzius (1837) auf Grund von pathologischen Fällen das
Dauerwachstum der Nagerzähne lehrte, haben die Histologen und
Embryologen dieser Erscheinung besonders bei den Incisiven der
Nager mehrfach ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Die naive Beobach-
tung ist hierbei vielfach durch Theorien beeinflußt worden, so einmal
durch diejenige Baume's vom Scheindiphyodontismus der Säugetiere,
welche insbesondere von Fleischmann und seinen Schülern nach-
drücklich und erfolgreich bekämpft wurde und fernerhin durch die
442
R. BüRCKHARDT,
Wf ? SV.-:».' R? »'•'.• • J
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•Pd
ganz unfruchtbare Frage, welche v. Brunn (1887) aufwarf, ob das
formbildende Element des Zahnes im Schmelzorgan oder in der Mesoderm-
papille zu suchen sei. An einem Kaninchenembryo von 5 mm fand
Freund im Oberkiefer eine kontinuierlich fortlaufende Zahnleiste,
während sie im Unterkiefer im Gebiet des Diastema bereits unter-
brochen war. In ihren ersten Stadien nun entstehen die Anlagen der
Incisiven genau so, wie bei anderen Säugetieren. „Allmählich ver-
ändert sich das Bild ; wir sehen, daß sich die eine Seite des glocken-
förmigen Schmelzorganes anders auszubilden beginnt, wie die andere,
wir sehen die eine Seite Zellenbestand
und Forin vollständig verändern, während
die andere Seite in ihrer Entwickelung
mehr auf dem embryonalen Standpunkte
bleibt" (Sachse). Da nur die labialen
Flächen der Schneidezähne mit Schmelz
bedeckt werden, entwickelt sich auch nur
hier eine Ameloblastenschicht, hinter
welcher denn auch ein ziemlich mächtiges
Stratum intermedium zur Entfaltung ge-
langt. In Zusammenhang mit der raschen
Streckung des sich entwickelnden Schnei-
dezahns erfährt die Schmelzpulpa nicht
ihre typische gallertartige Ausbildung,
sondern bleibt kurze Zeit auf einem
weniger differenzierten Zustande stehen,
um an der labialen Seite bald unter Auf-
lösung des äußeren Schmelzepithels zu
Grunde zu gehen (Rötter, Sachse).
Der histologisch embryonale Zustand
wird an der Basis des Zahnes zeitlebens
beibehalten, während die Spitze ihrer
Bestimmung gemäß durchbricht und sich
abnutzt. Auf der nicht Schmelz bildenden
oralen Seite hat sich noch bis zum acht-
tägigen Stadium der Maus die Epithel-
scheide als eine dünne, an ihrem basalen
Ende etwas anschwellende Membran er-
™i Pw ■'••'■ '•?;•:•'.■ -•■>•• \-Wk
$j| | ; ; II
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t §0*. >:;:£ :W;V-v!fK
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Fig. 259. Längsschnitt durch den Unterkiefer
neugeborenen
P Pulpa. Pd
der Stelle der
einer lieugeoorenen Maus. An
Pfeile ist ein Stück ausgelassen.
Porodentin der Zahnspitze. Sz Zellen des Schmelz-
organs. Vr Unischlagsrand des Schmelzorgans
an der Basis des Zahns. Schwach vergr. Nach
Sachse.
halten, welche aus zwei, basal drei Schichten abgeplatteter Zellen besteht.
An der Basis bleibt sie auch, so gut wie die Ameloblastenschicht, zeit-
lebens bestehen. Von dem später den Dentinmantel ausfüllenden Poro-
dentin wissen wir nur, daß es in unregelmäßigen an Trabeculin er-
innernden Massen schon früh abgelagert wird. Eine bestimmte Rich-
tung scheint an ihm erst später aufzutreten.
Die erste Anlage der Molaren erfolgt nach Mahn (1800) bei der
Hausmaus genau so, wie sie für die wurzeltragenden Zähne anderer
Säugetiere beschrieben wurde. M3 wird verhältnismäßig spät, erst
nach der Geburt angelegt. Bei einer 1(3 Tage alten Maus hat Mx
Die Verknöcheruugen des Integunients und der Mundhöhle. 443
sein Wurzelwachstum vollendet und bricht durch, während M3 noch
wurzellos ist. Die Wurzeln werden ohne Beteiligung des Ektoclerms
ausgebildet. Nach Hensel besitzen die Spitzen der Zahnhöcker noch
nicht durchgebrochener Zähne keinen Schmelz. Dementsprechend
beobachtete Mahn daß auch an diesen Stellen die unterste Ektoderm-
schicht nicht zu Ameloblasten werden, sondern ihre einfache kubische
Form beibehalten. Bei den permanent wachsenden Molaren von
Arvicola bildet sich im Gegensatz zu dem Verhalten an den Incisiven
aller Nager ein vollkommen ausgebildetes Gallertgewebe aus. In ähn-
licher Weise , wie dies für Huftiere beschrieben wurde , entstehen
auch bei den Nagern Cementbänder, welche in der Wachstumsrichtung
des Backzahns verlaufen.
Delalande entdeckte den hinfälligen Milchincisiven der Hasen.
Huxley (1880) beschrieb nach ihm Rudimentärzähnchen in beiden
Kiefern des Kaninchens und deutet sie ebenfalls als Vorgänger der
Nagezähne. Dies wurde von Pouchet und Chabry bestätigt und
von Freund auch an anderen Nagern nachgewiesen. Auf breiteren
Materialien fußt aber erst die Untersuchung von Adloff (1898),
welche sich über eine große Zahl von verschiedenen Stadien ver-
schiedener Nagergattungen erstreckt. Der Zahnwechsel ist mit Aus-
nahme der Lagomorphen, die außerdem noch den kleinen rudimentären
Schneidezahn wechseln, auf die Prämolaren beschränkt, welche bei
einem Teil der Nager schon intrauterin gewechselt werden. Bei den
Sciuromorphen , wo wir noch dem vollständigsten Gebiß begegnen,
fand Adloff noch folgende Zähne teils embryonal angelegt, teils aus-
gebildet: ^ _ ^
- I2 P2 Psi Ml M* M*
Idt Id% - Cd - Pd2Pdl\ M* M* M*
während bei Cavia nur Spuren eines I1 im Unterkiefer und bei
Muriden nur in einem Falle ein verloren gegangener Ix im Unter-
kiefer und Is im Oberkiefer zur Beobachtung kam. Bei diesen beiden
Gruppen fand er auch die Zahnleiste in beiden Kiefern im Bereiche
des Diastema verschwunden und auch bei Lagomorphen außer dem
7*7, keine Spur einer reicheren Bezahnung. Außerdem fand Adloff
sogar bei Nagern trotz ihrer großen Entfernung vom Säugetiertypus
noch prälacteale und postpermanente Zahnanlagen. Bei Pd3 der Sciuro-
morphen konnte er beobachten, wie die prälakteale Anlage mit der
Milchzahnanlage verschmilzt.
11. Edentaten.
Als Edentaten faßt man eine Gruppe von Säugetierfamilien zu-
sammen, die durch Abwesenheit von Schneidezähnen im erwachsenen
Zustande ihrer lebenden Repräsentanten gemeinsam charakterisiert
sind. Nach Flower ist es höchst wahrscheinlich, daß sie keine natür-
liche Gruppe bilden, sondern aus mindestens zwei heterogenen Zweigen
gebildet werden, die unabhängig von einander die gemeinsamen Merk-
male erworben haben.
Wir begegnen bei den Edentaten dem Gebiß in mannigfaltigen
Stadien der Rückbildung. Wie weit die verschiedenen Formen unter
sich gemeinsame Bahnen durchlaufen haben, ist kaum zu entscheiden.
Ein Symptom der Rückbildung ist es auch, daß in dieser Gruppe die
eigentliche Domäne ist für Zähne mit permanentem Wachstum, für Poro-
444 R. BüRCKHARDT,
dentin struktur, für Homodontie (sekundäre Gleichartigkeit) und
für Prismenform wurzelloser und schmelzloser, mit Cement bedeckter
Einzelzähne.
Am meisten Anschluß an das typische diphyodonte Säugetier-
gebiß zeigt dasjenige von Orycteropus. Hier sind in jedem Kiefer
fünf prismatische Zähne, von denen der erste, zweite und fünfte kleiner
sind als die mittleren. Diesem Gebiß geht bei 0. afer von 14 — 18 Zoll
Länge nach 0. Thomas (1890f) ein Milchgebiß voraus. Ebensowenig
wie im deünitiven Gebiß finden sich zwar in ihm Zähne des Zwischen-
kiefers oder des entsprechenden Unterkieferabschnittes, dahinter aber
zählt Thomas im Oberkiefer sieben verkalkte rudimentäre Zälmchen
des Milchgebisses, die unter sich sehr verschieden sind. Das dritt-
letzte und das letzte übertreffen die anderen an Größe bei weitem und
sind vielleicht als Prämolaren der Ersatzdentition zu deuten, die
ebenso wie das Milchgebiß frühzeitig ausfallen. Im Unterkiefer sind
die Ersatzzahnanlagen weiter fort-
geschritten, man erkennt deren vier;
vor, resp. über ihnen sind vier
unverkennbare Rudimente von
Milchzähnen, deren hinterster deut-
lich zweiwurzlig ist. Orycteropus
ist somit der Vertreter einer Eden-
Fig. 260. Milch- und Ersatzgebiß tatenfamilie, welche ein heterodontes
a\HOMAs.°PUS ^ Milchgebiß und ein homodontes Er-
satzgebiß besitzt, welche das typische
Säugetiermilchgebiß frühzeitig auswirft und ein typisches Edentaten-
ersatzgebiß produziert. Ob die Milchzähne auch aus Porodentin be-
stehen oder vielleicht noch typische Dentinstruktur aufweisen, ist nicht
untersucht worden.
Wenn es sonach kaum zweifelhaft ist, daß das Gebiß von Oryc-
teropus aus dem typischen Säugetiergebiß hervorgegangen ist, so wird
es vollends durch fossile Uebergangsformen zwischen Edentaten und
anderen Säugetieren herbivoren Charakters wahrscheinlich gemacht.
Ein weiterer Grad der Gebißreduktion kommt den Gürteltieren
zu. Hier kann noch wie bei Tatusia ein Prämaxillarzahn dauernd
erhalten sein, oder wie bei Dasypus mehrere rudimentäre Zähne des
Oberkiefers, die niemals durchbrechen. Alle Dasypodiden sind zwar
homodont, doch findet auch bei ihnen noch Zahnwechsel statt und
zwar bei Tatusia, wo mit Ausnahme der beiden letzten alle Zähne
ersetzt werden, wie von Rapp bis Tomes eine Reihe von Forschern
dargethan hat. Nach Kükenthal (1897) sind auch bei Dasypus
villosus beide Dentitionen angelegt. Schon Tomes (1874) wies ein
Schmelzorgan nach, dessen innerste Zellen nach Leche (1895) bei
Tatusia sogar die typische Ameloblastenschicht bilden. Nach diesem
Autor werden auch bei Tatusia mehr Zahnanlagen (bis 15) beim
Embryo gebildet, als zur Ausbildung gelangen. Schmelz wird nicht
produziert, Die Zahnleiste hat ihren Zusammenhang mit dem Mund-
höhlenepithel aufgegeben, was bei entsprechenden Stadien typischer
Säugetiere nicht der Fall ist, Beide Dentitionen sind ursprünglich
heterodont, da die beiden vordersten Zähne einspitzig, die hinteren
zweispitzig sind.
Rose (1892, No. III u. IV) beobachtete lingualwärts von den
rudimentären Zahnanlagen eine kolbig verdickte Schmelzleiste. Da-
nach gehören jene Rudimente der ersten Dentition an.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 445
Au die Gürteltiere schließen sich wohl am besten die Faultiere
mit ihrem Gebiß und dessen Entwickelung an. Wenn wir von den
fossilen Formen Argentiniens absehen, welche nach Ameghino noch
vollständige Gebisse besaßen, sind die heutigen Gattungen Bradypus
und Choloepus in Bezug auf ihr Zahnsystem einander sehr ähnlich und
sehr vereinfacht. Sie besitzen J Molaren von säulenförmiger Gestalt
und mit permanentem Wachstum. Die Entwickelung dieses, ebenfalls
leicht heterodonten Gebisses ist vielfach Gegenstand von Unter-
suchungen gewesen, auch wurden allgemeine Schlußfolgerungen an sie
angeknüpft, deren Tragweite überschätzt worden ist. Pouch et und
Chabry (1884) beobachteten an Bradypus, daß ein Schmelzorgan zur
Ausbildung gelangt, welches einer Schmelzpulpa entbehre, nie Schmelz
produziere und frühzeitig zurückgebildet werde. Das Schmelzorgan
ist aber nach Ballowitz (1890), der es zuerst in vollem Umfange
beschrieb, nicht nur ein embryonales Gebilde ; ein Abschnitt desselben
erhält sich zeitlebens und bleibt an den für das Wachstum der Zalm-
substanz charakteristischen Stellen. Die Rückbildung tritt ein, sobald
die ersten Dentinanlagen abgesondert sind. Nach v. Brunn (1886
und 1887) wuchert sogar sein unterer Rand weiter, erst nachdem die
Dentinbildung bis zu unterst fortgeschritten ist, verschwindet die
Epithelscheide.
Aus dieser Dauerhaftigkeit ist die Auffassung entstanden, als ob
das Schmelzorgan für die Ausbildung der Zahnform einen Grund ent-
halte ; v. Brunn suchte damit die Ansicht zu begründen, daß die
Schmelzbildung nicht die primäre Aufgabe des Schmelzorgans sein
könne. Diese sei vielmehr „die formenbildende, das Wachstum des
Zahnes regulierende" und somit sei das Schmelzorgan gewissermaßen
die Matrize für die später vom Mesoderm entstehende Dentinmasse.
Diese Hypothese ist in allgemeiner Form erweitert worden zu der Streit-
frage, ob das Schmelzorgan das „formbildende Element" für den Zahn
sei, oder die Cutispapille (s. p. 442 oben). In dieser Form paßte sie
auch in das noch allgemeinere Frageschema, das für so viele andere
Fälle aufgeworfen wurde: Ektoderm oder Mesoderm? Welches von
beiden ist das bestimmende und enthält somit die Ursache für die Ent-
wickelung eines Organisationsverhältnisses? So gestellt ist aber so-
wohl die speziell odontologische Frage als die allgemein embryologische
sicher unrichtig. Nur auf zwei Bedingungen läßt sich ein solcher
Zustand zurückführen. Entweder auf die Einflüsse der Außenwelt,
in diesem Falle die Nahrung, auf welche ein bestimmtes Organi-
sationsverhältnis bezogen werden kann, oder auf die genetische Basis,
welche uns doch nur das eine besagt, daß der Urzustand aller hierher
gehörenden Hartgebilde auf dem Zusammenwirken beider Keimblätter
zu Absonderung eines einheitlichen Ausscheidungsproduktes beruht.
Leche (1895) erweiterte beträchtlich unsere Kenntnis von der
Entwickelung des Bradypusgebisses. Nach ihm besitzt das Schmelz-
organ kein Sternzellengewebe, sondern höchstens Zellen vom Ent-
wicklungsgrad des Stratum intermedium, auch bleibt die Amelo-
blastenschicht auf dem Stadium eines kubischen Epithels zurück. Der
Oberkiefer von Bradypus enthält sechs Zahnanlagen, wovon jedoch
nur fünf zur Ausbildung gelangen. Besonders wichtig ist Leche's
Entdeckung, daß labial vom zweiten Zahn, also dem ersten persistieren-
den, eine kurze, kegelförmige, verkalkte Zahnanlage auftritt, die Leche
als letzten Rest einer ersten Dentition bei den Faultieren auffaßt, wo-
446
R. BURCKHARDT,
durch sich diese Formen einigermaßen an die Orycteropodiden und
Dasypodiden im Entwickelungsgrad ihres Gebisses anschließen. Sämt-
liche Zähne durchbrechen das Zahnfleisch vor der Geburt.
"Während von den im erwachsenen Zustande vollkommen zahn-
losen Maniden und Myrmecophagiden lange keinerlei Spuren der Ge-
bißentwickelung bekannt waren, ist es Rose (1892) gelungen, an
M. Weber's Präparaten von Manisföten (7,6—9 cm) rudimentäre
Zahnanlagen in Form eines kolbig angeschwollenen Teiles der gemein-
samen Zahnleiste nachzuweisen. Für einen Embryo von Cyclothurus
(20 cm) giebt derselbe Autor an, es sei an der Stelle der Zahnleiste
eine Reihe hoher Papillen auf der Mundschleimhaut gewesen, die
möglicherweise als Rückbildungsprodukte einer Zahnleiste zu be-
trachten seien.
nahm schon
12. M on otr einen.
Das erwachsene Schnabeltier besitzt acht Hornplatten, zwei in
jedem Kiefer. Aus Gründen phylogenetischer Natur
Huxley (1880) an, daß auch dieses Säugetier zuerst
hat und erst später der Zahnlosigkeit verfallen sein müsse.
E. B. Poulton (1889) war so glücklich, an Schnitten aus
W. K. Parker's Sammlung die Zähne von Ornithorhynchus zu ent-
Zähne gehabt
Fig. 262.
Fig. 261.
Fig. 261. Rechter Unterkiefer eines Schnabeltieres von 316 mm, von oben be-
trachtet. Die drei vorderen Zähne in völlig ausgebildetem aber noch nicht ab-
gekautem Zustand ; öfach vergr. Nach Stewart.
Fig. 262. Schematische Darstellung des Entwicklungsganges eines Zahnes
von Ornithorhynchus. a Der Zahn noch vom Schmelzorgan Dedeckt, hat die Mund-
schleimhaut noch nicht erreicht, b Der Zahn unmittelbar vor Durchbruch, c Der
Zahn ist durchgebrochen, d Die Ränder der Mundschleimhaut verhornen, e Die
Hornplatte hat sich gebildet und enthält den abgekauten Zahn. / Der Zahn ist ent-
fernt, die Hornplatte trennt sich von der Umgebung. Nach O. Thomas und
Poulton.
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 447
decken. Er gab die erste ausführliche Beschreibung, an welche sich
eine lebhafte Diskussion ausschließlich englischer Forscher schloß.
Der Sachverhalt, soweit er für unseren Zweck in Betracht kommt, ist
folgender:
An derselben Stelle, wo in den Kiefern des erwachsenen Schnabel-
tieres Hornplatten dem Knochen leicht aufsitzen, erheben sich bei
einer Länge des Jungen von 31 cm Zähne, und zwar je zwei breite
größere, deren man also insgesamt acht zählt. Im Oberkiefer liegt
vor ihnen ein winziges Zahnrudiment, im Unterkiefer ein dritter
kleinerer Zahn und an seinem Innenrande das Rudiment eines vierten,
winzigen, in unserer Figur nicht abgebildeten Zahnes. Diesen Zu-
stand des Gebisses giebt wenigstens für den rechten Unterkiefer unsere
nach Stewarts (1892) Abbildung kopierte Figur und nach Tomes
gilt dies auch für ihre Dentinstruktur. Sie veranschaulicht aber nicht
nur den Zustand des Gebisses von Ornithorhynchus, sondern sie läßt
uns die Einzelheiten von Zähnen, die in voller Degeneration begriffen
sind, erkennen. Die Krone, welche mit Schmelz überzogen ist, besitzt
eine in die Breite ausgedehnte Kaufläche. Die Anordnung ihrer
Höcker ist völlig unregelmäßig und läßt sich daher kaum auf einen
bei anderen Säugern bekannten Typus zurückführen. Zwei Höcker
dominieren den Innenrand des Oberkiefers, zwei den Außenrand des
Unterkiefers. Unter ihr hat man sich einen ziemlich stark einge-
schnürten Zahnhals vorzustellen und unregelmäßige schwache Wur-
zeln. Die Zähne liegen gleichsam eingepreßt in die bereits in Ver-
hornung begriffene Mundschleimhaut. Nur während kurzer Zeit be-
harrt das Gebiß des Schnabeltieres auf dieser Höhe seiner Vollkommen-
heit. Rasch werden die Zähne abgekaut und ihre Reste ausgeworfen.
Unterdessen hat sich unter ihnen eine Hornplatte gebildet, welche
in die Lücke tritt, die durch Ausfallen des Zahnes entsteht.
Gehen wir nun auf frühere Stadien zurück, wie sie namentlich
Poulton an einem Exemplar von 8,3 cm beschrieben hat, so zeigt
es sich, daß diese Zähne, und das gilt auch für den rudimentären
vierten des Unterkiefers, alle histologischen Differenzierungen eines
echten Säugetierzahnes durchmachen. Pulpa, Odontoblasten, Dentin,
Schmelz, Ameloblasten, Stratum intermedium und Sternzellengewebe
sind nachgewiesen und lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß
wir es hier mit einem ursprünglich vollkommenen Gebiß zu thun
haben. Eine genauere Beschreibung der Zahnleiste und ihrer ver-
schiedenen Verwandlungen steht noch aus. Unsere Figur 262 soll in
schematischer Weise das Verhalten eines der acht größeren Zähne
zur Kieferschleimhaut veranschaulichen. Vergl. auch 0. Thomas (1890).
Von Echidna sind bisher keine Zahnanlagen bekannt.
13. Marsupiali a.
Die Entwicklungsgeschichte des Beuteltiergebisses ist im letzten
Decennium besonders ausgiebig studiert worden und im Mittel-
punkt der Diskussionen über die Dentitionenfrage gewesen. Wäh-
rend man früher geneigt war, im Gebiß der Marsupialier besondere
primitive Charaktere zu suchen, hat allmählich mehr die Ansicht
an Boden gewonnen, daß hier vielmehr sekundäre, auf Anpassung
beruhende Zustände vorliegen und daß daher auch die Entwicke-
ln g des Marsupialiergebisses entsprechend zu beurteilen sei. Die
Thatsachen, die für eine solche Beurteilung in Betracht kommen, sind :
448 R. BüRCKHARDT,
1) Bei carnivoren Beuteltieren existiert eine rudimentäre Placenta
(Wilson und Hill).
2) Bei den Sparassodontiden und Abderitiden des Tertiärs von
Patagonien wurden mehrere Zähne gewechselt (Ameghino).
3) Caenolestes stellt eine neue südamerikanische Beuteltierfamilie
dar. welche von den Dasyuriden abzweigend, den oben genannten pata-
gonischen fossilen Familien nahekommt (0. Thomas 1895).
4) Bei Phascolomys ist deutlich eine doppelte Dentition nach-
zuweisen (Rose 1893 II).
Aus alledem geht hervor, daß die Eigentümlichkeiten der Beutel-
tierorganisation nicht durchweg nach dem Verhalten des Genitalsystems
zu taxieren sind, ja, daß sogar dieses seinen gegenwärtigen Zustand
erst auf Umwegen durch placentale Vorstufen erreicht hat, daß mithin
auch andere Örgansysteme , insbesondere das Gebiß, sehr erheblich
modifiziert sein können.
Die Entwickelungsgeschichte des Beuteltiergebisses ist, wenn wir
von den älteren Autoren, wie Owen (1845) und Flower (1867) ab-
sehen, namentlich von 0. Thomas (1887, 1888, 1892), Kükenthal
(1892, 1893, 1895), Rose (1892 I u. V, 1893 II), Leche (1892. 1893.
1895), M. F. Woodward (1893, 1896). Wilson und Hill (1897),
Dependorf (1898), A. Carlson (1899) bereichert worden; dazu
kommt, daß die meisten Autoren, die in derselben Periode das Säuge-
tiergebiß besprachen, auch sich über die eigenartigen Zustände
bei den Marsupialiern äußerten. Ein befriedigender Abschluß dieses
Forschungsgebietes ist trotz alledem noch nicht erzielt. Denn ein-
mal fehlt es noch vielfach an den für den Entscheid prinzipieller
Fragen geigneten Materialien (wie z. B. Serien von Phascolomys,
Caenolestes). Sodann muß die Art der Verarbeitung der vorhandenen
Materialien durch die neuesten und ausführlichsten Autoren nur als
eine halbfertige bezeichnet werden, die dem Leser kein Urteil über das
von ihnen Gesehene ermöglicht. Wer sich nicht des Hilfsmittels der
plastischen Rekonstruktion bedient, kann nicht in so komplizierten
Formverhältnissen das Vollgewicht einer objektiven Darstellung bean-
spruchen, da ihm selbst schon das wichtigste Hilfsmittel der Selbst-
kontrollierung fehlt. Demgemäß sind auch alle Angaben über Rudi-
mente von Zahnanlagen, Zahnknospen, freie Zahnleistenenden u. s. w.
nicht nur bei Säugetieren überhaupt, sondern ganz besonders bei
Marsupialiern, wo so viel mit ihnen argumentiert wird, nur mit aller-
größter Reserve aufzunehmen.
Zur Zeit stehen sich zwei Hypothesen über die Deutung des
fertigen Beuteltiergebisses gegenüber, für deren geschichtliche Ent-
wickelung wir insbesondere auf Wilson und Hill (1897) verweisen.
Nach der einen entspricht das fertige Gebiß (von den Molaren ist
hierbei ganz abzusehen) dem Ersatzgebiß der Placentalier (Flower
L867, 0. Thomas 1887, Tims 1896, Wilson und Hill 1897, A.
Carlson 1899); nach der anderen dem Milchgebiß derselben (Kü-
kenthal 1891, Rose 1892, 0. Thomas 1892, Leche 1892—95.
Dependorf 1898). Je nachdem werden auch die zahlreichen ru-
dimentären Anlagen des Gebisses gedeutet und bezeichnet. All-
gemein aber hat sich die Anschauung Bahn gebrochen, daß die
Marsupialier nicht eben die primitivsten Gebißverhältnisse aufweisen
und daß die Modifikationen in der Zahnsuccession besonders auf die
Eigentümlichkeiten der Laktation zurückzuführen seien (Leche 1892).
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 449
Eine gewisse Gewähr für die Richtigkeit dieser Ansicht liegt schon
darin, daß ja in letzter Zeit auch in anderen Ordnungen der Säuge-
tiere sehr starke Modifikationen der ursprünglichen Diphyodontie unter
dem Einfluß der Ernährung nachgewiesen sind, die wohl meist in geo-
logisch jüngeren Perioden erworben wurden als die Eigentümlichkeiten
des Beutlergebisses (Proboscidier, Sirenier, Chiropteren). Doch weicht
Leche (1895) insofern von den übrigen Autoren ab, als nach ihm das
Ersatzgebiß dennoch in progressiver Entwicklung sein kann und dieEnt-
wickelung einer postpermanenten Dentition für die Marsupialier nicht
ausgeschlossen zu sein braucht.
Wenden wir uns nun der Ontogenie des Marsupialiergebisses zu,
so ist zu konstatieren, daß die allgemeinen Entwickelungsvorgänge bei
der Anlage des Zahnsystems dieselben sind wie bei anderen Säugetierord-
nungen. Die erste Spur einer Zahnleiste tritt nach Rose (1892 IV) bei
Didelphys opossum 6ll2 Tage nach der Furchung auf (bei Perameles na-
suta nach Wilson und Hill [1897] an Embryonen von 8,75 mm Länge).
Dabei bemerkt Rose,, daß im Oberkiefer die Zahnleiste nicht konti-
nuierlich ausgebildet ist, sondern zwischen den Anlagen der Incisiven
Unterbrechungen aufweist. Schon am 12. Tage nach der Furchung
wird der Embryo geboren und enthält bereits die Anlagen der meisten
Zähne (I5, C, P2, M.2). Die Entwicklung der Lippenfurchenleiste be-
giunnt erst jetzt, wohl infolge der Ausbildung des Saugmundes ver-
zögert. Bei 7 cm Rumpf länge kommen noch MA und M4 zu den
schon vorhandenen Zahnanlagen. Die Knospen für die Incisiven
schwellen so sehr an, daß sie nicht mehr in einer Reihe Platz haben,
sondern eine alternierende Stellung einnehmen. Während die Zahn-
leiste als schmales Band hinter den Zahnanlagen entlang läuft, ver-
breitert sie sich etwas an derjenigen Stelle, wo später P4 (nach O.Thomas
gezählt) entsteht. Als prälakteale Zahnanlagen hat zuerst Leche die
rudimentären von Rose beim Wombat gesehenen Zahnkeime gedeutet.
Seither sind von Leche selbst solche Keime bei Myrmecobius und von
Woodward bei Macropodiden in demselben Sinne gedeutet worden.
Namentlich aber Dependorf war es, der bei den von ihm unter-
suchten Beutlern zu dem Schluß kam. daß zahlreiche prälakteale An-
lagen vorhanden seien, die sogar nicht nur einer, sondern mehreren
Serien entsprechen sollten. Schon Woodward behauptete, daß diese
prälaktealen Zahnkeime im Gegensatz zu denen der übrigen Säuger
verkalkten. Dependorf hat solche prälakteale Anlagen mit laktealen
verschmelzen sehen. Ebenso sollen auch lingual von den echten Mo-
laren kolbenförmige Zahnkeime vorkommen, die, unter der Voraus-
setzung, daß die Molaren durch Konkrescenz entstanden seien, von De-
pendorf als postpermanente Dentition der Beuteltiere gedeutet werden.
Die histogenetischen Prozesse sind ebenfalls denen der Placen-
talier völlig ähnlich. Wir haben daher auch keinen Austand ge-
lö
uommen, einen Schnitt durch den sich entwickelnden Zahn als typisch
auf p. 351 abzubilden. Nur eine Eigentümlichkeit, die von J. Tomes
(1850) entdeckt wurde, sei noch erwähnt. Bei allen Beuteltieren mit
Ausnahme des Wombat dringen die Dentinfasern in feine Kanäle des
Schmelzes vor.
Erhebliche Abweichungen in der Ontogenie des Marsupialier-
gebisses machen sich erst geltend, wenn wir die späteren Entwickelungs-
vorgänge und deren Mannigfaltigkeit bei den verschiedenen Familien
ins Auge fassen.
Handbuch der Entwicklungslehre. II. 1. 29
451 '
R. BüRCKHARDT,
Für die Beuteltiere kann als allgemeine Formel die folgende an-
genommen werden: |-] |j, wobei die Zahl der Molaren bei lebenden
(Myrmecobius) und fossilen noch höher ausfallen kann. Diese Formel
JVf3
Fig. 203. Didelphys aurita, Kopflänge 2,1 cm. Modell der rechten und eines
Teiles der linken Unterkieferhälfte der Zahnleiste in halber Größe. Die Zahnleiste
erstreckt sich vom ersten incisivus an. hinter sämtlichen Zahnanlagen hinweg und
endigt mit der Anlage des 4. Molaren. (if4) pms erste Anlage des Prämolaren der
2. Zahnserie. In der Gegend der Schneidezähne ist die Zahnleiste in mehrere Seg-
mente zerfallen und steht hier teilweise mit dem Kieferepithel in Verbindung. Vergr.
121f2ia.ch. Nach Kose.
unterliegt in einzelnen Familien der Reduktion, und zwar befällt diese
einmal die hinteren Incisiven, dann die Caninen und endlich die vorderen
Prämolaren ; in besonders ausgesprochenem Maße verfallen die Diprot-
odontia der Reduktion, sowie der Wombat (j:-^ j), bei letzterem unter
Uebergang seiner sämtlichen Zähne in Dauerwachstum. Diese Re-
duktion macht sich zunächst in der Zahnentwickelung dadurch geltend,
daß abortive Zahnknospen, welche den typisch vorhandenen Zähnen
entsprechen, angetroffen werden ; solche kommen z. B. bei Phascol-
arctos und Phascolomys vor.
Als wesentliches Characteristicum für das Beuteltiergebiß hat
lange Zeit das Verhalten des Pa
(des Wechselzahnes) gegolten. CKven
(1867) haben nachgewiesen, daß bei
dieser Zahn allein von einem
übrigen Zähne nur einmal er-
(1887), daß innerhalb der Fa-
(1845) und nach ihm Flower
der großen Mehrzahl der Marsupialier
Nachfolger ersetzt wird, während die
scheinen. Nun fand aber 0. Thomas
mibe der Dasyuriden dieser Zahn einer allmählichen Reduktion anheim-
fällt und daß. während die einen Dasyuriden sich völlig den übrigen
Beuteltieren in dieser Hinsicht anschließen, andere ihn vollständig
verloren und total monophyodont geworden sind. Ferner hat Leche
(1892) die Entdeckung gemacht, daß im vorderen Kieferteile von
Myrmecobius verkalkte, niemals zur Funktion gelangende Zahnrudimente
angetroffen werden. Aehnliches konstatierte M. Woodward (1893)
für die Macropodiden. Diese Entdeckungen ließen die Annahme ge-
rechtfertigt erscheinen, daß auch die Marsupialier ursprünglich zwei
Dentionen besessen haben, daß aber die erste im Anschluß an die
Ausbildung unterdrückt worden sei. Die stärkste Stütze fand diese
Die Verknöcherung des Integuments und der Mundhöhle, 451
Auffassung aber in Röse's (1893 II) Untersuchung über die Zahnent-
wickelung des Wombat. An einem Embryo von 19 mm Länge fand
Rose wirklich die Ueberreste zweier Dentitionen, einer Milch- und
einer Ersatzzahnserie, welch letztere, an die Nager erinnernd, dem
Dauerwachstum verfällt. In der Folgezeit kamen dann M. Tims (1896)
und Wilson und Hill (1897) zu der Ueberzeugung, daß die perma-
nenten Zähne der Marsupialier denen der übrigen Säuger entsprechen,
daß der Wechselzahn ein richtiger Milchmolar sei, der mit all jenen
verkalkten Zahnrudimenten, die von anderen Forschern als prälakteale
gedeutet werden, in den vorderen Kieferabschnitten zusammen die Milch-
zahnserie ausmache, die lingual vorkommenden Auswüchse der Zahn-
leiste aber seien nicht als Ersatzzahnanlagen zu deuten, wie es die-
jenigen Autoren thun, welche die permanenten Zähne der Beutler als
Milchzähne ansprechen. Diesen Autoren ist nun neuerdings wiederum
ein Schüler Kükenthal's, Dependorf (1898) entgegengetreten und
hat an umfangreichem Materiale die ältere Ansicht von Kükenthal
und Rose zu stützen gesucht.
Dependorf setzt das Gebiß der Beutler dem Milchgebiß der
übrigen Säuger homolog; denn bei Phascolarctos findet er labial von
Prf 4 noch prälakteale Zahnknospen. Er führt die Abweichungen in
der Ausbildung der Dentitionen bei Beutlern im Vergleich zu den
Placentaliern auf das lange andauernde Beutelleben zurück. „Die sich
anfänglich verzögernde Entfaltung der einzelnen Zahnkeime und bis
zum Beginn der mittleren Zeit des Beutellebens langsam fortschreitende
Entwickelung nimmt nach dieser Zeit einen plötzlichen Aufschwung/'
Ferner „führt die erworbene Starrheit in dem Entwickelungsgang und
das hohe Alter der Beuteltiere zu besonderen Eigenarten der Gebiß-
entwickelung, unter die wir vor allem die regelmäßig auftretenden Reste
prä- und postlaktealer Dentitionen mehrerer Grade rechnen, welche
nie zur vollständigen Entfaltung kommen, sondern der Ausdruck der
Trägheit in der Vererbung nutzlos gewordener Organe sind.",
VI. Geschichtliche Uehersicht der Forschungen üher die
Hartgebilde des Integumentes und der Mundhöhle, ins-
besondere deren Entwickelung.
Zum Abschluß dieses Kapitels werfen wir vom Standpunkt der
Entwickelungslehre und speciell von dem der ontogenetischen Forschung
aus einen Rückblick auf die verschiedenen Etappen , welche diese
Forschungsrichtung' durchlaufen hat. Von vornherein kommt zwar
geschichtlicher Betrachtung dieses Gebietes schon insofern eine ver-
minderte Bedeutung zu, als auf seine Umgestaltung historische Reflexion
niemals von entscheidendem Einfluß geworden ist. Die Fortschritte sind
vielmehr ausschließlich zurückzuführen auf zwei Quellen : auf die Ver-
schärfung der technischen Hilfsmittel und auf die Ausdehnung der
systematisch-zoologischen Basis. Beide Quellen aber sind erst in neuerer
Zeit in ergiebigerer Weise geflossen. Wenn daher auch wenig positive
Förderung auf Rechnung der Geschichte zu setzen ist, so ist auch die
Zahl falscher Induktionen, die2 erst historisch begriffen, auf andern
Gebieten ausgemerzt werden können, hier ebenfalls relativ gering.
Zahnforschung und Zahnbehandlung reichen bis zu den Uranfängen
menschlicher Kultur. Nirgends vor den Hippokratikern und auch
29*
452 . R. BüRCKHARDT,
bei diesen nur flüchtig wird der menschlichen Zahnentwickelung ge-
dacht. In größtem Umfange treten uns Kenntnisse über vergleichende
Anatomie , Entwicklungsgeschichte und Mißbildung der Zähne bei
Aristoteles entgegen. Aus seiner Entwickelungsgeschichte erhellt,
daß bereits vor ihm Demokrit sich die Thatsache des Zahnwechsels
aus der Physiologie des Säugens zurecht gelegt hatte. Aristoteles
selbst macht uns mit einer Fülle von Thatsachen aus dem Entwickelungs-
ieben der Zähne, wohl vielfach auf Grund älterer Berichte, bekannt.
Der Zahnwechsel ist ihm eine geläufige Vorstellung, wenn er auch im
einzelnen irrig aufgefaßt wird. Er diente schon damals zur Erkennung
des Alters von Haustieren, und so war denn auch die Verschiedenheit
im Zahnersatz bei Pferd, Esel, Hund, Rind, Mensch bereits hinlänglich
beobachtet. Die lange Dauer des Entwicklungsprozesses der Zähne,
die Unterscheidung in Schneide-, Eck- und Backzähne, welche zum
Teil nicht wechseln, die Mehrreihigkeit des Fischgebisses, der Zahn-
besatz der Fischzunge, die Härte der Zahnsubstanz im Vergleich zum
Knochen, die Zugehörigkeit von Zähnen zum Typus der Wirbeltiere,
verspäteter Durchbruch von Molaren, Geschlechtsdifferenzen im Gebiß,
die Verwendung der Zähne zur Bestimmung der Verwandtschaften
innerhalb der Säuger, die Korrelation zwischen lückenhaftem Oberkiefer-
gebiß und Hornbesatz des Kopfes bei Säugern — das alles sind Kennt-
nisse, die, von einer so hohen Autorität ausgesprochen, später einer
genetischen Betrachtungsweise des Zahnsystems nur förderlich sein
konnten und neben denen wir getrost über ein paar Irrtümer hinweg-
sehen dürfen.
Nur einem Schriftsteller des Altertums verdanken wir noch nähere
Angaben über den Zahndurchbruch bei Kindern, Oribasius. Aber so
wenig wie Galen, erhob sich Vesal nach langer ganz steriler Zwischen-
zeit wesentlich über die bereits erwähnten Kenntnisse des Alter-
tums. Von letzterem sei als selbständige Beobachtung nur her-
vorgehoben die Angabe, daß Zähne von Knochen sich dadurch unter-
scheiden , daß sie freistehen. Eingehender beschäftigte sich in der
Neuzeit erst wieder Eustachio (1562) mit dem Studium des Gebisses.
Er erkannte im Schmelz eine besondere Zahnsubstanz, er sah den
Zahn als einen Abkömmling der Mundschleimhaut an, wie der Nagel
ein solcher der Haut sei, und hob als Unterschied zwischen Zahn und
Knochen die Regenerationsfähigkeit des letzteren hervor. Unter den
Anomalien bespricht er einen Fall von viermaliger Dentition. Weitere
Fortschritte in der Kenntnis der allgemeinen Anatomie und Entwicke-
lungsgeschichte des Zahnsystems blieben auf lange Zeit aus, von Cl. Per-
rault's (1653) vergleichend-physiologischen Bemerkungen abgesehen.
Zwar entdeckte Loeuwenhoek (1678) die Struktur des Zahnbeins und
des Schmelzes, ohne weitere Folgen für die Wissenschaft. Als aber in
Frankreich im 18. Jahrhundert die Zahnarznei sich von der Medizin
ablöste, da machte sich dieser Prozeß auch auf anatomischem Gebiete
bemerkbar. Herissant war es, der 1754 unter dem oberflächlichen
Zahnfleisch ein tiefes vorübergehendes unterschied, dessen Fortsätze
die Zahnsäckchen seien, eine Anschauung, der in den 30er Jahren des
19. Jahrhunderts von Goodsir und Arnold zum Durchbrach ver-
holfen wurde. Im übrigen stellte sich in Frankreich in der Folge-
zeit, und das gilt auch noch für den Anfang des 19. Jahrhunderts,
die vergleichende Zahnforschung beinahe ausschließlich in den Dienst
der zoologischen Systematik, wo sie namentlich unter dem Einfluß des
Die Verknöcherungen des Integurnents und der Mundhöhle. 453
principe de la Subordination des characteres und der paläontologischen
Forschung Cuvier's sich für die Zoologie als ungeheuer wertvoll er-
wies. Mit dem Aufleben der deskriptiven Anatomie um die Mitte
des 18. Jahrhunderts in deutschen Sprachgebieten erfuhr auch die
Zahnanatomie und Histologie dauernde Förderung: da ist eine Arbeit
von Albinus über den Zahnwechsel zu erwähnen, später die Unter-
suchungen VOn SÖMMERRING, SCHREGER, PURKINJE, RETZIUS U. a. Nur
aufgezählt seien die Verdienste von Berzelius, Moricchini, Bibra
und Lassaigne um die Chemie des Zahnes; letzterer würdigte auch
die chemischen Veränderungen in den verschiedenen Lebensaltern zum
ersten Male. Epochemachend wirkte auch auf diesem Gebiete der
Anatomie in England John Hunter (1780) einmal durch ausführ-
liche anatomische Studien über das menschliche Gebiß; dann aber
auch durch die Grundlage, welche er mit seiner klassischen Samm-
lung für die späteren Studien Richard Owen's legte. Ferner ver-
diente Andre Erwähnung, der den permanenten Zahnwechsel der
Haifische (1784) beschrieb, nachdem ihn bereits 0. Fabricius (1780)
beobachtet hatte. England hatte mit Beginn des 19. Jahrhunderts auf
dem Gebiete der Zahnheilkunde die Führung übernommen: es entstanden
1826 die Principles of dental Surgery von L. Koeker; John Fox,
Thomas Bell, James Robinson und John Tomes entfalteten ihre
reformatorische Thätigkeit und schufen den Boden, worauf Owen's
Odontography (1840 — 1845) Wurzel fassen mußte. Dieses Werk ist
die erste große Anatomie des Zahnsystems der lebenden und fossilen
Wirbeltiere, auf physiologischer Grundlage. Im Gegensatz zu den fran-
zösischen Odontologen betrachtete Owen die Ableitung systematischer
Charaktere nur als Nebensache, im Vordergrund standen ihm Form
und Entwickelung des Gebisses in ihren Beziehungen zur Physiologie,
Das Dentin erhob er zum Typus der Zahnsubstanz und unterschied
als seine Modifikationen Plicidentin und Vasodentin. Bezeichnend ist
vom genetischen Standpunkte aus besonders, daß Owten in seinen drei
Kursen, die der Publikation der Odontography vorangingen, einmal
die Zähne im Anschluß an die herrschende Anschauung als Knochen,
dann als Teile des Verdauungssystems und endlich als modifizierte
I n t e g u m entgebilde behandelte. Das Schwergewicht von Owen's
wissenschaftlicher Person verschaffte dieser Auffassung der Zähne denn
auch Allgemein giltigkeit.
Die weitere Entwickelung der Zahnforschung ist ganz wesentlich
beeinflußt von dem Gedanken der genetischen Einheit von Schuppen
und Zähnen. Daher ist hier auch ein kurzes Wort über die Er-
forschung der Schuppen erforderlich. Ausführlicher schildern die
Geschichte der Schuppenforschung Mandl (1839) und Baudelot
(1873). Aristoteles behandelt die Schuppen als Homologa der
Federn und Haare. Borelli (1656) soll der erste gewesen sein, der
eine Beschreibung der Schuppen gegeben hat. Eingehender handelt
von ihnen Loeuwtenhoek (1685), der den Schleim aus ihnen hervor-
gehen läßt und zuerst die Ansicht vertritt, beim WTachstum der
Schuppen werden die konzentrischen Ringe jedes Jahr abgelagert wie
bei den Bäumen die Jahresringe. Diese Theorie nahm er 1696 zurück
zu Gunsten einer anderen, wonach jedes Jahr unter der bestehenden
Schuppe sich eine neue bilde und mit der vorhandenen Masse verlöte.
In der Folgezeit gingen die Forscher mehr darauf aus, die Mannig-
faltigkeit der Schuppen zu schildern. Einen entscheidenden Schritt
vorwärts that erst Heusinger (1823) der die Schuppen zwar noch
R. BüRCKHARDT,
immer dem Horngewebe einreiht, zum erstenmale aber auch klassi-
fiziert und in die Klassifikation der Fische einführt. Er unterschied
Fische 1) ohne Schuppen, 2) mit kleinen Schuppen, 3) mit typischen
Schuppen, 4) mit am Rande gezähnelten Schuppen , 5) mit Knochen-
schuppen (unsere Ganoiden und Placoiden) (3) mit Knochenplatten. Er
betrachtete auch die Hautstacheln als modifizierte Schuppen und ferner
die Rostralzähne von Pristis. Und da auch die Stacheln wie Zähne
gebaut seien, sei der Uebergang des Schuppengebildes in das Zahn-
gebilde vollständig nachgewiesen. Ebenso wie von Heusinger ist
vor ihm von P. F. v. Walther (1807), einem Physiologen und Schüler
Schelling's, die Einheit der Schuppen- und Zahngebilde gelehrt
worden. Diese richtige Synthese wurde unterstützt durch eine falsche
Analogie zwischen Haaren und Zähnen, welch beide 'Bildungen von
Bonn" (17(33), v. Walther, Lavagna (1812), C. Mayer (1819)
und J. F. Meckel als zusammengehörig betrachtet wurden. Gegen-
über Lavagna hob jedoch Fox die Aehnlichkeit zwischen Zahn- und
Knochengewebe hervor. So kam es zu dem sonderbaren Resultat,
daß unter dem falschen Oberbegriff des Horngewebes die Zähne und
Schuppen nebst deren Abarten einander angenähert wurden, der erste
Schritt zur definitiven Einsicht in ihre verwandtschaftlichen Be-
ziehungen und somit auch in ihre Entwickelungsgeschichte. Agassiz
baute die Kenntnis der Schuppen vorwiegend nach der zoologisch-
systematischen Seite hin aus, während Mandl ihrer Anatomie eine aus-
führliche Studie widmete.
Von der genetischen Einheit der Schuppen und Zähne waren Joh.
Müller, Williamson und Steenstrup überzeugt Williamson (1849)
drückte dies dadurch aus, daß er die Placoidschuppen als „Hautzähne"
bezeichnete. Auch bestimmte die Einsicht in dieses Verhältnis beider
Organe Hannover (1868) zu einer eingehenden Untersuchung der
verschiedenen Formen der Placoidschuppe und ihrer Struktur. Aber
erst Gegenbaur (1871) erkannte in ihr in vollem Umfange den Typus,
auf den alle Hartgebilde der Haut zurückzuführen seien, und veranlaßte
auf Grund eines breiten Materiales 0. Hertwig (1874) zu seinen
Untersuchungen über den Gegenstand, die die Basis für alle weiteren
in dieser Richtung liegenden Forschungen bilden.
Mit dem allgemeinen Ueberhandnehmen entwickelungstheoretischer
Forschungen ließ man auch dem Zahnsystem vielfach specielle Auf-
merksamkeit angedeihen. In England waren durch Owen's umfassen-
den Wurf eine Reihe von Forschern angeregt worden, speciell histo-
logischen und entwickelungsgeschichtlichen Fragen nachzugehen, unter
ihnen sind namentlich hervorzuheben: Nasmyth, Huxley und be-
sonders J. und C. Tomes. Bei vielen wertvollen Erweiterungen, die
das Verdienst dieser Autoren begründen, blieb doch die systematische
Gliederung des Stoffes auf der von Owen geschaffenen Basis. Da-
gegen entwickelte sich in Amerika eine vergleichend-odontologische
Forschungsrichtung, als deren leitende Häupter einmal Wortmann
(1880) und neuerdings die Paläontologen Cope, Osborn und Ame-
ghino zu bezeichnen sind; neben Cope (1889) hat sich Ryder (1878)
mit der mechanisch-physiologischen Betrachtungsweise der fertigen
Gebißformen befaßt und die Grundlagen für eine Mechanik des Kau-
aktes gelegt. In Frankreich wurde das Forschungsgebiet der ver-
gleichenden Odontologie von den vorwiegend systematischen Interessen
der CuviER'schen Schule beherrscht (de Blainville, Frederic
Die Verknöcherungen des Integuments und der Mundhöhle. 455
Cuvier, Rousseau). Intensivere Bemühungen um die Ontogenie des
Zahnsystems erwachten in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts (Robin,
Legros, Magitot, Lataste, Pouchet und Chabry). Die klassische
zusammenfassende Darstellung der bis 1*60 reichenden Forschungen
gab H. Milne-Edwards. Eine eifrige Pflege erfuhr die wissenschaft-
liche Zahnforschung in Deutschland und den benachbarten Ländern.
Hier wurde die vergleichende Odontologie Owen's und der CuviER'schen
Schule vereinigt und systematisiert, zugleich aber mit den Resultaten
der Paläontologie und der mikroskopischen Anatomie durchtränkt
(Hannover, Rütimeyer, Baume). An Owen einerseits und die deut-
schen Odontologen andererseits lehnen sich auch die zeitgenössischen
englischen Forscher an (Flower, F. Major, M. Woodward, 0. Tho-
mas, M. Tims, Wilson und Hill). Die letzte Phase der vergleichend-
anatomischen Richtung wird bezeichnet durch die mustergiltige Arbeit
E. Rosenberg's (1895), worin als Ausgangspunkt für die Beurteilung
der Zahnhomologieen die individuelle Variation gewählt ist. Diesen
Standpunkt hat denn auch Leche eingenommen. Am mächtigsten
hat sich aber die Histologie und Entwickelungsgeschichte des Gebisses
durch das ganze Jahrhundert hindurch geltend gemacht von Schre-
ger's, A. Retzius', Purkinje's, Raschkow's, Schwann's und Va-
lentin's Arbeiten an, bis später die Führer der Entwickelungs-
geschichte, v. Kölliker (1861, 1864), Kollmann (1869), Waldeyer
(1871), Hertwig (1874), Schwalbe (1894) u. a, die gegenwärtig
giltigen Anschauungen über Zahnentwickelung begründeten.
Besonders fruchtbar wurden sodann die anderthalb letzten De-
cennien des ausgehenden Jahrhunderts: Ausgedehnte Bereicherung
erfuhr das Material durch die Herbeiziehung bisher wenig oder nicht
untersuchter phylogenetisch bedeutungsvoller Tierformen, ferner da-
durch, daß fortlaufende Entwickelungsreihen des Gebisses derselben
zur Untersuchung gelangten. Zudem stellte sich die Anwendung der
Schnittserien allein als unzulänglich heraus, und die plastische Rekon-
struktion der Schnitte begann sich einzubürgern. Endlich wurden
die Bemühungen lebhafter, die ontogenetischen Entwickelungsreihen
mit den phylogenetischen zu verbinden, wozu sich namentlich bei
der Vermehrung der Studien auf dem Gebiet der Säugetierphylo-
genie reichlichste Gelegenheit bot. Die größten Verdienste in dieser
Hinsicht haben sich Rose, Kükenthal und Leche nebst ihren
Schülern erworben, abgesehen von zahlreichen Entdeckungen anderer
Forscher an einzelnen wichtigen Wirbeltiertypen. Weniger glück-
lich wurde auf dem Gebiet der Histologie und Histogenese ope-
riert. Die Tendenz, mit unzureichenden Mitteln wichtige Fragen
entscheiden zu wrollen, macht sich auf diesem Specialgebiet — und das
gilt für die ausgedehnte zahnhistologische Litteratur im allgemeinen —
besonders fühlbar. Thatsächlich ist die Kenntnis der Absonderungs-
vorgänge der Hartsubstanzen eine ungenügende, und es ist auch nicht ab-
zusehen, durch welche Hilfsmittel hier volle Klarheit geschaffen werden
sollte. Neben den bereits erwähnten Embryologen sind es vor allem
Neumann, C. Tomes, Andrews, v. Ebner und Walkhoff, die sich
um Sichtung dieses praktisch bedeutungsvollen, aber für die allgemeine
Entwickelungsgeschichte bisher wenig ergiebigen Stoffes verdient ge-
macht haben , wogegen andererseits die Theorieen von Bödecker
(1892), Abbot und Morgenstern (1891) als erledigt zu betrachten
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XB. Die ausgedehnte palaeontologische und vergleichend-anatomische Litteratur konnU
nicht im Einzelnen aufgeführt werden, ist aber so viel als möglich im Text berück-
sichtigt worden.
Register.
A.
Abomasus 169.
After, Entstehung des 210 ff.
— — Amphibien 212.
Amphioxus 210.
Cyclostomen 211.
Dipnoer 212.
Mensch, Säuger 216 ff.
Sauropsiden 214, 215.
Selachier 212.
Aftermein bran 213, 218.
Agmina Peyeri 187.
Ameloblasten 351.
Ameloblastenschicht, b. Menschen 411.
Archipalatum 15.
Arteriae pulmonales 104.
Arytänoid 89.
Atrium des Amphioxus 9.
B.
Balgdrüsen der Zungenwurzel 63.
Bandzellen 300.
Barten 75.
Basalplatte der Placoidschuppe 362.
Beethaare 282.
Begrenzungsschicht 297.
Blastoporus 211, 217.
Blinddarm 173, 174.
Borsten 285.
Bronchus, eparterieller 104.
Brustwarze 323.
Bulbus pili cavus 276.
solidus 276.
Bursa hepato-enterica 232, 233, 234.
— pharyngea 65, 66.
c.
Canalis analis 218.
— neurentericus 210, 218.
— thyreoglossus 130.
Carotidendrüse 114, 148, 152.
Cartilago cuneiformis 90.
— lateralis 88.
— Santorini 89.
— thyreoides 91.
Cement 354, 356.
Coecum 173, 174.
Coelom 221.
Collar cavity, Amphioxus 5.
Colon descendens 173, 241.
Corium 307, 308.
— primäre u. definitive Furchen des 312.
— des Nagelbettes 298.
Coriumleisten der Hufe 301.
Cricoid 89.
Cuticularsaum 257.
B.
Darm, Anlage des; Allgemeines 110.
— äußere Längsmuskulatur des 176.
— innere Ringin uskulatur des 176.
— postanaler 161, 167.
— präoraler, Ammocoetes 11.
— — Sauropsiden 19.
— — Selachier 16.
Teleostier 18.
Darmdottersack 160.
Darmdrüsen 176.
— Amphibien 178.
Darmfollikel 188.
Darrahöhle 109.
Darmkanal 112.
Darmlumen 110.
Darmpforte, hintere, vordere 167.
Darmrinne 154, 166, 168.
Darmrohr, Allgemeines 111.
— Sonderung i. versch. Abschnitte 154 ff.
Darmscheibe 174.
Darmschleife 113.
Darmschleimhaut 175.
— lymphatische Apparate der 185 ff.
— Lymphfollikel der 175.
Darm wand 112, 115.
464
Register.
Darm wand, Drüsenapparat der 175.
— histologische Entw. der 174 ff.
Musculaxis der 175.
— primäre Schichten der 175.
— der Reptilien 181.
— der Säuger 182.
— der Vögel 181.
Deckenwulst 298.
Deckknochen; Pisces, Amphibien 3,1 tf.
Dentin 354.
— bei Fischen 361.
Dentinröhrchen 354.
Dentition(en) 358.
— mehrfache, beim Menschen 41(3 ff.
— postpermanente 359.
— prälakteale 359.
Dottergang 1'66, 174.
Dottersack 112, 104, 175.
Drüse, kolbenförmige, des Amphioxus 3.
Drüsen der Mundhöhle 54 ff.
Amphibien 55.
— — Petromyzon 54.
— — Säuger 58.
Sauropsiden 56.
Drüsenfeld (Mammarorgaue) 318.
— der Mundhöhle, Amphibien 37.
Dünndarm 171.
Dünndarmspirale der Anuren 162.
Dunenfederspule 269.
Dunenfederstrahlen 269.
Duodenum 171.
— Säuger 183.
E.
Eihöcker 73.
Eischwiele 73.
Eizahn der Saurier u. Ophidier 74.
Ektobronchien 99.
Eleidin 254.
— diffuses 254.
— körniges 255.
Embryonaldune 266.
Enddarm 114, 115, 154, 155.
Endkolbeu 331.
Endostyl 1Ü.
Entobronchien 99.
Entoglossale 49.
Epidermis 253 ff.
Epiglottis 87.
Epiglottisknorpel 90.
Epithelknospen 332.
Epithelkörperchen 114, 127,145,146—152.
— bei Säugern 150—152.
Epithelperlen 352.
Epitrichialschicht 254.
Epitrichium 254.
Eponychium 254, 294.
Ersatzhaare 282.
Ersatzleiste, Mensch 410.
Erstlingsdune 266.
F.
Feder, Federn; Entw. der 26611.
— Vergleichung mit Schuppe u. Haar 288.
Federfollikel 269, 272.
Federkeim 267.
— definitiver 271.
Federpapille 267.
— definitive 272.
Federscheide 270.
Federseele 270.
Federtasche 268, 270.
Fischschuppen 2b2.
Flaumhaare 284.
Flexura sigmoides 173.
Flimmersäckcheu des Amphioxus 2.
Flossenstacheln, Selachier 365.
Flossen strahlen. Teleostomen 368.
P'oramen Winslowi 233, 234.
Fruchtschmiere 260.
Fulcra, Teleostomen 368.
Furchen des Corium, definitive 312.
primäre 312.
tf.
Ganoin 355.
Gastralhöhle 109.
Gastralskelett, Reptilien 375.
Gastroduodenalschlinge 162, 165.
Gaumenleiste, Sirenia 74.
Gaumenlippe 29.
Gaumentasche, Didelphys 20.
Gebiß, Entwickelung dess., Amphib. 391.
Aves 402.
■ Carnivoren 426.
Cetaceen 428.
Chiropteren 425.
Dinosaurier 401.
Dipnoer 388 ff.
Edentaten 443.
— — Lacertilier 395.
— ;— Hatteria 394.
Holocephalen 388.
— — Insectivoren 423.
Marsupialier 447.
Krokodil 398.
Mensch 408 ff.
Monotremen 446.
Nager 441.
— — Ophidier 396.
Pferd 437.
Pinnipedier 427.
— — Proboscidier 438.
— — Prosimier, Affen 422.
Reptilien 393 ff.
Sauropsiden 391 ff.
Schwein 433.
Selachier 382 ff.
Sirenier 439.
Teleostomen 378 ff.
Ungulaten 432.
— geschichtliche Uebersicht des Studiums
der Entw. des 451 ff.
— lakteales 359.
— permanentes 359.
Geschmacksknospen 46.
Gesichtslippe 29.
Gesichtsspalte, schräge 29.
Giftdrüse, Sauropsiden 57.
Glandulae alveolo-linguales 59.
— buccales 60.
Register,
465
Glandulae labiales 56, 60.
— linguales 57, 61.
— palatinae 57, 61.
— sublinguales 56, 57, 59.
— submaxillares 59.
Glossobyale 49.
( rrandry'sche Körpereben 332.
(Trimmdarmspirale 174.
H.
Haare, Entw. der 276 ff.
— der Cetaceen 286.
- Gruppenbildung der 283.
— Lebensdauer der 282.
— primäre 283.
— reife 284.
— sekundäre 283.
- Vergleicbung mit Schuppe u. Feder 288.
Haarbeete 282.
Haarfollikel, sekundäre 283.
Haarknopf 276.
Haarkolben 276.
Haarpapille 276.
Haarzwiebel 276.
Haftscheibe von Acipenser 17, 22.
Halsfisteln 117.
Hasenscharte 29.
Hatschek'sche Grube 4.
Hatschek'sches Nephridium 5.
Haut, Entw. der 253 ff.
— Furchen der 308.
— Litteraturübersicht 337.
— Nerven der 328 ff.
Hautdrüsen im allgemeinen 261.
Hautknochen, Amphibien 373.
— Ganoiden 370.
— Teleostier 370.
Hautverknöcherungen 349.
— Amnioten 373 ff.
— Chelonier 373.
— Mammalia 376, 377.
— Saurier u. Krokodile 375.
Herbst'sche Körperchen 331.
Höckerpapillen 264.
Hohlkolben 276.
Hohlvenengekröse 225.
Hornbildungen der Mundhöhle 68 ff.
Hornschnabel der Anurenlarven 71.
Hornzähne der Anurenlarven 70.
— der Cyclostomen 68.
Hufe 299 ff.
Hypobranchialrinne 10, 117.
Hyponychium 298.
Hypophyse als Palaeostoma 32.
Hypophysenanlagen, Petromyzon 12.
I. J.
Jejunum 171.
Ileum 171.
Infracardialbronchus 100.
Integument, Hartgebilde des 349 ff.
Interglobularräume 357.
Isopedin 354.
Isthmus der Schilddrüse 130.
Handbuch der Entwickelungslehre. 11. 1.
K.
Käseschmiere 260.
Kammplatten 70.
Kehlkopf 86 ff.
— Nerven des 95.
— Phylogenie des 95.
Keratisation 255.
Keratohyalin 254, 255.
Key-Retzius'sche Körperchen 331.
Kiemen, äußere, innere 124, 126.
Kiemendarm 154.
Kiemenorgane, accessorische 119.
Kiemenplatte 125.
Kiemenreste 127, 147, 153.
Kiemenspalten 116, 126.
— des Amphioxus 7.
Kiemenspaltenderivate 146.
Kiemenspaltenorgane 133.
Kloake 220, 221.
Kloakenöffnung 210.
Konkrescenz im Gebiß der Selachier 387.
— der Molaren 404.
Marsupialier 449.
Kopfdarm 154.
Kosmin 354.
Krallen 303.
Krallenbett 304.
Krallenfalz 305.
Krallenplatte 305.
Krallensohle 305.
Krallenwall 305.
Kronencement, Ungulaten 434.
Kropf 166.
L.
Labdrüsen 170.
Lanugo 276, 281.
— foetalis 284.
— infantilis 284.
Larynx s. Kehlkopf.
Laufschuppen 262.
— sekundär gebildete 265.
Leber 113, 115, 188-200.
— Amphibien 191.
— Amphioxus 188.
— Cyclostomen 188.
— Ganoiden 191.
— Mensch 195.
— Eeptilien 192.
— Säuger 194.
— Selachier 189.
— Teleostier 190.
— Vögel 193.
— Histogenese der 196.
Lebergekröse, dorsales 225, 230.
Leberlappen, Entw. der 199.
Lepidin 354.
Leydig'sche Zellen 257, 335.
Lieberkühn'sche Krypten 187.
Ligamentum cavo-duodenale 240.
— coronarium hepatis 233.
— hepato-cavo-pulmonale 228.
— hepato-gastro-duodenale 236.
— recto-duodenale 239.
— recto-lienale 241.
— Suspensorium hepatis 233.
30
466
Register.
Lippen 78 ff.
Lippenfurche 79.
— Mensch 408.
— Vögel 403.
Lippenfurchenleiste 79.
— Mensch 408.
— Rind 437.
Lippenhaare 286.
Lobus descendens hepatis 235.
Luftsäcke der Vögel 98, 99.
Luftwege, Muskeln der 93.
— Skelett der 87 ff.
Lungen, erste Anlage der 84.
- Blutgefäße der 103.
— weitere Entwickelung der 96 ff.
Lungenarterien 104.
Lungenpfeifen 98.
Lungenvenen 103.
Lymphatische Apparate der Darmschleim-
haut 185 ff.
der Mundhöhle und des Pharynx
62 ff.
Lyssa 50.
M.
Magen 159, 160, 163, 167, 168, 176.
— Drehung dess., Säuger. 169.
Magendrüsen 177.
Makrostornie 29.
Manimardrüsen d. Monotremen 319.
Mammarorgane 316.
Mammartaschenanlage 319.
Marsupialleiste 317.
Membrana propria mesenterii 240.
Mesenterien 22 1 ff.
Mesenterium dorsale 113, 224, 237.
— ventrale 113.
Mesobronchium 98.
Mesocardiuni laterale 226.
Mesodermpapille d. Zahnanlagen, Mensch
409.
Mesoduodenum 236.
Metapleuralf alten 8.
Milchdrüse 323.
Milchleiste 317.
Milchlinie 317.
Milchpunkt 323.
Milchstreifen 317.
Mitteldarm 115, 155.
Mittelhaar 283.
Molaren, Differenzierung der 405.
— Konkrescenz der 404.
Morgagni'sche Tasche 87.
Mund, Entstehung dess. 1 — 36.
— Amphibien 18, 25.
— Amphioxus 2 ff.
— Cyclostomen 1 1 ff.
— Dipnoer 18, 23.
— Ganoiden 17, 22.
— Säuger 19, 27.
— Sauropsiden 19, 27.
— Selachier 16, 21.
— Teleostier 18, 23.
Muudbucht 111.
— Ammocoetes 11.
— ßdellostoma 14.
Mundbucht, Dipnoer 18.
— Ganoiden 17.
— Säuger 20.
— Sauropsiden 19.
— SeLichier 17.
Munddachplatten, Dipnoer 23.
Mundhöhle, Drüsen der 54 ff.
Amphibien 55.
Petromyzon 54.
Säuger 58.
Sauropsiden 56.
— Drüsenfeld der, Amphibien 37.
— Hartgebilde der 349 ff.
- Hornbildungen der 68 ff.
lymphatische Apparate der 62 ff.
Mundhöhlenknochen, Pisces, Amphibien
371 ff.
Mundscheibe 11.
Mundschleimhautgebiß 378.
Mundwinkeldrüse 57.
N.
Nabel 112, 272.
Nabelbläschen 112.
Nabelbruch 169.
Nabelschleife 169.
Nägel, Entw. der 293 ff.
— Nerven der 296.
Nagel, primärer 21.8.
— primitiver 298.
Nagelfeld, primäres 293.
Nagelgrund, primärer 295.
Nagelsaum 293.
Nagelzellen 294.
Nasengaumenrinne 26 ff.
Nasenrachengang, Bdellostoma 15.
— Petromyzon 12.
Nasenrinne 24.
Nasenwulst (-fortsatz), lateraler u. medialer
26 ff.
Nebenhaare 283.
Nebenschilddrüsen 131.
Nebenstrahlen (Feder) 270.
Nebenthymus 136.
Neostoma 31.
Nephridium, Hatschek'sches 5.
Nervenendigungen in der Haut 329.
Nestlingsdune 266.
0.
Oberkieferfortsatz 21 ff.
Oberkieferwulst s. Oberkieferfortsatz.
Odontoblasten 354.
— der Selachier 362.
Oesophagus 160, 166, 176, 177.
Omasus 169.
Onychin 255, 306.
Onychinogene Substanz 256.
Onychisation 255.
Operculum 124.
Organe der Seitenlinie 332 ff.
Osteoblasten 354.
I Osteoide Gewebe 354.
Register.
467
P.
Palaeostoma 31.
Pankreas 113, 115, 171, 200 ff.
— der Cyclostomen 200.
— der Selachier 200.
— centroacinöse Zellen des 207.
— dorsale, Amphibien 202.
Ganoiden 201.
Reptilien u. Vögel 202.
Säuger 202.
Teleostier 201.
— histologische Differenzierung des 206.
— topographische Ausbildung des 208,
209.
— ventrale, Amphib. 204.
Ganoiden 204.
Reptilien 204.
Säuger 205.
Teleostier 203.
— — Vögel 205.
Papilla mamtnae 318.
Parabronchien 98.
Parotis 57.
— Säuger 60.
Peribranchialrauin des Amphioxus 8.
Pericardialhöhle 231.
Periderm 254.
— der Hufe 300.
Peridermalschicht 254.
Peritonealhöhle 222.
Perlorgane 332.
Pigment 308 ff.
— von Schuppen 263.
Pigmentkörnchen 308.
Pinseldunen 270.
Placoidschuppen, Entw. der 360 ff.
Pleurahöhle 222.
Pleuroperitonealhöhle 231.
Plica subungualis, Säuger 60.
Plicidentin 354.
Pluma 266.
Plumula Malpighii 266.
Polyphyodontie 358.
Porodentin 356.
Postbranchialer Körper 114, 119, 127, 140,
142, 146.
Präcardialplatte 226.
Präoraler Darm, Ammocoetes 11.
Sauropsiden 19.
Selachier 16.
— — Teleostier 18.
Präoralgrube 2, 4.
Präoralfalten 6.
Primärfurchen des Corium 312.
Processus entoglossus 49.
— globularis 27.
Procricoide 89.
Pubertätshaar 284.
Pulpa des Federkeims 269.
— der Zahnbildungen 354.
ß.
Rachenhaut 111.
— Ammocoetes 13.
— Amphibien 18.
Rachenhaut, Bdellostoma 14.
— Säuger 20.
— Sauropsiden 19.
— Selachier 17.
— Teleostier 18.
Rachenlippe 29.
Rachentonsille 63.
Radix mesenterii 238.
Räderorgan, Amphioxus 4.
Recessus duodeno-jejunalis 241.
— intermesocolicus transv. 241.
— parietales des Cöloms 226.
— recto-duodenalis 241.
— superior sacci omenti 229, 232.
Rectum 173.
Reticulum 169.
Rhachis 270.
Rindenleisten des Stachels 274.
Rostralhöhle 2.
Rumen 169.
Rundhöckerpapillen 264.
s.
S Romanum 173.
Saugscheibe von Lepidosteus 22.
Scapus 270.
Schaft (Feder) 270.
Schaltstück (Tuberculum impar) 41.
Schilddrüse 114, 127.
Schildknorpel 91.
Schleimzellen 257.
Schlundspalten 117, 120.
Schlundspaltenderivate 141, 153.
Schlundtaschen, Mensch 123.
— Säuger 122.
Schmelz 351.
■ — Pisces 361.
Schmelzepithel 351.
— äußeres, Mensch 411.
Schmelzoberhäutchen 353.
Schmelzorgan 351, 358.
Schmelzprismen 352.
Schmelzpulpa 351.
— Mensch 411.
Schnabel der Vögel 72.
Schnabelschild, Didelphys 28.
Schuppen, Amnioten 262 ff.
— Geschichtliches über 453.
— Ganoiden 366.
— Teleostier 367.
— primäre 262. 265.
— Vergleichung mit Feder u. Haar 288.
Schuppen-ähnliche Bildungen 262.
Schuppen papille 264.
Schwanzstachel 275.
Schweißdrüsen 311.
Schwimmblase 80—84, 160.
Schwungfedern 272.
Seessel'sche Tasche 20.
Seitenhaare 283.
Seitenlinie, Organe der 332 — 337.
Seitenorgane 335.
Seitenorgansystem 336.
Septum transversum 223, 224 ff.
Sinnesknospen 332.
Skleroblasten 353.
30*
468
Register.
Sohlen falz 304.
Sohlenhorn 297.
Spiraldarm 157.
Spiralfalte 161.
Spiralklappe 156.
Splanchnopleura 110, 159, 174.
Spritzloch 117.
Spürhaare 285.
— Nerven der 279.
Stachelfollikel 273.
Staehelkegel 273.
Stachelkeim 273.
Stacheln 272 ff.
Stachelpapille 273.
Stammbronchus 98, 99.
Stammhaar 284.
Stammknospe 99.
Sternzellen 351.
Stiftchenzellen 258.
Stiftzähne 70.
Stirnfortsatz, mittlerer, seitlicher 27 ff.
Stomodaeum s. Mundbucht.
Stratum intermedium 351.
Mensch 411.
Strichkanal, Wiederkäuer 318.
Substanz, onychinogene 256.
Suprapericardialkörper 127, 142.
Syncytium (Epidermisanlage) 253.
Syrinx 96.
T.
Talgdrüsen 314.
— im roten Lippenrande 316.
— der Mundhöhle 61.
Tasthaare 285.
Tastkörperchen 330.
Tastzellen 332.
Teloderm 254.
Tentakel, Acipenser 22.
— Amphioxus 6.
— Bdellostoma 16.
Thymus 114, 127, 131 ff.
— Amphibien 134.
— Mensch 141.
— Eeptilien 136—138.
— Säuger 139— 142
— Teleostier 133.
— Vögel 138, 139.
— konzentrische Körperchen der 134.
Tonsilla lingualis 63.
— palatina 64.
— pharyngea 65.
Tonsillen 185.
Trabeculin Bf».").
— Selachier 387.
Trachea 86 ff.
Tracheairinge 90.
Tremostoma 33.
Tuberculum impar 39, 41.
u.
Unterkieferfortsatz 21 ff.
Unterkieferwulst s. Unterkieferfortsatz.
Unterzunge 52.
Urdarm 109.
Urnägel 295.
V.
Vasoden tin 354.
Vater' sehe Körperchen 329.
Velum, Ammocoetes 13.
— Amphioxus 6.
— Bdellostoma 16.
Venae pulmonales 103.
Verhornung 254 ff.
Vernix caseosa 260.
Vestibulum oris 79.
Vitrodentin 355.
Vollkolben 276.
Vorderdarm 114, 155.
— Sonderungen des 168.
Vorleber 231.
w.
Wolfsrachen 29.
Wollhaare 276.
— des Schafes 285.
Wrisberg'scher Knorpel 90.
Wurzelblatt der Nagelanlage 293.
Wurzelscheide ; radiäre Anordnung der
Zellen der innern 291.
z.
Zähne, Definition, Geschichtliches 349
452.
— mit permanentem Wachstum 405.
Zahnanlage, prälakteale 437.
Zahnen, beim Menschen 414.
Zahnentwickelung, Bind 437.
— Tapir 437.
Zahnersatz, Säuger 413 ff.
Zahngenerationen 358.
Zahnleiste 358.
— Mensch 408.
Zahnsubstanzen, Histogenese der, Mam-
malia 412.
Zahuwachstum, permanentes, bei Nagern
441.
Edentaten 443.
Zahnwechsel, Mensch 415.
Zahnzapfen 358.
Zapfenhöckerpapillen 264.
Zitze, sekundäre 318.
Zunge 36—54.
— äußere Form der 37 ff.
— Drüsen der 47.
— der Fische 36.
— Muskulatur der 41 ff.
— Papillen der 44 ff.
— Skelett der 48 ff.
Zungenwülste, seitliche 40, 41.
Zwerchfell 222, 227, 230.
Fommannsche Buchdruckeret (Hermann Pohlc) In Jena.
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